Petra Jähnke · Gabriela B. Christmann · Karsten Balgar (Hrsg.) Social Entrepreneurship
Petra Jähnke · Gabriela B. Christmann Karsten Balgar (Hrsg.)
Social Entrepreneurship Perspektiven für die Raumentwicklung
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Aus dem alleinigen Grund der besseren Lesbarkeit der Beiträge wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet, sondern überwiegend die männliche Form verwandt. Frauen und Männer sind damit immer gleichermaßen gemeint und angesprochen. . 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16895-1
Inhalt Petra Jähnke, Gabriela B. Christmann und Karsten Balgar Zur Einführung: Social Entrepreneurship und Raumentwicklung. . . . . . . . . .
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Teil 1: Social Entrepreneurship im Spannungsfeld zwischen Sozialwirtschaft und Bürgerschaftlichem Engagement Karl Birkhölzer Internationale Perspektiven sozialen Unternehmertums . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Sebastian Braun Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Unternehmen . . . . . . . . 37 Peter Spiegel Social Business – Perspektive der innovativen Versöhnung von Ökonomie und sozialen Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Günter Faltin Social Entrepreneurship – Zwischen Entrepreneurship und Ethik . . . . . . . . . 75 Karsten Balgar Zur ‚Verortung‘ von Social Entrepreneurship . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Teil 2: Social Entrepreneurship – Akteure, Projekte, Rahmenbedingungen Markus Strauch Social Entrepreneurs und das Gestalten innerer ‚Räume’ . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Franz Dullinger Regionalentwicklung durch Förderung von lokalem Unternehmergeist – Das Beispiel XperRegio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Norbert Kunz Aktivierung endogener Potenziale in strukturschwachen Regionen durch Social Entrepreneurship – Am Beispiel des Projektes enterprise . . . . . 127 Thomas Leppert Zur Wahrnehmung eines Phänomens: Förderpolitische Bedingungen für Social Entrepreneurship in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
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Inhalt
Gerd Künzel Social Entrepreneurship und Politik – Partnerschaftliches Handeln für sozialen Zusammenhalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Felix Oldenburg Social Entrepreneurship: Ein politisches Programm zur Innovationsförderung im Sozialsektor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Saskia Bruysten und Henning Engelke Social Business in der Praxis – Ein weltweites Modell für mehr Gleichgewicht in der Globalisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Angela Lawaldt Financing Social Entrepreneurs in Europe. How Financial Intermediaries can leverage the Growth of Social Entrepreneurs . . . . . . . . . . . . 169 James W. Scott Civil Society Co-operation and ‘New Social Economies‘ at the EU’s External Frontiers: The Finnish-Russian Case . . . . . . . . . . . . . . . 175 Teil 3: Social Entrepreneurship – Innovative Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen Gabriela B. Christmann Soziale Innovationen, Social Entrepreneurs und Raumbezüge . . . . . . . . . . . . 193 Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung Beiträge von Social Entrepreneurs und ihren sozialen Netzwerken . . . . . . . . 211 Thilo Lang Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung – Zwischen Anerkennung und Ignoranz. . . . . . . . . 235 Maria Anastasiadis ECO-WISE – Regionale Verankerung von nachhaltigen Social Entrepreneurs in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Rafael Ziegler Capability Innovation – Social Entrepreneurship und soziale Innovation aus Entwicklungsperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
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Zur Einführung: Social Entrepreneurship und Raumentwicklung Petra Jähnke, Gabriela B. Christmann und Karsten Balgar
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Gesellschaftliche Relevanz des Themas, Forschungsstand und Zielstellung des Bandes
Stadtgebiete mit vielfältigen sozialen Problemlagen und ausgeprägten NegativImages wie auch strukturschwache, von Abwanderung gekennzeichnete ländliche Regionen stellen eine Herausforderung für die Stadt- und Regionalentwicklung dar. Obgleich die sozialwissenschaftliche Forschung1 in diesen Bereichen intensiv ist und auch die Politik Programme aufgesetzt hat, um den Problemen in erfolgversprechender und nachhaltiger Weise begegnen zu können (vgl. z. B. das Programm „Soziale Stadt”2), ist der Informations- und Handlungsbedarf immer noch groß. Die Bemühungen der Politik werden zudem durch die Folgen von Globalisierungstendenzen, Prozesse des demographischen Wandels und rekurrierende Finanzkrisen konterkariert. Der Staat ist mit dem Anspruch, räumliche Disparitäten auszugleichen, ‚gleichwertige’ Lebensverhältnisse zu ermöglichen und Lösungen für soziale Problemlagen zu erwirken, als alleiniger Akteur überfordert. Er braucht starke Partner, die sich sozialer Probleme annehmen und in der Lage sind, innovative Lösungsansätze zu entwickeln bzw. durchzusetzen. Häu¿g wird im Zusammenhang mit der Frage, wie der Staat seine Verantwortung mit gesellschaftlichen Akteuren teilen kann, über mögliche Beiträge Bürgerschaftlichen Engagements diskutiert. Zwar ist Bürgerschaftliches Engagement von zentraler Bedeutung für eine Gesellschaft. Gleichzeitig muss aber aus verschiedenen Gründen auch auf die Grenzen dieses Ansatzes hingewiesen werden: Die Arbeit im Rahmen von Bürgerschaftlichem Engagement ist freiwillig, sie ist für die engagierten Bürger nur zeitlich begrenzt möglich und muss nahezu ohne ¿nanzielle Ressourcen auskommen. Vor diesem Hintergrund werden heute vermehrt Hoffnungen auf Menschen 1
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Vgl. dazu etwa im Bereich der Stadtforschung Aehnelt et al. (2009), Blasius et al. (2008), Dangschat (2004), Drever (2004), Friedrichs/Triemer (2008), Gesemann/Roth (2009), Günter (2009), Häußermann (2003), Heitmeyer/Anhut (2000), Läpple/Walter (2007), Planerladen (2009), Schader Stiftung et al. (2005). Vgl. z. B. Eckardt (2004), Greiffenhagen/Neller (2005), Günter (2007), Nickel (2009), Stegen (2006), Walther (2002) für die Entwicklungen im Programm „Soziale Stadt”.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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gesetzt, die sich als ‚Social Entrepreneurs‘ der Lösung sozialer Aufgaben mit unternehmerischen Mitteln zuwenden. Social Entrepreneurs wird das Potenzial zugebilligt, sozialinnovative Errungenschaften zu ermöglichen, gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und nachhaltige Lösungsansätze zu initiieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die Aktivitäten von Social Entrepreneurs sowohl räumliche Voraussetzungen als auch räumliche Wirkungen haben (vgl. Christmann in diesem Band). Was den Forschungsstand zum Gegenstand des Social Entrepreneurship angeht, so hat sich – neben eher deskriptiv und populärwissenschaftlich gehaltenen Arbeiten, die in erster Linie Social Entrepreneurs-Projekte vorstellen und auf deren Erfolge verweisen (vgl. z. B. Leadbeater 1997, Bornstein 2007) – seit kurzer Zeit auch in Deutschland ein Forschungsbereich etabliert, in dessen Rahmen vor allem institutionelle, unternehmerische, ¿nanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen von Social Entrepreneurs erforscht werden (vgl. dazu vor allem Achleitner 2006, Achleitner et al. 2009). In diesem Forschungsfeld sind in disziplinärer Hinsicht bislang die Wirtschaftswissenschaften stark vertreten (vgl. Mair et al. 2006, Light 2008, Nicholls 2006). Zunehmend werden auch sozialwissenschaftliche Ansätze an den Gegenstand herangetragen (vgl. z. B. Birkhölzer in diesem Band). Raumbezüge sind in diesem Rahmen jedoch bisher nicht erforscht worden. Auch Erkenntnisse der bisherigen sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung wurden dort kaum fruchtbar gemacht. So sind etwa die Rolle von sozialen Netzwerken und von Komunikationsstrukturen für die Ideengenerierung, die praktische Umsetzung und die Verbreitung von sozialen Innovationen weitgehend unberücksichtigt geblieben. Dies zeigte sich auch in dem Workshop „Social Entrepreneurs in Deutschland – Raumansprüche und Raumwirkungen“, in welchem Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft diskutierten.3 Ein wesentliches Anliegen dieser Veranstaltung war es, ‚Leerstellen’ sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch im gesellschaftlichen Diskurs zu Social Entrepreneurship zu sondieren. Deutlich wurde dort formuliert, dass die Wahrnehmung von Social Entrepreneurship-Projekten in Deutschland sehr selektiv ist und dass deren Entwicklungspotenziale für die Lösung von städtischen und regionalen sozialen Problemlagen in der Öffentlichkeit bisher kaum diskutiert werden.
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Der Experten-Workshop fand, konzipiert und vorbereitet vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) und der Heinrich Böll Stiftung, am 8. Mai 2009 in Berlin statt (vgl. Balgar 2010). Wir danken der Heinrich Böll Stiftung für die Kooperation bei der Durchführung der Veranstaltung und für die Unterstützung bei der Finanzierung dieses Sammelbandes.
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Der vorliegende Sammelband, der – erweitert um externe nationale und internationale Beiträge – als wissenschaftliche Dokumentation des Workshops zu verstehen ist, knüpft an die dort geführten Diskussionen an. Ziel ist es, und dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Alleinstellungsmerkmal des Bandes, Social Entrepreneurship im Zusammenhang mit Fragen der Raumentwicklung zu thematisieren und sowohl unter forschungs- als auch unter anwendungsbezogenen Aspekten zu beleuchten. Es sollen der gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnisstand verdeutlicht, die vorliegenden praktischen Erfahrungen skizziert, Problemlagen veranschaulicht sowie ¿nanz-, förder- und entwicklungspolitische Rahmenbedingungen diskutiert werden. In diesem Zusammenhang kommen Wissenschaftler wie auch Akteure aus der gesellschaftlichen Praxis zu Wort. 2
Begriffe, Abgrenzungen und De¿nitionsprobleme
Der Begriff des Social Entrepreneurship steht in der Tradition der europäischen Sozialwirtschaft und bezeichnet eine nachhaltigere, sozialere Art des Wirtschaftens; der Begriff des Social Entrepreneurs bezieht sich dabei auf eine Art Visionär bzw. Entrepreneur, dem es in erster Linie um das soziale Anliegen im unternehmerischen Tun geht (vgl. auch Balgar in diesem Band). Social Entrepreneurship kann sich in unterschiedlichen Spielarten manifestieren, die zwischen Sozialwirtschaft und Bürgerschaftlichem Engagement wie auch zwischen Großprojekt und ‚Graßwurzelverständnis’ oszillieren. Formal ist Social Entrepreneurship zum einen von Bürgerschaftlichem Engagement und zum anderen von der Corporate Social Responsibitity (CSR) und dem Corporate Citizenship (CC) von Unternehmen zu unterscheiden. In der Praxis verlaufen die Grenzen allerdings oft Àießend (vgl. Braun in diesem Band). Von Bürgerschaftlichem Engagement, das in der Regel von Privatpersonen in der Freizeit, freiwillig und ohne Bezahlung geleistet wird, grenzt sich Social Entrepreneurship durch den unternehmerischen Ansatz (bzw. die Einkommensgenerierung) ab. Von CSR und CC unterscheidet sich Social Entrepreneurship dadurch, dass es bei seinem unternehmerischen Tun den sozialen – also nicht den ökonomischen – Zweck oder Gewinn an die erste Stelle setzt. Corporate Social Responsibitity ist als ein unternehmerisches Handeln im Wirtschaftsbereich zu verstehen, das über die bloße Erfüllung von sozialgesetzlichen Vorschriften deutlich hinausgeht. Im Vordergrund steht hier also das wirtschaftliche Handeln, das aber in hohem Maße sozial verantwortungsbewusst und nachhaltig angelegt wird (vgl. Beckmann 2007). Corporate Citizenship ist darüber hinaus ein aktives Bürgerschaftliches Engagement, das die Mitglieder eines Unternehmens – ganz im Sinne der Unternehmensphi-
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losophie – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Unternehmensorganisation realisieren (vgl. ebd.). Damit wird bereits deutlich, dass die Abgrenzung und De¿nition von Social Entrepreneurship und Social Entrepreneurs nicht einfach ist. In der Fachliteratur zeigt sich einerseits ein Trend zu komplexen De¿nitionsmodellen, andererseits ist eine Kritik an dieser Komplexität erkennbar. Auch in diesem Sammelband fallen die De¿nitionsangebote der Autoren heterogen aus. Einer der wichtigsten Gründe für die Heterogenität dürften die für das Forschungsfeld charakteristischen unterschiedlichen disziplinären Zugänge, Erkenntnisinteressen und Praxisbezüge der Autoren sein. Die Begriffskonzeptionen der verschiedenen Beiträge dieses Bandes bewegen sich im Spannungsfeld zwischen normativ ausgerichteten De¿nitionen und weitgehend offen gehaltenen Suchbegriffen. Auch die Frage, ob bei der Analyse des Gegenstandes eher Social Entrepreneurs als Einzelakteure zu betrachten sind oder eher die sozialen Kontexte beleuchtet werden sollen, in denen sich Social Entrepreneurship entfalten kann, wird von den Autoren unterschiedlich beantwortet. Einig sind sich die Autoren der Fachliteratur indes darin, und dieser kleinste gemeinsame Nenner zeigt sich auch in dem vorliegenden Band, dass Social Entrepreneurs als Akteure bzw. Akteurskonstellationen zu verstehen sind, die innovative Lösungen für soziale Probleme mit unternehmerischen Mitteln entwickeln und vorantreiben. 3
Konzeption und Ertrag des Bandes
Das Phänomen Social Entrepreneurship wird in diesem Band im Rahmen von drei Themenblöcken beleuchtet: Zunächst wird das Spannungsfeld zwischen Sozialwirtschaft und Bürgerschaftlichem Engagement ausgelotet, in dem sich Social Entrepreneurship be¿ndet (Teil 1). Im Anschluss wird – am Beispiel ausgewählter Social Entrepreneurship-Projekte – gefragt, wer die Akteure sind, wie sie sich verstehen und wie sie handeln, aber auch auf welche Problemlagen die Projekte reagieren und wie sie das tun (Teil 2). Nicht zuletzt wird thematisiert, unter welchen Bedingungen Social Entrepreneurs sozialinnovativ agieren, bzw. welche Faktoren für ein solches Handeln bestimmend sind (Teil 3). Die Beiträge des ersten Themenblocks haben in der Regel einen einführenden Charakter und widmen sich grundsätzlichen Fragen. Raumbezogene Aspekte werden hier bestenfalls am Rande behandelt. Im zweiten und dritten Block werden Fragen des Raumbezugs bzw. der Raumentwicklung auf sehr unterschiedliche Weise aufgegriffen. Die Autoren legen jeweils verschiedene Raumbegriffe zugrunde, die von ‚inneren’ (sozialen) Räumen in der psychologischen Perspektive
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(bei Strauch), über soziale Kommunikations- und Handlungsräume (bei Christmann und Christmann/Jähnke) bis hin zu geopolitischen Raumdifferenzierungen mit spezi¿schen institutionellen und kulturellen Prägungen (bei Spiegel, Bruysten/Engelke, Scott und Lang) reichen. Räumlichkeit bzw. Räume werden somit in unterschiedlichen Formen und Graden explizit. Die Themenblöcke sind wie nachstehend untergliedert und widmen sich folgenden Inhalten: Teil 1: Social Entrepreneurship im Spannungsfeld zwischen Sozialwirtschaft und Bürgerschaftlichem Engagement Wie gesagt, wenden sich die Beiträge des ersten Themenblocks eher grundsätzlichen Fragen zu. Zunächst werden De¿nitionsangebote bezüglich Social Entrepreneurship im Hinblick auf sozialwirtschaftliche und bürgerschaftliche Wurzeln in nationalen und internationalen Entstehungszusammenhängen vorgestellt und diskutiert. Karl Birkhölzer plädiert in seinem Beitrag „Internationale Perspektiven sozialen Unternehmertums“ dafür, Social Entrepreneurs in die historische Tradition europäischen Sozialunternehmertums einzugliedern. Der Autor unterscheidet verschiedene soziale Formen ökonomischen Engagements und plädiert für das Konzept des ‚Sozialen Unternehmens’ als Oberbegriff. Zum Verständnis der Entwicklung einer sozialen Unternehmenskultur verweist er auf unterschiedliche ‚Bewegungsmilieus’ sowie deren zeitliche und gesellschaftliche Einordnung. Aus dieser Perspektive analysiert er sodann am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, welche Bedeutung soziales Unternehmertum für die Gesellschaft und die Raumentwicklung hat. Sebastian Braun skizziert in seinem Beitrag „Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Unternehmen“ sowohl Funktionen Bürgerschaftlichen Engagements (Co-Produzent wohlfahrtsrelevanter Leistungen, Produzent von Humankapital und Produzent von Sozialkapital) als auch Formen gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen (wie Corporate Citizenship). Er kommt zu dem Schluss, dass zukünftig im Zusammenhang mit einer veränderten Aufgabenverteilung zwischen Staat, Wirtschaft, Drittem Sektor und Privathaushalten die gesellschaftspolitische Bedeutung Bürgerschaftlichen Engagements weiter steigen wird und plädiert für eine neue Verantwortungsteilung mit gegenseitigen VerpÀichtungen. Von der Annäherung des Sozialen und der Ökonomie – dem gemeinsamen Ziel von Social Entrepreneurship und Social Business – geht der Beitrag von Peter Spiegel „Social Business – Perspektiven der innovativen Versöhnung von Ökonomie und sozialem Anliegen“ aus. Er de¿niert Social Business als Sonderform von Social Entrepreneurship, die sowohl durch soziale als auch wirtschaftliche
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Innovationen gekennzeichnet ist. Anhand von Beispielen zeigt er auf, dass diese Art von Unternehmertum nicht nur für Entwicklungsländer Bedeutung hat. Als einen vielversprechenden Ansatz für soziale Problemlösungen in der ganzen Welt sieht er die Kompetenzentwicklung Benachteiligter. Social Business könne hierfür Vieles leisten. Zur Lösung gesellschaftlicher Probleme sei deshalb ein zweifacher Paradigmenwechsel anzustreben: die Entwicklung sozialökonomischer Innovationen sowie die Entfaltung sozialer Beziehungen ‚auf Augenhöhe’. Anschließend bestimmt Günter Faltin in seinem Beitrag „Social Entrepreneurship – Zwischen Entrepreneurship und Ethik“ diese Form des Akteurshandelns als Sonderform kreativen Unternehmertums. Aus seiner Perspektive ist die Differenz zwischen Business Entrepreneurs und Social Entrepreneurs allerdings nicht so groß, wie es oft vermutet wird: Sie haben gemeinsam, dass in ihrem Schaffen in hohem Maße Kreativität und Innovationskraft gefragt sind. Und sie werden gleichermaßen mit der gesellschaftlichen Erwartung konfrontiert, bei ihrer Arbeit effektiv zu sein. Nicht zuletzt stellt der Autor fest, dass die beiden Formen des Entrepreneurship vor dem Hintergrund gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen auch in moralischer Hinsicht konvergieren. Der Beitrag von Karsten Balgar „Zur ‚Verortung’ von Social Entrepreneurship“ widmet sich sozio-räumlichen und forschungsgeschichtlichen Aspekten des Phänomens. Einerseits setzt er sich mit den unterschiedlichen sozio-kulturellen Entstehungskontexten von Social Entrepreneurship, andererseits mit verschiedenen Ansätzen der theoretischen Konzeptualisierung auseinander. Er benennt Forschungsdesiderate auf diesen Gebieten und vertritt die Auffassung, dass erst eine Berücksichtigung von raumspezi¿schen bzw. sozio-kulturellen Perspektiven in der Forschung sowie die Bereitschaft, dieses sozial-unternehmerische Handeln als ambivalentes Phänomen zu begreifen, Aufschluss über das tatsächliche gesellschaftliche Potenzial von Social Entrepreneurship geben wird. Teil 2: Social Entrepreneurship – Akteure, Projekte, Rahmenbedingungen Im zweiten Themenblock des Sammelbandes werden sowohl konkrete Social Entrepreneurs mit ihren Handlungsmotivationen, Projekten und Praxiserfahrungen untersucht als auch regionale und nationale Rahmenbedingungen für die Initiierung bzw. Förderung von Social Entrepreneurship. Der Beitrag von Markus Strauch „Social Entrepreneurs und das Gestalten innerer ‚Räume’” richtet zunächst den Blick aus einer psychologischen Perspektive auf Persönlichkeitsprägungen und Handlungsmotive von Social Entrepreneurs, d. h. auf das ‚Selbst’ mit seiner persönlichen Identität und dem Ziel der ‚Selbstwertschöpfung’ wie auch der (Neu-)Gestaltung des ‚Zwischenmenschlichen’. Besonders wird der Gestalt-
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Ansatz hervorgehoben, der als vielversprechend für das Verständnis von Social Entrepreneurs und die Entwicklung von Social Entrepreneurship dargestellt wird. Die theoretischen Überlegungen werden mit empirischen Befunden aus (biographischen) Interviews mit Social Entrepreneurs untersetzt. Abschließend plädiert der Autor für die Schaffung eines geeigneten ‚sozialen’ Raums, in dem sich Social Entrepreneurship entwickeln kann. Franz Dullinger berichtet in seinem Beitrag „Regionalentwicklung durch Förderung von lokalem Unternehmergeist – das Beispiel XperRegio“ von den Erfahrungen, die im Rahmen des maßgeblich von ihm in Oberbayern gegründeten Projekts gewonnen wurden. Dullinger wurde für dieses Projekt von Ashoka als „Fellow” ausgezeichnet (siehe auch Oldenburg in diesem Band). Kennzeichnend für das Projekt ist, dass es neue Formen der Kooperation zwischen Politik, Wirtschaft und engagierten Bürgern etabliert hat. In dem Beitrag wird die regionale Verankerung von XperRegio aufgezeigt. Es wird deutlich, welche sozialräumlichen Faktoren und Bedingungen maßgeblich zum Erfolg und der Weiterentwicklung des Projektes beigetragen haben. Mit dem Beitrag von Norbert Kunz, ebenfalls einem Ashoka-Fellow, „Aktivierung endogener Potenziale in strukturschwachen Regionen durch Social Entrepreneurship – am Beispiel des Projektes enterprise“ wird verdeutlicht, wie durch sozialunternehmerische Aktivitäten im Land Brandenburg regionale Potenziale gestärkt und weitere innovative Projekte angeregt werden konnten. Das Projekt, das auf das Empowerment benachteiligter Zielgruppen (in diesem Falle junger Arbeitsloser) und die Aktivierung von Unternehmensgründungen setzt, wurde wegen seiner Erfolge auch auf andere Regionen in den neuen Bundesländern übertragen. Den Beiträgen der Ashoka-Fellows folgen Texte, die sich vor allem mit den Rahmenbedingungen von Social Entrepreneurship auseinandersetzen. Der Aufsatz von Thomas Leppert „Zur Wahrnehmung eines Phänomens: Förderpolitische Bedingungen für Social Entrepreneurship in Deutschland“ hinterfragt das Konzept Social Entrepreneurship kritisch, plädiert für ein ‚prozessorientiertes’ Verständnis sozial-unternehmerischen Handelns und die Entwicklung darauf bezogener Analyseperspektiven. Der Autor argumentiert, dass bei den Analysen von Social Entrepreneurship künftig die spezi¿sch deutschen Besonderheiten beachtet werden müssten. Er hält eine offene Debatte für notwendig, die über die Ziele und Wirkungen der unterstützenden Bereiche Wissenschaft, Förderinstitutionen und Politik zu führen sei. Zudem plädiert er dafür, der ‚Elitisierung’ von Social Entrepreneurship in Deutschland dadurch zu begegnen, dass auch kleinere und bisher unbeachtete Initiativen in die Analysen einbezogen werden. Ein wissenschaftliches Monitoring von Social Entrepreneur-Projekten hält er für unabdingbar.
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An der Frage der Wahrnehmung von Social Entrepreneurship setzt der Beitrag von Gerd Künzel „Social Entrepreneurship und Politik – Partnerschaftliches Handeln für sozialen Zusammenhalt?“ an. In Verbindung mit Bürgerschaftlichem Engagement sieht er in den Aktivitäten von Social Entrepreneurs ein bisher noch weitgehend brach liegendes Potenzial. Konkret diskutiert er dies am Beispiel von ländlichen, strukturschwachen Regionen und der Frage, wie dort soziale Lebensqualität gesichert werden kann. Es wird untersucht, wie Social Entrepreneurs bei ihrer Suche nach Lösungen und der Entwicklung von Projekten – mit ‚innovativer und kreativer‘ Unterstützung der Politik – gefördert werden können. Verdeutlicht werden die Überlegungen am Beispiel des Modells „KindertagespÀege als freiberuÀiche Tätigkeit“ in Brandenburg. Auch der Vorsitzende von Ashoka in Deutschland, der weltweit bedeutendsten Förderorganisation im Bereich Social Entrepreneurs, Felix Oldenburg, setzt sich in seinem Beitrag „Social Entrepreneurship: Ein politisches Programm für Innovationsförderung im Sozialsektor“ für Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Politik und Social Entrepreneurship ein. Dabei zeigt er das Potenzial von Social Entrepreneurs unter den spezi¿schen Bedingungen in Deutschland auf und benennt die Konditionen, unter denen ihre Arbeit erfolgreicher verlaufen könnte. Notwendig wären demnach die Herstellung einer ‚Kultur der Anerkennung’ für Unternehmertum im Sozialsektor, die Schaffung geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen und die Entwicklung von Organisationsformen zwischen Kommerzialität und Vereinsrecht sowie die Bereitstellung einer ¿nanziellen Infrastruktur zur nachhaltigen Förderung von Social Entrepreneurs. Die folgenden Beiträge widmen sich Projekten und Rahmenbedingungen von Social Entrepreneurship im internationalen Bereich. Saskia Bruysten und Henning Engelke stellen unter dem Titel „Social Business in der Praxis – Ein weltweites Modell für mehr Gleichgewicht in der Globalisierung?“ die Ziele von Social Business und deren Potenziale zur Lösung sozialer Probleme in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Insbesondere mit Beispielen aus Entwicklungsländern verdeutlichen die Autoren, dass unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialräumlichen und regionalkulturellen Besonderheiten sowohl sozialökonomische Innovationen initiiert als auch regional-ökonomische und entwicklungspolitische Innovationen ermöglicht werden können. Der Beitrag von Angela Lawaldt „Financing Social Entrepeneurs in Europe. How Financial Intermediaries can leverage the Growth of Social Entrepreneurs?“ lenkt den Fokus auf ein Finanzierungs- und Geschäftsmodell von Social Entrepreneurship, auf ‚hybride Konzepte’, die sowohl Spenden und Fördermittel als auch eigene Einnahmen vorsehen. Da der Finanzmarkt für Social Entrepreneurs noch fragmentiert und nicht voll entwickelt ist, fehlt es bisher in Deutschland und
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anderen europäischen Ländern an Social Investment Fonds, die auf die Besonderheiten dieser Unternehmen spezialisiert sind. Der letzte Beitrag in diesem Teil von James W. Scott „Civil Society Co-operation and ‚New Social Economies’ at the EU’s External Frontiers: The FinnishRussian Case“ widmet sich sozialen Problemlagen in Grenzregionen Nordosteuropas, die im Zuge der Transformationsprozesse der letzten 20 Jahre entstanden sind bzw. sich verschärft haben. Anhand zweier EU-Projekte gibt der Autor Einblicke in die Spezi¿k grenzüberschreitender Kooperationen im sozialen Bereich (in den Feldern Sozialleistungen und Gesundheit). Im Mittelpunkt stehen zivilgesellschaftliche Organisationen und deren Einbindung in Netzwerke, die in den untersuchten Grenzregionen bei der Lösung sozialer Probleme eine wichtige Rolle spielen. Er arbeitet sozialräumliche und sozioökonomische Bedingungen und Faktoren der Zusammenarbeit dieser Akteure heraus und benennt Potenziale für die regionale Entwicklung. Teil 3: Social Entrepreneurship – Innovative Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen Abschließend widmet sich der Sammelband dem Gesichtspunkt des sozialinnovativen Handelns von Social Entrepreneurs und Social Entrepreneurship. Es wird danach gefragt, unter welchen Bedingungen die Akteure soziale Innovationen entwickeln, verbreiten und räumlich verankern können. Der Beitrag von Gabriela B. Christmann „Soziale Innovationen, Social Entrepreneurs und Raumbezüge“ leitet diesen Teil ein. Ausgehend von De¿nitionsansätzen, die in der Literatur inzwischen zum Begriff der sozialen Innovation vorliegen, thematisiert sie die Phasen des Innovationsprozesses und weist darauf hin, dass in allen Phasen nicht nur einzelne Akteure agieren, sondern soziale Netzwerke und Praktikergemeinschaften zusammenwirken. Der Begriff des Social Entrepreneurship bilde diesen Umstand sehr gut ab und sei daher dem vielfach verbreiteten Begriff des Social Entrepreneurs, der vor allem auf die charismatische Führungskraft des Einzelakteurs abhebe, vorzuziehen. Nach der Diskussion und Herleitung des Konzepts der ‚sozialen Innovation’ wird dieses auf das Handeln von Social Entrepreneurs bezogen. Explizit werden dabei deren sozialräumliche Kontexte und gesellschaftliche Rahmenbedingungen thematisiert. Hervorgehoben wird, dass für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Ideen die sozialräumliche Verortung der Akteure in sozialen Netzwerken und dass kommunikative Prozesse zentral sind. Abschließend werden Desiderate im Bereich der Social Entrepreneur-Forschung benannt. Vor diesem Hintergrund stellen Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke in ihrem Beitrag „Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwick-
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lung. Beiträge von Social Entrepreneurs und ihren sozialen Netzwerken” erste Ergebnisse aus einer Untersuchung über Raumpioniere vor, unter denen auch Social Entrepreneurs identi¿ziert werden konnten. Am Beispiel zweier Social Entrepreneurs in Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg, die in diesen – durch vielfältige soziale Problemlagen und ausgeprägte Negativ-Images gekennzeichneten – Stadtteilen sozialinnovative Projekte im Bereich Kinder und Familie sowie Bildung und Kultur auf den Weg bringen, wird aufgezeigt, welche Netzwerkbeziehungen und welche kommunikativen Strategien diese Akteure entwickeln und im Kontext welcher Rahmenbedingungen dies geschieht. Zugrunde gelegt wird der in dem Raumpionier-Projekt neu entwickelte theoretische Ansatz der kommunikativen Raumkonstruktion. Abschließend folgt eine Diskussion der Potenziale, die sich daraus für die Quartiersentwicklung ergeben. Der Beitrag von Thilo Lang „Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschaftsund Beschäftigungsförderung – Zwischen Anerkennung und Ignoranz“ widmet sich ebenfalls Lösungsansätzen für städtische Problemlagen. Er untersucht die Erfolgsbedingungen der sozialen Ökonomie in Deutschland im Vergleich zu Großbritannien als Bestandteil von Strategien einer integrierten Stadtentwicklung bzw. Urban Regeneration. Gezeigt wird dies am Beispiel lokaler Initiativen, ihren räumlichen Wirkungen sowie ihrer Teilhabe an Entscheidungsprozessen in vier altindustriell geprägten Klein- und Mittelstädten Deutschlands bzw. Englands. Als konzeptionelles Gerüst zum Verständnis lokalen Handelns dienen ihm Ansätze der Neuen Institutionentheorie. Der Autor verdeutlicht, dass die jeweiligen lokalen institutionellen Rahmenbedingungen einen entscheidenden EinÀuss auf die spezi¿schen Ausprägungen und den Erfolg sozialer Ökonomien haben. Hier knüpft auch Maria Anastasiadis mit ihrem Beitrag „ECO-WISE – Regionale Verankerung von nachhaltigen Social Entrepreneurs in Österreich“ an. Sie untersucht dies am Beispiel sozialwirtschaftlich agierender Arbeitsmarktintegrationsunternehmen mit ökologischer Fokussierung an der Schwelle zwischen Markt und Staat (ECO-WISEs). Es werden die KonÀiktfelder aufgezeigt, in denen sich diese Social Entrepreneurs bewegen, und die Entwicklungspotenziale benannt, die von den Akteuren selbst gesehen werden. Anknüpfend wird auf weiterführende interdisziplinäre Forschungen verwiesen. Rafael Ziegler widmet sich mit seinem Beitrag „Capability Innovation – Social Entrepreneurship und soziale Innovation aus Entwicklungsperspektive“ der komplexen Fragestellung: Wie lässt sich das vielschichtige Verhältnis zwischen Social Entrepreneurship und gesellschaftlicher Entwicklung fassen? Um das Verhältnis von sozialem Wandel und Social Entrepreneurship jenseits normativer Kategorien bestimmen zu können, schlägt er den ‚Capability‘-Ansatz als Perspektive vor. Vor diesem Hintergrund könne ein explizites Verständnis darüber entfaltet
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werden, welche Rolle Social Entrepreneurs auf der Basis der von ihnen vorangetriebenen sozialen Innovationen für die gesellschaftliche Entwicklung haben. Wie erwähnt, ist ‚Raum’ als analytische Kategorie in der Erforschung von Social Entrepreneurs und Social Entrepreneurship bisher kaum zu ¿nden. Ein wichtiger Ertrag dieses Bandes ist daher, dass im Zusammenhang mit dem Handeln dieser Akteure erstmals Aspekte des Raumbezugs und der Raumentwicklung berücksichtigt werden. Dies geschieht aus der Perspektive unterschiedlicher disziplinärer Zugänge und erfolgt für verschiedenste Aspekte des Phänomens: angefangen von der Einbettung der Akteure und ihres sozialinnovativen Handelns in sozialräumliche Strukturen über Aspekte der Nachhaltigkeit ökonomischen Handelns im Sozialraum bis hin zu sozialräumlich spezi¿schen Finanzierungsmodi für Projekte. Im Rahmen der dargestellten Praxisbeispiele wird auch erkennbar, dass es deutliche Hinweise auf eine ‚Raumwirksamkeit’ von Social Entrepreneur-Projekten gibt. Es zeigt sich also, dass die Projekte Impulse für die Raumentwicklung geben. Insgesamt bieten jedoch die bislang vorliegenden Arbeiten bestenfalls erste ‚Ansatzpunkte’ für ein besseres Verständnis des Verhältnisses von ‚Social Entrepreneurship und Raum’ an. Es wird eine Aufgabe für die Zukunft sein, weitere systematische raumwissenschaftliche Forschungen auf diesem Gebiet voranzutreiben. Erste Überlegungen dazu wurden in diesem Band vorgestellt (vgl. Balgar und Christmann). Eines ist offensichtlich: Bei Social Entrepreneurship handelt es sich um ein Experimentierfeld für innovative Lösungen im Hinblick auf sozialen Problemlage (in Städten und Regionen). Es zeichnet sich auch ab, dass Social Entrepreneurs im Rahmen kommunikativer Aushandlungsprozesse in sozialen Netzwerken bzw. Praktikergemeinschaften sowohl ihre z. T. widersprechenden (Sub-)Identitäten (z. B. als Unternehmer und Sozialarbeiter, vgl. Strauch in diesem Band) integrieren, als auch die Ideen¿ndung, Entwicklung und Verbreitung sozialer Innovationen vorantreiben (vgl. Christmann in diesem Band). Künftig ist eine genauere empirische Erforschung dieser Prozesse erforderlich, um den Entwicklungsgang sozialer Innovationen – von der Idee über die Anwendung bis hin zu deren Verbreitung – besser verstehen zu können. Daraus ließen sich dann systematische Aussagen zu den ‚sozialen‘ Erfolgsfaktoren ableiten, die, wie in diesem Sammelband verdeutlicht, untrennbar mit den räumlichen und kulturellen, aber auch zeitlichen/historischen und institutionellen Einbettungen der handelnden Akteure verbunden sind (vgl. insbesondere Beiträge von Dullinger, Kunz, Scott, Christmann/Jähnke und Lang). Insgesamt liefert der vorliegende Band also wichtige Ansatzpunkte für die Betrachtung von Social Entrepreneurship, soziale Innovationen und Raumentwicklung und eröffnet das Feld für weitere Forschungen auf diesem Gebiet.
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Petra Jähnke, Gabriela B. Christmann und Karsten Balgar
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Teil 1: Social Entrepreneurship im Spannungsfeld zwischen Sozialwirtschaft und Bürgerschaftlichem Engagement
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Internationale Perspektiven sozialen Unternehmertums Karl Birkhölzer
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Einleitung
Seit einiger Zeit tauchen in der öffentlichen Diskussion immer öfter die Begriffe ‚Social Entrepreneur‘ und ‚Social Entrepreneurship‘ auf, direkt aus dem Englischen übernommen und ohne entsprechende Versuche, sie ins Deutsche zu übersetzen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass es sich um die Übernahme von (hauptsächlich) US-amerikanischen Konzepten handelt, für die es (bislang) im Deutschen keine Entsprechungen gibt. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches, wenn nicht der Eindruck entstünde, dass es sich um etwas Besonderes, in dieser Form in Deutschland noch kaum Vorhandenes handelt. ‚Sozialunternehmer‘ und ‚Soziales Unternehmertum‘ haben aber – auch wenn die Begriffe kaum gebräuchlich sind – in Deutschland eine mehr als 150-jährige Geschichte und haben vor allem in den letzten Jahrzehnten unter den Begriffen ‚Soziale/Solidarische Ökonomie‘ und ‚Soziale Unternehmen‘ eine wachsende Bedeutung erlangt. Unterschiedliche Konzepte und eine verwirrende Vielfalt von Begriffen kennzeichnen die Diskussion um Soziales Unternehmertum. Auf dem Hintergrund der aktuellen Forschung (Kapitel 3) sowie der Entstehung, Entwicklung und Bedeutung eines wachsenden Sektors sozialer Unternehmen in Europa (Kapitel 4) wird in diesem Beitrag zunächst eine Klärung der BegrifÀichkeiten vorgenommen (Kapitel 2). Mithilfe dieses methodischen Ansatzes erfolgt anschließend eine Bestandsaufnahme der sozialen Unternehmenskultur in Deutschland und der sie tragenden sozialen Bewegungen (Kapitel 5), wobei sich ein Wirtschaftssektor von beachtlicher Größe und Leistungsvielfalt zeigt. Abschließend wird unter dem Fokus der Raumentwicklung die Bedeutung dieses Sektors für den sozialen Zusammenhalt, die Integration Benachteiligter und die Rekonstruktion Lokaler Ökonomien in wirtschaftlichen Krisenzeiten herausgestellt (Kapitel 6).
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Karl Birkhölzer
Unterschiedliche Auffassungen sozialen Unternehmertums
Was also ist ein ‚Social Entrepreneur‘ im Unterschied zu einem ‚Sozialunternehmer‘, der ein ‚Soziales Unternehmen‘ gründet oder betreibt? Die Begriffe scheinen das Gleiche zu bedeuten, be¿nden sich aber in einem unterschiedlichen kulturellen Kontext: So steht das Leitbild vom ‚Social Entrepreneur‘ in den USA in einer langen Tradition philanthropischen Unternehmertums, das bei weitgehender Abwesenheit sozialstaatlicher Regelungen als zivilgesellschaftliches Gegengewicht zu ungebremster privatwirtschaftlicher Bereicherung schon immer eine tragende Rolle in der Gesellschaft spielte. Nach diesem Verständnis ist es in erster Linie die Aufgabe privater unternehmerischer Initiative – anstelle des Staates – auch für die sozialen, ökologischen und kulturellen Belange einzutreten. Dies geschieht in der Regel dadurch, dass ein Teil der privatwirtschaftlichen Gewinne in Form von Spenden, Sponsoring oder Stiftungen an die Gesellschaft zurückgegeben wird, allerdings verbunden mit ebenfalls privater Verfügungsgewalt über die Verwendung dieser Mittel. In diesem Verständnis ist der einzelne ‚Social Entrepreneur‘ in der Tat der wichtigste Akteur sozialen Wandels oder Fortschritts. Philanthropisches Unternehmertum gibt es selbstverständlich auch (in geringerem Umfang) in Europa. Aber die sozialen Bewegungen in Europa sind stets mehr für sozialstaatliche Lösungen und eine starke öffentliche Ökonomie eingetreten, die den Schutz der sozialen, ökologischen und kulturellen Werte garantieren sollte. Die ‚Sozialen Unternehmen‘, etwa die der WohlfahrtspÀege, verstanden sich eher als subsidiäre oder ergänzende Einrichtungen zum staatlichen Wohlfahrtssystem, allerdings mit nicht unerheblichen Unterschieden im Verhältnis von öffentlicher und privater Vorsorge von Nord- nach Südeuropa. In diesem Kontext war (und ist nach allgemeinem Verständnis bis heute) der Staat der wichtigste Garant sozialen Fortschritts. Mit dessen zunehmendem Versagen (wachsende Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung) entstanden neue zivilgesellschaftliche Initiativen ökonomischer Selbsthilfe, zusammengefasst unter der (inzwischen gebräuchlichen) Sammelbezeichnung ‚Soziale Unternehmen‘. Obwohl es sich dabei in der Regel um privatrechtliche Vereinigungen handelt, haben diese Unternehmen einen eher ‚öffentlichen‘ Charakter, in dem Sinne, dass sie Aufgaben wahrnehmen, die im öffentlichen Interesse liegen, aber vom öffentlichen Sektor nicht (oder nicht ausreichend) erfüllt werden. Daneben sind andere ‚Soziale Unternehmen‘ entstanden, die auf Mängel oder Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System reagieren. Sie verstehen sich deshalb eher als Alternativen zu diesem System und orientieren sich, wie z. B. die Genossenschaftsbewegung, mehr an einem gemeinschaftlichen, kooperativen oder kollektiven Unternehmertum.
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Im Ergebnis könnten wir also zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten ‚sozialen Unternehmertums‘ unterscheiden, gekennzeichnet auf der einen Seite mit den Stichworten ‚privat – individuell – systemkonform (im marktwirtschaftlichen Sinne)‘ und auf der anderen Seite mit den Stichworten ‚öffentlich – gemeinschaftlich – alternativ‘. Mit fortschreitender Globalisierung allerdings beginnen sich diese Einstellungen zwar nicht aufzulösen, aber zu relativieren. Marktwirtschaftlich orientierte Konzepte ¿nden zunehmend Eingang in die europäische Diskussion und umgekehrt alternativökonomische Ansätze in die US-amerikanische, verstärkt durch solidarwirtschaftliche EinÀüsse aus Kanada und Lateinamerika. Dabei entsteht aus der Kombination der einzelnen Elemente nach meiner Beobachtung etwas Neues, ein neues ökonomisches System jenseits von Markt und Staat, welches mal als ‚Drittes System‘, mal als ‚Sozial-, Solidar- oder Gemeinwirtschaft‘ diskutiert wird. Inzwischen handelt es sich um eine weltweite Bewegung, die allerdings unter einer Vielzahl verwirrender Begriffe in Erscheinung tritt: als économie social et solidaire, community and cooperative economy, community enterprises and businesses, social cooperatives, enterprises and businesses, economia solidaria e popular, people-centred development usw. Andererseits liegt in dieser Vielfalt auch eine Chance, handelt es sich doch um ein äußerst innovatives Experimentierfeld für neue ökonomische Lösungen. Es macht deshalb m.E. auf längere Sicht auch keinen Sinn, an den unterschiedlichen Auffassungen von ‚Social Entrepreneurship‘ einerseits und ‚Sozialen Unternehmen‘ andererseits festzuhalten. Letztlich gehören beide Begriffe zusammen: Mal geht es um die subjektive Seite, d. h. den oder die ‚Unternehmer‘, mal um die institutionelle Seite, d. h. das ‚Unternehmen‘. Folglich handeln auch alle Akteure in diesem Spektrum (einzeln oder gemeinschaftlich) als ‚Social Entrepreneurs‘, ob sie sich nun so nennen oder nicht. In diesem Zusammenhang verdient erwähnt zu werden, dass der Begriff ‚Entrepreneur‘ bzw. ‚Unternehmer‘ sich nicht in erster Linie auf den so genannten wirtschaftlichen Erfolg, d. h. die Rentabilität des eingesetzten Kapitals bezieht, sondern (nach Schumpeter) auf den innovativen Charakter seines oder ihres ökonomischen Handelns. ‚Entrepreneur‘ ist also jede und jeder, die oder der (einzeln oder gemeinschaftlich) sich ungelösten Aufgaben und Problemen zuwendet und mithilfe eines ‚Unternehmens‘, d. h. der Produktion von Gütern und Dienstleistungen Lösungen oder Antworten bereitstellt. ‚Sozialunternehmer‘ beschäftigen sich folglich mit sozialen Fragen, wobei der Begriff ‚sozial‘ nach unserer Auffassung alle gemeinwesenbezogenen, d. h. auch die ökologischen und kulturellen Belange einschließt. Die entsprechende Bewegung ist entgegen der öffentlichen Wahrnehmung keineswegs marginal, sondern umfasst allein in Europa bereits mehr als zehn Mil-
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lionen Beschäftigte und das Mehrfache an Freiwilligen. Sie ist in Bereichen tätig, die weder von kommerziellen Unternehmen noch vom Staat versorgt werden und ist deshalb zu einem der wenigen Hoffnungsträger im Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung geworden, was in der gegenwärtigen allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise nur um so deutlicher wird. Trotz aller Verschiedenheiten der Bezeichnungen und BegrifÀichkeiten können empirisch vier gemeinsame Merkmale identi¿ziert werden: ƒ ƒ ƒ
ƒ
Es handelt sich um privatrechtlich verfasste wirtschaftliche Unternehmen zur Realisierung sozialer oder anderer gemeinwesenbezogener Zwecke. Sie beruhen auf zivilgesellschaftlichen Initiativen von Bürgern, die sich von Mängeln in der Versorgung mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen oder von ungelösten KonÀikten betroffen fühlen. Ihr wirtschaftliches Handeln orientiert sich nicht an der Rentabilität des eingesetzten Kapitals oder der privaten Gewinnaneignung (not-for-private-pro¿t), sondern am erzielten sozialen Mehrwert (social pro¿t oder community bene¿t). Ihre Organisationsstrukturen beruhen in der Regel auf gemeinschaftlichen und/oder kooperativen Prinzipien.
Ihre Rolle als ‚Agents of change‘ besteht in der Entwicklung einer neuen sozialen Unternehmenskultur, die den von sozialen und wirtschaftlichen Krisen Betroffenen eine konkrete Überlebenschance bietet, und zwar nicht erst in der Zukunft, sondern hier und heute. 3
Soziales Unternehmertum als Forschungsgegenstand
Die Interdisziplinäre Forschungsgruppe ‚Lokale Ökonomie‘ an der Technischen Universität Berlin beschäftigte sich seit Mitte der 1980er Jahre mit ‚Entstehungsgeschichte, Verlauf und Wirkungsweise lokaler Strategien in Krisenregionen‘. Dabei kam sie bereits 1992 auf einem internationalen Kongress in Berlin zu dem Ergebnis: „In den verschiedenen lokalen Strategien ökonomischer Selbsthilfe aus europäischen Krisenregionen entwickeln sich die Umrisse eines neuen oder dritten Wirtschaftssektors, der sich von traditioneller marktwirtschaftlicher ebenso wie von staatlich gelenkter Wirtschaftsweise unterscheidet“ (Birkhölzer 1994: 9 f.). Das Thema ‚Soziale Unternehmen‘ ist aber erst Anfang/Mitte der 90er Jahre auf der Agenda transnationaler, insbesondere europaweiter Forschungsvorhaben
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aufgetaucht. Parallel zur Renaissance der Dritt-Sektor-Forschung (Birkhölzer et al. 2005), angeregt vor allem durch das Johns-Hopkins Non-Pro¿t-Sector Comparative Project, entwickelte sich auf europäischer Ebene ein wachsendes Interesse an der Wiederbelebung bzw. Weiterentwicklung der ‚Sozialen Ökonomie‘, die in ihren Wurzeln bis in die Selbsthilfe- und Genossenschaftsbewegung des 19. Jahrhunderts zurückreicht. In der traditionellen Sichtweise der Europäischen Union, die von der französischen Taxonomie bestimmt war, bestand die ‚Économie Sociale‘ aus den vier Säulen der ‚Coopératives‘ (Genossenschaften), der ‚Mutualités‘ (Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit), der ‚Associations‘ (freiwillige Vereinigungen) und der ‚Fondations‘ (Stiftungen), kurz zusammengefasst als die ‚CMAF-Familie‘. Obwohl diese Einteilung in der Europäischen Union of¿ziell immer noch Gültigkeit besitzt, waren damit von Beginn an forschungs- und organisationspolitisch zwei Probleme verbunden: Zum einen erwies sich die an französischen Institutions- und Rechtsformen orientierte Gliederung in vielen europäischen Ländern als nicht anwendbar, nicht nur weil bestimmte Entsprechungen im jeweiligen Landesrecht fehlten, sondern auch weil unter den gleichen Begriffen rechtlich, politisch und kulturell durchaus Verschiedenes verstanden wurde. Andererseits blieben gemeinnützig handelnde Organisationen ausgeschlossen, die nicht in das vorgegebene Organisationsmuster passen wollten. Letzteres betraf besonders solche Organisationen, die von den so genannten Neuen Sozialen Bewegungen ins Leben gerufen wurden. Das CMAF-Konzept orientierte sich an der älteren und etablierten sozialwirtschaftlichen Bewegung, welche – relativ gut organisiert – das Feld besetzte und abweichende oder unorthodoxe Organisationsformen aus dem Bereich der Neuen Sozialen Bewegungen an den Rand drängte. Widerspruch kam allerdings auch von Vertretern der klassischen Sozialen Ökonomie, z. B. den deutschen Genossenschaften und Wohlfahrtsorganisationen, wobei die einen sich als Teil der Privatwirtschaft betrachteten und die anderen sich nicht aus dem staatlichen Wohlfahrtssystem ausgrenzen lassen wollten. Nach mehreren – letztlich gescheiterten – Versuchen, die jeweilige nationale Sichtweise auf die europäische Ebene zu übertragen, setzte sich – zumindest in der international vergleichenden Forschung – die Erkenntnis durch, dass ein anderer methodischer Ansatz benötigt wird, der sich nicht mehr an Rechts- und Institutionsformen orientiert. In diesem Zusammenhang entstand das Konzept des ‚Sozialen Unternehmens‘ als übergeordneter Begriff für alle Organisationsformen und Einheiten, aus denen sich die Soziale Ökonomie zusammensetzt. Deren Bestimmung sollte sich an operationalisierbaren Kriterien orientieren, welche unabhängig von den jeweiligen rechtlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen anwendbar sind. Kurz zusammengefasst lauten diese Kriterien:
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ƒ ƒ ƒ ƒ
Vorrang soziale und/oder gemeinwesenbezogene Zielsetzungen Bürgerschaftliches unternehmerisches Engagement Gemeinwirtschaftliche Gewinnverwendung Kooperative Organisationsformen
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Soziale Unternehmen als Wachstumssektor in Europa
Diesen ‚Sozialen Unternehmen‘ werden in vielen Ländern der Europäischen Union und – mit Einschränkungen – in bestimmten Abteilungen der Europäischen Kommission durchaus bedeutende wirtschafts- und sozialpolitische Funktionen zugeschrieben, z. B. in der Beschäftigungspolitik und in der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung. So ist bereits im Weißbuch über Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung (EU-Kommission 1993) darauf hingewiesen worden, dass neue Beschäftigungsmöglichkeiten insbesondere auf der lokalen Ebene im Bereich bislang unversorgter Bedürfnisse zu ¿nden sind. In der Folge hat die Forschungsstelle für Zukunftsfragen der Europäischen Kommission auf der Basis von Praxisbeispielen aus ganz Europa 17 (später 19) Wachstumsfelder für lokale Beschäftigungsinitiativen vorgestellt (EU-Kommission 1996). Die Studien folgten der Erkenntnis, dass gerade in den von der wirtschaftlichen Entwicklung benachteiligten Gebieten kein Mangel an Arbeit herrscht, sondern ein Mangel in der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen. Das betrifft: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Grundbedürfnisse, wie Ernährung und Wohnen Kleinräumige technische Systeme in den Bereichen Energie, Verkehr, Verund Entsorgung Gemeindenahe Dienstleistungen in sozialer und produktiver Hinsicht Förderung der lokalen Kultur Naherholung und Freizeitgestaltung Umweltreparatur und Umweltprävention Kommunale Infrastruktur
Allerdings hat der hier umrissene Markt zur Versorgung regionaler bzw. lokaler Bedürfnisse ein wesentliches Handikap. Den potenziellen Marktteilnehmern fehlt auf der Nachfrageseite, sowohl bei den privaten Haushalten als auch bei den betroffenen Kommunen, die erforderliche Kaufkraft, um daraus pro¿tträchtige Geschäftszweige und entsprechende Unternehmensgründungen zu ¿nanzieren. Umgekehrt fehlt den potenziellen lokalen Akteuren auf der Angebotsseite in der Regel das erforderliche Kapital, um einen lokalen Wirtschaftskreislauf in Gang zu
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setzen. Die Erschließung dieser lokalen Märkte setzt folglich wirtschaftliche Innovationen voraus – und zwar auf der betriebswirtschaftlichen Ebene der einzelnen Unternehmungen sowie auf der übergeordneten Ebene der unterstützenden bzw. intermediären Einrichtungen (Birkhölzer 2000). In diesem Zusammenhang ist immer wieder auf die Bedeutung ‚Sozialer Unternehmen‘ hingewiesen worden, die in Europa derzeit einen der wenigen Wachstumssektoren darstellen, sowohl was die Zahl der Unternehmen als auch was die Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze betrifft. Dieses Wachstum beruht zum einen auf der Fähigkeit Sozialer Unternehmungen zur Erschließung neuer Marktchancen, vor allem in den Bereichen Umwelt, Soziales und Kultur. Allerdings sind Soziale Unternehmen nicht auf diese Geschäftsfelder begrenzt, sondern tendenziell in allen Bereichen der Ökonomie tätig, von der Nahrungsmittelproduktion bis zur industriellen Fertigung im High-Tech-Bereich. Zum anderen beruht das Wachstum Sozialer Unternehmungen auf ihrer Fähigkeit zur Anpassung an die Bedingungen regional oder sozial begrenzter Märkte. Sie entstehen – nach dem Vorbild der Genossenschafts- und Selbsthilfebewegung des 19. Jahrhunderts – als Instrument ökonomischer Selbsthilfe zur Krisenbewältigung, vor allem in Zeiten, Branchen und Regionen, in bzw. aus denen sich traditionelle Privatwirtschaft und/oder Staat, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, zurückziehen. 5
Herausbildung einer sozialen Unternehmenskultur in Deutschland
Anders als etwa in Frankreich, Großbritannien und Italien sind in Deutschland weder die ‚Soziale Ökonomie‘ noch die ‚Sozialen Unternehmen‘ of¿ziell anerkannt, mit der Folge, dass darüber auch keine of¿ziellen statistischen Daten vorliegen. Trotzdem existiert auch in Deutschland eine real existierende Soziale Ökonomie von beachtlicher Größenordnung, wie in dem ersten (und bislang einzigen) Versuch einer Bestandsaufnahme in den Jahren 2002 bis 2004 festgestellt werden konnte (Birkhölzer et al. 2004). Ausgangspunkt dieser Bestandsaufnahme war die Frage, warum und von wem überhaupt Soziale Unternehmungen gegründet wurden, wobei die bereits erwähnte Arbeitsde¿nition zugrunde gelegt wurde. Hier lehrt uns ein Blick sowohl in die eigene Geschichte als auch in die Kultur anderer Länder, dass die Gründung Sozialer Unternehmen stets von Sozialen Bewegungen oder Bürgerinitiativen ausgegangen ist. Sie können deshalb zu Recht als Teil der Zivilgesellschaft oder Ausdruck Bürgerschaftlichen Engagements angesehen werden. Andererseits führt Bürgerschaftliches Engagement nicht zwangsläu¿g zu ‚Sozialen Unterneh-
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men‘. Solche entstehen erst dann, wenn sich zivilgesellschaftliches Engagement und unternehmerische Initiative bzw. ‚Entrepreneurship‘ zusammen¿nden, oder anders ausgedrückt, wenn die Akteure die Realisierung ihrer Zielsetzungen nicht oder nicht mehr ausschließlich von anderen erwarten, sondern zu ökonomischer Selbsthilfe greifen. Verallgemeinert ergibt sich daraus die These, dass die soziale Unternehmenskultur aus einer Verbindung von sozialem und/oder gemeinwesenbezogenem Engagement und wirtschaftlich rationalem Handeln als in der Regel gemeinschaftlich handelnde Unternehmer entsteht. Insofern wäre auch dem Missverständnis vorzubeugen, dass es sich bei ‚Sozialen Unternehmen‘ von vornherein um die moralisch Besseren oder sozial Engagierteren handelt. Die soziale oder moralische Qualität wäre hier im Einzelfall genauso zu prüfen wie bei kommerziellen oder öffentlichen Unternehmungen. Daher lautet die Grundthese, dass es sich in der Sozialen Unternehmenskultur um eine andere Art und Weise des Wirtschaftens handelt, die zwar nicht grundsätzlich die bessere oder sozialere Alternative zu sein beansprucht, von der wir aber annehmen, dass sie unter bestimmten Bedingungen und für bestimmte Problemlagen die adäquate, angemessene und möglicherweise sogar einzig sinnvolle Lösung darstellt. Da wir also davon ausgingen, dass die Entwicklung einer sozialen Unternehmenskultur aus Sozialen Bewegungen heraus erfolgt, waren zunächst jene Bewegungsmilieus zu identi¿zieren, die in Deutschland Soziale Unternehmungen hervorgebracht haben. Wir verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der ‚Bewegungsmilieus‘, weil es sich keineswegs um eine einheitliche Soziale Bewegung handelt, sondern sich die jeweiligen Akteure sowohl in der Vergangenheit wie in der Gegenwart in voneinander abgegrenzten ‚Szenen‘ bewegen, die ihrerseits nicht nur über gemeinsame Verbände, Dachorganisationen und intermediäre Einrichtungen verfügen, sondern in der Regel auch eine gemeinsame Geschichte, gemeinsame Wertvorstellungen und Zielsetzungen teilen. In dieser Zersplitterung in unterschiedliche ‚Milieus‘ ist schließlich auch die Ursache dafür zu suchen, dass sich die Akteure nicht oder noch nicht als Teil eines größeren ‚Dritten Sektors‘ oder einer umfassenderen ‚Sozialen Unternehmenskultur‘ verstehen und folglich auch ihre Unternehmensgründungen nicht unbedingt als ‚Soziale Unternehmen‘ bezeichnen. Andererseits macht diese Herangehensweise deutlich, dass es sich nicht um eine Er¿ndung unserer Tage handelt, sondern dass es historische Vorgänger und Vorbilder gibt, die inzwischen so selbstverständlich in das Alltagsleben integriert sind, dass sie als Besonderheiten gar nicht mehr wahrgenommen werden. Insofern unterscheiden sich die ‚Milieus‘ nicht nur anhand ihrer Organisationsstruktur, sondern auch nach ihrer Entstehungszeit und ihrem jeweiligen Anlass. Allen ge-
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meinsam ist, dass es sich bei diesem Anlass stets um die Erfahrung eines gesellschaftlichen Mangels oder KonÀiktes handelt, der von den etablierten Institutionen nicht aufgegriffen oder überwunden wird. Diese Anlässe bleiben in der Regel weit über ihre Entstehungszeit hinaus wirksam und darüber hinaus, wenn auch oft unbewusst, konstitutiv für das Selbstverständnis und die jeweilige Organisationsstruktur. So führen gesellschaftliche Veränderungen oder neue Herausforderungen nicht unbedingt zu Veränderungen innerhalb der etablierten Bewegungsstrukturen, vielmehr begründen neue Anlässe in der Regel neue Bewegungen. Daraus ergibt sich eine grobe Unterscheidung in eine ältere sozialwirtschaftliche Bewegung, deren Ursprünge ins 19. Jahrhundert zurückreichen und eine jüngere sozialwirtschaftliche Bewegung, die sich erst seit den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu entfalten beginnt. Dabei konnten wir insgesamt zwölf verschiedene ‚Milieus‘ der Entwicklung einer Sozialen Unternehmenskultur in Deutschland identi¿zieren, die in gewisser Weise zeitlich aufeinander folgen: ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ ƒ
Genossenschaften Wohlfahrtsorganisationen Stiftungen Ideelle Vereinigungen Integrationsunternehmen benachteiligter Gruppen Freiwilligendienste bzw. -agenturen Unternehmen der Alternativ-, Frauen- und Umweltbewegung Unternehmen der Selbsthilfebewegung Soziokulturelle Zentren Beschäftigungs- und Quali¿zierungsgesellschaften Tauschsysteme auf Gegenseitigkeit Nachbarschafts- und Gemeinwesenökonomie-Initiativen
Dabei fällt auf, dass die Klassi¿zierung der älteren sozialwirtschaftlichen Bewegung nach Genossenschaften, Wohlfahrtsorganisationen, Stiftungen und ideellen Vereinigungen weitgehend den Säulen der klassischen Sozialen Ökonomie in der Sprachregelung der Europäischen Kommission entspricht, weshalb wir annehmen, dass es sich bei der Unangemessenheit dieser Klassi¿zierung nicht nur um ein deutsches Problem handelt. Bewusst ausgeblendet haben wir allerdings – ob zu Recht oder zu Unrecht, das sei dahingestellt – den Bereich der ‚Mutualités‘, als deren deutsche Entsprechung nur die privatrechtlich organisierten Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit in Frage kämen. Anders als in vielen anderen Ländern sind in Deutschland die sozialen Sicherungssysteme (noch) Teile des staatlichen Wohlfahrtssystems,
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während es sich bei den privaten Versicherungsunternehmen u.E. überwiegend um kommerzielle Unternehmungen handelt. Möglicherweise eröffnet sich hier ein neues Handlungsfeld für solidarische Unternehmensgründungen, quasi zur Rettung sozialversicherungsrechtlicher Prinzipien auf privater und bürgerschaftlicher Basis, was zu einer Renaissance klassischer Formen der ‚Mutualités‘ in Deutschland führen könnte. Die hier vorgeschlagene Klassi¿zierung nach Bewegungsmilieus anhand ihrer Entstehungszeit, Entstehungsanlässe und -geschichte ist nach unserer Ansicht am besten geeignet, die Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen in der sozialen Unternehmenskultur angemessen zu erfassen. Dagegen haben wir mögliche Klassi¿zierungsformen anhand von Produkten, Dienstleistungen oder Tätigkeitsfeldern als wenig sinnvoll betrachtet, da es Hinweise darauf gibt, dass viele ‚Soziale Unternehmen‘ aufgrund ihrer sozialen bzw. gemeinwesenbezogenen Zielsetzung nicht von vornherein auf bestimmte Produkte oder Dienstleistungen festgelegt sind. Das gleiche gilt für Klassi¿zierungen nach Branchen oder Wirtschaftssektoren, wobei nicht nur ausgesprochene Hybrid-Betriebe gleichzeitig verschiedenen Branchen oder Sektoren zuzurechnen wären. Überschneidungen und Mehrfachzuordnungen sind allerdings auch in der von uns vorgeschlagenen Klassi¿zierung nicht ausgeschlossen. Wir haben dazu die jeweiligen Verbände und Dachorganisationen nach den in ihrem Organisationsbereich vorhandenen Daten befragt. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Datenlage in den einzelnen Bereichen höchst unterschiedlich, weshalb milieuübergreifende Vergleiche kaum möglich sind. Andererseits ergab diese Erhebung, dass es sich in diesem Sektor in Deutschland – vorsichtig geschätzt – um ca. 1,9 Millionen Arbeitsplätze in Vollzeitäquivalenten bzw. 2,5 Millionen Beschäftigte (inklusive Teilzeitbeschäftigte) und das drei- bis vierfache an freiwilligen Mitarbeitern handelt.1 6
Perspektiven für die Raumentwicklung
Die Bedeutung der ‚Sozialen Ökonomie‘ und ihrer ‚Sozialen Unternehmen‘ für die soziale Integration bzw. den sozialen Zusammenhalt wird – zumindest auf der europäischen Ebene – verstärkt wahrgenommen und wissenschaftlich untersucht. Ihr Beitrag zur lokalen und regionalen Entwicklung, insbesondere zur lokalen ökonomischen Entwicklung, wird dagegen noch kaum diskutiert bzw. zur Kenntnis genommen, obwohl ihnen aus unserer Sicht gerade auf diesem Gebiet eine Schlüsselrolle zukommt. 1
Die Einzelheiten, insbesondere zum Umfang und der Entwicklung der verschiedenen ‚Milieus‘ sind nachzulesen in Birkhölzer et al. 2004.
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Der Begriff ‚Lokale Ökonomie‘ wurde erstmals Anfang/Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in Großbritannien geprägt und zwar im Zusammenhang mit der Entwicklung eigenständiger wirtschaftspolitischer Strategien auf kommunaler Ebene als Reaktion auf zunehmende Arbeitslosigkeit, Verarmung und den Verfall der Innenstädte. Nach der erzwungenen AuÀösung der diese Initiativen tragenden Gebietskörperschaften verschwand das Thema zwar für einige Zeit aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit, hat sich aber in der Praxis in einer breiten Vielfalt von Bürger- und Gemeinweseninitiativen für ökonomische Selbsthilfe kontinuierlich weiterentwickelt, über nationale und internationale Netzwerke verbreitet und nicht zuletzt unter dem Titel ‚lokale Beschäftigungsinitiativen‘ Eingang in die Beschäftigungsstrategie der Europäischen Union gefunden (EU-Kommission 1993 und 1996). In der Bundesrepublik Deutschland wurde das Thema ‚Lokale Ökonomie‘ über viele Jahre of¿ziell wenig beachtet. Es ist deshalb umso bemerkenswerter, dass das Thema im Rahmen des Programms ‚Soziale Stadt‘, d. h. demjenigen Programm, welches sich explizit mit den Folgen von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung für die Entwicklung der Städte und Gemeinden befasst, zu einem der zentralen Handlungsfelder erklärt wurde. Lokalökonomische Strategien sind eine Reaktion auf die Herausbildung einer globalisierten Ökonomie, welche sich auszeichnet durch: ƒ ƒ ƒ ƒ
zunehmende ökonomische Spaltung in Reichtums- und Krisenregionen, in ‚Arbeit-Habende‘ und Arbeitslose, in sozial Integrierte und Ausgegrenzte, zunehmenden Verlust nationalstaatlicher Kontrolle über das Wirtschaftsgeschehen und damit verbunden den Niedergang des Konzepts der Nationalökonomie, zunehmende Verlagerung von Entscheidungen über lokale oder regionale Probleme auf supranationale Institutionen bzw. exterritoriale Konglomerate, Konzentration von Macht und Ressourcen auf eine schrumpfende Zahl von ‚Global players‘ und mit ihnen verbundenen Territorien.
‚Lokale Ökonomie‘ unternimmt dagegen den Versuch, die Entscheidungsfähigkeit auf der lokalen Ebene zurückzugewinnen, durch: ƒ ƒ ƒ
Stärkung bzw. Wiederherstellung lokaler Wirtschaftskreisläufe, Schaffung von Arbeit und Einkommen am Ort und für die Bedürfnisse des Ortes, Mobilisierung der endogenen Potenziale, insbesondere der unbeschäftigten Ressourcen sowie der brachliegenden Fähigkeiten und Kenntnisse in der Be-
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völkerung – nicht zuletzt unter den Arbeitslosen oder aus sonstigen Gründen für überÀüssig Erklärten. In diesem Konzept der Rekonstruktion ‚Lokaler Ökonomien‘ nimmt das Konzept der ‚Sozialen Ökonomie‘ eine Schlüsselrolle ein: Während – insbesondere in Krisengebieten – die traditionell vorherrschenden Sektoren der Ökonomie, d. h. der erste (private, gewinnorientierte) Sektor sowie der zweite (staatliche bzw. öffentliche) Sektor, in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung abnehmen, weil sie nicht nur immer weniger Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zur Verfügung stellen, sondern sich zunehmend auch aus dem Angebot notwendiger Güter und Dienstleistungen zurückziehen, bleiben wichtige Bereiche der Versorgung der Bevölkerung der Eigeninitiative der Betroffenen überlassen oder werden in die Schattenökonomie (als viertes Teilsystem der Lokalen Ökonomie) abgedrängt (Birkhölzer 2007, Technologie-Netzwerk 2009). Überall in Europa ist derzeit ein Rückzug aus der sozialen Verantwortung zu beobachten, wobei in Deutschland ausgerechnet eine rot-grüne Regierung die so genannte ‚Reform‘ des Sozialstaates nicht nur mit den (inzwischen gescheiterten) Instrumenten thatcheristischer Wirtschafts- und Sozialpolitik zu betreiben versuchte, sondern auch zu deren Legitimation mit der Thatcher-Parole: “There Is No Alternative“, oder kurz “TINA“ hausieren ging, wobei es den Anschein hat, dass dieser Kurs auch heute ungebrochen fortgesetzt werden soll. So muss TINA inzwischen für alles herhalten, von der Kürzung der Renten und der Arbeitslosenunterstützung bis zur Lockerung des Kündigungsschutzes, der Schließung von Bibliotheken, Schwimmbädern und anderen öffentlichen Einrichtungen, während auf der anderen Seite genug Geld da zu sein scheint, um das marode Bankensystem zu retten. An einem der erfolgreichsten Sozialen Unternehmen Londons, den Coin Street Community Builders, hing jahrelang ein Plakat mit der Aufschrift: „There Is An Alternative!“ Und in der Tat sind Soziale Unternehmen (oder ‚Community Businesses‘, wie sie in Großbritannien auch genannt werden) inzwischen die Hauptträger lokaler ökonomischer Entwicklung in den Krisengebieten Europas. Nach Schätzungen der Europäischen Union (z. B. CIRIEC 2000) umfasst der Sektor in Europa inzwischen über zehn Millionen Vollzeitarbeitsplätze, davon etwa 1,9 Millionen in Deutschland. Angesichts dieser Größenordnung kann von einer ‚Nischenökonomie‘ keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich um einen längst etablierten Wirtschaftssektor von beachtlichem Gewicht. Dies ist umso bedeutender, als dieser Sektor sich überwiegend an sozial und ökonomisch schwache Gruppen bzw. Gemeinwesen wendet. So sind in strukturschwachen Gebieten, z. B. in Ostdeutschland, Organisationen der Sozialen Ökonomie häu¿g nicht nur die
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größten Arbeitgeber – wie die Stiftung Pfefferwerk als drittgrößter Arbeitgeber in Pankow, sondern auch die wichtigsten Auftraggeber für das lokale Gewerbe (Technologie-Netzwerk 2007). Ihre wirtschaftspolitische Bedeutung für den Erhalt bzw. die Überlebensfähigkeit dieser Räume und Gemeinwesen kann gar nicht überschätzt werden. Was sie dabei von traditionellen kommerziellen Unternehmen unterscheidet, ist die Tatsache, dass ihre sozialintegrativen Ziele nicht nur als Nebenprodukt allgemeinen Gewinnstrebens betrachtet, sondern ausdrücklich zu Unternehmenszielen erklärt werden, wie z. B.: ƒ ƒ ƒ ƒ
Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut, Schaffung sozial und ökologisch nützlicher Arbeitsplätze, Integration von Langzeitarbeitslosen oder anderweitig Benachteiligten, Entwicklung einer nachhaltigen lokalen oder regionalen Ökonomie.
Ob und wie diese Zielsetzungen erreicht werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob der Sektor auch die erforderliche öffentliche Anerkennung und Förderung erfährt. Bereits heute kann jedoch festgestellt werden, dass der Sektor ƒ ƒ ƒ ƒ
in erheblichem Umfang zusätzliche Beschäftigung schafft, mit überdurchschnittlichen Beschäftigungschancen für Frauen und ältere Mitarbeiter über 50 Jahre, die Hauptlast der aktiven Arbeitsmarktpolitik trägt und für Problemgruppen des Arbeitsmarktes bzw. sozial Benachteiligte die häu¿g einzige gesellschaftliche Integrationschance bietet, als einer der Hauptakteure lokaler bzw. regionaler Entwicklung in Krisengebieten fungiert und einen wesentlichen Beitrag zu Versorgung sozial bzw. lokal begrenzter Märkte leistet, mit Gütern und Dienstleistungen, die sonst aufgrund mangelnder Pro¿tabilität am Markt oder Finanzierbarkeit durch die öffentliche Hand nicht verfügbar wären.
Der ‚Rettungsschirm‘ für den Finanzsektor wird mit dessen angeblicher ‚Systemrelevanz‘ begründet. Es wird Zeit, dass ‚Soziale Ökonomie‘ und ‚Soziales Unternehmertum‘ endlich die gleiche Aufmerksamkeit erfahren.
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Karl Birkhölzer
Literatur Altvater, E./Sekler, N. (Hrsg.) (2006): Solidarische Ökonomie. Hamburg: VSA-Verlag Birkhölzer, K. (1994): Lokale Ökonomie zwischen Marginalisierung und zukunftsweisender Wirtschaftsweise. In: Zukunft im Zentrum/IFG Lokale Ökonomie (1994): 9-22 Birkhölzer, K. (2000): Formen und Reichweite lokaler Ökonomien. In: Ihmig (2000): 5664 Birkhölzer, K./Kistler, E./Mutz, G. (2004): Der Dritte Sektor. Partner für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Birkhölzer, K./Klein, A./Priller, E./Zimmer, A. (Hrsg.) (2005): Dritter Sektor/Drittes System. Theorie, Funktionswandel und zivilgesellschaftliche Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Birkhölzer, K. (2007): Die Rolle der Sozialen Ökonomie bei der Rekonstruktion Lokaler Ökonomien. In: Reseau Objectif Plein Emploi (2007). Siehe auch http://www.sbs-eg. de/¿leadmin/Dokumente/SozialeOekonomie.pdf Birkhölzer, K. (2008): Soziale Solidarische Ökonomie – eine weltweite Bewegung. In: Giegold/Embshoff (2008): 128-131 Castelli, L. (2005): European Social Entrepreneurs. Looking for a better way to produce and to live. Ancona: Le Mat Partnership [CIRIEC] Centre International de Recherches et d“Information sur l“Économie Publique, Sociale et Coopérative (2000): The Enterprises and Organizations of the Third System. A Strategic Challenge for Employment. Liège: CIRIEC [EU Kommission] Europäische Kommission (1993): Weißbuch Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung. Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert. Luxemburg: Of¿ce for Publications [EU Kommission] Europäische Kommission (1996): Erster Bericht über lokale Entwicklungs- und Beschäftigungsinitiativen. Schlussfolgerungen für territoriale und lokale Beschäftigungsbündnisse. Luxemburg: Of¿ce for Publications Giegold, S./Embshoff, D. (Hrsg.) (2008): Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hamburg: VSA-Verlag Ihmig, H. (Hrsg.) (2000): Wochenmarkt und Weltmarkt. Kommunale Alternativen zum globalen Kapital. Bielefeld: Kleine Verlag Reseau Objectif Plein Emploi (Hrsg.) (2007): Ecosol Review Nr. 1. SchifÀange, Luxembourg: Editions Le Phare Technologie-Netzwerk Berlin (Hrsg.) (2007): Soziale Ökonomie in Berlin. Berlin: Technologie-Netzwerk Berlin Technologie-Netzwerk Berlin (Hrsg.) (2009): Lokale Soziale Ökonomie. Lern- und Studienmaterial. Ein europäisches Curriculum für Praktiker, Unterstützer und Multiplikatoren in Sozialen Unternehmen. Berlin: http//www.cest-transfer.de Zukunft im Zentrum/IFG Lokale Ökonomie (Hrsg.) (1994): Lokale Ökonomie. Beschäftigungs- und Strukturpolitik in Krisenregionen. Berlin: Edition Berliner Debatte
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Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Unternehmen Sebastian Braun
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Einleitung
‚Bürgerschaftliches Engagement’ – dieser Terminus steht für ein sich wandelndes Staats- und Gesellschaftsverständnis in Deutschland. Freiwillige gesellschaftliche Aktivitäten der Bürger, die lange Zeit unter dem Begriff des ‚Ehrenamts’ als überholt abgetan wurden, und von Wirtschaftsunternehmen, die vor dem Hintergrund der internationalen Debatten über ‚Corporate Citizenship’ an Bedeutung gewinnen, werden als Ressource entdeckt, um die Herausforderungen des sozialen, ökonomischen, politischen und ökologischen Wandels nachhaltig zu lösen. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden Schlaglichter auf ausgewählte Debatten über Bürgerschaftliches Engagement in Deutschland geworfen und mit Untersuchungsbefunden verbunden, die in den letzten Jahren im Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurden. Dabei wird in einem ersten Schritt auf die ‚quantitative Engagementforschung’ in Deutschland eingegangen, die sich bislang auf das bürgerschaftliche, freiwillige bzw. ehrenamtliche Engagement der Individuen konzentriert (Kapitel 2). Diese Forschung rekurriert vor allem auf das statistische Argument der ‚großen Zahl’ engagierter und engagementbereiter Personen. Auf dieser Grundlage werden dann in den folgenden drei Kapiteln individuelle und gesellschaftliche Funktionen Bürgerschaftlichen Engagements skizziert, die in den laufenden Debatten besonders akzentuiert werden: Bürgerschaftliches Engagement als Co-Produzent wohlfahrtsrelevanter Leistungen, als Produzent von Humankapital und als Produzent von Sozialkapital. Das Kapitel 6 wendet sich schließlich einer jüngeren Debatte zu, in der Unternehmen als ‚Unternehmensbürger’ (‚Corporate Citizen’) konzipiert werden, die sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse heraus freiwillig gesellschaftlich engagieren. In einem Fazit werden gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung des Bürgerschaftlichen Engagements von Individuen und Unternehmen in Deutschland diskutiert (Kapitel 7).
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Sebastian Braun
Eine engagierte Engagementforschung: zum Wachstum des Bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland
Die Diskussion über das Bürgerschaftliche Engagement von Individuen in Deutschland schlägt in den letzten Jahren hohe Wellen in Politik und Wissenschaft. Ein maßgeblicher Hintergrund dafür sind die Gegenwartsdiagnosen, die die öffentliche Diskussion der letzten Jahre weitgehend beherrschen: Sie beschreiben den ‚fernsehglotzenden Konsummonaden’, der in der modernen, in ihre individualmenschlichen Einzelatome zerfallenden Passivgesellschaft jegliche Form von Solidarität und Gemeinsinn verloren habe. Steht insofern nicht auch das Bürgerschaftliche Engagement als eine wesentliche Voraussetzung für den sozialen und politischen Zusammenhalt der Gesellschaft auf dem Spiel? Die Antwort auf diese fundamentale Frage lieferte zunächst die Eurovol-Studie zum ‚neuen bürgerschaftlichen Europa’, deren Ergebnisse Mitte der 1990er Jahre Entsetzen in Politik und Medien hervorriefen: Nur 18 % der erwachsenen Bevölkerung engagierte sich in Deutschland. Damit lag man weit abgeschlagen hinter den Niederlanden (38 %), Schweden (36 %), Großbritannien (34 %), Belgien (32 %), Dänemark (28 %) und Irland (25 %). Nicht einmal Bulgarien (19 %) konnte man hinter sich lassen, und nur das schlechte Abschneiden der Slowakei (12 %) rettete den vorletzten Platz (vgl. Gaskin et al. 1996). Der vermeintliche Prüfstein für die innere Konsistenz des Gemeinwesens schien auch hierzulande zu zerbröseln; und die Skeptiker fühlten sich bestätigt, dass die so genannten Schattenseiten des häu¿g beschworenen Individualisierungsprozesses von bislang unerkannter Reichweite das gesellschaftliche Zusammenleben längst durchdrungen hätten. Das alles änderte sich in den Folgejahren rapide. Neue Untersuchungsdesigns, De¿nitionen und Erhebungskategorien (also Frageformulierungen und Bewertungen, was als ‚Engagement’ gelten könnte) führten dazu, dass Deutschland in die Champions-League aufstieg: 38 % freiwillig Engagierte und weitere 32 % Engagementbereite weist der „Speyerer Wertesurvey 1997“ aus, der auf einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung von rund 3.000 Personen im Alter von über 18 Jahren basiert (vgl. Klages/Gensicke 1998). Ähnliches wird aus dem umfangreichen, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegebenen „Freiwilligensurvey“ aus dem Jahr 1999 berichtet, bei dem mehr als 15.000 der über 14-jährigen Bundesbürger befragt wurden: 34 % Engagierte wurden ermittelt – in Absolutzahlen sind das rund 22 Mio. Personen in Deutschland, die unentgeltliche Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit und außerhalb des sozialen Nahraums der Familie insbesondere in Nonpro¿t-Organisationen wie z. B. Vereinen oder Verbänden oder aber in Projekten und Initiativen übernehmen (Gensicke et al. 2006).
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Die ‚neuen Zahlen’ riefen die Kritiker zügig auf den Plan: Von schweren methodischen Sünden und systematisch verzerrten Ergebnissen war die Rede, ja gar der Verdacht der politischen EinÀussnahme auf die engagierte Engagementforschung wurde artikuliert und die hohe Kunst der statistischen Manipulation angeprangert (Leif 2002). Allerdings sollte selbst den scharfen Kritikern durch die Wiederholungsstudien des „Freiwilligensurveys“ aus den Jahren 2004 und 2009 deutlich geworden sein, dass es um das freiwillige Engagement in Deutschland gar nicht so schlecht bestellt ist: Der Anteil der über 14-jährigen Bundesbürger, die sich freiwillig engagieren, stieg innerhalb des fünfjährigen Zeitraums sogar auf 36 % und verharrt seitdem auf diesem Niveau (vgl. Gensicke 2010).1 Die Befunde der „Freiwilligensurveys“ lassen zudem erkennen, dass unter den 64 % bislang nicht Engagierten offenbar eine erhebliche Ressource engagementbereiter Personen schlummert – vorausgesetzt, es lassen sich interessante Aufgaben ¿nden. Diese Aufgaben scheint nach wie vor insbesondere das Feld Sport und Bewegung zu bieten, das einsamer Spitzenreiter ist – deutlich vor allen anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Kirche und Religion, Freizeit und Geselligkeit, Kultur und Musik, Soziales oder Politik. Dieser ‚blanke Knochen’ statistischer Engagementquoten gewinnt allerdings erst dann an Substanz, wenn man die institutionellen Grundlagen sowie die individuellen und gesellschaftlichen Funktionen und Wirkungen des Bürgerschaftlichen Engagements differenzierter in den Blick nimmt. Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden maßgebliche Diskussionslinien über das Bürgerschaftliche Engagement in Deutschland aufgenommen und mit Ergebnissen ausgewählter Untersuchungen unterlegt, die in den letzten Jahren im Forschungszentrum für Bürgerschaftliches Engagement an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurden. 3
Bürgerschaftliches Engagement als Co-Produzent wohlfahrtsrelevanter Leistungen
Die Frage nach der ‚Zukunft des Wohlfahrtsstaats’ bildet einen neuralgischen Punkt in der öffentlichen Diskussion in Deutschland. Wie soll es weitergehen mit dem „Modell Deutschland“, das über wenige Jahrzehnte so vielen Menschen soziale Sicherheit und gesellschaftliche Teilhabe verschaffte? Nicht nur im politischen, sondern auch im sozialwissenschaftlichen Raum werden diese Fragen seit 1
Dieser Befund wird auch durch den bundesweit repräsentativen „Engagementatlas 2009“ bestätigt, der auf 34,3 % freiwillig Engagierte kommt (prognos AG/AMB Generali Holding AG 2008).
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langem kontrovers diskutiert. Eins ist dabei jedoch unverkennbar: Jenseits klassisch staats¿xierter Ansätze auf der einen und klassisch marktliberaler Ansätze auf der anderen Seite wird das Bürgerschaftliche Engagement der Menschen als alternative Steuerungsressource zur Umgestaltung des institutionellen Arrangements des Wohlfahrtsstaats (wieder-)entdeckt (Braun 2001a). Diese deutliche Akzentverlagerung begründet auch die Popularität von Ansätzen, die unter Begriffen wie ‚Wohlfahrtsgesellschaft’ diskutiert werden. Diese Ansätze betonen vor allem den Unterschied zur Sozialstaatlichkeit, insofern als sie bei der Herstellung wohlfahrtsrelevanter Güter und Dienste auf eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft setzen. Während der Staat bisher die Gewährleistungs-, Finanzierungs- und Vollzugsverantwortung bei der Herstellung öffentlicher Güter und Dienste innehatte, soll er sich nun zunehmend auf die Gewährleistungsfunktion beschränken, die Vollzugs- und Finanzierungsverantwortung an Organisationen der Bürgergesellschaft abtreten und damit zugleich Gelegenheitsstrukturen für Bürgerschaftliches Engagement schaffen (vgl. z. B. Blanke 2001, Evers/Olk 1996, Kaufmann 1997). Jenseits dieser theoretischen und z. T. auch normativ aufgeladenen Vorstellungen über eine neue Verantwortungsteilung zwischen Staat und Gesellschaft – den ‚Wohlfahrtsmix’ – ist bisher allerdings auf empirischer Ebene unklar, welche Möglichkeiten und Grenzen mit der Übernahme bislang staatlich regulierter öffentlicher Leistungen durch engagierte Bürger verbunden sind. Dieser Frage ist eine Best Practice-Studie nachgegangen, die sich auf Erfolgsmodelle kommunalen Bürgerengagements konzentriert (Braun 2010b, Braun et al. 2007). Wie die Beispiele der Untersuchung anschaulich erkennen lassen, muss es sich bei diesem Engagement keineswegs immer um die vermeintlich ‚großen’ Projekte in der Gesellschaft handeln, die in der Regel die mediale und politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Bürgergesellschaft zeichnet sich vor allem durch die schöpferische Vielfalt überschaubarer Projekte in der assoziativen Lebenswelt der Bürger aus, die in ihrer Gesamtheit einen schwer quanti¿zierbaren Beitrag zu Wohlfahrt und Demokratie leisten können (vgl. Kasten). Gleichwohl kann der Ideenreichtum des ‚assoziierten Bürgers’ kein Ausfallbürge für reduzierte wohlfahrtsstaatliche Leistungen sein. Im Gegenteil: Schleicht sich der Verdacht einer Instrumentalisierung Bürgerschaftlichen Engagements für staatliche Zwecke ein, dann wird kommunale Bürgerbeteiligung sehr schnell als Demokratisierung der Machtlosigkeit erfahren, die auf Dauer die Bereitschaft zu Bürgerschaftlichem Engagement enttäuschen muss. Anstelle einer Instrumentalisierung Bürgerschaftlichen Engagements für staatliche Zwecke geht es vielmehr um Co-Produktion und Kooperation zwischen Organisationen der Bürgergesellschaft und des Staates.
Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Unternehmen
Kasten: Studenten geben Nachhilfe in Kinderheimen (Braun 2010b) „Man ist nicht nur der Nachhilfelehrer, der einmal in der Woche kommt, sondern für viele Kinder auch so eine Art Freundbruderschwesterpapamama.“ Das sagt Sinisa Toroman. Er muss es wissen. Zusammen mit einem Studienfreund hat er im Oktober 2004 die „Studenten-initiative für Kinder e.V.“ gegründet. Woche für Woche werden 100 Kinder in Kinderheimen in Mannheim, Karlsruhe und der Region Köln/Bonn unterrichtet. Kostenlos. Im Einzelunterricht helfen sie in den Heimen, die Hausaufgaben zu erledigen, büffeln für Klassenarbeiten oder wiederholen Unterrichtsstoff. 125 Mitglieder kann der Verein inzwischen ins Rennen schicken. Im Hauptberuf sind die meisten Studenten. Ihre Freizeit-Erfolge sind beachtlich. Sie könnten nachweisen, „dass sich die schulischen Leistungen bei nahezu allen Nachhilfeschülern verbessert haben“, so der 29-jährige Marketing-Student Toroman. Das Projekt ist bundesweit einzigartig. So einzigartig, dass inzwischen sogar Bundeskanzlerin Merkel 5.000 Euro gespendet hat. 2006 gewann die Studenteninitiative den bundesweiten Wettbewerb „start-social-Hilfe für Helfer“. Und es soll weitergehen. Langfristig wollen die Studierenden in allen deutschen Heimen nachhelfen. „Für uns lässt sich nur erahnen, dass der bundesweite Bedarf in Kinderheimen erheblich sein muss.“ Üblicherweise organisieren in Deutschland die Jugendämter diesen Nachhilfeunterricht. In Zeiten knapper Kassen allerdings fahren die kommunalen Haushalte solche Angebote zurück. So bekommen Heimkinder erst dann Nachhilfe, wenn ihre Versetzung akut gefährdet ist, und das ist dann meist zu spät. Als sich die Stadt Mannheim Ende 2003 nicht mehr in der Lage sah, Nachhilfeunterricht in Heimen zu ¿nanzieren, hatte Sinisa Toroman die Idee, die Aufgabe als Bürgerschaftliches Engagement zu organisieren. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass zwei aktuelle gesellschaftspolitische Themen erfolgreich mit der eigenen Kernkompetenz verbunden werden: Angehende Akademiker, deren Ressource ein umfangreiches Bildungskapital ist, investieren auf freiwilliger Basis und ohne unmittelbaren ökonomischen Eigengewinn in das Bildungskapital der nachwachsenden Generation. Die engagierten Vereinsmitglieder konzentrieren sich zudem auf den Bildungserfolg sozial benachteiligter Kinder im deutschen Schulsystem, das Lebenschancen stark nach Merkmalen der sozialen Herkunft verteilt. Der Verein agiert als Anwalt für sozial schwächere Gruppen, ohne sich auf die Position eines Lobbyisten gegenüber Staat und Politik zurückzuziehen. Vielmehr versorgt er mit seinen Angeboten eine Nische, die aufgrund der fehlenden Zahlungskraft der Zielgruppe nicht über den Markt bedient wird.
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Damit ist allerdings eine Neubewertung der ‚aktiven Bürgerschaft’ auf Seiten der Kommunalpolitik und -verwaltung verbunden, die sich angesichts der obrigkeitsstaatlichen Tradition in Deutschland erst nach und nach vollzieht. Für verschiedene europäische Länder wurde bereits vor längerem die ‚Anwender-Demokratie’ als ein bedeutsamer Trend des Übertragens staatlicher Aufgaben an die Gesellschaft bzw. der Rückeroberung solcher Aufgaben durch die Gesellschaft beschrieben: Institutionell geförderte Bürgerbeteiligung und Öffnung staatlicher Einrichtungen, Stärkung der Subsidiarität und kleiner Lebenskreise, Wiederbelebung politischer und sozialer Nahräume, Dezentralisierung großer Sozialsysteme und Kommunalisierung politischer Aufgaben lauten die Stichworte, die im Zuge der Diskussion über die Bürgergesellschaft auch in Deutschland wieder zunehmend an Bedeutung gewinnen. 4
Bürgerschaftliches Engagement als Produzent von Humankapital
Eines der offensichtlichsten Probleme des deutschen Wohlfahrtsstaats ist darin zu sehen, dass seit Mitte der 1970er Jahre eine wellenförmige, aber fortlaufende Zunahme von Personen zu konstatieren ist, die erwerbstätig sein möchten, die aber kein (ihnen zusagendes) ‚Normalarbeitsverhältnis’ ¿nden. Seit dem Ende des ‚kurzen Traums immerwährender Prosperität’ ist nicht nur eine Tendenz zur Verfestigung von Arbeitslosigkeit als dauerhafter Soziallage zu konstatieren, sondern auch ein deutlicher Anstieg atypischer Beschäftigungsverhältnisse, diskontinuierlicher Erwerbsverläufe und die Notwendigkeit zu lebenslangem Lernen. In diesen Kontext sind aktuelle Reformentwürfe einzuordnen, die einen kulturellen Wandel im Verständnis von Arbeit thematisieren. Dabei geht es um eine Àexiblere, den Lebenslagen und -situationen angepasste Gestaltung des Erwerbssystems, das bislang als abweichend geltende Formen des Arbeitens wie z. B. Bürgerschaftliches Engagement einbezieht (vgl. z. B. Beck 1999, Giriani/Liedtke 1998). Auf diese Weise sollen einerseits sinnstiftende Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit aufgewertet werden; andererseits sollen Gelegenheitsstrukturen zu lebenslangem Lernen jenseits formalisierter Bildungskontexte wie Schule, Ausbildung und Universität eröffnet werden (vgl. Braun 2010c). Wie aktuelle Untersuchungen zeigen, kann Bürgerschaftliches Engagement informelle Lernprozesse initiieren, unterstützen und fördern (vgl. z. B. Düx 2006, Hansen 2008). Die unmittelbare Sichtbarkeit von Erfolgen oder Misserfolgen des eigenen Handelns in einem als wichtig empfundenen Alltagsbereich ist offenbar ausgesprochen lernmotivierend, ohne dass dies den Engagierten bewusst sein muss. Denn Bürgerschaftliches Engagement stellt Anforderungen, die insbeson-
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dere über selbstinitiierte und -gesteuerte Lernaktivitäten gelöst werden (müssen). Dabei entwickeln die Engagierten vor allem Schlüsselkompetenzen, die auf drei Ebenen anzusiedeln sind: der personalen Ebene (z. B. Selbstständigkeit, Belastbarkeit, Flexibilität oder Selbstbewusstsein), der sozialen Ebene (z. B. Verantwortungsbereitschaft, Kommunikations- oder KonÀiktfähigkeit) und der sachbezogenen Ebene (z. B. organisatorische oder handwerklich-technische Kompetenzen). Bei sämtlichen dieser Kompetenzen handelt es sich um persönliche Ressourcen, die nur dem Engagierten als nicht übertragbares Humankapital zur Verfügung stehen und im Kontext des Bürgerschaftlichen Engagements erworben, eingeübt, entdeckt oder erfahren werden. Dieses Humankapital nutzen die ‚engagiert Lernenden’ offensichtlich auch in anderen Handlungskontexten. Dies gilt für die Erwerbsarbeit (vgl. Abb. 1) ebenso wie für die Professionalisierung ihrer Tätigkeiten in den Nonpro¿t-Organisationen, in denen sie sich bürgerschaftlich engagieren. Abb. 1: Kompetenzentwicklung durch Bürgerschaftliches Engagement und Nutzung der entwickelten Kompetenzen in der Berufstätigkeit bei E.ON Westfalen Weser, differenziert nach Kompetenzbereichen (Mehrfachantworten möglich) und Prozentwerten SHUV|QOLFKZHLWHUHQWZLFNHOW 7HDPIlKLJNHLW .RPPXQLNDWLRQVIlKLJNHLW 8PJDQJPLW0HQVFKHQ 6HOEVWEHZXVVWVHLQ 2UJDQLVDWLRQVIlKLJNHLW 3UREOHPO|VXQJVIlKLJNHLW 0HLQXQJGXUFKVHW]HQ SROLWLVFKH7KHPHQ *HGXOGLJNHLW
$QWHLOGHUMHQLJHQGLHGXUFKGDV(QJDJHPHQWGLHMHZHLOLJH.RPSHWHQ]HUZRUEHQKDEHQ GDYRQGHU$QWHLOGLHGLHMHZHLOLJH.RPSHWHQ]DXFKEHUXIOLFKQXW]HQ
Lesehilfe: 78 % der bürgerschaftlich engagierten Mitarbeiter haben durch ihr Engagement ihre Teamfähigkeit verbessert. Von diesen 78 % nutzen 93 % die erworbene Kompetenz auch in der beruÀichen Tätigkeit bei E.ON Westfalen Weser.
Quelle: Braun 2006
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Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass aktuelle staatliche und unternehmerische Maßnahmen auf die Erschließung der ‚Bildungspotenziale’ durch Bürgerschaftliches Engagement etwa in den Feldern Schule, Freiwilligendienste, Employability und (Vor-)Ruhestand oder auch unternehmensinterne Personalentwicklung abzielen (vgl. Braun 2010d). Dabei besteht allerdings immer die Gefahr einer Instrumentalisierung Bürgerschaftlichen Engagements, da der ‚Eigensinn’ dieses Engagements mit den Komponenten der Freiwilligkeit und Selbstbestimmtheit untergraben werden kann. 5
Bürgerschaftliches Engagement als Produzent von Sozialkapital
Neben der Frage nach der Zukunft des Wohlfahrtsstaats und der Arbeitsgesellschaft ist das Problem der sozialen Integration moderner und speziell der deutschen Gesellschaft abermals zu einem zentralen gesellschaftspolitischen und sozialwissenschaftlichen Thema avanciert. Aus verschiedenen Perspektiven kreisen die aktuellen Gegenwartsdiagnosen um die Frage, was moderne, individualisierte und multi-ethnische Gesellschaften noch zusammenhält – oder pointierter: noch zusammenhalten kann (vgl. z. B. Braun 2001b). Dieser ‚soziale Kitt’ wird nicht zuletzt im Bürgerschaftlichen Engagement gesehen, das als Grundlage des ‚Sozialkapitals’ moderner Gesellschaften gilt (vgl. z. B. Putnam 2000). Der modische Begriff des Sozialkapitals hebt darauf ab, dass es neben dem ökonomischen Kapital und dem Humankapital eine dritte gesellschaftliche Kapitalsorte gibt, die für Wohlfahrt und Demokratie von zentraler Bedeutung ist. Sozialkapital bezeichnet dabei zweierlei: erstens soziales Vertrauen, das die zwischenmenschliche Kooperation erleichtert, die ihrerseits zur gesellschaftlichen Koordination erforderlich ist; zweitens die Norm der generalisierten Gegenseitigkeit, die dazu beiträgt, soziale Dilemmata zu lösen (vgl. z. B. Braun 2009, Braun/Weiß 2008). Wie empirische Untersuchungen zeigen, bildet Bürgerschaftliches Engagement tatsächlich eine bedeutende Gelegenheitsstruktur, in deren Kontext Sozialkapital aufgebaut wird (Braun 2007). Dieses individuelle Sozialkapital kann der Einzelne auch außerhalb seines Bürgerschaftlichen Engagements nutzen, insofern als ihm die anderen Engagierten mit ihren Ressourcen auch jenseits des Vereins, des Projekts oder der Initiative zur Verfügung stehen. Damit gewinnt allerdings die Frage nach den sozial ungleichen Zugangschancen zu Bürgerschaftlichem Engagement und den damit verbundenen Möglichkeiten, Sozialkapital in den Engagement-Netzwerken aufzubauen, an Bedeutung. Denn nach wie vor hat die Partizipation im öffentlichen Raum einen engen Zusammenhang mit der sozia-
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len Herkunft und der individuellen Lebenslage: Bürgerschaftliches Engagement spricht vor allem solche Gruppen an, die über einen ‚Habitus’ verfügen, der in der sozialen Praxis bildungsorientierter, wertebewusster bürgerlicher Familien vermittelt wird (Braun 2001b). Demgegenüber sind sozial benachteiligte und insbesondere bildungsferne gesellschaftliche Gruppen signi¿kant seltener bürgerschaftlich engagiert. Wenn sich selbst das ‚moderne Ehrenamt’ nicht aus den bürgerlich-kulturellen Traditionen herausschneidet, in deren Kontext es in Deutschland entstanden ist, dann stellt sich die Frage, inwieweit institutionelle Arrangements geschaffen werden können, die bildungsfernen Gruppen und – angesichts der aktuellen Diskussionen – speziell auch sozial benachteiligten Menschen mit Migrationshintergrund Zugangschancen zu Bürgerschaftlichem Engagement ermöglichen. An dieser Stelle setzen neue Debatten an, die vor allen in den staatlichen Bildungseinrichtungen zentrale Institutionen sehen, um soziale Zugangsbarrieren zu Bürgerschaftlichem Engagement frühzeitig abzubauen (vgl. z. B. Bertelsmann Stiftung 2007). 6
Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen
Nicht nur Individuen können sich bürgerschaftlich engagieren, sondern auch ganze Organisationen wie z. B. Wirtschaftsunternehmen. Im deutschen Kontext könnte es auf den ersten Blick befremdlich klingen, dass sich Unternehmen als ‚Unternehmensbürger’ über gesetzliche Vorgaben und ihre eigentliche Geschäftstätigkeit hinaus in selbst gewählten Engagementfeldern und -projekten freiwillig engagieren – sei es in den Bereichen Bildung und Erziehung, Soziales und Ökologie oder Kultur und Sport. Denn gerade für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland und ihren wirtschaftlichen Erfolg war eine klare funktionale Differenzierung von Staat und Wirtschaft konstitutiv: Während der Staat als Gewährleistungsträger für Recht, Ordnung und soziale Sicherheit zuständig war, wurde den Unternehmen eine staatlich de¿nierte Rolle zugewiesen, wonach sie in Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen sind, sich zur Einhaltung arbeits-, sozial- und umweltrechtlicher Regelungen verpÀichten, Tarifverträge mit Gewerkschaften aushandeln, sich im dualen Ausbildungssystem aktiv beteiligen sowie in erheblichem Umfang Beiträge an die Sozialversicherungen abführen und Steuern zahlen. Diese funktionale Spezialisierung hatte zur Folge, dass Unternehmen in der Gesellschaft bisweilen wie ein Fremdkörper wirkten (vgl. Braun/Backhaus-Maul 2010). Vor dem Hintergrund eines sich ‚verschlankenden’ Sozialstaats auf der einen Seite und der Globalisierung des Wirtschaftens auf der anderen Seite sah sich diese – in der sozialen Marktwirtschaft begründete – deutsche Tradition des ge-
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sellschaftlichen Engagements von Unternehmen spätestens Anfang dieses Jahrtausends globalen Deutungen und einer Vielzahl neuer Begriffe wie ‚Corporate Social Responsibility’ (CSR) oder ‚Corporate Citizenship’ (CC) ausgesetzt, die vor allem durch angelsächsische Debatten geprägt sind. In diesem Kontext geht es nicht um gesetzliche VerpÀichtungen und politische Vereinbarungen, die Unternehmen zum Engagement veranlassen. Vielmehr machen die Beteiligten – wie in liberalen Gesellschaften üblich – von ihrer Freiheit zum Engagement Gebrauch (Braun 2010e). Ein sich revitalisierendes liberales Gesellschaftsverständnis scheint vor dem Hintergrund der traditionsgeprägten, staatlich regulierten Unternehmensrolle in Deutschland zumindest auf den ersten Blick zu überraschen. Bei einer genaueren theoretischen und empirischen Analyse zeigt sich allerdings, dass sich das Gesamtbild des gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen in Deutschland erst dann angemessen erschließen und einordnen lässt, wenn man das sich entfaltende ‚neue’ freiwillige gesellschaftliche Engagement vor dem Hintergrund eines breiten und vielfältigen ‚alten’ gesellschaftlichen Engagements betrachtet (Backhaus-Maul/Braun 2007). Dieses Engagement folgt tradierten ‚Engagementpfaden’, insofern als die Unternehmen im Rahmen ihres unternehmerischen Bürgerengagements eher eine gesellschaftspolitisch passive Rolle wahrnehmen, die ihnen hier im Rahmen der korporatistisch verfassten deutschen Marktwirtschaft zugewiesen wurde. Dafür spricht nicht nur der bemerkenswerte Befund, dass sich 96 % der Unternehmen in Deutschland freiwillig gesellschaftlich engagieren (vgl. Abb. 2). Dieses Engagement trägt auch die Züge einer in den Unternehmenswerten verankerten ‚beiläu¿gen Selbstverständlichkeit’ mit einer philanthropischen Akzentsetzung, die sich vor allem auf die materielle Unterstützung der lokalen Bürgergesellschaft in den Betriebsstandorten und dabei insbesondere des Vereinswesens in den Bereichen Sport und Freizeit konzentriert. Allerdings wird dieses eher als ‚traditionell’ zu charakterisierende unternehmerische Bürgerengagement von proaktiven Großunternehmen zumindest partiell durch eine neue, von den internationalen Debatten zu dieser Thematik beeinÀusste Sichtweise auf ein solches Engagement überlagert (Braun 2008). Dieser Prozess dokumentiert sich u. a. darin, dass das freiwillige gesellschaftliche Engagement in die unternehmerische Verwertungslogik von Rentabilität und Gewinnmaximierung eingeordnet wird und sich an Ratings für verantwortungsvolles Unternehmerverhalten im Sinne einer sozialen und ökonomischen Rechnungslegung orientiert. Diese strategische Kopplung des unternehmerischen Bürgerengagements mit dem jeweiligen Unternehmen und die gleichzeitige Öffnung gegenüber der Gesellschaft gibt den Unternehmen besondere Möglichkeiten zur Inspiration und
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Irritation. Somit können sie im Rahmen ihres Unternehmensengagements wirtschaftliche Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen rezipieren und dabei die eigene Kreativität und Innovationsfähigkeit experimentell erproben. In diesem Kontext ist das Konzept des CC als ein Versuch zu verstehen, ein Unternehmen auf möglichst vielfältige Weise positiv mit dem Gemeinwesen zu verknüpfen, in dem es tätig ist. ‚Unternehmensbürger’ engagieren sich in der Regel gemeinsam mit Nonpro¿t-Organisationen (z. B. Verbände, Vereine, Bildungs-, Sozial- und Kultureinrichtungen, Bürgerinitiativen), um gesellschaftliche Aufgaben zu bearbeiten, „also eine Art Pfad¿nderfunktion auszuüben“ (Habisch 2003: 1). Abb. 2: Freiwilliges gesellschaftliches Engagement der Unternehmen in Deutschland, differenziert nach Anzahl der Beschäftigten und Branchen (Prozentwerte)
Total
Mitarbeiter bis 49
50 bis 499
500 und mehr Branche verarbeitendes Gewerbe
Baugewerbe
Großhandel
Einzelhandel
Dienstleistungen
Sonstiges
Quelle: Braun 2008
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CC bildet eine Form des Identitätsmanagements (‚Identity Management’) von Unternehmen. Es eröffnet ihnen gesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten in selbst gewählten Engagementfeldern und -projekten – sei es in den Bereichen Bildung und Soziales, Sport und Erziehung oder Kultur und Ökologie. Anders als beim mäzenischen und philanthropischen Engagement geht es beim CC-Engagement um das gemeinnützig und kontinuierlich erbrachte unternehmerische Bürgerengagement, das über den engen Unternehmenszweck hinausgeht und das – und dieser Aspekt ist besonders wichtig – in engem Bezug zur Kernkompetenz des Unternehmens steht (vgl. Polterauer 2008). Der Bezug zur Kernkompetenz ist mindestens aus drei Gründen wichtig: der Kostenef¿zienz, des Humankapitals und der Kommunikation. So macht es einen Unterschied, ob Beschäftigte einer IT-Firma den PC-Pool einer Berufsschule oder mit dem gleichen Zeitaufwand das Mini-Fußballfeld auf dem Schulhof zu verbessern suchen. Zugleich dürften die Beschäftigten bei der technischen Optimierung des PC-Pools beruÀich verwertbarere Erfahrungen sammeln als bei der Sanierung des Fußballfeldes. Schließlich erleichtert die Arbeit am PC-Pool der Schule auch die externe Kommunikation über das Bürgerengagement, da es exemplarisch für das Kerngeschäft steht. Kurzum: Der Bezug zur Kernkompetenz ist unter unternehmensstrategischen Gesichtspunkten bedeutsam, weil auf diese Weise eine ‚Winwin-Situation’ für die Gesellschaft und das Unternehmen grundsätzlich denkbar ist. Damit unterscheidet sich Corporate Citizenship auch vom typischen Sponsoring; denn es geht nicht um den Tausch von Geld-, Sachmitteln oder Dienstleistungen gegen kommunikative Nutzungsrechte (vgl. Backhaus-Maul et al. 2008). Vielmehr geht es um das Bürgerschaftliche Engagement zur gesellschaftlichen Problemlösung mit Hilfe unterschiedlicher Unternehmensressourcen, wobei der mittel- und langfristige unternehmerische Nutzen gleichberechtigt neben dem gesellschaftlichen Nutzen steht. 7
Fazit
Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Unternehmen hat in Deutschland gesellschaftspolitische Hochkonjunktur. Prospektiv betrachtet muss offen bleiben, in welcher Weise sich die Diskussionen über das freiwillige gesellschaftliche Engagement von Individuen und Unternehmen in den nächsten Jahren weiterentwickeln und ausdifferenzieren werden. Einen maßgeblichen EinÀuss darauf dürften das sich wandelnde Verständnis von Staatsaufgaben und die damit verbundene veränderte Aufgabenteilung im ‚Wohlfahrtsmix’ zwischen Staat, Wirtschaft, Drittem Sektor bzw. Social Entrepreneurship und Privathaushalten haben. Angesichts der
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gesellschaftlichen Herausforderungen, in denen Bürgerschaftliches Engagement von Individuen und Organisationen als Hoffnungsträger thematisiert wird, ist allerdings zu erwarten, dass dessen gesellschaftspolitische Bedeutung in Zukunft eher noch steigen wird. Mit diesem zunehmenden Bedeutungsgewinn verbinden sich Begriffskonjunkturen und insofern auch Gefahren der Konzeptüberforderung. Denn das neu entfachte theoretische wie politikpraktische Interesse an dem Themenfeld koinzidiert mit einer Krise des Wohlfahrtsstaats, der über mehrere Jahrzehnte die gesellschaftliche Kohärenz der Bundesrepublik gesichert hat. In dieser Krise kumulieren interne und externe Faktoren, vom demographischen Wandel bis zur Verschärfung weltwirtschaftlicher Konkurrenz, die sich politischer EinÀussnahme mithin entziehen. In dieser Situation besteht die Gefahr, das Bürgerschaftliche Engagement von Individuen und Unternehmen zu überfordern und es zur Kompensation eines Rückzugs des Wohlfahrtsstaats auszubauen. In dieser Perspektive würde sich hinter der politischen Begeisterung für Bürgerschaftliches Engagement vor allem die Suche nach einem Verschiebebahnhof für grundlegende gesellschaftliche Probleme und weniger der Versuch weiter reichender institutioneller Reformen zur Stärkung einer ‚aktiven Bürgerschaft’ verbergen. Gleichwohl kann der Ideenreichtum des engagierten Bürgers oder auch Unternehmens kein Ausfallbürge für reduzierte sozialstaatliche Leistungen sein. Im Gegenteil: Schleicht sich nur der Verdacht einer Instrumentalisierung eines solchen Freiwilligenengagements für staatliche Zwecke ein, dann wird kommunale Beteiligung sehr schnell als Demokratisierung der Machtlosigkeit erfahren, die auf Dauer die Engagementbereitschaft enttäuschen muss. Gerade weil das Bürgerengagement den Eigensinn eines Engagements mit den charakteristischen Merkmalen der Freiwilligkeit und Autonomie reÀektiert, muss es – anstelle einer Instrumentalisierung – um Koproduktion und Kooperation von Unternehmen, Organisationen und Initiativen der Bürgergesellschaft sowie staatliche Akteure gehen. Bei diesen Kooperationen – und darin steckt eine zentrale Herausforderung der zukünftigen wohlfahrtspluralistischen Gestaltung der Gesellschaft – müssen sehr unterschiedliche soziale Systeme auf organisationaler Ebene zusammen¿nden, um Maßnahmen gemeinsam zu entwickeln, zu implementieren und nachhaltig durchzuführen. Allerdings ist die Integration der – immer selbstreferentiell angelegten – Ansprüche eines anderen Systems in den eigenen – ebenfalls selbstreferentiell angelegten – systemischen ‚Sinnhorizont‘ nur sehr begrenzt möglich. Die damit vorhandenen Anpassungsprobleme zwischen den Organisationswelten können aber potenzielle ‚Win-win-Konstellationen’ einer Kooperation auch in das Gegenteil verkehren. Um dieses unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, sind Regulierungs-, Koordinierungs- und Steuerungsleistungen in komplexen institu-
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tionellen Strukturen erforderlich, welche Probleme einer strukturellen Koppelung zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Organisationen mit ihren jeweils eigenen Handlungslogiken, Sachzwängen, Anforderungspro¿len und Zielsetzungen überwinden können. Mit Blick auf moderne Gesellschaften ist in dieser Argumentationsrichtung die Organisation und das Management der Interaktionen zwischen privatgewerblichen, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren in Form einer komplexen institutionellen Integration unterschiedlicher Steuerungsformen von besonderer Bedeutung, also „die Kombination von weniger Staat mit mehr Politik, sprich mehr gesellschaftlicher Beteiligung und Aktivität (…) Und diese Kombination ist sicherlich neu, denn sie ist eine echte Alternative zu den bekannten Konzeptionen des schlanken Minimalstaats (weniger Staat, mehr Politik), und, nota bene, auch des technokratischen und autoritären Sozialstaats (mehr Staat, weniger Politik)“ (Jann/Wegrich 2004: 207).
Solche Formen der gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Regulierung, Koordinierung und Steuerung in komplexen institutionellen Strukturen, an denen private und staatliche Organisationen mitwirken, sind allerdings ausgesprochen voraussetzungsvoll. Denn die Arbeit in interorganisatorischen Netzwerken setzt voraus, dass Kooperationsbeziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren neu entwickelt und dabei eine Kohärenz öffentlicher und privater Aktivitäten erzielt werden, die sich an längerfristigen Wirkungen und Auswirkungen und weniger an kurzfristigen Outputs für die Gesellschaft orientieren. In diesem Kontext kommt die Rolle der staatlichen Verwaltungen besonders zum Tragen, die sich dann nicht nur auf Probleme der Binnensteuerung beschränken kann, sondern als Initiator, Moderator und Förderer entsprechender Kooperationsbeziehungen in Erscheinung tritt. Gerade auf sie kommt es an, zivilgesellschaftliche Akteure und Unternehmen auf der Basis ihrer jeweiligen und stark divergierenden und teilweise auch diffusen Erwartungen an ein freiwilliges gesellschaftliches Engagement in die Problembewältigung öffentlicher Aufgaben einzubinden und sie zu einem solchen Engagement zu motivieren. Dabei geht es nicht einfach nur darum, nach Möglichkeiten der Privatisierung und des Outsourcing zu suchen; eine einfache Verantwortungsübertragung bislang staatlich regulierter Aufgaben auf zivilgesellschaftliche Akteure und Unternehmen und deren Bereitschaft zu Bürgerschaftlichem Engagement reicht in dieser Perspektive nicht aus. Vielmehr bedarf es einer Verantwortungsteilung mit gegenseitigen VerpÀichtungen.
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Social Business – Perspektive der innovativen Versöhnung von Ökonomie und sozialen Anliegen Peter Spiegel
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Einleitung
Als mit der 1972 erschienenen Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ das Bewusstsein für die ökologischen Herausforderungen wuchs, richteten sich die Erwartungen zum Handeln zunächst vor allem an den Staat. Dieser solle Gesetze erlassen und Richtlinien setzen, die Unternehmen und Konsumenten zu einem ökologisch verantwortungsvollen Handeln zwangen. Erst in den 1990er Jahren setzte sich allmählich das Bewusstsein durch, dass ökologisches Handeln auch ökonomisch sehr gut funktionieren kann. Immer mehr ökologische Geschäftsmodelle wurden seither zu ökonomischen Bestsellern. Über alle Parteien hinweg wird inzwischen die Ökowirtschaft als einer der entscheidenden ökonomischen Hoffnungsträger der nächsten Jahrzehnte angesehen. Die Lernkurve bezüglich der Versöhnbarkeit von Ökonomie und sozialen Anliegen verlief bisher wesentlich Àacher. Hier dominiert noch immer die Vorstellung, für soziale Anliegen sei in erster Linie der Staat zuständig oder zivilgesellschaftliches Engagement, aber nicht die Wirtschaft. Diese Vorstellung wird durch den Impuls des Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus für „Social Business“ gründlich in Frage gestellt. Der Ansatz von Social Business verändert das Verständnis von dem, was ‚sozial‘ ist, tiefgreifend gegenüber dem, was wir bisher als ‚soziale‘ Marktwirtschaft oder als ein ‚soziales‘ Projekt verstehen. Und er verändert nicht minder unser Verständnis von dem, was wir mit dem Begriff ‚Wirtschaft‘ assoziieren. 2
Was ist Social Business?
Die De¿nition, die Yunus gab, ist sehr einfach: Social Business bezeichnet Unternehmen, deren alleiniger Gründungs- und Unternehmenszweck die Lösung eines gesellschaftlichen Problems ist, sei es in den Bereichen Armutsüberwindung, Zugang zu sauberem Wasser, zu gesunder Ernährung, zu nachhaltiger Energie, P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen oder zu grundlegender Bildung. Dies bedeutet: Diese Art von Unternehmen sind nicht auf Pro¿tmaximierung ausgerichtet, sondern allein auf ‚Social Pro¿t‘, also gesellschaftlichen Nutzen. Sie sollen dabei ihre Mitarbeiter fair entlohnen, eher oberhalb der marktüblichen Tarife, und ihnen darüber hinaus eine besonders freudvolle Arbeitsatmosphäre und sinnhafte Tätigkeit bieten. Sie sollen gewinnorientiert arbeiten, mindestens jedoch selbsttragend, also vollumfänglich wirtschaftlich. Und wenn Gewinn entsteht, soll dieser im Unternehmen verbleiben und reinvestiert werden, um den Social Pro¿t weiter auszuweiten. Social Businesses können somit als eine Sonderform von Social Entrepreneurship angesehen werden: Diese müssen besonders innovative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen ¿nden, auch wenn sich ihre Innovation nicht, oder nicht vollständig wirtschaftlich selbst trägt. Social Businesses – als sich vollständig wirtschaftlich tragende Unternehmen, die damit Teil der Wirtschaft sind – prägt dagegen eine doppelte Innovationsstruktur, sie sind sozial und wirtschaftlich innovativ. Wie dieser Beitrag zeigt, gibt es Social Businesses keineswegs nur in Entwicklungsländern wie dem Ursprungsland Bangladesch, sondern überall in der Welt, wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen. Yunus sieht Social Business als einen separaten Sektor der Wirtschaft an, nicht als den Ersatz der bisherigen Wirtschaft. Zwar soll sich Wirtschaft generell an möglichst hohen Maßstäben ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung orientieren, aber zur Lösung der brennendsten gesellschaftlichen Probleme bedarf es nach Yunus eines eigenen Wirtschaftssektors, der den oben beschriebenen Prinzipien entspricht. Für Social Businesses soll der soziale Investor sein ¿nanzielles Engagement im Sinne einer ‚investiven Spende‘ sehen, also als etwas, mit dem er auch im Erfolgsfalle noch etwas Geld schenkt, nämlich die Kosten für die Bereitstellung von Eigenkapital und die Übernahme des Risikos sowie den InÀationsausgleich. Andererseits weiß der Investivspender, dass sein Geld im Unterschied zu den meisten Spenden für Hilfsprojekte bei Social Businesses wieder erwirtschaftet wird und damit ein funktionsfähiges Sozialunternehmen in die Welt gesetzt hat, das seine soziale Leistung für die betroffenen Menschen dauerhaft erbringen kann. Wenn der soziale Investor sein Geld wieder zurückerhalten möchte, sobald das Sozialunternehmen den ursprünglichen Geldeinsatz durch seine sozialunternehmerische Leistung erwirtschaftet hat, reduziert sich zudem die Bedeutung des Begriffs ‚Investivspende‘ auf nur noch den erlittenen InÀationsverlust oder, wenn man die
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sonst mögliche Verzinsung hinzurechnet, auch auf diese Summe.1 Er hilft damit jedoch einer dann selbsttragenden sozialen Dienstleistung auf die Beine oder der Entwicklung und Markteinführung eines Produkts, das speziell für die Lösung eines existentiellen Problems der Schwächsten in der Weltgesellschaft entwickelt und implementiert wurde. Der effektive Nutzen von funktionierenden Social Businesses liegt somit bei einem Vielfachen im Vergleich zu dauerhaft spenden- oder subventionsabhängigen Sozialleistungen, während sich gleichzeitig der Finanzeinsatz auf einen Bruchteil reduziert. Kann dies bereits als eine sensationelle soziale Revolution bezeichnet werden, so wird durch Social Business noch ein ganz anderer Effekt erzielt, dessen humane Bedeutung eher noch wesentlich höher zu bewerten ist: Diese Menschen werden aus dem psychologischen Gefängnis des Almosenempfängerdaseins befreit. Sie werden Teil eines ganz normalen Wirtschaftslebens, an dem sie in Fairness und voller Würde teilnehmen können als Selbstständige oder Angestellte sowie als Konsumenten von Produkten und Dienstleistungen, die für ihre Bedarfe entwickelt sind – ebenso wie es Produkte und Dienstleistungen gibt, die für die Bedürfnisse der Wohlhabenden entwickelt wurden. Für Social Businesses, die für die Grundbedarfe der Allerärmsten in der Welt etabliert werden, hat das Prinzip des Verzichts auf eine Honorierung des eingesetzten Kapitals eine entscheidende Bedeutung. Die historische Erfahrung zu allen Zeiten und in allen Kulturen und Gesellschaften zeigt, wie stark diese Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer schwachen sozialen Stellung durch ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder wucherische Zinssätze bedroht ist. Typischerweise führt die Ausnutzung dieser Schutzlosigkeit zu derart niedrigen Entlohnungen beziehungsweise derart hohen Wucherzinssätzen, dass die Betroffenen auch bei allergrößtem Arbeitseinsatz keine Chance haben, dem Teufelskreis ihrer bitteren Armut zu entkommen. Lohn und Wucherzinsen ‚pendeln‘ sich in diesem ‚Marktsegment der Allerärmsten‘ jeweils immer genau dort ein, wo die Chancenlosigkeit erhalten bleibt. Kleinkreditsysteme für die Ärmsten, die für die Anleger in Mikro¿nanzfonds aus den Industrieländern Renditen von zehn, 15 oder gar mehr als 20 Prozent ‚erwirtschaften‘ sollen – und solche Mikro¿nanzfonds gibt es und werden sogar immer mehr und immer renditeorientierter – erzeugen aufgrund der besonderen Wehrlosigkeit der Ärmsten sehr schnell erneut höchst ausbeuterische Verhältnisse. Für Social Businesses, die in diesem Segment tätig sind, sollte also unbedingt der von Yunus vorgeschlagene vollständige Verzicht auf Renditen, der Honorierung der Risikoübernahme und selbst auf InÀationsausgleich zur Anwendung 1
Nach dieser Rechnung ‚spendet’ ein solcher sozialer Investor also, je nach der Zeitdauer, bis ein Sozialunternehmen die Anfangsinvestition wieder erwirtschaftet hat, zwischen zehn und 50 Prozent.
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kommen. Da es auch andere De¿nitionen von Social Business gibt, wird dieser Ansatz als „Grameen Social Business“ bezeichnet. Aber das Verständnis von Social Business sollte nicht allein auf die Bedarfe der Allerärmsten in der Weltgesellschaft Anwendung ¿nden. Auch in reichen Ländern gibt es eine Fülle sozialer Probleme von Menschen, die nicht so arm und schutzlos sind wie die Ärmsten in Bangladesch oder Burkina Faso. Auch für diese sozialen Herausforderungen macht ein nur leicht abgewandelter Ansatz von Social Business sehr viel Sinn. Für derartige soziale Aufgaben sollte es ebenfalls eine breite Gründungswelle von Sozialunternehmen geben, also von Unternehmen, bei denen ebenfalls der einzige Gründungszweck die Lösung eines sozialen Problems ist, und die dabei ebenfalls vollständig unternehmerisch arbeiten. Für derartige Sozialunternehmen, deren sozialer Zweck jedoch für Bevölkerungsgruppen konzipiert ist, die mehr oder minder deutlich oberhalb der Armutsgrenze liegen, kann ein Höchstmaß an sozialem Effekt nicht selten gerade dann erreicht werden, wenn auch Investorengruppen für solche Sozialunternehmen erschlossen werden können, die nicht zu investivem Spenden bereit sind. Für derartige Sozialunternehmen wird aber dennoch eine absolut transparente und klar begrenzte sowie nur recht bescheidene Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals vorgeschlagen. Auch für diesen Bereich gibt es dafür klare systemische Gründe. Wenn Unternehmensführer ständig sich entscheiden müssen zwischen der Steigerung des sozialen Nutzens und der Steigerung der Kapitalverzinsung für die Anleger, gerät ein solches Sozialunternehmen in permanente InteressenskonÀikte. Nur mit klar de¿nierten und begrenzten Kapitalverzinsungen kann der Leitgedanke des sozialen Nutzens vor Shareholder-Interessen geschützt werden. Und nur wenn die Verzinsungen für derartige Sozialunternehmen bescheiden de¿niert sind, schützen sie ihr kostbarstes Gut: ihre Glaubwürdigkeit. Für so de¿nierte Sozialunternehmen hat das Genisis Institute for Social Business and Impact Strategies2 den Begriff „Social Investment Business“ eingeführt. Diese können völlig neue und sehr weite Bereiche der Finanzwelt für sich nutzbar machen. Nach dem Zusammenbruch des bisherigen Welt¿nanzsystems mit seinen hoch spekulativen Finanzprodukten legen viele Anleger hohen Wert auf die Sicherheit ihrer Anlagen und sind dafür auch mit eher bescheidenen Verzinsungen zufrieden. Aber selbst für den Fall, dass die Verlockungen hoher Zinssätze wieder einen größeren Marktanteil erlangen sollten, wird jeder vernünftige Mensch zumindest einen Teil seines Vermögens in sicheren Zonen anlegen. In 2
Das Genisis Institute for Social Business and Impact Strategies ist das weltweit erste Institut für Social Business sowie der Veranstalter des „Vision Summit”, der die maßgeblichen Impulse für die Social-Business-Bewegung im deutschsprachigen Raum gab (vgl. www.genisis-institute. org).
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dem Maße wie sich Social Investment Businesses zu funktionierenden Geschäftsmodellen entwickeln, können sie sich aus einem immensen Finanzpool speisen. Das Spektrum von sozialen Aufgaben, in dem Social Impact Businesses tätig werden können, ist weitaus größer als der Bereich der uns vertrauten sozialen Probleme in den Industrieländern wie die Reintegration von Langzeitarbeitslosen oder die Integration von Rand- und Problemgruppen in die Gesellschaft und Wirtschaft. Ein riesiges Feld ist die Ausbreitung von Sozialunternehmen im Bildungssektor, um dort wesentlich mehr Freiraum für unternehmerisch innovative Ansätze zu schaffen und die teilweise vorhandene bürokratische und lobbyistische Verkrustung zu überwinden. Mit Bildungseinrichtungen, die als Social Businesses oder Social Investment Businesses konstituiert sind, hat der Staat einen neuen Partner. Der Charakter der Adressierung sozialer Aufgaben in unserer Gesellschaft könnte sich auf diese Weise grundlegend verändern. Nach der hier vorgenommenen Unterscheidung von Social Business und Social Investment Business soll künftig vereinfacht nur von „Social Impact Business“ im Sinne eines Überbegriffs die Rede sein. Das Megapotenzial von Social Impact Business für die künftige Entwicklung der Weltgesellschaft sowie für ein neuartiges globales soziales Wirtschaftswunder lässt sich in drei zentrale Wirkungsfelder und Wirkmechanismen aufgliedern: ƒ ƒ ƒ
die revolutionäre Idee der Kleinkredite, die sozialökonomische Innovation in den Entwicklungsländern, die sozialökonomische Innovation in den Industrieländern.
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Die revolutionäre Idee der Kleinkredite
Bis zum Jahr 2009 hat sich die weltweite Bewegung der Kleinkredite derart ausgeweitet, dass bereits 120 Millionen Menschen in nahezu allen Ländern der Welt Zugang zu diesen erhalten haben. Da von jedem Kleinkredit im Durchschnitt vier weitere Personen, insbesondere die Familienmitglieder, unmittelbaren sozialen Nutzen haben, liegt die Zahl der bisherigen Nutznießer von Kleinkrediten bereits weit über einer halben Milliarde Menschen. Was ist der Nutzen, den diese Menschen durch Kleinkredite bisher erhalten haben? Wie kann dieser Nutzen auf alle Menschen weltweit ausgeweitet werden, die heute noch keinen Zugang haben? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Weltwirtschaft und Weltgesellschaft? Beginnt man mit den gesamtökonomischen Auswirkungen, so ist das Ursprungsland der Kleinkreditbewegung, Bangladesch, ein höchst interessantes Lehr-
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beispiel. Hier haben inzwischen etwa 80 Prozent der Menschen Zugang zu Kleinkrediten. Knapp die Hälfte davon erreicht die Grameen Bank3 mit ihren etwa acht Millionen Kleinkreditkunden und somit 40 Millionen, die davon pro¿tieren. Die Kleinkreditbank Brac4 ist in Bangladesch nahezu gleich groß. Zahlreiche weitere Kleinkreditorganisationen in diesem Land erreichen hingegen in der Summe kaum mehr als zehn Prozent. Mit dieser Dichte an Kleinkreditangeboten liegt Bangladesch weit vor jedem anderen Land der Welt. Das zweitbeste Land mit der Versorgung von Kleinkrediten für die Ärmsten erreicht gerade einmal acht Prozent. Bangladesch erzielte in den vergangenen Jahren ein Wirtschafswachstum von jeweils etwa acht Prozent, lag also international in der Spitzengruppe. Das Land erzielte diese Marge, obwohl es nach dem Hauptmerkmal für Länder mit guter Wachstumskennziffer, einer guten Regierungsführung, weit abgeschlagen auf einem der letzten Ränge in der Welt steht. Aufgrund einer Fehde zweier politischer Clans, die das Land und deren Parteien seit Jahrzehnten in ihrem Griff hält, gilt es traditionell als eines der korruptesten und reformunfähigsten Länder der Welt mit den unfähigsten Regierungen. In einer Reihe von Entwicklungsländern mit guter Regierungsführung lagen in den vergangenen Jahren die Wachstumsraten annähernd so hoch wie in Bangladesch. Jedoch verbindet diese Länder noch eine andere Gemeinsamkeit neben der so genannten ‚Good governance‘: Das Wachstum ¿ndet dort im Wesentlichen in den oberen Schichten statt, deutlich abgeschwächt in den Mittelschichten und es kommt kaum in den unteren Schichten an. Ganz anders in Bangladesch: Dort handelt es sich weitestgehend um ein echtes ‚Wachstum von unten‘. Die Wege, wie ein Wachstum von oben und eines von unten initiiert werden, sind sehr unterschiedlich. Ein Wachstum von unten funktioniert, wie Bangladesch zeigt, fast allein schon durch die Etablierung eines funktionierenden Kleinkreditsystems. Alle weiteren wichtigen und wertvollen sozialen Effekte werden durch Kleinkreditsysteme gleichzeitig mitinitiiert. Gesamtökonomisch hat die Förderung von Kleinkreditsystemen in jenen Gesellschaftsbereichen und Märkten, die noch wenig entwickelt sind, zwei ganz besonders große Vorteile: Sie ist erstaunlich kostengünstig zu organisieren, und sie wirkt additiv zu allen sonstigen Wirtschaftsförderansätzen. Dies bedeutet: Durch relativ sehr geringe Investitionen können wir weltweit ein stabiles soziales Wirtschaftswunder erzeugen, das die Wachstumskräfte, die sonst zur Wirkung kommen, vom anderen Ende her ent3
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Die Grameen Bank ist die größte und erfolgreichste Kleinkreditbank der Welt mit acht Millionen Kleinkreditkunden in Bangladesh sowie Kleinkreditprojekten in mehr als 40 Ländern. Aus der Grameen Bank gingen inzwischen mehr als 20 Tochterunternehmen hervor, von denen die meisten weitere Beispiele für das Konzept des Social Business darstellen (vgl. www.grameen-info.org). Vgl. www.bracbank.com.
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scheidend ergänzt.5 Ein Wachstum durch Kleinkredite kann besonders gut dazu genutzt werden, eine große globale Ökowende der Wirtschaft zu organisieren. Was kostet nun ein Investitionsprogramm für die weltweit Àächendeckende Installation von funktionierenden Kleinkreditsystemen? Das Genisis Institute legte dafür einen Erfahrungswert zugrunde, auf den unabhängig voneinander sowohl die Grameen Bank als auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Deutschland zugreifen kam. Der Aufbau eines neuen Kleinkreditsystems in einer noch unerschlossenen Region kostet etwa drei Millionen Euro, bis dieses neue Kleinkreditsystem selbsttragend arbeitet. Mit etwa 10.000 neuen Kleinkreditsystemen lässt sich das Kleinkreditnetzwerk weltweit Àächendeckend schließen.6 Dabei ist der Aufbau von Kleinkreditsystemen nur eine Variante von Social Business für ein Wachstum von unten, wenn auch eine entscheidende Grundlage. Kleinkredite nach dem Ansatz von Grameen und anderen ähnlich arbeitenden Organisationen hebeln mit ihrem Prinzip einen entscheidenden Ausbeutungsmechanismus aus. Sie übereignen einen erheblichen Anteil der Wertschöpfung, die die Armen der Welt mit ihrer Arbeit leisten, an diese selbst. Vorher konnten diese Menschen aufgrund ihrer ökonomischen und sozialen Schutzlosigkeit sehr leicht durch ihre wirtschaftlichen Ausbeuter von ihrer Wertschöpfung so weit abgeschnitten werden, dass es zu einem würdevollen Leben mit auch nur geringsten Aussichten auf ein besseres Leben immer zu wenig und zum schieren Überleben, von Katastrophen abgesehen, gerade noch ausreichend war. Die Margen, die die ‚wirtschaftlichen Partner‘ der Ärmsten dabei für sich regelmäßig einbehielten, würden in der Regel gut ausreichen, um diesen Menschen eine wirtschaftliche und damit auch soziale Entwicklung zu ermöglichen. Davon können sie problemlos einen fairen Zinssatz für Kleinkredite bezahlen und es bleibt genügend übrig, um darüber hinaus Geld zur Seite zu legen und für neue Investitionen zu sparen und durch diesen Mechanismus den eigenständigen Weg aus der Armutsfalle zu beschreiten. Mit dem Kleinkredit wird eine lebensunternehmerische Verantwortungskultur zugrunde gelegt. Den Kreditnehmern wird signalisiert, dass sie selbst in der Lage sind, sich den notwendigen Rat zu holen, auf deren Grundlage sie dann die für 5
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Wenn unter der Maxime von guter Regierungsführung beispielsweise fünf Prozent Wirtschaftswachstum in Entwicklungsländern induziert werden, kommen durch funktionierende Kleinkreditsysteme nach Konsolidierung vielleicht noch einmal drei Prozent hinzu. Die Wirtschaft von solchen Ländern kann dann um acht Prozent oder mehr wachsen. Alle Menschen der Welt, die heute keinen Zugang zu Krediten haben, können dadurch in wenigen Jahren erreicht werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass die Anfangsinvestition von drei Millionen Euro pro neuem regionalen System vollständig ein verlorener Zuschuss bliebe, käme man auf gerade einmal 30 Milliarden Euro, um ein ähnliches breites Wachstum aus der Armut überall in der Welt zu erzeugen wie in Bangladesch.
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sie passenden Entscheidungen treffen können. Genau diese Selbstwahrnehmung leben sie ab dem Zeitpunkt, mit dem sie Kreditnehmer und somit Unternehmer werden. Und mit dieser Selbstwahrnehmung nehmen sie gleichzeitig auch andere Verantwortungen in ihrem sozialen Umfeld an. Sie werden in einem umfassenden Sinne ‚Change agents‘, Agenten sozialen Wandels. So investieren die Kreditnehmerinnen nicht nur in ihr Kleinstunternehmen, sondern so schnell dies irgend möglich ist, in die Bildung ihrer Kinder. Obwohl die überwältigende Zahl der ersten Kreditnehmerinnen bei Grameen Analphabeten waren, liegt die Analphabetismusrate bei deren Kindern bei null Prozent. Da sich am untersten Ende der Einkommenspyramide in Bangladesch wie in allen anderen Entwicklungsländern die Frauen als die weitaus besseren Unternehmer erwiesen, führt der Kleinkredit für sie unweigerlich zu einer veränderten gesellschaftlichen Situation. Sie sind nicht mehr die Schwächsten und Rechtlosesten in der Gesellschaft, sondern werden zu selbstbewussten Persönlichkeiten, die es verstehen, ihre gesellschaftliche Stellung mit Klugheit und Umsicht immer weiter zu verbessern. 4
Die sozialökonomische Innovation für die ganze Welt
Der angesehene indische Wirtschaftswissenschaftler C.K. Prahalad schaffte es in wenigen Monaten, die weltweit agierenden Unternehmen, die so genannten Global Player, mit dem Hinweis auf eine überaus revolutionäre Entwicklung aufzuschrecken (vgl. Prahalad 2010). In seinen Beratungsgesprächen mit den führenden Vorstandsvorsitzenden (CEO’s) präsentierte er diese untrüglichen Indizien einer Entwicklung, durch die sie in ihrer Existenz bedroht werden, wenn sie deren Herausforderungen nicht meistern sollten. Es handelt sich dabei um Herausforderungen, auf die sie schlechter kaum vorbereitet sein könnten, da sie auf einem Feld spielen, mit dem sie sich niemals befasst haben, dessen Spielregeln ihrem Denken komplett fremd sind und für das es nicht einmal hoch bezahlte Berater gibt, an die sie sich in ihrer Not wenden könnten. Das Feld, von dem hier die Rede ist, ist der größte noch erschließbare Markt der Menschheitsgeschichte. Seine Größe lässt sich auf etwa zwei Drittel der Menschheit beziffern. Das gemeinsames Merkmal: Er steht heute noch weitestgehend ‚out of economy‘. Was ist das für ein merkwürdiges Konstrukt – ein ‚Market out of economy‘? Prahalad kam durch seine Analysen der Veränderungen in der Weltwirtschaft zu dem Ergebnis: Uns steht vor allem eine Revolution der Innovationen bevor. Die beschriebenen Tatsachen erzwingen eine Revolution bei der Entwicklung völlig
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neuer Produkte und Dienstleistungen. Ein global aufgestelltes Unternehmen kann gar nicht anders, als nun eine völlig neue Generation von Produkten und Dienstleistungen zu entwickeln, die auf die Bedarfe jener Menschen zugeschnitten sind, die an der Schwelle von ‚out of economy‘ zu ‚Part of the economy‘ stehen. Der schlichte Grund: Einige Global Player haben bereits damit begonnen. Wer nicht schnell aufholt an dieser neuen Front, der verpasst die dynamischsten Wachstumsmärkte der nächsten Jahrzehnte. Wegen der Skalierbarkeit dieser neuen Generation von Produkten auf zwei, drei, vier Milliarden Menschen kann kein Unternehmensführer an dieser Herausforderung vorbei gehen. Prahalad spricht dabei nicht nur von technischen Innovationen, sondern auch von Innovationen beim Marketing, bei den Bezahlsystemen, im sozialen Bereich, also von Innovationen im umfassenden Sinne. Die Innovationen der vergangenen Jahrzehnte konzentrierten sich vor allem auf die Bedürfnisse der Menschen in den wohlhabenderen Ländern, weil dort die Kaufkraft war, durch die sich entsprechende Innovationsentwicklungen auch rechnen konnten. Die neue Generation von Innovationen für die Bedarfe der Menschen an der Armutsschwelle müssen wesentlich anderen und schwerer zu erfüllenden Bedingungen gerecht werden: Sie müssen wesentlich kostengünstigere Lösungen entwickeln bei in der Regel eher höherer statt geringerer Qualität. Menschen mit noch geringer Kaufkraft achten besonders darauf, dass die Produkte, die sie kaufen, auch lange halten und möglichst wartungsfrei funktionieren. Technische Geräte für besonders heiße und staubige Regionen müssen robuster sein als für gemäßigte Klimazonen. Sie müssen einfacher in der Bedienung sein sowie anpassungsfähiger für die Bedarfe in unterschiedlichen Kulturen sowie für neue Entwicklungen. Und sie müssen unabhängiger sein von bestimmten technischen Infrastrukturvoraussetzungen wie z. B. Überlandleitungen und Strom aus der Steckdose. Innovationen mit derartigen Ansprüchen sind alles andere als leicht zu erfüllen. Wer sie aber erfüllt, schafft mit seinen neu entwickelten Produkten und Dienstleistungen eine Skalierbarkeit und ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das die globalen Märkte und ihre Player in kürzester Zeit vollkommen verändern werden. Wer sich der Herausforderung für Innovationen an dieser Schwelle stellt, muss radikal alles, was bisher als fest, fortschrittlich oder gar genial galt, in Frage stellen und fundamental neu denken. Prahalad erwartet daher durch diese Herausforderung den größten Schub an Innovationen in den nächsten Jahrzehnten. 4.1 Entwicklungsländer werden zu Vorreitern sozialökonomischer Innovation Ein Beispiel für das, was Prahalad meint, sind die Aravaid-Kliniken in Indien (Prahalad 2010: 413 ff.). Dessen Gründer, ein Arzt, trieb der Wunsch, seine Dienst-
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leistung der Operation von Grauem Star sehr viel mehr armen Menschen zugute kommen zu lassen. Bisher konnte er dies nur sehr begrenzt durch die Erweiterung seines Freizeiteinsatzes für unbezahlte Operationen für die Ärmsten leisten. So begann er, sich jeden einzelnen Schritt seiner Dienstleistung von der Diagnose bis zur Nachsorge noch einmal ganz genau anzusehen und zu überdenken, wie er dort mehr Ef¿zienz hineinbringen konnte. Er fand Wege, die Diagnose radikal zu vereinfachen, indem er Menschen darin ausbildete, in den Dörfern die Merkmale für Grauen Star zu identi¿zieren. Die Operationsvorbereitung wie auch die Nachbereitung konnte er so umstellen, dass das teuerste Personal, die Fachärzte, fast nichts anderes mehr tun mussten als die eigentliche Operation. Er entwickelte mehrere Patente für technische Innovationen, die heute weltweit vermarktet werden – alles aus derselben Motivation, weitaus mehr und vor allem armen Menschen die Sehkraft zu erhalten oder wiederzuschenken. Das Gesamtergebnis ist so sensationell, dass man es kaum glauben kann: Die Kosten für eine Operation des Grauen Stars konnten nach indischen Verhältnissen um 95 Prozent reduziert werden, also auf fünf Prozent der vorherigen Kosten. Das Aravind-Team gibt diese Kostenrevolution in der Form weiter, dass 60 Prozent der dort operierten Patienten gar nichts bezahlen müssen, weil sie so arm sind und sich eine Augenoperation unmöglich leisten könnten. Die restlichen 40 Prozent zahlen gestaffelte Tarife, aber immer noch weit unter jenen anderer Augenkliniken im Lande. Durch die radikalen Umstellungen erreichten die Aravind-Kliniken gleichzeitig eine derart hohe Qualität, dass sie heute zu den besten Kliniken zur Behandlung des Grauen Stars der Welt zählen. So Àiegen viele reiche Amerikaner nach Indien, um sich in den Aravind-Kliniken operieren zu lassen. Sie tun dies sicher nicht aus Gründen des Mitleids, um durch ihre Operation vielen anderen armen Menschen ebenfalls Augenoperationen ermöglichen zu können, sondern ganz allein wegen des Weltrufs für die dort geleistete Qualität. Die Gesamtinnovationen von Aravind sind so gut, dass am Ende sogar noch ein Gewinn von 25 Prozent pro Jahr übrig bleibt. Dieser wird jedoch, ganz im Sinne der Social-Business-Philosophie, reinvestiert in neue Aravind-Kliniken und in die Weiterentwicklung der eigenen Innovationen. Ein zweites Beispiel kann weiter verdeutlichen, wie wenig unser Denken noch darauf eingestellt ist, sich mit ökonomisch tragfähigen Lösungen an der Armutsschwelle zu beschäftigen. Wir haben eine weit verbreitete, technisch wie ökonomisch sehr versierte Ökowirtschaft, aber dennoch galt allen Akteuren als nicht hinterfragenswert, dass die Ausbreitung von Solaranlagen in den Armutsmärkten subventionsabhängig sei. Für diese Bereiche des Einsatzes von Solaranlagen setzte man auf die Subventionsbereitschaft von staatlichen Entwicklungsetats und die Spenden- und Förderbereitschaft von umweltengagierten Bürgern, Organisationen und Stiftungen.
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Ganz anders der Initiator und Gründer eines der inzwischen erfolgreichsten Grameen-Unternehmens: Dipal Barua von Grameen Shakti (vgl. Alt/Spiegel 2009). Er recherchierte zunächst, welche Ausgaben die Ärmsten haben für das Maß an Energieverbrauch, das sie sich jeweils leisten konnten. Das Ergebnis: Ausgerechnet die Ärmsten bezahlen nicht nur relativ, sondern auch nominell das meiste für Energie, zumindest in den weiten ländlichen Regionen. Sie haben dort keinen Zugang zu Überlandleitungen und müssen sich somit mit Energie aus Kerzen, Kerosin und Batterien versorgen. Dipal stellte diesem Betrag gegenüber, was die Installation eines Solar Home Systems mit der gleichen Energieleistung kostet und wie lange es dauert, bis dieses mit monatlichen Rückzahlungsbeträgen abbezahlt ist, die für die betreffenden Haushalte keinerlei Mehrbelastung bedeutet. Nach zwei bis drei Jahren ist die Solaranlage ¿nanziert und liefert den Strom ab diesem Zeitpunkt kostenlos. Im Durchschnitt halten Solar Home Systems acht Jahre, was fünf bis sechs Jahre kostenlosen Strom bedeutet. Nach diesem Geschäftsmodell installierte Grameen Shakti7 in Bangladesch bis zum Sommer 2010 bereits mehr als 450.000 Solar Home Systems – mehr als auf deutschen Dächern Solaranlagen installiert sind. Bis 2015 skaliert sich diese Zahl auf mehr als fünf Millionen Solar Home Systems in Bangladesch. Nachdem sich dieses Geschäftsmodell bereits nach derzeitigen Kosten für Solarmodule so prächtig rechnet, suchen nunmehr weltweit immer mehr Partner die Kooperation mit Grameen Shakti weil ihnen klar ist, dass die Tür jetzt offen steht für die Installation von rund 500 Millionen Solar Home Systems weltweit. Yunus nahm sich vor, diese Entwicklung des Know-Transfers von Nord nach Süd plus dessen Transformation zu völlig neuen Innovationen zum beiderseitigen Nutzen von Global Players und von den breiten Menschenmassen der heute noch Armen noch weiter zu beÀügeln und zugleich mit einem sinnvollen Rahmen zu versehen. Seine weltweite Social-Business-Initiative will genau dies leisten. So wertvoll der Hinweis von Prahalad auf dieses sensationelle neue und ökonomisch wie sozial höchst wertvolle Innovationsfeld auch ist, so sieht er sich selbst jedoch in erster Linie als Berater von Unternehmen. Der Nutzen für die Ärmsten ist bei seinem Ansatz zwar ebenfalls sehr groß, aber dennoch ist sein Ansatz in der Gefahr, dass er die systemischen Effekte nicht gleichfalls beziehungsweise nicht in gleicher Intensität im Visier hat. Prahalad denkt produkt- beziehungsweise dienstleistungsbezogen. Ein Produkt oder eine Dienstleistung, die vielen Armen fraglosen Nutzen bringt, muss aber nicht zugleich auch auf der Ebene des gesamtwirtschaftlichen Rahmens den Armen Vorteile bringen. Das bedeutet: Wenn die wirtschaftliche Wertschöpfung weiterhin sehr einseitig bei den starken Playern konzentriert bleibt, wird die wirtschaftliche Entwicklung der Armen sicher nicht 7
Nähere Informationen zu Grameen Shakti unter www.gshakti.org.
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optimal befördert, sondern eher semi-optimal. Der Kleinkreditansatz hat es ermöglicht, dass sich aus dem Sektor der Armen eine breite Gründerwelle eröffnet hat. Dadurch können die Armen für ein Wachstum aus der Armut wesentlich mehr beitragen als nur Konsumenten für innovative Produkte und Dienstleistungen zu sein, die in besserer Abstimmung für ihre Bedarfe entwickelt wurden. Sie können zu einem wesentlichen unternehmerischen Teil dieses Innovationsprozesses werden. Diese Chance und diese systemisch wesentlich bessere Lösung möchte Yunus nicht vertun. Das bedeutet keineswegs, dass Global Player nicht eine richtige, wichtige und starke Rolle in diesem Prozess spielen könnten und sollten. Da letztlich auch sie viel mehr pro¿tieren, wenn sich aus den Abermillionen heute noch Armen sehr viele Millionen Selbstständige entwickeln und sich eine hoch dynamische Mittelschicht bildet, sind die Voraussetzungen hervorragend, dass sehr viele global agierende Konzerne wie auch mittelständische Unternehmen den von Yunus vorgeschlagenen und angebotenen Weg gehen werden. Grameen Danone bildete hier nur den Anfang (vgl. Yunus 2008). Als Frank Riboud, der CEO von Danone, in einem Gespräch mit Muhammad Yunus die Überreichung einer Millionenspende anbot, schlug dieser stattdessen ein Social Joint Venture zwischen beiden Unternehmen vor. Riboud akzeptierte sofort, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen, das in Bangladesch einen Joghurt herstellen sollte, in dem genau jene Nahrungsbestandteile enthalten sind, die in der Ernährung der Ärmsten in aller Regel fehlen und somit bei diesen zu zahllosen Erkrankungen aus Mangelernährung führen. Dieser Joghurt musste sich in seiner Herstellung zudem in die Stabilisierung regionaler Wirtschaftskreisläufe einpassen. Die erste Joghurtfabrikation dieses Social Joint Ventures wurde bereits Ende 2006 im Norden Bangladeschs eingeweiht (siehe Bruysten/Engelke in diesem Band). Sich daraus ergebende Anforderungen bedeuteten für die beteiligten DanoneExperten eine so noch nie gekannte Herausforderung. Bisher mussten sie Fabrikanlagen mit maximaler Größe planen, jetzt mit minimaler Größe. Bisher mussten sie bei der Preisplanung zwar auch auf das Verhalten der Konkurrenten achten, aber auch diese wollten gute Renditen erwirtschaften, so dass der Druck auf extrem niedrige Preise für ihre Produkte dennoch in keiner Weise vergleichbar war mit der jetzigen Herausforderung in Bangladesch. Ferner bestand Yunus bei der Zusammenarbeit darauf, dass der gemeinsam produzierte Joghurt nicht für leicht erzielbare höhere Preise in den städtischen Märkten abgesetzt wird, weil so sein Hauptziel, die Versorgung der Ärmsten auf dem Lande, unterlaufen worden wäre. Außerdem setzte man von Anfang an – entsprechend des Wunsches von Yunus – einen biologisch abbaubaren Becher ein, und in der Forschungsabteilung stand man im Mai 2010 kurz davor, bald auf Maisbasis einen essbaren Joghurtbecher produzieren zu können.
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In kürzester Zeit sprach sich diese ungewöhnliche Kooperation in der Wirtschaftswelt herum und führte inzwischen zu weiteren Social Joint Ventures mit gleichen radikalen Konditionen eines Grameen Social Businesses mit Global Playern wie Intel, General Electric, Veolia, BASF, Adidas, Otto Group etc. Durch den hier angesprochenen Innovationsschub pro¿tieren nicht nur die Milliarden Menschen, die heute noch an der Armutsschwelle leben. Da ein erheblicher Teil des gegenwärtigen technischen Know-hows sowie der besten Innovationskraft in den traditionellen Industrieländern konzentriert ist, wird die hier beschriebene Entwicklung einen immensen Nachfrageschub für deren Leistungen bedeuten und hier viele Arbeitsplätze sichern und neu schaffen. Ferner wird die Innovationsrevolution für die Bedarfe der Milliarden an der Armutsschwelle auch für die Menschen in den Industrieländern erhebliche Vorteile bringen.8 4.2 Kompetenzentwicklung als Schlüsselansatz sozialer Problemlösung – Optionen für Industriestaaten Lässt sich der Social-Business-Impuls auch auf die Industrieländer übertragen, und wenn ja, wie? Dies ist in einer weit größeren Dimension möglich als wir uns derzeit vorstellen können. Wenn wir an soziale Anliegen denken, verbinden wir diese oft gerade nicht mit einem gesteigerten Zutrauen an die eigenen Kräfte jener Menschen, denen wir sozial helfen wollen. Wir denken viel zu schnell und zu einseitig darüber nach, wie wir ihnen Hürden beseitigen und Verantwortung abnehmen können, wie wir Hilfe und Assistenz für sie organisieren können. Wir verhalten uns in unserem Land gegenüber Menschen in schwierigen sozialen Lagen oft analog zum Almosengeben an Menschen in schwierigen sozialen Lagen in Entwicklungsländern. Doch diese Menschen brauchen kein Verhalten, das ihnen die Botschaft vermittelt, sie hätten nicht die nötigen Fähigkeiten, ihre Herausforderungen selbst zu meistern. Dies bedeutet keineswegs, sie mit ihren Problemen allein zu lassen. Was sich bei uns als notwendig im Sinne von die Not wendend erweisen wird entspricht im Kern demselben, was beim Kleinkredit wirksam wird: der Glaube an einen Fähigkeitenschatz in jedem Menschen, der bei keinem auch nur annähernd ausgeschöpft ist. Als oberste Handlungsleitlinie ergibt sich daraus: die Entdeckung dieser Fähigkeiten in jedem sowie deren konzentrierte Entwicklung. Für die Frage, was heute als sozial angesehen werden sollte, bedeutet dies: Je mehr eine Gemeinschaft/ Gesellschaft dazu beiträgt, dass jeder Mensch bis dahin noch nicht entdeckte Fä8
Die Entwicklung eines 100-Euro-Laptops entlastet auch bei uns viele Haushaltskassen. Inzwischen arbeiten, dank des Social-Business-Impulses, aber bereits große Unternehmen an IT-Lösungen zu noch weit kostengünstigeren Bedingungen.
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higkeiten in sich entdeckt, sein Leben aktiv zu gestalten und zu einer besseren Welt beizutragen, desto sozialer ist sie. In der Konsequenz bedeutet dies: Wir brauchen in Ergänzung zu unserem bisherigen, primär wissensorientierten Bildungssystem ein Kompetenzenbildungssystem, ein System der lebenslangen Vermittlung und Förderung von Schlüsselkompetenzen, von grundlegenden lebenspraktischen Fähigkeiten wie Teamkompetenz, Visionskompetenz, Lernkompetenz, KonÀiktlösungskompetenz, unternehmerische Kompetenz und vieles mehr. Dies ist viel mehr als ein rein bildungspolitischer Ansatz. Kompetenzenbildung ist für die meisten sozialen Probleme der Schlüsselansatz, sei es bei Integrationsproblemen von Migranten und sozialen Randgruppen, bei Problemen der beruÀichen Wiedereingliederung und selbst beim Umgang mit Alten, Kranken und Behinderten. Alle Ansätze und Projekte, die in diesen sozialen Bereichen als besonders innovativ und erfolgreich gelten können, zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei den betroffenen Menschen neue Kompetenzen entdecken und hervorzubringen gestatten. Unsere heutigen sozialen Systeme sind jedoch viel zu sehr von Konzepten durchdrungen, die auf einem verengten Betreuungsansatz fußen und von Strukturen geprägt, die auf Vorgaben und Kontrollen setzen. Unsere sozialen Systeme leiden an einem Mangel an unternehmerischem Er¿ndungs- und Umsetzungsgeist. Ihnen fehlt es an dem, was eine neue Spezies an sozial motivierten Menschen entwickelt und umgesetzt haben: die Social Entrepreneurs. Social Entrepreneurs sind Menschen, die soziale Probleme auf neuartige, innovative Weise angehen und nicht warten, bis ihre Konzepte von staatlichen oder kirchlichen sozialen Trägerorganisationen aufgegriffen werden, sondern diese in selbst organisierten Projekten umsetzen. Sie agieren im sozialen Feld in einem doppelten Wortsinne unternehmerisch: Sie entwickeln innovative Lösungen und sie suchen Wege, diese eigenverantwortlich und in Kooperation mit Gleichgesinnten umzusetzen. Es ist nicht verwunderlich, dass immer mehr soziale Innovationen nicht innerhalb unserer traditionellen sozialen Systeme entstehen, sondern in diesem neuen, wachsenden Sektor von Sozialunternehmerpersönlichkeiten. Wie können wir deren Dynamik nutzen, und wie können wir dafür Sorge tragen, dass noch sehr viel mehr Menschen motiviert sind, das weite soziale Feld sozialunternehmerisch umzupÀügen und neu zu bestellen? Hierfür bietet die Philosophie und Praxis von Social Business nicht nur entscheidend bessere Gedankenfreiräume für die Entwicklung innovativer Konzepte. Sie bietet dem Staat auch eine grundlegend neue Option neben den staatlichen sozialen Einrichtungen und neben den staatlich geförderten sozialen Einrichtungen kirchlicher Träger sowie neben der Privatisierung von sozialen und Bildungsaufgaben an Shareholder-getragene Unternehmen.
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Ein Social Business ist de¿niert durch den alleinigen Gründungszweck der Lösung eines gesellschaftlichen Problems und den Verzicht auf jegliches spekulative Shareholder-Interesse in dessen ¿nanztechnischer und rechtlicher Konstruktion. Damit verbindet ein Social Business ein Höchstmaß an unternehmerischer Kreativität und Dynamik auf der einen Seite mit einem Höchstmaß an Sicherheit auf der anderen Seite vor Verzerrungen des gesellschaftlichen Nutzens durch Interessen der Steigerung des monetären Bene¿ts von Shareholdern. Alle Vorteile unternehmerischen Denkens und Handelns Àießen bei Social Businesses allein dem de¿nierten gesellschaftlichen Ziel zu. Selbst ein erwirtschafteter Gewinn bleibt – abgesehen von einer klar de¿nierten und sehr begrenzten Kapitalverzinsung – in diesem Sozialunternehmen, um auch damit den gesellschaftlichen Nutzen noch weiter auszubauen. Staatliches Handeln nach Wohlfahrtsprinzipien muss dafür Sorge tragen, dass alle erforderlichen gesellschaftlichen Aufgaben optimal erfüllt werden, sei es durch eigene Sozialeinrichtungen, sei es durch andere gemeinnützige Einrichtungen, denen er ursprünglich staatliche Aufgaben anvertraut hat, sei es durch partielle Privatisierungen an Shareholder-getragene Einrichtungen – sei es nun durch die zusätzliche Option der Delegation solcher Aufgaben an Social Businesses, die von Social Entrepreneurs ins Leben gerufen wurden und von Sozialinvestoren getragen werden. Wie sind die Erfahrungen mit den bisherigen Optionen – und wie kann der Staat mit Social Businesses kooperieren? Nicht nur staatliche Sozialeinrichtungen haben eine Tendenz zu bürokratischem Handeln, zu geringer Experimentierfreude und zu einem Claim-Verhalten. Das gilt auch für nicht-staatliche Träger von Sozialeinrichtungen. Insbesondere deren Claim-Tendenzen werden in der Öffentlichkeit oft unterschätzt, also deren Tendenzen zu einem Anspruchsverhalten auf ihnen zustehende geschützte Gebiete und Einnahmen. In Richtung Privatisierung gesellschaftlicher Aufgaben steht der Staat vor dem Problem, dass Shareholder-orientierte Unternehmen wenig Tendenz haben, in diesem besonders schwierigen Bereichen aktiv zu werden.9 Die Privatisierung via Social Businesses ist demgegenüber etwas völlig anderes, weil hier, wenn man in dieser Sprache bleibt, eine Vergesellschaftung der Motive von Privatinitiative erfolgte. Wie kann der Staat diese neue Option nutzen? In Australien schreibt der Staat bereits staatliche Aufgaben aus, für die sich Vereine oder auch Social Businesses bewerben können. Die daraufhin vergebenen 9
Shareholder betätigen sich gerne als ‚Rosinenpicker‘: Sie gründen Bildungseinrichtungen, die vorrangig den Vermögenden Alternativen zu den staatlichen Schulen anbieten, oder Altenheime für die reicheren Schichten und so weiter. Privatisierungen dieser Art erinnern in manchen Punkten an Klassengesellschaft. Die Probleme der Ärmsten lösen sie in der Regel nicht.
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‚Lizenzen‘ werden jeweils nur mit relativ kurzen Fristen vergeben, beispielsweise für zwei Jahre, um so den Wettbewerb zwischen möglichen Anbietern zu erhalten und die staatliche Handlungsfreiheit zu behalten, nach einiger Zeit sich für bessere Anbieter zu entscheiden. Der Staat bezahlt dabei angemessene Preise für die auf diese Weise privatinitiativ beziehungsweise privatwirtschaftlich abgedeckten ursprünglichen staatlichen Aufgaben. Er setzt bei der Tariffestlegung entweder das an, was er sich durch diese Art der Privatisierung einspart oder was er sich an Einsparung erwartet, wenn durch die Lösung eines bestimmten Problems die Folgekosten dieses Problems nicht mehr anfallen. Für den ersten Ansatz gibt es relativ einfache Berechnungsgrundlagen, beispielsweise die Heimbetreuungskosten oder die Kosten für die Bereitstellung eines Schulplatzes. Für den zweiten Ansatz ist man auf fundierte Schätzungen auf der Grundlage von Studien angewiesen. Um die Größenordnung anzudeuten, welcher Wert in der Lösung von gesellschaftlichen Problemen steckt, die heute noch nicht durch staatliche Sozial- und Bildungsausgaben adressiert sind, sei auf eine Gallup-Studie (vgl. Reitmeyer 2008: 96) hingewiesen, die auf eine Summe von nicht weniger als 260 Milliarden Euro kam, die in Deutschland jedes Jahr an volkswirtschaftlichem Schaden entstehen durch soziale Probleme wie Mobbing oder psychosomatische Erkrankungen. Das Betätigungsfeld für innovative Social Businesses sowie für die fundiert kalkulierbaren Finanzierungskonzepte aus deren gesellschaftlichem Nutzen ist also extrem weit. Analog zum australischen Beispiel kann der Staat sowohl die Social-Business-Privatisierung bisheriger staatlicher Aufgaben als auch die innovative Lösung bisher ungelöster, aber im Effekt sehr teurer gesellschaftlicher Probleme für Social Businesses ausschreiben. Wie gravierend die sozialen Innovationen von Social Businesses sein können, mögen folgende Beispiele veranschaulichen: Menschen mit dem sogenannten Asperger-Syndrom, einer besonderen Form von Autismus, wurden als krank eingestuft und dementsprechend behandelt. Sie fanden bisher keinen Platz auf dem Arbeitsmarkt. Anstatt in sinnhafter Arbeit Selbstwert und Befriedigung zu ¿nden, erhielten sie lediglich therapeutische Betreuung, bis Thorkil Sonne, der Vater eines Kindes mit Asperger-Syndrom in Dänemark, folgende Idee entwickelte (vgl. Genisis Institute 2009: 56). Er stellte sich die Frage, ob Menschen mit autistischen Spezialfähigkeiten nicht gerade dadurch sinnvolle und besonders wertvolle Aufgaben auf dem Arbeitsmarkt erfüllen könnten. Deren extreme Konzentration und Präzision im Umgang mit Zahlen führte ihn zu der Idee, sie bei Spezialaufgaben mit einem Anforderungspro¿l in der ITWirtschaft einzusetzen, bei denen ihre vermeintliche Krankheit einen klaren Wettbewerbsvorteil bedeutet, konkret bei der Prüfung komplizierter Zahlenmuster, bei
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der Durchführung von Softwaretests oder der Prüfung der Funktionsfähigkeit von Mobiltelefonen. Er gründete das Unternehmen Specialisterne. Seine mittlerweile 40 Mitarbeiter erhielten schnell Aufträge von Partnern wie CSC oder Microsoft und konnten bereits drei Jahre nach Unternehmensgründung gar nicht mehr alle Anfragen befriedigen. So plant Unternehmensgründer Sonne nun im Sinne einer Art Sozialen Franchises analoge Unternehmen in mehreren anderen Ländern mit lokalen Partnern ins Leben zu rufen. Zuletzt hatte er Anfragen aus 44 Ländern. Mit Specialisterne hob Thorkil Sonne ein gesundheitliches und soziales Problem einer Menschengruppe aus einem bis dahin reinen Problemsektor heraus in eine gesundheitlich, sozial und obendrein noch ökonomisch höchst effektive Lösungsebene. Die betroffenen Menschen pro¿tierten im besten Sinne ganzheitlich. Sie erleben ein nie gekanntes Selbstwertgefühl plus gesellschaftliche Anerkennung plus bessere Gesundheit. Und die Gesellschaft pro¿tierte, indem aus Menschen, für die sie zuvor nur Betreuungsaufwand zu leisten wusste, nunmehr Menschen wurden, die mit Freude und wertvoller Leistung aktiv zum Volkseinkommen beitrugen. Ist dies ein Spezialfall, der sich allein aus den besonderen Merkmalen des Krankheitsbildes des Asperger-Syndroms erklärt? In jedem Falle gilt, dass Menschen mit Handicaps gerade durch diese Handicaps oft ganz besondere Fähigkeiten entwickeln. Ein Projekt, das unsichtbare Fähigkeiten von offensichtlich gehandicapten Menschen buchstäblich sichtbar gemacht hat, ist das von Andreas Heinicke entwickelte Projekt Dialog im Dunkeln.10 Zunächst in Hamburg und inzwischen an zahlreichen weiteren Orten der Welt eröffnete er eine Art von Museum, in dem die wichtigsten Mitarbeiter eines gemeinsam haben: sie sind blind. Die blinden Museumsführer nehmen die mit Sehkraft ausgestatteten Museumsbesucher an die Hand und ‚zeigen‘ ihnen die Welt der Dunkelheit und die Welt der Fähigkeiten zu anderen Formen der Wahrnehmung, die sich dort entfalten. Die Besucher sind tief bewegt, weil sie durch diese Erfahrung die Welt der Dunkelheit und deren Bewohner, die Blinden, plötzlich mit ganz anderen Augen sehen. Sie erfahren unmittelbar, dass die temporäre Blindheit, in die sie sich durch diesen Museumsbesuch begeben haben, auch in ihnen spontan Fähigkeiten aktiviert, die sie niemals erfahren und deshalb nicht für möglich erachtet haben. Ihr Tast- und Gehörsinn wird plötzlich wesentlich intensiver und wahrnehmungsreicher. Und sie lernen, dass Blinde uns Sehende auch im Alltag mit diesen von ihnen besonders intensiv entwickelten Fähigkeiten in vielfältigster Form bereichern könnten. Das inzwischen im Franchise-Verfahren weit verbreitete Projekt Dialog im Dunkeln gab nicht nur bis heute 6.000 blinden Menschen neue, sehr sinnhafte und Würde verleihende 10
Siehe dazu www.dialog-im-dunkeln.de.
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Arbeitsplätze. Der Umgang mit Blinden hat sich bei sehr vielen der bisher sechs Millionen Museumsbesucher weltweit grundlegend verändert. Ein letztes Beispiel: Friedrich Kiesinger entwickelte in Berlin eine andere soziale Innovation, mit der er Menschen mit einer breiten Mischung psychischer Handicaps in sehr unterschiedliche Bereiche der Arbeitswelt zurück führte. In seinem ‚Kerngeschäft‘ therapiert er mit seinem gemeinnützigen Verein Albatross (vgl. Genisis Institute 2009: 53) und mit staatlichen Geldern Menschen mit sehr unterschiedlichen psychischen Handicaps so weit, dass diese wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden könnten – theoretisch. Er wie auch alle anderen Anbieter solcher psycho-sozialen Dienstleistungen machten jedoch die Erfahrung: Nahezu niemand will solche Menschen einstellen. Kiesingers Überlegung war, dann müsse er eben selbst ein Unternehmen gründen, das diesen Menschen Arbeit gibt. Dabei war ihm wichtig: Es müsste dies ein Unternehmen sein, das sich ganz normal am Markt bewährt, ohne jegliche staatliche Zuschüsse oder sonstigen Bevorteilungen. Nur so würden sich die betroffenen Mitarbeiter nicht mehr in einer verlängerten Therapiesituation fühlen, also weiterhin als ‚krank‘ abgestempelt trotz erfolgreicher Therapie, und nur so hätten sie eine Chance, aus einem solchen Unternehmen heraus auch wieder in andere ‚normale‘ Unternehmen zu wechseln. Dieses Unternehmen namens Pegasus hat heute mehr als 120 Mitarbeiter und ist in mehreren Bereichen tätig: von Bäckerei über Gastronomie bis Catering, von Gebäudereinigung bis Bürodienstleistungen. In allen diesen Bereichen arbeiten Menschen ohne therapeutische Biographie, aber die weit überwiegende Zahl mit einer solchen Biographie. Die Arbeitsabläufe sind so angelegt, dass sie eine gewisse Flexibilität für Besonderheiten im Verhalten dieser Menschen erlauben, aber unter dem Strich müssen die normalen Arbeitsanforderungen eines Marktunternehmens erfüllt werden. Alle Subunternehmen von Pegasus erreichten den Status, selbsttragend zu sein. Die Rückfallquote bei dessen Mitarbeitern in die vorherigen Krankheitsbilder liegt sehr weit unter denen, die keinen vergleichbaren Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt ¿nden. Die soziale Innovation, die Fritz Kiesinger entwickelte, hat nichts Spektakuläres an sich. Im Kern bedeutet sie nichts anderes, als dass er, im Unterschied zu anderen, an die volle Leistungsfähigkeit dieser Menschen geglaubt hat. Doch genau diese Innovation hat eine sehr hohe therapeutische, gesellschaftliche und nicht zuletzt auch wirtschaftliche Relevanz. Sie ist leicht skalierbar auf Hunderttausende von Menschen in ähnlicher Lebenssituation allein in Deutschland. Und sie ist in ihrer Substanz – dem Vertrauen in eine weite noch unerschöpfte Entwicklungsfähigkeit aller Menschen mit vermeintlichen intellektuellen, sozialen oder sonstigen De¿ziten – anwendbar auf Abermillionen Menschen.
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Fazit
Social Business bedeutet somit im Kern einen doppelten Paradigmenwechsel: Dieser Ansatz kreiert zum einen auf der rechtlich-organisatorischen Ebene einen neuen großen gesellschaftlichen Freiraum zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen mit frischem innovativem und unternehmerischem Geiste. Er ist damit Auslöser einer Welle völlig neuartiger Innovationen – von sozialen (sozialökonomischen) Innovationen. Und dieser Ansatz verändert unsere Beziehung zu jenen Menschen grundlegend, die wir oft als abhängig und bedürftig von unseren bisherigen sozialen Dienstleistungen für sie angesehen haben: Wir trauen diesen Menschen auf der Grundlage der Social-Business-Philosophie wesentlich mehr lebensunternehmerische Kompetenzen zu, beziehungsweise die Entwicklung dieser. Wir entdecken diese Menschen damit auf einer völlig anderen Ebene – auf der Ebene gleicher Augenhöhe, auf der Ebene partnerschaftlicher Kooperation, auf der alle Seiten sehr viel Neues entdecken, lernen und pro¿tieren können. Dies ist die vielleicht viel schwierigere Innovation, die wir in unseren Köpfen vollziehen müssen. Wer wirklich helfen will, muss die Helferbrille abnehmen und sein Gegenüber in seinen reichen Fähigkeiten erkennen. Yunus lehrte uns mit seinen sozialen Innovationen, dass die Armen nicht arm sind wegen irgendwelcher in ihnen ruhenden arm machenden Merkmale, sondern weil wir sie als Arme betrachten und behandeln. Wir gaben ihnen deshalb keine Kredite, sondern Almosen. Wir gaben ihnen gut meinende, aber zugleich recht altväterliche Ratschläge, statt echte und faire Zusammenarbeit. Wir gaben ihnen Hartz IV statt gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die auf ihre Fähigkeiten eingehen und ihnen optimale Entfaltungsmöglichkeiten eröffnen. Wir gaben ihnen soziale Dienstleistungen statt soziale Beziehungen und sozialen Austausch auf gleicher Ebene. Sozial ist in dem neuen Verständnis von Social Business, was auf gleicher Augenhöhe statt¿ndet, nicht, was mit Gedanken wie ‚Starke‘ und ‚Schwache‘, ‚Helfer‘ und ‚Hilfsbedürftige‘ operiert. Wenn auf diesem Wege unternehmerisches und soziales Denken in unserer Gesellschaft klug zusammenwächst, werden viele soziale Probleme völlig unerwartete unternehmerische Lösungen ¿nden und gleichzeitig wird sich unternehmerisches Verhalten grundlegend in Richtung einer völlig neuen sozialen Qualität verwandeln. Der Ansatz des Social Business verleiht somit insbesondere dem Ansatz des Social Entrepreneurship eine neue herausfordernde und motivierende Speerspitze. Social Entrepreneurs sind nach Bill Drayton Menschen, die soziale Probleme auf unternehmerisch-innovative Weise angehen. Der Schwerpunkt bei Social Entrepreneurs war somit bisher die innovative Qualität des Konzepts sowie dessen Potenzial zur Multiplikation, jedoch nicht unbedingt, dass sich dieses innovative
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Konzept auch wirtschaftlich selbst trägt. Beim Ansatz des Social Business kommt diese Anforderung noch hinzu. Nach dem Erfolg des Social-Business-Ansatzes reagierte Ashoka, die international bedeutendste Organisation für Social Entrepreneurship, mit der Entwicklung von Schulungsprogrammen, um die von ihnen weltweit identi¿zierten Social Entrepreneurs zu Social Business Entrepreneurs fortzubilden. Literatur Alt, F./Spiegel, P. (2009): Gute Geschäfte. Humane Marktwirtschaft als Ausweg aus der Krise. Berlin: Aufbau Verlag Genisis Institute (Hrsg.) (2009): Genisis-Studie ‚Social Impact Business‘ 25 Beispiele für die Verbindung von ökonomischen uns sozialen Zielen. Berlin: Genisis Institute Prahalad, C. K. (2010): Ideen gegen Armut. Der Reichtum der Dritten Welt. München: Finanzbuch Verlag Radermacher, F. J./Spiegel, P./Obermüller, M. (2009): Global Impact. Der neue Weg zur globalen Verantwortung. München: Carl Hanser Verlag Reitmeyer, D. (2008): Unternimm Dein Leben. Als Lebensunternehmer zu neuem Erfolg. München: Carl Hanser Verlag Spiegel, P. (2009): Muhammad Yunus. Banker der Armen. Freiburg i. Breisgau: Herder Verlag, 4. AuÀage Spiegel, P./Richter, R. (2008): The Power of Dignity – Die Kraft der Würde. The Grameen Family. Bildband. Bielefeld: J. Kamphausen Verlag Yunus, M. (2008): Die Armut besiegen. Das Programm des Friedensnobelpreisträgers. München: Carl Hanser Verlag http://www.bracbank.com. http://www.genisis-institute.org. http://www.gshakti.org. http://www.grameen-info.org. http://www.dialog-im-dunkeln.de.
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Social Entrepreneurship – Zwischen Entrepreneurship und Ethik1 Günter Faltin
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Einleitung
Wir erleben momentan die Renaissance der Unternehmer¿gur – auch von einer eher unerwarteten Seite. Die Rede ist vom Social Entrepreneur. Er geht soziale Probleme mit ungewohnten, nämlich unternehmerischen Mitteln, an. Der Begriff Social Entrepreneurship ist neu, das Phänomen nicht. Social Entrepreneurs hat es immer gegeben, und viele unserer Institutionen sind durch sie entstanden. Bereits im 19. Jahrhundert rief Friedrich von Bodelschwingh in Bethel eine Organisation ins Leben, die nach wirtschaftlichen Grundsätzen arbeitete und eigene Handwerksbetriebe, eine eigene Strom- und Wasserversorgung, Schulen und Ausbildungsstätten betrieb. Der Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant, war sicherlich ein Social Entrepreneur, ebenso wie Mutter Theresa in Kalkutta als ein Social Entrepreneur verstanden werden kann. Die Idee des Social Entrepreneurship fällt auf fruchtbaren Boden. Wahrscheinlich, weil der Begriff das Engagement für eine soziale Aufgabe mit der Vorstellung von unternehmerischer Initiative verbindet, mit zielbewusster Organisation und der Kostendisziplin von Unternehmen. Gewissermaßen die Verbindung von Richard Branson2 und Mutter Theresa in einer Person. Darüber hinaus trifft der Begriff auf eine Strömung, die darauf reagiert, dass Regierungen, Verwaltungen und die bestehenden sozialen Organisationen mit gesellschaftlichen Problemen nicht mehr richtig fertig zu werden scheinen – sei es, weil sie inef¿zient arbeiteten, soziale Bedürfnisse mehr verwalten als befriedigen oder sei es, dass sie unbeweglich und veraltet sind. Wir bräuchten – so die These – Social Entrepreneurs, die mit neuen Ansätzen auf komplexe neue Probleme adäquate Antworten ¿nden und umsetzen. In dem Maße, wie der Begriff Social Entrepreneurship an Popularität gewinnt, besteht auch die Gefahr, dass die BegrifÀichkeit vielen Menschen zwar 1 2
Der Beitrag stellt eine gekürzte und überarbeitete Fassung des Aufsatzes „Social Entrepreneurship – De¿nitionen, Inhalte, Perspektiven“ dar, welcher in Braun/French (2008) veröffentlicht wurde. Sir Richard Charles Nicholas Branson ist ein erfolgreicher britischer Unternehmer, bekannt für seine Virgin Group mit über 360 Unternehmen (vgl. www.virgin.com).
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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bekannt ist, aber völlig Unterschiedliches für sie bedeutet. Die einen verstehen darunter den Aufbau einer ‚not-for-pro¿t‘ Organisation, andere denken an einkommensgenerierende soziale Projekte, wieder andere bezeichnen damit Unternehmer, die soziale Projekte mit ihrem Unternehmen unterstützen. Eine wichtige Aufgabe besteht also darin herauszu¿nden, was Social Entrepreneurship von anderen, ähnlich gelagerten Phänomenen unterscheidet. Dabei geht es nicht allein um ein wissenschaftliches Interesse an einer eindeutigen De¿nition. Vielmehr geht es um die Frage, welche Varianten von Engagement im sozialen Bereich bestehen und welche spezi¿schen Varianten von Engagement Social Entrepreneurship umfassen. Ebenso geht es darum zu ergründen, wie das Verhältnis zwischen diesen Engagements aussieht. Wenn sich alles Social Entrepreneurship nennt, ist die Gefahr groß, dass der originäre Beitrag des Konzepts verloren geht oder durch opportunistische oder wenig durchdachte, auf populäre Trends setzende Aktionen diskreditiert wird – eine Kritik, wie sie vor allem in den USA zunehmend Verbreitung ¿ndet.3 In diesem Beitrag wird zunächst der Social Entrepreneur als Sonderform des Entrepreneurs bestimmt und in seinem sozialen Engagement spezi¿ziert. Eine anschließende Diskussion von Social Entrepreneurship unter dem Aspekt der Ethik sowie dem Fokus der Ökonomisierung zeigt, dass sich die Differenz zwischen Business Entrepreneurs und Social Entrepreneurs heute als weit geringer darstellt, als zunächst vermutet. Dies mündet abschließend in einem Plädoyer für unternehmerische Initiativen in Deutschland, die auf vorhandene Probleme mit ökonomischer, sozialer und künstlerischer Phantasie antworten. 2
Entrepreneurship goes social
Eine De¿nition von Social Entrepreneurship sollte mit dem Begriff Entrepreneurship beginnen. Im normalen Sprachgebrauch wird mit Entrepreneurship die Gründung eines Unternehmens bezeichnet. Der Begriff Entrepreneurship besitzt aber eine viel umfangreichere Bedeutung. Die meisten Ökonomen führen ihn auf Jean Baptiste Says De¿nition zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück, die besagt, dass Entrepreneurs Werte schaffen – durch höhere Produktivität: „The Entrepreneur shifts economic resources out of an area of lower and into an area of higher productivity and greater yield“ (Drucker 2003: 21). Es war der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter, der Entrepreneurship in den Wirtschaftswissenschaften nachhaltig verankerte (Schumpeter 1993). Er weist dem Entrepreneur die Aufgabe der Innovation zu und grenzt dies von 3
So etwa wurde die Kritik prominent von Dees (1998) sowie Martin/Osberg (2007) geäußert.
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anderen Aufgaben wie der des Er¿nders, Managers und Kapitalgebers ab. Wichtig dabei ist ihm, dass die Innovation, wenn sie erfolgreich ist, der Impulsgeber, der ‚Change agent‘ der Wirtschaft ist. Dies beinhaltet auch, und das wird häu¿g vergessen, den Prozess der ‚creative destruction‘, der kreativen Zerstörung. Sie ist die andere Seite der Medaille der Innovation. Man kann nicht oft genug betonen, dass die Rolle des Entrepreneurs einen paradoxen Effekt hat, den des neuen Aufbaus und den der Zerstörung. Schumpeter identi¿ziert den Entrepreneur als die notwendige Kraft, die den ökonomischen Prozess durch Innovation vorantreibt. Peter Drucker erweiterte die Gedanken von Say und Schumpeter um das Konzept von „opportunity“. Nach Drucker sind Entrepreneure ständig auf der Suche nach Veränderung, die als Chance genutzt und verwertet wird: „The entrepreneur always searches for change, responds to it and exploits it as an opportunity“ (Drucker 1986). Nach einigen anderen Erweiterungen fügte schließlich Howard Stevenson von der Harvard Business School ein Element hinzu, das hilft, Entrepreneurship von Business Administration zu unterscheiden. Für ihn ist die Verfolgung der Chance ohne darauf zu achten, welche Ressourcen derzeit vorhanden sind, Merkmal von Entrepreneurship: „The pursuit of opportunity without regard to resources currently controlled“ (Stevenson 1985). Ein Administrator dagegen würde von den existierenden Ressourcen, Vorschriften und Organisationszielen ausgehen. Entrepreneurs dagegen mobilisieren Ressourcen von anderen, um ihre eigenen unternehmerischen Ziele zu verwirklichen. Dieser Zugang zu Entrepreneurship in Social Entrepreneurship, wie er vor allem von Dees (1998) von der Stanford University begründet wurde, ist hilfreich, weil die genannten Kriterien sowohl für den Business Sektor wie auch für den sozialen Sektor angewandt werden können. Es ist gerade diese soziale Mission, die dazu führt, dass der Social Entrepreneur spezi¿sche Herausforderungen meistern muss, die anders gelagert sind als die des Entrepreneurs im Business Sektor. Damit sind wir bei dem entscheidenden Unterschied: Das Erfüllen der sozialen Aufgabe ist das Ziel, nicht, Überschüsse zu erwirtschaften. Die Ergebnisse, die der Social Entrepreneur mit seiner Mission erzielt, stehen im Vordergrund, nicht die monetäre Belohnung. Überschüsse, so könnte man sagen, sind Mittel für einen Zweck, nicht das eigentliche Ziel. Und damit rückt ein weiterer, zentraler Unterschied ins Blickfeld: Entrepreneurs im Business Sektor bewegen sich in Märkten, in denen Produkte und Preise existieren, an denen sich sowohl der Entrepreneur als auch seine Kunden orientieren können. Im Wirkungsfeld des Social Entrepreneurs existieren solche klar de¿nierten Produkte und Preise nicht. Wenn ein Business Entrepreneur für seine Produkte keine Abnehmer ¿ndet, die den Preis bezahlen, wird das als Zeichen dafür gewertet, dass sein Angebot keinen Wert oder Nutzen für die Kunden schafft.
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Beim Social Entrepreneur ist das anders. Für ihn gibt es oft keine funktionierenden Märkte. Die sozialen Verbesserungen kann man meist nicht eindeutig messen, weil sie öffentliche Güter sind oder weil es keine Preisfeststellung gibt. Noch wichtiger ist es, dass in der Regel die ‚Kunden‘, für die der Social Entrepreneur sich einsetzt, gar nicht über die Mittel verfügen, adäquat bezahlen zu können. Der Social Entrepreneur schafft Werte wie der Business Entrepreneur auch, aber man kann sie schlecht messen. Was ist beispielsweise der Abbau von Diskriminierung wert – in Geld gemessen? Wer aber keine Preise am Markt bekommt, weil seine Kunden nicht zahlen können, braucht Spenden, Subventionen und ehrenamtliche Helfer. Was also den Kern von Social Entrepreneurship ausmacht, macht gleichzeitig die Schwierigkeiten aus, seine Wertschöpfung zu messen. Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Social Entrepreneur ein ‚Agent des Wandels‘ ist, der eine Aufgabe übernimmt und deren Chancen erkennt. Er handelt dabei ohne in seinen derzeitig vorhandenen Ressourcen begrenzt zu sein und beweist Verantwortung(sbewusstsein) (Dees 1998). Für eine De¿nition lässt sich festhalten, dass Social Entrepreneurs Pioniere sind, die mit neuen Ansätzen arbeiten – im Gegensatz etwa zu Versuchen, bestehende Verfahren geringfügig zu verbessern und zu optimieren. Es geht also nicht um das, was im Englischen ‚best practice‘ heißt, sondern um Neuentwürfe zur Lösung sozialer Probleme. Social Entrepreneurship wird daher als ‚pioneering new approaches‘ verstanden und beschreibt einen eigenen Ansatz, der eine wertvolle Ergänzung darstellt zu Vielem, das bereits existiert. 3
Inhalte und Perspektiven von Social Entrepreneurship
Muhammad Yunus Aktivitäten sind ein gutes Beispiel für die hier vorgetragene Sichtweise auf Social Entrepreneurship. Yunus’ Grameen Bank mit ihren Krediten für Micro-Entrepreneurs revolutionierte das Verständnis und die Vorgehensweise in der Kreditvergabe. Vor Yunus galten Arme als nicht kreditwürdig, darüber hinaus als nicht rentable Kunden für die Banken, selbst wenn sie die Kredite zurückbezahlten, weil Kleinstkredite im konventionellen Bankensystem zu hohen Verwaltungsaufwand verursachen. Und schließlich glaubte niemand daran, dass die Armen die Fähigkeiten zum Entrepreneur besitzen. Yunus schuf ein gänzlich neues System, bewies, dass die Armen gute Kunden für Kredite sind, und dass man eine Organisation aufbauen kann, die sich größtenteils selbst ¿nanziert, Zinsen verlangen kann und erhält, und dass dieses System international anwendbar ist. Yunus hat mit dem für unsere Verhältnisse lächerlichen Betrag von umgerech-
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net 27 US-Dollar angefangen und damit 42 Frauen zu Micro-Entrepreneurship verholfen, also mit gut einem halben Dollar pro ‚Projekt‘. Bei aller Begeisterung für diese Form von Social Entrepreneurship sollte nicht unterschätzt oder ignoriert werden, dass es andere, gewachsene Bereiche sozialen Engagements gibt, die zwar nicht ‚entrepreneurial‘ nach dieser De¿nition, aber höchst wünschenswert und wertvoll für die Gemeinschaft sind. Dazu gehört zunächst der Ansatz, der im Englischen ‚Social activist‘ genannt wird. Was unterscheidet den Aktivisten vom Social Entrepreneur? Der Aktivist versucht etwas zu erreichen, indem er andere mobilisiert – wie Regierungen, NGOs, Konsumenten, Betroffene. Ein weiterer Bereich ist das, was man unter ‚soziale Projekte‘ oder ‘Social service‘ fassen kann. In diesem Fall gründen Menschen mit hohem persönlichem Einsatz Organisationen wie Waisenhäuser, Schulen oder Gesundheitsprojekte, die von enormem sozialem und gesellschaftlichem Wert sind, aber sich in erprobten, bewährten Bahnen bewegen und gerade dadurch wertvolle Arbeit leisten. Somit ergibt sich eine dreifache Differenzierung des sozialen Engagements: Social Entrepreneurs, ‚Social activists‘ und ‚Social service‘. Diese idealtypischen Unterscheidungen haben den Vorteil, die Unterschiede möglichst deutlich benennen zu können. In der Praxis ¿nden wir natürlich auch Mischformen. Yunus zum Beispiel nutzte ‚Social activism‘, um den EinÀuss der Grameen Bank möglichst zu beschleunigen und auszuweiten: Auf bewährte Organisationsformen zurückzugreifen, ist überaus sinnvoll und ergänzt andere Formen sozialer Aktivitäten. 4
Ethik und Entrepreneurship
Wie verhalten sich Social Entrepreneurs nun zu Business Entrepreneurs? Zunächst scheint es so, als würden die Einen lediglich durch Pro¿torientierung motiviert, während die Anderen rein altruistische Motive hätten. So, als sei der Pro¿t das Kainszeichen, mit dem man die Guten von den Bösen unterscheiden kann. Diese Unterscheidung ist zu einfach. Selbst hartgesottene Non-Pro¿t-Menschen erkennen mittlerweile die Vorteile, die es hat, wenn man Überschüsse erzielt und sie für seine Zwecke einsetzen kann. Pro¿te – ja oder nein – dies führt nicht weiter. Stattdessen sollten wir uns mit der Motivation der Handelnden beschäftigen. Es ließen sich folgende Thesen zur Motivationslage formulieren, die zunächst etwas ungewohnt anmuten mögen. So kann behauptet werden, dass die ‚guten Menschen‘, die Social Entrepreneurs, nicht nur altruistisch sind, sondern durchaus auch eigennützige Ziele verfolgen. Sei es so etwas wie Zufriedenheit mit sich selbst, das Streben nach Anerkennung in der Community, der Wunsch
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nach sinnerfüllter Arbeit, der Wunsch, etwas Positives erreicht zu haben, vielleicht auch der Wunsch, damit eine hervorgehobene Position zu erreichen – sei es in öffentlicher Anerkennung, sei es in einer Führungsposition einer gemeinnützigen Organisation. Nicht zuletzt geht es auch um die Absicherung des eigenen Arbeitsplatzes. Daran ist überhaupt nichts Einschränkendes oder gar Schlechtes; diese Einschätzung der Motivationslagen ist jedoch realistischer als eine, die nur die altruistischen Gesichtspunkte im Auge behält. Nehmen wir uns jetzt die ‚Bösen‘ vor. Business Entrepreneurship, so wurde bereits gezeigt, unterscheidet sich vom Social Entrepreneurship durch die Pro¿torientierung. Aber Pro¿te fallen nicht vom Himmel. Man muss sie sich erarbeiten und trifft dabei auf ganz bestimme Bedingungen. Dabei wirken heute eine ganze Reihe von EinÀussgrößen, die es immer schwerer machen, skrupellose Geschäftspraktiken auf Dauer erfolgreich durchzuhalten. Selbst wenn angenommen werden kann, dass ‚Böses‘ im Schilde geführt wird, zwingen die Marktbedingungen tendenziell zu ‚gutem‘ Verhalten. ‚Ethic pays‘ – Ethik macht sich bezahlt – ist längst Teil der Management-Literatur. Der „Goodwill“ einer Company, das Vertrauen, das den Produkten entgegen gebracht wird, die positive Nennung in den Medien ist von zunehmend hohem, ja geradezu unbezahlbarem Wert. Die Affäre um die Brent Spar4 war ein Wendepunkt in Sachen Unternehmenspolitik und Verbrauchermacht. Sie zeigte, dass selbst große Unternehmen wie Shell sich letztlich dem Druck der Öffentlichkeit beugen müssen. Dies ist die eher strukturelle Seite des ‚bösen Business Entrepreneurs‘. Wie steht es aber mit der individuellen Seite? Die populäre Interpretation der Wirtschaftswissenschaften führt den Homo oeconomicus ins Feld, eine Art Frankenstein der Gefühle und der Seele, der nichts als Pro¿t im Kopf hat. Dabei wird übersehen, dass die Fachdisziplin Ökonomie, wie jede andere Fachdisziplin auch, in ihrer fachwissenschaftlichen Betrachtung, d. h. um die Fülle der EinÀussfaktoren zu reduzieren, von allen nicht-fachwissenschaftlichen Aspekten abstrahiert. Der Homo oeconomicus ist eine Modellannahme und nicht eine Realitätsbeschreibung. Das lernen Studenten der Wirtschaftswissenschaften bereits früh. Menschen sind aus Fleisch und Blut und haben selbstverständlich mehr als nur ökonomische Ziele. Das gilt vor allem für Entrepreneurs. Es gibt zahlreiche Befragungen die zeigen, dass gerade erfolgreiche Unternehmensgründungen Persönlichkeiten verlangen, die mehr sind als nur Gewinnmaximierer. Viel häu¿ger zählt bei ihnen durchaus auch ein nicht-ökonomisches Maß, das über die unmittelbare Existenzverbesserung hinausgeht: wenn es ihnen nämlich gelingt, ihre Fähigkeiten zu entfalten, Ideen in die Tat umzusetzen, „ihr eigener Herr zu sein“, und sie so ein seelisches 4
Brent Spar war eine ausgediente Ölplattform, die 1995 in den Nordost-Atlantik geschleppt und dort versenkt werden sollte (vgl. z. B. www.zeit.de).
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und körperliches Wohlbe¿nden in Form von Zufriedenheit erreichen (Jacobsen 2003). Natürlich auch der Wunsch nach Anerkennung, nach etwas Spektakulärem, nach Unabhängigkeit und Erfolg. Das Geld, das aufgebaute Vermögen, sind oft nur Maßstäbe, Erkennungsmarken für den Erfolg. Die Generation der Gründer lebt oft ausgesprochen frugal. Gewinnmaximierungsdenken allein scheint nicht mehr auszureichen. Damit soll gesagt werden, dass der Unterschied zwischen den Social Entrepreneurs und den Business Entrepreneurs bei genauerer Betrachtung kleiner ist, als er in der öffentlichen Diskussion gesehen wird. Ich würde sogar eine Konvergenz-These aufstellen: Während Social Entrepreneurs in Zukunft stärker Mittel der Ef¿zienz und Marktorientierung einsetzen müssen und sich damit auf die Business Entrepreneurs zu bewegen, sind die Business Entrepreneurs gut beraten, wenn sie sich im Markt korrekt verhalten, gute Produkte anbieten, gerade, wenn sie wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. 5
Zwischen Kreativität und Verwaltung
Erwähnenswert für die Spezi¿zierung von Social Entrepreneurship ist noch ein weiterer Punkt, der mit dem Stichwort Ökonomisierung umschrieben werden kann. Ökonomisierung meint die Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Ökonomie, das Diktat der knappen Mittel, der Kürzungen, der Einsparungen, oft – und das ist der Vorwurf – zu Lasten und ohne Rücksicht auf die Inhalte. Wie sieht Social Entrepreneurship unter dem Gesichtspunkt von Ökonomisierung aus? Ist Social Entrepreneurship ein Ausweg? Oder ist es das genaue Gegenteil, eine beinahe erzwungene Sache, dass man nämlich als sozial engagierter Mensch selber die Mittel miterwirtschaften soll, die man zur Erfüllung sozialer Aufgaben braucht? Hier kann es nicht darum gehen, die Diskussion über Ökonomisierung aufzugreifen. Es soll aber auf eine Facette aufmerksam gemacht werden, die in der öffentlichen Diskussion fehlt. Dazu muss betrachtet werden, wie sich die Grundsubstanz, die Grund¿gur, nämlich Entrepreneurship, zur Ökonomisierung verhält. Anders als der erste Eindruck es nahe legen könnte, handelt es sich keinesfalls um ein und die gleiche Sache. Entrepreneurship und Ökonomisierung vertragen sich nämlich nicht gut. In neu gegründeten, kreativen Unternehmen stehen sich zwei Bereiche gegenüber, die es strikt zu unterscheiden gilt: Entrepreneurship und Business Administration. Zu einer erfolgreichen Gründung ist eine Idee nötig, eine Innovation, etwas Neues, die den Entrepreneur von den schon vorhandenen, etablierten Marktteilnehmern abhebt und die Aufmerksamkeit auf ihn zieht.
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Das eine ist der kreative, innovative Aspekt der Gründung, das andere ist die Administration, die ökonomische Kontrolle, der Zwang, rentabel zu arbeiten, mehr als die Kosten zu erwirtschaften. Der KonÀikt ist damit angelegt. Die kreativen Aspekte der Neugründung sind in Gefahr, von den kontrollierenden und auf Einsparungen bedachten Teilen dominiert zu werden. Die Kreativen beharren auf der Innovation, die es überhaupt erst ermöglicht, sich im Markt zu behaupten. Die der Business Administration inhärenten Prinzipien tendieren aber dazu, den Kreativen ‚die Flausen auszutreiben‘ und die kantigen Ecken rund zu schleifen. Dabei ist klar, dass beide Teile wichtig sind, dass beide Denkweisen ihre Berechtigung haben. Ein Ausgleich kann daher nicht bedeuten, die kreativ-schöpferischen Teile zu Gunsten der ökonomischen Rigorosität zu liquidieren. Die Unterscheidung von Entrepreneurship und Business Administration ist außerordentlich wichtig, weil mit ihr auch zwei durchaus unterschiedliche Tätigkeitsfelder umrissen werden. Dabei geht es nicht darum, dass man die Felder aus praktisch-organisatorischen Gründen trennen kann, sondern dass sie eine Trennung geradezu verlangen, weil völlig unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Entrepreneurship ist im Kern ein kreativer Akt, es ist die Fähigkeit, sagt Jeffrey Timmons, etwas praktisch aus dem Nichts zu schaffen (Timmons 1994). Entrepreneurship verlangt daher einen kreativen, schöpferischen ‚mind set‘, während Business Administration die ordnenden, kontrollierenden, verwaltenden Fähigkeiten voraussetzt.5 Heute ist der Entrepreneur dem Künstler näher als dem Manager. Im 19. Jahrhundert galt der Künstler als revolutionärer Gegenentwurf zum Unternehmer und seinen bürgerlichen Moralvorstellungen. Mit den Wandlungen des Industriekapitalismus, mit der Abkehr von seinen bürokratischen Organisationsvorstellungen orientieren sich Managementphilosophien heute an Idealen wie Flexibilität und Kreativität, Innovation und Individualität, an Autonomie und an persönlichem Engagement. Damit entstehen immer wieder Berührungspunkte zwischen zwei nur scheinbar gegensätzlichen Welten. Der französische Soziologe Pierre-Michel Menger spürt diesem Phänomen in seinen Arbeiten nach. Der Künstler wird, so Menger (2006), zum Prototyp und Idealbild. Galt Kunst als exotisch anmutendes Gegenmodell zur abhängigen, fremdbestimmten und entfremdenden Erwerbsarbeit, als Reich der Freiheit im Gegensatz zum Reich der Notwendigkeit, so entwickelt sich heute Entrepreneurship vor unseren Augen zum Modell für einen kreativen Lebensentwurf. Entrepreneurship erscheint somit als Möglichkeit zur 5
Es ist dies auch der Grund, warum der deutsche Begriff ‚Unternehmer‘ heute eigentlich überholt ist. ‚Unternehmer‘ vermengt die Funktionen. Mal verstehen wir darunter den Ideengeber, im nächsten Moment den Manager und vielleicht sogar den Kapitalgeber. Es sind dies aber völlig verschiedene Funktionen, die man auseinander halten muss und nicht in einem Begriff zusammenrühren sollte.
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Selbstbestimmung, als künstlerische Tätigkeit des Neuentwurfs, als Überwindung von Konventionen, als kreative Zerstörung. Social Entrepreneurship ist demnach als individuelle und gesellschaftliche Perspektive für die Zukunft zu verstehen. 6
Fazit: Social Entrepreneurship als individuelle und gesellschaftliche Perspektive
Entrepreneurship hatte schon immer eine Schlüsselfunktion in der Gesellschaft. Unternehmensgründungen eröffneten den primären Zugang zu Einkommen und Vermögen und wurden damit zum Ausgangspunkt für ungleiche Einkommensund Vermögensverteilung. Die großen Vermögen entstanden im Industriezeitalter vor allem durch Entrepreneurship. Zu dieser Quelle hatten in der Vergangenheit nur ganz wenige Menschen Zugang. Heute ist Entrepreneurship im Grunde fast jedermann zugänglich. Was für Yunus’ Klientel in Bangladesch gilt, dass sie Entrepreneurship im Kleinen erfolgreich betreiben können – das sollte erst recht für uns in Deutschland gelten, unter den sehr viel besseren Ausgangsbedingungen in einem hoch entwickelten Land. Der Bereich des Entrepreneurship könnte viel mehr Menschen eröffnet werden als dies bisher der Fall ist. Wer den so wichtigen Bereich der Wirtschaft allein den Geschäftemachern überlässt, muss sich nicht wundern, wenn das Resultat nicht den eigenen Ansprüchen oder gar Idealen entspricht. Noch auf einen anderen Aspekt soll verwiesen werden: Nichts, auch nichts entfernt Vergleichbares hat sich positiver auf die Persönlichkeit meiner Studenten ausgewirkt als die Aufnahme der Spur, Entrepreneur zu werden. Der Prozess kann sogar im Einzelnen beschrieben werden. Es fängt damit an, dass der Betreffende fokussiert: Bei mir selbst, mit meiner Idee für eine Teekampagne, war es, dass ich plötzlich einen ‚Teeblick‘ bekam. Ohne mich irgendwie anstrengen zu müssen, nahm ich alles auf – und zwar begierig – was mit Tee zu tun hatte. In einer Ladenzeile blieb mein Blick an Teegeschäften hängen, wie automatisch, ich studierte die Auslagen wie ein Kind und nahm ganz nebenbei viele Details wahr, gewann zügig Kenntnisse, ja sogar Spezialwissen. Kein Tee-Kurs, keine noch so anschauliche Lernsequenz hätte effektiver sein können. Plötzlich erhält die eigene Aufmerksamkeit eine Richtung, einen Sinn. Das gleiche Phänomen beobachte ich bei meinen Studenten. Aus der Unbestimmtheit der Studentenexistenz entsteht plötzlich ein zielgerichtetes Schauen, ein nachhaltiges Interesse an einem Gegenstand. Die Fokussierung scheint nicht mit dem üblichen PÀichtenkatalog des Studiums zu konkurrieren, sondern eher mit dem Zeitvertreib. Wo andere Jugendliche oder Erwachsene ihre Zeit mit Ne-
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bensächlichem verbringen, gestalten auf den Geschmack gekommene Entrepreneure ihre ökonomische Zukunft. Und dies nicht, weil ein moralisierender Vater oder eine andere Autorität dies erzwingen möchte, sondern wie von selbst. ‚Selfdirected learning‘, sagen die moderneren Pädagogen, ohne es meist selbst bei ihrer Klientel wirklich in Gang zu bringen. Unsere Gesellschaft braucht unternehmerische Initiativen, die nicht nur immer neue Bedürfnisse aus uns herauskitzeln, sondern auf vorhandene Probleme mit ökonomischer, sozialer und künstlerischer Phantasie antworten. Literatur Alvord, S. H./Brown, L. D./Letts, C. W. (2003): Social Entrepreneurship – Leadership that facilitates societal transformation – an exploratory study. In: Center for Public Leadership (2003): 135-159 Axt, H.-J./Karcher, W./Schleich, B. (Hrsg.) (1987): Ausbildungs- oder Beschäftigungskrise? Frankfurt a. M.: Verlag für Interkulturelle Kommunikation Boschee, J./McClurg, J. (2003): Toward a better understanding of social entrepreneurship: Some important distinctions. In: Social Enterprise Alliance (2003). http://www.sealliance.org/better_understanding.pdf Braun, G./French, M. (Hrsg.) (2008): Social Entrepreneurship – Unternehmerische Ideen für eine bessere Gesellschaft. Rostock: HIE-RO Institut an der Universität Rostock Brillen, A. (2005): Neue Unternehmer braucht das Land. http//www.SocialEntrepreneurs.de Center for Public Leadership (Hrsg.) (2003): Working Papers. Harvard: John F. Kennedy School of Government at Harvard University Dees, J. G. (1998): The Meaning of „Social Entrepreneurship“. Comments and suggestions contributed from the Social Entrepreneurship Funders Working Group, October 31, 1998. http://www.redalmarza.com/ing/pdf/TheMeaningofSocialEntrepreneurship.pdf Drucker, P. F. (1985): Innovation and Entrepreneurship. New York: Harper Collins Publishers Drucker, P. F. (1986): Innovationsmanagement für Wirtschaft und Politik. Wien: Econ Verlag, 3. AuÀage Faltin, G. (1987): Bildung und Einkommenserzielung. Das De¿zit: Unternehmerische Quali¿kationen. In: Axt et al. (1987): 317-338 Faltin, G. (1998): Das Netz weiter werfen – Für eine neue Kultur unternehmerischen Handelns. In: Faltin et al. (1998): 3-20 Faltin, G. (2001): Creating a Culture of Innovative Entrepreneurship. In: Journal of International Business and Economy. 2, 2001. 123-140 Faltin, G. (2008): Social Entrepreneurship, De¿nitionen, Inhalte, Perspektiven. In: Braun/ French (2008): 25-46 Faltin, G. (2009): Citizen Entrepreneurship for a Meaningful Life. In: Petit/Obermüller (2009): 185-199
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Einleitung
Social Entrepreneurship hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem vielschichtigen Forschungsfeld entwickelt. Eine steigende Zahl von Unterstützungsorganisationen und Engagierten, die sich als Social Entrepreneurs verstehen, sowie wachsende mediale Präsenz gehen mit einer sich etablierenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung einher. Während sich bestimmte Argumentationslinien und Übereinkünfte im theoretischen Zugang zum Phänomen abzeichnen, existieren einige grundlegende Differenzen in basalen Annahmen innerhalb der Forschung zu Social Entrepreneurship. In diesem Beitrag werden zunächst gesellschaftliche Hintergründe der Entstehung von Social Entrepreneurship und ihre theoretische Konzeptualisierung ausgelotet. Daran anschließend werden die bestehenden Forschungsstränge zusammengefasst sowie zentrale Themen und Foki in den Debatten benannt. Zuletzt wird die Frage nach der kulturellen Verortung von Social Entrepreneurship gestellt, die in engem Zusammenhang mit den existierenden Forschungstraditionen steht. Das Phänomen Social Entrepreneurship erfuhr in Europa verstärkt seit Anfang der 1990er Jahre Beachtung; im Zuge der Debatte um die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft wurde auch Social Entrepreneurship zum Thema. International lenkten Förderungsorganisationen wie beispielsweise Ashoka insbesondere im US-amerikanischen Raum den Blick der Öffentlichkeit bereits in den 1980er Jahren auf Social Entrepreneurs. Einzelne Engagierte, die umfangreiche Projekte mit sozialen Zielsetzungen durch unternehmerische Herangehensweisen – zunächst vor allem in Entwicklungsländern – möglich gemacht hatten, wurden unterstützt und herausgestellt. Die öffentliche Wahrnehmung des Phänomens ist bis heute stark durch die mediale Präsenz geförderter Social Entrepreneurs im Sinne einer ‚sozialen Leistungselite‘ bestimmt (vgl. u. a. Light 2008, Leppert 2008). Während der Terminus in den 1980er Jahren wissenschaftlich nur vereinzelt aufgenommen wurde, gewann er in der akademischen Diskussion seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre an Eigenständigkeit. Erste umfangreichere konzeptionelle Ausarbeitungen (vgl. u. a. Dees 2001, Boschee 1998) sowie eine Reihe P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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von empirischen Fallvergleichen und Fallstudien wurden durchgeführt (vgl. u. a. Leadbeater 1997, Emerson/Twersky 1996), Lehrstühle und Professuren zu Social Entrepreneurship an Universitäten eingerichtet, zunächst fast ausschließlich in den ökonomischen Disziplinen (vgl. u. a. Monllor 2007: 4 f.). Die Zunahme von akademischem sowie öffentlichem Stellenwert hat sich bis heute weiter fortgesetzt und seit Beginn der 2000er Jahre ist nochmals ein enormer Zuwachs an Literatur, die sich spezi¿sch mit Social Entrepreneurship auseinandersetzt, zu verzeichnen. Erst langsam jedoch entwickelt sich aus einer tendenziell auf ‚Anekdoten‘ gestützten Forschung (Mair/Noboa 2003: 2), die durch die Nähe von Forschenden und Praktikern gekennzeichnet ist, ein Forschungsfeld, das wissenschaftlichen Standards im Bezug auf Distanzierung und ReÀexivität genügen kann. 2
Entstehungskontexte
In der Lokalisierung der Ursachen für die zunehmende Verbreitung von Social Entrepreneurship existiert bis zu einem gewissen Punkt Konsens: Als wichtigster Aspekt wird der zunehmende Druck auf den Wohlfahrtssektor in Industrienationen gesehen, Kosten zu mindern (vgl. u. a. Dart 2004, Perrini 2006: 3 ff.). Diese Zuschreibung wird in der gegenwärtig verfügbaren Literatur in sehr unterschiedlicher Tiefe reÀektiert. Es liegen bisher keine dezidierten wissenschaftlichen Studien vor, die den historischen Komplex von Ökonomie, Gesellschaft und Politik auf Social Entrepreneurship hin systematisch aufarbeiten. Die Reichweite dieses (postulierten) Kausalzusammenhangs lässt sich wie folgt verorten: Der Druck auf den Wohlfahrtssektor wird oftmals mit der Krise des traditionellen Wohlfahrtsstaatskonzeptes in Verbindung gebracht, die sich vor dem Hintergrund weitreichender gesellschaftlicher Transformationsprozesse abzeichnet (Perrini/Vurro 2006: 60). Diese Entwicklung lässt sich ursächlich an der fortschreitenden Globalisierung der Ökonomie und dem neoliberalen Umbau vieler Aspekte des nationalstaatlichen Konzeptes festmachen; zeitlich wie politisch spielt das Ende des kalten Krieges und des antagonistischen Kräfteverhältnisses zwischen Ost und West eine zentrale Rolle. Die Einschränkung sozialstaatlicher Handlungsspielräume sowie drohender Attraktivitätsverlust im internationalen Standortwettbewerb sind Teil des „zweifachen Anpassungsdruckes“, der in Folge dieser Transformationen auf Wohlfahrtsstaaten wirkt (Lütz 2004: 13 f.). Verschärften Asymmetrien im Bereich des Marktes und der Verteilung gesellschaftlichen Wohlstandes (vgl. u. a. Achleitner et al. 2007: 4), die zuvor durch Transfersysteme abgefangen wurden, können oder wollen sich Sozialstaaten nicht länger in gleichem Umfang annehmen. Das Verständnis staatlicher Sicherungssysteme ver-
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schiebt sich tendenziell von einem Verteilungskonzept, das jedem Bürger Anteil an dem gesellschaftlichen Wohlstand sichern sollte, hin zu einem Instrument der Generierung und Verfügbarmachung von Humankapital (vgl. Lütz 2004, Gabriel 2007: 35). Der daraus folgende Zwang innerhalb des Wohlfahrtssektors, möglichst ef¿zient mit vorhandenen Mitteln zu agieren, um soziale Probleme zu lösen, führte partiell zu einer Professionalisierung des Wirtschaftens (Gergs 2007, Leadbeater 1997). Social Entrepreneurship lässt sich dementsprechend unter anderem als eine Folge des Versagens von Markt und Staat verstehen (Nicholls 2006a: 16 f.) Parallel hierzu ist seit den 1970er Jahren eine Abkehr vom fordistischen Wirtschaftsmodell in kapitalistisch geprägten Nationalstaaten zu beobachten (vgl. Koch 2006, Knierbein 2010: 52). Die Transformation von fordistischen Strukturen, die eine ‚Sozialpartnerschaft‘ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer impliziert hatten, hin zu postfordistischen Strukturen, führte zu einer stärkeren Individualisierung in Form einer Zunahme ökonomischer sowie persönlicher Eigenverantwortung. Die Veränderung der Produktionsbeziehungen und damit auch der Arbeitsverhältnisse und der Subjektstrukturen im späten 20. Jahrhundert verschärfte im Zusammenhang mit stagnierenden oder schrumpfenden Ausgaben im Wohlfahrtsbereich und einer wachsenden Ungleichheit der Vermögensverteilung soziale Probleme. Es ist zu unterstellen, dass die Kombination aus Zwang zur ökonomischen Individualisierung und individueller ökonomischer Befähigung im Sinne einer tendenziell einfacheren Verfügbarkeit von Wissen und Produktionsmöglichkeiten Grundlage für Social Entrepreneurship in kapitalistischen Industrienationen sind. Somit herrschen gegenwärtig auch in hochentwickelten Industriestaaten Bedingungen, welche die Entwicklung von Social Entrepreneurs fördern. Ein zweites zentrales Moment, das zur Entstehung von Social Entrepreneurship beitrug, ist die starke Zunahme von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese begann im westeuropäischen und nordamerikanischen Raum in den 1950er Jahren, und verzeichnet seit Mitte der 1970er eine starke, konstante Zuwachsrate (vgl. Anheier et al. 2005: 19 ff.). Die enorme Bedeutung, die der gewachsenen Zivilgesellschaft und dem entstandenen Dritten Sektor zukommt, zeigt sich u. a. in ihrer gegenwärtigen ökonomischen Ausweitung (Birkhölzer/Kramer 2004: 106 ff.). Die verstärkte Verwischung sektoraler Grenzen, die in einer tendenziellen Privatisierung der traditionell staatlichen Aufgaben der Wohlfahrt zum Ausdruck kommt, ¿ndet neben Social Entrepreneurship in weiteren Phänomenen wie beispielsweise Bürgerschaftlichem Engagement, zunehmend unternehmerisch planenden und strukturierten Wohlfahrtsorganisationen und Modellen kooperativen Wirtschaftens ihren Ausdruck. Diese Phänomene sind nicht neu, die Literatur beruft sich auf vielerlei historische Beispiele für diese Arten des sozialen Engagements. Allerdings hat das unternehmerische Engagement
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in diesem Bereich an Bedeutung und Umfang stark zugenommen.1 Insgesamt lässt sich eine zunehmende intersektorielle Dynamik beobachten. Das Wachstum der Zivilgesellschaft und des Dritten Sektors (als deren partielle organisierte Ökonomisierung) wird in der Literatur als verschieden bedeutsam für die Entstehung Social Entrepreneurship interpretiert; in vielen Staaten dürften diese Entwicklungen jedoch eine Voraussetzung für die Ausbildung von Social Entrepreneurship darstellen. Während über diese Hintergründe ein gewisses Einvernehmen herrscht – wenn auch differente Interpretationen hinsichtlich der Bedeutung für Social Entrepreneurship bestehen – wird in derjenigen Literatur, die ihre Wurzeln vornehmlich in der Entrepreneurshipforschung hat, ein weiterer Aspekt zentral herausgestellt: die Entstehung von Social Entrepreneurship durch den ‚moralischen Druck‘, der zunehmend an den Business Entrepreneurship Sektor herangetragen wird. Eine verstärkte ethische Bewertung der Waren und Dienstleistungen – so die These – führt im Business Entrepreneurship Sektor dazu, dass Aspekte wie Umweltschutz, Arbeitsrecht, soziale Gerechtigkeit etc. in der Produktion und Distribution zu Verkaufsfaktoren werden (vgl. auch Faltin in diesem Band). Während diese Perspektive zunächst eher beispielsweise auf Corporate Social Responsibility (CSR) anwendbar scheint, ist auch eine Rückwendung der unternehmerischen Person bzw. des unternehmerischen Milieus auf soziale Probleme gemeint: Offensichtlicher werdenden sozialen Problemen werden aus dem Bereich Business Entrepreneurship ef¿ziente Lösungsstrategien gegenübergestellt. Dies impliziert – in Hinsicht auf die involvierten Milieus – eine der vorhergehenden Argumentation der Ökonomisierung sozialer Bewegungen gewissermaßen entgegen gesetzte Entwicklung: die Übernahme sozialer Verantwortung, ausgehend von Personen und Logiken, die sich im Sektor des Marktes bewegen. Zwei nicht-exklusive gegenläu¿ge Bewegungen lassen sich in der Literatur ausmachen: Während sich einerseits zivilgesellschaftliches Engagement und Zusammenschlüsse von Bürgern verstärkt ökonomischer Praktiken bedienen, wenden sich Personen und Initiativen aus dem Bereich des Marktes der Bewältigung offensichtlicher werdender sozialer Probleme zu. Nicht nur in der Akzentuierung einer dieser Entstehungslinien unterscheiden sich Perspektiven auf Social Entrepreneurship. Das Verständnis ist in der Forschung in Teilen noch immer dem seit Beginn der akademischen Auseinandersetzung existierenden Widerspruch zwischen Fokussierung des gesellschaftlichen Kontextes oder der des Individuums verhaftet (Martin 2004: 13 ff.). Diese Perspektiven sind oftmals zugleich Forschungsperspektiven und paradigmatisches 1
Zu der Zunahme von ökonomischem Engagement im Bereich des Bürgerlichen Engagements vgl. u. a. Generali/Prognos (2009), Gensicke (2006).
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Verständnis des Gegenstands (vgl. Peattie/Morley 2008): Einerseits die Platzierung von Social Entrepreneurship im Forschungsbereich von Zivilgesellschaft, Non-Pro¿t-Organisationen und Wohlfahrtssektor, andererseits die Verortung als ein neues, unabhängiges Forschungsfeld, welches sich auf Business Entrepreneurship, ethische Motivation und (soziale) Innovation als zentrale Aspekte beruft (Perrini/Vurro 2006: 62 f.). Während letzterer Strang insbesondere Impulse aus der umfangreichen ökonomischen Entrepreneurshipforschung zieht, dominieren in ersterem sozialwissenschaftliche Herangehensweisen und solche aus der Forschung zu sozialen Bewegungen. Im folgenden Abschnitt werden die Stränge der Forschung und die Entwicklung hin zu einem ‚Forschungsfeld‘ zusammengefasst. 3
Stränge der Forschung
Erste referierte wissenschaftliche Adressierung erfuhr der Terminus Social Entrepreneur in der soziologischen Literatur über sozialen Wandel seit Ende der 1960er Jahre, unter anderem durch Banks (Banks 1972: 53, vgl. auch Nicholls 2006a: 7). Folgend fand der Begriff in den 1970er Jahren sporadische Verwendung in der sozialwissenschaftlichen Literatur, die den entstehenden Dritten Sektor zu beschreiben suchte. Etzioni bezeichnete mit dem Begriff Social Entrepreneurship die Aktivitäten von privaten Organisationen mit sozialer Motivation, die sich unternehmerischer Praktiken bedienen. Dabei stehen Social Entrepreneurship, gewissermaßen als Essenz des entstehenden Dritten Sektors, zwischen den Sektoren Staat und Markt: „a third alternative, indeed sector […] between the state and the market“ (Etzioni 1973: 314). Etzioni wies dabei insbesondere auf die Fähigkeit von Social Entrepreneurship hin, die „Ef¿zienz der Dienstleistungserstellung der Unternehmen des Marktes mit der Gemeinwohlorientierung des Staates zu verbinden und als private Organisationen im öffentlichen Interesse tätig zu sein“ (Zimmer 2007: 183, vgl. auch Wex 2002: 125 ff.). In diesem Kontext sind sie als inhärenter Bestandteil, wenn nicht gar als Ausdruck des sich formierenden Dritten Sektors zu verstehen. In der Tradition Etzionis ¿ndet der Terminus seither, wenn auch als Verkörperung spezi¿scher, innerer Möglichkeiten und Aspekte des Dritten Sektors, immer wieder – nicht allerdings zentral gestellte – Verwendung in der sozialwissenschaftlichen Forschung zum Dritten Sektor und zur Zivilgesellschaft. Der Begriff fokussiert hier insbesondere innovative Aspekte des Dritten Sektors, der historisch mit Formen bürgerlicher Selbsthilfe verknüpft wird (Birkhölzer/ Kramer 2004). Social Entrepreneurship stellt an dieser Stelle eine Sonderform des Engagements dar, das in seiner Funktion und Bedeutung anderen Teilen des
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Dritten Sektors gegenüber nicht überlegen ist, allerdings einen modernisierenden ‚innovativen‘ Teilaspekt verkörpert (Evers/Laville 2004: 33 ff.). Prägend für diese Debatte ist die traditionell starke Rolle der Sozialwirtschaft bzw. der Wohlfahrtsorganisationen bei der Lösung sozialer Probleme und Aufgaben in Europa. Diese wird mit teilweise bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Ansätzen (zumeist kollektiver) ökonomischer Selbsthilfe in Zusammenhang gebracht, welche die Grundlage u. a. des deutschen Wohlfahrts- bzw. Sozialstaatskonzepts des 20. Jahrhundert bildeten. Birkhölzer etwa differenziert dementsprechend zwar zwischen verschiedenen ‚Bewegungsmilieus‘ innerhalb des Wohlfahrtsbereichs, bettet Social Entrepreneurship jedoch als impliziten Bestandteil in den Sektor ein (Birkhölzer 2005: 86 ff.). Durch gravierende gesellschaftliche Veränderungen und die Transformation der Zivilgesellschaft seit den 1970er Jahren, die in dem Entstehen eines ‚Dritten Systems‘ mündete (Birkhölzer et al. 2005: 10 ff.), war die unternehmerische Professionalisierung erst möglich geworden. Der Dritte Sektor selbst stellt bereits ein ‚Dazwischen‘ aus Markt und Staat dar, welcher als Infrastruktur, als ‚organisierte Zivilgesellschaft‘ zu verstehen ist. Während die Forschung im Bereich des Dritten Sektors und der Zivilgesellschaft oftmals fundierte empirische Studien vorlegt, stellt sie allerdings nur einen – gegenwärtig recht geringen – Teil der Forschung zu Social Entrepreneurship dar. Die Ursachen hierfür lassen sich vornehmlich in der relativ schwachen Rolle verorten, die dem Phänomen eingeräumt wird. Perrini und Vurro stellen dieser ‚Extremposition‘ die Social Entrepreneurship integrativ im Non-Pro¿t Forschungsfeld verortet, ein anderes Extrem als Forschungsstrang gegenüber: Das Verständnis von Social Entrepreneurship als ein neues Phänomen, welches unabhängig, zumindest aber sehr differenziert zu anderen Formen sozialer Bewegungen zu de¿nieren ist (Perrini/Vurro 2006: 62 f.). Während der Begriff in Debatten um den Dritten Sektor, soziale Bewegungen, community development und die Zivilgesellschaft wirtschaftliches Handeln zur Realisierung sozialer Zielsetzungen an eine kooperative Basis gebunden wird, stellt der „soziale Inhalt von unternehmerischen Initiativen“ den zentralen Fokus dieses zweiten bedeutenden Forschungsstranges dar (Perrini/ Vurro 2006: 63, Übersetzung durch den Autor). Die Wurzeln des sich entwickelnden heutigen Forschungsfeldes Social Entrepreneurship, welches sich stark an letzteren Forschungsstrang anlehnt, liegen in der Entrepreneurshipforschung begründet. Ursächlich hierfür ist sicherlich auch die starke Fokussierung auf die ersten Personen, die durch Förderorganisationen als Social Entrepreneurs benannt wurden: Muhammad Yunus und Bill Drayton prägten das Bild dessen, was als Social Entrepreneur bekannt wurde und inspirierten die beginnende Forschung insbesondere im US-amerikanischen und britischen Raum (vgl. Martin 2004: 15). Social Entrepreneurship teilt in diesem Verständnis
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die „Seele“ mit Business Entrepreneurship-Theorien, unterscheidet sich aber in seinen „¿nalen“, sozialen Zielen (Perrini/Vurro 2006: 59) und ihrer Wertehaltung (Martin/Osberg 2007) von dem Gegenüber im Marktsektor. Dementsprechend stehen hier die innovative Besonderheit sowie die tendenziell emphatische Betrachtung der Bedeutung des Social Entrepreneurs für den gesellschaftlichen Wandel im Mittelpunkt. Dies ¿ndet auch in der Übertragung der Schumpeterschen De¿nition des Entrepreneurs auf Social Entrepreneurs Ausdruck: „All contributions to the ¿eld seem to be in agreement in recognizing that the key to understanding the concept lies in the ¿eld of business entrepreneurship and the consequent Schumpeterian foundation of the SE theories“ (Perrini/Vurro 2006: 64, vgl. Martin/Osberg 2007). Schumpeters Modell des Entrepreneurs ist in vielfacher Hinsicht konstitutiv für diesen Forschungsstrang. Insbesondere vier Motive, die bereits in der Debatte um Entrepreneurship eine zentrale Rolle spielen, stellen wichtige Eckpfeiler des entstehenden Forschungsfeldes dar: Die unternehmerische Person, Innovation, gesellschaftlicher Wandel durch Innovationen und die unternehmerische Möglichkeit, ‚opportunity‘. Schumpeters De¿nition schreibt dem Entrepreneur, der explizit vom Manager oder Verwalter abgegrenzt wird, die Fähigkeit zu, durch neue Produkte oder Produktionsmethoden bestehende Ordnungen innerhalb von Bereichen des Marktes zu revolutionieren und durch diese „kreative Zerstörung“ Innovation hervorzubringen. Entrepreneurs zerstörten durch ihre Herangehensweise Bestehendes, indem sie ihre neuen Ansätze realisieren (Gergs 2007: 23). Im Laufe der Zeit wurde das Modell durch Drucker um das Moment der Identi¿kation von Möglichkeiten – ‚opportunity‘ – erweitert (Drucker 1985). Die Übertragung dieser Eckpunkte auf soziales Engagement lässt das Bild des Social Entrepreneurs als eines beharrlichen Innovators entstehen, der gegen alle Widerstände seine revolutionäre Vision durchsetzt und dabei grundlegenden gesellschaftlichen Wandel initiiert und durchsetzt (vgl. u. a. Light 2008). Während diese Perspektive noch heute großen EinÀuss auf das Forschungsfeld hat, lässt sich doch spätestens seit Beginn der 2000er Jahre eine starke Erweiterung der EinÀüsse in der Diskussion durch Beiträge aus anderen Disziplinen feststellen: Durch die Integration von Politikwissenschaften, Psychologie, Soziologie, Nachhaltigkeits- und Sozialforschung wächst die Zahl der Perspektiven innerhalb des entstehenden Forschungsfeldes, ohne aber das Primat der Ökonomie völlig zu relativieren. Die Differenz zum und die Orientierung am Business Entrepreneur ist weiterhin als konstitutives Merkmal des Social Entrepreneurs in dieser Debatte zu verstehen (vgl. u. a. Nicholls 2006a: 7, Mair/Noboa 2003: 2). Während es vordergründig so scheint, als würden die Verbindungen zu anderen Formen des sozialen Engagements als tendenziell weniger bedeutsam behandelt, so nimmt die Fixierung
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auf Entrepreneurship doch ab. Martin beschrieb 2004 das Entstehen eines neuen ‚Feldes‘ Social Entrepreneurship zwischen den beiden Polen „environmental context“ und „personal traits“ (Martin 2004: 13 ff.). Durch zunehmende Selbstreferentialität innerhalb von Forschung, Literatur und Praxis entwickelt sich zwischen diesen Polen ein perspektivisches Spannungsfeld, welches das Feld zunehmend kennzeichnet. Festzuhalten ist, dass der Begriff – und somit das Feld selbst – in Verhandlung bleibt. So ¿ndet die Erweiterung des Feldes auch in der hitzig geführten Diskussion um die De¿nition des Social Entrepreneurs Ausdruck. Einer tendenziell exklusiven Position dem Terminus gegenüber (vgl. Martin/Osberg 2007) werden De¿nitionen entgegengestellt, die eine eher integrative Perspektive betonen und den Begriff des Social Entrepreneurs nach außen hin – also für weniger streng ‚entrepreneurial‘ ausgerichtetes Engagement – öffnen. Light identi¿ziert in der Literatur über Social Entrepreneurship 40 Merkmale, welche die Differenz zwischen Inklusivität bzw. Exklusivität der De¿nition kennzeichnen (Light 2008: 11 ff.). Während die inklusive Position in ihrer Summe kaum Ausschlüsse gegenüber anderen Wohlfahrtsorganisationen, sozialen Bewegungen oder Corporate Social Responsibility produziert, ist die exklusive Position durch eine extreme Verengung der Perspektive auf wenige Individuen beschränkt. Obwohl bislang wenig feststehende Übereinkünfte innerhalb dieses ‚Forschungsfeldes‘ existieren, lässt sich doch Martins vielzitierte Erwähnung der Herausbildung eines Feldes im Bourdieuschen Sinne nicht ignorieren: Selbstreferentialität, eine „entstehende Identität“ (Martin 2004) als Feld und gemeinsame Deutungs- und Interpretationsmuster breiten sich aus; die Sprache und die Regeln des Feldes verfestigen sich, die Inhalte jedoch sind – noch jedenfalls – strittig. 4
Fazit: ReÀexivität und Verortung von Social Entrepreneurship
Auch wenn die Entwicklung in Richtung eines ausdifferenzierten, interdisziplinären, internationalen Forschungsfeldes tendiert, fehlen Rahmenbedingungen und grundlegende Klärungen des Phänomens, welche Teil der Ursache für die heftig geführte Debatte um die De¿nition des Social Entrepreneurs sind. Es ist zu vermuten, dass diese Unklarheiten partiell aus einem Verortungsproblem von Social Entrepreneurship resultieren. Als problematisch stellt sich oftmals die Ausblendung kultureller Spezi¿ka und historischer Hintergründe lokaler bzw. oftmals nationaler Traditionen sozialen Engagements zwischen Entrepreneurship, Bürgerbewegungen und Sozialstaat dar. Social Entrepreneurship scheint durch eine tendenziell euphorische Begriffsbestimmung räumlicher und kultureller Kontexte enthoben zu sein.
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Weite Teile der internationalen Literatur abstrahieren von Kontextbedingungen, was Social Entrepreneurship als ein ortsungebundenes Phänomen erscheinen lässt. Dies resultiert insbesondere aus dem Fehlen einer systematischen empirischen Forschung, welche die Kategorie des Raumes bzw. der Kultur problematisiert. Die scheinbare Verallgemeinerbarkeit des Phänomens ist allerdings an prinzipiell kontingente historische Strömungen wie die Globalisierung kapitalistischer Wirtschaftsweisen und globale Marktliberalisierung, die Durchdringung der Gesellschaft durch ökonomische Denkweisen, Individualisierung und – vielerorts – den Rückzug des Staates aus sozialen Belangen gekoppelt, also an die Globalisierung eines spezi¿schen Modells von Politik, Ökonomie und Gesellschaft. Dies ist jedoch nur eine bedingt umfassende Transformation, die räumlich differenziert Effekte hervorbringt. Die Übernahme sozialer Verantwortung durch unternehmerisches Engagement ist als Reaktion auf eine Krise vor einem spezi¿schen gesellschaftlichen Hintergrund zu verstehen. So taucht die Figur des frühbürgerlichen Entrepreneurs nicht zufällig wiederkehrend in der Beschreibung von Social Entrepreneurship auf: Die Nähe zum liberalistischen Erbe des (frühbürgerlichen) Kapitalismus ist unübersehbar. Ebenso ¿ndet sich in der Literatur zu Social Entrepreneurship oftmals ein gewisser antistaatlicher Impetus, welcher in der US-amerikanischen Zivilgesellschaft stark verbreitet ist (Leipold 2000: 421). Doch dieses kulturelle Erbe ist nicht auf alle Kontexte übertragbar. Mit der Essentialisierung von Social Entrepreneurship zu dem Modell der Lösung gesellschaftlicher Probleme rücken auch die politisch-gesellschaftlichen Verhandlungen um diese Prozesse in den Hintergrund. Die Verabsolutierung des Konzeptes erschwert daher Debatten um die Wünschbarkeit und Sinnhaftigkeit der globalen Entwicklungen und des Engagements bezogen auf konkrete räumliche Bedingungen. Das gesellschaftliche Umfeld von sozialem Engagement stellt meist zugleich das Handlungsfeld für soziales Engagement mit unternehmerischen Mitteln dar, sowie den Kontext, dem es erwächst. Die Verzahnung von Social Entrepreneurship mit historischen Umständen, sowie die Abhängigkeit von gewissen Rahmenbedingungen sind zu unterstellen. Eine systematische Ausarbeitung der Zusammenhänge von Kultur, Form des Nationalstaates und anderer Sektoren, institutionellen Rahmenbedingungen sowie ökonomischen Bedingungen steht aus. Diese konzeptuelle Leerstelle, die Re-Lokalisierung von Social Entrepreneurship, stellt eine der bedeutsamsten Forschungsdesiderata der Social Entrepreneurship-Forschung dar. Während sich Fallstudien, Förderorganisationen und mediale Organe Initiativen zuwenden, bleiben konkrete gesellschaftliche Hintergründe oft unerforscht. Ursachen hierfür sind u. a. der starke Praxisbezug, der Social Entrepreneurship als Forschungsfeld noch immer charakterisiert, sowie identitäre Interessen: Neben individuellen und Interessen von meist internationalen Förderorganisationen erhöht
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die Verallgemeinerbarkeit von Social Entrepreneurship die Anschlussfähigkeit des Phänomens in Politik und Medien. Bezogen auf Deutschland lässt sich dementsprechend ebenfalls ein ‚Übersetzungsproblem‘ von Social Entrepreneurship konstatieren. Vor dem Hintergrund internationaler, insbesondere durch angloamerikanische Entwicklungen geprägte Begriffe, scheint eine simple Übertragung auf deutsche Verhältnisse unbefriedigend. Abhängig von historischen politisch-ökonomischen Pfaden von Räumen nimmt soziales Engagement, und ebenso Social Entrepreneurship als spezi¿sche Form dessen, unterschiedliche empirische Rollen, Ausprägungen und Selbstverständnis an. Während sich die Fürsorge beispielsweise in den USA stark auf nichtbzw. anti-staatliche Bewegungen stützt, um sozialen Problemen – mit den wohlbekannten Einschränkungen und Unzulänglichkeiten – zu begegnen, fehlt hierzulande ein derartiges ‚bürgerliches‘ Selbstverständnis. Die Ursachen dieser nationalen Differenzen sind historisch verwurzelt: So ist der Zusammenhang aus Bürgerlichem Engagement und wirtschaftlichem Laissez-Faire im angloamerikanischen Raum ein geschichtlich entstandenes und verfestigtes Konstrukt, das im weiteren Sinne dem Selbstverständnis des Liberalismus zu verdanken ist. Der klassische bürgerliche Liberalismus, der sich in Deutschland nur bedingt durchsetzen konnte, schuf Raum und Notwendigkeit für Bürger, außerhalb der Sphäre staatlicher Verfügungsgewalt handeln zu können. Diese historischen Bedingungen schlugen sich sowohl in einer größeren Wertschätzung des Unternehmertums nieder, wie auch in einer anderen Mentalität im Bezug auf Eigenverantwortung. In Deutschland und vielen europäischen Ländern konnte sich dagegen historisch zwar eine starke Kooperations- und Fürsorgekultur entwickeln, die allerdings durch wohlfahrtsstaatliche Integration wieder zum Teil des Staatswesens wurde.2 Leppert bewertet die Übertragbarkeit der aus dem angloamerikanischen Raum stammenden Debatte auf Deutschland daher als schwierig: So scheitere diese u. a. an ihrer (fehlenden) „objektive[n] Praxistauglichkeit“ und Einbettung in den gesellschaftlichen Kontext (Leppert 2008: 3 ff.). Ursachen hierfür ließen sich in einer anderen „bürgerschaftlichen Debatte“, schwacher Engagementkultur, Strukturen des deutschen Sozialstaates, einer anderen Eliten- und Anerkennungskultur etc. ¿nden (Leppert 2008: 11 ff.). Selbst wenn sich also in Deutschland zunehmend Beispiele für Social Entrepreneurship nach angloamerikanischem Vorbild ¿nden lassen, bedeutet dies nicht, dass diese die bessere Alternative zu bereits vorhandenen Organisationen im Wohlfahrtsbereich bilden. Schwierigkeiten in der Einpassung durch andere Wahrnehmungs-, Bewertungs-, Förderungs- und Engagementstrukturen vor Ort könnten Social Entrepreneurship zu einer weniger effektiven 2
Zu unterschiedlichen Einpassungen von Social Entrepreneurship in europäische nationalstaatliche Kontexte vgl. Nicholls (2006a: 4 f.).
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Form der Problemlösung machen. Die systematische empirische Evaluation dieser Umstände erst würde Aufschluss über das Potenzial von Social Entrepreneurship beispielsweise in Deutschland geben. Über den räumlich-kulturellen Kontext hinaus stellt sich die Frage, inwiefern Social Entrepreneurship tatsächlich als Ansatz zur Lösung sozialer Probleme sui generis verallgemeinerbar ist. Während sich die Forschung innerhalb des ökonomisch geprägten Forschungsstranges zunächst oft noch relativ unbedarft dem Thema näherte, lassen sich im Rahmen der disziplinären Erweiterung des Forschungsfeldes zunehmend auch reÀexive Momente ¿nden. Dies gilt beispielsweise für die Frage, inwiefern die ‚soziale‘ Zielsetzung des Social Entrepreneurs als grundlegend positiv zu belegen ist oder inwiefern durch diese Belegung eine politisch-konzeptuelle Diskussion um eben diese Ziele ausgeblendet wird (vgl. Cho 2006, Ziegler in diesem Band). Diese Frage stellt einen ersten Meilenstein in der Öffnung des Feldes für grundlegende reÀexive Fragen dar. Allerdings erstreckt sich die normative Dimension von Social Entrepreneurship darüber hinaus auch auf den Gegenstand als solchen, die Art des Engagements: Nicht nur die Zielsetzung einer Social Entrepreneurship kann normative Widersprüche provozieren (Cho 2006), das gesamte Wirken von Social Entrepreneurship hat Implikationen auf den gesellschaftlichen Kontext, in dem es statt¿ndet. Die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen Person(en) sowie den Aktivitäten der Social Entrepreneurship, den Zielgruppen und der Öffentlichkeit ist kaum zu überschätzen. Social Entrepreneurship kann als Prozess verstanden werden, der das jeweilige Umfeld involviert, durch es beeinÀusst wird und selbst beeinÀusst. Der EinÀuss ist nicht zwangsläu¿g ‚gut‘, sondern vielmehr in einer Wertedebatte erst zu explizieren und zu diskutieren. Eine prozessuale Betrachtung von Social Entrepreneurs und Umgebung in Form von Handlungen, Werten, Interaktionen, Identitätsproduktion, Subjekt-, Gemeinschafts- und Staatsverständnis würde eventuell den Blick auf tiefer gehende Implikationen eröffnen, die dann ebenfalls zum Verhandlungsgegenstand gesellschaftlicher Debatten zu machen wären. Es scheint legitim, die Wünschbarkeit und Sinnhaftigkeit von Social Entrepreneurship als eine spezi¿sche Art des Umgangs und Engagements, als „historisch spezi¿sches Phänomen“ (Martin 2004: 24, Übersetzung durch den Autor) für jeweilige Kontexte zu reÀektieren. Die starke normative Bewertung von Social Entrepreneurship erschwert eine Einordnung in gesellschaftliche Metadiskurse, welche für die Diskussion um die Wünschbarkeit unabdingbar sind. Die Bereitschaft, Social Entrepreneurship als ein ambivalentes Phänomen zu begreifen, ist dabei die Voraussetzung, um die vielschichtigen sozialen Implikationen und damit das langfristige gesellschaftliche Potenzial von Social Entrepreneurship zu ermessen.
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Teil 2: Social Entrepreneurship – Akteure, Projekte, Rahmenbedingungen
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Einleitung
Social Entrepreneurship ist in den letzten sechs Jahren auch in Deutschland angekommen. „Social Entrepreneur“ ist zu einer Bezeichnung und Auszeichnung für Personen geworden, die auf unternehmerische Weise für das Soziale tätig werden. Insbesondere Einzelfälle werden wissenschaftlich betrachtet und diskutiert, Förderprogramme und ‚Räume’, Seminare und Curricula für die Entwicklung und Beförderung von Sozialunternehmertum entwickelt. Ein psychologisches Verständnis von Social Entrepreneurship wird bislang wenn überhaupt nur am Rande einbezogen. Die gesamtgesellschaftliche Perspektive, das Ringen um De¿nitionen, die Konzentration auf die Wirkung, den Impact von Sozialunternehmertum, die Messbarkeit des Social Return on Investment herrschen als Themen in der Diskussion um Social Entrepreneurship vor. Allesamt beziehen sich diese Perspektiven jedoch vornehmlich auf äußere Merkmale und nicht selten eine vornehmlich ökonomische Interpretation des Phänomens. Dieser Beitrag stellt daher eine spezi¿sche psychologische Perspektive in den Mittelpunkt. Er fokussiert die individuelle Innenperspektive von Social Entrepreneurship. Dabei geht es nicht um Charakteristika oder Eigenschaften des Social Entrepreneurs bzw. Sozialunternehmers1. Dies wäre mithin eine weitere Außenperspektive auf die Person. Es geht um eine Innensicht auf das Phänomen, nämlich darum, wie sich das, was (von außen) als Social Entrepreneurship wahrgenommen wird, im Inneren und von innen heraus, als (Selbst-)Verständnis ausbildet, wie es sich entwickelt und wie es sich gestalten lässt. Aus psychologischer Perspektive beginnt die ‚Raumentwicklung’ auf der Grundlage der Entwicklung des Selbst, des inneren ‚Raumes’, mit dem SelbstGestalten.
1
So die hier vorgeschlagene deutsche Übersetzung, die die beiden Einzelanteile gleichberechtigt und unmittelbar miteinander in Beziehung setzt und nicht den einen durch den anderen attribuiert, wie z. B. sozialer Unternehmer.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Die Frage nach dem Selbst und der (eigenen) Identität ist eine der wesentlichen Fragen der Psychologie – ganz besonders in unserer Zeit. Das Selbst-Gestalten eine wesentliche Herausforderung in unserer Gesellschaft und als solche wiederum – eigentlich und wesentlich – eine Aufgabe für Social Entrepreneurs. Social Entrepreneurship als Phänomen birgt möglicherweise die von Beck (2001) beschriebene „biographische Lösung systemischer Widersprüche“ in sich: Es ist ein wechselseitiges Gestalten und Gestaltet-Werden. Der vorliegende Beitrag nähert sich dem Selbst-Gestalten empirisch und theoretisch – zum einen ausgehend von und anschließend an Selbst-Erzählungen von Social Entrepreneurs aus einer aktuellen Biographiestudie.2 Übergreifende Themen und Muster, die sich darin zeigen, werden mit psychologischen Modellen in Verbindung gesetzt. Diese Perspektive ermöglicht, den theoretischen und methodischen Fundus der Psychologie für ein umfassenderes Verständnis sowie für die Entwicklung von Social Entrepreneurship nutzbar zu machen. Zunächst stehen Ausführungen darüber, was diesen ‚Innenraum’, das Selbst ausmacht, wie er – als Identität – gestaltbar ist und was ‚gut gestaltet‘ bedeutet, im Mittelpunkt. Es folgt die Skizze dreier Pfade zum Gestalten von Social Entrepreneurship ‚von innen nach außen‘. Im abschließenden Fazit werden diese Überlegungen zusammengefasst und es wird ein Ausblick hinsichtlich eines möglichen Rahmens für die Gestaltung des ‚Innenraumes’, dem Selbst-Gestalten von Social Entrepreneurship, gegeben. 2
Selbst-Gestalten
2.1 Das Selbst Einer der bekanntesten Social Entrepreneurs in Deutschland, Andreas Heinecke, wird folgendermaßen zitiert: „Bis ich von Ashoka aufgenommen wurde, hatte ich keinen Namen für das, was ich bin und anstrebe. Jetzt ist klar: Ich bin Social Entrepreneur. (...)” (Ashoka o. J.: 15)
Die Frage, die den Hintergrund dieses Zitates bildet, ist die grundlegende Frage nach dem Selbst, nach der eigenen Identität: „Wer bin ich?“ In vielen Fällen erzählen die Social Entrepreneurs in ihrer Lebensgeschichte von der eigenen gründlichen Auseinandersetzung mit dieser Frage. Die Frage nach dem Selbst bzw. der eigenen Identität ist für die Social Entrepreneurs eine wesentliche. Die vorliegende Aussage von Heinecke verweist darauf, dass die Antwort aus zweierlei Erfahrung besteht. Sie wird zugleich von einem selbst bestimmt und wesentlich vom sozialen Umfeld mitgestaltet. 2
Diese Biographiestudie ist Bestandteil des Dissertationsprojekts des Autors (vgl. Strauch o. J.).
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2.1.1 Das Selbst als Innenraum organisiert durch und aus Erfahrungen Das Selbst soll hier als der Erfahrungsraum einer Person de¿niert werden.3 Dieser ermöglicht ein Selbst-Bewusstsein, nämlich „ein unverwechselbares Individuum mit einer eigenen Lebensgeschichte zu sein, in seinem Handeln eine gewisse Konsequenz zu zeigen und in der Auseinandersetzung mit anderen eine Balance zwischen individuellen Ansprüchen und sozialen Erwartungen gefunden zu haben“ (Abels 2006).
ƒ Dreidimensionalität des Selbst Die Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ speist sich nach diesen De¿nitionen aus drei elementaren Quellen: 1. 2. 3.
über die Möglichkeit des Menschen zu einem reÀexiven Bewusstsein (r), über seine Beziehungen mit anderen und der damit verbundenen Rückmeldung zum eigenen Selbst im sozialen Kontakt (s) sowie im Erleben eigenen aktiven Handelns (a) (vgl. Abb. 1).
Aus diesen drei grundlegenden Erfahrungsmöglichkeiten bildet sich das Selbst in einem reÀektiven, einem sozial-kommunikativen und einem aktiven Erlebensprozess. Abb. 1: Die drei grundlegenden Prozesse des Selbst
D U
6 V
Quelle: eigene Darstellung 3
Dieser Raum bildet sich durch die „Strukturierung und Verknüpfung autobiographischer Erfahrungen, die Interpretation von Gewesenem insbesondere in Bezug auf den Beitrag zur Ermöglichung von Zukunft und Handlungsspielräumen (...) [Seine] wesentliche Qualität und Funktion ist die Sinnstiftung im zeitlichen Wandel.“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004).
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Dem entsprechend kann man die Grundfrage „Wer bin ich?“ differenzieren in: a) b) c)
„Wie bin ich geworden, was ich bin?“, „Wer will ich sein?“, „Wie sehen mich die anderen?“ und „Was tue ich [immer wieder]?“ (vgl. Abels 2006).4
Dieses Selbst wird zur Identität, wenn dieses organisierte und integrierte Ganze der persönlichen Erfahrungen sich selbst in der Selbstzuwendung, in unterschiedlichen Sozialkontakten, im Erleben des eigenen Handelns und über die Zeit ähnlich, d. h. ‚identisch‘ bzw. ‚identi¿zierbar‘, bleibt. Ein wesentlicher Aspekt ist darüber hinaus die Anerkennung dieser Gleichheit und Kontinuität des Selbst im sozial-kommunikativen Zusammenhang. Eine Identität entwickeln bedeutet für Erikson (1973), dass man das eigene Selbst und die Gesellschaft, in der man lebt, erkennt und akzeptiert und dass das eigene Selbst von Anderen, von der Gesellschaft erkannt und akzeptiert wird (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Identität als Selbstähnlichkeit
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D U
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U
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V ,GHQWLWlW =HLW8PIHOG Quelle: eigene Darstellung 4
Diese Dreidimensionalität des Selbst ¿ndet sich in unterschiedlicher Akzentuierung bei verschiedenen Autoren (Lucius-Hoene/Deppermann 2004, Potreck-Rose 2004, Abels 2006, Jüttemann, 2007). Die Dimensionen werden hier als die a) selbstreÀexive, b) sozial-kommunikative und c) exekutive Dimension des Selbst-Gestaltens bezeichnet. Gerade in der exekutiven Dimension wird die Zeitlichkeit des Selbst, der temporale Aspekt deutlich, in der sich das Selbst be¿ndet. Handeln – wie auch mit anderen in Kontakt treten und sich selbst erleben – geschieht immer im ‚Hier und Jetzt‘. Das Selbst ist immer eine Momentaufnahme.
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ƒ Das Selbst als Prozessgestalt In der Dynamik der einzelnen Erlebensprozesse, die die Erfahrung(en) des Selbst ermöglichen, liegt ein erster Wesenszug des Selbst: Das Selbst ist eine Prozessgestalt, das Selbst ist immer Selbst-Gestalten. D. h. das Selbst bzw. Identität5 wird immer aktuell her- und dargestellt – fortwährend, dynamisch und lebenslang. Es ist keine feste Einheit, auf die wir zurückgreifen können. Es entsteht erst, wenn jemand danach fragt bzw. die eigene Identität in Frage gestellt wird. Das bedeutet auch, dass das Selbst grundsätzlich gestaltbar ist. Jedes Mal wenn wir unsere Lebensgeschichte – und damit uns selbst – erzählen, wird das Selbst neu gestaltet und ist jeweils etwas anders bzw. etwas Anderes. ƒ Das Selbst ist ein kommunikatives Konstrukt Das verweist auf den zweiten wesentlichen Aspekt: Das Selbst ist ein kommunikatives Konstrukt. Es existiert genau besehen zwischen einem selbst und Anderen, es wird an der Grenze zwischen Individuum und Gesellschaft konstruiert. Schon in der intraindividuellen Herstellung des Selbst über die SelbstreÀexion verweist James (1892) darauf, dass wir uns dabei selbst gegenübertreten, uns selbst objektivieren. Das Ich ist in diesem Prozess das Subjekt des Verstehens, und gleichsam das Selbst Objekt des Verstehens. Das aus dieser SelbstreÀexion resultierende Selbst-Verständnis ist nach außen vermittelbar, anderen gegenüber darstellbar. Das Selbst an sich ist also zwischen-menschlich. Es wird zwischen einzelnen Individuen und zwischen Individuum und Gesellschaft gebildet. Es wird von beiden Seiten, von innen und außen her, (mit-)gestaltet. Das Gestalten des Selbst besteht zugleich aus Gestaltet-Werden und Selbst-Gestalten (vgl. dazu auch Bröckling 2007). Neben der o. g. Möglichkeit der Akzeptanz vs. Zurückweisung von Identitätsangeboten bietet das gesellschaftliche Umfeld so genannte Identitätsschablonen für die Gestaltung dieser Ich-Identität. Das sind Vorlagen, nach deren (Verlaufs-)Muster der Einzelne seine eigene Identität gestalten kann. Welche Vorbilder als Möglichkeiten vorhanden bzw. im relevanten Umfeld akzeptiert sind, bestimmt in einem wesentlichen Teil mit, als was sich der Einzelne versteht bzw. verstehen kann.
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Auch Identität ist eine fortwährende Identi¿zierung. Intraindividuell ist dies hier eine Identi¿zierung an sich: Eine ‚Identitäts-Machung‘, eine Herstellung von Identität bzw. die beschriebene Selbst-Gestaltung. Interindividuell als Identi¿zierung mit, bestimmt sich das Selbst in der Kommunikation mit anderen als Zugehörigkeit zu einer Gruppe/einem gesellschaftlichen Umfeld.
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„Social Entrepreneur”6 als eine solche mögliche Identitätsschablone kam im Wesentlichen in den Jahren 2003/04 mit Ashoka nach Deutschland. Seither wird er als Möglichkeit der Selbstbeschreibung (und Fremdbezeichnung) von Personen immer stärker genutzt und als Selbstverständnis vermittelbar und akzeptiert. Dabei fungiert er sowohl als Bezeichnung als auch als Auszeichnung (z. B. als Fellow von Ashoka oder der Schwab-Foundation). Andreas Heinecke beschreibt die Phase vor seiner Aufnahme in den Kreis von Ashoka entsprechender Weise derart, dass er vorher in den jeweiligen Kontexten als weder „richtig sozial“ galt, weil er mit seinem „Dialog im Dunkeln“ ¿nanzielles Einkommen generiert, noch „richtig unternehmerisch“, weil er im Kern eine soziale Aufgabe wahrnimmt. Aus diesem Weder-noch ist durch den Begriff und das eigene Verständnis als Social Entrepreneur ein Sowohl-als-auch, ein eigenes Selbstverständnis, geworden. Das Selbstverständnis als Sozialunternehmer ist dabei in seiner allgemeinen Bestimmung noch hinreichend offen, dass er auf dem Hintergrund der persönlichen Biographie und je nach (sozialem) Kontext individuell ausgestaltet7 werden kann. (Strauch o. J.)
Der heutige gesellschaftliche Kontext ist durch eine Vervielfältigung der Lebensbezüge, die Pluralität gesellschaftlicher Orientierungsmöglichkeiten gekennzeichnet. Dadurch kommt es zu einer „Vervielfältigung der Selbstbezüge“ (Bröckling 2007: 22). Das Selbst wird zu einem pluralen Phänomen, da in verschiedenen sozialen Kontexten und Kontakten unterschiedliche (Sub-)Identitäten zum Ausdruck kommen. Bezogen auf das Thema Social Entrepreneurship zeigt sich dies darin, dass sich Personen als sozial und unternehmerisch erleben und verstehen. Diese Pluralität beinhaltet die Möglichkeit eines Spannungsverhältnisses zwischen einzelnen Anteilen des Selbst. Das bedeutet, dass im extremen Fall Anteile als dem eigenen Selbst zugehörig empfunden werden, die als gegensätzlich, sich widersprechend bzw. unvereinbar erlebt bzw. vom sozialen Umfeld abgelehnt oder sanktioniert werden. 6
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Dabei ist zu bemerken, dass „Social Entrepreneur” in seiner allgemeinen Begriffsbestimmung einer individuellen Ausgestaltung des eigenen Verständnisses von Social Entrepreneurship und des Selbstverständnisses als Sozialunternehmer viel Raum lässt. Social Entrepreneurship gibt es jetzt als Identitätsschablone, welche als solche, sehr frei und individuell ausformbar ist. Der Begriff bildet gleichsam einen Attraktor für viele die im eigenen Verständnis soziale und unternehmerische bzw. ökonomische Anteile in Ihrer Tätigkeit verbinden, und die ein Selbst-Gestalten (im aktiven Sinne) als wesentliches Merkmal derselben sehen. Die Unterschiedlichkeit der Bedeutung und Relevanz des Begriffes zeigt sich in der Bandbreite des Umganges mit der Zuschreibung dieser Rolle/Identität seitens der Erzähler in der genannten Biographiestudie. Neben der prominent dargestellten direkt identitätsstiftenden Funktion im Beispiel Heinecke, gibt es Andere, die den Begriff Social Entrepreneur eher als Auszeichnung sehen, ihm indifferent gegenüberstehen oder es ablehnen, sich selbst so zu bezeichnen (vgl. Strauch 2009).
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Das Kernproblem besteht für ein Individuum also darin, angesichts dieser Pluralität der möglichen Selbstbezüge Gleichheit und Kontinuität, d. h. die personale Identität zu gestalten und aufrechtzuerhalten. Heute, in Zeiten der ‚fortschreitenden Moderne‘ (Abels 2006) ist dies die größte individuelle Herausforderung und die Uneinigkeit in und mit sich selbst viel eher der Normalfall als eine Ausnahme. ƒ Geschichtlichkeit des Selbst Dies führt uns zum dritten Aspekt des Selbst: Das Selbst-Gestalten geschieht in der Geschichte. Das Selbst ist ‚geschichtlich‘; und das in dreierlei Hinsicht: Das Selbst ist erstens eingebettet im jeweiligen gesellschaftlich-historischen Kontext, ist zweitens eine Geschichte, die wir uns selbst, als subjektive Konstruktion, und anderen, in sozialer Vermittlung, über uns erzählen, und drittens geschieht dies auf der Basis der bisherigen biographischen Erfahrungen. Das Selbst in der Geschichte: Die Frage „Wer bin ich?“ stellt sich in der heutigen ‚fortschreitenden Moderne‘ als Kernherausforderung für jeden Einzelnen. Die Freiheit zu Individualität und gleichzeitig von einem einheitlichen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen bedeutet sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit zum Selbst-Gestalten von Identität. Die Individualisierung erfordert das Selbst-Gestalten und Selbst-Gestalten wird zur allgemeinen Anforderung der Gesellschaftsgestaltung. Nicht zuletzt ist auch Social Entrepreneurship selbst als Phänomen ein Kind seiner Zeit (vgl. Boddice 2009). Selbst-Gestalten ist Erzählen: Das Selbst-Gestalten kann dieser Herausforderung begegnen, indem es sich an der Narrativität orientiert, Identität geriert sich als narrative Identität (Lucius-Hoene/Deppermann 2004). D. h. die Strukturierung des Selbst in der jeweils aktuellen Gestaltung orientiert sich an der Form einer Geschichte bzw. am Prozess des Erzählens. Das Selbst-Gestalten als Sich-selbstErzählen wird u. a. auf ein Ende hin erzählt. Zudem wird es von einem inneren Zusammenhang her erzählt, der als „ein fortlaufendes Thema, das die Darstellung strukturiert und Identität herstellt“ (ebd.). Über das Erzählen, die Narrativität, werden verschiedene einzelne (Selbst-)Anteile, biographische Erfahrungen, miteinander in Beziehung und Verbindung gesetzt und zu einem gesamten Selbst (dem Erfahrungsraum) in Form einer zusammenhängenden Geschichte gestaltet. Diese Geschichte kann jedes Mal und je nach Gegenüber (etwas) anders erzählt werden – jedoch nicht beliebig anders. Das aktuelle Selbst baut auf den bisherigen Selbst-Konstruktionen auf: Das Selbst speist sich aus Erfahrungen der eigenen Biographie, der Lebensgeschichte: Beim aktuellen Erzählen können wir auf vorherige Selbst-Geschichten und die Gesamtheit unserer Lebensgeschichte – und keiner anderen – zurückgrei-
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fen. Neben dem Selbst als Geschichte ist das Selbst auch aus Geschichte, der eigenen Lebensgeschichte, die selbst wiederum eingebettet ist in einen geschichtlichen (historischen) Kontext. ƒ Das Selbst als handlungsleitende Basis Schließlich wirkt das Selbst handlungsleitend. Es ist zugleich Ergebnis des Gestaltens als auch Basis für weitere Erfahrungen. D. h. das Gestalten bildet das Selbst aus sowohl als einen ‚Raum’ gestaltet aus bisherigen Erfahrungen (Wahrnehmung) als auch einen Raum für weitere Erfahrungen (Handeln). Das Selbst ist Erfahrungsraum und Handlungs(spiel)raum. Beides zusammen (rezeptiv und aktiv) bildet den gesamten Gestaltungsraum einer Person. Genauso wie das Individuum in die sozialen Zusammenhänge eingebettet ist, ist das Individuum das Umfeld für das Soziale. Aus psychologischer Perspektive geht es daher um die Gestaltung des individuellen Selbst als Kontext für das Zwischen-Menschliche, das Inter-Individuelle, das Soziale. Dies bedeutet für das Gestalten von Räumen, die Raumentwicklung, dass aus psychologischer Sicht das Gestalten dieses eigenen inneren ‚Raumes’, des eigenen Selbst-Verständnisses, die Basis für eigenes Handeln und über dieses für die Gestaltung äußerer, sozialer und physischer Räume bildet – ein Selbst-Gestalten ‚von innen nach außen‘. 2.1.2 Die Qualität des Selbst-Gestaltens Das Wie, die Art und Weise, des Gestaltens ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Die Frage nach der Qualität des Selbst-Gestaltens ist die Frage nach Integrität. Social Entrepreneurs beschreiben den wesentlichen Entstehungspunkt und den Kern dessen, was als Social Entrepreneurship wahrgenommen wird, als Sinnigkeit, Stimmigkeit der Kombination ihres eigenen Selbstverständnisses, des Umfeldes und ihrer Aufgabe bzw. (der Qualität) ihrer Tätigkeit. Sie benennen diese Stimmigkeit als „Kreis, der sich schließt“, als „ZusammenÀießen unterschiedlicher Linien“, als „eine Jacke, die mir passt“ oder eine eigene „tiefe und feste Überzeugung“. Gleichzeitig markieren diese Metaphern den Grund für die eigene (sozialunternehmerische) Tätigkeit. In diesem ‚Zu(sammen)fallen‘ beschreiben sie den Beginn und zugleich den wesentlichen Kern der aktuellen Tätigkeit bzw. ein ‚Angekommen-sein‘: In vielen Fällen ging diesem nämlich eine Suchphase voraus, in der die Erzähler vielfältige Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten und Aufgaben gemacht haben, bei denen jedoch jeweils „mir etwas gefehlt“ hat, „nicht meins“ war oder „es [noch] nicht zusammengepasst“ hat. (Strauch o. J.)
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Das Selbst als ‚gute Gestalt‘ – Identität in Integrität Die Stimmigkeit, die ‚gute Gestalt‘ dessen was das eigene Selbst und den Selbstbezug zum Kontext ausmacht, wird als Integrität bezeichnet. Am bekanntesten ist wohl die ethisch-moralische Dimension des Begriffes. Auf der psychologischen, intraindividuellen Ebene bedeutet Integrität die Integriertheit von Erfahrungen. D. h., dass persönliche Erfahrungen in ihrer Gesamtheit, das Selbst, als ganz, verbunden und in sich stimmig erlebt werden. Integrität bezieht sich als Qualität des Selbst auf die drei oben beschriebenen elementaren Erfahrungen: erstens bedeutet sie Konsistenz, d. h. die Stimmigkeit einzelner Erfahrungen bzw. Selbstanteile untereinander – eine Stimmigkeit in sich; zweitens Kohärenz, d. h. die von sich selbst und anderen wahrnehmbare Übereinstimmung des Selbstverständnisses mit dessen Ausdruck im Handeln, d. h. was eine Person (über sich) sagt und was sie tut stimmt überein – Stimmigkeit aus sich heraus; und drittens Kontinuität, d. h. eine Selbstähnlichkeit über die Zeit und die damit verbundene Einbindung in soziale Kontexte – Stimmigkeit über sich hinaus. Integrität in ihrer Gesamtheit bedeutet daher: eine Integriertheit in sich, Integrität im Kontakt mit Anderen und eine Integration im/in den sozialen/ zeitlichen Kontext. Ein Selbst bzw. Identität in Integrität gibt somit eine stimmige Antwort und verständliche Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ Die Anschlussfrage ist: „Wie kann dieses Wer, wie kann das Selbst bewusst gestaltet werden?“ Die folgenden Überlegungen skizzieren einen Weg auf der Basis des Gestalt-Ansatzes über drei unterschiedliche Pfade: Das Selbst-Gestalten in sich selbst, aus sich selbst heraus und über sich selbst hinaus. 2.2 Gestalten Der Gestalt-Ansatz (begründet von Fritz und Lore Perls 1941/1992) dient als Grundlage für den zweiten Teil des Selbst-Gestaltens. Integrität bedeutet dabei das Ausbilden einer ‚guten bzw. geschlossenen Gestalt‘. Der Ansatz ist im Wesentlichen eine Grundhaltung, eine Art und Weise, sich selbst, anderen und der Welt um sich herum zu begegnen. Der Gestalt-Ansatz hat seine Wurzeln in tiefenpsychologischen, systemischen, sozialkonstruktivistischen, dialogischen und phänomenologischen Ansätzen. Er folgt dem Weg einer humanistischen und positiven Psychologie (Peterson/Seligman 2004) und spricht Menschen prinzipiell das Potenzial zum Selbst-Gestalten zu, d. h. die Fähigkeit aus sich heraus sich selbst (das eigene Selbst) gestalten, das eigene Leben selbst gestalten und in diesem die Welt um einen herum mit gestalten zu können.
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Diese Haltung rührt her aus dem Grundsatz der Gestalt: Das Ganze (die Gestalt) ist mehr als die Summe seiner Teile.8 In Bezug auf das Selbst sind dies die einzelnen Erfahrungen, die in immer wieder neuer und zugleich an die vorhergehende Gestalt anschließender Weise zu einem Selbst komponiert (Prozessgestalt, Gestaltbarkeit des Selbst, s. o.) werden.9 Der Gestalt-Ansatz fokussiert als Methode das In-sich-Sein, d. h. die eigenen Ressourcen entdecken und gestalten, aus sich heraus handeln, in einer sehr spielerischen und improvisierenden Art und Weise, und Äußeres gestalten, das Eigene konkret erlebbar werden zu lassen. Er arbeitet im Wesentlichen im und durch den persönlichen Kontakt. In-Kontakt-Sein bedeutet in diesem Zusammenhang Kontakt zu sich selbst (reÀexiv), zu Anderen (exekutiv-sozial) und Anderem (kontextual-systemisch). Die SelbstreÀexion wurde eingangs schon als wesentlicher Anteil der Beschäftigung mit der Frage „Wer bin ich“ als Grundsatz, Form und Frage von Social Entrepreneurs in bzw. als Teil der narrativen Identität der Erzähler beschrieben. Durch die Entwicklung zu und in sich selbst und in ihrem Tätig-Sein bilden sich Selbstvertrauen und Selbstwert bei den als Social Entrepreneurs bezeichneten Personen heraus. Social Entrepreneurship als Wirken nach außen entwickelt sich auf dieser Grundlage, d. h. aus der hier vorliegenden personalen Perspektive ‚von innen nach außen‘. Das persönliche Selbstverständnis bildet dabei die Grundlage für das Handeln des Social Entrepreneurs sowie die organisationale Ausgestaltung des Unternehmens. Im Handeln und den Unternehmen von Social Entrepreneurs wirkt das Selbst über sich hinaus. So lassen sich in der Tätigkeit von Social Entrepreneurs und im Aufbau von Sozialunternehmen als wesentliche Elemente erkennen: das Entwickeln von Zutrauen (in sich selbst und in Andere), die Verbindung und der direkte Kontakt mit Anderen in dieser Entwicklung und das Schaffen von (sozialen) Räumen, die einen Entwicklungsprozess, ein Selbst-Gestalten, bei anderen ermöglichen.
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Ein Ganzes ist demzufolge in sich, durch sich und aus sich selbst heraus (neu) gestaltbar. Die gleichen Einzelteile können fortwährend bzw. immer wieder anders zusammengestellt werden und erlangen dadurch insgesamt eine andere Bedeutung. Vgl. die „Re-Kombination von Ressourcen“ in der Unternehmertheorie bzw. Schumpeters „schöpferische Zerstörung“ (Schumpeter 2005).
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Diese zeigen sich in der konkreten Umsetzung, z. B. in der (Ermöglichung von und) erkennbaren Entwicklung von Persönlichkeit und Selbstverständnis von Blinden im Dialogmuseum – „Dialog im Dunkeln“ (Andreas Heinecke/Klara Kletzka), an der gelungenen Entwicklung einer Gemeinschaft und einem Ort von und für Social Entrepreneurs bei „self HUB” (Wiebke Koch) und in einer Regionalentwicklung á la „Xper-Regio”, die neben der direkten Verknüpfung mit ¿nanziellen Ressourcen im Wesentlichen durch eine direkte, persönliche Begleitung der Unternehmer vor Ort besteht (Franz Dullinger, siehe auch seinen Beitrag in diesem Band). (Strauch o. J.)
Selbst-Gestalten als Weg zur ‚guten Gestalt‘ führt im hier vorliegenden Ansatz über drei Pfade: Einen reÀexiven, einen produktiven und einen generativen. Der reÀexive Pfad beschreitet das Gestalten in sich selbst mit dem Ziel der Bestimmung des Selbst (Wer bin ich, wie bin ich und welchen Wert spreche ich mir selbst zu?), der produktive Pfad beinhaltet ein Gestalten aus sich selbst heraus, die Praxis des Selbst (des menschlichen Vermögens über Handeln und in Beziehung) und der generativen Pfad ein Gestalten über sich hinaus und dem Resultat des Wirkens über die eigene Person hinaus.10 Das Selbst-Verständnis, das Handeln und die gesellschaftliche Wirkung als Social Entrepreneur entwickeln sich entlang dieser drei Pfade über die oben beschriebenen elementaren Erfahrungen. Der Gestalt-Ansatz ist dabei im ursprünglichen Sinne des Wortes ‚Methode‘ (grch.: meta hodos ) für diese Entwicklung, d. h. nicht der Weg selbst, sondern die Art und Weise, diese Pfade entlang zu gehen. 2.2.1 Der reÀexive Pfad – die Selbstwertschöpfung Der reÀexive Pfad beschreibt das Gestalten von Selbstverständnis und Selbstwert. Dieser Prozess ist im Kern eine tiefgreifende Selbstzuwendung mit dem Ergebnis der Selbstwertschöpfung. Die drei wesentlichen Schritte auf diesem Pfad zum Selbstwert sind Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen (Potreck-Rose 2004). Die Selbstzuwendung ist zunächst genauer besehen eine Zuwendung zu den beiden Komponenten des Selbst, dem deskriptiven Selbstverständnis oder Selbstkonzept, und dem evaluativen Selbstwert.11 Die Schätzung des Selbst-Wertes ver10 11
Dies ist verbunden mit den Fragen: „Was ist meine Aufgabe? Was kommt durch mich in die Welt?” Dieses Wert-Sein umfasst die Wert-Schätzung all der als Eigen erkannten Anteile und deren Verhältnis zueinander. Dazu ist es wichtig, dass die Inhalte, das eigene So-Sein von einem selbst und anderen akzeptiert werden.
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läuft über eine intra- und eine interpersonelle Quelle: Erstere ist das Verhältnis von eigenen Kompetenzen zu den eigenen Ansprüchen und zweitere das Erfahren von sozialer Unterstützung und Anerkennung. Der zweite Schritt ist die Selbstakzeptanz des an sich Erkannten.12 Sie geriert sich als Grundhaltung, relativ unabhängig von Erfolgen und sozialen Rückmeldungen und wird auf dieser Basis zu einer tatsächlichen positiven Einstellung zu sich selbst als Person, so wie sie ist. Das Resultat zeigt sich im Be¿nden einer Person. Gelungene Selbstakzeptanz geht mit Klarheit und Stabilität des Selbstkonzeptes und eine solchermaßen gefestigte Identität (Integrität) mit Wohlbe¿nden und Lebenszufriedenheit einher. Das Erkannte und als solches akzeptierte Selbst, dem Bewusstsein darüber worauf man in sich (auf-)bauen kann, bildet die Basis für Selbstvertrauen. Selbstvertrauen als Überzeugung, etwas zu können, ist der zweite Teil, der Selbstwert konstituiert. Auch das Selbstvertrauen zeigt sich zum einen als grundsätzlich positive Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten und Leistungen und als tatsächliches Kompetenzerleben. Zusammenfassend gelingt Selbstwertschöpfung über die Selbstzuwendung als ersten Schritt im Wesentlichen durch eine Sensibilisierung des Ichs: Achtsam sein, sich selbst freundschaftlich begegnen und für sich sorgen. Die Selbstakzeptanz als zweiter Schritt besteht im Wesentlichen in einer Differenzierung des eigenen Wertesystems und Selbstvertrauen in Selbstregulation und Selbstkontrolle. Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen sind zugleich die intraindividuellen Säulen des Selbstwertes, d. h. die ersten beiden Möglichkeiten, Selbstwert zu schöpfen. Darüber hinaus gibt es zwei interindividuelle Säulen, die der produktive Pfad fokussiert: die Soziale Kompetenz, das Erleben von Kontaktfähigkeit und das soziale Netz, d. h. ein Eingebunden-Sein in positive soziale Beziehungen. 2.2.2 Der produktive Pfad – die Praxis des Selbst Das Eigene zu bestimmen, sich dessen selbst bewusst zu sein und seinen Selbstwert daraus zu schöpfen ist das Eine. Das Eigene in Handeln und sozialem Kontakt aus sich hervor zu führen, zu produzieren, ist das Andere (Fromm 2003).
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Vor allem – und das ist der Normalfall – wenn darin Anteile des Selbst oder Bereiche geringen Selbstwertes vorhanden sind, gilt es die eigene Person grundsätzlich, so wie sie (gerade) ist, mit allen Akzentuierungen und Schwächen, als solche zu akzeptieren.
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In den Innenansichten beschreiben Social Entrepreneurs sowohl die eigene Tätigkeit als auch persönliche Kontakte als unmittelbar und direkt. Das eigene Unternehmen entsteht in den Erzählungen als „mein Ding“ (s. o.) aus der eigenen Lebensgeschichte heraus. Die Unmittelbarkeit des Erlebens, Handelns und Wirkens wird zweitens durch Beschreibungen deutlich, dass das Wesentliche des eigenen Tätigseins die Social Entrepreneurs schon ein Leben lang begleitet und dass sie die Wirksamkeit des eigenen Tuns im Handeln erleben und aus diesem erkennen. Drittens erzählen viele von einem direkten, unmittelbaren Kontakt zur Zielgruppe ihres Unternehmens oder entstammen ihr selbst. Viertens konstruieren viele der Erzähler und einige sehr deutlich ihr Eigen- bzw. Anderssein bis hin zu einem Außenseiter-Sein, erkennen dies (sich) – auch in seiner Spannungsgeladenheit – an und beschreiben zugleich die Zugehörigkeit zu einer „Gemeinschaft Gleichgesinnter“, den „Kontakt zu anderen Andersartigen“, als wesentlich und wichtig. (Strauch o. J.)
All diese einzelnen Aspekte lassen sich bei Fromm (ebd.) wieder¿nden: Produktivität zeigt sich in der Praxis des eigenen (menschlichen) Vermögens13, dem Tätigwerden aus eigenem Antrieb14 und in spontanem Bezogensein15. Produktivität hat ihren Ursprung in eigener Erfahrung und rührt nicht von einer außerhalb liegenden Quelle her (wie dies bei einfacher ‚Aktivität‘ der Fall wäre). Der Mensch kann zwar dank seiner Produktivität materielle Dinge, Kunstwerke und Gedankensysteme erzeugen – in diesem Sinne kreativ sein – der wichtigste Gegenstand der Produktivität ist nach Fromm (ebd.) jedoch der Mensch selbst. Für die lebenslange Entwicklung bzw. Gestaltung des Selbst ist produktives Tätigsein erforderlich. Diese Selbst-Verwirklichung vollzieht sich im Handeln und im sozialen Kontakt.
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Produktivität als Praxis menschlichen Vermögens ist die Realisierung der dem Menschen eigenen Möglichkeiten, also der Gebrauch der eigenen Kräfte. Die Produktivität besteht – quasi im Anschluss an die reÀexive Bestimmung des Selbst – in der Hervorführung (dem Produzieren) des Selbst. Als was man sich selbst versteht, was jemand in sich an Erfahrung, Kompetenz und Selbstwert ausmacht, kommt in Handlung und Kontakt zu anderen nach außen. Produktivität als ein Tätigsein aus eigenem Antrieb bedeutet: In Augenblicken eigener Spontanität vollzieht sich die Verwirklichung des Selbst, nimmt der Mensch die Welt in sich auf. Dabei bleibt jedoch sein individuelles Selbst intakt, es wird dadurch sogar stärker und gefestigter. D. h., das Selbst ist stark (wird sich selbst bewusst und selbst wert) genau in dem Maße, wie es aktivtätig ist. Dabei kommt es auf das Tätigsein als solches an, d. h., auf den Prozess und nicht auf das Resultat. In unserer Kultur ist das Gewicht allerdings genau umgekehrt verteilt. Produktivität in spontanem Bezogensein heißt: Fortschreitende Entwicklung und wachsende Stärke des Selbst gehen mit zunehmender Vereinsamung einher. Die Entwicklung und Verwirklichung des Eigenen macht zunehmend anders. Diese Art des Aufeinander-Bezogen-Seins ermöglicht, dass sich der Einzelne in seiner Individualität in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter (mit ihrer jeweiligen Individualität) erlebt.
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Dabei kommt es auf das Tätigsein als solches an, d. h. auf den Prozess und nicht auf das Resultat.16 Wesentlich ist also deshalb hier die Art des Kontaktes, die Qualität des Zwischen-Menschlichen. Es kommt nach Fromm (ebd.) darauf an, wie man auf andere und die Welt zugeht. Produktivität ist eine Haltung, zu der prinzipiell jeder Mensch fähig ist. 2.2.3 Der generative Pfad – das Wirken über sich selbst (das Selbst) hinaus Der dritte Pfad ist benannt nach Eriksons Begriff der Generativität. Social Entrepreneurs gestalten zum einen mit ihren Unternehmen einen organisierten sozialen Raum, der über sie selbst als Person hinausreicht. Zum anderen ist in einigen Interviews das Motiv deutlich, dass „nachfolgende Generationen“ – entweder die eigenen Kinder („[mein Kind] soll einmal eine andere Situation vor¿nden“) oder Gleichgesinnte/Gleichbetroffene – es durch die eigene Tätigkeit einmal besser haben sollen. (Strauch o. J.)
Generativität nach Erikson (1973) geht wie Fromms Begriff der Produktivität über Kreativität und Aktivität hinaus – sie besteht in einem Weiter-Wirken.17 Generativität ist entsprechend de¿niert als das Interesse an der Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation oder an anderen kreativen oder produktiven Unterfangen (ebd.). Anders ausgedrückt besteht sie im „Bedürfnis, die eigene Substanz in Formen von Leben und Werk einzubringen, die das Selbst überleben“ (Kotre 1999: 23), d. h. körperlich und seelisch fruchtbar zu sein.18 Social Entrepreneurship, verstanden als die (Neu-) Gestaltung der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse bzw. der Verhältnisse einzelner Personen(gruppen) 16 17
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Nach Bröckling (2007) besteht die ‚unternehmerische Anrufung‘ gerade darin ‚anders anders‘ sein zu sollen. Begreift man den Sozialunternehmer als ‚anderen Unternehmer‘, so ist dieser sogar ‚anders anders anders‘. Nach Erikson (1973) durchläuft der Mensch in seinem Leben einer Reihe von Entwicklungsphasen, die mit KernkonÀikten einhergehen. Deren Bewältigung resultiert jeweils in der Entwicklung einer identitären Grundhaltung. Für die Phase der Generativität beschreibt Erikson diese als „Ich bin, was ich mit anderen zusammen aufbaue und erhalte“. Der KernkonÀikt besteht in dieser Phase in der Entwicklung von Generativität vs. Sterilität (Stagnation und Selbstabsorption). Diese Phase folgt im mittleren Erwachsenenalter auf die Phasen, in deren Fokus die Entwicklung von Identität (vgl. reÀexiver Pfad, Selbstkonzept und Selbstwert) und Intimität (vgl. produktiver Pfad; spontanes Bezogensein) liegen.. Kotre (1999) weist als Stationen auf dem Weg zu Generativität u. a. das „Gespräch mit der Vergangenheit“, die „Identi¿zierung“ und das Finden der eigenen Stimme. Im Generieren (Generation) ¿ndet dieses Eigene in Handeln und Kontakt seinen bleibenden Ausdruck. Er beschreibt zudem verschiedene Formen von Generativität: biologische, elterliche, technische und kulturelle.
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zueinander, ist eine Form kultureller Generativität. Social Entrepreneurship besteht im Wesentlichen in der Gestaltung von (neuen) sozialen Räumen, in sozialer Integration, in der Schaffung von neuen bzw. andersartigen Verbindungen und Verhältnissen (zu sich selbst, zu Anderen und zum Ganzen). Diese Entwicklung einer Organisation/eines Unternehmens (aus sich heraus – auf unternehmerische Weise) fördert/fordert die eigene Entwicklung wie im Prozess (des Unternehmens) und Ergebnis (als Unternehmen) die Entwicklung anderer. Die drei Pfade entsprechen grundlegenden menschlichen Motiven und den drei eingangs dargestellten Selbst-Prozessen: sich selbst als wertvoll erleben (Selbst-Wert), in produktiver Art und Weise handeln und mit anderen in Kontakt sein (sozialer Aspekt) und das eigene Selbst in die Welt bringen, etwas in und an der Welt verändern bzw. hinterlassen (Selbst-Verwirklichung). In ihrem Verlauf und der Ausbildung der einzelnen Qualitäten sind sie eng untereinander verbunden. Die drei Pfade haben also ihren Ursprung in der Entwicklung der Prozessgestalt des Selbst und ihre Mündung.19 3
Fazit
Der Gestalt-Ansatz ist, wie gezeigt werden konnte, aus Sicht des Autors eine vielversprechende psychologische Perspektive zum Verständnis der Entwicklung von Social Entrepreneurship – über das Gestalten bzw. die Entwicklung von (inneren) ‚Räumen’. Social Entrepreneurship besteht darin, aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Aus psychologischer Sicht liegen die wesentlichen Herausforderungen unserer Zeit und Gesellschaft in der Frage nach personaler Identität und Integrität, damit verbunden in der Ausbildung eines gesunden Selbstwertes sowie der Art und Weise der Gestaltung zwischenmenschlichen Kontaktes. Social Entrepreneurs haben es daher psychologisch gesehen im Wesentlichen mit Fragen von Identität, Integrität und Selbstwert sowie der (Neu-) Gestaltung des Zwischen-Menschlichen zu tun. Das lässt sich, wie in diesem Text ausgeführt, sowohl theoretisch als auch empirisch begründen. Das Selbst-Gestalten – in seinem reÀexiven wie aktiven Verständnis – ist die wesentliche psychologische Funktion von Social Entrepreneurship. Dieses wirkt auf personaler, individuell innerer Ebene vor allem als eine Selbstwertschöpfung – 19
Es handelt sich hier um die ‚psychologische‘ Wirk-Richtung, ‚von innen nach außen‘. Wie oben dargestellt wirkt der Kontext und soziale Kontakte zugleich ‚von außen nach innen‘: Die Pfade sind zudem hier als Abfolge dargestellt – sie sind jedoch in der Praxis vielmehr miteinander verÀochten, sind einzelne Prozesse, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten parallel verlaufen.
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über Identitätsstiftung und Integritätsförderung. Sozialunternehmer kann man daher also als Selbstwertschöpfer, Produzenten und Generatoren des Eigenen (d. h. bei sich selbst, bei anderen und in Bezug auf die ganze Gesellschaft ) beschreiben und Sozialunternehmen als Unternehmen aus, im und für das Zwischenmenschliche verstehen. Die Entwicklung von Social Entrepreneurship braucht daher einen geeigneten Rahmen (organisatorisch wie gesamtgesellschaftlich) – einen sozialen Raum, der von einer entsprechenden Grundhaltung geprägt ist. Dazu bietet sich der GestaltAnsatz an. Auf die gleiche Weise wie Social Entrepreneurs einen sozialen Raum gestalten, innerhalb dessen sich Menschen auf diese Weise selbst entwickeln können, gilt es einen entsprechenden ‚Raum’ zu schaffen, innerhalb dessen sich Social Entrepreneurship in, aus, durch und mit Einzelpersonen ausbilden kann. 20 Wesentlicher Ansatzpunkt für die Entwicklung von Social Entrepreneurship bzw. die Entwicklung als Social Entrepreneur ist und bleibt aus psychologischer Perspektive das Individuum – in seinem sozialen Kontext und als Kontext für das Soziale. Genauso wie das Soziale (die Gesellschaft) den Kontext für das individuelle Selbst darstellt, ist umgekehrt das Selbst (die einzelne Person) der Kontext für das Soziale. So verstanden birgt das Selbst-Gestalten Möglichkeiten wie Grenzen gesellschaftlichen Wandels. Der Wandel des Individuums wird so zu einer wesentlichen Quelle von gesellschaftlichem Wandel. Das Gestalten von Selbst und Gesellschaft ist dabei „vielmehr Resultat denn Ausgangspunkt des Gestaltens“ (Bröckling 2007: 27). D. h. das Gestalten des individuellen wie des kollektiven Ganzen ist als Prozesse wechselseitig aufeinander bezogen und ineinander verwoben. Sie entwickeln sich aneinander und bringen sich auseinander hervor. Wesentlicher Grund (Ausgangspunkt), Handlungsbasis (Weg) und Zweck (Ziel) von Social Entrepreneurship – als das Gestalten des Selbst und von Gesellschaft – ist also das Zwischen-Menschliche, genauer: seine Qualität. Wilhelm von Humboldt hat es einmal so ausgedrückt: „Im Grunde genommen sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“
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Grundidee hierfür ist beispielsweise die „Manufaktur für Social Entrepreneurship“ (vgl. www. socialentrepreneurs.de.) in der sich a) sowohl ein eigenes Verständnis von Social Entrepreneurship (als auch ein Selbstverständnis als Social Entrepreneur) gestalten, b) im Direktkontakt mit anderen (insbesondere mit fortgeschrittenen Social Entrepreneurs sowie der Zielgruppen des eigenen Unternehmens und deren Lebenswelt), c) von Beginn an in eigenem Handeln, Improvisieren und Neu-Gestalten, d) eine eigene sozialunternehmerische Idee Gestalt annehmen, konkretisiert und umgesetzt werden sowie e) sich insgesamt zu einem eigenen Sozialunternehmen entwickeln kann.
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So liegt schließlich auch der Wert von Social Entrepreneurship in der Ermöglichung und dem Gestalten der Qualität solcher Verbindungen, d. h. wie sich Einzelne auf sich selbst, auf andere und das soziale Miteinander als Ganzes beziehen (können). Daher lohnt auch ein Blick aus der und auf die individuelle und interindividuelle Perspektive, auf das Selbst-Gestalten als psychologischer Beitrag zur Entwicklung von Social Entrepreneurship und zur Gestaltung innerer – wie äußerer – ‚Räume’. Literatur Ashoka (o. J.): Everyone a Changemaker. Social Entrepreneurs und die Macht der Menschen, die Welt zu verbessern. Frankfurt a. M: Selbstverlag Abels, H. (2006): Identität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Beck, U. (2001): Das Zeitalter des „eigenen Lebens”. Individualisierung als „paradoxe Sozialstruktur“ und andere offene Fragen. Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 29/2001. 3-6 Boddice, R. (2009): Forgotten Antecedents: Entrepreneurship, Ideology and History. In: Ziegler (2009): 133-154 Bröckling, U. (2007): Das unternehmerische Selbst – Soziologie einer Lebensform. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Erikson, E. H. (1973): Identität und Lebenszyklus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Fromm, E. (2003): Produktivität und produktive Orientierung. Fromm Forum (deutsche Ausgabe). Tübingen: (Selbstverlag) Fuhr, R./Sreckovic, M./Gremmler-Fuhr, M. (Hrsg.): Handbuch der Gestalttherapie. Göttingen: Hogrefe James, W. (1892): Psychology. New York: Henry Holt and Company Jüttemann, G. (2007): Persönlichkeit und Selbstgestaltung. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht Kotre, J. (1999): Lebenslauf und Lebenskunst. Über den Umgang mit der eigenen Biographie. München: dtv Lucius-Hoene, G./Deppermann, A. (2004): Die Rekonstruktion narrativer Identität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften McAdams, D. (1993): The Stories We Live By. Personal Myths and the Making of the Self. New York: Guilford Perls, F. (1941/1992): Ego, Hunger and Aggression. Highland, N. Y: The Gestalt Journal Press. Original publiziert (1941). Durban, South Africa: Knox Publishing Company Peterson, C./Seligman, M. E. P. (2004): Character strengths and virtues: A handbook and classi¿cation. Oxford: Oxford University Press Potreck-Rose, F. (2004): Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Stuttgart: Pfeiffer Schmid, W. (2000): Philosophie der Lebenskunst. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
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Schmid, W. (2004): Mit sich selbst befreundet sein. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Schumpeter, J. A. (2005): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. Stuttgart: utb Strauch, M. (2009): Selbst-Bilder von Social Entrepreneurs – Innenansichten eines Phänomens. Social Entrepreneurship Status Quo 2009. Greifswald: Getidos Strauch, M. (o. J.). Innenansichten von Social Entrepreneurs (AT). Institut für Psychologie, Universität Freiburg i. Breisgau. Dissertationsprojekt Ziegler, R. (2009): An Introduction to Social Entrepreneurship. Cheltenham/UK and Northhamton/USA: Edward Elgar Publishing http://www.socialentrepreneurs.de/manufaktur.htm
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Regionalentwicklung durch Förderung von lokalem Unternehmergeist – Das Beispiel XperRegio Franz Dullinger
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Einleitung
Eine wirtschaftlich gut aufgestellte ländliche Region war und ist kein Selbstläufer. Standorttreue Unternehmen, volle Kassen und ausgelastete Baugebiete müssen sich viele Bürgermeister und Landräte hart erarbeiten. Auf dem Weg dorthin gibt es unterschiedliche Hindernisse. Zum einen spielt das ‚Kirchturmdenken‘ häu¿g noch eine große Rolle: Obwohl viele Kommunen in der Sache ähnliche Probleme lösen müssen, tun sie sich bei der Kooperation schwer. Dies überrascht nicht, da die öffentliche Verwaltung lange Zeit an kommunalen und Landkreisgrenzen ausgerichtet war. Dazu kommen immer komplexere Aufgaben, welche die Gemeinden bewältigen müssen. Diese führen in der Praxis nicht selten dazu, dass Bürgermeister den Überblick und den Kontakt zu den Menschen verlieren: Welche Probleme hat der hiesige Metallbaubetrieb gerade? Was braucht er? Woran ist die letzte Firmengründung tatsächlich gescheitert? Welche Ausbildungsberufe werden heute in der Region angeboten? Wissen alle Eltern und Schüler darüber Bescheid? In der Praxis herrscht vielfach die Überzeugung: ‚Unternehmer kommen selbst zurecht‘, oder Unternehmensförderung wird eher Hochschulen und Gründerzentren zugeordnet. Bestehende Programme zur „ländlichen Entwicklung” sind noch immer einseitig auf Maßnahmen zur ästhetischen Aufwertung der Orte oder zur Unterstützung der Landwirtschaft ausgerichtet. Die Regionalförderungsverantwortlichen des Freistaates Bayern beispielsweise legen den Fokus auf großvolumige Investitionen in Produktionsgebäude und -maschinen. Die Förderkriterien schreiben ein Mindestinvestitionsvolumen von 500.000 Euro vor. Zudem orientiert sich die Politik einseitig auf scheinbar zukunftsträchtige Entwicklungen im High-Tech-Bereich. Die Konsequenz: Die reale Wirtschaftsstruktur im ländlichen Raum wird nicht ausreichend wahrgenommen, denn 90 % der unternehmerischen Kräfte sind hier Betriebe mit weniger als 30 Mitarbeitern sowie Gründer. In der Folge mangelt es an einer effektiven Unterstützung: Die monetären Förderinstrumente sind einseitig, starr und werden zentral verwaltet. Bedarfsgerechte und P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Àexible Finanzierungen bilden die Ausnahme. Stark unterschätzt wird auch die nicht-monetäre Unterstützung: aktiv auf Unternehmer zugehen, informell zusammenkommen, reden, Ideen und Probleme besprechen, Kontakte herstellen, den Anstoß für die nächsten Schritte geben. Die Situation ist unbefriedigend, denn sie entspricht nicht dem Bedarf der unzähligen kleinen und mittleren Unternehmen. Ihnen ist häu¿ger mit einer Anschub- oder Zwischen¿nanzierung in einer relativ kleinen Größenordnung, wie beispielsweise 10.000 Euro, geholfen. Banken zeigen sich bei solchen Kreditanfragen immer häu¿ger zurückhaltend. Darüber hinaus fehlen Unternehmern oft Kontakte und Gesprächspartner, um eine Geschäftsidee voranzubringen. Die meisten Kommunalverwaltungen haben bisher weder Personal noch Budget für die Unterstützung ihrer Gründer und Unternehmer. Somit kommen viele gute Ideen gar nicht erst zur Realisation. 2
XperRegio
Um diesem Missstand zu begegnen, wurde XperRegio gegründet (vgl. www.xperregio.de). XperRegio (von Experten für die Region) startete 2003 als strategische Allianz von damals sieben niederbayerischen Kommunen für mehr Unternehmertum, Arbeitsplätze und Lebensqualität. Im selben Jahr verabschiedete XperRegio sein „Handlungsprogramm 2020” und richtete ein eigenes Regionalmanagement auf Basis von ‚Public Private Partnership‘ ein. Gemeinsam mit engagierten Unternehmertypen machte sich XperRegio auf den Weg, um ein ehrgeiziges Ziel zu erreichen: eine Region gestalten, die konsequenter als andere in Europa die Freude am eigenverantwortlichen Unternehmen unterstützt. Gleichzeitig wurde die Organisation XperRegio selbst zum Pionier, nämlich in Sachen EU-Förderung: Erstmalig legte eine Gruppe von Kommunen direkt in Brüssel ein EU-Regionalprogramm vor. Die EU-Kommission erkannte in der Initiative XperRegio ein Modell zur Mobilisierung von Innovationspotenzial ‚in der Fläche‘ und damit einen beispielhaften Beitrag der kommunalen Ebene zu den Zielen von Lissabon. Für die Jahre 2005 und 2006 wurden XperRegio drei Millionen Euro EU-Mittel zur Verfügung gestellt, die das regionale Entscheidungsgremium eigenverantwortlich und mit wenig bürokratischem Aufwand verwalten und einsetzen konnte. Das von XperRegio initiierte Regionalmanagement, die Bürgermeister der XperRegio-Kommunen sowie der Lenkungsausschuss waren auf der Suche nach unternehmerischen Menschen, die mit einem inneren Antrieb ‚ihre Sache‘ vorantreiben. Diese Unternehmer im weiteren Sinne des Wortes lassen sich dabei in verschiedene Gruppen einteilen: (1) Kompetenzträger: Fachkundige, sich unter-
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nehmerisch verhaltende Menschen mit viel Erfahrung im Umgang mit einem bestimmten Thema. Die Spanne reicht hierbei vom Gemüseanbau über Volksmusik bis zur Medizin. (2) Menschen, die ihre ganze Kraft einsetzen, um ihrer Leidenschaft nachgehen zu können. Sie sind wichtige Triebfedern in allen Vitalbereichen der Gesellschaft – in Politik, Wirtschaft und Kultur. (3) Menschen, die Neues ausprobieren. Mit Mut, Zielstrebigkeit und hoher Risikobereitschaft beschreiten sie ungewöhnliche Wege. Jeder unternehmerische Mensch, der durch einen Geschäftsplan die Tragfähigkeit und den Mehrwert seines Vorhabens für die Region nachvollziehbar darstellen konnte, erhielt von XperRegio individuelle Unterstützung in Form von Beratung, Kontaktvermittlung und maßgeschneiderter ¿nanzieller Förderung. Beim ersten Kontakt wurden dem Bewerber drei Fragen gestellt: 1. 2. 3.
Mit welcher Leistung verdienen Sie in fünf Jahren Geld? Mit welcher Leistung schaffen Sie in fünf Jahren einen immateriellen Mehrwert für die Region? Wie unterscheiden Sie sich von Ihren internationalen Wettbewerbern?
Die Beantwortung dieser Fragen diente einer ersten Einschätzung des innovativen Gehalts des beantragten Vorhabens. Denn gefördert wurden nur Projekte, die zu einer messbaren Weiterentwicklung der geplanten Unternehmung beitragen. War dies der Fall, wurde in einer Projektskizze und per Entwurf eines Businessplans gemeinsam das Projektvorhaben weiterentwickelt. Der Aufwand hierfür lag meist zwischen zwei und acht Beratungstagen. Das Regionalmanagement war dabei besonders gefordert: Sowohl Fachkompetenz als auch der Aufbau einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung war in dieser Zeit für den erfolgreichen weiteren Verlauf der Unternehmung von zentraler Bedeutung. Nach dieser ersten Phase wurde ein formeller Antrag auf XperRegio-Förderung gestellt, vorausgesetzt es bestand keine Möglichkeit auf Förderung in konventionellen staatlichen Programmen. Mindestens alle zwei Monate fanden Sitzungen des Lenkungsausschusses statt, bestehend aus Vertretern regionaler Hochschulen, Wirtschaftskammern und der Kommunalpolitik. Der Lenkungsausschuss stellte das of¿zielle Gremium zur Entscheidung über die Förderanträge dar. Jeder Antragsteller präsentierte sein Vorhaben 15 Minuten lang, danach ¿el die Entscheidung. Große Bedeutung wurde dabei auch der Einschätzung der Persönlichkeit des Antragstellers im Sinne eines ‚unternehmerischen Menschen‘ beigemessen. Bei positiver Entscheidung durch den Lenkungsausschuss erhielt der Unternehmer innerhalb von 24 Stunden einen Förderbescheid. Während der Umsetzungsphase wurde enger Kontakt zwischen XperRegio und dem Geförderten gehalten. Das Regionalmanagement brachte den
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Unternehmer bei Bedarf in die Öffentlichkeit und vernetzte ihn mit passenden Partnern. Die Förderung endete schließlich mit einer Kontrolle des Erfolgs und der Überprüfung des korrekten projektbezogenen Fördermitteleinsatzes. Ein Beispiel für diese Form der Förderung ist Tüftler Werner Rüdel aus Eggenfelden (siehe auch www.mutmacher-der-nation.de). Er hatte ein einzigartiges Schnelldübelsystem (Dreh¿x) entwickelt. Eine geniale Idee, doch die Kosten und Vorbereitung für die Markteinführung konnte er alleine nicht stemmen, war doch bereits viel Zeit und Geld in die Patentierung geÀossen. Innerhalb der bestehenden Förderprogramme war er nicht förderfähig, da er selbst weder eine Halle bauen, noch Maschinen kaufen wollte. Für seine vorwettbewerblichen Kosten gab es zu dem Zeitpunkt keine passende Förderung. Auch bei den Banken blitzte der gelernte Schreinermeister aufgrund fehlender Sicherheiten zunächst ab. Somit bestand die Gefahr, dass die Industrie das Patent billig erwerben und die Region davon nicht pro¿tieren würde. XperRegio kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Im Oktober 2006 konnte die Dreh¿x Systems GmbH gegründet werden. Bis heute wurden mittelbar 30 Arbeitsplätze geschaffen. Im Nachhinein nannte der Unternehmer XperRegios Anschub¿nanzierung überlebenswichtig. Aber noch viel mehr habe er von der individuellen Beratung und den vielfältigen Kontakten pro¿tiert. Beispielsweise wurden Bankengespräche gemeinsam vorbereitet oder Medienkontakte für Marketingzwecke vermittelt. Mit drei Millionen Euro aus EU-Mitteln wurden durch XperRegio insgesamt 14,3 Millionen Euro vorhabensbezogene Kosten ausgelöst. Die aufgewendeten öffentlichen Mittel pro Arbeitsplatz belaufen sich somit auf weniger als 10.000 Euro, was im nationalen Durchschnitt außerordentlich niedrig ist. Im Oktober 2006 zeichnete das Bundesverkehrsministerium XperRegio mit dem Bundespreis für Interkommunale Kooperation aus. XperRegio gilt auch europaweit als Erfolgsmodell und wurde 2007 von der Europäischen Kommission mit einem European Enterprise Award in der Kategorie „Unternehmerische Wegbereiter“ ausgezeichnet. 3
Regionale Folgen
Während der intensiven Phase 2004 bis 2008 lernten die Macher von XperRegio vieles dazu. Zum einen zeigte sich, dass das außergewöhnliche Direkt-Förderkonzept zu einer hohen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führte. Schnell wurde aber klar, dass die ¿nanzielle Unterstützung nur der Schlüssel zu den unternehmerischen Entwicklungen vor Ort war. Ein Teil der Antragsteller bewarb sich zwar bei XperRegio, da man anderswo keinen Erfolg gehabt hatte. Mit vielen Bewerbern kam man aber ins Gespräch, weil sie bisher keinen geeigneten Ansprechpart-
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ner gefunden hatten. Oft war zu hören, dass es niemanden gäbe, mit dem eine vage unternehmerische Idee besprochen werden könnte. Es braucht für solche Gespräche eine eher informelle Atmosphäre, Vertrauen und aktives Aufeinanderzugehen. Die XperRegio verstehen sich zu einem gewissen Teil auch als ‚Streetworker‘, die viel unterwegs sind und nicht warten, bis ein Unternehmer ins Büro kommt. Schließlich spielen Zweifel, Unsicherheit, mangelnde Zeit oder Gelegenheit eine große Rolle, wenn es um derart existentielle Themen geht. Auch ansässige Bürgermeister zeigten sich positiv überrascht über das unternehmerische Potenzial, das in ihrer Region schlummerte. Dynamik und Aufbruchstimmung nahmen zu. In der Folge interessierten sich immer mehr umliegende Gemeinden für eine Mitgliedschaft bei XperRegio. Bis Oktober 2006 wuchs der Kommunalverbund von sieben auf 22 Mitglieder an (ca. 120.000 Einwohner). Die Bürgermeister fanden zunehmend gefallen an dieser neuen Kommunikations- und Arbeitsebene, da sie über Landkreisgrenzen hinausging. Schließlich richtete sich XperRegio nicht nach geographischen oder politischen Grenzen. Für die Bürgermeister war dies ein hoher Mehrwert. Auch die XperRegio-Philosophie wurde angenommen: Keine Mitgliedsgemeinde hat einen Anspruch auf Förderung. Bringt sich eine Kommune allerdings aktiv ein, steht XperRegio tatkräftig zur Seite. Der Verbund lebt also auch von der Eigeninitiative der Kommunen, wenn es um kommunale Gemeinschaftsprojekte geht, wie beispielsweise die Förderung von Breitband-Internet. 4
Ausblick
Als wesentlicher Schritt hin zu einer verstärkten unternehmerischen Eigenbindung schlossen sich die Mitglieder von XperRegio im Dezember 2006 in einer GmbH zusammen. Die Initiative, die seit ihrem Bestehen hauptsächlich Unternehmertum gefördert hat, macht sich damit auf den Weg, ein ‚Unternehmen Region‘ zu werden. Die Forderungen, die XperRegio bisher an die zu fördernden unternehmerischen Menschen gestellt hat (etwa Eigeninitiative, Risikobereitschaft, lokale Verbundenheit), sollen nun auch verstärkt auf die Initiative selbst angewendet werden. Ein Hauptziel ist es, ab 2013 einen eigenständigen Regionalfond zu bewirtschaften, um sich langfristig aus eigener Kraft um die Weiterentwicklung der Region kümmern zu können. Eine Zukunftsvision, die auf Unterstützung trifft: Bei seinem Besuch in der Region im September 2007 bezeichnete beispielsweise der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, XperRegio als Modell für die Regionalentwicklung in Europa.
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Ein erster Schritt zur eigenständigen Finanzierung war die Gründung des regionalen Beteiligungsfonds XperCapital im Jahr 2008 (vgl. www.xper-regio.de). Das Fondskapital betrug über eine Million Euro und wurde bis Ende 2008 in sechs Betriebe investiert. Die Mittel setzten sich zusammen aus Einlagen von bisher 16 Kommanditisten, z. B. regional ansässigen Banken sowie privaten Investoren aus dem XperRegio-Gebiet. Darunter sind auch erfolgreiche Unternehmer, die sich gerne für junge Unternehmer in ihrer Heimat engagieren möchten. Momentan baut XperRegio sein Regionalmanagement und die Geschäftsstelle aus. Zudem wird XperRegio sein Pro¿l schärfen und einen Schwerpunkt auf nicht-monetäre Förderung legen, z. B. Beratung, Kontakte herstellen, Kooperationen aufbauen, Partner suchen. Auch die Kommunikation nach innen und außen soll ausgebaut und noch stärker als bisher an den unterschiedlichen Zielgruppen ausgerichtet werden. Weiterhin spielen die bundesweite und europäische Vernetzung mit politischen und wirtschaftlichen Akteuren sowie Stiftungen eine große Rolle. Beispielsweise ist ein transnationales EU-Modellprojekt mit fünf europäischen Regionen zum Thema „Entrepreneurship und Regionalentwicklung“ in Arbeit. Quellen http://www.xper-regio.de http://www.mutmacher-der-nation.de. Letzter Zugriff: 29.09.2010
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Aktivierung endogener Potenziale in strukturschwachen Regionen durch Social Entrepreneurship – Am Beispiel des Projektes enterprise Norbert Kunz
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Die Problemlagen
Viele Milliarden Euro öffentlicher Finanzierungshilfen sind zur Entwicklung und Stärkung der Wirtschaft nach Ostdeutschland geÀossen: GewerbeÀächen wurden erschlossen, moderne Kommunikationssysteme geschaffen, Autobahnen gebaut, viele Menschen wurden in Quali¿kationsmaßnahmen weitergebildet, private Investoren erhielten ¿nanzielle Hilfen und steuerliche Entlastungen. Trotz alledem konnte insbesondere in den peripheren Regionen Ostdeutschlands die wirtschaftliche Entwicklung nicht wirklich stimuliert werden. Immer mehr mittlere und kleinere Unternehmen müssen ihren Betrieb einstellen: Sie haben es schwer, im überregionalen Wettbewerb zu bestehen und sie leiden unter dem Rückgang der regionalen Kaufkraft. Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb mithalten können und attraktive Arbeitsplätze schaffen, gibt es trotz hoher Zuwendungen und der Förderung wirtschaftsnaher Infrastrukturen viel zu wenige. Mithin ist Arbeitslosigkeit zu einem strukturellen Problem geworden. Fast überall in Ostdeutschland das gleiche Bild: Junge und gut quali¿zierte Menschen verlassen die Regionen. Zurück bleiben ältere Menschen und viele junge Menschen, die unzureichend oder weniger gut quali¿ziert sind und denen es oftmals auch aufgrund der aufgezeigten Entwicklungen an Motivation fehlt. Der Rückgang der Bevölkerung wiederum verschärft die Situation: Wenn die Bevölkerungszahl unter ein gewisses Niveau fällt, können sich auch Einzelhändler, Handwerker, Kulturanbieter etc. nicht mehr halten. Inzwischen fehlen den regionalen Anbietern sogar Fachkräfte, um ihre Leistungsfähigkeit zu halten und selbst Sport- und Gesangvereinen oder Feuerwehren fehlt es an Nachwuchs. Die Probleme im privatwirtschaftlichen Sektor spiegeln sich in den öffentlichen Haushalten in Form chronischer De¿zite. Infolge dessen werden freiwillige Leistungen, wie die Förderung von Kunst und Kultur, auf ein Minimum reduziert. Die Attraktivität der Region sinkt weiter. Die Abwanderung des
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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quali¿zierten Teils der Bevölkerung gibt zur Befürchtung Anlass, dass regionale Kompetenzen ausgedünnt und die Potenziale für eine Überwindung der strukturellen Probleme verloren gehen. Weiterer Belege bedarf es nicht, um festzustellen, dass die klassischen Strategien zur Entwicklung einer regional ausgewogenen Wirtschaftsinfrastruktur (Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur, Ansiedlungsreize sowie eine verstärkte Investitionsförderung in strukturschwachen Regionen) gescheitert sind. Zum Teil waren diese Maßnahmen aus der Perspektive der Regionalentwicklung sogar kontraproduktiv. So wurde beispielsweise durch neue und schnellere Verkehrswege der ‚Widerstand der Räume‘ reduziert und damit der Weg zum Arbeitsplatz in ferner gelegene Städte, aber auch der Weg zum Einkaufen und zu Kulturveranstaltungen etc. verkürzt. Dies belastet die Wertschöpfungsprozesse in den Regionen. Im Ergebnis lassen sich ein hohes Maß an struktureller Heterogenität und ein Nebeneinander von wachsenden und schrumpfenden Regionen feststellen. 2
Die Perspektiven
Inzwischen kristallisieren sich drei Denkansätze heraus: Die Einen hoffen immer noch auf den Großinvestor, der die Region vitalisiert, Arbeitsplätze schafft, weitere gewerbliche Ansiedlungen mit sich bringt und die Kaufkraft in der Region stärkt. Die Anderen denken inzwischen laut darüber nach, ob es nicht besser wäre, der Entleerung der Räume Rechnung zu tragen und ganze Regionen in Naturschutzparks umzuwidmen. Eine dritte Denkrichtung setzt nicht mehr darauf, Großinvestoren zu ¿nden und möchte diese auch nicht mehr mit Millionengeschenken aus öffentlichen Steuermitteln umschmeicheln, nur um dann festzustellen, dass, wenn sie überhaupt kommen, sie nach Ablauf der Fördermittelbindung wieder verschwinden. Stattdessen setzen sie auf die endogenen Potenziale der Regionen. Es geht darum, die regionalen Unternehmer zu stärken, das Gründungspotenzial zu aktivieren sowie neue Formen der Eigeninitiative und Selbsthilfe zu fördern. Eine wichtige Funktion könnten hierbei Social Entrepreneurs übernehmen, denn benötigt werden neue Konzepte und vor allem Menschen, die mit Herz und Verstand ihre Visionen leben, die kreativ und durchsetzungsstark ihre Ideen realisieren, zukunftsfähige Dienstleistungen generieren, Brücken bauen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und in den Regionen neue Impulse setzen. Social Entrepreneurs sind Unternehmer, die mit dem Ziel antreten, innovative unternehmerische Lösungen für drängende soziale Probleme zu ¿nden und umzusetzen. Sie sehen die strukturellen Umbrüche nicht nur als Bedrohung, son-
Aktivierung endogener Potenziale in strukturschwachen Regionen
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dern auch als Chance, gesellschaftliche Entwicklung positiv zu beeinÀussen. Für strukturschwache Regionen könnten Social Entrepreneurs als Innovationsträger, aber auch als Vorbilder und Identi¿kations¿guren von besonderer Bedeutung sein. Sie stehen für alle, die entgegen dem Abwanderungstrend bleiben oder sich neu ansiedeln und insbesondere für jene, die aktiv an einer positiven gesellschaftlichen Vision arbeiten wollen, die den Mut haben, ihre Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten und die (Frei-)Räume nutzen, um ihre Ideen zu verwirklichen. Exemplarisch für regional orientiertes Social Entrepreneurship steht das Projekt enterprise (vgl. www.iq-consult.com), welches in Brandenburg seit 1999 junge Menschen aus der Arbeitslosigkeit bei der Existenzgründung unterstützt. Die Ausgangssituation in Brandenburg ähnelt denen vieler ländlicher Regionen und ist gekennzeichnet durch eine wechselseitige Verstärkung von demographischen und wirtschaftlichen Problemen. Schrumpfungsprozesse ¿nden auf nahezu allen soziökonomischen Ebenen in den ländlichen Regionen statt: Dörfer entleeren sich, Schulen werden geschlossen, Steuereinnahmen gehen zurück, Kommunen verschulden sich, die öffentlichen Infrastrukturen entsprechen nicht mehr dem Bedarf. Insgesamt reicht die Dynamik der brandenburgischen Wirtschaft nicht aus, um eine hinreichende Anzahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Die Erwerbstätigenquoten der brandenburgischen Wirtschaft liegt bei nur 60 % und damit um 10 % unterhalb der Zielvorstellungen der Lissabon-Strategie1. Im Ergebnis gelingt es nicht – trotz gewisser demographischer Entlastungsprozesse – die Arbeitslosenquote substantiell abzusenken. Sie beträgt 13 % (Stand Februar 2010). Paradoxerweise sieht sich Brandenburg aber schon jetzt mit der Problematik des Fachkräftemangels konfrontiert: Das Land hat ein Problem Menschen mit hohem Ausbildungsniveau zu halten. Die kleinen Betriebe Brandenburgs sind kaum in der Lage, adäquate Konditionen, Karriereperspektiven oder auch nur Weiterbildungsangebote zu bieten. Diese Prozesse verschärfen sich wechselseitig und führen dazu, dass die öffentliche Daseinsvorsorge in vielen Regionen nicht mehr gewährleistet werden kann. Nach wie vor sind auch junge Erwachsene in hoher Zahl von Arbeitslosigkeit betroffen. Von den unter 25-jährigen waren 2009 über 15.000 Jugendliche in Brandenburg ohne Arbeit. So werden sie von Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen; für sie verstellen sich Wege der Selbstbestimmung und der Teilhabe an wirtschaftlichen/sozialen Entwicklungen des Landes. Immer noch 1
Mit der Lissabon-Strategie hat die EU für den Zeitraum 2000 bis 2010 ein Programm verabschiedet, in dessen Rahmen Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt als Bestandteil einer wissensbasierten Wirtschaft gestärkt werden sollen (siehe www.europarl.europa.eu und ec.europa.eu).
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geben junge Arbeitslose unfreiwillig ihre starke regionale Bindung auf, um in anderen Bundesländern nach Erwerbsmöglichkeiten zu suchen und sind somit für Brandenburg oft dauerhaft verloren. Dadurch wird die Zukunftsfähigkeit ganzer Landstriche in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund ist es von essentieller Bedeutung, innovative Maßnahmen zur Aktivierung von Gründungspotenzialen und mithin zur Förderung der Beschäftigung zu entwickeln und den jungen Leuten Alternativen zur ‚klassischen‘ Arbeitnehmertätigkeit anzubieten. Gerade die Selbstständigkeit, verbunden mit einer professionellen und zielgerichteten Beratung, wie sie das Projekt enterprise bietet, kann für die Jugendlichen eine sinnvolle Erwerbsalternative darstellen. Die Existenzgründungsunterstützung ist angesichts der demographischen und regionalwirtschaftlichen Strukturveränderungen eine der wirkungsvollsten Maßnahmen zur Aktivierung endogener Potenziale. Im Projekt enterprise werden die jungen Arbeitslosen befähigt, eigenständige Erwerbsstrategien zu entwickeln, ihre Lebens- und Berufsbiographie zu reÀektieren und zu gestalten und dabei eine Existenzgründung im Land Brandenburg als einen möglichen Weg zu erkennen und zu realisieren. Das Konzept wurde in andere Bundesländer transferiert und inzwischen haben sich mit Unterstützung von enterprise weit über eintausend junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren in den neuen Bundesländern selbstständig gemacht. Insgesamt sind fast zweitausend Arbeitsplätze entstanden. Aufgrund der integrierten Unterstützungsdienstleistungen in Form von Beratung, Coaching, Quali¿zierung und Finanzierung sowohl in der Vor- als auch Nachgründungsphase sind die enterprise-Gründer überdurchschnittlich bestandssicher. Da anfänglich die klassischen Institutionen – insbesondere die Kreditinstitute – große Vorbehalte gegenüber der Idee hegten, junge Menschen in die Selbstständigkeit zu begleiten, mussten auch neue Gründungs¿nanzierungsformen entwickelt werden. So wurden im Rahmen des Projektes auch die Grundlagen für das Deutsche Mikro¿nanzsystem gelegt. Der Projektträger von enterprise – iq consult – war die erste akkreditierte Mikro¿nanzorganisation in Deutschland. Die durchschnittlichen Kosten belaufen sich pro Gründung auf ca. 8.000 Euro und pro Arbeitsplatz auf ca. 4.000 Euro. Im Vergleich zu den Millionensubventionen für Ansiedlungsprogramme ist die Förderung des Gründungspotenzials von jungen Menschen eine kostengünstige Form, Zukunftsperspektiven für Regionen zu schaffen. Enterprise wurde inzwischen zweimal als europäisches Best-Practice-Projekt ausgezeichnet.
Aktivierung endogener Potenziale in strukturschwachen Regionen
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Resümee
Das Beispiel enterprise zeigt, wie durch sozialunternehmerische Aktivitäten regionale Potenziale gestärkt werden können. Es setzt konsequent auf regionale Potenziale, durch Empowerment benachteiligter Zielgruppen und die Aktivierung von Unternehmensgründungen durch diese. Mit Hilfe des Projektes werden Zugänge zu Kapital verschafft und regionale Kompetenz- und Vermarktungspartnerschaften initiiert. Es werden Instrumente und Verfahren entwickelt und erprobt, die nicht nur in ihrem unmittelbaren Wirkungskreis einsetzbar, sondern auf andere Regionen übertragbar sind. Mehr davon wäre wünschenswert, setzt aber auch voraus, dass den Akteuren ein Bruchteil der öffentlichen Unterstützung und Finanzierung zu Teil wird, die in anderen – auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten – Programmen selbstverständlich ist. Quellen http://ec.europa.eu/archives/growthandjobs_2009. Letzter Zugriff: 27.10.2010 http://www.europarl.europa.eu/summits/lis1_de.htm. Letzter Zugriff: 27.10.2010 http://www.iq-consult.com http://www.myvideo.de/watch/2755938/Norbert_Kunz_Ashoka_Fellow_2007_Social_ Entrepreneur. Letzter Zugriff: 27.10.2010
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Zur Wahrnehmung eines Phänomens: Förderpolitische Bedingungen für Social Entrepreneurship in Deutschland Thomas Leppert
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Einleitung
Sieben Jahre ist es nun her, seit das „Memorandum der Sylter Runde“ das Thema Social Entrepreneurship1 in Deutschland erstmals aufgegriffen hat (Sylter Runde 2004). Seitdem ist eine erfreuliche Entwicklung festzustellen. Eine Reihe von Persönlichkeiten wurde hierzulande als „Social Entrepreneur des Jahres” oder „Ashoka-Fellow” ausgezeichnet, große Konferenzen wie der „Vision Summit” in Berlin befördern die Idee in der interessierten Öffentlichkeit. Diplom- und Promotionsarbeiten werden geschrieben, erste Lehrstühle zum Thema werden besetzt und Seminare an Universitäten, Projektwochen und Schülerakademien weisen jungen Menschen den Weg zu Social Entrepreneurship. Spätestens seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an den wohl bekanntesten Social Entrepreneur Mohammad Yunus ist das Medienecho kaum überschaubar. Grund genug also, sich über die wachsende Bedeutung des Themas zu freuen und die wertvollen Impulse zu begrüßen, die sich daraus für die gemeinwohlorientierte Arbeit in Deutschland ergeben. Social Entrepreneurship ist ein aktuell relevantes gesellschaftliches Phänomen. Es bietet in Deutschland die Chance, gemeinwohlorientierter Arbeit durch seine unternehmerischen Aspekte eine neue Dimension zu eröffnen und letztlich so auch eine aktive Bürgergesellschaft zu stärken. Es besteht kein Zweifel, dass diese Entwicklung daher weiter gefördert werden sollte. Dazu müssen jedoch auch jenseits der manchmal spürbaren Euphorie einige Beobachtungen über die Entwicklung der letzten Jahre reÀektiert werden, die der weiteren Verbreitung von Social Entrepreneurship unter Umständen im Wege stehen können. Die nachfolgend dargestellten Beobachtungen beziehen sich zum einen auf eine bisweilen schwierige Wahrnehmung des Konzeptes, die 1
Im vorliegenden Text wird der Begriff „Social Entrepreneurship” als das Handeln von Social Entrepreneurs verstanden und verwendet.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_10, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Thomas Leppert
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dessen begrifÀiche Vielschichtigkeit und seine Abhängigkeit von subjektiven Wertvorstellungen außer acht lässt und häu¿g in eine Verwechslung von Social Entrepreneurship und Social Business mündet. Zum anderen ist 4. ein noch nicht hinreichend stark ausgeprägtes Verständnis über den Prozess von Social Entrepreneurship sowie 5. das daraus resultierende Fehlen von Förderstrukturen, die sich auch an eine breitere Basis jenseits ausgezeichneter ‚Leuchtturmprojekte‘ mit besonderer medienwirksamer Strahlkraft wendet, zu beobachten. Beobachtet werden können außerdem 6. die spezi¿sch deutschen Kontextbedingungen und 7. eine bislang fehlende offene Debatte über die Ziele und Wirkungen des unterstützenden Sektors aus Wissenschaft, Förderinstitutionen und Politik für Social Entrepreneurship in Deutschland. Es gilt, aus diesen aktuellen Beobachtungen über kritische Faktoren der Entwicklung zu lernen und daraus Rahmenbedingungen für die Verbreitung von Social Entrepreneurship in Deutschland abzuleiten. Die nachfolgenden Ausführungen wollen dies anhand einiger – bisweilen polemisch formulierter – Thesen versuchen. Dabei geht es keinesfalls um eine Fundamentalkritik an einem Konzept, das seinen Wert bereits bewiesen hat und eine wertvolle Ergänzung im speziellen Umfeld deutscher Sozialstaatskultur darstellt. Die Aussagen sind eher als Randnotizen eines Beobachters des öffentlichen Diskurses zu verstehen und sollen dazu dienen, den Blickwinkel auf ein aktuell gesellschaftlich relevantes Phänomen in Deutschland zu erweitern.2 2
Wider die Norm: Die Vielfalt akzeptieren
Ein Einvernehmen in der Forschungsliteratur, was unter Social Entrepreneurship zu verstehen ist, gibt es trotz bisweilen gegenteiliger Aussagen nicht. Seit mehr als zwanzig Jahren versuchen Wissenschaftler, sich auf ein gemeinsames theoretisches Verständnis zu einigen. Und doch müssen wir uns daran gewöhnen: Es gibt kein einheitliches Bild darüber, was genau unter Social Entrepreneurship zu verstehen ist. 2
Der Autor promoviert an der Universität Hamburg zum Thema Social Entrepreneurship und ist als externer Berater/Juror für „startsocial e.V.“ (www.startsocial.de) sowie als Gründer von „Heldenrat – Beratung für soziale Bewegungen e.V.“ (www.heldenrat.org) seit 2005 in der Beratung und Quali¿kation soziale Initiativen und Gründungen tätig.
Zur Wahrnehmung eines Phänomens
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Obwohl der Begriff „Social Entrepreneurship“ seit den 1970er Jahren im wissenschaftlichen Diskurs existiert, ist es in den vergangenen 30 Jahren nicht gelungen, eine einheitliche De¿nition des Phänomens zu bilden. (Zimen 2006: 17)
Als gemeinsamen Konsens ließe sich womöglich noch am ehesten formulieren, dass die soziale Mission im Vordergrund steht und weniger die monetären Ziele einer Unternehmung. Doch schon bei weitergehenden Fragen herrscht eine bunte Vielfalt von Meinungen. Welche Rolle spielt ein nachhaltiger Business Case? Welche Bedeutung kommt der Gründungsperson zu? Welchen Innovationsgrad besitzt die soziale Idee? Betreibt ein Social Entrepreneur seine Unternehmung voll- oder nebenberuÀich? Was ist eine soziale Mission? Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig und schlagen sich in den unterschiedlichsten De¿nitionen nieder. Die tabellarischen Zusammenfassungen verschiedenster De¿nitionsansätze füllen mittlerweile viele Seiten (so z. B. Zahra et al. 2009: 521, Desa 2007: 31 f., Zimen 2006: 18 f., Mair/Marti 2004: 4).3 Nun sind De¿nitionsansätze für sozialwissenschaftliche Phänomene möglicherweise ohnehin Muster mit begrenztem Wert, solange sie nur wenig zu deren Verständnis und Erklärung beitragen können. Die meisten Social Entrepreneurs legen denn auch nur geringen Wert auf diese Diskussion um ein Label (Oldenburg 2009: 197) Vielleicht wird es grundsätzlich nicht möglich sein, ein einheitliches Verständnis über das Konzept Social Entrepreneurship zu entwickeln. Ob dies begrüßens- oder bedauernswert ist, kann sicherlich unterschiedlich bewertet werden. Bis auf weiteres werden wir jedoch mit dieser Vielfalt leben müssen. Solange es jedoch diese Vielfalt an Auffassungen über die zentralen Begrifflichkeiten gibt, sollte dies jedoch auch klar benannt werden. Auf dem sich entwickelnden Feld von Social Entrepreneurship in Deutschland treten derzeit verschiedenste Akteure auf, die mit ihren De¿nitionsansätzen dieses Feld beeinÀussen (Martin 2004: 8) und den Eindruck erwecken, dass Einigkeit über das Verständnis von Social Entrepreneurship besteht. Als durchaus opportun zu werten ist es, dass ein jeweils für den eigenen Zweck notwendiges und sinnvolles Verständnis von Social Entrepreneurship beworben wird, z. B. für eine empirische Studie, einen Auswahlprozess oder eine öffentliche Präsentation. Keinesfalls sollte aber der Eindruck erweckt werden, dass die inhaltlichen Unterschiede überwunden sind, solange dies nicht der Fall ist. Dies gilt vor allem für die Wissenschaft und insbesondere die empirische Sozialforschung. Deren Aufgabe ist an erster Stelle die Beschreibung und Erklärung der Wirklichkeit mit dem Ziel der Konstruktion eines objektiv nachprüfbaren 3
Ob es sich allerdings bei Social Entrepreneurs, wie von Fojcik und Koch nach der Auswertung von 87 verschiedenen De¿nitionen dargestellt, weniger um „ein Faktum als vielmehr (um) eine Fiktion“ handelt, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden (Fojcik 2009: 85).
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theoretischen Modells der Realität (Schnell 2008: 6 f.). Solange diese Realität in ihren Dimensionen vielschichtig ist, hat Wissenschaft die VerpÀichtung, auf diese Vielschichtigkeit hinzuweisen. Dass Wissenschaft darüber hinaus auch normativ sein darf und muss, steht außer Zweifel. Die Förderung von Social Entrepreneurship in Deutschland ist eine Aufgabe, an der sich auch die Wissenschaft natürlich mit Kraft beteiligen kann. Daher sind auch normativ aufgeladene De¿nitionsvorstellungen, die etwa das Prinzip der Nachhaltigkeit oder des gesellschaftlichen Wandels mit aufnehmen, durchaus legitim. Kritische Wissenschaft muss jedoch auf diesen normativen Charakter ihrer De¿nitionen hinweisen, wo sie versucht, die Wirklichkeit zu beeinÀussen. Dies gilt insbesondere in der De¿nitionsdebatte über Social Entrepreneurship. 3
Subjektive Wertvorstellungen bestimmen das Bild
Das Verständnis von Social Entrepreneurship basiert auf mehreren Kernbegrifflichkeiten, von denen jede für sich nur schwer eindeutig de¿nierbar ist. Dazu zählen zentrale Konstrukte wie unternehmerisches Handeln, Entrepreneurship, soziale Mission, Innovation, Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Wandel etc. Diese Begriffe sind theoretisch keinesfalls eindeutig bestimmt und die wissenschaftliche Diskussion darüber dauert teilweise schon seit Jahrzehnten an.4 Ein einheitliches Verständnis darüber, was als unternehmerisches Handeln zu verstehen ist, existiert genauso wenig wie eine abschließende Nachhaltigkeitsde¿nition oder ein gemeinsamer Innovationsbegriff. Ebenso wenig herrscht derzeit ein Konsens darüber, wo gesellschaftlicher Wandel anfängt und woran eine soziale Mission erkannt werden kann. Dies führt zu der bereits oben beschriebenen Vielschichtigkeit der De¿nitionsansätze und bietet fruchtbaren Boden für so manch lange Diskussion über das Wesen von Social Entrepreneurship. Dies macht aber auch deutlich, wie sehr die Diskussion teilweise von recht subjektiven Vorstellungen geprägt ist. Was beispielsweise als sozial verstanden wird oder als innovativ, wann eine Organisation von einer sozialen Mission bestimmt oder ein gesellschaftlicher Wandel sinnvoll und auch erkennbar ist, ist stets auch Gegenstand jeweiliger persönlicher Einschätzung. Diese basiert zu nicht unerheblichen Teilen auf individuellen Erfahrungshintergründen, moralischen und sonstigen normativen Vorstellungen. Insbesondere in der Frage nach den sozialen Wirkungen eines Projektes treten diese Werte und moralischen Vorstellungen zu Tage: 4
Vgl. z. B. Hauschildt (2007: 4 ff.) zum Innovationsbegriff, Lexikon der Nachhaltigkeit (2009) zum Nachhaltigkeitsbegriff, Gartner (1998: 13 ff.) zum Entrepreneurbegriff.
Zur Wahrnehmung eines Phänomens
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The measurement of social value creation will always be largely subject to the basic moral attitude of the person presiding over the evaluation. (Achleitner et. al 2009: 16)
Nun könnte man den argumentativen Kniff wagen, die jeweils geltende ‚herrschende Meinung‘ – wo sie denn eindeutig identi¿zierbar ist – als aktuellen gesellschaftlichen Konsens zu de¿nieren und als Maßstab für die Identi¿kation von Social Entrepreneurship zu wählen. Was innovativ, was sozial oder unternehmerisch ist, bliebe dann diesem wie auch immer zu ermittelndem Konsens überlassen.5 Dieser Ansatz greift aber da zu kurz, wo es bei sozialunternehmerischem Handeln darum geht, scheinbar bewährte gesellschaftliche Normen und Verhaltensmuster wie z. B. den Umgang mit Migranten zu überwinden und kann daher nur bedingt für die weitere Verwendung taugen. Wir dürfen uns daher nichts vormachen: Zumindest bis auf weiteres bleibt die Debatte von subjektiven und eben nicht von objektivierbaren Vorstellungen über die Bedeutung von zentralen Konstrukten von Social Entrepreneurship geprägt. Dies sollte im Bewusstsein behalten, wer vor der Herausforderung steht, solche mit Vehemenz vorgetragene Kategorisierungen einzuordnen. 4
Social Entrepreneurship ist nicht Social Business
Nun wurde bereits einige Jahre das Konzept von Social Entrepreneurship in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Die bereits beschriebene Verwirrung über den Begriff betrifft hierzulande insbesondere das Verhältnis zwischen Social Entrepreneurship und Social Business (vgl. dazu Spiegel und Bruysten/Engelke in diesem Band). Man kann nach vielen Diskussionen, Workshop- und Konferenzteilnahmen den Eindruck gewinnen, dass letzteres mittlerweile in der öffentlichen Debatte in Deutschland gleichgesetzt wird mit Social Entrepreneurship. Ein wesentlicher Bestandteil von Social Business, nämlich ein selbsttragendes, ¿nanziell pro¿tables bzw. mindestens verlustfreies Ertragsmodell in Verbindung mit einem Fokus auf den sozialen Nutzen des Unternehmens, wird in dieser Wahrnehmung als Hauptmerkmal von Social Entrepreneurship verstanden – eine falsche Gleichsetzung. Diese Gleichsetzung von Social Entrepreneurship mit Social Business lässt sich zumindest aus der wissenschaftlichen Literatur (und auch bei näherer Betrachtung der Praxis) nicht belegen. Ob ein so genanntes ‚earned-income-modell‘ zwingend zu Social Entrepreneurship gehört, ist nicht eindeutig geklärt (Huber 2004: 22). 5
Dies könnte etwa beim Begriff ‚sozial‘ mit dem Verweis auf das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht als kodi¿zierter aktueller Konsens auch durchaus hilfreich sein (vgl. Leppert 2008).
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Auch zwei der großen Promotoren in diesem Sektor in Deutschland, Ashoka und das Genisis Institute, weisen in eigenen Beiträgen auf die Beziehung zwischen Social Entrepreneurship und Social Business hin und nehmen notwendige Klarstellungen vor (Ashoka 2009, Genisis Institute 2009). Beiden Darstellungen ist gemein, dass sie Social Business als eine Unterform von Social Entrepreneurship verstehen. Dabei handelt es sich um ein vorrangig an einer sozialen Mission ausgerichtetes pro¿tables Unternehmen mit eigenem Einkommen, dessen Gewinne reinvestiert werden. Social Entrepreneurship hingegen umfasst auch weitere hybride Organisationsformen, bei denen auch andere Einnahmearten wie Spenden und philantrophische Investments zur Finanzierung beitragen (vgl. Lawaldt in diesem Band). Es wäre daher bedauernswert, wenn in der breiteren Öffentlichkeit als Social Entrepreneurship nur der Gedanke verstanden wird, dass soziale Projekte ihr eigenes Geld erwirtschaften. Besonders kritisch wird es, wenn in öffentlichen Diskussionen durchaus vorzeigbare Projekte, die mit einer innovativen Idee, einem überzeugenden Skalierungsansatz, einer durchdachten Wirksamkeitsmessung oder einem p¿f¿gen Fundraisingkonzept aufwarten, die Berechtigung, für sich Social Entrepreneurship als Leitlinie in Anspruch zu nehmen, aberkannt wird, weil Spenden und Zuwendungen die Haupt¿nanzierungsquelle darstellen. Hier wird verkannt: Nicht immer kann eine gute soziale Idee auch mit solchen Strategien eigenerwirtschafteter Mittel verbunden werden und doch kann auch in einem solchen Fall angesichts anderer unternehmerischer Ansätze von Social Entrepreneurship gesprochen werden. Social Business kann ein ¿nanziell nachhaltiges Social Entrepreneurship auszeichnen, muss es aber nicht. Wir würden der Verbreitung von Social Entrepreneurship einen Bärendienst erweisen, wenn wir als zentrales Merkmal die Finanzierungsfrage und damit die Gleichsetzung mit Social Business zuließen – zu viele weitere sinnvolle Aspekte, die zu einem neuen unternehmerischen Umgang mit sozialen Ideen gehören, würden außen vor bleiben. Es ist sehr zu begrüßen und zu befördern, dass neue Finanzierungsmodelle Einzug halten in die Landschaft sozialer Problemlösung und alte Dogmen („Geldverdienen mit der Not anderer gehört sich nicht“) in Frage gestellt werden. Aber eine solche Einengung auf die monetären Aspekte kann nicht Sinn der Sache sein, wollen wir die Kraft und Vielfalt von Social Entrepreneurship wirklich in Deutschland und anderswo befördern. 5
Social Entrepreneurship als Prozess
In der klassischen Entrepreneurship-Diskussion begann spätestens mit dem wegweisenden Artikel von Shane/Venkatamaran ein Umdenken: Fragte man sich vor-
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her jahrzehntelang noch, welche Eigenschaften Entrepreneurs besitzen, hat seitdem eher eine prozessorientierte Sichtweise in die Forschung Einzug gehalten: In contrast to previous research, we de¿ne the ¿eld of entrepreneurship as the scholarly examination of how, by whom, and with what effects opportunities to create future goods and services are discovered, evaluated, and exploited. (Shane/Venkataraman 2000: 218)
„Who is the entrepreneur is the wrong question“ – mit dieser Überschrift fasste bereits zwei Jahre zuvor Gartner die häu¿ge Kritik am so genannten „traits“-Ansatz in der Entrepreneurship-Forschung zusammen (Gartner 1988: 12 ff.). In der Business Entrepreneurship-Forschung wurde diese Kritik in den letzten Jahren zunehmend geteilt. Mit dem Hinweis auf die kaum erfüllbaren unterschiedlichen Eigenschaften, deren nur geringe Erklärungskraft für das Handeln von Entrepreneurs und die kaum untersuchbaren Wechselwirkungen zwischen ihnen hat sich mittlerweile der Fokus auf den Prozess des Umgangs mit unternehmerischen Gelegenheiten verlagert (Tegtmeier 2008: 72, Seitz/Tegtmeier 2007: 84, Smith et al. 2007: 2). Einer der bekanntesten Promotoren von Entrepreneurship in Deutschland, Günter Faltin, beantwortet die Frage nach der Bedeutung von herausragenden Persönlichkeitsmerkmalen für Entrepreneurship recht eindeutig: Verlangt Entrepreneurship also außergewöhnliche, ganz besondere Menschen? Nein. (...) Trotz intensiver Forschung konnte bisher weder ein einzelnes Persönlichkeitsmerkmal noch eine Kombination derselben festgestellt werden, mit der man Gründungshandlungen oder ihren Erfolg vorhersagen kann. (Faltin 2008: 137 ff.)
Social Entrepreneurs werden gemeinhin herausragende Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben. Sie werden als u. a. visionär, motiviert, leistungsstark, idealistisch, mutig, durchsetzungs- und begeisterungsfähig angesehen (Fojcik/Koch 2009: 92). Zeifang stellt denn auch treffend fest, dass es in der Forschung eine breite Tendenz gibt, Social Entrepreneurship aus diesen individuellen Merkmalen heraus erklären zu wollen (Zeifang 2008: 6). Darüber hinaus gibt es mittlerweile in Ansätzen eine weitere prozessorientierte Sichtweise, die eher den von äußeren EinÀussfaktoren abhängigen Prozess des sozialunternehmerischen Handelns untersucht (ebd.). Gleichwohl ist zu beobachten, dass etwa der Prozess des Entdeckens und Umsetzens sozialunternehmerischer Gelegenheiten bisher in der Forschung kaum berücksichtigt wird (Monllor/Attaran 2008: 55). Ein prozessorientiertes Entrepreneurship-Verständnis, wie es u. a. von Bygrave/Hofer vertreten wird, kann sich als hilfreich herausstellen, die Entwicklung einer Idee und die mit ihr zusammenhängenden Aktivitäten zu verstehen:
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The entrepreneurial process involves all the functions, activities, and actions associated with the perceiving of opportunities and the creation of organizations to pursue them. (…) The entrepreneurial event involves the creation of a new organization. (Bygrave/ Hofer 1991)
Es sollte in diesem Sinne daher untersucht werden, wie der Prozess des (sozial)unternehmerischen Handelns erklärt werden kann, wie es zur Entdeckung und Wahrnehmung von sozialunternehmerischen Gelegenheiten kommt und welche exogenen Faktoren diesen Prozess unterstützen – jenseits rein in der Persönlichkeitsforschung begründeter Erklärungsmuster. Eine solche Verlagerung des Betrachtungswinkels hätte denn auch unmittelbare Folgen für die Förderung von Social Entrepreneurship, nämlich die breitere Unterstützung schon in frühen Phasen der Problemidenti¿kation, der Ideen¿ndung und deren Umsetzung. Social Entrepreneurship ist ein Prozess, der von verschiedenen Faktoren abhängt und weniger die logische Konsequenz bestimmter Persönlichkeitsstrukturen darstellt. Diese Erkenntnis in die Forschungs- und Förderungspraxis sowie die öffentliche Wahrnehmung über Social Entrepreneurs zu tragen, wird in Deutschland eine der wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre sein. 6
Von Leuchttürmen und Bojen – Notwendigkeit ergänzender Förderstrukturen
Ein Blick auf die mehr als 30 als „Fellows” und „Social Entrepreneurs des Jahres” ausgewählten Menschen und deren Projekte bietet ein beeindruckendes Bild und stimmt hoffnungsvoll angesichts dieser ‚herausragenden Persönlichkeiten‘. Ashoka und auch die Schwab-Foundation leisten in diesem Bereich Pionierarbeit und haben in Deutschland Social Entrepreneurship nicht zuletzt durch die ausgewählten ‚Leuchttürme‘ salonfähig gemacht. Daher ist es derzeit nicht erstaunlich, dass die Preisträger immer wieder als Paradebeispiele herangezogen werden und das Bild der öffentlichen Wahrnehmung von Social Entrepreneurs bestimmen. Vielleicht ist es nun an der Zeit, dass dieses Bild ergänzt wird. Ashoka-Fellows sind ‚führende‘ Social Entrepreneurs. Sie repräsentieren aus gutem Grund aber lediglich einen Teil (Ashoka 2009). Aus Sicht eines sozialen Investors, als der Ashoka sich sieht, ist es nur verständlich, dass in die besonders erfolgversprechenden Persönlichkeiten und möglichst systemverändernden Projekte mit dem größtmöglichen sozialen Ertrag investiert wird. Doch was ist mit dem Rest? Gibt es nicht auch neben den geförderten Fellows eine breite Palette weiterer Social Entrepreneurs, die von der öffentlichen Wahrnehmung und von den damit verbundenen Unterstützungseffekten ausgeschlos-
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sen bleiben? Wollen wir auf breiter Basis Social Entrepreneurship fördern, wird es notwendig sein, auch entsprechende ‚Plattformen‘ und Unterstützungsmodelle für diese Social Entrepreneurs zu schaffen, denen die ‚Leuchtturm‘-Auszeichnung verwehrt bleibt. Die Etablierung breiter Förderstrukturen wird wichtig sein, um das Potenzial von Social Entrepreneurship für die Gesellschaft nutzbar machen und eine aktive Bürgergesellschaft und einen lebendigen Sozialstaat zu stärken. Unterstützung brauchen eben auch jene Projekte, deren Entwicklung noch nicht aus dem ‚Garagenstadium‘ herausgetreten ist, die vielleicht nur lokalen Charakter besitzen und auch nicht den Anspruch haben, systemverändernd zu wirken. Wenn Ashoka-Fellows als ‚Leuchttürme‘ bezeichnet werden, an denen sich eine ganze Bewegung orientieren kann, so können diese Projekte gleichsam als ‚Bojen‘ gelten, die für die Weg¿ndung ebenso notwendig sind. Deutlich kleiner und weniger gut sichtbar, jedoch in der Anzahl größer und mindestens ebenso wichtig. Doch diese, eher den ‚Grasswurzeln‘ (Leppert 2008: 18 f.) zuzurechnenden Projekte und Initiativen benötigen mindestens ebenso sehr Unterstützung und Wissen über sozialunternehmerische Methoden, entsprechende Netzwerke und die Beschaffung notwendiger Ressourcen. Bisherige Fördermodelle sind überwiegend als Wettbewerb organisiert. Die Ausgezeichneten erhalten dann ¿nanzielle Mittel, Netzwerke, Beratung. Die Wirkung solcher Förderung ist in zweierlei Richtung zu beobachten: Einerseits Unterstützung des Projektes anderseits Vorbildfunktion für andere. Bei konsequenter Berücksichtigung des oben beschriebenen prozessorientierten Ansatzes müsste diesen Förderungen noch eine weitere Form der Unterstützung zur Seite gestellt werden, die den gesamten Social Entrepreneurship-Prozess begleitet. Eine solche prozessunterstützende Förderung könnte an frühen Stellen der Problembeobachtung, der Ideengenerierung und der Lösungsumsetzung als Katalysator für Social Entrepreneurship wirken. Denkbar sind dabei etwa Ideenworkshops, Gründungsberatungen, Summer Camps, Schüler¿rmen etc. Erste Entwicklungen wie der Social Change Hub an der Leuphana Universität Lüneburg (www.leuphana.de/csm/schub), die Ashoka Youth Venture Jugendinitiative (www.genv.net/de-de) oder der studentische Social Entrepreneurship Wettbewerb impACT an der Jacobs University Bremen (www.act-for-impact.net) sind gute Beispiele für eine solche Förderung, die bereits früh im Ideen¿ndungs- und Gründungsprozess ansetzt. Der Vorteil einer Ergänzung bisheriger Förderungsstrukturen um eine solche Prozessunterstützung liegt auf der Hand: Sie könnte sich möglichst ‚barrierefrei‘ an einen größeren Adressatenkreis werden und so sozialunternehmerische Initiative schon im Ansatz unterstützen. Lenken wir die Debatte über Social Entrepreneurship über die bestehenden ausgezeichneten Persönlichkeiten hinaus auch
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auf diesen breiteren Kreis, kommen wir überhaupt erst in die Lage, deren sozialunternehmerisches Potenzial zu nutzen und für die Gesellschaft nutzbar zu machen. 7
Deutschland – kein Social Entrepreneurship-Land
Eine breitere Förderung sozialunternehmerischen Denkens auch jenseits einiger hervorstechender ‚Leuchttürme‘ hätte quasi en passant einen weiteren positiven Effekt bezogen auf eine typisch deutsche Problemlage: Die negative Wahrnehmung von Eliten. Die andauernde Debatte zur Hochschulpolitik etwa hat zu Tage befördert, dass der Begriff der Elite in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen durchaus kritisch interpretiert wird und mit Ressentiments behaftet zu sein scheint (Bürklin 1997: 14). Die Gründe hierfür können zum einen im vermeintlichen Versagen der so genannten Eliten, zum anderen aber auch in einer verbreiteten Neidkultur der deutschen Öffentlichkeit begründet sein (Gushurst/Vogelsang 2005b: 15). Auch eine scheinbare – wenn auch empirisch schwer verortbare – Skepsis in Deutschland gegenüber individualistisch geprägten Ideen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme kann als Argument verstanden werden (SocialEntrepreneurs.de 2005: 3). Die Konzentration der öffentlichen Kommunikation über Social Entrepreneurs auf einige wenige ‚Leuchttürme‘ mit besonders hoher Leistungsfähigkeit birgt daher durchaus die Gefahr, dass darin eine Elitenbildung und damit auch eine Abgrenzung von der breiten Basis der vielleicht weniger innovativen, weniger öffentlichkeitswirksamen Initiativen verstanden wird, die schnell zur Ablehnung des Gesamtkonzeptes führen kann. Vor diesem Hintergrund ist davon abzuraten, Social Entrepreneurship in Deutschland vorrangig als Konzept von (Leistungs-)Eliten zu positionieren. Die intensivere Verbreiterung des Konzeptes auch auf die vielen kleineren, bislang unbeachteten Initiativen durch deren öffentliche Wahrnehmung und Würdigung sowie systematische Unterstützung in ihrem sozialunternehmerischen Handeln würde dieser Elitisierung des Konzeptes begegnen können. Mit der problematischen Wahrnehmung von Eliten, den Vorbehalten gegenüber Möglichkeiten zur Erwirtschaftung des eigenen Lebensunterhaltes mit sozialer Problemlösung6 und bisweilen sektiererisch anmutenden De¿nitionsdiskussionen wurden bereits einige deutsche Spezi¿ka beschrieben, die der Verbreitung von Social Entrepreneurship Schwierigkeiten bereiten können. Darüber hinaus 6
Einen interessanten Einblick etwa in die durchaus kritische Wahrnehmung des MikrokreditModells außerhalb von Fachkreisen gibt eine Diskussion auf Spiegel Online (2009a). Zur Kritik an der Lösung sozialer Probleme mit unternehmerischen Ansätzen allgemein an selber Stelle (Spiegel Online 2009b).
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gibt es noch weitere Aspekte, die hierzulande zum Hemmschuh für Social Entrepreneurship werden können, sollten sie nicht strategisch berücksichtigt werden: Mit der fehlenden Gründungskultur (Sternberg et al. 2007: 12 ff.), dem für Social Business äußerst schwierigen Gemeinnützigkeitsrecht (Vollmann 2008: 28 ff.), im Vergleich zu angelsächsischen Ländern nur schwach ausgeprägten philanthropischen Strukturen (Linklaters 2006: 23) und insbesondere durch den starken deutschen Sozialstaat (Leppert 2008: 12 f.) ergeben sich potenzielle Schranken für ein Konzept, das vor allem auf Eigeninitiative, Verantwortungsübernahme und häu¿g auch innovative Finanzierungsstrukturen setzt. Insbesondere die sozialstaatlichen Strukturen mit ihren „Wohlfahrtstankern“ (Schröder 2005: 178) ähnlichen Wohlfahrtsverbänden, ihren verfestigten (und bewährten) Strukturen korporatistischer Aufgabenteilung zwischen staatlichem und privatem Sektor sowie dem damit verbundenen Anspruchsdenken gegenüber staatlicher Sozialpolitik (Perspektive Deutschland 2006: 69 f.) lassen es ratsam erscheinen, eher verbindende Elemente zu suchen und Bündnisse zu schließen. Vor diesem Hintergrund sollte das Konzept von Social Entrepreneurship in Deutschland in bereits bestehende Diskurse institutionell und personell eingebunden werden. Als wichtige Anknüpfungspunkte seien – neben der Arbeit der Wohlfahrtsverbände – beispielsweise die seit Mitte der 90er Jahre zu beobachtende bürgerschaftliche Debatte mit ihrer in Teilen nach wie vor kritischen Haltung gegenüber privat organisierter Daseinsfürsorge (Pitzner 2007: 134 ff., Strasser/Stricker 2008) sowie die vorherrschende Kritik an der Ökonomisierung gemeinwohlorientierter Arbeit (Buerstrich/Wohlfart 2008) genannt. Aber auch die Entwicklung der solidarischen und lokalen Ökonomie seit den 70er Jahren (Altvater/Sekler 2006) sowie die breite Basis von traditionellen Sozialunternehmen (etwa Beschäftigungs- und Integrations¿rmen oft auch kirchlicher Prägung) sind mögliche Bezugspunkte für die Diskussion um Social Entrepreneurship in Deutschland. Hier existieren wichtige Diskurslinien sowie Erfahrungen und Türöffner, die nicht ungenutzt bleiben sollten. Darüber hinaus wird zu diskutieren sein, ob eine gemeinsame Dach-Organisation aller an der Entwicklung von Social Entrepreneurship interessierten Stellen in Deutschland sinnvoll ist. Hilfreich könnte sie sein, um eine geordnete, halbwegs verbindliche Kommunikationspolitik zu entwickeln, um die Inhalte und Ziele von Social Entrepreneurship zu verbreiten und die Interessen dieses Sektors – bestehend aus Social Entrepreneurs und Social Business, Förderinstitutionen und Wissenschaft – gegenüber öffentlichen und privaten Stellen zu vertreten. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (www.b-b-e.de) mag hier als geeignetes Beispiel dienen, da es sich als wichtiger Dialogpartner im Rahmen der bürgerschaftlichen Debatte etabliert hat.
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Social Entrepreneurship sollte in diesem Dialog nicht als Ersatz für bestehende und erfolgreiche Strukturen gesehen werden, sondern als sinnvolle Ergänzung. Es stärkt damit eine aktive Bürgergesellschaft und den Sozialstaat, statt mit allzu revolutionärem Anspruch auf unüberwindbare Widerstände und Ressentiments zu stoßen. Der Schlüssel zur Überwindung spezi¿sch deutscher Besonderheiten liegt in der konstruktiven Zusammenarbeit und im Dialog. 8
Social Entrepreneurship befördern: Ziel und Wirkung
Es hat sich viel getan in den letzten Jahren in Deutschland. Die mediale Aufmerksamkeit für Social Entrepreneurs ist immens, Förderprogramme, Forschungsinstitutionen und -netzwerke, Konferenzen und neue Finanzierungsformen rund um das Thema Social Entrepreneurship bilden hierzulande einen bereits veritablen ‚Speckgürtel‘ rund um die eigentlichen Aktiven, die Social Entrepreneurs. Gewiss: Immer noch steht man hierzulande etwa im Vergleich mit Großbritannien (in dem die Förderung von Social Entrepreneurship gleichwohl auch auf der politischen Agenda von Tony Blair stand, vgl. Grenier 2003: 3) am Anfang der Entwicklung. Dennoch zeigen sich viele ermutigende Ansätze, die den Weg von Social Entrepreneurship für die Zukunft ebnen können. Als Akteure dieses unterstützenden und Social Entrepreneurship fördernden Sektors aus Wissenschaft, Förderinstitutionen und Politik müssen wir uns aber auch selbst nach den Zielen und Wirkungen unseres Handelns fragen. Zum Vergleich: Trotz erheblicher politischer Unterstützung, wissenschaftlichen Lehrstühlen, Bildungs- und Förderprogrammen, Beratungsstellen und Businessplan-Wettbewerben ist es in den letzten zwanzig Jahren nicht gelungen, das Thema Existenzgründung in Deutschland für eine breite Bevölkerungsschicht attraktiv zu machen. Stattdessen sinkt die Gründerquote im internationalen Vergleich stetig (Brixy et al. 2009: 3). Wenn wir nun Social Entrepreneurship in Deutschland fördern wollen, müssen wir uns also fragen, was wir anders machen wollen, um diese Bereitschaft zu Gründungen im sozialen Bereich signi¿kant zu erhöhen und unternehmerisches Handeln in der gemeinwohlorientierten Arbeit weiter zu etablieren? Dazu gehört natürlich auch die Frage, woran wir die Wirkungen unseres Tuns messen wollen. Noch fehlt ein über einzelne Fallstudien hinausgehendes und etwa dem Global Entrepreneurship Monitor vergleichbares zuverlässiges Zahlenwerk, das uns Auskunft etwa über die Gründungen von Social Entrepreneurs, die Anwendung innovativer Finanzierungsmodelle oder den verstärkten Einsatz von Methoden zur Messung gesellschaftlichen Impacts sozialer Arbeit gibt. Die bloße Bekanntheit eines Konzeptes in Fachkreisen, verbunden mit einem – sicherlich intensiven –
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wissenschaftlichen Diskurs kann nicht genug sein, um gesellschaftlichen Wandel und eine neue Form gemeinwohlorientierter Arbeit voranzutreiben. Erst wenn auf breiter Basis erreicht wird, dass sich mehr Menschen sozialunternehmerisch betätigen und daraus eine wirkliche Veränderung im Bereich sozialer Problemlösung erwächst, erhalten die Förderungsbemühungen tatsächlich ihre Legitimation. Wir brauchen daher ein konkretes Zielbild, was überhaupt erreicht werden soll, verbunden mit einem klaren Design für die Messung des aktuellen Zielerreichungsgrades und einer kontinuierlichen wissenschaftlich begleiteten Erfolgsmessung. Wenn an Social Entrepreneurs die Forderung gestellt wird, dass sie systemverändernd wirken, muss diese Forderung natürlich auch für den unterstützenden Sektor gelten: Erst eine nachhaltige und erkennbare EinÀussnahme auf die Art und Weise, wie gemeinwohlorientierte Arbeit in Deutschland organisiert, in ihren Wirkungen gemessen und ¿nanziert werden kann, kann als wirklicher Erfolg dieser Bemühungen verstanden werden. 9
Abschluss
Zweifelsohne: Die Debatte um Social Entrepreneurship trägt in Deutschland Früchte. Trotz aller persönlichkeitszentrierter Wahrnehmung und der häu¿g anzutreffenden Verwechslung von Social Entrepreneurship mit Social Business, trotz ‚Speckgürtel‘-Veranstaltungen, auf denen bisweilen zwar viele Berater, Theoretiker und Vordenker, aber eben kaum Praktiker zugegen sind. Und auch trotz der an der Basis gemeinwohlorientierten Engagements immer noch weitgehenden Unkenntnis des Konzeptes: Wir haben derzeit die Chance, aus den Erfahrungen, die in anderen Ländern – aber auch bereits in Deutschland selbst – mit Social Entrepreneurship gemacht worden sind, ein zukunftsfähiges Konzept für die Ergänzung des Bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland um neue Elemente zu entwickeln. Ein besseres Verständnis des Prozesses von Social Entrepreneurship und seiner Rahmenbedingungen kann dabei helfen, neue Unterstützungsstrukturen zu schaffen und die Bereitschaft zu sozialunternehmerischen Handeln zu fördern. Dafür ist es jedoch notwendig, sorgfältig den Stand der Entwicklung zu beobachten und Rückschlüsse aus diesen Beobachtungen zu ziehen. Social Entrepreneurship ist der Verbesserung von Lebensumständen und der Lösung gesellschaftlicher Probleme verpÀichtet – wir sind trotz dieser ‚sozialen Mission‘ jedoch nicht davor gefeit, Fehlentwicklungen zu bewirken. Kritische, offene und regelmäßige ReÀexion unseres Handelns und seiner Wirkungen sowie der Weiterentwicklung dieses Phänomens bleibt daher unabdingbar. Nur so kann es gelingen, Social Entrepreneurship als dauerhaften Faktor in der gemeinwohlorientierten Arbeit in Deutschland jenseits vorübergehender Trends zu etablieren.
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Social Entrepreneurship und Politik – Partnerschaftliches Handeln für sozialen Zusammenhalt? Gerd Künzel
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Einführung
Sozialpolitik in Deutschland geht weit über das staatliche System sozialer Sicherung hinaus. Bürgerliches Engagement generell, aber auch soziale Verantwortung im unternehmerischen Bereich, d. h. nichtstaatliches sozialpolitisches Handeln, ist für das Funktionieren des Sozialstaates unverzichtbar.1 Dabei steht die Sicherung sozialer Lebensqualität durch das etablierte System öffentlicher Daseinsvorsorge angesichts der demographischen Entwicklung und struktureller Veränderungen zukünftig vor neuen Herausforderungen. Im Flächenland Brandenburg beispielsweise ist die Angebotsdichte an sozialen Dienstleistungen schon heute durch regionale Disparitäten geprägt, die demographische Entwicklung (Alterung, Wegzug junger Menschen, Bevölkerungsrückgang) wird diese Situation noch verschärfen, besonders in ländlichen, strukturschwachen Gebieten. Als Folge davon wird es absehbar schwerer, (eine angemessene) soziale Infrastruktur zu erhalten, um die gemeinwesenbezogenen Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Weder private Anbieter noch die staatliche Seite allein werden perspektivisch die erforderliche soziale Infrastruktur in jedem Fall vollständig aufrecht erhalten können. Zugleich stellt der Servicebedarf in diesem Bereich aber auch einen potenziellen Wachstumssektor dar. In dieser Ausgangslage werden Chancen zur Verwirklichung von Projekten und Initiativen der sozialen Ökonomie gesehen. Eine besondere, neue Facette bilden dabei die Social Entrepreneurs. Sie zeichnen sich durch soziale und innovative Ideen aus, die in unternehmerischen Aktivitäten münden. Social Entrepreneurships sind häu¿g Non-Pro¿t-Unternehmen ohne institutionellen Überbau. Umso wichtiger ist die Netzwerkbildung und im Bedarfsfall die Unterstützung und Beratung etwa in betriebswirtschaftlichen 1
Vgl. Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg 2001.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_11, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Fragestellungen. Aber wo liegen die Berührungspunkte zur Politik? Welche Rolle kann staatlicher EinÀussnahme zukommen? Wie kann Unterstützung staatlicherseits erfolgen? Und, gibt es Grenzen zu traditioneller Freiwilligenarbeit und institutionalisierter WohlfahrtspÀege? Dies sind Fragen, denen in diesem Beitrag bezogen auf die Problemstellung in Brandenburg und illustriert durch das Beispiel KindertagespÀege nachgegangen wird. 2
Soziales Engagement mit Unterstützung der Politik in Brandenburg
Die Lösung sozialer Probleme ist nicht ausschließlich Aufgabe des Staates, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Sozialer Zusammenhalt kann nicht allein durch staatliche Intervention und Leistungen erreicht werden. Im Rahmen der Corporate Social Responsibility (CSR) wird dieser Herausforderung in der Privatwirtschaft bereits Rechnung getragen. Viele Unternehmen, auch in Brandenburg, engagieren sich für das Gemeinwohl und übernehmen dabei eine Vorbildfunktion für weitere Betriebe. In 2008 wurde das Netzwerk „CeSaR Mark Brandenburg“ gegründet, das sich zum Ziel gesetzt hat, soziale unternehmerische Verantwortung in die Betriebe zu tragen (siehe CeSaR Netzwerk 2010). Unterstützt wird das Netzwerk u. a. durch das Wirtschaftsministerium des Landes. CSR gilt neben der positiven Auswirkung auf die Beschäftigten auch als nicht zu unterschätzender weicher Standortfaktor mit zunehmender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Raumes. Weitergehender als die sozial verantwortliche Unternehmensführung ist Social Entrepreneurship zu verstehen: Unternehmertum, das sich speziell durch die Gründung bzw. Durchführung Einkommen generierender sozialer Projekte auszeichnet. Sozialer Zusammenhalt wird häu¿g nur auf den Zusammenhang von Arbeitsplatzsicherheit und gerechter Einkommensverteilung reduziert. Er braucht aber vor allem soziale Bezüge im Lebensumfeld und entsprechende lokale Infrastrukturen. Dazu zählen in erster Linie Soziale Dienste, menschennahe Dienstleistungen und Bürgerschaftliches Engagement. Faktoren, die auf die Gestaltung des Wohn- und Lebensumfeldes und der jeweiligen Fragen des örtlichen Gemeinwesens EinÀuss nehmen können. Sozial meint hier die Bandbreite von ‚Tafeln’ über Familienbündnisse, Integration, PÀegepaten bis hin zu Schulbusbegleitern. Auch Aspekte wie die Wohnumfeldgestaltung oder die Rückgewinnung von kommunaler Infrastruktur, zum Beispiel die Selbstorganisation kultureller Einrichtungen, spielen hier eine Rolle. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Wahrung des sozialen Zusammenhaltes als gesamtgesellschaftliche Herausforderung.
Social Entrepreneurship und Politik
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Die genannten Felder bieten darüber hinaus ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt und könnten konsequenter erschlossen werden (vgl. auch Birkhölzer et al. 2007). Gesamtgesellschaftlich stehen hierfür genügend materielle Ressourcen zur Verfügung. Der Bedarf an diesen Leistungen wird gleichwohl nur unzureichend gedeckt und in der Konsequenz treten in der Versorgung gravierende Mangelsituationen auf. Die Probleme kulminieren in dünnbesiedelten Gebieten unter dem EinÀuss des Bevölkerungsrückgangs, wie in Brandenburg. Die Leistungen und Dienste werden hier zu einem Teil durch öffentliche Förderung ¿nanziert (z. B. durch Förderung von Verbänden und Projekten im sozialen Bereich oder durch Arbeitsförderungsmaßnahmen mit Bezug zu sozialen Aufgabenstellungen), ergänzt durch private Spenden und Sponsoring. Einen großen Anteil der Arbeit leisten aber Ehrenamtliche und Freiwillige (unbezahlte Arbeit). Das freiwillige Engagement von Menschen in unterschiedlichsten Bereichen ist unverzichtbar und stellt ein Gegengewicht zur zunehmenden Ökonomisierung im klassischen Sinne in vielen gesellschaftlichen Lebensbereichen dar. Jede dritte Brandenburgerin bzw. jeder dritte Brandenburger über 14 Jahren engagiert sich ehrenamtlich (BMFSFJ 2000). Die ehrenamtliche Tätigkeit kann dabei speziell in den ländlichen Bereichen des durch eine sehr heterogene räumliche Struktur geprägten Landes Brandenburg dazu dienen, gesellschaftliches Leben zu erhalten. Beispielsweise ist die Rückgewinnung von Institutionen durch engagierte Bürger möglich, indem eine Gemeindebibliothek oder ein Heimatmuseum ehrenamtlich organisiert und betrieben wird. Die Übergänge zwischen bürgerlichem Engagement, institutionalisierter WohlfahrtspÀege und auch Social Entrepreneurship sind dabei Àießend. Mehr Arbeit für Menschen in diesen Bereichen mit einem Einkommen, von dem sie leben können, ist das gesellschaftliche Ziel. Die soziale Ökonomie leistet dazu bereits Beiträge. Hier liegt ein hervorragendes Betätigungsfeld für Social Entrepreneurs. Durch die verschiedenen, auch regional ausdifferenzierten, arbeitsmarktpolitischen Instrumente gibt es Möglichkeiten von Anstoß- und Anschub¿nanzierungen, die durch Organisationen, aber auch individuell kreativ genutzt werden können.2 Es handelt sich bei dieser (notwendigen) Form der Unterstützung aber häu¿g nur um eine vorübergehende Finanzierungsbasis. Die Nachhaltigkeit (Sustainability), die auch von der Schwab Foundation als Auswahlkriterium zur Prämierung des „Social Entrepreneur of the Year“ berücksichtigt wird (siehe Schwab Foundation 2010), ist in vielen bisherigen Beispielen noch nicht gegeben. Sie könnte jedoch durch staatliche Entwicklungsimpulse, zum Teil durch die Nutzung 2
Bspw. Kommunal-Kombi, Regionalbudget Brandenburg, Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (MAE).
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sozial(versicherungs)rechtlicher Finanzierungen, aber vor allem durch eine starke regionale/lokale Akzeptanz der Angebotspalette der Social Entrepreneurs, durch die Schaffung nicht nur von Gemeinsinn sondern auch eines Bewusstseins der individuellen Nützlichkeit, die individuelle Finanzierungsbeiträge erst ermöglicht, erreicht werden. Daraus lassen sich im Hinblick auf politische Unterstützung für Social Entrepreneurship auf Landesebene folgende Fragen ableiten: Wie erreichen wir Nachhaltigkeit? Wie ist es möglich, mit Hilfe der vorhandenen Start¿nanzierungen sich selbst tragende Prozesse in Gang zu setzen? Kann man eine Entwicklung auslösen, um mit den o. g. Diensten über Förderungen, Spenden und Sponsoring hinaus Einnahmen zu erzielen? Ein erster Versuch, Antworten auf die vorgenannten Fragen zu geben, ¿ndet sich in der aktuellen Existenzgründerrichtlinie des Landes Brandenburg: Hier wird auch innovativen Ansätzen wie Projekten des Social Entrepreneurships Raum gegeben. 3
Das Beispiel: KindertagespÀege als freiberuÀiche Tätigkeit
Ein Beispiel für einen Bereich, in dem sich eine eher ehrenamtliche Tätigkeit mit Aufwandsentschädigung zu einer honorierten sozialen Dienstleistung entwickelt hat, ist die KindertagespÀege. Daran lässt sich staatliche EinÀussnahme exemplarisch darstellen, die schließlich zur Verstetigung einer Aufgabe als sozialversicherungspÀichtige Beschäftigung führen kann. Die selbstständigen Tagesmütter (selten Tagesväter) nehmen beim Ausbau der Kindertagesbetreuung eine wichtige Rolle ein. Gestartet bereits in den 70er Jahren in der früheren Bundesrepublik als gefördertes Modellprojekt, damals mit tariÀicher Entlohnung durch eine Trägerorganisation, wurde es nach Auslaufen der Förderung ruhiger um das „Modell familienergänzender Kinderbetreuung“ (Fuchs 1984: 31 f.). Eine deutliche Aufwertung erfuhr die Kindertagesbetreuung durch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung (TAG), das perspektivisch auf die Gleichrangigkeit der KindertagespÀege mit Betreuungsangebot in Kindertageseinrichtungen abzielt (AJG 2008). Eine besondere Bedeutung könnte die KindertagespÀege speziell in den infrastrukturell eher schwach ausgestatteten ländlichen Räumen spielen, beispielsweise durch eine bessere Erreichbarkeit dieser dezentralen Betreuungsmöglichkeiten oder die höhere Flexibilität des Angebotes (ebd.: 6). Honoriert wurde die Tätigkeit der TagespÀegeeltern bis 2008 mit einer steuer- und sozialversicherungsfreien Beihilfe (nach § 23 des Achten Buches Sozialgesetzbuch). Es folgte die Entdeckung der TagespÀege als Erwerbstätigkeit durch die Finanzverwaltung. Die gewährten Geldleistungen werden seit 2009 als steu-
Social Entrepreneurship und Politik
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erpÀichtige Einnahme aus freiberuÀicher Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommenssteuergesetz quali¿ziert. Damit verbunden sind weitreichende Auswirkungen im Sozialversicherungsrecht. Mit der Regelung der hälftigen (bzw. bei der Unfallversicherung vollen) steuerfreien Erstattung der Sozialversicherungen lässt sich das Ziel verfolgen, das Berufsbild der selbstständig tätigen TagespÀege zu etablieren und ein auskömmliches Einkommen – trotz Anpassung der SteuerpÀicht und SozialversicherungspÀicht – zu ermöglichen. Eine nachhaltige Finanzierung kann hier nur im selbstständigen Modell gelingen, weil die Überbaukosten des Arbeitnehmermodells ein Entwicklungshemmnis darstellen würden. 4
Fazit
Die gesellschaftlichen Herausforderungen des demographischen Wandels (mit Konsequenzen z. B. im Bereich der PÀege), in Verbindung mit geringeren ¿nanziellen Spielräumen von Ländern und Kommunen und den noch nicht abschätzbaren Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise bieten ein breites Spektrum für innovative und kreative Maßnahmen speziell im sozialen Bereich. Dabei gilt es einerseits den Sozialstaat zu bewahren, andererseits ihn aber auch weiterzuentwickeln und den sich laufend verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Politisches Ziel ist es, die Eigenverantwortung und Eigeninitiative als Voraussetzungen gerade auch für nachhaltiges sozialunternehmerisches Handeln zu befördern. Dabei ist zudem die Position der Nachfrager beispielsweise nach sozialen Dienstleistungen (wie etwa Kinder im Bereich der TagespÀege) durch Sicherung von Qualitätsansprüchen zu beachten. Zukünftig wird der politischen Unterstützung von Social Entrepreneurs im Spannungsfeld zwischen Bürgerschaftlichem Engagement und institutionalisierter WohlfahrtspÀege eine deutlich größere Bedeutung zukommen. Wie gezeigt werden konnte, gibt es Beispiele für die Sicherung sozialer Lebensqualität durch unternehmerische Aktivitäten auch in dünnbesiedelten Regionen des Flächenlandes Brandenburg. Es gilt daher weitere Potentiale von Social Entrepreneurship, auch unter Berücksichtigung von Aspekten wie Nachhaltigkeit und regionaler Akzeptanz zu erschließen, zu nutzen und zu fördern.
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Literatur [AGJ] Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (2008): Qualität in der KindertagespÀege. Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. http://www.agj.de/index.php?id1=5&id2=8&id3=0. Letzter Zugriff: 10.09.2010 Birkhölzer, H./Lorenz, G./Schillat, M. (Hrsg.) (2007): Soziale Ökonomie in Berlin. Perspektive für neue Angebote und sinnvolle Arbeitsplätze in der Hauptstadt. Berlin: Technologie-Netzwerk Berlin e.V. [BMFSFJ]: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2000): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Gesamtbericht. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer [Cesar Netzwerk] Cesar Mark Brandenburg (2010). http://www.cesar-brandenburg.de. Letzter Zugriff: 10.09.2010 Fuchs, H. (1984): 10 Jahre Tagesmütter – ein Modell familienergänzender Kinderbetreuung hat sich durchgesetzt. In: Sozialer Fortschritt 33, 2, 1984. 31-32 Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg (2001): Bürgerschaftliches Engagement in sozialen Handlungsfeldern im Land Brandenburg. Expertise im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Wünsdorf: Landesamt für Soziales und Versorgung, Landesgesundheitsamt Schwab Foundation For Social Entrepreneurship (2010). http://www.schwabfound.org/ sf/Social-Entrepreneurs/SocialEntrepreneuroftheYear/index.htm. Letzter Zugriff: 10.09.2010
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Social Entrepreneurship: Ein politisches Programm zur Innovationsförderung im Sozialsektor Felix Oldenburg
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Einleitung
Social Entrepreneurs treten mit dem Ziel an, innovative unternehmerische Lösungen für drängende soziale Probleme zu ¿nden und umzusetzen. Für die Raumentwicklung sind Social Entrepreneurs transformative Akteure im doppelten Sinn: Sie gestalten die naturräumlichen, wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten eines Raumes durch Entwicklung von unten anstelle einer Planung von oben. Sie überwinden ihre meist regionale Verankerung, um ihre Modelle raumübergreifend zu skalieren. Auch wenn es Social Entrepreneurship als Phänomen viel länger gibt, lassen sich Entstehungs- und Entwicklungsmuster erst in der jüngeren, von Bill Drayton mit Ashoka vor etwa dreißig Jahren begründeten Geschichte des Feldes systematisch nachvollziehen. Ashoka hat bisher weltweit zweitausendfünfhundert Social Entrepreneurs als Ashoka Fellows ausgewählt und dabei die Erfahrung gemacht, dass Social Entrepreneurs in unterschiedlichsten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kontexten auftreten. Wie sie sich allerdings entwickeln und ob sie eine raumübergreifend systemverändernde Wirkung entfalten, hängt entscheidend von den Förderbedingungen ab. In Deutschland ist das Förderumfeld für Social Entrepreneurs trotz des gesellschaftlichen Bedarfs nach sozialunternehmerischen Lösungen schwach ausgeprägt. Dieser Beitrag argumentiert in drei Schritten, warum Social Entrepreneurship heute als Politikfeld unausweichlich geworden ist, an welchem Status Quo das Politikfeld ansetzt und welche Elemente ein politisches Programm der systematischeren Innovations- und Wachstumsförderung von Social Entrepreneurs haben könnte. 2
Finanzierungskrise und Zukunft des Sozialsektors
Unter dem Eindruck der vielen, noch nicht umfassend absehbaren Folgen der Finanzkrise wird deutlich, dass sich die schleichende Erosion der öffentlichen Haushalte zu einem Erdrutsch im Hinblick auf die Finanzierung zahlreicher sozialer P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_12, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Aufgaben beschleunigt. Im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung bedeutet das: Zahlreiche gesellschaftliche Problemfelder werden angesichts der steigenden Ausgaben für die Kernbereiche der Gesundheitsversorgung und der Rente mit dramatisch weniger Mitteln zu rechnen haben. Schon heute entfallen laut einer McKinsey-Studie von 2008 (McKinsey & Company 2008) durchschnittlich fünfzig Prozent der öffentlichen Haushalte westlicher Industrieländer auf diese beiden Kernfelder; mit steigender Tendenz. Die Rolle der öffentlichen Finanzierung ist dabei nach wie vor überragend: Die sechs größten Wohlfahrtsverbände Arbeiterwohlfahrt (AWO), Caritas, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Diakonie und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) beziehen neunzig Prozent ihrer Budgets von staatlicher Seite. Private Finanzquellen für die gewachsene Wohlfahrtsarchitektur können die Lücke nicht füllen. Das zur Verfügung stehende private philanthropische Kapital ist durch die Finanzkrise – Schätzungen zufolge – um rund ein Drittel geschrumpft. Wird diese Unter¿nanzierung nicht beseitigt, droht nicht nur eine Nichterfüllung sozialer Aufgaben, sondern darüber hinaus ein zusätzliches Problem. Der Sozialsektor war der wichtigste Schaffer von Arbeitsplätzen der letzten Jahrzehnte. Zwischen 1960 und 2000 stagnierte die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland in der Wirtschaft insgesamt. Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in der öffentlichen Verwaltung hat sich verdoppelt, die Arbeitsplätze im Sozialsektor haben sich vervierfacht. Heute wächst die Zahl der Arbeitsplätze in der Gesamtwirtschaft seit 1990 um etwa ein Prozent pro Jahr, im Sozialsektor dagegen etwa um fünf Prozent jährlich, und zwar ohne dass die Zeit der Freiwilligen einbezogen würde (Stanford Social Innovation Review 2004: 11). Die bevorstehende Finanzierungskrise des Sozialsektors betrifft die Gesellschaft als Ganzes. Dies bedeutet, dass der Sozialsektor eine neue Kunst zu erlernen hat: Mehr gesellschaftliche Wirkung für weniger, im besten Fall gleich viel Input zu erzeugen. Das ist nichts weniger als eine Finanzierungs- und Wertschöpfungsrevolution. Social Entrepreneurship liefert in der Verbindung von gesellschaftlicher Zielsetzung und unternehmerischer Funktionsweise sowohl für die Herausforderung der Finanzierung, als auch für die Herausforderung der Maximierung gesellschaftlichen Mehrwerts zukunftsweisende Impulse, auf die der Sozialsektor zunehmend angewiesen ist. In der Krise liegt dementsprechend auch eine Chance, denn es treffen drei Entwicklungen zu einer einzigartigen Situation zusammen: Erstens hat die Finanzkrise auch zu einer neuen Offenheit im Hinblick auf das Nachdenken über die traditionellen Zuständigkeiten von Wirtschaft, Staat und Sozialsektor geführt. Zweitens lässt sich ein Mentalitätswandel in der Finanzierung von Gemeinnützigkeit bei vielen privaten Spendern und Investoren beobachten. Drittens beschleunigt sich die öffentliche Konjunktur des Themas Social Entrepreneurship
Social Entrepreneurship: Ein politisches Programm
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durch eine wachsende Anzahl von medial vermittelten Erfolgsbeispielen ‚an den Graswurzeln‘. Die systematische Förderung von Social Entrepreneurship ist als Politikfeld unausweichlich geworden. Drittsektorpolitik darf sich nicht länger darauf beschränken zu regulieren, wie Engagement und Geld gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden dürfen. Sie darf sich nicht damit zufrieden geben, freiwillige Leistungen für das Gemeinwohl ‚blanko zu feiern‘. Sie muss an jede politische Maßnahme in Zukunft die Frage stellen, ob sie aktiv die gesellschaftliche Wirkung der gegebenen Ressourcen maximiert und neue Ressourcen aktiviert. 3
Status Quo und Themenkonjunktur von Social Entrepreneurship
Dabei fängt Social Entrepreneurship in Deutschland keineswegs bei Null an, sondern verfügt über eine zunehmende Dynamik. Als Ashoka vor fünf Jahren in Deutschland startete, war die Idee einer Förderung von Sozialunternehmern fremd im deutschen Gemeinnützigkeitsdenken. Heute richten Universitäten spezialisierte Studiengänge und Lehrstühle ein, Parteien schreiben davon in ihren Wahlprogrammen, Medien erzählen von Weltverbesserern mit Businessplänen, und nicht zuletzt Spender selbst stellen neue Fragen. Ashoka Fellows und andere Social Entrepreneurs haben mit ihrer Arbeit freilich selbst den wichtigsten Beitrag zu einer höheren Innovationsorientierung im Sozialsektor geleistet. Social Entrepreneurs haben die Erfolgsquote für die Wiedereingliederung gewalttätiger Jugendlicher vervierfacht, die Stellung von Migranten in Schulen und im Gesundheitssystem verbessert, Millionen Bürger zu CO2-Sparern, mehr als eintausend junge Ostdeutsche zu Existenzgründern und Journalisten zu Friedensberichterstattern gemacht. Und sie sind Vorbilder geworden für Viele, die eigene Initiativen gründen. Der Gründergeist im Sozialsektor hat einen deutlichen Schub erfahren. Gleichwohl sehen sich Social Entrepreneurs in Deutschland mit einer ganzen Reihe gemeinsamer Herausforderungen konfrontiert: Social Entrepreneurship wird zwar stärker wahrgenommen als früher, aber nicht notwendigerweise auch besser verstanden. Oft werden Social Entrepreneurs als pro¿torientierte Unternehmer wahrgenommen, die nebenher auch ein soziales Anliegen verfolgen. Damit trifft eine verbreitete Skepsis gegenüber primär marketing- und publicity-orientierten Corporate Social Responsibitity (CSR)-Programmen von kommerziellen Unternehmen auch die Social Entrepreneurs. In einer ähnlichen Weise wie die öffentliche Wahrnehmung oft ihre soziale Orientierung nicht angemessen berücksichtigt, beschränkt das Gemeinnützigkeitsrecht regelmäßig den unternehmerischen Charakter von Social Entrepreneurs. So ist die Kombination von steuerbefreiten
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Rechtsformen mit üblichen unternehmerischen Formen der Einkommenserzielung nur schwer vereinbar und zwingt viele Social Entrepreneurs in undurchsichtige Doppelstrukturen. Und schließlich schöpfen Social Entrepreneurs ihr systemveränderndes Potenzial meist als Einzelunternehmer nicht aus. Um ihre Wirkung zu maximieren, sind sie neben einem Förderprogramm, wie dem von Ashoka, auf eine ganze Landschaft von Akteuren angewiesen, die Innovationen früh ¿nanziell unterstützen, sie erforschen, skalieren, in Politik umsetzen und in andere Bereiche übersetzen. Von einer solchen Landschaft ist Deutschland noch weit entfernt. 4
Politische Prioritäten für Innovation im Sozialsektor
Im Zusammentreffen der Finanzierungskrise des Sozialsektors und der Entwicklungsdynamik des Feldes Social Entrepreneurship entsteht ein Moment möglicher strategischer Veränderung als Chance für den Wandel. Ein Politikfeld Social Entrepreneurship sollte sich als Innovationsförderung verstehen und drei Prioritäten haben: Zuerst sollte es das Bewusstsein und die Wertschätzung für Unternehmertum im Sozialsektor schärfen. Für diese positive Deutung ist im Mittelstandsland Deutschland eigentlich eine ausgezeichnete Grundlage vorhanden, aber sie erfordert eine anspruchsvollere Haltung gegenüber gesellschaftlichem Engagement als im bisherigen Freiwilligkeitsmarketing. Einem Politikfeld Social Entrepreneurship sollte es nicht darum gehen, jedes soziale Engagement zu begrüßen, sondern immer die Frage nach dem unternehmerischen Einsatz der Mittel für maximale Wirkung zu stellen. Dazu ist nicht nur eine veränderte öffentliche Vermittlung erforderlich, sondern auch ein Dialog mit den primären Finanziers der Gemeinnützigkeit in Deutschland – also mit der öffentlichen Hand, Stiftungen und großen Privatspendern – der zu neuen Fördermaßnahmen für Social Entrepreneurs führt. Hier muss das politische Ziel lauten, Social Entrepreneurs mindestens die gleichen Chancen bei der Gründung und in der Wachstumsphase einzuräumen wie primär kommerziell motivierten Unternehmern. Zu diesem Zweck sind das Gemeinnützigkeits- und das Steuerrecht so anzupassen, dass sie typische Modelle von Social Entrepreneurs nicht behindern. In der Regel arbeiten diese in Bereichen, in denen es keine funktionierenden Märkte gibt, und müssen unternehmerisch unterschiedliche Ressourcen von Freiwilligen über Sachspenden bis hin zu Spenden und Fördermitteln mobilisieren. Eigeneinkommen kann dabei ein wichtiger Schlüssel zur Skalierung sein. Entscheidend ist weiterhin die Anpassung der öffentlichen Ausschreibungsund Projekt¿nanzierungspraxis. Oft sind die gesellschaftlichen Kosten in der Fol-
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ge eines sozialen Problems höher als die Investitionen, die ein Social Entrepreneur braucht, um dem Problem effektiv zu begegnen. Zudem stellen Social Entrepreneurs keine unzuverlässige Zielgruppe für Investitionen dar: 94 Prozent der Ashoka Fellows weltweit sind etwa noch fünf Jahre nach Ende ihrer Förderdauer ‚im Geschäft‘, und 85 Prozent haben ihre Idee erheblich skaliert oder repliziert. Als Pilotversuch könnten etwa zinsbegünstigte Sonderdarlehen mit erfolgsabhängiger Rückzahlung zur Wachstums¿nanzierung sozialer Innovationen eingeführt werden. Damit könnte auch die gesellschaftliche Wirkungsmessung (etwa entlang einer Social Return on Investment-Methode) eine Aufwertung erfahren. Je nach Grad der Zielerreichung wäre die rückzahlbare Summe um einen Erfolgsbonus zu reduzieren. Ein solches Sonderdarlehen hätte Vorbildcharakter für die zukünftige Zusammenarbeit von Finanzinstituten und sozialen Investoren, die Ausfallrisiken und Erfolgsbonus tragen. 5
Fazit
Nach der Finanzkrise bietet sich ein strategischer Moment: Wenn sich jetzt mehr und mehr Organisationen des sozialen Sektors Sorgen um wachsende Probleme bei schrumpfenden Mitteln machen, dann ist das eine Chance für mehr Mut zu unternehmerischem Denken in der gesellschaftlichen Problemlösung. Aber auch unabhängig von der Finanzkrise ist die Förderung von Innovation im Sozialsektor durch Social Entrepreneurship eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Denn im selben Maße, wie in einem Raum Komplexität und Geschwindigkeit von Wandel steigen, sinkt die Planbarkeit bei gleicher Regelungsdichte. Zukunftsorientierte Politik stärkt die Fähigkeiten ihrer Akteure, den Wandel dezentral mit zu gestalten, zu experimentieren und sich aus sich selbst heraus ‚immer wieder neu zu er¿nden‘. Im Sinne der Ashoka-Vision „Everyone a Changemaker“ ist die Förderung von Social Entrepreneurship eine gute Nachhaltigkeitspolitik.
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Literatur Achleitner, A.-K./Pöllath, R./Stahl, E. (Hrsg.) (2007): Finanzierung von Sozialunternehmen, Stuttgart: Schäffer-Poeschel Alvord, S./Brown, D./Letts, Ch. (2003): Social Entrepreneurship – Leadership that Facilitates Societal Transformation – An Exploratory Study. In: Working Papers 5, Spring 2003. Center for Public Leadership, John F. Kennedy School of Government at Harvard University. 135-159 Bornstein, D. (2004): How to Change the World – Social Entrepreneurs and the Power of New Ideas, Oxford: University Press Budinich, V./Drayton, B./Oldenburg, F. (2010): Soziale Wertschöpfung mit hybridem Antrieb. In: ENORM, 3/2010. 92-93 Hackenberg, H./Empter, St. (Hrsg.) (2011): Social Entrepreneurship – Social Business: Für die Gesellschaft unternehmen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Hoelscher, Ph./Ebermann, Th./Schlüter, A. (Hrsg.) (2010): Venture Philanthropy in Theorie und Praxis. Stuttgart: Lucius & Lucius Jansen, St./Oldenburg, F.: Unternehmertum statt Ehrenamt. In: brandeins Magazine, 7/2010. http://www.brandeins.de/archiv/magazin/beziehungswirtschaft/artikel/unternehmertum-statt-ehrenamt.html. Letzter Zugriff: 15.04.2010 McKinsey & Company (2008): Deutschland 2020. Zukunftsperspektiven für die deutsche Wirtschaft. Düsseldorf: McKinsey & Company, Inc Oldenburg, F. (2010): Der neue Sozialsektor. In: DIE WELT vom 2.9.2010. 6 Oldenburg, F. (2010): Venture Philanthropy skalieren – eine globale Perspektive. In: Hoelscher et al. (2010): 169-178 Oldenburg, F. (2011): Sozial denken, unternehmerisch handeln. In: Empter/Hackenberg (2011): (im Erscheinen) Stanford Social Innovation Review (2004): 15 minutes with Bill Drayton. CEO of Ashoka. Stanford: Leland Stanford Jr. University: 11-12 http://www.ssireview.org/images/ articles/2004SP_15minutes_drayton.pdf. Letzter Zugriff: 15.04.2010
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Social Business in der Praxis – Ein weltweites Modell für mehr Gleichgewicht in der Globalisierung? Saskia Bruysten und Henning Engelke
1
Einführung
Das Konzept Social Business1 setzt dort an, wo der Kapitalismus versagt. „By de¿ning entrepreneurship in a broader way we can change the character of capitalism radically.“ (Muhammad Yunus)
In der Theorie des Kapitalismus wird das Pro¿tstreben oft als einzige wirtschaftliche Motivation von Individuen anerkannt. Das Individuum wird zu einem eindimensionalen Wesen, dem „Homo Oeconomicus“, reduziert. Ein Blick in die Realität verrät, dass diese Annahme keinesfalls der Wahrheit entspricht. Menschen und Unternehmer werden von einer Vielzahl von Zielen angetrieben, unter anderem von jenem, soziale Probleme zu lösen. Die freie Marktwirtschaft lässt jedoch bis dato keinen Raum für das „selbstlose Unternehmertum“ und vergisst, dass die persönliche Befriedigung „Gutes zu tun“ einen starken Anreiz darstellt, der auch in der Wirtschaft eine stärkere Beachtung erfahren sollte. Bereits Adam Smith (1759), dessen „The Wealth of Nations“ einen theoretischen Grundstein für unser gegenwärtiges kapitalistisches System legte, verdeutlichte in seinem Artikel „The Theory of Moral Sentiments“, dass Menschen neben selbstbezogenen ¿nanziellen Motiven ebenso von selbstlosen moralischen Motiven angetrieben werden (vgl. Smith 1759). Muhammad Yunus setzt sich deswegen für die Vervollständigung des Kapitalismus ein, wie bereits durch einen seiner Gründungsväter erdacht. In diesem Bewusstsein hat Yunus eine neue Form von Unternehmen etabliert, die das Ziel verfolgt, soziale Probleme zu bekämpfen: Social Business. Der Kapitalismus und die Marktwirtschaft haben vielen Menschen, insbesondere in der westlichen Welt, großen Wohlstand gebracht. Gleichzeitig leben jedoch weltweit immer noch mehr als die Hälfte der Menschen in bitterer Armut. Ihnen bleibt die Teilnahme an der globalen Wirtschaft verwehrt, sie werden als unterbezahlte Arbeitskraft ausgenutzt und bekommen nur in Ausnahmefällen die Chance der Armut zu entkommen. Die freien Märkte in ihrer heutigen Form scheinen so1
Vgl. zu Social Business auch den Beitrag von Spiegel in diesem Band.
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Saskia Bruysten und Henning Engelke
mit nicht geeignet, soziale Missstände auszugleichen. In industrialisierten Ländern greift der Staat oft an den Stellen ein, an denen der Markt versagt. Doch die Bilanz der letzten Jahrzehnte zeigt: Staaten alleine haben nicht die Möglichkeiten, den Herausforderungen weltweit ausreichend zu begegnen. Sie sind in der Bürokratie gefangen, und es mangelt ihnen häu¿g an Innovationskraft und Ef¿zienz – Fähigkeiten, die privatwirtschaftliche Unternehmen leicht beisteuern könnten. 2
Ziele von Social Business
Social Businesses werden ausschließlich mit dem Ziel gegründet, ein oder mehrere soziale Probleme zu bekämpfen. Die unternehmerische Tätigkeit von Social Business richtet sich daher oft an diejenigen, die Hilfe am dringendsten benötigen: die armen Bevölkerungsschichten. Dabei arbeiten Social Businesses wie traditionelle Unternehmen. Sie bieten Produkte oder Dienstleistungen an, die den betroffenen Menschen helfen, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern – z. B. der Zugang zu Finanzdienstleistungen oder der günstige Verkauf von nährstoffangereicherten Joghurts. Nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ kann so ein nachhaltiger Entwicklungsprozess in Gang gesetzt werden. Doch Social Businesses sind auch ¿nanziell nachhaltig, denn sie erwirtschaften Gewinne. Dies ist notwendig, um die eigenen Kosten zu decken und selbst in wirtschaftlichen Krisensituationen selbstständig und unternehmerisch unabhängig handeln zu können. Im Gegensatz zu traditionellen Unternehmen schütten Social Businesses keine Gewinne an ihre Eigentümer aus, stattdessen werden diese stets reinvestiert, um den sozialen Nutzen des Unternehmens zu erhöhen oder zu erweitern. Auch Investoren erhalten keine Rendite auf ihr eingesetztes Kapital, sondern lediglich den Nominalbetrag ihrer Investitionssumme. Auf diese Weise stellt das Konzept Social Business die Maximierung des sozialen Nutzens des Unternehmens bei gleichzeitiger ¿nanzieller Nachhaltigkeit sicher. Es verbindet dementsprechend in einem neuen, dritten Weg die Vorteile der Marktwirtschaft hinsichtlich Ef¿zienz und Innovationskraft mit den Zielen, soziale Missstände zu bekämpfen. Zusammengefasst folgen Social Business stets den sieben Prinzipien2: 1.
Das Unternehmensziel ist die Überwindung von Armut oder eines oder mehrerer Probleme (wie z. B. Bildung, Gesundheit, Zugang zu Technologie, Umweltschutz), die Menschen und Gesellschaft bedrohen; Gewinnmaximierung ist nicht Unternehmensziel;
2
Vgl. www.grameencreativelab.com.
Social Business in der Praxis
2. 3.
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7.
Finanzielle und ökonomische Nachhaltigkeit; Investoren erhalten nur ihre ursprüngliche Investition zurück – es werden keine Dividenden ausgezahlt; Nachdem die ursprüngliche Investition zurückgezahlt wurde, bleiben Gewinne im Unternehmen und werden in Wachstum und Verbesserung investiert; Ökologische Nachhaltigkeit; Die Mitarbeiter werden gemäß Marktniveau entlohnt, aber unter besseren Arbeitsbedingungen beschäftigt; ‚… mach es mit Freude‘.
3
Ein Praxisbeispiel für Social Business in Entwicklungsländern
4. 5. 6.
Wie soziale Probleme durch eine innovative Form von Unternehmen auf nachhaltige Weise gelöst werden können, hat Yunus mit der Gründung der Grameen Bank bewiesen (vgl. Spiegel 2006). Durch die Vergabe von Mikrokrediten an die Ärmsten der Armen hat diese Bank bis heute alleine in Bangladesch bereits mehr als 40 Millionen Menschen Zugang zu zusätzlichen Mitteln verschafft.3 Denn die Grameen Bank ermöglicht Menschen, denen bisher aufgrund mangelnder Kreditwürdigkeit die Teilnahme am Wirtschaftsleben verwehrt geblieben ist, den Zugang zu Investitionskapital. Dadurch können die Kreditnehmer eigene Produkte oder Dienstleistungen anbieten und sich so ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familien selbst ¿nanzieren. Um neben dem Zugang zu Kapital weitere Aspekte der Armutsbekämpfung anzugehen, hat Grameen darüber hinaus in Bangladesch zahlreiche Social Businesses gegründet. Sie widmen sich u. a. der Behebung von sozialen Missständen in Bereichen der Gesundheit oder der Ernährung.4 Dabei sind auch Kooperationen mit pro¿torientierten Unternehmen entstanden, wie z. B. „Grameen Danone Foods Ltd.“: Im Oktober 2005 beschlossen Grameen und Danone Foods Ltd. zusammen ein Social Business Joint Venture zu gründen, um sich dem dringenden Problem der Mangelernährung in Bangladesch zu widmen. In diesem Land leiden ca. 30 % der gesamten Bevölkerung und ca. 56 % der Kinder unter fünf Jahren an Mangelernährung – eine der höchsten Raten weltweit (vgl. UNICEF 2008). Ursache für diesen Zustand ist nicht etwa die mangelnde Verfügbarkeit von Nahrung, denn Bangladesch produziert Reis in ausreichenden Mengen. Vielmehr führt eine einseitige Ernährung – Reis ist das Hauptnahrungs3 4
Diese 40 Millionen Menschen stehen für 8 Millionen Kreditnehmer und deren Familien (vgl. www.grameen-info.org). Vgl. www.yunuscentre.org.
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Saskia Bruysten und Henning Engelke
mittel armer Leute – zu De¿ziten bei der Aufnahme wichtiger Nährstoffe. Mangelernährung hat weitreichende Folgen. Neben der humanitären Ungerechtigkeit, ist vor allem die deutlich höhere Anfälligkeit der Betroffenen für Krankheiten und die folglich stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Betroffenen alarmierend: Sie geraten in einen Teufelskreis aus Mangelernährung, Krankheit und Armut. Um diesen Kreis zu durchbrechen, wurde das Social Business Joint Venture „Grameen Danone Foods Ltd.“ gegründet.5 Es produziert und verkauft ein speziell mit Nährstoffen angereicherten Joghurt in Bangladesch. Dabei wird der Joghurt zu einem äußerst niedrigen Preis angeboten, damit sich selbst die Ärmsten der Armen den Kauf dieses Produktes leisten können. Dennoch arbeitet dieses Unternehmen wirtschaftlich nachhaltig: Es kann über die Verkäufe sämtliche Kosten decken. Doch die Menschen in Bangladesch pro¿tieren nicht nur durch die Produkte von Grameen Danone Foods. Das Unternehmen schafft Jobmöglichkeiten und somit Einkommensquellen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, die für viele einen nachhaltigen Weg aus der Armut ermöglichen. Die benötigten Rohstoffe liefern regionale Erzeuger zu Marktpreisen, wobei Danone den Erzeugern bei der Rohstoffproduktion helfend zur Seite steht, um deren Qualität sicherzustellen, und gleichzeitig die Abnahme der Erzeugnisse garantiert. Hergestellt wird der Joghurt dann in einer Produktionsanlage in Bogra in Nordbangladesch, in der die Nutzung von Maschinen auf ein Minimum reduziert ist, um Beschäftigung zu fördern. Der Vertrieb wird in den ländlichen Gebieten über ein Netzwerk von Grameen-SalesLadies, die ihn über Haustürverkauf absetzen und dafür eine Provision erhalten, geregelt. In Städten werden die Joghurts von lokalen Händlern verkauft. Der Erfolg dieses Social Business Joint Venture ist bereits zu sehen: Insgesamt konnten durch die Gründung von Grameen Danone Foods in einem Umkreis von 30 km bislang über 1.600 Jobs geschaffen werden. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie Social Business ein soziales Problem wie Mangelernährung bekämpfen kann und gleichzeitig durch die Eröffnung wirtschaftlicher Möglichkeiten die Lebensbedingungen einer Vielzahl von Menschen verbessert. In den nächsten zehn Jahren sollen weitere Produktionsstandorte entstehen sowie Vertriebsstellen geschaffen werden, sowohl innerhalb, als auch außerhalb von Bangladesch. Und auch die Umweltfreundlichkeit wird dabei stets berücksichtigt. Bei der Gründung von Grameen Danone Foods wurde zusätzlich auch auf ökologische Nachhaltigkeit geachtet. Eine Regenwasser-Aufbereitungsanlage sowie eine Solaranlage sorgen für einen energiesparenden Produktionsprozess. Gleichzeitig entsteht bei der Wasseraufbereitung das Nebenprodukt Biogas, das wiederum als Energielieferant veräußert werden kann. 5
Vgl. www.danone.com.
Social Business in der Praxis
4
165
Social Business in Industriestaaten
Das Konzept Social Business beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf Entwicklungsländer. Überall dort, wo soziale Missstände herrschen, gibt es Menschen, welche die Lösung sozialer Probleme über die Maximierung von Gewinnen stellen. Social Businesses bieten ihnen einen institutionellen Rahmen für unternehmerisches Handeln. Konkrete Anwendungen sind in Industriestaaten bisher allerdings nicht oder nur limitiert zu ¿nden. Einige Beispiele von hybriden – sprich, gleichzeitig sozial und ¿nanziell nachhaltigen – Unternehmensformen lassen aber durchaus darauf schließen, dass Social Businesses auch in Industriestaaten erfolgreich sein können. Dies verdeutlicht z. B. der Erfolg von Grameen America6, das nach dem Vorbild der Grameen Bank Mikrokredite an die arme Bevölkerung von Queens, New York vergibt, um privates Unternehmertum zu fördern. Armut ist kein ausschließliches Problem von Entwicklungsländern. In den USA, dem bislang wirtschaftlich stärksten Land der Welt, leben insgesamt 36,5 Millionen Menschen unterhalb der of¿ziellen Armutsgrenze der Vereinigten Staaten, 45 Millionen haben aufgrund mangelnder Sicherheiten und Bildung lediglich einen limitierten Zugang zu ¿nanziellen Mitteln und 28 Millionen haben gar keinen Zugang zu Dienstleistungen von Banken.7 Diese Menschen sind häu¿g gezwungen, ¿nanzielle Mittel von weniger seriösen Anbietern zu beschaffen, die ein Vielfaches des üblichen Zinssatzes verlangen. So entsteht auch für sie ein Teufelskreis der Armut, und darüber hinaus geht dem Land das unternehmerische Potenzial vieler Menschen verloren, denen der wichtige Zugang zu Kapital für die Umsetzung ihrer Ideen verwehrt bleibt. Die Problematik ist somit ähnlich wie in Entwicklungsländern. Weder der freie Markt noch der Staat sind in der Lage, das Problem Armut zu lösen. Während der gewinnorientierte private Sektor die Bedürfnisse der armen Bevölkerung nicht berücksichtigt, handelt der staatliche Sektor inef¿zient und weniger dynamisch. Konzepte wie das des Social Businesses können diese Lücke füllen, unabhängig vom Entwicklungsstand des jeweiligen Landes. Dies verdeutlicht auch das Beispiel der Stiftung San Patrignano.8 Das italienische Dorf San Patrignano bietet ein zu Hause für ehemalige Drogenabhängige, die nicht nur sozialen und ¿nanziellen Halt brauchen, sondern auch bei der Reintegration in die Gesellschaft unterstützt werden müssen. Durch den Verkauf von selbst hergestellten Produkten 6 7 8
Grameen America ist kein Social Business nach der De¿nition von Yunus. Angelehnt an das Vorbild der Grameen Bank ist die Hauptmotivation von Grameen America aber dennoch sozialen Nutzen zu stiften bei gleichzeitig wirtschaftlicher Nachhaltigkeit (siehe www.grameenamerica.com). Ebd. Vgl. www.sanpatrignano.org.
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Saskia Bruysten und Henning Engelke
und Dienstleistungen ist die Stiftung San Patrignano zu 60 % ¿nanziell selbsttragend. Die verbleibenden 40 % werden über Spenden ¿nanziert. Bis 2015 plant die Stiftung jedoch nicht mehr auf Spendengelder angewiesen zu sein. Darüber hinaus existieren Pläne, weltweit Gemeinschaften nach dem Beispiel von San Patrignano aufzubauen und das Konzept zur Rehabilitation und sozialen Reintegration von ehemaligen Drogenabhängigen zu etablieren. Somit ist die Stiftung San Patrignano zwar noch kein Social Business, verdeutlicht jedoch, dass auch in Industriestaaten unternehmerische Lösungen zur Bekämpfung von sozialen Problemen funktionieren können. Dabei sind unzählige Ansatzpunkte vorstellbar, sei es mangelhafter Zugang zum Gesundheitssystem, private Verschuldung, Herausforderungen alleinerziehender Frauen oder Einsamkeit älterer Menschen. 5
Resümee
Armut und andere soziale Probleme, die weltweit auftreten, erfordern ein Umdenken innerhalb unseres Wirtschaftssystems. Die Freiheit der globalen Märkte entfesselt eine gewaltige Innovations- und Wirtschaftskraft, jedoch bislang ohne dabei eine Antwort auf die drängenden sozialen Probleme in der Welt zu geben. Social Business ist eine der Antworten indem es eine wirtschaftlich nachhaltige Lösung für soziale Probleme, sowohl in Entwicklungsländern, als auch in Industriestaaten anbietet. Während in Bangladesch schon einige Social Businesses erfolgreich arbeiten und das Potenzial des Konzepts veranschaulichen, sind Beispiele in Industriestaaten bislang noch limitiert. Dennoch gibt es auch in Industriestaaten eine Vielzahl sozialer Problemfelder, die mit Social Business bekämpft werden können. Wie insbesondere die Beispiele aus den Entwicklungsländern zeigen, ermöglicht das Konzept, auf sozialräumliche und regionalkulturelle Besonderheiten einzugehen und so nicht nur sozialökonomisch sondern auch regional-ökonomisch und entwicklungs-politisch innovativ zu sein. Insgesamt ist dieses Konzept trotz der erfolgreichen Beispiele wie Grameen Danone Foods noch Pionierarbeit. Es birgt jedoch das große Potenzial in sich, den Kapitalismus, wie er heute bekannt ist, radikal zu verändern, hin zu einem menschlicheren Wirtschaftssystem. Neben dem traditionellen selbstbezogenen Business eröffnet es die Möglichkeit, ein selbstloses Business zu betreiben, das einzig einem sozialen Zweck dient und gleichzeitig auch ¿nanziell nachhaltig agiert. Dieser wesentliche Unterschied in der DNA einer Unternehmung hat das Potenzial auf der ganzen Welt drängende soziale Missstände zu beheben, für die der gegenwärtige Kapitalismus keine Lösung bietet.
Social Business in der Praxis
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Literatur Grameen America. http://www.grameenamerica.com. Letzter Zugriff: 24.09.2010 Grameen Danone Foods Ltd. http://www.danone.com/en/what-s-new/focus-4.html. Letzter Zugriff: 24.09.2010 Smith, A. (1759): The Theory of the Moral Sentiments. Edinburgh: A. Millar in the Strand & A. Kincaid Spiegel, P. (2006): Muhammad Yunus – Banker der Armen. Leben/Vision/Wirkung. Freiburg i. Breisgau/Basel/Wien: Herder Verlag UNICEF (Hrsg.) (2008): State of the World’s Children Report 2008. New York u. a.: UNICEF http://www.grameenamerica.com. Letzter Zugriff: 24.09.2010 http://www.grameencreativelab.com. Letzter Zugriff: 24.09.2010 http://www.grameen-info.org. Letzter Zugriff: 24.09.2010 http://www.sanpatrignano.org. Letzter Zugriff: 24.09.2010 http://www.yunuscentre.org. Letzter Zugriff: 24.09.2010
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Financing Social Entrepreneurs in Europe How Financial Intermediaries can leverage the Growth of Social Entrepreneurs? Angela Lawaldt
1
Introduction
In order to address the issue of ¿nancing for Social Entrepreneurs in Europe, it is important to understand where the sector of Social Entrepreneurship currently stands. As ¿gure 1 below shows, Social Entrepreneurs are not yet a homogenous market: They can emerge both from the business and social sector and their income models can range from grants and donations to hybrid income models or 100 % earned income. What they all have in common: The primary purpose of their undertaking is to solve a social or ecological problem. Social Businesses – a model strongly promoted by Nobel Prize winner Mohammad Yunus – can be considered a speci¿c form of Social Entrepreneurship, where earned income dominates but pro¿ts are not distributed. 2
Hybrid Business Models
Since Social Entrepreneurs have a great variety of income models and organizational structures, their ¿nancing market is fragmented and not yet fully developed (see ¿gure 2): While donations and grants are supplied by foundations, citizens and governmental bodies, social businesses with 100 % income can be ¿nanced by community development or SROI (Social Return on Investment) funds. The market of hybrid business models, where philanthropy and business needs meet, is growing, but ¿nancing structures are not yet fully in place. This is where Social Venture Capital comes in: These innovative funds provide grants, loans and equity to Social Entrepreneurs, as well as non-¿nancial support such as consulting and networking contacts. While traditional Venture Capital Funds focus on ¿nancial return only, Social Venture Capital Funds place equal or even more emphasis on the Social Impact of an undertaking, i.e. the degree of societal change caused by the social enterprise. P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_14, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Angela Lawaldt
Figure 1: Range of operational models of Social Entrepreneurs 6RFLDO(QWUHSUHQHXUV 6RFLDO %XVLQHVVHV
7UDGLWLRQDO FKDULWLHV
7UDGLWLRQDO %XVLQHVV 6RFLDOO\ EXVLQHVVHV 'ULYHQ%XVLQHVV %OHQGHGYDOXH
6RFLDO UHWXUQ
JUDQWV
SXEOLF SULYDWH
K\EULGPL[ RIJUDQWV DQG LQFRPH ILQDQFLDOO\ VXVWDLQDEOH
)LQDQFLDO UHWXUQ
SURILW LQFRPH SURILWDEOH SURILW UHYHQXHV VXUSOXVQRW GLVWULEXWHG PD[LPL]LQJ VRFLDOO\ GLVWULEXWHG %UHDN GULYHQ HYHQ
Source: Lawaldt 2008
Figure 2: Need for Social Venture Capital in fragmented ¿nancing market %OHQGHGYDOXH
6RFLDO UHWXUQ JUDQWV
SXEOLF SULYDWH LQVWLWXWLRQ
K\EULGPL[ RIJUDQWV DQGLQFRPH ILQDQFLDOO\ VXVWDLQDEOH
)RXQGDWLRQV *RYHUQPHQWV (XURSHDQ8QLRQ &LWL]HQV
LQFRPH UHYHQXHV %UHDNHYHQ
/DFNRI ILQDQFLQJ
)LQDQFLDO UHWXUQ
SURILWDEOH VXUSOXVQRW GLVWULEXWHG
&')&RPPXQLW\ GHYHORSPHQWIXQGV (WKLFDOEDQNV 652,)XQGV
6RFLDO9HQWXUH&DSLWDO9HQWXUH3KLODQWKURS\
Source: Lawaldt 2008
SURILW SURILW GLVWULEXWHG PD[LPL]LQJ VRFLDOO\GULYHQ
%DQNV 9HQWXUH&DSLWDO 3ULYDWH(TXLW\
Financing Social Entrepreneurs in Europe
171
Currently, there are approx. 25 larger Social Investment and Venture Philanthropy Funds in Europe (see ¿gure 3) and several new funds in the making, most of which are represented through the European Venture Philanthropy Association (EVPA). Great Britain can be considered the most advanced Social Investment market since government funding for Social Businesses has accelerated the implementation of new ¿nancing mechanisms. At the same time Great Britain has a proximity to American markets, where the idea of Venture Philanthropy generated ¿rst a decade ago. Germany, Italy, France and the Netherlands have launched the ¿rst Social Investment Funds in the early years of the new millennium. Figure 3: Examples of European Social Investment Funds ,PSHWXV7UXVW 9HQWXUHVRPH &$1%UHDNWKURXJK %ULGJHV9HQWXUHV 6XWWRQ7UXVW $OIDQDU &KLOGUHQ,QYHVWPHQW)XQG
$VKRND*HUPDQ\ %RQ9HQWXUH &DQRSXV 1RDEHU GRE
7KH2QH
'HPHWHU 3KL7UXVW
2UJDQLVDWLRQ /*7 2OWUH9HQWXUHV 2OWUH)RQGD]LRQH 2OLYHU7ZLVW)RQGD]LRQH
2UJDQLVDWLRQV 2UJDQLVDWLRQV 1
Source: BonVenture 2008, based on EVPA 2008
While Social Venture Capitalists in Europe all offer non-¿nancial support in the form of consulting and networking, they do, however, differ in their range of ¿nancing mix and their emphasis on social vs. ¿nancial return. It is often dif¿cult for Social Entrepreneurs to differentiate the exact offer of a venture philanthropist. Table 1 gives examples of how grants, loans, equity are currently combined in European funds:
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Angela Lawaldt
Table 1: Range of ¿nancing of European Social Investment Funds Type of ¿nancing
Example of organisation
Only grant-giving Grants and loans Only equity Loans and equity Grants, loans, equity
Breakthrough (UK), Ashoka (various) Foundation Demeter (Fr) Bridges Ventures (UK) Venturesome (UK) BonVenture (GE), Oltre Venture (I), d.o.b. (NL), Noaber (NL)
Source: BonVenture 2008
One of the Social Investment Funds which offers the whole range of ¿nancing is BonVenture Management GmbH, the ¿rst German Social Venture Capitalist. Founded in 2003 by family entrepreneurs, the organization supports Social Entrepreneurs in Germany, Switzerland and Austria in various stages of their life cycle whose activities address important topics such as education, transparency, minorities, environment, unemployment etc. The investment of BonVenture is based on the requirement that the Social Entrepreneur addresses a social or ecological problem; their idea is innovative, scalable and can be expressed in a business plan providing a self-suf¿cient ¿nancial model. Figure 4: The structure of the Social Investment Fund BonVenture ,QYHVWRUV
'RQDWLRQV
([HFXWLYHDQG &RQWURO%RG\ $GYLVRU\
%RQ9HQWXUH, *PE+ &R.* %9,
%RQ9HQWXUH,, *PE+ &R.* %9,,
)ROORZRQ LQYHVWPHQW
,QYHVWPHQWV
%RDUGRI 7UXVWHHV
%RQ9HQWXUH 0DQDJHPHQW *PE+ %90 6WUDWHJLF
%RQ9HQWXUH JHPHLQQW]LJH *PE+ %9J*PE+
'RQDWLRQV
QRQSURILWDQGIRUSURILWRUJDQL]DWLRQVZLWKDVRFLDOSXUSRVHUXQE\D 6RFLDO(QWUHSUHQHXU Source: BonVenture 2008
Financing Social Entrepreneurs in Europe
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As ¿gure 4 shows, BonVenture operates as a Social Business itself, offering on the one hand loans and equity through the investment funds BonVenture I and II and on the other hand grants through the foundation-like BonVenture gemeinnützige GmbH. Pro¿ts are donated to the foundation entity after tax and management fee, which results into a non-pro¿t approach for investors. 3
Conclusion
To conclude, both in Germany and other European countries, there are two needs: ¿rst, the launch of additional Social Investment Funds, specializing both on income-based Social Businesses and organizations which are in the transition from traditional non-pro¿t to hybrid or Social Business models. Second, the entry of governmental institutions such as the European Investment Fund into the Social Investment Market, supported by special legislation allowing hybrid and transitory organizational structures of Social Businesses. References EVPA (2008): European Venture Philanthropy Association membership database 2008. http://www.evpa.eu.com BonVenture (2008): Market analysis of BonVenture Management GmbH 2008. http://www. bonventure.de Lawaldt, A. (2008): BonVenture Management GmbH. http://www.bonventure.de
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Civil Society Co-operation and ‘New Social Economies’ at the EU’s External Frontiers: The Finnish-Russian Case James W. Scott
1
Introduction
Organizations of the ‘social economy’, such as cooperative style enterprises, mutual help societies and voluntary associations, have long played an important role in national and regional development in Western countries. Since the dramatic political changes of 1989, their importance in Central and Eastern Europe has also steadily increased. As Charlie Walker reminds us: “one of the de¿ning features of the transition to a market economy in post-Soviet Russia has been the inability of market structures to ¿ll the myriad gaps left by the withdrawal of the Soviet state” (Walker 2010: 647). While as yet relatively inexperienced, civil society organizations (CSOs) in Russia can thus arguably be seen as contributing to the emergence of a ‘post-socialist social economy’ primarily through partnerships in the delivery of public services. Research projects funded by the European Union and Finnish universities (known by their acronyms EUDIMENSIONS and HYRMY respectively) have investigated a very speci¿c case of social economy development in the Finnish-Russian context, namely through the promotion of cross-border cooperation between CSOs.1 As these projects con¿rm, CSO networks have helped establish partnerships in different areas of social welfare, economic development, training and institutional capacity-building that have assumed an important regional development role (Scott/Büchner 2009). While the central focus of HYRMY and EUDIMENSIONS was on the development of cross-border civil society relations between EU member states and their immediate neighbours, questions of social entrepreneurship as a means of stabilizing CSO activities – for example in the case of Russia – were also raised. Theoretically, greater civil society participation in the social economy might also 1
Reference is made here to the HYRMY project (Welfare, Borders and Changing Communities) funded by the University of Eastern Finland and the international research project EUDIMENSIONS: Local Dimensions of a Wider European Neighbourhood: Developing Political Community Through Practices and Discourses of Cross-Border Co-Operation, ¿nanced by the European Union’s Sixth Framework Programme for Research (see www.eudimensions.eu).
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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James W. Scott
promote a greater degree of social entrepreneurship.2 For-pro¿t organizations that invest in socially oriented CSOs could be enormously bene¿cial to Russia where social welfare systems have been reduced to an absolute minimum or operate as general care services accessible only by paying informal fees. In similar fashion, socially oriented suppliers of low-interest loans to small enterprises could provide a boost to local economies suffering from disinvestment. The experiences of CSO networks indicate not only many of the challenges that face the ‘third sector’ in conditions of weak local economies but also the potential opportunities of institutional capacity-building through learning processes. On the one hand, this research indicates it is unclear to what extent cross-border cooperation is resulting in long-term bene¿ts or resilient mechanisms of social welfare provision. The sustainability of joint projects is overwhelmingly dependent upon outside support, for example from the EU, the Finnish government and large international foundations. Furthermore, CSO co-operation across the EU’s external borders is only slowly developing entrepreneurial practices that might provide durable sources of ¿nance. CSOs operating within the post-Soviet context rarely see themselves as targeting pro¿ts for social purposes – indeed, the notion of entrepreneurialism in third sector endeavour is not well understood. On the other hand, the evolution of civil society co-operation from development aid to more reciprocal forms of interaction suggests that processes of institutional learning have increased the effectiveness of CSOs on both sides of the border to address social welfare and other local development issues. This institutional learning takes place in the shape of professionalization, improved knowledge about local needs and situations, enhanced lobbying and grant-seeking practices and a better transfer of information to local citizens on health, training, employment and other social affairs. The focus of this paper will be on Finnish-Russian co-operation at the regional and local level (i.e. Finnish and Russian Karelia). Impacts of CSO networks within this bi-national context will be brieÀy discussed below in terms of social welfare provision as well as regional and economic development. This will be followed by a discussion of the organizational and ¿nancial arrangements that have characterized network operations. Contextual and technical issues that condition – and often complicate – civil society co-operation will also be addressed. The concluding section will reÀect on experiences of CSO co-operation with regard to capacity-building and future prospects for social enterprise and social entrepreneurship in peripheral areas such as the border regions at the EU’s external frontiers. 2
The OECD de¿nes social enterprise as “any private activity conducted in the public interest, organized with an entrepreneurial strategy but whose main purpose is not the maximization of pro¿t but the attainment of certain economic and social goals, and which has a capacity for bringing innovative solutions to the problems of social exclusion and unemployment” (OECD 1999: 10).
Civil Society Co-operation and ‘New Social Economies’
2
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Finnish-Russian Examples of Civil Society Co-operation
The EU-Russian relationship since 1991 has been one of cautious, perhaps uneasy, interaction; driven by pragmatism and the recognition of interdependence but yet informed by historical (mis)apprehensions. As a result, the Finnish-Russian border has remained in many ways a hard, separating border, albeit de¿nitely more permeable since the elimination of Soviet era travel restrictions. Despite these restrictions, regional level cross-border co-operation has developed rapidly, contributing, in fact, to a notion of Russian-Finnish ‘Borderlands’ in terms of economic, social, cultural – although not political – interaction (Kolossov/Scott 2011). Furthermore, co-operation with EU-based CSOs has been an important source of support for the provision of public goods and in improving institutional conditions for business development. In the following, the experiences and lessons of Finnish-Russian cross-border co-operation at the level of civil society will be discussed. Therefore, it is necessary to differentiate between at least two major cooperation modes. The ¿rst, spearheaded by the Finnish government and co-funded to an extent by international organizations, began as development aid in the more traditional sense – managing the outright collapse of public economies in Russia after the collapse of the Soviet Union in 1991 – and then later evolving into clearer partnerships in areas of social welfare concern. To an important degree, this early co-operation was motivated by a desire on the part of the Finnish government to prevent economic and social problems associated with Russia’s transformation from ‘spilling over’ the border (Demidov/Laine 2011). Finnish CSOs sought out Russian partners who were willing to work with Western partners and to compete for funding in competitive bids for project support. Finnish-Russian co-operation thus established early on an impressive track record of project-based work. The second mode of co-operation, relevant since Finland’s EU membership in 1995, is that ¿nanced by the European Commission; this has been more focused on building institutional capacities for local and regional development, infrastructure improvement and promoting concrete projects in speci¿c areas, such as tourism, lifelong education, training, industrial co-operation, natural area development, etc. The Russian state was largely unaware of the potential of civil society activism as it had to deal simultaneously with a number of pressing issues. At the regional and local levels, however, CSOs were often involved in problem-solving processes, particularly by addressing social problems that formal institutions were not able to deal with. It must be mentioned at this point that the actor constellations involved in the aboventioned research reÀect the differences in the composition of Russian
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James W. Scott
and Finnish CSOs.3 In the Russian case these are largely self-help organizations, group rights advocacy groups and communities of interest (e.g. business development centres), many of which are staffed by part-time, often non-professional staff. They are often partners of local governments from which they receive funding for providing local services. As the funds available for social welfare, health advocacy, business development and other activities is limited. Russian CSOs are often dependent on supplemental sources of ¿nancial support. The Finnish counterparts of Russian CSOs are, in general, much more professionally organized and have a long track record in performing social welfare functions as partners of public agencies. They are also continually supported by a mix of philanthropic and state funding. Local Welfare Systems as Areas of Local Development Co-operation The primary welfare-related areas in which Finnish-Russian CSO co-operation has taken place are in public health, social services for the elderly and disabled, work with local youth, culture and primary and secondary education. As a result of the social disorder that plagued post-Soviet Russia during the 1990s, a funding crisis in health and public services emerged. As local actors stated, the assistance of Finnish partners helped alleviate the consequences of political transformation. The development of joint programmes between Finnish and Russian-Karelian cities were based on joint workshops dealing with many different development issues. These formed the basis for the formulation of joint projects that received funding from a variety of sources, Finnish, European and international. Projects that were ultimately supported were in the areas mentioned above: medical services, psychological assistance, addressing the problems of local youth, culture, ecology and public security. For instance, Finnish organizations provided the town hospital of Sortavala (located about 60 kilometres from the Finnish border) with medicine and medical equipment. With EU money, organizations based in the neighbouring Finnish community of Rääkkylä contributed to technical and ¿nancial support for the Sortavala 3
The method mix entailed quantitative surveys and in-depth interviews of a selected but considerable number of stakeholders and experts as well as newspaper screenings and content analysis. For the Finnish-Russian case study, approximately 100 CSOs were identi¿ed for short qualitative interviews during the initial phases of the project. From this initial group, approximately 40 CSOs were chosen for in-depth qualitative interviews. Even if only a limited cross-section, this number was considered suf¿cient to understand and interpret dynamics of civil society organizations actively involved in co-operation. The selected CSOs largely represented local and regional levels and different activity sectors (i.e. cultural, social, environmental and economic). See Scott/Büchner 2009.
Civil Society Co-operation and ‘New Social Economies’
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hospital and a children’s home. Vacations in Finland for Russian children were also arranged. Much of this co-operation was based on voluntary work; Finnish volunteers helped remodel an old kindergarten in order to accommodate the new Social Assistance Centre, itself a non-pro¿t organization, and assisted as well in restoring rural schools. Since 1991, the Russian Karelian city of Sortavala has been faced with a dramatically increased incidence of drug addiction and persons with HIV infections.4 Here, CSO co-operation has centred on joint projects such as the ”Sober life” initative which targeted drug abuse, AIDS treatment, and combating traf¿c in illegal drugs. Much of the expertise was supplied by Finnish partners and with their help a centre for rehabilitation of drug addicts was opened and a series of public awareness campaigns inaugurated. In the framework of the EU-funded TACIS programme, Russian-Finnish civil society projects carried out between 1995 and 2008 continued to target the improvement of public health and social welfare in the Russian Karelian republic. The city of Sortavala was, for example, chosen as a pilot region for ¿nancial aid to supply local hospitals with modern equipment. The project also aimed at the elaboration of a strategic plan for the general improvement of the health system and supporting experiments with new models of public health institutions. In addition, Finnish and Russian national and regional associations of disabled and handicapped persons openly co-operated in order to improve the situation on the Russian side. Between 1996 and 1998 they carried out a joint project with EU funding aimed at the social integration and protection of people suffering from birth defects and handicaps. In retrospect, it appears evident that during the ¿rst half of the 1990s, humanitarian aid arrived to Sortavala on a regular basis. Much of this assistance had the character of outright charity work. However, through the development of local civil society institutions and mechanisms of self-help, such as the Social Assistance Centre in Sortavala, joint projects through CSO networks emerged as an important driver of local development. By 1997, the Sortavala Center and other social security institutions in Sortavala has developed numerous projects with Finnish partners. So extensive was the aid provided by CSO networks during the 1990s, that cross-border co-operation was seen to a certain extent to replace social programmes and other services provided by the state during the Soviet era (Izotov 2011). This was also evident in the area of youth work. Whereas children were largely brought up ‘by society’ and collective organizations during the Soviet period, public systems of child care have been largely missing in contemporary Russian society. A lack of ¿nancial support and neglect on the part of the state 4
According to experts these of¿cial statistics should be increased 10 or even 25 times.
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James W. Scott
led to a dramatic situation for education and the organisation of free time activities of young people. Cross-border co-operation (CBC) replaced to certain extent educational state institutions of the Soviet era and provided young people with technical, informational and practical assistance. For example: through jobs exchanges organized by a Finnish training centre (located in the city of Joensuu) and Sortavala’s employment centre, many Russian students found seasonal employment in Finland. The strong role of social, especially health-related, CSOs in Finnish-Russian CBC can to a degree be explained by the fact that they are exceptionally well networked and often led by an umbrella organization. The role of networks is perceived as crucial for maintaining cross-border connections also in other ¿elds of civil society. Networks have enabled different actors and organizations to come together and share their knowledge. Perhaps even more importantly, networking has helped individual CSOs to make the ¿rst step across the border by providing the know-how and other resources that individual CSOs often lack as well as by forming a framework that allows individual organizations to participate in CBC on an on-and-off basis. From a practical point of view, most of the problems that CSOs face dwarf the capacities of any single organization. In addition, networking has proven out to be a more ef¿cient way to attract funding, and made the actual application procedures easier for individual organizations. Co-operation in the Area of Regional and Business/Entrepreneurial Development Post-Soviet political transformations not only focused attention on local welfare systems and the need to develop them; economic development issues also came to the forefront of Finnish-Russian co-operation agendas. The collapse of state enterprises, ensuing economic crisis and a lack of investment capital in Russia affected Finland as well – dependency on Soviet markets resulted in a severe crisis of the Finnish economy in the 1990s. Similar to the case of regional social welfare co-operation, economic development strategies for the Finnish-Russian borderland emerged out of horizontally organised networks. In addition to non-pro¿t organizations, public agencies and private ¿rms have also been heavily invested in cross-border project development. Partnerships between non-pro¿t business development organizations, ¿rms and local and regional agencies have emerged and have targeted small businesses in Russian cities such as Sortavala and Finnish Karelian communities such as Joensuu, Ilomantsi and Lieksä. In general, civil society organizations played an important role in improving the image of the region as a binational tourist destination and in improving the skills of local entrepreneurs to market their products.
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Economic development co-operation at a more regional level is another important aspect of the work of CSO and multi-actor networks operating in Russian and Finnish Karelia. The focus here has been on strengthening the industrial base which on both sides of the border is largely extractive (forestry, paper and mining). With EU and Finnish government funding, projects have been carried out that target joint marketing strategies, technological innovation and industrial diversi¿cation. A further institutional third sector strategy with which to promote cross-border regional development took shape with the creation in 2000 of a ”Euregio Karelia”. This ambitious project was based on the claim that co-operation would be able to overcome gaps in standards of living and improve the general economic and social development prospects on both sides of the border. Utilizing funds provided by the European Union and other sources, the Euroregion facilitated numerous projects between 2001 and 2008 that involved local and regional governments, civil society organizations, universitites and enterprises. From the beginning, the key ¿gures behind the Euregio Karelia initiative promoted their institutional structure as a new European model of cross-border co-operation. The idea was that as the EU enlarged eastwards, joint administrative structures with Russian regional authorities would gain broader European signi¿cance (Cronberg 2000, Cronberg 2003). In the planning phase of Euregio Karelia, Tarja Cronberg, head of the Regional Council of Finnish North Karelia, anticipated that, ”common decision-making procedures and common funds [will] create a foundation for establishing new border region identities” (Cronberg/Shlyamin 1999: 25-26). Promoting entrepreneurial development in Russia is a considerable challenge given the lack of credit for smaller ¿rms and a less than helpful institutional environment that limits access to markets. Cross-border co-operation driven by Finnish nonpro¿t and pro¿t-oriented organizations in co-operation with Russian local governments is an experimental ¿eld of business development and vocational training. One example of this is the ”St. Petersburg Business Campus Benchlearning Network” (PBC) which aims to improve the operational abilities of Finnish small and medium-size companies (SMEs) in the St. Petersburg region (see St. Petersburg Business Campus). All in all, the Campus is designed to enhance international networking and collaboration between regional authorities, universities, technology centres and enterprises. In addition, the project aims to ensure better cooperation possibilities between Russia and the EU in the ¿eld of fostering innovations. A further example of business development through CBC is the organization Technopolis PLC, a Finnish corporation which pursues aims of social entrepreneurship by marketing a service concept that addresses the needs of young technology companies (see Technopolis 2009).
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Lessons from Co-operation
The research upon which this discussion is based was largely exploratory. It con¿rmed the increasing importance of civil society in developing Russia’s social economy as well as the vital role that cross-border co-operation has played in supporting social welfare, economic development and other areas of civil society endeavour. HYRMY and EUDIMENSIONS also shed light on contextual factors that play a role in conditioning the scope, intensity and quality of civil society co-operation in the Finnish-Russian case. One of these is the issue of institutional asymmetry and the large gap in capacities for action between Finnish and Russian civil society organizations. Another issue that deserves attention is the problem of project dependency and problems of ¿nancial sustainability of civil society co-operation. Furthermore, as context-sensitivity is of central importance, it is vital not to ‘benchmark’ the performance of Russian CSOs in terms of Western categories that apply to very different socio-political situations. Indeed, different conceptualizations and self-images of CSOs as providers of public goods must be taken into account. In addition to highlighting contextual factors that inÀuence civil society cooperation between Finland and Russia, the research project has also provided evidence of ‘social learning’ through CSO networks. Despite their differences in outlook, operating capacities and resources, civil society actors from Finland and Russia con¿rm that cross-border co-operation has been a major contributor to capacity-building and the transfer of political skills. The interests of Finnish and Russian CSOs are, of course, different. While Finnish actors focus on promoting functioning social economies in Russia as an ‘investment in the future’, Russian CSOs are directly concerned with assisting speci¿c groups and group interests that require new policy responses and forms of assistance no longer guaranteed be the state. Asymmetry One undeniable hurdle facing CSO co-operation is that of dealing with the vast differences in operational capacity, ¿nancial resources and political support that characterize Finnish and Russian civil society. Not only can Finnish organizations count on much greater resources form philanthropic sources, foundations, the EU and the Finnish government, they are also considered by the government and political parties as partners in many areas of public policy. Russian CSOs are often partners of local governments for whom they often function as subcontractors of public services, but they play a clearly subservient role in terms of inÀuencing
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public policy agendas. Russian organizations, particularly in peripheral regions such as Karelia, also have a much more dif¿cult time securing funds for crossborder co-operation. Those Russian CSOs that receive foreign support have, in addition, been subject to critical scrutiny and suspicion by the present Russian government. While differences in civil society cultures might, at least initially, have been a co-operation obstacle, it is now more an issue of managing asymmetry through improving conditions for the participation of Russian CSOs. External Funding Dependency and its Consequences Many cross-border activities between Finland and Russia are project-based with limited duration. Furthermore, these activities are either pre-de¿ned by international organizations and existing funding opportunities or dependent upon the acceptance of central authorities and/or regional and local elites in Russia. The short-term character of many projects has resulted in a lack of long-term strategies and a lack of clearly de¿ned perspectives and plans. Partners are often chosen on the basis of their objectives, expertise and capacities to carry out joint projects rather than with regard to the needs of borderland communities. In many cases, development agendas are prepared by central organizations and their agencies, relegating local CSOs to an executive role through deciding what priorities will be funded. In addition, locally based Russian CSOs with greater knowledge of community problems, needs and cultures have often been crowded out of co-operation projects because of their lack of visibility. At the same time, more professional and successful Russian organizations are often quite distant from local communities and act more as centrally managed development agencies than bottom-up entities. Technical criteria here may outweigh more substantive criteria. The issue of funding dependency has been extensively dealt with in the past. According to Henderson (2002: 142) dependency on the West has resulted in several serious problems with regard to civil society development in post-socialist countries such as Russia. Even if these issues fail to capture the big picture, the actors interviewed for the EUDIMENSIONS project con¿rmed with practical examples that these issues are valid concerns and need to be acknowledged when future CBC is being planned. Firstly, ¿nance from the West has created instances in which it is the Western donors, rather than the needs of Russians citizens that dictate civil society agendas. Some Russian CSOs have, as an example, redesigned their activities and agenda to ¿t better with those of donor organizations in order to safeguard future funding. Furthermore, foreign aid has partly strengthened the division between civil society ‘haves’ and ‘have-nots’ and centralised the resources in the hands of those with connections to the West, creating a fairly distinctive
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‘civil elite’. Even though the aim of many Western donors has been to facilitate grass-roots movements, Russian CSOs tried to mimic the organizational style of Western donor organizations, which are often large, wealthy, centralized and fairly ‘corporate’ in nature. All this, together with drastic political changes brought by the collapse of the Soviet Union, has, according to Bae (2005: 3), led to a structural shift within Russia’s incipient civil society, which has actually weakened rather than enhanced its development potentials. Today, a major share of the Finnish CSOs that engage in CBC with Russian organizations receive funding for their activities from the specially designated ”Neighbouring Area Co-operation” funds administered by the Finnish Ministry for Foreign Affairs and accordingly also an integral part of Finland’s foreign policy. The priorities of CBC are largely informed by this opportunity structure and involve the promotion of regional stability, support for balanced economic and social development and the rule of law, and administrative and legislative reforms. Through this co-operation, Finland also endeavours to reduce risks related to the environment and nuclear energy and to develop the social welfare and health care sector as well as to strengthen civil society in the neighbouring areas, principally in Russia5. Finnish-Russian CBC has been thus driven by common interests and common problems; even if most of the short-term bene¿ts may remain on the Russian side, it is in the interests of Finland to invest in the socio-economic development of these neighbouring regions – i.e. to try to solve problems before they affect Finland. It is clear that those CSOs, which have more varied revenue structure, have also been able to better de¿ne their own strategies. Nevertheless, CSO actors acknowledge that even though state funding tends to direct CSO work, funding priorities have matched needs fairly well. Processes of Social Learning Even if cross-border civil society co-operation has certainly had its problems in the Finnish-Russian case, in general terms a cautiously positive picture can be drawn based on practical experiences. One reason for this are processes of social learning (see Raik 2006) that have enabled Finnish and Russian civil society actors to learn how to operate in new international co-operation environments. While, as mentioned above, the motives for establishing cross-border contacts have differed, direct interaction through exchanges of experience, training sessions, joint project implementation and practical experience in the technicalities of working on either side of the border has bene¿ted both Russian and Finnish 5
In 2008, 95 percent of the neighbouring area co-operation funds were allocated to projects carried out in Russia.
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CSOs. Social learning is also evident in co-operation strategies in which, from the CSO actors’ perspective, the key to success now lies in the avoidance of directly focusing on ambitious goals of social transformation and democratization. Instead resources are channelled into strengthening the conditions for civil society development in Russia and thus empowering Russians to improve their own situations. Accordingly, social and health CSOs have been well represented in the formation of transnational civil society links. Given the nature of the situation, particularly in the early 1990s, initial interaction across the border was certainly closer to humanitarian work based on goodwill rather than co-operation between equal partners for mutual bene¿t. However, as Russian civil society has developed institutionally, Finnish CSOs have begun to engage in the practical training of Russian civil society actors in order to help them to develop their own organizational skills and increase their effectiveness in the new, internationalizing environment. Asymmetry, despite its problematic nature, asymmetry in itself has been an important motive for co-operation: cross-border co-operation is now becoming more of a two-way process, in which both sides can learn from each other. The role of horizontal networks is perceived as crucial for maintaining cross-border connections and for assessing the quality of cross-border activities. Such networks help shape the quality, thematic focus and dynamics of crossborder activities in a means more sensitive to local concerns. They have enabled different actors and organizations to come together and share their knowledge and reduce transactions costs of co-operation for smaller, local organizations. While there is no single formula or institutional architecture that characterizes these networks, they are generally constructed around clusters of organizations with ties either to large national (i.e. Finnish) or international non-pro¿t organizations.6 Larger and more experienced organizations within the network usually address politically relevant, bureaucratic and time-consuming aspects of grantseeking and general project development while smaller, regionally embedded 6
In the Finnish case, many well-established CSOs have a tripartite structure, which consists of local, regional (district), and national (central) representatives. Local organizations are part of district organizations, which often coincide with Finnish provinces. Both these levels operate under a central organization that, in some cases, is a part of a supranational body. In general, most sub-national organizations are independently registered and thus have their own decisionmaking structures, even if these may be heavily inÀuenced by guidelines set at higher levels. A multilevel structure enables priorities, action plans as well as other relevant information and knowledge to be communicated effectively in both directions. The task of local level decisionmaking bodies is to determine which recommendations are most suitable for local implementation. Due to multilevel ‘command structures’, the lower levels can focus on practical work, whereas higher levels have more time and resources to engage in administrative tasks, applying for funding, dissemination and communications.
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organizations with local knowledge carry out concrete projects. Thus, a division of labour is possible that distributes resources in a more appropriate manner than an individual CSO would be capable of. Through such networks, ‘weaker’ and smaller organizations can gain access to sources of support – although this can take place at the cost of operational autonomy. A good example of this was the Finnish-Russian Network of Social and Health NGOs which consisted of approximately 50 Finnish and almost 100 Russian organizations. The network maintained of¿ces in Helsinki, and in the nearby Russian cities of St. Petersburg and Petrozavodsk. The network received generous support as social and health issues have been priority areas de¿ned in Finland’s Strategy for Co-operation in its Neighbouring Areas. While initially a projectbased co-operation initiative, the network matured into a well-organized vehicle for the provision of social welfare and health services. In a way, the success of this network has been its partial undoing as current regulations governing Neighbouring Area Co-operation are to be used for a project based work only. This resulted in October 2007 in the termination of the network as an of¿cially supported project, however working relationships between several members of the network have proved durable. All in all, the presence of cross-border CSO networks appears to provide a favourable operating environment, even in conditions of ¿scal tightening and political adversity. CSO actors in Russia have mentioned that cross-border activities with their EU counterparts have allowed them to grow professionally and develop the skills to address serious local problems. Furthermore, CSO actors interviewed during the EUDIMENSIONS and HYRMY projects suggested that within networks, inexperienced organizations could mature acquire hands-on project management experience and accumulate knowledge that could increase their independence in future. Civil Society Identities and Consequences for Social Entrepreneurship We cannot provide unequivocal answers to questions of how CBC might promote entrepreneurial strategies for Russia’s emerging social economy. Initial assessments of the ¿nancial viability of social contracting with CSOs in Russia have been less than favourable due to a lack of cost-effectivenss, inef¿cient recruitment, strategic planning and poor management techniques (Struyk 2003). Our research indicates, furthermore, that while the notion of social economy is well understood by Russian CSOs, principles of entrepreneurship seem foreign to many of them. As a result, social entrepreneurship generally takes place at a very small scale, often in rural areas, where trade-based social enterprises use pro¿ts to bene¿t
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speci¿c social groups (e.g. homeless persons, the elderly, poor families, persons with disabilities and chronic diseases). Echoing Alapuro’s (2008) characterizations, Finnish CSOs are informed by a more universal philosophy of democratic representation and see their role based on general societal engagement and social justice. Russian civil society associations on the other hand tend to be more oriented to satisfying speci¿c group interests and care aspects of the social economy. Finnish CSOs thus behave as societal actors with wider social and political agendas that necessitate the generation of pro¿ts in order to achieve their objectives. Russian CSOs understand their grassroots agendas in less managerial and strategic terms. While this characterization is certainly oversimpli¿ed, it partly explains the aversion of many Russian CSOs to employing entrepreneurial strategies in order to enhance their sustainability. In terms of the contribution of CBC to the development of social entrepreneurialism, the most obvious area where this has taken place is that of business development. Detailed investigations into this realm of the emerging Russian social economy were beyond the scope of the research. However, it became evident from interviews with CSO representatives in Russia and Finland that business development services, microloan facilities and technology transfer appeared to be logical areas for social entrepreneurial development whereas social welfare provision was not. As mentioned above, CBC has also been a heavily subsidized affair, often precluding the generation of socially oriented pro¿ts as part of the conditionality of EU and Finnish government funding. 4
Conclusions
The social economy could represent an enormous playing ¿eld for civil society participation in the reconstitution of social and welfare policy in Russia (Anders 2010). In Russia, welfare reforms have dismantled the state’s public social welfare systems, decentralizing these to local governments at the same time that many aspects of care have been privatized. This has shifted the onus of responsibility to the local level and to families (see Kendell et al. 2000 and Struyk 2002). In a corresponding manner, since 1991 thousands of civil society organizations have emerged as self-help groups, support groups for disadvantaged and disabled persons and partners of local governments in the management and delivery of social services. In the short-term, cross-border co-operation between Finland and Russia has done much to alleviate social problems and connect citizens’ groups across a border that was once hermetically sealed. CBC has also helped construct a social economy in Russia under very dif¿cult conditions of economic, political
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and social change. As our research has indicated, however, direct civil society co-operation in the social economy is heavily dependent on external funding and subsidies. Its sustainability is unclear. By the same token, the clearest long-term contribution of cross-border cooperation to the evolution of Russia’s social economy has been that of reframing social welfare and regional development issues as important areas of civil society initiative. While operating conditions up to now have not directly favoured entrepreneurial strategies in the strictest sense, CBC has initiated partnerships between civil society and local communities in the provision of social services and governance of local problems. This is perhaps prescient in light of current trends towards the decentralisation and privatisation of public services in both Finland and Russia. While the market for private services has long since boomed in Russia, Finnish welfare policy has begun in recent years to reduce resources for public services – herewith silently ‘marketizing’ them (Julkunen 2001). As a consequence, the scope of many CSOs has been increased to include service provision – at least in areas where private entrepreneurship has not proved pro¿table. As a result of this tendency, CSOs working in this ¿eld can be seen as yet another way of becoming a part of the public sector, as an instrument to contractually outsource state policy. (Möttönen/Niemelä 2005: 18-19). To conclude, then, potential exists for horizontal, non-hierarchical institutional learning that involves motivated sectors of the population and strengthens their social impact locally and regionally (Demidov/Laine 2011, Nielsen/Berg/ Roll 2009, Raik 2006). Creating a critical mass of CSO ‘infrastructure’ could, furthermore, help local communities and groups deal more effectively with changing economic and social conditions as well as adapt to shifts in public policy that target social welfare. However, in peripheral border regions with limited prospects for short-term ‘return’ on social investment, multiple support mechanisms are needed in order to nurture such adaptive processes. Such support structures could promote collaborative forms of policy formulation and delivery based on partnerships involving the state, the private sector, foundations as well as civil society at large. Literature Ahponen, P./Jukarainen, P. (eds.) (2000): Tearing Down the Curtain, Opening the Gates. Northern Boundaries in Change. SoPhi 54. Jyväskylä, Finland: University of Jyväskylä Alapuro, R. (2008): Russian and Estonian Civil Society Discourses Compared. In: White (2008): 72-91
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Teil 3: Social Entrepreneurship – Innovative Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen
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Soziale Innovationen, Social Entrepreneurs und Raumbezüge Gabriela B. Christmann
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Einleitung
Es gibt bekanntlich keine einheitliche De¿nition für Social Entrepreneurs (vgl. Martin 2004: 16). Der kleinste gemeinsame Nenner im Spektrum der De¿nitionsversuche lautet, dass Social Entrepreneurs mit einem unternehmerischen Ansatz sozialinnovative Lösungsansätze für soziale Probleme entwickeln und implementieren. Im Hintergrund dieses Handelns steht keine Gewinnorientierung, sondern die Schaffung eines sozialen Mehrwertes (vgl. Achleitner 2007: 7, Gergs 2007, vgl. ferner Jähnke/Christmann/Balgar in diesem Band). Grundsätzlich kann in der Literatur zwischen dem Individuum und dem Kontext zentrierten Ansatz unterschieden werden (Martin 2004: 18, Light 2008: 3). Der Individuum zentrierte Ansatz ist noch immer stark verbreitet, nicht zuletzt weil er von dem Begründer der Ashoka-Stiftung zur Förderung von Social Entrepreneurs, Bill Drayton, in hohem Maße propagiert wird. Ein breiter Konsens besteht in der Forschungsliteratur zu Social Entrepreneurs darin, dass es in erster Linie die hinter einem Projekt stehende Person ist, von der der Erfolg einer Maßnahme ausgeht (vgl. Bornstein 2005, Achleitner et al. 2007: 5). Entsprechend werden Social Entrepreneurs als charismatische Unternehmerpersönlichkeiten beschrieben, die auf der Grundlage einer bestimmten Wertestruktur unermüdlich eine Mission verfolgen, nämlich die, im Sinne des Gemeinwohls nachhaltig angelegte Lösungen für soziale Problemlagen zu ¿nden und durchzusetzen. Um ihre Ziele erreichen zu können, nehmen sie Risiken auf sich. Sie wissen außerdem, alle denkbaren Gelegenheiten für ihre Ziele zu nutzen (vgl. Dees 2001: 4, vgl. ferner Martin 2004: 18 ff.). Demgegenüber werden im Zusammenhang mit der Kontext bezogenen Perspektive die gesellschaftlichen Kontextbedingungen und vor allem die Organisations- und Förderstrukturen analysiert, im Rahmen derer Social Entrepreneurs bei der Umsetzung ihrer sozialen Projekte operieren (vgl. ebd.: 21 ff.). Martin (ebd.: 24 f.) vertritt die Auffassung, dass künftig beide Ansätze systematisch miteinander verschränkt werden sollten: Die Persönlichkeitsmerkmale P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_16, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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des Unternehmertyps sollten ebenso betrachtet werden wie die Frage, welche Rahmenbedingungen sich förderlich im Hinblick auf das sozialinnovative Handeln auswirken. Für ihn steht fest: „Of course, social entrepreneurs cannot implement alone. The social entrepreneur is part of some social system.” (ebd. 2004: 28) Martin plädiert deshalb dafür, Social Entrepreneurs nicht ausschließlich als neue Ideen entwickelnde soziale Innovatoren zu betrachten. Zur Kategorie der Social Entrepreneurs sollten vielmehr auch Personen gezählt werden, die neue Ideen aufgreifen und zusammen mit anderen an der Implementierung derselben arbeiten. Light (2008: 12), der diese Auffassung teilt, weist nachdrücklich darauf hin, dass sich die sozialinnovative Tätigkeit von Social Entrepreneurs oft im Kontext von kleinen Gruppen bzw. Teams, Organisationen, Netzwerken oder Praktikgemeinschaften vollzieht und dass dieser Umstand systematischer bedacht werden müsse. Mit diesen Positionen, die – wie sich im Folgenden noch zeigen wird – durchaus dem Stand der neueren sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung gerecht werden, be¿nden sich Martin und Light jedoch in der Literatur zur Social Entrepreneurs in der Minderheit, wie Light (ebd.: 13) selbst bemerkt. Ein wichtiger Bestandteil in De¿nitionen von Social Entrepreneurs ist also wie gesagt, dass diese Akteure soziale Innovationen generieren und implementieren. Doch was kann man unter einer sozialen Innovation verstehen? Obwohl dieser Begriff in der Literatur zu Social Entrepreneurs von elementarer Bedeutung ist, wird er in aller Regel nicht geklärt. Generell lässt sich feststellen, dass im Bereich der Social Entrepreneurforschung auch keine systematische Verbindung zur sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung hergestellt wird. Im Folgenden soll daher zunächst der Frage nachgegangen werden, wie das Phänomen ‚soziale Innovation‘ begrifÀich-konzeptionell gefasst werden kann, bzw. welche De¿nitionsversuche dazu bislang vorgelegt worden sind (Kapitel 2). Danach soll die zeitliche und soziale Struktur von (sozialen) Innovationsprozessen in den Blick genommen werden. Hier wird deutlich werden, dass Innovationen keine Akte solitärer Subjekte sind, sondern dass soziale Netzwerke und Praktikgemeinschaften eine zentrale Rolle bei der Entwicklung innovativer Ideen spielen (Kapitel 3). Die Ideen allein machen jedoch noch keine Innovation aus. Daher gilt es, die Bedingungen zu untersuchen, unter denen Ideen aufgegriffen und nachhaltig in ein Handeln bzw. in bestimmte soziale Praktiken umgesetzt werden können. In diesem Zusammenhang sind kommunikative Vorgänge in sozialen Netzwerken wie auch massenmediale Kommunikationen von Bedeutung (Kapitel 4). Besonders soll sodann auf die räumlichen Kontexte von sozialen Innovationen hingewiesen werden (Kapitel 5). Ein Fazit, das Forschungsdesiderate der bisherigen Social Entrepreneur-Forschung benennt, rundet den Beitrag ab (Kapitel 6).
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Was ist sind soziale Innovationen? Diskussion bisheriger De¿nitionsversuche
Der Gegenstand ‚soziale Innovation‘ hat im Unterschied zu technischen bzw. ökonomischen Innovationen bislang nur wenig gesellschaftliche Beachtung gefunden und auch in der Forschung nur eine geringe Aufmerksamkeit erfahren (vgl. Gillwald 2000: 1). Und dies, obwohl soziale Innovationen häu¿g eng mit technischen oder ökonomischen Innovationen zusammenhängen, bzw. untrennbar mit diesen verbunden sind. Zapf (1989: 177) hat schon früh darauf hingewiesen, dass „soziale Innovationen (…) Voraussetzungen, Begleitumstände oder Folgen technischer Innovation“ sind. Vielleicht liegt es aber gerade an dieser engen Verwobenheit von technologischen und sozialen Innovationen, dass sich der Typus der sozialen Innovation – zumindest bis vor Kurzem – nicht als ein eigenständiges Forschungsfeld durchsetzen konnte. Als einen anderen Grund für die geringe Beachtung von sozialen Innovationen hält Rammert (2010: 21) fest, dass technische Innovationen oft in materiellen Artefakten und damit mehr oder weniger anschaulich und mit den Sinnen erfassbar vorliegen, während sich soziale Innovationen in wesentlich abstrakteren Formen manifestieren: „Der ‚technische Fortschritt’ kann in den Vitrinen der Museen als aufsteigende Reihen aus vielen harten Artefakten besichtigt, ja sogar angefasst werden. Da haben es die kulturellen und sozialen Errungenschaften viel schwerer: Sie sind häu¿g nur in Schriftstücken festgehalten, wie bei Sozialreformen oder geistigen Reformationen, oder sie sind in sozialen Gebilden verkörpert, wie beim Kindergarten oder Aktienunternehmen, deren Deutung als soziale Neuerung einen höheren Aufwand an Vermittlung und Vorwissen verlangt.“
In jedem Falle lassen sich soziale Innovation – und dies dürfte ein weiterer Aspekt sein – nicht so einfach patentieren oder verkaufen wie zum Beispiel technische Innovationen (vgl. Braun-Thürmann/John 2010: 54). Sieht man von den wenigen Autoren ab, die auf das Phänomen der ‚sozialen Innovation‘ früh hingewiesen und begrifÀiche Fassungen vorgeschlagen haben (vgl. dazu Ogburn 1969, Zapf 1989), sind erst in jüngster Zeit Arbeiten entstanden, die sich systematisch mit dem Gegenstand der sozialen Innovation befassen (vgl. Howaldt/Schwarz 2010, Howaldt/Jacobsen 2010). Darunter be¿nden sich im Übrigen auch solche, die sich auf Prozesse der Raumentwicklung beziehen und vor allem auf neue Governance-Formen für die Bearbeitung sozialer Probleme in Städten und Regionen hinweisen (vgl. Ibert 2003, Drewe et al. 2008, Moulaert et al. 2005, MacCallum/Moulaert et al. 2009). Auch in der Literatur zu Social
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Entrepreneurs wird regelmäßig darauf verwiesen, dass diese Akteure soziale Innovationen aktiv vorantreiben. Raumbezüge und Raumwirksamkeiten ihres Handelns werden hier allerdings nicht reÀektiert. Angesichts verschiedenster sozialer Problemlagen, die zum Beispiel mit Globalisierungsprozessen, dem demographischen Wandel oder wiederkehrenden Finanzkrisen einhergehen und zu einer Verschärfung von Erosionsprozessen im sozialen Sicherungssystem, von sozialen Ungleichheiten und von räumlichen Disparitäten führen werden, dürfte sich indes die wissenschaftliche wie auch die öffentliche Aufmerksamkeit für soziale Innovationen erhöhen. Hinweise darauf sind die zahlreichen Gründungen von Zentren zur Förderung von Social Entrepreneurs bzw. von sozialen Innovationen (einschließlich der Förderung einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit für entsprechende Aktivitäten)1 sowie von Instituten zur Erforschung von sozialen Innovationen.2 Doch was sind nun soziale Innovationen? Ähnlich wie auch technische oder verfahrensbezogene Innovationen zeichnen sich soziale Neuerungen dadurch aus, dass sie – meist vor dem Hintergrund individueller oder kollektiver Unzufriedenheit mit dem Bestehenden – von früheren Regelungen abweichen und Verfahren anbieten, die Bedürfnisse besser befriedigen als die bisherigen. Zapf (1989: 177) hat vor diesem Hintergrund folgende De¿nition vorgeschlagen: „Soziale Innovationen sind neue Wege, Ziele zu erreichen, insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen, neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern, Probleme besser lösen als frühere Praktiken, und die deshalb wert sind, nachgeahmt und institutionalisiert zu werden.“
Soziale Innovationen beziehen sich danach auf verschiedene soziale Praktiken in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen angefangen von der Bürgergesellschaft (vgl. Henderson 1993) über die Wirtschaft bis hin zum Staat (Naschold
1
2
Vgl. z. B. die „Ashoka-Stiftung“ weltweit, als erste große Organisation zur Förderung von Social Entrepreneurs, seit 2003 auch in Deutschland mit Sitz in Frankfurt a. M., die „Schwab Foundation for Social Entrepreneurship“ mit Sitz in Cologny-Geneva in der Schweiz, das „Zentrum für soziale Innovationen“ in Wien, das „Institut für Sozialinnovationen“ in Berlin oder das „Institut für soziale Innovationen“ in Solingen, wobei das Solinger Institut einen Schwerpunkt auf die Beratung von kommunalen, sozialen und kirchlichen Einrichtungen gelegt hat. Vgl. z. B. „The Center for Social Innovation“, Stanford University, das „Centre de recherche sur les innovations sociales“, zu dem sich in Kanada sieben Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben, oder das „Skoll Center for Social Entrepreneurship“ an der Saïd Business School in Oxford.
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et al. 1998).3 Gleichzeitig deutet Zapf an, dass sich die Praktiken institutionalisieren müssen, um als soziale Innovationen gelten zu dürfen, und sie müssen ‚bessere‘ Problemlösungen anbieten als die bisherigen. Was Zapf nicht klärt, ist die Frage, wie das Neue, das bislang nicht Dagewesene de¿niert werden kann. Neu heißt ‚anders als bisher’ und meint die Abweichung von Gewohntem. Aber wie viel ‚besser‘ muss die neue Lösung sein, in welchem Ausmaß muss die neue Handlungsweise im Vergleich zu der vorangegangenen verändert, wie weit muss sie verbreitet und wie fest muss sie etabliert sein, um als soziale Innovation gelten zu können (vgl. Gillwald 2000: 8, Johannessen et al. 2001)? Grundsätzlich ist diese Frage schwer zu beantworten. Zu bedenken ist dabei, dass soziale Abweichungen immer eine gewisse Anschlussfähigkeit an etwas Bekanntes brauchen, um überhaupt Akzeptanz ¿nden zu können. Gerade soziale Innovationen nehmen daher stärker als technische Innovationen Bezug auf frühere Praktiken und kombinieren bereits bekannte Elemente. Hier sind die Spielräume größer als bei technischen Innovationen, deren Neuartigkeit in Form von Patentanmeldung und Urheberrechten nachgewiesen werden können bzw. müssen. Auch wenn eine gewisse Neuheit unabdingbar für eine soziale Innovation ist, dürften hier Wiederentdeckungen, neuartige Kombinationen von etwas bereits Bekanntem oder aber Übertragungen auf neue Kontexte, darunter auch auf neue räumliche Kontexte, eine Rolle spielen (vgl. Gillwald 2000: 10 f., Bechmann/Grunwald 1998: 1). Die Neuheit dieser Innovationen ist daher eine „relative Neuheit“ (vgl. Gillwald 2000: 11). Um dem Problem aus dem Weg zu gehen, die Neuheit einer sozialen Innovation auf der Sachebene de¿nieren zu müssen, schlägt Braun-Thürmann (2005: 6) eine ganz andere De¿nition vor, die einen wichtigen Gedanken enthält. Wenn er schreibt, „(als) Innovationen werden materielle und symbolische Artefakte bezeichnet, welche Beobachterinnen und Beobachter als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben“,
weist er richtigerweise auf den Umstand hin, dass die Frage, ob etwas als neu gelten kann oder nicht, letztlich eine Frage der kollektiven Wahrnehmung in einer Gesellschaft ist. Eine (soziale) Innovation wird damit als eine soziale Konstruktion aufgefasst. 3
Gillwald (2000: 1) nennt aus dem Bereich der Bürgergesellschaft die Umweltbewegung und die nicht-eheliche Lebensgemeinschaft als soziale Innovationen, im Wirtschaftsbereich weist sie auf die Fließbandarbeit oder Fast-Food-Ketten hin, und für den Bereich des Staates führt sie die Einführung der Sozialversicherung (insbesondere die Bismarcksche Gesetzgebung zur Sozialversicherung) und die Gebietsreform an. Soziale Innovationen können damit in Form von Reformen von oben, als auch in Form von Revolutionen von unten entwickelt werden.
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Auch Rammert (2010: 45, Hervorh. im Orig.) nimmt diesen Gedanken zur Grundlage, geht dann aber darüber hinaus, indem er Kernelemente aus den De¿nitionen von Zapf und Braun-Thürmann verbindet und außerdem noch um eine zeitliche wie auch um eine soziale Dimension erweitert: „Neuerungen sollen alle Variationen heißen, die sich zeitlich von vorherigen Varianten absetzen und so auch auf der semantischen Ebene als neu de¿niert werden, die sich sachlich als Modi¿kation eines oder mehrerer Elemente oder ihrer Kombination als andere und vorher unbekannte fremde Art entwickeln oder hergestellt werden, und die sozial als relevante Abweichung von der Normalität nach KonÀikten zwischen interessierten Gruppierungen als Verbesserung akzeptiert und als neue Normalität in die institutionellen Regeln eingebaut werden oder sie gar transformieren.“
Howaldt/Schwarz (2010: 54 f.) bauen – wie sich im Folgenden zeigen wird – auf den Errungenschaften dieser De¿nitionen auf. Ihre originäre Leistung besteht darin, vor einer Gleichsetzung von sozialen Innovationen und von sozialem Wandel zu warnen. In ihrer De¿nition sind sie bemüht, die beiden Phänomene voneinander abzugrenzen: „Eine soziale Innovation ist eine von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukombination bzw. Neukon¿guration sozialer Praktiken in bestimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem Ziel, Probleme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf der Grundlage etablierter Praktiken möglich ist. Es handelt sich dann und insoweit um eine soziale Innovation, wenn sie – marktvermittelt oder ‚non- bzw. without-pro¿t’ – sozial akzeptiert wird und breit in die Gesellschaft bzw. bestimmte gesellschaftliche Teilbereich diffundiert, dabei kontextabhängig transformiert und schließlich als neue soziale Praktiken institutionalisiert bzw. zur Routine wird.“
Im Unterschied zu einem in komplexen sozialen Dynamiken sich unintendiert vollziehenden sozialen Wandel sind somit soziale Innovationen als hochgradig intentional angelegte und in koordinierter Weise vollzogene Änderungen in den sozialen Regelungen, Praktiken etc. zu verstehen. Grundsätzlich ist gemäß Howaldt/Schwarz (2010: 10) im Feld sozialer Innovationen außerdem zu unterscheiden zwischen Neukon¿gurationen von nichtnormativ angelegten sozialen Praktiken (wie z. B. der Etablierung nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften) und von wertbezogenen, an gesellschaftlich hoch bewerteten Zielen bzw. am Gemeinwohl ausgerichteten sozialen Praktiken (wie z. B. die Eröffnung von Zukunftsperspektiven für arbeitslose Jugendliche in peripherisierten Regionen). Im letzteren Bereich operieren – nach ihrem eigenen Verständnis – Social Entrepreneurs, wobei die Wirkungen ihres Handelns nicht nur auf diesen
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Bereich begrenzt bleiben werden, sondern vermutlich auch ‚soziale‘ Praktiken im weiten Begriffsverständnis beeinÀussen. Gillwald (2000: 42) gesteht sozialen Innovationen grundsätzlich zu, dass sie in einem gesellschaftlich hoch bewerteten Bereich einen gesellschaftlichen Nutzen erbringen. Dieser Nutzen könne sozialer, ökonomischer, politischer, kultureller oder auch ökologischer Art sein. Während bei technischen Innovationen wirtschaftlicher Pro¿t im Vordergrund stehe, zielten soziale Innovationen in erster Linie auf einen sozialen Mehrwert (vgl. Zapf 1989: 175 u. 180). Kritisch ist jedoch anzumerken, dass der Nutzen von sozialen Innovationen nicht für alle gesellschaftlichen Gruppen positiv sein muss. Es ist grundsätzlich denkbar, dass es Gewinner- und Verlierergruppen gibt. Soziale Innovationen können Nebenfolgen aufweisen, die positiver oder negativer Art sein können. Damit sind sie nicht wie vielfach angenommen – und wie in der Social Entrepreneur-Literatur regelmäßig unterstellt – per se positiv (vgl. auch Howaldt/Schwarz 2010: 55). Es wäre also zu einfach, wenn man annehmen würde, dass mit sozialen Innovationen Probleme gelöst, KonÀikte beigelegt und Krisen überwunden werden. Es können vielmehr neue KonÀikte heraufbeschwört bzw. Probleme geschaffen werden. Schon Schumpeter hat auf die ‚schöpferische Zerstörung‘ als Paradox von Innovationen hingewiesen. Innovationen zerstören, ersetzen oder verdrängen bis dahin gültige Traditionen bzw. Praktiken (vgl. Neuloh 1977: 27, Gillwald 2000: 19). In jedem Fall tragen sie jedoch zu einem wie auch immer gearteten sozialen Wandel bei, bzw. ändern die Richtung des sozialen Wandels (vgl. Zapf 1989: 177). 3
Über die Zeitstruktur und den sozialen Prozess von (sozialen) Innovationen
Zunächst gilt ganz allgemein, dass Innovationen als ein Produkt ihrer Zeit zu sehen sind. Jede Epoche mit ihren spezi¿schen sozio-historischen Bedingungen bringt ihre je eigenen (sozialen) Innovationen hervor. Entscheidend ist, dass sich Innovationen von den eher temporär angelegten ‚Modeerscheinungen‘ abgrenzen müssen, um als solche gelten zu dürfen. Neue soziale Praktiken müssen eine gewisse Dauerhaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit aufweisen (vgl. Gillwald 2000: 41). Eine Paradoxie liegt darin, dass sich die soziale Innovation mit zunehmender Stabilität gleichzeitig ‚abnutzt‘.
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„Mit der Durchsetzung rückt das Neue (…) in die etablierte Ordnung auf und verliert damit den Nimbus des Innovativen. Indem es sich in den gesellschaftlich etablierten Bestand einschreibt, ist es künftigen Innovationen im Überbietungs- und Verdrängungswettbewerb ausgesetzt.“ (Häussling 2007: 370, vgl. auch Howaldt/ Schwarz 2010: 66 f.)
Abgesehen davon unterliegen Innovationen Abläufen, die üblicherweise in folgende Phasen unterteilt werden: die Phase der ‚Invention‘, die der eigentlichen ‚Innovation‘ und die der ‚Diffusion‘. Die Invention besteht in der zugrundeliegenden Er¿ndung oder Entdeckung. Die Innovation meint den Markteintritt des zur Marktreife gelangten Produkts, die jedoch noch nicht den Abschluss des Prozesses darstellt. Vielmehr ist außerdem eine Verbreitung des Neuen vonnöten (vgl. Gillwald 2000: 31) Soziale Innovationen scheinen diesem Ablaufmodell nicht gleichermaßen zu entsprechen wie technische. Sie unterscheiden sich von ihnen darin, dass sich ihre Neuerungen nicht auf einen ‚Markt‘ im engen Sinn beziehen und dass sie entsprechend auch keinen ‚Markt‘-Eintritt haben. „Sie müssen aber, was einem Markteintritt ungefähr entspricht, in alltägliche Verhaltenszusammenhänge eingeführt werden“ (Gillwald 2000: 32, vgl. auch Neuloh 1977: 22). Während technische Innovationen bereits mit ihrem Markteintritt als Innovationen gelten dürfen („Innovation vor Diffusion“), ist dies bei sozialen Innovationen erst durch die Verbreitung der neuen Handlungsweisen der Fall („Innovation nach Diffusion“) (vgl. Gillwald 2000: 37). Problematisch an dem Phasenmodell ist zudem ganz grundsätzlich, dass Innovationsprozesse oft nicht geradlinig verlaufen. Selbst wenn bereits an der Umsetzung einer Idee gearbeitet wird, kann dies zu Rückkopplungen führen. So können etwa aus der Erfahrung mit Umsetzungsproblemen im Trial-and-ErrorVerfahren neue bzw. bessere Ideen entwickelt werden. In der Realität erweisen sich somit Innovationsverläufe als interaktive und kooperative Prozesse. Interessant ist daher das Konzept von Walz (1975), in dem die oben genannten Phasen umbenannt worden sind. Walz bezeichnet die Invention als „Entdeckung und neue Idee“, die Innovation als eine „Reifezeit“, die dazu dient, Ideen brauchbar zu machen, und die Diffusion als Phase der „Ausbreitung“. Besonders hebt er die Bedeutung der Reifezeit hervor, und er fragt, welches die Faktoren sind, die die Reifezeit verlängern oder aber verkürzen. In dieser Reifezeit sind oft mehrere Akteure beteiligt. Heute geht man in der Innovationsforschung davon aus, dass es nicht einsame Akteure sind, die Innovationsprozesse initiieren und voranbringen, sondern dass sich Innovationen im Rahmen sozialer Interaktionen und in aufeinander bezogenen Handlungsketten
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verschiedenster Akteure vollziehen. Innovationen – soziale Innovationen dürften dabei keine Ausnahme bilden – werden also in komplexen sozialen Prozessen generiert. Besonders werden soziale Netzwerke als wichtiger Faktor in Innovationsprozessen betrachtet (vgl. Ibert 2003: 93 ff., Braun-Thürmann 2005: 66 ff., Blättel-Mink 2006: 133 ff., Fliaster 2007, Howaldt/Schwarz 2010: 16). Die De¿nitionen von Innovationsnetzwerken fallen dabei recht unterschiedlich aus. Weyer (1997: 64) de¿niert in diesem Zusammenhang ein soziales Netzwerk als „1. eine relativ dauerhafte, informelle, 2. personengebundene, vertrauensvolle, 3. reziproke, exklusive Interaktionsbeziehung, 4. heterogener, autonomer, 5. strategiefähiger, 6. aber interdependenter Akteure, 7. die freiwillig kooperieren, um einen SurplusEffekt zu erzielen 8. und daher ihre Handlungsprogramme koppeln.“
Auf den Faktor der Heterogenität ist hier besonders hinzuweisen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es vor allem Netzwerke mit Mitgliedern unterschiedlicher soziokultureller Herkunft mit diversen Wissensformen und Kompetenzen sind, die die Generierung neuer Ideen möglich machen (vgl. Ibert 2003: 93). „In der Gruppe werden die heterogenen Konzepte, Vorstellungen, Kompetenzen und Strategien der Teilnehmer so lange kombiniert und restrukturiert, bis alle der Meinung sind, das daraus ‚zusammengeÀickte’ Produkt könnte bestehen. Das Ergebnis einer ‚Bricolage’ ist oftmals etwas Neues, von dessen Möglichkeiten vorher kein Einzelner in der Runde etwas geahnt hat.“
Braun-Thürmann (2005: 65) schlägt eine Unterscheidung zwischen sozialen Netzwerken und Praktikgemeinschaften (Communities of Practice) vor. Netzwerke werden danach auf der Makroebene verortet und als formell organisierte BeziehungsgeÀechte zwischen verschiedenen Organisationen verstanden, z. B. in Form von Unternehmensnetzwerken zur Bündelung von Ressourcen, angefangen von strategischen Netzwerken bis hin zu regionalen Innovationssystemen (vgl. dazu Fichter 2005). Auch gesellschaftlich-technologische Netzwerke werden hinzugezählt. Hierbei handelt es sich gemäß Braun-Thürmann – im Sinne der ActorNetwork-Theorie – um einen Verbund von Personen und Artefakten, d. h. also von personalen und gegenständlichen Aktanden, die gleichermaßen an der Generierung von Innovationen mitwirken. Eine Praktikgemeinschaft sieht Braun-Thürmann demgegenüber auf der Mikroebene angesiedelt. Sie manifestieren sich in eher informell organisierten Projekttreffen bzw. Interaktionsbeziehungen zwischen Personen, die aus unterschiedlichen organisationellen und/oder nicht-organisationellen Kontexten stammen und sich für einen bestimmten Zeitraum zu einem bestehenden Problem und möglichen Lösungen austauschen (vgl. auch Lave/Wenger 1991: 89 ff., Wenger et al. 2002, Hippel 2006).
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„Während ein Projektteam zur Erfüllung einer spezi¿schen Aufgabe unter Zeit- und Kostenrestriktionen eingesetzt wird, arbeitet eine Praktikgemeinschaft unter wenig konkretisierten Zielvorgaben. Im Vordergrund steht der Austausch von Wissen und Ideen auf Grundlage der praktischen Erfahrungen mit einem konkreten Gegenstand.“ (Braun-Thürmann 2005: 86)
Wenger at al. (2002: 223 f.) betonen, dass sich Praktikgemeinschaften aus Fachleuten, interessierten Nutzern und – je nach den Problemlagen, die sie bearbeiten – sogar aus zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammensetzen können. Der zuletzt genannte Akteurstyp dürfte vor allem in Prozessen sozialer Innovationen eine Rolle spielen – nicht zuletzt in solchen, die eng mit Raumentwicklungsprozessen verbunden sind. Zum Beispiel wenn es darum geht, Jugendliche in Quartieren mit vielfältigen sozialen Problemlagen von der Straße zu holen und Alternativen zur Jugendgang zu bieten, zumal dies unterschiedliche Kompetenzen und Aktivitäten erfordert. 4
Die Verbreitung und Etablierung von (sozialen) Innovationen – personale Kommunikationen in sozialen Netzwerken und Medienkommunikationen
Es ist bereits gesagt worden, dass ein wesentliches Charakteristikum für eine (soziale) Innovation die Verbreitung der ihr zugrundeliegenden Idee ist. Außerdem geht es nicht nur um die Entwicklung eines neuartigen Konzepts, sondern auch um ein Tun, um eine verbreitete Anwendung in der Gesellschaft. Eine neue Lösung wird nur dann zu einer Innovation, wenn sie sich gegenüber einer bereits bestehenden durchsetzt. Die Durchsetzung von Innovationen ist jedoch oft schwierig. Es ist Konsens in der Forschungsliteratur, dass Innovationen anschlussfähig sein müssen, bzw. dass sie sich möglichst ‚problemarm‘ in die komplexen Zusammenhänge einfügen müssen, wenn sie erfolgreich verlaufen sollen. Selbst technische Innovationen sind darauf angewiesen, dass es passende Schnittstellen zu anderen Techniken gibt und dass die nötigen nicht-technischen Bedingungen erfüllt sind. Für soziale Innovationen gilt noch viel stärker, dass sie „Anschlusspunkte für die Einbettung in etablierte Institutionen und zur Befriedigung festgefügter Erwartungen enthalten“ (Braczyk 1995: 69). Dies kann nur erreicht werden, wenn eine breitere Öffentlichkeit Kenntnis von der Existenz der Idee erlangt, vor allem wenn in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein darüber hergestellt werden kann, dass die Idee als eine Innovation gelten darf und als etwas Besseres anzusehen ist. Einige Autoren messen daher
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Kommunikationen eine entscheidende Bedeutung bei, wenn es darum geht, neue Ideen in eine Diffusion überzuleiten und zu realisieren (vgl. Neuloh 1977: 21). Der Diffusionsforscher Rogers (2003: 5) schreibt dazu: „Diffusion is the process in which an innovation is communicated through certain channels over time among the members of a social system. It is a special type of communication, in that the messages are concerned with new ideas.”
Oder um mit Rammert (2010: 34) zu sprechen: Innovationen müssen zunächst als solche ausgewiesen, ‚markiert‘ bzw. ‚kommunikativ konstruiert‘ werden, bevor sie in das Bewusstsein von Individuen eingehen können. Erst auf dieser Basis kann sich eine innovative Idee in der sozialen Praktik weiter Kreise potenzieller Nutzer, Anwender bzw. Nachahmer etablieren und „auf der operativen Ebene kreativen Handelns und innovativer Performanz eine soziale und materiale Fundierung ¿nden“ (Rammert 2010: 35 f.). Aus der Netzwerkforschung ist bekannt, dass in dieser Hinsicht Kommunikationen in sozialen Netzwerken eine wichtige Funktion haben. Allerdings werden im Zusammenhang mit der Diffusion von neuen Ideen andere Netzwerkbegriffe zugrunde gelegt, als das im Kontext der Ideengenerierung der Fall ist. Häu¿g wird auf Granovetters (1982) Konzept zurückgegriffen, in dem persönliche Netzwerke mit ihren starken und schwachen Bindungen betrachtet werden. Vor allem bei Technologien wie dem Mobilfunk oder der Online-Kommunikation konnte gezeigt werden, dass deren Verbreitung ganz wesentlich durch interpersonale Kommunikationen in sozialen Netzwerken unterstützt worden ist (vgl. Schenk et al. 1997). Bei der Verbreitung sozialer Innovationen dürften Netzwerke aber vermutlich genauso von Bedeutung sein (Hinweise darauf liefert z. B. Jansen 2000). Je nach der sozialen Reichweite der Netze können bestimmte Ideen (wie z. B. die Zwischennutzung von städtischen Brachen) sogar Funktionsträger von kommunalen Verwaltungen oder staatlichen Institutionen erreichen, von diesen aufgegriffen und verbreitet werden. Im Hinblick auf die Verbreitung innovativer Ideen ist neben der Betrachtung personaler Kommunikationen in sozialen Netzwerken der EinÀuss zu berücksichtigen, der von massenmedialen Kommunikationen ausgeht. Darüber ist bislang nur wenig nachgedacht worden. Vorreiter im deutschen Sprachraum sind die Kommunikationswissenschaftler Mast und Zerfaß (2005), die mit ihren Beiträgen im „Handbuch der Innovationskommunikation“ Kommunikationsstrategien für die Generierung und Verbreitung ökonomischer Innovationen in Unternehmen vorschlagen.
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„Erfolgreiche Innovationskommunikation setzt auf den frühzeitigen Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu allen situativ betroffenen Stakeholdern und den integrierten, konsequent auf die Unternehmens- und Innovationsstrategie ausgerichteten Einsatz von Maßnahmen der internen Innovationskommunikation, des Innovationsmarketings und der Innovations-PR.“ (Zerfaß 2005: 27 f.)
So könnten für potenzielle Anwender bzw. Nutzer, sofern für diese der Nutzen einer innovativen Idee bzw. eines Produktes noch nicht unmittelbar erkennbar ist, Einsatzfelder und Anwendungsbeispiele der Innovation anschaulich vor Augen geführt werden. In jedem Falle können aber – und dies ist vermutlich besonders für soziale Innovationen relevant – durch eine breite öffentliche Kommunikation Bekanntheit erzielt, Widerstände abgebaut und die gesellschaftliche Akzeptanz für bestimmte Praktiken erhöht werden. Neben einer Etablierung von PR-Spezialisten für die Innovationskommunikation wird von den Autoren auch die Einrichtung eines Innovationsjournalismus gefordert. Dies wäre gerade für Social Entrepreneurs von Bedeutung, die mit den von ihnen angestoßenen sozialen Innovationsprozessen zumindest im deutschsprachigen Raum nur eine ausgesprochen kleine Öffentlichkeit gefunden haben. Künftig wird dem Gedanken mehr Rechnung zu tragen sein, dass nicht nur an der Entwicklung von innovativen Ideen, sondern auch an der Implementierung von Innovationen heterogene Akteure beteiligt sind, die koordinierend, kooperierend und aushandelnd in die Prozesse eingreifen. Braczyk (1995: 70) hat vor diesem Hintergrund einen Ansatz entwickelt, der den Modus der Aushandlung und Vereinbarung als „diskursive Koordinierung“ fasst und danach fragt, wie durch die Abstimmung von Handlungen zwischen Personen und Organisationen, die sich fachlich und funktional differenzierten Aufgaben zuwenden, institutionelle Voraussetzungen für das Hervorbringen und die soziale Einbettung von technischen Innovationen entstehen. Ziel des Autors ist es zu untersuchen, inwiefern in Innovationsprozessen diskursive Koordinierungen bereits gezielt eingesetzt werden und welches Potenzial sie bergen, um Innovationen zu ermöglichen (vgl. Braczyk 1995: 71). Auf diese Weise sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie die ‚Anschlussfähigkeit‘ für soziale Innovationen hergestellt werden kann. 5
Über den räumlichen Kontext von Innovationen
Innovationen entstehen auch nicht einfach im luftleeren Raum. Sie kommen nur durch das Handeln von Akteuren in einem bestimmten Umfeld bzw. Kontext zustande. Neuloh hat zu recht drauf hingewiesen, dass für die Erklärung sozialer Innovationen zwei übergeordnete Modelle in Betracht zu ziehen sind:
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„ein zeitlich orientiertes, das die Diffusion als Zeitreihe darstellt, und ein eher räumlich orientiertes. Soziale Innovationen sind in besonderem Maße an bestimmte historischpolitische Konstellationen gebunden, mit denen sie in einer Wechselwirkung stehen. Das gilt auch für die sozioökonomischen Grundlagen und für das Situationsgefüge, in dem Innovatoren in und Bezugsgruppen aufeinander angewiesen sind“ (Neuloh 1977: 23, eigene Hervorh.).
Bei der Analyse von Innovationsprozessen müssen somit auch die sozialräumlichen Umfeldbedingungen sozialinnovativen Handelns in den Blick genommen werden (vgl. Neuloh 1977: 23). Entscheidend für die Entwicklung einer innovativen Idee sind oft lokale oder regionale Problemlagen, die gewissermaßen den Impuls dafür geben, nach Lösungsansätzen zu suchen. Dies gilt beispielsweise für die Social Entrepreneurs, die mit ihren Konzepten auf spezi¿sche Probleme in strukturschwachen Regionen antworteten (vgl. Kunz und Dullinger sowie Christmann/Jähnke in diesem Band). Auch bei der Implementierung von innovativen Lösungsansätzen spielt das sozialräumliche Umfeld potenzieller Innovatoren mit den dort vorhandenen politischen, ökonomischen und rechtlichen Rahmenbindungen, den Machtverhältnissen, den vorherrschenden Wissenssystemen, kulturellen Praktiken, Mentalitäten und Traditionen eine wichtige Rolle. Hinzuzuzählen sind hier die Quali¿kationen und Wissenspotenziale der beteiligten Personen im räumlichen Umfeld, die Kooperationsmöglichkeiten mit anderen und die Unterstützungsleistungen durch lokale Behörden (vgl. Luchte 2005: 25 f.). Diese Rahmenbedingungen sind es oft, die darüber entscheiden, ob die neuen Ideen realisiert werden können, um dann von dort aus als ‚Pilotprojekte‘ den Weg für eine weitere räumliche Verbreitung anzutreten. Insgesamt können sich also sozialräumliche Faktoren ganz wesentlich auf die Entstehung und Verbreitung von sozialen Innovationen auswirken. Sofern soziale Innovationen vor Ort eine Realisierung erfahren haben, können sie umgekehrt ihrerseits Impulse für die sozialräumliche Entwicklung geben. Bei technologischen und ökonomischen Innovationen ist man sich schon lange dessen bewusst, dass diese auf die räumliche Entwicklung vor Ort eine positive Wirkung im Sinne von Wirtschaftswachstum, Image und positiver Identi¿kation seitens der Bürger haben können. Nicht umsonst setzen Akteure verschiedener Regionen alles daran, die Ansiedlung innovativer Unternehmen zu bewerkstelligen. Dieses Bewusstsein hat sich im Bereich von sozialen Innovationen noch nicht entwickelt. Wenn beispielsweise arbeitslose Jugendliche in peripherisierten Regionen Brandenburgs, um nur ein Beispiel zu nennen (vgl. dazu Kunz in diesem Band), von professioneller Hand dazu befähigt werden, ihre unternehmerische Idee erfolgreich umzusetzen, kann dies in strukturschwachen und vom demographischen Wandel gezeichneten Regionen gerade bei Jugendlichen Mut machen zu bleiben,
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statt abzuwandern. Der soziale Mehrwert, der durch derartige soziale Projekte entsteht, geht jedenfalls über die persönliche Erfolgsgeschichte der Jungunternehmer hinaus und müsste im Interesse von Akteuren stehen, die an den Prozessen der Regionalentwicklung beteiligt sind. 6
Fazit: Desiderate im Bereich der Social Entrepreneur-Forschung
Insgesamt fällt auf, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung über Social Entrepreneurs in hohem Maße von Autoren geprägt wird, die entweder selbst als Social Entrepreneurs tätig sind oder aber im unmittelbaren Umfeld derselben wirken, etwa in den das Social Entrepreneurship unterstützenden Instituten (vgl. auch Balgar in diesem Band). Diese Autoren identi¿zieren sich mit dem Anspruch des sozialinnovativen Handelns. Sie teilen mit den Social Entrepreneurs das Ziel, normativ angelegte, am Gemeinwohl orientierte, innovative soziale Praktiken einzuführen bzw. zu propagieren, die Lösungen für soziale Problemlagen darstellen. Auch wenn – oder gerade weil – sie als Wissenschaftler stärker aus der betriebswirtschaftlichen Richtung stammen, fokussieren sie in besonderem Maße das Handeln der Unternehmerpersönlichkeit „Social Entrepreneur” (vgl. z. B. Mair et al. 2006a). Zwar wird stets der Anspruch des sozialinnovativen Handelns von Social Entrepreneurs betont. Eine systematische Einordnung in die Fachdiskussionen der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung erfolgt jedoch nicht. Dass speziell der Begriff der sozialen Innovation bislang in der Social Entrepreneur-Literatur nicht näher betrachtet worden ist, dürfte indes nicht überraschen, da dieses Forschungsfeld erst jetzt beginnt, sich zu entfalten. Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass es bei Autoren der Social Entrepreneur-Literatur gewisse Hemmnisse gibt, das Handeln von Social Entrepreneurs auf der gleichen Ebene wie andere soziale Innovationstätigkeiten gesellschaftlicher Akteure zu betrachten. Es wird befürchtet, dass der Begriff und das Konzept des Social Entrepreneurs an Kontur verliert, wenn er mit anderen sozialen Innovatoren und allgemeinen Innovationstätigkeiten gleichgesetzt werden würde. Lights (2008: 20) Position stellt in dieser Hinsicht eher eine Ausnahme dar. Zu Recht weist er auf die Vorteile hin, die bei einer Ausweitung der bisherigen Perspektive entstehen könnten:
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„The problem with my more inclusive de¿nition of social entrepreneurship4 is clear: suddenly, social entrepreneurship can be found almost everywhere. (…) Instead of searching for the proverbial needle in the haystack, my assumptions suggest that there are needles almost everywhere, thereby raising hopes that there are more social entrepreneurs that the ¿eld has yet to discover. Some of these entrepreneurs may need little more than a push to make the leap of faith into socially entrepreneurial activity. Others may need a more substantial boost in visibility and ¿nancial support to move through scale-up and sustained impact.”
Wenn sich die Forschungen zu Social Entrepreneurs von den normativ angelegten Motiven ihres Untersuchungsgegenstandes, dem Social Entrepreneur, lösen und sich auf Fragen der sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung einlassen könnten, würden sie viel gewinnen. Es könnte untersucht werden, ƒ
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inwiefern es Typen von sozialen Innovatoren bzw. sozialen Innovationen gibt, inwiefern sich Social Entrepreneurs von anderen sozialen Innovatoren unterscheiden und welche Implikationen dies für die Entwicklung und Umsetzung innovativer Ideen hat, inwiefern soziale Innovatoren in Netzwerke bzw. Praktikgemeinschaften eingebunden sind und welche Strukturen, Prozesse und Arbeitsweisen diesbezüglich ihre Arbeit befördern, inwiefern die soziale Anschlussfähigkeit von sozialen Innovationen durch Formen der Öffentlichkeitsarbeit und Medienkommunikation hergestellt werden kann, unter welchen sozialräumlichen Rahmenbedingungen sich die Entwicklung und Implementierung von sozialen Innovationen (z. B. von verschiedenen Social Entrepreneurs) vollziehen, welche förderlichen und welche hinderlichen Faktoren identi¿ziert werden können und welche Auswirkungen soziale Innovationen auf Prozesse der Raumentwicklung haben können.
Besonders durch die Einführung einer raumwissenschaftlichen Perspektive könnten Bedingungsfaktoren für die Entwicklung und Implementierung sozialinnovativer Ideen wesentlich umfassender und systematischer in den Blick genommen werden. Nicht zuletzt könnte die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, dass sozialinnovatives Handeln in Stadtquartieren, Städten oder Regionen mit sozialen 4
„But I also embraced a set of underlying assumptions that increased my de¿nition’s inclusiveness, most notably the notion that entrepreneurs do not always invent alone. Instead, social entrepreneurship can come from small groups or teams of individuals, from organizations, networks, or even communities that band together to create pattern-breaking change.” (Light 2008: 12)
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Problemlagen nicht nur Impulse für die Entschärfung sozialer Problemlagen und für die Entwicklung von Einzelpersönlichkeiten bzw. von Angehörigen bestimmter sozialer Schichten bietet, sondern auch Potenziale für die lokale bzw. regionale Entwicklung insgesamt birgt. Die Erkenntnisse, die auf der Basis einer raumbezogenen Forschungsperspektive gewonnen werden, können dazu beitragen, die Nachhaltigkeit sozialinnovativer Projekte zu erhöhen. Literatur Achleitner, A.-K./Pöllath, R./Stahl, E. (Hrsg.) (2007): Finanzierung von Sozialunternehmern. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag Achleitner, A.-K./Heister, P./Stahl, E. (2007): Social Entrepreneurship – Ein Überblick. In: Achleitner et al. (2007): 3-25 Bechmann, G./Grunwald, A. (1998): Was ist das Neue am Neuen, oder: wie innovativ ist Innovation? In: TA-Datenbank-Nachrichten 7, 1, 1998. 4-11 Blättel-Mink, B. (2006): Kompendium der Innovationsforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften Bornstein, D. (2005): Die Welt verändern. Social Entrepreneurs und die Kraft neuer Ideen. Stuttgart: Klett-Cotta Braczyk, H.-J. (1995): Technische und soziale Innovationen – ein wichtiger Zusammenhang. In: Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg: Jahrbuch 1994/95, Stuttgart: Selbstverlag. 66-85 Braun-Thürmann, H. (2005): Innovation. Bielefeld: transcript Braun-Thürmann, H./John, R. (2010): Innovation: Realisierung und Indikator des sozialen Wandels. In: Howaldt et al. (2010): 53-69 Dees, G. F. (2001): The Meaning of “Social Entrepreneurship”. The Fuqua School of Business. http://www.fuqua.duke.edu/centers/case/documents/dees_sedef.pdf. Letzter Zugriff: 20.11.2010 Drewe, P./Klein, J.-L./Hulsbergen, E. (Hrsg.) (2008): The Challenge of Social Innovation in Urban Revitalization. Amsterdam: Techne Press Fichter, K. (2005): Interpreneurship. Nachhaltigkeitsinnovationen in interaktiven Perspektiven eines vernetzenden Unternehmertums. Marburg: Metropolis-Verlag Fliaster, A. (2007): Innovationen in Netzwerken. Wie Humankapital und Sozialkapital zu kreativen Ideen führen. München/Mering: Rainer Hampp Verlag Gergs, H.-J. (2007): Vom Sozialmanagement zum Social Entrepreneurship – Sozialen Mehrwert schaffen durch unternehmerisches Denken und Handeln. In: König et al. (2007): 21-33 Gillwald, K. (2000): Konzepte sozialer Innovation. WZB Paper P00-519: Querschnittsgruppe Arbeit und Ökologie. http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2000/p00-519.pdf. Letzter Zugriff: 20.11.2010 Granovetter, M. S. (1982): The Strength of Weak Ties. A Network Theory Revisited. In: Marsden/Lin (1982): 105-130
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Gabriela B. Christmann
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Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung Beiträge von Social Entrepreneurs und ihren sozialen Netzwerken Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke
1
Einleitung: Quartiersentwicklung, Social Entrepreneurs und Raumpioniere
Sozial benachteiligte Stadtquartiere mit ihren vielfältigen Problemlagen stellen für die Stadtentwicklung eine große Herausforderung dar. Einerseits wird versucht, durch staatliche Interventionen im Rahmen von EU-, Bundes- und Landesprogrammen wie etwa dem der „Sozialen Stadt“, Problemlagen zu entschärfen und sozialräumliche Veränderungen anzuregen. Andererseits sind in den Quartieren gleichzeitig engagierte Menschen wie ‚Raumpioniere’, und darunter ‚Social Entrepreneurs’, tätig, die ihrerseits an sozialen Problemen arbeiten und sich für mehr Lebensqualität im Quartier einsetzen. Social Entrepreneurs sind Akteure, denen das Potenzial zugebilligt wird, gesellschaftlichen Herausforderungen mit der Entwicklung von nachhaltig angelegten innovativen Lösungsansätzen zu begegnen. Kennzeichnend ist dabei, dass sie soziale Innovationen mit unternehmerischen Mitteln voranbringen und neue Formen der ‚Sozialwirtschaft’ begründen (vgl. auch Jähnke/Christmann/Balgar in diesem Band). Sie schaffen sozialen Gewinn, der z. B. in der besseren Integration von Migranten, in größeren Chancen am Arbeitsmarkt oder etwa im Ausgleich von Benachteiligung im Bildungsbereich bestehen kann. Aufgrund ihrer Innovationstätigkeit im sozialen Bereich sind Social Entrepreneurs zunächst als ‚Social Pioneers’ anzusehen. Sofern sie mit ihren Ansätzen Innovationen vorschlagen, die gleichzeitig Raumwirksamkeit entfalten, werden Social Entrepreneurs im Rahmen dieses Beitrages als Raumpioniere verstanden. Die von der Ashoka-Organisation (vgl. Ashoka 2010) gekürten „Fellows” in Deutschland, Norbert Kunz und Franz Dullinger (vgl. die Beiträge in diesem Band), lassen mit ihren unternehmerischen Initiativen sozialräumliche Potenziale deutlich erkennen.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_17, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke
Der Begriff des Raumpioniers ist noch nicht endgültig de¿niert (vgl. z. B. bisher Matthiesen 2006; Lange/Matthiesen 2006) und soll im Rahmen der Forschung, die diesem Beitrag zugrunde liegt (s.u.) empirisch fundiert werden. Es wird hier unterstellt, dass ein entscheidendes Merkmal für Raumpioniere ist, dass sie sozialräumliche Transformationsprozesse aktiv voranbringen, im Hinblick auf den Raum in der Selbst- und Fremdwahrnehmung Bestehendes verändern, Neues einbringen, diesen neu nutzen bzw. denken, ggf. Visionen entwickeln, darüber kommunizieren bzw. andere Bürger zur Kommunikation darüber anregen. Dabei beeinÀussen oder provozieren sie auch die Raumdeutungen anderer Menschen. Sie treiben soziale, organisatorische oder infrastrukturelle Transformationen lokal voran und entwickeln damit gleichzeitig Lösungsansätze für sozialräumliche Probleme. Oft werden Raumpioniere mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in Verbindung gebracht, die in ökonomisch (zeitweise) entwerteten Räumen Entfaltungs- bzw. Freiräume für eigene Lebensentwürfe sehen und neue Ideen entwickeln bzw. umsetzen.1 Hier wird der Begriff des Raumpioniers als Überbegriff verwendet und ausgeweitet auf Unternehmer, Selbstständige, darunter auch FreiberuÀer und Vertreter der Kreativwirtschaft (wie z. B. Journalisten, Künstler bzw. Kreative, die mit ihrer publizistischen Tätigkeit oder Kulturarbeit Räume neu besetzten), und eben Social Entrepreneurs, als sozialinnovative Unternehmer oder Vertreter von Organisationen in öffentlicher oder freier Trägerschaft. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die Frage, wie es Social Entrepreneurs in Großstadtquartieren im Umbruch gelingt, neue Lösungsansätze für soziale Problemlagen zu entwickeln, sie zu kommunizieren, gemeinsam mit anderen abzustimmen und im öffentlichen Bewusstsein des Stadtteils zu verbreiten. In solchen Stadtteilen agieren – im Spannungsfeld von ‚Top down’-Planungen und ‚Bottom up’-Entwicklungen – verschiedene Akteursgruppen mit unterschiedlichen Raumvorstellungen bzw. Interessen. Ihre Vorstellungen können nicht einfach umgesetzt, sondern müssen koordiniert, kommunikativ verhandelt bzw. abgestimmt werden. Nachfolgend werden die Forschungskonzeption und erste Ergebnisse eines laufenden Projekts vorgestellt, das der Frage nachgeht, welche Beiträge Raumpioniere zur Quartiersentwicklung in sozial benachteiligten Stadtgebieten Berlin-Moabits und Hamburg-Wilhelmsburgs leisten.2 Zunächst werden allgemeine Überlegungen darüber angestellt, was man unter sozialen Innovationen verstehen kann 1 2
Becker (2010: 76 ff.) spricht in diesem Zusammenhang auch von „Kreativpionieren“. Das Projekt „Raumpioniere im Stadtquartier – zur kommunikativen (Re-) Konstruktion von Räumen im Strukturwandel“ wird von Januar 2009 bis Dezember 2011 am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner (bei Berlin) durchgeführt und von Gabriela B. Christmann geleitet (siehe auch Christmann/Büttner 2011, Christmann/Mahnken 2011).
Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung
213
und welche Rolle soziale Netzwerke und (sozial-)räumliche Kontexte in diesem Zusammenhang spielen (Kapitel 2). Daran schließen sich Hintergrundinformationen zu den zentralen theoretischen Annahmen, Fragestellungen und Methoden des Forschungsprojekts an (Kapitel 3). Für die Untersuchungsräume Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg wird sodann aufgezeigt, welche sozialen Problemlagen dort vorherrschen (Kapitel 4) und welche innovativen Lösungsansätze Social Entrepreneurs – verdeutlicht an zwei Beispielen – entwickeln (Kapitel 5). Aufmerksamkeit wird außerdem den sozialen Netzwerken geschenkt, innerhalb derer diese Akteure agieren, und den kommunikativen Strategien, die sie ihrer Arbeit zugrunde legen (Kapitel 6). Abschließend geht es um den Beitrag, den diese Akteure für die Quartiers- bzw. Stadtteilentwicklung leisten können (Kapitel 7). 2
Soziale Innovationen, Netzwerke und Raumbezüge
Soziale Innovationen werden als neuartige soziale Praktiken im zivilgesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politisch-administrativen Bereich angesehen (vgl. Christmann in diesem Band). Schwierig ist es indes, das ‚Neuartige’ an der sozialen Innovation zu de¿nieren. Es gibt hier keine Schwellenwerte dafür, wie ‚neu’ das sozial ‚Neue’ sein muss. Es zeigt sich vielmehr, dass auch Wiederentdeckungen, neuartige Kombinationen oder Übertragungen auf neue (räumliche) Kontexte oder Bezüge als soziale Innovationen akzeptiert werden. In jedem Fall unterliegen Innovationen Abläufen, die üblicherweise in Phasen unterteilt werden. Vielfach wird differenziert zwischen der ‚Invention’, der eigentlichen ‚Innovation’ und der ‚Diffusion’. Soziale Innovationen unterscheiden sich von technischen Innovationen vor allem darin, dass sie sich nicht auf einen ‚Markt’ im engen ökonomischen Sinn beziehen und in alltägliche Handlungszusammenhänge eingeführt werden müssen. Legt man die Phaseneinteilung zugrunde, so kann die Invention als das Handeln eines Einzelakteurs, des Social Entrepreneurs, aufgefasst werden. Demnach wäre es der Einzelakteur, der einen neuartigen Lösungsansatz für ein soziales Problem ‚er¿ndet’ bzw. vorschlägt. Sicher ist der Einzelakteur ein wichtiger Ausgangspunkt. In der Praxis vollzieht sich der Akt der Invention aber meist in einer Handlungskette, an der mehrere Akteure beteiligt sind. Entsprechend muss eine Invention als ein interaktiver und iterativer Prozess begriffen werden. Spätestens wenn es darum geht, eine Invention in die Praxis einzuführen (Innovation) und zu verbreiten (Diffusion), erfordert dies Social Entrepreneurship, das insofern über den einzelnen Social Entrepreneur hinausgeht, als es soziale Netzwerke einschließt (vgl. Balgar in diesem Band).
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Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke
Soziale Innovationen entstehen auch nicht losgelöst von einem sozialräumlichen und regionalen Kontext. Vielmehr kommen sie durch das Handeln von Akteuren in einem bestimmten Umfeld zustande. Für soziale Innovationen gilt in einem noch viel höherem Maß als für technische Innovationen, dass Anschlüsse für die gesellschaftliche Verankerung gewährleistet sein bzw. hergestellt werden müssen. Das Bewusstsein ist hierfür jedoch bislang nur schwach ausgeprägt. Wenig ist in der Wissenschaft bislang beachtet worden, dass soziale Innovationen beispielsweise durch das Handeln von Social Entrepreneurs und Social Entrepreneurship positive sozialräumliche Identi¿kationsprozesse seitens der Bürger, soziale Integrationsprozesse und positive Images mit sich bringen können (vgl. z. B. Dullinger und Kunz sowie die Beispiele bei Spiegel und Bruysten/Engelke in diesem Band). 3
Theoretische Annahmen, Fragestellungen und methodisches Vorgehen
Social Entrepreneurs stehen also selten allein. Sie sind in soziale Netzwerke eingebunden und agieren in bestimmten sozialräumlichen Kontexten. Wie bereits erwähnt, ist es ein wesentliches Ziel des Raumpionier-Projekts zu rekonstruieren, inwieweit Raumpioniere und darunter Social Entrepreneurs Beiträge zur Quartiersentwicklung in sozial benachteiligten Stadtgebieten leisten können. Das Augenmerk wird auf die Art der Aktivitäten gerichtet, mit denen sich die Raumpioniere einbringen. Betrachtet wird, wie diese vernetzt sind, bzw. in welchen sozialen Netzwerken sie ihre Aktivitäten organisieren. Außerdem werden Kommunikationsstrategien untersucht, da angenommen wird, dass es ‚in den Köpfen’ verankerte abwertende Deutungsmuster in Bezug auf Quartiere und auf (bestimmte) Bewohner sind, die als wichtige Ansatzpunkte für Quartiersentwicklungen betrachtet werden müssen. Die Deutungsmuster, die im Projekt auch als soziale Konstruktionen bezeichnet werden, entstehen in kommunikativen Aushandlungsprozessen und können auch nur in Kommunikationen transformiert bzw. modi¿ziert werden. Dieser Ansatz darf im Zusammenhang mit Fragen der Raumentwicklung in der internationalen sozialwissenschaftlichen Raumforschung als neu gelten. Zwar ist im Verlauf des so genannten Cultural Turn die Überlegung selbstverständlich geworden, dass Räume als soziale Konstrukte verstanden werden müssen. Bei der theoretischen Ausarbeitung dieser Annahme haben sozialwissenschaftliche Raumtheoretiker aber vor allem die Rolle menschlicher Bedeutungszuschreibungen (Wissen) und/oder menschlichen Handelns in den Vordergrund gestellt (vgl. Lefèbvre 1991, Giddens 1993, Bourdieu 1984, Werlen 1997/2009, Löw 2001/2008, Thrift 2007). Dass im Prozess sozialer Raum(re)konstruktionen auch Kommu-
Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung
215
nikationen bedeutend sind, hat man zwar seit geraumer Zeit erkannt (vgl. Paasi 1989, Healey 1992, 1996, Hastings 1999, Lees 2004), die theoretische Fundierung dieses Gedankens blieb jedoch bislang hinter dieser Erkenntnis zurück. Die derzeit im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt in Erarbeitung be¿ndliche „Theorie der kommunikativen Raumkonstruktion“ zielt darauf, den raumbezogenen Zusammenhang zwischen Handeln, Wissen und Kommunikation herzustellen. Dies geschieht, indem der Ansatz des ‚neueren Sozialkonstruktivismus’ (vgl. Berger/ Luckmann 1987, Luckmann 2002a, Knoblauch 1995) mit dem wissenssoziologischen Diskurskonzept Kellers (2008) und mit ausgewählten anschlussfähigen raumtheoretischen Bausteinen, wie etwa relationalen Raumkonzepten, verbunden fruchtbar gemacht wird. Relationale Raumkonzepte werden in unterschiedlichen disziplinären Kontexten – von der Geographie über die Politikwissenschaften bis hin zur Soziologie – vertreten (vgl. vor allem Läpple 1991, Benz et al. 1999, Sturm 2000, Löw 2001, Bathelt/Glückler 2002, Ibert 2010). Gemeinsam ist ihnen ein Verständnis von Raum, das ‚Behälterraumkonzepte’ ablehnt und von einem sozial konstruierten Raum bzw. einem Handlungsraum ausgeht. Besonders anschlussfähig für die Analyse des innovativen (unternehmerischen) Handelns von Social Entrepreneurs ist der von Bathelt/Glückler (2002) vorgeschlagene Ansatz. Dieser zielt auf die „Erklärung zeitlich und räumlich situierten ökonomischen Handelns, um kontextabhängige institutionalisierte und somit in räumlicher Perspektive lokalisierbare … ökonomische Beziehungen zu erfassen“ (ebd.: 33). Ausgangspunkt ist ein relationales Handlungskonzept, das in Anlehnung an Granovetter (1985) davon ausgeht, dass sich ökonomisches Handeln als soziales Handeln in Netzwerken vollzieht. Drei Thesen sind dabei leitend (vgl. Glückler/Bathelt 2003: 250): ökonomisches Handeln ist raumzeitlich situiert (Kontextualität), es ist durch Kontextspezi¿tät gekennzeichnet, unterliegt also Pfadabhängigkeiten, und es hat die Möglichkeit, von bestehenden Entwicklungspfaden abzuweichen (Kontingenz). Bathelt/Glückler schlagen zudem einen (technisch-technologischen) Innovationsansatz vor, der darauf hinweist, dass sich die Entstehung von neuem und die Modi¿kation von vorhandenem Wissen in arbeitsteiligen, interaktiven und reÀexiven Strukturen vollzieht und dass entsprechende Transformationsprozesse räumlich organisiert und regionsspezi¿sch geprägt sind. Auch wenn dieser Ansatz vor allem für die Analyse technologischer bzw. ökonomischer Innovationen entwickelt worden ist, eignet er sich bestens für die Erklärung sozialer Innovationen (vgl. auch Kapitel 2). Hilfreich ist nicht zuletzt der Gedanke, dass Akteure (relationale) Raumbezüge entwickeln, die auch
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mit dem Begriff der ‚Raumbindung‘3 gefasst werden können (vgl. Werlen 1997, Fuchs et al. 1999, Krätke 2002). Hieraus ergeben sich insofern Anregungen, als die sozialräumliche ‚Verankerung’ bzw. ‚Einbettung’ von Social Entrepreneurs systematischer in den Blick genommen werden kann. Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen des Forschungsprojekts drei Ebenen mit den folgenden Fragestellungen und Methoden untersucht: 1. Raumpioniere bzw. Social Entrepreneurs als Einzelakteure, 2. soziale Netzwerke und 3. die lokale Öffentlichkeit. Die Einzelakteure werden mittels so genannter problemzentrierter qualitativer Leitfadeninterviews befragt (vgl. Witzel 1982/2000). Von Interesse ist, welche soziokulturellen Hintergründe sie haben und an welche Deutungswelten sie anknüpfen. Zudem wird das egozentrierte Netzwerk der Akteure erhoben. Auch auf der Ebene der sozialen Netzwerke werden soziale Einbettungen dieser Akteure untersucht. Dies geschieht dort jedoch in methodischer Hinsicht mittels einer fokussierten Ethnogra¿e (vgl. Knoblauch 2005). Das Verfahren zielt auf die Beobachtung von ausgewählten, meist kommunikativen, Akteurshandlungen in den kleinen Öffentlichkeiten der Netzwerke. Dabei wird die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wie die Quartiere, ihre sozialen Problemlagen und möglichen Lösungsansätze in welchen Akteurskonstellationen kommunikativ verhandelt werden, aber auch wie die verschiedenen Akteursgruppen im Feld zueinander stehen. Die abstrakteste Ebene stellt die der Öffentlichkeit mit den sich darin vollziehenden Diskursen dar. Dieses Feld wird mittels des Forschungsprogramms der wissenssoziologischen Diskursanalyse untersucht (vgl. Keller 2008). Zum einen geht es dabei darum zu analysieren, was die Einzelakteure bzw. Netzwerke nach außen kommunizieren und mit welchen Inhalten sie dies tun. Zum anderen wird gefragt, wie die Stadtteile und ihre Quartiere in den lokalen und regionalen Massenmedien öffentlich thematisiert werden. Von besonderem Interesse ist dabei, ob – und, wenn ja, wie – die Medien über die Aktivitäten von Raumpionieren bzw. Social Entrepreneurs berichten und wie dies bestehende Negativ-Images beeinÀusst.
3
Raumbindung de¿niert als „Verankerung“ bzw. „Entankerung“ (Krätke 2001: 157) sind „jene Handlungen von Subjekten oder gesellschaftlichen Akteuren, über welche deren Geographien hergestellt und reproduziert werden“, wobei diese „stets auch Ausdruck des jeweiligen soziokulturellen Kontextes“ sind (Krätke 2002: 18). Bathelt/Glückler (2002: 160 ff.) verwenden dafür den Begriff der „Embeddedness in räumlicher Perspektive“ als räumliche Dimension sozio-institutioneller Beziehungen.
Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung
4
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Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg mit ihren sozialen Problemlagen: soziale Heterogenität und Exklusionen
Hamburg-Wilhelmsburg (vgl. Abb. 1) und Berlin-Moabit (vgl. Abb. 2) wurden für das Raumpionier-Projekt als Untersuchungsräume gewählt, weil sich die Stadtteile in mehrfacher Hinsicht ähneln. Vergleichbar sind sie im Hinblick auf die Einbettung in Großstädte und deren Entwicklungsdynamiken sowie die damit verbundene Medienvielfalt und Öffentlichkeit, die zentrumsnahe Lage innerhalb der Gesamtstadt und die ‚Insellage’4, die sich zum einen aufgrund der die Stadtteile umgebenden Flusslandschaften ergibt und zum anderen aus den begrenzenden Verkehrsinfrastrukturen und IndustrieÀächen. Ähnlich sind sie sich aber auch im Hinblick auf die Sozialstrukturen, die komplexen sozialen Problemlagen sowie die vielfältigen Raumpionieraktivitäten. Letztere stehen eng mit der Tatsache in Verbindung, dass beide Stadtteile bis in die 1990er Jahre oft der ‚Raum für den Rest’ waren und somit auch zahlreiche Akteursnischen boten.5 Unterschiede der beiden Stadtteile werden insbesondere bezüglich der Stadtkulturen und -politiken sowie der stadtgeschichtlichen Zusammenhänge, in die sie eingebettet sind, wie auch hinsichtlich des unterschiedlichen Medieninteresses für Aktivitäten von Raumpionieren deutlich.
4
5
Die Geschichte ‚Wilhelmsburgs’ beginnt Ende des 17. Jahrhunderts mit der Zusammendeichung dreier Elbtalinseln. Moabit wurde dagegen erst durch die Anlage von Schifffahrtskanälen (Mitte/ Ende des 19. Jahrhunderts sowie Mitte des 20. Jahrhunderts), die eine Verbindung zur südlich angrenzenden Spree herstellten, zur Insel (Grothe 2008: 6). Berlin-Moabit – als Stadtteil 1861 eingemeindet und im Zuge der Industriealisierung als typischer Arbeits- und Wohnstandort (Neu-Moabit) dynamisch gewachsen – lag nach der Teilung Deutschlands und Berlins wieder am ‚Stadtrand’. Die Entwicklungen ab 1990 verschafften ihm indes eine neue Innenstadtlage und öffentliche Aufmerksamkeit zwischen City-West, City-Ost und Regierungsviertel (ebd.). Parallel dazu verschlechterten sich die wesentlichen Sozialindikatoren im Vergleich zur Gesamtstadt (Schnur 2003). Seit 2000 gehört Moabit zum Stadtbezirk Berlin-Mitte. Wilhelmsburg war die größte Landgemeinde des Preußischen Staates, die Ende des 19. Jahrhunderts als EntwicklungsÀäche für Hamburg interessant wurde und im Zuge des industriellen Aufschwungs durch Industrieansiedlungen, Arbeiterwohngebiete und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur schnell wuchs (Reinstorf 2003: 5 ff.). Im Zuge der Groß-Hamburg Bildung erfolgte 1937 die Eingemeindung als Teil der zehn Jahre zuvor gebildeten Großstadt Harburg-Wilhelmsburg. Nach der großen Flut 1962 in Teilen zeitweise sogar als Wohnstandort aufgegeben war Wilhelmsburg bis Ende des 20. Jahrhunderts in der öffentlichen Wahrnehmung zumeist ein ‚terra incognita’ (ebd.). Ausgehend von der Zukunftskonferenz Wilhelmsburg 2001/2002 wuchs das stadtentwicklungspolitische und öffentliche Interesse an den Qualitäten und Potenzialen der Insel wieder. Seit 2008 gehört Wilhelmsburg zum Bezirk Hamburg-Mitte.
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Gabriela B. Christmann und Petra Jähnke
Abb. 1: Hamburg-Wilhelmsburg Hamburg-City e erelb Nord
Elbe
Reihe
rstieg
Veddel
Reiherstieg
Georgswerder
Kirchdorf
C Ch nburg burg Charlottenburg
Süd erel be
Moorwerder
Hamburg-Harburg 2 km
Elb
e
Quelle: eigene Darstellung
In Hamburg-Wilhelmsburg konzentrieren sich seit 2006 stadtentwicklungspolitische Ansätze auf die Internationale Bauausstellung (IBA) und Internationale Gartenbauausstellung (igs).6 Unter einem Dach bündeln diese sowohl die Programme der Städtebauförderung (einschließlich von EU- und Landesmitteln)7 mit den da6
7
Mit einer Laufzeit von 2007 bis 2013 widmet sich die IBA auf den Elbinseln in Hamburg unter dem Motto „Entwürfe für die Zukunft der Metropole“ mit baulichen, kulturellen und sozialen Programmen und Projekten hier konzentrierten städtebaulichen und stadtpolitischen Herausforderungen (vgl. www.iba-hamburg.org). Im Mittelpunkt stehen drei Leitthemen: Kosmopolis (Suche nach neuen Wegen des Zusammenlebens), Metrozonen (interessante städtebauliche Lösungen für die ‚inneren Stadtränder’), Stadt im Klimawandel (Stadtwachstum im Einklang mit der Umwelt). Beispielsweise hat es sich die IBA mit der „Bildungsoffensive Elbinseln“ (2010) zur Aufgabe gemacht, hier eine der fortschrittlichsten Bildungslandschaften Europas zu entwickeln (siehe IBA-Projekt Bildungszentrum „Tor zur Welt“, ebd.). Hamburg hat zudem 1998 beschlossen, das Instrumentarium aus den Bund-Länder-Programmen der Städtebauförderung in einem Landesprogramm „Soziale Stadtteilentwicklung“ zusammenzufassen (Polkowski 2001: 587) und sich 2009 auf ein „Rahmenprogramm integrierte Stadteilentwicklung“ (RISE) verständigt (vgl. Hamburg 2009).
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mit verbundenen Planungs- und Entwicklungsvorhaben als auch die Beteiligung der Öffentlichkeit (wie z. B. IBA/igs-Beteiligungsgremium8). In Berlin-Moabit kommen neben klassischen Instrumenten der Stadtplanung die einzelnen Programme der Städtebauförderung (wie Soziale Stadt, Stadtumbau sowie Aktive Stadt- und Ortsteilzentren/Innenentwicklung) zum Tragen, seit 2009 geschieht dies gebündelt in der „Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung“ mit ihren jeweiligen Beteiligungsformen.9 Abb. 2: Berlin-Moabit
Moabit West
Moabit Ost Alt-Moabit
Quelle: eigene Darstellung
Im Folgenden sollen vor allem die sozialen Problemlagen der Quartiere BerlinMoabits und Hamburg-Wilhelmsburgs betrachtet werden. Besonders fällt eine große soziale Heterogenität auf. Kennzeichnend sind hohe Anteile von Migranten unterschiedlicher Herkunft10 wie auch an Beziehern von staatlichen Transferleis8 9
10
Das Beteiligungsgremium der IBA/igs soll den Planungs- und Realisierungsprozess aktiv begleiten. Die Mitglieder setzen sich aus ausgewählten Bürgern und Parteienvertretern zusammen. Die monatlichen Sitzungen sind öffentlich. (vgl. www.iba-hamburg.org). Auch in Berlin ist es das Ziel, in Problemstadtteilen Ansätze integrierter Stadtteilentwicklung zu bündeln. Dazu hat der Berliner Senat die „Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung“ beschlossen (vgl. SenStadt 2009). Für fünf großräumige Gebiete wurden unter dem Titel „Aktionsraum plus“ anschließend integrierte Stadtteilkonzepte entwickelt (SenStadt 2010). Zu einem der Gebiete gehört Moabit (gemeinsam mit Berlin-Wedding, ebd.). In Wilhelmsburg hatten beispielsweise 2009 mehr als 50 % der Bewohner einen Migrationshintergrund (siehe www.statistik-nord.de). In Moabit waren 2008 ca. 45 % der Bewohner nichtdeutscher Herkunft (siehe Aktionsraum plus Wedding/Moabit 2010).
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tungen11. Auffallend sind KonÀikte zwischen Deutschen und Migranten, zwischen einzelnen Migrantengruppen, aber auch zwischen rivalisierenden Jugendgangs, die allerdings öffentlich viel stärker (als ihre statistische Relevanz es belegt) reÀektiert werden. Mangelnde Konsum- und Freizeitinfrastrukturen bzw. deren stetige Reduzierung, die zum ‚Verschwinden’ traditioneller Einkaufsstraßen führte (wie etwa in Berlin-Moabit), eine vernachlässigte Bausubstanz sowie No-goareas, die vor allem in den Abend- und Nachtstunden bestehen, kommen in manchen Quartieren als Problemlagen hinzu. Dies sind Erscheinungen, die gesellschaftlich zumeist negativ bewertet werden und auch in den Medien in einer negativen Weise Erwähnung ¿nden. Öffentliche Diskurse, die die Stadtteile negativ thematisieren, fügen dem ein weiteres Problem in Form von Stigmatisierungen hinzu. Auf der Basis regelmäßiger journalistischer Berichterstattungen haben sich diese Stigmatisierungen schon seit längerem in Negativ-Images verdichtet. Damit sind die untersuchten Stadtgebiete auch durch soziale Exklusionen geprägt. Soziale Exklusionen werden hier als auf bestimmten Deutungsmustern basierende Handlungs- und Kommunikationspraktiken von Akteuren verstanden, mit denen Angehörige bestimmter sozialer Gruppen, Bevölkerungsschichten oder Ethnien aufgrund des Vorhandenseins anderer Deutungsmuster bzw. Handlungsweisen abgewertet und ausgeschlossen werden. Die Praktiken sozialer Ausschließung können verschiedene Formen annehmen. Sie reichen von Formen der Meidung, über den Ausschluss von der Teilhabe an Kommunikationen, sozialen Prozessen, Netzwerken, Institutionen, Infrastrukturen, Gütern und Dienstleistungen bis hin zu (aggressiven) kommunikativen Formen der Stigmatisierung und der (gewaltsamen) Bekämpfung, Vertreibung oder Vernichtung. Neben Exklusionspraktiken innerhalb des Stadtteils oder Quartiers wie zum Beispiel zwischen Deutschen und Migranten durch das Leben in Parallelwelten, gegenseitige Meidung oder verbale Beschimpfungen, fällt eine soziale Exklusion der Quartiere als Ganzes im Verhältnis zu anderen Gebieten der Gesamtstadt in Form von stigmatisierenden öffentlichen Diskursen und Negativ-Images auf. Negativ-Images werden hier als Exklusionspraktiken aufgefasst, die die Problemlagen der Quartiere insofern zementieren, als sie die Tendenz haben, andere Raumdeutungen bzw. positive Entwicklungen, die es ebenfalls gibt, zu ignorieren bzw. im Keim zu ersticken. Werden Quartiere dauerhaft als ‚unattraktiv’ etikettiert, werden raumbezogene Identi¿kationsprozesse und Bürgerschaftliches Engagement bei den Quartiersbewohnern damit abgewertet und geschwächt und somit weitere Entwicklungspotenziale verschüttet. 11
In Moabit waren 2008 knapp 30 % der Bevölkerung abhängig von Transferleistungen des Staates, d.h. erhielten Hartz IV oder vergleichbare Leistungen (siehe www.berlin.de/ba-mitte). In Wilhelmsburg lag dieser Anteil im gleichen Zeitraum ebenso bei rund 30 %, der höchsten Quote in ganz Hamburg (siehe www.statistik-nord.de).
Soziale Probleme und innovative Ansätze in der Quartiersentwicklung
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Nicht zuletzt können vor diesem Hintergrund auch Investoren kaum interessiert und Lösungen für bauliche wie auch infrastrukturelle Problemlagen schwerlich positiv besetzt und kommuniziert werden. Allerdings unterscheiden sich auch hier Hamburg und Berlin. In Wilhelmsburg sind mittlerweile konkurrierende Images identi¿zierbar. Dem in der Öffentlichkeit traditionell negativ besetzten Bild (verbunden mit Begriffen wie Flut, Industrie, Verkehr und Gewalt; vgl. Weißbuch 2002) wird im Rahmen der of¿ziellen Stadtentwicklungspolitik seit Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem „Sprung über die Elbe“ eine neue Vision entgegengestellt und öffentlich kommuniziert. Diese zielt im Kontext des Leitbildes „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“ auf die vielfältigen Qualitäten Wilhelmsburgs als Wohn- und Arbeitsort in Verbindung mit den verfügbaren EntwicklungsÀächen und -potenzialen ab (vgl. Hamburg 2002). In Berlin stellt sich die gesamtstädtische Entwicklungssituation demgegenüber anders dar. Zentrumsnahe EntwicklungsÀächen sind hier in viel größerem Umfang vorhanden. Die Standortgunst von Moabit (innenstadtnah und verkehrsgünstig) ist allerdings stadtentwicklungspolitisch und investorenbezogen bestenfalls für ausgewählte Nutzungen interessant, die z. B. mit dem neuen Hauptbahnhof in Verbindung stehen (wie Hostels und Hotels, aber auch höherwertiges Wohnen). Einen vergleichbaren visionären Stadtentwicklungsansatz, wie dies in Hamburg für Wilhelmsburg der Fall ist, gibt es für Gesamt-Moabit nicht. Dies zeigt sich auch in der Medienresonanz deutlich (vgl. auch Schnur 2003: 184). Das mit dem integrierten Stadtteilkonzept „Aktionsraum plus Wedding/Moabit“ entwickelte Leitbild bescheinigt dem Stadtteil Moabit zwar das Potenzial, sich zu einem urbanen Lebensbereich mit attraktiven Wohn-, Arbeits-, Einkaufs-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten entwickeln zu können, setzt aber letztlich nur an der Überwindung gegenwärtiger De¿zite und Probleme an (vgl. Aktionsraum plus Wedding/Moabit 2010). 5
Lösungsansätze von Social Entrepreneurs
Dies verdeutlicht bereits, dass es in den Stadtquartieren auch Entwicklungspotenziale gibt. Raumpioniere bzw. Social Entrepreneurs mit ihren Projekten/und sozialen Netzwerken werden in diesem Zusammenhang als ein wichtiger Faktor begriffen. Auch wenn sie kurz- und mittelfristig die komplexen (sozialen) Problemlagen nicht einfach lösen können, bauen sie doch, und darin steckt das Potenzial, soziale Exklusionen ab, befördern gemeinsame Identitätsbildungsprozesse wie auch alternative Deutungen vom Quartier. Sie können Prozesse der sozialen Integration anregen und im günstigen Fall – sofern sie sich mit ihren Aktivitäten in
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öffentliche Diskurse einbringen können – auch Außenwahrnehmungen bzw. Images beeinÀussen. Am Beispiel von zwei Raumpionieren mit institutioneller Einbindung, die sozialinnovative Projekte im Bereich Kinder und Familie bzw. Bildung und Kultur auf den Weg bringen, soll dies verdeutlicht werden. Aufgrund ihres sozialinnovativen und unternehmerischen Handelns sollen ihre Unternehmungen als Social Entrepreneurship betrachtet werden. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg12 wurde auf Initiative der Stadt Hamburg 1985 als Stadtteilkulturzentrum eröffnet, das sich damals in erster Linie als Veranstaltungszentrum bzw. Treffpunkt für Vereine verstand. Heute de¿niert es sich als Kulturforum, Tagungszentrum und Ort der Begegnung im Zentrum der Elbinsel. Träger ist eine gemeinnützige (operative) Stiftung bürgerlichen Rechts (unterstützt von einem Förderverein). Vor vier Jahren hat sich das Bürgerhaus neu aufgestellt. Ziel war es, ¿nanzielle De¿zite vollständig abzubauen. Das Haus sollte sich künftig ökonomisch selbst tragen, da die Zuwendung des Bezirkes Hamburg-Mitte den Haushalt nicht decken konnte (vgl. Hamburger Abendblatt 2006). In diesem Zusammenhang wurde ein neues Leitbild entwickelt, das sich durch vier Säulen auszeichnet: Ort der Begegnung für die Wilhelmsburger Bevölkerung, Kulturforum in den Bereichen Musik, Theater, Literatur und Tanz, Ort kultureller Bildung für alle Altersgruppen und Tagungshaus. Nicht zuletzt ist das Bürgerhaus Wilhelmsburg institutioneller Träger des Forums Bildung Wilhelmsburg, das 2002 aus der Wilhelmsburger Zukunftskonferenz hervorgegangen ist. Vor dem Hintergrund des neuen Gesamtkonzepts wuchs der Eigen¿nanzierungsgrad von 21 % auf 43 % (vgl. Hamburger Abendblatt 2010). Sozialinnovativ an diesem Beispiel ist die konsequente Verknüpfung von Kultur-, Bildungs- und Integrationsarbeit mit unternehmerischen Prinzipien.13 Die Arbeit des Bürgerhauses erfolgt insofern in hohem Maße stadtteilorientiert, als bei der Planung und Durchführung sämtlicher Kulturveranstaltungen bzw. kultureller Bildungsangebote Stadtteilnetzwerke einbezogen werden. Als besonderes Beispiel für diese nachhaltige ‚Netzwerkarbeit’, die nicht nur zur stärkeren Identi¿kation der Bürger mit ihrem Stadtteil, sondern auch wesentlich zur Verbesserung des Außenimages Wilhelmsburgs beiträgt, kann das „Netzwerk für Musik von den Elbinseln“ genannt werden. Das Konzept dafür wurde 2007 mit dem 2. Innovationspreis der IBA-Bildungsoffensive ausgezeichnet. 12 13
Vgl. www.buewi.de. Eine soziale Differenzierung dieser Angebote zeigt sich z. B. in der Preisstaffel für die Nutzung der Räume des Tagungsbereichs oder in den geringen bzw. gar nicht erhobenen Kosten für Wilhelmsburger Bürger bei der Nutzung der Bildungs- und Kulturangebote.
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Das SOS-Kinderdorf in Berlin-Moabit14 ist das erste seiner Art in Deutschland, das in einer (Groß-)Stadt angesiedelt wurde. Es vereint neben den SOS-Kinderdorffamilien außerdem Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, eine Kindertagesstätte und das „Mehrgenerationenhaus“15 unter einem Dach. Außerdem arbeitet es mit Moabiter Schulen zusammen. Es wurde 2001 zunächst als Familienzentrum gegründet (ab 2005 als SOS-Kinderdorf) und zählt zum SOS-Kinderdorf e.V. Entsprechend wird das Haus durch die SOS-Kinderdorfstiftung unterstützt. Die Arbeit wird aus umfangreichen Eigen- bzw. Stiftungsmitteln, Spenden, über Tagesgelder und Beiträge sowie weitere Finanzmittel, wie etwa Fördermittel, ¿nanziert. Hier sind Menschen sowohl angestellt als auch ehrenamtlich tätig. Ein gewählter Rat von Besuchern trifft sich regelmäßig und bespricht Themen, die für das SOS-Kinderdorf relevant sind, bzw. entwickelt Angebote, die künftig umgesetzt werden sollen. Das Sozialinnovative an diesem Beispiel ist die Neukombination des bewährten SOS-Kinderdorfmodells mit allen Formen der Kinder-, Jugend- und Familienarbeit auf Stadtteilebene in einem großstädtischen Problemgebiet unter dem gemeinsamen Dach eines freien Trägers. Die strukturelle Innovativität zeigt sich z. B. in der Zusammenarbeit des SOS-Kinderdorfs mit umliegenden Grundschulen. Bei diesen Kooperationsprojekten werden die Ressourcen nicht mehr getrennt, sondern neu kombiniert eingesetzt (für Halbtagsgrundschule, Schulstation und Hort). Die Angebote zielen nicht nur darauf ab, Hilfen für sozial Benachteiligte zu geben. Sie sollen auch für Mittelschichtfamilien attraktiv sein, die in diesem Stadtteil leben (wollen). Strategisch sollen die Mittelschichtfamilien auch dafür gewonnen werden, sich ehrenamtlich bzw. nachbarschaftlich zu engagieren. 6
Soziale Netzwerke und kommunikative Strategien von Social Entrepreneurs
Im Folgenden werden erste Analysen zu den sozialen Vernetzungen und kommunikativen Strategien der Social Entrepreneurs vorgestellt, deren Aktivitäten oben beschrieben wurden (vgl. Kapitel 5). Dies kann jedoch nicht losgelöst von den Analysen zu Raumpionieren im Allgemeinen geschehen. Zunächst sollen daher übergreifende Beobachtungen skizziert werden, um vor diesem Hintergrund die ausgewählten Social Entrepreneurs verorten zu können. 14 15
Vgl. www.sos-kinderdorf.de/sos_kinderdorf_berlin. „Mehrgenerationshäuser“ sind ein durch den Europäischen Sozialfond (ESF) gefördertes Aktionsprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit 500 Projekten in ganz Deutschland (vgl. www.bmfsfj.de).
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6.1 Soziale Netzwerke Insgesamt wurden qualitative Interviews mit 74 Raumpionieren geführt. In 66 Fällen konnten soziale Netzwerke (mittels des Programms „VennMaker“) erhoben werden.16 Auf diese Weise wurden mehr oder weniger komplexe Netzwerkbilder generiert. Parallel zur schrittweisen Aufzeichnung der visuellen Gestalt der Netzwerke erfolgte eine Tonaufzeichnung der verbalen Äußerungen, mit denen die Interviewpartner ihre Netzwerkbeziehungen kommentierten. Nach einer ersten Auswertung von 15 Netzwerkbildern skizzierten die meisten Akteure Netzwerke, die – was deren Größe angeht – einen Umfang von fünf bis 25 Kontakten haben. Die Größe eines Netzwerks an sich sagt jedoch nach unseren Beobachtungen noch nichts über seine Wirkungen aus. Ein wichtiger Faktor ist vielmehr die Art der Kontakte. So gibt es Raumpioniere, in deren Netzwerken institutionelle Kontakte dominant sind. Auch wenn diese Kontakte nicht losgelöst von Personen gesehen werden können, geben die Akteure bezeichnenderweise die Institution bzw. Gruppe als Kooperationspartner an. Sie denken also in Kategorien der ‚Institution’ bzw. des ‚kollektiven Akteurs’ und sehen die darin tätigen Personen17 in erster Linie in ihrer institutionellen Funktion. Netzwerke, die in hohem Maße auf institutionelle Kontakte ausgerichtet sind, lassen sich in unserem Datenmaterial häu¿g beobachten. Ein anderer Typus von Raumpionieren beschreibt seine Netzwerke überwiegend als auf ‚Einzelpersonen’ gestützt, auf Personen also, die ohne eine institutionelle Funktion und Ausstattung agieren, wie zum Beispiel engagierte Bürger, Nachbarn oder Freunde. Überwiegend personengebundene Netzwerke sind allerdings bei Raumpionieren selten. Offensichtlich sind sich die Akteure dessen bewusst, dass (auch) Kontakte zu anderen kollektiven Akteuren bzw. Institutionen notwendig sind, wenn sie mit ihrer Arbeit eine Raumwirksamkeit erlangen möchten. Ein dritter Raumpionier-Typus gibt für sein soziales Netzwerk eine mehr oder weniger ausgewogene Mischung von Kontakten 16
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Die Befragten wurden gebeten, die für das eigene Engagement wichtigen Personen zu benennen und auf einer elektronischen OberÀäche bezüglich der Nähe oder Distanz zum eigenen Ego räumlich anzuordnen. Neben Einzelpersonen konnten die Raumpioniere auch Akteurskollektive in Form von Institutionen bzw. Gruppen als Kontakte angeben. In einem nächsten Schritt wurden die Interviewpartner aufgefordert, die Kooperationspartner im Hinblick darauf einzuschätzen, ob sie für die eigene Arbeit hilfreich, hinderlich oder strategisch wichtig sind, ob sie dem Ego ideell fern oder nahe stehen, ob es sich um freundschaftliche Beziehungen handelt etc. Je nach Art der Beziehung wurden den Kontakten verschieden farbige Linien zugeordnet. Unterstützt wird dies durch das Programm „VennMaker“, das im Frühjahr 2010 auf dem deutschen Markt eingeführt wurde (vgl. www.netzwerk-exzellenz.uni-trier.de.). Das IRS gehörte zu den Testpartnern der Beta-Version. In einigen Fällen benennen Akteure aus der Institution heraus zusätzlich eine Person, die auch als Einzelperson für ihre Arbeit von Bedeutung ist.
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zu Institutionen und zu Einzelpersonen an. Gemischte Netzwerke lassen sich fast ebenso häu¿g beobachten wie institutionell orientierte. Dazu wird im Folgenden im Zusammenhang mit den Social Entrepreneurs-Netzwerken noch mehr gesagt werden. Zuvor soll jedoch auf die Bedeutung hingewiesen werden, die die Beziehungsqualität für die Arbeit von Raumpionieren hat. Manche Akteure heben die ideell nahe stehenden, kooperativen bzw. hilfreichen Kontakte in ihrem Netzwerk hervor.18 Sie sehen sich von einem sozialen Netz und durch soziale Rahmenbedingungen gestärkt, die ihre Arbeit voranbringen können. Andere weisen darauf hin, dass in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß ambivalente Einstellungen bei ihren Kooperationspartnern charakteristisch sind. Sie wissen, dass Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Wiederum andere benennen in ihren Netzwerken mehrfach Kontakte, die ihnen ideell fern stehen oder ihre Arbeit behindern. Durch sie sehen sie ihre Arbeit konterkariert. Soziale Netzwerke von Raumpionieren sind damit keineswegs automatisch Unterstützungsnetzwerke. Selbst in Raumpionier-Netzwerken, in denen zahlreiche Partner unterstützend agieren, gibt es in der Regel auch Personen bzw. Institutionen, die der Sache kritisch gegenüber stehen. Die Kommunikationen mit solchen Partnern sind von Raumpionieren strategisch gewollt und bewusst angelegt. Sie werden als notwendig angesehen, um soziale Abstimmungsprozesse und Verankerungen im sozialen Umfeld voranzubringen und bestimmte Dinge durchsetzen zu können. Betrachten wir nun die sozialen Netzwerke der oben vorgestellten Social Entrepreneurs. Als ein wesentliches Merkmal dieser Akteure haben wir festgehalten, dass sie soziale Innovationen mit unternehmerischen Mitteln vorantreiben. Indem sie ein ‚soziales Unternehmen’ leiten und ihre hauptamtliche Arbeit darin besteht, zusammen mit einem Mitarbeiterstab ‚neuartige’ soziale Projekte zu entwickeln und durchzuführen, mit denen Quartiersentwicklungen und soziale Integrationsprozesse im räumlichen Wirkungsfeld vorangebracht werden sollen, sind sie selbst institutionell verankerte Akteure. Darin unterscheiden sie sich deutlich von den zivilgesellschaftlich verankerten Raumpionieren. Zwar agieren auch Unternehmer – und teilweise Selbstständige – aus einer institutionellen Einbindung heraus für ihre Quartiere (z. B. im Rahmen von Corporate Social Responsibility oder Corporate Citizenship). Doch verfolgen sie zuerst die Unternehmens- bzw. 18
Zu beachten ist, dass die Beschreibungen der Beziehungsqualität von Netzwerkkontakten Deutungen der Interviewpartner sind. Wenn die Akteure in größerem Umfang verschiedene Kooperationspartner als eher ideell nahe und förderlich einschätzen, so sagt dies nicht nur etwas über das Handeln der Kooperationspartner aus, sondern auch darüber, inwieweit die Interviewpartner bereit sind, diesem Handeln ‚Nähe’ zur eigenen Aktivität zuzuschreiben. Harmonische Netzwerkbeschreibungen spiegeln damit auch den sozialen Integrationswillen der Netzwerk-Egos wider.
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Geschäfts-, dann die Standort- bzw. Quartiersentwicklung. Sie begreifen es nicht als ihre primäre Aufgabe, soziale Projekte und Integrationsprozesse zu befördern. Die beiden Social Entrepreneurs gehören trotz ihrer institutionellen Verankerung nicht automatisch zu den Raumpionieren, die große Netzwerke aufgebaut haben. Wie schon gesagt, liegt die Wirksamkeit von Netzwerken auch nicht in ihrer Größe. Interessant ist vielmehr, wie sich die Netzwerke zusammensetzen. Es ist bereits herausgearbeitet worden, dass sich bei Raumpionieren soziale Netzwerke mit hohen Anteilen an institutionellen Kontakten beobachten lassen. Dies gilt auch für die Social Entrepreneurs in Wilhelmsburg und Moabit. Während bei der Wilhemsburger Akteurin alle Netzwerkpartner als institutionelle Kontakte ausgewiesen werden, sind es bei der Moabiter Akteurin 20 von 37 Kontakten. Beide bauen sie bei ihrer Arbeit auf die Kooperation mit anderen Institutionen bzw. kollektiven Akteuren. Während das Netzwerk der Wilhelmsburger Akteurin zu hundert Prozent institutionell ausgerichtet ist, besteht das soziale Netz der Moabiter Akteurin jedoch zur einen Hälfte aus institutionellen Kontakten und zur anderen aus Einzelpersonen wie Bürgern, Nachbarn und Freunden. Die Moabiter Initiative setzt damit gleichzeitig in großem Umfang auf das Engagement von Einzelakteuren. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Interviewpartnerin zuvor über Jahre im Quartier gewohnt und daher auch privat zahlreiche soziale Beziehungen entwickelt hat, die sie offensichtlich gut für ihr beruÀiches Engagement nutzen kann. Die Qualität der Netzwerkkontakte wird in beiden Fällen überwiegend als ideell nahe, hilfreich bzw. kooperativ beschrieben. Daneben bestehen strategische Kontakte wie etwa zur Senatsverwaltung. Ideell fern stehende bzw. hinderliche Netzwerkpartner spielen am Rande eine Rolle. Die Netzwerkbeziehungen der beiden Social Entrepreneurs unterscheiden sich in der Qualität nur insofern, als die Moabiter Akteurin ihr Netzwerk aufgrund zahlreicher Kontakte zu Einzelpersonen durch mehrere freundschaftliche Beziehungen charakterisiert sieht, die auch mit ihrer persönlichen privaten Verankerung im Quartier zu tun haben. Insgesamt bestätigen diese ersten empirischen Befunde die große Relevanz sozialer Netzwerke für das lokale Wirken dieser Social Entrepreneurs. Sie bestätigen die Eingangsthese der Notwendigkeit der Verankerung sozialer Innovationen im jeweiligen gesellschaftlichen und räumlichen Umfeld. Abgesehen von den Netzwerkbildern als solchen geben die Erzählungen, die die Interviewpartnerinnen damit verbinden, tiefere Einblicke über den strategischen Netzwerkaufbau. Bemerkenswert ist dabei die Strategie der Moabiter Akteurin. Auf Einzelpersonen aus der Nachbarschaft und ggf. dem Freundeskreis setzt sie nicht nur innerhalb ihres Kooperations-Netzwerks. Sie tut dies vielmehr auch gezielt bei der Rekrutierung des fest angestellten Personals und der ehrenamtlich Tätigen innerhalb ihrer Organisation. Vor allem sollen engagierte Personen
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aus der Nachbarschaft, dem Freundes- und Bekanntenkreis gewonnen werden, die in Moabit leben bzw. den Stadtteil gut kennen. Interessiert ist sie an dem lokalbezogenen Wissen dieser Personen, an dem Wissen von und dem Verständnis für den Stadtteil mit seinen besonderen Problemlagen, an dem Wissen, wie man die Menschen in Moabit nehmen, wie man mit ihnen reden muss. Indem besonders Moabiter Bewohner systematisch dazu ‚rekrutiert’ werden, im SOS-Kinderdorf mitzuwirken und sich für den Stadtteil zu engagieren, wird zum einen durch die personelle Integration von Moabiter Bürgern die lokale soziale Verankerung der Organisation in Moabit gestärkt und zum anderen gleichzeitig eine soziale Mobilisierung von Bewohnern für Belange des Stadtteils erreicht. Das Wilhelmsburger Bürgerhaus hat mit der Bildungs- und Kulturarbeit eine etwas anders gelagerte inhaltliche Ausrichtung, vor allem sieht es sich aber in einem sozialräumlichen Kontext verortet, der stark von dem IBA-Prozess geprägt wird und der durch eine institutionell ausgerichtete Kooperationskultur gekennzeichnet ist. Dies mag ein Grund dafür sein, dass das soziale Netzwerk des Wilhelmsburger Social Entrepreneurs zu hundert Prozent Kontakte zu anderen Einrichtungen bzw. Organisationen ausweist, während demgegenüber Kontakte zu Einzelpersonen keine Rolle spielen. 6.2 Kommunikative Strategien Wie stellen sich vor diesem Hintergrund die kommunikativen Strategien in der Öffentlichkeitsarbeit19 der beiden Social Entrepreneurs dar? Sowohl das SOSKinderdorf Berlin-Moabit20 als auch das Bürgerhaus Wilhelmsburg21 betreiben diese professionell unter Einbeziehung verschiedenster Medien. In den Außendarstellungen zeigen sich einige Gemeinsamkeiten: Beide stellen sich als im Stadtteil verankerte Akteure dar, die lokal vernetzt sind und mit ihrer Arbeit und den zahlreichen Kooperationspartnern einen Beitrag zur positiven Entwicklung des Stadtteils leisten wollen. Dabei wird ein Image der Toleranz, des Vertrauens und 19 20
21
Wir danken Jenny Friede für ihre Unterstützung bei der Analyse der Öffentlichkeitsarbeit dieser Akteure im Rahmen ihres Praktikums im IRS im Herbst 2010. Formen der Öffentlichkeitsarbeit sind Internetpräsentationen, ProgrammÀyer, Broschüren, speziell initiierte Veranstaltungsformate, eine Bekanntmachung durch prominente Paten sowie Pro¿le in modernen Social Networks (wie facebook und youtube) und auf anderen Internetseiten, wie dem internationalen Gesamtverbund der SOS-Kinderdörfer und der Internetplattform des Aktionsprogramms „Mehrgenerationenhäuser“. Auch hier sind Formen der Öffentlichkeitsarbeit Internetpräsentationen, ProgrammÀyer und speziell initiierte Veranstaltungsformate. Hinzu kommen eigene Artikel in Lokalmedien sowie Beiträge für eine Fachöffentlichkeit, z. B. das Diskussionspapier mit den anderen Wilhelmsburger Kulturzentren im Kontext der IBA (vgl. Diskussionspapier Kulturzentren 2007).
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der großen Erfahrung transportiert.22 Indem sie ihre lokale Verankerung betonen, versuchen sie das Vertrauen der Stadtteilbewohner zu gewinnen und sie für die Angebote zu interessieren. Durch Hinweise auf die Niedrigschwelligkeit der Veranstaltungen und die geringen Kosten versuchen sie, auch bildungsferne Interessenten zu gewinnen. Außerdem werden die Angebote mehrsprachig gemacht, um Menschen mit Migrationshintergrund besser zu erreichen. Das SOS-Kinderdorf Moabit setzt darauf, sich als Institution durch eindrucksvolle Bilder ein ‚Gesicht‘ zu geben und die Bewohner des Stadtteils auf einer persönlichen, emotionalen Ebene zu erreichen. Das Bürgerhaus Wilhelmsburg verfolgt dagegen eher die Strategie, sich als kompetenter ‚Dienstleister’ darzustellen, der Àexibel und professionell auf Wünsche eingeht, ‚das Ohr am Stadtteil hat‘ und passgenaue Angebote für die und mit den Wilhelmsburger(n) schafft. Ein Aufruf im Internet zur Beteiligung an einer Aktion gegen eine drohende Mittelkürzung23 im Oktober 2010 mit der Gefahr der Schließung des Bürgerhauses fand beispielsweise große Resonanz.24 Beide Institutionen nehmen in ihren Darstellungen auch zu den Stadtteilen Stellung, in denen sie sich verortet sehen. Die Bilder, die sie von ihrem sozialräumlichen Kontext zeichnen, fallen dabei ähnlich aus. Beide weisen sie darauf hin, dass die Stadtteile durch soziale und ökonomische Probleme gekennzeichnet sind. Das SOS-Kinderdorf stellt jedoch die Situation in Moabit weniger dramatisch dar als das Bürgerhaus die Situation in Wilhelmsburg. In beiden Darstellungen wird jedoch auf das große Entwicklungspotenzial und die Identi¿kation der Migranten mit ihrem Stadtteil hingewiesen. Vor allem das SOS-Kinderdorf betont die Multikulturalität Moabits als eine wichtige positive Seite des Stadtteils. Die kommunikativen Strategien, die über die Produkte der Öffentlichkeitsarbeit rekonstruiert werden konnten, spiegeln sich auch in den Interviews der beiden Akteurinnen wider. In der ‚Ausfüllung’ ihrer institutionellen Rolle zeigen sie ein großes Maß an persönlichem Engagement, an Wahrnehmung von bzw. an ‚Anteilnahme’ an den sozialen Problemen des jeweiligen Stadtteils. Zudem eint sie der persönliche Anspruch nach Ausgleich von Benachteiligung, nach Partizipation der Bewohner an der Entwicklung und den Bedingungen in ihrem Stadtteil und die Offenheit für andere Kulturen. Sie zeichnet damit eine ‚soziale Sensibilität’ aus, 22 23 24
Explizit verweisen beide auf ihr humanistisch geprägtes Menschenbild sowie auf ihre generations- und kulturübergreifende Angebotsausrichtung, die sich an den Bedürfnissen der Menschen im jeweiligen Stadtteil orientiert. Vgl. Hamburger Abendblatt 2010. Viele Fotos mit persönlichen Statements wurden auf der Startseite veröffentlicht und zeigten Personen aus verschiedenen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen mit unterschiedlichen Hintergründen und Motivationen, warum ihnen die Einrichtung als wichtig und erhaltenswert erscheint (vgl. www.buewi.de).
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die als eine wesentliche Voraussetzung für Social Entrepreneurship gelten kann. Die Moabiter Akteurin setzt sowohl in ihrer Binnen- als auch in ihrer Außenkommunikation auf das persönliche, direkte Gespräch. Sie nutzt v.a. ‚strong ties’ für die Arbeit und Entwicklung der Einrichtung im Stadtteil, die sie strategisch mit ‚weak ties’ kombiniert. In diesem Sinne motiviert sie ebenso die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen. Diese Kommunikationsstrategie korrespondiert mit dem Bild, mit dem sich der Social Entrepreneur in seiner Öffentlichkeitsarbeit präsentiert: persönlich, direkt, nah dran. Die ‚strong ties’ stehen auch für die ‚starke’ Position des SOS-Kindedorfes im Stadtteil. Während ‚strong ties’ als eine Form des sozialen Kapitals in Netzwerken zu sehen sind, die z. B. Vertrauen schaffen und eine Grundlage für sozialen EinÀuss sind, vermitteln ‚weak ties’ den Zugang zu neuen Informationen und sind die Basis für strukturelle Autonomie (siehe Jansen 2000: 37 f. nach Granovetter 1973 sowie Neumann/Schmidt 2011). Bei der Wilhelmsburger Akteurin dominiert in der Kommunikation nach außen eine an Institutionen orientierte Strategie. Dies steht vermutlich – wie bereits angedeutet – mit dem stark institutionalisierten IBA-Prozess in Verbindung, in dem es für die Durchsetzung ‚eigener’ Interessen strategischer institutioneller Partner bedarf. In der Außenpräsentation stellt sich das Bürgerhaus als ein Bildungs- und Kulturdienstleister und als ein professioneller ‚sozialer Netzknüpfer’ dar. Die Entwicklung von ‚EinÀussmöglichkeiten’ aus ‚strong ties’ scheint hier indes erschwert zu sein. In der internen Kommunikation setzt die Wilhelmsburger wie auch die Moabiter Akteurin darauf, die unterschiedlichen Kompetenzen und das lokale Wissen der Mitarbeiter für die Arbeit des Bürgerhauses fruchtbar werden zu lassen. Insgesamt scheint für das Bürgerhaus die Positionierung als Social Entrepreneur aber wesentlich schwieriger als für das SOS-Kinderdorf in Berlin Moabit. Ein Grund dafür dürfte sein, dass in Wilhelmsburg die Gemengelagen der Interessen bezogen auf den Stadtteil wesentlich differenzierter und heterogener sind. 7
Fazit: Social Entrepreneurship und Quartiersentwicklung
Im Mittelpunkt dieses Beitrags stand die Frage, wie Social Entrepreneurs – hier als Raumpioniere de¿niert – im Stadtteil wirken. Dafür war von Interesse, welche Netzwerkbeziehungen und welche kommunikativen Strategien sie für neue Lösungsansätze sozialer Problemlagen in Großstadtquartieren entfalten und im Kontext welcher Rahmenbedingungen dies geschieht. Anhand erster Forschungsergebnisse aus Berlin-Moabit und Hamburg-Wilhelmsburg zu zwei institutionell im Stadtteil verankerten Social Entrepreneurs konnten dazu empirische Befunde geliefert werden. Beide verfügen über Ressour-
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cen und lokale/regionale Netzwerke, um sozialinnovative Projekte im Stadtteil zu initiieren. So werden sie mit ihrem Engagement im Stadtteil wahrgenommen und erreichen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Dies verschafft ihnen aber auch Sichtbarkeit über den Stadtteil hinaus. Ähnliches gilt für ihre Öffentlichkeitsarbeit, mit der sie ihr Image als sozialräumlich verankerter Akteur, der für und mit den Bürgern agiert, transportieren. In den persönlichen und institutionellen Netzwerkbeziehungen zeigen sich Unterschiede, die sich zum einen aus den differierenden stadtentwicklungspolitischen Kontexten, in denen die Social Entrepreneurs agieren, und den daraus folgenden unterschiedlichen Akteurskonstellationen auf Stadtteilebene ergeben. Zum anderen sind EinÀussfaktoren, die mit den persönlichen Orientierungen der Agierenden in Verbindung stehen, zu vermuten. Dies bedarf weiterführender Untersuchungen. Deutlich wird aber bereits, dass die soziokulturelle Einbettung und Verankerung der leitenden Akteurinnen eine wichtige Rolle spielt. Ohne ihr persönliches Engagement, die soziale Vernetzung und den Ruf, den sie sich mit ihrer Arbeit im Stadtteil erarbeiten, wäre Social Entrepreneurship nicht denkbar und realisierbar. Die Social Entrepreneurs sind durch eine starke Raumbindung an ihren Stadtteil gekennzeichnet, die in der Entwicklung sozialer Netzwerke und einer Verankerung in den jeweiligen lokalen sozio-kulturellen Kontexten zum Ausdruck kommt. Allerdings verfolgen die beiden Social Entrepreneurs dabei unterschiedliche Vernetzungsstrategien. Die Moabiter Akteurin setzt sehr viel stärker auf Einzelbürger und die Erschließung deren Netzwerke. Gezielt versucht sie, diese für die Arbeit im Kinderdorf und damit auch für die Stadtteilarbeit zu mobilisieren. Es ist davon auszugehen, dass Social Entrepreneurs mit ihren innovativen Ideen und professionellen Ressourcen zukünftig, angesichts geringer werdender öffentlicher Mittel für soziale Problemlösungen, eine wachsende Bedeutung für die Quartiersentwicklung zukommen wird. Das heißt aber auch, dass sich ihr Aufgabenspektrum ggf. erweitern muss und dass weitere Allianzen für die Sicherung der notwendigen Ressourcen gewonnen werden müssen. Ihre Einbettung in soziale Netzwerke und ihre Strategien, persönliche und institutionelle Kommunikationsformen miteinander zu verknüpfen, bieten dafür wichtige Voraussetzungen.
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Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung – Zwischen Anerkennung und Ignoranz Thilo Lang
1
Einleitung
Von je her ist die soziale Ökonomie und damit die Rolle sozialer Entrepreneurs in der theoretischen Diskussion mit Fragen der Entwicklung in Krisenregionen verbunden. Die Argumentationslogik der Notwendigkeit einer sozialen Ökonomie beruht auf negativen Folgen der Globalisierung, härterem (internationalem) Wettbewerb zwischen Städten und Regionen sowie dem Rückzug des Sozialstaats durch die Ausbreitung neoliberaler Agenden. Aus einer interdisziplinären raumwissenschaftlichen Perspektive stellt sich dabei die Frage nach den Bedingungen und Wirkungen der sozialen Ökonomie vor allem dort, wo soziale und ökonomische SchieÀagen zur Ausgrenzung größerer Teile der Bevölkerung geführt haben. In Großbritannien gilt die soziale Ökonomie in diesem Kontext schon seit vielen Jahren als wichtiges Handlungsfeld der Stadtentwicklung. Eine wesentliche Erkenntnis aus der angelsächsischen Forschung zu diesem Thema ist, dass Social Entrepreneurs in so genannten social oder community enterprises vor allem einen wichtigen symbolischen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten können, ihr Beitrag zur Überwindung von wirtschaftlichen Krisen jedoch begrenzt ist. Soziale und Gemeinwesen-orientierte Unternehmen bieten allerdings insbesondere zur Integration einer wachsenden Gruppe von Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chancen mehr haben, lohnende Perspektiven. Dieser Beitrag bezieht sich auf die Ergebnisse einer kürzlich abgeschlossenen empirischen Untersuchung zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in altindustriell geprägten Klein- und Mittelstädten außerhalb der Agglomerationen in Nordengland und Ostdeutschland, in der die Erfolgsfaktoren lokaler Initiativen vor dem Hintergrund spezi¿scher lokaler und nationaler Kontexte untersucht wurden (Lang 2009). Der Schwerpunkt lag vor allem auf der Frage, inwiefern lokale Initiativen der sozialen und formalen Ökonomie Antworten auf soziale und ökonomische Problemlagen geben können und wie diese in lokale GovernanceStrukturen eingebunden sind. Letztlich zeigte sich, dass in den untersuchten StädP. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_18, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
236
Thilo Lang
ten (Schwedt und Wolgast in Ostdeutschland, Barrow-in-Furness und Blyth in Nordengland) jeweils lokale institutionelle Rahmenbedingungen zu spezi¿schen Ausprägungen der sozialen und formalen Ökonomie geführt haben. Vor diesem Hintergrund wird hier u. a. der Stand der sozialen Ökonomie in Deutschland, wo im Vergleich zu Großbritannien ein übergeordneter unterstützender Rahmen fehlt, diskutiert. Was sind die Erfolgsbedingungen der sozialen Ökonomie und welchen Beitrag leisten hier insbesondere die individuellen Akteure (Social Entrepreneurs) zu einer integrierten Stadtentwicklung vor dem Hintergrund wachsender sozialer und ökonomischer Herausforderungen? Inwiefern werden Social Entrepreneurs und ihre Initiativen in diesem Bereich in lokale Entscheidungsprozesse eingebunden? Das folgende Kapitel de¿niert die soziale Ökonomie als Bestandteil einer integrierten Stadtentwicklung und geht dabei auf wesentliche Aspekte des lokalen Wirtschaftens und deren endogene Begründung ein. Beispielhaft werden dann einzelne Initiativen im Bereich der sozialen Ökonomie und deren räumliche Wirkung für die jeweilige Stadt vorgestellt. In den meisten Fällen sind diese Initiativen von engagierten Einzelpersonen abhängig, die ihre innovativen Ideen als Sozialunternehmer (Social Entrepreneurs) umsetzen. Das darauf folgende Kapitel reÀektiert daher die Einbindung dieser Akteure in lokale Entscheidungsstrukturen und hinterfragt deren Bedeutung für den Erfolg der Initiativen. Schließlich wird nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden in Bezug auf die Rolle der sozialen Ökonomie in den untersuchten Städten aus der Perspektive der Neuen Institutionentheorie gefragt und dabei abschließend die Rolle des nationalen Rahmens thematisiert. 2
Die lokale und soziale Ökonomie im Kontext einer integrierten Stadtentwicklung
Standort- und Produktionsentscheidungen werden in einer globalisierten Wirtschaft zunehmend unabhängig von ihrem lokalen Kontext getroffen (Krätke 1995: 209). Große Unternehmen, multinationale Konzerne oder produzierende Firmen sind mittlerweile einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und agieren auf globalen Märkten. Produktionsstandorte sind dabei dem ständigen Risiko ausgesetzt, dass Produktionsprozesse verlagert oder eingestellt werden (vgl. z. B. McCann 2004). Eine solche Destabilisierung von Standorten wirft die Frage nach veränderten Strategien der Wirtschaftsförderung auf (vgl. Lang 2006). Auch wenn es nach wie vor wichtig erscheinen mag, global tätige Unternehmen in ihren Ansiedlungsbemühungen an einem bestimmten Ort zu unterstützen, so wurden doch in den letzten Jahren vermehrt Ansätze diskutiert, die lokale Potenziale stärker in den Vordergrund stellen – insbesondere, wenn es darum geht, auf soziale und
Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
237
wirtschaftliche Herausforderungen zu reagieren. Lokal verwurzelte Unternehmen und die Jobs, die sie anbieten, sind dabei tendenziell nachhaltiger und einem geringeren Verlagerungsrisiko ausgesetzt wie lokale Einheiten großer multinationaler Konzerne (Cornett 2005). Das soziale Umfeld lokaler Unternehmer mit Face-to-Face-Kontakten, der besonderen Bedeutung von Familie und Freundeskreis, Vertrauen und persönliche Beziehungen in Unternehmerkreisen, gilt als der wichtigste Entwicklungsmotor eines kleinen Unternehmens (Özcan 1995: 21). Für die lokale Ökonomie zeigt sich hier eine andere Form der Einbettung in das Lokale als für die globale Ökonomie. Dieser Argumentation folgend gibt es eine Reihe von Ansätzen, lokale Werte stärker ins Zentrum einer sozio-ökonomischen Stadtentwicklung zu stellen (z. B. SEC 2003, ECOTEC 2001, Birkhölzer 1994). Der Begriff der lokalen Ökonomie bündelt diese Ansätze und ist dabei auch als normativer Gegenentwurf zur globalen Ökonomie zu sehen. 2.1 Zum Verständnis einer lokalen und sozialen Ökonomie Wirtschaftsentwicklung kann nicht nur rein quantitativ als Wachstum der Bruttowertschöpfung und von Unternehmensgewinnen gesehen werden. Wirtschaftliche Entwicklung wird letztlich durch soziale Prozesse konstruiert (vgl. Hudson 2001: 28 ff., Granovetter/Swedberg 1992) und verlangt nach einer qualitativen Fassung. Ein Verständnis von Wirtschaftsentwicklung (und -förderung), das die soziale Konstruktion der Wirtschaft ernst nehmen will, muss folgerichtig soziale und qualitative Aspekte integrieren. Eine Berücksichtigung von Faktoren wie Arbeitsplatzangebot und Arbeitslosigkeit sowie die Verankerung des Wissens im Lokalen und die Organisation von Innovation gewinnen dann an Bedeutung. Auch in der Debatte um schrumpfende Städte in Ostdeutschland spielen soziale Aspekte eher eine untergeordnete Bedeutung beziehungsweise werden stark disziplinär im Zusammenhang mit den zuständigen Fachpolitiken geführt (insbesondere Arbeitsmarktpolitik). In der Debatte um eine soziale und lokale Ökonomie wird der Idee einer ‚qualitativen‘ Wirtschaftsentwicklung folgend schon länger die Investition in Menschen, Quali¿kation und Ideen eingefordert (Noon et al. 2000: 62). Die klassische Wirtschaftsförderung berücksichtigt die immer akuter werdenden sozialen Probleme zu wenig, die sich als Folge der Transformation von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft einstellen und Marginalisierungs- wie Exklusionsprozesse verschärfen (vgl. McGregor/McConnachie 1995). Konzepte einer sozialökonomischen Stadtentwicklung setzen genau an diesem Punkt an und verbinden wirtschaftliche und soziale Zielperspektiven (siehe Abb. 1). Sie zielen in der Regel darauf ab, ökonomische Strukturen mit starker lokaler Verwurzelung zu fördern, über die Integration lokal Benachteiligter soziale Stabilität zu erreichen sowie
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Thilo Lang
grundsätzlich soziale und ökonomische Disparitäten abzubauen. Eine sozialökonomische Stadtentwicklung (oder Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung) hat damit einerseits eine stark normativ-strategische Dimension, andererseits lässt sich der Begriff in Form von Maßnahmen, Projekten und Initiativen, die zu den Zielen einer sozialökonomischen Stadtentwicklung beitragen, analytisch fassen. Abb. 1: Sozialökonomische Stadtentwicklung
6R]LDO |NRQRPLVFKH 6WDGW HQWZLFNOXQJ %HVFKlIWL JXQJVI|UGHUXQJ
:LUWVFKDIWV I|UGHUXQJ
2XWSXWV 4XDOLILNDWLRQ ,QWHJUDWLRQ
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Quelle: eigene Darstellung
Die soziale Ökonomie ist ein nicht unbedeutender Baustein der lokalen Ökonomie und kann auch als Ergebnis sozialer Innovationsprozesse betrachtet werden (Moulaert/Nussbaumer 2005), die alternative Modelle sozio-ökonomischer Entwicklung hervorbringen. Insbesondere bei einem Versagen der formalen Ökonomie (bzw. Mainstream-Ökonomie) bietet die soziale Ökonomie Möglichkeiten zur sozialen Integration. Die soziale Ökonomie besteht aus sozialen oder Gemeinwesen orientierten Unternehmen oder – grundsätzlicher – Initiativen mit sozialen und wirtschaftlichen Zielen, wobei die sozialen Ziele dominieren. Weil solche Initiativen meist nicht ein-
Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
239
deutig dem privaten oder dem öffentlichen Sektor zugeordnet werden können, wird die soziale Ökonomie oft auch als der dritte Sektor bezeichnet.1 Soziale Unternehmen agieren zwar markt- und gewinnorientiert, stellen dabei aber soziale über wirtschaftliche Ziele (DTI 2002: 14), bspw. im Bereich der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Quali¿zierung, des Erhalts lokaler Dienstleistungen oder Gemeinwesen relevanter Angebote. Soziale Unternehmen re-investieren Gewinne, um soziale Ziele zu erreichen: „Social enterprises aim to sustain their business and make pro¿ts – it is what they do with these pro¿ts that is different.“ (SEC 2003: 7). Viele solcher Unternehmen be¿nden sich in genossenschaftlichem Besitz. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich auf die Bereiche soziale Dienste, Umwelt, Kultur und Sport. Sie erschließen dabei zusätzliche Bedarfe für (innovative) Güter und Dienstleistungen vor allem in Bereichen mit mangelhafter öffentlicher Versorgung, in Nischenmärkten, in denen Private nicht operieren wollen oder können und seltener auch in konventionellen Märkten und in Konkurrenz mit anderen (herkömmlichen) Anbietern. Die soziale Ökonomie ist dadurch gleichermaßen eine „signi¿cant source of work, welfare, and participatory democracy“ (Amin/ Cameron/Hudson 2002: 14). Die ‚Ciriec-Studie‘ identi¿zierte im Jahr 2000 8,8 Millionen vollzeitäquivalente Arbeitsplätze in sozialen Unternehmen in der EU – 7,9 % aller sozialversicherungspÀichtigen Jobs (Ecotec 2001: 8). Auch in Deutschland wird der sozialen Ökonomie wirtschaftliche Relevanz zugeschrieben, wobei ihre Verbreitung hier mit 7 % bzw. 1,9 Millionen Jobs unterdurchschnittlich ist (Birkhölzer/Kramer 2002: 68). In Irland und den Niederlanden wird ein mehr als doppelt so hoher Anteil an Stellen der sozialen Ökonomie zugerechnet. Der Großteil der – vor allem britischen – Literatur zur sozialen Ökonomie ist in ihrer Bewertung ausgesprochen positiv. Dabei wird die soziale Ökonomie häu¿g eher normativ beschrieben, d. h. wie sie sein sollte, aber nicht, wie sie tatsächlich ist. So ¿nden sich nur wenige kritische Stimmen (z. B. Amin/Cameron/Hudson 2002), die deutlich machen, dass die Mehrheit der Initiativen, die der sozialen Ökonomie zugerechnet werden, von externer Finanzierung abhängig sind oder von engagierten Personen, die ihre Arbeit ehrenamtlich erfüllen. Unterbezahlte und unbeständige Anstellungsverhältnisse sowie mangelhafte unternehmerische Fähigkeiten im Management führen oft zu hohen Fehlerraten. Die soziale Ökonomie wird daher nie zu einer „growth machine or an engine of job generation” werden, aber sie kann für ein „small symbol for another kind of economy“ (Amin/Cameron/Hudson 2002: 116, 125) stehen. Dennoch ist die soziale Ökonomie in räumlicher Hinsicht oft dort am schwächsten ausgeprägt, wo sie am meisten gebraucht würde. Umgekehrt scheint 1
Dem entsprechend gilt der Staat als der erste Sektor (öffentlich) und die freie Wirtschaft als der zweite Sektor (privat).
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Thilo Lang
sie in Milieus besser zu funktionieren, in denen der Bedarf am geringsten ist. Diese These bestätigt zum Beispiel eine repräsentative Erhebung zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland, in der eine Korrelation hoher Arbeitslosenquoten mit niedrigem Engagement festgestellt wird (Engagementatlas 2009: 24 f.). 2.2 Initiativen der sozialen Ökonomie und deren Beitrag zu einer integrierten Stadtentwicklung In der bereits genannten Studie „Institutional perspectives of local development in Germany and England“ wurden die Erfolgsfaktoren lokaler Initiativen im Bereich Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in vier Klein- und Mittelstädten in Nordengland und in Ostdeutschland untersucht (Lang 2009). Die vier Städte Schwedt (Brandenburg) und Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) sowie Barrowin-Furness (Northwest) und Blyth (Northeast) sind altindustriell geprägt und haben sich in den letzten Jahren in zentralen Kennzahlen (Bevölkerung und Arbeitsplätze) unterdurchschnittlich entwickelt. Durch den ökonomischen Strukturwandel und die dadurch ausgelösten Krisen der lokal dominierenden Branchen Schiffsbau, Petrochemie und Kohlebergbau stehen diese Städte seit Jahren vor ähnlichen sozialen und ökonomischen Herausforderungen (siehe Abb. 2). Trotz teilweise hemmender Kontextbedingungen konnten in den untersuchten Städten insgesamt über 40 Initiativen identi¿ziert werden, die einerseits neue Perspektiven für die hohe Zahl der Arbeitslosen vor Ort bieten wollen und gleichsam ökonomische Ziele verfolgen. Ein Teil der Initiativen ist der Privatwirtschaft zuzurechnen (zweiter Sektor, formale Ökonomie), ein weiterer Teil operiert in einem Bereich zwischen Markt und Staat (dritter Sektor, soziale Ökonomie). Rein staatlich ¿nanzierte Initiativen wurden nicht erhoben. Bei der Analyse dieser durch Internetrecherchen, Dokumentenanlysen, Experten- und Telefoninterviews identi¿zierten Initiativen zeigen sich unterschiedliche Schwerpunkte (siehe Abb. 3). So ist ein großer Teil der Projekte in Barrow dem Bereich Entrepreneurship (Gründerförderung/Unternehmerkultur) zuzuordnen; in Schwedt liegt der Schwerpunkt auf meist Branchen-bezogenen Initiativen der Wirtschaftsförderung. In Blyth und Wolgast hingegen verfolgt der Großteil der identi¿zierten Projekte die Verbesserung von sozialen Diensten und Integration als Hauptziele. Bereits diese unterschiedliche Priorisierung lässt auf das Vorhandensein lokaler Kulturen und Orientierungen schließen, die wiederum auf bestimmte Formen der Intervention förderlich wirken (s.u.). Projekte, die der sozialen Ökonomie zuzuordnen sind, haben beispielsweise die Aufbereitung gebrauchter Möbel und deren Verkauf an Bedürftige (Sozialladen Wolgast), die Integration und Quali¿zierung arbeitsloser Ingenieure (Forschungsgemeinschaft für technischen Umweltschutz und Logistik
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241
e.V. Schwedt), die Unterstützung Älterer durch einen günstigen Hausmeister- und Haushaltsservice (STARS Small Tasks and Repair Service Blyth) oder die Integration und Quali¿zierung von Langzeitarbeitslosen (Community Action Furness, Barrow) zum Ziel. Abb. 2: Kurzpro¿le der Untersuchungsstädte Barrow-in-Furness (Northwest) Peripher gelegene Industriestadt (Marinewerft, ehem. Stahlindustrie) am Rande des Lake District Nationalparks 58.000 EW (2004; -3,0 % seit 1994) IMD* 2004: 29
Blyth (Northeast) Ehemalige Kohle- und Hafenstadt am Rande der Metropolregion Tyne and Wear (Newcastle) 35.800 EW (2004; +0,9 % seit 1996) IMD 2004: 79
Schwedt (Brandenburg) DDR Idealstadt zwischen Berlin und Stettin an der polnischen Grenze, petrochemische und Papierindustrie 38.000 EW (2004; -25 % seit 1988) Arbeitslosigkeit 2006: ca. 20 %
Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) Peripher gelegene Kleinstadt am Tor zur Insel Usedom mit privatisierter ehemaliger DDRMarinewerft 12.500 EW (2004; -25 % seit 1990) Arbeitslosigkeit 2006: ca. 20 %
* Der Index of Multiple Deprivation (IMD) ist ein multipler Indikator zur Bestimmung der sozialen Probleme auf Gemeindeebene in Großbritannien und ist damit wesentlich aussagefähiger als die Arbeitslosenstatistik. Alle Ergebnisse werden in einer Rangfolge dargestellt, bei der die Zahl 354 für die Gemeinde mit den besten, die Zahl 1 für die Gemeinde mit den schlechtesten Werten steht.
Fotos: T. Lang
242
Thilo Lang
Abb. 3: Identi¿zierte Projekte in den vier Fallstädten und deren Tätigkeitsfelder Tätigkeitsfelder Soziale Dienste/Integration Quali¿zierung/Training Entrepreneurship Wirtschaftsförderung/ Netzwerkbildung
Barrow 3 1 6
Blyth 6 1 2
Schwedt 2 2 2
1
1
5
11
10
11
Wolgast 5 2 3
10
Quelle: eigene Erhebung
Der Beitrag all dieser Initiativen zu den großen sozialen und ökonomischen Herausforderungen einer integrierten Stadtentwicklung erscheint – in Zahlen ausgedrückt – marginal. Verglichen mit den rapiden Arbeitsplatzverlusten in der traditionell ansässigen Industrie kompensieren sie nur einen winzigen Teil der Jobverluste. Stellvertretend hierfür steht die Aussage eines leitenden Angestellten in der Stadtverwaltung von Barrow-in-Furness: „With a lot of work, a lot of hard work, and with the raw materials, you CAN make a difference. But, it isn’t (...) you’re putting on jobs in the 10s, the 20s and the 30s; in the 1990s we lost them 1000, 2000, 3000.“
Der Beitrag lokaler Initiativen, insbesondere derjenigen im Bereich der sozialen Ökonomie, liegt also vielmehr auf einer symbolischen Ebene und in Bezug auf Personengruppen, die besonders schwer zu integrieren sind und als letzte von neuen ökonomischen Entwicklungen in der Privatwirtschaft pro¿tieren würden. Die Initiativen stehen dabei für die Möglichkeit, selbst wieder tätig zu werden, sich individuell in alternativen Bereichen zu verwirklichen und grundsätzlich in einer allgemeinen Stimmung des Niedergangs einen kleinen Aufbruch zu erleben. In der Summe stehen die Initiativen schließlich für eine andere Form der Ökonomie abseits individueller Verlusterfahrungen in der niedergehenden Industrie. Letztlich können solche Erfahrungen auch wieder ausstrahlen und dadurch, dass sie den Möglichkeitsraum erweitern, auch in der formalen Ökonomie eine neue Aufbruchstimmung erzeugen. 2.3 Zwei Beispiele sozialer Unternehmen Die Produktionsschule Wolgast bietet integriertes Lernen und Arbeiten für Jugendliche, die auf dem regulären Arbeitsmarkt weder einen Ausbildungsplatz noch eine Arbeitsstelle ¿nden können und auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sind. Karrieren vererbter Arbeits- und Perspektivlosigkeit sollen so durchbrochen wer-
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243
den. Bis zu 60 Jugendliche werden in Lernwerkstätten an einen Schulabschluss herangeführt und können sich in acht verschiedenen Werkstätten in den Bereichen Handwerk, Hauswirtschaft, Musik und Kunst sowie Gartenbau ausprobieren und auf eine weiterführende Ausbildung vorbereiten. Das besondere am Konzept der Produktionsschule ist, dass in den Werkstätten neben Arbeiten für den ‚Eigenbedarf‘ (so wurde zum Beispiel der Innenausbau und die Internetpräsentation der Produktionsschule gemeinsam mit den Schülern realisiert), reale Aufträge die Basis für das gemeinsame Arbeiten bilden. Über diese generiert die Schule bis zu 15 % ihrer Einnahmen auf dem freien Markt, die Grund¿nanzierung bestreitet sie aus Mitteln des Landkreises Ostvorpommern und aus Spenden. Durch ihre betriebsnahe Arbeitsweise bietet die Produktionsschule Wolgast Jugendlichen nicht nur eine Alternative zum Leben in der Arbeitslosigkeit, sondern bindet sie auch gleich in lokale Wirtschaftsbeziehungen ein. Damit trägt das Konzept gleich in zweierlei Hinsicht zu einer integrierten Stadtentwicklung bei: einerseits werden soziale Probleme arbeitsloser Jugendlicher direkt adressiert, andererseits schafft das Projekt die Voraussetzungen für eine nachhaltige Einbindung der Jugendlichen in die lokale Wirtschaft und begegnet so dem auch hier mittlerweile anzutreffenden Fachkräftemangel und Ausbildungsplatzüberangebot (mit dem Arbeitsagenturbezirk München belegt der Bezirk Stralsund den zweiten Spitzenplatz und gehört zu vier von 176 Bezirken, in denen 2009 ein statistisches Überangebot an Ausbildungsplätzen bestand, Bode/Burdack 2010). Als klassisches Social Enterprise bietet Blyth Valley Enterprise Limited (BVEL) mit dem Community Enterprise Centre (CEC) Raum für lokale Existenzgründungen (siehe Abb. 4). Im Gegensatz zu vielen Gründerzentren, die aus pragmatischen Gründen und zur schnelleren Auslastung zu reinen Gewerbeimmobilien geworden sind und ihrem ursprünglichen Auftrag der Gründerförderung nicht mehr entsprechen (so auch die mit Landesmitteln geförderten ‚Technologie- und Gründerzentren‘ in Schwedt und Wolgast), bietet der CEC wirklich Platz für lokale Gründer und junge Firmen. Im Sommer 2010 sind es 24 kommerzielle Mieter mit über 60 Mitarbeitern. Nur vier Einheiten sind ungenutzt. Bereits wenige Monate nach der Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 2001 war eine Auslastung von 80 % erreicht, die seitdem auch nicht mehr unterschritten wurde. Für viele erfolgreiche Gründungen wurden die Räume im CEC schon zu klein, so dass sie an anderer Stelle in der Region ihre Tätigkeit fortsetzen mussten. Seit einigen Jahren arbeitet BVEL pro¿tabel und plant die Re-Investition der Gewinne zur Erweiterung des Angebots im CEC: „We can now start to use the income that we generated from here (…) for more bene¿t again about regeneration, about employment, about that happening in Blyth.“
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Thilo Lang
Abb. 4: Blyth Valley Community Enterprise Centre
Foto: T. Lang
Das CEC leistet gleich in mehrer Hinsicht einen Beitrag zur integrierten Stadtentwicklung. Einerseits belebt es auf aufgegebenen HafenÀächen einen attraktiven Standort direkt am Wasser in der Nähe des Stadtzentrums, andererseits trägt es durch die konsequente Förderung lokaler Gründer zur langfristigen Entwicklung einer tragfähigen lokalökonomischen Basis bei. Das CEC steht damit auch symbolisch für eine neue Entwicklung in einem wirtschaftlichen Umfeld, das über Jahrzehnte vom industriellen Niedergang geprägt war. Damit scheint ein wesentliches Ziel der Stadtplaner von Blyth erreicht: „We need the Community Enterprise Centre to be part, a major sort of part on delivering a step change, a transformational sort of change.“
Alle hier untersuchten Initiativen im Bereich der sozialen Ökonomie waren und sind auf die Verfügbarkeit günstiger (oder zur Nutzung überlassener) Räumlichkeiten angewiesen. Ihre Ansprüche sind dabei eher niedrig. Es geht in den meisten Fällen lediglich um nutzbare und bezahlbare Räumlichkeiten.
Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
3
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Erfolgsfaktoren lokaler Initiativen der sozialen Ökonomie
3.1 Social Entrepreneurs und ihre Einbindung in lokale Entscheidungsstrukturen Das Wirken in einem Feld zwischen Markt und Staat, zwischen bezahlter Beschäftigung und Ehrenamt sowie zwischen Pro¿t und sozialer Reinvestition zeichnet die meisten sozialen Unternehmen aus. In den hier untersuchten Fallbeispielen kamen die Social Entrepreneurs in den meisten Fällen aus dem Umfeld sozialer oder bürgerschaftlicher Organisationen und Verbände. In allen vier Städten gab es eine verhältnismäßig große Dichte dieser Organisationen. Bei der Analyse der Biographien der beteiligten Personen wird bereits eine Schwäche der sozialen Ökonomie deutlich: In vielen Fällen fehlt schlicht die Management-Kompetenz, ein Problem, auf das schon verschiedene Studien im britischen Kontext hingewiesen haben (z. B. Amin/Cameron/Hudson 2002: 116). Missmanagement führte aller Wahrscheinlichkeit nach zur Liquidation von Community Action Furness (CAF) in Barrow, eines der prominentesten Social Enterprises Großbritanniens, das ebenfalls Teil meiner Studie war. Nach 14 Jahren Tätigkeit und bis zu 150 Mitarbeitern in lokalen Projekten musste CAF im Jahr 2007 den Betrieb mit zwei Millionen Pfund Schulden einstellen. Die Gründerin des Social Enterprise wurde in den Jahren zuvor mehrfach mit Preisen ausgezeichnet (siehe Northwest Evening Mail vom 24.5.2008 und vom 24.2.2009). Anders bei BVEL, die als Community Enterprise ein Gründerzentrum betreiben und sich den betriebswirtschaftlichen Fachverstand gezielt ins Management holen, wie ein Mitglied des Vorstands betont: „The community engaged with this. That‘s there, that‘s ¿ne. (…) They‘re doing this as a community. But their experience isn‘t that business sharpness, that business ethic (…) that we really feel that we need to be sharper in.“
Erfolgreiche soziale Unternehmen brauchen also beides: das Interesse, soziale Missstände zu beheben und die betriebswirtschaftliche Kompetenz als Unternehmer. Gerade diese fehlende Unternehmenskomponente führt dazu, dass sozialen Unternehmen im Kontext der Wirtschaftsförderung oft mit weniger Respekt begegnet wird, wie eine Interviewpartnerin eines Projektes in Schwedt bestätigt: „Die ersten Jahre musste man ja erst mal um die Akzeptanz kämpfen. Das brauchen wir eigentlich nicht mehr. (…) Wir werden gut wahrgenommen und wir haben immer einen heißen Draht zum Bürgermeister. (...) Aber in politischen Entscheidungen oder solche Sachen, werden wir nicht gefragt. Soweit sind wir nicht irgendwie vorgedrungen.“
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Thilo Lang
Der Bürgermeister trifft sich dafür im Rahmen eines gemeinsamen Arbeitskreises der IHK regelmäßig mit Vertretern der Industrie am Ort und scheint von lokalökonomischen Alternativen grundsätzlich nicht viel zu halten: „Diese Aktivitäten sind lobenswert, aber sie führen nicht äh zu Arbeitsplätzen auf dem ersten (...) oder in der Regel nicht zu Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt.“
In einer Reputationsanalyse zur Identi¿kation der in den Untersuchungsstädten für die sozialökonomische Entwicklung relevanten Akteure2 wurden überwiegend Personen aus der öffentlichen Verwaltung und aus halböffentlichen Agenturen und Gesellschaften benannt. Nur in Schwedt wurde ein größerer Anteil an Vertretern der ansässigen Industrie als wichtig anerkannt. Akteure der Zivilgesellschaft hingegen waren kaum vertreten (siehe Abb. 5). Abb. 5: Als für die sozialökonomische Entwicklung wichtig anerkannte Akteure (Anzahl der Personen je Bereich mit mehr als einer Nennung in der Reputationsanalyse). :LUWVFKDIW =LYLO KDOE |IIHQWOLFK |IIHQWOLFK
%O\WK
%DUURZ
6FKZHGW
:ROJDVW
Quelle: eigene Darstellung
2
Nach dem Schneeballprinzip wurden Akteure aus thematisch relevanten Bereichen befragt, welche Personen sie in der jeweiligen Stadt als wichtig erachten, also Personen, die soziale und ökonomische Ziele, Strategien und Projekte der Stadtentwicklung bestimmen, relevante (Projekt-)Ideen entwickeln, Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten haben oder verschaffen können und Entscheidungsträger aktivieren bzw. überzeugen können. Zur Methodik ausführlich Lang (2009: 77 ff.).
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Von den bekannten Social Entrepreneurs erzielte lediglich der Verantwortliche für das oben beschriebene Blyth Community Enterprise Centre einen signi¿kanten Wert und wurde von mehr als einem Drittel aller Befragten Akteure als wichtige Person für die sozialökonomische Entwicklung anerkannt. Dies wird auch in der Wertschätzung der Arbeit des CEC durch die Stadtverwaltung deutlich: „The CEC has a POTENTIAL to sort of play a REAL role in improving the social and economic sort of wealth there, of people and communities in Blyth and the wider Blyth Valley area.“
Außerhalb ihrer Projekte scheinen Akteure der sozialen Ökonomie also vor allem dann eine größere Rolle zu spielen, wenn die grundsätzliche Passfähigkeit des Gedankenguts, der Ziele und Entwicklungsvorstellungen des Projekts mit den Leitlinien, Ideen und Vorstellungen der Entscheidungsträger gegeben ist. Es gibt – vor allem in der angelsächsischen Literatur – eine weit verbreitete Meinung, dass eine verbesserte Kooperation zwischen öffentlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren in neuen Formen der Governance zu ‚besseren‘ Reaktionen auf soziale und wirtschaftliche Herausforderungen führt (z. B. Healey 2004: 88). Ein direkter Zusammenhang zwischen der Einführung ‚neuer‘, kooperativer Governance-Formen und positiven Effekten hinsichtlich der Regenerierung schrumpfender Städte kann im Hinblick auf die soziale Ökonomie empirisch bisher nicht belegt werden (Lang 2009: 192). In manchen Fällen mögen bestimmte Formen der Governance Ermutigung oder Unterstützung zur Formierung neuer Projekte oder Initiativen geben können. In der Mehrzahl der Fälle sind lokale Initiativen jedoch eher auf das Engagement lokaler Verwaltungen zurück zu führen (wie letztlich im Falle des CEC in Blyth) oder können als ein Ergebnis der Arbeit bestimmter Entwicklungsagenturen (wie z. B. der Sozialagentur Ostvorpommern)3 gesehen werden.
3
Die Sozialagentur Ostvorpommern unterstützt neben der Produktionsschule Wolgast auch andere sozialökonomische Projekte. Nach dem Optionsmodell wurde die Sozialagentur 2004 eingeführt und ist seitdem alleine für die Betreuung und Integration von über 10.000 Langzeitarbeitslosen im Kreis zuständig. Das Modell sieht die lokale Betreuung von Arbeitslosen außerhalb der zentral verwalteten Arbeitsagenturen vor und gilt in Ostvorpommern als sehr erfolgreich. Die Sozialagentur ist dabei nicht nur für die Auszahlung sozialer Hilfeleistungen zuständig, sondern kann auch eigenständig über Projekte entscheiden. Seit 2005 hat die Agentur bereits fünf eigene Projekte zur Integration und Quali¿kation initiiert und einige weitere ¿nanziell gefördert. Darin wird sie auch von der Stadtverwaltung Wolgast unterstützt: „Es gibt ja auch da Projekte, die da laufen, und da kann die Kommune eigentlich nur Unterstützung geben am Ende.“ (leitender Angestellter im Bereich Stadtentwicklung).
248
Thilo Lang
3.2 Spezi¿sche Kontextbedingungen aus Sicht der Neuen Institutionentheorie: zwischen Dominanz und Determinismus Das Verhältnis von Social Entrepreneurship und Stadtentwicklung spiegelt letztlich die spezi¿sche Rolle der sozialen und formalen Ökonomie im lokalen institutionellen Kontext wieder. Während sozialökonomische Tätigkeiten in Wolgast auch von den zentralen Entscheidungsträgern gestützt werden, werden sie in Schwedt in ihrer Wertigkeit deutlich geringer eingeschätzt. Hierfür stehen beispielhaft zwei Zitate, die den größeren Möglichkeitsraum in Wolgast gegenüber Schwedt verdeutlichen, wo die meisten Akteure nach wie vor ein Paradigma der industriellen Entwicklung verfolgen. „Dafür sind wir ja da, auch aus der kreislichen Wirtschaftsförderung, dass die GESAMTEN Belange, nich nur speziell jetzt wirtschaftliche Belange in Betracht genommen [werden]. Das soziale Umfeld muss stimmen, und dafür haben wir ja EXTRA (…) uns als optierende Kommune bekannt.“ (Vertreter der Amtsleitung des Amtes für Planung und Wirtschaftsförderung Ostvorpommern) „Dieser Standort ist mit der Industrie, die damals entwickelt wurde, gewachsen. Und jetzt muss er mit der Industrie wieder schrumpfen. (…) Wir müssen uns damit ab¿nden, das endogene Potenzial ist weitestgehend ausgeschöpft in diesen dünn besiedelten Regionen.“ (Bürgermeister der Stadt Schwedt)
Die Neue Institutionentheorie bietet ein konzeptionelles Gerüst zum besseren Verständnis lokalen Handelns vor dem Hintergrund spezi¿scher Kontextbedingungen. Dabei differenziert sie insbesondere zwischen Organisationen und Institutionen sowie innerhalb dieser zwischen formalen (zum Beispiel Gesetze, Statuten, Pläne) und informellen (etwa Handlungsroutinen, Verhaltensweisen, Paradigmen) Institutionen (siehe Abb. 6). Institutionen strukturieren Interessen, strategische Konzepte, Formen der Zusammenarbeit und Handlungsrepertoires der betroffenen Akteure. Institutionen verkörpern Werte und Machtverhältnisse. Soziale Prozesse sind eingebettet in orts- und zeitspezi¿sche institutionelle Gefüge. Diese Gefüge strukturieren Werte und Interessen, Strategien und Handlungsrepertoires, Machtverhältnisse und Hierarchien. Durch ihre permanente und dominante Reproduktion in der sozialen Interaktion diskriminieren Institutionen bestimmte Ideen, Strategien und Formen des Handelns oder schließen sie gar aus, während andere ermöglicht oder bevorzugt werden. Die institutionelle Dimension der integrierten Stadtentwicklung bezieht sich auf dieselben übergreifenden Wertesysteme, Traditionen, Normen und Praktiken, die auch grundsätzlich in sozialen Interaktionsprozessen wirksam werden. Ins-
Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
249
titutionen beeinÀussen, ermöglichen oder beschränken politisches Verhalten genau so wie jede andere Verhaltensform auch. Lokales Handeln wird von solchen übergreifenden Systemen, tief verinnerlichten Handlungslogiken oder ‚institutionalisiertem’ Verhalten beeinÀusst. Dieses Meta-Bezugssystem entsteht aus einem breiten Spektrum an Institutionen, das sich von der Informalität von Gewohnheiten, Normen und Routinen (meistens unbewusst und unreÀektiert ausgeführt) bis hin zur Formalität des Verhaltens innerhalb eines Staates und seiner konstituierenden Mechanismen und Organisationen erstreckt (vgl. Hudson 2005: 586). Abb. 6: Formale and informelle Institutionen und Organisationen 5HJHOQ
*HVHW]H
6WDWXWHQ
IRUPDOH,QVWLWXWLRQHQ
1RUPHQ 5RXWLQHQ 3UDNWLNHQ LQIRUPHOOH,QVWLWXWLRQHQ
2UJDQLVDWLRQHQ
Quelle: eigene Darstellung
Akteure können nicht einfach aus diesen Meta-Bezugssystemen ausbrechen, zumal die meisten der entstehenden Vorstrukturierungen unbewusst und unreÀektiert ablaufen. Handeln außerhalb lokal dominanter Paradigmen, Normen, Praktiken und Routinen ist genauso schwer wie gegen bestehende formalisierte Regelungen auf regionaler, nationaler oder europäischer Ebene. Das zeigt das Beispiel Schwedt. Akteure der sozialen Ökonomie haben es in diesem vom industriellen Paradigma geprägten Milieu schwer, ihre Ideen umzusetzen. Dennoch ist es möglich, weil sich dominante Strukturen auch umgehen lassen: Lokales Handeln – auch als Social Entrepreneur – muss in theoretischer Hinsicht zwischen den strukturierenden Kräften übergeordneter formaler und informeller Kontextbedingungen (lokal spezi¿sch) sowie den bewussten Wahlmöglichkeiten aus einer Vielzahl an konkurrierenden strukturellen und institutionellen Gefügen (ortsungebunden) eingeordnet werden. In einer post-traditionellen Welt bildet sich individuelle Identität immer auf der Basis multipler Orientierungen (Giddens 1991) – selbstverständlich auch außerhalb lokal dominanter Strukturen. Orientierungsmöglichkeiten für Ansätze einer alternativen Ökonomie gibt es daher in einer zunehmend multi-lokalen, multi-perspektivischen und pluralistischen Gesellschaft immer mehr – gerade vor dem Hintergrund einer
250
Thilo Lang
Vielzahl kritischer Diskurse, die sich in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelt haben. 3.3 Die Rolle des nationalen Rahmens Durch die Vorgabe formaler Strukturen, eines grundsätzlichen strategischen Rahmens und nicht zuletzt der Finanzierungsinstrumente hat die nationale Ebene einen erheblichen EinÀuss auf die lokale Ebene und letztlich auch auf die Entwicklung sozialökonomischer Projekte. Keines der untersuchten Projekte der sozialen Ökonomie wäre ohne die ¿nanzielle Unterstützung durch nationale (und teilweise europäische) Förderprogramme z. B. in Form von Anschub¿nanzierungen oder ¿nanzielle Kompensationen der Zusatzlasten bei der Arbeit mit Langzeitarbeitslosen möglich gewesen. In Großbritannien scheint der Handlungsrahmen einer sozialökonomischen Stadtentwicklungspolitik durch Überregulierung und konkrete Vorgaben zur Mittelverwendung auf nationaler Ebene vorde¿niert und eingeschränkt. Förderprogramme, strategische Ziele und alle relevanten Rahmenbedingungen werden in London de¿niert, was es sehr schwierig macht, alternative Wege außerhalb des gegebenen Rahmens zu gehen. Allerdings ist gerade dieser übergeordnete Rahmen in Bezug auf die soziale Ökonomie äußerst förderlich. Social Enterprise ist seit einigen Jahren eine zentrale Säule der britischen Wirtschaftspolitik (DTI 2002). Allein durch die föderale Struktur und durch das höhere Gewicht der lokalen Ebene (kommunale Selbstverwaltung) haben lokale Akteure in Deutschland mehr Raum für ‚innovative‘ Formen und Projekte der sozialökonomischen Stadtentwicklung als in Großbritannien. Allerdings wird dieser breite Möglichkeitsraum weder von nationaler und Landesebene gezielt gefördert, noch auf lokaler Ebene selbstständig erschlossen und genutzt. Es müssen also noch weitere Barrieren existieren, die Innovationen in diesem Bereich behindern. Es spricht viel dafür, dass diese Barrieren durch dominante Diskurse und informelle, breit anerkannte Normen und Paradigmen der Entwicklung entstehen. Dadurch wird der Spielraum für Innovation in der sozialen Ökonomie in Deutschland deutlich eingeschränkt. In Großbritannien gehört die soziale Ökonomie zum anerkannten Repertoire der Wirtschaftsförderung, in Deutschland eben nicht. So kann einerseits festgestellt werden, dass klare Vorgaben in Großbritannien zur Förderung der sozialen Ökonomie auch auf der lokalen Ebene zu neuen Initiativen geführt haben: „The value – in terms of regeneration – of social enterprise is out, you know, the jury is out. I’m not totally convinced. But I’m suf¿ciently open-minded to say, OK, if other people think that it’s an important part to play, then we’ll give it our best show. So, we now have a programme to develop social enterprises in this area.“ (Geschäftsführer einer regionalen Entwicklungsgesellschaft in Barrow)
Sozialökonomische Initiativen zur Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung
251
Andererseits kann vermutet werden, dass sich Ideen im Bereich der sozialen Ökonomie in Deutschland durch das Fehlen dieses förderlichen übergeordneten Diskurses wesentlich schwerer durchsetzen und es auch auf lokaler Ebene viel seltener zu Projekten kommt. Deutschland hat sich immer noch nicht vom Gedanken der Vollbeschäftigung verabschiedet und tut sich grundsätzlich schwer im Umgang mit Langzeitarbeitslosen – eine zentrale Zielgruppe sozialökonomischer Projekte. Der Geschäftsführer eines größeren Industriebetriebes in Schwedt, in dem im Zuge der wirtschaftlichen Transformation nach der Wende fast 10.000 Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden, drückt das so aus: „Leute, die jetzt seit der Wende arbeitslos sind, ja, also zehn Jahre plus arbeitslos sind, die kann man schlichtweg im Prinzip nur verrenten. (…) Die werden nie wieder ’ne Arbeit bekommen.“
Dies ist eine Folge der jahrelangen Politik der Bundesregierung, ältere Beschäftigte und Langzeitarbeitslose frühzeitig dem Rentensystem zu überlassen, anstatt ihnen alternative Perspektiven zu bieten – zum Beispiel im Rahmen der sozialen Ökonomie. 4
Fazit
Im Unterschied zu Großbritannien wird die soziale Ökonomie in Deutschland weder gezielt gefördert noch erfährt sie im öffentlichen Diskurs eine besondere Wertigkeit. In lokalen Entscheidungsprozessen setzen sich sozialökonomische Projekte in Deutschland daher mitunter nur schwer durch. Gerade bei lokalen Entscheidungsträgern, auf deren (ideelle, materielle oder ¿nanzielle) Unterstützung sozialökonomische Projekte meist angewiesen sind, fehlt oft die Bereitschaft, neue oder alternative Formen des Wirtschaftens zu erproben. Wenn uneingeschränkt am Paradigma großindustrieller Entwicklung festgehalten wird – so zeigt das Beispiel Schwedt – bleibt wenig Spielraum für Alternativen. Dennoch gibt es sie: In allen untersuchten Fallstädten ¿nden sich Social Entrepreneurs, die ihre Ideen und Fähigkeiten im Sinne einer integrierten Stadtentwicklung einsetzen und soziale Probleme adressieren. Ihre Projekte entstehen im Kontext förderlicher institutioneller Rahmenbedingungen entweder in Form von lokalspezi¿schen Milieus oder bestimmten Förderkulissen übergeordneter Ebenen (regional, national oder europäisch). In Orten, in denen diese Unterstützungsfaktoren besonders ausgeprägt sind, entstehen auch mehr sozialökonomische Projekte. Die Offenheit und Flexibilität lokaler Milieus spielt also eine entscheidende Rolle, wenn es um den spezi¿schen Möglichkeitsraum der sozialen Ökonomie geht. Lokale Entscheidungsträger
252
Thilo Lang
können diesen Möglichkeitsraum gezielt vergrößern, indem sie zum Beispiel eine Kommunalpolitik verfolgen, die eine Bewohner-orientierte vor eine rein ökonomische Entwicklung stellt (wie in Blyth) oder sich bewusst für ein Modell der Betreuung von Langzeitarbeitslosen entscheiden, das Projekt-basierte sowie lokalintegrierte Lösungen ermöglicht (wie in Wolgast). Die dabei entstehenden Projekte bieten insbesondere für Personengruppen, die im regulären Arbeitsmarkt schwer integrierbar sind, neue Perspektiven und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu einer integrierten Stadtentwicklung. Nebenbei stehen sie symbolisch für Alternativen zu einer globalisierten Ökonomie, die zunehmend Teile der Bevölkerung an den Rand der Gesellschaft drängt und überÀüssig macht. Innovative Projekte einer lokalen und sozialen Ökonomie stehen damit auch für eine endogene und nachhaltige Form des Wirtschaftens, die in Deutschland zunehmend Anhänger ¿ndet (vgl. Müller 2009: 36 f.). In einem Prozess aus der Mitte der Gesellschaft entstehen immer mehr Initiativen, die der Suche einer alternativen Ökonomie zuzuordnen sind und mit der Wirtschafts- und Finanzkrise der späten 2000er Jahre und der zunehmenden Kritik am Neoliberalismus neuen Aufschwung erhalten. Literatur Altrock, U. et al. (Hrsg.) (2009): Städte im Aufbruch. Stadtentwicklungspolitische Handlungsoptionen in Krisenzeiten. Reihe Planungsrundschau Nr. 16. Berlin: Verlag Uwe Altrock Amin, A./Cameron, A./Hudson, R. (2002): Placing the Social Economy. London: Routledge Birkhölzer, K. (Hrsg.) (1994): Lokale Ökonomie. Beschäftigungs- und Strukturpolitik in Krisenregionen. Ein internationales Symposium. Berlin: GSFP Birkhölzer, K./Kramer, L. (2002): Grundstrukturen und Erfolgsbedingungen Sozialer Unternehmungen in Deutschland, Berlin: Technologie-Netzwerk Berlin e.V. – Interdisziplinäre Forschungsgruppe Lokale Ökonomie Bode, V./Burdack, J. (2010): Ausbildungsmarkt und Jugendarbeitslosigkeit. In: Lentz/ Tzschaschel (2010): http://aktuell.nationalatlas.de/Lehrstellensituation.4_04-2010.0.html. Letzter Zugriff: 05.10.2010 Cornett, A. (2005): Urban and regional networking. In: Groth et al. (2005): 232-256 [DTI] Department of Trade and Industry Great Britain (2002): Social Enterprise: A Strategy for Success, London: Department of Trade and Industry ECOTEC Research And Consulting Limited (2001): Evaluation of the Third System and Employment Pilot Action, August 2001, executive summary. http://ec.europa.eu.int/ comm/employment_social/empl_esf/3syst/executivesumm2001_en.pdf. Letzter Zugriff: 14.02.2005 [Engagementatlas] Prognos AG/Generali Deutschland Holding AG (Hrsg.) (2009): Engagementatlas 09. Daten, Hintergründe, Volkswirtschaftlicher Nutzen. Aachen: AMB Generali Holding AG
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ECO-WISE – Regionale Verankerung von nachhaltigen Social Entrepreneurs in Österreich Maria Anastasiadis
1
Einleitung
Ecological Work Integration Social Enterprises – kurz ECO-WISEs – sind übersetzt sozialwirtschaftlich agierende Arbeitsmarktintegrationsunternehmen mit ökologischer Fokussierung. Diese dem Dritten Sektor1 zurechenbaren Social Entrepreneurs2 wurden jüngst von der Europäischen Union als regionale Best Practice Akteure in der Umsetzung des globalen Konzeptes der Nachhaltigen Entwicklung3 entdeckt (vgl. SEC 2005: 17). Mit Blick auf das Drei-Säulen-Modell, wonach es soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeitsziele gleichermaßen zu verfolgen gilt (vgl. Littig/Geißler 2004: 17), erweisen sich diese Unternehmungen als prototypisch. Einer ersten heuristischen Charakterisierung zufolge, die am Beginn des Forschungsprojektes4 stand, das diesem Beitrag zugrunde liegt, versuchen ECO-WISEs5 diese drei Zieldimensionen in ihrem alltäglichen Handeln zu verbinden (vgl. Anastasiadis/Mayr 2009: 104 ff.). Auf sozialer Ebene sind sie bemüht, Perspektiven gegen Armut und soziale Ungleichheit durch aktive Arbeitsmarkintegration zu schaffen. ECO-WISEs bieten arbeitsmarktfernen Personen so genannte Transitbeschäftigungen an. Mithilfe sozialer und fachlicher Betreuung können sie aktiv an der Warenproduktion und Dienstleistungserbringung im Unternehmen teilnehmen, wodurch sie gezielt auf eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Diese Arbeitsplätze sind in der Regel befristet und unter Einhaltung bestimmter Förderkriterien von arbeitsmarktpolitischer Seite subventioniert. Auf ökonomischer Ebene stärken sie den regionalen Mehrwert, insbesondere durch die Bereitstellung von Dienstleistungen und Waren, die in der Region benötigt werden. Als Social Enterprises agieren sie auf nicht-gewinnmaximierender Basis.6 Folglich werden die erwirtschafteten Gewinne zur Gänze in Form von Investitionen in das soziale Unternehmen zurückgeführt, wodurch mitunter neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Erläuterungen als Endnoten.
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_19, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Maria Anastasiadis
Auf ökologischer Ebene bieten sie Waren und Dienstleistungen an, die eine nachhaltige Lebensweise der Bevölkerung in der Region unterstützen. Dies geschieht zum einen über den Konsum der Leistungen bzw. Produkte selbst. Viele Betriebe haben ihr Portfolio direkt einem ökologischen Tätigkeitsbereich zugeordnet, wie z. B. Abfallwirtschaft und -entsorgung, Wiederverwertung und Reparatur von gebrauchten Produkten, Gartengestaltung und LandschaftspÀege sowie Bio-Gastronomie, Verleihdienste etc. Zum anderen zeichnen sich die Unternehmen durch eine ökologisch nachhaltige Arbeitsweise aus, was z. B. die Material- und Energieef¿zienz, adäquate Entsorgung und Lärmvermeidung betrifft. Aus diesen ersten Annäherungen zeigt sich bereits die Nähe zwischen ECOWISEs und Nachhaltiger Entwicklung. Sie versuchen, den 1992 von der UN World Commission in Rio de Janeiro, im Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert (Agenda 21), festgelegten globalen Zielen auf regionaler und lokaler Ebene zu begegnen. Zu nennen sind hier beispielsweise das Entdecken von und der nachhaltige Umgang mit Ressourcen, der Ausbau der kleinräumigen Wirtschaft sowie das Schaffen von Arbeitsplätzen in der Region (vgl. Lebensministerium 2003: 4 f.). Da ECO-WISEs jedoch weder international noch national explizit erforscht sind, ist ihr Stellenwert im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses weitgehend unerkannt. Dieser Beitrag geht anhand ausgewählter Ergebnisse aus dem oben genannten Forschungsprojekt der Frage nach, welche Potenziale aber auch welche Bedarfe diese Social Entrepreneurs in der regionalen Umsetzung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielstellungen aufweisen. Dazu wird zunächst das hier kurz skizzierte ‚Bild’ durch weitere Erkenntnisse aus Expertengesprächen ergänzt (Kapitel 2). Der Blick richtet sich hierbei insbesondere auf die dynamische Entwicklung dieser Organisationen an der Schwelle zwischen Markt und Staat. Diese Darstellung erweitern quantitative Eckdaten zur Organisations-, Finanzierungsund Personalstruktur sowie zur Wahrnehmung ihrer Zielstellungen gemäß einer Fragebogenerhebung. Die Ergebnisse geben nicht nur vertiefende Einblicke in die Ausgestaltung der Unternehmensstrukturen, sondern machen auch die KonÀiktfelder, in denen sich diese Organisationen bewegen, deutlich. Diese verdichten sich in der Frage, wie es ECO-WISEs gelingen kann, den Bedürfnissen zu begegnen, die sich aus der zunehmenden Ökonomisierung von arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen, der sich mit der Wirtschaftskrise zuspitzenden Anspannung des Arbeitsmarktes und der bestehenden Umweltprobleme ergeben. Diese Herausforderungen sind Gegenstand des zweiten Teils des Beitrages (Kapitel 3). Hier werden die ZielkonÀikte thematisiert, so wie sie von den Organisationen gegenwärtig erlebt werden. Diese bilden die Ausgangsbasis für partizipativ angelegte regionale Zukunftsgestaltungsprozesse, deren Verlauf abschließend skizziert wird (Kapitel 4).
ECO-WISE – Regionale Verankerung
2
257
Regional verankert, sozial engagiert, ökologisch inspiriert, ökonomisch motiviert
ECO-WISEs zählen seit den 1980er Jahren zu einer bedeutenden Säule der österreichischen Aktiven Arbeitsmarktpolitik. Wie einleitend erwähnt, haben sie neben dieser sozial-integrativen Funktion auch regionalökonomische und ökologische Bedeutung. Das Bestreben, bedarfsorientiert die Lücken, die von staatlicher und privatwirtschaftlicher Seite hinterlassen werden zu füllen, prägt ihre Entstehung und Entwicklung. Diese sind wesentlich durch ihre Umwelten, also der Politik, der Wirtschaft und der Bevölkerung, mitbestimmt. In ihrer gegenwärtigen Performance lassen sich diese Spuren deutlich erkennen. 2.1 Entstehungsmotive und Voraussetzungen Ein wesentliches Kennzeichen von Social Enterprises ist ein kollektives, bedarfsorientiertes Gründungsmotiv (vgl. Borzaga/Defourny 2001: 16 ff.). Dies gilt auch für ECO-WISEs in Österreich. Aus den Antworten auf die Frage nach der Motivation zur Gründung des Unternehmens (siehe Tab. 1) wird deutlich, dass die Gründungen von ECO-WISEs in der Regel nicht auf politische Initiativen alleine zurückzuführen sind, sondern mehrheitlich bedarfsorientiert aus dem Engagement der Akteure und ihrer Organisationen erfolgt. Tab. 1: Gründungsmotive ECO-WISEs (N=61)
Gültig
Häu¿gkeit
Prozent
Gültige Prozente
Kumulierte Prozente
private Initiative politische Initiative
22 4
36,1 6,6
37,3 6,8
37,3 44,1
sowohl als auch
17
27,9
28,8
72,9
Sonstige
13
21,3
22,0
94,9
3
4,9
5,1
100,0
59 2
96,7 3,3
100,0
61
100,0
keine Angabe Fehlend
Gesamt System
Gesamt Quelle: spss_data¿le_ECO-WISEs_Struktur
258
Maria Anastasiadis
Die Antworten zur Leistungserbringung unterstreichen die Motivation der Organisationen Lücken, die vom Staat und Markt hinterlassen werden, zu füllen. Drei Viertel der Betriebe/Projekte (N=46) gaben an, dass aus ihrer Sicht mit den von ihnen erbrachten Leistungen, im Sinne der Schadensbegrenzung (vgl. Simsa 2002: 139), Versorgungslücken bei bestimmten Personengruppen geschlossen oder unbehandelte Themen aufgegriffen werden. Um auf soziale, ökonomische und ökologische Bedarfe reagieren zu können, ist eine starke regionale Verankerung Voraussetzung. Diese zeigt sich in den gültigen Antworten der befragten ECO-WISEs (N=57) bezüglich ihrer Vernetzungsstrategien. 95 % betreiben auf lokaler und regionaler Ebene Vernetzung. Auf nationaler Ebene sehen sich lediglich 3,5 % (N=2) vernetzt und international gab nur ein Betrieb/Projekt Bezugspunkte an. 2.2 Entwicklungsdynamik Bedarfsorientiertes Handeln setzt zusätzlich zur regionalen Verankerung eine konstruktive Zusammenarbeit mit Verantwortlichen aus der Politik, der Wirtschaft und bevölkerungsnahen Interessengruppen voraus. Das Agieren und Reagieren in dieser intermediären Position wird in der für Drittsektororganisationen insgesamt typischen Entwicklungskurve und -dynamik ersichtlich. Diese ist stets mit den jeweiligen wirtschafts- und sozialpolitischen Ausgestaltungen zusammenzudenken (vgl. Anastasiadis/Schmid 2005: 59). Verfolgt man die Spuren der ECO-WISEs in Österreich, so lässt sich hierin deutlich der Wandel des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik sowie tendenziell die Relevanz umweltpolitischer Bewegungen und Entscheidungen nachzeichnen. Laut Aussagen der Experten, die im Rahmen des Forschungsprojektes interviewt wurden, entstanden diese Organisationen weitestgehend im Einklang mit der Aktiven Arbeitsmarktpolitik, insbesondere mit der Schaffung des so genannten Zweiten Arbeitsmarktes in der Mitte der 1980er Jahre. Zehn von den 59 Organisationen (16,4 %), die auf die Frage nach dem Gründungsjahr geantwortet haben, wurden beispielsweise zu dieser Zeit gegründet. Für diese Betriebe, die schwer am Arbeitsmarkt vermittelbaren Personen eine Transitbeschäftigung anboten, wurde eine eigene arbeitsmarktpolitische Förderrichtlinie entwickelt, die der Sozialökonomischen Betriebe (SÖB). Da sie sich gemäß dieser nicht in Konkurrenz zu Wirtschaftsunternehmen positionieren sollten (vgl. AMS 2008), fanden einige in ökologischen Tätigkeitsbereichen, die im Zuge aufkeimender umweltpolitischer Diskussionen an Bedeutung gewannen, ihre Nische. In den 1990er Jahren wurden Arbeitsmarktintegrationsbetriebe als erfolgreiche Kooperationspartner in der Bekämpfung der ansteigenden Arbeitslosigkeit
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259
erkannt. Es kam zu einem Ausbau dieser, was laut Aussagen der Experten mit dem Anstieg der Fördermittel im Bereich der Arbeitsmarktintegration in Verbindung zu bringen ist. Finanziell bestärkt durch zusätzliche Subventionen aus dem, durch den EU-Beitritt Österreichs zugänglichen Europäischen Sozialfond (ESF), und ideell bekräftigt durch die 1992 abgeschlossene Rio-Deklaration, wurden in diesem Zeitraum die Hälfte der befragten Organisationen gegründet (N=30). Seit Ende der 1990er Jahre ist allerdings ein Rückgang in der Gründungszahl zu beobachten. Im Zeitraum 2000 bis 2008 wurden knapp 20 (31,2 %) Organisationen ins Leben gerufen. Diese tendenzielle Stagnation ist mit dem Wandel, der für die soziale Zielstellung relevanten arbeitsmarktpolitischen Komponente, in Verbindung zu bringen. Steigende Arbeitslosenzahlen und knapper werdende öffentliche Gelder führen sukzessive weg von einer aktiv integrierenden hin zu einer auf Quali¿zierung und temporären Arbeitskräfteüberlassung orientierten Strategie. Finanzierungsengpässe im Bereich der öffentlichen Gelder, gepaart mit dem zunehmenden Druck immer mehr Menschen in kürzerer Zeit in den Ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, sind laut Aussagen der Experten die Folge. Gemäß dieser, setzten heute viele ECO-WISEs auf die Erhöhung der Eigenerwirtschaftungsquote. Sie versuchen sich durch verstärktes unternehmerisches Handeln mehr und mehr aus der Abhängigkeit von Fördergeldern durch das AMS (Arbeitsmarktservice) zu lösen sowie neue Allianzen mit Gebietskörperschaften und privatwirtschaftlichen Betrieben einzugehen. Die Förderrichtlinie für Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GBP) sowie die Möglichkeit der Gründung von Beschäftigungsgesellschaften liefern dafür ein gutes Instrumentarium (vgl. AMS 2005). Im Gegenzug dazu scheint die Forcierung des umweltpolitischen Programms der Lokalen Agenda 21 (LA 21), das ECO-WISEs durchweg Pro¿lierungsmöglichkeiten eröffnen würde, bis dato nicht zu ihrer Entfaltung beizutragen. Den Angaben der Organisationen zufolge sind sie kaum bis gar nicht in diese Prozesse eingebunden. So gaben lediglich drei (4,9 %) an hierin zu partizipieren und eine Organisation äußerte Interesse zukünftig daran mitzuwirken. Ausschlaggebend hierfür dürfte mitunter die Selbsteinschätzung der Organisationen als primär sozial ausgerichtete sein. Befragt nach der Priorität ihrer Zielstellung, ¿nden sich nämlich die häu¿gsten Nennungen zum primären Ziel bei der sozialen Dimension (N=48, 96 %), zum sekundären bei der ökonomischen (N=32, 72,7 %) und zum tertiären bei der ökologischen (N=28, 63,6 %). Demnach rangieren ökonomische und ökologische Ziele klar an zweiter und dritter Stelle. Vorher ¿nden ökonomische Gesichtspunkte, die über das ¿nanzielle Überleben der Betriebe/Projekte entscheiden, Berücksichtigung, ehe ökologische Ziele forciert werden. Nur jedes fünfte Unternehmen
260
Maria Anastasiadis
(N=11, 18 %) gab an, ökonomische, soziale und ökologische Ziele in einem ausgewogenen Verhältnis zu verfolgen. 2.3 Status Quo Die Relevanz der sozialen Zielstellung und die damit einhergehende Nähe zur arbeitsmarktpolitischen Verwaltung, verdeutlichen sich in den Antworten auf die Frage nach ihrer Positionierung, denn bei mehrfacher Antwortmöglichkeit verorten sich mehr als die die Hälfte als verwaltungsnahe (siehe Tab. 2) Tab. 2: Positionierung von ECO-WISEs (N=61) N Positionierung
Antworten Prozent
Prozent der Fälle
privatwirtschaftsnahe
21
32,3
37,5
verwaltungsnahe
37
56,9
66,1
basisnahe
7 65
10,8
12,5
100,0
116,1
Gesamt Quelle: spss_data¿le_ECO-WISEs_Struktur
Diesen Angaben zufolge weist der Großteil eine ¿nanziell, personell und auch organisatorisch starke VerÀechtung zum Öffentlichen Sektor auf (vgl. Zauner 2002: 160). Dies widerspiegelt sich in einer Bestandsaufnahme zur Finanzierungs- und Personalsituation, in der öffentliche Gelder bzw. geförderte Beschäftigte einen hohen Stellenwert einnehmen. Das Budget aller Betriebe/Projekte, die diese Frage beantwortet haben (N=45), betrug für das Jahr 2007 knapp Euro 54 Mio. Die Spannbreite der verfügbaren Jahresbudgets reicht dabei vom geringsten Jahresbudget von Euro 110.000 bis zum höchsten Jahresbudget von Euro 4.600.000. In der durchschnittlichen Zusammensetzung des Jahresbudgets 2007 bilden sich der für den Dritten Sektor typische Finanzierungsmix ab und auch die Bedeutung der Finanzierung durch die Öffentliche Hand (siehe Abb. 1). Öffentlicher Kostenersatz (Erlöse aus Aufträgen von öffentlichen Auftraggebern) und Subventionen spielen eine wichtige Rolle. Dennoch tragen die Betriebe/Projekte zu gut einem Drittel durch den Verkauf von Dienstleistungen und/oder Produkten aktiv zur Finanzierung bei, worin sich ihr unternehmerisches Handeln widerspiegelt.
ECO-WISE – Regionale Verankerung
261
3UR]HQW
Abb. 1: Budgetzusammensetzung ECO-WISEs (N=61)
gIIHQWO 6XEYHQWLRQHQ
gIIHQOLFKHU .RVWHQHUVDW]
3ULYDWHU .RVWHQHUVDW]
6SHQGHQ
0LWJOLHGVEHLWUlJH
6RQVWLJHV
Quelle: spss_data¿le_ECO-WISEs_Struktur
Ähnlich durchmischt wie die Finanzierung zeigt sich auch die Personalsituation der Betriebe/Projekte. In den 61 ECO-WISEs konnte zum Zeitpunkt der Befragung eine Gesamtzahl von 3.081 Mitarbeitern auf allen Ebenen inklusive ehrenamtlich Tätiger ausgemacht werden. Im Detail betrachtet, stellt im Jahr 2007 das so genannte geförderte Personal den Großteil der Beschäftigten (siehe Abb. 2). Das sind jene Personen, die auf eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Bei den nicht geförderten bezahlten Mitarbeitern handelt es sich in der Regel um Facharbeiter und Sozialbetreuer, die für die Quali¿zierung und Vermittlung der geförderten Arbeitskräfte zuständig sind. Im Verhältnis kommt gemäß dieser Angaben in den befragten Organisationen auf drei geförderte Personen eine Schlüsselarbeitskraft. Auffallend ist der relativ geringe Anteil der Ehrenamtlichen in ECO-WISEs verglichen mit Drittsektororganisationen insgesamt. In einer Studie zum Dritten Sektor in Wien konnte beispielsweise festgestellt werden, dass zwei Drittel aller dort Beschäftigten auf ehrenamtlicher Basis tätig sind (Anastasiadis et al. 2003: 222). Das kann vor dem Hintergrund gelesen werden, dass es
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sich bei ECO-WISEs nicht um Non Pro¿t Organisationen (NPOs) im klassischen Sinne handelt, sondern um wirtschaftlich ausgerichtete soziale Unternehmen, die ein besonderes Augenmerk auf die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie auf die Arbeitsmarktintegration legen. Bei genauerer Betrachtung der Personalstruktur zeigt sich ähnlich wie bei der Finanzierungsstruktur eine große Spannbreite. So schwankt der Anteil an geförderten Beschäftigten pro Betrieb/Projekt beispielsweise zwischen einer Person und 244 Personen. Ähnlich zeigt sich das Bild bei den nicht geförderten Beschäftigten, wo die Spannbreite von einer Person bis zu 143 Personen pro Einrichtung reicht.
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Abb. 2: Zusammensetzung der Beschäftigten in ECO-WISEs (N=61)
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Quelle: spss_data¿le_ECO-WISEs_Struktur
Zusammenfassend betrachtet ist die Personalstruktur von einer Vielfalt geprägt, die sich wesentlich in der primären Zielstellung der Betriebe/Projekte, nämlich der Arbeitsmarktintegration, gründet.
ECO-WISE – Regionale Verankerung
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KonÀikte und Potenziale
Wie bisher gezeigt wurde, ist es ECO-WISEs als Drittsektororganisationen ein wesentliches Anliegen, die Lücken, die von Markt und Staat hinterlassen werden, zu füllen. In nicht gewinnmaximierender und in nicht staatlich organisierter Manier bieten sie Dienstleistungen an, die sich an den aktuellen sozialen, regionalökonomischen und ökologischen Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren. Das Agieren in diesem intermediären Feld bringt aber nicht nur Potenziale, wie beispielsweise innovative Dienstleistungen, hervor, sondern auch erhebliche Herausforderungen mit sich, die sich v. a. in der Zielstellung „wirtschaftlich Handeln, um soziale und ökologische Ziele zu erreichen“ zuspitzt. 3.1 Herausforderungen Was die Zielerreichung betrifft, so wurden die in der Erhebung erfassten Organisationen mittels offener Fragen nach ihrer Einschätzung zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen (in den nächsten 10-15 Jahren) befragt. Die Antworten ließen sich nach einem inhaltsanalytischen Vorgang in einzelne KonÀiktfelder verdichten, in die im Folgenden ein kurzer Einblick geboten wird. „Perspektiven gegen Armut und Soziale Ungleichheit durch aktive Arbeitsmarktintegration zu schaffen, wird mit Blick auf die angespannte Arbeitsmarktsituation zunehmend schwieriger.“ ƒ Zum einen erschwert die durch die globale Wirtschaftskrise angespannte Arbeitsmarktlage die gelingende Vermittlung von am Arbeitsmarkt benachteiligten Personen. Die Differenz zwischen den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Möglichkeiten der Personen, diesen zu begegnen, steigt. ƒ Zum anderen divergieren die von der Arbeitsmarktpolitik de¿nierten Zielvorgaben und Förderbedingungen zunehmend mit den an die Bedürfnisse der Klienten ausgerichteten sozialen Zielen der Organisationen. Die Erfüllung der Vermittlungsquote wird unter den aktuell gegeben Umständen am Arbeitsmarkt sowie durch die Zuweisungs- und Förderpraxis der öffentlichen Auftraggeber als praxisinadäquat eingestuft. Der KonÀikt zwischen qualitätvoller, personenbezogener Betreuung und rascher Vermittlung wird dadurch geschürt.
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Maria Anastasiadis
„Die Förderung des regionalen Mehrwertes auf sozialwirtschaftlicher Basis gerät an ihre Grenzen.“ ƒ Zum einen sind ihrem Bestreben, die Eigenerwirtschaftungsquote aufgrund der inkonstanten Fördersituation (einjährige Verträge mit an Vermittlungsquoten gebundenen Fördersummen) zu erhöhen, klare Grenzen gesetzt. Um am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen in den täglichen Leistungserbringungsprozess zu integrieren und dabei zu betreuen, zu quali¿zieren und gemäß des öffentlichen Auftrages zu vermitteln, muss in erster Linie Rücksicht auf die Fähigkeiten und Potenziale der Zielgruppen genommen werden. ƒ Zum anderen ist, bedingt durch die Wirtschaftskrise ein Rückgang an der Kaufkraft zu beobachten. Die Auftragslage sei momentan schwierig und auch in der nahen Zukunft ungewiss. Die Erlöse aus dem Verkauf der Leistungen an private Auftraggeber und Kunden stellt ein wichtiges, aber auch unsicheres Standbein der Organisationen dar. Hinzu kommen die stets auftauchenden KonkurrenzkonÀikte mit Interessengruppen aus der regionalen Privatwirtschaft. „Die Förderung einer nachhaltigen Lebensweise in der Region wird durch die Folgewirkungen der insgesamt angespannten wirtschaftlichen Situation gebremst.“ ƒ Zum einen wird die Nachfrage an ökologisch nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen durch den zu erwartenden zunehmenden Kaufkraftrückgang stagnieren. Den Bewusstseinswandel für ökologisches Handeln in der Bevölkerung voranzutreiben, wird somit erschwert. ƒ Zum anderen fehlt es, um die ökologischen Ziele zu erreichen oft an adäquaten Ressourcen. So setzt beispielsweise die Entwicklung von ökologisch nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen Investitionen voraus. Aufgrund der labilen Finanzlage scheitern gute Ideen oft bereits am Beginn ihrer Realisierung. In diesen hier kurz dargestellten KonÀiktfeldern wird der ZentralkonÀikt zwischen sozialer und ökonomischer sowie ökonomischer und ökologischer Dimension deutlich. Unter Beibehaltung ihrer multiplen Zielstellungen, kristallisiert sich die Frage nach der Finanzierbarkeit von ECO-WISEs als das aktuelle und zukünftige Schlüsselthema heraus. 3.2 Potenziale Nach Einschätzungen der Akteure wird sich die Lage in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren weiterhin zuspitzen. Die Erreichung ihrer sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielstellungen wird grundsätzlich in Frage gestellt. Dennoch lassen sich aus den Antworten Potenziale herauslesen.
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„Potenziale auf ökologischer Ebene“ ƒ Wenn auch die wirtschaftliche Situation und deren Folgen auf die Kaufkraft sowie die Finanzierung der Organisationen als eher negativ eingestuft werden, schätzen die Akteure ihre ökologische Ausrichtung insgesamt als potenzialreich ein. Sie eröffnet Zukunftschancen für die Entdeckung und Entwicklung neuer innovativer Geschäftsfelder. Auch altbewährte, wie Second Hand-Läden werden ihren Reiz nicht verlieren. Weiters könnten neue gesetzliche Vorgaben im ökologischen Bereich, Möglichkeiten für die Etablierung bestehender und der Entwicklung neuer Betätigungsfelder liefern. „Potenziale auf regionalökonomischer Ebene“ ƒ Wenn auch der Entfaltung der ökonomischen Potenziale in zehn bis fünfzehn Jahren klare Grenzen gesetzt sind und auch die Finanzierung der öffentlichen Hand rückläu¿g sein wird, so können laut Einschätzung der Akteure ECO-WISEs, insbesondere in durch Abwanderung bedrohte Regionen, als Partner im Aufbau sozialer regionaler Netzwerke eine wichtige Rolle spielen. Die Entwicklung solcher wird vor den Hintergründen der sich zuspitzenden wirtschaftlichen Allgemeinsituation aus Sicht der Akteure unerlässlich sein. Dafür bedarf es jedoch einer strukturellen Rahmung und eines pro-aktiven Reagierens in labilen Zeiten. „Potenziale auf sozialer Ebene“ ƒ Wenn auch die soziale Zielstellung der aktiven Arbeitsmarktintegration in Frage steht, bedarf es konkreter Perspektiven gegen Armut und soziale Ungleichheiten. Die Schaffung solcher setzt ein bedarfs- und realisierungssensibles Handeln der Organisationen sowie ihrer Umwelten voraus. Dazu zählt z. B. die Einrichtung von zusätzlichen, an die Arbeitsmarktlage angepassten Angeboten, die den Klienten mit ihren individuellen Problemlagen, Chancen und Perspektiven eröffnen. Genannt wurde der Ausbau niederschwelliger Beschäftigungsmöglichkeiten, unbefristete Beschäftigungsoptionen für benachteiligte Personen sowie angemessene Quali¿zierungsmodelle. Weiterhin wurde die Notwendigkeit von adäquaten Förderbedingungen zur Bereitstellung solcher Angebote sowie zur Sicherstellung der Betreuungsqualität betont. Hierzu zählen beispielsweise die bedarfsorientierte Zuweisung und Gestaltung der Förderzeiträume, ein gemeinsames Aushandeln von Zielen und deren Kriterien anstatt intransparenter rasch wechselnder Zielvorgaben gemessen an Vermittlungsquoten.
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In Summe könnten durch die Sicherstellung der ¿nanziellen Mittel zur Erreichung des öffentlichen Auftrages, Freiräume zur Optimierung des ökologischen und wirtschaftlichen Handelns geschaffen werden. Die Verfolgung sozialer Ziele sollte jedoch die ökonomischen und ökologischen Entfaltungspotenziale der Organisationen nicht hemmen und umgekehrt. 4
Resümee und Ausblick
Die Ergebnisse bringen klar zum Ausdruck, dass ECO-WISEs als prototypisch für Nachhaltige Entwicklung gesehen werden können. Darüber hinaus können sie als Pioniere für die Umsetzung des Drei-Säulen-Modells bezeichnet werden, da sie die drei Dimensionen bereits in den 1980er Jahren in ihrer Arbeit zusammengeführt haben, als Nachhaltige Entwicklung zwar als Idee existierte, aber noch nicht in diesem Ausmaß international diskutiert wurde. Dieser Pionierstatus betont einmal mehr die Relevanz von ECO-WISEs als regionale Akteure von globalen Ideen. Die Ergebnisse zeigen aber auch, zu einem gewissen Grad, dass sich ECOWISEs in ihrer Selbstwahrnehmung hauptsächlich als soziale Organisationen sehen, denn für die meisten ist die soziale Zielstellung die Hauptmotivation. Ökonomische und ökologische sind nachgereiht und nur selten, wie im Drei-SäulenModell für Nachhaltige Entwicklung angelegt, gleich gereiht. Dennoch weisen sie sich, aufgrund langjähriger Erfahrung im Versuch sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig zu handeln, auf regionaler Ebene als wichtige Partner aus. Diese Rolle könnte sich zukünftig, eventuell durch eine stärkere Partizipation in LA 21 Prozesse, bewähren. Die Ergebnisse verdeutlichen zudem, dass ihre Entwicklung wesentlich durch das Lösen des sozialökonomisch-ökologischen KonÀiktes mitgeprägt ist. Dieser begründet sich in der Motivation, bevölkerungsnahe Bedürfnisse an der Schnittstelle zwischen Staat und Markt zu erfüllen. So stellt aktuell einerseits das Streben nach Unabhängigkeit von öffentlichen Zuwendungen ein wesentliches Ziel dar. Andererseits sind es aber vor allem die sozialen Zielsetzungen, die einer Finanzierung durch öffentliche Gelder bedürfen. Der Blick wird damit auf die zentrale Frage gerichtet, deren Ausbalancierung eine große Herausforderung darstellt: Wie viel Ökonomie vertragen diese Betriebe, um ihre sozialen und ökologischen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren? Wie sich ECO-WISEs hierin positionieren, ist eine strategische Frage. Die bestehenden Kooperationen zwischen Forschung und Praxis sollen, im Sinne eines transdisziplinären Transfers zur Optimierung ihrer strategischen Positionierung weiterführend genutzt werden. In einer Follow Up Studie wird den identi-
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¿zierten KonÀiktfeldern und Potenzialen in einem mehrstu¿gen Verfahren, das an den Delphi-oracle-approach7 angelehnt ist, begegnet (vgl. Anastasiadis 2009: 229 ff.). Dieses partizipativ ausgerichtete Herangehen kann eine entscheidende Möglichkeit bieten, um in regional verankerten, multidisziplinären Expertengruppen konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren. In diesen Gruppen sollten Vertreter aus der öffentlichen Verwaltung, dem Feld der ECO-WISEs, diversen Interessensgruppen, aus der Wissenschaft und aus Wirtschaftsbetrieben beteiligt sein. Durch den regionalen Bezug werden zum einen die heterogenen strukturellen Bedingungen der einzelnen Regionen mitbeachtet und zum anderen wird der Anreiz, daran teilzunehmen, für die jeweiligen Akteure als größerer eingestuft. Im Verlauf gilt es in einem ersten Schritt, die identi¿zierten KonÀiktfelder in fokussierten Expertengesprächen mit den regionalen Akteuren zu spezi¿zieren. In dieser Befragungsrunde sollen gangbare Alternativen aus den jeweilig unterschiedlichen Perspektiven formuliert werden. In einem nächsten Schritt werden die Alternativen zu Szenarien verdichtet, die in einem Gruppendiskussionsprozess, unter Beteiligung aller in der ersten Runde Befragten, einer Bewertung unterzogen werden. Hierbei sollen v. a. Konsequenzen, die sich in einer Realisierung ergeben, mitgedacht werden. In einem letzten Schritt erfolgt zu den konsensuell ermittelten Szenarien die Bestimmung konkreter Maßnahmen, die für die Umsetzung von Nöten sind. Diese bilden die Basis für die Formulierung von Handlungsoptionen, die als zentrale Ergebnisse des Prozesses an die beteiligten Entscheidungs¿nder und -träger rückgespielt werden. Bis es allerdings soweit ist, gibt es noch allerhand zu tun. Ein solcher sozialräumlicher Gestaltungsprozess erfordert von allen daran Beteiligten, Mut zum Experimentieren, die Bereitschaft unerwartete Ergebnisse zu akzeptieren und sich auf Veränderungsvorschläge konstruktiv einzulassen. Das multidisziplinäre Team wird also vielen Herausforderungen begegnen. Aber hinter jedem KonÀikt steckt auch ein Potenzial.
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Drittsektororganisationen sind ökonomisch betrachtet zwischen dem Markt, dem Staat und der informellen Nachbarschafts- und Familienökonomie angesiedelt. Hierzu zählen Organisationen unterschiedlicher Branchen (Sozial-, Kultur-, Gesundheitseinrichtungen etc.), die nicht als staatliche gelten und die nicht gewinnmaximierend wirtschaften. Unter ihnen be¿nden sich solche die keine Gewinne erzielen, wie z. B. Non-Pro¿t-Organisationen (NPOs) und Interessensvertretungen, aber auch solche, die Gewinne erwirtschaften, diese jedoch wieder in Form von Investitionen in weitere Projekte des Sozialen Unternehmens zurückführen. Zu letzteren zählen beispielsweise Social Enterprises (SEs), denen auch ECO-WISEs zuzuzählen sind. Näheres zur BegrifÀichkeit ¿ndet sich u. a. in Birkhölzer (2004) und Evers/Laville (2004a). Während der ursprünglich aus dem amerikanischen Kontext stammende Begriff des „Social Entrepreneurs“ wirtschaftlich tätige Personen meint, die Aktivitäten zur sozialen Innovation
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setzen, fokussiert das europäische Begriffsverständnis eher auf kollektive Formen des sozialen Engagements, die sich wirtschaftlicher Strategien bedienen. Die europäische Begriffskultur setzt Social Entrepreneurs somit in den bzw. in die Nähe des Dritten Sektors. Sie bezieht sich dabei insbesondere auf den wirtschaftlich handelnden Ausschnitt der Social Enterprises (vgl. Defourny/Nyssens 2008: 4). Das amerikanische Verständnis sah diese Akteure ursprünglich eher als Teil des marktwirtschaftlichen Sektors, doch mittlerweile ¿ndet das Konzept weiter reichendere Verwendung. Auf Ehrenamtlichkeit basierendes soziales Engagement wird ebenso hinzugezählt wie unternehmerische ‚corporate social responsibility’ Aktivitäten (vgl. Nicholls 2006). Angesichts der internationalen Uneinheitlichkeit des Begriffs und den zunehmend verschwimmenden Grenzen wird in diesem Beitrag ein synergetischer Weg gesucht, der sowohl die amerikanische als auch die europäische Tradition berücksichtigt. Somit können ECO-WISEs als spezi¿sche Form von Social Entrepreneurs verstanden werden, denn sie handeln wirtschaftlich und sozial. Nachhaltige Entwicklung wird von der UN World Commission (1987) de¿niert als „development which meets the needs of the present generation without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (zitiert nach Littig/Geißler 2004: 3). Es handelt sich dabei um das Projekt ECO-WISE, das Anfang 2008 bis 2010 unter Beteiligung von Andrea Mayr an der Universität Graz durchgeführt wurde. Das Projekt zielte darauf ab, den Stellenwert, den ECO-WISEs im Nachhaltigkeitsdiskurs einnehmen bzw. einnehmen können, zu ergründen. Hierzu ¿el die Wahl auf ein mehrstu¿ges qualitatives und quantitatives Analyseverfahren. In einem ersten Schritt wurden 15 Experteninterviews mit Geschäftsführern von ECO-WISEs, Wissenschaftlern aus den Disziplinen der Politik-, Umwelt- und Sozialwissenschaft, Vertretern von Dachverbänden und Arbeitsgemeinschaften sowie Fördergebern geführt. Diese multiperspektivische Annäherung ermöglichte es, nach einem inhaltsanalytischen Vorgehen, die Konturen und Charakteristika der Unternehmen im sozialökonomischen Kontext Österreichs heuristisch nachzuzeichnen. Daraus resultierten weiterführende Fragen, denen anschließend in einer quantitativ angelegten Untersuchung auf den Grund gegangen wurde. Um die dafür erforderliche Datenbasis zu generieren, wurden über 400 Arbeitsmarktintegrationsbetriebe und -projekte in Österreich mit einem Fragebogen dahingehend befragt, ob sie sich gemäß der in der Einleitung dieses Beitrages skizzierten heuristischen De¿nition als ECO-WISEs bezeichnen würden. Von den 210 Unternehmen, die geantwortet haben, zählten sich 152 dazu. An einer folgenden Befragung dieser zu ihren strukturellen Bedingungen (der ¿nanziellen, personellen und wirtschaftlichen Situation) und zum ökologischen Ansatz (mittels Fragebogen) beteiligten sich 61 Betriebe/Projekte aus ganz Österreich (40 %). Diese Erhebung wurde anschließend mit einer deskriptivstatistischen Analyse ausgewertet. Detaillierte Ergebnisse sind dem Projektbericht zu entnehmen (siehe Anastasiadis/Mayr 2010). Im Rahmen dieses Beitrages werden für ECO-WISEs als Social Enterprises die Begriffe: Unternehmen, Organisation bzw. Betrieb/Projekt synonym verwendet. Wissenschaftern des EMES-Netzwerkes haben für Social Enterprises einen Kriterienkatalog entwickelt, der in den Forschungsarbeiten als Merkmalsgrundlage für ECO-WISEs herangezogen wurde, die de¿nitorisch diesem Segment zuzuordnen sind (vgl. Borzaga/Defourny 2001: 16 ff.). Demgemäß zeichnen sich Social Enterprises in ökonomischer Hinsicht aus durch: kontinuierliche Produktionsprozesse von Waren und/oder die Bereitstellung von Dienstleistungen, ein Mindestmaß an bezahlter Beschäftigung, ein hoher Grad an Autonomie sowie das Tragen des ökonomischen Risikos. In sozialer Hinsicht sind sie gekennzeichnet durch: ein kollektives und bedarfsorientiertes Gründungsmotiv, eine demokratische Unternehmensstruktur, Partizipation und Mitbestimmung im Unternehmen, keine Gewinnmaximierung und eine gemeinnützige Zielorientierung.
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In ihrer ursprünglichen Fassung handelt es sich bei der Delphi-Technik um ein mehrstu¿g angelegtes Gruppenbefragungsverfahren, in dem Schritt für Schritt die Einschätzungen einzelner Experten durch eine angeleitete Gruppeninteraktion zu einer Einschätzung der Expertengruppe verdichtet werden (vgl. Linstone/Turoff 1975: 5). Das mittlerweile fachlich und methodisch ausdifferenzierte Einsatzfeld wurde von Häder (2002) typologisiert. Für das o. g. Forschungsvorhaben ¿el die Wahl auf den Typ 3, bei dem die Delphi-Befragung der Ermittlung und Quali¿kation der Ansichten einer Expertengruppe über einen diffusen Sachverhalt dienen soll (vgl. Anastasiadis 2009: 237).
Literatur AMS Österreich (2005): Bundesrichtlinie Gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GBP), Wien: Arbeitsmarktservice Österreich AMS Österreich (2008): Bundesrichtlinie für die Förderung Sozialökonomischer Betriebe (SÖB), Wien: Arbeitsmarktservice Österreich Anastasiadis, M. (2009): Delphi oracle approach – eine partizipative Forschungsmethode zur Zukunftsgestaltung in sozialpädagogischen Handlungskontexten. In: Scheipl et al. (2009): 229-245 Anastasiadis, M./Mayr, A. (2009): ECO-WISEs. In: Scheipl et al. (2009): 104-121 Anastasiadis, M./Mayr, A. (2010): ECO-WISE. Ecological Work Integration Social Enterprises. Bestandsaufnahme von Organisationen in Österreich, die sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltig handeln. Ergebnisbericht. Graz: Karl Franzens Universität Anastasiadis, M./Schmid, T. (2005): Qualität der Arbeit? Handlungsempfehlungen zur Stabilisierung der Finanzierungs- und Beschäftigungssituation im Dritten Sektor in Wien. Bilanz der Entwicklungen. In: EQUAL Entwicklungspartnerschaft (2005): 57-83 Anastasiadis, M./Essl, G./Riesenfelder, A./Schmid, T./Wetzel, P. (2003): Der Dritte Sektor in Wien – Zukunftsmarkt der Beschäftigung. Wien. http://www.sfs-research.at. Letzter Zugriff: 10.11.2009 Badelt, Ch. (Hrsg.) (2002): Handbuch der Nonpro¿t-Organisationen. Strukturen und Management. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Birkhölzer, K. (2004): Entwicklungen und Perspektiven des Dritten Sektors in Deutschland. In: Birkhölzer et al. (2004): 9-35 Birkhölzer, K./Kistler, E./Mutz, G. (Hrsg.) (2004): Der Dritte Sektor. Partner für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Berlin: VS Verlag für Sozialwissenschaften Borzaga, C./Defourny, J. (Hrsg.) (2001): The Emergence of Social Enterprises. London/ New York: Routledge Defourny, J./Nyssens, M. (Hrsg.) (2008): Social Enterprise in Europe: Recent trends and developments. EMES Working Paper Series 08/01. Brussels EQUAL Entwicklungspartnerschaft „Der Dritte Sektor in Wien“ (Hrsg.): Handbuch „Der Dritte Sektor ein Wirtschaftsbereich mit Verantwortung“. Wien. http://www.sfs-research.at. Letzter Zugriff: 10.11.2008 Evers, A./Laville, J.-L. (2004a): De¿ning the third sector in Europe. In: Evers/Laville (2004b): 11-45
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Evers, A./Laville, J.-L. (Hrsg.) (2004b): The Third Sector in Europe. Cheltenham and Northampton: Edward Elgar Häder, M. (2002): Delphi-Befragungen. Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag Lebensministerium (2003): Gemeinsame Erklärung zur Lokalen Agenda 21 in Österreich. Landesumweltkonferenz Schruns/Montafon. http://www.nachhaltigkeit.at/¿lemanager/download/35153/. Letzter Zugriff: 03.02.2009 Linstone, H. A./Turoff, M. (Hrsg.) (1975): The Delphi Method. Techniques and Applications. London: Reading, Mass: Addison-Wesley Company Littig, B./Grießler, E. (2004): Soziale Nachhaltigkeit. Informationen zur Umweltpolitik Nr. 160. Wien: Bundesarbeiterkammer Nicholls, A. (Hrsg.) (2006): Social Entrepreneurship. New Models of Sustainable Social Change. Oxford: Oxford University Press Scheipl, J./Rossmann, P./Heimgartner, A. (Hrsg.) (2009): Partizipation und Inklusion in der Sozialen Arbeit. Graz: Universitätsverlag SEC (2005): Commission staff working document on the links between employment policies and environment policies. http://ec.europa.eu/environment/integration/pdf/ sec_2005_1530_en.pdf. Letzter Zugriff: 25.01.2009 Simsa, R. (2002): NPOs und die Gesellschaft: Eine vielschichtige und komplexe Beziehung – Soziologische Perspektiven. In: Badelt (2002): 29-152 Zauner, A. (2002): Über Solidarität zu Wissen. Ein systemtheoretischer Zugang zu Nonpro¿t Organisationen. In: Badelt (2002): 153-180
Quellen maxqda_data¿le_ECO-WISEs: Ergebnisse der Expertengespräche maxqda_data¿le_delphi: Ergebnisse der offenen Fragen zur Zukunftseinschätzung spss_data¿le_ECO-WISEs_Struktur: Ergebnisse der Fragebogenerhebung
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Capability Innovation – Social Entrepreneurship und soziale Innovation aus Entwicklungsperspektive1 Rafael Ziegler
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Einleitung
Richard Swedberg schreibt: „One of the dif¿culties with the notion of social entrepreneurship […] is that it is not connected to a general theory of entrepreneurship, but is usually used as a slogan or inspiring phrase“ (Swedberg 2006: 26). Er schlägt vor, Schumpeters klassische Theorie von Entrepreneurship zugunsten einer Konzeptualisierung von Social Entrepreneurship2 neu zu überdenken. Überlegungen zur Theorie von Social Entrepreneurship können von Schumpeters Theorie aus mindestens zwei Gründen pro¿tieren. Für Schumpeter ist Entrepreneurship erstens kein isoliertes Phänomen, sondern steht in einem modernen Kontext von gesellschaftlicher Entwicklung und Wandel. Gesellschaftlicher Wandel ist aber ein Ziel von Social Entrepreneurship – „everyone a changemaker!“ (Drayton 2006). Daher ist es für die Theorie von Social Entrepreneurship wichtig, Vorstellungen von gesellschaftlichem Wandel explizit mit in Betracht zu ziehen. Des Weiteren argumentiert Schumpeter, dass Entrepreneurship ein evolutionärer Erklärungsmechanismus für wirtschaftliche Entwicklung sei. Das Konzept des Wandels wirft dabei nicht nur Fragen bezüglich der angestrebten Ziele, sondern ebenso solche bezüglich der Mittel zum Erreichen von Veränderung auf. 1 2
Diese Arbeit ist entstanden im Kontext der sozial-ökologischen Forschungsgruppe GETIDOS (www.getidos.net), die durch die Sozial-ökologische Forschung (SÖF) des BMBF gefördert wird. Der Beitrag ist eine für die deutscher Fassung überarbeitete Version eines im Journal of Social Entrepreneurship 2010 (2) erschienen Artikels. Hier soll der Begriff ‚Social Entrepreneurship‘ und nicht ‚soziales Unternehmertum‘ Verwendung ¿nden, da der deutsche Sprachgebrauch den Unternehmer kaum von Managern und Kapitalisten abgrenzt (Faltin 2008: 35 ff.). Im Sprachgebrauch ist daher ein ‚sozialer Unternehmer‘ leicht ein Firmenbesitzer oder gut verdienender Manager, der in seiner Freizeit philanthropisch ‚Gutes tut‘ oder im Sinne einer unternehmerischen Verantwortung für seine Angestellten ‚sorgt‘, bei all dem aber primär pro¿torientiert bleibt. Zur einfacheren Abgrenzung des Phänomens werden daher hier die englischen Begriffe Social Entrepreneur/Social Entrepreneurship nicht eingedeutscht. Schumpeter ist der Verdienst zuzuschreiben, im Gegensatz zu den Klassikern der politischen Ökonomie aber auch zu Marx, sauber zwischen Management-, Finanz- und Unternehmer-Funktion unterschieden zu haben (Blaug 1986).
P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7_20, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Rafael Ziegler
Auf der Ebene der Theorie verlangt dies eine Position bezüglich der Vorstellungen von Wandel und damit häu¿g assoziierter grand theories. Aus der Perspektive kontext-sensitiver, fallbasierter Ansätze mag diese Aufgabe nicht besonders vielversprechend wirken. Dadurch verschwindet sie aber natürlich nicht, sondern bleibt Teil der politics of social entrepreneurship und der damit verbundenen impliziten und manchmal expliziten Vorstellungen von Wandel. Solange in der Politik kurzfristige Perspektiven dominieren, könnten daher auch mit Social Entrepreneurship verbundene Hoffnungen auf nachhaltigen sozialen und ökologischen Wandel leicht enttäuscht werden. Folglich hat auch aus diesem Grund Theorie ihre Berechtigung (Nicholls 2006: 410). Die Theorie Schumpeters bietet eine umfassende Perspektive auf wirtschaftliche Entwicklung mit Entrepreneurship und deren Innovationen als Mechanismus von Wandel. Jedoch können Innovationen in dieser Perspektive gut oder schlecht, nachhaltig oder auch nicht nachhaltig sein. Sie ist damit unzureichend für ein auch ethisch explizites Verständnis von gesellschaftlichem Wandel (was Schumpeter auch immer wieder unterstreicht). Die Theorie Amartya Sens bietet eine umfassende, ethisch explizite Perspektive auf menschliche Entwicklung (Human development). In dieser Perspektive ist die Erweiterung von Capabilities sowohl Ziel als auch Mittel von Entwicklung (Sen 1999). In Sens Theorie spielen Entrepreneurship und Innovation bisher keine nennenswerte Rolle. Die in diesem Aufsatz entwickelte Hypothese der Neukombination von Capabilities zeigt nun einen Bereich der Entwicklung (sensu Sen), in dem sich Ethik und Innovation treffen: einen Capability-Innovations-Pfad (siehe Abb.), in dem Innovation mit dem ‚Sozialen‘ und die Erweiterung von Capabilities mit Entrepreneurship verknüpft sind. Abb.: Entwicklungspfade
Entwicklung als Freiheit
Entwicklung als Innovation
Soziale Innovation & Keine CapabilitySocial Erweiterung Entrepreneurship
Kein Entrepreneurship
Capability-Innovations-Pfade Quelle: eigene Darstellung
Capability Innovation
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Der vorliegende Beitrag möchte zu einer Perspektive beitragen, mit der Ziele und Erklärungsansätze von Social Entrepreneurs als Agenten gesellschaftlichen Wandels diskutiert und analysiert werden können. Zunächst wird in SwedbergsSchumpeterianischen Social Entrepreneurship-Ansatz eingeführt (Kapitel 2). Dabei soll Swedbergs Einladung angenommen werden, „das Modell Schumpeters in spielerischer Weise neu zu überdenken“ (Swedberg 2009: 78). Deshalb widmet sich der Aufsatz einer genaueren Untersuchung des Adjektivs ‚sozial‘ in Social Entrepreneurship. Kapitel 3 begründet, warum eine Klärung der ethischen Dimension des ‚Sozialen‘ notwendig ist. Die Analyse der politics of social entrepreneurship (Cho 2006) zeigt die Herausforderung des ‚Sozialen‘ im Kontext von InteressenkonÀikten, Wertediversität und dem Ausschluss von Menschen aus der öffentlichen Diskussion. Um diese Herausforderungen annehmen zu können, wird in den Kapiteln 4 und 5 der Capability-Ansatz3 als eine explizit normative Perspektive zur Bestimmung der ethischen Dimension des ‚Sozialen‘ eingeführt und damit zur Evaluation der Ziele und Wirkungen von Social Entrepreneurship. Vorstellungen von gesellschaftlichem Wandel beinhalten allerdings nicht nur normative Ziele und Prinzipien, sondern auch kausale Hypothesen zu Mitteln und Mechanismen des Wandels. Kapitel 6 stellt dazu zwei auf dem Capability-Ansatz aufbauende Hypothesen auf: 1.
2.
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Soziale Innovation ist die Ausführung neuer Kombinationen von Capabilities. Die Verknüpfung von Capabilities – zum Beispiel von effektiver Partizipationsfähigkeit und guter körperlicher Gesundheit – ist dieser Hypothese zufolge ein Herzstück sozialer Innovationen. Social Entrepeneurs können durch ihr Vermögen, sich neue Kombinationen von Capabilities vorzustellen und auch umzusetzen, charakterisiert werden. Social Entrepreneurship: ein Schumpeterianischer Ansatz
Auch wenn in Arbeiten zum Thema Social Entrepreneurship des Öfteren auf Schumpeter verwiesen wird, sind diese Bezüge meist Àüchtig und sehr selektiv (Swedberg 2009: 101). Der Soziologe Richard Swedberg hat daher Schumpeters gesamtes Modell von Entrepreneurship als Beitrag zu einem besseren Verständnis von Social Entrepreneurship ausgearbeitet (Swedberg 2009). Dieses Vorhaben, das also explizit nicht nur auf wirtschaftliche Entrepreneurship abzielt, kann sich auf 3
In der deutschen Sekundärliteratur wird Capability unter anderem als ‚Verwirklichungschance‘, als ‚Fähigkeiten‘ und als ‚Befähigungen‘ übersetzt. Um Verwirrung zu vermeiden, wird hier der englische Begriff Capability verwendet. Zur Begriffsproblematik vgl. Heinrichs 2006.
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folgende Behauptung Schumpeters stützen: Entrepreneurship ist ein Handlungstyp, der sich im Kapitalismus besonders dynamisch entfaltet, sich aber keinesfalls auf wirtschaftliches Handeln im Kapitalismus beschränkt (Schumpeter 1934). Swedberg unterscheidet fünf Bestandteile in Schumpeters Modell (Swedberg 2009: 84 ff.): 1.
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Motivation: Den Entrepreneur motivieren nicht lediglich die Aussicht auf Gewinn, sondern viel weiter gehende Ziele wie der „Traum und Wille, ein privates Reich zu gründen“ … ein Reich, das „Raum gewährt und Machtgefühl, das es im Grunde in der modernen Welt nicht geben kann“, den Willen zu „kämpfen und Erfolg zu haben“, und auch die „Freude am Gestalten“ (Schumpeter 1934: 138). Analog meint Swedberg, dass den Social Entrepreneur komplexe Motive antreiben, insbesondere seine social mission (Swedberg, 2009: 99). Innovation wird bestimmt als Durchsetzung neuer Kombinationen von existierenden Kräften und Dingen (Schumpeter 1934: 100). Für Schumpeter ist der fundamentale Impuls, der den Motor des Kapitalismus ankurbelt und am Laufen hält, ständige Innovation in der Produktion: „the new consumer goods, the new forms of industrial organization that capitalist enterprise creates“ (Schumpeter 1942: 83). Soziale Innovationen sind für Swedberg „neue Kombinationen, die sozialen Wandel hervorrufen“ (Swedberg 2009: 102). Das Konzipieren von Handlungsmöglichkeiten, die Finanzierung von Projekten, Organisation, das Akquirieren von Ressourcen für die Produktion und die Entwicklung von Produktions- sowie Marketingmethoden können dabei jeweils zu „Objekten“ der Innovation werden (ebd.). Widerstand: Schumpeters Ansatz beinhaltet ferner eine wichtige soziale Dimension. Entrepreneurs sehen sich mit Widerständen konfrontiert, die eng mit der Durchsetzung neuer Kombinationen verbunden sind. Widerstand leistet nicht nur der Geist – im Sinne alteingesessener Denkweisen (gerade auch des Entrepreneurs) –, sondern ebenso die Umwelt, deren Routinen und Ressourcenverteilungen durch die Innovation potenziell bedroht werden. Zu den Widerständen zählen „habits, customs, tradition, norms, routines and orders that may or may not be anchored in interests (economic, ideal and other)“ (Swedberg 2009: 102). Pro¿t: Eine wirtschaftliche Innovation ist keine ‚bloße‘ Er¿ndung, sondern ein Produkt oder eine Dienstleistung, die es erfolgreich zu vermarkten gilt. „Making a pro¿t is decisive for the entrepreneur, and it marks off a successful and ‚correct’ combination from a failed combination“ (Swedberg 2009: 81). Swedberg greift diesen Aspekt auf, indem er behauptet, dass Social
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Entrepreneurship „sozialen Pro¿t“ erfordert (ebd.: 100), der „behilÀich ist, bestimmte Werte“ umzusetzen (ebd.: 102). Verknüpfung zum Wandel auf der Makroebene: Entrepreneurship ist ein evolutionärer Mechanismus wirtschaftlicher Entwicklung, der Kondratjew-Zyklen auslöst, so Schumpeter. Analog führe „soziale Innovation zu schöpferischer Zerstörung” (Swedberg 2009: 102). Diese Verknüpfung wird besonders von Frances Westley und ihren Mitarbeitern ausgearbeitet, die soziale Innovation als Teil eines adaptiven Zyklus von schöpferischer Zerstörung untersuchen (Westley et al. 2006).
Motivation, Innovation, Widerstand, sozialer Pro¿t und Positionierung im Zyklus schöpferischer Zerstörung sind in dieser Schumpeterianischen Perspektive die zentralen Bestandteile eines umfassenden Modells von Social Entrepreneurship. Vor der weiteren Analyse des ‚Sozialen‘ in diesen Bestandteilen sei hier abschließend ein ergänzender Vorschlag bezüglich dieses Modells gemacht. Schumpeter unterstreicht die Bedeutung von Kredit als einem zentralen Element der Dynamik kapitalistischer Entwicklung (Schumpeter 1934: 104 ff.). Das Durchsetzen neuer Kombinationen setzt in der Regel Zugang zu Ressourcen voraus. In einer kapitalistischen Wirtschaft wird dieser Zugang typischerweise von Kredit ausstellenden Banken ermöglicht (ebd.: 109). In einer sozialistischen Wirtschaft wird dieser Zugang über politische Macht ermöglicht. Kredite sind also kein notwendiges Element von Entrepreneurship, eine Form des Zugangs zu Ressourcen ist allerdings notwendig. Die unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten hängen stark von diesen Mitteln ab – Schumpeter geht sogar davon aus, dass die kapitalistische Entwicklung, mit Entrepreneurs als Ideengebern, abhängig von Krediten ist, die als differentia speci¿ca des Kapitalismus anzusehen seien (ebd.: 105). Die Möglichkeiten von Social Entrepreneurship sind daher stark mit der Präsenz „sozialer Investoren“ verknüpft – zum Beispiel gemeinnützigen Organisationen, und Stiftungen wie Ashoka4, Schwab5 und Skoll6 – sowie allgemeiner einer Infrastruktur für ‚soziale Kredite‘ bzw. Zuwendungen. Kurz gesagt heißt dies: Auch wenn der Zugang zu Ressourcen vielleicht kein Bestandteil von Entrepreneurship ist, scheint es doch wichtig, diesen Punkt mit einzubeziehen.
4 5 6
Vgl. www.ashoka.org. Vgl. www.schwabfound.org. Vgl. www.skollfoundation.org.
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3
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Entrepreneurship und das ‚Soziale‘
Eine Aufgabe der Theorie von Social Entrepreneurship ist es, einen Ansatz oder eventuell sogar eine De¿nition bereitzustellen, die die Klassi¿zierung von Social Entrepreneurship zumindest ein Stück weit voranbringt. Wer ist ein Social Entrepreneur? Oder im Sinne Schumpeters: Welche Handlungen sind sozialunternehmerisch? Befriedigende Antworten auf diese Fragen hängen auch von einer Klärung des ‚Sozialen‘ ab. Mit Blick auf das Swedberg-Schumpeter Modell lässt sich fragen: Was ist der Sinn des ‚Sozialen‘ in der social mission? Was bedeutet das ‚Soziale‘ im ‚sozialen Wandel‘? Und was ist eigentlich ‚sozial‘ an ‚sozialem Pro¿t‘? Bezüglich dieser Fragen bringt Swedberg drei Überlegungen ein: 1. 2.
3.
Das Soziale impliziert Werte. Diese Werte sind Standardwerte (standard values): „Verringerung der Armut, Verbesserungen im Bildungssystem ... allgemeines Recht auf wirtschaftlichen Fortschritt, eine angemessene Gesundheitsversorgung“ (Swedberg 2009: 98 f. eigene Übersetzung). Diese Werte werfen „schwierige philosophische Fragen“ auf (ebd.).
Die erste Überlegung wird in der Social Entrepreneurship Forschung generell akzeptiert. Der zweite Punkt verlangt dagegen weitere Diskussion. Zum einen stellt sich die Frage, wer diese Standardwerte de¿niert. Was eine ‚angemessene Gesundheitsversorgung‘ ausmacht, ist bekanntlich selbst in einem wohlhabenden Land wie den USA umstritten. Zum anderen manifestieren sich ‚Standardwerte‘ doch gerade in Routinen wie ‚man etwas macht‘. Diesen müssen sich Social Entrepreneurs gerade entgegensetzen (vgl. auch das Beispiel in Kasten). Die letzten beiden Punkte deuten darauf hin, dass dieses Modell in dieser Hinsicht begrifÀich unterbestimmt und unbefriedigend ist – zumindest solange ‚die Standardwerte‘ nicht weiter expliziert werden. Deren Explizierung ist keine triviale Angelegenheit. Wer auch immer ‚den Standard‘ bestimmt, legt gleichzeitig fest, wer als Social Entrepreneur infrage kommt. Demnach ist Swedbergs dritter Punkt, dass „es schwierige philosophische Fragen zu beantworten gibt“, als ein Aufruf zur weiteren begrifÀichen Ausarbeitung zu verstehen. Diese Aufgabe betrifft auch das Verständnis von Innovation, also das Herzstück von Social Entrepreneurship. „Social entrepreneurship is the pushing through or the successful introduction of social change, through a new combination of elements that make up some way of doing things“ (Swedberg 2009: 99). Einerseits könnte dies im Sinne eines Beitrags von neuen Kombinationen (d. h. Innovationen) mit Blick auf sozialen Wandel im Sinne unabhängiger ‚Standardwerte‘ verstanden
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werden. Andererseits ist für die Schumpeterianische Perspektive das Durchsetzen neuer Kombination ja gerade mit Entwicklung gleichzusetzen: Entwicklung als Innovation. Dementsprechend: Soziale Innovation ist sozialer Wandel. Ist soziale Innovation also das Mittel und/oder der Zweck sozialen Wandels? Prima facie legt die Schumpeterianische Perspektive nahe: Soziale Innovation ist gleichermaßen Mittel und Zweck. Aber was bedeutet das mit Blick auf das ‚Soziale‘? Dieser Frage soll in den Kapiteln zum Capability-Ansatz wieder aufgegriffen werden. Der Schumpeterianische Ansatz führt also zu einem De¿nitionsproblem: Ein Standard für die De¿nition des ‚Sozialen‘ ist notwendig, wird aber im Ansatz Schumpeters nicht zur Genüge ausgearbeitet.7 Da diese Herausforderung aber mitnichten ein spezi¿sches Problem des Schumpeterianischen Ansatzes ist, soll sie abschließend allgemeiner formuliert werden. In seiner Arbeit zu Social Entrepreneurship identi¿ziert Albert Cho drei Probleme bezüglich der normativen Explikation des ‚Sozialen‘ (Cho 2006: 40 ff.): 1.
2.
3.
7
Gesellschaften sind keine homogenen Einheiten, sondern sehen sich unterschiedlichen, oft auch gegensätzlichen Interessen ausgesetzt. Bleibt das ‚Soziale‘ unausgesprochen (d. h. implizit), ermöglicht dies daher möglicherweise einer bestimmten Interessengruppe ihre Partikularinteressen als scheinbar allgemeine Position bezüglich des ‚Sozialen‘ zu etablieren. Aus einer ethischen Perspektive mag es in manchen Situationen einfach sein, das Interesse ‚hinter‘ der sozialen Absicht zu ‚enthüllen‘. Allerdings reicht die Identi¿zierung materieller Interessen bei Weitem nicht aus, da nicht angenommen werden kann, dass Werte wie Gleichheit, Sicherheit, Freiheit, Entwicklung etc. einfach miteinander zu vereinbaren sind (Young 2006). Verschiedene Werte bzw. heterogene Güter wie Gesundheit und politische Teilhabe erfordern daher eine Diskussion über ihren Sinn, ihre Gewichtung, und ihre Balance mit anderen Werten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es eine alle Betroffenen einbeziehende Öffentlichkeit für diese Diskussion gibt. Gerade besonders betroffene Gruppen können aus der Öffentlichkeit marginalisiert oder ausgeschlossen sein oder aus materiellen Gründen sich nicht an einer solchen Diskussion beteiligen. In Anbetracht von InteressenkonÀikten, von Wertediversität und der schwierigen Einbeziehung aller Betroffenen, ist eine explizite Diskussion des ‚Sozialen‘ erforderlich. Das folgende Kapitel führt einen expliziten Werterahmen ein. Dieser Punkt wurde hier über eine Analyse des Ansatzes von Swedberg demonstriert. Ein ähnliches Argument kann allerdings auch bei anderen Schumpeterianischen Ansätzen vorgebracht werden. Man bedenke nur die Analyse der ‚schöpferischen Zerstörung‘ im Sinne eines adaptiven Kreislaufes, wie sie von Westley vorgeschlagen wird (Westley et al. 2006), und in diesem Zusammenhang die Bedeutung von ‚Integrität‘ (ebd.).
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Der Capability-Ansatz
Die Diskussion von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit hat in der politischen Philosophie den Capability-Ansatz hervorgebracht, maßgeblich durch die Arbeiten von Amartya Sen und Martha Nussbaum (u. a. Nussbaum 2000, Sen 2009). Wie kann mit diesem Ansatz das ‚Soziale‘ von Social Entrepreneurship expliziert werden? Erlaubt er einen umfassenden Evaluationsrahmen von Social Entrepreneurship (Yucuico 2008)? Funktionen (functionings) sind die „verschiedenen Dinge, die eine Person zu tun oder zu sein wertschätzt“ (Sen 1999: 75). Sie umfassen Zustände und Handlungen wie gesund zu sein und am gemeinschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Capability (bzw. Verwirklichungschance, Befähigung oder Fähigkeit) einer Person setzt sich aus der Kombination der Funktionen zusammen, die für sie tatsächlich möglich sind.8 Ein Beispiel zeigt den Vorteil gegenüber einem ‚Input‘-Fokus auf Ressourcen als Mittel für die jeweilige Lebensführung: Mit dem gleichen Einkommen (d. h. einer Ressource) hat eine körperlich behinderte Person nicht die gleichen Möglichkeiten wie eine gesunde Person. Wenn ein Großteil des Einkommens für Gesundheitsausgaben, Mobilität usw. aufgebracht werden muss, ist dadurch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglicherweise signi¿kant eingeschränkt. Da Menschen sich ihren Umständen anzupassen vermögen, ist der Fokus auf Capabilities auch ein Vorteil gegenüber einem utilitaristischen ‚Output‘-Fokus auf Glück bzw. die Verminderung von Schmerzen, d. h. den mentalen Zuständen, die aus Handlungen resultieren. Kinder können in den schwierigsten, gesellschaftlichen Umständen guter Laune und damit subjektiv ‚glücklich‘ sein. Dass sie von der Gesellschaft, die diese Umstände toleriert oder sogar produziert, als ‚gleichberechtigt‘ behandelt werden, wäre eine kontra-intuitive Schlussfolgerung. Der Capability-Ansatz fokussiert auf den Bereich zwischen Inputs und Outputs, zwischen Ressourcen und Nutzen, Income und Happiness (Cohen 1993). Über die Einbeziehung von Zuständen und Handlungen zieht er den utilitaristischen bzw. konsequentialistischen Fokus auf Folgen mit ein. Da er sich aber nicht primär auf Funktionen, sondern auf die Capability fokussiert – also die Wahlmöglichkeit mit Blick auf diese, nimmt der Ansatz auch den Wert der Freiheit mit auf. Sen spricht von ‚realen Freiheiten‘ (real freedoms) (Sen 1999). Martha Nussbaum hat eine Liste von Capabilities erstellt, mit der die grundlegenden Gerechtigkeitsansprüche in einer Gesellschaft bestimmt werden sollen. 8
Wie in der Sekundärliteratur üblich bezieht sich hier ‚Capability‘ je nach Kontext entweder auf die gesamte Menge potenzieller Funktionen (das Capability Set) oder auf einzelne Verwirklichungsmöglichkeiten (‚eine‘ Capability wie Partizipation).
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Erfasst werden sollen die Handlungen und Zustände, die für ein menschliches Leben in Würde unentbehrlich sind. Die Liste beinhaltet Capabilities wie „befähigt sein, ein Leben von normaler Länge zu leben“, „befähigt sein, ein Leben in guter Gesundheit zu verbringen“, und „befähigt sein, effektiv an den politischen Entscheidungen teilzunehmen, die das eigene Leben betreffen“ (für die vollständige Liste siehe Nussbaum 2006: 76 ff.). Eine Liste von Capabilities ¿ndet sich bei Sen im Gegensatz zu Nussbaum nicht. Sen argumentiert, dass Capabilities in der öffentlichen Diskussion zu bestimmen sind. Aus dieser Skepsis gegenüber den Möglichkeiten von Philosophen, Capabilities zu bestimmen, folgt allerdings nicht, dass diese keine konkreten Capability-Vorschläge zur Diskussion stellen sollen (Pogge 2005: Fn. 123). Wie sich unten zeigen wird, ist es zudem für den Erklärungsanspruch Sens notwendig, Capabilities zu bestimmen (vgl. Kapitel 6). Nussbaums Liste ist ein besonders weit entwickelter und umfassender Diskussionsbeitrag (und in diesem Sinne offen für Einwände und Änderungen). Nussbaum und Sen verteidigen beide die Objektivität der Ethik (Nussbaum 2000, Sen 2009). Dennoch kann der Capability-Ansatz sowohl kulturelle als auch geographische Differenzen berücksichtigen. Es besteht erstens ein Unterschied zwischen der genauen Spezi¿kation einer Capability – zum Beispiel, wohlgenährt zu sein – und der Umsetzung dieses Capability in einem bestimmten Kontext. Die Bedeutung von ‚wohlgenährt sein‘ kann zwischen kulturellen Gemeinschaften variieren.9 Was eine ‚angemessene Unterkunft‘ ist, hängt auch von der jeweiligen Umwelt und deren Klima ab. Das stellt aber den universellen und objektiven Wert ‚wohlgenährt zu sein‘ und eine ‚angemessene Unterkunft‘ zu haben nicht infrage, sondern verweist auf unterschiedliche Realisierung diese Capabilities. Zudem betonen Sen und Nussbaum nachdrücklich die wichtige Rolle öffentlicher Diskussion für den Ansatz. Da die Realisierung von Capabilities variiert, ist Partizipation für die jeweilige Bestimmung und Gewichtung erforderlich. Auch wenn menschliche Entwicklung im Sinne erweiterter Capabilities den Kernpunkt des hier vorliegenden Evaluationsrahmens darstellt, so muss doch eine wichtige Ergänzung gemacht werden. Ohne saubere Luft und sauberes Trinkwasser kann es keine körperliche Gesundheit geben; ohne funktionierende Ökosysteme können Capabilities nicht gewährleistet werden. Brenda Holland schlägt daher die Idee einer Meta-Capability vor: „being able to live one’s life in the context of 9
‚Kultur‘ bezieht sich hier auf die historisch gewachsenen Differenzen in Sprache, ökonomischer, sozialer und politischer Praxis, die in einem geographischen Raum ‚eine Kultur‘ ausmachen und die Realisierung von Capabilities jeweils prägen. Was Kultur ‚ausmacht‘, ist dabei auch ‚innerhalb‘ einer Kultur strittig und ändert sich ständig (vgl. Nussbaum 2000: 41 ff.). Menschen werden in eine oder mehrere Kulturen sozialisiert.
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ecological conditions that can provide environmental resources and services that enable the current generation’s range of capabilities; to have these conditions now and in the future“ (Holland 2008: 324). In welcher Weise die Umwelt Capabilities beeinÀusst, muss fallabhängig durch die spezi¿sche Untersuchung der Capabilities geklärt werden (Lodemann et al. 2011). Der von Social Entrepreneurs angestrebte systematische Wandel ist jedoch sicherlich nicht langfristig möglich, wenn dieser die Wechselwirkungen zwischen Ökosystemen und menschlichem Handeln nicht beachtet bzw. diese sogar negativ beeinträchtigt. Ein Weg, die Beziehung von Capabilities zu Ökosystemen zu systematisieren, ist der Ökosystem-Dienstleistungs-Ansatz, vorgeschlagen vom Millennium Ecosystem Assessment (MEA) (MEA 2005, Duraiappah et al. 2004). ÖkosystemDienstleistungen sind „die Leistungen, die Menschen von Ökosystemen beziehen“ (MEA 2005: V). Das MEA, ein von den Vereinten Nationen koordiniertes, interdisziplinäres Forschungsprogramm, untersucht diese Dienstleistungen unter vier Gesichtspunkten: 1. 2. 3. 4.
Versorgungsdienstleistungen (beispielsweise Holz) Regulierungsdienstleistungen (beispielsweise Wasserreinigung durch den Boden) Kulturdienstleistungen (beispielsweise der ästhetische Wert einer Landschaft) und Unterstützungsdienstleistungen (wie die Bodenbildung) (MEA 2003: 56 ff.).
Somit baut das Konzept der Ökosystem-Dienstleistungen eine Brücke zwischen menschlicher Entwicklung und Ökosystemen. Indem die Meta-Capability in die Betrachtung mit einbezogen wird, kann der Capability-Ansatz durch die entscheidende Dimension der Nachhaltigkeit ergänzt werden (Ott/Döring 2008). 5
Der Capability-Ansatz als Evaluationsrahmen
In Anbetracht von InteressenkonÀikten, Wertediversitäten und der schwierigen Einbeziehung aller Betroffenen in die öffentliche Diskussion, fordert Cho, das ‚Soziale‘ nicht einfach tautologisch10 oder monologisch11 zu de¿nieren. Kann der Capability-Ansatz diesen Herausforderungen gerecht werden?
10 11
Social Entrepreneurs werden als Agenten des Wandels, die eine soziale Mission, haben de¿niert. Was der Social Entrepreneur als ‚sozial’ de¿niert ist ‚sozial’.
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Der Ansatz bestimmt Capabilities als den zentralen ethischen Begriffsraum für die Bestimmung des ‚Sozialen‘. Der Capability-Ansatz wird damit zum Evaluationsrahmen, mit dem das ‚Soziale‘ der den Social Entrepreneurs zugeschriebenen social mission artikuliert und in seiner Heterogenität diskutiert werden kann.12 Im Sinne dieses Ansatzes schlägt daher Yujuico vor: „social entrepreneurs are motivated to remove the hindrances which prevent others from living lives that are fully human“ (Yujuico 2008: 503). Und der weltweit wohl bekannteste Social Entrepreneur, Muhammad Yunus, bringt seine social mission über den Aspekt der menschlichen Würde zur Sprache und betont dabei die Bedeutsamkeit des Zugangs zu effektiven Chancen (Yunus 1998: 243). Allerdings ist es sehr schwierig, social mission im Sinn der persönlichen Motivation eines Social Entrepreneurs zu bestimmen. Daher sind hier mit social mission die explizit festgesetzten Ziele einer Initiative gemeint. Die Evaluation muss dabei nicht auf die expliziten Ziele beschränkt bleiben. Nussbaums Capability-Liste ist für die Ausarbeitung eines umfassenderen Evaluationsrahmens hervorragend geeignet. Eine Initiative kann zum Beispiel ausschließlich auf Gesundheit und Partizipation abzielen und dennoch nicht-intendierte Wirkungen auf andere Capabilities bzw. die Meta-Capability der Umwelt ausüben. Diese umfassend angelegte Liste bietet sich somit als Diagnosewerkzeug an, mit dem die gesamten, also auch die nicht beabsichtigten Auswirkungen einer Initiative, in den Blick kommen.13 Es bleibt allerdings die Frage, ob dieser Evaluationsrahmen den von Cho gestellten Anforderungen gerecht werden kann. Zum einen wären da die InteressenkonÀikte zu nennen. „Wertepluralismus“ kann beispielsweise auf einem InteressenkonÀikt beruhen. In einer Debatte zur Gesundheitsfürsorge könnten die Begriffe Gleichheit oder Entscheidungsfreiheit gegeneinander vorgeschoben werden, um ökonomische Interessen zu verkleiden. Der Capability-Ansatz kann derartige Interessen nicht einfach beseitigen. Er kann aber ein Vokabular bereitstellen, mit dem die ethische Signi¿kanz von Interessen und Wertedissenz diskutiert werden kann. Um welche Capabilities geht es in der Debatte? Für diese Aufgabe bietet der Ansatz eine hilfreiche Unterscheidung zwischen Werten und deren Umsetzung an. Möglicherweise bezieht sich ein KonÀikt nur scheinbar auf unterschiedliche Werte, in Wirklichkeit aber auf verschiedenen Realisierungen des gleichen Wertes (zum Beispiel die oben genannten unterschiedlichen kulturellen Ernährungsge12 13
Vgl. Swedberg weiter oben und Dees viel zitierte De¿nition: „Social Entrepreneurs nehmen sich einer Mission an, um nachhaltigen sozialen Wandel herbeizuführen“ (Dees 1998). Eine solche umfassende Evaluation könnte die Aufgabe externer Gutachter, zum Beispiel im Auftrag sozialer Investoren, sein oder von entsprechenden Initiativen (im Rahmen einer Selbstevaluation) durchgeführt werden.
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wohnheiten, Realisierung der Gesundheitsfürsorge etc.). Es besteht auch die Möglichkeit, dass Mittel – wie verschiedene Steuerinstrumente – mit WertekonÀikten durcheinandergebracht werden. In all diesen Fällen kann der Capability-Ansatz zur Unterscheidung von Zielen, Umsetzungen bzw. Instrumenten hilfreich sein. Zweitens ‚vereint‘ der Capability-Ansatz nicht alle ethischen Belange in ein einziges, höchstes Gut (wie ‚Nutzen‘ oder ‚Freiheit‘). Vielmehr betont er die Heterogenität von Gütern wie Gesundheit, Zugehörigkeit, Partizipation etc. Der Ansatz hilft daher verschiedene, nicht ineinander reduzierbare Werte zu artikulieren und fördert so in den entsprechenden Kontexten die Diskussion. Damit ist der Ansatz weit entfernt von tautologischen AusÀüchten oder monologischen Festsetzungen. Die Anerkennung heterogener Güter führt zudem im Capability-Ansatz nicht nur zur Förderung sondern auch zur Forderung von Diskussion. Güter müssen in der Diskussion bestimmt und gewichtet werden (Sen 2009). Dieser Aspekt führt zugleich zur dritten Herausforderung. Diese bezieht sich auf die Inklusion in der öffentlichen Diskussion. Bestimmen Social Entrepreneur Werte nicht einfach monologisch? Gerade wegen des angestrebten sozialen Wandels ist dies eine sehr schwierige Frage. Auf der einen Seite treffen Innovatoren auf Routinen und etablierte Strukturen. Der Versuch (zumindest einige) dieser Alltags-Abläufe zu überwinden, drängt Social Entrepreneurs daher in Richtung monologischer Bestimmungen. Auf der anderen Seite verleiht der Widerstand dem Social Entrepreneur keine Lizenz für die Realisierung seiner Weltansicht unabhängig von einer Verständigung mit anderen. Dabei ist wichtig, dass Partizipation durch Einbeziehung von bisher beispielsweise sozial Ausgeschlossenen eine wichtige instrumentelle Rolle für sozialen Wandel spielen kann (vgl. Kasten). Angesichts von Routinen und etablierten Strukturen verlangt allerdings auch dies unternehmerische Qualität und sogar Innovation. Bereits an dieser Stelle ist zu betonen, dass eine umfassende Evaluation, die Einbeziehung aller Betroffenen erforderlich macht.14 Im Hinblick auf die Durchführung von Evaluationen (und der damit verbundenen Ressourcenfragen bzw. Engpässe) ist dies zweifellos ein anspruchsvolles Kriterium. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei um ein ethisch motiviertes Ideal. Abschließend lässt sich daher sagen, dass der Capability-Ansatz die dargelegten ethischen Herausforderungen nicht ‚lösen‘ kann, aber Raum zur Artikulation und Diskussion im Umgang mit ihnen bietet und eröffnet. Cho weist allerdings noch auf einen weiteren Punkt hin: Ein Fokus auf Social Entrepreneurship kann zu 14
Die Einbeziehung ‚aller Betroffenen‘ macht es möglich, Auswirkungen auf zukünftige Generationen mitzudenken und erfüllt damit eine Forderung von Nachhaltigkeit. Dabei kann Nussbaums Capability-Liste als absoluter Standard intergenerationeller Gerechtigkeit dienen (Ott/ Döring 2008).
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einer Konzentration auf die Frage wie Probleme zu lösen sind führen, auf Kosten der Frage, warum es ein Problem überhaupt gibt. „Where problems derive from politics rather than from market failures, social entrepreneurs may well end up addressing symptoms rather than root causes“ (Cho 2006: 47). Daher wird nachfolgend untersucht, inwiefern der Capability-Ansatz nicht nur einen ethischen Evaluationsrahmen anbietet, sondern zusätzlich auch zu einer kausal-erklärenden Perspektive beitragen kann. 6
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Für Schumpeter ist Entrepreneurship der Mechanismus, der den Kapitalismus als einen evolutionären Prozess erklären kann. Entrepreneurship steht dabei also im größeren Kontext wirtschaftlicher Entwicklung. In Swedbergs Schumpeterianischer Perspektive wird dieses übergreifende Anliegen im Sinne von Social Entrepreneurs als Agenten sozialen Wandels übernommen (und ebenso mittels des Gedankens schöpferischer Zerstörung im Sinne einer sozial-ökologischen Resilienz bei Westley et al. 2006). Dies führte bereits oben zu der Frage, ob denn nun soziale Innovation zu einem Standard von sozialem Wandel beiträgt oder ob soziale Innovation mit sozialem Wandel gleichzusetzen sei? Im Folgenden soll nun gezeigt werden, wie der Capability-Ansatz dieses Problem auÀöst. Für Sen ist Entwicklung der Prozess der Ausweitung realer Freiheiten (Sen 1999: xii). Neben den normativen Vorstellungen, welche in den Kapiteln 4 und 5 umrissen wurden, beinhaltet Sens Theorie dabei auch eine Theorie des Wandels. Was Sen den Effektivitätsgrund für seinen Ansatz nennt, basiert auf der Idee, dass „Entwicklung durch und durch von der Handlungsfreiheit der Menschen abhängt“ (Sen 1999: 4). Dies liegt an den sich gegenseitig verstärkenden Verbindungen von Capabilities. Dabei sind besonders zwei Beziehungen zu nennen: 1.
Komplementarität: Genauso wie ein linker Schuh nur zusammen mit einem rechten Schuh zu gebrauchen ist, können auch Capabilities sich gegenseitig bedingen. So erfordern (zumindest in den meisten Wirtschaftssektoren) Funktionen der Arbeitswelt15 grundlegende menschliche Funktionen der Bildung wie beispielsweise die Lese- und Schreibfähigkeit. Diese Bildungscapabilities stellen in vielen Fällen eine Grundvoraussetzung für Arbeitsplätze dar.
15
Martha Nussbaum verwendet den Begriff ‚af¿liation’ als „being able to work as a human being, exercising practical reason and entering into meaningful relationships of mutual recognition with other works“ (Nussbaum 2000: 80).
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Wechselseitige Verstärkung: Funktionen können nicht nur in komplementärer Beziehung stehen, sondern sich auch gegenseitig stärken. Die durch Bildung erworbenen Fähigkeiten steigern in den meisten Fällen die Chancen, vorteilhafte Beziehungen zu knüpfen und für seine Arbeit Anerkennung zu ¿nden. „Wer keine Zeitung lesen oder keine Briefe mit anderen politischen Aktivisten austauschen kann, [wird] nur schwerlich am politischen Geschehen teilnehmen können“ (Sen 2000: 54).
Komplementarität und wechselseitige Verstärkung führen damit zu einer kausalen Entwicklungs-Hypothese. „The linkages between different types of freedoms are empirical and causal, rather than constitutive and compositional. For example, there is strong evidence that economic and political freedom help to reinforce each other, rather than being hostile to one another as they are sometimes taken to be“ (Sen 1999: xii). Diese linkages sind auch für das Thema Social Entrepreneurship interessant. Für Schumpeter ist wie gesagt Innovation die Durchsetzung neuer Kombinationen, wobei er sich dabei auf neue Kombinationen im Sinne neuer Güter, neuer Produktionsmethoden etc. fokussiert. Dieser Fokus auf wirtschaftliche Produktion ist nicht besonders plausibel für die Erklärung sozialen und damit gerade auch nicht-wirtschaftlichen Wandels. Hier bietet nun der Capability-Ansatz eine Hypothese zur Bestimmung von sozialer Innovation: Eine soziale Innovation ist die Durchsetzung neuer Kombinationen von Capabilities. Laut dieser Hypothese sind also die für soziale Innovation zu kombinierenden Elemente die Capablities, also Handlungen und Zustände – wie effektive Partizipation und gute Gesundheit. Diese Elemente zu fördern und zu verbessern ist menschliche Entwicklung. Folglich ¿ndet das in der Auseinandersetzung mit Swedberg entstandene Puzzle folgenden Lösungsvorschlag: Capabilities sind sowohl Zweck als auch Mittel von Entwicklung; sie sind zugleich der ‚objektive Standard‘ und die Hauptantriebsfaktoren.
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Kasten: Veranschaulichung der Hypothese durch ein Beispiel16 Die Trinkwasserversorgung und die Bereitstellung sanitärer Anlagen ist eine globale Herausforderung. Laut United Nations Millennium Developments Goal (MDG) Monitor müssen schätzungsweise 2,5 Milliarden Menschen ohne Zugang zu angemessenen sanitären Anlagen auskommen. Auf den ersten Blick liegt hier eine technische und wirtschaftliche Herausforderung vor: ‚Notwendig‘ sind Pumpen, eine gute Infrastruktur und Geld, um all dies zu ¿nanzieren. Doch trotz großer Investitionen im technischen und wirtschaftlichen Bereich bleiben die erwarteten Erfolge oft aus. Der indische Social Entrepreneur Joseph Madiath und seine Organisation Gram Vikas verschaffen Dörfern in der Provinz Orissa Zugang zu verbessertem Trinkwasser und sanitären Anlagen. Auch wenn es auf den ersten Blick kontraintuitiv anmutet, beginnt Gram Vikas die Hauptphase seiner Projekte mit der Einberufung von Dorfversammlungen. Nur wenn es zu einem hundertprozentigen Konsensus aller Haushalte (vertreten durch Männer und Frauen aus allen Kasten) kommt, willigt Gram Vikas in eine Projektimplementierung ein. Gram Vikas verknüpft effektiv Gesundheit mit Partizipation, indem Dorfversammlungen initiiert werden, bei denen ausgiebig die Implementierung und das Monitoring der für die Gesundheit wichtigen sanitären Anlagen diskutiert wird. Gram Vikas installiert zudem nicht die billigsten Sanitäreinlagen, sondern für alle Familien Anlagen in hoher Qualität. Damit wird selbst den ärmsten Dorfmitgliedern Respekt und Anerkennung signalisiert. Laut der CapabilityInnovations-Hypothese ist es nun genau diese Neukombination von Capabilities (in den jeweiligen Dörfern), die die Trinkwasserprojekte und Projekte zur Verbesserung sanitärer Anlagen nachhaltig voranbringen. Technische Mittel sind wichtig, aber der Schlüssel liegt – auf den ersten Blick kontraintuitiv – in der neuen Kombination von Partizipation, Gesundheit und Zugehörigkeit (im Sinne der sozialen Basis der Selbstachtung). Diese ermöglicht erst die langfristige Nutzung der technischen Anlagen im Gegensatz zu vielen anderen Beispielen technischer Neuerungen in der Entwicklungsarbeit, die entweder gar nicht oder nur für kurze Zeit in Anspruch genommen werden (siehe auch Ziegler 2011).
16
Diese Darstellung verdankt sich den Studien von Keirns (2007), Ganly/Mair (2009) sowie dem persönlichen Gespräch mit Joseph Madiath. Weitere Fallstudien werden im Rahmen des sozialökologischen Forschungsprojekts GETIDOS derzeit durchgeführt (www.getidos.net).
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Laut der Capability-Innovations-Hypothese sind also die Capabilities die Elemente für die Durchsetzung neuer Kombinationen. Für die Bestimmung dieser Elemente dient Nussbaums Liste als Heuristik, die für jeden Kontext neu angepasst werden muss (Was ist Gesundheit? Was ist effektive Partizipation? etc.). Viele der zugehörigen Funktionen sind messbar (wie Gesundheitsverbesserung und Sterblichkeit). Für andere Funktionen sind die Indikatoren zumindest absehbar (z. B. Inklusivität, Anzahl der Dorfversammlungen und Rechenschaftsmechanismen). Daher sollte es im Prinzip möglich sein, diese Hypothese auch empirisch zu überprüfen. Die Plausibilität der Capability-Innovations-Hypothese hängt auch von einem Vergleich mit Projekten ab, die zwar ähnliche Ziele, jedoch einen anderen Ansatz verfolgen, beispielsweise die Verbesserung von Abwasser- und Abfallentsorgung durch den Bau von sanitären Anlagen durch Außenstehende wie staatliche Ingenieure und ohne Beteiligung der Dorfbewohner (vgl. Kasten). Durch den Vergleich können möglicherweise versteckte Ursachen aufgedeckt und die Capability-InnovationsHypothese kritisch geprüft werden. Von besonderer Bedeutung für die Capability-Innovations-Hypothese sind vor allem die Beziehungen zwischen den Capabilities. Wie hat es zum Beispiel Gram Vikas geschafft, eine Wechselbeziehung zwischen politischer Partizipation und Gesundheit zu knüpfen? In diesem Fall ist für die Implementierung sanitärer Anlagen die Einbeziehung aller Haushalte instrumentell gerechtfertigt, da die Gesundheitsverbesserung erheblich gefährdet ist, wenn auch nur wenige Familien weiter unter freiem Himmel defäkieren. Es gibt also einen einleuchtenden Grund. Es ist allerdings auch zu fragen, wer diese Beziehungen knüpft? Die CapabilityInnovations-Hypothese ist daher eng verbunden mit einer zweiten Hypothese: Social Entrepreneurs sind Agenten des sozialen Wandels, die sich Neukombinationen von Capabilities vorstellen können und diese dann auch durchsetzen. Diese Hypothese impliziert zum einen, dass sich Social Entrepreneurs durch eine besonders ausgeprägte ethische Vorstellungskraft auszeichnen. Sie konzentrieren sich auf Capabilities und nicht ‚nur‘ auf technische Mittel. Weiterhin ist ihre unternehmerische Qualität in der Fähigkeit zu sehen, Kombinationen zwischen Capabilities zu etablieren, zu pÀegen und zu stärken. Der durch Schumpeter inspirierte Fokus auf Entrepreneurship als Mechanismus der Entwicklung leistet damit auch einen Beitrag zum Capability-Ansatz. Eine Schwäche des Capability-Ansatzes ist die eingeschränkte Aufmerksamkeit gegenüber den Akteuren menschlicher Entwicklung. Kombinationen von Capabilities passieren nicht einfach so. Sie müssen gegen Routinen und Denkmuster durchgesetzt werden. Die Schumpeterianische Perspektive bietet eine Hypothese
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in Bezug auf einen Initiator gesellschaftlichen Wandels: den (Social) Entrepreneur. Yunus’ Beitrag zu wirtschaftlichen und sozialen Partizipationsmöglichkeiten der Ärmsten der Armen ist lediglich das bekannteste Beispiel. Die Herausforderung einer wirklichen Einbeziehung aller Betroffenen in die öffentliche Diskussion muss allerdings auch zukünftiger Generationen und deren Abhängigkeit von funktionierenden Ökosystemen im Blick behalten. In Anbetracht dieser Nachhaltigkeitsherausforderung ist eine weitere Quali¿zierung des entwickelten Ansatzes erforderlich. Durch Capability-Kombinationen werden vielleicht starke, sich verbessernde Gemeinschaften geschaffen – das macht diese aber nicht notwendigerweise ökologisch nachhaltig. Angenommen zum Beispiel, Yunus erreicht sein Ziel: eine Welt ohne Armut mit lediglich „Museen für Armut“ (Yunus 1998). Angesichts derzeitiger Produktions- und Konsumverhältnisse würden Millionen (durch Mikrokredite) wirtschaftlich besser gestellte Menschen möglicherweise eine zusätzliche Gefahr für das Erreichen ökologisch-nachhaltiger Verhältnisse darstellen: noch mehr Autos, generell noch mehr Konsum und daher noch größere Ressourcenextraktion. Sicherlich ist ökologische Nachhaltigkeit – verstanden als Verhalten, welches sich nicht negativ auf die Basisfunktionen von Ökosystemen auswirkt (Lodemann et al. 2010) – nicht für alle sozialen Innovationen gleichermaßen von Bedeutung. Beispielsweise hat eine soziale Innovation, welche Beziehungsmöglichkeiten behinderter Kinder verbessert (Westley et al. 2006) nur eine schwache, indirekt ökologische Dimension. Dagegen haben soziale Innovationen wie im Wassersektor (wie bei Gram Vikas) oder in der Landwirtschaft notwendigerweise direkte ökologische Auswirkungen. Wie bereits in Kapitel 4 argumentiert, muss der Capability-Ansatz die Meta-Capability und insbesondere das BeziehungsgeÀecht von Capabilities und Ökosystemen einbeziehen. Diese Herausforderung kann hier nur angezeigt werden. Soziale Innovation ist nicht notwendigerweise ökologisch nachhaltig. Soziale Innovationen könnten allerdings eine wichtige Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Welt spielen, da sie im Gegensatz zu technischen Innovationen das Hauptaugenmerk auf Handlungen und Zustände und nicht auf Ressourcen und Güter legen (vgl. dazu auch Drayton 2009). Für die weitere Forschung zu diesem Thema wäre deshalb der Vergleich mit einem technikbasierten Verständnis von Innovation, das ja meist die Diskussion in der Wirtschaft dominiert, interessant, gerade um das Besondere der Capability-Perspektive zu verdeutlichen.
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Schlussbemerkungen
Social Entrepreneurs sind Agenten des Wandels: „How to change the world“ (Bornstein 2004). Allerdings ist die Welt dynamisch und be¿ndet sich in ständiger Veränderung. Daher ist es notwendig, den mit Social Entrepreneurs verbundenen sozialen Wandel weiter zu differenzieren. Sozialer Wandel bestimmt als menschliche Entwicklung im Sinne des Capability-Ansatzes einen differenzierten ethischen Rahmen für die Diskussion und ethisch-explizite Evaluation der Ziele und Wirkungen von Social Entrepreneurs und sozialen Innovationen. Dies beinhaltet außerdem eine Theory of Change, d. h. eine Vorstellung von den Mitteln des Wandels. Laut der Capability-Innovations-Hypothese ist soziale Innovation die Durchsetzung neuer Kombinationen von Capabilities. Die Hypothese bewahrt die ethische Dimension und variiert gleichzeitig Schumpeters klassischen Entrepreneurship Ansatz. Nach der zweiten Hypothese charakterisiert Social Entrepreneurs die Vorstellungskraft und die Fähigkeit, neue Kombinationen von Capabilities zu sehen und durchzusetzen.17 Damit zeigt sich ein Pfad von Capability-Innovationen (vgl. Abb.), auf dem sich menschliche Entwicklung und Schumpeterianische Entwicklung als Innovation überschneiden. Human Development an sich erfordert nicht notwendigerweise Innovation. Menschliche Entwicklung ist bereits gegeben, wenn nur eine Capability verbessert wird. Development as Innovation ist nicht unbedingt sozial in einem ethischen Sinne. Innovationen in der Militärtechnik können ohne Berücksichtigung ethischer Verantwortung eingesetzt werden. Es gibt aber Entwicklungspfade, auf denen Capabilities erweitert und neu kombiniert werden. Die in diesem Beitrag eingeführten ethisch-evaluativen und erklärenden Rollen des Capability-Ansatzes sind logisch voneinander unabhängig. Man kann den Evaluationsrahmen befürworten und die Capability-Innovations-Hypothese zurückzuweisen. Man kann auch die Hypothese für plausibel halten, aber bezweifeln, dass der Capability-Ansatz einen hinreichenden oder adäquaten Evaluationsrahmen bietet. Da die Diskussion von Entwicklung und Wandel aber immer Fragen zu Zielen und Mitteln aufwirft, ist es eine Stärke der hier vertretenen Perspektive, beide Aspekte verbinden zu können.
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Dies erfolgt im jeweiligen gesellschaftlichen, kulturellen und geographischen Kontext, womit ein Bezug zur räumlichen Verankerung sozialer Innovationsfähigkeit angezeigt ist.
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Mindestens drei Annahmen sprechen für die hier vorgeschlagene Perspektive: 1.
2. 3.
Soziale Innovation betrifft grundlegende Handlungen und Zustände. Folglich ist ein wirkliches und anhaltendes Interesse aller Betroffenen zu erwarten. Soziale Innovation betrifft und fördert Aspekte der Gesundheit, der politischen Freiheit etc. Nicht jede logisch mögliche Kombination von Capabilities ist eine Innovation. Innerhalb jeweiliger kultureller und geographischer Kontexte sprechen jedoch nachvollziehbare Gründe für bestimmte Neukombinationen.18 Innovationen, die grundlegende Handlungen und Zustände betreffen – besonders in Bereichen, in denen Capabilities klar behindert und verletzt werden – können mit klaren Argumenten auch öffentlich für Unterstützung werben und damit ihre ‚Kreditwürdigkeit‘ verbessern.
Dieser Aufsatz möchte eine theoretische Perspektive vorschlagen. Dementsprechend bleiben methodische Fragen offen, die für die empirische Wirkungsevaluation wichtig sind. Die Ausarbeitung eines umfassenden Evaluationsrahmens kann von der lebendigen Forschung zur Operationalisierung des Capability-Ansatzes pro¿tieren (Comim 2009). In der Literatur zum Capability-Ansatz wurden bereits Messverfahren und Indikatoren entworfen und zum Teil auch Tests auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene durchgeführt. In puncto Capability-InnovationsHypothese lässt sich zudem Folgendes anmerken: Dieser Ansatz ermöglicht eine Perspektive, sozialwissenschaftliche Kausalhypothesen für pragmatisch orientierte Wirkungsevaluationen nutzbar zu machen. Capabilities werden von Institutionen – hier verstanden als öffentliche Regelsysteme, die bestimmen, was erlaubt und was verboten ist (zum Beispiel: Rituale, Gerichtsverfahren, Parlamente, Ordnung von Eigentumsrechten etc.; Rawls 1999: 48) – verbessert und gesichert oder vermindert und zerstört. Neo-institutionelle Ansätze untersuchen formale und informelle Institutionen. Mit ihnen kann die Rolle sozialer Innovation und von Social Entrepreneurship in ihrer kulturellen und ökologischen Einzigartigkeit beschrieben werden. In diesem Sinne wurde die bereits eingeführte Initiative Gram Vikas als ein Beispiel von institutioneller Entrepreneurship analysiert (Ganly/Mair 2009) und ein genaues Verständnis von Interessen, Interaktion und Normen gewonnen. Diese (neo)-institutionellen Arbeiten könnten durch den hier vorgeschlagenen Capability Innovation-Ansatz ergänzt werden: Zeigt die institutionelle Analyse den sozialen Raum, so weist der 18
Beispielsweise steigert die Kombination von Gesundheit und politischer Partizipation den InformationsÀuss in einer patriarchalischen Kastengesellschaft durch die Einbeziehung von Frauen und Unberührbaren.
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Capability-Ansatz einen möglichen Weg, das komplexe Zusammenspiel von Normen und Interessen um Perspektiven zu ergänzen, die die ethischen Möglichkeiten in diesem Zusammenspiel aufzeigen und damit lokalen Normen und Interessen in den Kontext globaler Entwicklung stellen. Dabei ist Entwicklung heterogen und allgegenwärtig – aus der Perspektive des Capability-Ansatzes leben wir alle in Entwicklungsländern. Diese Sichtweise beruht auf einem ganz bestimmten ‚Raum‘-Verständnis: dem Raum, von dem politische Philosophen sprechen, wenn sie diskutieren, welche Informationen und Überlegungen in die Diskussion von Gleichheit, Gerechtigkeit und Entwicklung ‚eingeschlossen‘ werden sollen bzw. hier ihren ‚Platz‘ haben (vgl. Sen 2000). Die in dieser Arbeit aufgestellte These ist daher ein Plädoyer dafür, neben der Veränderung des geographischen Raums durch technische Intervention, diesen anderen ‚Raum‘ und seine zentrale Rolle für soziale Innovation nicht zu übersehen. Literatur Blaug, M. (1986): Economic History and the History of Economics. New York: New York University Press Bornstein, D. (2004): How to Change the World. Social Entrepreneurs and the Power of New Ideas. Oxford: Oxford University Press Cho, A. H. (2006): Politics, Values and Social Entrepreneurship: A Critical Appraisal. In: Mair et al. (2006): 35-56 Cohen, G. A. (1993): Equality of What? On Welfare, Goods, and Capabilities. In: Nussbaum/Sen (1993): 9-29 Comim, F. (2009): Measuring capabilities. In: Comim et al. (2009): 157-200 Comim, F./Qizilbash, M./Alkire, S. (Hrsg.) (2009): The Capability Approach: Concepts, Measures and Applications. Cambridge: Cambridge University Press Dees, G. (1998): The Meaning of Social Entrepreneurship. http://www.caseatduke.org/documents/dees_sedef.pdf. Letzter Zugriff: 11.05.2009 Drayton, B. (2006): Everyone A Changemaker: Social Entrepreneurship’s Ultimate Goal. In: Innovations 1,1, 2006. 1-32 Drayton, B. (2009): Engage people, retire things. In: Innovations 4,4, 2009. 80-960 Duraiappah, A. K./United Nations Environment Programme (UNEP) and International Institute for Sustainable Development (IISD) (2004): Exploring the Links. Human Well-Being, Poverty, and Ecosystem Services. Manitoba: IISD Faltin, G. (2008): Kopf schlägt Kapital. Die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen. Von der Lust, ein Entrepreneur zu sein. München: Carl Hanser Verlag Ganly, K./Mair, J. (2009): Kleine Schritte zum institutionellen Wandel. In: Ökologisches Wirtschaften, 2, 2009. 15-17 Hawa, B./Weidtmann, N. (Hrsg.) (2011): The capability approach on social order, Münster: LIT Verlag
Capability Innovation
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Autoren
Maria Anastasiadis, Universität Graz; geboren 1973 in Graz (Österreich); Studium der Sozialpädagogik in Graz und in Berlin, Promotion; seit 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz im Arbeitsbereich Sozialpädagogik, freiberuÀich u. a. für die Sozialökonomische Forschungsstelle in Wien tätig; Arbeitsschwerpunkte: Sozialökonomie und Soziale Innovation, Sozialpädagogik und Sozialpolitik, Partizipation und Arbeitsmarktintegration; lebt in Graz und Wien. Kontakt:
[email protected] Karsten Balgar, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; geboren 1979 in Recklinghausen; Studium der Soziologie in Berlin sowie der Visuellen Kommunikation in Dortmund und Göteborg (Schweden); wissenschaftlicher Mitarbeiter am IRS, Abteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ mit den Forschungsschwerpunkten: Wissenssoziologie und Stadt- und Raumsoziologie; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Karl Birkhölzer, Technische Universität (TU) Berlin; geboren 1941 in Marktredwitz/Oberfranken; Diplom-Sozialwirt, Promotion in Bildungsplanung und Bildungsökonomie, Forschung und Lehre an Universitäten und Fachhochschulen in Berlin; Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe (IFG) Lokale Ökonomie an der TU Berlin, Vorsitzender des Sozialen UnternehmensTechnologie-Netzwerk Berlin und Mitglied verschiedener internationaler Kommissionen und Netzwerke der Sozialen und Solidarischen Ökonomie; Forschungsschwerpunkte: Lokale und Soziale Ökonomie, Gemeinwesenarbeit, Zukunft der Arbeit, beruÀiche Aus- und Weiterbildung für Soziale Unternehmen; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Sebastian Braun, Humboldt-Universität (HU) zu Berlin; geboren 1971 in Berlin; Studium der Politikwissenschaften und der Sport- und Erziehungswissenschaft in Berlin sowie der Soziologie in Nantes (Frankreich), Promotion an der Freien Universität Berlin bzw. der Universität Nantes, Habilitation an der Universität Potsdam; Auszeichnung mit dem Otto Wolff von Amerongen-Wissenschaftspreis, 2003 Professur an der Universität Paderborn, seit 2009 Professur und Leiter des P. Jähnke et al., Social Entrepreneurship, DOI 10.1007/978-3-531-92819-7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Autoren
Forschungszentrums für Bürgerschaftliches Engagement an der HU Berlin; aktuelle Forschungsschwerpunkte: Bürgerschaftliches Engagement, Nonpro¿t-Organisationen, Integration, Sozialkapital und das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen (Corporate Citizenship bzw. Corporate Social Responsibility); lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Saskia Bruysten, The Grameen Creative Lab in Wiesbaden; geboren 1980 in Stuttgart; Diplomkauffrau und M. Sc. in Theory and History of International Relations, Studium in Wiesbaden und London; Director und seit 2010 CEO von Grameen Creative Lab – einem Joint Venture zwischen dem Yunus Centre in Bangladesh und circ responsibility in Deutschland; Arbeitsschwerpunkt: Unternehmensberatung; lebt in Frankfurt a. M. Kontakt:
[email protected] Gabriela B. Christmann, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; geboren 1961 in Bad Säckingen; Dipl.-Sozialarbeiterin, Studium der Soziologie und Promotion an der Universität Konstanz, Habilitation an der Technischen Universität Dresden, seit 1992 in Forschung und Lehre tätig; seit 2008 Leiterin der IRS-Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ mit den Arbeitsschwerpunkten: sozialwissenschaftliche Raumforschung, Wissenssoziologie, Kommunikationsforschung, Methoden interpretativer Sozialforschung; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Franz Dullinger, selbstständiger Regionalentwickler; geboren 1972 in Osterhofen/Niederbayern; Ausbildung als Werkzeugmacher, Studium mit Schwerpunkt Landes- und Regionalentwicklung in Weihenstephan; arbeitet seit zehn Jahren als Regionalentwickler; Auszeichnung als „Social Entrepreneur“ durch Ashoka, European Enterprise Award, Kategorie „Entrepreneurial Trailblazer“ für das EUModellprojekt XperRegio; lebt in Niederalteich/Niederbayern. Kontakt: of¿
[email protected] Henning Engelke, European Business School (EBS) in Wiesbaden; geboren 1983 in Göttingen; VWL-Studium in München, 2009 Tätigkeit beim Grameen Creative Lab; gegenwärtig Doktorand an der EBS im Bereich Social Business; lebt in Mainz. Kontakt:
[email protected] Autoren
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Günter Faltin, Professor an der Freien Universität (FU) Berlin; gründete 1985 die Projektwerkstatt GmbH mit der Idee der „Teekampagne” als Modell für Entrepreneurship (heute weltgrößter Importeur von Darjeeling Tee), initiierte das Labor für Entrepreneurship und ist Business Angel erfolgreicher Start-Ups, darunter eBuero, RatioDrink und PaperC; errichtete 2001 die Stiftung Entrepreneurship mit dem Ziel, eine offenere Kultur des Unternehmerischen zu fördern, die PriceBabson-Foundation (Boston) verlieh ihm den Award „For Bringing Entrepreneurial Vitality to Academe“, 2009 erhielt er den Deutschen Gründerpreis und 2010 zeichnete ihn Präsident Wulff mit dem Bundesverdienstkreuz aus; er leitet den Arbeitsbereich Entrepreneurship der FU Berlin und schlägt in seinem Wirken den Bogen von der Theorie zur selbst gelebten Praxis. Kontakt:
[email protected] Petra Jähnke, Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; geboren 1954 in Berlin; Studium der Gebiets- und Stadtplanung in Weimar und Promotion in Humangeographie an der Humboldt Universität zu Berlin, seit 1979 in der außeruniversitären interdisziplinären Forschung tätig; wissenschaftliche Mitarbeiterin am IRS, Abteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ mit den Forschungsschwerpunkten: Stadt- und Regionalentwicklung, kommunikative Raumkonstruktion und relationale Raumbindung sowie Social Entrepreneurship; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Gerd Künzel, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie (MASF) des Landes Brandenburg; geboren 1947 in Zwickau; Jurastudium in Münster und Freiburg i. Breisgau; seit 1991 Abteilungsleiter, davon 14 Jahre Leiter der Abteilung Soziales und Familie; lebt in Potsdam. Kontakt:
[email protected] Norbert Kunz, iq consult Berlin; geboren 1958 in Gießen; Bankkaufmann, Studium der Wirtschaftspädagogik in Berlin; seit über 20 Jahren Entwicklung sozialinnovativer Projekte sowie Beratung und Unterstützung von Existenzgründern, Unternehmen und gemeinnützige Organisationen, maßgeblich an der Entwicklung von Modellvorhaben, wie „¿nanzwerk Pankow“, „enterprise“, „entersocial“ sowie an der Pilotierung des Deutschen Mikro¿nanzsystems mitgewirkt, mehrfache Auszeichnung, z. B. durch Ashoka und die Schwab Stiftung für Social Entrepreneurship; seit 1994 geschäftsführender Gesellschafter von iq consult. Konakt:
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Thilo Lang, Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) Leipzig; geboren 1976 in Böblingen; Studium der Raum- und Umweltplanung sowie Stadtplanung in Kaiserslautern und Hamburg, Promotion in Humangeographie an der Universität Potsdam und der Durham University; seit 2009 stellv. Leiter der Abteilung „Regionale Geographie Europas“ am IfL und Experte für lokale Ökonomie im Vorbereitungsteam für eine IBA-Tempelhof 2020 in Berlin; Forschungsschwerpunkte: post-disziplinäre vergleichende Stadtforschung, multiple Formen der Peripherisierung, Innovation und sozialökonomische Entwicklung, ungleiche räumliche Entwicklung und regionaler Wandel, lebt in Berlin und Leipzig. Kontakt: t_lang@iÀ-leipzig.de Angela Lawaldt, Investmentdirektor Schweiz, BonVenture Management GmbH in München; Studium der Psychologie und der interkulturellen Wirtschaftskommunikation in Jena und Oxford (UK), 2007-2009 Leitung des Venture/Investorennetzwerks von Ashoka; seit 2009 Investment Manager für Social Businesses bei BonVenture, Arbeitsschwerpunkte: soziale und Bildungsprojekte; lebt in München. Kontakt:
[email protected] Thomas Leppert, Heldenrat – Beratung für soziale Bewegungen e.V. in Hamburg; geboren 1972 in Saarbrücken; Industriekaufmann, Studium der Politischen Wissenschaften in Berlin sowie des Managements für Führungskräfte in Hamburg; lfd. externe Promotion an der Universität Hamburg bei Prof. Dr. Willi Küpper; seit 2005 Gründer und ehrenamtlicher Vorstand von Heldenrat, seit 2009 selbstständiger Organisationsberater; lebt in Hamburg. Kontakt:
[email protected] Felix Oldenburg, Ashoka Deutschland gGmbH in Frankfurt a. M.; geboren 1976 in Hamburg; Studium in Bonn, Tübingen und Oxford (UK) sowie in Georgetown (USA), M.A. in Philosophie, Politikwissenschaften und Musikwissenschaft sowie Executive Master in Policy Management; seit 2009 Director Ashoka Europe und Hauptgeschäftsführer Ashoka Deutschland; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] James W. Scott, Universität Ost¿nnlands in Joensuu (Finnland) und LeibnizInstitut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner; geboren 1956 in Kalifornien (USA); Studium der Biologie und Geographie in Berkeley (USA), Promotion und Habilitation an der Freien Universität Berlin; wissenschaftlicher Mitarbeiter am IRS, seit 2008 Forschungsprofessur am Karelischen
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Institut der Universität Ost¿nnlands mit den Schwerpunkten: Regionalentwicklung und Grenzregionen in Europa; lebt in Berlin und Joensuu. Kontakt: james.scott@uef.¿ Peter Spiegel, GENISIS Institute for Social Business and Impact Strategies in Berlin; geboren 1953 in Würzburg; Studium der Soziologie in Regensburg, Autor, seit 1994 Mitbegründer zahlreicher internationaler Nichtregierungsorganisationen sowie politischer und Bildungsinitiativen; seit 2008 Institutsleiter und Geschäftsführer des GENISIS Institute, Initiator und Leiter des „Vision Summit“ in Berlin (seit 2009), seit 2010 Political Affairs Director des Senats der Wirtschaft Deutschland und Vorstandsmitglied im Öko-sozialen Forum Deutschland sowie Lehrbeauftragter für Social Business an der Universität Witten-Herdecke; lebt in Berlin. Kontakt:
[email protected] Markus Strauch, selbstständiger Berater und freier Hochschuldozent; geboren in Görwihl; Studium der Psychologie, Architektur und Caritaswissenschaft in Freiburg i. Breisgau; seit 2004 Tätigkeitsschwerpunkt in der Erforschung, Entwicklung und Beratung von Social Entrepreneurship, Coach, Erlebnispädagoge und Gestalttherapeut; lebt in Freiburg. Kontakt:
[email protected] Rafael Ziegler, Universität Greifswald; geboren 1977 in Nairobi (Kenia); Studium der Ökonomie und der Philosophie in London und Montreal (Kanada), Promotion; leitet die sozial-ökologische Forschungsgruppe GETIDOS zu Rolle und zum Potenzial von Social Entrepreneurship im Wassersektor, angesiedelt an der Universität Greifswald und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IöW) Berlin; lebt in Berlin und Greifswald. Kontakt:
[email protected]