Cornelia Frings Soziales Vertrauen
Cornelia Frings
Soziales Vertrauen Eine Integration der soziologischen und der ökonomischen Vertrauenstheorie
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Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2009 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17255-2
Inhalt
Vorwort .................................................................................................................. 11 1
Einleitung........................................................................................................ 13
Teil I: Die beiden Vertrauenstheorien und ihre Integration ............................. 27 2
Die soziologische Vertrauenstheorie im Rahmen der Politischen Kulturforschung ............................................................................................ 29 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3
Grundlagen der Politischen Kulturforschung ................................ 30 Erkenntnisinteresse und zentrale Begrifflichkeiten ............................. 30 Verortung im politikwissenschaftlichen Theoriespektrum.................. 31 Grundlegende Konzeptspezifikation nach Almond und Verba ........... 33
2.2
Soziales Vertrauen im Rahmen der Politischen Kulturforschung ................................................................................ 35 2.2.1 Soziales Vertrauen im Rahmen des Civic Culture-Ansatzes............... 37 2.2.1.1 Grundannahmen des Civic Culture-Ansatzes ...................................... 37 2.2.1.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable .............................................. 39 2.2.2 Soziales Vertrauen im Rahmen des Ansatzes der Politischen Unterstützung ...................................................................................... 41 2.2.2.1 Grundannahmen des political support-Ansatzes nach David Easton .................................................................................................. 42 2.2.2.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable .............................................. 45 2.2.3 Soziales Vertrauen im Rahmen des Sozialkapital-Konzeptes ............. 49 2.2.3.1 Grundannahmen des Sozialkapital-Ansatzes....................................... 50 2.2.3.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable .............................................. 51
3
2.3
Handlungstheoretische Prämissen ................................................... 55
2.4
Zusammenfassung ............................................................................. 60
Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice .... 62 3.1
Überblick über die ökonomische Vertrauensdiskussion ................ 62
3.2 Theoretische und methodologische Grundlagen ............................ 65 3.2.1 Kernannahmen des Rational Choice-Ansatzes .................................... 65 3.2.2 Das struktur-individualistische Erklärungsschema ............................. 66 3.3
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice ................................... 68
6
Inhaltsverzeichnis
3.3.1 Die Logik der Situation ....................................................................... 69 3.3.1.1 Sozialer Tausch und strategische Interdependenz ............................... 70 3.3.1.2 Soziale Einbettung und die Auswirkung auf Vertrauen ...................... 73 3.3.2 Die Logik der Selektion....................................................................... 75 3.3.2.1 Wert-Erwartungstheoretische Modellierung ....................................... 76 3.3.2.2 Spieltheoretische Modellierung ........................................................... 83 3.3.2.3 Unterschiede zwischen beiden Theorievarianten und interne Weiterentwicklungen in der Spieltheorie ............................................ 86
4
3.4
Handlungstheoretische Prämissen ................................................... 88
3.5
Zusammenfassung ............................................................................. 89
Die Integration der beiden Vertrauenstheorien .......................................... 91 4.1 Stärken und Defizite der beiden Vertrauenstheorien .................... 92 4.1.1 Qualitätskriterien im Rahmen des empirisch-analytischen Ansatzes............................................................................................... 92 4.1.2 Beurteilung der Vertrauenstheorien anhand dieser Kriterien .............. 98 4.1.2.1 Die soziologische Vertrauenstheorie ................................................... 98 4.1.2.2 Die ökonomische Vertrauenstheorie ................................................. 105 4.1.3 Zusammenfassung ............................................................................. 123 4.2
Die Integration der beiden Vertrauenstheorie als ungelöstes Forschungsproblem ......................................................................... 125
Teil II: Modellbildung und Wirkungsmechanismen ....................................... 131 5
6
Metatheorie der Theorieintegration........................................................... 133 5.1
Das Rechtfertigungsproblem: Zur Möglichkeit und Notwendigkeit der Integration von Theorien ............................... 136
5.2
Das Methodologieproblem: Zur Vorgehensweise bei der Integration von Theorien ................................................................ 141
5.3
Relationsbestimmung der beiden Vertrauenstheorien ................ 147
Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung ................................................................................. 150 6.1
Einstellungen und Einstellungs-Verhaltens-Relation aus sozialpsychologischer Sicht ............................................................. 151 6.1.1 Einstellungsbegriff und instrumentalitätstheoretisches Grundkonzept .................................................................................... 151 6.1.2 Die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten und die Ausdifferenzierung des Einstellungsbegriffes ................................... 153
Inhaltsverzeichnis
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.3 7
7
Kausale Sequenzierung im Rahmen der Entstehung von spezifischen Einstellungen .............................................................. 157 Grundannahmen und Geltungsbereich der Theory of Reasoned Action (TORA) und der Theory of Planned Behavior (TOPB) ........ 157 Generelle Einstellungen und die Idee einer kausalen Sequenz in der TORA .......................................................................................... 160 Kritik und aktueller Diskussionsstand ............................................... 162 Kausale Sequenz und automatisches Prozessieren von Information – zwei unvereinbare Positionen? ................................... 165 Zusammenfassung ........................................................................... 169
Spezifikation des kausalen Sequenzmodells .............................................. 171 7.1
Niveau- und Interaktionseffekte .................................................... 171
7.2 Bestimmungsfaktoren des ökonomischen Vertrauens ................. 174 7.2.1 Zeitliche Einbettung .......................................................................... 179 7.2.1.1 Der Schatten der Zukunft .................................................................. 179 7.2.1.2 Der Schatten der Vergangenheit ........................................................ 183 7.2.2 Strukturelle Einbettung...................................................................... 184 7.2.3 Institutionelle Einbettung: die Rolle von glaubwürdigen Verpflichtungen ................................................................................. 187 7.3
Zusammenfassung ........................................................................... 188
III. Empirischer Teil ........................................................................................... 191 8
Das Messinstrument faktorieller Survey ................................................... 193 8.1
Die Grundidee des faktoriellen Surveys ........................................ 193
8.2
Das Anwendungsspektrum ............................................................. 195
8.3
Der faktorielle Survey als experimentelles Design ....................... 199
8.4
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs im Rahmen der politikwissenschaftlichen Forschung ....................... 202
8.5 Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys................................. 213 8.5.1 Konzeption der Vignetten.................................................................. 214 8.5.2 Bestimmung der Vignettenpopulation und der Größe des Vignettensets ..................................................................................... 218 8.5.3 Entscheidung über Art und Umfang der Stichprobe ......................... 219 8.5.4 Verteilung der Vignetten auf die Befragten ...................................... 220 8.5.5 Präsentation der Vignetten ................................................................ 222 9
Festlegung des Erhebungsdesigns .............................................................. 225
8
Inhaltsverzeichnis
9.1 Faktorieller Survey.......................................................................... 226 9.1.1 Konzeption der Vignetten.................................................................. 226 9.1.2 Bestimmung der Vignettenpopulation und der Größe des Vignettensets ..................................................................................... 232 9.1.3 Entscheidung über Art und Umfang der Stichprobe ......................... 232 9.1.4 Verteilung der Vignetten auf die Befragten ...................................... 233 9.1.5 Präsentation der Vignetten ................................................................ 235 9.2
Die Messung des generellen Vertrauens ........................................ 236
10 Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten ................................................................................................ 240 10.1
Hierarchische Datenstruktur ......................................................... 240
10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3
Analysestrategien............................................................................. 242 Einfache Regressionsmodelle ............................................................ 242 Slopes-as-Outcomes-Modelle............................................................ 244 Hierarchisch-Lineare-Modelle .......................................................... 245
11 Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse ............................. 250 11.1
Allgemeine Anmerkung zur Analysestrategie bei Mehrebenenanalysen....................................................................... 250
11.2
Beschreibung des Datensatzes und deskriptive Ergebnisse ......... 251
11.3
Ein-Ebenen-Regressionsmodell ...................................................... 255
11.4 Random-Intercept-Modelle ............................................................ 258 11.4.1 Machen personenspezifische Merkmale einen Unterschied? Der Erklärungsbeitrag der Makroebene ............................................ 259 11.4.2 Der Erklärungsbeitrag der Rational Choice-Determinanten und der generellen Vertrauenseinstellung ................................................ 265 11.5
Random-Intercept-Modell versus OLS-Regression ..................... 276
11.6
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle.................................. 279
12 Schlussbemerkung ....................................................................................... 287 Anhang ................................................................................................................. 293 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 303
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32:
Der Erklärungszusammenhang der Politischen Kulturforschung ............ 32 Typen politischer Kultur nach Almond und Verba .................................. 38 Das Konzept der Politischen Unterstützung ............................................. 48 Die soziologische Vertrauenstheorie ........................................................ 61 Mehrebenenerklärung nach dem struktur-individualistischen Erklärungsansatz ...................................................................................... 68 Vertrauensgesetz nach Coleman .............................................................. 77 Vertrauensentscheidung nach der SEU-Regel ......................................... 81 Vertrauensgesetz aufgelöst nach p ........................................................... 82 Struktur des klassischen Vertrauensspiels................................................ 84 Auszahlungsmatrix des klassischen Vertrauensspiels .............................. 85 Auszahlungsmatrix des modifizierten Vertrauensspiels .......................... 85 Vertrauensspiel mit vollständiger, aber unvollkommener Information .............................................................................................. 87 Ökonomische Vertrauenstheorie – Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer beiden Varianten ................................................ 90 Die Erklärung des soziologischen Vertrauenskonzeptes der Politischen Kulturforschung................................................................... 100 Die Erklärung der SEU-Theorie............................................................. 107 Die Erklärung der Spieltheorie............................................................... 109 Zusammenfassung der Stärken und Schwächen der analysierten Vertrauenstheorien ................................................................................. 124 Typen des Theorienvergleichs ............................................................... 144 Theorierelationen und korrespondierender Integrationstypus ................ 147 Schematische Darstellung der beiden Vertrauenstheorien und ihrer Integration .............................................................................................. 149 Wert-Erwartungsmodell der Einstellungsbildung .................................. 153 Grundstruktur der Theory of Reasoned Action (TORA) ....................... 161 Schematische Darstellung des kausalen Sequenzmodells ...................... 173 Zeitliche Einbettung ............................................................................... 177 Kausales Sequenzmodell - Zusammenfassung der Hypothesen............. 190 Beispielvignette...................................................................................... 194 Das Anwendungsspektrum von faktoriellen Surveys ............................ 199 Faktorielle Surveys in der KZfSS 2000-2006 ........................................ 209 Relevante Kriterien bei der Entscheidung über die Art der Stichprobe .............................................................................................. 211 Berechnung der Verteilung der Vignetten auf die Befragten ................. 220 Operationalisierung der unabhängigen Variablen .................................. 228 Beispielvignetten.................................................................................... 229
10 Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51: Abbildung 52: Abbildung 53: Abbildung 54: Abbildung 55: Abbildung 56: Abbildung 57: Abbildung 58: Abbildung 59: Abbildung 60: Abbildung 61: Abbildung 62: Abbildung 63: Abbildung 64:
Abbildungsverzeichnis Orthogonaler Versuchsplan für zwei halbfraktionalisierte faktorielle 24-Designs ............................................................................. 234 Berechnung der Verteilung der Vignetten auf die Befragten ................. 235 Faktormodell des generalisierten Vertrauens – Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse .................................................................... 238 Hierarchische Datenstruktur bei faktoriellen Survey-Daten .................. 240 Grundmodell einer einfachen linearen Regression ................................ 246 Grundmodell des Hierarchisch-Linearen-Modells ................................. 247 Die einzelnen Schritte der statistischen Modellierung ........................... 251 Merkmale des Datensatzes ..................................................................... 252 Deskriptive Ergebnisse .......................................................................... 254 Schätzergebnisse von Modell 1 .............................................................. 256 Gleichung von Modell 2 (Leeres Modell) .............................................. 261 Schätzergebnisse von Modell 2 (Leeres Modell) ................................... 262 Berechnung eines Konfidenzintervalls für die Regressionskonstante ............................................................................. 262 Gleichung von Modell 3 (Nullmodell des Leeren Modells) .................. 263 Schätzergebnisse von Modell 3 .............................................................. 263 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 2 und 3 .......... 264 Berechnung des Intraklassenkorrelationskoeffizienten ȡ ....................... 264 Gleichung von Modell 4 (unkond. RIM) und Modell 5 (kond. RIM) ..... 267 Schätzergebnisse der beiden Random-Intercept-Modelle ...................... 268 Random-Intercept-Modelle – Reduktion der Fehlervarianzen ............... 269 Berechnung der partiellen Varianzaufklärung nach Raudenbush und Bryk ....................................................................................................... 272 Berechnung des Maximum-Likelihood-R2 nach Maddala ..................... 274 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 1 und Modell 4 ................................................................................................. 275 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 4 und Modell 5 ................................................................................................. 276 Vergleich der Schätzergebnisse (Gepoolte OLS-Regressionen vs. Random-Intercept-Modelle)................................................................... 278 Gleichung von Modell 6 ........................................................................ 280 Schätzergebnisse Random-Intercept-Random-Slope-Modelle .............. 280 Berechnung von Konfidenzintervallen für die Regressionskoeffizienten ....................................................................... 282 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 5 und Modell 6 ................................................................................................. 283 Gleichung von Modell 7 ........................................................................ 284 Berechnung der Varianzaufklärung in den Effektstärken nach Raudenbush/Bryk ................................................................................... 285 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 6 und Modell 8 ................................................................................................. 286
Vorwort
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine Dissertationsschrift, die ich im Herbst 2008 abgeschlossen und eingereicht habe. Damit ging ein Forschungsprojekt zu Ende, das sich insgesamt über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren erstreckt hat. In dieser Zeitspanne hat sich der Charakter dieser Arbeit sehr verändert. Der zunächst gar nicht vorgesehene empirische Teil ist immer umfangreicher und komplexer geworden. Das Ringen um eine möglichst effiziente Methode der Datenerhebung sowie das Knobeln an komplexen statistischen Modellen der Datenauswertung hat mir unerwartet viel Spaß gemacht, aber auch sehr viel Kopfzerbrechen bereitet. Ohne die Unterstützung vieler Menschen wäre die Arbeit in dieser Form nicht fertig gestellt worden. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich danken. Zunächst gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Volker Kunz, als dessen Mitarbeiterin ich seit 2002 die nötige Zeit und die erforderlichen Freiräume hatte, um diese Arbeit kontinuierlich voranzutreiben. Sehr motivierend war, dass er sich für meine teilweise unorthodoxen Ideen hat begeistern lassen und dass er den Entstehungsprozess dieser Arbeit, wenn nötig, mit konstruktiven Ratschlägen begleitet hat. Große Unterstützung hatte ich auch durch meine beiden Lehrstuhlkollegen Dr. Johannes Marx und Kerstin Heydenreich, die nicht nur durch ihre inhaltlichen Kommentare wesentlich zur Weiterentwicklung der Arbeit beigetragen haben, sondern mit denen ich auch alle Schwierigkeiten während der Phase der Dissertation teilen konnte. Prof. Dr. Karl-Dieter Opp verdanke ich den frühen Hinweis, dass man faktorielle Surveys mit Hilfe von Mehrebenenanalysen auswerten müsste. Prof. Dr. Kai Arzheimer danke ich für die gelegentlichen Tür- und Angelgespräche über die Tücken dieser statistischen Modelle. Dr. Hermann Dülmer vom Zentralarchiv für Empirische Sozialforschung in Köln hat mir wertvolle Tipps zur Konstruktion des Erhebungsdesigns gegeben. Sehr profitiert habe ich auch von der Möglichkeit, Teile der empirischen Arbeit auf zwei Tagungen des DVPW-Arbeitskreises Empirische Methoden der Politikwissenschaft vorstellen zu können. Darüber hinaus halfen zahlreiche weitere Freunde und Kollegen, indem Sie Teile der Arbeit gelesen, kommentiert und korrigiert haben. Namentlich nennen möchte ich Dr. Hans-Peter Burth, Doris Unger, Jürgen Siersch, Sofie Jedinger und Stefan Schlag. Für ihr Interesse an meiner Arbeit und ihre große Unterstützung danke ich auch meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, und meiner Freundin Dr. Julia Schuh. Seit der Geburt unserer Tochter Paula im Jahr 2006 haben auch meine Schwiegereltern wesentlich dazu beigetragen, dass ich diese Arbeit zu Ende schreiben konnte. Auch ihnen möchte ich für ihre Unterstützung herzlich danken. Ein letzter Dank gilt meinem Mann Andreas, der trotz hoher eigener Arbeitsbelastung immer wieder Zeit für mich freigeschaufelt hat, für seine sorgfältigen Korrekturen, seine Hilfe beim Formatieren der Arbeit und überhaupt für seinen großen Rückhalt bei allen Höhen und Tiefen der letzten Jahre.
1 Einleitung
Das Thema Vertrauen erlebt seit Ende der 1980er Jahre einen Boom in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, Philosophen und Psychologen beschäftigen sich mit den Erscheinungsformen des Vertrauens, seinen Voraussetzungen und seinen Effekten. Entsprechend ist die Anzahl der Beiträge zu Vertrauen exponentiell gestiegen und füllt mittlerweile Bücherwände. Die Vertrauensforschung hat sich zu einem der interessantesten interdisziplinären Forschungsfelder der letzten Jahre entwickelt.1 Konjunktur hat das Vertrauensthema auch in der Politikwissenschaft. Wie Ruscio betont, ist diese Begriffskategorie „one of the most elusive terms in discussions on contemporary politics“ (Ruscio 1996: 461). Das Interesse richtet sich dabei einerseits auf das politische Vertrauen. Seit den Anfängen der politikwissenschaftlichen Einstellungsforschung in den 1950er und 1960er Jahren wird über die potenziellen Konsequenzen und Ursachen einer Vertrauenslücke zwischen Regierenden, Regierungssystem und Regierten diskutiert.2 Neben dieser speziellen Vertrauenskategorie, deren Zuordnung zum disziplinären Kanon der Politikwissenschaft nur natürlich erscheint, gibt es aber auch eine große Zahl an politikwissenschaftlichen Beiträgen, die grundlegender ansetzen und das soziale Vertrauen zum Gegenstand ihrer Analysen machen. In der üblichen politikwissenschaftlichen Verwendungsweise bezeichnet dieser Begriff eine Orientierung, die Menschen anderen Menschen entgegenbringen. Er ist damit synonym zum ebenfalls häufig verwendeten Begriff des interpersonalen Vertrauens.3 Dies herauszustellen ist insofern wichtig, als im Rahmen der politikwissenschaftlichen Diskussion damit ein enges Begriffsverständnis von sozialem Vertrauen dominiert, während in vielen soziologischen Beiträgen zur Vertrauensthematik soziales Vertrauen als eine Art Oberbegriff verwendet wird, der neben interpersonalem Vertrauen auch Vertrauen in kollektive Entitäten wie Systeme (Systemvertrauen), korporative Akteure, Organisationen etc. umfassen kann (vgl. Preisendörfer 1995: 270).4 Ungeachtet dieser semantischen Differenzierungen herrscht in der Vertrauensdiskussion breite Einigkeit darüber, dass dieses soziale bzw. interpersonale Vertrauen die grundlegende Form aller denkbaren Vertrauensbeziehungen ist: „the core trust relation is interper1
Einen Überblick über die Vertrauensdiskussion in der Psychologie bieten Koller 1992; Oswald 1994 und Petermann 1996. Zur soziologischen Vertrauensdiskussion siehe die Beiträge von Preisendörfer 1995; Funder 1999; Endress 2002; Nuissl 2002; Misztal 1996 und Sztompka 1995, 1999. Aus interdisziplinärer Perspektive wird die Vertrauensthematik in den Herausgeberbänden von Gambetta 1988; Hartmann, Offe 2001; Schmalz-Bruns, Zintl 2002 sowie in den Bänden der Russell Sage Foundation Series on Trust (insbesondere Braithwaite, Levi 1998 sowie Cook 2001a) beleuchtet. 2 Vgl. Gamson 1968; Miller 1974; Citrin 1974; Abramson 1983; Lipset, Schneider 1983; Hetherington 1998, 2005; Newton, Norris 2000. 3 In der folgenden Arbeit werden diese beiden Begriffe daher auch synonym verwendet. 4 Die Frage, wie aus interpersonalem Vertrauen Systemvertrauen entsteht, ist im Übrigen ein theoretisch noch weitgehend ungelöstes Problem der derzeitigen Vertrauensdiskussion.
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Einleitung
sonal“ (Warren 1999: 348). Die Analyse dieses Vertrauens kann deshalb als eine Art natürlicher Ausgangspunkt aller Theoriebildung zur Vertrauensthematik angesehen werden. Dabei sind es in erster Linie die zugeschriebenen positiven Effekte auf das gesellschaftliche Zusammenleben sowie die Funktionsweise von Wirtschaft und Politik, die dazu führen, dass dem sozialen Vertrauen in der gegenwärtigen politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung so viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Bezogen auf den gesellschaftlichen Bereich gilt Vertrauen als Schlüssel zur Lösung wahrgenommener sozialer Integrationsprobleme. Wie Misztal herausstellt, ist das große Interesse am Thema Vertrauen aus dieser Perspektive zugleich Ausdruck und Folge einer als krisenhaft wahrgenommenen Entwicklung postindustrieller Gesellschaften: „the recent increase in the visibility of the issue of trust can be attributed to the emergence of a widespread consciousness that existing bases for social cooperation, solidarity and consensus have been eroded and that there is a need to search for new alternatives“ (Misztal 1996: 3).
Die angedeuteten positiven Effekte des Vertrauens auf die wirtschaftliche Performanz werden häufig mit Verweis auf transaktionskostenökonomische Überlegungen begründet. Demnach kann Vertrauen die bei wirtschaftlichen Transaktionen entstehenden Informations-, Such-, Verhandlungs- und Durchsetzungskosten verringern, weil es ohne funktionale Einbußen soziale Kontrolle und Sanktionsdrohungen ersetzt. Vertrauen helfe auf diese Weise bei der Erstellung von Privat- und Kollektivgütern, es erhöhe die individuelle Risikobereitschaft und begünstige Innovation.5 Einen Kristallisationspunkt des politikwissenschaftlichen Forschungsinteresses am sozialen Vertrauen bilden die unterstellten positiven Effekte des sozialen Vertrauens auf die Stabilität und Performanz politischer Systeme.6 Systemunterstützende Orientierungen und Verhaltensweisen wie Vertrauen in politische Institutionen und die Bereitschaft zur aktiven Partizipation an politischen Belangen setzen nach diesen Annahmen ein grundlegendes Vertrauen in andere Menschen voraus.7 Auch im Hinblick auf die Outputseite des politischen Systems wird soziales Vertrauen als relevant eingestuft. Aus steuerungstheoretischer Perspektive ist Vertrauen ein informelles soziales Koordinationsmedium mit großem Steuerungspotential, das gerade dort die Möglichkeiten der politischen Steuerung verbessern kann, wo herkömmliche Koordinationsmedien wie Geld oder Herrschaft versagen. In einem Kontext, der durch eine verbreitete, wenn auch eher implizite Diagnose von Grundproblemen der politischen Steuerung und der sozialen Koordination gekennzeichnet ist, erscheint die Vermehrung von Vertrauen daher erstrebenswert (vgl. Offe 2001: 242; Scharpf 1994, 2000). In gebündelter Form finden sich diese Annahmen im Rahmen des Sozialkapitalansatzes wieder, der in den letzten Jahren in der politikwissenschaftlichen Einstellungs- und 5 Vgl. Arrow 1972, 1974; Dasgupta 1988; North 1992; Putnam 1993; Knack, Keefer 1997; Whiteley 2000; Knack, Zak 2001; Skidmore 2001; Lorenz 1999; einen Überblick über diese Diskussion bieten auch Plümper, Schneider 2001. 6 Vgl. u. a. Putnam 1993, 1995a, 1995b, 2000; Inglehart 1999; Newton 1999a; Knack 2002. 7 Einen kausalen Zusammenhang zwischen sozialem Vertrauen und Vertrauen in politische Institutionen vermuten u.a. Newton 1999b; Newton, Norris 2000; Fuchs, Gabriel, Völkl 2002; Gabriel et al. 2002: 174ff; Gabriel, Kunz 2002. Die Annahme, dass soziales Vertrauen politische Partizipation begünstigt, weil vertrauensvolle Bürger eher fähig und bereit sind, sich zur Durchsetzung eigener Interessen mit anderen zusammenzuschließen, findet sich u. a. bei Almond, Verba 1965: 277f. sowie Gabriel et al. 2002: 159ff.
Einleitung
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Verhaltensforschung intensive Forschungsbemühungen ausgelöst hat. Er ist für die aktuelle Prominenz des Themas Vertrauen wesentlich mitverantwortlich, weil Vertrauen vielen als die Schlüsselkomponente des Sozialkapitals gilt (vgl. Putnam 2000: 134; Kaase 1999: 1; Stolle 2002: 398). Das enge Zusammenspiel von sozialen Netzwerkstrukturen, sozialem Vertrauen und sozialen Normen und Wertorientierungen setzt aus dieser Perspektive Ressourcen frei, von denen einzelne Individuen wie auch Kollektive profitieren (vgl. Coleman 1991: 392; Kunz 2002: 394). In all diesen unterschiedlichen Diskussionssträngen dominiert eine positive Beurteilung der Ressource Vertrauen. Kritiker bemängeln zwar unter anderem, dass das in sozialen Netzwerken erzeugte soziale Vertrauen nicht zwangsläufig gesamtgesellschaftlich positive Effekte haben müsse. Sie verweisen beispielsweise auf die Möglichkeit cleavageverstärkender Wirkungen enger Inklusionsbeziehungen (vgl. Cohen 1999: 221; Levi 1996: 51; Portes, Sensenbrenner 1993: 1338ff.; Ostrom 1999: 176f.). Auch gebe es durchaus Fälle von Vertrauen und Zusammenarbeit, etwa unter Räubern und Mördern, die besser verhindert würden (vgl. Gambetta 2001: 205). Diese negativen Stimmen sind allerdings eher vereinzelt. Entsprechend waren und sind die Erwartungen an die empirische Erklärungskraft der Variable Vertrauen hoch. Diese positive Sicht des Vertrauens hat schon eine lange Tradition. Sie liegt in der Rolle begründet, die man dem sozialen Vertrauen bei der Lösung einer ganz fundamentalen sozial- und politiktheoretischen Fragestellung zuweist, deren ideengeschichtliche Wurzeln bis zur Kontroverse um das von Thomas Hobbes formulierte soziale Ordnungsproblem zurückreichen (vgl. Lewis, Weigert 1985b; Raub, Voss 1986), die aber auch eine der zentralen Fragestellungen der modernen Politikwissenschaft ist (vgl. Ostrom 1998): Warum handeln Menschen in sozialen (oder politischen) Interaktionszusammenhängen kooperativ? Das Maß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leistungs- und Problemlösefähigkeit hängt nach diesen Überlegungen in einem hohen Maß davon ab, ob Menschen freiwillig bereit sind, miteinander zu kooperieren, und zwar ohne dass dies durch Regeln oder Verträge erzwungen wird. Dieser Zustand eines von Kooperationsbereitschaft und Hilfestellungen gekennzeichneten Zusammenlebens ist insofern prekär, als der zur Kooperation bereite Akteur nicht sicher wissen, sondern nur vermuten kann, dass der oder die Interaktionspartner sich entsprechend erkenntlich zeigen und die einseitige kooperative Vorleistung nicht zu ihren eigenen Gunsten ausbeuten werden. Die Hoffnung auf Wiedergutmachung (Reziprozität) ist aber gleichzeitig eine ganz entscheidende Motivation für prosoziales Handeln. Dementsprechend sind solche einseitigen Hilfestellungen mit einem Aspekt der Unsicherheit verbunden, nicht angemessen erwidert zu werden. Der Einzelne, der sich darauf verlassen muss, dass sein Interaktionspartner ebenfalls kooperativ gesinnt ist, verzichtet auf einen Teil der Kontrolle über das Ergebnis der interaktiven Handlung (vgl. Petermann 1996: 14). Vertrauen, so die weithin geteilte Auffassung, spielt bei der Lösung vieler, wenn auch nicht aller dieser Kooperationsprobleme eine besondere Rolle und bietet damit einen vielversprechenden Ansatzpunkt zur Lösung einer der Kernfragen der Sozialwissenschaften. In vielen verschiedenen politischen und sozialen Kontexten trägt Vertrauen wesentlich dazu bei, dass Formen der Kooperation zu Stande kommen können (vgl. Hardin 2002: 173; Cook, Hardin, Levy 2005). Vertrauen stellt aus dieser Perspektive eine Art weiche Lösung des Kooperationsproblems dar, weil gerade nicht auf harte und kostenintensive Lösungen wie die Erzwingung von Kooperation durch Verträge oder Regeln sowie deren Sanktionie-
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rung zurückgegriffen werden muss. Es begünstigt gemeinschaftliches Handeln und die Überwindung von Trittbrettfahrerverhalten (vgl. Newton 2001: 202). Kenneth Arrow hat hierfür die in der Vertrauensforschung vielfach zitierte Metapher geprägt, wonach Vertrauen eine Art Schmiermittel für Kooperation sei (vgl. Arrow 1974: 23). Auf dieser sozialtheoretischen Grundhypothese einer kooperationsbegünstigenden Wirkung des sozialen Vertrauens fußen die meisten der Annahmen zu den positiven Effekten des Vertrauens, die derzeit in der politikwissenschaftlichen Forschungslandschaft diskutiert werden. Was allerdings die theoretische Begründung dieses unterstellten Wirkungszusammenhangs zwischen Vertrauen und Kooperation anbelangt, weist die Forschung Defizite auf. Zwar wird allenthalben betont, wie wichtig Vertrauen ist und dass es bei der Überwindung von Kooperationsproblemen eine wesentliche Rolle spielen könne. In diesen Hinweisen erschöpft sich aber der Erklärungswert vieler Beiträge. Trotz oder möglicherweise auch wegen der Myriaden von Arbeitspapieren, Artikeln und Büchern, die in den letzten zwei Jahrzehnten zur Vertrauensthematik publiziert worden sind, erscheint der theoretische Forschungsstand unterentwickelt und diffus. Schon in einer frühen Phase der derzeitigen sozialwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion hat Shapiro auf diese Defizite aufmerksam gemacht und bemängelt, dass die Vertrauensforschung durch ein „confusing potpourri of definitions applied to a host of units and levels of analysis“ (Shapiro 1987: 625) gekennzeichnet sei. Dieser Begriffswirrwarr scheint durch die intensive Diskussion der letzte Jahre kaum aufgelöst worden zu sein. Nach wie vor beklagen viele Autoren, dass die derzeitige Vertrauensdebatte aus einem Nebeneinander an unterschiedlichen Vertrauensbegriffen und Vertrauenskonzepten bestehe. Ein Konsens darüber, was unter Vertrauen zu verstehen sei und wie es wirke, fehle (vgl. u.a. Levi 2000: 138; Gabriel et al. 2002: 5). Erst kürzlich hat Nannestad in einem Überblicksartikel mit Schwerpunkt auf der seit der Jahrtausendwende neu entstandenen Vertrauensliteratur diese Einschätzung erneut bestätigt: „So far, research on generalized trust – or other types of trust for that matter – does (still) not proceed from a common understanding of what the term ‘trust’ designates.” (Nannestad 2007: 414). Fast entschuldigend klingt vor diesem Hintergrund der Hinweis, dass Vertrauen ein „wissenschaftlich schwer zu fassendes Konstrukt“ sei (Delhey, Newton 2004: 152; Hartmann 2001: 8f.). Knapp zwei Jahrzehnte intensive Diskussion über Vertrauen scheinen mehr Verwirrung gestiftet denn Klärung herbeigeführt zu haben. Dieser Eindruck des begrifflichen Durcheinanders hängt wesentlich damit zusammen, dass im Rahmen der politikwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion mit dem soziologischen Ansatz und dem ökonomischen Ansatz zwei große Ansätze zur Theoriebildung miteinander konkurrieren, die sich fundamental in ihren Annahmen unterscheiden, aber dennoch häufig miteinander vermischt werden. Geht man von einem wenig voraussetzungsvollen, eher weiten Begriffsverständnis von „Theorie“ aus, wonach eine Theorie eine Menge von miteinander verknüpften Aussagen ist, von denen sich eine nicht-leere Teilmenge auf empirisch prüfbare Zusammenhänge zwischen Variablen bezieht, dann kann man sagen, dass diese beiden Ansätze unterschiedliche Vertrauenstheorien hervorgebracht haben.8
8 In Abgrenzung zu diesem Begriff von Theorie bezeichnet der im Verlauf der Arbeit in anderen Zusammenhängen ebenfalls verwendete Begriff des Forschungskonzeptes eine unklare Vorstufe einer Theorie. Die Annahmen im Rahmen eines Konzeptes sind nicht notwendigerweise miteinander verknüpft, wie es bei einer Theorie der Fall ist. Zudem sind die Annahmen oft relativ vage und müssen weiter spezifiziert werden (Konzeptspezifikation), damit eine empirische Überprüfung möglich ist (vgl. Schnell, Hill, Esser 1999: 122).
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Beide Ansätze stimmen nur in der grundlegenden Annahme überein, dass Vertrauen kooperatives Handeln begünstigen kann. Sie unterscheiden sich aber wesentlich in einigen Punkten: Sie basieren nicht nur auf unterschiedlichen Vertrauensbegriffen und unterschiedlichen handlungstheoretischen Grundannahmen, sondern bieten, damit in Zusammenhang, auch unterschiedliche Erklärungen für die beschriebene, mit Vertrauen eng zusammenhängende Frage, warum Menschen in sozialen Interaktionssituationen kooperativ handeln. Auch die Frage nach der Bildung von Vertrauen wird aus Perspektive beider Ansätze unterschiedlich beantwortet. Der soziologische Ansatz zur Bildung einer Vertrauenstheorie lässt sich dem übergeordneten Forschungskonzept der Politischen Kulturforschung zuordnen. Ausgegangen wird von einem Vertrauensbegriff, der Vertrauen als eine generelle Einstellung hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen auffasst. Dieses generelle Vertrauen, das zugleich eine generelle Sichtweise der menschlichen Natur und der Gesellschaft als solche zum Ausdruck bringt, wird im Rahmen von Sozialisationsprozessen früh im Leben erworben. Solche Vertrauenserfahrungen werden internalisiert und generalisiert, das heißt auf fremde Personen übertragen (vgl. Stolle 2002: 397). Es ist nicht ausgeschlossen, dass einmal erworbene Orientierungen im Laufe der Lebensspanne aufgrund von sozialen Erfahrungen leicht angepasst und modifiziert werden; insgesamt gilt das generelle Vertrauen in andere Menschen aber als eine längerfristig stabile, von der Beschaffenheit konkreter Situationen unabhängige Orientierung. Vertrauen ist aus dieser Perspektive also etwas kulturell vermitteltes, insofern es vom jeweiligen individuellen kulturellen und sozialen Kontext einer Person abhängig ist, welche Erfahrungen er oder sie mit der Vertrauenswürdigkeit anderer Personen macht. Das Hineingeborensein in ein kulturelles Umfeld, das durch Vertrauen und Kooperationsbereitschaft gekennzeichnet ist, beeinflusst aus dieser Perspektive die spätere Vertrauens- und Kooperationsbereitschaft positiv, während eine Kultur des Misstrauens einer generellen Skepsis gegenüber der Vertrauenswürdigkeit von Fremden Vorschub leistet. Diesem generellen Vertrauen in andere Menschen wird eine handlungsdeterminierende Wirkung zugeschrieben; es wird davon ausgegangen, dass Menschen, die über ein hohes Maß an generellem Vertrauen verfügen, automatisch gemäß dieser generellen Orientierung handeln. Vertrauensvolles kooperatives Handeln ist also Ausdruck eines hohen Maßes an Vertrauen in andere Menschen und unabhängig von der Beschaffenheit konkreter sozialer Situationen. In der Forschungsliteratur wird dieser Ansatz verschiedentlich auch als kulturalistischer Ansatz bezeichnet, weil er Vertrauen als Ergebnis bestimmter kultureller Prägungen auffasst. Im Rahmen dieser Arbeit wird das Adjektiv „soziologisch“ zur näheren Kennzeichnung verwendet, das zwar auf den ersten Blick vielleicht weniger naheliegend ist, aber den großen Vorzug hat, dass es auf die handlungstheoretischen Prämissen verweist, die den Vertrauensansatz im Rahmen der Politischen Kulturforschung klar dem homo sociologicus-Paradigma in den Sozialwissenschaften zuordnen. Diesem „weichen“ soziologischen Ansatz zur Bildung einer Vertrauenstheorie steht ein „harter“ Ansatz gegenüber, der auf den Grundannahmen des ökonomischen Paradigmas in den Sozialwissenschaften aufbaut. Innerhalb dieses Rational Choice-Ansatzes diskutiert man seit rund zwei Jahrzehnten intensiv über Vertrauen und seine besondere Bedeutung im Rahmen einer ökonomisch fundierten Kooperationstheorie. Auch diese Überlegungen spielen im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion eine wesentliche Rolle und sind auch innerhalb der Politikwissenschaft auf breite Resonanz gestoßen (vgl. u. a. Hardin 1998, 2001; Brennan 1998; Ostrom 2003; Zintl 2002). Kooperation in sozialen
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Interaktionssituationen ist aus Rational Choice-Perspektive nicht Ergebnis kulturell vermittelter und internalisierter Verhaltensstandards, sondern Ergebnis eines rationalen Entscheidungskalküls, in dessen Rahmen Vertrauen eine wesentliche Rolle spielen kann. Dieses Vertrauen ist keine situationsunabhängig gebildete, stabile und fest in der Persönlichkeit verankerte Größe. Es wird vielmehr ad hoc und in Abhängigkeit von der Beschaffenheit konkreter Entscheidungssituationen auf Basis rationaler Abwägensprozesse gebildet. Verkompliziert wird die Darstellung dieses ökonomischen Ansatzes innerhalb der Vertrauensforschung dadurch, dass mit Spieltheorie und Wert-Erwartungs-Theorie unterschiedliche Varianten innerhalb der Theoriefamilie von Rational Choice an der Bildung einer ökonomischen Vertrauenstheorie beteiligt sind, die sich, wie noch genauer herauszuarbeiten sein wird, vor allem in ihren handlungstheoretischen Grundannahmen sowie in ihrem Begriffsverständnis von Vertrauen unterscheiden. Während im Rahmen der Spieltheorie ein Vertrauensbegriff vertreten wird, der Vertrauen als einseitiges kooperatives Verhalten in sequenziellen Spielsituationen fasst, ist Vertrauen aus Perspektive der stärker empirisch ausgerichteten Zweigs der Wert-Erwartungstheorie als eine in konkreten Entscheidungssituationen abhängig von situativen Opportunitäten gebildete kognitive Erwartung konzeptualisiert. Sie bringt die Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck, mit der ein rational kalkulierender Akteur davon ausgeht, dass unter den gegebenen Umständen der Entscheidungssituation eine zu erbringende einseitige kooperative Handlung vom jeweiligen Interaktionspartner kooperativ erwidert wird. Diese Erwartung determiniert, ergänzt um eine Nutzenkomponente, ob Menschen kooperativ handeln. Die kurz skizzierten Unterschiede in den Vertrauensbegriffen zwischen ökonomischem und soziologischem Ansatz einerseits wie auch die schon angedeuteten divergierenden Begriffsverständnisse innerhalb des ökonomischen Ansatzes sind durch Unterschiede in den handlungstheoretischen Grundannahmen bedingt: „the way trust is conceived depends to a large extent on the theory of action that is being employed“ (Lindenberg 2000a: 16). Festzuhalten ist zweitens, dass damit auch in der aktuellen politikwissenschaftlichen Forschungsdiskussion zu Vertrauen der ökonomische und der soziologische Ansatz aufeinander prallen, jene beiden Forschungsprogramme, die viele Autoren als die beiden dominanten Forschungsprogramme im Rahmen der Politikwissenschaft einstufen (vgl. u.a. Eckstein 1988; Reisinger 1995; Barry 1975; Marx 2005).9 Die beiden skizzierten theoretischen Ansätze sind in der aktuellen politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung zentral. Sie werden stark rezipiert, und es lassen sich innerhalb des Faches selbst und fächerübergreifend vielfältige Versuche ausmachen, auf theoretischkonzeptioneller oder auf empirischer Ebene zur Weiterentwicklung dieser beiden Vertrauenstheorien beizutragen. Zentralität im Forschungsstand sagt allerdings noch nichts über die Qualität einer bestimmten Theorie aus, auch wenn sich mit der Publikationsdichte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass bestimmte Inhalte eines Theorieansatzes kritisiert und weiterentwickelt werden. Beide Theorieansätze lassen sich aber nicht nur als zentral, sondern auch als fruchtbar bezeichnen, weil sie, wie noch genauer gezeigt werden wird, wesentliche Merkmale erfüllen, die zumindest im Rahmen eines empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnisses als Qualitätskriterien für gute Theorien gelten.
9 Bei Eckstein heißt es hierzu im Wortlaut: „Political culture theory may plausibly be considered one of the two still viable general approaches to political theory and explanation proposed since the early fifties to replace the long-dominant formal-legalism of the field – the other being rational choice theory” (Eckstein 1988: 789).
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In dieser Hinsicht heben sich der soziologische und der ökonomische Vertrauensansatz von einer ganzen Reihe weiterer Vertrauenskonzepte ab, die in der politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung noch diskutiert werden und das erwähnte begriffliche Durcheinander um Vertrauen zusätzlich begünstigen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise normative, aber auch systemtheoretische, interaktionistische oder modernisierungstheoretische Ansätze.10 Diese Ansätze verfügen aber nicht über das gleiche Erklärungspotenzial wie der soziologische und der ökonomische Vertrauensansatz und werden daher im Folgenden ausgeklammert. Sie tragen meist allenfalls zur Beschreibung und Klassifizierung bei, liefern aber kaum echte Erklärungen für soziale Sachverhalte, wie sie nur durch mikrotheoretisch gestützte Kausalanalysen geleistet werden können (vgl. Albert 1999). Dementsprechend ist der Stellenwert dieser vorwiegend begriffsexegetisch oder beschreibend arbeitenden Theorieentwürfe im Rahmen der empirisch-analytischen Forschung auch eher marginal geblieben. Dass zwei unterschiedliche Ansätze zur Bildung einer Vertrauenstheorie innerhalb der empirisch-analytisch ausgerichteten Politikwissenschaft diskutiert werden, ist an und für sich kein Nachteil. Eine solche Konkurrenz von Theorieansätzen kann sich als sehr produktiv für den wissenschaftlichen Fortschritt erweisen, wie Befürworter einer Position des theoretischen Pluralismus in den Sozialwissenschaften klar herausgestellt haben (vgl. Opp 1978; Opp, Wippler 1990a; Büschges 1992). Dies setzt allerdings voraus, dass die existierenden Theorien auf einer geteilten wissenschaftstheoretischen Basis systematisch miteinander konfrontiert und verglichen werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, in welcher logischen Relation diese Theorien zueinander stehen. Solche systematischen intertheoretischen Vergleiche werden innerhalb der Politikwissenschaft nur selten durchgeführt, und auch methodologische Fragen, die sich in Verbindung mit dem Vergleich von Theorien ergeben, werden in der Politikwissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Das ist zu kritisieren, weil Theorienvergleiche eine sehr wirksame, wenn nicht die wirksamste, Form der Theoriekritik darstellen (vgl. Opp 1978: 214). Ergibt sich beispielsweise im Rahmen eines Theorienvergleichs, dass die ausgewählten Theorieansätze von ein- und demselben Explanandum ausgehen, aber unterschiedliche Faktoren als kausal relevant einstufen, dann besteht die Möglichkeit zu testen, welcher der alternativen Ansätze sich in der empirischen Überprüfung als der bessere erweist. Bewährt sich dieses Ergebnis, kann der jeweils andere 10
Aus originär politikwissenschaftlicher Perspektive sind normative Beiträge zur Vertrauensdiskussion aus dem Bereich der politischen Theorie zu nennen, die sich in Verbindung mit demokratietheoretischen Überlegungen mit dem philosophischen Gehalt des Vertrauensbegriffes und seinen ideengeschichtlichen Wurzeln auseinandersetzen (vgl. Hollis 1998; Waschkuhn 1984; Hartmann 2002; Niesen 2002; Schmidt 2002). Daneben wird die politikwissenschaftliche Vertrauensdebatte auch durch Vertrauenskonzepte aus den Nachbardisziplinen, besonders aus der Soziologie, aber auch aus der Psychologie beeinflusst. So wird in einigen neueren politikwissenschaftlichen Überblicksdarstellungen zur Vertrauensdiskussion beispielsweise auf den so genannten identity-based-Ansatz eingegangen, der auf der social categorization theory der Sozialpsychologen Tajfel und Turner basiert (vgl. Schaal 2004: 47f.; Stolle 2002: 401f.; Tajfel 1974; Tajfel, Turner 1979; Messick, Kramer 2001; Taylor 2002). Aus dieser Sicht wird Vertrauen in erster Linie gruppenspezifisch und zwar an solche Individuen vergeben, die sich in ihrer sozialen Identität gleichen. Auch holistische Ansätze werden rezipiert, die, anknüpfend an Emile Durkheim und Talcott Parsons, den emergenten Charakter des Vertrauens betonen (vgl. Lewis, Weigert 1985a, b; Luhmann 2000, 2001; Misztal 1996: 95-102). Einem individualistischen Ansatz folgen dagegen die Überlegungen zu Vertrauen aus der Perspektive des symbolischen Interaktionismus. Hier wird Vertrauen im Zusammenhang mit der unhinterfragten Selbstverständlichkeit bestimmter Gegebenheiten in Interaktionssituationen thematisiert (vgl. Garfinkel 1963; Zucker 1986). Weder klar der Mikro- noch der Makroebene zuzuordnen ist der Ansatz von Antony Giddens. Er knüpft an frühe Überlegungen zu Vertrauen von Georg Simmel an und verknüpft diese mit einem modernisierungstheoretischen Ansatz (vgl. Giddens 1995: 16ff.; Giddens 1996; Möllering 2001).
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Theorieansatz verworfen werden (vgl. Opp, Wippler 1990a). Damit ist aber nur eine der möglichen logischen Relationen angesprochen, in der sich zwei Theorieansätze zueinander befinden können. Entsprechend müssen Theorievergleiche nicht zwangsläufig auf das Ziel der Elimination des empirisch schlechter abschneidenden Ansatzes ausgelegt sein, auch wenn das in der deutschen Soziologie entwickelte Forschungsprogramm eines systematischen Theorienvergleichs lange Zeit stark auf diese Form des „eliminativen Theorientests“ fokussiert war (vgl. ebd.). Eine solche enge Sichtweise des Theorienvergleichs übersieht aber, dass zwei Theorien auch in einem logischen Verhältnis zueinander stehen können, das es vielversprechend erscheinen lässt zu überprüfen, ob eine Integration beider Ansätze zu einer besseren empirischen Erklärungsleistung beiträgt (vgl. Seipel 1999, 2000, 2001). Beide Vorgehensweisen können erheblich zur Weiterentwicklung des jeweiligen Forschungsstandes beitragen, weil sie helfen, Stärken und Schwächen bestehender Theorieansätze aufzudecken und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede systematisch herauszuarbeiten. Das Potenzial zur Weiterentwicklung der Vertrauensforschung und damit zum wissenschaftlichen Fortschritt, das solche systematischen Theorienvergleiche in sich bergen, ist aber in der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung noch ungenutzt. Beide Theorieansätze werden entweder völlig unverbunden nebeneinander diskutiert oder völlig unkritisch miteinander vermischt. Sie sind aber bislang kaum in irgendeiner produktiven Weise miteinander konfrontiert worden. Es fehlen zudem Arbeiten, die sich systematisch mit den zentralen Annahmen, den Unterschieden und dem logischen Verhältnis zwischen diesen Vertrauensansätzen befassen. Diese Situation ist Ausdruck des Umstandes, dass Rational Choice und Politische Kulturforschung meist in Konkurrenz zueinander gesehen werden und es wenige Versuche gibt, beide Forschungsprogramme miteinander zu verbinden: „Rational Choice theory and the study of political culture (…) appear to occupy ‚separate tables’ in the study of politics“ (Bates 1997: 5). Diese Einschätzung der Relation von Rational Choice und Politischer Kulturforschung trifft besonders auf die aktuelle Forschungsdiskussion um Vertrauen im Rahmen der Politikwissenschaft zu. Es dominieren diejenigen Beiträge, die sich klar einem dieser beiden Stränge der Vertrauensdiskussion zuordnen lassen: „Recent theorists (…) are sharply divided between those who see trust as the consequence of rational, calculative behavior and those who consider it a normative concept better explained in the context of culture and societal values” (Ruscio 1996: 461).
Diese Fragmentierung der politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung in zwei klar divergierende Ansätze zur Theoriebildung ist sehr unbefriedigend. Gleichzeitig erscheint nämlich der Versuch einer Integration beider Theorien vielversprechend. Es wird zunehmend der Kritikpunkt geäußert, dass der in der empirischen Politikforschung dominierende soziologische Ansatz für sich genommen zu kurz greife: „many scholars believe the study of trust relies on an oversimplified view of both the formation and function of trust (…) Much of this criticism is directed at the assumption that people apply broad attitudes about the trustworthiness of human beings (…) to every-trust based relationship“ (Lubell 2007: 237).
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In ähnlicher Weise wird auch der ökonomische Vertrauensansatz, der ausschließlich auf situative Einflüsse als Bestimmungsfaktoren der Vertrauensentstehung fokussiert ist, als reduktionistisch kritisiert (vgl. Preisendörfer 1995). Verknüpft ist diese Kritik häufig mit der Feststellung, dass eine allgemeine Vertrauenstheorie fehle, die beide theoretische Perspektiven zu integrieren vermag. Die Voraussetzungen für eine solche Verknüpfung sind, wie sich zeigen wird, in der Tat günstig. Nicht nur ist die logische Relation beider Vertrauenstheorien derart, dass ihre Integration grundsätzlich möglich ist. Auch lässt sich argumentativ gut belegen, dass eine theoretische Integration, die die Stärken der beiden Ansätze miteinander verbindet, eine angemessenere mikrotheoretisch fundierte Erklärung der Genese von Vertrauen und des Zusammenhangs zwischen Vertrauen und kooperativem Handeln liefern kann, als es die beiden Ansätze für sich genommen zu leisten vermögen. Zudem existieren in der Sozialpsychologie durchaus theoretische Überlegungen, die aufzeigen, wie sich generelle Einstellungen als die aus soziologischer Perspektive zentralen Größen und die aus ökonomischer Perspektive zentralen, anreizabhängigen kognitiven Erwartungen miteinander verknüpfen lassen. Diese sind aber bisher in der Sozialkapital- und Vertrauensforschung kaum berücksichtigt worden (vgl. Marx 2005). Ob und auf welche Weise eine solche theoretische Integration möglich ist, ist ein bislang kaum bearbeitetes Forschungsproblem. Überzeugende Versuche der theoretischen Integration der den beiden Debatten zu Grunde liegenden Kausalannahmen mit dem Ziel der Bildung einer allgemeinen Vertrauenstheorie stehen aus. Vor diesem Hintergrund möchte die vorliegende Arbeit eine systematische, theoretisch und methodologisch fundierte Integration beider Vertrauenstheorien leisten und deren empirische Erklärungskraft überprüfen. Dazu sind Problemstellungen auf drei Ebenen zu bewältigen: 1.
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Auf der metatheoretischen Ebene ist in Auseinandersetzung mit dies bestreitenden wissenschaftstheoretischen Positionen zu begründen, dass unterschiedliche Theorien integriert werden können und es muss präzisiert werden, wie und unter welchen Voraussetzungen Theorien integriert werden können. Gleich mehrere Herausforderungen sind auf der theoretischen Ebene zu bewältigen. Zunächst müssen die grundlegenden Annahmen beider Vertrauenstheorien und ihre Unterschiede herausgearbeitet werden. Dies erfordert einiges an Rekonstruktionsarbeit, weil im Rahmen der Politischen Kulturforschung einerseits wie auch im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes andererseits keine klar erkennbare, gut ausgearbeitete und in sich homogene Vertrauenstheorie existiert. Stattdessen bietet sich ein eher diffuses Bild, das es zunächst aufzuklären gilt. Im aktuellen Forschungsstand der Politischen Kulturforschung lassen sich nämlich drei zentrale, weitestgehend unverbundene Ansätze zur Spezifikation des Politische Kultur-Konzeptes ausmachen (der Civic Culture-Ansatz, der Ansatz der politischen Unterstützung und der Sozialkapital-Ansatz), die alle drei soziales Vertrauen als Konzeptvariable beinhalten. Es liegen bisher kaum Arbeiten vor, die sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen diesen drei Ansätzen der Konzeptspezifikation befassen. Es lässt sich aber zeigen, dass sie, basierend auf denselben handlungstheoretischen Grundannahmen, auf ein- und dieselbe Definition von Vertrauen und auf ein- und dieselben zentralen Hypothesen in Verbindung mit Vertrauen zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, von einer soziologischen Vertrauenstheorie zu sprechen, deren Annahmen so etwas
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Einleitung wie eine gemeinsame Schnittmenge zwischen diesen drei Ansätzen bilden. Bezogen auf den Rational Choice-Forschungsstand liegt die Schwierigkeit darin, dass die Theoriebildung zu Vertrauen aus zwei unterschiedlichen, oft aber nicht klar getrennten Perspektiven vorangetrieben worden ist (Spieltheorie versus Wert-Erwartungstheorie), die zwar in einigen Kernannahmen übereinstimmen, sich darüber hinaus aber vor allem in einigen Zusatzannahmen, in der Konzeptualisierung des Vertrauensbegriffs und der vorgeschlagenen Modellierung von Vertrauensentscheidungen unterscheiden. Diese Unterschiede herauszuarbeiten ist schon für sich genommen eine relevante Forschungsaufgabe, weil in der Vertrauensliteratur entsprechende Überblicksdarstellungen weitestgehend fehlen. Eine systematische Darstellung dieser beiden Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie ist aber vor allem deshalb relevant, weil sich auf dieser Basis präzisieren lässt, welche dieser Varianten einen sinnvollen Ausgangspunkt für die angestrebte empirische Überprüfung der Theorieintegration bildet. Nach der Erarbeitung dieser theoretischen Grundlagen besteht eine zweite theoretische Herausforderung darin, zu begründen, dass eine Integration der soziologischen und der ökonomischen Vertrauenstheorie sinnvoll ist und eine Forschungslücke in der derzeitigen Vertrauens- und Kooperationsforschung schließt. Drittens bedarf es einer theoretisch möglichst fundierten Herleitung eines integrativen Theoriemodells. Schließlich ist auf der empirischen Ebene zu testen, ob eine solche Integration tatsächlich zu einer Verbesserung der Erklärungsleistung beiträgt. Die Herausforderungen liegen auf dieser Ebene in der Auswahl und Konzeption eines adäquaten Messinstrumentes zur Erhebung der benötigten Daten und in der Wahl eines angemessenen statistischen Analyseverfahrens.
Um diese Problemstellungen systematisch und schrittweise bearbeiten zu können, gliedert sich die folgende Arbeit in drei große Teile. Ziel des ersten theoretischen Teils der Arbeit (Vertrauenstheorien und ihre Integration) ist es, den soziologischen und den ökonomischen Ansatz zur Bildung einer Vertrauenstheorie darzustellen, beide Ansätze systematisch auf ihre Stärken und Schwächen hin zu vergleichen und detailliert zu begründen, wieso eine Integration dieser beiden Ansätze ein relevantes Forschungsvorhaben ist. Dazu wird im folgenden zweiten Kapitel dieser Arbeit zunächst der soziologische Vertrauensansatz, der im Rahmen der Politischen Kulturforschung vertreten wird, ausführlich vorgestellt. Nach einer Einführung in die Grundannahmen der Politischen Kulturforschung liegt der Fokus des zweiten Kapitels entsprechend darauf, die drei erwähnten Konzepte mittlerer Reichweite vorzustellen, in deren Rahmen soziales Vertrauen eine Rolle spielt, und aus den Grundannahmen der Politischen Kulturforschung einerseits und den in diesen Konzepten vertretenen Annahmen andererseits die Grundzüge der soziologischen Vertrauenstheorie herauszuarbeiten. Das dritte Kapitel stellt die Rational Choice-Perspektive auf Vertrauen vor und arbeitet die Grundzüge der ökonomischen Vertrauenstheorie heraus. Schon in diesem einführenden Kapitel geht es auch um Unterschiede zwischen der spieltheoretischen und der werterwartungstheoretischen Variante der ökonomischen Vertrauenstheorie. Wie schon dargelegt, wird Vertrauen in den Sozialwissenschaften derzeit vor allem deshalb so prominent diskutiert, weil es als Ansatz zur Lösung der Kooperationsproblematik gilt. Der soziologische und der ökonomische Ansatz lösen das Kooperationsproblem aber auf verschiedene Weise; sie liefern unterschiedliche Erklärungen dafür, wie Vertrauen und kooperatives
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Handeln zusammenhängen. Ziel des zweiten und dritten Kapitels ist es entsprechend auch, diese Unterschiede herauszuarbeiten, also beide Ansätze zur Theoriebildung im Hinblick auf ihren Lösungsbeitrag zum Kooperationsproblem zu rekonstruieren. Auf die Ergebnisse dieser Rekonstruktionen aufbauend wird im vierten Kapitel gezeigt, dass eine Integration beider theoretischer Perspektiven in theoretischer Hinsicht zugleich relevant und gut begründbar ist. Dazu befasst sich das vierte Kapitel in vergleichender Perspektive mit beiden Theorieansätzen und fasst deren Stärken und Schwächen zusammen. Auch die schon in Kapitel 2 begonnene Diskussion der Unterschiede zwischen den beiden ökonomischen Varianten der Theoriebildung wird in diesem Kapitel neu aufgegriffen und fortgeführt. Den Ausgangspunkt bilden zwei zentrale Überlegungen: Zum einen erscheint eine theoretische Integration nur dann sinnvoll zu sein, wenn die ausgewählten Ansätze zur Bildung einer Vertrauenstheorie für sich genommen wirklich so produktiv sind wie behauptet. Gleichzeitig ist eine solche Integration vor allem dann sinnvoll, wenn diese Theorien spezifische Defizite aufweisen und es gute theoretische Argumente dafür gibt anzunehmen, dass diese Defizite mittels einer Verknüpfung behoben werden können. Die systematische Untersuchung der Erklärungsleistung der soziologischen Vertrauenstheorie wie der beiden Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie kann belegen, dass diese beiden Vorbedingungen erfüllt sind. Ein solcher systematischer Theorienvergleich muss, wenn er das Prädikat „wissenschaftlich“ für sich in Anspruch nehmen will, natürlich anhand von Kriterien erfolgen. Diese werden im ersten Teil des vierten Kapitels zunächst eingeführt und strukturieren dann die Analyse der Stärken und Schwächen der beiden Vertrauenstheorien. Der zweite Teil des vierten Kapitels zeigt, dass entsprechende Integrationsversuche, die die ökonomische und die soziologische Vertrauenstheorie miteinander verknüpfen, in letzter Zeit in der Vertrauensforschung selbst zunehmend eingefordert werden, gleichzeitig aber noch keine überzeugenden Vorschläge existieren, wie eine solche Verbindung der theoretischen Annahmen beider Ansätze zu leisten ist. Ziel des zweiten Teils (Modellbildung und Wirkungsmechanismen) ist es, ein Kausalmodell zu spezifizieren, das beide Vertrauenstheorien miteinander verknüpft. Dazu wird im fünften Kapitel ein metatheoretischer Rahmen erarbeitet, der als Grundlage für eine Integration der beiden Vertrauenstheorien dient. Ausgehend von der Annahme, dass Theorieintegrationen auf zwei Arten von metatheoretischen Voraussetzungen fußen, ist die Struktur dieses Kapitels zweigeteilt. Eine erste Art von metatheoretischer Voraussetzung wird unter dem Stichwort „Rechtfertigungsproblem“ diskutiert. Theorieintegrationen basieren zum einen auf der Prämisse, dass es grundsätzlich möglich und gleichzeitig dem wissenschaftlichen Fortschritt dienlich ist, unterschiedliche Theorien systematisch miteinander zu vergleichen und sie gegebenenfalls, wenn sie sich als anschlussfähig erweisen, auch zu integrieren. Gerade diese Position ist aber in den Debatten um den Stellenwert von Theorienvergleichen in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert worden. Kapitel fünf setzt sich mit dieser Forschungsdiskussion und ihrem wissenschaftstheoretischen Hintergrund auseinander und rechtfertigt, wieso die Integration von Theorien möglich und sinnvoll ist. Eine zweite Art von metatheoretischer Voraussetzung bezieht sich auf die Ebene der praktischen Umsetzung. Es bedarf methodologischer Überlegungen dazu, unter welchen Bedingungen und in welcher Form Theorien integriert werden können. Entsprechend wird in Kapitel 5 erarbeitet, in welchen Relationen Theorien zueinander stehen können und welche Implikationen ihr Verhältnis zueinander im Hinblick auf die Möglichkeiten ihrer Integration mit sich bringt. Auf Basis dieser methodologischen Grundlagen können die beiden
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Vertrauenstheorien einem ganz bestimmten Konkurrenztyp zugeordnet werden. Daraus lässt sich die Annahme herleiten, dass beide Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz hintereinander geschaltet werden können. Die ökonomische Perspektive, die davon ausgeht, dass Vertrauen ein situationsspezifisch gebildetes und rein durch situative Anreizstrukturen determiniertes Phänomen ist, wird dadurch erweitert. Diese allgemeine Hypothese folgt der Grundidee, dass die situationsspezifischen Prozesse der „rationalen“ Entscheidungsfindung auch durch kulturell vermittelte generelle Orientierungen beeinflusst werden. Eine solche Integration der beiden Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz lässt sich nicht nur metatheoretisch begründen, sondern ist auch aus theoretischen Gründen nahe liegend. Dies lässt sich anhand des Forschungsstandes der sozialpsychologischen Einstellungsforschung demonstrieren. Kausale Sequenzmodelle, die davon ausgehen, dass generelle Einstellungen situationsspezifische kognitive Prozesse der Entscheidungsfindung kausal beeinflussen, werden dort schon seit langem diskutiert. Das sechste Kapitel fasst diese Diskussion zusammen. Nachdem die allgemeine Hypothese einer kausalen Sequenz damit theoretisch wie metatheoretisch begründet ist, geht es im siebten Kapitel um eine genauere Spezifizierung der kausalen Beziehungen zwischen den beiden Vertrauensansätzen und deren theoretische Begründung. Die Modellbildung und die Spezifikation der zugrunde liegenden Wirkungsmechanismen, die im Zentrum des zweiten Teils der Arbeit standen, finden in diesem Kapitel ihren Abschluss. Hauptziel des empirischen Teils der Arbeit ist es, empirisch zu überprüfen, ob die Integration der beiden Vertrauenstheorien in Form dieses kausalen Sequenzmodells tatsächlich eine Verbesserung der empirischen Erklärungsleistung erbringt. Zur Datengewinnung wurde im Rahmen der Arbeit mit dem faktoriellen Survey (auch Vignettenanalyse) ein in der Politikwissenschaft noch sehr selten eingesetztes, experimentelles Design verwendet. Da die Konstruktion eines faktoriellen Survey gleichzeitig durchaus anspruchsvoll ist, wird dieses Messinstrument im achten Kapitel der Arbeit zunächst ganz allgemein vorgestellt. Das achte Kapitel gibt nicht nur einen Überblick über Grundidee und Anwendungsspektrum von faktoriellen Surveys und die einzelnen Schritte, die bei der Konstruktion eines faktoriellen Surveys anfallen. Bestandteil des achten Kapitels ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Für und Wider des Einsatzes von Experimenten im Rahmen der politikwissenschaftlichen Forschung, da diese in den letzten Jahren zwar populärer werden, es aber immer noch, gerade innerhalb der politikwissenschaftlichen Methodendiskussion, Vorbehalte gibt, deren kritische Überprüfung lohnt. Das neunte Kapitel stellt das spezifische Design des faktoriellen Surveys vor, der im Rahmen der Arbeit eingesetzt wurde. Da eine hohe Datenqualität ein sorgsam konzipiertes Erhebungsdesign voraussetzt, werden im Rahmen dieses Kapitels die einzelnen Teilentscheidungen der Konzeption des Messinstrumentes ausführlich diskutiert und begründet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem häufig vernachlässigten Umstand, dass die Art der Konzeption eines faktoriellen Surveys auch Implikationen für die statistische Auswertung haben kann. Auf die Vorstellung des Messinstrumentes folgt die Darstellung der statistischen Auswertung. Das zehnte Kapitel geht dabei zunächst ganz allgemein auf Besonderheiten bei der statistischen Analyse von faktoriellen Surveys ein, es diskutiert die Vor- und Nachteile möglicher statistischer Analyseverfahren und begründet, wieso sich Hierarchisch-Lineare-
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Modelle zur statistischen Analyse von faktoriellen Survey-Daten am Besten eignen. Im elften Kapitel der Arbeit werden die einzelnen Schritte der vorgenommenen Mehrebenenanalyse erläutert und die entsprechenden Ergebnisse präsentiert. Ein Schlusskapitel fasst die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammen.
Teil I: Die beiden Vertrauenstheorien und ihre Integration
2 Die soziologische Vertrauenstheorie im Rahmen der Politischen Kulturforschung
Die Politische Kulturforschung hat sich seit den späten 1950er Jahren zu einem der zentralen Forschungskonzepte der Politikwissenschaft entwickelt. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in dem grundlegenden Gedanken, dass bestimmte kulturelle Ressourcen, die sich in den individuellen politischen Einstellungen und Wertorientierungen der Bevölkerung widerspiegeln, eine wesentliche Voraussetzung für das langfristige Überleben von Demokratien bilden, weil sie deren Stabilität und Leistungsfähigkeit beeinflussen. Soziales Vertrauen wird als eine solche kulturelle Ressource betrachtet und seit den Anfängen der Politischen Kulturforschung als Konzeptvariable diskutiert. Zentrale Ansätze zur Konzeptspezifikation unter dem Dach der Politischen Kulturforschung, wie der für die Entwicklung dieses Forschungsbereiches wesentliche Civic-Culture-Ansatz von Gabriel A. Almond und Sidney Verba, der von David Easton eingeführte Ansatz der Politischen Unterstützung sowie der in jüngster Zeit stark diskutierte Sozialkapital-Ansatz nehmen auf soziales Vertrauen Bezug. Im Folgenden werden zunächst einleitend die Grundannahmen der Politischen Kulturforschung skizziert. Die Darstellung orientiert sich am einstellungszentrierten Konzept der Politischen Kultur, das durch die vergleichenden Studien von Gabriel A. Almond und Sidney Verba begründet wurde.11 Es stellt mit politischen Einstellungen eine latente, also der direkten Wahrnehmung unzugängliche Analyseeinheit ins Zentrum. Dieser Ansatz gilt als im politikwissenschaftlichen Mainstream fest verankert und hat sich klar gegen eine Reihe alternativer Konzeptualisierungsansätze, die vor allem in der frühen Forschung zur Politischen Kultur diskutiert worden sind, durchgesetzt (vgl. Gabriel 1996: 25; Berg-Schlosser 1999: 78).12 Inhaltlich gesehen hat er gegenüber diesen alternativen Konzepten den Vorzug, dass er mit politischen Einstellungen auf einen klar eingegrenzten und präzisen Objektbereich ausgerichtet ist und sich zudem in der empirischen Politikforschung bewährt hat. Nach der Einführung in die Grundlagen dieses Forschungskonzeptes liegt der Schwerpunkt des folgenden Kapitels auf der systematischen Darstellung derjenigen Ansätze zur Konzeptspezifikation im Rahmen der Politischen Kulturforschung, die soziales Vertrauen als Konzeptvariable beinhalten. Auf dieser Basis sowie auf Basis der Grundannahmen der 11
Vgl. Almond, Verba 1965, 1980. Neben Almond und Verba sind Lucian Pye und G. Bingham Powell weitere für die Ausarbeitung des Ansatzes maßgebliche Autoren (vgl. Pye, Verba 1965; Almond, Powell 1966). Renommierte heutige Vertreter des Politische Kultur-Konzeptes sind unter anderem Ronald Inglehart (vgl. Inglehart 1988, 1997) und Robert D. Putnam (vgl. Putnam 1993, 2000). 12 Die erwähnten alternativen Ansätze fassen den Objektbereich der Politischen Kultur teilweise sehr weit und subsumieren darunter unter anderem Symbole, politische Handlungen, Normen oder politische Persönlichkeit (einen Überblick über die unterschiedlichen Begriffsverwendungen und Ansätze geben neben Kavanagh 1972 auch Dias 1971 und Patrick 1984). Vertreter des einstellungszentrierten Ansatzes haben diese weiche Verwendung des Begriffes der Politischen Kultur als inflationär und weitgehend beliebig kritisiert und vor einer Verwässerung des einstellungszentrierten Ansatzes gewarnt (vgl. Kaase 1983: 150; Berg-Schlosser 1980; Gabriel 1981; Lane 1992).
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Die soziologische Vertrauenstheorie im Rahmen der Politischen Kulturforschung
Politischen Kulturforschung lassen sich die Grundzüge der soziologischen Vertrauenstheorie herausarbeiten. 2.1 Grundlagen der Politischen Kulturforschung 2.1.1 Erkenntnisinteresse und zentrale Begrifflichkeiten Im Zentrum der Politischen Kulturforschung steht die Frage nach den Bedingungen der Überlebensfähigkeit von Demokratien. Während die zentralen, frühen Arbeiten in erster Linie die Stabilität (Persistenz) demokratischer Ordnungen in den Mittelpunkt rückten, nehmen Arbeiten jüngeren Datums zunehmend auch deren Leistungsfähigkeit (Performanz) in den Blick (vgl. u.a. Putnam 1993; Knack 2002). Diese für die politische Organisation eines Gemeinwesens fundamentalen Fragen hängen aus Sicht des Politische KulturKonzeptes entscheidend von den Einstellungen der Bevölkerung ab. Um Stabilität und Performanz demokratischer Institutionen langfristig sicherzustellen, bedarf es nach diesen Überlegungen eines bestimmten politisch-kulturellen Klimas, das durch die Zustimmung zu demokratischen Prinzipien und Idealen und durch eine gewisse Unterstützung der demokratischen Institutionen und seiner Akteure gekennzeichnet ist. Diese Annahmen fußen auf einem Begriffsverständnis von Politischer Kultur, wonach diese „the particular distribution of patterns of orientation towards political objects among the members of the nation“ bezeichnet (Almond, Verba 1965: 13). Auf die Funktion dieser Verteilung von politischen Orientierungen hebt die Definition von Lucian Pye ab. Er versteht unter Politischer Kultur: „a set of attitudes, beliefs, and sentiments which give order and meaning to a political process and which provide the underlying assumptions and rules that govern behavior in the political system (…) Political culture is thus the manifestation in aggregate form of the psychological and subjective dimensions of politics” (Pye 1968: 218).
Die in diesen Zitaten verwendeten Begriffe orientation, attitude, belief und sentiment lassen sich im deutschen Sprachgebrauch unter dem Oberbegriff der Einstellung zusammenfassen. Diese Begriffskategorie, die Anfang des letzten Jahrhunderts zunächst in die Sozialpsychologie eingeführt und später durch die Politikwissenschaft übernommen wurde, bildet den zentralen theoretischen Grundbegriff im Rahmen der Analyse der Politischen Kultur. In Übereinstimmung mit dem dominierenden sozialpsychologischen Begriffsverständnis werden unter Einstellungen mentale Dispositionen verstanden, die die Wahrnehmung der Umwelt strukturieren und bei der Bewertung der Umwelt sowie der eigenen Rolle in dieser Umwelt herangezogen werden können (vgl. Gabriel 1996: 25). Sie zeichnen sich durch einen klaren Objektbezug aus (vgl. Almond 1980: 15). Zudem gelten Einstellungen als situationsunabhängige mentale Konstrukte, die über einen längeren Zeitraum hinweg stabil sind (vgl. Kaase 1983: 154; Inglehart 1988). Im Fokus der Politischen Kulturforschung stehen dabei explizit politische Einstellungen, also solche Einstellungen, die auf politische Objekte ausgerichtet sind (vgl. Almond, Verba 1965: 12f.). Wie das oben angeführte Zitat von Pye verdeutlicht, basiert dieser Ansatz der Politischen Kultur auf einer Konzeptualisierung, nach der sich die Politische Kultur eines Gemeinwesens als Aggregatmerkmal aus der Summe der Verteilung individueller Einstellungen zu politischen Ob-
Grundlagen der Politischen Kulturforschung
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jekten unter den Mitgliedern dieses Gemeinwesens ergibt. Während politische Einstellungen auf der Mikroebene zu verorten sind, ist die Politische Kultur ein Makrophänomen. Zu Grunde liegt entsprechend ein einstellungszentrierter Kulturbegriff, wonach Kultur in Abgrenzung zu anthropologischen Kulturbegriffen als Summe psychologischer Orientierungen zu gesellschaftlichen Objekten begriffen wird (vgl. ebd.: 13). 2.1.2 Verortung im politikwissenschaftlichen Theoriespektrum Entsprechend diesen Grundannahmen besteht der wissenschaftliche Anspruch der Politischen Kulturforschung in erster Linie darin, mit Hilfe des Instrumentariums der empirischen Sozialforschung und auf Basis eines theoretisch begründeten Analyseansatzes empirische Beschreibungen von Politischen Kulturen oder bestimmter, als relevant eingestufter Einstellungskomponenten der Politischen Kultur vorzulegen sowie die Ursachen und die postulierten Effekte dieser Einstellungen empirisch genauer zu untersuchen. Das empirische Wissen zu den kulturellen Merkmalen bestimmter Kollektive, über das die Politische Kulturforschung verfügt, beruht dabei auf der Aggregation bestimmter, als wesentlich eingestufter Einstellungsitems, wobei zumeist einfache Aggregationsregeln, zum Beispiel Auszählungen der Häufigkeiten der Antwortverteilungen, zum Einsatz kommen (vgl. Pickel, Pickel 2006: 32). Die Politische Kulturforschung grenzt sich damit klar vom Klassischen Institutionalismus ab, der alleine in der institutionellen Ausgestaltung der formalen demokratischen Ordnung die wesentliche Voraussetzung für demokratische Stabilität vermutete. Zum anderen weist dieser Ansatz über modernisierungstheoretische Überlegungen hinaus, die im Vorliegen bestimmter sozio-ökonomischer Funktionsvoraussetzungen die entscheidende Determinante demokratischer Stabilität sehen (vgl. Lipset 1962).13 Die Erklärungskraft der sozio-ökonomischen Bedingungen wird allerdings nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Vielmehr wird ein kausales Modell unterstellt, das von politischen Einstellungen bzw. Orientierungen als den zentralen unabhängigen Variablen und von Performanz oder Stabilität demokratischer Systeme als abhängiger Variable ausgeht. Die politischen Orientierungen der Bevölkerung werden aber ihrerseits als von sozialen Kontextfaktoren geprägt konzipiert. Eine besondere Rolle wird in diesem Zusammenhang im Anschluss an die eben erwähnten modernisierungstheoretischen Überlegungen sozio-ökonomischen Faktoren wie Wohlstand und Bildungsniveau oder Mediennutzung zugewiesen (vgl. Putnam 1993; Inglehart 1997). Auch weitere sozio-demographische Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Integration in zivilgesellschaftliche Netzwerke gelten als wesentliche Bestimmungsfaktoren von politischen Orientierungen. Die Politische Kultur hat in dieser Kausalanordnung den Status einer intervenierenden Größe zwischen diesen Faktoren des sozialen Kontextes und den politischen Institutionen (vgl. Gabriel 1994: 30). 13
Die Schwerpunktsetzung auf politische Einstellungen als zentrale Bestimmungsfaktoren demokratischer Stabilität und Performanz erklärt sich aus dem zeitgeschichtlichen Kontext der Entstehung der Politischen Kulturforschung. Länder wie Großbritannien und Deutschland besaßen zu Beginn der 1920er Jahre ein relativ hohes sozioökonomisches Entwicklungsniveau und hoch entwickelte institutionelle Grundlagen (entwickelter Rechtsstaat, leistungsfähige Bürokratie, demokratische Verfassung). Sie verfügten damit über relativ ähnliche Ausgangsbedingungen. Dennoch zeigten die politischen Erfahrungen der Zwischenkriegszeit, dass sich beide Länder sehr unterschiedlich entwickelten, was Almond und Verba in Anlehnung an die Differenzmethode von John Stuart Mill auf Unterschiede in der politischen Kultur der beiden Länder zurückführten (vgl. Almond, Verba 1965: 5ff.).
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Die soziologische Vertrauenstheorie im Rahmen der Politischen Kulturforschung
Abbildung 1:
Der Erklärungszusammenhang der Politischen Kulturforschung
Sozioökonomische Faktoren: » Wohlstand » Bildung » … Politische Einstellungen Politische Kultur
Stabilität und Performanz demokratischer Institutionen
Soziodemographische Faktoren: » Geschlecht » Alter » Mediennutzung » Integration in zivilgesellschaftliche Netzwerke » …
Zu den ideengeschichtlichen Inspirationsquellen der Politischen Kulturforschung zählt der strukturfunktionalistische Ansatz von Talcott Parsons (vgl. Gabriel 1986: 24; Almond 1960). Auch handelt es sich bei der Politischen Kulturforschung um ein Forschungsprogramm, das in konsequenter Weise die mit der behavioralistischen Wende in der amerikanischen Politikwissenschaft verbundenen Zielsetzungen umsetzt (vgl. Pye 1965: 9). Mit dieser programmatischen Wende im Fachverständnis gehen nicht nur bestimmte methodologische Forderungen wie die nach einer konsequenten empirischen Beschreibung, Erklärung und Prognose politischer Vorgänge, nach der Theoriegeleitetheit der empirischen Forschung sowie nach einer strikten Wertneutralität des Forschers im eigentlichen Begründungszusammenhang einher (vgl. ausführlich Falter 1982: 174ff.). Sie leitet zugleich auch eine inhaltliche Neuausrichtung des Objektbereichs der Politikwissenschaft ein. Politisches Verhalten und politische Einstellungen rücken als die wesentlichen psychologischen Bestimmungsfaktoren des Verhaltens ins Blickfeld der politikwissenschaftlichen Forschung (vgl. Gabriel 1986: 23). Diesen behavioralistischen Vorgaben ist es zu verdanken, dass politische Einstellungen im Rahmen des Konzeptes der Politischen Kultur konsequent empirisch, nämlich mit den Methoden der repräsentativen Umfrageforschung erhoben und untersucht werden. Mit seiner Fokussierung auf Einstellungen als grundlegende Analyseeinheit knüpft das Politische Kultur-Konzept zudem explizit an die sozialpsychologische Einstellungsforschung an (vgl. Almond 1980).
Grundlagen der Politischen Kulturforschung
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2.1.3 Grundlegende Konzeptspezifikation nach Almond und Verba Mit der Festlegung des Objektbereiches der Politischen Kulturforschung auf Einstellungen zu politischen Objekten ist der Bedeutungsgehalt dieses Forschungskonzeptes nicht präzise bestimmt. Es bedarf Konzeptspezifikationen, die genauer festlegen, welche politischen Orientierungen zur Erfassung der Politischen Kultur eines Gemeinwesens von Bedeutung sind und wie sich diese politischen Orientierungen systematisieren lassen, sowie ergänzender Kausalannahmen darüber, wie diese politischen Orientierungen entstehen bzw. wirken. Zum festen Begriffsinventar der Politische Kulturforschung zählt eine Konzeptspezifikation, die der Civic Culture-Studie von Almond und Verba entstammt. Anknüpfend an systemtheoretische Überlegungen schlagen sie eine Differenzierung zwischen vier verschiedenen Objekten vor, auf die sich die politischen Orientierungen ausrichten können: das Selbst als politischen Akteur, die Inputdimension, die Dimension des Systems als allgemeines Objekt sowie die Outputdimension (vgl. Almond, Verba 1965: 14f.; Gabriel 1996: 31ff.).14 Die Dimension des Selbst als politischer Akteur bezieht sich auf das Bild, das der Bürger von sich selbst als politischem Objekt hat. Es geht in diesem Zusammenhang um die Wahrnehmung der eigenen Rolle im politischen Prozess. Einstellungen, die unter diese Dimension fallen, sind beispielsweise die Einschätzung des eigenen Einflusses im politischen Prozess oder das Interesse an politischen Sachverhalten ganz allgemein. Die Inputdimension umfasst Einstellungen zu den politischen Akteuren und den Verfahren der Input-Seite. Sie erfasst damit die Aushandlungsprozesse, die den gesamtgesellschaftlich verbindlichen Entscheidungen des politischen Systems vorgelagert sind. Darunter fällt zum Beispiel, wie Individuen, Interessenverbände oder Parteien ihre Interessen artikulieren, auf welche Weise sie auf den politischen Prozess Einfluss nehmen und welche Spielregeln für die Teilhabe am politischen Prozess gelten. Politische Orientierungen, die sich auf diese Dimension beziehen, werden als Prozess-Kultur bezeichnet. Ein zentraler Stellenwert in der politischen Kultur eines Landes wird den Einstellungen zum System als allgemeinem Objekt zugewiesen. Darunter fallen politische Orientierungen, die sich auf das System als Ganzes beziehen. Sie werden als Systemkultur bezeichnet. Die Outputdimension bezieht sich schließlich auf die Einstellungen zur Output-Seite des politischen Systems. Ihr werden die regulativen Aspekte der Politik zugeordnet (vgl. Gabriel 1996: 33). Outputeinstellungen sind in erster Linie Einstellungen zur Qualität und Effizienz bestimmter Policy-Maßnahmen sowie zu den politischen Institutionen wie Regierung, Parlament, Verwaltung oder Gerichte, die an der Beschlussfassung und Umsetzung von Policies mitwirken. Politische Orientierungen, die der Outputdimension zugeordnet sind, werden als Policy-Kultur bezeichnet. Zusätzlich wird im Anschluss an Parsons und Shils eine Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Orientierungsarten vorgenommen. Demnach können Einstellungen zu politischen Objekten drei unterschiedliche Ausprägungen haben: Sie können kognitiver Art sein, das heißt aus Wissen bzw. bestimmten Überzeugungen bestehen; sie können affektiver Art sein, worunter Gefühle oder Emotionen gegenüber politischen Objekten fallen, und sie können evaluativer Art sein, das heißt aus Bewertungen bestehen. Letztere ergeben sich 14 Die Inputdimension und die Dimension des Selbst als politischer Akteur werden häufig zugunsten eines einfacheren Schemas unter die Inputdimension subsumiert. Alternativ dazu existiert auch der Vorschlag, die Einstellungen zur eigenen Rolle als politischer Akteur nicht als eigenständige Dimension, sondern als eine Art Querschnittskategorie zu betrachten, die Bestandteil sowohl der System-, der Input- als auch der OutputDimension ist. Gemäß diesem Vorschlag ist dann innerhalb jeder dieser drei Kategorien zwischen Selbst- und Umweltkategorisierung zu differenzieren (vgl. Gabriel 1986: 60f.).
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nach Almond und Verba aus einem Zusammenspiel von Gefühlen und Überzeugungen mit verinnerlichten Wertstandards (vgl. Almond, Verba 1965: 14; Almond 1980: 26). Almond und Verba empfehlen, die sich ergebende Matrix aus vier mal drei Orientierungen als Raster bei der Analyse politischer Kulturen zu verwenden; Orientierungen kognitiver, affektiver und evaluativer Art also jeweils in Bezug auf die Inputdimension, die Dimension des Selbst als politischer Akteur, die System- und die Outputdimension zu untersuchen. Die vorgeschlagenen Differenzierungen haben sich in den nachfolgenden empirischen Studien unterschiedlich gut durchgesetzt. Auf Kritik gestoßen ist die Differenzierung in drei unterschiedliche Einstellungsarten. Bemängelt wurde zum einen, dass in empirischen Studien verschiedentlich auch konative Orientierungen erhoben worden seien, die hier keine Berücksichtigung fänden (vgl. Westle 2003). Konative Orientierungen sind handlungsbezogene Orientierungen, bringen also eine bestimmte Handlungsdisposition zum Ausdruck. Den Hintergrund zu diesem Vorwurf bildet eine Kontroverse in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung um die Dimensionalität des Einstellungskonstruktes. Neben der Differenzierung in eine kognitive, affektive und evaluative Dimension werden in diesem Forschungszusammenhang auch andere Dimensionalisierungsansätze diskutiert. Prominent ist insbesondere das Drei-Komponenten-Modell der sozialpsychologischen Einstellungsforschung, das zwischen einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen, d.h. handlungsbezogenen Einstellungsdimension unterscheidet. Eine andere Position stellt die Mehrdimensionalität des Einstellungskonstrukts grundsätzlich in Frage.15 Wie Gabriel herausstellt, handelt es sich dabei allerdings um ein empirisch gehaltloses, rein definitorisches Problem (vgl. Gabriel 1997b: 388). Empirisch gehaltlos ist dieses Problem gleich in doppelter Hinsicht: Weder bestätigen die wenigen empirischen Studien die theoretisch postulierte dreidimensionale Struktur (vgl. Lüdemann 1997: 37), noch hat sich diese Differenzierung im Rahmen der Politischen Kulturforschung als forschungspragmatisch sinnvoll erwiesen. Wie man festgestellt hat, ist diese Differenzierung nämlich in messtheoretischer Hinsicht nur schwer umsetzbar. Zumindest kognitive und affektive Anteile sind nämlich zumeist eng miteinander verwoben und empirisch kaum voneinander zu trennen (vgl. Patrick 1984: 309; Gabriel 1986: 41; Westle 2003). Dies gilt im Übrigen auch für soziales Vertrauen. Wie bei den meisten anderen Einstellungskonstrukten, die im Rahmen der Politischen Kulturforschung untersucht werden, dominieren aus Sicht der Literatur beim Vertrauen die affektiven Anteile, wobei Vertrauen gleichzeitig auch aus kognitiven Anteilen besteht (vgl. Patrick 1984: 309; Jones 1996: 5). Diese unterstellte Zweidimensionalität der Vertrauenseinstellung wird aber gegenwärtig weder in theoretischen Beiträgen zur Vertrauensforschung stärker reflektiert, noch wird ihr im Rahmen der Operationalisierung Rechnung getragen, die nicht zwischen möglichen kognitiven und affektiven Anteilen des Vertrauens differenziert. Etwas besser behaupten konnte sich die von Almond und Verba vorgeschlagene Differenzierung in drei verschiedene Einstellungsobjekte. Dieser Vorschlag ist als heuristischer Rahmen zur Verortung von einzelnen Konzeptvariablen breit akzeptiert. Immer noch baut eine nicht unbeträchtliche Zahl von Studien zur politischen Kultur - zum Teil mit leichten Modifikationen - auf dieser Strukturierungsidee auf. Allerdings erweist auch sie sich als Grundlage für die empirische Analyse als zu allgemein und undifferenziert, um auf dieser 15 Einen Überblick über diese Positionen geben Schumann 2001: 9ff.; Bierhoff 1998: 237ff. sowie Stroebe, Jonas, Hewstone 1990.
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Basis mehr als ein sehr vages Bild der politischen Kultur eines Landes gewinnen zu können (vgl. Gabriel 1997a: 30). Die Diskussion über Fragen der angemessenen Konzeptspezifikation und Operationalisierung des Ansatzes der Politischen Kultur dauert an. Wohl in Teilen als Reflex auf diese konzeptuellen Unklarheiten ist man in der empirischen Forschungspraxis dazu übergegangen, kleinteiliger zu arbeiten: Statt die politischen Orientierungen, die sich den von Almond und Verba eingeführten vier Arten von Orientierungsobjekten zuordnen lassen, in Gänze in den Blick zu nehmen, greifen viele Studien einzelne Konzeptvariablen oder Konzepte mittlerer Reichweite im Rahmen des Gesamtansatzes der politischen Kultur heraus und bemühen sich um deren genauere Spezifikation, adäquate Messung und empirische Überprüfung. Der Versuch, Politische Kultur in Gänze abzubilden, wird dagegen vergleichsweise selten unternommen. Auch die Muster dieser Orientierungen (patterns of orientation), die qua Definition erst die Politische Kultur eines Landes ausmachen, werden eher vernachlässigt (vgl. Gabriel 1997a: 28; Westle 2003). Zu einzelnen Einstellungskategorien wie der political efficacy oder der Parteiidentifikation liegen daher mittlerweile differenzierte Konzeptspezifikationen vor (vgl. Vetter 1997; Falter 1977). Auch über die Einordnung dieser Einstellungskategorien in die von Almond und Verba vorgeschlagene Orientierungsmatrix besteht weitestgehend Konsens. Das folgende Kapitel wird näher darauf eingehen, wie es in dieser Hinsicht mit der Konzeptvariable soziales Vertrauen aussieht. 2.2 Soziales Vertrauen im Rahmen der Politischen Kulturforschung Bemerkenswert ist zunächst, dass im Rahmen der Politischen Kulturforschung überhaupt über soziales Vertrauen diskutiert wird, ist doch der Objektbereich der Politischen Kulturforschung eigentlich explizit auf politische Objekte begrenzt. Soziales Vertrauen weist diesen unmittelbaren Bezug zu politischen Objekten nicht auf, sondern ist eine Einstellung, die sich auf die Mitmenschen ganz allgemein und damit auf das soziale Umfeld des einzelnen Individuums bezieht. In der Terminologie des systemtheoretischen Ansatzes von David Easton ist das soziale Vertrauen damit zunächst eine Einstellung, die nicht im politischen System, sondern im kulturellen System der Gesellschaft zu verorten ist (vgl. Verba 1965: 521). Dennoch gilt soziales Vertrauen seit den Anfängen der Politischen Kulturforschung als relevante Erklärungsgröße. Das Interesse am sozialen Vertrauen resultiert aus der theoretischen Annahme einer engen Relation zwischen allgemeinen sozio-kulturellen Orientierungen und politischen Orientierungen. Schon Almond und Verba gehen in Anknüpfung an den Strukturfunktionalismus davon aus, dass die Politische Kultur eines Kollektivs von ihrem sozio-kulturellen Kontext maßgeblich beeinflusst wird. Die Politische Kultur ist aus dieser Perspektive nur ein Subsystem des kulturellen Systems, worunter analog zum Begriff der politischen Kultur die Verteilung sozio-kultureller Orientierungen in einem Kollektiv gefasst wird (vgl. Kavanagh 1972: 12). Entsprechend geht man in der Tradition des Civic Culture-Ansatzes von einem erweiterten Objektbereich aus, der generelle kulturelle Merkmale wie beispielsweise soziales Vertrauen mit umfasst, obwohl diesen kein unmittelbarer, sondern höchstens ein über politische Orientierungen vermittelter Einfluss auf politische Objekte unterstellt wird. Im Einklang mit diesen Überlegungen heben Almond und Verba hervor, dass solche generellen kulturellen Charakteristika nicht unter Politische Kultur im
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engeren Sinne zu subsumieren, sondern von politischen Einstellungen analytisch zu trennen seien, weil nur so die Strukturrelationen zwischen beiden Arten von Orientierungen empirisch untersucht werden könnten (vgl. Almond, Verba 1965: 261). Diese Erweiterung des Objektbereichs der Politischen Kulturforschung ist zum Teil kritisiert worden. Lijphart beispielsweise sieht darin eine Vermengung von unabhängigen und intervenierenden Variablen und plädiert für einen engen, nur auf politische Orientierungen begrenzten Objektbereich (vgl. Lijphart 1989: 38). Sie ist aber dennoch insgesamt breit akzeptiert (vgl. Street 1994: 100). Viele Referenzwerke, die die Weiterentwicklung des einstellungszentrierten Ansatzes der Politischen Kulturforschung beeinflusst haben, sehen im sozialen Vertrauen eine wesentliche kulturelle Grundlage stabiler und leistungsfähiger Demokratien und leistungsfähiger Volkswirtschaften.16 Inglehart stellt die Bedeutung des sozialen Vertrauens im Rahmen der Politischen Kulturforschung klar heraus: „The political culture literature argues that the evolution and persistence of mass-based democracy requires the emergence of certain supportive habits and attitudes among the general public. One of the most basic of these attitudes is a sense of interpersonal trust” (Inglehart 1988: 1204).
Keinen Konsens gibt es allerdings nach wie vor hinsichtlich des konzeptuellen Status des sozialen Vertrauens. Seine Verortung ist umstritten und noch nicht abschließend geklärt. Es fehlen Beiträge, die sich systematisch mit Fragen der konzeptuellen Verortung des Vertrauens befassen.17 Ersteres hat auch damit zu tun, dass der einstellungszentrierte Ansatz der Politischen Kulturforschung keine ausformulierte und in sich konsistente Theorie ist, sondern selbst eher so etwas wie ein „conceptual umbrella“ (Lane 1992: 362). Almond selbst räumt dies ein: „Political culture is not a theory; it refers to a set of variables which may be used in the construction of theories. But insofar as it designates a set of variables and encourages their investigation, it imputes some explanatory power to the psychological or subjective dimension of politics, just as it implies that there are contextual and internal variables which may explain it” (vgl. Almond 1980: 26).
Daraus resultiert, dass der analytische Stellenwert vieler einzelner Komponenten, die unter dem Dach der Politischen Kulturforschung diskutiert werden, sowie deren Beziehungen zueinander theoretisch unterbestimmt sind (vgl. Kaase 1983; Lane 1992; Reisinger 1995; Fuchs 2007). Entsprechend pessimistisch kommentiert David Laitin die Entwicklung der Politischen Kulturforschung seit der Civic Culture-Studie: „we can and should demand that our theories have clearly conceptualized variables and wellspecified claims about how these variables interrelate. In the civic culture tradition, conceptual clarity was not achieved” (Laitin 1995: 168).
16 Vgl. Banfield 1958; Almond, Verba 1965; Easton 1965; Pye 1965: 8; Parry 1976: 129f.; Putnam 1993: 89f.; Verba 1965: 521f.. 17 Für das politische Vertrauen haben Fuchs, Gabriel und Völkl einen entsprechenden Systematisierungsbeitrag geleistet und die konzeptuelle Verortung des politischen Vertrauens im Kontext des Sozialkapitalkonzeptes einerseits und im Rahmen des Konzeptes der Politischen Unterstützung andererseits thematisiert (vgl. Fuchs, Gabriel, Völkl 2002). Für soziales Vertrauen steht eine solche Systematisierungsleistung noch aus.
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Theoretisch unterbestimmt ist nicht nur die Beziehung des sozialen Vertrauens zu den politischen Orientierungen, die im Rahmen der Politischen Kulturforschung als relevante Konzeptvariablen gelten. Auch wie soziales Vertrauen und die zentralen Explananda der Politischen Kulturforschung, also in erster Linie demokratische Stabilität und Performanz sowie ökonomische Leistungsfähigkeit, zusammenhängen, ist nur unzureichend theoretisch ausgearbeitet: „the topic of interpersonal trust and its meaning for the state of democratic affairs is still far from being satisfactorily sketched out“ (Kaase 1999: 3). Bei näherer Betrachtung lassen sich im Wesentlichen drei zentrale Ansätze zur Konzeptspezifikation im Rahmen des Politische Kulturkonzeptes ausmachen, die soziales Vertrauen als Konzeptvariable beinhalten. Soziales Vertrauen wird schon in der Civic-CultureStudie als eine relevante Einstellungskategorie eingeführt, die, wie ausführlich dargestellt, für die Politische Kulturforschung von konstitutiver Bedeutung war. Soziales Vertrauen ist als Einstellungskategorie zweitens in dem auf David Easton zurückgehenden Ansatz der Politischen Unterstützung bedeutsam, das bis heute zu den bekanntesten Analyseansätzen im Rahmen der Politischen Kulturforschung zählt. Eine Schlüsselrolle wird dem sozialen Vertrauen schließlich im Rahmen des Sozialkapitalansatzes beigemessen. Dieser neuere Forschungsansatz, der sich erst vor etwa 15 Jahren im Rahmen der Politischen Kulturforschung etabliert hat, hat dem Vertrauen insgesamt einen Bedeutungszuwachs beschert (vgl. Stolle 2000; Herreros 2004). Die folgenden Unterkapitel gehen genauer auf diese drei Ansätze und den konzeptuellen Stellenwert ein, den sie dem sozialen Vertrauen zuweisen. Dabei wird sich zeigen, dass alle drei Ansätze mit denselben, allerdings nur rudimentär ausgearbeiteten Annahmen arbeiten, um die unterstellte Wirkung des sozialen Vertrauens auf die Explananda der Politischen Kulturforschung, also in erster Linie demokratische Stabilität und Leistungsfähigkeit, zu begründen. 2.2.1 Soziales Vertrauen im Rahmen des Civic Culture-Ansatzes 2.2.1.1 Grundannahmen des Civic Culture-Ansatzes Ausgehend von der zentralen Fragestellung, ob sich zwischen stabilen Demokratien und zusammengebrochenen Demokratien systematische Unterschiede in der politischen Kultur finden lassen, die eine Erklärung für die stark voneinander abweichenden Stabilitäten und Leistungsbilanzen dieser politischen Systeme liefern könnten, entwerfen Gabriel Almond und Sydney Verba in ihrer Civic Culture-Studie eine Typologie politischer Kulturen. Hinter diesem Ansinnen steht die Vermutung einer Entsprechung zwischen bestimmten politischen Systemtypen und bestimmten Typen von politischer Kultur. Verknüpft ist The Civic Culture mit dem politisch motivierten Ziel, etwas über die Chancen der Reetablierung von demokratischen Strukturen in solchen Ländern aussagen zu können, in denen die Demokratie zuvor zusammengebrochen war oder in denen es noch nie eine Demokratie gegeben hatte. Konkret ging es dabei um einen „Transfer“ von politischen Institutionen stabiler Demokratien nach Deutschland, Italien und in die ehemaligen Kolonialstaaten (vgl. Westle 2003). Zur Entwicklung dieser Typologie politischer Kulturen knüpfen Almond und Verba an die bereits vorgestellte Differenzierung in vier Einstellungsobjekte an. Abhängig davon, ob
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Orientierungen zu diesen Einstellungsobjekten in der Bevölkerung vorhanden sind, unterscheiden Almond und Verba drei Idealtypen sowie einige Mischtypen der politischen Kultur. Als parochial culture (Kirchturm-Kultur) werden Gesellschaften bezeichnet, in denen so gut wie keine Orientierungen gegenüber politischen Objekten existieren. Die subject culture (Untertanenkultur) ist durch Orientierungen gegenüber dem politischen System als Ganzem und der Outputdimension gekennzeichnet. Gleichzeitig fehlen bei diesem Typus Orientierungen zur Inputdimension und zur eigenen Rolle im politischen Prozess. Der Typus der participant culture ist schließlich durch positive Orientierungen zu allen vier Einstellungsobjekten gekennzeichnet. Die Bürger beteiligen sich am politischen Prozess, verfügen über ein gewisses Wissen über politische Vorgänge, nehmen in konstruktiver Form am politischen Geschehen teil und weisen umfassende Orientierungen sowohl zu dem politischen System als Ganzem als auch zu der Input- und zur Outputseite sowie zur eigenen Rolle im politischen System auf. Die Vorstellung vom mündigen Bürger ist in dieser idealtypischen Ausprägung verkörpert (vgl. Pickel, Pickel 2006: 64). Abbildung 2:
Typen politischer Kultur nach Almond und Verba Dimension des Selbst als politischer Akteur
Inputdimension
Dimension des Systems als allgemeines Objekt
Outputdimension
Parochiale Kultur
0
0
0
0
Untertanenkultur
0
0
1
1
Partizipative Kultur
1
1
1
1
Diese unterschiedlichen Typen der politischen Kultur setzen Almond und Verba mit der in der Politischen Kulturforschung zentralen abhängigen Variable Stabilität von Demokratien in Bezug, indem sie mit dem Kongruenzpostulat eine zusätzliche theoretische Prämisse formulieren. Ganz allgemein formuliert besagt dieses, dass die Stabilität eines politischen Systems davon abhängt, ob die Bürger bestimmte Einstellungen internalisiert haben und von diesen Einstellungen beeinflusste Verhaltensweisen aufweisen, die zu der institutionellen Struktur kongruent sind (vgl. Almond, Verba 1965: 21). Sie bringen dabei das Vorliegen bestimmter Orientierungsarten in einem Kollektiv in den folgenden, ziemlich vagen Zusammenhang mit der Stabilität demokratischer Strukturen: Sind in einem Kollektiv positive Kognitionen, Affekte und Evaluationen häufig, dann signalisiert das Folgebereitschaft und Loyalität (allegiance). Indifferente Affekte und Evaluationen (apathy) indizieren Kongruenzprobleme. Sind die Affekte und Evaluationen negativ, dann ist die Kongruenz zwischen Struktur und Kultur in der Krise und die Stabilität des politischen Systems bedroht (vgl. ebd.: 22). Weiter wird davon ausgegangen, dass die parochial culture in erster Linie mit traditionellen politischen Strukturen korrespondiere, wie sie Almond und Verba beispielsweise in afrikanischen Stammesgesellschaften oder im Osmanischen Reich zu erkennen glauben. Die subject culture sei als kulturelle Basis kongruent zu autoritären politi-
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schen Strukturen, die participant culture sei am ehesten mit demokratischen Strukturen kongruent. Die Stabilität liberaler Demokratien sehen Almond und Verba allerdings am ehesten gewährleistet, wenn der Mischtypus der civic culture vorliegt. Dieser Typus der Staatsbürgerkultur, den Almond und Verba in Großbritannien und den USA verwirklicht sehen, bildet die ideale kulturelle Grundlage für stabile Demokratien. Die Staatsbürgerkultur weist alle Merkmale der participant culture auf, allerdings in Kombination mit Orientierungen der Parochial- und der Untertanenkultur. Die Verschmelzung mit traditionellen und loyalen Orientierungen führt dazu, dass die Partizipationswünsche der Bürger begrenzt bleiben und die politischen Strukturen nicht überlastet werden.18 2.2.1.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable Die civic culture, die nach Almond und Verba mit stabilen Demokratien am besten korrespondiert, setzt sich aus einem Konglomerat an prodemokratischen politischen Orientierungen zusammen. Gleichzeitig basiert sie auf bestimmten generellen kulturellen Orientierungen, die sich auf „the individual’s nonpolitical relations with his fellow man“ beziehen (ebd.: 208). In diesem Zusammenhang wird soziales Vertrauen als eine wesentliche Komponente einer mit stabilen Demokratien kongruenten Staatsbürgerkultur eingeführt. Wie aber sieht der Begründungszusammenhang aus, der hinter diesen Überlegungen steckt? Mit Hilfe welcher kausaler Annahmen begründen Almond und Verba diesen besonderen Stellenwert des sozialen Vertrauens? Vertrauen ist nach Almond und Verba neben anderen pro-sozialen Einstellungen wie Besonnenheit und Großzügigkeit eine wesentliche Ursache dafür, dass Menschen zur civic cooperation fähig und bereit sind, in gesamtgesellschaftlichen und politischen Belangen zusammenzuarbeiten (vgl. ebd.: 208 ff.). Statt Einzelkämpfertum zu praktizieren, schließen sich die Bürger in Freiwilligenverbänden zusammen und vertreten ihre Interessen im politischen Prozess gemeinsam. Dadurch wird der potenzielle Einfluss der Bürger auf die Regierung gestärkt, die Bevölkerung in das politische System integriert, ein wichtiger Beitrag zur Aggregation politischer Interessen geleistet, und Forderungen der Bevölkerung können besser ans politische System vermittelt werden. Insgesamt laufen Inputprozesse besser und strukturierter ab, was den politischen Prozess stabilisiert und die Überlebensfähigkeit von Demokratien erhöht (vgl. ebd.: 273ff.). Soziales Vertrauen ist demzufolge eine ganz wesentliche sozio-kulturelle Grundlage für stabile und leistungsfähige Demokratien. Aus diesen Annahmen begründet sich der zentrale Stellenwert, den Almond und Verba der Vertrauenskomponente im Rahmen einer Demokratie unterstützenden politischen Kultur zuschreiben. 18 Diese Typologie ist vielfältig kritisiert worden. Bemängelt wurde unter anderem die Idealisierung der angloamerikanischen politischen Kultur, die sich darin ausdrücke, dass die in den USA und Großbritannien verwirklichte civic culture zur kulturellen Grundlage stabiler Demokratien schlechthin erhoben werde (vgl. Kaase 1983: 152). Problematisch für die daran anschließende empirische Forschung sei auch die sehr unpräzise Beschreibung der Staatsbürgerkultur, was es schwer mache, im Rahmen von empirischen Analysen an dieses Leitbild anzuknüpfen, bzw. dazu führe, dass empirische Studien, die dies dennoch tun, selbst zunächst spezifizieren müssen, was sie unter dem Leitbild der civic culture verstehen: „The civic culture is described as a ‚cultural pattern’ with ‚several significant components’, but there is no precise specification of either the empirical indicators of these components or the exact weight they contribute to the overall pattern” (Lijphart 1989: 41; vgl. auch Inglehart 1988 und Gabriel 1994: 126ff.).
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Wie diese Argumentation verdeutlicht, basiert der Begründungszusammenhang, der soziales Vertrauen mit den zentralen erklärenden Variablen der Politischen Kulturforschung, nämlich der demokratischen Stabilität und Leistungsfähigkeit in Verbindung bringt, auf der impliziten Annahme einer verhaltensdeterminierenden Wirkung von Vertrauenseinstellungen. Wenn Menschen über ein hohes Maß an sozialem Vertrauen verfügen, so der unterstellte kausale Zusammenhang auf der Mikroebene, dann verhalten sie sich eher kooperativ. Vermittelt ist dieser Zusammenhang durch die civic cooperation, eine politische Einstellung (vgl. ebd.: 215), die Almond und Verba als intervenierende Variable einführen. In der Terminologie des dreidimensionalen Einstellungsbegriffs handelt es sich dabei um eine konative Einstellung oder Handlungsdisposition. Diese durch Vertrauen determinierte konative Einstellung zieht kooperatives Verhalten auf der Handlungsebene nach sich; breite Kooperation auf Seiten der Bevölkerung stabilisieren das politische System und machen es insgesamt leistungsfähiger. Weder der direkte Kausalpfad noch die spezifizierte indirekte Wirkung von Vertrauenseinstellungen auf kooperatives Handeln bzw. auf demokratische Stabilität und Performanz werden allerdings in der Civic CultureStudie empirisch überprüft. Etwas ausführlicher sind die Überlegungen zur Bildung von sozialem Vertrauen. Es gilt als durch soziale Kontextmerkmale entscheidend beeinflusst. Diese Überlegungen basieren auf der grundlegenden Annahme, dass Individuen durch soziale Interaktionen in ihrem jeweiligen sozialen Kontext Erfahrungen mit der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen sammeln. Diese Erfahrungen werden internalisiert und abstrahiert und führen zu einer personen- und situationsunabhängigen Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des generalisierten Anderen (vgl. ebd.: 262ff.). Vertrauen ist also aus dieser Sicht eine durch Sozialisationserfahrungen erworbene und verinnerlichte, hochgradig stabile generelle Orientierung. Es hängt also entscheidend von der Beschaffenheit des individuellen Sozialisationsumfeldes ab, ob ein Individuum ein hohes Maß an sozialem Vertrauen erwirbt oder eher misstrauisch wird. Explizit identifizieren Almond und Verba drei Typen von Sozialisationskontexten, die besonders entscheidend für die Herausbildung von Vertrauen sind. Zum einen ist dies der sozioökonomische Kontext. Ein durch Wohlstand und Bildung geprägtes Sozialisationsumfeld sollte aus dieser Perspektive die Bildung von Vertrauen fördern (vgl. ebd.: 214). Daneben wird familiären Strukturen, in die die Individuen eingebunden sind, eine besondere Rolle bei der Generierung von sozialem Vertrauen zugewiesen. Aber auch der Umgang in Vereinen und Verbänden ist häufig durch eine Kultur des Vertrauens gekennzeichnet; häufige außerfamiliäre soziale Kontakte in Vereinen und Verbänden, wie sie in einer lebendigen Zivilgesellschaft an der Tagesordnung sind, fördern aus dieser Perspektive entsprechend die Bildung von sozialem Vertrauen. Almond und Verba knüpfen an dieser Stelle an ein klassisches Argument von Alexis de Toqueville an, der bereits auf die besondere Bedeutung von sozialer Partizipation für die Herausbildung ziviler Tugenden hingewiesen hatte. Unterstellt wird dabei ein reziproker Zusammenhang zwischen Freiwilligenengagement und sozialem Vertrauen. Gut funktionierende zivilgesellschaftliche Strukturen begünstigen nach diesen Argumentationen die Bildung von sozialem Vertrauen. Gleichzeitig beeinflusst soziales Vertrauen die Bereitschaft zur politischen Kooperation und bedingt damit eine aktive Zivilgesellschaft. Eine eindeutige Festlegung der kausalen Richtung unterbleibt (vgl. ebd.: 262ff.). Auf diese allgemeinen theoretischen Überlegungen aufbauend wird im Rahmen der empirischen Analyse das unterschiedliche Maß an demokratischer Stabilität in Deutsch-
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land, Italien und Mexiko einerseits sowie Großbritannien und den USA andererseits unter anderem auf Unterschiede im Vertrauensniveau zwischen diesen beiden Ländergruppen zurückgeführt.19 Ihrer Argumentation zufolge bedingt das geringe Vertrauensniveau in Deutschland, Italien und Mexiko, dass die Kooperation in politischen Belangen in diesen Ländern nicht funktioniert, was sich in erster Linie negativ auf die politischen Aushandlungsprozesse der Inputseite, aber auch auf die gesellschaftliche Integration als solche auswirkt: „(the) lack of ability to cooperate politically reflects a more general inability to enter political bargains, to collaborate, and to aggregate interests. The society divides up into closed and relatively hostile camps” (ebd.: 361f.).
Ganz anders wird die Situation in den USA, aber auch in Großbritannien beschrieben und interpretiert. Dort stärkt das höhere Vertrauensniveau die Fähigkeit zur Soziabilität und die Überzeugung, im Verbund mit anderen eigene politische Ziele durchsetzen zu können. Die Folge sind eine lebendige Zivilgesellschaft und eine breite politische Partizipation der Bevölkerung (vgl. ebd.: 273ff.). Ein hohes Maß an generellem sozialem Vertrauen ist also nach diesen Argumentationen eine entscheidende kulturelle Grundlage einer effektiven und effizienten sozialen wie politischen Partizipation der Bevölkerung. Weil Demokratien auf die Kooperation der Bürger angewiesen sind, beeinflusst es damit auch indirekt deren Stabilität und Leistungsfähigkeit. Auf diese Weise wird soziales Vertrauen zu einer politisch relevanten Größe: „General social trust is translated into politically relevant trust“ (ebd.: 228). 2.2.2 Soziales Vertrauen im Rahmen des Ansatzes der Politischen Unterstützung Der Gedanke, dass die Unterstützung der Bevölkerung für den Bestandserhalt eines politischen Systems von zentraler Bedeutung ist, hat im politikwissenschaftlichen Denken eine lange Tradition. Entscheidend beeinflusst wurde das heutige Verständnis von politischer Unterstützung aber durch einen Ansatz, den David Easton entwickelt und in den 1960er Jahren in die politikwissenschaftliche Forschung eingeführt hat (vgl. Easton 1965, 1975). Das spezifische Verdienst des political support-Ansatzes für die Politische Kulturforschung besteht darin, dass er eine differenzierte Beschreibung des Zusammenhangs zwischen individuellen Einstellungen und der Systemebene leistet. Er stellt insofern eine systematische Weiterentwicklung der noch wenig differenzierten Konzeptspezifikation von Almond und Verba dar. Da er zudem vergleichsweise leicht zu operationalisieren ist, hat er sich in der vergleichenden empirischen Politikforschung als Ansatz zur Spezifikation des politischen Einstellungsraumes der Systemdimension fest etabliert20, auch wenn die Feinheiten dieser Konzeptspezifikation und der Operationalisierung bis heute umstritten sind (vgl. Arzheimer 2002: 197). Soziales Vertrauen wird üblicherweise als eine relevante Komponente angesehen. Dies gilt weniger für die ursprüngliche und zum Teil skizzenhaft gebliebene Fassung 19 Während nämlich die von Almond und Verba erhobenen Daten für Deutschland, Italien und Mexiko ein relativ geringes Niveau an Vertrauen zu den Mitmenschen und wenig Interesse an sozialen Aktivitäten außerhalb der Familie ergeben, ist die Bereitschaft zu zivilgesellschaftlichem Engagement und das ermittelte Vertrauensniveau in Großbritannien und USA vergleichsweise hoch. 20 Vgl. Almond 1990: 153; Fuchs 1989; Westle 1989; Norris 1999a; Dalton 2004; Fuchs, Gabriel, Völkl 2002.
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des Unterstützungskonzeptes, die Easton selbst vorgeschlagen hat. Wesentliche Ansätze zur Ausdifferenzierung und Modifikation des Eastonschen Ansatzes beinhalten aber soziales Vertrauen als Konzeptvariable. Bevor es um die konzeptuelle Verortung des sozialen Vertrauens und die Argumentationsmuster geht, die in diesen Weiterentwicklungen des Unterstützungskonzeptes herangezogen werden, um die Relevanz des sozialen Vertrauens als Konzeptvariable zu begründen, werden im folgenden Abschnitt die Grundzüge der klassischen Konzeptspezifikation nach Easton dargestellt. 2.2.2.1 Grundannahmen des political support-Ansatzes nach David Easton Eastons klassische Version des Unterstützungskonzeptes ist Bestandteil seines auf die Analyse politikwissenschaftlicher Erklärungsgegenstände übertragenen systemtheoretischen Politikmodells. Dieses Modell basiert auf einem funktionalen Verständnis des politischen Systems. Das politische System wird als Menge von Interaktionen verstanden, durch welche autoritative Wertzuteilungen an die Gesellschaft erfolgen (vgl. Easton 1965: 21). Zentrale Aufgabe einer neuen, behavioralistisch begründeten Politikwissenschaft ist es nach Easton, eine abstrakte, allgemeine Antwort darauf zu finden, wie politische Systeme die Funktion der autoritativen Wertzuteilung angesichts einer Umwelt, die durch stetigen Wandel gekennzeichnet ist, dauerhaft erfüllen und auf diese Weise ihren eigenen Erhalt sichern können (vgl. Easton 1965: 17ff.).21 Wie im Civic Culture-Ansatz ist also auch bei Easton die zentrale Fragestellung die nach den Bedingungen der Stabilität politischer Systeme.22 Die Funktion der autoritativen Wertzuteilung beinhaltet dabei zwei Aspekte: Politische Systeme müssen erstens die Allokation von Werten für die Gesellschaft vornehmen können. Zweitens muss gewährleistet sein, dass die meisten Gesellschaftsmitglieder diese Allokation wenigstens über einen längeren Zeitraum hinweg als bindend anerkennen. Um dies durchsetzen zu können, sind politische Systeme als offene Systeme konstruiert. Sie sind in der Lage, auf die Umwelt zu reagieren und ihr Verhalten an entsprechende Umweltbedingungen anzupassen, aber auch aktiv auf die Umwelt einzuwirken (vgl. Easton 1965: 18ff.). Diese System-Umweltbeziehung gestaltet sich nach Easton so, dass Impulse, die von der Umwelt auf das politische System ausgehen, so genannte „Inputs“, vom politischen System aufgegriffen und in „Outputs“ verarbeitet werden. Diese Outputs wirken dann wiederum, über eine Art Rückkopplungsschleife, auf die Inputs ein. Er differenziert die von der gesellschaftlichen Umwelt ausgehenden Impulse in supports (Unterstützungen) und demands (Forderungen). Nur wenn das Ausmaß an support oberhalb eines kritischen Levels liegt, kann das politische System seine zentrale Aufgabe der autoritativen Zuteilung von Werten erfüllen. Fällt dagegen der Level an support unter einen kritischen Schwellen-
21 Diese Umwelt des politischen Systems sieht nach Eastons Vorstellung so aus: Das politische System ist ein Subsystem des sozialen Systems (Gesellschaft) und von anderen Subsystemen wie dem Wirtschaftssystem, dem kulturellen System etc. umgeben. Neben dem sozialen System gehört noch das internationale System zur Umwelt des politischen Systems. Beide Umweltbereiche, das soziale System und das internationale System, beeinflussen das politische System (vgl. Easton 1965: 21ff.). 22 Easton verwendet lediglich statt des Begriffs der Stabilität den der Persistenz, um die Assoziation von Statik und Beharren zu vermeiden und zum Ausdruck zu bringen, dass Erhalt der Persistenz durchaus die Notwendigkeit einer dynamischen Anpassung systemischer Strukturen an sich wandelnde Umweltbedingungen implizieren kann (vgl. Fuchs 2002b: 31).
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wert oder geraten supports und demands in einen zu großen Widerspruch, wird der Verarbeitungsprozess gestört. Die Gefahr des Systemzusammenbruchs wächst.23 Durch Eastons Ansatz der Politischen Unterstützung wird die support-Komponente weiter ausgearbeitet. Obwohl Easton unter support sowohl Handlungen (overt support) als auch Einstellungen (covert support) fasst (vgl. Easton 1965: 159f., 1975: 436), bezieht sich diese Konzeptspezifikation nur auf systemunterstützende Einstellungen. Easton schlägt vor, den Systemerhalt unterstützende Einstellungen mit Hilfe von zwei Kriterien näher zu spezifizieren. Zum einen geht er davon aus, dass sich die den Systemerhalt unterstützenden Einstellungen mit der politischen Gemeinschaft, dem politischen Regime und den politischen Autoritäten auf drei zentrale Einstellungsobjekte beziehen (vgl. Easton 1965: 157ff.). Entscheidendes Differenzierungskriterium ist hier der Objektbezug (vgl. Fuchs 1989: 15). Die politische Gemeinschaft bezeichnet das politische Kollektiv, dem sich ein Individuum zugehörig fühlt. Es kann sich dabei um eine Nation als auch um eine subnationale Gruppierung, zum Beispiel eine bestimmte ethnische Gemeinschaft, handeln. Der Begriff des politischen Regimes kennzeichnet die für das Zusammenleben von Individuen in einem Gemeinwesen zentralen Werte, Normen und Autoritätsstrukturen, die die politischen Interaktionen steuern und beschränken (vgl. Fuchs 2002a: 356f.; Easton 1965: 193ff.). In einem demokratischen Regime bezieht sich diese Begriffskategorie entsprechend auf grundlegende demokratische Merkmale und Prinzipien wie die Menschenrechte, das Prinzip der Volkssouveränität oder das Prinzip der Gewaltenteilung.24 Mit politischen Autoritäten werden politische Herrschaftsträger bezeichnet, die mit der Herstellung und Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen betraut sind. Easton weist den Unterstützungsleistungen, die sich auf diese drei Systemdimensionen beziehen, jeweils spezifische Funktionen zu. Die Unterstützung der politischen Gemeinschaft sichert ein minimales Maß an gesellschaftlichem Zusammenhalt. Die Unterstützung des politischen Regimes stabilisiert diejenigen Rollen- und Strukturmuster, die funktional notwendig sind, um Forderungen in Outputs umzuwandeln. Schließlich bedarf es nach Easton eines gewissen Maßes an Unterstützung der politischen Autoritäten, damit dieser Konversionsprozess funktionieren kann (vgl. Easton 1965: 157). Entlang des Kriteriums Outputbezug (vgl. Fuchs 1989: 14f.) unterscheidet Easton zum anderen zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung. Die spezifische Unterstützung spiegelt die konkrete Zufriedenheit der Mitglieder des politischen Systems mit dessen Outputleistungen wider. Sie ist also in hohem Maß von den durch das politische System beschlossenen Policy-Maßnahmen bzw. den politischen Herrschaftsträgern abhängig, die für diese Maßnahmen verantwortlich zeichnen (vgl. Easton 1975). Solche spezifischen Orientierungen spiegeln die aktuelle Zufriedenheit mit der Praxis des politischen Systems wider und können daher kurzfristigen Schwankungen unterliegen. Die diffuse Unterstützung weist dagegen keinen Bezug zu den konkreten Outputleistungen des politischen Systems auf. Ihr Nährboden sind vielmehr als längerfristig stabil wahrgenommene Merkmale des politischen Systems. Einstellungskonstrukte, die unter diffuse Unterstützung subsumiert 23 Eine ausführlichere Darstellung des Systemmodells von David Easton findet sich bei Waschkuhn 1987 sowie Fuchs 2002a. 24 Diese Differenzierung zwischen den Unterstützungsdimensionen der politischen Gemeinschaft und dem politischen Regime ist allerdings nicht trennscharf, weil Easton dem politischen Regime nicht nur verfassungsmäßig vorgegebene formelle Interaktionsstrukturen, sondern auch informelle Interaktionsstrukturen zuordnet. Inwiefern sich diese informellen Interaktionsstrukturen von den hier thematisierten Kooperationen im Rahmen politischer Prozesse unterscheiden, bleibt unklar (vgl. Easton 1965: 193).
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werden, sind entsprechend längerfristig und situationsunabhängig stabile generelle Einstellungen, während sich spezifische Einstellungen situationsspezifisch mit wahrgenommenen Performanzänderungen wandeln können. Die diffuse Unterstützung kann sich nach Easton auf alle drei Objektebenen beziehen, spezifische Unterstützung hingegen nur den politischen Autoritäten zugute kommen. Ausgehend von dieser Unterscheidung zwischen spezifischer und diffuser Unterstützung geht Easton zudem davon aus, dass die einzelnen Unterstützungsdimensionen eine Hierarchie „hinsichtlich des Bestandes eines politischen Systems bilden, an deren unterstem Ende die spezifische Unterstützung der politischen Herrschaftsträger und an deren oberstem Ende die diffuse Unterstützung der politischen Gemeinschaft (steht)“ (Westle 1989: 32). Unzufriedenheit mit der Performanz der politischen Herrschaftsträger und der daraus resultierende Entzug der spezifischen Unterstützung muss nicht mit einem Entzug der diffusen Unterstützung einhergehen und ist für den Bestand des Regimes und der politischen Gemeinschaft daher per se noch nicht bedrohlich. Problematisch für die Stabilität des politischen Systems wird es erst dann, wenn in der Hierarchie aufsteigend die diffuse Unterstützung der Autoritäten, des politischen Regimes oder gar der politischen Gemeinschaft als der höchsten Hierarchiestufe verloren geht (vgl. Easton 1975: 437). Easton differenziert sein Unterstützungskonzept weiter aus, indem er die diffuse Unterstützung als zweidimensional begreift und zwischen einer Vertrauens- und einer Legitimitätsdimension unterscheidet. Er selbst bezieht diese Differenzierung zwischen Legitimität und Vertrauen allerdings explizit nur auf die Objekte Regime und Autoritäten und nicht auf die politische Gemeinschaft (vgl. Fuchs 1989: 17). Diese feinere Differenzierung der diffusen Unterstützung des politischen Regimes und der politischen Autoritäten wird mit dem Verweis auf unterschiedliche Mechanismen des Zustandekommens dieser Orientierungen begründet. Zum einen entstehe diffuse Unterstützung aus der Überzeugung, dass das Bezugsobjekt der politischen Einstellung den eigenen moralischen Werten und Normen entspricht. Diese Form der diffusen Unterstützung, die aus dem Abgleich eigener Wert- und Moralvorstellungen mit politischen Objekten resultiert, bezeichnet Easton als Legitimität (vgl. Easton 1975: 451). Zum anderen resultieren unterstützende Einstellungen aus andauernden positiven Erfahrungen mit dem politischen System bzw. präziser mit den Leistungen seiner Autoritäten (spezifische Unterstützung), die abstrahiert und auf die Autoritäten bzw. auf das System als Ganzes generalisiert werden (ebd.: 447). Diese Art von diffuser Unterstützung, die aus der Generalisierung spezifischer Erfahrungen mit politischen Objekten resultiert, nennt Easton Vertrauen. Vertrauen äußert sich demnach in der Überzeugung, dass die eigenen Interessen in der Politik Resonanz erfahren, ohne dass dies durch persönlichen Einsatz überwacht und kontrolliert werden muss (vgl. ebd.). Easton selbst führt hier also nur politisches Vertrauen als Konzeptvariable ein. Er geht von zwei Dimensionen dieses politischen Vertrauens aus. Auf der Ebene des politischen Regimes ist Vertrauen eine diffuse Orientierung, die sich auf politische Institutionen bezieht (Institutionenvertrauen). Auf der Ebene der politischen Autoritäten ist Vertrauen eine diffuse Orientierung, die sich auf handelnde politische Akteure bezieht (Vertrauen in politische Akteure). Inkonsistenzen bei Easton und die in Teilen unfertige Ausarbeitung seines Konzeptes haben dazu geführt, dass dieser klassische political support-Ansatz vielfach weiterentwickelt und modifiziert worden ist (vgl. insbesondere die sehr ausführlichen Arbeiten von Westle 1989 und Fuchs 1989 sowie die Beiträge in Norris 1999a). Es würde an dieser Stelle
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zu weit führen, diese moderneren Ansätze zur Konzeptspezifikation der Politischen Unterstützung im Einzelnen vorzustellen.25 Sie sind im Rahmen des vorliegenden Argumentationszusammenhanges aber insofern von Interesse, als sie dazu beigetragen haben, dass das soziale Vertrauen heute üblicherweise als integraler Bestandteil des Ansatzes der Politischen Unterstützung angesehen wird. In Eastons klassischem Entwurf des Unterstützungskonzeptes war dies nicht explizit so vorgesehen. In seiner frühen Ausarbeitung spielt zwar die Kategorie des Vertrauens eine Rolle, dieses Vertrauen ist aber auf politische Objekte und nicht auf die zumindest auf den ersten Blick „unpolitische“ Sphäre der sozialen Beziehungen zu den Mitgliedern des eigenen politischen Systems bezogen, die im Blickfeld ist, wenn es um die Einstellungskategorie des sozialen Vertrauens geht. Moderne Modifikationen des Unterstützungskonzeptes erweitern aber, wie der kommende Abschnitt genauer zeigen wird, das Unterstützungskonzept in dieser Hinsicht und betrachten soziales Vertrauen als Konzeptvariable des Unterstützungskonzeptes. 2.2.2.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable Relevant im Hinblick auf das soziale Vertrauen ist eine Ausdifferenzierung der Ebene der politischen Gemeinschaft, die sich in der Rezeption von Easton entwickelt hat und mittlerweile breit akzeptiert ist. Unterschieden wird zwischen zwei Dimensionen der diffusen Unterstützung, die auch als vertikale und horizontale Dimension bezeichnet werden.26 Nach diesen Überlegungen drückt sich die diffuse Unterstützung auf der vertikalen Ebene in der Bindung der Bürger an die gesellschaftliche und politische Gemeinschaft und die Symbole ihrer Selbstrepräsentation aus. Da in modernen Gesellschaften die politisch verfasste Gemeinschaft normalerweise mit dem Nationalstaat identisch ist, manifestiert sich die vertikale Bindung an die politische Gemeinschaft in solchen Orientierungen, die Nationalstolz und Identifikation mit der Nation widerspiegeln. Zentral im Rahmen dieser Argumentation ist die zweite Dimension der diffusen Unterstützung der politischen Gemeinschaft. Diese horizontale Bindung an die politische Gemeinschaft bringt die Haltung den Mitbürgern gegenüber zum Ausdruck; sie stellt die personale Ebene der Bindung an die politische Gemeinschaft dar. Das Maß an sozialem Vertrauen zu den Mitmenschen gilt neben anderen Orientierungen seit langem als brauchbarer Indikator zur Abbildung dieser personalen Beziehungsebene (vgl. Neller 2003; Gabriel et al. 2002: 204). Allerdings wird diese Art der Konzeptspezifikation nicht allgemein geteilt. Es ist in der Rezeption von Easton bisher nicht gelungen, sich auf eine einheitliche Konzeptspezifikation zu verständigen. Wie Politische Unterstützung spezifiziert und operationalisiert wird, obliegt daher nach wie vor in einem gewissen Maß der Interpretationsleistung der jeweiligen Autoren. Insbesondere die theoretischen Überlegungen zur genaueren Spezifikation der Unterstützungskategorie der politischen Gemeinschaft sind eher rudimentär geblieben.27 25
Einen knappen Überblick über diese Modifikationen des klassischen Eastonschen Unterstützungskonzeptes gibt Arzheimer 2002: 196ff.. Vgl. Gabriel 1996: 31; Gabriel et al. 2002: 204; Fuchs 1989: 123; Westle 2002: 330; Niedermayer 2005: 114. 27 In einem Artikel von 1975 zu den theoretischen Grundlagen seines Unterstützungskonzeptes klammert er die politische Gemeinschaft sogar mit der folgenden lapidaren Begründung ganz aus: „Either there is no issue about that basic political object. Or the ambiguities are great enough that justice cannot be done to them within the limits of this paper” (Easton 1975: 436). 26
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Entsprechend diesem fehlenden Konsens um eine angemessene Spezifikation der Bindung an die politische Gemeinschaft wird auch die feinere Spezifikation der Unterstützungskategorie der politischen Gemeinschaft in eine horizontale und eine vertikale Dimension sowie die Zuordnung des sozialen Vertrauens zur horizontalen Dimension nicht von allen geteilt. In der Literatur finden sich auch Beispiele, die die Unterstützung der politischen Gemeinschaft auf die vertikale Dimension reduzieren (vgl. Norris 1999b; Dalton 1999; Klingemann 1999). In anderen Studien wird die horizontale Bindung an die politische Gemeinschaft ermittelt, ohne auf soziales Vertrauen Bezug zu nehmen (vgl. Niedermayer 2005; Westle 1997). Einige ältere Studien blenden die Dimension der politischen Gemeinschaft, zum Teil mit Verweis auf die mangelhafte Datenlage, ganz aus (vgl. Miller 1974; Citrin 1974; Barnes, Kaase 1979; Gabriel 1986: 240). Dabei ist es, orientiert man sich an dem Bedeutungsgehalt, den Easton der politischen Gemeinschaft zuschreibt, durchaus schlüssig, soziales Vertrauen als Kernvariable im Rahmen der Unterstützung der politischen Gemeinschaft zu interpretieren. Vertrauensvolle und solidarische Beziehungen zwischen den Mitgliedern gehören zum Kern seines Konzeptes von politischer Gemeinschaft. Die Referenzkategorie, auf die Easton Bezug nimmt, ist zum einen die von Max Weber, Emile Durkheim, Ferdinand Tönnies und zuletzt Talcott Parsons ausgearbeitete Begriffskategorie der (sozialen) Gemeinschaft, eine kollektives Gefüge, welches durch Solidaritätsbeziehungen seiner Mitglieder untereinander gekennzeichnet ist.28 Anknüpfend an diese Überlegungen versteht Easton unter community „a concept, that identifies the affective aspects of group relationships, those resting on personal and informal bonds and expressed through shared feelings, values, and knowledge or all cultural symbols that reflect and contribute to sentiments of solidarity. In Weberian terms, a community exists when there are actions that are oriented to the feelings of the actors that they belong together” (Easton 1965: 183).
Er reichert diese Begriffskategorie um einen expliziten politischen Bezug an und fasst unter dem Einstellungsobjekt politische Gemeinschaft eine Gruppe von Personen, die durch politische Arbeitsteilung miteinander verbunden sind.29 Der Begriff der politischen Gemeinschaft bezieht sich folglich auf informelle solidarische Bindungen der Mitglieder eines politischen Kollektivs zueinander (vgl. ebd.: 183). Die Orientierungen, die zu dem Einstellungsobjekt politische Gemeinschaft ausgebildet werden, bezeichnet Easton wahlweise als we-feeling oder Gemeinschaftsgefühl (sense of community) (vgl. Easton 1965: 185). Er knüpft damit an die integrationstheoretischen Überlegungen Karl W. Deutschs und Kollegen an, die den Begriff „sense of community“ schon 1957 als „a matter of mutual sympathy and loyalities; of ‘we-feeling’, trust, and mutual consideration; of partial identification in terms of self-images and interests; of mutually successful predictions of behaviour, and of cooperative action in accordance with it” (Deutsch et al. 1957: 36) definiert hatten.30 Vor 28
Parsons versteht beispielsweise unter dem Begriff der sozialen Gemeinschaft „the collective structure in which members are united or, in some sense, associated. Its most important property is the kind and level of solidarity – in Durkheim’s sense – which characterizes the relations between the members” (vgl. Parsons 1968: 461). 29 Politische Arbeitsteilung wird genauer bestimmt als „plurality of political relationships through which the divided members are linked to each other and through which the political objectives of the system are pursued, however limited they may be“ (Easton 1965: 183). 30 Zur Verbindung zwischen den integrationstheoretischen Überlegungen Deutschs und der Konzeptualisierung von Vertrauen im Rahmen der Politischen Kulturforschung vgl. auch Niedermayer 1998.
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diesem Hintergrund zeigt sich, dass die horizontale Dimension, die Solidarität und Zusammengehörigkeitsgefühl zum Ausdruck bringt, den eigentlichen Kern des Konzeptes der politischen Gemeinschaft darstellt. Eine Rezeption von Easton, die die Unterstützung der politischen Gemeinschaft auf die vertikale Bindung an die Nation und ihre Symbole reduziert, scheint damit zumindest dem semantischen Gehalt, den Easton der politischen Gemeinschaft zuschreibt, nicht gerecht zu werden. Die Differenzierung in eine vertikale und eine horizontale Unterstützungsdimension der politischen Gemeinschaft ist zudem nur eine konsequente Fortführung der Differenzierung der diffusen Unterstützung in eine Legitimitätsdimension und eine Vertrauensdimension, die Easton mit Bezug auf das politische Regime und die politischen Autoritäten vorgeschlagen hat. Das soziale Vertrauen bildet in dieser Fortführung der Überlegungen Eastons entsprechend die Vertrauensdimension der politischen Gemeinschaft (vgl. Waschkuhn 1987: 60). Diese Interpretation erscheint insofern stimmig, als man im Rahmen der Politischen Kulturforschung in der Regel annimmt, dass soziales Vertrauen gebildet wird, indem positive einzelne Erfahrungen aus Kooperationen mit Mitgliedern des eigenen Kollektivs generalisiert und ab-strahiert werden. Dies stimmt mit den Überlegungen Eastons überein, wonach Vertrauen durch die Generalisierung spezifischer Erfahrungen auf politische Objekte entsteht; das entsprechende politische Objekt ist in diesem Zusammenhang die politische Gemeinschaft bzw. die ihr zugehörigen Mitglieder. Die vertikale Bindung an die politische Gemeinschaft wäre dann entsprechend als Legitimitätsdimension zu interpretieren. Auch diese Weiterentwicklung der Systematisierung von Easton erscheint stimmig. Sie unterstellt, dass sich positive Einstellungen zum eigenen politischen Kollektiv und seinen Symbolen aus Legitimitätsüberzeugungen speisen. Fasst man diese Überlegungen zusammen, dann ergibt sich folgende Konzeptspezifikation:31
31 Die Weiterentwicklungen des Eastonschen political support-Ansatzes schlagen zum Teil auch eine feinere Ausdifferenzierung der Einstellungen zu den politischen Autoritäten vor. Die folgende Darstellung dieser Objektebene orientiert sich aber bewusst an der einfachen Version von Easton und blendet diese Modifikationen aus (vgl. genauer Westle 1989: 184ff.; Fuchs 1989: 19ff.). Der Fokus liegt hier in erster Linie auf den in Verbindung mit sozialem Vertrauen relevanten Modifikationen der Ebene der politischen Gemeinschaft.
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Abbildung 3: Outputbezug
Das Konzept der Politischen Unterstützung Mechanismus
Objektbezug Politische Gemeinschaft
Regime
Autoritäten
diffus
Abgleich mit Vertikale Iden- Legitimität eigenen Werten/ tifikation = des Regimes Normen Legitimität der politischen Gemeinschaft
Legitimität der Autoritäten
diffus
Generalisierung Horizontale Identifikation (Generalisiertes soziales Vertrauen zu den Mitgliedern der der politischen Gemeinschaft)
(Generalisiertes) Vertrauen in die Autoritäten (politisches Vertrauen/ Vertrauen in Politiker)
spezifisch
(Generalisiertes) Vertrauen in das Regime (politisches Vertrauen/ Institutionenvertrauen)
Bewertung der alltäglichen Outputs
In deskriptiver Hinsicht ist das Konzept der Politischen Unterstützung damit entwickelt. Offen ist allerdings noch, mit Hilfe welcher kausaler Annahmen die Relevanz des sozialen Vertrauens begründet wird. Ähnlich wie bei Almond und Verba bleibt auch im political support-Ansatz der theoretische Begründungszusammenhang, der Vertrauen mit der Stabilität von Demokratien verbindet, eher implizit. Auf einer allgemeinen Argumentationsebene wird zunächst ein enger kausaler Zusammenhang zwischen systemunterstützenden Einstellungen und systemunterstützendem Verhalten angenommen. Es wird unterstellt, dass intentionale, systemunterstützende Handlungen Ausdruck bestimmter latenter, systemunterstützender Einstellungen sind. Letztere beschreibt Easton als „imputed state of feelings, that will have a high probability of displaying themselves through supportive or hostile actions” (Easton 1965: 160). Er bezeichnet Einstellungen auch als interne oder implizite Form des Verhaltens und unterstreicht damit eine unterstellte verhaltensdeterminierende Wirkung von Einstellungen (vgl. Easton 1975: 436): „Supportive behavior may involve more than externally observable actions alone. A person may possess a supportive frame of mind with respect to others or to some object. If we wish, we may call this an internal form of behavior, an orientation that takes the shape of a set of attitudes or predispositions or a readiness to act on behalf of someone or something else” (Easton 1965: 160).
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Betrachtet man spezifischer die Argumentation zur Begründung der Relevanz des sozialen Vertrauens im Hinblick auf die Explanandumvariable Persistenz politischer Systeme, stößt man auf dasselbe Argumentationsmuster wie im Civic Culture-Ansatz. Soziales Vertrauen und andere Orientierungen, die das we-feeling und die gegenseitige Identifikation zum Ausdruck bringen, werden als wichtige systemunterstützende kulturelle Ressource erachtet, weil sie die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation in politischen Belangen determinieren. In der Terminologie von Easton ausgedrückt, ist diese Form des covert support wiederum eine zentrale Bedingung dafür, dass die Allokation von Werten, die das politische System vornimmt, von der Bevölkerung auch als bindend anerkannt wird. Wie oben dargestellt, ist dies nach den Grundannahmen des Unterstützungskonzeptes die zentrale Voraussetzung dafür, dass die Stabilität des politischen Systems erhalten bleiben kann. Auf diesen Zusammenhang zwischen einer kooperativen Haltung in der Bevölkerung und der Stabilität des politischen Systems verweist Easton sehr explizit: „In speaking of the persistence of a political system, it is impossible not to imply at the very least that the members of the system show some minimal readiness or ability to continue working together to solve their political problems. Otherwise there could be no expectation of compliance with any authoritative allocation of values” (Easton 1965: 172).
Gemäß den oben dargestellten allgemeinen Überlegungen zur verhaltensdeterminierenden Rolle von Einstellungen verbirgt sich hinter diesen Annahmen die Vorstellung, dass die Kooperationsbereitschaft, als latente Disposition zur Kooperation, kooperatives Verhalten auf der Handlungsebene automatisch nach sich zieht. Auch das Unterstützungsansatz basiert also, ähnlich wie der Civic Culture-Ansatz, auf der Annahme eines quasideterministischen Zusammenhangs zwischen internalisierten Vertrauenseinstellungen und kooperativem Verhalten. Vermittelt ist dieser Zusammenhang auch hier über die Kooperationsbereitschaft, eine Handlungsdisposition, die als intervenierende Variable eingeführt wird. 2.2.3 Soziales Vertrauen im Rahmen des Sozialkapital-Konzeptes Politikwissenschaftliche Konzepte unterliegen gelegentlich konjunkturellen Schwankungen. Nach einer Phase der Hochkonjunktur mit den bereits dargestellten, für das Forschungsprogramm prägenden Arbeiten von Almond, Verba und Easton verlor die Politische Kulturforschung zumindest innerhalb der angloamerikanischen politikwissenschaftlichen Forschungslandschaft an Bedeutung. Gleichzeitig gewann mit dem Rational Choice-Ansatz ein zweiter großer Analyseansatz innerhalb der Politikwissenschaft kontinuierlich an Einfluss. Ab Ende der 1980er Jahre wurde dann kulturellen Erklärungsgrößen als möglichen Determinanten institutioneller Stabilität und Performanz wieder mehr Beachtung geschenkt, eine erneute Hinwendung zu kulturellen Erklärungsgrößen, die Inglehart gar als „Renaissance der Politischen Kulturforschung“ (vgl. Inglehart 1988) bezeichnete. Diese Entwicklung lässt sich auf zwei Ursachen zurückführen (vgl. Putnam, Goss 2002: 3). Die erste Ursache ist zeitgeschichtlicher Natur und steht mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Osteuropa und der dritten Transitionswelle in Verbindung. Die Frage, ob in den osteuropäischen Transformationsländern kulturelle Bedingungen herrschen, die für die Etablierung und Konsolidierung demokratischer Regime
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zuträglich sind, gewann vor dem Hintergrund der Umbruchsituation in Osteuropa - ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg – erneut an Aktualität. Zweitens bereiteten die Kommunitarismus-Forschung in der Politischen Philosophie und Diskussionen über die Rolle der Zivilgesellschaft in den Sozialwissenschaften einen intellektuellen Nährboden, auf dessen Grundlage Arbeiten von Autoren wie Ronald Inglehart oder Francis Fukuyama breite Resonanz erfuhren. In diesen Arbeiten wurde die besondere Bedeutung gut funktionierender intermediärer Organisationen als der strukturellen Basis und eines hohen Maßes an sozialem Vertrauen als der kulturellen Basis einer positiven gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung herausgestellt (vgl. Fukuyama 1995; Inglehart 1991, 1999). Ein herausragender Stellenwert kommt im Rahmen dieser Diskussion den empirischen Studien Making Democracy Work und Bowling Alone von Robert D. Putnam zu. Sie sind so stark rezipiert worden, dass ihnen schon heute der Rang von modernen Klassikern der Politikwissenschaft zugesprochen wird. Anknüpfend an Überlegungen von de Toqueville, Coleman, Banfield sowie Almond und Verba verweist Robert D. Putnam im Rahmen dieser Studien auf die besondere Bedeutung eines lebendigen Netzes an Freiwilligenorganisationen und den darin vermittelten pro-sozialen Einstellungen, Normen und Wertorientierungen für die Stabilität und Leistungsfähigkeit von Demokratien. Putnam rekurriert in diesem Zusammenhang auf den Begriff des Sozialkapitals, den vor ihm schon einige andere Sozialwissenschaftler wie Coleman, Putnam, Bourdieu und Loury verwendet hatten.32 Die von ihm ausgelöste Debatte hat wesentlich zur Popularität dieses Ansatzes beigetragen (vgl. Kriesi 2007: 29). Nach Einschätzung einiger Autoren zählt er zu den relevantesten und populärsten Forschungskonzepten der aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion (vgl. Kunz 2002: 395; Stadelmann-Steffen, Freitag 2007: 294). 2.2.3.1 Grundannahmen des Sozialkapital-Ansatzes Putnam versteht unter dem Begriff des Sozialkapitals „features of social life – networks, norms, and trust – that enable participants to act together more effectively to pursue shared goals“ (Putnam 1995b: 664f.). Hinter dieser kurzen Definition steckt die Überlegung, dass in gut funktionierenden sozialen Netzwerken, wie sie in Vereinen und Verbänden oder informell zwischen Freunden, Arbeitskollegen oder Nachbarn existieren können, nicht nur der Kommunikations- und Informationsaustausch erleichtert ist, sondern auch Vertrauenseinstellungen sowie bestimmte pro-soziale Werte und Normen, darunter insbesondere Normen der Gegenseitigkeit, aufgebaut werden können. Diese sozialen Ressourcen fördern soziale Kooperation zum gegenseitigen Nutzen und Wohlergehen (vgl. Franzen, Freitag 2007: 11). Sie stellen in dieser Hinsicht eine produktive Form von Kapital dar, das in Abgrenzung zu den aus der Ökonomie bekannten Kapitalformen (physisches Kapital, Humankapital) nicht individuell erzeugt werden kann, sondern sich erst aus sozialen Interaktionen heraus ergibt. Produktiv ist dieses Sozialkapital in doppelter Hinsicht: Als individuelle Ressource ermöglicht Sozialkapital einem Akteur, bestimmte individuelle Ziele zu erreichen. Ist er beispielsweise in ein Netzwerk aus sozialen Kontakten eingebunden, kann er dieses Netzwerk nutzen, um leichter an eine bestimmte Information heranzukommen oder eine besondere Art von Hilfestellung zu erbitten, die nur Mitgliedern des Netzwerkes gewährt wird. Diese Form des Sozialkapitals wird als Beziehungskapital bezeichnet. Sozial32
Zur Ethymologie des Begriffes Sozialkapital vgl. Putnam, Goss 2002: 3-5.
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kapital ist aber auch eine gesamtgesellschaftlich produktive Ressource, weil es die Überwindung von typischen Problemen des kollektiven Handelns, in erster Linie von Kooperations- und Koordinationsproblemen, erleichtert (vgl. Gabriel et al. 2002: 25ff.). Soziale Netzwerke und die in ihnen gepflegten horizontalen Inklusionsbeziehungen können aus dieser Perspektive zu einer allgemeinen Kultur des Vertrauens beitragen, die die Distanz zwischen den Bürgern untereinander und zwischen den Bürgern und staatlichen Institutionen abbaut (vgl. Kunz 2002: 396). Aufgrund dieser Eigenschaft wird Sozialkapital auch als Systemkapital bezeichnet. Es ist in erster Linie dieser zugeschriebene SystemkapitalCharakter des Sozialkapitals, der bedingt, dass Sozialkapital im Rahmen dieser Diskussion als wesentliche sozio-kulturelle Grundlage gut funktionierender Gesellschaften sowie stabiler und leistungsfähiger Demokratien und Ökonomien angesehen wird.33 2.2.3.2 Soziales Vertrauen als Konzeptvariable Neben sozialen Netzwerken und sozialen Normen und Wertorientierungen gilt Vertrauen als zentrale Komponente des Sozialkapitals. Aus Sicht einiger Autoren ist es sogar die Schlüsselgröße des Sozialkapital-Konzeptes (vgl. u.a. Kaase 1999: 1; Putnam 2000: 134; Stolle 2002: 398). Aufgrund dieser prominenten Rolle im Rahmen der gegenwärtigen Sozialkapitaldiskussion ist der Stellenwert des sozialen Vertrauens innerhalb der Politischen Kulturforschung deutlich aufgewertet worden. Zwar ist soziales Vertrauen, wie die bisherige Darstellung deutlich gemacht hat, seit den Anfängen der Politischen Kulturforschung in der Diskussion, es stand aber lange Zeit durchaus im Schatten prominenterer Konzeptvariablen und ist erst durch die Etablierung der Sozialkapital-Forschung als einem eigenen, neuen Forschungsbereich innerhalb der Politischen Kulturforschung ins Zentrum der Politischen Kulturforschung gerückt (vgl. Kaase 1999: 2). Entsprechend ist auch die Zahl der empirischen Studien, die sich mit sozialem Vertrauen, seinen Bestimmungsfaktoren, seinen Effekten sowie seinen Relationen zu den anderen Sozialkapitalkomponenten befassen, seit Anfang der 1990er Jahre exponentiell gewachsen. Es ist das Verdienst dieser Studien, dass sie wesentliche Kausalhypothesen zu den Effekten sozialen Vertrauens auf die Stabilität und Performanz von Demokratien, die innerhalb der Politischen Kulturforschung schon seit langem theoretisch postuliert wurden, in einem neuen begrifflichen Rahmen wiederaufgegriffen und größtenteils zum ersten Mal international vergleichend empirisch getestet haben.34 Diese Arbeiten tragen dazu bei, eine Forschungslücke im Rahmen der Politischen Kulturforschung zu schließen und sie gegen einen ihrer wesentlichsten Kritikpunkte zu verteidigen: Immer wieder ist in der Vergangenheit bemängelt worden, dass die Politische Kulturforschung nicht in der Lage sei, einen Nachweis für den Einfluss von kulturellen Orientierungen der Bevölkerung auf die Performanz und Stabilität von Demokratien zu erbringen. Anstelle einer empirisch-quantitativen Überprüfung der unterstellten Effekte würden nur Plausibilitätsüberlegungen präsentiert, was wiederum mit Verweis auf die problematische Datenlage bzw. die zu geringe Zahl theorierelevanter Explanandum-Ereignisse zu rechtfertigen versucht wurde (vgl. Gabriel 33 Vgl. Putnam 1993: 98f., 1995a, 1995b, 2000, 2002; Inglehart 1991, 1999; Newton 1999a; Fukuyama 1995; Knack, Keefer 1997; Zak, Knack 2001; Knack 2002. 34 Vgl. u. a. Putnam 1993; Inglehart 1999; Inglehart, Welzel 2002; Gabriel et al. 2002; van Deth 2000; Kaase 1999; Newton 1999a, b.
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1997a: 29). Zwar ist die Politische Kulturforschung damit noch nicht vollständig gegenüber dieser Kritik immunisiert, weil die Ergebnisse dieser Studien zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen.35 In jedem Fall stellt dieser Boom an empirisch-vergleichenden Sozialkapitalstudien aber einen wesentlichen Entwicklungsschub für die Politische Kulturforschung dar. Während also die durch die Sozialkapitaldebatte ausgelösten, empirischen Forschungsbemühungen als durchaus produktiv einzuschätzen sind, sind die theoretischen Begründungszusammenhänge, die in vielen Beiträgen der Sozialkapitaldiskussion präsentiert werden, weniger gut ausgearbeitet. Ende der 1990er Jahre konstatierten Boix und Posner, dass die Entwicklung einer Sozialkapitaltheorie noch in den Kinderschuhen stecke, eine Einschätzung, die Diekmann erst kürzlich wiederholte (vgl. Boix, Posner 1998: 686; Diekmann 2007: 48). Theoretisch vage ist nach ihrer Ansicht vor allem der unterstellte Zusammenhang zwischen Sozialkapital und der Stabilität und Performanz von Regierungen: „The logic of how social capital produces governmental effectiveness, however, is underspecified (…) Although the accumulated evidence strongly suggests that the two are correlated, we lack an understanding of the microlinkages that connect one with the other” (ebd.: 689, 686).
Auch Torsvik teilt diese Kritik. Für ihn ähnelt die in Verbindung mit Sozialkapital angebotene Erklärung einer Black Box: „Certain not-so-well-defined social variables called social capital enter on one side of the box, and on the other side we find a more efficient governance structure and higher production. What is going on inside the box is (...) to a great extent left in the dark” (Torsvik 2000: 453).
Betrachtet man aber genauer, wie die unterstellten positiven Wirkungen des Sozialkapitals auf die Stabilität und die Performanz demokratischer Regierungen begründet werden, dann zeigt sich, dass auch hier wieder auf die klassischen Annahmen zurückgegriffen wird, mit der bereits im Civic Culture-Ansatz und im Ansatz der Politischen Unterstützung argumentiert wurde. Die Relevanz des sozialen Vertrauens wird auch hier über dessen unterstellte, kooperationsbegünstigende Wirkung begründet.36 Die erhöhte Kooperationsbereitschaft 35
Im Hinblick auf die Stabilität von Demokratien kommen beispielsweise Inglehart und Welzel zu dem positiven Ergebnis: „As the classical literature on political culture implied, but could not demonstrate directly, trust is linked with the survival of democratic institutions“ (Inglehart, Welzel 2002: 152; vgl. auch Inglehart 1999). Demgegenüber kommen Studien, die Zusammenhänge zwischen Sozialkapital bzw. sozialem Vertrauen und Variablen der politischen Performanz (politisches Interesse der Bevölkerung, politische Unterstützung und politische Partizipation) nachzuweisen versuchen, zu sehr gemischten Resultaten (vgl. Gabriel et al. 2002; van Deth 2000; Kaase 1999; Newton 1999a, b; Lippl 2007). Auch der Zusammenhang zwischen sozialem Vertrauen und ökonomischer Performanz lässt sich zumindest für entwickelte Gesellschaften nicht eindeutig nachweisen (vgl. Kunz 2000; Gabriel et al. 2002; Beugelsdijk, van Schaik 2005; Stadelmann-Steffen; Freitag 2007). 36 Darüber hinaus interessiert das soziale Vertrauen als mögliche Determinante politischen Vertrauens. Auch die Zahl der Studien, die diesen Kausalpfad näher betrachten, hat mit der Sozialkapital-Diskussion zugenommen. In diesen Studien wird kontrovers diskutiert, ob soziales und politisches Vertrauen eng miteinander verknüpfte oder voneinander unabhängige Einstellungskategorien sind. Eine erste Position knüpft an die Argumentation von Almond und Verba an, die davon ausgingen, dass Menschen ihre Einstellungen zum unmittelbaren sozialen Umfeld auf den politischen Bereich übertragen (vgl. Gabriel, Kunz 2002; Almond, Verba 1965: 228ff.). Nach dieser klassischen Annahme von Almond und Verba, die von frühen psychoanalytischen und sozialpsychologischen Vertrauensansätzen inspiriert ist (vgl. Erikson 1950; Rosenberg 1956), sind unterschiedliche Formen des Vertrauens Ausdruck einer einzigen, in sich konsistenten Persönlichkeitsdisposition, über die vertrauensvolle Menschen
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von Bürgern, die über ein hohes Maß an sozialem Vertrauen verfügen, befördert nach diesen Argumentationen im Aggregat die Stabilität des politischen Systems und trägt zu einer Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit bei. Exemplarisch lässt sich dieses Argumentationsmuster in den bereits erwähnten, viel rezipierten Studien von Robert Putnam nachzeichnen. Putnam geht davon aus, dass der in einer Gesellschaft verfügbare Bestand an Sozialkapital vielfältige positive Effekte für das individuelle Wohlergehen, das Gemeinwesen als solches und das politische System hat: „Social capital makes us healthier, smarter, safer, richer, and better able to govern a just and stable democracy“ (Putnam 2000: 290). Entsprechend dem zentralen Erkenntnisinteresse der Politischen Kulturforschung gilt aber sein besonderes Augenmerk dem behaupteten positiven Effekt eines hohen Sozialkapitalbestandes von Gesellschaften auf die Performanz und Stabilität von Demokratien. In seiner Studie Making Democracy Work versucht er empirisch zu zeigen, dass die Differenzen in der Leistungsfähigkeit von demokratischen Institutionen entscheidend durch regionale Unterschiede im Sozialkapitalbestand bedingt sind (vgl. Putnam 1993). Er führt darin Unterschiede in der Performanz von Regionalregierungen in zwanzig italienischen Regionen auf schon Jahrhunderte währende regionale Unterschiede in der Sozialkapitalausstattung zwischen Nord- und Süditalien zurück. In einer weiteren Studie Bowling Alone aus dem Jahr 2000 zeigt er, dass der Sozialkapitalbestand in den USA schwindet, und sieht vor diesem Hintergrund die amerikanische Demokratie in Gefahr (vgl. Putnam 2000; vgl. auch Putnam 1995a, 1995b).37 Der Begründungszusammenhang, der diesen Annahmen zugrunde liegt, lässt sich folgendermaßen rekonstruieren (vgl. Putnam 1993: 86ff.; 2000: 287ff.): Zum einen geht Putnam davon aus, dass gut funktionierende Netzwerkstrukturen gesellschaftliche Verbundenheit, Toleranz und Solidarität fördern. Zudem können im Rahmen von sozialen Netzwerken Normen der Reziprozität und pro-soziale Wertorientierungen wirksam werden. Deren Generierung und Durchsetzung wird nach Putnam insbesondere in horizontal strukturierten Netzwerken gefördert, in denen kein Machtgefälle zwischen den Akteuren besteht. Diese Orientierungen wirken sich positiv auf die Bildung von Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit aus und tragen zur Stabilisierung von Vertrauensbeziehungen bei (vgl. Putnam 1993: 171). Die in zivilgesellschaftlichen Netzwerken erworbenen Vertrauenserfahrungen werden abstrahiert und generalisiert, also auf Fremde übertragen. Im Aggregat bilden sie eine allgemeine Kultur des Vertrauens. In einem solchen Umfeld des Vertrauens wiederum sind nicht nur Transaktionskosten, die im Rahmen sozialer Interaktionen anfallen, weniger hoch, auch die in modernen Gesellschaften allgegenwärtig anfallenden Probleme des kollektiven Handelns lassen sich leichter lösen. Menschen, die über generalisiertes Vertrauen verfügen, sind eher zu kooperativem Handeln bereit:38 verfügen. Sie sollten entsprechend empirisch eng miteinander korrespondieren. Diese Annahme ist in den letzten Jahren jedoch zunehmend in Frage gestellt worden (vgl. Kaase 1999; Newton 2001; Newton 1999b). 37 In dieser Studie mit dem Titel Bowling Alone macht Putnam den zunehmenden Fernsehkonsum, den Anstieg der Frauenerwerbsquote, Veränderungen in den Arbeitsbeziehungen und die steigende Mobilität der Menschen für den Rückgang an Sozialkapital verantwortlich. Diese Veränderungen führten zu einer Schwächung der sozialen Netzwerke als zentralen Orten der Produktion von generalisierten Vertrauenseinstellungen. Indem er eine Bedrohung der amerikanischen Demokratie durch den Verlust sozialen Kapitals in den letzten zwanzig Jahren konstatiert, stellt Putnam allerdings seine eigene Argumentation einer Jahrhunderte überdauernden Kontinuität kultureller Einstellungsmuster in Making Democracy Work selbst wieder in Frage (vgl. Levi 1996). 38 Dabei geht Putnam, ähnlich wie Almond und Verba, grundsätzlich von der Möglichkeit eines reziproken Zusammenhangs zwischen sozialem Vertrauen und kooperativem Handeln aus. Eine theoretische Vorentscheidung über die Richtung des Kausalpfades lehnt er zum jetzigen Stand der Forschung ab. Ein gut funktionierendes Sys-
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Die soziologische Vertrauenstheorie im Rahmen der Politischen Kulturforschung „other things being equal people who trust their fellow citizens volunteer more often, contribute more to charity, participate more often in politics and community organizations, serve more readily on juries, give blood more frequently, comply more fully with their tax obligations, are more tolerant of minority views, and display many other forms of civic virtue” (Putnam 2000: 137).
Eine wesentliche Annahme, mit der die Relevanz des Vertrauens im Hinblick auf die zentralen Explananda Stabilität und Leistungsfähigkeit von Demokratien begründet wird, lautet also auch im Rahmen des Sozialkapitalansatzes: Individuell erworbenes generelles Vertrauen erhöht die Kooperationsbereitschaft des Einzelnen, wobei hier unterstellt wird, dass diese Handlungsdisposition auch in tatsächliches Handeln umgesetzt wird. Das kooperative Verhalten der einzelnen Mitglieder eines Kollektivs führt, so die weitere Argumentation, aggregiert zu einer Reihe von positiven Effekten auf den politischen Prozess. Auf der Inputseite des politischen Systems bildet es eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung des demokratietheoretischen Ideals einer partizipatorischen Demokratie (vgl. Putnam 2000: 336ff.). Positive Effekte gibt es nach dieser Argumentation aber auch auf der Outputseite, „social capital affects not only what goes into politics, but also what comes out of it“ (vgl. ebd.: 344). In Gesellschaften, die über ein hohes Maß an Sozialkapital verfügen, verfügt der Staat über ein höheres Maß an Steuerungsfähigkeit; er kann seine Aufgaben besser erfüllen, weil sich die Bevölkerung bereitwilliger an staatliche Regeln hält. Die Kontrollkosten durch staatliche Ordnungskräfte sind entsprechend niedriger, eine effektivere und effizientere staatliche Leistungserbringung ist möglich, „public affairs are more successfully ordered“ (Putnam 1993: 113). Dies führt zu einer insgesamt besseren Leistungsbilanz des Staates und begünstigt damit indirekt auch dessen Überlebensfähigkeit. Putnam nimmt an, dass einmal erworbene individuelle Vertrauenseinstellungen ein hohes Maß an Stabilität aufweisen.39 Dies gilt entsprechend auch für das aggregierte Vertrauensniveau auf der gesellschaftlichen Makroebene. Die Argumentation zentraler Arbeiten der Sozialkapitalforschung, dass Vertrauen auch im Aggregat ein relativ stabiles kulturelles Merkmal gegebener Gesellschaften darstelle (vgl. Ingelhart 1991: 148; Ingelhart 1999: 88; Fukuyama 1995: 27), findet sich in Making Democracy Work sogar in einer extremen Form. Das unterschiedliche Ausmaß an Vertrauen und Sozialkapital im Norden und Süden Italiens wird mit der Kontinuität kultureller Einstellungsmuster seit dem Mittelalter begründet. Hohes soziales Engagement in sozialen Netzwerken wie Gilden und religiösen Gemeinschaften war aus Sicht von Putnam schon kennzeichnend für die norditalienischen Stadtrepubliken im Mittelalter. Die in diesen Netzwerken ausgeprägten Vertrauenseinstellungen und andere pro-soziale Werte und Einstellungsmuster überdauerten bis heute: „civic traditions are almost impossible to change, even in the long run“ (Putnam 1993: 198).
tem von Freiwilligenorganisationen und ein hoher Grad an informeller Vernetzung in einer Gesellschaft tragen demzufolge zur Vermittlung von Vertrauenseinstellungen bei. Gleichzeitig ist Vertrauen aber auch die Grundlage einer aktiven Zivilgesellschaft, weil es die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation mit anderen stärkt: „The causal arrows among civic involvement, reciprocity, honesty, and social trust are as tangled as well-tossed spaghetti. Only careful, even experimental, research will be able to sort them apart definitively. For present purposes, however, we need to recognize that they form a coherent syndrome” (Putnam 2000: 137). 39 Gerade im Rahmen der Sozialkapital-Diskussion wird diese Annahme Putnams aber nicht uneingeschränkt geteilt. Autoren wie Kenneth Newton stellen Putnams Stabilitätsannahme in Zweifel und verweisen auf relativ kurzfristige Schwankungen, die sich im Vertrauensniveau vieler Gesellschaften über die Zeit beobachten ließen.
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2.3 Handlungstheoretische Prämissen In den drei vorgestellten Ansätzen mittlerer Reichweite unter dem Dach der Politischen Kulturforschung, die soziales Vertrauen als Konzeptvariable beinhalten, wird von ein- und demselben Kausalzusammenhang zwischen bestimmten sozialen Kontextmerkmalen, sozialem Vertrauen, Kooperationsbereitschaft und kooperativem Handeln ausgegangen. Wie genau dieser Zusammenhang theoretisch begründet wird, lässt sich nur unter Bezugnahme auf die handlungstheoretischen Prämissen genauer nachvollziehen, auf denen die Politische Kulturforschung fußt. Diese werden, wie verschiedentlich kritisiert worden ist, nur selten präzise und offen formuliert: „fundamental assumptions from which culturalist theory proceeds (…) unfortunately have been left implicit in culturalist writings“ (Eckstein 1988: 790; vgl. auch Reisinger 1995: 333).
Diesen Kritikpunkt formulieren auch Johnson und Marx, letzterer speziell mit Bezug auf die Sozialkapitalforschung. Sie bemängeln, dass in der aktuellen Politischen Kulturforschung insgesamt zu sehr auf die empirische Performanz geschielt werde und Probleme, die mit der theoretischen Begründung der unterstellten Zusammenhänge in Verbindung stünden, vernachlässigt würden (vgl. Johnson 2003: 88; Marx 2005: 7). Eine der wenigen Stellen im mittlerweile reichen Literaturbestand der Politischen Kulturforschung, an der die handlungstheoretischen Grundannahmen zumindest kurz erwähnt werden, entstammt einem Beitrag von Almond aus dem Jahr 1980, in dem er auf die intellektuellen Wurzeln des Civic Culture-Ansatzes eingeht. Er erläutert in diesem Zusammenhang auch: „The position taken in The Civic Culture that beliefs, feelings and values significantly influence political behavior, and that these beliefs, feelings and values are the product of socialisation experience is one that is sustained by much evidence“ (Almond 1980: 29).
Anhand dieses Zitates lässt sich die handlungstheoretische Position der Politischen Kulturforschung gut herausarbeiten. Formuliert werden hier zwei Prämissen, die auch im Rahmen der Darstellung der drei Ansätze verschiedentlich schon erwähnt worden sind. Die erste Prämisse bezieht sich auf den Erwerb von Einstellungen durch Erfahrungen im Rahmen von Sozialisationsprozessen, die zweite unterstellt eine handlungsdeterminierende Wirkung dieser Einstellungen. Zunächst zur ersten Prämisse: Im Rahmen der Politischen Kulturforschung geht man davon aus, dass Individuen im Rahmen ihrer Sozialisation kognitive, affektive und evaluative Einstellungen erwerben. Bestimmte, sehr grundlegende Einstellungen werden früh in der Biographie auf der Basis von Erfahrungen mit dem individuellen sozialen Kontext gebildet und fest im individuellen Persönlichkeitssystem verankert. Die Politische Kulturforschung lehnt sich in diesem Punkt an den so genannten psycho-kulturellen Erklärungsansatz an (vgl. Almond, Verba 1965: 267).40 Die jeweiligen Bezugsgruppen, die diesen 40 Vertreten wurde dieser von Autoren wie Margaret Mead, Bronislaw Malinowski, Harold Lasswell und anderen. Es handelt sich, wie Almond selbst ausführt, um eine theoretische Strömung, die die Psychoanalyse von Freud mit einer kulturanthropologischen bzw. allgemein sozialwissenschaftlichen Perspektive zu verbinden suchte. Aus dieser Perspektive resultieren politische Einstellungen aus Sozialisationsmustern in der Kindheit, unbewussten Motivationen und weiteren psychologischen Mechanismen (vgl. Almond 1980: 14).
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sozialen Kontext bilden, wie Elternhaus, Schule, Vereine oder Freunde, fungieren in diesem Prozess als wichtige Sozialisationsinstanzen. Obwohl die so erworbenen Interaktionserfahrungen selbst keine originär politischen sind, wirken sie sich auf politische Dispositionen aus und beeinflussen auch das spätere politische Verhalten (vgl. ebd.: 266). Grundlegende individuelle Einstellungsmuster werden auf diese Weise von Generation zu Generation weiter vermittelt und sind somit nicht nur im individuellen Persönlichkeitssystem, sondern auch im spezifischen historischen Erbe gegebener Gesellschaften verankert. Entsprechend geht man im Rahmen der Politischen Kulturforschung davon aus, dass auch das Aggregat dieser Einstellungsmuster, die Politische Kultur einer Gesellschaft, in sich relativ kohärent und stabil ist (vgl. Pye 1968: 219). Soziales Vertrauen gilt der Politischen Kulturforschung als Musterbeispiel für eine solche grundlegende und langfristig stabile Einstellung. Das individuelle Ausmaß an sozialem Vertrauen resultiert nach diesen Vorstellungen aus bestimmten positiven oder negativen Erfahrungen, die der einzelne in seiner Kindheit und Jugend mit anderen Menschen des primären sozialen Umfeldes macht. Diese Erfahrungen mit konkreten Personen werden generalisiert, also auf alle anderen Personen übertragen. Es entsteht eine generelle Vertrauenseinstellung, die so abstrakt, breit und extensiv ist, dass sie auf viele verschiedene Situationen angewandt werden kann und keiner persönlichen Beziehung zu einer konkreten anderen Person mehr bedarf, wie es bei spezifischen Vertrauenseinstellungen der Fall ist (vgl. Stolle 2002: 399).41 Sie werden als „basic personality predispositions“ (vgl. Almond, Verba 1965: 324) tief im Persönlichkeitssystem verankert. Spezifische Vertrauenserfahrungen in einer biographisch frühen Phase führen somit zur Ausprägung einer generellen Einstellung zur Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen. Allerdings gilt dieser psycho-kulturelle Erklärungsansatz wegen seiner ausschließlichen Ausrichtung auf biographisch frühe Sozialisationserfahrungen als zu eng und wird um einen zweiten Erklärungsansatz erweitert. Dieser zweite sozialisationstheoretische Ansatz betont die Bedeutung von Sozialisationserfahrungen im Erwachsenenalter (vgl. Almond, Verba 1965: 267f.; Newton, Norris 2000; Delhey, Newton 2004; Rose, Mishler 1997). Beide Ansätze sind in ihren sozialisationstheoretischen Grundannahmen identisch und unterscheiden sich lediglich insofern, als sie die formative Phase, also diejenige Phase, in der soziale und politische Einstellungen ausgeprägt werden, zu unterschiedlichen biographischen Zeitpunkten verorten. Im Rahmen des zweiten Ansatzes wird davon ausgegangen, dass auch Erfahrungen im Erwachsenenalter Einstellungen prägen oder bereits ausgebildete 41 In der Vertrauensforschung wird in diesem Zusammenhang auch zwischen thick trust und thin trust unterschieden. Thick trust entspricht dem Vertrauen, das sich auf konkrete andere Personen oder eng begrenzte Gruppen von Personen bezieht und auf persönlichen Erfahrungen mit diesen beruht. Aus dieser sehr intensiven Form des Vertrauens entsteht nach Vorstellung der Politischen Kulturforschung thin trust, eine generalisierte Vertrauenseinstellung, die weniger intensiv ist, dafür aber über einen wesentlich weiteren Radius verfügt (vgl. Stolle 2002: 399). Wie weit allerdings, um in diesem Bild zu bleiben, der Radius dieser generellen Vertrauenseinstellung ist, wird im Rahmen der Politischen Kulturforschung selten explizit thematisiert. Hier scheinen sich die vorgestellten Ansätze aber durchaus zu unterscheiden: Soziales Vertrauen als Konzeptvariable des Political Support-Ansatzes richtet sich, wie gezeigt worden ist, auf die Mitglieder der eigenen Politischen Gemeinschaft; auch beim Civic-CultureAnsatz bilden die Mitglieder der eigenen Nation das Bezugsobjekt. Diese theoretisch formulierte Begrenzung des Objektbereich lässt sich beim Sozialkapitalansatz nicht mehr so klar nachvollziehen. Hier scheint eher eine Konzeption vertreten zu werden, wonach sich soziales Vertrauen sehr breit auf alle Menschen bezieht. Auch die in empirischen Sozialkapitalstudien und übrigens teilweise auch in empirischen Studien zur politischen Unterstützung verwendeten Einstellungsitems zur Vertrauensmessung, fragen ganz allgemein nach Vertrauen in andere Menschen, nehmen also keine Einschränkung des Objektbereichs vor.
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Einstellungen aus der Kindheit und Jugend wieder verändern können. Diesen adulten Prägungen wird insbesondere die Haupterklärungslast für die Herausbildung von spezifischen politischen Einstellungen, wie zum Beispiel dem Vertrauen in die Regierenden und in politische und soziale Institutionen, zugewiesen. Wie Almond herausstellt, können sich solche spezifischen Orientierungen relativ leicht ändern und mit der wahrgenommenen Effektivität von politischen Führern, Regierungsbeamten und Regierungsorganen variieren (vgl. Almond 1987: 34). Aber auch grundlegendere Einstellungen und Werte wie das soziale Vertrauen, die aus Sicht des Politische Kultur-Konzeptes stabiler sind (vgl. ebd.; Diamond 1993: 9), werden nach diesen Annahmen nicht in der Kindheit und Jugend ein für alle Mal festgelegt, sondern können durch prägende Erfahrungen im Erwachsenenalter modifiziert werden. Adulte Prägungen sind allerdings aus Sicht der Politischen Kulturforschung von frühen Prägungen nicht unabhängig. Vielmehr wird durch frühe Erfahrungen mitdeterminiert, was später überhaupt als prägend wahrgenommen wird. Diese Annahme eines Zusammenwirkens von Sozialisationserfahrungen zu biographisch unterschiedlichen Zeitpunkten bündelt Eckstein im Postulat der kumulativen Sozialisation, das nach seiner Interpretation zu den nicht explizierten Kernannahmen der Politischen Kulturforschung, sozusagen zu ihrer axiomatischen Basis, zählt (vgl. Eckstein 1988: 790): „Culturalists proceed from a postulate of ‘cumulative’ socialization. This means two things. First, although learning is regarded as continous throughout life (which is not likely to be questioned) early learning – all prior learning – is regarded as sort of filter for later learning; early learning conditions later learning and is harder to undo. Second, a tendency is assumed toward making the bits and pieces of cognitive, affective, and evaluative learning form a coherent (consistent, consonant) whole” (ebd.: 791).
Im Einklang mit diesen sozialisationstheoretischen Annahmen wird insbesondere im Rahmen der Sozialkapitalforschung adulten Prägungen bei der Bildung von Vertrauen eine besondere Bedeutung beigemessen. Nicht nur dem unterstellten Zusammenhang zwischen der Netzwerkkomponente und der Vertrauenskomponente liegt die Annahme zugrunde, dass Vertrauen auch im Erwachsenalter durch soziales Engagement im Rahmen von Freiwilligenorganisationen oder informellen Netzwerken gebildet werden kann. Auch die in den letzten Jahren zunehmende Zahl an empirischen Sozialkapital-Studien, die einerseits die Rolle des Staates und politisch-institutionelle Merkmale, andererseits das individuelle sozio-ökonomische Umfeld für die Bildung von sozialem Vertrauen verantwortlich machen, basieren auf dieser Annahme. Während erstere institutionelle Merkmale wie beispielsweise die Ausgestaltung der Demokratie oder des Wohlfahrtsstaates als Determinanten des sozialen Vertrauens untersuchen42, vermuten die Vertreter der zweiten Position einen Zusammenhang zwischen positiven Lebenserfahrungen und der Bildung bzw. Veränderung von Vertrauenseinstellungen und argumentieren entsprechend, dass die „Gewinner“ der Gesellschaft, also diejenigen, die im Hinblick auf sozialen Status, Bildung und Einkommen begünstigt sind, ein höheres Maß an sozialem Vertrauen ausbilden müssten als die in dieser Hinsicht weniger begüterten Gesellschaftsmitglieder (vgl. Ingelhart 1999; Putnam 2000: 138, 332ff.; Delhey, Newton 2004). 42 Vgl. Berman 1997; Rothstein 2001; Hooghe, Stolle 2003; Freitag, Bühlmann 2005; Freitag 2006; als Überblick zu diesem Aspekt der Sozialkapitaldiskussion auch Stolle, Lewis 2002.
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Eine zweite Kernannahme, auf der die Politische Kulturforschung beruht, bezieht sich auf die Relation von Einstellungen zu Handlungen. Die Politische Kulturforschung geht davon aus, dass Menschen im Einklang mit grundlegenden Einstellungen handeln. Solche generellen Einstellungen wirken aus dieser Sicht als generelle Handlungsdispositionen, die Akteure dazu veranlassen, in bestimmten Klassen von Situationen auf eine bestimmte, generalisierte Art und Weise zu handeln (vgl. Eckstein 1988: 790). Die Politische Kulturforschung knüpft hier an eine handlungstheoretische Position an, wie sie dem StimulusOrder-Response-Modell der behavioralistischen Lerntheorie zugrunde liegt. Verhalten ist aus dieser Sicht eine bloße Reaktion auf bestimmte Umweltreize (vgl. Kunz 1996: 50). Dieses einfache behavioristische Grundschema wird allerdings insofern modifiziert, als auf die filternde Wirkung von individuellen Einstellungen verwiesen wird (vgl. Eckstein 1988: 790). Einstellungen stellen aus dieser Perspektive das Bindeglied zwischen einer bestimmten Handlungssituation und der Handlung selbst dar, indem sie in bestimmten Handlungssituationen zur Aktivierung bestimmter Handlungsmuster beitragen. Als intervenierende Größe strukturieren sie die Situationswahrnehmung, indem sie die objektiv gegebene Handlungssituation mit den subjektiven Erfahrungen der Akteure, also mit ihrer subjektiven Definition der Situation verknüpfen. Eckstein fasst diese handlungstheoretische Position der Politischen Kulturforschung im Postulat der oriented action zusammen: „actors do not respond directly to ‘situations’, but respond to them through mediating ‘orientations’ (…) ‘Orientations to action’ are general dispositions of actors to act in certain ways in sets of situations. Such general dispositions pattern actions“ (Eckstein 1988: 790).
Unterschiede im Handeln zwischen Akteuren oder Akteursgruppen sind Ausdruck von Unterschieden in den generellen Einstellungen, deren Ausprägungen wiederum alleine Resultat bestimmter Sozialisationsbedingungen sind. Es ist dieses individuelle Sozialisationsumfeld, das nach diesen Überzeugungen letztlich determiniert, ob eine Person generelles Vertrauen entwickelt und entsprechend kooperativ handelt. Eckstein resümiert: „‘cultural’ people process experience into action through general cognitive, affective, and evaluative predispositions; the patterns of such predispositions vary from society to society, from social segment to social segment; they do not vary because objective social situations or structures vary but because of culturally determined learning; early learning conditions later learning and learning involves a process of seeking coherence in dispositions” (Eckstein 1988: 792).
Mit diesen handlungstheoretischen Grundlagen lässt sich die Politische Kulturforschung einem in der empirischen Sozialforschung weit verbreiteten Menschenmodell zuordnen, für das Siegwart Lindenberg das Akronym OSAM eingeführt hat (vgl. Lindenberg 1985: 102). Handeln ist gemäß dieser handlungstheoretischen Position die Umsetzung internalisierter Einstellungen in sichtbares Verhalten (vgl. Esser 1999: 232). Der OSAM ist ein opinionated, sensitive, acting man: 1. 2. 3.
Opinionated, d.h. in der Lage, Einstellungen auszubilden; Sensitive, insofern als seine Einstellungen durch seinen sozialen Kontext beeinflusst sind; sowie Acting, d. h. er handelt gemäß diesen Einstellungen.
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Der OSAM entspricht wiederum seinerseits den Vorstellungen über menschliches Handeln, wie sie in einem Strang der soziologischen Handlungstheorie geprägt wurden, der mit den Namen Emile Durkheim, Ralph Dahrendorf und insbesondere Talcott Parsons verbunden ist. Die Politische Kulturforschung lässt sich eindeutig als ein moderner Ableger dieses homo sociologicus-Paradigmas identifizieren. Der Vertrauensansatz der Politischen Kulturforschung wird im Rahmen dieser Arbeit daher auch als soziologischer Ansatz bezeichnet. Der handlungstheoretische Kern des homo sociologicus-Paradigmas besteht in der Annahme, dass die Selektion des Handelns den Vorgaben der gesellschaftlichen Werte und Normen folgt, die der Einzelne, bedingt durch Sozialisationsprozesse, in Form von Einstellungen aus seiner Umwelt aufgenommen und verinnerlicht hat. Erst durch diesen Sozialisationsprozess wird der Mensch zum gesellschaftlichen Wesen: „(...) indem der Einzelne die außer ihm bestehenden Vorschriften der Gesellschaft in sich hinein nimmt und zu einem Bestimmungsgrund seines Verhaltens macht, wird er mit der Gesellschaft vermittelt und als homo sociologicus zum zweiten Mal geboren” (Dahrendorf 1977: 57).
Menschliches Handeln ist also aus dieser Perspektive normativ reguliert; Akteure streben danach „to conform their action to patterns which are, by the actor and other members of the same collectivity, deemed desirable” (Parsons 1937: 699). Weil die durch gesellschaftliche Lernprozesse vermittelten Einstellungen und Wertorientierungen Bestandteil des Persönlichkeitssystems sind, hat der einzelne, um negative affektive Zustände wie ein schlechtes Gewissen zu vermeiden, ein Bedürfnis, im Einklang mit den internalisierten Einstellungen, Normen und Wertorientierungen zu handeln. Die internalisierten Normen und Einstellungen sorgen also für die Aktivierung der gesellschaftlich erwarteten Handlungen (vgl. Marx 2005: 74). Nach Ralph Dahrendorf, der diese handlungstheoretische Position in der Tradition von Parsons zugespitzt und weiter ausgearbeitet hat, erfüllen Menschen diese normativ vorgegebenen Handlungserwartungen, indem sie sich bestimmte Rollen zu Eigen machen. Die Einhaltung der gesellschaftlichen Rollenvorgaben, die an den einzelnen gestellt werden, wird in erster Linie durch intrinsische Motive zur Befolgung internalisierter Handlungsorientierungen gesichert. Darüber hinaus spielen aber auch positive oder negative Sanktionen des gesellschaftlichen Umfeldes eine Rolle. Aus dieser Perspektive hat der Handelnde also keine Möglichkeit, zwischen verschiedenen Handlungsalternativen zu selektieren. Er folgt vielmehr den internalisierten Wert- und Einstellungsmustern. Es wird ein Handlungsautomatismus unterstellt, der Handlungen unmittelbar auf diese erlernten Einstellungsmuster zurückführt (vgl. ebd.: 75).43 Mit Bezug auf diese handlungstheoretischen Grundannahmen lässt sich auch präzisieren, wie der Ansatz zur Lösung des in den Sozialwissenschaften so intensiv diskutierten Kooperationsproblems aussieht, den Vertreter des soziologischen Vertrauensansatzes vorschlagen. Wie schon in der Einleitung erwähnt, reichen die ideengeschichtlichen Wurzeln dieser sozialtheoretischen Grundproblematik bis zu Thomas Hobbes zurück. Hobbes hatte die Auffassung vertreten, dass eine externe Zwangsinstanz nötig sei, um dieses Problem der Kooperation dauerhaft zu lösen, und mit dem „Großen Leviathan“ entsprechend einen fiktiven Staat erschaffen. Auf eine solche externe Zwangsinstanz zurückzugreifen ist aus Perspektive des soziologischen Paradigmas eine unzulässige Lösung des sozialen Ordnungs43 Eine ausführlichere Rekonstruktion des homo sociologicus-Forschungsprogramms und seiner Entwicklung findet sich bei Marx 2006.
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problems. Das Erklärungsproblem verlagere sich damit nur auf eine höhere Ebene. Geklärt werden müsse dann immer noch, wie unter anarchischen Zuständen ein solcher Staat entstehen kann (vgl. Münch 1999: 27). Der Lösungsansatz des homo sociologicus-Paradigmas und damit auch der Politischen Kulturforschung sieht anders aus: Kooperatives Verhalten tritt auf, weil Menschen bestimmte pro-soziale Einstellungen (wie Vertrauen) und Wertorientierungen ihres kulturellen Kontextes internalisieren (vgl. ebd.: 28; Raub, Voss 1986: 309). Wenn diese normativen Restriktionen so verinnerlicht worden sind, dass sich die Präferenzen der Individuen gewandelt haben und diese unabhängig von den konkreten situativen Anreizbedingungen kooperatives Verhalten gegenüber unkooperativem Verhalten präferieren, dann verlaufen die Interaktionen zwischen zwei oder mehr Akteuren erfolgreich; soziale Ordnung ist möglich (vgl. Münch 1988: 282). 2.4 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden mit dem Civic Culture-Ansatz, dem Political Support-Ansatz und dem Sozialkapitalansatz drei zentrale Ansätze zur Konzeptspezifikation im Rahmen der Politischen Kulturforschung vorgestellt, die soziales Vertrauen als Konzeptvariable beinhalten. Es wurde deutlich, dass alle drei Ansätze ähnliche allgemeine Annahmen in Bezug auf soziales Vertrauen formulieren: Soziales Vertrauen wird zunächst übereinstimmend als eine situationsunabhängig und langfristig stabile, generelle Einstellung konzeptualisiert. Obwohl soziales Vertrauen keinen unmittelbaren Bezug zu politischen Objekten aufweist und damit eine Einstellung ist, die aus dem originären Objektbereich der Politischen Kulturforschung herausfällt, betonen alle drei Ansätze die Relevanz des sozialen Vertrauens und begründen diese mit unterstellten Effekten auf die Stabilität und Leistungsfähigkeit von Demokratien. Der Civic Culture-Ansatz betont dabei in erster Linie positive Effekte des sozialen Vertrauens auf Inputprozesse. Im Rahmen des Sozialkapitalansatzes werden nicht nur Effekte des Vertrauens auf die Inputseite, sondern auch auf die Outputseite des politischen Prozesses herausgestellt. In der Perspektive des Ansatzes der Politischen Unterstützung wird das soziale Vertrauen als horizontale Komponente der politischen Gemeinschaft interpretiert und als allgemeine, sozio-kulturelle Grundlage stabiler Demokratien der Systemdimension zugerechnet. Abgesehen von diesen unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen hinsichtlich der funktionalen Verortung des sozialen Vertrauens im Rahmen der von Almond und Verba entwickelten Matrix politischer Orientierungen sind die grundlegenden Annahmen, auf die diese drei Ansätze zurückgreifen, um die Relevanz des sozialen Vertrauens zu rechtfertigen, identisch. Welches Maß an Vertrauen ein Individuum erwirbt, ist demnach Ergebnis seiner individuellen Sozialisation. Sozialisationserfahrungen werden verinnerlicht und auf andere Menschen generalisiert. Je nachdem auf welche Art von Sozialisationskontext der Schwerpunkt gelegt wird (z.B. sozioökonomisches Umfeld, familiärer Kontext, Vereine, horizontale Netzwerkstrukturen, politisches Umfeld), leiten sich daraus spezielle Hypothesen über die als relevant erachteten Bestimmungsfaktoren des sozialen Vertrauens her. Alle drei Ansätze gehen davon aus, dass das auf diese Weise erworbene, generelle soziale Vertrauen kooperatives Handeln bedingt, wobei der unterstellte Begründungszusammenhang über die durch generelles Vertrauen maßgeblich beeinflusste Kooperationsbereitschaft verläuft. Nach diesen Annahmen erzeugt ein hohes Maß an sozialem Vertrauen eine
Zusammenfassung
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Disposition zu kooperativem Verhalten, die in entsprechendes kooperatives Verhalten umgesetzt wird. Diese Argumentation ist typisch für die Politische Kulturforschung und folgt unmittelbar aus den gerade dargestellten handlungstheoretischen Prämissen. Die grundlegenden Annahmen der soziologischen Vertrauenstheorie sind damit expliziert und in der folgenden Abbildung noch einmal schematisch zusammengefasst. Diese theoretischen Annahmen bilden eine Art gemeinsame Schnittmenge der drei vorgestellten Forschungsansätze im Rahmen der Politischen Kulturforschung. Da soziales Vertrauen im Rahmen dieser Ansätze nur eine Komponente neben anderen ist, beinhalten diese darüber hinaus noch Annahmen bezüglich weiterer Konzeptvariablen sowie deren Relationen untereinander. Abbildung 4:
Die soziologische Vertrauenstheorie
Sozialkapitalansatz Annahmen bzgl. weiterer Konzeptvariablen sowie deren Relationen
Civic Culture-Ansatz Annahmen bzgl. weiterer Konzeptvariablen sowie deren Relationen
Soziologische Vertrauenstheorie: Vertrauensbegriff (gen. Einstellung) Handlungstheoretische Prämissen (homo sociologicus) Zentrale Annahmen über den Erwerb von generellem Vertrauen (Internalisierung) Zentrale Annahme über die Wirkung von generellem Vertrauen (handlungsdet. Wirkung)
Ansatz der politischen Unterstützung Annahmen bzgl. weiterer Konzeptvariablen sowie deren Relationen
3 Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Intensive Diskussionen zu Vertrauen und seiner Funktion bei der Lösung des Kooperationsproblems gibt es in den letzten Jahrzehnten auch innerhalb des Rational ChoiceAnsatzes, der sich zu einem der zentralen sozialwissenschaftlichen Forschungskonzepte überhaupt entwickelt hat. Er wird bei einer großen Bandbreite ganz unterschiedlicher politikwissenschaftlicher, soziologischer, psychologischer und ökonomischer Fragestellungen eingesetzt (vgl. Wiesenthal 1987; Diekmann, Voss 2004). Auch die Forschungsdiskussion zu Vertrauen, die derzeit im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes geführt wird, weist stark interdisziplinäre Züge auf. Nach Vorstellung ihrer Vertreter treten Vertrauensproblematiken in Verbindung mit sehr unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Explananda auf, unter denen sich auch politikwissenschaftlich relevante befinden.44 Ziel des folgenden dritten Kapitels ist es, die Ansätze zur Bildung einer ökonomischen Vertrauenstheorie, die im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes in den letzten Jahren entwickelt worden sind, systematisch zu rekonstruieren. Eine Darstellung, die sich nur auf die politikwissenschaftlichen Beiträge zum Thema Vertrauen konzentriert, wäre angesichts des interdisziplinären Charakters der ökonomischen Vertrauensdiskussion zwangsläufig verkürzt und wenig sinnvoll. Die Herausforderung besteht gerade darin, den allgemeinen sozialwissenschaftlichen Forschungstand zum Thema Vertrauen systematisch aufzuarbeiten, wie er sich in den unterschiedlichen Strängen der aktuellen politikwissenschaftlichen, aber auch ökonomischen und soziologischen Vertrauensdiskussion wiederfindet. In einem ersten Schritt wird daher zunächst ein kurzer Überblick über diese Diskussionsstränge gegeben, die den Referenzrahmen für die folgende Darstellung bilden. Dann werden die theoretischen und methodologischen Grundlagen eingeführt, die dem Rational Choice-Ansatz und damit auch der theoretischen Beschäftigung mit Vertrauen zu Grunde liegen. In einem dritten Teil des Kapitels geht es dann darum, auf Basis dieser Grundlagen die Grundzüge der ökonomischen Vertrauenstheorie systematisch herauszuarbeiten. 3.1 Überblick über die ökonomische Vertrauensdiskussion Innerhalb des ökonomisch ausgerichteten Strangs der Politikwissenschaft hat die Beschäftigung mit Vertrauen eine lange Tradition. Bereits in den frühen Arbeiten einiger Klassiker, insbesondere der Vertreter der Schottischen Moralphilosophie, wird Vertrauen thematisiert. So bildet Vertrauen zwischen politischen Parteien nach Thomas Hobbes eine wesentliche 44 Sie unterscheidet sich in dieser Hinsicht von der Vertrauensdiskussion im Rahmen der Politischen Kulturforschung. Die Politische Kulturforschung, die den Referenzrahmen zur Darstellung der soziologischen Vertrauenstheorie bildete, ist ein originär politikwissenschaftliches Forschungsfeld; die allermeisten Beiträge, die sich aus soziologischer Perspektive mit Vertrauen befassen, stammen von Politikwissenschaftlern.
Überblick über die ökonomische Vertrauensdiskussion
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Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Gesellschaften (vgl. Weil 1986). David Hume befasste sich in Verbindung mit dem von Hobbes aufgeworfenen sozialen Ordnungsproblem unter anderem damit, unter welchen Bedingungen interessengeleitet Vertrauen vergeben wird (vgl. Junge 1998: 32). Seine Überlegungen wurden von Adam Smith aufgegriffen und weiterentwickelt. Allerdings hat sich Vertrauen, trotz dieser klassischen Denkanstöße, zunächst nicht als zentrale Analysekategorie im Rahmen von Rational Choice behaupten können. Erst seit Ende der 1980er Jahre hat die Zahl der Beiträge deutlich zugenommen, die sich mit dem Thema Vertrauen befassen. Als Folge dieser Entwicklung gibt es mittlerweile auch eine ganze Reihe eher grundlagenorientierter, politikwissenschaftlicher Beiträge, die sich aus einem Rational Choice-Blickwinkel mit der Rolle von Vertrauen im Rahmen eines kooperationstheoretischen Ansatzes zur Analyse von sozialen oder politischen Interaktionsproblemen befassen.45 Stärker anwendungsbezogen sind solche Beiträge, die die Rolle von Sozialkapital, Vertrauen und Kooperationsbereitschaft (compliance) der Bevölkerung und der politischen Eliten im Hinblick auf die Performanz von Regierungen und Verwaltungen ganz generell sowie in speziellen Politikfeldern wie der Umwelt- oder Steuerpolitik untersuchen.46 Diese Wiederentdeckung des Themas Vertrauen ist durch Entwicklungen in der Ökonomie und der Soziologie angestoßen worden. Ökonomen wie Kenneth Arrow haben die Vertrauensthematik Ende der 1970er Jahre aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass Vertrauen eine wichtige, Kooperation begünstigende Komponente in alltäglichen Interaktionssituationen darstellt (vgl. Arrow 1974). Wesentlich für die endgültige Etablierung des Themas Vertrauen im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes waren aber vor allem die theoretischen Überlegungen des amerikanischen Soziologen James S. Coleman. Mit seinem Anfang der 1990er Jahre publizierten, dreibändigen Alterswerk „Foundations of Social Theory“47 verfolgte Coleman das ambitionierte Ziel, die ganze Bandbreite an klassischen soziologischen Themen mit Hilfe des begrifflichen Instrumentariums eines ökonomischen Ansatzes zu rekonstruieren. Er wollte damit beweisen, dass eine auf der Grundlage von Rational Choice reformulierte Sozialtheorie Basis für alle Sozialwissenschaften mit Ausnahme der Psychologie sein kann (vgl. Coleman 1992). Coleman geht darin ausführlich auf Vertrauen ein, und zwar in Verbindung mit Überlegungen zur theoretischen Ausarbeitung eines Sozialkapital-Ansatzes. Er widmet diesem Themenkomplex vier Kapitel und liefert damit wesentliche Bausteine zur theoretischen Fundierung eines Vertrauensansatzes aus Rational Choice-Perspektive. Coleman konzeptualisiert Vertrauensentscheidungen als Entscheidungssituationen unter Risiko und greift auf eine Variante der Wert-Erwartungstheorie zurück, um solche Entscheidungssituationen zu formalisieren. Etwa zeitgleich werden auch erste spieltheoretische Arbeiten zur Modellierung von Vertrauensentscheidungen vorgelegt (vgl. Dasgupta 1988; Kreps 1990). Die Spieltheorie ist der zweite wesentliche Forschungszweig innerhalb von Rational Choice, der sich mit der Analyse von Vertrauensentscheidungen befasst. 45 Vgl. Gambetta 2001; Ostrom 1998; Güth, Kliemt 1993; Hardin 2002; Scharpf 1990, 1994, 2000; Ostrom 2003; Lazzarini, Miller, Zenger 2006. 46 Vgl. Bianco 1994; Levi, Sherman 1997; Levi 1998; Ayres, Braithwaite 1992; Brennan 1998; Hardin 1998, 1999a, 1999b, 2002; Leach, Sabatier 2005; speziell zur Umweltpolitik Ostrom 1990; zur Steuerpolitik Levi 1988; Scholz, Lubell 1998. 47 Ich zitiere im Folgenden aus der deutschen Ausgabe „Grundlagen der Sozialtheorie“, deren erster Band 1991 erschienen ist.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Colemans Überlegungen wie auch diese frühen spieltheoretischen Modellierungsansätze bilden nicht nur die theoretische Grundlage für die erwähnten politikwissenschaftlichen Beiträge zum Thema Vertrauen. Vor allem deutsche und europäische Vertreter des ökonomischen Erklärungsprogramms innerhalb der Soziologie haben in den letzten Jahren, zum Teil in Verbindung mit dem Sozialkapitalansatz, die dort formulierten Annahmen aufgegriffen und weiter ausgearbeitet.48 Parallel zu diesen Diskussionen ist auch in den Wirtschaftswissenschaften eine kaum zu überblickende Anzahl von Beiträgen zu Vertrauen entstanden, die auf den Grundannahmen des Rational Choice-Ansatzes basieren (als Überblick vgl. Bachmann, Zaheer 2006). Vor allem zwei wirtschaftswissenschaftliche Forschungsbereiche sind erwähnenswert, weil sie starke Parallelen zur politikwissenschaftlichen Vertrauens- und Sozialkapitaldiskussion aufweisen. Zum einen ist dies die Neue Institutionenökonomik (NIÖ), ein Zweig der ökonomischen Theorie, welcher auf die Beschreibung und Analyse von verschiedenen Typen von formellen und informellen Institutionen sowie deren Entstehung, Aufrechterhaltung und Effekte ausgerichtet ist. Die NIÖ geht in Abgrenzung zur neoklassischen Wirtschaftstheorie von unvollständiger Informiertheit der Akteure aus. Ausgehend von dieser Prämisse richtet sich ihr Augenmerk unter anderem auf solche informellen Institutionen wie Vertrauen oder Normen, weil diese unter den Bedingungen von begrenzter Information wesentliche Beiträge zur Minimierung von Transaktionskosten leisten können. Damit thematisiert die NIÖ, wie Knight herausstellt, letztlich ganz ähnliche Grundfragen wie die politikwissenschaftliche Sozialkapitalforschung (vgl. Knight 1998: 754). 49 Im Prozess der Theoriebildung weiter vorangeschritten und damit für die politikwissenschaftliche Vertrauensdiskussion noch interessanter sind die Beiträge zu Vertrauen aus der „Neuen Wirtschaftssoziologie“, ein relativ junges Forschungsfeld an der Schnittstelle von Ökonomie und Soziologie. In diesem Querschnittsbereich hat sich ein Forschungsprogramm zur so genannten Einbettung (embeddedness) etabliert, in dessen Rahmen sozialen Netzwerken und Vertrauen eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Kooperation zugewiesen wird.50 Dieses Forschungsprogramm weist viele Gemeinsamkeiten mit der Sozialkapitalforschung auf, auch wenn beide Forschungsbereiche bisher leider nur partiell miteinander verknüpft sind (vgl. Mingione 2006: 235). Es ist dieser Bereich der ökonomischen Vertrauensforschung, der im Hinblick auf die Frage nach den Determinanten des Vertrauens am weitesten entwickelt ist. Angestoßen durch einen programmatischen Beitrag von Mark Granovetter fokussiert die Einbettungsforschung vor allem auf Kooperation in marktförmigen Beziehungen. In jüngerer Zeit sind solche Rational Choice-basierten Analysen des Zusammenhangs von struktureller Einbettung und Vertrauen zudem aber auch in anderen Bereichen, wie dem der familiären Beziehungen, angewendet worden.51 48
Vgl. u.a. Raub 1992; Diekmann 1993; Müller, Schmid 1998; Esser 2000a; Voss 1998a; Raub 1999; Baurmann, Lahno 2002; Lahno 2004. 49 Analysen zu Vertrauen aus der Perspektive der NIÖ werden mit unterschiedlichem Anwendungsbezug eingesetzt. Darunter finden sich unter anderem rein wirtschaftswissenschaftliche Forschungsfelder wie internationale Wirtschaftstransaktionen (vgl. Ripperger 1999), Beziehungen innerhalb von Firmen und Organisationen (vgl. Miller 1992; Williamson 1993; Ripperger 1998), aber auch Problemkonstellationen im politischen Bereich (vgl. North, Weingast 1989). 50 Vgl. zu diesem Forschungsprogramm Granovetter 1985; Weesie, Buskens, Raub 1998; Raub 1999; Batenburg, Raub, Snijders 2000; Abraham, Kropp 2000; Gautschi 2002 sowie Raub, Buskens 2004. 51 Vgl. Raub, Weesie 2000; Esser 2003; de Ruijter, van der Lippe, Raub 2003; Youm, Laumann 2003; van de Rijt, Buskens 2006.
Theoretische und methodologische Grundlagen
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3.2 Theoretische und methodologische Grundlagen 3.2.1 Kernannahmen des Rational Choice-Ansatzes Unter dem Oberbegriff Rational Choice-Ansatz firmieren unterschiedliche Theorievarianten wie beispielsweise die Wert-Erwartungstheorie, die Spieltheorie oder die Marginalanalyse, die sich zum Teil in ihren theoretischen Annahmen unterscheiden. Eine einheitliche Theorie rationalen Handelns existiert nicht (vgl. Diekmann, Voss 2004: 15).52 Einige dieser unterschiedlichen Ausprägungen des ökonomischen Ansatzes lassen sich auch in den oben überblicksartig dargestellten Strängen der ökonomischen Vertrauensdiskussion wiederfinden. Allen Varianten gemeinsam sind aber bestimmte methodologische und theoretische Kernannahmen, die für die Rational Choice-Theorie als allgemeine Theorie der rationalen Wahl kennzeichnend sind. Im Anschluss an die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme von Imre Lakatos (vgl. Lakatos 1974) lassen sich diese Annahmen auch als „harter Kern“ des Rational Choice-Forschungsprogramms bezeichnen (vgl. Opp 1991: 106; Kunz 2004a: 36): 1. 2. 3. 4.
das Prinzip des methodologischen Individualismus als methodologische Basis; die Motivationsannahme; die Annahme der Handlungsbeschränkung; die Annahme der Nutzenmaximierung.
Gemäß dem Prinzip des methodologischen Individualismus ist das Ziel jeder sozialwissenschaftlichen Theoriebildung die Analyse von sozialen Ereignissen, Strukturen und Prozessen der Makroebene (vgl. Gilleßen, Mühlau 1999: 27). Es wird gleichzeitig davon ausgegangen, dass soziale Makrophänomene, also kollektive Handlungen (z. B. Demonstrationen), soziale und politische Strukturen oder Verteilungen (z. B. Einkommensverteilungen, Scheidungsraten) sowie unterschiedliche Produkte individueller und kollektiver Handlungen (soziale Normen, Institutionen, öffentliche Güter) nur dann adäquat erklärt werden können, wenn dazu auf die Ebene des individuellen Akteurs und dessen Handlungen in bestimmten sozialen Situationen rekurriert wird (vgl. Lüdemann 1997: 10).53 Neben diesem methodologischen Bekenntnis zu mikrotheoretisch fundierten Erklärungen von Makrophänomenen bilden die unter zwei, drei und vier aufgeführten theoretischen Annahmen den gemeinsamen Kern von Rational Choice-Erklärungsansätzen. Im Rahmen der Motivationsannahme wird davon ausgegangen, dass der einzelne Akteur motiviert handelt, das heißt sein Handeln an bestimmten Zielen ausrichtet. Er führt Handlungen deshalb aus, weil er annimmt, dass diese dazu beitragen, bestimmte Bedürfnisse oder (in der entscheidungstheoretischen Terminologie) Präferenzen zu erfüllen. Er lebt aber in einer Umwelt, die durch Knappheit der Ressourcen geprägt ist. Bestimmte Handlungen, obwohl 52
Weitere Varianten unter dem Dach des Rational Choice-Ansatzes sind beispielsweise die Prospect-Theorie von Kahneman und Tversky, bounded-rationality-Ansätze oder die EU-Theorie von Neumann und Morgenstern. Einen Überblick über unterschiedliche Theorievarianten bieten unter anderem Schoemaker 1982, Eisenführ, Weber 1994, Kunz 1997 oder Rapoport 1998. 53 Zur Position des methodologischen Individualismus und zum Kollektivismus-Individualismus-Streit der Sozialwissenschaften siehe auch Giesen, Schmid 1976: 149-155 sowie ausführlich Vanberg 1975: 239ff. und Zintl 1997.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
erwünscht, können nicht ausgeführt werden, weil beispielsweise die materiellen, kognitiven oder physischen Ressourcen fehlen oder weil der soziale oder institutionelle Kontext eine solche Handlung nicht zulässt bzw. behindert. Diese Kontextabhängigkeit individueller Handlungsmöglichkeiten ist Kern der Annahme der Handlungsbeschränkung. Sie besagt, dass die individuelle Zielerreichung von Restriktionen abhängt, die dem Akteur auferlegt sind, bzw. (positiv ausgedrückt) von bestimmten Gelegenheiten (Opportunitäten), die eine konkrete soziale Situation ihm bietet (Annahme der Handlungsbeschränkung). Opportunitäten und Restriktionen stellen Bedingungen für sein Handeln dar. Unter diesen Konditionen verhält sich der Akteur nach den Grundannahmen des Rational Choice-Ansatzes nutzenmaximierend, das heißt er wählt diejenige Handlung, die unter den gegebenen Restriktionen bzw. Opportunitäten seine Ziele oder Präferenzen im höchstmöglichen Maß erfüllt (Annahme der Nutzenmaximierung). Zu einem der weit verbreiteten Missverständnisse bezüglich des Rational ChoiceAnsatzes zählt die Annahme, dieser Nutzen impliziere grundsätzlich nur materielle Aspekte. Tatsächlich wird aber im Rahmen dieser allgemein akzeptierten Kernannahmen noch keine qualitative Einschränkung dessen vorgenommen, was im Rahmen von Rational Choice als Nutzen angesehen wird. Der Nutzenbegriff ist zunächst ein völlig offener Begriff, der neben materiellen Nutzenaspekten auch immateriellen Nutzen wie zum Beispiel intrinsische Befriedigung, psychisches Wohlergehen oder soziale Wertschätzung implizieren kann. Wird wie im Menschenmodell des klassischen homo oeconomicus Nutzen auf rein materielle Aspekte beschränkt, dann ist dies bereits eine bestimmte Art von Zusatzannahme (vgl. Opp 1991). Zugrunde liegt hier also kein inhaltlich festgelegter Rationalitätsbegriff, sondern ein rein formelles Verständnis von Rationalität. Dieser Rationalitätsbegriff impliziert lediglich, dass die Akteure in der Lage sind, unter Bezug auf ihre Präferenzen und die situativ gegebenen Restriktionen zu bestimmen, welche der gegebenen Handlungsalternativen sie vorziehen, bzw. anzugeben, wann sie diesen Handlungsalternativen gegenüber indifferent sind. Diese Rationalitätsprämisse wird auch als Konsistenzprämisse bezeichnet. Rationalität im hier verstandenen Sinne impliziert zweitens, dass ein Akteur, der einen Zustand A einem Zustand B vorzieht und einen Zustand B einem Zustand C, auch Zustand A dem Zustand C vorzieht (vgl. Eisenführ, Weber 1994: 7). 3.2.2 Das struktur-individualistische Erklärungsschema James S. Coleman hat im Rahmen seiner Grundlagen der Sozialtheorie nicht nur innovative Überlegungen zu Sozialkapital und Vertrauen aus ökonomischer Perspektive angestellt, er hat im ersten Kapitel seines dreibändigen Werkes gleichzeitig auch ein metatheoretisches Erklärungsschema entwickelt, welches das in den Sozialwissenschaften vorherrschende Ziel der Erklärung kollektiver Phänomene systematisch mit dem Anspruch des methodologischen Individualismus verknüpft. Dieses Schema, das häufig als strukturindividualistischer Erklärungsansatz bezeichnet wird, hat sich als eine Art Leitfaden für die theoretische Modellierung von so genannten Mehrebenenerklärungen im Kontext von Rational Choice fest etabliert.54 Gleichzeitig eignet sich dieses metatheoretische Raster auch retrospektiv gut zur Rekonstruktion von Erklärungszusammenhängen. 54
Vgl. u. a. Esser 1999; Gilleßen, Mühlau 1999; Opp 1999; Wippler, Lindenberg 1987; Lüdemann 1998.
Theoretische und methodologische Grundlagen
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Diesem struktur-individualistischen Erklärungsschema zufolge ergibt sich ein bestimmtes kollektives Explanandum, wie beispielsweise Kooperation, aus den individuellen Handlungen auf der Mikroebene. Diese einzelnen Handlungen werden aber nicht als völlig isoliert von ihrer sozialen Umgebung angesehen, sondern das Handeln der Individuen ist seinerseits wiederum abhängig von makrostrukturellen Randbedingungen und wird durch diese beeinflusst (vgl. Voss 1985: 1). Um diesen Makro-Mikro-Makrozusammenhang adäquat zu erfassen, muss jede sozialwissenschaftliche Erklärung, nach der hier vertretenen Position, drei Erklärungsschritte umfassen: Im Rahmen der Logik der Situation geht es darum, so genannte Brückenhypothesen zu formulieren, die präzisieren, wie ein bestimmter Akteur die makrostrukturellen Gegebenheiten seiner spezifischen sozialen Situation subjektiv wahrnimmt und wie sich diese subjektive Definition der Situation auf seine Handlungsdisposition, also auf die Erwartungen und Bewertungen, auswirkt, die er mit einer bestimmten Handlung verknüpft. Zentral ist der zweite Erklärungsschritt. Im Rahmen dieser Logik der Selektion gilt es zu erklären, warum Akteure, die über gewisse Erwartungen und Bewertungen verfügen, in einer spezifischen Art und Weise handeln. Dazu muss ein Handlungsgesetz gefunden werden, das den analytisch-nomologischen Kern der Erklärung bildet (vgl. Esser 1999: 95). Es verbindet auf der Mikroebene Akteure und Handlungen. Genauer ausgedrückt stellt es einen kausalen Zusammenhang zwischen der subjektiven Wahrnehmung bestimmter makrostrukturell gegebener Bedingungskonstellationen durch die Akteure sowie den damit verbundenen Kognitionen (Ursache) und der Entscheidung für eine bestimmte Handlungsalternative (Wirkung) her. Da soziale Strukturen als kollektive Explananda aus den Einzelhandlungen der Individuen auf der Mikroebene resultieren, muss schließlich drittens im Rahmen der Logik der Aggregation erklärt werden, wie aus individuellen Handlungen bestimmte kollektive Effekte resultieren. Mit Hilfe einer Transformationsregel bzw. gegebenenfalls unter Zuhilfenahme zusätzlicher Randbedingungen ist bei diesem letzten Schritt der Mehrebenenerklärung zu spezifizieren, wie sich die individuellen Effekte zu einem kollektiven Explanandum aggregieren (vgl. ausführlich Kunz 1997: 32ff.).
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Abbildung 5:
Makroebene
Mehrebenenerklärung nach dem struktur-individualistischen Erklärungsansatz
Kollektives Explanandum
Soziale Situation
Logik der Situation
Mikroebene
Akteur
Logik der Aggregation
Logik der Selektion
Handlung
3.3 Vertrauen im Rahmen von Rational Choice Die Gründe, die dazu geführt haben, dass Vertrauen als Analysekategorie in der Rational Choice-Forschung der letzten beiden Jahrzehnte soviel Beachtung erfahren hat, sind ähnlich gelagert wie die der Politischen Kulturforschung. Auch aus ökonomischer Perspektive wird die Relevanz des Vertrauens in erster Linie mit dessen vermuteter, kooperationsbegünstigender Wirkung begründet. Vertrauen gilt als ein möglicher Schlüssel zur Lösung des Kooperationsproblems. Kenneth Arrow hat diese Funktion des Vertrauens mit der bereits zitierten Schmiermittelmetapher auf eine griffige Formel gebracht. Gleichzeitig ist der Stellenwert dieses Kooperationsproblems im Rahmen von Rational Choice gar nicht hoch genug zu bewerten, was die Vielzahl der Beiträge zum Thema Vertrauen nachvollziehbar macht, die in den letzten Jahren aus ökonomischer Perspektive publiziert worden sind. Wie Kooperation unter nutzenmaximierenden Akteuren entstehen kann und damit das schon von Hobbes formulierte Problem der sozialen Ordnung zu lösen ist, gilt aus dieser Forschungsperspektive als eine der zentralen Fragestellungen der modernen Sozialwissenschaft überhaupt. Bei Elinor Ostrom heißt es entsprechend: „the really big puzzle in the social sciences is the development of a consistent theory to explain why cooperation levels vary so much and why specific configurations of situational conditions increase or decrease cooperation in first- or second level dilemmas” (Ostrom 1998: 9).
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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Vertreter des ökonomischen Ansatzes sind mit der Lösung des Kooperationsproblems, die aus den Reihen des soziologischen Ansatzes vorgeschlagen wird, nicht einverstanden (vgl. Voss 1998b: 117; Raub, Voss 1986: 310). Wie im homo sociologicus-Paradigma zu unterstellen, dass Menschen prosoziale Einstellungen wie Vertrauen in andere Menschen und Kooperationsbereitschaft internalisiert haben und automatisch gemäß dieser verinnerlichten normativen Restriktionen handeln, ist aus ökonomischer Perspektive ein ebenso unzureichender Lösungsansatz für das soziale Ordnungsproblem wie der Rückgriff auf eine externe Zwangsinstanz. Die Herausforderung bestehe vielmehr gerade darin zu klären, unter welchen Bedingungen „Kooperation in einer Welt von Egoisten ohne zentralen Herrschaftsstab“ (Axelrod 1987: 3) entsteht und damit aus einem ungeregelten Zustand sozialer Interdependenz soziale Ordnung erwachsen kann (vgl. Raub, Voss 1986: 309). Entsprechend präsentiert man aus ökonomischer Perspektive einen anderen Vorschlag zur theoretischen Modellierung des Zusammenhangs zwischen Vertrauen und Kooperation. Wie die folgende Darstellung noch genauer zeigen wird, unterscheiden sich die kausalen Mechanismen, die beide Ansätze unterstellen, um die Entstehung von Vertrauen und die Wirkung von Vertrauen auf kooperatives Handeln zu begründen, fundamental. Die folgende Rekonstruktion hat zum Ziel, die Grundzüge der ökonomischen Vertrauenstheorie und, damit in Zusammenhang, auch die erwähnten Unterschiede zwischen der wert-erwartungstheoretischen und der spieltheoretischen Variante der Theoriebildung herauszuarbeiten. Eine solche Rekonstruktion lässt sich am besten mit Hilfe des strukturindividualistischen Erklärungsschemas bewerkstelligen (vgl. Kapitel 3.1.2). Es bietet ein gutes metatheoretisches Instrument, um die in Verbindung mit Vertrauen und Kooperation angebotene ökonomische Erklärung systematisch darzustellen. Allerdings wird sich die Darstellung auf die Frage der Entstehung individuell kooperativen Verhaltens und damit auf die ersten beiden Teilschritte der struktur-individualistischen Erklärung, also die Logik der Situation und die Logik der Selektion, konzentrieren. Die ökonomische Vertrauensforschung leistet nämlich in erster Linie einen Beitrag zur Erklärung der Genese individuell kooperativen Verhaltens und nicht unbedingt zur Erklärung der kollektiven Effekte individuell kooperativen Verhaltens, die in der Logik der Aggregation zu leisten ist.55 3.3.1 Die Logik der Situation Die Rekonstruktion der Annahmen zur Logik der Situation lässt sich in zwei Teile untergliedern. Zunächst sind Situationen, die die Vergabe von Vertrauen erfordern, spezifische Arten von sozialen Interaktionsbeziehungen, deren Logik es in einem ersten Schritt zu verdeutlichen gilt. Zweitens sind diese sozialen Interaktionen in ein bestimmtes strukturelles Umfeld eingebettet. Aus Sicht von Rational Choice sind diese makrostrukturellen Ge-
55
Aus Sicht des spieltheoretischen Zweiges der ökonomischen Vertrauensforschung mag sich dies allerdings anders darstellen. Spieltheoretiker wie Diekmann und Voss sind der Auffassung, dass die Spieltheorie auch elegante Lösungen für die Erklärung der Logik der Aggregation zu geben vermag. Ist es beispielsweise aufgrund der angenommenen Auszahlungsmatrix für den individuellen Akteur rational, eine Nash-Gleichgewichtsstrategie zu wählen, dann entspricht der zu erwartende kollektive Effekt nach dieser Argumentation dem Auszahlungsvektor für die Kombination der gewählten Gleichgewichtsstrategien aller Akteure. Dies gelte auch dann, wenn man die Entscheidungstheorie für den Fall multipler Gleichgewichte verfeinere. Die Lösungsvorschrift des Spiels werde somit zugleich zur individuellen Entscheidungsregel und zur Aggregationsregel (vgl. Diekmann, Voss 2004: 23f.).
70
Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
gebenheiten bzw. die von ihnen ausgehenden Handlungsanreize entscheidend dafür, ob in einer sozialen Interaktionssituation Vertrauen entsteht oder nicht. 3.3.1.1 Sozialer Tausch und strategische Interdependenz Um die spezifische Art der sozialen Interaktionsbeziehung in vertrauenssensiblen Entscheidungssituationen zu beschreiben, greift Coleman auf Grundannahmen der soziologischen Austauschtheorie zurück (vgl. Coleman 1991: 33ff.). Die soziologische Austauschtheorie ist ein theoretischer Ansatz, der dem Rational Choice-Ansatz nahe steht und vielfältige Verknüpfungen mit diesem aufweist (vgl. Heath 1976). Austauschtheoretische Überlegungen basieren auf der grundlegenden Annahme, dass nicht nur marktförmige Beziehungen durch Austauschprozesse gekennzeichnet sind, sondern dass der Austausch von materiellen und immateriellen Gütern ein ubiquitäres Phänomen ist, welches soziale Beziehungen ganz generell kennzeichnet (vgl. Blau 1964; Esser 2000a: 353ff.; Misztal 1996: 80): „Exchange is by no means the prerogative of the economist and of the economic market. Outside the market we find that neighbors exchange favors; children, toys; colleagues, assistance; acquaintances, courtesies; politicians, concessions; discussants, ideas; housewives, recipes” (Blau 1964: 88).
Anknüpfend an diese austauschtheoretische Perspektive stellt Coleman heraus, dass soziale Beziehungen zwischen Akteuren analog zu Tauschbeziehungen auf Märkten analysiert werden können (vgl. Coleman 1991: 115). Was jemand hergibt, wird als Kosten betrachtet, was er bekommt, als Nutzen. Mit Treugeber und Treuhänder gibt es in einer solchen sozialen Tauschbeziehung mindestens zwei Parteien. Diese sind zielgerichtet und nutzenmaximierend handelnde Akteure (vgl. Coleman 1991: 121).56 Sie haben, genau wie in ökonomischen Transaktionen, bestimmte Interessen und verfügen über bestimmte materielle oder immaterielle Ressourcen. Da sie die Aktivitäten, die ihre Interessen befriedigen würden, nicht völlig mittels eigener Ressourcen verwirklichen können, sondern anerkennen müssen, dass einige dieser Ressourcen teilweise oder ganz von anderen Akteuren kontrolliert werden (Restriktionskomponente), gehen sie Tauschbeziehungen mit diesen anderen Akteuren ein, um so der Verwirklichung eigener Interessen näher zu kommen (vgl. ebd.: 34 f.; Lindenberg 2000b: 532). Sie verbinden mit dem Tausch die Hoffnung, ihre Situation zu verbessern und ihren Nutzen maximieren zu können, weil sie davon ausgehen, dass die Handlungen der Tauschpartner die eigenen Interessen besser befriedigen können, als es die eigenen Handlungen tun würden (vgl. Coleman 1991: 115). Gelingt ein solcher Tausch, kann er für beide Seiten vorteilhaft sein. Weil in sozialen anders als in ökonomischen Tauschbeziehungen ein Transaktionsmedium wie Geld fehlt und sich auch andere Sicherungsmechanismen, zum Beispiel gerichtlich einklagbare Verträge, meist nicht gut anwenden lassen (vgl. ebd.), bedarf es nach Coleman eines alternativen Mechanismus, der sozialen Tausch ermöglicht. Ein solcher Me56
Neben direkten Vertrauensbeziehungen zwischen Treugeber und Treuhänder führt Coleman auch als Spezialfall Vertrauensbeziehungen mit drei Parteien ein. In diesen Vertrauenssystemen besteht kein unmittelbarer Kontakt zwischen Treugeber und Treuhänder; dieser ist über eine dritte Partei, einen so genannten Intermediär, vermittelt (vgl. Coleman 1991: 232ff.). Die weitere Darstellung wird sich aber der Einfachheit halber auf die direkte Vertrauensbeziehung zwischen Treugeber und Treuhänder konzentrieren.
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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chanismus ist das Vertrauen darauf, dass sich der andere reziprok verhalten und für die einseitige Vorleistung mit einer entsprechenden Gegenleistung revanchieren wird. Reziprokes Verhalten impliziert dabei nicht nur, dass eine bestimmte Leistung mit einer entsprechenden Gegenleistung vergolten wird, sondern auch, dass Leistung und Gegenleistung ihrem Wert nach möglichst ausgewogen sind (vgl. Matiaske 1999: 136). Vertrauen ist für das Gelingen des sozialen Tauschs deshalb von besonderer Bedeutung, weil dieser Tausch mit einem Zeitproblem verbunden ist. Im Unterschied zum ökonomischen Tausch, der oft durch sofortigen und klar definierten Austausch bestimmter Güter gekennzeichnet ist, sind soziale Transaktionen meistens unspezifisch. Leistung und Gegenleistung erfolgen häufig nicht gleichzeitig, sondern zwischen der Handlung des Treugebers und der Handlung des Treuhänders liegt eine unbestimmte Zeitspanne (vgl. Coleman 1991: 115, 124). Deshalb kann der soziale Tausch nur gelingen, wenn der Treugeber in Vorleistung tritt, im Vertrauen darauf, dass sich der Treuhänder reziprok verhalten wird. Coleman spricht in diesem Zusammenhang von einer einseitigen Übertragung der Kontrolle über bestimmte Ressourcen (vgl. Coleman 1991: 44). Charakteristisch für soziale Tauschbeziehungen ist neben dieser Zeitspanne, dass auch der genaue Wert der Gegenleistung in der Regel nicht explizit festgelegt ist. Zwar entsteht eine diffuse Erwartung des Ausgleichs, dieser Ausgleich kann aber nicht eingefordert werden (vgl. Esser 2000a: 355). Der Austauschtheoretiker Blau verdeutlicht diesen Gedanken anhand des folgenden Beispiels: „(...) if a person gives a dinner party, he expects his guests to reciprocate at some future date. But he can hardly bargain with them about the kind of party to which they should invite him, although he expects them not simply to ask him for a quick lunch if he had invited them to a formal dinner” (Blau 1964: 93 f.).
Tauschhandlungen beinhalten also immer einseitige Vorleistungen, die von der Erwartung getragen sind, der andere werde diese Investition in die Beziehung angemessen erwidern. Die Motivation zur einseitigen Vorleistung ergibt sich gemäß dem Sprichwort „Eine Hand wäscht die andere“ aus den erwarteten zukünftigen Gegenleistungen. Dass diese erbracht werden, steht mit der Geltung einer Reziprozitätsnorm in enger Verbindung. Die aus ihr resultierende soziale Verpflichtung zur adäquaten Gegenleistung wirkt für den Treugeber wie eine Gutschrift: „wenn (...) A für B etwas tut und in B das Vertrauen setzt, daß er in Zukunft eine Gegenleistung erbringt, wird damit in A eine Erwartung hervorgerufen und für B eine Verpflichtung geschaffen, das Vertrauen zu rechtfertigen. Diese Verpflichtung kann man als eine ‚Gutschrift‘ betrachten, die A besitzt und die von B mit irgendeiner Leistung eingelöst werden muss“ (Coleman 1991: 396f.).
Der hier beschriebene soziale Tauschprozess ist, wenn er gelingt, nichts anderes als eine spezifische Art der Kooperation zwischen Akteuren, bei der die Beiträge nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt erfolgen. Vertrauen gilt aus dieser Perspektive als eine wesentliche Vorbedingung dafür, dass diese Art der Kooperation zustande kommen kann. Unter Kooperation sei hier eine Form der sozialen Interaktion verstanden, bei der zwei (oder mehr) Akteure zu beiderseitigem Vorteil miteinander interagieren.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Vertrauen ist allerdings aus Sicht von Rational Choice weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung dafür, dass Kooperation mit zeitversetzten Beiträgen gelingt. Es ist insofern keine notwendige Bedingung, als gleichzeitig auch andere Mechanismen diskutiert werden, die Kooperation begünstigen können. Aus der Rational ChoicePerspektive sind dies beispielsweise Selektionsmechanismen, Altruismus oder auch formelle Mechanismen wie Verträge und gesetzliche Regelungen (vgl. Schüssler 1997; Braun 1992; North 1992; Batenburg, Raub, Snijders 2000). Vertrauen ist auch keine hinreichende Bedingung für Kooperation, weil der Treuhänder die vertrauensvolle einseitige Vorleistung, die der Treugeber erbracht hat, auch entsprechend erwidern muss, damit Kooperation zu Stande kommt. Aufgrund der Ungleichzeitigkeit der Tauschleistungen trägt diese Form der sozialen Kooperation die Züge eines sozialen Dilemmas: „In praktisch jedem Tausch und damit auch in den wichtigsten Prozessen wechselseitig vorteilhafter Kooperation liegt eine latente Dilemmastruktur verborgen, die sich daraus ergibt, daß Leistung und Gegenleistung (...) nicht vollständig voneinander abhängig gemacht werden können“ (Güth, Kliemt 1993: 257).
Dieses Vertrauensdilemma rührt daher, dass der Treugeber, der eine einseitige Vorleistung erbringt, sich dem Treuhänder, bedingt durch die Zeitverzögerung, quasi ausliefert. Das zukünftige Verhalten des Treuhänders entscheidet mit über seine Handlungskonsequenzen. Vertrauensdilemmata werden daher im Rational Choice-Ansatz unter eine Kategorie von Entscheidungssituationen subsumiert, die als Situationen strategischer Interdependenz bezeichnet werden. Der Begriff der Interdependenz bezieht sich auf den Umstand, dass die Konsequenzen einer Handlungsentscheidung nicht vom Treugeber alleine kontrolliert werden können, sondern von der Reaktion des Interaktionspartners, also hier vom Treuhänder, abhängen. Strategisch heißen diese Situationen deshalb, weil ein rationaler Akteur versuchen wird, die potenzielle Reaktion seines Gegenübers mit in sein Entscheidungskalkül einfließen zu lassen. Solche Situationen strategischer Interdependenz werden klassischerweise im spieltheoretischen Zweig von Rational Choice analysiert (vgl. Voss 1985: 2). Sie unterscheiden sich von einem zweiten Situationstypus, den Coleman in Anlehnung an Friedman als Situationen struktureller Interdependenz bezeichnet hat (vgl. Coleman 1991: 36f.). Während bei letzteren parametrische Handlungskonzepte angewandt werden, das heißt Handlungsentscheidungen so modelliert werden, dass von einer unbelebten, nicht reaktiven Handlungsumgebung ausgegangen wird, wird bei ersteren die Umwelt als reaktiv konzipiert. Es wird davon ausgegangen, dass der nutzenmaximierende und interessengeleitete Akteur die mutmaßlichen Entscheidungen seiner Interaktionspartner im Rahmen seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. Aufgrund der Abhängigkeit vom zukünftigen Verhalten des Treuhänders sind Vertrauensentscheidungen für den Treugeber mit einem Risiko verbunden. Erbringt der Treuhänder eine Gegenleistung, zieht der Treugeber aus dem Tauschgeschäft einen Gewinn; verweigert er diese jedoch, trägt der Treugeber alleine den Schaden. Er muss einen Verlust hinnehmen, weil er die Kontrolle über bestimmte Ressourcen einseitig abgegeben hat, ohne dafür entschädigt zu werden (vgl. Coleman 1991: 115). Risikoverstärkend wirkt, dass der Treugeber über keine expliziten vertraglichen Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen verfügt, die ihm garantieren, dass sich der Treuhänder ebenfalls kooperativ verhalten und für die einseitige Vorleistung adäquat revanchieren wird (vgl. Ripperger 1998: 45). In vielen Situationen
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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wird es dem Treuhänder nämlich profitabler erscheinen, das Vertrauen zu enttäuschen, zum Beispiel dann, wenn ihm sichere finanzielle oder andersartige Gewinne daraus erwachsen (vgl. Coleman 1991: 122). Aus der im Rahmen der Rational Choice-Argumentation grundlegenden Prämisse der Nutzenmaximierung folgt, dass er diese kurzfristigen Gewinnmöglichkeiten ausschöpfen und sich opportunistisch verhalten wird. Kooperation in Form von gelingenden sozialen Tauschgeschäften kommt dann nicht zustande, weil individuell rationales Verhalten, also das Verhalten, das für den Treuhänder kurzfristig mit dem größten Nutzen verbunden ist, und kollektiv rationales Verhalten, nämlich das kooperative Verhalten, das Treugeber und Treuhänder gemeinsam den größten Nutzen einbringt, auseinander klaffen (vgl. Diekmann, Lindenberg 2000). 3.3.1.2 Soziale Einbettung und die Auswirkung auf Vertrauen Klar herauszustellen ist einleitend, dass der aktuelle Stand der ökonomischen Vertrauensforschung durch eine strukturorientierte Herangehensweise gekennzeichnet ist. Unterstellt wird, dass Treugeber und Treuhänder systematisch auf soziale Strukturen und die von diesen ausgehenden Handlungsanreize reagieren, mit denen sie in einer konkreten Entscheidungssituation konfrontiert sind. Die strukturelle Beschaffenheit der sozialen Situation eröffnet aus dieser Perspektive bestimmte Handlungsmöglichkeiten oder Restriktionen, die nutzenmaximierende Akteure im Rahmen ihres Entscheidungskalküls mitberücksichtigen (vgl. Raub, Voss 1987: 195f.). Die Bemühungen zur Theoriebildung konzentrieren sich sehr stark auf die Analyse dieser strukturellen Beschaffenheit des Umfeldes. Fast alle Beiträge der aktuellen ökonomischen Vertrauensdiskussion kreisen letztlich um die leitende Fragestellung, wie die strukturelle Beschaffenheit sozialer Situationen und die von ihr ausgehenden Handlungsanreize die Entstehung von Vertrauen und Kooperation begünstigen. Von individuellen Merkmalen des Treugebers (und des Treuhänders) wird dagegen nahezu vollständig abstrahiert. Der Fokus der derzeitigen Vertrauensdiskussion liegt dabei insbesondere auf sozialen Netzwerken als informellen sozialen Beziehungsstrukturen zwischen Akteuren. Es wird angenommen, dass die Einbettung in solche sozialen Netzwerke und die dadurch vermittelten Handlungsanreize die individuelle Vertrauensentscheidung entscheidend beeinflussen (vgl. Granovetter 1985). Diese Fokussierung auf soziale Netzwerke ergibt sich zum einen aus deren ubiquitärem Charakter. Es gibt wohl kaum Menschen, die nicht in irgendwelche Netzwerke eingebettet sind, was sie zu einer sehr grundlegenden Analysekategorie macht. Das besondere Augenmerk auf die sozialen Netzwerke ist aber auch dem größeren thematischen Kontext geschuldet, in dem sich die derzeitige Vertrauensdiskussion abspielt. Wie schon erwähnt, sind die für die ökonomische Vertrauensdiskussion grundlegenden Überlegungen von Coleman Teil seines Entwurfs einer ökonomischen Sozialkapital-Theorie, in deren Rahmen soziale Netzwerke eine entscheidende Rolle spielen. Auch die Neue Wirtschaftssoziologie ist an diesem auf Rational Choice-Annahmen basierenden Strang der Sozialkapitaldiskussion rege beteiligt. Sie geht von sozialen Netzwerken als der zentralen unabhängigen Variable aus und thematisiert die Effekte der Einbettung in solche informellen Beziehungsnetze auf die Bildung von Vertrauen und Kooperation. Diese Konzentration auf soziale Netzwerke bedeutet keineswegs, dass nicht auch andere Arten von makrostrukturellen Kontexten Vertrauen zwischen rationalen Akteuren beeinflussen könnten. Bei-
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
spielhaft genannt seien hier die Effekte, die unterschiedliche rechtliche oder politischinstitutionelle Kontexte auf Vertrauen haben. Diese Fragestellungen, die den Zusammenhang zwischen formellen und informellen Institutionen betreffen, sind insbesondere aus der Perspektive der NIÖ relevant. Sie sind aber bisher nur vergleichsweise selten analysiert worden (vgl. u.a. Brennan, Güth, Kliemt 2003). Die spezifische Logik der Situation bei Vertrauensdilemmata weist eine Besonderheit auf, die sich aus dem komplexen Zusammenspiel zwischen sozialer Einbettung, dem Charakter der strategischen Interdependenz dieser Situationen und der Zeitversetztheit der Beiträge ergibt: Die situativen Anreize wirken sich sozusagen indirekt auf das Entscheidungskalkül des Treugebers aus. Ob Vertrauen entstehen kann, ist nämlich in erster Linie davon abhängig, wie der Treugeber die für den Treuhänder situativ gegebene Anreizsituation wahrnimmt. Russell Hardin, einer der prominentesten politikwissenschaftlichen Vertreter der ökonomischen Vertrauensdiskussion (vgl. Hardin 1991, 1998, 2001, 2002, 2003), bringt diese Besonderheit von Vertrauenssituationen am besten auf den Punkt. Hardin geht davon aus, dass das Rational Choice-Vertrauenskonzept auf zwei zentralen Elementen basiert: den Anreizen des Treuhänders, das Vertrauen zu erfüllen, sowie dem Wissen, welches es dem Treugeber ermöglicht zu vertrauen. Vertrauen entsteht dann, wenn die Anreize in einer konkreten Entscheidungssituation nach Kenntnisstand des Treugebers so gelagert sind, dass es im Interesse des Treuhänders ist, einseitig kooperative Vorleistungen entsprechend zu erwidern. Ein Akteur wird dann vertrauen, schreibt Hardin, wenn er „über genügend Gründe verfügt, um zu glauben, dass es im Interesse dieser Person liegen wird, zum relevanten Zeitpunkt in der relevanten Hinsicht vertrauenswürdig zu sein“ (Hardin 2001: 295).57 Vertrauen ist damit so etwas wie die antizipierte Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders. Es bezieht sich nach Hardin nicht auf die eigenen Interessen, sondern auf die Interessen des Treuhänders und ist in die eigene Einschätzung dieser Interessen eingeschlossen (ebd.). Ist die Einschätzung des Treugebers zutreffend und erwidert der Treuhänder die einseitig erbrachte kooperative Vorleistung, ist Kooperation erreicht. Ob Vertrauen und Kooperation entstehen können, ist also maßgeblich von den in einer Entscheidungssituation vorliegenden, makrostrukturell vermittelten Gegebenheiten und den von ihnen ausgehenden Anreizen des Treuhänders bzw. von der Einschätzung der Anreize des Treuhänders durch den Treugeber abhängig. Vertrauen und Kooperation können als Folge einer günstigen Anreizkonstellation aus einer bestimmten sozialen Situation heraus entstehen. Es wird eine interne Lösung des Kooperationsproblems vorgeschlagen (vgl. Taylor 1987: 22).58 Überlegungen zum Zusammenwirken von sozialer Struktur und der Vergabe von Vertrauen sind auch der Kern des bereits erwähnten Sozialkapitalansatzes von Coleman. Sozialkapital ist nach Coleman neben physischem Kapital und Humankapital eine dritte produktive Kapitalform, die allerdings weder Individuen noch materiellen Objekten eigen ist, 57 Die ökonomische Vertrauensforschung ist damit in erster Linie darauf ausgerichtet zu analysieren, unter welchen Bedingungen der Treuhänder bereit ist, kooperative Vorleistungen kooperativ zu erwidern. Seine Fähigkeit wird sozusagen der Einfachheit halber implizit vorausgesetzt. Allerdings müsste diese Fähigkeit in einer differenzierteren Modellierung mitberücksichtigt werden (vgl. Bacharach, Gambetta 2003). 58 Die Suche nach solchen internen Lösungen sozialer Dilemmasituationen durch Fokussierung auf die soziale Situation des Akteurs und die durch sie vermittelten Anreizstrukturen zieht sich wie ein roter Faden durch die Rational Choice-Literatur (vgl. u.a. auch Voss 1985: 7; Raub, Voss: 1986, 1987; Axelrod 1987). Begründet wird dies auch damit, dass anreizgeleitetes prosoziales Handeln stabiler sei als ein entsprechendes Handeln, das alleine auf Wertvorstellungen beruhe, nicht aber den Eigeninteressen der Akteure entspreche (vgl. Williams 1988: 12).
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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sondern den Beziehungsstrukturen zwischen zwei und mehr Personen innewohnt (vgl. Coleman 1991: 392). Er fasst darunter einen Wert, den diese Aspekte der Sozialstruktur haben, weil sie Ressourcen darstellen, die von den Akteuren genutzt werden können, um eigene Interessen zu realisieren (vgl. ebd.: 395): „Soziales Kapital wird über seine Funktion definiert. Es ist kein Einzelgebilde, sondern ist aus einer Vielzahl verschiedener Gebilde zusammengesetzt, die zwei Merkmale gemeinsam haben. Sie alle bestehen nämlich aus irgendeinem Aspekt einer Sozialstruktur, und sie begünstigen bestimmte Handlungen von Individuen, die sich innerhalb der Struktur befinden“ (ebd.: 392).
Mit der Formulierung „bestimmte Handlungen“ meint Coleman neben der netzwerkinternen Durchsetzung von Normen durch positive oder negative Sanktionierung auch einseitige Vorleistungen, die aus der Vergabe von Vertrauen resultieren. Solche Vorleistungen können einseitige Hilfeleistungen oder auch die einseitige Weitergabe von Information sein, der Coleman ebenfalls eine besondere Bedeutung beimisst. Er formuliert unter anderem die Brückenhypothese, dass dichte Netzwerke sich positiv auf die Entstehung von Vertrauen auswirken, weil in ihnen der Informationsfluss in der Regel gut funktioniert und die Durchsetzung und Einhaltung von sozialen Normen der Reziprozität gewährleistet ist, was die Anreize des Treuhänders zu opportunistischem Verhalten schmälert. Eine weitere Brückenhypothese unterstellt einen Zusammenhang zwischen der Einbettung der sozialen Interaktion in eine Sequenz von früheren und erwarteten zukünftigen Interaktionen und Vertrauen. Auch dann verringern sich nach Coleman unter sonst gleichen Bedingungen die Anreize des Treuhänders zu ausbeuterischem Verhalten (vgl. Coleman 1991: 138). Diese knappen Bemerkungen zu den angenommenen Beziehungen zwischen der Einbettung in soziale Netzwerke und den individuellen Dispositionen der Akteure sollen an dieser Stelle ausreichen. Eine ausführlichere Rekonstruktion der Logik der Situation findet sich in Kapitel 7.2. In Verbindung mit der Spezifikation eines Kausalmodells, welches ökonomische und soziologischer Vertrauenstheorie miteinander verbindet, werden dort zentrale Brückenhypothesen hergeleitet und begründet, die diese Anreizstrukturen mit dem individuellen Entscheidungskalkül bei Vertrauensentscheidungen in Verbindung setzen. 3.3.2 Die Logik der Selektion Gemäß dem strukturell-individualistischen Erklärungsschema gilt es im zweiten Schritt der Mehrebenen-Erklärung, der Logik der Selektion, die Frage zu beantworten, warum Akteure aus der Menge an möglichen Handlungen eine ganz bestimmte Handlung auswählen. Dieser Auswahlmechanismus in Form eines bestimmten Handlungsgesetzes bildet zugleich den nomologischen Kern einer jeden Mehrebenenerklärung. Im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes finden sich zwei unterschiedliche Varianten der Erklärung der Logik der Selektion bei Vertrauensentscheidungen: eine werterwartungstheoretische Variante, die auf James S. Coleman zurückgeht, und eine spieltheoretische Variante.59 Beide stimmen in den bereits genannten Kernannahmen von Rational 59
Verwiesen wird in der politikwissenschaftlichen Vertrauensliteratur auch sehr häufig auf den schon erwähnten Vertrauensansatz von Russell Hardin (vgl. u.a. Hardin 2001, 2002). Da Hardin Vertrauen als eine auf Gewinnerwartungen und Bewertungen basierende subjektive Entscheidung des Treugebers fasst, ist sein Ansatz aber mit der formalisierten und damit präziseren wert-erwartungstheoretischen Modellierung von James S. Coleman vereinbar.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Choice überein (vgl. Kap. 3.2). Handlungsentscheidungen erfolgen demnach motiviert und zielgerichtet, das heißt ein Akteur hat bestimmte Ziele und Präferenzen und wählt vor dem Hintergrund der situativ gegebenen Anreizstruktur (Opportunitäten und Restriktionen) diejenige Handlung, die seine Ziele im höchsten Maße erfüllt (Prinzip der Nutzenmaximierung). Sie unterscheiden sich darüber hinaus aber in einigen Zusatzannahmen, in der vorgeschlagenen Art der Modellierung von Vertrauensentscheidungen und im Vertrauensbegriff, den sie zugrunde legen. 3.3.2.1 Wert-Erwartungstheoretische Modellierung In der wert-erwartungstheoretischen Variante, die James S. Coleman entwickelt hat, wird die Vertrauensentscheidung aus der subjektiven Perspektive des Treugebers als eine Entscheidung unter Risiko modelliert (vgl. Coleman 1991: 125). In realen Situationen werde „normalerweise (...) bei der Entscheidung für oder gegen die Beteiligung an der Handlung das Risiko miteinkalkuliert. Dies läßt sich allgemein unter dem Begriff des ‚Vertrauens’ fassen“ (Coleman 1991: 115).
Bei dieser Klasse von Entscheidungssituationen unter Risiko wird in der Entscheidungstheorie von der theoretischen Vorgabe ausgegangen, dass die Akteure zwar nur unvollständig über ihre Situation informiert sind, auf der Grundlage dieser bruchstückhaften Information aber dennoch in der Lage sind, Erwartungen auszubilden, die den Handlungskonsequenzen Wahrscheinlichkeiten zuordnen (vgl. Kunz 1997: 72f.). Übertragen auf Vertrauensentscheidung kann der Treugeber also eine Erwartung darüber ausbilden, wie wahrscheinlich sich der Treuhänder ebenfalls kooperativ verhalten und die zu erbringende einseitige Vorleistung kooperativ erwidern wird. Diese Erwartung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders resultiert in erster Linie auf dem Wissen bzw. den Vermutungen des Treugebers über die Anreize des Treuhänders bzw. der sich aus diesen Anreizen ergebenden Interessenslage des Treuhänders; der Zusatz kognitive Erwartung bringt dies zum Ausdruck. Es ist diese kognitive Erwartung bezüglich der Wahrscheinlichkeit der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders, die bei Coleman Vertrauen entspricht. Mit dieser werterwartungstheoretischen Modellierungsvariante verbindet sich ein kognitiver Vertrauensbegriff. Allerdings ist dies bei Coleman nicht explizit formuliert, und zudem ist Coleman selbst in diesem Punkt nicht ganz präzise. Problematischerweise trennt er nicht sauber zwischen der kognitiven Ebene und der Handlungsebene: Indem er die einseitige Vorleistung als Vertrauensvergabe bezeichnet, erweckt er den Eindruck, Vertrauen sei eine Handlung. Stattdessen ist Vertrauen nach seiner Modellierung aber eine Wahrscheinlichkeitskomponente, die in das Entscheidungskalkül einfließt. Sie bildet damit eine kognitive Voraussetzung für einseitig kooperatives Verhalten, ist aber nicht mit diesem gleichzusetzen. Coleman vergleicht dieses Entscheidungskalkül mit einer Wette und formuliert: „Wenn die Chance zu gewinnen relativ zu der Chance zu verlieren größer ist als das Ausmaß des Verlustes (falls er verliert) relativ zum Ausmaß des Gewinns (falls er gewinnt), kann (...) (der Treugeber) mit dem Eingehen der Wette einen Gewinn erwarten“ (Coleman 1991: 125).
„Chance zu gewinnen“ bezieht sich auf die kognitive Erwartung bezüglich der Wahrscheinlichkeit, mit der sich der Treuhänder für die einseitige Vorleistung angemessen revanchie-
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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ren wird; „Chance zu verlieren“ bezeichnet die entsprechende Gegenwahrscheinlichkeit. Nimmt man den Wohnungsumzug wieder als Beispiel, so wird der Treugeber seine Einschätzung über das wahrscheinliche Verhalten des Treuhänders in Relation zum Verhältnis aus den erwarteten Kosten (z. B. geopferte Freizeit am Wochenende, Fahrtkosten, Rückenschmerzen) und dem möglichen, zukünftigen Gewinn einer einseitigen Hilfestellung (z. B. der Bekannte revanchiert sich beim eigenen Umzug, er lädt zum Essen oder ins Kino ein, etc.) setzen. Neben der kognitiven Erwartung Vertrauen fließt nach Coleman also eine Bewertung der zu erwartenden Kosten bzw. Nutzen in die Entscheidung zur einseitigen Vorleistung mit ein. In einer formalisierten Variante sieht Colemans Vertrauensgesetz (vgl. ebd.: 126) folgendermaßen aus: Abbildung 6:
Vertrauensgesetz nach Coleman
Der Treugeber vergibt Vertrauen, wenn
p L ! 1 p G
p = Gewinnchance (Wahrscheinlichkeit der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders) 1- p = Verlustchance L = möglicher Verlust, falls der Treuhänder nicht vertrauenswürdig ist G = möglicher Gewinn, falls der Treuhänder vertrauenswürdig ist Coleman vereinfacht die Entscheidungssituation insofern, als er von einer Modellierung ausgeht, bei der sich der Treugeber lediglich zwischen zwei Alternativen entscheiden kann. Er kann, in Colemans Terminologie ausgedrückt, Vertrauen vergeben, das heißt eine einseitige Vorleistung erbringen, oder Vertrauen verweigern bzw. die einseitige Vorleistung nicht erbringen (vgl. Urban, Slaby 2002: 2). Er geht zudem davon aus, dass die vertrauensvoll erbrachte einseitige Vorleistung mit zwei möglichen Handlungskonsequenzen verknüpft sein kann, die unter der Kontrolle des Treuhänders sind. Entweder kann dieser sich als vertrauenswürdig erweisen und die einseitige Vorleistung erwidern, oder aber er enttäuscht das in ihn gesetzte Vertrauen und verweigert eine entsprechende Gegenleistung. Coleman konzipiert damit die Vertrauensentscheidung als eine binäre Handlungssituation mit einer gegebenen Optionenmenge (vgl. Jungermann, Pfister, Fischer 2005: 27f.). Er nimmt weiter an, dass im Rahmen dieser Vertrauensentscheidung zwei Komponenten eine Rolle spielen: Eine Erwartungskomponente, die die Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck bringt, mit der der Treugeber eine bestimmte Reaktion des Treuhänders vermutet, und eine Nutzenkomponente, die den Nutzen zum Ausdruck bringt, den der Treugeber der einseitigen Vorleistung zuschreibt. Diesen Nutzen, der normalerweise mit der Variable u (utility) bezeichnet wird, drückt Coleman durch den Quotienten L durch G aus. Nach Coleman wird der Treugeber dann Vertrauen vergeben, wenn der Quotient aus Gewinnchance und Verlustchance größer ist als dieser Nutzen, der der einseitigen Vorleistung zugeschrieben wird. Diese Kombination aus Wahrscheinlichkeits- und Nutzenerwägungen bildet den Kern von Entscheidungsmodellen, die sich unter den Oberbegriff Wert-Erwartungstheorie sub-
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
sumieren lassen.60 Im Rahmen dieser Entscheidungsmodelle wird davon ausgegangen, dass Akteure in Entscheidungssituationen unter Risiko diejenige der wahrgenommenen Handlungsalternativen wählen, deren erwarteter Nutzen (expected utility) größer ist als der erwartete Nutzen aller anderen, individuell wahrgenommenen Handlungsalternativen. Dieser erwartete Nutzen wird in der Wert-Erwartungstheorie präzise formalisiert, wobei unterschiedliche Varianten dieser Entscheidungsmodelle existieren. Sie alle basieren auf zwei zentralen Annahmen: Nach der Optimierungsannahme wählt der rational entscheidende Akteur immer genau die Handlungsalternative, die unter den wahrgenommenen Handlungsalternativen den höchsten Erwartungsnutzen besitzt und insofern optimal ist. Er maximiert also diesen Erwartungsnutzen. Nach der Gestaltungsannahme ergibt sich dieser Nettonutzen einer Handlungsalternative zweitens als Funktion aus den zugeschriebenen Nutzenwerten (u) und Wahrscheinlichkeiten (p) ihrer Konsequenzen. In das individuelle Nutzenkalkül, das der Handlung vorausgeht, fließen also nicht nur Bewertungen ein, die den Handlungskonsequenzen zugeschrieben werden, sondern auch Erwartungen über die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser perzipierten Handlungskonsequenzen. Die Wert-Erwartungstheorie basiert damit auf den in Kapitel 3.2.1 geschilderten Kernannahmen von Rational Choice, spezifiziert aber zusätzlich genauer, wie Präferenzen und Restriktionen Verhalten verursachen. Sie gibt eine genaue Beziehung zwischen den unabhängigen Variablen „Erwartungen“ und „Bewertungen“ und der abhängigen Variable „Wahl einer bestimmten Handlungsalternative“ an. Aufgrund dieser Zusatzannahme ist die Wert-Erwartungstheorie gehaltvoller als die Grundannahmen und somit nicht aus ihnen selbst ableitbar (vgl. Opp et al. 1984: 36). Es wird von folgender Grundfunktion ausgegangen:
EU(a)
i 1
¦ p u u(a ) (vgl. Eisenführ, Weber 1994: 203). i
i
n
Diese Funktionsgleichung entspricht dem EU-Modell, einer Variante der WertErwartungstheorie, die von Neumann und Morgenstern schon relativ früh eingeführt worden ist. Dieses Ausgangsmodell geht von der Vorstellung objektiv zugeschriebener, also analytisch fixierter Erwartungen und Bewertungen aus. Es ist in der Folge intensiv diskutiert und weiterentwickelt worden, wobei die Entwicklung vor allem in Richtung einer zunehmenden Subjektivierung der Wert- und Erwartungskomponente verlief (einen Überblick über verschiedene Varianten und deren Unterschiede geben Shoemaker 1982 und Kunz 1997: 74f.). Die wohl wesentlichste Weiterentwicklung stellt die Modifizierung des EU-Modells in ein SEU-Modell dar, welches mittlerweile in der Entscheidungstheorie breit anerkannt ist. Das SEU-Modell basiert ebenso wie das EU-Modell auf den beschriebenen Kernannahmen, wird aber als Modell des subjektiv erwarteten Nutzens (subjective expected utility) bezeichnet, weil es, im Unterschied zu der Grundversion von Neumann und Morgenstern, nicht objektiv gegebene Eintrittswahrscheinlichkeiten unterstellt, sondern darauf abhebt, wie hoch der Akteur selbst die ihm unbekannte Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Handlungskonsequenzen einschätzt (vgl. Gilleßen, Mühlau 1999: 33). Auch wie bestimmte Handlungsoptionen bewertet werden, ist von der subjektiven Sicht des Akteurs abhängig und nicht mehr objektiv zugeschrieben. Eine solche subjektive Definition der Situation 60 Unter „Modell“ sei im Folgenden der (oft formalisierte) Kern einer Theorie verstanden, d.h. der Korpus der wichtigsten von einer Theorie postulierten Zusammenhänge (vgl. Arzheimer, Schmitt 2005: 246).
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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kann unter Umständen sehr stark von den objektiv gegebenen situativen Bedingungen abweichen (vgl. Esser 1996: 3f.). Wie sich die als handlungsrelevant wahrgenommenen Motive zusammensetzen und was als Restriktion wahrgenommen wird, ist dabei grundsätzlich offen. Die zugrunde liegende mathematische Regel des SEU-Modells lautet: Bilde für jede Handlungsalternative die Summe der Produkte aus subjektiv erwarteter Wahrscheinlichkeit p und zugeschriebenem subjektivem Nutzen U der Handlungskonsequenzen, die mit der Wahl der Alternative verknüpft sind (SEU-Wert). Wähle diejenige Handlungsalternative mit dem höchsten Produktsummenwert (vgl. Kunz 1997: 70). Colemans Vertrauensgesetz wird in der spieltheoretisch dominierten Vertrauensliteratur üblicherweise als Variante des EU-Modells interpretiert (vgl. Braun 1992: 178; Esser 2000a: 88; Voss, Abraham 2000: 57). Dies hängt nicht nur damit zusammen, dass man in der Spieltheorie in der Regel von einer bewusst vereinfachenden Modellannahme ausgeht, dass Rationalität eine objektiv zu bestimmende Größe ist. Diese Art der Interpretation ist auch insofern nahe liegend, als die oben präsentierte formalisierte Variante des Vertrauensgesetzes keinerlei explizite Hinweise darauf gibt, dass p bzw. L oder G als subjektivierte Erwartungs- oder Nutzenkomponenten aufzufassen sind. Gleichzeitig und dazu im Widerspruch findet sich aber im metatheoretischen Teil von Colemans „Grundlagen der Sozialtheorie“ ein klares Bekenntnis zu einem offenen und subjektiven Rationalitätsbegriff, der im SEU-Modell in formalisierter Form seinen Ausdruck findet. Coleman entwirft in diesem metatheoretischen Teil das Modell einer sozialwissenschaftlichen Erklärung, das als struktur-individualistischer Erklärungsansatz in Kap. 3.2.2 schon eingeführt worden ist. Was rational ist, hängt nach Colemans Argumentation alleine von der subjektiven Sicht des jeweiligen Akteurs ab: „Da die Sozialwissenschaften zum Ziel haben, die soziale Organisation zu verstehen, die sich von individuellen Handlungen herleiten läßt, und da das Verstehen einer individuellen Handlung normalerweise heißt, die Gründe der Handlung zu erkennen, muß das theoretische Ziel der Sozialwissenschaft darin liegen, die Handlung auf eine Weise zu betrachten, daß sie von der Sichtweise des Akteurs aus gesehen rational erscheint. Daß vieles üblicherweise als nicht rational oder irrational bezeichnet wird, liegt, anders ausgedrückt, einfach daran, weil die Betrachter nicht die Sichtweise des Akteurs entdeckt haben, von der aus die Handlung rational ist“ (Coleman 1991: 22).
Coleman formuliert hier eine klare Absage an einen Rationalitätsbegriff, der bestimmte Erwartungen und Bewertungen als objektiv gegeben festlegt. Zugleich impliziert diese Position auch eine Absage an eine analytische Vorab-Eingrenzung der als relevant erachteten Nutzenaspekte. Er setzt dieses Plädoyer für eine subjektivierte Rationalitätskonzeption aber in seinen „Grundlagen der Sozialtheorie“ selbst nicht konsequent und eindeutig um und bleibt damit hinter den eigenen Ansprüchen zurück, die er im metatheoretischen Teil dieses dreibändigen Grundlagenwerks formuliert hat (vgl. Marx 2006: 118). Er verwendet beispielsweise vielfach keinen offenen Nutzenbegriff, wie er aus einer konsequenten Subjektivierung folgen müsste. Stattdessen begrenzt er die handlungsleitenden Motive durch analytische Setzung auf eigennützige Motive. Weiche intrinsische Motive wie Altruismus und Ausrichtung des Verhaltens an Normen, die ein offener Nutzenbegriff in gleicher Weise zulässt, werden explizit ausgeschlossen (vgl. Coleman 1991: 38ff.; kritisch hierzu auch
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Lindenberg 2000b).61 Diese Konzentration auf nicht-intrinsische Nutzenmotive ist im Übrigen nicht nur bei Coleman zu beobachten, sondern ist für den aktuellen Stand der ökonomischen Vertrauensforschung ganz generell charakteristisch. Sie ergibt sich aus der bei der Rekonstruktion der Logik der Situation bereits herausgestellten, sehr strukturorientierten Herangehensweise, die individuelle Merkmale des Treugebers und damit auch dessen intrinsische Motivation in der derzeitigen Stufe der Theoriebildung noch ausklammert. Im Hinblick auf die Erwartungskomponente sind Coleman Ausführungen unklar. Dies gilt zumindest für die hier interessierende Modellierung von Vertrauensentscheidungen. Es wirkt, als sei Coleman zwischen seinem selbst formulierten methodologischen Anspruch und der bis dato in der ökonomischen Entscheidungstheorie eher üblichen Verwendung von objektivierten Wahrscheinlichkeitsbegriffen hin und her gerissen. Einerseits schreibt er über den Treugeber und mit Bezug auf die oben bereits erwähnte Analogie zwischen der Vertrauensentscheidung und einer Wettentscheidung: „Der Akteur weiß, wie viel er verlieren kann (der Wetteinsatz), wie viel er gewinnen kann (die Höhe des Gewinns) und welche Gewinnchance er hat“ (Coleman 1991: 125).
Diese Aussage liest sich so, als gehe Coleman nicht nur von einem objektiven Nutzenbegriff, sondern auch von objektiven Wahrscheinlichkeiten aus. Und wie bereits erwähnt, liefert er auch in Verbindung mit seinem Formalisierungsvorschlag, dem oben präsentierten Vertrauensgesetz, keine Hinweise darauf, dass p und L oder G als subjektive Größen zu verstehen sind. Aus den Beispielen, die er wählt, um sein Vertrauensgesetz zu illustrieren, wird aber deutlich, dass er implizit und in Übereinstimmung mit seinem oben zitierten Plädoyer für einen subjektiven und offenen Rationalitätsbegriff von subjektiven Wahrscheinlichkeiten ausgeht, die von den objektiven Wahrscheinlichkeiten abweichen können. „Der Fehler, vor dem Bankiers, Liebende und Freunde Angst haben“, schreibt Coleman in Bezug auf diese Beispiele, „besteht darin, jemandem Vertrauen zu schenken, dem man nicht vertrauen sollte“ (vgl. ebd.: 127). Eine solche Aussage macht wiederum m. E. nur Sinn, wenn man Vertrauen nicht als objektiv zugeschriebene Wahrscheinlichkeitserwartung konzeptualisiert, sondern von einer subjektiv gebildeten Wahrscheinlichkeitserwartung ausgeht. Vor diesem Hintergrund erscheint es überzeugender, Colemans Vertrauensgesetz als SEU-Modell und die über diesen formalisierten Kern hinausgehenden Annahmen der ökonomischen Vertrauensforschung als SEU-Theorie zu rekonstruieren. Eine solche Rekonstruktion ist nicht nur eine konsequente Fortführung der methodologischen Empfehlungen von Coleman. Die Auffassung, dass Vertrauen als eine subjektive kognitive Erwartung zu interpretieren ist, ist mittlerweile auch in der aktuellen Rational Choice-Literatur zu Vertrauen wie auch in der entscheidungstheoretisch ausgerichteten sozialpsychologischen Vertrauensliteratur breit akzeptiert.62 Gambetta formuliert diese Position am eindeutigsten:
61 Allerdings sei nicht verschwiegen, dass Coleman seine Vorgehensweise durchaus begründet. In einem frühen Stadium der Theoriebildung ist es aus seiner Sicht zweckmäßiger, sozusagen im Sinne eines „worst caseSzenarios“ zunächst keinen offenen Nutzenbegriff vorauszusetzen, sondern normativ reguliertes Verhalten als problematisch anzusehen. Teile seiner Sozialtheorie, die sich mit der Erklärung der Entstehung von normativen Systemen befassen, seien ansonsten überflüssig (vgl. Coleman 1991: 39). 62 Vgl. Ripperger 1998: 89f.; Hardin 2002, 2003; Levi 2000; Beckmann et al. 2005; Yamagishi, Yamagishi 1994; Petermann 1996; Herreros, Criado 2008.
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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„Vertrauen (oder, entsprechend, Misstrauen) ist ein bestimmter Grad der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der ein Akteur annimmt, dass eine bestimmte Handlung durch einen anderen Akteur oder eine Gruppe von Akteuren ausgeführt wird, und zwar sowohl bevor er eine solche Handlung beobachten kann (oder unabhängig von seiner Fähigkeit, sie jemals beobachten zu können) als auch in einem Kontext, in dem sie Auswirkungen auf seine eigene Handlung hat (…). Wenn wir sagen, dass wir jemandem vertrauen oder dass jemand vertrauenswürdig ist, dann meinen wir implizit, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der er eine Handlung ausführen wird, die für uns vorteilhaft oder zumindest nicht schädlich ist, hoch genug ist, sodass wir in Erwägung ziehen, uns auf eine Art von Kooperation mit ihm einzulassen“ (Gambetta 2001: 211).
In der folgenden Abbildung ist entsprechend Colemans Vertrauensgesetz gemäß dem SEUModell umgeformt. Der subjektiv erwartete Nutzen der Handlungsalternative „einseitige Vorleistung erbringen“ errechnet sich aus der Produktsumme der beiden möglichen Handlungskonsequenzen „einseitige Vorleistung wird erwidert“ versus „einseitige Vorleistung wird nicht erwidert“. Der subjektiv erwartete Nutzen der Handlungsalternative „einseitige Vorleistung nicht erbringen“ ist dagegen gleich null.63 Die den Handlungskonsequenzen zugeordneten Wahrscheinlichkeiten liegen immer zwischen 0 (Handlungskonsequenz tritt mit Sicherheit nicht ein) und 1 (Handlungskonsequenz tritt mit Sicherheit ein). Da eine Handlungskonsequenz mit Sicherheit eintritt, müssen die Eintrittswahrscheinlichkeiten der beiden Handlungskonsequenzen der Handlung in der Summe den Wert 1 ergeben (vgl. Gilleßen, Mühlau 1999: 33). Abbildung 7:
Vertrauensentscheidung nach der SEU-Regel
Handlungsalternative „einseitige Vorleistung erbringen“ (H1) K1: p·G K2: (1-p)·L SEU (H1): p·G+(1-p)·L Handlungsalternative „einseitige Vorleistung nicht erbringen“ (H2) SEU (H2): 0 Damit eine einseitige Vorleistung erbracht wird, muss SEU (H1) > SEU (H2), also p·G+(1-p)·L > 0 (vgl. Coleman 1994: 105), und folglich |p·G| größer als |(1-p)·L| sein. Colemans Vertrauensgesetz lässt sich somit als eine Erweiterung des SEU-Modells auf Situationen strategischer Interdependenz darstellen. Allerdings handelt es sich hier um eine vereinfachte Variante dieses Entscheidungsmodells, weil Coleman, wie oben schon erwähnt, von einer binären Entscheidungssituation mit gegebener Optionenmenge ausgeht. Während beim SEU-Modell Art und Anzahl der Handlungsalternativen und deren Hand63
Das ist allerdings nur dann zutreffend, wenn im Sinne des Prinzips der abnehmenden Abstraktion Opportunitätskosten zunächst außen vor gelassen werden. Coleman geht nur andeutungsweise auf die Rolle ein, die Opportunitätskosten im Vertrauensproblem spielen. Er betont, dass man es sich eben nicht nur leisten können müsse, Chancen zu ergreifen, sondern ebenso, Chancen nicht zu ergreifen (vgl. Coleman 1991: 129). Er bezieht Opportunitätskosten aber nicht in seine Modellierung von Vertrauensentscheidungen mit ein.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
lungskonsequenzen unbestimmt sind, was die wirklichkeitsadäquatere Modellierungsvariante ist, geht Coleman von einer binär strukturierten Entscheidungssituation aus. Er setzt analytisch, dass mit „vertrauensvolle einseitige Vorleistung wird erbracht“ versus „wird nicht erbracht“ nur zwei Handlungsalternativen vorliegen können, die sich zueinander dichotom verhalten. In dieser vereinfachenden Form der Modellierung von Entscheidungssituationen besteht nur die Möglichkeit, dass eine Konsequenz X eintritt oder dass die Konsequenz X nicht eintritt (vgl. Jungermann, Pfister, Fischer 2005: 203). Art und Anzahl der Handlungsalternativen und der Handlungskonsequenzen sind schon modellimmanent vorgegeben.64 Löst man Colemans Vertrauensgesetz nach p auf, ergibt sich Folgendes:
Abbildung 8:
Vertrauensgesetz aufgelöst nach p
SEU (H1): p·G+(1-p)·L = p(G-L)+L Da SEU (H1) größer sein muss als SEU (H2), gilt p(G-L)+L 0 Das ist äquivalent zu: p t
L LG
Der Treugeber wird, folgt man den Überlegungen Colemans, seinem Bekannten also nur dann beim Umzug helfen, wenn ihm die Wahrscheinlichkeit einer Rückzahlung p genügend groß erscheint, genauer also größer als L/(L-G). Wie Coleman herausstellt, ist die Vertrauenskomponente p die Größe im Entscheidungskalkül, über die der Treugeber häufig am wenigstens weiß. Vertreter des ökonomischen Vertrauensansatzes gehen, wie im Rahmen der Rekonstruktion der Logik der Situation schon erwähnt davon aus, dass p in Abhängigkeit von der subjektiven Wahrnehmung der Anreizstruktur des Treuhänders durch den Treugeber gebildet wird. Eine hohe Vertrauenserwartung wird der Treugeber dann ausbilden, wenn reziprokes Verhalten nach seiner Einschätzung auch im Interesse des Treuhänders ist. Die Anreize des Treuhänders, einseitige Vorleistungen zu honorieren oder zu missbrauchen, sind entsprechend nicht direkt in die Modellierung miteinbezogen, sie fließen aber indirekt über die subjektive Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders durch den Treugeber in das Entscheidungskalkül mit ein. Während sich nämlich die Größen G und L der Colemanschen Gleichung auf den Treugeber beziehen und für dessen Gewinn- und Verlusterwartung stehen, bezieht sich der Wert p auf den Treuhänder. Er drückt den Versuch des Treugebers aus, die Reaktion des Treuhänders auf die einseitige Vorleistung zu antizipieren (vgl. Buskens 1999: 8). Dieses Vorgehen ermöglicht es Coleman, Situationen strategischer Interdependenz unter formalen Gesichtspunkten als Situation struktureller Interdependenz zu analysieren (vgl. Coleman 1991: 37). Die Modellierung von Vertrauensentscheidungen, die Coleman vorschlägt, ist damit allerdings noch nicht vollständig rekonstruiert. Coleman setzt zusätzlich noch das Instrumentarium der Marginalanalyse ein, um die Tiefe des im Rahmen einer Vertrauensent64 Natürlich ließe sich die Vertrauensentscheidung auch als nicht-binäre Entscheidungssituation modellieren. Das würde die Modellierung zwar verkomplizieren, aber ihr Grundprinzip nicht verändern.
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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scheidung ablaufenden Entscheidungsprozesses zu modellieren. Wie wichtig es ist, die Wahrscheinlichkeit der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders p möglichst akkurat abschätzen zu können, ist nach seiner Argumentation nämlich von der Größe des möglichen Gewinns bzw. Verlustes abhängig. Diese Nutzeneinschätzung beeinflusst auch das Maß an kognitiver Anstrengung, die der Treugeber aufwendet, um die Entscheidung zu treffen. Die Vorsicht, mit der er die Vertrauensentscheidung treffen und die Gründlichkeit mit der er nach weiterer Information suchen wird, um p akkurat abschätzen zu können, ist aus dieser Sicht von der Schwere der wahrgenommenen Handlungskonsequenzen abhängig. Um diese mit der eigentlichen Vertrauensentscheidung einhergehende Entscheidung über die Intensität der Informationssuche zu modellieren, argumentiert Coleman marginalanalytisch: „Somit beeinflusst nicht nur das Verhältnis von möglichem Verlust zu möglichem Gewinn, abgewogen gegen die Wahrscheinlichkeit, daß der Treuhänder das Vertrauen rechtfertigt, die Handlung. Das Ausmaß des möglichen Gewinns und des möglichen Verlustes beeinflussen ebenfalls die Intensität der Suche nach zusätzlichen Informationen. Die Suche sollte so lange anhalten, wie die Kosten einer zusätzlichen Vermehrung von Informationen geringer sind als der Gewinn, den diese Informationen versprechen. Dieser Gewinn steigt mit der Größe des möglichen Gewinns und des möglichen Verlustes“ (Coleman 1991: 131f.).
3.3.2.2 Spieltheoretische Modellierung Der Mainstream der Vertrauensforschung im Rahmen von Rational Choice rekurriert, wie schon angedeutet, auf einen anderen, spieltheoretischen Modellierungsansatz zu Vertrauen. Spieltheoretische Modellierungen werden im Rahmen von Rational Choice klassischerweise bei Situationen strategischer Interdependenz angewendet. Sie dienen entsprechend in erster Linie der Analyse von Kooperations- und Koordinationsproblemen. Kern der Spieltheorie sind verschiedene Typen von strategischen Spielen, die Situationen strategischer Interdependenz beschreiben, in denen sich zwei oder mehr Spieler zwischen alternativen Handlungsoptionen entscheiden müssen. Diese Einzelentscheidungen determinieren in der Summe das Spielergebnis, das zwischen allen Beteiligten aufgeteilt wird. Es liegt immer ein Interessenkonflikt vor, da die Spielteilnehmer unterschiedliche Rangordnungen an Präferenzen haben (vgl. Rapoport, Chammah 1965: 9). Im spieltheoretisch ausgerichteten Zweig von Rational Choice hat man vor zehn bis fünfzehn Jahren im Zusammenhang mit der Erforschung von Kooperationsproblemen Interesse am Vertrauen entwickelt und ein eigenes Spiel, das Vertrauensspiel, entworfen. Das Vertrauensspiel ist als eine einseitige Variante des berühmten Gefangenendilemmas konzipiert, dem ersten und grundlegenden Spiel, das im Rahmen der Spieltheorie entwickelt wurde (vgl. Kreps 1990: 106). Während beim Gefangenendilemma die Spielzüge zeitgleich erfolgen und das eigene Handeln damit zwar einen Einfluss auf das kollektive Ergebnis, nicht aber auf die Handlungswahl des Interaktionspartners hat, sind beim Vertrauensspiel die Spielzüge von Treugeber und Treuhänder zeitlich versetzt (vgl. Kliemt 1991: 186). Damit trägt der Treugeber beim Vertrauensspiel alleine ein Risiko ausgebeutet zu werden, wohingegen beim Gefangenendilemma beide Spieler das gleiche Risiko tragen. Es wird folgende Spielstruktur angenommen: Mit A und B existieren zwei Spielparteien. A muss entscheiden, ob er B vertrauen oder misstrauen soll. Entscheidet sich A dafür, B zu misstrauen, erhalten beide Parteien nichts. Wenn A entscheidet, B zu vertrauen, hat B
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
die Option, entweder das Vertrauen durch eine entsprechende Gegenleistung zu honorieren oder aber dieses Vertrauen zu missbrauchen. Wenn A B vertraut und B dieses Vertrauen honoriert, erhalten beide 10 Euro. Wenn aber A B vertraut und B sich entscheidet, dieses Vertrauen auszunutzen, erhält B 15 Euro, und A verliert 5 Euro (vgl. Kreps 1990: 100). Abbildung 9:
Struktur des klassischen Vertrauensspiels
Gegenleistung
vertraut B
misstraut B
B
10 €
10 €
-5 €
15 €
0€
0€
B
keine Gegenleistung A
A
In seiner Grundform gehört das Vertrauensspiel zu einer Klasse von Entscheidungssituationen, die in der Entscheidungstheorie als Entscheidungen unter Unsicherheit bezeichnet werden. Es sind diese Arten von Entscheidungssituationen, die klassischerweise in spieltheoretischen Analysen untersucht werden. Bei dieser Klasse von Situationen sind die involvierten Akteure überhaupt nicht oder nur unvollständig über die Handlungsabsichten ihrer Interaktionspartner informiert. Um solche Entscheidungssituationen unter Unsicherheit analysieren zu können, bedient man sich in der klassischen Spieltheorie einer vereinfachenden Zusatzannahme. Man unterstellt, der Treugeber verfüge über vollständige Information. Diese Annahme impliziert, dass ihm die Gewinnhöhe des Treuhänders wie auch die eigene Gewinnhöhe, die in der Spieltheorie mittels einer bestimmten Auszahlungsmatrix ausgedrückt werden, bekannt sind. Er muss allerdings in Unkenntnis des tatsächlichen zukünftigen Verhaltens des Treuhänders entscheiden. Die oben abgebildete Auszahlungsmatrix der Grundform des Vertrauensspiels zeigt, dass unter diesen Bedingungen Vertrauen mit Gegenleistung den attraktivsten Ausgang
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
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dieser strategischen Interdependenzsituation für den Treugeber darstellt. Für den Treuhänder ist es dagegen gewinnbringender, wenn er die ihm gegenüber erbrachte einseitige Vorleistung nicht kooperativ erwidert. Bei dieser Art der Auszahlungsmatrix und unter der Annahme der vollständigen Information kann gemäß der Logik spieltheoretischer Argumentation Vertrauen nie entstehen. A wird sich immer für Misstrauen entscheiden, weil er antizipiert, dass B seinerseits eine einseitige Vorleistung nie erwidern würde, weil es für ihn mit einem größeren Gewinn verbunden ist, den Treugeber auszunutzen. In der Sprache der Spieltheorie ausgedrückt, entspricht das Misstrauen des Treugebers dem NashGleichgewicht und damit einer Gleichgewichtslösung, von der keiner der Spieler einen Anreiz hat abzuweichen (vgl. Rieck 1993: 56ff.). Hier findet das von Raub beschriebene soziale Dilemma des Vertrauens seinen Ausdruck. Dieses Gleichgewicht ist nämlich ineffizient im Sinne des Pareto-Kriteriums (vgl. Raub 1992: 188); beide Akteure gehen leer aus, während gewährtes und erwidertes Vertrauen mit jeweils 10 Euro für beide vorteilhafter gewesen wäre. Abbildung 10: Auszahlungsmatrix des klassischen Vertrauensspiels B Gegenleistung
keine Gegenleistung
A vertrauen
10 € 10 €
Nicht vertrauen
15 € -5 €
0€ 0€
0€ 0€
Um das soziale Dilemma des Vertrauens zu überwinden, müsste die Auszahlungsmatrix so modifiziert werden, dass beidseitig kooperatives Verhalten nicht nur für den Treugeber, sondern auch für den Treuhänder die profitabelste Option und daher in beider Interesse ist (vgl. Brennan 1998: 201). Unter diesen Bedingungen wird beidseitige Kooperation zur dominanten Strategie (Nash-Gleichgewicht). Abbildung 11: Auszahlungsmatrix des modifizierten Vertrauensspiels B Gegenleistung
keine Gegenleistung
A vertrauen
10 € 10 €
Nicht vertrauen
5€ -5 €
0€ 0€
0€ 0€
Dieses modifizierte Vertrauensspiel ist eine nicht-simultane Variante dessen, was in der Spieltheorie schon länger unter der Bezeichnung Versicherungsspiel (assurance game)
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
bekannt ist (vgl. Braun 1999: 249). Unterstellt man hier wieder vollständige Information, würde bei einer solchen Gewinnverteilung Vertrauen vergeben und erwidert. 3.3.2.3 Unterschiede zwischen beiden Theorievarianten und interne Weiterentwicklungen in der Spieltheorie Die spieltheoretische Modellierung der Logik der Selektion bei Vertrauensentscheidungen unterscheidet sich damit in einigen Aspekten von der eben vorgestellten werterwartungstheoretischen Modellierung: Erstens analysiert die Spieltheorie Interaktionssituationen, indem sie die Handlungsalternativen und -konsequenzen aller beteiligten Akteure, im einfachsten Fall also von zwei Akteuren, abbildet. Sie deckt damit die logische Struktur wechselseitig interdependenter Entscheidungssituationen auf. Die Vertrauenssituation wird nicht wie bei Coleman aus der Sicht des Treugebers, sondern quasi aus einer Außenperspektive beleuchtet. Ziel der Modellierung ist eine möglichst einfache Analyse der strategischen Interdependenz von Treugeber und Treuhänder. Die tatsächliche Handlungssituation, ihre Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung durch den Treugeber finden in dieser Art der Modellierung keine Berücksichtigung. Die ordinalen Nutzenwerte, die in den spieltheoretischen Matrices enthalten sind, sind entsprechend analytisch konstruiert und werden den Akteuren objektiv zugeschrieben, was typisch für eine instrumentalistische Herangehensweise im Rahmen von Rational Choice ist (vgl. ausführlich Kap. 4). Die Wert-Erwartungstheorie stellt die Vertrauensvergabe dagegen als Ergebnis des Überlegensprozesses eines einzelnen Akteurs dar. Die vorgeschlagene Interpretation des Colemanschen Vertrauensgesetzes als SEU-Regel stellt dabei zusätzlich die besondere Bedeutung der subjektiven Interpretation der Situation klar heraus und bemüht sich damit um eine wirklichkeitsadäquate Abbildung von Entscheidungsverhalten. Dabei stehen die kognitiven Prozesse der Akteure im Vordergrund. Als Folge dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzung unterscheiden sich zweitens auch die Vertrauensbegriffe, von denen diese beiden Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie ausgehen. Im Rahmen der Spieltheorie wird die einseitige Vorleistung selbst als Vertrauen bezeichnet. Die spieltheoretischen Modelle basieren auf einem behavioralen Vertrauensbegriff (vgl. Lahno 2002: 181), der sich klar vom kognitiven Vertrauensbegriff der Wert-Erwartungstheorie unterscheidet. Ein weiterer wesentlicher Unterschied betrifft den unterstellten Informationsstand der Akteure. Die Spieltheorie geht von einer spezifischen Zusatzannahme aus und unterstellt vollständige Informiertheit der Akteure, bezieht also kein Risiko und entsprechend auch keine Wahrscheinlichkeiten mit ein.65 Im Hinblick auf diesen Unterschied lässt sich allerdings in einigen spieltheoretischen Arbeiten zur Vertrauensproblematik eine Annäherung an die Wert-Erwartungstheorie beobachten. In diesen Arbeiten wird das klassische Vertrauensspiel so abgewandelt, dass damit eine Entscheidungssituation unter Risiko analysiert 65 Der wert-erwartungstheoretische Ansatz nach Coleman und der spieltheoretische Ansatz zur Modellierung von Vertrauensentscheidungen stimmen dagegen in einer weiteren Zusatzannahme überein: Beide Varianten der Theoriebildung nehmen, wie weiter vorne schon herausgestellt worden ist, eine Eingrenzung der als relevant erachteten Nutzenaspekte auf nicht-intrinsische Nutzenaspekte vor. Eine wesentliche Herausforderung für die künftige Vertrauensforschung wird darin bestehen, auch diese vereinfachende Annahme aufzugeben. Die vorgeschlagene Interpretation des wert-erwartungstheoretischen Ansatzes von Coleman als SEU-Ansatz bietet dafür einen guten Ausgangspunkt.
Vertrauen im Rahmen von Rational Choice
87
werden kann (vgl. u. a. Güth, Kliemt 1993; Snijders 1996: 16; Lahno 2004). Diese Modifikation ist Ausdruck einer theorieinternen Entwicklung innerhalb der Spieltheorie, die in den letzten Jahren immer stärker dazu übergegangen ist, die stark vereinfachende klassische Hilfsannahme der vollständigen Informiertheit der Akteure aufzugeben und stattdessen auch unterschiedliche Varianten von imperfekten Informationszuständen und insbesondere Entscheidungsverhalten unter Risiko in den Blick zu nehmen.66 Bei der modifizierten Variante des klassischen Vertrauensspiels, die Wahrscheinlichkeiten mitberücksichtigt, wird eine Spielvariante zu Grunde gelegt, die Harsanyi Ende der 1960er Jahre entwickelt hat: Ein Spiel mit vollständiger, aber unvollkommener (imperfekter) Information.67 Bei dieser Art der spieltheoretischen Modellierung wird ein Ausgangsspiel, bei dem unvollständige Information besteht, dahingehend verändert, dass Unsicherheiten bezüglich der zu erwartenden Auszahlungen in Unsicherheiten bezüglich der Spielertypen modifiziert werden (vgl. Rieck 1993: 105). Dieser Gedanke wird anschaulicher, wenn man die folgende Abbildung betrachtet. Abbildung 12: Vertrauensspiel mit vollständiger, aber unvollkommener Information
Natur 1-p
p
A
A
B
10 € 10 €
B
-5 € 15 €
0€ 0€
10 € 10 €
-5 € 5€
0€ 0€
66 Zu den unterschiedlichen Informationsständen, die im Rahmen der Spieltheorie unterschieden werden, vgl. ausführlich Rieck 1993: 92ff.. 67 Vgl. Harsanyi 1977; Rasmusen 1989: 54ff.; Holler, Illing 2000: 77ff.; Rieck 1993: 101-109; bezogen auf Vertrauen Lahno 2004.
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Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Dazu wird angenommen, dass ein Spieler, der mit „Natur“ bezeichnet wird, vor Beginn des eigentlichen Vertrauensspiels einen Zufallszug ausführt, in dem die Präferenzen des Treuhänders B festgelegt werden. Der Treugeber A kennt diese Präferenzen nicht und kann entsprechend nur vermuten, ob dieser zu den Typen von Spielern gehört, die auf der linken Seite des Spielbaums abgebildet sind. Für diese Typen von Spielern ist die Verweigerung der einseitigen Vorleistung, entsprechend der Grundform des Vertrauensspiels, die profitabelste Option. Möglicherweise gehört der Treuhänder aber auch zu den Typen von Spielern, die auf der rechten Seite des Spielbaums abgebildet sind. Für diese Typen von Spieler ist die kooperative Erwiderung der einseitigen Vorleistung, entsprechend der Auszahlungsmatrix im modifizierten Vertrauensspiel, am gewinnträchtigsten. Nimmt man jetzt an, dass der Treugeber A nicht weiß, welchen Zufallszug der Spieler „Natur“ ausführen wird, dann entspricht diese Modellierung Colemans Vertrauensentscheidung unter Risiko. Auch in Colemans Vertrauensgesetz kennt der Treugeber die Vertrauenswürdigkeit nicht sicher, kann ihr aber Wahrscheinlichkeiten zuordnen. Der Wert p steht für die Höhe dieser Vertrauenswürdigkeit und fließt neben den Höhen der Auszahlungswerte in das Vertrauenskalkül mit ein. Im Unterschied zur oben dargestellten SEU-Modellierung der Vertrauensentscheidung werden bei dieser Modellierungsvariante die Wahrscheinlichkeitswerte p objektiv zugeschrieben und nicht als Ergebnis einer subjektiven Definition der Situation durch den Treugeber betrachtet. Interpretiert man entsprechend Colemans Vertrauensgesetz als EU-Ansatz, dann lässt sich dieses Gesetz unmittelbar aus einem solchen Vertrauensspiel mit unvollständiger Information herleiten (vgl. Raub, Buskens 2004: 6). 3.4 Handlungstheoretische Prämissen Auch das Menschenbild, auf dem diese beiden Varianten der ökonomischen Theoriebildung basieren, differiert. Das Menschenbild, von dem die Spieltheorie ausgeht, entspricht am ehesten der klassischen Version des homo oeconomicus. Unterstellt wird ein nutzenmaximierendes Verhalten unter den Bedingungen vollständiger Information, welches sich an fixen, geordneten und am Eigennutzen ausgerichteten Präferenzen sowie an den gegebenen Restriktionen ausrichtet (vgl. Kunz 1996: 43f.). Im Unterschied dazu setzt die Wert-Erwartungstheorie an der Perspektive des Treugebers an. In ihrer SEU-Variante zielt sie darauf ab, die subjektive Definition der Situation des Treugebers nachzubilden. Im Fokus sind seine in einer realen Handlungssituation gebildeten subjektiven Erwartungen und Bewertungen. Analytisch gesetzte Modellprämissen wie die der vollständigen Informiertheit und die der Vorab-Eingrenzung auf bestimmte Nutzenmotive sind mit dieser Variante der Wert-Erwartungstheorie nicht vereinbar. Auf Grundlage der Wert-Erwartungstheorie wird versucht, die realen kognitiven Prozesse abzubilden, die bei Vertrauenssituationen im Rahmen der Handlungsentscheidung des Treugebers ablaufen. Unterstellt wird dabei, dass die Akteure über ausgeprägte kognitive Fähigkeiten verfügen, ein Aspekt, der in den spieltheoretischen Modellen keine Rolle spielt. Sie sind im Rahmen des Vertrauenskalküls in der Lage, die potentielle Reaktion des Treuhänders zu antizipieren und diese Reaktion mit einer Gewinnerwartung zu verknüpfen: „Actions are ‘caused’ by their (anticipated) consequences“ (Coleman 1986: 1312). Unterstellt wird auch, dass Akteure lernfähig sind. Sie sind in der Lage, die Vertrauenswürdigkeit p,
Zusammenfassung
89
die sie konkreten anderen Personen entgegenbringen, abhängig von bestimmten positiven oder negativen Erfahrungen zu modifizieren (vgl. Coleman 1991: 132). Das hier zugrundeliegende Menschenmodell entspricht damit eher einer modifizierten Variante des oben beschriebenen klassischen homo oeconomicus, das in der Rational Choice-Forschung mittlerweile auch als RREEEMM-Modell bezeichnet wird (vgl. Hennen, Rein 1994: 221; Lindenberg 1985, 1990; Esser 1999: 238f.). Ausgegangen wird hier von einem Akteur, der über die folgenden Eigenschaften verfügt. Er ist 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Resourceful: in der Lage zu lernen und findig in der Interpretation seiner Situation; Restricted: mit Knappheiten konfrontiert und muss daher Entscheidungen treffen; Enabling: mit Gelegenheiten konfrontiert, die er zu nutzen weiß68; Expecting: er verknüpft künftige Ereignisse mit subjektiven Wahrscheinlichkeiten; Evaluating: er verknüpft künftige Ereignisse mit subjektiven Nutzenerwartungen; sowie Maximizing: er wählt die Handlungsoption mit dem erwarteten, höchsten Nutzenwert.
3.5 Zusammenfassung Auch die Grundzüge der ökonomischen Vertrauenstheorie sind damit herausgearbeitet. Nach einem kurzen, einführenden Überblick über die derzeitige ökonomische Vertrauensdiskussion sind dazu zunächst die theoretischen und methodologischen Grundlagen beschrieben worden, auf denen der Rational Choice-Ansatz ganz allgemein wie auch die derzeitigen Bemühungen zur Bildung einer ökonomischen Vertrauenstheorie aufbauen. Das in diesem Zusammenhang eingeführte struktur-individualistische Erklärungsschema ist dann als methodologisches Hilfsmittel eingesetzt worden, um den aktuellen Diskussionsstand der ökonomischen Vertrauensforschung in strukturierter Form wiederzugeben. Verkompliziert wird eine solche Darstellung dadurch, dass in dieser ökonomischen Forschungsdiskussion zu Vertrauen zwei häufig nicht klar voneinander getrennte Stränge der Theoriebildung existieren. Entsprechend lag ein Schwerpunkt der Rekonstruktion darauf, Unterschiede (und Gemeinsamkeiten) zwischen diesen beiden Strängen der ökonomischen Theoriebildung herauszuarbeiten. In der folgenden Graphik sind diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten noch einmal zusammengefasst:
68
Diese Eigenschaft ist in dem bekannteren RREEMM-Menschenmodell von Lindenberg nicht enthalten, sondern geht auf einen Erweiterungsvorschlag von Hennen und Rein zurück. Diese haben darauf hingewiesen, dass der soziale Kontext nicht nur restringiert, sondern auch Handlungsanleitungen bietet bzw. bestimmte Handlungsmöglichkeiten erst eröffnet. Sie schlagen daher die oben übernommene Erweiterung um ein E für enabling vor (vgl. Hennen, Rein 1994: 221). Diese Erweiterung ist gerade in Bezug auf die ökonomisch ausgerichtete Vertrauensund Sozialkapitaldiskussion sinnvoll. Das ergibt sich schon aus der Definition des Sozialkapitals, die Coleman vorlegt. Er versteht darunter bestimmte Aspekte der Sozialstruktur, die die Funktion erfüllen, bestimmte Handlungen zu begünstigen, und hebt damit gerade darauf ab, dass bestimmte soziale Strukturen als Opportunitätsstrukturen wirken können, die die Etablierung und Durchsetzung von Normen und die Vergabe von Vertrauen erst ermöglichen (vgl. Coleman 1991: 392).
90
Die ökonomische Vertrauenstheorie im Rahmen von Rational Choice
Abbildung 13: Ökonomische Vertrauenstheorie – Unterschiede und Gemeinsamkeiten ihrer beiden Varianten
› Kernannahmen › Strukturorientierte Herangehensweise
Gemeinsamkeiten
Gemeinsamkeiten
Ökonomische Vertrauenstheorie Spieltheorie (Klassische Variante)
Unterschiede
› Außenperspektive › Analyse der logischen Struktur wechselseitiger Interdependenz › Möglichst einfache Modellierung › Behavioraler Vertrauensbegriff › Vollständige Informiertheit › Menschenbild des klassischen homo oeconomicus
Werterwartungstheorie (SEU-Variante)
Unterschiede
› Innenperspektive › Analyse kognitiver Prozesse › Möglichst wirklichkeitsadäquate Modellierung › Kognitiver Vertrauensbegriff › Unperfekte Informiertheit/ Entscheidungssituation unter Risiko › Menschenbild RREEMM
4 Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
Wie die letzten beiden Kapitel gezeigt haben, stimmen die soziologische und die ökonomische Vertrauenstheorie dahingehend überein, dass Vertrauen als eine Erklärungsgröße angesehen wird, die die Entstehung von Kooperation wesentlich begünstigen kann. Sie konzeptualisieren Vertrauen aber unterschiedlich und bieten auch unterschiedliche Erklärungen dafür an, wie Vertrauen und kooperatives Handeln miteinander zusammenhängen. Gängigerweise werden diese beiden Ansätze in der Literatur unverbunden nebeneinander diskutiert. Es fehlen Arbeiten, die systematisch die Anschlussfähigkeit dieser beiden Theorien prüfen. Diese Umgangsweise mit theoretischem Pluralismus ist nicht nur charakteristisch für die Vertrauensforschung. Wie Benz bemängelt, sind viele Bereiche der politikwissenschaftlichen Theoriebildung durch „Ausdifferenzierung und Spezialisierung, um nicht zu sagen Fragmentierung der Forschung in Bereichsanalysen mit divergierenden Analyseansätzen gekennzeichnet“ (Benz 1997: 14). Theoretische Vielfalt ist aber nur dann ein für die Wissenschaft produktiver Zustand, wenn unterschiedliche Erklärungsansätze auch miteinander konfrontiert und verglichen werden. Dieser Perspektive folgt die vorliegende Arbeit. Sie geht von der Annahme aus, dass eine theoretische Integration, die die Stärken beider Theorien miteinander verbindet, eine angemessenere handlungstheoretische Erklärung für die Entstehung kooperativen Handelns bieten könnte, als es beide für sich genommen zu leisten vermögen. Eine solche theoretische Integration ist aber nur dann sinnvoll und gut begründet, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Sie ist zum einen nur dann sinnvoll, wenn sich zeigen lässt, dass beide Theorien nicht nur im Forschungsstand zentral, sondern auch fruchtbar sind. Sich bei Theorievergleichen und -integrationen nur auf die fruchtbarsten Erklärungsansätze zu konzentrieren, erscheint deshalb empfehlenswert, weil sich durch die Ermittlung von Fehlern bei solchen Theorien und durch ihre Modifizierung ein relativ großer Erkenntnisfortschritt erzielen lässt (vgl. Opp 1978: 215). Dass der soziologische und der ökonomische Ansatz der Vertrauensforschung fruchtbare Erklärungsansätze sind, ist schon in der Einleitung behauptet worden, Belege hierfür stehen allerdings noch aus. Gleichzeitig erscheint eine Integration nur dann geboten, wenn beide Theorien spezifische Defizite aufweisen und es gute Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Schwächen mittels einer Integration behoben werden können. Die Relevanz eines solchen Forschungsvorhabens ist schließlich auch davon abhängig, wie dieses Vorhaben einer Integration des ökonomischen und des soziologischen Vertrauenskonzeptes in der Vertrauensforschung selbst beurteilt wird und ob entsprechende Ansätze zu einer solchen Integration bereits vorliegen. Diese Überlegungen sind der Ausgangspunkt von Kapitel 4. Es diskutiert in Kapitel 4.1 die Stärken und Schwächen der beiden ausgewählten Erklärungsansätze, prüft auf diese Weise kritisch ihre Fruchtbarkeit und begründet, wieso eine Verknüpfung dazu beitragen könnte, ihre charakteristischen Schwächen zu überwinden. In einem zweiten Schritt der Argumentation zeigt dann Kapitel 4.2, dass überzeugende Ansätze zur Integration beider
92
Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
Konzepte im Rahmen der politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung bislang nicht geleistet worden sind. 4.1 Stärken und Defizite der beiden Vertrauenstheorien Die Beurteilung der Fruchtbarkeit von Theorieansätzen ist nur dann rational nachvollziehbar und damit wissenschaftlich, wenn sie anhand von Kriterien erfolgt. Solche Kriterien, die als Qualitätsmaßstäbe eingesetzt werden können, müssen entsprechend zunächst noch spezifiziert werden (vgl. Kap. 4.1.1). Welches geeignete Kriterien für „gute“ Theorien sind, ist in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert worden, ohne dass es gelungen wäre, einen wirklichen Konsens in diesem Punkt zu etablieren. Wie Giesen und Schmid bemängeln, stellt dieser fehlende Konsens ein Hindernis für theorievergleichendes Arbeiten dar. Eine echte Kritik unterschiedlicher Theorieangebote sei mangels eindeutiger Beurteilungsmaßstäbe fraglich, wenn nicht unmöglich (vgl. Giesen, Schmid 1976: 232). Dass eine Einigung über solche Kriterien so schwierig erscheint, hängt wesentlich damit zusammen, dass in den Sozialwissenschaften allgemein wie auch in der Politikwissenschaft im Besonderen verschiedene Wissenschaftsverständnisse existieren, die unterschiedliche wissenschaftliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Auffassungen über wissenschaftliche Güte vertreten (vgl. Druwe 1995: 24ff.). Im Kontext dieser Arbeit bietet sich eine pragmatische Lösung an: Sowohl die Politische Kulturforschung als auch der Rational Choice-Ansatz sind Forschungsprogramme, die sich klar dem empirisch-analytischen Ansatz innerhalb der Politikwissenschaft verpflichtet sehen. Über die grundlegende Position hinaus, wonach das Ziel von Wissenschaft in der wertfreien Beschreibung, Erklärung und Prognose von Realität besteht (vgl. Burth 1999: 21), gibt es zumindest im Rahmen dieses Wissenschaftsansatzes einen gewissen Konsens über bestimmte Qualitätsmerkmale wissenschaftlichen Arbeitens. An diesen kann sich die kritische Beurteilung der Fruchtbarkeit der vorgestellten Vertrauenstheorien orientieren. Das Problem der Begründung dieser Kriterien, das sich auf einer metatheoretischen Ebene zweiter Ordnung wiederum stellt, bleibt damit unbeantwortet. Allerdings gibt es für dieses Begründungsproblem bisher auch noch keine wirklich befriedigende Lösung. Nach Einschätzung von Giesen und Schmid wird es vermutlich niemals völlig zufriedenstellend zu beantworten sein (vgl. Giesen, Schmid 1976: 85f.). Auch Hans Albert betont in diesem Zusammenhang die Gefahr eines infiniten Regresses (vgl. Albert 1991: 13ff.). Sich an Qualitätsstandards zu orientieren, die so etwas wie einen common sense im Rahmen einer wissenschaftlichen Gemeinschaft darstellen, erscheint daher als pragmatische Antwort auf das Begründungsproblem vertretbar. 4.1.1 Qualitätskriterien im Rahmen des empirisch-analytischen Ansatzes Unumstritten ist unter Vertretern eines empirisch-analytischen Wissenschaftskonzeptes, dass Theorien hinreichend klar und präzise formuliert und logisch stringent sein sollten. Umgekehrt ist das Gegenteil von logischer Stringenz, nämlich logische Inkonsistenz, ein breit akzeptiertes Knock-Out-Kriterium für Theorien:
Stärken und Defizite der beiden Vertrauenstheorien
93
„If a theory lacks internal logical consistency, then nothing else matters and it should be rejected on that ground alone“ (Kanazawa 1998: 197; vgl. auch Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 122; Nauck 1988: 15; Seipel 1999: 32).
Dieser Qualitätsanspruch der theoretischen Präzision bezieht sich sowohl auf die grundlegenden Begriffe als auch auf die Klarheit der Struktur einer Theorie, wobei mit letzterem eine präzise Bestimmung der Beziehungen zwischen den Variablen angesprochen ist, die im Rahmen einer Theorie postuliert werden (vgl. Opp 1999: 210). Ein im empirisch-analytischen Ansatz ebenfalls breit anerkanntes Qualitätskriterium von Theorien ist, ob diese den Anspruch erfüllen, soziale Sachverhalte zu „erklären“. Diese Fokussierung auf den erklärenden Charakter, den eine Theorie haben sollte, basiert auf einem Verständnis von Theoriebildung, welches diesen als erfahrungswissenschaftlichen Prozess betrachtet, in dessen Rahmen man durch das induktive Formulieren von Gesetzesannahmen und deren Überprüfung mittels des deduktiven Verfahrens der Falsifikation zur Formulierung möglichst weit reichender Theorien zu gelangen sucht (vgl. Burth 1999: 21). Eine Erklärung sozialer Sachverhalte zeichnet sich also dadurch aus, dass in Form einer gesetzesartigen Hypothese die Ursachen oder Bedingungen für das Auftreten eines bestimmten sozialen Phänomens angegeben werden und der theoretische Ansatz damit Antworten auf die Frage nach dem „Warum“ gibt. Nach dem deduktiv-nomologischen Erklärungsschema (auch Hempel-Oppenheim-Schema, kurz: HO-Schema) ist eine Erklärung dann vollständig geleistet, wenn sich das Explanandum als logische Ableitung aus singulären und empirisch zutreffenden Randbedingungen und mindestens einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit (Explanans) ergibt (vgl. ausführlich Opp 1999: 45ff.; Stegmüller 1979: 87107). Zudem soll jede Erklärung die folgenden vier Adäquatheitsbedingungen erfüllen: Das Explanandum muss erstens korrekt aus dem Explanans gefolgert worden sein; das Explanans muss zweitens aus Randbedingungen sowie mindestens einem allgemeinen Gesetz bestehen (und damit nomologischen Charakter haben); das Explanans muss drittens empirischen Gehalt besitzen, das heißt Gesetz und Randbedingungen müssen empirisch prüfbar sein. Die Sätze des Explanans müssen viertens empirisch wahr sein oder sich zumindest sehr gut bewährt haben, was sinnvollerweise auch für das Explanandum gelten sollte. Das HO-Schema ist nicht unumstritten. Bis heute wird in den Sozialwissenschaften über seine Angemessenheit und Anwendbarkeit als Erklärungsmodell diskutiert (vgl. Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 101ff.; Stegmüller 1983: 181ff.; Druwe 2003; Winkler, Falter 1997: 102f.). Als problematisch gilt unter anderem, dass die Adäquatheitsbedingungen ihrerseits von bestimmten Voraussetzungen abhängig sind, die bei Hempel und Oppenheim nicht expliziert werden, in der wissenschaftlichen Diskussion zum Teil aber umstritten sind bzw. für nicht erfüllbar gehalten werden. Dennoch eignen sich die im Rahmen des HOSchemas formulierten Bedingungen, um die Wissenschaftlichkeit von Erklärungen zu beurteilen (vgl. Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 102). Eine solche Verwendung des HOSchemas ist vertretbar, da es als das Standarderklärungsmodell der empirisch-analytischen Forschung gilt (vgl. Giesen, Schmid 1976: 56; 195-212; Esser 1999: 62f.). Über die genannten vier Adäquatheitsbedingungen hinaus erscheint es sinnvoll, die im HO-Schema vertretene Vorstellung einer angemessenen Erklärung durch eine fünfte „weiche“ Forderung an gute Erklärungen anzureichern. Gute Erklärungen zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie nicht nur den angebotenen Kausalzusammenhang, sondern auch die diesem Kausalzusammenhang zugrunde liegenden Kausalmechanismen offenlegen, also
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
genau spezifizieren, wie die kausalen Kräfte auf die unterstellten Effekte wirken (vgl. Stinchcombe 1991: 37f.; Elster 1989; Hedström, Swedberg 1998). Mit dem Erklärungsbegriff des HO-Schemas verbindet sich auch die Forderung, dass die gesetzesartige Hypothese im Explanans über einen möglichst hohen Grad an Allgemeinheit verfügen sollte. Diese Forderung ergibt sich aus der für das empirisch-analytische Wissenschaftsverständnis basalen, ontologischen Annahme, dass soziale Phänomene ähnlich wie die natürlichen Forschungsobjekte des Naturwissenschaftlers bestimmten Regelmäßigkeiten unterliegen, die in Form von Gesetzen erfasst werden können (vgl. Falter 1982: 178; Albert 1999: 219; Reimann 1985: 83). Dementsprechend wird es als zentrale Aufgabe der empirisch-analytischen Theoriebildung und -entwicklung angesehen, diese Regelmäßigkeiten im Funktionieren von Gesellschaft und Politik zu ermitteln. Nicht alle Ansätze, die in der Politikwissenschaft als Theorie bezeichnet werden, erfüllen diesen Anspruch. Einige liefern lediglich Klassifikationen und haben damit eine ausschließlich heuristische Funktion. Solche Ansätze sind durchaus brauchbar, weil sie bei der Strukturierung von Wissensbeständen helfen. Sie erklären aber nichts, und es ist daher irreführend, sie als Theorie zu bezeichnen. Keine Theorien sind aus Perspektive eines empirisch-analytischen Wissenschaftsverständnisses auch solche Ansätze, die überhaupt nicht auf das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet sind, sondern nach einer möglichst präzisen, idiographischen Erfassung von Einzelfällen streben. Ein weiteres Kriterium, das im Rahmen des empirisch-analytischen Ansatzes häufig herangezogen wird, um zu qualifizieren, was fruchtbare Theorieansätze ausmacht, ergibt sich aus der Position des methodologischen Individualismus. Alle beschreibenden und erklärenden Sätze über soziale Tatbestände sollen ihre Grundlage in Sätzen über individuelle Wahrnehmungen, Intentionen und Handlungen haben (vgl. Zintl 1997: 33). Diese Verpflichtung zum Rekurs auf die Ebene der Individuen stammt nicht aus der allgemeinen Wissenschaftstheorie, sondern ist eine Art Sonderkriterium des empirisch-analytischen Ansatzes in den Sozialwissenschaften (vgl. Giesen, Schmid 1976: 130). Der methodologische Individualismus resultiert aus Auseinandersetzungen zwischen Verfechtern einer kollektivistischen und einer individualistischen Position innerhalb der Sozialwissenschaften, die bis zu den Anfängen der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung zurückreichen.69 Diese Positionskämpfe kulminierten in einer metatheoretischen Mikro-Makro-Debatte, die seit den sechziger Jahren vor allem in der Soziologie geführt wurde (vgl. Vanberg 1975: 239ff.; Giesen, Schmid 1976: 149-155). Sie kreiste um die Frage, wie eine adäquate Beschreibung und Erklärung sozialwissenschaftlicher Phänomene auszusehen hat bzw. wie die individuelle und die kollektive Ebene in der Analyse sozialer Phänomene in Relation zueinander stehen. Die Position, die der methodologische Individualismus in diesen Grabenkämpfen vertrat und die innerhalb des empirisch-analytischen Ansatzes mittlerweile breite Zustimmung findet, lässt sich anhand der Differenzierung zwischen dem „analytischen Primat“ und dem „theoretischen Primat“ eines Erklärungsansatzes verdeutlichen (vgl. Wippler, Lindenberg 1987: 137ff.; Esser 1999: 4). Während der analytische Primat auf der Ebene liegt, auf der sich das Explanandum befindet, liegt der theoretische Primat auf der Ebene, auf der die Erklärung geleistet wird und entsprechend auch die allgemeine Gesetz69
Die Anfänge des methodologischen Individualismus liegen im Englischen Liberalismus und in der Schottischen Moralphilosophie begründet. Diese Position ist vor allem durch Adam Smith und später durch Max Weber stark beeinflusst worden. Die historische Entwicklung des methodologischen Kollektivismus beginnt mit den Werken Émile Durkheims (vgl. Jonas 1981: 64ff.).
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mäßigkeit ansetzt. Methodologische Individualisten gehen davon aus, dass der analytische Primat der Erklärung auf der Makroebene liegen sollte. Dieser Punkt ist in den Sozialwissenschaften mit Ausnahme der Psychologie unstrittig, weil es in der Regel um die Erklärung kollektiver Tatbestände geht. Strittiger ist die Verortung des theoretischen Primates. Er sollte aus der Sicht des methodologischen Individualismus auf der Mikroebene liegen. Diese Position hat sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt. Gleichzeitig ist man sich weitgehend einig, dass eine Verbindung zwischen den Strukturen der Gesellschaft und dem Handeln der Menschen aufgebaut werden müsse, um kollektive Phänomene erklären zu können (vgl. Alexander et al. 1987). Mikro- und Makroebene integrierende Erklärungsmodelle wie das unter der Bezeichnung struktur-individualistischer Erklärungsansatz im Kontext von Rational Choice entwickelte Schema der Mehrebenenerklärung (vgl. Kap. 3.1.2) tragen diesem Anspruch Rechnung. Vor diesem Hintergrund sind sowohl reine Mikro- als auch reine Makroerklärungen abzulehnen. Erstere reduzieren kollektive auf individuelle Phänomene und verlagern damit sowohl den theoretischen als auch den analytischen Primat auf die Mikroebene (Reduktionismus). Letztere stellen soziale Tatbestände als Phänomene eigener, emergenter Qualität dem Individuum gegenüber und siedeln damit den theoretischen und den analytischen Primat auf der Makroebene an (Dualismus) (vgl. Wippler, Lindenberg 1987: 140144). Eine strikte ontologische Ebenentrennung, wie sie im Rahmen dieser Erklärungsansätze propagiert wird, wird dem Umstand nicht gerecht, dass weder die Gesellschaft ausschließlich das Produkt der Individuen noch die Individuen ausschließlich das Produkt der Gesellschaft sind. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass beide Ebenen untrennbar miteinander verbunden sind und in einer rekursiven Beziehung stehen (vgl. Hennen, Kunz 2002: 611). Methodologisch lässt sich zudem argumentieren, dass eine vollständige Erklärung von Makrophänomenen voraussetzt, dass alle für diese Erklärung wesentlichen Elemente berücksichtigt werden. Weil kollektive Handlungen nichts anderes sind als das Aggregat einzelner Handlungen, sind die individuellen Handlungen wesentliche Elemente einer guten Erklärung kollektiven Handelns. Dementsprechend trägt eine Erklärung kollektiver Phänomene, die dem methodologischen Individualismus gerecht wird und eine kausale Verknüpfung von Makro- und Mikroebene leistet, eher zum Erkenntnisfortschritt bei (vgl. Opp, Wippler 1990b: 9). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die im Rahmen des HOSchemas formulierten Anforderungen an eine gute wissenschaftliche Erklärung zu erweitern und zusätzlich zu prüfen, ob eine solche Erklärung den Anspruch einer Mehrebenenerklärung erfüllt. Neben den bisher aufgestellten Kriterien, die sich rein auf die theoretische Ebene beziehen, gilt im Rahmen der empirisch-analytisch ausgerichteten Politikwissenschaft auch die empirische Bewährung einer Theorie als wesentliches Qualitätsmerkmal. Theorien sollen, so der klare Anspruch jeglicher positiver Theoriebildung, auch der Realität entsprechen. Ähnlich ist es auch schon in den oben ausgeführten Adäquatheitsbedingungen einer Erklärung ausgeführt worden. Daraus ergibt sich die Anforderung einer empirischen Prüfung der aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen (vgl. Opp 1999: 213; Popper 1994b: 120; King et al. 1994: 110). Dieser Auffassung liegt eine korrespondenztheoretische Konzeption von Wahrheit zugrunde, die davon ausgeht, dass empirische Sätze dann wahr sind, wenn sie mit der Realität korrespondieren (vgl. Druwe 1995: 281; Chalmers 2001: 183). Allerdings ist diese Position aus wissenschaftstheoretischer Sicht nicht unproblematisch und voraussetzungsvoll, wes-
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
halb hier noch einmal gesondert darauf einzugehen ist. Extrem positivistische Sichtweisen, wie die anfänglich im klassischen Empirismus vertretene, aus heutiger Sicht „naive“ Vorstellung, wonach Theorien nichts anderes als zusammengesetzte Sinneswahrnehmungen sind, gelten heute als überholt (vgl. Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 141). In den wissenschaftstheoretischen Kontroversen der letzten hundert Jahre hat man vielmehr auf die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Überprüfung von Theorien anhand der Realität hingewiesen. Aus dieser Perspektive sind Theorien Mengen von Aussagen, die nur mittels anderer Aussagen über die Wirklichkeit, sogenannter Basissätze, kontrolliert werden können. Als Basissätze werden Sätze über empirische Beobachtungen bezeichnet, über deren Zutreffen hinlänglich intersubjektive Übereinstimmung erzielt werden kann. In Verbindung mit dem so genannten Basissatzproblem wurde kritisiert, dass es unzweifelhafte, wahre Basissätze nicht geben könne. Zur Begründung hat man unter anderem darauf verwiesen, dass die Beobachtung ihrerseits durch die theoretische Position des Forschers bzw. der Verdeutlicht wurde diese wissenschaftlichen Gemeinschaft geprägt sei.70 Theoriegeleitetheit der Beobachtung unter anderem am Beispiel so genannter Dispositionsbegriffe oder auch „theoretischer Terme“. Damit bezeichnet man seit Carnap Begriffe wie beispielsweise den Begriff „Elektron“, der nicht analytisch ist, sich aber auch nicht rein durch den Bezug auf empirisch beobachtbare Eigenschaften definieren lässt, sondern erst dann eine sinnvolle Bedeutung erhält, wenn man einen bestimmten theoretischen Ansatz als gegeben akzeptiert (vgl. Druwe 1995: 379ff.). Verbunden mit diesen Auseinandersetzungen waren wissenschaftstheoretische Diskussionen darüber, ob die Wahl von Basissätzen auf Grund „objektiver“ Kriterien oder durch bloße Konvention erfolgen könne. Als Folge dieser Kontroversen insbesondere über den Stellenwert von theoretischen Termen haben sich „nachpositivistische Strömungen“ wie der Paradigma-Ansatz von Thomas Kuhn, der Strukturalismus von Sneed und Stegmüller oder der Holismus Willard Van Orman Quines herausgebildet, die auch im Rahmen des empirisch-analytischen Ansatzes innerhalb der Politikwissenschaft zum Teil rezipiert werden (vgl. Druwe 1985; Dreier 1997). Heute vertritt man in der Wissenschaftstheorie mehrheitlich die Auffassung, dass Theorien nicht mehr durch einmalige Falsifikation verworfen werden können. Man hat sich ebenfalls von der Vorstellung einer schrittweisen Annäherung an die Wahrheit durch die Elimination „falscher“ Theorien distanziert, von der Vertreter des Kritischen Rationalismus nach Popper noch ausgingen. Stattdessen wird die theoretische Entwicklung als ein kontinuierlicher Prozess der Konfrontation von theoretischem Wissen und Empirie betrachtet. Zudem stehen weniger die Verdienste einer einzelnen Theorie als vielmehr die relativen Verdienste miteinander konkurrierender Theorieansätze im Zentrum (vgl. Lakatos 1974). Trotz dieser kritischen Diskussionen über den Wahrheitsgehalt, die Rechtfertigung von Basissätzen und die Möglichkeiten des theoretischen Fortschritts dominiert in der empirischen Forschungspraxis nach wie vor eine Position, wonach der Grad der empirischen Bewährung einer Theorie ein entscheidendes Qualitätsmerkmal darstellt. Sie fügt sich in die Tradition des Kritischen Rationalismus Karl R. Poppers ein, der davon ausging, dass der Fortschritt der Wissenschaft in der zunehmenden Wahrheitsnähe ihrer Theorien begründet liegt (vgl. Kunz 1997: 160). Entsprechend hebt auch Karl-Dieter Opp hervor:
70
Vgl. Kuhn 1999; Druwe 1995: 381; Marx 2005: 40. Zu den verschiedenen Dimensionen des Basissatzproblems vgl. ausführlich Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 142 ff..
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„Es gibt vermutlich kaum Sozialwissenschaftler, die der Meinung sind, daß Theorien nicht mit der Realität übereinzustimmen brauchen. Entsprechend wird man bei der Kritik von Theorien prüfen, inwieweit sie strengen empirischen Prüfungen unterzogen wurden und inwieweit sie sich dabei bewährt haben“ (Opp 1999: 213).
Dies soll keinesfalls bedeuten, dass die hier nur kurz angerissenen Diskussionen über die erkenntnistheoretischen Probleme, die mit einer solchen realistischen Position verbunden sind, nicht ebenfalls berechtigt wären. Tatsächlich sind einige der Prämissen, auf denen eine realistische Auffassung fußt, zumindest fragwürdig (vgl. ausführlich Kunz 1997: 159ff.). Es gibt aber mittlerweile erkenntnistheoretische Positionen wie die des nichtrepräsentativen bzw. des strukturellen Realismus, die in dieser Hinsicht Auswege zu eröffnen scheinen (vgl. Chalmers 2001: 194ff.; Worrall 1989; Kunz 1997: 162).71 Solche Positionen erlauben es, an der Praxis der Sozialforschung festzuhalten, und tragen gleichzeitig den Bedenken gegenüber einem naiven Realismus Rechnung. Aus diesen Überlegungen lassen sich also die folgenden beiden zentralen Qualitätsmerkmale für empirisch-analytische Ansätze ableiten: Theorieansätze sind dann als fruchtbar zu bewerten, wenn sie in strengen empirischen Tests geprüft worden sind und sich dabei möglichst gut empirisch bewährt haben. Damit die Übereinstimmung eines Theorieansatzes mit der Realität allerdings überprüft werden kann, sollten zentrale theoretische Annahmen so formuliert sein, dass sie überhaupt empirischen Gehalt besitzen (vgl. Opp 1999: 213). Sie sollten also der Wirklichkeit möglichst nahe kommen oder, anders ausgedrückt, möglichst wirklichkeitsadäquat sein. Auf diese Weise können auch logisch widersprüchliche Aussagen (Kontradiktionen) sowie logisch wahre Aussagen (Tautologien) ausgeschlossen werden.72 Gleichzeitig lässt sich an dieser Stelle wieder eine Brücke zum Kriterium der Allgemeinheit schlagen. Mit der Betonung des Grades der Allgemeinheit der Hypothesen ist nämlich gleichzeitig die Annahme verbunden, dass Theorien, die auf allgemeinen UrsacheWirkungsbeziehungen beruhen, einen höheren empirischen Gehalt besitzen als spezielle Theorien. Bewähren sich allgemeine Theorieansätze, dann leistet dies einen größeren Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis als wenn sich spezielle Theorieansätze bewähren, weshalb allgemeine speziellen Ansätzen vorzuziehen sind (vgl. Opp, Wippler 1990b: 9). Die Fruchtbarkeit der beiden Vertrauenstheorien lässt sich also zusammenfassend anhand der folgenden Kriterien bzw. Leitfragen beurteilen: 1.
71
Präzision: Basieren die untersuchten Theorien auf klaren und präzisen Begriffen und auf einer theoretisch präzisen Struktur?
Diese Positionen halten zwar grundsätzlich an einer realistischen Position fest; sie ziehen die ontologische Annahme, dass die Wirklichkeit unabhängig von unserer Kenntnis über sie besteht, nicht in Zweifel. Gleichzeitig relativieren sie aber die Korrespondenztheorie der Wahrheit. Theorien können aus dieser Sicht lediglich im Hinblick auf das Ausmaß bewertet werden, in welchem sie eine angemessene und erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Empirie leisten. Eine Beurteilung im Hinblick auf das Ausmaß, in welchem sie die empirische Realität so beschreiben, wie sie ist, ist allerdings nicht möglich, weil es unabhängig von der Theorie keinen Zugang zur Wirklichkeit geben kann, der es erlauben würde, die Angemessenheit solcher Urteile zu bewerten. 72 Kontradiktionen sind logisch falsch und damit auch empirisch nutzlos: Aus ihnen lassen sich eine Behauptung und deren Negation gleichzeitig ableiten. Tautologien sind dagegen völlig gehaltsleer, das heißt sie informieren nicht über die Realität, weil sie mit jedem Zustand der Realität vereinbar sind (vgl. Giesen, Schmid 1976: 87; Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 122; Opp 1999: 213).
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2.
Erklärender Charakter: Liefern die untersuchten Ansätze eine überzeugende Erklärung (im Sinne des HOSchemas)? Erklären die untersuchten Theorien sozialwissenschaftliche Phänomene der Makroebene unter Berücksichtigung der Individualebene? Empirischer Gehalt und empirische Bewährung: Sind die theoretischen Annahmen empirisch gehaltvoll? Sind die Theorieansätze empirisch getestet worden? Haben sie sich in empirischen Überprüfungen bewährt?
3.
4.1.2 Beurteilung der Vertrauenstheorien anhand dieser Kriterien Auf Basis dieser Kriterien lässt sich zeigen, dass sowohl die soziologische Vertrauenstheorie als auch die ökonomische Vertrauenstheorie zwar je unterschiedliche Defizite und Schwachstellen aufweisen, zusammengenommen aber dennoch durchaus fruchtbare Erklärungsansätze darstellen. 4.1.2.1 Die soziologische Vertrauenstheorie Hinsichtlich der Präzision weist die soziologische Vertrauenstheorie gewisse Mängel auf. Eine explizit ausgearbeitete soziologische Vertrauenstheorie existiert nicht. Zwar ist soziales Vertrauen als Konzeptvariable schon in den frühen Arbeiten der Politischen Kulturforschung enthalten und mit dem Sozialkapital-Konzept endgültig ins Zentrum des Forschungsinteresses der politikwissenschaftlichen Einstellungsforschung gerückt. Die Annahmen in Verbindung mit sozialem Vertrauen sind aber häufig vage. Zudem lassen sich mit dem Civic-Culture-Ansatz, dem Konzept der politischen Unterstützung und dem Sozialkapital-Konzept drei unterschiedliche Ansätze zur konzeptuellen Verortung des sozialen Vertrauens im Rahmen der Politischen Kulturforschung ausmachen, die relativ unverbunden nebeneinander stehen. Das zweite Kapitel dieser Arbeit hat zu zeigen versucht, dass diese Ansätze zur Konzeptspezifikation auf identischen Grundannahmen in Verbindung mit sozialem Vertrauen fußen; aus Sicht der Verfasserin ist es daher gerechtfertigt, von einer soziologischen Vertrauenstheorie zu sprechen, die sich im Zuge der Entwicklung dieser Ansätze der Konzeptspezifikation unter dem Dach der Politischen Kulturforschung, sozusagen als eine Art „Nebenprodukt“, mit herausgebildet hat. Diese gemeinsamen theoretischen Grundlagen werden aber in der aktuellen Politischen Kulturforschung kaum thematisiert. Solche konzeptuellen Unschärfen sind zum einen dadurch bedingt, dass der Ansatz der Politischen Kulturforschung selbst keine stringente, sauber ausgearbeitete Theorie ist, sondern eher so etwas wie einen „conceptual umbrella“ (Lane 1992: 362) darstellt, der eine große Bandbreite an unterschiedlichen Forschungsarbeiten zu Einstellungen und Wertorientierungen umfasst. Entsprechend wird die Politische Kulturforschung von vielen Kritikern aus den eigenen Reihen als eher konfus und konzeptuell vage beschrieben.73 Exemplarisch sei hier Westle zitiert. Sie betont, dass die Politische Kulturforschung eher durch das „beliebige Zusammenfügen von Befunden zu einem (…) impressionistischen Gesamtbild“ (Westle 2003: 9) gekennzeichnet sei, als dass sie ein theoretisch präzise ausgearbeitetes Forschungskonzept darstelle. Der Eindruck der theoretischen Vagheit wird aber vor allem dadurch unterstrichen, dass Arbeiten, die sich mit den unterschiedlichen Ansätzen zur Ver73
Vgl. Elkins, Simeon 1979; Kaase 1983; Laitin 1995; Reisinger 1995; Johnson 2003.
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ortung des sozialen Vertrauens auseinandersetzen und sie auf Unterschiede oder Gemeinsamkeiten überprüfen, im Forschungsstand der Politischen Kulturforschung bislang fehlten. Die Rekonstruktion in Kapitel 2 hat eben dieses versucht und ergeben, dass die Gemeinsamkeiten deutlich überwiegen. Die Art der Konzeptualisierung des sozialen Vertrauens ist in allen drei Ansätzen identisch. Soziales Vertrauen ist aus Perspektive aller drei Ansätze eine generelle Einstellung zur Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen. Diese Einstellung wird in erster Linie durch Sozialisationserfahrungen in der Kindheit und Jugend erworben, kann allerdings auch durch adulte Prägungen durchaus noch verändert werden. Dennoch gilt sie als situationsunabhängig und relativ stabil. Vertrauen wird in allen drei Ansätzen als ein wesentliches kulturelles Merkmal einer Demokratie begünstigenden Politischen Kultur eingestuft. Dahinter steckt die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem gesellschaftlichen Vertrauensniveau und der Stabilität und Performanz von Demokratien. Zur mikrotheoretischen Begründung des angenommenen Makrozusammenhangs zwischen dem gesellschaftlichen Vertrauensniveau und der Stabilität und Performanz von Demokratien unterstellen diese drei Ansätze, anknüpfend an die handlungstheoretische Position des homo sociologicus-Paradigmas, einen deterministischen Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten auf der Mikroebene der handelnden Akteure. Handeln wird dabei als Umsetzung internalisierter Einstellungen in sichtbares Verhalten begriffen. In Sozialisationsprozessen erworbene und entsprechend stabile generelle Vertrauenseinstellungen fördern aus dieser Perspektive die Kooperationsbereitschaft und schlagen sich auf der Handlungsebene in kooperativem Verhalten der Akteure nieder. Die Begründungszusammenhänge, auf denen die drei Ansätze basieren, weichen lediglich insofern voneinander ab, als der Civic Culture-Ansatz in erster Linie die positiven Effekte des sozialen Vertrauens auf Inputprozesse betont, während dieser Fokus im Rahmen des Sozialkapitalansatzes ausgeweitet wird; im Rahmen dieser jüngeren Forschungsdiskussion werden nicht nur die Effekte des sozialen Vertrauens auf die Inputseite, sondern auch auf die Outputseite des politischen Prozesses herausgestellt. Aus Sicht des Ansatzes der politischen Unterstützung wird das soziale Vertrauen dagegen als horizontale Komponente der politischen Gemeinschaft interpretiert und als allgemeine, sozio-kulturelle Grundlage stabiler Demokratien der Systemdimension zugerechnet. Alle drei Konzepte basieren aber auf ein und demselben Handlungsgesetz als nomologischem Kern. Dieses Handlungsgesetz ist zudem in der Form eines All-Satzes formuliert und damit sehr allgemein (siehe Abbildung).
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Abbildung 14: Die Erklärung des soziologischen Vertrauenskonzeptes der Politischen Kulturforschung Explanans: Randbedingung: Das Niveau an generellem sozialem Vertrauen unter den Individuen in Land A ist hoch. Allgemeine Gesetzmäßigkeit: Wenn Individuen über ein hohes Maß an generellem Vertrauen in andere Menschen verfügen, dann handeln sie kooperativ. Explanandum: Das Kooperationsniveau unter den Individuen in Land A ist hoch. » Land A verfügt über eine stabile und leistungsfähige Demokratie. Postuliert wird ein quasi-deterministischer Zusammenhang zwischen generellem Vertrauen und kooperativem Handeln. Quasi-deterministisch scheint hier insofern die geeignete Bezeichnung zu sein, als dieser Kausalzusammenhang von seinem logischen Status, wie die meisten der in den Sozialwissenschaften diskutierten Kausalzusammenhänge, kein deterministischer, sondern ein probabilistischer Zusammenhang ist. Postuliert wird, dass die fraglichen Merkmale mit einer hohen statistischen Wahrscheinlichkeit zusammen auftreten. Die hier angebotene Erklärung trägt daher eher die Züge einer induktiv-statistischen denn einer deduktiv-nomologischen Erklärung.74 Die Argumentationen der Politischen Kulturforschung lesen sich aber so, als werde hier von einer automatischen Korrespondenz von generellem Vertrauen und Kooperationsbereitschaft ausgegangen, was durch das Adjektiv quasi-deterministisch am besten zum Ausdruck gebracht werden kann. Kritisieren lässt sich, dass dieses Handlungsgesetz in der Regel implizit bleibt und auch der kausale Mechanismus, der diesem Handlungsgesetz zugrunde liegt, in den Beiträgen, die sich im Rahmen der Politischen Kulturforschung mit sozialem Vertrauen befassen, nicht ausreichend spezifiziert wird. Letzteres hängt wiederum damit zusammen, dass die handlungstheoretischen Prämissen, von denen die Politische Kulturforschung ausgeht und deren Kenntnis unerlässlich ist, um Kausalmechanismen nachvollziehen zu können, im Rahmen der Politischen Kulturforschung viel zu selten offen thematisiert werden (vgl. Reisinger 1995: 333). Johnson sieht in der unzureichenden Beschäftigung mit kausalen Mechanismen eine generelle Schwäche der Politischen Kulturforschung: „Proponents of PCR, of course, claim that political culture is important because it explains political action, behavior, or events (….) Yet they offer no plausible theoretical account of this relation and so directly suffer from the internal conceptual problem, (…) the mechanisms upon which their explanations trade are remarkably under-specified and, hence, unpersuasive” (Johnson 2003: 100). 74 Dies ist insofern problematisch, als das Explanandum nur dann logisch korrekt aus dem Explanans gefolgert werden kann, wenn die angenommene Gesetzmäßigkeit deterministischen Charakter hat. Das impliziert die erste Adäquatheitsbedingung. In Fällen, in denen ein probabilistisches Gesetz behauptet, dass die fraglichen Merkmale mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zusammen auftreten, ist es lediglich sehr wahrscheinlich, dass, wenn bestimmte Randbedingungen empirisch vorliegen und die Wahrscheinlichkeitshypothese gegeben ist, das zu erklärende Ereignis eintritt (Esser, Klenovits, Zehnpfennig 1977: 116f.; Winkler, Falter 1997: 102f.).
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Der handlungstheoretische Kern des soziologischen Erklärungsansatzes ist zudem normalsprachlich formuliert und damit theoretisch weniger präzise als die Entscheidungsmodelle, die den formalisierten Kern der ökonomischen Vertrauenstheorie bilden. Unklar bleibt auch, wie mit dem Problem konkurrierender Orientierungen umzugehen ist. Einerseits geht man nämlich in der Einstellungsforschung selbstverständlich davon aus, dass Menschen über viele verschiedene Orientierungen verfügen, die in Mustern organisiert sind. Warum aber eine ganz bestimmte Orientierung in einer konkreten Situation handlungswirksam wird, andere Orientierungen dagegen keinen Einfluss auf das individuelle Verhalten haben, bleibt theoretisch unterbestimmt. Diese Unterbestimmtheit des soziologischen Ansatzes ließe sich durch die Angabe einer präzisen Selektionsregel beheben (vgl. Arzheimer 2002: 68; Esser 1999: 236). Auch der letzte Schritt der Erklärung, der sich darauf bezieht, wie das hohe Niveau an Kooperation, welches sich aggregiert aus einzelnen kooperativen Handlungen der Individuen ergibt, und die Stabilität und Leistungsfähigkeit von Demokratien, das eigentliche Explanandum der Politischen Kulturforschung, miteinander zusammenhängen, ist erst in Ansätzen ausgearbeitet.75 Bei Johnson werden die gerade beschriebenen Schwächen der Erklärung scharf kritisiert: „Proponents of PCR offer no plausible account - causal, functional or otherwise – of how political culture ‘works’, of how it motivates individual action or generates persistence or change in aggregate political or economic behaviour. While they repeatedly claim that this or that cultural pattern is ‘linked’ to varying aggregated political and economic patterns, and even that those postulated cultural patterns are linked to political or economic patterns ‘closely’, ‘strongly’ or ‘intimately’, they never establish the nature of those connections” (Johnson 2003: 103).
Diese Kritik von Johnson ist allerdings überzogen. Johnson bleibt offenbar beim Kongruenzpostulat von Almond und Verba stehen (vgl. Kap. 2), das tatsächlich nichts zu erklären vermag. Zwar werden die handlungstheoretischen Grundlagen in vielen Arbeiten der Politischen Kulturforschung, wie zurecht bemängelt wird, nicht expliziert, dennoch lässt sich der der Politischen Kulturforschung zugrunde liegende handlungstheoretische Ansatz problemlos, wie in Kap. 2.3 verdeutlicht, als homo sociologicus-Ansatz identifizieren. Diese Arbeiten basieren damit durchaus auf einer klaren theoretischen Vorstellung, wie politische Orientierungen auf der Individualebene politisches Verhalten beeinflussen. Zusammengenommen erfüllen die in den drei Ansätzen formulierten Annahmen trotz der konstatierten Defizite damit durchaus den Charakter einer Erklärung. Auch dem Postulat des methodologischen Individualismus und der Vorstellung einer Mikro- und Makroebene integrierenden Erklärung genügt die soziologische Vertrauenstheorie. Mit Stabilität bzw. Leistungsfähigkeit von Demokratien will die Politische Kulturforschung ein Makrophänomen erklären. Dazu wird unter anderem auf individuelle Vertrauenseinstellungen von Individuen rekurriert und damit auf die Mikroebene Bezug genommen. Gleichzeitig basiert die Argumentation auf der Vorstellung, dass diese individuellen Vertrauenseinstellungen durch den sozialen Kontext (Makroebene) beeinflusst sind. Der Einzelne sammelt Erfahrungen mit seinem sozialen Umfeld und prägt in Folge dieser Erfahrungen bestimmte Einstellungen aus. Individuelle Einstellungen wie das generelle Vertrauen in andere Menschen und die dadurch maßgeblich beeinflusste Kooperationsbereit75
Verwiesen wird beispielsweise auf die verbesserten Möglichkeiten der Interessenartikulation und -aggregation oder auf die geringen Transaktionskosten (insbesondere Kontrollkosten), die der Staat aufwenden muss, wodurch Ressourcen für andere Staatsaufgaben frei werden (vgl. Putnam 1993: 90; Kunz, Westle, Roßteutscher 2002).
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schaft wirken gemäß den Annahmen der Politischen Kulturforschung handlungsdeterminierend, das heißt sie führen dazu, dass Individuen entsprechend diesen Orientierungen kooperativ handeln. Aggregiert führen diese Handlungen unmittelbar zu einem höheren Niveau an Kooperation und politischer Partizipation, was sich nach den Annahmen der Politischen Kulturforschung mittelbar auf die Stabilität bzw. die Leistungsfähigkeit demokratischer Strukturen auswirkt. Mit diesem angebotenen Erklärungszusammenhang wird der soziologische Vertrauensansatz der Forderung des methodologischen Individualismus gerecht. Insgesamt erfüllt die Politische Kulturforschung als der umfassendere Forschungsbereich das Postulat des methodologischen Individualismus sogar in vergleichsweise flexibler Art und Weise. Sie bietet Möglichkeiten der variablen Erklärung von Mehrebenen-Zusammenhängen. Zusätzlich zu der hier rekonstruierten Erklärungsvariante, die auf der Mikroebene nicht nur auf Einstellungen, sondern auch auf Handlungen Bezug nimmt und damit einen Makro-MikroMikro-Makro-Weg der Erklärung wählt, eröffnet sie auch den Weg der Makro-MikroMakro- bzw. der Mikro-Mikro-Makro-Erklärung. Bei diesen Erklärungsvarianten wird nicht kollektives Handeln, sondern es werden Verteilungen von politischen Orientierungen im Aggregat und damit Politische Kultur erklärt. Während bei Makro-Mikro-MakroErklärungen der Schwerpunkt auf kollektiven Merkmalen als Determinanten von Einstellungen liegt, fokussieren Mikro-Mikro-Makro-Erklärungen auf die determinierende Wirkung individueller Merkmale wie beispielsweise Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Einkommen oder beruflicher Status. Darüber hinaus ist die hier angebotene Erklärung weder tautologisch noch kontradiktorisch und dank der Gesetzeshypothese auf der Mikroebene, die einen über Kooperationsbereitschaft vermittelten allgemeinen Zusammenhang zwischen generellen Einstellungen und Verhalten postuliert, auch empirisch gehaltvoll. An dieser Stelle lässt sich also als Zwischenbilanz festhalten, dass der soziologische Vertrauensansatz der Politischen Kulturforschung zwar einige kleinere Defizite aufweist, zusammengenommen aber dennoch durchaus Ansätze zu einer fruchtbaren Erklärung liefert. Probleme bereitet allerdings das letzte noch verbleibende Qualitätskriterium der empirischen Bewährung. Man ging in der Politischen Kulturforschung lange Zeit fraglos davon aus, dass Menschen bei allen Arten von spezifischen Vertrauenssituationen gemäß ihrem generellen Vertrauen in andere Menschen entscheiden und handeln (vgl. Lubell 2007: 237). Ob die unterstellten engen Zusammenhänge zwischen dem generellen Vertrauen in andere Menschen, der Disposition zu kooperativem Handeln und den kooperativen Handlungen in diesen spezifischen Entscheidungssituationen selbst tatsächlich bestehen, ist lange Zeit nicht als eine empirisch zu klärende Frage betrachtet worden. Und dies, obwohl Kavanagh schon 1972 betonte: „It is worth stressing that we must be aware of making inferences from predispositions to actual behavior. Some attitudes are more actionable than others: attitude-holders vary both in the intensity of their beliefs and in their willingness to act on them; and depending on the issue and the person concerned, the structural possibilities for action also differ. For example, some threequarters of Britons and Americans believe themselves capable of influencing their government, though only small proportions have actually tried to exercise such influence” (Kavanagh 1972: 14).
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Ungeachtet solcher Warnungen ging man, der handlungstheoretischen Position des homo sociologicus folgend, von einer engen Korrespondenz zwischen generellen Einstellungen und Verhalten aus. Die unterstellten Auswirkungen von Einstellungsmustern auf politisches Verhalten hatten eher den Status einer Prämisse denn einer empirisch geprüften Folgerung. Dieser Verzicht auf die empirische Überprüfung der unterstellten Entsprechung von Einstellungen und kooperativem Verhalten wurde als einer der zentralen Schwachpunkte des Politische Kultur-Ansatzes angesehen (vgl. Lijphart 1989: 50). Da die EinstellungsVerhaltens-Relation den mikrotheoretischen Kern des Kausalpfades bildet, der die Politische Kultur mit der abhängigen Variable Stabilität bzw. Leistungsfähigkeit von Demokratien in Beziehung setzt, ließ sich der Politischen Kulturforschung damit vorwerfen, dass sie dem Anspruch einer empirisch fundierten Theorie nicht gerecht wird. Diese Kritik hat im Rahmen der Politischen Kulturforschung unterdessen offenbar ein gewisses Umdenken ausgelöst. In Rahmen der Sozialkapitaldiskussion ist es common sense, dass die unterstellten engen, positiven Beziehungen zwischen sozialem Vertrauen und Partizipation in sozialen Netzwerken nicht Ergebnis theoretischer Vorentscheidungen, sondern als empirisch zu klärende Frage zu behandeln sind. Zahlreiche in diesem Forschungskontext entstandene Studien liefern Hinweise darauf, dass der unterstellte quasideterministische Zusammenhang zwischen sozialem Vertrauen und kooperativem Verhalten, von dem lange Zeit fraglos ausgegangen wurde, empirisch nicht tragfähig ist. Diese Studien, die die unterstellten Mikrozusammenhänge zwischen sozialem Vertrauen und Engagement in sozialen Netzwerken empirisch untersuchen, kommen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Die ermittelten Korrelationen sind zwar wie erwartet positiv, aber nicht besonders stark.76 Diese empirischen Resultate deuten darauf hin, dass die Annahme einer Determinierung des Verhaltens durch Einstellungen in dieser undifferenzierten Weise aus empirischer Sicht problematisch ist. Diese Feststellung lässt sich zusätzlich untermauern, wenn man Forschungsergebnisse hinzuzieht, die die so genannte „attitude-behavior-Kontroverse“ im Rahmen der sozialpsychologischen Einstellungsforschung hervorgebracht hat. Auch dort geht man nach Jahren der differenzierten empirischen wie theoretischen Erforschung der Einstellungs-Verhaltens-Relation davon aus, dass allgemeine Einstellungen zumindest als Prädiktoren von spezifischem Verhalten in konkreten Entscheidungssituationen eher ungeeignet sind. Dieser Schluss basiert auf einer großen Zahl an empirischen Studien, die entweder sehr geringe oder hinsichtlich ihrer Größenordnung sehr inkonsistente Korrelationen zwischen Einstellungen und Verhalten erbrachten (vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 6). Ein Schlüssel zur Erklärung für die häufig geringe Entsprechung zwischen generellen Einstellungen und spezifischem Verhalten liegt nach den Annahmen der EinstellungsVerhaltens-Forschung darin, dass Verhalten in konkreten Situationen nicht nur von situationsunabhängig stabilen, generellen Einstellungen prädisponiert wird, sondern zusätzlich eine Vielzahl von weiteren situativen Faktoren Verhalten beeinflussen (vgl. Ajzen, Fishbein 2000). Der politikwissenschaftlichen Einstellungsforschung ist diese Erkenntnis nicht fremd. Zwar fehlt es bislang noch an einer allgemeinen theoretischen Grundlage, die es erlauben würde, beide Arten von Variablenbündeln systematisch miteinander zu verknüpfen. Die abstrakt formulierte Annahme, dass das politische Verhalten von Individuen als das letzte Glied einer Kette von Einflussbeziehungen zu betrachten sei, der das Persönlichkeitssystem 76
Vgl. u. a. Brehm, Rahn 1997: 1014; Gabriel et al. 2002: 85ff.: Newton 2001: 201; Paxton 1999.
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und die unmittelbare Handlungssituation unmittelbar vorgelagert seien, findet aber durchaus Unterstützung (vgl. Smith 1968; Gabriel 1997a). In konkreten Forschungsvorhaben der Politischen Kulturforschung werden die Besonderheiten des situativen Kontextes und die Einflüsse von situativen Faktoren auf Verhalten dennoch nur selten systematisch miteinbezogen. Dies gilt in besonderem Maße für die theoretischen Überlegungen zu Vertrauenseinstellungen und deren Bezüge zu Handlungen, die bislang im Rahmen der Politischen Kulturforschung angestellt worden sind. Vertreter der Politischen Kulturforschung sind auch im Hinblick auf messtheoretische Möglichkeiten der Berücksichtigung spezifischer Kontextfaktoren größtenteils wenig innovativ. Zurückgegriffen wird auf die klassische Umfrageforschung, die generelle Einstellungen erhebt und diese Daten auch nutzt, um Handlungen in spezifischen Entscheidungskontexten zu prognostizieren, ohne dass die Merkmale der spezifischen Entscheidungssituation erhoben bzw. kontrolliert werden (vgl. Muller, Opp 1986: 475; Brüderl 2004: 174). Kaase sieht in dieser Vernachlässigung der Besonderheiten des situativen Kontextes eine wesentliche Schwachstelle der Politischen Kulturforschung. Um die Frage nach den systematischen Bezügen von Einstellungen zu Verhalten zu klären, die eine Kernfrage der Einstellungsforschung darstelle, sei es notwendig, auch situative Faktoren mit zu berücksichtigen (vgl. Kaase 1983: 158). Dass diese als weitere Determinanten von kooperativem Verhalten auch im Rahmen des soziologischen Vertrauenskonzeptes eher vernachlässigt werden, ergibt sich aus den zu Grunde liegenden homo sociologicus-Annahmen, an denen die Politische Kulturforschung nach wie vor relativ unreflektiert festhält. Wie schon ausführlich dargestellt, ist aus dieser soziologischen Perspektive Verhalten Ausdruck generalisierter Einstellungen. Zwar wird gelegentlich auf Diskrepanzen zwischen latenten, im Rahmen von Umfragen erhobenen Einstellungen und manifestem Verhalten verwiesen (vgl. Niemi 1986: 237; Johnson 2003: 101). An der Forschungspraxis hat sich aber wenig geändert. Die Weiterentwicklungen des empirischen und theoretischen Forschungsstandes zur Einstellungs-Verhaltens-Relation im Rahmen der sozialpsychologischen Einstellungsforschung sind jedenfalls in der Politischen Kulturforschung bisher kaum rezipiert worden. Es fehlen Arbeiten, die an diese Entwicklungen anknüpfen und eine differenziertere theoretische Modellierung des Zusammenhangs von politischen Einstellungen und politischem Verhalten anbieten.77 Obwohl sich die Politische Kulturforschung und das ihr benachbarte Forschungsfeld der Politischen Partizipationsforschung zu großen Teilen mit dem Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten beschäftigen, finden innerhalb dieser politikwissenschaftlichen Forschungsbereiche kaum Versuche statt, den Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten theoretisch und empirisch ähnlich elaboriert zu analysieren, wie dies in der Sozialpsychologie gemacht wird. Nach Ansicht von Lüdemann ist dies im Übrigen nicht nur ein Defizit der Politischen Soziologie, sondern der empirische Sozialforschung ganz allgemein. Auch er bemängelt, dass die gängige Praxis innerhalb der empirischen Sozialforschung immer noch von der erwähnten Orientierungshypothese geleitet werde, wonach eine allgemeine Einstellung gegenüber einem bestimmten Einstellungsobjekt einen kausalen Effekt auf ein spezifisches Verhalten hat, das sich in irgendeiner 77 Das ist erstaunlich, weil zumindest die sehr bekannten Theorieansätze zur Erklärung der EinstellungsVerhaltens-Relation der Sozialpsychologen Ajzen und Fishbein (vgl. Ajzen, Fishbein 1977, 1980) im Kontext der politikwissenschaftlichen Forschung schon in den 1980er Jahren rezipiert worden sind. So orientiert sich beispielsweise die Protestpotential-Skala, die Inglehart und andere eingesetzt haben, um politischen Protest zu messen, an Ajzen und Fishbeins Theory of Planned Behavior (vgl. Inglehart 1989: 389; Jennings et al. 1989).
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Weise auf dieses Einstellungsobjekt bezieht (vgl. Lüdemann 1997: 39). Dies ist eine Ansicht, die vor dem Hintergrund des aktuellen sozialpsychologischen Forschungsstandes als überholt gelten kann. Wie oben mit Verweis auf die fehlende Selektionsregel schon angedeutet worden ist, sind Handlungserklärungen, die spezifisches Handeln als automatische Folge kulturell geprägter Einstellungen konzeptualisieren, nicht nur in empirischer Hinsicht inadäquat, sondern auch theoretisch problematisch (vgl. Kunz 1996: 56). Den Akteuren werden nämlich die kognitiven Fähigkeiten abgesprochen, auf unterschiedliche situative Bedingungen flexibel zu reagieren, was nicht angemessen erscheint. In dieser Hinsicht erscheint der Vorwurf gerechtfertigt, dass die Politische Kulturforschung auf einem reduktionistischen Menschenbild basiere. Indem vorausgesetzt werde, dass Menschen stur und unabhängig von den situativen Gegebenheiten bestimmte fixe Verhaltensmuster abspulten, würden die Akteure, wie sehr pointiert kritisiert worden ist, als kulturelle bzw. strukturelle „Trottel“ dargestellt, die, jeder Wahlfreiheit beraubt, internalisierten Einstellungen und normativen Imperativen blind zu folgen hätten (vgl. Esser 1999: 244; Johnson 2003: 101; Rothstein 2000: 489). 4.1.2.2 Die ökonomische Vertrauenstheorie Auch die ökonomische Vertrauenstheorie ist nicht in sich homogen. Wie in Kapitel 3 ausführlich dargestellt, wird die Logik der Selektion bei Vertrauensentscheidungen aus Perspektive der Spieltheorie und aus Perspektive der Wert-Erwartungstheorie unterschiedlich modelliert. Colemans wert-erwartungstheoretischer Ansatz zur Modellierung von Vertrauensentscheidungen lässt sich, wie in Kap. 3.3.2.1 ausführlich begründet worden ist, als kontextspezifische Anwendung des SEU-Theorie interpretieren; dabei wird das SEUModell als allgemeine Entscheidungsregel auf einen eingeschränkten Objektbereich angewendet, nämlich auf solche Entscheidungskontexte, die sich auf die Vergabe von Vertrauen beziehen. Im nächsten Schritt geht es nun um eine zusammenfassende Beurteilung der Stärken und Schwächen der beiden Ansätze auf der Basis der formulierten Qualitätskriterien fruchtbarer Theoriebildung. Betrachtet sei zunächst die theoretische Präzision dieser beiden Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie. Insgesamt sind die dargestellten theoretischen Überlegungen zu Vertrauen aus ökonomischer Perspektive im Vergleich zu anderen Ansätzen der noch relativ jungen sozialwissenschaftlichen Vertrauensforschung theoretisch relativ gut ausgearbeitet. Zu dieser Einschätzung kommt auch Hartmann. Nach seiner Auffassung bieten die „Rational Choice-Ansätze die wohl stringenteste und damit am leichtesten anzunehmende Theorie des Vertrauens“ (vgl. Hartmann 2001: 19). Aber auch in manchen ökonomischen Beiträgen zur Vertrauensthematik lässt die theoretische Präzision zu wünschen übrig. Wie Cook bemängelt, ist beispielsweise der zentrale Zusammenhang zwischen Vertrauen und Kooperation über die bereits mehrfach erwähnte Schmiermittel-Metapher hinaus in vielen Rational Choice-Beiträgen theoretisch unterbestimmt (vgl. Cook 2001b: 25). Bemerkenswert und verwirrend ist in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache, dass in der ökonomischen Vertrauensliteratur zwei unterschiedliche Vertrauensbegriffe nebeneinander existieren. Einerseits wird von prominenten Vertretern der Vertrauensdiskussion wie Coleman, Hardin oder Gambetta ein kognitiver Vertrauensbegriff vertreten, der
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
Vertrauen als kognitive Erwartung des Treugebers und damit als ein mentales, kognitives Konstrukt auffasst (vgl. hierzu ausführlich schon Kap. 3.3.2.1). Diese Erwartung bringt die Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck, mit der der Treugeber davon ausgeht, dass sein Interaktionspartner (Treuhänder) sich reziprok verhält, also eine zu erbringende einseitige kooperative Vorleistung mit kooperativem Verhalten erwidert. Im Rahmen der SEU-Theorie wird klar zwischen dieser subjektiven, kognitiven Wahrscheinlichkeitserwartung und der bei positiver Entscheidung daraus resultierenden Handlung differenziert, und es wird zudem die Verknüpfung zwischen dieser Erwartung und der zeitlich nachgelagerten, kooperativen Vorleistung präzise bestimmt. Im Unterschied zu diesem kognitiven Vertrauensbegriff der Wert-Erwartungstheorie basieren die spieltheoretischen Modellierungen auf einem behavioralen Vertrauensbegriff, bei dem die einseitige kooperative Vorleistung, also die aus der Vertrauensentscheidung resultierende Handlung selbst, als Vertrauen bezeichnet wird. Ein solcher behavioraler Vertrauensbegriff trägt erheblich zur begrifflichen Konfusion um Vertrauen und Kooperation bei, die auch für die ökonomische Vertrauensdiskussion in Teilen kennzeichnend ist. Orientiert man sich nämlich an dieser Begriffsbestimmung, dann sind Vertrauen und kooperatives Handeln nicht mehr voneinander zu trennen. Das ist unter anderem deshalb unglücklich, weil Vertrauen aus der Perspektive der ökonomischen Theorie zwar Kooperation wesentlich begünstigen kann, aber keinesfalls eine notwendige Bedingung für kooperatives Handeln ist (vgl. Kap. 3.3.1.1). Theoretisch präziser ist es daher, wenn, wie in der SEUTheorie, Handlungsmotive als kognitive Voraussetzungen von Handlungen und Handlungen selbst voneinander getrennt sind. Der Begriff Vertrauen bleibt dann für die im Rahmen kognitiver Entscheidungskalküle ausgebildete Erwartung der Vertrauenswürdigkeit des Interaktionspartners reserviert. Die aus Vertrauen resultierende einseitige Vorleistung lässt sich mit dem Begriff des kooperativen Handelns präzise bestimmen. Ebenso sinnvoll ist es im übrigen, zwischen den Begriffen kooperative Handlung und Kooperation sprachlich präzise zu trennen und erst dann von Kooperation zu sprechen, wenn wechselseitig kooperatives Verhalten vorliegt, also einseitig erbrachte Vorleistungen auch noch kooperativ erwidert werden. Im Hinblick auf das Kriterium der theoretischen Präzision scheint also der mit der SEU-Theorie verknüpfte kognitive Vertrauensbegriff besser geeignet als der behaviorale Vertrauensbegriff der Spieltheorie, der Vertrauen als kognitive Voraussetzung kooperativer Handlungen mit kooperativen Handlungen selbst konfundiert. Erfüllen der auf Vertrauensentscheidungen angewandte wert-erwartungstheoretische Modellierungsansatz und die Spieltheorie die im ersten Teil dieses Kapitels präzisierten Anforderungen an eine gute Erklärung? Die Erklärung der SEU-Theorie lässt sich mit Hilfe des HO-Schemas folgendermaßen darstellen:
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Abbildung 15: Die Erklärung der SEU-Theorie Explanans: Randbedingung: 1) Motivation der Akteure: Akteur A (Treugeber) strebt nach einem Ziel Z. 2) Definition der Situation: Ziel Z ist ein Ziel der speziellen Art, welches nur durch sozialen Austausch mit einem anderen Akteur (Treuhänder) realisiert werden kann. Akteur A sieht sich mit zwei Handlungsalternativen konfrontiert, nämlich H1 (einseitige kooperative Vorleistung erbringen) und H2 (einseitige kooperative Vorleistung nicht erbringen). In der subjektiven Wahrnehmung von A sind die strukturellen Anreizbedingungen der Situation so beschaffen, dass er erwartet, mit H1 sein Ziel Z zu erreichen. H1 ist mit einem höheren Nettonutzen verbunden als H2. Allgemeine Gesetzmäßigkeit: normalsprachlich: Wenn der subjektiv erwartete Nutzen aus der kooperativen Vorleistung H1 größer ist als der subjektiv erwartete Nutzen der defektiven Handlung H2, dann wird H1 gewählt. formalisiert: Wenn SEU (H1) > SEU (H2), also p * G + (1-p) * L > 0, dann H1. Explanandum: Akteur A erbringt eine einseitige kooperative Vorleistung. Das sehr allgemeine SEU-Modell, das den nomologischen Kern dieser Erklärung bildet, wird hier in einer leicht modifizierten Variante auf eine spezielle Art strategischer Interdependenz angewendet, bei der zwischen der potentiellen Leistung des Treugebers und der potentiellen Gegenleistung des Treuhänders eine undefinierte Zeitspanne liegt. Die relativ unspezifische Maxime nutzenorientierten Handelns wird bei dieser SEU-Variante durch ein quantitatives Entscheidungsmodell präzise formalisiert. Zugrunde liegt damit ein explizites Handlungsgesetz, das zusätzlich den Vorzug hat, in dreierlei Hinsicht sehr allgemein zu sein: Erstens unterliegen weder der Präferenzbegriff noch der Restriktionsbegriff analytischen Beschränkungen (vgl. Marx 2005: 157). Was Nutzen ist, bleibt im Gegensatz zum klassischen homo oeconomicus im Rahmen der SEU-Theorie zunächst völlig offen und muss empirisch erhoben werden. Auch weiche intrinsische Motive sind damit nicht ausgeschlossen. Im aktuellen Forschungsstand der Vertrauensforschung, der eher an einem objektiven Nutzenbegriff festhält, werden diese intrinsischen Nutzenmotive, wie Kapitel 3 schon herausgestellt hat, allerdings noch ausgeklammert. Gleiches gilt für den Restriktionsbegriff: Die SEU-Theorie bildet eine Basis, die es erlaubt, neben den klassischen ökonomischen Restriktionen und entsprechend der Intention des Colemanschen Sozialkapital-Ansatzes, mit sozialen Netzwerken und sozialen Normen neue Arten von Anreizen bzw. Restriktionen zu berücksichtigen. Zweitens können die Entscheidungsmodelle der Wert-Erwartungstheorie nicht nur auf Situationen unter Unsicherheit, sondern auch auf Situationen ohne Unsicherheit angewendet werden (vgl. Kunz 2004a: 67; Schoemaker 1982: 529). Wie sich am Beispiel von Colemans Vertrauensgesetz zeigen lässt, sind sie drittens eben nicht nur zur Analyse von Situationen struktureller Inter-
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dependenz geeignet, sondern eignen sich ebenso gut zur Analyse von Situationen strategischer Interdependenz.78 Aus Sicht der Spieltheorie, die eine klare Monopolstellung bei der Analyse von Situationen strategischer Interdependenz innehat, wird dieser allgemeine Geltungsbereich allerdings bestritten. Hier vertritt man eher die Auffassung, dass die Spieltheorie der umfassendere Ansatz sei, der sich ganz allgemein auf wechselseitig voneinander abhängige Entscheidungen zweier oder mehrerer Personen anwenden lasse. Dagegen sei die WertErwartungstheorie nur beim Spezialfall des Ein-Personenspiels (Situationen struktureller Interdependenz, vgl. Kap. 3.3.1.1) einsetzbar (vgl. Spohn 1994: 198). Vertreter der Spieltheorie äußern entsprechend wenig Verständnis dafür, dass Coleman eben nicht auf die Instrumente der Spieltheorie zurückgreift, und sehen darin ein Manko seiner Vertrauensmodellierung (vgl. u.a. Braun 1992: 178). Diese Einschätzung lässt sich aber kaum halten, zumindest dann nicht, wenn man, wie im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagen, von der klassischen EU-Variante abrückt und stattdessen die SEU-Theorie bzw. das SEU-Modell als ihren formalen Kern als Ausgangsbasis wählt. Während erstere von objektiven Erwartungen und Bewertungen ausgeht, sind bei letztgenannten Erwartungs- und Nutzenkomponente subjektiviert. Die vermuteten Anreize des Treuhänders, einseitige Vorleistungen zu honorieren oder zu missbrauchen, werden nämlich durchaus im Rahmen der SEU-Theorie berücksichtigt, weshalb dieser Ansatz, wie oben herausgestellt, auch zur Analyse strategischer Interdependenzen zwischen Akteuren genutzt werden kann. Sie beeinflussen die subjektive Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders durch den Treugeber und fließen auf diese Weise in die Entscheidung mit ein. Ob sich die subjektive Wahrscheinlichkeitseinschätzung auf eine Handlungskonsequenz bezieht, deren Eintreten unabhängig vom Verhalten anderer ist (strukturelle Interdependenz), oder auf eine Handlungskonsequenz, deren Eintreten vom unterstellten Verhalten eines Interaktionspartners abhängt (strategische Interdependenz), ist aus dieser Perspektive gegenstandslos. Dass WertErwartungstheorien sich nicht nur zur Modellierung von Situationen parametrischer Unsicherheit, sondern auch bei strategischer Unsicherheit eignen, stellen auch Hennen und Kunz heraus. Die Wert-Erwartungstheorie übertrifft nach ihrer Einschätzung „(…) die konkurrierenden Ansätze an Flexibilität und Möglichkeiten der Modellierung und Formalisierung auch strategischer Handlungssituationen und eignet sich daher in besonderer Weise dazu, die Mechanismen sozialer Prozesse offen zu legen“ (Hennen, Kunz 2002: 613).
Auch der spieltheoretische Ansatz zur Modellierung von Vertrauensentscheidungen lässt sich mit Hilfe des HO-Schemas darstellen. Zugrunde gelegt sei in der folgenden Abbildung und im weiteren Verlauf dieses Kapitels das elementare Vertrauensspiel als die klassische und zugleich einfachste Form der spieltheoretischen Modellierung von Vertrauensentscheidungen.79 78
Diese Einschätzung teilt auch Spohn 1994. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt die provokante These auf, dass die Spieltheorie, die klassischerweise zur Modellierung von Situationen strategischer Interdependenz eingesetzt wird, lediglich ein Spezialfall der Wert-Erwartungstheorie (Spohn spricht von „Entscheidungstheorie“) sei. 79 Es gibt in der spieltheoretischen Vertrauensforschung mittlerweile Ansätze zu komplexeren Modellierungen. Kapitel 3 ist in diesem Zusammenhang unter anderem auf solche spieltheoretischen Modelle eingegangen, die von der Annahme der vollständigen Informiertheit abrücken und Wahrscheinlichkeiten mit einbeziehen (Vertrauensspiel mit unvollständiger Information). Darüber hinaus finden sich auch wiederholte Spiele (vgl. Raub, Buskens
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Abbildung 16: Die Erklärung der Spieltheorie Explanans: Randbedingung: 1) Motivation der Akteure: Akteur A (Treugeber) strebt nach einem Ziel Z. Akteur B (Treuhänder) strebt nach einem Ziel Z. 2) Definition der Situation: Ziel Z ist ein Ziel der speziellen Art, welches nur durch sozialen Austausch mit einem anderen Akteur realisiert werden kann. Akteur A sieht sich mit zwei Handlungsalternativen konfrontiert, nämlich H1 (kooperieren und damit einseitige Vorleistung erbringen) und H2 (nicht kooperieren und damit einseitige Vorleistung nicht erbringen). Akteur B sieht sich mit zwei Handlungsalternativen konfrontiert, nämlich H3 (einseitige Vorleistung kooperativ erwidern) und H4 (defektieren). Akteur A und B verfügen über vollständige Information. Die strukturellen Anreize in der Vertrauenssituation X sind so beschaffen, dass der Nutzen der Alternative „kooperieren“ größer ist als der Nutzen der Alternative „nicht kooperieren“. Allgemeine Gesetzmäßigkeit: normalsprachlich: Wenn der Nutzen der Alternative „kooperatives Verhalten“ größer ist als der Nutzen der Alternative „ nicht kooperieren“, dann entscheiden sich A und B für kooperatives Verhalten. Explanandum: Kooperation zwischen Akteur A (Treugeber) und Akteur B (Treuhänder) Auch der Spieltheorie liegt ein allgemeines Handlungsgesetz zugrunde, das sich unmittelbar aus dem Prinzip der Nutzenmaximierung ergibt. Spieltheoretische Modellierungen gelten zudem, wie oben schon ausgeführt, von ihrem Geltungsbereich her als relativ breit einsetzbar. Beide Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie rekurrieren, gemäß dem Postulat des methodologischen Individualismus, auf die Ebene der handelnden Akteure. Wie gut allerdings die Mehrebenen-Erklärung ist, die die beiden vorgestellten Ansätze zur Modellierung der Logik der Selektion von Vertrauensentscheidungen liefern, lässt sich an dieser Stelle der Argumentation noch nicht beantworten, weil Informationen über zwei wesentliche Teilschritte der Erklärung noch ausstehen: Zum einen sind diese beiden Ansätze nämlich im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung der Nutzenfunktionen noch unterbestimmt; in diesem Zusammenhang geht es in erster Linie um eine Präzisierung des Makro2004; Lahno 1995a) oder Modifikationen des klassischen Vertrauensspiels aus Perspektive der evolutionären Spieltheorie (vgl. Güth, Kliemt 1993). Auf das elementare Vertrauensspiel wird aber nach wie vor häufig zurückgegriffen.
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Mikro-Übergangs. Zum zweiten ist eine gute Mehrebenen-Erklärung nur dann vollständig geleistet, wenn auch der Übergang von der Mikro- zur Makroebene präzise bestimmt ist. Der letztgenannte Aspekt wird weiter unten noch ausführlich diskutiert, betrachtet sei hier zunächst der Makro-Mikro-Übergang. Was damit gemeint ist, wenn von einer inhaltlichen Unterbestimmtheit der Nutzenfunktionen die Rede ist, sei am Beispiel von Colemans Vertrauensgesetz erläutert. Dieses bietet zwar eine ex ante getroffene analytische Festlegung auf zwei binäre Handlungsalternativen und zwei mögliche Handlungskonsequenzen. Es legt auch fest, dass Vertrauenserwartungen und Bewertungen die relevanten Erklärungsgrößen sind, die die Entscheidung über die Erbringung einer einseitigen kooperativen Vorleistung determinieren. Will man diese Modellierung aber als Erklärung für die Lösung eines konkreten Vertrauensproblems zwischen Akteuren nutzen, dann setzt dies voraus, dass die besagten Erwartungen und Bewertungen inhaltlich näher spezifiziert sind. Welche Gründe nämlich ein Akteur für sein Handeln in einer spezifischen Entscheidungssituation hat, geht aus dem allgemeinen handlungstheoretischen Kern selbst nicht hervor (vgl. Kunz 1997: 86). Siegwart Lindenberg hat deshalb zu Recht bemerkt: „Ohne systematische Annahmen über die Nutzenargumente, Präferenzänderungen (bzw. – stabilität) und subjektive Wahrscheinlichkeiten, ist die Nutzentheorie wie ein leerer Sack“ (Lindenberg 1981: 26; vgl. auch Kelle, Lüdemann 1995: 249-251; Lindenberg 1996).
In der Terminologie des HO-Schemas ausgedrückt geht es in diesem Zusammenhang um eine noch zu leistende Spezifikation der Randbedingungen. Zur inhaltlichen Klärung dieser Frage bedarf es Brückenannahmen (vgl. hierzu schon 3.1.2) sowie gegebenenfalls Anschlusstheorien. Brückenannahmen verknüpfen die abstrakten und allgemeinen subjektiven Variablen der Handlungstheorie mit den in einer konkreten Entscheidungssituation vorherrschenden Strukturmerkmalen der sozialen Handlungssituation. Sie beschreiben, was und in welchem Ausmaß ein typischer Akteur in einer Handlungssituation positiv oder negativ bewertet bzw. was er als wahrscheinlich oder unwahrscheinlich einschätzt. Sie leisten damit die im Rahmen der Mehrebenen-Erklärung geforderte Verknüpfung von Makro- und Mikroebene. Solche Brückenannahmen haben nicht den methodologischen Status von allgemeinen Gesetzen, sondern entsprechen lediglich Hypothesen mittlerer Reichweite (vgl. Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000: 100). Aus ihnen ergeben sich die zentralen Anfangsbedingungen für die empirische Anwendung der Handlungstheorie (vgl. Kunz 1996: 31). Zum logischen Status solcher Brückenannahmen schreibt Esser: „They are descriptive statements about the relations between values of structural variables in the objective situation and certain values of variables in the premises of the action theory employed. And that is all. At the same time it also becomes clear what bridge hypotheses are not. In particular they are not causal ‘theories’ that would explain why people have certain preferences or certain expectations. Neither are bridge hypotheses ‘general’ statements that the relationship exists everywhere at all times. It certainly would be helpful if the bridge hypotheses that are valid for one case did not have to be changed. But this is an empirical and descriptive question, not one of fixed relationships or even a ‘law’ of the structural determination of subjective expectations and evaluations” (vgl. Esser 1998: 96f.).
Im Unterschied zu dem engeren Begriff der Brückenannahmen, der für solche Annahmen reserviert ist, die eine Makro-Mikro-Verbindung herstellen, bezieht sich der Begriff der Anschlusstheorien auch auf die Individualebene bzw. den Bereich der individuellen Deter-
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minanten zur Erklärung der Variablen der Handlungstheorie. Beide Begriffe werden häufig unter dem Begriff der Brückenannahmen zusammengefasst, was zu Unklarheiten führt (vgl. Opp, Friedrichs 1996: 546f.). Der Bereich der Anschlusstheorien ist im Rahmen der ökonomischen Vertrauensforschung bisher wenig entwickelt. Anders als im soziologischen Vertrauensansatz, der Vertrauen als eine rein von individuellen Prägungen abhängige Orientierung fasst, wird ein Vertrauenskonzept vertreten, das klar auf situative Opportunitäten und Restriktionen als Determinanten der Vertrauensbildung fokussiert ist. Situationsübergreifend stabile individuelle Faktoren sind als mögliche weitere Determinanten von Vertrauensentscheidungen bisher kaum berücksichtigt worden. Zwar gibt es, wie dieses Kapitel noch zeigen wird, auch in den Reihen des ökonomischen Ansatzes mittlerweile Stimmen, die für eine systematische Einbeziehung individueller Determinanten in die theoretischen Überlegungen des ökonomischen Vertrauensansatzes plädieren; die theoretische Umsetzung dieses Vorhabens steckt aber noch in den Kinderschuhen. Viel lebendiger ist die Forschungsdiskussion zu den Brückenhypothesen. Zu den Effekten sozialer Strukturmerkmale auf die Entstehung von Vertrauen finden sich in der ökonomischen Vertrauensforschung relativ differenzierte theoretische Annahmen. Allerdings gibt es kaum Überblicksartikel, die diese Annahmen in strukturierter Form darstellen und auf diese Weise ein Bild vom aktuellen ökonomischen Forschungsstand vermitteln. Kapitel 3 hat einen ersten systematischen Überblick über diese Diskussion zu leisten versucht. Dabei zeigte sich, dass sich die theoretischen Annahmen im Forschungsstand insbesondere auf zwei Merkmale der Logik der Situation von Vertrauensentscheidungen beziehen: Zum einen ist dies ihr besonderer Charakter als Situation strategischer Interdependenz, in der die zu erbringenden Beiträge der Interaktionspartner zeitversetzt erfolgen. Im Fokus der derzeitigen ökonomischen Vertrauensforschung sind aber insbesondere Bemühungen zur Erklärung der Effekte sozialer Einbettung, die – aus Sicht der ökonomischen Vertrauens- und Sozialkapitalforschung – das zweite wesentliche Merkmal der Logik der Situation von Vertrauensentscheidungen bildet. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, wie sich die Mitgliedschaft von Individuen in sozialen Netzwerken auf die Bildung von Vertrauen auswirkt. Ausführlicher werden die derzeit diskutierten Brückenhypothesen in Verbindung mit der Modellbildung in Kapitel 9 theoretisch hergeleitet und begründet. Festzuhalten ist aber schon an dieser Stelle, dass im Rahmen dieser Diskussionen durchaus gute Ansätze zu einer theoriegeleiteten Konstruktion von Brückenhypothesen existieren (vgl. Kap. 3.3 und ausführlich Kap. 9). Klar dominierend ist dabei eine Sichtweise des Brückenproblems, die im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes häufig auch als analytische oder indirekte Strategie der Konstruktion von Brückenannahmen bezeichnet wird. Bei dieser indirekten Strategie steht nicht die Erklärung der subjektiven Handlungsmotive individueller Akteure im Mittelpunkt. Es geht vielmehr darum, strukturelle Bedingungen des Handelns zu untersuchen und auf deren Basis bestimmte Handlungsmuster zu prognostizieren (vgl. Kunz 2004a: 106; Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000: 81; Diekmann 1996: 94; Marx 2006: 124). Der Zusammenhang zwischen diesen strukturellen Rahmenbedingungen und den konkreten Handlungen der Akteure wird dabei auf Basis bestimmter analytischer Festlegungen und häufig mit Hilfe des Instrumentariums der Spieltheorie logisch deduziert. Eine solche logische Analyse unterschiedlicher struktureller Bedingungskonstellationen setzt entsprechend voraus, dass der handlungstheoretische Kern um Brückenannahmen erweitert wird, die diese sozialen
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Kontextbedingungen mit den gegebenen Handlungsalternativen in Verbindung bringen. Diese Vorgehensweise basiert auf der Annahme, dass die Akteure, denen bestimmte Eigenschaften wie ein umfassender und korrekter Informationsstand und die Ausrichtung an rein materiellen, harten Anreizen analytisch zugeschrieben werden, uniform auf solche strukturellen Handlungsbedingungen reagieren.80 Die subjektive Wahrnehmung der situativen Bedingungen durch die Akteure spielt bei dieser Art der spieltheoretischen Modellierung von Vertrauensentscheidungen keine Rolle: „Tatsächlich geht es (…) gar nicht um die adäquate Modellierung einer konkret vorliegenden Entscheidungssituation, sondern um die Veranschaulichung der Logik von Entscheidungen in Situationen einer bestimmten äußeren Struktur“ (Lahno 2002: 70).
Einige Arbeiten der ökonomischen Vertrauensforschung, die diese indirekte Strategie der Konstruktion von Brückenannahmen anwenden, verzichten auf eine empirische Überprüfung der so konstruierten theoretischen Annahmen.81 Eine solche Vorgehensweise ist von Kritikern dieser analytischen Strategie mit dem pejorativen Begriff des „Modellplatonismus“ belegt worden, weil sie unterstellt, dass Modelle schon deshalb als wahr angesehen werden können, weil sie elegant, plausibel und einfach sind (vgl. Brüderl 2004: 165). Allerdings lässt sich in den letzten Jahren gerade in der Vertrauensforschung ein starker Trend zur empirischen Überprüfung spieltheoretischer Modelle ausmachen. Stark schematisch und vereinfachend dargestellt wird dazu gemäß der beschriebenen indirekten Strategie meist folgendermaßen vorgegangen: Das Grundmodell wird um Brückenhypothesen erweitert, die die Basis für einen indirekten Vergleich zwischen bestimmten Kontexten, den auf dieser Basis aus den Brückenhypothesen abgeleiteten, prognostizierten Handlungen und den tatsächlichen Handlungen ermöglichen. Empirisch getestet wird also nicht das Modell selbst, sondern Ableitungen aus dem Modell. Beispielhaft findet sich diese Vorgehensweise in zahlreichen Beiträgen zur Vertrauensdiskussion aus dem Bereich der experimentellen Ökonomik, ein relativ junger Zweig der Wirtschaftswissenschaft, der experimentelle Verfahren zur Überprüfung analytischer Modellannahmen einsetzt.82 Bei diesen empirischen Überprüfungen wird üblicherweise auf eine direkte Erhebung der den Handlungswahlen vorausgehenden kognitiven Konstrukte Erwartungen und Bewertungen ebenso verzichtet wie auf eine unmittelbare empirische Überprüfung der unterstellten Brückenannahmen und der zugrunde liegenden Selektionsregel. Stattdessen werden bestimmte empirisch testbare Hypothesen oder Prognosen auf Basis von spieltheoretischen Modellierungen hergeleitet. Diese werden dann mit Hilfe von Laborexperimenten empirisch überprüft. In den durchgeführten Laborexperimenten zur 80
Beispiele für diese indirekte, analytische Vorgehensweise bei der Analyse von Vertrauens- und Kooperationsproblemen finden sich unter anderem bei Voss 1998a; Raub, Weesie 1990; Schmidtchen 1994 sowie Raub, Voss 1994. 81 Vgl. u.a. Güth, Kliemt 1993; Kydd 2000 oder Buskens 2003. 82 Als Überblick vgl. Kagel, Roth 1995. Speziell mit Vertrauen befassen sich unter anderem die folgenden Beiträge der experimentellen Ökonomik: Bolle 1998; Croson, Buchan 1999; Ashraf, Bohnet, Piankov 2003, 2006; Glaeser et al. 2000; Burnham et. al. 2000; Bohnet, Zeckhauser 2004; Rigdon, McCabe, Smith 2001 sowie Fehr et al. 2002. Einen Überblick über den Forschungsstand der experimentellen Vertrauensforschung bieten Gächter, Thöni 2005; Camerer 2003 sowie die Beiträge in Ostrom, Walker 2003, darunter insbesondere Cook, Cooper 2003. Nicht alle Arbeiten der experimentellen Ökonomik zu Vertrauen leiten allerdings die zu testenden Hypothesen aus spieltheoretischen Analysen her. Relativ viele Publikationen aus diesem Bereich geht mittlerweile eher „theoriearm“ vor, das heißt sie verzichten auf eine systematische formale Herleitung der zu testenden Hypothesen.
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Vertrauensproblematik werden die Teilnehmer mit einer experimentellen Spielsituation konfrontiert, die an die des Vertrauensspiels angelehnt ist. In diesem Zusammenhang kommt häufig das von Berg, Dickhaut und McCabe entwickelte Vertrauensspiel oder modifizierte Varianten dieses Spiels zum Einsatz (vgl. Berg, Dickhaut, McCabe 1995), ein Experimentaldesign, das mittlerweile auch schon in der politikwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion rezipiert und angewendet wird (vgl. Bahry, Wilson 2005).83 Durch den Vergleich zwischen den aus spieltheoretischen Vertrauensmodellen abgeleiteten Prognosen mit den experimentell gewonnenen empirischen Ergebnissen des Vertrauensspiels wird dann ermittelt, „ob die getroffenen Modellannahmen hinreichend gute Näherungen darstellen“ (Braun, Franzen 1995: 236). Vertreter der SEU-Theorie favorisieren eine ganz andere, direkte Strategie der Konstruktion und empirischen Überprüfung von Brückenannahmen. Beide Varianten des Umgangs mit dem Brückenproblem, die indirekte analytische Strategie der Spieltheorie und die im Folgenden vorgestellte direkte Strategie der SEU-Theorie, werden in der Rational Choice-Literatur sehr kontrovers diskutiert.84 Mit der SEU-Theorie geht die Vorstellung einher, dass es sich bei der Rekonstruktion der Handlungsarena, die in der Logik der Situation zu leisten ist, nicht um eine objektive Situationsbeschreibung handeln kann (vgl. Marx 2006: 122). Vielmehr stellt die SEU-Theorie die Erklärung der subjektiven Handlungsmotive individueller Akteure in den Mittelpunkt. Zentral ist der Gedanke, dass Akteure die in einer konkreten vertrauensrelevanten Entscheidungssituation gegebenen Anreizstrukturen subjektiv unterschiedlich perzipieren können. Auf diesen Aspekt der Modellierung ist Kap. 3.3.2.1 bereits ausführlich eingegangen. Merkmale der objektiven sozialen Wirklichkeit werden nur dann als handlungsrelevant angesehen, wenn sie von den handelnden Akteuren wahrgenommen werden und die Ausprägung ihrer subjektiven Erwartungen und Bewertungen beeinflussen. Da sich mit der SEU-Theorie ein Vertrauensbegriff verbindet, der Vertrauen als subjektive Erwartung bezüglich der Wahrscheinlichkeit einer kooperativen Erwiderung einseitiger Vorleistungen konzeptualisiert, besteht aus dieser Perspektive die theoretische Herausforderung in erster Linie darin, unter Bezugnahme auf Brückenannahmen bzw. Anschlusstheorien zu erklären, wie Akteure zu dieser subjektiven Wahrscheinlichkeitserwartung kommen. Ungelöst bleibt damit allerdings die Frage nach den Ursachen für subjektive Bewertungen. Es erscheint aber sinnvoll, dieses Erklärungsproblem zunächst noch auszuklammern: Die Aufgabe der Erklärung der Nutzenbildung bei Vertrauensentscheidungen ist nämlich sehr komplex, weil es bei diesem Typ von Entscheidungsproblem nicht in erster Linie um den subjektiven Nutzen geht, der mit einer einseitigen Vorleistung verbunden ist 83 Berg, Dickhaut und McCabe wählen selbst die Bezeichnung investment game (vgl. Berg, Dickhaut, McCabe 1995: 123f.). In vielen Arbeiten, die darauf referieren, firmiert diese experimentelle Form der Überprüfung von Vertrauensentscheidungen aber unter dem Begriff Vertrauensspiel (trust game). Berg, Dickhaupt und McCabe beschreiben die Struktur dieses Vertrauensexperimentes wie folgt: Eine Gruppe von Personen in Raum A erhält zehn Dollar und kann entscheiden, welchen Anteil dieses Geldbetrages sie an einen anonymen Gegenspieler in Raum B sendet. Sie erhält die zusätzliche Information, dass jeder gespendete Dollar verdreifacht wird. Die Spieler in Raum B können dann entscheiden, welchen Anteil des verdreifachten Betrages sie selbst behalten bzw. welchen Anteil sie Gruppe A zurücksenden. Aus der spieltheoretischen Analyse folgt, dass unter der Bedingung der vollständigen Information das Nash-Gleichgewicht dann vorliegt, wenn Gruppe A null Dollar spendet. 84 Beiträge zu dieser Kontroverse um das Problem der Konstruktion von Brückenannahmen stammen unter anderem von Kelle, Lüdemann 1995; Braun, Franzen 1995; Lindenberg 1996 und Esser 1998. Einen Überblick über die unterschiedlichen Positionen bieten Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000: 101ff.; Kunz 1997: 84ff.; Kunz 2004a: 104ff. sowie Marx 2006: 121ff..
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(zum Beispiel intrinsische Befriedigung aufgrund des Gefühls, ein hilfsbereiter Mensch zu sein), sondern um den Kooperationsnutzen. Gemeint ist damit der subjektive Nutzen, den der Akteur einer kooperativ erwiderten einseitigen Vorleistung beimisst. Im Sinne des Prinzips der abnehmenden Abstraktion, wonach zu Beginn der Lösung eines Forschungsproblems einfache Modellierungen stehen sollten, die dann der Wirklichkeit schrittweise anzunähern sind (vgl. Lindenberg 1991), erscheint es daher sinnvoll, sich zunächst darauf zu konzentrieren, wie subjektive Vertrauenserwartungen zustande kommen. Dies entspricht der üblichen ökonomischen Vorgehensweise, Präferenzen als fix zu betrachten und Unterschiede im Verhalten von Akteuren rein über Unterschiede in den Anreizstrukturen zu modellieren. Aus der Überzeugung, dass die Wahrnehmung bestimmter objektiver Bedingungen intersubjektiv sehr unterschiedlich ausfallen kann, folgt konsequenterweise, dass Vertreter einer solchen direkten Strategie der Konstruktion und Überprüfung von Brückenannahmen auch dafür plädieren, die unabhängigen Variablen der Handlungstheorie, bezogen auf die Vertrauensforschung also zunächst die subjektiven Vertrauenserwartungen, mittels RatingSkalen empirisch zu erheben. Zudem legt diese empirisch-erklärende Perspektive einen unmittelbaren Test von Brückenhypothesen nahe. Dabei sind die theoretisch als relevant erachteten Merkmale des situativen Kontextes als Randbedingungen zu erheben. Mit Hilfe von statistischen Methoden ist dann empirisch zu testen, inwiefern diese die subjektive Vertrauenswahrscheinlichkeit von Individuen beeinflussen. Diese zuletzt geschilderte empirisch-erklärende Strategie der SEU-Theorie scheint eher dem Anspruch einer guten Mehrebenenerklärung gerecht zu werden. Aus dieser Perspektive erfordert nämlich eine angemessene Rekonstruktion der Logik der Situation, dass im Zentrum dieses Erklärungsschrittes die subjektive Perzeption bestimmter objektiv gegebener struktureller Rahmenbedingungen durch die handelnden Akteure stehen muss. Die Spieltheorie hingegen leistet eine solche Rekonstruktion der subjektiven Definition der Situation nicht. Auch im Hinblick auf den empirischen Gehalt schneidet die SEU-Theorie damit besser ab als die Spieltheorie. Zwar geht mit der Subjektorientierung der SEU-Theorie grundsätzlich ein offener Nutzenbegriff einher. Der Tautologievorwurf, den einige Kritiker des Rational Choice-Ansatzes gerade in Verbindung mit einem solchen offenen Präferenzbegriff formuliert haben, lässt sich aber kaum halten.85 Zudem sind die Annahmen, auf denen dieser Ansatz basiert, wirklichkeitsadäquater als die spieltheoretischen Annahmen. Das sei noch einmal anhand des klassischen Vertrauensspiels betrachtet. Ausgegangen wird hier von stark vereinfachenden, analytisch gesetzten Modellannahmen, denen der konkrete empirische Bezug fehlt. Unterstellt wird beispielsweise, dass sich die Akteure in einer Entscheidungssituation der Sicherheit befinden, das heißt über alle Handlungsalternativen und deren Konsequenzen vollständig informiert sind. Auch die Nutzenwerte werden nicht empirisch ermittelt, sondern analytisch gesetzt. Dahinter steckt eine instrumentalistische „Alsob-Perspektive“, derzufolge es vor allem wesentlich ist, ob die auf Basis des Rational 85 Dieser Tautologievorwurf lautet, dass bei einem offenen Nutzenbegriff, der nicht nur analytisch auf rein materielle Präferenzen beschränkt ist, sondern auch alle möglichen anderen Arten von Nutzenmotiven mit einschließt, der Zusammenhang zwischen ausgeführter Handlung und unterstellter Präferenz einen rein analytischen Charakter habe. Schließlich lasse sich für jedes Handeln nachträglich die passende Präferenz konstruieren (vgl. Barry 1975: 33). Ein solcher Tautologievorwurf wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man ex post aus der Handlung die jeweilige Präferenz ableiten würde. Werden aber die Erwartungen und Bewertungen unabhängig von Handlungen empirisch erhoben, ist er nicht haltbar.
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Choice-Modells erstellten Prognosen zutreffen. Die eingesetzten Modelle werden daran gemessen, ob sie dazu taugen, bestimmte strukturelle Gegebenheiten auf möglichst einfache Weise formal darzustellen und auf dieser Basis bestimmte generelle Handlungsmuster zu prognostizieren.86 Der Realitätsgehalt der Modellannahmen, auf deren Basis diese Prognosen abgeleitet werden, ist aus dieser Perspektive von nachrangiger Bedeutung. Im Unterschied dazu geht es im Rahmen der SEU-Theorie um eine möglichst realistische Modellierung der individuellen Wahrnehmung der Entscheidungssituation durch den handelnden Akteur sowie der kognitiven Prozesse, die seiner individuellen Handlungsentscheidung vorausgehen. Es werden nicht nur Bewertungen, sondern auch Wahrscheinlichkeiten miteinbezogen, das heißt man geht von der stark vereinfachenden Als-Ob-Annahme der vollständigen Information weg.87 Auch Nutzenwerte und Eintretenswahrscheinlichkeiten von Handlungskonsequenzen werden im Unterschied zur Spieltheorie nicht objektiv zugeschrieben, sondern können subjektiv ermittelt werden. Eine solche Modellierungsstrategie ist empirisch angemessener, weil auf diese Weise eben die subjektive Definition der Situation und die in ihr ablaufenden kognitiven Prozesse Berücksichtigung finden. Vor dem Hintergrund dieser Stärken ist es nur schwer nachvollziehbar, wieso diese empirisch-erklärende Perspektive bisher in der Vertrauensforschung so wenig Beachtung gefunden hat. Zwar ist eine solche empirisch-erklärende Position, betrachtet man nicht den speziellen Bereich der ökonomischen Vertrauensforschung, sondern die Rational ChoiceForschung ganz allgemein, in den letzten Jahren von einer Reihe von Wissenschaftlern verfolgt bzw. eingefordert worden.88 Ihre Vertreter befinden sich aber nach wie vor eindeutig in der Minderheit. Nicht nur im ökonomischen Mainstream, sondern auch im speziellen Teilbereich der ökonomischen Vertrauensforschung dominiert die analytische Perspektive. Aus deren Sicht ist eine indirekte Lösung des Brückenproblems, die vorsieht, dass Brü-
86 Eine ausführliche Kritik dieser instrumentalistischen Position, die an die klassischen Arbeiten von Friedman und Downs anknüpft, findet sich bei Kunz 1996: 86ff. und bei Marx 2005: 141ff.. Die hier vorgenommene Gegenüberstellung SEU-Theorie gleich direkte Erhebungsstrategie versus Spieltheorie gleich indirekte Vorgehensweise stilisiert natürlich beträchtlich. Einige jüngere Arbeiten des holländischen Forschungszentrums ISCORE (Institute for the study of cooperative relations) fallen beispielsweise in einen Graubereich, der dadurch nicht richtig erfasst wird (vgl. als Überblick Raub, Buskens 2004). Sie bedienen sich spieltheoretischer Methoden zur Herleitung ihrer Hypothesen. Die empirische Vorgehensweise lässt sich aber eher der direkten Strategie zuordnen. Sie verwenden mit dem faktoriellen Survey eine Messtechnik, die auch im Rahmen der vorliegenden Studie eingesetzt wurde. Dennoch erheben sie Vertrauenserwartungen nicht direkt mittels einer Rating-Skala, sondern bedienen sich einer indirekten Operationalisierung von Vertrauen. Bei Buskens und Weesie müssen die Befragten beispielsweise nach dem Paarvergleichverfahren zwischen fiktiven Vignetten diskriminieren, die zwei Entscheidungssituationen A und B repräsentieren. Die Bevorzugung von Entscheidungssituation A gegenüber Entscheidungssituation B wird dann dahingehend interpretiert, dass das Vertrauen in Situation A größer sei (vgl. Buskens, Weesie 2000a). In einer anderen Studie wird der betriebene Aufwand für das Ex-Ante-Management einer Transaktion zwischen Verkäufer und Abnehmer als Proxy-Variable für Vertrauen genutzt (vgl. Batenburg, Raub, Snijders 2000; Rooks et al. 2000). 87 Diese Aussage bezieht sich allerdings nur, wie oben schon erwähnt, auf die klassische Variante der spieltheoretischen Vertrauensmodellierung, die perfekte Information der Akteure unterstellt. Wie oben gezeigt wurde, findet sich eine Berücksichtung von Wahrscheinlichkeiten auch in den Erweiterungen der klassischen Vertrauensmodellierung (Vertrauensspiel mit vollständiger, aber unvollkommener Information). Diese spieltheoretische Modellierung nähert sich wert-erwartungstheoretischen Modellierungen stark an. Die Nutzen- und Wahrscheinlichkeitswerte werden wie bei EU-Konzepten aber weiterhin objektiv zugeschrieben (vgl. Voss 1998a: 113ff.). 88 Im deutschsprachigen Raum vertreten diese Position u. a. Bamberg, Schmidt 1994; Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000; Friedrichs, Stolle, Engelbrecht 1993; Kelle, Lüdemann 1995; Opp, Voß, Gern 1993 sowie Opp 1998. Ein Plädoyer für eine Versöhnung zwischen Rational Choice-Theorie und Umfrageforschung und damit auch für eine direkte Erhebung von Erwartungen und Bewertungen findet sich auch bei Goldthorpe 1996.
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ckenannahmen rein analytisch konstruiert oder bestenfalls indirekt empirisch überprüft werden, die zu favorisierende Alternative. Ausdruck dieser Dominanz ist der Umstand, dass Colemans Vertrauensgesetz in der Regel als EU-Modell und eben nicht als SEU-Modell interpretiert wird. Coleman selbst ist an dieser Interpretation nicht ganz unschuldig. Er hat zwar einerseits im metatheoretischen Teil seiner Grundlagen der Sozialtheorie den in Kapitel 3.1.2 bereits vorgestellten Ansatz einer Mehrebenen-Erklärung (struktur-individualistischer Erklärungsansatz) entwickelt, der die Makro- und die Mikroebene über Prozesse der subjektiven Definition der Situation miteinander verknüpft und damit ein klares Plädoyer für eine Subjektorientierung darstellt. Seine Überlegungen haben damit wesentlich zur Etablierung der empirisch-erklärenden Perspektive im Rahmen von Rational Choice beigetragen. Andererseits wird Coleman selbst diesem Anspruch, wie in Kap. 3.3.2.1 ausführlich dargelegt worden ist, in der praktischen Umsetzung nur bedingt gerecht. In seinen Arbeiten wird man vergeblich nach Beispielen für eine direkte Anwendung der Nutzentheorie suchen (vgl. Diekmann 1996: 94). Diesen Aspekt der Arbeiten Colemans kritisiert auch Lindenberg. Aus seiner Sicht versperrt die analytische Orientierung Colemans den Weg zu einer substantiellen Sozialtheorie, da Coleman nicht die von ihm selbst formulierten Kriterien einer sozialwissenschaftlichen Erklärung erfüllen könne und den Schritt der subjektiven Situationsdeutung letztlich zu stark vernachlässige (vgl. Lindenberg 2000b: 541). Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Spieltheorie und SEU-Theorie im Hinblick auf die beiden Erklärungsschritte der Logik der Selektion und der Logik der Situation sind damit ausführlich diskutiert und kritisch gewürdigt worden. Wie schon weiter oben herausgestellt, ist eine sozialwissenschaftliche Erklärung aber nur dann gelungen, wenn nicht nur der Übergang von der Makro- zur Mikroebene, sondern auch der Übergang von der Mikro- zur Makroebene spezifiziert ist. Speziell auf die Vertrauensforschung bezogen weist James S. Coleman auf die Notwendigkeit der Erklärung dieses MikroMakroübergangs hin: „Es ist nützlich, solche Phänomene der Makroebene zu verstehen, die Vertrauen mit einbeziehen, denn hier sind die drei Elemente eines Handlungssystems vereinigt: die zielgerichteten Handlungen individueller Akteure, die sich entscheiden, Vertrauen zu vergeben oder zu entziehen, bzw. Vertrauen zu enttäuschen oder zu rechtfertigen; der Übergang von der Mikro- zur Makroebene, durch den diese Handlungen miteinander verknüpft werden und somit Systemverhalten erzeugen; und der Übergang von der Makro- zur Mikroebene, durch den ein bestimmter Zustand des Systems die Entscheidungen einzelner Akteure, Vertrauen zu vergeben oder vertrauenswürdig zu sein, modifiziert“ (Coleman 1991: 225).
Die ökonomische Vertrauensforschung hat sich bisher sehr auf den erwähnten MakroMikro-Übergang (Logik der Situation) und die Modellierung des zielgerichteten Handelns der individuellen Akteure (Logik der Selektion) konzentriert. Im Unterschied dazu ist der von Coleman angesprochene Mikro-Makro-Übergang noch theoretisch unterbestimmt. Die Erklärung, die im Rahmen aktueller Beiträge zur Vertrauensforschung geleistet wird, endet bei den kooperativen Handlungen einzelner Akteure (SEU-Theorie) bzw. bei der Kooperation im Zwei-Personen-Spiel (Spieltheorie). Wie sich diese kooperativen Handlungen zu einem Makrophänomen aufaggregieren, ist bisher theoretisch noch nicht zufriedenstellend gelöst.
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Angesichts der zunehmenden Zahl von politikwissenschaftlichen Anwendungen des ökonomischen Vertrauensansatzes ist dies durchaus problematisch. Gerade in der Politikwissenschaft geht es nämlich um Explananda wie die Versorgung oder Unterversorgung von Gesellschaften mit Kollektivgütern, also um Kooperationsprobleme im nPersonenspiel; anders formuliert interessieren sich Politikwissenschaftler in erster Linie für das, was Coleman im obigen Zitat als Systemverhalten bezeichnet.89 Das Problem der Aggregation ist also nicht nur im Rahmen des soziologischen Vertrauensansatzes der Politischen Kulturforschung, sondern auch in der ökonomischen Vertrauensforschung theoretisch unterbestimmt. Hierbei handelt es sich um eine Variante dieses Aggregationsproblems, die in der Terminologie von Rational Choice auch als Kompositionsproblem bezeichnet wird. Es liegt vor, wenn individuelle oder kollektive Effekte in einem komplexen System erklärt werden sollen, aber nur Annahmen über elementare Teilsysteme bestehen. Gerade in Verbindung mit spieltheoretischen Modellierungen ist es eine weit verbreitete Praxis, isolierte Teilsysteme sehr kleiner Größenordnung auszuwählen und die Erkenntnisse aus der Analyse solcher Teilsysteme auf komplexere Systeme zu übertragen (vgl. Kunz 1997: 37f.). An dieser Stelle lässt sich als Zwischenbilanz festhalten, dass zwar beide Ansätze in Bezug auf die Logik der Aggregation theoretisch unterbestimmt sind, die SEU-Theorie aber im Hinblick auf die anderen Kriterien guter Theoriebildung eine durchaus überzeugende Alternative zum dominierenden spieltheoretischen Ansatz bietet. Umso bedauerlicher ist es, dass sich auf Basis des aktuellen Forschungsstandes über die Frage der empirischen Bewährung dieser spezifischen Anwendung der SEU-Theorie bisher kaum Substanzielles aussagen lässt. Zwar plädieren viele Vertreter der ökonomischen Vertrauensdiskussion für einen kognitiven Vertrauensbegriff, der Vertrauen, konform zu den Annahmen der SEUTheorie, als subjektiv gebildete kognitive Erwartung konzeptualisiert. Es fehlt aber der naheliegende nächste Schritt, solche Erwartungen auch mit Hilfe des Standardinstrumentariums der Umfrageforschung zu erheben. Als Forschungsdefizit ist auch zu betrachten, dass zwar auf theoretischer Ebene viel über Brückenhypothesen diskutiert wird, direkte empirische Tests, die die als relevant eingestuften strukturellen Anreizbedingungen in die Messung mit einbeziehen und deren Effekte auf Vertrauenserwartungen überprüfen, aber bisher kaum unternommen wurden.90 Wenn überhaupt eine empirische Überprüfung vorgenommen wird, dann folgt diese eher der oben beschriebenen indirekten Vergleichsstrategie, bei der theoretisch hergeleitete Prognosen mit empirisch beobachtetem Verhalten verglichen werden. Entsprechend ist auch die Frage der empirischen Bewährung des Colemanschen Vertrauensgesetzes selbst nach wie vor offen. Empirische Tests, die die spezifische Anwen89
In dieser Hinsicht unterscheidet sich das politikwissenschaftliche Erkenntnisziel vom Erkenntnisziel, das die zahlreichen ökonomischen Beiträge zu den Effekten der Einbettung auf Vertrauen verfolgen (vgl. als Überblick Mingione 2006). Diese überwiegend aus der Neuen Wirtschaftssoziologie stammenden Beiträge sind klassischerweise darauf ausgerichtet, marktförmiges Verhalten zu erklären. Erst in letzter Zeit erweitert sich dieser Fokus, und es kommen beispielsweise familiensoziologische Explananda wie Heiratsverhalten oder Verhalten in dauerhaften Partnerschaften hinzu. Das Erkenntnisinteresse richtet sich aber auf die Ebene der Zweierinteraktion. Es geht darum, Kooperation zwischen zwei Akteuren unter spezifischen soziostrukturellen Rahmenbedingungen zu erklären, um auf dieser Basis Erkenntnisse über die Wirkung dieser strukturellen Anreizbedingungen auf das Zwei-Personen-Spiel ganz allgemein zu gewinnen. 90 Wie in Kapitel 3.3 schon ausführlicher erläutert, stellen die Arbeiten von Buskens, Weesie 2000a, Batenburg, Raub 1995 und Rooks et al. 2000 noch am ehesten eine Annäherung an eine direkte empirische Überprüfung zentraler Brückenhypothesen dar, die in der Verbindung mit Vertrauensdilemmata diskutiert werden.
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dung des SEU-Modells auf Vertrauensentscheidungen direkt überprüfen, stehen aus. Bekannt ist lediglich aus der psychologischen Entscheidungstheorie, dass sich das SEUModell in seiner allgemeinen Form, auch in Relation zu alternativen Konzepten zur Formalisierung von Entscheidungssituationen unter Unsicherheit, relativ gut bewährt hat. Zwar lässt sie sich, wie im Übrigen auch alle alternativen Entscheidungsregeln, bei strengen statistischen Tests nicht halten. Bei Wahrscheinlichkeiten, die nicht extrem sind, die also nicht nahe 0 oder nahe 1 liegen, erweist sie sich aber als durchaus erklärungskräftig. Sie schneidet sogar im Vergleich zu anderen psychologischen Wert-Erwartungs-Modellen eher besser als schlechter ab (vgl. Jungermann, Pfister, Fischer 2005: 250-254). Die Vermeidung einer direkten Erhebung von Vertrauenserwartungen bei Vertretern des indirekten Ansatzes resultiert zum einen natürlich aus der oben dargestellten theoretischen Position. Diese unterstellt eine von den objektiven Bedingungen nicht differierende Definition der Situation und macht damit die Erhebung von subjektiven Vertrauenserwartungen überflüssig. Sie wird zudem aber auch mit messtheoretischen Argumenten untermauert. Während die Vorgehensweise der direkten empirischen Erhebung in der psychologischen Entscheidungsforschung breit akzeptiert ist, sind viele Vertreter des empirisch ausgerichteten ökonomischen Ansatzes innerhalb der Politikwissenschaft, der Soziologie und der Ökonomie nach wie vor skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer validen und zuverlässigen Messung von subjektiven mentalen Konstrukten wie Erwartungen und Bewertungen (vgl. Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000: 79). Dabei wird vor allem auf Schwierigkeiten bei der direkten Nutzenmessung verwiesen. Es wird argumentiert, dass höchstens aufwändige, experimentell orientierte direkte Nutzenmessungen wie das PaarvergleichVerfahren in der Lage seien, eine Datenqualität zu liefern, die den Anforderungen der axiomatischen Nutzentheorie von Neumann und Morgenstern, insbesondere dem Axiom der Transitivität der Präferenzordnungen, gerecht würden (vgl. Diekmann 1996: 96; Braun, Franzen 1995: 233ff.; Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000: 79; kritisch dazu Opp 1998: 208211). Aus diesen Gründen auf die Option einer direkten Erhebung von Vertrauenserwartungen gänzlich zu verzichten, scheint aber keine adäquate Strategie. Der Aufwand, der mit einer direkten empirischen Erhebung solcher Erwartungen und mit der Überprüfung von Brückenhypothesen verbunden ist, lässt sich nämlich nur im konkreten Anwendungsfall überprüfen (vgl. Kunz 2004a: 120). Von vornherein ausgeschlossen werden sollte die Möglichkeit einer direkten Erhebung aber vor allem deshalb nicht, weil eine adäquate Erklärung der individuellen Handlungsmotive der Akteure, die der Vorstellung einer subjektiv unterschiedlichen Definition der Situation gerecht wird, mit Hilfe der indirekten Strategie eben, wie oben schon argumentiert, nicht geleistet werden kann. Dies impliziert nicht, dass spieltheoretische Analysen überflüssig wären. Sie können vielmehr bei der theoretischen Durchdringung von Problemen strategischer Interdependenz und der Herleitung und Fundierung der Hypothesen sehr nützlich sein. Ihr besonderer Wert besteht darin, dass sie in sehr abstrakter und formalisierter Form festhalten, welche Entscheidungsmöglichkeiten beim Aufeinandertreffen von rationalen Akteuren gegeben sind. Die Spieltheorie zielt dabei darauf ab, anhand von wenigen methodischen Annahmen zu möglichst sparsamen Erklärungen und Prognosen zu kommen. Entsprechend sind Spieltheoretiker bestrebt, die Vielfalt an möglichen Interaktionssituationen unter Rückgriff auf wenige Basiskonfigurationen zu beschreiben (vgl. Rieck 1993; Braun 1999). Spieltheoretische Überlegungen sind damit durchaus brauchbar, wenn es darum geht, komplexe Situationen zu analysieren und zu
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prognostizieren, welche Ergebnisse zu erwarten sind, bzw. retrospektiv zu rekonstruieren, wieso ein bestimmtes Resultat einer Interaktion zustande gekommen ist. In diesem Sinne plädiert auch Kunz dafür, dass verschiedene Strategien zur Konstruktion von Brückenhypothesen nicht als einander ausschließend, sondern als einander ergänzend betrachtet werden sollten. Die direkte Erhebung ist nämlich dann einfacher und präziser möglich, wenn sie auf gründlichen theoretischen Analysen des Problemzusammenhanges aufbauen kann (vgl. Kunz 2004a: 121). Im Hinblick auf die noch nicht vorliegenden direkten empirischen Tests von Brückenhypothesen bildet die Rational Choice-Vertrauensdiskussion im Übrigen keine Ausnahme. Empirische Tests von Brückenhypothesen sind allgemein im Kontext von Rational Choice bis auf wenige Ausnahmen sehr selten.91 Selbst Befürworter einer empirisch-erklärenden Perspektive, die eine direkte Strategie der Konstruktion von Brückenhypothesen vertreten, vernachlässigen oft die direkte empirische Überprüfung von Brückenhypothesen und konzentrieren sich eher auf die Erhebung und den empirischen Test der im Rahmen der Handlungstheorie unterstellten Variablenbeziehungen. Dass dem Handlungsgesetz soviel Aufmerksamkeit zukommt, ist zwar einerseits sinnvoll, weil diese Art von Rational ChoiceErklärung natürlich ein empirisch fundiertes Handlungsgesetz voraussetzt. Insofern ist auch zu bemängeln, dass empirische Tests der Spezifizierung des Colemanschen Vertrauensgesetzes als SEU-Modell noch nicht vorliegen. Allerdings macht der empirische Test dieses handlungstheoretischen Kerns der Erklärung den empirischen Test von Brückenannahmen keineswegs überflüssig. Auf diesen Punkt verweist auch Brüderl. Er kritisiert die stiefmütterliche Behandlung der Brückenhypothesen, indem er den Vertretern einer direkten Strategie zur Überprüfung von RC-Modellen vorwirft, sie arbeiteten nur „auf dem Boden der Badewanne“ (Brüderl 2004: 175). Da direkte empirische Überprüfungen des Vertrauensgesetzes im engeren Sinne wie auch der diskutierten Brückenhypothesen kaum vorliegen, können nur die Ergebnisse der empirischen Tests, die von Vertretern einer indirekten Strategie durchgeführt worden sind, Hinweise auf die empirische Bewährung des ökonomischen Vertrauensansatzes liefern. Diese Studien verweisen ziemlich übereinstimmend auf eine interessante Anomalie: Menschen verhalten sich häufig vertrauensvoller, als sie es angesichts der strukturellen Rahmenbedingungen eigentlich tun sollten.92 Viele Personen sind beispielsweise auch dann bereit zu vertrauen, wenn sie in einer einmaligen Interaktionssituation mit einem anonymen Interaktionspartner konfrontiert sind. Das widerspricht klar der Prognose des klassischen Vertrauensspiels. Aus dieser Spielsituation lässt sich logisch deduzieren, dass der Treugeber unter diesen Bedingungen gerade nicht vertrauen sollte. Dieses Ergebnis ist nicht nur für das sequenzielle Vertrauensspiel, sondern auch für simultane experimentelle Spielsituationen vielfach repliziert worden. Auch diese experimentellen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die in einmaligen oder endlich wiederholten Spielsituationen erzielten Kooperati91 Eine solche Ausnahme bildet beispielsweise eine Studie von Bamberg, Gumbl und Schmidt zur Verhaltenswirksamkeit verkehrspolitischer Maßnahmen (vgl. Bamberg, Gumbl, Schmidt 2000). Diese testen Brückenannahmen empirisch, indem sie den Einfluss von objektiven Rahmenbedingungen auf die Variablen der von ihnen eingesetzten Theorie des geplanten Verhaltens, einer von Ajzen und Fishbein formulierten sozialpsychologischen Variante der SEU-Theorie, statistisch als Interaktionseffekt modellieren. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die Untersuchungen von Karl-Dieter Opp zur Entstehung der Revolution in der DDR, die die Effekte von subjektiv wahrgenommenen Anreizen auf die Entscheidung zur aktiven Partizipation an diesen Protesten empirisch testen (vgl. Opp, Gern 1993; Opp 1994). 92 Vgl. Berg, Dickhaupt, McCabe 1995; zusammenfassend: Gächter, Thöni 2005; Camerer 2003.
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onslevel bei weitem die theoretisch prognostizierten Level übersteigen (vgl. Ostrom 1998: 2). Nimmt man diese Ergebnisse ernst, dann lassen sie sich als starke empirische Hinweise darauf interpretieren, dass die beschriebene strukturorientierte Herangehensweise der ökonomischen Vertrauensforschung, die eine rein auf situative Anreize und deren Wirkung ausgerichtete Erklärung der Genese von Vertrauen und kooperativem Handeln vorschlägt, zu kurz greift und der Erweiterung bedarf. Und die experimentelle Vertrauensforschung gibt auch empirische Hinweise darauf, in welche Richtung eine solche Erweiterung gegebenenfalls sinnvoll sein könnte. Eine Reihe weiterer Studien der letzten Jahre zeigt nämlich beträchtliche internationale und interkulturelle Unterschiede in solchen experimentellen Versuchssituationen. So kommen beispielsweise Yamagishi und Yamagishi in einer Studie mit 1600 Befragten zu dem Ergebnis, dass US-Amerikaner unter sonst gleichen Bedingungen eher vertrauen als Japaner; Buchan und Croson ermitteln, dass entgegen ihren Erwartungen die Bereitschaft zu einseitigen Vorleistungen in Vertrauensdilemmata unter Chinesen höher ist als unter US-Amerikanern; nach Willinger, Keser, Lohmann und Usunier vertrauen Franzosen eher als Deutsche.93 Diese Resultate sind insofern interessant, als sie auf mögliche kulturelle Korrelate des ökonomischen Vertrauens verweisen und den auf strukturelle Eigenschaften der Entscheidungssituation fixierten ökonomischen Vertrauensansatz herausfordern (vgl. Lahno 2002: 129). Sie deuten darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der Vertrauen vergeben wird, nicht ausschließlich situationsbedingt variiert, sondern eben auch von kulturellen Prägungen oder persönlichen Erfahrungen abhängig ist, die im Ausmaß an generellem Vertrauen zu anderen Menschen ihren Niederschlag finden (vgl. Preisendörfer 1995: 269). Der ökonomische Vertrauensansatz in seiner ursprünglichen Fassung vermag eine solche interkulturelle und interpersonelle Varianz im Vertrauensniveau nicht zu erklären: „In fact,” schreibt Stolle, “these accounts cannot easily explain why certain people take a more trusting approach in cooperating with others, while others do not” (Stolle 2002: 400). Diese Problematik, die durch die Ergebnisse der experimentellen ökonomischen Vertrauensforschung untermauert wird, wird im Kontext des Rational Choice-Ansatzes durchaus reflektiert und diskutiert. Dies lässt sich anhand der Argumentationen einiger seiner prominenten Vertreter verdeutlichen, die mehr oder weniger explizit auf die Notwendigkeit einer Erweiterung des ökonomischen Vertrauensansatzes aufmerksam machen. Gemeinsames Leitmotiv dieser Autoren bildet die Vermutung, dass Vertrauensentscheidungen möglicherweise auch von situationsübergreifend stabilen Orientierungen abhängig sein könnten, die in der Person des Vertrauenden selbst verankert sind (vgl. Lahno 2002: 127ff.). Am detailliertesten ausgearbeitet finden sich diese Überlegungen bei James S. Coleman und bei Russell Hardin. Sie gehen davon aus, dass situationsspezifische Erwartungen eines Vertrauenden durch zwei verschiedene Faktoren beeinflusst sind. Zum einen sind dies situative Faktoren, nämlich konkrete Informationen über die Interessen oder Anreize und die Vertrauenswürdigkeit des jeweiligen Interaktionspartners. Darüber hinaus spielten aber auch allgemeine Erwartungen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen bei der Bildung von situationsspezifischem Vertrauen eine entscheidende Rolle, beispielsweise dann, wenn der Treugeber mit einem ihm unbekannten Treuhänder konfrontiert ist. In solchen Situationen wird er, so vermuten Hardin und Coleman, seine Vertrauenserwartung 93
Vgl. Yamagishi, Yamagishi 1994; Buchan, Croson 2004; Willinger, Keser, Lohmann, Usunier 2003; Buchan, Croson, Dawes 2002; Ashraf et al. 2003; Cook, Cooper 2003.
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nicht nur aufgrund der subjektiv wahrgenommenen situativen Anreizstrukturen bilden, sondern zusätzlich auch auf solche generellen Vertrauensorientierungen zurückgreifen: „Wenn ich einen Fremden treffe, mit dem ich Umgang haben möchte oder muss, werde ich ihm wohl zunächst beträchtliche Skepsis entgegen bringen. Aber meine Skepsis wird sich nicht vorrangig gegen diese spezielle unbekannte Person richten. Unter Umständen weiß ich noch nicht genug über die Person, um ihre Vertrauenswürdigkeit oder ihre Rationalität hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit einschätzen zu können. Ich treffe mein skeptisches Urteil größtenteils durch die Generalisierung vergangener Begegnungen mit anderen Personen. In diesem Sinne ist mein Grad des Vertrauens in die unbekannte Person erlernt. Meine vergangenen Erfahrungen mit Vertrauen können so positiv gewesen sein, dass ich dieser Person voller Optimismus vertraue. Oder sie waren so niederschmetternd, dass ich ihr pessimistisch misstraue. Die unbekannte Person ist in beiden Fällen dieselbe; meine unterschiedlichen Erfahrungen, die ganz unabhängig von dieser Person sind, sind die Ursache für den Unterschied. Erfahrung formt die Psychologie des Vertrauens“ (Hardin 2001: 300; vgl. Coleman 1991: 132)
Coleman bezeichnet diese allgemeinen Vertrauenserwartungen als Standardeinschätzung der Vertrauenswürdigkeit p* (vgl. Coleman 1991: 132). Während p bei Coleman eine Größe ist, die situations- und anreizabhängig variiert, ist dieses p* als situationsunabhängige Größe konzipiert. P* scheint damit letztlich nichts anderes zu sein als das, was der Politische Kultur-Ansatz unter interpersonalem Vertrauen fasst, eine generelle Einstellung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen, die durch Erfahrungen in Sozialisationsprozessen erworben wird. Wie allerdings das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten modelliert werden kann, bleibt offen. Nach Ansicht von Lahno jedenfalls sind diese situationsübergreifend stabilen Orientierungen in der Person des Vertrauenden selbst verankert und können insofern mittels des bisher etablierten, entscheidungstheoretischen Instrumentariums nicht vollständig erfasst werden (vgl. Lahno 2002: 127ff.). Sie sind das Produkt von Erfahrungen, die rationale Akteure im Rahmen ihres sozio-kulturellen Umfeldes gemacht haben. Thomas Voss greift in diesem Zusammenhang die Terminologie von Granovetter auf und spricht von kultureller Einbettung, die mitentscheidend dafür sei, ob in konkreten Entscheidungssituationen Vertrauen vergeben oder verweigert werde. Selbst wenn die aus Rational Choice-Perspektive eigentlich zentralen Determinanten des Vertrauens, nämlich strukturelle Anreizbedingungen, dafür günstig seien, so Voss, werde die Entstehung von Vertrauen in einer Kultur des Misstrauens verhindert (vgl. Voss 1998a: 113). Ihm zufolge ist die Einbettung in eine Kultur des Vertrauens eine notwendige Bedingung dafür, dass Vertrauen entstehen kann (ebd.: 112). Voss präzisiert auch, was er unter kultureller Einbettung versteht: „Inhaltlich muß kulturelle Einbettung nicht mit einer gemeinsamen kulturellen Identität einer Gruppe von Tauschpartnern (die zum Beispiel durch ethnische Kriterien sozial definiert ist) verbunden sein. Wesentlich ist vielmehr, daß in einer Gruppe stabile reziproke Erwartungen bestehen, daß Vertrauen in Bezug auf Gruppenmitglieder angemessen ist“ (ebd.: 112).
Geoffrey Brennan, Werner Güth und Hartmut Kliemt plädieren vor diesem Hintergrund für eine Erweiterung des ökonomischen Ansatzes. Mit Bezug auf das soziale Ordnungsproblem weisen sie darauf hin, dass eine Modellierung, die, wie in Rational Choice-Modellierungen üblich, die Entstehung von Vertrauen und das daraus resultierende kooperative Handeln nur als Folge situativ gegebener Opportunitäten und Restriktionen modelliert und damit eine
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rein interne Lösung der Vertrauensproblematik anstrebt, zu kurz greife. Sie regen an, auch intrinsische Faktoren im Rahmen solcher Modellierungen zu berücksichtigen und damit interne und externe Lösungsansätze miteinander zu verbinden.94 Auch Ostrom und Walker schließen sich dieser Perspektive an und stellen heraus, dass Vertrauen und kooperatives Handeln das Resultat des Zusammenspiels aus vielfältigen kontextuellen, aber auch individuellen Faktoren seien (vgl. Ostrom, Walker 2003: 5). Was in diesen Beiträgen unterschiedlich als allgemeine Erwartung hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen, als Standardeinschätzung der Vertrauenswürdigkeit, als stabile reziproke Erwartung oder stabile Orientierung bezeichnet wird, ist letztlich nichts anderes als eine durch bestimmte Sozialisationserfahrungen erworbene generelle Einstellung bezüglich der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen. In diesen Arbeiten ist die Idee einer integrativen Perspektive, die den ökonomischen und den soziologischen Vertrauensansatz miteinander verbindet, bereits implizit angelegt. Diese Position findet in den letzten Jahren im Rahmen des ökonomischen Vertrauensansatzes zunehmend Gehör. Die Auffassung, dass man dem Vertrauensproblem „nicht ganz gerecht (wird), wenn man es wie Coleman auf die Struktur einer Entscheidung unter Risiko reduziert“ (Preisendörfer 1995: 269), setzt sich immer stärker durch: „Many others have doubted that trust can be reduced to ‘calculated risk’ even if there is ‘an element of calculativeness’ or ‘instrumentality’ involved (Lindenberg 2000a: 11; vgl. auch Williamson 199395).
Aus diesen Reduktionismusvorwürfen und dem Verweis auf die Erklärungskraft kulturell vermittelter, stabiler Vertrauensorientierungen leitet sich die Forderung nach einem umfassenderen Erklärungsansatz, der soziologische und ökonomische Perspektive zu integrieren vermag, unmittelbar ab. Dieser integrative Ansatz sollte, so ergibt es sich aus den oben referierten Positionen, nicht nur strukturelle Merkmale des situativen Kontextes, sondern auch das kulturell vermittelte generelle Vertrauen des Treugebers als eine möglicherweise relevante, situationsübergreifende und personenbezogene Determinante der Vertrauensvergabe berücksichtigen. Letztlich geht es, formuliert in der Terminologie der Rational Choice-Theorie, darum, die theoretischen Bemühungen der Vertrauensforschung, die sich bisher fast ausschließlich auf die Verknüpfung der Variablen der Nutzentheorie mit sozialen Strukturmerkmalen (also Brückenhypothesen im engeren Sinn) konzentriert haben, um anschlusstheoretische Überlegungen zu erweitern. Wie in Kapitel 4.2 schon ausgeführt, werden mit dem Begriff der Anschlusstheorie solche theoretischen Überlegungen bezeichnet, die auf individuelle Determinanten der nutzentheoretischen Variablen ausgerichtet 94 Bei Brennan, Güth und Kliemt heißt es: „though impressive in many regards, efforts to explain the emergence and maintenance of social order exclusively in terms of opportunistic extrinsic motivation distort the facts of social life. Intrinsic motivation and the human faculty to adopt an internal point of view to rules should be taken systematically into account (…) rather than being systematically eliminated. Rational choice theorists are in general very reluctant to draw this conclusion. (…) a more balanced account (…) should include both dimensions, that of intrinsic (internal point of view) and that of extrinsic motivation (external point of view). For in human behaviour both do play a role” (Brennan, Güth, Kliemt 2003: 17). 95 Ziemlich vage verweist Williamson darauf, dass eine rein ökonomische Perspektive auf Vertrauen mit dem Alltagsverständnis von Vertrauen nur schwerlich in Einklang zu bringen sei. Williamson folgert daraus radikal und wenig nachvollziehbar, dass die Relevanz dieser Analysekategorie im Rahmen der institutionenökonomischen Analyse generell in Zweifel zu ziehen sei, womit er allerdings eine klare Minderheitenposition im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes vertritt (vgl. Kap. 3).
Stärken und Defizite der beiden Vertrauenstheorien
123
sind. Dieses Segment der ökonomischen Vertrauensforschung ist bisher theoretisch nur wenig entwickelt. 4.1.3 Zusammenfassung Auf Basis der in Kap. 4.1.1 eingeführten Qualitätskriterien hat dieses Kapitel die Stärken und Schwächen der soziologischen und der ökonomischen Vertrauenstheorie ausführlich verglichen. Es hat sich sehr deutlich gezeigt, dass die soziologische und die ökonomische Vertrauenstheorie ganz unterschiedliche Erklärungsstrategien verfolgen. Auch die beiden herausgearbeiteten Varianten der ökonomischen Vertrauenstheorie unterscheiden sich in wesentlichen Aspekten; sie sind im Rahmen dieses Kapitels deshalb getrennt voneinander beurteilt worden. Diesbezüglich hat die Argumentation zu zeigen versucht, dass die vorgenommene Rekonstruktion des Colemanschen Vertrauensansatzes als SEU-Theorie und die damit verbundene direkte Strategie der Konstruktion von Brückenannahmen im Vergleich zu der in der aktuellen Vertrauensforschung dominierenden spieltheoretischen Art der Modellierung, die eine indirekte Strategie der Konstruktion von Brückenannahmen wählt, klare Vorzüge hat. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Weiterentwicklung der ökonomischen Vertrauensforschung, die an die SEU-Theorie anknüpft, vielversprechend. Die Synopse auf der folgenden Seite fasst die Ergebnisse dieses Theorienvergleichs noch einmal überblicksartig zusammen (vgl. Tabelle 15).
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
Abbildung 17: Zusammenfassung der Stärken und Schwächen der analysierten Vertrauenstheorien Fruchtbarkeit Politische Kulturforschung
Rational Choice SEU-Theorie
Spieltheorie
Präzision
Positiv: kognitiver VertrauensbeGewisse Defizite; keine griff. stringent ausgearbeitete soziologische Vertrauenstheorie; drei unterschiedliche Ansätze zur konzeptuellen Verortung des sozialen Vertrauens, die unverbunden nebeneinander stehen, aber in wesentlichen Annahmen identisch sind.
Problematisch: Behavioraler Vertrauensbegriff; unpräzise Vermengung von Vertrauen und kooperativem Handeln.
Charakter einer Erklärung
Ja (mit Einschränkungen): allgemeines Handlungsgesetz; von generellen Einstellungen wird automatisch auf Handlung geschlossen; handlungstheoretische Prämissen und kausaler Mechanismus meist nur implizit; keine Selektionsregel; Kausalpfad zwischen aggreg. kooperativen Handlungen und Stabilität/Performanz der Demokratie ist theoretisch unterbestimmt.
Ja (mit Einschränkungen): allgemeines Handlungsgesetz (SEUModell); ausschließliche Fokussierung auf sit. Anreizstrukturen als Determinanten der Vertrauensentstehung (strukturorientierte Herangehensweise); subjektiv unterschiedliche Perzeption der Situation wird berücksichtigt; vertrauensvolles Handeln wird unter Bezugnahme auf individuelle Handlungsmotive erklärt; Mikro-Makroübergang ist theoretisch unterbestimmt.
Charakter einer Erklärung zweifelhaft; allgemeines Handlungsgesetz; ausschließliche Fokussierung auf sit. Anreizstrukturen als Determinanten der Vertrauensentstehung (strukturorientierte Herangehensweise); Zusammenhang zw. strukt. Rahmenbedingungen und Handlungen wird auf Basis analyt. Festlegungen logisch deduziert; kein Bezug auf indiv. Handlungsmotive Æ keine adäquate Erklärung der Entstehung vertrauensvollen Handelns; MikroMakroübergang ist theoretisch unterbestimmt.
Empirischer Gehalt
Ja.
Ja; Annahmen sind offen und wirklichkeitsadäquat.
Annahmen sind analytisch festgelegt und wenig wirklichkeitsadäquat.
Empirische Bewährung
Zunächst keine emp. Überprüfung, dann keine gute empirische Bewährung; schwache bzw. inkonsistente Ergebnisse; theoretisch unterbestimmte Modellierung, die situative Einflussfaktoren nicht berücksichtigt.
Keine Erkenntnisse; direkte empirische Tests dieser Anwendung von SEU auf Vertrauensentscheidungen stehen aus.
indirekte empirischer Tests (experimentelle Ökonomik); Vergleich zwischen abgeleiteten Handlungsprognosen und Handlungen zeigt Anomalien; rein anreizbasierte Rational Choice-Erklärung bewährt sich empirisch nicht gut.
Die als Ausgangspunkt für eine Theorieintegration formulierte Annahme der Fruchtbarkeit ließ sich dabei im Großen und Ganzen untermauern, auch wenn beide Ansätze gewisse Defizite in ihren theoretischen Annahmen aufweisen, die Ansatzpunkte für die weitere Forschung bieten. Bedenklich sind allerdings die Mängel, die beide Ansätze im Hinblick
Die Integration der beiden Vertrauenstheorie als ungelöstes Forschungsproblem
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auf die Frage der empirischen Bewährung aufweisen, und gerade die wenigen Erkenntnisse, die in der Vertrauensforschung zu diesem Kriterium guter Theoriebildung bisher vorliegen, liefern entscheidende Anhaltspunkte dafür, dass beide Ansätze für sich genommen zu kurz greifen und es sinnvoll sein könnte, sie miteinander zu verknüpfen. So liegen, bezogen auf den Rational Choice-Forschungsstand, mittlerweile zahlreiche empirisch-experimentelle Studien vor, in deren Rahmen, gemäß der ausführlich diskutierten indirekten Strategie der Konstruktion von Brückenannahmen, spieltheoretisch hergeleitete Hypothesen empirisch überprüft worden sind. Sie zeigen deutliche Anomalien und deuten darauf hin, dass eine Erklärung, die ausschließlich auf situative Anreizstrukturen als Determinanten fokussiert ist, empirisch inadäquat sein könnte. Offenbar kann ein Teil der Varianz des situationsspezifisch gebildeten Vertrauens eben nicht erklärt werden, wenn die Modellierung von vorne herein nur auf solche situativen Opportunitäten und Restriktionen ausgerichtet ist. Auch die relativ triviale Annahme eines quasi-deterministischen Zusammenhangs zwischen generellen Vertrauenseinstellungen und spezifischem Verhalten, von der lange Zeit im Rahmen der Politischen Kulturforschung ausgegangen wurde, bewährt sich in empirischen Tests nicht gut. Neuere empirische Studien aus dem Bereich der Politischen Kulturforschung, vor allem aber aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung, belegen, dass Menschen nicht unbedingt automatisch gemäß internalisierter genereller Orientierungen entscheiden und handeln, sondern durchaus kognitiv dazu in der Lage sind, spezifische Merkmale der Entscheidungssituation zu berücksichtigen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass beide Ansätze untereinander anschlussfähig sind und eine theoretische Verknüpfung daher lohnen könnte. Die Problemstellung, die im Zentrum dieser Arbeit steht, lässt sich damit präzise fassen: Benötigt wird ein differenziertes Erklärungsmodell, das dem Anspruch gerecht werden sollte, den Zusammenhang zwischen Vertrauen und kooperativem Handeln so zu modellieren, dass sowohl die aus soziologischer Perspektive zentralen generellen Vertrauenseinstellungen als auch situative Anreizstrukturen und die in Abhängigkeit davon gebildeten situationsspezifischen Vertrauenserwartungen in die Erklärung einfließen. Durch eine solche Integration der ökonomischen und der soziologischen Vertrauenstheorie könnten die Stärken beider Ansätze genutzt und ihre spezifischen Defizite gleichzeitig überwunden werden. Aus Perspektive der Politischen Kulturforschung kann eine solche Integration zur präziseren Bestimmung der im Rahmen dieses Forschungsprogramms theoretisch unterbestimmten Beziehung zwischen generellen Einstellungen und Handlungen beitragen. Aus Perspektive des Rational Choice-Ansatzes trägt sie zu einer theoretisch präziseren und vermutlich empirisch adäquateren Modellierung der Logik der Situation bei. 4.2 Die Integration der beiden Vertrauenstheorie als ungelöstes Forschungsproblem Überzeugende Ansätze zu einer solchen Integration der beiden Vertrauenstheorien sind bislang noch nicht präsentiert worden. In dieser Hinsicht weist der aktuelle Forschungsstand zum sozialen Vertrauen eine Lücke auf. Angesichts der Zentralität der beiden Konzepte und der Vielzahl an Publikationen, die sich mit dem Vertrauen befassen, ist dies zunächst erstaunlich. Warum dieses Desiderat besteht, wird aber besser verständlich, wenn man berücksichtigt, dass die politikwissenschaftliche Forschungsdiskussion lange Zeit sehr
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
stark darauf fixiert war, soziologische und ökonomische Erklärungsansätze als einander ausschließende Alternativen zu betrachten. Statt sich darüber Gedanken zu machen, in welchen Aspekten sich beide möglicherweise komplementär zueinander verhalten und dementsprechend von der jeweils konkurrierenden Theorietradition profitieren könnten, war die Diskussion in dieser Phase vor allem darauf ausgerichtet, die Differenz und Konkurrenz dieser beiden großen Forschungsprogramme zu betonen (vgl. Inglehart 1988: 1204). Verfechter eines ökonomischen Erklärungsansatzes zweifelten den Erklärungswert kultureller Variablen grundsätzlich an oder hielten deren Einfluss für zumindest überschätzt (vgl. Tsebelis 1990: 44; Jackman, Miller 1996). Umgekehrt äußerten sich Vertreter der Politischen Kulturforschung skeptisch darüber, ob der Rational Choice-Ansatz für Analysen des Zusammenhangs zwischen kulturellen Variablen und politischen Phänomenen produktiv genutzt werden könne (vgl. Johnson 1997). Wie Eckstein schon Ende der 1980er Jahre hervorhob, wurde die zentrale Aufgabe darin gesehen, im Wettstreit der Paradigmen das Erklärungsmodell zu ermitteln, das sich als erklärungskräftiger erweist: „(…) determining which of the two models of theorizing and explaining - the ‘culturalist’ or the ‘rationalist’ – is likely to give the better results may be the single most important item now on the agenda of political science” (Eckstein 1988: 789).
In den letzten Jahren hat sich aber in dieser Hinsicht ein Wandel vollzogen. In der Politikwissenschaft setzt sich zunehmend eine Perspektive durch, diese beiden einflussreichen Analyseansätze miteinander zu verbinden (vgl. Bates 1997: 5; McAdam, Tarrow, Tilly 1997; Rothstein 2005: 28ff.). Der Wunsch nach einem integrativen Erklärungsansatz, der es erlaubt, die Dichotomie zwischen ökonomischem und soziologischem Ansatz zu überwinden, wird dabei sowohl aus der Perspektive der Politischen Kulturforschung als auch aus der Perspektive des Rational Choice-Ansatzes immer häufiger formuliert. Diese veränderte Sichtweise findet auch im Hinblick auf die Vertrauensdiskussion mittlerweile breite Unterstützung. So betont beispielsweise Junge mit Bezug auf ökonomische und soziologische Ansätze zur Bildung einer Vertrauenstheorie: „daß diese beiden (…) gleichermaßen relevanten Aspekte nach einer Integration verlangen, kann heute wohl kaum mehr bestritten werden“ (vgl. Junge 1998: 30). Trotz der Vehemenz, mit der aus beiden theoretischen Strängen auf Defizite des jeweiligen Ansatzes verwiesen und eine Integration beider Perspektiven gefordert wird, ist dieses Problem noch nicht überzeugend angegangen worden. Stattdessen lassen sich in der Vertrauensliteratur unterschiedliche Argumentationsstrategien ausmachen, die allesamt wenig befriedigend sind. Eine erste Argumentationsstrategie besteht darin, eine Integration von Politischer Kulturforschung und Rational-Choice-Ansatz zwar zu fordern, ohne jedoch auch nur anzudeuten, wie sie umgesetzt werden könnte. Exemplarisch hierfür sind einige Beiträge zur Lösung der „institutionalistischen Herausforderung“, die in den letzten Jahren entstanden sind. Mit „institutionalistische Herausforderung“ ist ein spezifisches Problem angesprochen, das sich in der Politischen Kulturforschung seit einigen Jahren stellt. Den Ausgangspunkt bildet ein vielfach geäußerter Kritikpunkt, dass Institutionen im Rahmen der Politischen Kulturforschung nur als Explananda Berücksichtigung fänden. Es werde aber nicht in Rechnung gestellt, dass institutionelle Arrangements ihrerseits auch Wirkungen auf Einstellungen haben könnten (vgl. Johnson 2003: 102; Barry 1975: 55f.; Tarrow 1996). Gerade in den letzten Jahren sind in Folge dieser Kritik an der Vernachlässigung möglicher Effekte von
Die Integration der beiden Vertrauenstheorie als ungelöstes Forschungsproblem
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Institutionen und im Zuge des Neuen Institutionalismus institutionelle Variablen als Determinanten von politischen und sozialen Orientierungen im Rahmen von empirischen Studien immer häufiger eingesetzt worden.96 Weitgehend ungelöst ist allerdings nach wie vor das Problem einer mikrotheoretischen Fundierung dieser empirischen Praxis. Viele Studien verbleiben auf einem relativ oberflächlichen Argumentationsniveau. Sie bieten als Begründungszusammenhang lediglich die Überlegung an, dass bestimmte institutionelle Merkmale oder Reformen ein Umfeld schaffen, welches der Generierung von Vertrauen dienlich ist (vgl. Knack, Zak 2002: 11; Paxton 2002: 260). Auf welcher Art von kausalem Mechanismus diese institutionellen Effekte beruhen, bleibt bei diesen Arbeiten offen. Theoretisch zumindest etwas elaborierter sind die Arbeiten von Rohrschneider sowie Rose und Mishler mit ihren Ansätzen des „institutional learning“ (Rohrschneider 1999) bzw. des „life-long learning“ (Mishler, Rose 1997; Rose, Mishler 2001, 2002). Sie stellen die Verbindung zwischen kulturalistischen und institutionalistischen Argumentationssträngen innerhalb des homo sociologicus-Paradigmas her und bleiben damit sozusagen den handlungstheoretischen Grundlagen der Politischen Kulturforschung treu. Gemäß der sozialisationstheoretischen Position der adulten Prägung begründen diese Autoren die kausale Wirkung von Institutionen auf politische Orientierungen, indem sie auf Erfahrungen mit institutionellen Arrangements im Erwachsenenalter verweisen, die zu Lerneffekten und zur Veränderung internalisierter Einstellungsmuster führten. Interessanter ist in unserem Zusammenhang aber ein zweiter Ansatz zur Lösung der institutionalistischen Herausforderung, den Rothstein und Stolle wählen (Rothstein 2000; Rothstein, Stolle 2008). Sie greifen zur Bewältigung dieses theoretischen Problems auf Rational Choice-Erklärungsmuster zurück und beziehen institutionelle Arrangements mit ein, indem sie diese als situativ wirkende Opportunitäten und Restriktionen modellieren. Nach dieser Argumentation tragen solche Institutionen, die von der Bevölkerung als fair, effizient und unbestechlich wahrgenommen werden, dazu bei, dass Vertrauensdilemmata überwunden werden können. Diese Institutionen erhöhen nämlich die Kosten des Vertrauensmissbrauchs in einem Vertrauensspiel mit großer Teilnehmerzahl und setzen entsprechend Anreize, die sich positiv auf die Wahrscheinlichkeit auswirken, mit der Vertrauen vergeben und entsprechend kooperative Vorleistungen erbracht werden. Im klaren Widerspruch zur klassischen homo sociologicus-Vorstellung unterstellt eine solche Argumentation, dass Institutionen eben nicht über Internalisierung auf Vertrauenseinstellungen wirken, sondern indem sie Anreize setzen, die zur Ausbildung von spezifischen Vertrauenseinstellungen in konkreten Entscheidungssituationen beitragen. Adaptiert wird damit eine Position, wie sie im Rational Choice-Flügel des Neuen Institutionalismus vertreten wird.97 Damit ist die Brücke zum ökonomischen Vertrauensansatz geschlagen. Dieser wird aber gleichzeitig für sich genommen als unzureichend bezeichnet: „something other than pure self-interested utility maximization is needed to solve the problem of collective action which rational choice theory so forcefully put forward (…)” (Rothstein 2000: 484).
96
Vgl. die Beiträge in Hooghe, Stolle 2003; Stolle 2002; Knack, Zak 2002; Paxton 2002; Rahn, Brehm, Carlson 1999; Gabriel et al. 2002. 97 Diese lässt sich von soziologischen Varianten des Neuen Institutionalismus abgrenzen. Zu den unterschiedlichen theoretischen Ausformungen des Neuen Institutionalismus vgl. Hall, Taylor 1996 sowie Peters 2000.
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Die Integration der beiden Vertrauenstheorien
Ein Argument der Ökonomen Denzau und North aufgreifend, präsentiert Rothstein den Gedanken einer Integration von Rational Choice-Ansätzen und von soziologischen Erklärungsansätzen als Lösungsvorschlag: „in order to explain why social dilemmas can sometimes be solved, rationalistic theories must be combined with theories about how the agents come to embrace norms, ideas or culture that make them refrain from self-defeating myopic instrumental behaviour” (ebd.: 489).
Ein solcher Ansatz stellt die Logik der Situation in Rechnung. Er setzt quasi an dem bereits vorgestellten Kritikpunkt an, wonach das zentrale Defizit der Politischen Kulturforschung darin bestehe, dass sie institutionelle Kontextfaktoren und deren Anreizwirkung in konkreten Situationen nicht berücksichtige. Wie aber die vorgeschlagene Integration auszusehen hat und wie sie handlungstheoretisch umzusetzen ist, bleibt unbeantwortet. Rational Choice-Argumente und Annahmen, die dem homo sociologicus-Ansatz entstammen, werden stattdessen ad hoc und in unsystematischer Art und Weise miteinander vermengt. Eine solche Argumentation, die die in den Kapiteln 2 und 3 dieser Arbeit dargestellten handlungstheoretischen Grundlagen beider Ansätze einfach miteinander vermischt, ohne deren Unterschiede zu berücksichtigen, ist aber sehr problematisch (vgl. Faust, Marx 2004). Sie findet sich im Übrigen nicht nur bei Rothstein, sondern scheint weit verbreitet. In den letzten Jahren sind beispielsweise zahlreiche Beiträge zur Sozialkapitaldiskussion aus Perspektive der Politischen Kulturforschung erschienen, die sich unreflektiert auf spieltheoretische Argumentationen berufen, um den unterstellten Zusammenhang zwischen Sozialkapital bzw. sozialem Vertrauen und Kooperation zu veranschaulichen. Sie problematisieren dabei nicht, dass diese theoretischen Argumente auf einer völlig anderen handlungstheoretischen Grundlage basieren als die Politische Kulturforschung. Diese unreflektierte Vermengung von handlungstheoretischen Annahmen wird durch den bereits kritisierten, wenig transparenten Umgang der Politischen Kulturforschung mit den eigenen handlungstheoretischen Grundlagen begünstigt. Das vielleicht prominenteste Beispiel bieten Robert Putnams Sozialkapital-Studien (vgl. Marx 2005). Putnam geht einerseits davon aus, dass Vertrauen eine langfristig stabile generelle Einstellung ist, die sogar von Generation zu Generation weitervererbt wird. Er argumentiert damit klar in der Tradition des homo sociologicus-Ansatzes. Im Widerspruch zu diesen handlungstheoretischen Grundlagen greift er auf Rational ChoiceArgumentationen zurück und führt variierende situative Anreizfaktoren wie die Netzwerkdichte als potentielle Bestimmungsfaktoren der Vertrauensvergabe ein, weil diese gewährleisteten, dass sich Akteure wiederholt begegneten und unkooperatives Verhalten bei zukünftigen Begegnungen sanktioniert werde (vgl. Putnam 1993: 111; Levi 1996). Eine solche Argumentation setzt aber voraus, dass Vertrauen gerade nicht als situationsunabhängig stabile generelle Einstellung konzeptualisiert wird, sondern, wie der ökonomische Vertrauensansatz es annimmt, als eine von situativ variierenden Anreizfaktoren abhängige Variable. Putnams Argumentation ist damit logisch inkonsistent. Sie wäre nur dann schlüssig, wenn Putnam gleichzeitig darlegen würde, dass er Vertrauen als ein zweidimensionales Konstrukt mit einer langfristig stabilen Komponente und einer situations- und anreizabhängig wandelbaren Komponente begreift, und zudem offenlegen würde, wie diese Dimensionen ihrerseits zusammenwirken. Seltsamerweise ist gerade dieser Aspekt der Arbeiten Putnams kaum kritisiert worden (eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht Marx 2005). Stattdessen werden Putnams in vie-
Die Integration der beiden Vertrauenstheorie als ungelöstes Forschungsproblem
129
len Aspekten sicher wegweisende Studien eher unkritisch gelobt, ohne dass diese Schwachstellen in der theoretischen Argumentation klar herausgestellt werden. Vertreter der Sozialkapitaldiskussion, die unreflektiert Elemente aus der ökonomischen und der soziologischen Vertrauenstheorie kombinieren, scheinen sich zum Teil gar nicht bewusst darüber zu sein, dass sie Argumente aus zwei konkurrierenden handlungstheoretischen Programmen miteinander vermischen. Anders zumindest ist nicht erklärlich, wie Stolle und Lewis beispielsweise in einem jüngst publizierten Überblicksartikel zur Sozialkapitaldiskussion mit Bezug auf die Sozialkapitalkonzepte von Robert D. Putnam und James S. Coleman zur Einschätzung kommen konnten, dass zwischen diesen beiden Sozialkapitalansätzen keinerlei konzeptuelle Unterschiede bestünden (vgl. Stolle, Lewis 2002: 201). Ein solch eklektizistischer Umgang mit den Unterschieden zwischen kulturalistischen und rationalistischen Erklärungsansätzen ist gerade für die einflussreiche US-amerikanische Vergleichende Politikwissenschaft der letzten Jahre charakteristisch (vgl. hierzu kritisch Lichbach, Zuckerman 1997). Für den wissenschaftlichen Fortschritt erweist sich eine solche Strategie als wenig produktiv. Statt sorgfältig zu prüfen, ob bestimmte Ansätze kompatibel sind oder nicht, wird oberflächliche Begriffswilderei betrieben (vgl. Johnson 2002: 245). Bilanzieren lässt sich, dass überzeugende Integrationsversuche, die in einer präzisen Art und Weise aufzeigen, wie ökonomische und kulturelle Faktoren bei der Genese von situationsspezifischem Vertrauen zusammenwirken, bis dato kaum vorgelegt worden sind. Der erste Teil dieser Arbeit ist damit abgeschlossen. Er hat drei Dinge geleistet: Zunächst wurden in Kapitel 2 und 3 die theoretischen Grundlagen des soziologischen und des ökonomischen Vertrauenskonzeptes ausführlich rekonstruiert. Kapitel 4 hat dann die beiden Vertrauenskonzepte auf der Basis von allgemein akzeptierten Qualitätskriterien einem Theorienvergleich unterzogen. Dabei hat sich gezeigt, dass eine Verknüpfung der beiden Vertrauenskonzepte auch deshalb plausibel ist, weil beide Ansätze für sich genommen durchaus fruchtbar sind, aber auch Schwächen aufweisen, die durch eine Integration möglicherweise behoben werden könnten. Diese Einschätzung findet, wie der zweite Teil des vierten Kapitels verdeutlicht hat, in der Vertrauensforschung zunehmend Unterstützung. Gleichzeitig liegen überzeugende Ansätze zur Integration der beiden Vertrauenskonzepte bisher noch nicht vor. An diese Zwischenergebnisse des ersten Teils der Arbeit schließt der folgende zweite Teil unmittelbar an.
Teil II: Modellbildung und Wirkungsmechanismen
Ziel dieses zweiten, theoretischen Teils der Arbeit ist es, ein integratives Theoriemodell zu entwickeln und zu begründen, welches die soziologische und die ökonomische Vertrauenstheorie miteinander verknüpft. Dies setzt metatheoretische Überlegungen voraus. Zu klären ist nicht nur, was überhaupt unter Theorieintegrationen zu verstehen ist, sondern insbesondere, ob und wie Theorien miteinander verbunden werden können. Das folgende fünfte Kapitel der Arbeit knüpft an Diskussionen über Theorievergleiche und Theorieintegrationen an, entwickelt auf dieser Basis eine metatheoretische Grundlage für die Integration der beiden Vertrauenstheorien und leitet eine erste grobe Hypothese über die Art ihrer Integration her. Das sechste Kapitel zeigt dann unter Bezugnahme auf die sozialpsychologische Einstellungsforschung, dass diese Art der Verknüpfung auch theoretisch gut begründbar ist. Aufgabe des siebten Kapitels ist eine nähere Spezifikation dieses bis dahin noch sehr allgemein formulierten Integrationsmodells. Anders ausgedrückt geht es in diesem Kapitel um die konkrete Ableitung der Erklärungsvariablen.
5 Metatheorie der Theorieintegration
Methodologische Überlegungen zu Theorieintegrationen setzen zunächst voraus, dass klar ist, was der Begriff der Theorieintegration überhaupt bezeichnet, ein Aspekt, der in der einschlägigen Literatur oft übergangen wird; „what exactly is meant by theoretical integration is rarely made clear“ (Liska, Krohn, Messner 1989: 1). Eine Begriffsbestimmung bietet Thornberry an. Ausgehend von der sozialwissenschaftlich breit akzeptierten Position, wonach Theorien Mengen von logisch miteinander verknüpften Propositionen sind, definiert er den Vorgang der Theorieintegration als „the act of combining two or more sets of logically interrelated propositions into one larger set of interrelated propositions, in order to provide a more comprehensive explanation of a particular phenomenon“ (vgl. Thornberry 1989: 52).
Die Formulierung, dass Theorien zu einem größeren Set miteinander in Beziehung stehender Propositionen verbunden werden, verdient besondere Beachtung. Im Rahmen einer Theorieintegration muss es gelingen zu zeigen, dass Theorien einander nicht widersprechen, sondern es vielmehr logische Verbindungen zwischen ihnen gibt (vgl. Akers 1989: 25). Entsprechend verstehen Liska, Krohn und Messner unter Theorieintegration auch „an activity that involves the formulation of linkages among different theoretical arguments“ (Liska, Krohn, Messner 1989: 2). Erst wenn diese Aufgabe gelöst ist, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage der empirischen Bewährung eines solchen Integrationsversuchs. Motiviert sind solche Theorieintegrationen durch das Ziel, mittels der theoretischen Verknüpfung unterschiedlicher theoretischer Perspektiven zu umfassenderen, besseren Erklärungen zu gelangen und damit zur Fortentwicklung des wissenschaftlichen Wissens beizutragen. Sie gehen damit von der impliziten Prämisse aus, dass es grundsätzlich möglich und gleichzeitig auch für den wissenschaftlichen Fortschritt nützlich ist, unterschiedliche Theorien zu integrieren, eine Position, die in der Wissenschaftstheorie nicht unumstritten ist. Befürworter von Theorienvergleichen und Theorieintegrationen sehen sich mit wissenschaftstheoretischen Positionen konfrontiert, die gerade diese Möglichkeit und die Sinnhaftigkeit einer solchen Arbeit mit Theorien bestreiten. Auf diese kontroversen Positionen wird im Rahmen dieses Kapitels unter dem Stichwort Rechtfertigungsproblem eingegangen. Darüber hinaus basieren Theorieintegrationen auch auf bestimmten methodologischen Annahmen darüber, wie und unter welchen Bedingungen Theorien integriert werden können. Dieser Aspekt sei als Methodologieproblem bezeichnet. Hier besteht die Herausforderung darin, genauer zu spezifizieren, wie und unter welchen Bedingungen Theorien miteinander verbunden werden können. Solche Überlegungen sind wesentlich, weil sie auf der metatheoretischen Ebene präzisieren, wie überhaupt bei einer Integration von Theorien vorzugehen ist. Die Lösung dieser beiden Probleme ist eine wesentliche metatheoretische Voraussetzung für Theorieintegrationen.
134
Metatheorie der Theorieintegration
Anknüpfungspunkte zu beiden Problemkomplexen bietet der Forschungsstand zu Theorienvergleichen. Er ist in diesem Zusammenhang einschlägig, weil Theorieintegrationen immer eine vergleichende Perspektive auf Theorien voraussetzen. Erst durch einen Theorienvergleich kann geklärt werden, in welchem logischen Verhältnis Theorien zueinander stehen und ob (ausgehend von dieser Relationsbestimmung) ein Integrationsversuch und dessen empirische Überprüfung überhaupt möglich sind. Insofern setzen Theorieintegrationen Theorienvergleiche voraus und bauen auf diesen auf. Allerdings ist der politikwissenschaftliche Forschungsstand zu diesem Themenbereich nur wenig entwickelt. Zwar sind in der Politikwissenschaft immer schon implizite Theorienvergleiche durchgeführt worden, die unterschiedliche Theorieansätze diskutieren, ohne dass deren Grundannahmen, Hypothesen und Messmodelle allerdings ausdrücklich formuliert und gegenübergestellt werden. Meistens werden solche Theorienvergleiche auch ohne empirische Daten oder höchstens unter illustrativer Verwendung von Daten durchgeführt (vgl. Herrmann, Schmidt 2004: 11). Explizite Theorienvergleiche, also Vergleiche, bei denen die im Rahmen von Theorien vertretenen Hypothesen ausdrücklich formuliert und operationalisiert und die Theorien anhand bestimmter Kriterien systematisch miteinander konfrontiert werden (vgl. ebd.), sind innerhalb der Politikwissenschaft bisher eher selten unternommen worden.98 Diese Forschungslücke korrespondiert mit einem entsprechenden Defizit auf der metatheoretischen Ebene. Nur wenige politikwissenschaftliche Beiträge befassen sich mit den metatheoretischen Voraussetzungen von Theorienvergleichen und Theorieintegrationen (vgl. als Ausnahme Levey 1996; Johnson 2003; Clarke 2007). Im deutschsprachigen Raum hat eine nennenswerte wissenschaftliche Auseinandersetzung über die metatheoretischen Voraussetzungen von Theorienvergleichen und Theorieintegrationen bislang überhaupt nicht stattgefunden. Eine solche Diskussion über methodische Aspekte des Theorienvergleichs ist speziell bezogen auf die Politikwissenschaft überfällig. Ergiebiger ist in dieser Hinsicht eine Forschungsdiskussion in der deutschsprachigen Soziologie, die vor allem im Rahmen der 1976 gebildeten „Arbeitsgruppe Theorienvergleich“ der Sektion für Soziologische Theorie im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie geführt wurde (vgl. Hondrich, Matthes 1978). Sie verfolgte das ambitionierte Ziel, in Anknüpfung an die Konfliktlinien des Positivismusstreites eine Verständigung über die Voraussetzungen sozialwissenschaftlicher Theoriebildung zu erreichen (vgl. Seipel 1999: 22). In diesem Kontext wurde intensiv über den Vergleich sozialwissenschaftlicher Theorien diskutiert. Betrachtet man sich die daraus resultierende Forschungsliteratur, dann wird allerdings deutlich, dass insbesondere der erste der beiden oben skizzierten Problemkomplexe, das Rechtfertigungsproblem, bisher kaum zufriedenstellend gelöst werden konnte. Die durch die Arbeitsgruppe Theorienvergleich angeregte Debatte ist vielmehr sehr kontrovers verlaufen und wurde nach einigen Jahren ohne Ergebnis zunächst aufgegeben. Es gelang nicht, sich darüber zu verständigen, dass Theorienvergleiche grundsätzlich möglich sind und einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten können. Im Rahmen dieser Diskussionen kristallisierten sich vielmehr drei unterschiedliche Grundsatzpositionen heraus. Die Befürworter von Theorienvergleichen, die ihren Standpunkt auch als Position des „theoretischen Pluralismus“ bezeichnen, vertraten die Auffassung, dass Theorien dann am effektivsten kritisiert und entsprechend auch weiterentwickelt werden können, wenn sie gezielt mit anderen Theorieansätzen konfrontiert werden (vgl. Opp 1978: 214; Opp, 98 Die Arbeiten von Marx 2006 und Jupille, Caporaso, Checkel 2003 aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen sowie von Kühnel und Fuchs 1998 aus dem Bereich der Wahlforschung bilden eher Ausnahmen.
Metatheorie der Theorieintegration
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Wippler 1990a). Systematische Tests von Theorien sind aus dieser Perspektive eine sehr wirksame, wenn nicht die wirksamste, Form der Theoriekritik. Diese Position betont besonders den empirischen Charakter von Theorien. Zu Grunde liegt ein Theorienverständnis, wonach Theorien in erster Linie Instrumente zur Erklärung empirischer Probleme sind. Entsprechend sind Problemlösungskapazität und Bewährung in empirischen Tests aus dieser Sicht die entscheidenden Qualitätsmerkmale. In Opposition dazu stand eine Gruppe der Skeptiker, deren zentrale These Norbert Klinkmann auf den Punkt bringt. Er behauptet, „daß das Programm eines systematischen Vergleichens sozialwissenschaftlicher Theorien von vornherein zum Scheitern verurteilt und zudem auch so, wie konzipiert, ganz und gar überflüssig ist“ (Klinkmann 1981: 248; vgl. auch Matthes 1978).
Nach Darstellung von Schmid bemühten sich Vertreter einer dritten Position, zwischen den Befürwortern von Theorienvergleichen und deren Gegnern eine Art Kompromiss auszuhandeln, der allerdings wenig Zustimmung fand. Dieser Kompromissvorschlag bestand in der Annahme, es handele sich bei sozialwissenschaftlichen Theorien grundsätzlich um wahre und komplementäre Theorien. Unterschiedliche Theorien beleuchten in dieser Diktion lediglich unterschiedliche Aspekte eines bestimmten Explanandums. Theorien sollten, so die sich daraus ableitende Empfehlung, nicht miteinander konfrontiert werden, sondern gemeinsam in „multiparadigmatischer Struktur“ dazu beitragen, das zentrale Problem der gesellschaftlichen Ordnung zu lösen (vgl. Schmid 2001: 482). Nach einer längeren Pause nahmen Ende der 1980er Jahre einige Autoren den Diskussionsfaden wieder auf.99 Gerade in jüngerer Zeit gibt es zudem Vorstöße, die darauf abzielen, die Debatte der Arbeitsgruppe Theorienvergleich neu zu beleben (vgl. u. a. Haller 1999; Seipel 1999, 2000, 2001; Schmid 2001). Ein klarer Konsens über die Möglichkeit und Notwendigkeit von Theorienvergleichen und Theorieintegrationen zeichnet sich aber nach wie vor nicht ab. Dass eine grundsätzliche Verständigung in diesem Punkt bisher noch nicht gelungen ist, hat mit ganz bestimmten wissenschaftstheoretischen Standpunkten zu tun, die die Möglichkeit des Vergleichs und der Integration von Theorien dann grundsätzlich negieren, wenn die entsprechenden Theorieansätze unterschiedlichen wissenschaftlichen Paradigmen entstammen. Der Rekurs auf diese wissenschaftstheoretischen Positionen ließ die Etablierung eines entsprechenden Forschungsprogramms zum Theorienvergleich in den Sozialwissenschaften schwieriger erscheinen als ursprünglich angenommen (vgl. Wippler 1994: 107). Ziel des folgenden Abschnitts ist es, zunächst die Argumente zu rekonstruieren, die im Rahmen der wissenschaftstheoretischen Diskussion vorgetragen worden sind, um die Möglichkeit von Theorienvergleichen im Allgemeinen und damit auch von Theorieintegrationen als einer speziellen Variante theorienvergleichenden Arbeitens, in Zweifel zu ziehen. Dann wird in einem zweiten Schritt gezeigt, wie sich diese wissenschaftstheoretischen Standpunkte entkräften lassen.
99
Vgl. Nauck 1988; Opp, Wippler 1990a; Wippler 1994; Greshoff 1994; Opp 1996.
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Metatheorie der Theorieintegration
5.1 Das Rechtfertigungsproblem: Zur Möglichkeit und Notwendigkeit der Integration von Theorien Befürworter und Gegner des theoretischen Pluralismus beziehen ihre Argumente in erster Linie aus der so genannten Popper-Kuhn-Kontroverse beziehungsweise ihrer Rezeption. Während die Befürworter im Anschluss an die erkenntnistheoretische Position des Kritischen Rationalismus Karl R. Poppers und seiner Schüler argumentieren, begründen die Gegner ihre skeptische Haltung mit der Kritik von Thomas S. Kuhn an der Position Karl R. Poppers. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Position der Gegner von Theorienvergleichen ist daher nur vor dem Hintergrund dieser Kontroverse nachvollziehbar. Deshalb ist es notwendig, die konkurrierenden Positionen von Popper und Kuhn kurz zu skizzieren. Als eine der wesentlichen Leistungen Poppers gilt es, die Positionen der klassischen empiristischen beziehungsweise rationalistischen Erkenntnistheorien hinsichtlich der Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnis revidiert zu haben (vgl. Suchanek 1994: 14). Diese klassischen Positionen gingen davon aus, dass wissenschaftliche Erkenntnis auf sicheren Grundlagen basiert, die entweder aus der Erfahrung (Empirismus) oder aus der Vernunft (Rationalismus) gewonnen werden. Wissenschaftliche Grundlagen können aus dieser Perspektive letztbegründet und als wahr ausgewiesen werden, indem sie auf diese Grundlagen zurückgeführt werden. Popper hielt dagegen, dass es solche sicheren Grundlagen der Erkenntnis prinzipiell nicht gebe und damit auch jede wissenschaftliche Aussage mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit fehlbar sei. Seine Position wurde von Hans Albert, dem wohl prominentesten Vertreter des Kritischen Rationalismus in Deutschland, bekräftigt und weiter ausgearbeitet. Albert verdeutlichte mit Hilfe des Münchhausen-Trilemmas, dass es niemals möglich sei, einen archimedischen Punkt außerhalb von Theorien einzunehmen, aus dessen Perspektive es möglich wäre, die Wahrheit von Theorienansätzen absolut zu begründen (zu diesem Begründungspostulat und den damit verbundenen Problemen vgl. ausführlich Albert 1991: 8ff.). Dennoch folgern Popper und seine Anhänger aus dieser prinzipiellen Fallibilität des Wissens nicht, dass es konsequenterweise keinen wissenschaftlichen Fortschritt mehr geben könne, sondern halten an dem normativen Gedanken des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschrittes ebenso fest wie an der Überzeugung, dass es eine rationale Methode gebe, mittels derer dieser Erkenntnisfortschritt gefördert werden könne (vgl. ebd.). Diese rationale Methode der kritischen Prüfung funktioniert allerdings nicht mehr über die Verifikation von Erkenntnissen, sondern geht vielmehr umgekehrt vor, indem sie auf das systematische Ausmerzen von Irrtümern setzt. Ausgehend von einem bestimmten wissenschaftlichen Problem werden falsifizierbare Hypothesen gebildet, die dann anhand der Empirie möglichst kritisch überprüft werden (Falsifikationismus). Halten diese Hypothesen mehreren solcher Falsifikationsversuche stand, können sie aus Sicht des Kritischen Rationalismus zwar nicht als wahr gelten; ihre Wahrheit kann unabhängig von der Zahl der unternommenen Überprüfungen niemals endgültig bewiesen werden. Möglich ist es aber, sie als vorläufig bewährt zu betrachten und damit auch eine Aussage darüber zu treffen, ob eine Theorie diesen Falsifizierungsversuchen besser standhält als eine alternative Theorie: „Wenn es, wie sich aus der kritischen Analyse des Begründungspostulats ergab, niemals sicher sein kann, daß eine bestimmte Theorie wahr ist, auch dann, wenn sie die ihr gestellten Probleme zu lösen scheint, dann lohnt es sich stets, nach Alternativen zu suchen, nach anderen Theorien, die möglicherweise besser sind, weil sie größere Erklärungskraft haben, bestimmte Irrtümer
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vermeiden oder überhaupt Schwierigkeiten irgendwelcher Art überwinden, die von bisherigen Theorien nicht bewältigt werden“ (vgl. Albert 1991: 59).100
Popper und seine Anhänger gehen also von der Möglichkeit eines durch die Konkurrenz und Konfrontation unterschiedlicher Theorieansätze beförderten und nach rationalen Kriterien verlaufenden wissenschaftlichen Fortschritts aus (vgl. Popper 1994a: 7). Indem wissenschaftliche Überzeugungen und Theorieansätze systematisch der Kritik ausgesetzt und dabei Widersprüche zu Tage gebracht werden, können Theorien, die bisher als gültig anerkannt waren, durch bessere ersetzt werden. Die hier angelegte Idee eines „Wettbewerbs“ miteinander konkurrierender Theorien hat in der Wissenschaftstheorie breite Resonanz erfahren (vgl. Hempel 1966: 25-28; Stinchcombe 1968: 27f.) und die deutsche wie angloamerikanische Diskussion um Theorienvergleiche in den Sozialwissenschaften nachhaltig geprägt. Der Physiker und Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn wandte sich gegen diese lineare Vorstellung der Wissensakkumulation und des wissenschaftlichen Fortschritts (vgl. Ritsert 1996: 180). Kuhn kritisierte, dass eine derartige Vorstellung den tatsächlichen historischen Gegebenheiten der Wissenschaftsentwicklung in den Naturwissenschaften nicht entspreche: „kein bisher durch das historische Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeß (…) (hat) irgendeine Ähnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Natur“ (Kuhn 1976: 90).
Er griff Popper also aus einer wissenschaftshistorischen beziehungsweise wissenschaftssoziologischen Perspektive an. Kuhn behauptete stattdessen, dass sich die wissenschaftliche Entwicklung in verschiedenen Phasen vollziehe. Auf eine Phase der Vor-Wissenschaft, in der Wissenschaft wenig strukturiert betrieben werde, folgt nach Kuhn eine paradigmatische Phase oder auch Phase der Normalwissenschaft, in der sich die wissenschaftliche Gemeinschaft an einem für alle verbindlichen Paradigma, also der Summe der für richtig gehaltenen, allgemeinen theoretischen Annahmen und Gesetze sowie den Techniken für ihre Anwendung orientiert (vgl. Chalmers 2001: 90).101 In dieser Phase kommt es auf der Basis des von allen akzeptierten Paradigmas zum wissenschaftlichen Fortschritt. Im Laufe der Zeit treten aber „Anomalien“ auf, das heißt Widersprüche zwischen Theorie und Empirie, die zunächst geleugnet oder einfach ignoriert werden. Irgendwann ist jedoch ein Punkt erreicht, an dem die Anomalien so manifest geworden sind, dass auch diese Rettungsversuche nicht mehr fruchten. Eine wissenschaftliche Krise entsteht, in der neue Konzepte gesucht werden. Kuhn bezeichnet diese Phase als Phase der außerordentlichen Forschung. Die Anerkennung, die eine Theorie in der wissenschaftlichen Gemeinschaft erfährt, ist damit nicht nur 100
Eine Methodologie der kritischen Prüfung sollte nach Albert entsprechend „nicht nur die Suche nach konträren Tatbeständen, sondern vor allem die Suche nach alternativen theoretischen Konzeptionen als notwendig betrachten, um die Konstruktion und die Verwendung konkurrierender Bezugsrahmen und damit andersartiger Problemlösungen möglich zu machen“ (Albert 1991: 63). 101 Was allerdings der von Kuhn verwendete Begriff des Paradigmas genau bezeichnet, bleibt vage. Bei Kuhn selbst jedenfalls finden sich, nach Masterman, 21 verschiedene Begriffsexplikationen (vgl. Masterman 1974). Wie Chalmers herausgearbeitet hat, sind aber die folgenden Charakteristika am Paradigmabegriff zentral: Ein Paradigma besteht aus explizit formulierten Gesetzen und theoretischen Annahmen, dem Instrumentarium und den instrumentellen Techniken, die notwendig sind, ein bestimmtes Paradigma anhand der Realität zu überprüfen, sowie allgemeinen methodologischen Vorschriften (vgl. Chalmers 2001: 90ff.).
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eine Konsequenz aus ihrer empirischen Bewährung, sondern auch Ausdruck der Phase, in der sich der wissenschaftliche Prozess befindet. Nach Stegmüller spitzt Kuhn damit die erkenntnistheoretische Position von Popper weiter zu, indem er behauptet, dass Theorien „auch nicht empirisch widerlegt werden (können). Eine Theorie geht nicht durch Widerlegung zugrunde, sondern dadurch, daß sie von einer neuen Theorie verdrängt wird und daß die Anhänger der alten Theorie allmählich aussterben“ (Stegmüller 1986: 112).
Systematische Vergleiche oder Integrationen von Theorien, die unterschiedlichen Paradigmen angehören, sind nach Kuhn in keiner der drei Phasen der Wissenschaftsentwicklung möglich. In diesem Zusammenhang führt Kuhn den Begriff der Inkommensurabilität ein. Inkommensurabilität bedeutet, dass theoretische Ansätze, die verschiedenen Paradigmen zuzurechnen sind, qualitativ nicht vergleichbar sind. Nach Kuhn impliziert nämlich die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Paradigma gleichzeitig auch eine bestimmte Weltsicht. Jede Beobachtung sei geleitet durch theoretische Überlegungen, die einer speziellen Weltdeutung verpflichtet seien (vgl. Marx 2006: 40).102 Diese wird vermittelt durch Paradigmen, die den Wissenschaftler nicht nur mit bestimmten Musterlösungen versorgen, die Kuhn mit einer Landkarte vergleicht, sondern auch mit den wesentlichsten Richtlinien für die Erstellung einer solchen Landkarte. Wenn der Wissenschaftler ein Paradigma erlerne, erwerbe er Theorien, Methoden und Normen in einer nicht mehr zu entwirrenden Mischung (vgl. Kuhn 1976: 122). Als Konsequenz ergibt sich, dass sich die Bedeutung zentraler Begriffe eines Paradigmas nur in Relation zu diesem spezifischen Bezugsrahmen erschließt. Dieses Inkommensurabilitätsargument lässt sich nach Giesen und Schmid in zwei Thesen zusammenfassen: „1. Ein theoretischer Begriff (oder die Menge aller theoretischen Begriffe) S in einer Theorie T kann nur dann verstanden werden, wenn die zentralen Behauptungen von T bekannt sind. Die Bedeutung von S ergibt sich aus der Verwendung von S in T. 2. Wenn T durch eine andere Theorie T´ modifiziert oder ersetzt wird, ändert sich folglich die Bedeutung von S auch dann, wenn S sowohl in T wie in T´ Verwendung findet“ (Giesen, Schmid 1978: 234).
Die Möglichkeit des unmittelbaren Vergleichs von Begriffen, die im Kontext unterschiedlicher Paradigmen diskutiert werden, ist aus dieser Perspektive nicht mehr gegeben. Problematisch ist die Inkommensurabilität allerdings nicht nur im Hinblick auf diesen Aspekt theorienvergleichenden Arbeitens. Sie verschärft auch das Basissatzproblem. Es gibt nach Kuhn kein rationales Verfahren, um Basissätze, das heißt Sätze über empirische Beobachtungen und Experimente, allgemein anzuerkennen. Welche Basissätze bei der Überprüfung im Rahmen des Vergleichs wissenschaftlicher Theorien tatsächlich behauptet werden, hängt wesentlich von den theoretischen Vorannahmen ab. Damit gibt es keine Möglichkeit zu entscheiden, ob ein Ansatz empirisch oder theoretisch zutreffender ist als ein anderer (vgl. Giesen, Schmid 1978: 225). Bisher ist diese Arbeit der Perspektive gefolgt, dass sich Theorien miteinander vergleichen und im hier vorliegenden speziellen Fall des Vergleichs auch integrieren lassen. 102
Zu dem ziemlich unklaren Begriff der Welt bei Kuhn vgl. Hoyningen-Huene 1992: 329f..
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Hätte Kuhn Recht, dann wären solche Theorieintegrationen aber problematisch. Schließlich geht es im Rahmen dieser Arbeit darum, Theorien zweier großer Forschungsprogramme (homo oeconomicus versus homo sociologicus) miteinander zu verbinden, die gängigerweise als die beiden klassischen unterschiedlichen Paradigmen in den Sozialwissenschaften interpretiert werden. Gerade solche interparadigmatischen Vergleiche sind nach Auffassung der Anhänger der Kuhnschen Inkommensurabilitätsthese nicht möglich (vgl. Klinkmann 1981). Die Inkommensurabilitätsthese ist aber, wie Davidson überzeugend argumentiert hat, selbst angreifbar (vgl. Davidson 1999). Es ist nämlich gar nicht möglich festzustellen, ob sozialwissenschaftliche Theorien, die unterschiedlichen Paradigmen zugeordnet werden, im konkreten Fall also die Vertrauenstheorien des Rational-Choice-Ansatzes und der Politischen Kulturforschung, überhaupt inkommensurabel sind. Ein solcher Inkommensurabilitätsnachweis wäre nur auf der Basis einer gemeinsamen begrifflichen Grundlage möglich, deren Existenz ja gerade bestritten wird. Die Feststellung miteinander unvereinbarer Begriffsschemata setzt nach Davidson so etwas wie eine von beiden theoretischen Standpunkten geteilte Metasprache voraus, die es erlaubt, über beide zu sprechen. Gerade eine solche gemeinsame Metasprache darf es aber gemäß der Inkommensurabilitätsthese gar nicht geben. In den Worten von Davidson verrät „die bestimmende Metapher des Begriffsrelativismus – das Bild der unterschiedlichen Standpunkte (…) eine zugrundeliegende Paradoxie (…). Verschiedene Standpunkte haben zwar Sinn, aber nur wenn es ein gemeinsames Koordinatensystem gibt, in dem man ihre Stelle abtragen kann; doch das Vorhandensein eines gemeinsamen Systems straft die These der überwältigenden Unvergleichbarkeit Lügen“ (ebd.: 262).
Solange aber ein Beweis der Unübersetzbarkeit von unterschiedlichen Begriffssystemen nicht erbracht werden kann, ist das Argument der Unvergleichbarkeit unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Theorieansätze nicht weiter maßgeblich. Die Beweislast liegt auf Seiten der Vertreter der Inkommensurabilitätsthese. Schließlich ist die Vorstellung einer radikalen Inkommensurabilität sozialwissenschaftlicher Begriffssysteme intuitiv kaum nachvollziehbar. Man muss dabei gar nicht so weit gehen wie Giesen und Schmid, die behaupten, dass sich die zentralen Begriffe einer Theorie zumeist auch ohne Kenntnis der zentralen Behauptungen dieser Theorien erschließen, eine Argumentation, die insbesondere aus strukturalistischer Sicht bestritten wird.103 Giesen und Schmid spitzen dieses Argument sogar noch zu: Was diese Behauptungen beinhalten, sei ohne ein vorgängiges, zumindest intuitives Verständnis der verwendeten Begriffe unerfindlich (vgl. Giesen, Schmid 1978: 235). Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Bedeutung, die einem bestimmten Begriff in einer Theorie zugeschrieben wird, in erster Linie durch eine sorgfältige Rekonstruktion erschließen lässt, die den jeweiligen theoretischen Kontext mitberücksichtigt. Ein Vergleich von Theorien ist aus dieser Perspektive dann möglich, wenn diese Theorien nicht nur Begriffe beinhalten, die auf unterschiedliche Dinge verweisen, sondern auch solche Begriffe, die in ihren Bezügen identisch oder zumindest wechselseitig verständlich und ineinander übersetzbar sind. Solche konzeptuellen Anker sind notwendig, damit Theo103
Aus strukturalistischer Sicht lässt sich die Bedeutung zentraler theoretischer Begriffe ohne vorgängige Kenntnis der theoretischen Kernannahmen nicht erschließen. Zu dieser Position, die auch mit dem Stichwort der Problematik t-theoretischer Begriffe verbunden ist, vgl. Stegmüller 1987: 480ff..
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rien sinnvoll miteinander verglichen werden können (vgl. Jupille, Caporaso, Checkel 2003: 18). Nicht notwendig ist hingegen, dass diese Begriffe hinsichtlich ihrer Intension übereinstimmen, wobei Intension hier die definitorische Merkmalskombination bezeichnet, anhand derer man einen Sachverhalt als unter den Begriff fallend klassifizieren kann (vgl. ebd.; Giesen, Schmid 1978: 236). Vielmehr ist es gerade Aufgabe eines Theorienvergleichs, mögliche intensionale Unterschiede in der Verwendung zentraler Begrifflichkeiten zwischen den zu vergleichenden Theorieansätzen herauszuarbeiten: „Ob sich die entsprechenden Behauptungen von T und T´ dann tatsächlich widersprechen oder nicht, ist zu lösen nicht die Aufgabe philosophischer Analyse, sondern inhaltlicher Theorienkritik“ (Giesen, Schmid 1978: 236).
Die Inkommensurabilitätsthese ist damit in ihrer ursprünglichen Radikalität kaum haltbar. Dass diese Position dennoch vertreten worden ist, hat möglicherweise auch etwas mit Bequemlichkeit zu tun. Gemäß dem Sprichwort „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ erfüllt sie nämlich auch die nützliche soziale Funktion, vor wissenschaftlicher Konkurrenz zu schützen (vgl. Hondrich 1978: 316). Schließlich berechtigen „die Idee des Paradigmas wie die Inkommensurabilitätsthese (…) den soziologischen Theoretiker, auch angesichts einer Vielzahl von alternativen Theorien, die konkurrierende Ansprüche erheben könnten, an seiner Theorie festzuhalten, ohne diese als Überlegene ausweisen zu müssen. Das aber kann zu einer Immunisierung von Theorien gegenüber Kritik durch alternative Theorien führen. Theorien bleiben dann allenfalls immanent kritisierbar, was die theoretische Schulenbildung verstärkt und zu Hauptteilen für den (desolat zersplitterten) Zustand sozialwissenschaftlicher Theoriebildung verantwortlich ist“ (Giesen, Schmid 1978: 236).
Umgekehrt ist der besondere Wert von Theorienvergleichen kaum bestreitbar: Die systematische Konfrontation von unterschiedlichen Theorieansätzen kann einen wertvollen Beitrag zur Erweiterung des sozialwissenschaftlichen Erklärungspotenzials leisten (vgl. Opp 1978; Nauck 1988). Dies gilt vor allem für empirische Theorienvergleiche, die auf einem gemeinsamen Datensatz basieren und damit in unmittelbar vergleichender Perspektive Aussagen über die empirische Bewährung und den Determinationsgrad von Theorien liefern können. Solche empirischen Theorienvergleiche erfüllen damit vor allem zwei wesentliche Aufgaben (vgl. Seipel 1999: 19): Sie erzeugen eine besonders wirksame Theoriekritik, die zur Auswahl der „besseren“ respektive zur Verwerfung der „schlechteren“ Theorie führen kann. Theorienvergleiche können darüber hinaus aber auch der Präzisierung und Modifikation der zum Vergleich herangezogenen Theorien dienen. Gerade dieser zweite Aspekt, der vor allem mittels Theorieintegrationen erzielt werden kann, wird in der Theorienvergleichsdiskussion zu wenig berücksichtigt. Theorienvergleiche dienen eben nicht nur der Elimination von Theorien, die im Hinblick auf Kriterien wie theoretische Präzision und vor allem empirische Bewährung schlecht abschneiden. Für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung kann es auch bereichernd sein, wenn zwei alternative Theorieansätze als Ergebnis eines Theorienvergleichs miteinander verbunden werden können und sich diese Integration empirisch bewährt. Die alleinige Konzentration auf konkurrierende Theorien schränkt indes den Erkenntnisspielraum unnötig ein (vgl. ebd.: 32; Iser 2006: 17). Wie und unter welchen Voraussetzungen solche Theorieintegrationen als eine besondere Variante
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des Theorienvergleichs durchgeführt werden können, ist Gegenstand des folgenden Abschnitts. 5.2 Das Methodologieproblem: Zur Vorgehensweise bei der Integration von Theorien In den bisherigen Diskussionen ist viel Energie darauf verwandt worden, Lösungen für das grundsätzlichere Rechtfertigungsproblem zu finden. Das nachgelagerte Methodologieproblem ist darüber ein wenig in Vergessenheit geraten. Es fristet in den Sozialwissenschaften ein „Mauerblümchendasein“ (Seipel 1999: 22). Ein fertig ausgearbeitetes Programm des systematischen Theorienvergleichs existiert nach wie vor nur in rudimentären Ansätzen (vgl. Wippler 1994: 107; Seipel 1999: 31). Dies gilt auch für den untergeordneten und noch spezielleren, methodologischen Forschungsstand zu Theorieintegrationen. Methodologische Fragen der Integration von Theorien sind bisher in den Sozialwissenschaften kaum systematisch thematisiert worden (vgl. Suchanek 1994: 1). Auch die schon angesprochene frühe Theorienvergleichsdebatte hat zu diesem speziellen Aspekt theorienvergleichenden Arbeitens wenig beigetragen. Begründet liegt dieses Defizit in der schon erwähnten, sehr einseitigen Fokussierung der Theorienvergleichsdiskussion auf die Konkurrenz von Theorien, die, wie oben schon erwähnt, ihre Legitimation und Inspiration aus dem Programm des Falsifikationismus Karl R. Poppers schöpft. Auch bei deutschen Vertretern des theoretischen Pluralismus lässt sich diese thematische Engführung konstatieren. Zwar treten mit Karl-Dieter Opp und Reinhard Wippler die beiden Hauptvertreter dieser Richtung dezidiert für Theorienvergleiche ein, vertreten aber gleichzeitig mit dem Ansatz des eliminativen Theorienvergleichs eine sehr spezielle und zugleich eingeschränkte Auffassung davon, wie ein solcher Theorienvergleich konkret durchzuführen ist. Aus dieser Perspektive soll der Theorienvergleich vor allem eine Entscheidungsgrundlage bieten, um zwischen besseren und schlechteren Theorien diskriminieren zu können, eine Position, die unmittelbar an Poppers Idee vom Konkurrenzkampf unterschiedlicher Ansätze anknüpft. Nach Opp und Wippler bezeichnet „Theorienvergleich“ den Versuch, „vorliegende empirische oder präskriptive Sätze, die miteinander unvereinbar sind, einer Kritik zu unterziehen mit dem Ziel, erstens zu ermitteln, welche der zu vergleichenden Sätze überlegen sind und zweitens die unterlegenen Sätze aus der weiteren Diskussion auszuschließen. Kurz gesagt: Ein Theorienvergleich ist der Versuch, eine eliminative Konkurrenz zwischen bestehenden empirischen oder präskriptiven Sätzen herzustellen (Opp 1978: 213; vgl. ähnlich auch Opp, Wippler 1990b: 10).
Entscheidend ist aus dieser Perspektive, welcher der beiden Theorieansätze eine bessere empirische Performanz aufweist. Wenn zu einer Theorie T1 eine alternative Theorie T2 existiert, die in etwa denselben Informationsgehalt wie T2 hat, aber „bezüglich ihres (vermutlichen) Wahrheitsgehalts T2 klar überlegen und bezüglich ihres (vermutlichen) Falschheitsgehalts T2 klar unterlegen ist, d.h. wenn T1 eindeutig wahrer als T2 sein dürfte, dann soll man T2 eliminieren“ (Opp 1999: 207).
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Zweifelsfrei lässt sich eine solche Konzeption des theorienvergleichenden Arbeitens auf produktive Weise einsetzen, wie die Beiträge des von Opp und Wippler initiierten Forschungsverbundes „Vergleichende Theorientestung“ demonstriert haben (vgl. Opp, Wippler 1990a). In der Regel werden dabei zwei ausgewählte Theorieansätze, die unterschiedliche Faktoren als kausal relevant für ein bestimmtes Explanandum identifizieren, einem empirischen Theorientest unterzogen. Es wird überprüft, welche der beiden Theorien in ein- und derselben Untersuchungssituation besser mit den Daten übereinstimmt, also einen höheren Varianzanteil erklärt. Gegenüber den viel häufiger durchgeführten isolierten Theorientests, bei denen ermittelt wird, ob eine bestimmte Theorie mehr oder weniger gut von den Daten gestützt wird, hat eine solche Form der vergleichenden Überprüfung den Vorzug, dass auf diese Weise die Erklärungskraft alternativer Theorien unmittelbar miteinander verglichen werden kann (Opp, Wipper 1990b: 10). Der eliminative Theorientest greift aber als Entwurf für eine umfassende Methodologie des Theorienvergleichs zu kurz. In bestimmten Fällen kann auch eine Modifikation beziehungsweise Verbindung der an der Überprüfung beteiligten Theorien die theoretische Diskussion bereichern und einen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt leisten (vgl. Seipel 1999: 20). Eliminative Theorientests zeigen nämlich in der praktischen Anwendung selten ein so eindeutiges und klares Ergebnis, dass dieses es gerechtfertigt erscheinen ließe, einen Theorieansatz zu verwerfen (vgl. Elliott 1985: 126). Von der Problematik, dass die Ergebnisse der empirischen Prüfung relativ ähnlich ausfallen, berichten auch Opp und Wippler im Zuge der Bilanzierung ihrer Erfahrungen mit eliminativen Theorientests (vgl. Opp, Wippler 1990c: 230). Erschwerend kommen noch zwei weitere Aspekte hinzu: Zum einen sind Theorien selten so präzise formuliert, dass nicht ein gewisser Entscheidungsspielraum, beispielsweise bei der Operationalisierung der theoretischen Begriffe oder bei der Auswahl der Auswertungsverfahren, gegeben wäre, der seinerseits das Abschneiden der Theorie im empirischen Test beeinflussen kann. Angesichts dieser messtheoretischen Spielräume kann das Ergebnis eines eliminativen Theorienvergleichs kaum je als definitiv beurteilt werden (vgl. ebd.; Elliott 1985: 125f.). Zweitens herrscht unter Vertretern eines eliminativen empirischen Theorienvergleichs keineswegs ein Konsens darüber, welche weiteren Kriterien sich neben der empirischen Bewährung einer Theorie noch als Beurteilungsmaßstäbe empfehlen. Selbst an welchen Kriterien sich die Beurteilung der empirischen Untersuchungsergebnisse ausrichten sollte, ob also beispielsweise ein Vergleich der (korrigierten) erklärten Varianzen ausreichend ist, ob die Koeffizienten jeder einzelnen unabhängigen Variable statistisch signifikant sein müssen, oder ob diese sogar eine bestimmte Mindestgröße haben sollten, da mit zunehmender Größe der Untersuchungseinheiten selbst sehr kleine Koeffizienten schon signifikant werden, ist nur unzureichend geklärt (vgl. ebd.). Zwar gehen die angesprochenen Punkte zum Teil schon sehr ins Detail. Sie verdeutlichen aber, dass ein eliminativer Theorienvergleich in der praktischen Anwendung viele Fallstricke bietet, insbesondere dann, wenn eine Theorie der anderen eben nicht in jeder Hinsicht klar überlegen ist. Damit hängt noch ein weiteres Argument zusammen, das Elliott bezogen auf die Erklärung kriminellen Verhaltens entwickelt, welches sich aber angesichts der Komplexität und des multikausalen Charakters vieler sozialer Phänomene durchaus verallgemeinern lässt: Vielfach erweist sich, dass die im Anteil der erklärten Varianz sich ausdrückende Fähigkeit einzelner Theorien, ein bestimmtes Explanandum zu erklären, eher gering ist. Elliott folgert daraus, dass eine ex-ante-Festlegung auf eine eliminative Strategie wenig weiterhelfe, weil sie die Möglichkeit, dass alternative Hypothesen gleichzeitig korrekt sein könnten und
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integriert in ein umfassenderes Erklärungsmodell insgesamt zu einer höheren Varianzaufklärung beitragen, von vornherein negiert: “The observation that both hypotheses might be correct and might account for independent portions of the variance in crime was typically overlooked by researchers focusing upon crucial tests, because the objective was to prove one theory right and the other wrong” (Elliott 1985: 126).
Elliott kommt auf Basis dieser Argumente zu einer negativen Bewertung des eliminativen Theorienvergleichs: „In sum, the competitive hypothesis approach has often served to inhibit theory development rather than to enhance it“ (ebd.). Er vertritt hier eine Perspektive, die theoretische Integrationen in erster Linie als Mittel zum Zweck der Erhöhung der empirischen Erklärungskraft ansieht: „there is little question that the major objective to integrate divergent theoretical perspectives (…) (is) to increase the explanatory power of our theories“ (ebd.: 128). Neben diesen Argumenten, die auf Fragen der empirischen Umsetzung von eliminativen Theorientests und der empirischen Performanz von Theorien abzielen, gibt es aber noch ein etwas anders gelagertes Argument, das gegen eine alleinige Fokussierung des empirischen Theorientests auf die Frage nach dem besser oder schlechter spricht. Das Programm des eliminativen Theorienvergleichs erscheint auch deshalb zu eng, weil es überhaupt nur dann sinnvoll einsetzbar ist, wenn zwei konkurrierende Theorien in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander stehen, welches lediglich eine von mehreren potenziell möglichen Relationen darstellt, in denen sich Theorien zueinander befinden können. Als Ansatzpunkt für eine Methodologie des Theorienvergleichs erscheint daher eine breitere Herangehensweise sinnvoll, die nicht von vornherein auf die Konkurrenz von Theorien ausgerichtet ist, sondern auch Theorieintegrationen als weitere Variante des Theorienvergleichs mit einschließt. Daraus ergibt sich die folgende Empfehlung für die praktische Durchführung von Theorienvergleichen: Zunächst empfiehlt es sich, im Rahmen einer vergleichenden Rekonstruktion der theoretischen Annahmen die Basisrelationen von Theorien differenzierter zu bestimmen. Ein solcher logischer Theorienvergleich erfüllt, wie Kapitel 4 schon gezeigt hat, auch den Zweck, Schwächen in der theoretischen Präzision der Argumentation aufzudecken, die neben der empirischen Bewährung als eines der wesentlichen Qualitätskriterien für „gute“ Theorien gilt. Erst die auf Basis dieser Rekonstruktion bestimmbare logische Relation der Theorien, die für die beiden im Rahmen dieser Arbeit ausgewählten Theorien in Kap. 5.3 noch genauer betrachtet werden wird, ist dann entscheidend für das weitere Vorgehen. In Abhängigkeit von deren Resultat ergibt sich, ob ein eliminativer empirischer Theorientest sinnvoll ist oder ob es stattdessen beispielsweise adäquater wäre, die Option einer Theorieintegration empirisch zu überprüfen. Hilfestellung bei dieser Aufgabe bieten einige Beiträge, die sich mit den möglichen Relationen von sozialwissenschaftlichen Theorien befassen. Die Anzahl der Arbeiten, die sich mit diesem Problemkomplex befassen, ist jedoch insgesamt eher klein. Im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung erscheinen insbesondere zwei relativ aktuelle Ansätze interessant, die sich zugleich um eine Synthese älterer Ansätze bemühen: der Ansatz von Christian Seipel sowie der Ansatz von Joseph Jupille, James A. Caporaso und Jeffrey T. Checkel.
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Metatheorie der Theorieintegration
Seipel hat mit seiner Doktorarbeit einen der ausführlichsten Beiträge zu der seit den späten 1980er Jahren wieder angestoßenen Debatte um theorienvergleichendes Arbeiten im Rahmen der deutschsprachigen Soziologie vorgelegt (vgl. Seipel 2000). Inhaltlich untersucht er den Beitrag, den die Persönlichkeitstheorie und der Rational Choice-Ansatz zur Erklärung devianten Verhaltens leisten können. Ausgehend von seiner Kritik an der engen Konzeption des eliminativen Theorienvergleichs entwickelt er im metatheoretischen Teil seiner Studie eine Konzeption der Relation von Theorien. Seipel knüpft dabei an ältere Typologien an (vgl. Wagner, Berger 1985; Nauck 1988; Liska, Krohn, Messner 1989; Hirschi 1979). Er modifiziert und integriert diese Typologisierungsansätze und entwickelt aus ihnen einen eigenen Typologisierungsvorschlag. Seipel unterscheidet dazu auf einer ersten Stufe zwischen drei verschiedenen Relationstypen: einem Konkurrenztyp A, einem Konkurrenztyp B und einem Integrationstyp. Der Integrationstyp wird dann auf einer zweiten Stufe nochmals in drei Untertypen aufgegliedert: horizontale Integration, sequenzielle Integration und deduktive Integration. Offenbar ohne die gerade erwähnten soziologischen Beiträge zur Kenntnis genommen zu haben, unterbreiten Jupille, Caporaso und Checkel in einem politikwissenschaftlichen Beitrag einen inhaltlich sehr ähnlichen Vorschlag zur Bestimmung möglicher Theorierelationen (vgl. Jupille, Caporaso, Checkel 2003).104 Sie unterscheiden dazu auf der methodologischen Ebene zwischen vier Arten von möglichen Theorierelationen: competitive testing, additive theories based on complementary domains of application, sequenzing und incorporation. In welchen Relationen die beiden Typologisierungsvorschläge beziehungsweise die in ihrem Rahmen spezifizierten Theorierelationen zueinander stehen, zeigt die folgende Abbildung: Abbildung 18: Typen des Theorienvergleichs Jupille, Caporaso, Checkel Competitive testing
Seipel J Konkurrenztyp A J Konkurrenztyp B
Additive theory/ J Horizontale Integration complementary domains of application Sequenzing of theories
J Sequentielle Integration
Incorporation (subsumption)
J Deduktive Integration
Was Jupille, Caporaso und Checkel competitive testing nennen, entspricht dem schon mehrfach angesprochenen klassischen Typ des eliminativen Theorienvergleichs. Seipel bezeichnet diese Art der Relation als Konkurrenz. Er untergliedert dieses Konkurrenzverhältnis zwischen Theorien feiner, indem er zwischen einem Konkurrenztyp A und einen Konkur104
Thematisch ist ihr Beitrag dem Teilbereich der Internationalen Beziehungen zuzuordnen. Jupille, Caporaso und Checkel knüpfen an die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Varianten von institutionalistischen Erklärungsansätzen an, die derzeit im Rahmen des Neuen Institutionalismus vertreten werden. Konkret geht es ihnen um den Versuch einer Verknüpfung zwischen ökonomischen und konstruktivistischen Varianten institutionalistischer Erklärungsansätze im Rahmen der Analyse von Prozessen der EU-Integration.
Das Methodologieproblem: Zur Vorgehensweise bei der Integration von Theorien
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renztyp B unterscheidet. Der Konkurrenztyp A liegt dann vor, wenn zwei Theorieansätze das Gleiche erklären wollen, aber zu logisch sich widersprechenden Aussagen kommen. Sozialwissenschaftliche Theorien, die miteinander konkurrieren und auf den ersten Blick unvereinbar sind, stehen allerdings nicht zwangsläufig in einem logischen Widerspruch zueinander. Häufig tritt auch der Fall auf, dass zwei Theorienansätze logisch nicht widersprüchlich zueinander sind, sich allerdings hinsichtlich der als relevant erachteten Ursachen unterscheiden. Wenn diese Form der Konkurrenz gegeben ist, spricht Seipel vom Konkurrenztyp B. Beide Theorieansätze verhalten sich in diesem Fall komplementär zueinander und sind dementsprechend durchaus miteinander vereinbar. Es ist in erster Linie dieser spezielle Fall der Theorierelation, bei dem sich eliminative Theorientests einsetzen lassen.105 Wenn zwei Theorieansätze in einer solchen Relation zueinander stehen, dass sie miteinander verbunden werden können, liegt der Typus der Integration vor. Zur Präzisierung der Theorierelationen, die vorliegen müssen, damit Theorieintegrationen zu einer Option werden, unterscheidet Seipel in Anlehnung an Liska, Krohn und Messner beziehungsweise Hirschi zwischen drei verschiedenen Integrationstypen: die deduktive Integration (up-anddown or deductive integration), die sequenzielle Integration (end-to end or sequential integration) und die horizontale Integration (side-by-side or horizontal integration) (vgl. Liska, Krohn, Messner 1989: 5; Hirschi 1979). Eine inhaltlich identische Spezifizierung von Integrationsvarianten findet sich auch bei Jupille, Caporaso und Checkel. Im Folgenden werden der Einfachheit halber die Bezeichnungen von Seipel übernommen.106 Die deduktive Integration gilt als die klassische Form der Integration (vgl. Seipel 1999: 37). Sie setzt voraus, dass Theorieansätze sich sehr stark ähneln. Ähnlichkeit kann einerseits bedeuten, dass zwei Theorieansätze eigentlich identisch sind und sich lediglich unterschiedlicher Sprachen bedienen. Sie sind dann durch sprachliche und logische Transformationen in die jeweilig andere übersetzbar. Ähnlichkeit kann andererseits aber auch bedeuten, dass sich eine Theorie als Spezialfall einer anderen darstellen lässt. Beide Theorien stehen dann also hinsichtlich ihres intendierten Anwendungsbereichs in einem Mengen-Teilmengen-Verhältnis (vgl. Nauck 1988: 18). In beiden Fällen sind die jeweiligen Theorieansätze über theoretische Reduktion integrierbar. Dabei kann eine Theorie B in einer allgemeineren Theorie A aufgehen, weil diese allgemeinere Theorie auch die allgemeineren Konzepte und Begriffe zur Verfügung stellt. Aus Rational Choice-Perspektive sind in den letzten Jahren mehrfach Ansätze zu einer solchen theoretischen Reduktion verschiedener Handlungstheorien auf den allgemeineren Theorieansatz der Theorie rationalen Handelns unternommen worden (vgl. Kunz 1997; Suchanek 1994). Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Arbeit von Hartmut Esser, die den verstehenden Ansatz von Alfred Schütz in die Begrifflichkeiten des Rational Choice-Ansatzes übersetzt (vgl. 105
Ein eliminatives Vorgehen ist aber auch dann nicht zwangsläufig. Vielmehr ist die gewählte Vorgehensweise vom primären Erkenntnisziel abhängig und an dieses anzupassen. Geht es weniger um die Bewertung von Theorien als vielmehr um die Maximierung von erklärter Varianz, wird man sich möglicherweise rein pragmatisch gegen ein solches eliminatives Vorgehen und für einen multikausalen Erklärungsansatz entscheiden. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil viele sozialwissenschaftliche Explananda multikausal verursacht sind und sich nur adäquat erklären lassen, wenn man unterschiedliche Bündel von Bestimmungsfaktoren berücksichtigt. 106 Die deduktive Integration entspricht der incorporation bzw. subsumption. Was Jupille und seine Koautoren etwas umständlich als additive theory based on complementary domains umschreiben, bringt Seipel mit dem Begriff horizontale Integration auf einen kürzeren Nenner. Übereinstimmend bezeichnen beide einen dritten Integrationstypus als sequenzielle Integration bzw. sequenzing.
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Metatheorie der Theorieintegration
Esser 1991). Solche Integrationsversuche setzen in der Regel umfangreiche Rekonstruktionsleistungen voraus. Das Verhältnis der Theorieansätze ist bei der deduktiven Integration über logischsemantische Analysen zu bestimmen. Ein empirischer Vergleich der Theorien ist weder möglich noch notwendig, weil die Theorieansätze nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern eine Theorie in eine andere Theorie überführt werden kann beziehungsweise beide Theorien zu einer umfassenderen Theorie vereint werden können. Solche theoretischen Synthesen können durchaus dem wissenschaftlichen Fortschritt dienen. Wenn sich nämlich herausstellt, dass die betrachteten Theorien wechselseitig ineinander übersetzbar sind, dann sorgt dies für eine Systematisierung und Vereinheitlichung der wissenschaftlichen Sprache und befördert auf diese Weise auch einen ökonomischeren Umgang mit theoretischen Argumenten (vgl. Esser 1984). Bei der sequenziellen Integration werden zwei Theorien in Form einer kausalen Sequenz hintereinander geschaltet. Sie werden also so miteinander verbunden, dass die Variablen, die zuvor die unabhängigen Variablen der einen Theorie bildeten, zu den abhängigen Variablen beziehungsweise zu den intervenierenden Variablen innerhalb eines Integrationsmodells werden. Der Versuch einer Theorieintegration in Form einer kausalen Sequenzierung erscheint damit dann lohnenswert, wenn die folgenden beiden Bedingungen erfüllt sind: Erstens sollte der Konkurrenztyp B vorliegen, beide Theorien sollten also in ihrer abhängigen Variable übereinstimmen, allerdings auf unterschiedliche unabhängige Variablen als Ursachen fokussiert sein. Zweitens sollten sich die unabhängigen Variablen, die im Rahmen der beiden Theorien spezifiziert werden, in proximale und distale Ursachen unterteilen lassen. Anders formuliert sollte es plausibel sein, dass die unabhängigen Variablen beider Ansätze zeitversetzt zusammenwirken, um ein bestimmtes Explanandum zu erklären; „each (approach) depends on the other temporally to explain a given outcome” (Jupille, Caporaso, Checkel 2003: 22). Bei diesem Integrationstypus besteht entsprechend die Herausforderung darin, gut zu begründen, wieso beide Theorien einander komplettieren können, und zwar in dieser spezifischen, sequenziellen Art der Beziehung. Letzteres setzt voraus, dass die kausalen Beziehungen zwischen den beiden Konzepten präzisiert und theoretisch begründet werden. Ausgangspunkt bei horizontalen Integrationen ist die Überlegung, dass Theorien häufig einen bestimmten Anwendungsbereich haben und dieser Anwendungsbereich durch bestimmte Bedingungen spezifiziert sein kann (vgl. Jupille, Caporaso, Checkel 2003: 21). Beispielsweise lassen sich Rational Choice-Theorien bei bestimmten Arten von Explananda aus dem Bereich des abweichenden Verhaltens gut anwenden. Ein solcher Anwendungsbereich ist die Erklärung von organisierter Kriminalität. Bei den meisten Tötungsdelikten, vor allem dann, wenn es um Tötungsdelikte im Affekt unter Vertrauten geht, scheinen dagegen Rational Choice-Ansätze weniger brauchbar (vgl. Liska, Krohn, Messner 1989: 6). Im Rahmen der horizontalen Integration geht man entsprechend von einer Aufteilung der Theorien aus, bei der festgelegt wird, welche Theorie welches Explanandum erklären soll. Die Theorien stehen nebeneinander. Es wird davon ausgegangen, dass sie unterschiedliche Verhaltensbereiche erklären können und sich in bestimmten Fällen überlappen (vgl. Seipel 1999: 38). Wie die folgende Tabelle zeigt, stehen die drei skizzierten unterschiedenen Basisrelationen des Theorienverhältnisses mit den drei Integrationstypen in folgender Beziehung:
Relationsbestimmung der beiden Vertrauenstheorien
147
Abbildung 19: Theorierelationen und korrespondierender Integrationstypus107 Relation der Theorien
Mögliche Typen der Integration Deduktive Integration
Sequentielle Integration
Horizontale Integration
Ähnlichkeit
Möglich
nicht möglich
nicht möglich
Konkurrenztyp A
nicht möglich
nicht möglich
nicht möglich
Konkurrenztyp B
nicht möglich
möglich
möglich
5.3 Relationsbestimmung der beiden Vertrauenstheorien Betrachtet man die Rekonstruktionsergebnisse der Kapitel 2, 3 und 4 jetzt noch einmal vor dem Hintergrund der drei in der ersten Spalte der Tabelle 19 spezifizierten Theorierelationen, dann lässt sich das logische Verhältnis der beiden ausgewählten Vertrauenstheorien präzise bestimmen. Beide Theorien sind sich zunächst nicht ähnlich. Zwar ziehen beide zur Erklärung von kooperativem Handeln Vertrauen als zentrale unabhängige Variable heran, sie konzeptualisieren Vertrauen aber unterschiedlich. Während Vertrauen aus Perspektive der Politischen Kulturforschung eine langfristig stabile generelle Einstellung ist, ist Vertrauen aus Perspektive der in vielerlei Hinsicht anschlussfähigeren SEU-Variante der ökonomischen Vertrauenstheorie (vgl. ausführlich Kap. 4) eine in konkreten Entscheidungssituationen in Abhängigkeit von situativen Anreizen gebildete kognitive Erwartung. Die Möglichkeit einer deduktiven Integration scheidet damit aus. Auch der Konkurrenztyp A liegt nicht vor. Die Lösungsansätze für das Kooperationsproblem, die im Rahmen der beiden Konzepte vertreten werden, sind zwar hinsichtlich der unterstellten Erklärungszusammenhänge und Erklärungsmechanismen unterschiedlich, aber nicht logisch widersprüchlich. Gleichzeitig geht es um zwei alternative Theorien, die das Gleiche, nämlich kooperatives Handeln, zu erklären beanspruchen. Dieses kooperative Handeln wird aber auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt. Aus ökonomischer (SEU-)Perspektive ist es eine situations- und anreizabhängig gebildete Vertrauenserwartung, die multipliziert mit einer Nutzenkomponente die Kooperationsentscheidung determiniert. Aus soziologischer Perspektive sind Kooperationsbereitschaft und kooperatives Handeln maßgeblich durch eine situationsunabhängig stabile, generelle Vertrauenseinstellung determiniert. Offenbar entspricht die Relation der beiden Theorien also dem Konkurrenztyp B. Dem Versuch einer Theorieintegration und dessen empirischer Überprüfung steht damit nichts mehr im Wege. Folgt man der oben abgebildeten Matrix, dann eröffnen sich in einem solchen Fall zwei Möglichkeiten: eine horizontale Integration oder eine sequenzielle Integration. Erstere als Theorieintegration zu bezeichnen, erscheint allerdings wenig sinnvoll. Bei dieser Form der Integration stehen nämlich die Theorien lediglich nebeneinander und erklären unter107
Diese Abbildung ist eine leicht modifizierte Variante einer Abbildung bei Seipel 1999: 39. In Seipels Klassifikation fehlt der Integrationstypus der deduktiven Integration.
148
Metatheorie der Theorieintegration
schiedliche Phänomene. Eine wirkliche Integration der theoretischen Ansätze findet nicht statt. Diese Benennung erschiene allenfalls dann gerechtfertigt, wenn auf einer vorgelagerten Ebene so etwas wie eine Entscheidungsregel angegeben würde, die präzisiert, wann und unter welchen Bedingungen Theorieansatz A beziehungsweise Theorieansatz B Anwendung findet. Nur ein solches, ambitionierteres Erklärungsmodell würde den Namen horizontale Integration verdienen. Auch Liska, Krohn und Messner bezweifeln, dass es sinnvoll ist, diese Form der Relation zwischen Theorien unter Integration zu subsumieren: „Depending on how it is done, this type of integration may seem to be the easiest or it may not even be considered theoretical integration at all” (Liska et al. 1989: 6).
Damit bleibt die kausale Sequenz übrig, die auch in inhaltlicher Hinsicht naheliegend erscheint (vgl. ausführlich Kap. 6). An dieser Stelle lässt sich also eine erste allgemeine Annahme über die Integration der beiden Vertrauenstheorien formulieren: Beide Ansätze lassen sich in Form einer kausalen Sequenz hintereinander schalten. Die generelle Vertrauenseinstellung übt in diesem Sequenzmodell als unabhängige Variable einen kausalen Effekt auf die situationsspezifisch gebildete kognitive Vertrauenserwartung p aus. Die folgende Graphik veranschaulicht diese Annahme schematisch. Oben sind zunächst noch einmal die beiden Vertrauenstheorien für sich genommen abgebildet. Um die Darstellung einfach zu halten, ist bewusst nur der Ausschnitt der im Rahmen der beiden theoretischen Konzepte unterstellten Kausalannahmen herausgegriffen, der sich auf den Zusammenhang zwischen Vertrauen und kooperativem Handeln bezieht. Die im Rahmen von Rational Choice diskutierten Brückenhypothesen, die einen Zusammenhang zwischen bestimmten situativen Anreizstrukturen und der Bildung der Vertrauenserwartung p formulieren, sind an dieser Stelle der Einfachheit halber ebenso ausgeklammert wie die im Rahmen der Politischen Kulturforschung diskutierten Bestimmungsfaktoren des generellen sozialen Vertrauens. Darunter befinden sich zwei Abbildungen der kausalen Pfade, die sich ergeben, wenn man beide Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz integriert. Das obere Integrationsmodell stellt eine komplette kausale Sequenz dar. Kooperatives Handeln bildet in diesem Kausalmodell die abhängige Variable; die ökonomische Vertrauenserwartung p, die im Rahmen der SEU-Modellierung des ökonomischen Vertrauensansatzes neben der Nutzenkomponente U den Status einer unabhängigen Variable hatte, wird in diesem Integrationsmodell zur intervenierenden Variable. Solche mehrgliedrigen Kausalpfade mit intervenierenden Variablen lassen sich mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen empirisch testen, vorausgesetzt man verfügt über die entsprechenden empirischen Daten beziehungsweise kann diese erheben. Eine solche empirische Überprüfung ist sowohl im Hinblick auf die Datenerhebung wie auch deren Auswertung allerdings aufwändig und angesichts des wenig entwickelten Forschungsstandes nur schwer realisierbar. Um die empirische Bewährung einer solchen kausalen Sequenz dennoch testen zu können, empfiehlt sich eine einfachere Vorgehensweise: Um explorativ zu testen, ob sich die Hypothese einer kausalen Sequenz beider Vertrauenstheorien empirisch bewährt, ist es in einem ersten Schritt einfacher und völlig ausreichend, zunächst ein reduziertes Integrationsmodell zu bilden, in dem die situationsspezifische Vertrauenserwartung p, die zuvor unabhängige Variable war, zur abhängigen Variable wird. Wenn sich schon beim Test dieses reduzierten Integrationsmodells zeigt, dass das generelle Vertrauen keinen Effekt auf die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung p ausübt, dann ist ein Test des kompletten Modells
Relationsbestimmung der beiden Vertrauenstheorien
149
überflüssig. Sollten sich die Ergebnisse dagegen als robust erweisen, ist es immer noch möglich, in weiteren Untersuchungen auch die komplette Sequenz zu testen.
Abbildung 20: Schematische Darstellung der beiden Vertrauenstheorien und ihrer Integration Unabhängige Variable
Intervenierende Variable
Abhängige Variable
Soziologischer Vertrauensansatz Generelle Vertrauenseinstellung
J
Kooperatives Handeln
Ökonomischer Vertrauensansatz J
Vertrauenserwartung p
Kooperatives Handeln
Integration: Kausale Sequenz (vollständiges Modell) Generelle Vertrauenseinstellung
J
Vertrauenserwartung p
J
Kooperatives Handeln
Integration: Kausale Sequenz (getesteter Ausschnitt) Generelle Vertrauenseinstellung
J
Vertrauenserwartung p
Dass beide Vertrauenstheorien einander gut ergänzen könnten, hat insbesondere Kapitel 4 der Arbeit schon gezeigt. Die Idee, dass eine Integration der beiden Ansätze in der spezifischen Form einer kausalen Sequenz realisierbar ist, ist allerdings noch genauer theoretisch zu untermauern. Zumindest ist diese Idee aber intuitiv plausibel. Dafür spricht die Art der Konzeptualisierung von Vertrauen im Rahmen der beiden Vertrauenstheorien. Es erscheint nahe liegend davon auszugehen, dass diese beiden Vertrauenskonstrukte zeitlich versetzt auf kooperatives Handeln wirken könnten, und zwar derart, dass die Vertrauenserwartung des ökonomischen Vertrauensansatzes eine proximale Ursache für kooperatives Handeln darstellt, die durch die distale generelle Vertrauenseinstellung (soziologische Perspektive) kausal beeinflusst wird. Plausibilitäten und Intuition sind allerdings keine tauglichen Referenzgrößen im wissenschaftlichen Kontext. Nachdem nun der metatheoretische Rahmen abgesteckt ist und eine erste allgemeine Hypothese darüber formuliert wurde, wie eine Integration von ökonomischem und soziologischem Vertrauensansatz aussehen könnte, ist es das Ziel des folgenden Kapitels, eine theoretische Begründung für diese Hypothese einer kausalen Sequenz zu liefern. In dieser Hinsicht erweist sich der Forschungsstand der sozialpsychologischen Einstellungsforschung als fruchtbar.
6 Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
Die im letzten Kapitel entwickelte Vorstellung einer Theorieintegration, die beide Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz miteinander verbindet, lässt sich nicht nur methodologisch begründen. Zusätzliche theoretische Argumente, mittels derer sich diese allgemeine Hypothese untermauern lässt, finden sich in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung. In diesem Teilbereich der Sozialpsychologie geht es unter anderem um die Frage, wie Informationen in konkreten Entscheidungssituationen wahrgenommen und verarbeitet werden. Thematisiert wird auch, ob beziehungsweise wie solche situationsspezifischen kognitiven Prozesse von fest in der Persönlichkeit verankerten, generellen Einstellungen beeinflusst werden. Kausale Sequenzmodelle spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. Diese Forschungsdebatten stehen im größeren thematischen Kontext eines Forschungsprogramms, das sich seit mehr als einem halben Jahrhundert aus theoretischer und empirischer Perspektive mit der Einstellungs-Verhaltens-Relation beschäftigt. Die Beziehungen zwischen verschiedenen Typen von Orientierungen werden ebenso wie die Einstellungs-Verhaltens-Relation im Rahmen dieses Forschungsprogramms theoretisch wie empirisch auf elaboriertere Weise analysiert, als dies im politikwissenschaftlichen Zweig der Einstellungsforschung, der Politischen Kulturforschung, der Fall ist. Zumindest im Rahmen der deutschsprachigen Politikwissenschaft werden die Inhalte und Ergebnisse dieser Forschung zur Einstellungs-Verhaltens-Relation kaum zur Kenntnis genommen.108 Diese Diskussionen sind für den vorliegenden Problemzusammenhang von Interesse, weil hier auf einer allgemeinen Ebene diskutiert wird, was – bezogen auf das spezielle Explanandum Vertrauen – Gegenstand dieser Arbeit ist: zum einen die spezifische Relation zwischen der aus soziologischer Perspektive im Zentrum stehenden generellen Vertrauenseinstellung und der aus ökonomischer Perspektive zentralen, situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartung, zum anderen der Zusammenhang zwischen diesen latenten gedanklichen Konstrukten einerseits und Handeln andererseits. Letzteres ist bedeutsam, weil die im Rahmen dieser Arbeit angestrebte Integration der beiden Vertrauenstheorien ja im größeren thematischen Kontext der Frage nach den Zusammenhängen zwischen Vertrauenseinstellungen und kooperativem Handeln steht. Der Rekurs auf die sozialpsychologische Einstellungsforschung ist damit auch im Hinblick auf den sowohl aus soziologischer wie ökonomischer Perspektive unterstellten, engen Zusammenhang zwischen Vertrauen und kooperativem Handeln fruchtbar. Durch Bezugnahme auf diesen Forschungsstand lässt sich verdeutlichen, dass die Annahme, wonach sich das soziologische und das ökonomische Vertrauenskonzept in Form einer kausalen Sequenz integrieren lassen, nicht nur methodologisch plausibel, sondern auch theoretisch naheliegend ist. Die Annahme einer kausalen Sequenz, in deren Rahmen situationsunabhängige generelle Einstellungen situationsspezifische gedankliche Abläufe und die da108
Ausnahmen sind unter anderem Kunz 1997; Kühnel 1993; Behnke 2001; Schumann 2002 und Gabriel 2004.
Einstellungen und Einstellungs-Verhaltens-Relation aus sozialpsychologischer Sicht
151
raus resultierenden Kognitionen beeinflussen, findet nämlich in diesem sozialpsychologischen Forschungsstand breite Anerkennung. Gleichzeitig liefert die sozialpsychologische Einstellungs-Verhaltens-Forschung wertvolle Anstöße zur Klärung der bisher nur unzureichend gelösten Frage nach der mikrotheoretischen Fundierung des Zusammenhangs zwischen Vertrauen und kooperativem Handeln. Ziel des folgenden Kapitels ist es entsprechend, den aktuellen theoretischen Forschungsstand der sozialpsychologischen Einstellungsforschung zur Relation zwischen situationsunabhängigen, generellen Einstellungen und situationsspezifisch gebildeten Überzeugungen darzustellen. Damit in Verbindung wird zweitens nachgezeichnet, welche Rolle diese mentalen Konstrukte aus sozialpsychologischer Perspektive im Rahmen der kognitiven Prozesse spielen, die Handlungen vorausgehen. 6.1 Einstellungen und Einstellungs-Verhaltens-Relation aus sozialpsychologischer Sicht 6.1.1 Einstellungsbegriff und instrumentalitätstheoretisches Grundkonzept Einstellungen stehen seit den Anfängen der Sozialpsychologie im Zentrum des sozialpsychologischen Forschungsinteresses (vgl. Crano, Prislin 2006). Sie sind als Begriffskategorie im Rahmen dieser psychologischen Teildisziplin so zentral, dass einige frühe Vertreter des Faches das Feld der Sozialpsychologie sogar ausdrücklich als den Forschungsbereich definierten, der sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Einstellungen befasst (vgl. Allport 1954). Es dominiert ein Begriffsverständnis, wonach Einstellungen evaluative Tendenzen darstellen, die sich auf bestimmte Einstellungsobjekte beziehen (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 1; Ajzen, Fishbein 2000: 2; Ajzen 2001: 28). Entsprechend schlagen Ajzen und Fishbein vor, „to use the term ‘attitude’ to refer to the evaluation of an object, concept or behavior along a dimension of favor or disfavor, good or bad, like or dislike. Examples of responses reflecting attitudes are approval or disapproval of a policy, liking or disliking of a person or group of people, and judgements of any concept on such dimensions as enjoyable – unenjoyable, desirable – undesirable, good – bad, or pleasant – unpleasant” (Ajzen, Fishbein 2000: 3).
Diese Definition von Einstellung impliziert die Auffassung, dass Einstellungen mentale Zustände sind, die durch bestimmte Reize (Stimuli) hervorgerufen werden und sich in bestimmten, evaluativen Antworten gegenüber dem Einstellungsobjekt dokumentieren (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 10). Insofern diese beobachtet oder erhoben worden sind, können Rückschlüsse auf die Einstellung selbst gezogen werden.109 Ein solches Begriffsverständnis impliziert aber ausdrücklich nicht, dass im Rahmen der sozialpsychologischen Einstel109
Trotz seines zentralen Stellenwertes wird das Konzept der Einstellung auch in der Sozialpsychologie kontrovers diskutiert. Wie in Kapitel 2.1.3 schon erwähnt, dominiert in der sozialpsychologischen Literatur ein Dimensionalisierungsvorschlag, der für eine Einteilung in eine kognitive (Gedanken und Überzeugungen), affektive (Gefühle, Emotionen, Stimmungen, etc.) und behaviorale oder konative Dimension (offenes Verhalten oder Verhaltensintentionen) plädiert (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 10ff.). Allerdings ist dieses Drei-Komponenten-Modell bisher empirisch nicht bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist der Wert dieser Dimensionalisierung in erster Linie heuristischer Art (vgl. Lüdemann 1997: 37).
152
Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
lungsforschung ein einfaches Stimulus-Response-Modell vertreten würde. Zwar wurde verschiedentlich auch die Sichtweise vertreten, dass Einstellungen eine Art wissenschaftliches Artefakt sind und nichts anderes darstellen als ein durch die Sozialwissenschaften eingeführtes Hilfskonstrukt, um eine unterstellte Kovarianz von Reiz und Reaktion zu beschreiben. In der aktuellen Forschung dominiert aber ganz eindeutig eine eher kognitionspsychologisch inspirierte Position. Aus dieser Perspektive verbindet sich mit dem Einstellungskonzept die Vorstellung, dass im menschlichen Gehirn bestimmte latente kognitive Prozesse ablaufen, die mit den gegebenen technologischen Möglichkeiten allerdings nicht direkt beobachtet werden können (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 6). Entsprechend hat man in diesem Forschungszusammenhang schon früh auf die herausragende Bedeutung dieser kognitiven Prozesse bei der Bildung von Einstellungen hingewiesen (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 4). Unter dem Oberbegriff „instrumentalitätstheoretisches Konzept“ ist ein Ansatz zur präzisen Formalisierung dieser Beziehung zwischen Einstellungen und ihren kognitiven Grundlagen entwickelt worden, der eine Variante des Wert-Erwartungsmodells darstellt (vgl. Peak 1955; Rosenberg 1956; Fishbein 1967). Bis heute bildet dieses WertErwartungsmodell den theoretischen Referenzrahmen schlechthin, wenn es um die Beschreibung der Struktur beziehungsweise der Bildung von Einstellungen geht (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 4; Eagly, Chaiken 1993: 106). Es basiert auf der Grundidee, dass Individuen mit Einstellungsobjekten bestimmte Attribute assoziieren. Ist das Einstellungsobjekt beispielsweise eine bestimmte Handlung, dann sind solche Attribute die Konsequenzen, die in Verbindung mit der Ausübung der Handlung wahrgenommen werden. Ist das Einstellungsobjekt ein bestimmter Gegenstand, dann sind die Attribute die Merkmale, die diesem Gegenstand zugeschrieben werden. Diese Attribute sind mit dem Einstellungsobjekt mehr oder weniger intensiv verknüpft, das heißt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einstellungsobjekt ein bestimmtes Attribut hat, wird als mehr oder weniger groß eingeschätzt. Hierfür wurde im Kontext dieser Diskussionen der Begriff der Instrumentalität eingeführt. Diese subjektiven Wahrscheinlichkeiten werden als beliefs bezeichnet, was mit Erwartung (oder Überzeugung) übersetzt werden kann. Das zentrale Unterscheidungsmerkmal zwischen Erwartungen und Einstellungen ist ihr Informationsgehalt (vgl. Six 1996: 4f.). Erwartungen sind kognitiver Art. Sie bilden die kognitive Grundlage, auf der sich Einstellungen bilden. Gleichzeitig werden die mit dem Einstellungsobjekt assoziierten Attribute als mehr oder weniger positiv eingeschätzt. Man spricht in diesem Zusammenhang von evaluations beziehungsweise Valenzen. Nach dem Wert-Erwartungsmodell der Einstellungsbildung ergibt sich die Einstellung eines bestimmten Individuums zu einem bestimmten Einstellungsobjekt aus den subjektiven Bewertungen der Attribute, die mit dem Einstellungsobjekt assoziiert werden. Diese werden mit der wahrgenommenen Stärke (Instrumentalität) dieser assoziativen Verknüpfung gewichtet: „attitudes are a function of (a) beliefs about the attitude object, defined as the subjective probability that the attitude object has each attribute, and (b) the evaluative aspect of these beliefs, defined as the evaluation of each attribute” (Eagly, Chaiken 1993: 108).
In einer formalisierten Schreibweise sieht das Wert-Erwartungsmodell der Einstellungsbildung so aus (vgl. Fishbein 1967; Eagly, Chaiken 1993: 108):
Einstellungen und Einstellungs-Verhaltens-Relation aus sozialpsychologischer Sicht
153
Abbildung 21: Wert-Erwartungsmodell der Einstellungsbildung n
Ao = ¦ bi ei i 1
Ao = Einstellung gegenüber einem Objekt bi = Erwartung i bezüglich eines bestimmten Objekts; entspricht der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass o Attribut i hat (Instrumentalität) ei = Bewertung des Attributs i (Valenz) n = Anzahl der Attribute Die Einstellung zu einem bestimmten Objekt ergibt sich aus den Produkten, die aus den jeweiligen Erwartungen (Instrumentalitäten) und deren Valenzen gebildet und über die einzelnen Attribute aufsummiert werden. Die Modellierung ähnelt dem in Kapitel 3 bereits eingeführten SEU-Modell. Das instrumentalitätstheoretische Grundkonzept der Einstellungsbildung fußt auf der Annahme, dass einmal gebildete Erwartungen bezüglich bestimmter Attribute eines Einstellungsobjektes beziehungsweise die Bewertung dieser Attribute automatisch und unvermeidbar die Ausprägung bestimmter Einstellungen nach sich ziehen (vgl. Ajzen, Sexton 1999: 119). Relevant für die Bildung einer Einstellung sind aus dieser Sicht zudem nicht alle Erwartungen, die Menschen bezüglich eines bestimmten Objektes bilden können. Man geht vielmehr davon aus, dass nur solche Erwartungen die Bildung der Einstellung beeinflussen, die kognitiv zugänglich sind, was in diesem Diskussionszusammenhang auch mit dem Begriff der accessibility oder Salienz bezeichnet wird (vgl. Ajzen 2001: 30). Das Wert-Erwartungsmodell der Einstellungsbildung unterstellt, dass es diese salienten Überzeugungen sind, die als entscheidende Determinanten der Einstellungsbildung wirken (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 5). Sie bilden aus dieser Perspektive zugleich den Schlüssel zum besseren Verständnis der kognitiven Grundlagen einer Einstellung (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 6). 6.1.2 Die Beziehung zwischen Einstellungen und Verhalten und die Ausdifferenzierung des Einstellungsbegriffes Die große Aufmerksamkeit, die Einstellungen als latenten Konstrukten in der sozialpsychologischen Forschung zuteil wird, erklärt sich, ähnlich wie in der Politischen Kulturforschung, hauptsächlich aus der Hoffnung, mittels Einstellungen Verhalten erklären und prognostizieren zu können (vgl. Olson, Zanna 1993: 131). Schon in einer frühen Phase der Einstellungsforschung erwies sich aber die anfängliche Einschätzung, dass alle sozialen Handlungen, die Menschen ausführen, egal ob religiöse Verrichtungen, der Verdienst des Lebensunterhaltes, politische Aktivitäten oder das Handeln mit Gütern auf einem Markt, durch Einstellungen geleitet sind, als zu optimistisch (vgl. Ajzen 1980: 139): Eine zunehmende Zahl empirischer Studien dokumentierte schwache beziehungsweise stark inkonsistente Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Verhalten und brachte somit das frühe
154
Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
Dogma einer Determinierung von Verhalten durch Einstellungen (vgl. LaPiere 1934; Campbell 1963) ins Wanken. Starke Resonanz fand vor allem ein Artikel von Wicker Ende der 1960er Jahre, der auf fehlende empirische Belege für die unterstellte enge Kopplung zwischen Einstellungen und Verhalten aufmerksam machte (vgl. Wicker 1969). Wicker ermittelte in einer Metaanalyse von 42 empirischen Studien zur Einstellungs-VerhaltensRelation nur eine mittlere Korrelation von 0.15 und resümierte: „Taken as a whole, these studies suggest that it is considerably more likely that attitudes will be unrelated or only slightly related to overt behaviors than that attitudes will be closely related to actions“ (ebd.: 65).
Diese Entwicklung nährte bei vielen Sozialpsychologen Zweifel an der Nützlichkeit des Einstellungskonstruktes, dem Relevanz in erster Linie wegen seiner unterstellten handlungsdeterminierenden Wirkung zugeschrieben wurde (vgl. Ajzen, Fishbein 2005: 175).110 Seine Auflösung fand dieses Inkonsistenz-Dilemma schließlich nicht in einer Aufgabe der Einstellungs-Verhaltens-Forschung, sondern in einer Neuausrichtung dieses Forschungsprogramms. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man sich in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung ausschließlich darauf beschränkt, solche Einstellungen zu betrachten, die sich auf breite, sehr generelle Einstellungsobjekte beziehen. Es sind diese generellen Einstellungen, die, wie Kapitel 2 verdeutlicht hat, auch nach wie vor im Zentrum der Politischen Kulturforschung stehen.111 Man unterstellte, dass diese Arten von Einstellungen über ein relativ hohes Maß an Stabilität über Zeit und Kontext hinweg verfügen. Gleichzeitig dominierte die Vorstellung, dass es diese Arten von generellen Orientierungen sind, die Verhalten determinieren. Die erwähnte Umorientierung der Einstellungsforschung brachte eine kritische Auseinandersetzung mit diesen für selbstverständlich genommenen Annahmen mit sich und führte zu einer differenzierteren Betrachtung des Einstellungskonstruktes und der Einstellungs-Verhaltens-Relation. Im Zuge dieses Prozesses ließ die starke Fokussierung auf generelle Einstellungen nach. Gleichzeitig etablierte sich eine Unterscheidung zwischen generellen und spezifischen Einstellungen. Mit letzteren bezeichnete man solche Einstellungen, die sich auf enger definierte, spezifische Einstellungsobjekte beziehen. Die Aufmerksamkeit der Einstellungsforschung richtete sich nun auch auf diese spezifischen Einstellungskonstrukte, ihre Entstehung und ihre Wirkungsweise. Betrachtet vom Standpunkt des instrumentalitätstheoretischen Grundkonzeptes unterscheiden sich beide Einstellungstypen hinsichtlich ihrer kognitiven Grundlagen. Während generelle Einstellungen chronisch zugängliche Überzeugungen als Grundlage haben (vgl. Ajzen 2001: 35), basieren spezifische Einstellungen auf einem Set an spezifischen Überzeugungen über Handlungsalternativen und die zu vermutenden Handlungskonsequenzen, die in Abhängigkeit von den situativ gegebenen Bedingungen beziehungsweise der Wahrnehmung dieser Bedingungen, durch den Akteur neu gebildet beziehungsweise aktiviert werden müssen. Entsprechend sind spezifische Einstellungen weniger stabil als generelle Einstellungen und können eher in Abhängigkeit von den jeweiligen situativen Gegebenheiten variieren. 110
Ausführlicher zur Entwicklung der Einstellungs-Verhaltens-Forschung auch Eagly, Chaiken 1993: 155f. sowie Ajzen, Fishbein 1980: 13-27. 111 Alternativ zum Begriff der generellen Einstellung wird im deutschen Sprachgebrauch auch der Ausdruck allgemeine oder generalisierte Einstellung verwendet. Diese Begriffe sind als Synonyme zu verstehen und werden im Rahmen dieser Arbeit entsprechend auch so verwendet.
Einstellungen und Einstellungs-Verhaltens-Relation aus sozialpsychologischer Sicht
155
Motiviert war diese Ausdifferenzierung des Einstellungsbegriffs durch die Erkenntnis, dass insbesondere in jenen empirischen Studien sehr schwache Korrelationen zwischen Einstellungen und Verhalten auftraten, die versuchten, mittels genereller Einstellungen spezifische Verhaltensweisen gegenüber einem Einstellungsobjekt in einem spezifischen Kontext vorherzusagen (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 13). Offenbar schienen sich generelle Einstellungen als unmittelbare Prädiktoren von spezifischen Handlungsweisen kaum zu eignen. Sie erwiesen sich nur dann als relativ konsistent mit Verhalten, wenn einzelne Handlungen zu einer generellen Handlungstendenz aufaggregiert wurden. Umgekehrt waren die korrelativen Zusammenhänge zwischen Einstellungen und spezifischem Verhalten dann moderat bis stark, wenn statt den in den Sozialwissenschaften zentralen generellen Einstellungen situations- und verhaltensspezifische Orientierungen als Prädiktoren herangezogen wurden, insbesondere solche spezifischen Einstellungen, die sich auf das Verhalten selbst bezogen (spezifische behaviorale Einstellungen). Entsprechend ging man in der Einstellungsforschung auch dazu über, zwischen zwei Arten von Einstellungsobjekten, nämlich Handlungen (attitudes towards behaviors beziehungsweise behaviorale Einstellungen) und Zielen (attitudes towards targets), zu differenzieren (vgl. Ajzen, Fishbein 2005: 173f.; Eagly, Chaiken 1993: 164; Eagly, Chaiken 1998: 296f.).112 Die Verfechter der These einer handlungsdeterminierenden Wirkung von generellen Einstellungen hatten einen Aspekt offenbar falsch eingeschätzt: den Umstand, dass generelle Einstellungen lediglich generelle Handlungstendenzen widerspiegeln, spezifisches Verhalten, je nach der Beschaffenheit des situativen Kontexts der Handlung, aber entschieden von solchen generellen Dispositionen abweichen kann. Spezifisches Verhalten ist nämlich offenbar auch von situativen Einflussfaktoren abhängig, die auf der kognitiven Ebene die Ausprägung von spezifischen behavioralen Einstellungen determinieren: „this approach failed to recognize the situational specificity of much human behavior (…)“ (Ajzen, Fishbein 2000: 13). Diese Erkenntnisse zur Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz haben Icek Ajzen und Martin Fishbein im Kompatibilitätsprinzip zusammengefasst (vgl. Ajzen, Fishbein 1977; Ajzen 1988: 92-111; Eagly, Chaiken 1993: 162-166). Demnach sind hohe Korrelationen zwischen Einstellungen und Verhalten insbesondere dann zu erwarten, wenn sich Einstellungen und Handlungen im Ausmaß ihrer Generalität beziehungsweise ihrer Spezifizität, bezogen auf die Elemente Art der Handlung, Ziel, situativer Kontext und Zeitpunkt, entsprechen. Je größer die Korrespondenz zwischen Einstellungen und Verhalten im Hinblick auf diese vier Elemente, desto größer auch die Erklärungskraft von Einstellungen als Determinanten von Verhalten.113
112
Letztere werden in der angloamerikanischen Sozialpsychologie auch als „general attitudes towards objects“ bezeichnet. Diese Begriffsbezeichnung ist aber insofern unglücklich, als alle Einstellungen sich qua Definition auf ein bestimmtes Einstellungsobjekt beziehen, respektive auch eine Handlung ein Einstellungsobjekt ist (vgl. kritisch hierzu auch Eagly, Chaiken 1993: 164). Besser geeignet erscheint dagegen der Begriff Einstellungen gegenüber Zielen, wobei berücksichtigt werden sollte, dass auch solche Einstellungen gegenüber Zielen Handlungs-, Kontext- oder Zeitelemente beinhalten können. Beide Arten von Einstellungen können spezifisch oder generell ausgeprägt sein, wobei diese Unterscheidung nur als eine graduelle zu verstehen ist. 113 Eine Konsequenz aus dieser empirischen Erkenntnis ist die messtheoretische Empfehlung, zur Prognose von spezifischem Verhalten spezifische Einstellungen zu erheben, respektive dann, wenn generelle Einstellungen als Prädiktoren interessieren, auf Seiten der abhängigen Variablen ein „multiple act criterion“ zu verwenden (vgl. Fishbein, Ajzen 1974; Ajzen 1988: 45-62; Weigel, Newman 1976). Zudem sollen Einstellungs- und Verhaltensmaße exakt dieselben Handlungs-, Ziel-, Kontext- und Zeitelemente benennen, egal wie spezifisch und generell sie sind (vgl. Ajzen, Fishbein 2005: 183). Sind Einstellungs- und Verhaltensmessung kompatibel, erhöht sich nach
156
Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
Legt man das Kompatibilitätsprinzip und die mit ihm einhergehende Differenzierung zwischen generellen und spezifischen Einstellungen sowie den instrumentalitätstheoretischen Ansatz der Einstellungsbildung zugrunde, dann lassen sich die Unterschiede in der Konzeptualisierung von Vertrauen im Rahmen von Rational Choice (SEU-Variante) und im Rahmen der Politischen Kulturforschung folgendermaßen reformulieren: Ausgedrückt in diesen sozialpsychologischen Begriffskategorien handelt es sich beim ökonomischen Vertrauen um eine spezifische behaviorale Erwartung. Sie bringt die Wahrscheinlichkeit zum Ausdruck, mit der die mit dem Einstellungsobjekt „einseitige kooperative Vorleistung“ assoziierte Handlungskonsequenz „kooperative Vorleistung wird erwidert“ eintritt; nach den Annahmen des instrumentalitätstheoretischen Grundkonzeptes bildet diese Erwartung die „Wissensbasis“ zur Ausprägung einer spezifischen behavioralen Einstellung des Treugebers. Diese Einstellung ist auf eine spezifische Handlung, nämlich auf die erwartete Gegenleistung des Treuhänders, bezogen. Sie ist zudem auf ein spezifisches Ziel ausgerichtet, nämlich darauf, dass die erwartete Gegenleistung eine adäquate Erwiderung der selbst erbrachten, einseitigen Vorleistung darstellt und insofern den Interessen des Treugebers gerecht wird. Aus Rational Choice-Perspektive wird weiterhin davon ausgegangen, dass diese spezifische behaviorale Einstellung beziehungsweise die ihr zugrundeliegende Erwartung von den spezifischen situativen Kontextbedingungen beeinflusst ist. Lediglich der Zeitpunkt der Handlung, auf den sich diese behaviorale Einstellung bezieht, ist unspezifisch. Wie schon gezeigt worden ist, sind nicht-marktförmige Tauschprozesse, um die es in Vertrauensbeziehungen häufig geht, gerade dadurch gekennzeichnet, dass nicht klar definiert ist, wann in der Zukunft die zu erbringende Vorleistung mit einer entsprechenden Gegenleistung vergolten werden wird (vgl. ausführlicher Kap. 3.2.1.1). Im Unterschied dazu entspricht der Vertrauensbegriff der Politischen Kulturforschung, ausgedrückt in den Begriffskategorien der sozialpsychologischen Einstellungsforschung, einer generellen Einstellung gegenüber einem Ziel (attitude towards targets). Dieses Ziel ist ein relativ unspezifisches, breit gefasstes Ziel (andere Menschen). Eine solche generelle Vertrauenseinstellung weist keinen klaren Handlungsbezug auf, auch wenn von Vertretern der soziologischen Vertrauenstheorie (gemäß den Prämissen des homo sociologicusMenschenbildes) eine handlungsdeterminierende Wirkung solcher genereller Einstellungen immer mitgedacht wird (vgl. ausführlicher Kap. 2.4). Das generelle Vertrauen bezieht sich auch nicht auf einen spezifischen Kontext oder Zeitpunkt. Während Vertrauen aus Rational Choice-Perspektive explizit als kognitive Erwartung konzeptualisiert wird, sind, wie in Kap. 2 schon dargestellt wurde, aus Sicht der Politischen Kulturforschung beim generellen Vertrauen affektive bzw. evaluative und kognitive Anteile untrennbar miteinander verwoben. Der ökonomische Vertrauensbegriff unterscheidet sich also zum einen vom soziologischen Vertrauensbegriff durch seine Fokussierung auf die kognitive Dimension. Wesentlicher erscheint aber der Unterschied im Hinblick auf das Spezifizitätsniveau. Geht man davon aus, dass beide Theorien in Form einer kausalen Sequenz miteinander verknüpft sind, unterstellt man damit auch eine kausale Beziehung zwischen mentalen Konstrukten unterschiedlicher Spezifitätsniveaus. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, ist eine solche kausale Beziehung theoretisch gut begründbar.
diesen Annahmen die Wahrscheinlichkeit, dass dasselbe Set an salienten Überzeugungen aktiviert wird und starke Korrelationen zwischen beiden Konstrukten auftreten (vgl. Ajzen 1996: 387).
Kausale Sequenzierung im Rahmen der Entstehung von spezifischen Einstellungen
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6.2 Kausale Sequenzierung im Rahmen der Entstehung von spezifischen Einstellungen Das in Kap. 6.1.1 vorgestellte instrumentalitätstheoretische Konzept der Einstellungsbildung stellt heraus, dass situationsspezifisch gebildete Einstellungen auf der kognitiven Basis bestimmter Überzeugungen (beliefs) geformt werden. Mit dieser theoretischen Position verknüpft sich die Vorstellung, dass Einstellungen Ergebnis eines bewussten und kontrollierten gedanklichen Prozesses sind, in dessen Rahmen verfügbare Informationen systematisch ausgewertet werden. In dieser Hinsicht ist der Prozess der Bildung von spezifischen Einstellungen also ein rationaler Prozess. Es zeigt sich eine enge Affinität zwischen dem instrumentalitätstheoretischen Ansatz und der Rational Choice-Position. Dies impliziert aber ausdrücklich nicht, dass die Überzeugungen selbst auch hinsichtlich ihres materiellen Gehaltes objektiv rational sein müssen. Vielmehr besteht in der aktuellen sozialpsychologischen Forschung ein breiter Konsens dahingehend, dass situationsspezifisch geformte Kognitionen einem starken subjektiven bias unterliegen können (vgl. Houston, Fazio 1989). Wie Situationen wahrgenommen werden und welche Überzeugungen vor dem Hintergrund dieser subjektiven Definition der Situation schließlich abgerufen und für die Ausbildung von Einstellungen relevant werden, kann aus dieser Perspektive intersubjektiv sehr unterschiedlich sein und von einer Reihe von situationsunabhängig stabilen personenbezogenen Hintergrundfaktoren abhängen. Eine Klasse von Hintergrundfaktoren, die in diesem Zusammenhang neben anderen diskutiert werden, sind generelle Einstellungen. Das wohl prominenteste Konzept, das auf diesen grundlegenden Annahmen aufbaut, ist die Theorie des überlegten Handelns von Icek Ajzen und Martin Fishbein (Theory of Reasoned Action, kurz: TORA). Die TORA und ihre später durch Fishbein vorgenommene Erweiterung zur Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior, kurz TOPB) gelten gemeinhin als wichtigste Theorieansätze der gegenwärtigen sozialpsychologischen Einstellungsforschung (vgl. u. a. Bierhoff 1998: 246). Der folgende Abschnitt stellt die Grundannahmen dieser beiden Theoriekonzepte in knapper Form vor. 6.2.1 Grundannahmen und Geltungsbereich der Theory of Reasoned Action (TORA) und der Theory of Planned Behavior (TOPB) Die TORA basiert auf dem instrumentalitätstheoretischen Grundkonzept der Einstellungsbildung und verknüpft dieses mit handlungstheoretischen Annahmen. Hinsichtlich des Menschenbildes geht die TORA dabei von einem rational reflektiert handelnden Akteur aus, wie ihn das RREEEMM-Modell verkörpert (vgl. Kap. 3.4). Handlungsentscheidungen werden aus dieser Perspektive als das Ergebnis eines komplexen, rationalen Reflexionsprozesses modelliert. Die zentrale Determinante der individuellen Handlungsentscheidung bildet die sogenannte Handlungsintention (behavioral intention). Unter Handlungsintention ist in diesem Zusammenhang eine hypothetische Entscheidung zu verstehen, in einer bestimmten Art und Weise zu handeln. Sie lässt sich auch als subjektive Wahrscheinlichkeit aus der Perspektive des Handelnden interpretieren, mit der dieser annimmt, dass er eine bestimmte Handlung tatsächlich ausführen wird. Anders ausgedrückt ist es nach Ajzen und Fishbein
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umso wahrscheinlicher, dass eine bestimmte Handlung auch tatsächlich ausgeführt wird, je stärker die Handlungsintention ausgeprägt ist (vgl. Ajzen 1991: 181). Die Handlungsintention als die zentrale, unmittelbare Ursache der Handlung ist ihrerseits wiederum determiniert durch die spezifische behaviorale Einstellung und die subjektive Norm, zwei konzeptuell voneinander unabhängige Bestimmungsfaktoren. Die spezifische behaviorale Einstellung bringt die positive oder negative Bewertung einer Handlung durch das Individuum zum Ausdruck. Unter der subjektiven Norm verstehen Ajzen und Fishbein die subjektiv wahrgenommenen Erwartungen des sozialen Umfeldes, die mit der Ausübung beziehungsweise Unterlassung einer bestimmten Handlungsweise verbunden sind, sowie die Bereitschaft des Individuums, sich diesen Erwartungen zu beugen.114 Beide Determinanten basieren, entsprechend dem instrumentalitätstheoretischen Grundkonzept, auf bestimmten salienten Erwartungen (beliefs). Im Fall der spezifischen behavioralen Einstellung sind dies subjektive Annahmen darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Handlung zu bestimmten externalen, nicht-sozialen Handlungskonsequenzen führen wird (spezifische behaviorale Überzeugungen). Die subjektive Norm basiert auf bestimmten Erwartungen darüber, wie das als relevant eingestufte soziale Umfeld, also beispielsweise die Familie, die Freunde oder die Gesellschaft als solche, eine bestimmte Handlung oder ihre Unterlassung beurteilen wird (normative Überzeugungen). Hierbei handelt es sich also um die kognitive Repräsentation der wahrgenommenen sozialen Konsequenzen des Handelns. Der Logik von Wert-Erwartungsmodellen folgend werden diese salienten Überzeugungen jeweils mit ihrem subjektiven Wert gewichtet. Die spezifische behaviorale Einstellung ergibt sich also als Summe der Produkte aus den subjektiven Wahrscheinlichkeiten, die dem Eintreten der Handlungskonsequenzen zugeschrieben werden, und der entsprechenden subjektiven Bewertung dieser perzipierten Handlungskonsequenzen. Analog dazu bildet sich die subjektive Norm als Summe der Produkte aus den Überzeugungen eines Akteurs über die Erwartungen des sozialen Umfeldes sowie seiner Motivation, diesen Erwartungen zu entsprechen. Gemäß dem Kompatibilitätsprinzip (vgl. Kap. 6.1.2) stellen Ajzen und Fishbein heraus, dass eine gute Leistung bei der Handlungsprognose dann zu erwarten ist, wenn die Handlungsintention mit der zu erklärenden Handlung im Grad der Spezifizität hinsichtlich der Elemente Ziel, Handlung, Kontext und Zeit möglichst übereinstimmt (vgl. Ajzen, Fishbein 1980: 42). Gleiches gilt für die behaviorale Einstellung und die subjektive Norm im Hinblick auf die Erklärung der Handlungsintention; auch sie sollten im Grad der Spezifizität miteinander korrespondieren (ebd.: 56f.). Der Geltungsbereich der TORA erstreckt sich nur auf willentlich kontrollierte Handlungen. Darunter fallen solche Handlungen, die eine Person ausführen kann, wenn bei ihr eine entsprechende Intention vorliegt. Die Ausführung solcher Handlungen ist nicht an passende Gelegenheiten oder bestimmte situative Bedingungen gebunden. Sie setzt keine finanziellen, zeitlichen oder sozialen Ressourcen (Unterstützung und Kooperationsbereitschaft durch etwaige Interaktionspartner) voraus. Schon in der frühen Rezeption wurde dieser Geltungsbereich der TORA als sehr eingeschränkt kritisiert. Es wurde bemängelt, dass sich die TORA nur auf einfache, ausschließlich motivationsabhängige Verhaltenswei114
Die Stärke des Einflusses der beiden Konstrukte auf die Handlungsintention ist nicht festgelegt, sondern kann abhängig von der Situation, der Handlung oder vom handelnden Akteur variieren (vgl. Ajzen, Fishbein 1980: 58f.).
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sen anwenden lasse. Es seien jedoch vor allem solche Verhaltensweisen von Interesse, die bestimmte Ressourcen oder Kompetenzen, die Kooperationsbereitschaft anderer Personen oder das Vorhandensein günstiger Gelegenheiten voraussetzten (vgl. Liska 1984; Jonas, Doll 1996). Diese Kritik aufgreifend erweiterte Ajzen die Theorie des überlegten Handelns zur Theorie des geplanten Verhaltens (TOPB). Verbunden war diese Erweiterung mit der Absicht, eine bessere Verhaltensprognose in solchen Fällen zu erzielen, in denen die zu erklärende Handlung nicht oder nicht vollständig unter willentlicher Kontrolle liegt (vgl. Ajzen 1991). Die TOPB beinhaltet neben der behavioralen Einstellung und der subjektiven Norm noch eine dritte Determinante der Handlungsintention, die als wahrgenommene Handlungskontrolle bezeichnet wird. Die wahrgenommene Handlungskontrolle spiegelt die Wahrnehmung über die Verfügbarkeit von notwendigen Ressourcen und günstigen Umständen bzw. Gelegenheitsstrukturen wieder, die für die erfolgreiche Kontrolle einer Handlung notwendig sind. Auch dieses Konstrukt basiert auf Erwartungen darüber, wie schwierig die Ausübung einer bestimmten Handlung sein wird. Hier fließen subjektive Instrumentalitätsschätzungen bezüglich des Vorliegens der oben erwähnten Kontrollfaktoren (Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen) mit ein; analog zur behavioralen Einstellung und zur subjektiven Norm werden sie multiplikativ mit der Valenzkomponente, in diesem Fall den wahrgenommenen Kontrollfaktoren verknüpft (vgl. Kunz 1997: 189). Im Rahmen der TOPB wird von der Möglichkeit eines kausalen Effektes der wahrgenommenen Handlungskontrolle auf die Handlungsintention und zusätzlich von der Möglichkeit einer unmittelbaren kausalen Wirkung der wahrgenommenen Handlungskontrolle auf die Handlung selbst ausgegangen.115 Beide Theorieansätze sind auf eine breite Palette an sozialwissenschaftlichen Themenstellungen angewendet worden.116 Auch eine Anwendung auf Wahlsituationen mit mehreren Handlungsalternativen ist bereits erfolgt (vgl. Bamberg, Lüdemann 1996; Konerding et al. 1995). Das ist insofern bemerkenswert, als die TORA und die TOPB in ihrer oben beschriebenen ursprünglichen Form nur auf eine einzelne Handlung konzentriert sind. Diese einfache Modellierung führt allerdings zu Problemen bei der empirischen Umsetzung, weil es häufig darum geht, Verhalten in solchen Situationen zu erklären, die sich als Wahl zwischen zwei oder mehr Handlungsalternativen charakterisieren lassen und es wenig zufriedenstellend ist, diese Handlungsalternativen völlig zu ignorieren (vgl. Kunz 1997: 194f.) Streng genommen basiert sogar jede Handlung auf einer Entscheidung zwischen zwei Alternativen, nämlich diese Handlung auszuführen oder sie zu unterlassen (Bamberg, Lüdemann 1996: 34). Entsprechend haben schon Ajzen und Fishbein selbst vorgeschlagen, in Situationen, in denen eine Handlung aus der Wahl zwischen zwei oder mehr Handlungsalternativen resultiert, die Modell-Variablen als Differenzwerte zu messen. Dabei werden für jede einzelne Handlungsalternative die oben genauer benannten Konstrukte der TORA bzw. TOPB (also Handlungsintention, Einstellung, subjektive Norm und Verhaltenskontrolle) getrennt gemessen, und aus den für die jeweilige Verhaltensalternative gemessenen Ausprägungen der 115
Ein genaueres Eingehen auf die TOPB und die Unterschiede zwischen TORA und TOPB würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen (vgl. hierzu ausführlich Madden, Scholder Ellen, Ajzen 1992). Ausführliche Darstellungen der TORA und TOPB, ihrer Weiterentwicklungen und der Kritik an diesen Ansätzen finden sich unter anderem bei Ajzen 1980; Ajzen, Fishbein 2005; Eagly, Chaiken 1993: 168ff. sowie Kunz 1997: 179ff.. 116 Anwendungen im deutschen Sprachraum sind u. a. Bamberg, Schmidt 1993; Bamberg, Lüdemann 1996; Lüdemann 1997 sowie Kühnel 1993.
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Konstruktvariablen werden dann Differenzwerte gebildet (vgl. Ajzen, Fishbein 1980). Mit der Verwendung von Differenzwerten nähert sich der Ajzen-Fishbein-Ansatz stark dem SEU-Konzept an (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 175). Aufbauend auf diese spezielle Modifikation wäre entsprechend auch eine Anwendung der TORA bzw. der TOPB auf die Modellierung von Vertrauensentscheidungen denkbar, die ja aus ökonomischer Perspektive ganz explizit als binäre Handlungsentscheidungen konzeptualisiert werden. Entsprechende Anwendungen sind bislang noch nicht unternommen worden, sind aber möglicherweise eine interessante Option für zukünftige Weiterentwicklungen innerhalb der Vertrauensforschung. Wie der nächste Abschnitt genauer aufzeigen wird, sind diese Theorieansätze aus der sozialpsychologischen Einstellungsforschung zumindest deshalb interessant, weil sie in systematischer Art und Weise aufzeigen, wie entscheidungstheoretische Ansätze, die primär auf die Effekte situativer Anreizstrukturen ausgerichtet sind, um generelle Einstellungen und andere möglicherweise relevante personenbezogene Hintergrundvariablen erweitert werden können. 6.2.2 Generelle Einstellungen und die Idee einer kausalen Sequenz in der TORA Die TORA basiert auf einer Vorstellung von Rationalität, die lediglich in formeller, prozessbezogener Hinsicht klar eingegrenzt ist. In dieser formellen Hinsicht impliziert Rationalität, dass der Ausführung einer Handlung ein bewusster Überlegensprozess vorausgeht. In materieller Hinsicht ist die hier zu Grunde liegende Rationalitätskonzeption dagegen zugleich offen und subjektiv. Ajzen und Fishbein drücken dies so aus: „The process described whereby people arrive at their intentions represents a reasoned action approach to the explanation and prediction of social behavior in the sense that people’s behavioral intentions are assumed to follow reasonably from their beliefs about performing the behavior. These beliefs need not be veridical; they may be inaccurate, biased or even irrational. However, once a set of beliefs is formed, it provides the cognitive foundation from which attitudes, perceived social norms, and perceptions of control – and ultimatively intentions – are assumed to follow in a reasonable and consistent fashion” (Ajzen, Fishbein 2005: 193f.).
Welche Überzeugungen in einer konkreten Situation ausgebildet werden, kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen und von einer ganzen Reihe möglicher Kontextfaktoren abhängen, die Ajzen und Fishbein auch als externe Variablen bezeichnen. Neben situativen Kontextfaktoren werden vor allem situationsunabhängig stabilen Variablen, die im Akteur selbst verankert sind, kausale Effekte auf die in konkreten Entscheidungssituationen ablaufenden, kognitiven Prozesse zugeschrieben. Ajzen und Fishbein benennen in diesem Zusammenhang drei relevante Bündel von Bestimmungsfaktoren, nämlich soziodemographische Determinanten, kulturelle Determinanten, worunter Ajzen und Fishbein in erster Linie generelle Einstellungen gegenüber Zielen fassen, sowie Persönlichkeitsmerkmale (vgl. ebd.). Die folgende Abbildung stellt die Grundstruktur der TORA graphisch dar. Im Kontext dieser Arbeit interessiert in erster Linie der konzeptuelle Status, den Ajzen und Fishbein generellen Einstellungen anderen Menschen gegenüber zuweisen. Wie die folgende Abbildung verdeutlicht, wird im Rahmen der TORA davon ausgegangen, dass generelle Einstellungen, als eine Art von möglichem Hintergrundfaktor, kausale Effekte auf die spezifischen behavioralen Erwartungen und die normativen Erwartungen sowie auf die
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Bewertungen dieser Überzeugungen ausüben können. Auch das relative Gewicht dieser beiden Komponenten kann beeinflusst werden. Abbildung 22: Grundstruktur der Theory of Reasoned Action (TORA) Externe Variablen Soziodemographische Variablen: » Alter » Geschlecht » Beruf » Sozioökonomischer Status » Religion » Bildung » … Generelle Einstellungen gegenüber Zielen: » Generelle Einstellungen zu anderen Menschen » Generelle Einstellungen gegenüber Institutionen » …
J Behaviorale Erwartungen
J Spezifische Einstellung gegenüber dem Verhalten P Intention
J Handlung
N J Normative Erwartungen
J Subjektive Norm
Persönlichkeitsmerkmale: » Introversion, Extraversion » Neurotizismus » Autoritarismus » Dominanz » …
Mit Bezug auf die spezifischen behavioralen Überzeugungen werden diese unterstellten Wirkungsbeziehungen noch näher spezifiziert (vgl. Ajzen, Fishbein 1980: 82ff.). Generelle Einstellungen oder andere Hintergrundvariablen können demzufolge einerseits einen Einfluss darauf haben, welche spezifischen behavioralen Überzeugungen überhaupt kognitiv zugänglich (salient) werden: „various contextual factors can temporarily make certain beliefs more readily accessible“ (Ajzen 2001: 35). Andererseits können solche situationsunabhängig stabilen Faktoren aber auch die Stärke der salienten behavioralen Überzeugungen beeinflussen. Stärke steht in diesem Zusammenhang für die subjektive Wahrscheinlichkeit, mit der eine Assoziation zwischen einem bestimmten Attribut und dem Objekt der Einstellung besteht (vgl. Ajzen, Sexton 1999: 119).
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6.2.3 Kritik und aktueller Diskussionsstand Die Idee einer kausalen Sequenz ist damit in der Theorie des überlegten Handelns schon grundsätzlich angelegt. Dieses folgt zwar der Vorstellung, dass Handlungen Ergebnis kognitiver Prozesse sind, die insofern als rational reflektiert bezeichnet werden können, als in ihrem Rahmen Informationen über situative Gegebenheiten systematisch ausgewertet werden. Gleichzeitig wird aber betont, dass die in einer konkreten Entscheidungssituation kognitiv zugänglichen Überzeugungen nicht objektiv rational sein müssen, sondern entscheidend von der subjektiven Definition der Situation abhängen. Verwiesen wird auf eine ganze Reihe von möglichen Kontextfaktoren, die als externe Variablen diese subjektive Definition der Situation beeinflussen können. In diesem Zusammenhang benennen Ajzen und Fishbein auch generelle Einstellungen zu anderen Menschen als ein Beispiel für solche möglicherweise relevanten, modell-externen Hintergrundvariablen. Solche generellen Einstellungen werden nicht als direkte Determinanten von Handlungen betrachtet, sondern ihnen wird ein indirekter, durch spezifische Einstellungen zum Verhalten vermittelter Einfluss zugesprochen (vgl. Eckes, Six 1994: 254). Der Fokus der TORA liegt aber klar auf spezifischen behavioralen Einstellungen. Generelle Einstellungen gegenüber Zielen werden lediglich als ein potentieller Kontextfaktor unter vielen behandelt. Man sucht bei Ajzen und Fishbein auch vergeblich nach weiterführenden theoretischen Annahmen, die diese distalen Variablen näher spezifizieren. Diese relative Marginalisierung der generellen Einstellungen beziehungsweise die vorrangige Konzentration auf spezifische Einstellungen gegenüber Verhalten ist im Zuge der Rezeption von Ajzen und Fishbein auf Kritik gestoßen (vgl. Eagly, Chaiken 1998: 173). Bemängelt wurde, dass die TORA zwar eine präzise Verhaltensvorhersage ermögliche, sich aber zugleich von dem ursprünglichen Ziel entferne, zu dem das Einstellungskonzept in die Sozialpsychologie eingeführt wurde: Verhalten durch generelle Einstellungen, die unabhängig von spezifischen Situationen sind, in der das Verhalten ausgeführt wird, prognostizieren zu können (vgl. Rokeach 1980: 268).117 Im Einklang mit dieser Kritik ist in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung der letzten Jahre eine Forschungslinie wiederbelebt worden, die darauf ausgerichtet ist zu untersuchen, wie generelle Einstellungen gegenüber Zielen Kognitionsprozesse ganz allgemein, menschliches Entscheidungsverhalten und Handeln beeinflussen (vgl. Bamberg 1996; Bamberg, Kühnel, Schmidt 1999; Fazio 1986). Im Rahmen dieser Arbeiten wird betont, dass generelle Einstellungen in komplexen Entscheidungssituationen als generelle Bezugsrahmen, Bewertungsmaßstäbe und Interpretationshilfen fungieren, die bei der Beurteilung von spezifischeren Einstellungsobjekten herangezogen werden können (vgl. Houston, Fazio 1989: 51). Zusätzliche Unterstützung findet diese Position in neueren Forschungsarbeiten aus der Kognitionspsychologie und der kognitiven Sozialpsychologie zur selektiven Wirkung von Einstellungen und zu den Effekten von gedanklichen Strukturen 117
Im Wortlaut heißt es bei Rokeach: „the concept (Anm. CF: gemeint ist das Einstellungskonzept) has (…) become so specific, that it would allow us to predict and generalize only to another precise instance of the same act in the same situation with respect to the same object. While undoubtedly representing a gain in precision of measurement and prediction, it paradoxically defeats the very purpose why the attitude concept has been considered so important for so long in the social sciences – namely, that a person’s global attitude representing some general predisposition is an important determinant of the person’s behavior with respect to virtually all instances or exemplifications of the object in some new, previously unobserved context, or with respect to virtually all instances or exemplifications of the situation regardless of objects encountered within them” (Rokeach 1980: 268).
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auf Einstellungsänderungen. Diese Arbeiten stellen heraus, dass generelle Einstellungen eine Struktur im Gedächtnis darstellen, die alle Phasen der Informationsverarbeitung maßgeblich beeinflussen können (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 590; Markus, Zajonc 1985). Auch die in der Soziologie geführte Framing-Diskussion, die den Versuch darstellt, Rational Choice-Modelle mit den real gegebenen, begrenzten kognitiven Möglichkeiten und den vielfach gewählten kognitiven Vereinfachungen zu versöhnen, weist in eine ähnliche Richtung (vgl. Esser 1990; Lindenberg 1993; Lüdemann, Rothgang 1996). Diesen unterschiedlichen Forschungszusammenhängen ist die Vorstellung gemeinsam, dass generelle Orientierungen in konkreten Entscheidungssituationen durch spezielle situative Hinweisreize aktiviert werden und dann ihrerseits situationsspezifische kognitive Prozesse auslösen. Sie beeinflussen somit als eine Art Filter, welche Informationen überhaupt wahrgenommen werden. Auch die Verarbeitung von Informationen über situativ gegebene Anreize und Restriktionen sowie der eigentliche Urteilsprozess selbst, also der auf dieser Basis stattfindende Prozess der kognitiven Bilanzierung von Erwartungen und Bewertungen, sind nach diesen Überlegungen durch solche fest in der Persönlichkeit verankerten, generellen Orientierungen beeinflusst (vgl. Bamberg, Kühnel, Schmidt 1999: 6). Es kommt zu einer Definition der Situation, die durch eine mit der generellen Einstellung konsistente Wahrnehmung und Interpretation der spezifischen situativen Gegebenheiten gekennzeichnet ist (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 209ff.; Bamberg 1996). In der psychologischen Literatur wird diese durch generelle Einstellungen induzierte verzerrende Wahrnehmung objektiver Gegebenheiten verschiedentlich auch als cognitive bias bezeichnet. Bezogen auf den sozialpsychologischen Forschungsstand heben Ajzen und Sexton hervor: „Many lines of research document the operation of cognitive biases that may influence the kinds of beliefs that are accessible in attitudinal and behavioural contexts. (…) The idea that information processing is biased by person’s attitudes has had a pervasive impact on socialpsychological theorizing. As a general rule, it is assumed that people are more likely to attend to information consistent with their attitudes, to evaluate ambiguous events in line with their attitudes, and to remember attitude consistent-information better” (Ajzen, Sexton 1999: 124).
Dass Menschen im Rahmen von Entscheidungsprozessen auf solche generellen Einstellungen als Orientierungshilfen zurückgreifen, wird häufig mit Verweis auf zwei wesentliche Funktionen begründet, die generelle Einstellungen erfüllen. Zum einen ist diese Orientierung an generellen Einstellungen eine Art präventive Strategie zur Minimierung von kognitiver Spannung. Dieses Argument geht auf Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz zurück, ein Theorieansatz, der nach wie vor zu den wichtigsten Erklärungsansätzen der gegenwärtigen Sozialpsychologie zählt (vgl. Stroebe, Jonas, Hewstone 1990: 159). Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass Menschen eine grundsätzliche Tendenz zur Vermeidung von kognitiver Dissonanz haben. Kognitive Dissonanz entsteht dann, wenn Kognitionen in Widerspruch zueinander geraten.118 Aus dieser Perspektive verfügt das menschliche Gehirn über eine Reihe von Strategien, um solche Spannungszustände zu vermeiden. Zu diesen Strategien zählt beispielsweise, dass Menschen aktiv nach neuen Informationen, Argumenten oder Überzeugungen suchen, um eine wahrgenommene Unstimmigkeit aufzulösen. Sie neigen ebenfalls dazu, neue Informationen in einer mit ihren generellen Orientie118
Der Begriff der Kognition steht in diesem Zusammenhang für jedwede Art von Wissen, wie es Einstellungen, Überzeugungen oder Argumenten zugrunde liegt.
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rungen konsistenten Art und Weise wahrzunehmen und diese so an vorhandene kognitive Strukturen anzupassen oder konkrete Entscheidungsprobleme so zu lösen, dass diese mit ihren generellen Einstellungen harmonieren. Zum zweiten reduziert die Orientierung an generellen Einstellungen den kognitiven Aufwand, der mit Prozessen der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung verbunden ist. Sie hilft auf diese Weise, eine drohende Überlastung des Kognitionsapparates zu vermeiden. Dieses Argument findet seinen Ursprung in einer Diskussion um begrenzte kognitive Kapazitäten des menschlichen Gehirns, die in den letzten Jahren vor allem in der Entscheidungstheorie sehr einflussreich ist (vgl. Gigerenzer, Selten 2001; Kahneman 2003). Prozesse der Beschaffung, der Speicherung, des Abrufens und des Aufbereitens von Informationen sind aus dieser Perspektive mit großem kognitivem Aufwand verbunden. Würde ein solcher Aufwand bei jeder Entscheidung betrieben, wäre (angesichts hoher Alltagskomplexität) permanente kognitive Überlastung die Folge. Menschen verhalten sich daher nach diesen Annahmen begrenzt rational (vgl. Simon 1959). Sie verwenden eine Reihe von Strategien, um die kognitive Belastung zu verringern. Zu diesen Strategien zählt beispielsweise, dass sie im Rahmen von Prozessen der Entscheidungsfindung die Suche nach Alternativen dann stoppen, wenn sie die erstbeste, einigermaßen zufriedenstellende Alternative gefunden haben (satisficing). Zu diesen Strategien zählt auch die Orientierung an vorgefertigten kognitiven Mustern (Heuristiken), die einfach zu aktivieren sind. Im Einklang mit diesen Überlegungen scheint die Berücksichtigung von generellen Einstellungen als Entscheidungshilfen bei der Bildung von situationsspezifischen Überzeugungen eine rationale Strategie zu sein, die einen Beitrag zur Minimierung des kognitiven Aufwandes leisten kann. Kalkulationsprozesse in konkreten Entscheidungssituationen und die aus ihnen resultierenden, situationsspezifischen Erwartungen können also durch im Gedächtnis fest verankerte gedankliche Strukturen, wie beispielsweise generelle Einstellungen, beeinflusst sein. Der häufig unbewusste Rückgriff auf solche mentalen Strukturen ist insofern rational, als er kognitive Dissonanz zu vermeiden hilft und den Aufwand der Entscheidungsfindung minimiert. Die Orientierung an generellen Einstellungen ersetzt dabei rationale Kalkulationsprozesse nicht. So sieht es die Hypothese einer kausalen Sequenz jedenfalls vor. Sie folgt der Vorstellung, dass in Entscheidungssituationen unter Risiko, wie sie bei Vertrauensentscheidungen aus Rational Choice-Perspektive vorliegen, Menschen zumindest annähernd systematisch situative Anreize auswerten und berücksichtigen. Diese Position gibt also die Vorstellung einer bewussten und kalkulierten Informationsverarbeitung nicht auf. Sie erweitert diese Perspektive lediglich um die Annahme, dass sich Menschen bei der Bildung von situationsspezifischen Beurteilungen nicht ausschließlich an den situativ gegebenen Anreizstrukturen orientieren, wie es der ökonomische Vertrauensansatz unterstellt. Vielmehr wird auch den im Gedächtnis fest verankerten, generellen Einstellungen ein kausaler Effekt zugeschrieben. Wie deutlich wurde, ist diese Position mit den theoretischen Annahmen der TORA vereinbar. Die dort vertretene theoretische Annahme einer kausalen Sequenz von generellen Einstellungen und situationsspezifisch gebildeten Erwartungen findet auch im aktuellen Forschungsstand der sozialpsychologischen Einstellungsforschung Unterstützung; gerade in den letzten Jahren haben dort zahlreiche Arbeiten die besondere Bedeutung von generellen Einstellungen im Rahmen von Informationsverarbeitungsprozessen herausstellt. Allerdings gibt es in der aktuellen sozialpsychologischen Forschung eine stark beachtete, theoretische
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Position, die im Widerspruch zu der entwickelten Vorstellung einer kausalen Sequenzierung zu stehen scheint. 6.2.4 Kausale Sequenz und automatisches Prozessieren von Information – zwei unvereinbare Positionen? In Zuspitzung der eben skizzierten Überlegungen zur begrenzten Rationalität argumentieren Vertreter dieser Position, dass Menschen in vielen Entscheidungssituationen zur Vermeidung von kognitivem Aufwand völlig auf das sorgfältige Aufbereiten von Informationen und das Abwägen unterschiedlicher Möglichkeiten verzichten. Stattdessen fällen sie ihre Urteile intuitiv und automatisch, indem sie auf vorgefertigte und im Gedächtnis gespeicherte kognitive Strukturen zurückgreifen. Die relativ zeitaufwändigen und energieintensiven Prozesse, die mit der Auswertung spezifischer urteilsrelevanter Informationen und der Kalkulation von Alternativen verbunden sind, entfallen auf diese Weise vollständig (vgl. Langer 1978; Fiske, Neuberg 1990; Bargh, Chen, Burrows 1996; Bargh 1996). Handlungen sind aus dieser Perspektive nicht das Ergebnis rationaler Abwägensprozesse, sondern des automatischen Prozessierens vorgefertigter Information. Diese Betonung der automatischen und mühelosen Facetten menschlicher Kognition ist in der aktuellen Einstellungsforschung ausgesprochen einflussreich (vgl. Ajzen, Fishbein 2000: 2; Bargh, Chartrand 1999; Gollwitzer 1999). Häufig findet sich in der sozial- oder kognitionspsychologischen Literatur in diesem Zusammenhang die Annahme, dass durch situative Hinweisreize bestimmte vorgefertigte gedankliche Strukturen aktiviert werden, die erlernt und im Gedächtnis gespeichert sind (vgl. Chen, Chaiken 1999). Diese gedanklichen Strukturen werden dann automatisch prozessiert und ersetzen die wesentlich aufwändigeren Prozesse einer situationsbezogenen Urteilsfindung (vgl. Fazio 1986). Solche gedanklichen Strukturen werden je nach Diskussionszusammenhang auch als Heuristiken oder Schemata bezeichnet. Generelle Einstellungen oder andere im Gedächtnis fest verankerte gedankliche Konstrukte wie Normen, moralische Überzeugungen oder Wertvorstellungen können in einer solchen heuristischen Funktion genutzt werden (vgl. Pratkanis 1989; Eagly, Chaiken 1993: 18).119 In engem Zusammenhang damit hat sich eine Forschungslinie entwickelt, die an diese Betonung begrenzter kognitiver Kapazitäten anknüpft, aber einen Schritt darüber hinausgeht und die Möglichkeit unterschiedlich tiefer Prozesse der individuellen Informationsverarbeitung ins Spiel bringt. In diesem Zusammenhang sind seit den 1980er Jahren eine ganze Reihe von sogenannten Modellen des dualen Prozessierens entwickelt worden (vgl. als Überblick die Beiträge in Chaiken, Trope 1999). Der Kerngedanke dieser Diskussion um das duale Prozessieren ist, dass der Bildung von spezifischen Einstellungen oder sonstigen Urteilen in sozialen Interaktionssituationen zwei unterschiedliche Arten von kognitiven Prozessen zugrunde liegen können. Solche Beurteilungen können auf einer systematischen und gründlichen Auswertung der Informationen über die unterschiedlichen Attribute des Einstellungsobjektes basieren, die in der spezifischen Entscheidungssituation verfügbar 119
Diese Überlegungen sind vereinzelt auch innerhalb der Vertrauensforschung auf Resonanz gestoßen. Vereinzelt findet sich die Überlegung, dass Akteure auch bei Vertrauensentscheidungen, aufgrund übergroßer Komplexität und auf Grund der der Situation innewohnenden Unsicherheit, auf generelle Vertrauenseinstellungen als Entscheidungsheuristiken zurückgreifen (vgl. Riesenkamp 2001; Scholz, Lubell 1998).
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sind. In diesem Fall kommt es zu einer starken individuellen kognitiven Durchdringung der Beurteilung der Situation und der jeweiligen Reaktion (vgl. Esser 2005: 88). Die Bildung spezifischer Einstellungen kann nach diesen Vorstellungen aber auch das Ergebnis eines eher automatisch und unbewusst ablaufenden Prozesses sein, was mit deutlich geringerem kognitivem Aufwand verbunden ist. Diese Überlegungen zum dualen Prozessieren haben auch die Einstellungs-VerhaltensForschung nachhaltig beeinflusst. Prominent diskutiert wurde insbesondere das von Russell H. Fazio formulierte MODE-Modell (vgl. Fazio 1986, 1990). Fazio überträgt darin den Gedanken des dualen Prozessierens auf die Einstellungs-Verhaltens-Relation. Er geht davon aus, dass auch in der Einstellungs-Verhaltens-Beziehung zwei alternative Modi der Informationsverarbeitung wirken können: ein oberflächlicher Modus des automatischen oder spontanen Verarbeitens von Information und ein tiefer Modus des bewussten, rationalen Verarbeitens. Im Modus des automatischen Prozessierens führen situativ gegebene Schlüsselreize, die mit einem bestimmten Einstellungsobjekt verknüpft sind, zur Aktivierung einer bestimmten generellen Einstellung gegenüber diesem Einstellungsobjekt. Diese zieht dann eine mit dieser generellen Orientierung konsistente Wahrnehmung der spezifischen situativen Gegebenheiten nach sich und löst automatisch ein mit dieser Situationsinterpretation konsistentes Entscheidungsverhalten aus. Dabei können allerdings nur solche Einstellungen verhaltenswirksam sein, die kognitiv leicht zugänglich sind (accessibility) (vgl. Houston, Fazio 1989). Die ganze Sequenz erfolgt unbewusst und ohne großen kognitiven Aufwand. Im Unterschied dazu sind kognitive Prozesse, die dem Modus des bewussten, rationalen Verarbeitens folgen, dadurch gekennzeichnet, dass die spezifischen Merkmale des Einstellungsobjektes, das beurteilt werden soll, bewusst und sorgfältig analysiert werden. Die vorgestellte Theory of reasoned action von Ajzen und Fishbein stellt nach Fazio einen theoretischen Ansatz dar, der diesen Modus der Informationsverarbeitung gut abbildet. Handlungsentscheidungen erfolgen nicht spontan und automatisch, sondern sind Ergebnis eines rationalen Prozesses der Entscheidungsfindung. Ein solcher tiefer Prozess der Informationsverarbeitung ist mit relativ hohem kognitivem Aufwand verknüpft. Fazio und Towles-Schwen fassen den Unterschied zwischen beiden Modi anhand der Unterscheidung zwischen „data-driven“ und „theory-driven“ zusammen: „The critical distinction between the spontaneous-process and deliberative-process models centers upon the extent to which the behavioral decision involves effortful reasoning as opposed to flowing spontaneously from individuals’ appraisals in the immediate situation. The deliberative process can be viewed as relatively ‘data-driven’: it involves consideration of the specific attributes of the attitude object and of the potential consequences of engaging in a particular behavior. In contrast, focusing as it does upon attitudes toward the object and upon the activation of the attitude from memory, the spontaneous process can be viewed as more ‘theory-driven’” (Fazio, Towles-Schwen 1999: 99f.).
Nach Fazio erfolgt die Informationsverarbeitung üblicherweise nach dem Modus des spontanen Prozessierens, ist also eher theory-driven. Erst bei einer unerwarteten Störung oder bei einem Widerspruch zwischen der aktivierten generellen Einstellung und anderen gedanklichen Strukturen besteht die Chance auf eine rationale Beurteilung. Zu dieser kommt es allerdings erst dann, wenn zusätzlich zwei weitere Bedingungen erfüllt sind: Es muss auf Seiten der Akteure eine ausreichende Motivation vorhanden sein, die die notwendige Ener-
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gie zur Aktivierung und Durchführung eines aufwändigen Überlegensprozesses liefert. Sie ergibt sich aus der Schwere der wahrgenommenen Handlungskonsequenzen. Während der Kauf eines Hauses oder die Entscheidung über den Wechsel des Arbeitsplatzes mit gravierenden Konsequenzen für die persönliche Lebensführung verknüpft sein können, sind die Konsequenzen der Entscheidung für oder gegen eine zweite Tasse des allmorgendlichen Milchkaffees in der Regel kaum wahrnehmbar. Zum zweiten bedarf es entsprechender Gelegenheiten: Es müssen ein gewisses Maß an Zeit sowie sonstige Ressourcen vorhanden sein, um verfügbare Informationen über situative Anreize sorgfältig auswerten zu können (vgl. Esser 2005: 88; Fazio 1999: 100). Im Akronym MODE sind diese Überlegungen kurz zusammengefasst. Es steht für Motivation und Opportunität als DEterminanten des Modus der Entscheidungsfindung.120 Fazios Modell des dualen Prozessierens scheint damit in klarem Widerspruch zur Idee einer kausalen Sequenz zu stehen, weshalb eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Position notwendig erscheint. Allerdings lässt sich dieser Gegensatz auflösen, wie der kommende Abschnitt zeigen wird. Interpretiert man sein duales Modell in einer bestimmten Art und Weise, dann ist die Vorstellung von unterschiedlich tiefen Prozessen der Informationsverarbeitung durchaus mit dem Gedanken einer kausalen Sequenz vereinbar. Auf den ersten Blick erscheint der erwähnte Widerspruch augenfällig. Fazio geht in seinem Modell des Entscheidungsprozesses von zwei unvereinbaren Modi der Informationsverarbeitung aus. Entweder folgt die Informationsverarbeitung dem Modus des spontanen Prozessierens. Dann werden bestimmte generelle Einstellungen aktiviert, die automatisch eine bestimmte Interpretation der Situation nach sich ziehen und eine intensive gedankliche Durchdringung der Situation überflüssig machen. Oder aber die Informationsverarbeitung erfolgt rational reflektiert, dann orientiert sich die Bildung situationsspezifischer Urteile alleine an den situativ gegebenen Opportunitäten und Restriktionen. Beide Modi sind als gegensätzliche und klar unterscheidbare Alternativen konzipiert. Statt von einem Zusammenspiel in Form einer kausalen Abfolge von situationsübergreifenden Orientierungen und situationsspezifischen Überzeugungen auszugehen, postulieren diese Modellierungsansätze zwei einander ausschließende Wirkungsmechanismen. Würde man an einer solchen Vorstellung von Binarität festhalten und sie auf die Vertrauensforschung übertragen, dann wäre man bei einem Theorieintegrationsmodell, das in der Theorienvergleichsdebatte auch als horizontale Integration bezeichnet wird (vgl. Kapitel 6.2).121
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Eine damit verwandte Forschungsdiskussion wird auch in der Umweltsoziologie bzw. -psychologie in Verbindung mit dem Stichwort Low-Cost-Hypothese geführt (vgl u.a. Diekmann, Preisendörfer 1998, 2003; Lüdemann 1993; Schahn, Möllers 2005). Auch hier wird von zwei unterschiedlichen Modi der Entscheidungsfindung in der Einstellungs-Verhaltens-Relation ausgegangen; allerdings geht es im Rahmen dieser Diskussion weniger um die Erklärung von kognitiven Abläufen als vielmehr um eine Erklärung für die zu beobachtenden Diskrepanzen zwischen Umweltverhalten und Umweltbewusstsein. Der Grundgedanke dieser Low-Cost-Hypothese ist, dass Umwelteinstellungen und Umweltverhalten am ehesten in solchen Situationen miteinander korrespondieren, die mit geringen Kosten bzw. Verhaltensanforderungen verknüpft sind (z.B. Mülltrennung). Wenn hingegen eine Situation mit größeren individuellen Kosten und Verhaltenszumutungen verbunden ist (z.B. Entscheidung über den Verzicht auf eine Fernreise aus ökologischen Gründen), sinkt die Bedeutsamkeit genereller Einstellungen. Die Verhaltenswirksamkeit von Einstellungen differiert nach diesen Annahmen in Abhängigkeit von der Kostenintensität der Situation (vgl. Diekmann, Preisendörfer 2001: 117f.). 121 Wie dort schon dargelegt, erschiene es in einem solchen Fall aber nur dann sinnvoll, von einer Theorieintegration zu sprechen, wenn solche dualen Prozessmodelle präzise Regeln darüber beinhalten, unter welchen Bedingungen welcher Modus der Informationsverarbeitung zum Einsatz kommt.
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Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
Eine solche Modellierung ist aber inadäquat (vgl. Eagly, Chaiken 1993: 204). Zum einen missinterpretiert sie die TORA beziehungsweise die TOPB. Die Vorstellung, dass mit kognitiv leicht zugänglichen Einstellungen gegenüber Objekten auch automatisch im Gedächtnis gespeicherte, einstellungskonsistente Bewertungen spezifischer situativer Gegebenheiten verknüpft sind, ist nämlich mit Ajzen und Fishbeins Theorieansatz sehr wohl vereinbar. Diese einmal angelegten, kognitiven Strukturmuster werden beispielsweise in Routinesituationen aktiviert. Sie ersetzen einen bewussten, kontrollierten Kognitionsprozess und helfen somit, kognitive Kapazitäten zu „sparen“, die in anderen Situationen benötigt werden. Auch wenn diese Verknüpfungen in der konkreten Handlungssituation nicht bewusst sein müssen, können sie doch jederzeit nachträglich rekognitiviert werden. Ajzen und Fishbein haben dies schon früh betont: „(…) although we take the position, that beliefs determine attitudes and subjective norms and that these in turn influence intentions, we do not mean to imply that prior to performing each and every action, people systematically scrutinize the determinants of their behavior. Rather we view the processes involved as largely automatic or implicit, and only in rare cases do we become fully aware of these processes. Consider, for example, a person’s attitude toward smoking cigarettes. As the person forms beliefs that smoking has certain advantages or disadvantages, she simultaneously and automatically also requires a positive or negative attitude toward smoking. When confronted with the opportunity to smoke, this favourable or unfavorable feeling toward smoking is directly aroused without any need on the part of the person to systematically review her beliefs about the behavior and, together with her subjective norm, the attitude influences her decision to smoke or not to smoke. Only when asked to explain her intention or behavior is she likely to become fully aware of her feelings toward smoking, of the social pressures to smoke or not to smoke, and of her behavioral and normative beliefs underlying these determinants of her decision“ (Ajzen, Fishbein 1980: 245).
Aus ihrer Sicht schließen sich die TORA und die Vorstellung einer stärker automatisierten, oberflächlichen Informationsverarbeitung, die angesichts knapper kognitiver Ressourcen in vielen Situationen sehr rational sein kann, keineswegs aus. Wie auch das obige Zitat zeigt, scheint es stattdessen wesentlich fruchtbarer, von der Möglichkeit eines Zusammenspiels zwischen beiden Modi der Informationsverarbeitung auszugehen. Mittlerweile scheint auch Fazio diesen Kritikpunkt aufgegriffen zu haben. In einer aktuelleren Darstellung des MODE-Modells sind die ursprünglichen Modellannahmen jedenfalls modifiziert. Es wird jetzt davon ausgegangen, dass situationsübergreifende, generelle Einstellungen und situationsspezifische, „rationale“ Überzeugungen und Bewertungen auch zusammenwirken können. Fazio und Towles-Schwen verwenden hierfür den Begriff der gemischten Prozesse (mixed processes): „In addition to delineating two distinct classes of attitude-behavior processes, the MODE model explicitly postulates the possibility of processes that are neither purely spontaneous nor purely deliberative, but instead are ‘mixed’ processes involving a combination of automatic and controlled components. An attitude-to-behavior process that is essentially deliberative in nature may still involve some components that are influenced by automatically activated attitudes. For example, an accessible attitude may serve as a retrieval cue that enhances the likelihood that the individual will retrieve and consider attribute information that is evaluatively congruent with the attitude. An individual may be sufficiently motivated to analyze attribute information, but not sufficiently so to consider the possibility that the sample of evidence being considered may itself be biased” (Fazio, Towles-Schwen 1999: 102f.).
Zusammenfassung
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Diese Weiterentwicklung des MODE-Modells hält an der Vorstellung eines binären Verhältnisses der beiden Informationsverarbeitungsmodi grundsätzlich fest. Um dennoch in Rechnung stellen zu können, dass beide Modi auch zusammenwirken können, werden die gemischten Prozesse eingeführt. Diese stellen allerdings ein wenig überzeugendes Hilfskonstrukt dar. Einen theoretischen Fortschritt erbringt diese Modifikation nicht, stattdessen werden eher die theoretischen Grundlagen des MODE-Modells aufgeweicht. Überzeugender sind Beiträge zur Debatte um das duale Prozessieren, die von vornherein grundsätzlich eine Gradualität und keine Binarität der Informationsverarbeitung unterstellen (vgl. Fiske, Neuberg 1990; Fiske, Lin, Neuberg 1999).122 Solche Modelle basieren auf der Vorstellung, dass der Prozess der Informationsverarbeitung als auf einem Kontinuum liegend beschrieben werden kann, das von einer geringen Intensität der systematischen Verarbeitung relevanter Information bis zu einer hohen Intensität reicht (vgl. Ajzen, Sexton 1999: 122; Ajzen, Fishbein 2000: 8). Behandelt man, gemäß diesen Überlegungen, die Tiefe der Informationsverarbeitung aber als eine graduelle Frage, dann steht diese Vorstellung nicht im Widerspruch zur Idee einer kausalen Sequenzierung. 6.3 Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel hat einen Überblick über zentrale Argumentationslinien im aktuellen Forschungsstand der sozialpsychologischen Einstellungsforschung vermittelt. Dieser Forschungsstand ist insofern einschlägig, als hier auf einer abstrakten Ebene über den Einfluss von generellen Einstellungen auf die Bildung situationsspezifischer Kognitionen einerseits und über die Rolle von generellen Einstellungen im Rahmen von Handlungsentscheidungen andererseits diskutiert wird. Hier geht es damit um Zusammenhänge, die, auch bezogen auf den speziellen Bereich der Vertrauensforschung, von Relevanz sind. Schlägt man die Brücke von dieser allgemeinen Diskussion zurück zur Vertrauensforschung und zur spezifischen Problemstellung dieser Arbeit, dann lassen sich die Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Die Idee einer Integration von ökonomischer und soziologischer Vertrauenstheorie in Form einer kausalen Sequenz findet im aktuellen Forschungsstand der sozialpsychologischen Einstellungsforschung Unterstützung. Modellierungsansätze, die auf dem SEU-Ansatz basieren, wie das instrumentalitätstheoretische Konzept der Einstellungsbildung und die TORA beziehungsweise die TOPB, sind im Rahmen der sozialpsychologischen Einstellungsforschung breit anerkannt. Die Entstehung von spezifischen behavioralen Einstellungen ist aus dieser Perspektive Ergebnis eines rationalen Entscheidungsprozesses, in den saliente Erwartungen bezüglich bestimmter Handlungskonsequenzen sowie deren Bewertungen einfließen. Situationsspezifisch gebildete Erwartungen werden somit in erster Linie als Ergebnis der Wahrnehmung und Bewertung situativ gegebener Opportunitäten und Restriktionen modelliert. Schon im Rahmen des Ajzen-Fishbein-Ansatzes wird aber klar herausgestellt, dass diese situativ gegebenen Anreize nicht allein relevant für die Bildung von situationsspezifischen Kognitionen sind. Vielmehr wird auf die Rolle von sogenannten externen Variablen verwiesen, die als situationsunabhängig stabile Kontextmerkmale die situationsspezifische 122
Für den benachbarten sozialpsychologischen Forschungsbereich der Persuasionsforschung mit ähnlichen Überlegungen auch Kruglanski, Thompson, Spiegel 1999 sowie Erb, Kruglanski 2005.
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Kausale Sequenzmodelle in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung
Informationsverarbeitung und die Ergebnisse dieses Informationsverarbeitungsprozesses maßgeblich beeinflussen können. Generelle Einstellungen zu anderen Menschen werden als ein Beispiel für solche relevanten Kontextmerkmale benannt. Es wird davon ausgegangen, dass diese generellen Einstellungen situationsspezifisch gebildete Kognitionen beeinflussen können. Allerdings ist der Stellenwert der generellen Einstellungen im Rahmen des AjzenFishbein-Ansatzes eher marginal; ihr Fokus liegt auf situationsspezifisch gebildeten Orientierungen. Die besondere Bedeutung von generellen Einstellungen wird aber in aktuelleren Beiträgen der Einstellungsforschung zusätzlich hervorgehoben. Betont wird, dass generelle Einstellungen eine Art kognitiven Filter darstellen, der die Wahrnehmung spezifischer Entscheidungssituationen, die Beurteilung der situativen Gegebenheiten, die Bildung situationsspezifischer Orientierungen und das Fällen von Entscheidungen maßgeblich beeinflussen kann. Nach diesen Überlegungen ist es plausibel davon auszugehen, dass die aus soziologischer Perspektive zentralen generellen Vertrauenseinstellungen die aus ökonomischer Perspektive zentralen situationsspezifisch gebildeten Vertrauenseinstellungen kausal beeinflussen. Selbst mit aktuellen Überlegungen zu Prozessen des automatischen Prozessierens und zu unterschiedlich tiefen Prozessen der Informationsverarbeitung ist diese Idee einer kausalen Sequenz von soziologischem und ökonomischem Vertrauen durchaus vereinbar.
7 Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
Die bisherigen Überlegungen zur kausalen Sequenzierung von soziologischer und ökonomischer Vertrauenstheorie waren eher allgemeiner Art. Eine allgemeine Hypothese, die davon ausgeht, dass sich die beiden Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz integrieren lassen, wurde aus metatheoretischen Überlegungen hergeleitet und mit Hilfe der sozialpsychologischen Einstellungsforschung theoretisch untermauert. Was noch aussteht, ist die Spezifikation dieses Modells, also die konkrete Ableitung der Erklärungsvariablen. Anknüpfungspunkte bieten dazu zum einen einige wenige Beiträge innerhalb der Vertrauensforschung selbst, die den Gedanken einer kausalen Sequenz von generellen Einstellungen und situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartungen, wenn auch meist eher implizit, vertreten. Aus diesen Arbeiten lassen sich zwei unterschiedliche Arten von Effekten, nämlich Niveau- und Interaktionseffekte, herleiten. Auf die bislang eher rudimentären Überlegungen zu solchen Niveau- und Interaktionseffekten im Rahmen der aktuellen Vertrauensforschung geht Kap. 7.1 ein. Es dient der genaueren Spezifikation der kausalen Zusammenhänge zwischen dem vorgelagerten generellen Vertrauen und den Variablen beziehungsweise Variablenbeziehungen im Rahmen der ökonomischen Vertrauenstheorie. 7.1 Niveau- und Interaktionseffekte Zum einen findet sich die Annahme, dass sich ein hoher Grad an generellem Vertrauen in der Regel positiv auf die in einer konkreten Situation gebildete Vertrauenserwartung auswirken wird. Am explizitesten ist ein solcher Niveaueffekt bei Ripperger formuliert. Sie behauptet, dass der Grad an generalisiertem Vertrauen die Vertrauenserwartung in einer spezifischen Situation maßgeblich beeinflusst (vgl. Ripperger 1998: 101). In eine ähnliche Richtung argumentieren auch Yamagishi und Yamagishi. Sie gehen davon aus, dass ein höheres Niveau an generellem Vertrauen mit einer positiveren Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit potenzieller Interaktionspartner in spezifischen Entscheidungssituationen einhergeht. Entsprechend verhelfe hohes generelles Vertrauen Menschen dazu, sich aus engen, geschlossenen Netzwerken zu emanzipieren und Fremden zu vertrauen. Unter Bedingungen der Unsicherheit über die Intentionen neuer Interaktionspartner wirkten generell positive Einschätzungen der Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen nämlich wie ein kognitiver Bias bei der Evaluierung potenzieller Partner (vgl. Yamagishi, Yamagishi 1994: 139). Ripperger und Yamagishi greifen damit Überlegungen von Julian Rotter auf, einem frühen Vertreter der psychologischen Vertrauensforschung (vgl. Rotter 1967, 1980; Schlenker, Helm, Tedeschi 1973). Rotter, der der Persönlichkeitspsychologie zuzuordnen ist, ist bis heute vor allem aufgrund seines Entwurfes einer sozialen Lerntheorie und wegen seiner Bemühungen zur Entwicklung einer Skala zur Messung des interpersonalen Vertrauens bekannt. Er bezeichnet Vertrauen als generalisierte Erwartungshaltung. Solche Erwar-
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
tungshaltungen sind, so die Annahmen seiner sozialen Lerntheorie, fest in der Persönlichkeit des Menschen verankert (vgl. Rotter 1980: 1). Sie werden durch Interaktionen mit anderen Akteuren wie Eltern, Lehrer, Freunde oder Bekannte erworben und dann auf neue, fremde Situationen und Interaktionen generalisiert (vgl. Rotter 1967: 653). Auch wenn Rotter den Begriff der generellen Einstellung nicht verwendet, entspricht sein Vertrauensbegriff damit dem Begriffsverständnis im Rahmen der soziologischen Vertrauenstheorie. Er wendet sich mit seinem Vertrauensansatz auch explizit gegen frühe spieltheoretische Modellierungen in der psychologischen Vertrauensforschung durch Morton W. Deutsch (vgl. Deutsch 1958). Diesen rein rationalistischen Zugang zur Vertrauensproblematik, der ausschließlich situative Anreizstrukturen als Determinanten der Vertrauensentscheidung berücksichtigt, kritisiert Rotter als reduktionistisch: „in fact, if the results of these studies were characteristic of everyday behavior, the normal adult is so competitive, uncooperative and untrusting that he could hardly get through a normal day’s activities.” (Rotter 1971: 444)
Rotter lehnt aber auch die Annahme einer ausschließlichen Determinierung des Verhaltens durch generalisierte Vertrauenseinstellungen ab; insofern weisen seine Überlegungen auch über die soziologische Vertrauenstheorie der Politischen Kulturforschung hinaus. Die besondere Leistung seiner sozialen Lerntheorie besteht vielmehr darin, dass diese schon früh auf das komplexe Zusammenspiel zwischen situativen Kontextfaktoren und allgemeinen, situationsunabhängigen Einstellungen aufmerksam gemacht hat (vgl. Amelang, Bartussek 2001: 502). Rotter differenziert in diesem Zusammenhang zwischen generalisierten und spezifischen Erwartungen. Er geht davon aus, dass spezifische Erwartungen zum einen durch die kognitive Wahrnehmung und Verarbeitung von situationsspezifisch verfügbaren Informationen über den situativen Kontext determiniert sind. Rotter spricht in diesem Zusammenhang auch von spezifischen Erfahrungen. Spezifische Erwartungen werden darüber hinaus aber auch durch generalisierte Erwartungen kausal beeinflusst, wobei Rotter noch die zusätzliche Annahme formuliert, dass die Stärke dieses kausalen Einflusses mit der Menge an situativ verfügbaren Informationen variiert. Generelle Erwartungen spielen aus seiner Sicht vor allem in neuen, vom Akteur nicht genau einschätzbaren Situationen eine Rolle: „In social learning theory expectancies in each situation are determined not only by specific experiences in that situation but also, to some varying degree, by experiences in other situations that the individual perceives as similar. One of the determinants of the relative importance of generalized expectancies, as opposed to specific expectancies, in a given situation is the amount of experience one has had in that particular situation” (Rotter 1980: 2).
Klammert man diese Zusatzannahme von Rotter zunächst aus, so lässt sich aus diesen Überlegungen die folgende Niveauhypothese ableiten: Je höher das generelle Vertrauensniveau, desto höher sollte unter sonst gleichen Bedingungen das Niveau des in einer konkreten Entscheidungssituation gebildeten spezifischen Vertrauens ausfallen.
Niveau- und Interaktionseffekte
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Darüber hinaus ist aber auch noch eine zweite Art von möglichen Effekten des generellen Vertrauens denkbar, die in den bisherigen, allgemeinen Überlegungen zur kausalen Sequenzierung der beiden Vertrauenstheorien noch nicht berücksichtigt worden ist. Es könnte sein, dass sich das Ausmaß an generellem Vertrauen nicht nur auf das Niveau an situationsspezifischem Vertrauen auswirkt, sondern auch auf die Stärke der Effekte, den die situativen Anreizstrukturen auf die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung ausüben. Solche Interaktionseffekte oder moderierenden Effekte sind statistisch ausgedrückt immer dann gegeben, wenn eine Variable den Effekt einer oder mehrerer unabhängiger Variablen beeinflusst. Im Unterschied zu den eben angesprochenen Niveaueffekten wird nicht die Ausprägung der abhängigen Variable, sondern die Effekte der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable, beeinflusst (vgl. Urban, Mayerl 2006: 293). Bezogen auf den vorliegenden Fall liegt ein solcher Interaktionseffekt dann vor, wenn das generelle Vertrauen die Stärke der Effekte der aus Perspektive des Rational Choice-Ansatzes zentralen Bestimmungsfaktoren der Vertrauenserwartung p beeinflusst. Der Unterschied in den Wirkungszusammenhängen zwischen Niveau- und Interaktionseffekten lässt sich anhand der folgenden Abbildung leicht nachvollziehen. Sie bildet, jetzt etwas differenzierter als in Kap. 5, die kausalen Zusammenhänge ab, die sich aus den Überlegungen dieser Arbeit herleiten. Zudem verdeutlicht sie noch einmal graphisch, welcher Ausschnitt des gesamten kausalen Sequenzmodells im folgenden empirischen Teil dieser Arbeit überprüft wird. Abbildung 23: Schematische Darstellung des kausalen Sequenzmodells Kausale Sequenz – vollständiges Modell Kausale Sequenz – getesteter Ausschnitt Generelles Vertrauen (soziologisches Vertrauen)
Interaktionseffekte
Niveaueffekt Vertrauenserwartung p (ökonomisches Vertrauen)
Kooperative Handlung
Bestimmungsfaktor 1 des ökonomischen Vertrauens
Bestimmungsfaktor 2 des ökonomischen Vertrauens
Bestimmungsfaktor x des ökonomischen Vertrauens
Bewertung u
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
Wie Kapitel 3 schon angedeutet hat und das folgende Unterkapitel näher ausarbeiten wird, sind es aus Perspektive von Rational Choice insbesondere bestimmte situativ gegebene Anreizstrukturen, die die Vertrauenserwartung determinieren. Plausibel erscheint es dabei zunächst, davon auszugehen, dass Menschen mit einem hohen generellen Vertrauen situativ gegebenen Anreizen ein geringeres Gewicht beimessen als Menschen mit hohem generellem Vertrauen. Die in Kap. 6 dieser Arbeit präsentierten Überlegungen aus der Sozialpsychologie, wonach generelle Orientierungen als kognitiver Bias zu einer verzerrten Wahrnehmung und Interpretation der situativ gegebenen Rahmenbedingungen führen können, deuten in diese Richtung. Im Rahmen der Vertrauensliteratur selbst wird allerdings interessanterweise eher ein gegenteiliger Effekt diskutiert. So geht Yamagishi in seinen sozialpsychologischen Beiträgen zur Vertrauensproblematik zwar, wie oben bereits beschrieben, davon aus, dass sich hohes generelles Vertrauen positiv auf die Vertrauensbereitschaft in konkreten Entscheidungssituationen auswirkt. Dieser unterstellte Niveaueffekt impliziert aber aus seiner Sicht nicht, dass Menschen mit hohem generellem Vertrauen leichtgläubig in dem Sinne sind, dass sie situativ gegebene Informationen über die Anreizstruktur des Treuhänders missachteten. Vielmehr zeigten experimentelle Ergebnisse, dass Menschen mit hohem generellem Vertrauen situative Anreize eher sensibler wahrnehmen als Menschen mit geringem Vertrauen. Menschen mit geringem Vertrauen seien dagegen eher gleichgültig gegenüber situativen Anreizen (vgl. Yamagishi 1998: 21ff.). Vor diesem Hintergrund lassen sich also zwei gegenteilige Interaktionshypothesen formulieren: Je höher das generelle Vertrauen, desto geringer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der situativ gegebenen Anreizstruktur ausfallen. Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der situativ gegebenen Anreizstruktur ausfallen.
Um spezifischere Hypothesen über Interaktionseffekte überhaupt formulieren zu können, bedarf es einer genaueren Spezifikation derjenigen Anreizstrukturen, die aus Perspektive der ökonomischen Vertrauenstheorie die situationsspezifisch gebildete subjektive Vertrauenserwartung determinieren. Auch bei der Überprüfung eines Niveaueffektes müssen diese Rational Choice-Determinanten kontrolliert werden. Zu deren Herleitung und theoretischer Begründung wird in Kapitel 7.2 deshalb noch einmal auf den aktuellen Forschungsstand der ökonomischen Vertrauensforschung Bezug genommen. 7.2 Bestimmungsfaktoren des ökonomischen Vertrauens In sehr allgemeiner Form ist Kapitel 3 dieser Arbeit schon auf die aus Rational ChoicePerspektive zentralen, situativen Anreizstrukturen und deren angenommene Wirkung auf die Vertrauenserwartung eingegangen. Aufgabe des letzten verbleibenden Schritts der Modellbildung ist es, diese situativen Anreizstrukturen noch näher zu spezifizieren, beziehungsweise deren unterstellte Effekte auf das situationsspezifische Vertrauen theoretisch herzuleiten und zu begründen. Nach den Annahmen des SEU-Ansatzes ist Vertrauen eine situationsspezifisch gebildete, kognitive Erwartung aus der subjektiven Perspektive des Treuhänders. Situationsspe-
Bestimmungsfaktoren des ökonomischen Vertrauens
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zifisch sind entsprechend auch die Bestimmungsfaktoren, die aus ökonomischer Perspektive als zentral eingestuft werden. Der Fokus liegt zudem auf ganz bestimmten situationsspezifischen Faktoren. Als relevante Bestimmungsfaktoren werden im aktuellen Forschungsstand der ökonomischen Vertrauensforschung, wie schon mehrfach herausgestellt, ausschließlich strukturelle Rahmenbedingungen beziehungsweise die von ihnen ausgehenden Handlungsanreize betrachtet, die in einer konkreten vertrauenssensiblen Entscheidungssituation gegeben sind (vgl. Raub, Buskens 2004: 573).123 Gemäß dieser klar dominierenden strukturorientierten Herangehensweise ist es die subjektive Wahrnehmung dieser situativ gegebenen Opportunitäten und Restriktionen, die entscheidend dafür ist, welche Vertrauenserwartung p der Treugeber ausbildet (vgl. auch Kapitel 3.3.1). Eine zentrale Rolle spielen dabei die durch die strukturelle Beschaffenheit der Entscheidungssituation entstehenden Anreize des Treuhänders beziehungsweise die subjektive Wahrnehmung der Anreize des Treuhänders durch den Treugeber. Diese subjektiv wahrgenommenen Anreize des Treuhänders determinieren die Vertrauenserwartung des Treugebers. Anders formuliert hängt die Vertrauenswahrscheinlichkeit des Treugebers davon ab, ob der Treugeber vermutet, dass der Treuhänder aufgrund der spezifischen Anreizstruktur, die in der jeweiligen Entscheidungssituation gegeben ist, ein Interesse daran hat, sich ebenfalls kooperativ zu verhalten und einseitige Vorleistungen kooperativ zu erwidern. Im vorliegenden Kapitel werden diese Anreizstrukturen näher spezifiziert. Es geht hier um den letzten Baustein der theoretischen Herleitung des Kausalmodells, das im dritten empirischen Teil der Arbeit empirisch getestet werden soll. In den Begrifflichkeiten des struktur-individualistischen Erklärungsansatzes ausgedrückt geht es darum, die zentralen Brückenhypothesen herzuleiten, die im aktuellen Forschungsstand der ökonomischen Vertrauensforschung diskutiert werden. Nach dem struktur-individualistischen Erklärungsansatz sind solche Brückenhypothesen Kausalannahmen, die eine Verbindung zwischen der subjektiven Wahrnehmung bestimmter struktureller Gegebenheiten der sozialen Situation und der Vertrauenserwartung der Akteure herstellen (vgl. Kapitel 3.3.1.2). Betrachtet man den einschlägigen Forschungsstand näher, der sich aus ökonomischer Perspektive mit den Determinanten des Vertrauens befasst, dann stellt man fest, dass im Rahmen dieser Diskussionen immer wieder ein- und derselbe Grundgedanke formuliert wird. Es wird herausgestellt, dass Vertrauensprobleme, wie sie in Kapitel 3 beschrieben worden sind, nicht isoliert auftreten, sondern dass Treugeber und Treuhänder in der Regel in Kontakt zu anderen Akteuren stehen. Als einer der ersten hat Coleman im Rahmen seiner Überlegungen zum Sozialkapital darauf hingewiesen, dass solche Netzwerkstrukturen bei der Lösung von Vertrauensproblemen eine wesentliche Rolle spielen können. Auch der amerikanische Wirtschaftssoziologe Mark Granovetter hat diesen Gedanken in einem programmatischen Artikel aus dem Jahr 1985 aufgegriffen und die besondere Rolle von sozialer Vernetzung bei der Bewältigung von Vertrauensproblemen betont. Granovetter hat für 123
Bei dieser Art der Modellierung spielen die wahrgenommenen spezifischen Persönlichkeitsmerkmale des Treuhänders keine Rolle. Auch der Aspekt, ob der Treuhänder über die entsprechende Fähigkeit zu reziprokem Handeln verfügt, wird üblicherweise ausgeblendet. Zur Rechtfertigung einer solchen vereinfachenden Modellierung verweist man aus Rational Choice-Perspektive gemeinhin auf das Prinzip der abnehmenden Abstraktion. Nach diesem empfiehlt es sich, mit stark vereinfachenden Annahmen anzufangen, um diese sehr abstrakten Annahmen später schrittweise durch komplexere und damit auch realitätsnähere Annahmen zu ersetzen (vgl. Lindenberg 1991). Einen Schritt in Richtung abnehmende Abstraktion bewegt sich beispielsweise Raub 2004, der ein Vertrauensspiel präsentiert, in dem auch die Fähigkeiten des Treuhänders im Entscheidungskalkül Berücksichtigung finden (vgl. Raub 2004).
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
dieses Eingebundensein in Netzwerkstrukturen den Begriff der Einbettung (embeddedness) geprägt und auf diese Weise ein ganzes Forschungsprogramm begründet. Die Suche nach präzise formulierten und empirisch prüfbaren Brückenhypothesen kann an diesem Grundgedanken der Einbettung ansetzen: Durch die Einbettung in soziale Netzwerke werden nach diesen Überlegungen Mechanismen verfügbar, die die Anreize zu opportunistischem Verhalten mindern beziehungsweise, positiv formuliert, kooperatives Verhalten attraktiver machen. Diese Netzwerke leisten somit einen wesentlichen Beitrag zu einer endogenen Lösung von Vertrauensproblemen (vgl. Raub 1999: 243). Was der Begriff des sozialen Netzwerkes bezeichnet, wird dabei selten präzisiert.124 Es lassen sich aber einige Definitionsmerkmale herausfiltern, auf denen diese Arbeiten fußen: Netzwerke sind demnach soziale Strukturen zwischen einem abgegrenzten Set von Akteuren, also Individuen oder auch kollektiven Akteuren.125 Nach dem üblichen sozialwissenschaftlichen Begriffsverständnis kennzeichnet der Begriff der sozialen Struktur wiederum Beziehungsgefüge und Handlungsmuster, die durch eine gewisse Stabilität und Regelmäßigkeit gekennzeichnet sind (vgl. Opp 1999: 29; Esser 1999: 428). Ein erstes definitorisches Merkmal bezieht sich entsprechend auf die zeitliche Dimension: Es handelt sich um Kontakte zwischen Akteuren, die einer gewissen Dauerhaftigkeit unterliegen. Ein zweites definitorisches Merkmal betrifft den Umfang: Von Netzwerken ist offenbar erst dann die Rede, wenn mehr als zwei Parteien involviert sind. Eine Beziehungsstruktur zwischen zwei Parteien wird dagegen als Zweierbeziehung oder als dyadische Beziehung bezeichnet (vgl. Raub 1999; Burt, Knez 1995). Ein drittes Merkmal bezieht sich auf den Grad der Formalisierung: Netzwerke sind informelle soziale Gebilde. Ihr Gehalt ist nicht rechtlich bindend geregelt. Sie können damit übergreifend und unabhängig von formellen sozialen Gebilden wie Freiwilligenverbänden oder Organisationen existieren, was nicht ausschließt, dass sie vollständig oder teilweise in diese eingebettet sind (vgl. Panther 1997: 78). Verbände oder Organisationen sind entsprechend sinnvollerweise nicht mit sozialen Netzwerken gleichzusetzen, sondern stellen lediglich bestimmte Arten von Gelegenheitsstrukturen dar, in deren Rahmen sich soziale Netzwerke gut herausbilden können. Netzwerke sind damit eine sehr basale Art der sozialen Struktur. Es ist davon auszugehen, dass fast alle Menschen mehr oder weniger stark in bestimmte soziale Netzwerke eingebettet sind. Fast jeder Mensch unterhält längerfristige soziale Beziehungen zu anderen Menschen, seien es die Arbeitskollegen, die Mitglieder der Schachmannschaft oder die Nachbarn. Das ergibt sich schon daraus, dass Menschen viele ihrer Interessen und Bedürfnisse nicht alleine, sondern nur in Zusammenarbeit mit anderen realisieren können. Im Kontext der ökonomischen Vertrauens- und Kooperationsforschung wird derzeit über unterschiedliche Dimensionen der Einbettung in Netzwerke und deren unterstellte positive Effekte auf Vertrauen und Kooperation diskutiert. Eine erste Form der Einbettung, 124
Coleman beispielsweise verwendet den Begriff des Netzwerkes in Verbindung mit einer ganzen Reihe von verschiedenen sozialen Beziehungsstrukturen mit unterschiedlichem Formalisierungsgrad: neben stark formalisierten gewerblichen Organisationen (vgl. Coleman 1991: 406) nennt er auch Gruppen (vgl. ebd.: 396), freiwillige Vereinigungen (vgl. ebd.: 410) und informale soziale Kontaktnetze wie Beziehungsgeflechte zwischen Händlern auf dem Markt (vgl. ebd.: 393), zwischen Körperschaften oder zwischen den Eltern, deren Kinder dieselbe Schulklasse besuchen (vgl. ebd.: 410). Er grenzt seinen Netzwerkbegriff nicht klar von anderen Begriffen wie Gruppe oder Organisation ab. 125 Während im Kontext der soziologischen Vertrauenstheorie in erster Linie zivilgesellschaftliche Netzwerke als Orte der Bildung von Vertrauen in den Blick genommen werden, werden hier allen Arten von Netzwerken, auch marktförmigen Beziehungen zwischen Firmen oder zwischen Händlern, Effekte auf Vertrauen unterstellt.
Bestimmungsfaktoren des ökonomischen Vertrauens
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der Bedeutung beigemessen wird, ist die zeitliche Einbettung. Dieser Begriff zielt darauf ab, dass viele Arten von Interaktionsbeziehungen zwischen den Mitgliedern eines sozialen Netzwerkes längerfristiger Natur sind. Die Kameraden aus demselben Sportverein treffen sich mit großer Regelmäßigkeit schon seit Jahren zweimal in der Woche zum Training, und auch am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft sieht man immer wieder ein- und dieselben Personen. Diese Netzwerkkontakte haben eine gemeinsame Vergangenheit und sind auf eine gemeinsame Zukunft hin ausgerichtet. Begreift man einmalige Interaktionen zwischen zwei Akteuren als soziales Tauschgeschäft, dann bezieht sich die zeitliche Einbettung darauf, dass ein bestimmtes soziales Tauschgeschäft in eine Sequenz früherer und erwarteter künftiger Tauschgeschäfte eingebettet ist (vgl. Raub 1999: 239). Im Rahmen des ökonomischen Vertrauensansatzes wird angenommen, dass zeitliche Einbettung die Entstehung von Vertrauen begünstigen kann.126 Dabei wird zum einen herausgestellt, dass die Annahme einer Fortführung der Beziehung in der Zukunft Vertrauen begünstigt. Aber auch die vergangenen Beziehungen der Tauschpartner beeinflussen nach diesen Annahmen die Vertrauenswahrscheinlichkeit in konkreten Tauschsituationen (vgl. Granovetter 1985: 491; Coleman 1991: 132). Abbildung 24: Zeitliche Einbettung Zeitdimension
Keine zeitliche Einbettung
Zeitliche Einbettung
Vergangenheit Aufeinandertreffen fremder Treugeber und Treuhänder kenPersonen, erstmalige Interaktion nen sich aus vergangenen Begegnungen, ihre Beziehung hat eine „Geschichte“ Zukunft
Geringe Wahrscheinlichkeit eines Wiedersehens
Hohe Erwartung eines Wiedersehens
Eine zweite Dimension der Einbettung, die im Rahmen der Diskussion um die Determinanten des Vertrauens eine zentrale Rolle spielt, ist die Einbettung von Treugeber und Treuhänder in ein umfassenderes Netzwerk von sozialen Kontakten. In diesem Fall bezieht sich die Einbettung nicht auf eine zeitliche, sondern auf eine räumliche Dimension. Während bei der zeitlichen Einbettung der Fokus auf der dyadischen Zweierbeziehung liegt, geht es bei dieser Einbettungsdimension um das soziale Netzwerk, in das die Zweierbeziehung zwischen Treugeber und Treuhänder eingebettet ist. Im Blickfeld ist hier das Ausmaß der Kontakte, die Treuhänder und Treugeber mit Dritten unterhalten (vgl. Buskens 1999: 5). Es wird angenommen, dass diese gemeinsamen Kontakte mit Dritten direkte und indirekte Wirkungen auf die dyadische Vertrauensbeziehung haben. In Abgrenzung zur zeitlichen Einbettung wird diese Einbettungsdimension auch als strukturelle Einbettung bezeichnet (vgl. Voss 1998a: 103). In Bezug auf diesen Aspekt der Einbettung dominiert in der ökonomischen Vertrauensliteratur die Vorstellung, dass insbesondere geschlossene Netzwerke Vertrauen begünstigen (vgl. Hardin 2002: 21). Ein Netzwerk gilt dann als geschlossen, wenn seine Mitglieder so dicht unter- und miteinander verbunden sind, dass niemand der Aufmerksamkeit des 126
Vgl. Coleman 1991: 138; Granovetter 1985; Hardin 2002: 14; Ripperger 1999: 279; Schmidtchen 1994: 147.
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
anderen entgehen kann (vgl. Burt 2001: 37). Idealtypischerweise stehen die einzelnen Mitglieder in unmittelbarem und direktem Kontakt zueinander, wobei sich das Adjektiv „direkt“ in diesem Zusammenhang darauf bezieht, dass der Kontakt nicht über intermediäre Kontaktpersonen vermittelt ist.127 Weiterhin ist für geschlossene Netzwerke eine geringe Zahl an Außenkontakten charakteristisch. Ist die Beziehung zwischen Treugeber und Treuhänder in ein geschlossenes Netzwerk eingebettet, dann überlappen sich die Personen, mit denen beide in Kontakt stehen, in einem hohen Maße. Diese dritten Parteien sind wiederum häufig auch untereinander vernetzt. Dass solche geschlossenen Netzwerke Vertrauen begünstigen, ist ein Gedanke, der bereits bei Coleman explizit formuliert ist. Er vermutet, dass eine „festgefügte Gemeinschaft im Umkreis von potentiellen Treugebern (...) zu einer größeren Vertrauenswürdigkeit führt“ (Coleman 1991: 139). Zudem geht Coleman davon aus, dass „ein gewisses Maß an Geschlossenheit (...) von hohem Wert für Individuen (ist), die sich entscheiden müssen, ob sie Vertrauen vergeben sollen oder nicht“ (Coleman 1991: 413).
Granovetter formuliert diese Annahme über die Vertrauen begünstigende Wirkung geschlossener Netzwerke in ähnlicher Form. Er betont, dass es für die Entstehung von Vertrauen von Vorteil sei, wenn die Tauschgeschäfte zwischen Treugeber und Treuhänder nicht isoliert von anderen Transaktionen, sondern eingebettet in „a close-knit community“ stattfänden (vgl. Granovetter 1985: 492). Zusätzlich wird in der ökonomischen Vertrauensliteratur über eine dritte Einbettungsdimension diskutiert, die als institutionelle Einbettung bezeichnet wird (vgl. Voss 1998: 103; Rooks et al. 2000: 124). Der Begriff der institutionellen Einbettung bezieht sich darauf, dass die Anreizstruktur von Akteuren eines Netzwerkes neben den bereits diskutierten Effekten der zeitlichen Einbettung beziehungsweise der strukturellen Einbettung auch durch institutionelle Arrangements so modifiziert werden kann, dass der Treuhänder keinen Anreiz mehr hat, opportunistisch zu handeln (vgl. Diekmann 2007: 57). Das folgende Kapitel geht ausführlicher auf diese drei Einbettungsdimensionen ein. Ziel ist es, einige der zentralen Hypothesen vorzustellen, die in Verbindung mit diesen Einbettungsdimensionen diskutiert werden. Entsprechend der Überzeugung, dass die Bildung eines guten empirischen Modells immer, soweit dies möglich ist, theoriegeleitet erfolgen sollte, verfolgt dieses Kapitel auch das Ziel, die theoretischen Begründungszusammenhänge darzustellen, auf denen diese Brückenhypothesen fußen. Dabei wird auch auf spieltheoretische Argumente und Belege zurückgegriffen. Zwar lässt sich mittels spieltheoretischer Argumentationen keine angemessene Erklärung der subjektiv sehr unterschiedlichen Handlungsmotivationen und der subjektiven Wahrnehmungen erreichen. Wie Kapitel 3.3 aber schon ausführlich dargelegt hat, sind spieltheoretische Argumentationsmuster bei der theoretischen Herleitung von Brückenhypothesen durchaus nützlich.
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Im Rahmen der Netzwerkanalyse sind Maßzahlen entwickelt worden, die es ermöglichen, solche Merkmale von Netzwerken wie den Grad ihrer Geschlossenheit oder ihre Netzwerkdichte quantitativ präzise zu erfassen (vgl. einführend Degenne, Forsé 1999; Scott 1991; Schweizer 1996; Jansen 1999; Weyer 2000).
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7.2.1 Zeitliche Einbettung Die zeitliche Einbettung eines Vertrauensproblems lässt sich in eine gemeinsame Vergangenheit und in eine gemeinsame Zukunft unterteilen. Beide Dimensionen unterscheiden sich insofern, als Treugeber und Treuhänder in der Regel wissen, ob, und wenn ja wie häufig, sie schon in der Vergangenheit miteinander zu tun hatten. Zwar werden sie, wenn die Beziehung schon sehr lange andauert, nicht mehr genau beziffern können, wie häufig sie schon miteinander zu tun hatten. Sie haben aber eine daraus resultierende Einschätzung über die Stabilität der Beziehung. Im Unterschied dazu können beide Akteure nie mit absoluter Sicherheit wissen, ob sie sich auch in Zukunft wieder sehen werden. Bei einer anonymen Begegnung unter Fremden werden sie die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Zusammentreffens möglicherweise als gering einschätzen. Anders gelagert ist die Situation, wenn beide Akteure demselben Netzwerk angehören und auch schon in der Vergangenheit miteinander zu tun gehabt haben. Unter sonst gleichen Bedingungen werden Treugeber und Treuhänder dann die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Begegnung vermutlich höher einschätzen. Beiden Aspekten der zeitlichen Einbettung in ein Netzwerk, gemeinsamen Interaktionen in der Vergangenheit sowie der Erwartung einer Fortsetzung der Beziehung in der Zukunft, werden in der ökonomischen Literatur Effekte auf die Generierung von Vertrauen zugeschrieben. Zunächst zur Zukunftsdimension. 7.2.1.1 Der Schatten der Zukunft Hat eine Beziehung aus der subjektiven Wahrnehmung der Akteure eine Zukunft, das heißt erwarten Treugeber und Treuhänder, dass sie sich auch künftig noch öfter begegnen werden, so begünstigt diese Form der zeitlichen Einbettung aus ökonomischer Sicht die Entstehung von Vertrauen: „(…) the once-only interaction has none of the force of the encapsulated-interest account to get us to trust each other, but an iterated, ongoing interaction does have that force“ (Hardin 2002: 18).
Diese Hypothese gehört zu den standardmäßig formulierten Annahmen der ökonomischen Vertrauenstheorie. Sie ist in nahezu allen Texten, die sich mit der Erklärung des ökonomischen Vertrauens befassen, enthalten.128 Man könnte sogar sagen, dass sie als die zentrale Lösung von Vertrauensproblemen angesehen wird. Wie aber wird der positive Effekt der Erwartung einer Fortsetzung der Beziehung in der Zukunft begründet? Grundlegend ist in diesem Zusammenhang der Gedanke, dass sich bei wiederholten Begegnungen die Anreizstruktur des Treuhänders verändert. Opportunistisches Verhalten ist für ihn nicht mehr so attraktiv wie bei einer einmaligen Begegnung mit einem Fremden. Für den Treugeber eröffnen sich nämlich durch die Wiederholung der Begegnung in der Zukunft Möglichkeiten, opportunistisches Verhalten des Treuhänders zu bestrafen. Um diesen Grundgedanken besser nachvollziehbar zu machen, sei noch einmal auf die klassischen Merkmale eines Vertrauensdilemmas Bezug genommen (sh. ausführlich Kapitel 128
Eine kleine Auswahl ist Voss 1998; Raub 1999; Braun 1992; Ziegler 1997; Schmidtchen 1994; Ripperger 1999; Weesie, Buskens, Raub 1998, Hardin 2002 sowie Raub, Buskens 2004.
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3.3.2.2): Charakteristisches Merkmal eines solchen Vertrauensdilemmas ist aus Rational Choice-Sicht, dass die Risiken asymmetrisch verteilt sind. Nur der Treugeber muss befürchten, ausgenutzt zu werden. Dies ergibt sich aus der unbestimmten Zeitspanne, die zwischen dem Handlungsbeitrag des Treugebers und dem des Treuhänders liegt. Charakteristisch für Vertrauensdilemmata ist weiterhin, dass keine expliziten Kontroll- und Sicherungsmechanismen existieren, die das Risiko des Treugebers abmildern. Das gilt aber nach den Annahmen der ökonomischen Vertrauens- und Kooperationstheorie, wie eben schon angedeutet, nur für einmalige, also zeitlich nicht eingebettete Begegnungen. Gehören Treugeber und Treuhänder demselben Netzwerk an und gehen dementsprechend davon aus, dass sie sich in Zukunft wieder sehen werden, reduziert sich, unter sonst gleichen Bedingungen, das Vertrauensrisiko des Treugebers. Er verfügt dann nämlich über etwas, was einem expliziten Kontroll- und Sicherungsmechanismus äquivalent ist. Sofern nämlich die Interaktion in Zukunft fortgesetzt wird, kann er den Treuhänder sanktionieren, falls dieser die einseitige Vorleistung nicht mit einer entsprechenden Gegenleistung kooperativ erwidert. Das Besondere an diesem Sanktionsmechanismus ist, dass er nicht auf einem externen Eingriff beruht. Er entfaltet seine Wirkung vielmehr aus der Situation heraus, also endogen, durch Anpassung der Akteure in ihrem Entscheidungsverhalten an potentiell künftige Begegnungen (vgl. Raub, Voss 1987: 205; dies. 1994: 103f.). Bleibt man auf der Ebene der Zweierbeziehung, dann verfügt der Treugeber über zwei unterschiedlich harte Sanktionsmöglichkeiten. Er kann zum einen künftige eigene Hilfeleistungen vom Wohlverhalten des Treuhänders abhängig machen. Verhält sich dieser kooperativ, wird dieses Wohlverhalten mit Kooperation belohnt. Unkooperatives Verhalten wird dagegen mit Defektion bestraft. Mit dem Vokabular der Spieltheorie ausgedrückt, eröffnet erst die wiederholte Begegnung die Möglichkeit des Rückgriffs auf eine sogenannte bedingte Strategie, bei der jeder Spielzug das vorherige Verhalten des Spielpartners widerspiegelt. Der Treugeber kann aber auch eine härtere Form der Bestrafung wählen. Er bricht die Beziehung zum Treuhänder ganz ab und wendet damit eine Art der Sanktionierung an, die Hirschman als Exit-Strategie bezeichnet hat (vgl. Hirschman 1974: 4). Dieser Sanktionsmechanismus muss nicht zum Einsatz kommen. Er wirkt vielmehr, weil Treugeber und Treuhänder antizipieren, dass treuloses Verhalten sanktioniert werden kann, wenn ein Wiedersehen wahrscheinlich ist. Diese gedankliche Vorwegnahme zukünftiger potenzieller Handlungskonsequenzen beeinflusst nach den Annahmen des Rational Choice-Ansatzes das Entscheidungskalkül beider Interaktionspartner. Alleine das Wissen darum, dass der Treugeber in künftigen Tauschgeschäften auf eigenes Verhalten reagieren und es belohnen oder bestrafen kann, ist ausreichend, um den Treuhänder von unkooperativem Verhalten abzuschrecken (vgl. Raub 1999: 244). Dieser muss schließlich befürchten, dass die Konsequenzen seines Verhaltens langfristig negativ auf ihn zurückwirken. Die erwartete Wiederholung der Begegnung bewirkt eine Reindividualisierung der Handlungsfolgen (vgl. Kliemt 1991: 188). Konsequenterweise hat der Treuhänder einen stärkeren Anreiz, die einseitige Vorleistung zu erwidern. Der Treugeber wiederum wird sich nach dieser Argumentation bei der Bildung seiner Vertrauenserwartung maßgeblich daran orientieren, ob es seiner Einschätzung nach im Interesse des Treuhänders ist, ebenfalls kooperativ zu sein. Entsprechend wird er aus Sicht der ökonomischen Vertrauenstheorie unter sonst gleichen Bedingungen mit einer höheren subjektiven Wahrscheinlichkeit vertrauen.
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Diese positiven Effekte der zeitlichen Einbettung auf die Generierung von Vertrauen entstehen allerdings aus Sicht des ökonomischen Vertrauensansatzes nur unter bestimmten Bedingungen, die mit Hilfe der Spieltheorie hergeleitet werden. Betrachtet wird dazu eine ganze Sequenz hintereinander geschalteter Spiele. Eine solche Iteration identischer Spiele wird auch als Superspiel bezeichnet (vgl. Taylor 1987: 60). Das Besondere an solchen Superspielen ist, dass die Akteure jetzt, wie eben schon beschrieben, auf die vorausgehenden Züge ihrer Mitspieler reagieren können. Sie können eine bestimmte Superspiel-Strategie wählen, das heißt eine Strategie, die das Ziel hat, das gesamte Superspiel mit dem größten Nutzen zu beenden und nicht nur das gerade aktuelle, einzelne Spiel (vgl. Braun 1999: 201). Die mit einem bestimmten Verhalten verbundene Gewinnerwartung resultiert dann nicht nur aus dem Gewinn, den die aktuelle Handlungsentscheidung verspricht, sondern die einzelnen Gewinne summieren sich zu einem Superspielgewinn auf. Ein solches Superspiel stellt eine gute Annäherung an das empirische Phänomen zeitlich eingebetteter sozialer Kontakte dar, wie sie unter den Mitgliedern eines Netzwerks bestehen. Es werden die gleichen Spielsituationen wiederholt und analysiert. Dies ähnelt den sozialen Prozessen in Netzwerken, in deren Verlauf Akteure immer wieder vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie Vorleistungen erbringen oder diese verweigern sollen. Bei solchen Superspielen greift nach spieltheoretischen Überlegungen das FolkTheorem. Es besagt, dass bei unendlich oft wiederholten Spielen eine extrem große Zahl von Gleichgewichten möglich ist (vgl. Holler, Illing 2000: 147). In Verbindung mit Fragen der endogenen Entstehung von Kooperation ist das Folk-Theorem so interpretiert worden, dass sich unter dieser Bedingung kooperative Gleichgewichte endogen durchsetzen können. Wenn rationale Akteure nämlich annehmen, dass sie sich in Zukunft noch oft begegnen, werden sie die Reaktionsweisen ihrer Mitspieler aus zukunftsbezogenen Gründen in ihre Strategiewahl einbeziehen (vgl. Kliemt 1991: 189). Der Politikwissenschaftler und Kooperationstheoretiker Robert Axelrod hat für eben diese Vorwegnahme zukünftiger Gewinne oder Verluste die bekannte Formulierung vom „Schatten der Zukunft“ geprägt (vgl. Axelrod 1987). Wie Kreps in einem 1990 publizierten Artikel demonstriert hat, lässt sich das Folk-Theorem auch auf das Vertrauensspiel anwenden. Er hat gezeigt, dass in wiederholten Spielen Vertrauen endogen entstehen kann und zu einem sich selbst verstärkenden Mechanismus wird (vgl. Kreps 1990). Solche endogenen Gleichgewichte entstehen aus Perspektive der Spieltheorie allerdings nur dann, wenn der Schatten der Zukunft lange genug ist. Hinter dieser Formulierung stecken zwei Grundgedanken: Erstens kalkulierten rationale Akteure die Chance mit ein, ihren Interaktionspartner aus unterschiedlichen Gründen wie Wohnungsumzug, Arbeitsplatzwechsel oder dessen Tod doch nicht mehr wieder zu sehen. Zweitens neigten rationale Akteure dazu, potenzielle zukünftige Gewinne umso geringer zu bewerten, je weiter diese in der Zukunft liegen (vgl. Axelrod 1987: 11). Vertrauen wird aus spieltheoretischer Sicht, entsprechend diesen Annahmen, nur dann zu einer stabilen Gleichgewichtslösung im Superspiel, wenn die Interaktionspartner zukünftige Gewinne hoch genug bewerten und wenn die subjektive Erwartung einer Wiederholung der Begegnung in der Zukunft groß genug ist (vgl. Buskens, Raub 2002: 176f.; Kreps 1990: 100ff.). Wissen die Akteure dagegen sicher um die Endlichkeit einer Beziehung, dann wird nach spieltheoretischen Überlegungen ein Mechanismus in Gang gesetzt, der als backward induction bezeichnet wird (vgl. Lahno 1995b: 178ff.; Holler, Illing 2000: 21). Bedingt dadurch, dass es in der letzten Spielrunde
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am rentabelsten ist zu defektieren, werden Anreize erzeugt, auch in der vorletzten Runde zu defektieren, und so fort bis zur aktuell anstehenden Spielrunde. Auf die mathematische Begründung, die hinter diesen spieltheoretischen Gedanken steckt, soll in diesem Zusammenhang nicht detaillierter eingegangen werden (vgl. hierzu Kreps 1990; Buskens, Raub 2002; Axelrod 1987). Wesentlicher ist im Rahmen dieser Argumentation, ob diese spieltheoretischen Überlegungen zur Entstehung und endogenen Stabilisierung von Vertrauen in Superspielen auch dann noch fruchtbar sind, wenn, wie in der vorliegenden Arbeit, Vertrauen aus der Perspektive eines SEU-Modellierungsansatzes als eine subjektive Erwartung des Treuhänders konzeptualisiert wird. In der Spieltheorie werden nämlich klassischerweise Entscheidungssituationen unter Unsicherheit modelliert (vgl. Kap. 3.3.2.2). Dazu wird von der Hilfsannahme ausgegangen, dass die Akteure vollständig über die erzielbaren Gewinne informiert sind. Auch die Zukunftserwartung, die in diesen Überlegungen eine Rolle spielt, ist nicht eine subjektive Erwartung des Treugebers, sondern eine exogen gesetzte Größe. Wie Kapitel 3 ausführlich gezeigt hat, geht das SEUModell im Unterschied dazu von einer Entscheidungssituation unter Risiko aus. Die Entscheidungssituation wird aus der subjektiven Perspektive des Treugebers modelliert. Die Hilfsannahme der vollständigen Information fällt bei diesen Entscheidungssituationen unter Risiko weg. Stattdessen wird angenommen, dass der Treugeber den Handlungskonsequenzen bestimmte Wahrscheinlichkeiten zuordnen kann. Auch die Gewinn- beziehungsweise Verlusterwartung und die Länge des Schattens der Zukunft sind subjektiv zu bestimmende Größen. Ein Übertrag der oben erwähnten kooperationstheoretischen Modellierungen auf Entscheidungssituationen unter Risiko ist erst andeutungsweise geleistet worden. Zwar ist man in einigen jüngeren spieltheoretischen Beiträgen zum Vertrauen dazu übergegangen, Vertrauensprobleme als Entscheidungssituationen mit vollständiger, aber unvollkommener Information zu modellieren, was Colemans Modellierung unter Risiko sehr nahe kommt (sh. Kap. 3.2.2). Ausgehend von einer solchen Modellierung mit vollständiger, aber unvollkommener Information weist Voss darauf hin, dass sich die Annahme, Vertrauen werde durch einen langen Schatten der Zukunft begünstigt, auch dann halten lässt, wenn man von der Prämisse der vollständigen Informiertheit Abstand nimmt und Wahrscheinlichkeiten einbezieht (vgl. Voss 1998). Voss subjektiviert dazu den Diskontparameter. Er nimmt an, dass dieser der Stärke der subjektiven Erwartung entspricht, dass eine nächste Begegnung, gegeben die Geschichte der Interaktion, noch stattfinden wird (vgl. Voss 1998: 104). Er zeigt formal, dass die Anforderungen an den Schatten der Zukunft unter sonst gleichen Bedingungen geringer sind als in der klassischen Modellierung des Vertrauensspiels unter Unsicherheit (vgl. ebd.: 106). Voss deutet hier an, dass der Schatten der Zukunft, wenn man Wahrscheinlichkeiten einbezieht, vermutlich sogar kleiner sein kann als in den Entscheidungssituationen unter Unsicherheit, damit Vertrauen zur präferierten Handlungsoption wird. Dieser Übertrag müsste theoretisch noch weiter präzisiert werden. Es scheint aber zumindest nicht unplausibel, dass die spieltheoretischen Annahmen von Axelrod und Kreps auch auf Vertrauenssituationen unter Risiko übertragbar sind. Dementsprechend wäre p von der Stärke der Zukunftserwartung abhängig. Der Treugeber müsste den Wert von p höher einschätzen und dementsprechend eher Vertrauen vergeben, wenn er über eine hohe subjektive Zukunftserwartung verfügt. Diese Überlegungen lassen sich entsprechend in folgender Hypothese zusammenfassen:
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Wenn der Treugeber davon ausgeht, dass er dem Treuhänder in Zukunft erneut begegnen wird, dann erhöht sich, unter sonst gleichen Bedingungen, die Vertrauenserwartung p des Treugebers.
7.2.1.2 Der Schatten der Vergangenheit Begegnen zwei Mitglieder eines Netzwerkes einander wiederholt, dann hat ihre Beziehung auch eine gemeinsame Vergangenheit. Auch diesem „Schatten der Vergangenheit“ werden in der Rational Choice-Literatur Effekte auf die subjektive Vertrauenserwartung des Treugebers zugeschrieben. Nach diesen Überlegungen führt eine gemeinsame Vergangenheit dazu, dass die Partner Erfahrungen miteinander machen und Informationen übereinander sammeln. Solche Informationen, die zudem aus erster Hand stammen, eignen sich als Indikatoren für Vertrauenswürdigkeit ausgesprochen gut. Sie sind nicht nur günstig zu erhalten, sondern auch verlässlich, detailliert und vergleichsweise akkurat. Durch sie wird das Verhalten des Treuhänders besser voraussagbar (vgl. Granovetter 1985: 490; Rooks et al. 2000: 126). Nimmt man jetzt an, dass der Treugeber bereits Erfahrungen mit einem bestimmten Interaktionspartner gemacht hat, und nimmt man weiter an, dass diese Erfahrungen positiv waren, dann hat er gute Gründe, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Treuhänder vertrauenswürdig ist und nicht jeder Versuchung zu opportunistischem Verhalten erliegen wird (vgl. Raub 1999: 243). Gute Erfahrungen mit dem Treuhänder in der Vergangenheit sollten entsprechend dazu führen, dass der Treugeber seine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit vertrauenswürdigen Verhaltens des Treuhänders nach oben anpassen wird (vgl. Raub, Buskens 2004: 573). Hier wird also die zusätzliche Annahme eingeführt, dass diese Erfahrungen positiv waren. Ohne diese Zusatzannahme lassen sich aus der Vergangenheitsdimension keine eindeutigen Effekte auf die Vertrauenswahrscheinlichkeit ableiten. Da, wie eben gezeigt, der Treuhänder bei einer hohen Zukunftserwartung starke Anreize hat, das in ihn gesetzte Vertrauen durch eine entsprechende Gegenleistung zu erwidern, weil er sonst befürchten muss, vom Treugeber bei künftigen Tauschgeschäften negativ sanktioniert zu werden, ist diese zusätzliche Annahme nicht unplausibel. Umgekehrt formuliert sind negative Erfahrungen bei zeitlich eingebetteten Beziehungen, wie sie in Netzwerken vorliegen, eher unwahrscheinlich. Von einem positiven Effekt auf die subjektive Vertrauenserwartung ist auch deshalb auszugehen, weil in länger andauernden Beziehungen häufig wechselseitig beziehungsspezifische Investitionen getätigt werden. Darunter sind Investitionen zu verstehen, die die Beziehung zwischen genau diesen beiden Partnern attraktiver machen und die zugleich zerstört werden, wenn die Beziehung beendet wird. Diese Investitionen müssen nicht materieller Art sein. Auch Zeit, die aufgewendet wird, um einen guten Kontakt aufzubauen, oder Wissen, das erworben wird und das für diese spezifische Art von Beziehung relevant ist, sind Beispiele für solche beziehungsspezifischen Investitionen. Diese Investitionen können einen stabilisierenden Effekt auf die Beziehung haben. Sie verstärken für den Treuhänder die Anreize zu kooperativem Verhalten und sollten sich unter sonst gleichen Bedingungen auch positiv auf die subjektive Vertrauenswahrscheinlichkeit des Treugebers auswirken. Eine zweite Hypothese über die Effekte der zeitlichen Einbettung auf die Vertrauenswahrscheinlichkeit lautet entsprechend:
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells Wenn Treugeber und Treuhänder schon in der Vergangenheit gute Erfahrungen miteinander gemacht haben, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers.
7.2.2 Strukturelle Einbettung Vertrauensbeziehungen zwischen zwei Akteuren sind häufig in ein umfassenderes Netzwerk von sozialen Kontakten eingebettet: der Kreis der Arbeitskollegen, die Sportkameraden im Verein, die Freunde aus der Schulzeit, die Nachbarn in derselben Straße. Neben der zeitlichen Einbettung werden auch dieser strukturellen Einbettung Effekte auf Vertrauen zugeschrieben. Eine zentrale Hypothese, die in der ökonomischen Vertrauensforschung diskutiert wird, lautet, dass sich dichte, geschlossene Netzwerke positiv auf die Generierung von Vertrauen auswirken. Charakteristisch für solche Netzwerke ist, dass Treugeber und Treuhänder Kontakte zu ein- und denselben Dritten unterhalten. Spieltheoretisch ausgedrückt ist der Treuhänder des fokalen Vertrauensspiels zugleich Treuhänder in Vertrauensspielen mit anderen Treugebern, und auch diese stehen untereinander in Kontakt. Begründet werden diese vermuteten positiven Effekte mit zwei zusammenhängenden Mechanismen, die Vertrauen begünstigen: Reputation und kollektive Sanktionierung. Wie insbesondere Coleman herausstellt, entfalten diese Mechanismen ihre Wirkung nur in engmaschigen, geschlossenen Beziehungsnetzwerken: „(...) in a structure without closure, it can be effectively sanctioned, if at all, only by the person to whom the obligation is owed. Reputation cannot arise in an open structure and collective sanctions that would ensure trustworthiness cannot be applied. Thus, we may say that closure creates trustworthiness in a social structure” (Coleman 1988: 107f.).
Ähnlich argumentiert Granovetter. Er geht wie Coleman davon aus, dass in geschlossenen Netzwerken die Durchsetzung bestimmter Verhaltensstandards sowie deren Überwachung besser funktionieren. Er weist zudem darauf hin, dass dies etwas mit dem schnellen Informationsfluss in dichten Netzwerken zu tun habe (vgl. Granovetter 1985: 492).129 Der angedeutete Begründungszusammenhang ist damit noch recht vage. Die beiden erwähnten Mechanismen und ihre Rolle im unterstellten, kausalen Zusammenhang zwischen struktureller Einbettung und Vertrauen verlangen eine genauere Betrachtung. Zunächst zum Reputationsmechanismus, der in den letzten Jahren auch in einer ganzen Reihe weiterer ökonomischer Beiträge zur Vertrauensforschung diskutiert beziehungsweise spieltheoretisch analysiert wurde.130 Reputation bezeichnet in diesem Zusammenhang ein bestimmtes Attribut, das einem Akteur von anderen Akteuren zugeschrieben wird (vgl. Raub, Weesie 1990: 629). Nur eine Art von Reputation ist naturgemäß im Kontext dieser Arbeit relevant, nämlich ein Mensch zu sein, dem man vertrauen kann. Diese Reputation ist in Tauschbeziehungen wertvoll. Dieser Wert ergibt sich aus der Tatsache, dass die Reputation, die ein Treuhänder genießt, die Wahrscheinlichkeit maßgeblich beeinflusst, mit der 129
Der Gedanke, dass dichte Netzwerke Vertrauen begünstigen, ist allerdings schon viel älter. Er lässt sich zurückverfolgen bis zu Adam Smith. Wie Junge hervorhebt, analysierte schon Smith die Bedingungen, unter denen es nützlich sein kann, eine Reputation der Vertrauenswürdigkeit aufzubauen, und identifizierte die Dichte der Interaktion und die Beobachtbarkeit des Verhaltens als entscheidende Einflussgrößen (vgl. Junge 1998: 33). 130 Einige dieser Beiträge sind Ripperger 1998; Voss 1998; Dasgupta 1988; Raub, Weesie 1990; Lahno 1995a; Buskens 1998; Ostrom 1998; Buskens, Weesie 2000b; Ensminger 2001; Diekmann, Wyder 2002.
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der Treuhänder in zukünftigen Tauschgeschäften einen Interaktionspartner findet (vgl. Diekmann, Wyder 2002; Lahno 1995a). Ein unbeschädigter Ruf erhöht nämlich für den Treuhänder die Wahrscheinlichkeit, dass andere Netzwerkmitglieder in Zukunft bereit sein werden, einseitige Vorleistungen zu erbringen. Dagegen kann ein schlechter Ruf die Chance auf solche Unterstützungsleistungen zunichte machen oder zumindest drastisch mindern, was für einen Akteur sehr verlustreich sein kann.131 Reputation entsteht, wenn Menschen miteinander interagieren, auf diese Weise Erfahrungen übereinander sammeln und diese Erfahrungen an Dritte weitergeben. Eine besondere Funktion informeller Beziehungen in Netzwerken besteht ja gerade darin, dass sie Kanäle für den Transfer von Informationen bieten (vgl. Coleman 1988: 104). Solche Informationstransfers sind wiederum vor allem in dichten, geschlossenen Netzwerken möglich. Dort sind nämlich die dritten Parteien auch untereinander in Kontakt. Damit kann sich das Verhalten eines bestimmten Akteurs A, bedingt durch diesen Informationstransfer, nicht nur auf die Beziehung zu B, sondern auch auf seine Beziehung zu anderen Netzwerkmitgliedern C, D, … auswirken.132 Reputationseffekte können in geschlossenen Netzwerken in zwei verschiedenen Richtungen auftreten: Zum einen eilt häufig einem bestimmten Treuhänder bereits ein Ruf voraus. Erfahrungen anderer Netzwerkmitglieder aus Interaktionen mit einem bestimmten Treuhänder sind als kollektiver Wissensschatz verfügbar. Sie können an den Treugeber weitergeleitet und von diesem als Substitut oder Ergänzung für eigene Erfahrungen mit dem Treuhänder genutzt werden. Auch die umgekehrte Art der Informationsweitergabe ist möglich: In eng verwobenen Netzwerken besteht die Option, dass der Treugeber gezielt Informationen über das Fehlverhalten des Interaktionspartners lanciert. Hirschman hat diese Art der Sanktionierung als voice bezeichnet (vgl. Hirschman 1974: 4). Durch diese Möglichkeit, die Reputation beeinflussen zu können, die ein Treuhänder in einem Netzwerk genießt, vergrößert sich unter sonst gleichen Bedingungen das Sanktionspotential des Treugebers. Nicht nur er selbst kann dem Treuhänder zukünftige Zusammenarbeit verweigern. Er kann auch dafür sorgen, dass Dritte im Netzwerk über das Fehlverhalten des Treuhänders informiert werden. Solche Informationen können dazu führen, dass diese Dritten dem Treuhänder ihrerseits in künftigen Interaktionen einseitige Vorleistungen verweigern.133 Das Verhalten des Treuhänders wird nicht mehr nur vom Treugeber, sondern jetzt vom ganzen Netzwerk sanktioniert. 131
Reputation hat damit sowohl eine Privatgut- als auch eine Kollektivgutseite. In Form von günstigen, subjektiven Erwartungen anderer Netzwerkmitglieder bezüglich der eigenen Vertrauenswürdigkeit ist Reputation als individuelle Ressource und damit als Beziehungskapital (vgl. Esser 2000b: 241) nutzbar, das dem Treuhänder in künftigen Tauschgeschäften zu Gute kommt. Gleichzeitig sind diese geteilten subjektiven Erwartungen, wenn sie Vertrauen entstehen lassen, aber auch ein Kollektivgut der Zweierbeziehung oder der Gemeinschaft, das zu Effizienzgewinnen führen kann (vgl. Voss 1998: 118). 132 Von Reputationsmechanismus sei hier also nur die Rede, wenn Informationen über das Verhalten von Akteuren an dritte Parteien gelangen beziehungsweise über diese weitergegeben werden. Dies entspricht der üblichen Begriffsverwendung in der einschlägigen Literatur (vgl. in diesem Sinne z. B. Axelrod 1987: 135; Dasgupta 1988). Raub und Weesie sowie Voss weisen allerdings darauf hin, dass der Reputationsmechanismus auch in einer kontinuierlichen Zweierbeziehung wirken kann, was sie als Reputationseffekte im engeren Sinne bezeichnen (vgl. Raub, Weesie 1990: 631; Voss 1998: 107f.). 133 Reputationseffekte müssen nicht zwangsläufig dadurch ausgelöst werden, dass der Treugeber seine schlechten Erfahrungen mit dem Treuhänder weitererzählt. Reputationseffekte können in Netzwerken auch dann entstehen, wenn Dritte das unkooperative Verhalten des Treuhänders beobachten und daraus ihre Schlüsse ziehen. Wie Diekmann und Wyder anhand des empirischen Beispiels Internet-Auktionen belegen, können Reputationseffekte Vertrauen unter bestimmten Bedingungen auch bei einmaligen Transaktionen zwischen Akteuren begünstigen (vgl. Diekmann, Wyder 2002).
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So wie die eben beschriebenen Reputationseffekte in dichten Netzwerken eher auftreten können, so ist auch eine solche kollektive Sanktionierung in dichten Netzwerken wahrscheinlicher. Dies lässt sich damit begründen, dass die Emergenz von Normen in dichten, geschlossenen Netzwerken durch die enge Vernetzung der Akteure und die Möglichkeiten der Kommunikation über Fehlverhalten der Akteure untereinander wesentlich begünstigt wird (vgl. Coleman 1991: 413). Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang Reziprozitätsnormen, also solche Verhaltensregeln, die vorgeben, dass (beziehungsweise wie) bestimmte Leistungen von anderen zu vergelten sind. Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass soziale Tauschbeziehungen, wie sie in Netzwerken unterhalten werden, mit positiven oder negativen externen Effekten für Dritte verbunden sein können (vgl. Coleman 1991: 321). Negative externe Effekte, die dann auftreten, wenn einzelne Netzwerkmitglieder die kooperative Erwiderung einseitiger Vorleistungen verweigern, sind eine notwendige Bedingung für die Entstehung des Bedürfnisses nach einer Reziprozitätsnorm beziehungsweise für deren Aufstellung (vgl. ebd.). Solche negativen Externalitäten sind aber noch nicht hinreichend für deren Durchsetzung. Mit anderen Worten garantieren sie noch nicht, dass einer Reziprozitätsnorm auch zur Geltung verholfen wird, indem abweichendes Verhalten nicht nur von dem oder den unmittelbar betroffenen Akteuren, sondern auch von anderen Netzwerkmitgliedern durch Sanktionierung bestraft wird. Eine solche kollektive Sanktionierung ist nämlich für die Akteure ihrerseits mit Kosten verbunden. Rational ist es daher für sie, sich im Hinblick auf die Durchsetzung und Kontrolle von Normen als Trittbrettfahrer zu verhalten (vgl. Diekmann, Lindenberg 200o: 6). Dieses Dilemma, das in der Rational Choice-Literatur als Ordnungsproblem der zweiten Ebene (second-order-dilemma) bezeichnet wird, kann aber in dichten, geschlossenen Netzwerken gelöst werden. Erfüllt ist dann eine hinreichende Bedingung, damit Normen überhaupt erfolgreich etabliert und durchgesetzt werden können (vgl. Coleman 1991: 344ff.). Für die einzelnen Netzwerkmitglieder bestehen nämlich soziale Anreize, unkooperatives Verhalten zu sanktionieren. Sie müssen befürchten, dass eine Verweigerung der Sanktionierung von den anderen Netzwerkmitgliedern zur Kenntnis genommen wird und im Sinne einer „Hebelwirkung“ (ebd.: 349) negativ auf sie selbst zurückfällt. Neben diesem antizipierten sozialen Druck kann in dichten Netzwerken soziale Sanktionierung auch aus purem Eigennutz erfolgen. Man entzieht einem Akteur, der sich als nicht kooperativ erwiesen hat, das Vertrauen und mindert auf diese Weise das Risiko eigener Verluste.134 Die durch Reputationseffekte und die Möglichkeit der kollektiven Sanktionierung sich ergebende Erweiterung des Sanktionspotentials wirkt damit auf ähnliche Weise wie der in Verbindung mit der zeitlichen Einbettung beschriebene Sanktionsmechanismus. Mögliche negative Handlungskonsequenzen werden vom Treuhänder gedanklich vorweg genommen. Angesichts der veränderten Anreizkonstellation nimmt dieser von der Möglichkeit des opportunistischen Verhaltens Abstand. Die Furcht vor einem schlechten Ruf und die damit möglicherweise einher gehende kollektive Sanktionierung verstärken die Anreize des Treuhänders, einseitige Vorleistungen zu erwidern. Dem Treugeber können diese vom Treuhänder antizipierten Reputationseffekte, sowie die Möglichkeiten der kollektiven Sanktionie134
Wie Ostrom betont, ist davon auszugehen, dass sich Reputation, Reziprozitätsnormen und Vertrauen wechselseitig verstärken (vgl. Ostrom 2003). Reputation ist nur deshalb ein so wertvolles Gut, weil Reziprozitätsnormen gelten. Kollektive Sanktionierung setzt wiederum, wie gezeigt wurde, Informationen über die Reputation eines bestimmten Treuhänders voraus. Umgekehrt beeinflusst vertrauenswürdiges Verhalten die Reputation und wirkt stabilisierend auf Normen der Reziprozität.
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rung seines Verhaltens, als weitere Sicherheit für die Erfüllung der Vertrauenserwartung durch den Treugeber dienen (vgl. Ripperger 1998: 190). Gemäß diesen Überlegungen sollte sich die Netzwerkdichte positiv auf die Bildung der Vertrauenserwartung auswirken. Schließlich kann der Treugeber das Sanktionspotential und die sich daraus ergebenden Anreize zur Kooperation auf Seiten des Treuhänders antizipieren. Dies sollte unter sonst gleichen Bedingungen die subjektive Vertrauenswahrscheinlichkeit des Treugebers erhöhen. Entsprechend leitet sich aus diesen Überlegungen folgende Hypothese ab: Wenn Treugeber und Treuhänder in ein dichtes Netzwerk eingebettet sind, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers.
7.2.3 Institutionelle Einbettung: die Rolle von glaubwürdigen Verpflichtungen Im Rahmen des ökonomischen Vertrauensansatzes geht man weiterhin davon aus, dass Vertrauen auch durch institutionelle Arrangements beeinflusst werden kann. Nach diesen Argumentationen fällt es leichter zu vertrauen, wenn es starke institutionelle Garantien gibt, die die möglichen Verluste des Treugebers verringern (vgl. Hardin 2001; Ruscio 1999). Zugrunde liegt hier ein Begriffsverständnis von Institution, wie es im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik vertreten wird. Institutionen sind aus dieser Perspektive formelle oder informelle Regeln eines Spiels (vgl. Voigt 2002: 34). Da diese zudem mit einer Sanktionskomponente gekoppelt sind, die eine Sanktionierung oder zumindest Sanktionsdrohung bei Missachtung bewirkt, beeinflussen Institutionen die Anreizstruktur der Akteure. Es lassen sich unterschiedliche Formen der institutionellen Einbettung von Vertrauensbeziehungen unterscheiden. Diese können nach Voss grob in solche Institutionen eingeteilt werden, die den Netzwerkmitgliedern vorgegeben werden und die sie zur Absicherung ihrer Interaktionen in Anspruch nehmen, und in solche eher informellen Institutionen, die die Partner selbst kreieren. Ein Beispiel für erstere ist das Privatrecht eines bestimmten Landes, das einen rechtlichen Rahmen für nicht-marktförmige soziale Beziehungen aller Art darstellt. Da man aus ökonomischer Perspektive grundsätzlich bestrebt ist, Lösungen für dilemmatische Situationen zu finden, die aus sich selbst heraus wirken und nicht eine externe Zwangsinstanz voraussetzen, gilt das besondere Augenmerk der ökonomischen Vertrauensforschung nicht dieser Art von rechtlichem Rahmen, sondern der zweiten Klasse von institutionellen Arrangements. Bei diesen selbst geschaffenen, institutionellen Arrangements, die in der Institutionenökonomik auch als private ordering bezeichnet werden (vgl. Williamson 1985), gehen die Akteure freiwillig Verpflichtungen (commitments) ein, um auf diese Weise die Anreize zu opportunistischem Verhalten abzumildern. Beispiele für solche selbst kreierten, institutionellen Arrangements sind die freiwillige Einbeziehung einer Schiedsinstanz oder Sicherheitsleistungen wie Geiseln und angebotene Pfänder (vgl. Weesie, Raub 1996; Raub, Keren 1993). Solchen commitments wird in der aktuellen ökonomischen Forschung ein wesentlicher Effekt auf die Generierung von Vertrauen und Kooperation zugeschrieben (vgl. Williamson 1993: 463). Wie wirken solche freiwilligen Selbstverpflichtungen in Vertrauensbeziehungen? Der Treuhänder kann beispielsweise dem Treugeber ein bestimmtes Gut als Pfand anbieten. Durch diese Art der freiwilligen Selbstbindung investiert der Treuhänder in die Vertrauensbeziehung. Die Bereitstellung des Gutes ist nämlich mit Transaktionskosten verbunden.
188
Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
Beispielsweise entstehen Opportunitätskosten, weil das Gut nicht anderweitig verwendet oder verliehen werden kann (vgl. Raub 1992: 189). Zudem kann der Treugeber das Gut bei opportunistischem Verhalten des Treuhänders als eine Art Wiedergutmachung einbehalten. Auch eine solche selbst auferlegte, potenzielle Bestrafung, die den möglichen Schaden des Vertrauenden kompensiert, mindert die Anreize des Treuhänders zu opportunistischem Verhalten (vgl. Ziegler 1997: 244). Die Selbstbindung, die der Treuhänder freiwillig eingeht, ist nach dieser Argumentation dann glaubwürdig, wenn sie die Kosten des defektierenden Verhaltens so steigert, dass diese Handlungsoption für den Treuhänder unrentabel wird (vgl. Williamson 1993: 463; Held, Kubon-Gilke, Sturn 2005: 13; Schmidtchen 1994: 45). Es ist plausibel anzunehmen, dass der Treugeber, der sich aus ökonomischer Sicht bei der Bildung seiner Vertrauenserwartung an der Interessenslage des Treuhänders orientiert, diese Änderung der Anreizstruktur in Rechnung stellt. Geht der Treuhänder eine freiwillige Selbstbindung ein, dann sollte sich dies positiv auf die Vertrauenswahrscheinlichkeit des Treugebers auswirken. Aus diesen Überlegungen folgt also eine vierte Hypothese zu den ökonomischen Bestimmungsfaktoren des Vertrauens: Wenn der Treuhänder eine freiwillige Selbstbindung eingeht, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers.
7.3 Zusammenfassung Ziel dieses Kapitels war eine genauere Spezifikation des kausalen Sequenzmodells. Die allgemeine Hypothese einer kausalen Sequenz von soziologischer und ökonomischer Vertrauenstheorie wurde dazu zunächst weiter ausdifferenziert, indem zwischen zwei unterschiedlichen Arten von möglichen Effekten des generellen Vertrauens, nämlich Niveauund Interaktionseffekten, unterschieden wurde. Um spezifischere Hypothesen über Interaktionseffekte formulieren zu können, war es notwendig, genauer auf diejenigen Anreizstrukturen einzugehen, denen aus Perspektive der ökonomischen Vertrauensforschung Effekte auf Vertrauen zugeschrieben werden. Deshalb hat der zweite Teil des siebten Kapitels erneut auf diesen Forschungsstand Bezug genommen. Aus der allgemeinen Brückenhypothese einer Beeinflussung der Vertrauenserwartung p durch situativ gegebene Anreizstrukturen wurden vier konkrete Erklärungsvariablen hergeleitet. Zwar werden in der derzeitigen Rational Choice-Vertrauensforschung auch noch weitere Bestimmungsfaktoren wie das Informationsniveau oder die Rolle von formellen institutionellen Regelungen diskutiert und empirisch getestet (vgl. u. a. Brennan, Güth, Kliemt 2003; Berger, Schmitt 2005; Diekmann, Wyder 2002). Allerdings sind diese Diskussionen noch in einem sehr frühen Stadium. Maßgeblich für die Konzentration auf diese vier Hypothesen war zudem der Eindruck, dass es sich bei den vier darin benannten Determinanten um die Anreizstrukturen handelt, die aus Perspektive der Vertreter der ökonomischen Vertrauenstheorie für die Erklärung von Vertrauen zentral sind. Insofern erscheint es gerechtfertigt, sich bei einem empirischen Test der Vertrauenstheorie auf diese vier zentralen Hypothesen zu konzentrieren. Zweitens war aus messtechnischen Erwägungen eine Beschränkung auf wenige Faktoren geboten. Zur Überprüfung der kausalen Sequenzierung wird mit dem sogenannten faktoriellen Survey nämlich eine besondere Art von experimentellem Design eingesetzt. Wie im folgenden Kapitel zur Konstruktion dieses Erhebungsinstrumentes ausführlich diskutiert werden wird, sprachen starke Argumente für ein sparsames Design mit
Zusammenfassung
189
einer begrenzten Anzahl von unabhängigen Variablen. Auf der Basis dieser in Kapitel 7.2 präzisierten Brückenhypothesen lässt sich die im ersten Teil des Kapitels formulierte allgemeine Interaktionshypothese weiter ausdifferenzieren. Alle diese Hypothesen, die im Rahmen dieses Kapitels abgeleitet worden sind, sind in der folgenden Tabelle noch einmal zusammengefasst:
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Spezifikation des kausalen Sequenzmodells
Abbildung 25: Kausales Sequenzmodell - Zusammenfassung der Hypothesen Brückenhypothesen H1: Wenn Treugeber und Treuhänder schon in der Vergangenheit gute Erfahrungen miteinander gemacht haben, dann erhöht sich, unter sonst gleichen Bedingungen, die Vertrauenserwartung p des Treugebers. H2: Wenn der Treugeber davon ausgeht, dass er dem Treuhänder in Zukunft erneut begegnen wird, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers. H3: Wenn Treugeber und Treuhänder in ein dichtes Netzwerk eingebettet sind, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers. H4: Wenn der Treuhänder eine freiwillige Selbstbindung eingeht, dann erhöht sich unter sonst gleichen Bedingungen die Vertrauenserwartung p des Treugebers. Niveauhypothese: H5: Je höher das generelle Vertrauen, desto höher sollte unter sonst gleichen Bedingungen das Niveau des in einer konkreten Entscheidungssituation gebildeten spezifischen Vertrauens ausfallen. Interaktionshypothesen: H6a: Je höher das generelle Vertrauen, desto schwächer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der situativ gegebenen Anreizstrukturen ausfallen.
» H6a1: Je höher das generelle Vertrauen, desto schwächer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Vergangenheit ausfallen.
» H6a2: Je höher das generelle Vertrauen, desto schwächer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Zukunft ausfallen
» H6a3: Je höher das generelle Vertrauen, desto schwächer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Netzwerkdichte ausfallen.
» H6a4: Je höher das generelle Vertrauen, desto schwächer sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der freiwilligen Selbstbindung ausfallen.
H6b: Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der situativ gegebenen Anreizstrukturen ausfallen.
» H6b1: Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Vergangenheit ausfallen
» H6b2: Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Zukunft ausfallen
» H6b3: Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der Netzwerkdichte ausfallen
» H6b4: Je höher das generelle Vertrauen, desto stärker sollte unter sonst gleichen Bedingungen der Effekt der freiwilligen Selbstbindung ausfallen
III. Empirischer Teil
Ziel des empirischen Teils dieser Arbeit ist es, die im letzten Kapitel hergeleiteten Hypothesen über den sequentiellen Zusammenhang zwischen beiden Vertrauenstheorien empirisch zu überprüfen. Da entsprechende Daten nicht existieren, die sekundäranalytisch verwertbar gewesen wären, sind im Rahmen dieser Studie selbst Daten erhoben und anschließend mit Hilfe von Mehrebenenanalysen statistisch ausgewertet worden. Der dazu eingesetzte Fragebogen bestand aus zwei Teilen. Den ersten Teil bildete ein faktorieller Survey, eine vor allem in der Soziologie zunehmend häufig eingesetzte Methode der Datengewinnung, die Elemente experimenteller Designs mit Elementen der klassischen Umfrageforschung verbindet. Diese Methode wurde eingesetzt, um das ökonomische Vertrauen, also die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung, sowie die aus ökonomischer Sicht relevanten Bestimmungsfaktoren dieses ökonomischen Vertrauens (sh. Kap. 7.2) zu erheben. Der zweite Teil des Fragebogens diente in erster Linie der Messung des generellen Vertrauens. Das Erhebungsinstrument, die gewählte Analysestrategie und die erzielten empirischen Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln vorgestellt und diskutiert. Der empirische Teil dieser Arbeit ist dazu in vier Unterkapitel gegliedert: Im folgenden, achten Kapitel der Arbeit wird die Datenerhebungsmethode faktorieller Survey vorgestellt. Die Grundidee wie auch die einzelnen Teil-schritte, die bei der Konzeption und Konstruktion von faktoriellen Surveys anfallen, werden zunächst ganz allgemein erläutert. Dieses Kapitel ist bewusst ausführlich gehalten, weil faktorielle Surveys in der Politikwissenschaft kaum bekannt sind. Während sie zur differenzierten Analyse bestimmter Arten von komplexen Fragestellungen bei einem großen Spektrum an sozio-logischen und sozialpsychologischen Fragestellungen Verwendung finden, hat man diese Methode in Verbindung mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen bisher nur selten angewendet. Es gibt kaum mehr als eine Hand-voll Studien, die faktorielle Surveys in Verbindung mit politikwissenschaftlichen Problemstellungen einsetzen, obwohl diese Methode der Datengewinnung bei ganz bestimmten Arten von politikwissenschaftlichen Fragestellungen ausgesprochen interessant ist (vgl. Kap. 8.2). Zweitens existiert kaum einführende Literatur zur Konstruktion von faktoriellen Surveys. Insbesondere deutschsprachige Einführungen sind rar.135 Gleichzeitig ist aber die Konstruktion und Durchführung eines faktoriellen Surveys relativ kompliziert und aufwändig (vgl. Beck, Opp 2001: 283). Die Konzeption des Designs ist mit einer Vielzahl einzelner Entscheidungen verbunden; viele dieser Entscheidungen haben Auswirkungen auf die Möglichkeiten der statistischen Auswertung und die statistische Validität der Daten. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, das gewählte Design ausführlich vorzustellen und die getroffenen Teilentscheidungen zu begründen. Dass mit diesen sehr allgemeinen, eher lehrbuchartigen Teilen die strikte Ziel- und Problemorientierung der Arbeit kurzzeitig in den Hintergrund tritt, wird ganz bewusst in Kauf genommen. 135
Einführenden Charakter haben Rossi 1979 und Jasso 2006. Deutschsprachige Einführungen bieten Beck, Opp 2001; Dülmer 2004; Klein 2006; Steiner, Atzmüller 2006 sowie Frings 2008. Der letztgenannte Artikel bietet eine kompakte Einführung in die Besonderheiten dieser Erhebungstechnik und ihrer statistischen Auswertung.
192
III. Empirischer Teil
Dass faktorielle Surveys bislang in der Politikwissenschaft kaum rezipiert wurden, liegt unter anderem an ihrem experimentellen Charakter (vgl. Kap. 8.3). Experimentelle Methoden konnten sich innerhalb des politikwissenschaftlichen Methodenspektrums lange Zeit kaum durchsetzen. Seit einigen Jahren erfreuen sie sich zwar zunehmender Beliebtheit, werden aber von Teilen der Zunft immer noch mit Skepsis betrachtet. Gleichzeitig ist die Diskussion über das Für und Wider des Einsatzes solcher Designs in vollem Gange. Auf diese Diskussion wird Kapitel 8.4 Bezug nehmen. Nach dieser allgemeinen Einführung in die Grundlagen der faktoriellen Survey-Technik liegt der Schwerpunkt des neunten Kapitels auf der Vorstellung des faktoriellen Surveys, der bei der Datenerhebung zu dieser Studie eingesetzt worden ist (Kap. 9.1). Kapitel 9.2 stellt den zweiten Teil des Fragebogens vor. In der Literatur wird der Begriff faktorieller Survey meist synonym mit dem der Vignettenanalyse verwendet. Präziser erscheint es aber, den Begriff faktorieller Survey für das Messmodell zu reservieren, während Vignettenanalyse als der umfassendere Begriff die Erhebung der Daten wie auch deren statistische Auswertung umfasst. Um diese statistische Auswertung geht es in den Kapiteln zehn und elf. Im zehnten Kapitel werden zunächst unter-schiedliche Analysestrategien vorgestellt und diskutiert, die zur statistischen Auswertung von faktoriellen Survey-Daten eingesetzt worden sind. Auch zu diesem Themenkomplex gibt es bisher kaum Literatur. Dieses Kapitel bildet die argumentative Basis zur Rechtfertigung der in dieser Arbeit gewählten statistischen Analysestrategie einer Mehrebenenanalyse. Das elfte Kapitel beschreibt schließlich die einzelnen Analyseschritte, die im Rahmen der mehrebenenanalytischen Auswertung der Daten vorgenommen worden sind, und stellt die empirischen Ergebnisse vor.
8 Das Messinstrument faktorieller Survey
8.1 Die Grundidee des faktoriellen Surveys Der faktorielle Survey kombiniert Elemente der klassischen Umfrageforschung mit experimenteller Methodik. Die Idee zu diesem Verfahren stammt schon aus den 1950er Jahren von Paul F. Lazarsfeld und wurde von seinem Schüler Peter H. Rossi weiter ausgearbeitet (vgl. Rossi 1979). Rossi suchte damals im Rahmen seiner Doktorarbeit nach einer Methode zur Messung des sozialen Status. Er ging davon aus, dass der soziale Status, der einer Person oder einer Familie zugeschrieben wird, in Abhängigkeit von bestimmten statusrelevanten Merkmalen wie Hautfarbe, Beruf, Bildungsgrad, etc. variiert, und suchte nach einem Weg, diese komplexen theoretischen Annahmen empirisch zu überprüfen. Die entscheidende Idee dazu lieferte sein Doktorvater Lazarsfeld. Wie Rossi später beschreibt, regte er an: „to create ‘vignettes’ describing fictitious families whose essential status characteristics (occupation, ethnicity, educational attainment, place of residence, etc.) would be described in thumbnail sketches. Such vignettes given to a representative sample of a large community would yield the principles underlying status judgements that could then be applied to real families that had similar characteristics. The vignettes, Lazarsfeld further suggested, should be constructed by systematically varying the combinations of characteristics so that an analysis could discern how such characteristics were combined” (ebd.: 178).
Mit dieser Idee eines systematischen Variierens von Merkmalen schlug Lazarsfeld eine Brücke von der klassischen Umfrageforschung zu experimentellen Versuchsanordnungen. Den Befragten wird bei einem faktoriellen Survey entsprechend ein Fragebogen präsentiert, der aus kurzen Schilderungen einer fiktiven Situation (so genannten Vignetten) besteht, die sich aus variierenden Kombinationen von Merkmalen zusammensetzen. Sie werden gebeten, sich in diese Situationsbeschreibungen hineinzuversetzen und die Merkmalskombinationen der Vignetten auf einer Skala im Hinblick auf ein bestimmtes Explanandum zu beurteilen. Jede befragte Person bekommt in der Regel mehrere solcher Vignetten, ein so genanntes Vignettenset, vorgelegt. Die einzelnen Vignetten eines Vignettensets weisen dabei charakteristische Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Sie sind insofern identisch, als sie ein- und dieselbe Grundsituation schildern und immer anhand ein- und derselben Skala im Hinblick auf eine gleich bleibende Fragestellung beurteilt werden sollen. Sie unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt: Einige Merkmale der Situationsbeschreibungen variieren. Es sind diese unterschiedlich ausgeprägten, situativen Merkmale, von denen vermutet wird, dass sie Varianzen in der Urteilsstruktur der Befragten erklären können. Diese Merkmale werden als Dimensionen bezeichnet. Sie bilden die unabhängigen Variablen, deren Einfluss auf ein bestimmtes Explanandum ermittelt werden soll. Dieses Grundprinzip des faktoriellen Surveys wird anschaulicher, wenn man es anhand eines konkreten Anwendungsbeispiels aus der aktuellen soziologischen Forschung
194
Das Messinstrument faktorieller Survey
verdeutlicht. Eine Reihe von soziologischen Studien hat untersucht, welche normativen Kriterien bei der Beurteilung der Fairness eines bestimmten Einkommens eine Rolle spielen (vgl. u. a. Jasso, Opp 1977; Jasso, Webster 1999; Jann 2003). Ein an dieses Forschungsfeld angelehntes fiktives Beispiel für eine Vignettensituation, das zu Demonstrationszwecken bewusst einfach gehalten ist, ist in der folgenden Abbildung aufgeführt: Abbildung 26: Beispielvignette Problemstellung: Als wie gerecht beurteilen Sie dieses Einkommen? Person x arbeitet als Angestellte/r in einem größeren Unternehmen. Person X verfügt über ein monatliches Bruttoeinkommen von 2900 Euro. Als wie gerecht beurteilen Sie dieses Einkommen? Viel zu niedrig 1
2
viel zu hoch 3
4
5
6
7
8
9
Dimension 1 » Geschlecht: weiblich (Frau Schmidt); männlich (Herr Schmidt) Dimension 2 » Leistung: hoch (erfüllt ihre Aufgaben mit hoher Kompetenz, Motivation und hohem Engagement), gering (erfüllt die Leistungsanforderungen nur knapp) Dimension 3 » Bildungsgrad: hoch (hat einen Hochschulabschluss in BWL), mittel (hat eine kaufmännische Ausbildung), niedrig (verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung) Beispielvignette 1: Frau Schmidt arbeitet als Angestellte in einem größeren Unternehmen. Sie erfüllt ihre Aufgaben mit hoher Kompetenz, Motivation und hohem Engagement. Frau Schmidt verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Beispielvignette 2: Herr Schmidt arbeitet als Angestellter in einem größeren Unternehmen. Er erfüllt die Leistungsanforderungen nur knapp. Herr Schmidt hat einen Hochschulabschluss in BWL. Die abhängige Variable ist die Einschätzung der Fairness des jeweiligen Bruttoeinkommens durch den Befragten. Sie wird durch die oben abgebildete Rating-Skala erhoben. In diesem fiktiven Beispiel setzt sich die Grundsituation aus den beiden gleich bleibenden Informationen zusammen, dass Person x als Angestellte/r in einem Unternehmen beschäftigt ist und über ein monatliches Bruttoeinkommen von 2900 Euro verfügt. Es variieren die Dimensionen Geschlecht, Leistung und Bildungsgrad der zu beurteilenden Person. Die ersten beiden Dimensionen haben zwei Ausprägungen, die dritte Dimension hat drei Ausprägungen. Ziel ist es zu ermitteln, ob Variationen in diesen Dimensionen Varianzen in der Urteilsstruktur der Befragten erklären können. Anders ausgedrückt geht es also darum, ob diese Dimensionen tatsächlich relevant im Hinblick auf die Beurteilung der Fairness eines bestimmten Verdienstes sind beziehungsweise wie stark der Einfluss dieser Dimensionen ist.
Das Anwendungsspektrum
195
Die Grundidee des faktoriellen Surveys ist dabei die folgende: Um den Zusammenhang zwischen diesen Dimensionen und der abhängigen Variable ermitteln zu können, werden aus den Ausprägungen der Dimensionen alle logisch möglichen Kombinationen gebildet. Dies geschieht mittels eines kartesischen Produktes, bei dem die Anzahl der Ausprägungen jeder Dimension miteinander multipliziert wird. Hat man wie im gewählten Beispiel zwei Dimensionen mit je zwei Ausprägungen und eine Dimension mit drei Ausprägungen, dann ergeben sich 2 x 2 x 3, also 12 mögliche Vignetten. Sie bilden die so genannte Vignettenpopulation. Diese Vignetten, oder eine Auswahl aus diesen Vignetten, werden den Befragten zur Beurteilung vorgelegt. Auf Basis der so gewonnenen Daten versucht man, mit Hilfe statistischer Verfahren die Urteilsstruktur der Befragten möglichst gut nachzubilden (vgl. Jasso 2006: 340). Dazu werden in der Regel Regressions- oder Varianzanalysen eingesetzt. Mit ihrer Hilfe lässt sich ermitteln, ob beziehungsweise wie stark die variierenden Situationsmerkmale die Bewertung der Situation durch die Versuchsperson beeinflussen. Die Vignettenanalyse gehört zu den dekompositionellen Verfahren. Die abhängige und die unabhängigen Variablen sind bei der Datenerhebung mittels des faktoriellen Surveys simultan gegeben und werden erst im Rahmen der statistischen Analyse in ihre Bestandteile aufgefächert. Dekompositionelle Verfahren gehen damit umgekehrt vor wie die in der Politikwissenschaft viel häufiger eingesetzten kompositionellen Verfahren, bei denen die interessierenden Merkmale getrennt voneinander erhoben und dann im Rahmen der statistischen Analyse miteinander in Beziehung gesetzt werden (vgl. Hair et al. 1998: 390). 8.2 Das Anwendungsspektrum Erst ab Mitte der 1970er Jahre setzten Rossi und seine Mitarbeiter den faktoriellen Survey auch in empirischen Studien ein (vgl. Rossi et al. 1974; Alves, Rossi 1978). Mit Hilfe der weiterentwickelten und leistungsfähigeren Computer erschien die Konstruktion und Auswertung der Vignetten erst jetzt praktikabel. Seitdem sind faktorielle Surveys bei einer zunehmend größeren Bandbreite an sozialwissenschaftlichen Studien vor allem aus den Bereichen der Soziologie, der Sozialpsychologie sowie der Gesundheits- und Pflegewissenschaften eingesetzt worden.136 Aus der Politikwissenschaft liegen dagegen kaum empirische Studien vor, die mit dieser Datenerhebungstechnik arbeiten. Inhaltlich ist dieser Umstand kaum zu begründen; faktorielle Surveys könnten auch bei einer ganzen Reihe originär politikwissenschaftlicher Fragestellungen gewinnbringend eingesetzt werden. Diese Behauptung lässt sich untermauern, wenn man etwas genauer betrachtet, in Verbindung mit welchen Arten von Erklärungsgegenständen faktorielle Surveys als Erhebungsmethode in Betracht kommen. Die Klasse von Explananda, zu deren Erforschung sich faktorielle Surveys anbieten, lässt sich anhand von zwei Aspekten näher beschreiben: Erstens eignen sie sich zur Analyse latenter Konstrukte, also solcher wissen136
Eine Auswahl soziologischer Studien ist Jasso, Rossi 1977; Alves, Rossi 1978; Bose, Rossi 1983; Shepelak, Alwin 1986; Jasso, Webster 1997; Jasso, Opp 1997; Carlson 1999; Rooks et al. 2000; Buskens, Weesie 2000a; Liebig, Mau 2002; Emerson, Chai, Yancey 2001; Beck, Opp 2001; Dülmer 2001; Jann 2003 sowie Mäs, Mühler, Opp 2005. Farrington, Knight 1979; Kahneman, Schkade, Sunstein 1998 oder Kamat, Kanekar 1990 sind Beispiele für faktorielle Surveys aus der Sozialpsychologie. Arbeiten aus dem Bereich der Gesundheits- und Pflegewissenschaften, die faktorielle Surveys einsetzen, sind u.a. Hughes 1998, Hechter et al. 1999 sowie Schwappach, Koeck 2004.
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Das Messinstrument faktorieller Survey
schaftlicher Objekte wie Einstellungen, Erwartungen, normative Überzeugungen oder Verhaltensintentionen, die lediglich als mentale Zustände existieren und sich einer direkten Beobachtung entziehen. Damit faktorielle Surveys gewinnbringend eingesetzt werden können, muss aber noch eine zweite Bedingung erfüllt sein: Sie sind immer dann ein attraktives Datenerhebungsinstrument, wenn bei einem entsprechenden Explanandum aus theoretischer Perspektive Konditionalität unterstellt wird, d. h. wenn davon ausgegangen wird, dass die Ausprägungen dieses Konstruktes abhängig von situativ gegebenen Bedingungen variieren, und es darum geht, genau diese Abhängigkeit von situativen Bedingungen empirisch zu untersuchen. Typischerweise werden bei diesen Arten von Erklärungsgegenständen in den Sozialwissenschaften Meinungsumfragen eingesetzt, und die interessierenden Variablen werden dann mit Hilfe korrelativer Verfahren miteinander in Beziehung gesetzt. Faktorielle Surveys sind eine sehr attraktive Alternative zu dieser gängigen Praxis, weil sie es erlauben „to analyze judgement behavior under concrete conditions that are much closer to real-life judgement-making situations than relatively abstract questions that are more typical for opinion surveys” (Dülmer 2007: 382; vgl. auch Eiffler, Bentrup 2003). Was es bedeutet, aus theoretischer Perspektive Konditionalität zu unterstellen, lässt sich anhand der beiden Vertrauensansätze, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, gut verdeutlichen. Vom theoretischen Standpunkt des soziologischen Vertrauensansatzes der Politischen Kulturforschung aus betrachtet ist Vertrauen eine generelle Einstellung, die früh im Leben durch Sozialisation erworben wird. Als grundsätzliche Vertrauensbereitschaft eines Akteurs bleibt sie unabhängig von konkreten Situationsbeschaffenheiten stabil. Hier wird also Konditionalität explizit ausgeschlossen. Wie diese Arbeit verdeutlicht hat, fassen Vertreter des wert-erwartungstheoretischen Strangs der ökonomischen Vertrauenstheorie unter Vertrauen dagegen eine spezifische kognitive Erwartung, die in ganz konkreten Entscheidungssituationen abhängig von der Ausprägung bestimmter situativer Anreizstrukturen nach rationalen Kosten-NutzenErwägungen gebildet wird. Sie bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit, mit der der Treugeber vermutet, dass der Treuhänder das in ihn gesetzte Vertrauen nicht ausnutzt, sondern eine einseitige kooperative Vorleistung ebenfalls kooperativ erwidert. Aus dieser theoretischen Warte wird also die Konditionalität des Vertrauens herausgestellt. Annahmen, die diese Konditionalität näher spezifizieren, werden im Kontext von Rational Choice als Brückenhypothesen bezeichnet. Wie Kapitel 4.1.2.2 schon ausgeführt hat, lässt sich kritisieren, dass direkte empirische Überprüfungen solcher Brückenhypothesen nur sehr selten vorgenommen werden. Zwar votieren die Vertreter einer direkten Strategie im Rahmen von Rational Choice für eine empirische Konstruktion solcher Brückenhypothesen. Sie erheben aber, wie schon gezeigt worden ist, häufig nur die Parameter der Handlungstheorie und testen dann Beziehungen zwischen diesen Parametern; die Brückenhypothesen selbst werden nicht überprüft. Dass solche empirischen Tests von Brückenhypothesen so selten sind, hat auch messtheoretische Ursachen. Mit den dominierenden itembasierten Umfragen der empirischen Sozialforschung lassen sich solche Brückenhypothesen nicht gut überprüfen, weil diese, wie Brüderl herausstellt, in der Regel kaum Informationen über Kontexte abfragen (vgl. Brüderl 2004: 174). Einen möglichen Ausweg aus dieser messtheoretischen Problematik eröffnet der faktorielle Survey. Er ist hervorragend geeignet, mögliche Effekte von variierenden Kontextbedingungen unter relativ realitätsnahen Bedingungen empirisch zu testen. In dieser Hinsicht stellt er ein noch viel zu wenig beachtetes Messinstrument zur empirischen Überprüfung der ökonomischen Theorie dar.
Das Anwendungsspektrum
197
Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass auch viele Normen das Merkmal der Konditionalität erfüllen (vgl. Jasso, Opp 1997: 948). Aus dieser Perspektive ist die Geltung der meisten Normen nicht absolut. Vielmehr variieren die auf sie bezogenen normativen Überzeugungen in Abhängigkeit von den gegebenen situativen Bedingungen beziehungsweise deren subjektiver Wahrnehmung. Jasso und Opp erläutern anhand der folgenden Beispiele, was Konditionalität einer Norm bedeutet: „Some norms are unconditional – ‘under no circumstances’ – or ‘under all circumstances’. Other norms are conditional, and conditionality can refer to characteristics of the situation or of the situation’s protagonist(s). For example, Christmas gift-giving involves complicated conditions specifying who has to give what kind of present to whom and when (…). Although norms are often formulated unconditionally, in everyday life they actually hold only in certain situations, and the actors seem to be aware of this. Thus the command ‘you must not kill’ has exceptions: Killing is allowed in wartime or in self-defense” (Jasso, Opp 1997: 948).
Normen haben in der Politikwissenschaft immer eine gewisse Rolle gespielt und sind mit der Etablierung des Neuen Institutionalismus und dessen Hinwendung zu informellen Institutionen noch stärker ins Zentrum des politikwissenschaftlichen Interesses gerückt. Während faktorielle Surveys in der Soziologie zur Analyse der Geltung sozialer Normen immer wieder eingesetzt werden, existieren aber bisher kaum originär politikwissenschaftliche Beiträge, die die Geltungsbedingungen von politikwissenschaftlich relevanten Normen empirisch untersuchen. Das Feld den Soziologen zu überlassen erscheint unbefriedigend. In diesem Kontext eröffnen sich viele für die Politikwissenschaft relevante Fragestellungen, die mit Hilfe von faktoriellen Surveys empirisch untersucht werden könnten. Im Folgenden sind drei Beispiele für politikwissenschaftlich relevante Normen aufgeführt, deren Geltung bisher nur unzureichend empirisch erforscht ist: 1.
137
Normen der Gerechtigkeit: Politikwissenschaftler haben in diesem Forschungsbereich bisher eher eine normative Position vertreten. Sie haben ihre zentrale Aufgabe darin gesehen, Normen zu benennen, die die Verteilung von Gütern in einer Gesellschaft anleiten, und diese metaethisch zu begründen (vgl. Forst 1994; Barry 1995; Druwe, Kunz 1999; Schmitt 2005). Die empirische Gerechtigkeitsforschung ist dagegen eher durch soziologische oder sozialpsychologische Beiträge dominiert, die ihren Schwerpunkt auf die Beschreibung und Erklärung tatsächlich vorhandener normativer Überzeugungen zur politischen oder sozialen Gerechtigkeit legen.137 Aus dieser Perspektive wird herausgestellt, dass Faktoren wie „unterschiedliche Einflüsse der Persönlichkeit, der sozialen Herkunft, der ökonomischen Interessen und der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis“ (Liebig, Lengfeld 2002: 8) für die Einnahme eines bestimmten Gerechtigkeitsstandpunktes entscheidend sein könnten. Aus politikwissenschaftlicher Sicht eröffnet sich hier eine Forschungslücke. Es liegen kaum politikwissenschaftliche Studien vor, die die Bedingungen näher untersuchen, unter denen bestimmte politische Programme, Standpunkte oder einzelne politische Maßnahmen als gerecht beurteilt werden. Solche Studien könnten eine wertvolle empirische Informationsbasis für Forschungen an der Schnittstelle von politischer Kulturforschung und Policy-Forschung (v. a. Evaluationsforschung) bilden. Als Überblick vgl. Adam, Yazdani 1999.
198 2.
3.
Das Messinstrument faktorieller Survey Kooperationsnormen: Aus sozialwissenschaftlicher Sicht zählen Kooperationsprobleme wie die von Mancur Olson beschriebene Kollektivgutproblematik (vgl. Olson 1968) zu den zentralen Problemen moderner Gesellschaften. Kooperationsnormen werden in zahlreichen Diskussionszusammenhängen, unter anderem im Rahmen der Sozialkapital-Diskussion, als möglicher Ansatz zur Lösung solcher Kooperationsprobleme angesehen. Gleichzeitig liegen aber kaum empirische Studien zu den Bedingungen vor, unter denen solche Normen empirisch gelten. Wahlnormen und Protestnormen: Was für Kooperationsnormen im Allgemeinen gilt, trifft auch auf die spezifischeren Wahl- und Protestnormen zu. Karl-Dieter Opp hat vorgeführt, dass sich faktorielle Surveys zur Analyse der Geltung von politischen Protestnormen gut einsetzen lassen (vgl. Jasso, Opp 1997). In der Wahlforschung böten sich weitere interessante Anwendungsmöglichkeiten. Auch hier scheint die Frage der Geltung und Wirkweise von Normen wie der Wahlnorm noch unterbelichtet: „(…) more research is needed into the formation and operation of norms such as the duty to vote. These value-laden obligations have been found to underpin many aspects of political behaviour, including the propensity to contribute public goods and to participate in protest activity” (Blais, Young, Lapp 2000: 194).
Die empirische Forschung in diesen Bereichen könnte von der Anwendung von faktoriellen Surveys profitieren. Wie die vorliegende Studie verdeutlicht, ergeben sich auch aus der Kombination von faktoriellem Survey und klassischen itembasierten Fragebogenelementen interessante neue Analysemöglichkeiten. Ist der faktorielle Survey nämlich in einen umfassenderen Fragebogen integriert, eröffnet dies die attraktive Option, situationsspezifische und personenspezifische Einflussfaktoren simultan und in ihren Interaktionen analysieren zu können. In der folgenden Tabelle sind noch einmal Beispiele für politikwissenschaftliche Explananda zusammengestellt, zu deren empirischer Analyse sich der faktorielle Survey als Messinstrument gut eignet. Hinter diesen Beispielen sind jeweils bereits publizierte faktorielle Survey-Studien aufgelistet, die sich mit diesen Erklärungsgegenständen befassen.
Der faktorielle Survey als experimentelles Design
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Abbildung 27: Das Anwendungsspektrum von faktoriellen Surveys Klasse von Explananda Beispielhaftes Explanandum (publizierte faktorielle Survey-Studien)
Einschlägiger Forschungsbereich
Geltung von Normen
Wahlnorm, politische Protestnorm (Jasso, Opp 1997), Kooperationsnorm, Normen der Fairness und Gerechtigkeit (Gibson, Gouws 1999; Gibson 2002)
Politische Partizipationsforschung, Policy-Forschung (Evaluationsforschung, Politikberatung)
Geltung spezifischer Einstellungen
Einstellungen zu bestimmten Public Policies (Liebig, Mau 2002, 2005)
Politische Kulturforschung, Policy-Forschung (Evaluationsforschung)
Political efficacy (Opp 2001; King et al. 2004)
Politische Kulturforschung
Spezifische Unterstützung politischer Autoritäten (Sigelman, Sigelman, Walkosz 1992)
Politische Kulturforschung
Verhalten bzw. Verhal- Economic voting (Sigelman, tensintentionen Sigelman, Bullock 1991)
Wahlforschung
8.3 Der faktorielle Survey als experimentelles Design In den experimentell arbeitenden Sozial- und Naturwissenschaften werden gängigerweise die folgenden drei Merkmale herangezogen, um Experimente von anderen Erhebungsdesigns abzugrenzen (vgl. Diekmann 1999: 296; McGraw 1996: 770f.): 1.
2.
3.
Die unabhängige Variable wird vom Forscher „manipuliert“: Experimente unterscheiden sich von allen anderen empirischen Methoden dadurch, dass der Wissenschaftler den Teilnehmern am Experiment (Probanden) gezielt bestimmte Stimuli präsentiert und durch diese Form der aktiven Intervention die unabhängige(n) Variable(n) definiert. Es werden mindestens zwei experimentelle Gruppen gebildet: Bei einem Experiment werden die Versuchspersonen in zwei oder mehr Gruppen unterteilt, die unterschiedlich beeinflusst werden. Dies ermöglicht vergleichende Aussagen. In der klassischen Version des Experiments erfolgt diese Aufteilung in eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe. Die Mitglieder der Experimentalgruppe werden mit einem bestimmten, zu evaluierenden Treatment (oder Stimulus) konfrontiert, in der Kontrollgruppe unterbleibt dieses Treatment (vgl. de Vaus 2001: 48). Es gilt das Prinzip der Randomisierung: Um zu gewährleisten, dass sich die experimentellen Gruppen nur hinsichtlich des zu untersuchenden Faktors unterscheiden, erfolgt die Aufteilung der Versuchspersonen auf die Gruppen randomisiert, das heißt sie werden diesen per Zufallsprinzip zugeteilt. In dieser zufälligen Verteilung der Probanden auf die Versuchsgruppen liegt die zentrale Stärke des experimentellen Designs. Durch den „Trick“ der Randomisierung wird nämlich der Einfluss sämtlicher, auch
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Das Messinstrument faktorieller Survey unbekannter, Drittvariablen neutralisiert. Von Zufallsfehlern abgesehen, weisen die Drittvariablen in den Versuchsgruppen die gleiche Verteilung auf. Damit ist sichergestellt, dass Unterschiede in den Ausprägungen der abhängigen Variablen, von Zufallsvariationen abgesehen, auf die kausalen Einflüsse der zeitlich vorhergehenden, vom Wissenschaftler manipulierten experimentellen Stimuli zurückgehen. Das Problem der Scheinkorrelation ist ausgeschlossen (vgl. Diekmann 1999: 297).
Abweichend von diesen klassischen definitorischen Merkmalen wird der Begriff Experiment in der Politikwissenschaft häufig in einem weiteren Sinn verwendet. Diesem umfassenderen Begriffsverständnis zufolge müssen Experimente nicht zwangsläufig Kontrollgruppen aufweisen. Auch die randomisierte Zuteilung ist aus politikwissenschaftlicher Sicht kein notwendiges Merkmal experimenteller Designs: „Using random assignment as the defining criterion of experiments is not always held in the political science literature. (...) Many studies that do not include random assignment would be considered experiments by many political scientists, and are indeed labeled as such in journal article titles and abstracts“ (McGraw 1996: 771).138
Ungeachtet dieser begrifflichen Differenzierungen, die in erster Linie unterschiedlichen Fachtraditionen geschuldet sind, ist der faktorielle Survey eindeutig den experimentellen Designs zuzuordnen. Er erfüllt alle drei Bedingungen des oben erläuterten, engen Begriffsverständnisses (vgl. Jann 2003: 6). Am deutlichsten zeigt sich der experimentelle Charakter des faktoriellen Surveys beim ersten Kriterium. Die unabhängigen Variablen variieren bei diesem Design in Folge einer aktiven Intervention des Forschers. Es wird damit ein „experimenteller Stimulus“ gesetzt. Im Unterschied zu den klassischen experimentellen Designs, die aus der psychologischen oder medizinischen Forschung bekannt sind, ist dieser Stimulus allerdings nicht manifester Art. Während die Mitglieder der Experimentalgruppe bei Experimenten in der medizinischen Forschung beispielsweise mit einem neuen Medikament behandelt werden, wird der Befragte beim faktoriellen Survey keinem solchen realen Treatment ausgesetzt. Beim faktoriellen Survey besteht der Stimulus vielmehr darin, dass sich in einer fiktiven Situationsbeschreibung die Informationslage und damit die Bedingungskonstellationen ändern, unter denen ein bestimmtes Explanandum zu beurteilen ist. Auch die zweite und die dritte Bedingung sind erfüllt. In der Regel werden beim faktoriellen Survey nicht alle Befragten mit einer identischen Auswahl an Vignetten konfrontiert. Die Vignetten werden vielmehr zu mehreren, unterschiedlichen Vignettensets gebündelt, was der Bildung mehrerer Gruppen entspricht. Dem Prinzip der Randomisierung wird Genüge getan, indem die unterschiedlichen Vignettensets per Zufallsprinzip auf die Befragten verteilt werden. Dies dient der Kontrolle der Effekte möglicher Drittvariablen. Der faktorielle Survey ist damit eine in die Form des Gedankenexperimentes gekleidete Variante des „echten“ faktoriellen Designs, 138
Solche Experimente ohne Randomisierung, bei der die Person, die das Experiment durchführt, keine Kontrolle darüber hat, welchen Stimuli die Probanden ausgesetzt sind, werden auch als Quasi-Experimente bezeichnet. Einen Überblick über Design und Methodik von Quasi-Experimenten vermitteln Cook, Campbell 1979. Aus politikwissenschaftlicher Sicht diskutiert ein Beitrag von Gibson, Caldeira und Spence ausführlich Experimente ohne Randomisierung (vgl. Gibson, Caldeira, Spence 2002). Es geht in diesem Zusammenhang insbesondere darum, wie Validitätsdefizite, die durch die Aufgabe der randomisierten Zuteilung auftreten können, mittels statistischer Analyseverfahren kompensiert werden können.
Der faktorielle Survey als experimentelles Design
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das in den experimentell arbeitenden Natur- wie Sozialwissenschaften (vgl. Aronson et al. 1990: 123ff.; Spector 1981: 54ff.) häufig zum Einsatz kommt.139 Dass faktorielle Surveys trotz des breiten potenziellen Anwendungsspektrums innerhalb der Politikwissenschaft bisher kaum rezipiert werden, mag unter anderem mit Berührungsängsten zu tun haben, die aus diesem experimentellen Charakter der faktoriellen Surveys resultieren. Der Einsatz experimenteller Designs ist nämlich in der Politikwissenschaft bis heute umstritten. Obwohl Brody und Brownstein schon Mitte der siebziger Jahre zu dem Fazit kamen, dass eine breitere Anwendung von experimenteller Methodik in der Politikwissenschaft lange überfällig sei (vgl. Brody, Brownstein 1975: 254), konnten sich Experimente im politikwissenschaftlichen Mainstream nie richtig etablieren. Dies lässt sich exemplarisch anhand eines kurzen historischen Abrisses zur Frage der Akzeptanz der experimentellen Methodik innerhalb der amerikanischen Politikwissenschaft verdeutlichen (vgl. im Folgenden McDermott 2002: 330f.). Zwar publizierte Gosnell schon 1926 eine Art „Experiment“ zum Wahlverhalten in der American Political Science Review. In der Folge konnte die experimentelle Methodik aber trotz einiger wegweisender Beiträge durchaus prominenter Fachvertreter Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre (vgl. u. a. Riker 1967; Riker, Zavonia 1970) nicht richtig Fuß fassen. Bezeichnenderweise erschienen die meisten experimentellen Studien von Politikwissenschaftlern nicht in politikwissenschaftlichen, sondern in ökonomischen oder psychologischen Fachjournalen. Eine 1971 eigens eingerichtete Zeitschrift mit dem Titel Experimental Study of Politics wurde hingegen nach nur vier Jahren aufgrund mangelnden Interesses eingestellt. Das Mauerblümchendasein der experimentellen Methode wird auch durch die geringe Zahl von nur 105 experimentellen Studien dokumentiert, die seit 1926 bis etwa zur Jahrtausendwende in einschlägigen politikwissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wurden (vgl. McDermott 2002: 330).140 Noch bis in die 1990er Jahre hinein wird diese ablehnende Haltung gegenüber experimentellen Verfahren innerhalb der Politikwissenschaft konstatiert: „In political science, experiments are often regarded as exotic or irrelevant, and experimentation is a subject not quite fit for serious discussion. Experiments are what chemists do or, closer to home, what psychologists do, but not what we political scientists do. The science of politics, so runs the standard argument, cannot be an experimental one“ (Kinder, Palfrey 1993: 1). 139
Das Grundprinzip dieses Experimentaldesigns sei hier anhand eines Beispiels erläutert, bei dem es um das Explanandum Arbeitszufriedenheit geht (vgl. de Vaus 2001: 65ff.). Dieses Beispiel hat die Form eines 2 x 2faktoriellen Designs (zwei unabhängige Variablen mit je zwei Ausprägungen), die einfachste und am häufigsten eingesetzte Variante des faktoriellen Designs. Als unabhängige Variablen werden Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitsorganisation (hoch und niedrig) sowie Geschlecht einbezogen. Man bildet so viele Experimentalgruppen, dass jede mögliche Kombination der unabhängigen Variablen repräsentiert ist, beim 2 x 2-Fall also vier Gruppen. Da bei der Variable Geschlecht eine aktive Intervention in Form eines bestimmten Treatments nicht möglich ist, erfolgt die für Experimente charakteristische Manipulation dieser unabhängigen Variable durch Randomisierung, das heißt nach einer ersten Messung der Arbeitszufriedenheit (Pre-Test) wird je eine randomisierte Gruppe von Frauen und Männern zusammengestellt. Das Treatment beider Gruppen sieht so aus, dass die Probanden der einen Gruppe eine Arbeit ausführen müssen, bei der sie sehr stark kontrolliert werden, während die Mitglieder der anderen Gruppe ein hohes Maß an Freiheit in der Arbeitsorganisation genießen. Eine Erhebung der Arbeitszufriedenheit nach dieser Intervention dient der Überprüfung möglicher Effekte der beiden unabhängigen Variablen. 140 Das Themenspektrum, in dem Experimente eingesetzt werden, ist dabei relativ begrenzt. Der überwiegende Teil der Experimente stammt aus dem Bereich der Wahlforschung (vgl. McDermott 2002: 330). Weitere Anwendungsbereiche sind die Evaluationsforschung, die Medienwirkungsforschung sowie messtheoretische Fragestellungen aus dem Kontext der Umfrageforschung. Im Rahmen des Rational Choice-Ansatzes werden Experimente außerdem vereinzelt zur Überprüfung formaler Modelle genutzt (vgl. McGraw, Hoekstra 1994).
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Das Messinstrument faktorieller Survey
Gleichzeitig beginnt aber in dieser Zeit die Abwehrfront zu bröckeln. Besonders im angloamerikanischen Sprachraum werden experimentelle Designs zunehmend populär. Die Akzeptanz von experimentellen Methoden ist unter Politikwissenschaftlern seither deutlich gestiegen: „Political scientists of many stripes have become enamored with the considerable advantages of using experiments to attack important problems in our discipline” (Gibson, Caldeira, Spence 2002: 363).
Diese Trendwende wird durch die in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegene Zahl der Experimente belegt, die in den drei renommiertesten US-amerikanischen Fachzeitschriften der Politikwissenschaft publiziert worden sind (vgl. McGraw, Hoekstra 1994). Das neue Interesse an experimentellen Designs findet auch seinen Niederschlag in einer entsprechenden Methodendiskussion. Mittlerweile liegen zahlreiche Beiträge vor, die die Vor- und Nachteile des Einsatzes von Experimenten im Rahmen der Politikwissenschaft diskutieren.141 Insgesamt lässt sich festhalten, dass experimentelle Designs innerhalb der Politikwissenschaft nach wie vor eher selten sind, aber zunehmend populärer werden. Selbiges gilt auch für die Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig fehlen deutschsprachige Beiträge, die an die eben erwähnte angloamerikanische Methodendiskussion zur Rolle von experimentellen Designs innerhalb der Politikwissenschaft anknüpfen und die Vor- und Nachteile von experimentellen Designs für die Politikwissenschaft kritisch diskutieren. Genau dies ist die Funktion des folgenden Abschnitts. 8.4 Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs Im Folgenden werden zunächst thesenartig die zentralen Argumente aufgeführt und erläutert, mit denen Gegner von Experimenten ihre ablehnende Haltung begründen. Im Anschluss folgt eine Erwiderung, die zu diesen Argumenten kritisch Stellung bezieht. Auf diese Weise lässt sich zeigen, dass sich die am häufigsten genannten Gegenargumente entkräften oder doch zumindest stark relativieren lassen. Gegenargument 1: Experimente eignen sich nicht zur Analyse politikwissenschaftlicher Fragestellungen. Experimente, so die Verfechter dieser Position, seien in breiten Bereichen der politikwissenschaftlichen Forschung nicht einsetzbar, weil sich zentrale politikwissenschaftliche Variablen wie beispielsweise kulturelle Faktoren, ökonomische oder politische Performanz oder ethnische Heterogenität aus praktischen wie ethischen Erwägungen einer gezielten wissenschaftlichen Manipulation entzögen (vgl. Green, Gerber 2002: 820). Dieses Argument ist zunächst einmal zutreffend. Das politikwissenschaftliche Themenspektrum, in dem Experimente sinnvoll eingesetzt werden können, ist ohne Frage begrenzt. Allerdings gibt es im Rahmen der Einstellungs- und Verhaltensforschung durchaus 141
Vgl. Kinder, Palfrey 1993; McGraw, Hoekstra 1994; McGraw 1996; Lupia 2002; McDermott 2002; Green, Gerber 2003.
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs
203
eine breite Palette an Fragestellungen, bei denen sich der Einsatz von Experimenten anbietet und die bei dieser Argumentation unter den Tisch gekehrt werden. Einige Explananda, die sich mittels des spezifischen experimentellen Designs faktorieller Survey erforschen lassen, sind bereits skizziert worden. In der Literatur werden noch zahlreiche weitere Forschungsfelder und Themenkomplexe benannt, bei denen sich der Einsatz von experimentellen Designs anbieten würden; Beispiele sind Anomalien im individuellen Entscheidungsverhalten von Akteuren, eingeschränkte Rationalität, öffentliche Güter, soziale Präferenzen, Altruismus, Lernen, Bildung sowie ganz allgemein kognitive Erwartungen und Einstellungen unter Risiko (vgl. McDermott 2002; Kagel, Roth 1995). Die Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von experimentellen Designs in diesen Bereichen bieten, sind noch lange nicht ausgeschöpft. Gerade bei Fragestellungen der Einstellungs- und Verhaltensforschung, die nicht nur Politikwissenschaftler, sondern auch Soziologen, Ökonomen oder Sozialpsychologen bearbeiten, ist Offenheit für experimentelle Methodik auch in forschungspragmatischer Hinsicht sinnvoll. Sie verbessert die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit und ermöglicht stärkeren Wissenstransfer. Dies hängt mit dem hohen Stellenwert zusammen, der den experimentellen Methoden in den sozialwissenschaftlichen Nachbardisziplinen beigemessen wird. In der Psychologie zählen experimentelle Methoden seit langem zum festen Methodeninventar, und auch in der Ökonomie boomt seit etwa drei Jahrzehnten die experimentelle Forschung. Mit der experimentellen Ökonomie hat sich mittlerweile eine eigene Teildisziplin etabliert, in deren Rahmen es vorrangig darum geht, mittels Laborexperimenten spieltheoretisch hergeleitete Annahmen über Verhalten empirisch zu testen (vgl. Fehr et al. 2002: 519f.). Dass Offenheit für experimentelle Methoden die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit verbessert, gilt in besonderem Maße für die Vertrauensforschung. Schon seit den 1960er Jahren werden in der psychologischen Vertrauensforschung Experimente eingesetzt. Die Anzahl der Beiträge aus der experimentellen Ökonomie, die mit Hilfe von Laborexperimenten Vertrauen erforschen, ist in den letzten Jahren stark angewachsen (vgl. hierzu und zu entsprechenden Literaturverweisen auch schon Kap. 4.1.2.2). Es gibt auch einige wenige Studien, die faktorielle Surveys zur Überprüfung von Hypothesen der ökonomischen Vertrauenstheorie einsetzen (vgl. Buskens, Weesie 2000a; Rooks et al. 2000; Barrera, Buskens 2007; van de Rijt, Buskens 2006; als Überblick auch Raub, Buskens 2004). Gerade im Hinblick auf die Möglichkeiten des Tests wie auch auf Fragen der Bewährung der Annahmen der ökonomischen Vertrauenstheorie sind diese experimentellen Verfahren und die durch sie gewonnenen Ergebnisse sehr aufschlussreich. Während sich Laborexperimente gemäß der vorgestellten indirekten Methoden der Konstruktion von Brückenannahmen (vgl. Kap. 4.1.2.2) gut einsetzen lassen, um spieltheoretisch hergeleitete Prognosen bzw. Hypothesen empirisch zu überprüfen, sind faktorielle Surveys hervorragend geeignet, um Effekte situativer Merkmale auf Vertrauenserwartungen gemäß der vorgestellten direkten Methode der Konstruktion von Brückenhypothesen empirisch zu überprüfen (vgl. Buskens, Weesie 2000a; Raub, Buskens 2004). Diese Studien und ihre Ergebnisse werden aber in der politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung, die sich nach wie vor sehr stark auf die umfragebasierte Methode der Erhebung von generellen Vertrauenseinstellungen stützt, allenfalls am Rande wahrgenommen. Es gibt nur relativ wenige politikwissenschaftliche Beiträge, die die Ergebnisse entsprechender Laborexperimente der experimentellen Ökonomie aufgreifen und diskutieren (vgl. u. a. Nannestad 2008). Noch weniger funktionierte bisher der interdisziplinäre Austausch im
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Das Messinstrument faktorieller Survey
Hinblick auf die oben erwähnten faktoriellen Survey-Studien: Weder diese Möglichkeit der empirischen Überprüfung solcher Brückenhypothesen mittels faktorieller Surveys noch die Ergebnisse dieser bereits durchgeführten Studien sind bislang innerhalb der politikwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion zur Kenntnis genommen worden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Argument, Experimente eigneten sich nicht für die Politikwissenschaft, so pauschal formuliert, sicher nicht zutreffend ist. Außerdem hat es eine Kehrseite, die häufig nicht beachtet wird. Mit dem Verzicht auf experimentelle Methodik werden nämlich gewisse empirische Fragestellungen von vornherein ausgeblendet: „Methodological preoccupations are inevitably accompanied by theoretical ones. What is worth doing is seen through the filter of what one is able to do. Only certain questions are deemed interesting or relevant: in the case of political science, they are the questions that allow survey or archival methods room to operate. In the meantime, other questions languish, set aside or never noticed in the first place“ (Kinder, Palfrey 1993: 4).
Positiv gewendet wäre also die Bandbreite an empirischen Fragestellungen, die untersucht werden könnten, größer, wenn experimentelle Methoden als Alternative zu den traditionell dominierenden Umfragen und zu archivalischen Methoden bzw. zur Analyse von Aggregatdaten in Betracht gezogen würden. Dass bestimmte Arten von empirischen Fragestellungen in Abhängigkeit von den ins Auge gefassten Möglichkeiten der empirischen Überprüfung überhaupt erst in den Blick genommen werden, zeigt sich am Beispiel der faktoriellen Surveys. Zwar wird, wie am Anfang des Kapitels gezeigt wurde, bei vielen latenten Konstrukten wie Kooperationsnormen, Wahlnorm oder Normen der Gerechtigkeit Konditionalität unterstellt. Diese Konditionalität ist aber, zumindest von Seiten der Politikwissenschaft, bisher kaum empirisch untersucht worden. Gegen die Behauptung, experimentelle Designs eigneten sich nicht zur Analyse politikwissenschaftlicher Fragestellungen, lässt sich schließlich noch ein weiteres, messtheoretisches Argument anführen. Experimente sind nicht nur deshalb eine Bereicherung für das politikwissenschaftliche Methodeninventar, weil sie in Forschungsbereichen und bei Fragestellungen eingesetzt werden können, in denen andere empirische Methoden möglicherweise ungeeignet erscheinen. Einige Autoren betonen darüber hinaus, dass Experimente Möglichkeiten der methodologischen Triangulation eröffneten und deshalb, als eine Art zusätzliche Validierungshilfe, andere empirische Methoden ergänzen könnten (vgl. Kinder, Palfrey 1993: 3f.). Vertreter dieser Position argumentieren in diesem Zusammenhang mit der prinzipiellen Fallibilität empirischer Methodik.142 Weil alle empirischen Methoden fehlerbehaftet sein können, ist es aus dieser Perspektive sinnvoll, zur Validierung von Forschungsergebnissen ein- und dieselbe Fragestellung mittels unterschiedlicher empirischer Methoden zu untersuchen: „When a hypothesis can survive the confrontation of a series of complementary methods of testing, it contains a degree of validity unattainable by one tested within the more constricted framework of a single method. Findings from this latter approach must always be subject to the 142
Dass eine solche mehrfache Absicherung von empirischen Ergebnissen sinnvoll sein kann, zeigen unter anderem Beispiele aus der medizinischen Forschung. Nach Ioannidis stellte sich ein beachtlicher Prozentsatz von prominent platzierten und häufig zitierten empirischen Studien, die positive Wirkungen eines bestimmten Stoffes berichteten, im Nachhinein als falsch heraus (vgl. Ioannidis 2005).
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs
205
suspicion that they are method-bound: Will the comparison totter when exposed to an equally prudent but different testing method?“ (Webb et al. 1966: 174).
Aus dieser Perspektive können experimentelle Designs beispielsweise genutzt werden, um die Güte von empirischen Ergebnissen zu überprüfen, die umfragebasiert gewonnen wurden. In diesen Diskussionszusammenhang ist auch der methodisch sehr ambitionierte Vorschlag von Gary King und seinen Mitautoren einzuordnen. Diese setzen faktorielle Surveys ein, um die Validität und die Äquivalenz der Messung bestimmter komplexer Einstellungskonstrukte wie beispielsweise der political efficacy zu verbessern (vgl. King et al. 2004).143 Gegenargument 2: Experimentelle Designs sind zu wenig komplex, um soziale oder politische Zusammenhänge angemessen erfassen zu können. Durch rigorosen Zuschnitt auf eine oder wenige Ursachen vereinfachten Experimente die Realität in einer nicht angemessenen Art und Weise. Auch dieses Argument lässt sich so undifferenziert nicht halten. Zwar stoßen klassische experimentelle Designs tatsächlich schon bei relativ wenigen unabhängigen Variablen an ihre Grenzen und können komplexe multikausale Zusammenhänge nur bedingt abbilden. Abgesehen von der Tatsache, dass die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge ein essenzieller Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens ist (vgl. Fehr et al. 2002: 519f.), kann man diesen Vorwurf in gleicher Weise aber auch vielen kompositionellen empirischen Verfahren machen. Gerade auf solche experimentellen Designs wie den faktoriellen Survey trifft dieses Argument außerdem kaum zu, weil faktorielle Surveys, im Unterschied zu klassischen experimentellen Designs, einen komplexeren Aufbau und die Berücksichtigung einer größeren Zahl von unabhängigen Variablen erlauben. Gegenargument 3: Experimente liefern keine validen Ergebnisse. Die Skepsis der Politikwissenschaft gegenüber Experimenten hängt wesentlich mit der Validität von Experimenten zusammen, also mit dem Ausmaß, in dem ein bestimmtes Experiment zur Überprüfung von Kausalhypothesen geeignet ist (Hager, Westermann 1983: 24). Häufig wird angeführt, dass Experimente nicht in der Lage seien, valide Ergebnisse zu produzieren. Dieser Kritikpunkt bedarf der näheren Erläuterung und Differenzierung, damit verständlich wird, woran genau sich die Kritik von politikwissenschaftlicher Seite entzündet. In diesem Zusammenhang ist eine Unterscheidung zwischen interner und externer Validität wichtig, die auf Campbell und Kollegen zurückgeht und sich in der Experimentalmethodik fest etabliert hat (vgl. Cook, Campbell 1979). Bei der internen Validität geht es um die Frage, ob mit Hilfe eines Experimentes überhaupt Aussagen über Ursachen möglich sind (vgl. Hager, Westermann 1983: 24; Westermann 2000: 296). Genauer formuliert bezeichnet interne Validität die Gültigkeit der Schlussfolgerung, dass eine vorliegende statistische Beziehung zwischen zwei Variablen tatsächlich eine kausale Beziehung ist beziehungsweise das Nicht-Vorliegen einer solchen Beziehung das Nicht-Vorhandensein einer kausalen Beziehung bedeutet (vgl. Cook, Campbell 1979: 2). Interne Validität ist dann in 143
Ähnlich die Studie von Martin, Polivka 1995. Auch sie schlagen vor, Vignetten aus messtheoretischen Gesichtspunkten zur Verbesserung der Validität der Datenerhebung einzusetzen.
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Das Messinstrument faktorieller Survey
perfektem Maße gewährleistet, wenn Veränderungen in der abhängigen Variablen nur auf Veränderungen der unabhängigen Variablen zurückzuführen und alle anderen möglichen Störvariablen konstant gehalten sind. Sie wird daher auch als Ceteris-Paribus-Validität bezeichnet (vgl. Westermann 2000: 302). Davon zu unterscheiden ist die externe Validität. Sie bezeichnet den Umstand, dass sich eine kausale Beziehung zwischen den untersuchten Objekten auf andere Personen, Situationen oder Zeitpunkte generalisieren lässt (vgl. ebd.: 431). Einfacher ausgedrückt geht es um den Allgemeinheitsgrad beziehungsweise das Ausmaß der „Repräsentativität“ der erzielten Ergebnisse. Die Kritik von politikwissenschaftlicher Seite setzt an der externen Validität von Experimenten an. Der Verzicht auf experimentelle Designs wurde und wird teilweise damit begründet, dass Experimente keine generalisierbaren Ergebnisse produzierten. Jedes Experiment ist, nach dieser Argumentation, durch eine spezifische Konstellation von Untersuchungsbedingungen gekennzeichnet. Experimentelle Ergebnisse ließen sich demzufolge nicht umstandslos verallgemeinern. Ein solches induktives Vorgehen sei aus wissenschaftstheoretischer Perspektive äußerst problematisch. Drei Besonderheiten experimenteller Designs werden im Hinblick auf den Aspekt der externen Validität besonders hervorgehoben (vgl. Kinder, Palfrey 1993: 27): Erstens wird betont, dass Experimente in einem künstlichen, experimentellen Setting stattfänden. Beim faktoriellen Survey wird den Befragten beispielsweise eine fiktive Entscheidungssituation geschildert. Gemäß dieser Argumentation ist nicht auszuschließen, dass Faktoren wie die spezifischen Experimentalbedingungen, die Künstlichkeit der erzeugten experimentellen Situation oder auch das Wissen darum, an einem Experiment teilzunehmen, die Probanden beeinflussen und zu Änderungen in den berichteten Einstellungen und Verhaltensweisen führen. Zweitens wird die Abhängigkeit der Ergebnisse von der spezifischen Art der Operationalisierung der unabhängigen Variablen hervorgehoben. Aus dieser Perspektive wird argumentiert, dass experimentelle Ergebnisse sehr stark mit dem Zuschnitt der unabhängigen Variablen variieren könnten. Ergebnisse, die in einem Experiment erzielt worden seien, könnten sich in einem anderen Experiment verflüchtigen, wenn die Bedingungen der Erhebung oder die Operationalisierung der unabhängigen Variablen nur geringfügig modifiziert würden. Ein dritter und letzter Kritikpunkt, der in Verbindung mit der externen Validität diskutiert wird, zielt auf die Stichprobenzusammensetzung bei Experimenten. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass bei einem Großteil der sozialwissenschaftlichen Experimente aus Gründen der Praktikabilität sowie der Zeit- und Geldersparnis auf Studierende oder sonstige Personen aus dem universitären Kontext als Teilnehmer zurückgegriffen wird. Oft weist aber die Grundgesamtheit (Zielpopulation), über die im Experiment eine Aussage getroffen werden soll, nicht dieselben Merkmale auf wie diese Stichprobenpopulation. Die Hypothesen, die im Rahmen solcher experimenteller Studien überprüft werden sollen, beziehen sich nicht nur auf Studierende oder Universitätsangehörige, sondern sind hinsichtlich ihres Geltungsbereiches uneingeschränkt. Sie haben, in der Sprache der Logik formuliert, die Form von unbegrenzten Allsätzen (vgl. Hager, Westermann 1983: 60f.). Weil aber die selektive Stichprobenzusammensetzung im Unterschied zu einem repräsentativen Zufalls- oder Quotensample nicht den Bevölkerungsquerschnitt, sondern nur einen ganz bestimmten Teil der Bevölkerung abbildet, sind gemäß dieser Argumentation die erzielten
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs
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Ergebnisse maximal repräsentativ für diesen spezifischen Bevölkerungsteil, nicht aber auf die Bevölkerung als solche generalisierbar: „Validity questions (…) arise from the fact that subjects in political science experiments – like most research involving human subjects – tend to overrepresent people who live on or near college campuses. College sophomores, the prototypical experimental subjects, are effective icons for critics who doubt that the actions of experimental subjects provide reliable data on larger populations” (Lupia 2002: 320).
Im Hinblick auf die interne Validität gelten experimentelle Designs dagegen als den anderen empirischen Methoden klar überlegen. Die besondere Eignung von Experimenten beim Test kausaler Zusammenhänge wird immer wieder als die zentrale Stärke von Experimenten hervorgehoben (vgl. Aronson et al. 1990: 9; Kinder, Palfrey 1993: 11; Green, Gerber 2002: 808ff.; McDermott 2002: 334). Sie resultiert aus der Tatsache, dass beim Experiment der Wissenschaftler selbst die zu testenden unabhängigen Variablen manipuliert. Gleichzeitig kann durch die Randomisierung sichergestellt werden, dass alle anderen möglichen Ursachen konstant gehalten werden. Damit sind viel stärkere kausale Schlussfolgerungen möglich, als sie nicht-experimentelle empirische Methoden erlauben, weil Varianzen im Explanandum zwangsläufig unter den künstlich erzeugten Ceteris-Paribus-Bedingungen auf Unterschiede im Explanans rückführbar sind. Ursachen können auf diese Weise gut isoliert werden. Wie McGraw und Hoekstra herausstellen, sind Experimente vor allem dann hilfreich, wenn es darum gehen soll, komplexe Kausalzusammenhänge aufzudecken: “Through experimentation, the researcher is able to isolate and decompose complex phenomena in order to pinpoint their effects with precision” (McGraw, Hoekstra 1994). Aus der unzweifelhaften Überlegenheit beim Test von Kausalannahmen ergibt sich ein weiterer Vorteil des Experimentes gegenüber nicht-experimentellen, empirischen Methoden, der im Rahmen der Diskussion über experimentelle Designs in der Politikwissenschaft noch viel zu wenig berücksichtigt wird: Experimente sind zur Überprüfung von Theorien hervorragend geeignet. Sie bilden, in den Worten von Stephen Coleman, den „‘gold standard’ for research“ (Coleman 2005: 1) beim Test von Theorien. Diese Stärke hebt auch McDermott hervor: „Experiments may not be useful for all research questions or problems, but can be especially helpful to investigators who have had difficulty achieving consensus using other methods, seek a stronger basis for causal argumentation, or are interested in developing and testing theoretical models in a direct, empirically grounded manner” (McDermott 2002: 326).
Zwar birgt die Konzeption und Durchführung von Experimenten auch im Hinblick auf Fragen der internen Validität Fallstricke. Wenn sich die Art der Stichprobenzusammensetzung, die Stichprobengröße oder die spezifischen Umstände der Datenerhebung negativ auf die Güte der Daten auswirken, dann ist dies nicht nur, wie oben diskutiert, im Hinblick auf die externe Validität problematisch. Es erhöht sich auch das Risiko, dass die ermittelten statistischen Beziehungen zwischen den Variablen fehlerhaft sind; die Wahrscheinlichkeit zutreffender Schlussfolgerungen über Ursache-Wirkungsbeziehungen sinkt.144 Die interne 144
Dieser Teilaspekt der internen Validität wird in der psychologischen Literatur auch als statistische Validität bezeichnet. Unter statistischer Validität lassen sich alle möglichen Aspekte zusammenfassen, die die Wahrschein-
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Das Messinstrument faktorieller Survey
Validität ist also nach wie vor ein wichtiger Güteaspekt, der auf jeden Fall berücksichtigt werden sollte und je nach Zuschnitt des experimentellen Designs mehr oder weniger gewährleistet sein kann. Zusammengenommen gelten Experimente dennoch als ideales Design bei der Hypothesenüberprüfung (vgl. Diekmann 1999: 169). Während experimentelle Designs also als intern sehr valide gelten, entzündet sich die Kritik an den oben erläuterten Defiziten in der externen Validität. Als pauschale Rechtfertigung für eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber experimentellen Designs ist diese Kritik aber wenig überzeugend. Das zeigt eine genauere Betrachtung der drei Kritikpunkte, die in Verbindung mit dem Vorwurf der mangelhaften externen Validität diskutiert werden. Wie oben ausgeführt, wird zum einen der Vorwurf erhoben, experimentelle Daten seien aufgrund der Künstlichkeit der experimentellen Situation wenig valide. Zweitens seien die experimentellen Ergebnisse von der spezifischen Art der Operationalisierung der unabhängigen Variablen abhängig. Ein dritter Kritikpunkt hebt darauf ab, dass im Rahmen von experimentellen Designs häufig aus pragmatischen Gründen nicht-repräsentative Stichproben aus Studierenden zum Einsatz kommen. Dass die beiden erstgenannten Kritikpunkte als Knock-Out-Kriterium gegen Experimente nicht taugen, lässt sich relativ leicht zeigen. Sie betreffen nämlich in gleichem Maße die nicht-experimentell arbeitende Survey-Forschung. Auch wer eine herkömmliche Umfrage macht, ist möglicherweise mit systematischen Erhebungsfehlern wie dem Antwortverhalten nach sozialer Erwünschtheit konfrontiert. Solche aus der spezifischen Umfragesituation resultierende Reaktionsweisen der Befragten führen dazu, dass reale Orientierungen nur verzerrt abgebildet werden. Ebenso kann die spezifische Art der Operationalisierung der Variablen die Ergebnisse beeinflussen. Komplizierter verhält es sich mit dem dritten, angesprochenen Kritikpunkt. Gleichzeitig wird dieser Aspekt der externen Validität in der sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion als wesentlich eingestuft (vgl. Nannestad 2008: 416). Entsprechend muss die Entgegnung hier differenzierter und ausführlicher ausfallen: Grundsätzlich ist zunächst anzumerken, dass der Einsatz von experimentellen Designs keineswegs zwangsläufig einen Verzicht auf „Repräsentativität“ bedeutet. Gerade in den letzten Jahren werden experimentelle Designs als Bestandteile von Befragungen, die auf repräsentativen Samples basieren, in der Politikwissenschaft zunehmend eingesetzt (vgl. u. a. Gibson, Caldeira, Spence 2002). Faktorielle Surveys, die relativ einfach in herkömmliche Umfragen integriert werden können, eignen sich als Bausteine im Rahmen solcher repräsentativer Umfragen besonders gut. Betrachtet man exemplarisch die in den Jahren 2000-2006 in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS) publizierten faktorielle Survey-Studien, die in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind, dann zeigt sich, dass diese zum Teil auch auf Zufallsstichproben aus repräsentativen Bevölkerungssamples zurückgreifen. Die meisten deutschsprachigen Studien dieses Publikationszeitraumes verwenden allerdings die wegen ihrer mangelnden externen Validität kritisierten Gelegenheitsstichproben; zumeist werden dabei Studierende als Befragte herangezogen.
lichkeit statistisch zutreffender Schlussfolgerungen über Zusammenhänge zwischen Variablen gefährden könnten (vgl. Westermann 2000: 296; Cook, Campbell 1979: 37ff.).
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs
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Abbildung 28: Faktorielle Surveys in der KZfSS 2000-2006 Autoren
Fragestellung/ Thema
Art der Stichprobenzusammensetzung
Dülmer 2001
Wie beeinflussen Bildung und Gelegenheitsstichprobe; 87 Studierende Argumente das moralische Urteil? der Uni Köln
Beck, Opp 2001
Welche situativen Merkmale beeinflussen die Geltung einer Nichtrauchernorm?
Raub, Buskens 2004145
Wie wirkt sich die Einbettung in Gelegenheitsstichprobe; 125 Studierende soziale Netzwerke auf die Bereit- der Uni Tilburg, Utrecht und Chicago schaft zu Vertrauen in Käufer(USA) Verkäufer-Interaktionen aus?
Gelegenheitsstichprobe; 366 Studierende
Mäs, Müh- Unter welchen Bedingungen wird Zufallsstichprobe aus Panel; 579 Befragler, Opp einer Person die Eigenschaft te; Grundgesamtheit: Bevölkerung von 2005 „deutsch“ zugeschrieben? Leipzig und des Mittleren Erzgebirgskreises Liebig, Mau 2005
Einstellungen zur sozialen Mindestsicherung
Zufallsstichprobe; 121 erwerbstätige Personen; Grundgesamtheit: alle deutschsprachigen, erwerbstätigen Personen aus Privathaushalten der BRD
Steiner, Atzmüller 2006
Normative Überzeugungen über die Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft
Gelegenheitsstichprobe (Pilotstudie); 36 Befragte (18 Studierende und 18 Personen im Ruhestand)
Dabei ist es keineswegs gerechtfertigt, all diejenigen faktoriellen Survey-Studien von vornherein als weniger aussagekräftig einzustufen, die nicht mit repräsentativen Stichproben arbeiten. Es hängt vielmehr vom spezifischen Forschungsinteresse und der Fragestellung ab, ob Zufalls- oder Quotenstichproben überhaupt notwendig und sinnvoll sind. Wie Diekmann betont, ist „der weit verbreitete Glaube, sozialwissenschaftliche Untersuchungen sollten nach Möglichkeit auf ‚repräsentativen’ Stichproben basieren, schlicht ein Mythos“ (Diekmann 1999: 169). Sogenannte repräsentative Stichproben sind dann notwendig, wenn das Forschungsziel deskriptiver Art ist, es also in erster Linie darum geht, etwas über die Verteilung von Merkmalen in einer bestimmten Population zu erfahren. Zum Test von Zusammenhangshypothesen sind repräsentative Stichproben dagegen nicht zwingend erforderlich. Hier können durchaus auch „willkürliche“ Stichproben herangezogen werden, wie es bei experimentellen Designs häufig der Fall ist (vgl. ebd.: 169). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, von Fall zu Fall, abhängig vom intendierten Forschungsziel, über die Art der Stichprobenzusammensetzung zu entscheiden. Bei dieser Entscheidung können auch gute Gründe gegen eine repräsentative Stichprobe spre145
Bei Raub, Buskens 2004 handelt es sich eher um einen Überblicksartikel, der auf neuere spieltheoretische Entwicklungen und deren empirische Anwendung eingeht. In diesem Zusammenhang referieren Raub und Buskens die Ergebnisse eines faktoriellen Surveys.
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Das Messinstrument faktorieller Survey
chen. Zum einen können diese Gründe pragmatischer Natur sein. Repräsentative Stichproben sind in der Regel mit einem höheren finanziellen oder zeitlichen Aufwand verbunden. Wenn das Ziel der empirischen Untersuchung darin besteht, theoretische Zusammenhänge zu testen, und eine repräsentative Stichprobe entsprechend nicht unbedingt notwendig ist, dann ist abzuwägen, ob dieser Aufwand tatsächlich lohnt. Zudem gilt es auch zu bedenken, dass „repräsentative“ Quoten- oder Zufallsstichproben, die ein vergleichsweise hohes Maß an externer Validität gewährleisten, unter bestimmten Bedingungen Einbußen bei der internen Validität mit sich bringen können. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn das konzipierte Erhebungsinstrument so komplex und voraussetzungsvoll ist, dass es zwar bei einer Stichprobe von höher gebildeten Personen einsetzbar ist, ohne dass die Qualität der erhobenen Daten leidet, ein Teil einer hinsichtlich des Bildungsgrades heterogeneren Befragtengruppe aber bei einer solchen Art von Erhebung kognitiv überfordert wäre. Allerdings kann sich umgekehrt auch ein homogener Stichprobenzuschnitt zu Lasten der internen Validität der Ergebnisse auswirken. Eine homogene Stichprobe, die sich nur aus höher gebildeten Studierenden zusammensetzt, wäre beispielsweise dann im Hinblick auf Fragen der internen Validität problematisch, wenn durch diese spezifische Art des homogenen Stichprobenzuschnittes mögliche Interaktionseffekte künstlich konstant gehalten würden. Wäre also beispielsweise plausibel, dass sich ein bestimmter Effekt einer Variablen nur in Interaktion mit der Variable Bildung zeigt, diese also den Zusammenhang zwischen dieser Variablen und der abhängigen Variable moderiert, wäre eine geringe Varianz im Hinblick auf den Aspekt der Bildung, die aus einer reinen Studierendenstichprobe resultiert, im Hinblick auf die interne Validität der Daten problematisch. Diese Beispiele zeigen, dass die Entscheidung über die spezifische Stichprobenzusammensetzung keineswegs pauschal zu treffen ist, sondern von spezifischen inhaltlich-theoretischen wie auch messtheoretischen Aspekten abhängt. In der folgenden Tabelle sind noch einmal die hier vorgeschlagenen Kriterien sowie Leitfragen zu deren Ausformulierung zusammengestellt, die bei der Entscheidung über die Art der Stichprobe Orientierung bieten können:
Vor- und Nachteile des Einsatzes experimenteller Designs
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Abbildung 29: Relevante Kriterien bei der Entscheidung über die Art der Stichprobe Forschungsziel/Fragestellung: Das Forschungsziel besteht (u.a.) darin, Aussagen über eine wie auch immer geartete Grundgesamtheit zu machen Æ repräsentative Stichprobe erforderlich Das Forschungsziel besteht im Test von allgemeinen theoretischen Zusammenhängen Æ Gelegenheitsstichprobe ausreichend Forschungspragmatische Aspekte: Bei der Datenerhebung stehen nur beschränkte finanzielle und/oder zeitliche Ressourcen zur Verfügung Æ Gelegenheitsstichprobe Interne Validität der erhobenen Daten: Der Forschungsgegenstand bzw. das konzipierte Messinstrument sind relativ komplex und setzen die Fähigkeit zu abstraktem und kognitiv differenziertem Denken voraus Æ Gelegenheitsstichprobe plus Befragtengruppe mit höherem Bildungsniveau146 Es gibt empirische Hinweise, dass durch eine Gelegenheitsstichprobe, die nur einen bestimmten Ausschnitt der Bevölkerung (z. B. Studierende) befragt, mögliche Wechselwirkungen/Interaktionseffekte künstlich konstant gehalten werden Æ repräsentative Stichprobe (bzw. zumindest breite Varianz im Hinblick auf diese als relevant vermuteten Kontrollvariablen) Diese komplexen Zusammenhänge zwischen externer und interner Validität werden in der politikwissenschaftlichen Diskussion über das Für und Wider experimenteller Designs kaum thematisiert. Es besteht eher ein Hang dazu, den Aspekt der externen Validität über Gebühr zu betonen. Dabei ist, wie McGraw betont, die „internal validity (…) the crown jewel of experimentation“ (McGraw 1996: 772). Dies gilt insbesondere deshalb, weil ein Ergebnis nur dann extern valide sein kann, wenn es die Bedingung der internen Validität erfüllt. Wie Zimmermann herausstellt, ist interne Validität eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für externe Validität (vgl. Zimmermann 1972: 79). Auf die vorrangige Bedeutung der internen Validität gegenüber der externen Validität verweist auch McDermott: „Concerns about internal validity should always take place prior to concerns about external validity. To the degree an experiment is lacking in internal validity, external validity should be a moot point. If we are not sure that A caused B because of some flaw in the experimental re-
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Alternativ könnte man auch eine Zufallsstichprobe aus einem Personenkreis mit höherem Bildungsniveau (zum Beispiel aus einer Studierendenpopulation) ziehen. Weil die vermuteten theoretischen Zusammenhänge dennoch allgemeine Zusammenhänge sind, die sich nicht nur auf Studierende als Zielpopulation beziehen, würde aber auch ein solches Vorgehen keine extern validen Ergebnisse erbringen.
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Das Messinstrument faktorieller Survey search design, does it really matter whether B is representative of, or can be generalized to the real world?” (McDermott 2002: 335).
Fragen der internen Validität sind insbesondere dann gewichtiger als Fragen der Generalisierbarkeit der Ergebnisse, wenn experimentelle Designs dazu eingesetzt werden, Theorien zu testen. Wie bereits ausgeführt wurde, eignen sich Experimente dazu ganz besonders gut. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung neuer theoretischer Annahmen und zur Weiterentwicklung und Verbesserung bestehender Theorien. Nutzt man diese Stärke von Experimenten, ist es aber, wie McDermott weiter ausführt, zweitrangig, ob die ermittelten Ergebnisse auch extern valide sind: „For most experimentalists in psychology or behavioral science, whether a particular study generalizes to a larger audience is really not the most important concern. Rather, experimental studies are intended to test theories and build hypotheses about larger issues involving human behavior. So, for example, I might not expect to find the same behavior in college undergraduates as I would in world leaders, but I would hope that my experimental studies help illuminate more universal properties (….) that might prove more universal in nature. Therefore, the idea of experimentation is not primarily that a specific set of experimental results apply directly to broader conclusions about human behavior in other settings, but rather that these results develop and test theories that then, in turn, and in aggregation, help explain and predict certain underlying causal mechanisms in more universal issues” (ebd.: 335).
Aus Sicht von McDermott basiert die alleinige Kaprizierung auf die externe Validität experimenteller Ergebnisse schließlich auf einem Missverständnis über die Methodologie von Experimenten: Experimentell arbeitende Wissenschaftler gehen in der Regel nicht davon aus, dass sie mittels eines Experimentes ein extern valides Ergebnis liefern könnten. Sie sind sich darüber im Klaren, dass allgemeingültige Ergebnisse nur auf der Basis vielfältiger und sorgfältiger Replikationen zu erzielen sind: „many critics seem to think that experimenters are trying to say something about the real world from a single study with college undergraduates. This is almost never the case. Psychologists and behavioral economists recognize that external validity is established over time, across a series of experiments that demonstrate similar phenomena using different populations, manipulations, and measures. External validity occurs through replication” (vgl. McDermott 2002: 335).
In der psychologischen Experimentalmethodik wird diese Position allgemein geteilt. Die Frage der Generalisierbarkeit von Ergebnissen ist aus dieser Sicht keine Frage, die sich auf Basis einer einzelnen Untersuchung, sondern nur auf Basis einer ganzen Menge von intendierten Anwendungen beantworten lässt. Deshalb wird dafür plädiert, den Aspekt der externen Validität als etwas zu betrachten, was von der methodischen Güte einer einzelnen Untersuchung unabhängig ist. Hat sich eine substanzwissenschaftliche Hypothese in einer bestimmten Untersuchung bewährt, so ist der gefundene theoriekonforme Variablenzusammenhang genau dann auf alle anderen intendierten Anwendungen zu generalisieren, wenn sich das zugrunde liegende Theorieelement auch in der Anwendung auf all diese anderen Fälle als erfolgreich erweist. Ob dies der Fall ist, kann aber nicht durch die Beurteilung der Güte einer einzelnen Untersuchung beurteilt werden, sondern nur durch weitere empirische Untersuchungen (vgl. Westermann 2000: 432).
Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys
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Diese Argumente unterstreichen, dass es bei Experimenten, die zum Test von Theorien eingesetzt werden, in erster Linie darum gehen sollte, die interne Validität zu maximieren. Sowohl die Konstruktion des Designs als auch die Entscheidung über die Zusammensetzung der Stichprobe sollten sich entsprechend vor allem an diesem Güteaspekt ausrichten. Fragen der Generalisierbarkeit der Ergebnisse sind dagegen sekundär. Nur wenn die interne Validität des Experimentes nicht leidet und gleichzeitig die entsprechenden zeitlichen wie finanziellen Ressourcen zur Verfügung stehen, sind Quoten- oder Zufallsstichproben das Mittel der Wahl. Die Ergebnisse der letzten Kapitel lassen sich folgendermaßen noch einmal kurz zusammenfassen: Der faktorielle Survey ist eine Datenerhebungsmethode, die Elemente klassischer experimenteller Designs mit Elementen der Umfrageforschung verbindet. Er ist bislang innerhalb der Politikwissenschaft kaum eingesetzt worden. Dieser Umstand lässt sich inhaltlich nicht rechtfertigen. Es gibt, wie Kapitel 9.2 gezeigt hat, eine ganze Reihe an politikwissenschaftlich relevanten Fragestellungen, in deren Zusammenhang faktorielle Surveys gewinnbringend zur Anwendung kommen könnten. Insbesondere latente Konstrukte wie Einstellungen, Normen oder Verhaltensintentionen, bei denen aus theoretischer Perspektive Konditionalität unterstellt wird, lassen sich mittels faktorieller Surveys in viel differenzierterer Weise empirisch untersuchen als mit den klassischen Methoden der itembasierten Umfrageforschung. Bei solchen konditionalen latenten Konstrukten wird unterstellt, dass ihre Ausprägungen in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungskonstellationen variieren. Ob dies der Fall ist und welche Faktoren wie stark die Ausprägung solcher Konstrukte beeinflussen, lässt sich mit faktoriellen Surveys sehr gut analysieren. Dass die faktorielle Survey-Technik innerhalb der Politikwissenschaft noch nicht stärker rezipiert worden ist, ist daher kaum erklärlich. Dieser Umstand mag aber mit einer immer noch weitverbreiteten Skepsis gegenüber experimentellen Designs zusammenhängen, zu denen die faktoriellen Surveys zählen. Der Wert von experimentellen Designs wird zwar auch in der politikwissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre herausgestellt. Es herrschen aber immer noch Vorbehalte. Eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Argumenten gegen experimentelle Designs hat jedoch gezeigt, dass die Argumente, die Kritiker experimenteller Designs innerhalb der politikwissenschaftlichen Methodendiskussion hervorbringen, keine pauschale Ablehnung von Experimenten rechtfertigen. Experimentelle Designs können bei einer gewissen Bandbreite von politikwissenschaftlichen Fragestellungen durchaus sinnvoll angewendet werden. Gerade zum Test theoretischer Modelle erscheinen experimentelle Designs sogar ausgesprochen gut geeignet. Sie verfügen nämlich über ein sehr hohes Maß an interner Validität, was sie für den Test von Kausalzusammenhängen in besonderem Maße prädestiniert. 8.5 Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys Nachdem in den letzten beiden Kapiteln überwiegend allgemeine messtheoretische Aspekte diskutiert wurden, die in Verbindung mit dem Einsatz von experimentellen Designs zu beachten sind, befasst sich das nun folgende Unterkapitel wieder mit dem spezifischen messtheoretischen Forschungsstand zu faktoriellen Surveys. Ziel dieses Unterkapitels ist es, die vergleichsweise aufwändige Konstruktion eines faktoriellen Surveys detailliert zu beschreiben. Die einzelnen Teilschritte der Planung sind nämlich teilweise eng miteinander
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Das Messinstrument faktorieller Survey
gekoppelt und müssen in Wechselwirkung zueinander bedacht und entschieden werden. Besonderes Augenmerk sollte dabei der Tatsache gelten, dass bestimmte Aspekte der Konstruktion von faktoriellen Surveys Auswirkungen auf die statistischen Schätzeigenschaften der so generierten Daten haben. Auf diese messtheoretischen Implikationen verweist besonders Jasso: „There is a tight correspondence between the objective – to obtain estimates, with the best possible statistical properties (…) and elements of the research design” (Jasso 2006: 340).
Eine sorgfältige Konstruktion des faktoriellen Surveys, die diese Auswirkungen berücksichtigt, ist daher im Hinblick auf das im letzten Abschnitt formulierte Ziel einer Maximierung der internen Validität der Daten wichtig. 8.5.1 Konzeption der Vignetten Klassischerweise beginnt die Planung eines faktoriellen Survey mit der Konzeption der Vignetten. In diesem Zusammenhang fallen die folgenden Teilschritte an: 1. 2. 3.
Festlegung der Dimensionen und der Dimensionsausprägungen Wahl einer fiktiven Grundsituation Operationalisierung der abhängigen Variable
Zu 1. Zunächst ist es notwendig, relevante Dimensionen festzulegen. Als Dimensionen werden, wie schon erwähnt, die variierenden Merkmale der Vignettensituation bezeichnet, von denen vermutet wird, dass sie als die relevanten unabhängigen Variablen Varianzen in der Urteilsstruktur der Befragten erklären können. Wie aber findet man diese Dimensionen? Im Idealfall existieren im theoretischen Forschungsstand bereits entsprechende Hypothesen, die herangezogen werden können. Fehlen solche theoretischen Annahmen, dann können die Dimensionen auch explorativ ermittelt werden. Diese Vorgehensweise haben beispielsweise Beck und Opp gewählt: Weil der theoretische Forschungsstand zu der von ihnen gewählten Fragestellung nach den Geltungsbedingungen einer Nichtrauchernorm wenig entwickelt ist, ermitteln sie in informellen Gesprächen mit Studierenden, unter welchen spezifischen Kontextbedingungen Rauchen als unschicklich gilt (vgl. Beck, Opp 2001). Sind die Dimensionen festgelegt, dann müssen ihnen sinnvolle Ausprägungen zugeordnet werden. Hauptkriterium bei dieser Entscheidung sollte deren vermutete Bedeutsamkeit sein. Es empfiehlt sich darauf zu achten, dass nur solche Ausprägungen einbezogen werden, bei denen die begründete Annahme besteht, dass mit ihrer Veränderung die abhängige Variable variiert (vgl. ebd.: 286f.). Eine feste Regel, wie viele Dimensionen und Ausprägungen maximal in einem faktoriellen Survey berücksichtigt werden sollten, existiert nicht. Es ist aber ratsam, die Zahl der Dimensionen und auch die Zahl der Ausprägungen so gering wie möglich zu halten. Für ein möglichst sparsames Design sprechen drei Gründe: Erstens kann sich eine zu hohe Zahl an Dimensionen und Dimensionsausprägungen negativ auf die interne Validität der erhobenen Daten auswirken. Welche Zahl an Dimensionen und Dimensionsausprägungen allerdings sinnvollerweise nicht überschritten werden sollte, ist für faktorielle Surveys bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Anhaltspunkte liefern hier aber Studien
Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys
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aus dem messtheoretisch weiterentwickelten Forschungstand zum Conjoint Measurement, einer dem faktoriellen Survey eng verwandten Messmethode, die in der Marketingforschung zur Erhebung von Präferenzstrukturen sehr häufig angewendet wird.147 Diese Studien verweisen auf einen drohenden „information overload“. Konfrontiert man die Befragten mit zu vielen Dimensionen und Ausprägungen, dann sind diese kognitiv überfordert und nicht mehr in der Lage, zwischen den präsentierten Dimensionen und ihren Ausprägungen zu unterscheiden. Sie neigen dazu, die präsentierten Ausprägungen nicht mehr gegeneinander abzuwägen, sondern auf einfachere Entscheidungsregeln überzugehen, sich zum Beispiel nur noch auf die in ihren Augen relevantesten Eigenschaften zu konzentrieren. In diesem Zusammenhang wird daher empfohlen, nicht mehr als sechs Dimensionen mit maximal vier bis fünf Ausprägungen einzusetzen (vgl. Green, Srinivasan 1990: 9; Klein 2002b: 14; Malhotra 1982). Diese Empfehlung erscheint, solange genauere Untersuchungen ausstehen, als Faustregel auch für die Konstruktion von faktoriellen Surveys sinnvoll (vgl. Dülmer 2004: 34). Eine möglichst geringe Zahl an Dimensionen und Ausprägungen kann sich nämlich zweitens auch im Hinblick auf die statistische Analyse von faktoriellen Surveys als vorteilhaft erweisen. Dies hat etwas mit der besonderen Datenstruktur zu tun, die durch faktorielle Surveys erzeugt wird: Für jeden Befragten liegen mehrere Vignettenurteile vor. Es ist zudem davon auszugehen, dass die einzelnen Vignettenurteile nicht nur durch die vom Forscher experimentell variierten Dimensionsausprägungen beeinflusst werden, sondern auch befragtenspezifische Varianzen im Urteilsverhalten auftreten. In der Statistik spricht man in diesem Zusammenhang von einer hierarchischen Datenstruktur (vgl. ausführlicher Kap. 10.1). Solche hierarchischen Datenstrukturen eröffnen einerseits die Option, für jeden Befragten eine eigene, befragtenspezifische Regression zu schätzen und auf diese Weise befragtenspezifische Varianzen im Urteilsverhalten genauer zu analysieren (vgl. Hechter et al. 1999: 411ff.). Zu ihrer Analyse eignen sich andererseits aber auch statistische Analyseverfahren, die die Ebene der einzelnen Vignettenurteile und die Ebene der einzelnen Befragten als getrennte Analyseebenen mit in die statistische Modellierung einbeziehen.148 Bei diesen statistischen Modellierungen ist aber auf der Ebene der Vignettenurteile auf eine gewisse Relation zwischen der Anzahl der unabhängigen Variablen und der Anzahl der Fälle zu achten. Präziser ausgedrückt sollte die Zahl der unabhängigen Variablen k höchstens gleich der Zahl an Vignetten pro Person minus eins sein, da das statistische Modell ansonsten überdeterminiert ist (vgl. Jasso 2006: 342). Dabei muss zusätzlich in Rechnung gestellt werden, dass sich die Zahl der unabhängigen Variablen im statistischen Modell erhöht, wenn Dimensionen mit mehr als zwei Ausprägungen eingesetzt werden. Diese Di-
147
Faktorieller Survey und Conjoint Measurement (auch Conjoint-Analyse) sind eng miteinander verwandte Messmethoden, obwohl sie in der Literatur in der Regel völlig getrennt voneinander behandelt werden (vgl. zu dieser Einschätzung Dülmer 2004: 22; eine Ausnahme bildet Klein 2006). Der wesentlichste Unterschied besteht darin, dass beim Conjoint Measurement die abhängige Variable meistens mittels eines Ranking-Verfahrens erhoben wird, während beim faktoriellen Survey üblicherweise eine Rating-Skala zum Einsatz kommt. Aus den daraus resultierenden unterschiedlichen Skalenniveaus der abhängigen Variable ergeben sich auch Unterschiede in den statistischen Analyseverfahren, die zur Auswertung von Conjoint-Daten und faktoriellen Survey-Daten eingesetzt werden (vgl. Dülmer 2007: 406). Zur Anwendung des Conjoint Measurement in der Politikwissenschaft vgl. Klein 2002a und Arzheimer, Klein 2000. 148 Solche Analyseverfahren sind die klassischen Slopes-as-Outcomes-Modelle und ihre modernen Weiterentwicklungen, die so genannten Mehrebenenmodelle oder Hierarchisch Linearen Modelle. Sie werden in den Kapiteln 10 und 11 vorgestellt.
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Das Messinstrument faktorieller Survey
mensionsausprägungen müssen nämlich im Zuge der statistischen Analyse in DummyVariablen umgewandelt werden. Drittens wird die Vignettenpopulation, also die Zahl der logisch möglichen und voneinander unterschiedlichen Vignetten, schnell sehr groß, wenn relativ viele Dimensionen mit vielen Ausprägungen berücksichtigt werden. Einige Autoren warnen daher mit Verweis auf die „explodierende“ Vignettenzahl vor zu vielen Dimensionen mit zu vielen Ausprägungen (vgl. Finch 1987: 111; Beck, Opp 2001: 287). Zwar ist die Vignettenpopulation selbst bei wenigen Dimensionen und wenigen Ausprägungen in der Regel so umfangreich, dass den Befragten nicht alle logisch möglichen Vignetten präsentiert werden können, sondern nur eine Auswahl aus dieser Vignetten-Gesamtzahl (sh. hierzu den folgenden Abschnitt); eine sehr große Vignettenpopulation verkompliziert aber diesen Teilschritt der Designkonstruktion zusätzlich. In der Literatur findet sich außerdem die Empfehlung, das Design so zu wählen, dass alle Variablen über eine identische Anzahl an Merkmalsausprägungen verfügen (vgl. Dülmer 2001: 34). Hintergrund dieser Empfehlung ist ein „number-of-level effect“, der in der Conjoint-Forschung diskutiert wird. Er ist auch für solche Conjoint-Analysen dokumentiert, deren abhängige Variable mittels einer Rating-Skala gemessen wurde, was exakt einem faktoriellen Survey-Design entspricht. Demzufolge kann eine ungleiche Anzahl an Dimensionsausprägungen dazu führen, dass die Befragten denjenigen Dimensionen mit einer höheren Anzahl von Ausprägungen eine größere relative Wichtigkeit zusprechen als den Dimensionen mit einer geringen Zahl an Merkmalsausprägungen (vgl. Verlegh, Schifferstein, Wittink 2001: 5; Wittink, Krishnamurthi, Reibstein 1989). Es besteht allerdings keine Übereinstimmung in der Forschungsliteratur, ob diese Balanciertheit der Anzahl der Dimensionsausprägungen wesentlich ist oder nicht.149 Darüber hinaus finden sich zahlreiche faktorielle Survey-Studien mit einer unbalancierten Anzahl von Merkmalsausprägungen (vgl. Jasso, Rossi 1977; Jasso, Opp 1997; Carlson 1999; Hechter et al. 1999; Mäs, Mühler, Opp 2005). Auch im Hinblick auf diesen Aspekt der Designkonstruktion fehlen empirische Studien, die systematisch untersuchen, ob aus einer solchen ungleichen Verteilung der Dimensionsausprägungen negative Effekte resultieren können. Zu 2. Identisch ist bei allen Vignetten die fiktive Grundsituation, in die die variierenden Situationsmerkmale eingebettet sind. Dieses Setting sollte möglichst so auf die Dimensionen und ihre Ausprägungen abgestimmt sein, dass die einzelnen Vignetten, die den Befragten zur Beurteilung vorgelegt werden, realistisch und plausibel wirken (vgl. Finch 1987: 110). Die Befragten können sich dann leichter in die geschilderte Situation hineinversetzen. Gleichzeitig erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine solche Situation tatsächlich schon einmal erlebt haben und reale Orientierungen berichten können. In jedem Fall ist es ratsam, im Rahmen eines Pretests zu ermitteln, als wie lebensnah eine bestimmte Vignettensituation vom anvisierten Befragtenkreis beurteilt wird. Zu 3. Neben der Grundsituation ist auch die Skala, die zur Erhebung der abhängigen Variable eingesetzt wird, bei allen Vignetten identisch. Wie anhand der bereits vorgestellten Beispielvignetten schon deutlich wurde, kommen bei faktoriellen Surveys meistens Rating149
So erwähnen Autoren wie Beck, Opp 2001 bezogen auf den faktoriellen Survey und Benna 1998 bezogen auf das Conjoint Measurement, die ansonsten die einzelnen Teilschritte und Entscheidungen der Designentwicklung sehr ausführlich diskutieren, diesen Aspekt nicht.
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Skalen zum Einsatz. Sie sind leicht zu administrieren und den Befragten in der Regel aus anderen Befragungskontexten vertraut. Solche Skalen bringen allerdings auch gewisse methodische Nachteile mit sich. Als wichtigster methodischer Nachteil von Rating-Skalen gilt deren Anfälligkeit für Response-Sets, also für inhaltsunabhängiges Antwortverhalten. Insbesondere die Tendenz, aus Gründen der vermuteten sozialen Erwünschtheit Skalenwerte am oberen Ende der Skala anzugeben (Zustimmungstendenz), wird in der Literatur beschrieben (vgl. Klein, Arzheimer 1999: 553; Hellevik 1994: 293). Darüber hinaus sind diese Skalen eigentlich kategorialer Art. Die auf diese Weise generierten Daten werden aber üblicherweise wie metrische Daten behandelt150, was deutliche Vorteile im Hinblick auf die statistische Auswertung der Daten mit sich bringt. Statt logistischer Regressionen können die weitaus besser interpretierbaren und aussagekräftigeren OLS-Regressionen eingesetzt werden. Dieser Schachzug wird aber in methodischer Hinsicht kritisch beurteilt. Um diese Problematik zu umgehen, setzen einige faktorielle Survey-Studien statt normaler Rating-Skalen unterschiedliche Varianten der Magnitude-Skalierung ein, die als intelligente Antwort auf eben jene Probleme gelten (vgl. Jasso 2006: 344ff., Hechter et al. 1999). Magnitude-Skalierungen sind aber nicht nur in ihrer praktischen Anwendung für den Befragten voraussetzungsvoll. Auch die Auswertung der auf diese Weise erzeugten Daten ist methodisch anspruchsvoll und aufwändig. Methodenexperimente belegen zudem, dass sich die Ergebnisse von OLS-Regressionen und logistischen Regressionen (Logit- und ProbitModellen) nicht wesentlich unterscheiden (vgl. Jann 2003: 12; Dülmer 2004: 28). Bentler und Chou kommen zu der Einschätzung: „Continous methods can be used with little worry when a variable has four or more categories, but with three or fewer categories one should probably consider the use of alternative procedures“ (Bentler, Chou 1987: 88).
Das forschungspragmatische Vorgehen, einfache Rating-Skalen einzusetzen und dennoch die Daten als metrisch zu behandeln, kann daher bei einer größeren Anzahl an Kategorien als akzeptabel gelten. Die Anzahl der Skaleneinheiten sollte auch deshalb nicht zu gering sein, weil, wie bei faktoriellen Surveys üblich, im Rahmen der Messung nur eine einzige Rating-Skala eingesetzt wird. In solchen Fällen wird in der Literatur eine größere Anzahl von neun plus minus zwei Kategorien empfohlen (vgl. Jäpel 1985: 149f.). Ein weiteres Kriterium bei der Entscheidung über die Anzahl der Kategorien ist die unterstellte Diskriminierungsfähigkeit der Probanden. Auch hier gelten neun plus minus zwei Kategorien noch als zumutbar. Dies gilt zumal dann, wenn es sich bei dem Kreis der Befragten um Personen mit höherem formalen Bildungsniveau, wie beispielsweise Studierende, handelt (vgl. Stier 1996: 70). Neben einer nicht zu geringen Zahl an Skaleneinheiten empfiehlt Stier eine ungerade Kategorienzahl bei gleichzeitiger Wahl eines nicht-forcierten Ratings. Letzteres hilft, Uneindeutigkeiten, die möglicherweise bei der Interpretation einer mittleren Kategorie auftreten könnten, von vornherein zu vermeiden. Solche nicht-forcierten Ratings sehen explizit eine Ausweichkategorie vor, die optisch von den anderen Kategorien getrennt ist und mit „weiß nicht“ etikettiert wird (vgl. Stier 1996: 71f.). Zwar sind forcierte Ratings verlockend, weil sie lückenloses Datenmaterial versprechen, sie zwingen aber den Befragungsteilnehmer unter Umständen, Urteile abzugeben, die sein Wissen oder sein Urteils150
Zur Kontroverse über das Skalenniveau von Ratingskalen vgl. Stier 1996: 74ff..
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vermögen überschreiten, was die Güte der erhobenen Daten mindern kann (vgl. Jäpel 1985: 154). Außerdem können bei nicht-forcierten Ratings echt-neutrale Positionen von pseudoneutralen Positionen unterschieden werden (vgl. Stier 1996: 71f.). 8.5.2 Bestimmung der Vignettenpopulation und der Größe des Vignettensets Nachdem die Vignetten konzipiert sind, kann die so genannte Vignettenpopulation, also die Anzahl aller logisch möglichen Vignetten, berechnet werden. Dazu wird ein kartesisches Produkt gebildet, bei dem die Anzahl der Ausprägungen pro Dimension miteinander multipliziert wird. Wenn also beispielsweise vier Dimensionen mit je zwei Ausprägungen und eine Dimension mit drei Ausprägungen einbezogen werden sollen, dann ergäbe dies eine Vignettenpopulation von 2 x 2 x 2 x 2 x 3=48 Vignetten. Ist die Bildung der Vignetten abgeschlossen, zeigt sich möglicherweise, dass gewisse Kombinationen von Merkmalen nicht sinnvoll sind. Hätte man beispielsweise im Rahmen eines faktoriellen Surveys als Dimensionen Alter und Bildung, dann wären Vignetten mit einer Kombination der Merkmalsausprägungen „Alter unter zwanzig“ und „Hochschulabschluss“ unrealistisch. Es empfiehlt sich, die Vignettenpopulation um solche unrealistischen Kombinationen zu bereinigen. Als nächstes muss festgelegt werden, wie viele Vignetten jedem einzelnen Befragten zur Beurteilung vorgelegt werden. Die Anzahl der Vignetten pro Befragtem wird als Vignettenset bezeichnet. Auch zu diesem Teilaspekt der Designkonstruktion fehlt eine klare Richtlinie. Die Bandbreite an gewählten Setgrößen schwankt erheblich von nur einer Vignette pro Person (vgl. Gibson, Gouws 2002; Emerson et al. 2001; Jann 2003) bis zu Studien, die den Befragten 60 oder sogar 95 Vignetten zumuten (vgl. Jasso, Rossi 1977; Rossi et al. 1974). Welche Anzahl sinnvoll ist, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Einerseits riskiert man Einbußen hinsichtlich der internen Validität der Daten, wenn man den Befragten zu viele Vignetten zumutet. Das Risiko steigt, dass die Qualität der Beurteilung aufgrund von Ermüdungseffekten leidet, sich die Verweigererquote erhöht oder die Beantwortung des Fragebogens abgebrochen wird (Jasso, Opp 1997: 952). Dies gilt insbesondere dann, wenn der faktorielle Survey Bestandteil eines umfassenderen Fragebogens ist, in dem zusätzlich weitere befragtenspezifische Merkmale itembasiert erhoben werden. Beck und Opp empfehlen in diesem Fall nicht mehr als zehn bis zwanzig Vignetten. Aber auch der Schwierigkeitsgrad der Vignetten sowie das vermutete Interesse der Befragten an dem Thema des faktoriellen Surveys sollten bei dieser Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. Beck, Opp 2001: 290). Bei schwierigen Vignetten, die dem Befragten ein relativ hohes Maß an kognitiver Anstrengung abverlangen, ist eine kleinere Setgröße ratsam. Gleiches gilt, wenn man vermuten kann, dass das Interesse der Befragten an einer spezifischen Themenstellung eher mäßig ist. Davon ist auszugehen, wenn es sich bei den Befragten nicht um Experten handelt oder aus anderen Gründen ein besonderer emotionaler Bezug zum Themenkomplex angenommen werden kann, der zu einer überdurchschnittlichen Motivation bei der Beantwortung führen könnte. Andererseits hat die Anzahl der pro Person vorliegenden Vignettenurteile beziehungsweise die Relation dieser Vignettenurteile zur Anzahl der sich aus den Dimensionsausprägungen ergebenden, unabhängigen Variablen Implikationen für die späteren Mög-
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lichkeiten der statistischen Auswertung. Wie oben schon bei dem Unterpunkt Wahl der Dimensionen erwähnt, ist die Differenz zwischen der Zahl der Regressoren in der Schätzgleichung und der Zahl der Fälle ausschlaggebend. Diese Differenz wird in der Statistik als Freiheitsgrade bezeichnet. Damit Regressionen geschätzt werden können, müssen Freiheitsgrade vorliegen. Der extremste denkbare Fall wäre eine Regression auf Basis nur eines Freiheitsgrades. Gleichzeitig gilt aber auch, dass die Präzision der Schätzergebnisse leiden kann, wenn eine Regressionsanalyse auf nur sehr wenigen Freiheitsgraden basiert (vgl. Jasso, Opp 1997: 962). Sind entsprechend befragtenspezifische OLS-Regressionen als eigener Analyseschritt oder im Rahmen von sogenannten Slopes-as-Outcome-Modellen geplant, muss darauf geachtet werden, dass genügend Freiheitsgrade vorhanden sind. Beim Einsatz der moderneren Hierarchisch Linearen Modelle sollten sich diese typischen Probleme kleiner Fallzahlen dagegen weniger gravierend auswirken. In jedem Fall ist es sinnvoll, schon bei der Designplanung genau solche Fragen der statistischen Validität der erzeugten Daten mit zu berücksichtigen. 8.5.3 Entscheidung über Art und Umfang der Stichprobe Im Hinblick auf die Stichprobenzusammensetzung müssen bei der Konzeption eines faktoriellen Surveys zwei grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden: Welche Art von Stichprobe soll eingesetzt werden, und wie groß soll die Stichprobe sein? Hinsichtlich der Art der Stichprobe gibt es zum einen diejenigen Verfahren, die danach streben, alle Merkmale der Grundgesamtheit möglichst gut widerzuspiegeln. Vor allem Verfahren der zufälligen Zufallsstichprobenziehung (Wahrscheinlichkeitsauswahlen) (vgl. Schumann 1997: 82ff.) erlauben ein vergleichsweise hohes Maß an Repräsentativität, weshalb auf ihrer Grundlage inferenzstatistische Schlüsse auf die gesamte Bevölkerung möglich sind.151 Bei willkürlichen Stichprobenauswahlen (Gelegenheitsstichproben) ist diese Möglichkeit der Verallgemeinerung der Stichprobenergebnisse nicht gegeben. Gelegenheitsstichproben können aber durchaus völlig ausreichend sein, wenn es um den Test von Zusammenhangshypothesen geht. Dieser Aspekt der Designkonstruktion wurde in Verbindung mit dem Kritikpunkt der externen Validität schon ausführlich diskutiert (vgl. Kap. 6.4). Empirisch arbeitende Politikwissenschaftler, besonders solche, die aus dem Bereich der klassischen Umfrageforschung kommen, neigen manchmal dazu, nicht-repräsentative Stichproben grundsätzlich kritisch zu betrachten. Wie schon gezeigt, ist aber eine pauschale Empfehlung einer repräsentativen Stichprobenziehung wenig sinnvoll (vgl. zu dieser Diskussion ausführlich Kap. 9.4). Ratsamer erscheint es vielmehr, von Fall zu Fall über die Art der Stichprobenzusammensetzung zu entscheiden. Welcher Stichprobenumfang bei einem geplanten faktoriellen Survey sinnvoll ist, lässt sich ebenfalls nicht pauschal beantworten, sondern hängt unter anderem von der Anzahl der Dimensionen und ihren Ausprägungen, von der gewählten Setgröße und von der intendierten statistischen Analysestrategie ab. Zudem kommt an dieser Stelle ein Aspekt ins Spiel, der den faktoriellen Survey zur Primärerhebung von Daten so attraktiv macht: Da eine hierarchische Datenstruktur produziert wird, orientiert sich die Zahl der Fälle, die in die 151
Allerdings ist auch die „Repräsentativität der Ergebnisse“ durch die sinkende Teilnahmebereitschaft an Umfragen bedroht. Zum Thema Non-Response und seine Auswirkungen vgl. Schneekloth, Leven 2003 sowie Neller 2005.
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statistische Analyse einfließen, nicht nur an der Zahl der Befragten, sondern auch an der Zahl der einzelnen Vignettenurteile. Wenn beispielsweise Hierarchisch Lineare Modelle zur Analyse von faktoriellen Survey-Daten eingesetzt werden, was sich aus mehreren Gründen empfiehlt (vgl. Kap. 11.2.3), dann erzielt man schon mit einer moderaten Stichprobengröße von n = 100 Personen bei acht Vignetten pro Person auf der ersten Analyseebene Fallzahlen von n = 800 bei 100 Fällen auf der zweiten Analyseebene. Dies ist eine Größenordnung, die hinsichtlich der Robustheit der zu schätzenden Parameter als unproblematisch gilt.152 8.5.4 Verteilung der Vignetten auf die Befragten Auf Basis von drei Informationen, nämlich der Größe der bereinigten Vignettenpopulation, der Größe des Vignettensets sowie der (vermutlichen) Größe der Stichprobe berechnet sich die Verteilung der Vignetten auf die Befragten. Sie folgt folgendem Schlüssel: Abbildung 30: Berechnung der Verteilung der Vignetten auf die Befragten Ausgangssituation: Vignettenpopulation (NV): 2 x 2 x 2 x 2 x 2=32 Größe des Vignettensets (NV/B): 8 Anzahl der Befragten (NB): 280 Verteilung der Vignetten: Anzahl der zu bildenden Sets (NS= NV/NV/B): 32/8=4 Anzahl der Befragten pro Set (NB/S= NB/NS): 280/4=70 Anm.: Die Berechnung erfolgt auf Basis fiktiver Zahlenwerte. Die Anzahl der zu bildenden Sets ergibt sich aus der Größe der Vignettenpopulation dividiert durch die gewählte Größe des Vignettensets. Wenn also beispielsweise die Vignettenpopulation aus 32 Vignetten besteht und jeder Befragte acht Vignetten beurteilen soll, dann müssten in diesem Fall vier Vignettensets gebildet werden. Um die Anzahl der Befragten zu ermitteln, denen eine solche identische Zusammenstellung von Vignetten vorgelegt wird, muss die angepeilte oder bereits feststehende Größe der Befragtenstichprobe durch die Anzahl der zu verteilenden Sets dividiert werden. Bei einer geschätzten Stichprobengröße von 280 Personen würde dementsprechend jede Vignette 70-fach beurteilt. 152
In der Fachliteratur zur Mehrebenenanalyse werden je nach Autor 20 oder 30 Fälle auf der zweiten Analyseebene als Minimum genannt, 100 Fälle gelten als völlig unproblematisch. Auf der ersten Ebene sollte die Gruppengröße fünf nicht unterschreiten (de Leeuw, Kreft 1995: 172; Maas, Hox 2004a 131). Zum kontrovers diskutierten und komplexen Thema Robustheit der Parameter bei Mehrebenenanalysen siehe auch Snijders, Bosker 1999: 140ff. sowie Hox 2002: 173ff..
Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys
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Allerdings müssen dazu die 32 Vignetten noch auf die Teilmenge von acht Vignetten reduziert werden, die die 280 Befragten jeweils beurteilen sollen. Zur Bildung eines solchen reduzierten Designs aus dem vollen faktoriellen Design wird bei faktoriellen Surveys relativ häufig eine zufällige Auswahl vorgenommen. Bleibt man bei dem in der Abbildung gewählten Beispiel, dann werden bei diesem Verfahren aus der Population der Vignetten per Zufallsprinzip vier Sets mit je acht Vignetten ausgewählt. Diese Sets werden ebenfalls zufällig den Befragten zugeteilt. Geschieht diese Auswahl ohne Zurücklegen der bereits ausgewählten Vignetten, werden auf diese Weise alle 32 Vignetten zugeteilt. Häufig ist bei faktoriellen Surveys die Vignettenpopulation allerdings erheblich größer. Schon bei einem Design mit beispielsweise fünf Dimensionen und je vier Ausprägungen wächst die Zahl der Vignetten auf 45=1024 Stück. Bei solch großen Vignettenpopulationen besteht die Möglichkeit, in einem ersten Schritt aus der Nettopopulation der Vignetten eine Stichprobe zu ziehen. Diese Stichprobe wird dann in der beschriebenen Weise zufällig zu Sets gebündelt und auf die Befragten verteilt. In manchen Studien wird auch für jeden einzelnen Befragten eine eigene kleine Stichprobe gezogen, die dann das Vignettenset bildet (vgl. Rossi, Anderson 1982: 40f.). Allerdings ist diese Variante der Zuteilung relativ aufwändig und bietet sich zudem eher bei sehr großen Vignettenpopulationen an.153 Eine bei faktoriellen Surveys eher selten, beim Conjoint-Measurement aber sehr häufig eingesetzte Alternative zur Zufallsauswahl stellt die experimentelle Auswahl dar (vgl. ausführlich Dülmer 2007). In diesem Zusammenhang kommen häufig fraktionalisierte faktorielle Designs zum Einsatz (vgl. Addelman 1962; Louviere 1988: 35ff.). Bei fraktionalisierten faktoriellen Designs wird den Befragten eine systematisch getroffene Auswahl an Dimensionsausprägungen vorgelegt, die so beschaffen ist, dass sie das volle faktorielle Design in zentralen Aspekten unverzerrt repräsentiert. Hierzu existieren in der experimentellen Forschung für eine Reihe von Designs sogenannte orthogonale Versuchspläne. Diese legen fest, welche Stimuli bei einer gegebenen Kombination von Dimensionen beziehungsweise Dimensionsausprägungen unbedingt notwendig sind, damit im Rahmen der statistischen Auswertung die Haupteffekte des Modells geschätzt werden können.154 Korrelationen zwischen den Ausprägungen der Dimensionen sind in diesen Designs teilweise oder vollständig ausgeschlossen (Orthogonalität) (vgl. Hair 1998: 114). Je nachdem wie stark diese vorgenommene Reduzierung auf die Haupteffekte ist, ist die Schätzung bestimmter oder aller Interaktionseffekte in diesen Designs entsprechend ausgeschlossen (vgl. Mason, Gunst, Hess 1989: 161ff.). Eine solche systematische Reduktion auf die Haupteffekte kann gegenüber der Auswahl per Zufallsprinzip den Vorteil haben, dass sie unter sonst gleichen Bedingungen, also bei einer gleichen Anzahl der Vignetten pro Befragtem, zu einer maximalen Effizienz der statistischen Schätzwerte beiträgt (optimales Design). Bei systematisch reduzierten Designs kommt nämlich jede Dimensionsausprägung 153
Wenn für jeden Befragten eine eigene Stichprobe gezogen wird, besteht bei kleineren Stichproben und Variablen mit wenigen Ausprägungen unter anderem die Gefahr, dass sich bestimmte Effekte für einzelne Befragte nicht mehr schätzen lassen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn zufällig eine unabhängige Variable bei einem Befragten nur eine Ausprägung aufweist. Zu diesen Problemen, die bei einer zufälligen Stichprobenziehung auftreten können, vgl. Dülmer 2004: 39. 154 Addelman hat diese Versuchspläne entwickelt und mathematisch nachgewiesen, dass zur Erfüllung der beiden Anforderungen (Ausschluss von Interaktionen bei gleichzeitiger Schätzung der Haupteffekte) die Bedingung der proportionalen Häufigkeit notwendig und hinreichend ist. Demnach gilt für zwei beliebige Merkmale, dass die Ausprägungen des einen Merkmals über alle Stimuli gleich häufig auftreten müssen wie alle Ausprägungen des anderen Merkmals in einem der Stimuli (vgl. Benna 1998: 89; Addelman 1962).
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Das Messinstrument faktorieller Survey
gleich häufig vor, bei randomisierten Selektionen können bestimmte Ausprägungen dagegen häufiger vorkommen als andere (vgl. Steiner, Atzmüller 2006: 123).155 Gleichzeitig ist Multikollinearität, wie bereits oben erwähnt, durch die Reduktion auf die Haupteffekte ausgeschlossen. Dadurch sind die Standardfehler der Schätzung maximal möglich reduziert, was sich positiv auf die Effizienz der individuellen Steigungskoeffizienten auswirkt (vgl. Dülmer 2004: 40). Weil die Schätzung der Effekte bei einer systematischen Reduktion mit Hilfe experimenteller Versuchspläne effizienter ist als bei anderen Vignettenreduktionsstrategien, kann der Umfang der Befragtenstichprobe bei gleichbleibender Güte der Schätzungen reduziert werden (vgl. Steiner, Atzmüller 2006: 143). Das ist insofern interessant, als bei komplexen Themenstellungen immer die Gefahr besteht, dass sich zu viele Vignetten pro Befragtem negativ auf die Validität der erhobenen Daten auswirken. Der Einsatz solcher fraktionalisierter Designs ist insbesondere dann eine attraktive Variante zum zufälligen Ziehen der Vignetten, wenn die Dimensionen alle über die gleiche Anzahl an Dimensionsausprägungen verfügen. Bei gemischten Designs, bei denen sich die einzelnen Dimensionen in der Anzahl ihrer Ausprägungen unterscheiden, wird die Fraktionalisierung dagegen sehr komplex, und je nach Designtyp kann nur ein Bruchteil der Vignetten ausgewählt werden (vgl. ebd.: 122).156 Eine systematische experimentelle Auswahl der Vignetten empfiehlt sich daher vor allem bei sparsamen Designs mit einer relativ kleinen Vignettenpopulation. 8.5.5 Präsentation der Vignetten Zunächst ist über die grundsätzliche Art der Präsentation der Vignetten zu entscheiden. Es lassen sich zwei verschiedene Varianten unterscheiden: In der Mehrzahl der faktoriellen Surveys bedient man sich einer Methode, bei der den Befragten eine bestimmte Anzahl einzelner Vignetten auf einmal vorgelegt wird, die je nach Art der Konstruktion der Vignetten aus einer zufälligen oder systematischen Kombination von Dimensionsausprägungen bestehen. Sie werden gebeten, die einzelnen Vignetten unabhängig voneinander zu beurteilen. In der Conjoint-Analyse wird dieses Verfahren als Profilmethode bezeichnet. Alternativ dazu und weitaus seltener wird die Präsentationsmethode des paarweisen Vergleichs (paired comparison) eingesetzt (vgl. Buskens, Weesie 2000a). Hierbei werden den Befragten nacheinander unterschiedliche Vignettenpaare vorgelegt. Sie werden gebeten, jeweils zu entscheiden, welche der beiden Vignetten sie bevorzugen. Auf diese Weise wird eine Art „Mini-Ranking“ erstellt. Im Hintergrund steht die Annahme, dass den Befrag155
Der Einsatz orthogonaler Versuchspläne garantiert damit ein höheres Maß an Balanciertheit. Vollständige Balanciertheit wäre bei einem faktoriellen Survey dann erreicht, wenn alle durch die im Design vorgesehenen Dimensionsausprägungen erzeugten Zellen gleichmäßig besetzt wären. Neben einer Zufallsauswahl gibt es allerdings noch weitere Faktoren, die die Balanciertheit mindern. Der Grad an Balanciertheit der Daten ist auch dann reduziert, wenn für die tatsächlich ausgewählten Vignetten nicht gleich viele Messungen zustande kommen. Das kann der Fall sein, wenn Befragte nicht jede ihnen präsentierte Vignette beurteilen oder wenn die einzelnen Vignettensets ungleich häufig verteilt werden (vgl. Steiner, Atzmüller 2006: 139). 156 Hilfestellungen bei der Konstruktion der Vignetten und der Vignettensets bietet ein spezielles Computerprogramm, das Beck und Opp kostenlos im Internet zur Verfügung stellen (nähere Hinweise bei Beck, Opp 2001). Mit Hilfe dieses Programms können Vignetten erstellt und nach dem Prinzip der randomisierten Auswahl zu Vignettensets gebündelt werden. Eine Möglichkeit zur systematischen Reduktion von Vignetten eröffnet unter anderem SPSS. Dort können mittels des Menüunterpunktes „orthogonales Design“ experimentelle Versuchspläne erzeugt werden.
Die Konstruktion eines faktoriellen Surveys
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ten bei der Profilmethode relativ komplexe Entscheidungen abverlangt werden. Gerade bei sehr komplexen Themen beziehungsweise bei relativ vielen Dimensionen und Dimensionsausprägungen sollte es ihnen, dieser Argumentation entsprechend, leichter fallen, zwischen zwei Vignetten zu diskriminieren, als jede einzelne Vignette für sich genommen so zu beurteilen, dass sich ein einigermaßen konsistentes Antwortmuster ergibt. Allerdings verkompliziert diese Präsentationsmethode die statistische Analyse und minimiert den Informationsgehalt der Daten. Statt linearer Analyseverfahren müssen komplexe Probit-Modelle eingesetzt werden, mittels derer die Wahrscheinlichkeit ermittelt wird, mit der eine Vignette einer anderen Vignette vorgezogen wird (vgl. Buskens, Weesie 2000a). Etwaige Vorzüge im Hinblick auf die interne Validität der erhobenen Daten werden damit um den teuren Preis einer deutlich minimierten statistischen Verwertbarkeit dieser Daten erkauft. Unter dem Strich erscheint es daher vielversprechender, die Profilmethode einzusetzen, gleichzeitig aber darauf zu achten, dass das gewählte Design möglichst sparsam ist, das heißt aus möglichst wenigen Dimensionen bzw. Dimensionsausprägungen besteht. Auch hinsichtlich der Gestaltung der einzelnen Vignetten selbst gibt es wiederum zwei Optionen: Es besteht die Möglichkeit, die Dimensionsausprägungen in einen Fließtext zu kleiden und in mehreren Sätzen zu beschreiben.157 Alternativ dazu können die Dimensionsausprägungen aber auch stichwortartig unterhalb des Textblockes aufgelistet werden, der die fiktive Grundsituation schildert. Drittens ist über die Art der Befragung zu entscheiden. Üblicherweise werden faktorielle Surveys in Form einer schriftlichen Befragung durchgeführt. Die Fragebögen werden entweder per Post verschickt, oder aber die Befragung wird bei fest definiertem Befragungsumfeld (z. B. einem Seminarraum) in Anwesenheit einer instruierenden Person durchgeführt. In der Regel werden dabei als Selbstausfüller administrierte Fragebögen eingesetzt. Alternativ zur postalischen Befragung gibt es erste faktorielle Survey-Studien, die mit Online-Fragebögen arbeiten (vgl. Vieth 2003). Alle drei Befragungsformen sind mit charakteristischen Vor- und Nachteilen verbunden. Gegen die postalische Befragung wie die Online-Befragung spricht, dass der faktorielle Survey auch aufgrund seines geringen Bekanntheitsgrades bei vielen Befragten vermutlich Irritationen auslöst, die bei Anwesenheit einer instruierenden Person besser aufgefangen werden können. Faktorielle Surveys sind nicht unbedingt selbsterklärend, was bei postalischen Befragungen (und auch bei Online-Befragungen) der Fall sein sollte (vgl. Diekmann 1999: 439). Die Verwunderung über die ungewohnte Form des Fragebogenaufbaus lässt sich allerdings durch einige einführende Informationen zur Befragungsmethode leicht beheben. Natürlich können diese Informationen auch schriftlich gegeben werden, die Instruktionen finden aber vermutlich eher Gehör, wenn sie mündlich erfolgen. Zudem ist der faktorielle Survey ein komplexes Messinstrument, das den Befragten ein relativ hohes Maß an kognitiver Anstrengung abverlangt und gleichzeitig relativ eintönig sein kann. Bei postalischen Befragungen ist daher die Gefahr sehr hoher Abbrecherbzw. geringer Rücklaufquoten gegeben. Vor diesem Hintergrund erscheint die schriftliche Befragung, die bei fest definiertem Befragungsumfeld unter Anwesenheit einer instruierenden Person durchgeführt wird, die bessere Alternative zu sein, weil sie die Abbruchschwelle sicherlich erhöht. Allerdings ist hierbei ein Antwortverhalten nach sozialer Erwünschtheit nicht völlig auszuschließen, weil der Erhebungsmodus zwar privater als bei 157
Beim Conjoint-Verfahren wird diese Form der Präsentation der Stimuli in einem Fließtext als ParagraphBeschreibung bezeichnet (vgl. Benna 1998: 94).
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Das Messinstrument faktorieller Survey
einem face-to-face-Interview, aber dennoch weniger privat als bei einer postalischen Befragung ist.
9 Festlegung des Erhebungsdesigns
Nach dieser allgemeinen Einführung in die faktorielle Survey-Technik ist es das Ziel des folgenden Kapitels, das spezifische Erhebungsdesign vorzustellen, das im Rahmen dieser Studie zum Einsatz gekommen ist. Es besteht, wie bereits erwähnt, aus einem zweiteiligen Fragebogen. Den ersten und zentralen Teil dieses Fragebogens bildete ein faktorieller Survey, der in Kapitel 9.1 vorgestellt wird. Er diente der Operationalisierung und empirischen Überprüfung von Kernannahmen der ökonomischen Vertrauenstheorie. Faktorielle Surveys eignen sich nämlich, wie schon gezeigt worden ist, sehr gut zur Erhebung und empirischen Analyse bestimmter Arten von latenten Konstrukten wie Einstellungen, Erwartungen, normative Überzeugungen oder Verhaltensintentionen, bei denen davon ausgegangen wird, dass ihre Ausprägungen abhängig von situativ gegebenen Bedingungen variieren (vgl. Kap. 8.2). Aus Rational Choice-Perspektive (SEU-Theorie) ist Vertrauen ein solches konditionales Konstrukt. Es ist konzeptualisiert als eine kognitive Erwartung des Treugebers bezüglich der Vertrauenswahrscheinlichkeit des Treuhänders, die in Abhängigkeit von den gegebenen Anreizbedingungen situationsspezifisch gebildet wird. Im achten Kapitel dieser Arbeit sind zentrale Brückenannahmen theoretisch hergeleitet worden, die diese Konditionalität des Vertrauens näher spezifizieren. Sie bringen die aus Rational Choice-Perspektive relevanten, situativen Rahmenbedingungen und diese kognitive Vertrauenserwartung in einen kausalen Zusammenhang. Der faktorielle Survey, der im Rahmen dieser Studie konzipiert worden ist, dient dazu, diese kognitive Vertrauenserwartung zu erheben. Wertet man die so generierten Daten statistisch aus, dann lässt sich zudem diese angenommene Konditionalität des Vertrauens empirisch testen. Da das Ziel des empirischen Teils dieser Studie darin besteht, zu überprüfen, ob sich eine Theorieintegration in Form einer kausalen Sequenz von ökonomischer und soziologischer Vertrauenstheorie auch im empirischen Test bewährt, muss das Erhebungsdesign noch eine zentrale zweite Aufgabe erfüllen: Es muss auch eine adäquate Operationalisierung und Messung des im Rahmen des soziologischen Ansatzes der Politischen Kulturforschung vertretenen generellen Vertrauenskonzeptes leisten. Aus dieser Perspektive ist Vertrauen eine situationsunabhängig stabile, generelle Einstellung. Während empirische Tests der ökonomischen Vertrauenstheorie noch Seltenheitsstatus haben, wird dieses generelle Vertrauen in andere Menschen in vielen nationalen und internationalen Datensätzen abgefragt, und es liegen zahlreiche empirische Studien vor, die Annahmen über Determinanten und Effekte des generellen Vertrauens empirisch überprüfen (vgl. Kap. 2). Zur Operationalisierung des generellen Vertrauens wird häufig auf bestimmte Einstellungsitems zurückgegriffen, die anschließend zu einem Vertrauensindex kombiniert werden. Der ergänzende Fragebogen, der den zweiten Teil des Erhebungsinstrumentes bildet, diente in erster Linie der Erhebung dieser Items. Diese Operationalisierung des generellen Vertrauens wird in Kapitel 9.2 näher vorgestellt und diskutiert.
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Festlegung des Erhebungsdesigns
9.1 Faktorieller Survey Die Konstruktion jedes faktoriellen Surveys nimmt ihren Ausgangspunkt in der Konzeption der Vignetten, die den Befragten zur Beurteilung vorgelegt werden (vgl. Kap. 8.5.1). 9.1.1 Konzeption der Vignetten Zunächst müssen dazu relevante Dimensionen bestimmt werden. Sie bilden die unabhängigen Variablen, von denen angenommen wird, dass sie die Ausprägung der gewählten abhängigen Variablen, also der kognitiven Vertrauenserwartung, maßgeblich beeinflussen. Im vorliegenden Fall kann die Auswahl der Dimensionen strikt theoriegeleitet erfolgen. Sie orientiert sich an den in Kapitel 7.2 theoretisch hergeleiteten und begründeten Brückenhypothesen. Wie dort dargestellt wurde, sind es im Besonderen vier Arten von situativen Anreizstrukturen, die als relevant für die Bildung spezifischer Vertrauenseinstellungen gelten: 1. 2. 3. 4.
Zum einen wird aus ökonomischer Perspektive angenommen, dass die subjektive Vertrauenswahrscheinlichkeit dann umso höher sein sollte, wenn der Treugeber erwartet, dass er dem Treuhänder in Zukunft erneut begegnen wird. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass erfolgreiche Interaktionen von Treugeber und Treuhänder in der Vergangenheit die Vertrauenswahrscheinlichkeit positiv beeinflussen. Drittens nimmt man an, dass ein dichtes, geschlossenes Netzwerk an gemeinsamen Kontakten, in das Treugeber und Treuhänder eingebunden sind, die Vertrauenswahrscheinlichkeit positiv beeinflusst. Eine vierte zentrale Hypothese behauptet, dass sich die Vertrauenswahrscheinlichkeit erhöht, wenn der Treuhänder eine freiwillige Selbstbindung eingeht, also eine Art Pfand oder Garantie (Commitment) dafür anbietet, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen wird.
Es gilt nun, eine fiktive Grundsituation zu konstruieren, die zu diesen Dimensionen passt. Diese Situation sollte gleichzeitig mehreren Aspekten gerecht werden: Es sollte plausibel sein, dass die vier ausgewählten Dimensionen in dieser Situation eine Rolle spielen. Gleichzeitig sollte diese Situation aber auch nicht zu künstlich und konstruiert wirken. Um das Risiko einer kognitiven Überforderung eines Teiles oder aller Befragten zu vermeiden, sollte die Vignettensituation zudem für die Befragten gut verständlich sein, und ihre Beantwortung sollte als nicht zu schwierig eingeschätzt werden. Da eine Gelegenheitsstichprobe aus Studierenden die Datenbasis bildet (vgl. ausführlicher Kap. 9.1.3), sollte zudem gewährleistet sein, dass diese Situation der Lebenswelt von Studierenden relativ nahe kommt. Schließlich ist zu beachten, dass die Vertrauensentscheidung aus der Perspektive der SEU-Theorie als eine Entscheidungssituation unter Risiko konzeptualisiert ist. Der Treugeber verfügt nicht über vollständige Information und kann entsprechend nur auf Basis von Vermutungen über das Verhalten des Treuhänders entscheiden. Er muss einen Verlust in Kauf nehmen, wenn seine subjektive Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, mit der sich der Interaktionspartner kooperativ verhalten und die einseitige Gegenleistung angemessen
Faktorieller Survey
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erwidern wird, als unzutreffend erweist. Die Vignettensituation sollte dieses Risiko widerspiegeln. Wie ein Pretest gezeigt hat, erfüllt das folgende Szenario diese Kriterien recht gut.158 Es schildert ein Vertrauensdilemma zwischen einem Mieter, in dessen Rolle der Befragte schlüpft, und seinem Vormieter: Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon einmal auf sein Konto zu überweisen.
Die kooperative Vorleistung besteht in diesen Vignettenszenario darin, dass der Mieter, der den Part des Treugebers innehat, eine bestimmte Geldsumme überweisen soll, bevor der Vormieter (Treuhänder) eine in Aussicht gestellte Gegenleistung erbracht hat. Jeder der vier Dimensionen wurden nun zwei binäre Ausprägungen der Form „Merkmal liegt vor“ versus „Merkmal liegt nicht vor“ zugeordnet. Die auf die fiktive Grundsituation abgestimmte Operationalisierung der Dimensionsausprägungen lautet:
158
Im Rahmen dieses Pretests wurden 19 Studierenden je zehn Vignetten des faktoriellen Survey sowie ein ergänzender Fragebogen mit einigen Fragen zu dessen Evaluierung vorgelegt. Dieser ergänzende Fragebogen beinhaltete unter anderem Fragen nach der Verständlichkeit (0 = überhaupt nicht verständlich, 10 = sehr verständlich) und dem wahrgenommenen Schwierigkeitsgrad des faktoriellen Survey (0 = überhaupt nicht schwierig, 10 = sehr schwierig) sowie nach der wahrgenommenen Realitätsnähe der beschriebenen Situation (0 = überhaupt nicht realistisch, 10 = sehr realistisch). Dabei ergab sich, dass die konstruierte Situation als gut verständlich (Mittelwert = 8,72; Standardabweichung = 0,958), mäßig schwierig (Mittelwert = 3,44; Standardabweichung = 2,833), und relativ realistisch (Mittelwert 6,61; Standardabweichung = 2,547) beurteilt wurde. Ermüdungserscheinungen bei der Beantwortung traten durchschnittlich ab der neunten Vignette auf. Diese quantitativen Evaluationsergebnisse bestätigten sich in einer Diskussion über den Fragebogen mit den Studierenden. Einige Anmerkungen und Kritikpunkte aus diesem qualitativen Evaluationsgespräch wurden aufgenommen und haben dazu geführt, dass vor der Haupterhebung einige Formulierungen im Fragebogen noch einmal geringfügig modifiziert worden sind. Eine alternative Vignettensituation, die mit 20 Teilnehmern eines zweiten Grundseminars getestet wurde, schnitt in der quantitativen wie qualitativen Evaluation schlechter ab, weshalb die Entscheidung fiel, diese in der Haupterhebung nicht zu berücksichtigen.
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Festlegung des Erhebungsdesigns
Abbildung 31: Operationalisierung der unabhängigen Variablen UV Dimension
Dimensionsausprägung
x1
0 = Sie haben ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt.
Vergangenheit
1 = Sie kennen ihren Vormieter schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. x2
Zukunft
+
Netzwerkdichte 0 = Keiner Ihrer Freunde kennt ihren Vormieter. 1 = Der Kontakt zu ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen ihrer Freunde.
x4
+
0 = Ihr Vormieter zieht in eine andere Stadt, um dort sein Studium fortzusetzen. 1 = Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt.
x3
Vermuteter Wirkungszusammenhang bei positiver Ausprägung
Commitment
+
0 = Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. 1 = Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen.
+
Der faktorielle Survey hat damit die Form eines 2 x 2 x 2 x 2-Designs. Die folgende Abbildung zeigt zwei Beispielvignetten, die sich aus unterschiedlichen Kombinationen dieser Merkmale zusammensetzen:
Faktorieller Survey
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Abbildung 32: Beispielvignetten Problemstellung: Kann man dem Vormieter vertrauen? Dem Vormieter kann man … … auf keinen Fall vertrauen 1
2
… auf jeden Fall Weiß nicht vertrauen 3
4
5
6
7
8
9
10
11
Beispielvignette 1: Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. a. Sie kennen Ihren Vormieter zufällig schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. b. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt. c. Der Kontakt zu ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen ihrer Freunde. d. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen. Ihre Bewertung: ____ Beispielvignette 2: Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. e. Sie haben ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt. f. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt. g. Keiner ihrer Freunde kennt ihren Vormieter. h. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. Ihre Bewertung: ___ Die Entscheidung, alle vier unabhängigen Variablen als dichotome Dummy-Variablen mit lediglich zwei binären Ausprägungen zu konzipieren, lässt sich durch mehrere Argumente gut begründen. Erstens werden zwei Ausprägungen der Forderung nach einem sparsamen Design gerecht. Im vorliegenden Fall erscheint ein solches sparsames Design im Hinblick auf die sich eröffnenden Möglichkeiten der statistischen Analyse von Vorteil. In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis der Zahl der Regressoren zur Zahl der pro Person beurteilten Vignetten beziehungsweise die Zahl der verbleibenden Freiheitsgrade wesentlich (vgl. Kap. 8.5.2). Da im konkreten Beispiel aus verschiedenen Gründen nur acht Vignetten
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Festlegung des Erhebungsdesigns
pro Person eingesetzt werden, hätten mehr als zwei Ausprägungen bestimmte statistische Analysemöglichkeiten wie befragtenspezifische Analysen oder Mehrebenenanalysen, die die Ebene des Befragten als eigene Analyseebene berücksichtigen, von vornherein ausgeschlossen, weil die entsprechenden statistischen Modelle überdeterminiert gewesen wären. Neben solchen Aspekten der statistischen Validität der Daten sprechen auch drohende Validitätseinbußen bei der Erhebung selbst für die Beschränkung auf zwei binäre Dimensionsausprägungen. Die Dimensionen weisen nämlich einen relativ hohen Komplexitäts- und Abstraktionsgrad auf. Schon drei Ausprägungen könnten damit zu einem information overload, also zu einer kognitiven Überforderung der Befragungsteilnehmer führen und somit die Gefahr erhöhen, dass auf einfache Entscheidungsheuristiken zurückgegriffen wird, mit negativen Konsequenzen für die Güte der erhobenen Daten.159 Ein zweites Argument setzt an der theoretisch geforderten Bedeutsamkeit der gewählten Ausprägungen an. Es ist empfehlenswert, nur solche Ausprägungen einzubeziehen, bei denen die theoretisch begründete Vermutung besteht, dass mit der Veränderung der gewählten Merkmalsausprägung die abhängige Variable variiert. Mit Blick auf die Dimension Vergangenheit existieren im theoretischen Forschungsstand keine entsprechend differenzierten theoretischen Annahmen, die es rechtfertigen würden, dieser Dimension mehr als Ausprägungen der Form „Merkmal liegt vor vs. Merkmal liegt nicht vor“ zuzuweisen. Hinsichtlich der Dimension Zukunft spricht die theoretische Ausgangslage sogar eindeutig gegen mehr als zwei einander ausschließende Ausprägungen. Aus spieltheoretischer Sicht wird angenommen, dass der Schatten der Zukunft nicht in der unterstellten Weise wirkt, wenn die beteiligten Akteure wissen, wie oft sie sich noch wiedersehen werden, sie also über die Endlichkeit ihrer zukünftigen Beziehung informiert sind. Dann kommt es nämlich zu einem Mechanismus, der in diesem Argumentationszusammenhang als backward induction bezeichnet wird (vgl. Kap. 7.2.1.1). Nach diesen Überlegungen sollte also eine Dimensionsausprägung, die eine endliche Zahl an Begegnungen angibt, im Verhältnis zu einer Dimensionsausprägung, die der Beziehung keine Zukunft voraussagt, keine Veränderung in der abhängigen Variable erbringen. Eine Konzeption der Variable Zukunft, die von einer dichotomen Struktur abweichen würde, wäre damit mit den theoretischen Annahmen nicht vereinbar. Die theoretischen Annahmen bezüglich der strukturellen Einbettung sind ebenfalls nicht spezifisch genug, als dass es geraten erschiene, eine Abstufung in mehr als zwei dichotome Dimensionsausprägungen vorzunehmen. Auch im Hinblick auf die vierte Dimension Commitment liefert der theoretische Forschungsstand keine überzeugenden Argumente, um eine Differenzierung über zwei dichotome Merkmale hinaus zu begründen. Es scheint sich zudem bei der Vergabe eines Pfandes um eine Differenzierung zu handeln, die per se nur als dichotome Differenzierung sinnvoll ist. Ein drittes Argument ist semantischer Natur und auf diesen spezifischen Anwendungsbereich des faktoriellen Surveys bezogen: Bei diesen Hypothesen zu den Determinanten des ökonomischen Vertrauens erscheint es schwierig, mehr als zwei klar unterschiedli159
Darauf deuten die statistischen Ergebnisse eines faktoriellen Survey von Rooks und anderen hin (vgl. Rooks et al. 2000). In dieser Studie, die Einbettungseffekte auf Kooperationen zwischen Firmen empirisch untersuchte und dabei ähnliche unabhängige Variablen wie die vorliegende Studie verwendete, wurden zum Teil drei Dimensionsausprägungen verwendet. Wie Buskens und Weesie berichten, zeigte sich empirisch, dass der Effekt der mittleren Dimensionsausprägung mit dem Effekt der höheren oder der geringeren Dimensionsausprägung übereinstimmte. Dies lässt sich ihrer Meinung nach als Indiz dafür werten, dass die Befragten bei solchen relativ komplexen Vignettensituationen nicht in der Lage sind, zwischen mehr als zwei dichotomen Merkmalen zu diskriminieren (vgl. Buskens, Weesie 2000a: 236).
Faktorieller Survey
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che Formulierungen zu finden. Da bisher kaum mehr als eine Handvoll empirische Überprüfungen dieser Hypothesen vorliegen, lässt sich ein relativ einfaches Design mit dichotomen Variablen viertens auch aus forschungspragmatischen Gesichtspunkten rechtfertigen. Statt den zweiten Schritt vor dem ersten zu unternehmen, erscheint es vertretbar und sinnvoll, zunächst zu überprüfen, ob die unterstellten Hypothesen überhaupt eine nennenswerte Varianzaufklärung erbringen, und dazu ein möglichst einfaches Design zu wählen. Abbildung 30 zeigt auch die Rating-Skala, die zur Erhebung der kognitiven Vertrauenserwartung eingesetzt wurde. Die relativ große Zahl von zehn Abstufungen erscheint angesichts der Tatsache, dass der faktorielle Survey mit einer Stichprobe aus Studierenden durchgeführt wurde, unproblematisch. Entsprechend den Empfehlungen in Kapitel 8.5.1 ist die Skala zudem als nicht-forciertes Rating konzipiert, beinhaltet also eine explizite Ausweichkategorie, die mit „weiß nicht“ beschriftet ist.160 Jann weist darauf hin, dass die in faktoriellen Surveys eingesetzten Rating-Skalen nicht robust gegen Effekte der sozialen Erwünschtheit sind. Da den Befragten bei einem faktoriellen Survey mehrere Vignetten vorgelegt werden, besteht aus seiner Sicht die Möglichkeit, dass sie die verschiedenen Antwortalternativen miteinander vergleichen und ihre Bewertungen mit einem aus ihrer Sicht sozial erwünschten Verhalten abgleichen (vgl. Jann 2003: 5). Allerdings sind solche Effekte der sozialen Erwünschtheit bezogen auf dieses spezielle Explanandum, die sich aus unterschiedlichen Erhebungsmodi ergeben, bisher noch nicht systematisch empirisch untersucht worden.161 Jann schränkt selbst ein, dass dieses Problem möglicherweise „aufgrund der üblichen Komplexität der Vignetten abgeschwächt (werde)“ (ebd.). Schließlich unterschieden sich die einer Person vorgelegten Vignetten in der Regel in mehreren Elementen, was ein Abgleichen der Bewertungen erschwere. Dennoch regt er vor diesem Hintergrund an, das Verfahren des faktoriellen Survey so zu modifizieren, dass jedem Befragten nur eine und nicht mehrere Vignetten vorgelegt werden. Er vermutet, dass „Effekte der sozialen Erwünschtheit (…) so weitgehend ausgeschlossen sein (sollten)“ (ebd). Dieser Vorschlag vermag nicht zu überzeugen. Potenzielle Validitätsgewinne bei der Datenerhebung werden auf diese Weise nämlich erkauft um den Preis einer drastischen Verminderung des statistischen Informationsgehalts der Daten. Schließlich besteht doch die besondere Stärke des faktoriellen Surveys gerade darin, dass für jede befragte Person mehrere Vignettenurteile vorliegen, sodass diese als eigene Analyseebene mit in die statistische Modellierung einbezogen werden können. Nur auf diese Weise ist es möglich herauszufinden, welcher Anteil der über alle Personen und Vignettensituationen hinweg auftretenden Gesamtvarianz der abhängigen Variablen auf Unterschiede zwischen den Personen (Intergruppenvarianz) und welcher Anteil auf Unterschiede zwischen den Vignettensituationen 160
Dennoch wird bei einer solchen Skala Bipolarität unterstellt, was zumindest auf den ersten Blick seltsam anmuten mag, weil man intuitiv bei Wahrscheinlichkeiten eher zu einer unimodalen Skalierung tendieren würde. Diese Vorgehensweise ist aber durchaus üblich. Zur Begründung des Einsatzes von bipolaren Skalen bei der Erhebung der Erwartungskomponente vgl. auch Kunz 1997: 121. 161 Da Vertrauen ein eher positiv konnotierter Begriff ist, sind solche Effekte gerade beim vorliegenden Explanandum denkbar. Darauf deuten auch die Ergebnisse von Eiffler und Bentrup hin, die ein ähnlich positiv konnotiertes Explanandum, nämlich „hilfreiches Verhalten“, mittels Vignettenanalysen untersucht und ermittelt haben, dass Selbstberichte mittels Vignettenanalysen das Ausmaß hilfreichen Verhaltens überschätzen (vgl. Eiffler, Bentrup 2003). Bislang liegen keine analogen Studien vor, die solche möglichen Beeinträchtigungen der Validität von Vertrauensmessungen systematisch untersuchen bzw. die die verschiedenen, in der Vertrauensforschung verwendeten Erhebungsmethoden im Hinblick auf diesen speziellen Aspekt der Validität miteinander vergleichen.
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Festlegung des Erhebungsdesigns
einer Person (Intragruppenvarianz) zurückzuführen ist. Auch die Möglichkeit, mit befragtenspezifischen Regressionen zu arbeiten, ist nur dann gegeben, wenn pro Person mehrere Vignettenurteile vorliegen (und gleichzeitig das befragtenspezifische Regressionsmodell nicht überdeterminiert ist). Diese statistische Analyseoption, die eine der Besonderheiten bei der Analyse von faktoriellen Survey-Daten darstellt, kann gegebenenfalls attraktiv sein, weil sie die Möglichkeit eröffnet, quasi unter Ceteris-Paribus-Bedingungen zu testen, und damit relativ starke Schlussfolgerungen über kausale Zusammenhänge erlaubt (vgl. Beck, Opp 2001; Hechter et al. 1999). 9.1.2 Bestimmung der Vignettenpopulation und der Größe des Vignettensets Aus der Zahl der Dimensionen und ihrer Ausprägungen errechnet sich die Vignettenpopulation, die im vorliegenden Fall mit nur 2 * 2 * 2 * 2 = 16 Vignetten vergleichsweise klein ausfiel. Alle Kombinationen von Merkmalen waren gleichzeitig sinnvoll, sodass es nicht nötig war, bestimmte Vignetten aus der Nettopopulation zu entfernen. Aufgrund der geringen Größe der Vignettenpopulation wäre es möglich gewesen, den Befragten alle sechzehn Vignetten zur Beurteilung vorzulegen. Bereits in Kapitel 8 ist darauf hingewiesen worden, dass es durchaus faktorielle Survey-Studien gibt, die den Befragten eine solche Anzahl an Vignetten zumuten (vgl. Kap. 8.5.2). Im konkreten Fall erschien aber die Zahl von sechzehn Vignetten pro Befragtem als zu groß; bei der Designplanung ist eine Setgröße von acht Vignetten zugrunde gelegt worden. Für eine solche relativ kleine Setgröße sprach zum einen der relativ hohe Schwierigkeitsgrad der Vignetten. Gleichzeitig war eine überdurchschnittliche Motivation zur Beantwortung der Vignetten bei dieser sehr allgemeinen Vertrauensthematik nicht zu erwarten. Zudem war der faktorielle Survey in einen umfassenderen Fragebogen eingebettet, was die Bereitschaft, viele Vignetten zu beurteilen, zusätzlich gesenkt haben dürfte.162 9.1.3 Entscheidung über Art und Umfang der Stichprobe Im Rahmen dieser Studie fiel die Wahl auf eine Gelegenheitsstichprobe aus Studierenden. Wie bereits ausführlich diskutiert, ist eine repräsentative Stichprobe zum einen nicht erforderlich, da es um den Test von allgemeinen theoretischen Zusammenhangsannahmen geht. Zum anderen ist vor dem Hintergrund der relativ großen Komplexität des Befragungsinstrumentes eine selektive Stichprobe aus Studierenden im Hinblick auf die Güte der erhobenen Daten empfehlenswert (vgl. auch Kap. 8.4). Es wurden 238 Studierende befragt (Bruttostichprobe). Die Erhebung der Daten fand im Sommersemester 2005 und im Wintersemester 2005/06 an der Johannes GutenbergUniversität Mainz und der Fernuniversität Hagen statt. Rekrutiert wurden die Befragten in erster Linie aus Teilnehmern zweier Typen von Grundstudiumsveranstaltungen, des 162
Die Entscheidung für diese relativ geringe Anzahl von nur acht Vignetten wurde durch die bereits berichteten Pretest-Ergebnisse untermauert (vgl. Kap. 9.1.1). Acht Vignetten wurden von den Teilnehmern dieses Pretests (19 Studierende) als zumutbar empfunden; Ermüdungseffekte traten durchschnittlich ab der neunten Vignette auf. Dass solche Ermüdungseffekte im konkreten Anwendungsfall bereits bei einer relativ geringen Vignettenzahl berichtet wurden, bestätigt die getroffenen Annahmen über den Schwierigkeitsgrad der Vignetten und die Motivationsstruktur der Befragten.
Faktorieller Survey
233
Grundkurses „Analyse und Vergleich politischer Systeme“ und des Grundkurses „Wirtschaft und Gesellschaft“.163 Auch die Teilnehmer einer Übung im Rahmen des Mainzer Grundstudiums der Geschichtswissenschaft und einige Studierende der Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen nahmen an der Befragung teil. Letzteren wurde der Fragebogen im Rahmen eines Einführungskurses in die Statistik und die Methoden der empirischen Sozialforschung vorgelegt. 9.1.4 Verteilung der Vignetten auf die Befragten Bei diesem Schritt der Designkonstruktion galt es zunächst festzulegen, nach welchem Modus die 16 Vignetten der Vignettenpopulation auf die Teilmenge von acht Vignetten reduziert werden, die auf die Befragten verteilt werden sollten. Da das Vignettendesign mit wenigen Dimensionen und nur je zwei Ausprägungen sparsam gehalten und die Vignettenpopulation entsprechend klein war, fiel die Wahl auf eine systematische experimentelle Auswahl der Vignetten (vgl. dazu ausführlicher Kap. 8.5.4). Bei dieser Art von orthogonalem Versuchsplan wird jeder Befragte mit acht Vignetten konfrontiert. Aus den 16 Vignetten werden dazu zwei Sets gebildet, die jeweils für sich genommen einem halbfraktionalisierten faktoriellen Design entsprechen. Im Unterschied zur zufälligen Vignettenselektion besteht jedes der beiden Vignettensets bei einem solchen Design aus einer systematisch festgelegten Kombination bestimmter situativer Merkmale. Der orthogonale Versuchsplan für das halbfraktionalisierte faktorielle Design ist in der folgenden Tabelle dokumentiert.164 Relevant für die Erzeugung der beiden Sets sind die grau unterlegten Zellen. Die Werte -1 und 1 entsprechen den Ausprägungen der Dimensionen. Die Bündelung der Vignetten zu Vignettensets erfolgt bei halbfraktionalisierten Designs anhand des Wertes des höchsten Interaktionseffektes (sh. letzte Spalte). Dieser Interaktionseffekt dritter Ordnung ist perfekt mit dem jeweiligen Design konfundiert, das heißt die Ausprägungen dieses Interaktionseffektes entsprechen bei beiden Designs jeweils einer Konstante (-1 oder 1).165
163
Beide Grundkurse sind fester Bestandteil des Mainzer Grundstudiums der Politikwissenschaft. Sie sind für alle Studierenden im Magisterhauptfach Politikwissenschaft obligatorisch, und auch ein Großteil der Studierenden im Nebenfach bzw. in den Lehramtsstudiengängen absolviert diese einsemestrigen Veranstaltungen mit Seminarcharakter. Sie werden daher jedes Semester in mehreren Parallelveranstaltungen angeboten. 164 Versuchspläne für unterschiedliche Formen von solchen halbfraktionalisierten Designs finden sich in Louviere 1988: 35ff.. Die hier präsentierte Tabelle basiert auf einer sog. Effektkodierung. Alternativ dazu werden solche Versuchspläne manchmal auch mit Hilfe einer Dummykodierung dargestellt. Eine negative Ausprägung des Merkmals (in der Dummykodierung gleich null) ist hier mit -1 kodiert, die positive Ausprägung wie in der Dummykodierung mit 1. 165 Aus der rechten Hälfte der Tabelle ergibt sich, welche Interaktionseffekte bei dieser Art von experimentellem Design noch sinnvoll geschätzt werden können. Aus ihr geht hervor, dass die Berechnung von Interaktionseffekten erster Ordnung unproblematisch ist. Lediglich die Schätzung von Interaktionseffekten zweiter Ordnung ist nicht mehr möglich bzw. sinnvoll, weil diese mit den Haupteffekten konfundieren, d.h. perfekt korrelieren.
234
Festlegung des Erhebungsdesigns
Abbildung 33: Orthogonaler Versuchsplan für zwei halbfraktionalisierte faktorielle 24-Designs Interaktionsterme aus den unabhängigen Variablen (verbleibende Möglichkeiten der Schätzung von Interaktionseffekten)
Unabhängige Variablen x1
x2
x3
x4
x1x2 = x3x4
x1x3 = x2x4
x1x4 = x2x3
x1x2x3 = x4
x1x2x4 = x3
x1x3x4 = x2
x2x3x4 = x1
x1x2x3x4
Stimulus Nr.
2 7 5 1 6 4 3 8
-1 -1 -1 -1 1 1 1 1
-1 -1 1 1 -1 -1 1 1
-1 1 -1 1 -1 1 -1 1
-1 1 1 -1 1 -1 -1 1
1 1 -1 -1 -1 -1 1 1
1 -1 1 -1 -1 1 -1 1
1 -1 -1 1 1 -1 -1 1
-1 1 1 -1 1 -1 -1 1
-1 1 -1 1 -1 1 -1 1
-1 -1 1 1 -1 -1 1 1
-1 -1 -1 -1 1 1 1 1
1 1 1 1 1 1 1 1
6 5 7 4 2 8 3 1
-1 -1 -1 -1 1 1 1 1
-1 -1 1 1 -1 -1 1 1
-1 1 -1 1 -1 1 -1 1
1 -1 -1 1 -1 1 1 -1
1 1 -1 -1 -1 -1 1 1
1 -1 1 -1 -1 1 -1 1
-1 1 1 -1 -1 1 1 -1
-1 1 1 -1 1 -1 -1 1
1 -1 1 -1 1 -1 1 -1
1 1 -1 -1 1 1 -1 -1
1 1 1 1 -1 -1 -1 -1
-1 -1 -1 -1 -1 -1 -1 -1
Set 1
Set 2
Diese Art von Design ist unter allen möglichen Designs mit einer Anzahl von acht Vignetten im Hinblick auf seine statistischen Schätzeigenschaften am effizientesten. In jedem der beiden halbfraktionalisierten Designs kommt nämlich jede der beiden Merkmalsausprägungen für jede unabhängige Variable gleich häufig vor. Als Folge ist der geschätzte Standardfehler der unstandardisierten Regressionskoeffizienten maximal möglich reduziert, was sich insbesondere im Hinblick auf die Güte von Signifikanztests als vorteilhaft erweist.166 Zusätzlich wurden die Vignetten innerhalb der beiden Sets rotiert. Durch eine solche Rotation können mögliche Positionseffekte ausgeschlossen werden, die die Validität der erhobenen Daten beeinträchtigen könnten.167
166
Auf die Diskussion um den Einsatz von Signifikanztests bei Gelegenheitsstichproben wird in Kap. 11 noch eingegangen. 167 Diese Hinweise sowie die Empfehlung, bei 16 Vignetten zwei halbfraktionalisierte faktorielle Designs einzusetzen, stammen von Dr. Hermann Dülmer vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung in Köln, dem an dieser Stelle für seinen kompetenten Rat herzlich gedankt sei.
Faktorieller Survey
235
Die beiden Vignettensets, die je einem halbfraktionalisierten faktoriellen Design entsprechen, wurden von 114 (Set 1) respektive 124 (Set 2) Befragten beurteilt. Das entspricht fast der bei zwei Vignettensets sich ergebenden, idealen 50:50-Verteilung, nach der jedes Vignettenset 118,5, also 119-fach beurteilt werden müsste (vgl. Abbildung 32, folgende Seite). Gleichzeitig ergibt sich daraus, dass jede Vignette minimal 114-fach und maximal 124-fach beurteilt worden ist. Dies ist sicherlich ausreichend und spricht dafür, dass die Befragtenstichprobe in dieser Untersuchung hinreichend groß gewählt wurde. Abbildung 34: Berechnung der Verteilung der Vignetten auf die Befragten Ausgangssituation: Vignettenpopulation (NV): 2 * 2 * 2 * 2 = 16 Größe des Vignettensets (NV/B): 8 Anzahl der Befragten (NB): 237 Verteilung der Vignetten: Anzahl der zu bildenden Sets (NS = NV/ NV/B): 16/8 = 2 Anzahl der Befragten pro Set (NB/S = NB/NS): 237/2 = 118,5
9.1.5 Präsentation der Vignetten Die Vignetten wurden gemäß der Profilmethode präsentiert. Diese Präsentationsmethode erschien, wie bereits diskutiert, insbesondere aufgrund des höheren statistischen Informationsgehaltes der so generierten Daten vielversprechender als die alternativ manchmal eingesetzte Methode des paarweisen Vergleichs (vgl. Kap. 8.5.5). Die Befragten bekamen zu Beginn oder kurz vor Ende einer Seminarstunde, in Absprache mit dem jeweiligen Dozenten, den kompletten Fragebogen, bestehend aus dem faktoriellen Survey mit acht Vignetten sowie dem ergänzenden, itembasierten Fragebogen, ausgehändigt. Weil anzunehmen war, dass das Erhebungsinstrument faktorieller Survey aufgrund seines geringen Bekanntheitsgrades selbst den in grundlegenden Methoden der empirischen Sozialforschung ausgebildeten Studierenden der Politikwissenschaft nicht vertraut ist, erhielten sie vor dem Ausfüllen des Fragebogens einige kurze, mündliche Instruktionen. Zudem umfasste der Fragebogen ein Deckblatt mit wesentlichen Instruktionen in schriftlicher Form (sh. Anhang; Anlage 1). Um der Möglichkeit vorzubeugen, dass die Befragten verschiedene Antwortalternativen miteinander vergleichen und ihre Urteile möglicherweise nachträglich im Sinne eines vermuteten sozial erwünschten Verhaltens einander angleichen, beinhalteten diese Instruktionen unter anderem die Aufforderung, jede der folgenden Situationsbeschreibungen für sich genommen zu beurteilen.168 Wie aus Abbildung 29 bereits hervorgeht, bestand jede 168
Die entsprechende Textpassage dieses Einführungstextes lautete im Wortlaut: Es ist nicht wichtig, dass Sie ihr Urteil in unterschiedlichen Situationen aufeinander abstimmen. Bewerten Sie einfach jede Situation für sich, so als seien die einzelnen Situationen ganz unabhängig voneinander. Der komplette Einführungstext und auch der komplette faktorielle Survey sind im Anhang zu dieser Arbeit abgedruckt.
236
Festlegung des Erhebungsdesigns
einzelne der acht präsentierten Vignetten aus einem identischen Fließtext, in dem die Grundsituation geschildert wird, sowie den vier variierenden Dimensionsausprägungen. Aus Gründen der größeren Übersichtlichkeit wurden letztere in Form von Spiegelstrichen unter dem Fließtext präsentiert. 9.2 Die Messung des generellen Vertrauens Zur Messung des generellen Vertrauens und anderer personenbezogener Kontrollvariablen wurde der faktorielle Survey um einen kurzen Fragebogen ergänzt (sh. Anhang; Anlage 3). Ziel dieses Fragebogens war es in erster Linie, das theoretische Konstrukt generelles Vertrauen so zu erheben, wie es aus Perspektive der soziologischen Vertrauenstheorie üblicherweise getan wird. Entsprechend orientierte sich die Messung an der in der empirischen Politikwissenschaft eingebürgerten Messpraxis, die solche generellen Orientierungen mit Hilfe von Einstellungsitems ermittelt. Zur Operationalisierung des generalisierten, interpersonalen Vertrauens wird dabei klassischerweise auf folgende Standardfrage zurückgegriffen: Ganz allgemein gesprochen: Glauben Sie, dass man den meisten Menschen vertrauen kann, oder dass man im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein kann?
Dieses Item wurde erstmals von Rosenberg im Rahmen seiner Faith in People Scale verwendet (vgl. Rosenberg 1956, 1957), seit 1972 wird es im American General Social Survey eingesetzt (vgl. Reeskens, Hooghe 2008: 516) und hat mittlerweile in viele für die international vergleichende, sozialwissenschaftliche Forschung wesentliche Datensätze, unter anderem den World Values Survey (WVS), den European Values Survey (EVS) und den European Social Survey (ESS) Eingang gefunden. Die Ergebnisse werden dabei entweder mit Hilfe einer binären Skala (inklusive Ausweichkategorie) oder mit Hilfe einer LikertSkala mit 11 Antwortkategorien (0-10) gemessen (vgl. Nannestad 2008). Aufgrund ihrer Platzierung in einflussreichen Datensätzen basieren die Ergebnisse namhafter Studien von Vertretern einer soziologischen Vertrauenstheorie, unter anderem beispielsweise die stark rezipierten Arbeiten von Putnam und Inglehart, auf der Auswertung dieser Vertrauensfrage, sodass diese Art der Operationalisierung des generellen Vertrauens diesen Forschungsbereich schon wesentlich geprägt hat (vgl. Miller, Mitamura 2003). Sie gilt mittlerweile als das Standardinstrumentarium zur Erhebung genereller Vertrauenseinstellungen.169 Messtheoretische Fragen, die mit dieser Art der Erhebung einher gehen, sind dabei in der Vergangenheit eher vernachlässigt worden. Obwohl interpersonales Vertrauen in den letzten Jahren zu einem wichtigen sozialwissenschaftlichen Konzept avanciert ist, ist dieses 169
Alternativ dazu sind in der psychologischen Vertrauensforschung unterschiedliche Skalen zur Messung von generellem Vertrauen entwickelt worden. Besonders bekannt ist die Interpersonal Trust Scale von Rotter (vgl. Rotter 1967) und die Faith in People Scale von Rosenberg, aus der die oben vorgestellte Formulierung der Vertrauensfrage stammt (vgl. Rosenberg 1957). Im Hinblick auf den Aspekt der Konstruktvalidität sind diese alternativen Messmethoden sicher interessant; eine stärkere Rezeption in der politikwissenschaftlichen Vertrauensforschung wäre wünschenswert (ein entsprechender Ansatz findet sich bei Glaeser et al. 2000). Da es im Kontext dieser Arbeit um die soziologische Vertrauenstheorie der Politischen Kulturforschung geht, in deren Kontext diese psychologischen Messkonzepte aber bisher kaum eine Rolle spielen, müssen sie an dieser Stelle nicht ausführlicher diskutiert werden. Einen Überblick über psychologische Ansätze zur Operationalisierung genereller Vertrauenseinstellungen gibt Whrightsman 1991.
Die Messung des generellen Vertrauens
237
Segment der Vertrauensforschung noch eher unterentwickelt. Erst in jüngerer Zeit sind einige Beiträge erschienen, die sich intensiver mit solchen messtheoretischen Gesichtspunkten auseinandersetzen. Kritisiert wird in diesen Beiträgen zum einen die Validität dieser Vertrauensfrage. Die Kritik entzündet sich vor allem an der Formulierung „meiste Menschen“, die sehr vage ist und den Befragten einen breiten Spielraum lässt, selbst zu deuten, auf welche Gruppe von Personen sich diese Vertrauenseinschätzung beziehen soll. Auch die semantisch problematische Gegenüberstellung von Vertrauen und Vorsicht wird bemängelt.170 Ein Ansatz zur Verbesserung der Reliabilität der Vertrauensmessung, der in den letzten Jahren zunehmend verfolgt wird, besteht darin, Vertrauen nicht nur auf Basis dieses einen Vertrauensitems zu messen, sondern ein multiples Indikatorenmodell einzusetzen (vgl. Reeskens, Hooghe 2008; Paxton 1999; Kunz 2004b). Zusätzlich zur eben zitierten Vertrauensfrage umfasst dieses Indikatorenmodell die beiden weiteren, ebenfalls ursprünglich von Rosenberg formulierten Indikatorfragen „Glauben Sie, dass die meisten Menschen versuchen, Sie auszunutzen, wenn sie die Gelegenheit dazu haben, oder versuchen die meisten Menschen sich fair zu verhalten?“ sowie „Glauben Sie, dass die Menschen meistens versuchen, hilfsbereit zu sein, oder dass die Menschen meistens auf den eigenen Vorteil bedacht sind?“171 Aus diesen drei Einzelitems wird ein einfacher additiver Vertrauensindex gebildet, bei dessen Berechnung die Einzelwerte der Items aufaddiert und durch drei geteilt werden. Dieser Messvorschlag folgt dem Gedanken, dass eine reliable Einstellungsmessung mit Hilfe eines Mehr-Indikatoren-Modells besser möglich ist als auf Basis nur eines Items, weil Messfehler besser ausgeglichen werden können (vgl. Rost 2005: 7; Jagodzinski, Manabe 2004: 96). Insbesondere sei bei solchen latenten Konstrukten wie Einstellungen mit Schwankungen im Antwortverhalten über die Zeit hinweg zu rechnen, und diese Varianz könne bei mehreren Items besser reduziert werden (vgl. Reeskens, Hooghe 2008: 519). Unter Validitätsgesichtspunkten basiert diese Art der Operationalisierung auf der Überlegung, dass Vertrauen Aspekte wie Vertrauenswürdigkeit, Integrität, Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit, Solidarität und Fairness umfasst und dass ein solches breiteres semantisches Feld mit Hilfe dieser drei Items besser erfasst werden kann als mit einem Item alleine (vgl. Kunz 2004b; Paxton 1999). Unterstellt wird dabei, dass alle drei Variablen jeweils spezifische, voneinander unterscheidbare Aspekte des sozialen Vertrauens abbilden, gleichzeitig aber systematisch miteinander verknüpft sind. Bisherige Tests weisen darauf hin, dass diese Drei-Item-Messung der generalisierten Vertrauenseinstellung deutlich besser geeignet ist als die Ein-Item-Messung (vgl. Reeskens, Hooghe 2008: 530). Diesem aktuellen Forschungsstand zur Messung des generellen Vertrauens entsprechend, beinhaltete der ergänzende Fragebogen nicht nur das Standarditem zur Vertrauensmessung, sondern auch die beiden Items zur Messung von Fairness und Hilfsbereitschaft. Zur statistischen Absicherung dieser Form der dreidimensionalen Vertrauensmessung wurde auf Basis der erhobenen Daten eine Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse) durchgeführt. Ihre Ergebnisse bestätigen die vermutete Validität dieser Vertrauensmessung.
170
Zu diesen Kritikpunkten vgl. Nannestad 2008: 417; Gächter, Thöni 2005: 262; Adam 2006: 8; Beugelsdijk 2006: 376; Glaeser et al. 2000: 815; Miller, Mitamura 2003: 63ff.. 171 Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass das Fairness-Item auch schon im General Social Survey vorhanden war. Der WVS wiederum beinhaltet ausschließlich die klassische Vertrauensfrage (vgl. Reeskens, Hooghe 2008: 520).
238
Festlegung des Erhebungsdesigns
Abbildung 35: Faktormodell des generalisierten Vertrauens – Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse Faktorladungen Vertrauen Fairness Hilfsbereitschaft
.715 .702 .683
Eigenwerte Komponente eins Komponente zwei Komponente drei
2.10 .471 .429
Kumulierter Varianzanteil Kaiser-Mayer-Olkin-Kriterium Fallzahl (N)
69,992 .705 237
Dass es grundsätzlich sinnvoll ist, die drei Einzelitems zusammenzufassen, verdeutlicht das Kaiser-Mayer-Olkin-Kriteriums von .705. Ein Wert dieser Größenordnung zeigt, dass die drei Variablen in der vorliegenden Stichprobe relativ stark miteinander zusammenhängen. Dem Eigenwert von 2,1 für die erste Komponente und den Eigenwerten deutlich kleiner eins für die zweite und dritte Komponente nach zu urteilen, scheinen die drei Items auch auf einen dahinter liegenden Faktor zu laden (Kaiser-Kriterium). Dieses Ergebnis wird zudem durch den kumulierten Varianzanteil von 69,99% untermauert. Hauptkomponentenanalysen basieren auf der Annahme, dass die Varianz der Ausgangsvariablen vollständig durch die Extraktion der Faktoren abgebildet werden kann. Im vorliegenden Fall zeigt der Wert von 69,99% entsprechend an, dass der erste Faktor den Löwenanteil dieser Varianz der Ausgangsvariablen bindet. Auch die Faktorladungen der drei Einzelitems sind relativ hoch. Das Vertrauensitem schneidet erwartungsgemäß am besten ab. Allerdings sind auch die Faktorladungen der beiden anderen Items nur geringfügig kleiner. Die Hauptkomponentenanalyse bestätigt damit bisherige Ergebnisse, die die Eignung der drei Items zur Messung des generellen Vertrauens gezeigt haben. Aufbauend auf den Forschungsstand und untermauert durch diese Ergebnisse wurde das dem soziologischen Vertrauensbegriff entsprechende generelle Vertrauen also operationalisiert, indem die Werte der drei Einstellungsitems Vertrauen, Fairness und Hilfsbereitschaft zu einem Vertrauensindex zusammengefasst wurden. Diese drei Items zur Messung des generellen Vertrauens waren am Ende des kurzen, ergänzenden Fragebogens positioniert. Dazwischen waren einige weitere Items wie Geschlecht, Alter, Fragen zur Studienfachkombination und gegebenenfalls zur Erwerbstätigkeit, zum monatlichen Nettoeinkommen, zur subjektiv wahrgenommenen ökonomischen Situation sowie zur Zufriedenheit platziert (sh. Fragebogen im Anhang; Anlage 3). Die Messung und Platzierung dieser weiteren Variablen erfolgte in erster Linie aus messtheoretischen Erwägungen. Zugrunde lag die Vermutung, dass eine Platzierung der drei Items zur Messung des generellen Vertrauens
Die Messung des generellen Vertrauens
239
im unmittelbaren Anschluss an den faktoriellen Survey einer Angleichung der Vignettenurteile und der generellen Vertrauenseinstellung aus Gründen der sozialen Erwünschtheit möglicherweise Vorschub leisten könnte. Durch die Positionierung der drei Items am Ende des ergänzenden Fragebogens sollte zudem eine zu starke Fokussierung auf diese Vertrauensfrage vermieden werden.
10 Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten
10.1 Hierarchische Datenstruktur Nicht nur die Konstruktion und Durchführung von faktoriellen Surveys ist mit einigem Aufwand verbunden, auch die statistische Auswertung der erzeugten Daten hat es gewissermaßen in sich. Faktorielle Survey-Daten weisen nämlich, wie bereits angedeutet, eine Besonderheit in ihrer Datenstruktur auf. Die Untersuchungseinheiten liegen auf zwei verschiedenen Ebenen und sind ineinander verschachtelt. Die Vignetten, die von jeder Person beurteilt wurden, bilden die Analyseebene erster Ordnung (synonym auch Mikroebene oder Level-1-Ebene), während die befragten Personen selbst die Analyseebene zweiter Ordnung (synonym auch Makroebene, Kontextebene oder Level-2-Ebene) bilden. Wie die folgende Abbildung veranschaulicht, lässt sich eine bestimmte Menge von Untersuchungseinheiten der Analyseebene erster Ordnung, im konkreten Beispiel von acht Vignetten, eindeutig einer bestimmten Untersuchungseinheit der Analyseebene zweiter Ordnung oder Kontexteinheit, hier also einer bestimmten Person, zuordnen. Immer dann, wenn eine solche geschachtelte Datenstruktur aus zwei oder auch mehr Analyseebenen vorliegt, spricht man von hierarchisch strukturierten Daten (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 3). Abbildung 36: Hierarchische Datenstruktur bei faktoriellen Survey-Daten
Zweite Ebene = Befragte
1
2
3
Erste Ebene = Vignettenurteile U1
U2
Ux
U1
U2
Ux
U1
U2
Ux
Hierarchische Datenstruktur
241
Hierarchisch strukturierte Daten sind in den Sozialwissenschaften sehr häufig. Meistens werden allerdings Individuen als Analyseebene erster Ordnung betrachtet, die unterschiedlichen Arten von kollektiven Einheiten angehören. Die empirische Bildungsforschung arbeitet beispielsweise seit Jahren mit geschachtelten Datenstrukturen, bei denen die einzelnen Schüler die Mikroebene bilden, die in einzelne Schulklassen und Schulen eingebettet sind (vgl. u.a. Rumberger, Palardy 2004). Politikwissenschaftler haben es mit Datenstrukturen zu tun, bei denen einzelne Individuen in bestimmte institutionelle Kontexte wie Länder, Regionen oder Wahlkreise eingebettet sind oder bestimmten Organisationen wie zum Beispiel Parteien angehören (vgl. Klein, Pötschke 2000; Engel, Simonson 2004; Steenbergen, Jones 2002). Aber auch Datensätze, bei denen die Individuen selbst schon die Makroebene bilden, kommen in der Politikwissenschaft vor. Eine ähnliche Struktur wie die durch faktorielle Surveys erzeugten Daten weisen beispielsweise Paneldaten auf (vgl. Klein, Pötschke 2004). Hier sind ebenfalls die Individuen die Analyseeinheiten der Makroebene. Paneldaten und faktorielle Survey-Daten unterscheiden sich allerdings insofern, als bei Paneldaten die Mikroebene aus verschiedenen Messungen gebildet wird, die zu unterschiedlichen Messzeitpunkten vorgenommen wurden, während faktorielle Survey-Daten zeitgleich erhoben werden. Hierarchisch strukturierte Daten haben gewisse Besonderheiten, die bei der Entscheidung über eine angemessene statistische Analysestrategie auf jeden Fall beachtet werden sollten. Charakteristisch ist zum einen, dass die Analyseeinheiten der ersten Ebene, im vorliegenden Fall also die Vignettenurteile, keine völlig voneinander unabhängigen Größen sind. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vignettenurteile, die von einer befragten Person abgegeben wurden, zueinander homogener sind als die Vignettenurteile, die von unterschiedlichen Personen stammen. Damit sind aber zwei Annahmen verletzt, auf denen die Schätzung von Regressionsmodellen basiert. Der Einsatz dieser Modelle setzt zum einen voraus, dass die Fehlerterme (Residuen) gleichmäßig streuen, das heißt nicht in Abhängigkeit von bestimmten Merkmalen der befragten Personen variieren (Homoskedastizität). Gleichzeitig sollen die Residuen voneinander unabhängig sein. Es darf keine Autokorrelation der Residuen vorliegen (vgl. Urban, Mayerl 2006: 193ff.). Sind die einzelnen Vignettenurteile einer Person einander ähnlicher als die Vignettenurteile verschiedener Personen, resultiert daraus aber eine komplexe Fehlerstruktur, die genau diese Anforderungen verletzt. Die Residuen streuen ungleichmäßig und sind untereinander korreliert; es kann zu einer Clusterbildung der Residuen kommen (vgl. Hox, Kreft, Hermkens 1991: 497). Hierarchisch strukturierte Daten können darüber hinaus noch eine weitere Besonderheit aufweisen: Häufig liegen nicht nur die Analyseeinheiten auf unterschiedlichen Analyseebenen, sondern auch die interessierenden unabhängigen Variablen (vgl. Hox 2002: 6). Gerade diese Möglichkeit, situationsbezogene und personenspezifische Bestimmungsfaktoren simultan und in ihren Interaktionen zu analysieren, ist in Verbindung mit zahlreichen politikwissenschaftlichen Problemstellungen von Interesse. Dies gilt auch für die dieser Arbeit zugrundeliegende Problemstellung: Bei der folgenden statistischen Analyse soll es nicht nur darum gehen, die Effekte der im Rahmen der Vignetten experimentell variierenden Dimensionsausprägungen auf die abhängige Variable zu überprüfen, also zu schauen, wie sich die aus Rational Choice-Perspektive zentralen Bestimmungsfaktoren (vgl. Kap. 7.2) auf die Vertrauenswahrscheinlichkeit auswirken. Würde die statistische Modellierung an dieser Stelle stoppen, dann entspräche dies einer isolierten Überprüfung der ökonomi-
242
Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten
schen Vertrauenstheorie. In diesem Fall wäre man zwar mit dem Problem komplexer Fehlerstrukturen und möglicher Verletzungen der Regressionsprämissen konfrontiert, nicht aber mit unabhängigen Variablen auf unterschiedlichen Analyseebenen. Alle interessierenden Bestimmungsfaktoren lägen dann auf der Mikroebene der einzelnen Vignettenurteile. Das zentrale Forschungsziel dieser Arbeit geht aber darüber hinaus. Ziel ist es, empirisch zu überprüfen, ob sich die Integration von soziologischer und ökonomischer Vertrauenstheorie in Form einer kausalen Sequenz empirisch bewährt. Dies wäre dann der Fall, wenn sich zeigen ließe, dass die generelle Vertrauenseinstellung einer Person einen über diese Mikrodeterminanten hinausgehenden, zusätzlichen, substanziellen Beitrag zur Erklärung der Varianz der situationsspezifischen Vertrauenserwartung leistet. Die generelle Vertrauenseinstellung ist aber ein personenspezifisches Merkmal und liegt auf der den einzelnen Vignettenurteilen übergeordneten Makroebene. Die für die statistische Analyse relevanten unabhängigen Variablen liegen damit auf zwei verschiedenen Analyseebenen. 10.2 Analysestrategien Welche Analysestrategie ist angesichts dieser Besonderheiten der Datenstruktur empfehlenswert? In der Literatur finden sich unterschiedliche Vorgehensweisen bei der statistischen Analyse von faktoriellen Survey-Daten. Die Vor- und Nachteile von drei dieser Strategien werden in den folgenden Abschnitten diskutiert. 10.2.1 Einfache Regressionsmodelle Die einfachste Analysestrategie besteht darin, die hierarchische Datenstruktur zu ignorieren und einfache OLS-Regressionen auf der Basis der einzelnen Vignettenurteile zu rechnen (vgl. z. B. Carlson 1999).172 Werden neben den Dimensionen noch befragtenspezifische Merkmale als weitere unabhängige Variablen der zweiten Analyseebene berücksichtigt, dann werden diese gemeinsam mit den unabhängigen Variablen der ersten Analyseebene in das statistische Modell einbezogen. Diese Vorgehensweise weist mehrere Probleme auf und ist daher eher nicht empfehlenswert. Es wird unterstellt, dass die Befragten komplett austauschbar sind, eine Annahme, die keineswegs zutreffen muss. Vielmehr kann es sein, dass sich die Befragten in zweierlei Hinsicht unterscheiden: Sowohl die Beziehungen zwischen den vignettenspezifischen unabhängigen Variablen und der abhängigen Variablen (statistisch ausgedrückt die Regressionskoeffizienten) als auch das mittlere Niveau der abhängigen Variablen (die Regressionskonstante) können zwischen den einzelnen Befragten erheblich variieren. Bezogen auf die Fehlerstruktur haben diese Unterschiede zwischen den Befragten zur Konsequenz, dass die Regressionsanforderungen der Homoskedastizität und der Unabhängigkeit der Residuen kaum erfüllt sein dürften. Die Verletzung dieser Annahmen hat wiederum zur Folge, dass bei Einsatz der Kleinstquadratmethode die Standardfehler nicht korrekt geschätzt werden können (vgl. Ditton 1998: 14). Dies wiederum führt nicht nur zu ineffizienten Schätzungen der Regressionsparameter, sondern wirkt sich auch negativ auf die Prüfung der statistischen 172
Sind die unabhängigen Variablen lediglich nominalskaliert, bieten sich Dummy-Regressionen oder alternativ Varianzanalysen an.
Analysestrategien
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Signifikanz aus. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass die Signifikanz der Parameter überschätzt wird (vgl. Hox 2002: 3; Steenbergen, Jones 2002: 220). Dieses Problem verschärft sich noch, wenn, wie oben beschrieben, personenspezifische Merkmale gemeinsam mit den variierenden Dimensionen des faktoriellen Surveys in die Regressionsgleichung einbezogen werden. Angemessene Signifikanztests können dann nicht mehr durchgeführt werden, weil bei der Bestimmung der Signifikanz der Effekte der befragtenspezifischen Merkmale die Fallzahl der einzelnen Vignettenurteile zu Grunde gelegt wird, obwohl die eigentlich relevante Fallzahl auf der Makroebene viel kleiner ist (vgl. Klein 2004: 20).173 Will man an einer einfachen Analysestrategie festhalten und dennoch mögliche Unterschiede zwischen den Befragten nicht komplett ignorieren, dann erscheint es sinnvoller, getrennte Analysen für einzelne Subgruppen des Samples zu schätzen, wie es beispielsweise Rossi und Anderson demonstrieren (vgl. Rossi, Anderson 1982: 49-52). Im vorliegenden Fall könnte man die Befragten, entsprechend der Stärke der Ausprägung ihrer generellen Vertrauenseinstellung, in verschiedene Gruppen unterteilen und für diese Gruppen eigene Regressionen schätzen, vorausgesetzt alle interessierenden Untergruppen bestehen aus genügend Fällen. Solche Analysen geben zumindest erste Hinweise darauf, ob das Antwortverhalten und die Zusammenhänge gruppenspezifisch stark variieren. Alternativ dazu besteht bei faktoriellen Survey-Daten auch die Möglichkeit, separate befragtenspezifische Regressionsanalysen durchführen, was sozusagen eine extreme Variante der gruppenspezifischen Schätzung darstellt. Mit einer solchen Vorgehensweise wird ebenfalls in Rechnung gestellt, dass das Niveau der Vertrauenswahrscheinlichkeit und die Stärke der Zusammenhänge zwischen den Befragten variieren können. Diese interpersonellen Unterschiede werden konstant gehalten. Daraus resultiert wiederum eine wesentliche Stärke solcher befragtenspezifischen Regressionen. Gerade weil mögliche interpersonelle Varianzen kontrolliert sind, sind die Ergebnisse dieser befragtenspezifischen Regressionen aussagekräftig. Sind diese Werte relativ hoch, dann bedeutet dies inhaltlich, dass es gelungen ist, die für die Erklärung einer bestimmten abhängigen Variablen relevanten Dimensionen und Ausprägungen zu finden (vgl. Beck, Opp 2001: 301f.). Befragtenspezifische Regressionen sind aber mit drei Nachteilen verbunden: Zum einen beruhen die Koeffizienten der befragtenspezifischen Regressionsmodelle bei faktoriellen Surveys in der Regel auf sehr geringen Fallzahlen, weil den Befragten nicht zu viele Vignetten zugemutet werden können (vgl. ausführlich Kap. 8.5.2). Solch kleine Fallzahlen können sich bei einfachen OLS-Regressionen negativ auf die Güte der Schätzung der Regressionsparameter auswirken. Wenige Ausreißer führen zu einer hohen PseudoFehlervarianz mit der Folge, dass die Schätzwerte extrem instabil und dementsprechend wenig reliabel sind (vgl. Klein 2004: 22; Ditton 1998: 36). Zusätzlich zu dieser Problematik der bouncing betas sind befragtenspezifische Regressionen bei einer größeren Zahl an Befragten kaum mehr praktikabel. Der wesentlichste Nachteil dieser Methode besteht aber darin, dass die Ursachen für Unterschiede zwischen den Analyseeinheiten der zweiten Ebene, hier also zwischen den Befragten, im Dunkeln bleiben (vgl. Ohr 1999: 46). Aus den beiden letztgenannten Gründen scheint auch eine weitere Methode der traditionellen Modellierung von Kontexteffekten auf der Basis einfacher Regressionsmodelle 173
Eine Möglichkeit diese Problematik abzumildern, besteht darin, nach dem so genannten Sandwich-Verfahren von Huber und White eine OLS-Regression mit robusten Standardfehlern zu schätzen. Mit Hilfe dieser Prozedur, die in viele Statistikprogramme mittlerweile implementiert ist, lässt sich die fehlende Unabhängigkeit der einzelnen Vignettenurteile korrigieren (vgl. Jasso, Opp 1997: 960; Liebig, Mau 2005: 14; Huber 1967; White 1980).
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Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten
nicht das Mittel der Wahl zu sein: die Modellierung mit Hilfe von Dummy-Variablen. Bei dieser Vorgehensweise können mögliche kontextspezifische Niveauunterschiede der abhängigen Variablen quantifiziert werden. Dies geschieht, indem für die einzelnen Kontexteinheiten Dummy-Variablen in das Regressionsmodell aufgenommen werden; die Möglichkeit von kontextspezifischen Steigungskoeffizienten wird dabei zunächst noch ausgeklammert. In einem zweiten Schritt kann diese Modellierung mit Dummies dann noch um Interaktionsterme erweitert werden, die auch der Möglichkeit von kontextspezifischen Steigungskoeffizienten Rechnung tragen (vgl. ausführlicher Langer 2004: 40-48). Eine solche Strategie bietet sich beispielsweise bei der Analyse gepoolter Daten zur Modellierung länderspezifischer Besonderheiten im Rahmen der vergleichenden Politikwissenschaft durchaus an. Dies gilt zumindest dann, wenn es in erster Linie um die Kontrolle von Kontexteinflüssen geht (vgl. Ohr 1999: 47). Zur Analyse von faktoriellen Survey-Daten ist diese Modellierungsvariante aber kaum brauchbar, weil die Zahl der Analyseeinheiten zweiter Ordnung und damit auch die Zahl der zu schätzenden Parameter, die in die Regressionsgleichung eingehen, schlicht zu groß ist. Zudem können die Ursachen für Unterschiede zwischen den Befragten auf diese Weise nicht ermittelt werden. 10.2.2 Slopes-as-Outcomes-Modelle Eine komplexere Analysevariante stellen zweistufige Regressionsanalysen dar, die auch als Slopes-as-Outcomes-Modelle bezeichnet werden. Bei dieser Art der statistischen Modellierung werden in einem ersten Schritt separate befragtenspezifische Analysen gerechnet, das heißt für jeden einzelnen Befragten wird eine eigene Regression geschätzt. Mögliche Differenzen im Antwortverhalten zwischen den Befragten werden damit berücksichtigt. In einem zweiten Schritt werden die Regressionskonstanten und die Steigungskoeffizienten dieser befragtenspezifischen Regressionsanalysen dann selbst zu abhängigen Variablen. Diese werden durch befragtenspezifische Variablen der zweiten Analyseebene zu erklären versucht. Auf Iversen geht zudem ein Vorschlag zurück, wie sich diese zweistufige Modellierung in ein simultanes Regressionsmodell integrieren lässt (vgl. Iversen 1991). Im Gegensatz zu den befragtenspezifischen separaten Regressionsanalysen werden sowohl bei der zweistufigen Modellierung, die Iversen als separate equations method bezeichnet, wie auch bei der von ihm entwickelten single equation method potentielle Unterschiede zwischen den Analyseeinheiten der zweiten Ebene nicht nur kontrolliert. Es besteht auch die Möglichkeit, den Einfluss von unabhängigen Variablen der zweiten Analyseebene, die diese Unterschiede zwischen den Befragten potentiell bedingen, empirisch zu testen. Auch wenn sie somit eine explizite Modellierung von Kontexteffekten zulassen, sind diese traditionellen Verfahrensweise der Kontextmodellierung im Hinblick auf ihre statistischen Schätzeigenschaften problematisch: Schon erwähnt wurde die Gefahr von instabilen Regressionskoeffizienten (bouncing betas), die drohen, wenn bei relativ geringen Fallzahlen einfache OLS-Regressionen eingesetzt werden. Ein weiterer Nachteil dieses klassischen Weges der Mehrebenenmodellierung besteht darin, dass hier von der Annahme ausgegangen wird, die Variation der Regressionskonstante und der Steigungskoeffizienten ließe sich vollständig durch eine oder mehrere Kontextvariablen erklären. Gerade diese deterministische Annahme ist aber in den meisten Fällen sehr unrealistisch und daher problematisch.
Analysestrategien
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Sie unterstellt ein Maß an Wissen über Kontexteffekte, das üblicherweise gar nicht vorhanden ist (vgl. Ohr 1999: 49). 10.2.3 Hierarchisch-Lineare-Modelle Eine in den letzten Jahren bei der Analyse von faktoriellen Survey-Daten immer populärer werdende Alternative zu den klassischen Slopes-as-Outcomes-Modellen stellen Verfahren dar, die unter der Bezeichnung Hierarchisch-Lineare-Modelle oder auch Mehrebenenmodelle bekannt geworden sind (vgl. Dülmer 2001: 7; Hox, Kreft, Hermkens 1991: 506f.).174 Auch bei dieser Klasse von statistischen Modellen, die vor allem seit Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre angewendet werden, wird für jede einzelne Untersuchungseinheit der Analyseebene zweiter Ordnung (Makroebene) eine eigene Binnenregression geschätzt. Möglichen Unterschieden zwischen diesen Kontexteinheiten wird auf diese Weise Rechnung getragen. Im Unterschied zu ihren zweistufigen Vorläufermodellen sind bei Hierarchisch-Linearen-Modellen die einzelnen Analyseschritte aber nicht hintereinander geschaltet, sondern mehrere Analyseebenen können in eine simultane Schätzung einbezogen werden. Die einzelnen Parameter werden zudem meistens mit Hilfe von MaximumLikelihood-Verfahren iterativ geschätzt, das heißt Daten und Koeffizienten werden wiederholt einander angepasst.175 In ausdrücklicher Berücksichtigung der hierarchischen Datenstruktur und ihrer Implikationen für die Eigenschaften der geschätzten Regressionskoeffizienten innerhalb der Aggregateinheiten werden Gewichtungs- und Korrekturverfahren eingesetzt (shrinkage procedure) (vgl. Ditton 1998: 126). Einfach ausgedrückt korrigieren diese die Problematik instabiler Regressionskoeffizienten dadurch, dass sie die Koeffizienten proportional zu ihrer geschätzten Präzision gewichten, das heißt sie werden dem mittleren Regressionskoeffizienten für den kompletten Datensatz angeglichen. Auf diese Weise werden extreme Schwankungen der Werte innerhalb der Analyseeinheiten zweiter Ordnung korrigiert. Verzerrende Effekte kleiner Stichprobengrößen sowie gegebenenfalls unterschiedlicher Stichprobengrößen können auf diese Weise ausgeglichen werden (vgl. Hox 2002: 27f.). Im Grunde sind diese in der empirischen Schulforschung entwickelten, anspruchsvollen statistischen Analyseverfahren nichts anderes als Weiterentwicklungen einfacher Regressionsmodelle. Neben den komplexeren Schätzmethoden, die eingesetzt werden, um die Parameter zu ermitteln, unterscheiden sie sich von einfachen Regressionsmodellen insofern, als die Regressionskonstante und die Regressionskoeffizienten nicht zwangsläufig unveränderlich sein müssen, sondern auch über die einzelnen Untersuchungseinheiten der zweiten Ebene eines hierarchischen Datensatzes hinweg variieren können.176 Mögliche Unter174
Wenn diese modernen Formen der Mehrebenenmodellierung zum Teil in der Literatur ganz allgemein als Mehrebenenmodelle bezeichnet werden, soll das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich natürlich auch bei den bereits geschilderten Slopes-as-Outcomes-Verfahren oder der klassischen Kontextanalyse mit Hilfe von DummyVariablen faktisch um Mehrebenenmodelle handelt. Hierarchisch-Lineare-Modelle bieten allerdings die derzeit aktuellste und am weitesten entwickelte Analysemöglichkeit hierarchisch strukturierter Daten. Zu den klassischen Verfahren der Mehrebenenanalyse vgl. ausführlich Langer 2004: 11-95. 175 Neben Maximum Likelihood-Schätzverfahren werden bei Mehrebenenanalysen vereinzelt auch alternative, noch komplexere Schätzverfahren wie zum Beispiel Bayesianische Verfahren oder Bootstrapping-Methoden eingesetzt. Einen kurzen Überblick über diese alternativen Schätzmethoden bietet Hox 2002: 37ff.. 176 Hierarchisch-Lineare-Modelle sind nicht auf die Analyse von zwei Ebenen beschränkt. Mit einigen der heute verfügbaren, modernen Statistikpakete zur Mehrebenenanalyse wie MLWin, HLM oder VARCL lassen sich auch
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Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten
schiede in den Regressionsparametern können außerdem durch Eigenschaften der Einheiten der zweiten Analyseebene erklärt werden. Die Besonderheiten dieser modernen Varianten der Mehrebenenmodellierung lassen sich anhand eines Vergleichs zwischen der Gleichung des einfachen linearen Regressionsmodells und der Gleichung des einfachen Hierarchisch-Linearen-Modells gut verdeutlichen. Das einfache lineare Regressionsmodell basiert auf der folgenden Formel: Abbildung 37: Grundmodell einer einfachen linearen Regression yi = b0 + b1x1i + ei; i = 1……n ei ~ N(0, V 2 ) mit: yi = beobachteter Wert der abhängigen Variable y für die Analyseeinheit i b0 = Regressionskonstante b1 = Regressionskoeffizient der unabhängigen Variable x1i = beobachteter Wert der ersten unabhängigen Variable x für den Merkmalsträger i (i = 1,….n) ei = Residuum beim Merkmalsträger i, d.h. nicht durch die unabhängige Variable erklärte Abweichung des beobachteten Wertes vom entsprechenden Schätzwert ei ~ N(0, V 2 ): Residuum ist normalverteilt mit Mittelwert 0 und Varianz V 2 Bei dieser Grundgleichung der linearen Regression wird unterstellt, dass die Werte der Regressionskonstante und der Regressionskoeffizienten über alle Kontexteinheiten hinweg gleich ausgeprägt sind. Im Rahmen der Mehrebenenanalyse wird diese Beschränkung aufgehoben und es wird berücksichtigt, dass das Niveau der abhängigen Variable wie die Effekte der unabhängigen Variable zwischen den Kontexteinheiten variieren können.
drei und mehr Ebenen in die Modellierung einbeziehen (einen Überblick über diese Programme geben z.B. Snijders, Bosker 1999: 239ff.). Der Einfachheit halber wird hier aber das Grundprinzip der Mehrebenenanalyse an einem Zweiebenen-Modell erläutert. Aus diesem Grund beschränkt sich die Darstellung auch auf einen bivariaten Zusammenhang.
Analysestrategien
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Abbildung 38: Grundmodell des Hierarchisch-Linearen-Modells177 yij = ß0j + ß1jx1ij+eij; i = 1,…nj ; j = 1,….J (1) ß0j = ß0 + u0j (random intercept) (2) ß1j = ß1 + u1j (random slope) (3) Setzt man (2) und (3) in (1) ein, dann ergibt sich Gleichung (4): yij = ß0 + ß1x1ij + u0j + u1jx1ij + eij (4) mit: yij = (beobachteter) Wert der abhängigen Variable y für die Vignette i des Befragten j ß0j = Regressionskonstante des Befragten j ß1j = Regressionskoeffizient des Befragten j xij = (experimentell variierender) Wert der unabhängigen Variable x für die Vignette i des Befragten j eij = Residuum für die Vignetten i des Befragten j ß0 = mittlere Regressionskonstante über alle Befragten u0j = Abweichung der Regressionskonstante beim Befragten j von der mittleren Regressionskonstante ß0 ß1 = mittlerer Regressionskoeffizient über alle Befragten u1j = Abweichung des Regressionskoeffizienten beim Befragten j von dem mittleren Regressionskoeffizienten ß1 eij ~ N(0 V e2 ): Residuum ist normalverteilt mit Mittelwert 0 und homogener Varianz V e2 u0j~ N(0, V uo2 ): Residuum ist normalverteilt mit Mittelwert 0 und homogener Varianz V uo2 Im Unterschied zum einfachen linearen Regressionsmodell umfasst diese Gleichung nicht nur einen Residualterm e für die erste Analyseebene, sondern auch einen Residualterm u für die zweite Analyseebene. Der Wert der abhängigen Variable yij ergibt sich als Summe eines aus fixen Effekten bestehenden Teils (den „b’s“) und eines aus zufälligen Effekten bestehenden Teils (den „u’s und e’s“).
177
Anmerkung: Modell mit random intercept und random slope, ohne erklärende Variablen. Ähnlich wie das einfache Regressionsmodell, das eine zufallsbedingte Normalverteilung der Fehlerterme unterstellt, basieren auch Hierarchisch-Lineare-Modelle, wie die formale Darstellung zeigt, auf der Annahme, dass die beiden Residualterme u und e normalverteilt sind.
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Analysestrategien bei der Auswertung von faktoriellen Survey-Daten
Bei der praktischen Anwendung von Hierarchisch-Linearen-Modellen im Rahmen der statistischen Modellierung werden viele verschiedene Varianten eingesetzt, die dieses Grundmodell auf unterschiedliche Weise abwandeln, indem sie es teilweise vereinfachen oder auch verkomplizieren (vgl. Engel, Simonson 2004: 310f.). Werden mehrere unabhängige Variablen in ein Regressionsmodell einbezogen, dann kann ein Teil der Effekte als fix, ein weiterer Teil als zufällig modelliert werden (vgl. Klein 2004: 28). Bei fixen Effekten wird angenommen, dass ein Regressionskoeffizient für alle Aggregateinheiten einer Stichprobe gültig ist. Dies entspricht den Annahmen der herkömmlichen OLS-Regression. Bei Zufallseffekten geht man dagegen davon aus, dass sich die Koeffizienten in ihren Effektstärken zwischen den Aggregateinheiten unterscheiden können. Nach demselben Prinzip kann auch die Regressionskonstante als unveränderlich oder als zufällig variierend angenommen werden. Wenn das spezifische Modell es zulässt, dass die Regressionskonstante über die Einheiten der zweiten Ebene variieren kann, spricht man von einem random intercept. Sind die Steigungskoeffizienten variabel, ist in der Terminologie der Mehrebenenanalyse von random slopes die Rede. Die Variation von Regressionskonstante und Regressionskoeffizienten kann aber nicht nur zugelassen werden. Es ist außerdem möglich, diese Variation von Regressionskonstante beziehungsweise Regressionskoeffizienten im Rahmen eines Regressionsmodells zweiter Ordnung ihrerseits auf unabhängige Variablen der zweiten Analyseebene zu regressieren. Der Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen ist bei sehr vielen politikwissenschaftlichen Problemstellungen die adäquate Analysestrategie. Dennoch werden hierarchisch organisierte Daten nach wie vor häufig unangemessen analysiert, was sich negativ auf die Qualität der gewonnenen Ergebnisse auswirken kann (vgl. Ditton 1998: 13). Das Potenzial von Mehrebenenanalysen wird in der Politikwissenschaft erst ganz allmählich entdeckt: “Political scientists frequently work with data measured at multiple levels, for example individual-level survey data, and aggregate contextual or demographic data. As such, the use of multilevel data structures is common in political science research. Moreover, many theories and hypotheses in political science hinge on the presumption that ‘something’ observed at one level is related to ‘something’ observed at another level. Yet despite the prevalence of cross-level or multilevel data and theories of political behavior, statistical methods to exploit the information found in multilevel data structures have not been widely used” (Steenbergen, Jones 2002: 218).
Auch zur Analyse von faktoriellen Survey-Daten erscheinen Hierarchisch-Lineare-Modelle am besten geeignet. Sie haben gegenüber den beiden anderen vorgestellten Analysevarianten erstens den Vorteil, dass sehr komplexe Abhängigkeitsstrukturen zwischen den Ebenen modelliert werden können, die dann entstehen, wenn neben den situationsspezifischen Dimensionen auch noch personenspezifische Merkmale als unabhängige Variablen berücksichtigt werden sollen (vgl. Hox 2002: 6). Zudem gelten die bereits beschriebenen Maximum Likelihood-Schätzverfahren als die robusteren Verfahren im Umgang mit komplexen Fehlerstrukturen, die aus der fehlenden Unabhängigkeit der einzelnen Vignettenurteile einer Person resultieren. Sie sind, wie schon erläutert, auch in der Lage, instabile Schätzwerte (so genannte bouncing betas) auszugleichen, die bei sehr kleinen Fallzahlen auftreten können. Da gleichzeitig die Zahl der Fälle pro Kontexteinheit bei faktoriellen Surveys immer vergleichsweise klein bleiben muss, um die interne Validität der Messung nicht zu gefährden, sind Mehrebenenanalysen eine attraktive Option.
Analysestrategien
249
Auch bezogen auf die hier zugrunde liegende Datenbasis und die Problemstellung dieser Arbeit scheint damit der Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen die beste der dargestellten Analysevarianten zu sein. Wie die theoretischen Überlegungen dieser Arbeit deutlich gemacht haben, ist es nämlich plausibel davon auszugehen, dass sich die einzelnen Teilnehmer des faktoriellen Surveys in ihren Vertrauensurteilen unterscheiden. Potenzielle befragtenspezifische Varianzen im Urteilsverhalten verstoßen aber, wie bereits weiter oben ausgeführt, gegen die Prämissen einfacher Regressionsmodelle. Diesen möglichen Unterschieden im Antwortverhalten zwischen den Befragten wird bei Mehrebenenmodellen explizit Rechnung getragen, indem für jeden einzelnen Befragten ein eigenes Regressionsmodell geschätzt wird. Zweitens liegen im vorliegenden Fall die unabhängigen Variablen auf unterschiedlichen Analyseebenen. Während die aus der ökonomischen Vertrauenstheorie sich herleitenden situationsspezifischen Vertrauensdeterminanten auf der Ebene der einzelnen Vignettenurteile und damit auf der Analyseebene erster Ordnung (Mikroebene) liegen, wurde die generelle Vertrauenseinstellung als personenspezifisches Merkmal und damit als Kontextmerkmal erhoben. Um die allgemeine Annahme einer kausalen Sequenz beider Vertrauenstheorien empirisch testen zu können, müssen aber beide Arten von unabhängigen Variablen simultan in die Berechnung einfließen.
11 Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Zur empirischen Überprüfung des im zweiten Teils der Arbeit entwickelten kausalen Sequenzmodells wurden, entsprechend den im letzten Kapitel präsentierten Überlegungen, schwerpunktmäßig Hierarchisch-Lineare-Modelle eingesetzt. Diese Analysen und ihre Ergebnisse werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Zunächst jedoch einige allgemeine Anmerkungen zur Anlage der Analyse. 11.1 Allgemeine Anmerkung zur Analysestrategie bei Mehrebenenanalysen Hierarchisch-Lineare-Modelle sind um einiges komplexer als einfache Regressionsmodelle. Zwar ist die Zahl der Variablen im vorliegenden Fall für Mehrebenenanalysen vergleichsweise gering, weil diese Verfahren nicht explorativ, sondern zum Test eines bereits entwickelten Kausalmodells eingesetzt werden.178 Dennoch empfiehlt es sich auch im vorliegenden Fall nicht, direkt ein komplettes statistisches Modell zu schätzen, welches alle spezifizierten Variablenbeziehungen dieses Modells beinhaltet. Eine solche Vorgehensweise ist bei Mehrebenenanalysen grundsätzlich nicht ratsam, es sei denn die Anzahl der Analyseeinheiten der ersten Analyseebene pro Analyseeinheit der zweiten Ebene ist sehr groß (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 256). Mit einem solchen saturierten Modell einzusteigen, kann aber selbst dann zu erheblichen Problemen in der Berechnung führen, da die Parameter auf mehreren Ebenen iterativ bis zu dem Zeitpunkt geschätzt werden, an dem sie konvergieren. Zudem ist ein solches vollständiges Modell sehr schwierig zu interpretieren (vgl. Hox 2002: 50). Sinnvoller ist es, sich an einer Art Baukastenprinzip zu orientieren und einen Analyseplan zu entwickeln, in dessen Rahmen zunächst einfach gehaltene Teilmodelle geschätzt werden, die dann Schritt für Schritt mit weiteren Parametern angereichert und immer komplexer werden. Dieses schrittweise Vorgehen ist auch deshalb notwendig, weil einige Maßzahlen und Werte, die üblicherweise herangezogen werden, um die Erklärungskraft eines bestimmten Mehrebenenmodells zu beurteilen, relationaler Art sind. Sie errechnen sich erst auf der Basis eines Vergleichs zwischen den einzelnen Teilmodellen. Dieser Vergleich basiert auf dem Prinzip der Verschachtelung. Wird ein komplexeres Modell mit einem einfacheren Modell verglichen, dann muss dieses komplexere Modell alle Parameter umfassen, die das einfachere Modell schon enthielt. Aus Sicht von Raudenbush und Bryk besteht daher die sinnvollste Analysestrategie bei der Spezifikation von Mehrebenenmodellen darin, sich langsam von einfachen zu immer komplexeren Modellen vorzutasten (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 256). Während Raudenbush und Bryk bei explorativen Mehrebenenanalysen konkrete Vorschläge für den Aufbau eines Analyseplans machen und eine aus fünf Stufen bestehende Analysestrategie empfehlen, wäre eine solche allgemeine Empfehlung bei 178
Zu diesen beiden Varianten des Einsatzes von Mehrebenenanalysen vgl. auch Hox 2002: 49.
Beschreibung des Datensatzes und deskriptive Ergebnisse
251
Mehrebenenanalysen, die zum Test bereits klar spezifizierter Hypothesen eingesetzt werden, wenig sinnvoll. Die Analysestrategie kann in diesem Fall nur in Abhängigkeit von theoretisch-methodischen Erwägungen und dem interessierenden Forschungsproblem entwickelt werden. Der Zuschnitt der Modelle und die Reihenfolge ihrer Schätzung sollten dabei mit besonderer Sorgfalt geplant werden, weil die statistischen Ergebnisse von solchen komplexen Regressionsschätzungen in viel stärkerem Umfang als bei einfacheren Analyseverfahren durch die gewählten Modellspezifikationen beeinflussbar sind (vgl. ebd.: 252ff.). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine Analysestrategie gewählt, die sich grob in drei große Schritte und einzelne Teilschritte unterteilen lässt. Ausgangspunkt der Modellierung ist ein einfaches lineares Ein-Ebenen-Regressionsmodell. Darauf aufbauend werden dann zur Überprüfung der in Kap. 7 spezifizierten Niveau- und Interaktionshypothesen zunehmend komplexere Hierarchisch-Lineare-Modelle geschätzt. In der folgenden Abbildung sind die einzelnen Schritte dieser Analyse schon einmal vorweggenommen und graphisch dargestellt. Kursiv und in Klammern finden sich hinter den jeweiligen Modellen auch bereits die im Rahmen der Analyse verwendeten Modellnummern. Diese Darstellung soll allerdings nur einen ersten groben Überblick vermitteln; die gewählten Modelle und die diesen Modellen zugrunde liegende Analysestrategie werden nach der Beschreibung des Datensatzes und der Präsentation einiger deskriptiver empirischer Ergebnisse (Kap. 11.1) Schritt für Schritt vorgestellt und begründet. Abbildung 39: Die einzelnen Schritte der statistischen Modellierung 1.
Einfaches Regressionsmodell Einfache ML-Regression nur mit situativen Anreizstrukturen (ökonomisches Modell) (Modell 1) » Kap. 11.3
2.
Random-Intercept-Modelle (RIM) Random-Intercept-Only-Modelle (Modell 2, Modell 3) Unkonditioniertes RIM (Modell 4) Konditioniertes RIM (Modell 5) » Kap. 11.4
3.
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle (RIRSM) Unkonditioniertes RIRSM (Modell 6) Konditionierte RIRSM (Modell 7, Modell 8) » Kap. 11.6
11.2 Beschreibung des Datensatzes und deskriptive Ergebnisse Der zu analysierende Datensatz verfügt, wie bereits mehrfach erwähnt, über eine hierarchische Datenstruktur, bei der die einzelnen Vignettenurteile der Befragten die Analyseebene erster Ordnung (synonym auch Mikroebene) und die Befragten die Analyseebene zweiter Ordnung (synonym auch Makroebene) bilden. Da von 238 realisierten Befragungen 237
252
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Befragte gültige Ergebnisse lieferten und diesen jeweils acht Vignetten zur Beurteilung vorgelegt wurden, basieren die Analysen auf einer Gruppengröße von n = 8 pro Befragtem bei 237 Aggregateinheiten. Die damit potenziell mögliche Gesamtzahl an Fällen von n = 1896 auf der Analyseebene erster Ordnung wurde aufgrund vereinzelter fehlender Werte bei der abhängigen Variable leicht unterschritten. Bei der Berechnung der Mehrebenenmodelle konnten maximal 1878 und minimal 1774 Fälle berücksichtigt werden.179 Diese Fallzahlen lassen insgesamt robuste Schätzergebnisse erwarten (vgl. Kap. 8.5.3). Abbildung 40: Merkmale des Datensatzes Datenstruktur
Hierarchisch; zwei Analyseebenen; » Analyseebene erster Ordnung = Befragtenebene; » Analyseebenen zweiter Ordnung = Vignettenebene
Vignettenzahl pro Befragtem
8
Realisierte Befragungen
238
Statistisch verwertbare Befragungen (Fallzahl auf der Analyseebene erster Ordnung)
237
Statistisch verwertbare Vignettenurteile (Fallzahl auf der Analyseebene erster Ordnung)
max. 1878; min. 1774
Nicht nur die Analyseeinheiten, auch die relevanten Untersuchungsvariablen liegen auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Während die abhängige Variable der Analyseebene erster Ordnung zuzurechnen ist, liegen die interessierenden unabhängigen Variablen auf der Analyseebene erster Ordnung und auf der Analyseebene zweiter Ordnung. Die aus Rational Choice-Perspektive zentralen Determinanten der Vertrauenserwartung sind mit Hilfe der Dimensionen operationalisiert worden, die im Rahmen des faktoriellen Survey systematisch variieren. Sie liegen auf der Ebene der einzelnen Vignettensituationen, die im vorliegenden Fall die Mikroebene bildet. Die generelle Vertrauenseinstellung sowie weitere Einstellungen und soziodemographische Variablen wie Alter und Geschlecht, die im Rahmen des ergänzenden Fragebogens erhoben worden sind, sind dagegen personenspezifische Merkmale und damit Variablen der übergeordneten Makroebene. Der Datensatz basiert auf einer Gelegenheitsstichprobe aus Studierenden (zur Begründung der gewählten Stichprobe ausführlich Kap. 8.4 und 8.5.3). Die befragten Studierenden waren zwischen 19 und 35 Jahre alt und hatten ein Durchschnittsalter von rund 23 Jahren. 179
Bei den komplexeren Mehrebenenmodellen, die das generelle Vertrauen als erklärende Variable der Analyseebene zweiter Ordnung mit einbeziehen, reduziert sich die Fallzahl in erster Linie wegen fehlender Werte bei der Makrovariable generelles Vertrauen.
Beschreibung des Datensatzes und deskriptive Ergebnisse
253
Mit knapp 60% war der Anteil der männlichen Studierenden etwas höher als der Anteil der weiblichen Studierenden. Die folgende Tabelle fasst einige deskriptive Ergebnisse zur Verteilung der nicht experimentell variierenden Variablen zusammen. Die Befragten haben eine mittlere situationsspezifische Vertrauenserwartung von 5,56. Mit einem Mittelwert von 5,49 verfügen sie über ein höheres durchschnittliches generelles Vertrauensniveau als der deutsche Bevölkerungsquerschnitt. Der Mittelwert desselben Items aus der deutschen Stichprobe der ersten Welle des European Social Survey beträgt nur 4,78.180 Das ist ein erwartungsgemäßes Ergebnis, weil eine Stichprobe aus Studierenden gleichzeitig über Merkmale wie einen hohen Bildungsstand, ein geringes Lebensalter und einen familiären Hintergrund verfügt, der durch relativen sozio-ökonomischen Wohlstand gekennzeichnet ist. Dies sind Faktoren, die gleichzeitig als wesentliche individuelle Determinanten des sozialen Vertrauens gelten (vgl. Alesina, La Ferrara 2002; Bornschier 2001; Delhey, Newton 2003; Kunz 2004). Interessanterweise nivelliert sich das Bild, wenn man die beiden Einstellungsitems Hilfsbereitschaft und Fairness betrachtet, die mit in den bereits ausführlich vorgestellten Vertrauensindex (vgl. Kap. 9.2) einfließen. Hier liegt der Mittelwert der Studierendenstichprobe sogar leicht unter dem Mittelwert der ESS-Stichprobe. Auffällig ist die im Vergleich zur ESS-Stichprobe geringe Standardabweichung bei allen drei Einstellungsitems des Vertrauensindexes in der Studierendenstichprobe. Sie zeigt, dass die befragten Studierenden in ihrem Antwortverhalten homogener als der durch die ESS-Stichprobe repräsentierte Bevölkerungsquerschnitt sind. Auch dies ist vermutlich durch die im Vergleich größere Homogenität im Hinblick auf relevante Drittvariablen wie Alter, Bildung und sozioökonomischer Hintergrund bedingt. Alle betrachteten Variablen weisen eine linksschiefe Verteilung auf, das heißt die niedrigen Werte streuen stärker als die hohen Werte. Der negative Kurtosis-Wert der Vertrauenswahrscheinlichkeit deutet auf eine relativ flache Verteilung der Werte ohne stärkere Häufungen hin.
180
Die erste Welle stammt aus dem Jahr 2002/2003. 2919 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet wurden im Rahmen dieser repräsentativen Erhebung befragt.
254
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Abbildung 41: Deskriptive Ergebnisse Variable
Variablenstatus/ AnalyseEbene
Gewählte Skalierung
Situationsspezifische Vertrauenserwartung („ökonomisches Vertrauen“)
AV/Mikroebene
Kurtosis/ Schiefe
Fallzahl
5,56(2,70); Elf Abstufungen plus Ausweichka- nicht erhoben tegorie; 0 = Auf keinen Fall kann man dem Vormieter vertrauen; 10 = Auf jeden Fall kann man dem Vormieter vertrauen.
-.77/-.29
1878
Generelles UV/Makroebene Vertrauen („soziologisches Vertrauen“)
wie oben; 0 = man 5,49(1,82) kann nicht vorsich- 4,78(4,38) tig genug sein; 10 = den meisten Menschen kann man vertrauen.
.40/-.62
229
Hilfsbereitschaft Einzelitem
UV/Makroebene
wie oben; 0 = die Menschen sind meistens auf den eigenen Vorteil bedacht; 10 = Die Menschen versuchen meistens hilfsbereit zu sein.
4,97(1,95) 5,12(5,18)
-.03/-.45
230
Fairness Einzelitem
UV/Makroebene
wie oben; 0 = Die meisten Menschen versuchen mich auszunutzen; 10 = Die meisten Menschen versuchen fair zu sein
5,77(1,77) 6,02(4,93)
.67/-.52
230
Vertrauensindex181
UV/Makroebene
-
5,43(1,55)
.40/-.62
223
Anmerkung: Die ESS-Werte sind kursiv gesetzt.
181
Zur Bildung des Vertrauensindex siehe Kap. 9.2.
Mittelwert (Standardabweichung)
Ein-Ebenen-Regressionsmodell
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11.3 Ein-Ebenen-Regressionsmodell Den Ausgangspunkt der statistischen Modellierung zur Überprüfung der kausalen Sequenz von soziologischer und ökonomischer Vertrauenstheorie bildet ein einfaches EinebenenRegressionsmodell mit fixer Regressionskonstante und fixen Regressionskoeffizienten (Modell 1). Es wird im weiteren Verlauf auch als „ökonomisches Modell“ bezeichnet, weil es dazu dient, die in Kapitel 7.2 hergeleiteten wesentlichen Brückenannahmen (H1-H4), die in der derzeitigen RC-Vertrauensliteratur diskutiert werden, auf direkte Weise empirisch zu testen. Es ermöglicht damit einen isolierten empirischen Test des Rational ChoiceVertrauenstheorie. Dieses Modell hat aber noch eine weitere Funktion: Es kann gleichzeitig im weiteren Verlauf der statistischen Analyse als Vergleichsmodell herangezogen werden, mit dessen Hilfe sich prüfen lässt, ob die angestrebte Theorieintegration in Form einer kausalen Sequenz zu einer Verbesserung der Erklärungsleistung beiträgt. Es beinhaltet die vier Dimensionen des faktoriellen Surveys (Vergangenheit, Zukunft, Netzwerkdichte und Commitment) als unabhängige Variablen. Die im faktoriellen Survey mittels einer RatingSkala erhobene situationsspezifische Vertrauenserwartung (im Folgenden synonym und der Einfachheit halber auch als „ökonomisches Vertrauen“ bezeichnet) bildet die abhängige Variable. Da die Dimensionen des faktoriellen Surveys kein metrisches Skalenniveau haben, sind sie in Form von Dummy-Variablen in die Regressionsgleichung eingeflossen. Aufgrund der Tatsache, dass alle vier Dimensionen nur über zwei Ausprägungen verfügen, blieb die Zahl der Dummy-Variablen bei vier, es mussten keine zusätzlichen Dummies gebildet werden.182 Auch die abhängige Variable hat nicht das bei klassischen linearen Regressionsschätzungen normalerweise geforderte, metrische Skalenniveau. Die Erhebung des ökonomischen Vertrauens erfolgte auf Basis einer Likert-Skala mit elf Ausprägungen (vgl. Tabelle 38). Allerdings ist es in der empirischen Sozialforschung gängige Praxis, likert-skalierte, kategoriale Variablen als metrisch zu interpretieren und lineare Regressionsmodelle einzusetzen, wenn diese mindestens fünf Ausprägungen haben.183 Das Einebenen-Regressionsmodell und die darauf aufbauenden Mehrebenenmodelle wurden mit Hilfe von MLWin berechnet. MLWin ist eines der Statistiksoftware-Pakete, die speziell zur Mehrebenenmodellierung entwickelt worden sind. Die Schätzung der Koeffizienten erfolgt in diesem und anderen auf dem Markt befindlichen Mehrebenenprogrammen iterativ und üblicherweise mittels eines Maximum-LikelihoodSchätzverfahrens. In Abhängigkeit von der Fallzahl der Untersuchungseinheiten innerhalb der Gruppen der zweiten Ebene erfolgt eine Anpassung der Schätzwerte in Richtung des durchschnittlichen Zusammenhangs in allen Einheiten der ersten Ebene (vgl. Pötschke 2006: 173). Alle Modellschätzungen basierten auf dem Iterative Generalized Least Squares-Schätzalgorithmus (IGLS), einer von zwei in MLWin verfügbaren MaximumLikelihood-Schätzvarianten. Im Unterschied zum zweiten Schätzverfahren, dem Restricted Generalized Least Squares-Algorithmus (RIGLS), beinhaltet die Likelihood-Funktion dieses Schätzverfahrens nicht nur die Varianzkomponenten der Fehlerterme, sondern auch die festen Regressionsparameter. Die Regressionsparameter werden bei der Schätzung der Varianzkomponenten als bekannte Größen behandelt. Theoretisch sollte das RIGLS182
Bei unabhängigen Variablen mit nur zwei Ausprägungen könnten alternativ zur Dummy-Regression auch Varianzanalysen eingesetzt werden. Beide statistischen Verfahren führen aber zu identischen Ergebnissen. 183 Ausführlicher zu dieser und weiteren Bedingungen, unter denen lineare Regressionsanalysen auch bei kategorialen Variablen eingesetzt werden können, vgl. Urban, Mayerl 2006: 275.
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Schätzverfahren, insbesondere in kleinen Stichproben, die besseren Schätzergebnisse erbringen (vgl. Pötschke 2006: 173), weil die IGLS-Schätzungen der Varianzkomponenten tendenziell nach unten verzerrt sind. Die Unterschiede zwischen den Schätzverfahren fallen aber bei der praktischen Datenanalyse kaum ins Gewicht (vgl. Hox 2002: 38). Dies zeigten auch die alternativen Berechnungen mit RIGLS im vorliegenden Fall. Für die Berechnung mittels IGLS sprechen gleichzeitig zwei Argumente: Sie ist zum einen einfacher als die Berechnung mittels RIGLS. Gleichzeitig hat sie den Vorteil, dass der globale LikelihoodRatio-Ȥ2-Test nicht nur, wie beim RIGLS, verwendet werden kann, um die statistische Signifikanz der Varianzkomponenten zu überprüfen, sondern auch zur Überprüfung der Signifikanz der Regressionsparameter (vgl. Langer 2004: 102f.). Die folgende Tabelle präsentiert die Ergebnisse dieser ersten Regressionsschätzung; alle Werte dieser Tabelle und der folgenden Berechnungen sind auf drei Nachkommastellen gerundet: Abbildung 42: Schätzergebnisse von Modell 1 Koeffizient (Standardfehler) Vergangenheit Zukunft Netzwerkdichte Commitment
1,740(0,104)*** 1,488(0,104)*** 1,730(0,104)*** 0,697(0,104)***
Regressionskonstante 2,742(0,166)*** Varianz e0i
5,075(0,166)
Devianz N
8380,199 1878
Anm:. ***= p 0,001 Der in der Tabelle ausgewiesene Devianzwert ist ein Wert für die Anpassungsgüte des geschätzten Modells. Er entspricht bei Mehrebenenmodellen dem -2log Likelihood. Je kleiner dieser Wert ist, desto größer ist die Übereinstimmung zwischen dem Modell und den empirischen Daten. Dieser Devianzwert lässt sich nicht unmittelbar interpretieren. Er dient aber als Basiswert für den Vergleich zweier alternativer Schätzmodelle. Ein solcher auf dem Devianzwert beruhender Modellvergleich kann mittels eines Likelihood-RatioTest durchgeführt werden. Mittels dieses Tests, der noch detaillierter vorgestellt werden wird, lässt sich ermitteln, ob sich die Anpassungsgüte zweier unterschiedlicher Hierarchisch-Linearer-Modelle, die durch Hinzufügen beziehungsweise Weglassen einzelner Parameter ineinander überführbar sind, signifikant voneinander unterscheidet (vgl. Snijders, Bosker 1999: 88). Im konkreten Fall ermöglicht dieser Test also nur eine Aussage darüber, ob bestimmte weitere Modellierungsschritte, die auf diesem Grundmodell aufbauen, die Modellgüte verbessern. Welche Erklärungskraft das ökonomische Modell für sich genommen hat, ist damit noch nicht klar. Als Näherungswert für die Erklärungskraft des ökonomischen Modells lässt sich aber der Wert des korrigierten R2 heranziehen, der sich ergibt, wenn man die Vignettenurteile aller Befragten in einem gepoolten Datensatz zusammenfasst und unter Missachtung der
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erzeugten hierarchischen Datenstruktur zusätzlich eine einfache OLS-Regression schätzt.184 Ein Ergebnis von .301, also von rund 30% erklärter Varianz, dokumentiert hier, dass die vier aus Rational Choice-Perspektive zentralen Variablen Vergangenheit, Zukunft, Netzwerkdichte und Commitment offenbar durchaus relevante Erklärungsgrößen sind, die bei der Bildung der situationsspezifischen Vertrauenserwartung eine Rolle spielen. Dieser Eindruck wird bestätigt, wenn man im vorliegenden Fall die Anteile an erklärter Varianz betrachtet, die sich bei befragtenspezifischen Regressionen ergeben. Solche befragtenspezifischen Regressionen und die erklärten Varianzen, die sie erbringen, sind auch insofern interessant, als sie relativ gute Anhaltspunkte dafür bieten, ob bzw. wie gut es gelungen ist, die zur Erklärung einer bestimmten abhängigen Variablen relevanten Dimensionen und Dimensionsausprägungen zu finden (vgl. auch Kap. 10.2.1). Im vorliegenden Fall ergeben die befragtenspezifischen Analysen ein relativ hohes durchschnittliches R2 von .668.185 Allerdings sind beide Arten von R2-Werten sehr mit Vorsicht zu interpretieren und maximal als grobe Richtwerte tauglich (vgl. zur kritischen Diskussion dieser Analysemöglichkeiten ebenfalls Kap. 10.2). Schließlich wird bei der gepoolten Regressionsanalyse die hierarchische Datenstruktur ignoriert, während bei den befragtenspezifischen Analysen die Zahl der berücksichtigten Fälle in Relation zur Anzahl der unabhängigen Variablen sehr gering ist. Bei der Interpretation von Regressionskoeffizienten aus einer Dummy-Regression ist zu beachten, dass diese immer in Relation zu einer Vergleichsgröße zu interpretieren sind, nämlich der Referenzkategorie, bei der alle Dummies den Wert null aufweisen (vgl. Urban, Mayerl 2006: 282; Ditton 1998: 78). Im vorliegenden Fall ist diese Referenzkategorie eine Entscheidungssituation (Vignettensituation), in der alle vier aus Rational ChoicePerspektive relevanten Bestimmungsfaktoren (Dimensionen) negativ ausgeprägt sind. In dieser Entscheidungssituation hat die Beziehung zum Interaktionspartner also weder eine Vergangenheit, noch wird sie vermutlich in Zukunft fortdauern, beide Partner sind auch nicht in ein dichtes Netzwerk an gemeinsamen Kontakten eingebettet und der Treuhänder geht auch keine freiwillige Selbstbindung (Commitment) ein. Der Wert der Regressionskonstante entspricht dem Wert, den die abhängige Variable unter diesen Bedingungen annimmt. Im vorliegenden Fall ist diese abhängige Variable auf einer Rating-Skala mit elf Abstufungen gemessen worden. Angesichts dieser gewählten Skalierung lässt sich ein Zuwachs der abhängigen Variable um mehr als einen Skalenpunkt bei positiver Ausprägung einer bestimmten unabhängigen Variable als substanzieller Effekt interpretieren. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die in Tabelle 39 aufgeführten unstandardisierten Regressionskoeffizienten, die im vorliegenden Fall vergleichbar sind, weil sie auf gleichen Skalen gemessen wurden, dann zeigt sich, dass gute Erfahrungen des Treugebers mit dem Treuhänder in der Vergangenheit den stärksten Effekt auf die Vertrauenserwartung ausüben (H1). Hat dieses Merkmal die Ausprägung eins, dann steigt das ökonomische Vertrauen in Relation zur erwähnten Referenzkategorie um 1,74 Skalenpunkte. Dies ist ein deutlicher, aber dennoch moderater Anstieg. Ähnlich stark ist mit 1,73 der Effekt der Einbettung von Treugeber und Treuhänder in ein dichtes Netzwerk (H3). Auch 184
Detaillierte Schätzergebnisse finden sich in Kap. 11.3; dort werden die Ergebnisse dieser einfachen OLSRegressionsanalyse mit denen entsprechender Mehrebenenanalysen unter statistisch-methodischen Gesichtspunkten verglichen. 185 Befragte, deren Werte der abhängigen Variablen keine Varianz aufweisen, sind für solche befragtenspezifischen Analysen nicht brauchbar (vgl. Jasso, Opp 1997: 956). Befragtenspezifische Regressionen konnten entsprechend nur für 233 Befragte berechnet werden.
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
die Erwartung einer gemeinsamen Zukunft hat einen substanziellen Effekt auf die situationsspezifische Vertrauenserwartung. Sie führt immerhin noch zu einer Zunahme dieser Vertrauenserwartung um fast 1,5 Skalenpunkte (H2). Die Variable Commitment erweist sich als wenig erklärungskräftig, dennoch steigt der Wert der situationsspezifischen Vertrauenserwartung p auch hier um 0,7 Skalenpunkte, wenn der Treuhänder eine freiwillige Selbstbindung anbietet (H4). Zudem sind alle vier Effekte sehr signifikant, was mit aller gebotenen Vorsicht als zusätzlicher Hinweis auf die Bedeutsamkeit dieser Effekte interpretiert werden kann. Signifikanztests werden nämlich üblicherweise auch dann als probates statistisches Mittel herangezogen, wenn inferenzstatistische Interpretationen unmöglich oder gar nicht intendiert sind. Dies ist dann der Fall, wenn zum Beispiel bei ländervergleichenden Aggregatdatenanalysen mit der Grundgesamtheit selbst gearbeitet wird (vgl. Lijphart 1999; kritisch dazu Kunz 2001, Behnke 2003), oder wenn, wie im vorliegenden Fall, das einer Studie zugrunde liegende Sample nicht die Kriterien einer echten Zufallsstichprobe erfüllt (vgl. Dülmer 2001: 13).186 In Fällen wie diesem sollte sich die Beurteilung der Bedeutsamkeit statistischer Effekte nicht in erster Linie auf die Interpretation von Signifikanzen stützen.187 Vor dem Hintergrund der gängigen Forschungspraxis erscheint es aber dennoch gerechtfertigt, Signifikanzwerte neben anderen statistischen Parametern als zusätzliche Kriterien für die Robustheit statistischer Ergebnisse heranzuziehen.188 Das relativ gute Abschneiden der vier Brückenhypothesen ist ein Ergebnis, welches sich mit bereits existierenden empirischen Ergebnissen deckt. Es liegen mittlerweile einige wenige empirische Studien vor, die Einbettungseffekte auf Vertrauen empirisch überprüft haben. Auch sie belegen, dass zeitliche Einbettung, also sowohl die Erwartung zukünftiger Transaktionen als auch frühere Erfahrungen mit dem Treuhänder, die Vertrauens- und Kooperationsbereitschaft positiv beeinflussen. Ähnliches haben diese Studien für die strukturelle Netzwerkeinbettung belegt; dichte, eng verwobene Netzwerkstrukturen scheinen die Vertrauensbereitschaft zu steigern.189 Einen positiven Effekt der freiwilligen Selbstbindung auf Vertrauen finden auch Raub und Keren (vgl. Raub, Keren 1993). Der Rational ChoiceVertrauensansatz bewährt sich damit insgesamt im isolierten empirischen Theorietest recht gut. 11.4 Random-Intercept-Modelle Aus dem Blickwinkel des ökonomischen Vertrauensansatzes betrachtet könnte die Analyse an dieser Stelle enden. Aus dieser Perspektive wird angenommen, dass die Vertrauenswahrscheinlichkeit nur situationsbezogen, nicht aber in Abhängigkeit von personenbezoge186
Bei der hier verwendeten Stichprobe ist die Grundgesamtheit nicht klar bestimmbar; die Auswahl der Studierenden erfolgte zudem nach Gelegenheit und nicht nach Zufallsprinzip oder einem als gleichwertig geltenden Verfahren der kontrollierten Stichprobenziehung. 187 Gegen ein solches unangemessenes Vorgehen richtet sich die folgende polemische Kritik von Dubben und Beck-Bornholdt: „Die gegenwärtige normale Praxis, ausschließlich den p-Wert zu berücksichtigen, ist nicht geeignet, wahre Ergebnisse von Zufallstreffern hinreichend zuverlässig zu unterscheiden. Sie ist aber geeignet, zu ‚beweisen‘, dass der Papst ein Außerirdischer ist“ (Dubben, Beck-Bornholdt 2006: 74). 188 Mit derselben Begründung lässt sich auch die später noch präsentierte Berechnung von Konfidenzintervallen rechtfertigen, die ebenso zum Instrumentarium der Inferenzstatistik zählen. 189 Vgl. Buskens, Weesie 2000a; Batenburg, Raub, Snijders 2003; Gautschi 2002; Raub, Buskens 2004.
Random-Intercept-Modelle
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nen Merkmalen variiert. Träfe dies zu, dann wären die Vignettenurteile einer Person zueinander nicht homogener als die Vignettenurteile unterschiedlicher Personen. Die Unabhängigkeitsannahme, die bei einfachen Regressionen erfüllt sein sollte, wäre nicht verletzt. Unter diesen Bedingungen Hierarchisch-Lineare-Modelle einzusetzen wäre zwar nicht grundsätzlich falsch, da aufgrund der gewählten Art der Datenerhebung in jedem Fall eine hierarchische Datenstruktur vorliegt. Getreu dem Aphorismus „auf Spatzen mit Kanonen schießen“ wäre eine solche Vorgehensweise aber überzogen. Schließlich sind EinebenenRegressionen wesentlich leichter zu interpretieren als komplexe Mehrebenenmodelle und in einem solchen Fall ausreichend. Übersetzt in die Terminologie der Mehrebenenanalyse unterstellt ein solches klassisches Einebenen-Regressionsmodell, dass die Varianz der abhängigen Variable vollständig durch Variablen der Mikroebene erklärbar ist. Die Position dieser Arbeit weist allerdings über diese ökonomische Sichtweise hinaus. Wie im theoretischen Teil ausführlich dargestellt und begründet worden ist, wird davon ausgegangen, dass ein rein anreizbasiertes, ökonomisches Modell zur Erklärung der Vertrauensbildung in konkreten Entscheidungssituationen zu kurz greift und einer Erweiterung um eine kulturelle Komponente, nämlich um das generelle Vertrauen in andere Menschen bedarf. Eine solche Erweiterung lässt sich nach den Annahmen dieser Arbeit in Form einer kausalen Sequenz beider Vertrauenstheorien erzielen. Sind diese allgemeine Annahme einer kausalen Sequenz und die damit in Verbindung hergeleiteten spezifischen Niveauund Interaktionshypothesen zutreffend, dann müssten sich statistische Modelle finden lassen, die die empirischen Daten besser abbilden als das oben präsentierte ökonomische Modell. Die theoretische Integration in Form einer kausalen Sequenzierung setzt schließlich gerade voraus, dass die situationsspezifische Vertrauenserwartung nicht nur situationsbezogen, sondern auch befragtenspezifisch variiert. Aus einer integrativen Perspektive betrachtet sind die situationsspezifischen Variablen der Mikroebene alleine unzureichend, um Unterschiede in der Vertrauenserwartung zu erklären. Auch personenspezifische Merkmale der Makroebene, und dabei im Besonderen die generelle Vertrauenseinstellung der befragten Personen, sollten einen substanziellen Beitrag zur Erklärung der Wahrscheinlichkeit leisten, mit der eine Person in einer konkreten Situation Vertrauen vergibt. 11.4.1 Machen personenspezifische Merkmale einen Unterschied? Der Erklärungsbeitrag der Makroebene In einem zweiten Analyseschritt geht es daher zunächst um die Frage, wie viel die Mikroebene der vignettenspezifischen Merkmale und wie viel die Makroebene, also die personenspezifischen Merkmale erklären. Zugespitzt formuliert geht es darum herauszufinden, ob personenspezifische Merkmale bezogen auf die situationsspezifische Vertrauenserwartung überhaupt einen Unterschied machen. Dieser Analyseschritt ist so etwas wie eine Feuerprobe für die oben nochmals wiederholte zentrale Annahme dieser Studie. Zeigt sich hier bereits, dass die Makroebene nichts oder kaum etwas erklärt, Vertrauen also nicht interpersonell, sondern nur intrapersonell und situationsabhängig variiert, wäre das Vorhaben einer kausalen Sequenzierung schon in dieser frühen Stufe empirisch gescheitert. Nur wenn die Makroebene einen substanziellen Teil der Varianzaufklärung erbringt, ist es sinnvoll, in einem weiteren Schritt zu testen, welcher Anteil dieser erklärten Varianz sich auf die aus soziologischer Perspektive zentrale generelle Vertrauenseinstellung zurückführen lässt. Die
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Frage nach der empirischen Relevanz der kausalen Sequenzierung ist damit unmittelbar von dem Ergebnis dieses zweiten Analyseschrittes abhängig. Die Annahme, dass die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung statistisch bedeutsam zwischen den befragten Personen variiert, sollte sich entsprechend bestätigen. Um zu überprüfen, ob es solche statistisch bedeutsamen Unterschiede im ökonomischen Vertrauen gibt, wurden zunächst einfache Arten von Hierarchisch-LinearenModellen berechnet. Im Unterschied zum ökonomischen Modell lassen diese Modelle es zu, dass die Regressionskonstante zwischen den Analyseeinheiten der Kontextebene, also im vorliegenden Fall zwischen den Befragten, variiert. Mögliche befragtenspezifische Unterschiede werden so explizit in Rechnung gestellt. Weil bei diesen Modellen zunächst nur die Regressionskonstante variieren kann, die Regressionskoeffizienten aber weiterhin als über die Ebenen hinweg unveränderlich modelliert werden, nennt man diese Klasse von statistischen Modellen auch Random-Intercept-Modelle.190 Das erste und einfachste dieser Random-Intercept-Modelle (Modell 2), das im Folgenden präsentiert wird, beinhaltet nur eine Regressionskonstante und zwei Residualterme. Einer dieser Residualterme ist auf die einzelnen Vignettenurteile bezogen, der andere auf die einzelnen Befragten. Dieses Modell enthält noch keine erklärenden Variablen und wird daher in der Fachliteratur zur Mehrebenenanalyse oft als Leeres Modell (empty model) oder als Random-Intercept-Only-Modell bezeichnet (vgl. Snijders, Bosker 1999: 45ff.; Langer 2004: 107).191 Bei diesem Modelltypus wird zugelassen, dass die Regressionskonstante zwischen den Untersuchungseinheiten der zweiten Ebene zufällig variieren kann. Die Regressionskonstante b0 des einfachen Regressionsmodells wird dazu durch eine personenspezifische Konstante b0j ersetzt, die sich wiederum aus einer durchschnittlichen Konstante b0 für alle Personen und einer personenspezifischen Abweichung von diesem Mittelwert u0j zusammensetzt. Auf diese Weise wird die hierarchische Struktur der Daten abgebildet. Das Leere Modell ist die einfachste und sparsamste Variante der Hierarchisch-LinearenModelle. Seine Berechnung ist meistens der erste Schritt im Rahmen von Mehrebenenanalysen. Es besitzt selbst noch keine unmittelbare Erklärungskraft, ermöglicht aber eine Zerlegung der Gesamtvarianz in die Varianzanteile, die von den beiden Analyseebenen gebunden werden. Im konkreten Fall kann auf Basis dieses Modells berechnet werden, welcher Anteil der über alle Personen und Vignettensituationen hinweg auftretenden Gesamtvarianz der abhängigen Variablen, also der situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartung, durch Unterschiede zwischen den Personen (Intergruppenvarianz) bezie190
Damit der Einsatz dieser Random-Intercept-Modelle, wie auch von Hierarchisch-Linearen-Modellen ganz allgemein, zu statistisch validen Ergebnissen führt, sollten gewisse Modellprämissen erfüllt sein, die denen bei einfachen Regressionen ähneln. Neben der Linearität der Beziehungen sind dies in erster Linie die Bedingungen der Homoskedastizität und der Normalverteilung der Residuen. Die Streuung der Residuen auf der ersten und der zweiten Analyseebene sollte normalverteilt sein und über einen Mittelwert von 0 verfügen. Formal ausgedrückt setzen alle Modelle voraus, dass eij~N(0, V e ) bzw. u0j ~N(0, 2
V u20 ).
Eine Verletzung dieser Prämissen kann zu Verzerrungen in den Standardfehlern der Level-2-Koeffizienten, der Level-1-Koeffizienten und der Varianzkomponenten führen (vgl. Maas, Hox 2004b 428; Raudenbush, Bryk 2002: 253f., 273). Die Residuenstruktur aller im weiteren Verlauf der Analyse präsentierten Hierarchisch-Linearen Modelle wurde entsprechend mittels Normalverteilungsplots untersucht. Die graphische Prüfung der Residuen ergab keine Hinweise auf eine Verletzung dieser Annahmen. 191 Alternativ finden sich auch noch die Bezeichnungen vollständig unkonditioniertes Modell (vgl. Klein 2004: 36) oder einfaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) mit Zufallseffekten (vgl. Ditton 1998: 60; Langer 2004: 107).
Random-Intercept-Modelle
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hungsweise durch Unterschiede zwischen den Vignettensituationen einer Person (Intragruppenvarianz) bedingt ist. Mit Hilfe des Leeren Modells lässt sich damit klären, ob es statistisch bedeutsame interpersonelle Unterschiede im ökonomischen Vertrauen gibt oder ob Unterschiede in dieser situationsspezifischen Vertrauenserwartung lediglich durch vignettenspezifische, und damit situationsbezogene, Merkmale bedingt sind. Dem Leeren Modell liegen folgende Gleichungen zugrunde:192 Abbildung 43: Gleichung von Modell 2 (Leeres Modell) Ebene-1-Modell (2.1): yij = ß0j+eij Ebene-2-Modell (2.2): ß0j = ß0+u0j kombiniert (2.3): yij = ß0 + u0j + eij Legende: yij = beobachteter Wert der abhängigen Variable y für die Vignette i von Person j. ß0j = mittlere Regressionskonstante von Person j über alle Vignettenurteile; entspricht dem geschätzten Gruppenmittelwert eij = Residuum der ersten Ebene: Abweichung des Vignettenurteils i vom geschätzten Gruppenmittelwert ß0 = mittlere Regressionskonstante über alle befragten Personen u0j = Residuum der zweiten Ebene: Abweichung der Regressionskonstante bei Person j von ß0. Das Leere Modell schätzt den Gesamtmittelwert der abhängigen Variablen sowie je eine Varianzkomponente für die Ebene der Befragten (Intergruppenvarianz) und für die Ebene der Vignettenurteile (Intragruppenvarianz). Das Ebene-1-Modell drückt die situationsspezifische Vertrauenserwartung in einer Vignettensituation i bei Person j als eine Funktion seiner durchschnittlichen spezifischen Vertrauenserwartung (mittlere Regressionskonstante von Person j bzw. Gruppenmittelwert ß0j) und eines Fehlerterms der Vignettenebene (eij) aus. Die Intragruppenvarianz steht für die Abweichung dieser geschätzten Werte von ihrem Gruppenmittelwert. Nach dem Ebene-2-Modell ist die durchschnittliche spezifische Vertrauenserwartung von Person j eine Funktion des Mittelwertes über alle Personen (Gesamtmittelwert ß0) und eines Fehlerterms der Befragtenebene (u0j). Die Intergruppenvarianz bringt die Abweichung der geschätzten Gruppenmittelwerte vom Gesamtmittelwert zum Ausdruck. Die Ergebnisse der Schätzung des Leeren Modells sind in der folgenden Tabelle dokumentiert:
192
Die hier verwendete Notation orientiert sich an Ditton 1998. Bis auf manchmal verwirrende, geringfügige Abweichungen ist sie in den gängigen Lehrbüchern zur Mehrebenenanalyse (vgl. Raudenbush, Bryk 1992; Engel 1998; Snijders, Bosker 1999; Hox 2002; Langer 2004) nahezu identisch.
262
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Abbildung 44: Schätzergebnisse von Modell 2 (Leeres Modell) Fixe Parameter Regressionskonstante
5.558(0.118)***
Varianzkomponenten Intragruppenvarianz
V e2
4,547(0,159)+++
Intergruppenvarianz
V u20
2,711 (0,303)+++
Devianz
8586,659
N (Level-1-Ebene)
1878
Anmerkung: Die Schätzwerte sind Maximum-Likelihood-Schätzwerte (IGLS); die Standardfehler stehen in Klammern; ***p < .001; +++ = p < .0005193 Wie sich aus dieser Tabelle mit den Schätzergebnissen ablesen lässt, sind die beiden Varianzkomponenten sehr signifikant von null verschieden. Dies lässt sich als erster Hinweis darauf interpretieren, dass offenbar substanzielle Unterschiede zwischen den Befragten bestehen und eine Berücksichtigung der Kontextebene in den folgenden Modellierungsschritten statistisch sinnvoll ist. Einen ersten Eindruck vom Ausmaß der interpersonellen Varianz in der durchschnittlichen, situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartung gibt ein 95%-iges Konfidenzintervall, das auf Basis der vorliegenden Schätzergebnisse einfach zu berechnen ist (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 71; Rumberger, Palardy 2004: 242). Unter der oben formulierten Annahme, dass die Intergruppenvarianz ein standardnormalverteiltes Merkmal ist, zeigt dieses Instrument der deskriptiven Statistik die plausible Bandbreite der Vertrauensmittelwerte: Abbildung 45: Berechnung eines Konfidenzintervalls für die Regressionskonstante ß0 ± 1,96 *
V u20 = 5,558 ± 1,96 * 2,711 = (2,331; 8,785)
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die durchschnittliche situationsspezifische Vertrauenserwartung deutlich zwischen den Befragten differiert. Sie liegt bei den Befragten mit der höchsten durchschnittlichen spezifischen Vertrauenserwartung (97,5tes Perzentil) bei einem Wert von rund 8,8 und damit viel höher als bei den Befragten mit der niedrigsten durchschnittlichen situationsspezifischen Vertrauenserwartung (2,5tes Perzentil), bei denen der Wert nur rund 2,3 beträgt. 193
Der Wert von 0,0005 für die Irrtumswahrscheinlichkeit kommt deshalb zustande, weil angewendet auf Varianzkomponenten nur ein einseitiger Signifikanztest statistisch sinnvoll ist. Die p-Werte der Signifikanz, die sich aus der Chi-Quadrat-Verteilung für die jeweiligen Freiheitsgrade ergeben, müssen entsprechend halbiert werden. Der Grund dafür ist, dass Varianzen grundsätzlich positiv sind und ein zweiseitiger Test damit nicht möglich wäre (vgl. Snijders, Bosker 1999: 90; Hox 2002: 43).
Random-Intercept-Modelle
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Dass sich die befragten Personen deutlich in ihren situationsspezifischen Vertrauenserwartungen unterscheiden, zeigt auch ein Likelihood-Ratio-Test. Im Rahmen dieses bereits erwähnten Tests, der dem F-Test bei der klassischen OLS-Regression entspricht und damit ein globales Maß der Anpassungsgüte von Mehrebenenmodellen darstellt, können die Devianzwerte zweier ineinander verschachtelter Modelle miteinander verglichen werden. Werden IGLS-Schätzverfahren eingesetzt, dann gilt für diese Modelle, dass die Differenz ihrer Loglikelihood-Werte (Devianzen) einer Ȥ2-Verteilung folgt (vgl. Snijders, Bosker 1999: 88f.; Langer 2004: 116f.). Beim Likelihood-Ratio-Test wird zunächst zur oben formulierten Annahme, wonach sich die befragten Personen statistisch bedeutsam in ihren spezifischen Vertrauenserwartungen (abhängige Variable) unterscheiden, die zugehörige Nullhypothese formuliert. Gemäß dieser Nullhypothese müssten die Mittelwerte der abhängigen Variable, die sich aus den einzelnen Vignettenurteilen einer Person errechnen, mit dem Gesamtmittelwert der abhängigen Variable aller Befragten identisch sein. Korrespondierend zu dieser Nullhypothese wird ein Nullmodell des Leeren Modells spezifiziert. Es basiert auf der Annahme, dass die Varianz der kontextspezifischen Regressionskonstanten gleich null ist (vgl. Langer 2004: 117). Die Gleichung dieses Nullmodells des Leeren Modells (Modell 3) hat die folgende Form: Abbildung 46: Gleichung von Modell 3 (Nullmodell des Leeren Modells) Nullhypothese H0: Für alle Befragten j gilt: b0j = b0 Ebene-1-Modell (3.1): yij = ß0j+eij Ebene-2-Modell (3.2): ß0j = ß0 kombiniert (3.3): yij = ß0 + eij Die Ergebnisse dieser Modellschätzung sind in der folgenden Tabelle aufgelistet: Abbildung 47: Schätzergebnisse von Modell 3 Fixe Parameter Regressionskonstante
5.561(0.062)***
Varianzkomponenten Intragruppenvarianz
V e2
7,260(0,237)+++
Intergruppenvarianz
V u20
/
Devianz
9052,484
N (Level-1-Ebene)
1878
Anmerkung: Die Schätzwerte sind Maximum-Likelihood-Schätzwerte (IGLS); die Standardfehler stehen in Klammern; *** p < 0,001; +++ = p < 0,0005.
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Auf Basis der Schätzwerte des Leeren Modells und des Nullmodells des Leeren Modells kann dann der folgende Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test durchgeführt werden: Abbildung 48: Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 2 und 3 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Prüfgröße = Devianz Modell 3– Devianz Modell 2 = 9052,484 - 8586,659 = 465,825 Anzahl der Freiheitsgrade (F.G) = F.G. 2 – F.G. 3194 =3-2=1 Kritischer Ȥ2-Wert ( p 0.0005 ; F.G. = 1) = 10,8 (vgl. Clauß et al. 1994: 362-363 zit. nach Schumann 1997: 258) Testergebnis: Ȥ2 Prüfgröße t Ȥ2 Kritischer Wert » Nullhypothese kann verworfen werden! Der sich ergebende empirische Likelihood-Ratio-Ȥ2-Wert ist mit 465,825 viel größer als die kritische Prüfgröße. Es gibt also eine hochsignifikante interpersonelle Variation in den situationsspezifischen Vertrauenserwartungen. Die Nullhypothese kann damit verworfen werden. Das Ausmaß an spezifischem Vertrauen variiert statistisch bedeutsam zwischen den Personen. In konkreten vertrauenssensiblen Situationen zeigen sich nicht nur den Werten nach substanzielle, sondern auch hochsignifikante Unterschiede in den Vertrauenserwartungen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Bildung von situationsspezifischen Vertrauenserwartungen nicht ausschließlich durch situative Anreize determiniert wird, sondern dass auch personenspezifische Merkmale eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie hoch der Anteil an der Gesamtvarianz des situationsspezifischen Vertrauens ist, der maximal auf Unterschiede zwischen den Befragten zurückgeführt werden kann. Im Rahmen von Mehrebenenanalysen wird dazu der so genannte Intraklassenkorrelationskoeffizient ȡ (rho) berechnet. Der Wert dieses Koeffizienten gibt Aufschluss darüber, welcher Anteil an der Gesamtvarianz maximal durch die Einbeziehung personenspezifischer Makrovariablen erklärt werden kann. Seiner Berechnung liegt die folgende Gleichung zugrunde (vgl. Hox 2002: 15): Abbildung 49: Berechnung des Intraklassenkorrelationskoeffizienten ȡ ȇ=
2,711 ı 2u0 = 2 2 ı u0 ıe 2,711 4,547
0,374
Legende: ı 2u0 = Intergruppenvarianz
ı e2 = Intragruppenvarianz
194
Die Anzahl der Freiheitsgrade entspricht dabei der Anzahl der als fix oder als random geschätzten Effekte.
Random-Intercept-Modelle
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Im konkreten Fall ergibt sich ein Wert von 0,374. 37,4% der Gesamtvarianz des ökonomischen Vertrauens können auf Unterschiede zwischen den befragten Personen zurückgeführt werden, die Makroebene bindet also rund 37% der Gesamtvarianz. Dieser Wert steht für die Obergrenze der Varianzaufklärung, die im günstigsten Fall durch die Einbeziehung befragtenspezifischer Merkmale erbracht werden kann. Der Anteil der Varianz, die durch die Mikroebene gebunden wird, beträgt im Umkehrschluss 62,6%. Durch die Berücksichtigung vignettenspezifischer Merkmale können also im günstigsten Fall maximal rund 63% erklärt werden. Die Relevanz von personenspezifischen Merkmalen als Erklärungsfaktoren wird durch dieses Ergebnis eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der Wert von ȡ lässt sich zusätzlich als Hinweis darauf interpretieren, dass der Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen beim vorliegenden Datensatz statistisch sinnvoll ist. Der Intraklassenkorrelationskoeffizient zeigt nämlich nicht nur an, welcher Anteil an der Gesamtvarianz von der Kontextebene gebunden wird, sondern gibt als Korrelationskoeffizient auch Aufschluss darüber, wie stark die Analyseeinheiten erster Ordnung innerhalb einer bestimmten Analyseeinheit zweiter Ordnung voneinander abhängig sind. Zieht man zufällig zwei Analyseeinheiten erster Ordnung, die derselben Analyseeinheit zweiter Ordnung angehören, hier also zwei Vignetten ein- und desselben Befragten, dann entspricht die Intraklassenkorrelation der Korrelation zwischen den Werten der abhängigen Variable, die sich aus den Vignettenurteilen ergeben (vgl. Snijders, Bosker 1999: 16f.). Wie in Kapitel 10.1 dargestellt, ist bei hierarchischen Datenstrukturen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Residuen nicht voneinander unabhängig sind, sondern untereinander korrelieren. Der Intraklassenkorrelationskoeffizient zeigt das Ausmaß dieser Autokorrelation der Residuen an. Seine Berechnung ist damit auch ein Test dafür, ob der Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen anstelle der einfacher handhabbaren linearen Regressionen wirklich notwendig ist. Nur wenn sein Wert deutlich von null verschieden ist, ist der Einsatz von Mehrebenenmodellen empfehlenswert. Je höher er ist, desto stärker ist auch die Clusterung der Residuen, und desto stärker sollten die Verzerrungen in den Schätzergebnissen beim Einsatz von einfachen OLS-Regressionen ausfallen. Ist der Wert von ȡ dagegen nicht deutlich von null verschieden, kann auf die Anwendung von Mehrebenenmodellen trotz der hierarchischen Datenstruktur verzichtet werden (vgl. Klein 2004: 6). Im vorliegenden Fall deutet das Ergebnis des Intraklassenkorrelationskoeffizienten darauf hin, dass der Einsatz von Hierarchisch-Lineare-Modellen durchaus angemessen ist. 11.4.2 Der Erklärungsbeitrag der Rational Choice-Determinanten und der generellen Vertrauenseinstellung Am Wert des bereits berechneten Intraklassenkorrelationskoeffizienten ließ sich ablesen, wie sich die Gesamtvarianz auf die beiden Varianzkomponenten aufteilt, welcher Anteil der Varianz der abhängigen Variablen also maximal durch Variablen der Makroebene und durch Variablen der Mikroebene erklärt werden kann. Als nächstes geht es nun darum, diese black box zu füllen und zu schauen, wie viel die im theoretischen Teil hergeleiteten unabhängigen Variablen erklären. Den Regressionskoeffizienten aus Modell 1 nach zu urteilen, haben die vier aus Rational Choice-Perspektive relevanten situativen Anreizstrukturen einen Effekt auf die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung (vgl. Kap. 11.2). Welcher Anteil an der Varianz dieser Vertrauenserwartung allerdings
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
durch diese vier Rational Choice-Determinanten erklärt wird, ist nach wie vor offen. Da diesen Variablen aus ökonomischer Perspektive wesentliche Effekte auf die Vertrauenswahrscheinlichkeit zugeschrieben werden, sollten sie einen deutlichen Anteil der Varianz der abhängigen Variablen binden. Die erste Frage, die in den folgenden Analyseschritten zu klären ist, lautet entsprechend: Welcher Varianzanteil wird durch die RC-Variablen erklärt? Zweitens ist noch offen, was passiert, wenn zusätzlich zu diesen Rational ChoiceDeterminanten, die in der vorliegenden Modellierung auf der Mikro- oder Level-1-Ebene liegen, die generelle Vertrauenseinstellung mit in das statistische Modell hinein genommen wird. Dieser Analyseschritt ist im Rahmen der empirischen Überprüfung der angestrebten Theorieintegration von zentraler Bedeutung. Nur wenn sich die Varianzaufklärung durch Erweiterung der statistischen Modelle um diese Makrovariable substanziell verbessert, dann kann die Integration des soziologischen und des ökonomischen Vertrauensansatzes in Form einer kausalen Sequenz auch als empirisch bewährt gelten. Die zweite zentrale Frage, die zu beantworten ist, lautet entsprechend: Welcher Varianzanteil wird durch die generelle Vertrauenseinstellung erklärt? Was in diesem Zusammenhang von Interesse ist, ist die partielle Varianzaufklärung. Es geht darum zu ermitteln, wie viel an den 62,6% Varianzaufklärung der Mikroebene auf die RC-Determinanten entfällt, bzw. welchen Anteil an den 37,4% Varianzaufklärung der Makroebene das generelle Vertrauen bindet. Zur Beantwortung dieser beiden Fragestellungen wurden zwei weitere RandomIntercept-Modelle geschätzt (Modell 4 und Modell 5). Modell 4 beinhaltet zusätzlich zur Regressionskonstante die aus Rational Choice-Perspektive zentralen Vertrauensdeterminanten. Sie sind repräsentiert durch die vier Dimensionen des faktoriellen Surveys Vergangenheit, Zukunft, Netzwerkdichte und Commitment, die als unabhängige Variablen der Mikroebene mit einfließen. Es erweitert damit Modell 2 zu einem allgemeinen Random-InterceptModell. Auf der Makroebene ist dieses Modell aber nach wie vor „leer“ oder unkonditioniert, das heißt es enthält auf dieser Ebene noch keine erklärenden Variablen (unkond. RIM). Letzteres ändert sich bei Modell 5. Dieses Random-Intercept-Modell umfasst neben den vier Rational Choice-Determinanten auf der ersten Analyseebene auch die generelle Vertrauenseinstellung als Determinante der zweiten Analyseebene. Die Werte dieser Variablen ergeben sich aus den Werten der Einzelitems Vertrauen, Hilfsbereitschaft und Fairness, die zu einem additiven Vertrauensindex zusammengefasst worden sind (vgl. Kap. 9.2). Modell 5 beinhaltet damit zum einen die aus ökonomischer Perspektive relevanten situativen Bestimmungsfaktoren, und es trägt durch die als über die Ebenen hinweg variierend modellierten Regressionskonstanten (random intercepts) der Möglichkeit von Unterschieden in der Vertrauenserwartung zwischen den befragten Personen Rechnung. Gleichzeitig werden diese interpersonellen Unterschiede zu erklären versucht, indem die generelle Vertrauenseinstellung als unabhängige Variable der Makroebene mit einbezogen wird. Auf Basis dieses konditionierten Random-Intercept-Modells (kond. RIM) kann damit der Erklärungsbeitrag des generellen Vertrauens ermittelt werden. Es dient der Überprüfung der in Kapitel 8 formulierten Niveauhypothese (H5). Je höher das generelle Vertrauensniveau, desto höher sollte gemäß dieser Niveauhypothese unter sonst gleichen Bedingungen das Niveau des in einer konkreten Entscheidungssituation gebildeten spezifischen Vertrauens ausfallen. Weil dieses Modell die Möglichkeit einer kausalen Sequenz beider theoretischer Konzepte in Rechnung stellt, wird es im Folgenden auch als „integriertes Modell“ bezeichnet.
Random-Intercept-Modelle
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Abbildung 50: Gleichung von Modell 4 (unkond. RIM) und Modell 5 (kond. RIM) Modell 4 (unkond. RIM): Ebene-1-Modell (4.1): yij = ß0j + ß1 vergangenheit ij + ß2 zukunft ij + ß3 dichte ij + ß4 commitment ij + eij Ebene-2-Modell (4.2): ß0j = ß0 + u0j kombiniert (4.3): yij = ß0 + ß1 vergangenheit ij + ß2 zukunft ij + ß3 dichte ij + ß4 commitment ij + u0j + eij Modell 5 (kond. RIM): Ebene-1-Modell (5.1): yij = ß0j + ß1 vergangenheit ij + ß2 zukunft ij + ß3 dichte ij + ß4 commitment ij + eij Ebene-2-Modell (5.2): ß0j = ß0 + ß01 generelles vertrauen j + u0j kombiniert (5.3): yij = ß0 + ß1 vergangenheit ij + ß2 zukunft ij + ß3 dichte ij + ß4 commitment ij + ß01 generelles vertrauen j + u0j + eij Anm.: Die Mikrovariablen sind mit 1,2,3,… und dem Subskript ij gekennzeichnet, die Makrovariablen mit 01, 02, 03 … und dem Subskript j. Auf dieser Stufe der Modellierung wird zunächst noch davon ausgegangen, dass die Effekte der vier unabhängigen Variablen der Mikroebene auf die abhängige Variable bei allen Befragten gleich sind und sich nur die Regressionskonstante zwischen den Befragten unterscheiden kann. Es werden also fixe Effekte für die unabhängigen Variablen (fix slopes) und Zufallseffekte für die Regressionskonstante (random intercept) geschätzt. Die folgende Tabelle enthält die Ergebnisse der beiden Random-Intercept-Modelle.
268
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Abbildung 51: Schätzergebnisse der beiden Random-Intercept-Modelle Modell 4 (unkond. RIM)
Modell 5 (kond. RIM)
Vergangenheit
1,742(0,066)***
1,751(0,069)***
Zukunft
1,481(0,066)***
1,490(0,069)***
Netzwerkdichte
1,733(0,066)***
1,735(0.069)***
Commitment
0,702(0,066)***
0,705(0,069)***
Fixe Parameter Mikroebene:
Makroebene: Generelles Vertrauen Regressionskonstante
0,502(0.069)*** 2,740(0,135)***
-0,013(0,403)n.s.
Intragruppenvarianz V e2
2,049(0,072)+++
2,087(0,075)+++
Intergruppenvarianz V u20
3,027(0,302)+++
2,393(0,252)+++
Devianz
7279,000
6855,557
N (Level-1-Ebene)
1878
1774
Varianzkomponenten
Anm.: Die Schätzwerte sind Maximum-Likelihood-Schätzwerte (IGLS); die Standardfehler stehen in Klammern; *** = p < 0,001; n.s. = p > 0,05 ; +++ = p < 0,0005. Welche Aufschlüsse geben die Werten dieser Random-Intercept-Modelle im Hinblick auf die Frage nach dem Erklärungsbeitrag der Rational Choice-Variablen und der aus soziologischer Perspektive zentralen Variable generelle Vertrauenseinstellung? Aufschlussreich ist zunächst der Vergleich der geschätzten Varianzkomponenten vor und nach der Einbeziehung dieser Variablen (sh. Spalte 2 und 3 der folgenden Tabelle).
Random-Intercept-Modelle
269
Abbildung 52: Random-Intercept-Modelle – Reduktion der Fehlervarianzen Modell Nummer (Bezeichnung)
Intragruppenvarianz (s.e.)
Intergruppenvarianz (s.e.)
2 (Leeres Modell)
4,547 (0,159)+++
2,711(0,303)+++
4 (unkond. RIM)
2,049(0,072)+++
3,027(0,302)+++
5 (kond. RIM)
2,087(0,075)+++
2,393(0,252)+++
Anmerkung: +++ = p < 0,0005. Dieser Vergleich zeigt, dass die Fehlervarianz auf der Mikroebene (Vignettenebene) deutlich zusammenschrumpft ist. Während die Intragruppenvarianz des Leeren Modells noch 4,547 beträgt, liegt dieser Wert beim Modell 4 nur noch bei 2,049. Das ist insofern interessant, als die Intragruppenvarianz von Modell 4 der Varianz der Residuen auf der Analyseebene erster Ordnung entspricht, die übrig bleibt, wenn die vier Rational ChoiceDeterminanten ins Modell integriert werden (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 120). Es deutet sich also an, dass diese vier ökonomischen Bestimmungsfaktoren offenbar einen erheblichen Teil der Varianz der abhängigen Variable binden können. Ähnlich vermittelt der Wertevergleich der Intergruppenvarianz von Modell 4 und Modell 5 eine erste grobe Einschätzung darüber, ob es sich auch bei der generellen Vertrauenseinstellung um eine erklärungskräftige Variable handelt. Auch hier schrumpft der Wert der Intergruppenvarianz deutlich von 3,027 auf 2,393 zusammen. Die Intergruppenvarianz von 2,393 steht in diesem Zusammenhang entsprechend für die Restvarianz der Residuen auf der Analyseebene zweiter Ordnung, die übrig bleibt, wenn das generelle Vertrauen einbezogen und damit kontrolliert wird. Um abschätzen zu können, wie diese Verminderung der Varianzkomponenten zu beurteilen ist, benötigt man aber eine zum R2 im einfachen Regressionsmodell analoge Maßzahl.195 Verglichen mit statistischen Erklärungsmodellen ohne Mehrebenenstruktur ist die 195
Die Anwendung von solchen Maßzahlen der Modellgüte wird bei experimentellen Daten als nicht ganz unproblematisch erachtet (vgl. Rooks et al. 2000: 132). So mahnen beispielsweise Snijders und Bosker zur Vorsicht beim Einsatz von Maßzahlen des Typs R2 bei experimentellen Designs, in denen die unabhängigen Variablen systematisch variieren. Sie begründen dies damit, dass diese Maßzahlen von der Verteilung der unabhängigen Variablen abhängig seien (vgl. Snijders, Bosker 1999: 99). Dennoch wird bei der Auswertung von faktoriellen Surveys häufig auf solche Bestimmtheitsmaße zurückgegriffen. Auch in der Psychologie ist deren Anwendung bei experimentellen Designs breit akzeptierte Forschungspraxis. Da der theoretisch-methodische Fokus der vorliegenden Studie auf der Frage nach der zusätzlichen Varianzaufklärung liegt, die eine bestimmte Modellerweiterung erbringt, ist zudem eine reine Konzentration auf die Interpretation auf die Regressionskoeffizienten keine überzeugende Alternative. Gleichzeitig gelten die oben formulierten Einwände nicht nur für experimentell erhobene Daten. Auch bei umfragebasiert erhobenen Daten bestehen vielfältige Möglichkeiten, zum Beispiel durch Dummysierung, die Verteilung der unabhängigen Variablen zu „manipulieren“. Selbst wenn man die oben vorgetragene Mahnung ernst nimmt, dann wird der Einsatz von Bestimmtheitsmaßen bei der Analyse von faktoriellen Survey-Daten dann unproblematisch, wenn es um die Verbesserung des Modellfits geht, den eine Erweiterung des Modells um nicht-experimentell erhobene, personenspezifische Merkmale erbringt. Vor diesem Hintergrund
270
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Definition dieser Gütemaße in einem Mehrebenenmodell mit Zufallskomponenten relativ kompliziert. Statt einer Fehlervarianz gibt es mit der Intergruppen- und der Intragruppenvarianz zwei Komponenten der Fehlervarianz (vgl. Ohr 1999: 52).196 In der statistischen Diskussion zu Mehrebenenmodellen unterscheidet man zwischen zwei Arten von Bestimmtheitsmaßen: Solche, mit denen es möglich ist, partielle erklärte Varianzen für beide Analyseebenen getrennt zu berechnen, und solche, mittels derer man den Anteil der gesamten erklärten Varianz für alle unabhängigen Variablen unabhängig von deren Analyseebene berechnen kann. Beide Typen von Bestimmtheitsmaßen ergeben sich nicht unmittelbar aus den Schätzergebnissen, sondern errechnen sich auf Basis eines Vergleichs der Devianzwerte eines Modells und eines entsprechenden Vergleichsmodells, das zum Nullmodell erklärt wird. Bedingung ist, dass die Modelle, die miteinander verglichen werden, ineinander verschachtelt sind. Das umfassendere Modell darf zwar mehr Parameter enthalten als das Nullmodell, muss ansonsten aber mit diesem übereinstimmen. Der Anteil der Gesamtvarianz, den ein Mehrebenenmodell über alle einbezogenen Ebenen hinweg insgesamt zu erklären vermag, wird häufig mittels des von Maddala entwickelten Maximum-Likelihood-R2 berechnet (vgl. Langer 2004: 119; Engel, Simonson 2006: 313), ein globales Gütemaß, auf das noch näher einzugehen sein wird. Zunächst jedoch zur primär interessierenden partiellen Varianzaufklärung. Die partielle Varianzaufklärung, die durch Mikro- und Makrovariablen jeweils erzielt wird, lässt sich alternativ entweder mittels des Determinationskoeffizienten von Bryk und Raudenbush (RBR2) oder mittels des Determinationskoeffizienten nach Snijders und Bosker (RSB2) ermitteln. Beide Bestimmtheitsmaße basieren auf dem Prinzip der proportionalen Fehlerreduktion. Beim R2 nach Bryk und Raudenbush wird der Erklärungsbeitrag der Mikrovariablen als Reduktion der Fehlervarianz der Mikroebene aufgefasst, den das interessierende Modell (im konkreten Fall Modell 4) gegenüber dem gewählten Nullmodell erbringt. Die zusätzlich erklärte Varianz ergibt sich aus der Differenz der Intragruppenvarianz von Modell 4 zur Intragruppenvarianz des Nullmodells. Dieser Differenzbetrag wird durch die Intragruppenvarianz des Modells 4 dividiert. Die Berechnung des Erklärungsbeitrags der Makrovariablen erfolgt analog zur Mikroebene. Statt der Intragruppenvarianz wird jetzt die Intergruppenvarianz, also die Varianz der Regressionskonstante, die auf Unterschiede zwischen den Personen verweist, mit in die Berechnung einbezogen (sh. Abb. 50; vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 74, 149ff.). Aus Sicht von Snijders und Bosker sowie Kreft und de Leeuw (vgl. Snijders, Bosker 1994, 1999; Kreft, de Leeuw 1998: 118f.) hat diese Art der Berechnung einen Nachteil. Sie kann zu negativen R2-Werten führen, die nicht nur wenig wünschenswert sind, sondern auch mit der intuitiven Interpretation solcher Gütemaße nicht konform gehen. Solche negativen Werte sind bei Maximum-Likelihood-Schätzprozeduren mathematisch möglich, weil das Hinzufügen von nicht-erklärungskräftigen Variablen manchmal dazu führt, dass die Fehlervarianz der Varianzkomponenten leicht zu- statt abnimmt (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 150). Dies ist im Übrigen eine Besonderheit von Mehrebenenmodellen; bei klassischen Regressionsmodellen kann so etwas nicht vorkommen, dort führt das Hinzufügen eines Prädiktors grundsätzlich zur Abnahme der Residualvarianz (vgl. Snijders, Bosker 1999: 99; Gelman, Hill 2007: 480). Snyders und Bosker schlagen daher eine alternative erscheint es vertretbar, solche Maßzahlen, neben anderen, als zusätzliche Hinweise auf die Modellgüte zu verwenden. 196 Dies gilt natürlich nur für eine hierarchische Struktur mit zwei Analyseebenen. Erhöht sich die Zahl der Analyseebenen, dann steigt auch die Zahl der Varianzkomponenten.
Random-Intercept-Modelle
271
Berechnungsweise vor. Im Unterschied zum RBR2 wird beim RSB2 die Mehrebenenstruktur explizit berücksichtigt, indem die proportionale Reduktion des Vorhersagefehlers beider Ebenen in die Berechnung des Bestimmtheitsmaßes einfließt. Dabei wird die Summe aus den beiden Varianzkomponenten des Vergleichsmodells (Intergruppenvarianz plus Intragruppenvarianz) in Relation zur Summe der beiden Varianzkomponenten des Nullmodells gesetzt.197 Welches R2 vorzuziehen ist, lässt sich auf Basis der aktuellen Forschungsdiskussion nur schwer allgemein beantworten. Bemerkenswerterweise liegen allerdings auch die nach Snijders und Bosker berechneten Werte des Determinationskoeffizienten nicht immer zuverlässig im Werteraum von null bis eins. Wie Snijders und Bosker selbst einräumen, können bei fehlspezifizierten Modellen oder bei Stichprobenerhebungen negative Werte auftreten (vgl. Snijders, Bosker 1999: 104). Im Kontext dieser Arbeit sprechen zudem zwei schlagkräftige Argumente für die Berechnungsvariante nach Raudenbush und Bryk: Erstens beantwortet nur der RBR2 die Frage nach der zusätzlichen Varianzaufklärung, die erzielt werden kann, wenn die generelle Vertrauenseinstellung als weitere erklärende Variable in das Modell integriert wird. Begründet liegt dies darin, dass beim RBR2 eine größere Flexibilität in der Wahl des Nullmodells gegeben ist. Verschiedene Nullmodelle können gewählt werden, je nachdem ob der Anteil der erklärten Varianz auf der Analyseebene erster Ordnung (RBR2 Ebene 1) oder auf der Analyseebene zweiter Ordnung (RBR2 Ebene 2) berechnet werden soll. Im vorliegenden Fall heißt das konkret, dass bei der Berechnung des RBR2 Ebene 1 das „leere“ Random-Intercept-Only-Modell (Modell 2) als Nullmodell herangezogen werden kann, während es sich bei der Berechnung des RBR2 Ebene 2 empfiehlt, das Modell 4 zum Nullmodell zu bestimmen, das auf der Mikroebene mit den vier Rational Choice-Determinanten „gefüllt“ ist. Nach Raudenbush und Bryk ist es nämlich ein Schlüsselprinzip bei der Berechnung der partiellen Varianzaufklärung der zweiten Analyseebene, dass Vergleichsmodell und Nullmodell auf der ersten Analyseebene dieselben fixen Regressionskoeffizienten beinhalten sollten.198 Modell 4 zum Nullmodell zu bestimmen ist aber auch aus inhaltlich-theoretischen Erwägungen sinnvoll, weil ja im vorliegenden Fall angesichts der gewählten Fragestellung in erster Linie die zusätzliche Varianzaufklärung interessiert, die erzielt werden kann, wenn die generelle Vertrauenseinstellung als weitere unabhängige Variable der zweiten Ebene ins Modell hineingenommen wird. Bei der Berechnungsvariante nach Snijders und Bosker besteht diese Flexibilität in der Wahl des Nullmodells nicht. Nullmodell ist bei dieser Berechnungsvariante immer das Random-Intercept-Only-Modell, und zwar unabhängig davon, ob der Erklärungsbeitrag der Mikro- oder der Makroebene ermittelt werden soll (Snijders, Bosker 1999: 102; Kreft, de Leeuw 1998: 117f.). Nur mittels des RBR2 Ebene 2 lässt sich somit eine Aussage darüber treffen, wie viel Prozent der verbleibenden Varianz zwischen den Personen bestimmte Makrovariablen zusätzlich zu einem Modell nur mit Mikrovariablen erklären. Mit dieser 197
Die entsprechende Formel und ihre Herleitung finden sich in Snijders, Bosker 1999: 99ff.. Raudenbush und Bryk begründen dies folgendermaßen: “Technically speaking, the variance explained in a level-2 parameter, such as ß0j is conditional on a fixed level-1 specification. As a result, proportion reduction in variance statistics at level 2 are interpretable only for the same level-1 model. Consequently, we recommend that researchers develop their level-1 model first, and then proceed to enter level-2 predictors into the analysis. Assuming the level-1 model remains fixed, no anomalies should arise in the computation of proportion reduction in variance as new level-2 predictors are entered into the equation for ß0j. The proportion reduction in variance, or the ‘variance explained’ will increase as significant predictors enter the model. The introduction of nonsignificant predictors should have little or no impact on these ‘R2’ statistics” (Raudenbush, Bryk 2002: 150).
198
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Berechnungsmethode ist eine genaue Bestimmung der durch die generelle Vertrauenseinstellung gebundenen Varianz möglich. Die Methode von Snijders und Bosker hingegen erlaubt lediglich eine Aussage darüber, wie viel Prozent der Varianz im Antwortverhalten der Befragten Mikro- und Makrovariablen zusammen erklären. Zweitens werden im folgenden, zweiten Analyseteil auch Modelle geschätzt, bei denen nicht nur die Regressionskonstante, sondern auch die Steigungskoeffizienten als über die Ebenen hinweg variabel modelliert werden. Bei Modellen mit solchen random slopes ist der R2 nach Snijders und Bosker erheblich komplizierter zu berechnen als die Variante nach Raudenbush und Bryk (vgl. Langer 2004: 152; Engel, Simonson 2006: 312). Die folgende Tabelle präsentiert die Berechnung des RBR für die beiden Analyseebenen und die sich ergebenden Werte: Abbildung 53: Berechnung der partiellen Varianzaufklärung nach Raudenbush und Bryk
RBR2 (Ebene
2 2 ıeij ıeij Nullmodell Vergleichsmodell 1): 2 ıeijNullmodell
2 2 RBR2 (Ebene 1): ı eij (M 2 ) ı eij (M 4 ) 2 ı eij (M 2 )
RBR2 (Ebene 2):
4,547 2,049 0,549 100 54,94% 4,547
2 ı 2u0jNullmodell ı u0jVergleichsmodell ı 2u0jNullmodell
2 2 RBR2 (Ebene 2): ı u0j (M 4 ) ı u0j (M 5 ) = 3,027 2,393 0,209 100 20,90% 2 3,027 ı u0j (M 4 )
Legende:
2 : Intragruppenvarianz ı eij ı2u0j : Intergruppenvarianz
M2 : Random-Intercept-Only-Modell M4 : unkond. Random-Intercept-Modell mit RC-Variablen (Analyseebene 1) M 5 : kond. Random-Intercept-Modell mit RC-Variablen (Analyseebene 1) und genereller Vertrauenseinstellung (Analyseebene 2) Wie sich zeigt, sind die vier Rational Choice-Variablen auf der Mikroebene also durchaus erklärungskräftig. Knapp 55 Prozent der intrapersonellen Varianz in der spezifischen Vertrauenserwartung lassen sich durch die aus Rational Choice Perspektive relevanten situativen Bestimmungsfaktoren erklären. Gleichzeitig verbessert sich die Erklärungsleistung
Random-Intercept-Modelle
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deutlich, wenn zusätzlich zu den Rational Choice-Determinanten auf der ersten Analyseebene die generelle Vertrauenseinstellung als Determinante der zweiten Analyseebene mit in das statistische Modell hinein genommen wird: Bei der Berechnung des RBR2 für die Analyseebene zweiter Ordnung ergibt sich ein Wert von 20,94%; die generelle Vertrauenseinstellung erklärt also knapp 21% der nach Kontrolle der situativen Anreizstrukturen verbleibenden interpersonellen Varianz der situationsspezifischen Vertrauenserwartung. Verglichen mit den sonst üblichen Ergebnissen für Einstellungsitems und angesichts der Tatsache, dass es im vorliegenden Fall nur um die gebundene Varianz durch eine einzelne Variable geht, ist dieses Ergebnis beachtlich.199 Dass das generelle Vertrauen eine relevante Erklärungsgröße ist, lässt sich auch unmittelbar an der Stärke des geschätzten Effektes bzw. am korrespondierenden Signifikanzwert ablesen (vgl. Tabelle 48). Diese liefern die direktesten Belege dafür, ob sich ein bestimmter Prädiktor der Analyseebene zweiter Ordnung bewährt und entsprechend bei weiteren Modellschätzungen mit einbezogen werden sollte (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 268). In Bezug auf das generelle Vertrauen ist das Ergebnis eindeutig. Wie der Wert des Regressionskoeffizienten von 0,502 zeigt, nimmt mit jeder Zunahme des generellen Vertrauens um eine Skaleneinheit das spezifische Vertrauen um rund 0,5 Skalenpunkte zu. Zudem ist der Effekt des generellen Vertrauens hochsignifikant. Es zeigt sich ein deutlicher Niveaueffekt des generellen Vertrauens auf die situationsspezifisch gebildete Vertrauenserwartung. Im Hinblick auf diesen in Hypothese 5 unterstellten Niveaueffekt findet die Annahme einer kausalen Sequenz damit empirische Bestätigung. Empirisch untermauern lässt sich dieses Ergebnis, wenn man den Anteil der Varianz berechnet, den das integrierte Modell (Modell 5) insgesamt, also über beide hier berücksichtigten Ebenen hinweg, erklärt. Wie bereits erwähnt, wird hierzu bei HierarchischLinearen-Modellen häufig auf eine weitere Art von Bestimmtheitsmaß, nämlich das von Maddala entwickelte Maximum-Likelihood-R2, zurückgegriffen (vgl. Langer 2001: 119; Engel, Simonson 2006: 313).200 Im Unterschied zu den bereits vorgestellten und berechneten partiellen Determinationskoeffizienten erlaubt dieses Bestimmtheitsmaß eine Beurteilung des Anteils an erklärter Gesamtvarianz, den ein bestimmtes Mehrebenenmodell er199
Wie gut diese Varianzaufklärung ist, die die generelle Vertrauenseinstellung erbringt, lässt sich besser einordnen, wenn man sie mit dem Erklärungsbeitrag vergleicht, den andere personenspezifische Merkmale leisten. Deshalb wurden zum Modell 5 einige Vergleichsmodelle berechnet. Dazu wurden Daten verwendet, die zusätzlich zur generellen Vertrauenseinstellung im zweiten, itembasierten Teil des Fragebogens erhoben worden waren. Ausgehend von der Annahme, dass Geschlecht eine wesentliche Determinante ökonomischen Entscheidungsverhaltens darstellt (vgl. Croson, Buchan 1999), wurde zum einen die Varianzaufklärung der Variable Geschlecht getestet. Im Einklang mit einigen Arbeiten im Forschungsstand, die einen kausalen Zusammenhang zwischen der subjektiv empfundenen Lebenszufriedenheit und der Vertrauensbereitschaft sehen (vgl. Delhey, Newton 2004; Inglehart 1999; Putnam 2000), wurde zudem die Determinationsstärke der beiden Einstellungsitems subjektive Beurteilung der eigenen ökonomischen Situation sowie Zufriedenheit mit der eigenen Situation errechnet. Die Werte der Determinationskoeffizienten dieser Vergleichsmodelle sind in Relation zum ermittelten Determinationskoeffizienten der generellen Vertrauenseinstellung sehr gering. Mit 3% Varianzaufklärung schneidet die subjektive Beurteilung der eigenen ökonomischen Situation noch am besten ab. Die Determinationskoeffizienten der beiden anderen Variablen erbringen weniger als 1% erklärte Varianz (eine Tabelle mit den genauen Schätzergebnissen befindet sich im Anhang, Anlage 4, der Arbeit). 200 Alternativ wird noch ein zweites PRE-Maß, das von McFadden vorgeschlagene Pseudo-R2 diskutiert (vgl. McFadden 1979). Dieses PRE-Maß hat allerdings den Nachteil, dass seine Werte bei Hierarchisch-LinearenModellen in der Regel sehr gering ausfallen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Bestimmtheitsmaß nach Maddala besser geeignet. Nach Langer ermöglicht es eine „deutlich realistischere Einschätzung des Modellfit“ (Langer 2004: 121).
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Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
bringt. Es errechnet sich auf Basis des Vergleichs der Devianzwerte zwischen dem Modell, dessen Modellgüte ermittelt werden soll, und einem aus inhaltlich-theoretischen Erwägungen zu bestimmenden Nullmodell. Im vorliegenden Fall ist es aus theoretischer Perspektive naheliegend, das zuallererst geschätzte ökonomische Modell (vgl. Kap. 11.2) zum Nullmodell zu bestimmen. Auf diese Weise lässt sich testen, ob die angestrebte Theorieintegration mehr erklärt als die ökonomische Vertrauenstheorie für sich genommen. Statistisch ausgedrückt kann ermittelt werden, wie viel zusätzliche Varianzaufklärung ein statistisches Modell, das ökonomische und soziologische Vertrauenstheorie in Form einer kausalen Sequenz integriert (und dabei lediglich einen möglichen Niveaueffekt der generellen Vertrauenseinstellung berücksichtigt), im Vergleich zum oben erwähnten Nullmodell erbringt. Zu beachten ist dabei allerdings, dass im Unterschied zu den partiellen Determinationskoeffizienten nicht nur die reine Erklärungsleistung der Koeffizienten mit in die Berechnung des Maximum-Likelihood-R2 von Maddala einfließt. Wählt man nämlich, wie im vorliegenden Fall, ein Modell ohne random intercepts zum Nullmodell, dann bindet die Varianz des random intercept einen Teil der Gesamtvarianz, ohne diese im eigentlichen Sinne zu erklären. Abbildung 54: Berechnung des Maximum-Likelihood-R2 nach Maddala ିሺ௩௭ಾభሻିሺ௩௭ಾఱ ሻ
Maddala-R2M5 = ͳ െ ݁ ݔ
ೕ
൨
ିሺିଶכಾభ ሻିሺିଶכಾఱ ሻ
= ͳ െ ݁ ݔ
ೕ ିሺ଼ଷ଼ǡଵଽଽି଼ହହǡହହሻ
൨
ቃ
= ͳ െ ݁ ݔቂ ଵସ = Ͳǡͷݎ݁݀ͷǡΨ
ିሺ௩௭ಾభሻିሺ௩௭ಾర ሻ
Maddala-R2 M4 = ͳ െ ݁ ݔ = ͳ െ ݁ ݔ = ͳ െ ݁ ݔቂ
ೕ
൨
ିሺିଶכಾభ ሻିሺିଶכಾర ሻ
ೕ ିሺ଼ଷ଼ǡଵଽଽିଶଽǡሻ ଵ଼଼
൨
ቃ = 0,4436 oder 44,36%
Maddala-R2 M5- Maddala-R2M4 = 57,66-44,36= 13,30 Legende: nij: Stichprobenumfang M1: Einebenenregression (ökonomisches Modell) M4: unkond. Random-Intercept-Modell mit RC-Variablen (Analyseebene 1) M5: kond. Random-Intercept-Modell mit RC-Determinanten (Analyseebene 1) und genereller Vertrauenseinstellung (Analyseebene 2) Aus der Abbildung ergibt sich, dass das integrierte Modell über eine um 57,66 % verbesserte Modellanpassung in Relation zum ökonomischen Modell verfügt. Allein 13,3 Prozentpunkte „reiner“ Erklärungsanteil an der Gesamtvarianz entfallen dabei auf die generelle Vertrauenseinstellung. Dieser Wert ergibt sich, wenn man zusätzlich, analog zu oben, den Maddala-R2 für das Modell 4 berechnet und diesen Wert vom Wert des integrierten Mo-
Random-Intercept-Modelle
275
dells abzieht. Der Maddala-R2 für das Modell 4 erbringt 44,36% Varianzaufklärung im Vergleich zum ökonomischen Modell. Die sukzessiven Erweiterungen des ökonomischen Modells zum integrierten Modell führen also zu einer substanziellen Verbesserung der Modellgüte. Wie ein LikelihoodRatio-Ȥ2-Test zeigt, ist die durch eine solche Erweiterung erzielte Verbesserung der Erklärungsleistung zugleich sehr signifikant. Abbildung 55: Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 1 und Modell 4 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Prüfgröße = Devianz Modell 1 – Devianz Modell 4 = 8380,199– 7279,000 = 1101,20 Anzahl der Freiheitsgrade (F.G) = F.G. 4 – F.G. 1 = 7-6 = 1 Kritischer Ȥ2-Wert ( p 0,001 ; F.G. = 1) = 10,8 Testergebnis: Ȥ2 Prüfgröße t Ȥ2 Kritischer Wert Æ Nullhypothese kann verworfen werden! Der sich errechnende empirische Wert liegt deutlich über dem kritischen Wert. Dieses Ergebnis war allerdings auch zu erwarten. Schließlich hat schon ein Likelihood-Ratio- Ȥ2-Test auf Basis eines Vergleichs zwischen dem Leeren Modell (Modell 2) und dem Nullmodell des Leeren Modells (Modell 3) gezeigt, dass die Nullhypothese, wonach die Mittelwerte, die sich aus den einzelnen Vignettenurteilen einer Person ergeben, mit dem Gesamtmittelwert aus allen Vignettenurteilen identisch sind, eindeutig abgelehnt werden kann. Schon bei diesem Analyseschritt bestätigte sich also, dass es deutliche personenspezifische Unterschiede im Niveau der abhängigen Variable gibt. Dieser zweite Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test zeigt, dass dieses Ergebnis sich auch dann klar bestätigt und die Nullhypothese mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent verworfen werden kann, wenn Nullmodell und Vergleichsmodell auf der Mikroebene die vier Rational Choice-Determinanten beinhalten. Eine sehr signifikante Verbesserung der Modellanpassung erbringt auch die Erweiterung des Modells 4 um die generelle Vertrauenseinstellung zu Modell 5.
276
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
Abbildung 56: Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 4 und Modell 5 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Prüfgröße = Devianz Modell 4 – Devianz Modell 5 = 7279,000 – 6855,557 = 423,443 Anzahl der Freiheitsgrade (F.G) = F.G. 5 – F.G. 4 = 8-7 = 1 Kritischer Ȥ2-Wert ( p 0,001 ; F.G. = 1) = 10,8 Testergebnis: Ȥ2 Prüfgröße t Ȥ2 Kritischer Wert Æ Nullhypothese kann verworfen werden! Auch hier kann die Nullhypothese, die besagt, dass der Effekt der generellen Vertrauenseinstellung auf die personenspezifischen Mittelwerte der abhängigen Variable (spezifisches Vertrauen) gleich null ist, mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 0,1 verworfen werden. 11.5 Random-Intercept-Modell versus OLS-Regression Die Diskussion um die adäquate statistische Analysestrategie für faktorielle Survey-Daten, die Kapitel 10 zusammengefasst hat, ist bisher empirisch nur unzureichend untermauert. Methodenvergleiche, die die statistischen Auswirkungen unterschiedlicher Verfahren der Vignettenanalyse testen, gibt es kaum.201 Vor diesem Hintergrund ist es interessant, die bisherigen Ergebnisse der Random-Intercept-Modelle noch einmal aus einem statistischmethodischen Blickwinkel zu betrachten und mit den Ergebnissen einfacher OLSRegressionen zu vergleichen. Wie schon dargestellt worden ist, sind bei den im Rahmen der vorliegenden Studie erhobenen faktoriellen Survey-Daten zwei Bedingungen erfüllt, die den Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen anstelle von einfachen Einebenen-Regressionen als die angemessenere Analysestrategie erscheinen lassen. Es ist nicht nur eine hierarchische Datenstruktur gegeben, was alleine eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung ist, damit der Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen wirklich sinnvoll ist. Zusätzlich deuten aber die bisherigen Ergebnisse auch darauf hin, dass relevante und substanzielle interpersonelle Unterschiede zwischen den Befragten bestehen. Insbesondere der Wert des Intraklassenkorrelationskoeffizienten von 0,345 weist auf eine mittlere bis starke Autokorrelation der Residuen hin. Die einschlägige statistische Fachliteratur warnt in einem solchen Fall vor verzerrten Schätzergebnissen bei einfachen Regressionsverfahren und empfiehlt den Einsatz von Hierarchisch-Linearen-Modellen (vgl. Kap. 10). Ob sich diese Warnung auch empirisch bestätigt, lässt sich sehen, wenn man die Ergebnisse der Random-InterceptModelle 4 und 5 mit den Ergebnissen vergleicht, die man bekäme, wenn man die hierarchische Datenstruktur der mittels faktorieller Surveys erzeugten Daten ignorieren und stattdessen „gepoolte“ OLS-Regression einsetzen würde. „Gepoolt“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Vignettenurteile aller Befragten bei der Analyse sozusagen „in einen Topf“ geworfen werden. Die Verletzung der Unabhängigkeitsannahme, die für die vorlie201
Eine Ausnahme bildet Hox, Kreft, Hermkens 1991 sowie in sehr rudimentärer Form Mäs, Mühler, Opp 2005.
Random-Intercept-Modell versus OLS-Regression
277
genden Daten durch den Wert des Intraklassenkorrelationskoeffizienten bestätigt worden ist, wird damit ignoriert. Die Tabelle auf der folgenden Seite baut sich folgendermaßen auf: 1.
2.
3. 4.
In der ersten Spalte sind die Schätzergebnisse einer einfachen Einebenen-Regression eingetragen. Dieses Modell entspricht im Prinzip dem ökonomischen Modell (Modell 1), das das Ausgangsmodell dieser Mehrebenenanalyse bildete. Die Schätzung wurde hier allerdings mit SPSS nach der OLS-Methode vorgenommen und nicht, wie vorne in Tabelle 39, mit MLWin (Maximum-Likelihood-Schätzverfahren; IGLSProzedur).202 Direkt daneben in Spalte 2 sind die Schätzergebnisse einer zweiten OLS-Regression abgetragen, die zusätzlich die personenspezifische Level-2-Variable generelles Vertrauen beinhaltet und damit nicht nur die hierarchische Struktur der Daten, sondern auch die unterschiedliche Ebenenzugehörigkeit der unabhängigen Variablen ignoriert. Die dritte Spalte listet noch einmal die Ergebnisse des im letzten Kapitel ausführlich vorgestellten, unkonditionierten Random-Intercept-Modells (Modell 4) auf. Spalte 4 präsentiert die Ergebnisse des konditionierten Random-Intercept-Modells (Modell 5).
Interessant ist in erster Linie der Vergleich der OLS-Regression in Spalte 1 mit dem unkond. Random-Intercept-Modell in Spalte 3 einerseits und der Vergleich der OLSRegression in Spalte 2 mit dem konditionierten Random-Intercept-Modell in Spalte 4, weil diese Modelle jeweils dieselben unabhängigen Variablen beinhalten. Auffällig ist, dass die Schätzergebnisse für die unstandardisierten Regressionskoeffizienten bei den beiden OLS-Regressionen geringfügig anders ausfallen als beim jeweiligen ML-Pendant mit random intercepts. Allerdings betreffen diese Unterschiede höchstens den Bereich der zweiten Nachkommastelle, sind also substanziell gesehen kaum von Belang. Entgegen den Vermutungen sind die mit der Kleinstquadratemethode ermittelten Standardfehler der Mikrodeterminanten etwas größer als die entsprechenden Werte in den korrespondierenden Random-Intercept-Modellen. In der Literatur wird bei Verletzung der Unabhängigkeitsannahme eher der umgekehrte Effekt angenommen. Die Standardfehler sollten bei Hierarchisch-Linearen-Modellen in der Regel größer ausfallen als bei herkömmlichen Einebenen-Regressionen, die die hierarchische Struktur der Daten ignorieren (vgl. Ohr 1999: 51; Steenbergen, Jones 2002: 220; Seltzer 2004: 265).203 Allerdings sind die Unterschiede in den Standardfehlern so geringfügig, dass sich bezüglich des Signifikanzniveaus keine Veränderungen ergeben. Eine erwartungsgemäße Verzerrung in den Standardfehlern zeigt sich nur beim Standardfehler der Level-2-Variable generelles Vertrauen. Der Vergleich des Ergebnisses in Spalte 2 mit dem Ergebnis in Spalte 4 zeigt hier, dass dieser bei der OLS-Schätzung im Vergleich zum Hierarchisch-Linearen-Modell leicht nach unten verzerrt ist, was sich gut nachvollziehen lässt, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, wie der Standardfehler berechnet wird. Dazu wird nämlich die Standardabweichung durch die Wurzel aus der Stichproben202
Beide Schätzvarianten erbringen identische Ergebnisse. Wie in Kapitel 10 schon erwähnt, kann ein Ignorieren der Verletzung der Unabhängigkeitsannahme (Autokorrelation der Residuen) zu ineffizienten Schätzungen der Regressionsparameter und zu verzerrten Standardfehlern führen. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass die geschätzten Standardfehler zu klein ausfallen. Die Folge sind dann Fehler vom Typ I, die Signifikanz der Prädiktoren wird überschätzt.
203
278
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
größe geteilt. Der Standardfehler verhält sich also umgekehrt proportional zur Stichprobengröße. Da bei der Berechnung des Standardfehlers der Level-2-Variable generelles Vertrauen in der gepoolten OLS-Regression irrtümlicherweise nicht die korrekte Stichprobengröße von 237 Befragten, sondern die Stichprobengröße von 1774 Vignettenurteilen als Grundlage genommen wird, fällt dieser Standardfehler kleiner aus als im Mehrebenenmodell. Aber auch hier bewegen sich die numerischen Unterschiede im Bereich der zweiten Nachkommastelle und sind entsprechend so geringfügig, dass sie sich nicht in den Signifikanzen niederschlagen. Abbildung 57: Vergleich der Schätzergebnisse (Gepoolte OLS-Regressionen vs. Random-Intercept-Modelle) Gepoolte OLS-Regressionen OLS 1
OLS 2
Unkond. RIM (Modell 4)
Kond. RIM (Modell5)
Fixe Parameter Level 1: Mikroebene Vergangenheit
1,740(0,104)*** 1,750(0,101)*** 1,742(0,066)***
1,751(0,069)***
Zukunft
1,488(0,104)*** 1,488(0,101)*** 1,481(0,066)***
1,490(0,069)***
Netzwerkdichte
1,730(0,104)*** 1,734(0,101)*** 1,733(0,066)***
1,735(0,069)***
Commitment
0,697(0,104)*** 0,703(0,101)*** 0,702(0,066)***
0,705(0,069)***
Generelles Vertrauen
0,502(0,032)***
0,502(0,070)***
Regressionskonstante
2,742(0,116)*** -0,015(0,209)n.s. 2,740(0,135)***
-0,013(0,403)n.s.
Intragruppenvarianz V e2
2,049(0,072)+++
2,087(0,075)+++
Intergruppenvarianz
3,027(0,302)+++
2,393(0,252)+++
7279,000
6855,557
1878
1774
Level 2:
Varianzkomponenten
V u20
R2
0,301
0,385
Devianz N (Level-1-Ebene)
1878
1774
Anmerkung:*** p < 0,001; n.s. = p > 0,05; +++ = p < 0,0005; ausgewiesen sind die unstandardisierten Regressionskoeffizienten; die Standardfehler stehen in Klammern.
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle
279
11.6 Random-Intercept-Random-Slope-Modelle Die bisherigen Analyseschritte haben der Möglichkeit von personenbezogenen Differenzen in der situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartung insofern Rechnung getragen, als davon ausgegangen wurde, dass das mittlere Niveau dieses situationsspezifischen Vertrauens zwischen den Befragten variieren kann. Gleichzeitig wurde unterstellt, dass die Effekte der Vignettenmerkmale auf dieses spezifische Vertrauen bei allen Befragten identisch sind. Statistisch ausgedrückt wurden die Regressionskoeffizienten als fixe Effekte behandelt. Die in Kapitel 7 präsentierten Überlegungen gehen aber einen Schritt weiter, dessen Umsetzung in entsprechende statistische Modelle und dessen empirische Überprüfung noch ausstehen. Hier wurde angenommen, dass auch die Effekte der Vignettenmerkmale auf das situationsspezifische Vertrauen systematisch zwischen den Befragten variieren, und zwar in Abhängigkeit von deren genereller Vertrauenseinstellung. Allgemein formuliert wird damit unterstellt, dass die Makrovariable generelles Vertrauen nicht nur das Niveau der abhängigen Variable beeinflusst, sondern auch moderierende Effekte auf die Zusammenhänge zwischen den unabhängigen Variablen der Mikroebene und der abhängigen Variable ausübt. Um solche Interaktionseffekte zu testen, werden in einem abschließenden Analyseschritt Hierarchisch-Lineare-Modelle geschätzt, die es zulassen, dass die Regressionskoeffizienten (slopes) zwischen den Analyseeinheiten der zweiten Ebene, im vorliegenden Fall also zwischen den Befragten, variieren. Da es in erster Linie darum geht, ob sich die Modellgüte durch die Berücksichtigung von solchen random slopes in Relation zu den bisher spezifizierten Modellen zusätzlich verbessert, gehen diese Modelle weiterhin von einem random intercept aus. Sie werden deshalb in der Mehrebenenmodellierung als RandomIntercept-Random-Slope-Modelle (RIRSM) bezeichnet; weil in diesen Arten von Modellen Regressionskonstante und Steigungskoeffizienten kontextspezifisch variieren können, werden Varianten dieser Modelle in der Literatur auch unter der Bezeichnung Allgemeine Form des Hierarchisch-Linearen-Modells geführt (vgl. Snijders, Bosker 1999: 67). Analog zur Vorgehensweise bei der Ermittlung von kontextspezifischen Effekten auf das Niveau der Regressionskonstante (vgl. 11.3) ist zunächst zu prüfen, ob sich die Effekte der unabhängigen Variablen der Mikroebene tatsächlich zwischen den Befragten unterscheiden. Dazu werden die bisher über alle befragten Personen hinweg unveränderlichen Regressionskoeffizienten aus Modell 5 durch personenspezifische Regressionskoeffizienten ȕ1j, ȕ2j, ȕ3j … ȕxj ersetzt. Diese setzen sich aus den durchschnittlichen Regressionskoeffizienten ȕ1, ȕ2, ȕ3 … ȕx und den personenspezifischen Abweichungen von diesen Werten u1j, u2j, u3j,…uxj zusammen. Die personenspezifischen Abweichungen von der mittleren Regressionskonstante und den mittleren Steigungskoeffizienten werden als Varianzkomponenten im zufälligen Teil der Modellgleichung geschätzt.204 Bei einer ersten Modellschätzung (Modell 204
Zusätzlich zu den Varianzkomponenten werden bei Modellen mit random slopes häufig auch die Kovarianzen der Abweichungen von der allgemeinen Regressionskonstante und den Regressionskoeffizienten sowie die Kovarianzen der Abweichungen zwischen den einzelnen Regressionskoeffizienten mitgeschätzt. Das macht dann Sinn, wenn man annimmt, dass der gruppenspezifische Steigungskoeffizient einer oder mehrerer unabhängiger Variablen auch vom gruppenspezifischen Niveau der abhängigen Variable beeinflusst wird bzw. dass die Variablen untereinander korrelieren. Bei der vorliegenden Modellierung wurden die Kovarianzen aber bewusst weggelassen. Kovarianzen der Steigungskoeffizienten zu schätzen und zu interpretieren wäre bei einem experimentellen Design aus messtheoretischen Gesichtspunkten schlicht unsinnig. Dass die Regressionskonstante und die Steigungskoeffizienten miteinander kovariieren, wäre zwar grundsätzlich denkbar, die Schätzung eines entsprechenden Modells hat aber ergeben, dass alle vier Kovariaten insignifikant sind. Sie werden deshalb bei dem hier vorgestellten Modell nicht weiter berücksichtigt. Dies empfiehlt sich auch deshalb, weil jede zusätzliche Schätzung einer Varianz-
280
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
6) ist das Random-Intercept-Random-Slope-Modell in Bezug auf die slopes noch unkonditioniert, d.h. es enthält noch keine unabhängigen Variablen, die eine potenzielle Variation der Effektstärken „erklären“ könnten. Abbildung 58: Gleichung von Modell 6 Modell 6: Ebene-1-Modell (6.1): yij = ß0j + ß1j vergangenheit ij + ß2j zukunft ij + ß3j dichte ij + ß 4j commitment ij + eij Ebene-2-Modelle (6.2): ß0j = ß0 + ß01 gen. vertrauen j + u0j ß1j = ß1 + u1j ß2j = ß2 + u2j ß3j = ß3 + u3j ß4j = ß4 + u4j kombiniert (6.3): yij = ß0 + ß1 vergangenheit ij + ß2 zukunft ij + ß3 dichte ij + ß4 commitment ij + ß01 gen. vertrauen j + u0j + u1j vergangenheit ij + u2j zukunft ij + u3j dichte ij + u4j commitment ij + eij In der ersten Spalte der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse dieser Schätzung mit variablen Regressionskoeffizienten aufgeführt: Abbildung 59: Schätzergebnisse Random-Intercept-Random-Slope-Modelle Modell 6
Modell 7
Modell 8
Vergangenheit
1,749(0,074)***
2,268(0,267)***
2,270(0,267)***
Zukunft
1,490(0,074)***
1,207(0,267)***
1,491(0,074)***
Netzwerkdichte
1,732(0,084)***
1,413(0,305)***
1,732(0,084)***
Commitment
0,707(0,068)***
0,707(0,246)**
0,707(0,068)***
0,495(0,074)***
0,494(0,079)***
0,523(0,075)***
Generelles Vertrauen x Vergangenheit
-0,096(0,047)*
-0,096(0,047)*
Generelles Vertrauen x
0,052(0,047)n.s.
Fixe Parameter Mikroebene
Makroebene Generelles Vertrauen
bzw. Kovarianzkomponente zusätzliche Information erfordert. Die Zuverlässigkeit der Schätzung von Varianzen und Kovarianzen hängt zudem von der Stichprobengröße auf der ersten und zweiten Analyseebene ab. Je begrenzter die Zahl der Fälle (im vorliegenden Fall auf der ersten Analyseebene nur n = 8), desto geringer sollte auch die Zahl der geschätzten Varianz- und Kovarianzkomponenten sein (vgl. Raudenbush, Bryk 2002: 258).
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle
281
Zukunft Generelles Vertrauen x Dichte
0,059(0,054)n.s.
Generelles Vertrauen x Commitment
0,000(0,044)n.s.
Konstante
0,022(0,419)n.s.
0,025(0,445)n.s.
-0,133(0,425)n.s.
Ebene 1: Intragruppenvarianz
1,444(0,076)+++
1,443(0,076)+++
1,445(0,076)+++
Ebene 2: Konstante
2,438(0,275)+++
2,437(0,276)+++
2,435(0,275)+++
Vergangenheit
0,492(0,116)+++
0,473(0,115)+++
0,472(0,114)+++
Zukunft
0,479(0,116)+++
0,472(0,115)+++
0,478(0,115)+++
Dichte
0,852(0,149)+++
0,845(0,149)+++
0,852(0,149)+++
Commitment
0,289(0,098)++
0,290(0,098)++
0,288(0,098)++
Varianzkomponenten
RBR2 (Vergangenheit)
0,039
RBR2 (Zukunft)
0,015
RBR2 (Dichte)
0,008
RBR2 (Commitment)
-0,003
2
Maddala-R
0,5942
0,5957
0,5952
Devianz
6780,083
6773,605
6776,004
N (Level-1-Ebene)
1774
1774
1774
Anmerkungen: +++ = p d 0,0005; ++ = p * = p d 0,05; n.s. = p > 0,05.
d 0,005; *** = p d 0,001; ** = p d 0,01;
Hat der Regressionskoeffizient der Variable Vergangenheit, wie im vorliegenden Modell 6, einen Wert von 1,749, dann ist dies ein durchschnittlicher Wert, der sich aus den Regressionskoeffizienten der befragtenspezifischen Binnenregressionen errechnet. Ablesen lässt sich an diesem Wert damit nicht, ob und wie stark die befragtenspezifisch geschätzten Koeffizienten von diesem Durchschnittswert abweichen. Um zu überprüfen, ob die Effekte der vier unabhängigen Variablen statistisch bedeutsam zwischen den Befragten variieren, wurden deshalb auch hier, analog zur Vorgehensweise bei den Random-Intercept-OnlyModellen, zunächst auf Basis der Schätzergebnisse für die fixen Effekte und ihrer zufälligen Abweichungen (Varianzen) Konfidenzintervalle berechnet (vgl. Rumberger, Palardy 2004: 245). Diese deskriptiven Ergebnisse vermitteln einen ersten Eindruck, ob und wie sehr sich die durchschnittlichen Regressionskoeffizienten der Binnenregressionen zwischen
282
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
den einzelnen befragten Personen unterscheiden. Basierend auf der Annahme einer Normalverteilung der Abweichungen uxj mit Mittelwert 0 wird bei ihrer Berechnung unterstellt, dass 95 Prozent der Fälle im Intervall Mittelwert plus/minus doppelte Standardabweichung liegen. Abbildung 60: Berechnung von Konfidenzintervallen für die Regressionskoeffizienten
ȕ1j,2j,3j,... r 1,96
ı
2
,
u1j 2j,3j,...
95%-iges Konfidenzintervall für die folgenden Regressionskoeffizienten: Vergangenheit: 1,749 r 1,96 0,492 = (0,374; 3,124) Zukunft: 1,490 r 1,96 0,479 = (0,133; 2,847) Dichte: 1,732 r 1,96 0,852 = (-0,077; 3,541) Commitment: 0,707 r 1,96 0,289 = (-0,347; 1,761) Die in den Klammern aufgeführten Werte zeigen die Bandbreite des jeweiligen Koeffizienten für die mittleren 95% der Befragten. Bei allen vier unabhängigen Variablen schwanken die Werte beträchtlich. Am stärksten sind die Unterschiede bei den Variablen Vergangenheit, Zukunft und Dichte. Bei der Variable Vergangenheit liegen die Werte für die mittleren 95% der Fälle beispielsweise zwischen 0,374 und 3,124. Die Befragten, bei denen das situative Merkmal Vergangenheit den stärksten Effekt hat (97,5tes Perzentil), weisen also bei positiver Ausprägung dieses spezifischen Dimensionsmerkmals durchschnittlich eine um 3,124 Skalenpunkte positivere situationsspezifische Vertrauenserwartung auf. Bei den Befragten mit dem schwächsten Effekt der Vergangenheit (2,5tes Perzentil) löst das Vorliegen dieser Dimensionsausprägung dagegen nur eine durchschnittlich um 0,374 Skalenpunkte positivere spezifische Vertrauenserwartung aus. Ähnlich beträchtlich schwanken die Effektstärken der Zukunft und der Netzwerkdichte. Bei den Variablen Dichte und Commitment zeigen sich zudem Unterschiede nicht nur in der Stärke der Zusammenhänge, sondern auch in ihrer Richtung. Personen mit dem schwächsten Effekt der Variablen Dichte und Commitment weisen bei positiver Ausprägung eines dieser beiden Dimensionsmerkmale ein leicht geringeres spezifisches Vertrauen auf als bei negativer Ausprägung dieser Merkmale. Dass es deutliche interpersonelle Differenzen in den Effektstärken gibt und eine Erweiterung des Modells um random slopes daher sinnvoll ist, lässt sich auch mittels eines Likelihood-Ratio-Ȥ2-Tests zeigen. Dazu wird Modell 6 mit seinem Vorläufermodell (Modell 5) ohne random slopes verglichen. Überprüft wird die Nullhypothese, wonach die Effekte der unabhängigen Variablen auf das spezifische Vertrauen nicht zwischen den Befragten variieren.
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle
283
Abbildung 61: Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 5 und Modell 6 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Prüfgröße = Devianz Modell 5 – Devianz Modell 6 = 6855,557- 6780,083 = 75,474 Anzahl der Freiheitsgrade (F.G) = F.G. 6 – F.G. 5205 = 12 - 8 = 4 Kritischer Ȥ2-Wert ( p 0.0005 ; F.G. = 4) = 18,5 Testergebnis: Ȥ2 Prüfgröße t Ȥ2 Kritischer Wert » Nullhypothese kann verworfen werden! Die errechnete Ȥ2-Prüfgröße ist größer als der kritische Wert. Die Nullhypothese kann also verworfen werden. Wie sich aus Tabelle 56 ablesen lässt, sind die einzelnen Varianzkomponenten in Modell 6 zusätzlich hoch signifikant. Dies belegt, dass es eine statistisch bedeutsame Varianz in den Effektstärken gibt. Eine Modellierung, die diese Ergebnisse nicht berücksichtigt und von fixen Effekten ausgeht, erscheint damit statistisch nicht adäquat. Die nächste Frage, die sich auf dieser Stufe der Mehrebenenmodellierung stellt, ist die Frage nach den Level-2-Variablen, die diese Varianz in den Effektstärken erklären können. Da die hier vorgenommene Mehrebenenanalyse dem Test eines vorab spezifizierten Kausalmodells diente, geht es im Rahmen dieser Analyse ausschließlich darum, empirisch zu überprüfen, ob ein Teil dieser ermittelten Varianz der einzelnen Regressionskoeffizienten durch die generelle Vertrauenseinstellung erklärt werden kann beziehungsweise wie stark der Erklärungsbeitrag der generellen Vertrauenseinstellung ist. Gemäß den beiden in Kapitel 7 hergeleiteten Interaktionshypothesen ist in diesem Zusammenhang sowohl ein positiver moderierender Effekt des generellen Vertrauens (Hypothese H6a1-H6a4) als auch ein negativer moderierender Effekt des generellen Vertrauens (Hypothese H6b1-H6b4) plausibel (vgl. Tabelle 22). Um diese Annahmen zu überprüfen, wurde ein zweites konditioniertes Random-Intercept-Random-Slope-Modell geschätzt (Modell 7). Im Unterschied zum Modell 6 werden in diesem Modell nicht nur die befragtenspezifischen Abweichungen von der mittleren Regressionskonstante, sondern auch die befragtenspezifischen Abweichungen von den mittleren Regressionskoeffizienten auf die Makrovariable generelles Vertrauen regressiert; sowohl der Intercept-Teil als auch der Slope-Teil des Modells sind also konditioniert. Im Rahmen der statistischen Modellierung wird letzteres durch die Einbeziehung von Cross-Level-Interaktionstermen realisiert, die die vier unabhängigen Variablen der Mikroebene und die generelle Vertrauenseinstellung als interessierende unabhängige Variable der Makroebene multiplikativ miteinander verknüpfen. Solche konditionierten Random-Intercept-Random-Slope-Modelle, die die Möglichkeit von Cross-Level-Effekten berücksichtigen, können schnell sehr komplex werden. Bei p Variablen der Mikroebene und q Variablen der Makroebene ergeben sich bereits p x q Interaktionsterme. Im vorliegenden Fall ist der Komplexitätsgrad noch handhabbar, weil aus theoretischen Gründen nur der Erklärungsbeitrag einer ganz bestimmten Makrovariable interessiert. Ermittelt werden soll nur ein möglicher moderierender Effekt der generellen Vertrauenseinstellung auf die Stärke der Beziehung zwischen den vier unabhängigen Vari205
Die Anzahl der Freiheitsgrade entspricht der Anzahl der als fix oder als random geschätzten Effekte.
284
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
ablen der Mikroebene und der abhängigen Variable. Modell 6 wird also lediglich um vier Interaktionsterme erweitert. Abbildung 62: Gleichung von Modell 7 Modell 7: Ebene-1-Modell (7.1): yij = ß0j + ß1j vergangenheit ij + ß2j zukunft ij + ß3j dichte ij + ß4j commitment ij + eij Ebene-2-Modelle (7.2): ß0j = ß0 + ß01gen.vertrauen j + u0j ß1j = ß10 + ß11gen.vertrauen j + u1j ß2j = ß20 + ß21gen.vertrauen j + u2j ß3j = ß30 + ß31gen.vertrauen j + u3j ß4j = ß40 + ß41gen.vertrauen j + u4j kombiniert (7.3): yij = ß0 + ß10 vergangenheit ij + ß20 zukunft ij + ß30 dichte ij + ß40 commitment ij + ß01gen.vertrauen j + u0j + u1j vergangenheit ij + u2j zukunft ij + u3j dichte ij + u4j commitment ij + ß11gen.vertrauen j * vergangenheit ij + ß21 gen.vertrauen j* zukunft ij + ß31gen.vertrauen j * dichte ij + ß41gen.vertrauen j * commitment ij + eij Die Ergebnisse dieser zweiten Schätzung mit variablen Regressionskoeffizienten sind in der dritten Spalte der Tabelle 56 dokumentiert. Schon auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass die generelle Vertrauenseinstellung kaum einen nennenswerten Beitrag zur Erklärung der interpersonellen Varianz in den Effektstärken der vier Rational ChoiceDeterminanten leistet. Dies zeigt ein Vergleich der nicht erklärten Varianzen der Koeffizienten von Modell 6 und 7, die bei dem letztgenannten Modell kaum geringer ausfallen. Die Berücksichtigung eines moderierenden Effektes der generellen Vertrauenseinstellung trägt offenbar nur unwesentlich zu einer Reduktion dieser Varianzanteile bei. Entsprechend gering fällt der Wert des Bryk-Raudenbush-R2 für die Analyseebene zweiter Ordnung aus, der sich auf Basis dieser nicht erklärten Varianzanteile errechnen lässt. Mit seiner Hilfe lässt sich bei Modellen mit random slopes genau ermitteln, welchen Anteil der Varianz der Effektstärken bestimmte Makrovariablen „erklären“ (vgl. Hans 2006: 36; Raudenbush, Bryk 2002: 85). Als Vergleichsmodell dient in diesem Fall das unkonditionierte Random-Intercept-Random-Slope-Modell (Modell 6). Wie der Erklärungsanteil der generellen Vertrauenseinstellung an den Varianzen der Regressionskoeffizienten berechnet wird, demonstriert die folgende Tabelle exemplarisch für die Variablen Vergangenheit und Zukunft. Diese und die Ergebnisse für die zwei verbleibenden Mikrodeterminanten sind außerdem in Tabelle 56, Spalte 3, dokumentiert.
Random-Intercept-Random-Slope-Modelle
285
Abbildung 63: Berechnung der Varianzaufklärung in den Effektstärken nach Raudenbush/Bryk
2 2 (M ) RBR2 var_vergangenheit: ı u1j (M6 ) ı u1j 7 = 0,492 0,473 2 0,492 ı u1j (M6 ) RBR2 var_zukunft :
2 ı 2u2j (M6 ) ı u2j (M7 ) 0,479 0,472 = 2 0,479 ı u2j (M6 )
0,039
0,015
Die sehr niedrigen Werte zeigen, dass die generelle Vertrauenseinstellung keinen substanziellen Beitrag zur Erklärung der Varianz der Regressionskoeffizienten leistet. Sie erklärt nur 3,9 Prozent der Varianz in den Effektstärken der Vergangenheit. Noch geringer fällt der Anteil erklärter Varianz an den Effektstärken der Variablen Zukunft und Netzwerkdichte aus. Bei der Variable Commitment ergibt sich sogar ein leicht negativer Wert des Determinationskoeffizienten. Erwartungsgemäß erbringt auch der von Maddala entwickelte Maximum-LikelihoodR2 für das Gesamtmodell lediglich einen Wert von 59,57%. Im Vergleich zum konditionierten Random-Intercept-Modell (Modell 5), welches eine erklärte Gesamtvarianz von 57,66% erbrachte, ist dies nur eine minimale zusätzliche Verbesserung der Erklärungsleistung. Sie relativiert sich zudem völlig, wenn man berücksichtigt, dass schon eine unkonditionierte Schätzung, die das Modell nur um random slopes erweitert, ohne mögliche erklärende Variablen zu berücksichtigen, den Maddala-R2 leicht auf einen Wert von 59,42 ansteigen lässt (vgl. Tabelle 56). Die Berücksichtigung von random slopes nimmt für sich genommen nämlich schon einen Teil der Gesamtvarianz weg, ohne diese zu erklären. Das klingt zwar paradox, liegt aber am gewählten Nullmodell. Weil im Rahmen dieser Arbeit der Fokus auf der zusätzlichen Varianz liegt, die erklärt werden kann, wenn beide Vertrauenstheorien in Form einer kausalen Sequenz integriert werden, ist das hier relevante Nullmodell ja nach wie vor das in einer ersten Runde der Modellierung geschätzte einfache „ökonomische Modell“ (Modell 1). Benutzt man ein solches Modell ohne random slopes (und ohne random intercepts) als Nullmodell, dann wird dieser Anteil der random slopes (wie auch der Anteil der random intercepts) natürlich nicht kontrolliert. Dass sich die Schätzwerte für das Bestimmtheitsmaß nur geringfügig verbessern, wenn random slopes einbezogen werden, ist im Übrigen bei Mehrebenenanalysen, wie Snijders und Bosker betonen, keine Ausnahme: „the estimated values for R12 and R22 usually change only very little when random regression coefficients are included in the model“ (Snijders, Bosker 1999: 104). Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob eine solche Modellerweiterung um Cross-Level-Interaktionsterme überhaupt sinnvoll ist. Die Effekte von drei der vier aufgenommenen Cross-Level-Interaktionsterme sind jedenfalls nicht signifikant, was als zusätzliches Indiz dafür gewertet werden kann, dass diese Terme besser wieder aus der Modellschätzung zu entfernen sind. Lediglich im Hinblick auf eine unterstellte Cross-LevelInteraktionswirkung zwischen dem generellen Vertrauen und der Vergangenheit ist das Ergebnis schwach signifikant. Dabei zeigt sich ein leicht negativer Moderatoreffekt des generellen Vertrauens, wie er in Hypothese H6a1 vermutet worden ist (vgl. Kap. 7, Abb. 23). Allerdings ist dieser Effekt so schwach, dass dieses Ergebnis nicht als klare Bestäti-
286
Statistische Modellierung und empirische Ergebnisse
gung dieser Interaktionshypothese gewertet werden kann; jede Zunahme des generellen Vertrauens um eine Skaleneinheit mindert den Effekt der Vergangenheit nur um rund 0,09 Skalenpunkte. In einem abschließenden Analyseschritt wurde dennoch ein Random-InterceptRandom-Slope-Modell geschätzt, welches nur noch einen Cross-Level-Interaktionsterm aus der Level-2-Variable generelles Vertrauen und der Level-1-Variable Vergangenheit beinhaltet (Modell 8).206 In dieser letzten Schätzung fällt der unterstellte negative Moderatoreffekt des generellen Vertrauens mit einem Wert von -0,108 sogar noch etwas stabiler aus. Allerdings ist auch diese Modellerweiterung nicht signifikant. Dies zeigt ein Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test auf Basis der Devianzwerte von Modell 6 und Modell 8. Die entsprechende Nullhypothese, die unterstellt, dass die generelle Vertrauenseinstellung keinen moderierenden Effekt auf die Zusammenhänge zwischen der Rational Choice-Variable Vergangenheit und der situationsspezifischen Vertrauenserwartung ausübt, kann nicht verworfen werden. Abbildung 64: Likelihood-Ratio-Ȥ2-Test für den Vergleich von Modell 6 und Modell 8 Likelihood-Ratio-Ȥ2-Prüfgröße = Devianz Modell 6 – Devianz Modell 8 = 6780,083-6776,004 = 4,079 Anzahl der Freiheitsgrade (F.G) = F.G. 8 – F.G. 6 = 13-12 = 1 Kritischer Ȥ2-Wert ( p 0,01 ; F.G. = 1) = 6,64 Testergebnis: Ȥ2 Prüfgröße < Ȥ2 Kritischer Wert Æ Nullhypothese kann nicht verworfen werden. Anm.: Die Anzahl der Freiheitsgrade entspricht der Anzahl der als fix oder als zufällig variierend geschätzten Effekte. Insgesamt führt also auch diese vorgenommene Modellerweiterung nicht zu einer substanziellen Verbesserung der Erklärungsleistung. Zwar differieren die Regressionskoeffizienten deutlich zwischen den Befragten, sodass eine Modellerweiterung um random slopes in jedem Fall gerechtfertigt erscheint. Die theoretischen Vorüberlegungen zur Erklärung dieser Variation der slopes erweisen sich aber als empirisch wenig tragfähig. Die vermuteten Interaktionseffekte lassen sich nicht bzw. kaum nachweisen.
206
Dieses Hinzufügen und erneute Entfernen von Parametern ist im Übrigen, gerade im Rahmen der Spezifizierung von Mehrebenenmodellen, ein ganz normaler und durchaus sinnvoller Prozess: „The process of (…) model specification will include forward steps: select additional effects (fixed or random), test their significance, and decide whether or not to include them in the model; and backward steps: exclude effects from the model because they are not important from a statistical or substantive point of view” (Snijders, Bosker 1999: 94).
12 Schlussbemerkung
Zu Beginn dieser Arbeit stand eine einfache Frage: Wie kann eine systematische und theoretisch begründete Integration der beiden in der politikwissenschaftlichen Forschung dominierenden Theorieansätze (soziologischer versus ökonomischer Ansatz) zum derzeit intensiv diskutierten Forschungsthema soziales Vertrauen aussehen, und bewährt sich eine solche Integration im empirischen Test? Zur Beantwortung dieser Fragestellung war die Arbeit in drei große Teile untergliedert: Der erste Teil der Arbeit hatte zum Ziel, beide Theorieansätze systematisch auseinander zu nehmen und auf ihre Anschlussfähigkeit hin zu überprüfen. Die argumentative Funktion dieses ersten theoretischen Teils der Arbeit bestand darin zu begründen, wieso eine Integration dieser beiden Vertrauenstheorien aus politikwissenschaftlicher Sicht relevant ist. Dazu wurden beide Theorien zunächst getrennt rekonstruiert. Diese Rekonstruktion ist aus zwei Gründen relativ ausführlich ausgefallen: Erstens sind beide Vertrauenstheorien eingebettet in übergeordnete Forschungsansätze, nämlich die Politische Kulturforschung einerseits und den Rational Choice-Ansatz andererseits. Eine Rekonstruktion der zentralen Annahmen dieser beiden Vertrauenstheorien konnte daher nur unter Bezugnahme auf diese beiden großen Analyseansätze erfolgen. Gleichzeitig war einiges an Rekonstruktionsarbeit notwendig, um die grundlegenden Annahmen herauszuarbeiten, die im Rahmen dieser Ansätze vertreten werden. Weder der Rational Choice-Ansatz noch die Politische Kulturforschung haben nämlich bisher eine in sich konsistente und klar ausgearbeitete Vertrauenstheorie hervorgebracht, was einerseits damit zusammenhängt, dass sich unter dem Dach beider Ansätze unterschiedliche Forschungsdiskussionen und theoretische Strömungen ausgebildet haben, andererseits aber auch damit zu tun haben mag, dass der Prozess der Theoriebildung in Bezug auf Vertrauen auf beiden Seiten noch in den Kinderschuhen steckt. Soziales Vertrauen war lange Zeit nämlich eher eine randständige Analysekategorie, die sich erst in den letzten zwanzig Jahren zum Topthema innerhalb der Sozialwissenschaften wie auch der Politikwissenschaft im Speziellen entwickelt hat. Aufbauend auf der getrennten Darstellung der Grundzüge der ökonomischen und der soziologischen Theorievariante in den Kapiteln 2 und 3 hat dann Kapitel 4 begründet, dass eine Integration der beiden Vertrauenstheorien sinnvoll ist. Die gewählte Begründungsstrategie war dabei eine zweigleisige: Zunächst wurde auf Basis einer Analyse der Stärken und Defizite der beiden Vertrauenstheorien in Kap. 4.1 theoretisch-inhaltlich begründet, wieso ihre Integration sinnvoll ist. Auf Basis von innerhalb des empirisch-analytischen Ansatzes breit akzeptierten Gütekriterien für Theorien wurden dazu die soziologische Vertrauenstheorie wie auch die beiden herausgearbeiteten Stränge der ökonomischen Vertrauenstheorie (SEU versus Spieltheorie) in explizit theorievergleichender Perspektive auf ihre spezifischen Stärken und Defizite hin untersucht. Ein solcher systematischer Theorienvergleich ist bisher für diese beiden zentralen Theorieansätze der politikwissenschaftlichen Vertrauensdiskussion noch nicht durchgeführt worden. Dieser Vergleich war im Rahmen der vorliegenden Arbeit aber in erster Linie deshalb wesentlich, weil belegt werden konnte, dass
288
Schlussbemerkung
sowohl der ökonomische Ansatz zur Bildung einer Vertrauenstheorie in seiner werterwartungstheoretischen Variante als auch der soziologische Ansatz durchaus fruchtbare Erklärungsansätze sind. Die Analyse des aktuellen Forschungsstandes hat aber auch ergeben, dass beide Theorien sich in empirischen Tests nur mäßig bewähren und es starke Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich die empirische Bewährung verbessert, wenn beide miteinander verbunden werden. Dass der Versuch einer Integration ein relevantes Forschungsproblem ist, wurde zweitens unter Bezugnahme auf ein spezielles Segment der aktuellen Vertrauensforschung, auf diejenigen Beiträge, die über den Tellerrand der eigenen theoretischen Perspektive hinausblicken und sich aus ökonomischer oder soziologischer Perspektive mit dem jeweilig anderen Erklärungsansatz beziehungsweise dessen zentralen Erklärungsvariablen befassen, begründet. Dabei zeigte sich, dass eine Integration beider Vertrauenstheorien in den letzten Jahren zunehmend, und zwar aus beiden theoretischen Perspektiven, eingefordert wird, gleichzeitig aber überzeugende Integrationsversuche bisher weitgehend ausstehen. Die argumentative Funktion des zweiten theoretischen Teils der Arbeit bestand entsprechend darin, ein Erklärungsmodell zu entwickeln, welches beide Vertrauenstheorien miteinander verbindet. Ein solches Vorhaben ist nicht ohne methodologische Überlegungen im Vorfeld zu bewerkstelligen. Der politikwissenschaftliche Forschungsstand zur Methodologie von Theorienvergleichen und -integrationen ist jedoch unterentwickelt. Stärkere Anknüpfungspunkte bot die soziologische Forschungsdiskussion zu Theorienvergleichen und Theorieintegrationen beziehungsweise die ihr zugrunde liegenden wissenschaftstheoretischen Positionen. Auf diese hat Kapitel 5 Bezug genommen und zu zeigen versucht, dass Theorienvergleiche und -integrationen, als eine besondere Variante theorievergleichenden Arbeitens, grundsätzlich möglich und sinnvoll sind. Zudem konnte diesem Forschungsstand ein methodologisches Raster entlehnt werden, auf dessen Basis es möglich war, eine erste grobe Hypothese über die Relation der beiden Vertrauenstheorien zu formulieren. Diese sehr allgemeine Hypothese einer kausalen Sequenz ist in Kapitel 6 und in Kapitel 7 weiter ausdifferenziert und begründet worden. Die empirische Überprüfung dieses kausalen Sequenzmodells stand im Zentrum des dritten und letzten Teils der Arbeit. Die Funktion dieses empirischen Teils der Arbeit bestand darin zu testen, ob sich die empirische Erklärungskraft verbessert, wenn man beide Ansätze miteinander verknüpft. Zur Erhebung der Daten wurde ein innerhalb der empirischen Politikforschung bisher noch kaum eingesetztes experimentelles Design angewendet. Der faktorielle Survey ist dadurch charakterisiert, dass er typische Merkmale experimenteller (faktorieller) Designs mit den Merkmalen klassischer Meinungsumfragen verknüpft. Die Grundzüge dieser Erhebungstechnik, die Fürs und Wider des Einsatzes solcher experimenteller Designs sowie die einzelnen Schritte bei der Konstruktion dieses sehr komplexen Messinstrumentes sind im achten und neunten Kapitel der Arbeit ausführlich vorgestellt worden. Aus einer Diskussion der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Auswertungstechniken, die bei der Analyse von faktoriellen Surveys schon eingesetzt worden sind, leitete sich die Einschätzung her, dass eine statistische Mehrebenenanalyse angesichts der erzeugten hierarchischen Datenstruktur und der unabhängigen Variablen auf zwei unterschiedlichen Analyseebenen das am besten geeignete Analyseverfahren ist. Entsprechend wurden zur statistischen Analyse schwerpunktmäßig Hierarchisch-Lineare-Modelle eingesetzt. Angesichts der zum Teil komplexen Vorgehensweise, die in Kapitel 11 der Arbeit Schritt für Schritt entwickelt worden ist, seien abschließend die zentralen Ergebnisse dieser statis-
Schlussbemerkung
289
tischen Analyse noch einmal in einfacher Form und bezogen auf die in Kapitel 7 spezifizierten Hypothesen stichpunktartig zusammengefasst: 1.
2.
3.
4.
5.
Der Rational Choice-Vertrauensansatz schneidet empirisch recht gut ab. Bei der Bildung situationsspezifischer Vertrauenserwartungen spielen situative Anreizstrukturen offenbar tatsächlich, wie aus Rational Choice-Perspektive vermutet, eine relevante Rolle. Rund 63% der Varianz dieser Vertrauenserwartung kann auf solche variierenden situativen Bedingungskonstellationen zurückgeführt werden. Im Umkehrschluss bestätigt dieses Ergebnis aber auch eindeutig die im theoretischen Teil der Arbeit formulierte Vermutung, dass eine rein auf situative Anreizstrukturen konzentrierte Erklärung der Genese von situationsspezifischem Vertrauen, wie sie aus Rational Choice-Perspektive mehrheitlich propagiert wird, unzureichend ist. Die Bildung von situationsspezifischen Vertrauenserwartungen ist nämlich nicht, wie aus Perspektive des ökonomischen Ansatzes postuliert, ausschließlich von situativen Bedingungskonstellationen abhängig. Ein großer Anteil der Varianz im situationsspezifischen Vertrauen (rund 37%) ist durch personenspezifische Erklärungsvariablen bedingt. Es gibt, anders formuliert, eine substanzielle Variation in den situationsspezifischen Vertrauenserwartungen, die nicht auf Unterschiede in der Beschaffenheit der Entscheidungssituation, sondern auf personenbezogene und damit situationsunabhängige Unterschiede zurückzuführen ist. Die aus dem aktuellen Forschungsstand der Rational Choice-Forschung herausgegriffenen zentralen Brückenhypothesen (vgl. Abb. 23; H1-H4) bewähren sich im empirischen Test recht gut. Am besten schneiden die vergangene Interaktion mit dem Treuhänder und die Netzwerkdichte ab. Aber auch die Vermutung einer Fortsetzung der Begegnung in der Zukunft hat einen substanziellen Effekt auf das situationsspezifische Vertrauen. Etwas geringer ist der Effekt der freiwilligen Selbstbindung, allerdings weist auch dieser Effekt in die erwartete Richtung und ist sehr signifikant. Allerdings zeigen die Berechnungen der partiellen Varianzaufklärung auch, dass die ausgewählten Rational Choice-Determinanten nur 55% der intrapersonellen Varianz in den erhobenen Vertrauensurteilen erklären können. Wie im kausalen Sequenzmodell vermutet, spielen bei der Erklärung der interpersonellen Varianz in den situationsspezifisch gebildeten Vertrauenserwartungen personenspezifische Unterschiede im generellen Vertrauen zu anderen Menschen eine wesentliche Rolle. Generelles Vertrauen in andere Menschen erklärt nicht nur einen relevanten Anteil der interpersonellen Varianz in den situationsspezifischen Vertrauenserwartungen, sondern bindet auch einen relevanten Anteil der Gesamtvarianz dieses situationsspezifischen Vertrauens. Insgesamt erbringt ein statistisches Modell, welches die ökonomische und die soziologische Vertrauenstheorie in Form einer kausalen Sequenz integriert, eine deutlich höhere Varianzaufklärung als ein rein ökonomisches Modell der Vertrauensbildung. Ein solches Modell, das nicht nur die aus Rational Choice-Perspektive relevanten situativen Anreizstrukturen, sondern auch die aus soziologischer Perspektive relevante generelle Vertrauenseinstellung als Determinanten des situationsspezifischen Vertrauens berücksichtigt, verfügt über eine deutlich bessere Modellanpassung als ein rein ökonomisches Modell zur Erklärung der Genese von Vertrauen. Die angestrebte Theorie-
290
6.
Schlussbemerkung integration in Form einer kausalen Sequenz findet damit eine grundlegende Bestätigung. Diese Verbesserung der Erklärungsleistung lässt sich im Wesentlichen auf einen deutlichen Niveaueffekt des generellen Vertrauens zurückführen. Die Niveauhypothese (H5) bewährt sich eindeutig im empirischen Test. Die Interaktionshypothesen bestätigen sich dagegen nicht. Zwar zeigt sich, dass die Effektstärken der unabhängigen Variablen interpersonell deutlich differieren. Das generelle Vertrauen trägt aber nur marginal zur Erklärung dieser Varianz der Regressionskoeffizienten bei. Die vermuteten Interaktionseffekte (H6a1-H6a4 sowie H6b1-H6b4) lassen sich kaum nachweisen.
Insgesamt legen diese Ergebnisse nahe, dass es in jedem Fall lohnenswert ist, das Projekt einer Integration des soziologischen und des ökonomischen Ansatzes der Vertrauensforschung weiterzuverfolgen. Die vorgestellte Arbeit war auch mit dem Anspruch verknüpft, einen Beitrag zur Systematisierung der aktuellen Vertrauensdiskussion zu leisten. Neben diesen inhaltlichen Bezügen möchte sie aber auch als Beitrag zur Theorienvergleichsdiskussion verstanden werden. Systematische Theorienvergleiche, die auf Basis nachvollziehbarer Kriterien die Erklärungsleistung alternativer und miteinander konkurrierender Theorieangebote testen, werden nämlich in der Politikwissenschaft viel zu selten durchgeführt. Auch methodologische Fragen des Theorienvergleichs und der Integration von Theorien sind bisher innerhalb der Politikwissenschaft kaum thematisiert worden. Dies ist insbesondere deshalb bedauerlich, weil die theoretische Vielfalt innerhalb der Politikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten eher zu- als abgenommen hat. Auch im Bereich der empirischen Methoden und der statistischen Auswertung hat diese Arbeit zum Teil altbekanntes Territorium verlassen. Mit dem faktoriellen Survey ist ein Messinstrument angewendet worden, das innerhalb der Politikwissenschaft bislang noch relativ selten eingesetzt worden ist. Gleichzeitig gibt es, wie Kapitel 8 ausführlich gezeigt hat, ein großes, bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Potenzial an politikwissenschaftlich relevanten Fragestellungen, die mit Hilfe dieses Messinstrumentes sehr viel differenzierter untersucht werden könnten, als mit den bislang eingesetzten herkömmlichen Methoden der Umfrageforschung möglich ist. Wie mit Hilfe dieses Messinstrumentes die Effekte von situativen Bedingungskonstellationen und personenbezogenen Merkmalen, die bei vielen politikwissenschaftlichen Explananda aus dem Kontext der Einstellungs- und Verhaltensforschung vermutet werden, simultan und in ihren Interaktionen untersucht werden können, hat diese Arbeit detailliert vorgeführt. Die zur statistischen Auswertung eingesetzten Mehrebenenanalysen erfreuen sich in der empirischen Politikforschung der letzten Jahre zunehmender Beliebtheit. Die Zahl der Beiträge, die Mehrebenenanalysen zur Auswertung von faktoriellen Surveys einsetzen, ist allerdings nach wie vor sehr begrenzt. Motiviert war die Entscheidung für diese komplexen regressionsanalytischen Verfahren zum einen durch die Tatsache, dass faktorielle Surveys komplexe hierarchische Datenstrukturen erzeugen. Bezogen auf die Fehlerstruktur war daher zu vermuten, dass zentrale Annahmen der klassischen OLS-Regression nicht erfüllt sein dürften, was sich negativ auf die Qualität der statistischen Ergebnisse ausgewirkt hätte. Unter anderem können die geschätzten Regressionsparameter ineffizient sein, eine Problematik, die bei faktoriellen Surveys noch dadurch verschärft werden kann, dass die Zahl der Vignetten, die die Analyseeinheiten erster Ordnung bilden, pro Befragtem (Analyseeinheit zweiter Ordnung) in der Regel begrenzt ist. Gerade in diesen Fällen ist die Gefahr von
Schlussbemerkung
291
instabilen Regressionskoeffizienten besonders groß. Mit dieser Problematik kleiner Gruppengrößen können die bei Hierarchisch- Linearen-Modellen eingesetzten MaximumLikelihood-Schätzverfahren besser umgehen, weil hier extreme Verzerrungen in den Schätzwerten in Richtung eines mittleren Koeffizienten korrigiert werden. Ein Vergleich der Ergebnisse der Mehrebenenschätzung mit denen einfacher OLS-Regressionen hat allerdings die vermuteten Verzerrungen in den statistischen Ergebnissen nicht bestätigt. Die numerischen Unterschiede zwischen den erzielten Schätzergebnissen sind kaum von Belang. Unabhängig von diesem Resultat erscheinen aber Hierarchisch-Lineare-Modelle dennoch das adäquateste Analyseverfahren zu sein. Diese Modelle bieten bei unabhängigen Variablen auf unterschiedlichen Analyseebenen die Möglichkeit, auch komplexe Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Ebenen sehr flexibel zu modellieren. Allerdings haben solche Hierarchisch-Linearen-Modelle auch ihre besonderen Tücken. Sie weisen sehr komplexe implizite Modellbeziehungen auf. Variablen- und Ebenenbeziehungen sind nicht unabhängig voneinander, sondern bilden ein komplexes Beziehungsgefüge ab. Das Hinzufügen oder Weglassen einzelner Variablen beeinflusst auch die Beziehungen zwischen anderen Variablen und die Beziehungen auf anderen Analyseebenen, weshalb die spezifische Art der Spezifikation in viel stärkerem Maße die erzielten Ergebnisse beeinflussen kann, als dies bei einfachen Analyseverfahren der Fall ist. Die Grenzen solcher Mehrebenenmodelle sind auch darin zu sehen, dass eine empirische Untersuchung von Kausalketten mit direkten und indirekten Beziehungen zwischen latenten Variablen nicht möglich ist. Aus diesen Gründen ist im Rahmen dieser Arbeit nur ein Ausschnitt aus der spezifizierten kausalen Sequenz thematisiert worden (vgl. genauer Abb. 20, Kap. 7). Ein möglicherweise interessantes zukünftiges Forschungsvorhaben könnte darin bestehen, diesen Ausschnitt zu erweitern und das vollständige Modell der kausalen Sequenz mit Hilfe von Strukturgleichungsmodellen empirisch zu testen. Darüber hinaus könnte man diese kausale Sequenz sogar noch um die in der Politischen Kulturforschung diskutierten Bestimmungsfaktoren des generellen Vertrauens erweitern. Ein solcher nächster Schritt wäre insbesondere deshalb interessant, weil innerhalb der Strukturgleichungsmethodik aktuell ein Trend zur Ausweitung auf komplexe Datenstrukturen wie z. B. hierarchische Daten beobachtet werden kann. Auch über die Güte des Messinstrumentes faktorieller Survey ist bisher zu wenig bekannt. Welche Auswirkungen zum Beispiel die Größe des Vignettensets auf die Fragen der Qualität der erhobenen Daten hat, ist bisher nicht systematisch untersucht worden. Ebenso sind die Vor- und Nachteile einer zufälligen Auswahl der Vignetten, verglichen mit der ebenfalls möglichen und in dieser Arbeit aus Gründen der statistischen Effizienz favorisierten experimentellen Auswahl der Vignetten, bisher kaum erforscht. In den nächsten Jahren wäre es sinnvoll, durch entsprechende Begleitforschung diese Aspekte der Designkonstruktion genauer zu untersuchen. Aktuell jedenfalls ist der Forschungsstand zu faktoriellen Surveys in messtheoretischer Hinsicht noch klar unterentwickelt. Angesichts der oben geschilderten Besonderheiten von Hierarchisch-LinearenModellen ist es bei solchen Analysen besonders wichtig, dass die einbezogenen Variablen theoretisch fundiert ausgewählt werden und die gewählte Abfolge an MehrebenenAnalysemodellen theoretisch plausibel hergeleitet ist. Auch die einzelnen Schritte der Konstruktion des faktoriellen Surveys müssen sorgfältig geplant werden. Die vorliegende Arbeit hat dies zu leisten versucht. Dennoch sollten vor diesem Hintergrund die empirischen Ergebnisse nicht überbewertet werden. Sie sind nicht mehr und nicht weniger als ein erster
292
Schlussbemerkung
und in diesem Sinne explorativer Test eines vermuteten theoretischen Zusammenhangs. Es müssten weitere Tests mit anderen Stichproben, anderen Vignettensituationen oder veränderten Spezifikationen des Level-1-Modells folgen. Zu testen wäre in diesem Zusammenhang auch, ob die Ergebnisse ähnlich ausfallen, wenn die Items zur Messung des generellen Vertrauens nicht relativ unmittelbar nach Beantwortung des faktoriellen Surveys präsentiert werden, sondern beispielsweise eine gewisse Zeitspanne zwischen der Beantwortung des faktoriellen Surveys und der Beantwortung dieser Items liegt. Nicht auszuschließen ist nämlich, dass bei dieser Art von Designzuschnitt Effekte aus der Positionierung der Vertrauensitems auftreten, die die interne (statistische) Validität der Ergebnisse verringern. Erst auf Basis solcher Replikationen lässt sich abschätzen, wie robust diese Ergebnisse wirklich sind.
Anhang
Anlage 1: Deckblatt Liebe Teilnehmer/innen der Befragung! Sie waren sicher auch schon mal in der Situation, dass sie sich entscheiden mussten, ob sie einem anderen Menschen vertrauen oder nicht. In dem Fragebogen, den Sie vor sich haben, geht es um eine solche Vertrauensentscheidung. Auf den nächsten beiden Seiten werden Ihnen acht Situationen beschrieben, die sich zwar einerseits ähneln, aber in denen jeweils unterschiedliche Zusatzinformationen variiert sind. Bitte lesen sie diese Situationsbeschreibungen aufmerksam durch und versuchen Sie sich in diese Situationen hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor, es handele sich um eine reale Entscheidungssituation. Ich würde gerne von Ihnen wissen, wie wahrscheinlich Sie in diesen Situationen vertrauen würden. Es wäre wichtig, dass Sie jede einzelne dieser Situationen konzentriert beantworten. Versuchen sie bitte sich in die Situationen hinein zu versetzen, auch wenn sich die Situationsbeschreibungen sehr ähneln. Es ist nicht wichtig, dass Sie ihr Urteil in unterschiedlichen Situationen aufeinander abstimmen. Bewerten Sie einfach jede Situation für sich, so als seien die einzelnen Situationen ganz unabhängig voneinander. Ergänzt werden die Situationsbeschreibungen durch einen kurzen Fragebogen mit einigen zusätzlichen Fragen zu ihrer Person. Es wäre wichtig, dass Sie auch diese Fragen beantworten.
294
Anhang
Anlage 2: Faktorieller Survey207 Kann man dem Vormieter vertrauen? Hier der Bewertungsmaßstab: Auf keinen Fall kann man dem Vormieter vertrauen
Auf jeden Fall kann man dem Vormieter vertrauen
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Weiß nicht 11
1. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie haben Ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt. Der Kontakt zu Ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen Ihrer Freunde. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. Ihre Bewertung: ____ 2. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie haben Ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt. Ihr Vormieter zieht in eine andere Stadt, um dort sein Studium fortzusetzen. Keiner Ihrer Freunde kennt Ihren Vormieter. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. Ihre Bewertung: ____ 207
Abgedruckt ist hier als Beispiel Fragebogen 1 (von 8 möglichen Fragebögen) aus Vignettenset 1 (von zwei möglichen Vignettensets). Die Bildung von zwei Vignettensets ergibt sich aus der Aufteilung der 16 Vignetten auf zwei halbfraktionalisierte faktorielle Designs. Die Zahl von acht möglichen Varianten von Fragebögen innerhalb eines Vignettensets resultiert aus der Tatsache, dass die acht Vignetten zur Vermeidung von Positionseffekten rotiert wurden (s.h. ausführlich Kap. 9.1.4).
Anlage 2: Faktorieller Survey
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3. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie kennen Ihren Vormieter zufällig schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt. Keiner Ihrer Freunde kennt Ihren Vormieter. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. Ihre Bewertung: ____ 4. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie kennen Ihren Vormieter zufällig schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Ihr Vormieter zieht in eine andere Stadt, um dort sein Studium fortzusetzen. Der Kontakt zu Ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen ihrer Freunde. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter kann ihnen leider auch nicht weiterhelfen, er besitzt keine. Ihre Bewertung: ____ 5. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie haben Ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt. Keiner Ihrer Freunde kennt Ihren Vormieter. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen.
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Ihre Bewertung: ____ 6. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie kennen Ihren Vormieter zufällig schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Ihr Vormieter zieht in eine andere Stadt, um dort sein Studium fortzusetzen. Keiner Ihrer Freunde kennt Ihren Vormieter. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen. Ihre Bewertung: ____ 7. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie haben Ihren Vormieter gerade erst kennen gelernt. Ihr Vormieter zieht in eine andere Stadt um dort sein Studium fortzusetzen. Der Kontakt zu Ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen ihrer Freunde. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen. Ihre Bewertung: ____ 8. Sie wollen im kommenden Monat umziehen und haben gerade eine Wohnung gefunden, in der es aber keine Küche gibt. Ihr Vormieter bietet Ihnen an, Ihnen preisgünstig seine Küchenzeile zu überlassen. Allerdings ist der Elektroherd kaputt und muss erst noch repariert werden. Ihr Vormieter verspricht Ihnen, sich um die Reparatur zu kümmern, und bittet Sie, ihm das Geld für die Küchenzeile schon mal auf sein Konto zu überweisen. Sie kennen Ihren Vormieter zufällig schon eine Weile und haben bisher gute Erfahrungen mit ihm gemacht. Ihr Vormieter zieht in eine andere Wohnung um, die im selben Haus zwei Stockwerke höher liegt.
Anlage 2: Faktorieller Survey
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Der Kontakt zu Ihrem Vormieter ist Ihnen von Freunden vermittelt worden. Ihr Vormieter hat enge Kontakte zu vielen ihrer Freunde. Zur Renovierung der Wohnung benötigen sie noch eine Bohrmaschine. Ihr Vormieter besitzt eine und bietet an, Ihnen diese Bohrmaschine zu leihen. Ihre Bewertung: ____
298
Anhang
Anlage 3: Ergänzender Fragebogen Hier noch einige ergänzende Fragen zu ihrer Person: 1. Wie alt sind Sie?
_______________
2. Sind Sie a) männlich? b) weiblich? 3. Welches Fach/welche Fächer studieren Sie? (Bitte nennen Sie alle Fächer und kennzeichnen diese als Hauptfächer (HF) und Nebenfächer (NF)). _____________________________________________
4. Welche der folgenden Aussagen trifft außerdem auf Sie zu? a) Ich bin nicht erwerbstätig Æ Bitte weiter mit Frage 7. Æ Bitte weiter mit Frage 7. b) Ich bin nebenher erwerbstätig c) Ich bin hauptberuflich erwerbstätig, halbtags. d) Ich bin hauptberuflich erwerbstätig, ganztags. Æ Bitte weiter mit Frage 7. e) Sonstiges, nämlich _____________________ 5. Falls Sie hauptberuflich erwerbstätig sind, welchen Beruf üben Sie aus? _____________________________________________ 6. Sind Sie a) Selbständige(r) b) Angestellte(r) c) Beamte(r) d) Arbeiter(in) e) Sonstiges, nämlich____________________________ 7. Wie hoch ist ihr monatliches Nettoeinkommen, wenn Sie alle ihre Einkünfte zusammenzählen? Gemeint ist die Summe aus allen Einkünften, die ihrem Haushalt monatlich nach Abzug von Steuern und Kranken- und Versicherungsbeiträge zur Verfügung stehen. Es fallen darunter
Anlage 3: Ergänzender Fragebogen
299
also neben dem Lohn oder Gehalt beispielsweise auch BAföG-Zahlungen oder Stipendien, Kindergeld, Mieteinnahmen, Renten und Pensionen, Wohngeld oder ähnliche Einkünfte. weniger als 500 Euro zwischen 500 und 1000 Euro zwischen 1000 und 1500 Euro zwischen 1500 und 2000 Euro zwischen 2000 und 2500 Euro zwischen 2500 und 3000 Euro zwischen 3000 und 5000 Euro zwischen 5000 und 7500 Euro mehr als 7500 Euro 8. Wie beurteilen Sie ihre derzeitige ökonomische Situation? Mit dem derzeitigen Einkommen kann ich/können wir a) bequem leben b) zurechtkommen c) nur schwer zurechtkommen d) nur sehr schwer zurechtkommen e) weiß nicht 9. Wie zufrieden sind Sie mit ihrer derzeitigen Situation? Äußerst unzufrieden
Äußerst zufrieden 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Weiß nicht 11
Ihre Bewertung ___ 10. Ganz allgemein gesprochen: Glauben Sie, dass die Menschen meistens versuchen hilfsbereit zu sein, oder dass die Menschen meistens auf den eigenen Vorteil bedacht sind? Die Menschen sind meistens auf den eigenen Vorteil bedacht.
Die Menschen versuchen meistens, hilfsbereit zu sein.
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ihre Bewertung: ___
Weiß nicht 11
300
Anhang
11. Glauben Sie, dass man den meisten Menschen vertrauen kann, oder dass man im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein kann? Man kann nicht vorsichtig genug sein.
Den meisten Menschen kann man vertrauen. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Weiß nicht 11
Ihre Bewertung ___ 12. Glauben Sie, dass die meisten Menschen versuchen, Sie auszunutzen, wenn sie die Gelegenheit dazu haben, oder versuchen die meisten Menschen, sich fair zu verhalten? Die meisten Menschen versuchen, mich auszunutzen.
Die meisten Menschen versuchen, sich fair zu verhalten. 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Weiß nicht 11
Ihre Bewertung: ___
Herzlichen Dank für ihre Teilnahme an dieser Befragung! Ihre Angaben werden selbstverständlich vertraulich behandelt, nur zu wissenschaftlichen Zwecken im Rahmen einer Doktorarbeit verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Bei Rückfragen zu dem Forschungsprojekt stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung! Cornelia Frings, M.A. Institut für Politikwissenschaft Johannes Gutenberg-Universität Mainz
[email protected] Anlage 4: Vergleichsmodelle zu Modell 5
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Anlage 4: Vergleichsmodelle zu Modell 5 – Varianzaufklärung weiterer personenspezifischer Merkmale Personenspezifisches Merkmal
Vergleich der Intergruppenvarianz
RBR2
Geschlecht
3,000 (0,299) 3,027 (0,302)
0,009 * 100 = 0,9%
Subjektive Beurteilung der eigenen ökonomische Situation
2,935 (0,297) 3,027 (0,302)
0,030 * 100 = 3,0%
Zufriedenheit mit der eigenen Situation
3,013 (0,303) 3,027 (0,302)
0,005 * 100 = 0,5%
Anmerkung: In der zweiten Spalte ist der Wert der Intergruppenvarianz des jeweiligen Vergleichsmodells zu Modell 5 aufgeführt; es handelt sich dabei um kond. RandomIntercept-Modell mit den RC-Variablen als unabhängige Variablen der ersten Analyseebene und dem jeweils in der ersten Spalte aufgeführten personenspezifischen Merkmal als unabhängige Variable der zweiten Analyseebene; kursiv darunter der Wert der Intergruppenvarianz des zugehörigen Nullmodells (Modell 4); Standardfehler stehen in Klammern.
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