SPRACHE UND METAPHYSIK
BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE Herausgegeben von Kurt Flasch – Ruedi Imbach Burkhard Mojsisc...
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SPRACHE UND METAPHYSIK
BOCHUMER STUDIEN ZUR PHILOSOPHIE Herausgegeben von Kurt Flasch – Ruedi Imbach Burkhard Mojsisch – Olaf Pluta For an overview of all books published in this series, please see http://benjamins.com/catalog/bsp
Band 52
TAMAR TSOPURASHVILI
Sprache und Metaphysik Meister Eckharts Prädikationstheorie und ihre Auswirkung auf sein Denken
B.R. GRÜNER AMSTERDAM/PHILADELPHIA
Sprache und Metaphysik Meister Eckharts Prädikationstheorie und ihre Auswirkung auf sein Denken
TAMAR TSOPURASHVILI Ilia State University, Tbilisi
B.R. GRÜNER AMSTERDAM/PHILADELPHIA
The paper used in this publication meets the minimum requirements of American National Standard for Information Sciences — Permanence of Paper for Printed Library Materials, ANSI Z39.48-1984.
Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und Open Society Institute (OSI). Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at http://dnb.ddb.de.
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Tsopurashvili, Tamar. Sprache und Metaphysik : Meister Eckharts Prädikationstheorie und ihre Auswirkung auf sein Denken / Tamar Tsopurashvili. p. cm. -- (Bochumer Studien zur Philosophie, ISSN 1384-668X ; Bd. 52) Includes bibliographical references and index. 1. Eckhart, Meister, d. 1327--Criticism and interpretation. 2. Metaphysics. I. Title. B765.E34T76â•…â•… 2011 189'.5--dc22 2011013951 isbn 978 90 6032 385 4 (hb; alk. paper) isbn 978 90 272 8520 1 (eb) No part of this book may be reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the publisher. © by B.R. Grüner, 2011 Printed in The Netherlands B.R. Grüner is an imprint of John Benjamins Publishing Company John Benjamins Publishing Co. • P.O.Box 36224 • 1020 ME Amsterdam • The Netherlands John Benjamins North America • P.O.Box 27519 • Philadelphia PA 19118-0519 • USA
Meiner Mutter gewidmet
Vorwort
Die vorliegende Studie ist bei der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation eingereicht und am 22. Juli 2009 vor der Prüfungskommission im Rahmen einer Disputation verteidigt worden. Zuerst möchte ich Prof. Dr. Burkhard Mojsisch größten Dank dafür aussprechen, dass er die Betreuung meiner Doktorarbeit übernommen und ihr Entstehen mit großem Interesse verfolgt hat. Die Klarheit, durch die sich seine eigenen Arbeiten zur antiken und mittelalterlichen Philosophie auszeichnen, stand mir stets als erstrebenswertes Ideal vor Augen. Ihm danke ich auch ganz herzlich dafür, dass die Untersuchung Eingang in die Reihe Bochumer Studien zur Philosophie gefunden hat. Großer Dank gebührt Prof. Dr. Walter Jaeschke, der das Korreferat zu meiner Dissertation erstellt und mir inhaltlich wichtige Hinweise gegeben hat. Diese Arbeit wäre wahrscheinlich nie entstanden, wenn während meines Grundstudiums in Georgien von meinen Dozenten Prof. Dr. Guram Tevsadze und Prof. Dr. Mamuka Beriashvili mein Interesse für die mittelalterliche Philosophie und besonders für das Denken Meister Eckharts nicht geweckt worden wäre. Ich bedanke mich bei ihnen, dass sie mich zu dem anspruchsvollen Projekt, eine Doktorarbeit über Meister Eckhart zu konzipieren, ermuntert haben. Herzlicher Dank gebührt den Organisationen DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) und OSI (Open Society Institute) für die einige Jahre gewährte Promotionsförderung mit dem damit verbundenen Aufenthalt in Deutschland. Bei diesen Organisationen bedanke ich mich auch für die Genehmigung einer ungewöhnlich großzügigen Druckkostenbeihilfe, wodurch ermöglicht worden ist, dass die Arbeit bei der John Benjamins Publishing Company erscheinen konnte. Der OSF (Open Society Foundation) sage ich Dank für die Unterstützung, die mir in Rahmen des International Higher Education Support Program, und zwar des AFP (Academic Fellowship Program), nach meiner Rückkehr in Georgien zuteil geworden ist.
viii Sprache und Metaphysik
Anke de Looper vom Benjamins-Verlag danke ich dafür, dass sie mir zum Manuskript der Studie wichtige Hinweise für die technische Gestaltung unterbreitet hat. Besonderer Dank gebührt Hartmut Grabst für seine gewissenhafte Durchsicht der Arbeit. Die vorliegende Untersuchung stellt eine Art Summa meiner philosophischen Studien in Deutschland dar, Studien, die für mich von besonderem Wert gewesen sind. Das Buch widme ich meiner Mutter, Manoni Ghviniashvili. Sie war mir während meiner Promotionsbemühungen kontinuierlich eine innere Stütze. Ich glaube, sie wäre stolz gewesen, wenn sie das Erscheinen dieses Buches hätte miterleben können.
Tbilisi, im Februar 2011
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1. Eckharts spekulatives Anliegen – das Opus tripartitum 1 2. Zum Verlauf der Arbeitâ•… 9 kapitel 1 Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter 1.1 Logica vetus – logica nova 13 1.2 Inhaerentia-Theorie und Identitätstheorieâ•… 18 kapitel 2 Die Bedeutung von negatio negationis 2.1 Die Eckhart’sche Definition von negatio negationis in den lateinischen Werkenâ•… 27 2.2 Die zwei Theologumenaâ•… 32 2.2.1 Negatio negationis als Affirmationâ•… 32 2.2.2 Negatio negationis als unumâ•… 33 kapitel 3 Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“ 3.1 Die Ontologisierung der Semantikâ•… 35 3.2 Prädikation bei Meister Eckhartâ•… 41 3.3 Negation und Gotteserkenntnis bei Pseudo-Dionysius Areopagitaâ•… 51 3.4 Negatio negationis als Attributionsaussageâ•… 57 3.5 Die Rehabilitierung der affirmativen Sätzeâ•… 69 3.6 Eckharts Interpretation der via negativa 79 Zusammenfassungâ•… 85
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Sprache und Metaphysik
kapitel 4 Die Auswirkung der Prädikation auf die Grundsätze der Metaphysik 87 4.1 Die Transzendentalienlehreâ•… 87 4.2 „Deus est intelligere“. Die Quaestio Parisiensis Iâ•… 96 4.2.1 Der pro forma – Rekurs auf Argumente des Thomas von Aquinâ•… 96 4.2.2 Intelligere als Fundament des Seinsâ•… 99 4.2.3 Die Analogielehre in der Quaestio Parisiensis Iâ•… 107 Zusammenfassungâ•… 112 4.3 Die These vom Seinâ•… 113 4.3.1 Die Vorbemerkungen zum Prologus generalis in Opus tripartitumâ•… 113 4.3.2 Transzendentalien als Prädikateâ•… 118 4.3.3 Die Konvertibilität des ‚Seins‘ mit den anderen Transzendentalienâ•… 121 4.3.4 Die exklusive Identifizierung der Transzendentalien mit Gottâ•… 125 4.3.5 Die semantisch-ontologische Differenz zwischen den termini generales und den Akzidentienâ•… 128 Zusammenfassungâ•… 130 4.4 Das Geburtsparadigmaâ•… 131 4.4.1 Der Prolog des Kommentars zum Johannesevangeliumâ•… 132 4.4.2 Die gleichartigen Wesen – die Univozitätslehreâ•… 136 4.4.3 Die Sohnschaft Gottes und die Stellung des Menschen in ihrâ•… 138 Zusammenfassungâ•… 146 kapitel 5 Eckharts Deutsche Werke und ein weiterer Ort der Thesen seiner Metaphysik 5.1 Eckharts Sprache in den Deutschen Predigten. Ein germanistischer Exkursâ•… 148 5.2 Predigt 9: ‚Quasi stella matutina in medio nebulae et quasi luna plena in diebus suis lucet et quasi sol refulgens, sic iste refulsit in templo dei‘ (Eccli. 50, 6f.)â•… 154 5.3 Predigt 21: ‚Unus deus et pater omnium etc.‘ (Eph. 4, 6)â•… 164 Zusammenfassungâ•… 169
147
Inhaltsverzeichnis
Schlussbetrachtung
171
Bibliographie 1. Werke Meister Eckhartsâ•… 173 2. Ergänzende Primärliteraturâ•… 174 3. Sekundärliteraturâ•… 175
173
Sachregister Namenregister
183 187
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Einleitung
Das Denken ist die Aktivität der Vernunft. Das Denken lässt sich durch die Sprache ermitteln. Die Sprache ermöglicht es, die durch die Aktivität des Denkens erbrachten Ergebnisse, die Gedanken, in Form von Sätzen zu fixieren. Auf solche Weise, in Form von Sätzen, hält die Vernunft die Gedanken als die Produkte ihrer Tätigkeit, des Denkens, fest. So zeigt sich eine Kette von Gegebenheiten, die einander bedingen: Vernunft – Denken, Denken – Gedanken, Gedanken – Sprache, Sprache – Satz. Die Reflexion auf die Vernunft impliziert die Reflexion auf das Denken als Prozessualität, auf den Gedanken als Gedachtes und auf die Sprache als Form, in der das Gedachte gedacht wird. Die Sprache fungiert als ein Medium, das es ermöglicht, den durch die Vernunft gedachten Gedanken zu konstruieren: Um in einem Satz ein Subjekt mit einem Prädikat auf der Ebene der Sprache zu verbinden, muss diese Verbindung erst auf der Ebene des Denkens vollzogen werden. Das Denken vermag diese Aufgabe auf zweierlei Weise zu erfüllen. In der Neuzeit unterschied I. Kant bei den durch diese Operation entstandenen Sätzen zwischen analytischen und synthetischen Urteilen. Im Mittelalter sprach man von inhärenziellen Sätzen und Identitätssätzen. Die Differenz zwischen analytisch/synthetisch und inhärenziell/identisch findet allerdings keinerlei Ausdruck in einer unterschiedlichen Satzstruktur. In beiden Arten von Sätzen wird ein Subjekt mit einem Objekt durch die Kopula ‚ist‘ verbunden. Die Sinndimension des Satzes eröffnet sich nicht in der Satzstruktur, sondern in der Denotation der Begriffe. Die Vernunft ist ein zentraler Begriff in Meister Eckharts Werken. Die zentrale Stellung des Vernunftbegriffes in seinem Denken impliziert die besondere Bedeutung des Denkens selbst (intelligere) und des mit dem Denken verbundenen Mediums für den Ausdruck des Gedachten – der Sprache. 1.
Eckharts spekulatives Anliegen – das Opus tripartitum
Obwohl schon am Anfang der Eckhartforschung J. Quint darauf aufmerksam gemacht hat, dass Eckharts Denken als Einheit zu betrachten ist, tendiert die . Vgl. J. Quint, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW III, S. XVI.
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Sprache und Metaphysik
Forschung immer noch dazu, Eckharts Denken in seinen lateinischen Werken abzugrenzen von dem als Mystik oder spekulative Mystik charakterisierten Denken in seinen deutschen Werken. Eine solche Auffassung wird meistens mit der Differenz der sprachlich-stilistischen Ausdrucksweisen zwischen den deutschen und lateinischen Schriften begründet. So gesehen bleibt die Einordnung des Eckhart’schen Denkens in die Geschichte der abendländischen Tradition immer noch eine offene Frage. Allerdings gilt es als weitgehend akzeptiert, dass Meister Eckhart ein Metaphysiker ist. Den Ort in Eckharts Denken, an dem Bruchstücke seiner Metaphysik zu finden sind, stellt das Opus tripartitum dar. Wie schon der Name besagt, sollte das Opus tripartitum drei Teile umfassen: (1) das Opus propositionum mit mehr als tausend Thesen, das dazu bestimmt war, die Grundlagen der Eckhart’schen Lehre darzulegen; (2) das Opus quaestionum, das nach Eckharts Andeutungen in materia und ordo der Summa theologiae des Thomas von Aquin folgte, und (3) das Opus expositionum, eine umfassende Auslegung der Schrift. Das Opus expositionum besteht aus zwei Teilen, aus den eigentlichen Expositiones und dem Opus sermonum. Eckhart beschäftigt sich hier mit einzelnen Bibelzitaten, die ihm besonders gehaltvoll erscheinen. Die Auswahl der Zitate erfolgt nicht im Hinblick auf ihre Anordnung im biblischen Text, sondern in Bezug auf die von ihm zuerst aufgestellten propositiones, die ihrerseits der Ordnung der termini generales folgen. Gemäß dem Prologus generalis bilden die drei Werke einen systematischen Zusammenhang. Die Grundlegung des dreiteiligen Werkes erfolgt nach Eckharts Intention im Opus propositionum. Ohne dessen Thesen seien die beiden anderen Werke „nur von geringem Nutzen“. Ob das Programm auch durchgeführt wurde, können wir heute nicht mehr beurteilen: Das Opus . Für die Verteidiger der mystischen Strömung in der Eckhart-Forschung ist die Position von K. Ruh exemplarisch: „Ein wirkliches Problem ist hingegen die Frage nach der mystischen Erfahrung Eckharts. Sie wird in Abrede gestellt, weil er nicht davon spricht. Eckharts Mystik, so heißt es, sei eine ‚Geistmystik‘, keine cognitio experimentalis. Aber ist das Schweigen über sie nicht gerade als ihr Kriterium angesprochen worden? Die Entrückung des Paulus in den dritten Himmel (2 Kor. 12, 2 u. 4; vgl. auch Apost. 9, 3) bleibt ungewortet – ‚geworten‘, ‚ins Wort treten‘ ist eine spezifische Bildung der deutschen Mystik – da die vernommenen ‚geheimnisvollen Worte‘ von der Art waren, ‚die ein Mensch nicht sagen darf ‘.“ K. Ruh, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker, München 1985, S. 188. Anstelle des etablierten Terminus „spekulative Mystik“ verwendete K. Albert die neuen Formulierungen: „intellektuelle Mystik“ und „philosophische Mystik.“ Vgl. K. Albert, Eckharts intellektuelle Mystik, in: A.€Speer/ L.€Wegener (Hrsg.), Meister Eckhart in Erfurt, (Miscellanea Mediaevalia 32) Berlin/NY 2005, S. 231–238, hier S. 234. . Prol. gener. n. 11, LW I, S. 156, 5.
Einleitung
expositionum ist uns nur als Torso überliefert worden, vom Opus quaestionum kennen wir fast nichts, nur vom Opus propositionum liegt ein großer Teil vor. Hier könnte die Erklärung von K. Weiß hilfreich sein, die er im Vorwort zur kritischen Ausgabe der lateinischen Werke Eckharts gegeben hat: Eckhart schrieb die Vorreden und die ersten Genesisauslegungen zusammen und als Einheit nieder, woran sich vielleicht die Exodusauslegung anschloß. Wahrscheinlicher ist, daß sie als besondere, zweite Schrift auch in ein besonderes Heft geschrieben wurde, was für die zweite Genesisauslegung selbstverständlich ist.
Nach Weiß ergibt sich daraus, dass die später hinzugefügten Inhaltsverzeichnisse für die Vorreden und die erste Genesisauslegung zusammen vor den Vorreden stehen, während die zweite Genesis- und die Exodusauslegung ihre Inhaltsverzeichnisse jeweils vor sich stehen haben. In den Vorreden sei ein Plan vorhanden, der vermutlich vor der ersten Genesis- und Exodusauslegung geschrieben wurde. Die Frage, ob die anderen Teile des dreiteiligen Werkes zu diesem Zeitpunkt bereits vorlagen, wurde von Weiß negativ beantwortet. In seiner Argumentation sieht er zwei überzeugende Gründe für eine solche Behauptung: Erstens, dort, wo Eckhart beispielsweise die erste These, die erste Abhandlung und die erste Auslegung in der Vorrede anführt, sage er nicht, dass diese an ihrem Ort ausführlicher behandelt, sondern ausführlicher zu behandeln seien; zweitens spreche Eckhart in der Hauptvorrede immer im Präsens von der Ausarbeitung des ganzen Werkes, im Futur von seiner Wirkung; nur dort, wo er vom zweiten Teil des Werkes der Auslegungen, den Predigtentwürfen, spreche, sage er: „… auctor pertractavit et exposuit et placuit ipsi.“ Weiß kommt zu dem Schluss: … als Eckhart die Hauptvorrede schrieb, waren vom ganzen dreiteiligen Werke lediglich die Predigtentwürfe geschrieben. Darüber hinaus ist diese Vorrede für die Feststellung dessen, was Eckhart vom ganzen Werke noch fertiggestellt hat, belanglos. Anhaltspunkte für die Feststellung der wirklich einstmals vorhandenen Werke Eckharts können nur seine Selbstzitate sein.
J. Koch behauptet aufgrund des überlieferten Eckhart’schen Opus „mit Gewissheit“, dass „dieses Werk nie fertig geworden ist … Wir befinden uns vielmehr . Vgl. O. Langer, Meister Eckharts Begründung einer neuen Theologie, in: V. Leppin/ H. J. Schiewer (Hrsg.), Meister Eckhart aus theologischer Sicht, (Meister-Eckhart Jahrbuch 1) Stuttgart 2007, S. 1–25, hier S. 9. . K. Weiß, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW I, S. 25. . Zitiert nach: K. Weiß, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW I, S. 26. . K. Weiß, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW I, S. 26.
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Sprache und Metaphysik
sozusagen auf einem weiten Bauplatz, auf dem einzelne Teile des geplanten großen Gebäudes bereits errichtet sind, während andere unvollendet dastehen.“ Eine solche Behauptung schließt die Annahme aus, dass während der Überlieferung einige Teile von Eckharts Werk verloren gegangen sein könnten. Eine Weiterentwicklung der von Koch aufgestellten Forschungshypothese stellt der Vorschlag von W. Goris dar, eine ideale und eine realisierte Ebene in den Eckhart’schen Werken zu unterscheiden. Seiner Auffassung nach könne nämlich im Fall von Meister Eckhart eher über die nicht geschriebene als über die nicht vollständig überlieferte Philosophie gesprochen werden. Die Argumentation von Goris zielt darauf ab, die Position der sog. ‚Bochumer Schule‘ zu kritisieren, die behaupte, die im Prolog des Johanneskommentars formulierte Intention Eckharts bestehe darin, die Bibel mit philosophischen Argumenten auszulegen.10 Goris’ Meinung nach passe nicht alles, was von Eckhart geschrieben worden sei, zu dessen ursprünglicher Planung, was zum Beispiel auch der zweite Genesiskommentar zeige, der schwer in das Projekt des Opus tripartitum einzuordnen sei.11 Die Frage nach der Datierung des Opus tripartitum wurde in der Forschung mehrmals aufgegriffen.12 Das letzte Wort in dieser Hinsicht gehört L. Sturlese, der . J. Koch, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW III, S. XXI. . Vgl. J. Koch, Zur Einführung, in: Meister Eckhart, LW III, S. XXI: „Verbinden wir nun unsere früheren Darlegungen über die gruppenweise Überlieferung der Schriften Eckharts mit den Ergebnissen, die wir bei der Betrachtung der Struktur des Opus tripartitum gewonnen haben, so ergibt sich zunächst mit völliger Gewissheit, daß dieses Werk nie fertig geworden ist.“ 10. Die Argumentation der ‚Bochumer Schule‘ bezieht sich auf die folgende Passage des Kommentars zum Iohannesevangelium: „In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum“ (In Ioh. n. 2, LW III, S. 4, 4–6). Von einer „Behauptung der Bochumer Schule“ kann also keine Rede sein, da Eckhart seine Intention hier klar formuliert. Vgl. auch die Kritik von Goris in: W. Goris, Einheit als Prinzip. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts, (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters Bd. LIX) Leiden/NY/Köln 1997, S.€27: „Insoweit der Prolog zum Johanneskommentar die Intention Eckharts, so wie diese in den Prologi in Opus tripartitum formuliert worden ist, nämlich die Bibel mit Hilfe der Philosophie auszulegen, zum Ausdruck bringt, ist es gelinde gesagt äußerst fraglich, ob es eine solche Philosophie überhaupt gibt! Die Vernachlässigung des Unterschiedes zwischen der idealen und realisierten Ebene des Eckhart’schen Werkes verführt die Bochumer Schule dazu, eine Eckhart’sche Philosophie auf der realisierten Ebene anzunehmen, nur aus dem Grunde, daß sie im Plan des Opus tripartitum erscheint.“ 11. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 10. 12. Vgl. dazu: J. Koch, Kleine Schriften I, Rom 1973, S. 361: „… die Pariser Quaestionen, die etwa 1302–1304, also lange vor dem Exoduskommentar entstanden sind“; auch: „[Man] darf
Einleitung
konstatiert: „Mir scheint kein Zweifel zu bestehen: wir befinden uns unmittelbar nach seiner Pariser Lehrtätigkeit 1302/03, im ersten Teil seines Provinzialats – in Eckharts Erfurter Zeit.“13 Diese Zeit datiert Sturlese auf 1305 und betont als die wichtigste Konsequenz dieser Datierung, „daß die Unterscheidung zwischen einem ‚Frühwerk‘ (‚Quaestiones Parisienses‘, ‚Paradisus animae intelligentis‘) und einem nach 1313 in Straßburg bearbeiteten ‚Spätwerk‘ (‚Opus tripartitum‘) nicht mehr haltbar ist“.14 Gemäß Sturleses Hypothese hatte Eckhart zu dieser Zeit „noch keinen ‚Liber parabolarum Genesis‘ und keinen ‚Johanneskommentar‘ geschrieben. Der ‚Exoduskommentar‘ war nur geplant, der ‚Genesiskommentar‘ befand sich in einem Frühstadium. Interessanterweise lag bereits der allgemeine Plan des ‚Opus tripartitum‘ (‚Prologi‘) vor, und zwei Reden bei zwei Provinzialkapiteln waren gehalten und redigiert worden.“15 Die beiden Prologe des Opus tripartitum entfalten einen spekulativen Gesamtentwurf, in welchem Eckhart Metaphysik, Theologie und Bibelexegese als aufeinander bezogen betrachtet. Diese Betrachtungsweise gilt dabei für ihn als rationale, was er im Kommentar zum Johannesevangelium offen ausspricht: In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum.16
annehmen, daß ein Teil der uns erhaltenen Kommentare während des dritten Pariser Aufenthalts entstanden ist. Die Werke selbst bieten aber keinerlei chronologischen Anhalt“. Siehe auch E. Reffke, Studien zum Problem der Entwicklung Eckharts im Opus tripartitum, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 57 (1938), S. 19–95, hier S. 82: „Weitere Anhaltspunkte für die absolute Chronologie finden sich nicht, so daß man am besten wohl die ganze Zeitspanne nach der zweiten Pariser Wirksamkeit des Meisters, die er als einen gewissen Abschluß seiner wissenschaftlichen Laufbahn ansehen konnte, also etwa 1314–1323, für die Arbeit am Opus tripartitum ansetzen kann.“ 13. L. Sturlese, Meister Eckhart in der Bibliotheca Amploniana. Neues zur Datierung des „Opus tripartitum,“ in: A. Speer (Hrsg.), Die Bibliotheca Amploniana. Ihre Bedeutung im Spannungsfeld von Aristotelismus, Nominalismus und Humanismus, (Miscellanea Mediaevalia 23) Berlin 1995, S. 434–446, hier S. 443. 14. L. Sturlese, Meister Eckhart in der Bibliotheca Amploniana, S. 445. 15. L. Sturlese, Meister Eckhart in der Bibliotheca Amploniana, S. 443. 16. In Ioh. n. 2, LW III, S. 4, 4–6: „Wie in allen seinen Werken hat der Verfasser bei der Auslegung dieses Wortes und der folgenden die Absicht, die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Schrift beider Testamente mit Hilfe der natürlichen Gründe der Philosophen auszulegen.“
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Sprache und Metaphysik
Das Anliegen Eckharts ist es, die Konkordanz zwischen der ratio und der Bibelwahrheit aufzuzeigen. Dies setzt aber die Identität von Theologie als Wissenschaft des Evangeliums und Philosophie als Metaphysik voraus.17 Hier ist auch zu erwähnen, dass bei Eckhart unter Philosophie zwei Disziplinen – Metaphysik und Naturphilosophie – zu verstehen sind, wobei die metaphysischen Inhalte die der Naturphilosophie erhellen und die naturphilosophischen Inhalte die der Metaphysik. Der Titel ‚Konkordanz‘ impliziert den Hinweis auf das Zusammenstimmen (consonare) von Evangelium und Naturphilosophie. Dies schließt aber die Rolle des Glaubens für Eckhart nicht aus, sondern dient dazu, denselben durch die ratio zu erklären. In seiner Kritik der sog. ‚Bochumer Schule‘ betont N. Largier, dass diese die Naturphilosophie und die metaphysische Dimension im Denken Eckharts ideengeschichtlich überbewerte. Sein Hauptargument besteht darin, dass sich Eckharts Denken in den Kategorien der Expositio bewege, die schlechthin auf die Schrift rekurriere. Die Tatsache, dass Eckharts Text auf die Schrift rekurriert, wurde allerdings in der Forschung nie bestritten. Auch die Betonung der rationalen Argumentationsverfahren, die sich im Kommentar zum Johannesevangelium findet, schließt die Bedeutung des Glaubens nicht aus und meint nicht dessen Überbietung durch die Vernunft, wie dies Largier zeigen will, sondern das Zusammenstimmen der beiden, was auch die Idee der Konkordanz impliziert.18 Daher 17. Vgl. B. Mojsisch, Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983, S. 9: „Der Parallelisierung – das Evangelium und die lex vetus verhalten sich zueinander wie der, der einen strengen Beweis führt, zum Topiker, wie der Metaphysiker zum Naturphilosophen€– folgt die typische Eckhart’sche Identifizierung von Theologie, sofern sie Wissenschaft des Evangeliums ist, und Metaphysik, denn: ‚evangelium contemplatur ens in quantum ens.‘ Damit besitzt die Theologie als Wissenschaft des Evangeliums nur einen Gegenstand, das Seiende als Seiendes, den Gegenstand der Metaphysik.“ 18. Vgl. N. Largier, Zeit, Zeitlichkeit, Ewigkeit. Ein Aufriss des Zeitproblems bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart, (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 8) Bern/Frankfurt a. Main/NY/Paris 1989, S. 73, Anm. 161: „Sicherlich haben Mojsisch und Flasch recht, wenn sie die naturphilosophischen und metaphysischen Dimensionen im Denken Eckharts in ihrer Eigenart hervorheben. Dabei dürfen jedoch nicht die Bedingungen aus dem Auge verloren werden, unter denen Eckhart in seinem Text diese Theoreme – von einer (systematischen, also auch homogenen) Theorie zu sprechen, scheint mir in den meisten Fällen den Text zu überfordern – einsetzt. Die Frage stellt sich, ob hier nicht die Neuartigkeit, zu der sich Eckhart selbst bekennt (Vgl. Prol. gen. n. 2; LW I, 148, 5–149, 2), ideengeschichtlich überwertet wird: Eckharts Denken bewegt sich, dies zeigt die Gesamtheit seiner Werke, vorerst in den Kategorien der expositio, die schlechthin auf die Schrift rekurriert. Damit ist auch dem Faktum des Glaubens ein Gewicht beigemessen, das nicht grundsätzlich durch die Vernunft überholt, sondern in dieser aufgehoben ist.“ Die von N. Largier erwähnte Auffassung von K. Flasch ist vor allem in den folgenden Publikationen zu finden: K. Flasch, Die Intention Meister Eckharts, in:
Einleitung
liegt hier eine philosophische Bibelauslegung vor, und dies bedeutet, dass es für Eckhart grundsätzlich keinen Bereich der Theologie gibt, der nicht der philosophischen Reflexion zugänglich wäre und der sich nicht in einer philosophischen Aussage festhalten ließe.19 Ein Rückgriff auf die „rationes naturales philosophorum“ ist am deutlichsten im Opus propositionum zu sehen, das einen der Metaphysik vorbehaltenen Teil darstellt und den Schlüssel zum Verständnis des Verhältnisses von biblischer Theologie und Metaphysik bei Meister Eckhart enthält. K. Albert spricht von der Abhängigkeit des Opus quaestionum und des Opus expositionum vom Opus propositionum. Dabei meine diese Fundamentalität des Thesenwerkes für die zwei anderen Werke nur, „daß in beiden entweder die Thesen selbst in Erscheinung treten oder doch Argumentationen, die im Zusammenhang mit den Thesen stehen.“20 Kennzeichnend für das Opus propositionum ist der axiomatisch-deduktive Charakter, für dessen Eigenart – vergleicht man sie mit der thomistischen und frühscholastischen Axiomatik – die von Boethius im Rückgriff auf Aristoteles begründete und insbesondere in der Schule von Chartres fortgeführte Axiomatik von Bedeutung ist.21 Die letztere weist in einer gewissen Hinsicht sogar eine Sprache und Begriff, FS für B. Liebrucks, Meisenheim am Glan 1974, S. 292–318; K. Flasch, Meister Eckhart – Versuch, ihn aus dem mystischen Strom zu retten, in: P. Koslowski (Hrsg.), Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie, Zürich/München 1988, S. 94–110; K.€Flasch, Meister Eckhart und die „Deutsche Mystik“, in: O. Pluta (Hrsg.), Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert, (Bochumer Studien zur Philosophie 10) Amsterdam 1988, S. 439–463. 19. E. Waldschütz schildert in seiner Monographie Denken und Erfahren des Grundes die Tendenzen in der Interpretation der Eckhart’schen Werke ziemlich treffend: „Einmütigkeit herrscht bei den Interpreten so ziemlich darüber, daß Eckhart nicht der Meinung ist, mit der Philosophie ein heterogenes Element in die Schriftauslegung einzubringen. Deswegen wird Philosophie allerdings nicht zur ‚exegetischen Hilfswissenschaft‘ und es ist auch nicht von einer ‚biblisch begründeten Philosophie‘ zu sprechen. In beiden Urteilen wird Philosophie untergeordnet bzw. wird ihr ein heterogenes Fundament gegeben, beides aber trifft nicht für Eckharts Philosophieverständnis zu.“ In: E. Waldschütz, Denken und Erfahren des Grundes. Zur philosophischen Deutung Meister Eckharts, Wien/Freiburg/Basel 1989, S. 47. 20. K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein. Untersuchungen zur Metaphysik des Opus tripartitum, Kastellaun/Saarbrücken 1976, S. 20. 21. O. Langer macht darauf aufmerksam, inwiefern sich eine solche Art der Axiomatik auf die Boethianische zurückführen lässt: „In seiner Schrift ‚De hebdomadibus‘ will Boethius theologische Probleme ut in mathematica lösen, indem er oberste, unableitbare Sätze, termini oder regulae oder communes animi conceptiones, aufstellt, um dann die theologischen Einzelprobleme so zu lösen, dass man die Antworten durch Ableitung aus den obersten Sätzen gewinnt.“ O. Langer, Meister Eckharts Begründung einer neuen Theologie, in: V. Leppin/H. J. Schiewer (Hrsg.), Meister Eckhart aus theologischer Sicht, (Meister-Eckhart-Jahrbuch 1) Stuttgart 2007, S. 1–14, hier S. 9. Dabei gibt er einen interessanten Hinweis auf die Rolle der Axiomatik in
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Sprache und Metaphysik
Ähnlichkeit mit der Axiomatik Euklids auf. Euklid unterscheidet zwischen den wissenschaftlichen Aussageformen der Aufgaben (problemata) und der Lehrsätze (theoremata). In der Schrift De hebdomadibus wendet Boethius die in der Mathematik seit Euklid übliche Methode auf die Lösung eines theologischen Problems an.22 In der Einteilung seines Werkes ordnet Eckhart die theoremata den problemata vor.23 Er spricht der propositio den eigentlichen heuristischen Wert zu, doch greift er die ebenfalls seit Euklid geläufige Unterscheidung von drei Satzgruppen wissenschaftlicher Argumentation – Definitionen, Postulate und Axiome – nicht auf, sondern fokussiert den Blick auf die sprachliche Form der Aussage als solche. Die Aussage integriert dabei die Aspekte der Definition, des Postulats und des Axioms dadurch, dass in ihr ein terminus generalis als ein wesentlicher Bestandteil vorkommt. Eine solche Axiomatik als Methode steht für Eckhart im Opus tripartitum im Dienste der Schriftauslegung. In hermeneutischer Hinsicht wendet Eckhart auf die Schriftworte drei verschiedene Auslegungsmethoden an. In seiner Studie zur Exegetik Meister Eckharts spricht E. Winkler von drei verschiedenen Weisen des Umgangs mit dem auszulegenden Text: Entweder (1) benutze Eckhart die Schriftzitate zur Auslegung des Textes, indem er sie nur zitiere oder kurz glossiere (sozusagen „mitauslege“); oder (2) er widme ihnen eine längere Auslegung, so dass das eigentliche Textwort ganz in den Hintergrund trete. Schließlich könne Eckhart
der Theologie im 12. Jahrhundert: „Die axiomatische Methode rückt im 12. Jahrhundert im Zusammenhang der Frage eines wissenschaftlichen Aufbaus der Theologie … ins Zentrum. Erste Umrisse einer theologischen Prinzipienlehre entwirft Gilbert von Poitiers in seinen Boethius-Kommentaren. Er will nach dessen wissenschaftstheoretischen Leitlinien die Theologie als Wissenschaft begründen, indem er wie in der Mathematik erste, oberste Sätze aufweist, aus denen andere abgeleitet werden.“ Ibid., S. 10. Allerdings erwähnt Langer die Rolle des Liber de causis in diesem Zusammenhang nicht. 22. Boethius, De hebdomadibus, 14–17 (ed. Stewart-Rand, 38–40): „Ut igitur in mathematica fieri solet ceterisque etiam disciplinis, praeposui terminos regulasque, quibus cuncta, quae sequuntur, efficiam.“ Zu De hebdomadibus vgl. G. Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius (De hebdomadibus) als philosophisches Lehrbuch des Mittelalters, Leiden 1966. 23. M. P. Schirpenbach weist darauf hin, dass bei Eckhart „quaestio“ nur eine abgeleitete, den Gegenstand der Betrachtung bloß vertiefende, jedoch nicht aufdeckende Bedeutung hat. Dabei vertritt er die Ansicht, dass im Falle des Opus tripartitum nicht eine Axiomatik im strengen Sinne vorhanden ist. Sein Argument des Prinzips der Intertextualität gründet auf der Annahme, dass die drei Teile des Opus tripartitum in ihrer jeweiligen grammatischen Eigenart in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander stehen und als drei einander bedingende Aussageweisen zu begreifen sind. Vgl. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung. Das strukturontologische Schema der Termini generales im Opus Tripartitum Meister Eckharts, (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 66) Münster i. W. 2004, S. 119.
Einleitung
(3) darauf hinweisen, dass analog der Auslegung der vorliegenden Schriftstelle auch viele andere Schriftstellen ausgelegt werden können.24 Bei Eckhart ist die erste Methode am häufigsten zu finden. Die längeren „Mitauslegungen“ finden sich oft in den Sermones, seltener in den Kommentaren. Die philosophische Bibelexegese gründet sich allerdings auf einen Torso der Metaphysik, in der das, was als Wahrheit der Schrift angedeutet ist, mit dem übereinstimmt, was gemäß der natürlichen Vernunft über divina, naturalia et moralia bewiesen und ausgeführt werden kann. Unter Metaphysik ist bei Eckhart – worauf E. Waldschütz schon mit Recht hingewiesen hat25 – die Einheit von Philosophie und Theologie zu verstehen. Philosophie als Erste Philosophie im aristotelischen Sinne, d.€h. als Wissenschaft vom Seienden, und Theologie als Wissenschaft vom höchsten Seienden sind für Eckhart nicht separat zu denken. Der Begriff der Metaphysik bezeichnet den spekulativen Bereich des menschlichen Denkens, in dem die Einheit beider Disziplinen zu suchen ist. Zu bestreiten, dass Eckhart ein Philosoph war, hieße daher, zu bestreiten, dass er ein Theologe war.
2.
Zum Verlauf der Arbeit
Es ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit, Eckharts Metaphysik in systematischer Weise darzustellen. Hierbei – und darin unterscheidet sich die vorliegende Studie von vergleichbaren Darstellungen derselben Thematik – wird dieser Versuch der Systematisierung aufgrund des Sprachmodells durchgeführt, innerhalb dessen die Prädikationssätze, die gleichzeitig Eckharts Grundthesen bilden, zu denken sind. Einen Schlüssel zur Auslegung der Eckhart’schen Metaphysik bildet das Verständnis der Prädikationssätze, die er im Bezug auf Gott verwendet. Sie sind an diversen Stellen in seinen Schriften zu finden und lauten: „Deus est intelligere“, „esse est deus“, „deus est esse“ und „unum est negatio negationis“. Je nachdem, ob man die Prädikation in diesen Sätzen gemäß der inhaerentia-Theorie oder der Identitätstheorie versteht, variiert in ihnen der Sinn. Um die Prädikationsaspekte bei Meister Eckhart im Hinblick auf die Sprachtheorien des Mittelalters darzustellen, erfolgt im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit ein Exkurs über die logischen Theorien des Mittelalters und über die damaligen Sprachkonzeptionen. 24. E. Winkler, Exegetische Methoden bei Meister Eckhart, Tübingen 1965, S. 100. Vgl. auch W.€Goris, Eckharts Entwurf des Opus tripartitum, in: Kl. Jacobi (Hrsg.), Meister Eckhart: Lebensstationen-Redesituationen, Berlin 1997, S. 379–391, hier S. 388. 25. E. Waldschütz, Denken und Erfahren des Grundes. Zur philosophischen Deutung Meister Eckharts, S. 78.
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Sprache und Metaphysik
Wie sich im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen wird, verändert die Deutung der Eckhart’schen Definitionen auch die Deutung der mit ihnen verfolgten Intentionen. Dies scheint besonders wichtig im Hinblick auf die Sätze zu sein, die eine Definition beinhalten, in der auch das Wort ‚deus‘ vorkommt. Die Analyse des Eckhart’schen Sprachmodells ermöglicht es auch, die Frage nach seiner Haltung gegenüber der negativen Theologie zu klären. Die negative Theologie akzeptiert die Prädikationsmöglichkeit Gottes nur in der Weise, dass sie die Prädikate als bloße Namen Gottes denkt. Eine solche Analyse ermöglicht ferner die Beantwortung der Frage, ob für Eckhart die in den Prädikationssätzen ausgesagte Identität extensional oder intensional zu denken ist. Zum Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung wird die Definition „unum est negatio negationis“ gewählt, um Folgendes zu klären: (1) Ist negatio negationis in diesem Prädikationssatz als ein Operator oder als ein Prädikat aufzufassen? (2) Ist der in negatio negationis auftretende Begriff der Negation mit der via negativa komÂ� patibel? Am Beispiel der Verwendung von negatio negationis im Eckhart’schen Werk wird gezeigt, wie die Prädikation Gottes für ihn denkbar ist. Um die Eckhart’sche Intention in Beziehung zur apophatischen Theologie zu setzen, wird im dritten Kapitel der Arbeit unter anderem auch die Frage nach der Gotteserkenntnis bei Pseudo-Dionysius Areopagita dargestellt. Die Prädikationssätze bilden die Grundthesen der Eckhart’schen Ontologie. Im vierten Kapitel wird gezeigt, inwiefern das Verständnis seiner ontologischen Thesen von seinem Sprachmodell abhängt. Berücksichtigt werden hier vor allem Quaestio Parisiensis I, Expositio sancti evangelii secundum Iohannem, Prologus generalis in Opus tripartitum und Prologus in Opus propositionum. Dabei werden sowohl die intellekttheoretischen oder ontologischen Grundthesen Eckharts als auch das für ihn spezifische Geburtsparadigma näher betrachtet. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die jenseits der Differenz in der Ausdrucksweise liegenden gemeinsamen Konturen der Eckhart’schen Metaphysik in den lateinischen und deutschen Traktaten herausgearbeitet und in systematischer Weise dargestellt. Als Ausgangspunkt hierzu bietet sich wiederum die Wortverbindung negatio negationis an, die in ihrer Übersetzung, und zwar als die Verneinung der Verneinung oder das Verleugnen des Verleugnens, auch in Eckharts deutschen Werken vorkommt. Sowohl im lateinischen Kommentar zum Johannesevangelium als auch in diversen deutschen Predigten ist das sog. Geburtsparadigma zu finden. Die negatio negationis als philosophischer Terminus und das Geburtsparadigma als dialektisches Modell der trinitarischen Relation bilden den gedanklichen Rahmen, innerhalb dessen eine einheitliche Rekonstruktion der Eckhart’schen Metaphysik möglich ist. Im Zusammenhang der Behandlung der sprachlichen Besonderheiten in Eckharts deutschen Predigten werden im fünften
Einleitung
Kapitel die in der germanistischen Forschung vertretenen Auffassungen näher dargestellt. Zur Beantwortung der Frage, ob die Thesen der Eckhart’schen Metaphysik auch in seinen deutschen Werken zu finden sind, werden hier Predigt€9 und Predigt 21 ausgelegt. Die Frage nach der einheitlichen Metaphysik führt wiederum zur Frage nach dem Sprachmodell, das den Thesen von Eckharts Metaphysik zu Grunde liegt.
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kapitel 1
Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
1.1
Logica vetus – logica nova
Während der Entwicklung seiner Ideenlehre ist Platon auf die Frage nach der Möglichkeit, einem Subjekt verschiedene Prädikate zuzusprechen, gestoßen. Im ersten Teil des Spätdialoges Parmenides (129a–136e) wird diese Prädikation durch die gleichzeitige Teilhabe des gemeinten Einzeldinges an verschiedenen Ideen gerechtfertigt. Die Frage, die Platon zu beantworten hatte, hieß, ob man auch eine einzelne Idee zum Subjekt verschiedener Prädikate machen kann und ob somit auch diese Idee selbst wiederum an verschiedenen anderen Ideen teilhat. Der zweite Teil des Parmenides führt diesen Nachweis für die Idee des Einen (137c– 166c), der Mittelteil des Sophistes (248a–250e) aber stellt allgemein fest: Jede Idee konstituiert sich aus Natur und Teilhabe an bestimmten anderen Ideen; Natur ist der Grund für das, was jede Idee aus sich selbst heraus ist; Teilhabe ist aber der Grund für alles, was von ganz bestimmten anderen Ideen hinzukommt. Beide zusammen machen erst eine Idee aus. Dabei gibt es gewisse höchste Ideen oder fünf Gattungen, an denen alle Ideen teilhaben und die dadurch bewirken, dass – wie von allem Seienden – die Bestimmungen anderes, eines und seiend gebildet werden können. In seinen Spätdialogen entwickelt Platon die Methode der Dihairesis, ein Einteilungsverfahren,26 dessen Schlussdefinition im Idealfall jede einzelne Teilhaberelation der zu bestimmenden Idee zu anderen Ideen als Prädikat wiedergibt.27 So entwickelt
26. Vgl. Platon, Sophistes 253c–258c. Über die Notwendigkeit der dialektischen Übung vgl. auch: Parmenides 135c–136e. 27. Die Satzbildung bei Platon charakterisiert L. M. de Rijk folgendermaßen: „Quite naturally, Plato is fully aware of the phenomenon of statement-making as contra-distinguished with merely naming something.“ L. M. de Rijk, Logos and Pragma in Plato and Aristotle, in: Ders./ H.€A. G. Braakhuis (Hrsg.), Logos and Pragma. Essays on the Philosophy of Language in Honor of Professor G. Nuchelmans, (Artistarium Supplementa III) Nijmegen 1987, S. 27–61, hier S. 28; vgl. auch B. Mojsisch, Platons Sprachphilosophie im „Sophistes“, in: Ders. (Hrsg.), Sprachphilosophie in Antike und Mittelalter. Bochumer Kolloquium 2.–4. Juni 1982, (Bochumer Studien zur Philosophie 3), Amsterdam 1986, S. 19–38.
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Sprache und Metaphysik
Platon Ansätze zu einer Prädikationslehre, die terminologisch erst von Aristoteles präzisiert wird. In De interpretatione erklärt Aristoteles, jeder einfache logos apophantikós sei entweder bejahend oder verneinend, und das heiße: Etwas als dem Subjekt werde etwas als ein Prädikat zu- oder abgesprochen.28 Die Auffassung von Aristoteles lässt sich auch so wiedergeben: Jede apophantische Rede ist entweder ein Satz, und dieser ist prädikativ, oder eine Aneinanderreihung von Sätzen. Hier ist zu erwähnen, dass Aristoteles in seinen logischen Untersuchungen nur die prädikativen Sätze berücksichtigt hat. Man kann die Termini ‚Subjekt‘ und ‚Prädikat‘ auch rein grammatisch verstehen. In der Tradition ist aber das grammatische Verständnis dieser Termini immer mit einem semantischen Verständnis verbunden gewesen.29 Mit Prädikat und Subjekt war semantisch gemeint, dass ein prädikativer Satz eine streng bestimmte Struktur hat: Etwas, d.€h. das, wofür das Prädikat steht, wird von etwas, d.€h. von dem, wofür der Subjektausdruck steht, ausgesagt. Man kann es auch so formulieren: Das Prädikat steht immer für einen Begriff, und mit einem prädikativen Satz wird ausgesagt, dass etwas unter diesen Begriff fällt. Damit ist gemeint, dass jeder prädikative Satz bzw. jedes Urteil für eine Zusammensetzung („Synthesis“) steht: In einem Urteil wird etwas mit etwas, d.€h. der Prädikatsbegriff mit dem Subjektbegriff, verbunden. Die Prädikation als die Sprachhandlung des Prädizierens lässt sich unter vier verschiedenen Gesichtspunkten beschreiben. Sie besteht (1) in syntaktischer Hinsicht darin, dass ein Prädikat oder Prädikatsausdruck mit einem Subjekt oder Subjektsausdruck zu einem bejahenden oder verneinenden Satz verbunden wird; (2) in semantischer Hinsicht darin, dass das Prädikat eines Satzes dem durch das Satzsubjekt bezeichneten Gegenstand zuoder abgesprochen wird; (3) in ontologischer Hinsicht darin, dass die durch das Prädikat eines Satzes bezeichnete Eigenschaft dem durch das Satzsubjekt bezeichneten Gegenstand zu- oder abgesprochen wird, und (4) in erkenntnistheoretischer 28. Aristoteles, De interpretatione (ΠΕΡΙ ΕΡΜΗΝΕΙΑΣ), cap. 5, 17a, 7–21, in: Aristotelis Opera, vol. I, ed. O. Gigon, Berlin 1960, S. 16–24. Über die Kataphasis bei Aristoteles siehe auch L.€M. de Rijk: „That kataphasis is sometimes an expression which is or may be used as the predicate expression of an affirmative logos is quite in line with logos as ‚composite expression‘ … ‚affirmation‘ and ‚negation‘ mean, not statements, but (roughly) predicative expressions. On the other hand, statement properly speaking, (though not in the sense of our ‚S€=€P‘ formula) is designated by the term logos apophantikos, defined as that logos ‚in which there is truth or falsity‘ (17a 2f.) and explicitly opposed to a prayer which is indeed a logos yet neither true nor false. Hence it appears that the logos as such does not yet contain a truth value and it is the element apophantikos that brings in the capacity to be either true or false.“ L. M. de Rijk, Logos und Pragma in Plato and Aristotle, S. 40. 29. Vgl. E. Tugendhat/U. Wolf, Logisch-semantische Propädeutik, Stuttgart 1983, S. 79f.
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Hinsicht darin, dass der im Prädikat eines Satzes ausgedrückte Begriff mit dem im Satzsubjekt ausgedrückten Begriff zu dem in dem Satz selbst ausgedrückten Gedanken verbunden wird.30 In der Frühscholastik wurden alle Schriften von Aristoteles entweder direkt aus dem Griechischen oder aber indirekt aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt. Ausgehend von den Texten der Logica vetus (Aristotelische Schriften: Kategorien, Peri hermeneias, die vom 4. bis 6. Jahrhundert ins Lateinische übersetzten Schriften) und unter allmählicher Einbeziehung der Logica nova (Analytica, Topica, Elenchi) wurde die semantische Analyse der aristotelischen Begriffslogik begonnen.31 In der Hochscholastik bestand eine deutliche Neigung, die logischen Untersuchungen auf die Logica nova zu konzentrieren, vor allem auf die beiden Analytiken. Man betonte die aristotelische Forderung, dass die Wissenschaft einen allgemeinen, unveränderlichen Gegenstand haben muss, und man versuchte, den Gegenstand der Logik diesen Ansprüchen entsprechend zu formulieren. Da die Erfüllung dieser Forderungen allein die Grundlagenwissenschaft der Ontologie gewährleisten kann, versuchte man, die Logik in der Ontologie zu verankern. Interessant ist hier genau diese Verknüpfung von Logik und Ontologie: Eine Prädikation wird nicht nur als ein Produkt des Intellekts verstanden, sondern auch als eine Aussage über die Struktur der Wirklichkeit. Auf solche Weise entsteht die Korrelation zwischen dem ontischen und dem epistemischen Gebrauch der Sprache, die man auch so ausdrücken könnte, dass die Logik in die „Umklammerung“ der Ontologie gesetzt wird.32 Der über die logica vetus vermittelte Einfluss der stoischen auf die scholastische Logik ist deutlich zu spüren. Der stoischen Logik gelingt es unter anderem,
30. Vgl. Ch. H. Kahn, The Verb ‚be‘ in Ancient Greek in: J. W. M. Verhaar (Hrsg.), The Verb ‚be‘ and its Synonyms, Dordrecht 1973, S. 40–45; zu Kahns Buch vgl. E. Tugendhat, Die Seinsfrage und ihre sprachliche Grundlage, in: Philosophische Rundschau 24 (1977), S. 161–176. 31. Vgl. J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter. Ein Überblick, Stuttgart 1972, S. 13. 32. J. Pinborg spricht von der Befreiung der Logik aus der „Umklammerung“ der Ontologie, die aufgrund der Verschmelzung der Logica nova und der neuen terministischen Logik in der Spätscholastik (ca. 1300–1450) stattgefunden habe. Dagegen sei in der Frühscholastik das Gegenteil zu beobachten: „Man unterstreicht die aristotelische Forderung, daß die Wissenschaft einen allgemeinen, unveränderlichen Gegenstand haben muß. Deshalb wird versucht, den Gegenstand der Logik auf diese Weise zu formulieren, und ihn in der Grundwissenschaft der Ontologie zu verankern, die allein die Erfüllung dieser Forderung gewährleisten kann. Man interessiert sich also vor allem für die Ontologie der Logik: Was ist die Natur der allgemeinen Größen, mit denen sich die Logik beschäftigt?“ J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, S. 14. Eine solche Fragestellung ist gemeint, wenn im Folgenden von der „Umklammerung“ der Logik durch die Ontologie die Rede ist.
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die aristotelische Einschränkung auf die prädikativen Sätze zu überwinden. Beide Auffassungen lassen sich wie folgt skizzieren. Nach Aristoteles (1) stehen die Termini zu den durch sie bezeichneten Gegenständen in einem dreifachen Verhältnis: Sie können univok, äquivok oder denominativ sein. Das univoke Verhältnis tritt auf in einer Definition (etwa animal im Verhältnis zu homo und bos); im Fall des äquivoken Verhältnisses sind ein Ausdruck, aber zwei Definitionen vorhanden (etwa homo für den konkreten Menschen und für einen gezeichneten Menschen). Das denominative Verhältnis ist gegeben, wenn ein Abstraktum eine Eigenschaft eines konkreten Gegenstandes bezeichnet. So benennt z.€B. das Abstraktum ‚sapientia‘ die Eigenschaft eines konkreten Menschen, eines ‚sapiens‘.33 Dieses Schema wird von Aristoteles und seinen Nachfolgern verfeinert, etwa durch die Unterscheidung zwischen äquivok und systematisch äquivok (analogisch) oder durch die Beschreibung anderer möglicher Beziehungen, etwa zwischen zwei Wörtern und einer Definition oder zwischen zwei Wörtern und zwei Definitionen. Dadurch, dass im Mittelalter die Logik in die „Umklammerung“ der Ontologie gesetzt wird, gewinnt dieses arisÂ�totelische Schema der Relation zwischen Begriff und Gegenstand eine andere Dimension: In der Univokation, Äquivokation oder Denomination betrifft die Relation Begriff und Gegenstand als wesensverschiedene Entitäten. Dies setzt das Begreifen einer spezifischen Form von ontologisch gedachter Ähnlichkeit voraus. Seit der Hochscholastik drängt dabei die Frage nach einer Lösung, in welcher begrifflichen Form sich diese ontologisch gedachte Ähnlichkeit ausdrücken lässt. Das Sein, das von den Dingen ausgesagt wird, kann zwar unmöglich dasselbe Sein meinen wie das von Gott ausgesagte, aber da Gott allem Seienden das Sein gibt, muss es in irgendeiner Form mit diesem verwandt bleiben. In Anlehnung an Aristoteles drückte man diese „Verwandtschaft“ auf dreierlei Art und Weise aus, was in der Scholastik zu drei verschiedenen Prädikationsformen führte: Univokation, Äquivokation und Analogie.34 33. Die Denomination tritt immer mit einer gewissen Konsignifikation oder „Mitbedeutung“ auf. Die Konsignifikationsaspekte, die bei der Denomination zum Ausdruck kommen, beschreibt J. Pinborg folgendermaßen: „Die Denominativa (z.B. ‚albus‘) bedeuten immer den Träger mit, während die Denominata (z.B. ‚albedo‘) nur die Form bedeuten. Die beiden haben also verschiedene Mitbedeutung, die verschiedenen Mitbedeutungen bezeichnen aber denselben Inhalt.“ J. Pinborg, Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 42/2) Münster i. W./Kopenhagen 1967,€S. 32. 34. Eine kurze und klare Definition von äquivoken, univoken und analogen Relationen zwischen Begriffen ist bei N. Winkler zu finden: „Eine Beziehung wurde äquivok genannt, wenn gänzlich verschiedene Dinge mit ein und demselben Namen belegt wurden. Univoke Prädikation lag vor, wenn Dinge derselben Gattung in gleichem Sinne ausgesagt wurden. Der Analogie war eine Mittelstellung zugewiesen, da sie weder die absolute Differenz (äquivok) noch
Kapitel 1.╇ Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
Nach der Auffassung der Stoiker (2) konnotiert ein allgemeiner Name zwar eine allgemeine Eigenschaft, aber er denotiert nur ein konkretes Individuum. Die Verben konnotieren Prädikate (kategoremata), aber denotieren nur einen konkreten Gegenstand im Moment der Denotation. Dies geschieht in dem aus Nomen und Verbum zusammengesetzten Satz, der ein vollständiges lekton ist. Der Satz ist die primäre Einheit der Sprache. Subjekte und Prädikate sind unvollständig.35 Sie haben verschiedene Rollen insofern, als Subjekte die Denotierung des Prädikates festlegen, während Prädikate von sich aus keine bestimmten Denotata festlegen.36 Die aristotelische Logik lässt sich grosso modo als eine Termlogik verstehen, wohingegen die stoische als Satzlogik aufzufassen ist. Stoiker und Neuplatoniker betreiben daher in erster Linie Sprachanalyse.37 A. C. Lloyd hat nachgewiesen, dass es in vielen Punkten zu einer Konvergenz zwischen stoischer und neuplatonischer Logik gekommen ist. Er deutet dies von der inneren Triebkraft der neuplatonischen Philosophie her, die die aristotelischen ontologischen Implikationen der Logik abstreifen wollte.38
deren absolute Einheit (univok) ausdrückte, sondern Differenz und Einheit in verschiedener Hinsicht.“ N. Winkler, Meister Eckhart zur Einführung, Hamburg 1997, S. 70. Zur genauen Darstellung des Eckhart’schen Verständnisses von Äquivokation, Univokation und Analogie siehe B. Mojsisch, Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, Hamburg 1983 (engl.: Amsterdam/Philadelphia 2001). 35. Vgl. Diogenes Laertius, Vitae philosophorum, liber VII, 63, ed. H. S. Long, tomus II, Oxford 1964, S. 324. 36. Vgl. J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, S. 31 f. Es ist bemerkenswert, dass F.€W.€J. Schelling in seinen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit die logica vetus aufgreift, wenn er die Definition des korrekt verstandenen Pantheismus bestimmen will. Vgl. F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, hrsg. v. Th. Buchheim, Hamburg 1997, S. 15: „Die alte tiefsinnige Logik unterschied Subjekt und Prädikat als vorangehendes und folgendes (antecedens et consequens) … Selbst in dem tautologischen Satz, wenn er nicht etwa ganz sinnlos sein soll, bleibt dies Verhältnis. Wer da sagt: der Körper ist Körper, denkt bei dem Subjekt des Satzes zuverlässig etwas anderes als bei dem Prädikat; bei jenem nämlich die Einheit, bei diesem die einzelnen im Begriff des Körpers enthaltenen Eigenschaften, die sich zu demselben wie Antecedens zum Consequens verhalten. Eben dies ist der Sinn einer andern älteren Erklärung, nach welcher Subjekt und Prädikat als das Eingewickelte und Entfaltete (implicitum et explicitum) entgegengesetzt wurden.“ 37. Vgl. J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, S. 30. 38. Vgl. A. C. Lloyd, Neoplatonic Logic and Aristotelian Logic, in: Phronesis 1 (1956), S. 58–72 und 146–160.
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Sprache und Metaphysik
1.2
Inhaerentia-Theorie und Identitätstheorie
Dadurch, dass die Ontologie als „Umklammerung“ der Logik gesetzt und die Prädikation als eine Aussage über die Struktur der Wirklichkeit verstanden wird, wird in der Scholastik auch die folgende Problematik aufgeworfen: Handelt es sich in einer Prädikation um ein rein syntaktisches Verhältnis, oder besteht auch eine wesentliche Beziehung zwischen Begriffsinhalt und natura rei? Obwohl die Ontologie als „Umklammerung“ der Logik verstanden wird, bleibt in der SprachÂ� analyse des Mittelalters ein gewisser Gegensatz zwischen den linguistischen Strukturen und den Strukturen der Wirklichkeit, aus denen die linguistischen Strukturen abgeleitet sind, bestehen. Ein einfaches Beispiel ist das Wort ‚Nichts‘: Es ist ein Substantiv, und als solches bezeichnet es eine Substanz, jedoch entspricht ihm keine Substanz.39 Diese Problematik der Kompatibilität von linguistischen Strukturen und Strukturen der Wirklichkeit impliziert die Frage nach dem Denotatum des Satzes, und zwar in folgender Hinsicht: Wie kann die Bedeutung des Satzes verstanden werden? Die Bedeutung des Satzes oder das dictum propositionis ist kein Ding, weil ein Satz etwas aussagen und dieses dictum „bestehen“ kann, auch wenn die denotierten Gegenstände nicht mehr bestehen oder auch nie bestanden haben. Dennoch kann das dictum wahr oder falsch sein. Seine Grundlagen sind die Beziehungen zwischen den Dingen. Das dictum propositionis kann also eine deutliche Analogie zum status rei aufweisen. Die vom Satz denotierten Beziehungen kommen durch das kopulative Morphem des verbums oder durch die Kopula ‚est‘ zum Ausdruck. In Anlehnung an die boethianische Übersetzung der Stelle 19b–f der Kategorienschrift des Aristoteles wurde die Kopula im Mittelalter als tertium adiacens aufgefasst.40 Das tertium adiacens prädiziert zusätzlich und zusammen mit einem als Prädikatsnomen auftretenden Wort dem durch das Satzsubjekt bezeichneten Gegenstand. Das Mittelalter kennt die zwei Prädikationstheorien, die die funktionelle Bedeutung der Kopula ‚est‘ behandeln: die Inhärenz- und die Identitäts-Theorie.41 Nach der inhaerentia-Theorie wird das Prädikat intensional aufgefasst. Dies bedeutet, dass das Prädikat für seinen (allgemeinen) Inhalt (significatio per se) steht. Im Fall einer solchen Prädikation drückt die Kopula aus, dass dieser Inhalt, d.€h. die significatio per se, sich im Subjekt als Form findet. In der Inhärenz steckt die Voraussetzung der beharrenden Identität. Im Gegensatz zum Prädikat 39. Vgl. J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, S. 119. 40. Vgl. Aristoteles Lat. II 1–2, hrsg. v. L. Minio-Paluello/G. Verbeke, Brügge/Paris 1965, S. 19,€1. 41. Mehr darüber: J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, S. 53.
Kapitel 1.╇ Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
wird das Subjekt extensional aufgefasst. Dabei kann das Prädikat von allen oder einigen oder keinen der Denotata des Subjekts aussagen. Die Sätze, die Inhärenz ausdrücken, nehmen die Existenz des Subjekts als bekannt an und stellen die Relation des Prädikats zum Subjekt dar.42 Im Unterschied zur inhaerentia-Theorie werden nach der Identitätstheorie sowohl das Prädikat als auch das Subjekt extensional aufgefasst. Der Satz ist wahr nicht wegen der Konnotation der Termini, sondern weil es Denotata gibt oder geben kann, für die sowohl Subjekt als auch Prädikat stehen. Dies bedeutet, dass sowohl Subjekt als auch Prädikat als Namen für Denotata verwendet werden können. Hier ist auch zu erwähnen, dass diese zwei Formen der Prädikation, die das Mittelalter kennt, der kantischen Auffassung über die synthetischen und analytischen Urteile korrespondieren. Laut Kant ist: … in allen Urteilen, worinnen das Verhältnis eines Subjekts zum Prädikat gedacht wird, […] dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich. Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht.43
Diese Bestimmung der analytischen und synthetischen Urteile bei Kant entspricht dem oben dargestellten intensionalen und extensionalen Verständnis der Prädikation im Mittelalter. Die Art der intensionalen Prädikation (der Inhalt oder die significatio per se des Prädikats findet sich als Form im Subjekt) lässt sich mit Kant folgenderweise formulieren: Im analytischen Urteile bleibe ich bei dem gegebenen Begriffe, um etwas von ihm auszumachen. Soll es bejahend sein, so lege ich diesem Begriffe nur dasjenige bei, was in ihm schon gedacht war; soll es verneinend sein, so schließe ich nur das Gegenteil desselben von ihm aus. In synthetischen Urteilen aber soll ich aus dem gegebenen Begriff hinausgehen, um etwas ganz anderes, als in ihm gedacht war, mit demselben in Verhältnis zu betrachten …â•›.44
An einer anderen Stelle in der Kritik der reinen Vernunft kennzeichnet Kant diese Art der Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt als Verknüpfung „durch
42. Vgl. H. Weidemann, Prädikation in: J. Ritter/K. Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie 7, Darmstadt 1989, Sp. 1194–1208, hier Sp. 1196. 43. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, in: Immanuel Kants Werke, hrsg. von E. Cassirer, Berlin 1923, Bd. III, S. 40. 44. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 151.
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Identität“,45 aber wie der Inhalt der von ihm gegebenen Definition zeigt, bedeutet Identität für Kant die Intensionalität, die im Mittelalter nur im Rahmen der inhaerentia-Theorie möglich war. Die als Inhärenz explizierte beharrende Identität des Subjekts und Prädikats verweist auf die Zusammengehörigkeit beider, die dadurch zum Vorschein kommt, dass das Prädikat im Subjekt mitausgesagt wird. Die Definition der synthetischen Urteile bei Kant weist dagegen darauf hin, dass man durch eine solche Verknüpfung des Subjekts und Prädikats den Begriffsinhalt des Subjekts erweitert, weil man ihm etwas ganz anderes, als in ihm gedacht wird, hinzufügt. Daher weisen die synthetischen Urteile Analogie mit dem Verständnis der Prädikation in der mittelalterlichen Identitätstheorie auf: Der vom Prädikat ausgesagte Inhalt konnotiert den Inhalt des Subjekts nicht, ist – in Kantischen Termini – in ihm nicht „versteckterweise“ enthalten; sondern liegt ganz außerhalb des durch das Subjekt bezeichneten begrifflichen Inhalts, obwohl er mit demselben verknüpft ist. Diese Verknüpfung geschieht nicht aufgrund der Konnotation der Termini, sondern – wie es im Mittelalter hieß – weil es Denotata gibt oder geben kann, für die sowohl das Subjekt als auch das Prädikat stehen. Sowohl in der inhaerentia-Theorie als auch in der Identitätstheorie stellt sich die Frage nach der Funktion und Bedeutung der Kopula. Wie sich in den Auseinandersetzungen des 13. Jahrhunderts um die Semantik herausstellte, war die Auslegung von ‚est‘ Teil eines größeren, mit dem Verbum ‚esse‘ verbundenen Problemzusammenhangs. Dieser bestand darin, dass sich im Wort esse mehrere Bedeutungen verbinden: Existenz, Prädikation, Identität, behauptende Kraft.46 Das Hauptproblem selbst betrifft die Analyse der Aussage ‚S ist P‘: Ist sie zwei- oder dreiteilig, gehört also ‚est‘ zum Prädikat oder nicht? Damit ist die Frage nach der Art des Prädizierens aufs engste verbunden.47 45. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 40: „Analytische Urteile (die bejahenden) sind also diejenigen, in welchen die Verknüpfung des Prädikats mit dem Subjekt durch Identität, diejenigen aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird, sollen synthetische Urteile heißen. Die ersteren könnte man auch Erläuterungs-, die anderen Erweiterungsurteile heißen, weil jene durch das Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Teilbegriffe zerfällen, die in selbigem schon, (obgleich verworren), gedacht waren: dahingegen die letzteren zu dem Begriffe des Subjekts ein Prädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedacht war und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden.“ 46. Zu den verschiedenen Bedeutungen des Wortes ‚Sein‘ vgl. E. Tugendhat/U. Wolf, Logischsemantische Propädeutik, S. 215. 47. L. M. de Rijk führt das Problem des Prädizierens auf die Signifikationsproblematik zurück, wenn er schreibt: „Im Zentrum aber dieses Problemfeldes scheint mir die Frage der Namensbezeichnung (impositio nominum) zu stehen.“ L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, in: A. Zimmermann
Kapitel 1.╇ Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
Die Lösung dieser Problematik stößt auf das weitere Problem der consignificatio temporis: Beim Prädizieren wird vorausgesetzt, dass die Kopula immer in der Form des Präsens (z.B. ‚est‘) auftritt. Wenn wir Formen wie ‚fuit‘ oder ‚erit‘ anwenden, erweitern wir den Denotationsbereich des Terminus. Wird dagegen das ‚est‘ als ein bloßer Ausdruck der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat aufgefasst, ist klar, dass es nicht nur das Präsens, sondern eine Allzeit ausdrückt. Schon bei Boethius wird die Kopula ‚est‘ auch ohne Zeitbestimmung aufgefasst,48 z.€B. in dem Satz „Deus fuit ante tempora“ (für Gott besteht ja keine Zeit); dagegen drückt das ‚est‘ Zeit aus, wenn es sich auf Kreaturen bezieht. Boethius nennt noch eine zweite Anwendung, die mit der soeben genannten verwandt ist: Das tempus praesens ist selbst nicht strikt an die Gegenwart gebunden, sondern wird als „allzeitig“ verstanden oder vielmehr als „zeitlos“ in dem Sinne, dass man die Zeit gar nicht beachtet. Er nennt dies das praesens quod continuat praeteritum et futurum, das später (seit dem 12. Jahrhundert) praesens continuum oder confusum genannt wurde. Gemäß dieser Auffassung sind nur das Präteritum und das Futurum tempora.49 Die weitere Frage, die sich bezüglich der Kopula während des ganzen Mittelalters stellte, hieß: Lässt sich mit der Kopula eine vermeintliche oder tatsächliche Existenzbehauptung verknüpfen? Die Beantwortung dieser Frage wurde auf das Problem des ontischen und epistemischen Gebrauchs der Prädikation zurückgeführt.50 Beim Verbum ‚est‘ wurde meistens zwischen zwei Bedeutungen, der existentiellen (wie in „Petrus est“) und der kopulativen (wie in „Petrus est homo“), (Hrsg.), Sprache und Erkenntnis im Mittelalter, (Miscellanea Mediaevalia 13/1) Berlin/NY 1981, S. 19–35, hier S.€31. 48. Vgl. Boethius, In Arist. Peri herm. II, 51–52, in: Aristoteles Latinus II 1–2, De interpretatione vel Periermenias. Translatio Boethii, ed. L. Minio-Paluello, translatio G. de Moerbeka, Bragues/Paris 1965. 49. L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 29. 50. Die Existenzbehauptung der Kopula bestreitet de Rijk mit folgenden Argumenten: „Ich halte es jedoch für unangemessen, die Auffassung dieser Logiker mit einer (sei es vermeintlichen oder tatsächlichen) Existenzbehauptung der Kopula zu verknüpfen; sie hat damit meiner Meinung nach wenig zu tun. Mehrmals sagen doch auch diese Logiker ausdrücklich, daß das Verbum ‚est‘ in dritter Position (tertio adiacens), also als Kopula, nur dazu dient, ein Prädikat mit einem Subjekt zu verbinden. Einen eigenen Inhalt (res verbi) habe das verbum ‚est‘ nur dann, wenn es in Aussagen wie ‚Petrus est‘ gebraucht wird; es hat also als Kopula auch bei ihnen keinerlei Existenzbedeutung. Meiner Meinug nach handelt es sich in solchen Fällen (‚S est P‘) stets um die Bedeutung von Namen (nomina), nicht um irgendeine Existenzbehauptung der Kopula.“ In: L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 20.
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unterschieden. Aufgrund dieser Unterscheidung konnte aber die folgende Frage nicht überzeugend beantwortet werden: Wie kann das Verbum ‚est‘, das ja kraft seiner eigenen Bedeutung Existenz behauptet, wenn es kopulativ gebraucht wird, sogar non-existentia verbinden? Die Lösung, die von Abaelard für dieses Problem gefunden wurde, unterschied bei jedem verbum personale zwei Funktionen: die des Prädizierens und die des Konjungierens. Gemäß Abaelard können nur die Verbformen ‚est‘ und ‚nuncupatur‘ etwas von sich selbst Verschiedenes mit einem Subjekt verbinden.51 Von diesen sei ‚est‘ als verbum substantivum das semantisch Wichtigere, weil es nicht nur nomina, sondern auch pronomina, participia und orationes mit einem beliebigen Subjekt verbinden könne. Dabei werde ‚est‘ nicht zum Zwecke der appeÂ� llatio verwendet.52 Welche Art der Denotation ist dann im Spiel? Appellatio oder nominatio ist die Benennung eines konkreten Seienden mit Hilfe eines Allgemeinbegriffs: Das eigene Signifikatum der Verbform ‚est‘ ist aber die Existenzbehauptung, nicht die Wesensbezeichnung. Die Übereinstimmung zwischen Existenzbehauptung und appellatio besteht darin, dass sie sich beide im Bereich des konkreten Seienden bewegen; ihr wichtiger Unterschied besteht darin, dass bei der appellatio mit Hilfe eines Allgemeinbegriffes ein gegebenes Konkretes durch ein nomen appellativum ausgedrückt wird, während das ExisÂ� tenz behauptende ‚est‘ die Gegebenheit eines Dinges zum Ausdruck bringt. Die appellatio hebt also die Gegebenheit von etwas Konkretem hervor, das ‚est‘ die Gegebenheit von etwas.53 Die Komplexität besteht also in der gewöhnlichen Kombination von Prädizieren und Konjungieren: Duo itaque coniunguntur Socrati per ‘albus’ praedicatum, albedo scilicet in adiacentia et album, idest ipsum affectum albedine, in essentia; sola tamen albedo
51. Vgl. Abaelardus, De dictionibus definitis, in: Petrus Abaelardus, Dialectica, tract. I, lib. III, vol. III, ed. L. M. de Rijk, Assen 1956, S. 134: „Solet ita, memini, grammaticorum sententia nullam secundum significationem differentiam in nuncupativo et substantivo verbo accipere, sed eamdem in utroque sententiam proferri volunt, ut nihil aliud ‚ego nuncupor Petrus‘ quam ‚ego sum Petrus‘ intelligatur; hoc tamen ‚secundum institutionem inventionis‘ ad differentiam dicunt, quod nuncupativum, licet substantivi significationem habeat, non tamen constructionem ipsius ubique servat. Illud enim omnibus vel nominibus vel pronominibus vel participiis vel definifionibus praedicatis potest copulari, hoc autem solis propriis nominibus concedunt coniungi.“ 52. Vgl. Abaelardus, De divisionibus et definitionibus, in: Petrus Abaelardus, Dialectica, tract.€V, lib. II, ed. L. M. de Rijk, Assen 1956, S. 582–598. 53. Vgl. L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 23.
Kapitel 1.╇ Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
praedicatur, quia sola coniungi intenditur. Non enim quicquid coniungitur praedicatur, sed id solum quod propositione coniungi intenditur.54
Abaelard betrachtet die Prädikation als eine Operation, die das Wesen eines Dinges betrifft: In „Socrates est albus“ soll die Weiße (albedo) prädiziert werden, denn auf diese ist der Intellekt gerichtet, nur sie zu prädizieren beabsichtigt man. Das Wesen wird indessen auch konjungiert, aber das einzig mögliche und daher unumgängliche Mittel zum Konjungieren (est) schmuggelt sozusagen seine eigene Bedeutung (d.€h. die Existenzbehauptung) ein, die aber gerade unvereinbar mit dem universellen Signifikatum (albedo) ist, denn nicht die universelle Weiße exisÂ� tiert, sondern ein konkretes weißes Ding: Deshalb sagt man ja nicht „Socrates est albedo“, sondern „Socrates est albus.“55 In der Verbindung ‚S ist P‘ treffen die Wesensprädikation und die Existenzbehauptung zusammen, was die Verflechtung der beiden Funktionen verursacht. Dies ist nur möglich, weil in einer Wesensbestimmung aufgrund der Verknüpfung durch die Kopula ‚est‘ die Behauptung der Existenz eines Konkreten impliziert ist: Das Konkret-Existierende heißt doch album im Sinne von affectum albedine. Aber die Verflechtung von Wesensprädikation und Existenzbehauptung geschieht in einer „mésalliance“, denn richtiges Prädizieren ist nur Wesensprädikation, und richtiges Konjungieren ist nur Existenzbehauptung.56 Die von Abaelard vertretenen Grundthesen über die Funktion der Kopula lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: (1) Als Kopula verbindet ‚est‘ nicht nur existierende Dinge, sondern auch nicht-existierende; (2) jedes Prädizieren ist Wesensprädikation und bewirkt als solche die Verknüpfung einer res praedicati mit einem Subjekt.
54. Abaelardus, De divisionibus et definitionibus, in: Petrus Abaelardus, Dialectica, tract. V, lib.€II, ed. L. M. de Rijk, Assen 1956, S. 585. 55. Vgl. Abaelardus, Log. Ingred. 361: „Qui enim propositionem facit ‚Socrates est albus‘, solam albedinem inesse Socrati ostendit, et si haberet verbum per quod posset simpliciter albedinem copulare Socrati, ita quod nil subiecti attingeret, profecto sic faceret. Sed quia non est verbum per quod id fiat, venit ad substantivum; quod quia essentiae tantum significationem habet, non potest ipsum proferri sine coniunctione essentiae; in essentia vero non potest vere albedo Socrati copulari, ut scilicet dicatur ‚Socrates est albedo‘. Unde ut et album copuletur in adiacentia et secundum subiectum albedinis coniunctio essentiae vere ponatur, adiectivum quod est ‚album‘, coniungitur verbo, quod et formam quam significat, adiacentem praeÂ�dicet, et fundamentum quod nominat, essentialiter secundum albedinem tantum praedicet, quod in ea tantum vi, ut dictum est, poni intenditur.“ Zitiert nach L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S.€23. 56. Eine ausführliche Darstellung der Frage findet sich in: L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 23f.
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De Rijk weist darauf hin, dass, wenn Prädizieren und Konjungieren als Funktionen verschmilzen, die Verbform ‚est‘ als Kopula ihren eigenen Bedeutungsinhalt („Existenzbehauptung“) verliert und somit der semantische Schwerpunkt auf das Prädikatsnomen verlegt wird. Dieses Problem war auch Abaelard bewusst, da er dafür plädierte, die Kopula und das Prädikatsnomen als einen einzigen Begriff anzusehen.57 Anselm folgt Abaelard, indem auch er einen Unterschied zwischen significatio und appellatio macht.58 Aber er deutet die beiden „Operationen“ anders: Appellatio ist nach Anselm die Relation zwischen einem Wort und seinem Denotatum, d.€h. dem Gegenstand. Die significatio aber, zumindest im strengen Sinne (per se), ist die Relation zwischen einem Wort und seinem Bedeutungsinhalt, also seinem Konnotatum. Nun hat aber gemäß Anselm ein Substantiv ein und dasselbe als Signifikatum und Appellatum, ein Adjektiv dagegen (wie albus) bezeichnet etwas anderes, als es denotiert. Es bedeutet Anselm zufolge nämlich habens albedinem und denotiert nur mittelbar den Träger.59 Die platonische bzw. neuplatonische Satzanalyse lässt sich von der platonischen Seinsauffassung nicht trennen.60 In diesem Zusammenhang ist die Auffas57. L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 27. 58. Siehe Anselmus Cantuariensis, De grammatico, cap. 12, in: Opera omnia, t. I, v. I, ed. F.€S.€Schmitt, Stuttgart/Bad Cannstatt 1968, S. 156–157: „Nulla enim est differentia substantiae sine qua substantia inveniri non possit, et nulla differentiarum eius sine illa potest existere. Quapropter quamvis omnia simul velut unum totum sub una significatione uno nomine appellentur ‚homo‘, sic tamen principaliter hoc nomen est significativum et appellativum substantiae, ut cum recte dicatur: substantia est homo et homo substantia (S. 156, 29–34) … Et hoc nomen quamvis sit appellativum hominis, non tamen proprie dicitur eius significativum; et licet sit significativum grammaticae, non tamen est eius appellativum. Appellativum autem nomen cuiuslibet rei nunc dico, quo res ipsa usu loquendi appellatur (157, 3–6).“ 59. L. M. de Rijk bemerkt zur Denotation bei Anselm: „Diese Gegenüberstellung ist aber terminologisch recht merkwürdig, denn üblicherweise steht der Ausdruck ‚habens albedinem‘ gerade für den Träger (fundamentum albedinis, oder id quod habet albedinem), hier aber bezeichnet er die Qualität selbst, also das Wesen der albedo als etwas Anhaftendes. Das habens albedinem ist also albedo participata, nicht das albedinem participans. So etwas lässt sich aber nur gemäß der neuplatonischen Semantik sagen.“ L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 34. 60. In die Korrelationalität zwischen der Seinsauffassung und Satzanalyse im Rahmen des Platonismus bzw. Neuplatonismus werden von L. M. de Rijk folgende Aspekte hervorgehoben: „Das Zentrum des Satzes wird vom Prädikat gebildet, das ja von einem unbestimmten Subjekt ausgesagt wird. In der platonischen Metaphysik ist ein Individuum nicht mehr als, wie Plato es selbst im Theaetet … nennt, ein ‚Bündel‘ von Eigenschaften, während die intelligible Substanz, also die Idee, die Substanz im eigentlichen Sinne ist. So soll man eine Aussage wie ‚Sokrates ist
Kapitel 1.╇ Die zwei Sprachmodelle im Mittelalter
sung von L. M. de Rijk markant, in der er für die semantische Prävalenz des in formallogischer Hinsicht schwächeren Neuplatonismus plädiert: Die Entwicklung der mittelalterlichen Philosophie wurde letzten Endes von den Auseinandersetzungen zwischen Neuplatonismus und Ockhamismus bestimmt. Der Stagirite wurde ja am Ende des Mittelalters immer mehr ausrangiert, und wer ihn in voller Ehrfurcht, wie z. B. ein Ockham, nicht beseitigte, hatte ihn von mancherlei Schwächen geläutert und (unwissentlich) mit pia fraus in das eigene Lager gezogen.61
weiß‘ deuten als ‚es gibt einen Fall partizipierter Weiße‘ (und zwar in Sokrates, aber letzteres ist nicht wesentlich). Diese semantische Auffassung ist genau das Gegenstück des semantischen Grundgedankens hinter der ‚Substanz = sensibles Individuum‘ – Ontologie des Aristoteles, bei dem das sensible Individuum selbst zu einem ‚Etwas‘ wurde, d.€h. Substratum (ὑποκείμενον ἐν ᾧ), das im Satz als ein richtiges Subjekt (ὑποκείμενον καθ᾽ οὖ) fungieren kann. Die Verschiebung aber von der Idee zu dem sensiblen Substratum, der logisch-semantisch jene vom Prädikat zum Subjekt entspricht, zerbricht auch die Komplementarität von Denken und Sein, indem sie die Trennung zwischen Idee und Begriff herbeiführt, sowie jene zwischen Sein als Seinsvollkommenheit und als bloßer Existenz, und jene zwischen Seinsintelligibilität und Wesensintelligibilität.“ L. M. de Rijk, Die Wirkung der Neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 34. 61. L. M. de Rijk, Die Wirkung der neuplatonischen Semantik auf das mittelalterliche Denken über das Sein, S. 35.
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kapitel 2
Die Bedeutung von negatio negationis
2.1
Die Eckhart’sche Definition von negatio negationis in den lateinischen Werken
In Meister Eckharts überlieferten Werken finden sich keine systematischen Ausführungen über die Wortverbindung negatio negationis, jedoch sind die diversen Bestimmungen dieses Konzepts in fast allen seinen Schriften vorhanden. In den deutschen Schriften übersetzt er den lateinischen Terminus als die Verneinung der Verneinung oder das Verleugnen des Verleugnens. In den lateinischen Schriften Eckharts kommt negatio negationis in verschiedenen Zusammenhängen vor. Nicht jeder Kontext, in dem negatio negationis auftritt, stellt eine Definition dieses Terminus dar. Darüber hinaus wird seine Bedeutung auch durch die verschiedenen semantischen Wortfelder bestimmt, in die es eingefügt wird. Trotz der Einfügung in diverse semantische Wortfelder behält negatio negationis eine einheitliche Konnotation bei. Im Folgenden seien einige typische Beispiele eines solchen kontextuellen Gebrauchs von negatio negationis aufgeführt: (1) Praeterea, negatione nihil vere docetur, et negatio nihil ponit et in ipsa affirmatione figitur et firmatur, nihil in se ipsa habens perfectionis. Propter quod in ipso deo nullum prorsus locum habet negatio; est enim ‚qui est‘ et ‚unus est‘, quod est negatio negationis.62 (2) Tertio notandum quod repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat.63
62. In Eccli. n. 60, LW. II, S. 289, 3–6: „Außerdem enthält eine Verneinung keine wahre Belehrung, die Verneinung behauptet nichts, sondern hat in der Bejahung ihren festen Halt, in sich selbst ist sie ganz unvollkommen. Daher hat die Verneinung in Gott ganz und gar keinen Platz. Denn er ist ja ‚der da ist‘ (Ex. 3, 4) und ‚ist einer‘ (Gal. 3, 20). ‚Einer‘ besagt aber eine Verneinung der Verneinung.“ 63. In Exod., n. 16, LW II, S. 21, 7f.: „Drittens ist zu bemerken: die Wiederholung: ‚ich bin, der ich bin‘ zeigt die Lauterkeit der Bejahung unter Ausschluß jeder Verneinung von Gott an.“
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Sprache und Metaphysik
(3) Nulla ergo negatio, nihil negativum deo competit, nisi negatio negationis, quam significat unum negative dictum: ‚deus unus est‘ … Negatio vero negationis purissima et plenissima est affirmatio: ‘Ego sum qui sum’.64 (4) Sciendum igitur ad praesens quod li unum primo est voce quidem negativum, sed re ipsa affirmativum. Item est negatio negationis, quae est purissima affirmatio et plenitudo termini affirmati.65 (5) Iterum etiam li unum nihil addit super esse, nec secundum rationem quidem, sed secundum solam negationem … Propter quod immediatissime se tenet ad esse, quin immo significat puritatem et medullam sive apicem ipsius esse, quam nec li esse significat. Significat enim li unum ipsum esse insuper in se ipso cum negatione et exclusione omnis nihili, quod, inquam, nihil omnis negatio sapit. Omnis siquidem negatio negat aliquod esse, cuius esse carentiam dicit. Negatio ergo negationis, quam li unum significat, notat in termino significato adesse omne quod termini est et abesse omne quod oppositi termini est. Hoc autem necessario est unum.66 (6) Praeterea li unum est negatio negationis. Propter quod soli primo et pleno esse, quale est deus, competit, de quo nihil negari potest, eo quod omne esse simul praehabeat et includat.67 64. In Exod., n. 74, LW II, S. 77, 9–12: „Auf Gott trifft also keine Verneinung, nichts Verneinendes zu außer der Verneinung der Verneinung, die das eine Verneinung einschließende Eine ausdrückt: ‚Gott ist einer‘ … Die Verneinung der Verneinung ist jedoch lauterste und vollste Bejahung: ‚ich bin, der ich bin‘.“ 65. In Sap., n. 147, LW II, S. 485, 5–7: „Man muss also nunmehr wissen, daß das Begriffswort das Eine zunächst dem Klang nach verneinend, der Sache nach aber bejahend ist. Ferner ist es die Verneinung der Verneinung, das ist die reinste Bejahung und der bejahende Begriff im Vollsinn.“ 66. In Sap., n. 148, LW II, S. 486, 2–9: „Ferner fügt das Eine nichts (Positives) zum Sein hinzu, auch nicht dem Begriff nach, sondern allein eine Verneinung … Deshalb steht das Eine in einÂ� em ganz unmittelbaren Verhältnis zum Sein, ja es bezeichnet die Reinheit, das Mark oder den Gipfel des Seins selbst, und das besagt das Wort Sein an sich noch nicht. Das Eine bezeichnet nämlich überdies das Sein selbst in sich selbst mit der Verneinung und dem Ausschluß jeden Nichts, des Nichts sage ich, das jede Verneinung verspüren lässt. Jede Verneinung verneint ja irgendwelches Sein, und diesen Seinsmangel bringt sie zum Ausdruck. Die Verneinung der Verneinung, die das Eine besagt, weist also darauf hin, daß der bezeichnete Begriff alles umfaßt, was zu diesem Begriff gehört, und alles ausschließt, was zu dem entgegengesetzten Begriff gehört. Wo das zutrifft, haben wir aber notwendig das Eine.“ 67. Prol. op. prop., n. 6, LW I, S. 169, 6–8: „Außerdem ist das Eine Verneinung der Verneinung. Deswegen kommt es allein dem ersten und vollen Sein zu, wie es Gott ist. Von ihm kann deshalb nichts verneint werden, weil er alles Sein insgesamt im voraus schon besitzt und in sich schließt.“
Kapitel 2.╇ Die Bedeutung von negatio negationis
(7) Praeterea … enti sive de ente nihil negari potest sive nullum esse negari potest, sed competit ipsi negatio negationis esse.68 (8) Nihil ergo entitas universaliter negari potest ipsi enti sive ipsi esse. Propter hoc de ipso ente, deo, nihil negari potest nisi negatio negationis omnis esse. Hinc est quod unum, utpote negationis negatio, immediatissime se habet ad ens.69 (9) Ad primum dicendum quod quies privatio quidem est, sed est privatio privationis, motus scilicet, sicut unum, quod cum ente convertitur, est privatio privationis realis quam importat multitudo. Privatio autem privationis mera est et perfecta affirmatio, ut unitas, privatio multitudinis, est merissima dei unitas.70
Das erste Beispiel bietet keine Definition im eigentlichen Sinne, indem es die Verneinung der Verneinung auf negative Weise charakterisiert und bestimmt. Sie besagt, dass die Verneinung keine wahre Belehrung sei, da sie nichts behaupten könne und ihren festen Halt nur in der Affirmation habe. Das meint, dass die Verneinung der Verneinung nur in Bezug auf die Affirmation sein kann. Mehr noch: Sie kann nur in Bezug auf die Affirmation gedacht werden. Dieser Gedanke impliziert für Eckhart Folgendes: Die Verneinung kann nicht selbstständig ohne den Bezug auf das andere definiert oder als das An- und das Für-sich-Seiende gedacht werden. Das, was nicht an sich denkbar ist, ist unvollkommen. Das Unvollkommene oder das Nichtdenkbare kann in Gott, der der Vollkommenste und selbst das Denken ist, keinen Platz haben, da „der Verstand in Gott vor allem, und vielleicht in ihm allein als dem ersten Ursprung von allem, ganz und gar wesenhaft Verstand ist, ganz und gar reines Denken.“71 68. Prol. op. prop., n. 12, LW I, S. 172, 6f.: „Überdies … kann dem oder vom Seienden nichts oder kein Sein verneint werden, ihm kommt vielmehr die Verneinung der Verneinung des Seins zu.“ 69. Prol. op. prop., n. 15, LW I, S. 175, 12–15: „Dem Seienden selbst oder dem Sein selbst kann also kein Seinsgehalt überhaupt abgesprochen werden. Deswegen kann vom Seienden selbst, das heißt von Gott, nichts verneint werden außer vermittels der Verneinung der Verneinung alles Seins. Damit hängt zusammen, daß das Eine als Verneinung der Verneinung in unmittelbarster Beziehung zum Seienden steht.“ 70. In Gen. I, n. 158, LW I, S. 306, 10–14: „Zum ersten (Einwand) ist zu sagen: Ruhe ist zwar Beraubung, aber Beraubung einer Beraubung, nämlich der Bewegung, wie das mit dem Seienden vertauschbare Eine Beraubung der Seinsberaubung ist, die mit der Vielheit gegeben ist. Beraubung der Beraubung ist aber reine und vollkommene Seinsbejahung, wie die Einheit als Beraubung der Vielheit die reinste Einheit Gottes ist.“ 71. In Ioh. n. 34, LW III, S. 27, 12–14: „Ubi signanter notandum est quod intellectus in deo maxime, et fortassis in ipso solo, utpote primo omnium principio, se toto intellectus est per essentiam, se toto purum intelligere.“ Vgl. auch In Gen. I, n. 168, LW I, S. 314, 3–5: „Et hoc est
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Gott aber ist und ist einer. Das Etwas-Sein besagt aber die Verneinung, weil etwas, sofern es dieses bestimmte Etwas ist, sich von anderen bestimmten Seienden unterscheidet. Die Definition Eckharts, dass das Eine die Verneinung der Verneinung besage, impliziert den Gedanken, dass das Eine ein von dem bestimmten Sein unterschiedenes Sein meint. Die Gleichsetzung des transzendentalen Einen mit der Negation der NegaÂ� tion wird in der zweiten Definition noch deutlicher wiedergegeben: Hier wird das transzendentale Eine seinem Bedeutungsgehalt nach zunächst für die Verneinung der Verneinung und daher für die reine Bejahung erklärt. Derselbe Gedanke wird in der dritten und vierten Definition ausgedrückt. In beiden Fällen denotiert die negatio negationis einerseits Gott oder das höchste Sein, andererseits aber die purissima affirmatio. Sowohl Gott als auch purissima affirmatio drücken die negatio negationis im vollen Sinne aus: Im Fall Gottes ist dieser Sinn ein ontologischer, im Fall der purissima affirmatio ein konzeptueller. Die fünfte Definition stammt aus der Expositio libri Sapientiae und bezieht sich auf die ontischen Termini, die in der Eckhart’schen Metaphysik mit der negatio negationis in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Zunächst wird in dieser Textpassage erklärt, dass das Eine nichts Positives zum Sein hinzufüge, sogar dem Begriff nach. Das, was zum Sein nichts hinzufügt und trotzdem in Relation zum Sein steht, ist einerseits mit dem Sein identisch, wird aber andererseits vom Sein durch diese unmittelbare Relation unterschieden. Es ist mehr als Sein, insofern es das Mark des Seins oder das Reinste des Seins darstellt. Aber dies besagt das Wort ‚Sein‘ an sich noch nicht („quam nec li esse significat“). Das Eine als ein Signifikant des Seins, als das Mit-dem-Sein-identisch-Sein, impliziert die Elimination all dessen, was dem Sein nicht zugehört, oder anders ausgedrückt, die Subtilität des Einen meint die Elimination des Nichts. Jede Verneinung aber verneint das ‚dies und das Sein‘ und bringt dadurch den Seinsmangel des bestimmten Seienden, d.€h. das Nichts, zum Ausdruck. Die weiteren Definitionen der negatio negationis aus dem Prologus in Opus propositionum betonen die ontische Ebene im Begriffssinn der doppelten Verneinung: Am Anfang wird der leitende Gedanke der Eckhart’schen Metaphysik wiederholt, dass das Eine die Verneinung der Verneinung sei und es deswegen allein dem ersten und vollen Sein wie Gott zukomme. In der siebten Definition wird der quod in verbis praemissis dicens deum quiescere ab universo opere nos docere voluit quod deus sit intellectus purus, cuius esse totale est ipsum intelligere.“ Übers.: „Wenn (Moses) daher in dem vorliegenden Wort sagt, Gott ruhe von dem gesamten Werk, so will er uns lehren, daß Gott reiner Intellekt ist, dessen ganzes Sein das Denken schlechthin ist.“ Der Gedanke, dass Gott ein Intellekt ist, ist explizit in der Pariser Quaestio I, Utrum in deo sit idem esse et intelligere, dargestellt.
Kapitel 2.╇ Die Bedeutung von negatio negationis
vorherige henologische Diskurs (unum est negatio negationis) durch den ontologischen Diskurs ersetzt. Hier heißt es nicht mehr, „dem Einen kommt die Verneinung der Verneinung zu“, sondern in dieser Identitätsaussage wird das Eine durch das Seiende ersetzt. Daher heißt es hier: „Dem oder vom Seienden kann nichts oder kein Sein verneint werden, ihm kommt vielmehr die Verneinung der Verneinung des Seins zu.“72 Dadurch, dass in dieser Identitätsaussage das transzendentale Eine durch das Seiende ersetzt wird, kommt die Identität des Seienden und des transzendentalen Einen in der Denkstruktur Eckharts zum Ausdruck.73 In der nächsten Definition aus dem Prologus in Opus propositionum wird die Identität des Seienden und Gottes in terminologischer Hinsicht schon explizit thematisiert: Dem Seienden selbst oder dem Sein selbst kann überhaupt kein Seinsgehalt abgesprochen werden. Ohne Seinsgehalt wären das Seiende kein Seiendes und das Sein kein Sein. „Deswegen kann vom Seienden selbst, das heißt von Gott, nichts verneint werden außer vermittels der Verneinung der Verneinung alles Seins.“74 Die neunte Definition weist darauf hin, dass das mit dem Seienden vertauschbare Eine die Beraubung einer Seinsberaubung ist. Sie geht von der Prämisse aus, dass die Vielheit der Seienden der Seinsberaubung zugrunde liegt. Auf solche Weise wird der wichtige Kontext wiedergegeben, der für den Inhalt der privatio privationis konstituierend ist: Der Begriff der Vielheit setzt die Annahme der Mehrzahl der Seienden voraus. Mehrzahl der Seienden bedeutet, dass das Sein oder die Seinsweise eines Seienden vom Sein bzw. von der Seinsweise des anderen Seienden zu unterscheiden ist. Dieses Unterschieden-sein-Von besagt Folgendes: Das Seiende als ein Bestandteil der Vielheit stellt die Beraubung des Seins der anderen Seienden dar, da ein bestimmtes Seiendes an sich ein Sein besitzt, das den anderen Seienden fehlt, die es ihrerseits anderen Seienden rauben. Dadurch kommt die Seinsberaubung als solche zum Ausdruck. Weil durch die doppelte
72. Vgl. Prol. op. prop., n. 12, LW I, S. 172, 6f. 73. Eine bemerkenswerte Auslegung dieser Stelle bietet W. Goris in seiner Monographie Einheit als Prinzip: „Die negatio negationis … wird hier als Operator der Attribution verwendet: Eine Vielfalt von Verwirklichung einer Vollkommenheit schließt eine Negation ein, die selbst wieder negiert werden muß, damit der Grund der Vielheit angesprochen werden kann, von dem her alles an diesen Vollkommenheiten teilhat.“ Die Einheit als negatio negationis gilt als eine „Super-Eigenschaft“, „welche die Vorzüglichkeit der Verwirklichung der transzendentalen Bestimmung im Göttlichen indiziert.“ W. Goris, Einheit als Prinzip. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts, (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 59) Leiden/NY/Köln 1997, S. 72f. 74. Vgl. Prol. op. prop. n. 15, LW I, S. 175, 13f.: „Propter hoc de ipso ente, deo, nihil negari potest nisi negatio negationis omnis esse.“
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Sprache und Metaphysik
Beraubung das bestätigt wird, was durch die Beraubung aufgehoben wurde, wird die Beraubung der Beraubung zum Ausdruck eines reinen und vollkommenen habituellen Seins. Dem Verständnis der privatio als Beraubung des habituellen Seins liegt der begriffliche Gegensatz von habitus und privatio zugrunde. Diese Gegenüberstellung der beiden Begriffe geht auf Aristoteles zurück. Aristoteles grenzt die héxis als Wirklichkeit des Habens und des Gehabten von der stéresis als Wirklichkeit des Nicht-Habens und des Nicht-haben-Könnens ab.75 Unter privatio versteht Eckhart die Trennung von oder die Einschränkung einer Vollkommenheit, d.€h. jede Form von Nichtvollkommenheit oder nichtvollkommenem Sein. Daher ist für ihn privatio ein Medium, das zur Aussage der Negativität dient. Im Gegensatz dazu bedeutet habitus den uneingeschränkten Besitz bzw. die uneingeschränkte Teilhabe und Bindung eines Trägers an die durch den habitus bezeichnete Wirklichkeit.
2.2
Die zwei Theologumena
Hinter diesen mehrfachen Definitionen der negatio negationis ist ein sich immer wiederholender und einheitlicher Inhalt dieses Terminus erkennbar. Obwohl der Versuch ihrer Zurückführung auf eine einzige Definition eine gewisse Reduktion der semantischen Wortfelder und der Kontexte impliziert, welche die Konnotation von negatio negationis in den einzelnen Fällen bereichern, lassen sich die Inhalte der oben erwähnten neun Definitionen auf zwei Grundthesen zurückführen. Innerhalb des metaphysischen Diskurses Eckharts stellen diese Grundthesen zwei Formen des theologischen Narrativs hinsichtlich des Begriffs der Negativität€dar. 2.2.1
Negatio negationis als Affirmation
Das erste theologische Narrativ der doppelten Verneinung ist in der folgenden Bestimmung aus Genesis I exemplarisch ausgedrückt: „Privatio autem privationis mera est et perfecta affirmatio, ut unitas, privatio multitudinis, est merissima dei unitas.“76 Im angeführten Zitat finden sich die folgenden drei Aussagen über die Identität: Erstens wird privatio privationis oder die Beraubung der Beraubung für identisch mit reiner und vollkommener Seinsbejahung erklärt; zweitens wird die 75. Vgl. Aristoteles, Metaph. V 19 u. 22, 1022 b 1–10. 76. In Gen. I, n. 158, LW I, S. 306, 12f.: „Beraubung der Beraubung ist aber reine und vollkommene Seinsbejahung, weil die Einheit als Beraubung der Vielheit die reinste Einheit Gottes ist.“
Kapitel 2.╇ Die Bedeutung von negatio negationis
Einheit (unitas) als Beraubung der Vielheit bestimmt; drittens wird die Einheit als reine Einheit Gottes verstanden. Diese drei Identitätsaussagen stellen einen Grundgedanken der Eckhart’schen Metaphysik dar. Dieser Gedanke ist hinsichtlich der folgenden Aspekte zu pointieren: Eckharts Wortverbindung privatio privationis meint die doppelte Verneinung des Bedeuteten, die einmalige privatio spricht das Sein ab. Durch die privatio privationis oder die Beraubung der Beraubung wird das bestätigt, was im Bedeuteten, im Sein, gemeint ist. Ein so aufgewiesenes Sein ist absolutes Sein, das nur Gott als solcher haben kann. Diesem Gedanken liegt die folgende Formel des theologischen Narrativs der Negativität zugrunde: Verneinung der Verneinung ist die reinste Bejahung. Da die doppelte Beraubung des Seins zur vollkommenen Affirmation des Seins führt, gründet die Affirmation in der Beraubung oder Verneinung. Die Einheit kann nur aufgrund der Beraubung der Vielheit gedacht werden, frei von der Vielheit aber kann nur Gott sein. Daher ist eine Einheit, die mit der Beraubung der Vielheit identisch ist, die reine Einheit Gottes. Damit stellt diese Beraubung die Grundlage der Einheit Gottes dar. Als Synonym des oben angeführten Zitats aus Genesis I („privatio autem privationis mera est et perfecta affirmatio“) dient die folgende Bestimmung: „Negatio vero negationis purissima et plenissima est affirmatio.“77 Allerdings weist diese auch einen subtilen Unterschied auf: In dieser Textstelle wird die privatio privationis (die doppelte Beraubung des habituellen Seins) durch die negatio negationis ersetzt, die einen qualitativ noch allgemeineren Grad der Negativität ausdrückt, bzw. der Begriff der Affirmation wird seinerseits auch verallgemeinert und nicht nur im Kontext der Seinsaffirmation, sondern überhaupt als Affirmation an sich gedacht. Ungeachtet dieser graduellen Unterschiede bleibt die inhaltliche Identität der beiden Gedanken bestehen. 2.2.2
Negatio negationis als unum
Die zweite Grundthese oder das zweite theologische Narrativ der Negativität, auf das sich die verschiedenen Definitionen der negatio negationis zurückführen lassen, lautet: Das Eine ist die Verneinung der Verneinung. Im Prologus in Opus propositionum heißt es: „Unum est negatio negationis.“78 Wenn Eckhart unum oder das Eine anführt, denkt er eindeutig gemäß der neuplatonischen Denktradition und stellt sein Reflektieren in den Kontext dieser Tradition. Hier ist auch zu 77. In Exod. n. 74, LW II, S. 77, 11: „Die Verneinung der Verneinung ist jedoch lauterste und vollste Bejahung.“ 78. Prol. op. prop., n. 6, LW. I, 169, 6: „Das Eine ist die Verneinung der Verneinung.“
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Sprache und Metaphysik
erwähnen, dass Proclus und der Liber de causis zu den am meisten zitierten AutoÂ� ritäten in Eckharts Schriften gehören.79 Seit Proclus ist es dieser Tradition aber eigen, unter dem unum Gott zu verstehÂ� en. Eckhart zitiert für die Attribution des Einen an Gott aus der neuplatonischen Tradition Proclus und den Liber de causis: Rursus eodem modo se habet de uno, scilicet quod solus deus proprie aut unum aut unus est, Deut.6: ‚deus unus est‘. Ad hoc facit quod Proclus et Liber de causis frequenter nomine unius aut unitatis deum exprimunt.80
Daher besagt der Satz „unum est negatio negationis“ nichts anderes, als dass Gott die Verneinung der Verneinung sei. Wenn man hinsichtlich des unum die Konnotation der proklischen Henologie (unum = deus) berücksichtigt, betrifft die angeführte Definition nicht nur das Eine, sondern auch Gott. In Eckharts Definition€– unum est negatio negationis – ist immer die Konnotation mitzudenken, dass Gott die Verneinung der Verneinung sei. Vor dem Hintergrund dieser Gleichsetzung (unum = Gott) stellt sich nicht nur die Frage nach der Charakterisierung des Eckhart’schen Denkens als eines mystischen oder eines spekulativen, sondern auch die Frage nach der Zugehörigkeit Eckharts zur Tradition der negativen Theologie. Lässt sich die Aussage „unum est negatio negationis“ für Eckhart im Rahmen der negativen Theologie betrachten, oder überschreitet die auf solche Weise gegebene Definition Gottes€– die eigentlich für Eckhart inhaltlich eine affirmative Definition ist, weil negatio negationis die höchste Affirmation besagt – die Grenzen der negativen Theologie? Das ist die Hauptfrage, die hinsichtlich der negatio negationis als eines philosophischen Terminus aufgeworfen wird, wenn man den semantischen Kontext berücksichtigt, in dem der Terminus in Eckharts Schriften vorkommt. Der Beantwortung dieser Frage wird sich Kapitel 3.6 der vorliegenden Arbeit widmen.
79. Die Vergleichstabelle, die A. Schönfeld in der Ausgabe des Liber de causis aufgeführt hat, zeigt, dass in Meister Eckharts Werken Proclus und der Liber de causis mehr als 90 Mal erwähnt werden. Vgl. Liber de causis, hrsg. v. A. Schönfeld, Hamburg 2003, S. 161–164. 80. Prol. op. prop. n. 6, LW I, 169, 6–8: „Weiter: ebenso verhält es sich mit dem Einen, daß nämlich Gott allein im eigentlichen Sinne eines oder einer ist: ‚Gott ist einer‘ (deut. 6, 4). Dazu stimmt, daß Proclus und das Buch von den Ursachen Gott häufig mit dem Namen ‚das Eine‘ oder ‚die Einheit‘ bezeichnen.“
kapitel 3
Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
3.1
Die Ontologisierung der Semantik
Stellte die Frage nach der Prädikation für Abaelard eine Komplexität von Prädizieren und Konjungieren dar und implizierte dadurch eine Vermischung von Wesensprädikation und Existenzbehauptung, so wird dieser Aspekt bei Eckhart im Zusammenhang mit der Denotationsfrage noch stärker betont. Im Exoduskommentar schreibt er: Unde secundum modum intelligendi accipiuntur et formantur modi significandi et consequenter modi praedicandi … Concretum autem significat formam solam, sicut ‚album solam qualitatem‘. Sed licet subiectum non significet, tamen consignificat et connotat. Subiectum vero semper se habet respectu formae sicut passivum ad activum et effectus ad causam.81
In dieser Aussage wird der Primat der Erkenntnis (intelligere) formuliert und der Begriffsinhalt im Sinne von Bedeutung (significatio) von der sprachlich verfassten Aussage (praedicatio) unterschieden.82 Der Hauptgedanke, der hier hinsichtlich 81. In Exod. n. 84, LW II, S. 87, 11–14: „Daher richten sich die Bezeichnungsweisen und folglich die Aussageweisen nach der Weise unserer Erkenntnis … Ein konkretes Wort aber bezeichnet die Form allein, wie ‚weiß allein die Beschaffenheit‘ bezeichnet. Aber obwohl es den Träger nicht bezeichnet, so bezeichnet es diesen doch mit und einschlußweise. Der Träger jedoch verhält sich zur Form immer wie das Erleidende zum Wirkenden und wie die Wirkung zur Ursache.“ 82. Die Unterscheidung zwischen significatio und praedicatio fasst M.€P. Schirpenbach folgenderweise zusammen: „Die Unterscheidung von modi significandi und modi praedicandi geht von einer metasprachlichen Begriffssetzung aus. Da in dieser Passage zwischen Form und Träger (forma et subiectum) unterschieden wird, kann darauf geschlossen werden, dass wir es mit dem abstrakten Allgemeinbegriff zu tun haben, der mit dem Formmoment innerhalb der Gegenstandskonstitution zusammenfällt, dem aber an dieser Stelle eine eigene – ideenhafte€– Realität zugedacht wird. Wir finden das aristotelische Schema von Akt und Potenz angewandt, wobei die beiden Elemente weniger als gleichnotwendige Momente ein und derselben Wirklichkeit behandelt werden, sondern als deutlich voneinander separiert, wobei der Form das größere Gewicht zukommt.“ M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 50.
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Sprache und Metaphysik
der Prädikation wesentlich ist, besteht darin, dass ein konkretes Wort als modus significandi, als die Bezeichnungsweise, als ein Prädikat in einem Satz nur die Form bezeichnet und nicht das Subjekt selbst. Aber obwohl laut Eckhart das Prädikat das Subjekt nicht direkt signifiziert, wird von ihm der Begriffsinhalt des Subjekts trotzdem konsignifiziert und konnotiert. Also kann das Prädikat von einÂ� em Subjekt nicht abgetrennt werden. Dieser Gedanke Eckharts lässt sich auf die Auffassung von der Definition zurückführen, die Dietrich von Freiberg in seinem Traktat De accidentibus folgenderweise formuliert: „Convenit autem hoc universaliter definitioni et definito, ut ab invicem separari non possint, cum in utroque istorum importetur unum et idem per essentiam.“83 Dietrichs Auffassung lautet, dass die Definition, die eigentlich eine Verbindung des Subjekts und des Prädikats darstellt, sich nicht vom Subjekt, d.€h. von dem Zu-Definierenden abtrennen lässt, weil der Subjektbegriff und der in der Verbindung von Subjekt und Prädikat ausgedrückte Sinn wesentlich identisch sind. Wie diese wesentliche Identität zu verstehen ist, erklärt Dietrich am Beispiel der Affektion: Das Subjekt gehöre zur Definition der Affektion in der Weise, dass die Definition des Subjekts und die Definition der Affektion, die das Was des Subjekts und das Warum der Affektion zum Ausdruck bringe, ein und dieselbe sei.84 Das, was Eckhart mit dem Terminus consignificare wiedergibt, formuliert also Dietrich als wesentliche Selbigkeit der Definition als der Verbindung von S-P und des Subjekts als des Definierten. Um die Stellung des Subjekts in einem definitorischen Satz zu erhellen, verwendet Eckhart den folgenden Vergleich: Wie das Erleidende zum Wirkenden und wie die Wirkung zur Ursache, so verhalte sich immer das Subjekt zur Form. Durch einen solchen Vergleich wird die Diskussion über die Prädikation von Eckhart auf die ontische Ebene übertragen, da er die Frage nicht mehr in semantischer, sondern in ontisch-kausaler Hinsicht denkt:
83. Dietrich von Freiberg, Über die Akzidentien (Theodoricus de Vribergh, Tractatus de accidentibus), übers. von B. Mojsisch, eingel. von K.-H. Kandler, Hamburg 1994, S. 88. Vgl. Übers.: „Das aber kommt ganz allgemein der Definition und dem Definierten zu, daß sie nicht voneinander abgetrennt werden können, da in beiden von ihnen ein und dasselbe wesentlich impliziert ist.“ Ibid. S. 89. 84. Vgl. Dietrich von Freiberg, Über die Akzidentien (Theodoricus de Vribergh, Tractatus de accidentibus), S. 88: „In his enim subiectum cadit in definitione passionis secundum eum modum, quod eadem est definitio subiecti et passionis dicens quod est subiectum et propter quid passionis.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Constat enim quod album habet albedine et per albedinem, quod sit album. Et sic albedo est ante album ut causa et auctor albi, et est ultra sive post album ut finis et terminus dealbationis, qua res est alba.85
Da das Weiße von der Weiße ist, ist die Weiße früher sowohl in ontologischer (das Weiße hat sein Sein von der Weiße, insofern es weiß ist) als auch in gnoseologischer Hinsicht (das Weiße kann erst dann erkannt werden, wenn schon die Erkenntnis über die Weiße vorhanden ist).86 Daher bedeutet für Eckhart der Satz „Etwas ist weiß“ nicht nur die Aussage, in der das Weiße als Prädikat zum Etwas als Subjekt hinzugefügt wird, sondern eine Explikation des kausalen Verhältnisses, in dem die Weiße vor dem konkreten Weißen als dessen Ursache und Urheber ist. Das Ursache- oder Urheber-Sein der Weiße meint, dass sie über das konkrete Weiße hinaus oder nach ihm das Ende und Ziel des Weißwerdens darstellt, durch das etwas weiß wird.87 Dabei charakterisiert Eckhart diese Art der Zuordnung zwischen dem Erleidenden (album) und dem Wirkenden (albedo) als eine solche, in der „activum … et univocum communicat suo passivo in specie et nomine“.88 Diese univoke Kommunikation zwischen album und albedo besagt
85. In Exod. n. 84, LW II, S. 87,14–88,3: „Denn bekanntlich hat das Weiße es von der Weiße, daß es weiß ist. Also ist die Weiße vor dem Weißen als Ursache und Urheber des Weißen und ist über das Weiße hinaus oder nach ihm als Ende und Ziel des Weißwerdens, wodurch etwas weiß ist.“ 86. Vgl. In Ioh. n. 172, LW III, S. 141, 9–11: „Nam et ipsa albedo prior est albo, in quantum album est, nec posset intelligi quis albus, nisi prius intelligatur albedo.“ Übers.: „Denn auch das Weißsein ist früher als das Weiße, insofern es weiß ist; auch könnte man nicht erkennen, daß jemand weiß ist, wenn man nicht vorher erkennt, was Weißsein ist.“ 87. Zum kausalen Verhältnis zwischen der Weiße und dem konkreten Weißen vgl. auch die folgenden Stellen: Prol. gen. n. 13 (LW I 158, 7–9); Prol. op. prop. n. 9 (LW I 171, 3); n. 23 (LW I 179, 7–9); In Sap. n. 206 (LW II 539, 7: „Nota quod nemo potest esse iustus sine iustitia, sed nec albus sine albedine.“ Übers: „Es ist zu bemerken, daß niemand gerecht sein kann ohne Gerechtigkeit, wie auch keiner weiß sein kann ohne die Qualität der Weiße“; Serm. IV, 1n. 23 (LW IV 24, 11–14); Serm. XXIII n. 219 (LW IV 205, 12f.). 88. Vgl. In Gen. II n. 118, LW I, S. 584, 1–5: „… activum naturale et univocum communicat suo passivo in specie et nomine, puta ignis ab igne, album ab albedine et speciem habet et nomen speciei, nec ab aliquo prorsus alio sortitur nomen et naturam albi quippiam nisi ab albedine et ipsa sola, adeo ut nec deus posset facere album sine albedine.“ Übers.: „… das in der Naturordnung innerhalb derselben Art Wirkende hat mit dem ihm zugeordneten Erleidenden Art und Namen gemeinsam, wie zum Beispiel das Feuer vom Feuer und das Weiße von der Weiße Art und Artbezeichnung ist. Und zwar empfängt nichts von irgendwo anders her Namen und Natur des Weißen außer von der Weiße und von ihr allein, so daß auch Gott nichts Weißes ohne die Weiße machen könnte.“
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Sprache und Metaphysik
in diesem Kontext, dass nichts von irgendwo anders her Namen und Natur des Weißen empfangen kann außer von der Weiße allein. Die hier am Beispiel von album-albedo geschilderte Relation lässt sich hinsichtlich der Eckhart’schen Auffassung über das Subjekt-Prädikat-Verhältnis folgenderweise verallgemeinern: 1. Das Prädikat stellt einen modus significandi dar, der sich nach dem modus intelligendi richtet und dementsprechend gebildet wird. 2. Ein konkretes Prädikat ist ein selbstständiges semantisches Element, das nicht das Subjekt bezeichnet, aber den Begriffsinhalt des Subjektes konnotiert und konsignifiziert. 3. Das Subjekt verhält sich zum Prädikat wie das Erleidende zum Wirkenden und wie die Wirkung zur Ursache.89 Die Betrachtung des Subjekt-Prädikat-Verhältnisses als eines solchen, in dem das Subjekt als das Erleidende und das Prädikat als das Wirkende auftritt, verankert den semantischen Aspekt der Darlegung im Bereich der causa-essentialis-Theorie: Wenn nämlich das Subjekt sich zum Prädikat wie das Erleidende zum Wirkenden und wie die Wirkung zur Ursache verhält, dann muss dieses Verhältnis auch im Rahmen der Perspektive zu denken sein, die in der Eckhart’schen causa-essentialis-Theorie dadurch zum Vorschein kommt, dass die Formel „ens in sua causa non est ens“ noch durch einen bestimmenden Aspekt, den die Formulierung „causa est in suis causatis“ enthält, ergänzt wird.90 In „ens in sua causa non est ens“ kommt die begrifflich-ontologische Abhängigkeit der wesensverschiedenen Entitäten zum Ausdruck: Das konkrete Weiße (album) ist in seiner Ursache€– der Weiße (albedo) – nicht mehr seiend. Der Grund dafür besteht darin, dass das Sein, das vom konkreten Weißen ausgesagt wird, unmöglich dasselbe Sein meinen kann, das für die Ursache selbst gilt. Daher ist das von einem konkreten Weißen ausgesagte Sein nicht dasselbe wie das Sein der Weiße, und daher kann das Weiße in seiner Ursache, der Weiße, nicht seiend sein. Aber da alles Weiße von der Weiße 89. Aufgrund dieses letzten Kennzeichens scheint die Annahme von M.€P. Schirpenbach fragwürdig zu sein, wenn er meint: „Die Eckhart’sche Untersuchung geht nicht von einer Analyse der rationes aus, Ideen, die die eigentliche Wirklichkeit der Welt bildeten, sondern von einer konkreten sprachlichen Form.“ M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 62. Obwohl die These Schirpenbachs lautet, dass Eckhart die Sprache nicht als eine gegenüber der ontologischen Wirklichkeit autonome Entität auffasse, tendiert er dazu, die platonisierenden Elemente der Eckhart’schen Semantik, die in der Betrachtung des Subjekt-Prädikat-Verhältnisses zum Vorschein kommen, unberücksichtigt zu lassen. 90. Zum spezifischen Charakter der Eckhart’schen causa-essentialis-Theorie siehe B. Mojsisch, Meister Eckhart. Analogie, Univozität und Einheit, S. 42–81.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
stammt, muss das konkrete album in irgendeiner bestimmten Form von der albedo abhängig bleiben. Die Relation, die zwischen dem Seienden und seiner Ursache gemäß der Formel „ens in sua causa non est ens“ aufgestellt wird, lässt sich als eine analoge Relation definieren, weil dort, „wo eine analoge Beziehung vorliegt, das Hervorgebrachte immer niedriger, geringer, unvollkommener als das Hervorbringende und ihm ungleich ist.“91 Die Ungleichheit des konkreten weißen Seienden mit seiner Ursache albedo kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Seiendheit des album in seiner Ursache nicht mehr vorhanden ist. Diese Ungleichheit spricht aber für die Prävalenz der Ursache gegenüber dem Verursachten. Die analoge Relation drückt weder die absolute Differenz noch die absolute Einheit der beiden aus, sondern Differenz und Einheit in verschiedener Hinsicht: ens und causa sind eins, da causa einen Grund für die Existenz von ens darstellt, aber die Wesensverschiedenheit ihrer Entitäten macht eine Differenz zwischen den beiden aus. Indem Eckhart diese Perspektive durch den in der Formulierung „causa est in suis causatis“ enthaltenen Aspekt ergänzt, verleiht er der ganzen causa-essentialis-Theorie eine wesentlich neue, spekulative Dimension: Die Annahme, dass die Ursache in dem Verursachten gegeben ist, drückt die Wesensgleichheit der beiden aus. Obwohl die Ursache und das Verursachte voneinander durch ihren jeweiligen Daseins-Modus unterschieden sind, ist die Ursache in ihrem Verursachten vorhanden. Hier ist nun zu fragen, wie vollkommen dieses Vorhandensein der causa im causatum in einer solchen Beziehung zu sein vermag, denn im Fall der analogen Beziehung „stammt das Hervorgebrachte zwar vom Hervorbringenden ab, ist aber unter seinem Ursprung, nicht bei ihm. Ferner ist es ein anderes der Natur nach, und so ist es nicht der Ursprung selbst.“92 Die neue gedankliche Dimension, die durch die These „causa est in suis causatis“ in der Eckhart’schen causa-essentialis-Theorie eröffnet wird, tendiert dazu, die Ursache als eine solche zu denken, die in und bei dem Verursachten zu sein vermag. Da Eckhart die Relation des Subjekts zum Prädikat wie die Relation des Erleidenden zum Wirkenden denkt, ist er bestrebt, sowohl die semantische als auch die ontologische Ebene als gegenseitige Ergänzungen zu verstehen. Daher kann bei ihm nicht mehr von der Ontologie als „Umklammerung“ der Logik die Rede sein, sondern die Semantik selbst wird ontologisiert, indem die semantischen Elemente (Subjekt-Prädikat) in ontologischen Termini (causa-causatum) gedacht werden. Das Prädikat oder – wie es bei Eckhart charakterisiert wurde – das 91. Vgl. In Ioh. n. 5, LW III, S. 7, 4f.: „Ubi notandum quod in analogicis semper productum est inferius, minus, imperfectius et inaequale producenti.“ 92. In Ioh. n. 6, LW III, S. 7, 11–14: „Ubi tamen et hoc notandum quod, licet in analogicis productum sit descendens a producente, est tamen sub principio, non apud ipsum. Item fit aliud in natura, et sic non ipsum principium.“
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Wirkende ist im Subjekt oder Erleidenden vorhanden. Dieser Standpunkt setzt aber Folgendes voraus: Das Prädikat kann sogar als Ursache dem Subjekt als dem Verursachten nichts Extensionales hinzufügen, weil das Verursachte nur insofern das Verursachte ist, als in ihm seine Ursache vorhanden ist, und zwar gemäß der These „causa est in suis causatis“. Da das Verursacht-Sein darin besteht, dass im Verursachten (dem Subjekt) die Ursache (das Prädikat) ist, kann der Akt des Prädizierens eigentlich keine Hinzufügung mehr ausdrücken, weil im Subjekt als im Verursachten der Begriffsinhalt des Prädikats als der Ursache schon intensional gegeben ist. Das intensionale Bezugsverhältnis zwischen Subjekt und Prädikat, ausÂ� gedrückt durch den Vergleich causa-causatum (In Exod. n. 84), lässt T. SuarezNani außer Acht, wenn sie über die Sprachmodelle bei Eckhart urteilt: Da jedoch die Sprache dem Inhärenzmodell verhaftet ist (‚der Mensch ist gerecht‘), widerspricht die Eckhart’sche Konzeption diesem Modell, um die Idealität und die Reinheit der formalen, mit Gott identifizierten Qualitäten zu bewahren. Es folgt somit, dass in der Eckhart’schen Sicht der Satz ‚der Mensch ist gerecht (als solcher)‘ in Wahrheit bedeutet: ‚Die Gerechtigkeit ist (wird) Mensch‘. Mit anderen Worten: Das, was Subjekt war, wird zum Attribut, und das, was Attribut war, wird Subjekt.93
Suarez-Nani hat wohl Recht, wenn sie meint, in der Eckhart’schen Sicht bedeute der Satz „der Mensch ist gerecht“, dass die Gerechtigkeit eigentlich Mensch sei (werde). Als Grund dafür hebt sie die Vertauschbarkeit des Subjekts und Prädikats im Rahmen der Identitätstheorie hervor. Doch wie am Beispiel von albedo-album schon gezeigt wurde, handelt es sich im Eckhart’schen Sprachmodell nicht um die Vertauschbarkeit des Subjekts und Prädikats, sondern um das causa-causatumVerhältnis zwischen den beiden. Die Auffassung der Subjekt-Prädikat-Relation als causa-causatum setzt für Eckhart voraus, dass die Ursache (im ersten Beispielsatz ‚gerecht‘) im Verursachten (im ersten Beispielsatz ‚Mensch‘) intensional gegeben ist. Dieses intensionale Bezugsverhältnis gründet sich auf den Satz – causa (Prädikat) est in suis causatis (Subjekt) – und bildet den Grund für die Selbigkeit der Begriffsinhalte von Subjekt und Prädikat. Dies ermöglicht Eckhart auch zu sagen, dass die Gerechtigkeit Mensch sei. Dabei wird die intensionale Relation, die zwischen dem Subjekt und dem Prädikat auf der semantischen Ebene besteht,
93. T. Suarez-Nani, Philosophie- und theologiehistorische Interpretation der in der Bulle von Avignon zensurierten Sätze, in: H. Stirnimann (Hrsg.), Eckardus theutonicus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozess gegen Meister Eckhart, Freiburg/Schweiz 1992, S. 31–96, hier S. 79.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
durch die Beschreibung mit ontologisierenden Termini (causa, causatum, effectus etc.) in der ontologischen Ebene verankert. In diesem Modell des Subjekt-Prädikat-Verhältnisses, das am Beispiel von albedo-album dargestellt wird, tendiert Eckhart offensichtlich dazu, die Prädikation intensional aufzufassen, indem er den durch das Prädikat ausgedrückten Inhalt und den durch das Subjekt ausgedrückten Inhalt in einem kausalen Verhältnis verstanden wissen will. Den Kern dieses kausalen Verhältnisses bildet auf semantischer Ebene der Standpunkt, dass ein konkretes Prädikat ein selbstständiges semantisches Element ist, das nicht das Subjekt bezeichnet, aber den Begriffsinhalt des Subjekts konnotiert und ihn konsignifiziert. Eine solche Prädizierung lässt sich eher im Rahmen der inhaerentia-Theorie denken.
3.2
Prädikation bei Meister Eckhart
Der mittelalterlichen Reflexion über das Verhältnis von Wort (verbum/vox), Begriff (conceptio) und Sache (res) liegt das boethianische Verständnis dieses Verhältnisses zugrunde, das auf Aristoteles’ De interpretatione zurückgeht. Danach meint ‚Wort‘ das gesprochene Sprachzeichen, ‚Begriff ‘ seinen Inhalt und ‚Sache‘ den Gegenstand bzw. Sachverhalt, auf den Bezug genommen wird. Nomina und Verben bezeichnen eine Sache, weil sie für diese Sache gesetzt sind (positione sigÂ� nificant). Sie sind Zeichen der gedanklichen Inhalte (animae passionum notae), wobei der Terminus ‚gedankliche Inhalte‘ für die lateinischen Ausdrücke intellectus, imagines und similitudines rerum steht.94 Auf der Grundlage dieses Verständnisses entsteht im Mittelalter das Problem, die Sprache im geistigen Erfassen der Wirklichkeit zu begründen. Die drei Elemente der Sprache, die die wichtigsten Bestandteile dieser Tradition bilden, werden in Eckharts Exoduskommentar folgenderweise thematisiert: … orationes sive propositiones respondent primo et per se non rebus, sed rerum conceptionibus; sunt enim voces signa et ‚notae earum quae sunt in anima passionum‘. Propter quod ipsam conceptionem notant et indicant et significant. Et idcirco etiam iudicantur esse verae vel falsae, compactae vel incompactae orationes sive propositiones non ex rebus sive ex entibus absolute, sed ex rerum et entium conceptionibus, quas significant primo et per se.95 94. Vgl. J. H. J. Schneider, Art. „Sprache“, in: HWbPh 9, Darmstadt 1995, Sp. 1454–1468, hier Sp.€1454. 95. In Exod. n. 55, LW II, S. 60, 6–12: „Aussagen oder Sätze entsprechen zuerst und aus sich nicht den Dingen, sondern den Begriffen von den Dingen; Worte sind nämlich Zeichen und ‚Merkmale der Gedanken (in der Seele).‘ Deshalb kennzeichnen sie den Begriff, zeigen ihn an
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Sprache und Metaphysik
Der Begriff terminus erscheint hier nicht. Stattdessen ist conceptio zu finden, was im Deutschen ebenfalls mit ‚Begriff ‘ wiedergegeben werden kann, jedoch einen anderen Aspekt als terminus hervorhebt. Conceptio bezeichnet das gedankliche Erfassen eines Inhalts, aber nicht seinen sprachlichen Ausdruck (vox). Beide werden also der Sache nach voneinander unterschieden. Terminus umfasst sowohl conceptio als auch vox. An dieser Stelle wird von Eckhart betont, dass der primäre Bezugspunkt eines Wortes nicht der Gegenstand, sondern ein Gedanke ist, und zwar der Begriff, den der Intellekt von einer Sache hat.96 Der Gegenstandsbezug ist demnach nicht unmittelbar, sondern mittelbar. Am Anfang des Prologus generalis gibt Eckhart eine Übersicht über 14 termini und deren jeweilige oppositio (LW I 150,1–151,1).97 Bei der folgenden Aufzählung dieser termini geht es Eckhart um ihre gegenseitige Zuordnung, um die Systematik ihrer Aufstellung und daher um die Beantwortung der Frage, warum er gerade diese Auswahl und Anordnung getroffen hat. Diese Intention der Systematisierung wird im Prologus generalis mit folgenden Worten wiedergegeben: „Opus autÂ� em primum, quia propositiones tenent mille et amplius, in tractatus quattuordecim distinguitur iuxta numerum terminorum, de quibus formantur propositiones.“98 und bezeichnen ihn. Deswegen werden auch Aussagen oder Sätze nicht aufgrund der Dinge oder des schlechthin Seienden als wahr oder falsch, zutreffend oder unzutreffend beurteilt, sondern auf Grund unserer Begriffe von den Dingen und dem Seienden, die erstere zuerst und aus sich heraus bezeichnen.“ 96. Der subtile Unterschied zwischen terminus und conceptio liegt darin, dass, wie M. P. Schirpenbach formuliert, mit conceptio „ein vorsprachliches Moment des Erkenntnisganges gemeint“ ist, „ein Gedanke, der gesprochene Sprache und Inhalt deutlich voneinander trennt“. Nach Schirpenbach leiten sich die Wahrheit und Falschheit der Aussagen aus unserer Erkenntnis der Gegenstände ab, nicht aus diesen Gegenständen selbst unmittelbar: „Damit wird kein unüberwindbarer Graben zwischen den Dingen an sich und unserer Erkenntnisweise bzw. die absolute Unerreichbarkeit des Dinges an sich behauptet, wohl aber eine Mittelbarkeit der sich in Sprache mitteilenden und kommunikablen Weltbetrachtung.“ M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 49. Über die Relationsmodelle zwischen der Sprache und der Wirklichkeit im Mittelalter. Vgl. auch J. Pinborg, Die Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter, S. 30–45. 97. M. P. Schirpenbach vertritt die Auffassung, dass sich innerhalb dieses Textabschnitts „die grundlegende Struktur des Eckhart’schen Denkens“ zeigt und man daher von einem „hermeneutischen Schlüssel“ des ganzen Textes sprechen kann: „Gerade die bekundete Absicht Eckharts zur Systematisierung lässt darauf schließen, dass es sich um eine bewusste, umfassende, wenn auch nicht notwendig abschließende Auswahl der für sein Denken zentralen Begriffe handelt.“ Vgl. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 14. 98. Prol. gener. n. 3, LW I, 149, 6–8: „Weil das erste Werk aber tausend und mehr Thesen enthält, gliedert es sich nach der Zahl der Begriffe, über welche die Thesen aufgestellt werden, in vierzehn Abhandlungen.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Damit wird von Eckhart die Vorentscheidung sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung als auch hinsichtlich der durch die Betrachtungsperspektive bestimmten Methode getroffen. Die angekündigten 14 termini präsentiert Eckhart unter Zuordnung des jeweiligen oppositum in Form von Gegensatzpaaren: Sein und Seiendes (esse et ens) im Gegensatz zum Nichts (nihil); Einheit und das Eine (unitas et unum) im Gegensatz zum Vielen (multum); Wahrheit und das Wahre (veritas et verum) im Gegensatz zum Falschen (falsum); Gutheit und das Gute (bonitas et bonum) im Gegensatz zum Schlechten (malum); Liebe (amor et caritas) im Gegensatz zur Sünde (peccatum); das sittlich Gute, die Tugend und das Richtige im Sinne des richtig bzw. gerade Ausgerichteten (honestum, virtus et rectum) im Gegensatz zum sittlich Schlechten, Fehler-/Lasterhaften und Gekrümmten/Ungeraden (turpe, vitium et obliquum); das Ganze (totum) im Gegensatz zum Teil (pars); das Gemeinsame und Ununterschiedene (commune et indistinctum) im Gegensatz zum Eigenen und Unterschiedenen (proprium et distinctum); die Natur des Oberen (natura superioris) im Gegensatz zu der des Niederen (natura inferioris); das Erste (primum) im Gegensatz zum Letzten (novissimum); die Idee und der Begriff (idea et ratio) im Gegensatz zum Ungeformten und zur Abtrennung/Beraubung (informe et privatio); das, wodurch etwas ist (quo est), im Gegensatz zu dem, was etwas ist (quod est); Gott, das höchste Sein (deus summum esse) im Gegensatz zum Nichtsein (non esse); die Substanz (substantia) im Gegensatz zum Akzidens (accidens).99 Die Frage, die sich hier erhebt, lautet, ob Eckhart diese Termini als termini generales denkt? Diese Frage beantwortet M. P. Schirpenbach positiv, wenn er schreibt: „Eine explizite Klassifizierung der 14 Gegensatzpaare als termini generales liegt hier zwar nicht vor, doch erscheint diese Gleichsetzung aus dem Zusammenhang als zwingend.“100 Seine Meinung begründet er damit, dass es „wenig Sinn“ mache, „in den Prologen selbst zwei voneinander abweichende Ansätze zu
99. Vgl. Prol. gener. n. 3, LW I, S. 149,6–151,1. Über die Erhebung des Wortes ‚termini‘ zum Hauptthema des Opus tripartitum schreibt Schirpenbach: „Wenn Eckhart in der vorgestellten Aufzählung von termini, das heißt ‚Ausdrücken‘, spricht und nicht von rationes im Sinne von ‚Begriffen‘, dann legt dies die Vermutung nahe, dass es ihm zunächst um eine sprachlichÂ�gedankliche Erfassung der Wirklichkeit durch Grundworte geht, die keinen Anspruch auf eine systematische intensionale, wohl aber eine extensionale Vollständigkeit, also auch nicht definitorische Klarheit und streng univoke Begrifflichkeit erhebt und von daher nicht mit einer die ganze Wirklichkeit systematisch erfassenden und so in sich abgeschlossenen Kategorientafel verwechselt werden darf, sondern den Charakter einer Annäherung an eine durch diese Begriffe bezeichnete gemeinsame Wirklichkeit hat.“ M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung,€S. 17. 100. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 15f.
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vermuten.“101 Obwohl eine solche Annahme für die systematische Darstellung des Eckhart’schen Werkes fruchtbar scheint, spricht gegen sie eine andere Stelle aus dem Prologus generalis in opus tripartitum (LW I, S. 152, 8–12), wo Eckhart einige termini generales aufzählt und unter ihnen auch die sapientia erwähnt. Sapientia kommt jedoch in der Aufzählung der 14 von Schirpenbach als termini generales bezeichneten Termini gar nicht vor: Ad evidentiam igitur dicendorum tria sunt praemittenda. Primum est quod de terminis generalibus, puta esse, unitate, veritate, sapientia, bonitate et similibus nequaquam est imaginandum vel iudicandum secundum modum et naturam accidentium, quae accipiunt esse in subiecto et per subiectum et per ipsius transmutationem et sunt posteriora ipso et inhaerendo esse accipiunt.102
Aus dieser Stelle lässt sich schließen, dass Eckhart unter den termini generales einerseits die transzendentalen Bestimmungen (esse, unitas, veritas, bonitas) und andererseits die Termini, die die perfectiones spirituales (sapientia) bezeichnen, versteht. Am Anfang der Tabula prologorum in opus tripartitum formuliert er ein Kriterium, das seiner Ansicht nach die Identifizierung der termini generales ermöglicht. Dort heißt es: … aliter loquendum est et sentiendum de terminis generalibus, puta de esse, unitate, veritate, bonitate et si quae sint huiusmodi quae cum ente convertuntur, aliter autem de aliis quae citra ista sunt et contracta ad aliquod genus, speciem aut naturam entis.103
Somit erklärt Eckhart, dass die Vertauschbarkeit mit dem Seienden ein Kriterium für die Zugehörigkeit eines Terminus zu den termini generales sei. Für Eckhart lautet die erste und grundlegende Prämisse, dass man über die termini generales nicht nach der Seinsweise und Natur der Akzidentien urteilen darf. Die Akzidentien sind ihrer Seinsweise nach sekundär, weil sie ihr Sein in 101. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 16. 102. Prol. gener. n. 8, LW I, S. 152, 8–12: „Zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen ist also dreierlei vorauszuschicken. Das erste ist dies: Die Allgemeinbegriffe, zum Beispiel Sein, Einheit, Wahrheit, Weisheit, Güte und dergeichen darf man sich nicht vorstellen oder beurteilen nach der Seinsweise und Natur der Akzidentien. Denn diese empfangen ihr Sein in ihrem Träger und durch einen Träger und durch dessen Veränderung, sind also (ihrer Natur nach) später als er und empfangen ihr Sein als Sein an etwas.“ Vgl. auch Tab. prol. op. trip. n. 1, LW€129, 6. 103. Tab. Prol. op. trip. n. 1, LW I, S. 129, 5–8: „… man muß anders reden und denken von den Allgemeinbegriffen, nämlich Sein, Einheit, Wahrheit, Güte und was es etwa sonst noch an derartigen mit dem Seienden vertauschbaren Begriffen gibt, anders aber von den anderen Begriffen, die unter diesen und auf eine Gattung, Art oder Natur des Seienden eingeschränkt sind.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
ihrem Träger empfangen. Dies kann aber von den termini generales nicht gesagt werden. Die termini generales drücken den allgemeinen Inhalt aus, der auf das Subjekt durch den Prädikationsakt bezogen wird. Im Prologus in opus propositionum liefert Eckhart eine Untersuchung des propositionalen Kontexts, indem er zwei Strukturen der Prädikation unterscheidet. Er übernimmt die dem Mittelalter geläufige Unterscheidung zwischen Inhärenz und Identität, nutzt diese jedoch nicht als eine bloß logische Distinktion, sondern legt Wert auch auf den konnotativen Aspekt der im Satz verwendeten Termini. Dies wird dadurch ausgedrückt, dass er die Sprache, die wir im Hinblick auf die Allgemeinbegriffe in ihrer Vollkommenheit (und damit auf Gott) benutzen, von der Sprache, mit der wir über die Alltagserscheinungen sprechen, unterscheidet: … aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc. Similiter autem de esse absolute et simpliciter nullo addito, et aliter de esse huius. Similiter etiam de aliis, puta de bono absolute et aliter de bono hoc et hoc aut de bono huius et bono huic. Cum igitur dico aliquid esse, aut unum, verum seu bonum praedico, et in praedicato cadunt tamquam secundum adiacens praemissa quattuor et formaliter accipiuntur et substantive. Cum vero dico aliquid esse hoc, puta lapidem, et esse unum lapidem, verum lapidem aut bonum hoc, scilicet lapidem, praemissa quattuor accipiuntur ut tertium adiacens propositionis nec sunt praedicata, sed copula vel adiacens praedicati.104
Von Eckhart wird hier der semantische Aspekt der Wörter esse, unum, verum und bonum hervorgehoben. Besonders bemerkenswert ist der Gedanke, dass, wenn von etwas aussagt wird, es sei oder es sei eines, wahr und gut, diese vier Bestimmungen zweites Satzglied der Satzaussage sind und in ihrem eigentlichen Sinne und als Hauptwörter genommen werden.105 Dies bedeutet, dass die Transzendentalien, sofern sie in einem Satz an der Stelle des Prädikates stehen, in ihrem eigentlichen Sinne als Hauptwörter genommen werden. In der Aussage „deus est 104. Prol. op. prop. n. 3, LW I, S. 166,12–167,8: „… man muß anders urteilen über das Seiende (als solches) als über dies und jenes Seiende. Desgleichen anders über das Sein an sich und schlechthin ohne nähere Bestimmung als über das Sein dieses oder jenes (Seienden). Dasselbe gilt von den übrigen allgemeinsten Bestimmungen. Man muß zum Beispiel über das Gute an sich anders urteilen als über dieses und jenes Gute oder das, was diesem da oder für dieses da gut ist. Wenn ich also von etwas aussage, daß es ist oder daß es eines, wahr oder gut ist, so sind diese vier Bestimmungen als zweites Satzglied Satzaussage und werden in ihrem eigentlichen Sinne und als Hauptwörter genommen. Sage ich aber: etwas ist dieses, etwa der Stein da, es ist ein Stein, ein wahrer Stein, oder dieses Gute, nämlich der Stein da, dann bilden diese vier Bestimmungen das dritte Glied des Satzes und sind nicht das (eigentlich) Ausgesagte, sondern entweder Kopula oder nähere Bestimmung zum Ausgesagten.“ 105. Vgl. ibid.
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unum“ oder „deus est esse“ wird mithin das Prädikat unum bzw. esse nicht als etwas Sekundäres, sondern als etwas genauso Bedeutungsvolles betrachtet wie das in der Position des Subjekts stehende Hauptwort (in diesem Beispiel deus). Die Unterscheidung der beiden Prädikationsweisen der termini generales lässt darauf schließen, dass nach Eckharts Ansicht Aussagen aus dem genuinen Bereich der Metaphysik nicht in Form einer gewöhnlichen Subjekt-Prädikat-Aussage aufgestellt werden können. Sie verlangen vielmehr eine eigene Deutung, die sich auf die konnotierenden semantischen Aspekte der termini generales gründet.106 Schirpenbach ist der Auffassung, dass Eckharts Unterscheidung zwischen dem eigentlichen und dem uneigentlichen Gebrauch der termini generales (Prol. in op. prop. n. 3) der Sache nach mit einer Distinktion übereinstimmt, die in der terministischen Logik Anwendung findet.107 In der letzteren wird unterschieden zwischen kategoremata, d.€h. Subjekt- und Prädikatausdrücken als selbstständigen Bedeutungsträgern, und synkategoremata, d.€h. unselbstständigen, nur in Verbindung mit anderen Wörtern bedeutungsvollen Satzelementen, wie z. B. Kopula oder Konjunktionen. Termini generales als Termini im eigentlichen Sinne werden kategorematisch gebraucht. Dabei heißt ein Wort mit eigenständiger Bedeutung€– es kann sich auch um eine Wortgruppe handeln – nur dann ‚Terminus‘, wenn es im Satz an der Subjekt- oder Prädikatstelle stehen kann. Synkategoremata sind Wörter, welche nicht als Namen gebraucht werden, sondern nur als Wörter, von denen nichts bejaht oder verneint werden kann. Dagegen sind kategorematisch allein diejenigen Wörter, die vollständige Begriffe bezeichnen. Es handelt sich um Ausdrücke, die für sich eine eigene Bedeutung haben und die Haupttermini im
106. Über die doppelte Prädikationsweise, die für Eckhart im Zusammenhang mit den termini generales steht, bemerkt M. P. Schirpenbach (Wirklichkeit als Beziehung, S. 32) Folgendes: „Auf den ersten Blick erscheinen die Sätze, in denen die termini generales formaliter verwendet werden, indeterminierte Aussagen zu sein, während sie in ihrem uneigentlichen Gebrauch zur Bildung determinierender Sätze dienen.“ B. McGinn sieht den Kern der Eckhart’schen Differenzierung in dem Unterschied zwischen unbegrenzter und begrenzter Aussage („unlimited and limited predication“). Aussagen der ersten Gruppe („two-term propositions“) implizieren einen unbegrenzten Hervorgang des Ausgesagten, seine absolute Fülle und damit seine negatio negationis. Von daher können transzendentale Begriffe im eigentlichen Sinne nur Gott zugesprochen werden (vgl. B. McGinn, Meister Eckhart on God as Absolute Unity, in: D. O’Meara, Neoplatonism and Christian Thought, NY/Albany 1982, S. 128–139, hier S. 131); F. Brunner fasst die erste Prädikationsweise als diejenige auf, in der das Prädikat eine transzendentale Bestimmung darstellt, die zweite als diejenige, in der es eine „détermination spécifique“, d.€h. eine sachliche Bestimmung, bildet. Im ersten Fall bezeichnet das Prädikat Gott, im zweiten ein Geschöpf (vgl. F. Brunner, Foi et raison chez Maître Eckhart, in: J. Moreau, Permanence de la philosophie, Neuchâtel 1977, S. 196–207, hier S. 197). 107. Vgl. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 47.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Satz darstellen. Synkategorematische Ausdrücke haben als Nebentermini nur einen Sinn in Verbindung mit einem Hauptterminus.108 Daher gilt, dass nicht jedes Wort ein Terminus ist, sondern nur dasjenige, das als Subjekt oder Prädikatsterm, d.€h. als kategorematischer Ausdruck, im Satz vorkommen kann. Bei der Analyse des Satzes „unum est negatio negationis“ ist zunächst zu fragen, ob Eckhart hier negatio negationis als einen kategorematischen, vollständigen Ausdruck, d.€h. als Terminus, verstanden wissen will oder ob er negatio negationis als ein Synkategorema auffasst, von dem nichts bejaht oder verneint werden kann. Des weiteren stellt sich die Frage nach dem Gebrauch dieses Ausdrucks: Verwendet er negatio negationis – ähnlich den termini generales – als eigentliches wie auch als uneigentliches Prädikat? Der Satz „unum est negatio negationis“ weist folgendes Charakteristikum auf: Es werden zwei Satzglieder – Subjekt und Prädikat – mittels der Kopula ‚est‘ aufeinander bezogen. Dadurch entsteht die Definition von ‚unum‘, die als allgemeingültig aufgefasst wird. Allgemeingültigkeit bedeutet, dass in dieser Aussage die Bedeutung von ‚est‘ sowohl die Bedeutung von ‚erit‘ als auch die von ‚fuit‘ impliziert und deshalb dem Inhalt des Satzes für die Allzeit Geltung verleiht. Ein solcher Allgemeingültigkeitsstatus von ‚est‘ weist darauf hin, dass Eckhart jeden Ausdruck, den er untersucht, in einem starken und absoluten Sinn verstanden wissen möchte und nicht innerhalb einer kontextbedingten Relativierung.109 Der zu untersuchende Satz ist affirmativ und stellt eine prädikative Aussage dar, die verwendet wird, um etwas von etwas zu affirmieren. Es handelt sich also um einen logos kataphantikos im aristotelischen Sinne und nicht um einen logos apophantikos, d.€h. eine prädikative Aussage, in der etwas von etwas verneint wird.110 Im Eckhart’schen Satz wird ja das Prädikat (negatio negationis) mit dem Subjekt (unum) affirmativ verbunden und ihm nicht abgesprochen. Für die Analyse der Aussage „unum est negatio negationis“ spielt neben der formalen, syntaktisch-logischen Konstruktion auch der inhaltliche Aspekt der beiden Begriffe eine Rolle, die als Termini in diesem Satz an der Stelle des Subjekts und des Prädikats vorkommen. ‚Unum‘ ist ein konnotativer Begriff, weil es die carentia divisionis konnotiert, und zwar nicht aufgrund der grammatischen Bedeutung, sondern aufgrund des Prinzips der Bedeutungsgebung.
108. Vgl. „Synkategoremata“, in: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, hrsg. von R. Eisler/ K. Roretz, Berlin 1930, S. 199. 109. Vgl. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 33. 110. Zur Unterscheidung zwischen logos kataphantikos und logos apophantikos bei Aristoteles siehe L. M. de Rijk, Logos and Pragma in Plato and Aristotle, S. 27–61.
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Problematisch erscheint der Inhalt des Prädikats. Es ist hier durch die doppelte Negation wiedergegeben. Die Verneinung an sich ist als Operation anzusehÂ� en, die auf einen Satz angewendet wird. Die Anwendung der Verneinung setzt immer die Annahme voraus, dass der ursprüngliche Satz falsch ist.111 Daraus folgt, dass die Negation sich auf den propositionalen Gehalt bezieht, d.€h. zum Gedanken gehört, und das Verneinen nicht eine eigene Art von negativer behauptender Kraft ist. Wenn wir einen Satz negieren, negieren wir also nicht seine Bejahung, sondern wir bejahen seine Negation.112 Die Verneinung eines Gedankens ist aber selber ein Gedanke und kann wieder zur Ergänzung der Verneinung dienen. „Indem ich die Verneinung des Gedankens zur Ergänzung der Verneinung gebrauche, erhalte ich die Verneinung der Verneinung des Gedankens“, heißt es in den sprachanalytischen Untersuchungen von G. Frege.113 Frege meint, aus der BetÂ� rachtung des Gesetzes der duplex negatio lasse sich schließen, dass das Verneinen keine trennende, auflösende Wirkung hat: Die Verneinung eines Gedankens ist also selber ein Gedanke und kann wieder zur Ergänzung der Verneinung dienen. Das Ergebnis dieser Ergänzung ist … ein Gedanke. Den gemeinsamen ergänzungsbedürftigen Bestandteil kann man doppelte Verneinung nennen. Dieses Beispiel zeigt, wie ein Ergänzungsbedürftiges mit einem Ergänzungsbedürftigen zu einem Ergänzungsbedürftigen verschmelzen kann.114
Dieses „Verschmelzen“ stellt schon einen sonderbaren Fall dar, weil hier etwas, und zwar die Verneinung von …, mit sich selbst verschmilzt. Dadurch ändert sich der Wahrheitswert des Gedankens auch nicht, weil von den beiden Gedanken – A und der Verneinung der Verneinung von A – entweder jeder oder keiner wahr ist. Der Satz „unum est negatio negationis“ ist von diesen sprachanalytischen Ansätzen her zu denken. Allerdings ist hier auch folgender Aspekt hervorzuheben: Der Satz drückt nicht die Verneinung der Verneinung von ‚unum‘ aus (¬ ¬ A = A), sondern besagt, dass das unum an sich als eine Verneinung der Verneinung zu denken ist. Damit wird die Verneinung nicht als eine Operation angesehen, die auf einen Satz angewendet wird mit dem Ergebnis, dass nun behauptet wird, dass 111. Vgl. E. Tugendhat/U. Wolf, Logisch-semantische Propädeutik, Stuttgart 1983, S. 212. 112. Siehe dazu G. Frege, Logische Untersuchungen, hrsg. und eingel. von G. Patzig, 5. Auflage, Göttingen 2003; vgl. auch O. Langer, Sich lâzen, sîn selbes vernihten. Negation und >IchTheorie< bei Meister Eckhart, in: W. Haug/W. Schneider-Lastin (Hrsg.), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte. Kolloquium Kloster Fischingen 1998, Tübingen 2000, S. 317–346. 113. G. Frege, Logische Untersuchungen, S. 80. 114. G. Frege, Logische Untersuchungen, S. 82.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
der ursprüngliche Satz falsch sei, sondern als ein Prädikat, welches vom Subjekt des Satzes prädiziert wird und daher ein Kategorema oder einen vollständigen Begriff darstellt. Nur ein Begriff mit einer vollständigen Bedeutung, der im Satz an der Stelle des Subjekts oder Prädikats stehen kann, heißt Terminus. Daher wird negatio negationis von Eckhart in diesem Satz nicht als ein logisch-grammatischer Operator angesehen. Negatio negationis als Operator wäre als ein Synkategorema bzw. ein Wort mit einer unvollständigen Bedeutung zu denken, weil von einem Operator im Satz, der selbst eine Operation ausdrückt, weder etwas verneint noch etwas bejaht werden kann. Im Prologus in opus propositionum findet sich jedoch eine andere Art der Anwendung von negatio negationis: Praeterea, sicut supra tactum est, enti sive de ente nihil negari potest sive nullum esse negari potest, sed competit ipsi negatio negationis esse. Ita uni nihil unum sive nulla unitas negari potest nisi negatio negationis unitatis aut unius; similiter de vero et bono.115
Die Voraussetzung dieser Darlegung bildet die Annahme, dass vom Seinenden kein Sein verneint werden kann. Dem Seienden kommt vielmehr die Verneinung der Verneinung des Seins zu, wie dem Einen die Verneinung der Verneinung der Einheit bzw. des Einen zukommt. Genauso verhält es sich mit dem Wahren und Guten. Das Seiende, Eine, Wahre und Gute sind die termini generales und bilden die Transzendentalien. Das Seiende attribuiert Eckhart Gott unter Berufung auf Dionysius. Er versucht, alle termini generales als Gottesnamen einzusetzen, so dass die Priorität innerhalb dieser Namen im Prologus in opus propositionum allein dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie in einer gewissen Rangfolge aufgelistet werden. Eckhart sagt eindeutig, von den termini generales könne nicht das verneint werden, dessen Verallgemeinerung diese Termini begründe. Vielmehr kann ihnen die Verneinung der Verneinung des Seins, des Einen, des Wahren oder des Guten zukommen. Negatio negationis gehört in dieser Satzstruktur zum Prädikat, ist aber nicht das Prädikat selbst. Sie ist kein Wort mit einer vollständigen Bedeutung mehr, kein Kategorema, sondern sagt nur aus, dass S nicht nicht€P ist. W. Goris meint, dass die negatio negationis, die er zunächst als ein Prädikat der Definition des Einen betrachtet, hier als „Operator der Attribution“ verwendet wird. Eine Vielfalt von Verwirklichungen einer Vollkommenheit schließe eine 115. Prol. op. prop. n. 12, LW I, 172, 6–9: „Überdies, wie oben berührt, kann dem oder vom SeienÂ�den nichts oder kein Sein verneint werden, ihm kommt vielmehr die Verneinung der Verneinung des Seins zu. So kann dem Einen nichts Eines oder keine Einheit abgesprochen werden, es sei denn durch die Verneinung der Verneinung der Einheit oder des Einen. Geichermaßen beim Wahren und Guten.“
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Negation ein, die selbst wieder negiert werden müsse, damit der Grund der Vielheit angesprochen werden könne, von dem her alles an dieser Vollkommenheit teilhabe.116 Aus dem Gesagten lässt sich Folgendes schließen: In einem Satz kann negatio negationis in zwei Funktionen auftreten: einerseits als Prädikat, d.€h. als ein Wort mit einer vollkommenen Bedeutung (Kategorema), und andererseits als Operator, d.€h. als ein Wort ohne vollkommene Bedeutung (Synkategorema). Im ersten Fall kann man von der negatio negationis als einem Terminus sprechen. Im zweiten Fall stellt negatio negationis keinen Terminus dar, weil Terminus ein syntaktischer Begriff ist: Ein Begriff heißt nur dann Terminus, wenn er im Satz an der Subjekt- oder Prädikatstelle stehen kann. In der Bezogenheit auf das Seiende, Eine, Wahre und Gute wird aber negatio negationis als Operator nicht kategorematisch, sondern synkategorematisch gebraucht und steht mit dem Hauptwort in Verbindung (hier negatio negationis entis, negatio negationis unius, negatio negationis veri, negatio negationis boni etc.). Diese zwei logisch-syntaktischen Aspekte von negatio negationis müssen unterschieden werden, wenn man über die Verneinung der Verneinung als philosophisch-theologischen Terminus sprechen will. Als ein philosophischer Terminus kann negatio negationis in einem Satz nur als Prädikat auftreten. Nur in diesem Fall kann die Frage nach der Art der Prädikation, die im Satz „Unum est negatio negationis“ ausgedrückt wird, gestellt werden: Welche Art der Prädikationstheorie liegt dem Verständnis dieser Definition Eckharts zugrunde? Muss sie gemäß der inhaerentia-Theorie oder der Identitätstheorie verstanden werden? Mit anderen Worten: Ist in diesem Satz negatio negationis intensional, als Prädikat, das in einer beharrenden Identität gegenüber dem Subjekt steht und dessen Inhalt sich im Subjekt als Form findet, aufzufassen, oder ist negatio negationis extensional, als ein Prädikat, das ebenso wie das Subjekt als Name für ein Denotat verwendet wird, zu verstehen? In kantischen Termini formuliert würde diese Frage folgendermaßen lauten: Ist der Satz „unum est negatio negationis“ als ein analytisches oder als ein synthetisches Urteil zu denken? Ist dieser Satz für Eckhart notwendig wahr, oder kann er auch falsch sein? Die hier aufgeworfenen Fragen sind in den nächsten Kapiteln zu beantÂ� worten.
116. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 73f.
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Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Negation und Gotteserkenntnis bei Pseudo-Dionysius Areopagita
Im 1. Kapitel von De mystica theologia weist Ps. Dionysius auf die Unterscheidung zwischen Affirmationen und Negationen als Ausgangspunkt für zwei Arten der Theologie hin: In Bezug auf Gott muss man sowohl alle Eigenschaften bejahen als ihm auch all diese Eigenschaften absprechen. Die positiven Aussagen denominieren ihn als Ursache von allem, während mittels der Verneinungen versucht man, seinem jenseitigen, transzendentalen Charakter gerecht zu werden. Die leitende Frage dieser Schrift bildet nach der Lobpreisung Gottes die Frage nach den verschiedenen Weisen der Gotteserkenntnis. Es geht in De mystica theologia darum, wie man sich dem Göttlichen durch Negationen annähern kann. Aus dem Unterschied zwischen Bejahung und Verneinung werden von Dionysius im 2. Kapitel des Textes folgende Anweisungen zur Benennung Gottes entwickelt: Bei den Bejahungen nimmt man den Ausgang von den ursprünglichsten Seinsformen und steigt über die mittleren bis zu den niedersten herab. Anders verhält es sich mit den Verneinungen, bei denen man von den niedersten Seinsformen zu den ursprünglichsten aufsteigen soll. So wird der Bezug zwischen den Affirmationen und Negationen einerseits und der ab- und aufsteigenden Bewegung andererseits hergestellt, den Dionsysius in De mystica theologia als ein Klassifikationsprinzip für seine Schriften verwendet.117 Klassifikationsprinzip meint hier, dass die Figur der absteigenden und aufsteigenden Bewegung als Grundlage dieser Einteilung fungiert.118 Dabei betrifft die Opposition zwischen der Verneinung und Bejahung nicht den Gehalt der Aussagen, sondern ihre Anordnung, und zwar die Richtung (auf- bzw. absteigend), an die man sich beim jeweiligen Vorgehen halten muss. Die Schriften De theologicis hypotyposibus, De divinis nominibus und De symbolica theologia beschreiben die absteigende Bewegung von der göttlichen Transzendenz bis zur sinnlichen Welt: Die absteigende Bewegung beginnt mit den in der Hl. Schrift enthaltenen Namen, dann geht die Darlegung zu den intelligiblen Namen über, und schließlich wird die unterste Ebene, die der Sinnlichkeit, erreicht. Diese absteigende Bewegung ist eine Bewegung vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum Konkreten. Zufolge der Interpretation von G. Zedania, die auf den 1. und 2. Kapiteln von De mystica theologia gründet, spiegeln in diesem Paradigma die affirmative 117. Diese Klassifikation findet im 3. Kapitel von De mystica theologia statt. Vgl. Ps.-Dionysius Areopagita, De mystica theologia, Kap. 3, 1032 D-1033 D in: Corpus Dionysiacum II, hrsg. von G. Heil/A. M. Ritter, (Patristische Texte und Studien 36) Berlin/NY 1991, S. 146f. 118. Vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, Saarbrücken 2009, S. 22.
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und die symbolische Theologie die Deszendenz vom transzendenten Gott zu den sinnlichen Symbolen wider, die negative Theologie wiederum initiiert den Aufstieg zurück zur unaussprechbaren Gottheit.119 Die Funktion der symbolischen Theologie besteht in Herausarbeitung der Regeln, welche die Anwendung der aus der sinnlichen Welt genommenen Symbole auf Gott und die himmlischen Wesen zulassen. Daher ist die symbolische Theologie im Zusammenhang mit der biblischen Exegese besonders relevant, denn ihre Aufgabe ist dadurch bestimmt, verschiedene Symbole in der Bibel zu erklären.120 Gemäß dem dionysischen Verständnis müssen Symbole zugleich offenbaren und verbergen. Dies impliziert eine esoterische Auffassung des Wissens.121 Die symbolische Theologie meint aber keine Identifizierung Gottes mit den Symbolen. Dionysius verstent Gott als transzendent gegenüber allen materiellen Symbolen. Deswegen muss jedes Bild, bevor es auf Gott übertragen wird, gereinigt werden. Diese Reinigung meint, neben der Ähnlichkeit auch die Unähnlichkeit des Bildes in Bezug auf das Göttliche offensichtlich zu machen. Diese doppelte
119. Vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, S. 23. Zedanias Auslegung nimmt eine kritische Stellung gegenüber der von I. P. Sheldon-Williams, der während seiner Interpretation die 1. und 2. Kapiteln von De mystica theologia außer Acht lässt. Vgl. ibid.: „Sheldon-Williams zufolge entspricht die symbolische Theologie dem Moment des Hervorgangs des Göttlichen (prodos), die affirmative dem Moment der Rückkehr (epistrophé) und die mystische dem Moment des Verharrens (moné). Daß diese Auslegung nicht ganz adäquat sein kann, zeigt deren Gegenüberstellung mit der oben analysierten Passage aus De mystica theologia, welche die symbolische Theologie unmißverständlich im Kontext des Abstiegs vom Göttlichen darstellt. Aber Sheldon-Williams verweist auf andere Stellen aus dem Corpus, die sein Insistieren auf der aufsteigenden Rolle der symbolischen Theologie rechtfertigen.“ Vgl. auch I. P. Sheldon-Williams, The PseudoÂ�Dionysius, in: A. H. Armstrong (Hrsg.), Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy, Cambridge 1979, S. 461–467. 120. Die Auslegung von verschiedenen Symbolen in der Bibel erklärt Chr. Schäfer aus folgendem Absicht von Ps. Dionysius: „In naming God with Biblical theonyms, the author of DN does exactly the same thing that Paul’s preaching clamed to do: reveal the Name(s) of the ‚unknown God.‘ Scriptural revelation confers theonyms to the anonymous Divinity of Classical thought. Put simply, Dionysius wants us to understand that Greek philosophy was on the correct path in its understanding of the Divine, but it obviously needed the eye-opening ‚superaddition‘ or ‚grace‘ (if these are the right words) of Christian revelation in order to be released from its ultimate speechlessness and residual insecurity concerning the last Cause… .“ Chr. Schäfer, The philosophy of Dionysius the Areopagite. An introduction to the Structure and the content of the threatise on the Divine Names, Leiden/Boston 2006, S. 25. 121. Über die esoterische Auffassung des Wissens bei Ps. Dionysius vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, S. 23–24.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Aufgabe der symbolischen Theologie bestimmt auch deren zwei Arten: Die eine nimmt ihren Weg über die ähnlichen, die andere über die unähnlichen Bilder. Der Unterschied zwischen ähnlichen und unähnlichen Symbolen ist analog dem Unterschied zwischen affirmativer und negativer Theologie.122 Diese Analogie weist vor allem auf ein grundlegendes methodisches Prinzip hin, das auf den Vorrang der negativen Theologie vor der affirmativen hinausläuft und von Dionysius in De coelesti hierarchia auf folgende Weise formuliert wird: Wenn es nun zutrifft, daß die Negationen bei den göttlichen Dingen wahr, die positiven Aussagen hingegen der Verborgenheit der unaussprechlichen Geheimnisse unangemessen sind, dann folgt, daß bei den unsichtbaren Gegenständen die Darstellung durch Ausdrucksformen ohne jede Analogie eher die passendere ist.123
Im Unterschied zur symbolischen versucht die affirmative Theologie, dem Göttlichen auf begriffliche Art und Weise näherzukommen, indem sie dem Göttlichen die intelligiblen Namen zuschreibt, die den Kreaturen zukommen: das Gute, das Sein, das Leben, die Weisheit etc. Im Rahmen der affirmativen Theologie werden diese Namen vom Göttlichen als der Ursache von Seienden prädiziert. Das KausaÂ� litätsprinzip ist bestimmend für dieses theologische Verfahren, das besagt: Die menschliche Vernunft kennt Gott nicht aus seiner eigenen Natur heraus, da diese jeden Intellekt übersteigt, sondern von der Ordnung der Seienden her, die aus Gott herausprojiziert wurde. Diese Ordnung enthält Abbilder ihres Ursprungs, d.€h. Gottes. Durch die Erkenntnis dieser Abbilder vermag der endliche Intellekt zu diesem Ursprung aufzusteigen: „Alles Göttliche, auch jenes, was uns geoffenbart wird, läßt sich nur aus Partizipationen erkennen.“124 Die affirmative Theologie steht vor derselben Schwierigkeit wie diejenige Art der symbolischen Theologie, die sich der ähnlichen Bilder bedient: Weder ein
122. Vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, S. 25. 123. Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia II, 2.3.4, 141 A, in: Corpus Dionysiacum II, hrsg. von G. Heil/A. M. Ritter, Berlin/NY 1991, S. 12f., 20–23: „Τιμῶσι τοιγαροῦν, οὐκ αἴσχους ἀποπληροῦσι τὰς οὐρανίας διακοσμήσεις αἱ τῶν λογίων ἱερογραφίαι ταῖς ἀνομοίοις αὐτὰς μορφοποιίαις ἐκφαίνουσαι καὶ διὰ τούτων ἀποδεικνῦσαι τῶν ὑλικῶν ἁπαντων ὑπερκοσμίως ἐκβεβηκυίας.“ 124. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus II 7, in: Corpus Dionysiacum I, hrsg. von B. R. Suchla, Berlin/NY 1990, S. 131, 5f.
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Sprache und Metaphysik
Begriff noch ein Bild kann das Unendliche erreichen. Daher fordert die affirmative Theologie als Korrektiv die negative Theologie.125 Im 7. Kapitel von De divinis nominibus vertritt Dionysius die Auffassung, dass aus den positiven Aussagen über Gott, die aufgrund des Prinzips der Teilhabe und Analogie möglich sind, und den negativen Aussagen, die die göttliche Unerkennbarkeit wahren wollen, sich eine Antithetik entwickeln lässt.126 Im Abschnitt 7,3 872 A wird nämlich die Frage nach der doppelten Gotteserkenntnis wie folgt behandelt: Gott wird aufgrund des Prinzips der Teilhabe und der Analogie nur deswegen erfasst, weil zwischen Gott und den Dingen eine Beziehung besteht, die eine relative Erkenntnis ermöglicht. Aber zugleich behauptet Dionysius dort, dass Gottes Wesen unerforschlich bleibt: Gott sei über jeden Namen hinausgerückt, er sei ἀνώνυμος.127 Es ist also ein Wissen und Nichtwissen, woraus sich die Möglichkeit der Antithetik erklärt. In diesem Zusammenhang lässt sich fragen, wie eigentlich die Negation bei Dionysius verstanden werden soll? In Epistula I hebt er hervor,128 dass die das Göttliche betreffenden Negationen nicht im Sinne von Privationen zu verstehen seien. Versteht man in Bezug auf Gott das Fehlen eines Attributs als Privation, als Beraubung des habituellen Seins, so impliziert dies in der Tat die Unvollkommenheit des göttlichen Wesens. In De divinis nominibus präzisiert Dionysius den Begriffsinhalt der Privation primär im Zusammenhang mit den ethischen Kategorien:
125. Über die „korriegierende“ Funktion der negativen Theologie vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, S. 26. 126. Mehr zu dieser Frage bei W. Völker, Kontemplation und Ekstase bei Pseudo-Dionysius Areopagita, Wiesbaden 1958. 127. Über die Namenskonzeption bei Dionysius vgl. Chr. Schäfer, The Philosophy of Dionysius the Areopagite. An introduction to the structure and the content of the treatise on the Divine Names, S. 73: „Dionysius has a different concept of ‚name‘ than most (pagan) Platonists of his time. … In Neoplatonic theology since the times of Iamblichus, the ‚names‘ were used for theurgical purposes, which is also found in Proclus (cf. van den Berg 2002, 101–106). Dionysius wants to avoid all such theurgical implications in his treatise. Knowing the names of God does not mean that we magically exercise control over God. The Names help us to approach God, but they do not drag Got toward us. As Dionysius states in the introductory chapter 3 of DN: ‚picture ourselves aboard a boat. There are hawsers joining it to some rock. We take hold of them and pull them, and it is as if we were dragging the rock to us when in fact we are hauling ourselves and our boat toward that rock‘ (DN 680 C).“ 128. Pseudo-Dionysius Areopagita, Epistula I, 1065 A, in: Corpus Dionysiacum II, hrsg. von G.€Heil/A. M. Ritter, Berlin/NY 1991, S. 156, 5.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Die Privation kämpft aus eigener Kraft gegen das Gute. Denn die unbeschränkte Privation ist völlig kraftlos, die teilweise vorhandene dagegen besitzt keine Kraft, sofern sie Privation ist, sondern nur, sofern sie eben keine unbeschränkte Privation ist. Wenn allerdings die Privation des Guten nur eine teilweise vorhandene ist, dann ist das noch nicht böse, wenn sie hingegen unbeschränkt geworden ist, dann ist vielmehr auch die Natur des Bösen verschwunden.129
Aber hier muss auch berücksichtigt werden, dass im 4. Kapitel von De divinis nominibus das Gute zu einem ersten und allergeeigneten Namen Gottes erklärt wird. Dadurch lässt sich der Privationsbegriff des Areopagiten auch gemäß der neuplatonischen Tradition verstehen.130 Um den Gedanken der Unvollkommenheit Gottes zu vermeiden (Gott ist vollkommen, und ihm kann kein Attribut fehlen), den ‚Privation‘ impliziert, unterscheidet Dionysius zwischen zwei Weisen des Prädizierens: Ein und dasselbe Prädikat (z. B. Vernunftlosigkeit) werde einem Tier anders zugeschrieben als Gott. Ersterem komme dieses Prädikat im Sinne des Fehlens, der Privation, zu, Gott hingegen so, dass seine Überlegenheit gegenüber menschlichem Sprechen und Denken zum Vorschein komme.131 In Bezug auf das Göttliche seien die Negationen in diesem Sinne des Übersteigens (via eminentia) gemeint.132 Dies bedeutet, dass Gott ein Prädikat nicht einfach zugesprochen wird, um es danach von ihm zu verneinen, sondern die Andersheit Gottes wird in der Prädikation durch das Präfix hyper- zum Ausdruck gebracht. 129. Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes, 729 C, eingel. u. übers. von B. R. Suchla, Stuttgart 1988, S. 64. Vgl: „Ἡ στέρησις κατὰ δύναμιν οἰκείαν μάχεται τῷ ἀγαθῷ. Ἡ γὰρ παντελὴς στέρησις καθόλου ἀδύναμος, ἡ δὲ μερικὴ οὐ, καθ᾽ ὃ οὐ παντελής, ἔχει τὴν δύναμιν, ἀλλὰ καθ᾽ ὃ οὐ παντελής ἐστι στέρησις. Στερήσεως γὰρ τοῦ ἀγαθοῦ μερικῆς οὔσης οὔπω κακόν, καὶ γενομένης καὶ ἡ τοῦ κακοῦ φύσις ἀπελήλυθεν.“ De divinis nominibus, in: Corpus Dionysiacum I, 729C, S. 175. 130. Die Tatsache, dass Dionysius die Begriffe ‚das Gute‘ und ‚Gott‘ als Synonyme betrachtet, erklärt Chr. Schäfer als Fortgang zu einer neuen ontologischen Ordnung: „By introducing the ‚Good‘ as God’s first and most ‚accessible‘ Name in chapter 4 of DN, Dionysius presents a new order of ‚phases‘ in the ontological development to the reader. There is no way of beginning with the μονή or being-itself of the all-transendent first Cause, whose being-itself is strictly ineffable. Dionysius claims that from the new perspective of things as related to God, one has to start off ‚genetically‘ with the procession … . The question of respose and identity can only be discussed when it comes to the ‚halt‘ of being themselves, i.e. in a second step after the process, but this is already a far-reaching anticipation of problems which still lie ahead.“ Chr. Schäfer, The Philosophy of Dionysius the Areopagite. An introduction to the structure and the content of the treatise on the Divine Names, S. 62 f. 131. Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia II 4, in: Corpus Dionysiacum II, S. 14, 19–24. 132. Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, Epistula I, in: Corpus Dionysiacum II, S. 156, 5.
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Sprache und Metaphysik
Gott ist gut, aber nicht gemäß unserem Verständnis des Guten, sondern als ÜberGutes. Gott ist demnach „das Übergute, das Übergöttliche, das Überseiende, das Überlebendige, das Überweise und was immer einer überragenden Verneinung gehört.“133 Dadurch behält man die Beschränkung der menschlichen Sprache ständig im Blick.134 Durch einen solchen methodischen Ausgangspunkt werden folgende semantisch-logischen Aspekte der negativen Theologie offensichtlich: Für Dionysius kann das Prädikat nicht in einem intensionalen Bezug zum Subjekt (Gott) gedacht werden. In einem Satz ‚S ist P‘ wird das Prädikat nur als ein Name aufgefasst, der das Subjekt extensional deutet. Daher sind die Prädikate ‚Vernünftigkeit‘, ‚Vernunftlosigkeit‘ oder ‚Übervernünftigkeit‘ für Dionyius die Namen, die sich in Bezug auf Gott nicht gegenseitig ausschließen, sondern ergänzen. Das heißt, dass alle drei mit diesen Prädikaten gebildeten Sätze – Gott ist vernünftig, Gott ist vernunftlos, Gott ist übervernünftig – wahr sind, weil ihre Wahrheit nicht durch die Konnotation der Termini oder durch die Gegebenheit von Denotata bestimmt wird. Das Wesen Gottes als Denotatum des Begriffes ‚Gott‘ bleibt für die menschliche Vernunft unerkennbar bzw. lässt sich nicht durch die menschliche Sprache ausdrücken. Diese semantisch-logische Auffassung kommt explizit in dem Begriff ‚Überunerkennbares‘ zum Vorschein, den Dionysius für die Charakterisierung des göttlichen Wesens verwendet.135
133. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus II, 3, in: Corpus Dionysiacum I, S.€14–16; vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes eingel., übers. und mit AnmerÂ� kungen vers. von B. R. Suchla, S. 31. 134. Über die Negation und Affirmation wie auch die Sprachkonzeption bei Ps. Dionysius Areopagita vgl. G. Zedania, Von Einheit zu Pluralität. Nikolaus von Kues als Interpret der Schriften des Dionysius Pseudo-Areopagita, S. 27: „Es muß gesagt werden, daß Dionysius nicht behauptet, Affirmationen seien schlechthin falsch und Negationen richtig. Affirmation und Negation sind nicht unabhängig voneinander; sie sind vielmehr zwei verschiedene Weisen der theologischen Betrachtung, die sich keineswegs ausschließen. Affirmationen sind nicht einfach verneint; Negationen dienen dazu, das von Affirmationen Gesetzte einzuschätzen und das im Hinblick auf den göttlichen Gegenstand durch die Prädikation suggerierte Unpassende aufzuheben. Diese Aufhebung wiederum ist die Bedingung für den Aufstieg des menschlichen Subjekts zum Unendlichen. Letztendlich muß der Mensch ansichts der Transzendenz Gottes auf die Sprache endgültig verzichten und ins Schweigen versinken.“ 135. Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, De mystica theologia I, 997 A, in: Corpus Dionysiacum II, S. 141, 2; vgl. Th. Kobusch, Dionysius Areopagita, in: Fr. Niewöhner (Hrsg.), Klassiker der Religionsphilosophie von Platon bis Kierkegaard, München 1995, S. 84–98, hier S. 91.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
*** Zusammenfassend kann über die Formen der negativen und affirmativen Theologie bei Dionysius Folgendes gesagt werden: Die Negation wird zu einem methodischen Prinzip,136 das die Formen der affirmativen Theologie korrigierend übersteigt. Dieses Übersteigen impliziert aber die Einheit der Affirmation und Negation.137 Die negative Theologie korrigiert jedoch nicht nur die symbolischen und affirmativen Theologien, sondern auch sich selbst. Die negative Theologie muss „über sich selbst noch einmal hinausgehen“.138 Der Grund dieser „Selbstkorrektur“ liegt in der Notwendigkeit, Gott jenseits der Gegensätzlichkeit von Affirmation und Negation zu denken. Die negative Theologie vermag es auch nicht, das göttliche Wesen adäquat zu erfassen, weil selbst die Negationen Produkte der menschlichen Sprache sind.
3.4
Negatio negationis als Attributionsaussage
Der henologische Diskurs stellt einen wichtigen Bestandteil der Eckhart’schen Metaphysik dar. Für die neuplatonische Philosophie ist die Annahme bestimmend, dass es das Eine gibt, das auch das Gute darstellt.139 Für Proclus ist das Eine der Ursprung und Grund von allem. Das Eine kann aber nur als das Nichts alles dessen bestimmt werden, was in ihm begründet ist und aus ihm hervorgeht. Diese Dialektik hängt mit der Einsicht zusammen, dass aus dem Einen selbst jede Vielheit prinzipiell ausgeschlossen bleiben muss. Das Eine wird von Proclus als Einfachheit und Reinheit gedacht. Jegliche Affirmation, die dem Einen etwas zuschriebe, wäre eine Hinzufügung, da sie das Eine
136. Vgl. J. Hochstaffl, Negative Theologie: ein Versuch zur Vermittlung des patristischen Begriffs, München 1976, S. 135. 137. Vgl. W. Völker, Kontemplation und Ekstase bei Pseudo-Dionysius Areopagita, Wiesbaden 1958, S. 158: „Es gehört zur Eigenart des Areopagiten, Gottes Unbegreiflichkeit durch Antithesen auszudrücken, man muss daher immer beide Seiten zusammenhalten, wenn man ein richtiges Bild gewinnen will.“ 138. Th. Kobusch, Dionysius Areopagita, in: Fr. Niewöhner (Hrsg.), Klassiker der Religionsphilosophie von Platon bis Kierkegaard, S. 91. 139. Zum Begriff des Einen bei Proclus vgl. W. Beierwaltes, Proklos: Grundzüge seiner Metaphysik, 2. erw. Auflage, (Philosophische Abhandlungen 24) Frankfurt a. M. 1979, S. 343–348.
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Sprache und Metaphysik
zum Etwas machte.140 Die Einfachheit bedeutet, dass das Eine keine Beziehung, keinen Unterschied enthält, nicht einmal einen Selbstbezug. Auch Selbstidentität ist vom Einen ausgeschlossen, da die Selbstidentität den Unterschied im Einen oder die Reflexion auf diesen Unterschied voraussetzt: Die Beziehung der Identität kann nur zwischen zwei voneinander Unterschiedenen hergestellt werden. Daher gehen die Vielheit und Unterschiedenheit der Identitätsbeziehung logisch vorher. Dazu kommt noch der Aspekt, dass das Denken der Selbstidentität nur im Unterschied zu dem Anderen gedacht werden kann. Dies deutet darauf hin, dass das selbstidentische Eine nur durch einen Unterschied vermittelt werden kann. Dies kann aber für Proclus das Konzept der absoluten Einfachheit des Einen nicht zulassen, weil die Einfachheit die Vielheit ausschließt. Von daher kann auch das Denken diesem Einen nicht zugesprochen werden. Das Konzept der einfachen und reinen Einheit macht auch den reflektierenden Selbstbezug des Einen für Proclus unmöglich. Auch für Dionysius ist das Eine das höchste Prädikat Gottes. Er deutet jedoch dieses Prädikat anders als Proclus: Dionysius versucht nämlich, die Transzendenz des Einen nicht zu beeinträchtigen, zugleich behauptet er aber die Identität des Einen mit Sein, Leben und Weisheit. Während Proclus ‚Sein‘, ‚Leben‘ und ‚Weisheit‘ als absteigende Ordnung der Allgemeinheiten deutete, besteht gemäß Dionysius diese Ordnung in der geschaffenen Welt nur deshalb, weil sie in Gott selbst begründet ist. In De divinis nominibus liest man: … unter den verschiedenartigen Teilnahmen an ihm wird das Sein vorgezogen, weiter ist das Sein an sich ehrwürdiger als das Sein des Lebens an sich, das Sein der Weisheit an sich und das Sein der erhabenen Ähnlichkeit an sich, und so hat alles Weitere, an dem das Seiende Anteil hat, vor all diesem Anteil am Sein … .141
Dies impliziert auch die Ansicht, dass die Hierarchie der Prädikate, die in dieser Welt gültig ist, auch auf die göttliche Sphäre anwendbar sei. Dadurch, dass Dionysius die Prädikate ‚Sein‘, ‚Leben‘ und ‚Weisheit‘ als identisch mit dem Einen betrachtet, verändert er das proclische Konzept der Einheit tiefgreifend. Das Eine 140. Vgl. Proclus, Kommentar zu Platons Parmenides 141 E-142 A, eingel., übers. und erläut. von R. Bartholomai, Sankt Augustin 1990, S. 68: „Et enim le ens aliquid omne quodcumque uni apponas, aliud aliquid est praeter unum; le unum igitur aliud aliquid assumens, praeter quod est, fit aliquid unum pro simpliciter uno, …“. 141. Pseudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus V 3.4.5, 820 A, in: Corpus Dionysiacum I, S. 183, 18–21: „καὶ πρὸ τῶν ἄλλων αὐτοῦ μετοχῶν τὸ εἶναι προβέβληται, καὶ ἔστιν αὐτὸ καθ᾽ αὑτὸ τὸ εἶναι πρεσβύτερον τοὖ αὐτοζωὴν εἶναι καὶ αὐτοσοφίαν εἶναι καὶ αὐτοομοιότητα θείαν εἶναι, καὶ τὰ ἄλλα, ὅσων τὰ ὄντα μετέχοντα, πρὸ πάντων αὐτῶν τοῦ εἶναι μετέχει, … .“ Vgl. Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes, eingel., übers. und mit Anmerkungen vers. von B. R. Suchla, Stuttgart 1988, S. 70.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
wird nicht mehr ausschließlich als relationslose Transzendenz gedacht. Dionysius charakterisiert Gott als „geeint in der Geschiedenheit und in der Einung geschieden“.142 Eckhart übernimmt diesen henologischen Diskurs, entwickelt ihn aber zu einÂ� em ontologischen Schema, indem er das Eine nicht nur zu einem bloßen Namen Gottes (unum ist der Name Gottes, weil Gott gemäß dem Ausdruck „Ego sum qui sum“ derjenige ist, der da ist und einer ist: ‚unus est‘), sondern zu einem Modus des göttlichen Seins erklärt: Unum ist das einige Eine „ohne Weise und ohne EigenÂ�schaft“.143 Auf der ontologischen Ebene heißt das für Eckhart: Das einige Eine als Gott ist weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist. Es hat keine Bestimmung und ist doch ein Etwas. Gott als ein Etwas meint, dass er völlig aus sich selbst als aus bestimmten Modi des göttlichen Seins (Vater, Sohn, Heiliger Geist) herausgegangen ist. Was nach diesem Aus-sich-selbst-Herausgehen vom trinitarischen Gott bleibt, ist das einfache Eine (simplex unum). Es ist unbestimmt und einfach im Vergleich zu dem vorigen Seinsmodus (Triplizität), aber es ist trotzdem wesentlich durch sein Einfach- und Eins-Sein bestimmt. Das Eins-Sein oder die Einheit besagt die Ungeteiltheit des Seins in sich. Das Sein und das Eine sind darum sachlich identisch, sind miteinander vertauschbar, sie werden nur begrifflich verschieden erfasst. Das Eine unterscheidet sich vom Seienden als Seienden darin, dass es ihm die negatio negationis hinzufügt, damit aber eine Bedeutung des Seienden aufdeckt, die in ihm, sofern es nur als Seiendes gedacht wird, verborgen bleibt. R.€Manstetten drückt diesen Gedanken mit der Formulierung aus, dass die selbstreflexive Struktur der negatio negationis die Begründung des Einen ermöglicht.144 Für die Aussagen über Gott gelten in Meister Eckharts Metaphysik folgende zwei Kriterien, die sich auf die henologische Auffassung von Proclus zurückführen lassen: Die Gott betreffenden Aussagen sollen die Reinheit (puritas) und die Fülle (plenitudo) des göttlichen Seins ausdrücken, also nur das plenum et purum esse
142. Pseudo-Dionysius Areopagita, Die Namen Gottes 641 B, eingel., übers. und mit Anmerkungen vers. von B. R. Suchla, S. 32. Vgl. auch Pesudo-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus II 3. 4, 641 B, in: Corpus Dionysiacum I, S. 127, 7. 143. Vgl. Pr. 2, DW I, S. 43, 3–6: „Got selber luoget dâ niemer în einen ougenblik und gelougete noch nie dar în, als verre als er sich habende ist nâch wîse und ûf eigenschaft sîner persônen. Diz ist guot ze merkenne, wan diz einic ein ist sunder wîse und sunder eigenschaft.“ 144. Vgl. R. Manstetten, Esse est Deus. Meister Eckharts christologische Versöhnung von Philosophie und Religion und ihre Ursprünge in der Tradition des Abendlandes, München 1993, S.€226.
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wiedergeben.145 Negatio negationis als Aussage über Gott soll auch den Ansprüchen der beiden Kriterien entsprechen. Die Aussagen über Gott implizieren einen Attributionsakt, in dem Gott etwas zugeschrieben wird. Etymologisch bedeutet attributum das Zuerteilte. Es handelt sich um ein Prädikat, das eine wesentliche, bleibende, notwendige, ursprüngliche, konstitutive Eigenschaft eines Seienden, ein Grundmerkmal, meint. In den Analytica posteriora unterscheidet Aristoteles die „zufälligen“, akzidentellen Eigenschaften eines Dinges von den wesentlichen, notwendigen Eigenschaften, die von ihm nicht abgetrennt gedacht werden können: τὰ ἐν τῇ ὀυσίᾳ ὄντα – τὰ συμβεβηκότα.146 Im engeren Sinne gehören zu den Attributen die Vollkommenheiten, welche von der logisch früheren Wesenheit abgeleitet werden und ihre nähere Bestimmung bilden. Daher ist die Frage nach dem Gebrauch des Attributes mit der Frage nach den Universalien oder termini generales verbunden. Attribution als ein logischer Akt lässt sich als Zuteilung des Prädikats zum Subjekt definieren. V. Lossky unterscheidet zwischen zwei Arten der durch die AttriÂ�bution ausgesagten Identitäten bei Eckhart: zwischen der identité exclusive, der gemäß die puritas des vollkommenen Seins unter Ausschluss des Unvollkommenen affirmiert werde, und der identité inclusive, die die plenitudo des Seins affirmiert, worin jedes Sein eingeschlossen wird.147 W. Goris ergänzt diese von Lossky eingeführte Unterscheidung zwischen der inklusiven und exklusiven Identität um jene Attribute in den Sätzen Eckharts, die die Vollkommenheiten Gottes ausdrücken und die inklusiven und exklusiven Vollkommenheiten bilden: Die exklusiven und inklusiven Identitäten bilden die Struktur des Einheitsbegriffes, die der Spannung zwischen der inklusiven und der exklusiven Vollkommenheit Gottes zugrunde liegt. Dabei bemerkt er, dass das wichtigste Merkmal der Transzendentalien „ihre exklusive Attribution an Gott“ sei.148 Nun setzt aber der Attributionsakt ein gewisses kategoriales Denken voraus, da ‚Attribution‘ bedeutet, dass ein 145. In Exod. n. 74, LW II, 77, 1f.: „Ait autem: ‚sum qui sum‘, tum quia ipse est plenitudo esse et plenum esse, tum quia ipse nihil est aliud nisi purum esse.“ Vgl. auch In Exod. n. 16, LW II, 21, 7f.: „notandum quod repetitio, quod bis ait: sum qui sum, puritatem affirmationis excluso omni negativo ab ipso deo indicat.“ Auch In Exod. n. 17, LW II 23. 7f.: „Sic li sum qui sum impermixtionem esse et eius plenitudinem indicat.“ 146. Aristoteles, Anal. post. I. 22, 83 b 19, in: Aristotelis Opera, vol. I, ed. O. Gigon, Berlin 1960; vgl. auch Metaph. V 30, 1025 a 30, in: Aristotelis Opera, vol. I, ed. O. Gigon, Berlin 1960. 147. Vgl. V. Lossky, Théologie négative et connaissance de dieu chez Maître Eckhart, Paris 1960, S. 68. 148. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 75: „Das wichtigste Merkmal der Transzendentalien in der Doktrin Eckharts, so wie diese im Prologus in Opus propositionum, aber auch anderswo in den lateinischen Werken explizit gemacht wurde, ist ihre exklusive Attribution an Gott.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
als Prädikatsnomen auftretendes Wort einem durch das Satzsubjekt bezeichneten Gegenstand attribuiert wird. Dagegen ist die negative Theologie überall da zu finden, wo die Kategorien des endlichen Denkens als nicht auf Gott zutreffend erachtet werden.149 Goris’ These, dass Transzendentalien eine exklusive Attribution an Gott ausdrücken, setzt das Vorhandensein kategorialen Denkens voraus, denn obwohl die termini generales selbst keine Kategorientafel darstellen, muss sich das Denken im Rahmen der Kategorien bewegen, um etwas einem Etwas exklusiv, d.€h. unter Ausschluß alles anderen, zu attribuieren. Andererseits schreibt Goris, es scheine ihm fragwürdig: … ob die Prädikationslehre aus sich allein der Eckhart’schen Metaphysik ein Fundament zu geben vermag – dennoch wird diese Sicht, wenn wir die Prädikationslehre nicht vom Unterschied zwischen simpliciter und hoc et hoc, den sie erläutern soll, abheben, dem Eckhart’schen Selbstverständnis gerecht.150
Er bestreitet also nicht die fundamentale Bedeutung der Prädikationslehre für die Eckhart’sche Metaphysik, aber nur unter der Bedingung, dass der Unterschied zwischen esse simpliciter und esse hoc et hoc beibehalten wird. Dieser Unterschied steht für Eckhart fest. Seine Metaphysik ist ja auf der Differenz zwischen dem SeienÂ�den schlechthin (ens simpliciter) und dem konkreten Seienden (ens hoc et hoc) gegründet. Diese Differenz macht auch den Ausgangspunkt seines philosophisch-theologischen Denkens aus. Sie ist selbst von Eckhart exemplarisch mit den Worten – „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc“ – ausgedrückt, in denen das Anders-urteilen-über-das-Seiende-als-Solches schon die andere Art der Existenz dieses Seienden voraussetzt.151 Wenn aber der PrädikaÂ� tionslehre, die ein Denken vermittels der Kategorien voraussetzt, eine derart große Rolle im Denken Eckharts eingeräumt werden muss, dann erscheinen Interpretationen, die bei ihm eine negative Theologie à la Pseudo-Dionysius entdecken wollen, zumindest fragwürdig, liegt doch im Primat des kategorialen Denkens bei Eckhart der wesentliche Unterschied zur negativen Theologie des Pseudo-Dionysius. Daher widerspricht die These von Goris, Eckharts Prädikationslehre gebe den Grund seiner Metaphysik, seinem eigenen Argumentationsgang, der darauf 149. Dieser Gedanke ist explizit thematisiert von H. Fischer, Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken, Freiburg/München 1974, S. 26: „Negative Theologie muss da getrieben werden, wo immer die Kategorien endlichen Denkens nicht auf Gott zutreffen; allerdings würde man vergebens eine solche im Sinne der einseitigen Interpretation des PseudoDionysius Areopagita bei Eckhart suchen.“ 150. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 68. 151. Über den Unterschied zwischen esse simpliciter und esse hoc et hoc siehe K. Albert, Meister Eckharts These vom Sein.
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zielt, bei Eckhart die fundamentale Unzulänglichkeit der Gotteserkenntnis anzunehmen. Prädikation ist ja eine Art der Erkenntnis.152 Gemäß Goris kommt diese Struktur des Einheitsbegriffes, die durch die exkluÂ� siven und inklusiven Identitäten gebildet wird und der Spannung zwischen der inklusiven und exklusiven Vollkommenheit Gottes zugrunde liegt, in der Gottesnamenproblematik zum Ausdruck. Negatio negationis zeige die einzige Negation, die Gott aufgrund der plenitudo zukomme, und die einzige Affirmation, die Gott aufgrund der puritas beigemessen werde.153 Hierzu ist anzumerken, dass negatio negationis an sich keine Negation im strengen Sinne ist. Sie ist Negation nur dem Wortlaut nach, während sie inhaltlich eine Bejahung darstellt. Daher gibt dieser Ausdruck in dem Satz „unum est negatio negationis“ das göttliche Wesen als höchste Affirmation wieder. Deswegen kann negatio negationis nicht als eine Negation charakterisiert werden, die Gott aufgrund der plenitudo zukommt.154 Bedenkt man dies, dann bleibt festzuhalten, dass der logische Hintergrund der Struktur des Einheitsbegriffes in der Interpretation von Goris nicht genügend Beachtung gefunden hat. Aufgrund des oben dargestellten Attributionsverständnisses fasst Goris die Struktur von Inklusivität und Exklusivität in der negatio negationis folgendermaßen auf: „Gott schließt als das eine Sein jede Negation und alles Kreatürliche aus und aufgrund dessen alles ein.“155 Das Einschließen und Ausschließen werde zur Voraussetzung dafür, dass das Sein und die Einheit in der negatio negationis die Spannung zwischen der Inklusivität und der Exklusivität der göttlichen Vollkommenheit darstellen, und dies sei die Bedeutung der negatio negationis als „Operator“ der Gottesattribution.156 152. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 363: „Dadurch, daß Eckhart die Gotteserkenntnis in Gestalt einer Gnade denkt, zu der kein natürlicher Weg hinführt, bestätigt er die menschliche Hoffnung auf eine Vereinigung mit dem Göttlichen, ohne einen qualitativen Bruch zwischen der Gotteserkenntnis diesseits und im Jenseits einzuführen, bestätigt aber zugleich die fundamentale Unzulänglichkeit der natürlichen Vermögen des Menschen, zu einer solchen Gotteserkenntnis zu gelangen.“ 153. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 182. 154. Vgl. In Eccli., LW II, S. 292,9–293,2: „Sicut, verbi gratia, unum transcendens in voce quidem negatio est, sed in significato, cum sit negatio negationis, est mera affirmatio.“ Übers.: „So ist zum Beispiel das transzendentale Eine dem Wort nach eine Verneinung, seinem Bedeutungsgehalt nach aber ist es als Verneinung der Verneinung reine Bejahung.“ 155. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 189. 156. Pointiert wird diese Auffassung von W. Goris vertreten. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 189. Diese Charakterisierung der negatio negationis wurde von W. Goris in die Eckhartforschung eingeführt.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Neben der von Lossky eingeführten inklusiven und exklusiven Identität entstehen in der von Goris vorgeschlagenen Interpretation die sich gegenseitig ausschließenden Begriffspaare inklusive und exklusive Vollkommenheit, inklusive und exklusive Attribution. Wie lässt sich eine solche Opposition verstehen? In formeller Hinsicht kann ein Satz ein exklusives Urteil sein, wenn er einem Subjekt unter Ausschluss aller anderen Subjekte ein Prädikat zuschreibt bzw. wenn er die folgende Struktur aufweist: Nur S ist P. Daher kann man die exklusive Vollkommenheit Gottes als eine solche verstehen, die nur Gott zukommt und in dem Satz ausgedrückt wird: Nur Gott ist vollkommen. Inklusion kann zwischen 2 Klassen K und L bestehen, wenn K ein Teil von L ist, d.€h., wenn alle Elemente von K auch Elemente von L sind. Die inklusive Vollkommenheit Gottes kann als eine solche gedacht werden, die bereits im BegÂ� riff Gottes mitgedacht ist. Nach Aristoteles besagt der Satz „A sei in B (ganz) enthalten“ dasselbe wie „B wird von allen A ausgesagt,“157 wobei zu beachten ist, dass bei Aristoteles zwischen dem Inhalt und dem Umfang der Begriffe nicht unterschieden wird. Wenn also von den exklusiven Vollkommenheiten die Rede ist, wird ‚Vollkommenheit‘ als ein Prädikat bzw. ein Attribut in einer propositio exclusiva verstanden. Die inklusive Vollkommenheit kann aber nur meinen, dass der mit dem Prädikat bzw. Attribut ausgedrückte Begriffsinhalt völlig im Begriff des Subjekts enthalten ist. Bei der Gottesattribution soll für Eckhart die Fülle (plenitudo) und die Reinheit (puritas) des göttlichen Seins ausgedrückt werden. Diese zwei Kriterien der Gott betreffenden Aussagen Eckharts setzt W. Goris in Beziehung zur apophatischen und kataphatischen Theologie des Dionysius, wenn er schreibt: Ausgehend von der puritas oder vom Reinheitskriterium gilt es, daß die negativen Aussagen wahrer sind als die positiven Aussagen, denn nur die negativen Aussagen bestätigen, daß Gott nichts Geschaffenes zukommt. Ausgehend von der plenitudo oder vom Kriterium der Fülle gilt es dagegen, daß keine negative Aussage wahr ist, denn Gott kann nichts abgestritten werden.158
Gemäß Goris bringt die negatio negationis die puritas und plenitudo Gottes zusammen: Sie drückt aus, dass Gott nichts Geschaffenes zukommt und dass ihm 157. Vgl. Aristoteles, Anal. pr. I, 2, 24 b 25, in: Aristotelis Opera, vol. I, ed. O. Gigon, Berlin 1960; vgl. auch Boethius, Interpretat. pr. anal. Arist., 640 a, in: Aristoteles Latinus III 1–4, Analytica priora. Translatio Boethii (recensiones duae), Translatio anonyma, Pseudo-Philoponi aliorumque Schola, ed. L. Minio-Paluello, Bragues-Paris 1962, S. 5–191. 158. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 181.
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64 Sprache und Metaphysik
nichts abgestritten werden kann.159 Indem negatio negationis die einzige Negation zeige, die Gott aufgrund der plenitudo zukomme, und die einzige Affirmation, die Gott aufgrund der puritas zukomme, werde sie ein Teil der Möglichkeit, Gott zu erkennen. Diese Erkenntnismöglichkeit kommt nach Goris durch die via negativa und die via eminentiae zustande. Via eminentiae meint, dass Gott mit „Namen“ bezeichnet wird, die ihm als solche formell zukommen, allerdings nicht auf die begrenzte Weise des Geschöpflichen. Daher bedarf die via eminentiae auch der via negativa, um die in den Grenzen unserer Geschöpflichkeit gebildete Prädikation zu verneinen. Diese Rechtfertigung der bildhaft-anthropomorphen Redeweise erklärt, inwiefern die bloße Verhältnisähnlichkeit und die Seinsanalogie zwischen Gott und dem „Namen“ vorliegt. Die Annahme – das Reinheitskriterium meine für Eckhart, dass die negativen Aussagen wahrer sind als die positiven, denn die negativen Aussagen besagen, dass Gott nichts zukomme – erfolgt aus der Perspektive der pseudo-dionysischen negativen Theologie; das Kriterium der Fülle (plenitudo) meint, dass keine negative Aussage wahr ist, denn Gott kann nichts abgestritten werden. Eckhart formuliert diesen Gedanken wie folgt: „Der Gedanke also, etwas Positives werde von Gott angenommen oder in ihm erfasst, ist nicht wahr, sondern nichtig und unzutreffend. Soviel von den Namen, in denen etwas von Gott bejaht wird.“160 In seiner Auslegung von Exodus 15â•›:â•›3 („omnipotens nomen eius“) geht Eckhart auch auf die Problematik der Gottesnamen (Exod. n. 34–78) ein. Er verweist auf seine nicht überlieferten Auslegungen von Gen. 13â•›:â•›4 („invocabit ibi nomen dei“), Zach. 6â•›:â•›12 („oriens nomen eius“) und Phil. 2â•›:â•›9 („donavit illi nomen quod est super omne nomen“), wo er diese Problematik ebenfalls dargestellt haben dürfte. Als Grund für ihre Behandlung im Kontext der Auslegung von Exod. 15â•›:â•›3 gibt er an, dass Thomas von Aquin sie in demselben Zusammenhang behandelt habe.161 Eckhart
159. Vgl. dazu W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 182. 160. In Exod. n. 177, LW II, S. 152,8–153,2: „Nihil ergo positivum receptum de deo vel in deo apprehensum verum est, sed vanum et incongruum. Haec de nominibus affirmative dictis de deo.“ 161. In Exod. n. 34, LW II, S. 40, 3–8: „Licet autem de nominibus dei notaverim in diversis locis, prius super Gen. c. 13, secundo super illo: ‚oriens nomen eius‘, Zach. Et Phil. 2 super illo: ‚donavit illi nomen quod est super omne nomen‘, quia tamen Thomas p. I q. 13 materiam de nominibus dei, utrum deus sit nominabilis, fundat super isto verbo: omnipotens nomen eius, placet hic notare ad praesens quattuor.“ Übers: „Ich habe zwar über die Namen Gottes schon an verschiedenen Stellen gehandelt, zuerst zu Genesis Kapitel 13, zweitens zu dem Wort: ‚Aufgang ist sein Name‘ (Zach. 6, 12) und zu dem anderen: ‚er hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist‘ (Phil. 2,9); weil jedoch Thomas (in der Summe der Theologie) Teil I Frage 13 die
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
gliedert seine Darlegung in vier Punkte: Zuerst behandelt er die Meinung gewisser Philosophen (philosophi quidam, d.€h. Liber de causis, Avicenna) sowie die des Maimonides (quidam Hebraeorum) über die Prädikate, die Gott attribuiert werden, wobei er den Leser auf seine Auslegung von Exod. 20â•›:â•›7 verweist; zweitens beabsichtigt er, die Meinung der „katholischen Ausleger“ über diese Fragen anzuführen; drittens möchte er die von Boethius pointierte Diskussion bezüglich der Attribution der Substanz und der Relation als genera praedicamenti auf Gott berücksichtigen; viertens wird er den „Gott allereigensten und ihm besonders vorbehaltenen Namen“, nämlich den des Tetragrammaton, betrachten.162 Eckhart stützt seine Argumentation auf die Auffassung von Avicenna und Maimonides. Bei Avicenna findet er die Lösung der Gottesattribution im letzten Kapitel des 8. Buches der Metaphysik: „Das erste, was man Gott als ihm eigentümlich zuschreibt, ist dies, daß er ist, das heißt das Sein.“ „Bei dem übrigen handelt es sich“ entweder um „das Sein mit einer Beziehung“ (esse cum relatione) oder um „das Sein mit einer Verneinung (esse cum negatione).“163 Diese Auffassung von Avicenna versteht Eckhart folgendermaßen: Sagt man zum Beispiel, Gott sei Substanz, so wird damit verneint, dass er „esse in subiecto“ hat; sagt man, Gott sei einer, so bedeutet das, dass man jede Teilbarkeit von ihm verneint; sagt man, Gott sei der Erste, so bedeutet das in ihm nur die Beziehung seines Seins zu jedem oder zu allem (Seienden) usw. Im Exoduskommentar folgt der Auffassung von Avicenna die von Maimonides, dass eine verneinende Aussage über den Schöpfer wahr sei, weil sie nichts Zweifelhaftes enthalte, eine bejahende Aussage über den Schöpfer dagegen nur
Ausführung über die Namen Gottes, ob Gott benennbar sei, auf dieses Wort: Allmächtiger ist sein Name gründet, möchte ich hier nun viererlei dazu bemerken.“ 162. In. Exod. n. 34, LW II, S. 40, 8–13: „Primo quid philosophi quidam de hoc senserint et quidam Hebraeorum de his attributionibus, quibus deus nominatur, puta cum dicitur deus subÂ� stantia, deus bonus, pius, largus et huiusmodi. De quibus etiam diffuse invenies hic notatum post super illo: ‚non assumes nomen dei in vanum‘, capitulo vicesimo. Secundo sumendum breviter quid sentiendum sit de talibus praedicationibus sive nominibus secundum catholicos tractatores. Tertio quid est quod secundum Boethium et doctores communiter tantum duo genera praedicamenti, puta substantia et relatio, admittuntur in divinis? Quarto vero de nomine magis proprio deo et specialiter separato, quod est tetragrammaton, dicetur infra vicesimo capitulo super illo: ‚non assumes nomen dei tui in vanum‘, capitulo vicesimo.“ 163. In. Exod. n. 36, LW II, S. 42, 6–11: „Secundo accipiatur verbum Avicennae VIII Metaphysicae capitulo ultimo, ubi dicit: ‚quod prima proprietas de deo est quia est‘, id est esse. In ‚aliis autem proprietatibus‘ in quibusdam est ‚esse cum relatione‘, in quibusdam vero est ‚esse cum negatione‘, cuius ratio est, ut dicit, quia ‚nulla harum duarum proprietatum facit in dei essentia debere esse multitudinem ullo modo nec variationem‘.“
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66 Sprache und Metaphysik
Namensgleichheit enthalte oder unvollkommen bleibe.164 Eckhart führt jene fünf Arten einer näheren Bestimmung oder Benennung von etwas auf, die sich bei Maimonides finden, und schließt, Gott könne nur eine solche Weise der näheren Bestimmung zukommen, bei der ein Ding nach seiner Beziehung zu einem anderen benannt werde, denn die letztere bedinge weder Vielheit noch Veränderung irgendwelcher Art in dem Ding, das nach der Beziehung benannt werde.165 Maimonides bestreite jedoch, dass eine solche Redeweise auf Gott zutreffe, weil jede Beziehung eine gewisse Ähnlichkeit besage, Gott aber nichts ähnlich sei und nichts ihm ähnlich heißen könne. Nur die fünfte Art der Redeweise, nach der ein Wesen nach dem von ihm vollbrachten Werk benannt wird, scheine auf Gott zuzutreffen. Denn sie bezeichne durchaus weder die Vielheit noch eine Veränderung in dem, was nach ihr benannt werde, noch drücke sie einen Zusatz zur wirkenden Substanz aus, denn derartige Werke blieben der Substanz des Benannten fern.166 Eckhart fasst die Auffassung von Maimonides auf folgende Weise zusammen: Haec igitur sunt quae tradit Rabbi Moyses de nominibus sive attributionibus affirmative positis divinis. Vult enim quod omnia, quae dicuntur positive de deo, improprie dicuntur, cum nihil ponant in deo. Nihil autem ponere in aliquo et tamen dici positive de illo utique incompactum est, improprium et dissonum veritati. Unde omnia positive dicta de deo, quamvis sint perfectiones in nobis, in deo tamen non plus sunt nec perfectiores sunt quam horum opposita.167
164. In. Exod. n. 37, LW II, S. 43, 6–9: „Tertio accipiatur sententia Rabbi Moyses, qui I c. 57 sic ait: ‚scias quod enuntiatio de creatore per verba negativa est vera, in qua non cadit dubitatio nec est in ea diminutio in veritate creatoris ullo modo. Sed enuntiatio de ipso per verba affirmativa partim est in aequivocatione‘.“ 165. In Exod. n. 38, LW II, S. 44, 8–11: „… modus, quo denominatur aliquid ex comparatione ad alterum, videtur quod deo conveniat, quia iste modus nec multitudinem nec variationem inducit aliquam in re, quae denominatur ex comparatione.“ 166. In Exod, n. 41, LW II, S. 46, 5–9: „Quintus autem modus, quo res denominatur ab opere operato, videtur deo solus competere inter alios modos praedictos. Nullam enim prorsus nominat multitudinem nec variationem in eo, quod secundum istum modum denominatur, nec dicit aliquid additum substantiae operantis. Sunt enim huiusmodi remota a substantia nominati.“ 167. In Exod. n. 44, LW II, S. 48, 7–13: „Dies also überliefert Maimonides über die Namen Gottes oder das, was man ihm im bejahenden Sinn zuschreibt. Er meint, nämlich, daß alle positiven Aussagen über Gott nur im uneigentlichen Sinne gelten, da sie nichts Positives in Gott bezeichnen. Über ein Ding positive Aussagen machen, die nichts Positives in ihm bezeichnen, ist jedoch durchaus unpassend, uneigentlich und mit der Wahrheit unvereinbar. Die Eigenschaften also, die man von Gott positiv aussagt, sind zwar bei uns Vollkommenheiten, in Gott aber sind sie es nicht mehr als ihr Gegenteil.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Im Zusammenhang mit der negativen Theologie nennt Eckhart als Autoritäten vor allem Maimonides und Pseudo-Dionysius. Die ‚Wurzel dieser Lehre‘, die durch die via negativa expliziert wird, hebt er im weiteren Verlauf der Schrift hervor: Maimonides führe die erwähnte Lehre im Buch 1 Kapitel 50 an und meine, dass es irgendwelche Eigenschaften, die (zum Wesen) hinzukämen, in Gott nicht gebe und nicht geben könne: „… in deo nulla prorsus est nec potest esse additio dispositionum quarumlibet universaliter.“168 Nun besagen (praedicant aut implicant) alle bejahenden Bestimmungen (nomina affirmativa) eine Hinzufügung zum Wesen Gottes, denn das ist der Sinn der Bejahung. Also lässt sich von Gott nichts im eigentlichen oder zutreffenden Sinn bejahen.169 Im Anschluss an Maimonides nennt Eckhart folgende Charakteristika einer so verstandenen Attribution von Eigenschaften: (1) Jede Eigenschaft ist ein Zusatz zu der Substanz, mit der sie verbunden wird; (2) jede Eigenschaft ist etwas außer der Substanz des Dinges, dem sie beigelegt wird; (3) jede Eigenschaft ist etwas Akzidentelles oder stammt aus der Gattung des Akzidentellen und verrät die Natur des Akzidens.170 Das Attribut oder Prädikat kann also einer Substanz oder einem Subjekt nur etwas hinzufügen, was akzidentell ist, weil jede Eigenschaft die Natur des Akzidentellen wiedergibt. Diese drei Charakteristika bilden die Axiome der Gottesprädikation und liegen der Problematik der Gottesnamen zugrunde, die Eckhart kurz und bündig folgendermaßen ausdrückt: Gott kann weder Eigenschaft noch Zusatz, noch Zahl irgendwie zukommen.171 Maimonides’ ganze Lehre wird von ihm im Exoduskommentar so zusammengefasst, dass: … alle Bejahungen oder alle positiven Attribute Gott in keiner Weise zukommen und daß es bei ihm keinerlei wesentliche oder zufallende Bestimmungen gibt, sosehr solche auch bei uns Vollkommenheiten sein mögen, wie Macht, Weisheit, Leben und dergleichen.172
168. In Exod. n. 47, LW II, S. 51, 11f.: „… irgendwelche Eigenschaften, die (zum Wesen) hinzukämen, gibt es in Gott nicht und kann es nicht geben.“ 169. Ibid. 170. Vgl. In Exod. n. 48, LW II, S. 51, 17–52, 7: „… omnis dispositio est res adiuncta substantiae, cui adiungitur … omnis dispositio est praeter substantiam illius, cui attribuitur. … omnis dispositio est accidens vel manat de genere accidentis et accidentis sapit naturam.“ 171. In Exod. n. 51, LW II, S. 54, 1f.: „… impossibile est in deo cadere quamcumque dispositionem sive quid additum aut numerum quomodolibet.“ 172. In Exod. n. 53, LW II, S. 57, 1–5: „… affirmationes omnes sive nomina positiva nullo modo deo competere, nec in ipso esse aliquam dispositionum universaliter sive substantialium sive
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68 Sprache und Metaphysik
An dieser Textstelle, an der Eckhart die Gottesnamenproblematik bei Maimonides behandelt, lässt sich auch die folgende Struktur der Prädikation im Rahmen der negativen Theologie aufweisen: (1) Das Prädikat stellt nur die Hinzufügung eines Etwas zum Subjekt dar. Daher müssen alle Prädikate in Bezug auf Gott verneint werden, weil Gott nichts hinzugefügt werden kann; (2) durch das Prädikat, das dem Subjekt etwas „hinzufügt“, wird der Begriffsinhalt des Subjekts erweitert. Da jedoch der Begriff ‚Gott‘ die höchste Vollkommenheit ausdrückt, umfasst er alle Vollkommenheiten, so dass ihm nichts mehr hinzugefügt werden kann; (3) da das Prädikat explizit als die Hinzufügung von etwas zum Subjekt verstanden wird, wird ein definitorisches Urteil als synthetischer Satz aufgefasst, in dem sowohl das Subjekt als auch das Prädikat extensional aufeinander bezogen sind, was eine beharrende Identität zwischen beiden, d.€h. eine Prädizierung gemäß der inhaerentia-Theorie, ausschließt; (4) das Prädikat drückt nur das Hinzufügen (additio) aus. Daher bildet die Prädikation keine Ausfaltung des Begriffsinhaltes des Subjekts. Weil Gott die Fülle des Seins darstellt, kann ihm nichts hinzugefügt werden. Die negativen Attribute oder nomina können Gott nur in der Weise beigeÂ� legt werden, „wie man von einem Ding etwas verneint, was ihm nicht zugehören kann.“173 In Exod. n. 35 greift Eckhart statt auf Maimonides schon auf den Liber de causis zurück und erklärt „nomen super omne nomen“ für einen Namen, mit dem Gott benannt werden kann: Notandum autem quod in De causis dicitur deus non innarrabilis, sed ‚superior narratione‘, secundum illud Psalmi: ‚magnificasti super omne nomen sanctum tuum‘, et Phil. 2: ‚donavit illi nomen quod est super omne nomen‘. Superius enim non est privatum perfectionibus inferiorum, sed omnes praehabet excellentius. ‚Nomen‘ ergo, ‚quod est super omne nomen‘, non est innominabile, sed omninominabile.174
accidentialium, quantumcumque in nobis sint perfectiones, puta potentia, sapientia, vita et huiusmodi.“ 173. Vgl. In Exod. n. 182, LW II, S. 156, 3–5: „… ‚nomina negativa‘ non ‚attribuuntur‘ creatori nisi secundum modum quo removetur aliquid ab alio, quod non est aptum, ut inveniatur in ipso.“ 174. In Exod. n. 35, LW II, S. 41,10–42,1: „Es ist aber zu beachten, daß im Buch Von den Ursachen Gott nicht unbeschreiblich genannt wird, sondern ‚über alle Beschreibung erhaben‘, gemäß den Worten: ‚du hast deinen heiligen Namen über alles herrlich gemacht‘ (Ps. 137,2) und: ‚er hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist‘ (Phil. 2,9). Dem Oberen fehlen nämlich die Vollkommenheiten des Niederen nicht, sondern es hat sie alle in vorzüglicherer Weise voraus. ‚Der Name‘ also, ‚der über alle Namen ist‘, ist nicht unnennbar, sondern auf jede Weise nennbar.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
In dieser Passage wird gegen die via negativa eingewandt, dass Gott eigentlich gar nicht unnennbar, sondern auf alle Weise nennbar sei. Das „nomen super omne nomen“ schließt alle Vollkommenheiten ein und ist infolgedessen omninominabile. „Nomen super omne nomen“ ist immer noch ein Name und bedeutet keinen Verzicht auf Begrifflichkeit, wenn er als ein allumfassender und allgemeinster Name gedacht wird. Mithin begegnen im Exoduskommentar zwei Auffassungen: Nach der ersten sind die Namen, die etwas bejahen, für die Bennennung Gottes nichtig und unzutreffend, nach der zweiten ist der bejahende, allumfassende Name „nomen super omne nomen“ dem Göttlichen zu eigen. Kommt in diesem Namen die dionysische via eminentia zum Ausdruck, die im Zusammenhang mit der Apophatik zu denken ist, oder bietet Eckhart hinsichtlich der Gottesattribution eine definitiv neue Lösung? Die endgültige Antwort auf diese Frage ist wieder im Exoduskommentar zu finden.
3.5
Die Rehabilitierung der affirmativen Sätze
Den Gedanken der zwei Arten von Prädikation – „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc“175 – aus dem Prologus in Opus propositionum wiederholt Eckhart auch im Exoduskommentar. Er weist darauf hin, dass man über das Seiende oder die Dinge und ihr Sein anders sprechen und denken muss als über die Kategorien der Dinge und das, was man über sie aussagt: „… aliter loquendum est et sentiendum de entibus sive de rebus et ipsarum esse, aliter de praedicamentis rerum et ipsarum praedicatione.“176 Eckhart unterscheidet hier zwei Weisen des Denkens und seines Ausdrucks und daher zwei Weisen der Prädizierung: zum einen, wenn etwas über ein Seiendes oder ein Ding gedacht oder ausgesagt bzw. ein Seiendes oder ein Ding prädiziert wird; zum anderen, wenn die Prädizierung selbst die Prädikamente betrifft. Die von Aristoteles stammenden zehn Kategorien – Substanz (οὐσία), Quantität (ποσόν), Qualität (ποιόν), Relation (πρός τι), Ort (πού), Zeit (ποτέ), Lage 175. Prol. op. prop. n. 3, LW I, S. 166, 12f. 176. In Exod. n. 54 LW II, S. 58, 3f.: „… über das Seiende oder die Dinge und ihr Sein muß man anders sprechen und denken als über die Kategorien der Dinge und das, was man über sie aussagt.“ Denselben Gedanken wiederholt Eckhart in Exod. n. 63, LW II, S. 67, 6f.: „… aliter loquendum est et sentiendum de entibus sive rebus, aliter de praedicamentis.“ Übers.: „Man muß nämlich … von dem Seienden oder von den Dingen anders reden und denken als von den Kategorien“.
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70 Sprache und Metaphysik
(κεῖσθαι), Haben (ἔχειν), Tun (ποιεῖν), Erleiden (πάσχειν)177 – stellen die Aussageformen des Seins dar. Als Kategorien werden bei Aristoteles die voneinander abgrenzenden Aussageschemata bezeichnet. Die Analyse dieser Aussageschemata sollte die Mehrdeutigkeiten der philosophischen Argumentation und der Diskussionssprache, insbesondere bei der Verwendung des vieldeutigen ‚ist‘, vermeiden. Hierzu stellte Aristoteles die vierfachen Grundverhältnisse dar, die zwischen „von einem Subjekt (hypokeimenon) ausgesagt werden“ und „in einem Subjekt sein“ möglich sind, wodurch er die Relation zwischen dem Partikularen und Universalen, Akzidens und Substanz, klären wollte. Dies wurde von Boethius in die lateinische Tradition aufgenommen. Gemäß diesen Grundverhältnissen sind Substanz und das Universale das, was über das Subjekt ausgesagt wird und nicht in einem Subjekt ist (de subiecto dicitur et in subiecto non est); das Akzidens und das Partikulare sind das, was über das Subjekt nicht ausgesagt wird und im Subjekt ist (de subiecto non dicitur et in subiecto est).178 Boethius ist der Überzeugung, dass die Kategorien als die obersten genera sigÂ� nificationum zugleich die obersten genera rerum seien.179 Nicht nur die Zahl der Dinge ist unendlich, sondern auch die Zahl der Möglichkeiten, wie sie signifiziert werden können. Die Funktion der Kategorie besteht darin, den genauen Begriff zu finden, der als solcher bereits den Sinn vom Seienden verbürgt. Daher wird die Kategorie zu einer Bedingung der Möglichkeit dafür, dass etwas gewusst wird. Thomas von Aquin unternimmt eine systematische Ableitung der Kategorien. Da für Thomas die Ableitung der einzelnen Kategorie aus einem obersten, allgemeinen Begriff des Seienden, der als Gattung oberster Gattungen widersprüchlich wäre, sich als unmöglich darstellt, wählt er als Prinzip der Deduktion die praedicatio in den sie bestimmenden strukturellen Implikaten, die als aufeinander aufbauende Aussagemuster am Leitfaden des konstituierten wirklichen Dinges orientiert sind.180 Entsprechen die Seinsweisen den Aussageweisen, die modi essendi den modi praedicandi, so lässt sich gemäß dieser Parallelität von
177. Vgl. Aristoteles, Top. I 9, 103 b 20 ff.; Cat. 4, 1 b 25ff. 178. Vgl. Boethius, In Cat. Arist. Libri Quatuor, MPL (Migne Patrologia Latina) 64, 175. Vgl. auch H. M. Baumgartner/G. Gerhardt/K. Konhardt/G. Schönrich, Kategorie, Kategorienlehre in: J. Ritter/K. Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Sp. 721f. 179. Vgl. Boethius, In Cat. Arist. Libri Quatuor, MPL 64, 178. 180. Vgl. Thomas von Aquin, De veritate I, 1, hrsg. und übersetzt von A. Zimmermann, Hamburg 1986. Vgl. auch H. M. Baumgartner/G. Gerhardt/K. Konhardt/G. Schönrich, Kategorie, Kategorienlehre in: J. Ritter/K. Gründer, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Sp.€722f.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Denken und Sein Thomas zufolge die Zehnzahl der Kategorien aus den verschiedenen Arten der praedicatio rechtfertigen. Eckhart nimmt zunächst Abstand von dieser Gleichsetzung der obersten genera significationum mit den obersten genera rerum, der Aussageweisen mit den Seinsweisen: „Decem enim praedicamenta non sunt decem entia nec sunt decem res nec sunt decem prima entia nec decem primae res, sed sunt decem prima rerum sive entium genera.“181 Demnach sind die zehn Kategorien nicht die obersten zehn Seienden, sondern die obersten zehn Gattungen, die dazu bestimmt sind, die seienden Wesen oder Dinge einzuordnen. Diese Annahme Eckharts schließt den Gedanken der Identität von modi essendi und modi praedicandi aus. Wird eine Differenz zwischen beiden Modi behauptet, dann führt dies dazu, dass auch die Auffassung des Boethius, die genera rerum seien gleichsam auch genera significationum,182 in Frage gestellt wird: Wenn die obersten genera significationum auch die obersten 181. Vgl. In Exod. n. 54, LW II, S. 58, 6–8: „Die zehn Kategorien sind nicht zehn seiende Wesen oder Dinge, auch nicht die obersten zehn seienden Wesen oder Dinge, sondern die obersten zehn Gattungen der Dinge oder des Seienden.“ Über die Frage nach der Identität der Wirklichkeit der Sprache mit der Wirklichkeit des Dinges bemerkt M. P. Schirpenbach Folgendes: „Die Trennung zwischen der rein sprachlichen Bedeutung und der außersprachlichen Sache ist von der Eckhart’schen Konzeption her jedoch nicht möglich. Die Unterscheidung der Begriffe ‚ontische‘ und ‚ontologische Identität‘ mag an dieser Stelle weiterhelfen. Die Wirklichkeit der Sprache ist insofern mit der der Dinge nicht identisch, als letzte auch ohne erstere bestehen (sic!). Eine ontische Identität kann so nicht vorliegen. Demgegenüber jedoch kann im Blick auf Eckhart die Annahme, das konkrete Wort sei – im Hinblick auf die bezeichnete Sache – nur akzidentell, so nicht stehenbleiben.“ M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 60. Wie jedoch in dem oben angeführten Zitat Eckharts zu lesen ist, sind die die sprachliche Wirklichkeit darstellenden zehn Kategorien keine zehn Seienden schlechthin, d.€h. keine Wirklichkeit der Dinge. Daher scheint die Auffassung von Schirpenbach eher zur Ontologisierung der Fragestellung zu tendieren. Bemerkenswert ist auch die folgende Auffassung von S. Köbele: „Eckharts gedrängte Bestimmung auf mehreren Analyseebenen (semantisch, morphologisch, syntaktisch) bleibt nah an der Tradition. … Das 13. Jahrhundert vermischt Sprachtheorie, Logik und Ontologie. So schließt die Analyse der formalen Struktur sprachlicher Äußerungen immer eine Aussage über den ontologischen Status des Verweisungsobjekts ein. Die grammatische Kategorie gilt als Transformation einer Seinskategorie. Nach der gemeinsamen Anschauung der Grammatiker kennzeichnet das Adverb, insofern es kein selbständiges Prädikat, sondern ein von anderem abhängiger Modifikator ist, eine Hinweisfunktion.“ S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, in: Zeitschrift für deutsche Philologie, Bd. 113 (Sonderheft), (1994), S. 190–206, hier S. 202. Dieses allgemeine Urteil läßt aber den Eckhart’schen Satz „decem enim praedicamenta non sunt decem entia“ außer Acht, der erkennen lässt, dass Eckhart durch die Trennung der zehn Kategorien von den zehn obersten Seienden einen gewissen Abstand zu dieser Tradition bezieht. 182. Vgl. Boethius, In Cat. Arist. Libri Quatuor, MPL 64, 178.
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Sprache und Metaphysik
genera rerum wären, wäre in allen Aussagen, in denen die obersten zehn Kategorien vorkommen, das Seiende schlechthin durch Prädikamente signifiziert. Dadurch besäßen solche Aussagen auch ontologische Bedeutung. Eckhart betont aber: „Decem enim praedicamenta non sunt decem entia“. Aufgrund des 7. Buches der Metaphysik schließt er, dass die zehn obersten Kategorien keineswegs die obersten zehn Seienden schlechthin sind, sondern nur unum das Seiende ist, und zwar die Substanz. Die übrigen Gattungen seien eigentlich nur an einem Seienden und könnten als Seiendes nur in Analogie zu dem einen schlechthin Seienden, d.€h. der Substanz, betrachtet werden.183 Gemäß Eckhart sind letztendlich diese neun Kategorien nicht Seiendes schlechthin, sondern nur mittelbar Seiendes oder etwas am Seienden. Nach Eckhart liegt der Grund hierfür darin, dass die substantielle Form allÂ� ein Sein gibt. Die anderen Kategorien drücken kein Sein, sondern nur die SoÂ�Beschaffenheit des Seienden aus und können daher nicht den Status der Substanz besitzen. Das Seiende kann nur durch die Substanz, nämlich durch die substantielle Form, das Seiende schlechthin sein. Die Akzidentien können Substanz nur im analogen Sinne sein, wenn sie in Analogie zu dem, was ein Seiendes und Ding ist – zur Substanz –, betrachtet werden. Hier stellt sich die Frage, ob Eckhart, indem er den Status der Substanz nur dem Seienden zuspricht, die anderen obersten Gattungen als Akzidentien denkt, d.€h. als solche, die sich auf das Subjekt im analogen Sinne beziehen. Die Antwort auf diese Frage wird explizit im Exoduskommentar gegeben, wo die Art der Beziehung zwischen dem Subjekt und den obersten Gattungen wie folgt präzisiert wird: „Non autem sunt genera analogice, sed sunt genera univoce, alias non essent decem prima genera.“184 Die Benennung prima genera besagt, dass das Oberste weder an einem anderen hängt noch zu einem anderen in Analogie gesetzt wird.185 Daher kann den obersten Prädikamenten oder Gattungen der Status von Akzidentien nicht eingeräumt werden, weil Akzidentien stets an einem anderen angehängt und dadurch ihm untergeordnet sind. In dieser Hinsicht sind die obersten Gattungen „relationslos“. Doch obwohl die obersten zehn Gattungen sich auf das Subjekt univok beziehen und nicht in einer untergeordneten Beziehung zu ihm stehen, lässt sich an ihrem kategorialen Wesensgehalt ein akzidenteller und
183. Vgl. In Exod. n. 54, LW II, S. 58, 8–10: „Nequamquam prima decem entia, sed unum ens, substantia scilicet: reliqua vero non sunt entia, sed entis proprie … entia solum analogice ad unum ens absolute, quod est substantia.“ 184. In Exod. n. 54, LW II, S. 59, 10f.: „Gattungen aber sind die Kategorien nicht im analogen, sondern im gleichen (univoken) Sinn; sonst wären sie nicht die obersten zehn Gattungen.“ 185. Ibid.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
substantieller Wesensgehalt unterscheiden: Neun von ihnen stellen akzidentelle Kategorien dar.186 Aber dieser kategoriale Wesensgehalt gilt für Eckhart nicht als fixiert, sondern hängt vom Prädizieren und den Denotata des Subjekts ab, denn es gilt: „… aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc.“187 Die Frage nach dem akzidentellen Wesensgehalt wird im Zusammenhang mit einem Beweisgang angesprochen, in dem die Beziehung der Kategorie der Relation zum Seienden schlechthin oder Gott dargestellt wird. Hier ist auch zu betonen, dass in diesem Beweisgang Eckharts Ansätze zur Ontologisierung der Semantik zum Vorschein kommen. Der Gedankengang beginnt mit der Prämisse, dass die Relation sich nur auf sich selbst beziehen kann, weil sie nicht in einer untergeordneten, analogen Beziehung zu einem anderen steht. Die Relation setzt ihrer Gattung und ihrem Wesen nach durchaus nichts an ihrem Subjekt; sie besagt weder ein Sein schlechthin noch ein Sein an ihrem Träger, sondern ist ihrem Wesen nach von dem anderen her und zu dem anderen hin. Dieser Gedanke gilt als eine Voraussetzung für die Annahme Eckharts, dass „die Beziehung trotz des geringen Seinsgehaltes, den man ihr zuschreibt, ebenso eine oberste kategoriale Gattung (primum genus praeÂ� dicamenti) ist wie die Substanz.“188 Warum die Relation von den anderen Akzidentien als oberster Begriff abgehoben werden muss, erklärt Eckhart wiederum mit dem Diktum: „… aliter loquendum est et sentiendum de entibus sive rebus, aliter de praedicamentis.“189 Obwohl die Relation ein Akzidens ist, bezeichnet sie doch nicht nach Art eines Akzidens, weil sie nicht nach Art eines dem Subjekt oder der Substanz Anhaftenden bezeichnet. Die anhaftende Kraft vermag nur das zu haben, was auch einen Seinsgehalt besitzt. Die Relation aber ist ihrem Wesen nach nur von dem anderen her und zu dem anderen hin: „Relatio autem quamvis sit accidens, non tamen significat per modum accidentis, quia non (per) modum inhaerentis subiecto sive substantiae …â•›.“190 Dieser Gedanke bildet den Schlüssel zum Verständnis der Eckhart’schen ontologisierten Semantik. Für sie gilt, dass sogar die Akzidentien als prima genera auftreten können, bzw. der Modus der 186. Vgl. In Exod. n. 72, LW II, S. 74, 5–10. 187. Prol. Op. prop. n. 3, LW I, S. 166, 12f. 188. In Exod. n. 54, LW II, S. 59, 12f.: „Dico ergo, quod relatio, quamvis dicatur minime ens, tamen aeque primum genus praedicamenti sicut ipsa substantia.“ 189. In Exod. n. 63, LW II, S. 67, 6f.: „Man muss nämlich … von dem Seienden oder von den Dingen anders reden und denken als von den Kategorien.“ 190. In Exod. n. 63, LW II, S. 67, 9–11: „Obwohl nun die Beziehung ein Akzidens ist, bezeichnet sie doch nicht nach Art eines Akzidens, weil (sie) nicht nach Art eines dem Träger oder der Substanz Anhaftenden (bezeichnet)…â•›.“
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Akzidentien in Abhängigkeit davon, wie sie selbst signifizieren, verändert werden kann. Entscheidend für diese Umwandlung des Modus ist die Signifikation des Begriffs. Da die Beziehung an sich kein Sein aussagt, fügt sie ihrem Träger, d.€h. dem Subjekt, nichts hinzu und kann nur das Bezogen-Sein bezeichnen; ferner ist die Beziehung als solche für ihren Träger kein Ursprung irgendeiner Tätigkeit. Deswegen bleibt die Beziehung entsprechend ihrer Beziehungs- oder Aussageweise, welche sie als eigene kategoriale Gattung begründet, auf Gott anwendbar.191 Eckhart verallgemeinert diesen Gedanken für alle Aussagen bzw. alle möglichen Prädikate auf folgende Weise: Alles, was seinem Träger bzw. Subjekt zufällt und an ihm ist, hat ein Sein mit ihm, und zwar das Sein des Subjekts, auch wenn es tausenÂ�derlei Akzidentelles wäre.192 Dessen Sein ist nämlich ein Sein-An, nämlich an seinem Träger; ferner ist dessen Sein im Sein des Trägers. Es hat nämlich nur das Sein im Sein seines Subjekts. Dies ist die allgemeine Prämisse für Eckhart, die im Bezug auf die Sätze, die über Gott ausgesagt werden, folgendermaßen präzisiert wird: „In deo autem idem est et hoc ipsum esse quod essentia sive substantia.“193 Aus der Identität der Wesenheit und des Seins in Gott aber folgt, dass in Aussagen, welche die Seinsweise Gottes charakterisieren, alle akzidentellen Kategorien ihrer Gattung und Aussageweise nach in die Substanz übergehen: „Igitur omnia praedicamenta accidentalia in deo transeunt in substantiam secundum genus suum et modum praedicandi, quem sortitur a subiecto et ex habitudine ad subiectum.“194 Obwohl Eckhart den zehn obersten Kategorien den Status des Seienden eindeutig abgesprochen hat („decem praedicamenta non sunt decem entia nec sunt decem res“) und somit eine Grenze zwischen der verbalen und der ontologischen Ebene gezogen hat, verbindet er in dieser Passage die beiden Ebenen wieder. Allerdings betont er, dass die zehn obersten Gattungen an sich nicht die zehn obersten Seienden schlechthin darstellen, sondern sie bekom191. Vgl. In Exod. n. 64, LW II, S. 68,11–69,6: „Et quia ut sic nihil positive est in subjecto et nomen relationis hoc solum et illo modo significat et ipsa sola relatio inter novem praedicamenta, iterum autem etiam ut sic non est principium alicuius operationis subiecto … propter hoc relatio secundum modum significandi sive praedicandi, qui modus genus praedicamentale relationis constituit, manet in divinis.“ 192. Vgl. In Exod. n. 65, LW II, S. 69, 9–11: „… omne accidens subiecto et in subiecto habet unum esse cum subiecto et ipsum esse subiecti, etiam si mille essent accidentia.“ 193. In Exod. n. 65, LW II, S. 69, 13f.: „Bei Gott aber ist das Sein mit seiner Wesenheit oder Substanz identisch.“ 194. In Exod. n. 65, LW II, S. 69, 14–16: „Also gehen bei ihm alle akzidentellen Kategorien ihrer Gattung und Aussageweise nach, die sie von ihrem Träger und auf Grund ihres Verhältnisses zu ihrem Träger empfangen, in die Substanz über.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
men in einem propositionalen Kontext, in dem sie von Gott prädiziert werden, die ontologische Bedeutung dadurch, dass sie in die Substanz (d.€h. in Gott oder ein Seiendes schlechthin) übergehen. Daher drückt eine akzidentelle Eigenschaft, wenn sie auf Gott bezogen wird, nicht mehr etwas Zufälliges aus, sondern gibt, da sie ihrer Gattung und Aussageweise nach in die Substanz übergegangen ist, die Wesenheit Gottes wieder. Dieses Übergehen von einem Zufälligen zu einem Notwendigen wird durch einen entsprechenden Übergang auf der Ebene des Signifikationsmodus erklärbar: Das, was in Bezug auf das ens hoc et hoc etwas Zufälliges ausdrückte, drückt in Bezug auf Gott nur Wesentliches aus. Dies meint, dass in der Satzstruktur ‚S ist P‘ die mit P gegebene Eigenschaft notwendig in das Wesen von S übergegangen ist. Indem Eckhart sich nicht scheut, eine solche Auffassung zu formulieren, setzt er sich kritisch mit der Tradition auseinander. Augustinus hat die Bedeutung der Kategorien für die Erkenntnis Gottes in Abrede gestellt. Obgleich ihm zufolge die Kategorien als Leitfaden der Explikation des göttlichen Wesens gebraucht werden müssen, kann Gott weder gemäß der Kategorie der Substanz noch gemäß den neun Kategorien der Akzidentien in seinem Wesen erkannt werden.195 Aus dieser Auffassung entwickelt sich der für das Mittelalter maßgebliche Grundgedanke, dass die Kategorien zwar Leitfaden der Bestimmung, jedoch nicht inhaltliches Moment der Erkenntnis Gottes sein können. Die These Eckharts, das Prädikat oder der Name Gottes könne dessen Wesenheit ausdrücken, passt allerdings nicht in den Rahmen der negativen Theologie. Solch ein intensionales Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Prädikat kennt im Mittelalter die inhaerentia-Theorie. Die angeführte Passage bildet in Eckharts Texten ein Beispiel dafür, wie die metaphysische Auffassung – ungeachtet der Diskursivität der negativen Theologie€– aufgrund ontologischer Schemata die eigentlichen Grenzen der Apophatik verlassen kann: Indem das durch das Prädikat ausgedrückte Akzidens in die Substanz des Subjekts übergegangen ist, drückt es die Wesenheit des Subjekts aus und kann daher nicht mehr als sein bloßer Name betrachtet werden. Der Prädikationstheorie Eckharts scheint dieser Gedanke zugrunde zu liegen, den er noch einmal ausdrücklich im weiteren Verlauf des Textes wie folgt formuliert: „Tunc assumo quod omne genus praedicamenti accidentale secundum rationem suam transit in substantiam praeter rationem propriam relationi, ut dictum est, nam illam non accipit a subiecto.“196 Allein die Relation stellt ein solches genus praedicamentale dar, das 195. Vgl. Augustinus, De Trin. 5, 1. 2; Conf. IV, 28. 196. In Exod. n. 68, LW II, S. 72: „Jede akzidentelle Kategorie geht (in Gattung) ihrem Wesensgehalt nach in die (Kategorie) Substanz über, abgesehen von dem der Beziehung eigenen Wesensgehalt; denn ihn empfängt die Beziehung nicht von ihrem Träger.“
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bei Gott nicht in die Substanz übergeht, sondern gleichsam außerhalb derselben bleibt. Auf solche Weise wird der Kategorie der Relation einerseits der Status des Akzidens abgesprochen, andererseits ist sie, da sie ihrer Gattung nach außerhalb der Substanz Gottes bleibt, verschieden vom Wesensgehalt der Substanz. Wie aber kann etwas vom Wesensgehalt der Substanz verschieden und trotzdem kein Akzidens sein? Eckhart stellt diese These am Beispiel der Trinität exemplarisch dar: Gott ist nicht nach demselben Wesensgehalt Vater, nach dem er Substanz ist, sondern nach dem einen Wesensgehalt ist Gott Substanz, nach dem anderen ist er auch Vater.197 Der kategoriale Wesensgehalt der Relation ist kein Sein an Etwas. Daher bringt dieser Wesensgehalt auch keine Unterschiede ins Sein oder in die Wesenheit: … relatio [tum quia] secundum rationem sui generis <non> transit in substantiam, tum quia in deo substantia sua non habet rationem relationis, tum quia substantia non est deo pro relatione, sicut e converso alia octo genera accidentis, puta qualitas in divinis transit in substantiam.198
Obwohl Gott durch seine eigene Substanz so und so beschaffen ist, etwa wissend, gut und dergleichen, ist er durch seine Substanz nicht auf ein Anderes bezogen. Die einzige Relation, die im Hinblick auf Gott gedacht werden kann, ist die Selbstrelation als die Relation von sich zu sich, weil außer Gott nichts gedacht werden kann und daher Gott auch keine Relation zu einem Anderen haben kann. Ausgehend von der Beschaffenheit der göttlichen Substanz schließt Eckhart, dass von den Akzidentien allein die Beziehung ihrer Gattung nach bei Gott bestehen bleibt und nicht in seine Substanz übergeht. Der Wesensgehalt der Gattung (ratio generis) der Relation grenzt sich dabei seiner Natur nach gegen den Wesensgehalt der Gattung der Substanz ab. Die Voraussetzung dafür ist die Beschaffenheit der Relation, die darin besteht, dass sie kein Sein besitzt, um sich an etwas anzuheften. In dieser Darlegung, welche die Teilhabe der obersten Gattungen an der Substanz darstellt, fallen folgende semantische Aspekte auf, die für den theologischen Diskurs Eckharts paradigmatisch sind: (1) Bei der Prädikation Gottes gehen die Kategorien in die Substanz Gottes über; (2) die Kategorien drücken das Wesen der göttlichen Substanz aus; (3) sie stellen die Entfaltung des Wesens der göttlichen Substanz und nicht eine bloße Hinzufügung zum Subjektbegriff dar.
197. Vgl. In Exod. n. 70, LW II, S. 73. 198. In Exod. n. 72, LW II, S. 74, 5–9: „… die Beziehung geht ihrem kategorialen Wesensgehalt nach nicht in die Substanz über, weil bei Gott die Substanz nicht den Wesensgehalt der Beziehung hat und nicht an die Stelle der Beziehung tritt, wie dies bei den anderen acht akzidentellen Kategorien der Fall ist und etwa die Qualität bei Gott in die Substanz übergeht.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Ein solches Verständnis der Prädikation liegt der Rehabilitation der Gott betreffenden affirmativen Sätze zugrunde. Diese Rehabilitation folgt dem Diktum: „… veritas affirmativae propositionis universaliter consistit in identitate terminorum, negativae autem veritas consistit in alietate et distinctione terminorum.“199 Hiermit wird ein Wahrheitskriterium für die affirmierenden und negierenden Aussagen aufgestellt. Es bedeutet: In einem Satz ‚S ist P‘ wird nichts anderes als die beharrende Identität beider Termini ausgesagt. Diese Identität oder Selbigkeit von Subjekt und Prädikat schließt aber aus, dass der durch das Prädikat ausgedrückte Begriffsinhalt nur als ein Name des Subjekts verstanden wird, weil ein Name oder eine Kategorie, die nicht in einer intensionalen Relation zum Subjekt steht, die Wesenheit des Subjektbegriffes nicht entfalten kann. Dieses Wahrheitskriterium wird von Eckhart durch einen Gedanken ergänzt, der die epistemologische und die ontologische Ebene in seiner Metaphysik in eine Korrelation setzt: „Verum enim et ens convertuntur.“200 Die Wahrheit der bejahenden Aussagen besteht also darin, dass sie besagen, es ist, was ist. Dies gilt aber allein von Gott: „Hoc autem proprie dei est et solius dei.“201 Gott ist die Fülle des Seins und das volle Sein und nichts anderes als das purum esse. Aus dieser ontologischen Annahme und dem Wahrheitskriterium folgt nach Eckhart, dass „die Bejahung, die im Sein und in der Identität der Begriffsworte besteht, auf Gott im eigentlichen Sinn zutrifft“.202 Kein Satz ist wahrer als der, in dem dasselbe von sich selbst ausgesagt wird. Als einen solchen lässt sich nach Eckhart der Satz „Ego sum qui sum“ verstehen.203 So wird der Satz, der im Rahmen der negativen Theologie als ein Zeugnis für die Unnennbarkeit Gottes verstanden wurde, von Eckhart als ein Ausdruck der höchsten Affirmation interpretiert. Die negativen Aussagen bleiben für alles, was diesseits von Gott ist, reserviert.204 Das, was diesseits von Gott ist, ist gleichzeitig seiend und nicht seiend, weil bei jedem, das diesseits des Seins seiend ist, irgendein Sein verneint wird. Ebendiese Annahme, dass die negativen Aussagen eigentlich für die Kreaturen 199. In Exod. n. 73, LW II, S. 75,16–76,1: „… die Wahrheit eines bejahenden Satzes besteht allgemein in der Identität der Begriffsworte, die Wahrheit eines verneinenden Satzes in der Andersheit und Unterschiedenheit der Begriffsworte.“ 200. In Exod. n. 73, LW II, S. 76, 7: „… wahr und seiend sind vertauschbar.“ 201. In Exod. n. 74, LW II, S. 76, 13: „Das aber ist Gott und ihm allein eigen.“ 202. In Exod. n. 74, LW II, S. 77, 2–4: „Concluditur igitur quod affirmatio, consistens in esse et identitate terminorum, deo proprie competit.“ 203. Vgl. In Exod. n. 74, LW II, S. 77, 11f.: „Negatio negationis purissima et plenissima est affirmatio: ‚Ego sum qui sum‘.“ 204. Vgl. In Exod. n. 74, S. 77, 6f.
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bestimmt sind, ermöglicht Eckhart den Schluss, dass auf Gott keine Verneinung außer der Verneinung der Verneinung zutrifft, die ihrerseits nichts anderes als die lauterste Affirmation ausdrückt: „Nulla ergo negatio, nihil negativum deo competit, nisi negatio negationis, quam significat unum negative dictum. … Negatio vero negationis purissima et plenissima est affirmatio.“205 Eckharts Schluss lautet: „Nulla ergo negatio deo congruit.“206 Wenn Gott die Verneinung angemessen wäre, dann verneinte das Sein, dass es das Sein ist. Dies ist aber laut Eckhart unmöglich, denn „nichts verläßt sich selbst.“207 Dies wiederum bedeutet, dass „die Bejahung, da sie ja zum Sein gehört, Gott und dem Göttlichen als solchem zu eigen ist. Die Verneinung jedoch ist Gott nicht eigen, sondern fremd.“208 Der Grund für die Priorität der affirmativen Sätze gegenüber den negativen Sätzen liegt im semantischen Verständnis der Satzstruktur und der Funktion der Kopula: Durch ‚est‘ wird für Eckhart nicht das Hinzufügen von Etwas zum Subjekt bzw. zur Substanz (hier Gott) ausgedrückt, wie es gemäß der negativen Theologie der Fall ist, sondern es wird das Sein ausgesagt, das in der Bejahung eingeschlossen ist: „… affirÂ� matio esse habet et includit. Li est enim medium est omnium affirmativarum, vel in ipsum resolvuntur.“209 Jeder verneinende Satz schließt aber das Nicht-Sein ein, und dieses kann Gott nicht zukommen. Außerdem kann dem Subjekt (hier Gott) durch das Prädikat kein Akzidens hinzugefügt werden, das seinem kategorialen Wesensgehalt nach nicht in die Substanz übergegangen wäre. Nur auf die Kategorie der Relation trifft dieser Übergang nicht zu, und dies nur deswegen, weil sie nichts an einer Substanz Anhaftendes aussagt. Eckhart ist sich bewusst, dass diese aus der Diskursivität der negativen Theologie entstandene Beweisführung im Gegensatz zu den Grundprinzipien der apophatischen Theologie steht. Deshalb schlägt er eine Deutung der Auffassung des Pseudo-Dionysius vor, welche die Rehabilitierung der affirmativen Sätze in Bezug auf Gott abschließend rechtfertigt.
205. In Exod. n. 74, LW II, S. 77, 9–11: „Auf Gott trifft also keine Verneinung, nichts Verneinendes zu außer der Verneinung der Verneinung, die das eine Verneinung einschließende Eine ausdrückt. … Die Verneinung der Verneinung ist jedoch lauterste und vollste Bejahung.“ 206. In Exod. n. 74, LW II, S. 78, 1: „Also ist Gott keine Verneinung angemessen.“ 207. Vgl. In Exod. n. 74, LW II, S. 78, 2f.: „Esse non potest negare esse se ipsum esse: ‚nihil se ipsum deserit‘.“ 208. In Exod. n. 77, LW II, S. 80, 9–11: „… affirmatio, utpote ad esse pertinens, propria est deo et divinorum, in quantum divina sunt. Negatio autem non est propria, sed aliena a deo.“ 209. In. Exod. n. 77, LW II, S. 80,11–81,2: „… die Bejahung besitzt das Sein und schließt es ein. Das Wörtchen ‚ist‘ ist ja die Kopula in allen bejahenden Sätzen (entweder ausdrücklich) oder nach Zurückführung (auf die Ist-Form).“
3.6
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Eckharts Interpretation der via negativa
Die These Eckharts, dass die Bejahung Gott und dem Göttlichen zu eigen ist, widerspricht der schon aufgeführten Meinung des Maimonides und widerspricht der negativen Theologie. Eckhart liegt daran, seine eigene Auffassung mit der negativen Theologie zu versöhnen. Zu diesem Zweck nützt er den Diskurs der Apophatik und die kirchliche Autorität des Pseudo-Dionysius, indem er dessen Ausgangspunkt im Sinne seiner eigenen Auffassung interpretiert. Im zweiten Kapitel von De coelesti hierarchia konstatiert Dionysius, dass in Bezug auf Gott die Verneinungen wahr, die Bejahungen aber unzutreffend seien: Εἰ τοίνον αἱ μὲν ἀποφάσεις ἐπὶ τῶν θείων ἀληθεῖς, αἱ δὲ καταφάσεις ἀνάρμοστοι τῇ κρυφιότητι τῶν ἀπορρήτων, οἰκειοτέρα μᾶλλόν ἐστιν ἐπὶ τῶν ἀοράτων ἡ διὰ τῶν ἀνομοίων ἀναπλάσεων ἐκφαντορία.210
Eckhart gibt diesen Gedanken des Dionysius präzise in dem Satz wieder: „… negationes de deo sunt verae, affirmationes vero incompactae.“211 Obwohl diese Auffassung die Affirmation in Bezug auf Gott ausschließt, meint Eckhart, dass sie seiner Position nicht entgegensteht („non obstat“): „Hoc enim verum est quantum ad modum significandi in talibus.“212 Die entscheidende Rolle in diesem Satz spielt die mit „quantum ad“ eingeleitete Einschränkung: Die dionysische Position ist wahr nur unter der Bedingung, dass der modus significandi der Wörter und daher des ganzen Satzes berücksichtigt wird. Eckhart schlägt vor, zwischen den Seinsvollkommenheiten, die unser Intellekt an den Geschöpfen erkennt, und den Vollkommenheiten an sich zu unterscheiden. Diese Unterscheidung geht von der Prämisse aus, dass die perfectiones, die unser Verstand an den Geschöpfen erfasst, nicht die perfectiones per se darstellen, sondern in ihrem An-den-Geschöpfen-Sein unvollkommen, zerteilt und verstreut sind. Daher kann der modus significandi, der sich auf die Kreaturen bezieht, die
210. Pseudo-Dionysius Areopagita, De coelesti hierarchia II, 2.3.4, 141 a, in: Corpus Dionysiacum II, hrsg. von G. Heil/A. M. Ritter, Berlin/NY 1991, S. 12f., 20–23. Vgl. Übers: „Wenn es nun zutrifft, daß die Negationen bei den göttlichen Dingen wahr, die positiven Aussagen hingegen der Verborgenheit der unaussprechlichen Geheimnisse unangemessen sind, dann folgt, daß bei den unsichtbaren Gegenständen die Darstellung durch Ausdrucksformen ohne jede Analogie eher die passendere ist.“ Pseudo-Dionysius Areopagita, Über die himmlische Hierarchie, eingel. und übers. von G. Heil, Stuttgart 1986, S. 32, 5–9. 141 A. 211. In Exod. n. 78, LW II, S. 81, 3f. 212. In Exod. n. 78, LW II, S. 81, 2f.: „Sein Wort ist nämlich wahr, wenn man die Bezeichnungsweise in solchen (Sätzen) im Auge hat.“
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Vollkommenheit an sich nie wiedergeben. Diese Differenz hebt Eckhart wie folgt hervor: … ratio id quod est ad intellectum pertinet et ad veritatem. Veritas enim in solo intellectu est, non extra. Igitur perfectiones in rebus extra non verae perfectiones sunt. Ipsas igitur attribuere deo est ipsum apprehendere imperfectum et ipsum non esse intellectum se toto purum, sed esse rem extra, saltem aliquo sui, sicut in inÂ� tellectibus creatis.213
Aus dieser Passage folgt erstens, dass das, was wahr ist, zum Intellekt gehört, zweitens, dass das Wahre eine Idee darstellt, drittens, dass die Idee der Außenwelt fremd ist. Durch diese drei Kriterien wird ein intelligibler Bereich für die Wahrheit konstituiert, in dem die Vollkommenheiten an sich zu betrachten sind und wo sie wahre Vollkommenheiten darstellen. Die Vollkommenheiten in den Dingen der Außenwelt oder – in platonischen Termini – die in den Dingen anzutreffenden Vollkommenheiten sind keine wahren Vollkommenheiten. Eine solche Annahme impliziert, dass die Vollkommenheiten in den Dingen, die bezogen auf Gott unwahre Vollkommenheiten sind, die Reinheit des göttlichen Seins beflecken. Zur Lösung der Schwierigkeiten, die im Hinblick auf das Reden oder Denken über die perfectiones entstehen, ist es gemäß Eckhart erforderlich, bei Sätzen, in denen die perfectiones vorkommen, zweierlei zu berücksichtigen: (1)€Bedenkt man die bezeichneten (significata) Vollkommenheiten selbst, nämlich Gutheit, Wahrheit, Leben, Erkennen und dergleichen, sind die Sätze, in denen die perfectiones vorkommen, zutreffend und wahr („et sic sunt compactae et verae“); (2)€Bedenkt man die Bezeichnungsweise (modus significandi) selbst, sind die Sätze unzutreffend.214 Eckhart will also den dionysischen Satz dadurch im Sinne seiner eigenen Auffassung verstehen, dass er die Sprache, mit der über die allgemeinen Begriffe geredet oder nachgedacht wird, von der Sprache, mit der über die Kreaturen gesprochen wird, unterscheidet. Im Lichte dieser Unterscheidung wird auch die dionysische Apophatik interpretiert.
213. In Exod. n. 176, LW II, S. 152, 1–5: „…die Idee gehört ihrem Wesen nach zum Verstand und in den Bereich der Wahrheit. Wahrheit ist nämlich nur im Verstand, nicht in der Außenwelt. Folglich sind die Vollkommenheiten in den Dingen der Außenwelt keine wahren Vollkommenheiten. Sie Gott beilegen heißt demnach, ihn unvollkommen denken und behaupten, daß er nicht völlig reiner Intellekt sei, sondern – wenigstens mit einem Teil seines Wesens – ein Ding unter Dingen, wie das auf die geschaffenen Geistwesen zutrifft.“ 214. Vgl. In Exod. n 78, LW II, S. 81, 8–11: „In his enim propositionibus est duo considerare, scilicet ipsas perfectiones significatas, puta bonitatem, veritatem, vitam, intelligere et huiusmodi; et sic sunt compactae et verae. Est etiam considerare in talibus modum significandi; et sic incompactae sunt, quod ait Dionysius.“
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Dass Eckhart nach der Aufführung einiger Zitate aus der Bibel215 die Auslegung von Exodus 15â•›:â•›3 mit den Worten von Augustinus „quis est autem qui sic cogitat deum quemadmodum ille est?“216 beendet, bedeutet für ihn aber noch nicht das Ende der Diskussion über die negativen und positiven Aussagen, weil er diese Thematik im Exoduskommentar noch einmal aufgreift. In der Auslegung von Exodus 20â•›:â•›7 entfaltet Eckhart seinen Beweisgang folgendermaßen: Einerseits wird der Gedanke, dass etwas Positives von Gott angenommen oder in ihm erfasst wird, für nichtig und unzutreffend erklärt,217 andererseits wird betont, dass eine verneinende Aussage nichts Wesentliches€– weder vom wahren Wesen des Dinges, von dem etwas verneint wird, noch von irgend etwas an ihm – wissen lässt. Aus verneinenden Prämissen folgt nichts, das heißt, dass durch die negativen Prämissen weder etwas gewusst noch in seinem Sein begründet wird.218 Eckhart geht auf Maimonides’ Beurteilung des Problems ein, doch macht er sie sich nicht zu eigen. Er zitiert Maimonides wie folgt: … enuntiatio de creatore per verba negativa est vera, in quam non cadit dubitatio, nec est in ea diminutio in veritate creatoris ullo modo. Sed enuntiatio de ipso per verba affirmativa partim est in aequivocatione, partim in imperfectione.219
Das Zitat macht deutlich, dass sich Maimonides der Auffassung der negativen Theologie anschließt, dass, da nur die verneinenden Aussagen über Gott für wahr, die bejahenden aber teilweise für äquivok, teilweise für unvollkommen erklärt werden, die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis ausgeschlossen ist. Diese agnosÂ� tische Position ist für Eckhart unannehmbar, weil sie den Unterschied zwischen Moses, Salomon, Paulus, Johannes und allen anderen Weisen auf der einen und den Unwissenden auf der anderen Seite verwischte, wenn jene Weisen in der 215. Gemeint sind Kor. 13, 12: „‚videmus enim nunc‘ ‚in aenigmate‘ et ‚ex parte‘“; Ps. 115,11: „omnis homo mendax.“ Übers.: „Wir schauen nämlich jetzt im Rätsel und stückweise“; Ps. 115, 11: „Jeder Mensch ist ein Lügner.“ Vgl. In Exod. n. 78, LW II, S. 82, 2–3. 216. In Exod. n. 78, LW II, S. 81,15–82,1: „Wer aber dächte Gott so, wie er wirklich ist?“ 217. Vgl. In Exod. n. 177, LW II, S. 152,8–153,2: „Nihil ergo positivum receptum de deo vel in deo apprehensum verum est, sed vanum et incongruum. Haec de nominibus affirmative dictis de deo.“ 218. Vgl. In Exod. n. 178, LW II, S. 153, 3–6: „Ubi primo sciendum quod ‚abnegatio non facit scire aliquid de veritate rei, a qua fit abnegatio‘, nec aliquid quod in ipsa sit. Propter hoc enim ‚ex negativis nihil sequitur‘ nec scitur nec in esse aliquo constituitur.“ 219. In Exod. n. 178, LW II, S. 153, 10–13: „… eine verneinende Aussage über den Schöpfer ist wahr, sie enthält nichts Zweifelhaftes, noch erleidet in ihr die Wahrheit über den Schöpfer irgendwie eine Einbuße. Aber eine bejahende Aussage über ihn enthält entweder nur Namensgleichheit oder bleibt unvollkommen.“
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Gotteserkenntnis lediglich zu rein verneinenden Aussagen gekommen wären, die im Grunde genommen an Gott nichts erkennen lassen.220 Neben dieser gnoÂ� seologischen Ebene pointiert Eckhart in diesem Zusammenhang auch die semantische Ebene, denn er stellt die Frage: „Worin unterscheiden sich die verneinenden Aussagen über Gott von den bejahenden, wenn diese nichts bejahen und jene nur verneinen, also ebenso wenig bejahen?“221 Dieser komplexe, kognitiv-semantische Widerspruch ist sowohl in Maimonides’ Auffassung als auch in der ganzen negativen Theologie implizit enthalten, wird aber gleichsam verdeckt durch die Annahme eines irgendwie gearteten Erkenntnisgehalts auch der negativen Aussagen. Eckhart rückt die Auflösung dieses Widerspruchs in den Mittelpunkt des ExoÂ� duskommentars. Er findet folgenden Ausweg aus dem in obiger Frage formulierten Dilemma: Die bejahenden Aussagen führen ihrer Natur nach entweder zur 220. Vgl. In Exod. n. 178, LW II, S. 153,15–154,2: „… in quo differt Moyses, Salomon, Paulus et Iohannes et ceteri sapientes in cognitione dei ab imperitis quibuslibet, si nihil eorum quae sunt in deo cognoverunt nisi puras negationes?“ Der agnostische Charakter der negativen Sätze im Hinblick auf Gott wird von H. Fischer betont: „Von den negativen Bezeichnungen ist zu sagen: eine Negation läßt uns nichts von der Wahrheit des Dinges noch von dem, was in ihm ist, erkennen. Daraus entsteht die doppelte Frage, wieso behauptet werden kann, Negationen über Gott seien wahr, und die andere, wie sich affirmative und negative Aussagen voneinander unterscheiden. Die Negation hebt auf, sie setzt nichts Positives. Sie gründet aber in einer Affirmation und schließt aus, wie das Licht die Finsternis.“ H. Fischer, Meister Eckhart. Einführung in sein philosophisches Denken, Freiburg/München 1974, S. 130. Es ist bemerkenswert, dass mit der Eckhart’schen Frage nach der Gotteserkenntis in der angeführten Passage sich die Interpretation von W. Goris schwer vereinbaren lässt: „Dadurch, daß Eckhart die Gotteserkenntnis in Gestalt einer Gnade denkt, zu der kein natürlicher Weg hinführt, bestätigt er die menschliche Hoffnung auf eine Bereinigung mit dem Göttlichen ohne einen qualitativen Bruch zwischen der Gotteserkenntnis diesseits und im Jenseits einzuführen, bestätigt aber zugleich die fundamentale Unzugänglichkeit der natürlichen Vermögen des Menschen, zu einer solchen Gotteserkenntnis zu gelangen.“ W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 363. 221. In Exod. n. 179, LW II, S. 154, 3–5: „… quomodo negativa differunt ab affirmativis dicta de deo, si nec illa quidpiam ponunt nec ista, negativa scilicet, aliquid ponunt, sed tantum negant.“ Diese Fragestellung Eckharts lässt sich mit der folgenden Interpretation W. Banges schwer vereinbaren: „Die ‚negativen Namen‘ sagen zunächst zwar, was Gott nicht ist; aber je mehr negative Prädikate jemand Gott zu geben weiß, desto tiefere Erkenntnis hat er von Gott.“ W. Bange, Meister Eckeharts Lehre vom göttlichen und geschöpflichen Sein, S. 38. In der Eckhart’schen Darlegung ist bekanntlich keine Rede von einer tieferen Gotteserkenntnis durch die negativen Namen, sondern vielmehr vom Fehlen einer solchen. Die weiteren Aufführungen Banges geraten auch in Widerspruch zur Eckhart’schen Auffassung über die doppelte Art der Prädikation, da Bange nur eine Art von Prädikation animmt, und zwar diejenige, die „nur die bezeichnete Sache (Sein, Güte, Weisheit) auf Gott übertragen“ kann, „nicht auch den Modus, nach dem sie von uns gedacht wird oder nach dem sie etwa in den Geschöpfen sich findet.“ Ebd., S. 39.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
Erkenntnis von etwas, das die Substanz des Dinges ist, dem die Aussage gilt, oder zur Erkenntnis von etwas, das als Eigenschaft oder Akzidens der Substanz anhaftet. Für die verneinenden Aussagen gilt dies nicht. Sie besagen lediglich, dass eine Vollkommenheit, die ein verneinter Begriff bezeichnet, nicht vorhanden ist oder dort fehlt, wo sie sein sollte. Die Verneinung hebt alles auf, was die Vollkommenheit beinhaltet, ohne etwas zu setzen. Daher besagen die verneinenden Aussagen über Gott lediglich, dass nichts von dem, was in der Außenwelt ist und was die Sinne wahrnehmen, in Gott ist.222 Jede Privation setzt notwendig den entsprechenden Habitus voraus: Damit etwas fehlen kann, muss es erst einmal vorhanden sein. Um etwas zu verneinen, muss dieses Etwas schon vorher gegeben sein. Das meint der Satz „negatio fundatur in affirmatione“,223 weil die Verneinung auch die Bejahung voraussetzt: „Affirmatio und negatio“, so Schirpenbach, „erscheinen als relationale Begriffe, wenn auch nicht einander gleichgeordnet, sondern ausgehend von einer Grundaffirmation, dass das Sein der Normal- und Ursprungszustand ist, der dann eine negatio in einschränkendem Sinne zugeÂ� ordnet sein kann.“224 Den Schluss, dass nur das verneint werden kann, was schon vorher gegeben war, findet Eckhart überzeugend genug, um zu behaupten, dass in Gott etwas ist, das die Unwissenheit, Leidensfähigkeit und dergleichen von ihm ausschließt.225 Das Ausschließen der Unwissenheit betont immer wieder den Primat des Wissens in Bezug auf Gott, weil das, was nach dem Ausschluss der Unwissenheit bleibt, nur das Wissen sein kann. Der Weg des Ausschlusses ist aber die via negativa, was Eckhart auch nicht bestreitet: „Negative Attribute werden dem Schöpfer
222. Vgl. In Exod. n. 179, LW II, S. 154, 6–13: „… affirmationes ex sui natura faciunt venire in cognitionem alicuius, quod sit ipsa substantia eius de quo dicuntur vel aliquid eius, puta proprietas vel accidens. Negationes vero ex sui natura non sic, sed solam remotionem sive privationem perfectionis, quam terminus negatus significat. Negatio liquide tollit totum quod invenit, nihil ponens. … Negationes ergo dictae de deo hoc solum ostendunt quod nihil istorum, quae in rebus extra sunt et quae sensibus apprehenduntur, in deo est.“ 223. In Exod. n. 181, LW II, S. 155, 14. 224. M. P. Schirpenbach, Wirklichkeit als Beziehung, S. 71. Schirpenbach fährt dort: „Die Negation hat keinen positiven inhaltlichen Gehalt, sondern definiert sich nur durch ihre Defizienz gegenüber der reinen Affirmation. Sie ist nicht als Gegenprinzip zu verstehen, sondern als Absetzung von der Affirmation, und dies als deren Einschränkung. Das heißt, nur in Bezug auf eine Affirmation und unter Annahme der Möglichkeit einer Affirmation kann überhaupt von einer Negation gesprochen werden.“ 225. Vgl. In Exod. n. 181, LW II, S. 155,14–156,1: „… aliquid esse in deo, quodcum sit illud, excludens ignorantiam, passibilitatem et huiusmodi, …â•›.“
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Sprache und Metaphysik
nur in der Weise beigelegt, wie man von einem Ding etwas verneint, was ihm nicht zugehören kann.“226 Hier zitiert Eckhart erneut Maimonides’ Auffassung: Je mehr negative Attribute du dem Schöpfer beilegst, um so näher kommst du seiner Erkenntnis und bist ihm näher als der, der es nicht versteht, unvollkommene Attribute von ihm zu verneinen, von denen erwiesen ist, daß sie fern von Gott sind.227
Die Position von Maimonides fasst Eckhart auf folgende Weise zusammen: Die vollkommenere Gotteserkenntnis hat derjenige, der mit stärkeren Gründen die Attribute, die von Gott fern sind, verneint und der ferner dieses für eine größere Zahl solcher Attribute zu leisten vermag. Das Kriterium für „derartige Attribute“ ist von Eckhart schon erläutert worden: Die Attribute, die von Gott fern sind, stammen aus der Außenwelt und sind durch die Sinne wahrnehmbar.228 Hier lässt sich natürlich fragen, ob Eckhart alle Attribute als fern von Gott versteht oder ob dies nur auf eine bestimmte Klasse von ihnen zutrifft? Eckharts Rede von huiusmodi attributiones impliziert schon die Beschränkung auf eine bestimmte Klasse. Für die Zugehörigkeit zu ihr hat Eckhart Kriterien aufgestellt. Nun stellt sich Frage, ob zu den huiusmodi attributiones von Eckhart auch die termini generales gerechnet werden oder ob er sie strikt von ihnen unterscheidet? Wie wir schon gesehen haben, hat Eckhart gemäß dem Grundsatz „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc“229 den propositionalen Kontext markiert, der geeignet ist, Aussagen über das Seiende schlechthin zu machen. Dabei hat er hinsichtlich der termini generales festgestellt, dass der akzidentelle Wesensgehalt der Kategorie in die Substanz bzw. den substanziellen Wesensgehalt übergeht, sobald die kategorialen Sätze Gott betreffen. Ausgenommen von diesem Übergehen des Wesensgehaltes ist nur die Kategorie der Relation, weil sie nur eine Bewegung von anderem zu anderem besagt und nicht als etwas gedacht werden kann, das anderem anhaftet. Ungeachtet dessen denkt Eckhart die Relation als eine Kategorie, die zu den obersten Begriffen aufgestiegen ist und in einem univoken Sinne im Hinblick auf das Subjekt gedacht werden kann. Für ihn können die termini generales nicht mehr die „huiusmodi attributiones“ sein, die von Gott fern sind,
226. In Exod. n. 182, LW II, S. 156, 3–5: „… ‚nomina negativa non‘ attribuuntur ‚creatori nisi secundum modum quo removetur aliquid ab alio, quod non est aptum, ut inveniatur in ipso….‘.“ 227. In Exod. n. 183, LW II, S. 156,13–157,2: „… ‚quidquid addideris nominibus negativis respectu creatoris, appropinquabis apprehensioni eius et eris <ei> propinquior quam ille, qui nescit removere‘ a deo imperfectiones sive attributiones, ‚de quibus probatum est quod longe sunt a deo‘.“ 228. Vgl. In Exod. n. 176, LW II, S. 152, 1–5. 229. Prol. op. prop. n. 3, LW I, S. 166, 12.
Kapitel 3.╇ Die Satzstruktur von „Unum est negatio negationis“
aus der Außenwelt stammen und durch die Sinne wahrnehmbar sind, weil sie selbst in die Substanz bzw. das Subjekt, d.€h. Gott, übergegangen sind. Dadurch aber, was im Gott ist, kann Gott erkannt werden.
Zusammenfassung Die Frage nach der negatio negationis als nach einem philosophischen Terminus in Eckharts Metaphysik kann nur im Zusammenhang mit seiner Auffassung der Prädikation betrachtet werden. Der Prädikationslehre Eckharts liegt die folgende semantische Prämisse zugrunde: „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc.“ Sie ermöglicht es ihm, einerseits das Sein der zehn obersten Gattungen auf der Ebene der Sprache anzusiedeln und sie dadurch von der ontologischen Ebene zu trennen, andererseits den Übergang des akzidentellen Wesensgehalts der von Gott prädizierten Attribute in dessen substantiellen Wesensgehalt anzunehmen. Die Kategorie, die in den Wesensgehalt des Subjekts ‚Gott‘ übergegangen ist, stellt schon dessen Wesenheit dar und ist nicht mehr etwas Zufälliges, sondern ein im Begriff des Subjekts impliziertes Notwendiges, das ihm inhäriert und zum Grund einer beharrenden Identität zwischen dem Subjekt und dem Prädikat wird. Das Sprachmodell, innerhalb dessen Eckhart eine solche Relation denkt, lässt sich unter inhaerentia-Theorie einordnen. Eine so entstandene beharrende Identität zwischen dem Subjekt und dem Prädikat schließt die Annahme der via negativa aus, die das Prädikat zu etwas erklärt, das in einem affirmativen Satz das Wesen Gottes nicht ausdrücken kann. Eine solche Auffassung bestreitet die Möglichkeit der Gotteserkenntnis: Die Aussagen über Gott müssen negiert werden, weil die menschliche Vernunft nicht dazu geeignet ist, die Prädikation Gottes durchzuführen. Eine solche Position impliziert eine agnostische Auffassung, die Eckhart, wie wir gesehen haben, überwinden will. Daher wird die Frage sowohl nach der Möglichkeit der Gotteserkenntnis als auch nach der des Ausdrucks dieser Erkenntnis von ihm positiv beantwortet. Im Folgenden wird gezeigt, wie eine so verstandene Prädikation Eckhart es ermöglicht, sein eigenes ontologisches Schema wiederzugeben.
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kapitel 4
Die Auswirkung der Prädikation auf die Grundsätze der Metaphysik
4.1
Die Transzendentalienlehre
Die Transzendentalienlehre ist „das Kernstück der scholastischen Ontologie und Metaphysik“.230 Im Mittelalter lässt sich die Ontologie von der Transzendentalienlehre nicht trennen. Nach der treffenden Formulierung von M. Müller sind die Transzendentalien „der Grund der Möglichkeit der Ontologie als Wissenschaft. Damit sind sie ihr Einsatzpunkt. Sie hat bei ihnen zu beginnen. Ontologie ist zuerst und zunächst: Transzendentalienlehre.“231 Die Transzendentalienlehre als Begründung für die Möglichkeit der Ontologie bildete das Fundament für das Gottesdenken. Diese Lehre behandelt überkategoriale Bestimmungen, die von allen Dingen aussagbar sind – Seiendes (ens), Eines (unum), Wahres (verum) und Gutes (bonum) – und die in ihrer Allgemeinheit die aristotelischen Kategorien oder die zehn obersten Gattungen in dem Sinne übersteigen, dass sie nicht auf eine Kategorie beschränkt sind, sondern alle umgreifen. Obwohl sich die TransÂ� zendentalien als untereinander austauschbar erweisen, gelten sie dennoch nicht als synonym. Untereinander sind sie im Träger (in subiecto) identisch, begrifflich jedoch verschieden: So drückt die Wahrheit etwas anderes aus als die Gutheit, obwohl Wahrheit und Gutheit in den Dingen gleichzeitig auftreten. Aristoteles’ Kritik an Platons Idee des Guten wurde als ein Hinweis auf den transzendentalen Charakter des Guten gedeutet: Es könne keine Idee des Guten geben, da das Gute in ebenso vielen Bedeutungen wie das Seiende ausgesagt werde und sich in allen Kategorien finde.232 Grundlage für die Lehre von den Transzendentalien bilden die Ausführungen von Aristoteles über das Seiende und das Eine im IV. Buch der Metaphysik, wo 230. J. B. Lotz, Zur Konstitution der transzendentalen Bestimmung des Seins nach Thomas von Aquin, in: Ders., Der Mensch im Sein. Versuche zur Geschichte und Sache der Philosophie, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1967, S. 67–75. 231. M. Müller, Sein und Geist. Systematische Untersuchungen über Grundproblem und Aufbau mittelalterlicher Ontologie, Tübingen 1940, S. 49. 232. Vgl. Aristoteles, Eth. Nic. I 4, 1096 a 19–29.
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Sprache und Metaphysik
er ihr Verhältnis durch die Momente der Identität und Differenz bestimmt: „Das Seiende und das Eine sind dasselbe und eine einzige Natur dadurch, daß sie einander folgen …, jedoch nicht so, daß sie durch einen Begriff bestimmt werden.“233 Dem Einen sei es eigentümlich, dass es durch eine Negation definiert werde, und zwar als das ‚Ungeteilte‘.234 Wenn die Transzendentalien als communissima und prima gekennzeichnet werden, wird dadurch ihre unterschiedliche philosophische Funktion angezeigt: Ontologisch betrachtet, sind sie das Gemeinsamste, da sie von allem ausgesagt werden können; in kognitiver Hinsicht sind sie das Erste, „da sie nicht auf etwas Früheres zurückgeführt werden können.“235 In der mittelalterlichen Transzendentalienlehre sind aristotelische und platonische Gedanken zu einem einheitlichen Ganzen verwoben. Die systematische Tendenz der scholastischen Philosophie wird daher in diesem Lehrstück besonders klar erkennbar. Um das Jahr 1230 scheint als erster Philipp der Kanzler einen Traktat zur Transzendentalienlehre, die Summa de bono, verfasst zu haben.236 Im Prolog stellt er fest: „… am allgemeinsten (communissima) sind das Seiende, Eine, Wahre und Gute.“237 Philipp befasst sich vor allem mit zwei Fragen, die Kernprobleme der Transzendentalienlehre darstellen: der Frage nach dem Unterschied zwischen den communissima, die ja miteinander vertauschbar (convertibilia) sind, und der Frage nach ihrem Verhältnis zu demjenigen, was Gott eigentümlich (proprium) ist, weil ‚Seiend‘, ‚Eines‘, ‚Wahres‘ und ‚Gutes‘ manchmal Gott appropriiert werden. Die von Aristoteles angeregte Lösung der ersten Frage wurde für die Doktrin im 13. Jahrhundert grundlegend. Das Allgemeinste ist gemäß seinen supposita (Trägern) identisch, jedoch begrifflich (secundum intentionem) verschieden. ArisÂ� toteles’ negative Bestimmung des Einen wird zum Modell für Philipps Ordnung der communissima. Nicht nur das Eine, sondern auch das Wahre und Gute fügen dem Seienden die Verneinung von Geteiltheit hinzu: Das Wahre ist die Ungeteiltheit (indivisio) von esse und id quod est, das Gute die von Akt und Potenz.238 Hinsichtlich der zweiten Frage legt Philipp dar, die Allgemeinheit des Begriffes
233. Vgl. Aristoteles, Metaph. IV 2, 1003 b 22–1004 a 1. 234. Vgl. Aristoteles, Metaph. X 1, 1052 b 15. 235. Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono 9, hrsg. von N. Wicki, Bern 1985, S. 30. 236. Vgl. D. H. Pouillon: Le premier traité des propriétés transcendentales: La ‚Summa de bono‘ du Chancelier Philippe, in: Revue néoscolastique de philosophie 42 (1939), S. 40–77. 237. Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono 9, hrsg. von N. Wicki, Prol., S. 4. 238. Vgl. Philipp der Kanzler, Summa de bono, S. 1–3, 5–17.
Kapitel 4.╇ Prädikation und Metaphysik
‚Gut‘ sei eine Gemeinsamkeit secundum prius und posterius. Hierfür wird später der Terminus ‚Analogie‘ verwendet. ‚Gut‘ wird von Gott primär ausgesagt, von den Geschöpfen in zweiter Linie und in Beziehung zu ihm, weil ihr Gutsein von Gott verursacht ist.239 Der grundlegende Text für Eckharts Lehre von den Transzendentalien ist der Prologus in Opus propositionum. Das Hauptthema der ersten vier Traktate des Opus tripartitum sind das Seiende, das Eine, das Wahre und das Gute sowie ihre Gegensätze. Da die TransÂ� zendentalienlehre das Kernstück der scholastischen Ontologie und Metaphysik bildet,240 prägt die Art und Weise, wie Eckhart die Transzendentalien versteht, auch den spezifischen Charakter seiner Metaphysik: Diese Lehre beansprucht eine gewisse Eigenständigkeit der philosophischen Reflexion. Sie setzt ein gewisses axiomatisches Schema insofern voraus, als die Transzendentalien nicht nur als gemeinsamste, sondern auch als erste Vernunftbegriffe betrachtet werden. Sie können nicht definiert werden, da sie in jedem anderen Begriff – und somit in jeder Erkenntnis und Wissenschaft – vorausgesetzt werden.241 Eigentümlich für Eckharts Transzendentalienlehre ist die Ansicht, dass die Transzendentalien im eigentlichen Sinne nur Gott zukommen. Illustrativ für diese Identifizierung ist seine Auslegung des Schriftwortes „Er kam in sein Eigen“ (Joh. 1, 11): … propria ista, in quae deus venit, sunt esse sive ens, unum, verum, bonum. Haec enim quattuor deus habet propria, utpote >primumest dives per sedivesper se ist die Unterschiedenheit ohne Unterschied. Wären da tausend Personen, so wäre doch da nichts als Einheit.“ In: N.€Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 131, 10–16.
Kapitel 4.╇ Prädikation und Metaphysik 141
bezieht. Gerade aufgrund seiner intellektuellen Vorzüglichkeit, die im ungeschaffenen und unerschaffbaren Seelengrund als ein Teil des göttlichen Intellekts im Menschen zum Vorschein kommt, hat er den Zugang zum innergöttlichen Sein: Er kann erkennen, wie die unterschiedenen Dinge in Gott auf unterschiedene Weise enthalten sind.411 Fasst man das oben Gesagte zusammen, so ergibt sich Folgendes: „Deus est intelligere“ besagt, dass Gott in seinem Wesen das reine Denken ist und er selbst sich als Intellekt definieren lässt. Der Mensch ist gottförmig, insofern er in seiner Seele etwas Ungeschaffenes und Unterschaffbares, d.€h. Intellekt, besitzt. Daher ist die Gottesgeburt als Erkenntnissprozesualität zu verstehen,412 die sich in vier Schritten vollzieht: 411. Obwohl W. Goris für den Primat der via negativa bei Eckhart plädiert, bestreitet er nicht die Rolle des Intellekts in der Gottförmigkeit des Menschen. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 247: „Als intellektuales Wesen nimmt er [der Mensch – T. T.] in der Dialektik von distinctum und indistinctum denselben Platz ein wie Gott: er unterscheidet sich aufgrund seiner Ununterschiedenheit.“ G. Steer will nicht bestreiten, dass das eigentlich Neue an Eckharts Verwendung des Erkenntnisbegriffes ist, dass er ihn mit der Vorstellung der Gottesgeburt verbindet („Gott muss sich selber gebären in der lîdende vernunft“). Aber in diesem Zusammenhang lässt Steer den Kerngedanken des Johannesevangeliumskommentars unberücksichtigt, wenn er schreibt: „Eckhart betont in erster Linie das Einssein Gottes mit dem Menschen, ohne dabei eine metaphysische Erklärung nach dem Vorstellungsmodell der univoken Korrelationalität zu bieten.“ G. Steer, Meister Eckharts Predigtzyklus von der êwigen geburt. Mutmaßungen über die Zeit seiner Entstehung, in: W. Haug/W. Schneider-Lastin (Hrsg.), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte. Kolloquium Kloster Fischingen 1998, Tübingen 2000, S. 253–281, S. 275. B.€Mojsisch schreibt dem Seelengrund sogar einen Vorrang vor Gott zu, wenn er in Bezug auf Eckharts Ich-Konzeption schreibt: „Gott ist für Eckhart nur Gott, wenn er in Relation steht zum Geschaffenen. Der Seelengrund aber ist ungeschaffen. Daher besitzt er für Eckhart sogar einen Vorrang vor Gott.“ B. Mojsisch, „Dieses Ich“: Meister Eckharts Ich-Konzeption, in: Chr.€Asmuth, Sein€– Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, (Bochumer Studien zur Philosophie 25) Amsterdam/Philadelphia 1997, S. 239–252, hier S. 248; vgl. auch B.€Mojsisch, Die Theorie des Ich in seiner Selbst- und Weltbegründung bei Meister Eckhart, in: Chr. Wenin (Hrsg.), L’Homme et Son Univers au Moyen Age. Actes du VII Congrès International de Philosophie Médiévale, (Philosophes Médiévaux 26) Louvain-la-Neuve 1986, S.€267–272; B.€Mojsisch, Der Grund der Seele. Das Ich als Ursache seiner selbst und Gottes in der Philosophie Meister Eckharts, in: G. Binder/B. Effe/R. F. Glei (Hrsg.), Gottmenschen. Konzepte existentieller Grenzüberschreitung im Altertum, (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium€55) Trier 2003, S. 181–203. 412. N. Largier plädiert dafür, die Geburt nicht als eine Erkenntnisprozessualität, sondern als ein Verstummen aller „intellektuellen Vermittlungsleistungen“ der Seele zu verstehen: „Diese Geburt, die Einung und Überformung ist, geschieht am Punkt der absoluten Negativität, wo alle naturhaften Fähigkeiten der Seele, alle ihre intellektuellen Vermittlungsleistungen verstummt sind.“ N. Largier, Figurata locutio. Hermeneutik und Philosophie bei Meister Eckhart
142 Sprache und Metaphysik
Erster Schritt: Der Vater gebiert seinen Sohn im ewigen Erkennen, er erkennt ihn in sich als mit sich gleich. Zweiter Schritt: Der Vater gebiert seinen Sohn in der Seele ganz so wie in sich. Dritter Schritt: Wo der Vater seinen Sohn im Menschen gebiert, da ist der Mensch derselbe Sohn und nicht ein Anderer. Gott gebiert also den Menschen als seinen Sohn. Vierter Schritt: Gott gebiert den Menschen nicht nur als seinen Sohn; er gebiert den Menschen als sich und sich als Menschen und den Menschen als sein Sein und als seine Natur.413
Mit anderen Worten, indem das Gebärende das Geborene gebiert, gebiert das Geborene das Gebärende, so dass Gebärendes und Geborenes nicht starr fixierte Instanzen sind, sondern Momente eines Geburtsprozesses, in dem Gebärendes und Geborenes selbst auch erst werden. Da die Begründung zwischen Gott und dem Menschen nicht monokausal, sondern wechselseitig erfolgt, ist sie Ausdruck eines korrelationalen Verhältnisses. Diese Korrelationalität ist nicht nur für diese Begründung, sondern auch für das Gebären bestimmend. Gebären und Geboren-Werden sind ein Sein, ein Leben: das Erleidende (im Geburtsparadigma: das Geborene) wirkt (im Geburtsparadigma: gebiert) im Erleiden (im Geburtspara-
von Hochheim und Heinrich Seuse, in: Kl. Jacobi (Hrsg.), Meister Eckhart: Lebensstationen€– Redesituationen, Berlin 1997, S. 303–332, hier S. 330. In seinen Ausführungen läßt Largier außer Acht, dass für Eckhart die „intellektuellen Vermittlungsleistungen“ nicht zu den naturhaften Fähigkeiten der Seele gehören, sondern etwas Ungeschaffenes und Unerschaffbares in ihr bilden. Vgl. auch N. Largier, Kontextualisierung als Interpretation. Gottesgeburt und speculatio im ‚Paradisus anime intelligentis‘, in: A. Speer/L. Wegener (Hrsg.), Meister Eckhart in Erfurt, (Miscellanea Mediaevalia 32) Berlin 2005, S. 298–313. 413. Vgl. Pr. 6, DW I, S. 109, 7–11: „Der vater gebirt sînen sun âne underlâz, und ich spriche mêr: er gebirt mich sînen sun und den selben sun. Ich spriche mêr: er gebirt mich niht aleine sînen sun, mêr: er gebirt mich sich und sich mich und mich sîn wesen und sîn natûre.“ Übers.: „Der Vater gebiert seinen Sohn ohne Unterlaß, und ich sage mehr noch: Er gebiert mich als seinen Sohn und als denselben Sohn. Ich sage noch mehr: Er gebiert mich als sich und sich als mich und mich als sein Sein und seine Natur.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S.€83; O.€Langer macht darauf aufmerksam, dass der erste Schritt der Geburtsprozessualität der kirchlichen Trinitätslehre völlig entspricht. Der zweite Schritt aber beinhaltet zwei neue Aspekte: „Einmal, dass Gott seinen Sohn in der Seele gebiert, ferner dass er seinen Sohn in derselben Weise in der Seele gebiert wie in seiner eigenen Natur. Das bedeutet, dass Eckhart hier den innertrinitarischen Bereich und den Bereich der Seele identisch setzt.“ Dabei erwähnt Langer den vierten Schritt nicht, in dem der Gedanke der absoluten Korrelationalität zum Ausdruck kommt. O. Langer, Sich lâzen, sîn selbes vernihten. Negation und >Ich-Theorie< bei Meister Eckhart, in: W. Haug/W. Schneider-Lastin (Hrsg.), Deutsche Mystik im abendländischen Zusammenhang. Neu erschlossene Texte, neue methodische Ansätze, neue theoretische Konzepte. Kolloquium Kloster Fischingen 1998, Tübingen 2000, S. 317–346, bes. S. 323.
Kapitel 4.╇ Prädikation und Metaphysik 143
digma: im Geboren-Sein); das Wirkende (im Geburtsparadigma: das Gebärende) erleidet (im Geburtsparadigma: wird geboren) im Wirken (im Geburtsparadigma: im Gebären). Daher sind Gott als das Gebärende und gleichzeitig Geborene und der Mensch als das Geborene und gleichzeitig Gebärende durch ein univokes Bezugsverhältnis verbunden und Eines.414 Eckhart spricht nicht nur von der Gottesgeburt in der menschlichen Seele, sondern sogar davon, dass der Mensch in der Zeitlichkeit Gott zwingen könne, seinen Sohn in ihm zu gebären, d.€h. sein Sein, seine Gutheit und Liebe ihm mitzuteilen.415 K. Flasch hat darauf aufmerksam gemacht, dass: wenn Eckhart sagte, Gott werde durch mich erst Gott, dann [setzte] … Quint diskret das Wort ‚Gott‘ in Anführungszeichen. Diesen Eingriff gestattete Quint sich an dem von ihm konstituierten mittelhochdeutschen Text; aber natürlich kennen die Handschriften keine Anführungszeichen.416
Dieser Gott, der durch den menschlichen Zwang, sich in dem Seelengrund zu gebären, zu einem leidenden Gott wird, passt nicht in das Schema der analogen Relation: Der Mensch nimmt am göttlichen Leben teil und wird eins mit ihm, wird zum homo divinus, insofern er gerecht, gut, wahr ist. Der göttliche Mensch ist mithin göttlich nur, insofern er göttlich ist, nicht, insofern er Mensch ist.417 Der
414. Das Eckhart’sche Konzept des „leidenden Gottes“, der durch die univoke Korrelationalität geprägt ist, lässt W. Goris außer Acht, wenn er im Bereich des Göttlichen durch menschliche Erkenntnis verursachtes Entstehen ausschließt: „Doktrinell ist es durchaus wichtig, daran festzuhalten, daß die Offenbarung der göttlichen Dreifaltigkeit des Menschen und seiner einen Unterschied konstituierenden Vermögen keineswegs bedarf, und daß durch unsere Erkenntnis im Bereich des Göttlichen nichts entsteht.“ W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 240. Ein solches Verständnis tendiert dazu, die Gottesgeburt bei Eckhart als ein rein mystisches Ereignis zu verstehen. A. M. Haas bezeichnet Eckharts Gedanken als Seinsmystik im Unterschied zur ekstaÂ� tischen Mystik. Vgl. A. M. Haas, Von der Eigenart christlicher Mystik. Meister Eckhart als Maßstab, in: Ders., Gottleiden – Gottlieben, S. 45–58, hier S. 58; vgl. auch A. M. Haas, Meister Eckhart. Leben und Werk, in: Ders., Gottleiden – Gottlieben, S. 153–171. 415. Th. Kobusch sieht in diesem Zwang Gottes Ansätze des Gedankens der moralischen Notwendigkeit: „Man könnte meinen, es handle sich hier wie auch da, wo Eckhart von einem ‚Müssen‘ Gottes spricht, um die später sog. moralische Notwendigkeit, die die Freiheit nicht ausschließt, vielmehr ihre eigentliche Erfüllung darstellt.“ Th. Kobusch, Lesemeistermetapysik€– Lebemeistermetaphysik, S. 239–258, hier S. 252. 416. K. Flasch, Auslegung der Predigt 52 „Über die Armut an Geist“, in: Meister Eckhart – in seiner Zeit, Schriftenreihe der Identity Foundation, Bd. 7, S. 36–46, hier S. 40. 417. Die einschränkende Funktion des Wortes „insofern“ legt Eckhart selbst folgenderweise aus: „… li ‚inquantum‘, reduplicatio scilicet, excludit omne aliud, omne alienum, etiam secundum rationem, a termino.“ Echardus, Processus Coloniensis, pars prior, in: G. Théry,
144 Sprache und Metaphysik
göttliche Mensch ist, insofern er göttlich ist, reine Vernunft als solche, Denken als solches, Gerechtigkeit als solche, Freiheit als solche.418 Aber als zu einem solchen Gewordener ist er schon von derselben Natur, ist Sohn. In diesem Sinne lässt sich auch Eckharts Appell verstehen: „Ihr sollt der Sohn selber sein!“. Das Sohn-Sein kann sich nur aufgrund der Wesensgleichheit vollziehen, die in einer univoken Korrelationalität zum Ausdruck gebracht wird: Gemäß der Predigt 6 gebiert der Vater den Sohn, der Sohn – den Vater; Gott gebiert den Menschen, der Mensch seinerseits – Gott.419 Für Eckhart ist nicht jeder Mensch an sich gerecht, sondern allein derjenige, der in seinem ungeschaffenen Seelengrund die Gerechtigkeit gebären läßt und daher selbst nicht mehr eine Kreatur, sondern eine geborene Gerechtigkeit darstellt.420 Die Gerechtigkeit als der Vater, der Gerechte als der geborene Sohn des Vaters und die geborene Gerechtigkeit als der Mensch bilden die Relata der Geburtsprozessualität. Im Paradigma der Gottesgeburt besteht bei Eckhart mithin eine univoke Korrelationalität zwischen Gebärendem und Geborenem, in der die Relata sowohl als Erkennender und Erkanntes wie auch als Gerechter und Gerechtigkeit auftre-
Edition critique des pièces relatives au procès d’Eckhart contenues dans le manuscript 33 b de la Bibliothèque de Soest, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 1 (1926/27), S. 129–268, hier S. 186. 418. Vgl. B. Mojsisch, Der Grund der Seele. Das Ich als Ursache seiner selbst und Gottes in der Philosophie Meister Eckharts, S. 195. 419. Diesem in der Pr. 6 ausgedrückten Gedanken von der gegenseitigen Geburt des Menschen und Gottes widerspricht die Auslegung von T. Suarez-Nani: „Diese Geburt verwirklicht sich tatsächlich vollständig und fortwährend nur im trinitarischen Leben, nur hier gibt es generatio univoca, denn nur hier gibt es Identität der Natur und der Unterschiedenheit der Personen.“ Vgl. T. Suarez-Nani, Philosophie- und theologiehistorische Interpretation der in der Bulle von Avignon zensurierten Sätze, in: H. Stirnimann (Hrsg.), Eckardus theutonicus, homo doctus et sanctus. Nachweise und Berichte zum Prozess gegen Meister Eckhart, Freiburg/Schweiz 1992, S.€31–96, hier S. 62. 420. Th. Kobusch nennt die Gottesgeburt in der Seele „ein spezifisches Moment des moralischen Seins“: „Wenn sich … die Gottesgeburt in jedem konkreten Werk der Gerechtigkeit vollzieht, muß ein Akt der Seele vorausgesetzt werden, durch den die einzelnen ‚inneren Akte‘ moralisch sind. Es ist der Grundakt des Moralischen, und dieser Begriff verbleibt durchaus im weiteren Feld Eckhart’scher Terminologie, weil nicht irgendein Vermögen, sondern allein der Seelengrund diesen Akt vollzieht, der die Bedingung für die Gottesgeburt ist.“ Th. Kobusch, Mystik als Metaphysik des moralischen Seins. Bemerkungen zur spekulativen Ethik Meister Eckharts, in: K. Ruh (Hrsg.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, Stuttgart 1986, S. 49–62, hier S. 53.
Kapitel 4.╇ Prädikation und Metaphysik 145
ten.421 Die ersten beiden Relata lassen sich auf die transzendentale Bestimmung verum zurückführen, die auf die Gerechtigkeit bezogenen Relata auf die transzendentale Bestimmung bonum. Beide Paare der aufeinander bezogenen Relata sind innerhalb des durch das Univokationsmodell geprägten Geburtsparadigmas konvertibel gemäss der Grundthese Eckhart’scher Transzendentalienlehre: „Unum enim ens, verum, bonum convertuntur.“422 In Eckharts Metaphysik ist die Geburtsprozessualität als die Dialektik der wechselseitigen Begründung und Aufhebung von Relata zu verstehen. Diese wechselseitige Begründung bildet die Einheit, die eine dynamische Einheit des Sohnes, insofern er geboren wird und selbst gebiert, und des Vaters, insofern er gebiert und selbst geboren wird, ebenso darstellt wie auch die dynamische Einheit des Gerechten, des Guten, des Wahren, insofern sie geboren werden, und der Gerechtigkeit, der Güte, der Wahrheit, insofern sie gebären. Der Primat der Prozessualität gegenüber den fixierten Modi des Seins kommt bei Eckhart auf folgende Weise zum Ausdruck: Gott hätte niemals die Welt geschaffen, wenn Geschaffen-Haben (bei ihm) nicht Schaffen wäre, und hätte nicht den Sohn gezeugt, wenn Gezeugt-Haben (bei ihm) nicht Zeugen wäre.423
421. B. Mojsisch hat darauf hingewiesen, dass bei Eckhart das Paradigma der univoken Korrelationalität auch hinsichtlich des Liebesbegriffes zu finden ist, was einen Gedanken der absolut-korrelationalen Liebe ergibt. Vgl. B. Mojsisch, Der Begriff der Liebe bei Augustin und Meister Eckhart, in: J. Hengelbrock (Hrsg.), Philosophie. Anregungen für die UnterrichtsÂ� praxis, Heft 12: Freundschaft und Liebe, S. 19–27, hier S. 25. 422. In Ioh. n. 114, LW III, S. 99, 6. 423. Vgl. Gen. I n. 171, LW I, S. 316, 6–8: „… numquam enim deus mundum creasset, si creasse non esset creare, nec filium genuisset, si generasse non esset generare.“ Th. Kobusch hat darauf hingewiesen, dass der Begriff der Geburt schon eine Art des Werdens impliziert: „Eckhart hat den Begriff des Werdens gegenüber einer langen Tradition rehabilitiert, die ihn nur für das Entstehen der Naturdinge gebrauchte und – wie er selbst auch – dem wahren Sein gegenüberstellt. Die Gottesgeburt ist ein ständiges Werden, durch das das wahrhaft ‚Neue und Frische‘ hervorgebracht wird. Während es im Bereich der Natur und der Kunst eigentlich nichts Neues gibt, sondern nur ‚Erneuertes‘ – da stets die immer gleiche Materie zugrunde liegt –, ist die Gottesgeburt, die sich in jedem guten Werk, also im Bereich des Moralischen, vollzieht, das ‚Werden ohne Werden‘ jenseits der Zeit, das unterschieden werden muss von jeglicher der Zeit unterworfenen Veränderung. In dieser ‚Zeugung‘ entsteht ein ‚Neues‘ ohne ‚Erneuerung‘. Das Fünklein ist der in der Kommunikation werdende Gott. Alle späteren Konzeptionen von einem ‚Werden‘ Gottes sind Derivate dieses Grundgedankens.“ Th. Kobusch, Lesemeistermetaphysik€– Lebemeistermetaphysik, S. 239–258, hier S. 251–252. Vgl. auch B. Mojsisch, „Dynamik der Vernunft“ bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart, in: K. Ruh (Hrsg.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, Stuttgart 1986, S. 135–144.
146 Sprache und Metaphysik
Zusammenfassung Gott als Anfang der Gottheit begreift sich selbst in sich selbst,424 weil vor ihm und außer ihm nichts sein kann. Die erste Aktivität des Anfangs – das Sich-insich-selbst-Begreifen – ist ein Selbsterkennen. Daher ist der Anfang der Gottheit ein selbsterkennender Intellekt, der als Anfang sich selbst bekannt ist und sich univok auf sich selbst bezieht. Dieser univoke Selbstbezug (oder dieses Gebären) ist durch das Aufheben der bestimmten fixierten Seinsmodi möglich. Die Voraussetzung für eine solche Aufhebung bildet die negatio negationis. Die durch die negatio negationis hervorgerufene Prozessualität verursacht es, dass die Begriffe in Eckharts Denken keine fixierten Bestimmtheiten sind, sondern sich permanent in univoker Bewegung befinden. Eckharts negatio negationis ist somit ein markanter philosophischer Terminus, durch den die Dialektik der gegenseitigen Geburt als Dialektik der Setzung der Relata zum Ausdruck gebracht wird.
424. Vgl. Pr. 15, DW I, S. 252, 2–6: „Der vater ist ain begin der gothait, wàn er begriffet sich selber in im selber. us (sic!) dem gat das ewig wort inne belibend, vnd der hailig gaist flùsset von in beiden inne belibend vnd gebirt in nit, wàn er ain end is der gothait inne belibend vnd aller creaturen, da ain luter, růw ist vnd ain rasten alles des, das wesen ie gewan.“ Übers.: „Der Vater ist ein Beginn der Gottheit, denn er begreift sich selbst in sich selbst. Aus dem geht das ewige Wort innebleibend aus, und der Heilige Geist fließt von ihnen beiden innebleibend aus, und <der Vater> gebiert ihn nicht, denn er ist ein innebleibendes Ende der Gottheit und aller Kreaturen, in dem eine lautere Ruhe ist und ein Rasten alles dessen, was je Sein gewann.“ In: N.€Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 179,35–181,6.
kapitel 5
Eckharts Deutsche Werke und ein weiterer Ort der Thesen seiner Metaphysik
Wer mit Eckehart sich beschäftigt hat, weiss, wie sein geistiger an die den himmel stürmenden Titanen erinnernden riesenlauf auf das treueste in des meisters sprache sich spiegelt; Eckehart schwelgt förmlich in dem genusse, die muttersprache zum ersten male mit sich zu führen hinab in die tiefen seiner spekulativen erörterung und hinauf in die höhen intellektuellen schauens. In diesen regionen hat die deutsche sprache noch nie gelebt und geatmet; doch auch hier erweist sie sich lebensfähig. … Seine sprachlichen neuerungen dagegen sind gröstenteils geniale neuschöpfungen der fruchtbarsten nachwirkungen bis in unsere zeit hinein.425
Mit dieser bereits 1884 gegebenen Einschätzung lenkte E. Kramm das Interesse der Forschung auf die sprachlichen Innovationen der Eckhart’schen deutschen Werke. Mit ihr widersprach er der bis dahin weithin akzeptierten Auffassung Denifles, Eckhart habe mit der deutschen Sprache gerungen und neue Termini, aber keine neuen Begriffe gebildet. Dabei habe er sich im Rahmen von bereits Gegebenem bewegt; wie in seiner Denkweise, so sei er auch in seiner deutschen Terminologie vom scholastischen Vorbild abhängig gewesen: Natürlich behielt man nicht selten lieber den geläufigen lateinischen Terminus bei, modelte vereinzelt denselben um, bildete auch manchmal Wörter, die ebenso schlecht waren, wie ähnliche scholastische, z.€B. die Substantive auf keit, welche auf einer Linie mit den scholastischen auf tas stehen.426
Im Gegensatz zu Denifle, der die Rolle Eckharts bei der Bildung der Neuschöpfungen in der deutschen Sprache skeptisch betrachtet hatte, galt Eckhart nach Kramm als ein Initiator der deutschen Schriftsprache. Die Funktion der deutschen Sprache im Rahmen von Eckharts Tätigkeit ist evident: Er wollte seine Lehre nicht nur an der Universität vertreten, sondern auch dem Laienpublikum – etwa der Beginen und Begarden – vermitteln. Als was 425. E. Kramm, Meister Eckharts Terminologie in ihren Grundzügen dargestellt. In: ZfdPh 16 (1884), S. 1–47, zitiert nach I. Degenhardt, Studien zum Wandel des Eckhartbildes, Leiden 1967,€S.€194. 426. H. S. Denifle, Meister Eckeharts lateinische Schriften, und die Grundanschauung seiner Lehre, in: ALKGMA 2 (1886) S. 417–615, hier S. 423.
148 Sprache und Metaphysik
aber ist diese auf Deutsch vertretene Lehre anzusehen? Gehört sie eigentlich zur Mystik, oder ist sie nur eine bildhaft-symbolische Darstellung der Theorien des hochgelehrten Meisters? Obwohl diese Frage seit der Entdeckung von Eckharts deutschen Predigten diskutiert wird, ist eine endgültige Antwort darauf noch immer nicht gefunden.
5.1
Eckharts Sprache in den Deutschen Predigten. Ein germanistischer Exkurs
Es sind Eckharts deutsche Predigten, an denen man seine eigentümliche Verwendung der Volkssprache untersuchen kann. Im Zusammenhang mit der Frage, warum Eckhart sich bei der Darlegung seiner Lehre außer der lateinischen auch der Volkssprache bedient hat, wird in der Forschung immer wieder auf die beschränkte Ausdruckskapazität der lateinischen Sprache hingewiesen.427 Da
427. Die Rolle der deutschen Sprache in Eckharts Werken beschreibt B. Hasebrink folgendermaßen: „Ausgehend von der These, daß das Lateinische seine ‚Lebendigkeit‘ verloren habe und zu einer dogmatischen Begriffssprache der Schultheologen ‚erstarrt‘ sei, wird der Volkssprache eine besondere Dignität zum einen für sprachliche Innovation überhaupt zugesprochen (im Hintergrund steht die historische Situation zu Beginn des 14. Jahrhunderts) und zum anderen für die Versprachlichung individueller Erfahrung. Die Volkssprache wird zum Medium innoÂ� vativer, authentischer Ich-Rede. Ob Eckhart glaubte, den Entfremdungscharakter der Sprache im Deutschen eher unterlaufen zu können als im Lateinischen, können wir nicht wissen; ebenso problematisch bleibt die Vermutung einer besonderen Erfahrungsnähe.“ B. Hasebrink, Grenzverschiebung. Zu Kongruenz und Differenz von Latein und Deutsch bei Meister Eckhart, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121 (1992), S.€369–398, hier S. 376. D. Mieth weist auch auf die erschöpften Möglichkeiten der lateinischen Sprache hin: „Dabei geht es einerseits darum, daß die Volkssprache als Sprache im Werden neue Ausdrucksweisen gestattete, eine Verlebendigung des Gedankengutes ermöglichte, die in der fixierten lateinischen Begriffsprache so nicht möglich war.“ D. Mieth, Die theologische Transposition der Tugendethik bei Meister Eckhart, in: K. Ruh (Hrsg.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, (Germanistische Symposien, Berichtsband€7) Stuttgart 1986, S.€63–79, hier S. 70. N. Largier bestreitet die These, dass die Differenz zwischen Deutsch und Latein in der Opposition „Mystik – Scholastik“ aufgehe. Sein Standpunkt lautet: „Die Volkssprache, die durchaus zur selbständigen philosophischen und theologischen Theoriebildung fähig ist, entfremdet sich dem Latein keineswegs. Sie wird auch nicht, wie man zu denken geneigt ist, schlechthin zum Instrument einer Laientheologie oder einer Philosophie des Laien.“ N. Largier, Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung, in: ZfdPh 114 (1995), S.€29–98, hier S.€68. Eine der wichtigsten Leistungen Eckharts sieht B. Hasebrink darin, dass er die Volkssprache zu einem Instrument des theoretischen Denkens gemacht hat: „Die Volkssprache wird bei Eckhart zu einem zugleich literarisierten, klerikalen, wissenschaftlichen und selbstreflexiven Sprachmedium, das die transzendierenden und negierenden Bewegungen des Denkens
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 149
Eckhart die deutsche Sprache in Predigten verwendet, muss man bei der Untersuchung der verbalen Aspekte zunächst auch die innerhalb der Predigtstruktur festgelegte Themenentfaltung berücksichtigen. In einer Predigt lassen sich die folgenden Arten der Themenentfaltung unterscheiden:428 Erstens, die deskriptive Themenentfaltung. Sie eignet sich dazu, die Darstellung der theologischen Lehre von der Exegese des Schriftwortes her thematisch zu strukturieren. Sie findet sich daher gehäuft in den ersten Abschnitten der Predigttexte; zweitens, die explikative Themenentfaltung. Sie liegt vor, wenn eine Einteilung in Explanandum (das, was erklärt werden soll) und Explanans (das, was erklärt) erkennbar bzw. rekonstruierbar ist; drittens, die argumentative Themenentfaltung. Sie dient dazu, die textinterne Begründungsfähigkeit der Aussagen des Predigers, nicht aber dessen argumentative Absicht nachzuweisen. Die Unterscheidung zwischen dem systematisch-argumentativen Status einzelner Theoreme im theologisch-philosophischen Denken Eckharts und ihrer Repräsentation im Kontext der Predigt wirft die Frage nach der Explizitheit rationaler Ansprüche der Predigt ebenso wie die nach dem Verfahren ihrer Theologisierung auf.429 Obwohl Eckhart seine Gedanken häufig in emphatischer Rede ausdrückt und so zur Gottesliebe und zum Handeln aus Dankbarkeit anregen will, hält er gleichzeitig an dem Anspruch fest, dass diese Gedanken auch wahr sind. K. Ruh erklärt unter Hinweis auf die locutio emphatica in Eckharts Predigten die Rede der Mystiker für affektivisch. Nach der Meinung von J. Margetts entsteht bei der Bezeichnung „affektivisch“ die Gefahr, dass dadurch in Eckharts Fall die verkehrte Vorstellung einer charismatischen Mystik entstehen könnte: Wir haben uns die locutio emphatica nicht so vorzustellen, als ob Eckhart sich beim Predigen erregten Gefühlen überlassen habe. Nach Eckharts eigenen Worten zielt die locutio emphatica vielmehr darauf, bei den Zuhörern starke Liebe
an sich selbst erfährt.“ B. Hasebrink, Grenzverschiebung, S. 377. Zur Frage nach der Verwendung der deutschen Sprache durch Eckhart vgl. auch J. Quint, Die Sprache Meister Eckharts als Ausdruck seiner mystischen Geisteswelt, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 6 (1928); J. Quint, Mystik und Sprache. Ihr Verhältnis zueinander insbesondere in der spekulativen Mystik Meister Eckharts, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 27 (1953); F. Tobin, Meister Eckhart: Thought and Language, University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1986. 428. Mehr darüber siehe bei B. Hasebrink, Formen inzitativer Rede bei Meister Eckhart. UnterÂ� suchungen zur literarischen Konzeption der deutschen Predigt, Tübingen 1992, S. 29–32. 429. Ibid. 35.
150 Sprache und Metaphysik
zu den Mitmenschen und zu Gott hervorzurufen. Ihre Verwendung geschieht äußerst bewußt und beruht auf Überlegung.430
Margetts begründet seine Auffassung damit, dass sich die locutio emphatica, obwohl sie sich auf den Inhalt einer Aussage beziehe, auch mit dem klaren Satzbau der Eckhart’schen Prosa mit ihren überschaubaren Spannungsverhältnissen in Verbindung bringen lasse. Denn diese hyperbolische Aussage bei Eckhart werde von einem äußerst klaren syntaktischen Aufbau getragen. Hierin finde sich der Berührungspunkt zwischen den Ergebnissen der syntaktischen Untersuchungen und dem Gesamtbild, das man von Eckhart habe.431 Wenn man sich mit den Predigten Eckharts auseinandersetzen will, muss man berücksichtigen, dass sie in der vorliegenden Form als Lesepredigten einzustufen sind. B. Hasebrink zweifelt ohnehin an der Prävalenz der Mündlichkeit gegenüber der Literarisierung in der Dominikanertradition, wenn er schreibt: „Literarisierung und Mündlichkeit zugunsten einer größeren Unmittelbarkeit der mündlichen Rede zu trennen, verfehlte den habituellen Charakter der Predigtkompetenz.“432 Dies schließt allerdings die Annahme einer Vorstufe der Eckhart’schen Predigten in mündlicher Form nicht aus. Neben der Frage nach dem Bezug zwischen Mündlichkeit und Literarisierung in Eckharts Predigtpraxis stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen seinen deutschen und seinen lateinischen Predigten. N. Largier hat im Anschluss an J. Koch und J. Quint darauf hingewiesen, dass in verschiedenen Fällen nicht nur eine „redaktionelle Verwandtschaft“ zwischen ihnen bestehe, sondern Eckhart selbst beide als sermones bezeichne und sich im Lateinischen wie im Deutschen an dieselben rhetorischen Regeln halte.433 Die Ausdrucksmittel, die er bevorzugt und die den Stil seiner späteren deutschen Predigten prägen, sind gemäß Quint „Hyperbolismus und Antithetik, oft gepaart mit Parallelismus“, sowie die „sehr eindrucksvollen Vergleiche … die … knapp und scharf profiliert, auf das tertium comparationis hin beschnitten und konzentriert sind.“434 430. J. Margetts, Die Satzstruktur bei Meister Eckhart, (Studien zur Poetik und Geschichte der Literatur 8) Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1969, S. 170. 431. J. Margetts, Die Satzstruktur bei Meister Eckhart, S. 171. 432. B. Hasebrink, Grenzverschiebung. Zu Kongruenz und Differenz von Latein und Deutsch bei Meister Eckhart, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 121 (1992), S.€369–398, hier S. 373. Vgl. auch: R. Manstetten, Mystik zwischen Literalität und Oralität. Meister Eckhart und die Theorie medialer Noetik, in: Kl. Jacobi, Meister Eckhart. LebensstationÂ� en€– Redesituationen, S. 15–42. 433. N. Largier, Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung, in: ZfdPh 114 (1995), S. 41. 434. J. Quint, in: Meister Eckhart, DW V, S. 179.
Kapitel 4.╇ Prädikation und Metaphysik 151
In seiner Analyse der sprachlichen Besonderheiten in Eckharts Predigten unterscheidet B. Hasebrink folgende vier Aspekte der worttheologischen Ausführungen Eckharts: (1) das Sprechen als Hervorbringung, (2) die Herleitung des ‚auswendigen Wortes‘ aus dem ewigen, ersten Wort, (3) die Namenlosigkeit und Unaussprechbarkeit Gottes und (4) die Dialogizität von göttlichem Sprechen und Hören, Behalten und Zurücksprechen des inneren, gelassenen Menschen als Umschreibung der Einheit von Gott und Seele.435 Obwohl sich diese vier Momente unterscheiden lassen, sind sie nicht getrennt. Sie benennen unterschiedliche Motive der Verwendung von worttheologischen Inhalten. Sie betonen die Prävalenz des Logos gegenüber der Wirklichkeit des Seienden (1), führen in die Grundlagen einer sachsemantischen Bedeutungslehre ein (2), halten die Forderungen der negativen Theologie aufrecht (3) und präsentieren eine kommunikative Variante der Einheitsaussage (4).436 In der Aufzählung der Aspekte der worttheologischen Ausführungen wie auch in derjenigen der Motive ihrer Verwendung wird einerseits betont, dass die worttheologischen Ausführungen bei Eckhart sich durch den Aspekt der Namenlosigkeit und Unaussprechbarkeit Gottes charakterisieren lassen; andererÂ�seits wird darauf hingewiesen, dass die Verwendung der worttheologischen Inhalte dem Aufrechterhalten der Forderungen der negativen Theologie dient. In beiden Fällen wird auf einen gewissen „Sprachpessimismus“ hingewiesen, da die Unaussprechbarkeit Gottes und die Forderungen der negativen Theologie nichts anderes als die Ohnmacht der Sprache bezüglich des göttlichen Wesens meinen. N. Largier ist der Auffassung, dass, da die Mitteilbarkeit für Eckhart problematisch werde, sich das herausbilde, „was insofern als mystische Sprache bezeichnet werden kann, als es die Überschreitung der Mitteilbarkeit, den spirituell und philosophisch geforderten Durchbruch zur Transzendenz, im Prozess des eigenen Sprechens zum Ausdruck bringt.“437 Obwohl er das Eckhart’sche Medium, d.€h. die Sprache, als die Überschreitung der Mitteilbarkeit bezeichnet, betont Largier, dass es vielmehr um den Versuch geht: … innerhalb der Sprache die Überschreitung der Positivität zu denken und so die Sprache zum Ort eines Wortgeschehens zu machen, das nicht nur Spiegel und Repräsentation eines rational und diskursiv erschlossenen Systems ist, sondern im Sinne der Tradition negativer Theologie und des Postulats der Überschreitung
435. Vgl. B. Hasebrink, Grenzverschiebung, S. 57. 436. Vgl. B. Hasebrink, Grenzverschiebung, S. 57. 437. N. Largier, Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung, in: ZfdPh 114 (1995), S. 66.
152 Sprache und Metaphysik
aller Repräsentation, das Eckharts Denken zugrunde liegt, ihre eigene Negation in sich aufnimmt.438
Das Wortgeschehen, das nicht Repräsentation eines rational und diskursiv erschlossenen Systems ist, kann nur in der Tradition negativer Theologie denkbar sein und dadurch eher der mystica theologia dienen. Eine solche Auffassung führt aber wieder zur Annahme eines gewissen Sprachpessimismus in Eckharts verbaler Vermittlung. Der Grund für eine solche Annahme kann auch darin liegen, dass Eckhart sich bei der Bibelexegese extreme Freiheit nimmt. D. Gottschall pointiert in dieser Hinsicht die wichtigen Aspekten des Eckhart’schen Schreibstils: Er treibe die scholastische Methode des litteram punctare offensichtlich auf die Spitze und segmentiere nicht nur Satzglieder, sondern auch Einzelwörter, die er dann nicht einmal in ihrer Reihenfolge belasse. „Man ist dann gerne geneigt, in dieser Willkür den Mystiker zu sehen, der sich um logische Zusammenhänge nicht zu kümmern braucht und das Schriftwort nur als ‚Sprungbrett‘ für sein einziges großes Thema ‚Gott und Seele‘ benutzt.“439 Die Erklärung für ein solches Verhalten Eckharts sieht Gottschall in „seiner besonderen Vorstellung von Wörtern.“440 Aus der Annahme der außergewöhnlichen Hochschätzung des gesprochenen oder geschriebenen Wortes bei Eckhart folge, dass von Sprachpessimismus nicht die Rede sein könne; alle Sprachen seien gleichwertig, und es spiele keine Rolle, ob auf Latein oder auf Deutsch gepredigt werde; jedes Wort der Heiligen Schrift sei gleich wichtig und auslegungswürdig; der Kontext eines Wortes, d.€h. der Satz, sei nur von geringer Bedeutung. Diese Auffassung Gottschalls steht im Gegensatz zu der S. Köbeles über die ungewöhnliche deutsche Wortfolge bei Eckhart, die sich
438. N. Largier, Meister Eckhart. Perspektiven der Forschung, in: ZfdPh 114 (1995), S. 66f. 439. D. Gottschall, „Man möhte wunder tuon mit worten“ (Predigt 81). Zum Umgang Meister Eckharts mit Wörtern in seinen deutschen Predigten, in: A. Speer/L. Wegener (Hrsg.), Meister Eckhart in Erfurt, (Miscellanea Mediaevalia 32) Berlin 2005, S. 427–449, hier S. 448. 440. Eine ähnliche Position zur Bedeutung der Wörter in der Eckhart’schen Exegese vertritt L. Sturlese: „Wie merkwürdig auch immer diese Exegese erscheinen mag, ist es auf den ersten Blick eindeutig, daß Eckhart nicht am Kontext interessiert ist, in dem das Gebot steht. Er zerlegt vielmehr den Satz der Schrift nach seiner üblichen und bewährten Methode zunächst in seine Bausteine … und fragt sodann nach dem Sinn von jedem Baustein. Der Sinn des Satzes ergibt sich als Summe der Sinne seiner Teile, mehr sagt Eckhart nicht. Diese Art der Exegese mag heute seltsam anmuten, denn sie dekontextualisiert den zu behandelnden Text. … Man könnte geradezu, wie ich meine, die ganz entgegengesetzte These vertreten, nämlich, daß Eckhart die Buchstaben des Textes unerbittlich ernst nimmt – vielleicht sogar zu unerbittlich.“ L.€Sturlese, Seele und intellektueller Seelengrund auf Deutsch und Latein. Eine Lektüre von Pred. 17 Quint, in: Ders., Homo divinus, S. 61–77, hier S. 63.
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 153
am Lateinischen orientiere. Gemäß Gottschall handelt es sich bei Eckhart um die Übersetzung einzelner Wörter, was Beleg dafür ist, dass die einzelnen Wörter für Eckhart besondere Bedeutung haben; Eckhart zeige einen besonders sorgfältigen Umgang mit dem „Wortkörper“ in seiner mittelhochdeutschen Übertragung. Davon zeuge Eckharts Vorliebe für die figura etymologica und die Stilfigur des color rhythmicus: Ich glaube, bei Eckhart sind diese Elemente mehr als rhetorischer Schmuck, sie sind wesentlicher Bestandteil seiner Aussage. Die Wiederholung ein und derselben Wortwurzel dient sicher zur hervorhebenden Betonung einer Aussage, bewahrt aber auch die Form eines Wortkörpers in seiner Laut- und Schriftgestalt, die so im Intellekt des Hörers oder Lesers immer wieder die gleiche Prägung (impressio) der gleichen kosmischen Kraft hervorruft.441
Bemerkenswert an dieser Auffassung ist, dass sie die Bedeutung des Wortes bei Eckhart hervorhebt und dadurch die Annahme eines „Sprachpessimismus“, der sich auf die negative Theologie zurückführen lässt, bestreitet. S. Köbele meint, dass bei Eckhart im Falle der Predigt „ein zwischen Grammatik, Sprach- und Semantiktheorie, Negativer Theologie und Verbumtheologie kreisendes Bezugssystem“ vorhanden ist.442 Ein solches Bezugssystem impliziert, dass Eckhart die bisherige Kapazität der Begriffe sprengt: Immer wieder schieben sich Perspektiven und Aussageweisen riskant übereinander, was das Schwebende und Schwierige, das Antiterminologische seiner Terminologie ausmacht. Offensichtlich geht es ihm … um die Relation der Ebenen [gemeint sind die Sprachebenen – T. T.]. Sie gelten gleichzeitig, bleiben übergängig, so daß man den Eindruck gewinnt, die Sätze formulieren in Wirklichkeit den freien Raum zwischen ihnen.443
Im Folgenden wird am Beispiel der Predigten 9 und 21 aufgezeigt, dass die in unserer Untersuchung dargestellten Ideen Eckharts, die ihre explizite Entfaltung in seinen lateinischen Traktaten finden, thesenweise auch in seinen deutschen Predigten vorkommen.
441. D. Gottschall, „Man möhte wunder tuon mit worten“ (Predigt 81). Zum Umgang Meister Eckharts mit Wörtern in seinen deutschen Predigten, in: A. Speer/L. Wegener (Hrsg.), Meister Eckhart in Erfurt, (Miscellanea Mediaevalia 32) Berlin 2005, S. 427–449, hier S. 448f. 442. S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 113 (Sonderheft; 1994), S. 190–206, hier S. 199. 443. S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, S. 200f.
154 Sprache und Metaphysik
5.2 Predigt 9: ‚Quasi stella matutina in medio nebulae et quasi luna plena in diebus suis lucet et quasi sol refulgens, sic iste refulsit in templo dei‘ (Eccli. 50, 6f.) Predigt 9 gilt als eine „Schlüsselpredigt“ der Sammlung Paradisus anime intelligentis, die die spezifisch dominikanische Doktrin vermittelt. Diese Sammlung aus der Mitte des 14. Jahrhunderts enthält mit einer unscheinbaren Ausnahme keine der in Häresieverdacht geratenen Predigten Eckharts. Nach allgemeiner Auffassung wirkt sie wie ein nachträglicher Rechtfertigungsversuch.444 In der Stelle aus Eccli. 50, 6f. bilden die letzten Worte, templo dei, das Objekt des Eckhart’schen Interesses. In diesem Zusammenhang stellt er die Fragen, die die Predigt zu beantworten hat: „Was ist Gott?“ und „Was ist Tempel Gottes?“ Schon die Fragestellung „Was ist Gott?“ zielt auf die Washeit Gottes und verweist auf die Absicht, die göttliche quiditas näher zu betrachten. Um die Frage zu beantworten, rekurriert Eckhart auf den Liber 24 philosophorum des Pseudo-Hermes Trismegistus und hebt aus dieser Schrift die drei Antworten auf die gestellte Frage hervor: (1) Gott sei etwas, dem gegenüber alle wandelbaren und zeitlichen Dinge nichts seien, und alles, was Sein habe, das sei vor ihm gering; (2) Gott sei etwas, das notwendig über dem Sein sei, etwas, das in sich selbst niemandes bedürfe und dessen doch alle Dinge bedürften; (3) Gott sei eine Vernunft, die da lebe in der Erkenntnis ihrer selbst.445 Der ersten Antwort zufolge wird Gott für etwas erklärt, dem gegenüber alle wandelbaren und zeitlichen Dinge oder das ens hoc et hoc, wie es in den lateiniÂ� schen Schriften Eckharts auch heißt, nichts sind bzw. vor dem alles, was Sein hat, gering ist. Damit wird Gott zu etwas Seinslosem erklärt, dem gegenüber die zeitlichen Dinge nichts sind. Gemäß der zweiten Antwort aus dem Liber 24 philosophorum bestimmt Eckhart Gott negativ als jenseits des Seins, als notwendig über dem Sein, als etwas, das in sich selbst niemandes bedarf und dessen doch alle Dinge bedürfen. Dies meint, dass Gott zwar in allen Kreaturen ist, sofern sie Sein haben, und doch darüber ist.446 Eben dadurch, dass er in allen Kreaturen ist, ist er notwendig 444. Vgl. S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, S. 196f.: „Bereits ihr Titel ist eine eindeutige Stellungnahme im Ordensstreit um die Frage nach der Priorität von intellectus oder voluntas/caritas. So liegt es für diese Predigt nahe, nicht nur die besondere Hervorhebung der vernünfticheit, sondern auch die oben angesprochenen Leerstellen und ‚Zwischenräume‘ mit einer dogmatisch bereinigenden Redaktion in Verbindung zu bringen.“ 445. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 142, 3–7. 446. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 143, 1f.: „Got ist in allen crêatûren, als sie wesen hânt, und ist doch dar über.“ Zu dieser Stelle vgl. auch In Eccli. n. 54, LW II, S. 282,13–283,1: „… deus est rebus
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 155
darüber, weil das, was in vielen Dingen eins ist, notwendig über den Dingen sein muss. Als Beispiele für solches In-vielen-Dingen-Sein und trotzdem Über-vielenDingen-Sein nennt Eckhart die Seele, die gleichmäßig in verschiedenen Gliedern des Menschen geteilt ist und trotzdem über diesen Gliedern bleibt,447 und das Nun, das alle Zeit in sich begreift und trotzdem alle Zeiten übergreift.448 Die dritte Antwort – „got ist ein vernünfticheit“449 – dient als Ausgangspunkt dafür, den „Tempel“, in dem Gott recht eigentlich wohnt, als Vernunft zu deuten. Die Vernunft lebt da, d.€i. in Gott, in der Erkenntnis einzig ihrer selbst. Das Leben der Vernunft da ist die Selbsterkenntnis. Aber die Vernunft ist auch Gott selbst. Daher lebt Gott einzig in seiner Selbsterkenntnis. Damit wird die vernünfticheit nicht nur als innergöttlicher Akt aufgefasst, der zur Selbsterkenntnis Gottes dient, sondern wird als solche mit Gott gleichgesetzt.
omnibus intimus, utpote esse, et sic ipsum edit omne ens; est et extimus, quia super omnia et sic extra omnia.“ In Sap. n. 135, LW II, S. 473, 8: „… deus sic totus est in quolibet, quod totus est extra quodlibet.“€ In Gen. I. n. 166, LW I, S. 312, 10f.: „Ratio est quia ipse sic totus est in rebus singulis, quod totus est extra.“ 447. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 143, 5–7: „Diu sêle ist ganz und ungeteilet alzemâle in dem vuoze und alzemâle in dem ougen und in ieglîchem glide.“ Vgl. auch In Exod. n. 92, LW II, S. 95, 7–8: „Quaelibet enim pars ignis est, et anima tota in qualibet parte minima corporis animati.“ Sermo LV n. 556, LW IV, S. 465, 13f.: „Exemplum huius in anima, quae vivit in oculo, vivit in aure, in lingua et in omnibus membris.“ In Sap. n. 135, LW II, S. 474, 3–5: „Hinc est quod anima non variatur nec senescit nec desinit extracto oculo aut pede, quia ipsa se tota est extra oculum et extra pedem, in manu tota et in qualibet alia parte tota.“ Ein ähnlicher Vergleich kommt auch bei Thomas von Aquin vor. Vgl. Summa theologiae I, De existentia Dei in rebus, q. 8, a. 2 (Marietti I, S. 37): „Et ideo sicut anima est tota in qualibet parte corporis, ita Deus totus est in omnibus et singulis entibus.“ 448. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 143,8–144,3: „Daz nû, dâ got die werlt inne machete, daz ist als nâhe dirre zît als daz nû, dâ ich iezuo inne spriche, und der jüngeste tac ist als nâhe disem nû als der tac, der gestern was.“ Übers.: „Das Nun, in dem Gott die Welt schuf, das ist dieser Zeit so nahe wie das Nun, in dem ich jetzt spreche, und der jüngste Tag ist diesem Nun so nahe, wie der Tag, der gestern war.“ In: N. Largier, Meister Eckhart Werke I, S. 105,33–107,2. Denselben Gedanken wiederholt Eckhart auch In Ioh. n. 214: „Primo, quia ante mundum creatum non fuit aliquod ubi. Unde cuidam sciolo volenti probare aeternitatem mundi et quaerenti, quare deus mundum non prius creavit et postea creaverit, respondi quidem ad hominem, quod deus non potuit mundum prius creare, quia ante mundum et tempus non fuit prius.“ Auch In Ioh. n. 582: „… in deo, utpote in esse, nihil est praeteritum, nihil futurum, sed tantum praesens, id est praesto ens. Unde deus nec mundum creasset, nisi creasse esset creare, …“. 449. Pr. 9, DW I, S. 142, 7.
156 Sprache und Metaphysik
Somit nimmt Eckhart in rudimentärer Form Bezug auf eine Thematik, die an die Quaestio Parisiensis I erinnert,450 um die Hörer in einem Dreischritt zu dem Gedanken anzuleiten, dass Gott Vernunft sei und die Menschen vor allem über das Vermögen der Vernunft Zugang zu ihm hätten. Wie J. Quint in der kritischen Edition bemerkt, sind die ersten beiden Sprüche bei Eckhart viel zu ungenau zitiert, als dass sie mit bestimmten Passagen des Liber 24 Philosophorum in eins gesetzt werden könnten. Nur der dritte Spruch habe eine eindeutige Beziehung, und zwar zum 20. Meisterspruch, der lautet: „Deus est, qui solus suo intellectu vivit.“451 Eckhart führt weiter aus, dass jedes Ding in seinem Sein wirke, weil kein Ding über sein Sein hinaus wirken könne. Gott wirke oberhalb des Seins, er wirke im Nichtsein. Diesen Gedanken begründet er mit der Schöpfungsidee: Noch ehe es Sein gab, wirkte Gott, und zwar wirkte er das Sein. Dadurch erklärt Eckhart das Sein für etwas Sekundäres im Vergleich zu Gott. Dabei nennt er diejenigen, die Gott mit dem lautersten Sein gleichsetzen, die grobsinnigen Meister. Er rückt also ab von der These „esse est deus“, weil er Gott nicht nur für etwas Unterschiedenes vom kreatürlichen Sein, dem esse hoc et hoc, erklärt, sondern sogar für etwas Unterschiedenes vom esse absolutum, vom lautersten Sein. Wie diese Seinslosigkeit Gottes zu verstehen ist, erklärt Eckhart so: „Daz ich aber gesprochen hân, got ensî niht ein wesen und sî über wesene, hie mite enhân ich im niht wesen abegesprochen, mêr: ich hân ez in im gehœhet.“452 Die Auffassung über die Seinslosigkeit Gottes will Eckhart auf die Worte von Augustinus aus De trinitate zurückführen, die im Einklang mit der Position der via eminentiae stehen: „Sankt Augustinus sagt: Gott ist weise ohne Weisheit, gut ohne Gutheit, gewaltig ohne Gewalt.“453 Diese Auffassung von Augustinus weist darauf hin, dass Gottes Weisheit, Gutheit oder Gewalt nicht als solche zu denken sind, die man mit den Worten ‚Weisheit‘, ‚Gutheit‘ oder 450. Die Bezugspunkte zwischen den Quaestiones Parisienses und der Predigt 9 Eckharts hat M. von Perger ausführlich dargelegt. Vgl. M. von Perger, Disputatio in Eckharts frühen Pariser Quästionen und als Predigtmotiv, in: Kl. Jacobi (Hrsg.), Meister Eckhart. LebensstationenÂ�Redesituationen, S. 115–148. 451. Vgl. Pr. 9, DW I, Quints Anmerkung 3, S. 142f. 452. Pr. 9, DW I, S. 146; vgl. N. Largier, Meister Eckhart Werke I, S. 107, 30–32: „Wenn ich aber gesagt habe, Gott sei kein Sein und sei über dem Sein, so habe ich ihm damit nicht das Sein abgesprochen, vielmehr habe ich es in ihm erhöht.“ 453. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 107, 35f.; vgl. Pr. 9, DW I, S. 147, 1f.: „Sant AugusÂ� tînus sprichet: got ist wîse âne wîsheit, guot âne güete, gewaltic âne gewalt.“ Vgl. auch AugusÂ� tinus, De trinitate l. V c.1 n. 2 (PL 42, 912): „… ut sic intelligamus Deum … sine qualitate bonum, sine qualitate magnum, sine indigentia creatorem, sine situ praesidentem, sine habitu omnia continentem, sine loco ubique totum, sine tempore sempiternum.“
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 157
‚Gewalt‘ belegt. Folgt man Augustinus’ Gedankengang, ist Gott unprädizierbar. Von ebendieser Konsequenz her deutet S. Köbele die gesamte Predigt 9, wenn sie meint, dass der Seinsüberlegenheit die Namenlosigkeit Gottes entspreche.454 Das Thema der Seinslosigkeit Gottes spricht Eckhart in Predigt 9 nicht zum ersten Mal an. Daher empfiehlt es sich, den Gedanken „Gott sei kein Sein und sei über dem Sein“ im Kontext seines gesamten Werkes zu betrachten. Darin kommt die These von der Seinslosigkeit Gottes zum ersten Mal in der Quaestio Parisiensis I vor, in der erklärt wird, dass „ebendas Erkennen Grundlage ebendes Seins ist.“455 Wenn Eckhart in Predigt 9 sagt, Gott sei kein Sein, sondern über dem Sein, dann ist hier eher an etwas zu denken, das kein Sein ist und doch als Grund des Seins mehr als das Sein selbst ist. Bedenkt man, dass Predigt 9 in der Sammlung Paradisus anime intelligentis enthalten ist, die wie ein nachträglicher Rechtfertigungsversuch wirkt, dann lässt sich auch die Funktion des in diesem Kontext angeführten augusÂ� tinischen Zitats verstehen: Eckhart versucht hier, seine These von der Seinslosigkeit Gottes auf Augustinus zurückzuführen und dessen Lehre seinem Theorem zu akkommodieren. Dadurch skizziert er den gedanklichen Horizont, in dem die quiditas Gottes zu denken ist. Dass die wesentliche Fragestellung hier eher mit der Pariser Quaestio I als mit Augustinus’ De trinitate im Einklang steht,456 zeigt auch die zu Beginn der Predigt angeführte dritte Antwort auf die Frage, was Gott sei: „Gott ist eine Vernunft, die da lebt in der Erkenntnis einzig ihrer selbst.“ Dadurch wird Gott zu einem erkennenden Subjekt erklärt, das selbstreflexiv ist. Als ein sich selbst erkennendes Subjekt ist er ohne Bestimmtheit, ohne Weise, weil er sich durch seine Erkenntnis bestimmt, die kein abgeschlossener Akt ist, sondern sich permanent und ohne Ende vollzieht.457 Da diese Prozessualität ohne Ende
454. Vgl. S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, S. 193. 455. Vgl. Quaest. Par. I, n. 4, LW V, S. 40, 5ff. 456. In diesem Zusammenhang ist der Beitrag von Chr. Ortmann interessant, die einen Versuch unternimmt, die besondere Argumentationsstruktur der deutschen Predigt 9 vor dem allgemeinen Hintergrund der lateinischen Werke Eckharts zu rekonstruieren; vgl. Chr. Ortmann, Eckharts Lehre für die Ungelehrten. Zum Verhältnis von Deutsch und Latein in der deutschen Predigt, in: K. Grübmüller (Hrsg.), Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation, in: Sprach- und Literaturwissenschaft (FS für H. Fromm), Tübingen 1979, S.€342– 391. Zum Zusammenhang zwischen den lateinischen Quästionen und den deutschen Predigten Eckharts vgl. auch M. von Perger, Disputatio in Eckharts frühen Pariser Quästionen und als Predigtmotiv, S. 115–148. 457. Über den Charakter des intelligere bemerkt L. Sturlese: „Diametral entgegengesetzte Eigenschaften kämen dem Denken (intelligere) zu: Es sei nicht kategorial faßbar, es entziehe sich somit den Gesetzen der aristotelischen Substanzontologie und sei vielmehr Verneinung jeder formalen Bestimmtheit, daher nicht-seiend und nicht-geschaffen.“ L. Sturlese, Meister Eckhart:
158 Sprache und Metaphysik
zu denken ist, ist er – in Eckhart’schen Worten – „Weise ohne Weise“,458 ohne Bestimmtheit, weil die Weise erst nach einem abgeschlossenen Erkenntnisakt die Weise einer Bestimmung gewinnen kann.459 Nachdem Gott vom lauteren Sein unterschieden wurde, entfaltet Eckhart seine Fragestellung „Was ist Gott?“ dadurch, dass er die Frage nach der Prädikation Gottes auch in dieser deutschen Predigt näher angeht: Um die Washeit Gottes zu definieren, muss man die Art des Definitionsverfahrens bestimmen. Eckhart beginnt mit dem Beispiel der baccalarii theologiae, welche lehren, dass die zehn aristotelischen Kategorien, die die zehn Seinsweisen aller Wesen darstellen, Gott abgesprochen werden müssen. Keine dieser Seinsweisen berühre Gott, jedoch ermangele er auch keiner von ihnen. Die erste, die am meisten Sein besitze, in der alle Dinge ihr Sein empfingen, sei die Substanz, und die letzte, die am allerwenigsten Sein enthalte, heiße Relation, und die sei in Gott, dem Allergrößten, das am meisten Sein besitze, gleich.460 Diese Ausführung Eckharts korrespondiert folgender Auffassung aus seinem Exoduskommentar: Ex praemissis, ubi dictum est, quod deus est et operatur omnia sua substantia, patet quod in deo est unicum praedicamentum, scilicet substantia, qua est, qua potens est, qua sapiens est, qua bonus est et huiusmodi, quae in creaturis pertinent ad praedicamenta novem accidentis.461
Ein Porträt, in: Ders. Homo divinus, S. 15–34, hier S. 22. Eine eingehende Analyse von Eckharts Quaestio findet sich bei R. Imbach, Deus est intelligere. Das Verhältnis von Sein und Denken in seiner Bedeutung für das Gottesverständnis bei Thomas von Aquin und in den Pariser QuaesÂ� tionen Meister Eckharts, Freiburg/Schweiz 1976, S. 153–157. 458. Den Ausdruck „Weise ohne Weise“ (wîse âne wîse) verwendet Eckhart als Ausdruck höchster Unbestimmtheit. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 144, 8f.: „… got ze minnenne daz ist wîse âne wîse.“ 459. Über das Denken als Tätigkeit, als principium bei Eckhart siehe B. Mojsisch, Denken und Freiheit in der Philosophie Meister Eckharts, in: Ders./M. Beriashvili (Hrsg.), Die Idee der Freiheit in Philosophie und Sozialtheorie, Saarbrücken 2010, S. 113–130. 460. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 147, 4–8: „Diu êrste, diu des wesens allermeist hât, dâ alliu dinc wesen inne nement, daz ist substancie, und daz leste, daz des wesens aller minnest treit, daz heizet relatio, daz ist glîch in gote dem aller grœsten, daz des wesens allermeist hât.“ 461. In Exod. n. 62, LW II, S. 66,14–67,3. Vgl. Übers.: „Wir sagten oben, daß Gott alles durch seine Substanz ist und wirkt. Daraus folgt, daß es in Gott nur eine Kategorie gibt, nämlich die Substanz, durch die er ist, durch die er mächtig ist, durch die er weise ist, durch die er gut und alles das ist, was bei den Geschöpfen zu den neun Kategorien des Akzidens gehört.“
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 159
Die zehn Prädikamente kommen Gott nicht in derselben Weise zu wie den Kreaturen, d.€h. als real verschieden von der Substanz, wohl aber als in die göttliche Substanz übergehende und daher als real identisch mit der göttlichen Substanz, als der göttlichen Substanz inhärierend.462 Wenn aber Gott kein Sein ist, dann ist er auch keine Gutheit, weil Gutheit am Sein haftet und nicht weiter als das Sein reicht; denn gäbe es kein Sein, so gäbe es keine Gutheit. Wie aber kann dann Gott ohne Gutheit gut sein, wenn „nieman enist guot dan got aleine“ (Mark. 19, 18)? Eckharts Antwort lautet: „Daz ist guot, daz sich gemeinet.“463 Damit erklärt er das Sich-Mitteilen zu einem Kriterium des Gut-Seins: Kein Ding teilt sich aus Eigenem mit, denn alle Kreaturen sind nicht aus sich selbst. Was immer sie mitteilen, das haben sie von einem Anderen. Gott teilt das Seine mit, weil er aus sich selbst ist, was er ist, und in allen Gaben, die er gibt, gibt er zuerst stets sich selbst. Eckharts Thesen, von denen die eine Gott zu einem absoluten Sein erklärt („esse est deus“) und die andere Gott das Sein abspricht, schließen sich gegenseitig aus, beziehen sich aber auf ein und denselben Begriff: Gott. Eckhart betrachtet jedoch die beiden Thesen als konvertibel, denn für ihn gilt: Als wir got nehmen in dem wesene, sô nehmen wir in in sînem vorbürge, wan wesen ist sîn vorbürge, dâ er inne wonet. Wâ ist er denne in sînem tempel, dâ er heilic inne schînet? Vernünfticheit ist der tempel gotes. Niergen wonet got eigenlîcher dan in sînem tempel, in vernünfticheit, …â•›.464
462. Vgl. dazu J. Koch, Pr. 9, DW I, S. 147, Anm. 5. Die in Anmerkung 458 zitierte Stelle aus Predigt 9 legt S. Köbele folgenderweise aus: „Von ihnen [den zehn Kategorien – T. T.] träfen nur zwei, Substanz und Relation, auf Gott zu. Selbst diese fielen in Gott in eins (147,3ff.), womit ein zusätzliches Argument dafür gewonnen ist, daß Gott nicht prädizierbar ist.“ Die These von der Unprädizierbarkeit Gottes leitet sie von den Worten „Got enist weder diz noch daz“ (146,2f.) ab. Dies ist einer der Gründe, warum sie diese Predigt als „eine Auseinandersetzung mit der Negativen Theologie“ charakterisiert. Bei ihren Ausführungen läßt sie aber jene Stelle aus dem Exoduskommentar außer Acht, wo der gleiche Gedanke vorkommt und durch die Prämisse „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc“ ergänzt wird, was zur Betrachtung der zehn Prädikamente als in die Substanz übergehende führt. Vgl. S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik bei Meister Eckhart, S. 193. 463. Pr. 9, DW I, S. 149; vgl. Übers.: „Niemand ist gut als Gott allein … Das ist gut, was sich mitteilt. Gott ist das Allermitteilsamste.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 109, 17–19. 464. Pr. 9, DW I, S. 150; Übers.: „Wenn wir Gott im Sein nehmen, so nehmen wir ihn in seinÂ� em Vorhof, denn das Sein ist sein Vorhof, in dem er wohnt. Wo ist er denn aber in seinem Tempel, in dem er als heilig erglänzt? Vernunft ist ‚der Tempel Gottes‘. Nirgends wohnt Gott eigentlicher als in seinem Tempel, in der Vernunft…“. In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S.€109,34–111,2.
160 Sprache und Metaphysik
Diese Metapher erläutert die Relation von Gott und Sein in Eckharts Metaphysik; ebenso ist sie Schlüssel zum Verständnis der Vereinbarkeit zwischen den beiden Thesen, von denen die eine Gott für ein absolutes Sein erklärt, die andere aber ihm das Sein abspricht: Sowohl das Sein als auch die Seinslosigkeit charakterisieren die Washeit Gottes, aber auf verschiedene Art und Weise. Das Sein drückt die quiditas Gottes aus, ist jedoch nur ein „Vorhof “ im Vergleich zur Vernunft, die mit Gott gleichgesetzt wird: … got ist ein vernünfticheit, diu dâ lebet in sîn aleines bekantnisse, in im selber aleine blîbende, dâ in nie niht engeruorte, wan er aleine dâ ist in sîner stilheit. Got in sîn selbes bekantnisse bekennet sich selben in im selben.465
Der Ausdruck „Gott ist in der Vernunft in der Stille“ meint, Gott sei in der Vernunft frei vom Bezug auf ein Etwas. Die einzige Relation, die er in der Vernunft erfährt, ist das Selbsterkennen: Gott erkennt im Erkennen seiner selbst sich selbst in sich selbst.466 Durch die Erkenntnis wirkt Gott im Nichtsein und gibt das Sein: „Des engels wesen hanget dar an, daz im götlich vernünticheit gegenwertic ist, dar inne er sich bekennet.“467 Die Vernunft ist nicht nur für Gott und seine Selbsterkenntnis reserviert, sondern auch die Seele besitzt ein „Tröpflein Vernunft“, ein „Fünklein“.468 Die Seele verfügt unter ihren verschiedenen Kräften (Eckhart zählt an dieser Stelle Verdauen, Zunehmen, Wachsen und Sehen auf) auch über das Vermögen des Denkens. Das Denken stellt in sich die Dinge vor, die nicht gegenwärtig sind, so dass man diese Dinge ebenso gut erkennt, als ob man sie mit den Augen sehen würde. Mit dem Denken wirkt die Seele im Nichtsein, weil sie durch das Denken den abstrakten oder unrealen Gegenständen das Sein mitteilt, indem sie sie denkt: „… mit dirre kraft würket diu sêle in unwesene und volget gote, der in
465. Pr. 9, DW I, S. 150; Übers.: „Gott ist eine Vernunft, die da lebt im Erkennen einzig ihrer selbst, nur in sich selbst verharrend dort, wo ihn nie etwas berührt hat; denn da ist er allein in seiner Stille. Gott erkennt im Erkennen seiner selbst sich selbst in sich selbst.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 111, 2–6. 466. Zur These, dass Gott reines Erkennen sei, dass ihm das Sein erst sekundär durch das Erkennen zukomme, vgl. Quaest. Par. I (Utrum in deo sit idem esse et intelligere) n. 4, n. 7, n. 5, LW V, S. 40,5ff.; 43,6ff.; 42,7; Quaest. Par. 3 (Utrum laus dei in patria sit nobilior eius dilectione in via) n. 9, LW V, S. 60, 8f.; Sermo XXIX n. 301, n. 303, n. 304, n. 305; In Gen. I n. 11; In Gen. II n. 214; In Sap. n. 299; In Ioh. n. 34, n. 38, Sermo LII n. 523. 467. Pr. 9, DW I, S. 154; Übers.: „Des Engels Sein hängt daran, daß ihm die göttliche Vernunft gegenwärtig ist, darin er sich erkennt.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 113, 22–24. 468. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 151: „Nû nehmen wirz in der sêle, diu ein tröpfelîn hât vernünfticheit, ein vünkelîn, ein zwîc. Diu hât krefte, die dâ würkent in dem lîbe.“
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 161
unwesene würket.“469 Das Wirken der Seele oder die Erkenntnis gibt dem Nichtsein das Sein. Auf solche Weise begründet das Gnoseologische das Ontologische: Das, was man erkennt, wird seiend. Die Vernunft erkennt nicht das, was seiend ist, sondern schafft durch die Erkenntnis eine Art der Seiendheit, die erst dadurch existiert, dass man sie erkannt hat. Wie erkennt aber eine Seele, die durch das Denken dem göttlichen Wirken folgen kann, selbst Gott? Eckhart hält an der Differenz zwischen Willen und Vernunft wie auch an deren Unterschied in ihrem Bezug auf Gott fest: … diu sêle, diu got minnet, diu nimet in under dem velle der güete. Vernünfticheit ziuhet gote daz vel der güete abe und nimet in blôz, dâ er entkleidet ist von güete und von wesene und von allen namen.470
Hier bemerkt Eckhart in Parenthese: „Noch sind es alles Worte heidnischer MeisÂ� ter, die bislang zitiert wurden; deren Erkenntnis erfolgte bloß in natürlichem Licht.“471 Diese aus „natürlichem“, nicht aus durch Offenbarung erleuchtetem vernünftigen Denken entstandene These eines heidnischen Meisters, Vernunft habe die Fähigkeit, Gott das Fell der Güte abzuziehen, genügt Eckhart zur Rettung seiner Behauptung, die Vernunft sei edler als der Wille. Dass diese Behauptung mit der gegenteiligen konkurriert, der Wille sei edler als die Vernunft, ist offenbar eine Anspielung auf Eckharts in Paris geführte Auseinandersetzung mit dem Franziskanergeneral Gonsalvus Hispanus,472 der in seiner Quaestio Utrum laus dei in patria sit nobilior eius dilectione in via? gegen Eckhart polemisiert und behauptet hatte, dass der Wille edler sei als die Vernunft, da der Wille die Dinge nehme, wie sie in sich selbst sind, die Vernunft hingegen, wie sie in ihr sind. Eckhart grenzt die Vernunft der menschlichen Seele, die sich mit ihren Vermögen auf Gott richtet, 469. Pr. 9, DW I, S. 151. Vgl. Übers.: „… mit dieser Kraft wirkt die Seele im Nichtsein und folgt darin Gott, der im Nichtsein wirkt.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 111, 22f. 470. Pr. 9, DW I, S. 152; vgl. Übers.: „Die Seele, die Gott liebt, die nimmt ihn unter der Hülle der Gutheit. Vernunft aber zieht Gott die Hülle der Gutheit ab und nimmt ihn bloß, wo er entkleidet ist von Gutheit und von Sein und von allen Namen.“ In N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 111, 29–33. 471. Ibid. 472. M. von Perger kommentiert diese in Predigt 9 vorhandene Anspielung folgendermaßen: „Diese Erzählung erinnert an Paris, spiegelt aber keinen Vorgang, der uns aus den Pariser Zeugnissen von 1302/1303 bekannt wäre. Dort stellt Gonsalv sich selbst als Autor einer These hin, Eckhart als seinen Widerredner, und er selbst antwortet wieder darauf. Hier erzählt Eckhart einen Fall mit umgekehrten Rollen, wobei nicht einmal deutlich wird, ob der ‚andere‘ Meister seine These als Antwort auf diejenige Eckharts verstanden wissen wollte; lediglich durch die Erzählfolge bekommt sie diesen Status.“ M. von Perger, Disputatio, S. 115–148, hier S. 142.
162 Sprache und Metaphysik
vom Willen oder von der Liebe ab und weist ihr einen bestimmten Vorzug zu: Der Wille verhüllt das göttliche Wesen mit der Gutheit und lässt dessen wahre Washeit nicht erkennen. Nur die Vernunft kann Gott frei von Gutheit, Sein und allen Namen, d.€h. frei von allen Bestimmungen, wahrnehmen. Nur die Vernunft kann erkennen, dass Gott Vernunft ist. „Ich spriche aber, daz vernünftiheit edeler ist dan wille“473 – mit diesen Worten beginnt folgende Ausführung, in der Eckhart die Idee der menschlichen Seligkeit nicht mehr mit dem Begriff der Gutheit, sondern mit dem Begriff der Vernünftigkeit verbindet: Dâ von enbin ich niht sælic, daz got guot ist. Ich enwil des niemer begern, daz mich got sælic mache mit sîner güete, wan er enmöhte ez niht getuon. Dâ von bin ich aleine sælic, daz got vernünftic ist und ich daz bekenne.474
In dieser Aussage wird die Seligkeit insofern nicht mehr als logische Konsequenz des Ethischen, sondern des Gnoseologischen verstanden, als das Gnoseologische das Ethische begründet: Das, was man erkennt, wird durch diese Erkenntnis nicht nur seiend, sondern auch gut. Hierdurch wird in dieser Predigt die PräÂ� valenz der gnoseologischen gegenüber der ontologischen wie auch der ethischen Ebene betont. Nach seinen Ausführungen, die die Fragen „Was ist Gott?“ und „Was ist der Tempel Gottes?“ behandeln, wendet sich Eckhart der Frage zu, was man von Gott aussagen könne. Er findet auf diese Frage folgende Antwort: „Das Allereigentlichste, was man von Gott aussagen kann, das ist ‚Wort‘ und ‚Wahrheit‘. Gott nannte sich selbst ein ‚Wort.‘“475 ‚Im Anfang war das Wort‘ deutet demnach an, dass „man“, d.€i. der Mensch, bei diesem Wort ein „Beiwort“ sein soll. Eckhart unterscheidet drei Arten von Worten: Ein hervorgebrachtes Wort, das die Engel, die Menschen und alle Kreaturen benennt; das Wort, das gedacht und hervorgebracht ist, durch das es möglich ist, das man sich etwas vorstellt; und das Wort, das sowohl unhervorgebracht wie ungedacht ist, das niemals austritt, vielmehr ewig in dem bleibt, der es spricht:
473. Pr. 9, DW I, S. 153, 3; Übers.: „Ich aber sage, daß die Vernunft edler ist als der Wille.“ In: N.€Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 113, 3f. 474. Pr. 9, DW I, S. 153; vgl. Übers.: „Nicht dadurch bin ich selig, dass Gott gut ist. Ich will auch niemals danach begehren, dass Gott mich selig mache mit seiner Gutheit, denn das vermöchte er gar nicht zu tun. Dadurch allein bin ich selig, dass Gott vernünftig ist und ich dies erkenne.“ In: N. Largier, Meister Eckhart Werke I, S. 113, 12–16. 475. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 113, 29–31; vgl. Pr. 9, DW I, S. 154,7–155,11.
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 163
… ez ist iemermê in einem enpfâhenne in dem vater, der ez sprichet, und inneblîbende. Vernünfticheit ist allez înwert würkende. Ie kleinlîcher und ie geistlîcher daz dinc ist, ie krefticlîcher ez înwert würket, und ie diu vernunft kreftiger und kleinlîcher ist, ie daz, daz si bekennet, mêr dâ mite vereinet wirt und mêr ein mit ir wirt.476
Eckhart definiert die Seligkeit Gottes folgendermaßen: Gottes Seligkeit liege im Einwärtswirken der Vernunft, wobei das Wort innebleibend sei.477 Gottes Seligkeit liege im Wirken der Vernunft, wobei das Wort oder der Sohn innebleibend sei. Die Seele solle ein Beiwort des Wortes oder des Sohnes sein und mit Gott ein Werk wirken. Gottes Werk sei aber Erkenntnis. In dem gemeinsamen Erkennen seien sowohl Mensch als auch Gott selig. Geht man von den folgenden Grundthesen der Predigt – Gott ist kein lauteres Sein, Gott ist Vernunft, Gott erkennt sich selbst und wirkt durch die Erkenntnis€– aus, so lässt sich die Predigt 9 in den Gedankengang Eckharts einreihen, der mit der Pariser Quaestio I anhebt.
476. Pr. 9, DW I, S. 157; Übers.: „Es ist im Vater, der es spricht, immerfort im Empfangenwerden und innebleibend. Vernunft ist stets nach innen wirkend. Je feiner und je geistiger etwas ist, um so kräftiger wirkt es nach innen; und je kräftiger und feiner die Vernunft ist, um so mehr wird das, was sie erkennt, mit ihr vereint und mit ihr eins.“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 115,32–116,1. S. Köbele charakterisiert die in dieser Passage ausgedrückte Relation folgendermaßen: „Was im ersten und zweiten Predigtabschnitt noch getrennt verhandelt war, die Selbsterkenntnis Gottes und die Gotteserkenntnis des Menschen, gilt hier – als Selbsterkenntnis Gottes im Menschen und umgekehrt – reflexiv und transitiv zugleich.“ S. Köbele, Bîwort sîn. „Absolute“ Grammatik, S. 195. An einer anderen Stelle (S. 203) kennzeichnet sie die Erkenntnisrelation als analogische Ontologie: „Verdeckt in Predigt 9, offen in Predigt 6, gibt Eckhart dort eine fundamentale Voraussetzung auf: die analogische Ontologie, in deren Geltungsbereich similitudo Form und Inhalt der Erkenntnis ist.“ Die Relation, die Köbele „reflexiv und transitiv zugleich“ nennt, kennzeichnet Eckhart selbst als univok, wie es im Prolog zum Kommentar des Johannesevangeliums heißt. Das gegenseitige Erkennen von Mensch und Gott ist gemäß Eckhart durch den Seelenfunken ermöglicht, der ungeschaffen und unerschaffbar ist. In diesem durch den Seelenfunken vermittelten Erkennen stehen Mensch und Gott in einer univoken Relation. Daher scheint es in diesem Zusammenhang unzutreffend, aufgrund der Predigten 6 und 9 von einer „analogischen Ontologie“ zu sprechen. Auf jeden Fall bietet es sich an, die von Eckhart entwickelte Terminologie zu verwenden. Wenn man auf den Univozitätsgedanken in Eckharts Werk verzichtet, scheint es besonders schwierig, die „Ununterschiedenheit Gottes und der Seele“ aufgrund der analogischen Ontologie zu erklären, was Köbele im weiterÂ� en Verlauf ihrer Ausführungen beabsichtigt. 477. Vgl. Pr. 9, DW I, S. 158.
164 Sprache und Metaphysik
5.3
Predigt 21: ‚Unus deus et pater omnium etc.‘ (Eph. 4, 6)
Predigt 21 ist die einzige deutsche Predigt, in der Eckhart den Terminus negatio negationis in der deutschen Übersetzung ‚Verneinen des Verneinens‘ verwendet und erläutert. Die Predigt kann in drei Hauptabschnitte unterteilt werden, deren erster (DW I, S. 357,5–364,4) sich auf die Analyse des göttlichen Einen im Kontext des folgenden Bibelzitats konzentriert: „Ein got ist vater aller, der dâ ist gebenedict über alle und durch alle und in uns allen“ (Eph. 4, 6). Eckhart will es mit einem Zitat aus Luk. 14, 10 in Verbindung bringen: „vriunt, klim ûf baz, ziuch dich hœher.“ Beide Zitate zusammen deutet er wie folgt: „Daz er sprichet ‚vriunt, klim ûf baz, ziuch dich hœher‘, daz ist einkôsen der sêle mit gote, und ir wart geantwürtet: ‚ein got und vater aller.‘“478 Im zweiten Hauptabschnitt (DW I, S. 364,5–368,4) werden Wille und Vernunft im Hinblick auf eine Prävalenz des einen vor dem anderen betrachtet. Eckhart diskutiert ihre Rolle in Bezug auf Gnade und Seligkeit. Der dritte Hauptabschnitt (DW I, S. 368,5–370,6) stellt eine Zusammenfassung der beiden vorhergehenden Abschnitte dar und vereinigt den henologischen und den soteriologischen Diskurs. Eckhart beginnt seine Betrachtung der Worte „unus deus et pater omnium“ mit einer Reihe klassischer Gottesbeschreibungen, wobei er folgende Interpretation von ‚ein Gott‘ vorschlägt: ‚Ein Gott‘ meine das Eins-Sein Gottes in sich selbst und sein Gesondert-Sein von allem. Dabei grenzt Eckhart den Gottesbegriff vom Begriff der Kreaturen mit der für ihn typischen henologischen Terminologie ab: Alles, was Gott erschuf, das schuf er als dem Wandel unterworfen. Da außerhalb Gottes nur das Nichts ist, ist es unmöglich, dass in Gott irgendwie Veränderung oder Wandel fallen könnten. Das, was außer sich etwas anderes sucht, das ändert sich. Gott in seiner Fülle hat alle Dinge in sich und sucht nichts außerhalb seiner selbst. Diese Auffassung Eckharts schließt sich an die Aussage des Boethius an, Gott sei Eines und wandele sich nicht.479 In diesem Unterabschnitt des ersten 478. Pr. 21, DW I, S. 359,10–360,1; Übers.: „Wenn er sagt: ‚Freund, steig höher hinauf, zieh höher hinauf,‘ so ist das ein Zwiegespräch der Seele mit Gott, wobei ihr geantwortet wurde: ‚Ein Gott und Vater aller.‘“ In: N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 247, 14ff. Über Predigt 21 schreibt W. Goris: „Obwohl darin bestimmt andere Akzente gelegt werden und ein anderes Publikum angesprochen wird, möchte ich behaupten, daß die Predigt 21 zu Eph. 4:6 die Einheitsmetaphysik, wie diese in der Sermo XXXVII expliziert worden ist, fortsetzt.“ Dabei weist er auf fünf Punkte hin, die seiner Meinung nach die Übereinstimmungsaspekte zwischen der Predigt 21 und dem Sermo XXXVII bilden. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 101–104. 479. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 358, 1ff.
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 165
Hauptabschnittes arbeitet Eckhart mit dem Paradigma ‚Gott-Kreaturen‘, ersetzt es aber in der darauf folgenden Passage durch das Paradigma ‚Vater-Kinder‘, das er als eine zweite Lehre bezeichnet. Als Ausgangspunkt für diesen Paradigmawechsel dient Eckhart das Bibelwort: „vater aller, dû bist gebenedict.“480 Eckhart betont selbst, dass dieses Wort ein Wandlungsmoment in sich („eine anderunge in im“) trage, die für ihn durch die gegenseitig bestimmende Relationalität der Relata Vater-Kind zustande kommt: ‚Vater‘ ist nur in Bezug auf ‚Kind‘ denkbar wie auch ‚Kind‘ nur in Bezug auf ‚Vater‘. Wenn Gott als „vater aller“ in der Bibel bezeichnet wird, dann bedeutet es für Eckhart, dass mit diesen Worten auch wir mitgemeint sind („dâ sîn wir iezuo mite“), weil Gott unser Vater nur dann heißen kann, wenn wir seine Kinder sind.481 Im Kontext der Gottes-Kindschaft, für deren Verwirklichung er die Reinheit des Herzens als die Voraussetzung ansieht, kommt Eckhart auf das Thema der Unterschiedenheit zu sprechen: Das ist Reinheit des Herzens, was abgesondert und geschieden ist von allen körperlichen Dingen, was gesammelt und verschlossen ist in sich selbst und was sich aus dieser Lauterkeit in Gott wirft und dort vereint wird [Hervorhebungen T.€T.].482
Mit dem Thema der Unterschiedenheit hebt Eckhart an dieser Stelle seine Theorie des Seelengrundes noch einmal hervor. Der Kerngedanke lautet: In den Seelengrund des Menschen, der ungeschaffen und unerschaffbar ist, kann nichts als die lautere Gottheit gelangen. Alle Kreaturen, die Unterschiedenheit haben, sind unwürdig, dass Gott selbst in ihnen wirkt. Nur im Seelengrund, der frei von allen Unterschieden ist, kann Gott wirken. Die Unterschiedenheit bzw. das An-sichUnterschiedenheit-Tragen bildet für Eckhart ein pejoratives Kriterium: Selbst der Engel, solange er eine Unterschiedenheit an sich tragende Kreatur ist, kann nicht in den Seelengrund gelangen. Die Seele in sich selbst oder in ihrem Grund nimmt nichts auf als die „bloße lautere Gottheit“. Bloße lautere Gottheit ist in dieser Hinsicht für Eckhart etwas Höheres als Gott im Modus der Trinität, weil für ihn gilt: Selbst Gott kann nicht da hinein, solange er an sich einen Aspekt der Unterschiedenheit trägt, insofern er im Modus des Vaters, Sohnes und Hl. Geistes existiert oder – in Eckharts Worten – insofern „ihm alles da nicht abgenommen wird, was 480. Pr. 21, DW I, S. 358, 8. 481. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 358, 10: „Ist er unser vater, sô sîn wir sîniu kint, …“. 482. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 247, 3–7. Vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 359, 2–4: „Daz ist reinicheit des herzen, daz gesundert ist und gescheiden von allen lîphaftigen dingen und gesamenet und geslozzen in im selben und denne ûz der lûterkeit sich werfende in got und dâ vereiniget werdende.“
166 Sprache und Metaphysik
ihm zugelegt ist.“483 Gott ist „ein got“, nachdem ihm das Zugelegte abgenommen ist, d.€h. nachdem er keine Unterscheidung mehr an sich trägt. Hiermit kehrt Eckhart in der Predigt wieder zum henologischen Diskurs zurück, den er im Zusammenhang mit den Hauptaspekten seiner Transzendentalienlehre folgendermaßen skizziert: Eines ist etwas Lautereres als Gutheit und Wahrheit. Gutheit und Wahrheit fügen dem Seienden nichts hinzu oder – wie Eckhart es formuliert – „legen nichts zu“. Wenn dieses Hinzufügen geschieht, dann allein im Denken. Eins dagegen legt dort nichts zu, wo Gott in sich selbst ist. In sich selbst ist Gott, „ehe er ausfließt in den Sohn und in den Heiligen Geist.“484 Da Eckhart das Eine als etwas dem Ausfließen Gottes in den Sohn und in den Hl. Geist Vorangehendes auffasst, hält er es für erforderlich, seinem Publikum hier das Eine in seinen deutschen Predigten ein einziges Mal zu definieren. Es ist bemerkenswert, dass, obwohl Eckhart seine henologische Auffassung auch in anderen deutschen Predigten vertreten hat, der Ausdruck „ein versagen des versagennes und ein verlougen des verlougennes“ nur an dieser Stelle vorkommt. Dabei spricht er von der Definition „Eines ist ein Verneinen des Verneinens“ als den Worten eines Meisters. J. Quint hat hier als den Meister Thomas von Aquin vermutet und die Definition auf Thomas Quodlibet X q. 1 a. 1 ad 3 zurückgeführt.485 W. Goris nimmt an, Eckhart habe negatio negationis als Terminus aus Heinrich von Gents Summa quaestionum ordinarium 25, 1 und 73, 11, ad 2 übernommen.486 Der entscheidende Punkt bei der Deutung dieser Stelle ist der begriffliche Inhalt, den Eckhart in der folgenden Passage erläutert. Dabei kommt die Definition „Eins ist ein Verneinen des Verneinens“ viermal vor:487 Beim ersten Mal wird sie, wie erwähnt, als die Auffassung eines Meisters eingeführt; bei der zweiten Erwähnung wird das Eine nicht nur als Verneinen, sondern auch als Verleugnen charakterisiert: „Eins ist ein Verneinen des Verneinens und ein Verleugnen des Verleugnens.“488 Dabei erläutert Eckhart, dass Eins das meint, dem nichts zugelegt 483. Pr. 21, DW I, S. 361, 2–5. 484. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 249, 3ff. Vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 361, 8f.: „Ein enleget niht zuo, dâ er in im selber ist, ê er ûzvlieze in sun und heiligen geist.“ 485. Vgl. Thomas von Aquin, Quodlibet X q. 1 a. 1 ad 3: „In ratione multitudinis includitur negatio rei; sed in ratione unius negatio negationis et rei simul … Et sic unum, in quantum negat affirmationem et negationem, simul est negatio rei et negationis simul.“ 486. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 197–206, 215–218. 487. Wie W. Goris bemerkt, ist die Beschreibung der negatio negationis in Predigt 21 sicherlich die ausführlichste in Eckharts Werk. Vgl. W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 103. 488. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 249, 6ff.; vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 363, 1f.: „Ein ist ein versagen des versagennes und ein verlougen des verlougennes.“
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 167
ist. Alle Kreaturen tragen eine Verneinung in sich: Die eine verneint, die andere zu sein. Bei der dritten Erwähnung verwendet Eckhart folgende Formulierung: „Gott aber hat ein Verneinen des Verneinens; er ist Eins und verneint alles andere, denn nichts ist außerhalb Gottes.“489 In diesem Satz ersetzt Eckhart die Kopula ‚ist‘ durch das Verb ‚haben‘. Durch diese Ersetzung wandelt sich ‚Verneinen des Verneinens‘ zum Etwas, das Gott nicht ist, sondern hat, so dass hier das Verneinen des Verneinens keine Wesensbestimmung Gottes darstellt. Alle Kreaturen sind in Gott und sind seine eigene Gottheit.490 Dies kennzeichnet Eckhart als die Fülle. Diese Fülle sei Vater der ganzen Gottheit, wo noch nichts ausfließe, nichts berührt oder gedacht werde. Bei der vierten und letzten Erwähnung der Verneinung der Verneinung heißt es: „Darin, daß ich Gott etwas abspreche … erfasse ich etwas, was er nicht ist; eben das nun muß hinweg. Gott ist Eins, er ist ein Verneinen des Verneinens.“491 In diesen Worten, die den ersten Hauptabschnitt der Predigt abschließen, lassen sich folgende drei Argumentationsschritte beobachten: Zunächst werden die Ergebnisse erläutert, zu denen man aufgrund der via negativa gelangt: Durch das Verneinen oder Absprechen dessen, was Gott nicht ist, erfasst man nur das, was er nicht ist. Man erhält also keine positive Antwort darauf, was Gott ist. Mit dem zweiten Schritt sagt Eckhart: Eben das muss nun hinweg. ‚Das‘ kann in dieser Aussage auf zweierlei Weise verstanden werden. Entweder so: Eben das, was ich durch das Absprechen von Gott erfasst habe, muss nun hinweg; oder so: Eben das Verfahren des Absprechens selbst muss nun hinweg. Für die letztere Interpretation spricht, dass Gott in dem darauf folgenden Satz nicht mittels einer Negation, sondern einer Affirmation definiert wird. Darauf folgt der dritte Schritt: Gott ist Eins, er ist ein Verneinen des Verneinens. Damit wird Gott auf die positive Weise gedeutet, ihm wird nichts abgesprochen, sondern sein Eins-Sein wird für ein Verneinen-des-Verneinens-Sein erklärt. In dieser Formulierung drückt Eckhart diesen Gedanken wieder mit der Kopula ‚ist‘ aus und verzichtet auf ‚haben‘, was bei der dritten Erwähnung von ‚Verneinen des Verneinens‘ vorkam.
489. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 249, 14ff.; vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 363, 7f.: „Aber got hât ein versagen des versagennes; er ist ein und versaget alle ander, wan niht ûzer gote enist.“ 490. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 363, 8–10: „Alle crêatûren sint in gote und sint sîn selbes gotheit und meinet ein vüllede, als ich ê sprach? Er ist ein vater aller gottheit.“ 491. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 20ff.; vgl. auch Pr. 21, S. 364, 1–4: „In dem daz ich gote versage etwaz … begrîfe ich etwaz von im, daz er niht enist; daz selbe muoz abe. Got ist ein, er ist ein versagen des versagennes.“
168 Sprache und Metaphysik
In diesen Argumentationsschritten kommt Eckharts Haltung zur negativen Theologie zum Ausdruck, und zwar explizit in den Worten „eben das nun muss hinweg“: Versteht man ‚eben das‘ als einen Hinweis auf „das, was er nicht ist“, lässt sich der Satz „Gott ist Eines, er ist ein Verneinen des Verneinens“ nicht als ein Beispiel der via eminentiae auffassen, denn Verneinen des Verneinens bedeutet lauterste Affirmation, aber nicht ‚Super‘-Negation. Fasst man ‚eben das‘ als einen Hinweis auf die via negativa auf, bekommt der ganze Satz den angesprochenen kritischen Sinn in Bezug auf die negative Theologie:492 Das Verfahren, dass ich Gott etwas abspreche und dadurch etwas erfasse, was er nicht ist, muss weg. Da Eckhart das Thema nicht weiter behandelt, sondern das ganze Diktum mit einem affirmativen Satz abschließt, lässt sich sein Anliegen erst in dem darauf folgenden Predigtabschnitt erkennen, wo er das Thema der Prävalenz von Wille oder Vernunft behandelt. Eckhart beginnt die Behandlung dieses Themas mit der Untersuchung der Seelenkräfte: Gewisse Kräfte der Seele nehmen auf von draußen, wie das Auge: Wie fein das auch immer aufnehmen und das Gröbste abspalten mag, so nimmt es dennoch etwas von außen, was ein Absehen hat auf Hier und Nun. Das Erkennen und die Vernunft, die schälen alles ab und nehmen auf, was weder Hier noch Nun erkennt.493
Dennoch entnehme die Vernunft von den Sinnen. Eckhart postuliert an dieser Stelle den Primat des Willens, wenn er schreibt: „Dies tut der Wille nicht; in diesem Punkt ist der Wille edler als die Vernunft.“494 Dies scheint aber den Primat des Willens gegenüber der Vernunft nur in einem gewissen Punkt zu bedeuten, weil Eckhart die Aktivität des Willens folgendermaßen definiert: „Der Wille entnimmt nirgends als im reinen Erkennen, wo es weder Hier noch Nun gibt.“495 492. Eine andere Auffassung über diese Passage vertitt W. Goris: „Die Fassung des Einen als negatio negationis besagt den Umschlag des negativen Weges zum positiven Punkt der Erkenntnis der Fülle Gottes.“ W. Goris, Einheit als Prinzip, S. 103. Die Annahme, dass es die via negativa zum positiven Punkt der Erkenntnis der Fülle Gottes bringen kann, führt aber zu einer Überschätzung der Kompetenz des negativen Weges in der Gotteserkenntnis. 493. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 249, 30ff. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 364,8–365,1: „Etlîche krefte der sêle nement von ûzen, als daz ouge: swie kleinlîche daz in sich ziehe und abespalte daz gröbeste, nochdenne nimet ez etwaz von ûzen, daz zuoversiht hât ze hie und nû.“ 494. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 251, 1ff. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 365, 4ff.: „Des entuot der wille niht; in dem stücke ist der wille edeler dan vernünfticheit.“ 495. N. Largier, Meister Eckhart, Werke I, S. 251, 2–4. Vgl. auch Pr. 21, DW I, S. 365,5–366,1: „Wille ennimet niendert dan in lûter verstantnisse, dâ noch hie noch nû enist.“
Kapitel 5.╇ Eckharts Deutsche Werke und Thesen der Metaphysik 169
Reines Erkennen ist jedoch ein Bereich der Vernunftaktivität. Auf diese Weise ist das Wirken des Willens, ungeachtet seines Primats in einem gewissen Punkt (er empfängt nicht von den Sinnen, was diese von außen einbringen), wiederum der Vernunft untergeordnet: Der Wille entnimmt nirgends als im reinen Erkennen, das von der Vernunft – und nur von ihr – vollzogen wird. Aus diesem Unterschied zwischen der Vernunft und dem Willen folge: Der Wille erstrebe die Seligkeit, könne aber die Seele mit Gott nicht vereinigen. Soweit die Vernunft Gott so lauter nehme, wie er in Wahrheit sei, so weit schlüpfe Gott wohl in die Vernunft ein. Die Gnade vereinige dagegen die Seele nicht mit Gott; ihr Werk sei, dass sie die Seele zurück zu Gott bringe.496 Damit wird bei der Vereinigung des Menschen mit Gott die Rolle der Vernunft von Eckhart ausdrücklich betont. Im dritten und abschließenden Hauptabschnitt der Predigt werden der soteriologische und der henologische Diskurs in dem Gedanken verwoben, dass, um seinen eingeborenen Sohn zu gebären oder der Vater (daher auch unser Vater) zu sein, Gott Eines sein muss.497 Aus der Einheit Gottes folgt: Daraus, dass Gott Eines ist, schöpft er alles, was er in den Kreaturen und in der Gottheit wirkt; Einheit hat Gott allein, und Gottes Proprietät ist Einheit; daraus, dass er Eines ist, entnimmt Gott, dass er Gott ist; er wäre sonst nicht Gott; das Eine hängt von nichts ab; alles was Zahl ist, hängt vom Einen ab; Gottes Reichtum ist nicht nur Eines, er ist Einheit; Gott hat alles, was er hat, im Einen, es ist Eines in ihm; Gott hat alle Fülle als Eines; Gott hat in allen seinen Werken alle Dinge im Auge. Die Seele ist alle Dinge. Daher hat Gott in allen seinen Werken die Seele im Auge; Gott ist alles und ist Eines.498
Zusammenfassung Die Auslegung von Predigt 9 und Predigt 21 zeigt, dass sich im Eckhart’schen Werk keine Grenze zwischen der Thematik der lateinischen und derjenigen der deutschen Werke ziehen lässt. Die Themen, die ihn in seinen lateinischen Schriften beschäftigen und die er dort ausführlich behandelt, entfaltet er in seinen deutschen Predigten skizzenhaft. Dabei ist eine Gemeinsamkeit zu erkennen: der für 496. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 367, 3–5: „Ich spriche: gnâde eneiniget niht die sêle mit gote, si ist ein volbringen; daz ist ir werk, daz si die sêle wider ze gote bringet.“ 497. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 368, 5ff.: „Ich spriche: got enmöhte niemer gebern sînen einbornen sun, enwære er niht ein.“ 498. Vgl. Pr. 21, DW I, S. 368–370.
170 Sprache und Metaphysik
die Dominikaner charakteristische Primat der Vernunft gegenüber dem Willen, der bei ihm zu einem Kulminationspunkt gelangt, der sich so beschreiben lässt: Der Mensch wird durch die Gnade zu Gott gebracht, aber nicht mit Gott geeint. Dies vermag nur die Vernunft, die den Menschen mit Gott durch das Erkennen eint. Diese Stellung der Vernunft zwingt aber zur Revision der These von der Unerkennbarkeit Gottes, die die negative Theologie vertritt.
Schlussbetrachtung
Die vorliegende Untersuchung versteht sich als ein Beitrag zur Rezeption der Metaphysik Eckharts und rekurriert zur Deutung der Eckhart’schen Grundthesen auf wichtige Aspekte der mittelalterlichen Sprachtheorie. Die Untersuchung wird von der Fragestellung geleitet, wie Eckhart Prädikationssätze bildet, und wählt zu ihrem Ausgangspunkt die von ihm formulierte semantische Prämisse „aliter sentiendum est de ente et aliter de ente hoc et hoc“. Sie erhellt das Bezugsverhältnis von Subjekt und Prädikat im Eckhart’schen Sprachmodell, das sich, wie in der vorliegenden Arbeit gezeigt, als ein inhärentielles kennzeichnen lässt. Die Studie dient dazu, den Nachweis zu erbringen, dass das Sprachmodell die Art und Weise des metaphysischen Systems bestimmt und einen neuen Interpretationshorizont für die Deutung der Grundthesen dieser Metaphysik eröffnet: Wie in der Untersuchung gezeigt, fasst Eckhart die Relation zwischen dem Subjekt und dem Prädikat als intensional auf, d.€h. er versteht das Prädikat in einer beharrenden Identität mit dem Subjekt, was zu der Auffassung führt, dass der Begriff des Subjekts für ihn den Begriff des Prädikats konsignifiziert und konnotiert. Aus diesen sprachtheoretischen Ergebnissen ergibt sich, dass sich die Eckhart’sche Metaphysik von der negativen Theologie abgrenzen lässt, der gemäß die Prädikate als bloße nomina ohne intensionales Bezugsverhältniss zum Subjekt des Satzes aufgefasst werden. In seinem Beitrag „Sein als Absolutheit (esse als abegescheidenheit)“ kennzeichnet A. Quero-Sánchez die Verknüpfung vom Subjekt und Prädikat in den Grundthesen Eckharts als „analytisch“.499 Bedenkt man, dass es für analytische Sätze im Mittelalter bereits die entsprechende Terminologie gab, empfiehlt es sich, nicht darauf zu verzichten.
499. A. Quero-Sánchez, Sein als Absolutheit (esse als abegescheidenheit), in: A. Quero-Sánchez/G. Steer, Meister Eckharts Straßburger Zeit (Meister-Eckhart-Jahrbuch 2), Stuttgart 2008, S. 189–218, hier S. 203.
Bibliographie
Hinweis zu den verwendeten deutschen Übersetzungen: Die in der Arbeit vorhandenen deutschen Zitate aus den Werken Meister Eckharts folgen in der Regel der Übersetzung der StuttgartEdition. Eine Ausnahme bildet Quaestio Parisiensis I. Die in der Arbeit verwendete Übersetzung der Quaestio ist der Parallelausgabe B. Mojsischs entnommen. Die Übersetzung der deutschen Predigten folgt der Ausgabe N. Largiers.
1.
Werke Meister Eckharts
[Prol. gener.] Magistri Echardi Prologus generalis in opus tripartitum, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 148–165. [Prol. op. prop.] Magistri Echardi Prologus in opus propositionum, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 166–182. [Prol. op. exp. I] Magistri Echardi Prologus in opus expositionum I, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 183. [Prol. op. exp. II] Magistri Echardi Prologus in opus expositionum II, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 183–184. [In Gen. I] Magistri Echardi Expositio libri Genesis, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 185–444. [In Gen. II] Magistri Echardi Libri parabolarum Genesis, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke I, Stuttgart 1964, S. 445–702. [In Exod.] Magistri Echardi Expositio libri Exodi, ed. K. Weiß, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke II, Stuttgart 1992, S. 9–227. [In Eccli.] Magistri Echardi Sermones et lectiones super Ecclesiastici c. 24, 23–31, ed. H. Fischer und J. Koch, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke II, Stuttgart 1992, S. 231–300. [In Sap.] Magistri Echardi Expositio libri Sapientiae, ed. H. Fischer und J. Koch, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke II, Stuttgart 1992, S. 323–634. [In Ioh.] Magistri Echardi Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, ed. K. Christ, B.€Decker, H. Fischer, J. Koch, L. Sturlese und A. Zimmermann, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke III, 1936–1989, 323–634. [Serm.] Magistri Echardi Sermones, ed. E. Benz, B. Decker und J. Koch, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke IV, Stuttgart 1956. [Quaest. Par.] Magistri Echardi Quaestiones Parisienses, ed. B. Geyer, in: Meister Eckhart. Die lateinischen Werke V, Stuttgart 1936ff., S. 27–83. [Pr.] Meister Eckharts Predigten, ed. J. Quint, in: Meister Eckhart. Die deutschen Werke I– III, Stuttgart 1958–1976; ed. G. Steer, Meister Eckhart. Die deutschen Werke IV, Stuttgart 2003.
174 Sprache und Metaphysik
Eckhart von Hochheim, Utrum in deo sit idem esse et intelligere?, Sind in Gott Sein und Erkennen miteinander identisch?, hrsg., übers. und mit einer Einleitung vers. von B. Mojsisch, in: Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 4, 1999, S. 182–197. Meister Eckhart, Werke in 2 Bdn., hrsg. und komm. von N. Largier, Frankfurt a. M. 1993.
2.
Ergänzende Primärliteratur
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Bibliographie 175
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Sekundärliteratur
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Sachregister
A Affirmation 29, 30, 33, 51, 57, 62, 77–79, 123–126, 167 siehe auch Bejahung affirmative Theologie 51, 53, 57, 63 Aktivität 97, 146, 168 Akzidens 44, 60, 67, 70, 72, 73, 75, 78, 110, 111, 128 aliquid 94 Analogie 16, 39, 54, 64, 72, 73, 89, 94, 110, 132, 133, 135–137, 143 analytisches Urteil 19 Anderes, Andersheit 76, 108, 113, 120, 122, 129, 132, 138, 142, 159 Anfang 134, 146, 162 siehe auch principium, Ursprung Antithetik 54, 150 Apophatik, apophatische Theologie 75, 79, 80 siehe auch negative Theologie äquivok 16, 81 Attribut, Attribution 60, 63, 65, 67, 68, 84 Autarkie-Prinzip 129 Axiomatik 7, 8 B Begarden 147 Beginen 147 Beiwort 162 Bejahung, bejahende Aussage 51, 62, 65, 67, 77–79, 81–83, 125, 126 siehe auch Affirmation Bekenntnis zur Wende 101 Beziehung 73, 74, 110, 132, 133, 136, 137, 139, 143 siehe auch Relation
Bibel 52, 81, 104, 109, 165 siehe auch Evangelium, Heilige Schrift Bibelauslegung, Bibelexegese 4, 5, 7–9, 149, 152 bonum 93, 145 siehe auch Gutes, Gutheit C causa 39, 40, 108, 113–115 siehe auch Ursache causa-essentialis-Theorie 38, 39, 110, 112, 129, 133 causatum 39, 40, 108, 114 siehe auch Verursachtes D Definition 13, 16, 17, 20, 27, 29–34, 36 Denken 61, 71, 138, 141, 144, 150, 160, 161, 166 siehe auch intelligere Denotatum 17–20, 24, 56, 73 Dialektik 140, 145, 146 Differenz 88, 114, 115 Ding 69, 71, 93, 107, 114, 129, 130, 136, 141, 154, 156, 159, 160, 169 dissimile 140 Dominikanertradition 150 dominikanische Doktrin 154 doppelte Negation 48, 122 siehe auch negatio negationis, Verneinung der Verneinung duplex esse 92, 117 siehe auch Sein duplex nihil 117 siehe auch Nichts Durchbruch 151
E Eigenschaft 60, 67 Eigensein 140 siehe auch Sein Eigentümlichkeit 137 Eines 57–59, 87–90, 93, 97, 117–119, 121, 122, 124, 127, 139, 143, 164, 166, 169 siehe auch unum Einheit (unitas) 33, 90, 115, 118, 119, 121, 122, 125, 130, 132, 136, 138, 145, 169 Eins-Sein 127, 139, 164, 167 siehe auch Sein ens 61, 75, 93, 94, 115, 118, 119, 133, 154 siehe auch Seiendes Epistemologie, epistemologische 95, 127 Erkennen 80, 96, 97, 99–101, 104, 105, 110, 138, 142, 163, 169, 170 siehe auch Selbsterkennen Erkennender 144, 157 Erkanntes 144 Erkenntnis 51, 75, 81, 83–85, 97, 134, 136, 141, 154, 155, 157, 158, 160–163 siehe auch Selbsterkenntnis Erleiden, Erleidendes 36, 38, 39, 137, 142 esse 30, 59, 61, 77, 92, 93, 95, 106, 112, 117–119, 121, 123, 128, 156 siehe auch Sein duplex esse 92, 117 Ethik, ethische 95, 127, 162 Etwas 59, 113–115, 122, 128, 138, 139, 160, 167 Evangelium 6, 132 siehe auch Bibel, Heilige Schrift Exklusivität 62 exklusive Attribution 61 exklusive Identität 60, 62
184 Sprache und Metaphysik
exklusive Vollkommenheiten 63 exklusives Urteil 63 F Freiheit 144 Fülle 59, 63, 64, 68, 77, 117, 124, 167, 169 siehe auch plenitudo Fünklein, Seelenfunke 138, 139, 160 siehe auch Seele G Gattung 13, 70, 71, 74–76, 137 prima genera 72–74 genera praedicamenti 65 genera significationum 70, 71 Geborenes, Gebärendes 142– 144 Geburt 131, 134, 136, 139, 141, 142, 145, 144 Gerechtigkeit 143–145 die Gerechtigkeit – der Gerechte (iustitia-iustus) 95, 144, 145 Geschaffenes 106, 111, 115, 129, 135 siehe auch Schaffen Geschöpf, geschöpfliches 108, 105, 112, 140 siehe auch Kreatur Gleichartigkeit 137 siehe auch univok, Univozität Gnade 137, 164, 169, 170 Gnoseologie, gnoseologische 136, 161, 162 Gott 30, 59, 74, 76, 77, 79, 90, 94–97, 99, 100, 105, 107, 109, 110, 112–118, 120–123, 125, 129, 130, 132, 136, 138–145, 154, 155, 157, 159–164, 166, 167, 169, 170 leidender Gott 143 Gottesnamen 59, 64, 67, 68, 75, 109 Gottheit 90, 117, 129, 134, 139, 146, 165, 167, 169 grunt âne grunt 121 Gutes, Gutheit, Güte 80, 87–89, 91, 95, 106, 118, 119, 127, 130, 143, 145, 156, 159, 161, 162, 166 siehe auch bonum
H Habitus 32, 83 Hauptwort 50, 118, 130 Heiliger Geist 59, 121, 130, 139, 165, 166 Heilige Schrift 51, 131, 149, 152 siehe auch Bibel, Evangelium Henologie 34, 59, 121, 127, 164, 166, 169 Hervorbringen 136 Hervorbringendes 90, 132–134, 136 Hervorgebrachtes 132–134, 136 Hierarchie 58, 136 homo divinus 143 Hyperbolismus 150 hypokeimenon 70 Hypostasen 121, 130 siehe auch Person I Idee 13, 80, 87, 132, 133, 135, 136, 140 Identität 20, 32, 45, 58, 77, 85, 88, 96, 99, 114, 120, 171 Identitätstheorie 19, 20, 40 identité exclusive 60 identité inclusive 60, 62 indistinctum 117 siehe auch Ununterschiedenheit inhaerentia-Theorie 18, 20, 41, 68, 75, 85, 98, 129 Inhärenz 19, 45, 120 Inklusion, Inklusivität 62, 63 inklusive Vollkommenheit 63 Innerstes 138, 139 Intellekt 80, 100, 103–107, 110–112, 123, 141 siehe auch Vernunft intelligere 98, 106, 112 siehe auch Denken K kataphatische Theologie siehe affirmative Theologie Kategorema 46, 47, 50 Kategorie 61, 69–72, 75, 76, 84, 87, 158
Kausalität, Kausalitätsprinzip 36, 37, 39, 41, 53, 133 siehe auch Ursächlichkeit Konjungieren 22–24 Konkordanz 6 Konnotation 56 Konvertibilität 94, 121, 125, 127 Kopula 18, 20–24, 47, 118–120, 130, 167 Kreatur 95, 115, 117, 138, 144, 154, 159, 162, 164, 165, 167, 169 siehe auch Geschöpf, Mensch L Laienpublikum 147 Lauterkeit 165 Leben 138, 143 Liebe 143, 162 locutio emphatica 149, 150 Logica nova 15 logica vetus 15, 17 Logos 47, 135, 151 M Materie 137 Mensch 138, 140–144, 156, 162, 163, 169, 170 siehe auch Geschöpf, Kreatur Metaphysik 5, 6, 9, 65, 72, 87, 90, 106 modi essendi 70, 71 modi praedicandi 70, 71 siehe auch Prädikation, Prädikamente modus significandi 79, 80 Mystik, Mystiker 2, 109, 148, 149, 151, 152 N Namenlosigkeit 151, 157 Natur 13, 38, 39, 43, 53, 133, 134, 136, 137, 140, 142, 144 der Materie 90 des Akzidentellen 67 Negation, Negieren 48, 51, 54, 55, 57, 62, 77, 88, 115, 116, 122–124, 126, 152 siehe auch Verneinen, Privation negatio negationis 27, 47–50, 59, 60, 62, 63, 85, 122, 125, 126, 146, 164, 166 siehe auch
Verneinen des Verneinens, privatio privationis negative Theologie 34, 52, 53, 56, 57, 61, 63, 64, 67, 68, 75, 77, 79, 81, 82, 103, 151–153, 168, 170, 171 siehe auch apophatische Theologie Negativität 123, 126, 127, 139 Neuplatonismus, neuplatonische 17, 24, 25, 33, 34, 55, 57, 103 Nichts 57, 90, 105, 114–117, 123, 125, 126, 129, 164 siehe auch duplex nihil Nichtsein 113, 116, 124, 134, 156, 160 „nomen super omne nomen“ 68, 69 siehe auch Name, omninominabile O Offenbarung 161 omninominabile 69 Ontologie, ontologische 15, 16, 73, 87, 95, 121, 127, 136, 161, 162 „Operator“ der Attribution 31, 49, 50, 62 oppositio oppositorum sine oppositione 127 ortloser „Ort“ 139 P Partizipation 135, 137 perfectiones 79, 80, 95, 119 siehe auch Vollkommenheit Person 90, 91, 121, 130, 134, 138–140 siehe auch Hypostasen plenitudo 60, 62, 63 siehe auch Fülle Positivität 139, 151 principium 114 siehe auch Anfang, Ursprung Privation 32, 54, 55, 83 siehe auch Negation privatio privationis 3–33 siehe auch negatio negationis Prozessualität 145, 146, 157 Prädikamente 69, 72, 159 Prädikat 14, 15, 17, 19, 20, 36, 38, 40, 55, 56, 60, 63, 67, 68,
Sachregister 185
75, 77, 78, 85, 118–120, 129, 130, 171 Prädikation, Prädizieren 14, 15, 18–20, 22–24, 36, 40, 41, 45, 47, 61, 62, 64, 68, 76, 85, 171 Prädikatsnomen 18, 24, 61 puritas 59, 60, 62, 63 siehe auch Reinheit Q Qualität, qualitatives 110, 111 Quantität, quantitatives 110, 111 quiditas 154, 157, 160 siehe auch Washeit R Reinheit (puritas) 59, 60, 62, 63, 80, 108, 109, 122, 165 Relation, Relationalität 73, 75, 84, 122, 134, 133, 138, 142, 158, 165 siehe auch Beziehung S Schaffen 114, 124, 145 siehe auch Geschaffenes Schöpfung 109, 156 Seele 107, 141–143, 160, 161, 163, 168, 169 Seelenfunke 138, 139 Seelengrund 139, 141, 143, 144, 165 Seiendes, Seiendheit 31, 39, 59, 61, 69–72, 87–89, 92, 99, 100, 105, 107, 108, 110, 111, 114, 115, 117–119, 121, 122, 124, 125, 127, 129, 130, 133, 135, 140, 161, 166 Sein 32, 33, 59, 64, 71, 73, 74, 76, 78, 79, 90, 92, 95–100, 103–105, 108, 110–116, 118–123, 125–130, 138, 139, 142, 143, 150, 154, 156, 158–161, 163 siehe auch esse Seinslosigkeit Gottes 101, 103, 105, 112, 156, 157, 160 Seinsmitteilung 114, 124 Sich-Mitteilen 159 Selbsterkennen, Selbsterkenntnis 146, 155, 160 siehe auch Erkennen, Erkenntnis Selbstreflexivität 97, 104
Selbstrelation, Selbstrelationalität 76, 104 Seligkeit 162–164, 169 Semantik 118 Signifikation 74 simile, similitudo 140 Sohn 59, 91, 121, 122, 130, 134, 136, 138–140, 142, 144, 145, 163, 165, 166, 169 siehe auch Geburt Soteriologie 164, 169 Sprache, Sprachmodell 13–18, 40–43, 45, 48, 56, 57, 70, 71, 80, 85, 147–149, 151–153, 171 Stoiker, stoische 15, 17 Subjekt 14, 15, 17, 19, 20, 36, 38, 40, 60, 63, 68, 70, 74, 75, 77, 78, 85, 98, 119, 120, 129, 171 Substanz, Substantialität 66, 67, 70, 72, 75, 76, 85, 98, 99, 106, 110, 158, 159 symbolische Theologie 52, 53, 57 Synkategorema 46, 47, 49, 50 synthetisches Urteil 19, 20 T Tempel Gottes 154, 155, 162 Terminus, termini generales 2, 41–47, 49, 60, 61, 84, 93, 127, 130 Transzendentalien, Transzendentalienlehre 44, 45, 49, 60, 127, 145, 166 Transzendenz 151 Trinität, Triplizität 59, 76, 90, 91, 121, 122, 130, 136, 139, 140, 165 U Unaussprechbarkeit Gottes 151 Unerkennbarkeit Gottes 170 ungeschaffen 111, 129 und unerschaffbar 138, 139, 141, 165 Universalien 60 Univok, univoke Relation 16, 37, 72, 132–134, 136, 137, 143, 144, 146 Univokation, Univozität 16, 39, 133, 135, 145
186 Sprache und Metaphysik
Unterschiedenheit 58, 124, 132, 140, 165 unum 30, 31, 48, 59, 72, 122, 123, 125 sehe auch Eines Ununterschiedenheit 138, 140 siehe auch indistinctum Ursache, Ursächlichkeit 39, 51, 98, 105–108, 110, 111, 113, 114, 124, 128, 129, 133, 135 siehe auch causa, Kausalität Ursprung 132, 133, 136 siehe auch principium, Anfang V Vater 59, 76, 90, 121, 122, 130, 136, 138–140, 142, 144, 145, 165, 167, 169 Verleugnen des Verleugnens (verlougen des verlougennes) 27, 166 siehe auch Verneinen des Verneinens, Negation der Negation, negatio negationis Verneinen 48, 51, 65, 79, 81, 83, 116, 125, 126, 140, 167 siehe auch Negation Verneinen des Verneinens (versagen des versagennes) 27, 48, 78, 124, 125, 127, 140, 164, 166, 167
Vernunft 135, 144, 154, 155, 157, 160–164, 168–170 siehe auch Intellekt Vernünftigkeit 155, 162 Verschiedenheit 122 Verstand 135, 136 Vertauschbarkeit siehe Konvertibilität verum 93, 145 siehe auch Wahres Verursachtes 133 siehe auch causatum via eminentiae 64, 156, 168 via negativa 64, 67, 69, 83, 85, 167, 168 siehe auch Negative Theologie Vielheit 58, 66, 115, 124, 130 Vollkommenheit 79, 80, 133, 136 siehe auch perfectiones
Welt 145 Werden 104 Werk 163, 169 Wesen 97, 117, 137, 141, 158 göttliches Wesen 117, 122, 123, 130, 162 Wesenheit 74–76, 90, 93, 98, 121, 138 Wesensgleichheit 144 Wille 161, 162, 164, 168–170 Wirken, Wirkung 108, 133, 137, 138, 161, 163, 169 Wirkendes 36, 38, 39, 137, 143 siehe auch causa, Ursache Wirklichkeit 15, 18, 32, 111, 120, 129, 137, 151, 153 Wort 132–136, 151, 152, 162, 163, 165 Wüste 139
W Wahres, Wahrheit 80, 87–89, 91, 94, 104, 106, 118, 119, 127, 130, 145, 162, 166 Wandel 164 Washeit 154, 158, 160, 162 siehe auch quiditas Weise ohne Weise 158 Weisheit 104, 156
Z Zeit, Zeitlichkeit 143, 155 Zeitlosigkeit 134 Zeugen 145 siehe auch Vater Ziel 98 Zwang 143 Zweiheit 132
Namenregister
A Abaelardâ•… 22–24 De dictionibus definitisâ•… 22 De divisionibus et definitionibusâ•… 22, 23 Logica ingredientibusâ•… 23 Aertsen, J. A.â•… 93, 120, 121 Albert, K.â•… 2, 7, 61, 92, 116, 122 Anselmus Cantuariensisâ•… 24 De grammaticoâ•… 24 Aristotelesâ•…7, 14–16, 18, 21, 25, 32, 41, 47, 60, 63, 69, 70, 87, 88, 90, 106, 111 Analytica posterioraâ•… 60 Analytica prioraâ•… 63 Categorieaâ•… 70 De animaâ•… 111 De generarione et corruptioneâ•… 111 De interpretationeâ•… 14, 41 Ethica Nicomacheaâ•… 87 Metaphysicaâ•… 32, 87, 88, 106 Topicaâ•… 15, 70 Asmuth, Chr.â•… 139, 141 Augustinusâ•…75, 81, 156, 157 De trinitateâ•… 156, 157 Averroismusâ•… 103 Avicennaâ•… 65 B Bange, W.â•… 82, 96, 100, 106 Bartholomai, R.â•… 58 Baumgartner, M.â•…70 Beccarisi, A.â•… 100, 109 Beierwaltes, W.â•… 57 Binder, G.â•… 141 Boethiusâ•…7, 8, 18, 21, 41, 65, 70, 71, 164 De hebdomadibusâ•… 8 In librum Aristotelis Peri hermeneias comentariisâ•… 21
De interpretatione priora analytica Aristotelisâ•… 63 In Categorias Aristotelis libri Quatuorâ•… 70, 71 Braakhuis, H. A. G.â•… 13 Brunner, F.â•… 46 Büchner, Chr.â•… 92 D Degenhardt, I.â•… 147 Denifle, H. S.â•… 147 de Rijk, L. M.â•… 13, 14, 20–25, 47 Dietrich von Freibergâ•… 6, 36, 100, 106, 129, 145 De accidentibusâ•… 36 Diogenes Laertiusâ•… 17 Vitae philosophorumâ•… 17 E Ebeling, H.â•… 117 Effe, B.â•… 141 Eisler, R.â•… 47 Euklidâ•… 8 F Fetz, R. L.â•… 123 Fischer, H.â•… 61, 82 Flasch, K.â•… 6, 7, 127, 129, 143 Frege, G.â•… 48 G Georgesâ•… 102 Gerhardt, G.â•…70 Gigon, O.â•… 14, 60, 63 Glei, R. F.â•… 141 Gonsalvus Hispanusâ•… 103, 104, 161 Goris, W.â•… 4, 9, 31, 49, 50, 60–64, 82, 89, 141, 143, 164, 166, 168 Gottschall, D.â•… 152, 153
Grabmann, M.â•… 96, 98, 100, 103–107, 109–111 Grübmüller, K.â•… 157 Gründer, K.â•… 19, 70 Guerizoli, R.â•… 139 H Haas, A. M.â•… 108, 116, 143 Hagenbüchle, R.â•… 123 Hasebrink, B.â•… 148–151 Haug, W.â•… 48, 141, 142 Hedwig, K.â•… 116, 117, 122 Heil, G.â•… 51, 53, 54, 79 Heinrich von Gentâ•… 166 Summa quaestionum ordinariumâ•… 166 Hengelbrock, J.â•… 145 Hochstaffl, J.â•… 57 I Imbach, R.â•… 158 J Jacobi, Kl.â•… 9, 102, 142, 150, 156 Jakob von Metzâ•… 122 K Kahn, Ch. H.â•… 15 Kampmann, I.â•… 96, 136 Kandler, K.-H.â•… 36 Kant, I.â•… 1, 19, 20 Kritik der reinen Vernunftâ•… 19, 20 Karrer, O.â•… 103 Kobusch, Th.â•… 56, 57, 89, 117, 143–145 Koch, J.â•… 3, 4, 131, 150, 159 Konhardt, K.â•…70 Koslowski, P.â•…7 Kramm, E.â•… 147
188 Sprache und Metaphysik
Köbele, S.â•…71, 152–154, 157, 159, 163 Köhler, W.â•… 103 L Langer, O.â•… 3, 7, 8, 48, 142 Largier, N.â•… 6, 92, 123, 140–142, 146, 148, 150–152, 156, 159–168 Leppin, V.â•… 3, 7, 92, 100, 101, 107, 108 Lloyd, A. C.â•… 17 Liber de causisâ•… 8, 34, 65, 68, 104, 121 Lindemann, U.â•… 139 Lossky, V.â•… 60, 63 Lotz, J. B.â•… 87, 89 M Maimonidesâ•… 65–68, 79, 81, 82, 84 Manstetten, R.â•… 59, 115, 116, 120, 127, 150 Margetts, J.â•… 149, 150 McGinn, B.â•… 46 Mieth, D.â•… 148 Mojsisch, B.â•… 6, 13, 17, 36, 38, 90, 97, 99–101, 103, 107, 110, 111, 113, 114, 116–118, 122, 123, 127–129, 133, 135, 141, 144, 145, 158 Moreau, J.â•… 46 Müller, M.â•… 87 N Niewöhner, Fr.â•… 56, 57 Nikolaus von Kuesâ•… 127 Nikolaus von Lyraâ•… 131 O O’Meara, D.â•… 46 Ortmann, Chr.â•… 157 P Panzig, E. A.â•… 101 Paradisus anime intelligentisâ•… 154, 157 Patzig, G.â•… 48 Perger, M.â•… 101, 102, 156, 157, 161 Philipp der Kanzlerâ•… 88, 89 Summa de bonoâ•… 88, 89
Pickavé, M.â•… 90, 122 Pinborg, J.â•… 15–18, 42, 95 Platonâ•… 13, 14, 24, 80, 87 Parmenidesâ•… 13 Sophistesâ•… 13 Pluta, O.â•…7, 127 Pouillon, D. H.â•… 88 Proclusâ•… 34, 54, 57–59, 103, 121 Kommentar zu Platons Parmenidesâ•… 58 Pseudo-Dionysius Areopagitaâ•… 49, 51–59, 61, 63, 67, 78, 79 De coelesti hierarchiaâ•… 55, 79 De divinis nominibusâ•… 51, 53–56, 58, 59 De mystica theologiaâ•… 51, 56 De symbolica theologiaâ•… 51, 52, 56 De theologicis hypotyposibusâ•… 51 Pseudo-Hermes Trismegistusâ•… 154 Liber 24 philosophorumâ•… 154, 156 Q Quero-Sánchez, A.â•… 101, 102, 171 Quint, J.â•… 1, 143, 149, 150, 156, 166 R Ritter, A. M.â•… 51, 53, 54, 79 Ritter, J.â•… 19, 70 Roretz, K.â•… 47 Ruh, K.â•… 2, 113, 144, 145, 148, 149 S Schelling, F. W. J.â•… 17 Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und damit zusammenhängenden Gegenständeâ•… 17 Schiewer, H. J.â•… 3, 7, 92, 100, 101 Schirpenbach, M. P.â•… 8, 35, 38, 42–44, 46, 47, 71, 83, 92 Schmitz-Emans, M.â•… 139 Schneider, J. H. J.â•… 41 Schneider-Lastin, W.â•… 48, 141, 142
Schrimpf, G.â•… 8 Schulz, P.â•… 123 Schäfer, Chr.â•… 52, 54, 55 Schönberger, R.â•… 117, 123 Schönfeld, A.â•… 34 Schönrich, G.â•…70 Sheldon-Williams, I. P.â•… 52 Siger von Brabantâ•… 103 Speer, A.â•… 2, 5, 89, 100, 109, 121, 142, 152, 153 Steer, G.â•… 101, 141, 171 Stephan von Tempierâ•… 103 Stirnimann, H.â•… 40, 116 Sturlese, L.â•… 4, 5, 100–102, 106, 109, 152, 157 Suarez-Nani, T.â•… 40, 116, 144 Suchla, B. R.â•… 53, 55, 56, 58, 59 T Thomas von Aquinâ•… 64, 70, 71, 93, 94, 96–99, 105, 111, 112, 127, 155, 166 Summa theologiaeâ•… 2, 93, 94, 96, 98, 105, 155 Summa contra gentilesâ•… 96– 98 Quodlibetâ•… 166 Théry, G.â•… 103, 143 Tobin, F.â•… 149 Tugendhat, E.â•… 14, 15, 20, 48 V Völker, W.â•… 54, 57 W Wackerzapp, H.â•… 93 Waldschütz, E.â•…7, 9, 108, 140 Wegener, L.â•… 2, 89, 100, 109, 121, 142, 152, 153 Weidemann, H.â•… 19 Weiß, K.â•… 3 Wenin, Chr.â•… 141 Winkler, E.â•… 9 Winkler, N.â•… 16, 17, 122 Wolf, U.â•… 14, 20, 48 Z Zedania, G.â•… 51–54, 56 Zimmermann, A.â•… 20, 70