Helga Hackenberg · Stefan Empter (Hrsg.) Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen
Helga Hackenberg Stefan Empter (Hrsg.)
Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen
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1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17759-5
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Helga Hackenberg und Stefan Empter Social Entrepreneurship und Social Business: Phänomen, Potentiale, Prototypen Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
I.
Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Tine Stein Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance? . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 André Habisch Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien . . . . . . . . . . . 49 Markus Beckmann Social Entrepreneurship – Altes Phänomen, neues Paradigma moderner Gesellschaften oder Vorbote eines Kapitalismus 2.0? . . . . . . . . . . . 67 Rolf G. Heinze, Katrin Schneiders und Stephan Grohs Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat – Hybride Organisationen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft . . . . . . . . . 86
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Inhaltsverzeichnis
II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten Birger P. Priddat Organisationstheoretische Einschätzungen – Warum Social Entrepreneurship so attraktiv für junge High Potentials ist . . 105 Felix Oldenburg Wie Social Entrepreneurs wirken – Beobachtungen zum Sozialunternehmertum in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 119 Peter Spiegel Social Impact Business – Soziale und ökologische Probleme unternehmerisch lösen . . . . . . . . . . . . . . 133 Gunter Pauli und Markus Haastert Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem – Internationale Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Katharina Sommerrock Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle – Anreizstrategien zur Versorgung mit öffentlichen Gütern . . . . . . . . . . . . . . . 158
III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit Hans-Joachim Gergs Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des Social Entrepreneurship? Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Gerhard Wegner Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Inhaltsverzeichnis
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Daniel Dölle Potentiale von Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe . . . 203 Anne Köppelmann Unternehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit – Von der Idee zum Businessplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Stefan Knüppel und Christian Groß Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit – Bildungsunternehmertum am Beispiel der Opportunity Microschools . . . . . 235
IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen Anne-Kathrin Kuhlemann Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft – Unterschiede, die Finanziers berücksichtigen müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Ann-Kristin Achleitner, Wolfgang Spiess-Knafl und Sarah Volk Finanzierung von Social Enterprises – Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf Venture Philanthropy – Wenn zwei Welten sich treffen . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Stephan Breidenbach Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses – Das Modell der NExT SSE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
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V.
Inhaltsverzeichnis
Verbreitung, Transparenz und Kommunikation sozialunternehmerischer Aktivitäten
Valerie Hackl Social Entrepreneurship multiplizieren und skalieren – Wege und Beispiele von Social Franchising . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Barbara Roder, Ann-Kristin Achleitner und Alexander Bassen Ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Björn Schmitz und Volker Then Legitimation durch Narration – Bindungskräfte durch das Erzählen von Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Holger Sievert Sozialunternehmertum kommunizieren – Eine scheinbar unlösbare Aufgabe und wie sie dennoch gelingen kann . . . . 351
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Verzeichnis der Web-Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Vorwort
Für die Gesellschaft unternehmen und Verantwortung übernehmen: Die Idee zu diesem Buch entstand nach mehreren persönlichen Begegnungen mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus in den Jahren 2007/2008, reifte vor dem Hintergrund langjährigen Zusammenwirkens mit Stifterpersönlichkeiten, gesellschaftlichen UnternehmerInnen und sozial engagierten BürgerInnen wie auch in zahllosen Gesprächen mit Experten aus der Wissenschaft und vor allem aus der Praxis. Die dabei immer wirkmächtige Zeitgebundenheit von flüchtigen oder auch schlagkräftigen Ideen – und das Wissen der Herausgeber darum – verstehen sich von selbst. Gesellschaft und Unternehmertum verstehen heißt nicht nur, die komplexen Verflechtungen und Interdependenzen, Prinzipien und Regeln – die „Grammatik“ – einer globalisierten Marktwirtschaft zu begreifen. Vielmehr gilt es – entgegen gängiger Stereotypen von der Unausweichlichkeit eines Turbokapitalismus – ebenso zu erkennen, welche Bedeutung Gestaltungswille, Unternehmergeist oder unternehmerisches Handeln engagierter BürgerInnen für die Bewältigung sozialer oder ökologischer Herausforderungen und den Zusammenhalt einer Gesellschaft konkret besitzen. Erfolgreiche Konzepte und Leistungen von Social Entrepreneurship und Social Businesses, welche einer karitativen oder staatlichen Lösung gesellschaftlicher Probleme einen im bestverstandenen Sinne marktwirtschaftlichen Denk- und Handlungsansatz an die Seite stellen, finden jedoch bislang in Ausbildung und Unterricht an Schulen, Hochschulen und in der praktischen beruflichen Weiterbildung in Deutschland noch verhaltene Resonanz. So sehr Social Entrepreneurship und Social Business als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements und als soziale Innovationen in der Praxis Konjunktur erfahren haben, so zaghaft erst schlägt sich die gesellschaftliche Debatte über ihren Stellenwert in der deutschsprachigen Literatur (jenseits der ‚Bewegungsliteratur‘), in Forschung und Lehre nieder. Anliegen dieses Bandes ist es daher, das Neue an dem keineswegs neuen Phänomen von gesellschaftlichem Unternehmertum zu ergründen, die Kernideen von Social Entrepreneurship und Social Business mit ihren unterschiedlichen Herangehensweisen, Potentialen und auch Grenzen in die gesellschaftspolitische Debatte einzuordnen, konzeptionell zu schärfen und anhand ausgewählter Beispiele zu konkretisieren – dies nicht allein, um neue Forschungsfelder aufzuzeigen, sondern um insbesondere Lehrenden und Studierenden, Praktikern
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Vorwort
und Interessierten weiterführende Handlungsimpulse sowie ganz praktische Handreichungen zu geben. Wir haben für unser Vorhaben im Vorfeld viel Zuspruch erfahren. Bestärkt und ermutigt hat uns insbesondere die spontane Bereitschaft der 31 beteiligten Autorinnen und Autoren, daran mitzuwirken und ihre Einschätzungen, Erfahrungen und Erkenntnisse beizusteuern. Sie haben mit ihren Beiträgen die wahrlich interdisziplinären Grundlagen für diesen Band gelegt – das Spektrum reicht von der praktischen Theologie über die Soziologie bis zur Finanzwirtschaft, vom Blick der Leitung und Führung gemeinnütziger Organisationen bis zur Beraterperspektive im Profit- oder Non-Profit-Bereich, vom internationalen Wirtschaftsrecht bis zur konkreten Sozialarbeit in Deutschland. Die Aktualität des Bandes und die Dynamik im Feld lassen sich auch am work in progress ablesen: So wurde beispielsweise die Forderung vieler AutorInnen nach einheitlichen Standards während des Entstehens dieses Bandes mit einem ersten Reporting Standard eingelöst – in einem der Beiträge wird über aktuellste Zwischenergebnisse berichtet. Allen Beteiligten gebührt unser großer Dank – für ihre inhaltlichen Beiträge, aber auch für ihre Bereitschaft, dem ambitionierten Zeitdiktat der beiden Herausgeber zu folgen und deren Ratschläge und Interventionen zu jeder Zeit konstruktiv anzunehmen. Unser Dank gilt ferner Frank Engelhardt und Dr. Cori Mackrodt vom VS-Verlag in Wiesbaden, die frühzeitig die Potentiale des Themas gesehen und die Veröffentlichung mit großem Interesse begleitet und unterstützt haben. Unser Buchprojekt zum jetzigen Zeitpunkt erst ermöglicht haben die Kolleginnen und Kollegen der Evangelischen Hochschule Berlin durch die Gewährung der notwendigen Zeit sowie die beiden Vorsitzenden der Stiftung Wirtschaft Verstehen in Essen durch die Übernahme der Druckvorbereitungskosten – auch ihnen schulden wir tiefen Dank. Last but not least möchten wir ganz besonders Dr. Anja Gottburgsen danken, die uns durch ihr sorgfältiges Lektorat zu jedem Zeitpunkt die Sicherheit für mustergültige Druckvorlagen gegeben hat. Alle Fehler und Unzulänglichkeiten verbleiben gleichwohl allein in unserer Verantwortung. Berlin und Gütersloh, im Dezember 2010 Helga Hackenberg und Stefan Empter
Social Entrepreneurship und Social Business: Phänomen, Potentiale, Prototypen – Ein Überblick Helga Hackenberg und Stefan Empter „Die Bemühung soziale Verantwortung zu reintegrieren in lebensweltliche Kontexte, soziale Kompetenz als Bildungsaufgabe zu begreifen, bedeutet weder einen Rückfall in deregulierte private Zuständigkeiten noch einen Abbau sozialstaatlicher Hilfeleistungen. Es bedeutet aber, dass die Systemwelt die Lebenswelt nicht weiter kolonisiert, sondern dass beide Wirklichkeiten sich lebendig aufeinander beziehen und so ihre Gemeinwohlverpflichtung erfüllen.“ Theodor Strohm
Gesellschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer haben eine gesellschaftspolitische Mission: Sie suchen und finden innovative Lösungen für existierende soziale oder ökologische Probleme und wollen mit ihren Ideen und deren Verbreitung auf lokaler, nationaler oder globaler Ebene wirken. Ihre Mission ist es, „to make a difference“, aus der Mitte der Gesellschaft heraus mit unternehmerischer Kreativität und den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ‚sozialen Mehrwert‘ zu schaffen. Und genau darin liegt der Unterschied zu klassischen Unternehmern: Sie wollen gesellschaftlichen Nutzen maximieren, nicht den eigenen finanziellen Vorteil oder Gewinn. Dort, wo öffentliche Institutionen, wohlfahrtsstaatliche oder Nicht-Regierungs-Organisationen Schwierigkeiten haben, sind sie mit kreativen Denkansätzen, Know-how und Kosteneffizienz zur Stelle. Gesellschaftliches Unternehmertum scheint in Deutschland im Kommen und gewinnt an Dynamik, ist unter Begrifflichkeiten wie social entrepreneurship oder social business in vieler Munde – nicht erst, aber verstärkt seit der jährlichen Präsentation von sog. „Ashoka-Fellows“, der Verleihung des Friedensnobelpreises 2006 an den bengalischen Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus für sein Engagement bei der Gestaltung und Vergabe von Mikrokrediten an die Ärmsten der Armen, seinem ersten Deutschlandbesuch und dem ersten Vision Summit 2007 in Berlin, der Gründung des Berliner GENISIS Institute for Social Business H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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and Impact Strategies im Jahr 2008, der Einrichtung der ersten deutschen Professur für Social Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg 2009, dem Forscherverbund der Stiftung Mercator „Innovatives Soziales Handeln – Social Entrepreneurship“ (2009-2012) an acht deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, dem Anfang 2010 gegründeten Magazin für Social Business und gesellschaftliche Innovation „enorm – Wirtschaft für den Menschen“ oder der Errichtung des ersten deutschen Lehrstuhls für Social Business an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden im Herbst 2010. Was verbirgt sich hinter dem Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums, social entrepreneurship oder social business? Ist es ein Königsweg zur Bewältigung sozialer, ökologischer oder Globalisierungs-Probleme, ein neues gesellschaftspolitisches Paradigma in Zeiten von Vertrauenskrise und Infragestellung herkömmlicher Wirtschafts- und Wohlfahrtsmodelle, gar Vorbote eines Post-Krisen-Kapitalismus 2.0 mit Prototypen und Potentialen, lediglich ein vorübergehender Hype oder eine gesellschaftliche Bewegung in Bewegung? Anders, als es den Anschein erweckt, hat konkretes unternehmerisches Handeln für die Gesellschaft in Deutschland bereits eine sehr lange Tradition: Berühmte, dem Gemeinwohl verpflichtete, mit aller Energie die Lebensumstände der Menschen zum Besseren wenden wollende Sozialreformer wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Wilhelm Merton wirkten im 19. Jahrhundert als soziale Innovatoren, ebenso wie zahllose Stifter, Unternehmerpersönlichkeiten und ungenannte engagierte BürgerInnen im 20. Jahrhundert. Einige dieser social entrepreneurs werden in den Beiträgen dieses Buches benannt und ihre Leistungen beschrieben – die meisten jedoch nicht, und viele wollen auch gar nicht als gesellschaftliche Unternehmer bezeichnet werden, verstehen sich nicht als solche. Oft gibt erst die externe Sicht den Ausschlag für Qualität, Quantität und v.a. die Zuschreibung „gesellschaftliches Unternehmertum“. Während das Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums nichts Neues ist, sind es die Strategien des boomenden social entrepreneurship-Sektors schon. Zwar ist die Zielsetzung eine andere, aber Auftritt, Marketing und Vorgehensweise der neuen social entrepreneurship-Organisationen tragen bisweilen Charakterzüge von new economy-Unternehmen. Und stets nährt sich auch der latente Verdacht eines Hypes à la „New Economy“: Wieselworte wie „Soziale Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“ oder „Change“ sind schnell in Anschlag gebracht, die tatsächlichen Wirkungen oder Veränderungen aber schwer einzuschätzen – denn diese sind ja nicht monetär unmittelbar bewertbare Größen. Kurzum: Es fehlt noch an methodischem Rüstzeug, um den ‚sozialen Mehrwert‘, den gesellschaftliche Unternehmungen stiften, wirklich messen und be-
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werten zu können. Konzepte wie „Social Return on Investment“ (SROI) klingen vielversprechend, stehen aber in ihrer Entwicklung noch am Anfang. Gleichwohl sind sie dringend erforderlich, um Transparenz zu schaffen und die qualitativ spürbaren Erfolge von social entrepreneurship und social business auch quantitativ zu belegen. Viele Autorinnen und Autoren dieses Bandes weisen auf die aktuelle Vielfalt der begrifflichen Konzepte von social entrepreneurship und social business in Literatur und alltagsprachlicher Praxis hin, einheitliche oder gar exakte Definitionen fehlen bislang. Einerseits erschwert zwar die hieraus resultierende Begriffs- und Definitionsvielfalt den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, zugleich scheint sie noch notwendig, um der Interdisziplinarität der Zugänge und der Vielfalt des Phänomens in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung zu tragen (wie auch Valerie Hackl in ihrem Beitrag beschreibt). Denn der Verzicht auf vorschnelle begriffliche oder konzeptionelle Einengungen korrespondiert nachgerade mit dem möglichen Potential, das es zu heben gilt. „Ein social entrepreneur richtet sein Handeln voll und ganz an der Schaffung sozialen Mehrwerts aus, ist stets auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und verfolgt die Umsetzung neuer Konzepte hartnäckig, etabliert einen Prozess der kontinuierlichen Innovation und des Lernens, handelt mutig und lässt sich nicht durch fehlende Ressourcen von der Umsetzung seiner Idee abhalten und hat ein stark ausgeprägtes Gefühl der Verantwortung für die Gesellschaft und für die gesellschaftlichen Folgen seines Handelns“ – in Anlehnung an J. Gregory Dees sollen in diesem Band bewusst multiple Perspektiven zum Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums eröffnet und nutzbar gemacht werden – seien es verschiedene theoretische Zugänge, wissenschaftliche und praktische Erkenntnisse, ausgewählte Anwendungsgebiete wie auch sektorenspezifische Ausprägungen. Um bei dem breiten Spektrum gerade auch konkrete Handlungsorientierungen zu geben, werden die Autorenbeiträge durch [herausgeberische] Querverweise aufeinander bezogen und es wird – soweit vertretbar – durch [herausgeberische] Ersetzungen eine überbegriffliche Konsistenz dort hergestellt, wo es zum Verständnis der Phänomene hilfreich erscheint. So werden die Begriffe wie ‚Gesellschaftliches Unternehmertum‘, social entrepreneurship, ‚Sozialunternehmen‘, social enterprises, social business, social entrepreneurs oder ‚Sozialunternehmer‘ – sofern im breiteren Sinne verwendet und verstanden als social entrepreneurship organization – in Abstimmung mit den Autorinnen und Autoren überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet. Der vorliegende Band gliedert sich in fünf Kapitel: Gesellschaftstheoretische, historische und empirische Einordnungen werden in Kapitel I vorgenom-
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men. Darauf aufbauend veranschaulichen die Beiträge in Kapitel II die Potentiale gesellschaftlichen Unternehmertums in der Verknüpfung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem und zeigen auf, mit welchen Hebeln gesellschaftliche Veränderungen gestaltet werden können. In Kapitel III wird für die Bereiche der Sozialen Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit ausgelotet und konkretisiert, welche weiteren Felder mithilfe von social business entrepreneurshipAnsätzen wie bearbeitet werden können. Da Finanzierungsfragen die zentrale Stellgröße auch für die Nachhaltigkeit von gesellschaftlichem Unternehmertum darstellen, stehen sie im Fokus von Kapitel IV. Mit Finanzierung und gesellschaftlicher Durchdringung aufs engste verknüpft sind Aspekte der Bewertungsstandards und Kommunikation, Verbreitung und damit auch gesellschaftlicher Legitimation – diese werden in Kapitel V behandelt. In allen Beiträgen werden die jeweiligen Schwerpunkte und thematischen Einflugschneisen anhand von Beispielen illustriert – größtenteils mit InternetAdressen, welche zusätzlich in einem Weblink-Verzeichnis im Anhang aufgelistet sind. Mehrfachnennungen und Redundanzen in verschiedenen Beiträgen oder Kapiteln sind dabei durchaus gewollt, um so der Leserschaft die Möglichkeit zu eröffnen, für das eigene Tun oder Unternehmen zu lernen und bei der konkreten Umsetzung Untiefen möglichst umschiffen zu können. Insofern verstehen die Herausgeber das vorliegende Buch eher als Leitfaden denn als klassischen Sammelband. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft Ausgehend vom Begriff des „Weltbürgers“, dem ebenso wie beim normativen Begriff des „Bürgers“ Tugendpflichten zukommen, nimmt Tine Stein in ihrem Beitrag „Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance?“ eine politiktheoretische Einordnung gesellschaftlichen Unternehmertums vor. Um Phänomen und Bedeutung transnational aktiver BürgerInnen und ihres Engagements für die Menschheit als Gemeinschaft für die sich entwickelnde internationale politische Ordnung konzeptionell zu erfassen, entfaltet sie eine Typologie global-zivilgesellschaftlichen Engagements, die sich auch auf den nationalstaatlichen Kontext beziehen lässt. Im Rückgriff auf den Schumpeter‘schen „Unternehmer“ charakterisiert sie public entrepreneurs (Ostrom), policy entrepreneurs (Kingdon) wie auch social entrepreneurs (Martin/ Osberg; Dees): Letztere identifizieren ein bislang vernachlässigtes gesellschaftliches Problem, entwickeln ein Lösungsangebot, welches für die Betroffenen
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oder die Gesellschaft insgesamt einen ‚sozialen Mehrwert‘ verspricht, und setzen dieses mit den ihnen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten (Ideenpotenzial, Kreativität, Risikobereitschaft, Wissen und Engagement) und Handlungsressourcen um. Sie wollen damit einen besseren Zustand erreichen. Da diese weltbürgerlich aktiven Individuen unabhängig von Marktzwängen und politischen Zwängen schnell und innovativ handeln können, haben sie – wenngleich nicht demokratisch legitimiert – vielleicht sogar direktere Chancen auf Verbesserung der Situation als dies in politisch-institutionellen Strukturen möglich ist. So verstanden kommt dem Idealtypus der social entrepreneurs (Handlungsressource Innovationsfähigkeit) – gegenüber dem Idealtypus der Philanthropen (Handlungsressource Vermögen) wie auch dem Idealtypus der civil entrepreneurs oder celebrities mit ihrer Mobilisierungs- und Integrationsfunktion (Handlungsressource Berühmtheit) – bei der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse eine zentrale Pilot- und Schrittmacherfunktion zu. Ein solches Verständnis liegt auch dem Beitrag „Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien“ von André Habisch zugrunde, der die Frage nach dem Neuen gesellschaftlichen Unternehmertums gegenüber älteren Formen sozialen Engagements fokussiert. Gesellschaftliche UnternehmerInnen können und wollen (sozial-)staatliches Handeln nicht breitflächig ersetzen. Als ‚Pfadfinder‘ innovativer Lösungsmodelle im gemeinnützigen Bereich können sie nur dann nachhaltig strukturverändernd wirken, wenn sie ihre Innovationsimpulse wiederum in die Praxis der Versorgung mit öffentlichen Gütern einbringen. Nur der (Sozial-) Staat kann sozialunternehmerische Innovationen institutionalisieren und „auf Dauerbetrieb“ umstellen. Habisch zeichnet in seiner wirtschafts- und sozialethischen Analyse anhand der Industrialisierung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach, wie Strukturen und Systeme der Arbeits- und Sozialordnung immer wieder im unternehmerischen Handeln einzelner Personen vorbereitet wurden. Zwar werden auch heute Politik und internationale Institutionen ihre zentrale Rolle behalten, doch wird die Bedeutung zivilgesellschaftlichen Handelns und das Wirken von social entrepreneurs als Innovationsmotoren für die Bereitstellung (lokaler wie globaler) öffentlicher Güter aber auch von Sinnangeboten zunehmen – mithin entfaltet social entrepreneurship in Zeiten posttraditioneller und pluralistischer Gesellschaften eine wichtige Orientierungsfunktion. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt Markus Beckmann in seiner Analyse zu den Neuerungen und Kontinuitäten in der aktuellen Diskussion über social entrepreneurship und social business. Sein Beitrag „Social Entrepreneurship – Altes Phänomen, neues Paradigma moderner Gesellschaften oder Vorbote
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eines Kapitalismus 2.0“ nimmt differenziert Stellung zu der verbreiteten und nicht zuletzt auch durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise geschürten Erwartung, dass social entrepreneurship und social business Vorboten einer neuen, sozial motivierten Art des Wirtschaftens darstellen, welche die herkömmliche Logik des Kapitalismus verändern oder sogar ablösen könnte. Zur Frage, ob und inwieweit sozial motivierte Unternehmen bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme gewinnorientierten Unternehmen systematisch überlegen sind, argumentiert er, dass beide Arten des Wirtschaftens aus gesellschaftlicher Sicht alternative Mittel darstellen, welche sich je nach Kontext als jeweils unterschiedlich leistungsfähig erweisen: Wo geeignete institutionelle Rahmenbedingungen vorliegen, erweisen sich gewinnorientierte Unternehmen als leistungsfähiger, um gesellschaftliche Bedürfnisse effizient zu befriedigen. Wo eine solche Rahmenordnung jedoch fehlt, können SEOs institutionelles Versagen zielgerichtet kompensieren und wichtige gesellschaftliche Anliegen aufgreifen. Hieraus leitet Beckmann Stellenwert und Rolle sozialunternehmerischen Handelns für die Zukunft des Kapitalismus ab: Das Potential von social business entrepreneurship liegt nicht darin, systemische Problemlösungen, welche staatliches Handeln und marktliches Gewinnstreben in den Dienst gesellschaftlicher Anliegen nehmen, zu ersetzen, sondern darin, diesen systemischen Lösungen durch innovatives sozialunternehmerisches Handeln langfristig den Weg zu bereiten. Insofern kommt SEOs die Rolle von Transformationsagenten zu: Sie tragen entscheidend zur Weiterentwicklung des Kapitalismus bei, und zwar gerade dann, wenn sie die Systemlogik moderner Marktwirtschaften für die Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht langfristig ‚außer Kraft‘, sondern vielmehr ‚in Kraft‘ setzen. Rolf G. Heinze, Katrin Schneiders und Stephan Grohs untersuchen in ihrem Beitrag „Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat – Hybride Organisationen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft“ die Bedeutung gesellschaftlichen Unternehmertums im etablierten deutschen System der Wohlfahrtsproduktion. Die Frage, ob SEOs als Lückenbüßer oder Innovationsinkubatoren im sozialen Dienstleistungssektor fungieren, erfordert neben der Theoriebildung sowohl begriffliche Differenzierungen als auch empirische Überprüfung: So müssen die organisationssoziologisch gesehen ‚hybriden Sozialunternehmen‘ – also an verschiedenen Rationalitäten (Markt/Gewinn, Gemeinwohl, Staat) orientierten – klar von ‚sozialen Unternehmen‘ (mit arbeitsmarktpolitischer und z.T. sozialpädagogischer Motivation) unterschieden werden. Am Beispiel der Bereiche Altenpflege und Kinder-/Jugendhilfe kann gezeigt werden, inwiefern zwar der Sektor sozialer Dienstleistungen vom Typus der hybriden
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SEOs geprägt ist, jedoch belegen die empirischen Daten auch deutlich die Stabilität und Pfadabhängigkeit des bisherigen Wohlfahrtsmusters – Heinze/Schneiders/Grohs warnen also vor Euphorie. Mit ihrer Analyse der spezifischen Produktionsbedingungen des sozialen Dienstleistungssektors in Deutschland veranschaulichen sie vielmehr erneut, dass eine Übertragung des angelsächsisch geprägten social entrepreneurship-Ansatzes auf die Realität des deutschen Wohlfahrtsstaates nur sehr bedingt und dann passgenau zugeschnitten möglich ist, da Begrifflichkeiten und Konzepte an das jeweilige wohlfahrtsstaatliche Regime angepasst und die jeweiligen institutionellen Kontexte einzubeziehen sind. Gesellschaftspolitische Veränderungen bewirken und gestalten Birger P. Priddat skizziert in seinem Beitrag „Organisationstheoretische Einschätzungen – Warum Social Entrepreneurship so attraktiv für junge High Potentials ist“ eine Theorie sozialer Wertschöpfung und pointiert den Unterschied zwischen hybriden SEOs und Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auf der einen und klassischen Wohlfahrtsverbänden und Vereinen auf der anderen Seite: ihren jungen, dynamischen Charakter („jugendkulturelle Atmosphäre“). Für ihn ist social entrepreneurship mehr als eine Modeerscheinung, vielmehr ein Versuch, soziale Dienstleitungen effektiver als der klassische Bereich der Wohlfahrtspflege anzubieten. Analog zu sozialen Bewegungen – als remakes solidarischen Kollektivverhaltens – nehmen sie gesellschaftliche Impulse auf, formieren diese aber anders: als unternehmerische Organisation, als Beweis für die Selbständigkeit mit entsprechenden Formen der Finanzierung. Das social movement-Moment zeigt sich in permanenter Aufbruchstimmung im Bereich der SEOs wie NGOs – sie leben von ihren überwiegend jungen Akteuren, sind medienorientiert und attrahieren insbesondere junge high potentials. So sind zwar SEOs in erster Linie auf social services ausgerichtet, bei genauerer Betrachtung liegt ihre weitere Funktion aber gerade darin, junge high potentials zu qualifizieren und in eine eigene Form sozialer Transformation zu bringen. Denn indem man als Mitglied einer SEO auf unternehmerische Kompetenz und nicht lediglich auf Praktika oder soziales Engagement verweisen kann, ist dies möglicherweise auch Karriere fördernd für spätere Berufswege. Abschließend diskutiert Priddat daher die Frage, ob also SEOs – neben all dem, was sie sonst leisten – nicht auch eine neue Form der Elitenqualifikation darstellen. Felix Oldenburg berichtet in „Wie Social Entrepreneurs wirken – Beobachtungen zum Sozialunternehmertum in Deutschland“ von seinen Erfahrungen
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aus der Beratung und Förderung von SEOs in Deutschland. Gemessen am ‚Archetyp‘ des social entrepreneurs als Gründer neuartiger Sozialeinrichtungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Entwicklungs- oder Transformationsländern stoßen SozialunternehmerInnen in Deutschland auf ein ausdifferenziertes und kaum wettbewerblich organisiertes Sozialsystem, in dem Wachstum und Expansion unternehmerischer Innovationen über die lokale Ebene hinaus sofort an konkurrierende Geltungsansprüche anderer Player im Sozialsystem bzw. der öffentlichen Hand selbst stoßen. Mit Blick auf Innovations-Strategien kategorisiert er unter Verweis auf viele Praxisbeispiele die Bandbreite empirischer Geschäftsmodelle (Kooperationsplattformen, Multiplikatorenprojekte, Qualifizierungsprogramme, Mikrofinanzierung, Anteilseignergesellschaften und Marktkatalysatoren). Hinsichtlich der Expansions-Strategie verdeutlicht er die Unterschiede zwischen Wirtschafts- und Sozialunternehmen: Während erstere Wertschöpfung möglichst internalisieren, suchen letztere mithilfe unterschiedlichster Wachstums- und Skalierungsstrategien (Zentrale, Filialen, social franchises, Netzwerke, open sourcing) die maximale Externalisierung ihrer Wertschöpfung. Hinsichtlich der Impact-Strategie von SEOs typisiert Oldenburg verschiedene Ansätze der direkten und indirekten Systemveränderung: Marktveränderungen, Wandel formaler Normen, Auflösung von Sektorengrenzen, Integration neuer Marktteilnehmer oder Multiplikation von Engagement. Bei aller Heterogenität und Vielfalt der SEO-Landschaft in Deutschland sieht er den zentralen Wirkungsmechanismus darin, dass je mehr Menschen sich selbst zu Sozialunternehmertum inspiriert fühlen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen statt auf den Staat oder Dritte zu verweisen, desto mehr steigen die Selbstheilungskräfte und die Resilienz gegenüber gesellschaftlichen Schieflagen. Die Verortung sozialer Anliegen und deren Problemlösung in der Zuständigkeit des Staates oder im zivilgesellschaftlichen Engagement – aber eben nicht in der Verantwortung der Wirtschaft – dominiert auch nach Peter Spiegel noch immer das Bewusstsein unserer Gesellschaft. Diese Vorstellung wird durch drei konzeptionelle Impulse gesellschaftlichen Unternehmertums – die Wirtschaft und Soziales in Einklang bringen – grundsätzlich infrage gestellt. Sie werden in seinem Beitrag „Social Impact Business – Soziale und ökologische Probleme unternehmerisch lösen“ differenziert erläutert und abgrenzt: Das social entrepreneurship-Konzept von Bill Drayton, der spezifische social business-Ansatz der Sozialunternehmer-Ikone Muhammad Yunus sowie das social impact-Konzept von Coimbatore K. Prahalad. Während Yunus unter social businesses ausschließlich Unternehmen verstanden wissen will, deren alleiniger Gründungs- und Unternehmenszweck die Lösung eines drängenden gesell-
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schaftlichen Problems ist und deren Gewinne vollständig reinvestiert werden, steht bei social impact businesses zwar auch die Ausrichtung auf soziale Wirkungen und sozialen Mehrwert im Vordergrund, dies aber unabhängig von einer Null- oder moderaten Gewinnausschüttung. In social (impact) business sieht Spiegel enorme Entwicklungspotentiale für die globale Gesellschaft und Wirtschaft, insbesondere auf den Handlungsfeldern „Kleinkredite“ in und „Innovationen“ für Entwicklungsländer, aber auch im „Sozialbereich“ der (Post-)Industrieländer und beschreibt diese am Beispiel ausgewählter SEOs. Die großen globalen Herausforderungen der Zukunft sind auch Ausgangspunkt des Beitrages „Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem – Internationale Fallbeispiele“ von Gunter Pauli und Markus Haastert: Während auf der einen Seite das natürliche Gleichgewicht der Ökosysteme empfindlich beschädigt wird, wodurch die Lebensgrundlage der Menschen insbesondere in den armen Regionen der Erde bedroht ist, hat auf der anderen Seite die traditionelle Wirtschaft mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise seine Vorbildfunktion eingebüßt und Vertrauen verloren. Um jedoch wirkliche Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen Ökonomie, Ökologie und Soziales wieder in Einklang gebracht werden. Diesen Dreiklang auch wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen, ist – ähnlich den sog. cradle to cradle-Konzepten im Produktionsdesign und engineering – Leitidee der von der „Zero Emissions Research Initiative“ (ZERI) entwickelten „Blue Economy“-Methode. Ihre praktische Anwendung wie auch die damit verbundene Rolle und Bedeutung von social entrepreneurship wird anhand zweier Projekte systematisch durchdekliniert. Wie SEOs die sozialen und ökologischen Herausforderungen moderner Gesellschaften adressieren, beschäftigt auch Katharina Sommerrock in ihrem Beitrag „Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle – Anreizstrategien zur Versorgung mit öffentlichen Gütern“. Aus der Perspektive der Theorie der öffentlichen Güter und der Ressourcenabhängigkeitstheorie identifiziert sie SEOs als Katalysatoren für die Bereitstellung von public goods und die je spezifischen Anreizstrukturen und -strategien als das wesentliche Element, um deren Stakeholder bzw. Zielgruppen zur Mitwirkung zu motivieren. Dabei differenziert sie drei Typen von Geschäftsmodellen sozialer Wertschöpfung: „Soziale Wertschöpfung mit der Zielgruppe“, „Soziale Wertschöpfung für die Zielgruppe“ und „Hybride soziale Wertschöpfung“. Anhand konkreter SEO-Beispiele illustriert Sommerrock sowohl die zentrale Katalysatoren-Funktion von SozialunternehmerInnen als auch das Zusammenspiel zwischen Anreizen und Beiträgen der Mitwirkenden zum jeweiligen öffentlichen Gut.
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Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit Die große ökonomische Bedeutung des sozialen Sektors wie auch die Krise der öffentlichen Finanzen haben bereits in den 1980er Jahren zu einem erheblichen Legitimitätsdruck im gesamten sozialen Bereich geführt. Auf die damit popularisierten Schlagworte (und Vorwürfe) wie ‚Ökonomisierung‘ oder ‚Vermarktwirtschaftlichung‘ reagierten viele soziale Organisationen mit der Adaption von Managementmethoden aus dem Bereich gewinnorientierter Unternehmen. Dies führte zu einem Aufschwung des sogenannten Sozialmanagements. Diese Entwicklung hält Hans-Joachim Gergs in seinem Beitrag „Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des Social Entrepreneurship? Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert“ für bedenklich, geraten doch die klassischen Managementmethoden des Profit-Sektors mittlerweile selbst stark in die Kritik. Die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen einer modernen und globalisierten Gesellschaft lassen sich aus Sicht von Gergs nicht mehr mit den ‚technizistischen‘ Managementmethoden des 20. Jahrhunderts bewältigen. So erfordern Selbsterneuerung und Innovation im sozialen Sektor nicht ein Mehr an Sozialmanagement, sondern unternehmerisches Denken und Handeln und innovative Formen der Unternehmensführung. Diese werden sich nur bedingt in ProfitUnternehmen entwickeln, sondern verstärkt in den von Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmern gegründeten neuen SEOs. Analog der Argumentation von Beckmann wirken diese als Katalysatoren bzw. Transformationsagenten auch bei der Erneuerung des Managements von traditionellen, gewinnorientierten Unternehmen. Das durchaus spannungsreiche Verhältnis zwischen klassischer Gemeinwesenarbeit und gesellschaftlichem Unternehmertum diskutiert Gerhard Wegner in seinem Beitrag „Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit“. Zum einen zeigt er Parallelen und Überlappungen in den Tätigkeitsfeldern von SozialarbeiterInnen und SozialunternehmerInnen auf – so gibt es auch in der Sozialarbeit die sozialraum-bezogenen Charismatiker, die ganz ähnlich wie Unternehmer verdeckte Ressourcen im Gemeinwesen aktivieren und durch neue Kombinationen von Gelegenheiten zu einer Steigerung der Lebensqualität im Stadtteil beitragen. Zum anderen aber wollen sich diese Personen in der Regel gerade nicht – wie Priddat für die jungen high potentials herausdestilliert – als social entrepreneurs verstehen oder gar als „Unternehmer“ identifiziert werden und lehnen eine entsprechende Bezeichnung sogar ausdrücklich ab. Dieses Phänomen beruht auch darauf, dass von den grundlegenden Handlungslogiken her sich trotz aller Überlappungen
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deutliche Distanzen ergeben – dies umso mehr, wenn es um eine Steuerung von gemeinwesenbezogenen Projekten mittels Kennzahlen und um geldbezogene Organisationsimperative geht. Wie allerdings eine neue Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschland über Gemeinwesendiakonie deutlich macht, scheinen diese Differenzen nicht unüberwindbar: Faktisch sind die Grenzen fließend und in der konkreten Betätigung verstehen sich GemeinwesenarbeiterInnen und SozialunternehmerInnen als aufeinander angewiesen. Analog zu Gergs Analyse des Sozialsektors haben sich auch die sozialpolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland verändert: Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit und Wettbewerb treten stärker in den Vordergrund und gehören zum Arbeitsalltag, was innerhalb der Profession je nach Maßstab und Perspektive als Chance oder Risiko bewertet wird. Daniel Dölles Beitrag „Potentiale von Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe“ nimmt den Gedanken der unternehmerischen Herangehensweise an soziale Probleme aus Sicht der professionellen Sozialarbeit/Sozialpädagogik in den Blick, diskutiert, welche innovativen Impulse social entrepreneurship zur Bewältigung aktueller Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland geben kann, und entwirft einen Bauplan für eine interdisziplinär aufgestellte Organisation. In der Diskussion der zentralen Handlungsfelder „Berufliches Selbstverständnis“ und „Ressourcenerschließung“ kommt Dölle zu folgenden Einschätzungen: Sozialunternehmerisches Denken und Handeln verbindet den Dienstleistungscharakter der Hilfen mit (sozial)politischem Gestaltungswillen – weil es mehr bietet, darf es nicht mit dem pauschalen Vorwurf der ‚Ökonomisierung‘ der Sozialen Arbeit gleichgesetzt werden. Die visionäre und reformorientierte Grundhaltung von social entrepreneurship eignet sich als handlungsleitende Maxime im Sinne eines politisch motivierten beruflichen Selbstverständnisses von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. In Anwendung innovativer Instrumente, Methoden und Kooperationen stimulieren SEOs den Wettbewerb um die besten Ideen zugunsten ihrer Zielgruppe und der Außenwahrnehmung von Sozialer Arbeit. Damit trägt social entrepreneurship – in Ergänzung zum bestehenden System – sowohl als Impulsgeber zu einer Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten und zu einer weiteren Professionalisierung der Kinder- und Jugendhilfe als auch zu einer weiteren Stärkung der berufsethischen Prinzipien bei. Auch wenn Existenzgründungen, der Schritt in die Selbständigkeit, also sozialunternehmerisches Handeln in der Praxis der Sozialen Arbeit bisher einen seltenen Weg darstellt, zeigt auch Anne Köppelmann mit ihrem Beitrag „Unter-
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nehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit – Von der Idee zum Businessplan“, dass social entrepreneurship beim dringenden Bedarf an neuen Leistungserbringerstrukturen und Finanzierungswegen als Impulsgeber fungieren kann, allerdings bedarf es dazu – analog zu den Ausführungen von Dölle – einer interdisziplinären Offenheit und eines regen Fachaustausches der Professionen: Zwar sollte unternehmerisches Denken und Handeln weiterhin kritisch hinterfragt, jedoch mit Blick auf die Zukunft der eigenen Profession und die Chancen neuer Berufsbilder offen diskutiert werden. Um innovative Strategien im Rahmen einer Existenzgründung im sozialen Sektor umzusetzen, kann ein Businessplan als hilfreiches Strukturierungs- und Planungsinstrument genutzt werden, wie Köppelmann am Beispiel der SEO Eltern-AG nachzeichnet. Ihren Beitrag „Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit – Bildungsunternehmertum am Beispiel der Opportunity Microschools“ beginnen Stephan Knüppel und Christian Groß mit einer kritischen Analyse traditioneller Entwicklungsarbeit. So weisen sie nach, dass die Bemühungen westlicher Entwicklungspolitik insbesondere in Afrika in den vergangenen Jahrzehnten wenig Erfolg verzeichneten und zunehmend infrage gestellt werden. Demgegenüber stellt der von Opportunity International verfolgte Ansatz der sozialen Mikrofinanzierung einen alternativen und v.a. wirkungsmächtigeren Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit dar: Sie verschafft den Ärmsten der Armen in Entwicklungsländern einen Zugang zu Finanzdienstleistungen, damit sich diese mit Hilfe von eigenen Kleinunternehmen selbst aus der Armut befreien können. Knüppel/Gross sehen darin einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit und konturieren den microfinance-Ansatz am Beispiel kleinkreditfinanzierter Mikroschulen in Ghana – einem 2008 von Opportunity International gestarteten neuartigen Projekt gegen die dortige Bildungsmisere. Im Rahmen dessen werden Kredite an lokale Bildungsunternehmer (edupreneurs) vergeben, die wiederum Privatschulen für Arme (microschools) gründen oder bestehende Schulen ausbauen und auf diese Weise Kindern aus armen Familien erstmals die Chance auf Bildung und Teilhabe ermöglichen. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen Nicht nur Mikrofinanzdienstleistungen, sondern jede Investmententscheidung zugunsten von SEOs folgt einer völlig anderen Logik als Investitionen in klassische, gewinnorientierte Unternehmen. Wie Anne-Kathrin Kuhlemann in ihrem Beitrag „Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft – Unterschiede, die Finanziers
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berücksichtigen müssen“ gegenüberstellt, muss die Zielsetzung von sozialen Investoren über eine finanzielle Gewinnmaximierung hinausgehen und die „soziale Rendite“ im systemischen (also auch makroökonomischen) Sinn hinzurechnen. Ähnlich gelagerte Wertevorstellungen sind zudem den Sozialunternehmern und Sozialunternehmerinnen, die nach externen Kapitalgebern suchen, ausgesprochen wichtig. Wiederum häufig obliegt es den Investoren selbst, die Messung von Erfolg und die konsequente Anpassung der strategischen Herangehensweise an die Unternehmensziele von den SEOs einzufordern. Investoren müssen sich daher klar werden, was es bedeutet, in eine noch junge Branche mit Pioniergeist zu investieren: Es mangelt häufig noch an Skalierungserfahrung und dem proof-of-concept von sozialen Geschäftsideen. Finanzierungsinstrumente müssen erst noch an die Neuartigkeit solcher Geschäftsmodelle angepasst werden. Letztlich benötigen SEOs Investoren, die sich als Partner verstehen. Wen dieser hohe Aufwand und der lange Weg hin zu einem vollwertigen Markt nicht schreckt, der wird nach Kuhlemann möglicherweise auf andere Art belohnt, als es traditionelle Investments bieten: Freundschaften, Menschlichkeit und eine leidenschaftliche Überzeugung der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns sind Elemente, die diese junge Branche prägen. Systematisch analysiert werden die Besonderheiten der Finanzierungsstrukturen im Beitrag „Finanzierung von Social Enterprises – Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte“ von Ann-Kristin Achleitner, Wolfgang Spiess-Knafl und Sarah Volk. Auf der einen Seite stehen SEOs aufgrund ihrer sozialen Ausrichtung einige Finanzierungsmöglichkeiten nur eingeschränkt zur Verfügung. Auf der anderen Seite eröffnet gerade diese aber auch den Zugang zu zusätzlichen Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumenten, die wiederum klassischen Unternehmen fehlen. Achleitner/Spiess-Knafl/Volk beschreiben sämtliche infrage kommenden Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumente wie auch deren Implikationen für Sozialunternehmen und beleuchten abschließend die besonderen Herausforderungen bei der SEO-Finanzierung. Mit ihrem Beitrag „Venture Philanthropy – Wenn zwei Welten sich treffen“ vertiefen Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf einen dieser neuen Ansätze zur Förderung von gemeinnützigen Organisationen und SEOs – die venture philanthropy: Diese verfolgt einen hybriden Ansatz, verortet sich in der Mitte zwischen gewinnorientiertem Privatsektor und klassischer Spende und umfasst nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch ein maßgeschneidertes capacity building. Bislang fördern nur wenige Stifter oder Institutionen in Deutschland und Kontinentaleuropa nach diesem Ansatz. Da nur die Praxis zeigen kann, ob venture philanthropy auch halten kann, was sie verspricht, dis-
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kutieren Alberg-Seberich/Wolf die Förderinstrumente und Verfahren anhand von konkreten Förderbeispielen (insbesondere der „Private Equity Foundation“ und des „Social Venture Funds“) und zeigen, dass venture philanthropy häufig eine geeignete Förderform gerade für die Wachstumsphase von SEOs darstellt, aber auch noch zahlreiche Herausforderungen birgt. Fundraising stellt schon für den traditionellen non profit-Sektor eine große Herausforderung dar: Teilweise müssen mehr als die Hälfte der Ressourcen für die Spenden-Akquise aufgewendet werden. Mindestens genauso schwierig ist die Beschaffung von Risiko- und Wachstumskapital für Sozialunternehmen, denn das Spezifikum von SEOs, dass sie eben zuvorderst soziale Zielsetzungen verfolgen, muss sich erst noch in den Köpfen von Investoren durchsetzen. Traditionelle Finanzierungsformen können die Finanzierungslücken nicht füllen, mit welchen sich viele SEOs konfrontiert sehen. Sozialbörsen können hierfür Lösungen bieten, wie Stephan Breidenbach am Beispiel des Konzeptes der „New Ethical eXchange and Technologies Social Stock Exchange“ (NExT SSE) in seinem Beitrag „Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses – Das Modell der NExT SSE“ aufzeigt. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation sozialunternehmerischer Aktivitäten Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmern geht es um gesellschaftliche Veränderung, um impact und damit auch um die gesellschaftliche Verbreitung ihrer Ideen und Konzepte. In den letzten Jahren hat sich mit social franchising eine Organisationsform zur Multiplikation von SEO-Aktivitäten herausgebildet: Durch Adaption kommerzieller Franchiseprinzipien können bewährte soziale oder ökologische Initiativen einer größeren Zahl von Nutznießern oder Zielgruppen zugänglich gemacht und damit Skaleneffekte generiert werden. Obwohl sich social franchising immer größeren Interesses erfreut, sind seine genaue Bedeutung und Funktionsweise bisweilen unklar. Valerie Hackl geht es deshalb in ihrem Beitrag „Social Entrepreneurship multiplizieren und skalieren – Wege und Beispiele von Social Franchising“ darum, das Konzept social franchising hinsichtlich seiner Besonderheiten gegenüber kommerziellem franchising genauer zu definieren und anhand von Praxisbeispielen zu illustrieren, von alternativen Replizierungsformen abzugrenzen wie auch konkrete Handlungsimplikationen für SEOs abzuleiten.
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In dem Maße, wie mit social (business) entrepreneurship innovative marktorientierte Ansätze zur Bewältigung sozialer und ökologischer Probleme zu Anwendung kommen, aber auch gesellschaftliche Legitimation erworben und finanzielle Mittel eingeworben werden müssen, werden SEOs zunehmend mit der Wirkung ihrer Aktivitäten, mit der Darstellung von Investitionsrisiken wie auch mit einer professionellen Dokumentation ihrer Arbeit konfrontiert. Allerdings fehlte in diesem Bereich bislang ein einheitlicher Standard. Barbara Roder, Ann-Kristin Achleitner und Alexander Bassen skizzieren in ihrem Beitrag „Ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs“ die spezifischen Anforderungen an ein solches social reporting und stellen ihren in einem Forschungsverbund jüngst entwickelten und getesteten Reporting Standard vor. Auch wenn die Etablierung einer professionellen Unternehmensberichterstattung und Wirkungsmessung im SEO-Bereich noch in den Kinderschuhen steckt, so zeigt der neue Reporting Standard bereits positive Implikationen für zentrale Handlungsfelder – wie Internes Monitoring, Außendarstellung, Investorensuche oder Rechenschaftslegung – von Sozialunternehmen auf. Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer stellen sich gesellschaftlichen Legitimationsanforderungen jedoch nicht allein durch reporting und Rechenschaftslegung, welche im Zusammenhang mit accountability und Transparenz vor allem die Wirkungsmessung betreffen. Sie erschließen sich darüber hinaus „emotionale“ Legitimität über die Narration ihrer Unternehmensgeschichte bzw. ihrer Problembearbeitung. Dass diesem Legitimitätsaspekt und den Spezifika narrativer Legitimation in der Debatte um social entrepreneurship bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, wollen Björn Schmitz und Volker Then in ihrem Beitrag „Legitimation durch Narration – Bindungskräfte durch das Erzählen von Geschichten“ entgegenwirken. Sie analysieren Konzept und Prozesse emotionaler Legitimitätsströme und verwenden den capability approach als einen Referenzpunkt, über den Solidarität und Bindungskräfte erzeugt sowie Ressourcen mobilisiert werden können. Der abschließende Beitrag „Sozialunternehmertum kommunizieren – eine scheinbar unlösbare Aufgabe und wie sie dennoch gelingen kann“ von Holger Sievert beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit Fragen der sozialunternehmerischen Kommunikation: Konzeptionell beschreibt er die grundsätzlichen Schwierigkeiten von Public Relations im SEO-Sektor, wobei neben Sieverts eigenen Erfahrungen auch Beiträge des vorliegenden Bandes einbezogen werden. Konkret gibt er drei aufeinander aufbauende Empfehlungen, wie Kommunikation für SEOs erfolgreich gestaltet werden kann – diese werden anhand empirischer Fallbeispiele illustriert. Prospektiv zeigt er mögliche Perspektiven
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sozialunternehmerischer Kommunikation auf, wobei einem institutionalisierten Bezugsgruppenmanagement zentrale Bedeutung zukommt. Sievert endet mit drei kurzen Empfehlungen, die auch mit wenig Vorwissen umgesetzt werden können: Sozialunternehmerische Kommunikation sollte problembewusst, professionell und persönlich sein. Ausblick Dieser Band lebt von Beispielen. Bei einigen Beiträgen liegt der Fokus auf internationalen oder globalen Anwendungen, bei anderen in Deutschland. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, dass durch gesellschaftliches Unternehmertum auch die festgefahrenen Strukturen im deutschen Wohlfahrtsstaat erweitert und damit erneuert werden – vor allem in den Köpfen. Der bisweilen kritisierte Hype um Gründerpersönlichkeiten kann – und dies ist vielleicht die größte Hoffnung der Herausgeber – auch in und für Deutschland die Chance bieten, eine Lücke zu füllen, nämlich die vielfach in Wirtschaft und Gesellschaft vermissten Vorbilder zu generieren. Gesellschaftliche Verantwortungsübernahme durch eine neue Generation von UnternehmerPersönlichkeiten hin zu einem konsequenter werte-orientierten Wirtschaften muss auch ein Gegengewicht darstellen, um nicht aus den Kredithaien von gestern die Mikrofinanziers von morgen werden zu lassen. Insgesamt verdeutlichen die quer durch die Beiträge genutzten Metaphern „Kinderschuhe“ oder „Geburtswehen“, dass es sich um ein junges Feld handelt, dessen Wachsen und Gedeihen begleitet werden will, gemessen werden sollte und dessen Kraft sich erst beim Heranwachsen zeigen wird. In diesem Sinn versteht sich der Band als Einstieg und Grundlage. Weitere Präzisierungen und Vertiefungen – sowohl für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes aber auch für die praktische Arbeit – sind einer bereits angedachten Veröffentlichungs-Reihe vorbehalten.
I.
Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Global Social Entrepreneurship – Komplement oder Konkurrenz zu Global Governance? Tine Stein
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Einleitung
Als Präsidentschaftskandidat hatte sich Barack Obama im Sommer 2008 in Berlin einem begeisterten Publikum vorgestellt: „Tonight, I speak to you not as a candidate for President, but as a citizen – a proud citizen of the United States, and a fellow citizen of the world.“ Und nachdem er die gegenwärtigen globalen Herausforderungen bezeichnet hatte, wie Klimawandel, transnationalen Terrorismus und globale Armut, zog er daraus den Schluss, dass „the burdens of global citizenship continue to bind us together“ (Obama 2008). Diese Analyse teilen heute nicht nur Politikerinnen und Politiker, die in Ämtern als Beauftragte handeln, sondern auch Menschen, die außerhalb der Institutionen der Staatenwelt auf eigene Initiative politisch handeln. Auf die globale Bühne ist ein verhältnismäßig neuer Akteurstypus getreten, der in den normativen und empirisch-analytischen politikwissenschaftlichen Analysen von global governance bislang noch wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Es geht um transnational politisch und sozial aktive Individuen, die für ihre „fellow human beings“ in anderen Teilen der Welt engagiert sind. Mit ihren Tätigkeiten wollen sie einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel bewirken zugunsten der Überwindung sozialer Ungleichheit, der weltweiten Geltung der Menschenrechte und des Schutzes globaler Gemeinschaftsgüter (global goods). Einige versuchen dies durch klassisches Lobbying, indem sie wie die advokatorisch tätigen Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) öffentlichen Druck auf international relevante Entscheidungsträger ausüben, wie etwa Bono und Bob Geldorf mit ihrer Kampagne Live 8 im Kontext der G-8-Treffen oder Mia Farrow mit ihrem Engagement für ein Eingreifen der Staatengemeinschaft in Darfour, um so den Prozess der politischen Normsetzung und Normdurchsetzung auf internationaler Ebene zu beeinflussen. Andere versuchen, ohne Umweg über die zur kollektiven Regelsetzung zuständigen politischen Institutionen, einen direkten Effekt zu erzielen, indem sie etwa Institutionen der Gesundheitsversorgung oder Bildungseinrichtungen bereitstellen oder aber sozial wirksame H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Handlungsnormen direkt zu ändern suchen. Muhammad Yunus bspw. hat mit seiner Idee und Umsetzung der Mikrokredite einen strukturellen gesellschaftlichen Wandel ausgelöst, und für dieses Modell wirbt er mit Erfolg in den globalen Foren: So hat die Weltbank mittlerweile ihr eigenes Mikrofinanzprogramm aufgelegt. Ganz besondere individuelle Akteure stellen Bill und Melinda Gates dar, die den größten Teil ihres Vermögens in ihre private Stiftung eingebracht haben. Nachdem sich ihnen Warren Buffet angeschlossen hat – überraschenderweise dies mit dem größten Teil seines Vermögens –, ist die Gates Foundation mit großem Abstand die Nummer 1 in der Philanthropie-Szene. Diese hat jüngst mit The Giving Pledge (www.givingpledge.org) noch einen neuen Aufschwung genommen, als 40 Milliardärinnen und Milliardäre erklärten, mindestens die Hälfte ihres Vermögens zu spenden. Bemerkenswerterweise sind 2,5 der 3 Milliarden Dollar, die die Gates Foundation in 2009 ausgegeben hat, der Entwicklungshilfe und Gesundheitsversorgung in Afrika und Asien gewidmet, insbesondere der Bekämpfung von Seuchen, allen voran AIDS, Malaria und anderer Krankheiten, die in der entwickelten Welt bislang nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erhalten hatten (Gates Foundation 2009). Damit ist die Gates Foundation längst zu einem global player geworden, deren Etat mit dem der Weltgesundheitsorganisation und dem Entwicklungshilfeetat kleinerer Staaten konkurrieren kann. Doch es gibt nicht nur die Superreichen und die Prominenten, die sich jenseits der Grenzen der nationalen Bürgerschaft engagieren, sondern auch zahllose unbekannte Aktivistinnen und Aktivisten, die ihre Zeit, ihr Wissen und/oder auch ihr Geld für ihre „fellow citizens of the world“ einsetzen. In Bezug auf dieses Phänomen sind politiktheoretisch vor allem drei Fragen von Interesse:
Inwiefern kann erstens das Handeln dieser individuellen Akteure als ein politisches Handeln im Sinne von weltbürgerlichem Handeln verstanden werden? Kann in diesem Zusammenhang überhaupt das Konzept von Bürgerschaft sinnvoll auf die globale Ebene übertragen werden, der es doch bekanntlich an den Kennzeichen von Staatlichkeit mangelt? Zweitens ist von Interesse, welchen Mosaikstein das weltbürgerliche Handeln zu der sich entwickelnden politischen Ordnung jenseits des Nationalstaats hinzufügt. Wird hier jenseits staatlicher Strukturen und internationaler Kooperationen ein bürgerschaftlicher und politischer Beitrag in der globalen Zivilgesellschaft geleistet, der auf Veränderungen von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abzielt und einen sozialen Wandel auslöst – obwohl es doch nicht in klassischer Weise zu einer Form des „Regierens“ im
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Sinne einer kollektiven Regelung der gemeinsamen Angelegenheiten kommt? Dabei ist auch von Belang, ob individuelle Akteure als ein komplementäre Ergänzung oder eine Konkurrenz zu den Institutionen der Staatenwelt gelten können. Drittens stellt sich wie für alle Akteure mit besonderem Einflusspotential auch für diese neben dem positiven Potential die Frage der Legitimität ihres Handelns. Transnational handelnde Individuen als Kosmopoliten und die globale politische Ordnung
Kosmopolitismus wird in den zeitgenössischen Debatten in einem moralphilosophischen und explizit auch in einem politischen Sinne verwendet. Moralphilosophisch wird unter diesem begrifflichen Schirm die Begründbarkeit von Pflichten der Menschen untereinander in Relation zu ihren diversen Gruppenzugehörigkeiten diskutiert. Politisch wird über die Möglichkeit einer globalen politischen Ordnung nachgedacht, die menschenrechtlichen und demokratischen Standards entspricht (Kleingeld/Brown 2006; Held 2005). In Bezug auf individuelle Akteure als analytische Kategorie wird in moralphilosophischer Hinsicht zumeist erörtert, ob es Solidaritätspflichten zwischen Menschen unabhängig von ihrer jeweiligen Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat gibt und wie sich diese begründen lassen (Singer 2002; O’Neill 2000): Sind diese Pflichten aus einem reziproken Recht auf die Erfüllung elementarer Existenzvoraussetzungen abzuleiten? Handelt es sich bei diesen Pflichten um negative oder positive Pflichten (Caney 2007; Pogge 2008: 132ff)? Aus dieser wichtigen moralphilosophischen Diskussion wird hier die Annahme übernommen, dass sich ausgehend vom Prinzip der Gleichheit der Menschen und der Idee der Menschheit als einer Gemeinschaft solche Pflichten begründen lassen. Die moralphilosophische Dimension ist jedoch für die analytische Erfassung realer Phänomene und deren Verortung in der politisch verfassten Weltgesellschaft zu abstrakt, wenn sie nicht verbunden wird mit einem zweiten zeitgenössischen Diskussionsstrang, nämlich dem politiktheoretischen Konzept von citizenship (Leydet 2006), welches grundsätzlich drei Dimensionen unterscheidet:
In der rechtlichen Dimension bezeichnet Bürgerschaft einen formalen Status der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Verband, der sowohl (justiziable) Rechte verleiht, als auch Rechtspflichten abverlangt;
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in der politischen Dimension des Begriffs steht die politische Rolle der Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund, die mit den anderen Bürgern zur gemeinsamen Regelung der öffentlichen Angelegenheiten, kurz: zur Selbstregierung, aufgerufen und befähigt sind; in der kulturellen Dimension bezieht sich Bürgerschaft auf die kollektive Identität, die die Bürgerinnen und Bürger zu einer politischen Gemeinschaft integriert.
Offensichtlich bilden die von Obama angesprochenen „fellow citizens of the world“ nicht eine solche Bürgergemeinschaft aus wie auf der nationalstaatlichen Ebene.
Erstens kommt den Weltbürgerinnen und Weltbürgern nicht der gleiche rechtliche Status zu. Der Geltungsanspruch der Menschenrechte, der mit der Allgemeinen Erklärung erhoben wird und der mit den Pakten in den 1960er Jahren völkerrechtlich untermauert wurde, ist vornehmlich ein moralischer. Ihr juridischer Geltungsanspruch verweist auf die Nationalstaaten, die die Pakte unterzeichnet haben. Allein die Staaten können ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern auferlegen. Auch wenn zu konstatieren ist, dass es immer mehr rechtliche Berechtigungen des Individuums als Rechtssubjekt im Völkerrecht gibt (Wahl 2001; Emmerich-Fritsche 2007), bleibt die juridische Durchsetzung der Menschenrechte primär abhängig von der jeweiligen konstitutionellen und demokratischen Qualität eines Nationalstaates. Zweitens bieten sich in der politischen Dimension den Weltbürgerinnen und Weltbürgern zwar die partizipativen Möglichkeiten der sich entwickelnden globalen Zivilgesellschaft an (Anheier 2007; Keane 2003). Dabei kann sich das politische Engagement einmal auf die in den Nationalstaaten anerkannten Menschenrechte stützen, die die politischen Assoziations- und Kommunikationsrechte zunehmend nicht an die Staatsbürgerschaft binden. Des Weiteren öffnen sich auch im politischen Raum jenseits des Staates die internationalen Organisationen für das bürgerschaftlich organisierte Wissen von Expertinnen bzw. Experten sowie NGOs (Steffek et al. 2008). Aber diese Mit-Sprachemöglichkeiten stellen kein Äquivalent für die Selbstregierung des Demos in einer nationalstaatlichen Demokratie dar. Drittens wird in der kulturellen Dimension schließlich der Gemeinschaftsstatus der Weltbürgerinnen und Weltbürger in ihrer kollektiven Identität als Menschheit angesprochen. Ist diese Identität nun von einer solchen Qualität, dass sie diese zur Erbringung von Tugendpflichten motivieren kann? Aus einer normativen Perspektive lassen sich solche Weltbürger-Tugenden
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durchaus gut begründen, wie Otfried Höffe in seinem Entwurf einer globalen, moralphilosophisch begründeten Weltordnung gezeigt hat (Höffe 1999: 335ff; kritisch Ladwig 2002). Aber vermag das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Menschheit eine hinreichende Basis für ein „Wir-Gefühl“ abgeben, das zu diesen Tugenden motiviert – was doch schon im Nationalstaat als einer erprobten politischen Gemeinschaft eine anspruchsvolle Konstruktion ist? Mit der Positivierung der Menschenrechte auf globaler Ebene ist die Menschheit zu einer politischen Gemeinschaft geworden, in der allen ihren Angehörigen Rechte zugewiesen und auch Pflichten formuliert werden. Und dies hat nicht nur eine moralische Bedeutung für alle Einzelnen, sondern auch eine politische für die Staaten und die Internationale Gemeinschaft. Auch wenn diese Positivierung nur deklarativ erfolgt und in der Realisierung unhintergehbar auf die Staaten angewiesen ist, so drückt sich hier doch das politische Bewusstsein einer Gemeinschaft aus, deren Angehörige einander etwas schulden – wie es in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ Damit etabliert die Allgemeine Erklärung eine moralische Norm, die weit über das Prinzip wechselseitiger Toleranz hinausweist. Gegenüber den anderen „im Geist der Brüderlichkeit“ zu handeln, ist ein wahrhaft kosmopolitischer Anspruch. Denn er setzt die Idee einer Gemeinschaft der Menschen voraus, in dem die einzelnen Mitglieder nicht nur eine moralische Verpflichtung gegenüber dem und der anderen haben, ihn und sie als gleich anzusehen, sondern mehr noch, sich um das Wohlergehen der anderen zu kümmern. Dass nun dieses politische Bewusstsein einer globalen Verantwortungsgemeinschaft in der Realität als ein wachsendes „Weltbewusstsein“ konsentierter menschenrechtlicher Grundnormen (Zürn et al. 2006: 8ff) eine gewisse Entsprechung findet, lässt sich an einigen Phänomenen ablesen. Es zeigt sich nicht nur an den verbindlicher werdenden staatlichen Kooperationen in der internationalen Gemeinschaft – als deren besonders ausgeprägter Beleg das Instrument der humanitären Interventionen der UN gelten kann. Zum politischen Bewusstsein einer globalen Verantwortungsgemeinschaft gehören auch die vielfältigen Tätigkeiten der sich entwickelnden globalen Zivilgesellschaft – das Engagement der hier im Mittelpunkt stehenden transnational politisch handelnden Individuen ist hierin einzuordnen. Es zeigt sich auch an einem tatsächlich stattfindenden Einstellungswandel. Wie eine Studie repräsentativ für Deutschland zeigt, verändern sich „mit zunehmenden Erfahrungen der Grenzüberschreitung und Transnatio-
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nalisierung die normativen und kognitiven Horizonte der Bürger in Richtung einer globalen Verantwortungsethik“ (Mau 2006: 28f). Der kosmopolitische Blick, von dem auch Ulrich Beck spricht, speist sich schließlich auch aus den globalen Problemlagen, die sich in der Welt-Risikogesellschaft nicht mehr nationalstaatlich lösen lassen (Beck 2004). Dass die Lasten der Risiken, die Kosten der Globalisierung wie auch der Reichtum ungleich verteilt sind, ist zunächst Ausdruck einer mangelhaft praktizierten Gerechtigkeit. Aber in der Wahrnehmung dieser Praxis als ungerecht liegt zugleich eine wichtige Quelle des Solidaritätsgefühls. Das gemeinschaftliche Band zwischen den Menschen, das ‚die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen‘ fühlen lässt, wie es bereits in Kants „Zum ewigen Frieden“ heißt, aktiviert sich in unserer Zeit nicht nur durch solche barbarischen Akte wie organisierten Völkermord. Die Tatsache, dass die internationale Staatengemeinschaft hierauf selektiv reagiert, ist im Übrigen kein Argument gegen das Vorhandensein eines solchen Gemeinschaftsgefühls. Im Gegenteil belegt die in vielen Staaten von NGOs und einzelnen Bürgerinnen und Bürgern geäußerte öffentliche Kritik am Versagen der UN, wie z.B. in Darfour, dass ein solches Gefühl sich auch politisch zu äußern vermag. Das verletzte Weltgewissen, von dem in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Rede ist, nimmt also auch Anstoß an der alltäglichen und dauernden Verletzung elementarster Rechte: am Hunger und den Krankheiten der Menschen, die Opfer ihrer korrupten Regierungen und einer entgleisten ökonomischen Globalisierung sind, deren Prozesse bislang keine ausreichend wirksame soziale und ökologische Hegung durch die bestehenden politischen und rechtlichen Kooperationsformen der Staatenwelt erfahren haben. Wie unzureichend die Reaktionen der Weltgesellschaft angesichts des privaten Reichtums in den westlichen Industrienationen darauf auch sein mögen – so ist doch zu konstatieren, dass es eine Vielzahl von Einzelpersonen und Organisationen gibt, die auf die mangelnde Bereitstellung öffentlicher Güter und mangelnde Realisierung von Grundrechten durch die Staatenwelt mit den Mitteln der Zivilgesellschaft reagieren: Indem sie auf die politischen Willens- und Entscheidungsprozesse bei der Normsetzung und Normdurchsetzung einwirken und indem sie selbst einen Teil der Güter bereitstellen, die durch die Staaten und die internationalen Organisationen nicht hinreichend garantiert werden. Solange durch die Staatenwelt keine globale Ordnung durchgesetzt wird, die auf Prinzipien der Gerechtigkeit basiert, ist die moralische Verpflichtung für Individuen groß, den Rahmen ihrer Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine Veränderung der Situation zu erreichen. Vor diesem Hintergrund nun können die eingangs
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genannten Beispiele individueller Akteure – wie Bill und Melinda Gates, Bono, Muhammad Yunus und andere – als Kosmopoliten bezeichnet werden. Das Spenden von Geld, Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskraft für das Wohlergehen von Menschen, die keine fellow citizens des eigenen Nationalstaates sind, kann als genuine transnationale Solidarität angesehen werden. Da es bekanntlich keine individuelle Rechtspflicht gibt, den eigenen Reichtum und andere Ressourcen mit Menschen in Not zu teilen, kann ein solches Verhalten als freiwillig gekennzeichnet werden, das zudem nicht auf Reziprozität angelegt ist. Freiwillig meint hier das Gegenteil von staatlich organisierter Solidaritätsleistung. Zusammengefasst können diejenigen, die transnationale Solidarität ausüben, als Weltbürgerinnen und Weltbürger angesprochen werden. Gerade in der kulturellen Dimension des Bürgerbegriffs zeigt sich, dass die Idee der einen Menschheit als Gemeinschaft vital ist. Für die transnational solidarisch handelnden Aktivisten ist die Idee einer universalen Gemeinschaft, die aus gleichen Mitgliedern besteht, und die die Grenzen von Nationen, Kulturen und Religionen transzendiert, zentral. Sie können so als Teil einer Bewegung angesehen werden, deren Aktivitäten gewissermaßen die Wirklichkeit näher an den Begriff einer Weltbürgerschaft heranrücken. 3
Typologie individueller Akteure im System von Global Governance
Um Phänomen und Bedeutung der weltbürgerlich aktiven Individuen, insbesondere ihre Funktionen für die sich entwickelnde internationale politische Ordnung konzeptionell erfassen zu können, müssen die unterschiedlichen Handlungsprofile genauer bestimmt werden. In der Politikwissenschaft gibt es zahlreiche Studien zu kollektiven Akteuren, aber die Akteurskategorie „Einzelpersonen“ ist eher selten untersucht und es gibt nur wenig Konzepte, die einen analytischen Rahmen bieten.1 Daher soll hier der auf Joseph Schumpeter zurückgehende Begriff des Unternehmers genutzt werden, um das spezifisch individualistische Moment dieses politischen Akteurs zu fokussieren. Davon ausgehend wird dann das Konzept social entrepreneurship auf die transnational aktiven Bürgerinnen und Bürger bezogen.
1 Die politikwissenschaftliche Literatur zum Konzept Leadership ist für diese Zwecke nicht besonders anschlussfähig, da hier vornehmlich solche Individuen im Blickfeld stehen, die politische Wahlämter ausüben oder in der öffentlichen Verwaltung tätig sind und bei diesen der Faktor „Persönlichkeit“ in Bezug auf ihre besonderen Führungsqualitäten untersucht wird (Burns 1978 und 2003; Pollak et al. 2008; Sebaldt/Gast 2010).
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Elinor Ostrom hat mit Schumpeters Begriff des Unternehmers in ihrer Studie über die Reform des öffentlichen Wassermanagements in Kalifornien als den entscheidenden Faktor für die Reformierung herausgearbeitet, dass dieser im je individuellen Engagement der an bestimmten Schaltstellen tätigen Mitarbeitenden der Wasserbehörde – sog. public entrepreneurs – begründet liegt. Diese haben unter dem Problemdruck der Wasserknappheit und dysfunktionalen Verteilung nicht einfach nur die Dinge weiter „verwaltet“, sondern eigeninitiativ und kreativ nach neuen Lösungen Ausschau gehalten, die jenseits der routinierten Verwaltungsabläufe lagen (Ostrom 1965 und 1990). John Kingdon nun spricht von policy entrepreneurs, um erklären zu können, warum sich in manchen Policy-Zyklen Reformen ergeben und in anderen nicht (Kingdon 1984). Auch für die Analyse der internationalen Beziehungen fand der Begriff entrepreneur Verwendung, um das Engagement von Individuen zu erfassen, die sich – gegen die Annahmen der neorealistischen Theorie – für die Bindung des politischen Handelns an moralisch-ideelle Normen einsetzen bzw. von ideellen Impulsen leiten lassen (Finnemore/Sikkink 1998: 896f). Die Übertragung von Schumpeters Verständnis des Unternehmers von der ökonomischen in die politische Sphäre bietet hierfür einige analytische Ansatzpunkte. Schumpeter hat für Unternehmer als wesentlich erkannt, dass sie in einer gegebenen Marktlage die Möglichkeit einer Innovation erkennen. Sie entwickeln in dem berühmten Prozess kreativer Zerstörung ein neues Angebot und sorgen so für wirtschaftliche Dynamik (Schumpeter 1928). Für die Veränderung im wirtschaftlichen System ist also dieser schöpferische Unternehmer wesentlich verantwortlich, den Schumpeter vom statisch agierenden Wirt abgrenzt, der den Gegentypus bildet. Unaufhörlich werde die alte Struktur zerstört und durch eine neue ersetzt (Schumpeter 1950). Roger Martin und Sally Osberg arbeiten unter Rückgriff auf Schumpeter die Charakteristika von social entrepreneurs heraus (Martin/Osberg 2007):
Social entrepreneurs machen erstens einen Zustand sozialer Ungerechtigkeit aus, in dem Menschen aufgrund mangelnder Ressourcen oder ungenügender Rahmenbedingungen keine Änderung ihrer Lage erreichen. Wie Wirtschaftsunternehmer eine Gelegenheit erkennen, so sehen auch social entrepreneurs, wie eine Änderung der Lage möglich wäre und entwickeln daraus zweitens ein Angebot, mit dem ein „sozialer Mehrwert“ erreicht werden kann‚ der einer sozial benachteiligten Gruppe oder der Gesellschaft insgesamt zugute kommt. Bei der Realisierung setzen social entrepreneurs ihre persönlichen Fähigkeiten ein: Ideenpotenzial, Kreativität, Risikobereitschaft, Wissen und Engagement.
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Ihr Ziel geht aber drittens nicht in der Nutzung des bereitgestellten Angebots auf. Vielmehr wollen social entrepreneurs, dass sich mit ihrer Handlung ein neuer, gerechterer Zustand entwickelt – indem die Idee sich gesellschaftlich verbreitet und nachgeahmt wird, politische Institutionen die Idee adaptieren oder soziale Verhaltensweisen sich so grundlegend ändern, dass sich eine kollektiv verbindliche Regulierung durch eine öffentliche Hoheitsgewalt erübrigt.
Social entrepreneurs zielen also auf die Änderung gesellschaftlicher Strukturen. Der zentrale Unterschied zum ökonomischen Unternehmer ist eine andere Wertschöpfung: ein Sozialunternehmer sucht einen sozialen Mehrwert zu erreichen (Dees 2001). Muhammad Yunus mit der Grameen Bank (www.grameen.org) zur Vergabe von Mikrokrediten ist ein perfektes Beispiel eines Sozialunternehmers. Gewiss: Es gibt – auch gerade aktuell – einen Disput, ob es mit dem Mikrokreditsystem wirklich gelungen ist, einen strukturellen Weg aus der Armut zu weisen, oder ob nicht vielmehr die Kreditnehmenden in einem Kredit-Zirkel mit wachsenden Zinsen gefangen bleiben. Auch wird überhaupt die Mikrokreditidee als eine Adaption kapitalistischer Marktstrukturen kritisiert. Die empirischen Studien über die Wirksamkeit von Mikrokreditprogrammen als Instrument, extreme Armut zu überwinden, sind hier bislang noch nicht eindeutig. Gleichwohl kann in Bezug auf Yunus festgehalten werden, dass er mit seinem Engagement und Fähigkeiten einen Prozess sozialen Wandels gestartet hat, indem er eine alternative soziale Institution entwickelt, in der Praxis erprobt und auch korrigiert hat, die weder abhängig von Regierungsinstitutionen ist, noch von diesen geführt wird. Und es kann gesagt werden, dass er wichtigster globaler Promoter gewesen ist, indem er die Erfahrungen, die die Grameen Bank gesammelt hat – auch die negativen, die zu Veränderungen im Konzept geführt haben – in den transnationalen Foren öffentlich gemacht und für die Mikrokreditidee geworben hat. Aber nicht alle außerhalb von NGOs und Parteien politisch und sozial aktive Individuen können als Sozialunternehmerinnen bzw. -unternehmer bezeichnet werden. Während Personen wie Yunus vornehmlich ihr Wissen als Ressource für ihre Aktivitäten einbringen, ist bei jenen, die eine Stiftung gründen, finanzielles Kapital die Ressource. Im Amerikanischen steht dafür die Bezeichnung der Philanthropie. Hauptsächliches Instrument ist privates Kapital, dass für öffentliche Zwecke ausgegeben wird (Adloff 2010; Bishop/Green 2008). Der Typus des Philanthropen steht für das uneigennützige und freigiebige Engagement wohlhabender Individuen, die ihr privates Vermögen für die Verbesserung der Lebensbedingungen anderer Menschen und für gemeinnützige Zwecke ein-
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setzen. Für Philanthropen ist charakteristisch, dass die Entscheidung über die zu verausgabenden Mittel ihren individuellen Präferenzen folgt. Auch für sie ist ein gewisser gesellschaftlicher Wandel das Ziel des Handelns. Eine weitergehende Wirkung, etwa eine Sogwirkung für public policies dergestalt, dass Staaten ihre sozialen Leistungen ausbauen, wäre eine indirekte Wirkung (und ist nicht unbedingt unmittelbar intendiert). Demgegenüber nimmt der Typus des social entrepreneur stärker die Rolle des Schrittmachers wahr. Anders als die privaten Anbieter sozialer Leistungen, die karitativ tätig sind, zielen social entrepreneurs mit ihrem Wirken auf die Änderung der Strukturen. „Social entrepreneurs are not content just to give a fish, or teach how to fish. They will not rest until they have revolutionized the fishing industry“2 – so bringt es Bill Drayton, Gründer von Ashoka (www.ashoka.org) auf den Punkt bringt [siehe dazu auch den Beitrag von Oldenburg zum Sozialunternehmertum in Deutschland]. Hier wird eine Linie gezogen zwischen Sozialunternehmertum einerseits und einem anderen Typus einer sozialen Tätigkeit, nämlich der Bereitstellung sozialer Güter und Dienstleistungen durch Spenden (charity). Insoweit nun Philanthropen Projekte finanzieren, die einen nachhaltigen und strukturverändernden Effekt haben, ist für sie auch der Begriff des Sozialunternehmers treffend. Wiewohl diese Unterscheidung analytisch relativ klar ist, ist es in der Realität nicht so einfach zu bestimmen, mit welchem Projekt nicht nur den unmittelbar Betroffenen geholfen wird, sondern ein tiefergehender Effekt erreicht wird, der die Gesamtsituation zu ändern vermag. Die Aktivitäten von Bill und Melinda Gates sind hierfür ein Beispiel. Auf der einen Seite erfüllen sie mit der Gründung der Bill & Melinda Gates Foundation (www.gatesfoundation.org) einige der Kriterien für Sozialunternehmertum: Sie haben ihre besonderen Fähigkeiten eingebracht, die geschaffene Institution dient einem sozialen Zweck, sie haben eine spezifische Schwachstelle gefunden, die von bestehenden politischen und sozialen Institutionen nicht angemessen bearbeitet wurde. Dabei versuchen sie so breitenwirksam wie möglich vorzugehen. Aber es ist auf der anderen Seite höchst umstritten, ob der tiefergehende Effekt ihrer Projekte, der impact also, tatsächlich den gewünschten strukturellen Wandel mit positiver Langzeitwirkung bringt. Denn Kritikerinnen und Kritiker befürchten, dass nichtintendierte Nebeneffekte die positiven Effekte der Stiftungsarbeit quasi neutralisieren. Das hängt auch mit der inneren Verfasstheit der Organisation zusammen, worauf noch zurückzukommen sein wird. Die Abgrenzung zwischen wohltätiger Philanthropie und Sozialunternehmertum, das
2 Vgl. http://www.ashoka.org/quotes/4047 (letzter Aufruf: 19.11.2010); auch Drayton 2006.
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einen nachhaltigen sozialen Wandel bewirkt, ist also in der Praxis schwierig zu ziehen, dennoch analytisch wertvoll. Diese beiden Handlungstypen müssen um eine Gruppe von aktiven Individuen erweitert werden, um das Phänomen der neuen Weltbürgerinnen und Weltbürger analytisch zu erfassen – die celebrities, bei denen die entscheidende Handlungsressource ihre weltweite Berühmtheit ist. Diese setzen nicht nur ihr privates Geld für öffentliche Zwecke ein, sondern sie setzen ihren Status für Lobbying ein. Das Paradebeispiel hier ist Bono. Mit seiner Fähigkeit, ein Massenpublikum zu erreichen, kann er verschiedene Ziele verfolgen: Er kann versuchen, seine Zuhörer für politische Botschaften zu sensibilisieren und darüber hinaus zu Spenden aufrufen. Unter den Bedingungen der heutigen Kulturindustrie haben celebrities einen womöglich einzigartigen Zugang zu den sprichwörtlichen Massen, die klassische Politikvermittler nicht haben. Nicht umsonst haben heutzutage NGOs wie etwa Oxfam (www.oxfam.org) solche celebrities als Botschafter für ihre Ziele. Die celebrities nutzen aber auch ihren Status als Berühmtheit, um damit Einfluss auf die Politik der Staatenwelt auszuüben. Demokratisch gewählte Politikerinnen und Politiker können es sich nicht erlauben, den Wunsch nach einem Treffen auszuschlagen, bei dem dann die celebrities sich dafür einsetzen, etwa den Entwicklungshilfeetat oder die AIDS-Hilfe aufzustocken oder die Millenium Development Goals einzuhalten. Als ein anderes Beispiel kann auch das Engagement vieler Schauspielerinnen bzw. Schauspieler für den Schutz der Bevölkerung in der Krisenregion Darfour durch die internationale Gemeinschaft angeführt werden. Ohne deren Lobbying, allen voran das von George Clooney und Mia Farrow, wäre die UN geführte peacekeeping force wohl nicht zustande gekommen. Dieses Phänomen ist als celebrity diplomacy oder auch celebrity advocacy bezeichnet worden (Traub 2008; Cooper 2008; kritisch Dieter/Kumar 2008) – ich schlage hierfür den Begriff civil entrepreneur vor. Auch dieser Handlungstypus zeichnet sich durch besondere individuelle Eigenschaften wie Eigeninitiative, Kreativität und Hingabe aus und betreibt sein Engagement machtvoll und professionell. Auch kann das Engagement als eine Antwort auf ein Defizit des Status quo gelten. Die Handlungsformen sind eher im Spektrum des klassischen politisch-bürgerschaftlichen Engagements angesiedelt: Aufklärung im Dienst der Bewusstseinsbildung für Probleme und Lobby-Arbeit für nachhaltige Lösungen. Der gesellschaftliche Wandel wird vornehmlich indirekt erreicht, indem andere beeinflusst werden: Regierungen und internationale Organisationen, Wähler und Politiker, Verbraucher und Firmen. Als civil entrepreneurs lassen sich dann auch jene politisch engagierten Individuen fassen, die anstelle von
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Berühmtheit andere Ressourcen für ihre Lobbying-Bemühungen einbringen, wie Wissen, Hartnäckigkeit und Initiativkraft. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist Karen Tse. Die US-Amerikanerin, deren Eltern aus Hongkong in die USA emigrierten, hat die Organisation International Bridges to Justice (www.ibj.org) gegründet, deren Ziel es ist, dass Angeklagte ihr Recht auf einen gesetzlichen Verteidiger wahrnehmen können, dass sie nicht gefoltert werden und dass sie einen fairen Prozess bekommen. Die graduierte Anwältin betreibt allerdings nicht nur das klassische Lobbying mit öffentlichen Anklagen und Aufklärungsarbeit. Sie versucht auch direkt etwas zu ändern, indem sie Regierungsvertreter und Angehörige des Justizsystems aufsucht, um mit ihnen zu verbindlichen Absprachen für strukturelle Veränderungen zu kommen.3 Neben dem lokalen Engagement in China, Kambodscha und Vietnam, Burundi, Ruanda und Zimbabwe baut IBJ ein transnationales Unterstützungsnetzwerk auf, mit dem Ziel, dass Gruppen und Individuen effektiv ihre Zeit, ihr Geld und weitere Ressourcen für die Rechtshilfe in anderen Ländern einbringen können. Karen Tse ist damit ein Paradebeispiel für eine politische Aktivistin, die mit entrepreneurial skills ein bürgerschaftliches Engagement zeigt. Insofern ist der civil entrepreneur ein anderes Wort für den sozialen beziehungsweise politischen Aktivisten, der ein öffentlich wirksamer oder anderweitig einflussreicher Politiker ohne Amt ist und der sich erfolgreich für gesellschaftlichen Wandel einsetzt. Der Begriff civil entrepreneur ist aber spezifischer, da er das Augenmerk auf die unternehmerische Initiative und die bürgerschaftliche Motivation lenkt. Es ist kaum der Erwähnung wert, dass in der Praxis4 diese Idealtypen in Reinform so nicht durchgängig vorkommen, sondern die unterschiedenen Tätigkeitsformen sich auch bei einem Individuum vereinigt wiederfinden können. Das zeigt sich beispielhaft bei Bill Clinton: Er bietet mit seiner Clinton Foundation (www.clintonfoundation.org) soziale Dienstleistungen an, er hat weiterhin mit seiner Clinton Global Initiative (www.clintonglobalinitiative.org) die Idee einer globalen Kontaktbörse realisiert, auf der es zu ventures zwischen social 3 Weiterhin besteht das Engagement in der Ausbildung bzw. Weiterbildung von Anwälten zu Strafverteidigern, der technischen und logistischen Hilfestellung für die im Land vorhandenen Zusammenschlüsse von Verteidigern, öffentlichen Kampagnen mit Plakaten, auf denen in den jeweiligen Landessprachen zu lesen ist „You have a right to a defense lawyer, the right not to be tortured, and the right to a fair trial“, um überhaupt das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen, dass die Individuen Rechte haben. 4 Eine umfassende Zusammenstellung und kluge Auswertung von Beispielen findet sich in der „Bibel“ des social entrepreneurship (Bornstein 2004, jetzt auch als systematisch angelegte Untersuchung Bornstein/Davis 2010). Eine ergiebige journalistische Zusammenstellung bieten Brinkbäumer/Fichtner (2007).
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entrepreneurs und Geldgebern kommt, und damit einen Rahmen geschaffen, in dem die Akteure des gesellschaftlichen Wandels sich austauschen können, und schließlich versucht seine Stiftung mit der Clinton Climate Initiative wichtige Akteure wie Großstädte für ein CO2-Reduktionsprogramm zu gewinnen – Bill Clinton ist also Philanthrop, social und civil entrepreneur in einer Person und damit in jedem Fall „in the doing-business“. Bezieht man nun diese unterschiedlichen Typen individuellen Handelns explizit auf das System von global governance, dann lassen sich jeweils unterschiedliche Funktionen ausmachen. Unter global governance soll hier zum einen eine analytische Perspektive auf Politik jenseits des Nationalstaates verstanden werden, die ohne eine hierarchische politische Autorität auskommen muss und es mit einer Vielzahl von Akteuren zu tun hat, die alle an der Hervorbringung von Ordnung durch die Etablierung und Durchsetzung von Regeln mitwirken (Dingwerth/Pattberg 2006). In normativer Hinsicht ist zum anderen hinzuzufügen, dass diese Ordnung, die das System von global governance hervorbringen soll, eine legitime politische Ordnung sein soll, wie sie etwa in der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Menschenrechtserklärung und den weiteren Menschenrechtspakten als Ziel zum Ausdruck kommt. Vor diesem Hintergrund können die neuen Weltbürgerinnen und Weltbürger mit ihrem Engagement als eine Antwort auf die schwache Leistung der Institutionen der Staatenwelt gesehen werden, die nicht hinreichend willens oder in der Lage sind, die ökonomischen Interaktionen der Globalisierung zu kontrollieren und deren negativen Externalitäten einzudämmen. An der Bereitstellung öffentlicher Güter wie Gesundheitsversorgung mitzuwirken, ist heute eine politische Angelegenheit, da dies aus der Perspektive des betroffenen Individuums eine der Voraussetzungen für ein selbstverantwortliches Leben ist. Im Einzelnen können folgende Funktionen der individuellen Akteure unterschieden werden.
Mit Blick auf den Typus des Philanthropen, der aufgrund der mangelhaften Aktivität der Staatenwelt private finanzielle Ressourcen für öffentliche Zwecke transnational zur Verfügung stellt, kann von einer Ersatzfunktion gesprochen werden. Gewiss ist hier auf den klassischen Einwand hinzuweisen, dass privat geleistete Hilfe die Staatenwelt aus ihrer Verantwortung zu entlassen droht. Aber solange dringend benötigtes Geld nicht durch internationale Organisationen beziehungsweise Regierungen zur Verfügung gestellt wird, stellt das private Geld doch eine Linderung der Notlage dar und damit weder etwas Komplementäres noch eine Konkurrenz zu staatlicher Hilfe, sondern einen nicht ausreichenden, aber notwendigen Ersatz dar.
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Zudem kann „privates“ Geld womöglich schneller, weniger bürokratisch und auch wenige korruptionsanfällig eingesetzt werden als „Regierungsgeld“. Die demokratischen Rechtsstaaten, die einzeln oder kooperativ Hilfe leisten, sind an diplomatische Zwänge gebunden, wenn sie in nichtdemokratischen Ländern aktiv sind. Sie können auch politische Nebenzwecke verfolgen, was in der Entwicklungshilfe zu suboptimalen Ergebnissen und Interessenkompromissen führen kann. Dies gilt auch für die Hilfe durch internationale Organisationen, die sich in der Praxis als ebenso korruptionsanfällig gezeigt hat wie staatliche Entwicklungshilfe [siehe dazu den Beitrag von Knüppel/Groß]. Dem Typus des social entrepreneur, der mit Hilfe seines besonderen Wissens und seiner Innovationsfähigkeit eine Lösung für ein bislang vernachlässigtes soziales Problem entwickelt, diese in die Praxis umsetzt und sich um gesellschaftliche Verbreitung bemüht, kommt eine Pilotfunktion zu. Nationalstaatliche Institutionen wie internationale Organisationen sollen das Modell, dass der social entrepreneur erfolgreich erprobt hat, adaptieren – ein Modell, das die Administrationen der Staatenwelt aufgrund ihrer Tendenz zu wenig risikogeneigtem Verhalten vermutlich selbst so nicht entwickeln könnten. Insofern verhält sich dieser Typus komplementär zum System der global governance. Der Typus des civil entrepreneur, der sich der klassischen Formen des bürgerschaftlichen Engagements bedient, um transnational für sozialen Wandel zu werben, ist umso erfolgreicher, je stärker er auf die Ressource Prominenz zurückgreifen kann, die er zur Mobilisierung von Aufmerksamkeit und Schaffung eines grenzübergreifenden Solidaritätsgefühls einsetzen kann. Dementsprechend hat er primär eine Mobilisierungs- und Integrationsfunktion. Auch die Leistungen des civil entrepreneur können als komplementär zu den Leistungen der Staatenwelt gesehen werden, insofern er sein Engagement auf individuelle Ressourcen stützt, die Regierungspolitiker oder NGO-Vertreter in der Regel nicht zur Verfügung haben – neben den typischen entrepreneurial skills, die sie unbehelligt von politischen und bürokratischen Zwängen einsetzen können, ist hier auch an den Zugang zu einem Massenpublikum zu erinnern, insofern es sich bei den civil entrepreneurs um celebrities handelt.
Die individuellen Akteure können aber nicht nur eine wichtige Lücke füllen, sondern vielmehr eine wichtige und originäre Rolle im System von global governance spielen. So wie demokratische Nationalstaaten von den Qualitäten einer freien Gesellschaft – mit ihrem spontanen, freiwilligen und pluralistischen
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Engagement ihrer Mitglieder als politisch und sozial aktive Bürgerinnen und Bürger – abhängig sind, gilt dies auch für die legitime internationale politische Ordnung. Die globale Zivilgesellschaft kann damit einen Teil der Bedingungen erfüllen, auf denen eine „gute“ politische Ordnung jenseits des Nationalstaates beruht. Allerdings muss sich erst erweisen, inwiefern diese theoretische Erwartung eine bloße Annahme bleibt oder ob tatsächlich die Realität in die Richtung weltgesellschaftlicher Solidarität weist. Die politiktheoretische Erörterung kann allerdings nicht abgeschlossen werden, ohne die zentrale normative Frage nach der Legitimität dieser Akteure anzusprechen. 4
Legitimationsfragen
Die Frage der Legitimität stellt sich für alle politischen Akteure mit besonderem Einflusspotential. Während kollektive politische Akteure wie Parteien oder Vereine, die am staatlichen Normbildungsprozess mitwirken, bestimmten Standards genügen müssen, die eine demokratische Struktur garantieren sollen, gilt dies naturgemäß nicht in gleicher Weise für Individuen, die sich in ihrem Handeln auf den grundrechtlich verbürgten Freiheitsanspruch stützen können. Gleichwohl zieht einer der hier beispielhaft behandelten Akteure intensive Kritik auf sich und die folgende Erörterung konzentriert sich auf dieses Beispiel. Für die Gates Foundation nämlich wird die Frage ihrer Legitimität sehr grundsätzlich diskutiert, denn zu ihrer enormen Finanzkraft kommt der Berühmtheits-Status von Bill Gates hinzu, der ihm einen Zugang zu besonderen globalen Foren und Entscheidungsträgern öffnet. Zwar kann grundsätzlich auch für das Gates-Paar gelten, was für alle Philanthropen gesagt werden kann: dass sie gewissermaßen der Gesellschaft zurückgeben, was sie von ihr erwirtschaftet haben. Da die heutigen Vermögen nicht mehr nur in dem territorial begrenzten Raum eines Nationalstaates erwirtschaftet werden, ist das globale Engagement der Stifter nur folgerichtig: der Weltgesellschaft wird – zumindest teilweise – zurückgegeben, was die Philanthropen als Unternehmer an Profit von ihr erzielt haben. Es erfolgt eine Umverteilung von oben nach unten und eine Transformation privater Ressourcen für öffentliche Zwecke (Adloff 2004: 274). Aber für welche Zwecke und wie das Geld ausgegeben wird, entzieht sich der öffentlichen Entscheidungsfindung, dies bleibt die individuelle und private Entscheidung des Gebers. Daher ließe sich argumentieren, dass das Ehepaar Gates über kein demokratisches Mandat für seine Stiftungsarbeit verfügt, da sie beide weder
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gewählt noch ernannt worden sind. Dies spiegelt sich auch in der institutionellen Struktur der Stiftung wider. Denn sie bilden – gemeinsam mit Warren Buffet – allein den Vorstand der Stiftung. Keine verpflichtenden checks and balances können sie zwingen, Perspektiven von außerhalb der Stiftung einzubeziehen, ihre Entscheidungen zu korrigieren und womöglich fehlerhafte Programme zurückzunehmen. Die grundsätzliche Alternative zu dieser Form privat organisierter Umverteilung wäre eine staatlich organisierte. Durch höhere Einkommenssteuern können die privaten Gewinne in staatliche Kassen fließen und dann kann nach den Regeln demokratischer Politik kollektiv-öffentlich entschieden werden, statt individuell-privat, wie und wofür die Mittel ausgegeben wird. Als ein mögliches globales Instrument kann in diesem Zusammenhang der Vorschlag zur Einführung der sog. „Tobin-Steuer“ gelten, die im Rahmen der von Staaten und internationalen Organisationen getragenen global governance durchzusetzen wäre. Eine andere Alternative wäre es, dass die Philanthropen nicht selbst und nicht im Rahmen privater Organisationen über den Einsatz der Gelder entscheiden, sondern dies an die öffentlichen Institutionen der internationalen Gemeinschaft spenden. So hat beispielsweise Ted Turner einen großen Teil seines Vermögens an die Vereinten Nationen gespendet. Für die staatlich vermittelte Lösung könnte neben der demokratischen Legitimität auch die Vermutung einer höheren Rationalität aufgrund der institutionalisierten und professionellen Entscheidungsprozesse angeführt werden. Zudem wären dann die Empfänger von Hilfeleistungen nicht von der Gunst des privaten Gebers abhängig, deren Verhalten nicht kalkulierbar ist und die sich im nächsten Jahr für eine andere Initiative entscheiden könnten. Auf Philanthropie hat der begünstigte Mit-Weltbürger seitens des gebenden Weltbürgers in der Tat keinen rechtsverbindlichen Anspruch – es lässt sich keine erzwingbare Rechtspflicht zur Philanthropie begründen. Allerdings kann ein Rechtsanspruch auf soziale und humanitäre Hilfeleistungen bislang in der auf Kooperation basierenden Staatenwelt auch nicht geltend gemacht werden. Eine weniger radikale Alternative wäre eine strengere rechtliche Regulierung von Stiftungen. In den USA (wo das Stiftungskapital erheblich größer ist als in Deutschland) gibt es im Wesentlichen nur die gesetzliche Verpflichtung der Stiftung, ihre Einnahmen und Ausgaben zu veröffentlichen, um in den Genuss eines Steuererlasses zu gelangen. Die grundsätzliche Freiheit, selbst zu bestimmen, wofür das Stiftungsgeld ausgegeben wird, könnte ebenso gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden wie der Stiftungsaufbau und der Entscheidungsprozess innerhalb der Stiftung. So könnte Stiftungen auferlegt
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werden, ihren Vorstand grundsätzlich mit Mitgliedern zu besetzen, die über den Kreis der Stiftungsgründer hinausgehen. Es ist allerdings zu erwarten, dass je mehr Restriktionen auferlegt werden, desto geringer die Bereitschaft vorhanden sein wird, privates Kapital für öffentliche Zwecke zur Verfügung zu stellen. Eine gesetzliche Regulierung wäre also eine Gratwanderung. Was vor diesem Hintergrund ein besonderes Gewicht erhält, um die Legitimität eines solch mächtigen individuellen Akteurs wie der Gates Foundation zu verbessern, ist die kritische öffentliche Diskussion. Mit ihrer Hilfe kann herausgearbeitet werden, ob das Wirken der Stiftung zu nichtintendierten negativen Nebenfolgen führt. Dies spielt gerade vor dem Hintergrund des transnationalen Engagements eine besondere Rolle. Denn die Rechenschaftspflichtigkeit sollte primär gegenüber jenen gelten, die zu den Zielgruppen der Programme der Stiftung gehören. Immerhin hat die Gates Foundation auf die öffentliche Kritik insofern reagiert, indem sie sogenannte advisory panels eingerichtet hat, die die Stiftungsarbeit durch externen Sachverstand von Expertinnen und Experten kritisch begleiten sollen. Es wäre wichtig, in diesen Öffnungsprozess auch diejenigen einzubeziehen, denen mit der Arbeit der Stiftung geholfen werden soll (vgl. generell Fleishman 2007; Gugerty/Prakash 2010). 5
Fazit
Der Begriff „Weltbürger“ setzt keine von den Staaten und internationalen Organisationen betriebene, immer enger werdende Zusammenarbeit mit dem Fluchtpunkt einer Weltrepublik voraus. Vor dem Hintergrund eines normativen Begriffs des Bürgers, dem auch als Weltbürger Tugendpflichten zukommen, lassen sich die Typen des Philanthropen, des social entrepreneur und des civil entrepreneur als Weltbürgerinnen und Weltbürger verstehen, die entsprechend ihrer besonderen individuellen Möglichkeiten ein besonderes Engagement für die Menschheit als Gemeinschaft zeigen, der ihre Loyalität gilt. Bei diesem globalzivilgesellschaftlichen Engagement werden entweder für globale Probleme globale Lösungen verfolgt oder aber die auf lokaler Ebene erprobten Lösungen auch für andere Regionen vorgeschlagen und teilweise mit den besonderen zur Verfügung stehenden Ressourcen umgesetzt. Die internationale Gemeinschaft ist auf dieses freiwillige Weltbürgerethos genauso angewiesen wie der Nationalstaat, da die politisch-institutionellen Strukturen die Sicherung der Rechte und der Gemeinschaftsgüter nicht hinreichend leisten.
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Weltbürger haben hier möglicherweise direktere Chancen der Verbesserung der Situation. Sie sind nicht den diplomatischen Regeln der Staatenwelt unterworfen, sie können schneller und auch innovativer handeln, da sie unabhängig sowohl von Marktzwängen als auch von politischen Zwängen (in Demokratien also von den Präferenzen der Wählerinnen und Wähler) sind. Der Staat und die internationalen Organisationen haben im Rahmen eines pluralistischen Politikverständnisses ohnehin keinen Monopolanspruch auf die Definition des Gemeinwohls. Dass die Bürger nicht nur durch politische Beteiligung im engeren Sinne an der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten mitwirken, sondern auch durch materielle Leistungen, ist vor diesem Hintergrund nicht als eine Privatisierung öffentlicher Angelegenheiten anzusehen, sondern als eine Art Vergesellschaftung von Politik. Hier kann der Gedanke einer mehr und mehr geschichteten komplementären politischen Ordnung das Leitmotiv geben. So verstanden, bedeutet eine komplementär verfasste Weltordnung nicht nur eine Aufgabenverteilung zwischen der staatlichen, der supraund internationalen Ebene, sondern auch zwischen der staatlich-hoheitlichen und der gesellschaftlich-bürgerschaftlichen Ebene. Im Nationalstaat wird ein solches Aufgabenverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft mit dem Subsidiaritätsprinzip bezeichnet. Aber es wäre eine umgekehrte Dynamik als beim Subsidiaritätsprinzip im hergebrachten Sinne: Die gesellschaftlichen Initiativen bezögen ihre Relevanz nicht daher, die Einzelnen vor dem Zugriff eines Weltleviathans in spe zu schützen, sondern umgekehrt daraus, die Defizite der unbefriedigenden governance-Leistung der internationalen Organisationen zu kompensieren. Dies bedeutet dann allerdings auch, dass die privaten politischen Akteure sich genau wie andere politischen Akteure einer kritischen öffentlichen Diskussion stellen und darüber hinaus weiterreichende rechtliche Regulierungen akzeptieren müssen. Zusammengenommen verdichten sich mit dem Engagement dieser individuellen politischen Akteure jedenfalls die Anzeichen einer stärker werdenden normativen Integration der Weltgesellschaft in den horizontalen Beziehungen zwischen den „fellow citizens of the world“. Damit trägt das weltbürgerliche Engagement zur politischen Ordnungsbildung jenseits des Nationalstaats bei: Es vertieft sich die transnationale Solidarität, die die Weltbürger einander als Angehörige der einen Menschheitsgemeinschaft schulden, wie es schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte angesprochen wird, wenn es heißt, dass alle Menschen „einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ sollen.
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Gesellschaftliches Unternehmertum – Blinder Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien André Habisch
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Die zeitgenössische Diskussion um Social Entrepreneurship
Seit Ende der 1990er Jahre wird – ausgehend von den USA – das Konzept „Social Entrepreneurship“ diskutiert; dabei geht es um Unternehmerpersönlichkeiten, die nicht primär wirtschaftliche, sondern gemeinnützige Ziele verfolgen. Die wörtliche Übersetzung von social entrepreneurship mit „Soziales Unternehmertum“ ist allerdings missverständlich – im Englischen bedeutet „social“ hier nicht „sozial“, sondern „gesellschaftlich, auf die Gesellschaft bezogen“. Im Folgenden ist also entweder von social entrepreneurship oder „gesellschaftlichem Unternehmertum“ die Rede [und wird ebenso wie social entrepreneur im Sinne von social entrepreneurship organization überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet]. Das Engagement von SEOs kann sich auf den Kampf gegen Armut, Umweltzerstörung oder Diskriminierung oder auch auf Bildung, Integration von Randgruppen, kulturellen Wandel etc. beziehen. Meist beschränkt es sich auf einen Aspekt bzw. Personengruppe und bezieht dazu auch weitere Multiplikatoren und Netzwerke in innovative Lösungsansätze mit ein. Insbesondere Schnittstellenthemen zwischen strukturell voneinander abgeschotteten gesellschaftlichen Bereichen sind interessante Handlungsfelder für SEOs: Sie wirken als Innovatoren im gemeinnützigen Sektor, der angesichts neuer Problemlagen im 21. Jahrhundert dringend die Entwicklung ‚passgenauerer‘ Lösungen braucht. Die Begriffsbildung „Social Entrepreneurs“ macht deutlich, dass die (zumindest im angelsächsischen Sprachraum) positiven Assoziationen des Unternehmertums – also Innovationsgeist, Engagementbereitschaft u.a. – durchaus auch im Engagement von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und sozialen Initiativen zum Tragen kommen. Auch das Verfolgen gemeinnütziger Ziele profitiert davon, wenn die NGOs effektiv, ideenreich und engagiert arbeiten. Ist also „gesellschaftliches Unternehmertum“ nur ein anderer Begriff für die klassische NGO? Dieser gegenüber zeichnen sich social entrepreneurs dadurch aus, dass sie zur Verfolgung ihrer Ziele nicht dauerhaft und ausschließlich H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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auf Spenden angewiesen sind. Sie entwickeln vielmehr ein ‚Geschäftsmodell‘, gründen eine Organisation und erschließen sich mehr oder weniger stabile Einnahmequellen, die ihnen auch jenseits der Fördergelder externer Sponsoren die Fortsetzung und ggf. auch die Ausweitung ihres Engagements ermöglichen (vgl. hierzu Sommerrock 2010) [wie auch die Beiträge von Sommerrock zu sozialunternehmerischen Geschäftsmodellen sowie von Kuhlemann zu Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft]. Dies erst ermöglicht ihnen jene nachhaltige Wirksamkeit, die für eine erfolgversprechende Bearbeitung der meisten gemeinnützigen Anliegen unverzichtbar ist. Der Begriff „Social Entrepreneurship“ ist dabei nicht von akademischer Seite geprägt worden. Vielmehr waren es – das gilt auch für andere Konzepte wie „Corporate Social Responsibility“ (CSR), „Corporate Citizenship“ u.a. – engagierte Praktikerinnen bzw. Praktiker und praxisnahe NGOs, die die Terminologie geprägt haben und mit ihr arbeiten. Einer der ersten Protagonisten des Konzepts war der Amerikaner Bill Drayton (Drayton 2002, 2006). Er gründete bereits 1980 Ashoka (www.ashoka.org) – mittlerweile international in über 40 Ländern präsent –, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jeweils im nationalen Kontext in einem mehrstufigen und rigorosen Auswahlverfahren social entrepreneurs zu identifizieren und zu fördern. Dies geschieht zunächst finanziell, indem solche Personen für einige Jahre von der Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit frei gestellt und in die Lage versetzt werden, sich ausschließlich ihrem Gemeinwohlzweck zu widmen. Es geschieht aber auch durch eine globale Vernetzung, die es den sog. „Ashoka Fellows“ erlaubt, durch Austausch und wechselseitige Unterstützung eine größere Effektivität ihrer Arbeit zu erreichen. Bisher konnten bereits über 1600 Personen weltweit unterstützt werden. Als weitere Hilfsquelle erschließen sich social entrepreneurs in den letzten Jahren auch ‚gesellschaftliche Investitionsmittel‘ (social investments). Diese werden von eigens darauf spezialisierten Organisationen wie der BonVenture gGmbH (www.bonventure.de) u.a. ausgegeben, die ihrerseits Gelder von ethisch engagierten Gläubigern einwerben und verwalten. Diese Unterstützung kann die Ausbreitung und den Aktivitätsspielraum von social entrepreneurs ganz erheblich vergrößern, setzt aber ein Geschäftsmodell mit eigenen Einnahmen voraus [siehe hierzu auch die Beiträge von Achleitner et al. zur Finanzierung von Social Enterprises, von Breidenbach zu Sozialbörsen oder von Alberg-Seberich/ Wolf zu venture philanthropy]. Einige Beispiele für anerkannte gesellschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer sind:
Habisch: Gesellschaftliches Unternehmertum in Gemeinwohltheorien
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Der international bekannteste social entrepreneur ist der Gründer der führenden Mikrokredit-Genossenschaft Grameen in Bangladesh und Friedensnobelpreisträger 2006 Professor Muhammad Yunus. Durch die spezielle Architektur der Grameen Bank (www.grameen.org) konnten Millionen landloser Frauen – die Ärmsten der Armen ihrer Länder – sozial integriert, als Personen unterstützt und mit Investitionsmitteln zur Verbesserung ihrer Lebenssituation ausgestattet werden. Der erste Ashoka-Preisträger in Deutschland ist Dr. Andreas Heinecke aus Hamburg mit dem Ausstellungsprojekt Dialog im Dunkeln (www.dialogim-dunkeln.de). Hier führen blinde und behinderte Personen durch Museen (als Festausstellung in mehreren deutschen Großstädten), in denen Sehende in totale Dunkelheit eintauchen und von ihren blinden Führenden orientiert werden. Auch Restaurantbesuche im Dunkeln werden von Sozialunternehmer Heinecke und seinen blinden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern organisiert. Der Sozialunternehmer Markus Seidel versucht mit seiner Organisation Off Road Kids (www.offroadkids.de) an den Bahnhöfen Berlins, Hamburgs und des Ruhrgebiets Straßenkinder in Deutschland aufzulesen und in einem eigens auf diese Personengruppe ausgerichteten Wohnprojekt in Bad Dürrheim zu resozialisieren. Durch CSR-Aktivitäten von Unternehmen wie Vodafone Deutschland (‚Buddy Projekt‘) unterstützt, hat Off Road Kids zudem Materialien zur Prävention erarbeitet und bundesweit an Schulen distribuiert. Ziel ist die Stärkung der sozialen Beziehungen und des personalen Austauschs in den Familien. Refinanzierungspotentiale bestehen durch Produkte, die die Kinder im Wohnprojekt herstellen. Die Sozialunternehmerin Rose Volz-Schmidt unterstützt mit ihrer Organisation Wellcome gGmbH (www.wellcome-online.de) überforderte und nachgeburtlich depressive Mütter schnell und unbürokratisch. Ziel ist es, stressbedingte Gewalt gegen Säuglinge und Kleinkinder zu verhindern und umfassende Aufklärung zu leisten. Die Frauen und Familien sind häufig durch verschiedene Problemsituationen belastet, auch Scheidung, Arbeitslosigkeit und Armut spielen hier eine Rolle. Wellcome arbeitet mit Freiwilligen, die Mütter vergüten (wenn möglich) deren Einsatz mit einem geringen Stundensatz und sichern so das nachhaltige Wachstum der Initiative. Wellcome operiert heute in mehreren Städten bundesweit.
Da es sich bei gesellschaftlichem Unternehmertum um ein vergleichsweise neues Phänomen handelt, steht die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche
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Forschung zum Thema social entrepreneurship noch am Anfang.1 Im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll „gesellschaftliches Unternehmertum“ von seinen gesellschaftstheoretischen Grundlagen her reflektiert und in einen übergeordneten sozialethischen Argumentationszusammenhang eingeordnet werden. 2
Problemhintergrund: Erstellung öffentlicher Güter ohne zentrale Erzwingungsinstitution ‚Staat‘
Die zentrale Forschungsthematik der Politikwissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin für Wirtschaftswissenschaften 2009 Elinor Ostrom lautet: Wie können im zivilgesellschaftlichen Zusammenwirken – also ohne eine zentrale Erzwingungsinstitution „Staat“ – öffentliche Güter erstellt werden? Wie können gemeinwirtschaftliche Kooperationsarrangements (‚Allmende‘) dort, wo sie einmal etabliert sind, vor Zerstörung bewahrt werden (vgl. bereits Ostrom 1990)? Wie können polyzentrische Netzwerke, die nicht durch eine zentralistische, mit Zwangsgewalt bewehrte Planungsinstanz koordiniert werden, Komplexität verarbeiten? Diese Fragen gewinnen gerade in Zeiten der ökonomischen und kulturellen Globalisierung enorm an Bedeutung. Denn hier kann in vielen grenzüberschreitenden Problemfeldern (ökologische, soziale, kulturelle Herausforderungen z.B. im Bereich Bildung oder Migration) nur mehr eingeschränkt auf erprobte nationalstaatliche Lösungsmuster zurückgegriffen werden.2 Hier geht es vielmehr darum, im freiwilligen und spontanen Zusammenwirken ganz unterschiedlicher Akteure zu nachhaltigen Problemlösungen zu kommen. An dieser Stelle kommen dann gesellschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer ins Spiel: Sie wirken als Katalysatoren des Prozesses zur ‚herrschaftsfreien‘ Erstellung öffentlicher Güter, in dem sie verschiedene Gruppen zur Kooperation zusammenführen: Sponsoren und freiwillig Engagierte, aber auch soziale Investoren, Lieferanten, Kunden und entlohnte Arbeitnehmerinnen 1 Borzaga/Defourny 2001; Seelos/Mair 2004 und 2005; Mair et al. 2006; vgl. zur deutschsprachigen Literatur Bornstein 2005. 2 Das wird etwa am o.g. Beispiel der ‚Straßenkinder‘ deutlich, denen sich die Initiative des Sozialunternehmers Seidel widmet. Behördlich zuständig für diese Gruppe sind die – regional organisierten – Jugendämter. Die aus der Familie entflohenen Kinder und Jugendlichen befinden sich aber in der Regel längst nicht mehr in ihrer Kommune, sondern in den Zentren Berlin, Hamburg und Ruhrgebiet. Die sozialpolitisch entwickelte Struktur der kommunalen Jugendhilfe ist also strukturell nicht in der Lage, das neue Problem zu adressieren: Das Hemd passt – zumindest im Hinblick auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Problemgruppe – nicht mehr auf den Leib. Seidel und seine Mitarbeitenden können sehr viel flexibler reagieren und lesen die ‚gestrandeten‘ Ausreißerinnen und Ausreißer buchstäblich an den Bahnhöfen auf.
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und Arbeitnehmer. Öffentliche Güter sind ja gerade dadurch definiert, dass sie Problemkonstellationen vom Typ ‚Gefangenendilemma‘ unterliegen: Obwohl alle Beteiligten von der Existenz ‚öffentlicher Güter‘ (wie dem System der Grundbildung, der Kultur, von Infrastruktureinrichtungen etc.) profitieren (würden), ist es für alle Einzelnen doch lohnend, bei deren Erstellung die free-riderPosition einzunehmen. Wegen der Nichtausschliessbarkeit des (Mit-)Nutzens lässt sich dann also eine kollektive Zahlungsbereitschaft nicht realisieren. Social entrepreneurs stehen hier prinzipiell vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie Politik und Gemeinwohlakteure, nur dass sie nicht über staatliche Zwangsmechanismen verfügen. Sie können weder eine Steuer- und Abgabenpflicht verhängen noch andere zur Mitarbeit an kooperativen Lösungen zwingen. Mit welchen Instrumenten arbeiten social entrepreneurs daran, diese Gruppen dauerhaft an einen Tisch zu bekommen und mithin zur nachhaltigen Erstellung öffentlicher Güter zu vereinigen? Welche ‚Geschäftsmodelle‘ werden dabei in der Praxis verwirklicht? Dies wären Leitfragen weiterer empirischer Forschungsprojekte zur Thematik [die in den folgenden Beiträgen aufgegriffen werden]. Aus einer solchen theoretischen Perspektive heraus gewinnt die Arbeitsweise von SEOs über einzelne Fallbeispiele hinaus grundlegende Bedeutung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme im 21. Jahrhundert: Denn zivilgesellschaftliche Kooperation zur Erstellung öffentlicher Güter wird in der Globalisierung – wenn Nationalstaaten nur mehr begrenzte ordnungspolitische Spielräume besitzen – zur zentralen Herausforderung [siehe hierzu auch den Beitrag von Stein]. Viele gesellschaftspolitisch relevante Problemstellungen wie etwa die Weiterentwicklung von Bildungssystemen (insbesondere im Bereich der Elementarund der Berufsausbildung), der sprachlichen und kulturellen Integration von Zuwandernden, der Gesundheitsversorgung bestimmter Gruppen, des grenzüberschreitenden Umweltschutzes etc. lassen sich nicht mehr ohne zivilgesellschaftliche Engagementformen lösen. Eine ‚Kultur des Engagements‘ kristallisiert sich an Führungspersönlichkeiten wie gesellschaftlichen Unternehmerinnen und Unternehmern, die jeweils für ein spezifisches Problem enorme Ressourcen zu mobilisieren vermögen. 3
Social Entrepreneurs in der Geschichte der Industrialisierung
Das Potential gesellschaftlicher Unternehmerinnen bzw. Unternehmer wird deutlich, wenn man sich mit der Industrialisierung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert und der Entstehung gesellschaftlicher und sozialer Ordnungsstrukturen in Deutschland beschäftigt. Denn diese Zeit, in der nationalstaatliche
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Institutionen und Regulierungen in vielen Bereichen (noch nicht) entwickelt waren, weist deutliche Ähnlichkeiten mit den anstehenden Herausforderungen der Globalisierung auf. Industrialisierung und gesellschaftliche Modernisierung hatten Deutschland spät, aber nach der Reichsgründung 1871 mit umso unverminderter Wucht getroffen (dazu bereits Briefs 1920). Einfache Bevölkerungsschichten aus den ländlichen Regionen des Deutschen Reiches strömten in die explosionsartig wachsenden Städte (etwa aus Schlesien nach Berlin oder auch aus Westfalen ins Ruhrgebiet) und fanden sich dabei unregulierten Arbeitsbedingungen, großer sozialer Not und auch moralischer sowie kultureller Orientierungs- und Heimatlosigkeit ungeschützt ausgesetzt. Diese Situation ließ in der Arbeiterbewegung – motiviert etwa durch das „eherne Lohngesetz“ eines Ferdinand Lassalle, für das der Kapitalismus mit geradezu naturgesetzlicher Bestimmtheit auf die Ausbeutung einfacher Arbeiter hinaus lief – den Ruf nach gewaltsamem Umsturz laut werden. Die christlich-soziale Bewegung ging hier in ihrer Mehrheit einen anderen Weg.3 Die ‚soziale Frage‘, die die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen jener Jahrzehnte so lebhaft bestimmte, rief eine Vielzahl privater Initiativen und Aktivitäten hervor, die an einzelnen Aspekten – wie etwa der Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen – anzusetzen versuchten. Hier ist der ‚Sitz im Leben‘ eines christlich-sozialen, gesellschaftspolitisch ambitionierten Unternehmertums. Zu nennen sind Persönlichkeiten wie der schwäbische Theologe Gustav Werner, der 1840 auf eine Pfarrstelle in der Württembergischen Landeskirche verzichtete und in Reutlingen mit geliehenem Geld eine ‚christliche Fabrik‘ gründete, um die Not der Arbeiter zu lindern (Maurer 2010). Im Kontext der menschenverachtenden Lebenssituation einfacher Arbeiter und ihrer Familien in der Zeit der frühen Industrialisierung baute Werner das ‚Bruderhaus‘ zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen auf: 1866 unterstützen Werners Freunde seine wohltätige, aber konkursgefährdete Arbeit mit der Gründung des Aktienvereins zum Bruderhaus. 1875 arbeiten über 1000 Menschen in der Reutlinger Zentrale und den 31 Zweigstellen in genossenschaftlichen Strukturen. Ein anderes Beispiel ist der Mönchengladbacher Unternehmer Franz Brandts, der mit seinen Arbeitern innovative Formen der Sozialpartnerschaft realisiert hat und dadurch – neben anderen – zum wichtigen Wegbereiter der katholischen Soziallehre wurde (vgl. Löhr 1979). Im Jahr 1890 gründete Brandts gemeinsam mit Franz Hitze, Ludwig Windhorst und
3 Vgl. Jähnichen/Friedrich 2005 und Stegmann/Langhorst 2005. Passagen zur christlich-sozialen Bewegung finden sich in diversen historischen Handbüchern wie etwa Henning 1995.
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Franz von Ballestrem den Volksverein für das katholische Deutschland.4 Mit ihrer an der Personenwürde des Arbeiters (und seiner Familie) orientierten sozialen Kreativität und ihrem ordnungspolitischen Interesse erfüllen Gustav Werner und Franz Brandts viele Definitionskriterien des skizzierten zeitgenössischen Konzepts des gesellschaftlichen Unternehmertums. Festzuhalten bleibt: Gesellschaftliche Unternehmer der christlich-sozialen Tradition sind aus der Gestaltung der deutschen Arbeits- und Sozialordnung nicht weg zu denken. Bemerkenswert ist, dass sie ihre soziale Innovationsfunktion in den Zeiten der ‚ersten Globalisierung‘ des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausüben konnten. Gerade diese Zeit war durch das Zusammenwachsen von Wirtschaftsräumen, durch Individualisierung und Urbanisierung der Lebensformen sowie eine ‚Ökonomisierung‘ der Lebensbereiche im Sinne der Durchsetzung von Wettbewerbsmechanismen am Arbeits-, Wohnungs-, Kapitalmarkt etc. geprägt. Das Vorherrschen einer liberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, wie sie etwa 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch Ausdruck findet, stellt ein weiteres wichtiges Kennzeichen dieser Epoche dar. In beiden Aspekten weist sie also große Ähnlichkeiten zur gegenwärtigen Phase der ‚zweiten Globalisierung‘ zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf. Das heute international diskutierte Phänomen gesellschaftlichen Unternehmertums ist also in der Geschichte der deutschen Arbeits- und Sozialordnung durchaus bekannt5. Denn die Bedeutung von Unternehmerpersönlichkeiten wie Gustav Werner, Franz Brandts und anderen ist für die Entstehung dieser Arbeits- und Sozialordnung in Deutschland grundlegend – wenngleich heute häufig vergessen. Als gesellschaftliche Unternehmer haben die Genannten durch die Schaffung neuer Organisationen, durch innovative Strukturbildungen und Lösungswege zur Humanisierung der entstehenden marktwirtschaftlichen Ordnung ihrer Zeit beigetragen.6
4 Vgl. dazu ausführlich Heitzer 1979; Denk 1980; Schoelen 1982; Halder 1995; Grothmann 1997. 5 Die historischen Bezüge werden leider in der gegenwärtigen Diskussion kaum mehr gesehen. Immerhin diagnostizieren Perrini/Vurro (2006: 58): „Therefore, even if the idea of social enterprise is certainly not new, (examples of business companies with prevalent social mission can be found from the nineteenth century), the phrase social entrepreneurship was coined only in the late 1990s in the US, emerging from business practice and then being translated in the academic debate.“ 6 Hier ist auch der Elberfelder Kaplan Adolph Kolping zu nennen, der 1846 den dortigen ‚katholischen Jünglingsverein‘ gründet: Keimzelle der internationalen Kolping-Bewegung. Auch diesem social entrepreneur ging es primär um einen sozialen Zweck: Die Überwindung von Elend und Unbildung der Arbeiter und Handwerksgesellen. Dazu gründete er eine – finanziell tragfähige – Organisation: die Gesellenvereine, die 1865 bereits 420 Vereine mit über 60.000 Mitgliedern aufwiesen. Die gesellschaftspolitische Ambition Kolpings wird auch in seiner journalistischen
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Sozialethische Zugänge zum Konzept ‚Social Entrepreneurship‘
Im Durchgang durch die genannten historischen Beispiele lassen sich bestimmte gemeinsame Merkmale ableiten. Wo liegt das Neue gesellschaftlichen Unternehmertums gegenüber älteren Formen sozialen Engagements? ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘: Zur Personalität des Armen Die Tätigkeit der skizzierten ‚Unternehmer des Sozialen‘ überwindet eine lediglich auf Caritas im Sinne des mitleidigen Teilens beschränkte sozialpolitische Praxis des Mittelalters.7 Denn diese Form der Nothilfe im Sinne des ÜberflussTeilens war eingebettet in eine Wirtschaftsordnung, die im Wesentlichen auf eine Stabilisierung der bestehenden Standesunterschiede ausgerichtet war.8 An ihre Stelle tritt im Kontext moderner Wirtschafts- und Sozialstrukturen die ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘, was aus Fürsorgeempfängern selbstverantwortliche Arbeiter und Arbeitnehmer macht. Gerade hier aber setzen auch heute Initiativen gesellschaftlicher Unternehmer an.9 Die genossenschaftliche Struktur in Werners ‚Bruderhaus‘ wirkt einer paternalistischen Entmündigung der Arbeiter und ihrer Familien entgegen. Für Franz Brandts galt: Pflichtbeiträge der in seiner Textilfabrik beschäftigten Arbeiter einerseits und seine Bezuschussung aus dem Gewinn andererseits alimentierten den Solidarfonds der Arbeiter. Für beide ist ihr Engagement Ausdruck einer Institutionalisierung christlicher Nächstenliebe unter den Bedingungen der Industrialisierung. Brandts setzte zur Organisation des Fonds in seinem Unternehmen ein Selbstverwaltungsgremium der Arbeiter ein – als sichtbares Zeichen für deren institutionelle Autonomie. Dies sollte nach außen hin den genossenschaftlichen Selbsthilfegedanken manifestieren und zugleich die Persönlichkeitsbildung und autonome Entscheidungskompetenz der Arbeiterschaft fördern. Ihre Nachhaltigkeit verdankt diese Einrichtung nicht zuletzt ihren RückwirkunTätigkeit in den ‚Rheinischen Volksblättern‘ deutlich, die ein verbindendes Organ der Gesellenvereine darstellte. 7 Priddat (1990) hat bereits vor einigen Jahren in einem grundlegenden Beitrag auf die Grenzen solcher reinen Mildtätigkeit hingewiesen, die den Abstand zwischen Reich und Arm eher zementiert als überwindet. 8 So war das Konzept des ‚gerechten Preises‘ (iustum precium) in mittelalterlichen Normencodizes in der Weise definiert, dass der Preis dem Anbieter und seiner Familie ein standesgemäßes Einkommen garantieren sollte. Festgesetzt und durchgesetzt wurden die Preise in den Zünften. 9 In der Diktion von Sommerrock (2010) geht es hier um SEO-Interventionsstrategien „with the target group“.
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gen auf den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung, insbesondere der Steigerung der Mündigkeit der Arbeiter wie auch der Attraktivität der Textilfabriken als Arbeitgeber. Es wird deutlich: Die Initiativen der social entrepreneurs leisten nicht einem sozialen Aktivismus des Helfens Vorschub. Vielmehr nehmen sie ihre Adressaten als Personen wahr, denen ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ gewährt werden muss. Dies prägt die Stoßrichtung der Initiativen, aber auch den Modus der Intervention. Social entrepreneurship bezieht mithin die Adressaten auf verschiedene Weise in die Hilfeleistung mit ein.10 Solidarität durch unternehmerische Innovation Ein weiteres Merkmal ist der sozial-innovative Charakter des unternehmerischen Gestaltungshandelns (vgl. dazu allgemein Briefs 1955). SEO adressieren – durchaus im Horizont tradierter Werteorientierungen – zeitgenössische Problemlagen. Sie geben sich nicht mit dem Status Quo einer Mangelsituation zufrieden, sondern entwickeln dafür innovative Problemlösungsstrukturen. In der angelsächsischen Diskussion wird dieser Aspekt stellvertretender Sorge um ‚vergessene‘ und demokratisch schlecht repräsentierte Gruppen auch als stewardship bezeichnet. Diese Übertragungsleistung fördert eine Kultur der Solidarität. So hat denn auch die innovative Praxis Werners, Brandts und vieler anderer christlicher Unternehmer ihrer Zeit nach und nach nicht nur die Nachahmung durch andere Unternehmen, sondern langfristig gesehen auch die Reform der staatlichen Sozialgesetzgebung inspiriert. Die Einrichtung der staatlichen Sozialversicherung durch die Bismarck’schen Sozialstaatsreformen am Ende des 19. Jahrhunderts wäre ohne solche Vorläufer auf der Ebene einzelner Betriebe nicht möglich gewesen.11 Sozialstaatliche und privatwirtschaftliche Initiativen sind dabei je auf ihre Weise Formen des kritisch-vorandrängenden Moments eines Solidaritäts- bzw. Gemeinwohlengagements. Beide Solidaritätsformen dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. So innovativ und kraftvoll etwa die personale Hilfepraxis gesellschaftlicher Unternehmer ist, so wenig sind sie dazu in der Lage, diese flächendeckend und über eine längere Zeit hinweg zuverlässig anzubieten. Das Verhältnis beider Engagementformen bestimmt sich durch das Subsidiaritätsprinzip [siehe hierzu auch den Beitrag von Heinze et al.]. 10 Von hier ergeben sich Bezüge zum Konzept der ‚Beteiligungsgerechtigkeit‘, wie es vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz als Leitprinzip erarbeitet hat. 11 Vgl. zum Konzept der ‚Evolution‘ humanerer Arbeitsbedingungen durch und in unternehmerischer Initiative allgemein Then 1994.
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Subsidiäre Organisationsgründung durch Social Entrepreneurs Gesellschaftliche Unternehmerinnen bzw. Unternehmer gründen Organisationen, Vereine oder Betriebe, die die nachhaltige Wirksamkeit ihres innovativen gesellschaftspolitischen Impulses ermöglichen. Die Bürgergesellschaft als Handlungsraum wird hier als Experimentierfeld des sozialethischen Ringens um die Humanisierung von Arbeits- und Lebensbedingungen anschaulich. Staatliches Handeln greift – wie oben gesehen – erst nachträglich subsidiär ein und stellt innovative unternehmerische Gemeinwohlimpulse durch die Gestaltung von Institutionen auf Dauer. Gerade in diesem subsidiären Strukturzusammenhang zeigen sich auch klare Grenzen des Konzepts „Social Entrepreneurship“: Gesellschaftliche UnternehmerInnen können und wollen (sozial-)staatliches Handeln nicht breitflächig ersetzen. Als ‚Pfadfinder‘ neuer innovativer Lösungsmöglichkeiten im gemeinnützigen Sektor können sie nur dann nachhaltig strukturverändernd wirken, wenn sie ihre Innovationsimpulse wiederum in die Praxis sozialer Grundversorgung einbringen. Es ist der Sozialstaat, der die innovativen Impulse gesellschaftlichen Unternehmertums institutionalisieren und mithin ‚auf Dauerbetrieb‘ umstellen kann. Diese Grenzen unternehmerischen Engagements schmälern allerdings nicht ihre Bedeutung für die Adressierung gesellschaftspolitischer Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Denn der Faktor der Innovation im sozialen Sektor, den sie einbringen, ist wichtiger denn je: Hier bedarf es eben nicht nur ausreichender finanzieller Mittel, sondern auch neuer Ansätze und Ideen, um die komplexen Problemstellungen erfolgreicher angehen zu können. Innovation ist nicht nur auf Güter- und Produktmärkten, sie ist auch im gemeinnützigen Sektor unverzichtbar. Genau hier liegt auch das gesellschaftspolitische Potential von social entrepreneurship. 5
Der blinde Fleck wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Gemeinwohltheorien
Wenn das Engagement gesellschaftlicher Unternehmer in der Entstehung der deutschen Wirtschafts- und Sozialordnung eine gewichtige Rolle gespielt hat: Warum sind diese dann heute weitgehend vergessen? Warum spielen sie für die theoretische Rekonstruktion dieser Prozesse keine Rolle? Trotz mancher entgegen gesetzter Versuche ist ‚Bürgergesellschaft‘ in den vorherrschenden Groß-
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theorien unserer wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen bzw. juristischen Führungskräfteausbildung eine konzeptionelle Leerstelle geblieben. Ein kurzer Durchgang soll ansatzweise zeigen, dass die Gemeinwohl-Konzeptionen der genannten Disziplinen überwiegend statisch-institutionell orientiert sind und den historisch-genetischen Charakter gesellschaftlicher Ordnung regelmäßig ausblenden. Dadurch kommen ‚gesellschaftliche Unternehmer‘ in ihrer gesellschaftspolitischen Funktion gar nicht erst in den Blick: Social entrepreneurship bleibt ein ‚blinder Fleck‘ der Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie. Wirtschaftswissenschaften I: Entwicklungstheorien Hier ist zunächst der wichtige Bereich der Wirtschaftswissenschaften und zwar sowohl als Einzelwirtschaftslehre (Betriebswirtschaft) als auch als Volkswirtschaftslehre bzw. Nationalökonomie zu nennen. Obwohl Autoren wie Joseph Schumpeter bereits relativ frühzeitig Ansätze zu einer Theorie des Unternehmers entwickelt haben, konnten diese nicht schulbildend wirken. Vielmehr stammen die beherrschenden Konzepte der allgemeinen Gleichgewichtstheorie letztlich aus einer kybernetischen und ingenieurwissenschaftlichen Denktradition. Die Arbeiten von Léon Walras (1834-1910), Alfred Marshalls (1842-1924) sowie Vilfredo Paretos (1848-1923) lassen solche Bezüge auch biographisch deutlich werden. Sie stehen unter dem Eindruck der Industrialisierung und des Siegeszugs der Maschinen, sie konzipieren ökonomische Zusammenhänge letztlich in technologischen Steuerungskreisen. Das Gleichgewichtsdenken, das das moderne ökonomische Denken lange geprägt hat, vermag aber die Bedeutung von Innovationen für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung nicht adäquat abzubilden. Auch informationsökonomische Ansätze, die den Unternehmer lediglich als Arbitrageur zu verstehen lehren, der lokale Preisunterschiede zu seinem wirtschaftlichen Vorteil nutzt (etwa Kirzner 1973), abstrahieren konzeptionell von unternehmerischen Innovationen, die gleichsam als Paradigmenwechsel völlig neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Wirtschaftswissenschaften II: Ordnungspolitik Auch das ordnungspolitische Denken der Theoretiker der Sozialen Marktwirtschaft bekommt die Rolle gesellschaftlichen Unternehmertums wie auch ganz allgemein zivilgesellschaftlichen Engagements nicht angemessen in den Blick.
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Die Garantie rechtlicher und administrativer Bedingungen einzelwirtschaftlicher Tätigkeit wird hier vielmehr ausschließlich der staatlichen Rechtsetzung zugewiesen. Ordnungspolitik wird mithin konzeptionell vom autoritativen Akt der legislativen Rechtssetzung her gedacht – und erscheint somit dominant als Staatsaufgabe. Eine solche Sichtweise abstrahiert vom jeweiligen Inhalt des Gesetzes und fokussiert ausschließlich auf den formalen Verpflichtungscharakter – frei nach Thomas Hobbes: „Auctoritas non veritas fecit legem“. Durch diese Engführung wird die Rolle von Zivilgesellschaft und Unternehmen aus dem ordnungspolitischen Prozess ausgeblendet. Dies vernachlässigt aber, dass die Genese von Regeln und Institutionen ein komplexer Prozess ist. Dies gilt in (mindestens) doppelter Hinsicht:
Ordnungsregeln entstehen auch durch kollektive Selbstbindung der Unternehmen – etwa im Bereich der Schaffung und Weiterentwicklung technischer Normen, die überwiegend im Raum der Verbände und Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft erfolgt.12 Hier wird die ordnungspolitische Rolle von UnternehmerInnen und Unternehmen in der Praxis unmittelbar ansichtig. Doch auch andere Institutionen und Regulierungen entstehen in einem mehrstufigen Prozess. Am Anfang stehen dabei häufig neue, überlegene Handlungsmöglichkeiten im Raum der Bürgergesellschaft: Dieser bildet ein ‚Laboratorium‘ der Ordnungspolitik.13 Denn ‚best practice‘-Modelle wirken auf die Ordnungsdiskussion im Raum der Politik zurück. Auch Politikerinnen und Politiker können bestimmte Regulierungstypen nur vorschlagen, wenn sie sich zumindest auf der Ebene von Einzelprojekten bereits in der Praxis bewährt haben. Auch in diesem Zusammenhang können SEOs mithin eine – indirekte – ordnungspolitische Funktion übernehmen, die aber in der Theorie nicht abgebildet ist. Vielmehr prägt das „Denken aus dem Staat heraus“ (Hans Maier) die gängigen Versionen des Ordnungsdenkens.14
12 So etwa internationale CSR-Normen wie etwa jüngst die ISO 26000 Norm. 13 Vgl. etwa oben die skizzierte Praxis christlicher Unternehmer in ihrer paradigmatischen Funktion für die spätere kaiserliche Sozialpolitik. 14 Dieser Tatbestand steht im auffälligen Gegensatz zur ursprünglichen Konzeption der Ordnungspolitik etwa durch Walter Eucken. So spricht der Freiburger Ökonom in seinen ‚Grundlagen der Wirtschaftspolitik‘ von ‚ordnungspolitischen ‚Potenzen‘, zu denen er explizit auch zivilgesellschaftliche Kooperationen wie Kirchen, Verbände und Unternehmen zählt. Diese Ansätze traten in der weiteren Theorie und Praxis – etwa des Staatssekretärs Alfred Müller-Armack – jedoch zurück.
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Staatsrechtslehre und Politikwissenschaft Im Bereich der Staatsrechtslehre ist traditionell ebenfalls ein statisches Ordnungskonzept vorherrschend, das mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen jeweils die Institutionen von Staat, Verwaltung und Jurisprudenz als wichtigste Träger gemeinwohlorientierten Handelns ausweist. Der Beitrag der Bürgergesellschaft wird hier konzeptionell nicht aufgenommen.15 Das gilt zunächst für konservative Staatsrechtslehrer. Basierend etwa auf der Philosophie von Immanuel Kant wird dabei meist mit der Unterscheidung der gemeinwohlorientierten Pflichterfüllung einerseits und der eher kritisch zu betrachteten Sphäre ‚bloßer Privatinteressen‘ andererseits gearbeitet. Pars pro toto seien hier nur die einflussreichen Arbeiten des katholischen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt genannt, dessen Staatsmetaphysik in der Ablehnung pluralistischer Meinungsbildung im Raum der Gesellschaft wurzelt. Gemeinsames Kennzeichen solcher konservativen Staatsmetaphysik war das Denken von Extremsituationen, von der ‚Ausnahmesituation‘ her.16 Die Zuordnung von Gemeinwohlaufgaben zum Staat gewinnt seine Plausibilität aus den zahlreichen Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: In Zeiten von Weltkrieg und Inflation, von Besetzung und Teilung, von autoritärer Diktatur und totalitärer Bedrohung der Freiheit, von Aufständen und Bürgerkriegen wird gesellschaftliche Ordnung primär in Kategorien von autoritativer und zwangsbewährter staatlicher Steuerung garantiert. Die Dominanz des Staates bestimmt noch die Zeit der deutschen Wiedervereinigung, in der schnell, zwangsbewährt und flächendeckend neue staatliche Ordnungsstrukturen bzw. wirtschaftliche Transformationen organisiert werden mussten.17 Die Diagnose einer mangelnden Reflexion der gesellschaftspolitischen Bedeutung gesellschaftlichen Unternehmertums und Führungspersönlichkeiten der Zivilgesellschaft gilt aus ganz anderen Gründen auch für progressiv-linke Theoriebildungen. Bei vielen sozialwissenschaftlichen Denkern sind dabei Vorbehalte gegen einen elitären Personalismus wie auch gegen die Gewinnorientierung unternehmerischen Denkens per se Erkenntnis leitend. Kollektive Lösungen im politischen Raum werden dem freien Zusammenwirken privater Kräfte vorge-
15 Dies kann im Rahmen dieses Beitrages nicht ausführlich belegt werden (vgl. zur Staatsrechtslehre ausführlich bereits meine Promotionsschrift Habisch 1993). 16 Sprachprägend ist hier der Einleitungssatz von Carl Schmitts einflussreicher Schrift „Politische Theologie“ (1922) geworden: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“. 17 Auch das Einschreiten der Politik in der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 macht diese Bezüge deutlich. Staatliches Handeln erscheint einmal mehr als Rettungsanker in stürmischer See.
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zogen, weil diese eine höhere Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Gemeinwohlorientierung zu versprechen scheinen. Doch auch bei liberalen Autoren und Politikern in Deutschland spielte Bürgergesellschaft und gemeinwohlorientiertes Unternehmertum für das Gemeinwohl lange keine systematische Rolle. So stehen hier entweder der Abwehrkampf gegen die Bevormundung der Wirtschaft durch einen allzuständigen Staat oder aber das Ringen um persönliche Freiheitsrechte gegen einen Eingriff in die Privatsphäre im Mittelpunkt. Zusammenfassend lässt sich sagen: Quer durch die Rechts-, Wirtschaftsund Sozialwissenschaften ist eine sozialethische Unterdeterminiertheit der Bürger- und Zivilgesellschaft einschließlich des gesellschaftlichen Unternehmertums kennzeichnend. Dies führt zu einer systematischen Vernachlässigung der Bedeutung von Innovation für gemeinwohlorientiertes Handeln. Der Stellenwert von social entrepreneurs als Innovatoren für das Gemeinwohl wird konzeptionell nicht abgebildet. Privatinitiativen und freiwillige Selbstbindungen erscheinen vielmehr als beliebig, solange sie nicht in rechtlich institutionelle Rahmenbedingungen überführt sind.18 Politikerinnen bzw. Politiker und Administratoren erscheinen dann als die entscheidenden ‚Hüter des Gemeinwohls‘. 6
Ethik als Heuristik und die kulturelle Dimension gesellschaftlichen Unternehmertums
Die systematische Vernachlässigung gesellschaftlichen Unternehmertums in den herrschenden Sozialtheorien hat auch für die Sozialethik Folgen. Denn die Dominanz von Staat und Recht in den wichtigsten Gemeinwohlkonzeptionen drückt sich auch in entsprechenden Aufgabenzuweisungen an die Wirtschaftsund Unternehmensethik aus. Sie wird häufig im ‚Domestizierungsparadigma‘ begriffen: Als ihre wichtigste Aufgabe wird dann die Regulierung und Kanalisierung unternehmerischer Freiheit gesehen. Mit dieser Bestimmung geht aber ein wichtiger Teil der Sozialethik verloren, nämlich das innovative, vorandrängende Ringen um eine Humanisierung der Lebensbedingungen. Moral verwirklicht sich nicht nur in der freiwilligen Selbstbeschränkung unternehmerischer Freiheit. Ebenso wichtig ist auch ihre Entfesselung zur moralischen Innovation. Ethik formuliert hier eine ‚Heuristik‘, 18 Eine historische Wurzel dieser Schwerpunktsetzung auf rechtlich institutionelle Strukturbildungen in den bis heute prägenden Gemeinwohltheorien des 19. Jahrhunderts war das Ringen um die Zähmung ziviler Machtausübung (z.B. im Sinne der Beschränkung der Willkür des adeligen Großgrundbesitzers) durch die prozedural legitimierte Regierung des modernen Staates.
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eine Suchrichtung für innovative Initiativen: etwa die Zielvorstellung der besseren Entfaltung der Menschenwürde, des Schutzes von Freiheits- und Menschenrechten, von gesellschaftlicher Integration, vom Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen etc. Erst von einer vorwärtsgerichteten Dimension ethischer Praxis her gerät auch die Bedeutung von gesellschaftlichen Unternehmerinnen bzw. Unternehmern und ganz allgemein von bürgerschaftlichem Handeln angemessen in den Blick. Sozialethik ist nicht nur ‚Hilfsbremser der Globalisierung‘. Anders als es etwa die Medien vom Wirtschafts- und UnternehmensethikerInnen erwarten, liegt ihr Beitrag nicht dominant darin, Verantwortungsträgern medienwirksam ins Gewissen zu reden. Ethik hat vielmehr einen vorwärts gewandten Innovations- und Gestaltungsanspruch: Sie gibt eine ‚Heuristik‘ (Karl Homann) und Suchrichtung notwendiger institutioneller Reformen vor. Hier geht es darum, erfahrungsgesättigte Vorschläge für neue und bessere Formen sozialer Ordnung zu geben. Wie können im 21. Jahrhundert lokale öffentliche Güter zur Verfügung gestellt werden? Politik und internationale Institutionen werden dabei auch weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Wichtiger aber wird auch zivilgesellschaftliches Handeln und das Wirken gesellschaftlicher Unternehmer als Innovationsmotoren. Der Rückblick in die Geschichte der Industrialisierung im 19. Jahrhunderts zeigt, dass hier Strukturen der Arbeits- und Sozialordnung immer wieder im unternehmerischen Handeln einzelner Personen vorbereitet worden sind. Das Forschungskonzept „Social Entrepreneurship“ hat also nicht nur betriebswirtschaftliche Aspekte: Hier geht es auch um die kulturelle Dimension und um ein integrales Verständnis des Gemeinwesens. Gesellschaftliches Unternehmertum erscheint hier als Kristallisationspunkte zivilen Engagements, dessen politische Rolle neu bedacht werden muss. Eine veränderte konzeptionell-theoretische Rekonstruktion wichtiger Prozesse im modernen Gemeinwesen hat auch Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften. Nur wenn sie ihre eigene Rolle im modernen Gemeinwesen richtig verstehen und sich – als corporate citizens – auch in ihrer Mitverantwortung für das demokratische Gemeinwesen sehen, können sie diese Rolle auch adäquat spielen [siehe dazu auch den Beitrag von Gergs zur Führung sozialer Unternehmen]. Nicht nur Politikerinnen und Politiker oder öffentliche Verwaltungsmitarbeitende sind im Gemeinwohlauftrag unterwegs: Auch Unternehmerinnen bzw. Unternehmer oder engagierte Bürger, die im beschränkten Rahmen soziale oder ökologische Innovationen anstoßen und neue, bessere Alternativen zum Status Quo zu entwickeln helfen. Ohne eine lebendige Bürgergesellschaft ist ein Gemeinwesen defizitär und vermag sich weder wirtschaftlich noch politisch nach-
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haltig zu entwickeln: Darauf weist auch die zeitgenössische ‚Sozialkapitaltheorie‘ hin.19 Moderne Gesellschaften müssen eine bürgerschaftliche Anerkennungskultur entwickeln, die dies reflektiert.20 Sie sollten – in Schule und Ausbildung, aber auch im öffentlichen Leben – das Bewusstsein für gesellschaftliches Unternehmertum verstärken und ihre Adressaten dazu einladen, diese ‚Karriere’ zumindest während einer Lebensphase einmal einzuschlagen. Vom Ordnungsökonomen Wilhelm Röpke stammt das Wort von den „‚säkularisierten Heiligen‘, die in unserer Zeit einen Platz ausfüllen, der zu keiner Zeit und in keiner Gesellschaft lange unbesetzt bleiben darf“ (Röpke 1957: 174f). Dieses darf nicht nur individualistisch ausgelegt werden – etwa in der Weise, dass wir die Ressource ‚Altruismus‘ benötigen. Das im Christentum entwickelte Konzept der ‚Heiligen‘ umschreibt vielmehr auch eine Institution, die in der Geschichte des Abendlandes über Jahrhunderte hinweg kulturell prägend war: Weil im Prinzip alle diesen Status erreichen konnten, eignete ihrer permanenten Repräsentation im öffentlichen Raum stets auch eine ethische Komponente. In der Figur der Heiligen, die narrativ stets in ihre konkreten Lebensbedingungen – ihrer ‚Legende‘ – transportiert wurden, blieb die Möglichkeit besserer Handlungsalternativen auch für die Zuhörenden bedrängend konkret. Gerade die ‚Menschlichkeit‘ der Heiligen, ihre charakterlichen Ecken und Kanten, machten sie als Vorbilder glaubwürdig. Gesellschaftliche Unternehmerinnen und Unternehmer als ‚säkularisierte Heilige‘ sind mithin nicht nur als Einzelpersönlichkeiten faszinierend. Auch das kulturelle Schema social entrepreneurship kann in Zeiten posttraditioneller und pluralistischer Gesellschaften eine wichtige Orientierungsfunktion entfalten. Denn in dieser fließen dann individual- und sozialethische Aspekte untrennbar zusammen. Während die vormodern christliche Tugendethik gesellschaftliche Besserung ausschließlich von einer moralischen Besserung der Einzelpersonen erwartete, hat das Programm der Aufklärung – in der Tradition von Adam Smith und Emil Durkheim – ausschließlich auf die Gestaltung sozialer Institutionen gesetzt. In der Bienenfabel eines Bernard Mandeville ist dieser Dualismus (private vice – public benefit) sogar dialektisch formuliert. Führungsverantwortung im Kontext komplexer Organisationen und pluraler Gemeinwesen wird sich das Gegeneinander-Ausspielen der beiden Dimensionen ethischen Handelns nicht mehr leisten können. Im Status Quo läuft dies konkret auf die Wiederent19 Vgl. dazu klassisch die Arbeiten von Putnam 1993 und 2000 sowie neuerdings die Beiträge in Castiglione et al. 2008. 20 Das war bereits eine Forderung im Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages (2002), bei der der Verfasser mitarbeiten konnte.
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deckung der kulturellen Dimension von ‚Governance‘, auf die Bereitstellung von Sinnangeboten (meaning) hinaus. Das Handeln der Einzelnen kann ein Versagen der Institution nicht kompensieren – doch die Privatinitiative gesellschaftlicher Unternehmerinnen und Unternehmer kann sich zur institutionellen Reform auswachsen. Auch im Kontext systemischer Sozialstrukturen und institutioneller Ordnung machen die Einzelnen und ihr Engagement durchaus einen Unterschied: Diese Implikation der aufkommenden Diskussion um social entrepreneurship für die Sozialkultur moderner Gesellschaften sollte nicht übersehen werden. Quellenverzeichnis Aretz, Jürgen/Morsey, Rudolf/Rauscher, Anton (Hrsg.) (1979): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts. Band 3. Mainz. Bornstein, David (2005): Die Welt verändern. Social Entrepreneurs und die Kraft neuer Ideen. Stuttgart. Borzaga, Carlo/Defourny, Jacques (Hrsg.) (2001): The emergence of social enterprise. London. Briefs, Götz (1920): Untergang des Abendlandes. Christentum und Sozialismus. Eine Auseinandersetzung mit O. Spengler. Freiburg. Briefs, Götz (1955): Die Verantwortung des christlichen Unternehmers heute. Köln. Castiglione, Dario/van Deth, Jan W./Wolleb, Guglielmo (Hrsg.) (2008): Handbook of social capital. Oxford. Denk, Hans Dieter (1980): Die christliche Arbeiterbewegung in Bayern bis zum Ersten Weltkrieg. Paderborn. Deutscher Bundestag (2002): Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“. Opladen. Drayton, Bill (2002): The citizen sector: Becoming as entrepreneurial and competitive as business. In: California Management Review 44/2002/3: 120-132. Drayton, Bill (2006): The citizen sector transformed. In: Nicholls (2006): 45-55. Euchner, Walter/Grebing, Helga et al. (Hrsg.) (2005): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland: Sozialismus – Katholische Soziallehre – Protestantische Sozialethik. Wiesbaden. Grothmann, Detlef (1997): Verein der Vereine? Der Volksverein für das katholische Deutschland im Spektrum des politischen und sozialen Katholizismus der Weimarer Republik. Köln. Habisch, André (1993): Autorität und moderne Kultur. Ekklesiologie und Staatstheorie zwischen Carl Schmitt und James Buchanan. Paderborn. Halder, Winfried (1995): Katholische Vereine in Baden und Württemberg 1848-1914. Ein Beitrag zur Organisationsgeschichte des südwestdeutschen Katholizismus im Rahmen der Entstehung der modernen Industriegesellschaft. Paderborn. Heitzer, Horstwalter (1979): Der Volksverein für das katholische Deutschland im Kaiserreich 18901918. Paderborn.
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Social Entrepreneurship – Altes Phänomen, neues Paradigma moderner Gesellschaften oder Vorbote eines Kapitalismus 2.0? Markus Beckmann
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Einleitung
Social entrepreneurship und social business sind zunehmend in aller Munde. Angesichts vielfältiger sozialer und ökologischer Probleme, der Schwierigkeiten tradierter Problemlösungsmechanismen des Staates und nicht zuletzt der einschneidenden Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahre verbinden sich zum Teil hohe Erwartungen mit dem Thema „Sozialunternehmertum“ [ebenso wie social entrepreneurship, Sozialunternehmen und Sozialunternehmer im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet]. Bereits 2003 würdigte etwa der Alternative Nobelpreis das ägyptische SEO-Unternehmen SEKEM (www.sekem.com) als ein Beispiel für ein „healthy business model of the 21st century“ (Ellis 2010: 126). Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger des Jahres 2006, sieht in social business gar die Möglichkeit, „by defining ‚entrepreneur‘ in a broader way we can change the character of capitalism radically“ (2007: 243). In Deutschland kam im Nachgang an die Finanzkrise mit „enorm – Wirtschaft für den Menschen“ (www.enorm-magazin.de) im Frühjahr 2010 ein neues Magazin auf den Markt, das sich schwerpunktmäßig mit social (business) entrepreneurship beschäftigt. Der Untertitel des Magazins bringt auch hier eine immer wieder mitschwingende Erwartung auf den Punkt: Social entrepreneurship und social business, so die Hoffnung, bieten Geschäftsmodelle der Zukunft, welche die Wirtschaft gezielt in den Dienst der Menschen stellen und damit den Kapitalismus entscheidend weiterentwickeln können. Insofern ließen sich social entrepreneurship und social business – so die Erwartung – als Vorboten eines weiterentwickelten Kapitalismus 2.0 betrachten. Der vorliegende Beitrag nimmt diese implizite Erwartung zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Der eigentlich aus der Software- und Technikentwicklung stammende Zusatz 2.0 regt dabei zu drei Fragen an.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Erstens drückt der Zusatz 2.0 aus, dass sich die damit gekennzeichnete Version in ihrer Neuheit substantiell von der Vorgängerversion 1.x unterscheidet. Die Frage lautet also: Was bringen social entrepreneurship und social business substantiell Neues in die Wirtschaft ein? Handelt es sich tatsächlich um ein neues Paradigma oder um ein altes Phänomen? Zweitens wird der Zusatz 2.0 verwendet, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine bestimmte Version nicht nur neuer, sondern vor allem besser als die Vorgängerversion ist. Analog lautet die Frage: Sind social entrepreneurship und social business tatsächlich die besseren Geschäftsmodelle zur Lösung gesellschaftlicher Probleme? Drittens markiert der Zusatz 2.0 auch, dass eine Entwicklung noch nicht zum Stillstand gekommen ist, sondern dass weitere Folgeversionen und damit eine prinzipiell offene Weiterentwicklung möglich sind. Mithin lautet die Frage: Worin liegt der Beitrag von social entrepreneurship und social business, um die soziale und ökologische Leistungsfähigkeit des Kapitalismus gerade in der Zukunft zu erhöhen?
Eine Antwort auf diese Fragen zu geben, ist auch deswegen nicht ganz einfach, weil es weder für social entrepreneurship noch für social business ein allgemein geteiltes Begriffsverständnis gibt. Zu unterscheiden sind unter anderem eine intentionsorientierte sowie eine eher funktionsorientierte Definition von SEO. Im vorliegenden Beitrag sollen beide Sichtweisen auf social (business) entrepreneurship miteinander kombiniert werden, um dadurch die eingangs gestellten Fragen einer Beantwortung näher zu bringen.
Im ersten Schritt wird zunächst diskutiert, was an SEOs denn tatsächlich neu ist. Gefolgt wird hier einer intentionalen Definition, die der sozialen Mission der entrepreneurs eine maßgebliche Bedeutung zumisst. Die These lautet, dass missionsgetriebenes Sozialunternehmertum in diesem Sinne kein neues, sondern altes Phänomen ist [siehe dazu auch den Beitrag von Habisch zu gesellschaftlichem Unternehmertum]. Allerdings gibt es eine Reihe von Entwicklungen, durch die dieses Phänomen heute strukturell eine immer prominentere Bedeutung gewinnen könnte. Im zweiten Schritt wird sodann gefragt, ob der gemeinwohlorientierte social business-Ansatz dem klassischen gewinnorientierten for-profit-Ansatz bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme überlegen ist. Aus gesellschaftlicher Sicht, so die These, sind beide Ansätze alternative Lösungsinstrumente, die je nach Kontext jeweils komparative Vorteile entfalten können.
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Social business kann diese Vorteile vor allem dort ausspielen, wo die institutionelle Rahmenordnung fehlerhaft oder nur schwach ausgebildet ist. Im dritten Schritt wird eine intentions- und eine funktionsorientierte Betrachtung von SEO zusammen gebracht und abschließend nach der möglichen Rolle von social business und social entrepreneurship für die Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft gefragt. Dieser Beitrag, so die These, liegt nicht allein in der direkten Wertschöpfung, die SEOs betreiben, sondern insbesondere in jenen Transformationsimpulsen, die zu einer Weiterentwicklung der institutionellen Ordnung beitragen. Was ist neu und was ist alt am Unternehmertum mit einer gesellschaftlichen Mission?
Für die Wissenschaft ist social (business) entrepreneurship ein noch vergleichsweise junges Forschungsfeld. Trotz der Unterschiedlichkeit der diskutierten Definitionen besteht für viele Autorinnen und Autoren ein entscheidendes Merkmal von social business und social entrepreneurship in deren intendierten gesellschaftlichen Wirkungen (Dees 1998; Borschee/McClurg 2003; Bornstein 2007; Mair/Marti 2006; Nicholls 2006; Elkington/Hartigan 2008). SEO wird als unternehmerische Tätigkeit gesehen, die nicht eine monetäre Gewinnmaximierung, sondern die Lösung eines gesellschaftlichen Problems zum Ziel hat (Dees 1998; Mair et al. 2006). Analog sieht Muhammad Yunus (2007 und 2010) sein Konzept des social business als einen Ansatz, der ohne Renditeinteresse („nondividend“), wirtschaftlich tragfähig („non-loss“) einen gesellschaftlichen Zweck verfolgt („social purpose“). Wird social (business) entrepreneurship aus einer solchen Perspektive betrachtet, dann steht deren Intention im Fokus. Insofern ließe sich diese Definition von Sozialunternehmertum als „intentionsorientierte Definition“ kennzeichnen. Das Ziel der eigenen unternehmerischen Tätigkeit liegt darin, direkt zu einer gesellschaftlichen Problemlösung beizutragen, während der monetären Gewinnerzielungsabsicht keine oder eine nur nachgeordnete Bedeutung zukommt. Social business und social entrepreneurship lassen sich damit vom üblichen for-profit business oder business entrepreneur abgrenzen.
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Soziales Unternehmertum als altes Phänomen Unternehmertum mit einer gesellschaftlichen Mission gibt es freilich schon weit länger als die neuen Begriffe social entrepreneurship und social business. Ein immer wieder diskutiertes historisches Beispiel für den revolutionierenden Einfluss unternehmerischen Engagements zur Lösung eines gesellschaftlichen Problems bietet die Britin Florence Nightingale. Im 19. Jahrhundert trug sie durch eine Fülle innovativer Aktivitäten maßgeblich dazu bei, das viktorianische System der Krankenpflege zu revolutionieren und legte einen entscheidenden Grundstein unserer heutigen modernen Krankenversorgung (vgl. Bornstein 2007: 41-47) [siehe hierzu ausführlich auch den Beitrag von Gergs]. Auch in der Suffragetten-Bewegung zur Erlangung des Frauenwahlrechts, in der Abolitionismus-Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei oder in den Gefängnisreformen des 19. Jahrhunderts spielten unternehmerische Persönlichkeiten und ihre innovativen Aktivitäten eine entscheidende Rolle. Während bei diesen Beispielen der unternehmerische Gedanke im Sinne innovativer Lösungen und ihrer engagierten Umsetzung im Vordergrund steht, zeigen andere Beispiele, dass auch die Idee eines Sozialunternehmens im Sinne einer besonderen Form einer Wirtschaftsorganisation auf eine lange Geschichte zurückblickt. Ein prominentes Beispiel bieten die Genossenschaftsbanken, die im 19. Jahrhundert nahezu zeitgleich von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Franz-Hermann Schulze-Delitzsch gegründet wurden (von Müller 2010). 1849 gründete Raiffeisen als erste Landwirtschaftliche Genossenschaft den „Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“. Ähnlich wie bei der Grameen Bank von Muhammad Yunus und ihrem Modell der Mikrokredite stand auch hier die Intention im Vordergrund, die notleidende Bevölkerung gezielt aus Armut und Abhängigkeit zu befreien. Auch wenn diese historischen Beispiele in der SEO-Diskussion immer wieder als wichtige Vorläufer genannt werden, darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass im deutschen Wohlfahrtsstaat SEOs nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart eine absolut zentrale Rolle spielen [siehe hierzu auch den Beitrag von Heinze et al.]. Denn auch die Organisationen der freien Wohlfahrtspflege betreiben seit Generationen social business, indem sie – in weitgehender Übereinstimmung mit dem Yunus‘schen Ansatz – ein soziales Ziel als „non-loss, non-dividend“-Unternehmen verfolgen. Allein die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland beschäftigen mehr als 1,5 Millionen Menschen, woran deutlich wird, dass social business kein neues Nischenphänomen, sondern eine etablierte Breitenerscheinung ist.
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Das Neue im Alten und das Alte im Neuen In einer ersten Annäherung lässt sich eine ganze Reihe von strukturellen Entwicklungen geltend machen, die dazu beigetragen haben, dass das auch schon früher beobachtbare Phänomen und die in Deutschland etablierte Tradition von SEO heute weltweit an Prominenz gewinnt (vgl. Bornstein 2007: 5-7).
Erstens ist vor allem auf globaler Ebene zu beobachten, dass die politischen Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre in vielen Ländern erst jene politische Freiheit mit sich gebracht haben, die SEOs für ihre Arbeit brauchen. Sei es die Öffnung des Eisernen Vorhangs oder der Fall von Militärdiktaturen in Asien, Südamerika und Südeuropa – ohne die damit verbundenen politischen und bürgerlichen Freiheiten wäre innovatives SEO in diesen Ländern gar nicht möglich. Zweitens trägt auch der zunehmende Wohlstand in unserer Gesellschaft dazu bei, dass SEO an Attraktivität gewinnt. Je höher das materielle Einkommen wird, desto stärker sinkt, ökonomisch formuliert, auch der individuelle Grenznutzen des Geldes, während andere Ziele wie Sinn, Selbstentfaltung und soziale Anerkennung an Bedeutung gewinnen. Drittens verfügen viele Menschen heute über mehr Bildungsmöglichkeiten und haben durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien breitere Zugänge zu zum Teil sehr spezifischen Wissensbeständen. Aus diesem Grund nimmt die potentielle Sicht- und Kommunizierbarkeit gesellschaftlicher Probleme zu. Damit eröffnen sich für eine größere Gruppe potentieller SEOs die Möglichkeit, sich mit diesen Problemen und unternehmerischen Ansätzen zu ihrer Lösung auseinanderzusetzen.
Werden diese langfristigen strukturellen Entwicklungen zusammengenommen, wird der Hintergrund deutlich, vor dem sich social entrepreneurship und social business als neuartiges Diskursphänomen etabliert haben. Vor allem auf dieser Diskursebene zeigen sich dabei interessante Neuerungen.
Erstens wirft dieser Diskurs einen erweiterten Blick auf Wirtschaft und wirtschaftliches Handeln. Während soziale Orientierung und Wirtschaftlichkeitserwägungen oftmals als tendenzielle Gegensätze wahrgenommen werden, bietet social (business) entrepreneurship eine Perspektive, die gesellschaftliche Wertschöpfung und wirtschaftliche Tragfähigkeit systematisch miteinander verbindet (Beckmann 2011). Zweitens wirft der Sozialunternehmerdiskurs einen erweiterten Blick auf den Staat. Während in anderen Diskursen die Lösung sozialer Probleme
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
häufig der originären Verantwortung des Staats zugeschrieben wird, fokussiert SEO genau umgekehrt auf den möglichen Beitrag privater Akteure zu gesellschaftlichen Problemlösungen. Drittens wirft der neue Diskurs einen erweiterten Blick auf den Anwendungsbereich sozialunternehmerischen Handelns. Der Fokus des traditionellen Wohlfahrtsdiskurses liegt primär im klassischen Sozialsektor, in dem beispielsweise die Kranken- und Altenpflege im Vordergrund steht. Die SEO-Diskussion ist hingegen offener für ein Spektrum neuer Probleme und Lösungsansätze, die von der Armutsbekämpfung über Klimaschutz bis hin zur Förderung jugendlicher Migranten reichen.
Die Bedeutung dieser für Deutschland relativ neuen diskursiven Entwicklung liegt auch darin, dass hiermit ein semantischer Bezugsrahmen geschaffen wurde, der seinerseits gesellschaftliche Rückwirkungen hat. So gibt es beispielsweise Organisationen wie Ashoka (www.germany.ashoka.org.), die Skoll Foundation (www.skollfoundation.org) oder die Schwab-Foundation (www.schwabfound. org), die SEOs gezielt fördern oder unterstützen, und neue Finanzintermediäre, die im Sinne des venture philanthropy-Gedankens Risikokapital für ökologische oder soziale Problemlösungsansätze vergeben. Diese eröffnen zusätzliche Finanzierungsoptionen und fordern für ihre Investitionsentscheidungen zugleich neue Formen der Erfolgs- und Wirkungsmessung. In der Wissenschaft beschäftigten sich Forschung und Lehre mit diesem Phänomen. Auf Konferenzen finden vermittelt durch diesen Diskurs Gleichgesinnte zusammen. PraktikerInnen finden neue Formen der Vernetzung und für das, was sie auch bisher schon taten, eine qualitativ völlig andersartige gesellschaftliche Wertschätzung. Und während es in Deutschland bisher hierfür noch keine speziell konzipierte Rechtsform für SEOs gibt, hat Großbritannien mit der public interest company bereits einen entsprechenden Rechtsrahmen geschaffen. 3
The better business model?
Gemäß einer intentionsorientierten Definition beabsichtigen SEOs, gezielt und direkt einen gesellschaftlichen Mehrwert zu stiften. Für die Vertreterinnen und Vertreter des social business-Konzepts ist SEO bei der Lösung sozialer oder ökologischer Probleme damit dem klassischen Marktunternehmen, dessen Handeln auf die Erzielung privater Gewinne ausgerichtet ist, deutlich überlegen (Yunus 2007, 2010). In den folgenden drei Schritten gilt es, zu dieser Ansicht eine konstruktiv-kritische Stellungnahme zu entwickeln.
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Der Unterschied von Social Business und traditionellen For-Profit-Unternehmen aus Unternehmenssicht Um den vermeintlich radikalen Unterschied zwischen social business und klassischen for-profit-Unternehmen zu pointieren, sei die Position von Muhammad Yunus der klassischen Position von Milton Friedman gegenübergestellt. In seinem berühmten Aufsatz formulierte Friedman (1970) das bekannte Zitat, „The social responsibility of business is to increase its profits“. Für Yunus besteht die Verantwortung eines social business hingegen darin, durch sein Handeln gezielt den Beitrag zu einer gesellschaftlichen Problemlösung zu maximieren. Analog ließe sich die Yunus‘sche Position mit den Worten reformulieren: „The social responsibility of business is to address social needs.“1 In ihren Vorträgen nutzt die Grameen-Gruppe eine Darstellung, die diese Besonderheit von social business illustriert (vgl. Abbildung 12). Ähnlich wie NGOs verfolgt auch social business das Ziel, den sozialen Mehrwert zu maximieren. Anders als NGOs sind social businesses dabei jedoch nicht vornehmlich auf externe Spenden angewiesen, sondern erwirtschaften so wie traditionelle Unternehmen ein eigenes Einkommen. Während for-profit-Unternehmen das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen, nutzen social businesses Gewinne nur als ein Mittel. Das social business-Unternehmensziel liegt indes in der Maximierung des gesellschaftlichen Mehrwerts. Abbildung 1 verdeutlicht folglich den Unterschied zwischen for-profit business und social business, indem sie aus Unternehmenssicht den Status des Gewinnprinzips gegenüberstellt. Um die Frage beantworten zu können, welcher Ansatz für die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse besser geeignet ist, bedarf es jedoch einer dezidiert gesellschaftlichen Perspektive.
1 So heißt es auf der Internet-Seite des Grameen-Creative-Labs, einem Grameen Think-Tank für social business: „Unlike traditional business, social business operates for the benefit of addressing social needs that enable societies to function more efficiently.“ (vgl. http://www.Grameen creativelab.com/a-concept-to-eradicate-poverty/the-concept.html; letzter Aufruf: 10.11.2010). 2 Eine analoge Abbildung findet sich im Internet bspw. in einer Präsentation des Grameen Creative Lab an der McGill University vom 1.10.2010 (http://desautels-events.mcgill.ca/yunus/Final_ Social_Business_Lab_Program.pdf; letzter Aufruf: 10.11.2010; für diesen Aufsatz ins Deutsche übersetzt).
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
NGOs
Ziel
Mittel
Soziale/ökolog. Nutzenmaximierung
Spendenfinanzierung
Social Business
Soziale/ökolog. Nutzenmaximierung
Selbsttragend (self-sustainable)
Traditional Business
Gewinnmaximierung
Selbsttragend (self-sustainable)
Abbildung 1: Der Status des Gewinnprinzips aus Unternehmenssicht (in Anlehnung an Grameen Creative Lab 2010)
Social Business und For-Profit Unternehmen aus gesellschaftlicher Perspektive Betrachten wir das Gewinnprinzip aus einer gesellschaftlichen Perspektive, wird deutlich, dass sich die Positionen von Friedman und Yunus gar nicht so radikal unterscheiden, wie es zunächst den Anschein hat. Vielmehr zeigt sich, dass die Argumentation beider Ökonomen auf zwei unterschiedlichen Ebenen ansetzt. Yunus schlägt vor, die gesellschaftliche Gemeinwohlorientierung direkt als Unternehmensziel anzusetzen und argumentiert damit auf der Unternehmensebene. Friedmans Plädoyer für das Gewinnprinzip argumentiert hingegen aus Sicht der Gesellschaft. Friedman (1970) macht geltend, dass bei geeigneten Rahmenbedingungen die nicht-intendierten Folgen unternehmerischen Gewinnstrebens zu gesellschaftlich höchst wünschenswerten Ergebnissen führen. Friedman macht damit auf die Funktion von Unternehmen im marktlichen Wettbewerb aufmerksam. Wie bereits Ludwig von Mises ([1951] 2008) betonte, haben Unternehmen im Marktwettbewerb eine klare Funktion: Sie sind Agenten im Auftrag gesellschaftlicher Wertschöpfung. Welche Rolle spielt nun das Gewinnprinzip? Wird der Friedman-Argumentation gefolgt, dann sind Gewinne ein wichtiges Signal – und eine Belohnung – dafür, dass es Unternehmen gelungen ist, Wertschöpfung zu organisieren (von Mises [1951] 2008: 7ff; Jensen 2002: 239). Auf einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt kann ein Unternehmen nur dann einen Gewinn erzielen, wenn es ihm gelingt, bei seiner Kundschaft eine Zahlungsbereitschaft zu mobilisieren,
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die die Kosten für die Herstellung seiner Güter und Dienstleistungen übersteigt. So betrachtet, sind Gewinne aus gesellschaftlicher Sicht ein wichtiges Anreizinstrument, damit Unternehmen ihrer eigentlichen gesellschaftlichen Funktion bestmöglich nachkommen. Und diese Funktion besteht darin, gesellschaftliche Probleme durch Wertschöpfung lösen zu helfen. Werden Gewinne als ein Anreizinstrument verstanden, so wird deutlich, dass sie zwar aus Unternehmenssicht ein Ziel, aus gesellschaftlicher Sicht jedoch ein (potentiell äußerst wirksames) Mittel darstellen.3 Insofern ließe sich Abbildung 1 um eine gesellschaftliche Perspektive erweitern, wie in Abbildung 2 gezeigt. Deutlich wird, dass social business und for-profit-Unternehmen aus gesellschaftlicher Sicht keine konkurrierenden Ziele, sondern zwei alternative Mittel darstellen. Während social businesses versuchen, direkt einen Beitrag zu gesellschaftlichen Bedürfnissen zu leisten, können gewinnorientierte Unternehmen diese Funktion indirekt, aber nicht notwendigerweise weniger effektiv, im Windschatten des marktlichen Wettbewerbs erfüllen.
Abbildung 2: Der Status des Gewinnprinzips aus gesellschaftlicher Sicht (eigene Darstellung)
3 Diese Überlegung findet sich nahezu wörtlich bei Friedman (2005: o.S.): „Maximizing profits is an end from the private point of view; it is a means from the social point of view.“
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Solcherart betrachtet, sind gemeinwohlorientierte social business-Unternehmen und gewinnorientierte for-profit-Unternehmen funktionale Äquivalente zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Als Mittel sind prinzipiell beide in der Lage, zum Ziel einer Wirtschaft für den Menschen beizutragen. Die entscheidende Frage lautet dann, unter welchen Bedingungen welcher dieser beiden Ansätze sich als das zweckmäßigere Instrument erweist. Die Vor- und Nachteile der unsichtbaren und der sichtbaren Hand Die Beobachtung, dass unter geeigneten Rahmenbedingungen das unternehmerische Eigeninteresse in den Dienst gesellschaftlicher Bedürfnisse genommen werden kann, fasste bereits Adam Smith ([1776] 1976) in seiner berühmten Formulierung zusammen, wonach wir das, was wir zum Leben brauchen, nicht vom Wohlwollen des Bäckers, Brauers oder Metzgers erwarten, sondern von dessen Eigeninteresse. In einer solchen Welt funktionierender Wettbewerbsmärkte können gewinnorientierte Unternehmen ihr gesellschaftliches Mandat der Wertschöpfung aus mehreren Gründen besser erfüllen als das gemeinwohlorientierte social business: Wenn Gewinne ein Signal für gelungene Wertschöpfung sind, dann liefern Unternehmensgewinne einen klaren Indikator dafür, ob ein Unternehmen seinem Wertschöpfungsauftrag nachkommt, belohnen wertschöpfende Unternehmen und sanktionieren Unternehmen, die Verluste erzielen und damit gesellschaftlichen Wert vernichten. Unternehmensintern bieten Gewinnaussichten einen klaren Maßstab, um zwischen alternativen Unternehmens- und Investitionsstrategien zu entscheiden. Für InvestorInnen signalisieren Gewinne, wo die größtmögliche gesellschaftliche Wertschöpfung möglich ist und kanalisieren knappe Ressourcen damit dorthin, wo sie aus gesellschaftlicher Sicht den größten Nutzen stiften. Schließlich hat die indirekte und dezentrale Steuerung der ‚unsichtbaren Hand‘ den Vorteil, dass sie sowohl an das Können als auch an das Wollen der handelnden Wirtschaftsakteure viel geringere Anforderungen stellt als im Fall von social business. Um direkt einen sozialen Nutzen zu bewirken, braucht ein social business das Wissen um die Folgen und Nebenfolgen seines Handelns. Angesichts komplexer Zusammenhänge ist dies keineswegs trivial. Eine systemische Steuerung, welche die nicht-intendierten Folgen des Gewinnstrebens über differenzierte institutionelle Arrangements managen kann, stellt hier viel geringere Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten der Akteure. Ein ähnliches Argument gilt mit Blick auf das Wollen der Akteure. So sehr Muhammad Yunus damit Recht haben mag, dass Menschen immer (auch) dem
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anderen dienen wollen, so ist diese Fremdliebe jedoch ein begrenztes Gut, das in einer Welt der Knappheit an seine Grenzen stößt. Im Vergleich dazu lässt sich die kluge Indienstnahme des Eigeninteresses viel weiter ausdehnen. Kurz: Unter geeigneten Rahmenbedingungen sind gewinnorientierte Unternehmen besser geeignet, gesellschaftliche Probleme dauerhaft und effizient zu lösen als SEOs. Sie sind das leistungsfähigere Mittel. Allerdings beruht diese Einschätzung auf hochgradig anspruchsvollen und idealisierten Voraussetzungen. Damit das Mittel der Gewinnorientierung dem Ziel, gesellschaftliche Probleme zu lösen, tatsächlich in der hier skizzierten Weise zuarbeiten kann, bedarf es einer perfekten Rahmenordnung. Das heißt im Klartext: Es gibt keine negativen externen Effekte wie beispielsweise nicht bepreiste Umweltverschmutzung. Die Rechtsordnung ist lückenlos und wird überall rechtsstaatlich perfekt durchgesetzt. Öffentliche Güter werden auf adäquatem Niveau bereitgestellt. Und es gibt keine Exklusion unterprivilegierter Gruppen, das heißt alle Bedürftigen haben freien Zugang zu Märkten, Kapital, Bildung und Recht. Diese idealisierten Voraussetzungen sind in vielen realen Problemkontexten nicht gegeben. Die Folge: Angesichts lückenhafter oder dysfunktionaler Rahmenbedingungen können gewinnorientierte Unternehmen ihr Mandat als gesellschaftliche Wertschöpfungsagenten gar nicht ohne Weiteres erfüllen. Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass social entrepreneurs und social businesses häufig genau dort ansetzen, wo die Eigenschaften einer perfekten Rahmenordnung gerade nicht gegeben sind. Social businesses internalisieren negative externe Effekte wie zum Beispiel im Fall des Unternehmens SEKEM (www.sekem.com), das durch biologische Anbaumethoden die ökologischen und sozialen Schädigungen des intensiven Pestizideinsatzes im ägyptischen Baumwollanbau zu vermeiden sucht (Abouleish 2004; Ellis 2010). Mikrofinanzinstitutionen wie die Grameen Bank (www.grameen.org) stellen alternative Finanzverträge jenen Teilen der ländlichen Bevölkerung zur Verfügung, die zuvor innerhalb der bestehenden Institutionen keinen Zugang zu Kredit hatten (Bornstein 1996; Yunus 1998). Gram Vikas (www.gramvikas.org) baut in den ärmsten Dörfern Indiens eine öffentliche Trinkwasserversorgung auf und verbindet dies mit gezielten Inklusionseffekten. So wird die Versorgung der Dorfgemeinschaft mit Trinkwasser an einen Prozess gebunden, der die kastenübergreifende Einbeziehung sämtlicher Familien sowie von Männern und Frauen voraussetzt (Ganly/Mair 2009). Kurz: Dort, wo der indirekte Mechanismus der ‚unsichtbaren Hand des Marktes‘ nicht zu gesellschaftlich gewünschten Ergebnissen führt, versuchen social entrepreneurs mit der ‚sichtbaren Hand‘ direkt einer Problemlösung näher zu kommen.
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Vergleichen wir social business und gewinnorientierte Unternehmen als zwei alternative Instrumente zur Lösung gesellschaftlicher Probleme, wird somit deutlich, dass SEOs vor allem dort komparative Vorteile entwickeln können, wo die modernen Institutionen von Markt und Staat lückenhaft, defekt oder noch gar nicht entstanden sind: social business setzt gerade nicht vornehmlich dort an, wo das Kapitalismus 1.0 bereits voll entwickelt ist. Insofern geht es in diesen Fällen nicht um die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft hin zu einem Kapitalismus 2.0, sondern vielmehr um das Kompensieren jener institutionellen Lücken, die einer Inkraftsetzung einer funktionierenden Marktwirtschaft zuallererst noch im Wege stehen. Gerade mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer zeigt sich dabei, dass gravierende Defizite der Rahmenordnung häufig aus einer Schwäche der staatlichen Institutionen resultieren: Anstatt an einer Weiterentwicklung der Marktwirtschaft hin zum Kapitalismus 2.0 zu arbeiten, leistet social business in vielen Fällen eher einen Beitrag zur Weiterentwicklung des noch unterentwickelten „Nationalstaates 0.1“.4 4
Die Rolle von Sozialunternehmertum für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft
Im Hinblick nun auf die Weiterentwicklung der Marktwirtschaft lautet die Frage: Wie können sich die unsichtbare und die sichtbare Hand unternehmerischen Handelns bei der zukünftigen Lösung gesellschaftlicher Probleme tatsächlich sinnvoll ergänzen? Der Blick in die Vergangenheit und die Bedeutung von Institutionen Auch wenn die folgenden Überlegungen in der hier gebotenen Kürze notwendigerweise an der Oberfläche bleiben müssen, kann ein Rückgriff auf Ergebnisse der neueren Wirtschaftsgeschichtsforschung interessante Denkanstöße geben. Nicht nur die Ergebnisse des Wirtschaftshistorikers Gregory Clark (2007), sondern auch weitere Forschungen etwa von Angus Maddison (2001, 2005) präsentieren einen dramatischen Befund: Während nahezu der gesamten Menschheitsgeschichte stagnierte der menschliche Wohlstand praktisch auf niedrigstem
4 Diese Formulierung verdanke ich Tobias Lorenz.
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Level, um dann seit dem frühen 19. Jahrhundert exponentiell zu wachsen und ein historisch völlig unbekanntes Niveau zu erreichen. Was hat diese Wohlstandsdynamik möglich gemacht? Die wohlwollend pointierte These lautet: Dieser Epochenwechsel ist nicht darauf zurückzuführen, dass sich irgendwann im frühen 19. Jahrhundert die Natur des Menschen geändert hat und die Wirtschaftsakteure nach Jahrtausenden des Eigennutzes über Nacht zu gemeinwohlorientierten Bürgern geworden sind. Vielmehr legen die Arbeiten von Wirtschaftshistorikern wie Douglass North (1981, 1990, 2005) oder Ökonomen wie William Baumol (1993, 2002, 2010) nahe, dass das moderne „Wachstumswunder“ auf fundamentale institutionelle Veränderungen zurückzuführen ist. Durch diese Governance-Innovationen gelang es, das Eigeninteresse der Akteure in Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft so zu kanalisieren, dass es in den Dienst gesellschaftlicher Anliegen genommen wurde. Damit wurde eine historisch einmalige Aufwärtsspirale in Gang gesetzt, die nicht nur einen höheren Lebensstandard, einen besseren Gesundheitszustand und eine höhere Lebenserwartung hervorgebracht hat, sondern auch wirtschaftliche, politische und kulturelle Freiheiten für einen Pluralismus individualisierter Lebensentwürfe. Historisch betrachtet, baut die Erfolgsgeschichte der Moderne folglich nicht darauf auf, dass wir das Gros unserer vielfältigen und komplexen gesellschaftlichen Probleme direkt durch das intentionale Wollen der einzelnen Akteure lösen. Vielmehr ist es uns in vielen Bereichen gelungen, gesellschaftliche Probleme gerade dadurch nachhaltig zu adressieren, dass wir uns eine indirekte, systemische Problemlösung nutzbar machen. Der Schlüssel zur Leistungsfähigkeit der Moderne liegt daher in jenen Institutionen, die in der Politik wie auch im Wirtschaftssystem das gesellschaftliche Zusammenleben kanalisieren, Probleme aussteuern und Bedürfnisse befriedigen. Doch wo kommen diese funktionalen Innovationen eigentlich her? Und welche Rolle können SEOs in diesem Prozess spielen? Social Entrepreneurs als institutionelle Innovatoren Eine Möglichkeit, Sozialunternehmertum zu definieren besteht darin, wie anfangs eine intentionsorientierte Definition vorzunehmen und auf die primäre Motivation eines Unternehmers zu schauen. Eine zweite Möglichkeit besteht in einer funktionalen Definition von social entrepreneurship. Während eine intentionale Definition auf bestimmte motivationale Besonderheiten eines Akteurs
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blickt, fokussiert eine funktionale Definition auf die Wirkung eines Akteurs in seinem Umfeld. So verstanden, geht es bei SEO um die Funktion eines Akteurs, für ein bisher ungelöstes gesellschaftliches Problem eine innovative Lösung zu generieren – und zwar unabhängig davon, ob diese Problemlösung aus Sicht des Akteurs das primäre Ziel oder eine Nebenfolge des unternehmerischen Handels darstellt [siehe hierzu auch den Beitrag von Oldenburg]. Folgen wir einer solchen funktionalen Definition, dann können nicht nur social businesses eine sozialunternehmerische Funktion übernehmen, sondern auch NGOs oder klassische for-profit-Unternehmen.5 Zu denken ist etwa an das Beispiel von Alfred Krupp, der im Zeitalter der Industrialisierung die Institutionen der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung privat innovierte, bevor diese durch Bismarck zur Blaupause der modernen Sozialversicherungssysteme avancierten (Hielscher/Beckmann 2009). Obwohl Krupp somit sicherlich kein social business, sondern eine klare Gewinnorientierung verfolgte, erfüllte er de facto ähnliche Funktionen, wie sie Muhammad Yunus mittels des „social business type II“-Ansatzes auf lokaler Ebene erbringen will.6 Blicken wir aus einer solchen funktionalen Perspektive auf SEO, wird deutlich, dass es sich bei gewinnorientierten Unternehmen und missionsorientierten SEOs aus gesellschaftlicher Sicht erneut um alternative Mittel handelt, die eine bestimmte Funktion erfüllen – hier: das Generieren von institutionellen Innovationen. Social Entrepreneurship und die Funktionalität einer sozialen Mission Wie das Beispiel Krupp illustriert, können auch gewinnorientierte Unternehmen bahnbrechende institutionelle Innovationen leisten, die dort gravierende gesellschaftliche Missstände verbessern, wo die etablierten Institutionen des Staates und des Marktes zuvor versagt hatten. Auch in der Diskussion über Armutsbekämpfung durch base-of-the-pyramid-Ansätze wird gewinnorientierten Unternehmen eine wichtige Rolle zugeschrieben (Prahalad 2004; Hart/London 2005). 5 Als Beispiel für die sozialunternehmerische Funktion einer klassischen non-profit-NGO sei etwa an Transparency International (TI; www.transparency.org) zu denken. Mit dem Instrument des Integrity Pacts hat TI eine institutionelle Innovation entwickelt und bereitgestellt, die einen wichtigen Beitrag dazu leistet, das Problem der Korruption innerhalb des Wirtschaftssystems zu überwinden. 6 Mit einem „type II social business“ ist ein social business gemeint, bei dem nicht die Produkte durch bspw. günstige Preise den Bedürftigen helfen. Vielmehr bedient ein social business zahlungskräftige Kundschaft und investiert den Gewinn dann in eine Besserstellung der lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Community (http://www.muhammadyunus.org/socialbusiness/social-business; letzter Aufruf: 12.11.2010).
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Nichtsdestotrotz legt die hier entwickelte Einordnung von social entrepreneurship und social business die These nahe, dass missionsorientierte SEOs gegenüber gewinnorientierten Unternehmen aus mehreren Gründen einen komparativen Vorteil haben, tatsächlich weitreichende und disruptive institutionelle Innovationen zu generieren.
Erstens haben missionsorientierte SEOs häufig einen längeren Zeithorizont als gewinnorientierte Unternehmen und können daher Strategien verfolgen, die erst nach einem langen Vorlauf ihre Wirtschaftlichkeit beweisen. Für viele komplexe soziale Probleme müssen Lösungsstrukturen erst mühsam aufgebaut werden. Das Beispiel der Grameen Bank zeigt, dass oft Jahrzehnte vergehen, bis der finanzielle Erfolg gesichert ist. Gewinnorientierte Unternehmen, die ihren Anteilseignern über den kurz- und mittelfristigen Erfolg ihrer Aktivitäten Auskunft geben müssen, haben weniger Freiheitsgrade, in sehr langfristige und mit hoher Unsicherheit behaftete Innovationen zu investieren. Zweitens verfolgen missionsorientierte SEOs eine andere Innovationsheuristik. Auch gewinnorientierte Unternehmen können gesellschaftliche Probleme als Ausgangspunkt für die Suche nach noch unausgeschöpften Wertschöpfungspotentialen nehmen. Die Suchanweisung orientiert sich dann daran, wo die Lösung eines gesellschaftlichen Problems größtmögliche Vorteile für das Unternehmen generiert. Ist ein Unternehmen mit einem Projekt nicht erfolgreich, bricht es dieses ab und sucht nach dem nächsten Projekt, das den meisten Erfolg verspricht, und zwar womöglich in einem ganz anderen Bereich. Eine SEO mit einer klar definierten Mission ist hingegen auf eine bestimmte Problemstellung festgelegt und daher bestrebt, solange unermüdlich nach neuen Ansätzen zu suchen, bis tatsächlich eine Lösung gefunden wird. Drittens haben missionsorientierte SEOs Zugang zu erfolgswichtigen Ressourcen, der gewinnorientierten Unternehmen tendenziell weniger offen steht. Viele Erfolgsbeispiele machen deutlich, dass SEOs ihre Problemlösung nicht im luftleeren Raum erfinden, sondern gezielt auf bestehende Strukturen und Ressourcen aufbauen. So kommt im Mikrokredit-Geschäftsmodell der Grameen Bank lokalen Frauengruppen eine zentrale Bedeutung zu. Neben der Zusammenarbeit von SEOs mit NGOs oder Stiftungen spielt zudem die Einbindung von ehrenamtlichen oder freiwilligen Kooperationspartnern in vielen Fällen eine wichtige Rolle. Hier können missionsorientierte SEOs einen Vertrauensvorteil geltend machen, der ein breiteres Spektrum an Kooperationsarrangements möglich macht.
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Missionsgetriebene SEOs haben somit gegenüber gewinnorientierten Unternehmen Vorteile, wenn es darum geht, Probleme zu adressieren, die ansonsten durch das Raster bestehender Institutionen fallen. Als Transformationsagenten suchen sie hartnäckig nach alternativen Lösungsansätzen, die hinderliche Pfadabhängigkeiten gegebenenfalls zu durchbrechen vermögen. 5
Fazit
Unternehmerisches Handeln, das gezielt oder als Nebeneffekt zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt, hat es schon immer gegeben. Hinsichtlich der Erwartung, SEOs stellten nicht nur einen neuen, sondern auch einen per se besseren Ansatz zur Lösung gesellschaftlicher Probleme dar als gewinnorientierte Unternehmen, zeigt sich ein differenzierteres Bild. Aus gesellschaftlicher Sicht sind Sozialunternehmen und gewinnorientierte Unternehmen keine konkurrierenden Ziele, sondern alternative Mittel. Je nach Kontextbedingungen haben sie dabei unterschiedliche Spezialisierungsvorteile auf mindestens zwei Ebenen. Die erste Ebene bezieht sich auf die effiziente Implementierung etablierter und erprobter Wertschöpfungslösungen. Hier lautet die These: Eine dauerhaft nachhaltige und in der Breite skalierbare Lösung ist vor allem dann möglich, wenn es durch ein institutionelles Arrangement gelingt, gesellschaftliche Bedürfnisse im Windschatten der individuellen Zielverfolgung der handelnden Akteure zur Geltung zu bringen. Dies kann im Markt durch die funktionale Indienstnahme gewinnorientierter Unternehmen geschehen. Ebenso können, beispielsweise im Fall der Bereitstellung öffentlicher Güter, effiziente staatliche Strukturen diese Aufgabe übernehmen. Grundsätzlich lautet die Idee, eine Problemlösung nicht gegen, sondern mithilfe der gesellschaftlichen Systemimperative in Stellung zu bringen. Für den Kontext marktlichen Wettbewerbs heißt das, dass gewinnorientierte Unternehmen zur effizienten Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse das zweckmäßigere Mittel darstellen können. Diese Aussage ist freilich an die Annahme geknüpft, dass eine systemische Lösung bereits auf einer perfekten institutionellen Rahmenordnung aufbauen kann. Wo diese perfekten Institutionen (bisher) jedoch fehlen, können sich missionsgetriebene SEOs als vorteilhaftes Mittel erweisen, um bisher ungelöste Probleme im Sinne einer second-best-Lösung anzugehen. Eine first-best-Lösung hingegen setzt zuallererst die Schaffung geeigneter Institutionen voraus. Damit stellt sich auf einer zweiten Ebene die Frage, wo denn jene institutionellen Innovationen herkommen, die das Potential haben, neue Wertschöp-
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fungslösungen in Kraft zu setzen. In dieser Hinsicht haben SEOs gegenüber herkömmlichen Unternehmen komparative Vorteile. Sie können als social business neue Wertschöpfungslogiken innovieren, die am Markt bestehen. SEO kann aber auch den „proof of concept“ für Lösungsansätze liefern, die Anregungen dafür geben, wie der Staat seine Aufgabenerfüllung verbessern kann. So gesehen, haben SEOs eine wichtige Doppelfunktion. In statischer Hinsicht kompensieren sie als eine Art second-best-Lösung Lücken im bestehenden System, wo first-best-Lösungen (noch) nicht möglich sind. In dynamischer Hinsicht liefern sie jene institutionellen Innovationsanregungen, derer es bedarf, um das System in Richtung first-best-Lösungen weiterzuentwickeln. Versteht man SEOs in diesem Sinne als Transformationsagenten, wird deutlich, dass sie zwar eine große Bedeutung für die Zukunft des Kapitalismus haben, aber nicht mit dieser Zukunft gleichzusetzen sind. Denn langfristig zielen SEOs darauf ab, das Problem zu lösen, an dem sie arbeiten. Mithin besteht der Fluchtpunkt des Mikrokreditansatzes nicht darin, dass irgendwann alle Menschen dieser Erde Mikrokredite brauchen, sondern dass möglichst bald das Problem der Armut so erfolgreich überwunden wird, dass die Inklusion aller Menschen in die ‚normalen‘ Finanzmärkte möglich und selbstverständlich wird. Insofern besteht die Hoffnung, dass social entrepreneurship und social business mit Blick auf die konkreten Einzelprobleme – sei dies Analphabetismus, Kindersterblichkeit oder die Integration von Behinderten – ein Übergangsphänomen darstellen, weil das jeweilige Problem irgendwann erfolgreich gelöst wird. Aber selbst in hoch entwickelten Ländern gehen uns die gesellschaftlichen Probleme nicht aus – um für diese langfristige institutionelle Lösungen zu finden, brauchen wir starke Innovationsmotoren. Social entrepreneurship und social business haben in diesem Sinne für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft noch sehr viel zu bieten. Quellenverzeichnis Abouleish, Ibrahim (2004): Die Sekem-Vision. Eine Begegnung von Orient und Okzident verändert Ägypten. Stuttgart/Berlin. Baumol, William J. (1993): Entrepreneurship, productive, unproductive and destructive. In: Journal of Political Economy, 98/1993/5: 893-921. Baumol, William J. (2002): The free-market innovation machine. Analyzing the growth miracle of capitalism. Princeton/Oxford. Baumol, William J. (2010): A micro-theory of innovative entrepreneurship. Princeton. Beckmann, Markus (2011): The social case as a business case: Making sense of social entrepreneurship from an ordonomic perspective. In: Koslowski/Pies (2011) (im Erscheinen).
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Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat Hybride Organisationen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft Rolf G. Heinze, Katrin Schneiders und Stephan Grohs
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Einleitung
Der deutsche Wohlfahrtsstaat galt lange Zeit als Idealtypus des konservativen Wohlfahrtsstaates mit einem dominierenden Sozialversicherungsprinzip, einer Dezentralisierung residualer Leistungen und stark korporatistisch geprägten Dienstleistungsstrukturen (Schmid 2010). Der „Markt“ nahm in diesen Arrangements nur eine marginale Bedeutung ein. Einige der zentralen Organisationsprinzipien gerieten im vergangenen Jahrzehnt jedoch durch Finanzierungsprobleme und den Einfluss neuer Deutungsschemata unter Veränderungsdruck (Heinze 2009). Vor diesem Hintergrund gewinnen auch Diskussionen um neue „Spieler“ in der Produktion sozialer Dienstleistungen an Vehemenz. Neben der in diesem Buch betrachteten Bedeutung von social entrepreneurship [ebenso wie Sozialunternehmen und Sozialunternehmer im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] spielen Diskussionen um Sozialunternehmertum, Privatisierung und Public Private Partnerships eine zunehmende Rolle. Wie diese neuen Akteure in etablierte Strukturen der Wohlfahrtsproduktion eingebunden werden, wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung dagegen noch unzureichend behandelt. Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag folgende Fragen aufgegriffen:
Welche Rollen kann SEO im etablierten System der Wohlfahrtsproduktion spielen, welche sind hier gemeinwohlzuträglich und innovativ, wo treten aber auch unnötige Doppelstrukturen und kontraproduktive Reibungen auf? Handelt es sich bei SEOs um „Lückenbüßer“ oder Innovationsinkubatoren? Inwiefern treten auch etablierte Wohlfahrtsproduzenten als SEO auf? Welche Mechanismen zeichnen SEOs aus und welche Mechanismen/Handlungsorientierungen werden von SEOs ausgefüllt?
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Wie können SEOs produktiv in etablierte Strukturen eingepasst werden und Kooperationsstrukturen aufgebaut werden, die etablierte und neue innovative Lösungen ermöglichen? Stichworte sind hier Vernetzung und Schnittstellenmanagement. Wo liegen die „Einfallstore“ für soziale Unternehmen als hybride Organisationen, wie reagieren die traditionellen Anbieter sozialer Dienste, allen voran die Wohlfahrtsverbände auf diese Herausforderung? Social Entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat: Herausforderungen und etablierte Strukturen
Bereits seit mehr als 30 Jahren wird die Zukunftsfähigkeit der Finanzierung sozialer Dienstleistungen diskutiert – vor allem angesichts steigender Ausgaben bei gleichzeitig stagnierenden öffentlichen Einnahmen. Mittlerweile umfasst das Sozialbudget in Deutschland mehr als 750 Mrd. Euro (BMAS 2010). Über 40 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes werden für Leistungen im Bereich Arbeit, Soziales und Gesundheit verausgabt. Ein beträchtlicher Teil sozialer Dienstleistungen wird zudem kommunal finanziert. Gemäß dem Gemeindefinanzbericht 2010 werden rund ein Viertel der kommunalen Ausgaben direkt für soziale Leistungen aufgewendet. Dieser Anteil stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich an und hat in der Summe 2009 erstmals die 40 Milliardengrenze überschritten (Anton/Diemert 2010: 11). Dabei sind die Aufwendungen für kommunales Personal und Sachmittel im Bereich der Sozialverwaltung und der sozialen Dienste noch nicht enthalten. Insbesondere für die Kommunen stellt sich das Problem, dass sie über ihre Einnahmen nur bedingt selbst bestimmen können und steigenden Gestaltungsaufgaben nur stagnierende Gestaltungsmittel gegenüberstehen (Grohs 2010b). In den kommenden Jahren wird sich die Situation aufgrund sich bereits abzeichnender demographischer und sozialstruktureller Entwicklungstrends eher noch verschärfen. Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass in Zukunft von steigenden Bedarfen im Bereich sozialer Dienstleistungen auszugehen ist (Evers et al. 2011). Insbesondere der demographische Wandel mit einer steigenden Zahl von älteren nicht (mehr) erwerbstätigen Menschen und Hochaltrigen wird zu wachsenden Ausgaben in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Pflege führen (vgl. Heinze/Naegele 2010). Hinzu kommen sozialstrukturelle Veränderungen (mehr Ein- bzw. Kein-Kind-Familien, steigende Scheidungszahlen sowie eine steigende Frauenerwerbstätigkeit), die gekoppelt mit erhöhten Mobilitäts-
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anforderungen auf den Arbeitsmärkten dazu führen werden, dass sich potenzielle (und heute im Bereich der Pflege immer noch zentrale) familiäre Hilfen eher reduzieren werden (Schneiders 2010: 137ff). Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe sieht die Entwicklung anders aus. Die rückläufigen Kinderzahlen führen hier z.T. zur Unterauslastung der Infrastrukturen, die allerdings durch den Ausbau der Tagesbetreuung für Unter-Dreijährige und die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit teilweise kompensiert werden. Gerade in geburtenschwachen Regionen der neuen Bundesländer ist aber tendenziell eine Überversorgung zu verzeichnen. Während die Bedarfe in der Kinderbetreuung in Zukunft in toto eher stabil bleiben, ist im Bereich der Jugendhilfe mit ihren ambulanten und stationären Hilfestrukturen trotz der rückläufigen Kinderzahlen eine verstärkte Inanspruchnahme zu verzeichnen. Seit Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ist hier eine nominale Verdopplung des Ausgabenvolumens festzustellen (Grohs 2010a: 145). Der Wandel von Familienstrukturen, wie die zunehmende Zahl an Alleinerziehenden und so genannter Patchwork-Familien, bringt eine größere Heterogenität in die Lebensverläufe junger Menschen, die mitunter in größeren Betreuungsbedarfen münden. Hinzu kommen auch hier abnehmende familiale Unterstützungsstrukturen. Diese Entwicklungen führen zu einem höheren Bedarf an individueller Förderung, der an die Kommunen als verantwortlichem Träger der Kinder- und Jugendhilfe herangetragen wird. Die öffentliche Hand reagierte auf die anwachsenden Aufgaben mit der Implementation neuer Steuerungsformen, die unter den Stichworten „Managerialisierung“ und „Ökonomisierung“ subsumiert werden können (Evers/Heinze 2008; Heinze 2009: 61ff). Diese zielen weniger auf einen Abbau von Leistungen, als einen effizienteren und wirkungsvolleren Einsatz der zur Verfügung stehenden Ressourcen und die Aktivierung von stärkerem Wettbewerb um Qualität und Leistung ab – auch mit privaten Akteuren und social entrepreneurs. Im Bereich der Sozialen Dienste führte dies zur Übertragung betriebswirtschaftlicher Instrumente und Rationalitätsprinzipien auf traditionell unternehmensfern konstituierte Organisationen. Bedingt durch die traditionell duale Aufspaltung der sozialen Dienste in öffentliche und freie Träger findet sich der Managementdiskurs in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre in zwei wesentlichen Spielarten: Für den öffentlichen Bereich war das Neue Steuerungsmodell (NSM) dominierender Trend in der Übertragung betriebswirtschaftlicher Prinzipien auf die öffentlich getragenen sozialen Dienste (Bogumil et al. 2007). Im Bereich der freien Träger dominierte der ‚Sozialmanagement‘-Begriff die ähnlich gelagerten Umgestaltungsdiskussionen [siehe hierzu den Beitrag von Gergs]. Im Schnitt-
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stellenbereich zwischen öffentlichen Trägern (als „Auftraggebern“) und freien Trägern (als „Auftragnehmern“) wurde zudem Kontraktmanagement zum Bindeglied der Modernisierungsarenen (Grohs/Bogumil 2011). Damit verbunden ist die Einführung wettbewerblicher Elemente wie die Abkehr vom Kostendeckungsprinzip und die Aufhebung der Privilegierung der freigemeinnützigen Träger bzw. Anbietern von sozialen Dienstleistungen. Hierdurch wurde die Abkehr vom korporatistischen Modell der Leistungserstellung in allen einschlägigen Sozialgesetzbüchern eingeläutet. In Deutschland wird – trotz aller Privatisierungs- und Ökonomisierungstendenzen – weiterhin ein Großteil der sozialen Dienstleistungen durch sog. „freigemeinnützige“ Träger erbracht. Diese stehen seit den 1990er Jahren allerdings aufgrund der neuen Steuerungsformen sowie innerverbandlicher Strukturprobleme unter erheblichem (Modernisierungs-)Druck (Heinze et al. 1997; Liebig 2005). Mit der Abkehr vom Kostendeckungs- hin zum Budgetprinzip, der Einführung wettbewerblicher Elemente bei der Vergabe von öffentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen und der zumindest partiellen Gleichstellung privat-gewerblicher mit den ehemals privilegierten freigemeinnützigen Dienstleistungsanbietern werden die Wohlfahrtsverbände – als die zentralen Träger sozialer Dienstleistungen – vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Jahrzehntelang haben die Einrichtungen und Angebote, die direkt oder mittelbar den fünf großen Wohlfahrtsverbänden (Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt sowie der Paritätische Wohlfahrtsverband) angehören, den ganz überwiegenden Anteil sozialer Dienstleistungen erbracht. Sowohl im Gesundheitssektor als auch in der Altenhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Behindertenhilfe verfügen die der BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege) angehörenden Verbände über erhebliche personelle und infrastrukturelle Kapazitäten. 2008 arbeiteten in über 100.000 Einrichtungen und ambulanten Angeboten der Wohlfahrtsverbände über 1,5 Mio. Beschäftigte, in denen fast 4 Mio. Menschen gepflegt, versorgt, betreut, aktiviert und beraten werden (BAGFW 2009). Die Wohlfahrtsverbände sind damit seit den 1970er Jahren zu einem der größten Arbeitgeber Deutschlands avanciert, der quantitativ betrachtet nicht den Vergleich mit großen internationalen Konzernen scheuen muss. Auf die neuen Steuerungsmodelle reagierten die etablierten wohlfahrtsverbandlichen Träger unterschiedlich. Das Spektrum der Reaktionen reichte von der punktuellen Einführung betriebswirtschaftlicher Instrumente (Controlling/Marketing) bis hin zur Ausgründung von eigenständigen privat-gewerblichen Service-Gesellschaften (Dahme et al. 2005; Grohs 2010a; Schneiders 2010).
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Neben Modernisierungsprozessen bei den freigemeinnützigen und einer Expansion der privat-gewerblichen Anbieter in einigen Bereichen sind im Feld der sozialen Dienstleistungen in den letzten Jahren Verknüpfungen von sozialem Engagement und unternehmerischem Handeln erkennbar, die medienwirksam unter dem Label „Social Entrepreneurship“ vermarktet werden. Die Thematisierung der Verknüpfung von unterschiedlichen Handlungsorientierungen innerhalb einer Organisation ist indes nicht neu. Das Konzept des „Dritten Sektors“ greift gerade solche Organisationen auf, die sich keinem der drei Sektoren „Markt“, „Staat“ oder „Gemeinschaft“ zuordnen lassen (zusammenfassend Evers/Ewert 2010; Salamon/Anheier 1996). Neu ist indes der Hype nach dem Motto „Everyone can change the world“ (Bornstein 2007; Elkington/Hartigan 2008; Bornstein/Davis 2010), mit dem ausgewählte Gründerpersönlichkeiten insbesondere von Mittlerorganisationen in Szene gesetzt werden und mittlerweile eine große Zahl von semiwissenschaftlichen Beiträgen hervorgebracht hat. Es stellt sich die Frage, ob es sich bei diesen Organisationen um eine originär neue Form der Leistungserstellung handelt, die gegenüber den etablierten Trägern über spezifische Vorteile verfügt und ob diese zu einer Lösung des Dilemmas von zunehmenden Bedarfen bei gleichzeitig stagnierenden öffentlichen Ressourcen beitragen können. 3
Social Entrepreneurship – Begriffliche Annäherung
Bislang hat sich in Deutschland keine einheitliche Definition des aus dem Angelsächsischen stammenden Begriffs „Social Entrepreneurship“ durchsetzen können. Neben der Abhängigkeit vom jeweiligen institutionellen Kontext variieren die Interpretationen dessen, was unter SEO zu verstehen ist, mit der wissenschaftlichen Disziplin, aber auch mit der Motivation, Message oder Handlungsorientierung der den Begriff verwendenden Autorinnen und Autoren. Vielfach fokussiert SEO auf die Erfassung der einzelnen, förderungswürdigen social entrepreneurs als Teilausschnitt des organisationssoziologischen Phänomens SEO. Dieses Verständnis ist geprägt von einer starken Fokussierung auf einzelne Initiatoren bzw. Handelnde. Die Akteurszentrierung resultiert aus der hervorstechenden Stellung einer Einzelperson für die Organisation. Entweder hat sie die Erschließung eines neuen Handlungsfelds initiiert oder eine neue, den herausragenden Erfolg der Organisation begründende, Herangehensweise an ein gesellschaftliches Problem eingeführt. Die in diesem Sinne verstandenen social entrepreneurs finden ihre Motivation in dem Willen, eine drängende ge-
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sellschaftliche Frage zu bearbeiten. Ein solches Verständnis wird beispielsweise der Förderung mit Stipendien durch Ashoka zugrunde gelegt (Ashoka 2010). Die Risikobereitschaft begründet sich hier aus einer philanthropischen Haltung: meist ist das Engagement biographisch erklärbar. Dies mag im Hinblick auf eine Lenkung der medialen Aufmerksamkeit zweckmäßig sein, begrenzt allerdings den Untersuchungsgegenstand auf eine äußerst kleine Gruppe von Akteurinnen und Akteuren. Ausgehend von den Teilbegriffen ‚Social‘ und ‚Entrepreneurship‘ umfasst social entrepreneurship in Deutschland jedoch ein sehr viel weiteres Akteurspektrum und ein breites Angebotsfeld. Als „social“ können solche „entrepreneurships“ bezeichnet werden, die in zweifacher Weise gesellschaftliche Relevanz aufweisen: hinsichtlich ihres Aufgabenspektrums und ihrer Ausstrahlungskraft in die Gesellschaft. Der Tätigkeitsbereich sollte insofern Dienstleistungen umfassen, die sich an Menschen in besonderen Problemlagen bzw. mit besonderen Hilfebedarfen richten und dazu dienen, diese Problemlagen zu reduzieren und Hilfebedarfe zu befriedigen. Die den SEOs von uns unterstellte Gemeinwohlorientierung äußert sich in den realisierten Effekten und ist konstitutives Element der jeweiligen Unternehmenskultur. Der Begriff des „Unternehmerischen“ (entrepreneurship) kann im organisationssoziologischen Sinne als innovationsorientiertes, strategisches und seine Risiken selbst verantwortendes Handeln von Organisationen verstanden werden. Unternehmerisches Handeln zeichnet sich einerseits durch seine strategische Orientierung aus: Es ist in Abgrenzung zu bürokratischem Handeln an Zielen und Ergebnissen orientiert und nicht an einer ‚Abarbeitung‘ vorgegebener Aufgaben. Strategisches Handeln heißt auch die Nutzung von Verfahren und Instrumenten, die es ermöglichen, rechtzeitig auf ein Nichterreichen der Ziele zu reagieren (Management). Zweites Kennzeichen unternehmerischen Handelns ist die Innovationsorientierung. Ziel dieser Orientierung ist es, neue Handlungsfelder zu entdecken und zu bearbeiten oder bekannte Felder (durch Evaluation) neu anzugehen. Drittes Kennzeichen ist die Verantwortlichkeit für mögliches Scheitern, also eine Internalisierung des eigenen Geschäftsrisikos. Aus organisationssoziologischer Perspektive handelt es sich bei SEOs um hybride Organisationen (Evers et al. 2002; Priddat 2009a; Billis 2010), die verschiedene Handlungsorientierungen integrieren. Demzufolge sind auch verschiedene Varianten vorhanden. SEO bewegt sich dabei zwischen den Polen einer marktgetriebenen – auch gewinnorientierten – Orientierung, einer an gemeinschaftlichen Werten orientierten Perspektive und einer auf das „große Ganze“ gerichteten „staatsorientierten“ bürokratischen Rationalität. SEOs weisen –
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so die These – eine besondere Form des Mischungsverhältnisses dieser drei Handlungsorientierungen auf. „Hybridity is not therefore any mixture of features from different sectors, but according to this view, is about fundamental and distinctly different governance and operational principles in each sector“ (Billis 2010: 3; vgl. auch Brandsen et al. 2010). SEOs können daher, müssen aber keine non-profit-Organisationen im Sinne des „Dritten Sektors“ sein. Denn entgegen der von Salamon/Anheier (1996: 125ff) entwickelten Kriterien für Dritte Sektor-Organisationen weisen sie zumindest zeitweise keine formale Struktur auf und können neben einer Gemeinwohl- auch eine Profitorientierung aufweisen.1 SEO kann nicht nur in Bezug auf die Integration verschiedener Handlungsorientierungen als hybrid bezeichnet werden, auch die Organisationsstruktur kann keiner Rechtsform eindeutig zugeordnet werden. So ist SEO nach der oben skizzierten Definition sowohl als Einzelunternehmen, Stiftung, gemeinnütziger Verein/Verband als auch in Form von Public Private Partnership (PPP) denkbar. Das Spektrum reicht dabei von der unternehmensnahen Stiftung mit einem Budget von mehreren Mio. Euro über den Mitarbeiterstab eines Konzerns bis hin zur Initiative Einzelner, die sich eines von ihnen als drängend empfundenen sozialen Problems annehmen. Im Umfeld dieses SEO-Phänomens haben sich eine Reihe von weiteren Begriffen etabliert, die Schnittstellen mit den hier im Mittelpunkt stehenden Organisationen aufweisen, definitorisch von ihnen jedoch abzugrenzen sind, wie „Soziale Unternehmen“, aber auch die inzwischen breite Diskussion um „Corporate Social Responsibility“ (CSR) und „Corporate Citizenship“ (BackhausMaul et al. 2010). So steht anders als bei „Sozialen Unternehmen“ bei SEOs keine arbeitsmarktpolitische Motivation im Vordergrund. Mit dem Begriff „Soziale Unternehmen“ werden bisher vielmehr Organisationen bezeichnet, die Problemgruppen des Arbeitsmarktes eine Beschäftigungsperspektive bieten (Defourny/Nyssens 2010). Soziale Unternehmen bewegen sich am Markt insofern, als sie Produkte und Dienstleistungen anbieten, aber auch sozialpädagogische bzw. weiterbildende Elemente in den laufenden Betrieb integrieren. Die Lohnkosten für die Beschäftigten sowie für den Overhead aus fach- und sozialpädagogischem Personal werden nur zum Teil aus der Vermarktung der Produkte und Dienstleistungen bestritten, i.d.R. werden die Sozialen Unternehmen im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Förderprogramme durch die öffentliche Hand subventioniert. 1 Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die der John-Hopkins-Studie zugrunde liegende Definition von Dritte Sektor Organisationen als Residualkategorie (weder eindeutig „Markt“ noch eindeutig „Staat“) der tatsächlichen Struktur und Ausgestaltung der unter diesem Label zusammengefassten Organisationen immer weniger gerecht wird (zu UK und USA vgl. Billis 2010).
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Analogien zwischen social entrepreneurship und dem Begriff „Corporate Social Responsibility“ können sich hinsichtlich der strategischen Vorgehensweise, den Handlungsfeldern und der praktischen Ausgestaltung von Konzepten zeigen. Da CSR jedoch hauptsächlich von privatwirtschaftlichen Organisationen mit Renditeorientierung ausgeht, muss eine Unterscheidung hinsichtlich des Aktionsrahmens, der Initiatorinnen bzw. Initiatoren und der übergeordneten Zielorientierung getroffen werden. Unternehmerische CSR kann zwar mit einer Vielzahl von Faktoren wie Unternehmenskultur, Reputation, Renditesteigerung, Risikosicherung, gesellschaftliche Legitimation sowie der Notwendigkeit, Humanvermögen und -kapital aufzubauen, begründet werden. Dennoch ist die strategische Orientierung von CSR untrennbar mit den übergeordneten Unternehmenszielen verknüpft, wodurch sie weniger auf eine aktive Gestaltung der Gesellschaft und deren Rahmenbedingungen fokussiert, als vielmehr eine Antizipation und Reaktion auf Umweltbelange anstrebt. CSR dient demnach der Verbesserung und Anpassung bestehender Strukturen des unternehmerischen Handelns und ist daher systemimmanent. SEO weist dagegen eine größere Heterogenität auf und zeichnet sich durch Innovativität, Hybridität und transzendente Lösungsansätze aus, die mit unternehmerischen Mitteln erreicht werden sollen, jedoch nicht zwangsläufig renditeorientiert sind.
Produktionsbedingungen
Marktlich Sozial
Social Entrepreneurship
Privat-gewerbliches
Non-Profit-Organisation
Social Enterprise
Unternehmen (Soziales Unternehmen) Sozial
Marktlich Produkt
Abbildung 1: Social Entrepreneurship im Kontext
Daten zur Zahl der Organisationen und ihrer Beschäftigten sowie den von ihnen bearbeiteten Tätigkeitsfeldern sind bislang jenseits der eindeutig dem privatgewerblichen Unternehmen zuzuordnenden Organisationen, für den auch amtliche Statistiken vorliegen, nur in unsystematischer Form vorhanden. Dies ist vor allem auf die Hybridität der Organisationen zurückzuführen, die eine eindeutige Zuordnung erschwert. Der hier interessierende SEO-Sektor wird in Deutschland aber um ein Vielfaches größer sein, als die bei Ashoka (www.ashoka.org) und der Schwab Foundation (www.schwabfound.org) akkreditierten 27 bzw. 6 „Fel-
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lows“ bzw. „Social Entrepreneurs“. Im Folgenden explizieren wir, warum insbesondere der soziale Dienstleistungssektor von Organisationen, die dem Typ SEO zuzuordnen sind, geprägt ist.2 4
Produktionsbedingungen im sozialen Dienstleistungssektor
Die Produktion sozialer Dienstleistungen ist ein komplexer Prozess. Zur Komplexität tragen sowohl die Spezifika der Dienstleistungen selbst (wie z.B. das uno actu-Prinzip bzw. die Koproduktion durch die Klienten und die schwierige Qualitätsbeurteilung) als auch die jeweiligen Austauschprozesse zwischen Konsumierenden und Produzierenden bei (Evers et al. 2011). Zwischen ihnen besteht eine Asymmetrie bezüglich des Wissens um die Notwendigkeit einerseits und die qualitative Ausgestaltung des Dienstleistungsprozesses andererseits. Konsumentensouveränität ist nicht nur hinsichtlich des Umfangs und der Art der Dienstleistungen limitiert, sondern auch wegen der häufig eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten und/oder individueller Fähigkeiten. So wird von einem delinquenten Jugendlichen der Bedarf an Hilfe nicht wahrgenommen und auch die angebotenen sozialen Dienstleistungen werden von ihm weder ausgewählt noch sind sie in ihrer Qualität von ihm beurteilbar. Die Diskussion um Qualitäts- und Wirkungsmessung ist in diesem Feld zwar umfangreich, jedoch noch weit davon entfernt, etablierte Standards gefunden zu haben. In anderen Hilfefeldern wie der Altenpflege wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Steuerungsmaßnahmen ergriffen, um die Transparenz im Sektor zu erhöhen (Qualitätsberichte, Pflegenoten). Hinzu kommt eine hohe Regulationstiefe, die den Spezifika geschuldet ist, aber auch damit zusammenhängt, dass ein Großteil der sozialen Dienstleistungen eben nicht im Rahmen von Marktprozessen zwischen Kunden und Produzenten (Dienstleistung gegen Geld), sondern in einem Dreiecksverhältnis zwischen Kostenträger, Kunde und Leistungserbringer erbracht werden. Dabei setzte seit Mitte der 1990er Jahre (Einführung der Pflegeversicherung, Reform der Arbeitsverwaltung, Kommunalisierung der Eingliederungshilfe etc.) eine Differenzierung auf Seiten der öffentlichen Kostenträger ein, die das Feld für Leistungsempfänger und -anbieter unübersichtlicher gestaltet.
2 Vgl. zum Versuch, einer systematischen Erfassung der Organisationen, die der „Zivilgesellschaft“ zuzuordnen sind, das beim Deutschen Stifterverband (www.stifterverband.de) angesiedelte Projekt „Zivilgesellschaft in Zahlen“.
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Für soziale Aufgabenfelder, die „quer“ zu den etablierten Strukturen liegen und bspw. Nischen bearbeiten, ist es schwierig, adäquate Finanzierungsstrukturen aufzubauen, da ein hoher Regulierungsgrad entlang der Säulen der Sozialgesetzgebung existiert, der häufig mit den etablierten Strukturen der Wohlfahrtsproduktion kongruent ist. Anbieter, die dem SEO-Bereich zugerechnet werden können, stoßen in dieser Landschaft auf zahlreiche institutionelle Hürden: Für neue Angebote existiert häufig keine klare öffentliche Finanzierungsverantwortung für innovative Aufgaben, so dass ein Lobbying in eigener Sache notwendig wird. Im Feld der etablierten Aufgaben finden sich häufig geschlossene Märkte, da weiterhin bestehende korporatistische Routinen überwiegen und eine enge Verwobenheit zwischen Fachverwaltungen als Kostenträgern und etablierten Anbietern aus der Verbändelandschaft zu beobachten ist. Innovationsstrategien, die sich an einer qualitativen Verbesserung bestehender Angebote orientieren, treffen auf eine Welt, in der häufig eindeutige Qualitätsstandards fehlen. Öffentliche Kostenträger bringen neuen Spielern erhebliches Misstrauen entgegen. Anstelle tatsächlicher Qualitätspolitik wird häufig eine Art „Qualitätsmanagement by Rumour“ (Grohs 2010a), also eine Orientierung am allgemeinen Ruf der Einrichtungen betrieben. Auch wenn mittlerweile auf dem Rechtsweg eine Reihe von korporatistischen Residuen beseitigt wurden – bspw. die Abschaffung der kommunale Bedarfsbestätigung als Voraussetzung für die Gewährung öffentlicher Mittel im stationären Altenpflegesektor (Schneiders 2010: 224f) – diskriminieren rechtliche Regulierungen noch immer in vielen Feldern neue private Anbieter (vgl. z.B. die Regelungen zum Begriff des Freien Trägers im SGB VIII) im Marktzutritt und auch bei der Beteiligung an Entscheidungsgremien wie dem Jugendhilfeausschuss. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich hier eine zunehmende Justizialisierung politischer Entscheidungen entwickeln wird. 5
Social Entrepreneurship in zwei ausgewählten Sektoren: Altenpflege und Kinder- und Jugendhilfe
Die skizzierten Produktionsbedingungen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass bis in die 1990er Jahre hinein der ganz überwiegende Teil sozialer Dienstleistungen von freigemeinnützigen Anbietern, in der Hauptsache von den Wohlfahrtsverbänden bzw. den ihnen angehörigen Trägern, angeboten wurden. Als weitere Akteure waren in der Altenpflege private Anbieter, in der Kinder- und Jugendhilfe öffentliche Träger relevante Anbieter.
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
In der Altenpflege sind seit der Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 1990er Jahre zum Teil erhebliche Veränderungen in der Trägerstruktur erkennbar (Schneiders 2010). Mit der Aufhebung der Privilegierung der freigemeinnützigen Anbieter sind vermehrt privat-gewerbliche Anbieter auf dem neu formierten „Pflegemarkt“ aktiv. Aus den Daten der Pflegestatistik für das Jahr 2007 (Statistisches Bundesamt 2008) wird zunächst deutlich, dass sich die Mehrheit der Pflegeheime (ca. 55 Prozent) weiterhin in Trägerschaft von freigemeinnützigen Organisationen befindet. Privat-gewerbliche Anbieter machen einen Teil von ca. 39 Prozent aus. In öffentlicher bzw. kommunaler Trägerschaft befinden sich 6 Prozent aller Einrichtungen. Aufgrund der erheblichen Heterogenität der privat-gewerblichen Träger mit einer Vielzahl von kleineren privaten Pflegeheimen (ca. 60 Prozent verfügen über weniger als 50 Plätze) liegt die durchschnittliche Platzzahl in privaten Einrichtungen mit 63 deutlich unter der durchschnittlichen Einrichtungsgröße der freigemeinnützigen Anbieter (77 Plätze/Einrichtung) bzw. der von der öffentlichen Hand getragenen Pflegeheime (85 Plätze/Einrichtung). Im Vergleich mit den Strukturdaten aus 1999 (dem ersten Berichtsjahr zur Pflegeversicherung) werden folgende Trends deutlich. Die Zahl der Pflegeheime insgesamt ist um ca. 17 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum ist insbesondere auf eine zunehmende Zahl von Einrichtungen in privat-gewerblicher (+40 Prozent) und in freigemeinnütziger Trägerschaft (+21 Prozent) zurückzuführen. Die Zahl der Pflegeheime in öffentlicher Trägerschaft ist hingegen rückläufig (15 Prozent). Im regionalen Vergleich fällt auf, dass die privat-gewerblichen Träger insbesondere in den Bundesländern, in denen sie bereits über hohe Marktanteile verfügten, ihre Position weiter ausbauen konnten. So sind in Schleswig-Holstein mittlerweile über 60 Prozent der Plätze in privat-gewerblicher Trägerschaft und auch in Niedersachsen haben die privat-gewerblichen Träger die freigemeinnützigen als „Marktführer“ abgelöst. Die freigemeinnützigen Anbieter büßen auch in Brandenburg an Bedeutung ein. Öffentliche Träger verfügen nur noch in Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern über nennenswerte Anteile, in den übrigen Ländern wurden die Kapazitäten deutlich abgebaut. Die Daten zeigen, dass sich in den letzten Jahren – mit stärkerer Dynamik seit Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 – privat-gewerbliche Anbieter im Sektor der stationären Pflege etabliert haben. Zu diesen Anbietern gehören sehr kleine und mittelständische Unternehmen sowie einige größere Anbieter, die zum Teil börsennotiert sind. In der ambulanten Pflege ist das Wachstum insgesamt fast ausschließlich auf die Expansion privat-gewerblicher Anbieter (+55 Prozent) zurückzuführen.
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Abbildung 2: Trägerstrukturen in der Altenpflege (Statistisches Bundesamt 2008; eig. Darstellung)
Die Betrachtung auf der Basis statistischer Rahmendaten wird der hier verfolgten Fragestellung nach den Organisationsformen jedoch nicht gerecht. Bei genauerem Hinsehen ist nämlich feststellbar, dass in einigen dem freigemeinnützigen Sektor zugeordneten Einrichtungen bzw. ambulanten Angeboten durchaus auch unternehmerische bzw. marktgetriebene Elemente erkennbar sind. So bezeichnet sich bspw. die CBT Köln (www.cbt-gmbh.de) als sozialwirtschaftliches Unternehmen, das eine Vielzahl von unternehmerischen Elementen integriert hat – ähnlich wie die Stiftung Liebenau (www.stiftung-liebenau.de) in BadenWürttemberg. Hinzu kommen immer mehr freigemeinnützige Anbieter, die (privat-gewerbliche) Tochtergesellschaften ausgründen, u.a. um so die Tarifverträge der Wohlfahrtsverbände auszuhebeln. Auf der anderen Seite sind nicht alle privatgewerblichen Anbieter ausschließlich renditeorientiert. Auch hier finden sich – insbesondere bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen – viele Organisationen, deren Wirtschaftsbetrieb auf Kostendeckung ausgerichtet ist. Die Rechtsform einer Organisation ist immer weniger mit der Handlungsorientierung gleichzusetzen. Der Status „freigemeinnützig“ ist also nicht mehr unmittelbar mit „gemeinwohlorientiert“ gleichzusetzen oder anderweitig positiv normativ aufgeladen (hierzu auch Hopt et al. 2005; BAGFW 2010; Wendt 2010).
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Auch wenn weiterhin „korporatistische Einsprengsel“ unübersehbar sind (bspw. lokale Pflegekonferenzen, die wohlfahrtsverbandlich dominiert werden), zeigt sich, dass sich marktförmige Koordinationsmechanismen (teilweise in Form der Justizialisierung) zunehmend durchsetzen (Schneiders 2010). Ein wesentlich anderes Bild zeigt sich im Feld der Kinder- und Jugendhilfe, die einerseits die Kindertagesbetreuung, andererseits Angebote der stationären und ambulanten Jugendhilfe umfasst. Auch hier wurde gesetzgeberisch eine Reihe von Maßnahmen vorgenommen, um das Akteurspektrum zu erweitern. Genannt seien hier nur die Einführung prospektiver Leistungsvereinbarungen bzw. Leistungsentgelten sowie der Einführung von Qualitätssicherungs- und Leistungsstandards nach den §§78a-g SGB VIII und die Aufhebung des bedingten Vorrangs freigemeinnütziger Träger (Grohs 2010a: 70ff). Diese haben an den Trägerstrukturen bislang jedoch kaum etwas geändert: Betrachten wir die Trägerschaft der Einrichtungen, die öffentlich mitfinanzierte Angebote erbringen, so fällt für Westdeutschland eine überraschende Kontinuität im Zeitverlauf auf (Abbildung 3). 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Ost 1994
Ost 1998
Ost 2002
Öffentliche Träger DPWV Privatwirtschaftliche
Ost 2006
West 1994
West 1998
West 2002
West 2006
Wohlfahrtsverbände ohne DPWV Andere Non-Profit-Träger
Abbildung 3: Wandel der Trägerstrukturen Kindertagesbetreuung (Grohs 2010a: 147)
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Sowohl im Bereich der Kindertagesbetreuung wie im Bereich der Jugendhilfe sind in den alten Bundesländern über den Beobachtungszeitraum kaum Veränderungen in den Anteilen der einzelnen Trägergruppen festzustellen. Trotz Verschiebungen im Aufgabenportfolio (Ausbau Betreuung Unter-Dreijährige, Umstellung von stationärer zu ambulanter Unterbringung etc.) ist es den bisherigen Trägerensembles offensichtlich gelungen, ihre jeweiligen Anteile zu bewahren. Eine Ausnahme stellt das relativ neue Feld der „Kleinsteinrichtungen der stationären Erziehungshilfe“ dar, ein hoch spezialisiertes Segment und der einzige Bereich, in dem privatwirtschaftliche Anbieter einen nennenswerten Anteil stellen (rund 30 Prozent im Jahr 2006). Für die neuen Bundesländer ist im Zeitverlauf in erster Linie eine „Entkommunalisierung“ kennzeichnend. Von der aus DDR-Zeiten übernommenen kommunalen Eigenproduktion entwickeln sich die ostdeutschen Wohlfahrtsarrangements hin zu einer durchaus mit dem Westen vergleichbaren Gewährleistungsverwaltung. In den alten Bundesländern bleiben zumindest nach der öffentlichen Statistik die öffentlichen Anteile weitgehend konstant. Generell konnten sich die westdeutschen Wohlfahrtsverbände auch in Ostdeutschland ein beachtliches Terrain sichern – gegeben der Tatsache, dass sie nach 1990 ihre gesamte Infrastruktur neu aufbauen mussten (Angerhausen et al. 1998). Der DPWV hat in Ostdeutschland durchweg größere Anteile, was zum einen auf durch das Aufgehen der zu DDR-Zeiten quasistaatlichen Einrichtungen der „Volkssolidarität“ im DPWV, andererseits das Eintreten zahlreicherer kleinerer Projekte in den DPWV zurückzuführen ist. Insgesamt zeichnen sich die ostdeutschen Strukturen dennoch durch eine größere Pluralität, allerdings einen noch geringeren Anteil privatgewerblicher Anbieter aus. Trotz einzelner Nischen kann also konstatiert werden, dass zumindest für Westdeutschland gemessen an der Trägerschaft von einer Auflösung des „Wohlfahrtskorporatismus“ nicht die Rede sein kann: Für den Osten ist eine Angleichung der Strukturen an Westdeutschland zu beobachten, jedoch wird diese Tendenz durch einen höheren Anteil „bürgerschaftlich“ getragener Einrichtungen außerhalb der Wohlfahrtsverbände ergänzt. Privatwirtschaftliche Akteure und insbesondere SEOs als Nischenunternehmer spielen nur eine marginale Rolle. Wirkliche Wandlungstendenzen scheinen sich nur durch externen Druck und eher hierarchische Implementationsstrukturen durchsetzen zu lassen. Die etablierten Arrangements scheinen sich aus der Sicht der Akteure vor Ort bewährt zu haben. Häufig stehen Alternativen zu etablierten Akteuren auch schlicht nicht zur Verfügung. Die Positions- und Zugangsregeln bleiben weitgehend in Kraft: Weiterhin findet sich eine starke Verflechtung der Verbände mit der Sozialadministration und den örtlichen Parteien (Grohs 2010a).
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
Die in diesem Abschnitt präsentierten Daten können freilich nur den IstZustand abbilden. Über das Potential, dass SEO entfalten kann, ist damit zunächst noch wenig ausgesagt. Gleichwohl lassen sich aus den beiden betrachteten Feldern Rahmenbedingungen identifizieren, die eine Etablierung von SEO als einer Erscheinung, die über Einzelfälle hinausgeht, erschweren. 6
Fazit und Ausblick: Social Entrepreneurship als Lösung der wohlfahrtsstaatlichen Probleme?
Das social entrepreneurship-Konzept weist aufgrund seines (scheinbar) visionären Charakters eine hohe Attraktivität auf. Ein Ausweg aus dem Dilemma der wachsenden sozialen Aufgaben bei stagnierenden öffentlichen Finanzen scheint gefunden. Zudem zeichnet sich ein qualitativer Mehrwert durch das persönliche Engagement der „Unternehmerinnen und Unternehmer“ im Bereich der sozialen Dienstleistungen ab. Die Ausführungen zu den Begrifflichkeiten sowie die Darstellung der „Produktionsbedingungen“ im deutschen sozialen Dienstleistungssektor haben jedoch gezeigt, dass die Übertragung eines Modells aus dem angelsächsischen Raum auf die deutsche „Wohlfahrtsstaatswirklichkeit“ nur begrenzt möglich ist. Vielmehr müssen zunächst Begrifflichkeiten und Konzepte an das jeweilige wohlfahrtsstaatliche Regime angepasst und die jeweiligen institutionellen Kontexte einbezogen werden. Eine Theoriebildung der hybriden Organisationen für Deutschland steht vor diesem Hintergrund noch aus. Nur so könnte überprüft werden, inwiefern es sich bei SEO um ein konsistentes Konzept handelt, mit dem die neuen hybriden Strukturen zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft besser als mit dem bereits vorhandenen „Dritter Sektor“-Modell erfasst werden können und ggf. den Charakter eines Leitbildes für die Modernisierung der etablierten wohlfahrtsstaatlichen bzw. sozialpolitischen Strukturen entwickeln kann. Ebenfalls steht eine empirische Überprüfung bezüglich der Wirkungen von SEO noch aus. Ein von der Stiftung Mercator geförderter Forscherverbund3 widmet sich genau diesen Fragestellungen. In dem von uns verantworteten – stark empirisch angelegten – Projekt „Social Entrepreneurship im etablierten Wohlfahrtsstaat. Lückenbüßer oder Innovationsinkubator“ wird anhand von zwei Sektoren (kultursensible Altenpflege und -hilfe sowie Förderung der Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund) ermittelt, in welchem Umfang 3 www.stiftung-mercator.de/kompetenzzentren/wissenschaft/social-entrepreneurship.html Aufruf: 14.11.2010).
(letzter
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SEO-Strukturen im oben definierten Sinne bereits erkennbar sind, welche Ausstrahlungskraft auf etablierte Trägerstrukturen Projekte aufweisen und inwiefern die aktuellen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen fördernd oder eher hemmend auf die Entwicklung von SEO wirken. Quellenverzeichnis Angerhausen, Susanne/Backhaus-Maul, Holger/Offe, Claus/Olk, Thomas/Schiebel, Martina (1998): Überholen ohne Einzuholen. Freie Wohlfahrtspflege in Ostdeutschland. Opladen. Anton, Stefan/Diemert, Dörte (2010): Kommunale Finanzen: Kein Licht am Ende des Tunnels! Gemeindefinanzbericht 2010 im Detail. In: Der Städtetag 2010/5: 11-85. Ashoka (2010): Jahresbericht 2009, Berlin. http://germany.ashoka.org/sites/germany.ashoka.org/ files/Ashoka_JB_2009%20final%20Web.pdf (letzter Aufruf: 2.11.2010). Backhaus-Maul, Holger/Biermann, Christiane/Nährlich, Stefan/Polterauer, Judith (Hrsg.) (2010): Corporate Citizenship in Deutschland: Bilanz und Perspektiven. 2. erw. Auflage. Wiesbaden. BAGFW – Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (Hrsg.) (2009): Gesamtstatistik 2008. Berlin. BAGFW – Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (Hrsg.) (2010): Sozialwirtschaft – mehr als Wirtschaft? Baden-Baden. Benz, Arthur et al. (Hrsg.) (2007): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder. Wiesbaden. Billis, David (Hrsg.) (2010): Hybrid organizations and the third sector. Challenges for practice, theory and policy. Hamshire. BMAS (2010): Sozialbudget 2009. Berlin. www.bmas.de/portal/46628/property=pdf/a230-09_sozialbudget_2009.pdf (letzter Aufruf: 14.11.2010). Bogumil, Jörg/Grohs, Stephan/Kuhlmann, Sabine/Ohm, Anna K. (2007): Zehn Jahre Neues Steuerungsmodell – eine Bilanz kommunaler Verwaltungsmodernisierung. Berlin. Bornstein, David (2007) How to change the world: Social entrepreneurs and the power of new ideas. New York. Bornstein, David/Davis, Susan (2010): Social entrepreneurship: What everyone needs to know. New York. Brandsen, Taco/Dekker, Paul/Evers, Adalbert (Hrsg.) (2010): Civicness in the governance and delivery of social services. Baden-Baden. Dahme, Hans-Jürgen/Kühnlein, Gertrud/Wohlfahrt, Norbert/Burmester, Monika (2005): Zwischen Wettbewerb und Subsidiarität. Wohlfahrtsverbände unterwegs in die Sozialwirtschaft. Berlin. Defourny, Jacques/Nyssens, Marthe (2010): Conceptions of social enterprise and social entrepreneurship in Europe and the United States: Convergences and divergences. In: Journal of Social Entrepreneurship 1/2010/1: 32-53. Elkington, John/Hartigan Pamela (2008): The power of unreasonable people: How social entrepreneurs create markets that change the world. Boston. Evers, Adalbert/Heinze, Rolf. G. (Hrsg.) (2008): Sozialpolitik. Ökonomisierung und Entgrenzung. Wiesbaden.
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I. Im Spannungsfeld von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft
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II.
Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
Organisationstheoretische Einschätzungen – Warum Social Entrepreneurship so attraktiv für junge High Potentials ist Birger P. Priddat
Social entrepreneurship [ebenso wie social entrepreneurship organization im Folgenden mit dem Kürzel SEO bezeichnet] ist eine neue Form sozialer Dienstleistungen, die sich von den herkömmlichen NPOs (non-profit-organizations), vornehmlich der staatlichen und parastaatlichen Wohlfahrtsverbandlichkeit, aber auch von den NGOs (non-governmental organizations) darin unterscheiden, dass sie soziale Dienstleistungen unternehmerisch angehen. Soweit die hier zugrundegelegte Definition. Wir haben es mit einem Hybrid zu tun: non-profits als Unternehmen. Doch gehen die SEOs hierin parallel mit gGmbHs: Sie arbeiten z.B. beide wirtschaftlich bzw. unternehmerisch, mit der Restriktion des Gewinnverbots, positiv der Gemeinnützigkeit. Die Differenz liegt auf der Finanzierungsseite: SEOs arbeiten vornehmlich staatssubventionsunabhängig und z.T. mit intelligentem Finanzierungsmanagement. Und sie sind nicht an das Gemeinnützigkeitsgebot gebunden; sie können auch – sozial modifiziert – Preise für ihre Dienstleistungen verlangen. Sie haben – potentiell – eine Marktseite (z.B. im Pflegedienst, in der Altenbetreuung etc.). Doch die Preise, die sie in Pflegediensten, Altenbetreuungen etc. verdienen, sind keine wirklichen Marktpreise, sondern zum Teil festgelegte Gebühren, die sie von den Kassen bekommen. Sie arbeiten dann für die Transfers aus dem Wohlfahrtsstaat. SEOs erlauben intelligente Geschäftsmodelle, die die knappen Ressourcen besser verwerten und vor allem das Prinzip der Hilfe für die Selbsthilfe realisieren können. Sie haben keinen Versorgungsauftrag, sondern sind frei, Formen zu finden, ihre Mittel für die Stärkung der Autonomie ihrer Klientel zu verwenden. Dabei ist es weniger entscheidend, woher die Mittel kommen, vielmehr diese mit geringem Overhead und mit hoher sozialer Effektivität einzusetzen. Deshalb kann auch staatliches oder kommunales Geld zum Einsatz kommen. Ziel ist nicht, möglichst staatsfern zu arbeiten, sondern der unternehmerische Umgang mit den Geldern, d.h. intelligent Staatszuschüsse zu organisieren, mit drei Argumenten: (1) effizienter als die üblichen Wohlfahrtsorganisationen zu arbeiten, (2) in Nischen zu arbeiten, in die die klassischen Organisationen nicht gehen H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
und (3) Bereiche zu übernehmen, die der Staat bzw. die Kommunen aufgeben (meist aus finanziellen Gründen – insofern versprechen die SOEs, das, was aufgegeben wurde, mit geringeren Budgets weiter zu leisten). Sie sind ideale kompensatorische Instanzen für einen finanziell restringierten Wohlfahrtsstaat. Ihre anderen Finanzierungen sind eher klassisch: Spenden, Stiftungen, in Partnerschaften mit Unternehmen. Hinzu kommt – wegen ihrer unternehmerischen Attitude – eine bessere Ansprechbarkeit von Unternehmen, die sich gerade in die corporate citizenship- oder die corporate social responsibility-Dimension begeben. Es entsteht der Anschein von peer-to-peer-Beziehungen: Unternehmen arbeiten mit Unternehmen zusammen, nicht mit Vereinen oder Verbänden. Wenn sich SEOs dadurch auszeichnen, dass sie in Nischen des Sozialbereiches gehen, die von den klassischen Wohlfahrtsorganisationen nicht oder nicht mehr bedient werden, sind sie soziale Hayek-Akteure, die einerseits Wettbewerb in den Sozialbereich tragen, andererseits als Entdeckungsverfahren identifizierbar sind. Sie wollen mit neuen Ansätzen vernachlässigte soziale Probleme lösen. Oder sie entdecken neue soziale Bereiche, die die klassischen Wohlfahrtsorganisationen nicht bedienen. Nehmen wir den unternehmerischen Modus der SEOs ernst, geht es nicht mehr nur um dezidiert gewinnlose Unternehmensformen, die auf Solidarität, Gemeinschaftsinn oder Genossenschaftlichkeit allein bauen, sondern um managementorientierte, unternehmerische Aktivitäten im Sozialen, die sich als Investitionen ins social capital verstehen, um returns on investment zu erwirtschaften. Die returns sind nicht vordringlich monetär ausgelegt, sondern in terms of efficiency and social goals: weg von der Vereinskultur, hin zu ergebnisorientierten Handlungen. In Komparation zu anderen sozialen Unternehmen will man zeigen, dass man effizienter und intelligenter ist. Und dass man neue soziale Standards generieren kann. Zum einen werden Wissen und Erfahrung aus dem for-profit-Bereich in die non-profit-Domäne eingeführt. Neue Akteurstypen treten auf. Neue Ressourcen werden aktiviert. Zum anderen entstehen Formen sozialer Intelligenz, die die klassischen Muster nicht prolongieren, sondern moderne Formen der Interaktionen aufgreifen, jenseits älterer sozialer Verbands- und Vereinsmuster [siehe dazu auch den Beitrag von Wegner zur Gemeinwesenarbeit]. Diese Differenz ist signifikant: Vor allem aktivieren SEOs junge Menschen, darunter dominieren die gut ausgebildeten. Es herrschen völlig andere Atmosphären als in den klassischen Wohlfahrtsvereinen und -verbänden: keine Altenkultur, keine ‚stille Demut‘, sondern eher ein (Hyper-)Aktivismus wie in den NGOs. Genauer noch: Es herrscht eine jungunternehmerische Gründungsmentalität vor (wie in den Inter-
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netbuden, die Schülerinnen und Schüler sowie Studierende gründen): Enthusiasmus und ein innovatorischer Appeal. SEOs leben von diesem Unterschied: Sie sind Modernisierungsagenturen im Sozialbereich. Der Unterschied zu den klassischen oder ‚stillen‘ Wohlfahrtsorganisationen besteht nicht nur in der jugendkulturellen Atmosphäre, sondern in deren Folgen: Deshalb sind SEOs Attraktoren für junge high potentials. Die moderne unternehmerische Form ist ein Ressourcenvorteil: SEOs erhalten so Zulauf der jungen Intelligenz, die sich selten in andere Wohlfahrtsorganisationen verirrt (aber nicht zugewiesen, wie im Zivildienst, sondern freiwillig attrahiert). Die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen sich als Aktivisten (wie in den NGOs) und als intrapreneurs, die selber innovative Ideen mit- und einbringen. Wenn man es so betrachtet: Kein anderes Unternehmen bekommt so viel junge Intelligenz, die zudem fast gratis arbeitet. SEO ist eine intelligente unternehmerische Form des recruiting. Dies hängt eng damit zusammen, dass SEOs medienorientiert arbeiten. Sie generieren Aufmerksamkeit (nach den neuen Mustern der agilen NGOs). SEOs sind in diesem Sinne eine erweiterte Form von NGOs: Statt nur mediale und darüber gewonnene politische Aufmerksamkeit für Themen zu generieren (die inzwischen klassisch zu nennende NGO-Rolle, vornehmlich der international orientierten NGOs), sind SEOs effektive soziale Dienstleister. Sie erwirtschaften soziale Güter, nicht nur Themen. Aber sie sind in der Lage, ihre soziale Produktion eigenständig zu thematisieren. Im Gegensatz zu sozialen Vereinen sind sie eher leistungsorientiert. Vereine leisten zwar ihre Vereinszwecke, genügen sich aber auch selbst: Ein Gutteil der Vereinsarbeit ist ihre Beschäftigung als und im Verein. Sie sind sozial esoterisch veranlagt, gegenüber den sozial exoterischen SEOs. Allerdings ist die soziale Leistungsorientierung häufig mehr Anspruch als tatsächlich ausgeführt. Evaluierungen (außer Selbstauskünfte) gibt es nicht. Ein Gutteil der Attraktivität für junge Intelligenz ist die mediale performance der SEOs (vornehmlich im Internet). Man kann zeigen, dass man zu den ‚good guys‘ gehört. Man will ‚Gutes tun‘ und darüber reden (bzw. dass in den Medien darüber geredet wird – hier läuft die tatsächliche Konkurrenz: über die mediale performance). SEOs können keine Marktpreise generieren. Faktisch arbeiten sie – nicht alle! – mit Gebühren. Dieser Begriff des politischen Preises (den gewöhnlich Staatsbürokratien verwenden) ist nur analog zu verwenden: Sie nehmen soziale Preise, die nicht die Leistung honorieren, sondern eher den Ausschluss von free ridern gewährleisten sollen. Sie sind private Umverteilungsinstanzen, damit
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
organische Instanzen der civil society. Bürgerinnen und Bürger leisten soziale Dienste, die der Staat nicht, noch nicht oder nicht mehr übernimmt. Sie leisten auch insbesondere dort soziale Dienste, wo die klassische non-profit-economy versagt oder nicht effizient arbeitet. Sie arbeiten in Bereichen der charity failure. In diesem Sinne stehen sie in der Tradition bürgerlicher charity, Benevolenz, Stiftungen, Barmherzigkeit. Sie sind, da der Sozialstaat – jedenfalls in Deutschland – ausgebaut ist, Erscheinungen des Sozialstaatsversagens. Für die anglo-amerikanische Welt sind diese Organisationsformen selber klassisch, in Deutschland ist die Kultur bürgerlicher Hilfsvereine historisch deminuiert und an den Staat verlagert, bekommt aber, über den atlantischen Impuls und über das Prädikat des Unternehmerischen, neue Energie. Hier liegt ein Teil der Attraktivität für junge Menschen, in SEOs mitzuarbeiten. Sie partizipieren praktisch an einem new society-Gefühl. Deshalb können SEOs nur als soziale Unternehmen auftreten; sie sind Plattformen der Idee, Gesellschaft selber zu gestalten. Es geht nicht mehr um ‚soziale Dienste‘ – man würde allenfalls das englische Wort des ‚social service‘ verwenden, um darin genau die Differenz aufscheinen zu lassen: nicht als Angestellte Pflichten erfüllen, sondern als Unternehmerinnen und Unternehmer (bzw. als intrapreneurs) Aufgaben selber definieren. Deshalb ist genau zu analysieren, welche Aufgaben sie sich definieren: weniger Übernahmen staatlich aufgegebener Projekte, sondern lieber selbstdefinierte neue. Ihre unternehmerische Freiheit ist zugleich ein Protest gegen die alte Wohlfahrtsstaatlichkeit und ihre parafiskalischen, bürokratischen und paritätischen Institutionen. Wenn die SEOs die Balance von sozialer Dienstleistung und Marketing allerdings eher nach der Seite des Marketing ausschlagen lassen, nähern sie sich strukturell den NGOs. Sie thematisieren ihre Leistung dann eher, als dass sie diese tatsächlich leisten. Wenn sie hingegen die Balance zwischen sozialer Dienstleistung und Marketing stärker nach der Dienstleistungsseite gewichten, geraten sie in den Bereich der for-profit-Unternehmungen. In diesem Sinne ist zum Beispiel Ebay – um das Spektrum zu öffnen – eine SEO, wenn sie armen Leuten ermöglicht, gebrauchte Dinge, die andere weggeworfen haben, im Netz zu verkaufen, um damit eine kleine und bescheidene Form privater SEO zu bilden – eine Art netzbasierten Gebrauchtwarenhandels, der ihnen einen Vertriebskanal bietet, den sie individuell niemals hätten schaffen können. SEOs knüpfen zugleich an die sozialen Bewegungen an, die die modernen Wohlfahrtsstaaten periodisch erleben. Soziale Bewegungen sind remakes solidarischen Kollektivverhaltens. Sie entstehen und vergehen (oder kristallisieren
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sich final in Formen klassischer sozialer Institutionen aus). SEOs sind neue Formen sozialer Bewegungen, sie nehmen den Bewegungsimpuls auf, formieren ihn aber anders: als unternehmerische Organisation. Das Moment des social movement zeigt sich als permanente Aufbruchstimmung. Damit ist das Risiko des Zerfalls sozialer Bewegungen aufgehoben. Zugleich aber entstehen neue Risiken: Durch die unternehmerische oder Management-Fokussierung begrenzt sich das Kollektiv, das engagiert ist. Es entsteht die Frage der Motivation derer, die noch beteiligt sind. Und es entsteht die Frage der Reichweite. Die solidaristische Gemeinschaftlichkeit, die soziale Bewegungen erzeugen, getragen von kleinen Verantwortungseliten, wird in der SEO stärker auf den unternehmerischen Impuls fokussiert (oft eine Person), dem sich Aktivisten anschließen. Ihr solidaristisches Potential ist auf Erfolg, weniger auf Gesinnung angelegt. Versagt die Führung, bricht das angehängte Kollektiv weg. SEOs sind tendenziell elitär, d.h. auf Führung ausgerichtet (mit starken aktivistischen und intrapreneurialen Tendenzen, die latent disorder in die geführte Organisation bringen – hier ist kluges, die relative Selbständigkeit der Aktivisten respektierendes Management gefragt). SEOs übernehmen von den NGOs das Aufmerksamkeitsmanagement. Nur, dass bei den SEOs Aufmerksamkeit gepaart ist mit Leistungserwartungen, weit über das, was von NGOs erwartet wird. Während NGOs wesentlich die Medien und darüber die Politik aktivieren wollen, werden SEOs daraufhin beobachtet, was sie tatsächlich an sozialen Diensten leisten. Viele SEOs allerdings genügen diesen Kriterien kaum, da sie nur dem Namen nach unternehmerisch agieren. Sie kleiden sich in eine moderne Form, betreiben aber eher klassisches soziales Vereinswesen. So agieren sie im Schatten des Erfolgsmodells NGO, ohne selber innovativ zu sein. Vor allem aber lassen sie sich schnell gründen, weil die Initiative Einzelner oft ausreicht, gepaart mit medialer Präsenz. Sie bedienen sich des solidaristischen Sozialkapitals, ohne es über soziale Bewegung legitimieren zu müssen. Der Vorteil der SEOs ist ihre Schnelligkeit und Agilität, soziale thematische Lücken zu füllen. Die Gefahr, dass die Idee größer ist als das Leistungspotential, ist nicht zu leugnen: Erst wenn sie tatsächlich kontinuierlich soziale Leistungen erbringen, werden sie zu einer SEO. Um den NGO-Impuls in eine effektive SEO zu verwandeln, bedarf es tatsächlich unternehmerischer Führung und einigermaßen hierarchischer Organisation. Das geschieht eher nur dann, wenn Personen, die bereits vorher Führungserfahrungen hatten, in diese Branche wechseln. Neben den ganz jungen high potentials gibt es eine zweite Gruppe: die – immer noch jungen – Wechslerin-
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nen und Wechsler, die sich in ihren Angestelltenkarrieren nicht mehr gefordert fühlen und aus der for-profit-Mentalität heraus wollen, ohne ihre Organisationsund Führungskompetenz aufgeben zu müssen. Um diesbezüglich Einschätzungen vornehmen zu können, benötigen wir eine Theorie sozialer Wertschöpfung. Die Differenz besteht in erster Betrachtung in der Differenz von Kommunikations- zu Leistungsnetzwerken. NGOs sind wesentlich Kommunikations- und mediale Multiplikatoren-Netzwerke. SEOs sind Leistungsnetzwerke, d.h. sie verknüpfen Aufmerksamkeitskommunikation (der NGO-Anteil) mit Verpflichtungsrelationen (NPO-Dimension). SEOs leisten soziale Transaktionen. Soziale Transaktionen sind effektive soziale Dienstleistungen, d.h. spezifische Transformationen des sozialen Zustandes a in den sozialen Zustand b (wobei b > a). SEOs nehmen die Form einer Unternehmensorganisation an, d.h. ihre Mitglieder sind durch relationale Verträge zu Leistungen verpflichtet. Sie werden nicht oder nur rudimentär monetär entgolten. Ihre Auszahlung besteht vornehmlich in Reputationswährungseinheiten. Das lässt sich aus der Motivation erklären: Die jungen Aktivisten ‚wollen etwas tun‘. Das ist der konventionelle Anteil: Sie tun es in den SEOs, aber auf einer Bühne, die durch die mediale performance der SEOs aufgewertet ist. Die drei Komponenten – (a) etwas tun, (b) etwas tun, das als sozial gut legitimiert ist und (c) zu zeigen, dass man es tut – sind nur ideal gleich gewichtet. De facto ist (c) entscheidend: Sich selbst und anderen zu zeigen, dass man aktiv ist. Es ist der wichtigere Teil: SEOs sind Selbstständigkeitsübungsarenen. Das hat mehr mit der Adoleszenz der jungen Intelligenz zu tun als mit dem sozialen Zweck. Das macht SEOs zu besonderen Unternehmen: Sie sind auf Formen sozialer Intelligenz angewiesen. Das bedeutet, dass ihre Klientel zum Teil deshalb mitarbeitet, um an sich selbst Transformationen zu erreichen. Die genuine Form der Produktion von SEOs sind Transformationsgüter, d.h. Güter, die die, die sie konsumieren, verwandeln. Das ist bemerkenswert insofern, als dass der Zweck der SEOs nicht allein darin besteht, eine soziale Leistung zu erstellen für andere (soziale Klientel), sondern dass ein Gutteil der Leistung in den Transformationen derer besteht, die in den SEOs mitarbeiten. SEOs sind – teilweise – autoreferentielle Instanzen, die die Ausbildung in Selbständigkeit und Interaktion betreiben. Die SEO arbeitet nicht nur nach außen, sondern auch nach innen! Möglicherweise ist das ihr genuiner Beitrag zur Ausbildung sozialen Verhaltens, nämlich vor allem als Ausprägung intelligenter Interaktion der jungen Intelligenz, die in der Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich lernt, zusammenzuarbeiten, Kooperationsmodalitäten zu durchleben, füreinander dazu sein (und für andere, die der Hilfe bedürfen).
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Das, was die SEO an ihren Aktivisten mitleistet, erwartet sie auch von ihrer Klientel. Soziale Intelligenz ist eine Form der Selbstorganisation der Bürgergesellschaft. Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht mehr, wie bei den klassischen Wohlfahrtsorganisationen, soziale Lieferung – delivery –, sondern sind zur Mitarbeit aufgefordert. Die SEO als Organisation liefert nicht an passive Klienten, sondern organisiert deren Aktivitäten. Das ist – wenn wir den unternehmerischen Modus innovativ auffassen – die entscheidende Differenz: nicht allein die unternehmerische Form, sondern die Inklusion der Klientel in die Produktion der sozialen Dienstleistungen (so – in extremis – das Ebay-Beispiel). Insofern bildet die SEO ihre Klientel zur Selbsthilfe aus, mit entscheidenden unternehmerischen Impulsen, mit Startkapital etc. Aber nicht als Lieferant sozialer Güter, sondern als Ausbildung zu unternehmerischer Haltung der Belieferten. Es geht hier weniger um Solidarität, sondern stärker um soziale Individualisierung als individuelle Sozialisierung. In diesem Sinne ist das Modernisierungsprojekt der SEOs auf der Höhe der Zeit. Zugleich aber sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selber Klientel der SEOs: Was sie denen bieten wollen, für die sie sozial arbeiten, bieten sie sich selber – selbständig zu werden. Neu an dieser Betrachtung ist, dass die SEOs zwei Klientel haben: (a) die sozial Bedürftigen und (b) die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neue Formen sozialer Interaktion proben (sie müssen meist angelernt werden) und erst unternehmerische Fühler ausstrecken. Das gilt auch für die manchmal bereits älteren Aktivisten, die eine vorherige Karriere abgebrochen haben, um im social entrepreneurship neue Wege zu gehen. Sie haben bereits Erfahrungen, aber nicht auf dem Terrain, in dem sie sich jetzt zu bewegen lernen. SEOs sind folglich neue Instanzen, die die Mitarbeit derer, die sie betreuen, zum Ziel haben, um sich, à la longue, überflüssig zu machen. SEOs sind, in ihrem konzeptionellen Kern, transitorische Institutionen, keine Parallelwelten zu den klassischen Wohlfahrtsinstanzen. Transitorisch sind sie insoweit, als sie den sozial Bedürftigen zeigen, dass sie nicht ausschließlich bedürftig sind, in passiver Annahmeerwartung, sondern eher – aus welchen Gründen auch immer – gehemmte Akteurinnen und Akteure, die ihre Handlungsdispositionen verlernt haben. SEOs fungieren als soziale Katalysatoren. Indem sie Hilfe – als soziale Dienstleistung – zur Selbsthilfe anbieten, sind sie moderne Subsidiaritätsagenturen. Sie sind nicht von vornherein institutional angelegt, d.h. nicht vornehmlich zeitintransigent oder dauerhaft. Als SEOs sind sie Unternehmen, d.h. nachfrageabhängig und potentiell instabil. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, können sie sich auflösen. Folglich ist es konsequent, die
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SEOs als Unternehmen zu gestalten, nicht als Institutionen, wie klassischerweise die soziale Hilfe organisiert ist. Hier entsteht eine neue Qualität im sozialen Bereich (die den sozialen Bewegungen, die ja auch zeitinstabil sind, ähnelt): ihre transitorische Instanz. Der unternehmerische Impuls, der die Gründung der SEO beherrscht, verliert sich in der gelingenden Transformation. Die besondere oder neue Qualität der SEO besteht nicht allein darin, effizient zu organisieren, was sie sich vorgenommen hat, sondern vornehmlich darin, die Mitglieder dieses Prozesses so zu bilden, dass sie vom Status der Klientel in den der Koproduktion gelangen (damit wiederum sind die Analogien zum „aktivierenden“ Sozialstaatsgebot und auch zur Sozialen Arbeit mit ihrem Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“ deutlich) [siehe dazu auch den Beitrag von Dölle zu social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendhilfe]. Ob sie tatsächlich selbständig werden, d.h. das, was die SEO anbietet, künftig selber zu organisieren, muss offen bleiben. Aber dass sie sich anders als nur als Klienten verhalten, ist ein neues, transformatorisches Ziel: Sie lernen, was andere unternehmerisch für sie organisieren, selber zu organisieren – oder zumindest mit zu organisieren. SEOs produzieren selbstorganisatorische Referentialität. Damit unterscheiden sie sich von den klassischen sozialen Institutionen: Sie lehren nicht mehr Solidarität, sondern soziale Kompetenz. Nicht mehr die gemeinschaftlichen Formen der Hilfe stehen im Vordergrund, sondern die Aktivierung der Selbsthilfe, die initial unterstützt wird, à la longue aber die Betreuten selbständig macht. SEOs sind soziale Organisationen, deren Formen einer individualisierten Gesellschaft angepasst wurden; sie sind die affinen Wohlfahrtsinstanzen einer liberalisierten Gesellschaft. Soziale Intelligenz ist ein anderes Muster als Solidarität, Gemeinsinn etc. Natürlich bleiben diese klassischen Modelle im Hintergrund existent. Soziale Intelligenz braucht Anregungen, unternehmerische Modelle, um sich selbständig entfalten zu können. SEOs sind eher solche Anregungszustände als wiederum klassische Unternehmen (wenn nun auch sozial ausgerichtet). Soziale Intelligenz ist Kooperationserweckung – eher netzwerk- als kollektivorientiert. Die Erweckung/Anregung ist nur der Initialzustand. Was sich, im Prozess der SEO, entwickelt, ist ein Kooperationsmuster, das eine eigene Dynamik hat oder bekommt. SEOs sind dann effektiv, wenn sie ihrer Klientel offenbaren, dass ihre Kompetenz, gemeinsam soziale Dienste zu arrangieren, potentiell wertvoller ist als das initiale sozialunternehmerische Engagement – ihre ideale Form. Sie verstehen sich so als Einübung in neue Interaktionsweisen in einer sozial fragmentierten Gesellschaft.
Priddat: Organisationstheoretische Einschätzungen
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SEO ist kein anderer Name für private Wohlfahrtsorganisation, sondern ein neuer Modus, der über die Transformation der Erwartungen definiert wird. Dass dieser Transformationsprozess weiterhin ein Management braucht, bleibt unbenommen. Dass der Prozess aber auf Transformation ausgelegt ist, macht die entscheidende Differenz: Die soziale Klientel wandelt sich in Koproduzenten. Erst hierüber gewinnen die SEOs eine Wachstumsdimension. Sie entfalten ein neues Verhaltensdispositiv. Sie werden sui generis modellhaft, kopierbar in andere Bereiche. SEOs produzieren social capital. Der unternehmerische Impuls des Engagements von Einzelnen oder kleinen Verantwortungseliten, die die Führung übernehmen, arbeitet nicht mit einem ideologischen Rückgriff auf Solidaritätsoder Gemeinsinnressourcen, sondern bildet sie – umgekehrt – erst wieder neu aus. SEOs sind nur von ihrer soziologischen Basis her zu verstehen: In einer modernen individualisierten Gesellschaft sind die klassischen Interaktionsmuster dezimiert, die Gemeinschaftlichkeitsressourcen verknappt, der Rückgriff auf latente Kollektivmodelle verstellt. Das heißt nicht, dass Werte aus der Gesellschaft verschwunden sind, aber sie sind fraktioniert, über diverse Moralfraktale individuell verteilt. Diese moralische Diversität, die individuell durch moralische Spezifität zum Ausdruck kommt, lässt moralische Kohärenz eher nur lokal in Erscheinung treten. SEOs sind moderne Impulsinstanzen für die Ausprägung lokaler Wertestandards und spezifischer sozialer Interaktionen. Deshalb müssen sie die Form unternehmerischen Engagements annehmen. Die Einzelnen oder die kleinen Verantwortungseliten, die SEOs gründen, setzen Wertestandards, die andere lokal übernehmen können, wenn sie das Thema erregt oder wenn sie den sozialen Nutzen sehen. Die Initiatoren der SEOs agieren als Sozialmodelle, manchmal sogar als Tugendmodelle. Tugendmodell heißt hier modern: Sie treten authentisch auf; ihre SEO muss anderen anbieten, über das Ziel der sozialen Unternehmung ihre eigene Authentizität entfalten zu lassen. Das Unternehmerische ist ein neues Sozialmodell (= moral entrepreneurship). Es geht, wie oben schon angemerkt, um Transformation, um neues Verhalten. Wenn die SEO etabliert ist, bildet sie über ihre sozialen Standards unter ihren Mitgliedern und ihrer Klientel ein spezifisches social capital heraus: Man investiert in neue Interaktionsmodalitäten, in spezifische Reziprozitäts- und Fairnessmodelle, die nur deshalb gelten, weil alle, die in dieses social capital investieren, einen spezifischen social return erwarten, von dem sie wissen, dass er nur durch ihre Aktivitäten generiert und stabilisiert wird.
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
Erweist sich die SEO als sozial unproduktiv, zerfällt sie. Sie ist auf effektiven sozialen Ertrag ausgelegt. Sie wird von vornherein nicht als soziale Institution angelegt, die über ihr shared mental model die Aktivitäten der Beteiligten regelhaft ausrichtet, sondern als Unternehmen. Ohne kontinuierliche Investition, ohne fortlaufendes soziales Engagement, verliert sie ihre Geltung und Existenz. Sie fordert die Transformation der Beteiligten: Alle müssen sich als moral entrepreneur verstehen. Nur wenn es den SEOs gelingt, ihre Mitglieder zu transformieren, stellt sich der soziale Wert ein. Diese besondere Form der SEOs als social oder moral entrepreneur arbeitet mit pragmatischen Moralen, die ideelle mit finanziellen Motiven verknüpfen (die Gefahr, das Moralische, das Finanzielle und das Unternehmerische dominieren zu lassen, besteht natürlich: Jede SEO kann in einen sozialen Vereinszustand zurückfallen, dem die Ideologie wichtiger ist als die Leistung und soziale Wirksamkeit). Im Finanzbereich agieren sie auch neu: Sie finanzieren sich nicht hauptsächlich durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge (wie die klassischen Solidaritätsmodelle), sondern bieten eine organisatorische Form an, die es Dritten erlaubt, in sie zu investieren (venture philanthropy) [siehe dazu die Beiträge in Abschnitt IV]. Erst die auf Management, Unternehmertum und Effektivität gegründete Form der SEO macht sie dem Kapital- und Stiftungsmarkt zugänglich, zum Beispiel in der Form der Finanzierung durch CSR-Programme der Marktunternehmen. Hier bilden sich Komplementaritäten heraus; SEOs übernehmen z.T. die Organisation von CSR-Maßnahmen der Unternehmen, was den Legitimitätsgrad erhöht, da es das Unternehmen nicht selber ausführt. Im Gegensatz zu klassischen sozialen Dienstleistern gewähren die SEOs eine Transparenz ihrer Finanzen und haben strategische Ziele. SEOs sind den Unternehmen affine Strukturen, was die Kooperationschancen erhöht. Die Unternehmensform ist ein modernes Agens der sozialen Wertschöpfung, die die klassische Form der Verpflichtung zum Sozialen in eine Investition übersetzt: in eine moderne Form des Engagements, das klarer die Ressourcen berechnen lässt, die die soziale Aufgabe erfordert. Man muss sein moralisches Engagement einschätzen lernen, seine moralische Kompetenz. Jedes ideelle Motiv der Gründung einer SEO unterliegt einer Prüfung der strategischen Chancen – und der Risiken. Erst auf der Basis eines begründeten Geschäftsmodells sind Dritte bereit, es gegebenenfalls zu finanzieren oder zu bespenden. Die Form der Moral ändert sich. SEOs verknüpfen diverse moralische oder soziale Motive zu eigenen, strategisch ausgerichteten sozialen Standards. Gelingt die Etablierung eigener sozialer Standards, bildet die SEO ihr eigenes
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spezifisches social capital. Das ist aber nicht als neue, lokale Wertegemeinschaft zu verstehen, sondern als Ausprägung spezifischer sozialer Erwartungen und Interaktionsmuster. Es geht nicht um ideelle Kohärenz, sondern um soziale Leistungsfähigkeit – aber weder als sozialer Idealverein noch als reiner Sozialdienstleister. SEOs sind Agenturen der Ausbildung je spezifischer sozialer Intelligenz zur Lösung je spezifischer sozialer Fragen. Sie unterscheiden sich durch ihre je spezifische Kreativität in den Lösungen und Interaktionsmodalitäten. Sie erfinden neue Interaktionsformen, die nicht automatisch an die klassischen Muster der Reziprozität, Gleichheit oder Gerechtigkeit anknüpfen. Ihre moral oder social standards sind unternehmerische Lösungen sozialer Fragen, nicht automatisch soziale Lösungen sozialer Fragen. In dieser normativen Differenz unterscheiden sich SEOs von NPOs. Diese Besonderheit ist klarzustellen, um die empirische Beurteilung von SEOs leisten zu können. Vielen SEOs gelingt es nicht, den unternehmerischen Impuls durchzuhalten; sie gleiten ab in den Bereich klassischer sozialer Institutionen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Gleichheits-, Gerechtigkeits- und Reziprozitätsstandards dominant werden und die Arbeitsebene der SEOs zu beherrschen beginnen. Dann wird das unternehmerisch induzierte Moment der Ausbildung sozialer Intelligenz ausgetauscht gegen klassische wohlfahrtsinstitutionelle Muster – z.B. ‚dass alle gleich behandelt werden‘ etc. Diese Muster sollen nicht diskriminiert werden, aber die SEOs verlieren ihre Spezifität und wandeln sich in Wohlfahrtsorganisationen alter Prägung. Im modernen Markt für Philanthropie sind sie dann nicht mehr vollständig anschlussfähig. Der Markt für Philanthropie ist ein Name für moderne soziale Finanzierungen. Man könnte sagen: SEOs zeichnen sich vor den klassischen Sozialinstitutionen dadurch aus, dass sie für Dritte attraktiv sind für Finanzierungen. Das kann die Übernahme von CSR-Aktivitäten von Unternehmen sein, aber auch eine besondere Förderungswürdigkeit durch die Bürgerinnen und Bürger einer Kommune. Oder durch die Kommune selbst, die Teile ihres Sozialauftrages auslagert (social outsourcing), im Sinne von Public Private Partnership. SEOs sind netzwerkmoduliert: Weder nur strenge Organisation noch sozialer Verein, leben sie, um einen unternehmerischen oder Managementkern gruppiert, als Netzwerkstruktur. Zwei Netzwerke lassen sich unterscheiden: (1) das Netzwerk derer, die die Organisation des sozialen Unternehmens im engeren Sinne bilden. Sie sind zum Teil angestellt, zum Teil loser gekoppelt in ihren Aktivitäten. (2) das Netzwerk der sozialen Klientel, das aus sozialen Kunden besteht, die eine Bindung an das soziale Unternehmen entwickeln, die sie eher
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zu Partnern werden lässt. Gelingt das, diffundiert das Netzwerk 2 in das Netzwerk 1 bzw. beide Netzwerke koppeln sich lose. Beide Netzwerke stehen wiederum im Kontext medialer Netzwerke (Netzwerk 3): print-media (N 3a) und Internet (N 3b). Das Management der SEO ist der entscheidende Treiber für das Aufmerksamkeitsmanagement, das sich in N 3 agil bewegt. Hier zeigt sich, dass die entscheidende Differenz der SEOs zu anderen Wohlfahrtsformen ihre unternehmerische Organisiertheit ist, die zwei Foki hat: (a) ihr Aufmerksamkeitsmanagement und (b) ihre Kompetenz, sozialen Bewegungen (bzw. sozialer Erregtheit: social emotions) über einen Unternehmerkern organisationale Strukturiertheit zu verleihen. Beides macht sie unternehmensfreundlich, d.h. sichert neue Zugänge zu Finanzierungen, über die klassischen des Mäzenatischen und Philanthropischen hinaus. SEOs sind, der Form nach, Marktpartner. Sie verkaufen ihre social standards, wenn sie in den Transaktionen eingehalten werden. Sie sind die legitimen Vermittler von ideellen Werten und social services, ohne ideologische Frames. Vornehmlich arbeiten sie als Bewertungsinstanzen. Valuation spielt eine zentrale Rolle in der Koordination von Handlungen. Die soziale Struktur ist durch drei Arten von Bewertungsordnungen gekennzeichnet: (a) interfaces (nach Qualitäten bzw. nach quality values ordnend), (b) arenas (nach purity values ordnend) und (c) councils (nach Prestigewerten ordnend). Was hier der Industrie (a), dem Markt (b) und der Politik (c) zuordnet ist, lässt sich allgemeiner für unsere soziale Werttheorie verwenden. Die SEOs sind zweidimensional strukturiert: Interfaces und councils dominieren. Vornehmlich sind die SEOs durch ihre Qualitätsbewertungen gekennzeichnet. Sie zeichnen soziale Defizite durch kompensatorische Leistung aus. Indem sie die Schnittstelle sozial/unternehmerisch besetzen, bewerten sie Zustände neu, die vordem nicht oder zu wenig beachtet wurden. Die councilDimension bewertet zum einen die Aktivitäten der SEO-Mitglieder als statusbewehrt, zum anderen erzeugen sie gesellschaftliche Aufmerksamkeit durch medialen Einsatz. Lediglich die arenas bleiben unterbewertet: Es gibt kein soziales Preissystem, keinen social market in der Leistungsebene, wohl aber in der Finanzierungsebene. Nur die SEOs werden finanziert, die gute und neue Bewertungen in der interface- und in der council-Dimension bieten. Die soziale Wertschöpfung wird durch unternehmerische Bewertung von sozialen Zuständen erzeugt, die über die spezifische Qualität der SEO (oft allein schon durch eine intelligente Entdeckung von Defiziten und Lösungen) und über die entsprechende mediale Aufmerksamkeit geleistet werden.
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SEOs sind dann attraktiv für die Finanzierung durch Unternehmen, wenn sie eine Singularität darstellen, eine unternehmerische Spezifität, die eine Art sozialer Innovation darstellt und deshalb medial besonders vermarktet werden kann. Hier wirkt, über die erzeugte Aufmerksamkeit, eine für soziale Organisationen neue Wettbewerbsdimension: Wer ist am ehesten in der Lage, Finanzen zu mobilisieren? Bisher haben wir die unternehmerische und soziale Leistungsdimension herausgehoben. Es gibt noch eine weitere, oben bereits angedeutete, Dimension: Das, was die SEOs für junge high potentials so attraktiv macht, (fast) gratis mitzuarbeiten, ist nicht die SEO, sondern die über sie ausgewiesene Qualifikation entrepreneurialer Kompetenz. Das sind Karriereoptionen hochwertiger Art. In den Arbeitsmärkten des Berufsanfangs differenzieren sich junge high potentials u.a. auch dadurch, welche soziale Kompetenz sie vorzeigen können. Eine nachgewiesene Mitarbeit in SEOs qualifiziert sie hier besonders: Es ist kein Praktikum, sondern ein quasi unternehmerisches Engagement. Die, die sich z.B. als Studierende in SEOs engagieren, demonstrieren ihre high potentiality frühzeitig. SEOs bieten Chancen, relativ früh eigene Aktivitäten einzugehen (und, wenn sie nicht die Gründerinnen und Gründer der SEOs sind, relativ verantwortungsentspannt zu agieren). In dem Sinne haben wir es mit Elitenformationen zu tun, die eine eigenständige Zweckhaftigkeit der SEOs darstellen. In extremis ist der soziale Zweck nur ein Aufhänger für das Herzeigen früher Agilität und Anforderungsprofilierung. Marktunternehmen, die mit SEOs kooperieren, sollten ihre Kontakte für das eigene recruitment nutzen bzw. möglicherweise ist die CSR-Kooperation nur ein Vorwand für die eigene künftige Personalpolitik. Das sind keine abschätzigen Bemerkungen zum Schluss, sondern nur eine Sensibilisierung für eine Leistung, auf die hin die SEOs gewöhnlich nicht beobachtet werden: die sozial kompetente Generierung junger high potentials. Angesichts der manchmal bemerkbaren Diskrepanz zwischen performativem Anspruch und relativ bescheidener sozialer Wirksamkeit wird die Tatsache unterschätzt, dass die kooperative Organisation junger Aktivisten möglicherweise bereits die gesellschaftliche Leistung ist. Wenn dann noch tatsächlich ein effektiver bis effizienter social service hinzukommt – wesentlich dann, wenn erfahrene Aktivisten dabei sind, die aus anderen Branchen hierher gewechselt haben –, haben wir eine multiple Instanz, die drei Aspekte zugleich bedient: (a) die spezifische soziale Leistung, (b) ihre mediale Thematisierung (was selber bereits ein Beitrag zur sozialen Frage ist)
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
und (c) soziale Bildung von high potentials. Gerade dieses Mehrebenenspiel wiederum ist für junge Intelligenz attraktiv. Ist es dann nicht sinnfällig, die SEOs eher als Teile des Bildungswesens einer Gesellschaft zu betrachten, ausgeführt an gesellschaftlich legitimierten Projekten sozialer Leistungen?
Wie Social Entrepreneurs wirken – Beobachtungen zum Sozialunternehmertum in Deutschland Felix Oldenburg
Wie nur wenige Trends zuvor in Deutschland hat „Social Entrepreneurship“ [ebenso wie Sozialunternehmertum und Sozialunternehmen im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] innerhalb weniger Jahre eine erstaunliche Karriere erlebt. Die aktuelle Konjunktur ist umso erstaunlicher, als das Konzept nicht nur mit einem im Deutschen sperrigen Namen antritt, sondern auch sonst nur schwer in die Erwartungen und Aufgabenteilungen passt, die sich hierzulande etabliert haben. Der gängigen Definition von Gregory Dees (1998) entsprechend sind Sozialunternehmerinnen und -unternehmer Initiatoren innovativer Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen sowie Impulsgeber für neue Ressourcenströme und soziale Märkte. Der Archetyp des Sozialunternehmers bzw. social entrepreneur ist der Gründer einer neuartigen Sozialeinrichtung für eine benachteiligte Bevölkerungsgruppe in einem Entwicklungs- oder Schwellenland. Unternehmertum im Sinne einer wirtschaftlichen Selbständigkeit ist hier allein aus Mangel an finanziellen Mitteln ohne Alternative und die Wachstumsabsicht ungebremst von konkurrierenden Akteuren oder gar einem Sozialstaat. Gemessen an diesem Bild haben die in Deutschland – und darüber hinaus in Kontinentaleuropa – aktiven Sozialunternehmerinnen und -unternehmer andere Ausgangsbedingungen: In einem ausdifferenzierten und nur in engen Regeln wettbewerblich organisierten Sozialsystem sind unternehmerische Innovationen selten und wirtschaftliche Unabhängigkeit von staatlichen oder anderen Gebern oft wenig naheliegend. Und Wachstum jenseits der lokalen Ebene stößt sofort an konkurrierende Gestaltungsansprüche anderer Spieler im Sozialsystem beziehungsweise der öffentlichen Hand selbst (Abbildung 1). Kurz: Wie SEOs aussehen und wichtiger noch, wie sie wirken und wachsen, ist in Deutschland anders als in den Ländern, die unsere Wahrnehmung dieses globalen Phänomens bestimmen. Die nachstehenden Ausführungen sind als Beobachtungen und Hypothesen zu verstehen, die es in den folgenden Jahren der Praxis zu bestätigen, zu präzisieren oder zu widerlegen gilt. Grundlage dieser Überlegungen sind die Erfahrungen in der praktischen Förderung einiger Dutzend deutscher SozialunternehmerInnen über fünf Jahre, Auswahlgespräche H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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mit zahlreichen Personen und Organisationen, die sich als Sozialunternehmen verstehen, sowie viele Kooperationen und Verhandlungen mit Unternehmen, Stiftungen, Verwaltung und Politik. –
Social entrepreneurs zeichnen sich gegenüber anderen Akteuren des Sozialsektors nicht primär dadurch aus, wie sie Einkommen erwirtschaften, sondern durch ihre transformative Wirkung auf Systeme, die gesellschaftliche Probleme verursachen oder fortschreiben.
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Social entrepreneurs schaffen selbstwachsende und oft marktähnliche Modelle, indem sie versteckte Ressourcen aufdecken, neue Marktverbindungen herstellen, EmpfängerZielgruppen selbst zu Multiplikatoren und Koproduzenten machen oder Transaktionskosten senken.
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Social entrepreneurs denken Wachstum anders: Statt nur durch Organisationswachstum steigt ihre Wirkung vor allem indirekt durch Nachahmer, Kooperationen, Regelveränderungen. Sie maximieren die Wertschöpfung im Gesamtsystem statt in der eigenen Organisation.
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Social entrepreneurs haben auch in einem ausdifferenzierten Sozialsystem wie in Deutschland eine wichtige Rolle als Forschungs- und Entwicklungseinheit für das Gemeinwohl, brauchen aber eine maßgeschneiderte Unterstützungslandschaft von Gründungsförderungen bis Eigenkapitalfinanzierung.
Abbildung 1: Kennzeichen von Sozialunternehmerinnen und -unternehmern in Deutschland
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Wie Social Entrepreneurs wirken
In der Analyse von Sozialunternehmen gibt es keine einfache Vergleichsgruppe und damit Einordnung. Sie lassen sich nicht auf ein Feld wie etwa soziale Dienstleistungen festlegen, denn sie sind im Bildungs- und Gesundheitssystem, im Umweltschutz und Regionalentwicklung, in der Demokratieförderung und Armutsbekämpfung sowie in zahlreichen weiteren Feldern aktiv. „Sozial“ ist auf alle möglichen gesellschaftlichen Missstände bezogen und daher auch dynamisch erweiterbar. Der Wortbestandteil „Unternehmen“ ist definitorisch reichhaltiger, provoziert aber oft das Missverständnis, Sozialunternehmen ließen sich durch eine besondere finanzielle Leistungsfähigkeit oder eine kommerzielles Handeln zulassende Rechtsform von anderen sozialen Organisationen unterscheiden. Tatsächlich gibt es SEOs mit den unterschiedlichsten Geschäftsmodellen und Rechtsformen, und in weiten Teilen der deutschen Sozialwirtschaft agieren auch soziale Organisationen weitgehend wie Unternehmen mit den entsprechenden Unternehmensfunktionen und (Kombinationen von) Rechtsformen. SEOs unterscheiden sich im Kern weder in der Thematik ihrer Aktivität noch in der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung von etablierten Akteuren, sondern in ihrer im Schumpeter‘schen Sinne unternehmerischen Wirkungs-
Oldenburg: Sozialunternehmertum in Deutschland
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absicht, der Veränderung eines bestehenden Systems durch eine kreative und manchmal zerstörerisch-schöpferische Innovation und zwar jenseits des Einzelfalls und mit dem Motiv der Marktdurchdringung – was bei sozialen Problemen oft nicht weniger bedeutet als die Lösung des Problems selbst. Hier liegt die vielleicht interessanteste Parallele: In der persönlichen Motivation und ihren professionellen Eigenschaften sind social entrepreneurs Unternehmerpersönlichkeiten aus der traditionellen Wirtschaft ähnlich. In der Konsequenz bedeutet ihr unternehmerischer Erfolg aber nicht, einen Markt zu erobern, sondern mit dem gesellschaftlichen Problem letztlich auch ihre eigene Geschäftsgrundlage zu beseitigen. Damit rückt die Gründerperson selbst in den Mittelpunkt vieler Analysen und auch vieler Förderstrategien. Das macht die Eingrenzung der Funktionsweisen freilich nicht unbedingt leichter: Wie immer in der Innovationsförderung ist die Vorbestimmung von Kriterien schwer, da sich das Neue eben oft den Schablonen entzieht. Beispielsweise ist eines der wirkungsstärksten, sozialunternehmerischen Gleichstellungsprojekte nicht eine Mütter-, sondern eine Väter-Initiative (Väter gGmbH, www.vaeter.de), die zudem auch noch statt einer im Feld typischen Interessenvertretung für Betroffene Unternehmensberatung für Personalabteilungen macht – was auch in der Umwandlung des ursprünglichen e.V. in eine unternehmerische Rechtsform gespiegelt wird. Damit wirkt das Modell an der Wurzel der Karrieredynamiken von Vätern statt an den Symptomen in den nachgelagerten Unterstützungseinrichtungen für junge Familien, passt aber damit kaum in die Erwartungen (und weit schwerwiegender: in die Fördermechanismen) der Stakeholder im Feld. Wesentlich für die Innovation von SEOs ist meist ein neuer Umgang mit Ressourcen. Typisch für ihre Vorgehensweise ist die Entdeckung einer neuen Zielgruppe, die eine Lösung mitproduzieren kann statt (nur) Leistungen zu empfangen. Der Duisburger Frauenarzt Frank Hoffmann etwa bildet blinde Frauen aus, Tastuntersuchungen zur Brustkrebsvorsorge in gynäkologischen Praxen durchzuführen und so eine in der Früherkennung der üblichen, zweiminütigen Tastuntersuchung durch Ärztin bzw. Arzt weit überlegene Diagnoseleistung zu erbringen (Discovering Hands, www.praxisfuerfrauen.de; www.discoveringhands.de). Quasi nebenbei entsteht ein neues Berufsfeld für Sehbehinderte, in dem ihr ausgezeichneter Tastsinn einen Wettbewerbsvorteil darstellt: Eine neue Ressource für ein vorsorgendes Gesundheitssystem, das angesichts des demographischen Wandels immer aufwendiger wird. Oft ist es die gesellschaftlich problematisch wahrgenommene Zielgruppe selbst, die zum Multiplikator einer Lösung wird: Murat Vural baut in Nord-
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rhein-Westfalen ein schneeballartiges Mentorensystem von (vor allem) türkischstämmigen Studierenden auf, die Abiturienten mit einem ähnlichen Migrationshintergrund für ein Honorar begleiten und damit auch zum Studium ermutigen (SHS² – Studenten/Schüler helfen Schülern, www.ibfs-ev.org). Dafür arbeiten die Schüler mit jüngeren Schülern wiederum als Mentoren, und diese wieder mit noch jüngeren. Die biographische Nähe der Mentoren erzeugt eine hohe Wirkung und Verbindlichkeit der Gegenleistung, mit einem geringeren finanziellen Aufwand für die Familien als die marktetablierten Nachhilfe-Unternehmen. Man kann diese Funktionsweise im Vergleich zu vielen etablierten Organisationen in den jeweiligen Feldern als Hebelwirkung beschreiben. Während der Finanzbedarf vieler traditioneller Sozialträger proportional mit dem Wachstum der Wirkung steigt, bauen social entrepreneurs auf bisher unentdeckte Ressourcen und beschleunigen die Verbreitung der Lösung aus sich selbst heraus. Oder mit einer vereinfachenden Formel: Empowerment statt Dienstleistung, Koproduktion statt Fertigprodukt. Eine Analyse der Geschäftsmodelle von SEOs in Deutschland zeigt (Abbildung 2), wie diese Modelle typisiert werden können, auch wenn die Innovation oft im Detail liegt und nicht aus dem Typus hervorgeht. Dabei fallen auch einige Analogien mit Geschäftsmodellen der Wirtschaft ins Auge. Tatsächlich ist es manchmal auch der Methodentransfer aus der Wirtschaft in den Sozialsektor, mit dem sich SEOs auszeichnen. Dies ist aber weit seltener der Fall als oft angenommen und bezieht sich oft „nur“ auf die Querfinanzierung einer notwendigerweise defizitären Aktivität durch eine Überschüsse erwirtschaftende Nebenaktivität. So nutzen viele social entrepreneurs ihre Fachkompetenz, um über Beratungsdienstleistungen ihr Kerngeschäft zu subventionieren – zumal in einer Aufbauphase. Der Freiburger Landwirt Christian Hiss ist mit der Regionalwert AG (www.regionalwert-ag.de) ein Pionier für kleinteilige, lokale Landwirtschaft in der Hand von BürgerAktionären. Er kauft vom Verschwinden bedrohte Betriebe, finanziert den Übergang zu neuer Leitung und Öko-Landwirtschaft, beteiligt mittlerweile 500 AnteilseignerInnen transparent an Strategieentscheidungen, die ihre Rendite bestimmen. Damit macht er die bei rein kommerziellen Investoren unattraktiven Geschäftsmodelle finanzierbar und erhält landwirtschaftliche Vielfalt und Beschäftigung. Das Modell ist nach wenigen Jahren bereits selbsttragend, braucht aber bis zum Wiederverkauf der Höfe Gewinne, die er aus einer Beratungstätigkeit erzielt.
Oldenburg: Sozialunternehmertum in Deutschland
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Modell
Kennzeichen und Beispiele
Kooperationsplattform
Niedrige Transaktionskosten ermöglichen soziale Marktplätze und Kooperationsplattformen oder verbinden verteilte Zielgruppen zum gemeinsamen Handeln (www.betterplace.org; www.abgeordnetenwatch.de; www.co2online.de; www.wheelmap.org)
Multiplikatorenprojekt
Organisationen mobilisieren und qualifizieren (oft schneeballartig) Menschen als Mit-Produzenten einer neuartigen Leistung (Irrsinnig Menschlich e.V., www.irrsinnig-menschlich.de; Eltern AG, www.eltern-ag.de; SHS², www.ibfs-ev.org; ArbeiterKind, www.arbeiter-kind.de; Yesil Cember, www.yesil-cember.de)
Qualifizierungsprogramm
Vermittlung neuer professioneller Fähigkeiten führt zur (Re-)Integration vorher marginalisierter Zielgruppen (Violence Prevention Network, www.violence-prevention-network.de; Hand In, www.hand-in.de; JobAct, www.projektfabrik.org; KISS, www.kiss-heidelberg.de; Discovering Hands, www.discoveringhands.de; Box Girls International, www.box-girls.org)
Mikrofinanz
Mikrokredite, -spenden oder -versicherungen erschließen neuen Gruppen wirtschaftliche Perspektiven (Enterprise, www.enterprise-netz.de; Mikrokreditfonds Deutschland, www.mikrokreditfonds.de)
Anteilseignergesellschaft
Vergemeinschaftung des Eigentums an einer gemeinsam genutzten Infrastruktur mit neuen Bewertungs- und Entscheidungskulturen (Elektrizitätswerke Schönau, www.ews-schoenau.de; Regionalwert AG, www.regionalwert-ag.de)
Marktkatalysator
Zusammenführung von Angebot und Nachfrage zu inklusiveren Märkten (Streetfootballworld, www.streetfootballworld.org; Peace Counts School, www.friedenspaedagogik.de; stop&go)
Abbildung 2: Typische Geschäftsmodelle von social entrepreneurs
Charakteristisch für SEOs ist aber, dass ihre Einnahmestrategien direkt mit der sozial transformativen Idee verbunden sind. In ausschließlich Spenden sammelnden Organisationen häufig anzutreffende Geschäftszweige mit Versand von Grußkarten oder T-Shirts etwa gibt es bei Sozialunternehmen selten, denn sie binden wirkungsneutrale Ressourcen und erzielen nicht selbst noch eine gesellschaftliche Wirkung (über den PR-Effekt hinaus). Ideal ist es, wenn die Einkommenserzielung möglichst nah an der Zielgruppe und der gesellschaftlichen Wertschöpfung stattfindet. Auch im Fall von Christian Hiss dient die Beratung nicht nur zur Gewinnerzielung, sondern ist Teil der Verbreitungsstrategie für die Idee, indem weitere Regionen und Unternehmen für die Methode der Regionalwert AG und die sozialökologische Wirkungsmessung in der Landwirtschaft gewonnen werden.
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
Die Analogie von SEOs zu Wirtschaftsunternehmen ist also wichtig, insbesondere im Hinblick auf effizienten Mitteleinsatz und Wettbewerbsvorteile durch Innovation, aber sie ist irreführend hinsichtlich der unternehmerischen Ziele und Prioritäten. „The test of successful business entrepreneurship is the creation of a viable and growing business. The test of social entrepreneurship, in contrast, maybe a change in the social dynamics and systems that created and maintained the problem“ (Alvord et al. 2003: 139).
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Wie Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer wachsen
Social entrepreneurs haben entsprechend ihrer Veränderungsvision auch eine Wachstumsabsicht, in der sie UnternehmerInnen ähneln, die mit einem neuen Produkt einen Markt erobern wollen. Während die Quelle für Wachstum in profitorientierten Unternehmen in den eigenen Erträgen liegt, die entweder aus dem laufenden Geschäft Investitionen ermöglichen oder Fremdkapital mit der Aussicht auf zukünftige Gewinne anziehen, ist dieser Mechanismus für die meisten SEOs aber nicht anzunehmen. Sie arbeiten in Feldern, in denen Gewinne nicht leicht möglich sind und Marktmechanismen erst konstruiert werden müssen. Durch ihre Schwerpunktsetzung auf die gesellschaftliche Wirkung sind ihre Erträge meist negativ oder so gering, dass sie daraus allein aus eigener Kraft nicht wachsen können. Zusätzlich sind viele ihrer Einnahmequellen mit erheblichen Verwendungsbeschränkungen versehen: Die meisten öffentlichen Projektmittel sind Defizitfinanzierungen, die nur Finanzierungslücken in genau beschriebenen Vorhaben schließen, und auch Mittel von Stiftungen sind oft an konkrete Projekte gebunden und erlauben keine unternehmerisch-flexible Investitionstätigkeit. Oft haben solche Mittel sogar einen auf die Entwicklung der Organisation und ihrer Wirkung schädlichen Effekt, da sie keine Anreize und Freiheiten für Substanzwachstum herstellen, sondern Unternehmerinnen und Unternehmer oft zeitlich beschränkt an Vorhaben binden, die danach aus Mangel an Folgefinanzierungen wieder eingestellt werden müssen. Wachstum unterliegt also schwierigeren Bedingungen als in funktionierenden Märkten und klar etablierten öffentlichen Regelfinanzierungen. Zunächst stellt sich die Frage, woran social entrepreneurs ihr Wachstum überhaupt messen. An die Stelle des shareholder value tritt die Wertschöpfung für die Gesellschaft, und diese lässt sich in sehr unterschiedlichen Wirkungsindikatoren ausdrücken. Das Ziel des eigenen Wirkungswachstums ausdrücken zu können (also die Steigerung der outcomes), ist für viele SEOs ein wichtiger Schritt in der eigenen Entwicklung und unterscheidet sie von Organisationen,
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die – oft auch jenseits der Startphase – über das eigene Wachstum im Sinne von Organisationsgröße, Umsatz oder ähnlichen aktivitätsbezogenen Messgrößen (outputs) nachdenken. Die Initiative ArbeiterKind.de (www.arbeiter-kind.de) ist innerhalb von zwei Jahren nach der Gründung bei einer Organisationsgröße von einer ehrenamtlichen Nebenbeschäftigung zur Organisation mit zwei „Hauptamtlichen“ gewachsen, hat aber in derselben Zeit neunhundert „Arbeiterkinder“, die also nicht aus Akademikerfamilien stammen und die sich bei gleicher Qualifikation weniger als halb so häufig wie Akademikerkinder für ein Studium entscheiden, als aktive MitstreiterInnen an 60 Universitäten gewonnen, die Jugendliche mit demselben Hintergrund an Schulen zum Studium ermutigen und auf dem Campus begleiten. Die Produktion von Aktivitäten steigt fast völlig unabhängig von den Ressourcen in der „Zentrale“. Die Wirkung wiederum geht über die Veränderung hinaus, die diese Multiplikatoren mit ihrer Arbeit etwa in Form von mehr Entscheidungen für ein Studium oder besseren Bildungsergebnissen erreicht haben: Durch den Erfolg ihrer Initiative hat die Gründerin Katja Urbatsch ein Modell insbesondere für die Begabtenförderwerke geschaffen, die bislang Schwierigkeiten haben, diese Zielgruppe auch nur entsprechend ihrem Anteil an den Studierenden zu fördern. Die entstehenden Kooperationen steigern die Wirkung, ohne dass sie in einer oberflächlichen Betrachtung allein der SEO ArbeiterKind.de zuzurechnen sind. Damit entsprechen die Wachstumsstrategien von social entrepreneurs nicht den Mustern von Organisationen, die einfach nur selbst groß werden wollen. Vereinfacht lässt sich zwischen direkter und indirekter Wirkung unterscheiden: Während die direkte Wirkung mit den von der Organisation selbst produzierten Aktivitäten verbunden ist, entsteht die indirekte Wirkung aus Multiplikation, Nachahmung, Kooperationen, Regelveränderungen im Umfeld der Organisation. Indirekte Wirkung wiederum ist oft nicht allein einem Urheber zuzuordnen, ist aber für systemverändernde Innovationen die entscheidende Erfolgsgröße. Ob die Organisation der Sozialunternehmer bei der Erreichung eines solchen Wandels in einem herkömmlichen Sinne gewachsen ist, also an Umsatz oder Mitarbeiterzahl zugelegt hat, ist praktisch irrelevant. Kluge SozialunternehmerInnen planen nicht von den vorhandenen Inputs aus die möglichen Aktivitäten und hoffen dann auf eine Wirkung – sie planen von der Wirkung her und fragen sich, welche Aktivitäten diese Wirkung erzeugen können und genau welche Inputs sie dafür brauchen bzw. welche Aktivitäten auch von Anderen im Umfeld produziert werden könnten. Anders formuliert: Die Reichweite von social entrepreneurs übersteigt ihren Schlagradius, ihr Merkmal ist „dass sie auf mehr
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
Ressourcen zugreifen als die, über die sie momentan verfügen“ (Faltin 2008: 29). Daraus folgt eine zentrale Hypothese: Während Unternehmen Wertschöpfung soweit wie möglich internalisieren, maximieren SEOs die Wertschöpfung im gesamten Umfeld. Oder anders gesagt: Kein Aktionär würde den Erfolg von Ford damit beschreiben, wie viele Autohersteller durch die Massenmarktdurchdringung entstanden sind. Wirkungsorientierte Finanziers von SEOs denken anders: Für sie ist die Entstehung eines Marktes mit Nachahmern sehr wohl ein Erfolg, wenn dadurch mehr Wirkung erzielt wird als je durch die unterstützte Sozialunternehmung allein hätte produziert werden können. Für die Steigerung der so verstandenen Wirkung werden „offenere“ Verbreitungsstrategien wichtig (Abbildung 3). Ein gutes Beispiel ist Hamburger Wellcome gGmbH (www.wellcome-online.de), ein Betreuungsangebot für Familien in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt, bei dem Hausbesuche geringfügig bezahlt werden, um Fortbildungen und Qualitätssicherung zu finanzieren. Das Konzept ist praktisch omnipräsent in Kliniken, Ämtern und Kinderläden durch die Partnerschaften mit Wohlfahrtsträgern und anderen Organisationen, die sehr wenig Aufwand haben, um das Konzept praktisch „huckepack“ mit ihren anderen Angeboten mit zu kommunizieren und zu tragen.
Open Sourcing
hoch Netzwerke (Social) Franchises
Geschwindigkeit Filialen gering
Zentrale hoch
Kontrolle
gering
Abbildung 3: Wachstums- und Verbreitungsstrategien von Sozialunternehmen
Auch für noch offenere Wachstumsmodelle gibt es international viele sozialunternehmerische Beispiele. Hier bieten sich als Referenzpunkt auch Strategien aus der New Economy an: Die marktverändernde Wirkung etwa von WikipediaGründer Jimmy Wales auf den Markt der Nachschlagewerke ist gut beschrieben, und mittlerweile suchen viele Unternehmen und Investoren nach sich „epidemisch“ verbreitenden Modellen, bei denen Communities zu Mitproduzenten werden. Den besten social entrepreneurs gelingt es in ähnlicher Weise, derartige Bewegungen zu starten, wenn sie es schaffen, ihre sozialen Innovationen so auf eine Kernidee zu fokussieren, dass sie von Anderen (mit-)produziert werden
Oldenburg: Sozialunternehmertum in Deutschland
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können. Die Mikrokredite, die in der Kernidee bereits zweihundert Jahre alt sind und ihre Wurzeln mit Raiffeisen auch in Deutschland haben, haben sich nicht zuletzt durch die Pionierarbeit von Muhammad Yunus als gängiges Element in der Arbeit von SEOs (und vielen Anderen) weltweit durchgesetzt, ohne dass Yunus‘ eigene Grameen Bank (www.grameen.org) hier noch Treiber sein muss [siehe dazu auch den Beitrag von Knüppel/Groß zur Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit]. Von diesen mittlerweile sogar global verbreiteten Ideen gibt es inzwischen viele, und mindestens eine bekannte auch aus Deutschland: Der oft beschriebene „Dialog im Dunkeln“ von Dialogue Social Enterprise (www.dialogue-se.com) ist über Dunkel-Ausstellungen und Trainingszentren auf drei Kontinenten expandiert – mittlerweile nicht mehr nur für die Blinde, sondern auch mit einem Transfer auf die Gruppe der Gehörlosen. An diesem Fall kann man auch gut eine weitere typische Strategie nachvollziehen: Statt der Ausweitung derselben Leistung auf immer mehr Menschen einer Zielgruppe kann die Grundeinsicht eines Sozialunternehmers – in diesem Fall die Umdeutung der vermeintlichen Schwäche von Sehbehinderten in eine Stärke – auch auf die Arbeit mit neuen Zielgruppen übertragen werden. Schließlich ist für die Wachstumsdiskussion ein weiterer Faktor relevant: Die Erwartungshaltung der Finanzierenden. Sie müssen die Wachstumsstrategien von SozialunternehmerInnen unterstützen, was in Deutschland noch eher die Ausnahme als die Regel ist. Gesellschaftliche und insbesondere InvestorenErwartungen orientieren sich oft ausschließlich an der direkten Wirkung und definieren Bedingungen und Ziele, welche Sozialunternehmerinnen und -unternehmer auf Strategien festlegen, die ihre Abhängigkeit von weiteren Finanzierungen erhöhen statt zu verringern. Diese „Fundraising-Falle“ ist mittlerweile leider gut verstanden: Organisationen expandieren entsprechend der Vorgaben von Finanzierenden (die sich diese Expansion als gut kommunizierbaren Erfolg zuordnen können) und legen entsprechend auch an Kostenniveau zu, um sich nach Ende der Förderung im Dilemma zu befinden, für die gewachsene Organisation Geld finden und gleichzeitig neue Vorhaben für Förderung definieren zu müssen. So wachsen die Kapitalbeschaffungskosten auf völlig unakzeptable, aber selten dargestellte Größenordnungen. Das ist übrigens nicht zuletzt auch eine Herausforderung an Methoden der Wirkungsanalyse, die sich meist auf die direkte Wirkung konzentrieren. Neue Standards zur Wirkungsberichterstattung sind glücklicherweise mittlerweile vorhanden und versprechen mittelfristig eine Angleichung von „aufgeklärten“ Investoreninteressen und Organisationsinteressen [siehe dazu auch den Beitrag von Roder et al. zu Reporting Standards].
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
Besonders kreative social entrepreneurs sind von solchen Wachstumsdilemmata unabhängig, indem sie möglichst viele verschiedene Einkommensstränge kombinieren und so nicht primär auf die Ziele weniger Kapitalgeber angewiesen sind. Die Internetplattform Abgeordnetenwatch (www.abgeordnetenwatch.de), auf der Bürgerinnen und Bürger Kandidaten und Volksvertretenden öffentlich Fragen stellen und Antworten diskutieren können, vollbringt bspw. das Kunststück, sich gleich aus sechs komplett unterschiedlichen Quellen zu finanzieren: Spenden aus Fördermitgliedschaften, Erlöse aus Internetwerbung, Gebühren für freiwillige Erweiterungen der eigenen Seiten von Abgeordneten und KandidatInnen, öffentliche Fördermittel, Gebühren internationaler Franchisenehmer sowie die Investition eines privaten sozialen Investors. Durch Kooperationen mit ‚Spiegel online‘ und anderen Medien erreicht Abgeordnetenwatch nicht nur eine große Öffentlichkeit, sondern wirkt dem Vertrauensverlust der Politik entgegen und eröffnet neue Mitwirkungsmöglichkeiten. 3
Wie Social Entrepreneurs Systeme verändern
Zweck einer SEO ist die Lösung eines gesellschaftlichen Problems. Da die meisten dieser Probleme nicht allein durch die Leistungen einer einzigen Organisation vollständig zu lösen sind, stellen die Modelle von Sozialunternehmern meist einen entscheidenden neuen Beitrag zu einem größeren System dar, in dem das Problem verursacht oder fortgeschrieben wird. Wie eingangs beschrieben, ist die Veränderung genau dieses Problemumfelds das schöpferische Ziel. Entscheidend für seine so beschriebene Systemveränderung ist die Addition aus direkter und indirekter Wirkung. Zur Illustration: Keine Bildungsinitiative wird direkt alle Schülerinnen und Schüler Deutschlands erreichen, aber wenn eine kritische Anzahl von Akteuren von einem neuen Modell überzeugt sind, kann ein Umschlagspunkt erreicht werden, ab dem kein zusätzlicher Antrieb mehr erforderlich ist und sich eine Lösung in der Mehrheit des Systems durchsetzt. Die mittlerweile besser erforschten Mechanismen zu solchen „tipping points“ (Gladwell 2002) sind typische Strategien von social entrepreneurs, von der Nutzung gut vernetzter Multiplikatoren bis hin zum „Haftenbleiben“ besonders einfacher oder gut erzählter Einsichten. Eine andere Form von Systemwirkung besteht z.B. in der Veränderung von Gesetzen oder Regulierungen. Auch wenn die als solche wahrgenommene Geschichte von SEOs in Deutschland noch zu kurz ist, um solche Wirkungen jenseits etwa Reformen von Lehrplänen o.ä. nachzuweisen, zeigt eine globale Analyse solcher Systemverände-
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rungen durch SEOs aus den letzten 30 Jahren fünf Haupttypen, die den meisten Innovationen zu Grunde liegen (Abbildung 4). Typ
Beispiele
Neue Marktverbindungen
Aufdecken einer neuen Marktressource, Verknüpfung von Wertschöpfungsketten
Wandel formaler Normen
Gesetzgebung, Regulierung, Standardsetzung, neue Bewertungssysteme
Auflösung von Sektorengrenzen
Angleichung unternehmerischer und sozialer Handlungslogiken und -kulturen
Integration neuer Marktteilnehmer
Aktivierung einer vorher marginalisierten Gruppe als Anbieter, Konsumenten oder Mitproduzenten
Multiplikation von Engagement
Wandel von Opfer- oder Empfängerhaltung zu selbständiger und kollaborativer Problemlösung
Abbildung 4: Typen sozialunternehmerischen Systemwandels (Ashoka 2009)
Die Erfolgsfaktoren von SEOs sind so unterschiedlich wie die Systeme, die sie verändern wollen. Dennoch gibt es Muster: In den Ländern, in denen das globale Phänomen SEO groß geworden ist, gibt es meist weniger starke öffentliche Sozialleistungen. Dementsprechend haben neue Lösungen mehr „Platz“ zum Wachsen bis sie in Wettbewerb zu anderen Angeboten treten oder an staatlichen Regulierungen anstoßen, die sie ja oft verändern wollen. In einem ausgeprägten Sozialstaat mit einer gewachsenen Landschaft von Wohlfahrtsorganisationen ist die Situation anders. Nach einigen Jahren der Erfahrungen mit SEOs in Deutschland lassen sich hierzu einige Beobachtungen festhalten.
Erstens gibt es auch in einem finanzstarken Sozialsystem wie Deutschland grundsätzlich eine wichtige Rolle für SEOs. Sei es in der Vernetzung von Opfern häuslicher Gewalt mit Unterstützungsangeboten (GESINE Interventionsnetzwerk gegen häusliche Gewalt, www.gesine-net.info) oder in der Beschulung jugendlicher Flüchtlinge (SchlaU!-Schule, www.schlau-schule.de), es gibt immer zahlreiche große und kleine Bevölkerungsgruppen, die keine adäquaten Leistungen erhalten oder nicht ausreichend mit den etablierten Systemen verbunden sind. SEOs können sich auch kleinteilige Innovationen leisten und Lösungen testen, die in Finanzierungsströmen etwa des Gesundheits- oder Bildungssystems nicht ohne größere Herausforderungen umzusetzen wären. Die Rolle der SEOs ist hierzulande seltener die eines voll auf Marktgröße skalierten Anbieters einer völlig neuartigen Leistung,
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
sondern häufiger die eines flexiblen und in Kooperationen eingewobenen Prototypen. Mit dem demographischen Wandel und der abnehmenden finanziellen Leistungsfähigkeit öffentlicher Kassen jenseits der Grundversorgung in Rente und Gesundheit wird diese Rolle zunehmend wichtiger für den Strukturwandel einer komplexen Gesellschaft. Wenn es nicht mehr Gründerpersönlichkeiten mit Mut zum Risiko, Durchhaltevermögen, Kreativität und Wachstumsabsicht gibt, wird es ein Lösungs- und Finanzierungsdefizit für immer mehr marginalisierte Gruppen und ihre Probleme geben. Je dünner die Finanzdecke, desto eher müssen neue Lösungen aus sich selbst heraus ohne ständige Subventionierung wachsen können. In diesem Sinne lernen bereits heute viele traditionellere Anbieter von SEOs und die Produktivität des Sektors steigt im Ganzen [siehe dazu auch den Beitrag von Dölle zu social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendhilfe]. Zweitens fordern SEOs etablierte Finanzierungsstrukturen und -kulturen heraus. Die neben der extrem seltenen Regelfinanzierung üblichen Formen öffentlicher Defizitfinanzierung und Zuschüsse machen es den Empfangenden schwer, ihre Mittel möglichst effizient einzusetzen und sogar unmöglich, ohne Verlust der Förderung weitere Mittel für ein Vorhaben einzuwerben. Kleinspenden haben als zweite Hauptquelle des Sozialsektors Einwerbungskosten von bis zu 40 Prozent und sind damit ebenfalls in sozialunternehmerischer Hinsicht unattraktiv. Mit dem Wachstum des Phänomens SEO halten zunehmend Finanzierungsformen im Sozialsektor Einzug, die eher aus der Startup-Finanzierung entlehnt sind. So stellen strategisch denkende Spenderinnen und Spender zunehmend neben Spenden auch Expertise und Beratung zur Verfügung, und es entsteht für soziale Wachstumsfinanzierungen ein Markt von Investoren, die auch Fremd- und Eigenkapital einsetzen und je nach Organisationsform und Geschäftsmodell die richtige Form von Kapital nutzen. Der Trend zur venture philanthropy bei Großspendern und Stiftungen ist hier ein wichtiger Antrieb und liefert zahlreiche internationale Vorbilder und Erfahrungen. Auch die öffentliche Hand könnte Mechanismen aus der Gründungsförderung leicht stärken sowie in den sozialen Sektor übersetzen und damit einen erheblichen Innovationsschub schaffen [siehe dazu auch die Beiträge von Kuhlemann oder von Alberg-Sebrich/Wolf]. Drittens brauchen SEOs neben der richtigen Form der Finanzierung auch Wachstumsstrategien, die stärker an die Verbreitung in einem ausdifferenzierten Sozialsystem mit zahlreichen konkurrierenden Gestaltungsansprüchen angepasst sind. Für viele Innovationen gilt, dass sie schneller mehr
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Menschen erreichen können, wenn sie so einfach sind, dass sie von Dritten kopiert werden können – wenn diese nicht so in bestehenden Regulierungen und Verträgen eingebunden sind, dass sie sich nicht bewegen können. Daneben liegt das größte Potential für SEOs in Kooperationen mit den flächendeckenden Wohlfahrtsverbänden und -organisationen. Und letztlich zeigen SEOs dem Sozialsektor auch ein noch fast ungenutztes Potential auf: Hybride Wertschöpfungsketten mit Unternehmen versprechen erhebliche Skaleneffekte und sind international bereits ein eigenes Feld geworden. Dafür sind in Deutschland aber auch Vorbehalte gegenüber der Vermischung gemeinnütziger und wirtschaftlicher Motive zu überwinden bzw. neue Regeln zu finden. Der Trend zum corporate volunteering muss sich noch als hilfreich erweisen [siehe dazu auch die Beiträge von Hackl zum Social Franchising oder von Heinze et al. zu hybriden Organisationen]. Und schließlich: SEOs brauchen eine ganze Landschaft von Unterstützerinnen und Unterstützern. Sie haben anders als viele „statischere“ Organisationstypen je nach Phase im Lebenszyklus unterschiedliche Bedürfnisse, die nicht alle von der öffentlichen Hand, aber eben auch nicht alle von privaten Spenden und sicher nicht alle allein aus den Ressourcen der SEO selbst zu befriedigen sind. In einer Startphase können auf die Person des social entrepreneurs oder seine Vernetzung mit Anderen abzielende Förderungen den größten Beitrag leisten. In einer Gründungsphase können Mikrokredite und ähnliche Instrumente helfen. In der Wachstumsphase können spezialisierte soziale Investoren und risikobereite Stiftungen unterstützen, während in späteren Phasen auch rückzahlbare und perspektivisch sogar am Finanzmarkt etablierte Produkte Formen der Investitionen möglich werden. Von einer solchen koordinierten Unterstützungslandschaft ist Deutschland jedoch noch weit entfernt [siehe dazu auch den Beitrag von Breidenbach zu Sozialbörsen].
Auch wenn SEOs hierzulande im Detail eigene Formen ausprägen, ist der vielleicht wichtigste Wirkungsmechanismus universell und fundamental: Je mehr Menschen sich selbst zum Handeln als SozialunternehmerInnen inspiriert fühlen, statt nach der Zuständigkeit des Staates oder Dritten nach der eigenen Verantwortung und Lösungskompetenz zu fragen, desto mehr steigen die Selbst-
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heilungskräfte und die Resilienz gegenüber gesellschaftlichen Schieflagen. Eine Gesellschaft, die schneller Lösungen für ihre Probleme entwickeln und umsetzen möchte als neue entstehen, ist auf social entrepreneurs angewiesen – als Forschungs- und Entwicklungsabteilung für das Gemeinwohl, aber auch als Mobilisierer von bürgerschaftlichem Engagement, der wichtigsten nachwachsenden Ressource. Quellenverzeichnis Alvord, Sarah/Brown, David/Letts, Christine (2003): Social entrepreneurship – Leadership that facilitates societal transformation – An exploratory study. John F. Kennedy School of Government at Harvard University. Working Papers Center for Public Leadership. Spring 2003: 135-159. Ashoka (2009): Ashoka fellows changing systems 2010. http://www.ashoka.org (letzter Aufruf: 1.11.2010). Braun, Gerald/French, Martin (Hrsg.) (2008): Social Entrepreneurship – Unternehmerische Ideen für eine bessere Gesellschaft. Rostock. Dees, J. Gregory (1998): The meaning of social entrepreneurship. Comments and suggestions contributed from the Social Entrepreneurship Funders Working Group. Harvard Business School. Boston. Faltin, Günther (2008): Social Entrepreneurship – Definitionen, Inhalte, Perspektiven. In: Braun/ French (2008): 25-46. Gladwell, Malcolm (2002): Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können. München. Hoelscher, Philipp/Ebermann, Thomas/Schlüter, Andreas (Hrsg.) (2010): Venture Philanthropy in Theorie und Praxis. Maecenata Schriften 7. Stuttgart.
Social Impact Business – Soziale und ökologische Probleme unternehmerisch lösen Peter Spiegel
Als mit der 1972 erschienenen Club of Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ das Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen wuchs, richteten sich die Erwartungen zum Handeln zunächst vor allem an den Staat. Dieser solle Gesetze erlassen und Richtlinien setzen, die Unternehmen und Konsumenten zu einem ökologisch verantwortungsvollen Handeln zwingen. Erst in den 1990er Jahren setzte sich allmählich das Bewusstsein durch, dass ökologisches Handeln auch ökonomisch sehr gut funktionieren kann [siehe dazu auch den Beitrag von Pauli/Haastert]. Die Lernkurve bezüglich der Versöhnbarkeit von Ökonomie und sozialen Anliegen verlief bisher wesentlich flacher. Hier dominiert noch immer die Vorstellung, für soziale Anliegen sei in erster Linie der Staat zuständig oder zivilgesellschaftliches Engagement, aber nicht die Wirtschaft. Diese Vorstellung wurde durch drei Impulsgeber gründlich in Frage gestellt: zunächst durch Bill Drayton mit seinem Konzept des „Social Entrepreneurship“ [ebenso wie Sozialunternehmen im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet], dann durch den Impuls des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus für „Social Business“ und schließlich durch den amerikanisch-indischen Wirtschaftswissenschaftler Coimbatore Krishnarao Prahalad mit seiner social impact-Orientierung – zum unschätzbar großen Nutzen der sozialen Anliegen und der Wirtschaft. 1
Social Entrepreneurship, Social Business und Social Impact Business
Bill Drayton, ein früherer McKinsey-Partner, trieb die Idee um, Persönlichkeiten zu identifizieren, die ihre unternehmerischen Talente nicht innerhalb der Wirtschaft, sondern im sozialen Bereich erfolgreich zur Entfaltung brachten. Folgende Fragen waren dabei maßgeblich: Sind diese Ideen in ihren Ansätzen wirklich ungewöhnlich, also innovativ? Zeigen Sie eine deutliche Wirkung an den avisierten sozialen Brennpunkten? Und sind sie skalierbar, also auch auf H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
andere Regionen und andere Menschen übertragbar? Dass derartige Innovationen sich auch noch wirtschaftlich rechnen, ist aus dieser Perspektive eher der Sonderfall. Die Organisationen, die sich der Förderung von social entrepreneurs gewidmet haben – wie beispielsweise die von Drayton selbst ins Leben gerufene Organisation Ashoka (www.ashoka.org), die Schwab Foundation for Social Business (www.schwabfound.org) oder die Skoll Foundation (www.skollfoundation.org) – konzentrieren sich zwar durchaus darauf, social entrepreneurs auf dem Weg zu besseren Fundraisern und Haushältern zu begleiten. Oft bedeutet dies jedoch eher eine Unterstützung beim Beantragen von Fördergeldern oder bei Medienkontakten, die für öffentliches Fundraising hilfreich sein können. Erst in jüngerer Zeit erkennt die social entrepreneurship-Szene, dass viele der von ihnen entdeckten SEOs sehr wohl das Potential besitzen, ihre Projekte zu selbsttragenden social businesses oder social impact businesses zu entwickeln und sogar Wirtschaftspartner für social joint ventures zu finden: Bis Ende 2010 identifizierte Ashoka weltweit etwa 2.000 social entrepreneurs, während die Zahl der social businesses im engeren Yunus‘schen Sinne kaum die Marke von 100 überschritten haben dürfte. Somit liegt das erste und wichtigste Potential für die weitere Entwicklung in Richtung von social (impact) businesses in den social entrepreneurs und in den Vorleistungen dieser Bewegung. Muhammad Yunus, der lange Zeit als der Vorzeige-social entrepreneur galt, gab folgende, sehr einfache Definition für social business: Es bezeichnet Unternehmen, deren alleiniger Gründungs- und Unternehmenszweck die Lösung eines gesellschaftlichen Problems ist, sei es in den Bereichen Armutsüberwindung, Zugang zu sauberem Wasser, zu gesunder Ernährung, zu nachhaltiger Energie, zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen oder zu grundlegender Bildung. Sie sollen dabei ihre Mitarbeiter fair entlohnen, eher oberhalb der marktüblichen Tarife, und ihnen darüber hinaus eine besonders freudvolle Arbeitsatmosphäre und sinnhafte Tätigkeit bieten. Sie sollen gewinnorientiert arbeiten, mindestens jedoch selbsttragend, also vollumfänglich wirtschaftlich. Social businesses sind somit innovative soziale Projekte im Sinne von SEO, die sich wirtschaftlich selbst tragen, also die Zone des Bedarfs an Spenden oder sonstigen Zuschüssen vollständig hinter sich gelassen haben (Yunus/Weber 2008; Yunus 2010; Spiegel 2009). Bis zu diesen Punkten decken sich auch die Definitionen von social business und social impact business. Lediglich in einem, wenn auch nicht unwichtigen Punkt, unterscheiden sich beide: Social businesses nach der Definition von Yunus verzichten auf jegliche Dividende für die Kapitalgebenden – sie sollen
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durchaus Gewinne erzielen, diese aber sollen vollständig reinvestiert werden, um allein den social profit weiter auszuweiten. Immer mehr Menschen und Unternehmen, die ansonsten den Impuls des Friedensnobelpreisträgers mit Begeisterung aufnehmen und umsetzen wollen, folgen ihm jedoch in der Frage der Gewinnausschüttung nicht. Sie argumentieren: Wenn es keinerlei Gewinnausschüttung an die Investoren gibt, wird erheblich weniger Kapital für die unternehmerische Lösung von sozialen Problemen bereit gestellt als sonst möglich wäre. Coimbatore K. Prahalad (2010) untersuchte Unternehmen oder Produkte, die in ihrer ganzen Ausrichtung auf den größtmöglichen social impact den Yunus‘schen social businesses entsprachen, dabei dennoch auch im üblichen Sinne gewinnorientierte Unternehmen blieben. Ihr social impact war keineswegs geringer als jener der „reinen“ social businesses. Wir fassen daher Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen, die in ihrer gesamten Ausrichtung auf den social impact angelegt sind, unter dem Überbegriff social impact business zusammen, unabhängig von der Frage der Nulloder einer moderaten Dividendenausschüttung. Muhammad Yunus sieht social business als einen spezifischen Sektor der Wirtschaft an, nicht als den Ersatz der bisherigen Wirtschaft. Zwar soll sich Wirtschaft generell an möglichst hohen Maßstäben ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung orientieren, aber zur Lösung der brennendsten gesellschaftlichen Probleme bedarf es nach Yunus eines eigenen Wirtschaftssektors, der den oben beschriebenen Prinzipien entspricht. Da für Yunus die Beseitigung der weltweiten Armut im Zentrum steht, besteht er für social businesses in diesem Bereich auf den Verzicht der Anleger und Anlegerinnen auf jegliche Rendite. Diese sollen, nachdem die social businesses, in die sie investiert haben, ihre Einlage aus dem laufenden Betrieb erwirtschaftet haben, diese wieder zurückerhalten können – allerdings ohne Zinsen, ohne Kompensation für das eingegangene Risiko und auch ohne Inflationsausgleich [siehe dazu auch den Beitrag von Kuhlemann zu Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft]. Für social businesses in diesem Segment der besonders Armen in der Weltgesellschaft sollen soziale Investorinnen und Investoren ihr finanzielles Engagement einerseits im Sinne einer „investiven Spende“ sehen, also als etwas, mit dem sie auch im Erfolgsfalle noch etwas Geld schenken, nämlich die Kosten für die Bereitstellung von Eigenkapital und die Übernahme des Risikos sowie den Inflationsausgleich. Andererseits wissen Investivspender, dass mit ihrem Geld – im Unterschied zu den meisten Spenden für Hilfsprojekte – bei social businesses eine dauerhaft funktionsfähige SEO in die Welt gesetzt wird, die ihre soziale Leistung für die betroffenen Menschen dauerhaft erbringen kann –
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ohne nach der einmal eingesetzten Investivspende auf weitere geschenkte Gelder angewiesen zu sein. Wenn soziale Investoren ihr Geld wieder zurückerhalten möchten, sobald die SEO den ursprünglichen Geldeinsatz durch ihre sozialunternehmerische Leistung wieder erwirtschaftet hat, reduziert sich zudem die Bedeutung des Begriffs „Investivspende“ auf nur noch den erlittenen Inflationsverlust und die sonst mögliche Verzinsung. Nach dieser Rechnung „spenden“ solcher soziale Investorinnen und Investoren also, je nach der Zeitdauer, bis ein Sozialunternehmen die Anfangsinvestition wieder erwirtschaftet hat, zwischen 10 und 50 Prozent ihres eingesetzten Kapitals. Der effektive Nutzen von funktionierenden social businesses liegt somit bei einem Vielfachen im Vergleich zu dauerhaft spenden- oder subventionsabhängigen Sozialleistungen, während sich gleichzeitig der Finanzeinsatz auf einen Bruchteil reduziert. Kann dies bereits als eine soziale Revolution bezeichnet werden, so wird durch social business ein weiterer Effekt erzielt, dessen humane Bedeutung noch wesentlich höher zu bewerten ist: Z.B. werden durch Mikrofinanzierung Menschen aus dem psychologischen Gefängnis des Almosenempfängerdaseins befreit – sie werden Teil eines ganz normalen Wirtschaftslebens, an dem sie in Fairness und Würde teilnehmen können: als Selbständige oder Angestellte sowie als Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen. Für social businesses, die für die Grundbedarfe der Allerärmsten in der Welt etabliert werden, hat das Prinzip des Verzichts auf eine Honorierung des eingesetzten Kapitals eine entscheidende Bedeutung. Die historische Erfahrung zu allen Zeiten sowie in allen Kulturen und Gesellschaften zeigt, wie stark diese Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer schwachen sozialen Stellung durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder Wucherzinsen bedroht ist. Typischerweise führt die Ausnutzung dieser Schutzlosigkeit zu derart niedrigen Entlohnungen beziehungsweise derart hohen Zinssätzen, dass die Betroffenen auch bei allergrößtem Arbeitseinsatz keine Chance haben, dem Teufelskreis ihrer bitteren Armut zu entkommen. Lohn und Wucherzinsen „pendeln“ sich in diesem „Marktsegment der Allerärmsten“ jeweils immer genau dort ein, wo die Chancenlosigkeit erhalten bleibt. Kleinkreditsysteme für die Ärmsten, die für die Anlegenden in Mikrofinanzfonds aus den Industrieländern Renditen von 15 oder gar mehr als 20 Prozent „erwirtschaften“ sollen – und solche Mikrofinanzfonds gibt es und werden sogar immer mehr und immer renditeorientierter –, erzeugen aufgrund der besonderen Wehrlosigkeit der Ärmsten sehr schnell erneut höchst ausbeuterische Verhältnisse. Für social businesses, die in diesem Segment tätig sind, sollte also unbedingt der von Muhammad Yunus vorgeschlagene vollstän-
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dige Verzicht auf Renditen, der Honorierung der Risikoübernahme und selbst auf Inflationsausgleich zur Anwendung kommen. Aber die Grundidee von social business – die selbsttragende unternehmerische Lösung von gesellschaftlichen Problemen – lässt sich auch in ‚reichen‘ Gesellschaften anwenden. Auch dort gibt es eine Fülle sozialer Probleme. Für derartige soziale Aufgaben sollte es ebenfalls eine breite Gründungswelle von Sozialunternehmen geben, bei denen der einzige Gründungszweck die Lösung eines sozialen Problems ist, und die dabei ebenfalls vollständig unternehmerisch arbeiten. Für derartige SEOs, deren sozialer Zweck für Bevölkerungsgruppen konzipiert ist, die mehr oder minder knapp oberhalb der Armutsgrenze leben, kann ein Höchstmaß an sozialem Effekt erreicht werden, wenn auch Investorengruppen erschlossen werden können, die nicht zu investivem Spenden bereit sind. Für solche SEOs schlagen wir aber dennoch eine transparente, begrenzte sowie bescheidene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals vor. Nur so kann der Leitgedanke des sozialen Nutzens vor der Manipulation durch ShareholderInteressen geschützt werden. Und nur wenn die Verzinsungen für derartige Sozialunternehmen bescheiden definiert sind, schützen sie ihr kostbarstes Gut: ihre Glaubwürdigkeit. Für so definierte Sozialunternehmen hat das Genisis Institute for Social Business (www.genisis-institute.org) den Begriff „Social Impact Business“ eingeführt (vgl. Genisis Institute 2009). Nach dem Zusammenbruch des bisherigen Weltfinanzsystems mit seinen hoch spekulativen Finanzprodukten legen deutlich mehr Anlegerinnen und Anleger hohen Wert auf die Sicherheit ihrer Anlagen und sind dafür auch mit eher bescheidenen Verzinsungen zufrieden [siehe dazu den Beitrag von Breidenbach zu Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses]. Aber selbst für den Fall, dass die Verlockungen hoher Zinssätze wieder einen größeren Marktanteil erlangen sollten, wird jeder vernünftige Mensch zumindest einen Teil seines Vermögens in sicheren Zonen anlegen. In dem Maße, wie sich social impact businesses zu funktionierenden Geschäftsmodellen entwickeln, können sie sich aus einem immensen Finanzpool speisen, weil sie gerade nicht separiert, sondern voll integrierter Teil der Wirtschaft sind. Weil sie aber eine Orientierung auf den klaren Vorrang des social impact ihrer unternehmerischen Tätigkeiten haben, kann solcherart verstandenes social impact business sogar weit größeren Einfluss auf ein neues, verantwortungsvolleres Denken in Wirtschaft und Gesellschaft nehmen als beim eigentlichen social business-Ansatz. Das Spektrum von sozialen Aufgaben, in dem social impact businesses tätig werden können, ist immens. Es ist weitaus größer als der Bereich der uns vertrauten sozialen Probleme in den Industrieländern wie die Reintegration von
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Langzeitarbeitslosen oder die Integration von Rand- und Problemgruppen in die Gesellschaft und Wirtschaft. Ein riesiges Feld ist die Ausbreitung von Sozialunternehmen im Bildungssektor, um dort wesentlich mehr Freiraum für unternehmerisch innovative Ansätze zu schaffen und die teilweise vorhandene bürokratische und lobbyistische Verkrustung zu überwinden. Mit Bildungseinrichtungen, die als social (impact) businesses konstituiert sind, hat der Staat einen neuen Partner, der mit größtem Engagement an die beschriebene Aufgabe herangeht. Der Charakter der Adressierung sozialer Aufgaben in unserer Gesellschaft könnte sich auf diese Weise grundlegend verändern. Ein anderes großes Feld für social impact business betrifft das gesellschaftliche Spektrum oberhalb der Armutsgrenze, wo es noch sehr viele ebenfalls grundlegende soziale Aufgaben zu erledigen gibt für eine gedeihliche Entwicklung der menschlichen Potentiale. Und nicht zu vernachlässigen: Im weiten Feld der Ökowirtschaft kann die Philosophie des social impact business noch für eine erhebliche Motivation sorgen und zusätzliche Ökomärkte erschließen. 2
Das Potential von Social (Impact) Business – die dreifache Revolution
Das Potential von social business und social impact business für die künftige Entwicklung der Weltgesellschaft sowie für ein neuartiges globales soziales Wirtschaftswunder lässt sich in drei zentrale Wirkungsfelder und Wirkmechanismen aufgliedern:
die Revolution der Kleinkredite; die Revolution der Innovationen; die Revolution der sozialen Aufgaben in den Industrieländern.
Die Revolution der Kleinkredite Bis Ende 2010 hat sich die Bewegung der Kleinkreditvergabe derart ausgeweitet, dass bereits etwa 130 Millionen Menschen in nahezu allen Ländern der Welt, die bei klassischen Banken nie die Chance auf Kredite gehabt hätten, Kleinkredite erhalten haben. Da von jedem Kleinkredit im Durchschnitt vier weitere Personen, insbesondere die Familienmitglieder, unmittelbaren sozialen Nutzen haben, liegt die Zahl der bisherigen Nutznießer von Kleinkrediten bereits weit über einer halben Milliarde Menschen. Was ist der Nutzen, den diese Menschen durch Kleinkredite bisher erhalten haben? Wie kann dieser Nutzen
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auf alle Menschen weltweit ausgeweitet werden, die heute noch keinen Zugang zu Kleinkrediten haben? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Weltwirtschaft und Weltgesellschaft? Beginnt man mit den gesamtökonomischen Auswirkungen, so ist das Ursprungsland der Kleinkreditbewegung, Bangladesh, ein höchst interessantes Lehrbeispiel. In Bangladesh haben inzwischen etwa 80 Prozent der Menschen Zugang zu Kleinkrediten. Knapp die Hälfte davon erreicht die Grameen Bank (www.grameen.org) mit ihren etwa 8 Millionen Kleinkreditkunden und somit 40 Millionen, die davon profitieren. Die Kleinkreditbank BRAC (www.brac.net) ist in Bangladesh nahezu gleich groß wie Grameen. Zahlreiche weitere Kleinkreditorganisationen in diesem Land erreichen in der Summe etwa 10 Prozent. Mit dieser Dichte an Kleinkreditangeboten liegt Bangladesh weit vor jedem anderen Land der Welt. Bangladesh erreichte in den vergangenen Jahren ein Wirtschaftswachstum von jeweils etwa 8 Prozent, lag also international in der Spitzengruppe. Das Land erreichte diese Marge, obwohl es nach dem Hauptmerkmal für Länder mit guter Wachstumskennziffer – einer guten Regierungsführung – weit abgeschlagen auf einem der letzten Ränge in der Welt steht. In Bangladesh handelt es sich weitestgehend um ein echtes „Wachstum von unten“ [siehe zum bottom upAnsatz auch den Beitrag von Knüppel/Groß zu Mikrofinanzierung in der Entwicklungsarbeit]. Ein Wachstum von unten funktioniert, wie Bangladesh zeigt, fast allein schon durch die Etablierung eines funktionierenden Kleinkreditsystems. Alle weiteren wichtigen und wertvollen sozialen Effekte werden durch Kleinkreditsysteme gleichzeitig mitinitiiert. Gesamtökonomisch hat die Förderung von Kleinkreditsystemen in jenen Gesellschaftsbereichen und Märkten, die noch wenig entwickelt sind, zwei große Vorteile: Sie ist kostengünstig zu organisieren und sie wirkt additiv zu allen sonstigen Wirtschaftsförderansätzen. Dies bedeutet: Durch relativ geringe Investitionen können wir weltweit ein stabiles soziales Wirtschaftswunder erzeugen, das die Wachstumskräfte, die sonst zur Wirkung kommen, vom anderen Ende her entscheidend ergänzt. Was kostet ein Investitionsprogramm für die weltweit flächendeckende Installation von funktionierenden Kleinkreditsystemen? Nach Erfahrungswerten des Genisis Institute wie auch der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) benötigt der Aufbau eines neuen Kleinkreditsystems in einer noch unerschlossenen Region etwa 3 Millionen Euro, bis dieses selbsttragend arbeitet. Mit etwa 10.000 neuen Kleinkreditsystemen lässt sich das Kleinkreditnetzwerk weltweit flächendeckend schließen. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Anfangsinvestition von 3 Millionen Euro pro neuem regionalen System vollständig
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verloren wäre, käme man auf gerade einmal 30 Milliarden Euro, um ein ähnliches breites Wachstum aus der Armut überall in der Welt zu erzeugen wie in Bangladesh. Die Revolution der Innovationen Der indische Wirtschaftswissenschaftler Coimbatore K. Prahalad (2010) hat den Nachweis angetreten, dass nun die Zeiten sehr schnell zu Ende gehen, in der zwei Drittel der Menschheit „keinen Markt“ darstellen. Der schlichte Grund: Neben Yunus haben inzwischen auch einige Global Player damit begonnen, weitere innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln – Produkte und Dienstleistungen, die diese vier Milliarden Menschen sich leisten können und ihnen nachhaltig auf ihrem Weg aus der Armut helfen. Prahalad kam durch seine Analysen dieser Veränderungen in der Weltwirtschaft zu der kühnen These: Uns steht eine Revolution der Innovationen bevor. Der erfolgte Einstieg in eine neue Produkt- und Dienstleistungswelt für die Armen und Ärmsten in der Welt erzwingt eine Revolution bei der Entwicklung weiterer neuer Produkte und Dienstleistungen in diesem Segment. Ein global aufgestelltes Unternehmen kann gar nicht anders, als eine völlig neue Generation von Produkten und Dienstleistungen zu entwickeln, die auf die Bedarfe jener Menschen zugeschnitten sind, die an der Schwelle von out of economy zu part of the economy stehen. Wegen der Skalierbarkeit dieser neuen Generation von Produkten auf zwei bis vier Milliarden Menschen kann keine Unternehmensführung an dieser Herausforderung vorbei gehen. Prahalad spricht dabei nicht nur von technischen Innovationen, sondern auch von Innovationen beim Marketing, bei den Bezahlsystemen, im sozialen Bereich, also von Innovationen im umfassenden Sinne. Die Innovationen der vergangenen Jahrzehnte konzentrierten sich vor allem auf die Bedürfnisse der Menschen in den wohlhabenderen Ländern, weil dort die Kaufkraft lag, durch die sich entsprechende Innovationsentwicklungen auch rechnen konnten. Die neue Generation von Innovationen für die Bedarfe der Menschen an der Armutsschwelle müssen andere und schwerer zu erfüllende Bedingungen berücksichtigen: Sie müssen wesentlich kostengünstigere Lösungen entwickeln bei in der Regel eher höherer statt geringerer Qualität. Menschen mit noch geringer Kaufkraft achten besonders darauf, dass Produkte, die sie kaufen, auch lange halten und möglichst wartungsfrei funktionieren. Technische Geräte für besonders heiße und staubige Regionen müssen robuster sein als für gemäßigte Kli-
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mazonen. Sie müssen einfacher in der Bedienung sein sowie anpassungsfähiger für die Bedarfe in unterschiedlichen Kulturen sowie für neue Entwicklungen. Und sie müssen unabhängiger sein von bestimmten technischen Infrastrukturvoraussetzungen wie z.B. Überlandleitungen und Strom aus der Steckdose. Innovationen mit derartigen Ansprüchen sind alles andere als leicht zu entwickeln. Wer sie aber entwickelt, schafft mit seinen neu entwickelten Produkten und Dienstleistungen eine Skalierbarkeit und ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das die globalen Märkte und ihre Player in kürzester Zeit vollkommen verändern werden. Wer sich der Herausforderung für Innovationen an dieser Schwelle stellt, muss radikal alles, was bisher als fest, fortschrittlich oder gar genial galt, in Frage stellen und fundamental neu denken. Prahalad erwartet durch diese Herausforderung den mit Abstand größten Schub an Innovationen in den nächsten Jahrzehnten. Aravind-Kliniken – ein Beispiel in Indien Den Gründer der Aravind-Kliniken (www.aravind.org), der indische Augenarzt Govindappa Venkataswamy, trieb der Wunsch, seine Dienstleistung der Operation von Grauem Star sehr viel mehr armen Menschen zugute kommen zu lassen. Bisher konnte er dies nur sehr begrenzt durch die Erweiterung seines Freizeiteinsatzes für unbezahlte Operationen für die Ärmsten leisten. So begann er, jeden einzelnen Schritt seiner Dienstleistung von der Diagnose bis zur Nachsorge noch einmal ganz genau zu analysieren und zu überdenken, wie er dort mehr Effizienz hineinbringen konnte. Und er fand Wege, die Diagnose radikal zu vereinfachen, indem er Menschen darin ausbildete, in den Dörfern die Merkmale für Grauen Star zu identifizieren. Die Operationsvorbereitung wie auch die Nachbereitung konnte er so umstellen, dass das teuerste Personal, die Fachärzte, fast nichts anderes mehr tun mussten als die eigentliche Operation. Er entwickelte mehrere Patente für technische Innovationen, die heute weltweit vermarktet werden – alles aus derselben Motivation heraus, weitaus mehr und vor allem armen Menschen die Sehkraft zu erhalten oder wiederzuschenken. Die Kosten für eine Operation des Grauen Stars konnten nach indischen Verhältnissen um 95 Prozent reduziert werden. Das Aravind-Team gibt diese Kosteneinsparung weiter, indem 60 Prozent der operierten Patienten nichts bezahlen müssen, weil sie so arm sind und sich eine Augenoperation unmöglich leisten könnten. Die restlichen 40 Prozent zahlen gestaffelte Tarife, die aber immer noch weit unter jenen anderer Augenkliniken im Lande liegen. Durch die radikalen Umstellungen erreichten die Aravind-Kliniken gleichzeitig eine derart hohe Qualität, dass sie heute zu den weltweit besten Kliniken für Grauen Star zählen. Viele reiche Amerikanerinnen und Amerikaner fliegen mittlerweile nach Indien, um sich in den Aravind-Kliniken operieren zu lassen. Die Gesamtinnovationen von Aravind sind so gut, dass am Ende sogar noch ein Gewinn von 25 Prozent pro Jahr übrig bleibt, der weitgehend reinvestiert wird in neue Aravind-Kliniken und in die Weiterentwicklung der eigenen Innovationen. Auf diesem Wege ist ein Tochterunternehmen zur Herstellung bestimmter Augenlinsen inzwischen zur Nummer drei in der Welt aufgestiegen.
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Ein zweites Beispiel verdeutlicht, wie wenig unser Denken noch darauf eingestellt ist, sich mit ökonomisch tragfähigen Lösungen an der Armutsschwelle zu beschäftigen. Wir haben eine weit verbreitete, technisch wie ökonomisch sehr versierte Ökowirtschaft. Aber dennoch galt allen Akteuren als nicht hinterfragenswert, dass die Ausbreitung von Solaranlagen in den Armutsmärkten subventionsabhängig sei. Für diese Bereiche des Einsatzes von Solaranlagen wurde auf die Subventionsbereitschaft von staatlichen Entwicklungsetats und die Spenden- und Förderbereitschaft von umweltengagierten BürgerInnen, Organisationen und Stiftungen gesetzt. Grameen Shakti – inzwischen erfolgreichstes Grameen-Unternehmen Der Initiator und Gründer von Grameen Shakti (www.gshakti.org), Dipal Barua, recherchierte zunächst, welche Ausgaben die Ärmsten haben für das Maß an Energieverbrauch, das sie sich jeweils leisten konnten. Das Ergebnis: Ausgerechnet die Ärmsten bezahlen nicht nur relativ, sondern auch nominell das meiste für Energie, zumindest in den weiten ländlichen Regionen. Sie haben dort keinen Zugang zu Überlandleitungen und müssen sich somit mit Energie aus Kerzen, Kerosin und Batterien versorgen. Dipal stellte diesem Betrag die Kosten der Installation eines Solar Home Systems mit der gleichen Energieleistung sowie die monatlichen Rückzahlungsbeträge ohne Mehrbelastung bis Abzahlung gegenüber. Nach zwei bis drei Jahren ist die Solaranlage finanziert und liefert ab diesem Zeitpunkt den Strom kostenlos. Im Durchschnitt halten Solar Home Systems acht Jahre, was fünf bis sechs Jahre kostenlosen Strom bedeutet. Nach diesem Geschäftsmodell installierte Grameen Shakti in Bangladesh bis Herbst 2010 gut 450.000 Solar Home Systems. Bis 2015 skaliert sich diese Zahl auf mehr als 15 Millionen dieser Systeme in Bangladesh, womit die Hälfte der Bevölkerung dieses Landes, über 75 Millionen Menschen, komplett mit Solarstrom versorgt sein wird. Mittlerweile suchen nun weltweit immer mehr Partner die Kooperation mit Grameen Shakti, weil ihnen klar ist, dass die Tür jetzt offen steht für die Installation von rund 500 Millionen Solar Home Systems weltweit.
Muhammad Yunus nahm sich vor, die Entwicklung des Know-how-Transfers plus dessen Transformation zum beiderseitigen Nutzen von Global Players und den heute noch Armen weiter zu beflügeln und zugleich mit einem sinnvollen Rahmen zu versehen. Auf dieser Grundlage entstanden joint ventures mit Danone, Veolia, Intel, General Electric, BASF, Otto Group, Adidas – um nur einige zu nennen.
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Grameen Danone – Kooperation zwischen Grameen Bank und Danone Als Frank Riboud, der CEO von Danone, Anfang 2006 in einem Gespräch mit Muhammad Yunus die Überreichung einer Millionenspende anbot, schlug dieser stattdessen ein social joint venture zwischen beiden Unternehmen vor, das in Bangladesh einen Joghurt herstellen sollte, in dem genau jene Nahrungsbestandteile enthalten sind, die in der Ernährung der Ärmsten in aller Regel fehlen und somit bei diesen zu zahllosen Erkrankungen aus Mangelernährung führen. Dieser Joghurt muss sich in seiner Herstellung zudem in die Stabilisierung regionaler Wirtschaftskreisläufe einpassen. Es bedarf daher besonders kleiner Produktionseinheiten, damit selbständige Grameen-Frauen, deren Geschäft die Milchproduktion mit Kühen ist, diese Milch mit den ihnen zugänglichen Transportmöglichkeiten anliefern können, und damit wiederum andere GrameenFrauen den Vertrieb und Verkauf dieses Joghurts zu einem eigenen Geschäftsmodell machen können. Und nicht zuletzt muss dieser Joghurt so kostengünstig sein, dass viele Arme ihn sich leisten können. Nach Einweihung der ersten Joghurtfabrikation des social joint ventures von Grameen und Danone in 2006 soll in den nächsten Jahren ein flächendeckendes Netz von 50 solchen Anlagen entstehen mit einem Wirtschaftsradius von jeweils nicht mehr als 50 Kilometern. Die bisher beschriebenen Anforderungen bedeuteten für die beteiligten Danone-Expertinnen und Experten eine völlig neue Herausforderung: Bisher wurden Fabrikanlagen mit maximaler Größe geplant, jetzt müssen solche mit minimaler Größe gebaut werden. Bisher mussten sie bei der Preisplanung zwar auch auf das Verhalten der Konkurrenz achten, aber auch diese wollten gute Renditen erwirtschaften, so dass der Druck auf extrem niedrige Preise für ihre Produkte dennoch in keiner Weise vergleichbar war mit der jetzigen Herausforderung in Bangladesh. Auch den Wunsch von Muhammad Yunus, einen essbaren Joghurtbecher herzustellen, nahmen sie ernst. Man setzte von Anfang an einen biologisch abbaubaren Becher ein und in der Forschungsabteilung steht man kurz davor, bald einen essbaren Joghurtbecher auf Maisbasis produzieren zu können.
Durch den angesprochenen Innovationsschub an der Front der Lösung sozialer und ökologischer Probleme profitieren nicht nur die Milliarden Menschen, die heute noch an der Armutsschwelle leben. Da ein erheblicher Teil des gegenwärtigen technischen Know-hows in den traditionellen Industrieländern konzentriert ist, wird die hier beschriebene Entwicklung einen Nachfrageschub für deren Leistungen bedeuten und hier Arbeitsplätze sichern und neu schaffen. Ferner wird dieser Innovationsschub auch für die Menschen in den Industrieländern Vorteile bringen. Die Entwicklung eines 100-Euro-Laptops (bei gleichzeitiger Sicherstellung der „ökologischen Verträglichkeit“) entlastet auch bei uns viele Haushaltskassen. Inzwischen arbeiten – dank des social impact businessImpulses – bereits große Unternehmen an IT-Lösungen zu noch weit kostengünstigeren Bedingungen. Wie kann eine regelrechte Innovationswelle im Sinne von social impact business lanciert werden? Das Genisis Institute suchte dafür nach einem Ansatz,
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wie sehr viel mehr Menschen jenseits der heutigen Technologiezentren systematisch zu kreativen Innovationsentwicklerinnen und -entwicklern ausgebildet werden können. Ziel soll sein, eine neue Innovatorengeneration für ökologische, aber insbesondere auch für soziale Herausforderungen zu generieren. Als idealer Partner für diese Aufgabenstellung erwies sich das so genannte „Design Thinking“. David Kelley, Gründer des Innovationsunternehmens IDEO und wichtigster Berater von Apple, startete 2005 an der Stanford University ein Ausbildungsprogramm für Studierende, das diese zu kreativen InnovatorInnen machen sollte. In der fünfjährigen Pilotphase entwickelte sich diese Ausbildung derart erfolgversprechend, dass inzwischen in mehreren Ländern darüber nachgedacht wird, die Methode des design thinking zukünftig zum festen Bestandteil der Ausbildung aller Studentinnen und Studenten zu erheben. Die beiden ersten „Schools for Design Thinking“ in Standford und Potsdam experimentierten schon früh auch mit Innovationen für social entrepreneurs – mit hervorragenden Ergebnissen. Der Vision Summit 2011 widmet sich unter dem Motto „Don’t Wait. Innovate!“ der gezielten Förderung von social innovation für social entrepreneurship, social business und social impact business und dabei insbesondere der Nutzung der Methode des design thinking. Die Revolution der sozialen Aufgaben in den Industrieländern Der social impact business-Impuls lässt sich in einer weit größeren Dimension auch auf die Industrieländer übertragen, als wir uns dies derzeit vorstellen können. Denn wir unterliegen vor allem Gedankenbeschränkungen, die wir uns durch unser Verständnis von „sozial“ auferlegt haben. Diese zu überwinden ist die Herausforderung, die wir zu meistern haben. Denn unsere sozialen Systeme leiden zu oft an einem Mangel an unternehmerischem Erfindungs- und Umsetzungsgeist. Wie können wir die Dynamik des social impact business nutzen und wie können wir dafür Sorge tragen, dass noch sehr viel mehr Menschen motiviert sind, das weite soziale Feld sozialunternehmerisch umzupflügen und neu zu bestellen? In Australien schreibt der Staat z.B. staatliche Aufgaben aus, für die sich Vereine oder auch social businesses bewerben können. Die daraufhin erteilten „Lizenzen“ werden jeweils mit relativ kurzen Fristen vergeben, beispielsweise für zwei Jahre, um so den Wettbewerb zwischen möglichen Anbietenden zu erhalten und die staatliche Handlungsfreiheit zu behalten, sich nach einiger Zeit für bessere Anbieter zu entscheiden. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um jenes
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marktliberale Paradigma der reinen Privatisierung, um Kosten einzusparen. Sichergestellt werden muss, dass der Staat angemessene Preise für die auf diese Weise privatinitiativ bzw. privatwirtschaftlich abgedeckten, ursprünglich staatlichen Aufgaben bezahlt. Er setzt bei der Tariffestlegung entweder das an, was er durch diese Art der Privatisierung einspart, oder was er sich an Einsparung erwartet, wenn durch die Lösung eines bestimmten Problems die Folgekosten dieses Problems nicht mehr anfallen. Für den ersten Ansatz gibt es relativ einfache Berechnungsgrundlagen, z.B. die Heimbetreuungskosten oder die Kosten für die Bereitstellung eines Schulplatzes. Analog zum australischen Beispiel kann der Staat sowohl die social impact business-Privatisierung bisheriger staatlicher Aufgaben als auch die innovative Lösung bisher ungelöster, aber im Effekt sehr teurer gesellschaftlicher Probleme für social impact businesses ausschreiben. Wie gravierend die sozialen Innovationen von social impact businesses sein können, veranschaulicht das Beispiel Specialisterne: Menschen mit dem sogenannten Asperger-Syndrom, einer besonderen Form von Autismus, wurden als krank eingestuft und dementsprechend behandelt. Anstatt in sinnhafter Arbeit Selbstwert und Befriedigung zu finden, erhielten sie lediglich therapeutische Betreuung. Bis Thorkil Sonne, Vater eines Kindes mit Asperger-Syndrom in Dänemark, die Idee entwickelte, ob Menschen mit autistischen Spezialfähigkeiten nicht gerade dadurch sinnvolle und besonders wertvolle Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt erfüllen könnten. Deren extreme Konzentration und Präzision im Umgang mit Zahlen führte ihn zu der Idee, sie bei Spezialaufgaben mit einem Anforderungsprofil in der ITWirtschaft einzusetzen, konkret bei der Prüfung komplizierter Zahlenmuster, bei der Durchführung von Softwaretests oder der Prüfung der Funktionsfähigkeit von Mobiltelefonen. Er gründete das Unternehmen Specialisterne (www.specialisterne.dk), dessen mittlerweile 40 Mitarbeitenden schnell Aufträge von Partnern wie CSC oder Microsoft erhielten und bereits drei Jahre nach Unternehmensgründung nicht mehr alle Anfragen befriedigen konnten. So plant Unternehmensgründer Sonne nun im Sinne eines social franchising analoge Unternehmen in mehreren anderen Ländern mit lokalen Partnern ins Leben zu rufen. Zuletzt hatte er Anfragen aus 44 Ländern [siehe dazu auch den Beitrag von Alberg-Seberich/Wolf zu venture philanthropy]. Mit Specialisterne hob Thorkil Sonne ein gesundheitliches und soziales Problem einer Menschengruppe aus einem bis dahin reinen Problemsektor heraus in eine gesundheitlich, sozial und obendrein noch ökonomisch höchst effektive Lösungsebene. Die betroffenen Menschen profitierten im besten Sinne ganzheitlich. Sie erleben ein nie gekanntes Selbstwertgefühl plus gesellschaftli-
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che Anerkennung plus bessere Gesundheit. Und die Gesellschaft profitiert, indem aus Menschen, für die sie zuvor nur Betreuungsaufwand zu leisten wusste, Menschen wurden, die integriert sind und somit auch mit Freude und wertvoller Leistung aktiv zum Volkseinkommen beitragen. 3
Fazit
Social impact businesses bedeutet einen doppelten Paradigmenwechsel: Dieser Ansatz kreiert zum einen auf der rechtlich-organisatorischen Ebene einen neuen gesellschaftlichen Freiraum zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen mit innovativem und unternehmerischem Geist. Er ist damit Auslöser einer neuartigen Welle von sozialen Innovationen. Gleichzeitig verändert dieser Ansatz unsere Beziehung zu jenen Menschen grundlegend, die wir bisher als abhängig von unseren sozialen Dienstleistungen angesehen haben: Wir trauen diesen Menschen auf der Grundlage der social impact business-Philosophie wesentlich mehr lebensunternehmerische Kompetenzen bzw. die Entwicklung derselben zu. Wir entdecken diese Menschen damit auf gleicher Augenhöhe, auf der Ebene partnerschaftlicher Kooperation, auf der alle Seiten Neues entdecken, lernen und davon profitieren können. Wenn auf diesem Wege unternehmerisches und soziales Denken in unserer Gesellschaft klug zusammenwächst, werden viele soziale Probleme völlig unerwartete unternehmerische Lösungen finden und gleichzeitig wird sich unternehmerisches Verhalten in Richtung einer völlig neuen sozialen Qualität verwandeln. Quellenverzeichnis Genisis Institute (2009): Social Impact Business. 25 Beispiele für die Verbindung von ökonomischen und sozialen Zielen. Berlin. Prahalad, Coimbatore K. (2010): Ideen gegen Armut. Der Reichtum der Dritten Welt. München. Spiegel, Peter (2009): Muhammad Yunus. Banker der Armen. Freiburg/Br. Yunus, Muhammad/Weber, Karl (2008): Die Armut besiegen. München. Yunus, Muhammad (2010): Social Business. Von der Vision zur Tat. München.
Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem – Internationale Fallbeispiele Gunter Pauli und Markus Haastert
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Die Blue Economy-Methode
Auf der „Rio+20“-Agenda steht der weltweite Aufbau einer sog. „Green Economy“. Denn, so auch Achim Steiner (2010), Vorsitzender der UN Umweltorganisation (UNEP), ohne sie werde sich eine nachhaltige Entwicklung nicht einstellen, mit ihr hingegen seien „Quantensprünge“ möglich, wie einige Entwicklungs- und Schwellenländer schon bewiesen hätten. Eine solch viel versprechende These hat nur dann einen Wert, wenn sie uns zu konkreten Ergebnissen führt. Wenngleich Ausnahmen die Regel bestätigen, gelingt es nur mithilfe einer praktikablen Methodik allerorts und jederzeit, systemische Konzepte umzusetzen: in Schulen, Krankenhäusern, Haushalten und in der Industrie. Immer mit dem Ziel vor Augen, den gesamten impact der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen und neben einer besseren Umwelt und höheren ökonomischen Renditen auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeitsplätze und ein gesichertes Einkommen sind der Grundwert einer stabilen sozialen Entwicklung, die es Menschen erlaubt, sich als Teil ihrer Umwelt zu verstehen und durch Gemeinsinn gesellschaftliche Veränderungen herbei zu führen. In einem Kreislauf nachhaltiger Entwicklung stehen Ökologie, Ökonomie und Soziale Werte im Einklang. Mit dieser Überzeugung gründete Gunter Pauli 1994 mit Unterstützung der japanischen Regierung die „Zero Emissions Research Initiative“ an der United Nations University in Tokio. Aus dieser Initiative ging die ZERI Foundation (www.zeri.org) hervor, welche das Prinzip der „Zero-Emissions“ verfolgt: also keine Natur und Humanressourcen zu verschwenden – heute „Blue Economy“ genannt – gemäß dem Vorbild der erfolgreichsten Ökonomie auf unserem blauen Planeten, der Natur. Ziel ist es, über eine einfache Methode systemische Wertschöpfungsstrukturen schnell und kompromisslos umzusetzen. Dies gelingt am leichtesten in Entwicklungs- und Schwellenländern, da die Markteintrittshürden niedrig sind. Doch auch in Industrieländern lassen sich solche Konzepte umsetzen, wenn wir uns von konventionellen Denkmustern lösen (Pauli 2010a
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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und c). Die Ziele des blue economy-Konzepts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Es wird kein Abfall weder fest, noch flüssig, noch gasförmig produziert; alle Einsatzgüter werden vollständig verwertet; wenn Abfälle entstehen, werden diese zur Wertschöpfung durch andere Industrien genutzt.
Alle Wertstoffe finden konsequent im Kreislauf der Produktion Verwendung und lösen somit die lineare Produktion in der Struktur „End of Pipe“ und Abfälle ab. Daher ist „Mehrwert“ der zentrale Begriff im blue economy-Konzept. Mehrwert generiert Cash-Flow – nachhaltige Finanzströme halten die Wirtschaft in Gang – und ist Voraussetzung für Unabhängigkeit und Wachstum – ein Wachstum, das sich selbst erhält. Wenn Nebenprodukte nur erzeugt bzw. Abfälle nur verwertet werden, damit keine Umweltbelastung entsteht, dann ist das Ziel der blue economy, nämlich zero-emissions, noch nicht erfüllt. Die Verringerung der Umweltbelastungen und saubere Herstellungsverfahren entstammen einem linearen Denkansatz, sie verhindern jedoch Umweltverschmutzung nicht vollständig. Deshalb benötigen wir die Zusammenfassung industrieller Aktivitäten, durch die wertlose Nebenprodukte der einen Industrie zur Vorleistung für eine andere werden, was dank der zusätzlichen, konkurrenzfähig vermarktbaren Produkte und Dienstleistungen eine Steigerung der Gesamtproduktivität von Kapital, Arbeit und Rohstoffen zur Folge hat. Neue Arbeitsplätze entstehen und Schadstoffe jeglicher Art können nach und nach eliminiert werden. Ansatzpunkt der blue economy-Methode ist, zunächst einmal Mittel und Wege zu finden, um den im Hauptverfahren benötigten Input zu minimieren. Danach wird durch vollständigen Durchsatz ein Maximum an Output erzielt. Solange die Industrie keinen vollen Durchsatz erreicht, bleibt sie unterhalb ihrer Möglichkeiten. Da keine Industrie dieses Ziel allein erreichen kann, müssen sich Industrien mit komplementären Bedürfnissen í und folglich daraus entstehenden Synergien í in regionalen Clustern zusammenschließen. Das ZERI-Team hat ein Verfahren ausgearbeitet, mit dessen Hilfe clusterbare Industrien identifiziert werden können. Es hat sich bisher in rund hundert Branchen bewährt. Die blue economy-Methode ist ein Werkzeug, mit dem die Intelligenz, die in einem Unternehmen, einer Region, oder einfach nur einer Gruppe von Menschen im Überfluss vorhanden ist, freigesetzt werden kann. Die Beseitigung von Umweltverschmutzung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und
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die Verbesserung wirtschaftlicher Rentabilität sind Ziele, die von jeder dieser Gruppen verfolgt werden können. Die blue economy-Methode beinhaltet fünf aufeinander aufbauende Einzelschritte, welche zunächst in der Brauereibranche protoypisch und verhältnismäßig schnell umgesetzt werden konnten (vgl. hierzu ausführlich Pauli 2010b): 1. 2. 3. 4. 5.
Modellierung der Wertstoffströme anhand von Input-Output-Tabellen, Ermittlung von Wertschöpfungsmöglichkeiten, Identifikation und Planung des optimalen Flächenbedarfs, Einführung neuer Technologien, Entwurf einer entsprechenden Industriepolitik.
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Blue Economy – 10 Jahre, 100 Innovationen, 100 Millionen Jobs
Zehn Jahre lang führte die ZERI Foundation weltweit Pilotprojekte durch, um die Anwendbarkeit der blue economy-Methode in diversen Branchen, unter verschiedenen kulturellen Rahmenbedingungen zu belegen – mit Erfolg. Um jedoch noch mehr Lösungsansätze zu identifizieren und die wissenschaftliche Fundierung der genutzten Technologien zu verbreitern, entschied sich ZERI 2006, das Projekt „Nature‘s 100 Best“ ins Leben zu rufen. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nahm eine umfangreiche Analyse von Innovationen vor, die in von ExpertInnen überprüften Fachbeiträgen veröffentlicht worden waren – Innovationen aus dem Bereich Bionik und Biomimetik, die Funktionsweisen der Natur imitieren. Das US-amerikanische Team fand über 2.000 Technologien und filterte jene heraus, die das Potential hatten, bestehende Geschäftsmodelle grundsätzlich zu verändern. Diese Innovationen wurden anschließend durch ein Team von Geschäftsstrategen, Finanzanalytikern und Entscheidern bewertet. Die herangezogenen Kriterien waren u.a. der Stand der Entwicklung des Projekts, wie viel geistiges Eigentum eingesetzt wurde und die Möglichkeit, zum Erreichen der Millenniumsziele der UN beizutragen. Ebenfalls berücksichtigt wurde die Zahl der möglichen neu zu schaffenden Arbeitsplätze und die Zeitspanne, innerhalb derer die Massenmärkte angesprochen werden könnten. Diese Arbeit war der Beginn einer erweiterten Vision von ZERI: „The Blue Economy – 10 Jahre, 100 Innovationen, 100 Millionen Jobs“ (Pauli 2010b). Veröffentlicht als Report an den Club of Rome werden die 100 Innovationen mit dem größten Potential vorgestellt. Viele dieser Innovationen sind bereits in der Praxis getestet. Ihre weltweiten Implementierungen haben das Potential, die
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Wirtschaft, wie wir sie kennen, grundsätzlich zu ändern – hin zu mehr Nachhaltigkeit durch einen erhöhten Mehrwert. Ökologinnen und Ökologen sehen in der blue economy-Methode ein Instrument, den negativen Einfluss der Menschen auf das Ökosystem der Erde in einen positiven umwandeln zu können. Für Managerinnen und Manager ist sie der Schlüssel zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit. Für Investoren ist sie ein Mittel, um versteckte Potentiale aufzuspüren und dadurch beträchtliche Wertzuwächse zu erhalten. Regierungen wenden sie an, um im eigenen Land Motoren für wirtschaftliches Wachstum ausfindig zu machen und mithilfe diverser Fördermaßnahmen in Gang zu setzen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind der Methode gegenüber aufgeschlossen, da sie ein einzigartiges System zur Integration unterschiedlicher Disziplinen darstellt. Zudem werden dabei Arbeitsplätze in großem Stil entstehen. 3
Beispiel El Hierro – Eine Insel mit System
Der Weltmarkt für Elektrofahrzeuge wird wachsen: Von knapp 10.000 Einheiten im Jahr 2008 hin zu schätzungsweise 350.000 Autos, Lastern, Lieferwagen und Bussen in 2013, das bedeutet etwa 15 Milliarden US-Dollar an Umsatz. Renault-Nissan wird 2011 eine Fabrik in Valladolid in Spanien eröffnen, deren Massenproduktion im ersten Jahr 25.000 Einheiten erreichen wird. Das Unternehmen prophezeit jedoch, dass 2020 ganze 10 Prozent ihrer Produkte Elektrofahrzeuge sein werden – dies ist wenig im Vergleich zu den 2,6 Millionen Hybridautos, die heute bereits fahren. Elektroautos sind teuer. Der ganz überwiegende Teil der Kundschaft kauft kein Fahrzeug, das nicht wettbewerbsfähig ist. Die Herausforderung bleibt weiterhin die Batterie. Sie ist schwer, beschränkt die Reichweite und eingeschlossene Lieferverträge machen es schwierig, schnell effizienter zu werden. Das innovativste Batteriepaket wird von ELIIY unter Leitung von Daiwa House (Japan) produziert und hat eine geprüfte Lebensdauer von 10 Jahren bei nur 20 Prozent Ladungsverlust über ein Jahrzehnt. Der Hersteller bietet eine hundertprozentige Recycling-Garantie. Trotzdem wird dieses hocheffiziente System bisher nicht auf dem Automarkt, sondern nur im Wohnbereich eingesetzt. Javier Morales ist Vizepräsident der lokalen Regierung von El Hierro, einer kleinen kanarischen Insel vor der Küste Afrikas mit 10.500 Einwohnern. Als er die ihm gebotenen Möglichkeiten studierte, die gesamte Autoflotte der Insel von 6.000 Stück von Verbrennungs- auf Elektromotoren umzurüsten, wurde ihm
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bewusst, dass der Durchbruch durch kreativen Einsatz einer Finanzierung zu erreichen war. Er ließ sich durch die Stadt Chattanooga inspirieren, die bereits 1994 ihre Busse elektrifizierte. Morales entwickelte einen innovativen Ansatz, der nicht nur Elektroautos billiger macht, sondern auch die Umrüstung von erdölbasierter auf erneuerbare Energiequellen für den Transport als zusätzliche Einkommensquelle für die lokale Wirtschaft erschließt. Auf der Insel wurde beschlossen, die jährlichen Ausgaben von ca. 10 Millionen Dollar für fossile Treibstoffe zu ersetzen durch Kapitalinvestitionen in Windenergie, die strategisch durch Akkumulatoren unterstützt werden. Die vier früheren Tankstellen werden umgewandelt in elektrische Ladestationen, die das durch Windenergie gespeiste Netz stabilisieren (10,5 MW Leistungen bis Mai 2011). Alle überschüssige Energie der Generatoren wandelt zunächst Meerwasser in Trinkwasser um (bereits umgesetzt), das dann in einen alten Krater gepumpt wird und so ein riesiges Wasserreservoir schafft (ab Mai 2011). Die überschüssige Energie wiederum stellt zusätzlich Wasserkraft für Momente hohen Verbrauchs zur Verfügung. Das System bietet preiswerte Energie zum Laden der Batterien außerhalb der Spitzenzeiten. Das lokale Elektrizitätswerk, im mehrheitlichen Besitz der Insel, kontrolliert das Geschäft. Die Batterien werden nicht mit den Autos verkauft, sind aber Teil der Sicherung des Netzes. Dies senkt die Kaufkosten für alle Autobesitzerinnen und -besitzer. Der Ladenpreis kann unter 12.000 Euro pro viersitzigem Fahrzeug gehalten werden. Schlüssel dazu ist, dass jede und jeder Autobesitzer eine wöchentliche Gebühr von 20 Euro für den Austausch der Batterie an eine der vier Ladestationen bezahlt. Diese wöchentliche Gebühr garantiert über sieben Jahre mehr als 70 Millionen Euro Erträge, die ausreichen, um den Betrieb zu finanzieren. Da die maximale Distanz auf der Insel nur 50 Kilometer beträgt, sind die Batterien kleiner, leichter und besser zu wechseln. Es müssen keine öffentlichen oder eigenen Ladestationen installiert werden, die wiederum kostenintensive Kabelsysteme benötigen würden. Javier verstand schnell, dass seine Bestellung von 6.000 Autos ihn zum weltweit größten Elektroauto-Käufer machte! Die Finanzierung des Programms ist garantiert. Gesichert durch die wöchentliche Batterieaufladung können die Verantwortlichen das Kapital als Anleihe aufnehmen und den Umsatz zur Zahlung der Schulden nutzen. Dies ersetzt das Geld, das vorher an das Festland, und von dort an die Erdöllieferanten geflossen ist. Dieser Rückfluss von Geld anstelle von Geldabfluss stimuliert die örtliche Wirtschaft und schafft ein breites Portfolio von weiteren Chancen, die diese Insel zum attraktiven Wohnort machen.
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Es begann mit der Suche, wie die Insel sich mit erneuerbaren Energien selbst versorgen könnte, und es entwickelte sich eine Strategie ohne Verbrennungsmotoren mit garantierter Finanzierung. Nun nimmt sich El Hierro eine weitere Aufgabe vor: die Bereitstellung von reichlich Trinkwasser. Das rückversicherte System für das Stromnetz und die Zahlung von wöchentlichen Gebühren bietet sichere Einnahmen für das Elektrizitätswerk. Dies zusammen mit der Einführung von Wirbeltechnologien liefert Wasser billiger und reichlicher als je zuvor. Da nun die Bäuerinnen und Bauern Elektroautos fahren und über genug Wasser zur Bewässerung zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügen, haben sie sich verpflichtet, im Lauf der nächsten acht Jahre die Insel auf 100 Prozent biologische Produktion umzustellen. Die Reaktionen sind überwältigend: Zum ersten Mal ziehen Menschen zurück auf die Insel, zum ersten Mal kommen Menschen zurück in die Landwirtschaft. Änderungen vollziehen sich nicht im Zentrum, sie beginnen in der Peripherie. Diese erfolgreiche Umsetzung von erneuerbaren Energien, die bereits vor einem Jahrzehnt begann, soll als Inspiration dienen für Hunderte von Inselwirtschaften, die sich kaum vorstellen können, welche Aufgaben und was für ein Leben sie der nächsten Generation übergeben, um eine komplette Entvölkerung zu vermeiden. 4
Beispiel Biomasse – Wie Pilze die Wirtschaft verändern können
Wenige Menschen sind sich bewusst, dass bei der Ernte, Verarbeitung, Röstung und Zubereitung von Kaffee schätzungsweise 99,8 Prozent der Biomasse weggeworfen werden. Während nur 0,2 Prozent auf dem Markt verwertet werden, landet der hoch koffeinhaltige Rest auf dem Müll. Etwa 12 Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Abfallprodukte verrotten und produzieren dabei Millionen Tonnen von Methan, das wiederum zum Klimawandel beiträgt. So stellt Kaffee eins der verschwenderischsten Konsumprodukte der Welt dar. Brauereien haben mit der blue economy-Methode vorgemacht, Pilzzucht als erweiterte Wertschöpfung zur Bierproduktion zu nutzen. Vor diesem Erfahrungshintergrund entstand die Innovation, Pilze auf Kaffeeabfällen zu produzieren – als Ernährungsprogramm gegen Hunger und Armut. Ebenso steckt enormes Potential in der Produktion von Edelpilzen für reiche Gesellschaften. Die Kombination beider Ansätze zu einem social impact business [siehe hierzu auch den Beitrag von Spiegel] soll daher kurz nachgezeichnet werden.
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Professor Shuting Chang, dem führenden Forscher für Pilzkulturen, zufolge hat der weltweite Handel mit Pilzen 2008 die Marke von 17 Milliarden USDollar überschritten. Die Nachfrage nach Pilzen, insbesondere der tropischen Sorten wie Shiitake, Maietake und Ganoderma verzeichnet seit Jahrzehnten Steigerungen im zweistelligen Bereich. Der Trend, Nahrungsmittel zu konsumieren, die frei von Cholesterin und gesättigten Fettsäuren sind, lässt erwarten, dass der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch von derzeit 175 Gramm tropischer Pilze in den USA und Europa im nächsten Jahrzehnt bis auf 500 Gramm ansteigen wird. Der erwartete Zuwachs an Verkaufserlösen liegt bei 2,3 Milliarden US-Dollar. Würden in der westlichen Welt so viele Pilze wie in Hongkong konsumiert (17 kg pro Jahr und Person), ergäbe sich ein gigantischer Zuwachs von 120 Milliarden US-Dollar im Handel. Innerhalb einer Generation würden tropische Pilze als Wohlstandsprodukt Metalle und Kaffee übertreffen. Der Pilzanbau verlangt die Kontrolle von Bakterienkulturen bei hohem Energiebedarf. Jedoch wird bei der Kaffeeproduktion, sowohl durch die Fermentierung auf der Farm selbst, beim Schälungsprozess als auch bei der Zubereitung der gemahlenen Bohnen im heißen Wasser, der Bakteriengehalt auf ein Minimum reduziert, was es wiederum den Pilzkulturen ermöglicht, Pflanzenfasern zu zersetzen. Daher ist die Pilzzucht auf Kaffee um 80 Prozent energieeffizienter als ein eigenständiger, energieintensiver Prozess zur Aufbereitung von Substrat für Pilzkulturen. Hochwertige tropische Pilze werden traditionell auf Harthölzern (z.B. Eichenholz) kultiviert. Harthölzer werden geschlagen, gemahlen und in künstliche Stämme umgewandelt. Bis zu neun Monate dauert die Reifung von Shiitake oder Ganoderma. Gehölzschnitte, Schalen, Fruchtfleisch und Pulver sind jedoch Nebenprodukte im Kaffeeanbau. Während Kühe oder Schweine Koffein schlecht vertragen, wirkt die biochemische Substanz derart stimulierend auf Pilzsporen, dass die Pilze bereits drei Monate nach der Aussaat sprießen – eine wettbewerbsfähige Alternative also. Die Überreste nach der Pilzernte sind mit essentiellen Aminosäuren angereichert, darunter Lysin, ein hochwertiges Enzym, das traditionell aus Zuckerrüben gewonnen wird. So wird ein wertloses Nebenprodukt in hochwertiges Tierfutter für Zuchtvieh oder Haustiere umgewandelt. Professor Ivanka Milenkovic (Universität Belgrad/Serbien) hat die finanzielle Logik der Weiterverwertung von Nährstoffen und Energie aus landwirtschaftlichen Abfällen über die Pilzkultur bis hin zur Tierfutterherstellung wissenschaftlich nachgewiesen. Die lateinamerikanische Unternehmerin Carmenza Jaramillo hat dieses Geschäftsmodell durch Aufbau ihrer eigenen Pilzfarmen demonstriert. Die Geschäftsstrategie erwies sich als tragfähiges Modell. Nach mehr als einem Jahr-
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zehnt haben sich neue Märkte für tropische Pilze von Kolumbien bis Serbien geöffnet. So überrascht es nicht, dass im Jahr 2009 über 100 Betriebe in der kolumbianischen Kaffeeanbauregion El Huila dieses Geschäftsmodell übernommen haben. Alle, die über Biomasse verfügen, die entweder reich an Koffein oder an Hartholzfasern ist, können nun wettbewerbsfähig Pilze anbauen. So werden Jobs geschaffen, die Ernährung sichergestellt und Gewinne produziert, wobei gleichzeitig die Nachfrage nach Harthölzern gesenkt und der Kahlschlag von Wäldern bei steigendem Pilzkonsum unnötig wird. Eine zweite Möglichkeit, Umsätze zu erzielen, besteht darin, dass Cafés und Restaurants nicht – wie gegenwärtig noch – für die Entsorgungskosten von Kaffeeabfällen, sondern stattdessen eine symbolische Gebühr an Unternehmen zahlen, die diesen Abfall der Zucht von Speisepilzen zuführen, die wiederum in den örtlichen Restaurants verkauft werden können. Hier besteht eine reelle Möglichkeit, ein Geschäftsmodell auf der Grundlage der „Vermarktung von Abfällen“ zu schaffen. „Abfall“ war bisher stets negativ konnotiert und kein Unternehmen wollte seinen Namen in Verbindung bringen mit der Zirkulation von Müll, der Schaden verursacht oder als störend empfunden wird. Dies ändert sich, wenn Abfälle hochwertige Nahrungsmittel zu niedrigeren Preisen generieren, Transporte unnötig machen, lokale Frischprodukte bieten und die Belastung auf Deponien verringern. Bekannte Caféketten könnten ihre Beliebtheit steigern, wenn sich ihr guter Ruf auf die Qualität der Pilze ausdehnt. Man stelle sich den Mehrwert für alle beteiligten Geschäftspartner vor, wenn bei fair gehandelten und biologisch angebauten Kaffeesorten auch auf das verwendete Ausgangsmaterial verwiesen wird: Für Existenzgründerinnen und -gründer bietet sich eine niedrigschwellige Geschäftschance, da innerstädtische Restaurants und Cafés sogar für die Bereitstellung der Ausgangsmaterie bezahlen würden und wiederum als Käufer fungieren, um die Delikatessen auf ihren Speisekarten anbieten zu können. Chido Govero, eine heute 24-jährige Waise aus Simbabwe, hat mit 11 Jahren an einem ZERI-Projekt teilgenommen und gelernt, wie man Pilze auf organischen Abfällen züchtet. In den vergangenen Jahren hat Chido mehrere Hundert Kinder und Frauen ausgebildet, sich selbst zu versorgen und dadurch gleichzeitig (sexuellen) Missbrauch und die Ausbreitung von AIDS bekämpft. Aber auch Frauen in Indien, behinderte Kinder in Kolumbien oder BerkeleyAbsolventen in den USA wurden von Chido geschult. Der in Kalifornien ansässige Kaffeegroßhandel Equator unter Leitung von Helen Russell geht noch einen Schritt weiter. Sie überzeugte einige Kaffeefarmen in Tansania, alle Frauen der Umgebung durch Chido in der Pilzzucht schu-
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len zu lassen und dafür die eigenen Abfälle zur Verfügung zu stellen. Russell und ihr Team importieren dafür die jährliche Ernte und vermarkten sie als „Chido‘s Blend“. Gleichzeitig bietet Equator seine Abfälle in der Region der San Francisco Bay der jungen Firma BTTR Ventures (www.bttrventures.com) an, die von Nikhil Arora und Alex Velez, zwei Betriebswirtschaftsabsolventen der Berkeley University nach intensiver Schulung durch Chido Govero und Carmenza Jaramillo gegründet wurde. Die beiden sind die ersten, die die auf Kaffeeabfällen angebauten Pilze als Marke handeln. Es überrascht nicht, dass sie im Magazin Newsweek unter den 25 Jungunternehmerinnen und -unternehmern des Jahres 2009 genannt wurden. Die Idee der Pilzzucht aus Kaffeeabfällen findet auch in Europa zunehmend Zuspruch. Ausgehend von Berlin wird unter der Marke „Chido‘s“ ein System der Pilzzucht eingeführt, das mittels intelligenter Logistik und einfachen Arbeitsplätzen wirtschaftlich tragfähige dezentrale Produktionseinheiten schafft, die hochwertige gesunde Lebensmittel herstellen. Chido Govero ist Teilhaberin dieser Gesellschaft und stellt die Expertise für den Aufbau dieser Produktionsstruktur. So lernen Unternehmen in Europa die Pilzproduktion von einer Waisen aus Simbabwe. Chido Govero sieht diese Arbeit als invest für ihr ganz persönliches ganzheitliches System: Die Gewinne aus dem Pilzverkauf gehen als Investition in ihr Projekt „The Future of Hope“, einem Trainingscenter für Waisen in Simbabwe. Dort werden Waisen in der Produktion von Pilzen ausgebildet, um die Ernährung in ihren Dörfern für die Familien zu sichern. Durch diese Aufbaustruktur von Beteiligungen wird – anstatt der Abhängigkeit von Spenden – eine langfristige Finanzierung gesichert. Dieses neue Geschäftsmodell könnte sich für Cafés in Istanbul oder Kairo bis hin zu Kaffeefarmen auf Hawaii, in Indonesien, Kamerun und Jamaika bewähren. Teefarmen in Kenia und Indien sowie Apfelbaumpflanzungen in Südafrika und Chile im hart umkämpften Obstmarkt können durch Vermarktung ihrer Biomasse ähnliche Möglichkeiten nutzen wie die für den Kaffee beschriebenen. 5
Das Systemdenken – Die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem
Was können wir aus diesen Beispielen lernen? Nur mit einem systemischen Ansatz ist eine Veränderung von Globalstrukturen zu realisieren. Dies bedeutet aber auch, dass sich alle die Mühe machen müssen, die Chancen in komplexen Systemen zu erkennen. Niemand ist in der Lage, die Welt in all ihren Facetten
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und Strukturen vollständig zu durchdringen, aber viele Menschen sind imstande, ihre spezifischen oder regionalen Lebensbedingungen mit zu durchdenken. Dies bedeutet Gemeinschaft statt Eigensinn, Respekt für die Umwelt und Bewusstsein der regionalen Identität. Es bedeutet aber auch, Produkte zu hinterfragen, seine Chancen als Konsument zu wahren, um Marktströme mitzulenken. Gemeinsam denken und handeln. Der Wirtschaft kommt hierbei die tragende Rolle zu. Wenn es, wie in den Beispielen beschrieben, gelingt, mehr Wertschöpfung durch einen systemischen Ansatz zu erwirtschaften, werden zwangsläufig mehr Arbeitsplätze geschaffen. So wird sich für alle Beteiligten eine Verbesserung der Lebensqualität einstellen. Unter diesen Bedingungen verwundert es nicht, dass Menschen bereit sind, eingefahrene Wege zu verlassen und sich auf neue soziale und ökologische Regeln für die Gesellschaft einzulassen, selbst wenn damit das eine oder andere Risiko verbunden ist. Solch einen social impact verstehen wir als die beste Form des nachhaltigen Wirtschaftens: Veränderungsprozesse, die auf Vertrauen beruhen, verortet in einer Region mit Menschen, die den Systemansatz nutzen, um ihre spezifischen Fähigkeiten einzubringen. Viele dieser Fähigkeiten liegen quasi auf unserer „genetischen Festplatte“, waren wir doch Jahrtausende auf die Fähigkeit der gemeinsamen Produktion und Gemeinschaft angewiesen. Erst durch die Industrialisierung ist uns dieses Wissen abhanden gekommen und muss jetzt zum Teil mühsam wieder erlernt werden. Daher verwundert es nicht, dass gerade Schwellenländer das Potential von ZERI und der blue economy-Methode für sich entdecken, wird dadurch doch teilweise eine ganze Dekade der Wirtschaftsentwicklung übersprungen und gleich auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum umgeschwenkt. Warum erst Wasser mit Kläranlagen und Chemie reinigen, wenn Flüsse dies von Natur aus mit Wirbeln können? Warum Energie für Klimatisierung verschwenden, wenn die Natur Techniken entwickelt hat, um Orte ständig wohl temperiert zu halten wie in einem Termitenhügel? Warum nur ein Produkt herstellen, wenn durch die Weiterverwertung von (Kaffee-)abfällen die Nahrungsproduktion ganzer Regionen gesichert werden kann und Millionen Jobs entstehen? Eines haben alle ZERI-Beispiele gemeinsam: den Bedarf an Unternehmern und Menschen, die sich der Herausforderung stellen, die unzähligen Chancen um uns herum zu nutzen.
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Quellenverzeichnis Pauli, Gunter (2010a): Neues Wachstum. Wenn grüne Ideen nachhaltig blau werden. Berlin. Pauli, Gunter (2010b): The Blue Economy. 10 Years, 100 innovations, 100 Million Jobs. Taos/NM. Pauli, Gunter (2010c): Zen and the Art of Blue. How to connect the quality of your life to the Blue Planet Earth. Berlin. Steiner, Achim (2010): Rede zur 10. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung am 27.10.2010 in Berlin. http://www.nachhaltigkeitsrat.de/uploads/media/RNE_Rede_Steiner_ Jahreskonferenz_27-09-2010.pdf (letzter Aufruf: 30.12.2010).
Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle – Anreizstrategien zur Versorgung mit öffentlichen Gütern Katharina Sommerrock
Sozialunternehmerinnen und -unternehmer schaffen sozialen Wert mit innovativen unternehmerischen Ansätzen, durchbrechen die Grenzen zwischen öffentlichem, privatwirtschaftlichem und drittem Sektor und revolutionieren die traditionellen Ansätze der sozialen Wertschöpfung. In diesem Beitrag wird soziales Unternehmertum als Prozess definiert, der eine unternehmerische Lösung zu einem sozialen Problem generiert bzw. implementiert, somit soziale Bedürfnisse befriedigt und dadurch sozialen Wert und soziale Wirkung entfaltet. Unter sozialen Problemen werden Situationen oder Umstände verstanden, die das Wohlergehen der Mitglieder einer Gesellschaft bedrohen oder gefährden. Soziale Bedürfnisse erwachsen aus dem Wunsch, dieses Wohlergehen zu schaffen oder wiederherzustellen. Sie entstehen aus kollektiv geformten Interessen und Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft und können sich dadurch im Laufe der Zeit ändern. Die unternehmerische Lösung sozialer Probleme weist signifikante Ähnlichkeiten zum Unternehmertum im privaten Sektor auf, jedoch mit Priorität auf der Erreichung eines sozialen Ziels statt der Verfolgung eines Gewinnmotivs. Ziel sozialen Unternehmertums stellt die endgültige Lösung eines sozialen Problems dar – sobald das Problem beseitigt ist, hat das Unternehmen seine Existenzberechtigung verloren. Der Prozess des sozialen Unternehmertums wird durch eine Sozialunternehmerin bzw. einen Sozialunternehmer vorangetrieben, ein Individuum oder einer kleinen Gruppe um ein Individuum, das oder die eine sozialunternehmerische Gelegenheit erkennt und eine neue sozialunternehmerische Organisation gründet, die diese Gelegenheit innovativ adressiert und dabei oft ganze oder Teile existierender Systeme und Strukturen transformiert. Dabei kommen oft wirtschaftliche Lösungsansätze und Marktmechanismen zum Einsatz und ungenutzte Ressourcen werden mobilisiert und kombiniert, um soziale Wirkung zu entfalten [siehe dazu auch den Beitrag von Priddat]. Sozialunternehmerische Organisationen [ebenso wie social entrepreneurship im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden mit dem H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Kürzel SEO bezeichnet] sind unabhängig von politischem oder religiösem Einfluss sowie von einzelnen, bedeutenden Stakeholdern. Im Gegenteil finanzieren sie ihren Betrieb aus sich selbst heraus oder streben dies zumindest zu einem Teil an. SEOs können einen for-profit- oder einen non-profit-Status haben – die soziale Wertschaffung dominiert jedoch stets die ökonomische. Die Auswahl der Rechtsform basiert nicht auf der Zielsetzung, privatwirtschaftlichen Gewinn zu realisieren, sondern darauf, wie die intendierte soziale Wirkung bestmöglich umgesetzt werden kann. Einige Beiträge, die die Wertschöpfung von SEOs behandeln, unterstellen, dass diese in die Bereitstellung von öffentlichen Gütern involviert sind (z.B. Wolk 2007: 166; Evers/Schulze-Böing 2001: 133). Die Bereitstellung öffentlicher Güter ist jedoch einigen Beschränkungen unterworfen, die durch ihre Charakteristika hervorgerufen werden, weil gerade diese zum Marktversagen für öffentliche Güter und in der Folge zu einer Unterversorgung mit diesen Gütern führen. Hieraus lässt sich die Frage ableiten, wie SEOs zur Bereitstellung von öffentlichen Gütern beitragen, d.h. wie sie den damit verbundenen Herausforderungen begegnen. 1
Sozialunternehmerische Organisationen und die Bereitstellung öffentlicher Güter
Nach der Theorie der öffentlichen Güter werden diese durch zwei Charakteristika bestimmt: Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität im Konsum (Cowen 1988a: 3). Ersteres bedeutet, dass kein Individuum ökonomisch oder technisch vom Konsum des bereitgestellten Gutes ausgeschlossen werden kann (Rosen/Windisch 1997: 128f). Zweiteres bedeutet, dass das Gut kollektiv von mehreren Konsumenten genutzt werden kann, ohne dass ein Konsument in seinem Nutzen des Gutes eingeschränkt wird (Musgrave 1969: 43; Brümmerhoff 1996: 77; Samuelson 1988: 29). Beide Charakteristika resultieren aus der Tatsache, dass öffentliche Güter externe Effekte, sog. Externalitäten, aufweisen. Diese treten dann auf, wenn die Handlungen eines Individuums den Nutzen eines anderen beeinflussen (Cowen 1988a: 2), und können positive oder negative Wirkung auf Andere haben, indem sie entweder Nutzen stiften oder aber Schaden zufügen. Dies trifft oft auf Güter und Dienstleistungen zu, die die Gesellschaft insgesamt betreffen, wie z.B. Frieden, eine saubere Umwelt oder nationale Sicherheit (Musgrave 1959: 9). Als Folge der Externalitäten sind alle Mitglieder einer Gesellschaft gezwungen, die gleiche Menge des Gutes zu konsumieren – z.B. ist es nicht möglich, unter-
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
schiedliche Mengen nationaler Sicherheit zu kaufen (Varian 1999: 594). Während private Güter auf Märkten angeboten werden können, ist die Bereitstellung öffentlicher Güter von Marktversagen betroffen. Dieses Phänomen ist auf die Unterschiede in den Anreizeffekten zwischen privaten und öffentlichen Gütern zurückzuführen (Homann/Blome-Drees 1992: 73). Aus den Externalitäten und dem Charakteristikum der Nichtausschließbarkeit bei öffentlichen Gütern resultiert die Tatsache, dass jedem Individuum der gleiche Nutzen aus einem öffentlichen Gut zuteil wird, sobald es bereitgestellt wurde. Folglich hat jeder den Anreiz, so wenig wie möglich dazu beizutragen und vom Nutzen des Gutes eher als Trittbrettfahrer zu profitieren. Trittbrettfahrer (free-rider) bezahlen nicht für den Konsum des Gutes, da sie auch ohne Beitrag davon profitieren können. Aufgrund der Unmöglichkeit, Trittbrettfahrer vom Konsum eines öffentlichen Gutes auszuschließen, ist niemand gewillt, für das Gut zu bezahlen bzw. einen Beitrag zur Bereitstellung des Gutes zu leisten. Ein Beispiel hierfür stellt die Konstruktion eines Deichs zum Schutz gegen Sturmfluten. Von einem fertig gestellten Deich werden alle Einwohnerinnen und Einwohner der Gegend profitieren, unabhängig ob sie zum Bau einen Beitrag geleistet haben oder nicht. Entsprechend besteht der Anreiz, die wahren Präferenzen für den Deichbau zu verschleiern und den Beitrag zum Bau zu vermeiden, in der Hoffnung, dass andere dazu beitragen mögen und man letztlich doch davon profitieren kann. Insofern können öffentliche Güter nicht durch Marktmechanismen erstellt werden, da ihr Konsum nicht an Beiträge bzw. Zahlungen gekoppelt werden kann (Musgrave 1959: 9). Aus diesem Fehlen von Anreizen, zur Erstellung von öffentlichen Gütern beizutragen, resultiert Marktversagen für öffentliche Güter. Obwohl eine gewisse Nachfrage für diese Güter existiert, versagt der Marktmechanismus, da die Konsumentinnen und Konsumenten darauf spekulieren, das Gut eher als Trittbrettfahrer zu konsumieren, als selbst einen Beitrag dazu zu leisten (Cowen 1988a: 3).1 Als Folge dieses Marktversagens können jedoch keine Ressourcen zur Bereitstellung öffentlicher Güter alloziiert werden (Stähler 2001: 190). Da die Bereitstellungskosten nicht durch Beiträge der Konsumierenden gedeckt werden können, werden öffentliche Güter üblicherweise entweder vom Staat oder überhaupt nicht bereitgestellt. Während vielfach die Aktivitäten von SEOs im Bereich der öffentlichen Güter angesiedelt werden, scheinen die spezifischen Produkte und Dienstleistungen,
1 Bei privaten Gütern führt der Marktmechanismus dagegen zu einer pareto-effizienten Allokation von Gütern basierend auf den individuellen Konsumentscheidungen (Varian 1999: 606).
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die von Sozialunternehmern angeboten werden, zunächst die Charakteristika privater Güter aufzuweisen (Nicholls 2006a: 14f; Smallbone et al. 2001: 18). SEOs bieten z.B. Weiterbildung und Berufsausbildung für unterprivilegierte Jugendliche an, vergeben Mikrokredite an Kleinstunternehmende, stellen armen ländlichen Familien solartechnologische Produkte zur Verfügung, beschäftigen Obdachlose, Behinderte oder benachteiligte Randgruppen der Gesellschaft oder stellen die Sehkraft von Blinden wieder her. All diese Produkte und Dienstleistungen teilen zunächst die Eigenschaften privater Güter: Rivalität und die Ausschließlichkeit im Konsum. Aber obwohl diese Güter und Dienstleistungen vorrangig den Charakter privater Güter haben, beinhalten sie ebenso starke positive Externalitäten für die Gesellschaft. Sie befriedigen individuelle Bedürfnisse, deren Befriedigung jedoch mit einem gesellschaftlichen Nutzen einhergeht (Borzaga/Solari 2001b: 334). Eine Analyse des Nutzens sozialunternehmerischer Güter und Dienstleistungen verdeutlicht, dass über den individuellen Nutzen hinaus ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen entsteht, der die Eigenschaften öffentlicher Güter aufweist, wie z.B. Bildung, Beschäftigung, Armutsreduktion, Verbesserung der Gesundheit, saubere Umwelt, besserer Lebensstandard. SEOs produzieren private Güter mit positiven Externalitäten, die gewissermaßen auf dem Weg zum Endprodukt auftreten (Mosher-Williams 2006a: 148). Das Beispiel der Aravind Eyecare Hospitals (www.aravind.org) in Indien verdeutlicht, wie Augenoperationen als privates Gut sowohl für reiche als auch arme Inderinnen und Inder zu gesteigerter Gesundheit der Sehkraft der gesamten Bevölkerung führen. Zusätzlicher Nutzen entsteht mit der Armutsreduktion der früher Sehbehinderten durch deren wiedererlangte Arbeitsfähigkeit. Offensichtlich gelingt es SEOs durch das Anbieten von Produkten und Dienstleistungen mit individuellem Nutzen auf einer Ebene, die Bereitstellung von öffentlichen Gütern auf einer weiteren Ebene anzuregen. Insofern stellen SEOs öffentliche Güter nicht selbst her, sondern agieren gewissermaßen als Katalysatoren für deren Bereitstellung mittels der Produktion von Produkten und Dienstleistungen mit privatem Charakter. 2
Sozialunternehmerische Organisationen als ressourcenabhängige Organisationen
Nachdem mittels der Theorie der öffentlichen Güter das ökonomische Umfeld von SEOs beleuchtet wurde und auf dieser Basis deren Rolle als Katalysatoren für öffentliche Güter identifiziert werden konnte, soll im Folgenden untersucht werden, wie SEOs mit den Herausforderungen des Marktversagens umgehen,
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mit denen sie als Katalysatoren für öffentliche Güter konfrontiert werden. Die Ressourcenabhängigkeitstheorie liefert Indikationen bzgl. des Verhaltens von Organisationen, die mit Ressourcenknappheit konfrontiert sind. Insofern stellt sie eine wirkungsvolle Perspektive für Organisationen dar, die einen Weg finden müssen, Ressourcen zur Bereitstellung von Gütern anzuziehen, die normalerweise Marktversagen verursachen.2 Ihr wissenschaftliches Interesse konzentriert sich auf die Frage, wie Organisationen ihr Überleben in komplexen und unsicheren Umfeldern sichern und erklärt damit das Design und das Verhalten von Organisationen (Hermesch 2000: 97). Sie definiert das Überleben des Systems als das Ziel einer Organisation, für das Ressourcen nötig sind: „To survive, organizations require resources“ (Pfeffer/Salancik 1978: 2). Diese Ressourcen werden gemäß der Theorie vom Umfeld einer Organisation bereitgestellt (Nienhüser 2004: 91). Da keine Organisation in der Lage ist, alle Ressourcen, die zur Erstellung eines bestimmten Produktes oder einer Dienstleistung nötig sind, aus sich selbst heraus zu generieren, ist die Organisation immer zu einem gewissen Grad von ihrem Umfeld abhängig und muss mit diesem in Austausch treten, um Ressourcen anzuziehen und zu halten, und so ihr Überleben zu sichern (Pfeffer/Salancik 1978: 2; Hall 1991: 278). Die Definition von Ressourcen ist dabei sehr breit: „Resources can be almost anything that is perceived as valuable – from building contracts to press exposure to control over systems and analysis“ (Pfeffer 1992: 87). Demgemäß zählen Rohmaterial, externes Kapital, Personal, technologische Innovationen, Umsätze oder Forschung und Entwicklung zu Ressourcen einer Organisation. Sogar die Legitimation durch Stakeholder, d.h. derjenigen Einzelpersonen oder Personengruppen, die die Ziele einer Organisation beeinflussen können oder die notwendigen Ressourcen beisteuern, kann als Ressource bezeichnet werden (Hall 1991: 278). Organisationen treten mit ihrem Umfeld in eine Austauschbeziehung ein, indem sie Ressourcen beziehen und deren Bereitsteller entsprechend entlohnen und indem Kundinnen und Kunden Produkte und Dienstleistungen von der Organisation beziehen, die sie im Gegenzug bezahlen. Insofern ist das Marktparadigma mit seinem Prinzip „quid pro quo“ ein zentrales Element der Ressourcenabhängigkeitstheorie (Knyphausen-Aufseß 1997: 464). Diese Austauschbeziehung wird auch durch die Integration der wesentlichen Aspekte der Anreiz-Beitrags-Theorie in die Ressourcenabhängigkeitstheorie widergespiegelt, die besagt, dass eine Organisation eine Balance herstellen und bewahren muss zwischen Anreizen und Beiträgen (March/Simon 1958). Solange die Anreize durch die beitragenden Individuen höher eingeschätzt wer2 Für eine ausführliche Darstellung der Ressourcen, auf die SEOs angewiesen sind, siehe Sommerrock (2010: 106 ff).
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den als ihre Beiträge, werden sie die Organisation weiter unterstützen (ebd.: 84). Diese Perspektive kann nicht nur im Hinblick auf die Ressource Personal gelten, sondern für alle Stakeholder, deren Beitrag zum Überleben der Organisation notwendig ist. Die Herstellung dieser Balance zwischen Anreizen und Beiträgen bestimmt über die strategischen Entscheidungen einer Organisation, da sie deren Überleben sichern. Kritisch ist hierbei die Fähigkeit einer Organisation, den Stakeholdern Anreize zu setzen, die diese subjektiv höher als ihre Beiträge einschätzen und die somit zu einem stabilen Ressourcenbeitrag führen. Die Schaffung von subjektiv attraktiven Anreizen bzw. die strategische Nutzung vorhandener Anreizstrukturen bildet die Basis des Geschäftsmodells einer Organisation, mittels dessen sie Ressourcen aus dem Umfeld, d.h. Beiträge ihrer Stakeholder, anzuziehen und somit ihr Überleben zu sichern vermag. SEOs sind als Katalysatoren für die Bereitstellung öffentlicher Güter mit dem Dilemma des Marktversagens aufgrund falscher oder nicht funktionierender Anreizstrukturen konfrontiert, gleichzeitig aber auch mit der Herausforderung, Ressourcen anzuziehen für die Bereitstellung öffentlicher Güter und die damit verbundenen Abhängigkeiten. Insofern erscheint die Anwendung der Ressourcenabhängigkeitstheorie auf SEOs insbesondere mit Fokus auf die Ressourcenzwänge zielführend. SEOs stehen dabei verschiedene Arten von Anreizen zur Verfügung, die sich im Spannungsfeld zwischen „egoistischen“ und „altruistischen“ Motiven bewegen: „Social entrepreneurs have to decide how they will approach the markets for resources and the markets for their services or goods. To what extent and in what ways will they rely on philanthropic or ‘expressive’ motivations as opposed to more self-interested motivations common in commercial markets?“ (Dees/Anderson 2006: 54f).
Grundsätzlich können Anreize für Stakeholder von SEOs materiell und immateriell sein, um damit Ressourcen anzuziehen wie z.B. Arbeitskraft, Kapital, Bezahlung für Produkte und Dienstleistungen, Spenden, materielle Ressourcen oder Kooperationen. Materielle Anreize umfassen finanzielle Anreize, wie z.B. Bezahlung in Form von Gehältern, Zinsen, Miete, sowie nicht-finanzielle materielle Anreize, wie z.B. Produkte und Dienstleistungen. Beispiele für immaterielle Anreize sind gutes Gewissen, persönliche Befriedigung durch Helfen, Lernen, Reputation oder öffentliche Anerkennung. Gesellschaftliche Anreize wie Reputation machen einen beträchtlichen Anteil der immateriellen Anreize aus (Homann/Suchanek 2000: 66). Immaterielle Anreize können auch intrinsische Motivation, wie z.B. Freude am Arbeiten, oder – im Falle von SEOs – die Befriedigung aus dem direkten Beitrag zum sozialen Wohl, einschließen (ebd. 2000: 67; Spear
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2006: 405). Finanzielle Anreize scheinen sich der größten Beliebtheit zu erfreuen, da sie sehr einfach in die meisten anderen Anreize transformiert werden können (Homann/Suchanek 2000: 66). Nichtsdestotrotz können immaterielle Anreize für eine SEO von größerer Bedeutung sein. Wie Habisch (1999: 96) andeutet, müssen gerade auf dem Gebiet des bürgerschaftlichen und sozialen Engagements Anreize nicht unbedingt finanzieller Natur sein, wo im Gegenteil oft immaterielle Anreize größere Wirkung bei der Steuerung des Verhaltens der Stakeholder bewirken [siehe dazu auch den Beitrag von Habisch]. Der Effekt materieller und immaterieller Anreize basiert auf der generellen Motivation von Stakeholdern, einen Ressourcenbeitrag zu leisten. Diese Motivation kann grundsätzlich aus der Zielsetzung heraus entstehen, Renten zu generieren, oder aber auf Spendermotiven beruhen. 3
Sozialunternehmerische Geschäftsmodelle auf Basis von Anreizen
Anhand der Anreize, die SEOs einsetzen, um ihre Stakeholder zu Beiträgen zum öffentlichen Gut zu motivieren, sind verschiedene sozialunternehmerische Geschäftsmodelle unterscheidbar. Der Fokus einer SEO liegt auf der Zielkundengruppe, deren soziales Problem sie zu lösen versucht. Alle Anreize, die eine SEO schafft, um ihre Stakeholder zu Ressourcenbeiträgen zu motivieren, sind daher letztlich an der Wertschöpfung ausgerichtet, die die Organisation für ihre Zielgruppe schafft. Von SEOs genutzte Anreizstrukturen und -strategien unterscheiden sich daher grundsätzlich danach, wie die Zielgruppe in den Wertschöpfungsprozess der SEO eingebunden ist: Sie kann sozialen Wert entweder unter Einbindung der Zielgruppe in den Wertschöpfungsprozess, für die Zielgruppe oder durch ein hybrides Modell schaffen. Die jeweils unterschiedlich gestalteten Anreizstrukturen ermöglichen die Identifikation von drei grundlegenden sozialunternehmerischen Geschäftsmodellen3 [siehe dazu auch die auf Form und Zielgruppen abstellende Typisierung von Geschäftsmodellen im Beitrag von Oldenburg]. Soziale Wertschöpfung mit der Zielgruppe Wenn SEOs mit ihrer Zielgruppe sozialen Wert generieren, integrieren sie diese in ihre Wertschöpfungskette. Üblicherweise beschäftigen sie ihre Zielgruppe als 3 Für weitere von SEOs genutzte Anreizstrategien siehe Sommerrock (2010: 149ff).
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Mittel, um ihr soziales Problem zu lösen. Das Produkt oder die Dienstleistung, die die Zielgruppe als Mitarbeitende der SEO herstellt, konkurriert mit ähnlichen Produkten am Markt. Die SEO muss also Anreize für ihre Zielgruppe schaffen, um sie zur Mitarbeit zu motivieren, und für die Kundschaft, ihre Produkte oder Dienstleistungen zu kaufen, um so die Organisation zu finanzieren. Zusätzlich zu diesen beiden Haupt-Stakeholdern muss eine SEO mit diesem Geschäftsmodell auch für andere Stakeholder Anreize schaffen, auf die sie am Beginn und am Ende ihrer Wertschöpfungskette angewiesen ist – z.B. Organisationen, die sie mit ihrer Zielgruppe in Kontakt bringen, oder aber Organisationen und Unternehmen, die die Zielgruppe übernehmen, nachdem das Training oder die Ausbildung beendet sind. Die Job Factory Basel AG ist ein Beispiel für ein sozialunternehmerisches Geschäftsmodell, das soziale Wirkung durch Einbindung der Zielgruppe in die Wertschöpfung entfaltet. Job Factory Basel AG Robert Roth gründete die Job Factory (www.jobfactory.ch) im Jahr 2000 in der Schweiz, um arbeitslosen Jugendlichen mit einem Praktikum und Training für den Arbeitsmarkt eine zweite Chance auf Arbeit zu geben. Die Job Factory bietet Praktika in 15 verschiedenen Berufsbildern in einem realen Kaufhaus (z.B. im Restaurant mit Küche und Service, beim Modeverkauf, im Friseursalon, in einem Laden für Musikinstrumente oder einem Café mit Lieferservice), in einer Druckerei, einer Gitarrenwerkstatt, einer Schreinerei, einem IT- und Kommunikationsdienstleister, einer industriellen Fertigung oder einem Versand- und Bürodienstleister. Die arbeitslosen Jugendlichen können ihr Praktikum aus dieser Vielzahl an Berufsfeldern auswählen und erhalten begleitend Berufs- und Persönlichkeitstraining durch die Job Training Stiftung zur Vorbereitung auf Bewerbungen. Solchermaßen integriert in die Wertschöpfungskette der Job Factory, produzieren die Jugendlichen Produkte und Dienstleistungen, die zwar bereits auf dem Markt angeboten werden, die sich jedoch oft durch eine einzigartige value proposition abheben. Die soziale Wirkung wird dadurch erzeugt, dass die Jugendlichen sinnvolle und dadurch befriedigende Aufgaben in einem leistungsorientierten Umfeld wahrnehmen, welches sie darauf vorbereitet, anschließend in den „richtigen“ Arbeitsmarkt zurückzukehren. Neben der Chance, ihre Zukunftsaussichten zu verbessern, werden den Jugendlichen weitere Anreize gesetzt, für die Job Factory zu arbeiten. Dank der reichen Auswahl an Berufsfeldern können sie einen Bereich wählen, der zu ihren Interessen passt, was die Arbeitsmotivation erhöht. Außerdem sind sie bei der Job Factory nicht demselben Stigma ausgesetzt, das denjenigen oft anhaftet, die eines der staatlichen Programme absolviert haben, und die Trainings sind darüber hinaus auch auf sie persönlich zugeschnitten, um die spezifischen Defizite eines jeden Jugendlichen aufzuarbeiten.
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Soziale Wertschöpfung für die Zielgruppe SEOs, die sozialen Wert für ihre Zielgruppe entfalten, bieten Produkte und Dienstleistungen, deren Nutzung durch die Zielgruppe den gewünschten sozialen Effekt erzielt. Diese Produkte und Dienstleistungen werden entweder an die Zielgruppe verkauft oder von anderen Stakeholdern zur Nutzung durch die Zielgruppe bezahlt. SEOs, die dieses Geschäftsmodell verfolgen, müssen Anreize für ihre Kundinnen und Kunden schaffen, ihre Produkte und Dienstleistungen zu kaufen. Hier muss zwischen den beiden Arten von Marktversagen, die SEOs adressieren, unterschieden werden. Wenn ihre Zielgruppe nicht (genügend) zahlen kann für die Produkte und Dienstleistungen, die ihre Bedürfnisse befriedigen würden, finden SEOs oft Wege, ihrer Zielgruppe diese Produkte und Dienstleistungen verfügbar zu machen, um soziale Wirkung zu entfalten. Wenn ihre Zielgruppe zwar in der Lage, jedoch nicht willens ist, für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu zahlen, müssen SEOs Anreize nutzen, um ihre Zielgruppe zu Beiträgen zu motivieren. In beiden Fällen müssen SEOs möglicherweise Anreize für weitere Stakeholder einsetzen, z.B. für Spenden, Material oder Vertrieb. Die SEO Kickstart ist ein Beispiel für die soziale Wertschaffung für die Zielgruppe. Kickstart Kickstart (www.kickstart.org) ist in Afrika aktiv und wurde 1991 von Martin Fisher und Nick Moon gegründet. Die Organisation entwickelt und vertreibt landwirtschaftliche Geräte mit Niedrigkosten-Technologie, wie z.B. Mikro-Bewässerungspumpen und Ölpressen, die lokale Kleinunternehmerinnen und -unternehmer befähigen, ihre eigenen profitablen kleinen Unternehmen zu betreiben. Indem sie diese Geräte an arme Landwirte in Entwicklungsländern verkaufen, zu einem Preis, den sich diese leisten können, und mit einer Qualität und Ausstattung, die sie wirklich brauchen (insb. einfache, intuitive Benutzung und lange Lebensdauer), katalysiert Kickstart die Reduktion von Armut und erhöht den Wohlstand in Entwicklungsländern.
Hybride soziale Wertschöpfung SEOs setzen ein hybrides Modell ein, wenn die beiden bereits erläuterten Geschäftsmodelle kombiniert werden. In diesem Fall wird der soziale Wert sowohl durch die Integration der Zielgruppe in die Wertschöpfung als auch durch ein Produkt oder eine Dienstleistung für die Zielgruppe geschaffen. Beispielsweise müssen sie zu dem Produkt oder der Dienstleistung beitragen, die ihr soziales
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Problem lösen sollen, und ihre Integration in die Wertschöpfung ist Teil der Lösung. In anderen Fällen des hybriden Modells erstreckt sich der soziale Effekt auf mehrere Nutznießerinnen und Nutznießer im selben Grad oder der soziale Wert wird durch mehrere Gruppen zu einem ähnlichen Grad erzeugt. Je nach Situation muss die SEO die entsprechenden Anreize einsetzen. Ein Beispiel für eine hybride SEO ist Habitat for Humanity. Habitat for Humanity Habitat for Humanity (www.habitat.org) wurde 1976 von Millard und Linda Fuller in den USA gegründet, mit dem Ziel, vernünftige und bezahlbare Häuser für arme, obdachlose Familien in vielen Ländern der Erde bereitzustellen. Die Organisation kann dieses Ziel durch finanzielle und materielle Spenden, Freiwilligenunterstützung und das sog. sweat equity erreichen, indem sie die zukünftigen Hausbesitzerinnen und -besitzer eigene Arbeitskraft in ihr neues Zuhause investieren lässt. Auf diese Weise kann Habitat Häuser zu sehr günstigen Kosten bauen und an die neuen Besitzer mithilfe eines Nullgewinn-Darlehens verkaufen. Habitat rekrutiert auch Freiwillige, die bereits von dem Programm in derselben Gegend und der Unterstützung von Freiwilligen beim Bau ihres eigenen Hauses profitiert haben. Dadurch haben diese Freiwilligen einen starken Anreiz, anderen Familien in Not diesen Gefallen zu erwidern.
Diese gegenseitige Verpflichtung ist ein Beispiel für das soziale Kapital, das SEOs durch ihre Geschäftsmodelle generieren und verdeutlicht gleichzeitig, wie wichtig dies zur Funktion einer SEO ist. Habitat for Humanity‘s Wertschaffung ist hybrid, weil sozialer Wert sowohl durch den Prozess des Bauens der neuen Häuser als auch durch die Häuser selbst generiert wird. 4
Fazit
Im Hinblick auf die eingangs postulierte Frage, wie SEOs zur Bereitstellung öffentlicher Güter beitragen, verdeutlichen die vorgestellten Geschäftsmodelle, dass diese als Katalysatoren für öffentliche Güter wirken. Diese Geschäftsmodelle basieren auf Anreizstrukturen bzw. entwickeln Anreizstrategien, die die Stakeholder des jeweiligen öffentlichen Guts motivieren, ihren Beitrag zum öffentlichen Gut zu leisten. Die Anreizstrukturen und -strategien beruhen dabei auf dem Marktmechanismus „quid pro quo“, der sowohl die Nachhaltigkeit der sozialunternehmerischen Lösungsansätze als auch der Organisationen selbst sicherstellt, solange sie zur Lösung der adressierten sozialen Probleme notwendig ist. Mit diesen nachhaltigen Lösungsansätzen gelingt es bereits einigen So-
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II. Gesellschaftliche Veränderungen bewirken und gestalten
zialunternehmen, ihre Organisationen zu skalieren und sogar global tätig zu sein, und so möglicherweise zukünftig Teil einer neuen, gerade erst entstehenden Architektur zu werden, die von einem Netzwerk an Organisationen gebildet wird. Diesen Organisationen kann es gelingen – vorangetrieben durch bürgerschaftliches Engagement – globale normative Strukturen in Bereichen sozialer und ökologischer Missstände aufzubauen, für die Staaten unabhängig voneinander keine passenden Lösungen entwickeln können. Quellenverzeichnis Borzaga, Carlo/Defourny, Jacques (Hrsg.) (2001a): The emergence of social enterprise. London. Borzaga, Carlo/Solari, Luca (2001b): Management challenges for social enterprises. In: Borzaga/ Defourny (2001a): 333-349. Brümmerhoff, Dieter (1996): Finanzwissenschaft. München. Cowen, Tyler (1988a): Public goods and externalities: Old and new perspectives. In: Cowen (1988b): 1-26. Cowen, Tyler (Hrsg.) (1988b): The theory of market failure. A critical examination. Fairfax. Dees, J. Gregory/Anderson, Beth (2006): Framing a theory of social entrepreneurship: Building on two schools of practice and thought. In: Mosher-Williams (2006a): 39-66. Evers, Adalbert/Schulze-Böing, Matthias (2001): Germany – Social enterprises and transitional employment. In: Borzaga/Defourny (2001): 120-135. Festing, Marion/Martin, Albert/Mayrhofer, Wolfgang (Hrsg.) (2004): Personaltheorie als Beitrag zur Theorie der Unternehmung. München. Habisch, André (1999): Sozialkapital als Bauelement zukunftsfähiger Gesellschaftsstrukturen. In: Politische Studien 50/1999/1 (Sonderheft): 95-100. Hall, Richard (1991): Organizations: Structures, processes, and outcomes. Englewood Cliffs. Hermesch, Martin (2000): Die Gestaltung von Interorganisationsbeziehungen: Theoretische sowie empirische Analysen und Erklärungen. Lohmar. Homann, Karl/Blome-Drees, Franz (1992): Wirtschafts- und Unternehmensethik. Göttingen. Homann, Karl/Suchanek, Andreas (2000): Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen. zu Knyphausen-Aufseß, Dodo (1997): Auf dem Weg zu einem ressourcenorientierten Paradigma? Resource Dependence-Theorie der Organisation und Resource-based View des Strategischen Management im Vergleich. In: Ortmann et al. (1997): 452-480. March, James/Simon, Herbert (1958): Organizations. New York. Margolis, Julius D./Guitton, Henri (Hrsg.) (1969): Public economics. An analysis of public production and consumption and their relations to the private sectors. London/New York. Mosher-Williams, Rachel (2006a): Much more to do: Issues for further research on social entrepreneurship. In: Mosher-Williams (2006b): 147-150. Mosher-Williams, Rachel (Hrsg.) (2006b): Research on social entrepreneurship: Understanding and contributing to an emerging field. Indianapolis.
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III.
Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des Social Entrepreneurship? Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert Hans-Joachim Gergs „Existieren heißt sich laufend verändern. Sich verändern heißt reifen. Reifen heißt sich selbst endlos neu erschaffen.“ Henri Bergson
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Das Wachstum des sozialen Sektors und der Aufschwung des Sozialmanagements
Mit dem enormen Wachstum des sozialen Sektors stieg dessen ökonomische Bedeutung in den letzten 50 Jahren in allen westlichen Gesellschaften. In der Bundesrepublik gehört der non-profit-Sektor mit einer Zunahme von 370 Prozent seit 1960 zu den stärksten Wachstumsbranchen (Puch 2004). Während im profit-Sektor die Beschäftigtenzahlen in der Zeit von 1960 bis 2000 um 2 Prozent zurückgegangen sind (Abbildung 1), haben sich diese im öffentlichen Sektor verdoppelt und bei den sozialen Organisationen sogar vervierfacht. Beispielhaft ist die Beschäftigtenentwicklung in den kirchlichen Organisationen. Dort stieg die Anzahl der Beschäftigten von 317.988 im Jahr 1960 auf 1,19 Millionen im Jahr 2004 (Lührs 2006: 37). Die Caritas und das Diakonische Werk hatten 422.000 bzw. 482.000 Mitarbeiter im Jahr 2004 und gehörten damit zu den größten Arbeitgebern der Bundesrepublik. Die große ökonomische Bedeutung des sozialen Sektors auf der einen Seite und die Krise der öffentlichen Finanzen auf der anderen Seite erzeugten bereits in den 1980er Jahren einen Rationalisierungs- und Kommerzialisierungsdruck auf den gesamten sozialen Bereich. Seit dieser Zeit sind Schlagworte wie ‚Ökonomisierung‘, ‚Vermarktwirtschaftlichung‘ oder ‚Privatisierung‘ populär. Auf den Rückgang finanzieller Ressourcen reagierten viele soziale Organisationen mit einer Professionalisierung ihres Managementprozesses. Der Vorwurf des „funktionalen Dilettantismus“ (Seibel 1994) hat diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, dass sich in der gegenwärtigen Diskussion das Interesse auf den Einsatz zumeist aus profit-Organisationen übernommener Managementkonzepte richtet. In diesem Zusammenhang H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
werden in der Literatur und der Praxis unterschiedlichste Ansätze in ihrer Bedeutung für die Soziale Arbeit thematisiert, seien es Ansätze des Qualitätsmanagements, des Controllings, des Rechnungswesens oder der Organisations- und Personalentwicklung. Dabei richtet sich der Fokus der Diskussion auf Kosteneinsparung, Produktivitätssteigerung und die Verbesserungen der Qualität der erbrachten Leistungen (Gmür 1999; Horak et al. 1997). In der Aus- und Weiterbildung ist diese Entwicklung daran erkennbar, dass sich die Anzahl der Masterstudiengänge und der Professuren im Bereich Sozialmanagement in allen westlichen Industrienationen – so auch in Deutschland – in den letzten Jahren vervielfacht hat.
Abbildung 1: Deutsche Beschäftigtenstruktur nach Sektoren (Drayton 2006: 48)
Soziale Organisationen adaptieren derzeit in großem Umfang Managementmethoden aus dem profit-Sektor. Diese Entwicklung ist äußerst bedenklich, geraten doch diese klassischen Managementmethoden jüngst selbst stark in die Kritik (Mintzberg 2009; Handy 2005). Gary Hamel (2007) spricht sogar schon vom „Ende des Managements“. Nachdem sich die „Technologie“ der wissenschaftlichen Betriebsführung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rasch entwickelte, ist sie – so Hamel – seit den 1960ern in ihrer Entwicklung ins Stocken geraten. Die meisten bedeutsamen Werkzeuge und Techniken des modernen
Gergs: Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert
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Managements wurden von Personen erarbeitet, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurden (Taylor, Fayol, Weber, Sloan, etc.). Diese Pioniere des Managements entwickelten standardisierte Stellenbeschreibungen und Arbeitsmethoden. Sie brachten die Kostenrechnung und die Gewinnanalyse unter Kontrolle und führten fortschrittliche Methoden der Investitionsplanung ein. Bis 1930 entwarfen sie die grundlegenden Architekturen der in Bereiche gegliederten Organisation und formulierten die Prinzipien des Markenmanagements (ebd.: 19).1 Welchen Beitrag Taylor und die vielen anderen Managementinnovatoren der damaligen Zeit zum wirtschaftlichen Fortschritt geleistet haben, zeigt sich daran, dass sich die Produktivität der Fabriken seit mehr als hundert Jahren unentwegt erhöht hat. Heute stehen wir jedoch vor ganz neuen sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen, denen die Managementinnovationen des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gerecht werden. Was unsere Ära von allen anderen unterscheidet, ist nicht nur die global nivellierende Wirkung der Kommunikation, nicht nur der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und Indiens, nicht nur der Klimawandel, die Überalterung westlicher Gesellschaften, die Zunahme von Migration oder die Veränderung von Familienstrukturen. Vielmehr liegt der wesentliche Unterschied in der dramatischen Beschleunigung des Wandels. Wir betreten ein Zeitalter der Diskontinuität. Ein Jahrhundert, in dem Zukunftsvorhersagen immer schwieriger werden. Es sind die kumulativen Effekte der Gleichzeitigkeit und der zunehmenden Intensität dieser unterschiedlichen Veränderungen, die das bisherige Problemlösungsrepertoire des Managements überfordern. Der turbulente Wandel eröffnet gleichzeitig auch neue gesellschaftliche Chancen. Die wichtigste Frage, die sich jede soziale Organisation im 21. Jahrhundert stellen muss, lautet: Ändern wir uns ebenso schnell wie unsere Umwelt? Geht es um nachhaltige Überlebenssicherung sozialer Organisationen und die Steigerung des sozialen Mehrwerts, muss das Management ein Gefühl für neue soziale Problemlagen und innovative Strategien zu deren Lösung entwickeln, d.h. es muss Neues wagen und sich von Vergangenem lösen – und zwar nicht erst dann, wenn die Organisation bereits mitten in der Krise steckt. Die zentrale Aufgabe des Managements besteht darin, zielgerichtet und aktiv Veränderungen aufzuspüren und zugleich ihre Organisationen so zu konstruieren, dass sie angesichts unkalkulierbarer Umwelten antwortfähig bleiben (Wimmer 1995: 83). 1 Wie revolutionär z.B. die Gedanken Frederick Winslow Taylors für die damalige Zeit waren, wird daran deutlich, dass dieser seine Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung in einer Zeit entwickelte (1890), in der das durchschnittliche Unternehmen in den USA vier Beschäftigte hatte. Es war damals kaum vorstellbar, dass wenige Dekaden später Unternehmen auf die Größe von U.S. Steel oder der Ford Motor Company anwachsen würden.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Vom Sozialmanagement zum Social Entrepreneurship
Die dargestellten Herausforderungen, so die zentrale These, lassen sich nicht mit den herkömmlichen ‚technizistischen‘ Managementmethoden bewältigen. Selbsterneuerung und Innovation erfordern im sozialen Sektor nicht Sozialmanagement, sondern „Social Entrepreneurship“ [im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet], d.h. unternehmerisches Denken und Handeln. Zum Begriff des Entrepreneur Ein entrepreneur, so definiert der französische Ökonom Jean-Baptiste Say um das Jahr 1800 erstmals diesen Begriff, nimmt Wirtschaftsressourcen aus den Bereichen geringer Produktivität heraus und nutzt sie an anderer Stelle, wo sie höhere Erträge erzielen. Says Definition sagt jedoch nichts darüber aus, wie entrepreneurs handeln. Hierüber erfahren wir mehr bei dem österreichischen Ökonomen und Soziologen Joseph Alois Schumpeter, der den deutschen Begriff des Unternehmers verwendet: „Ein Unternehmer ist dasjenige Wirtschaftssubjekt, dessen Funktion die Erfindung neuer Kombinationen und deren Durchsetzung ist“ ([1911] 1997: 111). Schumpeter grenzt dabei statische Eigentümer von Betrieben von dynamischen Unternehmern ab. Letztere sind nach seiner Definition fähig, „Führerschaft“ zu übernehmen, um Schritte „aus der Routine“ zu vollziehen, um „neue Möglichkeiten“ durchzusetzen (ebd.: 121ff). Schumpeter‘sche Unternehmer schaffen etwas Neues, etwas Anderes. Sie bewirken einen Wandel in der Werteskala ihrer Kunden bzw. Klienten. Sie wälzen um und desorganisieren. Ihr Handeln hat dabei nicht nur eine positive (schöpferische), sondern immer auch eine negative (zerstörende) Seite. Die negative Seite ist quasi die Voraussetzung der positiven. Denn ohne die Infragestellung und Auflösung des Bestehenden kann keine Innovation stattfinden. Schumpeter sieht im Unternehmer den Agenten dieses Aktes der „schöpferischen Zerstörung“, welcher die kapitalistische Wirtschaftsweise immer wieder von innen heraus revolutioniert und damit ihre Entwicklungsdynamik vorantreibt. Es geht dem Unternehmer nicht darum, das Bestehende zu optimieren, seine Lust zielt auf den Wandel und die Zukunft. Für ihn ist Wandel die Norm. Nach der Definition Schumpeters ist nicht jeder Besitzer eines großen oder kleinen Betriebs als Unternehmer zu bezeichnen. Wenn sich ein Koch dazu entschließt, ein eigenes Restaurant zu eröffnen, geht er mit Sicherheit ein Risiko
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ein. Aber ist er dadurch schon ein Unternehmer? Seine Idee ist alles andere als neu. Er spekuliert lediglich darauf, dass das Essen außer Haus in seinem lokalen Bereich immer beliebter wird. Er befriedigt aber weder ein neues Verbraucherbedürfnis, noch schafft er eine neuartige Verbrauchernachfrage. Aus dieser Perspektive ist er kein Unternehmer, obwohl er eine selbständige Existenz gegründet hat. Ein Unternehmer im Sinne Schumpeters gründet nicht einfach ein neues Restaurant, sondern entwickelt eine neue Form der Bewirtung – wie z.B. die Erlebnisgastronomie. Da der Begriff des Unternehmers in der deutschen Alltagssprache mit dem Besitz eines Betriebes assoziiert wird, wird im Weiteren der von Say geprägte Begriff entrepreneur verwendet. Der Say‘sche entrepreneur ist ein Lückenfinder. Unternehmerisches Handeln ist Handeln dort, wo bisher noch niemand gehandelt hat. Der entrepreneur befindet sich laufend auf der Suche nach Fakten; er stellt, wo er steht und geht, unablässig die einfachsten Fragen; er versucht ständig herauszufinden, was man tun könnte. Und er achtet auf die kleinsten Veränderungen, die einen Hinweis darauf geben könnten, wo sich welche neuen Chancen ergeben (Baecker 1999: 343). Entrepreneurs sind dazu in der Lage, diese Erfindungen am Markt durchzusetzen. Sie müssen nicht nur über Kreativität, Intuition und Phantasie verfügen, sondern zudem über Durchsetzungsfähigkeit, Integrations- und Kooperationsfähigkeit sowie Risikobereitschaft. Erfolgreiche entrepreneurs sind in der Lage zu überreden, zu begeistern, zu betören, Ängste zu beschwichtigen, Wahrnehmungen zu verändern. Sie haben die Fähigkeit von ‚Ideenpropagandisten‘, die ihre Ideen auch gegen Widerstände in der Gesellschaft durchzusetzen vermögen.2 Dabei nehmen sie bewusst Risiken in Kauf. Nun darf die Diskussion nicht Gefahr laufen, von ‚dem‘ entrepreneur zu sprechen. Genauer besehen werden solche Vereinfachungen der vielschichtigen Realität des Handelns von Führungskräften kaum gerecht. Diese handeln situationsbedingt mal als ‚Managerinnen bzw. Manager‘, mal als ‚Entrepreneure‘. Die Übergänge zwischen den beiden Handlungsformen sind fließend. Doch trotz dieses Umstands lassen sich – idealtypisch – grundlegende Differenzen zwischen diesen herausarbeiten, die in Abbildung 2 dargestellt sind.
2 Hieran wird deutlich, dass der entrepreneur im Schumpeter‘schen Sinne nicht unbedingt ein Erfinder sein muss. Wie die Wirtschaftsgeschichte verdeutlicht, fallen die Funktion von Erfinder und Unternehmer, der die Erfindung zu gesellschaftlich relevanten Innovation macht, sogar oft auseinander (vgl. Hughes 1987). Der entrepreneur kann auch Erfinder sein und umgekehrt. Er ist nicht notwendigerweise geistiger Schöpfer der neuen Kombination. Seine Funktion besteht vor allem darin, die neue Kombination gegen Widerstände am Markt durchzusetzen.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Managerinnen und Manager
Entrepreneurs
Hauptaufgabe
Unternehmens- und Finanzplanung: Legen Ziele und Zeitplänen fest und bestimmen die Allokation der notwendigen Ressourcen zur Erreichung dieser Ziele
Treffen von Richtungsentscheidungen: Entwickeln eine Zukunftsvision und Strategien zu deren Umsetzung
Primäres Motiv
Beruflicher Aufstieg und andere Formen der traditionellen Belohnung
Unabhängigkeit und Umsetzung eigener Ideen
Kurzfristige Orientierung: Versuchen Budgetziele und jährliche Planungskennziffern einzuhalten
Mittel- bis langfristige Orientierung: Versuchen langfristige Vorstellungen und Visionen zu realisieren
Delegieren Aufgaben und überwachen deren Umsetzung. Geringe direkte Einbindung auf der operativen Ebene
Sind direkt in die Umsetzung der Unternehmensvision involviert
Geringe Risikoorientierung
Mittel bis stark ausgeprägte Risikoorientierung
Versuchen Fehler und Misserfolge zu vermeiden
Versuchen mit Fehlern und Misserfolgen produktiv umzugehen
Orientieren sich primär an Vorgängen innerhalb der Organisation
Orientieren sich primär an Vorgängen außerhalb der Organisation
Orientieren sich an Vorgaben von Vorgesetzten und externen Institutionen
Orientieren sich an eigenen Ideen und Vorstellungen
Zeitorientierung
Aktivitätsorientierung
Risikoorientierung
Fehlerorientierung
Aufmerksamkeitsfokus Entscheidungsverhalten
Tabelle 1: Differenzierung Managerinnen bzw. Manager und Entrepreneurs (in Anlehnung an Pinchot 1985: 54ff und Kotter 1996: 26)
Zum Begriff des Social Entrepreneur Unternehmerischen Handeln, das zeigt die Geschichte, ist nicht auf die Wirtschaft beschränkt. Es gibt entrepreneurs im Bildungswesen, im Krankenhaus und in vielen anderen sozialen Bereichen. Beide – entrepreneurs in profit- und non-profit-Organisationen – arbeiten auf ähnliche Weise, wenn auch unter völlig anderen Kontextbedingungen.
Gergs: Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert
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Für die Geschichte des Unternehmertums im non-profit-Sektor lässt sich kein besseres Beispiel finden als die Gründung der modernen Universität. Die moderne Universität war die Erfindung eines deutschen Diplomaten und Beamten: Wilhelm von Humboldt. Er konzipierte und gründete im Jahr 1809 die Universität von Berlin und verfolgte damit zwei Zielsetzungen: Er wollte erstens den Franzosen die führende Rolle in der Welt des Geistes und der Wissenschaft nehmen und die Deutschen zur Übernahme dieser Rolle befähigen. Zum Zweiten wollte er die durch die Französische Revolution freigesetzten Kräfte des Bürgertums einfangen, um sie gegen die Franzosen einsetzen zu können. Humboldt war damit einer der wichtigsten social entrepreneurs seiner Zeit. Sechzig Jahre später, um 1870, als die deutschen Universitäten ihren Höhepunkt erreicht hatten, wurde Humboldts Konzept der modernen Universität in den USA aufgegriffen. Dort erfuhren nach Ende des Bürgerkriegs die alten Colleges der Kolonialzeit einen Niedergang. Im Jahr 1870 waren an den amerikanischen Colleges nur noch halb so viele Studierende eingeschrieben wie 1830, obwohl sich die Bevölkerung vervielfacht hatte. In den nun folgenden dreißig Jahren machte sich eine ganze Heerschar amerikanischer Universitätspräsidenten daran, nach dem Vorbild Humboldts neue amerikanische Universitäten aufzubauen. Es war diese neue und klar abgegrenzte Form der Universität, die den USA nach dem ersten Weltkrieg zur weltweiten Führung in Wissenschaft und Forschung verhalf. Die Ideen Humboldts hatten damit weltweit eine bedeutsame soziale Veränderung angestoßen. Auch die Geschichte des Krankenhauses zeichnet sich durch eine Aneinanderreihung unternehmerischen Handelns aus, von den ersten modernen Krankenhäusern des 18. Jahrhunderts in Edinburgh und Wien über die verschiedenen Formen des Kreiskrankenhauses im Amerika des 19. Jahrhunderts bis hin zu großen hoch spezialisierten Kliniken in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Das Krankenhaus in seiner modernen Form ist als Neuerung im sozialen Bereich aus dem Aufklärungsgeist des 18. Jahrhunderts entstanden. Die Konsequenzen für die Gesundheitspflege waren sehr viel größer als manche Fortschritte in der Medizin. Als eine der wichtigen social entrepreneurs im Gesundheitswesen gilt Florence Nightingale (1820-1910). Sie revolutionierte 1854 im Krimkrieg die Pflege verwundeter britischer Soldaten, indem sie dafür sorgte, dass die Patienten ordentlich ernährt wurden, dass die Verbände regelmäßig gewechselt wurden und dass die hygienischen Bedingungen (z.B. Kanalisation) im Lazarett verbessert wurden. Auf Grund ihres außerordentlichen sozialen Engagements avanciert sie bei den Soldaten zu einer Art ‚Heiligen‘. Als sie 1857 nach London zurück-
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
kehrte, war sie bereits ein Medienstar des viktorianischen Zeitalters. Auf Grund dieser Popularität schaffte sie es, 1860 am Londoner St. Thomas‘ Hospital die erste Krankenschwesternschule Englands zu gründen und revolutionierte damit die medizinische Pflege. Krankenschwestern sind fortan nicht mehr notdürftig ausgebildete Hilfskräfte von Ärzten, sondern werden von ihresgleichen professionell ausgebildet. Nightingales Ausbildungsprogramm beschränkte sich zwar noch auf Hygiene und Krankenkost, aber dies stellte einen immensen Fortschritt in der Versorgung von Patienten dar: Endlich wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die richtige Pflege mindestens so wichtig ist wie die medizinische Versorgung. Die von Nightingale angestoßene Professionalisierung der Pflegeberufe hatte darüber hinaus eine befreiende Wirkung für jene Frauen der damaligen Zeit, die ihrem Vorbild folgten und Krankenschwestern wurden. Nightingale war keine Feministin, aber sie eröffnete mit der Professionalisierung der Pflege Frauen einen Weg, ein selbst bestimmtes Leben in einem anerkannten Beruf zu führen. Dies war für die viktorianische Zeit ebenfalls revolutionär. Diese historischen Beispiele verdeutlichen erstens, dass es in der Sozialgeschichte immer schon social entrepreneurs gab und zweitens, dass es diese social entrepreneurs sind, die durch ihr innovatives Handeln wichtige gesellschaftliche Veränderungen angestoßen haben [siehe dazu auch den Beitrag von Habisch].3 Bei aller Vielzahl in der boomenden Diskussion um SEO (vgl. z.B. Dees 1996 und 1998; Leadbeater 1997; Brinckerhoff 2000; Thompson et al. 2002; Austin et al. 2003)4 stammt die am häufigsten zitierte Definition eines social entrepreneur von Dees (1998: 4f). Er nennt fünf Kriterien, die social entrepreneurs auszeichnen:5 3 Das 19. Jahrhundert mit seinen großen sozialen Umwälzungen war reich an social entrepreneurs. Neben Humboldt und Nightingale ist ein weiteres Beispiel der Schotte Robert Owen, der 1799 in seiner Baumwollspinnerei in New Lanark die moderne Genossenschaftsbewegung begründete. Friedrich Wilhelm Raiffeisen griff diese Idee auf, und setzte mit der Gründung des „Heddersdorfers DarlehenskassenvereinS“ 1864 seine Idee einer Bank um, die auf dem Selbsthilfe- und Solidaritätsprinzip basierte. 4 Mair/Marti (2004) und Nicholls (2006a) geben einen umfassenden Überblick über die unterschiedlichen Definitionsversuche. In der sozialpolitischen Diskussion hat der Begriff social entrepreneur ältere Begriffe, wie den policy entrepreneur (Kingdon 1984) oder den public entrepreneur (Ostrom 1965) ersetzt. Im Unterschied zu diesen beiden älteren Begriffen ist der Begriff des social entrepreneur breiter gefasst. Er lässt sich nicht nur auf entrepreneurs in politischen Institutionen oder der öffentlichen Verwaltung anwenden, sondern auf entrepreneurs in jeglicher Art von non-profit-Organisation (vgl. Stein 2008: 11) [siehe auch den Beitrag von Stein zum global social entrepreneur]. 5 Dees greift bei seiner Definition des social entrepreneur auf vier Theoretiker zurück. „From Say he adopts the element of value creation; from Schumpeter he takes up the notion of innovation
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Sie richten ihr Handeln voll und ganz an der Schaffung sozialen Mehrwerts aus: Für sie ist die soziale Mission ihres Handelns von zentraler Bedeutung. Es ist nicht der finanzielle, sondern der soziale Mehrwert, an dem sie sich messen. Zudem sind social entrepreneurs an einer nachhaltig wirksamen, langfristigen Entwicklung interessiert. Social entrepreneurs sind stetig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und verfolgen die Umsetzung neuer Konzepte hartnäckig: Wo andere Probleme sehen, sehen sie neue Chancen. Ihre Leistung besteht darin, den blinden Fleck eingespielter Normalität ausfindig zu machen und genau dort Chancen zu entdecken, wo andere bislang nicht hingesehen haben. Sie vermögen, das Wichtige und Selbstverständliche im Kontrast zum Unwichtigen und Ungewöhnlichen zu sehen. Sie leuchten in diesen Bereich des Unbekannten hinein und verwandeln bislang Unwichtiges in etwas Wichtiges. Sie etablieren einen Prozesses der kontinuierlichen Innovation und des Lernens: Konstitutives Merkmal ist ihre Kreativität und Innovationskraft. Social entrepreneurs haben Spaß daran, Neuland zu betreten, neuartige Modelle zu entwickeln und Pionierarbeit zu leisten. Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass ein social entrepreneur eine Idee vollständig neu entwickelt. Das kann auch bedeuten, dass er eine bereits bestehende Idee in einem andersartigen Kontext anwendet. Social entrepreneurs müssen keine ‚genialen‘ Erfinderinnen bzw. Erfinder sein. Social entrepreneurs handeln mutig und lassen sich nicht durch fehlende Ressourcen von der Umsetzung ihrer Ideen abhalten: Sie sind darin geübt, ihr Vorhaben mit wenig Ressourcen zu beginnen. Sie sind besonderes talentiert darin, die notwendigen Ressourcen von anderen (Stiftungen, staatlichen Institutionen, Privatpersonen etc.) zu akquirieren und sie sind dazu bereit, finanziell kalkulierbare Risiken einzugehen. Social entrepreneurs haben ein stark ausgeprägtes Gefühl der Verantwortlichkeit für die Gesellschaft und für die sozialen Folgen ihres Handelns: Sie überprüfen stetig, dass durch ihr Handeln wirklich sozialer Mehrwert entsteht. Sie versuchen ständig die Nöte und Werte der Menschen zu verstehen, denen sie helfen wollen. Sie verstehen aber auch die Erwartungen und Werthaltungen ihrer Financiers, einschließlich der vielen ehrenamtlich Helfenden, die Zeit und Arbeit investieren. and change. He supplements these on the basis of proposals made by scholars such as Drucker (1985) and Stevenson (Stevenson et al. 1989). Dees credits Drucker with amplifying Say‘s concept to stress the entrepreneurial activity of recognizing and exploiting opportunities. He applauds Stevenson for adding the notion of resourcefulness; the refusal to be constrained be prevailing resource limitations“ (Peredo/McLean 2006: 58).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Nach diesen Kriterien unterscheiden sich entrepreneurs in der Wirtschaft vom social entrepreneurs lediglich im Hinblick auf ihre Orientierung am finanziellen Erfolg. Während das Profitmotiv für den entrepreneur in der Privatwirtschaft von zentraler Bedeutung ist, trifft dies auf den social entrepreneur wenn überhaupt nur mittelbar zu. Dieser orientiert sein Handeln vielmehr daran, welchen sozialen Mehrwert er für die Gesellschaft erbringt. Er setzt innovative Initiativen in Gang, entwickelt neue soziale Arrangements und mobilisiert finanzielle und personelle Ressourcen zur Lösung neuartiger sozialer Problemlagen“, wodurch er „die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft verändert“ (Drucker 1986: 37). Ein weithin bekanntes Beispiel ist der Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Er kam allerdings nicht als erster auf den Gedanken, die Armut mit Krediten zu bekämpfen, auch war er nicht der erste, der die Möglichkeit von Krediten ohne Sicherheiten auf die arme Landbevölkerung ausdehnte. Yunus war nicht der Erfinder des Mikrokredits, aber er war derjenige, der mit der Grameen Bank (www.grameen.org) eine Methode fand, Mikrokredite auf kosteneffiziente Weise in großem Umfang an die Landbevölkerung zu vergeben: Hierzu entwickelte er unterschiedlichste Durchführungsformen wie Gruppenkredite, wöchentliche Abzahlungen, Notfonds, Bonussysteme etc. Es dauerte fast ein Jahrzehnt bis die heutigen Grundprinzipien des Grameen Bank-Systems entwickelt waren. Bis dahin beschritt Yunus viele Irrwege. Er musste z.B. ein früheres System zur Organisation von Gruppensystemen fallenlassen. Sein erstes Rückzahlungssystem erwies sich als undurchführbar. Ein früher Plan, die staatlichen Banken zur Übernahme des Projektes zu bewegen, beruhte auf einer groben Fehleinschätzung. „Der Kurs des besten Schiffes ist eine Zickzacklinie von zahlreichen Kursänderungen“ (indisches Sprichwort). Doch Muhammad Yunus besaß die Fähigkeit, Widerstände zu überwinden und Rückschläge produktiv zu nutzen. Social entrepreneurs brauchen nicht nur Zielsetzungskreativität, sondern auch Umsetzungskreativität. Ständig müssen sie neue Wege finden, um Hindernisse zu überwinden. Erfolgreiche social entrepreneurs finden sich aber nicht nur in Entwicklungsländern, sondern in zunehmendem Maße auch in den entwickelten Industrieländern. Zwei Beispiele aus Deutschland:
Gergs: Führung sozialer Unternehmen im 21. Jahrhundert
„Dialog im Dunkeln“ – Integration von blinden Menschen Ein bemerkenswerter social entrepreneur ist Andreas Heinicke, der mit der Organisation Dialog im Dunkeln (www.dialog-im-dunkeln.de) einen neuartigen Ansatz zur Integration von blinden Menschen entwickelt hat. Bereits früh fing Heinecke an, sich mit Ursachen von Ausgrenzung und Diskriminierung zu beschäftigen. Nach dem Studium arbeitete er bei einer Blindenanstalt, die er in ein modernes Dienstleistungszentrum für blinde Menschen umwandelte. Nachdem er jahrelang federführend die Entwicklung neuer elektronischer Hilfsmittel für Behinderte vorangetrieben hatte, merkte er, dass die entscheidende Barriere für die Chancengleichheit Blinder in den Köpfen der Menschen liegt. Mit „Dialog im Dunkeln“ entwickelte Heinicke eine Plattform, auf der Sehende in Dunkelheit eintauchen und von Blinden lernen, neu zu sehen. Die Idee ist denkbar einfach: In völlig abgedunkelten Räumen führen blinde Menschen das Publikum in kleinen Gruppen durch eine Ausstellung. Aus Düften, Winden, Temperaturen, Tönen und Texturen wird ein Park, eine Stadt oder eine Bar gestaltet. Alltagssituationen, die ohne Augenschein eine völlig neue Erlebnisqualität erhalten. Ein Rollentausch findet statt: Sehende Menschen werden herausgelöst aus sozialer Routine und gewohnter Rezeption. Blinde Menschen sichern Orientierung und Mobilität und werden zu Botschaftern einer Kultur ohne Bilder. Der Erfolg ist beachtlich: Seit April 2000 ist „Dialog im Dunkeln“ in Hamburg zu erleben und findet auch über einen langen Zeitraum Publikum: Mehr als 433.000 Besucherinnen bzw. Besucher bedeuten eine Auslastung von über 90 Prozent. Über Hamburg hinaus wurde das Konzept mit Hilfe eines ausgeklügelten Franchisesystems inzwischen in 100 Städten und 17 Ländern vermarktet. Hierdurch entstanden mehr als 4000 neue Arbeitsplätze für blinde Menschen. Die Verbreitung von „Dialog im Dunkeln“ zeigt, dass SEOs in ihren Wachstumsbestrebungen dem traditionellen Wirtschaftsunternehmer nicht nachstehen. Sie haben die Motivation ihre Unternehmen weiterzuentwickeln und wollen gesellschaftliche Breitenwirksamkeit erzielen [siehe hierzu auch die Beiträge von Oldenburg und Hackl].
„Science-Lab“ – Einblicke für Kleinkinder in Naturwissenschaften Bemerkenswerte social entrepreneurs im pädagogischen Bereich sind die beiden Chemikerinnen Sonja Stuchtey und Heike Schettler. Sie haben mit der von ihnen gegründeten Organisation Science-Lab (www.science-lab.de) eine neue Form des Lernens für Kindergarten- und Grundschulkinder entwickelt. Altersgerecht und spielerisch sollen sich Kinder die Welt von Wissenschaft und Technik erschließen. Hierzu entwickelten die beiden für Erzieherinnen einen Koffer mit Versuchsmaterialien, die mit Phänomenen der Physik, Biologie und der Chemie in Berührung bringen. Gruppen von maximal 8 Kindern treffen sich einmal wöchentlich zu einer Experimentierstunde. Jede Stunde hat ein Thema, an das sich die Kinder durch Fragen zu ihrem alltäglichen Umfeld herantasten. Sie werden angeregt, ihre Fragen durch überwiegend selbst durchgeführte Experimente selbst zu beantworten. So erleben sie aktiv, wie z.B. Pflanzen trinken, wie ein Schatten entsteht, warum ein Heißluftballon nach oben steigt. Die beiden social entrepreneurs waren mit „Science-Lab“ bereits so erfolgreich, dass ihre Methodik Eingang in den naturwissenschaftlichen Teil des Bayerischen Bildungsund Erziehungsplanes für den Elementarbereich gefunden hat.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Social Entrepreneurship: Hype mit Substanz oder Modeerscheinung? Ein Ausblick
SEO hat seit der Jahrtausendwende in der gesellschaftlichen Realität wie auch im politischen Diskurs einen enormen Aufschwung erfahren. In den letzten zehn Jahren kam es zu einer Welle von Unternehmensgründungen im non-profitBereich (Bornstein 2004: 3-6). So zeigen die Daten des Global Entrepreneurship Monitors (GEM) für das Jahr 2004, dass z.B. im non-profit-Bereich in Großbritannien erstmals mehr Unternehmen gegründet wurden als in kommerziellen Wirtschaftsbereichen (Harding/Cowling 2004: 5). Salamon (2003) hat berechnet, dass der non-profit-Sektor im Durchschnitt 5,1 Prozent des Bruttosozialproduktes in den OECD Staaten erbringt. „This made the sector the seventh largest global ‚Economy‘, ahead of Italy, with nearly 40 million full-time equivalent workers and close to 200 million volunteers“ (Nicholls 2006a: 3). Neben Großbritannien ist Italien Vorreiter in Europa – dort gab es im Jahr 2005 mehr als 7.300 Impresa Sociale (soziale Kooperativen), die mehr als 244.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigten (Defourny/Nyssens 2008: 205). Wie die zusammenfassende Veröffentlichung von Short et al. (2009) verdeutlicht, hat das Thema „Social Entrepreneurship“ seit Beginn der 1990er Jahre entsprechend auch in der Forschung stark an Bedeutung gewonnen. Vorreiter war die Harvard Business School, die 1993 das weltweit erste Zentrum für Social Entrepreneurship eröffnete (vgl. Nicholls 2006a: 8).6 Diese Entwicklung ist als äußerst positiv zu bewerten. Sie stellt ein wichtiges Gegengewicht zur Übertragung herkömmlicher Managementmethoden in dem sich ebenfalls entwickelnden Feld des Sozialmanagements her. Sicherlich brauchen soziale Organisationen angesichts knapper Ressourcen gutes Management. Die Adaption der herkömmlichen Managementmethoden aus dem profit-Bereich reicht jedoch bei weitem nicht aus, um soziale Organisationen zukunftsfähig zu machen. Erfolgreiche soziale Organisationen müssen in einem sich rasant wandelnden gesellschaftlichen Umfeld nach Lücken, Bedürfnissen, Problemstellungen suchen, für die im eingespielten Leistungsspektrum anderer sozialer Organisationen bislang keine adäquate Antwort gefunden wurde. Dies ist ein Plädoyer für die Wiedereinführung des Unternehmertums in die Soziale Arbeit, wie wir es bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erlebt haben. Jene Zeit war von einer enormen schöpferischen Kraft im Bereich der sozialen Organisationen geprägt. Innovationen im sozialen Sektor vollzogen 6 Eine umfassende Darstellung der unterschiedlichen Forschungszentren und unterstützenden Stiftungen und Organisationen findet sich bei Nicholls (2006a: 10).
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sich damals genauso schnell und vielfältig wie Innovationen im technischen Bereich. Eine Reihe von SEOs der damaligen Zeit entfaltete ihre Funktion als gesellschaftliche change agents in eindrücklicher Form (Humboldt, Nightingale, Raiffeisen, etc.) und mit Effekten, die bis in die heutigen Gesellschaftsformen hineinreichen. Eine zweite Welle des Unternehmertums gab es in den 1950er und 1960er Jahren.7 Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden die sozialstaatlichen Institutionen weiter ausgebaut. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stehen wir erneut vor großen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die sozialen Innovationen zur Bewältigung dieser Herausforderungen müssen zum Großteil aus den bestehenden sozialen Organisationen heraus entstehen. Deswegen dürfte die Integration unternehmerischen Handelns in die etablierten sozialen Organisationen – das intrapreneurship (Pinchot 1985; Hisrichs 1990) – einer der wichtigsten Aufgaben unserer Generation sein. Hierzu braucht es innovative Formen der Unternehmensführung und eben keine Adaption überkommener Managementmethoden aus dem profit-Sektor. „Zu viel Management, zu wenig Freiheit“, so bringt der renommierte Managementforscher Gary Hamel (2007: 94) die gegenwärtige Situation auf den Punkt. Zwar sind die meisten Führungskräfte durchaus dazu bereit, den Wert von Eigeninitiative, Kreativität und Hingabe anzuerkennen. Sie sind jedoch mit einer verzwickten Situation konfrontiert: Qua Aufgabe und Ausbildung sind sie Manager. Sie werden dafür bezahlt, zu leiten, zu kontrollieren und zu verwalten. Doch angesichts der neuen gesellschaftlichen Herausforderungen sind gerade jene menschlichen Eigenschaften besonders wertvoll, die die Kreativität der Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter zu wecken. Hamel spricht in diesem Zusammenhang von „Kreativitätsapartheid“ und meint damit, dass Kreativität und Erfindungsreichtum durch die herkömmlichen Managementmethoden reglementiert und – wenn überhaupt – einem kleinen elitären Zirkel zugeschrieben werden. Dies zu überwinden, ist die große Herausforderung für die Führung sozialer Organisationen. Es geht darum, eine „Demokratie der Ideen“, eine „Ideokratie“ (ebd.: 207) aufzubauen, in der Mitarbeitende ungehindert ihre Gedanken und Ideen äußern können, selbst wenn diese politisch heikel sind. Nimmt man die Grundidee des Unternehmertums ernst, müssen wir unsere bisherigen Vorstellungen von Management, Organisation und Führung grundsätzlich in Frage stellen. Das Ziel muss vielmehr darin bestehen, Organisationen so zu konstruieren, dass sie zu stetiger Erneuerung imstande 7 Zu denken ist an Hermann Gmeiner, den Gründer der SOS-Kinderdörfer, oder Tom Mutters, den Gründer der Lebenshilfe, die mittlerweile der größte Träger für Leistungen für körper- und geistig behinderte Menschen ist.
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sind. Dies impliziert auch die Veränderung der Rahmenbedingungen. Soziale Organisationen müssen zukünftig mit dem nötigen Freiraum ausgestattet werden, der es ihnen erlaubt, sich innerhalb ihres Kompetenzbereichs unternehmerisch zu betätigen. Es müssen die Strukturen um die Organisation herum so gestaltet werden, dass unternehmerisches Handeln unterstützt und begünstigt wird. Hierzu müssen formalisierte Regeln und bürokratische Strukturen aufgebrochen werden. Ferner bedarf das Finanzierungssystem einer Reform – es muss unternehmerisches Handeln belohnen und systematisch Anreize für Innovation und Veränderung setzen [siehe dazu auch den Beitrag von Köppelmann zur Sozialen Arbeit]. Es ist daher ein Irrweg, wenn sich soziale Organisationen verstärkt am Management kommerzieller Unternehmen orientieren – die ‚Denkrichtung‘ muss sich vielmehr umkehren: Den dringend notwendigen Managementinnovationen bieten die SEOs einen reichhaltigen, bislang noch nicht genutzten Ideenpool. Sie, die vielfach aus sozialen Bewegungen heraus entstanden sind, weisen neuartige Formen der Führung auf, von denen der profit-Bereich lernen kann. Der social entrepreneur und frühere Bürgermeister der brasilianischen Stadt Curitiba, Jaime Lerner, zum Beispiel gilt mit seinem Führungskonzept der strukturierten Selbstorganisation als ein Managementinnovator und ist mittlerweile ein gefragter Berater für profit-Unternehmen. Der Keim für Organisationsformen wie der Grameen Bank oder auch Organisationen wie Fairtrade, Amnesty International etc. mag nicht neu sein, unser Verständnis dieser neuen Akteure steht aber erst am Anfang. Struktur, Entstehung und Funktionsweise dieser neuen sozialen Organisationen sind noch wenig untersucht. Der Diskurs um social entrepreneurship bietet daher die Chance, innovative Lösungen für die Herausforderungen des Managements im 21. Jahrhundert zu finden. Quellenverzeichnis Austin, James/Stevenson, Howard/Wei-Skillern, Jane (2003): Social entrepreneurship and commercial entrepreneurship: Same, different, or both? Harvard Business School, Working Paper. Badelt, Christoph/Meyer, Michael/Simsa, Ruth (Hrsg.) (1997): Handbuch der Non-Profit Organisation. Strukturen und Management. Stuttgart. Baecker, Dirk (1999): Organisation als System. Frankfurt. Bijker, Wiebe E./Hughes, Thomas P./Pinch, Trevor (Hrsg.) (1987): The social construction of technological systems. Cambridge. Bornstein, David (2005): Die Welt verändern. Social Entrepreneure und die Kraft neuer Ideen. Stuttgart.
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Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer – Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit Gerhard Wegner
Hinsichtlich der Frage, was Menschen dazu gebracht hat, sich für sich selbst und für andere im Gemeinwesen zu engagieren, lassen sich drei Faktoren identifizieren: Person, Resonanz und Feld.1 Der Faktor Person wirkt in sozialraumbezogenen Projekten überdurchschnittlich, was auch schon in fast jeder Primärerfahrung in entsprechenden Vorhaben deutlich ist. So steht einem eine Reihe von Charismatikern der Gemeinwesenarbeit vor Augen. Ohne solche „Heroen der Inklusion“ läuft fast nichts. Und das sind ganz bestimmte Sozialcharaktere: Längst nicht immer agieren sie konsensfähig, sondern suchen den Konflikt. Sie haben den Mut, sich unbeliebt zu machen, sie ‚setzen sich aus‘. Sie haben oft sehr verletzbare Seiten und sind sicherlich auch eitel. Alles in allem: Es sind vor allem Menschen, die sich bereitwillig einer unbekannten Zukunft in die Arme werfen. Und bisweilen nehmen sie sogar die Stigmata der Gruppe an, mit der sie zu tun haben, tragen sie solcherart in die Öffentlichkeit und öffnen dadurch einen neuen Raum, der nun von vielen begangen werden kann. 1
Schöpferische Zerstörung im Sozialraum
Sie schaffen etwas Neues. Sie sind soziale und kulturelle Innovatorinnen und Innovatoren. Sind sie auch UnternehmerInnen – oder wenigstens entrepreneurs. Von außen ist zu sehen: Mittels ihrer Parteilichkeit „zerstören“ sie bestehende, letztlich nur scheinbar harmonische Zusammenhänge, die das Elend bisher nur zugedeckt haben. Sie öffnen so einen latenten Konflikt der Bearbeitung: Kreative Zerstörung. Gerade das aber kommt den Leidenden zugute. Man denke an ein herausragendes Beispiel: an Dame Cicely Saunders, die aus Liebe zu einem dem Ghetto entronnenen Menschen ein Leben lang in der Zwischenwelt des Lebens und Sterbens agiert und diese Wirklichkeit durch die Gründung der
Für großartige Kommentare zu früheren Fassungen dieses Beitrages danke ich Helga Hackenberg und Martin Horstmann. 1 Vgl. Wegner 2010 unter Bezug auf Horstmann/Neuhausen 2010.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Hospizbewegung an das Licht der Öffentlichkeit bringt. Welch gewaltige Enttabuisierung und welch ein Zugewinn an Lebens- und Sterberealität! Am Beginn steht eine Einzelne – der heutige Mythos bewahrt ihr Charisma. Was diese Protagonisten suchen – oder besser gesagt, was sie finden –, ist Widerhall, Echo, Aufgefangenwerden. An all dem ranken sie in die Höhe und daran wächst auch ein Projekt. Es kommt viel zurück aus dem Einsatz von den anderen, nicht immer nur aus der Gesellschaft, die in ihrer Erfahrung sogar seltsam abstrakt bleibt. Immer wieder erzählen sie, wie gewaltig die Unterstützung trotz oder gerade wegen vieler Widerstände anwuchs. Obwohl da zu Beginn kein Cent vorhanden ist, akkumulieren die Vorhaben ganz überraschend schnell Ressourcen und übertreffen alle Erwartungen. Es sind diese Resonanzen, die von diesen Menschen als eine Art Melodie erlebt werden, ein Lied, das ermutigt, immer wieder weiterzumachen und Neues zu beginnen. Sie zeigen, dass das, was man macht, einen Unterschied ausmacht und, dass es Bedeutung für andere hat. Schließlich der Faktor des Feldes. Das Ziel, das Medium, das Werkzeug des Engagements dieser Menschen ist nicht die funktionale Einordnung in eine Organisation oder in irgendetwas sonst, sondern es ist das Gemeinwesen, der Ort, an dem man lebt und den es zu entwickeln gilt. Dieses Feld ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass es in ihm unentdeckte Ressourcen gibt, die verschüttet sind und dass sich in ihm Gelegenheiten ergeben, sie zu heben und mit ihnen neue Kombinationen anzuprobieren, um die Lebensqualität zu verbessern. Für diese Tätigkeit müssen Gelegenheiten identifiziert werden, die man nutzen kann, um entsprechende Effekte erzielen zu können. Das Ziel: „Die grundlegende Idee ist, Menschen Gelegenheiten zu geben, innerhalb eines von ihnen selbst wahrgenommenen definierten und gelebten Raumes ihre eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten bei Bedarf mit einzubringen und Problemfelder erst gar nicht aufkommen zu lassen oder aber sie zu beseitigen“ (Wasel 2010: 25).
Es ist dieses Aufgreifen von Gelegenheiten und ihr Umwandeln in Anknüpfungsmöglichkeiten für das Handeln der Menschen im Stadtteil, das den produktiven Wertschöpfungsprozess der Gemeinwesen- oder SozialraumunternehmerInnen ausmacht – wie solche Personen eigentlich zu nennen sind, denn sie erfüllen zu einem großen Teil die Funktionen von Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmern. Aber das ist nicht so einfach, denn wehe, man tut das! Der Widerspruch ist sofort heftig. Nicht nur, dass sie sich selbst so nicht sehen würden. Nein: Eine Identifikation als entrepreneurs oder gar als Unternehmerinnen bzw. Unternehmer ist ihnen bestenfalls geradezu peinlich! Im schlimmsten Fall fühlen sie sich beleidigt, weil das Bild des Unternehmers in ihren Köpfen so
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ganz anders ist – auf Profit und Machertum ‚getrimmt‘ –, als sie sich selbst verstehen würden. Die Tätigkeit von Sozialraumaktivisten weist eigensinnige Strukturen und Handlungslogiken auf, die bisher noch wenig erforscht sind. Auf jeden Fall handelt es sich um spezifische Formen von Arbeit, die sie innerhalb der Erwerbsarbeit auszeichnen oder auch – im Fall von freiwilliger Arbeit – deutlich gegen sie abgrenzen. Sie zielen in Richtung von Vorstellungen einer idealen Beschäftigung, in der gemeinsames Handeln auf der Basis eines Sich-Öffnens und von Vertrauen, das Erleben von Gemeinschaft und Selbstbestimmung geht.2 Deshalb wird eine Identifikation mit Unternehmertum abgewiesen. In einer historisch-genetisch angelegten Analyse stellen sich die Logiken des unternehmerischen – auch des sozialunternehmerischen – Denkens und Handelns auf der einen und der klassischen Gemeinwesenarbeit auf der anderen Seite nicht nur als sehr unterschiedlich, sondern zum großen Teil geradezu als völlig gegensätzlich und kaum miteinander verträglich dar. Dennoch gibt es mittlerweile erhebliche faktische Überschneidungen, die es durchaus erlauben von einer neuen Spezies, dem Sozialraumunternehmer oder der Sozialraumunternehmerin, zu sprechen. Gemeint sind damit Menschen, die aus den Gelegenheiten dieses Raumes etwas machen, sie ‚beim Schopf ergreifen‘ und soziale Wertschöpfung in Gang setzen. Sie hat es in irgendeiner Form immer gegeben – selten begreifen sie sich selbst als Unternehmer [siehe hierzu auch den Beitrag von Habisch zu social entrepreneurship in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Gemeinwohltheorien]. Heute jedoch sind solche Personen wichtiger denn je. 2
Gemeinwesenarbeit und sozialräumliche Lebenswelten
Eine solche Gemeinwesenarbeit, wie sie in Deutschland (insbesondere auch im kirchlichen Bereich) praktiziert worden ist, versteht sich als ein parteiliches Instrument, mit dem sich engagierte Sozialarbeitende, Pastoren und Pastorinnen oder andere um die Aktivierung und das Empowerment von benachteiligten Personengruppen im Gemeinwesen bemühen. Bereits ein oberflächlicher Blick zurück in ihre Anfänge macht deutlich, dass es um die Unterstützung der Interessenwahrnehmung derartiger Gruppen geht: Strukturell sozial und kulturell geschwächte Menschen gilt es, gegen eine Enteignung ihrer lebensweltlichen
2 Vgl. hierzu jetzt sehr übersichtlich Mösken et al. (2010: 49).
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Ressourcen stark zu machen und Widerstand gegen Prozesse ihrer Entbettung aus angestammten Lebensmöglichkeiten zu eröffnen. Das klassische Beispiel hierfür war der Widerstand gegen die Kahlschlagsanierungen in den 1970er und 1980er Jahren in einigen Großstädten, gegen die sich die Gemeinwesenarbeit eingesetzt hat. In einigen Fällen gelang es dafür zu sorgen, dass die eingesessenen Anwohner in ihren Häusern wohnen bleiben konnten und es zu einer sensibleren Sanierung der städtischen Gebiete kam. Die eingesetzten Methoden, u.a. die immer wieder zitierte und praktizierte aktivierende Befragung, zielten darauf, Menschen, die in ihrer Situation über wenig öffentlich nutzbare Ressourcen verfügten oder die ‚im Konflikt stumm geworden‘ waren, wieder stark zu machen, ihnen durch kollektives Engagement eine Stimme zu verleihen und auf diese Weise die Interessenorientierung benachteiligter Gruppen zu stärken. Auch damals gab es bei solchen Prozessen stets zumindest auch sozialunternehmerisch engagierte oder zumindest in dieser Richtung aufgeschlossene Akteure, sei es in den Wohnungsbauunternehmen oder auch in zahlreichen ‚alternativen‘ Projekten einer lokalen Ökonomie (Bücherläden, Öko-Shops, Musikhallen usw.). Die Übergänge zwischen den Akteurinnen bzw. Akteuren in der Gemeinwesenarbeit und diesen Bereichen waren durchaus auch damals schon fließend. Nach wie vor kann Gemeinwesenarbeit auch die Merkmale der Parteilichkeit aufweisen. Allerdings geht es heute häufiger um allgemeinere Planungsprozesse in Quartieren, Stadtteilen oder Dörfern. Aber die parteiliche Perspektive ist in vielen Ansätzen und vor allem bei vielen Personen nach wie vor selbstverständlich erhalten. Es geht mithin darum, Gemeinwesen so zu gestalten, dass in ihnen Prozesse der Herausbildung solidarischer Arrangements und eine Wiederaneignung von wichtigen lebensweltlichen Fähigkeiten und sozialen Räumen möglich werden. Solcherart lassen sich heute unter Gemeinwesenarbeit vielerlei Formen der Aktivierung ehrenamtlichen Engagements in den Bereichen verstehen, die sozialstaatlich nicht abgedeckt werden. Im Bereich der Armutsprävention ist es prinzipiell vorstellbar, dass Gemeinwesenarbeit im Sinne der Ermutigung der von Armut bedrohten und betroffenen Bevölkerungsgruppen im Quartier eingesetzt werden kann – und in dieser Hinsicht leicht sozialunternehmerische Züge annimmt.3 Die altbekannten Probleme, dass sich viele Defizite des Quartiers nicht im Quartier lösen lassen, bleiben erhalten. Die auch schon früher kritisierte Romantisierung und Idealisierung von Sozialräumen als Möglichkei3 Wenn es z.B. um die Schaffung von Arbeitsplätzen für von Armut bedrohte oder betroffene Menschen geht. Sie kann nur gelingen, wenn entsprechende, sozialunternehmerisch Tätige mit SozialarbeiterInnen aktiv kooperieren (vgl. z.B. das Projekt Weltküche in Berlin-Kreuzberg).
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ten von stabiler Gemeinschaftsbildung – gar von ‚Heimat‘ – bleibt von Bedeutung. Aber nach wie vor gibt es beträchtliche Spielräume, die Lebensqualität von Quartieren für viele der Beteiligten durch Gemeinwesenarbeit zu erhöhen. Gerade angesichts der Umbruchsituation des Sozialstaates gewinnen solche Perspektiven wieder an Faszinationskraft. Eine neue Form der Gemeinwesenarbeit, die gezielt Gelegenheiten im Stadtteil aufgreift, Ressourcen erschließt und neue Zusammenhänge stiftet, ist insbesondere deshalb bedeutsam, weil die klassische Form von Sozialarbeit als maßnahmebezogener Intervention in Lebenszusammenhänge der Lebenswelt der Menschen häufig nicht mehr angemessen ist und auch die Ressourcen des Sozialstaates überfordern kann. Entsprechende Initiativen gehen zwar faktisch nicht selten mit sozialstaatlichen Rückbauten einher – aber sie sollten nicht primär unter dieser Perspektive in den Blick geraten, denn in ihnen wächst durchaus eine neue Qualität des Sozialen heran, die den Sozialstaat weiterentwickelt. Es kann nicht falsch sein, konkrete Hilfe wieder in die Nähe der Betroffenen zu verlagern und endgültig den Weg des klassischen Anstaltsparadigmas zu verlassen – sei es im Bereich von Behinderten, Älteren oder zu Pflegenden. Theodor Strohm hat diese Perspektive als „Wichern drei“ bezeichnet: „Die Bemühung soziale Verantwortung zu reintegrieren in lebensweltliche Kontexte, soziale Kompetenz als Bildungsaufgabe zu begreifen, bedeutet weder einen Rückfall in deregulierte private Zuständigkeiten noch einen Abbau sozialstaatlicher Hilfeleistungen. Es bedeutet aber, dass die Systemwelt die Lebenswelt nicht weiter kolonisiert, sondern dass beide Wirklichkeiten sich lebendig aufeinander beziehen und so ihre Gemeinwohlverpflichtung erfüllen“ (Strohm 2010: 20).
Genau darum geht es: Im Interesse der Stärkung der Menschen die Alternative zwischen Organisation und Lebenswelt zu überwinden. Es ist oft sehr viel sinnvoller, konkrete Lösungen und Hilfestellungen im Stadtteil zu finden, wie Hejo Manderscheid anhand eines Beispiels aus einem citynahen Stadtteil von Frankfurt am Main beschreibt: Eine vom gesundheitlichen Verfall und Verwahrlosung bedrohte, krankhaft misstrauische ältere Frau soll vor der Heim-Einweisung in bewahrt und gleichzeitig im Gemeinwesen angemessene Betreuung finden. „Die Sozialarbeiter der Caritas starten einen letzten Anlauf, alternative Lösungen zur stationären Aufnahme von Frau M. zu finden. Sie setzen sich mit den Orten und Personen in Verbindung, zu denen Frau M. noch täglich Kontakt hat: Der Mann vom Wasserbüdchen und das Personal vom Café. Die Caritas-Mitarbeiter schildern den Leuten das Problem und bitten sie, über mögliche alternative Lösungen mit nachzudenken. Ideen sind gesucht, die dort anfangen, wo die professionelle Sozialarbeit endet. Und nach einigen Gesprächen findet sich eine Lösung. Dem Wasserbüdchen-Mann vertraut Frau M. Deswegen will die Caritas das Essen auf Rädern nun täglich ans Wasserbüdchen liefern und der Kioskbetreiber soll sich darum kümmern, dass Frau M. das Essen auch zu sich nimmt. Die Sache klappt: Frau M. vertraut dem Mann. Mit der Cafébesit-
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit zerin wurde ausgehandelt, dass man den Versuch starten will, die Cafébesuche von Frau M. für das Café und die anderen Besucher akzeptabel zu gestalten. Und es wurde folgende Lösung gefunden: Die Cafébesitzerin stellt die Personaldusche zur Verfügung. Frau M. ist damit einverstanden, dass die Sozialstation der Caritas nunmehr die Grundpflege außerhalb ihrer Wohnung in der Personaldusche des Cafés vornimmt“ (Manderscheid 2010: 59f).
Ergebnis ist, dass die Frau weiterhin in ihrem vertrauten Umfeld leben kann und die Ressourcen des Gemeinwesens zur Lösung ihrer Probleme genutzt werden können. Was es für solche Lösungen braucht, sind findige Expertinnen und Experten, die Gelegenheiten ‚aufstöbern‘ und daraus ein wirksames neues Setting basteln, das nun an Stelle der Einweisung in ein Heim funktioniert. Durch die Neukombination längst vorhandener, aber bisher nicht in einem spezifischen Zusammenhang ‚eingesehener‘ und entsprechend kreativ organisierter und aktivierter Ressourcen entsteht ein problemlösendes neues Muster von geradezu lebensrettender Bedeutung. 3
Kreation entschleunigter Settings
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es in der Praxis solcher Gemeinwesenarbeit einen erkennbaren Schnittpunkt zu Personen gibt, die höchst kreativ und sozial innovativ, in einem sozialen und kulturellen Rahmen kommunikativ tätig sind. Was sind sie anderes als ‚kreative Zerstörer‘, wie Joseph Schumpeter in seiner berühmten Definition den klassischen Unternehmer beschrieben hat [siehe dazu auch ausführlich den Beitrag von Stein]? Sie ‚zerstören‘ den alten eingefahrenen sozialarbeiterischen Lösungsweg – und ersetzen ihn höchst kreativ durch ein neues Setting in einem Win-Win-Zusammenhang. Ihr wichtiges Instrumentarium sind dabei kommunikative Fähigkeiten, die vor allem auf dem Faktor Vertrauen beruhen. Sie müssen selbst im Sozialraum eingebettet sein – und doch stets den Blick von außen bewahren, um die guten Gelegenheiten nicht zu übersehen. Sie brauchen das Vertrauen der Menschen – und spielen doch auch mit ihm im Interesse besserer Lösungen. Sind gute SozialarbeiterInnen also die neuen Sozialraumunternehmerinnen und -unternehmer? Aber nein: So schnell lässt sich eine Gleichsetzung trotz aller Übergänge und Überlappungen nicht vollziehen. Denn es bleiben im Grunddiskurs beider Formen sozialen Handelns – der Gemeinwesenarbeit und dem unternehmerischen Handeln – deutliche Differenzen erhalten. Sie finden sich auf der Ebene der spezifisch notwendigen Mentalitäten und auch der eingesetzten Medien. In der Gemeinwesenarbeit ist methodisch-fachliches Vorgehen gefordert. Aber
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darüber hinaus ist auch starkes persönliches Engagement bis hin zur Empathie und zu parteilichen Haltungen unter den Akteurinnen und Akteuren vorauszusetzen. Ohne entsprechende Vorstellungen, dass es sich lohnt, sich sozial zu engagieren, um ein besseres Leben für viele Menschen herzustellen, wird es in der Gemeinwesenarbeit trotz allem sicherlich nicht gehen. Die – einerseits – notwendige professionelle Distanz zum Gemeinwesen und zu den Menschen wird – andererseits – im Interesse einer betonten ‚Koproduktion‘ mit ihnen immer wieder durchbrochen werden. Anders geht es nicht. Gemeinwesenarbeit ist Sozialarbeit im Dialog. Aber: Dies alles nehmen Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer auch für sich in Anspruch! Auch sie erbringen Dienstleistungen mit eben diesem Ziel und an diese kann sich ein Überschuss an Engagement durchaus gut andocken. Lässt sich hier wirklich keine Brücke bauen? Es sind allerdings auch die eingesetzten ‚Medien‘. Benötigt werden vor allem kommunikative Kompetenzen, die ohne sichtbares ‚soziales Engagement‘ für betroffene und benachteiligte Menschen nicht wahrnehmbar werden. Man muss irgendwie dazu gehören. Insofern ist der Wert von Überzeugungen und Gesinnungen ganz vorne anzusetzen und sie wachsen nirgendwo besser als in ‚Gemeinschaften‘. So spielen auch bisweilen durchaus romantische Idealvorstellungen über den möglichen Lebenswert eines Stadtteiles oder eines Sozialraumes eine wichtige Rolle. Es geht betont nicht darum, ‚Standorte‘ für irgendwelche Investoren zu planieren, sondern die Eigenwerte von Lebensräumen zu verteidigen, diese Räume partizipativ zu gestalten und das Leben in ihnen zu entschleunigen. In dieser Hinsicht geht es vor allem um Kultur – nicht um Ökonomie. Aber soziale Ökonomie müsste dem nicht widersprechen, sie müsste sich allerdings stets ihrer Einbettung bewusst bleiben. Das formatiert das mögliche Geschäft. 4
Das diabolische Medium Geld
Wie man es auch dreht und wendet: Dies sind Vorstellungen, die in vielerlei Hinsicht quer zu dem liegen, was im unternehmerischen Handeln an erster Stelle steht, nämlich das Medium des Geldes. Natürlich ist auch unternehmerisches Handeln engagiert auf bestimmte Produkte und Dienstleistungen ausgerichtet und es orientiert sich über die Notwendigkeiten, einen Markt zu bedienen an den Problemen und Erwartungen der jeweiligen Kunden. Nur, wenn es ihnen Nutzen bringt, ist es erfolgreich. Sozialökonomisches Handeln (re-)investiert zudem das erwirtschaftete Geld wieder in die Lösung sozialer Probleme. Aber die notwen-
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dige Distanz zu den Menschen, die ökonomisch professionelles Handeln auszeichnet, ist hier durch die dominanten, zwischengeschalteten Zahlen, die sich in Geldwerte umrechnen lassen, besonders erzwungen. Das Geld als Geld neutralisiert alle Werte. Das Geld ist nach Niklas Luhmann (1988: 425) deshalb ein diabolisches – und kein symbolisches – Medium, weil es im Akt der Zahlung jedwede moralische Begründung auslöscht und für gleichgültig erklärt. Wer zahlt, bekommt, was er haben will, ganz gleich warum – wer nicht zahlen kann, muss dies dann hinnehmen. Gemeinwesenarbeitern geht es jedoch nicht um Geld als Geld. Es geht nur um Geld als eine Ressource für anderes, zum Ausgeben. Dafür wird dann auch einiges unternommen, um Geld zu erwirtschaften. Aber sie werden auch dann nicht primär in Geldgrößen denken, wohingegen unternehmerisch Tätige selbstverständlich die Größe Geld stets als vorrangigen Horizont im Blick haben müssen. Damit ist nicht gesagt, dass unternehmerisches Handeln allein auf die Vermehrung von Geld ausgerichtet sein muss (in dem Fall wäre die Person besser im Investmentbanking tätig!), aber das Verfügen über Geld und das Erreichen von Gewinnen ist das entscheidende Erfolgskriterium, wohingegen für die Gemeinwesenarbeit dies der Zuwachs von Lebensqualität im Stadtteil ist – eine viel komplexere Größe zum Be- und Verrechnen. Deutlich ist aber auch: Lebensqualität kostet etwas – und sicherlich nicht wenig. Auch das Gehalt der Quartiersmanagerinnen und -manager will ja irgendwo verdient sein, denn bisher kommt es meist aus Steuergeldern. Wenn nun diese Ressourcen mit dem Geld und den Ideen neuer Akteure zusammenfließen, muss auch das ja nicht falsch sein. Im konkreten Projekt müssen sich beide Herangehensweisen nicht notwendig widersprechen, sondern können sich sogar gut ergänzen, aber im Herangehen, in der Methodenwahl und vor allem eben in der Mentalität der betreffenden Personen unterscheiden sie sich bisher häufig. Die Differenz wird dann besonders deutlich, wenn im unternehmerischen Handeln, übertragen dann auch in die Sozialarbeit, die Organisationssteuerung mittels Kennzahlen erfolgt. Über die „kulturellen Stolpersteine“ beim Kennzahleneinsatz berichten Eisenreich, Halfar und Moos (2005): Sobald eine Organisationssteuerung mit Kennzahlen eingeführt wird, fällt die Entscheidung für eine zielorientierte Personalführung, für Leistungsmessung, vor allem für die kontinuierlichen Leistungstreiber eines internen Benchmarkings im Sinne einer prinzipiell messbaren Wirkungsorientierung. Im Fall von sozialen Organisationen, wie z.B. beim Einsatz von GemeinwesenarbeiterInnen, erzeugt dies aber eine Reihe von Problemen, die in der Frage gipfeln: Wie kann man denn überhaupt einen Erfolg von Gemeinwesenarbeiterinnen und -arbeitern messen? Dabei ist
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selten das Erstellen eines Leitbilds des Handelns ein Problem, sondern es sind solche Kennzahlen, die sich auf mittelfristiger strategischer Ebene bewegen, d.h. es geht um Entwicklungstrends, um Vergleiche mit dem Wettbewerber auf relative Marktstärke hin – letztlich um die Messung einer Erfolgsstory. All dies ist in herkömmlicher Gemeinwesenarbeit schwer zu integrieren, aber scheint eine notwendige Voraussetzung unternehmerischen Handelns zu sein. Hinzu kommt, dass in solchen Organisationen meist ein lebendiges Klima herrscht, ein großes Maß an Herrschaftsfreiheit, das aber wiederum mit ebenso großer faktischer Folgenfreiheit der Diskurse zu tun hat. Wenn Kennzahlen eingeführt werden, verändert sich diese Situation und die Zurechnung von personeller Verantwortung – die es natürlich auch vorher gab – wird deutlicher sichtbar. Aber genau darin liegt dann das Problem. Generell halten Eisenreich, Halfar und Moos fest: „Wahrscheinlich mehr als andere Bereiche ist der Sozialbereich durch eine kollegiale Konfliktaversion geprägt. Diesem Bedürfnis entsprechend werden Zielformulierungen gerne etwas unscharf gestellt, weil man durch die Vermeidung präziser Zielstellungen und kontrollierbarer Zielerreichungsgrade Stress und Konflikten vorübergehend ausweichen kann“ (Eisenreich et al. 2005: 32).
Solche Probleme stellen sich im unternehmerischen Handeln bereits zwangsläufig durch die Orientierung auf das Medium Geld ganz anders. Natürlich hat es an dieser Stelle keinen Sinn, gegenseitig nur ‚mit Fingern auf sich zu zeigen‘ und sicherlich lohnt es sich, wie es auch Eisenreich, Halfar und Moos vorführen, mehr Präzision in der Zielorientierung und der Zurechnung von Verantwortung in die Sozialraumprojekte einzubauen. Allerdings sind die Grenzen eines solchen Unterfangens ebenso deutlich: Organisationsimperative sind für die Steuerung von ‚gemeinschaftlichen‘ Sozialformen nicht nur ungeeignet – sie sind zerstörerisch, wenn dennoch angewendet [siehe dazu auch den Beitrag von Gergs zum Ende des Sozialmanagements und Aufstieg des social entrepreneurship]. 5
Aktivierende Entrepreneure
Im Grundsätzlichen gibt es folglich eine deutliche Differenz zwischen Gemeinwesenarbeit und unternehmerischem Handeln. Aber ist sie wirklich unüberwindbar? Neuere Studien zur heutigen Praxis von Gemeinwesenarbeit – und zwar insbesondere der Gemeinwesendiakonie im Bereich der evangelischen Kirche – belegen nun auch, dass sich die Differenzen in der internen Projektlogik von gemeinwesendiakonischen Projekten durchaus abgeschliffen haben. Gemeinwesendiakonie als Form der Gemeinwesenarbeit, die auf die Zusammenarbeit von diakonischen Kirchengemeinden, gemeinwesenorientierter Diakonie
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
und anderen Akteuren im Interesse der Gestaltung funktionierender Sozialräume und der Verhinderung von Notlagen zielt, ist im Hinblick auf ihre strukturbildenden Faktoren als ein Mix aus Aktivierungs-, Projekt- und Entrepreneurlogik rekonstruierbar (Horstmann/Neuhausen 2010: 13). Im Hintergrund stand die Frage, was gemeinwesendiakonisches Engagement charakterisiert, was es beeinflusst und was am besten seine Struktur beschreibt. Da ist zunächst die auch klassische Gemeinwesenwesenarbeit charakterisierende Aktivierungslogik. Hier geht es um das Empowerment und Befähigen von Menschen. „Potenziale und Ressourcen sollen im Stadtteil entdeckt und geweckt werden. Gemeinwesenarbeiter aktivieren und mobilisieren die Bewohner, um so langfristige Veränderungen zu bewirken“ (ebd.). Hinzu kommt eine zweite Handlungslogik, die sich von früheren Ansätzen in der Gemeinwesenarbeit unterscheidet: die Projektlogik. Hier geht es darum, dass entsprechende Vorhaben als Projekte gestaltet werden müssen, die sich entsprechend ausweisen und Förderbescheidauflagen etc. unterwerfen müssen. Diese Logik beinhaltet bereits einen gewissen Evaluierungsakzent. Denn Projekte müssen sich i.d.R. nach Abschluss der Gründe ihres Erfolges oder Misserfolges klar sein, um weitere Ressourcen einwerben zu können. Bestimmte Indikatoren werden definiert, die auf einen Erfolg des Projektes hinweisen, damit sie nach Projektabschluss auch überprüfbar sind. Dabei geht es nicht vorrangig um finanzielle Größen. Finanzielle Ressourcen sind für Stellen und Sachkosten natürlich unabdinglich, aber sie werden nicht als für das gesamte Vorhaben letztlich begründend oder es auch nur überwölbend erlebt. Man unterwirft sich zwar der Projektlogik, die eigenen Perspektiven weisen aber weit darüber hinaus. Entscheidend ist nun, dass sich in diesen gemeinwesenbezogenen Projekten auch noch eine dritte bestimmende Logik entdecken lässt, die die Aktivierungsund Projektlogik ergänzt, aber auch über sie hinausreicht. „Diese ist gekennzeichnet durch aktives Gestalten, Initiativität, die Lust Neues zu schaffen, Gestaltungswillen zu zeigen, Dinge anzutreiben und sie nach vorn zu bringen“ (Horstmann/Neuhausen 2010: 13). Die AutorInnen bringen dieses Phänomen mit entrepreneurship in Verbindung und interpretieren es folgendermaßen: „Unternehmerisches Handeln bedeutet im Kern, gestaltend tätig zu sein, Neues zu ermöglichen, die Initiative zu ergreifen. Das unternehmerische Handeln ‚setzt die Fähigkeit und Bereitschaft zur ständigen Anpassung an neue Gegebenheiten voraus und bildet somit das Gegenteil eines strukturkonservativen Bewahrens‘, so betont es die evangelische Denkschrift zum unternehmerischen Handeln. Der Unternehmergeist versetzt in die Lage, neue Wege zu finden, um Ressourcen zu erschließen und neu zu kombinieren. Dabei möchte er etwas Langfristiges, Nachhaltiges kreieren. Der Unternehmer oder Entrepreneur ist in der Lage, an die von ihm erkannten Chancen und seine Kreativität unternehmerisches und planerisches Handeln anzukoppeln“ (ebd.).
Wegner: Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit
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Weiter heißt es: „Zur Haltung des Entrepreneurs gehört es, bei Schwierigkeiten hartnäckig zu bleiben und sie kreativ zu überwinden. Er besitzt die Fähigkeit, aus kleinen Anfängen viel zu machen. Geringe Ressourcen kann er effizient nutzen. Dazu bindet er andere Akteure mit ein und arbeitet also mit ihnen zusammen“ (ebd.). Sehr eindrücklich wird diese Logik an einigen Zitaten festgemacht, die belegen, dass der unternehmerische Handlungstyp in der Gemeinwesenarbeit von den Befragten z.B. als erfindungsreich, bissig oder kreativ dargestellt wird. „Wir haben mit vielen Sachen einfach angefangen, ohne dass sie auf sicheren finanziellen Füßen standen. Man muss einfach anfangen und nicht darauf warten, bis eine Entscheidung fällt. Man muss wirklich den Mut haben, einfach ‚Los!‘ und fertig, um schneller zu sein als die Strukturen“ (ebd.: 16). Blickt man in die in dieser Studie dokumentierten Projekte – aber auch über sie hinaus beispielsweise in die Entstehung der Hospizbewegung –, so lässt sich deutlich zeigen, wie sehr ihr Gelingen von entsprechenden Personen abhängt, die sich ‚unternehmerisch‘ verhielten, ohne dass sie sich selbst – dies ist allerdings wichtig – betont als ‚Unternehmer‘ verstehen würden. Geredet wird dann vom Engagement, von der Lust an der Sache, vom eigenen Einsatz und einem ‚Sich-Aussetzen‘ („Wer sich einsetzt, setzt sich aus.“) und erzählt wird von positiven Resonanzen, derer man gewahr werden konnte. Vielfach wird auch von der tragenden Erfahrung berichtet, dass bestimmte Initiativen auf einmal fast wie von selbst liefen, da der Zuspruch relativ schnell überaus groß war. 6
Die Übernahme von Risiko
Aus unternehmerischer Perspektive fällt auf, dass hier Investitionen in ein spezifisches Engagement-Konzept oder auch in einen bestimmten Hilfebereich getätigt werden, die vor allem im Bereich des persönlichen Engagements liegen – und in eben dieser persönlichen Hinsicht auch Risiken übernommen werden. Es geht folglich nicht um klassisches organisationsbezogenes Handeln, in dem Menschen funktional eingeordnet werden, sondern um einen Kooperationsansatz, der darauf setzt, dass sich Menschen als authentische und moralische Personen einbringen – sich selbst sozusagen zum Tragen kommen lassen, so dass es in ihnen selbst geradezu widerhallt. Viele Protagonisten gehen folglich mit Begeisterung an die Projekte heran und stecken in charismatischer Weise andere an. Allerdings können sie eben damit auch Grenzen aufrichten. Dem Schumpeter‘schen Unternehmertum ist so etwas nicht fremd.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Ein wichtiger Faktor in diesen Zusammenhängen ist die Bewältigung bzw. die Bindung von Risiko durch ein entsprechendes Handeln von Einzelnen oder kleinen Gruppen. Denn es geht in solchen Projekten, wenn sie wirklich innovativ sind, stets um ein Risikoszenario. Risiken liegen auf verschiedenen Ebenen:
Entsprechende Projekte vollziehen sich ganz generell in einem immer stärker werdenden Risikosetting unserer Gesellschaft. Das geht von erkennbaren Rückbautendenzen des Sozialstaates bis hin zu wachsender Armut, Prekarität, Niedriglohn, Jobs und einer rasanten Zunahme sozialer Ungleichheit. Viele der Projekte sind in unsicheren Umwelten angesiedelt – finanziell oft ohnehin, aber nicht selten auch politisch und zivilgesellschaftlich. Anerkennung kommt nicht sofort und in der Durchsetzungszeit solcher Projekte kann es bisweilen recht prekär zugehen. Man braucht Durchhaltewillen und muss sich eines starken Rückhalts versichern. Das kann nach außen zu Abgrenzungen führen. Risikoreich sind solche Projekte auch für die Protagonisten selbst, die Begegnung mit anderen, insbesondere im Sozialraum Stigmatisierten. Armut kann in einem sozialpsychologischen Sinne ‚anstecken‘. ‚Den Armen ein Armer zu werden‘, geht nicht ohne Folgen ab, die auch im Bereich der eigenen Sozialbeziehungen oder im Bereich des eigenen sozialen Ansehens liegen können. Risiken gibt es auch in beruflicher Hinsicht. Die berufliche Identität und Professionalität kann in eine Bewährungsphase geraten. Was braucht es mehr: Empathie mit den Opfern der Gesellschaft oder Distanz zu ihnen, um Potential erkennen und aktivieren zu können? ‚Hot Love‘, die zu gemeinsamen Aktionen treibt, oder ‚Tough Love‘, die Menschen u.a. durch paradoxe Interventionen aus ihrer Gewöhnung an das Elend herauszureißen sucht? Auf jeden Fall kommt es in allen Projekten schnell zu einem Überschuss an Sinn, der reduziert werden muss, um handlungsfähig zu bleiben. Der normale Alltag muss bewältigt, funktionale Aufgaben zugeordnet werden können, sonst kollabiert das Vorhaben.
All dies bezeichnet insbesondere dort Probleme, wo sich solche Projekte in eine Welt unterhalb der Respektabilitätsgrenze, die in unserer Gesellschaft existiert, begeben. Diese Grenze ist in den letzten Jahren in der Steilwand der sozialen Ungleichheit hochgerutscht und die Zahl derer, die unter ihr leben, ist entsprechend gestiegen. Ein bewusster ‚Abstieg‘ von Protagonisten in diese Welt wird zwar bisweilen in den Medien hoch anerkannt, im realen Leben jedoch selten
Wegner: Neues Denken in der Gemeinwesenarbeit
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mit hohen Gehältern und guten Positionen belohnt. Gleichwohl: Einige sozialräumliche Aktivisten sind mittlerweile zu Identifikationsfiguren4 eines zivilgesellschaftlichen Engagements geworden und belegen, dass es sich lohnt, sich trotz nicht unbeträchtlichen Risikos für andere einzusetzen. Dass dies auch medial große Wertschätzung erfährt, transportiert gesellschaftliche Anerkennung und stärkt entsprechende Initiativen. 7
Chance für eine solidarische Ökonomie?
Bis hierhin sollte deutlich geworden sein: Zwischen sozialräumlichem Aktivismus und sozialem Unternehmertum gibt es viele Ähnlichkeiten und Überlappungen – im konkreten sicherlich auch viel mehr Nähe als man denkt. Dennoch bleibt eine spezifische Distanz, die auch mit der Pfadentwicklung des deutschen Sozialstaatsmodells zu tun hat. Auch in ihm hat es immer beeindruckende Soziale Unternehmer gegeben – ohne sie ist dieses Modell gar nicht denkbar. Aber sie hätten sich nie so begriffen und sie tun es heute auch nicht. Das mag eine Form von Selbsttäuschung sein – heute ist sie es sicherlich –, aber es könnte eine produktive Form sein, weil sich in ihr spezifische Traditionen des ‚gemeinschaftlichen‘ Bezuges auf einen Sozialraum widerspiegeln, die sich unternehmerisch-organisatorisch nicht ersetzen lassen. Insofern sollte die Rede von der „Rentabilität des Sozialraumes“ (so die Forderung von Wasel 2010: 32) nicht übertrieben werden. Wenn denn ökonomische Metaphern auf diese Lebenswelt übertragen werden, dann eher solche, die aus Formen einer solidarischen Ökonomie, einer ‚Wirtschaft mit allen‘, stammen, in deren Mittelpunkt die Gewährleistung von Teilhabechancen für möglichst viele steht. Es geht dann um die Kooperation mit dem lokalen Gewerbe, um die Gewährleistung besserer Existenzsicherung im Stadtteil, um kooperative Existenzgründungen – und das alles mit gelebter CSR-Orientierung im Sozialraum (vgl. Klöck 2010). An dieser Stelle können Sozialraumorientierung und entrepreneurship sicherlich gut zusammenkommen.
4 Ich denke hier z.B. an so eindrucksvolle Personen wie Pfarrer Meurer aus Köln.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Quellenverzeichnis Eisenreich, Thomas/Halfar, Bernd/Moos, Gabriele (Hrsg.) (2005): Steuerung sozialer Betriebe und Unternehmen mit Kennzahlen. Baden-Baden. Herrmann, Volker/Horstmann, Martin (Hrsg.) (2010): Wichern drei – gemeinwesendiakonische Impulse. Neukirchen-Vluyn. Horstmann, Martin/Neuhausen, Elke (2010): Mutig mittendrin. Gemeinwesendiakonie in Deutschland. SI Konkret Band 2. Münster. Klöck, Tilo (2010): Das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit als Qualitätsmerkmal von Sozialraumorientierter Sozialer Arbeit, Stadtteilarbeit und Quartiersmanagement. http://www.nipp.brandenburg.de/nipp_data/pdf/das_arbeitsprizip_gemeinwesenarbeit_als_qualitaetsmerkmal_k.pdf (letzter Aufruf: 7.10.2010). Luhmann, Niklas (1988): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt/M. Manderscheid, Hejo (2010): Solidaritätsstiftende Arrangements. In: Herrmann/Horstmann (2010): 59-65. Mösken, Gina/Dick, Michael/Wehner, Theo (2010): Wie frei-gemeinnützig tätige Personen unterschiedliche Arbeitsformen erleben und bewerten: Eine narrative Grid-Studie als Beitrag zur erweiterten Arbeitsforschung. In: Arbeit 19/2010/1: 37-52. Strohm, Theodor (2010): „Wichern drei“ – auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Sozialen. In: Herrmann/Horstmann (2010): 17-24. Wasel, Wolfgang (2010): Rentabilität und Sozialraumorientierung – Überlegungen anhand einer Untersuchung zum Social Return on Investment. In: NDV 2010/Januar: 25-32. Wegner, Gerhard (2010): Der „Natalitäts-Faktor“. In: Herrmann/Horstmann (2010): 130-141.
Potentiale von Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe Daniel Dölle
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Sozialpolitische und ökonomische Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe
Seit den 1990er Jahren ist die Kinder- und Jugendhilfe durch eine Neuorientierung der Sozialpolitik und entsprechende Gesetzesnovellierungen in einer tiefgreifenden Veränderung begriffen und hat sich an neuen Anforderungen auszurichten. Die Gewährleistung für die Erbringung und die Kostenübernahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe obliegt zwar angesichts sozialrechtlicher Bestimmungen im Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII)1 als dessen maßgebliche gesetzliche Grundlage weiterhin dem (föderalistischen) Staat und damit mehrheitlich den Kommunen. Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips als staatlichem Strukturprinzip treten aber als tatsächliche Leistungserbringer vor allem die freien Träger auf und nehmen die Rolle der Auftragnehmer ein.2 Dabei handelt es sich in der Regel um private Organisationen (Vereine, GmbHs oder Stiftungen bürgerlichen Rechts), die steuerrechtlich als gemeinnützig oder gewerblich unterschieden werden. Dadurch hat sich ein Trägerpluralismus entwickelt, der zu großen Teilen von den gemeinnützigen (vor allem den Wohlfahrtsverbänden und ihnen angeschlossenen Vereinen) und langsam zunehmend auch von gewerblichen Trägern bestimmt wird. Letztere spielen aber im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe derzeit noch eine untergeordnete Rolle [siehe dazu auch den Beitrag von Heinze et al. zu social entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat]. Durch die Vielzahl von unterschiedlichen Trägern ist ein konkurrierender Wettbewerb entstanden, der durch Veränderungen im SGB VIII, besonders bei den Rechtsanspruchleistungen der Hilfen zur Erziehung und bei der Betreuung von Kindern in Tagesstätten, angestoßen wurde. Diese Änderungen beendeten u.a. die Vorrangstellung der Wohlfahrtsverbände und anderer gemeinnütziger Träger. Von einem ‚echten‘ Marktgeschehen ist aber wegen der marktuntypischen 1 Das SGB VIII bildet den fachlichen, materiellen und organisatorischen Verfahrens- und Finanzierungsrahmen der Kinder- und Jugendhilfe. 2 Insbesondere die Leistungen nach § 2 Abs. 2 SGB VIII.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_13, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Merkmale sozialer Dienstleistungen nicht zu sprechen, z.B. die gesetzlichen Erbringungsverpflichtungen, die eingeschränkte Kundenautonomie, die längerfristige Zielsetzung, angebotene Hilfeleistungen wegen wegfallender Notwendigkeit zu reduzieren, statt sie marktüblich auszubauen. Häufig wird daher in diesem Zusammenhang der Begriff ‚Quasi-Markt‘ verwendet. Wegen ökonomischer und gesellschaftspolitischer Veränderungen und einer damit verbundenen stärkeren Betonung von Eigenverantwortung, Ressourcenorientierung und Selbstbestimmung hat sich zunehmend ein Dienstleistungsverständnis in der Sozialarbeit etabliert, das (gesetzlich verankert) dem Leistungsnehmer einen maximalen Nutzen und dem Leistungsgewährer minimale Kosten bescheren soll. Damit nehmen Aspekte wie Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit als Kriterien bei der Auftragsvergabe des Jugendamtes an freie Träger an Bedeutung zu. Diese sollen durch die Anwendung betriebswirtschaftlicher Instrumente wie Produkt- und Leistungskataloge, Qualitätsmanagement, Controlling, Benchmarking und Evaluation unterstützt werden. Auch die Implementierung des ‚New Public Management‘ in die Sozialverwaltungen und die damit verbundene neue vertragliche Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe hat Auswirkungen auf die Finanzierung der Leistungen. Mit wettbewerbsorientierten Finanzierungsformen, wie dem leistungsbezogenen Entgelt (SGB VIII § 78 a ff), das an diverse Vereinbarungen gekoppelt ist, liegt der Fokus stärker auf Effizienz, Effektivität und Qualität der Leistung bei der Erreichung der Ziele. Damit erhalten auch die Wirkung des Angebots, die KostenNutzen-Rechnungen etc. eine höhere öffentliche Aufmerksamkeit und werden verstärkt zu legitimierenden Faktoren der Kinder- und Jugendhilfe. Im Zuge dessen findet z.B. das Finanzierungsmodell des Budgets für die Leistungsbezieherinnen und -bezieher (Subjektfinanzierung) vermehrt Anwendung. Dieses Modell soll im Sinne der Dienstleistungsorientierung die Autonomie der „Kundschaft“ stärken, in dem sie sich selbst ihre Anbieter aussuchen und bezahlen (z.B. durch die Kita-Card in einigen Bundesländern). Zwar wird die dauerhafte Zuwendung als öffentliche Finanzierungsform weiterhin praktiziert, aber diese ist in der Regel nur eine Anteilsfinanzierung und wird vermutlich angesichts der finanziellen Schwierigkeiten vieler Kommunen und neuer gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen zukünftig seltener werden. Leider birgt der damit verbundene öffentliche Kostendruck die naheliegende Gefahr, dass sich der Wettbewerb überproportional am Preis orientiert. Hier stehen die Akteure der Jugendhilfe vor der Aufgabe, die Balance zwischen Qualität und Preis beizubehalten oder zu finden, um ihren Ansprüchen und Zielen gerecht werden zu können. In bestehenden Organisationen kann ein innovatives Sozialmanagement helfen, die diesbezüglich vorhandenen Kompetenzen
Dölle: Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe
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auszubauen und soziale und wirtschaftliche Ziele in ein gutes Verhältnis zu bringen – also (sozial)unternehmerisch zu denken und zu handeln. Dass in der Sozialarbeit (als Teil der Sozialwirtschaft) vieles in Bewegung ist, wird allerdings von „Social Entrepreneurship“ [im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] nahestehenden Wirtschaftsfachleuten sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bürgergesellschaft häufig nicht wahrgenommen. Stattdessen werden immer wieder der angeblich fehlende Wettbewerbsspielraum und die große Staatsnähe betont. Antagonistisch beklagen Autorinnen und Autoren aus dem Fachkontext der Sozialen Arbeit deren fortgeschrittene ‚Vermarktlichung‘ und ‚Profitstreben‘. Hier treffen Wahrnehmungen aus unterschiedlichen Perspektiven und Kulturen mit divergierenden Maßstäben und Werten aufeinander. Es sind mindestens zwei zentrale Bereiche auszumachen, in denen der Denk- und Handlungsansatz SEO zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe unter den genannten Bedingungen beitragen kann: das berufliche Selbstverständnis von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern3 und die Finanzierung der Leistungen (Ressourcenerschließung). 2
Berufliches Selbstverständnis von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern
Eine verstärkt wirtschaftliche Ausrichtung der Sozialarbeit und damit auch der Kinder- und Jugendhilfe ist mit vielen Chancen verbunden – aber auch mit Risiken. Kritische Stimmen sehen darin die Gefahr einer „Ökonomisierung“ (Hensen 2006b: 159), die – plakativ ausgedrückt – einer Unterwerfung unter die „kapitalistische Verwertungslogik“ gleichkäme, während sie sich eigentlich „historisch immer als das Andere des (reinen) marktwirtschaftlichen Prinzips verstand“ (Kruse 2005: 190). Die Soziale Arbeit befinde sich demnach in „Bedrängnis“ (Lutz 2008: 3) und mache einen „Spagat zwischen Ökonomisierung und Menschenrechtsprofession“ (Gaitanides 2000: 125). Der Umbau des Sozialstaates nach ‚neoliberalen‘ Prinzipien würde die Soziale Arbeit in ein „Korsett einer Aktivierungspolitik“ (Nadai 2009: 140ff) zwingen, deren Aufgabe es sei, möglichst schnell und vor allem kostengünstig die Selbstaktivierung des „Kunden“ zu ermöglichen, damit dieser „marktfähig“ werde. Die starke Orientierung an Erfolg und Wirtschaftlichkeit führt nach Lutz als Konsequenz zu einer „ZweiKlassen-Sozialarbeit“: professionelle „Aktivierung und Trainings für die Fähigen und Erfolgsversprechenden“ und Armut verfestigende (semi-professionelle) 3 Mit dem Begriff „Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeiter“ sind in diesem Beitrag auch Sozialpädagoginnen bzw. Sozialpädagogen gemeint.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
„Notversorgung, Verwaltung und Kontrolle“ für die ‚Nicht-mehr-Aktivierbaren‘ durch Suppenküchen und Kleiderkammern (Lutz 2008: 9). Es lässt sich argumentieren, dass diese Entwicklung dazu beiträgt, dass sich die Soziale Arbeit von ihren berufsethischen Prinzipien, in deren Mittelpunkt die Solidarität mit Menschen in sozialen Notlagen steht, entfernt. Aufgrund dessen sei es an der Zeit, dass sich Soziale Arbeit perspektivisch wieder stärker politisch positioniert und engagiert (Herrmann/Stövesand 2009: 191; Notz 2009: 213). Der Berufsverband International Federation of Social Workers (IFSW) definiert Ziel und Auftrag Sozialer Arbeit wie folgt: „Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, und sie befähigt die Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Interaktion treten. Grundlagen der Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit“ (DBSH o.J.).
Nach dieser Auffassung sind die Wahrung der Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sowie die Förderung von sozialem Wandel wesentliche Grundlagen, an denen sich die Akteurinnen und Akteure der Sozialen Arbeit orientieren sollen. Es ist ihr beruflicher Auftrag, „(…) die strukturell bedingten Ursachen sozialer Not zu entdecken, öffentlich zu machen und zu bekämpfen“ (ebd.: Pkt. 2.3). Wenn die Soziale Arbeit ein politisches Mandat für ihre Tätigkeit hat, dem auch Lutz in Anlehnung an Merten folgt (Lutz 2008: 5; Merten 2001), wie äußert sich dies im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe? Dessen Ziele sind im SGB VIII §1 festgehalten. Es sichert den jungen Menschen ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung, auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, auf Mitbestimmung und Beteiligung zu. Als „Stimme der Adressaten“ (Rätz-Heinrich et al. 2009: 249 in Anlehnung an Bitzan et al. 2006) steht für die Kinder- und Jugendhilfe die Stärkung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen und die Umsetzung von Rechtsansprüchen durch nationale (z.B. im SGB VIII, GG, BGB) oder internationale Kinderrechte (z.B. UN-Kinderrechtskonvention) im Vordergrund. Sie hat die Lebenslagen der jungen Menschen im Visier und ist auf der Suche nach Veränderungsmöglichkeiten, um positive Lebensbedingungen für sie zu schaffen und zu erhalten. Bestehende Benachteiligungen wie Kinderarmut, geringe Bildungschancen oder schlechte Gesundheit sind durch ihre Intervention zu vermeiden und abzubauen. Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe tragen neben anderen Institutionen die „öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen“ und sind damit für die „politische Gestaltung und Sicherung der sozialen Infrastruktur“ zuständig, die es den Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern ermög-
Dölle: Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe
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licht, für „(…) sich selbst und füreinander Verantwortung tragen zu können“ (Rätz-Heinrich et al. 2009: 256ff). Die aktuelle Debatte zur ‚Ökonomisierung‘ Sozialer Arbeit ist „(…) nicht primär durch die Intention einer Steigerung der professionellen Qualität sozialpädagogischer Angebote ausgelöst und bestimmt“ (Buestrich/Wohlfahrt 2008: 17 in Anlehnung an Galuske 2001: 312). Vielmehr sei sie vornehmlich ein „Folgeeffekt finanzieller Engpässe“ (ebd.), womit sicherlich die häufig auftretende Skepsis einer so gestalteten Modernisierung begründet werden kann. Eine alleinige Fokussierung auf die eigene ‚Opferrolle‘ ist aber nicht hilfreich. Da diese Entwicklung trotz der genannten Risiken mit vielen Chancen verbunden ist, muss Soziale Arbeit und damit auch die Kinder- und Jugendhilfe nach Lutz (2008: 3): „(...) die Forderung nach ‚Ökonomisierung‘ konstruktiv aufnehmen; sich noch viel konsequenter als Dienstleister begreifen und die praktische und methodische Umsetzung der damit verbunden Aufgaben auch theoretisch begleiten; aktuelle Tendenzen der Aktivierung und der Selbstorganisation ihrer Klientel in ihre Horizonte als organisierte Hilfe in der Moderne aufnehmen; den Spagat zwischen ihrem ethischen Selbstverständnis und den aktuellen politischen und ökonomischen Anforderungen bewältigen.“
Zusammengefasst muss sie „(…) das eine tun, ohne das andere zu lassen. Es kommt darauf an, Ideen eines Guten Lebens mit der unabdingbaren Ökonomisierung zu verknüpfen, statt diese ausschließlich zu beklagen“ (ebd.: 5). Empowerment, Emanzipation und ressourcenorientierte Ansätze (‚Hilfe zur Selbsthilfe‘) sind andererseits ‚genuine‘ Konzepte der Sozialen Arbeit, die Parallelen zu den Semantiken der aktuellen sozialpolitischen Entwicklungen aufweisen. Wer, wenn nicht sie selbst, sollte besser dazu in der Lage sein, diese proaktiv auch auf ihre eigenen Handlungszusammenhänge zu übertragen. Neue Soziale Bewegungen, zahlreiche Kinder- und Jugendhilfeprojekte sowie andere zivilgesellschaftliche Organisationen des Dritten Sektors beweisen, dass von ihr innovative, alternative, ja auch utopische Ideen ausgehen können und verkörpern ermutigende Beispiele. Es geht darum, die Chance zu nutzen, offensiv eigene Antworten zu finden, bevor ‚Fachfremde‘ sie geben. Mit dem öffentlichen Bezug auf die Grundlagen Sozialer Arbeit, der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit, könnte dem zunehmenden Legitimationsdruck entgegenwirkt und die eigene gesellschaftliche Wahrnehmung positiv gestärkt werden. Reisch sieht darin eine einzigartige Stellung begründet „(...) weil die in ihr Tätigen nicht nur von der Unvermeidbarkeit von Veränderung überzeugt sind, sondern diese auch explizit anstreben“ (Reisch 2009: 239). In diesen Punkten finden sich wesentliche Parallelen zum Bild der social entrepreneurs. Deren Selbstverständnis als „Change Agents“ (Dees 2001: 4) deckt sich mit dem Berufsverständnis der im Deutschen Berufsverband für
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Soziale Arbeit e.V. (DBSH) und im International Federation of Social Workers (IFSW) organisierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, worin die Förderung von sozialem Wandel eine wichtige Maxime darstellt. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter können hier ansetzen, wenn sie sich mit der progressiven Idee als social entrepreneurs im Sinne von „Change Maker“ (Ashoka Deutschland o.J.) identifizieren. Sie können neue selbstbewusste, klientenorientierte und nachhaltige Wege der Verknüpfung von sozialen und wirtschaftlichen Zielen beschreiten und damit zur Schärfung des professionellen Profils beitragen. Organisationen, die Sozialarbeitende mit unternehmerischem Elan gründen, können vorleben, wie dies innerhalb des deutschen Sozialstaatskontexts umgesetzt werden kann. Sie wären imstande zu beweisen, dass der Wettbewerb um Qualität und Preis in einem ausgewogenen Verhältnis zu Gunsten einer Gemeinwohlorientierung gestaltet werden kann und zu einem Wettbewerb um die besten Ideen führt. Die Intention, innovative Lösungswege für gesellschaftliche Probleme zu finden, muss auch weiterhin von der professionellen Sozialen Arbeit ausgehen. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben das fachliche KnowHow, um als reformorientierte zivilgesellschaftliche Gestaltungskräfte verantwortungsvoll zu wirken. Die Positionierung der Akteure der Sozialen Arbeit als Dienstleister mit (sozial)politischem Gestaltungswillen (und nicht nur als Auftragnehmende) kann durch SEO eine Aufwertung erfahren und damit deren eigene berufsethische Prinzipien stärken. Allerdings anders als Lutz (2008: 5) diskutiert, muss eine „Parteilichkeit“ eben nicht zwangsläufig aufgegeben werden. Denn gerade wenn sich Sozialarbeiter als Triebkräfte sozialen Wandels und „Reformer von unten“ (Reset for a better World o.J.), also als social entrepreneurs begreifen und die Entwicklung und Anwendung ungewöhnlicher unternehmerischer Konzepte und Modelle als Aufgabe ansehen, kann und muss die Rolle des ‚Anwalts‘ darin (unter Beachtung der Bedürfnisse der beschäftigten MitarbeiterInnen) integriert werden. Die Entwicklung einer eigenen Vision und das Definieren neuer Systeme und Rollen sind zentrale Bestandteile der sozialunternehmerischen Herangehensweise. Sie setzt auf die Kraft des Experiments sowie des Vorlebens und bezieht auch die Möglichkeit des Scheiterns mit ein. Im Gründungsakt als Voraussetzung für die Schaffung von sozialem Mehrwert liegt nach Ashoka (www.ashoka.org) der Unterschied zwischen (traditionellen) Sozialarbeitern und social entrepreneurs, wie in Abbildung 1 gegenüberstellt.
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Definieren neue Systeme oder Rollen, aktivieren neue Ressourcen
Optimieren innerhalb eines gegebenen Systems mit etablierten Rollen, Aufgaben und Ressourcenströmen
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Soziale AktivistIn
Social Entrepreneur
Bsp. PolitikerIn, sozial engagierter BürgerIn
Bsp. Ashoka-Fellow
Typisches Ziel: Bewusstsein, politische Reformen
Typisches Ziel: Skalierbare Lösung eines sozialen Problems
Finanzierung: meist aus Gehalt, unverbunden mit sozialem Ziel
Finanzierung: Von Spenden bis Einkommensgenerierung ausgerichtet am sozialen Ziel
Soziale ManagerIn
Soziale Geschäftsleute
Bsp. KindergartenleiterIn, CSRManagerIn, SozialarbeiterIn
Bsp. ÖkolandwirtIn, GründerIn eines ethisch orientierten Unternehmens
Ziel: Verbesserung bestehender sozialer Systeme
Ziel: Profitable Geschäfte mit sozialer Wirkung
Finanzierung: Gehalt aus Mitteln der Organisation
Finanzierung: Gewinne aus Geschäftstätigkeit
Arbeiten innerhalb ihrer Rolle oder fordern Wandel von Autoritäten
Arbeiten unternehmerisch und schaffen mit eigenem Risiko Strukturen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme
Abbildung 1: Was ist ein social entrepreneur? (nach Ashoka Deutschland o.J.)
Während social entrepreneurs neue Systeme und Rollen definieren, Ressourcen aktivieren und zudem mit unternehmerischem Risiko auf die Gesellschaftsstruktur Einfluss nehmen sollen, arbeiten die „sozialen Manager“ (wozu hier u.a. Sozialarbeiterinnen und -arbeiter gehören) innerhalb ihrer etablierten Rollen und verbessern mit ihrer Arbeit „nur“ das bestehende System. Demnach ist die Arbeit der Sozialarbeiter wichtig, kann allerdings keinen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel erzeugen. Entscheidend ist der nächste Schritt hin zur Gründung einer Organisation und zum eigenen unternehmerischen Handeln mit entsprechendem Risiko, wodurch sie sich aus den Beschränkungen ihrer Rolle und der Systemgrenzen ‚befreien‘ würden. Die neu entstandenen eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Handlungsspielräume würden Innovation und Strukturwandel ermöglichen. In der Zuweisung der
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Überwindung von Systemgrenzen kommt der sehr hohe Anspruch der AshokaDefinition an die Akteurinnen und Akteure zum Ausdruck. Außerdem ist zu bedenken, dass nach Erkenntnissen der Innovationsforschung Unternehmen ohne Anpassung an den Markt und dessen Weiterentwicklung verschwinden. Das gilt für die freie Wirtschaft und kann mit Einschränkungen auch auf den sozialen Dienstleistungsmarkt übertragen werden. Als innovatives Beispiel kann das Institut für Sozialpädagogische Arbeit (I.S.AR.) in München gelten. Das von SozialpädagogInnen privat gegründete gemeinnützige Institut arbeitet aufgrund unternehmerischer Herangehensweise wirtschaftlich und probiert neue Wege aus, indem es fantasiereich soziale Dienstleistungen für Benachteiligte anbietet und kombiniert (Scheytt 2010). Wenn sich Soziale Arbeit als modernes Projekt versteht, sollte sie stärker als bisher von den Einzelnen zeitgemäß in neuer Form, in neuen Koalitionen und mit visionären Ideen gestaltet werden: (sozial)wirtschaftliches Handeln zum Wohle der Klientinnen bzw. Klienten und der Allgemeinheit. Um diesen Gesamtprozess zu unterstützen, müssen allerdings innerhalb der Hochschulausbildung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie bei Weiterbildungsträgern die Themen ‚Existenzgründung‘ und ‚Selbstständigkeit‘ einen höheren Stellenwert erhalten [siehe dazu den Beitrag von Köppelmann: Unternehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit]. 3
Ressourcenerschließung
Zahlreiche innovative Projekte und Initiativen in der Kinder- und Jugendhilfe begegnen auf bewundernswerte Weise schwierigen Rahmenbedingungen, leisten gute Arbeit, suchen und finden finanzielle Ressourcen. Dennoch stehen sehr viele von ihnen vor einem existenziellen Problem: der unzureichenden Finanzierung. In der Erschließung neuer und ungewöhnlicher Finanzquellen und Kooperationen liegt der zweite zentrale Ansatzpunkt für social entrepreneurs und social entrepreneurship. Die Mehrheit der privat-gemeinnützigen Träger setzt bereits seit langem auf einen Finanzierungs-Mix. Eigen- und Drittmittelerzielung ist in vielen Fällen sogar eine Voraussetzung für die Förderung durch Zuwendungen und Leistungsentgelte der öffentlichen Hand (vgl. SGB VIII §74 Abs. 1 S.4; Vilain 2006: 181) und ebenso für Projektförderungen durch Stiftungen (siehe dazu auch www.stiftungen.org). Fundraising und damit Mitgliedsbeiträge, Spenden4, Sponsoring, Stiftungsförderung, Erhalt von Bußgeldern (über Bußgeldlisten bei 4 Zum Beispiel über Spendenkampagnen, Online-Spendenplattformen wie www.betterplace.org oder www.amazee.com.
Dölle: Social Entrepreneurship für die Kinder- und Jugendhilfe
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Gerichten) und vieles mehr gehört zu diesem Finanzierungs-Mix und ist für die Handlungszusammenhänge von SEOs von großer Wichtigkeit. Auch social entrepreneur Rose Volz-Schmidt, mehrfach ausgezeichnete Sozialpädagogin und Gründerin der Hamburger wellcome gGmbH finanziert ihren Familienbegleitservice für die Wochen nach einer Geburt eigenen Angaben zufolge zu einem großen Teil durch Spenden verschiedenster Akteure. Die jungen Eltern müssen deshalb nur vier Euro pro Stunde bezahlen. WellcomeTeams gibt es mittlerweile durch ein für social entrepreneurship typisches social franchise-Prinzip in zwölf Bundesländern (www.wellcome-online.de) [siehe vertiefend auch den Beitrag von Hackl zum social franchising]. Außerhalb des klassischen Fundraisings sind zum Beispiel Wettbewerbe und Förderprogramme5 für Engagierte und social entrepreneurs, Public-PrivatePartnerships oder strategische Kooperationen zwischen non- und for-Profit-Unternehmen von zunehmender Bedeutung. Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch zwei Formen der ergänzenden Finanzierung in den Blick genommen: Selbsterwirtschaftete Eigenmittel und venture philanthropy. Selbsterwirtschaftete Eigenmittel Unter Eigenmittel-Erwirtschaftung ist hier die Gründung eines grundsätzlich auf Gewinn ausgerichteten Geschäftsbetriebs zur Finanzierung der ideellen Zwecke der gemeinnützigen Organisation gemeint. Durch Eigenmittel soll die Nachhaltigkeit der Arbeit gestärkt, zur Finanzierung der Verwaltungs-Kosten beigetragen sowie ein zusätzliches finanzielles Standbein geschaffen werden. Eigenmittelerwirtschaftung spielt im sozialen Sektor bisher – mit Ausnahme des Pflegeund Gesundheitsbereichs – eine untergeordnete Rolle (Instruments and effects 2004; Zimmer/Priller 2007). Typische Eigenmittel in kleinerem Rahmen sind beispielsweise Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus Eintrittsgebühren und aus kostenpflichtigen Dienstleistungen sowie Verkaufserlöse bei Straßenfesten usw. Zur Veranschaulichung von den bisher erfolgreichen Geschäftsbetrieben im Kinder- und Jugendbereich und als Inspiration seien folgende Beispiele genannt:
5 Z.B. durch Beratungsstipendium Startsocial (www.startsocial.de), Förderung der Einzelperson durch Ashoka (www.ashoka.org) oder Schwab Foundation (www.schwabfound.org).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Alte Feuerwache (www.alte-feuerwache.de) Ein Stadtteilzentrum in Berlin-Kreuzberg, das neben der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zwei Tagungshäuser, einen Catering-Service und ein Stadtteilcafe betreibt. Dadurch werden mehrere positive Effekte erzielt: z.B. die Mitfinanzierung der Overhead-Struktur des Trägers, die Bereitstellung eines Ausbildungsbetriebs, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die positiven Auswirkungen des Controlling und Qualitätsmanagements auf andere Arbeitsbereiche des Trägers (Knoth 2004: 87).
Jugendhaus Düsseldorf (www.jugendhaus-duesseldorf.de) Ein Jugendhaus, das mit verschiedenen Dienstleistungen und Produkten im Print- und Medienbereich, Beratung von verschiedenen Jugendarbeits-Projekten, dem Verkauf von Büchern und Textilien und sogar mit Versicherungspolicen speziell für die Jugendarbeit Erlöse erzielt. Es stützt durch diese Einnahmen den ideellen Bereich des Trägers (Knoth 2004: 91).
Junges Hotel (www.junges-hotel.de) Und ein Hotel in Hamburg, das durch einen sozialen Verein geführt wird, mit dessen Überschüssen auf mittlere Sicht die Stadtteilarbeit des Vereins finanziert werden soll (Knoth 2004: 96ff).
Die Gründe für die Seltenheit von gemeinnützig verwurzelten Geschäftsbetrieben sieht Knoth in fehlender Kapazität an Personal und Startkapital und ungenügenden Kompetenzen im betriebswirtschaftlichen und juristischen Kontext sowie im Marketing. Die „mangelnde personelle Durchlässigkeit“ (Knoth 2007: 139) aufgrund von Kulturunterschieden zwischen gemeinnützigen Trägern und privatwirtschaftlichen Unternehmen trägt ein Übriges dazu bei. Neben den Marktkräften stellen auch „mikropolitische Gründe“ (Knoth 2004: 22f) Schwierigkeiten dar, wie der Widerstand von Mitarbeitenden gegen Veränderung in der Organisationsstruktur oder Hürden bei der Geschäftsgründung. Diese müssen ernst genommen und berücksichtigt werden. Durch gleichermaßen behutsames wie aktives Change Management ist den Widerständen im Prozess zu begegnen. Um Hindernisse konstruktiv zu bewältigen und weitere Neuerschließungen von Geschäftsfeldern erfolgreich werden zu lassen, bedarf es einer Person mit „Schnittstellenkompetenz“ auf der Leitungsebene des Trägers (ebd.: 10). Diese sollte zwischen dem ideellen und dem marktbezogenen Bereich des Trägers eine Brückenfunktion einnehmen, um ‚kulturelle Spannungen‘ aufzufangen. Dazu eignen sich Personen, die sowohl im gemeinnützigen als auch im gewinnorientierten Bereich Erfahrungen und Kompetenzen gesammelt haben. Der produktive Umgang mit kulturell bedingten Konflikten und ein „balanciertes Risikomanagement“ sind wichtige Erfolgsfaktoren (Knoth 2007: 146), die social entrepreneurs als ‚Schlüsselpersonen‘ einbringen könnten.
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Alternativ zu einer einzelnen leitenden Person bietet sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von engagierten SozialarbeiterInnen und BetriebswirtInnen/MBA in Form einer kontinuierlichen Zwei-Personen-Leitung an (vgl. Knoth 2004: 91), welche innovative Synergie-Effekte erzeugen kann. Diese Kombination aus ideellem und gewinnorientiertem Management ermöglicht es zudem, ein Korrektiv für den jeweils anderen Managementbereich zu bilden und zur Weiterentwicklung des ideellen Bereichs und des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes zu Gunsten der Zielgruppe sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beizutragen. Das Profil der „verdoppelten Spitze“ ist zwar kostenintensiver, könnte im Wettbewerb mit anderen Anbietern aber in der Startphase als Alleinstellungsmerkmal für potentielle Fördermittelgeber wie Stiftungen oder Fonds interessant sein. Es könnten neue Zugänge für den Träger geschaffen werden, die es ihm ermöglichen, vorhandene Ressourcen besser zu nutzen oder aber neue zu gewinnen. Das können Gelder sein oder Kontakte zu Unternehmen, Sachmittel, ehrenamtliche Mitarbeit etc., wodurch der Träger in seiner Arbeit gestärkt werden kann. Die Rückflüsse von Gewinnen aus Überschüssen des Geschäftsbetriebes können als Querfinanzierung vor allem dafür genutzt werden, die ideellen Angebote für die Kinder und Jugendlichen kostenfrei zu halten, um den Zugang zu den Angeboten vor allem für junge Menschen aus einkommensschwachen Haushalten zu gewährleisten, im Sinne von öffentlichen Gütern. Die Schaffung neuer sozialer Dienstleistungen könnte hierin ein wichtiges Handlungsmotiv finden. Kurz gesagt: In einem Idealmodell der Eigenmittelerwirtschaftung wird angestrebt, das Geld hauptsächlich durch den Geschäftsbetrieb und nicht durch den ideellen Bereich zu erzielen. Hierdurch würde man sich von gewerblichen Anbietern abgrenzen. Es muss aber immer kritisch die Rentabilität geprüft werden, um der Gefahr zu begegnen, dass Ressourcen übermäßig vom ‚Kerngeschäft‘ abgezogen werden. Mit diesem Modell könnte den kritischen Stimmen, die eine Kommerzialisierung des Trägers befürchten, begegnet werden. Bedingung hierfür ist eine betriebswirtschaftlichen Prozessen gegenüber aufgeschlossene Haltung. In der längerfristigen konzeptionellen Weiterentwicklung hin zu einem tragfähigen wirtschaftlichen Gesamtkonzept, möglicherweise auch außerhalb der Gemeinnützigkeit6 als social business, liegen Potentiale und Perspektiven für social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendarbeit. Auch in diesem Zusammenhang sollten Existenzgründung und Betriebswirtschaftslehre an den Hochschulen für Soziale Arbeit stärker in den Fokus gerückt werden. 6 Zu den vier steuerrechtlichen Bereichen eines gemeinnützigen Trägervereins und den entsprechenden Konsequenzen siehe Knoth (2004: 153ff).
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Venture Philanthropy Ein weiteres Beispiel, wie sich Kinder- und Jugendhilfeträger angesichts der finanziellen ‚Klemme‘ der öffentlichen Hand stärken können, bietet das Finanzierungskonzept des „Venture Philanthropy“ (VP). Dieses wird im internationalen Kontext von SEO häufig diskutiert und angewendet, ist in Deutschland aber noch kaum verbreitet. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Kinderund Jugendhilfe eine öffentliche Aufgabe ist und auch bleiben sollte. Das wiederum schließt aber neue Kooperationsmodelle nicht aus. Bei venture philanthropy handelt es sich um ein neues Stiftungskonzept, bei dem es neben den finanziellen Zuwendungen um weitere Unterstützung der Empfängerorganisation durch Wissen und den Zugang zu Netzwerken geht. VP stellt eine Verbindung zwischen der Wirtschafts- und Finanzwelt und gemeinnützigen Organisationen dar (Strachwitz/Neuke 2009: 54 in Anlehnung an Saccani 2008: 10). Diese zeigt sich in der noch wenig verbreiteten Anwendung von Methoden des venture capital (Wagnis-Kapital) und Management-Prinzipien im Stiftungshandeln, welche sich von der Förderpolitik vieler Stiftungen unterscheiden, die häufig (Modell-)Projektförderung betreiben. Die Finanzierung durch VP wird im Gegensatz dazu als ‚Investition‘ in die gesamte Organisation verstanden, verbunden mit dem persönlichen Engagement des Geldgebers. Die Menschen und Institutionen, die diese Investitionsform wählen, haben in den meisten Fällen selbst einen (beruflichen) venture capital-Hintergrund. Sie wollen ihre Kenntnisse und finanziellen Kapazitäten für einen ‚guten Zweck‘ nutzen, indem sie dazu beitragen, den sozialen Mehrwert der Organisation zu steigern und diese effektiver und nachhaltiger zu gestalten. VP-Organisationen treten in der Regel als Ko-Finanzierer auf, die selbst aktiv auf die Projekte zugehen und eine Anschubfinanzierung sowie Wissen zur Verfügung stellen. Nach Stahl (2007: 122) investiert eine Person oder Institution „finanzielle Mittel im Vorbereitungs-, Gründungs- und Aufbaustadium in ein Sozialunternehmen bis hin zu seinem Rückzug (Exit), begleitet diese aktiv und stellt während der gesamten Dauer des Engagements auch Netzwerk, Beratung und Kontakte zur Verfügung. Ziel der aktiven Unterstützung ist die Maximierung der Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Kapazitätsaufbaus des Sozialunternehmens, um die angestrebten Ziele zu erreichen.“
VP kann aufgrund einer fehlenden einheitlichen Definition auch als Oberbegriff verwendet werden. Während es sich nach Stahl einerseits um Investitionen (Darlehen und ähnliche Finanzprodukte) handelt, die nach einer vereinbarten Zeit wieder dem Geber zufließen – sog. Social Responsible Venture CapitalFonds (SR-VC-Fonds) –, können dazu auch Spenden von „unternehmerisch agierenden Förderern und Geldgebern“ zählen (ebd.: 122f).
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Eine bekannte deutsche venture philanthropy-Institution ist die BonVenture-Gruppe. Sie bietet eine Förderung von social entrepreneurs in beiden Formen an. Die BonVenture gGmbH (www.bonventure.de) fördert nach eigenen Angaben vor allem Projekte von social entrepreneurs in der Anfangsphase, die sich langfristig selbst tragen können sollen und ein reproduzierbares Konzept aufweisen. BonVenture ist damit bisher erfolgreich (Achleitner et al. 2007a: 13f). Über Darlehen und Beratung unterstützt die Gruppe z.B. die Kinderzentren Kunterbunt e.V. (www.kinderzentren.de) des mehrfach ausgezeichneten social entrepreneur Björn Czinczoll in Nürnberg. Er hat eine Trägerkette von Kindertageseinrichtungen an elf Standorten in Bayern und Baden-Württemberg aufgebaut und arbeitet auch mit lokalen Unternehmen zusammen, die eine betriebliche Kinderbetreuung wünschen. Besonders berufstätigen Eltern, die ein zeitlich flexibles Angebot benötigen, soll entgegengekommen werden. Das Betreuungsangebot ist öffentlich. Zusätzlich werden z.B. Eltern-Kind-Kurse angeboten. Ziel ist die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. BonVenture geht davon aus, über diese Fonds-Art zukünftig jährlich zwei Projekte zu unterstützen (Achleitner et al. 2007a: 13f). In etwas anderer Form agiert die Active Philanthropy gGmbH (www.activephilanthropy.org). Sie tritt ausschließlich als Berater und Mittler zwischen engagierten Spendern/Stiftern und gemeinnützigen Organisationen auf. Mit Unterstützung und Begleitung von Active Philanthropy engagiert sich z.B. die private API Kinder- und Jugendstiftung in der Eltern-AG (www.eltern-ag.de) des social entrepreneur und Ashoka-Fellows Meinrad Armbruster. Diese gGmbH in Magdeburg ist eine Mischung aus Elternschule und Selbsthilfe und richtet sich insbesondere an arme und bildungsferne Paare in der Phase der Familienplanung. In der Regel bezahlen Jugendämter oder Krankenkassen diese Dienstleistung, wodurch sie für die Eltern kostenlos ist. Ein neu entwickelter BusinessPlan sieht die Unabhängigkeit von Stiftungsgeldern vor, da sich die Eltern-AG nach eigenen Angaben in der „For-Profit-Expansionsphase“ befindet (Genisis Institute 2009: 44) [zum Business-Plan der Eltern-AG siehe auch den Beitrag von Köppelmann]. Bemerkenswert ist an diesen Projekt-Beispielen, dass es sich um gemeinnützige und anerkannte Träger der Kinder- und Jugendhilfe handelt, die eine Unterstützung durch vielfältige Arten von venture philanthropy als Option nutzen und auch von Seiten des Fonds oder Stifters ein vitales Interesse an dieser Art Träger besteht. Sie illustrieren außerdem die Praxistauglichkeit innovativer Ideen, die zwar in der Theorie, aber bisher selten in der Praxis anzutreffen sind. Hier besteht Erweiterungspotential. Sie zeigen weiterhin auf, wie durch diese Ideen gesellschaftlich drängende Probleme angegangen werden können.
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Hier sind Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter gefragt, die sich im Rollenmodell social entrepreneur wiederfinden und sich der Unterstützung durch VP öffnen. Denn „die Wertsteigerung der Geschäfte von zivilgesellschaftlichen Organisationen (...) [erfordert] (...) sektor-spezifisches Wissen, das VP‘s nicht besitzen“ (Martin/John 2007: 41). Es könnten sich interessante Möglichkeiten der komplementären Zusammenarbeit von Sozialarbeitern und venture philanthropists ergeben, von denen beide Seiten profitieren. Das Engagement von Privatinvestoren mit ihrem Kapital stellt eine neue Qualität der Zusammenarbeit von gemeinnütziger Organisation und Geldgeber dar. Im Hinblick auf mögliche Einflussnahme des Geldgebers auf die inhaltliche Arbeit sollte im Vorfeld genau abgewogen und geklärt werden, in welcher Weise diese gewünscht und tolerierbar ist. Die Frage nach der Einflussnahme stellt sich aber grundsätzlich auch bei traditionellen Fördermittelgebern, wie dem Jugendamt, das durch Verträge die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt sehen will. Ebenso tun dies Förderstiftungen über Vereinbarungen, damit die gewünschten Ziele erreicht werden. Social entrepreneurs müssen als Pioniere fortlaufend beweisen, dass venture philanthropy eine nützliche und nachhaltige Option für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe sein kann, die es weiterzuverfolgen lohnt [siehe dazu weiterführend die Beiträge von Achleitner et al. zur Finanzierung von social enterprises und Alberg-Seberich/Wolf zu venture philanthropy]. 4
Fazit
Mit seinem (interdisziplinären) Charakter passt sich social entrepreneurship in die aktuellen sozialpolitischen und gesellschaftlichen Tendenzen ein: Die Übertragung öffentlicher Aufgaben an freie Träger (Ausführungsprivatisierung) und der entsprechende Wettbewerb kommt SEO entgegen, ebenso der Bedeutungszuwachs des zivilgesellschaftlichen Engagements. Mit einem Dienstleistungsverständnis neben Markt und Staat agierend kann der durch SEO gewonnene Handlungsspielraum für unternehmerisches Herangehen besonders im Bereich der Rechtsanspruchsleistungen Hilfen zur Erziehung und den Kindertagesstätten genutzt werden. Dieser Handlungsspielraum ist aber durch die Gesetzgebung auch eingeschränkt, z.B. schreibt das Gemeinnützigkeitsrecht vor, wie die Gewinne verwendet werden müssen, und das Jugendamt beeinflusst gleichzeitig als Förderer und Gewährleister auf Grundlage des SGB VIII die Tätigkeit. Dies mag die unternehmerische Freiheit einschränken, aber es garantiert als Rahmen die Gewährleistung sozialer Rechte und Mindeststandards. Dies sollte als kollektiv erkämpfte und fortschrittliche Errungenschaft gewürdigt und nicht, wie
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häufiger in Publikationen aus dem Umfeld von SEO der Fall, diffamierend und als Hindernis für die individuelle Entfaltung betrachtet werden. Sozialunternehmertum kann im deutschen Kontext betrieben werden, wie die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen. Das SGB VIII stellt eine solide Arbeitsgrundlage dar, bevorzugt dabei bisher allerdings anerkannte gemeinnützige Träger der Kinderund Jugendhilfe. Durch ein Zusammenwirken und einen jeweiligen Perspektivwechsel können „beide Seiten“ voneinander und übereinander lernen und damit fachspezifische Kompetenzdefizite ausgleichen. Es bedarf dafür eines offenen Blickes und vermehrter Kommunikation miteinander. Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter (in der Kinder- und Jugendhilfe) und die sie begleitende Wissenschaft sollten sich in der Diskussion und Praxis von social entrepreneurship verstärkt „in den Ring werfen“, das Thema aus ihrer Sicht aufnehmen, ihre Expertise und ihre Erfahrungen einbringen, um diesen attraktiven Ansatz nicht allein aus der ökonomischen Perspektive zu betrachten. Denn es geht schließlich in großen Teilen um ihre ureigenen Kernkompetenzfelder. Und es geht nicht zuletzt um einen „Blick über den eigenen Tellerrand“, um gesamtgesellschaftliche Herausforderungen nicht nur zu bewältigen, sondern aktiv mit zu gestalten. Dafür kann social entrepreneurship ein Weg sein. Damit diese gute Idee nicht ‚verpufft‘, braucht es in Deutschland neben mehr praktischen Beispielen eine kritische Auseinandersetzung und wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Quellenverzeichnis Achleitner, Ann-Kristin/Heister, Peter/Stahl, Erwin (2007a): Social Entrepreneurship – Ein Überblick. In: Achleitner et al. (2007b): 3-25. Achleitner, Ann-Kristin/Pöllath, Reinhard/Stahl, Erwin (Hrsg.) (2007b): Finanzierung von Sozialunternehmern. Konzepte zur finanziellen Unterstützung von Social Entrepreneurs. Stuttgart. Ashoka Deutschland (o.J.): Was ist ein Social Entrepreneur? http://www.germany.ashoka.org/ social_entrepreneur (letzter Aufruf: 20.08.2010). Bitzan, Maria/Bolay, Eberhard/Thiersch, Hans (2006): Die Stimme der Adressaten. Empirische Forschung über Erfahrungen von Mädchen und Jungen mit der Jugendhilfe. Weinheim/ München. Buestrich, Michael/Wohlfarth, Norbert (2008): Die Ökonomisierung der Sozialen Arbeit. In: Bundeszentrale für politische Bildung (2008): 17-24. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2008): Wandel der Sozialen Arbeit. Aus Politik und Zeitgeschichte 2008/12-13. Bonn. DBSH – Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Heilpädagogik e.V. (o.J.): Berufsethische Prinzipien des DBSH. http:// www.dbsh.de/BerufsethischePrinzipien.pdf (letzter Aufruf: 20.08.2010).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
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Unternehmerisch denken und handeln in der Sozialen Arbeit – Von der Idee zum Businessplan Anne Köppelmann*
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Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter als Unternehmer
Unternehmerisches Denken ist in der Sozialen Arbeit häufig kritisch besetzt. Doch in den letzten Jahren ist sowohl eine Zunahme von Existenzgründungen in der Sozialen Arbeit als auch mehr Offenheit für Methoden des Sozialmanagements zu verzeichnen. Meist wird das Inkrafttreten des Betreuungsrechts 1992 als Ausgangspunkt für die zunehmende Selbstständigkeit in der Sozialen Arbeit betrachtet (z.B. Klüser 2009: 85; Rothfischer et al. 2000: 18). Dennoch prägt die sozialstaatliche Einbettung mit ihrem Versorgungsaspekt die Soziale Arbeit und hindert am unternehmerischen Denken und Handeln (Kolhoff 2002: 17). Auch das berufsspezifische Ethos „selbstlose Hilfe“ führt dazu, dass bisher Selbstständigkeit und Existenzgründung untypisch ist. Vorherrschend ist, „dass Soziale Arbeit im Rahmen von Behörden und den großen Wohlfahrtsverbänden erbracht wird“, wobei die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter als Angestellte agieren (Schaub 2009: 47). Dies spiegelt auch die späte Gründung des Instituts für Selbstständige in der Sozialen Arbeit wider, welches sich erst 2008 in Köln als eingetragener Verein aus dem Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH, www.dbsh.de) heraus gebildet hat. Doch als selbstständige SozialarbeiterIn besteht die Chance, eine neue Autonomie zu gewinnen, Einkommensstrukturen zu verbessern und ein anderes Berufsbild zu verkörpern. Gerade in Zeiten finanzieller Engpässe und verschiedenster sozialer Herausforderungen eröffnet sich Raum, verstärkt alternative Anbieterformen zu etablieren. „Diese ökonomische Komponente, die es der Profession Soziale Arbeit ermöglicht, einerseits ihrer ureigensten Aufgabe der Inklusionssicherung und Exklusionsprävention nachzukommen und andererseits ihren eigenen, bislang wenig erfolgreichen Professionalisierungsprozess entscheidend voranzutreiben, wurde bislang (…) noch zu wenig beachtet und nur geringfügig in die Dienstleistungs- und Erbringungsrealität Sozialer Arbeit übertragen“ (Köppel 2009: 131). * Mein besonderer Dank gilt Janet Thiemann und Meinrad Armbruster von der Eltern-AG, die durch eine transparente und schnelle Zuarbeit das praktische Beispiel eines Businessplans in diesem Beitrag ermöglicht haben.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Köppelmann: Von der Idee zum Businessplan
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Verstärkt ökonomische Anbieterstrukturen in der Sozialen Arbeit zu etablieren, identifizieren auch Hering/Münchmeier (2000: 228) als aktuelle „Herausforderungen des sozialen Wandels“, in dem die „sozialstaatlich vertrauten Denk- und Interpretationsfiguren, an denen sich die Soziale Arbeit über fast 130 Jahre ausrichten und ihr Funktionsbild bestimmen konnte (...)“ auflösen. Dabei muss sich Soziale Arbeit dem Wettbewerb und marktmechanistischen Anforderungen selbstsicher stellen und mit Qualität überzeugen (Köppel 2009: 45). Kritische Stimmen sehen einen „prinzipiellen Widerspruch zwischen Markt- und Professionsorientierung“ der Sozialen Arbeit, denn das Konzept der Dienstleistung hat seine Wurzeln in der „ökonomischen Denktradition“, die „in prinzipiellem Widerspruch zur Denktradition Sozialer Arbeit“ steht (Haupert 2002: 2). Doch schon 1988 warnt Gründger: „Sozialarbeit wird zunehmend entmündigt werden, wenn sie es den Ökonomen überlässt, ihre Wirksamkeit nachzuweisen, und dann auch noch versäumt, deren Denken verstehen zu lernen“ (Gründger 1988: 47). In diesem Prozess der Sozialen Arbeit kann „Social Entrepreneurship“ Impulse geben. 2
Existenzgründung in der Sozialen Arbeit
Laut Institut für Selbstständige in der Sozialen Arbeit e.V. liegt der Anteil an Selbstständigen in der Sozialen Arbeit bei 6 Prozent (ca. 10.000 – 15.000 Personen) (DBSH o.J.) – die Tendenz ist steigend, doch häufig fehlt das fundierte Wissen für eine erfolgreiche Gründung. Der Planungs- und Vorlaufphase muss daher ein besonderes Augenmerk geschenkt werden (Köppel 2009: 133): „Persönliche Voraussetzungen klären, Unternehmensidee, Umfeldanalyse, Konzeption, Kosten- und Umsatzplan, Kapitalbedarfsplan, Finanzierung überprüfen, Fazit rentabel, ja/nein, wenn ja: Konzeptplan vollständig ausarbeiten (inklusiv Finanzierungsplan), Vorstellung bei Banken und Fördergebern, Finanzierung möglich, ja/ nein, wenn ja: Unternehmensform wählen, Gründung“ (Kolhoff 2002: 57).
Dabei sind die Anforderungen an Unternehmerinnen und Unternehmer im sozialen Sektor äußerst vielfältig und nicht allgemeingültig zusammen zu fassen (Rothfischer et al. 2000: 77). Die gefragten Kompetenzen sind grob in hard skills (Fach- und Methodenkompetenz) und soft skills (Sozial- und Wertekompetenz) einteilbar. Eine umfangreiche Sammlung von idealen Eigenschaften aussichtsreiche GründerInnen stellen Rothfischer et al. (2000: 80) wie folgt zusammen:
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
„(…) hohe Leistungsmotivation; Wille, sich mit anderen zu messen, starkes Unabhängigkeitsstreben, Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten, den eigenen Erfolg (...), soziale Initiative, Geselligkeit, ,soziale Kompetenz‘, Begeisterungsfähigkeit für neue Ideen, hoher Individualismus, geringe Normenorientierung, Flexibilität, Spontanität, gesunder Menschenverstand, Systemdenken: Fähigkeit, komplexe Probleme auch auf Basis unzureichender Informationen lösen zu können, Kreativität: Entwicklung von Ideen, Visionen, körperliche Fitness, um über einen längeren Zeitraum hinweg ein hohes Arbeitspensum durchzustehen, Berufserfahrung, möglichst einschlägige Branchenerfahrung.“
Köppel (2009: 49) sieht vor allem die Eigenschaft, sich auf Neues einzulassen und die „Komfortzone“ zu verlassen, als eine wichtige Voraussetzung für die Existenzgründung. Neben der eigenen Einschätzung der Fähigkeiten ist ergänzend ein Blick ‚von außen‘ hilfreich (Scheiber-Jäger 1999: 32). Beide Perspektiven können in Form einer Stärken-Schwächen-Analyse, Soll-Ist-Analyse oder der SWOT-Analyse1 strukturiert beleuchtet werden (z.B. Thimm 2002: 85; Scheiber-Jäger 1999: 27).2 Arbeitsfelder für ExistenzgründerInnen Die konkreten Bereiche, in denen Soziale Arbeit agiert und Leistungen erbringt, sind facettenreich und vielzählig, aber auch „verwirrend und ungegliedert“ (Köppel 2009: 13). Allgemein werden die Organisationen der Sozialen Arbeit in drei Bereiche unterteilt (Bödege-Wolf/Schellberg 2005: 50):
öffentliche/staatliche Träger, freie Träger („frei-gemeinnützig“), gewerbliche Träger („frei-gewerblich“).
Neben den drei aufgeführten Bereichen gibt es in der Trägerlandschaft „Selbsthilfegruppen, Ehrenamt und Bürgerengagement“ (ebd.: 125). In einem Wohlfahrtsmix erbringen die verschiedenen Träger die sozialen Dienstleistungen, wobei „aufgrund von unterschiedlichen Marktzugangsmöglichkeiten und Ressourcenausstattung ungleiche Wettbewerbsbedingungen bestehen“ (Pabst 2009: 145) [siehe hierzu auch den Beitrag von Heinze et al. zu social entrepreneurship im deutschen Wohlfahrtsstaat]. Auch sorgen verschiedenste exogene Faktoren, 1 SWOT steht für Strength-Weakness-Opportunities-Threat und ist eine operative Analyseform, in der externe und interne Faktoren berücksichtigt werden. Hierzu mehr z.B. unter www.gpmimpa.de (Gesellschaft für Projektmanagement). 2 Darüber hinaus ist eine Gründungsberatung sehr ratsam. Speziell für den sozialen Sektor sind die Anlaufstellen sehr begrenzt. Eine Option ist das Institut für Selbstständige in der Sozialen Arbeit e.V. Auf dessen Internetseite sind zwar kaum Informationen zu finden, doch Beratung und Kontaktdaten werden angeboten (www.dbsh.de).
Köppelmann: Von der Idee zum Businessplan
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wie z.B. sozialpolitische Entscheidungen für mehr Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit im sozialen Sektor, für Bewegung in den Strukturen und der Zusammenarbeit der Träger. Der Verein für Selbstständige in der Sozialen Arbeit identifiziert folgende vier Bereiche, in denen Existenzgründungen im sozialen Sektor möglich sind (Nodes o.J.):
„Übernahme von Aufgaben im Rahmen von Outsourcing, Traditionelle Bereiche selbstständiger Tätigkeit, Neue Träger für öffentlich geförderte Angebote, (Neue) Arbeitsfelder außerhalb öffentlicher Förderung“
Zumindest acht Arbeitsbereiche lassen sich nach Schilling (2005: 17) ausmachen: (1) Wirtschaftsbereich, (2) politischer Bereich, (3) Medienbereich, (4) Erziehungs- und Bildungsbereich, (5) Alten-Bereich, (6) Randgruppen-Bereich, (7) Ausländerbereich, (8) Behindertenbereich. Angesichts des demografischen Wandels wird besonders das Feld der Altenarbeit als zukunftsfähig betrachtet (z.B. BMWi 2008: 1; Bundesregierung 2009: 8). Für Köppel ist die Soziale Arbeit gar der „Demografie- und Morbiditätsgewinner“ (Köppel 2009: 131). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Dienstleistungen in der Sozialen Arbeit durch ihre Vielschichtigkeit und ihren Facettenreichtum auszeichnen. Dies wird als Chance gewertet, das Marktgeschehen zu prägen, in dem Vielseitigkeit „wettbewerbstechnisch zu vermarkten und einzusetzen ist“ (ebd.: 130). Rechtsformen und rechtliche Vorschriften für Existenzgründungen Basierend auf dem Grundgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) existiert ein weitreichendes Rechts- und Gesetzessystem in Deutschland. Für die Existenzgründung ist neben dem BGB das Handelsgesetzbuch (HGB) relevant. Dabei greift das BGB subsidiär neben dem HGB – also ergänzend an den Stellen, an denen das HGB nicht unmittelbar regelt. Die Wahl der Rechtsform hat eine erhebliche Bedeutung für die Organisation, denn damit werden Bereiche „der Haftung, des zur Verfügung stehenden Handlungsrahmens sowie der steuerrechtliche und finanzielle“ Legitimationsrahmen festgelegt (Köppel 2009: 79). Zu unterscheiden sind zwei „Grundtypen von Gesellschaftsformen“ – die Personengesellschaft und die Kapitalgesellschaft (Thimm 2002: 107). Grundlegender Unterschied beider Typen ist, dass bei der Personengesellschaft mindestens einer der Gesellschafter mit seinem Privatvermögen haftet, bei der Kapitalge-
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sellschaft dagegen besteht ein Grundkapital zur Sicherung und die Haftung gegenüber den Gesellschaftern ist beschränkt (ebd.: 107ff). Bei der Wahl der Rechtsform ist darüber hinaus die Art der Tätigkeit ausschlaggebend. Es gibt freiberufliche und gewerbliche Tätigkeiten, wobei die einer SozialarbeiterIn nicht fest einem Bereich zugeschrieben werden können (Kolhoff 2002: 119). Gewerbliche Tätigkeiten sind im §15 EStG (Einkommenssteuergesetz) definiert, nämlich als „eine selbstständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, ist Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist“ (www.gesetze-im-internet.de/estg/__15.html; letzter Aufruf: 23.12.2010). Die Tätigkeiten des Freien Berufs sind im §1 Absatz 2 PartGG (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz) hingegen wie folgt definiert: „Die Freien Berufe haben im allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikationen oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachliche unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt“ (www.gesetze-im-internet.de/ partgg/BJNR174410994.html, zuletzt: 2.11.2010). Eine individuelle Einordnung zur Gruppe der Freien Berufe ist bei passenden Tätigkeitsmerkmalen möglich und muss mit dem zuständigen Finanzamt geregelt werden (Köppel 2009: 80). Ein Vorteil ist z.B. die Möglichkeit, von der Gewerbe- und Umsatzsteuer befreit zu werden (Kolhoff 2002: 43).3 Jedoch ist Beratung im individuellen Fall empfehlenswert. Aussage- und entscheidungsberechtigt für Fragen bei der Abgrenzung freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit ist das zuständige Finanzamt. Jede Rechtsform hat steuerliche, persönliche, finanzielle und rechtliche Vorund Nachteile (Köppel 2009: 79). Sie auszuwählen ist entscheidend und wichtig, jedoch kann bei Umgestaltung der Unternehmensstruktur oder veränderten Anforderungen an das Unternehmen auch die Rechtsform angepasst werden (BMWi 2010a: 8).4 Weiterhin müssen ExistenzgründerInnen eine Vielzahl der öffentlich-rechtlichen Vorschriften beachten.5 3 Wichtig ist, die freie Mitarbeit von der freiberuflichen Tätigkeit zu unterscheiden. Freiberufliche Tätigkeiten sind bspw. die Honorartätigkeiten als ReferentIn oder SeminarleiterIn im Bildungsbereich. Diese freiberufliche Honorartätigkeit ist allerdings häufig gemeint, wenn von Selbstständigkeit im sozialen Bereich gesprochen wird (Kolhoff 2002: 39). 4 Weiterführende Informationen zu den Rechtsformen bei: Rothfischer et al. 2000; Thimm 2002; Schaub 2009; Kolhoff 2002; Köppel 2009; www.existenzgruender.de; www.bmwi.de. 5 Z.B. gehören die Bauvorschriften zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Um Kosten zu minimieren, ist es möglich, den Arbeitsplatz in der eigenen Wohnung einzurichten. Handelt es sich jedoch um ein reines Wohngebiet, ist dies nicht rechtens. Es muss sich laut § 7 der Bauordnung
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Businessplan
Der Businessplan als Instrument der „schriftlichen Fixierung der Unternehmensplanung“ hat eine wichtige Funktion bei einer Existenzgründung (Kolhoff 2008: 170), um eine strukturierte Übersicht über den gesamten wirtschaftlichen Prozess mit seinen Zielen, Chancen und Risiken zu geben. Es gibt verschiedene dem Vorhaben angepasste Gliederungen für Businesspläne. Einen passenden abzuarbeiten, führt zu einem umfangreichen Bild, wie die Gründung zu realisieren ist und welche Komponenten darauf einwirken. Es besteht keine Pflicht, ihn zu erstellen, doch ist er bei der Gründungsplanung ein hilfreiches Instrument. Auch wird er bei allen externen Förderungen als Grundlage verwendet, um z.B. die Kreditwürdigkeit einzuschätzen (BMWi 2010b: 6). Zudem kann auch zu einem späteren Zeitpunkt der Businessplan erneut aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Die formale Gestaltung eines Businessplans ist nicht festgelegt, wichtig ist vielmehr, diesen aussagekräftig, übersichtlich und wissenschaftlich fundiert zu erarbeiten (ebd.: 1). Zentrale Kategorien eines Businessplans sind dabei (nach BMWi 2010c: 1ff):6 – – – –
–
–
Zusammenfassung Dienstleistung Unternehmensführung/Gründer Branche/Markt o Kunden o Konkurrenzanalyse o Standort Marketing/Vertrieb o Angebotsstrategie o Preisstrategie o Vertriebsstrategie o Werbestrategie Organisation/Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter o Organisation o Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
für Berlin zumindest um ein allgemeines oder gemischtes Wohngebiet handeln. In (beschränkten oder reinen) Arbeitsgebieten ist hingegen das Wohnen wiederum nicht direkt vorgesehen (Bauordnung Berlin: § 7 Grundbestimmung für die bauliche Nutzung der Grundstücke: www.stadtentwicklung.berlin.de/service/gesetzestexte/de/download/bauen/BO-58.pdf, zuletzt: 2.11.2010). Das Beispiel zeigt exemplarisch auf, wie vielschichtig und weitläufig bei einer Existenzgründung geplant werden muss. 6 Auf dem Existenzgründerportal des BMWi ist ein Programm abrufbar, mit dem Businesspläne erstellt werden können. Mit einem kostenlosen Account können alle das Angebot nutzen und die Gliederung abarbeiten, hin zum eigenen Businessplan (www.existenzgruender.de/businessplaner; letzter Aufruf: 2.11.2010).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
– – – –
Rechtsform Chancen/Risiken Kapitalbedarf Finanzplan o Eigenkapital o Anteiliges Fremdkapital o Liquiditätsvorschau o Ertragsvorschau/Rentabilität o Gewinn- und Verlustrechnung
Im Anhang eines Businessplans folgen bspw.: – Tabellarischer Lebenslauf der Gründerinnen und Gründer – Kopien von relevanten Dokumenten, wie Gutachten, Verträge, Marktanalysen, Schutzrechte etc.
Projektbeispiel: Das Sozialunternehmen „Eltern-AG“ Bei der Eltern-AG (www.eltern-ag.de) handelt es sich um eine Kombination aus Elternschule und Selbsthilfe, deren Zielgruppe sozial benachteiligte Familien mit Kindern zwischen 0 und 6 Jahren sind. Präventiv soll damit sozialer Ungleichheit entgegen gewirkt werden, nämlich dass Kinder aus bildungsfernen und benachteiligten Familien weniger Chancen haben als Kinder aus besser gestellten Schichten.7 Der Kontakt entsteht i.d.R. durch die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern von Trägern der freien Wohlfahrtspflege in den jeweiligen Stadtteilen, aber auch über sog. Multiplikatoren wie z.B. Hebamme, KinderärztIn oder Fußballverein. Die Netzwerkarbeit ist ein wichtiger Bestandteil, auch um Familien ggf. weitere Unterstützungsformen im Sozialraum zugänglich zu machen und Hürden abzusenken. Die eigentliche Aufgabe der Eltern-AG liegt in der Stärkung der Erziehungs- und Netzwerkkompetenz sowie der Begleitung der Eltern. Zwei Mentoren führen die Eltern in die Methode ein, strukturieren die Gruppentreffen mit dem dreigliedrigen Ablauf (Mein aufregender Elternalltag, Relax, Schlaue Eltern), den ‚Sechs Goldenen Erziehungsregeln‘ und den Gruppenregeln. Das Programm umfasst 20 Gruppen-Treffen, in welchen stets die Selbsthilfefähigkeiten der Eltern gestärkt werden sollen. Dabei werden Methoden der Positiven Psychologie und impliziten Lernens genutzt, um die elterliche Motivation und ihr Vertrauen in ihre Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Die MentorInnen werden im Rahmen einer berufsbegleitenden ca. 10-monatigen Weiterbildung durch den 7 Der Initiator der Eltern-AG, Prof. Meinrad Armbruster (Hochschule Magdeburg-Stendal), wird von Ashoka als Fellow unterstützt.
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Bildungsträger MAPP-Empowerment gGmbH (www.mapp-institut.de) ausgebildet und zertifiziert. Dieser hat sich als Sozialunternehmen nicht nur dem Ziel verschrieben, sozial benachteiligte Menschen gesellschaftlich zu integrieren. Vielmehr übernimmt MAPP-Empowerment auch Qualitätssicherung und Evaluierung des Produkts Eltern-AG. Finanziert wird die Elternschule meist durch Jugendämter, welche die Träger der freien Wohlfahrtspflege mit der Durchführung von Eltern-AG-Gruppen beauftragen. Darüber hinaus gibt es weitere Finanzierungspartner, die auf der projekteigenen Website einzusehen sind. Der Aufbau des Sozialunternehmens wird durch gestaffelte Stiftungsmittel gefördert. Dabei erwarten die Geldgeber, dass MAPP-Empowerment in jedem Rechnungsjahr einen höheren Eigenanteil am Budget erwirtschaftet, indem es in zunehmendem Maß Eltern-AG-Schulungen sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen „verkauft“. MAPP-Empowerment strebt mit dem aktuellen Businessplan an, ab 2016 alle Kosten ihres Start-upUnternehmens selbst einzuspielen. Als social entrepreneurs verfolgen sie das Ziel, die Eltern-AG als konkurrenzfähiges Produkt auf dem Markt der Sozialdienstleistungen zu etablieren und aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale im freien Wettbewerb erfolgreich zu vertreiben. Beispielhafter Businessplan: Die Eltern-AG auf Expansionskurs Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch zentrale Elemente des Businessplans der Eltern-AG vorgestellt. Diese sollen veranschaulichen, wie ein Businessplan in der Praxis funktioniert. Gegenstand dieses Businessplans ist nicht die Neugründung eines Sozialunternehmens, sondern die Planung der Expansion (2009 bis 2015) und die strukturelle Veränderung des Produktes „Eltern-AG“. Struktur des Businessplans der Eltern-AG (1)
Angebot Eltern-AG und Status Quo
(2)
Expansionsstrategie
(3)
Realisierungsfahrplan
(4)
Team und Organisation
(5)
Finanzplanung
(6)
Risiko- und Chancenanalyse
(7)
Resümee
(8)
Anhang
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
(1) Angebot Eltern-AG und Status Quo: Der erste Abschnitt stellt eine Zusammenfassung dar, die einen Gesamtüberblick geben soll: „Alle Kinder brauchen gleiche Chancen und Eltern, die sie liebevoll und einfühlsam auf allen Ebenen fördern. Die PISA-Studien (2000-2008) stellen fest, dass die soziale Herkunft die schulischen Leistungen der Kinder in Deutschland stark beeinflusst. Ihre Bildungs- und Lebenschancen werden am stärksten durch das Elternhaus vorherbestimmt. Eltern-AG hilft Kindern mit ungünstigen Startchancen, indem sie Eltern fit für Erziehung macht. Eltern-AG – das Programm zur Steigerung der Erziehungsfähigkeit. – – – – – –
Wir können durch unser einzigartiges Angebot Eltern-AG nachweislich und nachhaltig die Startchancen besonders benachteiligter Kinder verbessern. Wir wollen jetzt expandieren, um in 7 Jahren gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern aus der Kinder- und Jugendhilfe in der Mehrheit der Bundesländer aktiv zu sein. Wir realisieren unsere Expansion in 3 Phasen und ergreifen parallel Initiativen zur Professionalisierung des Zentralteams, der Markenpflege und zur Erweiterung der Angebotspalette. Wir sind als Team für die erste Expansionsphase gut gerüstet und werden uns zukünftig primär in den Bereichen Vertrieb, Marketing/PR, Qualitätsmanagement und Wirkungsforschung verstärken. Wir brauchen jetzt eine Anschubfinanzierung, um uns nach 7 Jahren selbst tragen zu können. Wir halten die Risiken nach interner und externer Prüfung für beherrschbar und treffen Vorkehrungen zum Risikomanagement.“
Die Eltern-AG benennt zum Beispiel im ersten Teil des Businessplans anhand eines Diagramms ihre genaue Zielgruppe und setzt diese ins bundesweite Verhältnis:
„Zielgruppe des Eltern-AG Angebots sind sozial benachteiligte Kinder im Vorschulalter.“ „In Deutschland sind rund 3 Mio. Kinder sozial benachteiligt – davon ist derzeit ca. 1/3 im Fokus der Eltern-AG.“
Nach der Erläuterung der Problemlage und des daraus resultierenden Bedarfs stellt die Eltern-AG ihr passgenaues Angebot zur Verbesserung dar. Des Weiteren beinhaltet der Abschnitt einen Überblick über ähnliche Angebote.
Köppelmann: Von der Idee zum Businessplan
„Problem: – Soziale Benachteiligung wird in Deutschland häufig an die nächste Generation weiter gegeben (...) – Studien (...) belegen, dass insbesondere in Deutschland die soziale Herkunft über die persönliche Zukunft entscheidet – Der Entwicklungszeitraum zwischen Geburt und Einschulung ist die wichtigste Entwicklungsphase im Leben eines Menschen und wird am nachhaltigsten durch die Eltern geprägt – Die meisten sozialen und psychischen Probleme des Kindes- und Jugendalters haben ihren Ursprung in Störungen der frühen Kindheit, ausgelöst durch eine inkonsequente Eltern-Kind-Interaktion, ungenügende Sensibilität und Erziehungsfehler (...) Bedarf: Sozial benachteiligte Eltern benötigen Hilfe zur Selbsthilfe, um – die eigenen Erziehungskompetenzen zu verbessern, – die sozioemotionalen und kognitiven Fähigkeiten ihrer Kinder zu stimulieren, – für gesunde Ernährung, Bewegung und förderliche Konsumgewohnheiten ihrer Kinder zu sorgen (...), – die Kooperationsfähigkeit mit Einrichtungen im frühpädagogischen Bereich zu steigern. Die Eltern-AG – (...) arbeitet zu 100% mit sozial benachteiligten Eltern (kriterienorientiert) (...) – ist ein wissenschaftlich überprüftes und präventives Elternschul-Konzept speziell für sozial Benachteiligte, dass sich seit Jahres erfolgreich in der Praxis bewährt – arbeitet mit sehr gut ausgebildeten Kursleitern (Mentoren) – baut auf dem Erfahrungsaustausch und Handlungslernen in der Gruppe auf – ermöglicht das Kennenlernen von Angeboten und Einrichtungen im jeweiligen Sozialraum (Frühpädagogik, Krippe, KiTa, Schule, Schuldnerberatung, andere Beratungsstellen, Jugendamt) (...).“ „Durch ... – Nachhaltiges Empowerment – Homogene Gruppen – Intensive Felderkundung und Einbezug der professionellen Helfer vor Ort – Implizites Lernen – Netzwerkbildung – Freiwilligkeit und Vertrauensschutz – Klientenorientierung – Wiederkehrende Abläufe – Ressourcenorientierung, Lebensweltbezug – Positive Psychologie ... bewirken wir Verbesserung der kindlichen Entwicklung Elternkompetenz Familiäre Harmonie Kooperationsbereitschaft Netzwerkbildung“ „Eine wissenschaftliche Begleitforschung evaluiert die Eltern-AG und beschäftigt sich kontinuierlich mit Entwicklungspotential.“
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
(2) Expansionsstrategie: Neben den Vorteilen für die involvierten Stakeholder beschreibt die Expansionsstrategie übersichtlich und genau die verschiedenen Kooperationen mit ihren Verpflichtungen. Eine Liste an bereits interessierten Partnern unterstreicht die Realisierbarkeit und den Bedarf der Eltern-AG. „Eine Kooperation mit Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, die Bildungsarbeit mit jungen sozial benachteiligten Familien leisten wollen und zugleich ihre Mitarbeiter weiterbilden möchten, macht die Expansion von Eltern-AG über Sachsen-Anhalt hinaus möglich.“ „Das Kooperationsmodell bietet signifikante Vorteile für alle relevanten Stakeholder. Eltern: – – – –
Elternschule durch bekannte und vertraute Mentoren Einfacher Zugang durch Angebot über lokale Organisationen Leichtere Vermittlung ggf. erforderlicher Nachfolgehilfen Bessere Startbedingungen, Verringerung von Entwicklungsrisiken und Chancengleichheit für Kinder
Träger: – – – – –
Minimierung der Risiken und Kosten durch Übernahme eines erfolgreichen, schlüsselfertigen und kontinuierlich evaluierten Konzeptes Gewinnung und Bindung zusätzlicher Klienten mit hohem Hilfebedarf Exklusivität und auf Wunsch Gebietsschutz; Prestigegewinn Vergrößerung des eigenen Angebotsportfolios Fortbildung der Mitarbeiter und auf Hochschulniveau
MAPP: – – – – –
Finanzierung der Entwicklung, Begleitung und Multiplikation durch Qualitäts– sicherungsgebühren Schnellere und unkompliziertere Expansion Hohe Motivation der Kooperationspartner Konzentration auf die Kernaufgabe (Schulung, Produktpflege, Multiplikation) Systematisches Feedback o leichtere Anpassung des Konzepts an lokale Besonderheiten
Jugendamt (Bsp.): – Neues, effizientes Leistungsangebot für besonders benachteiligte Eltern und Kinder Überprüfbarkeit der Effektivität und Effizienz der Leistung durch Standardisierung und Evaluation auf Hochschulniveau Langfristige Einsparungen durch Investition in primäre Prävention.“
(3) Realisierungsfahrplan: Der Realisierungsfahrplan stellt die Expansion überwiegend geografisch mit den damit verbundenen Tätigkeiten und Effekten dar. An dieser Stelle werden auch die Ziele klar definiert. „Ziel von MAPP ist es, bis 2015 2.440 Eltern-AGs durchzuführen und damit fast 50.000 Kinder zu erreichen.“
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Meilensteine und Maßnahmen, die sich aus dem Ziel und der dafür geplanten Ausweitung ergeben, sind ebenso im Realisierungsfahrplan eingearbeitet. Beispielsweise sind für die Tätigkeit der Trägerakquise folgende Aufgaben im Zeitstrahl verortet: „Trägerakquise: Gespräche mit potent. Partnern/Segmentierung Detaillierung und Überarbeitung des Kooperationsvertrages Beginn der ersten Kooperationen Start der ersten Mentorenschulungen Start erster Eltern-AGs Erarbeitung Kundenbetreuungskonzept Bedarfsanalyse für Region Anpassung der Eltern-AG“
(4) Team und Organisation: Dieser Teil des Businessplans beschäftigt sich mit den Teamstrukturen, der Aufgabenverteilung, den jeweiligen Stärken sowie mit dem Entwicklungspotential. Dafür beispielhaft ein Auszug aus „Teamstärken und Entwicklungspotential“: „Teamstärken – Branchenkenntnis – gelebtes Empowerment – Überzeugungs- und Begeisterungsfähigkeit – Leistungsfähigkeit/Belastbarkeit – Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsstärke – Fähigkeit zur Teamarbeit – Profundes multidisziplinäres Fachwissen – (...)“ „Entwicklungspotential für Expansion Erhöhter Bedarf an Schulungen und Hospitation (...) Effiziente Teamstruktur und Zusammenarbeit Erfordernis verstärkten strategischen Managements Notwendigkeit effizienterer Personaleinsatzplanung Erhöhter Bedarf an Controlling und Marketing Erhöhter Verwaltungsaufwand“
(5) Finanzplanung: Die Expansion bringt viele unterschiedliche Kostenpunkte und finanzielle Veränderungen mit sich. Diese sind auf der Zeitachse zwischen 2009 und 2015 aufgeführt und als Einnahmen und Output ins Verhältnis gesetzt. Weiterhin werden Optionen zur Schließung von Finanzlücken erarbeitet.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
„Für die Expansion benötigt MAPP verstärkt Mittel für Personal, so dass die Zentralkosten [alle Kosten, die für die Arbeit des Zentralteams anfallen] auf 494.000 € p.a. steigen werden. Treiber des Finanzbedarfs für das Zentralteam: Erhöhung Kapazität für Schulung Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit Verstärkung im Office Management und im Controlling Erhöhte Verwaltungs- und Mietkosten“
(6) Risiko- und Chancenanalyse: Die Risiken werden im Businessplan in ihrer Wahrscheinlichkeit und Relevanz aufgeführt. Dabei werden Gegenmaßnahmen zur Risikoprävention vorgetragen. Beispielhaft dafür steht das Risiko der Produktverfälschung: „Risiko: Produktverfälschung Wahrscheinlichkeit: ¾ Relevanz: ¼ Prävention/Gegensteuerung:
Klare Kooperationsbedingungen und -verträge Regelmäßiges Controlling“
Um Risiken zu minimieren, wird im Businessplan ein Kuratorium vorgeschlagen, das überprüfende und beratende Funktion hat. (7) Resümee: „Die ersten Jahre eines Kindes sind die wichtigsten, für Gesundheit, Bildung und Teilhabe. Was hier richtig gemacht wird, trägt ein ganzes Leben. Für viele sind die ersten Jahre jedoch auch die schwierigsten. Manche Eltern brauchen am Anfang eine Art Starthilfe – vor allem, wenn sie lange Zeit ohne Arbeit sind, aus anderen Ländern kommen oder arm sind. Eltern-AG macht Eltern fit: Freiwillig, selbstbestimmt und mit jeder Menge Spaß! Eltern-AG, von der Familienplanung bis zum ersten Schultag. Damit Eltern ihren Kindern gleich Chancen mitgeben können, in KiTa, Schule, im Beruf.“
(8) Anhang: Der Anhang enthält weiterführendes Datenmaterial zu den Punkten „Expansionsstrategie“, „Ergänzungen Wirkungsforschung“ und „Team und Organisation“.
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Ausblick
Sozialunternehmerisches Handeln kann als Erweiterung des Aktionsrahmens der Sozialen Arbeit und als Schnittstelle zur Wirtschaft verortet werden. Wichtig scheint der Abbau von Skepsis und Vorurteilen, so dass ein Fachaustausch entstehen kann und von diesem profitiert wird. Eine Existenzgründung im sozialen Sektor bringt Herausforderungen und Chancen mit sich. Um dieses Vorhaben einfacher zu gestalten, müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Auf der einen Seite verlangt dies Strukturen der Beratung für ExistenzgründerInnen, differenziertere Brancheninformationen oder auch passende Instrumente. Auf der anderen Seite ist interdisziplinäre Offenheit notwendig. Der Businessplan als Planungs- und Strukturierungsinstrument unterstützt und konkretisiert die Idee der Gründung oder Expansion. Er hilft dabei, alle Facetten zu beleuchten und ein realistisches Bild zu entwickeln. Sozialunternehmerisches Handeln als Berufsperspektive in die Studieninhalte aufzunehmen, könnte dem Feld weitere Schubkraft geben: Die Motivation liegt dabei in der Entdeckung und Erschließung eines zukunftsfähigen Arbeitsfeldes. Quellenverzeichnis Arnold, Ulli/Maelicke, Bernd (Hrsg.) (2009): Lehrbuch der Sozialwirtschaft. 3. Auflage. BadenBaden. BMWi (Hrsg.) (2008): GründerZeiten. Information zur Existenzgründung und -sicherung. Mittelstandspolitik, Existenzgründung, Dienstleistung. Existenzgründung im sozialen Bereich. Nr. 55, Juli 2008. Berlin. BMWi (Hrsg.) (2010a): Rechtsformen. Begleitbroschüre zum eTraining „Rechtsformen“. Berlin. BMWi (Hrsg.) (2010b): GründerZeiten. Informationen zur Existenzgründung und -sicherung. Mittelstandspolitik, Existenzgründung, Dienstleistung. Ein festes Fundament! Thema: Existenzgründungsfinanzierung. Nr. 6, Februar 2010. Berlin. BMWi (Hrsg.) (2010c): GründerZeiten. Informationen zur Existenzgründung und -sicherung. Mittelstandspolitik, Existenzgründung, Dienstleistung. Ein festes Fundament! Thema: Gründungskonzept/Businessplan. Nr. 17, Februar 2010. Berlin. Bödege-Wolf, Johanna/Schellberg, Klaus (2005): Organisation der Sozialwirtschaft. Baden-Baden. Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.) (2008): Aus Politik und Zeitgeschichte 12-13/2008. Wandel der Sozialen Arbeit. Bonn. DBSH – Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (o.J.): Gründung Institut für Selbstständige. http://www.dbsh.de/html/hauptteil_selbststaendige.html#InstitutSelbstaendige (letzter Aufruf: 2.11.2010).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Gernert, Wolfgang (Hrsg.) (1988): Sozialarbeit auf dem Prüfstand. Fachlicher Anspruch Verwaltungskontrolle. Freiburg im Breisgau. Gründger, Fritz (1988): Das Ökonomische als Tabuzone der Sozialen Arbeit? In: Gernert (1988): 34-49. Haupert, Bernhard (2002): Soziale Arbeit zwischen Dienstleistung und Profession – Mensch und Kunde – Markt und Moral. Vortrag Bundestagung diplomierter SozialarbeiterInnen 16./18. Oktober 2002. Innsbruck. http://culturebase.org/home/soltauer-impulse/Haupert.pdf (letzter Aufruf: 2.11.2010). Hering, Sabine/Münchmeier, Richard (2000): Geschichte der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. München. Klüser, Anne (2009): Selbstständige in der Sozialen Arbeit: Bedingungen, Chancen, Probleme. In: Klüser/Maier (2009): 85-96. Klüser, Anne/Maier, Hugo (Hrsg.) (2009): Selbstständige in der Sozialen Arbeit. Grundlagen und Projekte. Baden-Baden. Köppel, Monika (2009): Existenzgründung in der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit als selbstständiger Leistungserbringer. Ein einführender Leitfaden zur Firmen- und Praxisgründung. Düsseldorf. Kolhoff, Ludger (2002): Existenzgründung im sozialen Sektor. Augsburg. Kolhoff, Ludger (2008): Businessplan. In: Maelicke (2008): 170-172. Maelicke, Bernd (Hrsg.) (2008): Lexikon der Sozialwissenschaften. Baden-Baden. Nodes, Wilfried (o.J.): Selbstständigkeit in der Sozialen Arbeit. Vortrag. http://www.dbsh.de/ selbstaendige_vortrag.pdf (letzter Aufruf: 2.11.2010). Pabst, Stefan (2009): Privatisierung sozialer Dienstleistungen. In: Arnold/Maelicke (2009): 145-160. Rothfischer, Doris/Oberlander, Willi et al. (2000): Ich mache mich selbständig im sozialen Bereich. Von der Idee und Marktchance bis zur Finanzierung. Weinheim/Basel. Schaub, Stefan (2009): Rechtliche und Organisatorische Aspekte zur Selbstständigkeit in der Sozialen Arbeit in Deutschland. In: Klüser/Maier (2009): 45-84. Scheiber-Jäger, Angela (1999): Existenzgründung in der Sozialen Arbeit. Persönlichkeits-Check, Richtig vorgehen – Schritt für Schritt. Marktnischen-Marktchancen. Regensburg. Schilling, Johannes (2005): Soziale Arbeit. Geschichte. Theorie. Profession. München/Basel. Thimm, Mark (2002): Von der Uni in die Selbstständigkeit. Die Alternative: Sein eigener Chef sein. Weinheim/Basel.
Mikrofinanzierung in der Entwicklungszusammenarbeit – Bildungsunternehmertum am Beispiel der Opportunity Microschools Stefan Knüppel und Christian Groß
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Einleitung
Lange Zeit wurde das Thema ‚Entwicklungspolitik‘ auf den Faktor Geld verkürzt. Insbesondere Politikerinnen und Politiker aus reichen Ländern maßen ihr Engagement um die Armen überwiegend an der bloßen Höhe der bereit gestellten Hilfszahlungen (sog. Official Development Assistance – ODA). Doch die schlechte Erfolgsbilanz westlicher Bemühungen bei der Armutsbekämpfung in vielen Ländern, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, führte in den vergangenen Jahren dazu, dass sich die Debatte zunehmend auf die Frage um die richtige Art und Weise der Umsetzung von Entwicklungspolitik verlagerte. Dies lässt sich auch an den jüngsten Äußerungen führender Politiker erkennen: So sagte etwa im September 2010 US-Präsident Barack Obama auf dem UNArmutsgipfel in New York: „Hilfe allein ist keine Entwicklung“ (o.V. 2010). Zu der intensiveren Auseinandersetzung um das Wie der Entwicklungspolitik hat auch eine Reihe von Publikationen beigetragen, die sich kritisch mit der bisherigen Strategie der Geberländer und ihrer Institutionen auseinandersetzen (z.B. Easterly 2006a; Collier 2007; Moyo 2009; Yunus/Weber 2008). Wenngleich diese jeweils unterschiedliche Begründungen für ihre Ansichten nennen und auch verschiedene Lösungen präsentieren, sind ihre Schlussfolgerungen sehr ähnlich: Der Entwicklungsprozess müsse in den armen Ländern in erster Linie von innen angestoßen, könne nur schwer von außen verordnet werden. Wachstum beginne an der Graswurzel. Eine Orientierung der Entwicklungszusammenarbeit auf die Bevölkerung selbst, nicht auf unzuverlässige Regierungen, sei effektiver. William Easterly stellt in seinem Buch „Wir retten die Welt zu Tode“ die beiden Konzepte der Entwicklungspolitik auch begrifflich gegenüber: Er fordert eine Abkehr vom bisherigen Ansatz des top-down und stattdessen eine verstärkte Konzentration auf das Prinzip des bottom-up (Easterly 2006a). H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Muhammad Yunus, Träger des Friedensnobelpreises 2006, wollte als Wirtschaftsprofessor und Praktiker in seinem Heimatland Bangladesh schon Ende der 1970er Jahre einer bottom-up-Strategie zur Durchsetzung verhelfen. Er gründete die Grameen Bank (www.grameen.org) und brachte damit den Stein für eine damals gänzlich innovative Idee ins Rollen: Wenn man den Armen Zugang zu Krediten verschafft, wird ihnen die Möglichkeit gegeben, sich durch die Gründung eines Kleinunternehmens selbst aus der Armut zu befreien. Dabei sind meist schon kleine Beträge (50 bis 250 Euro) von großem Nutzen, daher der Name Mikrokredite. Heute gibt es auf dem gesamten Erdball Institutionen – gewerblich oder gemeinnützig –, die sich im Bereich Mikrofinanzierung engagieren [siehe dazu auch den Beitrag von Spiegel zu Social Impact Business].1 Zu diesen zählt auch die Stiftung Opportunity International Deutschland (www.oid.org). Gegründet 1996 von dem Unternehmer Karl Schock in Schorndorf ist sie Teil eines globalen Netzwerks mit Partnerstiftungen in Australien, Großbritannien, Kanada, der Schweiz und den USA. Sie arbeitet in 26 Entwicklungsländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa mit rund zwei Millionen Klientinnen und Klienten zusammen, wovon knapp 90 Prozent Frauen sind. Der von Opportunity International (www.opportunity.org) verfolgte Paradigmenwechsel in der Entwicklungsarbeit – von top-down zu bottom-up – stellt auch im Bildungsbereich eine Chance dar. Deshalb unterstützt die Organisation im Rahmen eines neuartigen Projekts in Ghana die lokalen Bildungsunternehmerinnen und -unternehmer (edupreneurs) mit Mikrokrediten. Diese investieren das geliehene Geld in ihre eigene private microschool, die armen Kindern Bildung ermöglicht und gleichzeitig selbsttragend ist, also unabhängig von Spenden und staatlichen Geldern existieren kann. Sie arbeiten nach unternehmerischen Prinzipien, im Zentrum ihrer Tätigkeit steht jedoch der soziale Mehrwert. Damit stellen die BildungsunternehmerInnen eine besondere Ausprägung der social entrepreneurs dar. 2
Entwicklungspolitik in Afrika: Eine kritische Auseinandersetzung
Grundsätzlich lassen sich zwei Gruppen von Ländern unterscheiden, die in den letzten 60 Jahren Entwicklungshilfe erhalten haben. Dies sind zum einen die sog. Schwellenländer, allen voran China. Aber auch die Länder des ehemaligen Ostblocks, Südamerikas und Zentralasiens gehören dazu. Alle waren einmal 1 Mikrofinanzierung oder Mikrofinanz ist die moderne, etwas weiter gefasste Bezeichnung, die auch Finanzprodukte wie Spareinlagen und Versicherungen mit einschließt.
Knüppel/Groß: Mikrofinanzierung und Bildungsunternehmertum
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arm, haben jedoch den Sprung ins Mittelfeld der Wirtschaftsnationen geschafft, weil sie in den vergangenen Jahrzehnten mit hohem Tempo gewachsen sind.2 Wie groß der Anteil der westlichen Entwicklungspolitik an diesem positiven Trend ist, ist jedoch kaum einschätzbar. Zum anderen gibt es die zweite Gruppe von jahrzehntelangen Entwicklungshilfeempfängern. Dies sind die ärmsten Länder der Erde. Der Ökonomieprofessor Paul Collier aus Oxford nennt diese Gruppe die unterste Milliarde. Diese Länder haben weitgehend den Anschluss verpasst, wachsen gar nicht oder zu langsam (oder nicht nachhaltig) und kommen im globalen Wettbewerb zunehmend ins Hintertreffen. Die meisten dieser ‚Abgehängten‘ kommen aus dem Afrika südlich der Sahara (Collier 2007).3 Ein Blick auf die Wachstumsraten der letzten 40 Jahre dieser ärmsten Länder verdeutlicht das Bild: Während dort das Pro-Kopf-Einkommen in den 1970er Jahren kaum spürbar – aber immerhin – um 0,5 Prozent im Jahr gestiegen ist, ging es in den 1980er und 1990er Jahren im Schnitt jährlich um 0,4 bzw. 0,5 Prozent zurück (ebd.: 24). De facto ist die unterste Milliarde also über diesen Zeitraum ärmer geworden. Zu Beginn des neuen Jahrtausends hellte sich die Situation ein wenig auf: Zwischen 2000 und 2009 konnte in den Ländern südlich der Sahara im Schnitt ein Pro-Kopf-Wachstum von rund 2 Prozent jährlich erreicht werden, das allerdings zu einem großen Teil dem Ressourcenboom geschuldet ist (World Bank 2010a). Warum hat die Entwicklungspolitik des Westens, trotz der Gesamtsumme an Hilfsgeldern von mehr als einer halben Billion US-Dollar in den letzten 40 Jahren (Easterly 2006b), den afrikanischen Kontinent so wenig nach vorne gebracht? Wie lässt sich erklären, dass es noch immer eine riesige Gruppe mit einer Milliarde Menschen gibt, die praktisch chancenlos ist – ausgeschlossen von der dynamischen, sich entwickelnden Weltgemeinschaft? Und warum sind andere Regionen der Welt schneller gewachsen? Schließlich war vor 30 Jahren China gemessen am Pro-Kopf-Einkommen noch ärmer als Burkina Faso, Malawi und Burundi (Moyo 2009: 145). Ein Teil der Antwort kann sicherlich in der mangelnden Wirksamkeit des praktizierten top-down-Ansatzes der Entwicklungspolitik gefunden werden. Über Jahrzehnte floss Geld von den Regierungen reicher Länder – beziehungsweise von einer ihrer Institutionen wie Weltbank oder Vereinte Nationen – zu 2 So wuchs etwa Chinas Pro-Kopf-BIP seit Beginn der 1970er Jahre um durchschnittlich 8 Prozent jährlich, das von Indien um durchschnittlich 3,3 Prozent im Jahr (World Bank 2010a). 3 Der Human Development Index der Vereinten Nationen, eine Messgröße der menschlichen Entwicklung, listet mit Ausnahme von Osttimor und Afghanistan ausschließlich afrikanische Staaten auf den letzten 30 Plätzen (UNDP 2010).
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
den Regierungen armer afrikanischer Länder. Dabei verknüpfte man die Zahlung häufig an komplexe Reformen und Programme, die von Angestellten der reichen Länder auf- und umgesetzt werden sollten. Das Problem: Es ging in dem komplizierten und undurchsichtigen Vergabeverfahren – William Easterly nennt es deshalb das „bureaucracy-to-bureaucracy aid model“ (Easterly 2006b) – immer wieder Geld verloren oder wurde falsch und ineffizient eingesetzt. Ursächlich dafür waren erhebliche strukturelle und institutionelle Missstände auf Geber-, vor allem aber auf Empfängerseite. Dazu gehören:
Schlechte Regierungsführung (bad governance), schwache Institutionen und weit verbreitete Korruption in vielen afrikanischen Ländern.4 So landeten Hilfsgelder vielfach in den Taschen kleptomanischer Eliten statt bei den Armen5 (Easterly 2006a: 110-147; Lerrick 2005; Kaufmann 2009). Intransparenz und unzureichende Kontrolle der Mittelverwendung, wodurch Missbrauch und Veruntreuung von Geldern begünstigt wurden.6 Die Nutzung der Entwicklungshilfe für politische Zwecke der Geberländer, zum Beispiel aus strategischem Interesse oder als Lockmittel für Bündnispartner (Easterly 2006a: 123-124).
So vielschichtig die Gründe für den bescheidenen Erfolg der westlichen Entwicklungspolitik auch sind, lässt sich ein zentraler Fehler entdecken: Es wurde in all den Bemühungen zu wenig auf das eigene Potential der afrikanischen Bevölkerungen gesetzt. Entweder übernahmen Leute aus den Geberländern die Entwicklungsarbeit oder aber der Westen vertraute diese Aufgabe einer kleinen Gruppe afrikanischer Eliten an, die sich später oft als korrupt heraus stellten. Die afrikanischen Bürgerinnen und Bürger profitierten in beiden Fällen wenig oder gar nicht. Deshalb muss die Entwicklungsarbeit nach Ansicht vieler Expertinnen bzw. Experten und auch Opportunity International bevölkerungsorientierter werden. Das bedeutet: mehr bottom-up und weniger top-down. Die Menschen sollten im Zentrum der Strategie stehen, nicht die Regierungen. Das Ziel sollte der Fortschritt der gesamten Gesellschaft sein. Eine Entwicklung von innen, die 4 Auf dem jährlich herausgegebenen Corruption Perception Index von Transparency International rangierten 2009 alle Länder aus Subsahara-Afrika – mit Ausnahme von Namibia, Südafrika und Botswana – unter den letzten drei Gruppen, die für hohe Korruption stehen (Transparency International 2009: 48-49). 5 Das vermutlich größte Negativbeispiel ist der frühere Präsident von Zaire (heutige Dem. Rep. Kongo), Mobuto Sese Seko, der sein Land in seiner Amtszeit (1965-1997) nach vorsichtigen Schätzungen um etwa fünf Milliarden US-Dollar bestohlen haben soll (Svensson 2005: 19). 6 Collier schätzt, dass etwa 40 Prozent der Militärausgaben in Afrika ungewollt durch Entwicklungshilfe finanziert werden (Collier 2007: 136).
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hausgemachtes Wachstum erzeugt, ist folglich das Rezept einer nachhaltigen Armutsbekämpfung. Dies kann nur gelingen, wenn lokale Kräfte und Initiativen unterstützt werden, denn Afrika ist durchaus in der Lage sich selbst zu helfen. 3
Mikrofinanzierung als Instrument zur nachhaltigen Stärkung einer Gesellschaft
Ein bevölkerungsorientierter Graswurzel-Ansatz, der darauf abzielt, die Menschen in Entwicklungsländern direkt und ohne Umwege zu unterstützen, existiert bereits seit Ende der 1970er Jahre in Form der Mikrofinanzierung. Als einer der Pioniere dieses Konzepts gilt Muhammad Yunus, der dazu Grameen Bank gegründete (vgl. hierzu Yunus/Weber 2008). Um die Vergabe der Mikrokredite umsetzen zu können, führte die Grameen Bank das Prinzip der Gruppenkredite ein, das auch von Opportunity International in der Entwicklungsarbeit angewendet wird. Bei Opportunity International umfassen die Gruppen zwischen 15 und 30 Kreditnehmende, um die sich jeweils eine Kreditbetreuerin bzw. -betreuer kümmert. Die Gruppen bilden sich in einer mehrwöchigen Orientierungsphase, in der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Funktionsweise des Modells erklärt wird. Die Mitglieder verpflichten sich anschließend, füreinander zu bürgen – die Gruppen heißen daher auch trustbanks, weil trust (Vertrauen) eine herausgehobene Bedeutung hat. Damit werden zwei entscheidende Probleme überwunden, die von traditionellen Geschäftsbanken immer wieder als Hindernis für die Kreditvergabe an Arme angeführt werden:
Hohe Kosten: Da die Kreditbeträge niedrig sind und die Kreditnehmerinnen und -nehmer zahlreich, wäre eine individuelle Kreditvergabe, besonders bei Armen auf dem Land, sehr aufwendig und folglich kostspielig. Durch das Trustbank-Modell können die Kosten gesenkt werden, weil die Kreditbetreuung anstatt einzelner Personen ganze Gruppen gleichzeitig auf den regelmäßigen Treffen mit Finanzdienstleistungen versorgt (Armendariz/ Morduch 2005: 86). Außerdem führt die Gruppe viele Aufgaben eigenverantwortlich aus. So werden von den Mitgliedern Vorsitzende und SchatzmeisterInnen gewählt, die unter anderem für die Organisation der wöchentlichen Sitzungen und die Abwicklung der Rückzahlung zuständig sind. Fehlende Sicherheiten: Weil arme Menschen aufgrund ihrer Situation keine dinglichen Sicherheiten vorweisen können, werden sie von kommerziellen Banken als nicht-kreditwürdig eingestuft. Durch die Gruppenkreditvergabe, bei der die Mitglieder füreinander bürgen, kann dieses Hindernis überbrückt
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
werden. Dahinter steht die Idee, dass Gruppenmitglieder, die alle aus derselben Gemeinde stammen, einander kennen und einschätzen können. Da sich die Gruppen eigenständig formieren, finden in der Regel auch nur solche Personen zueinander, die sich gegenseitig vertrauen und vom Erfolg der jeweiligen Geschäftsmodelle überzeugt sind. Außerdem sorgen die persönlichen Beziehungen innerhalb der Gruppe für eine geringere Betrugswahrscheinlichkeit (für den Fall, dass Kreditnehmende das geliehene Geld nicht zurück bezahlen, obwohl sie es eigentlich könnten)7, weil potentiell Betrügende sich vor den „sozialen oder wirtschaftlichen Sanktionen“ (ebd.: 96) fürchten, die sie innerhalb der Gemeinde als Folge zu tragen hätten. Das System funktioniert internen Zahlen von Opportunity International zufolge, wonach die Rückzahlungsquote bei 97 Prozent liegt. Die Höhe der Mikrokredite von Opportunity International beträgt im Durchschnitt 183 Euro. Die Kreditzinsen liegen zwischen zehn und 15 Prozent pro Jahr über der Inflationsrate des entsprechenden Landes. Klienten, die ihren Kredit ohne Verzug zurückgezahlt haben, können unter der Voraussetzung, dass sie das Geliehene in vollem Umfang in ihre Kleinunternehmen investieren, weitere Kredite aufnehmen. Die Kredithöhe wächst für gewöhnlich in jedem neuen Kreditzyklus an. Damit soll es den Kreditnehmerinnen und -nehmern ermöglicht werden, ihre Kleinunternehmen Schritt für Schritt zu vergrößern, ihr Einkommen zu steigern und die Armut schließlich hinter sich zu lassen. Die bewusst verfolgte Strategie eines sehr hohen Anteils von Frauen lässt sich mit dem Verweis auf zwei Umstände erklären: Erstens haben Frauen historisch gesehen eine bessere Rückzahlungsquote als Männer8, sie sind also zuverlässiger. Zweitens wird das geliehene Kapital von Frauen sinnvoller genutzt, sodass die Familie in größerem Maße davon profitiert (Khandker 2003). Kurzum: Geld ist bei Frauen besser aufgehoben als bei Männern. Zudem kann durch diese Praxis, die eine Ausweitung der Handlungsfreiheit von Ehefrauen in männlich dominierten Haushalten fördert, eine Stärkung der Frau innerhalb der Gesellschaft (gender empowerment) unterstützt werden (Armendariz/Morduch 2005: 191-193). Eine bedeutende Rolle bei der Kreditvergabe spielen die Schulungen, die einen Wissenstransfer zu den Armen in Gang setzen sollen. Mit dem Ziel, nicht nur die unternehmerischen Fähigkeiten der Kleinunternehmenden zu verbessern, sondern auch Aufklärungsarbeit in alltäglichen Fragen wie Gesund7 In der Ökonomie als Problem des moral hazard (Armendariz/Morduch 2005: 98) bezeichnet. 8 Die Grameen Bank verlieh zu Beginn ihrer Tätigkeit an Männer und Frauen gleichermaßen. Die vergleichsweise schlechte Zahlungsmoral der Männer jedoch veranlasste sie zu einer stärkeren Fokussierung auf Frauen (Armendariz/Morduch 2005: 138f).
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heit, Kindererziehung und Ernährung zu leisten, vermitteln die OpportunityMitarbeitenden den KreditnehmerInnen im Rahmen der regelmäßigen Gruppentreffen wirtschaftliche, rechtliche und soziale Themen. Mikrokredite sind nicht die einzige Finanzdienstleistung, die Opportunity International anbietet. Die Klientinnen und Klienten haben zusätzlich die Möglichkeit, Versicherungen gegen die verheerenden Auswirkungen von Naturkatastrophen und Ernteausfällen abzuschließen oder Mikrosparkonten zu eröffnen, auf denen sie ihr Geld sicher und mit Zinsen anlegen können.9 Ein zentraler Aspekt der Mikrofinanzierung ist die Nachhaltigkeit. Durch die Rückzahlung der Kredite versickert das Geld nicht, wie das bei Subventionen der Fall wäre, sondern kann weiter verliehen werden. Die erhobenen Zinsen decken außerdem einen Großteil der Kosten. Der steigernde Effekt der Kapitalversorgung auf Haushaltseinkommen, Vermögensbildung und gender empowerment der Armen, die daraus resultierenden positiven Auswirkungen auf die wichtigsten Determinanten der menschlichen Entwicklung – wie Bildung, Gesundheit und Ernährung – ist weitgehend unbestritten. Die Möglichkeit, sich in mehreren Kreditzyklen Geld zu leihen, wobei die Höhe der Beträge stetig ansteigt, verstärkt den nachhaltigen Effekt der Mikrofinanzierung (Littlefield et al. 2003; Cohen 2001; Khandker 2003). Der bevölkerungsorientierte Ansatz der Mikrofinanzierung bildet (zusammen mit anderen dezentral umgesetzten Konzepten) den Gegenpol zur traditionellen, zentralplanerischen Entwicklungsarbeit. Durch die direkte Unterstützung der Armen wird „der enge administrative Trichter in Gestalt der Empfängerregierung“ (Easterly 2006a: 351) umgangen. Damit kann Missbrauch, Ineffizienz oder schlicht Inkompetenz von offizieller Seite (Regierung, staatliche Hilfsorganisationen) besser vorgebeugt werden. Darüber hinaus wird durch die Stärkung der Bürgerinnen bzw. Bürger und der lokalen Märkte – in wirtschaftlicher wie sozialer Hinsicht – eine in Afrika dringend benötigte hausgemachte Entwicklung erzeugt, die sich von unten nach oben (bottom-up) vollzieht und die gleichzeitig auf dem egalitären und marktwirtschaftlichen Prinzip fußt, wonach alle working poor die Chance haben, sich durch die eigene Arbeit aus der Armut zu befreien.
9 Entgegen der weitverbreiteten Annahme haben die Armen tatsächlich Geld übrig, das sie gerne zurücklegen möchten – etwa für die Altersvorsorge oder die Bildung der Kinder. Die Anzahl der Sparkonten, die bei Opportunity International eröffnet wurden, beträgt rund 635.000.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
Bildung als Schlüssel zur Überwindung der Armut
Eine der entscheidenden Ursachen für den langsamen Fortschritt des afrikanischen Kontinents kann sicherlich in der unzureichenden Bildungssituation gesehen werden. Ein unmittelbarer Einfluss von Bildung auf die Faktoren Wirtschaftswachstum, Gesundheit, Geburtenrate und Innovation gilt als bewiesen (Kremer/Glewwe 2005: 1). Angesichts der Tatsache, dass rund 50 Prozent der Bevölkerung jünger als 15 Jahre ist (Moyo 2009: 5), bietet die Förderung von Bildung einen naheliegenden Ansatzpunkt erfolgreicher Entwicklungsarbeit. Das afrikanische Bildungsproblem lässt sich grundsätzlich in zwei Komponenten aufspalten: Quantität und Qualität. Zwar konnte die Zahl der Kinder ohne Grundschulbildung in Subsahara-Afrika seit 1999 erheblich verringert werden (um 13 Millionen), dennoch gingen im Jahr 2007 immer noch mehr als ein Viertel aller Kinder (32 Millionen) nicht zur Schule (UNESCO 2010: 56). Außerdem brechen viele Kinder schon vor der fünften Klasse die Schule ab.10 Von denen, die tatsächlich die Grundschule abschließen (in den meisten Ländern Afrikas dauert diese sechs Jahre, in manchen auch vier Jahre), schaffen nur 64 Prozent den Übertritt auf eine weiterführende Schule (ebd.: 370). Besonders von Bildungsarmut betroffen sind dabei arme Kinder, Mädchen11 und Kinder vom Land (ebd.: 141). Das Problem der Qualität beschreibt der EFA Global Monitoring Report (2010: 104) eindrücklich: „Out of-school children face obvious disadvantages, yet less attention has been paid to the fact that millions of children emerge from primary school each year without having acquired basic literacy and numeracy skills. Unable to formulate or read a simple sentence, these children are ill equipped to make the transition to secondary school – let alone enter employment markets. The problems extend to secondary schools, where many children – sometimes a majority – do not reach even a minimal level of competence.“
Die ausschließliche Konzentration der Bemühungen auf die Zahl der eingeschulten Kinder – wie sie die Formulierung des zweiten UN-Milleniumsziels (Grundschulbildung für alle Kinder bis 2015) nahe legt – verengt die Probleme des Bildungsbereichs in den Entwicklungsländern. Hanushek und Wößmann (2007) argumentieren, dass eine Verbesserung der Bildungsqualität sogar wichtiger für den ökonomischen Fortschritt eines Landes sei als die schlichte Aus10 Die Rate der SchülerInnen, die tatsächlich bis zur fünften Klasse zur Schule gehen, ist bei vielen afrikanischen Ländern katastrophal niedrig. Einige der krassesten Beispiele sind Malawi (43 Prozent), Togo (54 Prozent) und Äthiopien (64 Prozent) (UNESCO 2010: 286). 11 Von den 27 Ländern mit der größten Benachteiligung von Mädchen, gemessen mit dem Gender Parity Index (GPI), befinden sich 18 in Subsahara-Afrika (UNESCO 2010: 64).
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weitung des Bildungszugangs. Die Mängel lassen sich an vielen Faktoren festmachen. Einer der wichtigsten ist die Lehrerknappheit in Afrika – so kommen dort auf eine Lehrkraft im Schnitt 44 Schülerinnen und Schüler (Grundschule). In den entwickelten Ländern dagegen lag das Verhältnis in 2007 bei 1 zu 14 (UNESCO 2010: 395). Wenn das Ziel der universellen Grundschulbildung bis 2015 erreicht werden soll, so müssten laut UNESCO 1,2 Millionen zusätzliche Lehrkräfte sowie weitere 1,2 Millionen für ausscheidende Lehrpersonen in Subsahara-Afrika eingestellt werden (ebd.: 116). Daneben sind die schlechte Ausbildung und Motivation der Lehrkräfte, ablesbar an ihrer häufigen Abwesenheit vom Unterricht, ein großes Problem (Kremer/Glewwe 2005: 41; UNESCO 2008: 72). Die Ausstattung der Schulen ist in den meisten Fällen unzureichend. Es fehlt an grundlegenden Dingen wie Tafeln, Tischen, Stühlen, Klassenräumen und Schulbüchern (Kremer/Glewwe 2005: 2). Die starke Unterfinanzierung des Bildungssektors in Afrika hemmt die Entwicklung entscheidend. Afrikas öffentliche Bildungsausgaben betragen nur einen Bruchteil derer von Industrieländern. 2007 gab die öffentliche Hand in Ländern südlich der Sahara durchschnittlich 130 US-Dollar pro Grundschüler aus, die entwickelten Länder hingegen 5.312 US-Dollar (UNESCO 2010: 370). Hinzu kommen auch im Bildungsbereich die gleichen Probleme des zentralplanerischen Entwicklungsansatzes, wie sie schon beschrieben wurden. Hilfsgelder, die für die Verbesserung der Bildungssituation vorgesehen sind, werden für andere Zwecke eingesetzt oder kommen nie bei den Bedürftigen an. Die topdown-Verteilung von Ressourcen führt zu ineffizienten Ergebnissen, da lokale Gemeinden und Schulen kaum über deren Verwendung mitentscheiden dürfen. Eine Anpassung an lokale Bedürfnisse wird somit unmöglich gemacht (Kremer/Glewwe 2005: 40) und das ökonomische Gesetz, wonach Kapital immer dorthin fließt, wo es den größten Nutzen erzielt, außer Kraft gesetzt. Eine Stärkung des lokalen privaten Bildungssektors nach dem bottom-up-Prinzip könnte daher eine nützliche Strategie der Entwicklungsarbeit sein. 5
Edupreneure als Chance: Das Konzept der Mikroschulen in Ghana
Wenn von Privatschulen in Entwicklungsländern die Rede ist, müssen wir uns von dem Gedanken lösen, dass es sich dabei um teure Bildungseinrichtungen für die Kinder einer kleinen wohlhabenden Elite handelt. Tatsächlich sind die meisten Privatschulen in den Entwicklungsländern aufgrund entsprechend großer Nachfrage von Seiten armer Haushalte entstanden (Watkins 2000: 229f). Ge-
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gründet von Privatleuten, die in den meisten Fällen aus der jeweiligen Gemeinde stammen, bieten sie armen Kindern als Gegenleistung für eine niedrige Gebühr einen Zugang zu Bildung. Die Betreiberinnen und Betreiber dieser low fee schools oder budget schools sind damit als Dienstleister tätig und in diesem Sinne auch Unternehmerinnen bzw. Unternehmer. Ein parallel arbeitender, privater Sektor, der die Unterversorgung des öffentlichen Bildungssystems teilweise auffängt, ist Realität und er stellt keine Randerscheinung dar: 2006 ging im Afrika südlich der Sahara schon jeder zehnte Grundschüler und jeder fünfte Sekundarschüler auf eine Privatschule (World Bank 2009: 100). Ohne die vielen privaten Schulen für Arme gäbe es noch mehr Kinder ohne Grundschulbildung. Die Erfolge, die in den letzten zwei Jahrzehnten in Afrika auf dem Gebiet der Bildung erzielt wurden, lassen sich deshalb auch auf den wachsenden privaten Bereich zurückführen.12 Der britische Bildungsforscher James Tooley hat mit einem Team in Ghana eine groß angelegte Studie über Privatschulen für Arme durchgeführt (Tooley et al. 2007). Darin wurden in zwei Bezirken im Umland der Hauptstadt Accra private und staatliche Schulen nach Art und Umfang untersucht. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass knapp zwei Drittel aller eingeschulten Kinder in diesen beiden Bezirken in staatlich anerkannten13 und nicht anerkannten Privatschulen untergebracht waren. Und das, obwohl 70 Prozent der Haushalte im Untersuchungsgebiet unterhalb oder auf der Armutsschwelle von einem US-Dollar am Tag lebten. Im Folgenden werden nur die staatlich anerkannten Privatschulen als Vergleich herangezogen, da Opportunity International auch nur mit ‚staatlich anerkannten Privatschulen‘ (im Folgenden: Privatschulen) zusammenarbeitet. Die monatlichen Schulgebühren der low-fee-Privatschulen bewegten sich laut dieser Erhebung zwischen umgerechnet 58 Cent und 15,15 Euro für die erste Klasse. Die Gebühren für die sechste Klasse lagen zwischen 58 Cent und 16,73 Euro im Monat. Der Durchschnitt der Schulen betrug 4,88 Euro (1. Klasse) und 5,15 Euro (6. Klasse). Diese Zahlen belegen, dass die privaten Bildungseinrichtungen in Ghana nicht für eine reiche Elite, sondern für Kinder aus 12 Die Einschulungsrate in Subsahara-Afrika stieg in den letzten knapp 20 Jahren von rund 53 Prozent (1990) auf etwa 75 Prozent (2008). Zieht man die Länder Ghana und Mali als Beispiel heran, so wird deutlich, dass der private Bildungssektor einen signifikanten Anteil an dieser positiven Entwicklung hatte. In Ghana verbesserte sich zwischen 1990 und 2008 die Einschulungsrate (Grundschule) von 52 auf 77 Prozent (d.h. die Zahl der Kinder ohne Grundschulbildung sank um 25 Prozent). Der private Bildungssektor wuchs im selben Zeitraum von sieben auf 17 Prozent. In Mali war die Dynamik noch ausgeprägter. Dort stieg die Einschulungsrate von 20 Prozent (1990) auf 72 Prozent (2008). Ein großer Anteil dieser Verbesserung entfiel auf die Ausweitung des Privatsektors, der von drei Prozent (1990) auf 40 Prozent (2008) zulegte (World Bank 2010b). 13 Staatlich anerkannte Privatschulen erfüllen die staatlichen Bestimmungen und wurden überprüft.
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Familien der unteren Einkommensklassen gegründet wurden (ebd.: 396-399). Bei der Diskussion um Schulgebühren sollte in die Bewertung einfließen, dass den Eltern in Ghana auch für staatliche Schulen, die keine offiziellen Schulgebühren verlangen, Kosten anfallen, da sie oftmals verpflichtende Schuluniformen oder Schulbücher für ihre Kinder kaufen müssen (UNESCO 2010: 166). Arme Eltern wählen in vielen Fällen die private, kostenpflichtige Alternative für ihre Kinder, obwohl es eine staatliche Schule in ihrer Gemeinde gibt. Als Grund wird besonders häufig die schlechte Qualität der staatlichen Schulen angeführt. Diese These wird auch von Tooley et al. untermauert, der neben einer quantitativen Erhebung auch einen Qualitätsvergleich zwischen staatlichen und privaten Schulen im Untersuchungsgebiet vornahm. Alle Schulen wurden dabei auf 15 Indikatoren der Lehrqualität14 überprüft. Das Ergebnis sah folgendermaßen aus: Bei zehn Indikatoren schnitten die Privatschulen besser ab, bei zwei die staatlichen Schulen (Tische, Spielplatz). Bei drei Indikatoren war kein signifikanter Unterschied feststellbar (Schulgebäude, Stühle, Tafeln). Die deutlichsten Unterschiede gab es bei der Lehreraktivität (Anteil der Zeit, während der tatsächlich unterrichtet wurde), wo das Verhältnis bei 75 Prozent (Privatschulen) zu 56,7 Prozent (staatliche Schulen) lag. Außerdem unterscheiden sie sich hinsichtlich der Ausstattung mit Toiletten (Privatschulen: 90,5 Prozent; staatliche Schulen: 60,3 Prozent) und bei der Quote an Klassenzimmern mit Zugang zu Trinkwasser (Privatschulen: 87,4 Prozent; staatliche Schulen: 52,6 Prozent). Auch die Klassen waren in den untersuchten Privatschulen kleiner als bei den staatlichen Schulen (27 im Vergleich zu 35 Schülerinnen und Schülern) (Tooley et al. 2007: 402) sowie die Abwesenheitsrate der Lehrkräfte geringer (5,2 Prozent im Vergleich zu 15,0 Prozent) (ebd.: 403). Der Qualitätsvorsprung der Privatschulen für Arme gegenüber den staatlichen Schulen lässt sich auch am Lernerfolg der Schüler ablesen, den Tooley anhand eines eigens entwickelten Tests in einer anderen Veröffentlichung beschreibt, die zur selben Studie gehört (Tooley/Dixon 2005). So waren die Leistungen von Schülerinnen und Schüler privater Schulen in Ghana in den Disziplinen Mathematik und Englisch besser als von denen staatlicher Schulen. Der Unterschied beim Mathematik-Test betrug im Schnitt zwölf Prozentpunkte, beim Englisch-Test 14 Prozentpunkte. In den parallel durchgeführten Tests in Indien und Nigeria war der Vorsprung der Privatschüler sogar noch größer (bis 14 Diese betrafen Merkmale wie etwa der Zustand der Schulgebäude sowie deren Ausstattung mit Spielplätzen, Kassettenrekordern, Tischen, Stühlen, Tafeln, Toiletten, getrennten Toiletten für Jungen und Mädchen, Trinkwasser, Bibliothek, Computer, Fernseher/Video, elektrischem Licht, Ventilatoren und außerdem noch die Lehreraktivität.
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zu 30 Prozent in Nigeria) (Tooley/Dixon 2005: 31f). Ähnliche Studien, durchgeführt in Indien und Pakistan, bestätigen ebenfalls einen Qualitätsvorteil der lowfee-Privatschulen im Vergleich zu den staatlichen (Muralidharan/Kremer 2006; Andrabi et al. 2008). Wie lassen sich diese Unterschiede bei der Lehrqualität erklären? Ein wichtiger Faktor ist die Autonomie der privaten Schulen. Im Gegensatz zu staatlichen Schulen, die nur über beschränkte Handlungsfreiheit verfügen, weil sie den Vorgaben von übergeordneten Behörden unterworfen sind, können sie – innerhalb der gesetzlichen Regelungen und Standards – eigenständig agieren. Diese dezentrale Organisationsstruktur wird unter dem Begriff school-based management zusammengefasst. Wichtige Entscheidungen wie Lehrerauswahl, Mittelverwendung und Lehrmethoden werden von der Schulleitung selbst getroffen. Vor allem aber können sie die Schule auf die Bedürfnisse der Gemeinde ausrichten, Eltern einbinden und als Unterstützung gewinnen sowie auf lokale Entwicklungen und Veränderungen schnell und flexibel reagieren (Caldwell 2005). Die Schulgebühren haben außerdem den Effekt, dass die Rechenschaftspflicht der Schule gegenüber ihrer Kundschaft gestärkt wird – ein bedeutsames Instrument, um die Qualität der Bildung in Entwicklungsländern zu steigern (World Bank 2007: 4). Die Eltern möchten, dass ihre Kinder für die bezahlten Gebühren auch eine entsprechende Gegenleistung in Form von guter Bildung erhalten. Stellen sie fest, dass diese Leistung von der Privatschule ihres Kindes nur unzureichend erbracht wird, können sie Druck auf die Schulleitung ausüben, um eine Verbesserung zu erwirken, oder – im drastischsten Fall – ihre Kinder von der Schule nehmen. Somit hat jede Privatschule starke Anreize, eine gute Qualität anzubieten, da ihr ansonsten der Abgang von Schülerinnen und Schülern droht. Die budget schools für Arme können nach Ansicht von Opportunity International eine wichtige Aufgabe im Kampf gegen die (Bildungs-)Armut übernehmen. Sie füllen Lücken, die vom Staat hinterlassen werden und bieten praktische Lösungen auf Graswurzelebene. Opportunity International hat sich deshalb 2008 entschieden, Betreiberinnen und Betreiber von privaten low-fee schools (edupreneurs) in Ghana zu unterstützen. Angestrebt wird, bis 2012 rund 100 microschools (in Anlehnung an Mikrofinanzierung) in dem westafrikanischen Land mit Krediten zu versorgen. Bei diesem Projekt betrat Opportunity International in vielerlei Hinsicht Neuland, da die Art und Weise der Kreditvergabe an Bildungsunternehmende von der üblichen Praxis abweicht. An Stelle eines Mikrokredits, der durchschnittlich 280 Euro beträgt und in der Regel nur über das Trustbank-Modell an Kleinunternehmende vergeben wird, nimmt der Bildungsunternehmer nun einen Individualkredit in Höhe von teilweise mehre-
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ren Tausend Euro auf. Denn für die Gründung einer neuen Schule werden mindestens 5.000 Euro benötigt. In den meisten Fällen unterstützt Opportunity International bereits vorhandene Schulen, die mit den Krediten ihre Kapazität erhöhen oder ihre Ausstattung verbessern können. Die persönliche Kreditbetreuung ist in jedem Fall deutlich umfangreicher. Statt um ganze Gruppen kümmert sich die KreditbetreuerIn nun um einzelne Kreditnehmende. Damit edupreneurs einen Kredit von Opportunity International erhalten, müssen sie und ihre Mikroschule verschiedene Kriterien erfüllen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Die Mikroschule sollte sich in einer Gemeinde befinden, deren Bevölkerung überwiegend arm ist. Die Gemeinde sollte mit Bildung unterversorgt sein. Dies wäre gegeben, wenn es etwa keine staatliche Schule gäbe oder die Qualität der staatlichen Schule sehr schlecht wäre. Die Mikroschule sollte staatlich anerkannt sein oder kurz davor stehen. Die Gebühren der Mikroschule sollten gering genug sein, damit sie erschwinglich für die ärmsten Familien der Gemeinde sind. Die konkrete Höhe ist dabei abhängig von der jeweiligen Gemeinde. Die Mikroschule sollte eine gewisse Zahl an freien oder vergünstigten Plätzen für Kinder aus großen Familien oder Waisen anbieten (in der Regel fünf Prozent aller Plätze). Die Mikroschule sollte eine Gleichberechtigungspolitik von Mädchen und Jungen betreiben. Das bedeutet, die Quote von Mädchen sollte annähernd bei 50 Prozent liegen. Bei Neugründungen sollten die angehenden edupreneurs schon Erfahrungen auf ihrem Gebiet haben. Häufig sind es daher Lehrkräfte, die Mikroschulen gründen.
Sind die Kriterien erfüllt, arbeitet der oder die Kreditbetreuerin mit der Bildungsunternehmerin oder dem Bildungsunternehmer einen Rückzahlungsplan aus. Die Kreditmodalitäten wie Höhe, Laufzeit, Zins und Tilgung werden auf die besonderen Umstände und Bedürfnisse der edupreneurs angepasst. Je nach Höhe der Kreditsumme und der Einnahmen der Kreditnehmenden beträgt die Dauer der Rückzahlung zwei bis fünf Jahre. Der Zinssatz liegt etwa zehn Prozent über der Inflationsrate. Neben dem Finanzkapital erhalten edupreneurs auch Kapital in Form von Wissen. Denn genau wie die KleinunternehmerInnen bei der Gruppenkreditvergabe besuchen sie ebenfalls Schulungen, geleitet von Opportunity-Mitarbeitenden, in denen grundlegende Managementkenntnisse gelehrt werden. Auch die angestellten Lehrkräfte werden zu Themen wie Lehr-
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methoden und Umgang mit Schülerinnen und Schülern geschult. Dadurch erfolgt ein bedeutsamer Wissenstransfer mit positiven Effekten auf die Qualität der Schule. Die microschools arbeiten nach unternehmerischen Prinzipien. Sie haben Einnahmen durch die Schulgebühren, mit denen sie Ausgaben wie Lehrergehälter, Schulbücher, Investitionen in Gebäude und Ausstattung finanzieren müssen. Da sie in der Regel keine Zuschüsse vom Staat erhalten, müssen sie selbsttragend sein. Das bedeutet, sie müssen genug Einnahmen erwirtschaften, um überleben zu können. Gleichzeitig verlieren die edupreneurs nie den sozialen Kern ihrer Tätigkeit aus den Augen: Die Ausbildung von Kindern. Opportunity International sieht in den Bildungsunternehmen daher eine Form des Sozialunternehmens (social business), weil es die zentralen Elemente dieses Unternehmenskonzepts beinhaltet:15
Sozialer Mehrwert: Die Mikroschulen schaffen einen sozialen Mehrwert in Form von Bildungszugang für arme Kinder. Sie versuchen, die Armut zu bekämpfen. Dabei steht die soziale Mission stets im Zentrum der Tätigkeit. Das Ziel des sozialen Mehrwerts wird in keiner Situation vom Streben nach Gewinn verdrängt oder ersetzt. Der Profit ist für die Leitung der Mikroschule nicht der Maßstab des Erfolgs. Finanzielle Ziele sind untergeordnet, aber sie existieren, da sie ein wichtiges Mittel sind, um die soziale Mission ausführen zu können. Wirtschaftlichkeit:16 Die Mikroschule ist keine gemeinnützige Einrichtung ohne Erwerbszweck (non-profit-Organisation). Sie wird in fast jeder Hinsicht geführt wie ein Wirtschaftsbetrieb und arbeitet unabhängig von Spenden oder staatlichen Zuschüssen. Sie muss in der Lage sein, ihre Kosten zu decken, um diese Unabhängigkeit aufrecht erhalten zu können, damit sie nachhaltig und selbsttragend (sustainability) arbeitet. Ein Gewinn ist wünschenswert, in den meisten Fällen sogar notwendig. Überschüsse ermöglichen es den edupreneurs, die ansonsten keine persönlichen Einnahmen haben, von ihrer Tätigkeit zu leben. Außerdem können Gewinne in das Bildungsunternehmen reinvestiert werden und damit eine Ausweitung der Tätigkeit bewirken. Ein erfolgreiches wirtschaftliches Ergebnis wirkt sich besonders auf die Zahl der Stipendien aus. Im Schnitt bekommen fünf Prozent der Schülerinnen und Schüler an Mikroschulen Stipendien, von denen vor allem Kinder aus großen Familien und Mädchen profitieren.
15 Dabei wurde auf folgende Literatur zurückgegriffen: Ashoka 2010; Drayton 2006; Dees 2001, 2009; Martin/Osberg 2007; Schwab Foundation 2010; Yunus/Weber 2008. 16 Diese Eigenschaft ist nicht für jeden der genannten Autoren eine Bedingung für Sozialunternehmertum. Sie wird von Yunus/Weber (2008) allerdings besonders hervorgehoben.
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Transformative Kraft: Gesetzt den Fall, dass es in einer armen, abgelegenen Gemeinde in Ghana keine Schule gibt, werden Kinder ohne Bildung niemals die Chance haben, sich aus ihrer Armut zu befreien, die ärmliche Lage der Gemeinde sich nie verbessern. Nun hat eine junge Frau, die ihrerseits aus der Gemeinde kommt, aber aufgrund besonderer Umstände das Glück hatte, einen Schulabschluss machen zu können, den Mut, eine microschool zu eröffnen. Der Einfluss dieser unternehmerischen Tat auf das Leben und die Zukunft der Kinder, die damit einhergehende transformative Wirkung auf die gesamte Gemeinde, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Edupreneurs, die Opportunity International unterstützt, verändern nicht die ganze Welt, sie machen keine bahnbrechende Erfindung, die das Leben der gesamten Menschheit beeinflusst,17 aber sie bringen Veränderung und Fortschritt in das Leben ihrer unmittelbaren Umgebung. Sie versuchen, ihre soziale Mission in dem ihnen möglichen Maßstab zu verwirklichen. Lösungsorientierung und Innovationsfähigkeit: Die edupreneurs treiben sozialen Wandel voran, indem sielösungsorientiert handeln und den traditionellen Weg der Bildungsversorgung über den Staat in Frage stellen. Sie reagieren auf die vorherrschende Bildungsarmut in ihrer Gemeinde mit einem praktischen, gleichwohl aber innovativen Konzept einer Privatschule für Arme. Anpassungsfähigkeit: Die Mikroschulen leben vom Feedback ihrer Klientel. Sie pflegen ein sehr enges Verhältnis zu Eltern und Gemeinde. Taucht ein Problem auf, glaubt man an eine Lösung. So haben viele Schwierigkeiten, die monatlichen Gebühren auf einen Schlag zu bezahlen, weil zum Beispiel die Ernte erst im folgenden Monat reif ist. Deshalb akzeptiert die Schulleitung einen Zahlungsaufschub oder eine Staffelung der Gebühren über einen längeren Zeitraum.
Das Mikroschul-Projekt hat sich in den zwei Jahren seit seinem Beginn als sehr erfolgreich erwiesen. Die Erkenntnis, dass sich lokale Probleme am besten mit Hilfe lokaler Initiativen lösen lassen, muss sich bei vielen Akteuren in der Entwicklungsarbeit allerdings erst durchsetzen.
17 Bei den meisten Definitionen eines social entrepreneur spielt der große Maßstab der Unternehmung eine bedeutende Rolle. Der Sozialunternehmer wird nach dieser Auffassung als sehr seltener Typus erachtet (z.B. Dees 2001; Ashoka 2010; Schwab Foundation 2010). Die Autoren des vorliegenden Beitrags schließen sich dieser strengen Definition jedoch nicht an.
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III. Social Entrepreneurship und Social Business in der Sozialen Arbeit
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IV.
Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft – Unterschiede, die Finanziers berücksichtigen müssen Anne-Kathrin Kuhlemann
Der Gedanke, dass Unternehmen eine soziale Zielsetzung verfolgen können und dabei trotzdem profitabel sind, ist nicht neu – dennoch breitet er sich erst langsam in der deutschen Investorenszene aus. Was die green economy vereinzelt bereits bewiesen hat, scheint für soziale Themen immer noch ein Paradigmenwechsel: An staatliche Subventionen gewöhnt, hat Deutschland die Lösung sozialer Probleme lange aus der Wirtschaft heraus gehalten. Doch massive Überschuldung und alljährliche Neuverschuldung des deutschen Staatshaushaltes sind makroökonomisch betrachtet auch nicht „nachhaltig“, sondern verschieben das Problem lediglich in die Zukunft, delegieren es an zukünftige Generationen. Auf mikroökonomischer Ebene gilt dasselbe für gemeinnützige Organisationen: Ca. 1.000 Stiftungen werden derzeit jährlich in Deutschland neu gegründet, aufgrund des sinkenden Gründungskapitals und niedriger Zinsen (Stifterverband 2010) mit massiv sinkendem finanziellem Spielraum. Die Zahl der neugegründeten sonstigen gemeinnützigen Organisationen dürfte ähnlich hoch liegen. Bei einem seit Jahren mehr oder weniger stabilen Spendenaufkommen von rund 3 Mrd. Euro in Deutschland (tns Infratest 2009) wird der Kampf um den gleichen Topf also größer. Diesen Einsichten folgend entwickeln einige gemeinnützige Organisationen unternehmerische Ansätze und suchen wirtschaftliche Lösungen für die von ihnen verfolgten Ziele. Ebenso beginnen Unternehmerinnen und Unternehmer auf der Suche nach neuen Herausforderungen, sich sozialer Problemstellungen anzunehmen. Auch Investoren finden den Gedanken reizvoll, Geld zu investieren statt zu spenden und dabei ‚Gutes‘ zu tun. Dennoch wächst dieser junge Markt bisher nur sehr langsam. Nach meiner Erfahrung in der Vermittlung zwischen Investoren und Sozialunternehmen, insbesondere im Rahmen des Aufbaus der NExT Social Stock Exchange [siehe hierzu vertiefend den Beitrag von Breidenbach], bestehen einige bedeutende Unterschiede zwischen der ‚Sozialwirtschaft‘ und der traditionellen Marktwirtschaft.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_16, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Fast jede Branche, die in der Marktwirtschaft bedeutende Volumina an privatem Kapital anziehen konnte, erfüllt nach Samans (2006: 62) folgende Kriterien:
Einheitliches Fachvokabular Transparenz Standardisierte Buchhaltungspraxis Regulierung durch Dritte Investmentrating Dienstleister Vergleichsdaten zu Fonds Versicherungen Liquidität durch Sekundärmärkte
Nahezu all diese Elemente fehlen im noch jungen social investment-Sektor. Allein in diesem Band werden schon unterschiedliche Definitionen bzw. gleitende Abgrenzungen für Sozialunternehmen [ebenso wie soziale Unternehmen im Sinne von social entrepreneurship organization überwiegend mit SEO bezeichnet] verwendet. Es gibt kaum quantitative Studien oder gar Statistiken zu dieser jungen Branche, die Transparenz schaffen könnten – Standards für den Bereich der sozialen Wirkung werden gerade erst entwickelt. Dienstleister wie Regulierer, Ratingagenturen oder Versicherungen sind noch nicht etabliert, Sekundärmärkte bislang nicht am Markt. Die Elemente bedingen sich teilweise auch: ohne Regulierung keine Standards, ohne Standards keine Transparenz [siehe auch die Beiträge von Achleitner et al., Breidenbach sowie Roder et al.]. Beim Wechsel von einer gemeinnützigen Orientierung hin zu einer marktwirtschaftlichen Ausrichtung erfahren ehemalige NGOs darüber hinaus einen deutlichen Mentalitätswandel: ‚Leistungsempfänger‘ ohne Transparenz über die dem Geldgeber versprochene Leistung werden zu Kunden mit klarer Vertragsgrundlage. So gesellt sich zum Effizienzdruck, mit begrenzten Mitteln haushalten zu müssen, auch noch ein Effektivitätsdruck. Insbesondere diese beiden Zielsetzungen werden oft als widersprüchlich wahrgenommen und stellen SEOs vor enorme Herausforderungen. Auf sechs Elemente, die sich in der Praxis als entscheidend erwiesen haben, wird im Folgenden eingegangen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Zielsetzung von SEOs und sozialen Investoren, damit verbundene Wertevorstellungen, Messbarkeit dieser Ziele, Entwicklungsstand der ‚Branche‘, angepasste Finanzierungsinstrumente und Bedürfnisse von SEOs, sowohl im Rahmen der Finanzierung als auch zur Entwicklung als Branche.
Kuhlemann: Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft
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Zielsetzung
In der Marktwirtschaft ist Geld eine Ressource, deren unternehmerischer Einsatz einen Mehrwert schafft. Die Präferenz von Investoren ist immer der Nutzenzuwachs (Breuer 2002: 8f), wobei ein Vermögenszuwachs die „Rendite“ einer Investition darstellt. Bereits die Begrifflichkeit Sozialunternehmen spiegelt wider, dass mehrere Ebenen von Zielen parallel verfolgt werden. Investoren in SEOs verfolgen daher sowohl eine finanzielle Nutzenmaximierung als auch eine soziale – es ist ein befriedigendes Gefühl, ‚Gutes zu tun‘. Unmittelbar kommt dieser soziale Nutzen dabei vor allem dem Individuum oder der Gesellschaft zu Gute, nicht dem Investor (Emerson et al. 2004: 79) – man ahnt den klassischen Konflikt zwischen shareholder value und stakeholder value. Derzeit herrscht häufig noch der Glaube, dass diese beiden Ziele unvereinbar sind und das eine nur zu Lasten des anderen gesteigert werden kann. Die Praxis scheint auf den ersten Blick recht zu geben:
Mikrofinanzierer können ihren Gewinn steigern, indem sie die Zinssätze anheben – was den sozialen Effekt verringert, da die Belastung für die Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer steigt; ein Integrationsbetrieb kann durch die Auswahl der besten Kandidaten sowie die Anstellung der minimal geforderten Anzahl Behinderter seine Personalquote gering halten, statt möglichst viele Arbeitsplätze für Benachteiligte zu schaffen [zu unterschiedlichen Definitionen von Sozialunternehmen vs. sozialen Unternehmen siehe den Beitrag von Heinze et al.].
Derartige Beispiele gibt es genügend. Der vermeintliche Zielkonflikt besteht jedoch aufgrund einer linearen Betrachtungsweise. Lediglich das Kapital, das an die Investierenden zurückfließt, wird dem Unternehmensgewinn zugerechnet. SEOs denken jedoch in (Öko-)Systemen: Das Gehalt, das Mikrokreditnehmende erwirtschaften, fließt in Form von Steuern an den Staat und verringert ggf. sogar dessen Sozialausgaben; es hebt die Kaufkraft eines Landes oder einer Region und hat häufig einen deutlichen Effekt auf das Bildungsniveau der nächsten Generation. Die Internalisierung externer Effekte ist häufig Teil der Zielsetzung bzw. lässt sich nicht vermeiden: Die Gesellschaft soll von den Folgen des Handelns einzelner entlastet, Kollateralschäden vermieden und im Endzustand die Ursache, nicht nur die Symptome, beseitigt werden. Eine SEO nimmt folglich häufig höhere Produktionskosten in Kauf, um ihren sozialen und ggf. ökologischen
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Finanzieller Nutzen
Zielen gerecht zu werden, z.B. indem auf Dumpinglöhne verzichtet oder in Infrastruktur und Bildung investiert wird, was sich ggf. erst nach vielen Jahren „auszahlt“. Insofern ist eine geringere Rendite fast schon die Norm. Dadurch steigen aus linearer Sicht die Kosten – für die Gesellschaft ist diese Form der Lastenverteilung von deutlichem Vorteil.
Betrachtung als komplementär
Intelligentes Geschäftsmodell
Systemischer statt individueller Nutzen
Betrachtung als Zielkonflikt
Sozialer Nutzen („Rendite“) Abbildung 1: Verhältnis sozialer zu finanzieller Rendite (eigene Darstellung)
Investoren in diese Form von Unternehmen müssen daher die Bereitschaft mitbringen, auf individuelle Nutzenmaximierung zu verzichten – zugunsten des Gemeinwohls. Das bedeutet nicht, dass gänzlich auf finanzielle Renditen verzichtet werden muss, im Gegenteil: Es bedeutet, dass die Frage „was ist genug“ eine zentrale Rolle spielt und grenzenlose Gier bei der Investitionsentscheidung fehl am Platz ist. Wenn in den heutigen Niedrigzinszeiten z.B. 5 Prozent Rendite erwirtschaftet werden, schlägt das zahlreiche Fonds und Aktien, vom Sparbuch ganz zu schweigen. Problematisch ist diese Forderung nach einer Begrenzung der upside sicherlich bei Investitionen in Start-ups und soziale Unternehmen mit völlig neuartigen Geschäftsmodellen – denn das Risiko des Scheiterns bis hin zum Total-
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verlust des investierten Geldes (downside) ist selbstverständlich nicht begrenzt. An diesem Punkt stellt sich die Frage nach der Vergleichsbasis, denn z.B. Spendengelder sind – abzüglich eines Steuervorteils – einem vollkommenen Kapitalverlust vergleichbar. Es empfiehlt sich daher für Investoren, im Bereich sozialer Investments innerlich eine Mischkalkulation anzustellen: einen Teil des Geldes als Spende zu betrachten, die evtl. zurückbezahlt wird, und den Rest als echte Investition zu sehen, auf deren Verzinsung spekuliert wird. Mit der Übersetzung dieses Prinzips in ein finanzielles Konstrukt konnte die Deutsche Bank 2005 ein Dutzend institutionelle Investoren gewinnen, sich am „Global Commercial Microfinance Consortium“ zu beteiligen, das 81 Millionen US-$ Kapital für Mikrofinanzinstitutionen zur Verfügung stellte: Eine Bürgschaft der US-amerikanischen Entwicklungsagentur (USAID) in Höhe von 15 Millionen US-$ begrenzte das Ausfallrisiko für die beteiligten Investoren in diesem für sie völlig neuen Marktsegment. 2
Wertvorstellungen
Viele UnternehmerInnen und Akteure in SEOs verfügen über ein hohes Maß an Idealismus, was ihre Tätigkeiten anbelangt. Dies führt teilweise zu einer hohen Skepsis gegenüber der traditionellen Marktwirtschaft und ihren Akteuren – und folglich einer hohen Hemmschwelle, externe Kapitalgeber am Unternehmen zu beteiligen. Auch die bereits oben angeführte Stakeholderorientierung von SEOs führt zu einer deutlichen Zurückhaltung, Gesellschafter (Shareholder) an Bord zu nehmen, deren Motive nicht immer verstanden werden. Konkret führt dies zu zwei Themenstellungen, die im Vorfeld einer Investition intensiv diskutiert und hinterfragt werden:
Herkunft des investierten Geldes, persönlicher Fit der Investierenden.
Viele der Sozialunternehmerinnen und -unternehmer, mit denen wir arbeiten, äußern den Wunsch zu wissen, womit das Geld verdient wurde, mit dem sie arbeiten und ihre Wirkung skalieren wollen. „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist eine Aussage, die von SozialunternehmerInnen in aller Regel verneint wird. Selbstverständlich gibt es hier auch immer Kompromissbereitschaft, zumal institutionelle Geldgeber diese Frage nicht beantworten können – selbst ethische Banken wissen nicht, woher das Geld ihrer Kundschaft kommt, sie können nur beeinflussen, wie es verwendet wird. Investierende sollten daher darauf gefasst sein, dass in diesem Punkt auch von ihnen Transparenz gefordert wird.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Generell besteht bei SEOs der Wunsch, ihre Geldgeber wirklich zu kennen. Die Anonymität und Dynamik bestehender Kapitalmärkte passt nicht zu dem hohen Maß an Identifikation, dass alle Beteiligten und Mitarbeitenden den Zielen der SEO entgegen bringen. Investoren werden zwar in der Regel ohnehin eine Affinität zum Tätigkeitsbereich der ausgewählten SEOs mitbringen. Doch verlangen viele Sozialunternehmer die Bereitschaft, sich intensiv auch inhaltlich mit der Arbeit des Unternehmens auseinander zu setzen und zu 100 Prozent hinter den gemeinsamen Zielen zu stehen. Somit kommt einem Investor häufig eine Rolle ähnlich einem business angel oder zumindest intensiven Ratgeber zu. Beides lässt sich am Beispiel der Kopeme Bank (www.kopeme.org) in Togo aufzeigen. Ursprünglich startete das Ganze als ein NGO-basiertes Mikrokreditprogramm, unterstützt von einem deutschen Partner-Verein (Ana yi Africa – Brücken nach Afrika e.V.). In den ersten drei bis vier Jahren jedoch war kaum Wachstum zu verzeichnen – Anfang 2009 gab es 212 Kreditnehmende. Eine deutsche Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde auf das Projekt aufmerksam und entwickelte gemeinsam mit Ana yi Africa einen social business-Ansatz, der an den Prinzipien der Grameen Bank von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus orientiert war. Die Kopeme Bank entstand, Schulungen bei Grameen in Bangladesh folgten. Die Zinsstrukturen wurden gemeinsam mit den Kreditnehmenden entwickelt und festgelegt. Die deutschen Wirtschaftsprüfer gründeten ein eigenes social business, das der Kopeme Bank sozial orientierte Investoren vermittelt. Durch den unternehmerischen Ansatz, gepaart mit Vertrauen in die langjährige Kooperation, ist die Anzahl der Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer bis April 2010 auf über 5.000 gestiegen. 3
Messbarkeit
Sofern SEO und Investoren nun derart auf gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen eingeschworen sind, folgt unmittelbar die Frage nach der Messung dieser Ziele. Erfolg kann schließlich nur gefeiert werden, wenn Ziele nachweislich erreicht wurden. 25 Prozent aller Start-ups scheitern innerhalb der ersten drei Jahre (KfW Bankengruppe 2010) – meist wegen Überoptimismus und folglich zu geringen Kapitalrücklagen. Ökonomische Kennzahlen bieten dazu ein Gegengewicht, sie spiegeln die Effizienz der Organisation wider. Eine ähnliche Rolle spielt impact measurement für den sozialen Bereich. Zusätzlich jedoch wird die Balance der finanziellen und sozialen Ziele gesichert, da die Effektivität bei der Zielerreichung gemessen wird. Doch bereits hier beginnen die Probleme:
Kuhlemann: Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft
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Viele SEOs glauben – genau wie das Gros gemeinnütziger Organisationen –, dass ‚Gutes tun‘ an sich gut genug ist und kritisieren die Notwendigkeit von Messungen. Dass sie ggf. noch mehr Gutes erreichen könnten, ist ein für viele ein unbequemer Gedanke (Emerson et al. 2004: 79), hat er doch zur Folge, dass die eigene Strategie bei der Zielerreichung ständig hinterfragt und verbessert werden muss. Ein Waisenhaus zu bauen ist an sich noch keine wirkliche soziale Leistung. Erst, wenn belegt ist, dass der eigene Ansatz die Bedürfnisse elternloser Kinder besser befriedigen kann als die bisher angebotenen (meist staatlichen) Strukturen – und am Ende selbständige, gesunde junge Menschen dem Haus entwachsen – kann von einem wirklichen Erfolg gesprochen werden. Für die Messung und (wo möglich) ökonomische Bewertung sozialer Ziele fehlen bisher Standards (Bonini/Emerson 2005: 22). Nahezu jede Stiftung entwickelt ihr eigenes Berichtswesen, andere Geldgeber ebenfalls. Mehrere Organisationen und Netzwerke versuchen derzeit gleichzeitig, aus der Vielzahl der Ansätze einen gemeinsamen Nenner zu identifizieren (z.B. IRIS Impact Metrics Framework Rockefeller Foundation; Acumen Fund; B-Lab; WBCSD Impact Measurement Framework; ISEAL Initiative; AccountAbility Framework; Global Reporting Initiative). Statt einer Vereinheitlichung konstatieren die sich mehrenden Überblicksberichte und -artikel bislang jedoch eine Häufung von Einzelfällen. Deutlich wird, dass zahlreiche Methoden aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich, die über Scorecards hinaus gehen, bisher selten zur Anwendung kommen [siehe den aktuell erarbeiteten Reporting Standard für social entrepreneurs von Roder et al.]. Standards müssen streng genommen für jeden Bereich separat entwickelt werden (Emerson et al. 2004: 78), da Effekte z.B. im Gesundheitswesen kaum mit Effekten im Bildungswesen verglichen werden können. Für die Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit von sozialen Investments ist dies von Nachteil. Dennoch wird es nie möglich sein, den „Wert“ z.B. der Impfung von 200 Kindern zum „Wert“ der Alphabetisierung von 200 Kindern wirklich ins Verhältnis zu setzen. Wenn solche Standards entwickelt sind, fehlt noch der Aufbau einer Datenbank mit Vergleichswerten: Welche Ansätze sind bisher unter welchen Bedingungen erfolgreich, welche nicht? Was sind die Benchmarks, an denen sich neue Projekte messen lassen sollten? Welche Bereiche werden bisher vernachlässigt? Und – fast am wichtigsten – welche Indikatoren zeigen frühzeitig auf, ob ein (neuer) Ansatz vermutlich zum angestrebten Ziel führen wird oder nicht? Gerade im sozialen Bereich sind die Auswirkungen oft
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erst nach vielen Jahren feststellbar. Wenn erst 15 Jahre nach Einführung eines Bildungsprojektes dessen Wirksamkeit evaluiert werden kann, ist zeitlich eine vollständige Generation ins Land gegangen. Bei der praktischen Umsetzung sozialer Geschäftsmodelle nicht zu unterschätzen ist das inhärent hohe Maß der Marktasymmetrie in diesem Bereich. Die von SEOs erbrachten Dienstleistungen fallen häufig in den Bereich immaterieller Güter – ihr Nutzen ist schwer messbar, vor allem jedoch gibt es für ihn keinen Markt, da das Produkt nicht handelbar ist (Andriessen 2004: 5) – für die erwirtschaftete ökonomische Wohlfahrt gibt es keine Käuferschaft. Dies erschwert die Findung eines ‚fairen‘ Marktpreises.
In der Marktwirtschaft erfolgt die Preisfindung durch Angebot und Nachfrage: Käuferinnen und Käufer vergleichen Preise und Qualität eines Angebots, verhandeln und schließen dann mit dem Anbieter einen Vertrag, dessen Erfüllung sie kontrollieren. Bei sozialen Gütern verfügt die Kundschaft jedoch über zu wenig Informationen und letztlich nur bei manchen Geschäftsmodellen über einen Vertrag mit dem Anbieter (Hansmann 1980: 843) – die üblichen Kontrollen entfallen daher. Investoren, denen an der Effektivität ihres Investments gelegen ist, sollten daher darauf achten, dass andere Methoden der Stakeholdereinbindung genutzt werden, um vertragliche Konstrukte zu ersetzen. Sofern also nicht wie im Beispiel der Mikrokredite tatsächlich ein Vertrag zwischen Kreditgeber (Anbieter) und Kreditnehmern (Käufer bzw. Kunde) existiert, sind regelmäßige Umfragen unter den LeistungsempfängerInnen nach der Zufriedenheit mit der Dienstleistung ein wichtiger Indikator, wobei intelligente Analysen und Fragestellungen zum Einsatz kommen müssen. Die Messung von Erreichtem ist im sozialen Bereich teuer und langwierig. Von essentieller Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Leistung (output) und Wirkung (outcome). Bis heute beschränken sich viele Erfolgsberichte streng genommen auf Leistung: die Anzahl geschulter Jugendlicher, das Volumen der vergebenen Mikrokredite usw. Was diese Leistung tatsächlich zur Folge hatte (Anzahl Jugendlicher, die durch die Schulung in den Arbeitsmarkt reintegriert wurden; Senkung des Armutsniveaus entlang verschiedener Kriterien durch Kredite; …), lässt sich meist erst mit einer zeitlichen Verzögerung feststellen – und in der Kausalität selten eindeutig der ursprünglichen Leistung zuordnen. Nur selten finden darüber hinaus die makroökonomischen Effekte eine Berücksichtigung, z.B. wenn Mikrokredite zu geringen Zinssätzen, subventioniert durch Spendengelder, vergeben werden – und damit die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort behindern (Lischka 2007).
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Abbildung 2: Kausalkreis zur Messung sozialer Wirkung (eigene Darstellung)
Dennoch ist es für die Entwicklung des sozialen Unternehmertums als Markt von entscheidender Bedeutung, dass solche Zahlen erhoben werden und als Rückmeldung nicht nur intern Verwendung finden, sondern auch einen Beitrag leisten zur Findung internationaler Standards. Dieser Aufwand sollte in sämtliche Budgets – finanziell wie personell – mit einkalkuliert werden. Nur dann kann langfristig sichergestellt werden, dass ‚gut Gemeintes‘ auch ‚gut gemacht‘ wird. 4
Entwicklungsstand
Nicht nur das Thema Messbarkeit, verbunden mit der Möglichkeit, Transparenz und eine unabhängige Regulierung und Beurteilung zu schaffen, steckt im Bereich sozialer Investments noch in den Anfängen. Wenn eine Art Lebenszyklus unterstellt wird, zeigen auch andere Faktoren, dass die Branche noch sehr jung ist.
Vielfalt junger Geschäftsmodelle Fast jeder Bereich, den eine SEO in Angriff nimmt, ist Neuland. Geschäftsmodelle im Sinne von social business suchen nach Möglichkeiten, die Nutznießenden einer Dienstleistung zum Kunden zu machen. Investoren
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müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass innovative Ansätze immer auch mit dem Risiko behaftet sind, nicht zu funktionieren. Es gibt noch wenig Erfahrungswerte über Zahlungsbereitschaft und Preiselastizität bei den zukünftigen Kundschaft. Häufig sind aber auch logistische Herausforderungen (Erreichbarkeit ländlicher Gegenden) und Akzeptanzfragen ungeklärt. Nicht zuletzt sollte das Angebot auf die Klientel zugeschnitten sein, evtl. sogar mit ihr entwickelt werden – allzu häufig klaffen sonst Bedürfnis und Produkt noch viel deutlicher auseinander als in übersättigten Wohlstandsmärkten, wo Bedürfnisse notfalls über Marketingmaßnahmen geschaffen werden. Wenig Skalierungserfahrung/-erfolge Der älteste Bereich dieser Branche, die Mikrofinanzierung, hat als bisher einziger in den vergangenen drei Jahrzehnten einen massiven Wachstumskurs erlebt. Dieses Wachstum erfolgte jedoch größtenteils unkontrolliert und es wird nach wie vor viel Schaden angerichtet, wo Kapitalinteressen die sozialen Motive verdrängt haben (Bauer 2009; Kropp 2001: 5-6). Dabei ist das unerreichte Potential (bis auf Bangladesh liegt in keinem Land der Zugang zu Mikrokrediten für Arme im zweistelligen Bereich) nach wie vor enorm. Seit etwa zwei Jahren wird social franchising als Skalierungsmodell breit diskutiert. Im Gegensatz zu den zahlreichen theoretischen Abhandlungen jedoch sind in der Praxis nur sehr wenige wirklich erfolgreiche Modelle am Markt (Dalberg 2009: xii). Die meisten SEOs sind nach wie vor Kleinunternehmen, deren Augenmerk auf der erfolgreichen Umsetzung des eigenen Geschäftsmodells liegt, bevor an eine Multiplizierung überhaupt zu denken ist [siehe auch den Beitrag von Hackl zu social franchising – multiplizieren und skalieren]. Wettbewerbsverzerrungen Soziale Unternehmen mit Tätigkeitsschwerpunkt in Industrieländern sehen sich häufig mit der Herausforderung konfrontiert, mit staatlichen oder staatlich subventionierten Dienstleistern zu konkurrieren. Aber auch gemeinnützige Organisationen, die ihre Dienste stark verbilligt (d.h. durch Spenden subventioniert) anbieten, sorgen für eine starke Marktverzerrung. In beiden Fällen bleibt meist nur, das eigene Angebot deutlich abzugrenzen – wie im Falle der elysion GmbH (www.elysion-pflege.de), einem Berliner Unternehmen, das palliative Pflege im häuslichen Bereich anbietet – also eine ärztliche Überwachung unheilbar Kranker im gewohnten Zuhause statt im Krankenhaus.
Kuhlemann: Sozialwirtschaft vs. Marktwirtschaft
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All dies führt zum heutigen Zeitpunkt zu einem insgesamt höheren Investitionsrisiko, als es herkömmliche Investments darstellen. Eine intelligente Risikostreuung durch Diversifizierung in verschiedene Bereiche und Investition in unterschiedlich gelagerte SEOs kann daher nur angeraten werden. 5
Finanzierungsinstrumente
Theoretisch stehen für die Finanzierung von SEOs dieselben Instrumente zur Verfügung, die auch ‚normale‘ Unternehmen in Anspruch nehmen. Häufig erleben SEOs jedoch, dass ihr Ansatz, einem Paradigmenwechsel zu folgen und soziale Probleme wirtschaftlich lösen zu wollen, dazu führt, dass sie weder bei privaten Investoren noch bei institutionellen Geldgebern wie Banken auf Verständnis stoßen – sie passen dort nicht in die bestehenden Kategorien, ihr Geschäftsmodell ist erheblich erklärungsbedürftig. Das anders geartete Geschäftsmodell führt dazu, dass die angewandten Finanzierungsinstrumente durchaus in einigen Merkmalen anders gestaltet werden sollten.
Fremdkapital wie Kredite können zum Beispiel eine besonders lange Zeitspanne bis zur ersten Tilgung vorsehen und individuell gestaltete Tilgungsmuster bis hin zur Endfälligkeit zulassen, (zum Teil) auf die Bereitstellung von Sicherheiten verzichten oder eine besonders lange Laufzeit zugestehen. Die Vergabe an eine Gruppe von Kreditnehmenden ist im Mikrokreditbereich beliebt, so dass anstelle der Besicherung durch den Einzelnen die Haftung durch die Gruppe tritt. Es sind auch Überbrückungskredite möglich, die lediglich die Zeitspanne bis zur Auszahlung von Fördergeldern abdecken – da die letzte Rate bei Fördergeldern häufig erst nach Abschluss eines Projektes ausbezahlt wird. Oder aber der Investor incentiviert die Erreichung spezieller Meilensteine und Wirkungseffekte, indem im Erfolgsfall auf die Rückzahlung einzelner Raten oder gar des gesamten Kredits verzichtet wird. Geduldiges Kapital, also die Option auf eine Kreditvergabe, kann für viele SEOs die Unsicherheit der ersten Betriebsjahre abfedern. Sie erhalten die Möglichkeit, den Kredit innerhalb einer festgelegten Zeitspanne abzurufen – müssen es aber nicht. Wenn mehrere Investoren kooperieren, können Bürgschaften das Ausfallrisiko derjenigen Investoren begrenzen, die zunächst für den tatsächlichen Liquiditätsfluss sorgen.
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Mezzanines Kapital, also Fremdkapital, dass bilanziell als Eigenkapital bewertet wird, entsteht durch die Nachrangigkeit – im Falle einer Insolvenz wird der Kredit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bedient, da anderen Gläubigern Vorrang gegeben wird. Eigenkapital schließlich kann so gestaltet werden, dass bewusst der soziale Nutzen des Unternehmens honoriert und nur ein Teil der erwirtschafteten Gewinne ausbezahlt wird. In Großbritannien gibt es dafür eine eigene Unternehmensform, die „Community Interest Company“. Als haftungsbeschränktes Unternehmen muss es im weitesten Sinne gemeinnützige Ziele auf wirtschaftliche Weise verfolgen. Die Ausschüttungen an Investoren sind auf 35 Prozent der Gewinne begrenzt und dürfen gleichzeitig 20 Prozent des Wertes jedes Anteils nicht übersteigen. Auch eine Begrenzung etwa auf einen Inflationsausgleich ist denkbar; in jedem Fall steht der restliche Gewinn dem Wachstum der Firma zur Verfügung. Es gibt auch Modelle wie das der Ethical Property Company (www.ethicalproperty.co.uk), deren Aktionäre durchschnittlich 3 Prozent Dividende erhalten – auf deren Ausschüttung sie jedoch auch verzichten können, woraufhin die Dividende über einen Fonds den (meist gemeinnützigen) Kunden der Ethical Property Company zugute kommt.
Das Ziel ist in jedem der genannten Fälle, eine noch höhere „soziale Rendite“ zu erwirtschaften. Unter dieser Vorgabe ist die Finanzierung im konkreten Einzelfall zu gestalten [siehe dazu vertiefend auch die Beiträge von Achleitner et al. und von Alberg-Seberich/Wolf]. 6
Bedürfnisse
Die zahlreichen dargestellten Besonderheiten der „Sozialwirtschaft“ führen dazu, dass SEOs speziell gelagerte Bedürfnisse aufweisen, die Investoren erfüllen sollten:
Der Wille zu Transparenz sowohl seitens der Investoren als auch innerhalb des jungen Unternehmens ist entscheidend, um eine belastbare Vertrauensbasis aufzubauen. Geduld hat im Bereich von Innovationen einen hohen Stellenwert. Rückschläge sollten einkalkuliert, Renditen eher konservativ geschätzt werden. SEOs benötigen professionelle Hilfestellung bei der Erprobung ihrer Geschäftsmodelle.
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Flexibilität und Kreativität bei der Gestaltung von Investitionen in SEOs wird in den nächsten Jahren notwendig sein, um auf neue Entwicklungen reagieren zu können. Erfolgsmessung ist von entscheidender Bedeutung, um die sozialen Ziele der SEOs auch zu erreichen. Eine Anlehnung an die bisherigen Versuche, Standards zu entwickeln, kann bei der Entwicklung des eigenen Sets von Indikatoren und Kriterien viel Zeit und Mühen sparen. Gleichzeitig sollte ein Strategieprozess, wie ihn die Marktwirtschaft ohnehin kennt, unbedingt früh implementiert werden, um anhand von Meilensteinen eine ständige Überprüfung des bisher Erreichten zu gewährleisten. Langfristig sollten Kooperationen mit anderen SEOs angestrebt werden, um gemeinsam ein Ökosystem von Dienstleistern entstehen zu lassen: Spezielle Beratungshäuser, Ratingagenturen, Kapitalvermittler und Wirtschafts-/Erfolgsprüfer sind unabdingbar, damit der SEO-Markt langfristig für Kapitalgebende an Attraktivität gewinnt.
Letztlich benötigen SEOs Investoren an ihrer Seite, die sich als Partner verstehen und gemeinsam als Pioniere an einer spannenden, neuen Entwicklung beteiligt sind – die das Potential hat, viele der Fehlentwicklungen der Marktwirtschaft zu vermeiden. Wen der hohe Aufwand und der lange Weg hin zu einem vollwertigen Markt nicht schreckt, der wird möglicher Weise auf andere Art belohnt, als es die bisherige Erfahrung lehrt: Freundschaften, Menschlichkeit und eine leidenschaftliche Überzeugung der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns sind Elemente, die diese junge Branche prägen. Erste wirtschaftliche Erfolge sind bereits vorhanden; nun ist es an sozialen Investoren, diesem Wachstum ein finanzielles Rückgrat zu bieten. Quellenverzeichnis Andriessen, Daniel (2004): Making sense of intellectual capital. Designing a method for the valuation of intangibles. Burlington. Bauer, Verena (2009): Mikrokredite als Instrument der Entwicklungshilfe. Mikrokreditvergabe durch die venezolanische Frauenentwicklungsbank BANMUJER. Diplomarbeit Universität Wien. http://www.mikrofinanzwiki.de/sites/default/files/literatur/Diplomarbeit_BauerVerena.pdf (letzter Aufruf: 31.10.2010). Bonini, Sheila/Emerson, Jed (2005): Maximising blended value. Building beyond the blended value map to sustainable investing, philanthropy and organizations. http://www.blendedvalue.org/ media/pdf-max-blendedvalue.pdf (letzter Aufruf: 31.10.2010). Breuer, Wolfgang (2002): Investition I – Entscheidungen bei Sicherheit. 2. Auflage. Wiesbaden.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
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Finanzierung von Social Enterprises – Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte Ann-Kristin Achleitner, Wolfgang Spiess-Knafl und Sarah Volk*
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Finanzierungsstruktur
Sozialunternehmen [ebenso wie social enterprises im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit SEO bezeichnet] stellen im Gegensatz zu profitorientierten Unternehmen die Verfolgung eines sozialen Ziels in den Vordergrund ihres unternehmerischen Handelns. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Möglichkeiten ihrer Finanzierung. So bestehen für SEOs zwar grundsätzlich die gleichen Finanzierungsmöglichkeiten wie für klassische Unternehmen, aufgrund der geringen bis nicht vorhandenen finanziellen Rendite und der daraus resultierenden Unsicherheit und geringen Attraktivität für Kapitalgeber kommen manche der klassischen Finanzierungsinstrumente jedoch nur sehr eingeschränkt oder gar nicht in Frage. Während die Fokussierung auf soziale Ziele auf der einen Seite zu Restriktionen führt, eröffnet dies SEOs auf der anderen Seite den Zugang zu Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumenten, die profitorientierten Unternehmen verschlossen bleiben. So haben Sozialunternehmen – wie auch alle Sozialorganisationen – in der Regel Zugang zu öffentlicher Finanzierung und Spenden. Beiden kommt ein hoher Stellenwert in der Finanzierungsstruktur von SEOs zu. Darüber hinaus wurde aufgrund der oben beschriebenen Restriktionen beim unangepassten Einsatz klassischer Finanzierungsformen bei SEOs eine Reihe von zinsreduzierten Finanzierungsinstrumenten geschaffen, die die Bereitstellung finanzieller Mittel durch sozial orientierte Kapitalgeber ermöglicht. Diese Investoren lassen nicht nur finanzielle, sondern auch soziale Renditeaspekte – also den Wert, der durch das Wirken der SEO für Teile der Gesellschaft generiert wird – in ihre Investitionsentscheidung einfließen. Sie verfolgen damit
* Der Beitrag stützt sich auf Forschungsarbeiten, die mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Mercator am Center for Entrepreneurial and Financial Studies (CEFS) der TU München durchgeführt werden.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_17, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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einen sog. double-bottom-line-Ansatz.1 Parallel zum Sozialunternehmertum haben sich somit eine auf dieses Phänomen abgestimmte neue Art der Finanzierung sowie eine neue Klasse von Investoren herausgebildet. Im Unterschied zu klassischen Investoren ist sozialen Investoren der soziale Wert der Investition wichtig, daher mindern sie ihre finanziellen Ansprüche ab. Sie versuchen also, die Gesamtrendite des Projekts zu maximieren, die aus sozialen und finanziellen Komponenten besteht. Die auf diesem Ansatz aufbauenden Finanzierungsinstrumente stehen dabei insbesondere jenen Sozialorganisationen zur Verfügung, die als SEOs angesehen werden. Von der Bedeutung her sollten sich SozialunternehmerInnen wohl zuerst mit den Finanzierungsmöglichkeiten für Sozialorganisationen und jenen besonderen für Sozialunternehmen befassen, bevor sie sich den klassischen marktlichen Finanzierungslösungen für Unternehmen zuwenden. Allerdings ist gerade der Markt für diese speziellen Angebote noch relativ intransparent. Es ist daher notwendig, dass Sozialunternehmerinnen und -unternehmer sich frühzeitig mit der Finanzierungsfrage beschäftigen und für ihre SEO festlegen, wie die Finanzierungsstruktur aussehen sollte, bevor sie nach dem passenden Anbieter einer Finanzierungslösung suchen. Die Ansprache von Kapitalgebern erfordert auch ein Umdenken der Sozialunternehmer. So fordern viele Kapitalgeber unter anderem ein Mindestmaß an Reporting und Transparenz [siehe hierzu vertiefend die Beiträge von Kuhlemann, Breidenbach und Roder et al.]. Bei der Bestimmung der Finanzierungsstruktur für eine SEO wird nach Finanzierungsquellen und Finanzierungsinstrumenten unterschieden. Die Finanzierungsquellen können dabei in Innen- und Außenfinanzierung unterteilt werden. In Abbildung 1 sind die in der Folge näher dargestellten Finanzierungsquellen und die damit zur Verfügung stehenden Finanzierungsinstrumente aufgeführt. Einige Finanzierungsinstrumente werden zwar von mehreren Kapitalgebern verwendet, unterscheiden sich aber in der vertraglichen Ausgestaltung.
1 Da sozial orientierte Kapitalgeber im Rahmen des double-bottom-line-Ansatzes bei ihrer Investitionsentscheidung finanzielle und soziale Aspekte berücksichtigen, stellt auch die angestrebte Rendite eine Kombination beider Ausprägungen dar und wird häufig als blended return bezeichnet.
Achleitner et al.: Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte
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Abbildung 1: Klassifizierung der Finanzierungsstruktur nach Innen- und Außenfinanzierung (eigene Darstellung)
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Finanzierungsquellen
Bei der Einteilung der Finanzierungsquellen in Innen- und Außenfinanzierung wird die Perspektive des Unternehmens, hier der SEO, eingenommen. Entscheidend ist, ob das Kapital innerhalb des Unternehmens erwirtschaftet oder von außen (d.h. von Kapitalgebern) zugeführt wird.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Die Innenfinanzierung einer SEO zeigt den hybriden Charakter zwischen Sozialorganisation und klassischem Unternehmen auf. So kommt es hier unter Umständen, wie bei einem klassischen Unternehmen, zu einer leistungsabhängigen Einkommensgenerierung durch die Zielgruppe, wenn diese ein Entgelt für die Inanspruchnahme der Dienstleistungen oder den Kauf der Produkte entrichtet. Im Unterschied zu klassischen Unternehmen besteht jedoch auch die weit genutzte Möglichkeit der Innenfinanzierung seitens der öffentlichen Hand. Diese finanziert die SEO gerade wegen ihrer Leistungserbringung, nur eben stellvertretend für die Zielgruppe resp. die Begünstigten. Im Rahmen der Außenfinanzierung wird Unternehmen von Kapitalgebern Eigenkapital, Fremdkapital oder sog. Mezzaninkapital (Mischform aus Eigenund Fremdkapital) zugeführt. Über diese klassischen Formen hinaus werden SEOs Spenden oder Hybridformen als Kombination verschiedener Elemente von Spenden, Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung gestellt (Achleitner et al. 2007). Die Kapitalgeber können dabei nach der relativen Höhe der finanziellen Renditeansprüche unterteilt werden. Diese reichen von der Erwartung einer marktgerechten Rendite (d.h. einer solchen, wie sie auch bei vergleichbaren rein finanziell getriebenen Investitionen verlangt wird) über eine verringerte finanzielle Rendite bis zu einem völligen finanziellen Renditeverzicht. Im letzteren Fall maximieren Investoren ausschließlich ihre soziale Rendite und hegen keinerlei finanzielle Renditeerwartungen. Im sozialen Bereich kommt also ein erweitertes Renditekonzept zum Tragen. Öffentliche Hand Die öffentliche Hand trägt einen wesentlichen Teil der gesamten Sozialausgaben und nutzt dafür verschiedene Wege. Durch Ausschreibungen und festgesetzte Leistungssätze kann sie einen Markt für Leistungen schaffen. Diese Marktmechanismen sieht man etwa bei der Ausschreibung von Rettungsdiensten oder der Festlegung von Pflegegeldern. Neben diesen Finanzierungsmodellen kann die öffentliche Hand auch auf Projektfinanzierung zurückgreifen.2 Dabei gewährt sie Projekten, die im öffentlichen Interesse liegen, für einen längeren Zeitraum Gelder, die in der Regel 2 Im Rahmen der Projektfinanzierung durch einen öffentlichen Träger wird ein Projekt für einen festgelegten Zeitraum mit finanziellen Mitteln ausgestattet, die häufig lediglich als Anschubfinanzierung gedacht sind. Im Gegensatz dazu wird bei der Finanzierung von herkömmlichen Unternehmen unter Projektfinanzierung die Finanzierung von rechtlich abgrenzbaren, eigenständigen Projekten eines Unternehmens durch Eigen- und Fremdkapitalgeber verstanden.
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nicht zurückgezahlt werden müssen. Als Grundlage für eine Projektfinanzierung sind Konzepte erforderlich, die einen Lösungsansatz für ein bestimmtes Problem darlegen. Die Finanzierung erfolgt in der Regel auf Kostenbasis.3 Zielgruppe und Begünstigte Bei der Finanzierung über die Zielgruppe und Begünstigte sind verschiedene Modelle denkbar. So können Mitgliedsbeiträge erhoben oder Umsätze durch den Verkauf von Dienstleistungen oder Produkten an die Zielgruppe generiert werden. In einigen Fällen können auch Begünstigte identifiziert werden, die ein Interesse an der Leistung für die Zielgruppe haben und dafür aufkommen können. Beispiele dafür sind etwa Qualifizierungsprogramme für Jugendliche, von denen etwa Unternehmen unmittelbar profitieren. Die SEO bietet also eine Dienstleistung an oder – im selteneren Fall – stellt ein Produkt her, bei deren Erbringung bzw. Verkauf eine Forderung entsteht. Damit diese sich auch als Umsatz niederschlägt, ist auch ein angemessenes Debitoren-Management wichtig. Das bedeutet, dass die Finanzierungssituation eines (Sozial-)Unternehmens häufig einfach dadurch verbessert werden kann, dass ausstehende Forderungen auch tatsächlich eingetrieben werden. In manchen Fällen ist auch das Zahlungsziel untypisch lang – bei einer Verkürzung kann die Kapitalbindung unter Umständen reduziert werden. Eine kürzere Kapitalbindung setzt Mittel frei, die ihrerseits wieder zur Finanzierung anderer Tätigkeiten genutzt werden können. So einfach dies klingt, ein professionelles Management der Außenstände ist ein häufig brachliegendes Potential. Hierdurch haben es SEOs selbst in der Hand, ihre Finanzierungssituation zu verbessern. Mitunter wird angenommen, dass sich SEOs vor allem durch die Einkommensgenerierung über ein kundenbezogenes, vom Staat unabhängiges Geschäftsmodell von klassischen Sozialorganisationen differenzieren (Boschee/ McClurg 2003; John 2006). Diese Unterscheidung greift unseres Erachtens aber zu kurz, da sie häufig kein Einkommen von der Zielgruppe beziehen können und sich deswegen über die öffentliche Hand oder andere private Kapitalgeber finanzieren müssen. So wird etwa bei der Vermeidung häuslicher Gewalt gegen Frauen ein Geschäftsmodell, das auf Einkommensströme der Zielgruppe baut, in 3 Die öffentliche Hand hat außerdem noch die Möglichkeit, Zuschüsse zu gewähren. Technisch gesehen sind diese wie eine nicht-rückzahlbare Zuwendung von Privatpersonen oder Stiftungen zu betrachten. Im Folgenden wird die öffentliche Hand aber ausschließlich als Finanzierungsquelle der Innenfinanzierung betrachtet, da sie stellvertretend für den Leistungsempfänger die Bezahlung übernimmt.
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den seltensten Fällen funktionieren. Wir verfolgen damit ein Modell der SEO im weiteren Sinne, in dem auch öffentliche Finanzierung und Spenden nicht ausgeschlossen sind. Neben der Gruppe der SEOs, für die es grundsätzlich keine Innenfinanzierung durch die Zielgruppe geben kann, ist es auch bei jener Gruppe, bei der dies grundsätzlich denkbar ist, häufig so, dass bei Gründung und Aufbau der SEO mit einer öffentlichen Finanzierung (und/oder einer Spendenfinanzierung) gestartet wird und die Innenfinanzierung über die Zielgruppe diese erst langsam ablöst. Die Finanzierungsstruktur ist damit nicht für eine bestimmte Art von SEOs „gesetzt“, sondern kann sich entwickeln und an die Bedürfnisse und Potentiale anpassen. Gleiches gilt auch für die Aufnahme von externem Kapital. Aufgrund von Konflikten, die sich aus dem Mix verschiedener Finanzierungsquellen ergeben, erfolgt die Veränderung in der Finanzierungsstruktur jedoch häufig nicht graduell, sondern in Sprüngen. Investoren ohne finanzielle Renditeerwartung Die erste Gruppe der Kapitalgeber der Außenfinanzierung sind Investoren, die ausschließlich eine soziale Zielsetzung verfolgen und dafür auf jegliche finanzielle Rendite verzichten. In diese Gruppe fallen sowohl Spender, Stiftungen als auch Unternehmen. Die klassische Form der Unterstützung von Sozialunternehmen und Sozialorganisationen ist die Spende. In den meisten Fällen ist sie zweckgebunden, da schon beim Fundraising auf konkrete Projekte verwiesen wird. Darüber hinaus legen Spender Wert darauf, dass nur ein möglichst geringer Anteil der Spende für administrative Aufwendungen verwendet wird. Aus diesen Gründen hat sich in den letzten Jahren der Gedanke durchgesetzt, dass klassische Spenden in manchen Fällen zu kurz greifen, weil sie durch den Fokus auf Projektausgaben eine oft notwendige Organisationsentwicklung erschweren. Eine neue Generation von sozial orientierten Kapitalgebern, die ihr Vermögen vielfach in relativ kurzer Zeit als IT-Unternehmer oder als Investment-Manager verdienten, hat sich zum Ziel gesetzt, innovative und unternehmerische Konzepte im Sozialsektor zu unterstützen und auch eigenes Knowhow einzubringen. Diese Ansätze sind unter venture philanthropy oder high engagement philanthropy bekannt geworden. Sie übertragen den Ansatz von venture capital-Gesellschaften auf den sozialen Sektor. Die Finanzierung beinhaltet zwei Komponenten – eine finanzielle und eine inhaltliche Unterstützung [siehe
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vertiefend die Beiträge von Alberg-Seberich/Wolf zu venture philanthropy sowie von Dölle zu social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendhilfe]4. Venture philanthropy-Gesellschaften setzen mehrere Finanzierungsinstrumente ein. Zudem verfolgen sie, wie einzelne Investoren auch, unterschiedliche Renditeansätze. So gibt es unter ihnen auch solche, die keine finanzielle Rendite anstreben. Sie werden Spenden-Venture-Philanthropy-Fonds genannt (Heister 2010). Beispiele in Deutschland wären Ashoka (www.germany.ashoka.org) oder Auridis, wobei letztere in einigen Fällen auch Darlehen vergibt. Investoren mit verringerter finanzieller Renditeerwartung Vor dem Hintergrund der Restriktionen der klassischen Spende haben sowohl Geldgeber als auch SEOs die Entwicklung zusätzlicher Finanzierungsinstrumente vorangetrieben. Der jeweilige Finanzierungsansatz ist anhand des Selektionsmechanismus zu unterscheiden (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Anlagestrategien sozial orientierter Kapitalgeber nach Selektionsmechanismus und Nebenbedingung (eigene Darstellung)
4 Venture philanthropy-Gesellschaften unterstützen ausgewählte SEOs mit größeren Beträgen über einen längeren Zeitraum, fördern den Aufbau organisatorischer Kapazitäten und gewähren ihnen auch Managementberatung. Die Verteilung der Mittel erfolgt konzentriert auf einige ausgewählte Organisationen, die als effizient und effektiv eingeschätzt werden (Achleitner 2007).
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Vor allem auf den Kapitalmärkten hat der Investmentansatz der Negativselektion unter dem Namen „Socially Responsible Investments“ (SRI) Popularität erlangt. Dabei investieren Fonds in Aktien und Anleihen von Unternehmen, die sie nach sozialen, ökologischen oder ethischen Ausschlusskriterien (z.B. Unternehmen in der Tabak-, Rüstungs- oder Glückspielindustrie) filtern (negative screening), oder sie selektieren Anlage-Unternehmen nach wünschenswerten Charakteristika, wie dem Engagement in bestimmten Geschäftsfeldern oder der besten Erfüllung der Zielkriterien (positive screening) bzw. kombinieren beide Ansätze. Anlegerinnen und Anleger können dann ihr Kapital über spezielle SRIFonds investieren – ihr Volumen in Europa wird nach einer engen Definition auf 1.200 Mrd. Euro und nach einer weiten Definition auf 5.000 Mrd. Euro geschätzt (Eurosif 2010). Investitionen in soziale Themenfelder werden gezielt getätigt, d.h. über positive Selektion alloziiert. Sie können dann gemäß ihrer Zielfunktion in weitere Kategorien unterteilt werden, je nachdem, ob sie einer finanziellen oder einer sozialen Nebenbedingung unterliegen.5 Bei der sozialen Nebenbedingung wird eine Investition in eine bestimmte Region oder ein ausgewähltes soziales Problemfeld getätigt und anschließend die finanzielle Rendite maximiert. Bei einer finanziellen Nebenbedingung wird hingegen der soziale Nutzen der Investition maximiert, sobald Kapitalerhalt oder eine Mindestrendite erreicht ist. Bei den Investitionen mit sozialer Nebenbedingung haben Kapitalgeber mehrere Anlagemöglichkeiten. „Community Development Venture Capital“ (CDVC), die in der Folge erklärten linked deposits und Mikrokredite sind Beispiele für diese Anlageklasse. Community Development Venture Capital tätigt Investitionen ausschließlich in strukturschwachen Regionen. Bridges Ventures Funds I & II investieren beispielsweise in Unternehmen mit sozialem oder ökologischem Nutzen oder in Unternehmen mit Sitz in den strukturschwächsten Regionen des Landes, in diesem Fall Großbritannien. Banken, die sich mit einem klaren Fokus auf die Kreditfinanzierung von sozialen und ökologischen Projekten auf dem Markt etabliert haben, konnten in den letzten Jahren beträchtliche Summen an Spareinlagen gewinnen. Dabei verzichten Kapitalgeber auf einen Teil ihrer Rendite und ermöglichen dadurch günstige Kreditkonditionen für soziale oder ökologische Projekte. Diese Spareinlagen sind auch unter linked deposits bekannt. In Deutschland sind in diesem Bereich die GLS Bank (www.gls.de) oder die Umweltbank (www.umweltbank.de) tätig. 5 Bridges Ventures/Parthenon Group (2010) sprechen in diesem Kontext von financial first (soziale Nebenbedingung) und impact first (finanzielle Nebenbedingung).
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Für Kapitalgeber gibt es auch Internet-Plattformen, die es ermöglichen, den Kreditnehmer persönlich und ohne Zuhilfenahme eines Intermediärs zu wählen. Bekannt sind MyC4 (www.myc4.com) oder kiva (www.kiva.org), die Profile von SEOs in Entwicklungsländern vorstellen und es Kapitalgebern ermöglichen, direkt in das betreffende Unternehmen zu investieren. Häufig diskutiert wird auch das Schwestermodell von Spenden-VenturePhilanthropy-Fonds. Die sog. social venture capital-Fonds nutzen die gleichen Methoden, stellen aber den SEOs statt Spenden überwiegend Darlehen, Eigenkapital oder Mezzaninkapital zur Verfügung. Dabei streben sie Kapitalerhalt oder eine geringe Verzinsung an. Beispiele hierfür sind in Deutschland der Fonds BonVenture (www.bonventure.com) oder neuerdings der Social Venture Fund (www.socialventurefund.com). Während die oben genannten social venture capital-Fonds von einigen wenigen Kapitalgebern „gefüttert“ werden und nicht der breiten Öffentlichkeit als Anlageform zur Verfügung stehen, gibt es auch social investment-Fonds, die für ein breites Publikum konzipiert sind. Sie bieten die Möglichkeit, soziale Projekte als Kapitalgeber mit einer finanziellen Rendite zu unterstützen. Dabei sind im Wesentlichen zwei Mechanismen unterscheidbar. Es kann ausschließlich in soziale Projekte mit einem gewissen Fokus oder als Ergänzung zu einem bestehenden Portfolio sicherer Anleihen investiert werden. Damit wird ein möglicher Verlust begrenzt. So bietet etwa die in der Schweiz ansässige ResponsAbility Social Investments AG (www.responsability.com) Anlageprodukte für private und institutionelle Investierende. Im Entstehen begriffen sind momentan Sozialbörsen, bei denen Investierende direkt in SEOs investieren können [siehe dazu auch den Beitrag von Breidenbach]. Investoren mit marktgerechter finanzieller Renditeerwartung In Abhängigkeit vom Geschäftsmodell können auch traditionelle Banken oder profitorientierte Investoren als Kapitalgeber agieren. Einige Geschäftsmodelle haben planbare cash flows, mit denen auch externes Eigen- oder Fremdkapital zu Marktkonditionen bedient werden kann. Beispiele finden sich im Klinik- und Pflegebereich, aber auch bei Anbieter von sozialer Infrastruktur. Banken stellen in der Regel Fremdkapital zur Verfügung, während sich profitorientierte Investoren eher auf Eigenkapital beschränken. Zunehmend sind Fälle zu beobachten, bei denen SEOs sowohl bei traditionellen venture capitalFonds als auch bei social venture capital-Fonds um eine Finanzierung ansuchen.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Eine Eigenkapitalfinanzierung durch Investoren, die nur eine finanzielle Rendite verfolgen, wird jedoch sicherlich die Ausnahme für SEOs bleiben. Ein Beispiel hierfür wäre allerdings die Investition einer traditionellen venture capitalGesellschaft in das nunmehr börsennotierte indische Mikrofinanzierungsinstitut SKS Microfinance. 3
Finanzierungsinstrumente
Im Rahmen der Außenfinanzierung stehen der SEO, wie schon erwähnt, unterschiedliche Ausgestaltungsformen der Finanzierung zur Verfügung. Die Finanzierungsinstrumente umfassen analog zur klassischen Unternehmensfinanzierung Eigenkapital, Fremdkapital und Mezzaninkapital. Darüber hinaus können SEOs auf Spenden und Hybridformen, die Elemente von Spenden und klassischen Finanzierungsinstrumenten in unterschiedlicher Ausprägung enthalten, zurückgreifen. Kapitalgeber erwarten für die Überlassung der finanziellen Mittel eine Kompensation in Form einer finanziellen Rendite, die allerdings zugunsten einer sozialen Rendite reduziert werden kann. Diese Kompensation wird bei Fremdkapitalinstrumenten in Form einer regelmäßigen und vertraglich festgelegten Zinszahlung geleistet. Bei Eigenkapitalinstrumenten erhält der Kapitalgeber in der Regel erfolgsabhängige Dividendenzahlungen. Mezzaninkapital kombiniert je nach vertraglicher Gestaltung Charakteristika von Eigen- und Fremdkapitalinstrumenten. Fremdkapital- und Mezzaninkapitalinstrumente dienen der temporären Kapitalüberlassung. Die finanziellen Mittel stehen der SEO für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung und sind nach der vereinbarten Laufzeit an die Kapitalgeber zurückzuzahlen. Eigenkapital und Spenden müssen nicht zurückgezahlt werden. Die Rückzahlung von hybriden Finanzierungsinstrumenten hängt von der Ausgestaltung ab. In Abbildung 3 werden Finanzierungsinstrumente anhand der beschriebenen Dimensionen „Rückzahlung“ und „Verzinsung“ klassifiziert. Die Darstellung folgt damit der Entscheidungslogik der SozialunternehmerInnen, die sich an erster Stelle fragen müssen, ob die betreffenden Mittel aus neu zufließenden Geldern in der Zukunft zurückgezahlt werden können und ob man diese Rückzahlungsverpflichtung auch eingehen will. An zweiter Stelle stellt sich die Frage, welche Form und Höhe der Verzinsung möglich ist.
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Abbildung 3: Klassifizierung der Finanzierungsinstrumente nach Rückzahlung und Verzinsung (eigene Darstellung)
Durch die Gestaltungsfreiheit der vertraglichen Vereinbarungen können einige Finanzierungsinstrumente mehrfach zugeordnet werden. In Abbildung 4 werden die relativen Beziehungen zwischen den einzelnen Finanzierungsinstrumenten noch hervorgehoben. Die zinsreduzierten sozialen Finanzierungsinstrumente sind jeweils mit dem Kürzel (s) versehen. Es gibt diese Finanzierungsinstrumente also jeweils in einer klassischen und in einer zinsreduzierten Form, welche die neuen Finanzierungsinstrumente für SEOs darstellen.
Abbildung 4: Alternative Klassifizierung der Finanzierungsinstrumente nach Rückzahlung und Verzinsung (eigene Darstellung)
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Eigenkapital Eigenkapital wird eingesetzt, um Investitionen zu tätigen oder Finanzierungslücken zu füllen. Eigenkapital ist permanentes, nachrangiges Kapital und wird den Kapitalnehmern ohne Rückzahlungsanspruch überlassen. Wenn der Eigenkapitalgeber sich aus seiner Investition zurückziehen will, so kann er dies nur, indem er seinen Anteil an einen anderen Eigenkapitalgeber übergibt.6 Auf diese Weise kann der Eigenkapitalgeber zeitlich limitiert investieren – aus der Sicht des Unternehmens hat jedoch nur ein Wechsel in der Person des Kapitalgebers stattgefunden; das Kapital steht unverändert unbegrenzt zur Verfügung. Der Eigenkapitalgeber wird Miteigentümer des Unternehmens und erwartet im Gegenzug eine Gewinnbeteiligung über Dividendenausschüttungen. Der Gewinn von SEOs wird in der Regel nicht ausgeschüttet. Bislang unterstellte man sogar, dass SEOs jeglichen anfallenden Gewinn für soziale Zwecke einsetzen. Auf diese Weise entsteht kein ausschüttbarer finanzieller, sehr wohl aber – aufgrund der erneuten Investition – ein sozialer Gewinn. In jüngerer Vergangenheit hat sich diesbezüglich jedoch eine Änderung ergeben. SEOs mit speziellen Rechtsformen, z.B. englische „Community Interest Companies“ (CICs), können Gewinnausschüttungen vornehmen. Allerdings ist auch hier ein oberes Limit (ein sog. cap) vorgesehen. Wichtig ist somit, dass es nicht zu einer Vollausschüttung kommt. Auch bei der Zielsetzung einer Dividendenausschüttung muss bei der Geschäftstätigkeit eine double-bottom-line verfolgt werden. Mit der Bereitstellung von Eigenkapital sind in der Regel auch Eigentumsrechte verbunden. Je nach Ausgestaltung umfassen diese Stimm-, Kontroll- und Informationsrechte. Gerade wegen der Mitspracherechte, die eine Eigenkapitalbeteiligung mit sich bringt, ist es wichtig, dass SEOs sich bewusst sind, inwieweit sie solche an einen vormals Außenstehenden geben möchten. Die Aushandlung der genauen vertraglichen Vereinbarungen ist damit eine bedeutende Komponente bei der Aufnahme von Eigenkapital. Die Mitspracherechte machen zudem den „Kristallisationspunkt“ aus – SEOs, die sich für eine Eigenkapitalfinanzierung entscheiden, sind, auch wenn die Kapitalüberlassung durch spezialisierte soziale Investoren erfolgt, häufig kulturellen Belastungsproben ausgesetzt. Je nach Lebenszyklusphase können SozialunternehmerInnen unterschiedliche Eigenkapitalgeber ansprechen. In der Wachstums- bzw. Expansionsphase 6 Dabei kann es sich um einen bereits bestehenden oder einen neuen Anteilseigner handeln. Kauft der Eigenkapitalnehmer die Anteile auf, so spricht man von (Aktien-)Rückkauf. Der Anteil kann theoretisch auch in mehreren Transaktionen auf verschiedene Anteilseigner übertragen werden.
Achleitner et al.: Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte
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werden es eher die schon genannten social venture capital-Fonds oder social business angels sein. Bei letzteren handelt es sich um vermögende Individuen, die einer SEO mit Kapital und Erfahrung gerade in der Aufbauzeit, wenn das Unternehmen noch sehr klein ist, zur Seite stehen. Zukünftig ist es denkbar, dass Sozialbörsen als Finanzierungsquelle für etablierte und stabile Unternehmen dienen können. Diese Sozialbörsen könnten dann auch als Sekundärmarkt für die Unternehmensanteile dienen. Die Bewertung von SEOs, die als Grundvoraussetzung für den Handel von Unternehmensanteilen gesehen werden kann, wird aber schwierig bleiben. Fremdkapital Fremdkapital wird hauptsächlich für langfristige Investitionen, Projektfinanzierung und Sicherstellung der Liquidität verwendet. Fremdkapital wird dem Unternehmen temporär überlassen und steht für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung. Da die Fremdkapitalgeber nicht am unternehmerischen Erfolg beteiligt sind, bekommen sie als Ausgleich für die Kapitalüberlassung regelmäßige Zinszahlungen. Im Falle einer Insolvenz wird Fremdkapital vorrangig bedient. Aufgrund dieser Sicherheit und da die Höhe der Zinszahlungen nicht vom Unternehmensgewinn oder -verlust abhängt, sondern vorab vertraglich festgeschrieben ist, liegt die geforderte Rendite von Fremdkapitalgebern in der Regel unterhalb der Renditeforderung von Eigenkapitalgebern. Je nach Geschäftsmodell und Unternehmensstruktur kommen für SozialunternehmerInnen verschiedene Fremdkapitalinstrumente in Frage. Neben Bankkrediten gibt es eine Reihe zinsvergünstigter Angebote. Dazu zählen zinslose Darlehen von Fonds und zinsvergünstigte Kredite von Banken, die die verringerten Zinsen auf Spareinlagen an die kreditnehmenden Unternehmen weiterreichen. Als Sonderform der Fremdkapitalfinanzierung sind noch Ballon-Darlehen zu nennen. Dabei sind die Zinsen endfällig und ermöglichen SozialunternehmerInnen somit über die Laufzeit einen Liquiditätsaufbau (Stahl 2007). Mezzaninkapital Mezzaninkapital vereint Elemente der Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung. Aus der Eigenkapitalfinanzierung kommen die Komponenten der Verzinsung in Abhängigkeit des unternehmerischen Erfolgs oder ein equity kicker, der den
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Kapitalgebern in bestimmten Fällen einen Anteil am Wertzuwachs zusichert. Die Elemente der Fremdkapitalfinanzierung sind die z.T. festgelegte Verzinsung und die Rückzahlung nach einer vertraglich vereinbarten Laufzeit. Die vielfältigen Ausgestaltungsformen der Mezzaninfinanzierung machen dieses Finanzierungsinstrument für Kapitalgeber und -nehmer attraktiv, da sie dadurch zusätzliche Flexibilität in der Investitions- bzw. Finanzierungsform erreichen können. Spenden Spenden stehen in der Regel nur Sozialorganisationen bzw. Sozialunternehmen zur Verfügung. Der Einsatz von Spenden im Finanzierungsmix erzwingt jedoch nicht notwendigerweise eine gemeinnützige Gesellschaftsform (Pöllath 2007a und b). Die Finanzierung über Spenden kann sowohl in Form von monetärer Unterstützung als auch in Form eines nicht-monetären Beitrags wie etwa Freiwilligenarbeit, Sachspenden oder Managementberatung erfolgen. Die Spende ist eine Sonderform der Außenfinanzierung ohne Rückzahlungsanspruch der Kapitalgeber. Mit einer Spende sind keine Eigentums- oder Gewinnbeteiligungsrechte verknüpft, jedoch erwarten die Spendenden entsprechende soziale Maßnahmen der SEO. Dieser Anspruch kann etwa durch eine Zweckbindung der Spende, die den Einsatz der monetären Mittel für konkrete Aktivitäten festlegt, verankert werden. Bei einer genau definierten Verwendung senken Spenden die Kosten für die Leistungserbringung und steigern entsprechend den Output (Fama/Jensen 1983).7 Spenden bedeuten zwar einen unwiderruflichen Übergang des Kapitals an die SEO, sind aber in der Regel mit hohen Fundraising-Kosten verbunden. In einer englischen Benchmark-Studie wurden Fundraising-Kosten von £0,21 pro eingenommenem £1,00 ermittelt (Sargeant et al. 2009). Darüber hinaus sind notwendige Kosten für die Organisationsentwicklung, wie etwa Overhead- und Konzeptentwicklungskosten, Spendern gegenüber schwer zu vertreten. Ebenso ist die zeitnahe Verwendung der Mittel, die meist vorausgesetzt wird, nicht immer im Interesse der SEO. Eine Sonderform der Spende sind Stipendien. Dabei werden die Lebenserhaltungskosten der Sozialunternehmerin bzw. des Sozialunternehmers über7 Diese genau definierten Spenden und Zuwendungen können in vielen Fällen beobachtet werden. Beispiele sind etwa Forschungsunterstützung für Impfungen bei wenig beachteten Krankheiten, die Weiterentwicklung von open source-Angeboten oder Fundraising für die Anschaffung speziellen Equipments.
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nommen und ihnen somit die Konzentration auf die Entwicklung eines Unternehmenskonzepts ermöglicht (Frischen 2007). Ashoka verwendet dieses Konzept für die Unterstützung ausgewählter SozialunternehmerInnen, der sog. „Ashoka-Fellows“. Hybride Instrumente Im traditionellen Kapitalmarkt sind hybride Instrumente dem Mezzaninkapital mit Eigen- und Fremdkapitalelementen gleichgesetzt. Im Kontext der Finanzierung von SEOs sind Hybridformen aber spezielle Finanzierungsinstrumente, die Charakteristika von Spenden, Fremd- und Eigenkapital kombinieren (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: Verhältnis der Finanzierungsinstrumente (eigene Darstellung)
In der Kategorie der hybriden Instrumente sind vor allem recoverable grants und Wandelspenden zu nennen. Ein recoverable grant ist ein Darlehen, das nur zurückgezahlt wird, wenn das angestrebte Projekt der SEO erfolgreich war. Bei Nicht-Erreichen der festgelegten Ziele wird der recoverable grant in eine Spende umgewandelt. Eine Wandelspende ist ebenfalls ein Kredit, der jedoch bei Erfolg der SEO und Erreichen der vorab definierten Meilensteine in eine Spende umgewandelt wird. Diese unverzinsten Finanzierungsinstrumente beinhalten somit nur in bestimmten, vorab geregelten Fällen einen Rückzahlungsanspruch.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Herausforderungen bei der Finanzierung von Sozialunternehmen
Die Finanzierung im Sozialsektor ist mit wesentlichen Herausforderungen belegt. Für Kapitalgeber ist die Überprüfung der Arbeit der SozialunternehmerInnen aufgrund fehlender Markt- und Preismechanismen bei der Erbringung sozialer Leistungen als auch fehlender aussagekräftiger Kennzahlen schwierig. Darüber hinaus sind die Entscheidungsfindungsprozesse im Management von SEOs mit einer Vielzahl von involvierten Stakeholdern komplex und schwierig nachvollziehbar. Diese Merkmale deuten auf einen intransparenten Markt hin. Das Anlegerinteresse für soziale Investitionen ist aber dennoch ausgeprägt und es gibt noch zahlreiche Kapitalquellen, die für solche Investments ansprechbar wären. So unterstützen zwar Stiftungen mit ihren Erträgen soziale Projekte, investieren aber, auch aufgrund regulatorischer Vorgaben, ihr Stiftungsvermögen in der Regel ausschließlich in konventionelle Anlageklassen. Eine große Herausforderung ist die Entwicklung von Anlagemöglichkeiten für soziale Investoren. Einige der Rahmenbedingungen sind dafür schon geschaffen worden. So wurde ein eigens für SEOs entwickelter Social Reporting Standard ins Leben gerufen. Der Social Reporting Standard berücksichtigt sowohl die speziellen operativen Besonderheiten von SEOs als auch die Informationsbedürfnisse sozialer Investoren [siehe auch Roder et al. zum Reporting Standard für social entrepreneurs]. Dieses Informationsfundament kann wiederum von Analysten, die sich auf den Sozialsektor spezialisiert haben, bewertet werden. ResearchAgenturen, die Sektorenanalysen mit einzelnen Empfehlungen veröffentlichen, sind etwa Phineo gAG in Deutschland (www.phineo.org) oder New Philanthropy Capital (NPC) (www.philanthropycapital.org) in Großbritannien. Intermediäre können diese Informationen dann nutzen, um als Schnittstelle zwischen Investoren und SEOs zu agieren und somit Kapitalangebot und -nachfrage zusammenzubringen. Im Bereich der venture philanthropy-Gesellschaften haben sich bereits einige Organisationen etabliert. Momentan fokussieren die meisten Gesellschaften auf die Frühphasenfinanzierung. Voll funktionsfähige soziale Investmentbanken befinden sich ebenso wie Sozialbörsen in der Vorbereitung und wären ein wertvoller Beitrag zur effizienteren Kapitalallokation im Sozialsektor. Darüber hinaus wäre mit beiden Einrichtungen ein Mechanismus für den Verkauf von Unternehmensanteilen, den sog. exit, geschaffen. Ein bemerkenswerter Finanzierungsmechanismus wurde in einem englischen Pilotprojekt getestet. Bei Social Impact Bonds (www.socialfinance.org.
Achleitner et al.: Neue Herausforderungen für die Finanzmärkte
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uk) übernehmen private Investoren das soziale Risiko von Maßnahmen, die von SEOs durchgeführt werden, und die Rendite orientiert sich an der Einsparung, die die öffentliche Hand durch diese Maßnahmen generiert. In einem ersten Pilotprojekt bekommen die Investoren ihr Kapital zuzüglich einer Verzinsung von der öffentlichen Hand zurückgezahlt, wenn bestimmte Zielwerte erreicht werden (Bolton/Savell 2010). Damit übernehmen in diesem Fall private soziale Investoren das Risiko der Entwicklung der sozialen Investition – der Staat entlohnt sie im Falle eines Erfolgs, erleidet jedoch keine Verluste bei Misserfolg. Diese innovative Risikoverteilung eröffnet somit eine weitere Möglichkeit, dass soziale Investoren – Hand in Hand mit Sozialunternehmen – nicht nur bestehende Lücken füllen, sondern vielmehr das gesamte System innovativ angehen und verbessern. Quellenverzeichnis Achleitner, Ann-Kristin (2007): Social Entrepreneurship und Venture Philanthropy – Erste Ansätze in Deutschland. In: Hausladen (2007): 57-70. http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1152275 (letzter Aufruf: 22.10.2010). Achleitner, Ann-Kristin/Pöllath, Reinhard/Stahl, Erwin (Hrsg.) (2007): Finanzierung von Sozialunternehmern. Konzepte zur finanziellen Unterstützung von Social Entrepreneurs. Stuttgart. Bolton, Emily/Savell, Louise (2010): Towards a new social economy – Blended value creation through social impact bonds. http://www.socialfinance.org.uk/downloads/Towards_A_New_ Social_Economy_web.pdf (letzter Aufruf: 22.10.2010). Boschee, Jerr/McClurg, Jim (2003): Toward a better understanding of social entrepreneurship: Some important distinctions. The Institute for Social Entrepreneurs. http://www.se-alliance.org/ better_understanding.pdf (letzter Aufruf: 22.10.2010). Bridges Ventures/Parthenon Group (2010): Investing for impact: Case studies across asset classes. http://www.parthenon.com (letzter Aufruf: 22.10.2010). Eurosif (2010): European SRI Study 2010. http://www.eurosif.org/research/eurosif-sri-study/european-sri-study-2010 (letzter Aufruf: 22.10.2010). Fama, Eugen/Jensen, Michael (1983): Agency problems and residual claims. In: Journal of Law and Economics 26/1983: 327-349. Frischen, Konstanze (2007): Die Finanzierung der Person durch Ashoka. In: Achleitner et al. (2007): 151-159. Hausladen, Iris (Hrsg.) (2007): Management am Puls der Zeit. Festschrift für Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Horst Wildemann, Bd. 1: Unternehmensführung. München. Heister, Peter (2010): Finanzierung von Social Entrepreneurship durch Venture Philanthropy und Social Venture Capital. Wiesbaden. John, Rob (2006): Venture philanthropy – The evolution of high engagement philanthropy in Europe. http://www.sbs.ox.ac.uk/centres/skoll/research/pages/venturephilanthropy.aspx (letzter Aufruf: 22.10.2010).
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Venture Philanthropy – Wenn zwei Welten sich treffen Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf
Wie passen venture capital, private equity und der Dritte Sektor zusammen? Vor 10 Jahren wäre eine Verbindung dieser Welten in Deutschland kaum denkbar gewesen. Heute erleben wir eine schrittweise Annäherung, die ohne die social entrepreneurship- und social business-Bewegung nicht möglich gewesen wäre. Venture philanthropy ist eine Form des finanziellen gesellschaftlichen Engagements, die darauf beruht, dass sowohl soziale Investoren als auch social entrepreneurs von einer unternehmerischen Vorgehensweise profitieren [siehe auch den Beitrag von Achleitner et al. zur Finanzierung von social enterprises]. Ziel ist eine hohe soziale Rendite. Im Idealfall werden Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen verbreitet und – zum Beispiel – mehr Menschen zugänglich gemacht. 1
Was ist Venture Philanthropy?
„Venture Philanthropy“ (VP) bezeichnet einen Ansatz der Philanthropie, der sich stark an unternehmerischen Prinzipien1 orientiert. Soziale Investoren oder auch strategisch fördernde Stiftungen engagieren sich als VenturePhilanthropen. Im Zentrum ihres Interesses steht die Frage, wie die Tätigkeit von non-profit-Organisationen im gemeinnützigen Sektor maximale Wirkung entfalten kann. Venture philanthropy wurde bereits in den 1960er Jahren von dem Stifter John D. Rockefeller III verwendet, als er bei einer Anhörung im USKongress vorsprach. Ende der 1990er Jahre hat VP in den USA und Großbritannien als Förderform in den gemeinnützigen Sektor Einzug gehalten. Das Neue an diesem An Autor und Autorin sind für die Active Philanthropy gGmbH (www.activephilanthropy.org) tätig, die in Deutschland für die Private Equity Foundation im Sinne von venture philanthropy gemeinnützige Projekte fördert. 1 „Unternehmerische Prinzipien“ sollen in diesem Kontext nicht als „gewinnorientiert“ verstanden werden. Es bedeutet, dass auf strategische Planung und Festlegung von Kernkompetenzen, den koordinierten Einsatz von Kapital sowie Wissen und Investitionen in Infrastruktur und Prozesse Wert gelegt wird.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_18, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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satz ist, dass einige Methoden aus dem Bereich des venture capital aufgenommen und auf den durch Spenden finanzierten gemeinnützigen Sektor übertragen wurden.2 Pioniere in den USA waren Social Venture Partners (www.svpi.org) und der Fund Venture Philanthropy Partners (www.vppartners.org), der sich bis heute in Washington DC den Themen Schule und Jugend widmet. Das Modell wurde von Spendern und Stiftern, überwiegend mit einem Hintergrund in der venture capital- oder Finanzbranche, in anderen Städten der USA kopiert. In Großbritannien ist der Impetus Trust (www.impetus.org.uk) zu nennen, der von dem private equity-Unternehmer Steven Dawson mit initiiert wurde. Dieser Fund unterstützt gemeinnützige Organisationen bei der besseren Integration von jungen Menschen aus dem Strafvollzug in die Gesellschaft. Im Unterschied zur reinen Geldspende erhalten Empfängerorganisationen im Rahmen von VP nicht nur finanzielle Zuwendungen, sondern ein maßgeschneidertes capacity building – dies bedeutet, dass eine non-profit-Organisation systematisch in ihren Kapazitäten gefördert wird, damit sie ihre Mission dauerhaft noch effektiver umsetzen kann. Dazu gehören z.B. die Weiterbildung der Mitarbeitenden, die Verbesserung der technischen Ausstattung oder die Optimierung der Arbeitsprozesse der Geschäftsführung. Auch ist der Förderzeitraum auf einen längeren Zeitraum angelegt, als dies bei klassischen Förderprogrammen üblich ist. Die Förderung kann – bei entsprechender Entwicklung einer Organisation – drei bis zehn Jahre betragen. Die empfangenen finanziellen Mittel sind somit nicht nur projektgebunden einzusetzen, sondern werden für die Stärkung der personellen und sachlichen Kapazitäten verwendet (Mersch/Merx 2010: 25). Dabei wird davon ausgegangen, dass eine soziale Organisation mehr Kinder, alte Menschen und Familien unterstützen kann, wenn sie nicht nur in ihrer inhaltlichen Arbeit gut ist, sondern ihre Strukturen effizient und belastungsfähig sind. Venture philanthropy stützt sich dabei auf drei Säulen, die in der Praxis ineinandergreifen und dadurch ein optimales Umfeld für eine Wachstumsphase einer non-profit-Organisation bereiten sollen (NESst 2005): 1.
Finanzielles Kapital: Soziale Investoren und Stiftungen lassen einer nonprofit-Organisation über einen Zeitraum von mehreren Jahren eine große Summe an Geld zukommen. Während der Förderzeit findet eine intensive Interaktion zwischen Geldgebern und Empfängerorganisation statt.
2 Venture capital funds achten beispielsweise auf das Managementteam, auf die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells und führen sorgfältige due diligences durch. Sie haben in der Regel eine Quote von 1:100 von „geförderten“ zu „gesehenen“ Start-up-Unternehmen.
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2.
3.
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Intellektuelles Kapital/Wissen: Soziale Investoren und aktive Stiftungen engagieren sich als Mentoren oder Berater für die von ihnen geförderte Organisation. Sie bringen Fachwissen zu Management- und Strategiefragen ein, fördern gezielt das Wachstum der Organisation oder unterstützen bei Schwierigkeiten im Tagesgeschäft. In einigen Fällen übernehmen sie sogar einen Platz im Aufsichtsrat oder einem Leitungsgremium, um dort mit ihrem Erfahrungsschatz die Organisation in Führungsfragen zu fördern. Soziales Kapital: Geförderte Organisationen erhalten Zugang zu einem Netzwerk an Expertinnen und Experten, BeraterInnen und Unterstützern. Dieses Netzwerk wird von den sozialen Investoren und Stiftern zur Verfügung gestellt, indem sie ihre beruflichen und persönlichen Kontakte für non-profit-Organisationen öffnen. Dadurch bekommen diese beispielsweise fachliche Beratung und Unterstützung, die ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen würden, müssten sie dafür marktübliche Preise zahlen.
Im Idealfall bedeutet dies, dass sich eine enge Beziehung zwischen Förderern und geförderter Organisation entwickelt. Anstelle der alten Abfolge von Antragstellung, Antragsbearbeitung und Rechenschaftslegung rückt nun eine von konstruktiver Interaktion geprägte Partnerschaft. Zum Beispiel sitzt das Führungsteam einer Jugendhilfeorganisation regelmäßig mit ihrem Förderer zusammen, um die eigene (Management-)Praxis zu reflektieren. Geldgeber und Empfänger kooperieren auf Augenhöhe und streben gemeinsam ein vorab vereinbartes Ziel an. Dies ermöglicht, dass soziale Investoren und Stiftungen nicht nur einzelne Projekte finanzieren, sondern stattdessen ganze Entwicklungsprozesse begleiten. Was ist der spezifische Ansatz? Venture philanthropy verfolgt einen hybriden Ansatz und befindet sich in der Mitte zwischen einerseits klassischen Spenden und andererseits gewinnorientiertem Privatsektor. Dementsprechend kann VP verschiedene Formen annehmen und mehr in die eine oder andere Richtung des Spektrums wandern. Unverändert bleibt jedoch der unternehmerische und strategische Ansatz. Wenn beispielsweise seit einiger Zeit ein Mentorenprogramm für sozial benachteiligte Kinder durchgeführt wird und Erfolge in seiner Arbeit dokumentieren kann, werden sich die GründerInnen der Maßnahme irgendwann fragen, wie sie mit ihrer Arbeit noch mehr junge Menschen erreichen können. Sie werden sich fragen, wie der Wachstumspfad für ihre Organisation aussieht. Venture philanthropy
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ist, entsprechend seines Ursprungs, an der gemeinsamen Suche nach Antworten auf diese Fragen interessiert. In der Literatur wird der Wachstumspfad immer häufiger mit Skalierbarkeit oder Multiplizierbarkeit umschrieben (Lawaldt/Meyn 2010). Skalierbarkeit wird dabei zu einem Qualitätskriterium gemeinnütziger Projekte. Eine der Herausforderungen für den gemeinnützigen Sektor liegt darin, vorhandene lokale oder regionale Erfolgsmodelle bekannt zu machen und ihr Anwendungsgebiet zu vergrößern. Denn die Übertragung von erfolgreichen Projekten auf andere Orte spart meist mehr Kosten und Zeit, als die Entwicklung neuer Projekte – so die Annahme. Ein Beispiel für ein erfolgreich skaliertes Projekt ist die Eltern-AG (www.eltern-ag.de), die Präventivprogramme für sozial benachteiligte Eltern anbietet, die über konventionelle familienpolitische Angebote nicht erreicht werden [siehe dazu den ausführlichen Beitrag von Köppelmann zum Businessplan der Eltern-AG sowie den Beitrag von Dölle zu social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendhilfe]. Eine weitere Möglichkeit zu skalieren, stellt das sog. social franchising dar [siehe hierzu auch den Beitrag von Hackl]. Ein viel diskutiertes Beispiel hierfür ist die wellcome gGmbH (www.wellcome-online.de) aus Hamburg, die mittlerweile an mehr als 170 Standorten in Deutschland Eltern in den ersten Monaten nach der Geburt eines Kindes unterstützt. Im Rahmen von social franchise erfolgt die systematische Verbreitung eines gemeinnützigen Erfolgmodells auf verschiedene Orte unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten. Dabei gibt eine non-profit-Organisation ein „schlüsselfertiges“, in der Pilotphase getestetes Projekt an eine neue Organisation weiter, die unter demselben Logo und Namen das Projekt in ihrer Region anbietet. Der unternehmerische Ansatz der venture philanthropy bedeutet, dass die eingesetzten Ressourcen vor allem eine soziale, immer häufiger auch eine finanzielle Rendite erbringen sollen. Finanzielle Renditen können nur bei einer geförderten Organisation entstehen, die eigene Einkünfte generiert. Soziale Investoren investieren dort einen Kredit, eine Bürgschaft oder private equity. Eine finanzielle Rendite entsteht dann, wenn der Kredit getilgt und verzinst, die Bürgschaft nicht gezogen oder das Eigenkapital mit Gewinn veräußert werden konnte. Wichtig ist, dass venture philanthropy-Akteure das zurückgeflossene Geld nicht als Profit im klassischen Sinne verstehen, sondern es wieder in soziale Projekte investieren.
Alberg-Seberich/Wolf: Venture Philanthropy
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Eine soziale Rendite – auch „Social Return on Investment“ (SROI)3 genannt – bezeichnet alle positiven sozialen und ökologischen Auswirkungen eines gemeinnützigen finanziellen Investments, wie sie im Rahmen einer Evaluation aufzuzeigen sind. Der Ausdruck stammt aus der Finanzwirtschaft und weist darauf hin, dass finanzielle Investitionen im gemeinnützigen Bereich zwar in vielerlei Hinsicht mit kommerziellen Investitionen verglichen werden können, v.a. aber im Hinblick auf die Gewinne andere Qualitätskriterien angelegt werden müssen. Das Denken in Social Return on Investments hilft bei der Suche danach, wie die investierten materiellen und immateriellen Ressourcen so effektiv und wirkungsvoll wie möglich eingesetzt werden können. In der venture philanthropy wird die Zeit nach der Förderung und dem erfolgreichen Beschreiten des Wachstumspfads von vornherein mitbedacht. Das bedeutet nicht, dass jede Organisation sich nach der Förderung komplett durch eigene Einnahmen finanzieren kann oder soll. In einigen Fällen kann ein sozialer Investor durch sein Netzwerk helfen, eine neue Finanzquelle zu erschließen. Eine Möglichkeit wäre z.B. ein sog. giving circle, bei dem gemeinnützige Investoren ihre Mittel verbinden und gemeinsam ausgewählte Empfängerorganisationen fördern. Welche Finanzierungsinstrumente gibt es? Venture philanthropy umfasst mittlerweile ein breites Spektrum an Finanzierungsinstrumenten [siehe auch die Beiträge von Kuhlemann und Achleitner et al.]. Wichtig ist, dass Fördernde und Geförderte gemeinsam klären, welches das richtige ist. So werden in Deutschland viele Organisationen schon auf Grund der Gemeinnützigkeit die Beteiligung eines Investors ablehnen. In anderen Fällen werden wiederum andere Ansätze gewählt, wie z.B. bei dem von der LGT Venture Philanthropy geförderten Bildungsprojekt Bridge Academy in Kenia (www.lgt.com). In diesem Fall wird ein gesellschaftliches Ziel im Rahmen einer Unternehmung realisiert, bei dem eine Investorenbeteiligung möglich ist. Im gemeinnützigen Sektor in Deutschland hat sich eine Vielfalt an Organisationsformen entwickelt. Neben Stiftungen, Vereinen und klassischen Wohltätigkeitsorganisationen existieren mittlerweile gemeinnützige GmbHs, Treuhandoder Verbrauchsstiftungen etc. (Kuhlemann 2010: 2). In der VP kommen all diese unterschiedlichen Finanzierungsvehikel für ein Investment in Frage. Abbildung 1 zeigt die Bandbreite der Organisationen, die einen gemeinnützigen 3 Der Roberts Enterprise Development Fund gehörte zu einem der ersten Akteure, die sich mit der Definition von SROI befassten (vgl. Javitz 2008).
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Zweck verfolgen und reiht sie in eine Skala zwischen klassischer Wohltätigkeitsorganisation und kommerziellem Unternehmen ein.
Abbildung 1: Organisationstypologie nach Motivation und Zielsetzung (eigene Darstellung nach Balbo et al. 2008: 12)
Je nach Finanzierungsobjekt kommen unterschiedliche Finanzierungsinstrumente in Frage. Für ein Sozialunternehmen stellt z.B. ein Kredit, eine Bürgschaft oder eine Beteiligung die geeignete Investmentform dar. Es zeigt sich in der Praxis, dass Organisationen im Rahmen der eigenen Entwicklung auch Rechtsformen ändern. Ein Verein wird beispielsweise zu einer gemeinnützigen GmbH, weil in dieser Rechtsform Geldgeber auch Gesellschafter werden könnten. An dieser Stelle soll vermerkt werden, dass es bisher nur wenige soziale Investoren gibt, welche die ganze Bandbreite an Finanzierungsinstrumenten anwenden. Vorreiter auf diesem Feld sind bisher z.B. die BonVenture Management gGmbH (www.bonventure.de), die Canopus Foundation (www.canopusfund. org) oder die Noaber Foundation (www.noaber.com). 2
Wie sieht Venture Philanthropy in der Praxis aus?
Gerade unter jüngeren sozialen Investoren und Stiftern ist ein zunehmendes Interesse an venture philanthropy zu erkennen. Bislang gibt es aber in Deutschland nur wenig Erfahrung, wie VP-Methoden und -Prozesse konkret umzusetzen sind. Zwei Fallbeispiele sollen venture philanthropy in der Praxis illustrieren.
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Die Private Equity Foundation in Deutschland Die Private Equity Foundation (www.privateequityfoundation.org) wurde 2006 von private equity-Unternehmen in London gegründet und konzentriert sich auf die Förderung sozial benachteiligter Jugendlicher in Europa. Ihr Förderschwerpunkt liegt auf deren Unterstützung beim Übergang von der Schule in Ausbildung oder Beruf. Erklärtes Ziel ist es, jungen Menschen dabei zu helfen, ihr volles Potential auszuschöpfen. Zwei Jahre nach Gründung weitete die Private Equity Foundation ihr Engagement auch auf Deutschland aus. Der Auswahlprozess und seine Kriterien Für eine Förderung durch die Private Equity Foundation durchlaufen potentielle Empfängerorganisationen einen vierstufigen Auswahlprozess, der bis zu sieben Monate dauern kann: 1.
Im ersten Schritt erfolgt zunächst eine Expertenbefragung und Recherche zur Identifikation innovativer non-profit-Organisationen, die sich im Bereich des Förderschwerpunkts der Foundation engagieren. Die Organisationen können kleine Neugründungen und social businesses bis hin zu großen Verbänden sein, allein die Innovation und Wirksamkeit ihrer Arbeit zählt. Zum Ende der ersten Phase wird in einem Gespräch zwischen der Foundation und einer deutschen Steuerungsgruppe entschieden, welche Organisationen durch einen Vor-Ort-Besuch näher kennengelernt werden sollen.
2.
Hier beginnt die zweite Phase, in der ein intensiver Dialog mit den potentiellen Empfängerorganisationen stattfindet. Im Laufe des Prozesses werden sämtliche Unterlagen, wie z.B. Jahresabschluss, Evaluierungen etc. von der möglichen Empfängerorganisation zur Verfügung gestellt. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Fokus des Prüfverfahrens auf vier Kriterien: (1) Wirkung der inhaltlichen Arbeit, (2) Führung und Management, (3) konkrete Investitionsmöglichkeiten und deren Wirkung sowie (4) Abgleich mit den Werten, Zielen und Ressourcen der Foundation. Am Ende dieser zweiten Phase kristallisieren sich zumeist zwei bis drei Organisationen heraus, die zum gemeinsamen Gespräch eingeladen werden.
3.
Im dritten Schritt finden intensive Beratungsgespräche darüber statt, welche Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung sinnvoll sind. An dieser Stelle erfolgt eine wirtschaftliche und rechtliche due diligence (sorgfältige Überprüfung). Sie dient dazu, Risiken oder Unregelmäßigkeiten bei einer Empfängerorganisation frühzeitig zu entdecken und die Wirkung des möglichen Investments abzuschätzen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt bedarf es eines Vertrauensverhältnisses zwischen der Foundation und der möglichen Empfängerorganisation. Nach Abschluss der due diligence wird ein Bericht für den Vorstand der Foundation verfasst, der inhaltliche, rechtliche und wirtschaftliche Einschätzungen enthält.
4.
Mithilfe dieses Berichts wird die letzte Phase des Auswahlprozesses vorbereitet, in deren Mittelpunkt die Präsentation der ausgewählten zivilgesellschaftlichen Organisation vor dem Vorstand der Foundation steht. In diesem Gremium wird die finale Entscheidung über die Förderung getroffen.
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Während des Auswahlprozesses werden gemeinsam Ziele definiert und außerdem Förderdauer und Berichtspflichten vertraglich festgehalten.
Die Umsetzung: Capacity Building, Governance und Reporting Bei der Umsetzung der vereinbarten Kooperation bringt sich die Private Equity Foundation nicht nur finanziell ein, sondern stellt der geförderten Empfängerorganisation vor allem Wissen und Netzwerke zur Verfügung. Dies kann im Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen und richtet sich danach, wo die geförderte Organisation noch Entwicklungspotential besitzt. In Norddeutschland unterstützt die Private Equity Foundation das Hamburger Hauptschulmodell (HHM, www.arbeitsstiftung.de) der Arbeitsstiftung Hamburg. Das HHM unterstützt sehr erfolgreich Hauptschülerinnen und Hauptschüler in der 9. und 10. Klasse bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Ein Schwerpunkt in der Kooperation mit der Private Equity Foundation ist das capacity building. In Vorbereitung auf die Förderung hatte sich gezeigt, dass das HHM sehr gute Arbeit leistet und diese auch wiederholt prämiert worden war, aber dass es kaum gut aufbereitete Informationen zur Tätigkeit der Organisation gab. Die Private Equity Foundation hat deshalb dem HHM eine Investition in Know-how und Mittel für die bessere Kommunikation der eigenen Arbeit zugesagt. Die Private Equity Foundation bemüht sich auch darum, die Geschäftsführenden der Organisationen aktiv zu unterstützen. So erhielt der HHM-Geschäftsführer die Möglichkeit, mit anderen durch die Private Equity Foundation geförderten Organisationen an einem einwöchigen Qualifizierungsprogramm für social entrepreneurs an der Management Universität INSEAD in Fontainebleau teilzunehmen. Das HHM hat damit Zugang zu einem internationalen Netzwerk erhalten. Ein weiteres Beispiel für diese Form der Unterstützung ist das Programm „JobAct“ der Projektfabrik e.V. in Witten (www.projektfabrik.org). Das Projekt fördert durch ein theaterpädagogisches Programm die Integration von arbeitslosen Jugendlichen in den Arbeitsmarkt. Die Private Equity Foundation unterstützt die Organisation in einer Zeit der wachsenden Nachfrage für dessen Arbeit in ganz Deutschland bei der Stärkung von internen Prozessen, wie IT und Buchhaltung. Zusätzlich begleitet ein erfahrener Manager aus der private equity-Branche das Führungsteam der Projektfabrik als Mentor. Um als Förderer und geförderte Organisation in einem engen Austausch zu stehen, werden regelmäßig Berichte der Empfängerorganisation der Private Equity Foundation vorgelegt. In diesen Berichten werden die im Fördervertrag vereinbarten qualitativen und quantitativen Meilensteine mit den Arbeitsfortschritten der Praxis abgeglichen. Dieses Reporting ist ein wichtiger Bestandteil der venture philanthropy, für die das Messen der Wirkung eine hohe Bedeutung hat. Die Erstellung der Berichte geht mit einem intensiven Austausch zwischen der Private Equity Foundation und der Förderorganisation einher. Dies hilft bei der Fortschrittsanalyse und ggf. der Umsteuerung der durchgeführten Programme, um die avisierten Ziele effektiv zu erreichen.
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Der Social Venture Fund Der Social Venture Fund (www.socialventurefund.com) wurde 2010 als Reaktion darauf gegründet, dass die herkömmlichen Finanzierungsmodelle auf dem Kapitalmarkt eine Lücke bei Sozialunternehmen in der Expansionsphase aufweisen; denn hierfür lassen sich kaum Investoren gewinnen. Dabei verfolgt der Social Venture Fund einen am venture capital orientierten Investmentansatz bei klarer Maximierung von sozialer und ökologischer Rendite [siehe den Beitrag von Achleitner et al.]. Besonders ist dabei das sog. recycling des eingesetzten Kapitals. Dies bedeutet, dass Investoren ihr investiertes Kapital mit einer gewissen Rendite zurückerhalten und für erneute Investitionen bereitstellen können. Der Social Venture Fund investiert überwiegend im deutschsprachigen Raum. Wenn er soziale oder ökologische innovative Ansätze im europäischen Ausland identifiziert, werden auch dort direkte Investitionen getätigt. In den übrigen Regionen arbeitet der Social Venture Fund mit Kooperationspartnern zusammen. Investitionsansatz und -kriterien Der Social Venture Fund strebt danach, sein Fondkapital mit einer möglichst hohen sozialen Wirkung und einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Risiko und Rendite einzusetzen. Er konzentriert sich daher auf die Expansionsfinanzierung bereits erfolgreicher Sozialunternehmen. Viele der Unternehmen haben sich in der Gründungsphase je nach Geschäftsmodell durch Spenden, private oder staatliche Zuwendungen oder Eigeneinkommen finanziert. In der Expansionsphase sind sie auf Investitionen angewiesen, die sie vom Social Venture Fund erhalten und so den Übergang in die Etablierungsphase schaffen. Zusätzlich zum finanziellen Investment bietet der Social Venture Fund auch Unterstützung in der Unternehmensinfrastruktur. Er bietet Management- und Rechtsberatung durch erfahrene Expertinnen und Experten, macht seine Netzwerke zugänglich und leistet wissenschaftliche Unterstützung durch die Zusammenarbeit mit Lehrstühlen an Hochschulen. Zur Auswahl seiner Investitionsobjekte legt der Fund vier Kriterien an:
Das Sozialunternehmen soll eine starke soziale Wirkung (impact) haben. Die soziale oder ökologische Wirkung muss anhand von Indikatoren nachvollziehbar und im jeweiligen Tätigkeitsbereich herausragend sein. Das Sozialunternehmen muss finanziell gesund sein und das investierte Kapital zuzüglich einer vereinbarten Verzinsung zurückzahlen können. Bei Eigenkapitalinvestitionen soll eine realistische Möglichkeit für einen Ausstieg (exit) zu besseren Konditionen bestehen. Das Geschäftsmodell des Sozialunternehmens soll skalierbar sein. Das Geschäftsmodell des Sozialunternehmens soll Best-Practice sein, d.h. zu den wirkungsvollsten und effizientesten seiner Vergleichsgruppe gehören.
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Neben den vier genannten Kriterien sollten die Sozialunternehmen in eines der Themenfelder fallen, die sich der Social Venture Fund als Schwerpunkte gesetzt hat:
Arbeit und Bildung, Aufbau eines nachhaltigen Lebensunterhalts, Linderung menschlichen Leids.
Investitionsbeispiel: Specialisterne Das dänische Unternehmen Specialsterne (www.specialisterne.dk) wurde 2003 gegründet und entwickelte einen innovativen Ansatz, durch den Menschen mit Autismus in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Bis zu 1 Prozent der Weltbevölkerung weist autistische Verhaltensmerkmale auf. Diese Menschen haben schlechte Chancen einen ihren Qualifikationen angemessenen Ausbildungs- bzw. Berufsweg zu gehen. Dabei zeichnen sie sich durch eine hohe Konzentrationsfähigkeit aus, die auch bei sich wiederholenden Aufgaben wenig nachlässt. Das Unternehmen Specialisterne hat diese herausragenden Fähigkeiten von Menschen mit Autismus erkannt. Entsprechend werden ihnen Arbeitsplätze angeboten z.B. im Bereich spezieller IT-Dienstleistungen, zum Testen von Software, für Dateneinträge etc. Die Mitarbeitenden von Specialisterne erzielen bei ihren Aufgaben eine niedrigere Fehlerquote als der Branchendurchschnitt. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Specialisterne ist die besondere Rücksichtnahme des Unternehmens auf die Bedürfnisse seiner mittlerweile 45 Angestellten: ein angenehmes Arbeitsumfeld ohne starke Stressbelastung und mit individuellen Arbeitszeiten. Außerdem schult Specialisterne andere Unternehmen wie Microsoft, Lego u.a. im Umgang mit autistischen Menschen. Mittlerweile erzielt Specialisterne einen Umsatz von über 2,3 Millionen Euro mit einem Jahresüberschuss von ca. 135.000 Euro. Das Geschäftskonzept wurde bereits erfolgreich als Franchise nach Glasgow übertragen.
3
Chancen und Herausforderungen
Wie die Beispiele der Private Equity Foundation und des Social Venture Funds zeigen, hat venture philanthropy viele traditionelle Förderinstrumente weiterentwickelt und um Erfahrungen aus venture capital-Unternehmen angereichert. Dies ist ein Weg, die Arbeit im gemeinnützigen Sektor wirksamer, innovativer und transparenter werden zu lassen. Gleichzeitig gehen Herausforderungen damit einher, die sowohl auf der Geber- als auch der Empfängerseite bedacht werden sollten. Für die Empfängerseite bedeutet VP eine große Veränderung im Verhältnis zum Förderer. Denn in der engen Kooperation lastet die Verantwortung für das Gelingen und die Wirksamkeit eines zivilgesellschaftlichen Projekts nicht mehr allein auf ihren Schultern. Förderer und Empfänger treten in einen intensiven Lernprozess ein und versuchen auftretende Probleme und Hindernisse gemein-
Alberg-Seberich/Wolf: Venture Philanthropy
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sam zu lösen. Die geförderte Organisation erfährt Beratung darin, wie sie ihre knappen Ressourcen noch wirksamer einsetzen kann und lernt unternehmerisch an Probleme heranzugehen. Die Wirkung ihrer Arbeit wird erhöht und die Struktur der Organisation richtet sich entlang der verfolgten Strategie aus. Gemeinsam mit ihrem Förderer kann sie ihre Arbeit und Konzepte skalieren. Die Empfängerorganisation setzt sich einer kontinuierlichen Kontrolle der Zielerreichung aus. In Zusammenarbeit mit dem Förderer beschreitet sie einen Wachstumskurs, der zu Veränderungen in den Organisationsstrukturen führt. Dadurch müssen interne Kompetenzen neu zugeschnitten werden und die Arbeitsweise aus der Gründungszeit der Organisation verändert sich, womit interne Konflikte einhergehen können. Wenn für eine Organisation ihr Engagement jedoch Mittel zum Zweck ist und sie mit ihrer Tätigkeit eine maximale Wirkung erreichen möchte, dann stellt die Zusammenarbeit mit einem sozialen Investor nach den VP-Ansätzen den geeigneten Weg dar. Das Ziel von venture philanthropy ist schließlich, eine Organisation zielgerichtet und intensiv darauf vorzubereiten, wie sie nach Beendigung der finanziellen Förderung weiterarbeiten kann. Dadurch soll sie in ihren Strukturen nachhaltig gestärkt und langfristig von Geldgebern unabhängiger werden. Bei der Entwicklung eines Businessplans4 findet sie viel über ihre eigene Positionierung heraus und kann ihren öffentlichen Auftritt dementsprechend ausrichten. Zu den Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit einem sozialen Investor gehören für eine Empfängerorganisation die damit verbundenen Betreuungsaufgaben. Eine Empfängerorganisation sollte daher sorgfältig prüfen, ob sie die notwendigen Ressourcen und Kapazitäten zur Betreuung einer solch intensiven Förderpartnerschaft gewährleisten kann (Koopmann 2010: 110). Der erhöhte Zeitaufwand für die Betreuung der Geldgeber ist teilweise mit dem Key Account Management im Privatsektor vergleichbar. Dies ist einer der Gründe, warum soziale Investoren stets danach streben sollten, mit der knappen Zeit ihrer Ansprechpartner so sorgfältig wie möglich umzugehen. Für soziale Investoren bietet eine Förderung nach den VP-Prinzipien viele Chancen:
Durch die vielseitigen und komplementären VP-Förderinstrumente können Geldgeber Synergieeffekte maximal nutzen. Durch den Einsatz ihres beruflichen sowie persönlichen Netzwerks und Erfahrungsschatzes können sie die Wirkung ihres Engagements multiplizieren.
4 Ein Businessplan dient hier nicht der Profitabilitätsrechnung. Vielmehr soll eine Empfängerorganisation in diesem Dokument ihre Strategien, Ziele und nachhaltigen Finanzierungsmodelle strukturiert darlegen [siehe dazu den Beitrag von Köppelmann: Von der Idee zum Businessplan].
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Durch die Zusammenarbeit mit den Empfängern auf Augenhöhe erfahren sie viel über die Strukturen und Gesetzmäßigkeiten des gemeinnützigen Sektors und können ihre Beratungsleistungen noch maßgeschneiderter anbieten. Allerdings können sie nur dann solche Katalysatoren sein, wenn sie ihrem Engagement genügend Zeit widmen.
Die intensive Betreuung der Empfängerorganisation stellt auch für die Geldgeber ein sehr aufwendiges Unterfangen dar. Zudem bedarf es viel Zeit und Mühe, eine ganze Landschaft von Unterstützern für eine Empfängerorganisation zu schaffen, die nach Ausscheiden der Geldgeber weiterhin eine erfolgreiche Entwicklung sichert. Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Förderern und Geförderten bedeutet jedoch auch, dass immer wieder Interessenkonflikte auftreten. Es wird bisher sehr wenig über solche Schwierigkeiten öffentlich diskutiert und die Frage, wie Konflikte gemeinsam gelöst werden können, kaum analysiert. Wichtig ist, wie beide Seiten damit umgehen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht werden. In der Praxis wird bisher selten über Fehler gesprochen, sind sich doch alle darin einig, dass sie Gutes tun. Venture philanthropy kann sich jedoch nur weiterentwickeln, wenn gerade auch die Gründe für Misserfolge analysiert werden. Diese offenen Fragen zeigen, dass sich venture philanthropy in Deutschland und Kontinentaleuropa noch in ihren Anfängen befindet. Viele VP-Werkzeuge und -Prozesse müssen in den kommenden Jahren weiterentwickelt und verfeinert werden. Dies wird z.B. daran deutlich, dass bisher noch kein einheitliches Verständnis davon existiert, was eigentlich ein Sozialunternehmen ist (Balbo et al. 2008: 17ff). Um aber als sozialer Investor erkennen zu können, ob es sich bei einem identifizierten Förderobjekt noch um ein Sozialunternehmen oder schon um ein herkömmliches, gewinnorientiertes Unternehmen handelt, bedarf es einer allgemeinverbindlichen Klärung. Ein weiterer Bereich, in dem noch befriedigende Antworten gefunden werden müssen, ist die Frage nach der Wirkungsmessung, um eine Vergleichbarkeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Wirkung ihrer Arbeit herzustellen. Die bisherigen Methoden lassen eine differenzierte Wirkungsbeobachtung und -messung nur schwer zu (Bergmann/Krüger 2010: 137). Zugleich zeichnet sich VP gerade dadurch aus, dass mithilfe von Wirkungsmessung eine effektive Ressourcenallokation erreicht werden soll. Die Private Equity Foundation hat beispielsweise eigene Methoden für das Berichtswesen und die Wirkungsmessung entwickelt, da es noch keine einheitlichen Standards gibt [siehe den Beitrag von Roder et al. über einen solchen aktuell entwickelten Reporting Standard mit verbindlichen und vergleichbaren Anhaltspunkten].
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Von besonderem Interesse wird sein, wie die langfristige Wirkung einer non-profit-Organisation eingeschätzt werden kann. Denn dann könnte das Risiko verringert werden, dass non-profit-Organisationen und soziale Investoren insbesondere solche Projekte auswählen, deren Erfolg relativ absehbar ist. An diesem Punkt setzen Kritikerinnen und Kritiker der venture philanthropy an und verweisen darauf, dass unternehmerische Vorgehensweisen im Dritten Sektor dazu führen, gesellschaftliche Veränderungen vorschnell auf ein Endergebnis zu reduzieren. Sie verweisen darauf, der Dritte Sektor könne Gefahr laufen, durch VP mit betriebswirtschaftlichem Denken unterminiert zu werden. Dies würde eine Umkehrung der Verhältnisse bedeuten, nach denen die Zivilgesellschaft angetreten sei, den privatwirtschaftlichen Sektor zu verändern. Gleichwohl räumen sie ein, dass die Kraft der Wirtschaft und des Marktes Chancen in sich birgt, wenn sie gezielt und in Maßen für gesellschaftlichen Wandel nutzbar gemacht wird (Edwards 2008) [siehe auch den Beitrag von Dölle zu social entrepreneurship in der Kinder- und Jugendhilfe]. Vertreterinnen und Vertreter der venture philanthropy hingegen argumentieren, dass durch die sorgfältig gewählten Effektivitätskriterien und regelmäßigen Fortschrittskontrollen der Raum für Projekte mit ungewissem Wirkungsgrad nicht geschmälert werden soll. Sie plädieren dafür, das Bewusstsein von sozialen Investoren und Empfängerorganisationen dahingehend zu verändern, dass sie gemeinnützige Investitionen als gesellschaftliches Risikokapital verstehen. Sie fördern auf die Weise sowohl gemeinnützige Organisationen, social entrepreneurs, als auch Unternehmen, die Lösungen zu gesellschaftlichen Herausforderungen angehen. Dabei wird nicht, wie zum Beispiel durch Dan Pallotta (2008), die Funktion der Gemeinnützigkeit an sich in Frage gestellt. Venture philanthropy ist somit ebenso wie social entrepreneurship eine Grenzgängerin. 4
Ausblick
Venture philanthropy ist eine Form des Förderns. Sie wird die klassische Spende nicht ersetzen können, sondern eine Ergänzung und Bereicherung darstellen – so wie Risikokapital auch nur ein Teil des Kapitalmarkts ist. VP bietet einen hybriden Ansatz, der in manchen Situationen erfolgsfördernd sein kann. Sie findet in social entrepreneurs, die ebenfalls einem hybriden Ansatz folgen, ihre Entsprechung auf Empfängerseite. In ihrer Entstehungsphase und auch Anwendung standen und stehen sie in enger Partnerschaft zueinander. Es ist ein
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Ansatz, der immer wieder – auch wissenschaftlich – analysiert und in seiner Wirkung dokumentiert werden muss. Wie sehr venture philanthropy zwei Welten zusammengeführt hat, wird bei einem Blick in die USA erkennbar. Im Mai 2009 hat die Regierung des USPräsidenten Obama den Social Innovation Fund initiiert.5 Dieser Fond soll dazu dienen, gute Lösungen in den Bereichen Bildung und Gesundheit zu skalieren. Öffentliche Gelder werden hier nach den VP-Regeln eingesetzt! Auch in Europa denken Regierungen über solche Fonds nach. Venture philanthropy hat bereits zu Veränderungen in der Förderung gesellschaftlicher Herausforderungen geführt. Es gilt genau zu beobachten, was dies für Wirtschaft, Staat und Dritten Sektor bedeutet. Quellenverzeichnis Balbo, Luciano/Mortell, Deidre/Oostlander, Pieter (2008): Establishing a venture philanthropy fund in Europe – A practical guide. European Venture Philanthropy Association. Brüssel. Bergmann, Knut/Krüger, Susanna (2010): Kooperative Lernräume als Erfolgsfaktor – Instrumente der Wirkungsmessung in der strategischen Philanthropie. In: Hoelscher et al. (2010): 137-146. Edwards, Michael (2008): Just another emperor – The myths and realities of philanthrocapitalism. Demos: A Network for Ideas & Action and The Young Foundation. London. Hoelscher, Philipp/Ebermann, Thomas/Schlüter, Andreas (Hrsg.) (2010): Venture Philanthropy in Theorie und Praxis. Maecenata Schriften 7. Stuttgart. Javitz, Carla I. (2008): The RDEF’s current approach to SROI. Roberts Enterprise Development Fund. http://www.redf.org/learn-from-redf/publications/126 (letzter Aufruf: 31.12.2010). Koopmann, Stephanie (2010): Venture Philanthropy – Chancen und Herausforderungen für gemeinnützige Organisationen. In: Hoelscher et al. (2010): 109-120. Kuhlemann, Ann-Kathrin (2010): Stiften, Spenden, Investieren? Entscheidungshilfe für soziale Geldgeber. Forum for Active Philanthropy – inform inspire impact gGmbH. Lawaldt, Angela /Meyn, Christian (2010): Skalierung von Stiftungsprojekten. Clever investieren – Erfolgreich Programme verbreiten. In: Stiftung & Sponsoring 2010/3. Mersch, Thomas/Merx, Stefan (2010): Die Business-Wohltäter. In: enorm – Wirtschaft für den Menschen 2010/3: 20-31. NESsT (2005): All in the same boat: An introduction to engaged philanthropy. Turlock/CA. Palotta, Dan (2008): Uncharitable: How restraints on nonprofits undermine their potential. Boston.
5 Vgl. www.whitehouse.gov/blog/2010/02/17/introducing-social-innovation-fund (letzter Aufruf: 23.10.2010).
Sozialbörsen zur Finanzierung von Social Businesses – Das Modell der NExT SSE Stephan Breidenbach
Fundraising ist eine große Herausforderung für den traditionellen non-profitSektor. Geld zu beschaffen, kostet Geld: 50 Prozent und mehr der Ressourcen werden dort für die Akquise von Spenden verwendet. Soziale Unternehmerinnen und Unternehmer [ebenso wie Sozialunternehmer, Sozialunternehmen und social entrepreneurship im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] sehen sich mit einer ähnlichen Problematik konfrontiert. Die von einem Team in Berlin in Zusammenarbeit mit der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance geplanten New Ethical eXchange and Technologies Social Stock Exchange (NExT SSE) möchte dafür Lösungen anbieten. Sie soll bei Investoren das Interesse für SEOs wecken und es diesen erleichtern, an Kapital zu gelangen. 1
Sozialunternehmen
Situation: Business als Lösung für soziale und ökologische Probleme Business ist ein Problemlöser – so auch der Friedensnobelpreisträger 2006, Professor Muhammad Yunus: „Wenn ich ein Problem sehe, gründe ich ein Unternehmen, um dieses Problem zu lösen.“ Zwar gibt es viele Situationen, in denen fast nur mit Spendengeldern geholfen werden kann – wie beispielsweise die Katastrophenhilfe. Aber Spenden führen nur selten zu nachhaltigen Lösungen. Projekten, die von Spenden leben, fehlt oft ein wirtschaftlicher Überlebenstrieb. Unternehmen hingegen müssen sich selbst finanzieren – sonst gehen sie pleite. Unternehmen brauchen eine klare Vorstellung von dem, was sie leisten wollen und müssen sich auf die vorherrschenden Bedürfnisse ihrer Kundschaft einstellen. Sie benötigen eine Strategie und Controlling – auch Sozialunternehmen. Der Vision von Muhammad Yunus zufolge produziert eine SEO soziale, aber keine finanzielle Rendite. Um soziale Rendite einfahren, also gesellschaftliche Probleme lösen zu können, muss eine SEO wirtschaftlich rentabel sein. In H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_19, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
dieser Vision ist die Gleichstellung der Fokus auf Wirtschaftlichkeit und Problemlösen ein hervorragender Katalysator für das Vorantreiben von entwicklungspolitischen Kooperationen, für den non-profit-Sektor generell und für Corporate (Social) Responsibility (CSR). Social impact businesses [siehe hierzu auch den Beitrag von Spiegel], die sowohl eine soziale als auch eine moderate finanzielle Rendite produzieren, können unserer Meinung nach gleichzeitig zur Problemlösung beitragen und Investoren anziehen. Begriffsvariationen Dass die Begrifflichkeit social entrepreneurship unterschiedlich verwendet werden, ist verwirrend. Social business ist zwar der von Yunus geprägte Begriff, wird jedoch auch als Dachbegriff für alle sozial orientierten Unternehmen verwendet. Social enterprise ist eine hybride Unternehmensform in Großbritannien. Sie ist gemeinnützig und profitgenerierend, wobei social enterprises primär soziale Ziele verfolgen und die Rendite zur Erlangung dieser Ziele wieder in das Unternehmen oder die lokale Gemeinschaft investieren. Abbildung 1 schlägt eine mögliche Begriffsverortung vor Unternehmen Sozial verantwortliche Unternehmen
Geschäft Geschäft mit traditioneller Corporate Social Responsibility (CSR) Geschäft mit integrierter CSR social impact business
Sozialunternehmer/Social Entrepreneurs
social business (Yunus) Teilweise nachhaltige non-profits
Sozialunternehmer/klassische gemeinnützige Organisationen (je nach Ausprägung bzw. unternehmerischer Orientierung)
NGOs / non-profits
Staat
Entwicklungshilfe
Engagement Einzelner/Projekte
Abbildung 1: Begriffliche Landkarte sozialer Innovationen
Die Vision von Yunus reinem social business steht als Katalysator in der Mitte: Ein social impact business will auch ein soziales Problem lösen, gleichzeitig aber eine moderate finanzielle Rendite gewährleisten. Non-profits, je nach Sek-
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tor und Möglichkeit, wachsen zu dieser Mitte hin, indem sie versuchen, nicht komplett von Spenden abhängig zu sein, sondern durch unternehmerische Ansätze einen Teil ihrer Kosten selbst zu decken. Im weiten Feld der NGOs/nonprofits muss an dieser Stelle offen bleiben, wann wir von social entrepreneurship organization sprechen und wann von klassischen gemeinnützigen Organisationen. Die Abgrenzung muss jedenfalls über das unternehmerische Element erfolgen. 2
Problem: Die Suche nach Investoren verbraucht viele Ressourcen
Die Suche der SEOs nach Investierenden ähnelt zurzeit noch dem Fundraising im traditionellen non-profit-Sektor. So wurde etwa die Plattform betterplace (www.betterplace.org) gegründet, um im Spendenbereich die Wertschöpfung zu verbessern und um Menschen aktiv in soziale Projekte einzubeziehen – sei es mit Geld, Zeit oder ihrer Expertise. Die grundsätzliche Idee dabei ist, den Spendenmarkt effizienter zu machen und die Kosten des Fundraisings exponentiell herunterzufahren. Man kann auf betterplace.org zwar nicht mit Blick auf eine Rendite Geld in Sozialunternehmen investieren. Für Hilfsprojekte, die auf Spenden angewiesen sind – und diese wird es auch weiterhin geben – ist betterplace aber eine gute Möglichkeit, Fundraising-Kosten zu senken. Die Idee, dass Unternehmen überhaupt soziale Zielsetzungen haben, muss sich erst in den Köpfen von Investoren durchsetzen. Daher ist die Beschaffung von Risiko- und Wachstumskapital für SEOs noch schwierig. Traditionelle Finanzierungsformen können die monetären Lücken nicht füllen, die sich vor vielen SEOs auftun. SozialunternehmerInnen laufen Gefahr, dass die Beschaffung von Kapital ähnlich viel Zeit, Mühe und Geld kostet wie das Fundraising im non-profit-Sektor. 3
Lösung: Eine Finanzplattform für Sozialunternehmen
„Warum gründen wir nicht eine Sozialbörse, in welcher alle sozialen Unternehmen aufgeführt sind – dann können wir Aktien von denen erwerben, die wir spannend finden“ (Muhammad Yunus). Über eine Sozialbörse bzw. „Social Stock Exchange“ (SSE) – wie etwa auch die NExT SSE – könnten SEOs einfacher Kapital akquirieren, wie auch Investoren Anteile an SEOs erwerben und in diese investieren können.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Wichtige Elemente, damit die Mission gelingt
Kapitalmarkt: Die Hauptfunktion der SSE ist es, Investoren für SEOs anzuziehen. Die Investition muss, eventuell mit einer moderaten Rendite, zurückgezahlt werden. Die Art und Weise der Investitionen (ob Fremd- oder Eigenkapital) ist offen und wird sich über die Zeit in Anlehnung an die Reife des Marktes entwickeln. Dennoch muss eine Balance zwischen der Liquidität, welche oft wichtig für die Investoren ist, und der relativ kleinen Größe des Marktes geschaffen werden. Sichtbarkeit: Der Begriff der Börse an sich ist eine Attraktion. Die weltweit erste Sozialbörse, die Bovespa in Sao Paulo (www.bmfbovespa.com.br), die auf eine intelligente Art und Weise sowie nach bestimmten Kriterien gemeinnützige Unternehmen listet, hat einen großen Einfluss auf das öffentliche Bewusstsein gehabt. Die Vorstellung, dass die vereinzelten Versuche von SEOs einen zentralen Ort der Sichtbarkeit erhalten, trägt zu der Verbreitung der Idee bei, Unternehmertum als Lösungsstrategie im gesellschaftlichen Bereich anzusehen. Transparenz: Vergleichbare und transparente Informationen sind unentbehrlich, damit Investoren Verantwortung für die nicht-finanzielle Wirkung ihrer Investitionen übernehmen können. Wird der Idee der SEO gefolgt, benötigt man eine doppelte Transparenz: die Offenlegung von Zahlen und Fakten, die ein Unternehmen ausmachen sowie Transparenz im Sinne der sozialen Mission. Was soll erreicht werden? Für wen und in welchem Zeitrahmen? Das ist die Basis, worauf das nächste essentielle Element folgt: die Wirkungsmessung. Wirkungsmessung: Die soziale Wirkungsmessung ist weltweit noch im Geburtsprozess, und die SSE wird mit einer einfachen Form beginnen, einschließlich der vorherrschenden Standards, die sich in diesem Sektor gerade entwickeln [siehe hierzu den Beitrag von Roder et al. zum derzeit entwickelten Reporting Standard für social entrepreneurship]. Im Laufe der Zeit wird ein anspruchsvolleres und verfeinertes Bewertungssystem entwickelt werden, in welches die gesammelten Erfahrungen einfließen. Partnerschaften mit aufkommenden Bewertungsagenten im sozialen und ökologischen Sektor werden gerade begonnen. Community: Der gesamte SEO-Sektor befindet noch im Aufbau. SEOs suchen Kapital und sind gleichzeitig sehr vorsichtig bezüglich potentieller Investoren. Eine Gemeinschaft von sozialen Investoren, die es auch mit der sozialen Wirkung (dem social impact) wirklich ernst meinen, muss sich erst
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herausbilden. SEOs tauschen sich gerne über Erfahrungen und Ideen aus. Eine Gemeinschaft für gegenseitiges Lernen (online und offline), wäre eine große Bereicherung und ein Alleinstellungsmerkmal für eine Sozialbörse wie die NExT SSE. Bildung: Kommunikationslücken zwischen den Investoren und den sozialen Unternehmen führen oft zu Problemen. Während Investoren sich eher durch eine typische strategische Unternehmensdenkweise auszeichnen, tendieren soziale Unternehmen zu prozessorientiertem Denken und fokussieren auf soziale Ergebnisse. NExT SSE soll als Mediator zwischen beiden vermitteln. In diesem Prozess werden sowohl private als auch institutionelle Investoren lernen, beim Investieren andere Faktoren als nur die finanzielle Rendite in Betracht zu ziehen. Auf ähnliche Weise werden Organisationen, denen es an der Lösung gesellschaftlicher Probleme gelegen ist, lernen, ihre Wirkung auf professionellere Art und Weise zu kommunizieren und in diesem Sinne effizienter zu arbeiten. Spezielle Regeln des Marktes: Soziale Investitionen verlangen nach anderen Regeln des Marktes. Diese Regeln müssen sich mindestens auf drei Gebiete konzentrieren: o Das Marktverhalten muss reguliert werden. Gepflogenheiten wie short selling scheinen sich nicht für das SEO-Konzept zu eignen. o Finanzielle Rendite: Sollte die finanzielle Rendite durch Regeln limitiert werden? o Equity: Sollen die Investoren von der Wertsteigerung des Eigenkapitals profitieren?
Kriterien für Sozialunternehmen Die Verwendung des Begriffes „Sozialunternehmen“ muss durch Kriterien abgesichert werden, denn der Betrieb einer social stock exchange setzt voraus, dass die kapitalsuchenden Unternehmen festgelegte Kriterien erfüllen, die für Investorinnen und Investoren transparent sind. Die Plattform NExT SSE wird ein vielschichtiges Kontroll- und Evaluationssystem implementieren. Diese werden unter anderem
Aufnahmekriterien, ein Prüfsystem für die aufgenommenen SEOs, Empfänger- und Klientenfeedback sowie langfristige Wirkungsmessung.
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
enthalten, die an international gültige Indikatoren angelehnt sind. Durch das Kontroll- und Evaluationssystem sollen die gelisteten SEOs unterstützt werden, ihren gesellschaftlichen Beitrag besser zu überblicken und ihre langfristigen operativen Entscheidungen zu optimieren. Eine effektive Kommunikation sowohl mit den Begünstigten als auch mit den Investoren soll ermöglicht werden – wobei die Investoren ebenfalls transparent informiert werden sollen, welchen positiven Effekt ihr Geld hat. Die Beteiligten sollen ein Mitspracherecht haben, anhand welcher Kriterien die Wirkung der Investitionen gemessen wird: Entscheidungsträger und Investoren sollten eine klare Vorstellung darüber entwickeln, welches die zentralen Kriterien für die Generierung von sozialem Mehrwert sind. Handlungen und Leitungsstrukturen sollen transparent sein. Jede SEO wird vor Aufnahme bewertet, um sicher zu stellen, dass sie die Aufnahmekriterien erfüllt. Wichtig ist, dass die Ergebnisse in einem Managementsystem vorgehalten werden – und dass ein triple-bottom-line-reporting darin berücksichtigt wird. Der gesamte Bewertungsprozess der NExT SSE folgt den international anerkannten Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren. 4
Markt und Wettbewerb
Reife des Marktes für Sozialinvestitionen Der Markt für soziale Investitionen steckt noch in Kinderschuhen. Folgende Arten von sozialen Investitionen sind zu unterscheiden [siehe hierzu ausführlich die Beiträge von Kuhlemann und von Achleitner et al.]:
Reine Spenden: Es gibt keine finanzielle Rendite und keine Rückzahlung – „das Geld ist weg“. Spendengelder werden auch weiterhin für bestimmte Zwecke notwendig bleiben, etwa in der Katastrophenhilfe oder bei Anliegen, in welchen wirtschaftliche Bedürfnisse eine untergeordnete Rolle spielen, wie beispielsweise bei den Menschenrechten. Philanthropische Investitionen: Spenden, die man unter Umständen zurück erhält. Dieses Gebiet wächst durch solche Investoren wie den Acumen Fund (www.acumenfund.org), welche nach innovativen Ansätzen des sozialen Unternehmertums Ausschau halten und die Geduld haben, jahrelang zu warten, bis sie mit einer Rendite rechnen können – wenn diese überhaupt jemals eintritt. Zumeist bleibt das Geld aus diesen Investitionen im entsprechenden Fond – ähnlich wie bei einer Spende. Nur wenige Investoren erwarten ihr Geld tatsächlich komplett zurück.
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Risikokapital: Investoren bekommen ihr Geld entweder ohne jegliche Dividende zurück, da die Profite dem Wachstum der Organisation dienen, oder sie erhalten eine kleine Rendite. Immer mehr Gelder werden für solche Investitionen bereitgestellt – jedoch immer noch relativ wenig im Vergleich z.B. zu den 100 Millionen US-Dollar, die Acumen kürzlich aufgebracht hat. Wachstumskapital: Kapital, das eingesetzt wird, um Unternehmen mit sozialen Zielsetzungen zu finanzieren, die bereits erfolgreich finanzielle und soziale Renditen erzielen. Dieses Kapital verspricht daher höhere Renditen für Investoren. Wenn eine signifikante Zahl an SEOs zu dieser Phase gereift ist, wird ein regulierter Kapitalmarkt von Bedeutung werden.
Geschätzte Nachfrage und Größe des Marktes Von einer breiteren Perspektive betrachtet, suchen gegenwärtige philanthropische Investoren entweder nach SEOs, um diese einzeln zu unterstützen, oder investieren häufig über Ethikfonds wie BonVenture (www.bonventure.de), NESsT (www.nesst.org), New Profit Inc. (www.newprofit.com) oder Bridges Community Ventures (www.bridgesventures.com). Gleichzeitig gibt es weltweit zahlreiche Initiativen und Organisationen, die daran arbeiten, Online-Plattformen für soziale Investitionen zu errichten. Gegenwärtig sind die meisten unter ihnen auf Spenden spezialisiert – mit der Ausnahme von kiva (www.kiva.org), die eine Mikrofinanzierung anbieten, und MyC4 (www.myc4.com), die größere Kredite vor allem in Afrika bereitstellen. Beide arbeiten mit einer peer-to-peerPlattform. EDA CapitalConnect (www.edacapitalconnect.com) fungiert als eine Plattform für direkte Transaktionen zwischen SEOs und institutionellen Investoren beziehungsweise Darlehensgebern. Eine ungefähre Schätzung der Nachfrage einer social stock exchange kann nur mit Blick auf vergleichbare Entwicklungen in artverwandten Märkten geschehen. So begann zum Beispiel betterplace (www.betterplace.org) erst vor drei Jahren und hat bisher bereits über 3.000 Projekte auf der Plattform, die Spenden von einer größeren Gemeinschaft von Internetnutzerinnen und -nutzern (etwa 30.000) erhalten. Smava (www.smava.de) ist eine Plattform für peer-to-peer-Geldleihen in Deutschland. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten herauszufinden, was potentielle private Geldgeber von einer solchen Plattform erwarten, hat smava mittlerweile Kredite im Wert von mehr als 12 Millionen Euro vermittelt. Auch haben Ethikbanken wie die GLS Bank (www.gls.de) großen Zulauf. Gegenwärtig erhält die Bank doppelt so viele Anfragen wie vor der Finanzkrise. Im Jahr 2008
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IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
vergrößerte sich der Kundenstamm um 7.000 auf 62.000 Kundinnen bzw. Kunden und das Gesamtkapital wuchs um 25 Prozent. Ähnlich erging es der Tridos Bank (www.tridos.de), die 25 Prozent mehr Kunden zu verzeichnen hat. Dieser Zuwachs zeigt wachsende Nachfrage in diesem Sektor. Im Angesicht der gegenwärtigen Finanzkrise sind private Investorinnen und Investoren mehr als je zuvor auf der Suche nach vertrauenswürdigen Partnern, die ihr Geld auf ethisch vertretbare Art und Weise investieren. Beispiele für Sozialunternehmen Im Folgenden werden beispielhaft die Bandbreite von Themen und Herausforderungen vorgestellt, die SEOs in Deutschland angehen. Solarlite GmbH Die Solarlite GmbH (www.solarlite.de) mit Sitz in Mecklenburg-Vorpommern hat ein innovatives Minikraftwerk entwickelt, das mit thermischer Solarenergie betrieben wird. Dieses eigenständige System erzeugt Dampf für Wärme bzw. Kühlung und elektrischen Strom im niedrigen Temperaturbereich. Das leicht benutzbare und kosteneffiziente System ist ein Beitrag zur Reduktion des CO2-Ausstoßes und der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.
DialogMuseum GmbH Das DialogMuseum (www.dialogmuseum.de) ist 2005 in Frankfurt am Main mit dem Ziel gegründet worden, vorurteilsfreie Begegnungen zu bewerben und neue Perspektiven für behinderte und benachteiligte Menschen zu eröffnen. Die gesamte Ausstellung findet in totaler Dunkelheit statt: Sehende BesucherInnen, die nun „blind“ sind, werden von blinden oder sehbehinderten Menschen durch die Ausstellung geführt. Dabei können die Menschen mit Behinderung ihre Fähigkeiten ausbilden und sich auf die Arbeitswelt außerhalb des Museums vorbereiten, während sehenden Menschen möglich wird, die Rollen zu tauschen und ihre kommunikativen Fertigkeiten zu verbessern.
Das China Büro e.V. Der gemeinnützige Verein „Das China Büro“ (www.daschinabuero.org) eröffnete 2008 die erste Deutsch-Chinesische Kindertagesstätte in Deutschland – und wurde von der großen Nachfrage überrumpelt. Das Ziel dieser selbst organisierten Elterngruppe sind der interkulturelle Austausch und ein hoher Bildungsstandard – neben der liebevollen Sorge für die Kinder, welche sie vertrauensvoll in ihre Obhut genommen haben. Allein in Berlin ist die Nachfrage groß genug, um zwei oder drei weitere Kindertagesstätten zu eröffnen. Als problematisch stellte sich allerdings die Finanzierung über reguläre Banken heraus: Nach monatelangen Verhandlungen wurde diese nur möglich, als eine Reihe von Eltern Garantien unterzeichneten. Das zeigt, dass Banken keine Erfahrung mit SEOs haben und kaum Interesse zeigen, Volumen unter 1 Million Euro zu finanzieren.
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Stadthaushotel Hamburg Als damals einzigartiges Projekt in Europa öffnete 1993 das Stadthaushotel (www.stadthaushotel.com), um Beschäftigungsmöglichkeiten für behinderte Menschen im Dienstleistungssektor zu schaffen. Da das kleine Hotel nahe gelegene Wohngemeinschaften für die behinderten Angestellten zur Verfügung stellt, lassen sich Arbeiten und Wohnen integrieren. Vor kurzem ist das Stadthaushotel in größere Räumlichkeiten umgezogen. Der Umzug wäre mit externer Finanzierung bereits viele Jahre zuvor möglich gewesen. Doch es mussten Gewinne angespart werden, um die Banken von der Sicherheit der Investition zu überzeugen.
Regionalwert AG Die Regionalwert AG (www.regionalwert-ag.de) ist eine Aktiengesellschaft, die Menschen dort gehört, wo sie landwirtschaftliche Betriebe kauft und sie, wenn notwendig, in Biofarmen umstrukturiert. Anschließend werden diese Biofarmen von der Regionalwert AG verwaltet und betrieben. Besonders kleine Farmen können dadurch ihre Verwaltung straffen und von der Zusammenlegung profitieren. Um schneller wachsen zu können, beabsichtigt die Regionalwert AG zusätzliches Kapital aufzubringen – und würde eine Plattform wie die NExT SSE vorziehen, statt sich selbst Investorinnen und Investoren suchen zu müssen [siehe dazu auch den Beitrag von Oldenburg zum Sozialunternehmertum in Deutschland].
elysion GmbH Die elysion Palliative Pflege (www.elysion-pflege.de) ist ein spezialisierter Anbieter und Marktführer für ambulante palliative Versorgung in Berlin. Sie sorgt für die ärztlich überwachte medizinische Versorgung von Menschen mit nicht heilbaren Krankheiten wie Aids oder Krebs – in deren Zuhause statt in Krankenhäusern. Die ambulante Versorgung reduziert einerseits Kosten bei den Krankenkassen, weil Krankenhauskosten gespart werden. Vor allem aber gewährt die Pflege zu Hause den Patienten Würde und familiäre Intimität in ihrer letzten Lebensphase. Investoren, die in diesen Wachstumsmarkt investieren möchten, und ein social impact business wie elysion würden über NExT SSE zu einander finden.
5
„Börse“
Das juristische Modell für die social stock exchange entsteht zurzeit mit Hilfe einer spezialisierten Anwaltskanzlei. Eine echte Börse neu zu gründen, ist in diesem Stadium des Markts wegen der Kosten und Komplexität zum Scheitern verurteilt. Unser Szenario sieht einen schrittweisen Prozess vor, der zunächst in ein sog. AHS (Alternatives Handelssystem) mündet. Komponenten sind die Beschränkung auf bestimmte handelbare Beteiligungsformen, der Beginn mit dem Primärmarkt und die Unterstützung der kapitalsuchenden Unternehmen bei der Prospekterstellung durch standardisierte Komponenten.
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6
IV. Finanzierung gesellschaftlicher Unternehmungen
Fazit
Die geplante NExT SSE ist eine Plattform, auf der SEOs, die nach Kapital suchen, auf Investoren treffen, die neben einer finanziellen Rendite auch an sozialer Rendite interessiert sind. Um die Qualität und die soziale Rendite zu sichern, müssen sich interessierte SEOs bei der NExT SSE bewerben und bestimmte Kriterien erfüllen. Die NExT SSE will das soziale Unternehmertum fördern, indem es ihm Aufmerksamkeit bei potentiellen Investoren und in der Öffentlichkeit verschafft, denn es zeigt sich, dass einerseits das Interesse seitens der Investoren vorhanden ist und andererseits schon jetzt zahlreiche Sozialunternehmen von eben diesem Interesse profitieren könnten und mit ihnen die Gesellschaft, denn die Lösung gesellschaftlicher Probleme ist schließlich das Ziel sozialen Unternehmertums. Die NExT SSE soll dabei helfen.
V.
Verbreitung, Transparenz und Kommunikation sozialunternehmerischer Aktivitäten
Social Entrepreneurship multiplizieren und skalieren – Wege und Beispiele von Social Franchising Valerie Hackl
Social Entrepreneurship [ebenso wie soziales Unternehmertum, social enterprise und Sozialunternehmen im Sinne von social entrepreneurship organization, im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] stellt zunehmend ein nicht mehr wegzudenkendes Fundament der Gesellschaft dar (Nicholls 2005). Die Wertstiftung der Initiativen und Programme ist jedoch meist regional begrenzt, der gemeinnützige Wirkungseffekt somit limitiert. Diesen auszuweiten und vielen zugänglich zu machen, steht im Zentrum der Frage nach Replikationsfähigkeit und -möglichkeiten gemeinnütziger Programme. Bill Clinton hierzu: „Nearly every problem has been solved by someone, somewhere. (…) The challenge of the 21st century is to find out what works and scale it up“ (Bajracharya 2002: 6). Dabei geht es im Kern darum,
das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden, sondern auf bewährte Konzepte zurückzugreifen, mehr Menschen Zugang zu sozialen Dienstleistungen zu gewähren und Skaleneffekte zu nutzen, um bestehende Programme effizienter zu gestalten.
Das Konzept „Social Franchising“ stellt neben anderen eine viel versprechende Möglichkeit dar, soziale Programme zu replizieren und dabei gleichzeitig die Orientierung an den Bedürfnissen der Zielgruppen beizubehalten. Trotz wachsenden Interesses fehlt bislang eine klare Definition und Abgrenzung von social franchising. In Anbetracht der steigenden praktischen Relevanz des Themas fokussiert dieser Beitrag darauf, social franchising abzugrenzen und Handlungsimplikationen für social entrepreneurs abzuleiten. 1
Social Entrepreneurship: Versuch einer Begriffseingrenzung
Bei social entrepreneurship handelt es sich um ein noch im Entstehen begriffenes Wissenschaftsfeld, sodass bisher keine einheitliche, exakte Definition von SEO existiert. Die daraus resultierende Definitionsvielfalt erschwert zwar den H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_20, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Erkenntnisgewinn, ist aber zugleich nötig, um der Interdisziplinarität und der Vielfalt des Phänomens in der Wirklichkeit Rechnung zu tragen und vorschnellen Begriffseinengungen vorzubeugen (Cho 2006: 36ff; Austin 2006: 23).1 Landkarte Social Entrepreneurship – definitorische Cluster Die existierenden SEO-Definitionen lassen sich grob in drei definitorische Cluster subsumieren (Hackl 2010: 8ff): 1.
2.
NPO-Management: NPO-Management bezeichnet den Einsatz klassisch unternehmerischer Methoden in bestehenden non-profit-Unternehmen. Johnson (2002) versteht darunter die Einbringung von Geschäftsexpertise und marktwirtschaftlich geführten Prinzipien („business expertise“ und „market-based skills“) in NPOs als einer SEO-Ausprägungsform. Hockerts (2006: 144) spricht in diesem Kontext von „commercialising a nonprofit organization“.2 Die international tätige Organisation Save the Children (www.savethechildren.org) ist ein Beispiel für NPO-Management.3 Gewinnorientierte Unternehmen mit gemeinnütziger Aktivität: Die bewusst weit gefasste Kategorie der gewinnorientierten Unternehmen mit gemeinnütziger Aktivität umfasst sämtliche Anstrengungen von Organisationen, die betriebswirtschaftlich ausgerichtet sind und dabei gesellschaftlich geleitete Prinzipien verfolgen.4 Diese Bezeichnung beschreibt mannigfaltige Ausprägungsformen, unter diesen auch das vielzitierte Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) oder auch for-profit-Unternehmen mit sozial und ökologisch wertschaffender Mission wie z.B. The Body Shop.5
1 Allerdings existieren social entrepreneurs bzw. SozialunternehmerInnen schon seit Jahrhunderten. Lediglich das dahinter stehende Konzept SEO hat erst kürzlich Eingang in die Literatur gefunden (Linklaters&Schwab Foundation 2006: 1; Nicholls 2005: 2) [siehe hierzu auch vertiefend den Beitrag von Habisch zum gesellschaftlichen Unternehmertum in Gemeinwohltheorien]. 2 Vgl. auch Johnson 2002: 6; Dees 1998a; McLeod 1997. 3 Save the Children US ist ein non-profit-Unternehmen, das sich für die Rechte von Kindern einsetzt. Es wurde 1932 gegründet und ist Teil der International Save the Children Alliance. Rasantes Wachstum, veränderte Rahmenbedingungen und daraus resultierende finanzielle Engpässe verlangten in den 1990er Jahren neue Strukturen, die durch einen umfassenden, betriebswirtschaftlich orientierten Strategieplan über einen Zeitraum von zehn Jahren geschaffen wurden. 4 Nicholls greift diesen „Sammelbegriff“ auf: „The title ‚social entrepreneurship‘ has been applied (often reflexively) to a startling range of organizations and activities from grass-roots campaigns to the ‚social‘ actions of multi-national corporations“ (Nicholls 2005: 3). 5 The Body Shop wurde 1976 von Anita Roddick in England gegründet und ist eine internationale Kosmetikkette, die sich durch nachhaltige und ethisch vertretbare Grundsätze auszeichnet (z.B. Verzicht auf Tierversuche, Hilfe durch fairen Handel). Das Unternehmen ist klassisch betriebs-
Hackl: Social Franchising – Multiplizieren und skalieren
3.
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Social Enterprises: Die dritte Ausprägung umfasst social enterprises, deren Ziel es ist, mit unternehmerischen Mitteln sozialen und/oder ökologischen Wert zu schaffen.6 Charakteristisch für SEOs in frühen Entwicklungsstadien ist zumeist die Existenz eines unabhängigen Sozialunternehmers oder einer Sozialunternehmerin, der oder die die Initiative ins Leben rief und die treibende Kraft des Unternehmens darstellt, wie das Beispiel Job Factory (www.jobfactory.ch) zeigt.7
Dieser Beitrag versteht SEOs im engeren Sinne als die dritte der beschriebenen Varianten: social enterprises.
Hoch Klassisch gewinnorientierte Unternehmen
Gewinnorientierte Unternehmen mit gemeinnütziger Aktivität Social Enterprises
Wichtigkeit Wichtigkeit unternehmerunth-r Prinzpien ischer Prinzipien und ökonomischer und ökonomischer Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit NPO Management (Restrukturierung, Diversifizierung)
Klassische NPOs
Niedrig Niedrig
Hoch Wichtigkeit des Ziels gemeinnütziger Wertschaffung080126-DIS-Einordnung v
Abbildung 1: Einordnung von SEO-Typologien (Hackl 2010: 15)
wirtschaftlich ausgerichtet, d.h. primäres Ziel ist die Erwirtschaftung von monetärem Gewinn, und deren gesellschaftliche Leitlinien stellen vorwiegend Mittel zur Zweckerfüllung dar. 6 Vgl. Definitionen von Hibbert et al. 2002; Prabhu 1999; Thompson et al. 2000; Alvord et al. 2004; Nicholls 2005. 7 Die Job Factory wurde 2000 in Basel von Robert Roth ins Leben gerufen und hat zum Ziel, Arbeitsplätze für Jugendliche ohne Lehrstelle zu schaffen. Die Umsätze aus dem Verkauf der Produkte werden für die Ausbildung der Jugendlichen und Finanzierung des Unternehmens verwendet, wodurch die ökonomische Nachhaltigkeit in weiten Teilen sichergestellt werden kann [siehe hierzu ausführlich den Beitrag von Sommerrock].
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Arbeitsdefinition Social Entrepreneurship Aus Dees umfassender Definition zum Sozialunternehmertum (Dees 1998b: 4f) können folgende Merkmale des Phänomens Social Entrepreneurship abgeleitet werden (Hackl 2010: 15ff):
SEO zeichnet sich durch Verfolgung des primären Ziels gemeinnütziger Wertschaffung aus, auf das die gesamte Organisation ausgerichtet ist. Innovation spielt eine bedeutende Rolle im Erreichen des gesellschaftlichen Ziels. Sie dient insbesondere zur Lösungsfindung des gesellschaftlichen Problems und manifestiert sich nicht nur im innovativen Konzept SEO per se (Kombination von unternehmerischen Mitteln mit philanthropischen Zielen), sondern kann beispielsweise auch in einer Geschäftsidee oder der Strategie zur Ressourcenakquisition zum Tragen kommen. SEOs sind von unternehmerischen Leitprinzipien geprägt, die Gestalt in einem Geschäftsmodell finden. Hauptaugenmerk wird dabei auf ein klares Produkt, den Wertbeitrag für die Kundinnen sowie Kunden und eine stringente Finanzierungsstruktur der Tätigkeit gelegt. Das Vorhaben muss ökonomisch nachhaltig und selbst tragfähig sein – wichtig ist, dass der notwendige Ressourcenzufluss auf lange Sicht sichergestellt ist, um den Fortbestand der Organisation unabhängig von Drittmittelgebern gewährleisten zu können.
Dieses Set an Kriterien vermittelt ein typisiertes Bild, dem SEOs je nach Ausgestaltung und Stadium ihrer Aktivität unterschiedlich nahe kommen. Abweichend von Dees Definition wird der change agent, also die Unternehmerpersönlichkeit, die die SEO initiierte, bewusst nicht als eine Determinante von SEO aufgenommen. Dies würde eine statische Sichtweise nach sich ziehen, die der Tatsache ungenügend Rechnung trägt, dass die Initiative auch nach einem möglichen Ausscheiden des social entrepreneur in gleicher Weise Bestand hat. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es bei SEOs um von einem starken unternehmerischen Spirit geprägte Initiativen geht, die auf innovative Weise ein gesellschaftliches Problem adressieren und über betriebswirtschaftliche Mittel nachhaltig eine positive Veränderung bewirken wollen.
Hackl: Social Franchising – Multiplizieren und skalieren
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Replizierungsformen – Spektrum
Trägt ein Programm dazu bei, ein bestimmtes soziales oder ökologisches Problem effektiv zu lösen, so liegt die Vermutung nahe, dass das gleiche bzw. ein an die lokalen Gegebenheiten angepasstes Konzept auch an anderen Standorten zu einem ähnlich wirksamen Ergebnis führt. Die Replizierung kann dabei auf unterschiedliche Arten erfolgen. Aufbauend auf Dees et al. (2004: 28ff) und auf Schöning (2007: 193) lässt sich ein grundsätzliches Spektrum verschiedener Multiplikationsmethoden skizzieren (Abbildung 2).
Offene Verbreitung (dissemination): Verstanden wird darunter die aktive, aber strukturlose Verfügbarmachung eines Geschäftskonzepts vergleichbar mit der aus dem IT-Umfeld stammenden open source-Methodik. Diese bezeichnet im Kern öffentlichen und freien Zugang zu Informationen, die beliebig kopiert, verbreitet, genutzt und verändert werden dürfen. Als Beispiel erwähnen Dees et al. (2004) Maria Montessori mit ihrer Pädagogiklehre.8 Vorteil dieser Skalierungsform ist die Geschwindigkeit, mit der das Konzept in die Breite ausgedehnt werden kann, sowie die geringen Kosten, die für die Mutterorganisation entstehen. Nachteil ist hingegen die fehlende Kontrollmöglichkeit, durch die qualitative Mindeststandards bei der Implementierung des Konzepts nicht sichergestellt werden können. Kooperation (affiliation): Diese Replizierungsform meint jede Art der Ausbreitung, bei der die Mutterorganisation mit einem oder mehreren Partnern auf langfristiger Basis zusammenarbeitet und diese für die Implementierung des Konzepts in der jeweiligen Region verantwortlich sind. Ein Beispiel sind die CFWshops (www.cfwshops.org).9 Vorteil dieser Skalierungsform ist eine größere Kontrollmöglichkeit z.B. durch vertragliche Bestimmungen von Seiten des Konzeptgebers. Im Gegensatz zur open source-Methode benötigt die Verbreitung jedoch länger und nimmt aus Sicht des Konzeptgebers mehr Ressourcen in Anspruch.
8 Die Montessori-Pädagogik ist eine Bildungsphilosophie für Kindergärten und Schulen, die Anfang des 20. Jahrhundert von Maria Montessori entwickelt wurde und durch offene Verbreitung multipliziert wird. Um einen bestimmten Qualitätsstandard aufrecht zu erhalten und den gegenseitigen Austausch zu pflegen, gibt es Fach- und Dachverbände wie den Montessori Dachverband Deutschland, die Schulungsangebote offerieren und ein Mindestmaß an Kontrolle ausüben. 9 CFWshops ist eine im Jahr 2000 gegründete Initiative mit Sitz in Kenia, deren Mission der Zugang zu medizinischer Versorgung in ländlichen Gebieten darstellt. Hauptziel ist neben allgemeiner Gesundheitsaufklärung die Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria, Atemwegsinfektionen und Durchfall. Seit der Gründung wurden über 50 sog. CFWshops über das Franchisingmodell installiert. Krankenschwestern und andere Pflegekräfte übernehmen dabei die Rolle der Franchisenehmenden und führen die Praxen vor Ort in den Dörfern und Städten.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Tochterorganisationen/Filialen (branching): Die dritte Form der Replizierung stellen Tochterorganisationen bzw. eigene Filialen dar. Hier liegt der Vorteil gegenüber den beiden vorhergehenden Skalierungsarten darin, ein Höchstmaß an Kontrolle über den Verbreitungsprozess auszuüben. Dieser Vorteil wird allerdings durch die erheblich höheren Kosten relativiert, die die Mutterorganisation zur Gänze zu tragen hat sowie durch die wesentlich geringere Verbreitungsgeschwindigkeit. Ein Beispiel hierfür ist das Filialnetzwerk der Grameen Bank in Bangladesh (www.grameen.org).
Offene Verbreitung
Kooperation (z.B. Social Social (Z.B. Franchising) Franchising)
Tochterorganisationen/ Filialen
Ressourcenbedarf Verbreitungsgeschwindigkeit Kontrollmöglichkeiten
Abbildung 2: Einordnung von Replizierungsformen (in Anlehnung an Schöning 2007: 193)
Während die Methodik der offenen Verbreitung und des Filialnetzwerks die Grenzen des Kontinuums markieren, stellen Kooperationen nur den Oberbegriff für unterschiedliche Kooperationsformen dar. Die wichtigste Unterform im Rahmen dieser Ausführungen ist social franchising. 3
Social Franchising
Franchising im wirtschaftlichen Kontext In der Privatwirtschaft wird unter franchising eine Form der kooperativen Distribution verstanden, bei der zwei Akteure – ein Franchisegeber und ein Franchisenehmer – ein langfristiges Vertragsverhältnis eingehen. Dieses regelt eine spezifische Aufgabenteilung, bei welcher der Franchisegeber die Entwicklung
Hackl: Social Franchising – Multiplizieren und skalieren
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eines Geschäftskonzepts übernimmt und der Franchisenehmer gegen Zahlung einer Franchisegebühr dieses im lokalen Markt implementiert (Theurl 2001: 87). Wesentliche Charakteristika von klassischem franchising lassen sich wie folgt skizzieren (Skaupy 1995: 6f):
Systemstruktur: Franchising ist ein dezentrales Absatzsystem mit einem oder mehreren rechtlich selbständigen Vertriebsstellen, das vertikal-kooperativ zwischen Franchisegebenden und -nehmenden organisiert ist. Leistungsprogramm: Sowohl Franchisegeber als auch -nehmer sind zur Erbringung bestimmter Leistungen verpflichtet. Verhältnis zwischen Systempartnern: Die Zusammenarbeit zwischen beiden basiert auf einem vertraglichen Dauerschuldverhältnis zur Regelung der Rechte und Pflichten der Systempartner und ist längerfristig angelegt. Ein Weisungs- und Kontrollsystem ermöglicht dem Franchisegeber, systemkonformes Verhalten durch den Franchisenehmer sicherzustellen. Letzterer ist rechtlich selbständig und damit auf eigene Rechnung aktiv. Außenwirkung: Das System tritt am Markt einheitlich durch Verwendung des gleichen Namens bzw. Marke auf, was durch die Verfolgung einer gemeinsamen Strategie von innen heraus gestützt wird.
Über diese Determinanten hinaus gilt für den Aufbau: Erfolgreiche franchises bedürfen zwingend eines funktionierenden, „schlüsselfertigen“ und alle wesentlichen Geschäftstätigkeiten umfassenden Geschäftskonzepts. Dieses muss durch den Franchisegeber (z.B. in einem Handbuch) präzise ausdetailliert sein, um sämtliche Prozesse an den Standorten der Franchisenehmer replizieren zu können. Die Betonung liegt hierbei auf Prozessen, da es bei franchising entgegen der allgemeinen Meinung nicht um standardisierbare Produkte oder Dienstleistungen, sondern vielmehr um die Standardisierung von Prozessabläufen geht.10 Social Franchising Social franchising „uses the structure of a commercial franchise to achieve social goals.”11 Am Beispiel Aspire, einer ehemaligen britischen SEO, können wesentliche Merkmale für social franchising nachvollzogen werden.12 10 Vgl. dazu Aussagen von Dieter Ahlert während des Social Franchise Summit am 6.12.2007 in Berlin (siehe auch Däfler 1998: 186f). 11 Homepage von Social Franchise (www.socialfranchise.com, letzter Aufruf: 22.1.2008). Die Definition stammt von Social Franchise Ventures, einer Unternehmensberatung spezialisiert auf Franchisestrategien im sozialen Sektor.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Aspire Aspire ist ein britischer Katalogbestellservice für Haushaltsartikel mit Fokus auf „Fair Trade“-Produkte, dessen soziale Mission ein Arbeitsprogramm für Obdachlose beinhaltet. Diese sind als Vertriebsmitarbeitende im Außendienst angestellt und erhalten dadurch die Möglichkeit, der Obdachlosigkeit zu entkommen (gemeinnütziges Systempaket). Angetrieben durch den Erfolg des Unternehmens beschloss das Management nach zweijähriger Geschäftstätigkeit, das Konzept über social franchising geographisch auszuweiten und es unter dem Namen Aspire (Markenname) einer größeren Anzahl von Obdachlosen zugänglich zu machen. Die Einheit rund um das Managementteam (Franchisegeber) kümmerte sich um die Erstellung der Kataloge, Beschaffung der Produkte, Unterstützung und Führung der Partner vor Ort (Kontrollmechanismen). Die Rolle letzterer (Franchisenehmer) wurde meist durch schon existente non-profit-Unternehmen übernommen, welche wiederum für das operative Geschäft vor Ort und das Training der Vertriebsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zuständig waren. Als Gegenleistung für das Geschäftskonzept entrichten die Franchisenehmer an den Franchisegeber ein variables Entgelt abhängig von der Anzahl der angeforderten Kataloge (Franchisegebühr). Die Rahmenbedingungen der Kooperation zwischen den Systempartnern wurden ex ante rechtlich-formal in einem Vertriebsvertrag geregelt (vertragsbasierte Zusammenarbeit).
Gemeinnütziger Sektor Marketing & Image Gesellsch. Geschäftskonzept Marke Franchisegeber (z.B. Social Enterprise)
Kontrollmechanismen Konzeptentwicklung Gebühren o.ä.
Franchisenehmer (z.B. NPO)
Produkt Service
Kunde und/oder Nutznießer
Preis
Information
Abbildung 3: Vorläufiges Verständnis von Social Franchising (Hackl 2010: 43)
Die bereits angesprochenen Vorteile der Multiplikation von SEOs durch social franchising gegenüber anderen Methoden sind insbesondere: 12 Aspire ist ein durch Tracey & Jarvis Fallstudienanalyse gut dokumentierte, gemeinhin anerkanntes britische SEO, die social franchising anwendete, um ihre sozialen Dienstleistungen geographisch auszuweiten (Tracey/Jarvis 2006, 2007).
Hackl: Social Franchising – Multiplizieren und skalieren
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Geringer Bedarf an Ressourcen: Im Vergleich zur Expansion via Filialen ist der Ressourcenaufwand bei social franchising für die SEO im Allgemeinen geringer. Da die Systempartner vor Ort üblicherweise einen Beitrag bei der Errichtung der lokalen Gegebenheiten leisten, werden die Expansionskosten von mehreren Partnern getragen. Darüber hinaus ermöglicht die lokale Einbettung der Franchisenehmenden Zugänge zu lokalen Finanzierungsquellen, die für die SEOs genutzt werden können (Schöning 2007: 195; Ahlert et al. 2008: 21f). Rasche Expansion: Durch den geringeren Bedarf an Ressourcen im Vergleich zur Filialerrichtung kann die geographische Expansion schneller erfolgen. Dieser Umstand schlägt sich gleichzeitig positiv in der raschen Erlangung eines höheren Bekanntheitsgrads nieder. Kontrollmöglichkeit: Gegenüber loseren Verbreitungsmethoden erlaubt social franchising einen höheren Grad an Kontrolle über die Franchisenehmer. Durch den Auswahl- und Schulungsprozess der Franchisenehmer, die Standardisierung von Prozessen und Installierung eines Kontrollsystems ist es dem Franchisegeber möglich, das System in seinem Sinne zu steuern. „Selbstlernendes“ System: Intensive Kommunikation zwischen Franchisegeber und -nehmer und der Austausch von Erfahrungen wie best practices sind eine gute Basis für die ständige Weiterentwickelung und Verbesserung des social franchise-Systems. Win-Win-Situation für Systempartner: Social franchising stellt ein attraktives Kooperationsmodell für Franchisegebende wie -nehmende dar. Der Franchisegeber findet darin eine Möglichkeit, schnell zu wachsen und Risiko zu streuen, während der Franchisenehmer die Chance bekommt, an seinem Standort gesellschaftliche Veränderung auf Basis eines geprüften Konzepts herbeizuführen.
Demgegenüber sind einige Risiken zu beachten:
Gefahr opportunistischen Verhaltens: Jede Form der Kooperation bietet diskretionäre Handlungsspielräume, die die Kooperationspartner für sich ausnutzen können. Durch die im Verhältnis zum Filialnetz losere Organisationsstruktur von social franchising und damit geringere Kontrollmöglichkeit über das Verhalten der Partner besteht hier tendenziell eine größere Gefahr, dass sich ein Franchisepartner anders verhält als dies im Kooperationsvertrag vereinbart ist (z.B. indem ex ante geregelte Qualitätsstandards bei der Leistungserstellung nicht zur Gänze erfüllt werden).
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Risiko der Negativreputation: Eine Spezifizierung des vorigen Punkts ist das potentielle Risiko der Negativreputation. Franchisenehmer können nicht nur Spielräume im Innenverhältnis ausnutzen, sondern sich auch nach außen abweichend von Systemrichtlinien verhalten und damit negative Reputation für das gesamte Unternehmensnetzwerk erzeugen (z.B. durch Abweichung definierter Qualitätsstandards). Die Kontrolle eines solchen Fehlverhaltens ist im Gegensatz zu Filialnetzen schwerer durchzusetzen und gerade im von intrinsischer Motivation geprägten sozialen Umfeld kein leichtes Unterfangen. Auswahl der Franchisenehmenden: Für Franchisegeber ist die Suche nach und Auswahl von geeigneten Franchisenehmern oft mit hohem Kosten- und Zeitaufwand verbunden. Der Franchisenehmer muss neben fachlichen Fähigkeiten idealerweise auch Eigenschaften eines Unternehmers aufweisen, was den Markt potenzieller Kandidaten einschränkt. Social Franchising: Beispiele aus der Praxis
Während die Literatur eine Reihe von Parametern für social franchising beschreibt, zeigt die Praxis die Vielfalt der Ausprägungen. Im Folgenden werden drei SEOs skizziert und verglichen, die den erfolgreichen Einsatz von social franchising demonstrieren und dabei unterschiedlich ausgestaltet sind.
Dialog im Dunkeln – Ausstellung zur Entdeckung des Unsichtbaren Dialog im Dunkeln (www.dialog-im-dunkeln.de) wurde 1988 von Andreas Heinecke mit Sitz in Hamburg gegründet. Die Organisation hat zum Ziel, „soziale Kreativität zu fördern und neue Wege zu finden, das soziale Bewusstsein für Themen wie Alter, Unbehagen in der Jugend zu erhöhen und die Lebensbedingungen behinderter, verarmter oder arbeitsloser Menschen zu verbessern.“13 Im Kern handelt es sich dabei um ein Ausstellungsformat, bei dem Menschen mit Sehbehinderung sehende Besucherinnen und Besucher durch abgedunkelte Räume führen und ihnen so ihre dunkle Welt näher bringen. Das Ertragsmodell basiert auf Eintrittsgeldern (zwischen 9 und 16 € je Besucher) und Zusatzeinnahmen aus angeschlossenen Cafés und Sonderprogrammen wie speziellen Seminaren oder Veranstaltungen.
13 Homepage von Dialog im Dunkeln unter http://dialogue-hh.twinpictures.de/?page_id=6 (letzter Aufruf: 18.1.2009).
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Für die systematische Ausweitung durch social franchising wurde 1996 die Consens Ausstellungs GmbH gegründet, welche in Besitz des standardisierten Konzepts rund um die Führungen durch Dunkelräume (Systempaket) ist und gleichzeitig als Franchisegeber agiert.14 Sie ist zuständig für die Übertragung des Konzept-Know-hows und übernimmt Unterstützungsaktivitäten wie Trainings, Consulting etc., um die nötigen Qualitätsstandards weitgehend sicherzustellen. Die Franchisenehmer sind für die Organisation der Ausstellung vor Ort zuständig, d.h. insbesondere für die Beschaffung der notwendigen Finanzressourcen, das Marketing, den Vertrieb und die Personalrekrutierung. Neben einer initialen Gebühr für den Erwerb des Konzept-Know-hows betragen die laufenden Franchisegebühren zwischen 130 und 180 € pro Tag [siehe zu diesem und dem nächsten Beispiel auch den Beitrag von Gergs zur Führung sozialer Unternehmen].
Science-Lab –Naturwissenschaften für Kinder Science-Lab (www.science-lab.de) wurde 2002 ins Leben gerufen und ist eine unabhängige Bildungsinitiative für Kinder, Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte in Deutschland. Das Ziel des Programms ist „das forschende Denken [zu] fördern, damit sich langfristig ein anderes Verständnis für Naturwissenschaften entwickeln kann.“15 Die Gründerinnen entwickelten ein modernes Kurssystem für Kinder zwischen vier und zehn Jahren, das einen altersgemäßen Zugang zu unterschiedlichen Themen der Fächer Biologie, Chemie, Physik, Astronomie und den Geowissenschaften verschafft. ScienceLab finanziert sich einerseits durch das Angebot von Zusatzausbildungen und Schulungen für unabhängige KindergärtnerInnen, Lehrkräfte und ErzieherInnen und andererseits durch Kursgebühren, die 10 € pro Kurseinheit und Kind betragen. Science-Lab-Kurse werden mittlerweile an über 70 Standorten in Deutschland angeboten, wobei Science-Lab die Rolle des Franchisegebers übernimmt und die KursleiterInnen als Franchisenehmer agieren. Science-Lab leitet dabei zentral unterschiedliche Aktivitäten, darunter die Zusammenstellung und Weiterentwicklung des Curriculums (Systempaket), die Ausbildung neuer Kursleiterinnen und -leiter (d.h. Franchisenehmer), die fortlaufende Schulung schon existierender Kursleiter sowie die gesamte Pressearbeit. Die Kursleitungen wiederum sind für alle Tätigkeiten vor Ort zuständig (insb. Organisation und Durchführung von Kursen). Die Franchisegebühr beträgt je nach Auslastung zwischen 10 und 15 Prozent der Kurseinnahmen und ist von den KursleiterInnen an die Zentrale zu entrichten.
14 Vgl. Vortrag von Andreas Heinecke beim Social Franchise Summit in Berlin am 6.12.2007. 15 Homepage des Goethe-Instituts unter http://www.goethe.de/wis/fut/thm/bkt/de2930058.htm (letzter Aufruf: 18.1.2009).
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
VisionSpring – Brillen zur Wiederherstellung des Sehvermögens VisionSpring (www.visionspring.org) wurde 2001 in New York mit folgender Mission gegründet: „To reduce poverty and generate opportunity in the developing world through the sale of affordable eyeglasses.“ VisionSpring stellt qualitativ hochwertige und zugleich kostengünstige Lesebrillen zur Behebung einfacher Fehlsichtigkeiten her und zielt dabei auf die Versorgung von Entwicklungsländern. Das Ertragsmodell der Organisation fußt auf den Einnahmen aus den Brillenverkäufen und stellt die Erwirtschaftung eines Gewinnanteils auf jeder Wertschöpfungsstufe sicher. Insgesamt konnte die Tätigkeit von VisionSpring mittels social franchising auf fünf Länder ausgedehnt werden. VisionSpring tritt dabei als Franchisegeber auf und differenziert zwischen zwei Vertriebslinien, dem sog. direct sales channel, bei welchem die VisionSpring Zentrale in Indien den Aufbau eines Franchisenehmernetzwerks bestehend aus sog. vision entrepreneurs unterhält, und dem sog. franchise partner channel, der sich durch die Kooperation mit existierenden Unternehmen auszeichnet, die wiederum ihrerseits ein selbständiges Franchisenehmernetzwerk bestehend aus vision entrepreneurs betreuen und somit eine Art Masterfranchiseposition innehaben. VisionSpring ist zuständig für die Konzeptübergabe und Einschulung der Franchisepartner sowie die Produktion der Brillengläser (Systempaket). Darüber hinaus unterstützt VisionSpring seine Partner laufend durch Schulungen und Beratungsleistungen, übernimmt die Pressearbeit sowie Teile der Marketingaktivitäten. Die Franchisepartner organisieren den gesamten Brillenvertrieb vor Ort. Die Franchisegebühr gestaltet sich variabel in Abhängigkeit der abgenommenen Anzahl an Brillen und hat immer zum Ziel, die gesamten Produktions- und Transportkosten zu decken.
Eine qualitative Analyse (ausführlich Hackl 2010) dieser drei SEOs zeigt die Spezifika der internen Koordination von social franchising gegenüber traditionellen franchises.
Anforderungen bei der Franchisenehmerauswahl: Diese stellt eine wesentliche Herausforderung im Management von social franchises dar, da die Franchisenehmenden ursächlich für den Erfolg am dezentralen Standort verantwortlich sind. Im Gegensatz zu kommerziellen besteht bei social franchises nicht nur die Notwendigkeit der Sicherstellung herkömmlicher Franchisenehmerqualifikationen wie unternehmerische Fähigkeiten und Selbständigkeit, sondern auch jene der moralischen Übereinstimmung. Diese lässt sich anhand von zwei Faktoren beschreiben: einer übereinstimmenden Zielvorstellung hinsichtlich der gemeinnützigen Tätigkeit sowie der Begeisterung für das jeweilige gemeinnützige Thema. VisionSpring macht dieses Kriterium beispielsweise an einer ähnlichen Mission und ähnlichen Zielen der potentiellen Partnerorganisation fest, bei Science-Lab zeigt sich dies in der Begeisterung der Franchisenehmenden für die Mission und das dahinter liegende Konzept.
Hackl: Social Franchising – Multiplizieren und skalieren
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Bedeutung nicht-materieller Kompensation von Franchisenehmenden: Zusätzlich zur besonderen Qualifikation von Franchisenehmenden liegt gegenüber traditionellen Franchisesystemen eine differenzierte Anreizstruktur in Bezug auf die Gewinnung und das Koordinieren von Franchisenehmenden zugrunde. Während im traditionellen franchising das Engagement der ranchisenehmerin bzw. Franchisnehmers durch eine adäquate finanzielle Rendite kompensiert wird, erlaubt die finanzielle Knappheit im sozialen Bereich meist keine vergleichbare finanzielle Vergütung der Akteure. Der Anreiz zum Engagement ist somit zu einem großen Teil nicht-materieller Natur. Beispiele dafür sind Spaß und Freude an der Aktivität, Anerkennung für die Arbeit, Gestaltungsspielraum durch die unternehmerische Selbständigkeit vor Ort oder auch hohe Sinnhaftigkeit durch die gemeinnützige Wertschaffung der Tätigkeit. Diese Formen der immateriellen Leistungsabgeltung stellen gleichsam das Delta zwischen dem finanziellen Entgelt bei Social Franchises und jenem einer vergleichbaren Tätigkeit im kommerziellen Bereich dar und müssen zur Motivation des Franchisenehmers bzw. der Franchisnehmerin in ausreichendem Ausmaß sichergestellt sein. Geringer Grad an Standardisierung und alternative Steuerungsmechanismen: Die Unterschiedlichkeit in der Anreizstruktur und Kompensation müssen bei der Konzipierung und dem Management von social franchises berücksichtigt werden. So ist zu beobachten, dass diese sich zwar durchweg als business verstehen und damit ihre Nähe zu professionellen, effektiven und effizienten Geschäftsstrukturen aus dem privatwirtschaftlichen Sektor demonstrieren, die Managementphilosophie jedoch in vielen Bereichen mit der speziellen Anreizstruktur der FranchisenehmerInnen nicht vereinbar ist. Beispielsweise ist ein hoher Standardisierungsgrad im kommerziellen franchising notwendig und erfolgskritisch, um das Auftreten des franchises am Markt einheitlich zu gestalten, die Art der Leistungserfüllung gegenüber der Kundschaft konstant zu halten und die Kontrolle über die Franchisenehmerinnen und -nehmern zu erleichtern. Demgegenüber ist ein zu hoher Grad an Standardisierung bei social franchises kontraproduktiv aufgrund der potentiellen Gefährdung der Franchisenehmermotivation. Es zeigt sich, dass sich Franchisegebende daher meist auf Mindeststandards (vorwiegend in Bezug auf Sicherheits- und Qualitätsaspekte) beschränken, um ihren FranchisenehmerInnen weiterhin einen hohen individuellen Handlungsspielraum zu gewähren.
Von Bedeutung werden dadurch alternative Steuerungskonzepte des Franchisesystems, wie zum Beispiel die Etablierung sozialer Normen. Diese spielen eine
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wesentliche Rolle zur Kompensation formaler (vertraglicher) Regelungen. Am deutlichsten zeigt sich diese in Bezug auf die geforderte Einhaltung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Bei Science-Lab wird z.B. auf die Marke als „Qualitätssiegel“ referenziert, das bedingungslos hoch gehalten wird und dem Franchisenehmerinnen und -nehmer mit ihrer Tätigkeit vor Ort entsprechen müssen. Ähnlich werden Normen auch bei Dialog im Dunkeln angewendet, indem Sicherheit bei der Durchführung der Ausstellungen als „ein riesengroßes Thema“ verstanden wird, bei dem die Zentrale „sehr, sehr rigide“ und „sehr massiv“ auftritt (Hackl 2010: 157ff). Abweichungen von diesen Normen werden vom Franchisesystem sanktioniert bis hin zum Ausschluss der jeweiligen Franchisepartnerinnen und -partner. 5
Fazit
Social franchising ist ein Multiplikationsmodell, das für den SEO-Bereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Es bedient sich der konstitutiven Elemente des traditionellen franchising, muss jedoch aufgrund der besonderen Umstände, die der SEO-Bereich im Vergleich zu kommerziell ausgerichteten Geschäftsmodellen aufweist, als eigenständiges Konzept verstanden werden. Empirische Ergebnisse demonstrieren, dass insbesondere die finanzielle Unterversorgung des gemeinschaftlichen Bereichs und damit das Fehlen von materiellen Anreizen eine besondere Herausforderung an social franchises in Bezug auf die Franchisenehmerauswahl sowie die effektive und effiziente interne Koordination stellen. Zukünftige Strategien und Instrumente erfolgreicher Implementierung von social franchising bedürfen zweifellos weiterer Forschung und insbesondere der Weiterentwicklung in der Praxis. Quellenverzeichnis Achleitner, Ann-Kristin/Pöllath, Reinhard/Stahl, Erwin (Hrsg.) (2007): Finanzierung von Sozialunternehmern. Konzepte zur finanziellen Unterstützung von Social Entrepreneurs. Stuttgart. Ahlert, Dieter (Hrsg.) (2001): Handbuch Franchising & Cooperation – Das Management kooperativer Unternehmensnetzwerke. Neuwied. Ahlert, Dieter/Fleisch, Hans/Dinh, Hai Van Duong et al. (2008): Social franchising – A way of systematic replication to increase social impact. Berlin. Alvord, Sarah H./Brown, L. David/Letts, Christine W. (2004): Social entrepreneurship and societal transformation. In: The Journal of Applied Behavioral Science 40/2004: 260-282.
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Ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs Barbara Roder, Ann-Kristin Achleitner und Alexander Bassen
Veränderungen auf der Angebots- sowie der Nachfrageseite im non-profit-Sektor hatten in der letzten Zeit einen zunehmenden Professionalisierungsdruck zur Folge, der das Konzept „Social Entrepreneurship“ begünstigt [social entrepreneurship und social entrepreneurs im Sinne von social entrepreneurship organization werden im Folgenden vorwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet]. Social entrepreneurs gehen gesellschaftliche Probleme an und zielen nicht auf die Maximierung des ökonomischen Gewinns. Um die tatsächliche Wirksamkeit dieses Ansatzes zu verdeutlichen sowie den Ressourceneinsatz zu einem gegebenen Ziel ins Verhältnis zu setzen und möglichst zu minimieren, fehlte jedoch bisher die Grundlage für ein professionelles Reporting. Ein solches Reporting würde
Geldgebern eine Entscheidungsgrundlage bieten, die Attraktivität solcher Unternehmen für Investoren steigern und dem innovativen Konzept des Social Entrepreneurs gerecht werden.
Im Rahmen einer Forschungskooperation zwischen der TU München (Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner), der Universität Hamburg (Prof. Dr. Alexander Bassen), der Ashoka gGmbH, der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship sowie BonVenture, Auridis gGmbH und PricewaterhouseCoopers wurde hierfür ein Reporting Standard für Social Entrepreneurs entwickelt.1 Reporting kann im Deutschen am treffendsten mit externer Unternehmensberichterstattung übersetzt werden. Ein Reporting umfasst alle Informationen eines Unternehmens, die die Reportingadressaten bei der Beurteilung der Aktivitäten des Berichtenden maßgeblich unterstützen. Mit den Berichten, die unter Anwendung dieses Reporting Standards erstellt werden, wird Rechenschaft darüber abgelegt, wie die den social entrepreneurs anvertrauten Ressourcen eingesetzt werden, um erfolgreiche Lösungsansätze zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme zu verbreiten und einen unternehmerisch „denkenden“ Sozialstaat zu schaffen.
1 Wir danken der Heinz Nixdorf Stiftung für die finanzielle Unterstützung dieses Projekts.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_21, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Roder et al.: Reporting Standard für Social Entrepeneurs
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Bedeutung des Reportings im Social Entrepreneurship
Das Phänomen Social Entrepreneurship2 erfährt in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit, denn gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um den Wandel des Sozialstaats und die Ausweitung des Subsidiaritätsgedankens hin zu mehr Eigenverantwortlichkeit kommt SEOs eine steigende Bedeutung zu.3 Dies führt zur Anwendung innovativer marktorientierter Ansätze zur Bewältigung sozialer Probleme. In diesem Zusammenhang sehen sich SEOs zunehmend auch mit der Messung ihres Erfolgs, der Darstellung ihres Risikos sowie einer professionellen Dokumentation ihrer Arbeit konfrontiert. Es existiert jedoch bisher kein einheitlicher Reporting Standard, der an die Bedürfnisse von SEOs angepasst ist und in dem Informationen systematisch und strukturiert erfasst werden. Teilweise haben SEOs durchaus Erfolgsmessungssysteme für ihr jeweiliges Unternehmen entwickelt, doch sind diese zumeist sehr speziell auf das jeweilige Projekt zugeschnitten und – da der Erfolg nicht allein monetärer Natur ist – für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Eine an Indikatoren orientierte, standardisierte Berichterstattung von SEOs würde verschiedenen Zielsetzungen dienen: Zum einen ermöglicht sie eine Vergleichbarkeit verschiedener Organisationen innerhalb eines Themenbereichs hinsichtlich ihrer Effektivität sowie zwischen allen Organisationen hinsichtlich ihrer Effizienz. Des Weiteren wären SEOs in der Lage, ein solches professionelles Wirkungsmonitoring für ihre internen Managemententscheidungen zu nutzen. Darüber hinaus könnten die Informationen über die Performance der Organisationen durch Analysten bewertet werden. Dies wiederum ermöglicht Investoren eine Entscheidung nicht nur hinsichtlich ihrer Präferenz für ein bestimmtes gesellschaftliches Thema, vielmehr könnten dadurch auch persönliche Risiko- und Rendite-Profile berücksichtigt werden. Zusätzlich kann finanztheore2 Im vorliegenden Forschungsprojekt wird als social entrepreneur eine Person bezeichnet, die darauf abzielt, mithilfe eines innovativen Ansatzes und unternehmerischer Methoden einen gesellschaftlichen Missstand zu beheben. Ihr primäres Ziel ist nicht der monetäre Profit, sondern die nachhaltige gesellschaftliche Wirkung in Bezug auf die Zielgruppen. 3 In der Literatur werden hierfür in Deutschland auf der Nachfrageseite zwei makrodynamische Entwicklungen verantwortlich gemacht: Die Krise des traditionellen Sozialstaats sowie ein zunehmender Wettbewerb im Dritten Sektor. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch Veränderungen auf der Angebotsseite wie dem Anstieg der Lebenserwartung, den verbesserten Informationstechnologien und dem außerordentlichen Wachstum privater Vermögen. Diese Bedingungen führen dazu, dass immer mehr Einzelpersonen sozial tätig werden. Eine neue SpenderInnengeneration vermögender New-Economy-GründerInnen sowie ManagerInnen von private equity- oder venture capital-Fonds überträgt ihre Erfahrung und Herangehensweise auf die Finanzierung von social entrepreneurs und unterstützen nicht nur finanziell, sondern auch durch Kontakte und Managementberatung.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
tisch argumentiert werden, dass durch eine bessere Erfolgsmessung die Entscheidungsgrundlage transparenter wird. Dies erhöht die Attraktivität der Investition gegenüber anderen Investitionsmöglichkeiten und könnte somit letztlich zu einer effizienteren Kapitalallokation im Dritten Sektor führen. 2
Status Quo des Reportings im Social Entrepreneurship
Die Hauptfunktion eines Reportings besteht darin, durch Informationsvermittlung eine bestmögliche Ressourcenallokation durch die Adressaten zu ermöglichen. Diese Informationen sind ökonomischer Natur, d.h. sie betreffen den Bestand und die Verwendung knapper Ressourcen. Dies können monetäre oder zeitliche Ressourcen sowie Sachleistungen sein. Um die Funktion der Informationsvermittlung im Sinne von Rechenschaft (ex post) und Entscheidungshilfe (ex ante) erfüllen zu können, muss ein Reporting gewissen qualitativen und quantitativen Rahmengrundsätzen entsprechen.4 Diese umfassen zum einen
die Primärgrundsätze der Relevanz5 und der Zuverlässigkeit6, die Sekundärgrundsätze der Vergleichbarkeit7 und Konsistenz8 sowie
4 In Deutschland heißen diese Anforderungen „Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung“ (Moxter 2003), in den USA sind sie in den „Statements of Financial Accounting Concepts“ (SFAC) des Financial Accounting Standard Board dargelegt. 5 Relevanz bedeutet, dass alle Informationen erfasst sein sollten, die maßgeblichen Einfluss auf die Beurteilung durch den Berichtsempfänger haben. Beurteilungsrelevant sind Informationen dann, wenn sie entweder auf der Basis vergangener Daten Prognosen ermöglichen (predictive value) sowie frühere Annahmen bestätigen oder revidieren (feedback value). Neben diesen Teilaspekten der Prognosefähigkeit und der Bestätigungskraft müssen Informationen zusätzlich zeitnah berichtet werden (timeliness), d.h. in ausreichender Zeit vor dem aus dem Entscheidungsprozess resultierenden zukünftigen Ergebnis (KPMG 2003: 16; Haller 1995: 12). Relevant sind Berichtselemente dann, wenn ihr Unterlassen oder ihre inkorrekte Darstellung die Entscheidung eines Reportingadressaten beeinflussen kann. Entbehrlich sind Informationen, wenn ihre Kenntnis die Beurteilung des Sachverhalts durch den Reportingadressaten unberührt lässt (Moxter 1976: 92; IDW 2005: 7f). 6 Der Grundsatz der Zuverlässigkeit beinhaltet die Richtigkeit und Willkürfreiheit der Berichterstattung und ermöglicht weitestgehende Objektivität und intersubjektive Überprüfbarkeit der Verlaufs- und Zustandsangaben. Das Kriterium der Zuverlässigkeit kann durch drei Teilaspekte weiter konkretisiert werden: (1) Glaubwürdige Darstellung (verifiability und faithful representation), (2) Willkürfreiheit bzw. Neutralität (neutrality), (3) Vollständigkeit (completeness) (Baetge et al. 2007: 148 f; KPMG 2003: 16f). 7 Dies gilt zum einen vertikal (im Zeitablauf) wie auch horizontal (zwischenbetrieblich). Der Grundsatz der Vergleichbarkeit ergibt sich logisch aus der makroökonomischen Zielsetzung einer effizienten Ressourcenallokation, die durch Reporting erreicht werden soll. Nur wenn die gewährten Informationen einen korrekten Vergleich der unterschiedlichen Investitionsalternativen ermöglichen, können Investoren ihre Ressourcen effizient einsetzen (Haller 1995: 14f).
Roder et al.: Reporting Standard für Social Entrepeneurs
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die quantitativen Rahmenpostulate der Wesentlichkeit9 und der Angemessenheit10.
Traditionelles Reporting, in dem fast ausschließlich finanzielle Kennzahlen erhoben werden, ist bei SEOs nicht ausreichend: Zum einen hängt die Möglichkeit, überhaupt Einkommen zu generieren, davon ab, welches gesellschaftliche Problem die social entrepreneurs bekämpfen. Zum anderen ist für SEOs die monetäre Zielerreichung sekundär, sie streben vielmehr nach gesellschaftlichem Wandel. Die Messung dieses sozialen Erfolgs ist jedoch mit zahlreichen methodischen Schwierigkeiten behaftet. In diesem Zusammenhang sind vor allem die komplexe Operationalisierung der Wirkungsziele aufgrund ihrer qualitativen Natur, die problematische Erfassung und Messung von Kausalitätszusammenhängen sowie eine starke Subjektivität der Wirkung anzuführen. Aufgrund dieser vielschichtigen Herausforderungen lässt sich der Status Quo der Evaluierungspraxis als stark fragmentiert und uneinheitlich bezeichnen. Es hat sich bis dato keine standardisierte und objektive Kennzahl zur Messung sozialer Wertschöpfung durchgesetzt. Defizite bestehen vor allem in der Entwicklung eines wissenschaftlich fundierten Reportingkonzepts und eines darauf aufbauenden Reportingleitfadens für SEOs. Konsequenz dieser Schwierigkeiten der Erfolgsmessung ist unter anderem, dass SEOs unabhängig von ihrer Leistung Finanzierungsprobleme haben. Wesentliche Informationen, die es dem Berichtspublikum ermöglichen, social entrepreneurs einzuschätzen, betreffen hauptsächlich deren Erfolg. Erfolgsbezogene Informationen umfassen den effektiven und effizienten Ressourceneinsatz zur Erreichung eines bestimmten Ziels innerhalb eines definierten Zeitraums (Twersky/Blair 2002; Berman 2006; IASB 2006). Der Erfolg einer Organisation wird somit gemessen am Grad der spezifischen Zielrealisation und 8 Um dem Grundsatz der Vergleichbarkeit von Sachverhalten zu entsprechen, ist ein gewisser Grad an Standardisierung der Abbildungsmethode (consistency) erforderlich. Die Konsistenz in der Verwendung von Kennzahlen kann nur geändert werden, wenn sich der Berichtsgegenstand wesentlich verändert (FASB 1980: 6; Haller 1995: 13; IDW 2005: 8; Baetge et al. 2007: 149; KPMG 2003: 17). 9 Demnach sind im Reporting nur diejenigen Sachverhalte anzuführen, die durch ihre Offenlegung einen Reportingadressaten möglicherweise beeinflussen würden. Während die Nicht-Berücksichtigung einer Information aufgrund mangelnder Entscheidungserheblichkeit mit dem Grundsatz der Relevanz begründet wird, liegt die Ursache für den Ausschluss einer grundsätzlich entscheidungsrelevanten Information in ihrem geringen Einfluss, der mangelnden Wesentlichkeit, begründet (Haller 1995: 16; FASB 1980: 7; Kuhlewind 1997: 94f). 10 Der Grundsatz der Angemessenheit (cost-benefit principle) soll sicherstellen, dass der Informationsnutzen der Reportingadressaten durch die Berichterstattung größer ist als die Kosten des Reporting (FASB 1980: 7; Kuhlewind 1997: 99f).
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
gibt darüber Aufschluss, in welchem Maß das angestrebte Ziel erreicht wurde. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang eine klare Sachzieldominanz bei SEOs gegenüber der Formalzieldominanz bei privatwirtschaftlichen Unternehmen (Goetzke 1979; Fleige 1989; Eichhorn 2001). Für diese soziale Zielsetzung von SEOs existiert – im Unterschied zu privatwirtschaftlichen, profitorientierten Unternehmen – keine monetäre Zielgröße. Sie lässt sich auch nicht objektiv ermitteln, da die Leistungen von SEOs nicht durch Preise auf freien Märkten bewertet werden. Der Informationsbedarf über den Organisationserfolg, d.h. die Sachzielerreichung von SEOs, muss also durch ein für diesen Unternehmenstyp spezifisches Reporting gedeckt werden (Küpper 2007). Neben dem Erfolg der SEOs müssen auch diejenigen Faktoren in einem Reporting berücksichtigt werden, die Einfluss auf die Zielerreichung haben. Dies ist erstens das Risiko (Wolke 2008; Budäus/Hilgers 2009). Das Eingehen von Risiken ist ein Kernelement unternehmerischen Handelns und trifft auch auf SEOs zu.11 Ein funktionsfähiges und kontinuierlich betriebenes Risikomanagement birgt mehrere Vorteile.12 So ist die Darstellung der mit dem eigenen Konzept verbundenen Risiken für den oder die social entrepreneur selbst ein wichtiger Bewusstseinsschritt. Auch werden das Vertrauen und die Planungssicherheit von MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen gestärkt (Herman 2005a). Für Investoren schließlich stellt das Reporting von Risiken eine Entscheidungsgrundlage dar, mit dem sie ihre Investitionen entsprechend ihrem RenditeRisiko-Profil optimieren können (Achleitner et al. 2009). Ein zweiter Einflussfaktor auf den Erfolg von SEOs, der in einem Reporting angeführt werden sollte, ist die Leistungsfähigkeit der Organisation, ihre organizational capacity. Im Gegensatz zum Erfolg, d.h. der Frage, ‚was‘ eine Organisation erreicht hat, beschäftigt sich die organizational capacity damit, ‚wie‘ und ‚durch wen‘ Erfolg erreicht wird (Connolly/Lukas 2004; Backer 2001). Sie kann definiert werden als „the organisation’s ability to survive, to successfully apply its skills and resources in order to pursue its goals and satisfy its stakeholders’ expectations“ (Horton et al. 2003)13 und ist abhängig von Alter und Größe einer Organisation (Tobelem 1992). Der Ansatz, den Aufbau leistungsfähiger Organisationen vo11 Risiko kann definiert werden als die Gefahr von Fehlentscheidungen, die zur Nicht-Erreichung der gesetzten Ziele führen (Mikus 2001). Für klassische business entrepreneurs vgl. Cantillon 1931; Hebert/Link 1989: 39f; Knight 1921. Für social entrepreneurs vgl. Brinckerhoff 2000: 2; Mort et al. 2003: 78; Emerson 2001. 12 Auf Risikomanagement, das durch rechtliche Bestimmungen vorgegeben ist, wird aufgrund der heterogenen Rechtsformen, in denen social entrepreneurs agieren, an dieser Stelle zu Gunsten einer allgemeinverständlicheren Darstellung nicht eingegangen (vgl. hierzu Wolke 2008). 13 Für eine ausführliche Diskussion der einzelnen definitorischen Elemente vgl. Honadle 1986. Für eine Diskussion unterschiedlicher Definitionsansätze vgl. Cohen 1993.
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ranzutreiben (organization building), kommt aus der venture capital-Literatur, wurde im sozialen Sektor v.a. von venture philanthropy funds und einigen Stiftungen übernommen, und seine Bedeutung nimmt zu (Letts et al. 1997, 1998; Venture Philanthropy Partners/McKinsey&Company 2001) [siehe dazu ausführlich den Beitrag von Alberg-Seberich/Wolf zu venture philanthropy].14 3
Der Reporting Standard für Social Entrepreneurs
Um den beschriebenen Anforderungen Rechnungen zu tragen, wurden fünf Parameter in den Reporting Standard einbezogen. Aufbau des Reporting Standard
Das gesellschaftliche Problem: In einem ersten einleitenden Teil wird das gesellschaftliche Problem beschrieben, das bekämpft wird. Hierbei wird das spezifische Tätigkeitsfeld (z.B. Umwelt, Bildung) bestimmt, das Ausmaß des sozialen Missstands angeführt sowie existierende konventionelle sowie alternative Lösungsansätze dargestellt. Dies ist wichtig, um das Umfeld und damit die Notwendigkeit einer Intervention durch die social entrepreneurs zu verstehen und zu begründen.
Die Theory of Change: Der Beitrag der jeweiligen SEOs zu einer positiven gesellschaftlichen Veränderung ist determiniert durch ihre spezifische strategische Aufstellung, die theory of change ihrer Organisation. In einem zweiten Teil legen die social entrepreneurs daher detailliert ihren Lösungsansatz dar, bestimmen ihre Kernzielgruppe sowie weitere Stakeholder und erläutern Details zum Geschäftsmodell (u.a. zu den Organisationsmerkmalen Innovation, Einkommensgenerierung, Replizierbarkeit) und den damit verbundenen Risiken.
Die Organisation: Der dritte Abschnitt beinhaltet Informationen über die Organisation der SEO. Angegeben werden hier ein Organisationsprofil, ökonomische Leistungsindikatoren, Einkommensmodelle sowie Organisationsziele und Meilensteine für die nächsten zwölf Monate.
Die Person der social entrepreneurs: Das SEO-Konzept ist stark personenzentriert und geht davon aus, dass ein bedeutender Teil des von den social entrepreneurs angestoßenen sozialen Wandels auf ihre unternehmerischen Fähigkeiten zurückzuführen ist. Ausgehend von Studien im venture capital-Bereich beinhaltet die Reportingkonzeption deshalb Informationen über die Persönlichkeit der social entrepreneurs, ihre Motivation, Ideenfindung, Gründungs- und Führungserfahrung sowie ihre fachlichen Kompetenzen.
14 Zum Thema venture philanthropy vgl. John 2006 und 2007; Achleitner 2007. Die Rockefeller Foundation bspw. hat zwischen 1995 und 2003 durchschnittlich 32 Prozent der Spendenausgaben für capacity building aufgewendet, dies entspricht 384 Mio. US-$ (vgl. Moock 2004).
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Wirkungsmessung: Zentraler Bereich des Reportings ist die Wirkungsmessung, die am Ende des Berichts dargestellt wird. Um die gesellschaftliche Wirkung von SEOs zu erfassen, wird auf das Modell der impact value chain zurückgegriffen. Angeführt werden hier die Bemessung und Darstellung der outputs, outcomes und des erzielten impacts. Dies erfolgt beim output quantitativ (differenziert in personen-, institutions- und aktivitätsbezogen). Outcome und impact werden hauptsächlich qualitativ erfasst, es besteht jedoch die Option, wenn möglich und angebracht auch diese Parameter zu quantifizieren15.
Die Konzeption und erste Anwendung des Reporting Standards für Social Entrepreneurs erstreckte sich über zwei Jahre und durchlief folgende Phasen: Vorgehen und Implementierung 1.
Theoretische Entwicklung einer Reportingkonzeption und der Reporting Guidelines für SEOs.
2.
Erster Pretest: Persönliche Befragung von sieben social entrepreneurs zur Ermittlung praxisorientierter Notwendigkeiten eines Reportings in Form von leitfadengestützten Interviews.
3.
Überarbeitung und Einarbeitung der Ergebnisse des Pretests in die Reporting Guidelines, Plausibilisierung durch Interviews mit aktuellen sowie potentiellen Investoren und Intermediären im SEO-Bereich.
4.
Einbezug und Kooperation mit möglichst vielen Akteuren aus dem SEO-Bereich in Deutschland.
5.
Zweiter Pretest: Erstellung eines Reportings auf der Grundlage der entwickelten Guidelines für alle deutschen und schweizerischen „Ashoka-Fellows“ und „Schwab-Social Entrepreneurs“. Kontinuierliche Adaption des theoretischen Modells.
6.
Überarbeitung und Einarbeitung der Ergebnisse des Pretests in die Reporting Guidelines.
7.
Programmierung eines clientbasierten Tools für alle SEOs sowie kompatible Datenbanken bei Investoren.
8.
Launch des neuen Reporting Standards und Online-Veröffentlichung der Reporting-Guidelines als open source.
15 Die Operationalisierung und Erhebung von impact stellt eine besondere Herausforderung dar, die in Abhängigkeit vom Tätigkeitsbereich der social entrepreneurs stark variiert. Im Rahmen einer ausführlichen Analyse der eigenen Wirkungskette sowie der Einbindung der wichtigsten Stakeholder bei der Festlegung der Messindikatoren kann versucht werden, sich einer impact-Berechnung zu nähern. In Anlehnung an die Methode des Social Return on Investment (SROI) sollte eine ausführliche impact-Messung sowohl positive wie auch unintendierte negative Wirkungen mit einbeziehen.
Roder et al.: Reporting Standard für Social Entrepeneurs
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Erfahrungen aus der praktischen Anwendung
Im Rahmen des Kooperationsprojekts wurden für alle social entrepreneurs, die von Ashoka (www.ashoka.org) oder der Schwab Foundation (www.schwabfound.org) in Deutschland und der Schweiz gefördert werden, auf der Grundlage von Interviews Reports nach dem hier vorgestellten Konzept erstellt. Im Rahmen der Interviews mit den social entrepreneurs konnte der Bedarf eines Reporting Standards gezielt für diese Gruppe ausnahmslos bestätigt werden. In Bezug auf die Schwerpunktsetzung seiner Anwendung variierten die Erwartungen der Sozialunternehmerinnen und -unternehmer jedoch in Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Organisation bei der Gewichtung der vorrangigen Zielsetzung. Folgende positive Implikationen sind durch den neuen Reporting Standard für Social Entrepreneurs offensichtlich geworden:
Internes Monitoring: Hilfsmittel für die Eigenevaluation und Weiterentwicklung der Initiative. Außendarstellung: Grundlage der eigenen Darstellung der Wirkungsweise und der Erfolge. Investorensuche: Darstellung des sozialen impacts eines möglichen Investments/einer Zuwendung sowie Einschätzung benötigter Mittel und Skalierbarkeit der Wirkung. Rechenschaftslegung: Grundlage für ein einheitliches Reporting an staatliche Institutionen, private Investoren oder an einer Replizierung interessierte Menschen.
Zurzeit wird der Reporting Standard von einer Steuerungsgruppe zur Testierbarkeit eines jahresabschlussähnlichen Reportings weiter entwickelt. Hierfür werden möglichst viele Akteure aus dem sozialen Sektor mit einbezogen. Parallel wird ein clientbasiertes Tool entwickelt, mit dem SEOs ihre Daten systematisch erheben und diese direkt an kompatible Datenbanken bei Investoren übermitteln können. Der Standard sowie das Tool sollen als open source allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. 5
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Messung positiven gesellschaftlichen Wandels ist zu einem großen Teil immer auch subjektiv beeinflusst von den Wertvorstellungen der beteiligten Personen. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass es in nächster Zeit gelingen
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
kann, rein eindimensionale Kausalitätszusammenhänge für erzielte soziale Wirkungen festzustellen. Aber selbst wenn es unmöglich sein sollte, für den Erfolg von SEOs eine bottom line zu ermitteln, die mit der Eindeutigkeit ökonomischen Profits vergleichbar wäre, so ermöglicht eine transparente Erfolgsmessung dennoch intertemporale Vergleiche und bessere Analysen innerhalb spezifischer Themenfelder. In Bezug auf ein leistungsfähiges Reporting könnte eine Erfassung gesamtgesellschaftlicher Kosten sozialer Probleme zu aussagefähigeren Erfolgskennzahlen führen. Weiterer Forschungsbedarf besteht darüber hinaus vor allem hinsichtlich der Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen sowie der Attributionsproblematik. Bezüglich seiner theoretischen Weiterentwicklung ist das Reportingmodell so konzipiert, dass es als Basis für weitere Analysen (z. B. eine SROI-Berechnung) anschlussfähig ist und sich auch in unternehmensinterne Monitoringsysteme integrieren sowie für intertemporale Studien anwenden lässt. Durch die strukturierte Datenerhebung in einem Reporting werden darüber hinaus detailliertere Analysen innerhalb spezifischer Themenfelder sowie Langzeitstudien und der Aufbau größerer Datenbanken möglich beispielsweise zur Untersuchung der Finanzierungs- oder Governancestrukturen von SEOs. Das vorgestellte Konzept eines Reporting Standards für Social Entrepreneurs will die Etablierung einer professionellen Berichterstattung und Wirkungsmessung im SEO-Bereich fördern. Diese Bemühung wird von zahlreichen Investoren und Intermediären in diesem Bereich unterstützt, um gemeinsam die Einführung, kontinuierliche Verbesserung und Weiterentwicklung des Reporting Standards voranzutreiben. Quellenverzeichnis Achleitner, Ann-Kristin (2007): Social Entrepreneurship und Venture Philanthropy – Erste Ansätze in Deutschland. In: Hausladen (2007): 57-70. http://ssrn.com/abstract=1152275 (letzter Aufruf: 16.11.2010). Achleitner, Ann-Kristin/Behr, Giorgio (2009): International Accounting Standards: Ein Lehrbuch zur internationalen Rechnungslegung. 4. Aufl. München. Backer, Thomas (2001): Strengthening nonprofits. Foundation initiatives for nonprofit organizations. In: DeVita/Fleming (2001): 31-83. Baetge, Jörg/Moxter, Adolf/Schneider, Dieter (Hrsg.) (1976): Bilanzfragen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Ulrich Leffson. Düsseldorf. Baetge, Jörg/Kirsch, Hans-Jürgen/Thiele, Stefan (2007): Bilanzen. 9. akt. Auflage. Düsseldorf. Ballwieser, Wolfgang (Hrsg.) (1995): US-amerikanische Rechnungslegung. Stuttgart.
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Legitimation durch Narration – Bindungskräfte durch das Erzählen von Geschichten Björn Schmitz und Volker Then
Sozialunternehmerinnen und -unternehmer [ebenso wie Sozialunternehmertum im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] bedürfen in besonderer Weise Legitimität. Ihre innovative Leistungserbringung und ihre häufig kleine Organisationskultur müssen zunächst anerkannt und in dem inzwischen weiten Feld von sozialen Konkurrenzorganisationen wahrgenommen werden. Im Wettbewerb um knappe Ressourcen kommt es immer häufiger zu Rechenschaftsforderungen wie der Wirkungsmessung. Doch die Probleme der Messbarkeit von sozialen Veränderungen (Attributionsproblematik, deadweight etc.; vertiefend Mildenberger et al. 2011; Kehl et al. 2011) [siehe dazu auch den Beitrag von Roder et al. zum Reporting Standard für social entrepreneurs] erschweren den Vergleich von impact und die erhofften Legitimitätsströme von Stakeholdern, also das „Zufließen von Legitimation von außen“. Zudem können viele neu gegründete Organisationen noch gar keine messbaren Nachweise erbringen oder die Kosten für entsprechende Maßnahmen tragen. Zwar schaffen Rechenschaftslegungsmethoden Legitimität, welche im Zusammenhang mit accountability und Transparenz vor allem die Wirkungsmessung betreffen, doch erschließen sich Sozialunternehmerinnen und -unternehmer zusätzlich Legitimitätsströme über die Erzählung ihrer Unternehmensgeschichte bzw. ihrer Problembearbeitung. In dieser narrativen Legitimation sehen wir ein Spezifikum der SEO-Diskussion. Da dies im Gegensatz zur faktenbasierten Rechenschaftslegung vornehmlich über die Gefühlsebene funktioniert, beschreiben wir diese als „emotionale“ Legitimation. 1
Positionierung über Legitimität
Die narrative Legitimitätsgenerierung weist erstens einen engen Zusammenhang mit der Bestimmung des Sozialen auf, welches an diskursive Bedingungen (im Sinne von Habermas, etwa 1981 und 1992) geknüpft ist. Dies unterscheidet sie zum einen von herkömmlichen Positionierungsbemühungen einer Organisation H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_22, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
in einem Wirtschaftsraum. Zweitens wird SEOs häufig Innovativität zugesprochen – dieses Neue am „Sozialunternehmer“ muss ebenfalls durch den diskursiven Filter einer Öffentlichkeit gehen und dort Akzeptanzbedingungen erfüllen. Beim ersten Fall geht es um die Legitimation des Problems und vornehmlich um den Wortbestandteil des Sozialen im Terminus Sozialunternehmer, wohingegen im zweiten Fall die Lösung und vermehrt der Wortbestandteil Unternehmer angesprochen wird. Legitimität verstehen wir als eine Form der Rechtfertigung, die eine enge Verknüpfung mit Konzepten wie Vertrauen, Verlässlichkeit oder Reputation aufweist. Legitimation „stellt eine Beziehung zwischen erhobenen Ansprüchen, einer beabsichtigten Handlung oder einer Handlungsregelung einerseits und den moralischen Rechten aller Betroffenen andererseits her. Gefragt wird nach der moralischen Berechtigung eines Anspruchs, einer Handlung oder einer Unterlassung, von dessen bzw. deren lebenspraktischen Folgen andere Personen betroffen sind. Als legitim kann eine Handlungsweise bezeichnet werden, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer gesamten erkennbaren Folgen die moralischen Rechte aller Handlungsbetroffenen (auch die des oder der Handelnden selbst) wahrt“ (Ulrich 2008: 251).
Aus Sicht von SEOs ergibt sich daraus ihre kulturelle Unterstützungsstärke (Meyer/Scott 1983: 201), ob nun mit zunächst schwer ermittelbaren immateriellen oder beobachtbar mit materiellen Ressourcen.1 Häufig wird angenommen, dass SozialunternehmerInnen soziale Probleme erst durch ihre Bearbeitung in die Öffentlichkeit tragen und somit für die Wahrnehmung des Problems sorgen. Dies aber erscheint aus zwei Gründen zweifelhaft: Erstens dürfte das hohe Risiko der Bearbeitung eines kaum legitimierten Problems Sozialunternehmertum eher unwahrscheinlich machen. Eine gewisse Problemsensitivität sowie auch Akzeptanz des Problems in der Zivilgesellschaft darf von Sozialunternehmern vermutet werden, damit ihre Unternehmen überhaupt erfolgreich sein können. Der zweite Grund, der gegen die Annahme spricht, dass SEOs die Entdeckerinnen und Entdecker eines sozialen Problems sind, ist die Unwahrscheinlichkeit, dass die Entdeckung eines Problems sogleich mit einem konkreten Lösungsangebot bedient wird, sprich Entdeckende und Lösungsanbietende in Personalunion auftreten. Eine Reifungsphase des sozialen Problems ist deshalb wahrscheinlicher, wie sie etwa über die Mobilisierung von sozialen Bewegun1 Zum einen taucht der Begriff im Kontext von Maßnahmen der institutionellen Entwicklung und Ansätzen zur Nachhaltigkeit auf (Brinkerhoff 1986; Brinkerhoff/Goldsmith 1992), zum anderen findet er sich im Zusammenhang mit NGOs, wo Fragen der Repräsentation und accountability angesprochen werden (Hudson 2000; Lister 2003; Saxby/Schachter 2003).
Schmitz/Then: Legitimation durch Narration
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gen stattfinden kann. Anders formuliert: Damit Akteure ein Problem überhaupt als soziales wahrnehmen, haben sie soziale Werte habitualisiert, die sie erst für diese Wahrnehmung sensibilisieren. Es kursieren also entsprechende Problemdiskurse in der Öffentlichkeit sowie bestimmte Werte, in deren Licht das Problem erst als solches erscheint. Die Legitimation von sozialem Problem und sozialer Lösung sind also zu unterscheiden und das Vorhandensein einer öffentlichen Problemsensitivität geht der Entwicklung von geeigneter Lösungskapazität zeitlich voraus. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass SEOs mit ihrer konkreten Problembearbeitung die Wahrnehmung, Relevanz und Dringlichkeit sozialer Probleme zu beeinflussen vermögen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass durch die von ihnen angebotene – innovative – Lösung eine Neudefinition oder Neukonnotation des sozialen Problems in der Öffentlichkeit angestoßen wird. Durch die Lösung wird ein soziales Problem tiefer verankert und kontextualisiert.2 Kurz: Der Normalfall (Abbildung 1) ist, dass es zunächst Formen sozialer Bewegungen gibt, die für die Problemsensitivität und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sorgen und mehr auf den politischen Apparat und dessen Lösungskompetenz gerichtet sind.3 Auf diese öffentlichen Bewegungen, die Wertegemeinschaften bilden, setzen dann SEOs mit ihren Lösungen auf. Sie reagieren damit auf die fehlende Lösungskompetenz bzw. die Lösungsträgheit des Staates, der nur generelle Lösungen (z.B. Gesetze) schaffen kann, wohingegen SozialunternehmerInnen imstande sind, mit unterschiedlichen Speziallösungen die Heterogenität der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu bedienen. Dieser Regelfall beschreibt einen evolutionären Verlauf, der aufgrund der Minimierung der Widerstände am wahrscheinlichsten erscheint. SEOs sehen sich ohnehin der Herausforderung gegenüber, ihre Existenz zu rechtfertigen sowie ausreichend Ressourcen zu mobilisieren (Dees et al. 2001: 4f). Neben den Ressourcen für den Geschäftsbetrieb (Finanzen, Mitarbeitende etc.) müssen in verstärktem Maße immaterielle Ressourcen – wie eben Vertrauen, Akzeptanz, Anerkennung oder zusammengefasst Legitimität – generiert werden, welche als notwendiger Schmierstoff für die für SEOs schwer akquirierbaren materiellen Ressourcen vonnöten sind (Austin et al. 2006). Ressourcen werden letztlich nur dann zur Verfügung gestellt, wenn die Interessen der Stakeholder in ausreichendem Maße zufrieden gestellt werden, wobei SEOs in ein umfangreiches, kom2 Dieses letzte darf aber nicht ex ante als Aufmerksammachen auf das soziale Problem durch die Sozialunternehmerin bzw. den Sozialunternehmer verstanden werden. 3 Läuft dies ins Leere, wird in der Regel von Staatsversagen gesprochen. Kommen SozialunternehmerInnen ins Spiel und beweisen eine marktliche Lösungsmöglichkeit, kann im Nachgang auch von einem gleichzeitigen Marktversagen ausgegangen werden.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
plexes und teilweise paradoxes Legitimationsgeflecht eingebunden sind (siehe auch Kanter/Summers 1987).
Abbildung 1: Legitimationsschema für Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer
SEOs sind daher mit ganz unterschiedlichen, inhaltlichen wie auch formalen Kommunikationsinteressen konfrontiert, die es auszubalancieren gilt.4 Die Beherrschung und Bewältigung eines sehr heterogenen Spektrums von Kommunikationsmodi – auch im Sinne hoher Vermittlungsanforderungen5 – stellt hohe Ansprüche an Führung und Kommunikation. Der Grad an Hybridität infolge der Kombination sozialer Problembearbeitung mit unternehmerischen Mitteln steigert diese Leistungsanforderungen zusätzlich. Sie müssen deshalb weiter die Spannung zwischen Systemintegration (Leistungsfähigkeit im Sinne ihrer organisatorischen Zielsetzungen bzw. Produktionsziele) und Sozialintegration (Ressourcenmobilisierung, Glaubwürdigkeit bei Mitwirkenden und Benefiziaren/ Kunden, Akzeptanz in der allgemeinen Öffentlichkeit bzw. bei partikularen Stakeholder-Gruppen) in unterschiedlicher Weise auflösen.
4 Brinkerhoff (2005: 14) meint „that not just what an organization does but how the organization frames and communicates what it does, is important for legitimacy.“ 5 Wir glauben, dass ein Abgleich dieser unterschiedlichen Stakeholderbündel ein Minimum an Überlappung bzw. Passung aufweisen muss, damit Kooperation stattfindet.
Schmitz/Then: Legitimation durch Narration
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Der entscheidende kommunikative Mechanismus ist die Erklärung des Sozialunternehmens über eine historisch-persönliche Narration, die die Lebensund Handlungsweise der Sozialunternehmerin bzw. des Sozialunternehmers erklärt. Allgemein meint Narration die Darstellung eines Zusammenhangs von Geschehenem und Handlungen nach Relevanzgesichtspunkten und nach einem temporalen Arrangement, woraus sich letztlich eine Geschichte entwickelt. Diese verschafft Orientierung in einem unbestimmten Raum: Sie gibt den Sozialunternehmern eine Identität in der Fremdwahrnehmung. Zudem konstruieren SozialunternehmerInnen hierdurch ihre eigene Identität, damit für sie selbst eine schlüssige Lebensgeschichte entsteht. 2
Emotionale Legitimation – Identifikation und Mobilisierung
Insbesondere unter Bedingungen der „Moralisierung der Märkte“ (Stehr 2007) rücken emotionale, über Geschichten erzeugte Legitimitätsströme ins Zentrum. Zwar können auch Fakten Emotionen evozieren (z.B. die Darstellung von Zahlen von Bedürftigen – etwa Menschen ohne Trinkwasserzugang weltweit etc.), doch die Narration der historisch-persönlichen Geschichte der SozialunternehmerInnen dient darüber hinaus als Brückenschlag zu kulturellen Normen und Mythen (Hargrave/Van der Ven 2006; Lounsbury/Glynn 2001).6 Für die Ressourcenmobilisierung ist diese emotionale Seite von nicht zu unterschätzender Bedeutung, werden doch etwa 95 Prozent unserer Entscheidungen emotional beeinflusst getroffen (Gigerenzer 2007; Scheier/Held 2006). Während im herkömmlichen Marketing versucht wird, Marken mit Emotionen aufzuladen7, über Werbebotschaften mentale Bilder erzeugt werden, die ein neuronales Netzwerk von verbundenen Begriffen und Gefühlen entstehen lassen, welche sich mit der Marke verbinden, müssen SEOs die Verbindungen zu den Emotionen erzeugenden Bildern nicht erst herstellen. Ihr Tun, das „Produkt“, selbst ist emotional. Darüber hinaus – und das ist entscheidend – stehen bei Sozialunternehmen im Gegensatz zu herkömmlichen Unternehmen Emotionen, die auf Dritte und deren prekäre Lage bezogen sind, im Vordergrund. 6 In dieser Form der Kommunikation geht es ebenfalls um Transparenz, jedoch hier mit dem Fokus auf Werte- und Identitätsfragen anstatt auf Effektivitätsfragen der Aufgabenerfüllung. 7 Eine viel zitierte Studie von Richins (1997) zeigt ein Set von 20 Basis-Emotionen auf, welches im Marketing verwendet wird. Neben den positiven Emotionen Eifer, Freude, Freude, Stolz, Zufriedenheit, Optimismus, Erleichterung, Friedlichkeit, (platonische) Liebe und romantische Liebe, existieren auch negative Gefühle wie Wut, Sorge, Angst, Schuld, Einsamkeit, Neid, Scham, Traurigkeit und Unzufriedenheit.
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Damit leisten sie zwar die Artikulationsarbeit der „inneren Stimme“ (Taylor 1995: 34), aber nicht nur bezogen auf selbstbezügliche Emotionen, die allein dem eigenen Lustgewinn dienen. Dies zeigt sich etwa anhand der gewählten Claims. Wo bei herkömmlichen Unternehmen der Selbstbezug etwa durch „Freude am Fahren“, „Mein Haus, mein Boot, mein Pferd“ oder etwa durch die provokante Frage „Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ angesprochen wird, setzen SEOs vornehmlich auf den Fremdbezug, mit dem man sich verbunden fühlen sollte (moralischer Apell): „In unserer Mitte der Mensch“ (Stiftung Liebenau, www.stiftungliebenau.de), „Das macht Sinn“ (GLS Bank, www.gls.de), „Fighting Poverty Through Trade“ (Traidcraft, www.traidcraft.co.uk) – wodurch eine direkte Verbindung zwischen ökonomischem und sozialem Gehalt der Unternehmung hergestellt ist – oder „Die Natur würde wechseln, wenn sie könnte. Der Mensch kann!“ (Greenpeace Energy, www.greenpeace-energy.de). Der Kommunikationsempfänger soll den Mitbürger spüren (de Tocqueville 1985: 343) und selbst aktiv werden. SozialunternehmerInnen bieten mit ihren meist marktförmigen Aktivitäten konkrete Möglichkeiten des Aktivwerdens8 und dienen sogleich als Vorbild für die ersten aktiven Schritte anderer. Wir stützen uns damit explizit auf einen Strang der Moralphilosophie, der über David Hume, Adam Smith, Arthur Schopenhauer, Max Scheler und jüngst Richard Rorty führt, welcher das Mitleid als das leitende Moment der Moral und emotionalen Handlungsaktivierung ansieht, und möchten ein (zunächst heuristisches) Modell vorschlagen, welches die moralischen Aspekte als Gefühle über Narrative anspricht: den capability approach (Fähigkeiten-Ansatz). Diesen hat jüngst Ziegler (2010) im Zusammenhang mit Sozialunternehmern eingeführt, um das Soziale des Sozialunternehmers präziser zu bestimmen sowie die Neukombination von zwei capabilities als Innovation von SEOs zu fassen. Wir sehen die Grundbedürfnisse des Menschen als „Anlaufstellen“ für Narrationen, die in ihrem Empfänger Mit-Gefühl auslösen können, wenn diese als Defizite bei Dritten angesprochen werden. Sie bilden damit zugleich ein Raster für eine Typologie sozialer Probleme. Der capability approach als universaler und auch
8 Bei SozialunternehmerInnen kommt auf der Appellseite hinzu, dass eine konkrete Lösung angeboten wird, die der passiven Haltung, wie sie einer Politikverdrossenheit innewohnt, zuwiderläuft. Sogar Politikverdrossenheit kann mit konkreten Möglichkeiten der aktiven Partizipation (und seien es nur ethische Konsumentscheidungen) auf diese Weise anders kanalisiert bzw. überwunden werden.
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normativer Ansatz macht uns darauf aufmerksam, was notwendig ist, um ein Leben in Würde leben zu können (Nussbaum 2006: 161).9 Nussbaums Ausgangspunkt ist die Aristotelische Konzeption des guten Lebens, welches „sowohl die gute Verfassung des Körpers als auch das gute Miteinander umfasst“ (Nussbaum 1999: 27). Sie will zeigen, dass das gute menschliche Leben auf einer Anthropologie beruht, welche sie die „starke vage Konzeption des Menschen“ nennt. Die Wesensmerkmale oder Grundbefähigungen (capabilities) des Menschen sind solche, „die von vielen Menschen an vielen Orten und zu vielen Zeiten geteilt werden und geteilt werden können, Vorstellungen, die – so behaupte ich – die Basis für ein Gespräch über politische Grenzen hinweg abgeben können“ (Nussbaum 1999: 31, 2006: 163). Aufbauend auf dieser Konzeption leitet sie eine ideale staatliche Ordnung ab, welcher wir eine Wendung in Hinblick auf die Positionierung über emotionale Legitimation geben. Wenn nämlich diese Konzeption tatsächlich universal ist, dann können SozialunternehmerInnen, die einen von ihnen bearbeiteten Missstand bei einem der Nussbaum‘schen Wesensmerkmale des Menschen aufdecken, durch Narration Mitleid hervorrufen und auf diese Weise zum einen sich selbst positionieren, zum anderen aber auch Andere mobilisieren und aktivieren (Appellfunktion der Kommunikation).10 Der capability approach beinhaltet „eine Ethik der individuellen und der kollektiven Verantwortung, die – als Wertansprüche – in der Lage ist, Interessengegensätze zu überwinden“ (Giddens 1997: 43). In diesem Sinne sind capabilities vorzüglich geeignet, die heterogenen Interessenbündel, mit welchen sich SozialunternehmerInnen konfrontiert sehen, zu überwinden und als verbindende Sprache zu fungieren. Dabei kommt SEOs eine Veränderung in den gesellschaftlichen Werten („Moralisierung der Märkte“) entgegen, welche Orientierung und Identität inmitten eines Pluralismus der Konzeptionen des guten Lebens vereinfacht. In Gestalt von sozialen Bewegungen begleiten diese veränderten Werte auch historisch jeweils das Aufkommen von SEOs, was wiederum erstere verstärkt.
9 Der capability approach ist explizit normativ konzipiert, wenngleich die einzelnen capabilities über alle Kulturen hinweg und in verschiedenen Zeiten Zustimmung erfahren haben. Nussbaum hält es nicht für sinnvoll, zwischen normativen und naturwissenschaftlichen Aspekten der Bestimmung des Menschen zu unterscheiden. 10 Aus unserer Perspektive ist der capability approach auch deshalb ein vorzüglicher Referenzpunkt für eine Erklärung emotionaler Legitimation, weil er ebenso in Opposition zu den vorherrschenden Wohlstandsindikatoren, welche nur das Bruttosozialprodukt einer Volkswirtschaft als Ausgangspunkt nehmen, entwickelt worden ist und dessen Eindimensionalität aufzuheben versucht.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Nussbaum (2006: 76ff) beschreibt in „Grenzen der Gerechtigkeit“ die zehn folgenden capabilities und ordnet diesen jeweils Wesensmerkmale (in Klammern) zu: 1.
Leben (Sterblichkeit): Die Fähigkeit, ein lebenswertes Leben zu leben, das nicht durch vorzeitigen Tod beendet wird oder durch Behinderung „als nicht lebenswert“ reduziert wird. 2. Körperliche Gesundheit (Krankheit): Die Fähigkeit, bei guter Gesundheit zu sein, inklusive reproduktiver Gesundheit sowie ausreichender Ernährung und Schutz. 3. Körperliche Integrität (Körperlichkeit): Die Möglichkeit, sich frei bewegen zu können, frei von Gewalt zu sein, Gelegenheit der sexuellen Befriedigung zu haben und eine Wahl hinsichtlich der Reproduktion zu haben. 4. Kognitive Fähigkeiten (Sinne, Vorstellungen und Gedanken): Die Möglichkeit, sich seiner Sinne zu bedienen, Vorstellungskraft zu besitzen und die Fähigkeit zum Denken und Urteilen. Hierzu bedarf es geeigneter Bildung. Die Garantie, die eigene Freiheit auszudrücken, soll möglich sein (etwa Religionsfreiheit oder Redefreiheit). 5. Gefühlserfahrungen (Freude und Schmerz): Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, zu lieben, betrübt sein, Sehnsucht spüren, Dankbarkeit erfahren und gerechtfertigte Wut. Die Fähigkeit, frei von Angst und Furcht zu sein. 6. Praktische Vernunft (Vorstellung des Guten): Die Fähigkeit eine Konzeption des Guten zu entwickeln und sich in kritischer Reflexion mit der eigenen Lebensplanung auseinander zu setzen. 7. Verbundenheit mit anderen Menschen (Sozialität): Die Fähigkeiten, mit und für andere zu leben, andere Menschen anzuerkennen und Fürsorge ihnen gegenüber zeigen. Hierzu zählen ebenso soziale Interaktionen und die Vorstellung von der Situation der anderen, sich mit ihnen zu identifizieren. Zudem die Fähigkeit, eine soziale Basis für die Entwicklung eines guten Selbstwertgefühls zu haben, und das Fehlen von Demütigung. Die Fähigkeit, als würdiges Lebewesen, das gleich gegenüber anderen ist und nicht diskriminiert wird, anerkannt zu werden. 8. Ökologische Verbundenheit (Verbundenheit mit anderen Arten und der Natur): Die Fähigkeit, in Anteilnahme für und mit Beziehung zu Tieren, Pflanzen und zur Welt der Natur zu leben. 9. Spiel (Freizeitgestaltung): Die Fähigkeit zu lachen, zu spielen und erholsame Tätigkeiten zu genießen. 10. Kontrolle über die eigene Umwelt (Getrenntsein, Autonomie): a. politisch: Die Fähigkeit, sich in politische Entscheidungen einzubringen, die das eigene Leben beeinflussen, das Recht auf politische Partizipation, Schutz der Redefreiheit und Versammlungsfreiheit zu haben. b. materiell: Die Fähigkeit, Besitztümer zu erlangen, gleiche Besitzrechte zu haben, Möglichkeit auf Beschäftigung, Freiheit von unberechtigter Überwachung und Festnahme. Zudem die Fähigkeit, im Arbeitskontext menschengerecht zu arbeiten, praktische Vernunft auszuüben und gehaltvolle Beziehungen von gegenseitiger Anerkennung mit Kollegen einzugehen.
Indem SozialunternehmerInnen zeigen, wie man in Zeiten des in die Krise geratenen Kapitalismus dennoch innerhalb von Märkten ethisch sinnvoll handeln kann, gerinnen sie zu Vorbildern oder metaphorisch gesprochen zu Leuchttürmen. Sie bilden Orientierungspunkte in Bezug auf die von ihnen erzielte Hand-
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lungsweise und Wirkung, und sie regen andere zur Nachahmung an. Gerade dadurch erweisen derartige SEOs – wir wollen hier von einem Idealtyp mit besonders holistischer und idealistisch aufgeladener Mission sprechen – als dauerhafte Leuchttürme, da sie, selbst wenn ihre vormaligen Prinzipien und Wirkungsweisen den Mainstream erreichen, noch weiteres Orientierungs- und Verbesserungspotential generieren können. Zudem ist es ihre Funktion am Markt, als Korrektiv für andere zu wirken. Schließlich generieren SEOs über emotionale Legitimitätsströme neben der eigenen Positionierung auch neue Solidaritätsbande innerhalb der Gesellschaft. Einer immer noch häufig rezipierten Linie folgend, gilt die Marktgesellschaft als Auslöser für die „Ablehnung jeglichen Verantwortungsgefühls für die Lebensverhältnisse ihrer Mitmenschen“ (Polanyi 1978: 146; Brunkhorst 2002: 113ff). SozialunternehmerInnen stehen für die Wiederbelebung von Solidarität, indem sie direkt zu dieser aufrufen.11 Innerhalb der Solidaritätsbeziehungen sollte es aber nicht darum gehen, sich gegen das Marktgeschehen zu schützen, sondern „Autonomie und Interdependenz auf verschiedenen Gebieten des sozialen Lebens (einschließlich des ökonomischen Bereichs) in Einklang zu bringen“ (Giddens 1997: 34). 3
Schlussfolgerungen
Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer sind in ein komplexes und heterogenes Geflecht unterschiedlicher Stakeholder-Interessen eingebunden und ihre notwendige Aufgabe besteht darin, diese unterschiedlichen Interessen zum Ausgleich zu bringen bzw. zwischen diesen zu vermitteln. Diese Vermittlungsleistung nehmen sie vornehmlich über Narrationen wahr, welche fremdbezügliche Emotionalität (Mitleid) und damit Bindungskräfte erzeugen. Die Integration der einleitend genannten doppelten Kommunikationsanforderungen bedarf einer konsistenten Darstellung, welche die Binnen- und Außenkommunikation schlüssig verknüpft. Gründungs-, Organisationsveränderungs- oder „Betroffenheits-“Geschichten können normative Übereinstimmung mit anderen Gruppen herstellen, wie sie über die Liste von capabilities präzisiert wurden. Damit bietet die Narration einerseits Anknüpfungspunkte für Sozialintegration von Wertegemeinschaften, andererseits Aspekte der Systemin11 Wenngleich es sicherlich hier auch deutliche Unterschiede gibt hinsichtlich der Stärke dieser direkten Solidaritätsaufrufe. Der capability approach dient dazu, genau diese Mischungsverhältnisse aufzudecken.
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tegration, also Fragen der (mangelnden) Leistungsfähigkeit bei der Erledigung einer sozialen Aufgabe durch bereits vorher bestehende Akteure. Wir haben damit die Umstellung aktiver Generierung von Legitimation nicht allein über sachliche, sondern auch über emotionale Legitimationsanstrengungen vorgeschlagen. Damit präzisieren wir gleichzeitig die Definition von SEOs als abhängig von der Legitimation ihrer sozialen Problembearbeitung und der öffentlichen Definition und Dringlichkeitsbewertung von sozialen Problemen selbst. Diese haben wir nach dem Raster des capability approach sortiert. Die Betonung lag dabei auf der narrativen Eigenleistung des Sozialunternehmers, eine innere Stimme aufzurufen, die ein emotionales Bindeglied zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen liefert. Solche Sozialunternehmerinnen und -unternehmer, die sich aktuell dringlichen sozialen Problemen zuwenden, erzielen mehr Legitimation. Sie selbst beeinflussen letztlich die Dringlichkeit eines sozialen Problems, welchem sie sich widmen. Wird dieses kommunikativ gewendet, dann dient die Kommunikation auch als Ausdruck dessen, was sein soll (Appellfunktion) (Schulz von Thun 2008: 210) und gerinnt zur aktiven Mobilisierung von Ressourcen oder Engagement im Sinne der sozialen Investitionsbereitschaft. Zusammen mit der Relevanz der sachlichen Rechenschaftslegung sollten sich Sozialunternehmer dieses Vorteils bewusst werden und sich darauf konzentrieren, eine schlüssige Narration, die auf Fremdbezug abstellt, zu erzeugen. Die Fokussierung auf fremdbezügliche Emotionen stellt einen bislang vernachlässigten Mobilisierungs- und Rechtfertigungstreiber dar, der einer weiteren Präzisierung, Berücksichtigung und Integration in die Diskurse um Sozialunternehmertum bedarf. Möglicherweise bietet diese emotionale Seite einen vorzüglichen Differenzierungspunkt von Sozialunternehmerinnen und -unternehmern gegenüber herkömmlichen Unternehmern. Quellenverzeichnis Anheier, Helmut K./Schröer, Andreas/Then, Volker (Hrsg.) (2011): Soziale Investitionen. Wiesbaden. Austin, James/Stevenson, Howard/Wei-Skillern, Jane (2006): Social and commercial entrepreneurship – Same, different, or both?, In: Entrepreneurship Theory and Practice 2006/January: 1-22. Brinkerhoff, Derick W. (1986): The evolution of current perspectives on institutional development: An organizational focus. In: Brinkerhoff/Garcia-Zamor (1986): 11-62. Brinkerhoff, Derick W. (2005): Organizational Legitimacy, Capacity, and Capacity Development. Paper presented at Public Management Research Association. September/Oktober 2005.
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Sozialunternehmertum kommunizieren – Eine scheinbar unlösbare Aufgabe und wie sie dennoch gelingen kann Holger Sievert
„Sozialunternehmertum kommunizieren“ – dieser Beitrag will empirisch und theoretisch aufzeigen, warum Kommunikation im Kontext von social entrepreneurship besondere Herausforderungen aufweist, aber auch praktisch und konkret Handreichungen geben, wie sie dennoch gelingen kann. Als der – von der dramaturgischen Platzierung her – letzte Beitrag im vorliegenden Buch wird hier darauf verzichtet, das erste Wort seines Titels zu definieren – dies hieße, den diversen Definitionen für social entrepreneurship eine weitere hinzufügen. Der Verfasser wird aber in der Betrachtung einzelner Aspekte immer wieder auf definitorische Elemente von Sozialunternehmertum zurückkommen. Allerdings sei zu Beginn auf den zweiten Begriff im Beitragstitel eingegangen: „Kommunizieren“ wird hier vor allem bezogen auf eine institutionelle Unternehmens- und Produktkommunikation. Analog könnte man im Englischen den Begriff „Public Relations“ setzen, wenn man der weiten Definition von James Grunig und Todd Hunt (1984: 6) als „management of communication between an organization and its publics“ folgt. Im deutschen Sprachraum würde der Begriff „Integrierte Unternehmenskommunikation“ im Sinne von Manfred Bruhn (2006: 17) gut passen, der hierunter einen Prozess der Planung und Organisation versteht, „der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Kommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen zu vermitteln.“ Während es Grunig und Hunt stärker um die Kommunikation über das Unternehmen geht, kommt Bruhn tendenziell aus der Perspektive der Kommunikation über die Produkte. Beides noch enger verbunden hat Ansgar Zerfaß (2010: 287-318), der zusätzlich auch die organisationsinterne Prozesskommunikation mit aufgenommen hat. Für ihn besteht Unternehmenskommunikation entsprechend aus Organisationskommunikation, Marktkommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die beiden letztgenannten. H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7_23, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Warum strategische Kommunikation für Sozialunternehmer unmöglich scheint
Sozialunternehmer sitzen als Kommunikatoren zwischen den Stühlen: nicht Schlagkraft von Business, nicht Sympathievorteil von Non-Profit Kommunikation für Sozialunternehmerinnen und -unternehmer [ebenso wie Sozialunternehmen im Sinne von social entrepreneurship organization im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet] beginnt mit einem Dilemma, das in den beiden Wortteilen steckt: „Sozial“ und „Unternehmer“ ist insbesondere für Journalistinnen und Journalisten im deutschen Sprachraum, die sich mit dem Thema noch nicht so gut auskennen, nicht selten ein Widerspruch. Auch Gerhard Wegner stellt in seinem Beitrag zu Recht „im Grundsätzlichen eine deutliche Differenz zwischen Gemeinwesenarbeit und unternehmerischem Denken“ fest. Wie wirkt sich diese Differenz nun für die Öffentlichkeits- und dort insbesondere für die Pressearbeit aus? Die Antwort ist zunächst einfach: Viele JournalistInnen lieben Gemeinwesenarbeit, solange diese nicht langweilig daher kommt. Sie bewerten positiv, wenn etwas explizit nicht profitorientiert passiert. Dann können sie – sofern es sich nicht um völlig abwegige und randständige Themen handelt – darüber ohne große Einschränkungen berichten. Auch innerhalb ihrer Redaktionen erfahren sie dafür Zustimmung und können sich ganz nebenbei gut fühlen, weil auch sie sich mit ihrer Arbeit für ein solches Thema eingesetzt haben. Dies gilt mit leichten Einschränkungen auch für die Berichterstattung über soziale Aktivisten (die nur nicht zu extrem sein dürfen) oder über soziale Manager (die nur nicht zu managerial like wirken sollten); beide Begriffe stammen aus der bekannten Ashoka-Matrix, wie sie Daniel Dölle in seinem Beitrag zusammenfassend beschreibt. Solche Akteure bekommen relativ einfach kostenlosen Raum für ihre Themen. Alles was sich „Unternehmerin bzw. Unternehmer“ nennt, hat es dagegen bei Journalisten (zumindest außerhalb des Wirtschaftsressorts) deutlich schwerer. Zugespitzt und sehr verkürzt formuliert: Unternehmerisch bedeutet in der Wahrnehmung von Medienleuten letztlich ‚profitorientiert‘. Und da Profitorientierte über ausreichend Geld verfügen, sollen diese doch bitte bezahlte Anzeigenflächen kaufen. Notfalls, aber ungern geht man auch eine honorierte Medienpartnerschaft ein, selbst wenn diese presserechtlich nicht immer ganz sauber sind. Um kostenlose Berichterstattung auf Grund des Nachrichtenwerts eines
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Themas zu bekommen, müssen UnternehmerInnen jedoch einen deutlich höheren Aufwand betreiben und eine bessere Überzeugungsarbeit als die Gemeinwesensakteure leisten. Dies zeigt sich im Verhältnis von JournalistInnen zu den beiden anderen Typen aus der Ashoka-Matrix: Den sozial verantwortlichen Geschäftsleuten wird schnell unterstellt, ihr soziales Handeln diene letztlich auch nur einem kommerziellen Interesse. Sie wollten etwa bei Kunden ein besseres Image erreichen und damit höhere Verkaufszahlen erzielen. Obwohl dies nicht immer der Fall ist (und selbst wenn, auch daran nichts Ehrenrühriges wäre), werden Themen aus diesem Kontext nur in Maßen ins Berichterstattungs-Portfolio aufgenommen. Journalisten erinnern sich dann gerne ihrer Neutralität und Unabhängigkeit. Wer einmal für ein Unternehmen Kommunikationsarbeit rund um Themen der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) gemacht hat, kann mehr als ein Lied davon singen. Allerdings bleibt vielen sozial verantwortlichen „normalen“ Geschäftsleuten immer noch der Ausweg, sich ihrer „normalen“ bezahlten Kommunikationswege wie Flugblättern, Anzeigen, speziellen CSR-Zeitschriften etc. zu besinnen – sie besitzen in der Tat oft die Schlagkraft, kommunikativ Gehör zu erlangen. Am schwierigsten ist die Lage für Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer (der vierte Quadrant rechts oben in der Ashoka-Matrix): Sie sitzen oft quasi zwischen den Stühlen. Sie haben weder immer die „reine“ non-profitPositionierung der ersten beiden Gruppen, noch im Zweifel das Budget der dritten Kategorie. Auf Grund falscher Vorstellungen und festgefahrener Klischees wird die SEO es schwerer haben, mediale Präsenz für ihr Anliegen zu erhalten: Viele JournalistInnen können social business immer noch zu wenig einzuordnen; hier ist seitens einzelner SEOs, aber auch seitens z.B. der Unterstützungsorganisationen wie etwa Ashoka auch weiterhin Aufklärungsarbeit zu leisten. Der Verfasser kennt dies aus Journalistenbegegnungen zu Genüge – dass man nach vielen Erklärungen am Ende aber erfolgreich sein kann, allerdings ebenfalls. Sozialunternehmer wünschen oft eine Differenzierung ihrer Anliegen in der Kommunikation – zielgerichtete Kommunikation erlaubt genau dies nicht Aus eigener Erfahrung weiß der Verfasser auch: Wer für SEOs kommunizieren will, sollte gleichermaßen diskursbereit und leidensfähig sein. Denn professionelle Kommunikation ist vor allem eines: Eine enorme Reduktion der Komple-
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xität einer Aussage, die sie verständlich und damit kommunizierbar macht. Kommunikation braucht auch bei komplexen Themen einfache Aussagen, um zu ihren Zielgruppen wirklich durchzudringen. Je zugespitzter die Aussage, desto realistischer die Chance, beim Kampf um Aufmerksamkeit in der Mediengesellschaft Erfolg zu haben. Kommunikationsberaterinnen und -berater sprechen in diesem Kontext von „Verdichtung“, SEOs hingegen nicht selten von „Verkürzung“ – womit das Spannungsfeld zwischen den Gruppen bereits beschrieben ist. Sehr zutreffend heißt es im Beitrag von Gerhard Wegner, dass der Faktor „Person“ in den hier relevanten Projekten „überdurchschnittlich“ wirkt. Wegner macht bei SozialunternehmerInnen „bestimmte Sozialcharaktere“ aus: „Längst nicht immer agieren sie konsensfähig, sondern suchen den Konflikt. Sie haben den Mut, sich unbeliebt zu machen, sie setzen sich aus.“ Dass dies so ist, erscheint dabei durch die grundsätzliche Rollenbeschreibung von Sozialunternehmertum vorgegeben, wie etwa Hans-Joachim Gergs in seinem Beitrag mit der Definition von Dees „Kreativität und Innovationskraft“ als konstitutives Merkmal dieser Personen bezeichnet (vgl. hier und im Folgenden Dees 1998). Diese Gratwanderung zwischen dem Wunsch nach inhaltlicher Differenzierung einerseits und der Notwendigkeit kommunikativer Simplifizierung andererseits kann auch zu wirklich produktiven, neuen Ergebnissen zu und Sichtweisen auf ein Thema führen. Sozialunternehmer sind immer guten Willens, aber nicht immer professionell Fast alle kennen das Tucholsky-Zitat „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint“. Es gilt leider auch für die Kommunikation, die des Öfteren bei Sozialunternehmerinnen und -unternehmern beobachtet werden kann. Sozialunternehmer sind eben primär „sozial“ und „Unternehmer“ – und erst danach Kommunikatoren im institutionellen Sinne dieses Beitrages (analoge Beobachtungen gelten deshalb auch für viele „normale“, kommerziell orientierte mittelständische UnternehmerInnen). Daniel Dölle etwa verweist in seinem Beitrag auf Andreas Knoth (2007), der einen Grund für die Seltenheit von gemeinnützig verwurzelten Geschäftsbetrieben „in fehlender Kapazität an Personal und Startkapital und ungenügenden Kompetenzen im betriebswirtschaftlichen und juristischen Kontext sowie im Marketing“ sieht.
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Michael Alberg-Seberich und Anna Wolf erwähnen in ihrem Beitrag das Hamburger Hauptschulmodell (HHM) der Arbeitsstiftung Hamburg (www.arbeitsstiftung.de), das von der Private Equity Foundation beim capacity building unterstützt wird. Dabei hätte sich gezeigt, „dass das HHM sehr gute Arbeit leistet, diese auch wiederholt prämiert worden war, aber es kaum gut aufbereitete Informationen zur Tätigkeit der Organisation gab.“ Ein positives Beispiel für gelungene Unterstützung dieser Art ist Ashoka Deutschland (www.germany.ashoka.org), die auf ihrer offiziellen Partnerliste eine große internationale Agenturgruppe für Strategische Kommunikation und eine nationale Kommunikationsberatung für Mediengestaltung und Berichterstattung führt. Die Gestaltung sowohl der eigenen Ashoka-Kommunikationsmaterialien als auch die der Unternehmen vieler von der Organisation unterstützen Fellows zeigt eine erfreuliche Professionalität – eine ganze Reihe der im Folgenden erwähnten Beispiele stammt deshalb aus diesem Kontext. Dass Kommunikation von SEOs prominente Unterstützung erhält, ist zwar eher Ausnahme als Regel: Dennoch sollten diese Beispiele auch anderen SEOs Mut machen, sich zu ihrem „blinden Fleck“ zu bekennen und – pro bono oder auch einmal entgeltlich – professionelle Unterstützung in Kommunikationsdingen in Anspruch zu nehmen. 2
Wie sozialunternehmerische Kommunikation trotzdem funktioniert
Damit erfolgreiche Kommunikation gelingt, ist ein äußerst systematisches Vorgehen notwendig. Innerhalb der Public Relations wird dies in der Regel als „Konzeption“ bezeichnet und gliedert sich in drei aufeinanderfolgende Schritte. Notwendige Schritte zu einem Kommunikationskonzept 1) 2)
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Gründliche Situationsanalyse des Sozialunternehmens – Sachebene – Kommunikationsebene Erarbeitung und Festlegung der Kommunikationsstrategie – Kommunikationsziele – Dialoggruppen – Kommunikative Positionierung Auswahl und Fokussierung der Kommunikationsmaßnahmen
Der Schwerpunkt der hier vorgelegten Skizze liegt auf Aspekten, die einfach und unkompliziert selber von Sozialunternehmerinnen und -unternehmern um-
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gesetzt werden können, ergänzende Literaturhinweise sollen bei Interesse eine Vertiefung ermöglich. Werden diese Punkte befolgt, wird Kommunikation für SEOs erheblich einfacher, preisgünstiger und wirkungsvoller. Wollen Sozialunternehmer erfolgreich kommunizieren, müssen sie zunächst die eigene Situation sachlich und kommunikativ analysieren Der erste Schritt liegt in einer gründlichen Analyse der eigenen Situation (Hansen/Schmidt 2009: 41-68; Schmidbauer/Knödler-Bunte 2004: 61-106; Leipziger 2004: 25-86). In der Regel wird dazu die SWOT-Analyse verwendet, wobei interne Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) sowie externe Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) genau benannt und untersucht werden. Wichtig ist, bei der SWOT-Analyse klar zwischen Sach- und Kommunikationsebene zu unterscheiden. In der Praxis führt dies zumeist zu einer doppelten SWOT. So kann etwa auf der Sachebene das Anliegen der social entrepreneurs durchaus sehr attraktiv erscheinen, auf der Kommunikationsebene jedoch nur äußerst schwierig vermittelbar sein – oder umgekehrt (vgl. für eine exemplarische Anwendung Riemer 2009). Dies wird besonders deutlich, wenn innerhalb der Analyse auch das Thema „Wettbewerber“ betrachtet wird: Für Das macht Schule (www.das-machtschule.net), eine Jugendbewegung, die Hilfe zur Selbsthilfe gibt und Kinder anregt, ihre Schule und ihr Umfeld zu verändern und zu verschönern, bedeuten aus der analytischen Außensicht Wettbewerber auf der sachlichen Ebene zunächst andere Programme und ähnliche Aktivitäten zum Thema. Auf der kommunikativen Ebene würde eine gründliche Analyse hier jedoch zeigen, dass es viel mehr und primär andere Wettbewerber gibt: nämlich alle Programme und Initiativen, die in irgendeiner Form um die Aufmerksamkeit an Schulen ringen – egal, ob es dabei um emotionale Intelligenz oder um Vermittlung von Wirtschaftskenntnissen oder um die Gewinnung von mehr Studierenden für naturwissenschaftliche Fächer geht. Die erwähnte Analyse auf der Sachebene fällt SozialunternehmerInnen sehr leicht. Nach Dees (siehe Beitrag von Gergs) besteht deren Leistung ja vor allem darin, den blinden Fleck eingespielter Normalität ausfindig zu machen und genau dort Chancen zu entdecken, wo andere bislang nicht hingesehen haben. Schwieriger ist es, das Verständnis für die spezifisch kommunikative Perspektive eines Themas zu entwickeln – doch die investierte Zeit hierfür lohnt.
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Wollen Sozialunternehmer erfolgreich kommunizieren, müssen sie ihre Botschaften radikal verdichten und viel Differenzierung außen vorlassen Der zweite Schritt ist deutlich schwieriger: Radikale Verkürzung von Inhalten macht die geplante Unternehmung zwar kommunikabler, kann sie aber nie vollständig abbilden. Sie ist jedoch unabdingbar, um kommunikativ erfolgreich zu sein. Innerhalb der PR-Konzeptionslehre wird dieser Bereich als Strategie bezeichnet (Hansen/Schmidt 2009: 69-114; Schmidbauer/Knödler-Bunte 2004: 107-178; Leipziger 2004: 87-138). Konkret formuliert wird hier die eigentliche Zielsetzung der Kommunikation und ihre Dialoggruppen sowie die kommunikative Positionierung, d.h. welches Meinungsbild vermittelt werden soll. Bereits der erste Punkt hat es „in sich“: Es geht tatsächlich um die Ziele der Kommunikation, nicht um die allgemeinen Ziele der Unternehmung (vgl. die Unterscheidung von Sach- und Kommunikationsebene; im Falle des Unternehmensziels einer Bewusstseinsbildung für ein Thema können diese allerdings auch einmal sehr nah beieinander liegen). Entscheidend ist, sich der drei unterschiedlichen Zieldimensionen bewusst zu werden. Deshalb seien diese anhand des Projekts Eltern-AG (www.elternag.de; siehe ausführlich dazu den Beitrag von Köppelmann), einer besonderen „Elternschule“, die Eltern Starthilfe für die Bildung ihrer Kinder geben will, beispielhaft erläutert: Informationsziele beziehen sich darauf, welches neue Wissen dem Mitglied einer bestimmten Dialoggruppe vermittelt werden muss; bei der gewählten Eltern-AG meint dies das rein faktische Wissen auch bei den betroffenen Familien, dass Kinder aus armen, bildungsfernen Schichten schlechtere Bildungsund Berufschancen haben als Kinder aus gutsituiertem Elternhaus. Einstellungsziele geben an, welche Einstellungsveränderungen beim Mitglied einer bestimmten Dialoggruppe stattfinden sollen; bei der Eltern-AG würde dies bedeuten, dass bildungsferne Eltern entsprechend gestaltete unterstützende Maßnahmen für sich grundsätzlich als positive Ergänzung und nicht als ungerechtfertigten Eingriff in Erziehungsberechtigung oder Privatleben empfinden. Verhaltensziele schließlich definieren, dass Mitglieder einer bestimmten Dialoggruppe ihr Verhalten verändern; dies kann bedeuten, dass sozial benachteiligte Eltern aktiv an Elternworkshops der Eltern-AG teilnehmen, die zwischen Geburt und Einschulung auf Selbsthilfekräfte und positive Alltagserfahrung setzen und die Familien mit Kindergärten, Ämtern und Kinderhilfsorganisationen vernetzen.
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Ist die Zielsetzung festgelegt, gilt es, die dazu passenden Dialoggruppen zu definieren. Der Begriff „Dialog“-Gruppe an Stelle von „Ziel“-Gruppe ist dabei bewusst gewählt. In der Regel lassen sich komplexere Sachverhalte besser im Dialog als durch ein vermeintliches „Herüberschiessen“ von Informationen in eine „Ziel“-Gruppe vermitteln. Dies lässt sich wiederum mit dem Beispiel der Eltern-AG verdeutlich: Ohne die starken Dialog- und Selbsthilfeelemente hätte diese Initiative niemals eine solche Akzeptanz erfahren. Journalistinnen und Journalisten sind übrigens fast nie eine Dialoggruppe, sondern eine Art „Mittler“, um die eigentlichen Dialoggruppen auch tatsächlich zu erreichen. Typische Dialoggruppen (neudeutsch auch „Stakeholder“ bzw. „Bezugsgruppen“) von SEOs sind hingegen InvestorInnen, Partner, Mitarbeitende und Kundinnen bzw. Kunden – wobei die soziale Bezugsgruppe, auf die sich die Arbeit bezieht (wenn sie nicht rein thematisch ausgerichtet ist) je nach Geschäftsmodell alle drei letztgenannten Rollen einnehmen kann. Zu dieser Grundgruppe hinzukommen können etwa noch Lieferanten, staatliche Regulatoren, öffentliche Stellen in diversen weiteren Rollen oder auch die unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn des Unternehmens. Die Liste ist je nach Projekt erweiterbar, wobei eine Konzentration dennoch Sinn macht. Bleibt als drittes und zentrales Element der Strategie noch die kommunikative Positionierung: Hier geht es um die Verdichtung aller Inhalte auf ein Bild, einen Begriff oder eine Formulierung. Bei der erwähnten Eltern-AG ist dies der Claim „– damit alle Kinder mitkommen (...)“. Dieser taucht zumeist zusammen mit dem Namen der Organisation auf. Er drückt knapp aus, was das Programm erreichen will – ohne allerdings gleichzeitig noch das Bildungsthema oder den Ansatz über die Eltern explizit zu betonen. Die Programmverantwortlichen haben sich hier offenbar für eine Reduktion ihrer Kommunikationskomplexität entschieden. Erst wenn Analyse- und Strategie-Ergebnisse vorliegen, sollten Sozialunternehmer konkrete Maßnahmen systematisch auswählen Umsetzung und Maßnahmenplanung sollten bei allen Ideen, die bei der Unternehmensgründung auch kommen mögen, tatsächlich nicht am Anfang, sondern ganz am Ende einer Kommunikationskonzeption für SEOs stehen (Hansen/Schmidt 2009: 115-132 sowie 151-158; Schmidbauer/Knödler-Bunte 2004: 179-222; Leipziger 2004). Nichts ist kommunikativ falscher und verschwendet potentiell mehr finanzielle und personelle Ressourcen als rein instrument-
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getriebene Kommunikation im Sinne von „Unser Mitbewerber hat doch auch“oder „So eine Broschüre wäre doch nett“-Aktionen. Der Mitbewerber mag ja etwa eine tolle Website haben, doch vielleicht ist unsere Dialoggruppe ja kaum online; umgekehrt kann die Broschüre von den Kosten für Produktion und Verbreitung bei „digital natives“ viel teurer und weniger zielführend sein als eine gute Webpage oder eine virale social media-Kampagne. Hilfreich für die Auswahl, welche Maßnahme besonders geeignet ist und welche weniger, kann eine Matrix sein, deren Zeilen angedachte Kommunikationsinstrumente wie Pressemitteilung, Websites, Flyer, Videos, Give-Aways, Veranstaltungen etc. enthalten und deren Spalten Kriterien für deren Auswahl benennen. Dies können etwa die Eignung für das spezifische Thema, die Affinität zur Bezugsgruppe, die Reichweite in der Bezugsgruppe, die Schnelligkeit des Reichweitenaufbaus, die Gesamtkosten pro Kontakt in der Dialoggruppe, Vernetzungschancen, mehrmediale Nutzungsmöglichkeiten oder das Dialogpotential sein. Für jedes Kriterium können dann bezogen auf das einzelne Instrument Punkte vergeben werden. Dabei ist es möglich, besonders wichtig erscheinende Kriterien stärker zu gewichten. Das Ergebnis ist eine gut durchdachte Rangliste von sinnvollen Kommunikationsinstrumenten für die eigene SEO. Konkret angewendet wird dieses Verfahren aktuell bspw. bei der geplanten Einführung von Roots of Empathy (www.rootsofempathy.org) in Deutschland, eines u.a. in Kanada sehr erfolgreichen Anti-Aggressionsprogramms an Schulen. Hier wird derzeit in einem Projekt der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK) in Berlin genau analysiert, welches Kommunikationsinstrument sich für die geplanten Dialoggruppen in den anvisierten Brennpunkt-Stadtteilen besonders eignet. Ob des Migrations- und damit Sprachhintergrundes vieler Personen in den Dialoggruppen wird zudem auf die Mehrsprachigkeit vieler Unterlagen geachtet – allen voran Deutsch und Türkisch. Sind die Kommunikationsinstrumente erst ausgewählt, so geht es „nur“ noch darum, sie durchgängig stimmig zur kommunikativen Positionierung zu gestalten. Denn diese entfaltet ihre Wirkung nur dann, wenn wirklich auf allen Kanälen bezugnehmend auf sie kommuniziert wird. Dieses „Zuschneiden“ auf den kommunikativen Kern mag manchmal etwas mechanisch wirken, erleichtert eine erfolgreiche und zugleich effiziente Kommunikation jedoch ungemein. Gut gelungen ist dies etwa der Initiative Rock your life (www.rockyourlife.de), einem Eins-zu-Eins-Coaching zwischen Hauptschülern und Studierenden, kombiniert mit einer bundesweiten Kooperation mit Ausbildungsgebern, das an der Zeppelin University am Bodensee seinen Ausgang nahm. Das Motto („Rock your life“) und das Logo (zwei sich berührende Menschen, deren Kör-
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
performen zusammen einen Stern bilden) ziehen sich durch alle Kommunikationsmaßnahmen. Der Vorteil: Beide Elemente eignen sich in Aussage und Gestaltung sowohl für Multiplikatoren als auch für Studierende sowie SchülerInnen, – den drei wichtigen Dialoggruppen des Programms – ohne für die eine zu „flippig“ und „unseriös“ oder für die anderen zu „altbacken“ und „bieder“ zu wirken. Die Wirkung ist gleichermaßen komplexitätsreduzierend und unterschiedliche Zielgruppen berücksichtigend. 3
Wo die Zukunft von sozialunternehmerischer Kommunikation liegt
Ein modernes Verständnis von Unternehmenskommunikation ist keines von reiner Pressearbeit, sondern von umfassendem Bezugsgruppenmanagement Klassischerweise wird im deutschen Sprachraum „Öffentlichkeitsarbeit“ oder „Public Relations“ nicht selten mit Pressearbeit gleichgesetzt. Pressearbeit ist zweifelsohne nach wie vor ein wichtiges Element sozialunternehmerischer Kommunikation (vgl. allgemein zur Pressearbeit Puttenat 2007; Schulz-Bruhdoel 2005; mit Fokus auf Vereine und Institutionen Franck 2008). Ein gutes Beispiel, wie auch überregional ein positives Presseecho erzielt werden kann, sind die unsicht-Bar-Restaurants in Köln, Berlin und Hamburg (www.unsicht-bar.de). Hier wird Essen in einem absolut dunklen Gastraum als sinnliche Erfahrung für Sehende und Arbeitsplatzoption für Blinde angeboten. Diese speziellen Restaurants sorgen, wie die Homepage vorbildlich dokumentiert, immer wieder für Schlagzeilen in Presse und Fernsehen. „Von Beginn an wurde nicht nur national berichtet, denn Interesse gibt es auf der ganzen Welt“, heißt es im eigenen Internetauftritt. Zu den berichtenden Titeln gehörten neben fast allen deutschen Leitmedien auch „TIME Magazine“ und „The Times“. Allerdings bestehen „Öffentlichkeitsarbeit“ oder „Public Relations“ heutzutage aus deutlich mehr als reiner Pressearbeit („Media Relations“). Das zeigt bereits eine zumeist englischsprachige Begriffsvielfalt von PR-Arbeitsfeldern wie „Investor Relations“, „Internal Relations“, „University Relations“ oder etwa „Employer Branding“ und „Buyer Branding“. Letztlich geht es bei Public Relations um umfassendes Stakeholder- oder Beziehungsmanagement1. Ruckh et al. 1 Vgl. grundsätzlich Sievert/Bell 2008; allgemein für Stakeholdermanagement Oestreicher 2010; mit Fokus auf soziale Organisationen Bender 2007 sowie Ruckh et al. 2006a; für Beziehungsmanagement Ledingham/Bruning 2000.
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(2006b: 21f) fordern dabei grundsätzlich, dass „Marketing im Nonprofit-Bereich als das Management von Stakeholdern verstanden werden sollte.“ Zumindest von außen betrachtet (internes Wissen liegt dem Verfasser hierzu nicht vor) kann als überzeugendes Beispiel für ein gut ausdifferenziertes Stakeholdermanagement bei SEOs der Väter e.V. (www.vaeter.de) genannt werden, der Vätern mit Aktivitäten, Vorträgen, Workshops und handfesten Anregungen helfen will, „ihr eigenes Vatersein zu leben“. Explizit werden hier vier „Hebel“ der Kommunikation unterschieden, die auch den unterschiedlichen Stakeholdergruppen entsprechen: So ist Väter e.V. aktiv gegenüber den Stakeholdern „Politikern“ in der Beratung zu Gesetzesvorhaben, gegenüber den Stakeholdern „Arbeitgebern“ bei der Beratung von Personal- und Führungskräften, gegenüber den Stakeholdern „Soziale Organisationen“ mit einem geplanten social franchise für lizensierte Berater und schließlich gegenüber den Stakeholdern „Väter“ durch ein interaktives Informationsportal sowie Programmangebote vor Ort. Die Beispiele zeigen: Erfolgreiche Kommunikation für SEOs ist möglich – und gelingt umso besser, je stärker sie als Bezugsgruppenmanagement verstanden wird. Bezugsgruppenmanagement ist eine genuine Kernkompetenz von Sozialunternehmern – allerdings mehr individuell als institutionell Genau dieses Bezugsgruppenmanagement ist eine Kernkompetenz von SEOs, denn sie versuchen „ständig die Nöte und Werte der Menschen zu verstehen, denen sie helfen wollen. Sie verstehen aber auch die Erwartungen und Werthaltungen ihrer Financiers, einschließlich der vielen ehrenamtlich Helfenden, die Zeit und Arbeit investieren“, wie Gergs in seinem Beitrag Dees (1998) zusammenfasst. Doch all diese Faktoren zielen stark auf die individuelle Kommunikation seitens der SozialunternehmerInnen als Personen und/oder Rollenträger. In der erwähnten Definition von Zerfaß (1996: 220) gehört dies tendenziell eher zur Organisationskommunikation, die zwischen den Mitgliedern eines Unternehmens meist in direkter Kommunikation abläuft und auch den gesamten Prozess des Leistungserbringung umfasst. Der Fokus unserer Betrachtungen hingegen liegt auf Marktkommunikation (bei der es nach Zerfaß um die Abstimmungsprozesse zwischen Zulieferbetrieben, Abnehmern und Wettbewerbern geht) sowie auf Öffentlichkeitsarbeit oder „Public Relations“ (die sich um die Integra-
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tion des Unternehmens in das gesellschaftspolitische Umfeld kümmert und vor allem das Image im Auge hat). Bei den hier behandelten Fragen geht es aber vielmehr um die institutionelle Kommunikation des Sozialunternehmens insgesamt – also theoretisch auch losgelöst von ihren GründerInnen – so sehr diese auch ob charismatischer Ausstrahlung als authentische „Zeugen“ in dieser Rolle wiederum hoch willkommen ist (neudeutsch sprechen wir hier vom „Testimonial“) [siehe zur Bindungskraft von Narrationen auch den Beitrag von Schmitz/Then]. Will man sozialunternehmerische Organisationen – im Sinne der Beiträge von Valerie Hackl oder auch Katharina Sommerrock – „unabhängig von politischem und religiösem Einfluss sowie von einzelnen bedeutenden Stakeholdern“ gestalten und finanzieren, dann ist diese gedankliche Loslösung von der Gründerperson ein wichtiger Schritt. Dieser kleine, aber feine Unterschied ist letztlich ein Indikator für die Professionalisierung von Sozialunternehmertum und damit verbunden für den Erfolg ihrer Kommunikation. Nur wenn die Kommunikation auch isoliert von der Gründerpersönlichkeit diskutiert wird, kann diese ihre genuinen Kompetenzen (und ggf. ihr Charisma) im Sinne von Public Relations wirklich einbringen. Dabei sollt sie sich, was mediale Themen angeht, möglichst von Experten unterstützen lassen – hochprofessionelle Unterstützerinnen und Unterstützer, die nicht immer, aber oft um der guten Sache Willen dazu bereit sind. Sozialunternehmerische Kommunikation muss problembewusst, professionell und persönlich sein, um erfolgreich zu agieren Die Ausführungen und Beispiele zeigen deutlich: Kommunikation für SEOs ist nicht einfach, aber sie ist möglich – und, wie die anderen Beiträge hinreichend belegen: Sie lohnt sich. Eigentlich geht es um drei schlichte Punkte, die zu beachten sind: Sozialunternehmerische Kommunikation sollte problembewusst sein. Damit gemeint ist nicht das Problembewusstsein für die eigenen Sachthemen (das ist zumeist hinreichend vorhanden), sondern für die spezifische kommunikative Rolle, in der SEOs sich insbesondere Medien gegenüber befinden. Je größer hier das Bewusstsein ist, desto besser werden Erklärungen dessen, was Sozialunternehmertum eigentlich ist, auch in der Breite gelingen (und somit mittel- oder langfristig dann gar kein Problembewusstsein mehr nötig machen).
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Sozialunternehmerische Kommunikation sollte professionell sein. Insbesondere auf die Vorbereitung und Planung von Kommunikation sollte temporär ähnlich viel Energie aufgewendet werden wie für den eigentlichen Geschäftszweck. Denn nur ein sorgfältig durchdachtes, auf gründlicher Analyse, unterscheidbarer Strategie und erst dann kreativen Maßnahmen aufbauendes Kommunikationskonzept wird nachhaltig erfolgreich sein. Zur Professionalisierung gehört auch eine Zurücknahme der SozialunternehmerInnen zugunsten des Sozialunternehmens gerade in der Kommunikation. Sozialunternehmerische Kommunikation sollte persönlich sein. Dies ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu vorhergehendem Punkt: Zum einen meint „persönlich“ hier bezugsgruppenspezifisch gegenüber den Dialogpartnern. Zum anderen zielt „persönlich“ auf die individuellen kommunikativen Fähigkeiten genau der Unternehmerpersönlichkeit, die sich für die Strategieerarbeitung zurücknimmt, letztlich als charismatisches „Testimonial“ jedoch wieder persönlich einsetzt. Bemühen wir zum Schluss noch einmal Dees in der Übersetzung des Beitrages von Hans-Joachim Gergs: „Social Entrepreneurs handeln mutig und lassen sich nicht durch fehlende Ressourcen von der Umsetzung ihrer Ideen abhalten: Sie sind darin geübt, ihr Vorhaben mit wenig Ressourcen zu beginnen.“ In diesem Sinne sollte unter Beachtung der genannten, natürlich durchaus viel Arbeit bedeutenden Aspekte einer erfolgreichen Kommunikation für Sozialunternehmer und Sozialunternehmen eigentlich nichts (mehr) im Wege stehen! Quellenverzeichnis Bender, David (2007): Stakeholdermanagement im Sozialunternehmen. Kundennähe und Qualität durch Innovation. Saarbrücken. Bruhn, Manfred (2006): Integrierte Unternehmens- und Markenkommunikation. Strategische Planung und operative Umsetzung. 4., überarb. und erw. Auflage. Stuttgart. Dees, J. Gregory (1998): The meaning of social entrepreneurship. Comments and suggestions contributed from the Social Entrepreneurship Funders Working Group. Veröffentlichtes Manuskript. Boston/MA. Franck, Norbert (2008): Praxiswissen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ein Leitfaden für Verbände, Vereine und Institutionen. Wiesbaden. Grunig, James E./Hunt, Todd (1984): Managing Public Relations. New York. Hansen, Renée/Schmidt, Stephanie (2009): Konzeptionspraxis. Eine Einführung für PR- und Kommunikationsfachleute. Mit einleuchtenden Betrachtungen über den Gartenzwerg. 4., aktualisierte Auflage. Frankfurt a.M.
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V. Verbreitung, Transparenz und Kommunikation
Knoth, Andreas (2007): Eigenmittel erwirtschaften. Geschäftsgründungen zwischen sozialem und ökonomischem Mehrwert. In: Achleitner et al. (2007): 137-147. Ledingham, John A./Bruning, Stephen D. (2000). Public relations as relationship management. A relational approach to the study and practice of public relations. Mahwah/NJ. Leipziger, Jürg W. (2004): Konzepte entwickeln. Handfeste Anleitungen für bessere Kommunikation. Frankfurt. Oestreicher, Klaus (2010): Strategische Kommunikation und Stakeholdermanagement. Struktur, Implementierung, Erfolgsfaktoren. Frankfurt a.M. Puttenat, Daniela (2007): Praxishandbuch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Eine Einführung in professionelle PR und Unternehmenskommunikation. Wiesbaden. Riemer, Kevin (2009): Kommunikation von Nonprofit-Organisationen. Grundlagen der Kommunikationspolitik und SWOT-Analyse der UNICEF Deutschland. München. Ruckh, Mario F./Noll, Christian/Bornholdt, Martin (Hrsg.) (2006a): Sozialmarketing als Stakeholdermanagement. Grundlagen und Perspektiven für ein beziehungsorientiertes Management von Nonprofit-Organisationen. Bern. Ruckh, Mario F./Noll, Christian/Bornholdt, Martin (2006b): Zur Weiterentwicklung des Sozialmarketings. Warum Marketing im Nonprofit-Bereich als das Management von Stakeholdern verstanden werden sollte. In: Ruckh et al. (2006a): 21-40. Schmidbauer, Klaus/Knödler-Bunte, Eberhard (2004): Das Kommunikationskonzept. Konzepte entwickeln und präsentieren. Potsdam. Schulz-Bruhdoel, Norbert (2005): PR- und Pressefibel. Zielgerichtete Medienarbeit – ein Praxislehrbuch für Ein- und Aufsteiger. Frankfurt a.M. Sievert, Holger/Bell, Daniela (Hrsg.) (2008): Communication and leadership in the 21st century: The difficult path from classical public relations to genuine modern communication management. Gütersloh. Zerfaß, Ansgar (2010): Unternehmensführung und Öffentlichkeitsarbeit. Grundlegung einer Theorie der Unternehmenskommunikation und Public Relations. 3. Auflage. Wiesbaden.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Dr. Ann-Kristin Achleitner [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1966) ist seit 2001 Inhaberin des KfW-Stiftungslehrstuhls für Entrepreneurial Finance und Wissenschaftliche Co-Direktorin des Center for Entrepreneurial and Financial Studies (CEFS) an der Technischen Universität München. Von 1994 bis 2000 war sie Professorin für Banking und Finance an der European Business School (EBS). Studium und Promotion der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften sowie Habilitation erfolgten an der Universität St. Gallen. Sie ist u.a. Stellv. Vorsitzende in der Expertenkommission „Forschung und Innovation“ (EFI) der Bundesregierung und Mitglied des Senats der Fraunhofer Gesellschaft. Michael Alberg-Seberich [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1970) ist Stellv. Geschäftsführer und Gesellschafter der Active Philanthropy gGmbH. Von 2001 bis 2007 war er in verschiedenen Positionen für die Bertelsmann Stiftung tätig, zuletzt als Leiter des Carl-Bertelsmann-Preises 2007. Nach einer Tätigkeit als Lektor an der University of Oxford hat er von 1998 bis 2001 für das Deutsche Youth For Understanding Komitee e.V. als interkultureller Berater und Abteilungsleiter gearbeitet. Er hat Regionalwissenschaften Nordamerika und Ethnologie an der Universität Bonn und der University of British Columbia in Vancouver studiert. Prof. Dr. Alexander Bassen [Kontakt:
[email protected]] (Jg.1965) ist seit 2003 Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftlehre, insbesondere Kapitalmärkte und Unternehmensführung, an der Universität Hamburg. Nach Promotion und Habilitation an der European Business School (EBS) war er zuvor Privatdozent an der Technischen Universität München. Er ist u.a. Sprecher der Kommissionen Effiziente Finanzkommunikation und Corporate Governance, Berater der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) sowie Mitglied im Kuratorium der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Bewertung von Extra-Financial Information, Nachhaltigkeit, kapitalmarktorientierte Unternehmensführung und Corporate Governance. Prof. Dr. Markus Beckmann [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1977) forscht und lehrt seit 2009 als Juniorprofessor für Social Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Social Entrepreneurship, Wirtschafts- und Unternehmensethik, Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship sowie strategisches Management. Er leitet an der Leuphana Universität Lüneburg den Social Change Hub (SCHub), eine Plattform für gesellschaftlich-unternehmerisches studentisches Engagement. Veröffentlichungen u.a. „Ordnungsverantwortung – Rational Choice als ordonomisches Forschungsprogramm“ (2010), „Moral Commitments and the Societal Role of Business“ (2009) oder „Social Entrepreneurship und Ordnungspolitik“ (2008). Prof. Dr. Stephan Breidenbach [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1955) ist Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/O. und Honorarprofessor für Mediation an der Universität Wien. Er ist Mitgründer und Dean der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance in Berlin, darüber hinaus Wirtschaftsmediator. Schwerpunkte sind die Entwicklung von rechnergestützten Visualisierungs- und Managementmethoden für Recht sowie regelbasiertes Wissen und die Integration von gerichtlicher/außergerichtlicher Konfliktbearbeitung und Gesetzgebung. Seine Forschung zur Finanzierung von sozialen Initiativen hat er in der Konzeption und als Mitbegründer von betterplace.org umgesetzt. Er ist Mitgründer des Genisis Institute for Social Business in Berlin und Mitinitiator der Social Stock Exchange Association.
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Daniel Dölle [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1975) ist staatlich anerkannter Erzieher und Diplom-Sozialpädagoge/Sozialarbeiter (FH) mit der Zusatzqualifikation „Sozialmanagement“. Er arbeitet als Jugendbildungsreferent und ist aktives Mitglied in gesellschaftspolitischen Initiativen. Über mehrere Jahre war er bei verschiedenen freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Berlin tätig; dabei lag sein Schwerpunkt in der außerschulischen Betreuung von Grundschulkindern. Im Rahmen des „Europäischen Freiwilligendienstes“ und als Stipendiat des entwicklungspolitischen Netzwerkes „ASA-Programm“ engagierte er sich in sozialen Einrichtungen in Großbritannien und Malaysia. Dr. Stefan Empter [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1958) ist Senior Director der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich evidenzbasierter Politikstrategien, wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Grundsatzfragen sowie der Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft. Darüber hinaus ist er Mitglied des Vorstandes der „Stiftung Wirtschaft Verstehen“ in Essen und gehört einer Reihe von Gremien an, u.a. dem Beirat der „Stiftung für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und gesellschaftlichen Wandel“ sowie dem Beirat des Instituts für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg. Veröffentlichungen u.a. Mitherausgeber von „Soziale Gerechtigkeit – eine Bestandsaufnahme“ (2007) oder „Wirtschaftsstandort Deutschland“ (2006). Dr. Hans-Joachim Gergs [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1965) ist Dozent im MBA-Programm der Technischen Universität München und arbeitet als interner Berater bei einem deutschen Automobilhersteller. Er war Projektleiter in mehreren internationalen Forschungsprojekten zum Thema Management. Von 2000 bis 2004 war er Senior Consultant in einem Beratungsunternehmen. Nach dem Studium (Soziologie, Volkswirtschaftslehre, Psychologie) an den Universitäten Freiburg und Erlangen-Nürnberg arbeitete er von 1994 bis 2000 am Institut für Arbeits-, Betriebs- und Wirtschaftssoziologie der Universität Jena in der Grundlagenforschung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Management und Führung sowie Organisationstheorie. Dr. Stephan Grohs [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1974) ist Assistent am Lehrstuhl für Vergleichende Policy-Forschung und Verwaltungswissenschaft der Universität Konstanz. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der vergleichenden Verwaltungs- und Kommunalforschung mit einem Schwerpunkt auf Verwaltungsmodernisierung, Evaluationsforschung und Steuerung u.a. im Sozialbereich. Veröffentlichungen u.a. „Modernisierung lokaler Sozialpolitik“ (2010) sowie „Zehn Jahre Neues Steuerungsmodell. Eine Evaluation kommunaler Verwaltungsmodernisierung“ (2007, mit Jörg Bogumil/Sabine Kuhlmann/Anna K. Ohm). Christian Groß [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1986) ist Student der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Würzburg. Seine Studienschwerpunkte liegen in den Bereichen Internationale Makroökonomik und Wirtschaftspolitik. 2010 absolvierte er ein Praktikum bei der Stiftung „Opportunity International Deutschland“ in Köln. Markus Haastert [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1966) ist serieller Unternehmer und seit über 20 Jahren selbständig. Seit 2006 ist er UNESCOPreisträger für Bildung und war 2009 Finalist als ‚Social Entrepreneur des Jahres‘ der Schwab Foundation. 2002 wurde er mit der Arbeit Gunter Paulis bekannt gemacht und überzeugte diesen, auch in Deutschland ZERI-Projekte umzusetzen. Zudem ist er Vorstandsvorsitzender von ZERI Germany e.V. Veröffentlichungen u.a. „Mittelstand und kooperative Innovation: Nachhaltiges Wirtschaften – Die neue Dimension im Wettbewerb um den eigenen Standortvorteil“ (2006, in: Streich/Wahl: Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeitswelt).
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Prof. Dr. André Habisch [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1963), Diplom-Volkswirt und Dr. theol. habil. lehrt an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialkapitaltheorie, Gesellschaftspolitik und Wirtschafts- und Unternehmensethik. Er war Mitglied der Enquête-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages, Gründungsdirektor des Center for Corporate Citizenship e.V. in Ingolstadt und berät den Bund Katholischer Unternehmer (BKU). Prof. Dr. Helga Hackenberg [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1959) lehrt Sozialpolitik und Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Berlin. Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Armuts-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sowie Zukunft des Sozialstaates. Neben weiteren Gremientätigkeiten gehört sie seit 2004 der Kammer für Soziale Ordnung der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) an. Veröffentlichungen u.a. Mitarbeit an den Denkschriften der EKD „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ (2008) und „Gerechte Teilhabe“ (2006) oder Interview mit Muhammad Yunus „Sozialen Unternehmen gehört die Zukunft – Über Menschen mit Visionen im Zeitalter der Gewinnmaximierung“ (2009). Dr. Valerie Hackl [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1982) ist Unternehmensberaterin der internationalen Strategieberatung Bain&Company in München. Während ihrer Zeit als Consultant arbeitete sie an unterschiedlichen Projekten vorwiegend der Telekommunikationsbranche und im Textilhandel. Verschiedene Vortrags- u. Moderationstätigkeiten, u.a. bei der Konferenz „Banking for Social Entrepreneurship“ (Prag 2009) oder beim „International Dialogue in the Dark Meeting“ (Frankfurt 2009). Veröffentlichungen u.a. „The promise of social franchising as a model to achieve social goals“ (2011 in: Fayolle/Matlay: Handbook of Social Entrepreneurship), „Social Franchising – Social Entrepreneurship: Aktivitäten multiplizieren“ (2010). Prof. Dr. Rolf G. Heinze [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1951) ist Professor für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum und wissenschaftlicher Direktor des InWIS (Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung, RUB). Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungsperspektiven, demographischer Wandel und Wohnen im Alter, Verbändeforschung sowie regionale Innovationspolitik. Er ist u.a. Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Hans-Böckler-Stiftung und der Sozialforschungsstelle Dortmund. Veröffentlichungen u.a. „EinBlick in die Zukunft. Gesellschaftlicher Wandel und Zukunft des Alterns“ (2010, mit Gerhard Naegele), „Rückkehr des Staates“ (2009) und „Wandel wider Willen“ (2006). Stefan Knüppel [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1961) ist seit 2005 Vorstand der gemeinnützigen Stiftung Opportunity International Deutschland, die mit anderen Opportunity-Stiftungen in 25 Ländern mit ca. 2 Mio. Klienten und Klientinnen im Bereich Mikrofinanz zusammenarbeitet. Darüber hinaus ist er im Vorstand von Sinapi Aba Trust, Ghanas größtem Mikrofinanzinstitut, tätig. Nach seinem wirtschaftswissenschaftlichen Studium war er bis 2004 Vorstand und Manager bei der europäischen Handelsgruppe EK-Servicegroup. Anne Köppelmann [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1987) ist Diplom-Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin (FH) und studiert aktuell als Stipendiatin der Steinbeis-Stiftung im Masterstudiengang Responsible Management am Institut Corporate Responsibility Management der Steinbeis-Hochschule Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt bei der Arbeit mit Freiwilligen in Auslandsdienstprogrammen. In diesem Zusammenhang hat sie das Handbuch „ÜberLeben weltweit. Handbuch für einen Freiwilligendienst im Ausland von Freiwilligen für Freiwillige“ (2009) mit gestaltet und geschrieben.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Anne-Kathrin Kuhlemann [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1979) ist Geschäftsführende Gesellschafterin der Konvergenta InterZero, einer Kommunikationsagentur für ethischen und ökologischen Wandel. Als Gründerin der NExT Social Stock Exchange entwickelt sie zudem eine Plattform für Wachstumskapital für sozial und ökologisch nachhaltig wirtschaftende Unternehmen. 2010 wurde sie von der Zeitschrift Capital in die Junge Elite Top 40 der Politik & Gesellschaft gewählt. Sie ist Lehrbeauftragte der Fachhochschule Münster sowie der HUMBOLDT-VIADRINA School of Governance in Berlin. Veröffentlichungen u.a. „Spenden, stiften, investieren? Eine Entscheidungshilfe für soziale Geldgeber“ (2010) und „Social Business“ (2009, in: Backhaus-Maul et al.: Corporate Citizenship in Deutschland). Felix Oldenburg [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1976) ist als Director Ashoka Europe und Hauptgeschäftsführer von Ashoka Deutschland für die Entwicklung und Leitung von nationalen und internationalen Programmen zur Förderung von Social Entrepreneurs verantwortlich. Zuvor war er Unternehmer, Projektpionier und Berater zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, u.a. Mitglied der Geschäftsleitung einer Politikberatung, Managementberater bei McKinsey&Company in London und zuvor Gründer eines Internet-Startup. Er studierte Philosophie (M.A.) an den Universitäten Bonn, Tübingen und Oxford und Politikmanagement (Executive Master) in Georgetown (Washington/USA) und hat zu den Themen Social Entrepreneurship, Bürgerbeteiligung, Governance und CSR publiziert. Prof. Gunter Pauli [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1956) ist belgischer Volkswirt, Gastprofessor an der Politecnico di Torino und hat mehr als ein Dutzend Unternehmen aufgebaut. Seit er 1994 an die United Nations University in Tokio berufen und dort die Zero Emissions Research and Initiatives (ZERI) entwickelte, widmet er sich der Entwicklung und Umsetzung von Projekten, die Wirtschaftlichkeit mit Nachhaltigkeit und sozialem Nutzen kombinieren – so etwa dem ZERI-Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover. Zehn Jahre lang entwickelte er innovative Lernmethoden, die mit über 300.000 Kindern und 8.000 Lehrkräften v.a. in Brasilien, Deutschland, Kolumbien, Ägypten, Südafrika und Japan umgesetzt wurden. Veröffentlichungen u.a. „The Blue Economy“ (2010), „Zen and the Art of Blue“ (2010) und „Neues Wachstum“ (1998/2010). Prof. Dr. Birger P. Priddat [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1950) ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Institutional Economics, Theoriegeschichte der Ökonomie, Wirtschaftsethik, Zukunft der Arbeit, Political Governance. 2010 bis 2011 ist er Fellow der Forschungsinstitution „Wirtschaft und Religion“ an der Universität Basel, in Kooperation mit dem Collegium Helveticum. Herausgeber verschiedener Schriftenreihen, Autor zahlreicher Monographien, zuletzt „Organisation als Kooperation“ (2010) und „Nonprofit-Wirtschaft. Zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft“ (2009). Dr. Barbara Roder [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1979) ist Diplom-Kauffrau und aktuell als Geschäftsführerin einer gemeinnützigen GmbH im Bildungsbereich tätig. 2007-2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am KfW-Stiftungslehrstuhl für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität München bei Prof. Ann-Kristin Achleitner und Prof. Alexander Bassen (Universität Hamburg). Von 2005 bis 2007 tätig im Bereich Corporate Finance bei einer Schweizer Großbank. M.Sc. Studium Auswärtiger Dienst beim Auswärtigen Amt sowie Internationale Betriebswirtschaftslehre an der ESCP-EAP Europäische Wirtschaftshochschule in Paris, Oxford und Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Social Entrepreneurship.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Björn Schmitz [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1978) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Hybride Organisationen, Sozialunternehmertum, Wirkungsmessung, Netzwerksteuerung, Intransparenzstrukturen der Gesellschaft und Ethik. Veröffentlichungen u.a. „Rethinking Organizational Hybridity – Towards an Analytical Framework for hybridity“ (2011, mit Gunnar Glänzel), „Dimensionen der Bewertung gemeinnütziger Organisationen und Aktivitäten“ (2011 mit Georg Mildenberger/Robert Münscher, in: Anheier et al.: Soziale Investitionen). Dr. Katrin Schneiders [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1968) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Derzeit bearbeitet sie u.a. ein von Prof. Rolf G. Heinze geleitetes und von der Stiftung Mercator gefördertes Forschungsprojekt zum Thema „Social Entrepreneurship“. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Sozialpolitik (insb. soziale Dienstleistungen und Wohlfahrtsverbändeforschung) sowie Sozialstrukturanalyse (insb. Wohn- und Lebensformen). Veröffentlichungen u.a. „Vom Altenheim zum Seniorenservice. Institutioneller Wandel und Akteurkonstellationen im sozialen Dienstleistungssektor“ (2010) sowie „Wirtschaftliche Potenziale des Alters“ (2010, mit Rolf G. Heinze/Gerhard Naegele). Prof. Dr. Holger Sievert [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1970) lehrt Public Relations und Kommunikationsmanagement am Campus Berlin der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation (MHMK). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Non-Profit-Kommunikation sowie in internationaler, interner und integrierter PR. In der Lehre hat er sich u.a. auf Konzeptionstrainings spezialisiert, die er für zahlreiche Hochschulen sowie private Organisationen im In- und Ausland zumeist mit realen und aktuellen Cases aus dem NonProfit- oder Social Business-Bereich durchführt. Auszeichnungen u.a. der Preis der Schader Stiftung „Sozialwissenschaften im Praxisbezug“ sowie der europäisch-amerikanische PR-Wissenschaftspreis „IPR Bledcom Special Award“. Veröffentlichungen u.a. unter www.ssrn.com/author=562809. Dr. Katharina Sommerrock [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1979) ist Projektleiterin bei der globalen Strategieberatung Bain&Company in München. Von 2007 bis 2009 war sie Doktorandin am Center for Corporate Citizenship (Prof. André Habisch) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, wo sie neben der Forschung zu ihrem Schwerpunkthema Social Entrepreneurship Seminare gehalten und an Konferenzen teilgenommen hat. Ihre Dissertation „Social entrepreneurship business models. Incentive strategies to catalyze public goods provision“ wurde 2010 bei Palgrave Macmillan veröffentlicht und mit dem Kulturpreis Bayern 2010 ausgezeichnet. Peter Spiegel [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1953) ist Initiator und Leiter des Genisis Institute for Social Business and Impact Strategies gGmbH in Berlin sowie des Vision Summit. Er ist ferner Political Affairs Director des Senats der Wirtschaft und Initiator von Global Entrepreneurs. Von 2005 bis 2008 war er Generalsekretär des Global Economic Network und von 2002 bis 2005 Generalsekretär des Club of Budapest International. Er ist Autor und Herausgeber diverser Veröffentlichungen, zuletzt „Global Impact – Der neue Weg zur globalen Verantwortung“ (2009 mit Franz J. Radermacher/Marianne Obermüller), „Gute Geschäfte – Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise“ (2009 mit Franz Alt) und „The Power of Dignity – Die Macht der Würde. The Grameen Family“ (2008 mit Roger Richter).
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Wolfgang Spiess-Knafl [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1982) ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am KfW-Stiftungslehrstuhl für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität München. Prof. Dr. Tine Stein [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1965) lehrt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie an der ChristianAlbrechts-Universität Kiel. Sie ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der normativen politischen Theorie der konstitutionellen Demokratie, dem Verhältnis von Politik und Religion sowie Politik und Natur und dem zeitgenössischen politischen Denken. Veröffentlichungen u.a. „Gleichheit und Solidarität“ (2010), „Subsidiarität – Ein politischer Ordnungsbegriff im Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft“ (2009) und „Himmlische Quellen und irdisches Recht“ (2007). Dr. Volker Then [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1961) ist Geschäftsführender Direktor des Centrums für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg. Vor Gründung des CSI (mit Prof. Helmut K. Anheier) arbeitete er bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh und leitete dort bis 2006 den Bereich „Stiftungswesen und Zivilgesellschaft“. Diverse Veröffentlichungen u.a. „Social Return on Investment: Auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz der Wirkungsforschung“ (2011, mit Konstantin Kehl/Robert Münscher) und „Soziale Investitionen. Ein konzeptioneller Entwurf“ (2011, mit Konstantin Kehl, in: Anheier et al.: Soziale Investitionen). Sarah Volk [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1981) ist seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Entrepreneurial and Financial Studies (CEFS) an der Technischen Universität München. Prof. Dr. Gerhard Wegner [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1953) ist außerplanmäßiger Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Marburg und seit 2004 Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Sozialstaat, Sozialpolitik, Evangelische Sozialethik, Kirchen- und Religionssoziologie. Letzte Veröffentlichung: „Teilhabe fördern – Christliche Impulse für eine gerechte Gesellschaft“ (2010). Anna Wolf [Kontakt:
[email protected]] (Jg. 1981) ist Projektmanagerin bei der Active Philanthropy gGmbH. Von 2006 bis 2010 war sie Referentin in der Internationalen Abteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie ist Associate der Stiftung Neue Verantwortung im Projekt „Neue Vermögenskultur“ (2010 bis 2011) und studierte Politikwissenschaft und Osteuropastudien an der Freien Universität Berlin und der University of Oxford.
Verzeichnis der Web-Links Im Folgenden ist eine Auswahl von Web-Links der in den Beiträgen beschriebenen oder erwähnten nationalen und internationalen SEOs, NGOs und InternetPlattformen zusammengestellt. 1
Bereich Familie, Gesundheit, Beschäftigung und gesellschaftliche Integration
Alte Feuerwache (www.alte-feuerwache.de) Von einem gemeinnützigen Trägerverein getragenes Stadtteilzentrum in Berlin-Kreuzberg [vgl. Beitrag Dölle] Aravind Eyecare Hospitals (www.aravind.org) Von dem indische Augenarzt Govindappa Venkataswamy 1977 gegründete Augenklinik für die Ärmsten der Armen, mittlerweile landesweit zahlreiche Hospitals [vgl. Beiträge Sommerrock; Spiegel] ArbeiterKind.de (www.arbeiter-kind.de) 2008 von Katja Urbatsch gegründete Initiative zur Ermutigung und Förderung von Jugendlichen aus Nichtakademiker-Familien zum Hochschulstudium [vgl. Beitrag Oldenburg] Box Girls International (www.boxgirls.org) Die von Heather Cameron in Berlin gegründete und auch in Nairobi und Kapstadt arbeitende Initiative ermöglicht benachteiligten Mädchen über Boxsport Selbstbewusstsein, Fähigkeiten und Verantwortung für sich und ihr Umfeld [vgl. Beitrag Oldenburg] Bridge Academy der LGT Venture Philanthropy (www.lgt.com) Von der LGT Venture Philanthropy unterstütztes Bildungsprojekt in Kenia [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] CBT Köln (www.cbt-gmbh.de) Das CBT-Mehrgenerationenwohnhaus „Miteinander leben und wohnen“ in Wipperfürth/Köln ermöglicht neue Formen des intergenerationellen Zusammenlebens [vgl. Beitrag Heinze et al.] CFWshops (www.cfwshops.org) 2000 gegründete Initiative mit Sitz in Kenia, deren Mission der Zugang zu medizinischer Versorgung in ländlichen Gebieten darstellt [vgl. Beitrag Hackl] Das China Büro e.V. (www.daschinabuero.org) 2008 in Berlin von einer selbstorganisierten Elterngruppe als erste Deutsch-Chinesische Kindertagesstätte in Deutschland gegründet mit dem Ziel interkulturellen Austausches und hoher Bildungsstandards [vgl. Beitrag Breidenbach] Das macht Schule (www.das-macht-schule.net) Der 2006 von Bernd Gebert gegründete Verein will Kindern/Jugendlichen Selbsthilfe und Kompetenzen vermitteln, in der Gesellschaft durch Eigeninitiative etwas bewirken zu können [vgl. Beitrag Sievert] Dialog im Dunkeln (www.dialog-im-dunkeln.de) und Dialogue Social Enterprise (www.dialogue-se.com) 1988 von Andreas Heinecke in Leben gerufenes Social Franchise-Unternehmen, mit dem Sehenden der Alltag von Blinden näher gebracht werden soll [vgl. Beiträge Gergs; Hackl; Habisch; Oldenburg]
H. Hackenberg, S. Empter (Hrsg.), Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen, DOI 10.1007/978-3-531-92806-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Verzeichnis der Web-Links
DialogMuseum (www.dialogmuseum.de) 2005 in Frankfurt/M. gegründete Plattform, um vorurteilsfreie Begegnungen und neue Perspektiven für behinderte/benachteiligte Menschen zu ermöglichen [vgl. Beitrag Breidenbach] Discovering Hands (www.discovering-hands.de; www.praxisfuerfrauen.de) Der Duisburger Frauenarzt Frank Hoffmann bildet blinde Frauen für Tastuntersuchungen zur Brustkrebsvorsorge in Praxen aus, mit gegenüber herkömmlicher Früherkennung weit überlegenen Diagnoseergebnissen und neuen Berufsfeldern [vgl. Beitrag Oldenburg] Eltern-AG (www.mapp-institut.de) Von Michael Armbruster 2004 in Magdeburg als gGmbH mit aufgebaute Eltern- und Selbsthilfe-Schule, bundesweite Skalierung ist geplant [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Dölle; Köppelmann; Sievert] elysion GmbH (www.elysion-pflege.de) 2007 von Sven Francke in Berlin gegründete SEO zur palliativen Pflege im häuslichen Bereich [vgl. Beiträge Breidenbach; Kuhlemann] GESINE Netzwerk (www.gesine-net.info) Netzwerk gegen häusliche Gewalt im Ennepe-Ruhr-Kreis [vgl. Beitrag Oldenburg] Hamburger Hauptschulmodell (www.arbeitsstiftung.de) Von Hamburger Unternehmern entwickeltes Förderkonzept für Hauptschülerinnen und Hauptschüler zum Einstieg in den Arbeitsmarkt, mittlerweile auch in anderen Bundesländern [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Sievert] Hand In (www.hand-in.de) 2002 mit dem Ziel gegründete Initiative, Jugendlichen an sozialen Brennpunkten die Chance auf ein selbstbestimmtes eigenverantwortliches Leben zu geben [vgl. Beitrag Oldenburg] Irrsinnig Menschlich e.V. (www.irrsinnig-menschlich.de) Informations- und Aufklärungsinitiative für Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen, Angehörige, HelferInnen, PolitikerInnen, Journalisten und interessierte Bürgerinnen und Bürger [vgl. Beitrag Oldenburg] JobAct der Projektfabrik e.V. (www.projektfabrik.org) Theaterpädagogisches Programm zur Integration von arbeitslosen Jugendlichen in den Arbeitsmarkt in Witten [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Oldenburg] Job Factory Basel AG (www.jobfactory.ch) 2000 von Robert Roth in Basel/CH gegründete Organisation, um arbeitslosen Jugendlichen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben [vgl. Beiträge Sommerrock; Hackl] Jugendhaus Düsseldorf (www.jugendhaus-duesseldorf.de) Von einem gemeinnützigen Verein getragenes Jugendhaus in Düsseldorf, das mit verschiedenen Dienstleistungen/Produkten Erlöse für den Jugendbereich erzielt [vgl. Beitrag Dölle] Junges Hotel (www.junges-hotel.de) Durch sozialen Verein nach nachhaltigen Grundsätzen geführtes Hotel in Hamburg, mit dessen Erlösen die Stadtteilarbeit des Vereins mitfinanziert werden soll [vgl. Beitrag Dölle] Kinderzentren Kunterbunt e.V. (www.kinderzentren.de) 1998 in Nürnberg von Björn Czinczoll gegründete Trägerkette von Kindertageseinrichtungen an elf Standorten in Bayern und Baden-Württemberg, die mit lokalen Unternehmen zusammenarbeiten [vgl. Beitrag Dölle] KISS (www.kiss-heidelberg.de) Das von Joachim Körkel entwickelte Selbstmanagement-Trainingsprogramm KISS soll nicht abstinenzbereite/-fähige Drogenabhängige integrieren helfen [vgl. Beitrag Oldenburg]
Verzeichnis der Web-Links
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MAPP-Empowerment gGmbH (www.mapp.de) Entwicklung von wissenschaftlichen Konzepten zum psychosozialen Empowerment von Kindern und Jugendlichen in Fortbildung und Praxis [vgl. Beitrag Köppelmann] Off Road Kids (www.offroadkids.de) Die 1993 von Markus Seidel gegründete Stiftung für Straßenkinder betreibt StreetworkStationen in Berlin, Hamburg, Dortmund und Köln, Kinderheime in Bad Dürrheim, eine Eltern-Hotline und ein Hochschulinstitut für Pädagogikmanagement [vgl. Beitrag Habisch] Peace Counts School (www.friedenspaedagogik.de) Projekt des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen e.V., der Agentur Zeitenspiegel und der Peace Counts Foundation mit dem Ziel, pädagogische Konzepte für Schule und Bildungsarbeit zu implementieren [vgl. Beitrag Oldenburg] Rock your life (www.rockyourlife.de) Bundesweit agierende gemeinnützige Bildungsinitiative mit Sitz in Friedrichshafen, insbesondere über 1:1-Coaching HauptschülerIn/Studierende [vgl. Beitrag Sievert] Roots of Empathy (www.rootsofempathy.org) Erfolgreiches, von Mary Gordon gegründetes Anti-Aggressionsprogramm für Jugendliche in Kanada, Neuseeland und den USA [vgl. Beitrag Sievert] Save the Children (www.savethechildren.org) Weltweit größte unabhängige Kinderrechts-Organisation, mit nationalen Unterorganisationen in mehr als 120 Ländern tätig [vgl. Beitrag Hackl] SchlaU!-Schule (www.schlau-schule.de) Initiative zur Förderung und Unterstützung in der Beschulung minderjähriger MigrantInnen [vgl. Beitrag Oldenburg] Science-Lab Gemeinnützige Bildungs-GmbH (www.science-lab.de) 2002 von Sonja Stuchtey und Heike Schettler ins Leben gerufene unabhängige Bildungsinitiative für Kindergarten- und Grundschulkinder, ErzieherInnen und Lehrkräfte [vgl. Beiträge Gergs; Hackl] SHS² – Studenten/Schüler helfen Schülern und IBFS ChancenWerk e.V. (www.ibfs-ev.org) Vom IBFS ChancenWerk e.V. und Murat Vural aufgebautes Mentorensystem von v.a. türkischstämmigen Studierenden/SchülerInnen in NRW [vgl. Beitrag Oldenburg] Specialisterne (www.specialisterne.dk) Die 2003 von Thorkil Sonne gegründete dänische Personalvermittlung/Zeitarbeitsfirma vermittelt Menschen mit Asperger-Syndrom für Jobs, die deren ‚Inselbegabungen‘ (besondere Konzentration und Genauigkeit) verlangen [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Spiegel] Stadthaushotel (www.stadthaushotel.com) 1993 in Hamburg gegründetes Integrationshotel, um Beschäftigungsmöglichkeiten für behinderte Menschen im Dienstleistungssektor zu schaffen [vgl. Beitrag Breidenbach] Stiftung Liebenau (www.stiftung-liebenau.de) Das 1870 gegründete unabhängige Sozialunternehmen mit Sitz in Liebenau/Meckenbeuren betreibt zahlreiche Behinderten- und Altenhilfe- sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen an rund 80 Standorten in Deutschland [vgl. Beitrag Heinze et al.] Streetfootballworld (www.streetfootballworld.org) Die 2002 von Jürgen Griesbeck in Berlin gegründete, mittlerweile internationale Organisation will sozialen Wandel durch Fußball positiv fördern und neue, innovative Lösungen für soziale Herausforderungen auf globaler Ebene entwickeln [vgl. Beitrag Oldenburg]
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Verzeichnis der Web-Links
unsicht-Bar (www.unsicht-bar.de) Dunkel-Restaurants in Köln, Berlin und Hamburg nach der Idee von „Dialog im Dunkeln“ [vgl. Beitrag Sievert] Väter e.V. / Väter gGmbH (www.vaeter.de) Von Volker Baisch 2001 in Hamburg gegründete Initiative zur Unterstützung von Vätern und ihrem Wiedereinstieg ins Berufsleben [vgl. Beiträge Oldenburg; Sievert] Violence Prevention Network (www.violence-prevention-network.de) Netzwerkinitiative für Gewaltprävention und Deradikalisierung von Jugendlichen und Straftätern, die aus ideologischen Motiven gewalttätig geworden sind [vgl. Beitrag Oldenburg] VisionSpring (www.visionspring.org) 2001 in New York gegründete Organisation, die hochwertige und zugleich kostengünstige Lesebrillen zur Behebung einfacher Fehlsichtigkeiten für die Versorgung in mittlerweile fünf Entwicklungsländern herstellt [vgl. Beitrag Hackl] wellcome gGmbH (www.wellcome-online.de) Von Rose Volz-Schmidt 2002 in Hamburg gegründeter Familienbegleitservice, mittlerweile an mehr als 170 Standorten in Deutschland [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Dölle; Habisch; Oldenburg] Wheelmap (www.wheelmap.org) Von Raul Krauthausen entwickeltes Informationsportal mit Online-Landkarte über barrierefreie öffentliche Orte für RollstuhlbenutzerInnen [vgl. Beitrag Oldenburg] YeЮil Çember (www.yesilcember.de) 2006 von Gülcan Nitsch gegründet zur Mobilisierung von Menschen/Organisationen mit Migrationshintergrund für Umweltschutz u. Mitverantwortung [vgl. Beitrag Oldenburg]
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Armutsbekämpfung und Mikrofinanzierung
Acumen Fund (www.acumenfund.org) Gemeinnütziger Venture Fund, der sich insbesondere in der globalen Armutsbekämpfung engagiert [vgl. Beiträge Breidenbach; Kuhlemann] Grameen Bank (www.grameen.org) 1983 von Muhammad Yunus in Bangladesh gegründetes Mikrofinanz-Institut, das Mikrokredite an Menschen ohne Einkommenssicherheiten vergibt [vgl. Beiträge Beckmann; Gergs; Habisch; Hackl; Knüppel/Groß; Oldenburg; Spiegel; Stein] kiva (www.kiva.org) Gemeinnützige Mikrofinanz-Organisation mit Sitz in San Francisco, die über das Internet Mikrokredite an Kleinunternehmen v.a. in Entwicklungsländern vergibt [vgl. Beiträge Achleitner et al.; Breidenbach] Kleinkreditbank BRAC (www.brac.net) Das Bangladesh Rural Advancement Committee ist neben der Grameen Bank die größte Mikrofinanz-Organisation in Bangladesh [vgl. Beitrag Spiegel] Kopeme Bank (www.kopeme.org) Mikrofinanz-Institut in Togo, das seit 1999 – analog der Grameen Bank in Bangladesh – durch Mikrokreditvergabe Armut im ländlichen Räumen bekämpft [vgl. Beitrag Kuhlemann] Mikrokreditfonds Deutschland (www.mikrokreditfonds.de) Mit der von Falk Zientz entwickelten Plattform für lokale Organisationen und Netzwerke will die Bundesregierung Kleinstunternehmen und GründerInnen den Zugang zu Mikrofinanzkapital schaffen [vgl. Beitrag Oldenburg]
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MyC4 (www.myc4.com) Der dänische Internet-Startup C4-World ermöglicht AnlegerInnen, Mikrokredite an afrikanische Kleinunternehmende zu vergeben [vgl. Beiträge Achleitner et al.; Breidenbach] Opportunity International Deutschland (www.oid.org; www.opportunity.org) Gemeinnützige Stiftung und Teil des weltweiten Opportunity-Netzwerkes, die mit Mikrofinanz-Instrumenten in 26 Entwicklungsländern arme, aber unternehmerisch motivierte Menschen fördert [vgl. Beitrag Knüppel/Groß]
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Technische Innovationen und Nachhaltigkeit
BTTR Ventures (www.bttrventures.com) 2009 von Alex Velez und Nikhil Arora gegründetes Handelsunternehmen in Kalifornien, das auf Kaffeeabfällen angebaute Pilze vermarktet [vgl. Beitrag Haastert/Pauli] CO2online (www.co2online.de) 2003 gegründete gemeinnützige Beratungsgesellschaft für Klimaschutzförderung in privaten Haushalten [vgl. Beitrag Oldenburg] Elektrizitätswerke Schönau (www.ews-schoenau.de) Aus einer Bürgerinitiative hervorgegangener Energieanbieter in Schönau, der sich zusammen mit Umweltverbänden für eine ökologische, dezentrale und bürgereigene Energieversorgung einsetzt [vgl. Beitrag Oldenburg] Gram Vikas (www.gramvikas.org) Indisches Sozialunternehmen zum Anschluss der ärmsten Dörfer Indiens an die öffentliche Trinkwasserversorgung verbunden mit gezielten sozialen Inklusionseffekten [vgl. Beitrag Beckmann] Grameen Shakti (www.gshakti.org) Mittlerweile erfolgreichstes Tochterunternehmen der Grameen Bank, das die Verbreitung von Solartechnik und die Nutzung anderer erneuerbarer Energie-Quellen in Dörfern in Bangladesh vorantreibt [vgl. Beitrag Spiegel] Kickstart (www.kickstart.org) 1991 von Martin Fisher und Nick Moon gegründete Organisation, die in Afrika lokale KleinunternehmerInnen mit landwirtschaftlicher Niedrigkosten-Technologie unterstützt [vgl. Beitrag Sommerrock] Regionalwert AG (www.regionalwert-ag.de) Von Freiburger Landwirt Christian Hiss initiierte Bürgeraktiengesellschaft, durch die lokale Landwirtschaft und Regionalwirtschaft rund um Freiburg sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig gestaltet werden soll [vgl. Beiträge Breidenbach; Oldenburg] SEKEM (www.sekem.com) Ägyptisches Sozialunternehmen, das durch biologische Anbaumethoden die ökologischen und sozialen Schädigungen des intensiven Pestizideinsatzes im ägyptischen Baumwollanbau zu vermeiden sucht [vgl. Beitrag Beckmann] Solarlite GmbH (www.solarlite.de) Das Unternehmen mit Sitz in Mecklenburg-Vorpommern hat ein innovatives, mit thermischer Solarenergie betriebenes Minikraftwerk entwickelt, das leicht benutzbar und kosteneffizient ist [vgl. Beitrag Breidenbach] ZERI Foundation (www.zeri.org) Von Gunter Pauli gegründete Einrichtung, welche weltweit das Prinzip der „Zero-Emissions“ (Blue Economy) vertritt [vgl. Beitrag Pauli/Haastert]
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Verzeichnis der Web-Links
Beratung und Förderung von Social Entrepreneurship
Active Philanthropy gGmbH (www.activephilanthropy.org) Gemeinnütziges Forum in Berlin, das sozial motivierte UnternehmerInnen bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Stiftungs- und Spendenstrategie unterstützt und begleitet [vgl. Beiträge Alberg-Seberich/Wolf; Dölle] Ashoka (www.ashoka.org; www.germany.ashoka.org) 1980 von Bill Drayton gegründete international tätige Organisation zur Identifikation und Unterstützung von Social Entrepreneurs und Sozialunternehmen [vgl. Beiträge Achleitner et al.; Dölle; Habisch; Heinze et a.; Oldenburg; Roder et al.; Sievert; Spiegel; Stein] Enterprise (www.enterprise-netz.de) Online-Plattform zur Beratung und Begleitung von jungen ExistenzgründerInnen [vgl. Beitrag Oldenburg] New Philanthropy Capital – NPC (www.philanthropycapital.org) Gemeinnützige Organisation in Großbritannien, die unabhängige Analysen für den effektiven Einsatz von finanziellen Mitteln im Non-Profit-Bereich erstellt [vgl. Beitrag Achleitner et al.] Phineo gAG (www.phineo.org) Die Berliner Plattform für Soziale InvestorInnen versteht sich als wissensbasierte Brücke zwischen Anlegenden und gemeinnützigen Organisationen [vgl. Beitrag Achleitner et al.] Schwab-Foundation for Social Entrepreneurship (www.schwabfound.org) 1998 von Klaus und Hilde Schwab gegründete gemeinnützige Organisation, welche Social Entrepreneurs professionelle Unterstützung bietet [vgl. Beiträge Beckmann; Dölle; Heinze et al.; Roder et al.; Spiegel; Stein] Skoll Foundation (www.skollfoundation.org) Die 1999 von Jeff Skoll mit dem Ziel der Unterstützung von SozialunternehmerInnen gegründete Stiftung zählt mittlerweile zu den bedeutendsten Stiftungen im Bereich der Förderung von Social Entrepreneurship [vgl. Beiträge Beckmann; Spiegel; Stein] Startsocial (www.startsocial.de) Bundesweiter Wettbewerb für soziale Ideen und Non-Profit-Organisationen in Deutschland [vgl. Beitrag Dölle]
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Finanzierung und Venture Capital
Amazee (www.amazee.com) Internationale Online-Plattform für sozialunternehmerische Projektideen, Erfahrungsaustausch und finanzielle Förderung/Beteiligung [vgl. Beiträge Dölle; Oldenburg] betterplace (www.betterplace.org) Spendenplattform für soziale Initiativen und Sozialunternehmen mit Fokus auf regionalen Projekten und Ehrenamt [vgl. Beiträge Breidenbach; Dölle; Oldenburg] Bridges Community Ventures (www.bridgesventures.com) Sozialer Investment- und Regionalentwicklungsfonds, der in innovative Nachhaltigkeitsprojekte mit finanzieller, sozialer und ökologischer Rendite investiert [vgl. Beitrag Breidenbach] BonVenture gGmbH (www.bonventure.de) Unterstützt seit 2003 mit Social Venture Capital v.a. Sozialunternehmen, die sich langfristig selbst tragen können und ein reproduzierbares Geschäftskonzept verfolgen [vgl. Beiträge Achleitner et al; Alberg-Seberich/Wolf; Breidenbach; Dölle; Habisch]
Verzeichnis der Web-Links
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Bovespa (www.bmfbovespa.com.br) An der Bolsa de Valores de Sao Paulo gründete Celso Grecco die weltweit erste Sozialbörse [vgl. Beitrag Breidenbach] Canopus Foundation (www.canopusfund.org) Deutsche Venture Philanthropy Organisation mit Fokus auf ökologische Innovationen in Entwicklungsländern [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] EDA CapitalConnect (www.edacapitalconnect.com) Online-Plattform, die SozialunternehmerInnen, institutionelle Anlegende und InvestorInnen weltweit in der Kontaktaufnahme unterstützt [vgl. Beitrag Breidenbach] Ethical Property Company (www.ethicalproperty.co.uk) Britische Förderorganisation, die mit ganzheitlichem Ansatz innovative Projekte/Initiativen durch ethisch motiviertes Anlagekapital unterstützt [vgl. Beitrag Kuhlemann] GLS Bank (www.gls.de) Sozial u. ökologisch orientierte Gemeinschaftsbank in Deutschland [vgl. Beitrag Breidenbach] Impetus Trust (www.impetus.org.uk) Von Steven Dawson gegründeter Social Investment Fund mit Fokus auf Großbritannien, der sich mit Eigenkapital an sozialen Projekten beteiligt [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] NESsT (www.nesst.org) Social Investment Fund zur Unterstützung von sozialen und ökologischen Projekten und von Non-Profit-Organisationen in Osteuropa und Entwicklungsländern [vgl. Beitrag Breidenbach] New Profit Inc. (www.newprofit.com) 1998 von Vanessa Kirsch gegründete Venture Capital-Organisation in Boston [vgl. Beitrag Breidenbach] Noaber Foundation (www.noaber.com) Social Investment Fund mit Fokus auf Holland, der Darlehen, Eigenkapital und Spenden vergibt [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] Private Equity Foundation (www.privateequityfoundation.org) Die 2006 gegründete und in London ansässige Organisation unterstützt gemeinnützige Organisationen, die sich um junge Menschen mit prekärem Bildungshintergrund kümmern [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] responsAbility Social Investments AG (www.responsability.com) 2003 gegründetes schweizerisches Kreditinstitut im Bereich sozialer Investments, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern (v.a. Mikrofinanz, KMU-Finanzierung, Fair Trade, freie Medien) [vgl. Beitrag Achleitner et al.] smava (www.smava.de) Deutsche Online-Plattform für peer-to-peer-Geldleihen [vgl. Beitrag Breidenbach] Social Impact Bonds (www.socialfinance.org.uk) Innovativer Finanzierungspilot in Großbritannien – private InvestorInnen übernehmen das Risiko sozialunternehmerischer Maßnahmen und die Rendite orientiert sich an der öffentlichen Einsparung [vgl. Beitrag Achleitner et al.] Social Venture Fund (www.socialventurefund.com) Erster international investierender Social Venture Capital Fund in Deutschland. Investiert in Sozialunternehmen, die innovative Antworten auf drängende soziale oder ökologische Fragen liefern [vgl. Beiträge Achleitner et al.; Alberg-Seberich/Wolf]
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Verzeichnis der Web-Links
Social Venture Partners (www.svpi.org) Netzwerk zur Unterstützung von Social Entrepreneurs und Non-Profit-Organisationen in den USA [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf] Tridos Bank (www.tridos.de) Sozial und ökologisch orientierte Bank in Großbritannien, Benelux und Deutschland [vgl. Beitrag Breidenbach] Umweltbank (www.umweltbank.de) 1995 von Horst Popp gegründetes deutsches Kreditinstitut mit v.a. ökologischem Schwerpunkt [vgl. Beitrag Achleitner et al.] Venture Philanthropy Partners (www.vppartners.org) Venture Philanthropy- und Social Investment Fund mit regionalem Fokus auf Südamerika, Afrika, Süd- und Südostasien [vgl. Beitrag Alberg-Seberich/Wolf]
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Sonstige – Initiativen, NGOs, ThinkTanks, Stiftungen und Medien
Abgeordnetenwatch (www.abgeordnetenwatch.de) 2004 eingerichtete unabhängige Internetplattform, die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit eröffnet, KandidatInnen und Abgeordnete verschiedener Parlamente öffentlich zu befragen [vgl. Beitrag Oldenburg] Bill & Melinda Gates Foundation (www.gatesfoundation.org) 1999 von Bill Gates gegründete, weltweit mit Abstand größte Privat-Stiftung, insbesondere tätig im Bereich der Gesundheitsförderung und -vorsorge in Entwicklungsländern [vgl. Beitrag Stein] Clinton Foundation / Clinton Climate Initiative (www.clintonfoundation.org) und Clinton Global Initiative (www.clintonglobalinitiative.org) Von Bill Clinton gegründete Stiftung, die sich v.a. der Aids-Bekämpfung (Global Initiative) und dem Klimaerhalt (Climate Initiative) verschrieben hat [vgl. Beitrag Stein] enorm – Wirtschaft für den Menschen (www.enorm-magazin.de) 2010 gegründetes Magazin für Social Business und gesellschaftliche Innovation [vgl. Beitrag Beckmann] Genisis Institute for Social Business (www.genisis-institute.org) 2008 von Peter Spiegel in Berlin gegründeter Think-Tank für Social Business und Social Impact Business [vgl. Beitrag Spiegel] Global Reporting Initiative (www.globalreporting.org) Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen zur Entwicklung eines Ansatzes für die Erfassung von sozialen und ökologischen Einflüssen [vgl. Beitrag Kuhlemann] Habitat for Humanity (www.habitat.org) Die 1976 gegründete internationale Organisation baut in 90 Ländern mit Hilfe von Spenden und Freiwilligen sichere und angemessene Unterkünfte für bedürftige Familien und organisiert den Wiederaufbau in Katastrophengebieten [vgl. Beitrag Sommerrock] International Bridges to Justice (www.ibj.org) 2000 von Karen Tse initiierte, international tätige Non Profit-Organisation zur Wahrung von Bürgerrechten und Sicherstellung fairer Gerichtsverfahren insbesondere in Entwicklungsländern [vgl. Beitrag Stein] Oxfam (www.oxfam.org; www.oxfam.de) 1942 gegründete unabhängige u. international tätige Hilfs- und Entwicklungsorganisation, die sich weltweit gegen Hunger, Armut und soziale Ungerechtigkeit einsetzt [vgl. Beitrag Stein]
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The Giving Pledge (www.givingpledge.org) 2010 von Bill Gates und Warren Buffett initiierter Appell an US-amerikanische ‚Superreiche‘, das Versprechen abzugeben, einen Teil ihres Vermögens für soziale Zwecke zur Verfügung zu stellen [vgl. Beitrag Stein] Transparency International (www.transparency.org) 1993 von Peter Eigen gegründete weltweit agierende NGO mit Sitz in Berlin, die sich in der nationalen und internationalen Korruptionsbekämpfung engagiert [vgl. Beitrag Beckmann]