Lars Knopke Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED
VS RESEARCH
Lars Knopke
Schulbücher als Herrs...
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Lars Knopke Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED
VS RESEARCH
Lars Knopke
Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation an der Helmut-Schmidt-Universität / Universität der Bundeswehr Hamburg, 2011
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-18220-9
Für Sandy Für immer
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Danksagung Das Schreiben einer Dissertation ist keine Teamaufgabe, sondern findet vornehmlich in Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst statt. Gleichwohl kommt eine Aufgabe dieses Ausmaßes nie ohne Unterstützung (sei sie größer oder kleiner) aus. Der Rückblick erinnert an Einige, denen ich dankbar bin. Nur Wenige kann ich hier herausstellen – stellvertretend aber für Alle. Vornehmlich danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Lutz R. Reuter, der stets jede Unterstützung gewährte. Als langjährigem akademischem Lehrer und Vorbild verdanke ich ihm den Großteil meiner wissenschaftlichen Prägung. Ich danke auch Frau Prof. Dr. Annette Scheunpflug, die mehr war als eine Zweitgutachterin. Vielmehr hat auch sie mich insbesondere im letzten Drittel des Promotionsverfahrens nach Kräften unterstützt. Außerhalb des universitären Umfeldes bedanke ich mich bei meinem ehemaligen Vorgesetzten, Herrn Bernd J. Henn, der dem nebenberuflichen Forschungsprojekt stets aufgeschlossen gegenüberstand – durchaus keine Selbstverständlichkeit im beruflichen Alltag. Ich danke auch Herrn Michael Peter, dessen historische Privatbibliothek und dessen Sachverstand diverse Anregungen boten. Danken möchte ich auch den zahlreichen freundlichen Menschen, die mir meistens unentgeltlich die Schulbücher ihrer Kinder überließen – hier stellvertretend ganz besonders herzlich der Familie Thorandt. Ich danke ganz besonders meiner Frau, denn ein langjähriges berufsbegleitendes Vorhaben dieses Umfangs fordert auch allerlei Unterstützung von familiärer Seite, derer ich mir stets sicher sein durfte. Schließlich danke ich meiner Tochter, meinem Sternchen, die mich stets nach vorne streben lässt. Hohenmölsen, im April 2011 Lars Knopke
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Vorwort Es gibt kaum einen Gegenstandsbereich der deutschen Geschichte nach 1945, welcher so intensiv öffentlich diskutiert und wissenschaftlich untersucht worden ist wie die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik und das autoritäre SED-Regime. Dies gilt für die Phase bis zum revolutionären Systemwechsel gleichermaßen wie für die Zeit nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit, als sich mit der Zugänglichkeit der Akten von Partei und Staat, der Öffnung der Archive und der Möglichkeit der Befragung von Zeitzeugen neue Forschungsmöglichkeiten ergaben. Es dürfte kaum einen Bereich von Staat und Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur der DDR geben, zu denen in den vergangenen zwanzig Jahren keine neueren Studien durchgeführt und publiziert worden wären. Dies gilt nicht zuletzt für die Bildungspolitik und das Bildungssystem der DDR, zu denen heute eine Reihe von breit angelegten Untersuchungen ebenso wie viele Spezialstudien verfügbar sind. Auch zum komplexen Forschungsfeld der Politisierung und Instrumentalisierung vor allem der schulischen Bildungsstätten liegen inzwischen verschiedene Publikationen vor. Doch gleichwohl gibt es noch den einen oder anderen »weißen Flecken« in der Erforschung der Geschichte der DDR. Dies gilt in besonderem Maße für die internen Verhältnisse und Abläufe in gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen, etwa in Familien und anderen staatlich weniger leicht kontrollierbaren Gruppen, sowie in Jugendverbänden, Schulen, Hochschulen, Betrieben und Religionsgemeinschaften. Im vorliegenden Buch geht es um die Formen und Inhalte der Instrumentalisierung der Schule in der DDR über das Medium des Schulbuchs durch die Staatspartei SED. Es handelt sich durchaus nicht um eines der eher vernachlässigten oder gar unbearbeiteten Forschungsfelder. Diese Feststellung traf schon für die Zeit vor 1990 zu und gilt stärker noch für die zwei Jahrzehnte seither. Die Forschung über Schulbücher in der DDR hat sich mit Einzelthemen wie bspw. Afrika, Rolle der Frauen, Faschismus oder Amerikabild befasst und die Schulbücher einzelner Fächer untersucht. Was also rechtfertigt eine weitere Studie zur DDR-Schulbuchforschung? Gleich zwei Gründe lassen sich hierfür vorbringen: Keine der bisherigen Schulbuchanalysen rückt die Frage nach der politischen Instrumentalisierung des jeweiligen Stoffes für die Zwecke der „Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten“ im Sinne von Verfassung und Bildungsgesetz der DDR derartig in das Zentrum der Analyse und tut dies überdies ausdrücklich vor dem Hintergrund beobachtbarer Tendenzen der DDR-Verklärung in Ostdeutschland; und keine Unter9
suchung erfasst alle Schulbücher der Polytechnischen Oberschule der DDR, das heißt auch diejenigen der scheinbar nicht „instrumentalisierbaren“ mathematischen, naturwissenschaftlichen und technischen Unterrichtsfächer. Der umfangreiche Untersuchungskorpus besteht aus insgesamt 72 Schulbüchern für zehn Schuljahrgänge und umfasst etwa zwölftausend Druckseiten. Als Dokumente, die in einem formalisierten staatlichen Verfahren zugelassen werden, normieren Schulbücher die Lerninhalte im Sinne der politischen, ökonomischen und gesellschaftlich-kulturellen Verfassung eines Staates. Schulbücher dienen der Umsetzung und Sicherung der Erziehungs- und Bildungsziele der Schule und ihrer einzelnen Unterrichtsfächer. Sie sorgen für eine Konformität der Lernprozesse in den öffentlichen Schulen und dienen der gesellschaftlichen Identität. In den Schulbüchern spiegeln sich die vorherrschenden gesellschaftlichen, bildungspolitischen und pädagogischen Ansichten wider. Wie die Lehrpläne, von deren Vorgaben sie abhängen, erlauben die Schulbücher – allerdings wirkungsvoller als die ersteren – Rückschlüsse auf die reale Unterrichtsund Lernarbeit in den Schulen. Sie informieren über die Themen, Werte und Sichtweisen, die zu einer bestimmten Zeit eine Gesellschaft und ihre Schulen prägen. Der Autor des Bandes ist sich bewusst, dass Schulbücher in offenen liberaldemokratischen Gesellschaften ebenso wie in totalitären Systemen politische Funktionen erfüllen. Er nimmt eine klare normative Position im Sinne des liberalen Verfassungsverständnisses für die Offenheit oder Vorläufigkeit zu vermittelnder Positionen in kontroversen Fragen ein und fragt vor diesem Hintergrund nach Formen, Inhalten, Reichweite und Intensität der politischen Instrumentalisierung der Unterrichts- und Lernprozesse durch die Schulbücher im Herrschaftssystem der SED. Er arbeitet nicht mit einem vorab definierten Instrumentalisierungsbegriff, sondern generiert im hermeneutischen Zirkel Themenfelder und Begriffe, anhand welcher schrittweise die Instrumentalisierung erfassbar und sichtbar gemacht wird. Dabei ist bemerkenswert, wie vorsichtig und sorgfältig der Autor bei der Präsentation und Analyse des umfangreichen Quellenmaterials vorgeht. Das Buch ist insofern eine Fundgrube ausführlicher Originalzitate aus den Schulbüchern. Der Band vermag uns nichts über die tatsächliche Wirkungsgeschichte der DDR-Schule und ihrer Schulbücher zu vermitteln; er öffnet aber den Blick für den insgesamt wohl eher als misslungen zu bewertenden Versuch des SED-Regimes, über die Institution der Schule die Köpfe der nachwachsenden Generationen im Sinne ihres doktrinären Staatssozialismus zu beeinflussen. Lutz R. Reuter und Annette Scheunpflug 10
Inhalt Abkürzungen ......................................................................................13 1
Hinführung zum Thema ....................................................................15
2 2.1 2.2
Forschungsstand.................................................................................23 Forschung zur DDR und zum DDR-Bildungswesen ............................23 Forschung zum Schulbuch und zum DDR-Schulbuch .........................31
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2
Erkenntnisinteresse und Herangehensweise ....................................37 Schulbücher: zum Untersuchungsmaterial ...........................................37 Begriff und Funktion des Schulbuches.................................................37 Gesellschaftliche Funktion des Schulbuchs..........................................39 Schulbücher in der DDR ......................................................................40 Untersuchte DDR-Schulbücher ............................................................44 Untersuchung von Instrumentalisierungsrealität: zum Erkenntnisinteresse .......................................................................49 Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung von Instrumentalisierungsrealität .........................................................49 Präzisierung des Erkenntnisinteresses ..................................................53 Schulbuchinstrumentalisierung: zu Untersuchungsgegenstand und analytischer Basis ...........................55 Weitreichende Herrschaft der SED als allgemeiner Bestimmungsfaktor der Schulbuchinstrumentalisierung ......................55 Auswirkungen der SED-Herrschaft im Schulwesen als spezifische Bestimmungsfaktoren der Schulbuchinstrumentalisierung ..................62 Zusammenfassung: zur analytischen Basis ..........................................74 Vorgehensweise....................................................................................76
3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8
Schulbuchanalyse Teil I: Klassen- und unterrichtsfächerübergreifende Themen der Schulbuchinstrumentalisierung..................................................87 Partei und Arbeiterklasse......................................................................87 DDR....................................................................................................103 Sowjetunion und andere sozialistische Staaten...................................111 Systemrelevante Personen ..................................................................122 FDJ und Pionierorganisation ..............................................................131 Militärische Inhalte.............................................................................141 Kampf und Revolution .......................................................................156 Sozialismus und Parteilichkeit............................................................165 11
4.9 4.10 4.11 4.12
Kapitalismus .......................................................................................171 Bundesrepublik Deutschland ..............................................................190 Faschismus .........................................................................................195 Marxismus-Leninismus ......................................................................198
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Schulbuchanalyse Teil II: Instrumentalisierung der Schulbücher in den einzelnen Unterrichtsfächern...............................................205 Naturwissenschaftlich-technische Unterrichtsfächer..........................205 Deutsch ...............................................................................................212 Musik..................................................................................................222 Geographie..........................................................................................226
5.1 5.1 5.2 5.3 6 6.1 6.2
Schulbuchanalyse Teil III: Instrumentalisierung der Geschichts- und Staatsbürgerkundeschulbücher ..........................231 Geschichte ..........................................................................................231 Staatsbürgerkunde ..............................................................................251
7 7.1 7.2 7.3 7.4
Analyse und Diskussion der Befunde..............................................265 Zusammenfassung ..............................................................................265 Wirkung..............................................................................................276 Instrumentalisierungsrealität...............................................................280 Ausblick..............................................................................................281 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ................................................289 Literatur und Dokumentenverzeichnis...........................................291 Wissenschaftliche Literatur ................................................................291 Schulbücher ........................................................................................307 Quellen und Dokumente .....................................................................309
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Abkürzungen BRD CDU ýSSR DDR DSF EOS ESP FDJ FLN FRELIMO Gbl. GST IM KPD KPdSU LDPD LPG MfS MPLA NVA POS RGW SBZ SED UdSSR VEB VR ZK
Bundesrepublik Deutschland Christlich demokratische Union ýeskoslovenská Republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) Deutsche Demokratische Republik Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft Erweiterte Oberschule Einführung in die Sozialistische Produktion Freie Deutsche Jugend Front de Libération Nationale (Algerische Nationale Befreiungsfront) Frente de Libertação de Moçambique (Mosambikanische Befreiungsfront) Gesetzblatt Gesellschaft für Sport und Technik Inoffizieller Mitarbeiter (MfS) Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft Ministerium für Staatssicherheit Movimento Popular de Libertação de Angola (Volksbewegung für die Befreiung Angolas) Nationale Volksarmee Polytechnische Oberschule Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Volkseigener Betrieb Volksrepublik Zentralkomitee der SED
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Hinführung zum Thema
„Ich finde die Empfehlungen der Forscher, den jungen Leuten mehr Bildung über die DDR angedeihen zu lassen, außerordentlich fahrlässig. Gesetzt den Fall man würde das Funktionieren der Gesellschaft, die Außenpolitik der DDR und das Bildungswesen erklären, über die Rechte der DDR-Bürger und das Alltagsleben in der DDR objektiv berichten, so würde die heutige BRD den jungen Leuten als eine ganz üble Geschichte erscheinen.“
Das Zitat stammt aus Zuschriften, die Forscher des Forschungsverbundes SEDStaat an der Berliner Humboldt-Universität als Resonanz auf die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse zum Bild der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erhalten.1 Obschon es sich hier um eine nicht verallgemeinerbare Aussage einer einzelnen Person handelt, offenbart sich darin eine Sicht auf die DDR, wie sie 20 Jahre nach dem Ende des zweiten deutschen Staates und nach mehr als einem halben Jahrhundert Forschung zur DDR nachdenklich macht.2 Das Zitat ist ein Indikator dafür, dass der Umgang mit der DDR-Geschichte unverändert von Kontroversen behaftet ist. Es handelt sich dabei durchaus nicht nur um eine Einzelmeinung, eine beunruhigende Entwicklung des DDR-Bildes ist nicht zu übersehen: Der diktatorische Charakter3 des zweiten deutschen Staates scheint zunehmend in den Hintergrund zu treten. So rechtfertigt die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner Anfang 2008 die Existenz von Mauer und Staatssicherheit.4 Ein weiteres Beispiel erscheint in dem Selbstbewusstsein, mit dem ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) etwa im Umfeld der Gedenkstätte Hohen-Schönhausen auftreten.5 Ein 1 2 3 4
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Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 14–19. Auf den Forschungsstand zur DDR wird im nächsten Kapitel eingegangen. Zur Charakterisierung der DDR als Diktatur siehe 2.1 und 3.3. Spiegel Online (Hengst, Björn/Wittrock Philipp: Linken-Abgeordnete hat Sehnsucht nach der Stasi, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,535427,00.html) oder sueddeutsche.de (Das Gupta, Oliver: Abgeordnete fordert Stasi reloaded, http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/429/158006/) berichten zum Beispiel am 14. Februar 2008 hierüber. Vgl. hierzu Karl Wilhelm Frickes Aufsatz zum MfS-Geschichtsrevisionismus (Fricke 2006). Welt Online berichtet zum Beispiel am 26.03.2006 über die verzerrte (Selbst-) Darstellung des MfS (Knabe, Hubertus: Die Täter sind unter uns, www.welt.de/print-
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
verzerrtes DDR-Bild ist dabei zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft, bei jüngeren Menschen und Akademikern, anzutreffen.6 Dies mögen nur Momentaufnahmen sein, doch ruhen sie auf einem Fundament von Verharmlosung und Verklärung.7 Das öffentliche DDR-Bild wird wiederholt von Fernsehshows oder Filmen geprägt, in denen nicht selten mit wenig Sensibilität für die politischen Verhältnisse im ,Arbeiter- und Bauernstaat’ nostalgische Gefühle oder Vorurteile und Stereotype bedient werden.8 Dieser Trend setzt sich in einem ausgeprägten DDR-Merchandising fort: T-Shirts oder Tassen mit der Aufschrift ,Held der Arbeit’ sind hier nur ein Beispiel.9 Diktatorische Aspekte des Regimes der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) scheinen gegenüber ,Ampelmännchen’, ,Trabi’ und ,Spreewaldgurken’ eine untergeordnete Rolle zu spielen.10 Dass dies nicht nur ein Problem der populäröffentlichen Wahrnehmung ist, belegt eine umfangreiche Studie des Forschungs-
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wams/article140197/ Die_Taeter_sind_unter_uns.html), Focus Online darüber und über Mängel in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte am 14.11.2006 (Hauke-Steller, Frank: Köhler stieg in den Stasi-Käfig, http://www.focus.de/politik/ deutschland/hohenschoenhausen_aid_119257. html). Spiegel Online berichtet z. B. am 29. Juni 2009 über die zunehmende Verklärung der DDR durch junge Akademiker, die – berufstätig, wohnhaft in den alten Bundesländern und mit ihrer persönlichen Situation zufrieden – die DDR verteidigen (vgl. Bornstein, Julia: Heimweh nach der Diktatur, http://www.spiegel.de/spiegel/ 0,1518,633180,00. html). Beispiele hierfür finden sich regelmäßig etwa in der tagesaktuellen Berichterstattung. So berichtet Die Welt am 11. August 2008 über eine „Stasi-Kneipe“ in der Berliner Normannenstraße, dem ehemaligen Hauptsitz des MfS. Gäste könnten dort zwischen Säcken geschredderter Akten speisen und bekämen zehn Prozent Preisnachlass, wenn sie sich als Inoffizielle Mitarbeiter registrieren ließen (vgl. Zöllner, Martin: Prost, IM! In Nachbarschaft der ehemaligen MfS-Zentrale buhlt eine Stasi-Kneipe um Kundschaft. In: Die Welt. Ausgabe vom 11. August 2008. S. 1). Die Autoren einer Studie des Forschungsverbundes SED-Staat zum DDR-Bild können als Quellen für das vorhandene (und als richtig angenommene) DDR-Wissen bei Schülern zum Beispiel die Filme ,Sonnenallee’ und ,Good bye Lenin’ identifizieren (vgl. DeutzSchroeder/Schroeder 2007, S. 28). Vgl. hierzu auch Hollitzer 2004, S. 4, der unter anderem zu folgendem Schluss kommt: „Erich Honecker und sein Politbüro hätten ihre Freude an einer solchen Vielzahl von Agitationssendungen für den ‚Sozialismus in den Farben der DDR’ im (west)deutschen Fernsehen gehabt.“ Die Eingabe entsprechender Stichworte als Suchbegriffe in der Internetsuchmaschine Google führt unmittelbar zu Anbietern entsprechender Produkte. Ein solcher Versuch des Verfassers am 05.07.2010 mit dem Suchbegriff ,Held der Arbeit’ erbringt neben zwei Verweisen auf die entsprechenden Wikipedia-Einträge unmittelbar Angebote für derartige Artikel (Tassen, T-Shirts). Für weitere Beispiele vgl. Hollitzer 2005, S. 4, Gebhardt/Kamphausen 1999, S. 514 f. Vgl. Hollitzer 2004, S. 5.
verbundes SED-Staat zum DDR-Bild.11 Dieses Bild scheint zunehmend verzerrt, besonders dominant ist die Verklärung der DDR als eines sozialen Paradieses.12 Vor diesem Hintergrund kann es wenig verwundern, dass das Verhältnis zwischen Deutschen aus den neuen Bundesländern13 und denen aus den alten auch zwei Dekaden nach Ende des Kalten Krieges nicht immer unproblematisch ist. Die ,Mauer in den Köpfen’ ist ebenso real wie überflüssig. Kaum mehr als 40 Jahre dauert die Zäsur, die dem deutschen Volk in seiner Teilung widerfährt – eine Zäsur, deren historische Ursachen Ost- und Westdeutsche gleichermaßen betreffen. Die Hälfte dieser Zeitspanne ist seit den revolutionären Ereignissen im Herbst 1989 verstrichen und noch immer scheint die innerdeutsche Grenze nur äußerlich überwunden.14 In historischer Perspektive muss dies bizarr anmuten, wächst doch am 3. Oktober 1990 lediglich zusammen, was auch davor zusam-
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Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008. Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 597, 605. Mögliche Ursachen für die rückwirkende Verklärung der DDR untersuchen Winfried Gebhardt/Georg Kamphausen und Lothar Fritze in ihren Aufsätzen über Ostalgie. Gebhardt/Kamphausen konstatieren unter anderem auf Seiten der Ostdeutschen nach 1989 ein Gefühl des Verlustes der behüteten und sozial abgesicherten, durch angenehmes menschliches Miteinander getragenen Gemeinschaft, dem nun die Herausforderungen einer individualisierten, kalten Gesellschaft gegenüberstehen (vgl. Gebhardt/Kamphausen 1999, S. 519–532). Als ursächlich für das Ostalgie-Phänomen identifizieren sie sieben weitere Beweggründe: (1) Entwertung der eigenen Lebensgeschichte, (2) Ohmmachts- und Minderwertigkeitsgefühle, (3) Idealismus, (4) Autoritätsgläubigkeit, (5) Wir-Gefühl durch Ablehnung der Westdeutschen, (6) Verdrängung und (7) durch soziale Netzwerke determinierter Denkstil (vgl. Gebhardt/Kamphausen 1999, S. 533 ff.). Lothar Fritze sieht folgende Gründe für das Aufkommen nostalgischer Gefühle bei ehemaligen DDR-Bürgern: (1) als unangenehm empfundene Zunahme von sozialer Differenziertheit nach 1989, (2) in der DDR empfundene höhere soziale Sicherheit als größere Zukunftssicherheit, (3) relative Erfolglosigkeit individuellen politischen Protests in der Demokratie, (4) (nun fehlende) Sinnstiftung durch Ideologie in der DDR (vgl. Fritze 1999, S. 485–488). Ferner hebt Fritze hervor, dass Menschen nicht primär politische Wesen seien, sodass die in der DDR erlebte Alltagssicherheit vordergründig erscheine (vgl. Fritze 1999, S. 488 ff.). Fritze betont, dass Diskussionen zur DDR-Vergangenheitsbewältigung, absichtlich oder unabsichtlich, mt der Tendenz einer Totalabwertung der Lebensverhältnisse/-leistungen ehemaliger DDR-Bürger verbunden seien, woraus Abwehrhaltungen resultierten, die die Nostalgie letzlich begünstigten (vgl. Fritze 1999, S. 501). Zu diesen Begrifflichkeiten vgl. Ahbe 2004, S. 12. So kommen beispielsweise die Autoren einer zwischen 1987 und 2002 durchgeführten Längsschnittstudie zu den zeitlichen Vorstellungen des Geburtsjahrganges 1972/1973 von der Verwirklichung der inneren Einheit Deutschlands zu dem Ergebnis, dass es nach Meinung der Befragten noch mindestens 20 Jahre dauern würde, bis die Deutschen zu einer „richtigen Gemeinschaft“ zusammengewachsen wären (vgl. hierzu Förster 2003, S. 9 f.).
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mengehört – wird also am Tag der Deutschen Einheit gewissermaßen ein Stück Normalität zurückgewonnen.15 Die Mauer in den Köpfen wäre vermutlich wie ihr gegenständliches Pendant um Westberlin längst Geschichte, wenn sie nicht permanent genährt und dadurch erhalten würde. Ihr Fundament besteht aus einem Mix an Unkenntnis, Vorurteilen und daraus resultierendem Unverständnis auf beiden Seiten.16 Ein beträchtlicher Teil dieser Problematik liegt in der Sicht auf die DDR begründet. Das Phänomen DDR ist komplex; eine Nichtberücksichtigung dieser Komplexität, etwa durch unzureichende Differenzierung oder gar Verklärung, verursacht Irritationen sowohl im Osten als auch im Westen der Republik. Kontroversen eröffnen sich auch in der wissenschaftlichen Untersuchung der DDR, zum Beispiel bezüglich ihrer Kennzeichnung als Diktatur, als totalitär oder ihrer Untersuchung aus herrschaftlicher oder gesellschaftlicher Perspektive. Auch mit der DDR befasste Wissenschaftler zeigen Tendenzen von Verklärung oder Verharmlosung.17 Forschung zur DDR bewegt sich in einem wissenschaftlichen und öffentlichen Spannungsfeld, denn sie ist „Geschichte der Mitlebenden“18 und wirkt damit unmittelbar auf die Akteure in Wissenschaft, Politik, aber
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„Die Nation der Deutschen ist wie andere europäische Nationen auch eine in einem langen historischen Prozeß entstandene staaten- und systemübergreifende, überdauernde und überlebende Schicksalsgemeinschaft, deren Angehörige sich aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte, Sprache und Kultur und ihrer typischen Wesensart zusammengehörig fühlen und auch anderen so erscheinen. (...) Das Gemeinsame, Verbindende ist und bleibt die Nation (Seiffert 1987, S. 38).“ Stereotype und Vorurteile aber auch tatsächliche Unterschiede zwischen Ost und West und daraus entstehende Missverständnisse sind Gegenstand eines Aufsatzes von Thomas Ahbe (vgl. Ahbe 2004). Erich Röber befasst sich mit Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen sowie Benachteiligungen der Ostdeutschen wie sie aus den Modalitäten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik entstanden sind, z. B. hinsichtlich der Anerkennung von Berufsabschlüssen, dem Umgang mit der DDR-Wirtschaft, dem Lohnniveau oder der Entschädigung von Kriegsopfern und der Vergangenheitsbewältigung im Allgemeinen (vgl. Röber 2005). Anschaulich verdeutlichen auch Winfried Gebhardt und Georg Kamphausen Vorbehalte zwischen Ost- und Westdeutschen (vgl. Gebhardt/Kamphausen 1999, S. 511 ff.). Ein Auswuchs der Mauer in den Köpfen ist etwa das Gefühl der Ostdeutschen, als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Nur 22 Prozent der Befragten Ostdeutschen in einer entsprechenden Untersuchung gaben an, derlei Erfahrungen nicht gemacht zu haben (vgl. Förster 2003, S. 16). Vgl. hierzu z. B. das fünfte Kapitel in Klaus Schroeders Monografie zum DDR-Bild (Schroeder 2008) oder Klaus Schroeders und Jochen Staadts Aufsatz zur Zeitgeschichte in Deutschland vor und nach 1989 (Schroeder/Staadt 1997). Vgl. auch Wolle 1997, S. 33 f., 35. Auf die Erforschung der DDR wird in 2.1 ausführlicher eingegangen. Schroeder/Staadt 1997, S. 16.
auch alle übrigen Menschen ein, die in Kritik an der DDR Kritik an ihren Wurzeln und ihrem Leben in diesem Staat zu erkennen glauben.19 Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf einen erziehungswissenschaftlich relevanten Bereich der DDR-Geschichte, das Bildungswesen. Die grundsätzliche Funktion des Bildungswesens liegt in der Reproduktion und Innovation der Strukturen von Gesellschaft und Kultur. Neue Generationen werden im Bildungswesen an die Fähigkeiten, das Wissen und die Werte herangeführt, die zum Fortbestand der Gesellschaft notwendig sind. Bildungssysteme schaffen kulturelle und soziale Identität, tragen aber auch zur Legitimation des politischen Systems bei, d. h., sie schaffen Zustimmung und stärken das Vertrauen in seine Träger. Die Erkenntnis, dass Schule kein herrschaftsfreier Raum ist, hat sich inzwischen durchgesetzt.20 Insofern ist staatlich organisierte Bildung schon von Grund auf instrumentalisiert: „Bildungssysteme stehen in enger Beziehung zu Herrschaftsverbänden, seien dies Staatsverbände oder Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften, ja sie sind in unterschiedlichem Maße Teil dieser Herrschaftsverbände. In dem Maß, in dem die Legitimität von solchen Herrschaftsverbänden auf Überzeugungen der Mitglieder beruht, gewinnt die Beeinflussung dieser Überzeugungen ein überragendes Gewicht. Da Schulen vorzügliche Instrumente sind, Überzeugungen im formbaren Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen aufzubauen und zu verstärken, stehen sie in Austauschbeziehungen mit den Interessen des politischen Systems (...).“21
Staatlich organisierte Bildung weist daher grundsätzlich ein Missbrauchspotenzial in der Gelegenheit auf, zukünftige Erwachsene in Richtung bestimmter Sichtoder Denkweisen zu manipulieren. Solch ein Missbrauch, in welchem Umfang, mit welcher Intention und in welcher Ausprägung auch immer er stattfinden mag, ist auch in nach westlichen Maßstäben freien und demokratischen Gesellschaften nie gänzlich auszuschließen.22 Staatlich organisierte Schulbildung unter 19
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Vgl. Wolle 1997, S. 31 f., 37; Schroeder/Staadt 1997, S. 16 f. Beispiele für Untersuchungen, die hier – auch durch verstärkendes Zutun der Medien – Konfliktpotenzial bergen, finden sich bei Ahbe 2004, S. 17 ff. Auf den Forschungsstand wird im 2. Kapitel eingegangen. Zur Funktion des Bildungswesens vgl. Fend 2006, S. 49 f. Fend 2006, S. 45. Zum Beispiel sind auch westliche Schulbücher nicht vor Verzerrungen, undifferenzierten Darstellungen oder Vorurteilen gefeit: In einer Untersuchung von westdeutschen Geschichtsschulbüchern aus den achtziger Jahren wird etwa die vorurteilsbehaftete Darstellung der UdSSR nachgewiesen. Die Rede ist hier unter anderem von einer „fast als paranoid zu bezeichnenden Vorstellung einer kommunistischen Bedrohung“ (FüllbergStolberg 1981, S. 192). Horst Siebert zeigte in westdeutschen Schulbüchern der sechziger Jahre eine einseitige und undifferenzierte Darstellung der DDR auf (vgl. Siebert 1970, S. 118). Auch in der Gegenwart sind solche Tendenzen nicht ausgeschlossen: „Ob in der
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der Bedingung von Offenheit, Pluralismus und wechselnden Machtverhältnissen, wie sie in solchen Gesellschaften gegeben ist, bietet jedoch einige Gewähr dafür, dass ein systematischer und groß angelegter Missbrauch des Schulwesens zur Befriedigung singulärer Interessen weitgehend ausgeschlossen ist.23 Während ein Staat nach westlich-demokratischem Verständnis eher von einem Konglomerat verschiedener Interessengruppen geprägt ist, die mit Hilfe freier Medien im öffentlichen Diskurs stehen, ist ,Staat’ in der DDR in einer ganz anderen Bedeutung zu sehen. Der DDR-Staat definiert sich von Grund auf und ausschließlich über die SED, wie unter anderem in der Verfassung der DDR zum Ausdruck kommt: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“24 Unter solchen Bedingungen kann von Pluralismus und wechselnden Machtverhältnissen keine Rede sein – der Verlust jeglicher Offenheit ist nur die logische Konsequenz. Damit bleibt die staatliche Aufsicht über das Schulwesen in der DDR unkontrollierbar und unkontrolliert. Kontrolle übt ausschließlich der nie zur Disposition stehende Machthaber aus. Aus der Gesellschaftstheorie des Marxismus-Leninismus und in ideologischer Orientierung an der Pädagogik der Sowjetunion leitet die SED den Anspruch ab, das gesamte Bildungs- und Erziehungswesen zu gestalten und zu kontrollieren.25 Das Schulwesen ist wie alle Bereiche der DDR der SED untergeordnet. Lutz R. Reuter und Annette Scheunpflug halten fest: „Gerade im Bildungswesen beanspruchte die SED die uneingeschränkte Führung und Kontrolle, der sich nur die wenigen kirchlichen Erziehungs- und Ausbildungsstätten partiell entziehen konnten.“26 Dem manipulativen Missbrauch des DDR-Bildungs- und damit auch Schulwesens durch die Partei steht damit nichts im Weg. Die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission ,Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit’, kommt abschließend zu dem Befund, dass sich die SED im Bildungswesen „bis zum Untergang ihres Regimes prinzipiell alle Einzelent-
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Zeitung, in Werbung, im täglichen Gespräch oder eben im Schulbuch: Stereotype – verallgemeinernde und meist verzerrende Bilder, Vorstellungen und Einteilungen der sozialen Welt – begegnen uns überall (Markom/Weinhäupl 2007, S. 7)“ – Christa Markom und Heidi Weinhäupl weisen solche Stereotype in ihrer Untersuchung österreichischer Schulbücher der Gegenwart nach. Hier zeigt sich letztlich einmal mehr die Rolle von Schulbüchern als Indikator für gesellschaftliche Denkmuster – auch in nichtdiktatorischen Staaten. Vgl. Fend 2006, S. 47. Art. 1 Verfassung der DDR von 1974; vgl. auch Deutscher Bundestag 1998, S. 194. Vgl. Margedant 1995, S. 1499. Reuter/Scheunpflug 2006 S. 190.
scheidungen vor[behält]“ und „das Bildungswesen in allen Bereichen zur Durchsetzung ihrer Interessen“ instrumentalisiert.27 Vor dem Hintergrund der Verzerrungen des DDR-Bildes soll die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zur Dokumentation und Aufarbeitung eines für alle Heranwachsenden wesentlichen Bestimmungsfaktors des DDR-Alltages leisten.28 Die Instrumentalisierung des Schulwesens durch die SED ist der thematische Rahmen, in dem sich die Studie bewegt. Wenn auch die Intentionen der SED diesbezüglich dokumentiert und anhand von entsprechenden Quellen nachvollziehbar sind, wird die Frage nach der Instrumentalisierungsrealität, beispielsweise also nach den tatsächlichen Auswirkungen dieser Vorgaben in den Klassenzimmern aufgeworfen. Stellen Zeitzeugen eine unsichere Quelle von Information dar, weil sie zum Beispiel zum Vergessen oder evtl. auch zur Rechtfertigung neigen, sind Schulbücher wegen ihrer Bedeutung als herausragendes Unterrichtsmedium und ihrer unvermeidlichen Präsenz sowohl im Klassenzimmer als auch bei den Schülern, selbst über den Unterricht hinaus, ein Indikator für die tatsächlichen Auswirkungen der Instrumentalisierung. Dabei eröffnet sich in der Einheitlichkeit des Schulwesens und der Schulbücher die Chance, Untersuchungsergebnisse zu erhalten, die auf nahezu alle ehemaligen DDR-Schüler übertragbar sind. Denn jenseits unterschiedlicher Elternhäuser, Freundeskreise, Lehrer, regionaler Schulaufsichtsbehörden oder sonstiger Einflussfaktoren liegt in den Schulbüchern eine vereinheitlichende Funktion: Fast alle DDR-Schüler verwenden die gleichen Schulbücher gleichen Inhaltes, d. h fast alle DDR-Bürger eines bestimmten Schuljahrganges erleben identische Schulbücher. An dieser Besonderheit der Quelle DDR-Schulbuch setzt die Studie an, um einen Beitrag zur Untersuchung der Instrumentalisierungsrealität im DDR-Schulwesen zu leisten.29
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Deutscher Bundestag 1998, S. 139. In ähnlicher Weise äußert sich schon die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages ,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland’ (vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 62). Zur Notwendigkeit der Aufarbeitung des SED-Unrechts vgl. auch den Aufsatz Rudolf Wassermanns: „Die Aufarbeitung des SED-Unrechts [ist] kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, der Gesellschaft inneren Frieden zu geben“ (Wassermann 1993, S. 11). Zur exakteren Einordnung der Studie sowie zur Instrumentalisierungsrealität und der Rolle der Schulbücher siehe Kapitel 3.
21
2
Forschungsstand
2.1
Forschung zur DDR und zum DDR-Bildungswesen
Innerhalb der DDR ist Forschung ausgerichtet an den Interessen der SED. Nicht konforme Forschungsergebnisse (etwa aus Meinungsumfragen) werden ignoriert oder geheim gehalten. Das Meinungsmonopol der SED stellt alles andere als ein für Wissenschaft förderliches Umfeld dar. Verstärkt gilt dies für die Sozial- und Geisteswissenschaften. Obwohl aber manche Themen überhaupt nicht öffentlich diskutiert werden (MfS, Opposition) und andere oft im Interesse der SED instrumentalisiert sind, finden sich durchaus Publikationen, die bis heute verwertbare Befunde liefern.30 Vor 1989 erforscht in der Bundesrepublik ein Kreis von etwa 300 Wissenschaftlern die DDR. Forschungszentren zur DDR etablieren sich auch außerhalb Deutschlands, zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien oder den USA.31 In der westdeutschen DDR-Forschung vor 1989 tut sich neben vielerlei Übereinstimmung ein Gegensatz vor allem zwischen der systemimmanenten DDRForschung auf, in der SED-Herrschaft und Repression nicht im Mittelpunkt stehen, und einer am Totalitarismuskonzept orientierten DDR-Forschung, bei der der diktatorische Charakter des SED-Staates und normative Aspekte herausgestellt werden. Während in den fünfziger Jahren eher die Machtstrukturen und Repressionspraxen interessieren, ändern sich im Zuge der Entspannungspolitik Perspektive und Terminologie. Fragen von Macht und Repression treten zurück – die DDR hat sich in den sechziger und siebziger Jahren etabliert und wird unter dieser Perspektive erforscht. Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat kritisieren hieran: „Die repressive Seite des Realsozialismus wurde weitgehend ausgeblendet. Man verzichtete auf normativ begründete und bewährte Untersuchungskriterien und konnte so dem östlichen
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Hierzu und für Beispiele vgl. Fulbrook 2003, S. 365. Vgl. Hüttmann 2008, S. 15.
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
deutschen Teilstaat Erfolg und Stabilität attestieren.“32 Hier wird deutlich, dass westdeutsche DDR-Forschung vor 1989 steht stets auch unter dem Einfluss des politischen Zeitgeistes steht. Prägend für die westdeutsche DDR-Forschung vor 1989 ist außerdem der mangelnde Quellenzugang. Die Möglichkeit zu, bis 1961 noch durchführbaren, Beobachtungen oder Umfragen verschließt sich mit dem Mauerbau ebenso wie andere Quellen inoffizieller Erfahrungen, so dass westdeutsche DDR-Forschung vor 1989 maßgeblich auf offizielle Verlautbarungen der SED angewiesen ist. Dies wirkt sich vor allem auf Untersuchungen zu sozialen Fragen, zu Einstellungs- oder Verhaltensmustern der Bevölkerung, aus, an denen es bis 1989 mangelt. Westdeutsche DDR-Forschung vor 1989 leistet vor allem Beiträge zur Erforschung der Entstehung der DDR, ihrer Wirtschafts-, Gesellschafts- und Herrschaftsstruktur sowie der Legitimationsversuche der SED.33 Das Ende der DDR ändert die Forschungssituation grundlegend. Nach dem Fall der Mauer entfaltet sich die DDR-Forschung sprunghaft.34 Seit 1990 werden mehr als 1.500 Forschungsprojekte zur DDR verwirklicht.35 Die DDR-Forschung hat mittlerweile einen so umfassenden Stand erreicht, dass selbst zum DDRForschungsstand ganze Monografien veröffentlicht sind. 2003 geben Rainer Eppelmann, Bernd Faulenbach und Ulrich Mählert36 einen Sammelband heraus, in dem die DDR-Forschung bilanziert und Perspektiven aufgezeigt werden. Rund 50 DDR-Forscher behandeln hier den Forschungsstand zu ebenso vielen Themenfeldern rund um das SED-Regime. Jens Hüttmann37 legt 2008 eine Dissertation zur Erforschung der DDR-Geschichte, ihrer Akteure und Konjunkturen vor. Zahlreiche Aufsätze über die Situation der DDR-Forschung sind vorhanden.38 Ein Grund für den Aufschwung der DDR-Forschung nach 1989 sind die nun zugänglichen Archive – exemplarisch seien das Archiv der SED oder der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv genannt. Eine besonde32
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Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 83. Die Autoren verweisen auf die damit verbundene Gefahr des Überganges solch unkritischer Betrachtungsweisen in schulische und andere Lehrmittel und damit letztlich auf die Gefahr der Überbetonung von unkritischen Darstellungen in der Öffentlichkeit mit der Konsequenz des Verlustes der Fähigkeit zur kritischen Einordnung der DDR. Vgl. Fulbrook 2003, S. 366–370; Timmermann 2007, S. 10; Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 81–87; Henke 2003, S. 371; Deutscher Bundestag 1998, S. 159 ff. Vgl. Henke 2003, S. 371. Vgl. Hüttmann 2008, S. 14. Eppelmann/Faulenbach/Mählert 2003. Hüttmann 2008. So zum Beispiel Kowalczuk 2000; Berth 2000; Müller 2003; Lindenberger/Sabrow 2004 oder Staritz 2006; Zur Erforschung der DDR vgl. auch Mählert 2002.
re Quellenbasis stellen die MfS-Akten dar, die einen einzigartigen Einblick in die Auswüchse der SED-Herrschaft vermitteln. Dem MfS kommt eine Sonderrolle in der DDR-Forschung zu: Vor 1989 eher vernachlässigt entwickelt es sich nach dem Mauerfall zu einem der zen-tralen Forschungsfelder. Auch institutionell werden in der DDR-Forschung nach 1989 neue Wege beschritten. Beispielhaft seien hier die Neugründungen des Forschungsverbundes SED-Staat, der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung oder des Zentrums für Zeithistorische Forschung genannt.39 Auch nach 1989 setzt sich die Kontroverse zwischen DDR-Geschichte als Sozial- oder Politikgeschichte bzw. als Gesellschafts- oder Herrschaftsgeschichte in der DDR-Forschung fort. Dabei ist die Kennzeichnung der DDR als Diktatur zwar weitgehend anerkannt, jedoch nicht gänzlich unumstritten. Noch umstrittener ist die Charakterisierung der DDR als totalitär. Der SED-Staat wird als durchherrschte Gesellschaft, stalinistische Gesellschaft, Fürsorgediktatur, Konsensdiktatur, Organisationsgesellschaft, Diktatur der Liebe, Erziehungsdiktatur, moderne Diktatur, bürokratischer Totalitarismus, totalitärer Staat, posttotalitärer Staat oder spättotalitärer Versorgungs- und Überwachungsstaat charakterisiert.40 Jens Hüttmann kommt, basierend auf einer Befragung von DDR-Forschern zu dem Schluss, dass die Begriffe Erziehungsdiktatur, totalitäre Diktatur und Unrechtsstaat sich im Deutungskampf um die DDR haben durchsetzen können.41 Dennoch bleibt das DDR-Bild uneinheitlich – so uneinheitlich, dass Hüttmann von einem „Jahrmarkt der Begriffe“42 spricht. In Anknüpfung an die systemimmanente DDR-Forschung werden einerseits Alltag und Gesellschaft in der DDR in den Vordergrund gerückt, verbunden mit der Gefahr, die diktatorischen Verhältnisse auf Rahmenbedingungen zu reduzieren, andererseits eben diese diktatorischen Verhältnisse mit der Gefahr herausgestellt, andere Aspekte der DDRGeschichte zu vernachlässigen.43 DDR-Forschung nach 1989 findet interdisziplinär statt. Die erforschten Themen orientieren sich am Gegenstand der beteiligten Wissenschaften. So werden in der Politik- und Geschichtswissenschaft vor allem das Thema SED, in den Wirtschaftswissenschaften die Treuhandanstalt, in der Medizin das Gesund39 40
41 42 43
Vgl. Hüttmann 2008, S. 38 ff.; Henke 2003, S. 373 f. Vgl. Deutz-Schroeder 2008, S. 93, 95; Staritz 2006, S. 10; Hüttmann 2008, S. 349 f.; Sabrow 1999, S. 198. Ausführlich mit der begrifflichen Einordnung der DDR setzt sich Konrad H. Jarausch in seinem Aufsatz auseinander (Jarausch 1998). Vgl. Hüttmann 2008, S. 350. Hüttmann 2008, S. 350. Vgl. Deutz-Schroeder 2008, S. 86–203, Hüttmann 2008, S. 348; Staritz 2006, S. 9 ff.
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heitswesen, in der Rechtswissenschaft der Einigungsvertrag oder in der Erziehungswissenschaft Pädagogik, Schule und Erziehung in der DDR erforscht.44 Gut erforscht sind die Themenfelder Frühgeschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. DDR bis in die 1950er Jahre, die Revolutionsjahre 1989/90, Opposition und Widerstand sowie Repression, insbesondere das MfS. Als großes thematisches Forschungsdefizit gilt die osteuropäische Einbindung und Abhängigkeit der DDR.45 Die DDR ist insgesamt als gut erforscht zu bezeichnen. Nach dem Aufschwung der DDR-Forschung Anfang der neunziger Jahre ist seit Mitte derselben wieder ein Rückgang in quantitativer Hinsicht festzustellen.46 Einen Ausblick auf die Zukunft der DDR-Forschung gibt Erhard Neubert und attestiert diesem Wissenschaftszweig ein langes Leben: „Tabuisierung, Verharmlosung, Relativierung und Vertuschung sind zwar an der Tagesordnung. Noch lebt und agiert die Generation der Täter. […] Aber die Verletzungen einzelner Menschen und der gesamten Gesellschaft sind so groß, daß sie immer wieder zur Sprache kommen werden. Langfristig ist mit einer Zunahme des Aufarbeitungswillens zu rechnen. Es wird möglicherweise wie nach dem Krieg kommen. Die nachfolgende Generation wird schärfer fragen. Wenn unsere Kinder und Enkel die Akten lesen, werden sie sich an den Kopf fassen, welche Mühen wir uns geben, die Täter zu entlasten.“47 Ein Zweig der DDR-Forschung widmet sich Bildung und Erziehung. Die Forschung zum Bildungswesen innerhalb der DDR ist auf politische Legitimation für die Entscheidungen der SED orientiert. Dennoch finden sich hier Arbeiten, die wegen ihres Sachgehaltes von Wert sind.48 Westdeutsche Forschung zum DDR-Bildungswesen vor 1989 findet immer auch mit Blick auf die SEDMachtfunktion der Schule in der DDR statt – stets mit begrenztem Quellenzugang.49 Nach der Wiedervereinigung erlebt auch die DDR-Bildungs- und Erziehungsforschung wie die DDR-Forschung im Allgemeinen einen quantitativen Aufschwung, der mit einem Perspektivwechsel verbunden ist: Ihr Gegenstand ist 44 45
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Vgl. Berth 2000, S. 346. Die Ostintegration der DDR wird z. B. von Hermann Wentker als wichtiges Forschungsdesiderat bezeichnet (vgl. Wentker 2005, S. 11). Klaus-Dietmar Henke sieht hier das größte Defizit der DDR-Forschung (vgl. Henke 2003, S. 375). Vgl. Hüttmann 2008, S. 345 f. Neubert 2000b, S. 882. Ein Beispiel ist etwa das auch für diese Untersuchung verwendete, von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften herausgegebene Buch zum Bildungswesen der DDR, das zwar ideologisch durchdrungen, jedoch zweckdienlich ist, wenn es z. B. um die Beschreibung von Strukturen im Bildungswesen oder die Beschreibung des DDRSchulbuchwerkes geht. Das Buch ist aber auch beispielhaft für die angesprochene Legitimationsfunktion (vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989). Vgl. Mietzner 1998, S. 21; Geißler/Wiegmann 1998, S. 400.
nun historisch und die Quellenlage ändert sich maßgeblich, so dass „DDRBildungsgeschichte […] in den neunziger Jahren zu einem bevorzugten Gegenstand bundesdeutscher Erziehungswissenschaft“50 wird. Die Untersuchung der Instrumentalisierung des DDR-Bildungssystems dominiert dabei, gefolgt von der Transformationsforschung, die übrigen Forschungsfelder.51 Kristallisationspunkt von DDR-Bildungs- und Erziehungsforschung ist das Schulwesen, was der herausragenden Stellung der Polytechnischen Oberschule (POS) in der DDR geschuldet ist.52 Gesamtdarstellungen zum DDR-Bildungswesen finden sich zum Beispiel im von Christoph Führ und Carl-Ludwig Furck53 herausgegebenem mehrbändigen ,Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte’, wo dem DDR-Bildungswesen der gesamte letzte Teilband gewidmet ist. Weitere Beispiele sind die Publikationen von Hans Döbert54, Dietmar Waterkamp55, Gisela Helwig56 sowie Udo Margedant57 oder Oskar Anweiler58. Zahlreiche Arbeiten setzen sich mit Einzelaspekten von Bildung und Erziehung in der DDR auseinander, d. h. setzen regionale, zeitliche, institutionelle oder andere Schwerpunkte. Solche Publikationen sind in großer Zahl vorhanden und ergänzen die Gesamtdarstellungen zu einem umfassenden Bild von Bildung und Erziehung in der DDR. Beispielhaft seien hier die Untersuchungen von Ingrid Miethe59 zu den Möglichkeiten gegenprivilegierender Bildungspolitik anhand der Arbeiter- und Bauernfakultäten in den fünfziger Jahren der DDR oder von Lutz R. Reuter und Annette Scheunpflug60 zur Schule der Freundschaft in Staßfurt genannt. Für Bildung und Erziehung relevante Befunde finden sich darüber hinaus in zahlreichen Veröffentlichungen zur SED, an dieser Stelle sei auf zwei Enquete-Kommissionen des Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur61 hingewiesen, deren Erkenntnisse in 17 Bänden zu 32 Teilbänden auf insgesamt 27.000 Seiten vorliegen.62 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Geißler/Wiegmann 1998, S. 400. Vgl. Timm 2007, S. 10; Geißler/Wiegmann 1998, S. 397 f.; Cloer 1998, S. IX f. Vgl. Ammer 2003; Geißler/Wiegmann 1998, S. 401. Führ/Furck (Hrsg.) 1998. Döbert 1996 – eine stichwortartig aufgebaute Publikation. Waterkamp 1987. Helwig (Hrsg.) 1988. Margedant 1995. Anweiler 1988. Miethe 2007. Reuter/Scheunpflug 2006. Deutscher Bundestag (Hrsg.) 1995 und 1999. Darin beschreibt zum Beispiel Udo Margedant das DDR-Bildungswesen (Margedant 1995). Auch Handbücher oder Nachschlagewerke zur DDR enthalten regelmäßig Passagen zu Bildung und Erziehung.
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Untersuchungen zur Instrumentalisierung des DDR-Bildungswesens lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Die erste Gruppe umfasst Publikationen wie die bereits genannten, die sich mit dem Bildungswesen der DDR auseinandersetzen. Die Veröffentlichungen dieser Gruppe zeichnen sich dadurch aus, dass die jeweiligen Autoren die Instrumentalisierung von Bildung und Erziehung durch die SED im Rahmen ihrer Fragestellungen unterschiedlich mitberücksichtigen, jedoch nicht zum eigentlichen Gegenstand ihrer Forschung machen. Autoren der zweiten Gruppe von Publikationen machen hingegen die Instrumentalisierung selbst zum Untersuchungsgegenstand. Hierzu zählen zum Beispiel diejenigen Veröffentlichungen, die sich mit der Wehrerziehung oder dem Umgang mit Andersdenkenden befassen – handelt es sich hierbei doch um Beispiele für Indikatoren bzw. Erscheinungsformen der Instrumentalisierung. Die neueste und sehr umfassende Studie mit Bezug zum Themenfeld Wehrerziehung legt Matthias Rogg63 vor. In seiner Untersuchung von Militär und Gesellschaft in der DDR geht es ihm um die Akzeptanz von Selbstbild und Selbstverständnis der Nationalen Volksarmee (NVA) als ,Armee des Volkes’ sowie die Realität der von der SED gewünschten und behaupteten Identität zwischen den Interessen der Bürger und der Landesverteidigung. Rogg kommt zu dem Ergebnis, dass die DDRGesellschaft nicht grundsätzlich gegen das Militär eingestellt ist, und stellt daher die These von einem Teilerfolg der sozialistischen64 Wehrerziehung auf, der sich allerdings angesichts der Tatsache relativiere, dass trotz dieser grundsätzlichen Perzeption des Militärs die NVA im Speziellen abgelehnt werde.65 Ausführlich auf die Benachteiligung Andersdenkender wird in den 1996 erschienenen Sammelbänden von Klaus Behnke/Jürgen Wolf66 sowie Jörn Mothes/Gundula Fienbork/Rudi Pahnke und anderen eingegangen.67 Auf Basis von Zeitzeugenberichten betroffener Jugendlicher und MfS-Archivmaterialien zeichnen die Autoren 63 64
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Rogg 2008. Zu den Begriffen Sozialismus und Kommunismus: Der Begriff Kommunismus bezeichnet einen Gesellschaftsentwurf, die Utopie bestimmter sozialer Bewegungen oder eine Form der Herrschaft. In kommunistischen bzw. sozialistischen Gesellschaftsentwürfen geht es um solidarische Gütergemeinschaften, kollektive Lebensformen und soziale Gleichheit ohne Eigentum. Das Ziel ist die klassenlose Gesellschaft mit zentraler Planwirtschaft und rätedemokratischer Verwaltung der Produktion. Der Sozialismus ist im Verständnis der SED lediglich (die in der DDR vorherrschende) Vorstufe zum Kommunismus. Insofern dienen Kommunismus und Sozialismus zur Beschreibung derselben gesellschaftlichpolitisch-philosophischen Idee. Da die sozialistischen/kommunistischen Staaten über das Stadium des ,real existierende Sozialismus’ nicht hinauskommen, werden sie in dieser Untersuchung als ,sozialistisch’ bezeichnet (vgl. z. B. Esser 2008, S. 270; Schiler 2008). Vgl. Rogg 2008, S. 588. Behnke/Wolf (Hrsg.) 1998. Mothes/Fienbork/Pahnke u. a. (Hrsg.) 1996.
beider Bände ein umfassendes Bild des Missbrauchs von Kindern- und Jugendlichen durch das MfS und seinen Auswirkungen auf diesen Personenkreis. Wegen des systematischen Einsatzes des MfS im DDR-Schulwesen finden sich in Veröffentlichungen der Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes vielfältige Beispiele für die Instrumentalisierung von Bildung und Erziehung durch die SED. Jens Ackermann68 etwa weist am Beispiel Jenaer Schulen nach, wie umfassend und zugleich tiefgehend das MfS das Schulwesen unterwandert. Gert Geißler und Ulrich Wiegmann69 untersuchen die Beziehung von parteilicher und staatlicher Macht zur Schule, zu Schülern und Pädagogen, indem sie nach der Historiographie des schulpolitischen Systems auf die Erziehungsideologie und -praxis des MfS sowie die Wehrerziehung eingehen. Sie greifen dazu auf Schulbücher sowie Dissertationen und Examensarbeiten ehemaliger MfSOffiziere zurück und stellen die permanente herrschaftssichernde Indienstnahme institutionalisierter Erziehung in der DDR fest. René Börrnert70 untersucht die Rolle des Thälmannbildes in der kommunistischen Erziehung. Er konstatiert, dass Thälmann als nie am kommunistischen Ideal zweifelnder Märtyrer dargestellt wird. Historische Fakten, die dem entgegenstünden, würden mittels Auslassungen und Fälschungen kaschiert. Das Thälmannbild sei ferner so gestaltet, dass die SED ihre politischen Prämissen daraus ableiten könne. Börrnert identifiziert Thälmann neben den Theoretikern des Marxismus-Leninismus als wichtigstes Vorbild der SED und politisch-ideologische Leitfigur im Erziehungs- und Bildungssystem der DDR. Dieses Bild werde früh und betont emotional in Schule sowie Freier Deutscher Jugend (FDJ) und Pionierorganisation vermittelt. Thomas Gatzemann71 setzt sich mit ideologisch-verwissenschaftlichter Menschenbildung auseinander, wobei er politische Bildung und Indoktrination anhand von Lehrplänen sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik untersucht. Ihm geht es darum, Kriterien zur Unterscheidung von indoktrinierter und nicht indoktrinierter Erziehung zu ermitteln. Gatzemann ermittelt sechs solche Kriterien und fasst am Ende zusammen, hier stark verkürzt wiedergegeben, dass Indoktrination vor allem durch Reflexion vermieden werden könne. Umfassend mit der Instrumentalisierung des DDR-Bildungswesens befassen sich vier Bände72, in denen die Ergebnisse eines Forschungsprojektes des Landes Brandenburg zu Geschichte, Struktur und Funktionsweise des DDRBildungssystems veröffentlicht sind. Die Autoren dieser vier Bücher zeichnen 68 69 70 71 72
Ackermann 2005. Geißler/Wiegmann 1996. Börrnert 2004. Gatzemann 2003. Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.) 1996.
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die Schulentwicklung der DDR nach, setzen sich mit der Politisierung des Schulalltages, der Wehrerziehung, dem Staatsbürgerkundeunterricht, den Neulehrern und der Internationalismuserziehung auseinander, untersuchen die Jugendarbeit von FDJ und Kirchen, die Kindergärten und den Jugendwerkhof Torgau. Beispielhaft herausgestellt sei die Studie von Heinz Elmar Tenorth, Sonja Kudella und Andreas Paetz73 aus dem zweiten Band: Die Autoren verfolgen die Absicht, Dimensionen, Umfang und Formen der Politisierung aufzuzeigen. Sie tun dies mithilfe einer historiographischen Untersuchung der Pionierorganisation, der Jugendweihe und der Arbeitsgemeinschaft ,Junge Historiker’. Die Politisierung dieser Bereiche wie auch des DDR-Schul- und des gesamten Erziehungssystems wird festgestellt. Dazu seien schulische, nichtschulische, unterrichtliche und außerunterrichtliche Erziehungspraktiken „unter dem Primat der Politik nach identischen Prinzipien geordnet und systematisiert“.74 Das Schulund Erziehungssystem sei nicht aus der Eigenlogik von Lernprozessen heraus oder pädagogisch gestaltet, sondern resultierend aus den Herrschafts- und Legitimationserwartungen des politischen Systems. Mithilfe von Organisationen und Mechanismen wie Jugendweihe und Pionierorganisation werde außerdem versucht, Überschneidungsbereiche von Staat, Gesellschaft und privater Erziehung zu kontrollieren.75 Die Studie stellt, wie der gesamte Band, eine Diskrepanz zwischen Erziehungszielen und Wirklichkeit fest. Zu diesem Schluss (neben anderen), konkret bezogen auf das Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’, kommt auch Sabine Dengel76, die politische Erziehung im Deutschen Kaiserreich, dem NS-Staat und der DDR vergleicht. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist gemeinsames Element aller Befunde zur Instrumentalisierung des DDR-Schulwesens. Das Forschungsgebiet Instrumentalisierung des DDR-Schulwesens ist umfangreich. Welche Ziele mit der Instrumentalisierung verfolgt werden, die Rolle des MfS und dessen Einbeziehung von Schülern und Lehrern, die im Kontext des Schulwesen tätigen und gleichsam instrumentalisierten Organisationen (z. B. FDJ) oder auch die Wirkung der Instrumentalisierung und ihre Mechanismen (z. B. Benachteiligung Andersdenkender) ist durch die Forschung nicht erschöpfend, doch in einer solchen Weise behandelt, dass nicht nur von Bildung und Erziehung in der DDR, sondern vor allem auch von deren Instrumentalisierung ein umfassendes Bild besteht. Noch zu erschließende Themenfelder liegen in der 73 74 75 76
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Auch als eigenständige Monografie: Tenorth/Kudella/Paetz 1996. Tenorth/Kudella/Paetz 1996, S. 245. Tenorth/Kudella/Paetz 1996, S. 245 f. Dengel 2005.
Instrumentalisierung der Lehrerbildung und der entsprechenden Nachwirkungen sowie nach wie vor im Wirken des MfS in Bildung und Erziehung. Hier könnten etwa Vergleiche mit den Verhältnissen in anderen Ostblockstaaten Schlüsse auf das spezifische Ausmaß der Instrumentalisierung des DDR-Schulwesens zulassen. In den ab 1966 durchgeführten Studien des Leipziger Zentralinstitutes für Jugendforschung liegt ein umfangreiches Quellenpotenzial. Die Eignung dieser Quellen muss freilich mit Blick auf die Instrumentalisierung auch dieser DDRForschungsreinrichtung und daraus resultierenden methodischen Mängeln relativiert werden, doch sollten auf Basis dieser Quellen Befunde bezüglich jugendlicher Denk- und Lebenswelten ableitbar sein, die auch Rückschlüsse auf die Instrumentalisierung des Schulwesens ermöglichen. Ein weiteres Forschungsfeld liegt in der Frage, welche der heute in den neuen Bundesländern vorherrschenden Haltungen und Werte auf welche Weise mit der Instrumentalisierung des Schulwesens und den hier vermittelten Inhalten korrespondieren. Diese wie grundsätzlich alle Fragen rund um Bildung und Erziehung in der DDR berühren das Problem der Untersuchung von Bildungsrealität. Von dieser existiert ebenso wenig ein einheitliches Bild wie von der Instrumentalisierungsrealität im Schulwesen. Untersuchungen eben dieser Realität erweisen sich insbesondere mit Blick auf den zunehmenden zeitlichen Abstand und die methodischen Herausforderungen (Zeitzeugenproblematik, Ex-post-facto-Betrachtung etc.) als schwierig.77 2.2
Forschung zum Schulbuch und zum DDR-Schulbuch
Untersuchungen von Schulbüchern konzentrieren sich bis zur zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf den weltanschaulichen Hintergrund von Schulbüchern, die sachgerechte Darstellung, die schülergemäße Aufmachung und die didaktisch-methodische Konzeption. Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird das Schulbuch auch als gesellschaftliches Dokument, als Produkt politisch-staatlicher Einflussnahme und in ideologiekritischer Perspektive untersucht. Neben den Inhalten der Schulbücher ist nun auch deren Einbettung in ihre Entstehungs- und Verwendungszeit von Relevanz. Schulbuchforschung erforscht darüber hinaus Mentalitäten, Urteile und Vorurteile, die durch Schulbücher transportiert und somit sichtbar werden. Sie identifiziert Menschen- und Weltbilder von Völkern, Ethnien oder Kulturen. Die Schulbuchforschung leistet Beiträge zur Geschichtsaufarbeitung sowie zu internationaler Konfliktlösung und 77
Vgl. Ammer 2003, S. 298 f.; Skyba 2003, S. 285; Häder/Tenorth 1997, S. 10.
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Verständigung, indem sie Aussagen von Schulbüchern grenz-, kultur- oder zeitüberschreitend miteinander vergleicht und dadurch Intentionen und Beweggründe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede, zugrunde liegende Denkmuster, Ansichten, Verständnisgrundlagen, Werte usw. sichtbar macht.78 Schulbücher können zur kulturhistorischen Forschung beitragen, indem sie etwa hinsichtlich der Mentalität einer bestimmten Kultur analysiert werden (Fremdenbild in deutschen Schulbüchern, Europabild von EU-Ländern, Deutschlandbild in Frankreich) oder Lieder, Bilder und Geschichten in Schulbüchern der Vergangenheit und Gegenwart untersucht werden. Schulbücher sind Gegenstand der Medienforschung, wenn ihre Produktion, ihr Vertrieb, ihre mediale Zukunft, ihre Stellung zu anderen Unterrichtsmedien oder ihre medienpädagogische und mediendidaktische Konzeption untersucht wird. Schulbuchanalysen sind auch unter fachwissenschaftlichen Aspekten interessant. Mediziner könnten sich etwa für Drogen, Krankheiten oder Hygiene als Thema in Schulbüchern interessieren. Für Politikwissenschaftler sind Darstellungen von Krieg und Frieden in Schulbüchern interessant, für Wirtschaftswissenschaftler die Darstellung von Berufsbildern oder des Themas Globalisierung usw. Schulbuchforschung umfasst auch die Textanalyse-Forschung, also beispielsweise Untersuchungen der Lesbarkeit und Schülerangemessenheit. Schulbücher sind zudem historische Quellen und werden damit zum potenziellen Gegenstand historischer Quellenforschung. Aus der langen Geschichte des Schulbuchs ergibt sich eine unüberschaubare Anzahl von Schulbüchern, die der wissenschaftlichen Forschung als Quellen zur Verfügung stehen. Im Zusammenhang mit den vielfältigen Funktionen und Besonderheiten des Schulbuches resultiert daraus umfängliches Forschungspotenzial.79 DDR-Schulbücher werden bereits in den fünfziger Jahren von Elisabeth Spiegel unter der Bezeichnung ,Sowjetzonale Lehrbücher’ analysiert.80 Die Autorin konstatiert, dass das „marxistisch-leninistische Gedankengut“ den Schülern durch die Schulbücher „eingehämmert“ werde, und spricht damit die Schulbuchinstrumentalisierung an.81 Spiegel beschränkt sich in ihrer Darstellung auf Deutsch-, Geschichts- und Geographieschulbücher und weist knapp auf die Instrumentalisierung der naturwissenschaftlichen Fächer im Sinne des Materialis78
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Vgl. Wiater 2003a, S. 7ff.; Reinhold/Pollak/Heim (Hrsg.) 1999, S. 458; Böhm 2005, S. 567 f.; Stein 1995, S. 581 f.; Schröter 2002, S. 36 f. Vgl. Wiater 2003b, S. 14 ff. Einen Überblick über ältere Schulbuchanalysen geben die Bibliografien Otto-Ernst Schüddekopfs oder Jürgen Fröchlings (Schüddekopf 1956; Fröchling 1975). Für Beispiele neuer Schulbuchuntersuchungen vgl. neben den noch folgenden Ausführungen z. B. auch Schlegel 2003. So der Titel beider Aufsätze: Vgl. Spiegel 1956a und b. Spiegel 1956a, S. 24.
mus hin. Die Untersuchung ist kurz gehalten – eine ganzheitliche Darstellung tritt zu Lasten der Auswahl weniger Passagen aus einigen Büchern zurück.82 Zehn Jahre später erscheinen zwei vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen herausgegebene Studien Peter Lückes. Gegenstand der ersten Studie83 sind Geschichtsschulbücher der Klassen acht bis zehn. Lücke gibt hier einen Überblick über das in diesen Büchern vermittelte Wissen und macht dabei die Orientierung der Schulbücher am historischen Materialismus deutlich. Die zweite Studie84 ist überschrieben mit ,Lehrbücher im Dienst totalitärer Propaganda’. Lücke untersucht hierin Schulbücher verschiedener Fächer, spart aber die naturwissenschaftliche Fächergruppe und den Musikunterricht aus. Obwohl Peter Lückes Untersuchungen ausführlicher als die Elisabeth Spiegels sind, kommt er über eine zitatgestützte punktuelle Darstellung des in ausgewählten Fächern vermittelten Stoffs nicht hinaus. Insbesondere bleibt wie schon bei Spiegel unklar, nach welchen Kriterien der Autor die Zitate auswählt. Zu den jüngeren DDR-Schulbuchuntersuchungen gehören die Dissertationen Sang Mu Kims85 und Heike Schröters86 aus den Jahren 2003 bzw. 2002. Sang Mu Kim analysiert und vergleicht die Lehrpläne sowie Schulbücher der DDR mit den entsprechenden Materialien der neuen Länder nach 1989 hinsichtlich des darin vermittelten DDR-Bildes. Sie wählt dazu zwei Geschichtsschulbücher und vier Staatsbürgerkundeschulbücher aus. San Mu Kims Untersuchung ist in der Transformationsforschung angesiedelt. Während der Analyse der DDRSchulbücher streift sie jedoch auch das Themenfeld Instrumentalisierung. So stellt die Autorin unter anderem die dichotome positiv-negative Gegenüberstellung von Bundesrepublik und DDR in den Geschichteschulbüchern fest sowie das Ziel der Staatsbürgerkundeschulbücher, sozialistische Staatsbürger zu erziehen.87 Heike Schröter macht das Frauenbild in Geschichtsschulbüchern der Bundesrepublik und der DDR zum Untersuchungsgegenstand. Als Quellen dienen ihr 40 DDR Geschichtsschulbücher der Klassen sechs bis zehn und 80 solcher Bücher aus der Bundesrepublik, die sie mit Blick auf frauenbezogene Schwerpunktthemen analysiert. Schröter weist auf die generelle Unterrepräsentation solcher Themen in Schulbüchern beider Staaten hin. Auf die Instrumentalisierung der Lehrwerke geht sie grundsätzlich nicht ein, stellt aber am Rande die „insgesamt relativ ausführliche Darstellung des kommunistischen Widerstands“ 82 83 84 85 86 87
Vgl. auch die Kritik an Spiegels Aufsätzen bei Meyers 1983, S. 47. Lücke 1966a. Lücke 1966b. Kim 2003. Schröter 2002. Vgl. Kim 2003, S. 133–161.
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in den DDR-Geschichtsschulbüchern fest. Außerdem konstatiert sie die Existenz von „zwei verschiedenen Geschichten“ in den Schulbüchern der beiden Staaten: In der DDR sei die historische Entwicklung entlang der Klassendefinition bzw. aus Sicht unterdrückter Klassen dargestellt, während in der Bundesrepublik große Persönlichkeiten eine starke Rolle spielten.88 Stärker mit der Instrumentalisierung der DDR-Schulbücher setzen sich JanPeter Behrendt89, Jens Fischer90 oder Frederike Lepetit91 in ihren Untersuchungen auseinander. Jan-Peter Behrendts Arbeit hat das Afrikabild in den DDRLehrplänen und Schulbüchern zum Gegenstand. Der Verfasser wertet fünf Geographieschulbücher und zwei Geographielehrhefte aus. Am Unterrichtsgegenstand Afrika analysiert er Art und Intensität der politischen Beeinflussung von Lehrinhalten. Behrendt bezeichnet die Afrikadarstellung als „legitimationsorientierte Internationalismuserziehung“92; er weist auf die Dichotomie in der Schulbuchdarstellung hin und stellt eine antiwestliche Orientierung der Inhalte in den Schulbüchern als einen „vorauszusetzend[en] Allgemeinplatz“93 fest. Jens Fischer geht in seiner Dissertation der Instrumentalisierung des DDRGeschichtsunterrichts nach und untersucht dazu die Darstellung des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 in allen DDR-Geschichtsschulbüchern, die diesen Zeitraum behandeln. Kernbefund seiner Untersuchung ist, dass der Geschichtsunterricht in der DDR das Ziel verfolge, „die von der SED als Partei der Arbeiterklasse beherrschte sozialistische DDR“94 als Höhepunkt der gesamten deutschen Geschichte darzustellen. Frederike Lepetit spezialisiert sich auf den Umgang mit christlichen Weihnachtsmotiven und -traditionen im Musikunterricht der DDR. Ihr geht es um das Weihnachtsfest in seiner antireligiös instrumentalisierten Funktion als „sozialistisches Friedensfest“95. Die Verfasserin stellt fest, in den Schulbüchern spiegle sich das Anliegen wider, neue Feste zu etablieren, um so die Basis für einen neue Erinnerungskultur und Gruppenidentität zu legen.96 Zwischen diesen Beispielen für ältere und neuere DDR-Schulbuchuntersuchungen ordnen sich weitere ein. Themen dieser Schulbuchanalysen sind zum Beispiel der spanische Bürgerkrieg,97 der Widerstand gegen Hitler,98 Fried88 89 90 91 92 93 94 95 96 97
34
Vgl. Schröter 2002, S. 371. Behrendt 2004. Fischer 2004. Lepetit 2006. Behrendt 2004, S. 119. Behrendt 2004, S. 120. Fischer 2004, S. 358. Lepetit 2006, S. 13. Vgl. Lepetit 2006, S. 113. Wüstenhagen 1997; Schopf 1996.
rich der II.99 oder der Nationalsozialismus100 jeweils in Geschichtsbüchern, das Deutschlandbild und die Deutsche Frage in Geschichts-101 und Geographiebüchern102 sowie Geschlechtsrollenstereotype in Deutschbüchern103, das Englandund Amerikabild in Englischbüchern104, das Frauenbild in Mathematikbüchern105 oder das Bild von der Bundesrepublik in Staatsbürgerkundebüchern106. DDR-Schulbuchuntersuchungen beschränken sich regelmäßig auf die Untersuchung einzelner Themenaspekte innerhalb der Bücher, auf einzelne Fächer oder einzelne Schulbücher und berücksichtigen die SED-instrumentelle Funktion der Bücher dabei ganz unterschiedlich. Es existieren keine Untersuchungen, die Schulbücher als Instrumente der SED zur Instrumentalisierung des Unterrichts ganzheitlich analysieren. Aus den bisher vorliegenden Untersuchungen lässt sich so zwar der allgemeine Befund ableiten, dass die Schulbücher instrumentalisiert sind, tiefergehende Befunde weisen aber stets nur Gültigkeit für einzelne Bücher, bestimmte Epochen, einzelne Fächer oder die Darstellung einzelner Themenfelder auf. Das Bild von der Instrumentalisierung der Schulbücher, konkreter: von deren Beitrag zur Instrumentalisierung des Schulwesens, bleibt somit lückenhaft. Aus dem geschilderten Umstand resultiert eine weitere Forschungslücke, auf die Udo Margedant verweist: umfassende Schulbuchuntersuchungen zur Rolle der verschiedenen Unterrichtsfächer im Instrumentalisierungsprozess liegen nicht vor.107 Freilich ist hinlänglich bekannt, welche Rolle etwa der Staatsbürger- und Geschichtsunterricht im Zuge der Instrumentalisierung des DDR-Schulwesens spielen. Dass die dazugehörigen Schulbücher stark instrumentalisiert sind, ist ebenfalls keine neue Erkenntnis. Doch existieren auch hier keine Untersuchungen, die beide Unterrichtsfächer in den Kontext anderer Fächer und damit in den Kontext der Unterrichtsinstrumentalisierung mittels der Schulbücher einordnen. Dies gilt verstärkt für die übrigen Unterrichtsfächer, insbesondere die technischnaturwissenschaftlichen, die zwar als weitgehend nicht instrumentalisierbar gelten, aber dennoch instrumentalisiert sind.
98 99 100 101 102 103 104 105 106 107
Ring 1996. Meyers 1983. Uhe 1972. Marienfeld/Overesch 1983. Engel/Sperling 1983. Lindner/Lukesch 1994 oder Briegel 1982. Espich 1987. Briegel 1982. Siebert 1970. Vgl. Margedant 1995, S. 1536 ff.
35
3
Erkenntnisinteresse und Herangehensweise
3.1
Schulbücher: zum Untersuchungsmaterial
3.1.1
Begriff und Funktion des Schulbuches
Schulbücher gibt es bereits lange vor Christi Geburt. Schon in sumerischen oder ägyptischen Schreibschulen existieren zum Beispiel ausgewählte Texte auf Stein- oder Tontafeln zur Ausbildung der Schreiber und im Mittelalter werden Bibel und Katechismus als Schulbücher an Kloster- oder Lateinschulen verwendet. Der eigentliche Siegeszug des Schulbuchs beginnt, wie der des Buches überhaupt, mit der Erfindung des Buchdrucks im fünfzehnten Jahrhundert. Beschränken sich frühe Schulbücher vor allem auf die Vermittlung des Lesens, Schreibens und Rechnens, treten in der Neuzeit auch geographische, geschichtliche und naturwissenschaftliche Werke hinzu. Eine erneute Expansion erlebt das Schulbuch mit der Einführung der Schulpflicht im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Zunächst enthalten die Bücher noch sämtliche Wissensgebiete. Mit dem Aufkommen des Fachunterrichts ab der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts beginnt die Differenzierung in verschiedene Schulbücher für einzelne Fächer. Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts existieren spezielle Schulbücher für jede Schulform, jedes Schulfach und jede Jahrgangsstufe. Gerd Stein weist in der Enzyklopädie der Erziehungswissenschaft darauf hin, dass es ,das’ Schulbuch nicht gibt, sondern vielmehr ein Vielzahl verschiedener didaktischer Medien in Buchform, deren undifferenzierte Subsumierung unter der Kategorie Schulbuch eigentlich nicht zulässig sei. Nach Grundkonzeption und spezieller Funktion gebe es vielmehr eine Reihe sehr unterschiedlicher Schulbücher, nämlich zum Beispiel Fibeln für den Erstunterricht, Lehr- und Arbeitsbücher für fachbezogenen oder fächerübergreifenden Unterricht, verschiedene Atlanten, Formel-, Quellen- oder sonstige Sammlungen, Sachbücher, Nachschlagewerke, in Medienpakete integrierte Schulbücher etc.108
108
Vgl. Stein 1995, S. 581.
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Volker Druba sieht zwei Möglichkeiten, Schulbücher zu definieren: Nach der intentionalen Definition seien Schulbücher Bücher, mit denen die Intention verfolgt werde, schulische Bildungsprozesse zu unterstützen, zu entlasten und bestimmte festgelegte Ziele zu erreichen. Strukturell definiert seien Schulbücher Druckwerke, die für den Unterricht verfasst sowie nach Jahrgangsstufen gegliedert sind, mehrere Bände umfassen und Bildungsgegenstände gemäß den Lehrplänen systematisch entfalten. Als Ergänzungsmedien bezeichnet Druba beispielsweise Atlanten, Quellenhefte oder Formelsammlungen.109 Nach Werner Wiater ist ein Schulbuch „ein überwiegend für den Unterricht verfasstes Lehr-, Lern-, und Arbeitsmittel in Buch- und Broschüreform sowie Loseblattsammlungen, sofern diese einen systematischen Aufbau des Jahresstoffes einer Schule enthalten“.110 In einem weiteren Sinne zählt Wiater auch Werke mit lediglich zusammengestellten Inhalten wie etwa Lesebücher, Liederbücher, die Bibel oder Atlanten und Formelsammlungen zu den Schulbüchern. Er verortet das Schulbuch zwischen populärem Sach- und wissenschaftlichem Fachbuch und bezeichnet es seiner Konzeption nach als „didaktisches Medium in Buchform zur Planung, Initiierung, Unterstützung und Evaluation schulischer Informations- und Kommunikationsprozesse“.111 In seiner Dimension als didaktischem Medium kommt dem Schulbuch eine Reihe von Funktionen zu. Es soll Schulwissen steuern und strukturieren, indem es solches Wissen systematisch präsentiert, das zu einer bestimmten Zeit erlernt werden soll. Außerdem sollen Schulbücher mittels exemplarischer Lerninhalte bilden, schulische Lernprozesse entlasten und unterstützen sowie Mittler, Mittel, Hilfe, Werkzeug und Gegenstand des Lernens sein.112 Gerd Stein sieht die Motivierung der Lernenden und deren Training sowie die Kontrolle des Gelernten als zusätzliche didaktische Funktionen des Schulbuchs.113 Richard Bamberger ordnet Schulbücher neben der Dichtung, der wissenschaftlichen Literatur und dem Sachschrifttum als „vierte bedeutende Literaturgattung“114 ein. Schulbücher seien Bücher, in denen der Inhalt für den Rezipienten speziell aufbereitet sei. Sie seien durch den Schülerbezug gekennzeichnet, also durch die inhaltliche Anpassung an die altersspezifischen kognitiven Voraussetzungen des Schülers und methodisch so aufbereitet, dass die Aufnahme der
109 110 111 112 113 114
38
Druba 2006, S. 32 f. Wiater 2003b, S. 12. Wiater 2003b, S. 12. Vgl. Wiater 2003b, S. 14. Vgl. Stein 1995 S. 584. Bamberger 1995, S. 46.
Inhalte erleichtert und bestmögliche Wirkung erzielt werde.115 Dem wie auch immer gearteten Versuch, Schüler zu beeinflussen, eröffnet sich in dieser Eigenschaft von Schulbüchern ein Einfallstor, das jene als Gegenstand von bzw. Mittel zur Instrumentalisierung von Schülern besonders relevant macht. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund einer ganz bestimmten didaktischen Funktion des Schulbuches, wie sie von Rauch und Wurster neben anderen aufgeführt wird: der Beeinflussung von Einstellungen und Werthaltungen. Da wo Wissen zu bestimmten gesellschaftlichen Aspekten vermittelt wird, schwingen auch immer bestimmte Einstellungen hierzu mit. Hier ist die gesellschaftliche Funktion von Schulbüchern angesprochen.116 3.1.2
Gesellschaftliche Funktion des Schulbuchs
Schulbücher sind offizielle Dokumente, die nach einem staatlichen Zulassungsverfahren in einem staatlich beaufsichtigten Umfeld (Schulwesen) zur Anwendung kommen.117 Schule ist öffentlich, ist offiziell und das Gleiche gilt für die hier verwendeten Schulbücher. Darum kommt ihnen eine gesellschaftliche Funktion zu. Diese besteht in der Normierung der Lerninhalte im Sinne der staatlichen Verfassung, der Gewährleistung von Konformität schulischen Lernens und staatlichen Bildungs- und Erziehungszielen, der Sicherung von grundlegendem Wissen und Können im Staatsgebiet sowie der Gewährleistung von Chancengleichheit und der kulturelle Abgrenzung bzw. Definition der Gesellschaft.118 Schulbücher sind darum Spiegel des Zeitgeistes einer Epoche und der vorherrschenden bildungspolitischen und pädagogischen Ansichten.119 Sie transportieren grundlegende gesellschaftliche Werte und Anschauungen und werden somit zum Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse.120 Demnach ermöglichen neben den Lehrplänen auch Schulbücher Rückschlüsse darauf, welche Werte, welche Sichtweisen von der Gesellschaft, welche Ansichten zu bestimmten Themen, Zeiten oder in bestimmten Regionen offiziell vermittelt werden.121 Dies macht 115 116 117
118 119 120 121
Vgl. Bamberger 1995, S. 46 f. Vgl. Rauch/Wurster 1997, S. 31-38. Annette Scheunpflug macht diese Eigenheit von Schulbüchern gar zu ihrem Kernmerkmal, indem sie unter dem Begriff Schulbuch alle Unterrichtsmedien subsumiert, „die durch die obersten Schulaufsichtsbehörden geprüft und genehmigt werden (Scheunpflug 1994, S. 188)“. Vgl. Wiater 2003b, S. 14. Vgl. Stein 1995, S. 581 f. Vgl. Wiater 2003b, S. 12 f. Vgl. Diekmann 2004, S. 483; Wiater 2003b, S. 16.
39
auch Gerd Stein deutlich, der Schulen und das dort institutionalisierte Lernen als „Politikum ersten Ranges“122 bezeichnet und damit die gesellschaftlich-politische Funktion von Schulbüchern bekräftigt. Rauch und Wurster fassen die gesellschaftliche Funktion des Schulbuches unter dem Begriff der außerschulischen Funktion zusammen und differenzieren sie in eine kulturelle, politische und ökonomische Dimension. Die kulturelle Funktion sehen die Autoren in der Demonstration dessen, was in einer Gesellschaft als richtige Vorstellung von der Welt gelten und akzeptiert werden soll – im Endeffekt also die Erziehung zur Hinwendung zu der jeweiligen Kultur. Die politische Funktion bestehe in der Legitimation des vorherrschenden politischen (Werte- und Ordnungs-)Systems. Politisch wirke das Schulbuch auch, insofern es bestimmten gesellschaftlichen Gruppen dazu diene, zu entlarven, inwiefern sie bzw. ihre Interessen berücksichtigt werden, und dies entsprechend anzuprangern. Schließlich habe das Schulbuch eine ökonomische Funktion, insofern es als Produkt auf dem Buchmarkt eine Rolle spiele bzw. für Schulbuchautoren und Verlage Mittel zur Existenzsicherung sei.123 3.1.3
Schulbücher in der DDR
In der DDR organisiert und kontrolliert die SED die gesamte Publikationstätigkeit über das Ministerium für Kultur, das Verlagswesen, die Blockparteien und Massenorganisationen, die Fachministerien, wie das Ministerium für Volksbildung im Falle der Schulbücher, und die zuständigen Ämter. Ohne Druckerlaubnis und Papierzuweisung ist der Druck eines Buches in der DDR nicht möglich. Seit den siebziger Jahren dringt das MfS immer stärker in das Publikationswesen vor, so dass die Selbstzensur der Autoren, die ,Schere im Kopf’, zum indirekten Zensurinstrument wird. Unliebsam gewordene Autoren müssen mit Strafverfahren, Publikationsverboten, beruflichen Benachteiligungen, Parteistrafen, Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, Verbot von Auslandsreisen, Hausarrest und der ganzen Skala des SED-Sanktionspotenzials rechnen.124 Schulbücher erscheinen in der DDR ausschließlich im Verlag Volk und Wissen. Es gibt keine Pluralität konkurrierender Schulbücher, wie sie etwa bei bundesdeutschen Schulbüchern üblich ist. Alle Schulbücher in der DDR werden in 122 123 124
40
Vgl. Stein 1995, S. 582; dazu auch Wiater 2003b, S. 12 f. Vgl. Rauch/Wurster (Hrsg.) 1997, S. 29 f.; Stein 1995, S. 583. Vgl. Holzweissig 2003, S. 113; Deutscher Bundestag (Hrsg.) 1998, S. 158 f.; Wolle 1999, S. 141–151.
der Zuständigkeit der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (APW) der DDR verfasst und vor ihrem Erscheinen vom Volksbildungsministerium sowie von der Volksbildungsministerin Margot Honecker persönlich genehmigt. Sie unterliegen der umfassenden Kontrolle und Aufsicht der SED.125 Die auf diese Weise von der SED kontrollierten Schulbücher in einem einheitlichen Schulwesen verleihen der Partei weitreichende Zugriffsmöglichkeiten: In diesem Umfang, fast alle schulpflichtigen Kinder arbeiten in den ersten zehn Schuljahren mit denselben Büchern, in dieser Intensität, Schulbücher sind ein zentrales Unterrichtsmittel, und zu einem so günstigen Zeitpunkt, die Schüler befinden sich in der wesentlichen Phase ihrer Sozialisation, eröffnen sich zu keinem anderen Zeitpunkt vergleichbare Chancen für die SED, auf die künftigen Erwachsenen einzuwirken. Die Einheitlichkeit der DDR-Schulbücher in Verbindung mit der Einheitlichkeit des DDR-Schulwesens verleiht ihnen in ihrer politisch-gesellschaftlichen Funktion ein noch größeres Gewicht, als es Schulbüchern ohnehin schon zukommt. Die Autoren einer 1984 zum Thema Schulbuchgestaltung herausgegebenen DDR-Publikation definieren Schulbücher als Unterrichtsmittel, „die in Buchoder Broschüreform für das Lehren und Lernen an den allgemeinbildenden Schulen entwickelt wurden“.126 Als solche enthielten sie den didaktisch-methodisch aufbereitenden Lernstoff eines Faches. Schulbücher trügen wie kein anderes Unterrichtsmittel zur Gewohnheit bei, aus Büchern zu lernen, und legten damit wichtige Grundlagen für das lebenslange Lernen. Schulbücher seien ein Führungsinstrument der Lehrer, weshalb Veränderungen von Lehrplänen, die sich in den Schulbüchern nicht niederschlügen, es schwer hätten, sich in der Schulpraxis durchzusetzen. Zudem werde in den Büchern der Stoff für die unterrichtliche Erarbeitung aufbereitet, was ihnen eine bedeutende orientierende Rolle in Bezug auf Qualität und Effektivität der Unterrichtsgestaltung zuweise. Die Autoren weisen im Übrigen darauf hin, dass Schulbücher auch über die Schulzeit hinaus noch wirksam und überall sowie jederzeit nutzbar seien. Im Ensemble mit anderen Unterrichtsmitteln komme Schulbüchern darum oftmals die zentrale Stellung zu. Ferner seien die Schulbücher „unentbehrliche Mittel für die kommunistische Erziehung der Jugend“127, was ihnen hohe gesellschaftlich-politische Bedeutung 125
126 127
Vgl. Autorenkollektiv 1984, S. 9. Neben der herausragenden Rolle der Ministerin – Mitglied des ZK der SED und Ehefrau des Staats- und Parteichefs – ist das Ministerium für Volksbildung wie die übrigen Ministerien fest in die Machtstrukturen der SED eingebunden und ohnehin wie alle Staatsorgane der DDR an die Weisungen der SED gebunden. Autorenkollektiv 1984, S. 9. Autorenkollektiv 1984, S. 9.
41
verleihe. Als eine „umfassende, authentische Repräsentation des Inhaltes der sozialistischen Allgemeinbildung“128 seien sie Indiz für den gesellschaftlichen Charakter und die politische Zielstellung einer Schule, weil das Bildungsideal der Arbeiterklasse in ihnen umgesetzt werde. Ganz allgemein bezeichnen die Autoren Schulbücher als „Zeugnis für das Niveau der Kultur und Bildung, das politisch-moralische Profil eines Volkes“.129 „Es [das Schulbuch – L. K.] kennzeichnet den ideologischen Gehalt des allgemeinbildenden Unterrichts, vermittelt in lebensverbundener Weise fachspezifisch und fachübergreifend Grundlagen der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und trägt zu deren Anwendung beim Lernen und im Leben der Schüler bei. Damit fügt sich das Schulbuch in der DDR in den gesellschaftlichen Gesamtprozeß der weltanschaulichen Erziehung in unserem Lande, insbesondere unter der Schuljugend, ein, der stets ein wichtiges Element der tiefgreifenden revolutionären Umgestaltung war und ist.“130
Die besondere Rolle von Schulbüchern in der DDR, bis hin zu ihrer Eigenschaft als informellen Lehrplänen wird hier ebenso deutlich wie ihr Charakter als Herrschaftssicherungsinstrument. Der Schulbuchbestand der DDR gliedert sich zunächst allgemein in Schulbücher für die erweiterte und die polytechnische Oberschule, das Sonderschulwesen, den allgemein bildenden Unterricht an Berufsschulen und für den Unterricht in den zweisprachigen (deutsch-sorbischen) Bezirken Cottbus und Dresden. Schulbücher erscheinen auch für fakultative Kurse, die an den Schulen angeboten werden. Alle Schulbücher für den Unterricht eines bestimmten Schultyps werden in einem Schulbuchwerk zusammengefasst. Die Bücher eines solchen Schulbuchwerkes sind inhaltlich, funktional und hinsichtlich ihrer Gestaltung aufeinander abgestimmt.131 Innerhalb eines Schulbuchwerkes werden die in Tabelle eins beschriebenen Schulbucharten unterschieden.
128 129 130 131
42
Autorenkollektiv 1984, S. 10. Autorenkollektiv 1984, S. 10. Autorenkollektiv 1984, S. 10 f. Vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 14.
Schulbuchsätze Schulbücher einer Klassenstufe
Schulbuchkomplexe Schulbücher eines Faches
Schulbucharten
Lehrbücher
Nach ihrer maßgeblichen Funktion im Unterricht unterschiedene Klassen von Schulbüchern
- Kern des Schulbuchkomplexes eines Faches - für die meisten Fächer verfügbar - zusammenhängende, methodisch/didaktisch aufbereitete systematische Darstellung des fachspezifischen Stoffes in vom Lehrplan vorgegebener Reihenfolge
Arbeits- und Übungsbücher zur aktiven Aneignung von Stoff und Könnensentwicklung
Experimentierbücher anregen, anleiten von/zu experimentellen Tätigkeiten
Schülerarbeitsmaterialien (-hefte, -blätter) Einweglehrmittel mit Aufgaben zu ausgewählten Stoffbereichen und Leeräumen zur Lösung
Nachschlagewerke
Wissensspeicher
Systematische, zugriffsgünstige, redundanzarme Darstellung von Stoff mehrerer Klassenstufen und Fächer
Knappe und übersichtliche Darstellung des Stoffs eines Faches oder fächerübergreifenden Fachgebietes
Wörterverzeichnisse Tabellenbücher Stoffsammlungen auf Grundlage des Lehrplans ausgewählte originale Materialien
Atlanten Schulbuchreihen Aufeinander folgende Schulbücher einer Schulbuchart für ein Unterrichtsfach
Tabelle 1:
132
Arten von Schulbüchern in der DDR 132
Vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 15.
43
3.1.4
Untersuchte DDR-Schulbücher
Von rund zwölf Prozent der Schüler eines Jahrganges, denen in der DDR der Weg zum Abitur offensteht, wählt ein Drittel die Berufsausbildung mit Abitur. Nur acht Prozent lernen an den Erweiterten Oberschulen (EOS) der DDR. Bevor sie dies tun, werden diese Schüler für den gesamten Zeitraum der zehnjährigen Schulpflicht an den Polytechnischen Oberschulen unterrichtet. Schon für die Abiturienten ist die Polytechnische Oberschule in diesem Sinne die bedeutsamste Schulform des DDR-Schulwesens. Für die Mehrzahl der DDR-Schüler, mehr als 90 Prozent, bleibt die Polytechnische Oberschule die einzige allgemeinbildende Schule ihres Lebens. Alle DDR-Bürger durchlaufen sie, die meisten von ihnen durchlaufen nur sie. Damit wird die Polytechnische Oberschule zum Kernstück des DDR-Schulwesens.133 Auf die hier verwendeten Schulbücher trifft die bereits ausgeführte vereinheitlichende Funktion der DDR-Schulbücher daher in besonderem Maße zu. Die Ergebnisse ihrer Analyse sind damit auf nahezu alle DDRSchüler des Untersuchungszeitraumes übertragbar (anders etwa als es die Ergebnisse einer Analyse der Schulbücher der Erweiterten Oberschulen wären). Hiervon ausgenommen sind lediglich diejenigen Heranwachsenden, die an Spezialschulen für besonders begabte oder Hilfsschulen für leistungsschwache Schüler unterrichtet werden, sowie Kinder in speziellen Förderklassen, z. B. für erweiterten Russischunterricht, da hier andere Schulbücher Verwendung finden.134 Um das Untersuchungsmaterial auf einen analytisch zu bewältigenden Umfang zu beschränken, sind weitere Eingrenzungen nötig. Als Kriterium hierfür wird die eben angesprochene Übertragbarkeit der Untersuchungsergebnisse gewählt. Ziel ist, deren Gültigkeit für breite Teile Ende der achtziger Jahre schulpflichtiger DDR-Bürger sicherzustellen. Die Übertragbarkeit lässt sich steigern, indem eine Beschränkung auf obligatorische Schulbücher erfolgt, d. h. auf solche, die für den Unterricht unverzichtbar sind und die jeder Schüler (geliehen oder gekauft) im relevanten Schuljahr besitzt. Gemäß der in der DDR maßgeblichen Einteilung135 sind dies die Lehrbücher als Kern des Schulbuchkomplexes eines Faches. Fakultativ zu beschaffende und ergänzende Schulbücher wie etwa Formelsammlungen und Atlanten oder Wissensspeicher in Werken, Schulgarten oder dem Wehrkundeunterricht werden nicht berücksichtigt, da sie hinsichtlich der oben ausgeführten Bedeutung für Lehrer, Schüler und Unterricht aufgrund ihres fakultativen Charakters nicht dieselbe Rolle spielen wie die obligatorischen 133 134 135
44
Vgl. Noack 1997, S. 420; Thomas 1987, S. 61 f. Vgl. Thomas 1987, S. 75. Siehe Tabelle eins.
Schulbücher. Aus dem gleichen Grund erfolgt eine Beschränkung auf Schulbücher für Pflichtfächer, also die Fächer, die im Gegensatz zu fakultativen Fächern wie beispielsweise Englisch von jedem Schüler zu absolvieren sind. Bei den so eingegrenzten Schulbüchern handelt es sich noch immer um mehrere hundert Stück mit mehreren zehntausend Seiten, die zudem über vier Jahrzehnte hinweg entstehen und für zahlreiche Schülergenerationen relevant sind. Eine zeitliche Eingrenzung der Bücher empfiehlt sich also. Als Indikatoren für die Beschaffenheit wenigstens des offiziellen Meinungsraumes136 in der DDR bieten gerade die Schulbücher des Schuljahres 1989/90 einen wenn auch beschränkten Einblick in diesen Meinungsraum unmittelbar vor Ende des SED-Staates. Das Schuljahr 1989/90 beginnt, als die DDR bereits im Umbruch begriffen ist. Die Zuspitzung der Ereignisse im Herbst, der Fall der Berliner Mauer oder gar die Wiedervereinigung nur ein Jahr später sind hier noch nicht abzusehen. Die in jenem Schuljahr verwendeten Schulbücher konservieren somit einen Einblick in ein Stück offizielle Meinung zu einem Zeitpunkt, an dem die Tage des SED-Regimes bereits gezählt sind. In dieser Verfasstheit werden das DDR-Schulwesen und seine Schulbücher Gegenstand der sich nach dem Fall der Berliner Mauer beschleunigenden Transformationsprozesse.137 Aus diesen Gründen wird das Schuljahr 1989/90 als Untersuchungszeitraum gewählt. Zusammengefasst handelt es sich bei dem dieser Studie zugrunde liegenden Untersuchungsmaterial also um alle obligatorischen Schulbücher der Pflichtfächer der Polytechnischen Oberschulen, die im Schuljahr 1989/90 zur Anwendung kommen.138 Es erfolgt demnach eine Querschnittsanalyse von Schulbüchern desselben Zeitraumes – 72 Bücher mit einem Gesamtumfang von rund 12.000 Seiten. Manche Auflagen dieser Bücher stammen aus den siebziger Jahren, die meisten werden in den achtziger Jahren und nicht wenige für das Schuljahr 1989/90 neu aufgelegt. Alle der verwendeten und nachfolgend aufgelisteten Bücher werden unabhängig vom Datum ihres ersten Erscheinens im Schuljahr 1989/90 genutzt:
136
137 138
Vgl. hierzu Stefan Wolles Ausführungen zu Öffentlichkeit und Kommunikation in der DDR (Wolle 1999, S. 135 ff.) und zur Kontrolle der Öffentlichkeit (Wolle 1999, S. 152 ff.). Zur Transformation des ostdeutschen Bildungssystems vgl. z. B. Fuchs 1997b. Eine Analyse der Russischbücher wurde aus arbeitspraktischen Gründen ausgeschlossen.
45
Fach
Klasse
Jahr
Ausgabe Aufl.
Seiten
Red.-Schl.
Mathematik
1
1987
1987
1
103
12.02.1986
Mathematik
2
1988
1986
4
115
30.10.1987
Mathematik
3
1989
1987
3
144
14.09.1988
Mathematik
4
1986
1982
6
208
28.02.1986
Mathematik
5
1989
1983
8
184
17.03.1989
Mathematik
6
1988
1988
1
223
04.08.1987
Mathematik
7
1989
1985
6
176
01.06.1989
Mathematik
8
1986
1986
1
160
08.08.1985
Mathematik
9
1987
1987
1
208
28.08.1986
Mathematik
10
1988
1988
1
160
22.01.1988
Physik
6
1988
1983
6
160
16.02.1987
Physik
7
1988
1984
5
144
16.07.1987
Physik
8
1989
1985
5
128
15.01.1988
Physik
9
1987
1987
1
160
25.07.1986
Physik
10
1989
1988
2
160
30.12.1988
Astronomie
10
1990
1987
4
96
27.06.1989
Biologie
5
1990
1988
3
144
18.08.1989
Biologie
6
1989
1989
1
144
21.08.1988
Biologie
7
1987
1979
9
80
16.04.1986
Biologie
8
1985
1982
4
176
08.09.1984
Biologie
9
1987
1980
8
160
20.08.1986
Biologie
10
1990
1988
3
144
25.08.1989
Chemie
7
1988
1988
1
128
26.06.1987
Chemie
8
1989
1989
1
222
10.11.1988
Chemie
9
1986
1984
3
112
13.05.1985
Chemie
10
1988
1985
4
112
28.04.1987
46
Fach
Klasse
Jahr
Ausgabe Aufl.
Seiten
Red.-Schl.
7
1986
1983
4
79
26.04.1985
ESP
8
1986
1983
4
80
04.07.1985
ESP
9
1987
1984
4
128
15.05.1986
ESP
10
1988
1985
4
144
24.08.1987
7/8
1990
1982
10
80
14.03.1989
Deutsch (Fibel)
1
1988
1974
15
111
29.05.1987
Lesen
2
1990
1983
8
160
31.03.1989
Lesen
3
1986
1984
3
160
02.07.1985
Lesen
4
1990
1986
6
176
31.05.1989
Lesen
5
1988
1984
5
224
12.02.1987
Lesen
6
1985
1985
1
224
17.08.1984
Lesen
7
1985
1985
1
224
05.06.1984
Lesen
8
1986
1986
1
288
07.01.1985
Lesen
9/10
1988
1986
3
384
20.01.1987
Muttersprache
2
1985
1983
4
160
04.01.1985
Muttersprache
3
1989
1984
6
176
16.12.1988
Muttersprache
4
1989
1985
5
193
22.04.1988
Muttersprache
5
1990
1982
9
208
05.07.1989
Muttersprache
6
1989
1983
7
160
15.06.1988
Muttersprache
7
1990
1983
8
128
10.10.1989
Muttersprache
8
1987
1984
4
128
01.07.1986
Muttersprache
9/10
1987
1984
4
144
18.09.1986
Heimatkunde
3
1986
1984
3
160
09.07.1985
Heimatkunde
4
1986
1985
2
160
24.10.1985
Geschichte
5
1989
1988
2
144
15.07.1988
ESP
139
Technisches Zeichnen
139
Einführung in die Sozialistische Produktion.
47
Fach
Klasse
Jahr
Ausgabe Aufl.
Seiten
Red.-Schl.
Geschichte
6
1989
1989
1
255
20.06.1988
Geschichte
7
1990
1989
1
287
15.11.1989
Geschichte
8
1988
1988
1
304
15.07.1987
Geschichte
9
1989
1988
2
304
01.12.1988
Geschichte
10
1989
1989
1
336
15.11.1988
Staatsbürgerkunde
7
1985
1983
3
112
30.11.1984
Staatsbürgerkunde
8
1986
1984
3
112
13.11.1985
Staatsbürgerkunde
9
1987
1983
5
111
12.11.1986
Staatsbürgerkunde
10
1989
1989
1
190
08.12.1988
Geographie
5
1990
1989
2
192
14.07.1989
Geographie
6
1989
1989
1
206
07.07.1988
Geographie
7
1990
1989
2
176
11.08.1989
Geographie
8
1989
1983
7
192
09.11.1988
Geographie
9
1986
1984
3
110
09.10.1985
Geographie
10
1988
1987
2
192
28.10.1987
Musik
2
1971
1969
4
64
25.09.1968
Musik
3
1979
1970
10
80
15.02.1978
Musik
4
1989
1971
19
96
22.06.1988
Musik
5/6
1990
1989
2
128
14.09.1989
Musik
7/8
1985
1973
13
208
16.04.1984
Musik
9/10
1986
1972
16
240
15.04.1986
Tabelle 2:
140
48
In die Untersuchung eingehende Schulbücher 140
Vollständig verfügbar in der Deutschen Nationalbibliothek.
3.2
Untersuchung von Instrumentalisierungsrealität: zum Erkenntnisinteresse
3.2.1
Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung von Instrumentalisierungsrealität
Die Intentionen der SED hinsichtlich der Instrumentalisierung von Bildung und Erziehung sind leicht nachzuvollziehen: Anhand zahlreicher Quellen wie Gesetzen, Parteipublikationen, -programmen, -statuten oder -beschlüssen, Reden von Bildungsfunktionären, Lehrplänen usw. sind der grundsätzliche Wille und das prinzipielle Bemühen der SED, die Schulen in ihrem Sinne zu instrumentalisieren, eindeutig zu belegen.141 Die Partei bildet dazu im Bildungswesen weitreichende Einfluss- und Machtstrukturen heraus, die ihr eine umfassende Herrschaft auch in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Schulwesens sichern: Das Bildungswesen ist hierarchisch organisiert. Der Ministerrat kontrolliert die Abteilungen Volksbildung auf Bezirksebene, diese diejenigen auf Kreisebene und diese wiederum die Schulen. Auf den entsprechenden Ebenen sorgen das Zentralkomitee der SED (ZK) und das Politbüro bzw. die Bezirks- oder Kreisleitungen für die Umsetzung der SED-Beschlüsse. An den Schulen setzen die Direktoren, in der Regel SED-Mitglieder, die Vorgaben der Partei durch. Dem Ministerium für Volksbildung stehen mit den Haupt- Bezirks- und Kreisschulinspektionen zusätzliche Kontrollinstanzen zur Verfügung. Hinzu treten die personelle Durchdringung nahezu aller relevanten Ämter aller Ebenen mit SEDMitgliedern und die Möglichkeit, mittels der Bildungskarrieren der Schüler (zum Beispiel Verweigerung von Abitur- oder Studienplätzen) oder mittels Pionierorganisation oder Freier Deutscher Jugend Druck auszuüben. Auch das MfS wird an den Schulen, unter den Schülern, Lehrern und deren Angehörigen eingesetzt, um Andersdenkenden oder Unangepassten zu begegnen.142
141
142
Vgl. z. B. Programm der SED von 1976, Kapitel II D; Art. 25 (3) Verfassung der DDR von 1974; Art. 1 (1) Jugendgesetz der DDR von 1974; § 5 Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem von 1965. Zu den Machtstrukturen der SED im Schulwesen sowie zu den ihr dort zur Verfügung stehenden Repressions- und Kontrollmitteln sowie für Beispiele vgl. z. B. Reuter/Scheunpflug 2006, S. 189 f., 192–196; Ackermann 2005, S. 73 ff.; Wolf 1998, S. 164 f.; Ahrberg 1996, S. 71–75 und S. 84 ff.; Thüringer Institut für Lehrerfortbildung (Hrsg.) 2000, o. S.; Deja-Lölhöffel 1988, S. 41; Waterkamp 1987, S. 105 f.; Reuter 1998, S. 41; Geißler/Wiegmann 1996, S. 154; Anweiler 1988, S. 136, 139; Fuchs 1997a, S. 31; Eppelmann/Möller/Nooke u. a. (Hrsg.) 1996, S. 437 f.; Winkler 1997, S.172. Für einen Überblick über die Machtstrukturen, Kontroll-, Einfluss- und Repressionsmöglichkeiten der SED im Schulwesen vgl. auch Knopke 2007.
49
Beiträge zur Ausleuchtung der Bildungs- und damit auch Instrumentalisierungsrealität leisten schon Untersuchungen der intentionalen Vorgaben der SED, denn angesichts der Zentralisierung und der Einheitlichkeit von Schulwesen und Lehrerbildung sowie insbesondere auch angesichts der eben beschriebenen Macht- und Repressionsstrukturen an den Schulen sind die Vorgaben der SED mehr als nur leere Phrasen. Wie viel mehr sie dies sind, bleibt die interessierende Frage, denn ein Unsicherheitsfaktor besteht auf der personalen Ebene: So bildet etwa das Elternhaus ein Gegengewicht zur Schule, welches je nach Linientreue der Eltern unterschiedlich stark ausfallen kann. Doch auch in den Schulen, vor allem in den Klassenzimmern, sind die Kontrollmöglichkeiten der SED auf personaler Ebene eingeschränkt. Welche Inhalte oder Einstellungen hier auf welche Weise vermittelt werden, hängt in erheblichem Maße von der jeweiligen Lehrkraft ab. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit’ spricht vom „Lehrer als Unterrichtsfunktionär“, der „weitgehend an die vorgegebenen ideologischen Muster angepaßt“ sei.143 Auch die Lehrer sind auf die Vertretung der Ziele der SED im Unterricht verpflichtet.144 Es kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass alle Lehrer der SED-Linie bedingungslos folgen. Realistischer ist, hier von vielfältigen Abstufungen und daraus resultierenden Unterschieden im Wirken verschiedener Lehrkräfte zu sprechen. Auch die EnqueteKommission räumt ein, dass sich Lehrer trotz des für diese Berufsgruppe typischen, permanent hohen Anpassungsdruckes auch um fachlich-objektiven Unterricht bemühen oder für Schüler einsetzen, die in politische Konflikte geraten. Sie warnen jedoch ausdrücklich vor einer Verharmlosung der Rolle der Lehrer, da dies einer Verharmlosung der tatsächlichen Verhältnisse im SED-Staat gleichkomme.145 Die Frage nach der Bildungs- und damit Instrumentalisierungsrealität ist also nicht ohne weiteres zu beantworten. Es bieten sich vor allem zwei grundsätzliche 143 144
145
50
Deutscher Bundestag 1998, S. 138. Vgl. dazu Hübner 1970, der sich in seinem Aufsatz mit dem Ethos der „sozialistischen Lehrerpersönlichkeit“ auseinandersetzt und dabei anhand von zehn Geboten das „Leitbild des sozialistischen Lehrers“ umreißt. Exemplarisch sei der nachfolgende Grundsatz angeführt, da er die Instrumentalisierung des Schulwesens betrifft: „Der sozialistische Lehrer strebt danach, das Ansehen und die Wirksamkeit der sozialistischen Schule als staatliches Instrument der sozialistischen Bildung und Erziehung zu erhöhen“ (S. 820). Was in der DDR unter sozialistischer Bildung und Erziehung verstanden wird, ist Gegenstand von Kapitel 3.3.2. Zu Hübners „Leitbild des sozialistischen Lehrers“ sowie zum Lehrer in der DDR allgemein vgl. auch Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 818–822. Vgl. auch Noack 1997, S. 422; Margedant 1995, S. 1518–1522. Vgl. Deutscher Bundestag 1998, S. 138.
Herangehensweisen an: Die erste ist die Befragung beteiligter Personen (zum Beispiel ehemaliger Lehrer und Schüler) als Zeitzeugen wie etwa in der 2008 erschienenen Untersuchung Henning Pietzschs.146 Auch autobiografische oder ähnliche Berichte von Zeitzeugen können als Quellen in entsprechende Untersuchungen eingehen. Zeitzeugenbasierte Untersuchungen bringen eine Reihe von Problemen mit sich, welche die Qualität entsprechender Untersuchungsergebnisse beeinträchtigen, wie etwa Vergessen, Rechtfertigungszwang, Verdrängung oder die Tendenz, Fragen nach der sozialen Erwünschtheit zu beantworten.147 Für ehemalige Lehrer der DDR stellt Henning Pietzsch, der Interviews zum Schulalltag in dieser Personengruppe durchführt, zum Beispiel fest, dass jene die Nachteile des DDR-Bildungswesens, die aus den politisch-ideologischen und strukturellen Bedingungen der Gesellschaft resultierten, kaum wahrnähmen oder ganz ausblendeten: „Bestenfalls werden Details des Schulalltages in der DDR kritisch hinterfragt. Ein grundsätzliches Hinterfragen der SED-Diktatur fehlt weitgehend.“148 Ein von Pietzsch interviewter Lehrer bringt, wenigstens bezogen auf die Lehrer, die Problematik wie folgt zur Sprache: „Ich habe den Eindruck, dass viele Kollegen sich scheuen, auch ältere, über die DDR zu reden. Ich weiß nicht warum, aber es ist so.“149 Auch ehemalige Schüler unterliegen derartigen Effekten, sicher nicht im selben Ausmaß, schließlich tragen sie zu DDR-Zeiten keine vergleichbare Verantwortung wie Lehrer, aber dennoch grundsätzlich. Bei Schülern tritt allerdings erschwerend hinzu, dass die Fähigkeit zur Reflexion von Geschehnissen im Kindes- und Jugendalter schwächer ausgeprägt ist als bei Erwachsenen. Eine andere Herangehensweise als die Befragung von Zeitzeugen liegt in der Analyse gedruckter Quellen. Solche Studien legen zum Beispiel Jens Ackermann150, Jürgen Wolf151 oder Edda Ahrberg152 vor, die auf Grundlage von Archivmaterialien und MfS-Aktenbeständen Auswirkungen der Repression an den Schulen dokumentieren. Ein anderen Ansatzpunkt wählen Tilmann Grammes153 146 147
148 149 150 151 152 153
Pietzsch 2008. Zum Beispiel stellen Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder in ihrer Untersuchung zum DDR-Bild von Schülern fest, dass an vielen ostdeutschen Schulen die DDR verharmlosend dargestellt wird, weil nur eine Minderheit der Lehrer bereit ist, über die Rolle der Schule in der Diktatur, einschließlich ihres eigenen Anteils hierbei, offen zu sprechen (vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 9). Pietzsch 2008, S. 106. Pietzsch 2008, S. 114. Ackermann 2005. Wolf 1998. Ahrberg 1996. Grammes 1996.
51
oder Henning Schluß154, die auf Mitschnitte und Protokolle von Unterrichtsstunden zurückgreifen. Im Leipziger Schulmuseum werden, basierend auf der langjährigen Erfahrung von Lehrkräften in der DDR, Unterrichtsstunden mit kritischem Blick auf die Instrumentalisierung durch die SED nachgestellt.155 Eine Form gedruckter Quellen sind Schulbücher. Auf deren besondere Rolle im Unterrichtsgeschehen und insbesondere in der DDR wurde bereits vertieft eingegangen. Zusammengefasst dokumentieren Schulbücher im Gegensatz zu beispielsweise Lehrplänen oder Gesetzen nicht nur Zielvorgaben oder Forderungen, sondern üben einen unmittelbaren und durch die Lehrkraft nicht ohne weiteres zu umgehenden Einfluss auf die Schüler aus: Zunächst sind Lehrkräfte auf die tägliche Arbeit mit dem Schulbuch im Unterricht angewiesen, sie werden von ihm entlastet. Jeder Schüler besitzt zudem ein Schulbuch und muss sich mit diesem befassen – auch nach der Schule. Der Einfluss der Schulbücher wird durch die zentrale Stellung des Unterrichtsmediums und das zentralistische, einheitliche sowie durch die SED kontrollierte Umfeld des DDR-Schulwesens noch verstärkt. Ferner wirkt in Schulbüchern Gedrucktes objektiver als etwa Äußerungen der Lehrkräfte und entfaltet damit eine zusätzliche Wirkung. Es wird darum die These vertreten, dass Botschaften, die durch Schulbücher transportiert werden, weitestgehend auch bei den Adressaten ankommen, insbesondere in der DDR. Diese Annahme muss jedoch gleichzeitig mit Zurückhaltung auch hinsichtlich der späteren Einordnung der Befunde getätigt werden, da hiermit noch keine Aussage zur Wirkung dieser Botschaften getroffen ist und da Forschungsergebnisse zur Wirkung von Schulbüchern ein Forschungsdesiderat darstellen.156 Im Falle der DDR eröffnet sich an dieser Stelle eine für die zeitgeschichtlicherziehungswissenschaftliche Forschung vielversprechende Perspektive: Der SED steht ein Schulwesen mit zehnjähriger Schulpflicht zur Verfügung, das sie weitgehend frei von abweichenden Einflüssen gestalten kann. In diesem Schulwesen stellen die Schulbücher eine wichtige Möglichkeit dar, in nicht unerheblichem Maße unabhängig von personalen Faktoren auf die Schüler einzuwirken. Die Schulbücher werden damit zum Indikator für die Instrumentalisierung des Schulwesens – dem was hier vermittelt wird, ist der Großteil der Menschen, die das DDR-Schulsystem durchlaufen, ungefiltert ausgesetzt. Die Rolle des Schulbuches soll dabei nicht überbewertet werden. Wie schon angedeutet spielen für die Wirkung dieses Unterrichtsmediums die Lehrer sowie 154 155 156
52
Schluß 2008. Vgl. Urban 2008. Vgl. Scheunpflug 1994, S. 189; Höhne/Kunz/Radtke 1999, S. 13 f., 27 ff.
das Elternhaus und weitere Faktoren (zum Beispiel das Westfernsehen) eine Rolle.157 Dennoch bedarf es zur Wissensvermittlung per Schulbuch nicht unabdingbar des Lehrers oder Dritter. Der Transfer von Mitteilungen kann auch unmittelbar vom Buch zum Schüler erfolgen und damit unmittelbar von der Feder der durch die SED bzw. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften kontrollierten Schulbuchautoren zu den Heranwachsenden. Auf die besondere Rolle von Schulbüchern, insbesondere im einheitlichen und zentralisierten DDRSchulwesen, weist ein ehemaliger DDR-Lehrer wie folgt hin: „Viele Lehrer finden besser, da können Sie auch fragen, dass es zu DDR-Zeiten einen einheitlichen Lehrplan gab. Da war es egal, ob ein Kind in Rostock oder Suhl gelebt hat. Wenn das umgezogen ist, war da vielleicht eine Zeitverzögerung von 14 Tagen. Aber ansonsten war das nahtlos zu übernehmen. Mit den Schulbüchern ist es dasselbe, dass da nicht so viele auf dem Markt waren. Da war eben ein einheitliches Schulbuch. Und das war strukturierter als es die Bücher heute sind. Heute ist es sehr oft so, dass die Kinder ohne Anleitung gar nicht mit dem Buch alleine arbeiten können, weil die Themen so zergliedert sind, dass ein kleines Kind damit nicht umgehen kann. Zu DDR-Zeiten haben wir auf Seite 3 angefangen und auf der Seite 183 aufgehört, und da konnte jedes Kind Zuhause nachlesen, was da stand, was es gerade braucht.“158
Bei aller Begrenztheit von Zeitzeugenaussagen deutet sich hier doch an, welche Rolle das Schulbuch in der DDR-Schule spielt. Die Analyse der Schulbücher verspricht darum bei aller Begrenztheit auch dieser Quellen Erkenntnisse, die einen Beitrag zur Erhellung des tatsächlichen Ausmaßes der Instrumentalisierung der Schulen der DDR und der Art und Weise, mit der dabei vorgegangen wurde, zu leisten im Stande sind. 3.2.2
Präzisierung des Erkenntnisinteresses
Wie in den Ausführungen zum Forschungsstand beschrieben, ähneln sich alle bisherigen DDR-Schulbuchuntersuchungen in ihrer Konzentration auf einzelne Themen, einzelne Fächer oder einzelne Schulbücher und in der unterschiedlichen Berücksichtigung der SED-instrumentellen Funktion der Schulbücher. Im Spiegel dieser Arbeiten und der eben getätigten Ausführungen wird deutlich, wo die vorliegende Arbeit anzusetzen vermag: Die Instrumentalisierung der Schulbücher durch die SED soll zum Untersuchungsgegenstand gemacht werden, und 157
158
Zu den verschiedenen Referenzrahmen, die das Handeln auf verschiedenen Ebenen des Schulsystems (z. B. der Lehrerebene oder der Schülerebene) bestimmen, vgl. Fend 2008, S. 34–38. Pietzsch 2008, S. 110.
53
zwar ganzheitlich, d. h. über alle Schulfächer und Klassenstufen hinweg und nur so weit eingeschränkt, wie aus den im vorigen Unterkapitel geschilderten Gründen nötig. Anstelle einer Untersuchung einzelner Fächer oder Klassenstufen oder des Umgangs der Schulbücher mit bestimmten Themen soll hier ein alle obligatorischen Schulbücher einbeziehendes Bild von der Instrumentalisierung dieser Medien kurz vor dem Ende der DDR gezeichnet werden. Dies begründet sich aus der Perspektive der Schüler: Diese sehen sich der Instrumentalisierung über mindestens zehn Jahre, mindestens in den obligatorischen Schulfächern und mindestens mittels der dort obligatorischen Schulbücher, ausgesetzt. Die Instrumentalisierung einzelner Klassenstufen, Unterrichtsfächer oder Themengebiete ist aus dieser Perspektive nur Bestandteil eines klassenstufen- und unterrichtsfächerübergreifenden Instrumentalisierungsprozesses. Um Aufschluss darüber zu gewinnen, in welcher Weise die DDR-Schüler während ihrer Schulbiografie insgesamt mit der Instrumentalisierung in Berührung kommen, ist nur eine ganzheitliche, klassenstufen- und unterrichtsfächerübergreifende Betrachtung vielversprechend. Die entsprechenden Befunde, das liegt an der geschilderten Besonderheit des Untersuchungsmaterials, sind, von den wenigen angesprochenen Ausnahmen abgesehen, auf alle DDR-Bürger übertragbar, die im Untersuchungszeitraum schulpflichtig sind. Anliegen der Untersuchung ist es also, einen Beitrag zu Erhellung der Bildungs- und Instrumentalisierungsrealität zu leisten. Darunter wird nicht die Rekonstruktion der Schul- und Unterrichtspraxis verstanden. Schulbücher verstehen sich vielmehr als Ebene zwischen den durch die SED im Schulwesen verfolgten Zielen einerseits und der Realität andererseits. Darum und weil ihnen in der DDR noch mehr als schon grundsätzlich die beschriebene Bedeutung zukommt, wirken sie aber auf die Bildungs- und Instrumentalisierungsrealität ein. Dabei besteht hinsichtlich der Frage, was unter Instrumentalisierung des Schulwesens oder der Schulbücher überhaupt zu verstehen ist, ein großer Interpretationsspielraum. Ob ein bestimmtes Schulbuch oder eine bestimmte Schulbuchaussage instrumentalisiert ist, steht zur Diskussion. Dies für die DDR-Schulbücher zu klären, ist ein weiteres zentrales Ziel der Untersuchung. Thomas Ammer bilanziert den Forschungsstand zur Instrumentalisierung von Erziehung und Bildung in der DDR mit den Worten: „Das Forschungsgebiet ist so umfangreich, dass es mittelfristig nicht annähernd vollständig bearbeitet werden kann. […] Ein interessantes Forschungsfeld ist, trotz erheblicher und mit zeitlichem Abstand zunehmender Schwierigkeiten, zu klären, welche der heute in der Bevölkerung der neuen Bundesländer anzutreffenden Haltungen und Wertungen auf
54
die schulische Indoktrination, bis hinein in die Inhalte derselben, zurückgeführt werden 159 können.“
Die Inhalte der schulischen Indoktrination lassen sich eben wegen der Rolle und Stellung der Schulbücher innerhalb der Schule und des Unterrichts anhand dieser Medien besonders gut nachvollziehen. Rückschlüsse auf die daraus resultierenden Haltungen und Wertungen sind mit Blick auf die Rolle der Schulbücher in begrenztem Ausmaß ebenfalls möglich. 3.3
Schulbuchinstrumentalisierung: zu Untersuchungsgegenstand und analytischer Basis
3.3.1
Weitreichende Herrschaft der SED als allgemeiner Bestimmungsfaktor der Schulbuchinstrumentalisierung „Wenn man in der DDR von der Partei sprach, bedurfte es keiner Rückfragen, welche denn gemeint sei. Die Partei war die SED, denn trotz der lateinischen Wurzel ‚pars’, die Teil bedeutet, und entgegen der Logik, daß der Teil eines Ganzen weitere Teile bedingt, gab es wirklich nur sie. Die Tatsache, daß im Lande vier weitere Korporationen existierten, die sich ebenfalls so nannten, ließ die Umgangssprache völlig unberücksichtigt und 160 brachte damit die politische Realität zum Ausdruck.“
Die „klassischen“161 Totalitarismuskonzepte Hannah Arendts und Carl J. Friedrichs sehen den Terror als ein wesentliches Merkmal totalitärer Staaten. Für Arendt ist er das entscheidende Merkmal.162 Friedrich sieht sechs weitere charakteristische Eigenschaften im Vorhandensein einer offiziellen totalitären Ideologie, einer offiziellen Massenpartei, die dieser Ideologie verpflichtet ist, sowie in einem fast vollkommenen Monopol über alle entscheidenden Kampf-, Massenkommunikationsmittel und alle Organisationen, einschließlich der Wirtschaft. Schließlich sei ein System terroristischer Polizeikontrolle charakteristisch.163 Zu seiner Entstehungszeit in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ist es gerade das bis dato unbekannte Ausmaß an ideologisch legitimierter Herrschaftsausübung, für das umfangreicher Terror ein starker Indikator ist und das sich im Faschismus bzw. Nationalsozialismus und Stalinismus zeigt, welches zur Entstehung des Totalitarismusbegriffs führt. Der Begriff dient der Charakterisie159 160 161 162 163
Ammer 2003, S. 298 f. Wolle 1999, S. 97. Marquardt 1995, S. 1538; Pohlmann 1995, S. 121. Vgl. Arendt 1986, S. 711. Vgl. Friedrich 1953, S. 185 f.; Linz 2003, S. 20.
55
rung dieser als neuartig bewerteten Formen von Herrschaft.164 In der Folgezeit erlebt der Totalitarismusbegriff zahlreiche Konjunkturen und wird vielfältig diskutiert.165 Die zentrale Stellung von weitreichender Herrschaft, inklusive einer diese legitimierenden Ideologie und dem Terror als extremer Ausdrucksform bleibt während der fast einhundertjährigen Geschichte des Begriffs stets erhalten.166 Schon ohne vertiefende Betrachtung wird die Nähe des SED-Regimes zu den totalitären Merkmalen deutlich. Es kann angesichts dessen nicht verwundern, dass verschiedene Wissenschaftler die DDR als totalitären Staat einordnen.167 Die Totalitarismustheorie ist wegen ihrer Doppelfunktion als Instrument zur wissenschaftlichen Analyse sowie zur politischen Bewertung des Faschismus und Kommunismus allerdings stets mit Problemen in der Begriffs- und Theoriebildung behaftet. Totalitarismus ist einerseits ein empirisch-analytischer, andererseits ein normativ wertender Begriff.168 Die Tatsache jedoch, dass die DDR unter dieser Perspektive diskutiert wird, zeigt bereits, wie weitreichend die Herrschaft der SED ist. Die weitreichende Herrschaft der SED offenbart sich auch an anderer Stelle: Die DDR ist ein Land, in dem die Internationale Gesellschaft für Menschrechte oder Amnesty International (wegen der Kritik an Menschenrechtsverletzungen in den Ostblockstaaten) als Feindorganisationen betrachtet und vom MfS bekämpft werden.169 Alleine die etwa 1.200 Opfer des Grenzregimes, unter ihnen solche, die nach bereits geglückter Flucht zurückgeholt und ermordet werden, sprechen eine eindeutige Sprache.170 1989 arbeitet etwa jeder einhundertste DDR-Bürger inoffiziell für das Ministerium für Staatssicherheit. Zehntausend dieser inoffiziellen Mitarbeiter (IM) sind Kinder, die ohne Rücksicht auf mögliche Folgen zur Informationsgewinnung im Familien- oder Freundeskreis eingesetzt werden. Werden die hauptamtlichen Mitarbeiter dazu gezählt, arbeitet jeder 62. DDR164
165
166
167
168 169 170
56
Vgl. Christofa 2005, S. 13; Funke 1999, S. 152; Maier 1995, S. 121; Arendt 1986, S. 703; Friedrich 1953, S. 179. Die Entstehung des Totalitarismusbegriffes in Italien ist Thema eines Aufsatzes von Jens Petersen (vgl. Petersen 1978). Vgl. Erstling 2006, S. 3; Glaeßner 1995, S. 82, Marquardt 1995, S. 1530 f., 1536. Für einen Überblick über Kritikpunkte am Totalitarismusbegriff vgl. Kielmansegg 1978, S. 64–75 oder Schlangen 1978. Vgl. dazu z. B. die Totalitarismustheorien Draths (1958, S. 323 – 337); Kielmanseggs (1978, S. 75–76); Marquardts (1995, S. 1539 f.) oder Erstlings (2006, S. 105 ff.). So etwa Schroeder 1999, S. 633, 643, 646; Bracher 1999, S. 146 ff.; Funke 1999, S. 156; Marquardt 1995, S. 1541 f. Für eine entgegengesetzte Position vgl. z. B. Kershaw 1999, S. 214. Vgl. Jesse 1999, S. 9 ; Schlangen 1978, S. 49. Vgl. Jürgen Wüsts Aufsatz hierzu (1998). Vgl. Schroeder 2006, S. 113.
Bürger für die Staatssicherheit.171 „Daß die Staatssicherheit ein überdimensionales Überwachungssystem geschaffen hat, ist hinlänglich bekannt“,172 so Walter Süß in seiner Untersuchung zum MfS. Stefan Wolle wird hier noch deutlicher: „Die Gesellschaft der DDR war bis ins Innerste vergiftet. (...) Der Bruder bespitzelte den Bruder (...) der Ehemann schrieb Berichte über seine Frau (...) Lehrer denunzierten ihre Schüler und umgekehrt.“173 Die SED dringt in alle Lebensbereiche von Gesellschaft und Individuum ein, insbesondere auch im Bildungswesen: „Alle staatlichen und gesellschaftlichen Erziehungs-, Jugend- und Freizeiteinrichtungen, allen voran die Schulen und Hochschulen sowie die FDJ, unterlagen der konspirativen Beobachtung sowie massiven Beeinflussung durch die Organe der Staatssicherheit.“174 Von den Eingriffsmöglichkeiten, die sich der SED auch jenseits des MfS im Bildungswesen, im Beruf oder mittels der ihr untergeordneten Massenorganisationen bieten, ist dabei noch gar nicht gesprochen. Mit den Ein- und Übergriffen der SED im Bildungswesen gehen nicht selten dauerhafte Beschädigungen von Bildungskarrieren und Lebenswegen einher.175 Klaus Hildebrand spricht vom „Planieren der Gesellschaftsstruktur“176 als dem Ansinnen eines Machthabers im Bruch mit jeglicher Tradition ein vollständig neues Gesellschaftssystem zu etablieren. Dieser bildhafte Ausdruck erfüllt sich in der DDR schon oberflächlich in der (rhetorischen) Aufwertung der Arbeiter und Bauern. Er setzt sich fort in dem Versuch der SED, Veränderungen auch im Bewusstsein der Bürger zu implementieren: Die DDR stellt ein vollkommen neues Gesellschafts- bzw. Staatsmodell dar. Die Radikalität, in der die SED mit dem Gegebenem bricht, zeigt sich exemplarisch in ihren Positionen, beispielweise zum Eigentum177, zum (bürgerlichen) Staat178, oder zur Familie179, wie sie aus
171 172 173 174 175
176 177
Zu den Zahlen vgl. z. B. Fuchs 1996, S. 13; Gieseke 2000, S. 86; Schroeder 1999, S. 442. Süß 1997, S. 237. Wolle 1999, S. 152. Reuter/Scheunpflug 2006, S. 200. Zum Einsatz des MfS und zur Beschädigung von Lebenswegen durch die Staatssicherheit vgl. z. B. die Untersuchungen von Behnke/Wolf 1998 oder Mothes/Fienbork/Pahnke 1996. Zur Benachteiligung Andersdenkender im Schulwesen der DDR vgl. z. B. den von Gerhard Barkleit und Tina Kwiatkowski-Celofiga 2008 herausgegeben Sammelband zu diesem Thema, dort insbesondere auch Kwiatkowski-Celofiga 2008, S. 21 ff. und Geißler 2008, S. 71–75. Hildebrand 1999, S. 75. „Der unversöhnliche Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Form des Eigentums macht die Errichtung der von Ausbeutung freien, der sozialistischen Gesellschaftsordnung notwendig“ (Autorenkollektiv 1988a, S. 214).
57
der marxistisch-leninistischen Lehre resultieren.180 Die DDR-Bürger sind auf ein konkretes Weltbild verpflichtet, für welches der Anspruch gesetzmäßiger Gültigkeit erhoben wird. In diesem Weltbild muss der Sozialismus siegen und mit ihm eine bessere Zukunft. Jeder Widerstand gegen dieses Weltbild muss aus SED-Sicht wegen dessen positiv-utopischer Zukunftsverheißung nicht nur unvernünftig, sondern aufgrund des als sicher geglaubten Sieges des Kommunismus auch selbstmörderisch sein. Dies sind nur die offensichtlicheren Ausdrucksformen weitreichender Herrschaft. Anstelle von offenkundiger Gewaltanwendung, wie etwa am 17. Juni 1953 oder an der innerdeutschen Grenze, kommt es mit dem zunehmenden Erfordernis der Rücksichtnahme auf den Westen und die westlichen Medien zunehmend zu struktureller Gewalt, durch ein immer weiter ausgebautes System der Staatssicherheit.181 Anstelle des offensichtlichen Terrors verfügt die SED zudem über eine weitere Waffe: Angesichts der Existenz des SEDMachtapparates (Durchdringung des öffentlichen Lebens mit SED-Kadern, Einfluss von Parteisekretären, Ministerium für Staatssicherheit, Polizei etc.), die jedem DDR-Bürger bewusst ist, genügt oft der mit dessen Präsenz verbundene latente Druck, um die Bevölkerung zu kontrollieren.182 Die DDR ist von einem Netz sichtbarer und unsichtbarer Gesetze, Regeln, Ordnungen und Direktiven durchzogen, welches ein strukturell normiertes System etabliert hat. Repression und offene Gewalt sind oftmals gar nicht nötig, weil sich unter den Bedingungen der strukturellen Normierung und durch die Mischung aus Drohgebärden, Anpassungsdruck, Mangel an echten Alternativen und Undurchschaubarkeit der sichtbaren und unsichtbaren Grenzen bei den Bürgern ein selbstnormiertes, systemkonformes Verhalten verfestigt.183 Offener Terror wird damit weitgehend überflüssig.
178
179
180 181 182 183
58
„Im Ergebnis des Klassenkampfes der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten wird der bürgerliche Staat gesetzmäßig durch die proletarische Revolution überwunden und von der Diktatur des Proletariats abgelöst“ (Autorenkollektiv 1988a, S. 159). „Mit dem Entstehen des Privateigentums an Produktionsmitteln wurde die Familie zur Institution, deren wichtigste Funktion darin bestand, den Verbleib des Privateigentums in der Familie und damit in der besitzenden Klasse zu sichern und so der Aufrechterhaltung und Festigung des Ausbeutersystems zu dienen. Dementsprechend sind auch in der bürgerlichen Familie nicht Liebe und Zuneigung das eigentliche Band der Familienverhältnisse, sondern durch die Klassenzugehörigkeit bedingte ökonomische Gesichtspunkte“ (Autorenkollektiv 1988a, S. 266). Vgl. Wisniewski 1995, S. 2085–2088. Vgl. Mommsen 1999, S. 512; Wolle 1999, S. 152. Vgl. Neubert 2000a, S. 17; Rupnik 1999, S. 438. Vgl. Rogg 2008, S. 12.
Wer mit den Verhältnissen im angeblichen Staate der Arbeiter und Bauern nicht einverstanden ist, hat indes nicht nur prinzipiell keine Möglichkeit, hieran etwas zu ändern, ihm wird sogar die Möglichkeit genommen, diesen Verhältnissen den Rücken zu kehren. Angesichts geschlossener Grenzen, Todesstreifen, Selbstschussanlagen oder Schießbefehl ist die DDR nicht nur ein Staat, in dem sich die Bürger allein den Maßstäben der SED ausgesetzt sehen, sie ist zudem ein Staat, der für diejenigen, die sich diesen Maßstäben konsequent entziehen wollen, zum Gefängnis oder Henker wird. Viele Staaten, viele Diktaturen unterdrücken ihre Bürger und drängen ihnen ihre Maßstäbe auf. Doch weitreichende Herrschaft gerinnt selten so wie in der Praxis eines Machthabers, seine Menschen einzusperren und sie damit in allerletzter Konsequenz zu entmündigen. Die SED unternimmt den Versuch einer totalen gesellschaftlichen Umgestaltung. Hierbei achtet sie keinerlei Grenzen – nicht die des Gewissens, nicht die des Glaubens, nicht die der Familie und nicht die der körperlichen Unversehrtheit oder der Menschenwürde. Insofern gibt es für die Partei kein Halten, keine Privatheit – jeder Lebenssachverhalt wird am Klassenstandpunkt gemessen. Die SED hat sich, wie es Jürgen Winkler formuliert „die DDR maßgeschneidert“.184 Die bisherigen Ausführungen legen offen, wie weitreichend die SEDHerrschaft ist – auch ohne Verwendung des Attributs totalitär. Die SED versteht sich als der „von allen Kräften anerkannte politische Führer im Kampf für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus in der DDR“.185 Entsprechend der Rolle, die ihr als kommunistischer Partei vom Marxismus-Leninismus zugeschrieben wird, ist sie als Vorhut der Arbeiterklasse der legitime Machthaber in einem propagierten Staat der Arbeit und Bauern.186 Wolfgang Seiffert spricht von einem „Machtmonopol“ der SED, in dem auch die existierenden Blockparteien und Massenorganisationen lediglich „Transmissionen“ des Willens der Partei seien und darüber hinaus lediglich der Verschleierung des SED-Machtmonopols dienten.187 Seiffert führt weiter aus, dass sich die SED in aller Offenheit zu ihrem vorrangigen Ziel, „der Macht als der Alleinherrschaft der kommunistischen Partei“188, bekenne und dass diese Macht der SED „unumschränkt“ und die Partei die „absolut herrschende politische Kraft“ sei.189 Von einem Machtmonopol der SED spricht auch Gerd-Rüdiger Stephan. Als charakteristisch für die DDR hält er „SED-Machtmonopol und Primat der Par184 185 186 187 188 189
Winkler 1997, S. 176. Autorenkollektiv 1988a, S. 878. Vgl. Autorenkollektiv 1988a, S. 878 f. Seiffert 1987, S. 26. Seiffert 1987, S. 23. Vgl. Seiffert 1987, S. 18–21.
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teipolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen“190 fest. Auf die untergeordnete Rolle „aller anderen gesellschaftlichen Kräfte“ bzw. deren Herabstufung „bis zur völligen Abhängigkeit“ von der SED verweisen Herrmann Weber und Lydia Lange.191 Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder kommen zu dem Schluss, es dürfte weitgehend unbestritten sein, dass die DDR zuallererst eine politische Gesellschaft sei, „in der die Monopolpartei SED mit ihrem totalitären Anspruch auf umfassende Gestaltung, Beherrschung und Kontrolle von Staat und Gesellschaft“ dominiere.192 Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen und Handlungen, seien in hohem Maße Folgeerscheinungen der Politik, bei deren Verhältnis zur Politik es sich um ein hierarchisches handele.193 Jürgen Winkler konstatiert ein Herrschaftsmonopol der SED, das durch Verneinung von Gewaltenteilung und uneingeschränkter Parlamentshoheit und durch die Überordnung der gesetzgebenden über die vollziehende und die richterliche Gewalt gesichert sei. Die SED besitze zudem gemeinsam mit ihren Parteimitgliedern in den Massenorganisationen in der Volkskammer infolge des von ihr durchgesetzten Wahlsystems nach Einheitslisten eine unantastbare Mandatsmehrheit, wobei die Kontrolle von Regierungs- und Verwaltungsakten durch eine unabhängige Justiz ausgeschlossen sei.194 Den Staat charakterisiert Winkler folglich als Instrument der SED zur Durchsetzung ihrer Ziele.195 Zur Macht der SED führt Winkler aus: „Die Frage der Macht war nach der marxistischleninistischen Staatslehre ein für allemal getroffen; sie wurde ‚wie ein Augapfel gehütet’. Wer in Verdacht gebracht wurde, daran etwas ändern zu wollen, sah sich kaltgestellt, oft kriminalisiert und verfolgt.“196 Belege für diese Suprematie sind das Fehlen bzw. die Nichtduldung jeglicher offizieller bzw. öffentlicher Kritik an der Partei oder auch die Tatsache, dass in der DDR für die Bürger kein Möglichkeit besteht, juristisch gegen den Staat vorzugehen.197 Alle Bereiche der DDR unterstehen grundsätzlich dem Primat der SED, so dass nahezu alles, was sich in der DDR öffentlich ereignet, und auch vielerlei Nichtöffentliches,198 wenigstens mit Billigung der SED geschieht. Die Machtstellung der SED ist nicht 190 191 192 193 194 195 196 197 198
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Stephan 1997, S. 99. Weber/Lange 1995, S. 2041. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 88. Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 88. Winkler 1997, S. 165. Winkler 1997, S. 161. Winkler 1997, S. 169. Vgl. Loeser 1987, S. 113. Verwiesen sei nur auf die Bemühungen des MfS, auch in das Privatleben der DDR-Bürger einzudringen bzw. dieses Privatleben gegen jene zu instrumentalisieren (IM unter Freunden und Verwandten etc.).
in Frage zu stellen: „Der Staat hat immer Recht! Der Bürger ist ihm total und machtlos ausgeliefert!“199 In der DDR wird die SED somit zur nahezu allgegenwärtigen und in der Öffentlichkeit unwidersprochenen Machtinstanz. Die Grenzen der SED-Diktatur werden ausführlich in einem Sammelband von Richard Bessel und Ralph Jessen behandelt.200 Einleitend führen die beiden Autoren Beispiele für die Begrenztheit der SED-Macht an. So liege eine wesentliche Grenze von Diktaturen in der beschränkten Kapazität der Diktatoren, eine hochkomplexe Umwelt mit der nötigen Differenzierung wahrzunehmen und in den daraus resultierenden Überforderungen und Fehlern. Die SED habe außerdem keinen Einfluss ausüben können: x x x x x x x x
auf das historische Fundament der DDR, auf die durch den Krieg beeinflusste Demographie, auf die industriellen Strukturen nach dem Krieg, die nur langsam veränderbar seien, auf die Stadt-Land-Beziehungen, auf Formen der Arbeitsteilung, Berufe und Professionen, auf mentale Tiefenschichten (z. B. Haltung zu Staat und Obrigkeit), auf die Westgrenze oder auf die Abhängigkeit von der Sowjetunion.201
Freilich wird kein Machthaber jemals einen unumschränkten Grad der Herrschaftsausübung erreichen, doch ergibt sich für die SED durch ihre ideologisch hergeleitete Funktion im Sozialismus und auch durch ihre über Jahrzehnte ausgebauten Machtstrukturen zumindest der Anspruch universeller Zuständigkeit, den auch Bessel und Jessen, trotz der von ihnen aufgezeigten Grenzen der Diktatur, sehen: „Man muß nicht viele Worte über Pseudowahlen und Parlamentsattrappen, über kujonierte Blockparteien, die Transmissionsriemen der Massenorganisationen und die inszenierte Medienöffentlichkeit verlieren […] Wirklicher Pluralismus, die folgenreiche Anerkennung der Existenz und Berechtigung unterschiedlicher Interessen, Meinungen, politischer Ziele und Werte, war mit der kommunistischen Selbstgewißheit, exklusive Einsicht in den objektiven Gang der Weltgeschichte zu haben, prinzipiell unvereinbar. Ihr Herrschaftsund Gestaltungsanspruch war unbegrenzt und total. Eine neue Gesellschaft, ein neuer Mensch, eine neue Moral sollten die Bühne der deutschen Gesellschaft betreten, das Drehbuch lieferten die einzig ‚wissenschaftliche Ideologie’ des Marxismus-Leninismus
199 200 201
Loeser 1987, S. 125. Bessel/Jessen (Hrsg.) 1996. Vgl. Bessel/Jessen 1996, S. 9–15.
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und das sowjetische Vorbild, Regie führte die Partei ‚neuen Typs’, d. h. ihr engster Führungszirkel im Politischen Büro.“202
Zusammenfassend ist der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit’ beizupflichten, die in ihrem Abschlussbericht für die DDR der achtziger Jahre bilanziert: „Es gab kaum noch gravierende Veränderungen, ging es doch in der geschlossenen Gesellschaft des eingemauerten SED-Staates vor allem um Machterhalt und -stabilisierung.“203 Dabei kommt die Kommission hinsichtlich der Reichweite der SED-Allmachtsbestrebungen zu dem Ergebnis, dass das Leben der DDR-Bürger zwar nicht ausschließlich vom SED-Regime bestimmt sei, da es unterschiedlich gezogene Grenzen der Diktatur gebe, die Partei jedoch wenigstens den Anspruch erhebe, den Alltag in der DDR totalitär zu formen, sodass das Leben der Bürger auch keineswegs unabhängig von der Partei, sondern ihrem Zugriff in mehr oder weniger großem Maße unterworfen sei.204 3.3.2
Auswirkungen der SED-Herrschaft im Schulwesen als spezifische Bestimmungsfaktoren der Schulbuchinstrumentalisierung
Erziehung zur Parteinahme Nach ihrer eigenen und der leninschen Auffassung ist es Aufgabe der marxistisch-leninistischen Partei, ihre Ideologie, den Marxismus-Leninismus, in das Proletariat hineinzutragen.205 Diese Auffassung führt zu einer Schlüsselrolle der Propaganda – auch in der Jugendpolitik. Im ,Wörterbuch zur sozialistischen Jugendpolitik’ wird zur Propaganda formuliert: „Die Partei und Massenpropaganda verbreitet die Ideen des Marxismus-Leninismus und ist unlöslich mit der gesamten Tätigkeit der kommunistischen und Arbeiterparteien zur politisch-ideologischen Erziehung der Parteimitglieder und aller Werktätigen verbunden. Sie ist ein entscheidender Bestandteil der ideologischen Arbeit, die den Hauptinhalt der 206 Tätigkeit der marxistisch-leninistischen Partei darstellt.“
202 203 204 205
206
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Bessel/Jessen 1996, S. 7 f. Deutscher Bundestag 1998, S. 139. Deutscher Bundestag 1998, S. 194. Zum leninschen Ideologieverständnis vgl. Rehmann 2008, S. 57; Wimmer 1995, S. 585; Lieber 1985, S. 63 ff. und ganz grundsätzlich z. B. Lenin 1946. Autorenkollektiv 1975, S. 214.
Aussagen wie „Große Aufmerksamkeit widmet die SED der Propaganda unter der Jugend“207 machen deutlich, welcher Stellenwert der Vermittlung des SEDWeltbildes unter den Heranwachsenden beigemessen wird. Die Propagierung des Weltbildes umfasst laut dem Wörterbuch die folgenden Inhalte: x x x x x x
x x x x x x x x
Herausbildung des sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus, Herausbildung einer sozialistischen Einstellung zur Arbeit und zum gesellschaftlichen Eigentum, Herausbildung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung, Entlarvung der reaktionären und bürgerlichen Ideologie, Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins der Jugend, Befähigung, die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen, sachkundig an der Gestaltung der gesellschaftlichen Prozesse teilzunehmen und ihre schöpferische Initiative voll zu entfalten, Entwicklung der Liebe zur DDR als untrennbarem Bestandteil der sozialistischen Staatengemeinschaft, Entwicklung der festen Verbundenheit zur Sowjetunion, Förderung des Verständnisses für die allseitige ökonomische Integration, Vertiefung der Überzeugung von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, Erhöhung der Kenntnisse des revolutionären Weltprozesses, Befähigung der Jugend, sich konsequent mit Denk- und Verhaltensmustern auseinander zu setzen, die dem Sozialismus fremd sind, Erhöhung der Bereitschaft zur Verteidigung der DDR und der gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft und Erhöhung der sozialistischen Wehrmoral.208
Das ,Wörterbuch zur sozialistischen Jugendpolitik’ erscheint 1975. 14 Jahre später, im letzten Jahr des Bestehens der DDR, wird letztmalig das ,Kleine Politische Wörterbuch’ veröffentlicht, welches seit 1973 regelmäßig als politisches Nachschlagewerk neu aufgelegt wird. Ein Vergleich der beiden Wörterbücher hinsichtlich des Stichwortes Propaganda macht deutlich, dass die Formulierun-
207 208
Autorenkollektiv 1975, S. 214. Autorenkollektiv 1975, S. 214 f.
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gen und inhaltlichen Vorgaben in beiden Büchern nahezu identisch sind.209 Dies zeigt die Konstanz offizieller Darstellungen und belegt außerdem, dass in der Jugendpolitik dieselben allgemeinen inhaltlichen Vorgaben gelten wie in anderen Politikbereichen. Zur propagandistischen Arbeit unter den Jugendlichen tritt die Erziehung der Jugend nach den Vorstellungen der SED. Wie sich die Partei ihre künftigen Bürger vorstellt, formuliert sie in ihrem Programm: „Das Bildungswesen hat die Aufgabe, junge Menschen zu erziehen und auszubilden, die, mit solidem Wissen und Können ausgerüstet, zu schöpferischem Denken und selbstständigem Handeln befähigt sind, deren marxistisch-leninistisch fundiertes Weltbild die persönlichen Überzeugungen und Verhaltensweisen durchdringt, die als Patrioten ihres sozialistischen Vaterlandes und proletarische Internationalisten fühlen, denken und handeln.“210
Auch die Verfassung der DDR formuliert ein Menschenbild, in dem die eindeutige Parteinahme für den Sozialismus gefordert wird: „Die Deutsche Demokratische Republik sichert das Voranschreiten des Volkes zur sozialistischen Gemeinschaft allseitig gebildeter und harmonisch entwickelter Menschen, die vom Geist des sozialistischen Patriotismus durchdrungen sind und über eine hohe Allgemeinbildung und Spezialbildung verfügen.“211
Die Forderung der Verfassung nach Durchdrungenheit vom „Geist des sozialistischen Patriotismus“ verdeutlicht wie schon das Programm der SED, dass Erziehung in der DDR Erziehung zur Parteinahme für den Sozialismus ist. Schon die oben zitierten Ausführungen zur Propaganda unter Jugendlichen haben dies dokumentiert. Diese Bemühungen sind in der DDR offiziell als Erziehung zur sozialistischen Parteilichkeit. Parteilichkeit erfordere, „an alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens vom Standpunkt der Interessen der Arbeiterklasse“ heranzugehen.212 Aus Sicht der SED kann der Sozialismus nur positiv sein, denn hier regiert die Arbeiterklasse unter Führung der Partei und hat die Errichtung einer besseren Welt zum Ziel: „Zugleich bedeutet die Parteilichkeit der Arbeiterklasse Aufbewahrung all dessen, was die Menschheit an Vorwärtsweisendem, Bleibendem hervorgebracht hat.“213 „Die praktische Verwirklichung der Ideen von Marx, die Stärke des Sozialismus und die Politik der sozialistischen Länder sind heute das Rückgrat des weltweiten Kampfes um
209
210 211 212 213
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Vgl. das Stichwort Propaganda in Autorenkollektiv 1973 und Autorenkollektiv 1989. Gleiches gilt auch für die übrigen Auflagen, vgl. z. B. Autorenkollektiv 1983. Programm der SED von 1976, S. 83. Art. 25 (2) Verfassung der DDR von 1974. Autorenkollektiv 1988a, S. 739. Autorenkollektiv 1988a, S. 739.
den Frieden und um gesellschaftlichen Fortschritt. Gerade in unserer Zeit, da die menschliche Zivilisation durch die Hochrüstungspolitik des Imperialismus wie nie zuvor bedroht ist, da der Kapitalismus weniger denn je Auswege aus seinen Krisen findet, erweist sich der Sozialismus als die Gesellschaftsordnung, die imstande ist, grundlegende Fragen der Gesellschaft und des Menschen zu lösen.“214
Die Forderung nach einer Erziehung, in der die Schüler für den Sozialismus vereinnahmt werden sollen, ist logische Konsequenz eines solchen Denkens: „Die Erziehung zur sozialistischen Parteilichkeit im Denken und Handeln, zur Befähigung aller Werktätigen die Fragen unserer Zeit vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus richtig zu beurteilen und sich für den gesellschaftlichen Fortschritt einzusetzen, ist eine Hauptaufgabe der ideologischen Arbeit der marxistisch-leninistischen Partei.“215
In ihrer Studie untersuchen Gert Geißler und Ulrich Wiegmann das Verhältnis von Pädagogik und Herrschaft in der DDR und halten schon im Vorwort fest: „Institutionalisierte Erziehung wurde in den Dienst permanenter Herrschaftssicherung genommen.“216 Siegfried Baske drückt das so aus: „Die marxistisch-leninistische Bildungspolitik sollte in erster Linie oppositionelle und konkurrierende Strömungen ausschalten, den kontinuierlichen Aufbau der klassenlosen Gesellschaft voranbringen und die Heranbildung von Persönlichkeiten mit sozialistischem bzw. kommunistischem Bewußtsein und Verhalten gewährleisten. Analog hierzu war die marxistisch-leninistische Pädagogik keine Pädagogik, die vom Kinde ausging und seiner individuellen Entwicklung diente, sondern ihre vordringliche Bestimmung von den ideologisch vorgezeichneten Zielvorstellungen gesellschaftlicher Entwicklung erfuhr.“217
Ingrid Miethe führt als allgemeines Ziel des DDR-Bildungssystems an, „Herrschaftssicherung durch das Heranbilden einer systemloyalen Elite zu erreichen.“218 Gert Noack hält fest: „Standen am Anfang die Beseitigung der Hinterlassenschaften des NS-Regimes und die Realisierung jahrzehntelanger Forderungen der sozialistischen Arbeiterbewegung im Vordergrund, entstand im Rahmen eines Transformationsprozesses schon bald ein von diktatorischen Führungsansprüchen der SED geprägtes Bildungswesen. Mit der Bildungs- und Erziehungspolitik verband die SED sowohl das Ziel der Machtbewahrung als auch den Willen zur Gestaltung einer neuen sozialistischen Gesellschaft.“219
214 215 216 217 218 219
Thesen des Zentralkomitees der SED zum Karl-Marx-Jahr 1983, 1982, S. 756. Autorenkollektiv 1988a, S. 739. Vgl. Geißler/Wiegmann 1996, S. VII. Baske 1998, S. 16 f. Miethe 2007, S. 33. Noack 1997, S. 431.
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Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit’ kommt in ihrem Schlussbericht zu dem Ergebnis, dass „die SED ihre Herrschaft über die DDR-Gesellschaft auch mit Hilfe eines geschlossenen, alle Lebensbereiche der Jugendlichen, aber auch der Erwachsenen erfassenden Erziehungs-, Bildungs- und Schulungssystems durchzusetzen versuchte.“220 In offiziellen Verlautbarungen schlägt sich der Anspruch parteilicher Erziehung nieder, so auch in einer Rede Margot Honeckers, der Ministerin für Volksbildung.221 Die Rede wird im Jahre 1985 an der Parteihochschule der SED gehalten und ist wie folgt betitelt: „Die marxistisch-leninistische Schulpolitik unserer Partei und ihre Verwirklichung unter unseren heutigen gesellschaftlichen Bedingungen“.222 In ihr setzt sich die Ministerin explizit mit der Instrumentalisierung der DDR-Schule auseinander. Unter der Überschrift „Zur politisch-ideologischen Funktion unserer Schule“ stellt Margot Honecker zunächst heraus, dass die Schule prinzipiell die Aufgabe habe, „den jungen Menschen unsere Ideologie, die wissenschaftlich begründete Ideologie der Arbeiterklasse, zu vermitteln, die die höchsten Werte der Menschheit beinhaltet“.223 Unmissverständlich macht sie klar: „Die Bildung und Erziehung in unserer Schule ist voll und ganz an unserer Ideologie orientiert.“ 224 Danach geht sie ausführlich auf die Inhalte ein, die im Rahmen der politisch-erzieherischen Arbeit vermittelt werden sollen. Zusammenfassend stellt Margot Honecker zunächst fest, dass die Jugend Wissen darüber besitzen müsse, dass und warum x x x
die sozialistische Revolution unwiderruflich ihren Siegeszug angetreten hat, sich zwischen Imperialismus und Sozialismus ein harter und schärfer werdender Klassenkampf vollzieht, der Imperialismus, obwohl er noch starke Kräfte hat, letztlich historisch gesehen überlebt ist.225
Die drei Forderungen der Ministerin weisen alle in dieselbe Richtung: den angeblich unwiderruflichen Sieg des Sozialismus, die Notwendigkeit des Klassen220 221
222 223 224 225
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Deutscher Bundestag 1998, S. 138. Zum Einfluss Margot Honeckers im DDR-Bildungswesen vgl. z. B. Reuter/Scheunpflug 2006, S. 194 f. Vgl. Honecker 1985. Honecker 1985, S. 15. Honecker 1985, S. 15. Honecker 1985, S. 16.
kampfes zwischen Sozialismus und Imperialismus226 sowie den unzweifelhaften Niedergang des Imperialismus und damit in Richtung Legitimation des Sozialismus in Kontrast zu dessen Alternative. Im Folgenden führt die Ministerin eine Reihe von Inhalten an, die der Jugend in diesem Kontext zu vermitteln seien: x x
x
226
die Jugend klassenmäßig zu erziehen, als Grundlage heutiger Erziehungsarbeit, die Überzeugung, dass sich das Kräfteverhältnis in der Welt zugunsten des Sozialismus verändert und sich der Sozialismus zum bestimmenden Faktor entwickelt hat und weiter entwickelt, die Erziehung der Jugend im Geiste der unverbrüchlichen Freundschaft mit der Sowjetunion sowie die Überzeugung, dass der Bruderbund zwischen der DDR und der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) und die fester Verankerung der DDR in der Gemeinschaft so-
Zu den Begriffen Imperialismus und Kapitalismus: Unter Imperialismus wird das Streben politischer Mächte verstanden, über die eigenen Staatsgrenzen hinaus zu expandieren. Vornehmlich wird der Begriff zur Kennzeichnung der Politik der europäischen Kolonialmächte in den drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg benutzt. Nach Lenin aber ist der Imperialismus das letzte Stadium in der Entwicklung des Kapitalismus hin zu seinem unvermeidlichen Ende (zum Imperialismusbegriff vgl. Nohlen 2008, S. 217). Kapitalismus ist ein unpräziser Sammelbegriff. Der Begriff ist durch eine Reihe von Unschärfen gekennzeichnet. Vor allem bleibt offen, wie weitreichend er ist. Bezieht er sich lediglich auf das wirtschaftliche System oder bezieht er das politische und gesellschaftliche System mit ein? Der Begriff weist zudem Unschärfen hinsichtlich seiner zeitliche Reichweite und seiner Periodisierungen auf und enthält überdies weitere Unzulänglichkeiten. Konsensuale Merkmale des Kapitalismus sind die Steuerung durch Angebot und Nachfrage, das Privateigentum auch an Produktionsmitteln und die Gewinnmaximierung als Ziel und Motivation. Die Gegenüberstellung von Sozialismus und Kapitalismus ist unpräzise. Sozialismus bezeichnet einen Gesellschaftsentwurf, einschließlich eines Wirtschaftssystems, der Planwirtschaft. Bei einer Verwendung des Begriffs Kapitalismus als Gegenstück zum Sozialismus, etwa zur Charakterisierung der Bundesrepublik, würde der pluralistische, demokratische, rechtsstaatliche, sozialstaatliche und marktwirtschaftliche Charakter dieses Staates unter einem Begriff subsumiert, der dem Kapital die entscheidende Rolle zuschreibt. Dies ist pejorativ und greift zu kurz (zum Kapitalismusbegriff vgl. Andersen 2008, S. 254). Die Bezeichnung kapitalistisch und/oder imperialistisch für die modernen westlichen Demokratien, wird wegen der beschriebenen Unzulänglichkeiten abgelehnt. Wenn beide Begriffe in der vorliegenden Untersuchung dennoch verwendet werden, dann nur der begrifflichen Eindeutigkeit wegen, insofern sie in den Schulbüchern und Verlautbarungen der DDR Verwendung finden. Wenn also dort vom Kapitalismus bzw. Imperialismus die Rede ist, wird auch in dieser Untersuchung vom Kapitalismus bzw. Imperialismus gesprochen werden, um Missverständnissen vorzubeugen. Siehe auch die Ausführungen zur Darstellung des Kapitalismus bzw. Imperialismus in den Schulbüchern in 4.9.
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zialistischer Staaten die stabile Grundlage von Sicherheit und Erfolge ist, die tiefe Verwurzelung des proletarischen Internationalismus und der internationalen Solidarität mit allen um ihre Freiheit kämpfenden Völkern, die Vertiefung und Festigung der Liebe und des Stolzes der Kinder und Jugendlichen auf ihr Vaterland, die Ausstattung jeder Schülergeneration immer wieder und noch besser und solider mit dem nötigen Wissen über den Kampf der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, die tief in Herz und Verstand eingepflanzte Erkenntnis, dass im Herzen Europas ein sozialistischer Staat, ein wahrhaft humanistischer Staat, das wahre Vaterland der deutschen Jugend geschaffen wurde, die Erziehung zu guten Staatsbürgern, die in jeder Situation fest zu ihrem sozialistischen Vaterland stehen, die Erziehung künftiger Generationen zu aktiven Mitgestaltern, zu bewussten, klugen Fortsetzern des begonnenen Werkes, die Erziehung zur Liebe zum sozialistischen Vaterland, zur Treue zu seiner Verfassung, zum Verständnis der Rechte und Pflichten eines jeden Staatsbürgers, dazu, bereit zu sein, für das Gedeihen des sozialistischen Vaterlandes das Beste zu geben, den Sozialismus unter allen Bedingungen zu schützen und zu verteidigen als Sinn der Erziehung zum sozialistischen Patriotismus, der niemals vom proletarischen Internationalismus zu trennen ist, die Erkenntnis, dass der Sozialismus den Frieden wie der Friede einen starken Sozialismus braucht, einen Sozialismus, der sich zu verteidigen weiß, dabei die Notwendigkeit, permanent die Gefahren aufzuzeigen, die mit der Möglichkeit verbunden sind, dass es die Imperialisten wagen könnten, eine atomaren Krieg vom Zaune zu brechen, die Notwendigkeit zu Erklärung in diesem Kontext, dass der Konfrontationskurs der USA nicht irgendeine plötzliche, von irgendwelchen Personen abhängige Erscheinung ist, sondern dass dieser Kurs Ausdruck des harten Klassenkampfes, des sich verschärfenden Kampfes zwischen den beiden Weltsystemen und nicht zuletzt Ausdruck der tiefen Krise des Imperialismus ist, der Jugend mehr Wissen vermitteln, dass und warum der Imperialismus in der Krise steckt, das trotz Widersprüchen und Konkurrenz innerhalb des Imperialismus sich alle einig sind, wenn es gegen den Sozialismus
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geht und dass die Bourgeoisie den Sozialismus als ihren Hauptfeind sieht, was ganz normal ist, denn schließlich wird dieser den Imperialismus so lange bekämpfen, wie es ihn gibt und schließlich der Jugend den Blick dafür zu öffnen, dass auch in der Frage Krieg und Frieden ein klassenmäßiges Herangehen nötig ist, dass der Kampf um die friedliche Koexistenz Klassenkampf ist, ein harter politischer, ideologischer und wirtschaftlicher Kampf, in dem es darum geht, im Nebeneinander der bestehenden Weltsysteme unter Ausschluss eines die Existenz der Menschheit gefährdenden atomaren Krieges die Überlegenheit des Sozialismus weiter auszubauen. 227
In ihrer Quantität und Qualität belegen die Forderungen der Volksbildungsministerin die Exklusivität und Deutlichkeit des Herrschaftsanspruches der SED im Schulwesen. Sie spiegeln sich folglich auch auf der Ebene der Lehrpläne wider. Exemplarisch hierfür sei ein Gesamtlehrplanwerk von 1988 angeführt.228 Die Autoren benennen explizit neun ideologische Grundpositionen, die in der Schule zu vermitteln sind: x
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die Gesetzmäßigkeit des weltweiten Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, die geschichtliche Aufgabe und humanistische Verantwortung der Arbeiterklasse im Kampf gegen Imperialismus und Krieg, der Kampf um die Erhaltung des Friedens und die Existenz der Menschheit als neue Dimension der historischen Mission der Arbeiterklasse, die Möglichkeit der Erhaltung des Friedens durch die Stärkung des Sozialismus und das Zusammenwirken aller friedliebenden Kräfte auf der Welt, die DDR als sozialistisches Vaterland der Schüler, in dem die grundlegenden Menschenrechte, die Ideale des Humanismus und Fortschritts verwirklicht werden, die feste Freundschaft zur Sowjetunion und zu den anderen Ländern, die aktive antiimperialistische Solidarität, die Notwendigkeit und die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens aller Völker, die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer raschen Steigerung der Arbeitsproduktivität auf der Grundlage moderner Wissenschaft und Technik, die Einheit von wissenschaftlich-technischem, ökonomischem
Honecker 1985, S. 16–19. Autorenkollektiv 1988b.
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und sozialem Fortschritt in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft, die Arbeit als Grundbedingung allen menschlichen Lebens und der gesellschaftlichen Höherentwicklung, die Sicherung der politischen Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit allen anderen Klassen und Schichten der entwickelten sozialistischen Gesellschaft unter Führung der Partei der Arbeiterklasse und des gesamten Volkes als Grundbedingung für die Entfaltung der sozialistischen Demokratie und persönlicher Freiheit, als wesentliches Feld der Wahrnehmung persönlicher Verantwortung für das gesellschaftliche Ganze, die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik als Hauptkampffeld zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen und die Notwendigkeit des persönlichen Beitrags auf der Grundlage schöpferischer Arbeitsleistung und verantwortungsbewusster Pflichterfüllung und die Möglichkeit und Notwendigkeit, dass in der Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Erfordernissen und durch aktive Lebensgestaltung im Kollektiv der einzelne Sinnerfüllung finden und den Reichtum seiner Individualität ausprägen kann.229
Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ Die parteilichen Erziehungsambitionen der SED gerinnen in einem konkreten Erziehungsziel für das Bildungswesen: der ,sozialistischen Persönlichkeit’.230 In Artikel 25 der Verfassung der DDR wird folgendermaßen auf die ,sozialistische Persönlichkeit’ eingegangen: „Zur vollständigen Ausprägung der sozialistischen Persönlichkeit und zur wachsenden Befriedigung der kulturellen Interessen und Bedürfnisse wird die Teilnahme der Bürger am kulturellen Leben, an der Körperkultur und am Sport durch den Staat und die Gesellschaft gefördert.“ Vor allem das Jugendgesetz befasst sich ausführlich mit der ,sozialistischen Persönlichkeit’ und macht unmissverständlich deren Bedeutung klar. So wird die Verfolgung des Erziehungsziels als „Bestandteil der Staatspolitik der Deutschen Demokratischen Republik und der gesamten Tätigkeit der sozialistischen 229 230
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Autorenkollektiv 1988b, S. 58. Für einen Überblick über die historische Entwicklung dieses Erziehungsziels vgl. Kwiatkowski-Celofiga 2008, S. 11–21; vgl. auch Margedant 1995, S. 1500.
Staatsmacht.“231 bezeichnet. Funktionären aus Staat und Wirtschaft sowie Lehrern und Erziehern wird die Aufgabe zugeschrieben, die Jugendlichen vor allen Einflüssen zu schützen, die diesem Ziel im Wege stehen.232 § 1 des Jugendgesetzes gibt einen ersten Überblick über die Anforderungen an die ,sozialistische Persönlichkeit’: „Vorrangige Aufgabe bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft ist es, alle jungen Menschen zu Staatsbürgern zu erziehen, die den Ideen des Sozialismus treu ergeben sind, als Patrioten und Internationalisten denken und handeln, den Sozialismus stärken und gegen alle Feinde zuverlässig schützen. Die Jugend trägt selbst hohe Verantwortung für ihre Entwicklung zu sozialistischen Persönlichkeiten.“233
Auch in § 1 des Bildungsgesetzes der DDR wird das Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ benannt: „Das Ziel des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems ist eine hohe Bildung des ganzen Volkes, die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten, die bewußt das gesellschaftliche Leben gestalten, die Natur verändern und ein erfülltes, glückliches, menschenwürdiges Leben führen.“234
Durch seine Formulierung in den für das Bildungs- und damit Schulwesen relevanten Gesetzen erhält das Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ eine besondere Qualität als legislative Vorgabe, die sich dann erwartungsgemäß auch in Publikationen zum DDR-Bildungswesen wiederfindet. In einem 1989 von der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR herausgegebenen Buch zum Bildungswesen steht der gesamte Abschnitt „Ziele der Erziehung“235 unter dem Primat der ,sozialistischen Persönlichkeit’. Die Autoren stellen unter anderem heraus: „Ziel aller Einrichtungen des Bildungswesens ist eine hohe Bildung des ganzen Volkes, die Bildung und Erziehung allseitig und harmonisch entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten (...).“236 Die ,sozialistische Persönlichkeit’ ist das Leitbild im DDR-Bildungswesen. In diesem Punkt herrscht Übereinstimmung in der Literatur.237 231 232 233 234 235 236
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§ 2 (1) Jugendgesetz der DDR von 1974. § 6 (2) Jugendgesetz der DDR von 1974. § 1 (1) Jugendgesetz der DDR von 1974. § 1 (1) Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem. Vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (Hrsg.) 1989, S. 14–17. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften (Hrsg.) 1989, S. 14. Die Ausführungen sind gleichlautend mit dem Bildungsgesetz. In diesem Sinne äußern sich z. B. Reuter/Scheunpflug 2006, S. 76; Baske 1998, S. 16; Deja-Lohlöffel 1988, S. 42-45; Bunke 2005, S. 23 f., 31 ff.; Eppelmann u. a. (Hrsg.) 1996, S. 531; Helwig 1988, S. 9; Mählert 1997, S. 465.
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Ihre genauen Merkmale und Eigenschaften oder die Anforderungen an die ,sozialistische Persönlichkeit’ sind an verschiedenen Stellen formuliert. Aussagekräftig sind hier in erster Linie das Jugendgesetz und das Bildungsgesetz der DDR als maßgebliche legislative Grundlagen für die Jugend- und Bildungspolitik der SED.238 Am umfassendsten findet die ,sozialistische Persönlichkeit’ im Jugendgesetz Erwähnung. Dort befasst sich ein sieben Paragraphen umfassendes Kapitel im Gesetz ausschließlich mit der „Entwicklung der Jugend zu sozialistischen Persönlichkeiten“.239 In Absatz zwei des § 1 werden die Anforderungen an die ,sozialistische Persönlichkeit’ präzisiert. Aufgabe jedes „jungen Bürgers“ sei es demnach: x x x
x x x x
x
x
238
239
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auf sozialistische Art zu arbeiten, zu lernen und zu leben, selbstlos und beharrlich zum Wohle seines sozialistischen Vaterlandes zu handeln, den Freundschaftsbund mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Bruderländern zu stärken und für die allseitige Zusammenarbeit der sozialistischen Staatengemeinschaft zu wirken, die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse und die Errungenschaften des Sozialismus zu achten und zu verteidigen, sich für Frieden und Völkerfreundschaft einzusetzen und antiimperialistische Solidarität zu üben, sich durch sozialistische Arbeitseinstellung und solides Wissen und Können auszuzeichnen, sich den Marxismus-Leninismus, die wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse, anzueignen und sich offensiv mit der imperialistischen Ideologie auseinanderzusetzen, hohe moralische und kulturelle Werte sein eigen zu nennen und aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben, an der Leitung von Staat und Gesellschaft teilzunehmen, sich durch Eigenschaften wie Verantwortungsgefühl für sich und andere, Kollektivbewusstsein und Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit, Mut und Standhaftigkeit, Ausdauer und Disziplin, Achtung vor den Älteren, ihren Leistungen und
Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 1983, S. 19; Kohrs 1986, S. 46; Deja-Lohlöffel 1988, S. 42í45; Bunke 2005, S. 23 f., 31 ff.; Eppelmann u. a. (Hrsg.) 1996, S. 531; Helwig 1988, S. 9. Überschrift 1. Kapitel im Jugendgesetz der DDR von 1974.
x
Verdiensten sowie verantwortungsbewussten Verhalten zum anderen Geschlecht auszuzeichnen und sich gesund und leistungsfähig zu halten.240
In § 5 des Bildungsgesetzes werden die Eigenschaften der ,sozialistischen Persönlichkeit’ ausführlich so beschrieben: Die Schüler, Lehrlinge und Studenten seien x x x x
zur Liebe zur deutschen demokratischen Republik und zum Stolz auf die Errungenschaften des Sozialismus, im Geiste des Friedens und der Völkerfreundschaft, des sozialistischen Patriotismus und Internationalismus sowie zur Liebe, zur Arbeit, zur Achtung der Arbeit und der arbeitenden Menschen zu erziehen.
Außerdem sollten sie x x x
x
x
x
240
bereit sein, alle Kräfte der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, den sozialistischen Staat zu stärken und zu verteidigen, die Lehren aus der deutschen Geschichte, besonders der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, begreifen, gründliche Kenntnisse des Marxismus-Leninismus vermittelt bekommen, um die Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens zu erkennen, anzuwenden und zu verstehen und feste sozialistische Überzeugungen zu gewinnen, damit sie befähigt werden, den Sinn des Lebens zu begreifen, sozialistisch zu denken, zu fühlen und zu handeln, darauf vorbereitet werden, körperliche und geistige Arbeit zu leisten, sich im gesellschaftlichen Leben zu betätigen, Verantwortung zu übernehmen und sich im Leben zu bewähren, so ausgebildet und geformt werden, dass sie im Kollektiv und durch das Kollektiv zum bewussten staatsbürgerlichen und moralischen Verhalten erzogen werden, und verstehen lernen, dass Achtung gegenüber ihren Eltern und allen älteren Menschen sowie ehrliche und saubere Beziehungen zwischen den Ge-
§ 1 (2) Jugendgesetz der DDR von 1974.
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schlechtern Charaktereigenschaften der sozialistischen Persönlichkeit sind.241 Mit der Schaffung einer neuen Gesellschaft in der DDR wird nach marxistischleninistischer Vorstellung nicht automatisch auch ein neuer Mensch herausgebildet. Der Umgestaltung des menschlichen Bewusstseins kommt darum in der DDR eine große Bedeutung zu und mit ihr auch Erziehung, Bildung und Ausbildung. Mittels marxistisch-leninistischer Erziehung und Bildung strebt die SED nach Prägung eines neuen, sozialistisch denkenden und handelnden Menschen als Träger einer neuen und besseren Gesellschaft.242 Udo Margedant bezeichnet das die Ideologie der Arbeiterklasse beinhaltende Bewusstsein als Hauptmerkmal der ,sozialistischen Persönlichkeit’.243 Mit ihr sei die Erziehung in der DDR von einem Konzept bestimmt, „das eine ideologisch-legitimatorische Funktion hatte und eng mit dem Herrschaftsanspruch der SED verbunden war“.244 Dem Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ sind alle übrigen Erziehungs- und Bildungsziele untergeordnet.245 Es findet in allen maßgeblichen Gesetzen der DDR-Jugend- und Bildungspolitik Erwähnung, was seine übergeordnete und herausragende Bedeutung unterstreicht. Das Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ steht beispielhaft für die Instrumentalisierung des DDRSchulwesens. 3.3.3
Zusammenfassung: zur analytischen Basis
Der allgemeine Bestimmungsfaktor für die Instrumentalisierung der DDRSchulbücher ist die weitreichende Herrschaft der SED: Der repressive Charakter des SED-Regimes, seine Eingriffe weit in die Lebenswelten der DDR-Bürger hinein, sein umfassender Anspruch gesellschaftlicher Neugestaltung, das umfangreiche Netz struktureller Normierung und die Konsequenz, mit der die SED diesen Anspruch durchzusetzen versucht, indem sie ihre Bürger letztlich einsperrt, vermitteln Eindrücke von der Reichweite dieser Herrschaft. Der Verfügungsanspruch der SED erstreckt sich nicht allein auf den Staat, sondern ausdrücklich auch auf dessen Bürger. Dies wird am prinzipiellen Nichtvorhanden241 242 243 244 245
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§ 5 Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem von 1965. Vgl. Kohrs 1986, S. 7. Margedant 1999, S. 1501. Margedant 1999, S. 1503. Vgl. Reuter/Scheunpflug 2006, S. 76.
sein von Grenzen deutlich, wenn es um den Zugriff des SED-Staates auf diese Bürger geht. Das heißt nicht, dass die Partei allmächtig ist. Jedoch erhebt sie den Anspruch, dies zu sein, und kommt dem nicht selten nahe, wie die oben aufgeführten Beispiele zeigen. Wo Herrschaft so exklusiv und so weitreichend ist, kann sich insbesondere ein so öffentlicher Bereich wie das Schulwesen nicht entziehen. So resultiert hier das Bestreben der SED, alle Heranwachsenden zur Parteinahme für den Sozialismus zu erziehen. Offizielle Verlautbarungen weisen diesen Anspruch ohne Umschweife bis hinein in die Ebene der Lehrpläne aus. Das Erziehungsziel ,sozialistische Persönlichkeit’ steht beispielhaft dafür. Die angesprochenen Verlautbarungen geben auch einen ersten Eindruck von den Inhalten dieser Parteilichkeitserziehung: Gefordert wird regelmäßig eine parteiliche Haltung gegenüber der DDR, der Sowjetunion, der Arbeiterklasse, den sozialistischen Errungenschaften, dem Marxismus-Leninismus usw. Diese Vorstellung der SED von den zukünftigen DDR-Bürgern dokumentiert, dass Bildung und Erziehung in den Dienst der Partei gestellt werden, indem sie auf eine Weltsicht hinwirken sollen, in dem der Sozialismus unangefochten und allein gültig ist. Dass das Schulwesen von der SED zur Herrschaftssicherung instrumentalisiert wird, ist hier offenkundig. Es ist naheliegend, dass auch die Schulbücher als offizielle staatlich zugelassene Unterrichtsmittel den Herrschaftsanspruch der SED widerspiegeln. Damit werden die Schulbücher selbst zu Herrschaftssicherungsinstrumenten der Partei. An dieser schon in der weitreichenden SED-Herrschaft in Verbindung mit der Rolle von Schulbüchern als staatlich zugelassenen Unterrichtsmedien angelegten ganz grundsätzlichen Herrschaftssicherungsfunktion der Schulbücher setzt die Studie an: Schulbücher wirken, anders als andere Herrschaftssicherungsinstrumente der SED (wie z. B. das Ministerium für Staatssicherheit oder das Kader- und Nomenklatursystem) durch die von ihnen vermittelten Inhalte. Herrschaftssichernd für die SED können sie wirken, wenn sie Inhalte transportieren, die die Herrschaft der SED legitimieren. Mit den Worten Wolfgang Sanders ist das der Fall, wenn ein „bestehender gesellschaftlich-politischer Zustand (...) im Interesse der von ihm profitierenden Machtgruppen durch politische Erziehung legitimiert und vor Kritik geschützt [wird].“ Beispielhafte Instrumente hierfür seien „Diffamierung oppositioneller politischer Positionen, Verzerrung und Verfälschung historischer Prozesse und manipulative Festlegung der Lernenden auf vorgegebene weltanschauliche Sichtweisen“.246
246
Sander 2007, S. 15.
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Angesichts des Forschungsstandes ist schon an dieser Stelle offenkundig, dass die DDR-Schulbücher genau dies tun.247 Welche Schulbuchinhalte diese Kriterien der Herrschaftssicherung erfüllen und damit für die SED herrschaftssicherndes Potenzial aufweisen, die Gründe für eine solche Einstufung sowie die Rolle von Schulbüchern der verschiedenen Unterrichtsfächer hierbei sollen in der nachfolgenden Schulbuchanalyse in unmittelbarer Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsmaterial ermittelt, beschrieben und diskutiert werden. Der Begriff ,Potenzial’ soll in diesem Kontext darauf hinweisen, dass das tatsächliche Ausmaß an herrschaftssichernder Wirkung entsprechender Schulbuchinhalte unterschiedlich groß sein kann. Instrumentalisierte Schulbuchinhalte sind auf Herrschaftssicherung angelegt, d. h., sie verfolgen herrschaftssichernde Intentionen und weisen eben herrschaftssicherndes Potenzial auf. Sie haben allerdings nicht per se herrschaftssichernde Effekte. Letztere sind eine Frage der Wirksamkeit, die sich zunächst nicht unmittelbar aus den Schulbüchern ableiten lässt, sondern auf die sich bestenfalls und begrenzt schließen lässt. 3.4
Vorgehensweise
Zur Methode „Wenn man Schulbücher in den Prozeß von Forschung einstellt, erhalten sie Quellencharakter“248 – eine Tatsache, die die Lehrwerke für zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen relevant macht. Obwohl Schulbücher als Untersuchungsmaterial vor allem für die erziehungswissenschaftliche Forschung interessant zu sein scheinen, ist doch die überwiegende Anzahl dazu erschienener Literatur nicht von Pädagogen, sondern Vertretern anderer Wissenschaften verfasst. Bei der Schulbuchforschung handelt es sich um einen interdisziplinären Forschungsbereich. Interdisziplinär ist auch das zur Anwendung kommende Methodenrepertoire.249 Der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Untersuchung ist herausfordernd. Insbesondere ist die Frage, was eigentlich unter Instrumentalisierung der Schulbücher zu verstehen, d. h. wie dieses Konstrukt zu operationalisieren ist, nicht einfach zu beantworten. Die erste Herausforderung diesbezüglich liegt in der Tatsache begründet, dass es sich um eine politische Frage handelt, der un247 248 249
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Vgl. hierzu Kapitel 2.2. Jacobmeyer 1999, S. 774. Vgl. Pöggeler 2003, S 33 ff.
vermeidbar subjektive Züge anhaften. In jedem Fach, in jedem Schulbuch, bei jeder Schulbuchaussage wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob diese Aussage eine für ein bestimmtes Fach und Schulbuch notwendige ist oder eben als der SED dienlich instrumentalisiert gelten muss. Hier hängt letztlich alles von zugrunde liegenden Definitionen ab, die aber insbesondere in einem politischen Kontext nie den Anspruch absoluter Objektivität erheben können und damit stets diskussionswürdig bleiben.250 Neben dieser Definitionsproblematik und gleichsam mit dieser in Verbindung stehend, bezieht sich die zweite Herausforderung auf die Erfassbarkeit des Untersuchungsgegenstandes: Trotz der vorgenommen Eingrenzungen ist das Untersuchungsmaterial äußerst umfangreich. Schulbuchanalysen konzentrieren sich stets auf wenige Schulbücher oder auch ausgewählte Schwerpunktthemen innerhalb mehrerer Schulbücher, um die zugrunde liegende Textmenge untersuchbar zu halten.251 Eine weitere Eingrenzung der in dieser Studie zu untersuchenden Schulbücher liefe dem Erkenntnisinteresse zuwider, das in einer möglichst ganzheitlichen Betrachtung des POS-Schulbuchwerkes liegt. Gleiches gilt für eine Konzentration auf bestimmte Schwerpunktthemen: Nicht etwa die Darstellung beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland in den DDR-Schulbüchern soll untersucht werden, sondern die Instrumentalisierung der Lehrwerke. Von der Instrumentalisierung können grundsätzlich alle Schulbuchthemen betroffen sein, sodass die Schulbücher dahingehend vollständig zu untersuchen sind. Neben den Schulbuchtexten schließt dies auch Abbildungen, Fotos und Übungsaufgaben ein. In einem ersten Ansatz wurde versucht, anhand von Stichproben des Untersuchungsmaterials ein inhaltsanalytisches Kategoriensystem zu entwickeln, auf dessen Grundlage jede einzelne instrumentalisierte Schulbuchaussage in Text oder Bildform lückenlos erfasst (quantifi250
251
Beispielhaft für die Schwierigkeit, insbesondere bei politischen Fragestellungen zu allgemein akzeptierten Ergebnissen zu kommen, sei auf die Diskussionen um den Ideologieoder Totalitarismusbegriff verwiesen sowie auf das grundsätzliche Problem ,wahrer’ oder ,tatsächlich objektiver’ Erkenntnis. Schon 1954 formuliert Eduard Spranger trefflich: „Nichts steht so fest wie die Wirklichkeit. Dieser Satz läßt sich nach den neuesten Resultaten von Physik und Biologie, Soziologie und Philosophie nicht mehr aufrechterhalten. Wir sind überall immer nur auf der Jagd nach dem Realen. Wir besitzen nicht die eine identische Wirklichkeit, sondern immer nur eine interpretierte Wirklichkeit. Jede Interpretation der Realität aber erfolgt von einer bestimmten Perspektive aus. Der Physiker z. B. sieht die Natur von vornherein nur so, wie sich ‚technisierbar’ ist. In das Schema der geistig-gesellschaftlichen Wirklichkeit ist immer schon etwas von dem hineingemischt, was man von ihr will und mit ihr will. (...) Zunächst lebt jedes Wesen in seiner eigentümlichen Wirklichkeit und eigentlich liegt jedem konkreten Weltbilde schon Ideologiehaftes zugrunde“ (S. 14). Für einen Überblick über die Totalitarismusdiskussion vgl. z. B. Jesse (Hrsg.) 1999; für die Ideologiediskussion vgl. z. B. Barion 1974, Lenk 1984, Lieber 1985, Boudon 1988, Eagleton 2000. Siehe hierzu die Ausführungen zum Forschungsstand in Kapitel 2.2.
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ziert) werden kann. Hier zeigte sich schon nach kurzer Zeit, dass die Instrumentalisierung eine Vielzahl von Themenbereichen und eine noch größere Zahl von Spielarten umfasst. Entsprechende Kategoriensysteme waren darum schnell auf weit über einhundert Kategorien angewachsen, ohne dass sich ein Ende abgezeichnet hätte – ein für eine Einzelperson kaum zu handhabendes, da schon bald nicht mehr zu überschauendes Analyseinstrument. Grund hierfür ist der Untersuchungsgegenstand selbst: Die SED definiert eine umfassendes Weltbild, welches Grundlage der Schulbuchinstrumentalisierung ist und, das zeigte die eben geschilderte Erfahrung, für den einzelnen Forscher nicht vollständig zu definieren und erfassen ist.252 Aus den geschilderten beiden Herausforderungen ergeben sich Konsequenzen für das methodische Vorgehen: Zunächst steht die Erkenntnis, dass eine Vorabdefinition der Schulbuchinstrumentalisierung eine Einschränkung bedeuten würde, die angesichts des politischen Charakters des Untersuchungsgegens252
78
Der Marxismus-Leninismus zum Beispiel ist das theoretische Fundament des SEDWeltbildes. Er bildet es jedoch nicht allein. Antifaschismus und Bindung an die Sowjetunion beispielsweise sind zwar aus dem Marxismus-Leninismus ableitbar aber doch eher ganz pragmatische alltägliche Auswirkungen einer von der SED gestalteten Weltsicht. Die Lehren des Marxismus-Leninismus sind also nicht der einzige Inhalt des SED-Weltbildes, doch schon sie sind unüberschaubar: Der Marxismus-Leninismus ist nicht nur eine Theorie, in ihm ist eine Fülle von Theorien vereint, die sich „ganz wörtlich genommen mit Gott und der Welt, dem Gestern, Heute und Morgen“ (Löw 1995, S. 1406) befassen. Als Großideologie des zwanzigsten Jahrhunderts ist er über einhundertfünfzig Jahre alt (vgl. z. B. Bochenski 1974, S. 30). Er ist zeitweise die herrschende Weltanschauung für ein Drittel der Welt, zu dieser Zeit leben eine Milliarde Menschen nach seiner Maxime (vgl. Bochenski 1974, S. 11). Der Marxismus-Leninismus erfährt verschiedene Phasen der Prägung, wird entwickelt und verändert. In ihm werden Aussagen für nahezu alle Bereiche des menschlichen Miteinanders getroffen. Der Marxismus-Leninismus „ist unvergleichbar mehr als eine bloße soziale Lehre von der Gemeinsamkeit der Güter: Er ist eine Metaphysik, er ist eine Nationalökonomie, eine politische Lehre, eine Strategie usw.“ (Bochenski 1974, S. 15). Den umfassenden Anspruch des Marxismus-Leninismus macht auch Karl Graf Ballestrem deutlich: „Große Institute an Akademien und Universitäten, an denen jeweils hunderte von Philosophen den dialektischen und historischen Materialismus erforschten; Pflichtkurse an allen Schulen und Hochschulen; Werke der ‚Klassiker’ und Schulbücher, die in riesigen Auflagen vertrieben wurden“ (Ballestrem 1999, S. 243). Alleine die Werke von Marx und Engels umfassen mehr als 40 Bände, die Karl-MarxBibliothek in Trier enthält mehr als 40.000 Untersuchungen des Marxismus-Leninismus sowie Darstellungen Marx’ und Engels Wirkens (vgl. Wisniewski 1995, S. 2068). Seine in diesem Sinne enormen Ausmaße machen den Marxismus-Leninismus zu einem Theoriegebäude, dessen vollständige Kenntnis keine Person für sich beanspruchen kann: „Und es sieht so aus, als ob es für einen Forscher kaum noch möglich wäre, die gesamte kommunistische Philosophie darzustellen: Sie ist zu umfangreich geworden“ (Bochenski 1974, S. 12). Der Marxismus-Leninismus ist nichts anderes als ein Oberbegriff für ein Weltbild im reinsten Wortsinne, ein Sammelbegriff für eine unüberschaubare Zahl an Lehren und Theorien.
tandes und der daraus resultierenden Subjektivität nicht mehr sein kann als die Entscheidung für eine bestimmte Sichtweise ohne konsensbasierte Verbindlichkeit – dies ist nicht erkenntnisfördernd. Darum wird in der vorliegenden Untersuchung von einer solchen Definition abgesehen und der Untersuchungsgegenstand mit ,Instrumentalisierung der Schulbücher’ bewusst allgemein und neutral formuliert.253 Des Weiteren wird von quantitativen Untersuchungsmethoden, wie etwa Inhaltsanalysen, Abstand genommen: Gerade Inhaltsanalysen benötigen Definitionen, da geklärt sein muss, was sie messen sollen.254 Um die Instrumentalisierung der DDR-Schulbücher inhaltsanalytisch zu untersuchen, müsste folglich definiert sein, was sich dahinter verbirgt. Dies zu ermitteln, ist jedoch ein Anliegen der Studie. Auf Kategoriensystemen basierende Methoden wurden auch darum ausgeschlossen, weil der Untersuchungsgegenstand wie eben beschrieben zu einer Überdimensionierung solcher Analyseinstrumente führen würde. Angesichts der geschilderten Herausforderungen bedarf es also einer Untersuchungsmethode, die ein offenes Herangehen an das Untersuchungsmaterial ermöglicht und damit, freilich einem konkreten Erkenntnisinteresse untergeordnet und basierend auf einer analytischen Basis, ein Herantasten an den schwierigen Untersuchungsgegenstand zulässt. Die deskriptiv-hermeneutische Methode ist davon gekennzeichnet, dass sich der Forscher „beim geistigen Nachvollzug der Darstellung mit größtmöglicher Offenheit in der Fragehaltung vom Material selbst ansprechen“ lässt.255 Ausgehend von einem Forschungsanliegen werden am Text Eindrücke und Beobachtungen gesammelt, erste Vorstellungen entwickelt und diese nach und nach vervollständigt und ggf. korrigiert. Deskriptiv-hermeneutisches Arbeiten stellt sich als Wechselspiel von Tatsachenfeststellung und Interpretation, Hypothese und Bestätigung dar, durch das ein zunehmend deutlicheres Bild vom Untersuchungsgegenstand gezeichnet wird.256 Die Darstellungen der Schulbücher können verstehend nachvollzogen werden, indem Zitate präsentiert und dann besprochen werden, um tiefere Strukturen, Normen und Intentionen sichtbar zu machen.257 Analysen erfolgen hier im hermeneutischen Zirkel, wonach das erste Grundverständnis des Textes den Hintergrund für Feinanalysen einzelner Passagen liefert und das so an Textteilen erzielte Verständnis auf den Gesamttext angewendet wird. Wiederholtes Lesen und Analysieren von Teilen und Ganzem tragen zur
253 254 255 256 257
Sie hierzu die Erläuterungen in 3.3.3. Vgl. Früh 2004, S. 80–95. Marienfeld/Overesch 1986, S. 16. Vgl. Thimme 1996, S. 88. Vgl. Fiedler 2002, S. 21.
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schrittweisen Verbesserung des Textes bei.258 Die deskriptiv-hermeneutische Herangehensweise ermöglicht damit das oben geforderte offene Herantasten an den Untersuchungsgegenstand.259 Die deskriptiv-hermeneutischen Methode ist eine traditionelle Methode der Geistes- und Sozialwissenschaften.260 Sie ist das bei Schulbuchanalysen am häufigsten verwendete Untersuchungsverfahren.261 Die Kritik an dieser Methode konzentriert sich auf die Gewährleistung wissenschaftlicher Gütekriterien, vor allem die Intersubjektivität. Besonders bei Gruppenanalysen, also Analysen mehrerer Schulbücher wie im Falle der vorliegenden Untersuchung, besteht bei Anwendung der deskriptiv-hermeneutischen Methode die Gefahr mangelnder Intersubjektivität, da allgemeine Aussagen für mehrere Bücher zusammengefasst werden und Einzelüberprüfungen dieser Aussagen erheblich erschwert sind.262 Anders formuliert: Deskriptiv-hermeneutische Verfahrensweisen weisen einen defizitären Charakter auf, weil die ihnen eigene prinzipielle Offenheit des Untersuchungsgangs und die Unvollständigkeit in der Erfassung aller Schulbuchinhalte und aller denkbarer Analysekriterien dazu führen können, dass es keine Gewähr gibt, dass ein anderer Autor mit gleicher Fragestellung und gleichen Quellen zum gleichen Ergebnis kommt.263 Wie eben ausgeführt, ist es jedoch illusorisch, den Untersuchungsgegenstand und alle denkbaren Analysekriterien vollständig erfassen zu wollen. Dieser Nachteil deskriptiv-hermeneutischen Vorgehens stellt vielmehr den zentralen Vorteil für diese Studie dar, weil der Untersuchungsgegenstand so überhaupt erst handhabbar wird. Dies wird allerdings mit Nachteilen hinsichtlich der Gütekriterien erkauft, genauer: Ein gewisser Interpretationsspielraum kann zwar reduziert werden, ist aber nicht gänzlich zu eliminieren.264 Die Standortgebundenheit der Analyse Das Problem der Standpunktabhängigkeit der Beobachtung ist in jedem Forschungsvorhaben gegeben. Im Kontext der hier vorliegenden Untersuchung ist es vor allem der Totalitarismusbegriff, der jeweils standpunktabhängig different 258 259 260 261 262 263 264
80
Vgl. Bortz/Döring 2006, S. 303; Weinbrenner 1995, S. 39. Zu dieser Stärker qualitativer Analyse vgl. auch Mayring 2003, S. 20–23. Vgl. Borz/Döring 2006, S. 303. Vgl. Fiedler 2002, S. 21; Thimme 1996, S. 88. Vgl. Meyers 1983, S. 60 f. Vgl. Koppetsch 1993, S. 43. Vgl. Fiedler 2002, S. 21.
diskutiert wird; diese Diskussionen haben bis heute zu keinem konsensfähigen Ergebnis geführt.265 Ähnlich ist es in der Ideologieforschung: Seit der Begründung dieses Wissenschaftszweiges durch Antoine Louis Claude Destutt de Tracy sind mehr als 200 Jahre vergangen.266 Es hat zahlreiche Versuche gegeben, den Ideologiebegriff zu definieren; dabei haben sich weitreichende Bedeutungsverschiebungen ergeben.267 Die Ideologieforschung steht beispielhaft für die Suche nach ,wahrer’ oder ,objektiver’ Erkenntnis und gleichzeitig für die Erfahrung, dass dieser allgemeingültige Standpunkt nicht einfach bezogen werden kann. Dieter Krause sieht im Ideal der ,reinen Erkenntnis’ das verbindende Interesse hinter den Versuchen der Begriffsbestimmung von Ideologie. Eine wahre Aussage könne nicht ideologisch sein, denn sie sei ja wahr bzw. objektiv.268 Objektivität bzw. Wahrheit sind jedoch nur als Ideale zu beschreiben und eine objektiv wahre Aussage bleibt somit ein Konstrukt.269 Herbert R. Ganslandt merkt an, dass der Ideologiebegriff benutzt würde, um Theorien als absichtliche oder unabsichtliche Täuschung zu kritisieren, weil sie den Kriterien eines Wahrheitsbegriffs nicht genügten, der vom eigenen Standpunkt abhänge.270 Auch Theodor Geiger – der den Begriff der ,Wirklichkeit’ verwendet – sieht diese Problematik: ,Seit Napoleon I. sich über die ›Ideologen‹ Destutt de Tracy und seine Anhänger, lustig gemacht hat, haftet der Gegensatz zur ›Wirklichkeit‹ dem Begriff der Ideologie an. Ideologien sind Gedanken oder Gedankenreihen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen. Soweit herrscht in der Tat ziemlich Übereinstimmung. Schade nur, daß man sich über die Wirklichkeit selbst und über das angemessene Verhältnis des Denkens zu ihr nicht einigen kann.’271
Geiger kommt darum zu dem Schluss, dass man das Verhältnis zur Wirklichkeit nicht zum Definitionskriterium einer Ideologie machen könne, da der Wirklichkeitsbegriff selbst zu sehr umstritten sei, ,als daß die Ideologie durch ihre ›Abweichung von der Wirklichkeit‹ zureichend bestimmt sein könnte.’272 Den Wirklichkeitsbegriff stellt auch Eduard Spranger in Frage: ,Nichts steht so fest wie die Wirklichkeit. Dieser Satz läßt sich nach den neuesten Resultaten von Physik und Biologie, Soziologie und Philosophie nicht mehr aufrechterhalten. Wir 265 266 267
268 269 270 271 272
Für einen Überblick über die Totalitarismusdiskussion vgl. z. B. Jesse (Hrsg.) 1999. Vgl. Dierse 1976, S. 158. Für die Ideologiediskussion vgl. z. B. Barion 1974, Lenk 1984, Lieber 1985, Boudon 1988, Eagleton 2000. Vgl. Krause 1971, S. 526. Vgl. Kolakowski 1957, S. 363. Vgl. Ganslandt 1995, S. 194. Geiger 1949, S. 171 f. Geiger 1953, S. 6
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sind überall immer nur auf der Jagd nach dem Realen. Wir besitzen nicht die eine identische Wirklichkeit, sondern immer nur eine interpretierte Wirklichkeit. Jede Interpretation der Realität aber erfolgt von einer bestimmten Perspektive aus. Der Physiker z. B. sieht die Natur von vornherein nur so, wie sich ›technisierbar‹ ist. In das Schema der geistiggesellschaftlichen Wirklichkeit ist immer schon etwas von dem hineingemischt, was man von ihr will und mit ihr will. (...) Zunächst lebt jedes Wesen in seiner eigentümlichen Wirklichkeit und eigentlich liegt jedem konkreten Weltbilde schon Ideologiehaftes zugrunde.’273
Das Streben nach Wahrheit bzw. nach dem Erkennen der Wirklichkeit muss unverändert im Fokus menschlichen Bemühens nach Erkenntnis stehen. Auch soll die nach (heutigen) wissenschaftlichen Kriterien erlangte Erkenntnis bis zur ihrer Falsifikation als wahr gelten dürfen, doch damit muss man sich meines Erachtens begnügen. Der Begriff der ,Wahrheit’ oder ,Objektivität’ ist hinreichend fassbar, um Unwahrheit zum Merkmal von Ideologien zu machen. Diese bleiben ein Ideal, dass es anzustreben gilt. Jeder Mensch denkt und handelt abhängig von verschiedenen Faktoren, wie etwa seiner Herkunft, seinem Alter, seinem Wissen usw. Voraussetzungsloses Denken kann es darum ebenso wenig geben wie absolute Objektivität – alle Individuen bewegen sich auf Grundlage bestimmter Annahmen und Überzeugungen.274 Damit läuft jedes Denken Gefahr, intersubjektiv nicht nachvollziehbare Wertungen zu enthalten. Wissenschaftler, die sich dem Objektivitätsideal in besonderer Weise verpflichtet sehen, sollten sich darum stets auch der Grenzen ihrer Erkenntnisbemühungen und der Falsifizierbarkeit ihrer Befunde bewusst sein.275 Die vorliegende Schulbuchuntersuchung steht explizit in einem politischen Kontext und hat zudem Berührungspunkte mit der Totalitarismus- und Ideologieforschung. Ein politisches Vorverständnis des Verfassers ist daher unvermeidbar. Dieses Vorverständnis resultiert einerseits aus den umfangreichen Befunden der DDR-Forschung im Allgemeinen und der DDR-Bildungsforschung, die von der Instrumentalisierung sowohl des DDR-Schulwesens als auch der DDRSchulbücher ausgeht, im Besonderen.276 Es folgt andererseits aus der oben her273 274 275
276
82
Spranger 1954, S. 14 Vgl. Boudon 1988, S. 9–14. Zur Diskussion um die Objektivität bzw. Ideologiehaftigkeit der Wissenschaft vgl. z. B. Plamenatz 1972, S. 27 ff. Kolakowski kommt zu dem Ergebnis, dass völlige Objektivität, insbesondere in den Geisteswissenschaften, nicht erreichbar sei, da Erkenntnis durch Grenzen eingeengt würde, die dem Menschen als biologischem Wesen gesetzt seien und durch Grenzen, die in den besonderen sozialen Bedingungen der Erkenntnis selbst begründet lägen (vgl. Kolakowski 1957, S. 363). Vgl. hierzu die Ausführungen zum Forschungsstand in Kapitel 2. In umfassender und zugleich komprimierter Weise wird der Forschungsstand zur DDR in Eppelmann/Faulenbach/Mählert (Hrsg.) 2003 wiedergegeben.
ausgearbeiteten analytischen Basis, wonach sich die Instrumentalisierung von Schulbüchern in der Legitimierung eines bestehenden gesellschaftlichpolitischen Zustandes im Interesse der von diesem Zustand profitierenden Machtgruppen zeigt. Die aus dem Objektivitätsideal resultierende Forderung besteht darin, den manipulierenden Einfluss des Vorverständnis auf die Untersuchungsergebnisse so weit wie möglich auszuschalten. Das Offenlegen des Vorverständnisses ist der erste Schritt hierzu, ein reflektierter und kritischer Umgang mit der deskriptiv-hermeneutischen Methode der zweite. So operationalisiert Werner Früh den hermeneutischen Zirkel für die Interpretation von Texten folgendermaßen: Ein erster Eindruck bzw. ein erstes Vorverständnis wird durch bestätigende Aussagen gestärkt oder durch divergierende Aussagen revidiert. Die Stichhaltigkeit der Interpretation ist diskursiv zu begründen. Hermeneutische Textinterpretation soll demnach die Textrezeption dokumentieren und damit intersubjektiv zugänglich machen. Beschreibung, Interpretation und Wertung seien dabei miteinander verschränkt, weil sich eines aus dem anderen ergebe.277 Der Forscher mag das Untersuchungsmaterial zwar anhand eines bestimmten Vorverständnisses bearbeiten, dieses wird aber am Text kontinuierlich weiterentwickelt, justiert und korrigiert, sodass der Forscher zu einer differenzierten Aussage gelangt. Außerdem wird, wenn die Interpretationsweise des Forschers offengelegt wird, Transparenz bezüglich des Entstehens der Befunde geschaffen. Jeder Leser kann somit nachvollziehen, wie die Untersuchungsergebnisse zustande kommen, und sie entsprechend einordnen, anerkennen oder ablehnen. Vorgehen Insbesondere bei der Analyse eines ganzen Schulbuchkorpus existiert bei Anwendung der deskriptiv-hermeneutischen Methode die Gefahr, Aussagen, die sich auf einzelne Bücher beziehen, zu verallgemeinern, sodass die Überprüfung einzelner Aussagen erschwert wird und die Interpretationsspielräume zunehmen. Diese Gefahr besteht vor allem im ersten Teil der Schulbuchanalyse, deren Ergebnisse im vierten Kapitel dargestellt sind. Die Schulbücher wurden in mehreren Durchgängen im hermeneutischen Zirkel auf Aussagen hin untersucht, die das Analysekriterium erfüllen. Im Verlauf des ersten Durchgangs wurden die Textaussagen gesammelt und schrittweise zu Kategorien zusammengefasst.
277
Vgl. Früh 2004, S. 48 f.
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Diese Kategorien ihrerseits wurden zu übergeordneten Themenkomplexen verdichtet. Einem Trichter gleich erfolgte also in mehreren Schritten die Aggregation einzelner Schulbuchaussagen zu Themenbereichen, die einen gemeinsamen Aussagezusammenhang haben, aber voneinander abgrenzbar sind. Trotz der daraus resultierenden Verallgemeinerung, mit der sich die Interpretationsspielräumen vergrößern, erfolgt die Analyse unterrichtsfächer- bzw. klassenstufenübergreifend, um ein ganzheitliche Bild der Instrumentalisierung der Schulbücher generieren zu können.278 Die Übereinstimmung der ermittelten Themen mit dem Analysekriterium wird im Rahmen ihrer Deskription im vierten Kapitel diskutiert. Dort geht es vor allem darum, unmittelbar in der Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsmaterial zu präzisieren, d. h. zu ermitteln, zu beschreiben und zu diskutieren, was unter Schulbuchinstrumentalisierung in der DDR zu verstehen ist. Die erste Schulbuchanalyse zeigte eine ausgeprägte Determiniertheit der Instrumentalisierung von der Art des vermittelten Stoffes. Die Art des Stoffes wird maßgeblich vom Unterrichtsfach bestimmt. Solche Unterschiede würden im Zuge einer ausschließlich klassenstufen- und unterrichtsfächerübergreifenden Analyse verwischt werden. Um der Gefahr unscharfer Untersuchungsergebnisse zu begegnen, erfolgte ein zweiter und dritter Analyseschritt zur Präzisierung der Befunde aus der Perspektive der einzelnen Unterrichtsfächer. Nachdem die Identifikation, Deskription und Diskussion von Schulbuchaussagen mit instrumentellem Charakter bereits im Zuge der ersten Analyse ausführlich erfolgten und das Konstrukt der ,Schulbuchinstrumentalisierung’ somit operationalisiert ist, geht es in den folgenden Analysen um die Deskription von Unterschieden zwischen den Unterrichtsfächern hinsichtlich ihrer instrumentellen Potenziale. Dabei sollen Erkenntnisse über die Art und Weise gewonnen werden, mit der die verschiedenen Fächer zur Instrumentalisierung des Schulwesens beitragen und in welchem Umfang sie dies tun. Auf klassenstufenbedingte Unterschiede wird dabei ebenfalls eingegangen. Die gesonderte Analyse der Geschichts- und Staatsbürgerkundeschulbücher ist der Tatsache geschuldet, dass sich diese Schulbücher nach Umfang, Art und Weise ihrer Instrumentalisierung von den übrigen Büchern unterscheiden; sie dienen in einem besonderen Maß der Sicherung der Herrschaft der SED. Ausführliche Schulbuchzitate nehmen eine wichtige Rolle im Rahmen der Schulbuchanalyse ein. Einerseits dokumentieren sie die Instrumentalisierung der Schulbücher in der für die SED typischen Diktion in einer Weise, die durch eine Beschreibung verloren ginge. Der häufige Rückgriff auf Quellenzitate dient der 278
84
Vgl. hierzu die Ausführungen zum Erkenntnisinteresse in Kapitel 3.2.
Illustration der Befunde, aber auch ihrem besseren Verständnis – implizite Konnotationen, latente Urteile oder versteckte Wertungen sind oftmals nur im Wortlaut angemessen wiederzugeben.279 Andererseits soll die Präsentation von Originalzitaten die gebotene Transparenz schaffen, indem der direkte Zusammenhang zwischen Quelle und Analyse hergestellt und damit intersubjektiv nachvollziehbar gemacht wird. Zur Ergänzung und Veranschaulichung der Zitate dienen Abbildungen aus den Schulbüchern.
279
Vgl. Koppetsch 1993, S. 42.
85
4
Schulbuchanalyse Teil I: Klassen- und unterrichtsfächerübergreifende Themen der Schulbuchinstrumentalisierung
4.1
Partei und Arbeiterklasse
Im Geographieschulbuch der Klasse fünf wird Berlin behandelt. Dabei fällt folgende Aussage: „Die Stadt ist das politische Zentrum unserer Republik. Hier haben das Zen-tralkomitee der SED, die Vorstände der anderen Blockparteien sowie die Massenorganisationen ihren Sitz.“280 Das Zentralkomitee findet auch andernorts Erwähnung, zum Beispiel im Heimatkundeschulbuch der Klasse vier: „Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands leitet die gesamte Tätigkeit der Partei auf der Grundlage der Beschlüsse der Parteitage.“281 Das ZK der SED ist Organ einer politischen Partei und hinsichtlich seiner politischen Determiniertheit nicht grundsätzlich unabhängig wie etwa der Bundestag. Der Bundestag ist zunächst an keinen Träger von Macht gebunden, er ist eine staatliche Institution und insofern politisch unabhängig, als seine Zusammensetzung und politische Orientierung regelmäßig durch Wahlen neu definiert wird. Die zitierten Schulbuchaussagen sind darum nicht vergleichbar mit einer möglichen Äußerung eines beispielsweise bundesdeutschen Schulbuches zum Bundestag. Sie verdeutlichen vielmehr die Verflechtung von Alltag und SED in den Schulbüchern. Diese Aufgabe wird im Mathematikschulbuch der Klasse vier gestellt: „Lies die folgenden Bezeichnungen! X. Parteitag der SED“.282 Ein gänzlich unpolitisches Thema (das Üben römischer Zahlen) wird hier benutzt, um der SED Präsenz zu verleihen. Im Muttersprachschulbuch der Klasse vier werden Wörter mit dem Buchstaben ,t’ behandelt. Ein Beispiel ist ,die Partei’. Dazu werden Aufgaben formuliert, in denen die Schüler die folgenden Worte abschreiben und sich einprägen sollen: „die Partei der Arbeiterklasse, die sozialistische Einheitspartei, parteilich, die Parteien“ oder in denen sie das Wort ,Partei’ 280 281 282
Geographie Klasse 5 1990, S. 73. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 33 f. Mathematik Klasse 4 1986, S. 38.
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
in allen Beispielen unterstreichen sollen.283 Fünf Klassenstufen weiter werden die kurz vor dem Schulabschluss stehenden Fünfzehn- bzw. Sechzehnjährigen auf das Schreiben von Bewerbungen und Lebensläufen vorbereitet: „Am 15. November 19.. wurde ich, Alexander Hauschild, als 2. Kind meiner Eltern in Leipzig geboren. Meine Mutter, Siegrid H. geb. Maisch, ist gelernte Schneiderin und seit 19.. als Näherin im VEB Vestis tätig. Mein Vater, Klaus-Dieter Hauschild, ist Wartungsmechaniker bei der Reichsbahn-Direktion Halle. Er ist Mitglied der SED.“284
Die Frage, welche Rolle die Parteimitgliedschaft der Eltern im Bewerbungsverfahren spielt, drängt sich geradezu auf. Wie auch immer sie zu beantworten ist, das Schulbuch demonstriert in der Tatsache, dass sie in diesem Kontext erwähnt wird, mindestens die Relevanz der Parteizugehörigkeit. Auch in diesen Schulbuchaussagen geht es um kommunistische Parteien: „1847 wurde in London die erste Arbeiterpartei gegründet. Sie nannte sich ‚Bund der Kommunisten’.“285 „Unter dem Einfluß der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus entwickelte sich der Bund der Gerechten zum Bund der Kommunisten, zur ersten revolutionären Partei des Proletariats.“286 „1093 [Druckfehler, gemeint ist 1903 – L. K.] entstand auf dem II. Parteitag unter Führung Lenins aus der bereits 1898 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands eine revolutionäre marxistische Partei, die Partei der Bolschewiki.“287 „Im Jahre 1946 hatte eine Parteigruppe in der Niederlausitz einen jungen Genossen, der der Partei erst ein halbes Jahr angehörte, mit der Funktion eines Amtsvorstehers für sieben kleine Dorfgemeinden betraut.“288 „Seine deutsche Fassung erhielt das Lied durch den Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands Edwin Hoernle.“289
Sind die eingangs aufgeführten Zitate eher Beispiele für beiläufige Erwähnungen kommunistischer Parteien, befassen sich die letzten Schulbuchaussagen gezielt mit deren Geschichte. Näher auf die SED wird hier eingegangen: „(...) die Entwicklung der Kraftwerkskapazitäten und das Wachstum des Industriezweiges Elektrotechnik/Elektronik [findet] in der Wirtschaftspolitik von Partei und Regierung in unserem Lande eine umfassende Beachtung.“290
283 284 285 286 287 288 289 290
88
Muttersprache Klasse 4 1989, S. 150. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 49. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 53. Geschichte Klasse 7 1990, S. 274. Geschichte Klasse 8 1988, S. 182. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 169. Musik Klasse 7/8 1985, S. 23. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 9 1987, S. 37.
„Informieren Sie sich anhand der Direktive des XI. Parteitages der SED über weitere Zielstellungen zur Erhöhung der Pflanzenproduktion!“291 „Werten Sie am Beispiel der Entwicklung unserer chemischen Industrie die Wirtschaftspolitik der Partei der Arbeiterklasse und der Regierung der DDR!“292 „Auch der XI. Parteitag der SED betonte die Notwendigkeit, ‚auf neue Weise an die Dinge heranzugehen, neue Formen und Verfahren in den Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Systemen, Staaten und Religionen zu finden’“293
Die vorstehenden Zitate behandeln die Politik der SED. Allein der achte Parteitag der SED (1971) wird im Geschichtsschulbuch der zehnten Klasse auf fünfzehn Seiten behandelt,294 der neunte Parteitag (1976) auf sechs Seiten295 oder der elfte (1986) auf sieben Seiten.296
Abbildung 1: 291 292 293 294 295 296 297
Gewöhnung an die SED im Heimatkundeschulbuch 297
Biologie Klasse 10 1990, S. 71. Chemie Klasse 10 1988, S. 95. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 33. Geschichte Klasse 10 1989, S. 164–178. Geschichte Klasse 10 1989, S. 217–222. Geschichte Klasse 10 1989, S. 308–314. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 96.
89
Die hier beschriebenen Erwähnungen kommunistischer Parteien – beiläufig, historisch oder parteipolitisch akzentuiert – sind lediglich Beispiele für die andauernde Thematisierung dieser Parteien, vor allem der SED, in den Schulbüchern. Als DDR-Machthaberin ist die SED mit einer Machtfülle ausgestattet, die es ihr unter anderem gestattet, sich dem Bewusstsein der unter ihrem Einfluss lebenden Menschen vielfach aufzudrängen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die SED in den Schulbüchern bei verschiedenen Gelegenheiten ins Bewusstsein der Schüler gehoben wird, dokumentiert dies. Die für die Legitimation der kommunistischen Parteien wichtige Rolle als herausragende institutionalisierte Gesellschaftsavantgarde erfährt Bestätigung, wenn die kommunistischen Parteien auch im offiziell-öffentlichen Bewusststein, zu dem die Schulbücher beitragen, eine herausragende Position innehaben. Die andauernde Präsenz der SED in den Schulbüchern ist Indikator für ihre Ubiquität im DDR-Alltag und suggeriert den Schülern die unbedingte Vorrangstellung der Partei. Sie ist Ausdruck des prinzipiell uneingeschränkten Machtanspruchs der SED, durch den sie überall zum wesentlichen Akteur wird. Wohin auch immer sich die DDR-Bürger wenden, die Präsenz der SED ist ihnen bewusst bzw. wird ihnen bewusst gemacht. Erhard Neubert spricht bezogen auf die DDR von einem „Mangel an politischer Bildung“, der es mit sich gebracht hätte, „daß die Okkupation des Staates durch die SED (...) nicht als politische Fehlkonstruktion erlebt und durchschaut“ werde.298 Die selbstverständliche Thematisierung von Parteiorganen wie dem ZK oder eben der SED selbst in den Schulbüchern ist ein augenfälliges Beispiel für diese Okkupation. Gegenstand eines Abschnittes im Muttersprachschulbuch der Klasse acht ist die Arbeiterklasse. Dort ist der folgende Lückentext mit den Worten „Arbeiter“ und „Arbeiterklasse“ zu vervollständigen: „Die Bourgeoisie vergrößerte ihre ökonomische Macht durch die maschinelle Fabrikproduktion immer mehr. Sie machte …, Bauern, Handwerker und Händler von sich völlig abhängig. […] In den riesigen Betrieben der Großindustrie ballte sich das … . Bald wurde es der Kern der kämpfenden …, der besonders eng mit der entwickelten Produktion verbunden war. Die Schlußsätze des Kommunistischen Manifests ‚Die … haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. … aller Länder, vereinigt Euch!’ wurden hier besonders leidenschaftlich diskutiert.“299
Der zitierte Text basiert auf den Lehren des Marxismus-Leninismus. Die Schüler erfahren im Muttersprachunterricht durch ihn die weltanschauliche Einordnung der Arbeiterklasse. Um die Arbeiter geht es auch in anderen Schulbüchern: 298 299
90
Vgl. Neubert 2000a, S. 20. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 68.
„Die Lage der britischen Arbeiter in den Bergbaugebieten, in den Standorten der Metallurgie (...) ist seit Jahren sehr schwierig.“300 „Zum Abschluß erklang das alte Arbeiterkampflied (...)“301 „Die Arbeiter und ihre Familien bekommen nur wenig Lohn. (...) Die Kinder der Arbeiter können oft nicht in die Schule gehen.“302 „Doch die Arbeiter nahmen Ausbeutung und Unterdrückung nicht einfach hin. Sie begannen, sich dagegen aufzulehnen.“303 „Mit diesen Liedern riefen die beiden Künstler die Arbeiter zum Kampf für eine bessere Zukunft auf.“304
Betont wird hier die Rolle der Arbeiter als ausgebeutete Klasse im Kapitalismus, d. h. als notleidend oder unterdrückt, aber auch ihr kämpferischer Charakter und der Zusammenhalt innerhalb der Arbeiterbewegung. Darüber hinaus erfährt die Arbeiterklasse eine regelmäßige Thematisierung in weiteren Kontexten: „Schreibe die Namen der folgenden Persönlichkeiten auf! (...) Führer der deutschen Arbeiterbewegung (16. 4. 1886–18. 8. 1944)“305 „Viele Veteranen der Arbeiterbewegung haben in ihrer Kindheit das rote Halstuch getragen.“306 „Lieder der Arbeiterjugend“307 „Ich trage eine Fahne und diese Fahne ist rot. Es ist die Arbeiterfahne (...)“308 „Die ständige Auseinandersetzung mit diesem Problem führte Engels schließlich nach Jahren inneren Ringens und Suchens auf die Seite der Arbeiterklasse.“309 „In den Straßen ertönt Musik. Alle Menschen sind fröhlich. Sie singen gemeinsam die Lieder der Arbeiter.“310 „Weil der Prolet ein Prolet ist, drum wird ihn kein andrer befrein. Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein.“311 „Der kleine Trompeter, Fritz Weineck, war ein Arbeiterjunge aus Halle.“312 „Aus Furcht vor den organisierten Arbeitern wählten die herrschenden großen Kapitalisten die offene faschistische Diktatur.“313
Ausführungen zu dem Zoologen Ernst Haeckel im Biologieschulbuch sind mit dem Hinweis versehen: „Zur Arbeiterbewegung hatte Haeckel selbst weder poli300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313
Geographie Klasse 6 1989, S. 153. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 83. Unsere Fibel 1988, S. 94. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 47. Musik Klasse 4 1989, S. 65. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 104. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 53. Musik Klasse 3 1979, S. 59. Musik Klasse 4 1989, S. 62. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 125. Unsere Fibel 1988, S. 75. Musik Klasse 9/10 1986, S. 78. Musik Klasse 4 1989, S. 43. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 15.
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tische noch organisatorische Beziehungen (...)“314 Selbst im Biologieschulbuch, welches als naturwissenschaftliches Lehrwerk zunächst kaum geeignet scheint, Raum für die Thematisierung der Arbeiterklasse zu bieten, findet sich also Gelegenheit hierzu. Monika Gibas nennt die folgenden vier wesentlichen Inhalte der sozialistischen Ideologie: 1. die gesetzmäßige Aufeinanderfolge von Gesellschaftsformationen mit dem Kommunismus als letzter und höchster Formation, 2. den Klassenkampf als Triebkraft dieser Entwicklung, 3. die historische Mission der Arbeiterklasse als treibendes Element dieser Entwicklung und 4. die Partei als führende Avantgarde der Arbeiterklasse zur Verwirklichung ihrer Mission.315 Im Marxismus-Leninismus wird der Arbeiterklasse der zentrale Platz in der Geschichte der Menschheit als Erbauerin der alternativlosen kommunistischen Gesellschaft zugewiesen. Die entscheidende Rolle hierbei spielt die kommunistische Partei, im Sinne der marxistisch-leninistischen Partei neuen Typs nach Lenin. Ihr kommt die exklusive Aufgabe zu, die Arbeiterklasse zu führen. Arbeiterklasse und kommunistische Partei existieren nach marxistisch-leninistischer Lehre nicht getrennt voneinander, sondern bilden eine Einheit, da die kommunistische Partei Bestandteil der Arbeiterklasse ist: Sie ist zudem ihre Avantgarde und Führerin. Innerhalb der Arbeiterklasse und ihrer historischen Mission nimmt die kommunistische Partei die Schlüsselfunktion ein.316 Zur Geschichte der Arbeiterklasse gehört für die SED „von Anfang an die Geschichte ihrer Stilisierung als Trägerin des Fortschritts und der Zukunft“.317 Karl-Heinz Ruffman spricht von der Rolle des Proletariats als des „neuen Trägers der Menschheitsgeschichte“.318 In der DDR wird die Arbeiterklasse als die „revolutionärste Kraft des gesellschaftlichen Fortschritts“ propagiert, mit der Aufgabe der Verwirklichung ihrer „historischen Mission“.319 Diese Mission endet unausweichlich – denn der Marxismus-Leninismus erhebt den Anspruch, die objektiven und unumstößlichen Gesetze der historischen Entwicklung aufgedeckt zu haben, den Anspruch „strengster Objektivität“320 – mit dem Sturz des Kapitalismus sowie der Errichtung erst der sozialistischen und schließlich der 314 315 316
317 318 319 320
92
Biologie Klasse 10 1990, S. 82. Vgl. Gibas 1997, S. 243 f. Vgl. Löw 1995, S. 1413; Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 1270; Fischer/Prüsing 1974, S. 43; Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 51–60; Fischer/Prüsing 1974, S. 42. Kleßmann 2007, S. 11. Ruffmann 1999, S. 49. Autorenkollektiv 1988a, S. 739. Autorenkollektiv 1988a, S. 739.
kommunistischen Gesellschaft.321 Ingrid Miethe formuliert: „Der Begriff ‚Arbeiter’ wurde in der DDR keineswegs nur als sozialstrukturelle Kategorie im Sinne der sozialen Herkunft verwendet, sondern er beinhaltete eine Menge implizierter Vorannahmen über das politische Verhalten dieser Personengruppe.“322 Im Geschichtsschulbuch der Klasse sieben werden der Frühkapitalismus und der entstehende Marxismus behandelt: „Während noch Kapitalismus und Feudalismus, Bourgeoisie und Feudaladel um die Vorherrschaft kämpften, entstand im Schoße des Kapitalismus schon wieder eine neue gewaltige Kraft: die Arbeiterklasse. Und mit ihrer Entstehung begann sie sogleich den Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung. Sie schuf sich eigene Organisationen. Ihre fortgeschrittensten Vertreter begannen darüber nachzudenken, wie eine Gesellschaft ohne kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung aussehen könnte.“323
In einer für die Schulbücher durchaus üblichen Offenheit bestätigen sich hier die Ausführungen Ingrid Miethes. Die Schulbuchautoren machen deutlich, dass die Arbeiterklasse vom Tage ihres Entstehens an politische Ambitionen verfolgt, auch die Rolle der Partei wird bereits angedeutet. Wie sich die SED zur Arbeiterklasse stellt, offenbart sie in ihrem Programm, dessen Autoren zwar von der Arbeiterklasse als Träger der politischen Macht sprechen, dabei aber die Führungsrolle „ihrer marxistisch-leninistischen Partei“324 ausdrücklich betonen. Da die Arbeiterklasse ihre historische Mission nur erfüllen könne, wenn sie die von „Imperialismus und Opportunismus“ verursachte „Spaltung ihrer Reihen“ beseitige und dabei von einer „zielklaren, geschlossenen, kampfgestählten“ marxistisch-leninistischen Partei geführt werde, sei die Gründung der SED ein historisch bedeutsames Ereignis.325 Diesen Umstand zu betonen, wird die Partei auch an anderen Stellen des Programms oder in anderen Verlautbarungen nicht müde: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist der bewusste und organisierte Vortrupp der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes der sozialistischen Deutschen Demokratischen Republik. Sie verwirklicht die von Marx, Engels und Lenin begründeten Ziele der revolutionären Arbeiterbewegung.“326 „Alle Erfahrungen unserer Epoche bestätigen voll und ganz Marx’ fundamentale Erkenntnis, daß die Arbeiterklasse vor allem eine revolutionäre Partei braucht, ‚um den Triumph der sozialen Revolution und ihres höchsten Zieles, der Aufhebung der Klassen, zu sichern’. Nur mit einer Partei, die sich vom wissenschaftlichen Sozialismus leiten läßt, war 321 322
323 324 325 326
Vgl. Autorenkollektiv 1988a, S. 739. Miethe 2007, S. 33 f.; Zu den Begriffen ,Arbeiterschaft’, ,Arbeiterklasse’ und ,Klasse’ vgl. Kleßmann 2007, S. 11–21. Geschichte Klasse 7 1990, S. 6. Programm der SED von 1976, Einleitung. Programm der SED von 1976, Einleitung. Programm der SED von 1976, Einleitung.
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die Arbeiterklasse in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern in der Lage, ihre welthistorische Mission in Angriff zu nehmen und Schritt für Schritt zu verwirklichen.“327
Für die SED ist die Arbeiterklasse insbesondere darum so relevant, weil den Arbeitern im Marxismus-Leninismus ihr „Unvermögen“ zur „Selbsterfüllung und Selbstbefreiung“ bescheinigt wird.328 Nach Lenin ist die kommunistische Partei obligatorisch für den Erfolg der historischen Mission der Arbeiterklasse.329 Aus diesem Grund kann das Proletariat gerade unter Berufung auf diese Mission realpolitisch entmachtet werden.330 Dies geschieht zugunsten der kommunistischen Partei als „einer organisierten Elite, die den Anspruch erhebt, nur in der totalen Gleichsetzung mit ihr und ihrem Wollen vermöge sich das Proletariat zu erfüllen und in einer geschichtlichen Aufgabe zu vollenden“.331 Die Arbeiterklasse wird nach marxistisch-leninistischer Lesart immer der Partei bedürfen. Schon die bloße Existenz der Arbeiterklasse stützt in diesem Weltbild die Macht der SED. Die Existenz der Partei geht also einher mit der Existenz der Arbeiterklasse und umgekehrt. In den Geschichtsschulbüchern der Klassen acht und neun verlautet: „Der revolutionäre Kampf in allen Ländern und der Erfolg der Oktoberrevolution lehrten die Arbeiterklasse, daß sie nur siegen, die Staatsmacht erobern und behaupten kann, wenn sie von einer marxistisch-leninistischen Partei geführt wird.“332 „Mitten in der Novemberevolution entstand als Ergebnis des Kampfes der deutschen Linken gegen Imperialismus und Opportunismus die Kommunistische Partei Deutschlands. Die deutsche Arbeiterklasse besaß wieder eine revolutionäre Partei, ohne die sie den Kampf um Demokratie und Sozialismus mit Aussicht auf Erfolg nicht führen kann.“333
Damit wird auch in den Schulbüchern die existenzielle Verbindung von Partei und Arbeiterklasse herausgestellt. Der Rekurs auf die Tradition der sozialistischkommunistischen Arbeiterbewegung ist eine tragende Säule des SEDWeltbildes.334 Diese Lehre ist für die Macht der SED von kaum überschätzbarem ideellen Wert – Rechtfertigung für ihren realpolitischen Totalitätsanspruch.335 Ungeachtet der tatsächlichen Machtverhältnisse ist die Idee von der Arbeiter327 328 329 330 331 332 333 334 335
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Thesen des Zentralkomitees der SED zum Karl-Marx-Jahr 1983 1982, S. 760. Ruffmann 1999, S. 49. Vgl. Lenin 1946, S. 67. Ruffmann 1999, S. 49. Ruffmann 1999, S. 49. Geschichte Klasse 9 1989, S. 14. Geschichte Klasse 8 1988, S. 281. Vgl. Kleßmann 2007, S. 771. Vgl. Ruffmann 1999, S. 49.
klasse als einzig legitimer politischer Kraft unter Führung der kommunistischen Partei konstitutiv für kommunistische Staaten wie die DDR.336 Wegen dieser Rolle ist die Arbeiterklasse nicht einfach eine Gruppe von Menschen oder ein Oberbegriff für die Arbeiterschaft. Sie ist der wesentliche Akteur im historischmaterialistischen Geschichtsbild kommunistischer Parteien wie der SED. Aus diesem Verhältnis von Partei und Arbeiterklasse sowie aus deren genereller Bedeutung im Weltbild der SED ergibt sich geradezu zwangsläufig der Stellenwert entsprechender Schulbuchinhalte. Die Arbeiterklasse ist in ihrer Bedeutung von der SED nicht zu trennen. Beide existieren als sich gegenseitig bedingende Einheit. Aufgrund der für Weltbild, Selbstverständnis und vor allem Machtposition der SED konstitutiven Rolle der Arbeiterklasse wird neben der Erwähnung von kommunistischen Parteien auch allen Schulbuchaussagen, in denen die Arbeiterklasse thematisiert wird, herrschaftssicherndes Potenzial für die Partei zugeschrieben. Eine Reihe von Schulbuchaussagen befasst sich in dieser Weise mit der SED: „Vorwärts, Freie Deutsche Jugend! Der Partei unser Vertraun!“337 „Sie [u. a. die Kreisleitung der SED – L. K.] beraten und fassen Beschlüsse über die Steigerung der Produktion und über die Verbesserung des Lebens der Werktätigen im Heimatkreis.“338 „Deshalb hat die Partei der Arbeiterklasse immer dafür Sorge getragen, daß sich Industrie und Landwirtschaft gut und erfolgreich entwickeln.“339 „Grundlage für den bewährten Kurs der SED auf die Verwirklichung der Hauptaufgabe in ihrer Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Wohle des Volkes und für die Sicherung des Friedens bilden: (...)“340 „Für die DDR kann eingeschätzt werden, daß die zielstrebige Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei der Arbeiterklasse zu einer Territorialstruktur geführt hat, die den Anforderungen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft schon weitgehend entspricht.“341 „Die neuerrichteten Betriebe künden von der klugen Politik der SED.“342 „In der DDR treten seit mehreren Jahren kaum noch Todesfälle durch Infektionskrankheiten auf. Das ist ein Ergebnis der Politik der Partei der Arbeiterklasse und des Staates, deren oberstes Ziel das Wohl aller Menschen ist.“343 „Für alle Menschen in unserer Republik lohnt es sich, ihre ganze Kraft einzusetzen und mitzuhelfen, die Politik der SED zu verwirklichen.“344
336 337 338 339 340 341 342 343 344
Vgl. Rogg 2008, S. 45. Musik Klasse 4 1989, S. 11. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 49. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 8 1986, S. 71. Geographie Klasse 10 1988, S. 6. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96. Biologie Klasse 7 1987, S. 33. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 101.
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„Zu den Hauptaufgaben von Partei und Regierung gehört es deshalb, die Bedingungen für eine kulturvolle Freizeitgestaltung und für die Erholung der Werktätigen weiter auszubauen.“345 „Im Ergebnis der weitsichtigen Wirtschaftspolitik der Partei der Arbeiterklasse und der fleißigen Arbeit der Werktätigen wurde in der DDR eine hochentwickelte chemische Industrie geschaffen.“346
Auch andere kommunistischer Parteien werden erwähnt: „Die kommunistischen Parteien sind heute bemüht, den neuen Erfordernissen ihres Kampfes gerecht zu werden. Sie beweisen damit ihre Fähigkeit, die eigenen Erfahrungen einer Prüfung zu unterziehen, ihre revolutionäre Theorie weiterzuentwickeln und schöpferisch an die neuen Probleme heranzugehen.“347 „Nicht immer ist die Umgestaltung ohne Widersprüche verlaufen, aber stets hat die KPdSU den rechten Weg gezeigt.“348 „Unter Leitung Ernst Thälmanns führte die KPD einen beharrlichen und opferreichen Kampf gegen Hunger und Arbeitslosigkeit, gegen die Faschisten und den Krieg.“349 „Die Partei Lenins mit ihren 350.000 Mitgliedern verfügte über wertvolle Erfahrungen und hervorragende Persönlichkeiten.“350 „In der sowjetischen Besatzungszone konnten nun die beiden deutschen Arbeiterparteien, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), geleitet von Wilhelm Pieck, und die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), geleitet von Otto Grotewohl, wieder frei für die Interessen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen kämpfen.“351
Obschon jede Erwähnung der SED in der anfangs beschriebenen Weise herrschaftssicherndes Potenzial birgt, ist ihre positive Bewertung352 als spezielle Möglichkeit, dies zu tun, hervorzuheben. In den eben angeführten beiden Zitatblöcken sind zunächst die Politik der SED und dann andere kommunistische Parteien bzw. ihre Taten in einen positiven Kontext gestellt. Im Lesebuch der dritten Klasse wird von einem Jungen berichtet, der als Kind von Lenin einen Bleistift geschenkt bekommt. Später als Soldat der Roten Armee unterzeichnet er mit diesem Bleistift seinen Aufnahmeantrag an die Partei:
345 346 347 348 349 350 351 352
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Biologie Klasse 8 1985, S. 160. Chemie Klasse 10 1988, S. 95. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 15. Musik Klasse 9/10 1986, S. 154. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 77. Geschichte Klasse 8 1988, S. 241. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 23. Unter positiven Bewertungen werden Äußerungen verstanden, die eine wohlwollende, lobende Grundhaltung ausdrücken. Dem Gegenstand der positiven Bewertung werden dabei entweder positive Adjektive (modern, friedliebend, zukunftsfähig etc.) zugeschrieben oder er ist ganz allgemein Gegenstand wohlwollender Schilderungen oder Darstellungen, die ihn in einen positiven Kontext einbetten.
„Bald erfuhren alle im Regiment von Lenins Bleistift, und viele Soldaten und Kommandeure kamen zu Wanja. Sie erbaten von ihm den Bleistift, um damit ihren Antrag auf Aufnahme in die Partei zu schreiben. Wanja gab ihn jedem, und es tat ihm nicht im Geringsten leid, daß der Bleistift kürzer und kürzer wurde.“353
Auch kindbezogene Geschichten werden zur positiven Bewertung der kommunistischen Parteien herangezogen – hier offenbart sich das spezifische herrschaftssichernde Potenzial von Schulbüchern. In einem anderen Lesebuch steht geschrieben: „Michael Niederkirchner sah die Partei Lenins am Werk (...) Er begriff für sein ganzes Leben die Überlegenheit dieser Menschen über das wohlorganisierte selbstzufriedene Kompromißlertum westeuropäischer Sozialdemokraten, die in Bankrott und Schande endeten.“354 Die positive Bewertung der kommunistischen Parteien ist hier überschwänglich und zusätzlich erfolgt die Abrechnung mit historischen Feindbildern, wie der Sozialdemokratie der Weimarer Republik. Die folgenden Schulbuchpassagen befassen sich mit der Arbeiterklasse: „In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts schuf sich die Arbeiterklasse erste eigene Organisationen, und in ihren Reihen entstanden kommunistische Auffassungen und Programme. Sie enthielten das Bild einer besseren, gerechteren Gesellschaft.“355 „Sie [Marx und Engels – L. K.] begründeten die historische Mission der Arbeiterklasse und charakterisierten Weg und Ziel des Kampfes der Arbeiterbewegung: die Errichtung einer von jeder Ausbeutung freien kommunistischen Gesellschaft.“356 „Unser Leben in Sicherheit und Geborgenheit ist das Ergebnis eines langen Kampfes der Arbeiterklasse.“357 „Nachdem er zurückgekehrt war, wollte er [der kleine Trompeter – L. K.] nicht nur musizieren, sondern mit seiner Trompete den Kampf der Arbeiter für ein glücklicheres Leben unterstützen.“358 „Es lebe die Freundschaft mit den Arbeitern in allen Ländern!“359 „Würdigen Sie die historischen Verdienste der Arbeiter der Leuna-Werke für eine fortschrittliche Entwicklung in Deutschland!“360 „Die sozialistische Arbeiterbewegung war die einzige gesellschaftliche Kraft, die für die demokratische Entwicklung Deutschlands eintrat.“361 „Die internationale Arbeiterbewegung übt einen entscheidenden Einfluß auf den Verlauf des Kampfes um Frieden und sozialen Fortschritt in der Welt aus.“362
353 354 355 356 357 358 359 360 361 362
Lesebuch Klasse 3 1986, S. 53. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 143. Geschichte Klasse 7 1990, S. 265. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 12. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 43. Musik Klasse 4 1989, S. 43. Unsere Fibel 1988, S. 75. Chemie Klasse 10 1988, S. 33. Geschichte Klasse 8 1988, S. 130. Staatsbürgerkunde 10 1989, S. 14.
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„Die Arbeiterklasse als fortschrittlichste Klasse ist zahlenmäßig noch schwach entwickelt [in Afrika – L. K.].“363 „Mit dem Kapp-Putsch versuchten besonders aggressive Kreise der herrschenden Klasse, die Errungenschaften der Novemberrevolution zu beseitigen und eine Militärdiktatur zu erzwingen. (...) Die geschlossene Abwehr der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeter brachte den Kapp-Putsch zum Scheitern.“364
Schon die Lehren des Marxismus-Leninismus lassen keine andere Sicht auf Arbeiterklasse und Partei zu als eine positive – handelt es sich bei beiden doch dieser Lehre nach um die fortschrittlichsten Teile der Gesellschaft und Erbauer einer verheißungsvollen (kommunistischen) Zukunft.365 Wie schon im Falle der kommunistischen Parteien muss darum aus Perspektive der SED eine positivlobende Darstellung auch der Arbeiterklasse unumgänglich sein. In dieser Bewertung erfahren die Arbeiterklasse und die Partei eine Legitimation, wie sie unmittelbarer kaum sein könnte.
Abbildung 2:
Positive Bewertung der SED im Geschichtsschulbuch 366
Die positive Bewertung weist neben der anfangs beschriebenen reinen Erwähnung von Partei und Arbeiterklasse in besonderem Maße herrschaftssicherndes
363 364 365
366
98
Geographie Klasse 8 1989, S. 10. Geschichte Klasse 9 1989, S. 40. Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 244–247; Fischer/Prüsing 1974, S. 42, 53 ff. Geschichte Klasse 9 1989, S. 243.
Potenzial auf. Daneben ist eine dritte Variante der Thematisierung von Partei und Arbeiterklasse feststellbar: „Unter Führung der SED kämpfen die Werktätigen der DDR für die Erhaltung des Friedens, für ein Leben, in dem das Wohl des Volkes die wichtigste Aufgabe ist.“367 „An der Spitze [der DDR – L. K.] steht eine Partei, wie sie Marx und Engels forderten.“368 „Die diesen Prinzipien entsprechende Zusammenarbeit der RGW-Länder wird ermöglicht durch (...) die Führung durch die marxistisch-leninistischen Parteien (...)“369 „Auf dem Wege weiter, den uns die Partei gewiesen!“370 „Der Pionier ist der Heimat, der Partei, dem Kommunismus ergeben.“ 371 „Das kubanische Volk baut unter der Führung der Kommunistischen Partei, unterstützt von der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft unmittelbar ‚vor der Haustür’ der USA den ersten sozialistischen Staat in Amerika erfolgreich auf.“372 „Auf der Grundlage der sozialistische Macht- und Eigentumsverhältnisse in der DDR leisten die Werktätigen unter der Führung der SED und der Gewerkschaften in vielen Formen schöpferische Arbeit, um unser Land wirtschaftlich zu stärken.“373 „[Das kubanische Volk – L. K.] fördert und unterstützt unter Führung der Kommunistischen Partei den Kampf der Arbeiterklasse, Bauern und mit ihnen verbündeten fortschriftlichen Kräfte gegen die imperialistische Ausbeutung, für nationale Unabhängigkeit und sozialen Fortschritt.“374
In den zitierten Schulbuchaussagen wird die Führungsrolle kommunistischer Parteien propagiert. Dies geschieht offen und ohne Umschweife, d. h. unter Verwendung des Begriffs ,Führung’ sowie durch anderweitig geartete Formulierungen von Führungsansprüchen, die direkt mit der SED oder anderen kommunistischen Parteien assoziiert werden. Im Muttersprachschulbuch der Klasse sechs ist die folgende Aufgabe durch Einsetzen des Begriffs ,Sozialismus’ zu lösen: „Suche als treffende Bezeichnung ein Fachwort: (...) Gesellschaftssystem, in dem die Arbeiter, Bauern und alle anderen Werktätigen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse die politische Herrschaft ausüben. Alle wichtigen Produktionsmittel sind Volks- und Genossenschaftseigentum. Die Ergebnisse der Wirtschaft kommen allen Menschen zugute.“375
367 368 369 370 371 372 373 374 375
Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 55. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 54. Geographie Klasse 10 1988, S. 11. Musik Klasse 4 1989, S. 25. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 57. Geographie Klasse 8 1989, S. 94. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 67. Geographie Klasse 8 1989, S. 152. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 36.
99
Während die Führungsrolle der Partei hier in Form einer Aufgabe propagiert wird, steht im Staatsbürgerkundeschulbuch der achten Klasse geschrieben: „Die weitere Stärkung des Sozialismus und seiner Staatsmacht setzt die weitere Entwicklung des demokratischen Zentralismus voraus, weil nur dadurch die Einheitlichkeit und Schlagkraft der Aktivitäten der Volksmassen sowie das Zusammenwirken aller staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen zur Durchsetzung der Politik der SED gewährleistet werden kann. Das entspricht zutiefst den Interessen der Werktätigen.“376
Eine Führungsrolle der SED wird hier als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Autoren des Geschichtsschulbuchs der Klasse zehn gehen näher auf das Zustandekommen dieser Rolle ein: Die SED sei demnach nach dem Krieg bemüht gewesen, die Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien und Massenorganisationen weiterzuführen. Diese Parteien hätten sich zur Politik der „Arbeiter-undBauern-Macht“ bekannt und jene aus ihren Reihen ausgeschlossen, die dem „Imperialismus in die Hände“ gearbeitet hätten. „Reaktionäre Mitglieder“ der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) hätten Parteiämter und Staatsfunktionen verloren und nur fortschrittliche Politiker Einfluss erlangt.377 In Zusammenhang mit der Arbeiterklasse finden sich Schulbuchaussagen wie die folgenden: „Das ist nur in einem Staat möglich, wo die Arbeiterklasse die Macht ausübt und wo die Betriebe dem Volk gehören.“378 „Das verdanken wir der Macht der Arbeiterklasse (...)“379 „In unserer Deutschen Demokratischen Republik, in der die Arbeiterklasse die Macht ausübt, pflegen wir dieses Liedgut.“380 „Die Faschisten verkünden, warum sie die Sowjetunion überfallen haben: ‚Wir hassen die Macht der Arbeiter und Bauern. Sie ist zu vernichten.’“381 „Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Seit diesem Tag üben zum ersten Mal in der deutschen Geschichte die Arbeiter und Bauern im Bündnis mit den anderen Werktätigen in einem deutschen Staat die Macht aus.“382 „Mit der Entstehung von neuen Industriebetrieben wird sich auch die Arbeiterklasse zu einer politischen Kraft entwickeln und die Führungsrolle bei der Durchsetzung des sozialistischen Entwicklungsweges in Äthiopien übernehmen.“383 „Aus all diesen Aufgaben und Erfordernissen [bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft – L. K.], speziell aus der Rolle der Industrie und den au-
376 377 378 379 380 381 382 383
100
Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 41. Geschichte Klasse 10 1989, S. 19. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 101. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96. Musik Klasse 9/10 1986, S. 202. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 71. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 84. Geographie Klasse 8 1989, S. 68.
ßenpolitischen Aufgaben, wird sichtbar, daß die Arbeiterklasse auch bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft die führende Klasse sein muß.“384
Auch die Führungsrolle der Arbeiterklasse wird also propagiert, oftmals unter Verwendung des Begriffs ,Macht’. Um diese Führungsrolle geht es auch in diesen Schulbuchpassagen: „Die Entwicklung der Territorien erfolgt in den sozialistischen Ländern planmäßig unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei, um das materielle und kulturelle Lebensniveau der Bevölkerung zu erhöhen.“385 „In einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung beseitigten die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten unter Führung der Arbeiterpartei Faschismus und Militarismus.“386 „Lied von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei.“387 „Seit dem Neuaufbau dieser Werke nach 1945 verbrachten die Werktätigen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse große Anstrengungen und hervorragende Leistungen.“388 „In ihr [DDR – L. K.] haben die Werktätigen unter Führung der Arbeiterpartei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die Macht.“389 „Damit sich das Proletariat als selbständige revolutionäre Kraft begreift und in der Lage ist, seine welthistorische Mission zu erfüllen, benötigt es eine marxistisch-leninistische Partei. Die kommunistischen Parteien sind das politische Führungszentrum der Arbeiterklasse.“390
Wie oben ausgeführt, ist die Existenz einer kommunistischen Partei für den Erfolg der Mission der Arbeiterklasse unentbehrlich (und umgekehrt). Arbeiterklasse und Partei sind somit untrennbar verbunden, was schon an den Termini ,Partei der Arbeiterklasse’ oder ,Arbeiterpartei’ ersichtlich wird. Die Führungsrolle der Partei und die Arbeiterklasse bedingen sich gegenseitig, wie die letzten Schulbuchzitate nochmals bestätigen. Tatsächlicher Machthaber in der DDR ist allein die SED bzw. sind einzelne Parteifunktionäre und der Parteiapparat.391 Der ,Arbeiter- und Bauernstaat’ ist nicht Staat der Arbeiter und Bauern, sondern Staat der SED. Im Gegensatz zur Führungsrolle der SED ist die der Arbeiterklasse in der DDR also nicht gegeben. Für das Selbstverständnis der SED und ihr Weltbild ist die Führungsrolle der Arbeiterklasse dessen ungeachtet als marxistisch-leninistische Grundaussage konstitutiv. Die Propagierung der Arbeiterklasse als Machthaber zementiert die 384 385 386 387 388 389 390 391
Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 128. Geographie Klasse 10 1988, S. 9. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 12. Musik Klasse 9/10 1986, S. 202. Chemie Klasse 10 1988, S. 58. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 101. Vgl. Loeser 1987, S. 96.
101
Macht ihrer Avantgarde(-partei). Machtzuschreibungen für die Arbeiterklasse sind folglich potenziell herrschaftssichernd für die SED. Schulbuchinhalte, in denen der Partei selbst ein Führungsanspruch zugeschrieben wird, propagieren die führende Rolle kommunistischer Parteien noch unmittelbarer. Unabhängig von Vorwissen oder Standpunkt eines Lesers entsprechender Aussagen ist die hier vermittelte Botschaft eindeutig: Kommunistische Parteien sind die Machthaber in der sozialistischen Welt. Von diesem Postulat profitiert zwangsläufig jede kommunistische Partei. Freilich ist die SED tatsächlich der Machthaber in der DDR. Insofern beschreiben diese Machtzuschreibungen auch ein Stück Realität. Sie leisten daher vor allem einen Beitrag zur Legitimierung der bestehenden Verhältnisse, indem sie jene normalisieren und damit in ihrer Unhinterfragbarkeit festigen.
Abbildung 3:
392
102
Führungsrolle und positive Bewertung von SED und Arbeiterklasse im Heimatkundeschulbuch 392
Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96.
4.2
DDR
In der Fibel der ersten Klasse wird den Schülern mitgeteilt, wie sehr sich Ernst Thälmann freuen würde, könne er sehen, „wie glücklich alle Kinder bei uns heute sind!“393 Eine Erzählung über ein außerhalb der DDR lebendes Kind enthält die Bemerkung: „Wie gern würden Pepe und seine Freunde so viel lernen, wie die Kinder bei uns!“394 Auf Seite 73 findet sich diese Abbildung:
Abbildung 4:
Positive Bewertung der DDR in der Fibel 395
Während in den ersten beiden Beispielen von den guten Lebensbedingungen der Kinder in der DDR geschwärmt wird, enthält die Abbildung bereits ein deutliches Bekenntnis zum SED-Staat. Um diesen geht es auch in folgenden Schulbuchauszügen:
393 394 395
Unsere Fibel 1988, S. 109. Unsere Fibel 1988, S. 94. Unsere Fibel 1988, S. 73.
103
„Wir ehren und achten die Fahne unserer Republik.“396 „Man erringt sich Achtung, wenn man hohe Anforderungen an sich selbst stellt, klassenbewußt und prinzipienfest auftritt, ehrlich, bescheiden und fleißig ist, verantwortungsbewußt handelt, nach hohen politischem und fachlichem Wissen strebt und sich kämpferisch für die Ziele unseres Staates einsetzt.“397 „Hoch lebe unsre Republik, da blüht der Friede und das Glück und wächst durch unseren Fleiß.“398
Auch hier handelt es sich um Bekenntnisse zur DDR. Im letzten Zitat klingt das Thema Frieden an, das auch in anderen Schulbüchern aufgegriffen wird: „Mit der DDR entstand im Herzen Europas ein Friedensstaat.“399 „Dieses schöne Lied sangen sowjetische Pioniere erstmals (...) in Moskau 1963. Auch in unserer Republik verbreitete es sich schnell, weil wir ebenso wie unsere sowjetischen Freunde den Frieden lieben.“400 „An der Spitze unseres Staates stehen bewährte Kämpfer unseres Volkes für Frieden und Sozialismus“401 „Die Politik der DDR gegenüber der BRD ist von dem Anliegen geprägt, trotz der Erschwernisse, die sich aus der Stationierung neuer USA-Atomraketen in der BRD ergeben, ein friedliches und normales Nebeneinanderleben zu gewährleisten.“402 „Heute künden moderne Bauten und liebevoll gestaltete alte Gebäude von der Kraft und dem Willen der Menschen unseres Landes, ein Leben in Frieden aufzubauen und zu erhalten.“403 „Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Sie ging unmittelbar aus der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, aus dem Kampf um die demokratische Einheit Deutschlands und den Frieden hervor.“404
Zur Rolle des Volkes in der DDR äußern sich die Schulbücher so: „Betriebe in der Industrie sind Eigentum des ganzen Volkes (Volkseigentum).“405 „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistisches Land. In ihr haben die Werktätigen (...) die Macht.“406 „Die verantwortungsbewusste Arbeit von Millionen vorn Bürgern bei der umfassenden Mitgestaltung des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens der sozialistischen Gesellschaft und des sozialistischen Staates ist Ausdruck der sozialistischen Demokratie.“407 396 397 398 399 400 401 402 403 404 405 406 407
104
Lesebuch Klasse 2 1990, S. 13. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 103. Musik Klasse 4 1989, S. 11. Geschichte Klasse 10 1989, S. 6. Musik Klasse 9/10 1986, S. 11. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 40. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 110. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 24. Geschichte Klasse 9 1989, S. 288. Geographie Klasse 5 1990, S. 22. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 15.
„Mit der DDR entstand ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Erstmals nahmen die Werktätigen unseres Landes die Macht fest in ihre Hände, um sie in ihrem eigenen Interesse zu nutzen, Ausbeutung und Unterdrückung zu beseitigen und sich ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen.“408 „Die Volkskammer ist das oberste Machtorgan der DDR. Die Abgeordneten werden vom Volke gewählt.“409
Abbildung 5:
Positive Bewertung der DDR im Geographieschulbuch 410
Die DDR ist Staat der SED. So wenig tatsächliches Mitspracherecht das Volk in der DDR hat, so wenig sind Betriebe oder Kombinate sein Eigentum. Begriffe wie ,Arbeiter- und Bauernstaat’ oder ,Volkseigentum’ werden benutzt, um die DDR oder die Eigentumsverhältnisse dort zu umschreiben. Angesichts der tatsächlich herrschenden Machtverhältnisse ist die Verwendung der beiden genannten Begriffe ein Euphemismus. Gleiches gilt für die Behauptung von Einflussmöglichkeiten oder Macht des Volkes in der DDR, wie in den eben angeführten Schulbuchaussagen. Euphemistisch ist außerdem die Berufung auf Werte wie Freiheit oder die Menschenrechte: „Mit der Gründung der DDR wurde das Ideal
408 409 410
Geschichte 10 1989, S. 6. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 184. Geographie Klasse 10 1988, S. 20.
105
der Freiheit und der Menschenrechte in die Tat umgesetzt.“411 Aussagen wie diese in Verbindung mit der beschriebenen Propagierung eines friedlichen Charakters der DDR oder den Bekenntnissen, die sich in den Schulbüchern finden, indizieren das Bemühen der Schulbuchautoren, die DDR einer umfassenden positiven Bewertung zu unterziehen: „Erläutere Zusammenhänge zwischen dem Rückgang der Tuberkulose in der DDR und den Maßnahmen des sozialistischen Gesundheits- und Sozialwesens!“412 „Während meines Aufenthaltes in der DDR habe ich mehre medizinische Einrichtungen kennengelernt, darunter das Ambulatorium im neuen Cottbuser Stadtteil SachsendorfMadlow. Ich bin stark beeindruckt, wie Vorbeugung, Behandlung und Nachsorge eine Einheit bilden. Das ist in keinem westlichen Land anzutreffen.“413 „In unserer Republik gibt es mehr als 600 Museen. Die Zahl ihrer Besucher steigt von Jahr zu Jahr, weil das Interesse an schönen und lehrreichen Dingen in der sozialistischen Gesellschaft bei allen Menschen erweckt und gefördert wird.“414 „In der DDR sind für alle Jugendlichen die Voraussetzungen für eine allseitige harmonische Entwicklung gegeben.“415
Alle Bereiche des zweiten deutschen Staates erfahren in den Schulbüchern Lob. Die gerade zitierten Schulbuchpassagen beispielsweise beziehen sich auf das Gesundheitswesen, den Kultursektor oder die Jugendpolitik. Bezogen auf die DDR-Wirtschaft schreiben die Schulbuchautoren: „Unsere Handels- und Fischereiflotte verfügt über eine große Anzahl moderner Schiffe.“416 „Die sozialistischen Produktionsverhältnisse in unserem Staat bieten die Voraussetzungen, diese vielfältigen und schwierigen Aufgaben unter Nutzung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bewältigen.“417 „Unsere hochentwickelte Glasindustrie liefert u. a. Glassorten, die für die Thermometer besonders geeignet sind.“418 „Die DDR ist ein modernes sozialistisches Industrieland mit einer hochentwickelten, leistungsfähigen Landwirtschaft.“419
Auffällig ist das Bestreben der Schulbuchautoren, Bereiche der DDR als modern und hochentwickelt zu beschreiben. Im Geographieschulbuch der Klasse fünf werden die Bezirke der DDR behandelt: 411 412 413 414 415 416 417 418 419
106
Geschichte Klasse 10 1989, S. 8. Biologie Klasse 8 1985, S. 57. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 108. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 102. Biologie Klasse 8 1985, S. 151. Physik Klasse 7 1988, S. 120. Geographie Klasse 9 1986, S. 41. Physik Klasse 6 1988, S. 68. Geographie Klasse 10 1988, S. 95.
„Der Müggelsee ist der wichtigste Speicher für die Wasserversorgung Berlins. In großen modernen Anlagen wird das Wasser für die Haushalte und die Industrie aufbereitet.“420 „Das heutige Antlitz der Innenstadt [Rostock – L. K.] zeigt eine harmonische Verbindung von modernen Bauten und historischen Bauwerken.“421 „Der Güterumschlag im Überseehafen Rostock wurde von Jahr zu Jahr gesteigert. Immer mehr Schiffe konnten beladen und entladen werden. Er ist ein moderner Hafen.“422 „Der VEB Fischfang Rostock: Dieser moderne sozialistische Großbetrieb besitzt eine eigene Fangflotte und einen Fischereihafen.“423 „Im Bezirk Schwerin wurde eine moderne sozialistische Landwirtschaft entwickelt.“424 „Die sozialistische Landwirtschaft ist ein moderner, leistungsfähiger Bereich der Volkswirtschaft der DDR.“425 „Moderne Wohn- und Verkehrsbauten sind inzwischen zum Kennzeichen ihres Wiederaufbaus geworden [Magdeburg nach dem Zweiten Weltkrieg – L. K.].“426 „Jänschwalde ist eines der modernsten Kraftwerke, das auf der Grundlage von Braunkohle arbeitet.“427
Der indoktrinierende Gebrauch des Adjektivs ,modern’ ist hier offenkundig. Viele Schulbuchaussagen schildern das Leben in der DDR auf folgende Weise: „In unserer Republik hat jeder Schüler die Gewissheit, daß er nach Abschluß der Schule eine Lehrstelle erhalten wird. Jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit und jedem Bürger ist ein Arbeitsplatz gesichert. Das ist bei uns selbstverständlich.“428 „Froh und glücklich feiern alle Menschen in unserer Republik das Weihnachtsfest. Mit Stolz können sie auf das zu Ende gehende Jahr zurückblicken. Vieles wurde von den Werktätigen geschaffen. Unser sozialistisches Vaterland ist reicher und schöner geworden.“429 „Von einem Leben in Sicherheit und Geborgenheit, wie es in unserem sozialistischen Vaterland selbstverständlich ist, haben die Menschen schon in früherer Zeit geträumt.“430 „Der ansteigende Wasserbedarf in den Siedlungen unserer Republik (...) resultiert aus der ständigen Erhöhung des Lebensniveaus in den Städten und Dörfern, speziell der Modernisierung und dem Neubau von Wohnungen.“431 „Zahlreiche Betriebe wurden zu Kombinaten vereinigt. Die volkseigenen Kombinate sind sehr leistungsfähig. Sie produzieren den größten Anteil am Reichtum unseres Volkes.“432
420 421 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432
Geographie Klasse 5 1990, S. 81. Geographie Klasse 5 1990, S. 85. Geographie Klasse 5 1990, S. 86. Geographie Klasse 5 1990, S. 89. Geographie Klasse 5 1990, S. 90. Geographie Klasse 5 1990, S. 100. Geographie Klasse 5 1990, S. 118. Geographie Klasse 5 1990, S. 126. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 42. Musik Klasse 4 1989, S. 31. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 43. Geographie Klasse 9 1986, S. 40. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 97.
107
„Die Ergebnisse des sozialistischen Aufbaus in der DDR sind der geschichtliche Beweis für den schöpferischen und demokratischen Charakter des sozialistischen Staates.“433 „In unserem sozialistischen Vaterland ist das Leben der Werktätigen immer reicher und schöner geworden.“434 „Auf diese Weise tragen sie [die Produktionsbetriebe der DDR – L. K.] dazu bei, die Lebensbedingungen unserer Bevölkerung weiter zu verbessern und das Ansehen unserer Republik in der Welt zu stärken.“435 „Ihre [die der Verfassung – L. K.] Bestimmungen dienen dem Wohl des Volkes und der breiten Entfaltung der schöpferischen Kräfte aller Bürger unserer Republik bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.“436 „Die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR ist darauf gerichtet, das materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes zu erhöhen.“437
Die DDR-Lebensverhältnisse werden hier als gesichert propagiert. Das Leben sei reich und schön, das Lebensniveau erhöhe sich permanent, überhaupt sei alles in einem ständigen Aufwärtstrend begriffen. Im Muttersprachschulbuch der Klasse fünf ist jene Aufgabe zu lösen: „Warum hat man für das einzige Dorf, das nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR gegründet wurde, den Namen Freileben gewählt [Hervorhebung im Original – L. K.]?“438 Dieses Beispiel gehört in den Bereich subtilerer Versuche der positiven Bewertung der DDR. Es stellt jedoch eine Ausnahme dar, weil die SED das Lob für ihren Staat von den Schulbuchautoren in aller Regel ganz offen vortragen lässt – wie auch die bisherigen Zitate deutlich machen. Dieses Lob tritt auch in Äußerungen wie diesen zutage: „Die DDR – ein starker, in der Welt geachteter Staat des Friedens und des Sozialismus“439 „Wir leben in der Deutschen Demokratischen Republik, unserem sozialistischen Vaterland. Durch seinen Beitrag zur Erhaltung des Friedens, durch seine Leistungen in Wirtschaft und Wissenschaft, auf den Gebieten Kultur und Sport und vielen anderen mehr ist es ein in der Welt geachtetes Land.“440 „In der Hauptstadt Berlin haben die Botschaften von über 130 Ländern ihren Sitz. Darin kommt die hohe Wertschätzung und Anerkennung unserer Deutschen Demokratischen Republik in aller Welt zum Ausdruck.“441 „Sie [die DDR – L. K.] ist ein Staat, der nicht imperialistische, kolonialistische, rassistische Ziele verfolgt, sondern von seiner ersten Stunde an fest an der Seite der um nationale
433 434 435 436 437 438 439 440 441
108
Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 143. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 7 1986, S. 10. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 17. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 8 1986, S. 71. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 10. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 4. Geographie Klasse 5 1990, S. 27. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 35.
und soziale Befreiung kämpfenden Völker steht. Sie genießt deshalb hohe Achtung in der ganzen Welt.“442 „Hammer und Zirkel im Ährenkranz, Zeichen des Glücks an der Wiege. Weit über die Grenzen des Vaterlands trägt es den Ruhm unsrer Siege.“443
Alles was in der DDR geschieht, wird in den Schulbüchern als modern, erfolgversprechend, zukunftsorientiert und gut dargestellt. So wird das Bild eines perfekten Staates propagiert, der eine Erfolgsgeschichte ohne Ausnahmen oder Rückschläge darstellt. Das DDR-Eigenlob ist omnipräsent, vielseitig und aufdringlich. Es findet seinen Höhepunkt in der sich in den letzten Zitaten spiegelnden Behauptung, die DDR sei ein weltweit geachteter Staat mit hoher Strahlkraft.
Abbildung 6: 442 443 444
Positive Bewertung der DDR im Musikschulbuch 444
Geschichte Klasse 10 1989, S. 7. Musik Klasse 7/8 1985, S. 13. Musik Klasse 2 1971, S. 25.
109
Macht über Menschen auszuüben bedarf einer Begründung. Darum wohnt der Bedarf nach Legitimation jedem Herrschenden inne. Die Herrschenden in den modernen westlichen Demokratien beziehen ihre Legitimation aus Wahlen. In Diktaturen ist dies nicht möglich, obschon anders propagiert. Der Legitimationszwang ist hier entsprechend hoch.445 Für die DDR sieht Wolfgang Seiffert aufgrund der direkten Konkurrenzsituation mit der Bundesrepublik einen zusätzlichen Legitimationsdruck. Wer es unternehme, innerhalb einer Nation einen zweiten Staat zu gründen, sich dabei von allen bisherigen Staaten und auch der Bundesrepublik abzugrenzen und den Anspruch erhebe, „in jeder Hinsicht der ‚überlegene’ Staat zu sein“446, müsse dem Zwang unterliegen, dies auch immer wieder zu belegen und sich immer wieder neu zu rechtfertigen. Darauf, dass die SED hierzu auch ganz maßgeblich das Bildungswesen instrumentalisiert, muss an dieser Stelle nicht mehr eigens hingewiesen werden. Ingrid Miethe bezeichnet die Erziehung im DDR-Bildungssystem gar als „zentrales Instrument zur ideologischen Einpassung der Menschen in das SED-System“.447 Die Versuche der SED, sich auch durch die Instrumentalisierung der Schulbücher Legitimation zu verschaffen, sind Gegenstand der vorliegenden Studie. Eine Spielart, dies zu tun, wurde mit der Thematisierung von Partei und Arbeiterklasse bereits diskutiert. Die SED-Herrschaft findet in der DDR statt und wirkt sich dort aus. Aus der weitreichenden Herrschaft der SED ergibt sich eine weitreichende Verantwortlichkeit für die Zustände in ihrem Staat. Positive Eigenschaften und Entwicklungen in der DDR, selbst wenn sie nur als solche behauptet werden, sind als Verdienst der SED interpretierbar. Eine behauptete Güte des zweiten deutschen Staates muss darum unweigerlich auf die kommunistische Partei als den wesentlichen Akteur und Gestalter innerhalb dieses Staates zurückfallen, zumal kommunistische Parteien, wie es Karl Dietrich Bracher ausdrückt, mit dem Attribut der Unfehlbarkeit ausgestattet seien.448 Eine positivlobende Darstellung der DDR wird so zum indirekten Eigenlob der SED. Schon im Bildungsgesetz wird daher verlangt: „Die Schüler, Lehrlinge und Studenten sind zur Liebe zur Deutschen Demokratischen Republik und zum Stolz auf die Errungenschaften des Sozialismus zu erziehen.“449 Hier treten die herrschaftssichernden Intentionen der SED in den Schulbüchern deutlich hervor. Die Partei ist überzeugt, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen und für das Gute einzutreten – so zumindest das marxistisch-leninistische Dogma. Sie macht sich 445 446 447 448 449
110
Vgl. Kielmansegg 1978, S. 79. Seiffert 1987, S. 39. Miethe 2007, S. 33. Vgl. Bracher 1999, S. 143. Vgl. § 5 (2) Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem von 1965.
mit ihrer Berufung auf die historische Mission der Arbeiterklasse nicht weniger zum Ziel, als allen Menschen die Perspektive eines erfüllten Lebens und einer glücklichen Zukunft zu verheißen.450 Der Darstellung der Schulbücher nach ist sie in der DDR auf dem Weg, dies Wirklichkeit werden zu lassen. 4.3
Sowjetunion und andere sozialistische Staaten
Sozialistische Staaten sind Gegenstand der folgenden Schulbuchaussagen: „Insgesamt ist der RGW-Bereich durch ein hohes Entwicklungstempo charakterisiert. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftsgebieten kann er deshalb berechtigt als die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt bezeichnet werden.“451 „Die Staatsgrenze zwischen unserer Republik und diesen Ländern [DDR, Polen, CSSR – L. K.] ist eine Friedensgrenze.“452 „Die Wissenschaftskooperation der sozialistischen Länder auf dem Gebiet der Chemie ist ein wichtiger Beitrag zur Nutzung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts für die Erhöhung der Wirtschaftskraft des Sozialismus.“453 „Deshalb wird der Friedenskampf der sozialistischen Staaten (...) auch mit dem Ziel geführt, endgültig dem Mißbrauch der Wissenschaft für verbrecherische Zwecke ein Ende zu machen.“454 „Große Erfolge im Kampf gegen Infektionskrankheiten sind aber im starken Maße von den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig, in denen die Menschen leben. Besonders in den sozialistischen Ländern wurde die Gefahr der Infektionskrankheiten gebannt, einige sind restlos überwunden.“455 „Für die sozialistischen Staaten ist der Kampf um nukleare Abrüstung einer der wichtigsten Bestandteile ihrer konsequent auf die aktive Verteidigung des Friedens und die Festigung der internationalen Sicherheit gerichteten Politik.“456 „Die DDR, die CSSR und die VR Polen sind sozialistische Bruderländer.“457 „In dem sozialistischen Ländern, in denen das Wohl aller Menschen im Vordergrund steht, wird eine immer umfassendere Lösung der Umweltprobleme durch gesetzliche Regelungen und durch internationale Zusammenarbeit angestrebt.“458 „Das sozialistische Weltsystem ist die bisherige Krönung des Kampfes der internationalen Arbeiterbewegung.“459
450
451 452 453 454 455 456 457 458 459
Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 244–247; Fischer/Prüsing 1974, S. 53 ff. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 18. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27. Biologie Klasse 9 1987, S. 142. Physik Klasse 6 1988, S. 8. Biologie Klasse 7 1987, S. 33. Physik Klasse 10 1989, S. 144. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27. Biologie Klasse 9 1987, S. 134. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 14.
111
Offenkundig handelt es sich hier um positiv bewertende Aussagen. Die Darstellung sozialistischer Staaten hat diesbezüglich Ähnlichkeit mit der Darstellung der DDR – gekennzeichnet seien diese Staaten und das Leben in ihnen durch Fortschritt, Friedlichkeit und Erfolg. Die Verbundenheit aller Werktätigen, aller Arbeiter weltweit ist ein wesentliches Element der marxistisch-leninistischen Lehre. Das ,Manifest der kommunistischen Partei’ von Marx und Engels schließt mit der Aufforderung ,Proletarier aller Länder, vereinigt euch!’460 Im Weltbild der SED ergibt sich aus gemeinsamen Existenz- und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse, aus gemeinsamen Zielen und Interessen sowie aus dem gemeinsamen Feind, dem Kapital, der internationale Charakter der Arbeiterklasse als deren Grundprinzip – der proletarische Internationalismus. Auf Basis des proletarischen Internationalismus bilde die internationale Arbeiterklasse, vor allem in Form ihrer Parteien, die kommunistische Weltbewegung. Dabei spiele es keine Rolle, ob diese Parteien in kommunistischen oder kapitalistischen Staaten existierten.461 Die kommunistische Weltbewegung koordiniere den internationalen Kampf der Arbeiterklasse und die Zusammenarbeit aller antiimperialistischen Kräfte.462 Die vorerst höchste Stufe des internationalen Klassenkampfes erreiche die Arbeiterklasse mit dem sozialistischen Weltsystem als der Gesamtheit der Länder, die auf Basis der sozialistischen Revolution den Weg Richtung Kommunismus einschlügen.463 Diese Länder arbeiteten, basierend auf dem Prinzip des proletarischen Internationalismus, auf vielfältige Weise zusammen, etwa im Kampf um den Frieden, beim Aufbau des Sozialismus bzw. Kommunismus oder in ökonomischen Fragen.464 Die SED lässt sich als „festen und untrennbaren Bestandteil der internationalen kommunistischen Bewegung“465 definieren und unterstreicht die Gültigkeit der ausgeführten marxistisch-leninistischen Lehren damit. In ihrem Selbstverständnis spricht sie von einem untrennbaren Zusammenhang der „siegreichen sozialistischen Revolution“ in der DDR mit dem „revolutionären Weltprozess“. Diese Revolution sei Bestandteil der „Herausbildung des sozialistischen Weltsystems“ und verflochten mit dem Aufbau der „entwickelten sozialistischen 460 461
462
463
464 465
112
Marx/Engels 2006, S. 951. Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 103–109. Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 113. Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 119 f. Vgl. Kosing 1989, S. 433. Autorenkollektiv 1988a, S. 878.
Gesellschaft“ in der Sowjetunion und den sozialistischen Revolutionen in anderen Ländern. „Sozialistischer Patriotismus“ und „proletarischer Internationalismus“ werden als Bestimmungsfaktoren des menschlichen Handelns genannt und die Annäherung an die anderen Nationen der „sozialistischen Staatengemeinschaft“ propagiert.466 Die kommunistische Idee, der Marxismus-Leninismus, ist global und die Mission der Arbeiterklasse international. Die Verankerung innerhalb der sozialistischen Welt ist somit konstitutiv für die SED. Der Kommunismus erschöpft sich nicht an den Landesgrenzen der DDR.467 Schon an diesen Ausführungen offenbart sich die Bedeutung der anderen sozialistischen Staaten für die DDR. Die dortigen Machthaber gehen davon aus, dass sich alle von kommunistischen Parteien beherrschten Staaten, vermeintlich auf der richtigen Seite der Geschichte stehend, durch die Arbeiterklasse und ihre Partei gemeinsam hin zur einzig richtigen Gesellschaftsform entwickeln. Konflikte oder Probleme zwischen sozialistischen Staaten oder innerhalb derselben kann es im Weltbild der SED nicht geben. Dies offenbart sich nochmals paradigmatisch im Geschichtsschulbuch der Klasse neun: „Die UdSSR und die Mongolische Volksrepublik waren vor dem Zweiten Weltkrieg die beiden einzigen sozialistischen Staaten. Mit der Errichtung der Arbeiter-und-BauernMacht in elf europäischen und asiatischen Staaten veränderte sich nach 1945 das politische Antlitz der Welt wesentlich. Bis zum Ende der vierziger Jahre entwickelte sich aus diesen Staaten ein sozialistisches Weltsystem. Die UdSSR war eine politische, ökonomische und militärische Hauptkraft. (...) Mit der Herausbildung und Weiterentwicklung des sozialistischen Weltsystems veränderte sich das internationale Kräfteverhältnis deutlich zugunsten des Sozialismus. Damit erhöhten sich auch die Möglichkeiten, den Weltfrieden zu bewahren und eine friedliche Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung anzustreben. Das sozialistische Weltsystem wurde zur Hauptkraft des Menschheitsfortschritts.“468
Das Bild von den anderen sozialistischen Staaten ist von Grund auf positiv besetzt, was sich in den Schulbüchern in der positiven Bewertung derselben nieder-
466 467
468
Vgl. Programm der SED von 1976, Einleitung. Tatsächlich kommt dem sozialistische Internationalismus, wie Dietrich Frenzke schreibt, eine „exorbitante“ Bedeutung zu. Seine Stellung in Verträgen zwischen den kommunistischen Staaten über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mache diese ebenso deutlich wie der Umstand, dass Ereignisse wie die Interventionen der Sowjetunion 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei unter Berufung auf den sozialistischen Internationalismus begründet werden (vgl. Frenzke 1985, S. 618). Zum internationalen Charakter des Kommunismus vgl. auch Gadshijew 1999, S. 359 ff. Geschichte Klasse 9 1989, S. 262.
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schlägt. In diesem Zitat wird auch die Sowjetunion ausdrücklich angesprochen, die bereits in der Fibel und später dann in anderen Büchern Erwähnung findet: „Die sowjetischen Freunde und wir alle sagen: ‚Uns gefällt es sehr, wenn wir gemeinsam arbeiten.’“469 „Die Deutsche Demokratische Republik erwartet oft Gäste. Gestern besuchten sowjetische Freunde unsere Stadt.“470 „Es lebe die Freundschaft zur Sowjetunion!“471 „Seit bereit und kampfentschlossen, wenn Gefahren uns bedrohn! Unsre Zeit will Glück und Frieden, Freundschaft zur Sowjetunion.“472 „Wir Thälmann-Pioniere sind Freunde der Sowjetunion und aller sozialistischen Brudervölker (...)“473 „Pflegt die Freundschaft zu den sowjetischen Pionieren, das sind sehr gute Freunde!“474 „Wir Jungpioniere halten Freundschaft mit den Kindern der Sowjetunion und aller Länder“475 „Wir bereiten ... (die sowjetischen Pioniere) ... (ein herzlicher Empfang) [Lückentext – L. K.].“476
Die bereits für die DDR in den Schulbüchern zu findenden Bekenntnisse erstrecken sich auch auf die Sowjetunion. Auffällig ist die Betonung freundschaftlicher Beziehungen. Auch diese Aussagen entstammen den Schulbüchern: „Mit der bemannten Raumfahrt kann der Mensch die Erde verlassen und in den Weltraum vordringen. Damit trägt er eine hohe Verantwortung für die friedliche Nutzung der Raumfahrt und ihrer Ergebnisse. Seit dem Start von ‚Sputnik 1’ tritt die Sowjetunion entschieden für dieses Anliegen ein.“477 „Die proletarische Staatsmacht, die mit dem II. Gesamtrussischen Sowjetkongreß entstand, dokumentierte durch das ‚Dekret für den Frieden’ vor der ganzen Welt sofort den völlig neuen Charakter ihrer Politik. Sie zeigte den Völkern, daß der Sozialismus den Weltfrieden erstrebt und mit ihm eine Einheit bildet.“478 „Ringen der Sowjetunion nach weltweiter Zusammenarbeit und friedlicher Nutzung der Raumfahrt“479 „die Friedenspolitik der Sowjetunion unterstützen“480
469 470 471 472 473 474 475 476 477 478 479 480
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Unsere Fibel 1988, S. 59. Muttersprache Klasse 3 1989, S. 9. Unsere Fibel 1988, S. 75. Musik Klasse 9/10 1986, S. 11. Musik Klasse 4 1989, S. 11. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 88. Musik Klasse 3 1979, S. 27. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 128. Astronomie Klasse 10 1990, S. 51. Geschichte Klasse 8 1988, S. 248. Astronomie Klasse 10 1990, S. 52. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 126.
„Sie [die deutsche Arbeiterbewegung – L. K.] und ihre Funktionäre betrachteten schon lange vor dem Mai 1945 die Sowjetunion als den Hort und die Sowjetarmee als den stählernen Arm der Freiheit.“481
Die Ähnlichkeiten in der Beschreibung von DDR und Sowjetunion in den Schulbüchern setzen sich hier fort: Wie die DDR wird die Sowjetunion als friedliebend charakterisiert. Es passt in das unkritische Bild vom Sozialismus, dass sich bereits in der Art und Weise zeigt, wie in den Schulbüchern mit Partei, Arbeiterklasse und DDR umgegangen wird, dass auch für die Verhältnisse in der Sowjetunion nie Probleme thematisiert werden. Positiv bewertende Erwähnung findet das sozialistische Land jedoch über die bereits zitierten Beispiele hinaus allerorten: „Das reiche, blühende Musikleben der Sowjetunion hat sich nicht im Selbstlauf entwickelt.“482 „Vieles Schöne gibt es im Lande der sozialistischen Sowjetunion, und es wächst fortwährend!“483 „Sie [Käthe Niederkirchner – L. K.] war in das Land gekommen, von dem sie seit ihrer frühesten Jugend wusste, daß es das beste sei, die Hoffnung der Menschheit, das Land, in dem sich die echte Liebe zu allen Vaterländern noch einmal wie in einem Spektrum versammelt und erhöht.“484
Über alle Schulbücher hinweg finden sich Aussagen der folgenden Art: „Die Sowjetunion ist das älteste sozialistische Land der Erde. Seit im Roten Oktober 1917 die Arbeiter und Bauern unter Führung der Kommunisten Großgrundbesitzer und Kapitalisten die politische Macht entrissen, hat sich das damalige Russische Reich von einem Land der Bastschuhe und des Hakenpfluges zu einem Land der Weltraumflüge und der modernen Großindustrie entwickelt.“485 „Mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurde die Sowjetunion als erster Friedensstaat in der Geschichte geschaffen.“486 „Jedes Jahr feiern die Bürger der Sowjetunion und Millionen fortschrittliche Menschen in der ganzen Welt den Tag des Sieges der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution in Rußland. Seit 1917 haben sich die fortschrittlichen Werktätigen vieler Länder die Oktoberrevolution für ihren eigenen Kampf zum Vorbild genommen.“487 „Mit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und der Errichtung der Macht der Arbeiter und Bauern entstand in der menschlichen Geschichte eine Gesellschaftsordnung, in der Ausbeutung und Unterdrückung der Werktätigen beseitigt wurden,
481 482 483 484 485 486 487
Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 16. Musik Klasse 9/10 1986, S. 154. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 32. Lesebuch Klasse 8 1985, S. 144. Geographie Klasse 7 1990, S. 17. Musik Klasse 4 1989, S. 45. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 66.
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alle Macht vom Volke ausging, alles für das Wohl der Menschen und eine friedliche Zukunft getan wurde.“488
Positive Betonung erfährt hier die Rolle der Sowjetunion als des ersten sozialistischen Staates. Die Oktoberrevolution wird als konsequenzenreiches, herausragend positives Ereignis geschildert. Auch in den folgenden Kontext wird die Sowjetunion gebettet: „Auf dem sicheren Fundament des unzerstörbaren Bruderbundes mit der Sowjetunion entwickeln sich die Wirtschaft und das gesamte Territorium unserer Republik erfolgreich.“489 „Die bis dahin erreichten Leistungen der Werktätigen unserer Republik und die immer enger werdende brüderliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistische Staaten waren Voraussetzungen, um die großen Bauvorhaben in Angriff nehmen zu können.“490 „Unser erfolgreicher Weg war immer auch ein Ergebnis der engen und brüderlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern.“491 „Erst mit der Revolution von 1952 begann eine Zeit der sozialen und wirtschaftlichen Erneuerung des Landes [Ägypten – L. K.], die insbesondere durch die UdSSR entscheidend unterstützt wurde.“492
Mit solchen Aussagen würdigen die Schulbuchautoren die Sowjetunion als sozialistische Schutz- und Hegemonialmacht. Im Musikschulbuch der neunten und zehnten Klasse heißt es: „Mit dem Sowjetvolk sind wir im Bunde, machtvoll ist die Bastion. Für die Heimat wacht zu jeder Stunde mit uns die Sowjetunion.“493 Die Aussage verdeutlicht die Rolle der Sowjetunion (sie wache für die Heimat) ganz pragmatisch als Garant für die Herrschaft kommunistischer Parteien wie der SED. Angesichts von Ereignissen wie den Volksaufständen 1953 und 1956 in der DDR bzw. in Ungarn oder dem Prager Frühling 1968 mag diese Aussage durchaus zweideutig anmuten. Im Lesebuch der Klassen neun und zehn wird der „Gruß des deutschen Dichters an die Russische Föderative Sowjet-Republik“494 präsentiert: „Im Osten wächst das Licht. Der Dichter streue Sich schwellend dir entgegen. Weiche Nacht! Bewinkte Finsternis von Morgen-Bläuen. Ja: Liebe dehnt sich unbeschränkter Macht. 488 489 490 491 492 493 494
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Geschichte Klasse 8 1988, S. 252. Geographie Klasse 10 1988, S. 94. Chemie Klasse 10 1988, S. 94. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 102. Geographie Klasse 8 1989, S. 82. Musik Klasse 9/10 1986, S. 198. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 129.
Die goldene Sichel und der goldene Hammer! O Ozean-Röte! Morgen! Ährenkranz. Der feiste Bürger schrumpft in sich zusammen. Nun windet er sich euere Knie umklammernd, Geblendet von zu unerhörtem Glanz! Ihr werdet hart sein. Und sehr unerbittlich – Und nicht vergessen: Wahret euer Recht. Wälzt um! Befreit! Und dann erst: wahrhaft friedlich Erhöbe sich ein göttliches Geschlecht.“495
Hier nimmt die positive Bewertung der Sowjetunion pathetische Züge an. Auch der Hinweis auf das Feindbild unterbleibt nicht. Die DDR ist in weiten Teilen eine Nachahmung der Sowjetunion. Institutionen und (Partei-)Strukturen sind importiert, politische Begriffe (zum Beispiel Politbüro, Zentralkomitee) aus dem Russischen übersetzt und übernommen.496 Militärisch ist die Sowjetunion Hegemonialmacht im Warschauer Vertrag, politisch ist die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) Vorbild einer marxistisch-leninistischen Partei, historisch stellt die Sowjetunion (wenigstens ideell) das Positivbeispiel für die Richtigkeit des Marxismus-Leninismus dar: den ersten sozialistischen Staat der Welt. Hans Mommsen bezeichnet die Sowjetunion als „entscheidende Stabilitätsgrundlage“497 der DDR. Er konstatiert eine Abhängigkeit der DDR von Moskau, die höher gewesen sei als die anderer Ostblockstaaten, weil durch die deutsche Teilung ein Rekurs auf die nationale Loyalität der Bürger nicht möglich gewesen sei.498 Matthias Rogg zählt die Bindung an die Sowjetunion zu den wichtigsten „axiomatischen Lehrsätzen“499 der DDR. Die Erfahrungen der KPdSU sowie die Freundschaft mit derselben und dem „Sowjetvolk“ nennt die SED in ihrem Programm als „Kraftquell und Grundlage“ für die Entwicklung der DDR. Darüber hinaus versteht sie sich als „Abteilung der internationalen kommunistischen Bewegung“, fest „auf dem Boden des proletarischen Internationalismus“ stehend und „brüderlich verbunden“ mit der KPdSU, die als erste die Arbeiterklasse an die Macht führe und die gemeinsam mit ihrer „ruhmreichen Armee“ den entscheidenden Beitrag zur „Zerschlagung des deutschen Faschismus“ leiste. Damit schaffe die Sowjetunion die Möglich-
495 496 497 498 499
Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 129. Vgl. Evans 2005, S. 4; Stephan 1997, S. 99. Mommsen 1999, S. 513. Vgl. Mommsen 1999, S. 513. Rogg 2008, S. 53.
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keiten für die demokratische und fortschrittliche Entwicklung des deutschen Volkes.500 Aus der besonderen historischen Situation der DDR als sowjetischer Besatzungszone ergibt sich eine enge Bindung an die sozialistische Hegemonialmacht. In den Schulbüchern wird daher neben den anderen sozialistischen Staaten vor allem die Sowjetunion Gegenstand positiver Bewertung. Trotz der realpolitischen Zerwürfnisse zwischen Ostberlin und Moskau Ende der achtziger Jahre zeigt doch gerade der Blick in die Schulbücher dieser Zeit, dass die ideelle Bindung an die Sowjetunion maßgeblich bleibt. Die Sowjetunion ist fächer- und themenübergreifend Gegenstand positiver Bewertung. Angesichts der ideellen und pragmatischen Funktion der sozialistischen Hegemonialmacht für die Herrschaft der SED ist dies logische Konsequenz. Die Geschichte eines Hundes, der von seinem Besitzer dessen russischem Freund geschenkt wird, wird im Lesebuch der Klasse vier erzählt. Nach einigen Wochen Abwesenheit besucht dieser Freund den Protagonisten, worauf der feststellen muss, dass besagter Hund nur noch auf russische Kommandos hört. Von dem Tier beschämt, beschließt der Protagonist nun endlich das zu tun, was er schon lange vorhatte – Russisch zu lernen.501 Die hier vermittelte Botschaft ist subtil und dadurch lediglich tendenziell positiv wertend. Im Muttersprachschulbuch der Klasse sieben findet sich ein Text über die sowjetische Holzwirtschaft,502 an anderer Stelle geht es um das Bewässern von Wüsten am Beispiel des sowjetischen Karakumkanals.503 Im Muttersprachschulbuch der fünften Klasse ist ein Text über die Geschichte Moskaus abgedruckt.504 Schon in der Fibel lernen die Kinder die sowjetische Fahne kennen und erfahren von einem Mann, der auf einer Messe ein sowjetisches Auto betrachtet.505 Auf derlei oder ähnliche Weise müssen sich die Schüler in den Schulbüchern immer wieder mit der Sowjetunion befassen. Betonung erfährt beispielsweise auch regelmäßig die Rolle der Sowjetunion als Handels- oder Wirtschaftspartner: „Die Sowjetunion lieferte uns den größten Teil der Ausrüstungen für diese Kraftwerke.“506 „Die Sowjetunion ist der größte Handelspartner unserer Republik.“507
500 501 502 503 504 505 506 507
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Programm der SED von 1976, Einleitung. Lesebuch Klasse 4 1986, S. 18 f. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 14 f. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 74. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 117. Unsere Fibel 1988, S. 27 bzw. 58. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 102. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 102.
„Unsere neueste Zuckerrohrschneidemaschine heißt KTP-1. Sie wurde von Kubanern und sowjetischen Ingenieuren konstruiert.“508 „Ein Land wie die DDR zum Beispiel, das nicht sehr groß, arm an Rohstoffen, aber hochindus-trialisiert ist, könnte ohne diesen wirtschaftlichen Austausch nicht bestehen. Darum herrschen ein reger Geschäftsreise- und Touristenverkehr, ein pausenloser Rohstoff-, Industriegüter und Lebensmitteltransport zwischen der DDR und der Sowjetunion und vielen anderen Ländern der Erde.“509 „Der größte Aussteller der sozialistischen Länder [auf der Leipziger Messe – L. K.] ist die Sowjetunion. Sie ist auch unser bedeutendster Handelspartner.“510 „Erdöl und Erdgas werden in der DDR überwiegend aus der Sowjetunion importiert.“511 „Solche Giganten der Energieerzeugung wie das Kraftwerk Hagenwerder – ausgestattet mit 500-MW-Blöcken aus der UdSSR – schaffen die energetischen Voraussetzungen für ein zielstrebiges Wirtschaftswachstum (...).“512 „Im Jahre 1945 wurden die Gutsbesitzer von den Arbeitern und Bauern enteignet. (...) Die Arbeit blieb aber in dieser Zeit noch sehr schwer. Die Neubauern, wie die neuen Besitzer des Landes genannt wurden, besaßen kaum Maschinen. (...) Die ersten Traktoren lieferte damals die Sowjetunion.“513
Zur Sowjetunion und anderen sozialistische Staaten wird sich niemals negativ geäußert. Sie stehen oft in einem positiven Kontext, doch nicht ausschließlich. Die zuletzt zitierten Beispiele handeln zwar von der Sowjetunion, weisen aber keine positiven Wertungen auf, sie sind diesbezüglich neutral. Im Lesebuch der dritten Klasse finden sich drei Reiseberichte aus sozialistischen Staaten: aus Vietnam,514 Bulgarien515 und der Mongolei.516 Sozialistische Staaten werden quer über alle Schulbücher hinweg thematisiert: „Auch Meerwasser ist reich an Natriumchlorid und anderen Salzen. In südlichen Ländern, zum Beispiel in der Volksrepublik Bulgarien, läßt man es in flachen Becken eindunsten.“517 „In unserer Deutschen Demokratischen Republik gibt es Institute, in denen Wissenschaftler neue, ertragreiche Getreidesorten züchten. Dabei tauschen sie ihre Erfahrungen mit Pflanzenzüchtern aus anderen sozialistischen Ländern aus.“518 „Erkunde, welche Betriebe deines Heimatbezirkes Partnerbetriebe in den sozialistischen Ländern haben!“519 „Welches sind die bedeutendsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse Kubas?“520 508 509 510 511 512 513 514 515 516 517 518 519
Lesebuch Klasse 4 1986, S. 29. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 14. Geographie Klasse 5 1990, S. 133. Chemie Klasse 7 1988, S. 113. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 10 1988, S. 101. Geographie Klasse 5 1990, S. 94. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 107–111. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 142. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 143. Chemie Klasse 7 1988, S. 90. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 123. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 103.
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„Die RGW-Länder helfen sich auch bei der Erschließung von Energie- und Rohstoffquellen.“521 „Welches Land ist dichter bewohnt, die VR Polen oder die CSSR?“522 „Viele Betriebe in der DDR haben Partnerbetriebe in der Sowjetunion und in anderen sozialistischen Ländern.“523 „Die DDR arbeitet mit der Sowjetunion und mit den anderen sozialistischen Ländern auch in der Kultur und im Sport zusammen.“524 „Die Deutsche Demokratische Republik ist wirtschaftlich eng verflochten mit der Sowjetunion und den anderen Ländern des RGW.“525
Weniger oft als die Sowjetunion, aber dennoch auffallend häufig sind andere sozialistische Staaten Gegenstand neutraler Erwähnung wie in diesen Schulbuchpassagen.
Abbildung 7: 520 521 522 523 524 525
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Gewöhnung an sozialistische Staaten in der Fibel 526
Muttersprache Klasse 7 1990, S. 91. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 102. Mathematik Klasse 6 1988, S. 205. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 103. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 103. Geographie Klasse 10 1988, S. 94.
Wie ausgeführt wurde, nehmen insbesondere die Sowjetunion, aber auch die übrigen sozialistischen Staaten einen besonderen Platz im Weltbild der SED ein. Erstere als Vorbild und Hegemon, Letztere mindestens als Partnerstaaten, die auf denselben ideellen Grundlagen basieren wie die DDR und damit Teil des sozialistischen Systems sind. Auch durch neutrale Erwähnungen der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten wird mindestens Gewöhnungspotenzial erzielt, d. h., es bietet sich die Chance, dass Bewusstsein der Schüler für diese Staaten zu schärfen. Wegen solch potenzieller Gewöhnungseffekte wird dieser Vorgang in der vorliegenden Untersuchung als ,Gewöhnung’ bezeichnet. Durch die permanente Thematisierung sozialistischer Staaten leisten die Schulbücher einen Beitrag zur Festigung eines sozialistischen Weltbildes. Gewöhnung an Arbeiterklasse und Partei heißt Gewöhnung an das Kernelement der marxistischen Lehre und den Machthaber. Gewöhnung an sozialistische Staaten heißt Gewöhnung an den Sozialismus und vor allem auch an die Sowjetunion, die ideell und pragmatisch für dessen Bestand entscheidend ist. Zur Einordnung sei erwähnt, dass das Denken in Kategorien typisch für die Zeit des Kalten Krieges ist – auch im Westen. Auch die Bundesrepublik verfügt mit den USA über ein Vorbild sowie eine Führungs- und Schutzmacht.527 Die Welt ist aufgeteilt in West und Ost, in Kapitalismus und Kommunismus, in die Staaten der NATO und des Warschauer Vertrages. Die Betonung der eigenen Seite mag also durchaus ein Stück Normalität sein. Dies ist jedoch unerheblich für die Frage nach dem herrschaftssichernden Potenzial entsprechender Aussagen. Dieses generiert sich nicht aus der Frage, ob die andere Seite sich ähnlich verhält, ebenso wenig aus der Frage, ob entsprechende Schulbuchinhalte nur Tatsachen ausdrücken oder nicht. Es generiert sich aus dem möglichen Effekt einer Gewöhnung an Bestandteile des Sozialismus, an deren dadurch möglicherweise bewirkte Verankerung im Bewusstsein der Schüler und den potenziellen Beitrag zur Generierung eines ganz bestimmten Weltbildes, in dem der Zusammenhalt der sozialistischen Staaten nicht in Frage gestellt wird. Die permanente Thematisierung sozialistischer Staaten, insbesondere der Sowjetunion, kann einerseits als Beitrag zur Gewöhnung an die sozialistische Welt, genauer an den inneren Zusammenhalt innerhalb des Sozialismus, gesehen werden, andererseits dient sie, vor allem mit Blick auf die Sowjetunion, der Gewöhnung an einen wesentlichen Machtgaranten der SED. Die Frage, ob die wertungsneutrale The526 527
Unsere Fibel 1988, S. 93. Vgl. hierzu auch Klaus Schroeders Buch zur Wiedervereinigung Deutschlands, in dem der Autor die Entwicklung beider deutscher Teilstaaten als „Folge von Amerikanisierung und Sowjetisierung“ beschreibt (Schroeder 2006, S. 86–90).
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matisierung von Bestandteilen der sozialistischen Welt herrschaftssichernd ist, wird abhängig von der Rolle beantwortet, die diese Bestandteile im Machtgefüge der SED spielen. Wie auch Arbeiterklasse und kommunistischer Partei kommt den sozialistischen Staaten und der Sowjetunion in diesem Machtgefüge eine so wichtige Rolle zu, dass ihrer permanenten Thematisierung als Gewöhnung an wichtige Systembestandteile herrschaftssicherndes Potenzial zugeschrieben werden kann. 4.4
Systemrelevante Personen
In der Fibel wird den Erstklässlern vermittelt, dass Thälmann ein „mutiger Arbeiterführer“ gewesen sei. Sie erfahren: „Thälmann liebte die Kinder. Er forderte vor allem für die Kinder der Arbeiter immer genug zu essen, helle Wohnungen und Schulen, in denen sie viel lernen können. […] Deshalb tragen die Pioniere in unserer Republik seinen Namen.“528 Auch an anderen Stellen der Fibel und in anderen Schulbüchern wird Thälmann behandelt: „Jeden Morgen bat der kleine Ernst Thälmann seine Mutter: ‚Gib mir bitte noch ein paar Schnitten mehr in die Schule mit! Leg auch etwas Wurst drauf!’ Das fiel der Mutter nicht leicht. Der Vater verdiente wenig Geld. Es reichte manchmal gerade für das Essen. Eines Tages fragte der Vater: ‚Was machst du nur mit soviel Brot?’ Da antwortetet Ernst: ‚Weißt du, Vater, viele Schulkameraden bringen nur trockenes Brot mit in die Schule. Manche haben gar nichts zu essen und sind immer hungrig. Diesen Jungen gebe ich die Schnitten, die mir Mutter mehr einpackt.’“529 „So wie Erst Thälmann blieben viele Kommunisten ihrer Partei treu und kämpften tapfer gegen die Faschisten.“530 „Lerne so gut, wie es Ernst Thälmann schon als Schüler tat!“531 „Seid bereit, ihr Pioniere, wie Ernst Thälmann, treu und kühn!“532 Text „Held Thälmann“ von Heinrich Mann im Lesebuch.533
Eine systemrelevante Person wie Ernst Thälmann, ehemaliger Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) und Namenspatron der Pionierorganisation, wird durch seine positiv bewertende Darstellung zum Vorbild stilisiert. Die propagierte Vorbildhaftigkeit ist für den Sozialismus instrumentalisierbar, da Thälmann Repräsentant desselben ist. Damit ist er zunächst auch ganz 528 529 530 531 532 533
122
Unsere Fibel 1988, S. 109. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 15 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 74. Unsere Fibel 1988, S. 108. Musik Klasse 4 1989, S. 14. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 213 f.
allgemein Repräsentant der SED und als ehemaliger Parteivorsitzender ihrer unmittelbaren kommunistischen Vorgängerpartei insbesondere. Auch Karl Marx und Friedrich Engels sind als Begründer des Marxismus-Leninismus systemrelevante Personen: „Manchmal werden bedeutende Persönlichkeiten dadurch geehrt, daß Städte nach ihnen benannt werden. So erhielt im Jahre 1953 die Stadt Chemnitz den Namen Karl-MarxStadt.“534 Diese Frage [nach der Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung – L. K.] von menschheitsgeschichtlicher Tragweite wurde von zwei Männern beantwortet, die deshalb bis auf den heutigen Tag von der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung geachtet und geehrt werden: von Karl Marx und Friedrich Engels.“535 „Sie [Karl Marx und seine Frau – L. K.] blieben ihrem Entschluß treu, die Wahrheit über die Lage der Arbeiter zu sagen und zu schreiben und für ein besseres Leben der arbeitenden Menschen zu kämpfen.“536 „Ich habe gelesen, daß Jenny von Westphalen als schönstes Mädchen von Trier galt. Die Jenny Marx in Bronze gibt diese Schönheit wieder, dazu aber auch jene Eigenschaften, durch die sich die Frau von Karl Marx auszeichnete. Jenny war ihrem Mann eine echte Freundin und eine gute Mutter für ihre Kinder.“537
Abbildung 8: 534 535 536 537 538
Positive Bewertung Thälmanns im Geschichtsschulbuch 538
Muttersprache Klasse 5 1990, S. 10. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 7. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 50. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 30. Geschichte Klasse 9 1989, S. 87.
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Im Heimatkundeschulbuch der Klasse vier wird verkündet: „Karl Marx und Friedrich Engels gehören zu den Vorkämpfern für unser sozialistisches Vaterland.“ Um zu verstehen, so wird weiter ausgeführt, was die beiden Deutschen „für den Kampf der Arbeiter in der ganzen Welt“ leisteten, sei es notwendig zu wissen, „wie die Arbeiter zur Zeit von Marx und Engels“ lebten und arbeiteten. So sei Kinderarbeit „den Kapitalisten“ ein willkommenes Mittel, weil Kinder weniger Lohn bekämen als Erwachsene; und während die Arbeiter mit ihren Familien ein „armseliges Leben“ führten, lebten „die Kapitalisten und ihre Familien in Reichtum und Überfluß“. Die Schilderung steigert sich bis zum Aufstand der schlesischen Weber: „Auch als die ersten Weber in ihrem Blute lagen, getroffen von den Kugeln ihrer eigenen Landsleute in Uniform, gaben die Aufständischen nicht nach.“ An dieser Stelle endet die Beschreibung der Lebensbedingungen der Arbeiter; es folgt die Überleitung zu Marx und Engels unter der Überschrift: „Karl Marx und Friedrich Engels setzten sich für ein besseres Leben der Werktätigen ein“. Die Schüler erfahren von der notleidenden Familie Marx und der Freundschaft zwischen Marx und Engels. Es wird dann die Entstehung des Kommunistischen Manifests erläutert sowie die Gründung des Bundes der Kommunisten: „Die Arbeiter lasen in dem Buch die Wahrheit über ihr Leben. […] In dem Buch stand auch: Die Arbeiter sind eine Macht. Wenn sie gemeinsam kämpfen, dann sind sie unbesiegbar.“ Abschließend geht es um die Hilfsbereitschaft von Marx und Engels, endend mit den Worten: „So ist es zu verstehen, daß Marx und Engels von den Arbeitern, die für ihre Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung kämpften, geehrt und geachtet wurden.“ Engels wird an Marx’ Grab mit den Worten zitiert: „Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und auch sein Werk!“ Auf die Grabrede folgt die Aufgabe: „Wiederhole, welche wichtigen Lehren Marx und Engels den Arbeitern vermittelten! Beweise, daß diese Lehren in der DDR verwirklicht werden!“ Unter der dann folgenden Überschrift „Ihre Namen und ihr Werk leben in unserer Republik“ können die Schüler lesen: „Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik verwirklichen, wofür Marx und Engels ein Leben lang gekämpft haben.“539 Hier wird der erzählerische Bogen vom Frühkapitalismus über das Wirken von Marx und Engels bis zur DDR als Verwirklichung der marxschen und engelsschen Vision gespannt – ein paradigmatisches Beispiel für die Instrumentalisierung von Personen für den Sozialismus. Im Bezug auf den dritten Begründer des Marxismus-Leninismus, Lenin, finden sich Aussagen wie die folgenden:
539
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Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 49–55.
„An die feuernde Aurora, an das Glück, das kraftvoll tagt, und an rote Friedensfahnen denkt man, wenn man ‚Lenin’ sagt, wenn man ‚Lenin’ sagt.“540 „Wladimir Iljitsch Lenin war nicht nur ein hervorragender Revolutionär, sondern auch ein ausgezeichneter Redner. Alles was er sagte, war aus dem wirklichen Leben gegriffen. Deshalb übten seine Ansprachen eine tiefe Wirkung aus.“541 „Jeder kennt aus Lenins Leben manche beispielhafte Tat. Kleine Leute, große Leute holen sich bei Lenin rat.“542 „Lenins Worte wurden Armeen gegen die Hungersnot.“543
Abbildung 9:
Positive Bewertung Lenins im Musikschulbuch 544
Wie auch Thälmann sind Marx, Engels und Lenin hier Gegenstand positiver Bewertung. Insbesondere die letztzitierten Schulbuchaussagen über Lenin enthalten zudem ein deutliches Maß an Pathos. Eine Beschreibung des Moskauer Roten Platzes im Lesebuch der Klasse drei bietet den thematischen Hintergrund, um näher auf Lenin einzugehen: 540 541 542 543 544
Musik Klasse 4 1989, S. 9. Muttersprache Klasse 4 1989, S. 147. Musik Klasse 4 1989, S. 9. Musik Klasse 7/8 1985, S. 55. Musik Klasse Klasse 1989, S. 9.
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„Das Lenin-Mausoleum ist die Grabstätte von Wladimir Iljitsch Lenin. Lenins letztes Haus. Zusammengefügt aus riesigen Blöcken kostbaren Gesteins. Ein festes, gerades Bauwerk zu Ehren des toten Revolutionärs, der die Partei der Bolschewiki geschmiedet hat, der das lange gequälte Volk in die Oktoberrevolution führte, der den Sowjetstaat begründete. Unser Dichter Johannes R. Becher hat von Lenin geschrieben: ‚Er rührte an den Schlaf der Welt mit Worten, die Blitze waren …’ Am 21. Januar 1924 ist Lenin gestorben. Er lebt überall auf der Welt. Dort, wo die Menschen ein sozialistisches Land bauen, auch dort, wo die Befreiung von Elend und Unterdrückung erst noch erkämpft werden muß.“545
Der zitierte Text ist erneut überschwänglich in seiner positiv-lobenden Darstellung. Im Lesebuch der Klasse drei wird der Tode Lenins behandelt: „Der Tod Lenins war ein schwerer Verlust für das ganze Sowjetvolk und die internationale Arbeiterklasse. Das Herz des großen Revolutionärs und Theoretikers, der die Oktoberrevolution zum Siege geführt und der Sowjetunion den Weg des sozialistischen Aufbaus gewiesen hatte, schlug nicht mehr. Doch die revolutionäre Arbeiterklasse erfüllte sein Vermächtnis und setzte ihren Kampf um Frieden und Sozialismus fort.“546
Pathos ist ein beliebtes Stilmittel im Umgang mit Lenin. Die dafür verantwortlichen Schulbuchautoren kündigen im Geschichtsschulbuch der Klasse neun an: „Beim Schulbuchstudium werden Sie Achtung vor den Kräften und Persönlichkeiten gewinnen, die unter großen Mühen und Opfern diese Leistungen vollbrachten. Ihnen sollten Sie nacheifern. Dazu wollen der Geschichtsunterricht und dieses Schulbuch beitragen.“547 Im Lesebuch der Klasse neun und zehn steht geschrieben: „Die proletarische deutsche Jugend hat Helden [in diesem Fall geht es um Ernst Thälmann – L. K.] und darf zu ihnen aufblicken.“548 Beide Zitate offenbaren die Intentionen hinter der positiven Bewertung systemrelevanter Personen: Marxismus-Leninismus oder die historische Mission der Arbeiterklasse sind zunächst abstrakte Begriffe. Insbesondere in den Schulbüchern, die an Kinder adressiert sind, ist die Projizierung des SED-Weltbildes auf Personen eine Möglichkeit, Botschaften konkret fassbar zu machen. Werden diese Personen dann Gegenstand positiver Bewertung, liegen herrschaftssichernde Effekte nahe, weil die Vorzüge des Sozialismus anhand dazu stilisierter Vorbilder anschaulich propagiert werden und weil die positive Bewertung von Angehörigen des Sozialismus letztlich diesen selbst in einem positiven Licht erscheinen lässt. Mithilfe des Propaganda- und Kommunikationsmusters des sozialistischen Helden wird der Versuch unternommen, die Sache des Sozialismus zu personifizie-
545 546 547 548
126
Lesebuch Klasse 3 1986, S. 25 f. Geschichte Klasse 9 1989, S. 31. Geschichte Klasse 9 1989, S. 6. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 213.
ren.549 Die Stilisierung Ernst Thälmanns zu einem Vorbild ist exemplarisch hierfür. In den Schulbüchern erfahren die Schüler von seinem angeblich guten Charakter, seinem Mut, seinen Taten und der Zuneigung, die ihm von Seiten der Menschen weltweit entgegengebracht werde. Die Glorifizierung Thälmanns wird so extensiv betrieben, dass hier der Begriff Personenkult angemessen ist. Thälmann ist als ehemaliger Vorsitzender der KPD eine wichtige Persönlichkeit der kommunistischen Tradition, ein „ideologisches Konstrukt“550. Seine häufige Erwähnung und positive Bewertung wirkt entsprechend legitimierend und herrschaftssichernd für die SED.551 Die positive Bewertung der Begründer der marxistisch-leninistischen Ideologie, Marx, Engels und Lenin, wirkt sich auf das Ansehen dieses Lehrgebäudes aus. Damit werden der Sozialismus, der sich wesentlich auf den Marxismus-Leninismus stützt, legitimiert und die theoretischen Grundlagen der Macht der SED zementiert. Ernst Thälmann ist auch Gegenstand von Erzählungen in der Fibel552 und in anderen Schulbüchern. Im Lesebuch der Klasse drei wird über die Haft des ehemaligen KPD-Vorsitzenden, im Lesebuch der Klasse zwei über seine Kindheit berichtet.553 Hinzu treten Gedichte554 oder Bilder, etwa von einem Weimarer Ernst-Thälmann-Denkmal (mit salutierenden Pionieren).555 Auch der Mathematikunterricht bietet Gelegenheit zur Erwähnung Thälmanns, wenn die Schüler beispielsweise in Klasse sechs berechnen sollen, ob eine Formation von 246 Schülern in Dreierreihen an einem Thälmannhain vorbeimarschieren kann.556 Kennzeichnend für die genannten Schulbuchpassagen ist, dass Thälmann hier zwar thematisiert wird, jedoch keiner positiven Bewertung unterzogen ist. Mit Marx, Engels und Lenin beschäftigen sich diese Schulbuchaussagen: „Lenin verallgemeinerte die Erfahrungen der russischen Revolution und entwickelte die marxistische Lehre von der sozialistischen Revolution weiter.“557 „Zwischen 1836 und 1841 ging hier [auf der Berliner Promenade Unter den Linden – L. K.] täglich der Student Karl Marx auf seinem Weg zur Universität entlang, und diese berühmte Allee benutzte auch Wladimir Iljitsch Lenin, um zum Lesesaal der ‚Bücherkommode’ zu gelangen.“558 549 550 551
552 553 554 555 556 557 558
Vgl. Satjukow/Gries 2002, S. 78. Ihme-Tuchel 2003, S. 111. Vgl. hierzu René Börrnerts Dissertation zum Thälmannbild im Erziehungsalltag der DDR (Börrnert 2004). Unsere Fibel 1988, S. 108 f. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 58; Lesebuch Klasse 2 1990, S. 15 f. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 207. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 66. Mathematik Klasse 6 1988, S. 7. Geschichte Klasse 8 1988, S. 188. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 101.
127
„Das Erbe Karl Marx’ anzutreten wirft viele Fragen auf. Was heißt für uns eine lebendige Aneignung seines Werkes? Wir sagen, Karl Marx lebt. Bedenken wir das auch immer in unserem täglichen Verhalten?“559 „Lenin sprach im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Volkswirtschaft einmal von der Anwendung technischer Arbeitssklaven. Wie viele technische Arbeitssklaven (mit einer Dauerleistung von 70 Watt) würden der Leistung einer E-Lok entsprechen?“560 „Wir erleben eine spannende Geschichte [Meister Röckle von Joachim Werzlau – L. K.], die schon Karl Marx auf oft langen Spaziergängen seinen Kindern erzählte und die durch die Musik und das Geschehen auf der Bühne noch viel aufregender und interessanter wird.“561
Abbildung 10:
Gewöhnung an Thälmann und Lenin in der Fibel 562
In ähnlicher Weise wie Thälmann finden sich an dieser Stelle auch Marx, Engels und Lenin in nicht positiv bewertenden Aussagezusammenhängen wieder. Ganze Kapitel befassen sich mit Marx’, Engels’ oder Lenins Leben.563 Es findet sich die Abbildung eines Klassenzimmers, in dem ein Bild Lenins im Hintergrund an der Schultafel befestigt ist (Abbildung 10)564 oder Geschichten über den russischen Revolutionär565 sowie Marx566 und Engels567 oder beide zusammen568. Marx, Engels und Lenin werden auch zitiert, etwa im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn, wo Lenin über die Kunst spricht, oder im Lesebuch der Klasse acht,
559 560 561 562 563 564 565 566 567 568
128
Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 80. Physik Klasse 8 1989, S. 115. Musik Klasse 5/6 1990, S. 58. Unsere Fibel 1988, S. 26 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 45–56. Unsere Fibel 1988, S. 26. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 109 f.; Lesebuch Klasse 2 1990, S. 14 f. Lesebuch Klasse 3 1985, S. 46 ff.; Lesebuch Klasse 4 1990, S. 41–44. Muttersprache 5 1990, S. 125. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 34–40.
das einen Essay von Friedrich Engels über Heinrich Heines schlesische Weber enthält.569 Marx, Engels, Lenin und Thälmann sind nicht die einzigen systemrelevanten Personen. Auch andere Persönlichkeiten der kommunistischen Geschichte und Gegenwart finden in verschiedenen Kontexten Erwähnung in den Schulbüchern. Exemplarisch seien hier Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg,570 Artur Becker,571 Liselotte Herrmann,572 Werner Seelenbinder573, Clara Zetkin574 oder Erich Honecker575 genannt. Sie werden in ähnlicher Weise thematisiert – positiv wertend oder neutral – wie Thälmann, Marx, Engels und Lenin. Dass von den Schülern erwartet wird, diese Personen zu kennen, zeigt sich an Aufgabenstellungen wie der folgenden aus dem Muttersprachschulbuch: „Schreibe die Namen der folgenden Persönlichkeiten auf! - Mitbegründerin und Führerin der internationalen sozialistischen Frauenbewegung (1857–1933), [Clara Zetkin – L. K.] - zwei Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (beide am 15.1.1919 ermordet), [Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – L. K.] - Führer der deutschen Arbeiterbewegung 16.4.1886–18.8.1944), [Ernst Thälmann – L. K.] (...) - 1. Sekretär des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend, [Eberhard Aurich – L. K.] - 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED eures Bezirks“.576
Im Lesebuch der Klasse drei wird ein Streitgespräch zwischen dem Protagonisten und einem älteren Herrn geschildert, in dem es sich um die Existenz des Weihnachtsmannes dreht. Zweimal wird die Ähnlichkeit des älteren Herren mit Karl Marx erwähnt: „Er sah ein bißchen aus wie Karl Marx und ein bißchen wie ein Dichter, auf dessen Namen ich im Augenblick nicht komme.“577 „Er verbeugte sich leicht, und ich sah, daß sein Bart länger war als der von Karl Marx, länger auch als der des Dichters.“578 Zum Ende der Geschichte stellt sich heraus, dass der Karl Marx so ähnlich sehende Herr tatsächlich der Weihnachtsmann ist. Hier nimmt die Thematisierung systemrelevanter Personen bizarre Formen an – 569 570
571 572 573 574 575 576 577 578
Musik Klasse 9/10 1986, S. 153 bzw. Lesebuch Klasse 8 1986, S. 89. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 123–126; Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 67–69; Muttersprache Klasse 4 1989, S. 177. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 74 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 75 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 76 f. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 104. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 83. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 104. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 104. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 104.
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gleichzeitig auch ein Beispiel für die Alltäglichkeit, mit der eben diese Personen Gegenstand der Schulbücher werden. Im Einführungsteil des Astronomieschulbuchs wird Karl Marx wie folgt zitiert: „Genaue Kenntnisse über den Zeitablauf waren für die Festlegung der Termine zur Bewässerung der Felder, zur Aussaat und Ernte erforderlich. ‚Die Notwendigkeit, die Perioden der Nilüberschwemmung zu berechnen’ – so schreibt Karl Marx –, ‚schuf die ägyptische Astronomie.’“579 Das Zitat ist kein Einzelfall, auch Friedrich Engels findet im Astronomieschulbuch Erwähnung, als es um die Entdeckung des Planeten Neptun und die daran beteiligten Wissenschaftler geht (zu denen Engels nicht gehörte): „Friedrich Engels betrachtete die Entdeckung des Planeten Neptun als einen wichtigen Beweis für die Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes.“580 Marx war eine gelehrte Persönlichkeit, doch kein einschlägiger Astronom. Auch Engels’ Beitrag zur Astronomie ist nicht so bedeutsam, dass er Erwähnung in einem Schulbuch erfordert. Der Raum für die Erwähnung von Marx und Engels wird hier künstlich geschaffen. Die Erwähnung der beiden Männer ist lediglich ihrer Bedeutung für das SED-Weltbild geschuldet und offenbart das Interesse, ihnen Omnipräsenz zu verschaffen (einschließlich der Konstruierung von Ähnlichkeiten zwischen Karl Marx und dem Weihnachtsmann). Marx und Engels finden auch im Biologieunterricht Erwähnung, wo es um Darwins Evolutionstheorie geht: „Auch Karl Marx und Friedrich Engels studierten Darwins Werk und erkannten seine Bedeutung.“581 In diesem Kontext haben Marx und Engels erneut keine Relevanz. Die Beispiele enthüllen das herrschaftssichernde Potenzial, das auch der Erwähnung systemrelevanter Personen – und im Übrigen tendenziell auch anderer Bestandteile des sozialistischen Systems – in einem nichtpositiven Kontext innewohnt. Jede Auseinandersetzung mit systemrelevanten Personen erzeugt Aufmerksamkeit für Symbolfiguren des Sozialismus, verankert jene im Bewusstsein der Schüler und stützt damit wesentliche Pfeiler des Weltbildes. Die Beschäftigung mit Personen wie Marx, Engels, Lenin, Thälmann oder anderen systemrelevanten Personen mag gerade im Kontext historischer Bildung nötig sein; sie ist darum nicht per se als herrschaftssichernd zu qualifizieren. Doch gerade die Beispiele für die inhaltlich überflüssige und häufige Thematisierung solcher Personen, etwa in Astronomie oder Biologie zeigen, dass die Intentionen hier keine historisch bildenden, sondern herrschaftssichernde sind.
579 580 581
130
Astronomie Klasse 10 1990, S. 7. Astronomie Klasse 10 1990, S. 31. Biologie Klasse 10 1990, S. 78.
4.5
FDJ und Pionierorganisation
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) und die Pionierorganisation sind zum Beispiel Gegenstand von Liedern, die neben dem Musik- auch im Leseunterricht eine Rolle spielen: „Lied von der blauen Fahne“: „Wir [Deutschlands Jugend unter der blauen Fahne, also die FDJ – L. K.] sind Deutschlands neues Leben, und der Friede mit uns zieht.“ 582 Lied: „Gesang vom Lernen“: Dabei die Abbildung eines Mädchens mit blauem Halstuch und der Text: „Wir wollen lernen und Vorbild sein.“583 Lied: „Auf zum Sozialismus“: „Hallo, hebt die Fahnen höher, denn die helle Zukunft, das sind wir! […] Vorwärts, junger Streiter, vorwärts Pionier!“584 „Lied der Thälmann-Pioniere“: „Des Friedens Fahne mit uns zieht […] Alle Kraft einer schöneren Zukunft geweiht – Pioniere sind immer bereit.“585
Im Lesebuch der dritten Klasse erzählt ein Kind: „Wie ich Pionier wurde“. Die Zeiträume um die Aufnahme in die Pionierorganisation herum werden als „feierliche Tage“ bezeichnet. Betont wird: „Bummelanten und Faulpelze dürfen nicht Mitglied unserer Organisation werden.“ Das Mädchen ist am Tag der Aufnahme „mindestens so aufgeregt“ wie ihre „Mami“, die schon am Vorabend „die Uniform auf dem Tisch“ ausbreitet.586 Im Heimatkundeschulbuch der Klasse drei werden „Beispiele guter Taten der Pioniere“ aufgeführt.587 Im Muttersprachschulbuch der zweiten Klasse ist das Wort „Jungpioniere“ in einen Lückentext einzusetzen: „Viele Kinder in unserer Klasse sind ... . ... tragen ein blaues Halstuch. ... lernen gut. ... helfen einander.“588 Die ,Pionierrepublik’ wird im Geographieschulbuch der fünften Klasse als „Paradies für Kinder“589 stilisiert und im Geschichtsschulbuch der Klasse zehn heißt es: „Der sozialistische Jugendverband spielte bei der allseitigen Stärkung der DDR eine entscheidende Rolle.“590 Im Biologieschulbuch der Klasse acht wird unter der Überschrift „nachgeburtliche Entwicklung“ die Jugendpolitik der SED behandelt: „In der DDR sind für alle Jugendlichen die Voraussetzungen für eine allseitige harmonischen Entwick-
582 583 584 585 586 587 588 589 590
Musik Klasse 7/8 1985, S. 93. Musik Klasse 4 1989, S. 3. Musik Klasse 4 1989, S. 25. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 8 f. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 20. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 55. Muttersprache Klasse 5 1985, S. 9. Geographie Klasse 5 1990, S. 104. Geschichte Klasse 10 1989, S. 236.
131
lung gegeben.“591 Auf drei von acht Fotos zu diesem Thema sind Mitglieder der FDJ zu sehen – in der Volkskammer, beim Singen und Musizieren sowie beim XI. Parlament der FDJ, das „wichtige Beschlüsse für die junge Generation“ fasse.592 Im Staatsbürgerkundeschulbuch der Klasse sieben ist festgehalten: „Die Jung- und Thälmannpioniere tragen hervorragend zur wirksamen internationalen Solidarität unseres Staates bei.“593 Die angeführten Beispiele für positiv wertende Schulbuchaussagen zu FDJ und Pionierorganisation reihen sich in die permanente positive Bewertung von Bestandteilen des sozialistischen Systems ein, wie sie in der vorangegangen Kapiteln bereits beschrieben wurde. Wie auch in Fall der schon beschrieben Systembestandteile ist die positive Bewertung nur eine spezielle Art der Auseinandersetzung mit FDJ und Pionierorganisation in den Schulbüchern. Eine weitere zeigt sich bereits in der Fibel, wo auf den Innenseiten der Buchdeckel zahlreiche Pioniere bei einem Appell, beim Singen (Abbildung 11), im Unterricht oder beim Basteln von Papierhalstüchern abgebildet sind. Auf Seite eins findet sich das Bild eines Pioniers, der die Fibel emporhält. Auf weiteren Fibelabbildungen wird die Verleihung des blauen Halstuches illustriert,594 der Pioniergruß in Wort und Bild abgedruckt;595 eine Gruppe Pioniere ist beim Altpapiersammeln zu sehen.596 Weitere Bilder von Pionieren finden sich beispielsweise im Mathematikbuch der ersten Klasse,597 dem Heimatkundebuch der dritten Klasse598 oder dem Musikbuch der vierten Klasse.599 Die bildhafte Darstellung der Pionierorganisation bzw. von Pionieren dominiert die Thematisierung des Kinderverbandes vor allem in den Klassen eins bis sieben. Doch auch über Bilder hinaus erfährt die Pionierorganisation Aufmerksamkeit in den Schulbüchern. Im Lesebuch der dritten Klasse findet sich ein Gedicht zum blauen und roten Pionierhalstuch.600 Im Lesebuch der siebten Klasse ist ein Brief Bertolt Brechts an die Pioniere abgedruckt.601 Der Pioniermarsch wird im Musikunterricht behandelt;602 im Fach Mathematik werden Pioniere zum Gegenstand von Rechenaufgaben gemacht: „60 591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 601 602
132
Biologie Klasse 8 1985, S. 151. Biologie Klasse 8 1985, S. 151 f. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 12. Unsere Fibel 1988, S. 33. Unsere Fibel 1988, S. 49. Unsere Fibel 1988, S. 78. Mathematik Klasse 1 1987, S. 5. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 1. Musik Klasse 4 1989, S. 5, 6, 11, 15, 24, 30. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 36. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 167 f. Musik Klasse 3 1979, S. 58.
Pioniere und 7 Lehrer wollen ins Ferienlager fahren. Wieviele Plätze müssen bestellt werden?“603 Solche Rechenaufgaben finden sich auch im Physikbuch der sechsten Klasse.604
Abbildung 11: 603 604
Gewöhnung an die Pionierorganisation in der Fibel 605
Mathematik Klasse 1 1987, S. 96 oder S. 55. Physik Klasse 6 1988, S. 27.
133
Im Heimatkundebuch der dritten Klasse geht es um den „Heimatort“ und um die Besichtigung eines Rathauses. Es ist aber nicht die Schulklasse, sondern die Pioniergruppe, die laut Schulbuchtext von „Elkes Mutti“ dorthin eingeladen wird.606 Auch die Verkehrserziehung in Klasse vier findet nicht im Klassenrahmen, sondern in der Pioniergruppe statt: „Die Pioniergruppe einer 4. Klasse hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Genossen Oberstleutnant der VP, Martin Neumeister.“607 Quasi selbstverständlich werden die Zugehörigkeit zur Klasse und Pioniergruppe gleich gesetzt. Ganze Kapitel im Heimatkundeschulbuch Klasse drei befassen sich mit der „Vorbereitung der Jungpioniere auf ihre Aufnahme als Thälmannpioniere“.608 Dort geht es dann um die Gesetze der Thälmannpioniere, die Geschichte der Pionierorganisation, um die Freundschaft zu den sowjetischen Pionieren und deren Gesetze.609 Schließlich folgt die Überleitung zu einem Kapitel über Ernst Thälmann, dem „Vorbild der Pioniere“.610 Um die FDJ geht es in diesen Schulbuchaufgaben: „Welcher der folgenden Prozesse kann mit einem Algorithmus ausgeführt werden? (...) Steuerung der Flugbahn einer Flugabwehrrakete (...) Leiten einer Diskussion im FDJStudienjahr (...)“611 „Ein Campingplatz vermietet Hütten für 3 Personen und Hütten für 4 Personen. Eine FDJGruppe bestellt für 43 Jugendfreunde 12 Hütten. Wieviel Hütten jeder Art muß die Leitung des Campingplatzes bereitstellen?“612
Wie die Pionierorganisation sehen die Schulbuchautoren offenkundig auch die FDJ als geeigneten Gegenstand von Rechenaufgaben an und ähnlich der Pionierorganisation ist die FDJ Gegenstand von Liedern wie „Vorwärts, Freie Deutsche Jugend“613 oder dem „Aufbaulied der FDJ“614. Sei es bei der Behandlung der Bezirksstadt: „Aber auch die Arbeit der FDJ und ihrer Pionierorganisation (...) wird von der Bezirksstadt aus geleitet“615 oder der Hauptstadt: „Auch der Zentralrat der Freien Deutschen Jugend hat seinen Sitz in Berlin“616 – wie im Falle der
605 606 607 608 609 610 611 612 613 614 615 616
134
Unsere Fibel 1988, Einbandinnenseite. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 10. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 109. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 50. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 51–58. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 59. Mathematik Klasse 9 1987, S. 22. Muttersprache Klasse 9 1987, S. 102. Musik Klasse 9/10 1986, S. 11. Musik Klasse 7/8 1985, S. 95. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 25. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 36.
Pionierorganisation ist die Selbstverständlichkeit, mit der die FDJ in den Alltag der Schüler eingeflochten ist, augenfällig. Im Alter von sechzehn Jahren können die Schüler Mitglied der FDJ werden. Davor sind sie erst Jung-, dann Thälmannpioniere. Entsprechend dieser Aufteilung werden FDJ und Pionierorganisation in den Schulbüchern thematisiert, d. h., die FDJ spielt erst ab der siebten Klasse eine Rolle, vorher konzentriert sich die Darstellung auf die Pionierorganisation.
Abbildung 12:
Gewöhnung an die FDJ im Geschichtsschulbuch 617
In der FDJ und der Pionierorganisation sind Kinder und Jugendliche zwischen sechs und fünfundzwanzig Jahren organisiert. Die Mitgliedschaft ist zwar freiwillig, doch tatsächlich wird versucht, alle Heranwachsenden in die Organisation einzubinden. Dies äußert sich etwa in dem Bestreben, aller Achtklässler in die FDJ zu übernehmen, wobei ausdrückliche Weigerungen mit Benachteiligungen verbunden sein können: Die Mitgliedschaft in der Organisation ist, als gesellschaftliches Engagement bezeichnet, de facto Voraussetzung für die Zulassung zur Erweiterten Oberschule und zum Studium.618 Die Pionierorganisation unter617 618
Geschichte Klasse 10 1989, S. 205. Vgl. Kwiatkowski-Celofiga 2008, S. 21 ff.; Geißler 2008, S. S. 71–75; Freiburg/Mahrad 1982, S. 85 f.; Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 454; Vgl. Eppelmann/Möller/Nooke u. a. (Hrsg.) 1996, S. 211.
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steht als Untergliederung der FDJ organisatorisch dem Jugendverband. Auch die Nichtmitgliedschaft in der Pionierorganisation führt zu Benachteiligungen, etwa in Form sozialer Isolation oder schlechterer Bildungschancen.619 Die Pionierorganisation erfasst mehr als neunzig Prozent der Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren, was ihr einen nahezu flächendeckenden Zugriff auf diesen Teil der Gesellschaft ermöglicht.620 Die Reichweite der FDJ ist zwar geringer, doch mit einem Anteil von 70 Prozent an den vierzehn- bis fünfundzwanzigjährigen Bürgern der DDR noch immer beachtlich.621 Der von beiden Organisationen erzeugte Mitgliedschaftsdruck ist, wie sich an den Mitgliedszahlen zeigt, erfolgreich. Nach der siebten Klasse steht für die Pioniere der Wechsel in die FDJ an. Im Muttersprachschulbuch dieser Klasse finden sich die folgenden Äußerungen: „Für das nächste Schuljahr wollen wir uns vornehmen, den Leistungsstand der Klasse weiter zu verbessern. Wir möchten erreichen, daß jeder Schüler in die FDJ eintritt und vielleicht auch in die DSF.“622 „Bei der Berichterstattung über die Durchführung der Zirkelnachmittage, die der Vorbereitung der Aufnahme in die FDJ dienen, kam der Gruppenrat einer 7. Klasse u. a. zu folgender Einschätzung (...)“623
Das Bemühen, die Schüler von der Pionierorganisation unmittelbar in die FDJ zu überführen, zeigt sich hier und ist Indikator für den eben angesprochenen Mitgliedschaftsdruck, der von der Ubiquität beider Organisationen noch verstärkt wird. Die Jugendpresse, der Jugendhörfunk, die Jugendliteratur, das auf Kinder und Jugendliche zugeschnittenen Kulturleben, die Mitwirkungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen an den Schulen oder ihre Freizeit- und Feriengestaltung werden maßgeblich von FDJ und Pionierorganisation gestaltet: „Ein Kinder- und Jugendleben ohne die Pionierorganisation Ernst Thälmann und die FDJ gibt es in der DDR nicht.“624 Auch diejenigen Kinder und Jugendlichen, die nicht Mitglied der beiden Organisationen sind, kommen unweigerlich mit ihnen in Berührung. Die Freie Deutsche Jugend und die Pionierorganisation haben als Jugend- bzw. Kinderverband der DDR eine Monopolstellung inne.625 619
620 621 622 623 624
625
136
Vgl. hierzu Elke Urbans Unterrichtsprotokoll einer (nachgestellten) Unterrichtsstunde Heimatkundeunterricht einer POS von 1985, welches Beispiele für die alltägliche Diskriminierung von Nichtpionieren enthält (Urban 2008). Zum faktischen Zwang zur Mitgliedschaft vgl. auch Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 1984, S. 14 f., 43; Ansorg 2002, S. 676. Vgl. Ansorg 2002, S. 672 f. Vgl. Thomas 1986, S. 67. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 39. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 37. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 1984, S. 69; vgl. auch Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 1984, S. 42. Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.) 1987, S. 31.
Die SED sichert sich die Kontrolle über den Jugendverband mithilfe umfänglicher organisatorischer und personeller Verflechtungen.626 Beispielhaft sei die Mitgliedschaft der FDJ in der Nationalen Front genannt, die Mitgliedschaft des FDJ-Vorsitzenden im Zentralkomitee der SED, die Mitgliedschaft anderer FDJFunktionäre in Führungsgremien der SED oder die Weisungsbefugnis der ZKAbteilung Jugendfragen gegenüber der FDJ.627 Im Statut der FDJ ist festgehalten: „Die Freie Deutsche Jugend arbeitet unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und betrachtet sich als deren Helfer und Kampfreserve. Grundlage für ihre gesamte Tätigkeit sind das Programm und die Beschlüsse der SED. […] Die Freie Deutsche Jugend tritt immer und überall für die Politik der SED ein und hilft mit ganzer Kraft, ihre Beschlüsse zu verwirklichen.“628
Klar bekennt sich die FDJ zu ihrer Hauptaufgabe, der SED zu helfen, „standhafte Kämpfer für die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft zu erziehen, die im Geiste des Marxismus-Leninismus handeln.“629 Der FDJ-Vorsitzende Eberhard Aurich stellt noch 1989 klar: „Unsere erste und wichtigste Aufgabe bleibt es, bei allen Jugendlichen unerschütterliche sozialistische Klassenpositionen auszuprägen.“630 Der FDJ wird ausdrücklich die Rolle als Nachwuchsreserve der SED zugeschrieben. Während der Jugendverband seine Mitglieder auf die Mitgliedschaft in der Partei vorbereitet, tut die Pionierorganisation das Gleiche, um ihre Mitglieder auf ein Engagement als FDJler vorzubereiten.631 Als Suborganisation der FDJ und von dieser geführt, unterliegt sie den gleichen Einflussstrukturen wie der Jugendverband. Im ,Handbuch für Freundschaftspionierleiter’ wird dann auch als grundlegende Aufgabe des Kinderverbandes formuliert: „[…] den Kindern die Politik der Partei und die Weltanschauung und Moral der Arbeiterklasse zu vermitteln“.632 Im Statut des Verbandes ist von der Erziehung zu „zu klassenbewußten Sozialisten“ und „aufrechten sozialistischen Patrioten“ sowie „proletarischen Internationalisten“ die Rede.633 Die Vorsitzende der Pionierorganisation Helga Labs macht deutlich: „Mehr als 2 Millionen Mädchen und Jungen lernen an unseren polytechnischen Oberschulen. Für ihre kommunistische Erziehung tragen die FDJ und die Pionierorganisation ‚Ernst Thälmann’ an der Seite 626 627
628 629 630 631 632 633
Vgl. Freiburg/Mahrad 1982, S. 33. Vgl. Herms 2002, S. 491; Herbst/Ranke/Winkler 1994, S. 724, 1217; Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 453 f. Statut der FDJ von 1976, S. 344. Statut der FDJ von 1976, S. 344. Aurich 1989, S. 18. Vgl. Tenorth/Kudella/Paetz 1996, S. 124 f. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR (Hrsg.) 1985, S. 32. Statut der Pionierorganisation 1985, S. 327.
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der Lehrer eine besondere Verantwortung.“634 Auch die Instrumentalisierung der Pionierorganisation durch die SED ist unbestreitbar. In Verbindung mit den hohen Mitgliederquoten ist das herrschaftssichernde Potenzial, das einer möglichen Instrumentalisierung des Jugend- und Kinderverbandes innewohnt, offenkundig. Im Geschichtsschulbuch der Klasse zehn wird bemerkt: „Zu den Grundlagen des Sozialismus gehört ein stabiles Fundament sozialistischer Ideologie.“635 Im Bezug auf den Jugendverband heißt es unmittelbar danach: „In der DDR selbst existieren noch soziale Quellen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie. Seit 1950/51 studierten Millionen SED- und FDJ-Mitglieder im Parteilehrjahr bzw. FDJ-Studienjahr Grundfragen der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse. (...) Bereits 1952 hatte das Zentralkomitee der SED der Pionierorganisation den Namen ‚Ernst Thälmann’ verliehen; der Zentralrat erklärte 1957 die FDJ zur sozialistischen Jugendorganisation. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, im Ergebnis der gesellschaftlichen Umgestaltung und intensiver, zielstrebiger ideologischer Arbeit der SED 636 war die faschistische Ideologie beseitigt.“
Das „Lied der Thälmann-Pioniere“ ist im Lesebuch der Klasse vier abgedruckt. Die erste Strophe beginnt mit diesen Worten: „Im Frühling froh und im Sommer frei, Und fleißig im Herbst und im Winter, Wir sind die jüngste Kampfpartei, 637 Die fröhlichste Freundschaft der Kinder.“
Das Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn formuliert die historische Sicht auf Kinder- und Jugendverbände: „Käthe Niederkirchner ging den Weg, der den Kindern in klassenbewußten Arbeiterfami638 lien vorgezeichnet war. Sie trat in eine Kindergruppe ein und später in den KJVD.“ „In seiner Rede ‚Die Aufgaben der Jugendverbände’ geht Lenin auf die Frage der kommunistischen Moral ein. Er fordert: ‚Ihr sollt aus euch Kommunisten erziehen. Die Aufgabe des Jugendverbandes ist es, seine praktische Tätigkeit so zu gestalten, daß diese Jugend, indem sie lernt, sich organisiert, sich zusammenschließt und kämpft, sich selbst und alle diejenigen erzieht, die in ihr den Führer sehen, daß sie Kommunisten erzieht.“639
634 635 636 637 638 639
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Zentralrat der FDJ (Hrsg.) 1984, S. 3. Geschichte Klasse 10 1989, S. 92. Geschichte Klasse 10 1989, S. 93. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 8. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 144. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 64.
In allen drei zitierten Beispielen drücken sich die herrschaftssichernden Aufgaben kommunistischer Kinder- und Jugendverbände aus. Die Instrumentalisierung von FDJ und Pionierorganisation wird somit auch in den Schulbüchern offenbart. Im Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn geht es um das Verfassen von Lebensläufen. Ein Beispiellebenslauf enthält neben Angaben zum Bildungsgang einen eigenen Abschnitt „Gesellschaftliche Entwicklung“: „1974 Eintritt in Pionierorganisation 4. bis 6. Klasse Mitglied des Freundschaftsrates Auszeichnung: 1978 6wöchiger Aufenthalt in der Pionierrepublik am Werbellinsee – Diplom mit ‚sehr gut’ September 1981 Eintritt in die FDJ 15.4.1982 Jugendweihe 1982 Abzeichen für Gutes Wissen in Silber“.640
Welche Bedeutung die Mitgliedschaft in FDJ und Pionierorganisation hat, dokumentiert sich an dieser Schulbuchpassage. Was hier als ,gesellschaftliche Entwicklung’ bezeichnet wird, beschränkt sich offenkundig auf die Mitgliedschaft in der FDJ und der Pionierorganisation sowie auf die Teilnahme an der Jugendweihe. Die Tatsache, dass sie Gegenstand von Musterlebensläufen in einem Schulbuch sind, spricht für die Bedeutung von FDJ und Pionierorganisation. Sie spricht aber angesichts der Alternativlosigkeit beider Organisationen vor allem für die herrschaftssichernden Intentionen der SED, insofern sich für die Schüler lediglich die Option stellt, Mitglied zu sein, somit die Anforderungen im Rahmen der ,gesellschaftlichen Entwicklung’ zu erfüllen sowie sich dem Einfluss der SED auszusetzen oder eben nicht und damit eine Außenseiterrolle einzunehmen sowie Nachteile in der Ausbildungs- und Berufsbiographie zu riskieren. Im Muttersprachschulbuch der Klasse sechs wird diese Aufgabe gestellt: „Die Pioniergruppe der Klasse 6 faßt in einer Gruppenversammlung einen Beschluß, über den du den Freundschaftsrat [der Schule – L. K.] mit einer Meldung informieren sollst! […] Formuliere die Meldung!“641 Im Muttersprachschulbuch der Klasse zwei lautet eine Aufgabe zur Pionierorganisation so: „Lies im Lesebuch ‚Die Gebote der Jungpioniere’!“642 Wie ergeht es dem Kind, das nicht Mitglied der Organisation ist, angesichts der fortwährenden Thematisierung derselben und angesichts der Tatsache, dass selbst Schulaufgaben die Pionierorganisation behandeln? Die Pionierorganisation ist kein Teil des Schulwe640
641 642
Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 49. Die Abzeichen für gutes Wissen werden im Rahmen des FDJ-Studienjahres erworben. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 45. Muttersprache Klasse 2 1985, S. 52.
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sens (wenn auch in enger Verbindung mit diesem stehend) und die Mitgliedschaft in ihr freiwillig (wenn auch nur formal). Auf den gesellschaftlichen Druck, dem sich Nichtmitglieder ausgesetzt sehen, wurde weiter oben schon eingegangen. Schulbuchaufgaben wie die beiden zitierten sind ein Indiz für diesen Druck und zwingen Nichtmitglieder, ihre Nichtmitgliedschaft zu bekennen. Auch die FDJ ist Gegenstand von Schulaufgaben: Im Muttersprachschulbuch der achten Klasse wird das Formulieren von Einladungen gelehrt. Als Beispiel dient die Einladung zu einer Veranstaltung einer FDJ-Grundorganisation.643 An anderer Stelle geht es um das Diskutieren. Das Diskussionsthema lautet: „Wie verwirkliche ich meine Pflicht und mein Recht auf Mitbestimmung in der FDJGruppe?“644 Die FDJ weist unter der angezielten Altersgruppe weniger Mitglieder als die Pionierorganisation auf (neunzig vs. siebzig Prozent),645 sodass die entsprechenden Aussagen der Schulbücher auch mehr Schüler erreichen, die nicht FDJ-Mitglieder sind. Die Autoren des Staatsbürgerkundeschulbuchs der achten Klasse stellen klar: „Die Leitungen der FDJ an den Schulen sind zum Beispiel berechtigt, Vorschläge zur Würdigung und Auszeichnung von Schülern und Schülerkollektiven zu unterbreiten.“646 Sie machen damit die bereits in den übrigen hier aufgeführten Beispielzitaten zum Ausdruck kommende Verflechtung des Jugend- und Kinderverbandes mit der Schule erneut deutlich. FDJ und Pionierorganisation werden in den Schulbüchern insgesamt auffallend oft thematisiert. Es wird ein positives Bild von der Mitgliedschaft in beiden Organisationen gezeichnet, vor allem aber dazu beigetragen, diese Mitgliedschaft zu etwas Alltäglichem zu machen, indem FDJ und Pionierorganisation unablässig thematisiert und Pioniere bzw. FDJ-Mitglieder (nicht Schüler) zu handelnden Akteuren gemacht werden. Der hiermit durch die Schulbücher ausgeübte und für die SED potenziell herrschaftssichernd wirkende Anpassungszwang offenbart sich, wenn man sich vor Augen hält, wie es wohl den stets in der Minderheit befindlichen Kindern ergehen mag, die sich angesichts der Flut von Halstüchern, Pionierwimpeln, FDJ-Liedern, Abbildungen von Pionieren oder FDJlern und von diesen handelnden Aufgaben, Geschichten oder sonstigen Texten permanent in eine Außenseiterrolle versetzt sehen müssen. Wie etwa sollen Nichtpioniere eine Gruppenratssitzung protokollieren oder Notizen von einer Pionierveranstaltung anfertigen? Beides wird zum Beispiel im Muttersprachschulbuch der Klasse 643 644 645 646
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Muttersprache Klasse 8 1987, S. 36. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 58. Vgl. Ansorg 2002, S. 672 f.; Thomas 1986, S. 67. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 46.
sechs gefordert.647 Die positive Bewertung, vor allem aber die permanente Gewöhnung an FDJ und Pionierorganisation ist geeignet, die Schüler zu einer Haltung pro Kinder- und Jugendverband zu manipulieren, und sei es nur durch die Propagierung der Mitgliedschaft dort als Normalität. Da es sich bei FDJ und Pionierorganisation aber nicht um bloße Organisationen zur Freizeitgestaltung handelt, sondern auch um Instrumente der SED, ist eben diese angesprochene Darstellung von FDJ und Pionierorganisation in den Schulbüchern potenziell herrschaftssichernd für die Partei. 4.6
Militärische Inhalte
Im Lesebuch der Klasse drei findet sich die Geschichte Berts, des „Jungen mit der Panzerhaube“, dessen Vater Panzerkommandant ist. Bert und seine Mutter besuchen den Vater in der Kaserne. Während sie auf den „Panzer 247“, den Panzer des Vaters warten, schaut sich Bert in der Kaserne um: „Auf dem großem Platz zwischen den Häusern der Kaserne marschieren Soldaten hin und her. Um den Platz herum stehen kahle Pappeln, geordnet und aufrecht wie Posten. Die Fahnen vor den Häusern sind rot wie im Herbst die Weinblätter vom Hohlweg.“ Der Vater macht Bert mit seiner Panzerbesatzung bekannt: „Einer von ihnen hat ein rundes Gesicht, Sommersprossen und einen blonden Haarigel wie Bert. (...) ‚Das ist die Besatzung vom Panzer 247’, sagt der Vater und stellt alle vor. Bert merkt sich nur den Namen des Blonden. Jürgen heißt er und ist Richtschütze.“ Die Panzerbesatzung erteilt Bert den „Kampfauftrag“, fleißig zu lernen und sich in der Schule zu verbessern. Zum Abschluss darf Bert eine Panzerhaube tragen – die des Richtschützen Jürgen: „‚Das ist deine’ sagt er, blinzelt und meint: ‚Wie ein echter Tankist.’ Bert steht mit rotem Gesicht zwischen den Soldaten“.648 (Abbildung 13) Auch noch früher, in der Fibel, werden die Streitkräfte der DDR thematisiert: „In diesem Jahr darf Klaus nach Thüringen in ein Pionierlager fahren. Die Jungen und Mädchen wollen auf die Berge klettern und durch den Wald wandern. Klaus und die anderen Pionier haben ihren Soldaten bei der Volksarmee schon geschrieben, wohin sie fahren. Heute hat Klaus einen Brief vom Soldaten Heinz bekommen. Auf der nächsten Seite könnt ihr den Brief lesen. Dann wißt ihr, worauf Klaus sich freut.“649
647 648 649
Muttersprache Klasse 6 1989, S. 44. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 37–40. Unsere Fibel 1988, S. 105.
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Neben der positiven Bewertung, die die NVA hier erfährt, offenbart sich in den zitierten Schulbuchpassagen der Versuch, eine Beziehung zwischen den Schülern und der NVA aufzubauen. Mit Aussagen wie „Gute Freunde, gute Freunde, gute Freunde in der Volksarmee“650 oder „Die Genossen der Grenztruppen sind uns gute Freunde“651 wird dieses Bemühen noch verstärkt. Neben der NVA sind auch die Streitkräfte anderer sozialistischer Staaten Gegenstand der Schulbücher: „Die rote Armee kommt als Helfer Ihre Autos rollen und bringen uns Lebensmittel [Die Sätze stehen auf einem Plakat untereinander und enden ohne Satzzeichen – L. K.]“652 „Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, Einheiten der Deutschen Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee hatten gemeinsam mit den Soldaten der ruhmreichen Sowjetarmee für Europa den Frieden gerettet [weil sie den Mauerbau 1961 bewachten – L. K.].“653 „Die Staaten des Warschauer Vertrages verfügen über starke und gut ausgebildete Armeen. Gemeinsam schützen die vereinigten Streitkräfte des Warschauer Vertrages die sozialistischen Errungenschaften unserer Länder.“654
Abbildung 13: 650 651 652 653 654
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Positive Bewertung der NVA im Lesebuch 655
Musik Klasse 4 1989, S. 38. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 9. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 87. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 93. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 105.
Positiv bewertenden Aussagen wie den hier zitierten ist grundsätzlich nachwuchswerbendes Potenzial zu unterstellen, weil sie das Militär als möglichen Arbeitgeber in ein vorteilhaftes Licht rücken. Der Beruf des Soldaten wird auch in diesen Schulbüchern thematisiert: „Soldaten sind vorbeimarschiert, die ganze Kompanie. Und wenn wir groß sind, wollen wir Soldat sein, so wie sie.“656 „Tausende Angehörige der Freien Deutschen Jugend meldeten sich freiwillig für den Dienst in der Nationalen Volksarmee, um auch in Zukunft feindliche Anschläge zu vereiteln.“657 „Nach Möglichkeit möchte ich das Abitur erwerben und Offizier werden. Ich interessiere mich sehr für Fragen der Landesverteidigung. Ich habe schon viele Broschüren dazu gelesen und stelle mir diesen Beruf sehr verantwortungsvoll vor. Meine Eltern, besonders mein Vater, bestärken mich in diesem Entschluß.“658 „Soldat der Nationalen Volksarmee oder der Grenztruppen der DDR zu sein ist eine ehrenvolle Sache.“659 „Der Beruf des Unteroffiziers, des Fähnrichs oder Offiziers der NVA und der Grenztruppen der DDR bietet eine Vielzahl interessanter Qualifizierungsmöglichkeiten.“660 „An einen Soldaten der Volksarmee [Gedicht – L. K.] So wie du woll’n wir einst sein, wenn wir älter sind“661
Hier wird Nachwuchswerbung offensiv betrieben, indem der Soldatenberuf ohne Umschweife angepriesen wird. Andere Schulbuchaussagen tragen diesen Charakter: „Die Gesundheit hat zugleich eine große gesellschaftliche Bedeutung, weil das Lernen in der Schule, die berufliche Tätigkeit und auch der Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee von den Bürgern ein hohes körperliches und geistiges Leistungsvermögen verlangen.“662 „Vorbereitung auf den Ehrendienst in der NVA“663 „Bernd hat Kummer. Der Vati fehlt ihm. Er leistet seinen Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee.“664 „Weshalb ist der Ehrendienst in der Nationalen Volksarmee Dienst am Frieden?“665
655 656 657 658 659 660 661 662 663 664 665
Lesebuch Klasse 3 1986, S. 39. Musik Klasse 4 1989, S. 39. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 94. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 50. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 69. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 61. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 209. Biologie Klasse 8 1985, S. 157. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 76. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 37. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 76.
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Die Deklarierung des Dienstes in den Streitkräften als ,Ehrendienst’ fügt sich in das nachwuchswerbende Bild ein. Im Lesebuch der Klasse fünf geht es um eine Nachrichteneinheit der NVA, die „gemeinsam mit Genossen der polnischen Volksarmee“666 eine Richtfunkachse errichten soll. Das Fahrzeug der Soldaten erleidet einen Motorschaden. Der zuständige Offizier befiehlt zunächst: „Wir bereiten die Rundumverteidigung vor!“667 Was sich hinter dem Stichwort ,Rundumverteidigung’ verbirgt, erfahren die Schüler im weiteren Verlauf der Geschichte: „Leutnant Hesse wies jedem Soldaten seinen Schußsektor zu, ließ Schützenmulden und Schützenlöcher ausheben. Das war notwendig, denn eine einsam stehende Richtfunkstation kann leicht von Fallschirmjägern angegriffen und unbrauchbar gemacht werden. Daher muß ein Dezimeterfunker mit seiner Waffe ebenso gut umgehen können wie mit den komplizierten Geräten, die er bedient.“668
Einige Kinder, Pioniere, kommen zufällig mit Fahrrädern an den Ort des Geschehens. Deren Anführer Peter verspricht, bei der benachbarten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Hilfe im Form von Traktoren zum Abschleppen des beschädigten Fahrzeugs der Soldaten zu organisieren: „‚Auf die Räder!’ kommandierte Peter [Hervorhebung durch den Verfasser – L. K.].“669 Die Traktoren treffen rechtzeitig ein und mit ihrer Hilfe kann der Auftrag der Soldaten durchgeführt werden. Zum Dank verspricht der Offizier, die Pioniere in der Schule zu besuchen, was auch geschieht. Beim montagmorgendlichen Pionierappell in der Schule bedankt sich der Vorgesetzte von Leutnant Hesse, Major Helbig bei den Kindern: „‚Im Auftrag unseres Kommandeurs lade ich die acht Pioniere, die uns so beispielhaft bei der Erfüllung unseres Kampfauftrages geholfen haben, gemeinsam mit den zwei besten Pionieren [Pionieren, nicht Schülern – L. K.] jeder Klasse…’ Seine weiteren Worte gingen im Jubel unter.“670 Nach einem Exkurs in das militärische Fachwissen (Rundumverteidigung) stellen die Schulbuchautoren in dieser Geschichte den Bezug zur Lebenswelt der Schüler, im Übrigen Pioniere, her und zeichnen ein Szenario gegenseitiger freundschaftlicher Beziehungen zur NVA. Sozialistisches Militär ist auch Gegenstand der folgenden Aussagen:
666 667 668 669 670
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Lesebuch Klasse 5 1988, S. 161. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 163. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 163. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 164. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 167.
„Wer rückt aus Fabriken, aus Dörfern und Schmieden, wer stellt sich auf Posten, wer hält für euch Wacht? Wer schützt mit Geschützen dem Volke den Frieden, wer hält eure Henker und Mörder in Schach? Das sind wir, die bereit und entschlossen auf der Wacht sind zu Land und zur See. Das sind wir, das sind eure Genossen in der Arbeiter- und Bauernarmee.“671 „Soldaten sind vorbeimarschiert im gleichen Schritt und Tritt. Wir Pioniere kennen Sie und laufen fröhlich mit.“672 „Durch die Wachsamkeit unserer Volkspolizisten, Soldaten und Werktätigen konnten viele Anschläge verhindert werden.“673 „Heute warten wir auf Helgas großen Bruder. Er ist Soldat der Volksarmee. Er und seine Kameraden sorgen dafür, daß wir alle im Frieden leben können.“674 „Sie [Soldaten – L. K.] schützen unsre Heimat zu Land, zur Luft und auf der See, juchhei!“675
Es geht in diesen Aussagen vornehmlich um Soldaten, die in jedem der vier Beispiele auf andere Art und Weise positiven Wertungen unterzogen werden. Insgesamt erfährt das Militär der SED ein lobende Darstellung. Anhand von Abbildungen im Schulbuch des Faches Einführung in die sozialistische Produktion lernen die Schüler, wie ein Kampfpanzer aussieht.676 Im Schulbuch Mathematik der Klasse neun ist diese Aufgabe formuliert: „Welcher der folgenden Prozesse kann nach einem Algorithmus ausgeführt werden? Begründen Sie Ihre Auffassung! a) Lösen einer Gleichung ax + b = 0 (...) h) Steuerung der Flugbahn einer Flugabwehrrakete“.677 Das Schulbuch Technisches Zeichnen enthält die Aufgabe: „Skizziere die Zwischenform eines Gaskolbens einer Maschinenpistole KM nach zwei Arbeitsstufen“678 mit der entsprechenden Abbildung (Abbildung 16). Im Mathematikschulbuch der zehnten Klasse sollen sich die Schüler mit dem Vermessen einer artilleristischen Feuerstellung befassen.679 Im Physikschulbuch der Klasse neun sind technische Daten von Handwaffen Vermittlungsgegenstand: „Die MPi Kalaschnikow hat eine Lauflänge von etwa 40,0 cm. Durch den Druck der Pulvergase wird das Geschoß annähernd gleichmäßig beschleunigt. Es verläßt den Lauf mit einer Geschwindigkeit von 715 m ° s -1. Berechnen Sie die Beschleunigung!“680 Panzer spielen auf gleich zwei aufeinanderfolgenden Seiten 671 672 673 674 675 676 677 678 679 680
Musik Klasse 9/10 1986, S. 194. Musik Klasse 4 1989, S. 38. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 92. Unsere Fibel 1988, S. 50. Musik Klasse 4 1989, S. 38. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 8 1986, S. 26. Mathematik Klasse 9 1987, S. 103. Technisches Zeichnen Klasse 7/8 1990, S. 29. Mathematik Klasse 10 1988, S. 75. Physik Klasse 9 1987, S. 122.
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im Physikschulbuch der siebten Klasse eine Rolle. Die Schüler können dort lesen: „Ein Panzer muß geländegängig sein. Trotz seiner großen Masse darf er beim Überqueren von weichen oder sandigen Geländeabschnitten nicht tief einsinken.“ Dazu findet sich das entsprechende Foto eines Panzers. Auf der nächsten Seite geht es dann um die Auflagefläche des Gefechtsfahrzeuges: „Ein Panzer ist durch die Panzerplatten, das Geschütz, den Motor, den Treibstoff und die Munition ein schweres Fahrzeug. Deshalb gibt man dem Panzer eine große Auflagefläche.“ Die dazugehörige Abbildung zeigt erneut einen Panzer.681 Zusätzlich zu den oben beschriebenen, positiv wertenden Ausführungen in Zusammenhang mit der NVA und anderen sozialistischen Streitkräften werden zahlreiche weitere militärische Inhalte von den Schulbüchern transportiert, die wie die eben angeführten Beispiele in keinen positiven Kontext gebettet sind. Besonders auffallend ist dabei die Präsentation von Waffen und Waffensystemen, die sich nicht in den hier exemplarisch ausgewählten Schulbuchpassagen erschöpft. Die folgenden Passagen stammen aus Musikschulbüchern der Klasen vier, neun und zehn: „Stunden sind mit Kampf beladen und der Tag mit Kraft und Mut. Vorwärts stürmen wir Soldaten, unsre Waffen treffen gut.“682 „Das Stroh weg – holt rauf die Maschinengewehr, die Granaten! Bergab geht der Lauf. – Keinen Lärm mit Gewehr und mit Spaten!“683 „Der Flügelmann im ersten Glied mit Stahlhelm und MPi, als Melker der Genossenschaft betreute er das Vieh.“684 „Voran an Geschütze und Gewehre auf Schiffen, in Fabriken und im Schacht. Tragt über den Erdball, tragt über die Meere die Fahne der Arbeitermacht!“685
Auch hier kommen Waffen zur Sprache. Die zitierten Liedtexte tragen ferner teils martialische Züge. Im Heimatkundeschulbuch der Klasse drei wird aus den Erinnerungen L. I. Breshniews zitiert: „Unmittelbar vor dem Kellerfenster, aus dem das Maschinengewehr feuerte, trafen ihn [den Kommunisten Genosse Wallulin – L. K.] die feindlichen Kugeln. Er aber warf sich blutüberströmt gegen dieses Fenster. Die Stellung konnte genommen werden.“686 Schon in der dritten Klasse müssen die Kinder solche detaillierten und brutalen Schilderungen von Gefechtsszenarien über sich ergehen lassen. Regelmäßig enthalten die Schulbücher auch Aussagen wie diese:
681 682 683 684 685 686
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Physik Klasse 7 1988, S. 100 f. Musik Klasse 9/10 1986, S. 209. Musik Klasse 9/10 1986, S. 203. Musik Klasse 4 1989, S. 39. Musik Klasse 9/10 1986, S. 52. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 79.
„Die Pioniere der Klasse 3b sitzen im Pionierzimmer. Sie erwarten heute ein Mitglied der Kampfgruppe ihres Patenbetriebes. Die Lehrerin war neulich mit zwei Pionieren bei ihm. Die Kampfgruppen schützen unsere Betriebe.“687 „Man muß nicht nur gut arbeiten, man muß das, was man geschaffen hat, gut und zuverlässig mit der Waffe schützen.“688 „Sie [die sozialistische Gesellschaft – L. K.] schützt vor drohenden Gefahren, gleich ob es sich um schädliche Bakterien und Viren oder um lebensvernichtende Atom- und Neutronenwaffen handelt.“689 „Begründe, warum es notwendig ist, unser sozialistisches Vaterland zu schützen.“690 „Und wir lieben die Heimat, die schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.“691 „Für uns . . . [!] ist es ebenso notwendig, sich mit Wissen zu wappnen, wie es notwendig ist, sich mit Stahl zu wappnen, um unsere Feinde abzuwehren.“692 „Es bedarf deshalb [wegen der Gefährdung, die von den USA durch Verwendung bakteriologischer Kampfmittel ausgehe – L. K.] des starken militärischen Schutzes der sozialistischen Staaten und der Wachsamkeit aller friedliebenden Menschen, um diesen menschenfeindlichen Kräften die Waffen aus der Hand zu schlagen.“693 „Dieter sagt: ‚Mein Vater steht an unserer Grenze und hält Wache. Tag und Nacht schützen seine Genossen und er unsere Heimat vor Feinden.’ Welchen Beruf hat Dieters Vater?“694 „Unsere großen Errungenschaften – unsere Grundrechte – können wir nur in Anspruch nehmen, wenn sie vor dem Zugriff der aggressivsten Kräfte des Monopolkapitals geschützt sind.“695
Durch solche Aussagen wird die Notwendigkeit von Verteidigung oder Schutz propagiert, wenigstens aber suggeriert. Eine Lesebuchgeschichte für Acht- bis Neunjährige nähert sich der Thematik so: „Einige [Ameisen – L. K.] kletterten flink an ihm [einem Stock, den Karl Marx ihnen entgegenstreckte – L. K.] herauf, die meisten aber liefen weiter und begannen, an den Schuhen von Marx heraufzukrabbeln. (...) ‚Siehst du jetzt, was diese Ameisen machen?’ fragte er [Marx – L. K.] seine Tochter. ‚Das sind Soldaten. Die wachen’, sagte Eleanor, die damals erst fünf Jahre alt war.“696
Die Behauptung eines Verteidigungs- und Schutzbedarfs geschieht hier subtiler und kindbezogener. Im Lesebuch der nächsthöheren Klassenstufe geht es um das Mädchen Ute, das ihren Bruder Robby vermisst, welcher Dienst bei der NVA 687 688 689 690 691 692 693 694 695 696
Muttersprache Klasse 3 1989, S. 17. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 94. Biologie Klasse 8 1987, S. 7. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 95. Musik Klasse 3 1979, S. 3. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 70. Biologie Klase 7 1987, S. 35. Unsere Fibel 1988, S. 71. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 71. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 47.
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leistet. Ute sieht die von der Mutter behauptete Notwendigkeit dieses Dienstes nicht, worauf sie von der Mutter mit in das Krankenhaus genommen wird, in dem jene arbeitet. Dort arrangiert die Mutter die Begegnung mit einem Mädchen aus Angola, der ein Arm amputiert ist: „Ute erschrickt. Da gibt es keine andere Hand, da gibt es nur einen weißen Verband dicht unter der Schulter.“ Ute fragt die Mutter, ob hier ein Unfall passiert sei, worauf diese entgegnet: „Ein Überfall, durch Söldner. Marias Eltern sind ermordet. Und ihr Bruder auch. Sie konnten sich nicht mehr verteidigen.“ Ute verharrt für eine Weile nachdenklich und schenkt dem angolanischen Mädchen dann ein Kettchen. Wieder zu Hause beginnt Ute einen Brief an ihren Bruder zu schreiben: „Lieber Robby, ich weiß, daß du unser Land bewachst.“697 Kindbezogen ist auch diese Geschichte und auch sie ist – weniger für den erwachsenen Leser als für die Heranwachsenden – unterschwellig auf die Propagierung eines Schutz- und Verteidigungsbedarfes angelegt, mit angesichts der Zielgruppe drastischen Schilderungen.
Abbildung 14:
Gewöhnung an Waffen im Schulbuch Technisches Zeichnen 698
In diese von den Schulbüchern erzeugte Atmosphäre fügen sich Gedichte wie das Wilhelm Buschs mit dem Titel „Bewaffneter Friede“ ein. Das Gedicht han697 698
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Lesebuch Klasse 4 1990, S. 118. Technisches Zeichnen Klasse 7/8 1990, S. 29.
delt von einem Igel, der sich gegen die Order des Königs zur allgemeinen Entwaffnung stellt: „Ist nicht der Friede längst verkündigt und weißt du nicht, dass jeder sündigt, der immer noch gerüstet geht?“ Der Igel jedoch will seine Stacheln behalten: „Und allsogleich macht er sich rund, schließt seinen dichten Stachelbund und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet, doch als Friedensheld.“699 Im Lesebuch der Klasse sieben findet sich ein Gedicht über Wölfe und Schäferhunde, die nach „tausendjährigem Krieg“ endlich Frieden schließen wollen. Die Wölfe brechen jedoch den Pakt und töten die Hunde. Das Gedicht endet mit der Strophe: „Zusammenfassend muß man sagen: Mit Schurken gibt’s nur Krieg, so lang, bis sie geschlagen! Der Friede ist das höchste Gut, gewiß! Doch kann man sich vertragen mit dem, der Treu und Recht ersticken will im Blut?“700 Die Suggerierung von Schutz- und Verteidigungserfordernissen wird hier fortgesetzt.
Abbildung 15:
Gewöhnung an Waffen im Physikschulbuch 701
Die folgenden Aufgaben stammen aus Schulbüchern des Mathematik-, Physikund Muttersprachunterrichts:
699 700 701
Lesebuch Klasse 3 1986, S. 50. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 106 f. Physik Klasse 10 1989, S. 112.
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„Stelle zu den folgenden Fragen je eine Frage und beantworte sie! (...) Von 30 Soldaten sind zwei mehr als der dritte Teil auf der Sturmbahn. (...) Von 86 Soldaten nehmen 74 an der Schießausbildung teil. Die Hälfte der anderen Soldaten hat Wache.“702 „Welche Bewegungen treten bei folgenden Beispielen auf? a) Bremsen eines Zuges, b) Fliegen eines Flugzeuges, c) Landen eines Jagdflugzeuges, d) Anfahren eines Panzers, e) Starten einer Luftabwehrakete.“703 „Schreiben Sie folgende Fremdwörter in der richtigen Schreibung auf […] pass...ren, Diszipl..n, Polit..k, objekt..v, Term..n, Vitam..n, Volksmar..ne […]“704 „Wem antworten sie? Jungpioniere, Soldat, Arbeiter, Verkehrspolizist, Verkäufer, Patient, Kind (Kraftfahrer, Pionierleiter, Kunde, Arzt, Eltern, Offizier, Betriebsleiter)“705
Die vier zitierten Aufgaben stehen exemplarisch für die Selbstverständlichkeit, mit der militärische Themen die Schulbücher prägen. Auch kleinste Gelegenheiten werden hier genutzt, um militärische Inhalte in die Schulbücher zu integrieren. Im Lesebuch der Klasse vier geht es um einen hilfsbereiten Jungen, der sich unter anderem damit motiviert, dass er sich die Arbeiten, die er ausführt, phantasievoll ausmalt: „Bei Frau Jodecke hackte ich Holz und stellte mir vor, ich sei ein Holzfäller; der Frauenbrigade in der LPG ging ich beim Rübenziehen zur Hand und bedauerte nur, daß kein Wasser meine Füße umspülte wie den Reisbauern in Vietnam; in der Wäscheannahmestelle half ich den Frauen, die Wäschepakete umzuladen, und es war eine Solidaritätsfracht, die schnellstens in ein Flugzeug geladen werden mußte. Den älteren Leuten trug ich die Einkaufstaschen als schwere Munitionskästen, grub Gärten als Archäologe, spritzte als Feuerwehrmann Mistkarren ab oder ästete im Dschungel die Obstbäume aus [Hervorhebung durch den Verfasser – L. K.].“706
Wie schon die vorgenannten Beispiele indiziert insbesondere diese Erzählung die Ubiquität militärischer Inhalte auch in Schulbuchpassagen, die fern jedes militärischen Kontextes sind. Ein Grenzfall hinsichtlich der Einordnung als militärischer Schulbuchinhalt ist die Ausbildung in Karten- und Kompasskunde, die die Schüler im Heimatkundeschulbuch der Klasse drei auf dreiundzwanzig Seiten erhalten.707 Kartenund Kompasskunde mag auch jenseits militärischer Intentionen relevant sein, kann sich aber von diesen auch nicht gänzlich frei machen. Gleiches gilt für die folgende Aufgabe aus dem Mathematikunterricht, in der es um die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) geht, die zwar nicht unter die Kategorie Militär 702 703 704 705 706 707
150
Mathematik Klasse 3 1989, S. 40. Physik Klasse 6 1988, S. 21. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 134. Muttersprache Klasse 3 1990, S. 37. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 21. Vgl. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 14–37.
fällt, als paramilitärische Organisation aber an dieses angelehnt ist. Die Wortwahl in dieser Aufgabe, „Kradmelder“, „Melder“, „marschieren“, tendiert in Richtung militärischen Sprachgebrauchs: „Eine GST-Gruppe bricht um 7 Uhr von Ort A auf und marschiert mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6 km ° h-1 nach einem 10 km entfernten Übungsgelände G. 45 Minuten später startet von G aus ein Kradmelder und fährt der Gruppe mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km ° h-1 entgegen, um ihr eine Nachricht zu überbringen. Wann und wieviele Kilometer vom Übungsgelände entfernt hat der Melder die Gruppe erreicht?“708
Abbildung 16:
Gewöhnung an Waffensysteme im Mathematikschulbuch 709
Abbildung 17:
Militärisches Fachwissen im Physikschulbuch 710
708 709 710
Mathematik Klasse 9 1987, S. 101. Mathematik Klasse 2 1988, S. 79. Physik Klasse 9 1987, S. 118.
151
Im Jugendgesetz der DDR wird die „Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes und der sozialistischen Staatengemeinschaft“ als „Recht und Ehrenpflicht aller Jugendlichen“ bezeichnet.711 Nach § 24 habe die Jugend die Aufgabe, „wehrpolitische Bildung, vormilitärische Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben“. Im Bildungsgesetz werden die Schüler verpflichtet, „bereit zu sein, alle Kräfte der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, den sozialistischen Staat zu stärken und zu verteidigen.“712 Laut ,Jugendlexikon’ ist die Wehrerziehung ein wichtiger Bestandteil „der kommunistischen Bildung und Erziehung“; sie umfasse „die Gesamtheit aller Maßnahmen zur ideologischen und physischen Vorbereitung der Bürger für die sozialistische Landesverteidigung.“ Ziel der Wehrerziehung sei es, „die Bereitschaft und die Fähigkeit aller Bürger zu erhöhen, die Errungenschaften des Sozialismus und des sozialistischen Vaterlandes zu schützen.“713 Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur’ stellt die „Militarisierung als Ziel der Erziehung“ in der DDR heraus und hält fest: „Das ständige Streben der SEDFührung, die gesamte Gesellschaft zu militarisieren, wurde zunehmend zu einem Charakteristikum der DDR-Gesellschaft“ und weiter: „Die Militarisierung galt als eine erzieherische Aufgabe, die unter Losungen wie ‚Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft’ oder ‚Verstärkung der revolutionären Wachsamkeit’ propagiert wurde.“714 Sabine Dengel sieht „Erziehung des Militärs, Erziehung durch das Militär und Erziehung der Gesellschaft nach militärischen Maßstäben“ als „komplementäre Teile innerhalb des gesamten staatlichen Erziehungsprogramms“.715 Matthias Rogg zählt die „wehrpolitische Mobilisierung junger Menschen in staatlichen Bildungseinrichtungen“ zu „den traurigsten und in ihrer Perzeption vielleicht nachhaltigsten Hinterlassenschaften der DDR“. Rogg spricht weiter von der „Durchdringung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsapparates mit militärischen Inhalten“ als absolut offensichtlich und erkennt darin den Widerspruch zur Friedensrhetorik der SED.716 In der DDR ist die Wehrerziehung fester Bestandteil von Bildung und Erziehung, von dem sich auch die Schulbücher nicht frei machen können.717
711 712 713 714 715 716 717
152
§ 24 Jugendgesetz der DDR von 1974. Vgl. § 5 (2) Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem von 1965. Butzmann u.a., 1986, S. 686. Deutscher Bundestag 1994, S. 64. Dengel 2005, S. 195. Rogg 2008, S. 170. Vgl. Eisenfeld/Eisenfeld 1999, S. 675– 680.
Gemeinsam mit der Polizei und anderen bewaffneten Bestandteilen der Exekutive verfügt das Militär über das Gewaltmonopol, ist aber im Gegensatz zu diesen so ausgerüstet und ausgebildet (schwere Waffensysteme), dass es das größte Gewaltpotenzial hat. Es ist darum eines der wesentlichsten Machtinstrumente eines jeden Staates. Wegen seines Machtpotenzials, das im Gewaltpotenzial begründet liegt, ist es in den modernen Demokratien, etwa in der Bundesrepublik, vielfältigen Kontrollen (Primat der Politik) und die verantwortlichen Politiker dem Willen der Wähler unterworfen – der Inhaber der Macht wechselt regelmäßig. In der DDR wird das Militär durch die Okkupation aller staatlichen Macht durch die SED zu ausschließlich ihrem Machtinstrument.718 Schulbuchinhalte, die dazu beitragen, ein positives Bild vom sozialistischen Militär zu zeichnen, legitimieren ein Machtinstrument der Partei, wirken somit potenziell herrschaftssichernd und können daher als Ausdruck der Schulbuchinstrumentalisierung gesehen werden.
Abbildung 18: 718 719
Militärische Gewöhnung im Heimatkundeschulbuch 719
Vgl. Dengel 2005, S. 197. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 47.
153
„Diktaturen zeichnen sich nicht zuletzt dadurch aus, einen weit größeren Bedarf an Legitimation anzumelden als pluralistische Systeme. Einmal mehr gilt diese Beobachtung für die DDR und ihre bewaffneten Organe.“720 Diese Aussage Matthias Roggs spiegelt sich in der positiven Bewertung sozialistischen Militärs in den Schulbüchern wider. Doch auch über die positive Bewertung des Militärs hinaus ist die Auseinandersetzung mit militärischen Themen potenziell herrschaftssichernd. Bis zu einem gewissen Grad mag sie notwendig sein – im Kontext staatsbürgerlicher Erziehung oder im Geschichtsunterricht etwa. Doch die wiederholte und inhaltlich nicht gerechtfertigte (künstliche) Präsentation von Waffen, etwa als Gegenstand von Rechenaufgaben, lässt sich wohl kaum als staatsbürgerliche oder historische Erziehung bezeichnen. Hier scheint der von Peter Kohrs721 oder auch Gisela Hellwig722 verwendete Begriff „Wehrpropaganda“ für die regelmäßige Konfrontation der Schüler mit militärischen Themen treffender. Indem militärische Inhalte regelmäßig und im Kontext verschiedener Unterrichtsfächer oder Themen in die Schulbücher einfließen, werden sie zu etwas Alltäglichem für die Schüler gemacht. Militärischen Inhalten wird das Besondere genommen, das sie aufgrund der besonderen Rolle von Militär (Krieg, Töten, Sterben, Missbrauchspotenzial von Militär usw.) haben. Auch wenn keine positiven Wertungen vorgenommen werden, ist davon auszugehen, dass Einstellungen zugunsten des Militärdienstes und sozialistischen Militärs erzeugt werden und sei es nur durch die Überbrückung von Distanzen zwischen ziviler und militärischer Welt. Militär wird zu etwas alltäglich Normalem stilisiert, das zudem lediglich dem Schutz des Sozialismus diene. Gerade die Suggerierung eines Schutzbedarfs begründet die Notwendigkeit von Militär: „Die (schein-)pazifistische Selbstinterpretation der DDR bedarf während der gesamten Zeit der staatlichen Existenz des Verteidigungsargumentes zur Rechtfertigung der gesamtgesellschaftlichen Wehrpolitik.“723 Die entsprechenden hier beschriebenen Vorgänge in den Schulbüchern können neben dem schon in der DDR gebräuchlichen Ausdruck ,Wehrerziehung’ mit ,militärischer Gewöhnung, oder ,militärischer Prägung’ umschrieben werden. Durch die positive Bewertung des sozialistischen Militärs und die militärische Gewöhnung und Prägung findet eine Manipulation einerseits zugunsten des sozialistischen Militärs, aber andererseits auch zugunsten des Militärs im Allgemeinen statt. Das alles vor dem Hintergrund einer Nationalen Volksarmee der 720 721 722 723
154
Rogg 2008, S. 41. Vgl. Kohrs 1986, S. 77. Vgl. Hellwig 1988b, S. 95. Dengel 2005, S. 206.
DDR, die entgegen ihrem Namen vor allem eine „Armee im Dienste der Partei“724 ist und keinerlei demokratischer Einflussnahme oder Kontrolle unterliegt.725 Die in den Schulbüchern auf die beschriebene Weise versuchte Militarisierung der Schülerschaft weist unter den genannten Bedingungen herrschaftssicherndes Potenzial für die Partei auf. Zu bemerken ist auch die Klarheit, mit der die SED ihr Herrschaftssicherungsstreben offenbart, indem sie militärische Inhalte in den Schulbüchern so offen selbst an jüngste Kinder heranträgt.
Abbildung 19: 724 725 726
Positive Bewertung der NVA in der Fibel 726
Rogg 2008, S. 584. Vgl. Brühl 1997, S. 332. Unsere Fibel 1988, S. 106.
155
4.7
Kampf und Revolution
Der Aufstand des Spartakus wird nicht nur in den Geschichts-,727 sondern auch in den Muttersprachschulbüchern, zum Beispiel in Klasse fünf oder sieben,728 thematisiert. Im letztgenannten Schulbuch sollen die Schüler den folgenden Lückentext mit „die Spartakiadebewegung“ vervollständigen: „Friedrich Engels nannte Spartacus ‚den famosesten Kerl der ganzen antiken Geschichte’. … knüpft bewußt an die Traditionen der Kampfes der unterdrückten Volksmassen in der Antike an.“729 Hier wird bereits die Bedeutung von Spartakus für die Kampftradition deutlich. Spartakus gewidmet ist auch das Gedicht „Rebell“ von Louis Fürnberg im Lesebuch der Klassen neun und zehn: „Der Nackenschlag, der Fußtritt sei gesegnet – der Peitschenhieb, der im Gesichte brennt. Wo immer Menschenschmerz dem Menschenstolz begegnet, wird aus dem Sklaven Spartakus der Insurgent. Dies rebellierende Jahrhundert entbietet dem rebellischen Jahrtausend – Gruß. Es kommt dein Tag, Genosse Spartakus! Sah tausendmal die Frühlingsknospen schwellen, seit deinem Tode, doch noch nie war solche Pracht. Zwar seufzt Europa – aber Asien lacht! Das heiße Afrika ist voller frischer Quellen. – Sah Zähne blitzen, weiß und stark, ich sah Wollköpfe, die sich über Bücher beugen. Die weißen Götter aber schwitzen und bezeugen in ihrer Angst: Genosse Spartakus: Die Zeit ist nah.“730
727 728 729 730
156
Geschichte Klasse 5 1989, S. 120–123. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 178; Klasse 7 1990, S. 74. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 74. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 263.
Neben der bezeichnenden Vereinnahmung von Spartakus als „Genossen“ deutet das Gedicht auch die Vereinnahmung Afrikas und Asiens im revolutionären Denken der Verfechter des Sozialismus an. Im Lesebuch der Klasse sieben wird die Geschichte des „alten Sansibari“ erzählt, in der es um nicht näher bezeichnete revolutionäre Ereignisse des Jahres 1964 in Afrika geht: „Mwangi nickte, und ich dachte zuerst, er habe gar nicht richtig zugehört, denn drehte er sich nach mir um, lächelte und sagte in diesem besonderen Ton, den er dafür immer wählt: ‚Revolution!’“731 1964 fand der Staatsstreich John Okellos in Sansibar statt, in dessen Folge Tausende Araber und Inder ermordet wurden.732 Derlei Informationen enthält die Schulbucherzählung nicht, wohl aber Revolutionsromantik. Das Beispiel Sansibars ist typisch für die Schulbücher. Unter Ausblendung wesentlicher Fakten wird in diesem Fall Sympathie mit angeblich um ihre Freiheit kämpfenden Staaten gepflegt. Um ihre Freiheit oder deren Erhalt kämpfende Völker sind auch Thema anderer Schulbücher: „Suche aus der ‚Jungen Welt’ einen Sachtext heraus, der sich mit dem Befreiungskampf 733 der Völker Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas beschäftigt!“ „Mit dem Zerfall des imperialistischen Kolonialsystems und dem Entstehen von mehr als 70 unabhängigen Staaten in Afrika und Asien bis an die Schwelle zu den 60er Jahren hatte die nationale Befreiungsbewegung historische Siege errungen. (...) Die sozialistischen Länder gaben den jungen Nationalstaaten und der nationalen Befreiungsbewegung Rück734 halt in ihren antiimperialistische Bestrebungen.“ „Die Länder der sozialistischen Gemeinschaft stehen fest an der Seite der national befreiten Staaten und nationalen Befreiungsbewegungen in Asien, Afrika und Lateinameri735 ka.“ „Wir wissen alle, wie wichtig es ist, Solidarität zu üben. Jeder von uns kennt Bilder und Berichte aus jungen Nationalstaaten. Das sind Zeugnisse dafür, welche Not, welche Schwierigkeiten und Probleme es dort gibt. (...) Wir alle erinnern uns noch an das Treffen mit unseren afrikanischen Freunden in der Pionierrepublik. Jeder von uns war damals erschüttert, als wir erfuhren, mit welchen Mühen der Aufbau einer neuen Ordnung dort ver736 bunden ist.“
Eine andere historische Person neben Spartakus ist Ludwig van Beethoven, mit dem sich im Musikunterricht der Klassen neun und zehn befasst wird: „Die der 5. Sinfonie zugrunde liegende Idee, die auf die knappe Formel ‚Durch Kampf zum Sieg’ gebracht werden kann, ist Ausdruck der Weltanschauung des Revolutionärs Beethoven und darf deshalb nicht nur auf seinen persönlichen Konflikt bezogen werden; 731 732 733 734 735 736
Lesebuch Klasse 7 1985, S. 181–189. Vgl. hierzu Loimeier 2006. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 20. Geschichte Klasse 10 1989, S. 85. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 19. Muttersprache Klasse 7 1990, S. 46.
157
sie ist vielmehr verallgemeinert eine Kampfansage an alle rückschrittlichen Kräfte seiner Zeit, an alle, die das Volk unterdrücken und den gesellschaftlichen Fortschritt hemmen, sie ist Zeugnis des unerschütterlichen Glaubens an den nur durch Kampf zu erringenden Sieg des Volkes.“737
Wie Spartakus wird auch Beethoven in den Dienst der revolutionären Idee gestellt und darüber hinaus an anderer Stelle des Schulbuchs als den „Ideen des sozialistischen Fortschritts“738 zugetan beschrieben. Im letzten Satz des oben stehenden Zitates wird auch die Bedeutung des Kampfes unzweideutig angesprochen.
Abbildung 20:
Fahnensymbolik im Lesebuch 739
Ein ganzes Kapitel im Lesebuch der vierten Klasse ist überschrieben mit: „Auf den Spuren revolutionärer Kämpfer“, illustriert von einem mit einer roten Fahne ausstaffierten Gewehr (Abbildung 20).740 Im Musikschulbuch der Klasse drei steht ein Kapitel unter der Überschrift „Ich trage eine Fahne, und diese Fahne ist 737 738 739 740
158
Musik Klasse 9/10 1986, S. 62. Vgl. Musik Klasse 9/10 1986, S. 116. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 31. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 31.
rot“.741 Im ebenfalls in diesem Schulbuch gedruckten „Pioniermarsch“ verlautet: „Wir hören die Trommel schlagen, sie hat einen hellen Klang. Die blaue Fahne tragen wir mit fröhlichem Gesang.“742 In den Lesebüchern und den Musikbüchern finden sich dazu passend Gedichte wie das folgende: „Als er so dalag, nahmen die Genossen Ein Tuch und deckten ihm zu das Gesicht. Das Tuch war bald von Blut durchflossen Von dem zerschossenen Gesicht. So lag er da. Er hatte kein Gesicht. Wo sein Gesicht war lag die rote Fahne. Genosse, lebe wohl! Als Fahne Weht uns voraus von jetzab dein Gesicht.“743 „Brüder, seht, die rote Fahne weht uns kühn voran! Um der Freiheit heil´ges Banner schart euch, Mann für Mann! Haltet stand, wenn Feinde drohen! Schaut das Morgenrot! Vorwärts! ist die große Losung. Freiheit oder Tod.“744
Das Fahnenthema – die Fahne als Symbol für den Kampf der Arbeiter – spielt eine deutlich wahrnehmbare Rolle in den Schulbüchern. Sie wird in dem zitierten Gedicht in einen äußerst martialischen Kontext eingebettet. Teile des Musikunterrichts befassen sich mit dem Thema Arbeiterliedtradition: „Im revolutionären Kampf gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung wurden zahlreiche Lieder von Arbeitern geschaffen. Das Arbeiterlied wurde zu einer Waffe im Klassenkampf. In unserer Deutschen Demokratischen Republik, in der die Arbeiterklasse die Macht ausübt, pflegen wir dieses Liedgut.“745
Die Bedeutung von Kampf und Revolution spiegelt sich in dieser Aussage wider. Das „Lied der Roten Matrosen“ oder die „Warschawjanka“ sind zwei Beispiele für solche Arbeiterlieder: „Feindliche Stürme toben durch die Lüfte, drohende Wolken verdunkeln das Licht. Mag uns auch Schmerz und Tod nun erwarten, gegen die Feinde ruft uns die Pflicht. Wir haben der Freiheit leuchtende Flamme hoch über unseren Häuptern entfacht;
741 742 743 744 745
Musik Klasse 3 1979, S. 35. Musik Klasse 3 1979, S. 59. Lesebuch Klasse 8 1986, S. 210. Musik Klasse 7/8 1985, S. 22. Musik Klasse 9/10 1986, S. 50.
159
auf nun zum blutigen, heiligen Kampfe, bezwinge die Feinde, du Arbeitervolk! [Auszug: Warschawjanka – L. K.]“746 „Wir Kinder der Fabriken, wir Kinder des Meeres, wie Erz unser Wille zum Sieg. Zur Arbeit geboren, dem Meere verschworen, wir fürchten nicht Kämpfe noch Krieg. [Auszug: Lied der Roten Matrosen – L. K.]“747
Derart martialische und kämpferische Botschaften sind typisch für Arbeiterlieder. Die letzte Strophe eines Lesebuchgedichts der dritten Klasse lautet wie folgt: „Vor tausend Türen tausend Mütter sterben. Doch einmal wird ein wilder Wind aufstehn, Die Kalte Asche ihres Grams verwehn. Und wird die bleichen Mütterwangen färben. Und tausend Mütter stehen auf im Land. Der toten Söhne Fahne in der Hand.“748
Auch hier spielt die Fahne eine Rolle, ist die Botschaft kämpferisch und martialisch. In einem anderen Lesebuch findet sich ein Gedicht Erich Weinerts mit dem Titel „An einen deutschen Arbeiterjungen“: „Nicht weinen, mein Junge, es ist geschehn! Du kannst deinen Vater nicht wiedersehn. Sie haben ihn auf der Flucht erschossen. Junge, einen unserer besten Genossen! Auf der Flucht erschossen! Junge! Du weißt! Sie haben dir schon gesagt, was das heißt! Zwei Kugeln von vorn, in die Stirn, in die Lunge. Sieh haben ihn hingerichtet, mein Junge! Du siehst mich an so entsetzten Gesichts! Sei tapfer, mein Kind, ich erspare dir nichts! Sie haben ihn wie einen Hund geschunden! Er hat den qualvollsten Tod gefunden!
746 747 748
160
Musik Klasse 9/10 1986, S. 50 f. Musik Klasse 9/10 1986, S. 52. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 152.
Als sie ihn holten, da hast du geschrien. Und als er dich streichelte, schlugen sie ihn. Er konnte kein Wort des Abschieds mehr sagen. Sie hatten ihm schon den Mund zerschlagen. Sie schlugen auf ihn drei Tage lang, Bis daß ihm die Haut auseinandersprang. Zittre nicht, Junge! Du mußt es erfahren! Ich will dir das Schrecklichte nicht ersparen! Sie setzten ihm das Gewehr auf die Brust. Aus blutendem Mund hat er singen gemußt. Ihre Mordbrennerlieder mußte er singen, Auf blutenden Füßen mußte er springen! Und sähst du heute sein totes Gesicht, Du würdest schreien, du kenntest ihn nicht! Geschunden, zertreten, zerrissen, zerschossen! Junge, einen unserer besten Genossen! Wir trauern nicht, Junge, das ist nicht gut! Jetzt nichts mehr fühlen als brennende Wut! Und diese Glut darf nie mehr erkalten! Für den Tag, Junge, wo wir Abrechnung halten!“749
Die martialischen Botschaften der bisherigen Beispiele werden in Erich Weinerts Gedicht noch gesteigert. Die Zwölfjährigen werden ungefiltert mit Gewaltschilderungen und Kampfansagen konfrontiert. Arbeiterlieder in Musikschulbüchern oder ähnliche Gedichte aus Lesebüchern schildern in der Regel zunächst das Leid der Arbeiterschaft und beantworten dieses sodann unmittelbar drohend, indem Kampfansagen formuliert werden. Aus den Liedern sprechen regelmäßig Wut-, Hass- und Rachegefühle. Horst Möller spricht von einer eigenen Traditionspflege der DDR. Die DDR verstehe sich als bessere Alternative der deutschen Geschichte.750 Richard J. Evans äußert sich ähnlich: „Die DDR-Führung versuchte ständig, ihren Staat zu legitimieren, indem sie eine Brücke zu deutschen Vergangenheit schlug.“751 Dies geschehe maßgeblich durch die heroisierende Darstellung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.752 Die DDR solle „als die historische Wunscherfüllung der arbeitenden deutschen Massen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts“753 präsentiert werden. Franz Loeser führt „die großen humanistischen 749 750 751 752 753
Lesebuch Klasse 6 1985, S. 191. Vgl. Möller 2007, S. 4. Evans 2005, S. 3. Vgl. Evans 2005, S. 3. Evans 2005, S. 3.
161
und sozialistischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung“ an, „ihren Kampf gegen Krieg, Ausbeutung und Rassismus und für Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit“.754
Abbildung 21:
Sympathie mit Afrika im Geschichtsschulbuch 755
Historisch-materialistische Geschichte ist die Geschichte von Klassen und Klassenkämpfen. Sklavenhaltergesellschaft, Feudalgesellschaft und Kapitalismus seien von sich antagonistisch gegenüberstehenden Klassen gekennzeichnet: Sklavenhalter und Sklaven, Feudalherren und Leibeigene, Kapitalisten und Proletarier. Klassen unterschieden sich in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln, in ihrer Rolle innerhalb der Produktion sowie in der Art und Größe ihres Einkommens. Dabei besitze die herrschende Klasse die wichtigsten Produktionsmittel (Maschinen, Betriebe, Infrastruktur), die beherrschte Klasse sei ohne Eigentum. Während die herrschende Klasse bestimme, was, wie, wann produziert werde, führe die beherrschte Klasse lediglich aus. Die herrschende Klasse beziehe ihr Einkommen aus dem Gewinn, die beherrschte Klasse aus dem Lohn. 754 755
162
Loeser 1987, S. 157. Geschichte Klasse 10 1989, S. 193.
Beide Klassen stünden sich zwar im Klassenkampf gegenüber, bildeten aber gemeinsam die jeweilige Gesellschaftsformation. Dieser Widerspruch verstehe sich als Triebfeder der Entwicklung und löse sich im qualitativen Sprung in eine neue, bessere Gesellschaftsformation. Zum historisch letzten Klassenkampf komme es im Kapitalismus. Die ausgebeutete Klasse sei hier die Arbeiterklasse, die den Kapitalismus schließlich stürze, um die letzte Gesellschaftsformation, nämlich die kommunistische, zu errichten.756
Abbildung 22:
Kampf- und Revolutionssymbolik im Lesebuch 757
Die für das Traditionsverständnis der SED elementare Arbeiterklasse und deren Mission sind also von vornherein durch den Kampf gegen den Kapitalismus bestimmt. Kampf und Revolution sind „Klassenzweck“758 der Arbeiterklasse und haben in diesem Weltbild folglich einen entsprechenden Stellenwert. In ihrem Programm stellt sich die SED ausdrücklich in die Tradition des „mehr als hundertjährigen Kampfes der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung“, des Bundes der Kommunisten, der KPD und der revolutionären deutschen Sozialdemokratie, „gegen feudale Reaktion und kapitalistische Ausbeutung, gegen Imperialismus und Militarismus, Faschismus und imperialistischen Krieg“.759 Dieses 756
757 758 759
Vgl. Marx/Engels 2006, S. 912–926; Fischer/Prüsing 1974, S. 31 f.; Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 865 f. Lesbuch Klasse 9/10 1988, S. 114. Musik Klasse 9/10 1986, S. 117. Programm der SED von 1976, Einleitung.
163
Verständnis der SED ist ganz wesentlich für ihre Legitimation: „Es sind diese jahrhundertealten Traditionen, die die großen Erfolge der internationalen kommunistischen Bewegung erklären und die auch heute noch die Persönlichkeit der Parteimitglieder wie der Funktionäre der SED teilweise prägen.“760 Kampf und Revolution sind wesentliche Bestandteile dieser Tradition. Die Schulbuchautoren des Staatsbürgerkundeschulbuchs Klasse sieben stellen heraus: „Die KPD stützt sich auf 100 Jahre Erfahrungen im Kampf der revolutionären Arbeiterklasse, zu denen sich auch Tausende deutsche Sozialdemokraten bekannten.“761 Die Bedeutung von Kampf und Revolution spiegelt sich hier nochmals in aller Deutlichkeit wider. Die Schilderung von Kampf und Revolution resultiert wie eben erläutert aus dem Weltbild der SED: „Die Revolution ist somit die konsequenteste Führung des politischen, ökonomischen und ideologischen Klassenkampfes zwischen antagonistischen Klassen bis zu ihrem Höhepunkt – dem Kampf um die politische Macht.“762 Sinnbildlich werden im Staatsbürgerkundeschulbuch der Klasse neun Revolutionen als „Lokomotiven der Geschichte“763 bezeichnet. In der Schilderung von Kampf und Revolution manifestiert sich das Traditionsverständnis der Partei und ihr Weltbild. Sie weist darum herrschaftssicherndes Potenzial auf. Dies vor allem aber auch, weil der Kampf der Arbeiterbewegung im Untersuchungszeitraum noch nicht abgeschlossen ist. Insofern sind Kampf- und Revolutionsansagen immer auch ein Stück weit Drohungen an den Westen: „In den Klassenkampf ist jeder einbezogen – ob er das will oder nicht, ob es ihm bewußt ist oder nicht. Man kann ihm nicht ausweichen. Das zwingt jeden einzelnen zur Entscheidung, wo er in diesem Kampf steht.“764 „Viele national befreite Staaten erkennen immer klarer, daß die politische Selbständigkeit allein nicht genügt, um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse herbeizuführen. Das ist nur durch eine revolutionäre Umgestaltung möglich, die sowohl den Kampf gegen die ausländische imperialistische Einflußnahme als auch gegen einheimische Ausbeuter erfordert. Diese Einsicht lässt die revolutionären Kräfte Afrikas anwachsen. Sie formieren sich vor allem aus der revolutionären Arbeiterklasse und Bauernschaft. […] Ihr Kampf ist eingebettet in die internationale Klassenauseinandersetzung zwischen Sozialismus und 760
761 762 763 764
164
Loeser 1987, S. 157. Dies ist von Loeser keinesfalls als Euphemismus der Verhältnisse in der DDR gemeint. An anderer Stelle geht er hart mit den Parteifunktionären und dem System ins Gericht, z. B. in Bezug auf das verzerrte Geschichtsbild, die selektive Geschichtswahrnehmung oder die vollkommene Entfremdung von Volk und Parteifunktionären. An dieser Stelle soll nur aufgezeigt werden, dass es eine (teils als positiv propagierte, teils tatsächlich positive) Tradition der kommunistischen Bewegung gibt, aus der die Partei legitimatorisches Kapital schlägt. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 24. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 24. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 22. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 13.
Kapitalismus. Sie sehen zunehmend im Beschreiten eines sozialistischen Entwicklungsweges die Lösung der anstehenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme.“765
Hier wird ersichtlich, dass Kampf und Revolution im Untersuchungszeitraum zwar Tradition aber nicht Vergangenheit sind. Sie sind nach wie vor aktuell und manifestieren sich letztlich, so zeigt nicht nur das letzte Zitat, in der Auseinandersetzung zwischen Arbeiterklasse bzw. Sozialismus und Kapitalismus. 4.8
Sozialismus und Parteilichkeit
Verschiedene Themenfelder der Schulbuchinstrumentalisierung wurden bis zu dieser Stelle beschrieben. Eine Reihe von Schulbuchaussagen lässt sich keinem dieser Themenbereiche zuordnen: „Die Raumfahrt im Sozialismus und ihre Ergebnisse bereichern das menschliche Leben.“766 „Die Pflege und Gestaltung der Landschaft sowie der Schutz der heimatlichen Natur sind Teil der sozialistischen Landeskultur.“767 „Noch niemals, zu keiner Zeit war das Leben so erregend schön, so interessant und reich an Ereignissen von welthistorischer Bedeutung wie in unserer Epoche des Aufbaus des Kommunismus.“768 „Sich als sozialistische Persönlichkeit zu entwickeln, das schließt die feste Überzeugung ein, auf einem ganz bestimmten Gebiet fähig zu sein, schöpferisch tätig zu werden, Neues schaffen oder entdecken zu können zum Wohl der ganzen Gesellschaft und zum eigenen Wohl.“769 „Nennen sie aktuelle Beispiele des Kampfes der sozialistischen Staaten um nukleare Abrüstung!“770 „Die Musik Beethovens zeichnet sich durch ungemeine Aktivität aus. Sie ist vom Drang nach Umgestaltung der Welt erfüllt, ihr Held ist dazu berufen, die Ideen des sozialistischen Fortschritts im Leben zu verkörpern.“771 „Im Sozialismus gibt es keinen, der an Hochrüstung und Krieg verdient. Im Gegenteil: Wir, die wir die Werte schaffen und denen sie gehören, können weniger von unserem geschaffenen Reichtum verbrauchen, weil wir ebenso wirksame, teure Waffensysteme haben müssen wie die NATO-Armeen.“772
765 766 767 768 769 770 771 772
Geographie Klasse 8 1989, S. 11 f. Astronomie Klasse 10 1990, S. 50. Biologie Klasse 9 1987, S. 142. Musik Klasse 7/8 1985, S. 38. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 40. Physik Klasse 10 1989, S. 145. Musik Klasse 7/8 1985, S. 116. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 9.
165
„Hallo, auf zu guten Taten, denn den Sozialismus bauen wir!“773 „Je stärker der Sozialismus ist, desto stärker ist der Frieden!“774 „Die sozialistische Gesellschaft fördert das Leben des einzelnen und der gesamten Menschheit.“775 „Der Sozialismus ist eine gute Sache: Keiner wird ausgebeutet, keiner lebt im Elend.“776 „Der sozialistische Mensch ist auch ein künstlerisch allseitig gebildeter Mensch, und die Vermittlung des ganzen Reichtums der Weltkunst an alle Menschen, ohne Ausnahme, ist der erste Grundsatz sozialistischer Kulturpolitik.“777 „Die planmäßige Nutzung und Gestaltung der Naturumwelt im Interesse der gesamten Gesellschaft ist ein wesentliches Anliegen des Sozialismus.“778 „In der sozialistischen Gesellschaft steht der Mensch im Mittelpunkt.“779 „Im Sozialismus dient die Raumfahrt ausschließlich dem Menschen und der Gesellschaft.“780 „Wie die Menschen am Beginn unseres Jahrhunderts gelebt haben, kannst du nur aus Bildern und Büchern erfahren. Doch auch damals träumten Menschen von einer besseren Zukunft und kämpften mutig für eine Welt des Sozialismus, wie sie bei uns Wirklichkeit geworden ist.“781 „Die Erfolge des Sozialismus strahlen auf viele Länder und politische Bewegungen in der Welt aus.“782
Die voranstehenden Schulbuchaussagen betreffen den Sozialismus selbst, nicht einzelne seiner Bestandteile, wie bestimmte Staaten, Parteien, Streitkräfte usw. Im Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn wird gefragt: „Wieso sind Frieden und Sozialismus eine Einheit?“783 Dass Frieden und Sozialismus eine Einheit seien, wird hier einfach vorausgesetzt und nun lediglich nach einer Begründung gefragt. In Geschichte und Staatsbürgerkunde werden Aufgaben wie diese gestellt: „Begründen Sie, warum gesellschaftliche, kollektive und individuelle Grundinteressen im Sozialismus objektiv übereinstimmen, und zeigen Sie, wie diese Übereinstimmung herbeigeführt wurde!“784 „Nennen Sie die Vorzüge der sozialistischen Gesellschaft!“785 Fragen und Aufgaben wie diese sprechen für den manipulativen Charakter der Schulbücher.
773 774 775 776 777 778 779 780 781 782 783 784 785
166
Musik Klasse 4 1989, S. 25. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 108. Biologie Klasse 8 1985, S. 7. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 72. Musik Klasse 9/10 1986, S. 19. Geographie Klasse 9 1986, S. 9. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 57. Astronomie Klasse 10 1990, S. 50. Geschichte Klasse 5 1989, S. 5. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 6. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 84. Geschichte Klasse 10 1989, S. 127. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 59.
Im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn findet sich das Lied „Lob des Kommunismus“. Es ist auch und auch im Lesebuch dieser Klassen abgedruckt, zusammen mit dem Gedicht „Du, unsere Zeit“: „Was spricht eigentlich gegen den Kommunismus? Er ist vernünftig. Jeder versteht ihn. Er ist leicht. Du bist doch kein Ausbeuter, du kannst ihn begreifen, er ist gut für dich, erkundige dich nach ihm. Die Dummköpfe nennen ihn dumm, und die Schmutzigen nennen ihn schmutzig. Er ist gegen den Schmutz und gegen die Dummheit. Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen, aber wisse, er ist das Ende der Verbrechen. Er ist keine Tollheit, sondern das Ende der Tollheit. Er ist nicht das Chaos, sondern die Ordnung. Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist.“786 „Sicher blühten die Blumen auch vor tausend Jahren schön, und manchmal klang sicher ein Liebeslied in eines Herbstwindes Wehn. Und sicher steigen die Schwalben auch Im nächsten Jahrtausend zum Licht, und die Erde wird sicher viel freundlicher sein und schöner das Menschengeschlecht. Aber ganz sicher waren die Sterne Der Erde noch nie so nah, und der Himmel sah sicher noch nie eine Zeit, da solch ein Beginnen geschah. Noch nie. Und die Liebe war nie so bedroht und doch nie größer als heut. Du, unser Jahrhundert: Es beginnt erst der Mensch In dieser, unserer Zeit. Die Liebenden werden sich abends am Fluß Auch in tausend Jahren noch küssen. Doch nie wieder wird sein: Schon lieben zu dürfen 787 Und doch noch hassen zu müssen.“
Für die unbescheidene und undifferenzierte positive Sicht auf den Sozialismus, wie sie von den Schulbüchern transportiert wird, sind dieses Lied und dieses Gedicht paradigmatisch. Die Konflikte um Taiwan und den Nahen Osten kommen im Geographieschulbuch der Klasse sieben und im Lesebuch der Klasse fünf zur Sprache: „Die größte Insel Chinas, Taiwan, wird noch widerrechtlich von reaktionären Kräften beherrscht, die von der Volksrevolution 1949 vom Festland vertrieben wurden.“788 786 787
Musik Klasse 9/10 1986, S. 188 f.; Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 219. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 308.
167
„‚Wir hatten heute Besuch in der Klasse.’ Jonas versuchte, sein Zähneklappern zu unterdrücken. ‚Drei Palästina-Mädchen’ ... Sie waren im Kindergarten, als die Flugzeuge kamen. Sie hatten Raketen an Bord (...)’“789
Unabhängig davon, wie vielschichtig die Lage im Nahen Osten oder auch die Taiwan-Problematik sein mag, der SED geht es darum, unmissverständlich Stellung für kommunistische Staaten (China), für angeblich unterdrückte Völker (Palästinenser) oder einfach gegen als kapitalistisch deklarierte Staaten (Israel, Taiwan) zu beziehen. Dies ist Ausdruck der Unterordnung der Schulbücher unter des Bemühens der SED, die Schüler zur Parteinahme für den Sozialismus zu erziehen. Um das Diskutieren geht es im Muttersprachunterricht der Klasse acht: „Zum Diskutieren gehört die Bereitschaft, den Argumenten anderer gegenüber offen zu sein und Meinungen der Partner, die von Parteilichkeit, Wahrhaftigkeit und Sachkenntnis zeugen, in die eigene Standpunktbildung einfließen zu lassen.“790 Parteilichkeit ist im Weltbild der SED ein wesentliches Kriterium. Meinungen von Diskussionspartnern werden daran gemessen. Parteilichkeit heißt, alle Dinge vom „Standpunkt der Interessen der Arbeiterklasse“791 aus zu beurteilen, ist also stets Parteilichkeit für die SED. Das Zitat bleibt kein Einzelfall: „Die Vortragsweise des Redners beeinflußt durchaus die Wirkung seiner Ausführungen auf die Hörer, aber weder ausschließlich noch in erster Linie, sondern stets im Zusammenhang mit den grundlegenden Erfordernissen sozialistischer Redewirksamkeit: (...) und einer parteilichen Übereinstimmung von Wort und Tat im Handeln der Rednerpersönlichkeit.“792
Im gleichen Schulbuch wird Lenin mit den Worten zitiert: „Die ganze Erziehung, Bildung und Schulung der heutigen Jugend muß eine Erziehung zur kommunistischen Moral sein.“793 Es ist den Schulbüchern nach eine Selbstverständlichkeit, Dinge weltanschaulich zu beurteilen. Im Musikunterricht lassen die Schulbuchautoren den sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch zu Wort kommen: „Die Komponisten der ganzen Welt bedienen sich ein und derselben Notenzeichen. Die Meister der ganzen Welt spielen auf ein und denselben Instrumenten. Und doch gibt es einen Begriff wie den der sowjetischen Musik. Unsere Musik wird in allen Ländern gehört 788 789 790 791 792 793
168
Geographie Klasse 7 1990, S. 128. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 121. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 58. Autorenkollektiv 1988a, S. 739. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 21. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 65.
und gespielt. Das bedeutet, daß die Gedanken, die wir in unsere musikalischen Werke hineinlegen, dem Hörer, wo immer er leben mag, nahe sind. Ich halte die Weltanschauung des Künstlers für das Entscheidende bei seinem Schaffen.“794
Auch hier wird überdeutlich auf den Stellenwert der Weltanschauung hingewiesen. Das Lied „Sag mir, wo du stehst“ ist Gegenstand des Musikschulbuchs der Klassen sieben und acht: „Sag mir, wo du stehst, sag mir, wo du stehst, sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst! Zurück oder vorwärts; du mußt dich entschließen! Wir bringen die Zeit nach vorn Stück um Stück. Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen, denn wenn du im Kreis gehst, bleibst du zurück. Du gibst, wenn du redest, vielleicht dir die Blöße, noch nie überlegt zu haben, wohin. Du schmälerst durch Schweigen die eigene Größe. Ich sag dir: Dann fehlt deinem Leben der Sinn! Wir haben ein Recht darauf, dich zu erkennen, auch nickende Massen nützen uns nicht. Ich will beim richtigen Namen dich nennen. 795 Und darum zeig mir dein wahres Gesicht!“
Es ist aus SED-Sicht nur konsequent, wenn angesichts der Bedeutung, die der Weltanschauung und der parteilichen Einstellung zu dieser beigemessen wird, auch die Forderung formuliert ist, sich zu bekennen. Bemerkenswert ist nicht nur die Forderung, sich zu positionieren („nickende Masken nützen uns nicht“, „du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen“), sondern dass im selben Atemzug auch aufgezeigt wird, welche Seite die richtige sei („Wir bringen die Zeit nach vorn Stück um Stück“). In diesem Zusammenhang sei nochmals auf den Zeitpunkt hingewiesen, zu dem die Schüler mit diesem Lied konfrontiert werden: Klasse sieben und acht – ein Alter also, in dem sich Jugendliche in einem für sie schwierigen Alter und Selbstfindungsprozess befinden. Nur wenige Seiten später geht es im „Lied von Casey Jones“ um einem Lokomotivführer, der nicht an einem Eisenbahnerstreik teilnimmt und kurz darauf bei einem Zugunglück ums Leben kommt. Er kommt in den Himmel, wo die Engel streiken. Petrus bittet ihn, an deren statt die Arbeit im Himmel zu erledigen. Casey Jones fungiert damit aus Sicht der Lied- und Schulbuchautoren ein weiteres mal als Streikbrecher. Die Geschichte endet folgendermaßen: 794 795
Musik Klasse 9/10 1986, S. 166. Musik Klasse 7/8 1985, S. 170.
169
„Der Engel Schar vereinte sich und rief ‚Verräterei! Der Casey Jones bricht jeden Streik, wo immer er auch sei.’ Der Engelrat war gleich auf Draht und fackelte nicht lang. Er feuerte den Casey von der Wolkenbank. Casey Jones landet in der Hölle. ‚Casey Jones’, der Teufel ruft, ‚he, Mann! Casey Jones, jetzt schippst du mir den Schwefel als Lohn für deinen Streikbruch bei der Eisenbahn.“ 796
Nachdem die Schüler also zunächst erfahren haben, dass es notwendig sei, sich zu positionieren („Sag mir, wo du stehst“), wird ihnen nun in Form eines anderen Liedes am Beispiel des Casey Jones recht unzweideutig vor Augen geführt, wie es demjenigen ergeht, der sich nicht ,richtig’ positioniert.
Abbildung 23:
Positive Bewertung des Sozialismus im Lesebuch 797
Nicht nur einzelne Bestandteile des sozialistischen Systems, sondern auch der Sozialismus selbst erfährt in den Schulbüchern eine umfassende positive Bewertung. Die herrschaftssichernden Intentionen dabei entlarven sich schon ange796 797
170
Musik Klasse 7/8 1985, S. 185. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 41.
sichts des offensichtlichen Mangels an Bescheidenheit, mit dem dabei vorgegangen wird, aber auch erneut angesichts des gleichzeitigen Fehlens jeglicher Selbstkritik, d. h. jeglicher Thematisierung von Problemen im Sozialismus. Der Sozialismus wird in all seinen Ausprägungen mit den Attributen des Friedens, des Fortschritts und des Erfolgs bedacht. Die Botschaft ist einfach: Sozialismus bzw. Kommunismus, die sozialistische Welt und alles, wofür sie steht, sind gut. Hinzu tritt allerorten die offene Formulierung von Parteilichkeitserfordernissen. Dabei lassen die Schulbücher nie offen, welche (für die SED) die richtige und welche die falsche Seite ist. 4.9
Kapitalismus
Die nachfolgenden Schulbuchpassagen entstammen zwei Geographieschulbüchern und einem Heimatkundeschulbuch: „In den kapitalistischen Ländern herrschen die Besitzer großer Betriebe und Banken, die Kapitalisten. Ihr Streben ist darauf gerichtet, sich den durch die Arbeit der Werktätigen geschaffenen Reichtum anzueignen.“798 „Im Kapitalismus wird auch die territoriale Entwicklung weitgehend durch die Profitinteressen der Bourgeoisie bestimmt. Der Staat als Interessenvertreter der Bourgeoisie sichert dabei die für die Realisierung des Profits erforderlichen Bedingungen.“799 „Nenne Beispiele dafür, wie in bestimmten Ländern die Kapitalisten auch heute noch gegen den Kampf der Werktätigen für ein besseres Leben vorgehen!“800
In den Zitaten ist nicht die Rede von einzelnen Staaten oder Personen, sondern vom ,Kapitalismus’ und den ,Kapitalisten’. Schon dieser Verschlagwortung unterschiedlicher Nationen, Wirtschaftsformen, Kulturen und Menschen wohnt eine latent negative Bewertung inne, mindestens jedoch ist sie Ausdruck einer simplifizierenden Betrachtungsweise, denn sie reduziert diese Staaten und Individuen allein auf die Rolle des Kapitals. Dessen schon durch diese Wortwahl suggerierte Dominanz wird in den oben stehenden Zitaten direkt angesprochen, indem die betreffenden Staaten als Mittel der herrschenden Klasse zur Unterdrückung der Werktätigen beschrieben werden – der Staat sei hier den Interessen des Kapitals untergeordnet. Konkrete Beispiele für solche Staaten bzw. Regionen finden sich in den USA, Japan und Westeuropa, die Gegenstand des Astronomieund Geographieschulbuchs der Klasse zehn sind: „In der Welt existieren gegen798 799 800
Geographie Klasse 6 1990, S. 11. Geographie Klasse 10 1988, S. 18. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 48.
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wärtig drei Hauptzentren des Imperialismus, die USA, Westeuropa mit der EG als Kern und Japan.“801 Japan, die USA oder die verschiedenen Staaten Westeuropas weisen erhebliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Wirtschaftsformen und deren Ausgestaltung (z. B. freie oder soziale Marktwirtschaft, deutscher, schwedischer oder britischer Sozialstaat) auf. Groß sind auch die kulturellen Unterschiede. Dessen ungeachtet werden diese Staaten nicht nur pauschal unter dem Begriff Kapitalismus subsumiert, sondern zusätzlich als imperialistisch eingestuft. Dabei geht es nicht um den Imperialismus als historisches Phänomen des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts. Der in den Schulbüchern verwendete Imperialismusbegriff orientiert sich an Lenins Imperialismustheorie. Der russische Revolutionär deutet den Kapitalismus ab einem bestimmten Niveau als Imperialismus.802 Für diesen Imperialismus sei die Bildung von Monopolen charakteristisch, die ganze Wirtschaftszweige beherrschten. Anstelle des Warenexports komme es im Imperialismus zum Kapitalexport, der erst zu internationalen Monopolen und dann zur territorialen Aufteilung der Welt in imperialistische Einfluss- und Abhängigkeitssphären führe. Im Imperialismus seien Monopolisten und Staatsmacht vereinigt, sodass der Staat die Monopole unterstütze, u. a. durch Generierung von Rüstungsaufträgen oder durch Eingriffe in Arbeitskonflikte zugunsten der Unternehmer. Permanente Rüstung führe schließlich zur Militarisierung der Wirtschaft und zum wachsenden Einfluss von Militaristen bis hin zu der Tatsache, dass der Staat im Interesse der Monopole Kriege führe. Der Imperialismus markiere den Endpunkt in der Entwicklung des Kapitalismus, er wird als dessen letzte Stufe, als Vorstufe zur Revolution gesehen.803 Die westliche Welt der achtziger Jahre hat nach offiziellem SED-Verständnis diesen Level erreicht – dies spiegeln auch die Schulbücher wider. Angesichts des extrem pejorativen Aussagegehaltes der Imperialismustheorie wird deutlich, wie umfassend und tiefgehend das Feindbild der SED ist. Die Begriffe Kapitalismus und Imperialismus bzw. kapitalistisch und imperialistisch werden zur Charakterisierung der westlichen Welt von den Schulbuchautoren synonym gebraucht. Beide Begriffe werden trotz ihres pejorativen Grundcharakters und ihrer grundsätzlichen Nichtangemessenheit für die Charakterisierung einer Vielzahl westlich-marktwirtschaftlicher Staaten in dieser Studie verwendet. Dies nur deshalb, weil sie in den Schulbüchern die Regel sind – begrifflichen Unklarheiten soll so vorgebeugt werden, d. h., wenn die Schulbuch801 802 803
172
Geographie Klasse 10 1988, S. 16. Vgl. Lenin 2001a, S. 98. Vgl. Lenin 2001a, insbesondere zusammenfassend S. 99; Kosing 1989, S. 248; Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 252–283, 296–300; Fischer/Prüsing 1974, S. 38 ff.
autoren den Kapitalismus bzw. den Imperialismus behandeln, wird auch in dieser Studie von Kapitalismus bzw. Imperialismus die Rede sein. Aus Musik-, Geschichts- und Muttersprachschulbüchern sind diese Aussagen entnommen: „Lies den Text! Formuliere, wie sich die kapitalistische Ausbeutung entwickelt hat!“804 „So prangerte er [Ottmar Gerster – L. K.] bereits in seinem ersten Chorwerk, dem ‚Lied vom Arbeitsmann’ (1929), die kapitalistische Ausbeutung an, indem er den Tag eines Arbeiters schilderte.“805 „Dieses Protestlied [Black and White – L. K.] der amerikanischen Neger ist ein Aufruf zum gemeinsamen Kampf der schwarzen und weißen Amerikaner gegen die Unterdrückung und Ausbeutung durch die Kapitalisten.“806 „Diese [die kommunistischen Parteien – L. K.] schufen sich mit der Kommunistischen Internationale ein Führungsorgan gegen imperialistische Kriege und kapitalistische Ausbeutung.“807
Ausbeutung und Unterdrückung sind Schlagworte, mit denen der Kapitalismus wie in diesen Zitaten durchgängig in Verbindung gebracht wird. In den nachstehenden Beispielen wird eine zwischenstaatliche Perspektive eingenommen: „Den vom Imperialismus unterdrückten oder befreiten Ländern werden wir jederzeit unsere Solidarität erweisen.“808 „Auf dieser Grundlage hat es der Imperialismus vermocht, ein äußerst raffiniertes System der neokolonialistischen Ausbeutung (...) zu schaffen und zu praktizieren sowie eine beträchtliche Anzahl befreiter Staaten noch enger an sich zu binden.“809 „Für die Armut in Entwicklungsländern ist der Imperialismus verantwortlich.“810
Unterdrückt und ausgebeutet werden nach Ansicht der Schulbuchautoren nicht nur die Menschen innerhalb der kapitalistischen Staaten, sondern auch Staaten selbst. Die letzten beiden Zitate entstammen dem Geographieschulbuch der zehnten Klasse, indem auch das Thema Entwicklungshilfe zu Sprache kommt. Diese wird folgendermaßen definiert: „(...) demagogisch bürgerliche Bezeichnung für aus imperialistischen Ländern in Entwicklungsländer fließende finanzielle Mittel, bestimmte Waffenlieferungen und materiell-
804 805 806 807 808 809 810
Muttersprache Klasse 8 1987, S. 33. Musik Klasse 7/8 1985, S. 108. Musik Klasse 7/8 1985, S. 120. Geschichte Klasse 9 1989, S. 18. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 127. Geographie Klasse 10 1988, S. 17. Geographie Klasse 10 1988, S. 18 f.
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technische Leistungen, mit denen die Monopole versuchen, in diesen Ländern ihre öko811 nomischen und politischen Positionen zu erhalten oder neue zu gewinnen.“
Der Entwicklungshilfe wird jeder wohlgemeinte Charakter abgesprochen – sie sei lediglich Instrument imperialistischer Länder zur Einflussnahme auf die Empfängerstaaten.
Abbildung 24:
Negative Bewertung der USA im Geschichtsschulbuch 812
Im Deutschunterricht geht es sowohl in Klasse fünf als auch in den Klassen neun und zehn um die Sprache: „Zeigen Sie an weiteren Beispielen, wie im imperialistischen Sprachgebrauch durch die Wahl entsprechender Wörter Meinungen manipuliert werden! Stützen Sie sich dabei auf Sendungen des Fernsehens und des Rundfunks der DDR wie ‚Der schwarze Kanal’ und ‚Alltag im Westen’!“813 „Die Feinde der Arbeiterklasse nutzen diese Möglichkeit aus, indem sie Unwahrheiten, Halb- und Teilwahrheiten verbreiten und Einzelerscheinungen so verabsolutieren, daß ihr Wesen nicht mehr erkennbar ist. (...) Dieser Mißbrauch der Sprache gehört in den Bereich der imperialistischen Manipulation.“814
Die Schulbuchautoren unterstellen den Vertretern des Imperialismus hier, Meinungen zu manipulieren oder Unwahrheiten zu verbreiten. An anderer Stelle des Deutschunterrichts, im Muttersprachschulbuch der Klasse acht, wird Bertolt Brecht zitiert: „Das ganze Leben kämpfen die Menschen im Kapitalismus um ihre Existenz – gegeneinander. Die Eltern kämpfen um ihre Kinder, die Kinder um das Erbe, der kleine Händler 811 812 813 814
174
Geographie Klasse 10 1988, S. 170. Geschichte Klasse 9 1989, S. 49. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 13. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 151.
kämpft um seinen Laden mit dem anderen kleinen Händler, und alle kämpfen sie mit dem großen Händler. Der Bauer kämpft mit dem Städter, die Schüler kämpfen mit dem Lehrer, das Volk kämpft mit den Behörden, die Fabriken kämpfen mit den Banken, die Konzerne kämpfen mit den Konzernen. Wie sollten da am Ende nicht die Völker mit den Völkern kämpfen!“815
Brechts Rede ist ein paradigmatischer Beleg für die Sicht auf den Kapitalismus, wie sie in den Schulbüchern vermittelt wird. Der Schriftsteller zeichnet das Bild eines glücklosen Lebens im Kapitalismus, in dem sogar Familien Gegner sind. Die Textpassage wird unter anderem begleitet durch die folgenden Aufgaben: „Gib den Standpunkt des Autors Bertolt Brecht mit eigenen Worten knapp wieder“816; „Stelle fest, was Bertolt Brecht beweisen will! Setze den ersten und den letzten Satz des Zitats zueinander in Beziehung! Ermittle, welche Beweise der Autor anführt!“817 Die letzte Aufgabe weist Brechts Text Beweischarakter zu. Die kapitalismuskritischen Äußerungen des Schriftstellers werden damit untermauert. Im Geographieschulbuch der Klasse acht heißt es: „Menschen in Not und Elend gehören zum alltäglichen Leben im Kapitalismus. Not und Elend sind in unmittelbarer Nähe von angehäuftem Kapital anzutreffen.“818 Während diese Aussage den Charakter einer reinen Behauptung trägt, verlautet im Chemie und Geographieschulbuch der Klasse zehn: „Während Stein- und Braunkohle in den RGW-Ländern ihre hervorragende Rolle als Energieträger behielten, führte die am Profit orientierte Energiepolitik imperialistischer Länder zu starken Einschränkungen der Kohleproduktion.“819 „Im Gegensatz zur kapitalistischen Wirtschaftspraxis wurde durch die Wirtschaftspolitik der Partei der Arbeiterklasse und der Regierung der DDR die Bedeutung der Kohle als Energieträger und chemischer Rohstoff stets beachtet.“820
Hier wird ein Zusammenhang zwischen der mengenmäßigen Nutzung von Steinund Braunkohle und einer vernünftigen Energiepolitik konstruiert. Auf Basis derartiger Interpretationen lässt sich der allmähliche Ausstieg der Bundesrepublik aus diesem fossilen Brennstoff als Makel deklarieren. Einen anderen Charakter tragen diese Schulbuchpassagen: „Junker, Unternehmer, Potentat; Schaufeln her, Mensch, schaufeln wir den ganzen Klumpatsch heiter jetzt aus unserm Staat.“821
815 816 817 818 819 820
Muttersprache Klasse 8 1987, S. 51. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 51. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 51. Geographie Klasse 8 1989, S. 119. Geographie Klasse 10 1988, S. 39. Chemie Klasse 10 1988, S. 96.
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„Die deutschen Kapitalisten, Großgrundbesitzer und Generäle bangten um ihren Reichtum und ihre Macht. Sie haßten die KPD und besonders ihre Führer.“822 „Mit seinem Puppenspiel zeigt er [Meister Röckle – L. K.] den Leuten, daß es ohne Teufelsfurcht, ohne Fabrik- und Gutsbesitzer im Leben besser geht.“823
Abbildung 25:
Feindbild im Geschichtsschulbuch 824
Abbildung 26:
Feindbild im Lesebuch 825
821 822 823 824
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Musik Klasse 7/8 1985, S. 95. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 71. Musik Klasse 5/6 1990, S. 58. Geschichte Klasse 9 1989, S. 231 (links) und Lesebuch Klasse 4 1990, S. 30 (rechts).
Die negative Bewertung verlässt in diesen Beispielen die zwischenstaatliche Ebene. Neben dem Kapitalismus und kapitalistischen Staaten wird das Feindbild hier in Form privatwirtschaftlicher Eigentümer, verschlagwortet als Fabrik-, Guts-, Großgrundbesitzer, Junker oder Unternehmer, personifiziert. Spezielle Ausprägungen erfährt das Feindbild auch im Lesebuch der Klasse fünf, wo in Gedichtform von einem „Reichen“ erzählt wird, der spazieren geht und sich des schönen Tages erfreut. Auf seinem Weg begegnet er zahlreichen ärmeren Menschen, die sichtlich betrübt sind. Der „Reiche“ kann dies zunächst nicht nachvollziehen, bis ihm einer dieser Menschen erklärt, was dem „Armen“ zum Glücklichsein fehle: „Es fehlt ihm ein kleiner Teil nur dazu vom Reichtum der Welt. – Doch den hast du! Du hast dir genommen, was ihm gehört! Du hast dem Armen die Welt zerstört!“826 Allein die Tatsache, dass jemand wohlhabend ist – es finden sich keine weiteren Informationen im Text – reicht aus, um ihn zu diskreditieren. Damit nicht genug: „Weißt du, wann unsereins glücklich ist? Erst an dem Tag, wo du nicht mehr bist!“827 Der Vorwurf wird hier durch eine Kampfansage erweitert. Schon in der Fibel ist von den „reichen Leuten“ die Rede: „In Pepes Heimat ist es warm und sonnig. Apfelsinen und noch viele andere Früchte können dort gut wachsen. Auf riesigen Feldern müssen Männer und Frauen und sogar die Kinder von früh bis spät schwer arbeiten. Auch Pepes Eltern, seine Geschwister und er gehören dazu. Aber was sie ernten, gehört ihnen nicht. Einige reiche Leute besitzen die Felder. Sie verkaufen die Früchte an andere Länder. Das Geld dafür behalten sie fast alles für sich. Die Arbeiter und ihre Familien bekommen nur wenig Lohn.“828
Im Lesebuch der Klasse sechs wird den „reichen Leuten“ zugestanden: „Der Amerikaner lachte laut; manchmal sind ja auch reiche Leute lustig.“829 Hier offenbart sich erneut die Selbstverständlichkeit, mit der „reiche Leute“ herabgewürdigt werden. Im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn finden sich die folgenden Aussagen: „Die Entwicklung des Kapitalismus im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts spiegelte sich, wie jeder gesellschaftliche Prozeß, auch in der Musik und im Musikleben wider. Die Musik wurde zu Ware, die vor allem Profit einbringen sollte. Die herrschende Klasse war daran interessiert, die Massen des Volkes durch eine möglichst leicht eingängliche, seichte
825 826 827 828 829
Geschichte Klasse 9 1989, S. 231 (links) und Lesebuch Klasse 4 1990, S. 30 (rechts). Lesebuch Klasse 5 1988, S. 198. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 198. Unsere Fibel 1988, S. 94. Lesebuch Klasse 6 1985, S. 106.
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Musik von ihren harten Lebensbedingungen und damit vom Klassenkampf abzulenken.“830 „In diesem Song wird die imperialistische Bourgeoisie, verkörpert durch den Verbrecher Mackie Messer, mit dem räuberischen Haifisch verglichen. Während dieser jedoch seine Zähne offen zeigt, ist die kapitalistische Ausbeuterklasse viel gefährlicher: ihre Waffen sieht man nicht. Ausbeutung, Unterdrückung und Kriegsvorbereitung werden unter dem Deckmantel bürgerlicher Demokratie durch Lüge und Betrug verschleiert.“831
So pauschal wie der Sozialismus positiv bewertet wird, so pauschal wird der Kapitalismus herabgewürdigt – in jeder Weise. So wird auch die Musik als Mittel der herrschenden kapitalistischen Klasse zu Beeinflussung der Bevölkerung interpretiert. Das zweite Zitat zeigt erneut die Offenheit und Intensität der Feindbildvermittlung auf. Die Bücher Maxim Gorkis werden von den Schulbuchautoren im Lesebuch der Klasse zehn zu dem „fortgeschrittensten Bildungsgut der deutschen Volksmassen“ gezählt.832 Neben anderen findet sich in diesem Schulbuch ein Textauszug von Gorki mit dem Titel „Antwort an amerikanische Korrespondenten“: „Sie werfen mir vor, daß ich ‚Haß predige’, und raten mir, ‚Liebe zu propagieren’. Sie halten mich also anscheinend für fähig, den Arbeitern einzureden: Liebet die Kapitalisten, denn sie verschlingen eure Kräfte, liebet sie, denn sie vernichten schutzlos die Schätze eures Bodens, liebet die Menschen, die euer Eisen für den Bau von Geschützen vertun, mit denen sie euch hinschlachten, liebet die Schurken, durch deren Willen eure Kinder vor Hunger verenden, liebet sie, die euch um ihrer Ruhe und Sattheit willen vernichten, liebet den Kapitalisten, denn seine Kirche hält euch in der Finsternis der Unwissenheit ... Nein, es ist nicht mein Handwerk, Liebe des Armen zum Reichen, des Arbeiters zum Unternehmer zu predigen. Ich tauge nicht zum Tröster. Zu lange und zu gut weiß ich, daß die ganze Welt in einer Atmosphäre des Hasses lebt, ich sehe, daß dieser Haß immer konsistenter, aktiver und heilsamer wird. Ihr ‚Humanisten, die ihr Praktiker sein wollt’, müßt endlich begreifen, daß in der Welt zwei Arten Haß wirken: der eine entstand unter den Räubern auf dem Boden ihrer gegenseitigen Konkurrenz und auch aus Angst vor der Zukunft, die den Räubern mit dem unvermeidlichen Untergang droht; der andere – der Haß des Proletariats – entsteht aus dessen Abscheu gegen die Wirklichkeit und tritt durch das Bewußtsein seines Rechtes auf die Macht immer deutlicher an den Tag. Diese beiden Arten Haß sind zu derartiger Stärke angewachsen, daß nichts und niemand sie zu versöhnen vermag, und nicht außer dem unvermeidlichen kämpferischen Zusammenstoß ihrer physischen, klassenmäßigen Träger, nichts außer dem Sieg der Proletarier wird die Welt vom Haß befreien.“833
Neben der bereits angesprochenen Offenheit und Intensität der Feindbildvermittlung zeigt sich hier auch, wie tiefgehend diese ist. Auf einer Schulbuchseite 830 831 832 833
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Musik Klasse 9/10 1986, S. 136. Musik Klasse 9/10 1986, S. 87. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 107. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 105 f.
referiert der als „geliebter, echter Volksdichter der Massen“834 bezeichnete Gorki über den Hass. Die folgenden Zitate entstammen Schulbüchern aus sechs verschiedenen Unterrichtsfächern und vier verschiedenen Klassenstufen: Gedicht von der „Imperialistenlogik“: „Wo ein Wasser ist, muß ein Abwasser sein, Wo ein Mensch ist, muß ein Polizist sein. (...) Wo das Volk aufsteht, muß hin eine Intervention. Wo wenige aufstehen reicht eine Detonation.“835 „Von den USA wurden zur Durchsetzung ihrer aggressiven imperialistischen Politik gegenüber der Demokratischen Republik Vietnam namentlich solche Herbizide wie ‚Agent Orange’, ‚Agent White’, und ‚Agent Blue’ zur Entlaubung von Wäldern und zur Vernichtung von Reisfeldern eingesetzt (Abb. 30).“836 „Umso verbrecherischer ist es, daß die in den USA herrschenden imperialistischen Kräfte bakteriologische Kampfmittel entwickelt haben. In ihrem unmenschlichen Krieg gegen das koreanische und vietnamesische Volk haben sie bereits bakteriologische Kampfmittel eingesetzt. Das läßt befürchten, daß diese Kräfte beim Ausbruch weiterer Kriege nicht davor zurückschrecken würden, diese Kampfmittel zur Vernichtung ganzer Völker einzusetzen.“837 „Mißbrauch der Raumfahrt durch USA-Imperialisten für Hochrüstung im Weltraum“838 „Die gegenwärtige Administration der USA treibt im Dienste der Befehlshaber des industriell-militärischen Komplexes dieses imperialistischen Staates die atomare Aufrüstung in nahezu unvorstellbarem Maße voran.“839 „Die sozialistischen Staaten, besonders die Sowjetunion, haben vielfältige Schritte vorgeschlagen, um in der Welt zur Abrüstung zu gelangen […] Im Gegensatz dazu beschleunigen die Regierungen der USA, der BRD, Großbritanniens und anderer NATO-Staaten die Hochrüstung.“840 „Gerade jetzt, da die Imperialisten eine Politik am Rande des Krieges treiben, kann es uns nicht gleichgültig sein, wem wir die Verantwortung für die Landesverteidigung übertragen.“841
Die Textbeispiele zeigen, dass es sich die Schulbuchautoren in der Abwertung des Kapitalismus einfach machen, indem sie in stereotypen Kategorien von absolut Gutem und absolut Bösen schreiben. Was also dem Sozialismus an positiven Eigenschaften zugeschrieben wird, wird als im Kapitalismus gegenteilig vorliegend beschrieben. Während der Sozialismus stets als friedliebend und friedlich propagiert wird, wird der Kapitalismus in den eben angeführten Schulbuchaussagen als kriegerisch, aggressiv, gefährlich, aufrüstend und den Sozialismus 834 835 836 837 838 839 840 841
Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 106. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 166. Chemie Klasse 9 1986, S. 66. Biologie Klasse 7 1987, S. 35. Astronomie Klasse 10 1990, S. 52. Physik Klasse 10 1989, S. 143. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 78. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 61.
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bedrohend dargestellt. Besonders die USA sehen sich entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt. In diesen Kontext betten die Schulbuchautoren auch die westliche Wissenschaft ein: „Im Kapitalismus sind die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften der Raumfahrt den Macht und Profitinteressen der Monopole untergeordnet. Herrschende imperialistische Kreise in den USA arbeiten zielstrebig an der Militarisierung des Weltraums und geben dafür riesige Geldsummen aus.“842 „Auch der Wissenschaftler im Imperialismus trägt eine hohe Verantwortung. Er muß sie auch gegen aggressiv orientierte imperialistische Politiker wahrnehmen, wenn er nicht an Verbrechen des Imperialismus gegen die Menschheit mitschuldig werden will.“843
Eine weiteren Aspekt der Kapitalismusdarstellung verdeutlichen diese Schulbuchpassagen: „Ich glaubte die Behandlung [beim Zahnarzt – L. K.] nicht bezahlen zu können. Bei uns [in Finnland – L. K.] ist das alles sehr teuer, und meine Eltern verdienen gerade genug 844 zum Leben.“ „Der Imperialismus verweigert Millionen Werktätigen das Recht auf Arbeit. Diese Unmenschlichkeit des Imperialismus kann nur durch die Beseitigung der kapitalistischen 845 Macht- und Eigentumsverhältnisse abgeschafft werden.“ „Die Produktion in kapitalistischen Ländern ist krisenhaften Schwankungen unterworfen. Es existieren große Unterschiede im Entwicklungsstand der Wirtschaft und der Territo846 rien, deren Überwindung nicht im Interesse der Monopole liegt.“ „Die Waffen womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst. Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen 847 führen werden – die modernen Arbeiter, die Proletarier.“ „Die Ballungsgebiete entwickelter kapitalistischer Staaten sind durch eine hohe Industrieund Bevölkerungskonzentration gekennzeichnet, die mit erheblichen Belastungen für die Bevölkerung verbunden sind. Ihre Entwicklung führte zu einer Vermischung von Industrie- und Wohngebieten, zu einer starken Belastung der Naturraumstruktur sowie zu einer 848 Infrastruktur, die vorrangig dem Interesse des Profits dient.“ „Frieden, Ernährung, Gesundheit und Bildung – das sind Grundfragen des Lebens der Menschen. Diese lebenswichtigen Daseinsfragen vermag der Kapitalismus, wie die Ent849 wicklung beweist, nicht zu lösen.“
842 843 844 845 846 847 848 849
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Astronomie Klasse 10 1990, S. 51. Chemie Klasse 9 1986, S. 70. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 10. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 58. Geographie Klasse 10 1988, S. 18. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 99. Geographie Klasse 10 1988, S. 73. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 29.
Dass die Darstellung der Schulbücher angesichts der umfassenden positiven Bewertung des Sozialismus auf der einen und der ebenso umfassenden negativen Bewertung des Kapitalismus auf der anderen Seite schon grundsätzlich stark dichotome Züge trägt, ist offenkundig. Diese Dichotomie spiegelt sich erneut in den oben stehenden Zitaten wider. Dem Kapitalismus wird hier durch die Schulbuchautoren nachgesagt, er sei zukunfts- und perspektivlos, biete keine Lösung für die Probleme seiner Bürger und sei durch schlechte Lebensbedingungen gekennzeichnet. Dies steht im offensichtlichen Gegensatz zur Darstellung allein der sozialistischen Welt als zukunftsfähig sowie gleichsam als sozialen Paradieses, in dem alle Bedürfnisse erfüllt würden und das auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens fortschrittlich und erfolgreich sei. Im Chemieschulbuch der Klasse zehn werden die Leuna-Werke thematisiert. Diese habe man im Ersten Weltkrieg eigens errichtet, da sich „Kreise des deutschen Imperialismus und Militarismus nachdrücklich für die Ammoniaksynthese“ interessierten, um „weiter Sprengstoffe herstellen zu können.“ Die Wissenschaftler, deren Arbeit die technische Herstellung von Stickstoff und Ammoniak ermögliche, Fritz Haber und Carl Bosch, seien an der „Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse für die Profitinteressen des Monopolkapitals bis zum Krieg und Völkermord“ nicht unschuldig. Zu dieser Zeit schlössen sich die Arbeiter der Leuna-Werke dem „Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen das Monopolkapital“ an, kämpften gegen Polizei und Reichswehr und organisierten den Widerstand „gegen Faschismus und Krieg in den Jahren 1942…1944“. Nach dem Übergang der Leuna-Werke 1945 „in sowjetisches Eigentum“ könne deren Wiederaufbau erfolgen. Da „die antifaschistisch-demokratische Entwicklung“ der DDR Garant für die friedliche Nutzung der Produktion sei, übergebe die sowjetische Regierung schließlich im Jahre 1954 die Leuna-Werke an die DDR.850 Während im Chemieschulbuch die Leuna-Werke behandelt werden, konzentrieren sich die Schulbuchautoren in Astronomie auf die Raumfahrt: Im Sozialismus herrsche ein hohes Verantwortungsbewusstsein für die friedliche Nutzung der Raumfahrt. Seit dem Start von Sputnik 1 sei die Sowjetunion entschieden für den Frieden eingetreten: „Schon 1958 schlug sie den Vereinten Nationen einen Vertrag über die Nutzung des Weltraums für ausschließlich friedliche Zwecke vor.“ Im Kapitalismus sei das Gegenteil der Fall: Der angesprochene Vertragsvorschlag der Sowjetunion für die friedliche Nutzung der Raumfahrt werde infolge „des Widerstandes der USA und ihrer Verbündeten“ erst 1967 umgesetzt. Im Kapitalismus sei die Raumfahrt den „Macht- und Profitinteressen der Monopole untergeordnet“, die die „Militarisierung des Weltraums“ betrieben. Passend 850
Chemie Klasse 10 1988, S. 30 ff.
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dazu finden sich am Seitenende die beiden Aufgaben: „Erläutern Sie anhand aktueller Beispiele, wie die Sowjetunion um den ausschließlich friedlichen Charakter der Raumfahrt ringt!“ und „Belegen Sie mit zwei aktuellen Beispielen die Hochrüstung der USA im Weltraum!“851
Abbildung 27:
Dichotome Gegenüberstellung von Sozialismus und Kapitalismus im Geographieschulbuch 852
Je nach Unterrichtsfach behandeln die Schulbücher verschiedene Aspekte der sozialistischen bzw. kapitalistischen Welt. Ein weiteres Beispiel ist das Geogra851 852
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Astronomie Klasse 10 1990, S. 51 f. Geschichte Klasse 10 1989, S. 91.
phieschulbuch der Klasse sechs, in dem es um das polnische Ballungsgebiet Gorny Slask geht. Dieses entstehe in „kapitalistischer Zeit“ und werde „von den Kapitalisten ohne Rücksicht auf die Bewohner an Stellen errichtet [....], die den größten Profit“ brächten. Dicht beieinanderliegende Industrie- und Verkehrsanlagen führten zu erheblichen Lärm- und Schmutzbelästigungen der Bewohner. Im Sozialismus wandle sich das Bild dann: „Engen baumlosen Straßen stehen freundliche Wohnviertel aus sozialistischer Zeit gegenüber.“ Weiter wird ausgeführt: „Zunehmend werden Maßnahmen der polnischen Regierung wirksam, die das Leben der Menschen in diesem Gebiet verbessern.“853 Die Leuna-Werke in Chemie, die Raumfahrt in Astronomie, das Ballungsgebiet Gorny Slask in Geographie – die grundsätzliche dichotome Darstellung der Schulbücher zeigt sich auch in unmittelbarer räumlicher Nähe in einzelnen Schulbüchern, d. h. in der Gegenüberstellung von kapitalistischen Negativaspekten und sozialistischen Vorzügen innerhalb einzelner Texte. Im Begriffsverzeichnis des Geographieschulbuchs Klasse sechs werden in unmittelbarer räumlicher Nachbarschaft die Begriffe „Nordatlantikpakt“ und „Warschauer Vertrag“ definiert. Zur NATO ist zu lesen: „Militärbündnis kapitalistischer Länder unter Führung der USA, das gegen die sozialistischen Länder gerichtet ist.“ Zum Warschauer Vertrag heißt es: „Vertrag sozialistischer Länder Europas zur Sicherung des Friedens und ihrer Verteidigungsfähigkeit gegenüber allen Angriffen“.854 Die simplifizierende Interpretation der Welt, d. h. das Vermitteln eines extrem vereinfachten Bildes komplexer weltweiter Gegebenheiten und Zusammenhänge durch die Schulbuchautoren, wird hier einmal mehr deutlich. Im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn ist ein Lied mit folgendem Text abgedruckt: „Es lagen junge Soldaten an der Wolokolamsker Chaussee (...) In den Kampf ziehn wir nicht, um zu sterben. Nur der Tod der Feinde ist gerecht. Wer das Leben bedroht, der zieht in den Tod. Das Leben schickt uns ins Gefecht.“855 Von einem Jungen, der einen Film über den Zweiten Weltkrieg sieht, berichten die Autoren des Lesebuchs der achten Klasse. Deutsche kämpfen hier gegen sowjetische Soldaten und der Junge findet das „gar nicht so schrecklich“ – im Gegenteil: „wenn die Faschisten fielen, war es sogar recht lustig. Fielen aber Sowjetsoldaten, dann meinte er, sie müßten gleich wieder aufstehen.“856 Die sich in den Schulbüchern manifestierenden Polarisierungsbemühungen der SED gehen hier so weit, dass sie sich selbst auf das Urteil über Menschenleben erstre853 854 855 856
Geographie Klasse 6 1989, S. 45 f. Geographie Klasse 6 1989, S. 204 f. Musik Klasse 9/10 1986, S. 195 f. Lesebuch Klasse 8 1986, S. 227.
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cken. Die Schulbuchautoren propagieren die DDR stets als humanistisch, friedlich und dem Wohle der Menschheit verpflichtet. Dennoch ist in einem Schulbuch für sechzehnjährige Heranwachsende die Rede vom gerechten Tod der Feinde und in einem anderen für Vierzehnjährige sogar von lustigen Sterben pauschal als faschistisch qualifizierter deutscher Soldaten. Um die kapitalistischen Staaten Europas geht es im Geographieschulbuch der Klasse sechs. Konkret befassen sich die Schulbuchautoren mit Finnland: „Finnland gehört zu den Ländern Europas, die sich aktiv um ein friedliches und gleichberechtigtes Nebeneinander aller Völker bemühen.“857 Die hier anklingende positive Bewertung scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich für ein kapitalistisches Land. Es heißt dann weiterhin: „Eng sind Finnlands Kontakte zur benachbarten Sowjetunion. (...) Als erstes kapitalistisches Land entschied sich Finnland für die Zusammenarbeit mit dem RGW.“858 An dieser Stelle wird deutlich, was der Grund für das vorausgehende Lob ist. Schließlich erfahren die Schüler: „In der Finlandia-Halle von Helsinki wurde 1975 das Abschlußdokument der ‚Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa’ (KSZE) unterzeichnet. Es zeigt allen Ländern den Weg zu friedlichem und allseits vorteilhaftem Miteinander. Finnland ist nicht Mitglied der NATO.“859 Ein als friedlich propagiertes Land wie Finnland, das nicht Mitglied des „aggressiven Militärblocks“860 NATO ist, bestätigt freilich das Weltbild der SED, insbesondere die Darstellung des Kapitalismus als kriegerisch und aggressiv. An andere Stelle des Schulbuchs wird Griechenland behandelt: „Griechenland ist Mitglied der NATO, verfolgt aber eine Politik, die auf die Sicherung des Friedens gerichtet ist [Hervorhebung durch den Verfasser – L. K.].“861 Wie schon im Falle Finnlands wird hier ein Gegensatz zwischen der NATO und dem Frieden konstruiert. Beide Texte sind dem Bereich subtilerer Diskreditierung des Kapitalismus zuzuordnen. Während die negative Bewertung des Kapitalismus in aller Regel sehr direkt und undifferenziert dichotom ist, findet hier eine differenzierte Bewertung Finnlands und Griechenlands statt, die nicht in das sonst von den Büchern aufgebaute vereinfachte Bild kapitalistischer Staaten passt, dadurch argumentativ geschickter und somit ein effizienterer Weg zur Herabqualifizierung des Kapitalismus ist. Der Kapitalismus ist auch in historischer Perspektive Gegenstand der Schulbücher:
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Geographie Klasse 6 1989, S. 130. Geographie Klasse 6 1989, S. 130. Geographie Klasse 6 1989, S. 130. Geschichte Klasse 10 1989, S. 8. Geographie Klasse 6 1989, S. 198.
„Die Kapitalisten [zu Zeiten von Marx und Engels – L. K.] behielten das übrige Geld für sich und kauften dafür neue Maschinen, größere Mengen an Rohstoffen, um noch mehr Arbeiter ausbeuten zu können.“862 „Es [Karl-Marx-Stadt – L. K.] wurde damals das ‚Rote Chemnitz’ genannt, weil die Arbeiter sich gegen die Ausbeutung in den Fabriken wehrten.“863 „Im 19. Jahrhundert entstanden kapitalistische Betriebe der Textilindustrie und des Maschinenbaus. Die Besitzer nutzten die vorhandenen Arbeitskräfte und deren Erfahrungen immer stärker aus. (...) Die Arbeiter blieben aber trotz ihres fachlichen Könnens und ihres Fleißes arm.“864 „Früher gehörte das Gebiet der heutigen Nordbezirke größtenteils zum Land Mecklenburg. Reiche Gutsbesitzer besaßen ausgedehnte Ländereien, Äcker, Wiesen und Wälder. (...) Diese riesigen Flächen bearbeiteten die Besitzer nicht selbst. Landarme Bauern und Landarbeiter, sogar Kinder, mußten für sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang bis in den späten Abend schwer arbeiten. Sie erhielten nur einen geringen Lohn und wohnten oft in ärmlichen Hütten.“865 „Im Jahre 1931 war die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf fünf Millionen angestiegen. Dies sowie die zunehmende Ausbeutung führten zu verstärkten Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Unternehmern.“866 „In vielen Ballungsgebieten in sozialistischen Ländern muß in einem kompliziertem Prozeß das Erbe aus dem Kapitalismus allmählich überwunden werden.“867 „In den Ländern der RGW orientierten die marxistisch-leninistischen Parteien auf eine schnelle Überwindung der vom Kapitalismus übernommenen Rückständigkeit in der Landwirtschaft.“868
Ausbeutung, kapitalistische Rückständigkeit, faule Gutsbesitzer – die negative Bewertung des historischen Kapitalismus erfolgt auf dieselbe Art und Weise, wie sie in diesem Kapitel bereits beschrieben wurde. Die Undifferenziertheit, mit der die SED die Schulbücher instrumentalisiert, offenbart sich nicht zuletzt darin, dass in den Büchern keinerlei Bemühen zu erkennen ist, eine Entwicklung innerhalb des Kapitalismus zuzugestehen – zum Beispiel von seinen frühindustriellen Anfängen, die durchaus von Verwerfungen gekennzeichnet sind, bis hin zu den heutigen Marktwirtschaften, die trotz aller Krisen ein im weltweiten Maßstab unerreichtes Maß an Prosperität aufweisen.869 Es wird ausschließlich die Abwertung des Kapitalismus betrieben, gleich wo, wie und wann er existiert.
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Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 46. Geographie Klasse 5 1990, S. 149. Geographie Klasse 5 1990, S. 539. Geographie Klasse 5 1990, S. 94. Musik Klasse 7/8 1985, S. 25. Geographie Klasse 10 1988, S. 54. Geographie Klasse 10 1988, S. 74. So wird selbst im Kreise sowjetischer Ideologen zum Beispiel Marx’ Theorie von der Verelendung des Proletariats schrittweise revidiert, weil sich angesichts der realen Entwicklung nicht haltbar ist – die Löhne und damit das Lebensniveau sind seit Marx kontinuierlich gestiegen (vgl. Löw 1995, S. 1421).
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Zur Einordnung sei angemerkt, dass viele historische Gegebenheiten tatsächlich negativ waren. Man denke an die Lebensbedingungen der Arbeiter im frühindustriellen England, an den Einsatz von Kindern in Fabriken oder gar an den Nationalsozialismus.870 Doch die Schulbuchautoren schildern, dokumentieren und diskutieren jene nicht als Negativbeispiele der Geschichte, sondern schreiben sie pauschal dem Kapitalismus zu. Die Analyse der Schulbücher macht schnell deutlich, dass es hier weniger um historische Aufarbeitung geht, als um die Instrumentalisierung dieser Geschichte zur Untermauerung des eigenen Weltbildes, hier insbesondere des Feindbildes. So schreiben die Schulbuchautoren zum Beispiel im Geschichtsschulbuch der neunten Klasse: „Die herrschenden imperialistischen Kreise der Westmächte waren bestrebt, ihre bürgerlich-parlamentarische Regierungsform zu festigen, ihre außenpolitischen und wirtschaftlichen Positionen und Einflußsphären zu sichern und auszudehnen. Sie hofften, daß sich der künftige Krieg gegen die Sowjetunion richten würde. Deshalb förderten sie die faschistischen Aggressionsbestrebungen in vielfältiger Weise bzw. traten ihnen nicht aktiv entgegen.“871
Es besteht ein Unterschied, ob etwas auf vielfältige Weise gefördert wird oder ob man ihm lediglich nicht entgegentritt. Mit dem Wort „bzw.“ wird hier beides gleichgesetzt. Es handelt sich um ein typisches Beispiel für die manipulative Vereinfachung, mit der in den Schulbüchern gearbeitet wird. Geschichte wird hier instrumentalisiert, um eine Front gegen den Kapitalismus zu bilden und (spätestens im Rahmen der positiven Bewertung des Sozialismus) den Kommunismus als Lösung für die historischen Probleme der Menschheit zu präsentieren. Die Darstellung negativer historischer Beispiele wiese nicht per se herrschaftssicherndes Potenzial für die SED auf, würde dabei nicht so undifferenziert vorgegangen. So berechtigt mancher Vorwurf gegebenenfalls sein mag, so ist die Darstellung doch insgesamt verzerrt, einseitig und manipulativ auf die Positivierung des Sozialismus bzw. Kommunismus ausgerichtet. Die Ursachen für vielfältige negative Episoden der Geschichte zu Zeiten des Kapitalismus sind multifaktorielle Kausalzusammenhänge. Für die SED liegt die Ursache allein im Kapitalismus begründet, allein im Charakter der Kapitalisten. Eine derartige einsei870
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Exemplarisch seien die ärmlichen Wohnverhältnisse der frühindustriellen englischen Arbeiter genannt, die meist ohne fließendes Wasser oder Kanalisation auskommen müssen und bedingt durch Nichtexistenz von Müllabfuhr, Abgasreinigung oder Abwasserklärung in elenden hygienischen Verhältnissen leben. Hinzu kommen niedrige Löhne und Kinderarbeit, wobei selbst Familien, in den beiden Eltern und die Kinder arbeiten, aufgrund niedriger Löhne kaum in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. hierzu z. B. Bevc 2007, S. 149). Geschichte 9 1989, S. 146.
tige und simplifizierende Geschichtsinterpretation trägt zur pauschalen Diskreditierung des Kapitalismus bei und daraus resultierend zur Aufwertung des Sozialismus. Marx behandelt den Kapitalismus im Rahmen seiner politischen Ökonomie. Als ökonomische Theorie fasst er diese weit, insofern er die Ökonomie als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung sieht. Neben der politischen Ökonomie des Sozialismus, die sich mit den Grundlagen der sozialistischen Produktionsweise befasst, behandelt Marx den Kapitalismus in seinen grundlegenden Prinzipien und zeigt dessen vermeintliche Fehler auf bzw. die ihm innewohnenden Gesetze, die zu seinem Untergang führen müssten. In der politischen Ökonomie des Kapitalismus formuliert Marx seine Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise. Aus dieser Kritik leitet er die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung ab – den historischen Materialismus. Kern der marxschen Kritik am Kapitalismus ist die Mehrwertlehre: Ein Kapitalist kaufe Produktionsmittel und Arbeitskraft, mit deren Hilfe er Produkte herstelle, um sie zu verkaufen. Aus diesem Kreislauf könne er mehr Geld gewinnen, als er ursprünglich investiere. Diesen Überschuss bezeichnet Marx als Mehrwert. Im Produktionsprozess werde zwischen konstantem und variablem Kapital unterschieden. Konstantes Kapital sei solches, das für die Produktionsmittel eingesetzt werde. Es sei unbeweglich, da zum Beispiel eine Maschine sowohl einen konstanten Preis als auch eine konstante Arbeitsleistung habe. Variabel könne nur das für die Arbeitskräfte eingesetzte Kapital sein, denn sowohl Lohn als auch menschliche Arbeitsleistung (Arbeitszeit, -intensität) können beeinflusst werden. Folglich vermöge nur die Arbeitskraft Quelle des Mehrwertes zu sein.872 Voraussetzung sei die Entkopplung von Arbeits- und Warenwert. Der Lohn werde nicht mehr an dem Wert gemessen, den die Arbeitskraft schaffe, sondern falle so aus, dass er gerade die Lebensbedürfnisse decke, die zur Reproduktion und Erneuerung der Arbeitskraft nötig seien (z. B. Essen, Kultur). Der Mehrwert stelle somit die Differenz aus tatsächlichem Arbeitswert einer Arbeitskraft und dem gezahlten Lohn dar. Diesen Differenzbetrag eigne sich der Kapitalist an.873 Er nutze ihn sodann, um durch weitere Investitionen in die Produktion immer höhere Gewinne zu erzielen. Hier bestehe ein Widerspruch, denn durch niedrige Löhne, die die Voraussetzung für einen hohen Mehrwert bildeten, verfüge die Masse der Bevölkerung über geringe Kaufkraft. Kaufkraft und ausgedehnte Produktion stünden sich somit antagonistisch gegenüber. Es komme zu Überproduktionskrisen, die unter 872 873
Vgl. Marx 2004, S. 186 f.; Löw 1995, S. 1411. Vgl. Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 92; Fischer/Prüsing 1974, S. 36.
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anderem durch Absatzschwierigkeiten, sinkende Preise, Arbeitslosigkeit oder Lohnsenkungen gekennzeichnet seien und sich in den Phasen Krise – Stagnation – Belebung – Aufschwung – Krise zyklisch wiederholten. Die Arbeiterklasse leide besonders unter solchen Krisen, da Arbeitslosigkeit herrsche und die Löhne fielen. Diese Situation bessere sich auch in Zeiten des Aufschwungs nur unwesentlich, da Automatisierung und Mechanisierung zu neuer Arbeitslosigkeit führten. Die Löhne fielen weiter, denn aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit seien genügend Arbeitskraftreserven vorhanden. Da nur wenige Großunternehmen in der Lage seien Überproduktionskrisen zu überstehen, bewirkten diese eine Kapitalakkumulation in wenigen Händen, während kleinere Unternehmen untergingen. Diese Entwicklung führe letztlich dazu, dass sehr wenige Kapitalisten einer sehr großen Arbeiterklasse gegenüberstünden. An diesem Punkt werde der Widerspruch so groß, dass der Sprung zu einer neuen Produktionsweise erfolgen müsse.874 Aus dieser Kritik des Kapitalismus glaubt Marx, die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung ableiten zu können – den historischen Materialismus. Demnach gebe es fünf Gesellschaftsformen: die Urgesellschaft, die Sklavenhaltergesellschaft, die Feudalgesellschaft, den Kapitalismus und den Kommunismus. Die historische Entwicklung vollziehe sich gesetzmäßig, indem die Produktivkräfte irgendwann in Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen gerieten. Die Auflösung dieses Widerspruchs und der damit verbundenen Konflikte erfolge sprunghaft in Form von Revolutionen.875 Der Kapitalismus sei die vorletzte Phase in diesem Geschichtsbild. Nach der Überwindung des Kapitalismus in der sozialistischen Revolution erfolge erst der Übergang zum Sozialismus und dann der allmähliche Übergang zum Kommunismus ohne weitere Revolution.876 Der Kommunismus schließlich verstehe sich als perfekte Gesellschaftsform, in der alle Menschen gleich seien, freundschaftliche Beziehungen zu allen Völkern pflegten und in Wohlstand und Überfluss lebten.877
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Vgl. Marx 2004, S. 677–680; Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 234–240; Fischer/Prüsing 1974, S. 37. Vgl. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hrsg.) 1985, S. 865 ff.; Fischer/Prüsing 1974, S. 22–25. Die DDR befindet sich in dieser Übergangsphase zwischen Sozialismus und Kommunismus. Zum hier zusammengefassten historisch-materialistischen Geschichtsbild vgl. zum Beispiel Lenin 2001b, S. 26; Fischer/Prüsing 1974, S. 44–55; Wissenschaftlicher Kommunismus: Lehrbuch für das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium 1985, S. 85, 239– 247.
Diese Sichtweise wird als objektive, wissenschaftlich begründete Gesetzmäßigkeit verstanden. Dem folgend kann nur ein System, welches sich nach den Regeln des Marxismus-Leninismus kommunistisch orientiert und entwickelt, legitim sein. Konsequenz dieses Denkens ist unter anderem die geschilderte undifferenzierte positive Bewertung des Sozialismus. Ein zweiter Schluss hieraus ist ebenso unvermeidlich: Jedes Alternative muss unzureichend sein. Die positive Bewertung des Sozialismus geht zwangsläufig mit der Abwertung jeden anderen Systems einher. Karl Dietrich Bracher sieht das folgende Charakteristikum des Kommunismus: „Die bedingungslose Zustimmung der Massen wird mit allen Mitteln moderner Propaganda- und Werbetechnik manipuliert; sie ist gemäß den Erkenntnissen der neueren Massenpsychologie auf die Erzeugung einer permanenten Kampfstimmung gegen einen absolut gesetzten Feind gerichtet.“878 Dieser „absolut gesetzte Feind“ sind die als kapitalistisch und regelmäßig auch als imperialistisch qualifizierten westlichen, marktwirtschaftlichen Staaten.879 In der Abwertung des Kapitalismus, die angesichts der einseitigen und unkritischen positiven Überhöhung des Sozialismus und vor allem angesichts der Realität880 wirklichkeitsfremd ist, offenbart sich das Ansinnen der SED, dem „emotional aufgeladenen Selbstbild“ der Liebe zur DDR ein „genauso einfaches und nicht minder emotional besetztes Feindbild“ gegenüberzustellen.881 Diese Feindschaft ist nach marxistisch-leninistischer Theorie unumgänglich – im Weltbild der SED ist kein Platz für andere Gesellschaftsentwürfe als den kommunistischen, insbesondere kein Platz für den Kapitalismus. Die Schulbücher setzen dies konsequent um.
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Bracher 1999, S. 143. Vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 50. Zum Beispiel die sich Ende der achtziger Jahre zuspitzende wirtschaftliche Krise, die zur Abhängigkeit der DDR von Krediten der Bundesrepublik führt, während in den Schulbüchern zeitgleich vom krisenhaften Kapitalismus und der ökonomischen Stärke des Sozialismus die Rede ist. Überhaupt gehört die propagierte ökonomische Überlegenheit der sozialistischen Planwirtschaft zu den größten Realitätsverzerrungen der Schulbücher. 1989 erreicht die DDR lediglich ein Drittel des realen Pro-Kopf-Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik und ist damit auf dem Stand, den die Bundesrepublik bereits Mitte der fünfziger Jahre erreicht (vgl. Schroeder 2006, S. 118). Rogg 2008, S. 55.
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4.10
Bundesrepublik Deutschland
Regelmäßig befassen sich die Schulbücher mit der Bundesrepublik Deutschland: „Die Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD ist eine Grenze zwischen Sozialismus und Imperialismus.“882 „Seit den siebziger Jahren haben wirtschaftliche Schwierigkeiten [in der Bundesrepublik Deutschland – L. K.] und steigende Rüstungsausgaben zur Verschärfung der sozialen Gegensätze geführt.“883 „1952 beschloß die Bundesregierung die Entfernung aller demokratischen Kräfte aus dem Staatsapparat.“884 „Das Ballungsgebiet München ist ein bedeutendes Zentrum der Rüstungsindustrie der BRD. (...) Die Kapitalisten verdienen an der Produktion von Waffen.“885 „Aber in der BRD herrschen starke imperialistische Kräfte. So hat die Regierung der BRD gegen den Willen der Mehrheit ihrer Bürger zugelassen, daß die USA 1983 begannen, neue Atomraketen in der BRD aufzustellen. Damit hat die Regierung der BRD die Gefahr erhöht, daß von deutschem Boden wieder ein Krieg ausgeht.“886
Als ein kapitalistischer Staat unter anderen unterliegt die Bundesrepublik ähnlichen Abwertungsmechanismen wie diese. In den eben zitierten Beispielen etwa wird sie als imperialistisch charakterisiert, als ausbeuterischer und unterdrückender Staat der Kapitalisten. Wenn von der Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland die Rede ist, wird angemerkt, dass diese Grenze von den Grenztruppen geschützt werde.887 Die offenen negativen Bewertungen werden also auch durch subtilere Diskreditierungsversuche ergänzt. Eine Vielzahl von Aussagen zur Bundesrepublik trägt diesen Charakter: „Um ihre volksfeindliche und friedensgefährdende Politik besser durchsetzen zu können, haben imperialistischer Länder, vor allem der USA, verbündet.“888 „Die BRD ist ein kapitalistischer Staat. Hier haben die Kapitalisten die Macht.“889sich die Monopolherren und ihre Politiker in der BRD mit den Kräften anderer „Der Imperialismus riskiert den ‚heißen Krieg’. Seit 1960 lösten die aggressivsten Kreise der BRD eine politische Krise in Mitteleuropa aus. Sie leiteten die Eroberung der DDR ein. Die Bundeswehr zählte 300.000 Mann. Ihre Manöver zeigten die Zielrichtungen für
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Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27. Geographie Klasse 6 1990, S. 103. Staatsbürgerkunde 8 1986, S. 89. Geographie Klasse 6 1990, S. 115. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 107. Geographie Klasse 5 1990, S. 28. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 82. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27.
den geplanten ‚Ernstfall’ (siehe Karte) [die Karte zeigt fünf Stoßrichtungspfeile von NATO/Bundeswehrmanö-vern in Richtung DDR – L. K.].“890 „Die Imperialisten taten alles, um im Westen Deutschlands einen Staat zu schaffen, indem die Besitzer der Fabriken und die Großgrundbesitzer die Macht behielten und die Arbeiter weiter ausbeuten und unterdrücken konnten.“891 „Seit ihrer Gründung verkörpert sich in der BRD und in der Politik ihrer Regierungen das menschenfeindliche Wesen des Imperialismus.“892 „Wichtige Rohstoffe wie Steinkohle sowie Roheisen und Stahl, deren Hauptlieferanten früher die Betriebe des Ruhrgebietes waren, fehlten. Diese waren in der Hand von Monopolen geblieben, die mit allen Mitteln des Klassenkampfes den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft in der DDR zu verhindern suchten.“893 „Im Westen Deutschlands haben die Kapitalisten ihren Staat – die BRD – gegründet. Von dort aus wollten und wollen sie die DDR zurückerobern.“894
Abbildung 28:
Behauptung westdeutscher Aggression im Heimatkundeschulbuch 895
Auffällig ist der Tonfall dieser Schulbuchpassagen. Die Bundesrepublik wird hier extremen negativen Bewertungen unterzogen, wobei ihr besonders oft ein hohes Maß an Aggressivität unterstellt wird. Im Heimatkundeschulbuch der Klasse vier ist ein ganzer Abschnitt überschrieben mit „Hetze, Verbrechen und 890 891 892 893 894 895
Geschichte Klasse 10 1989, S. 98. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 80. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 88. Geographie Klasse 10 1988, S. 112. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 91. Heimatkunde Klasse 4 1988, S. 92.
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Raub durch die Feinde unseres Vaterlandes“. Dort erfahren die Schüler: „Seit Bestehen der DDR hetzen die Rundfunk- und Fernsehstationen der BRD gegen unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat, gegen den sozialistischen Aufbau in unserem Land.“ In der Bundesrepublik würden zudem „viele Kriegsverbrecher des zweiten Weltkrieges nicht bestraft“. Es folgt die Aufgabe: „Informiere dich in dem folgenden Text über die Versuche unserer Feinde, das friedliche Aufbauwerk in der DDR zu stören! Lies Beispiele vor!“ Bei den Beispielen handelt es sich um sieben angebliche Angriffe der Bundesrepublik auf die DDR. Es ist von Brandstiftung die Rede, von der Sprengung einer Eisenbahnbrücke bei Berlin oder von geplanten Sprengstoffanschlägen auf das Berliner Rote Rathaus. Im Jahre 1955 erkrankten 5.000 Rinder in der DDR, da eine „BRD-Firma“ vergiftete Erntebindfäden liefere. Es findet sich die Abbildung von Waffen, Perücken und Funkgeräten, die 1979 „bei Verbrechen gefunden und sichergestellt“ würden (Abbildung 28). Diese Schilderungen gipfeln in der Aussage: „1961 wollten die Imperialisten der BRD ihr Ziel mit Gewalt erreichen. (...) Die unverbesserlichen Feinde der DDR träumten von einem Marsch durch das Brandenburger Tor in die Hauptstadt der DDR.“ Als Reaktion auf diese angebliche Aggression werde die Mauer errichtet: „Die Verwirklichung dieser Pläne wurde verhindert. Am 12. August 1961, um 16 Uhr, unterzeichnete Walter Ulbricht die Befehle für die Sicherung der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik nach Westberlin.“ Endend mit folgendem Fazit wird der Mauerbau beschrieben: „Alles Geschrei nutzte den Feinden unseres Vaterlandes nichts. Sie hatten eine Schlacht verloren. Ihr Marsch in die DDR fand nicht statt.“ Die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, Einheiten der Deutschen Volkspolizei und der Nationalen Volksarmee würden „gemeinsam mit den Soldaten der ruhmreichen Sowjetarmee für Europa den Frieden“ retten. Doch auch nach dem Mauerbau beweise die Bundesrepublik ihren aggressiven Charakter: „Immer wieder kam es vor, daß Grenzsoldaten bei ihrem verantwortungsvollem Dienst von Westberlin aus beschossen wurden.“ Es finden sich Aufgaben wie „Kennst du die Namen weiterer Soldaten, die bei ihrem Dienst an unserer Staatsgrenze hinterhältig ermordet wurden?“ zusammen mit dem Bild eines Denkmals für gefallene Grenzsoldaten.896 Das zitierte Kapitel ist exemplarisch für die pejorative Darstellung der Bundesrepublik in den Schulbüchern. Vor dem Hintergrund der politischen und justiziellen Verhältnisse in der DDR (Vorrangstellung einer einzigen Partei, Schießbefehl, Verfolgung Andersdenkender, MfS) sind Schulbuchaussagen wie die eben angeführten, in denen der Mauerbau als notwendig zu Abwehr westlicher Aggressionen beschrieben wird, Ausdruck der Unterordnung der Schulbücher unter die herrschaftssi896
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Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 91–95.
chernden Intentionen der SED. Hier offenbart sich, wie weit die Schulbuchschilderungen von der Realität entfernt sein können. Der Mauerbau ist auch Thema dieser Schulbuchpassagen: „Arbeitskräfte aus wichtigen Bereichen wurden in die BRD abgeworben, um zum Beispiel durch Mangel an medizinischem Personal die gesundheitliche Betreuung der Menschen in der DDR zu gefährden.“897 „Am 13. August 1961 sicherten die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, unterstützt von Volkspolizisten, Soldaten der NVA und der Sowjetarmee, die Grenze nach Westberlin. Damit konnte eine gefährliche Bedrohung des Friedens und unseres sozialistischen Staates abgewehrt werden. Die herrschenden Kräfte in der BRD und in anderen kapitalistischen Staaten erlitten eine schwere Niederlage.“898 „Am 13. August 1961, als die imperialistischen Klassenkräfte, die bereits zwei Weltkriege auf dem Gewissen hatten, die DDR militärisch ‚heimholen’ wollten und dafür den dritten Weltkrieg riskierten, wurde die Staatsgrenze der DDR zuverlässig gesichert. Das rettete den Frieden in Europa und legte den Grundstein für das weitere Aufblühen der Deutschen Demokratischen Republik.“899
Als Beispiel für die angebliche bundesdeutsche Aggression wird die Abwerbung von DDR-Fachkräften durch die Bundesrepublik Deutschland angeführt – der Schritt zur Verzerrung der Grenzschließung als Akt zur Erhaltung des Friedens ist logische Konsequenz dieser Interpretation. Die Verwendung des Begriffes „heimholen“ im letzten Zitat erinnert dabei an die nationalsozialistische Diktion des Anschlusses Österreichs an Hitler-Deutschland. Flüchtlingswelle und Mauerbau gehören zu den Indikatoren für die Mängel der DDR und werden hier als Resultat feindseliger Bestrebungen des Westens, insbesondere der Bundesrepublik, uminterpretiert. Im selben Schulbuch findet sich die Abbildung einer westdeutschen Menschenschlange vor einem Arbeitsamt.900 Im Gegensatz zu vielen der bisherigen Behauptungen werden an dieser Stelle reale Probleme der Bundesrepublik thematisiert. Im Gesamtkontext der Schulbücher fällt auf, dass die Schulbuchautoren durchaus bemüht sind, in kapitalistischen Staaten vorherrschende Schwierigkeiten zu identifizieren und zu beschreiben, während sie gleichsam in keinem einzigen der Schulbücher die (existenziellen) Probleme der DDR auch nur andeuten. Von der „Sammlung faschistischer Kräfte in der BRD“901 ist im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn die Rede. Schon an anderer Stelle dieses Kapitels, insbesondere bei der Beschreibung der negativen Bewertung des Kapitalis897 898 899 900 901
Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 91. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 95. Geschichte Klasse 10 1989, S. 8 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 43. Musik Klasse 9/10 1986, S. 13.
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mus, spiegelt sich regelmäßig das Bestreben der Schulbuchautoren, den Kapitalismus in die Nähe des Faschismus zu rücken. Die geschieht gleichsam in Kontrast zum Sozialismus, für den Antifaschismus als charakteristisch propagiert wird. Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg kann die Sowjetunion ab der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ihren Einfluss weit nach Europa hinein vorantreiben. Sie verleiht dem Sozialismus weltweit damit eine gänzlich neue Bedeutung. Im Kalten Krieg stehen sich nun zwei Systeme gegenüber, die beide den Anspruch erheben, das jeweils bessere, zukunftsfähigere zu sein. Die Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist nicht nur philosophischtheoretischer, sondern auch machtpolitischer Natur. Gerade für die SED ist diese Konkurrenz von besonderer Bedeutung, denn über die allgemeine Konkurrenz von Sozialismus und Kapitalismus hinaus stehen sich im Zentrum Europas an der Bruchstelle zwischen beiden Systemen zwei Staaten der gleichen Nation gegenüber, die aber eben diesen beiden unterschiedlichen und verfeindeten Gesellschaftsentwürfen angehören. Auf Basis der gleichen historisch-kulturellen Identität kommt es für die SED darauf an, den Sozialismus gegenüber seiner unmittelbaren Alternative vor der eigenen Hautür zu legitimieren. Die Alternative ist in Gestalt der Bundesrepublik gerade für die DDR-Bürger besonders sichtund greifbar. Zwar unternimmt die Partei vieles, um dies einzuschränken (zum Beispiel Mauerbau bzw. Grenzschließung) doch ist dieses Bemühen angesichts der historischen, kulturellen, persönlichen und räumlichen Verbindungen zur Bundesrepublik nie von vollständigem Erfolg gekrönt. Die kapitalistischsozialistische Konkurrenz bekommt dadurch eine ganz besondere Note. Wegen der speziellen Beziehung zwischen den beiden deutschen Staaten ermöglicht die Diskreditierung der Bundesrepublik einerseits noch mehr als die negative Bewertung des Kapitalismus in Gänze die Kontrastierung von vermeintlichen Vorzügen der DDR, die somit noch deutlicher zu Tage treten. Andererseits resultiert aus der Existenz des westlichen Nachbarn ein besonderer Legitimationsdruck für die SED. Die Auffassung der Partei, den besseren, zukunftsfähigeren Staat errichtet zu haben, muss sich permanent gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und ihrem unbestreitbarem wirtschaftlichen Erfolg (,Wirtschaftswunder’) bewähren.902 Unabhängig von der in der DDR propagierten Gefahr geht von der Bundesrepublik eine reale Bedrohung für den SED-Staat aus: Die Anziehungskraft des ,goldenen Westens’ gestaltet sich während des gesamten Bestehens der DDR als Problem, wie an den Flüchtlingsbewegungen und der Reaktion der Partei (Mauerbau) deutlich wird oder auch an dem Phänomen des ,Westfernse902
194
Vgl. Nakath 1997, S. 317.
hens’, welches eine nicht zu unterschätzende Infragestellung des SEDWeltbildes bedeutet. Die Nähe zur Bundesrepublik Deutschland wird so zu einer „chronischen Herausforderung“903 für die DDR.904 Die negative Bewertung der Bundesrepublik liegt darum im fundamentalen Interesse der SED.
Abbildung 29:
4.11
Feindbild Bundesrepublik Deutschland im Geschichtsschulbuch 905
Faschismus
Im Heimatkundebuch der Klasse drei wird der Zeitraum des Zweiten Weltkrieges behandelt. Die Schilderung beginnt mit dem „Überfall“ der „faschistischen Armee auf friedliche Völker“.906 Mit der Bezeichnung „friedliche Völker“ ist hier vor allem die stalinistische Sowjetunion gemeint. Es folgt die Beschreibung von faschistischen907 Untaten, wie der Verschleppung sowjetischer Menschen oder 903 904
905 906 907
Rogg 2008, S. 5. Ausführlich auf das Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR geht Klaus Schroeder ein (2008, S. 91–128). Vgl. hierzu auch z. B. Rogg 2008, S. 5; Neubert 2000a, S. 21. Geschichte Klasse 10 1989, S. 59. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 71. In den Schulbüchern findet keine Unterscheidung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus statt. Hier wird ausschließlich der Ausdruck Faschismus verwendet.
195
Zwangsarbeit.908 Die Grausamkeit des Faschismus wird den Drittklässlern insbesondere am Beispiel verschleppter Kinder veranschaulicht.909 Nachdem der verbrecherische Charakter des Faschismus auf diese Weise offengelegt ist, wird vom „mutigen Kampf der deutschen Antifaschisten“ berichtet.910 Wer sich hinter dies Antifaschisten verbirgt, wird schnell deutlich, wenn vom Leben des „Antifaschisten Bernhard Bästlein“ berichtet wird, der „von Jugend an mit dem revolutionärem Kampf der Arbeiter verbunden“ sei.911 Bästlein sei Mitglied der KPD und kämpfe als solches „entschlossen gegen Faschismus und Krieg“.912 Wegen dieses Kampfes werde er schließlich von den Faschisten festgenommen und müsse sieben Jahre „in faschistischen Kerkern und Konzentrationslagern“ zubringen. Dort organisiere er „unter Einsatz seines Lebens geheime Schulungen“ und erläutere Beschlüsse der KPD, die „mutige Antifaschisten“ heimlich in das Lager brächten.913 Die Ausführungen des Schulbuchs offenbaren paradigmatisch und in komprimierter Weise den Umgang der Schulbuchautoren mit dem Thema Faschismus. Hier geht es offenkundig nicht um die historische Auseinandersetzung mit einem höchst sensiblen Thema. Die Darstellung ist von vornherein auf eine Instrumentalisierung des Themas im Sinne der SED ausgelegt: Auf die Schilderung faschistischer Untaten folgt die Glorifizierung des Antifaschismus bei gleichzeitiger Vereinnahmung für den Sozialismus, d. h. die Deklarierung des Antifaschismus als Werk der Arbeiter, vor allem als Werk der Kommunisten. Dies offenbart sich neben den bereits angeführten Textstellen in Aussagen wie dieser: „Die Kommunisten führten die Antifaschisten in ihrem Kampf und machten ihnen immer wieder Mut.“914 Vor dem Hintergrund dieser Erzählweise werden dann folgende Aufgaben an die Schüler formuliert: „Die Fotos zeigen, daß die Faschisten Feinde der Werktätigen sind. Woran erkennst du das?“915 „Stelle fest, ob es in deinem Heimatkreis Gedenkstätten des antifaschistischen Widerstandskampfes gibt!“916 „Begründe, warum wir die Antifaschisten ehren!“917
908 909 910 911 912 913 914 915 916 917
196
Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 68–76. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 72 ff. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 76. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 76. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 76. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 76. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 78. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 70. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 70. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 70.
Hier versuchen die Schulbuchautoren nun, die Brücke vom historischen (kommunistischen) Antifaschismus in die Gegenwart und die DDR zu schlagen. Grundlage für den SED-Antifaschismus ist die kommunistische Faschismustheorie. Danach ist der Faschismus eine Periode im Kampf zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in der die aggressivsten und reaktionärsten Gruppen des Monopolkapitals an die Macht gelangt seien. Der Nationalsozialismus wird als europäisches Phänomen begriffen, das in Deutschland deshalb eine so extreme Ausprägung angenommen habe, weil hier der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat am fortgeschrittensten sei. Faschismus sei also kein Produkt der deutschen Geschichte, sondern eine Konsequenz des entwickelten Kapitalismus.918 Die Erklärung des Faschismus bzw. Nationalsozialismus aus dem Kapitalismus heraus negiert jegliche Verantwortung von Nicht-Kapitalisten und stellt die als kapitalistisch bezeichnete westliche Welt permanent in einen faschistischen Kontext.919 Der Antifaschismus der SED ist also in ihrem Sinne instrumentalisiert. Er ist als Gründungsmythos der DDR Abgrenzungsinstrument nach außen (Westen) und Herrschaftsmittel nach innen.920 Vor dem Hintergrund der Verbrechen an der Menschlichkeit, die aus faschistischen bzw. nationalsozialistischen Bestrebungen hervorgehen, eignet sich das Thema Antifaschismus als Beitrag zum „System der Rechtfertigung der DDR“921. Diese Instrumentalisierung des Faschismus zeigt sich in den Schulbüchern in zweifacher Hinsicht: einerseits in der Vereinnahmung des Antifaschismus als exklusive sozialistische Eigenschaft und anderseits in der Diskreditierung der westlichen Welt als faschistisch. Beide Formen des Umgangs mit dem Faschismus wurden in diesem Kapitel bereits verschiedentlich bei der Beschreibung der positiven Bewertung der sozialistischen Welt oder der negativen Bewertung der kapitalistischen Welt berücksichtigt und beschrieben. Der deutsche Nationalsozialismus und der Faschismus führen zu singulären Verbrechen an der Menschlichkeit. Antifaschismus scheint daher grundsätzlich gerechtfertigt. Der hier beschriebene Antifaschismus ist allerdings zuallererst im Interesse der SED instrumentalisiert. Angesichts der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Verbrechen stellt schon die bloße Charakterisierung der sozialistischen Welt als antifaschistisch eine positive Bewertung des Sozialismus dar. Doch die SED geht noch weiter: „Die personelle und ideelle Nähe der Bundesrepublik Deutschland zum Dritten Reich wurde mit großer Systematik in einer Endlosschleife transpor918 919 920 921
Vgl. Münkler 2002, S. 83. Vgl. Münkler 2002, S. 84. Vgl. Münkler 2002, S. 79. Müller 2003, S. 252.
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tiert, die bereits im Kindergarten begann und mit allen zur Verfügung stehenden Medien in Szene gesetzt wurde.“922 Der Antifaschismus wird exklusiv für den Sozialismus vereinnahmt und zudem gleichgesetzt mit Antikapitalismus. Indem das Konkurrenzsystem, vor allem auch die Bundesrepublik Deutschland, in die Nähe des Faschismus gerückt wird, erfährt es eine frappante Diskreditierung. Schon die Bezeichnung der Berliner Mauer als „antifaschistischer Schutzwall“ ist Beweis hierfür.923 Durch diesen Umgang mit dem „Anti-Faschismus der besonderen Art“924 wird in den Schulbüchern wesentliches herrschaftssicherndes Potenzial für die SED generiert, weil unter Bezug auf tatsächliche historische Ereignisse der Sozialismus auf- und der Kapitalismus abgewertet werden.925 Hier wird also kein wirklicher Antifaschismus, keine verantwortliche historisch-politische Auseinandersetzung mit dem Faschismus betrieben. Vielmehr offenbart sich in der wahrheitsverzerrenden Instrumentalisierung dieses so folgenreichen Abschnitts deutscher und weltweiter Geschichte in bezeichnender Weise der Vorrang herrschaftssichernder Ziele der SED in den Schulbüchern. 4.12
Marxismus-Leninismus
Die Lehren des Marxismus-Leninismus finden in verschiedener Form Eingang in die Schulbücher. Das Weltbild der SED basiert auf marxistisch-leninistischen Postulaten, die sich in allen Schulfächern und Klassenstufen niederschlagen. Die in diesem Kapitel beschriebenen Themen der Schulbuchinstrumentalisierung resultieren alle in unterschiedlichem Ausmaß aus den marxistisch-leninistischen Lehren, wie etwa den Lehren von der historischen Mission der Arbeiterklasse, von der marxistisch-leninistischen Partei, vom proletarischen Internationalismus, vom sozialistischen Patriotismus, von der sozialistischen Revolution oder der politischen Ökonomie bzw. Kapitalismuskritik. Ist der Marxismus-Leninismus vor allem auf diese Weise vielfach Grundlage der Schulbuchaussagen, so existiert noch eine andere Art seiner Thematisierung: 922 923 924 925
198
Rogg 2008, S. 57. Vgl. Rogg 2008, S. 44, 56 f.; Müller 2002, S. 252. Finn 2004, S. 136. Die Rolle der Kommunisten im Widerstand gegen Hitler soll dabei nicht negiert werden. Doch wie Hermann Weber in seinem Aufsatz zu „Aufstieg und Niedergang des deutschen Kommunismus“ richtig schreibt, liegt das Manko kommunistischer Widerstandskämpfer darin, dass sie zwar gegen den Nationalsozialismus kämpfen zugleich aber einer Bewegung angehörten, die selbst auf die Diktatur ihrer Partei abzielt und damit keine Alternative zur Hitler-Diktatur ist (vgl. Weber 1991, S. 38).
„Der Marxismus-Leninismus, die Weltanschauung der Arbeiterklasse, bietet jedem dafür [um über das Erreichte weiter hinauszuwachsen – L. K.] eine solide geistige Grundlage, bewährte und feste Maßstäbe, ein sicheres wissenschaftliches Fundament.“926 „Durch die zunehmende Verbreitung der Ideen des Marxismus-Leninismus sowie die Gründung und Entwicklung revolutionärer Arbeiterparteien verstärkt sich der Kampf der Völker für Unabhängigkeit und soziale Gerechtigkeit in den schwach entwickelten Ländern.“927 „Drei Jahrzehnte Existenz der RGW beweisen in der Praxis die Richtigkeit der von Marx und Engels aus der Analyse des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses abgeleiteten und von W. I. Lenin weiterentwickelten Gedankens der Internationalisierung der Produktivkräfte und des gesamten Reproduktionsprozesses.“928 „Er [Karl Marx – L.K.] schrieb an dem großen Werk, das später den Arbeitern half, sich selbst zu befreien.“929 „Die Arbeiter lasen in den Büchern von Karl Marx, was sie tun mußten, damit kein Kind mehr vor Hunger zu weinen braucht, damit alle Kinder in schönen Häusern leben, lernen, spielen und sich freuen können und damit kein Krieg mehr Städte und Dörfer verbrennt und Väter, Mütter und Kinder erschlägt.“930 „Es gehört zu den gesetzmäßigen Prozessen der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistische Gesellschaft, daß die marxistisch-leninistische und beruflich-fachliche Bildung der Genossenschaftsbauern, der Grad ihrer Organisiertheit und ihrer bewußten Teilnahme an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens auf ständig höherem Niveau entwickelt werden.“931 „Von Personennamen abgeleitete Adjektive werden im allgemeinen groß geschrieben: (...) Ausnahmen sind Adjektive auf -istisch. Sie werden klein geschrieben: eine marxistische Arbeiterpartei; marxistisch-leninistische Weltanschauung.“932 „Für den Bund der Kommunisten faßten Marx und Engels ihre Erkenntnisse über die Widersprüche im Kapitalismus und die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft zum Sozialismus zusammen. Im ‚Manifest der Kommunistischen Partei’ erhielt damit der Bund der Kommunisten ein wissenschaftliches Programm.“933 „Die Vortragsweise des Redners beeinflußt durchaus die Wirkung seiner Ausführungen auf die Hörer, aber weder ausschließlich noch in erster Linie, sondern stets im Zusammenhang mit den grundlegenden Erfordernissen sozialistischer Redewirksamkeit: einem auf den marxistisch-leninistischen Klassenstandpunkt beruhenden Ideengehalt der Rede (...)“934
Im Gegensatz zur indirekten Thematisierung marxistisch-leninistischer Inhalte in allen Fächern, Klassenstufen und im Rahmen verschiedenster Kontexte handelt es sich bei den zitierten Schulbuchaussagen um solche die den Marxismus-
926 927 928 929 930 931 932 933 934
Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 183. Geographie Klasse 8 1989, S. 177. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 18. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 46. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 46. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 17. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 107. Geschichte Klasse 7 1990, S. 274. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 21.
199
Leninismus als ideologisches Lehrgebäude selbst vergegenständlichen. Er wird also direkt angesprochen. In der DDR bekennt sich die SED klar zur Ideologie in Gestalt des Marxismus-Leninismus.935 Monika Gibas bezeichnet den Marxismus-Leninismus und seine Verbreitung (Propaganda) als Politikbereich mit Sonderstellung in Selbstverständnis und gesellschaftspolitischer Praxis der SED. Er sei ein „alle anderen Politikbereiche determinierender Metabereich“ gewesen.936 Den Versuch der SED, eine neue sozialistische Gesellschaft zu realisieren, habe die Partei als Umsetzung einer revolutionären Gesellschaftstheorie verstanden, die auf wissenschaftlicher Natur- und Gesellschaftserkenntnis – eben dem MarxismusLeninismus – basiere. Darum seien die Entwicklung, Umsetzung und Verbreitung diese Lehre nicht nur machtstrategische, propagandistische Postulate zur ideologischen Verblendung der Bürger gewesen, sondern Versuche, „Gesellschaftsentwicklung vorwiegend normativ, d. h. einem vorgedachten, durch die gesellschaftliche Praxis nur wenig modifizierbaren theoretischen Konzept folgend, zu fundieren“.937 Da die SED in der DDR als weitgehend unanfechtbare Machtinstanz agiert,938 wird ihre Weltanschauung, der Marxismus-Leninismus, zur Weltanschauung der DDR.939 Seine Gesetzmäßigkeiten, Prinzipien und Lehren sind verbindliches Dogma in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und sonstigen Bereichen – vor allem dem Bildungswesen.940 Marx’ und Engels Lehren werden als Produkt fortschrittlichen Denkens verstanden, das – weiterentwickelt durch Lenin – nicht einfach Theorie oder Ideengebilde sei, sondern die schon immer vorhandenen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung endlich aufgedeckt habe und nach dessen Aussagen sich daher alles zwangsläufig entwickeln müsse.941 Allein der MarxismusLeninismus, als „geistiges Fundament des Staates und der Gesellschaft“,942 sei in der Lage, die Antworten auf alle Fragen des Lebens zu geben. Auf Basis seiner Lehren führe die Arbeiterklasse ihren Kampf. Geführt wird sie dabei von der 935
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941 942
200
Zur Bedeutung des Marxismus-Leninismus innerhalb der DDR, insbesondere als Machtgrundlage der SED vgl. auch Deutscher Bundestag 1994, S. 47-52. Vgl. Gibas 1997, S. 241. Gibas 1999, S. 24. Auf die Reichweite der Macht der SED wird in 3.3.1 eingegangen. Vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 47 f., Wisniewski 1995, S. 2063; Seiffert 1987, S. 23. Vgl. Wisniewski 1995, S. 2064. Im Übrigen bestimmt die SED die jeweils gültige ideologische Linie, d. h., hat die Partei das Interpretationsmonopol über die marxistischleninistischen Lehren inne, wobei sie freilich abhängig von der KPdSU ist. Es ist fast müßig zu erwähnen, dass Kritik oder eine offene Diskussion bzgl. der Lehren des Marxismus-Leninismus nicht zugelassen ist (vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 49). Vgl. Wisniewski 1995, S. 2082; Weber/Lange 1995, S. 2036. Löw 1995, S. 1403.
marxistisch-leninistischen Partei – in der DDR der SED. Die Lehre von der ,Partei neuen Typs’ ist das Hauptvermächtnis Lenins im Lehrgebäude des Marxismus-Leninismus. Wie Konrad Löw formuliert, muss Lenin, 52 Jahre nach Karl Marx geboren, erkennen, dass die „vorhergesagte Revolution offenbar stärkerer Geburtshelfer bedarf“943 als von Marx angenommen. Lenin betont darum jene Aussagen der marxschen und engelsschen Lehre, die eine „straff organisierte kommunistische Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse“ fordern.944 Im Marxismus-Leninismus wird die Führungsrolle der SED begründet, weil ihr hier die Schlüsselrolle als marxistisch-leninistische Partei in der Entwicklung zum Kommunismus zugeschrieben wird.945 Ferner ist diese Entwicklung zum Kommunismus nicht als Option, sondern als Gesetzmäßigkeit definiert und mit einem die Aussagen des Marxismus-Leninismus objektivierenden wissenschaftlichen Anspruch verbunden.946 Nach den auf diese Weise als objektiv und gesetzmäßig deklarierten Lehren Marx’, Engels’ und Lenins verwirkliche die Arbeiterklasse unter Führung der Partei eine bessere Welt und diene dem Wohl der Menschheit, womit jeder Gegner dieser Lehre, jeder Feind der Partei und der Arbeiterklasse sich gegen das Wohl der Menschheit richte und jenem entsprechend unnachgiebig begegnet werden müsse. Daraus ergibt sich nicht nur Legitimation für die Macht der SED, sondern auch für ein Vorgehen gegen Andersdenkende bzw. gegen all diejenigen, die die Macht der SED – und damit die verheißungsvolle und unausweichliche Zukunft – gefährden. Diese Grundaussage des Marxismus-Leninismus macht ihn zur „durchdachten Rechtfertigung“947 der SED-Herrschaft: ,Marxistisch-leninistisches Dogma vom Klassenkampf oder faschistischnationalsozialistische Freund-Feind-Lehre vom Völker- und Rassenkampf waren solche Ideologien, die alle Herrschaftsakte rechtfertigten, selbst Massenverbrechen und Völkermord, ob dies nun im Namen des Volks-, Partei- oder Führerwillens geschah, ob es pseudodemokratisch und pseudolegal oder revolutionär-messianisch-chiliastisch stilisiert war wie in den Zukunftsmythen eines klassenlosen Arbeiterparadieses oder eines ›Tausendjäh948 rigen Reiches‹.’
Als Kernthese des Marxismus-Leninismus bezeichnen Hermann Weber und Lydia Lange das Dogma ,Die Partei hat immer Recht’ – die Ideologie habe die
943 944 945 946 947 948
Löw 1995, S. 1440. Löw 1995, S. 1440. Vgl. Seiffert 1987, S. 22 f. Vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 49. Luhmann 1962, S. 45. Bracher 1999, S. 142.
201
Aufgabe, dies zu beweisen.949 Auch Johannes L. Kuppe kommt in seiner Analyse der Funktion des Marxismus-Leninismus in der DDR – ausgehend von einer Legitimations-, Verschleierungs-, Mobilisierungs-, Erkenntnis-, Interpretations-, Integrations- und Abgrenzungsfunktion dieser Ideologie – zu dem Fazit: „Allen diesen Funktionstypen ist eines gemeinsam: Ihnen kommt eine eminente, durch nichts ersetzbare instrumentelle Herrschaftssicherungsfunktion für die kommunistische Partei zu.“950 Konrad Löw verwendet sicher nicht zufällig den historisch belasteten Begriff „Endsieg“ für das marxistisch-leninistische Postulat vom „Kommunismus als Naturnotwendigkeit“ und stellt das Verführungspotenzial dieses Postulates heraus: „Marxens Lehre ist betörend. Wer Heil sucht, will sie glauben.“951 Das für die SED machterhaltende Potenzial dieser Lehre ist offenkundig – wird doch der SED die führende Rolle sowie der vorweggenommene Sieg im Lauf der Menschheitsgeschichte unterstellt.952 Jedes Tun der Partei erhält damit eine fundierte Legitimation, die ob des behaupteten objektiv-gesetzmäßigen Charakters des Marxismus-Leninismus nicht angreifbar ist.953 Wie von Martin Drath als typisch für totalitäre Ideologie beschrieben,954 wird im Marxismus-Leninismus ein umfassendes Weltbild auf Basis einer eigenen Geschichtsphilosophie kreiert, aus dem die SED mehrfach Legitimation für ihr Tun ableiten kann.955 So vertreten auch Hermann Weber und Lydia Lange die Auffassung, der Marxismus-Leninismus diene der kommunistischen Partei „als ideologisches Legitimationsinstrument zur Verschleierung und Rechtfertigung“ der bestehenden Machtverhältnisse.956 Auch Johannes L. Kuppe sieht den Marxismus-Leninismus in erster Linie in der Herrschaftssicherungsfunktion für die SED, die zudem während des Bestehens der DDR permanent zugenommen habe: „Folgt man der Vorstellung, daß sich die Formen der Machtausübung der SED in den mehr als 40 Jahren ihrer Herrschaft erheblich gewandelt haben, und zwar von einer zunächst offen diktatorisch-terroristischen zu einer von sozialen Sanktionsmechanismen ge-
949 950 951 952
953 954 955
956
202
Vgl. Weber/Lange 1995, S. 2039. Kuppe 1995, S. 1383. Löw 1995, S. 1436. Vgl. hierzu auch Weber/Lange 1995, S. 2038; Kohrs 1986, S. 7; Zur Rolle des Marxismus-Leninismus vgl. z. B. Helwig 1988, S. 8. Vgl. Löw 1995, S. 1440. Vgl. Drath 1958, S. 339. Zu diesem Schluss kommt auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland’ (vgl. Deutscher Bundestag 1994, S. 47 f.). Weber/Lange 1995, S. 2035.
steuerten, wird deutlich, daß die Bedeutung der Ideologie als ›geistiges‹ Herrschaftsinstrument [!] für die SED sogar ständig zugenommen hat.“957
Die Rolle des Marxismus-Leninismus als den Machthaber umfassend und unangreifbar rechtfertigende Systemideologie ist offenkundig: „Selbst der Staatssicherheitsdienst konnte mit einer Fülle von Marx- und Engels-Zitaten zum Glauben an die Rechtmäßigkeit seiner Praktiken erziehen.“958 Die hier gemachten Ausführungen spiegeln sich in aller Deutlichkeit auch im Selbstverständnis der SED, dargelegt in ihrem Programm, wider. Die Partei sieht sich unzweideutig in der Rolle der marxistisch-leninistischen Partei als „Vortrupp der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes“ zur Verwirklichung der „von Marx, Engels und Lenin begründeten Aufgaben und Ziele der revolutionären Arbeiterbewegung“; mit der Aufgabe, die „sozialistische Gesellschaft weiter zu gestalten“ und dem Ziel, „die kommunistische Gesellschaft zu errichten“.959 Die zentrale Bedeutung der marxistisch-leninistischen Ideologie für die Herrschaftssicherung der SED ist regelmäßig Gegenstand von Publikationen zur DDR-Geschichte.960 Der Marxismus-Leninismus ist die offizielle Partei- und damit Staatsideologie. Er dient ganz maßgeblich der Legitimation der SEDHerrschaft, weil er sie – in den Mantel von Wissenschaft und Objektivität gekleidet – als gesetzmäßige Notwendigkeit erklärt und damit über jeden Zweifel erhaben macht. Angesichts dieser Bedeutung des Marxismus-Leninismus im Herrschaftslegitimationssystem der SED muss auf das herrschaftssichernde Potenzial jeder Thematisierung dieses Lehrgebäudes in den Schulbüchern nicht eigens hingewiesen werden. Abschließend sei lediglich ein Zitat aus einem Muttersprachschulbuch angeführt, dass dieses Potenzial nochmals sehr deutlich in der Diktion der Schulbücher zum Ausdruck bringt: „Auf die Frage, die ein Schüler stellte, ob man alles glauben müsse, was Marx, Engels und Lenin geschrieben haben, kann man nur antworten, daß es nicht auf das Glauben ankommt. Man muß vielmehr davon überzeugt sein. Diese Überzeugung gewinnt man, indem man die Praxis als Bewertungsmaßstab heranzieht. An der geschichtlichen Entwicklung wie an den aktuellen politischen Vorgängen ist abzulesen, daß die Analysen und Schlußfolgerungen von Marx, Engels und Lenin wahr sind, weil sie wissenschaftlich begründet sind.“961
957 958 959 960
961
Kuppe 1995, S. 1383 f. Löw 1995, S. 1441. Programm der SED 1985, S. 5. Vgl. hierzu z. B. Beate Ihme-Tuchels Bilanz der Forschung zum Marxismus-Leninismus (Ihme-Tuchel 2003, S. 10). Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 18.
203
5
Schulbuchanalyse Teil II: Instrumentalisierung der Schulbücher in den einzelnen Unterrichtsfächern
5.1
Naturwissenschaftlich-technische Unterrichtsfächer
Mathematik Das Instrument, mit dem herrschaftssichernde Inhalte innerhalb der Mathematikschulbücher transportiert werden, sind Rechenaufgaben. Pioniere und später FDJ-Mitglieder sind regelmäßig deren Gegenstand, ebenso wie Soldaten oder Waffen.962 Seltener finden sich auch andere potenziell herrschaftssichernde Inhalte wie die positive Bewertung von DDR oder Sowjetunion oder die Thematisierung der SED.963 Damit leisten die Mathematikschulbücher vornehmlich einen Beitrag zur Festigung der ubiquitären Rolle des Kinder- bzw. Jugendverbands der SED und zur militärischen Prägung. Die Instrumentalisierung der Mathematikschulbücher erfolgt über die Schulbücher aller zehn Klassen hinweg durchgehend. Lediglich im Mathematikschulbuch der Klasse acht fehlen Passagen mit herrschaftssicherndem Potenzial. Trotz der in diesem Sinne durchgehenden Vereinnahmung bleibt die Instrumentalisierung in allen Mathematikbüchern punktuell. Die in quantitativer Hinsicht geringe Instrumentalisierung relativiert sich jedoch an der Position des Faches in der Stundentafel der POS. In zehn Schuljahren werden insgesamt 293 Wochenstunden in den obligatorischen Fächern unterrichtet. Davon entfallen 54 auf den Mathematikunterricht, also rund achtzehn Prozent. Mathematik wird zudem als einziges Unterrichtsfach neben Deutsch, Musik und Sport in allen zehn Klassenstufen unterrichtet.964
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963 964
Zur Präsentation militärischer Inhalte vgl. z. B. Mathematik Klasse 9 1987, S. 103; Klasse 5 1989, S. 23; Klasse 3 1989, S. 40. Zur Thematisierung der Pionierorganisation vgl. z. B. Mathematik Klasse 5 1989, S. 74, 81; Klasse 3 1989, S. 40; Klasse 4 1986, S. 75. Z. B. Mathematik Klasse 4 1986, S. 38; Klasse 7 1989, S. 38; Klasse 5 1989, S. 46. Zur Stundentafel der POS und zu den Anteilen der einzelnen Fächer daran vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 62.
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
In Mathematik werden objektive mathematische Gesetzmäßigkeiten behandelt. Der Versuch der SED, selbst ein solches Fach zu instrumentalisieren, indiziert ihr Bemühen, die Schulbücher möglichst vollständig zu vereinnahmen. Der Beitrag des Mathematikunterrichts zur Instrumentalisierung bleibt zwar quantitativ gering, seine qualitative Bedeutung gerade in dem scheinbar nichtinstrumentalisierbaren Fachkontext sollte indes nicht unterschätzt werden. Physik Bei der Behandlung des Drucks von Flüssigkeiten und Gasen wird im Fach Physik zum Beispiel die Funktionsweise einer Patrone erläutert oder beim Thema ,Auftrieb in ruhenden Flüssigkeiten’ ein Schiff der Volksmarine präsentiert.965 In Klasse zehn wird das Thema Wellenoptik genutzt, um das Sturmgewehr AK 47 (Kalaschnikow) mit Nachtsichtgerät zu behandeln und in Klasse sechs, wo es um die Bewegung von Körpern geht, das Landen eines Jagdflugzeuges, das Anfahren eines Panzers oder das Starten einer Luftabwehrakete thematisiert.966 Die Physikbücher sind praxisbezogener als die Mathematikbücher. Beispiele zur Anwendung physikalischer Gesetzmäßigkeiten werden zur Instrumentalisierung genutzt und so haben verschiedene Aufgaben militärische Inhalte zum Gegenstand. In der Einführung in das Fach in Klasse sechs betonen die Schulbuchautoren, dass die Erkenntnisse der Physik in sozialistischen Staaten zum Nutzen der Menschen angewandt würden, während dem Kapitalismus der verbrecherische Umgang mit diesen Erkenntnissen unterstellt wird.967 Als Beispiel führen die Autoren die Kernenergie an, deren Missbrauch sie in der nuklearen Aufrüstung des Imperialismus sehen, kontrastiert zur friedlichen Nutzung im Sozialismus und insbesondere in der DDR.968 In den Physikschulbüchern verläuft der Instrumentalisierungsprozess insofern differenzierter als in den Mathematikschulbüchern, als hier auch der Sozialismus in ein positives Licht gerückt und gleichsam der Kapitalismus abgewertet wird. Obwohl auch die Pionierorganisation Erwähnung in den Physikschulbüchern findet,969 prägen wehrerzieherische und wehrpropagandistische Themen hier die Instrumentalisierung.
965 966 967 968 969
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Physik Klasse 7 1988, S. 82, 120. Physik Klasse 10 1989, S. 112 bzw. Klasse 6 1988, S. 21. Physik Klasse 6 1988, S. 8. Physik Klasse 10 1989, S. 143 ff. Z. B. Physik Klasse 6 1988, S. 27.
Chemie In Chemie wird beispielsweise im Kontext der Ammoniaksynthese konstatiert, die DDR trage zum weltweiten Kampf gegen Hunger bei.970 Die Leistungen der Leuna-Arbeiter im Widerstand gegen den Faschismus erfahren ebenso eine Würdigung wie die als hervorragend herausgestellten Leistungen der Werktätigen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse bei der Herstellung von Schwefelsäure.971 Über die positive Bewertung von Einzelleistungen hinaus werden der wissenschaftlich-technische Fortschritt und die chemische Industrie der DDR gelobt.972 Weniger häufig findet sich Kritik am Kapitalismus, dem etwa die mangelnde Förderung der Braunkohle als Versäumnis vorgeworfen wird.973 Auch wegen des wiederholten Einsatzes chemischer Waffen wird der Kapitalismus angegriffen.974 In den Chemieschulbüchern steht vor allem die positive Bewertung des Sozialismus im Vordergrund, gehäuft treten solche potenziell herrschaftssichernde Inhalte in Klasse neun und zehn auf. Biologie In der fünften Klasse des Biologieunterrichts findet sich beim Thema Fortpflanzung und Entwicklung Raum für die positive Betonung der Schwangerenbetreuung in der DDR.975 In Klasse sieben nutzen die Schulbuchautoren die Behandlung von Bakterien, um die Erfolge des DDR-Gesundheitswesens im Kampf gegen Infektionskrankheiten als Ergebnis einer am Wohl aller Menschen orientierten Politik der SED herauszustellen, während sie die Entwicklung bakteriologischer Kampfstoffe durch die USA als verbrecherisch brandmarken.976 In Klasse zehn erfolgt die positive Bewertung des Umgangs mit genetisch bedingten Krankheiten in der DDR.977 Der Umweltschutz wird im Biologieschulbuch der Klasse neun als besonderes Anliegen sozialistischer Staaten betont,978 während im Kapitalismus die Lösung der Umweltprobleme nicht möglich sei.979 Die Bio970 971 972 973 974 975 976 977 978 979
Chemie Klasse 10 1988, S. 26. Chemie Klasse 10 1988, S. 31 ff. bzw. 58. Chemie Klasse 10 1988, S. 91–95; Chemie Klasse 9 1986, S. 88, 90. Chemie Klasse 10 1988, S. 30 f., 96, 109. Chemie Klasse 9 1986, S. 60, 65 f. Biologie Klasse 5 1990, S. 95 f. Biologie Klasse 7 1987, S. 33 bzw. 35. Biologie Klasse 10 1990, S. 50, 67. Biologie Klasse 9 1987, S. 134–156. Biologie Klasse 9 1987, S. 134.
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logieschulbücher verbinden systematisch das Lob des Sozialismus mit der Herabwürdigung des Kapitalismus. Im Schulbuch der zehnten Klasse werden die Schüler aufgefordert, sich über die Direktive des elften Parteitages zur Pflanzenproduktion zu informieren.980 Das Buch bietet also auch Raum für eine Thematisierung der SED. Die Schulbuchautoren erwähnen auch Karl Marx und Friedrich Engels, obwohl es hierfür bei der darwinschen Evolutionstheorie keinen Grund gibt.981 An anderer Stelle heben sie die Bedeutung von Marx und Engels als Entdecker der Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Entwicklung hervor.982 Die sozialistische Gesellschaft wird im Biologieschulbuch der Klasse acht als Förderin des Lebens der gesamten Menschheit propagiert.983 Neben der Bemerkung, in den kapitalistischen Staaten würden Millionen Menschen an Unterernährung leiden,984 findet sich Lob für die Lebensmittelindustrie der DDR.985 Ähnliches gilt für das Blutspende-986 und Impfwesen,987 die Tuberkulosebekämpfung,988 die Versorgung von Diabetikern,989 die Schwangerenbetreuung990 sowie für die Lebensbedingungen in den Städten und die medizinische und soziale Betreuung der Bevölkerung,991 die Möglichkeiten der Lebensplanung und den Umgang mit alten Menschen992 oder die Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten.993 Die positive Bewertung der Betätigungsmöglichkeiten Jugendlicher in sportlicher, kultureller oder künstlerischer Sicht, geht einher mit der Thematisierung der FDJ.994 Im Biologieschulbuch der Klasse acht nimmt die positive Bewertung des Sozialismus, insbesondere der DDR, signifikant zu. Das Buch stellt allerdings eine Ausnahme dar, was die Auftretenshäufigkeit herrschaftssichernder Inhalte in Biologieschulbüchern anbelangt. Grundsätzlich ist die Instrumentalisierung wie in den anderen naturwissenschaftlich-technischen Fächern auch in Biologie vereinzelt.
980 981 982 983 984 985 986 987 988 989 990 991 992 993 994
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Biologie Klasse 10 1990, S. 71. Biologie Klasse 10 1990, S. 78. Biologie Klasse 10 1990, S. 118. Biologie Klasse 8 1985, S. 7. Biologie Klasse 8 1985, S. 15. Biologie Klasse 8 1985, S. 30. Biologie Klasse 8 1985, S. 45. Biologie Klasse 8 1985, S. 47. Biologie Klasse 8 1985, S. 56 f. Biologie Klasse 8 1985, S. 135 f. Biologie Klasse 8 1985, S. 148. Biologie Klasse 8 1985, S. 161 bzw. 163 f. Biologie Klasse 8 1985, S. 154 f. Biologie Klasse 8 1985, S. 158 f. Biologie Klasse 8 1985, S. 151 f.
Astronomie Im Astronomieschulbuch tritt einmal mehr zutage, wie die SED die verschiedenen Potenziale der Schulfächer nutzt: Lob des sozialistischen Gesundheitswesens im Fach Biologie, Lob der chemischen Industrie im Fach Chemie und die Darstellung der sozialistischen, d. h. der sowjetischen Raumfahrt, die im Interesse des Friedens und der Wissenschaft wichtig sei, im Fach Astronomie.995 Die westliche Raumfahrt, insbesondere die der USA, sieht sich indes als imperialistischer Beitrag zur Militarisierung des Weltalls und ausschließlich profitorientiert beschrieben.996 Wie im Biologieschulbuch finden Karl Marx und Friedrich Engels auch im Astronomieschulbuch Erwähnung.997 Technisches Zeichnen und Einführung in die sozialistische Produktion Die Notwendigkeit der Standardisierung wird im Fach Technisches Zeichnen herausgestellt. Sie sei darum auch innerhalb der RGW-Länder durchgesetzt, während im Kapitalismus aus Konkurrenzgründen keine Standardisierung gewünscht werde.998 Im Themengebiet Grundlagen des Bauzeichnens wenden sich die Schulbuchautoren dem Bauprogramm der SED zu: Nur im Sozialismus könne die Wohnungsfrage als soziales Problem gelöst werden.999 Im Kapitel Maßeintragung, hier geht es um das Vornehmen von Maßangaben, wird in einer Übungsaufgabe das Skizzieren eines Maschinenpistolen-Gaskolbens verlangt.1000 Die Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED wird in den Schulbüchern des Faches Einführung in die sozialistische Produktion (ESP) lobend erwähnt.1001 Positive Bewertung erfahren auch Erzeugnisse sozialistischer Betriebe,1002 die Boden- und Landtechnik der Landwirtschaft,1003 die Elektrifizierung Russlands durch Lenin1004 oder die Energiegewinnung in Kraftwerken der DDR.1005 Indem
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Astronomie Klasse 10 1990, S. 50 ff. Astronomie Klasse 10 1990, S. 50 ff. Astronomie Klasse 10 1990, S. 7, 31. Technisches Zeichnen Klasse 7/8 1990, S. 5. Technisches Zeichnen Klasse 7/8 1990, S. 64. Technisches Zeichnen Klasse 7/8 1990, S. 29. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 8 1986, S. 71. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 7 1986, S. 7 f. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 9 1987, S. 26 f., 31. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 9 1987, S. 37.
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als Beispiel für den Einsatz von Verbrennungsmotoren ein Kampfpanzer dient oder die Bedeutung des Bauwesens für Bauaufgaben zur Landesverteidigung Erwähnung findet, wirken die ESP-Schulbücher wehrerzieherisch.1006 Der Maschineneinsatz im Sozialismus wird als der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Rationalität dienend beschrieben, sei aber im Kapitalismus Ausdruck verschärfter Ausbeutung und Urheber von Massenarbeitslosigkeit.1007 Einordnung Physik wird in insgesamt dreizehn Wochenstunden unterrichtet und nimmt somit einen Anteil von vier Prozent des Gesamtstundenaufkommens der POS ein. Elf Wochenstunden entfallen auf den Biologieunterricht. Noch geringer ist der Anteil des Chemieunterrichts mit zehn Wochenstunden und damit lediglich drei Prozent des Gesamtstundenaufkommens. Hinsichtlich der Instrumentalisierung der Schulbücher dieser drei Fächer kommt es zwar zu inhaltlich-thematischen Unterschieden, ihre instrumentelle Durchdringung bleibt jedoch ähnlich und punktuell. Dies gilt auch für den Astronomieunterricht. Mit nur einer Wochenstunde in Klasse zehn ist der Anteil des Astronomieunterrichts an der POSStundentafel äußerst gering, doch gerade in solchen Fächern zeigt sich die Konsequenz, mit der die SED bei der Instrumentalisierung der Schulbücher vorgeht. Auch im Astronomieschulbuch sind Inhalte mit herrschaftssichernden Intentionen präsent und somit in allen naturwissenschaftlich-technischen Fächern. Die Fächer Einführung in die sozialistische Produktion und Technisches Zeichnen umfassen acht Wochenstunden und somit drei Prozent des Gesamtwochenstundenaufkommens an den POS. Auch für sie gilt das Gesagte. Die Art und Weise der Instrumentalisierung ähnelt sich in allen Schulbüchern der naturwissenschaftlich-technischen Fächergruppe. Es wird vor allem die positive Bewertung des Sozialismus betrieben. Dies geschieht dadurch, dass Bereiche bzw. Aspekte des Sozialismus wie etwa die Kernenergie, die Chemieindustrie, das Gesundheitswesen oder die Raumfahrt positiv bewertet werden. Weniger häufig, aber stets damit einhergehend ist die Abwertung der westlichen Welt nach demselben Muster – sei es der Vorwurf des Einsatzes chemischer Kampfstoffe durch westliche Staaten im Unterrichtsfach Chemie, die aggressive Nut1005
1006
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Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 9 1987, S. 37 bzw. Klasse 10 1988, S. 23, 36. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 8 1986, S. 26 bzw. Klasse 9 1987, S. 18. Einführung in die sozialistische Produktion Klasse 1986, S. 9.
zung der Raumfahrt im Fach Astronomie, die schlechten Ernährungsbedingungen in den Biologiebüchern oder der ausbeuterische Charakter der kapitalistischen Wirtschaft im Fach ESP. Durchgängig finden die Schulbuchverfasser auch Raum für militärische Themen; dies reicht von der einfachen WaffenPräsentation bis hin zu Erläuterungen der Funktionsweise von Munition. Insbesondere im Mathematikunterricht werden zudem regelmäßig die FDJ und die Pionierorganisation thematisiert. Auch andere Themenfelder der Instrumentalisierung wie die Erwähnung systemrelevanter Personen oder die Thematisierung kommunistischer Parteien finden sich, wenn auch stark vereinzelt, in den naturwissenschaftlich-technischen Schulbüchern. Die Instrumentalisierung dieser Schulbücher ist zwar durchgängig, insofern sie alle, von den erwähnten Einzelfällen abgesehen, mit herrschaftssichernden Inhalten durchdrungen sind. Sie bleibt jedoch insgesamt punktuell, d. h. beschränkt sich auf eine überschaubare Anzahl von auf Herrschaftssicherung angelegten Aussagen im jeweiligen Schulbuch. Auf die naturwissenschaftlich-technische Fächergruppe entfallen siebenundneunzig Wochenstunden und damit rund ein Drittel des Gesamtstundenaufkommens. Mit dem Ziel einer adäquaten Einordnung der Befunde bleibt als bemerkenswert festzuhalten, dass es der SED gelingt, selbst eine Durchdringung derjenigen Fächer mit herrschaftssichernden Aussagen zu erreichen, die zunächst wenig hierfür geeignet erscheinen: Mathematische Gesetze und naturwissenschaftliche oder technische Zusammenhänge lassen sich weniger verzerren oder interpretieren als historische oder politische.1008 Weil die SED aber auch die Instrumentalisierung der Schulbücher der naturwissenschaftlich-technischen Fächer erreicht, leisten diese trotz quantitativ geringer Instrumentalisierung dennoch ihren Beitrag zu einer durchgängigen Konfrontation der Schüler mit potenziell herrschaftssichernden Aussagen über alle Klassenstufen und alle Fächer hinweg und damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur permanenten Konfrontation der Schüler mit dem Weltbild der SED. Sie sind damit ein deutlicher Indikator herrschaftssichernder Intentionen. Hinzu kommt, dass die Instrumentalisierung der naturwissenschaftlich-technischen Fächer auf besondere Weise subtil ist. Während der instrumentalisierende Charakter des Geschichts- oder Staatsbürgerkundeunterrichts den DDR-Schülern hinlänglich bekannt ist und dort entsprechende Botschaften quasi erwartet werden, werden die Heranwachsenden mithil1008
Schon Auguste Comte klassifiziert die Wissenschaftsdisziplinen nach ihrem Grad an Positivismus. Die Sozialwissenschaften erreichen dabei den geringsten Grad, weil ihr Untersuchungsgegenstand derart komplex sei, dass er mit quantitativen Mitteln kaum adäquat erfasst werden könne (vgl. hierzu z. B. Mittelstraß 1995, S. 410 f.).
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fe der Schulbücher der naturwissenschaftlich-technischen Fächergruppe auch dort mit auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten konfrontiert, wo sie weniger darauf eingestellt sind und es ggf. weniger durchschauen.
5.1
Deutsch
Muttersprache1009 Wenn es im Muttersprachschulbuch der Klasse zwei um Substantive als Bezeichnungen für Tage, Monate und Jahreszeiten geht, erfahren die Schüler zugleich vom Tag der Volksarmee. Die Beschäftigung mit Verben wird genutzt, um unter der Überschrift „Soldaten sind unsere Freunde“ vom Tragen blauer Uniformen bei der Volksmarine oder dem Fahren als Matrose auf Küstenschutzschiffen zu berichten.1010 In Klasse fünf ist das Wort „Volksarmee“ in seine Wortbestandteile zu zerlegen.1011 In Klasse acht geht es um die Formulierung von Einladungen, wobei die Schüler eine Einladung zu einem Gesprächsforum mit dem Thema „Warum ich Offizier der Nationalen Volksarmee wurde“ verfassen sollen.1012 Das Argumentieren wird im Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn anhand eines Textbeispiels geübt, in dem – suggestiv überschrieben mit „Warum wir die Besten brauchen“ – von den Berufen des Offiziers und Unteroffiziers der NVA berichtet wird.1013 An anderer Stelle sollen die Schüler die Einleitung von Diskussionen lernen. Als Themenvorschlag findet sich ein Zitat Maxim Gorkis, in dem der Schriftsteller verlauten lässt, dass es notwendig sei, „sich mit Stahl zu wappnen“, um Feinde abzuwehren.1014
1009
1010 1011 1012 1013 1014
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Der Deutschunterricht ist umfangreich. Er unterteilt sich in mehrere Disziplinen, in denen verschiedene Schulbücher verwendet werden. Der Unterricht gründet in der ersten Klasse auf der Fibel. Ab der zweiten Klasse treten die Heimatkunde-, die Muttersprachschulbücher und die Lesebücher hinzu, die für den Unterricht in den verschiedenen Disziplinen des Deutschunterrichts verwendet werden. Weitere Arbeitsmaterialien und Nachschlagewerke runden das Schulbuchangebot im Deutschunterricht ab. Im Deutschunterricht oder in den anderen Fächern verwendete Arbeitsmaterialien und Nachschlagewerke gehen aufgrund der in 3.1 begründeten Einschränkung des Untersuchungsmaterials nicht in die Untersuchung ein. Muttersprache Klasse 2 1985, S. 29 bzw. 34. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 137. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 37. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 61. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 61.
In Klasse fünf geht es um die Ermittlung finiter Verbformen. Ein Text hierzu befasst sich unter anderem mit den Museen der DDR, versehen mit dem Hinweis, in der sozialistischen Gesellschaft werde das Interesse an schönen und lehrreichen Dingen bei allen Menschen geweckt und gefördert.1015 Die deutsche Sprache ist Gegenstand des Schulbuchs in Klasse sechs, wobei unter anderem speziell auf Wörter aus der sozialistischen Zeit eingegangen wird; gleichsam nebenbei wird festgestellt, dass unter Führung der Arbeiterpartei Faschismus und Militarismus besiegt würden.1016 An anderer Stelle im selben Buch fragen die Schulbuchautoren nach einem Fachwort für ein Gesellschaftssystem, in dem unter „Führung der Partei der Arbeiterklasse“ die politische Herrschaft durch Arbeiter, Bauern und andere Werktätige ausgeübt werde (Sozialismus).1017 In der achten Klasse nutzen sie das Lesen von Texten nach vorgegebenen Gesichtspunkten, um den hohen Ausbildungstand von Genossenschaftsbauern in der sozialistischen Landwirtschaft als Ausdruck des humanistischen Charakters der sozialistischen Gesellschaft zu bezeichnen.1018 Im Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn erfahren die Schüler durch eine Übungsaufgabe zum Verknüpfen von Textabschnitten beiläufig, dass man sich Achtung erwerbe, wenn man sich für die Ziele der DDR einsetze.1019 Das Verstehen von Texten lernen die Heranwachsenden anhand eines Textes, der das Kommunistische Manifest und die historische Mission der Arbeiterklasse behandelt.1020 Indem aus der Wortgruppe „die Friedenspolitik der Sowjetunion unterstützen“ alle Substantive mit dem Suffix „-ik“ herauszuschreiben sind, wird der friedliche Charakter der Sowjetunion propagiert.1021 Die Auseinandersetzung mit dem Suffix „-tät“ bietet dann die Möglichkeit für den Hinweis, man werde stets Solidarität mit den vom Imperialismus unterdrückten und ausgebeuteten Ländern üben, und somit Gelegenheit zu Ausprägung des Feindbildes.1022 Als es um Entwicklungsprozesse geht, wird dies genutzt, um von der Entwicklung der kapitalistischen Ausbeutung zu berichten.1023 Die Aussage, ein NATO-Politiker habe verlauten lassen, es gebe Wichtigeres als den Frieden, findet sich im Muttersprachschulbuch Klasse acht, wo das Anlegen von Kurzvorträgen Unterrichts-
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Muttersprache Klasse 5 1990, S. 102. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 12. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 12. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 18. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 103. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 12. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 126. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 127. Muttersprache Klasse 8 1987, S. 33.
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thema ist.1024 Im Muttersprachschulbuch der Klassen neun und zehn wird die Sprache als Mittel der Manipulation durch den Klassengegner behandelt oder das Kommunistische Manifest an der Stelle zitiert, an welcher der angeblich unweigerliche Untergang des Kapitalismus vorausgesagt wird.1025 Beim Thema Substantive und Fälle nutzen die Schulbuchautoren einen Übungstext über die Schulzeit Friedrich Engels’.1026 In einem Übungstext zu den Formen und zur Schreibung von Relativpronomen wird Wilhelm Pieck als Vorbild beschrieben und ein Übungstext zum Plusquamperfekt und Partizip zwei hat Karl Marx zum Gegenstand.1027 Die Bedeutung von Kampf und Revolution wird vor dem thematischen Hintergrund von Satzbau und Zeichensetzung herausgestellt, als Beispieltext dienen Informationen über den Aufstand des Spartakus.1028 Im Muttersprachschulbuch der Klasse zwei befassen sich sechzehn Aufgaben mit den Pionieren, was in dieser Häufigkeit durchaus exemplarisch auch für die übrigen Muttersprachschulbücher ist. Regelmäßig ist das Leben der Kinder in der Pionierorganisation oder das Leben und Wirken als Pionier Gegenstand von Übungsaufgaben. Im Unterrichtsfach Muttersprache wird mehr als in allen anderen Fächern deutlich, welche Rolle beide Organisationen im Alltagsgeschehen in der DDR spielen. Eine Ausgrenzung und Diskriminierung von Nichtmitgliedern ist, in welchem Ausmaß auch immer, angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der die FDJ und die Pionierorganisation zum Bestandteil des Unterrichtsalltages gemacht werden, unvermeidlich. Die Instrumentalisierung der Muttersprachschulbücher findet über alle im vierten Kapitel beschriebenen Themenbereiche hinweg statt. Sie nimmt mit aufsteigender Klassenstufe kontinuierlich zu. Die Schulbücher der letzten drei Klassenstufen sind besonders häufig instrumentalisiert. Etwa ein Drittel des Umfangs des Muttersprachschulbuchs der Klasse acht und des Muttersprachschulbuchs der Klassen neun und zehn enthält entsprechende Aussagen. Verschiedene Formen und Kontexte des Umgangs mit Sprache werden in den Muttersprachschulbüchern instrumentalisiert, um auf Herrschaftssicherung angelegte Botschaften zu vermitteln. Die Instrumentalisierung der Muttersprachschulbücher ist insgesamt umfangreich.
1024 1025 1026 1027 1028
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Muttersprache Klasse 8 1987, S. 51. Muttersprache Klasse 9/10 1987, S. 12 bzw. 99. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 125. Muttersprache Klasse 6 1989, S. 88 bzw. 104. Muttersprache Klasse 5 1990, S. 178.
Lesen Im Lesebuch der Klasse zwei ist ein Kapitel „Gedichten und Geschichten aus alter Zeit und von weit her“ gewidmet.1029 Die abgedruckten Texte von Goethe, Heine, den Gebrüdern Grimm sowie alte Volksmärchen u. a. sind nicht instrumentalisiert. Ein anderes Kapitel hingegen ist überschrieben mit „Jungpioniere lernen, sie spielen, helfen und sind einander Freund“.1030 Hier werden unter anderem die Gebote der Jungpioniere vorgestellt1031, Geschichten von Lenin und Thälmann abgedruckt1032 oder es wird über das blaue Halstuch1033 und russische Pioniere geschrieben.1034 Im Lesebuch der Klasse drei befasst sich ein ganzes Kapitel mit dem „Kämpfen für Frieden, Fortschritt und Sozialismus“.1035 Der „Geburtstag“ der DDR wird ebenso behandelt1036 wie Karl Marx,1037 Musikanten der NVA,1038 Lenin,1039 Ernst Thälmann,1040 die Rote Armee,1041 die russische Oktoberrevolution1042 oder der „Befreiungskampf des tapferen kubanischen Volkes“1043. Ein Kapitel des Lesebuchs der Klasse vier ist überschrieben mit „Auf den Spuren revolutionärer Kämpfer“.1044 Hier zitieren die Schulbuchautoren aus einem Brief Maxim Gorkis, der die Vorzüge der sozialistischen Sowjetunion anpreist.1045 Außerdem wird von Marx und Engels berichtet,1046 von Kinderarbeit zur Jahrhundertwende (vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert)1047 und unmittelbar darauf in Gedichtform von der Entstehung eines „freien, menschlichen Geschlechts“1048 in der DDR sowie von Kommunisten, „die sich für ein schöneres Leben einsetzten“1049, von der Hilfsbereitschaft und Kinderliebe der 1029 1030 1031 1032 1033 1034 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049
Lesebuch Klasse 2 1990, S. 3. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 3. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 10. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 14 ff. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 11. Lesebuch Klasse 2 1990, S. 12. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 41. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 41. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 47. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 48. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 51 ff. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 58 f. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 59 ff. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 62–67. Lesebuch Klasse 3 1986, S. 68–71. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 3. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 32. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 34–44. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 49 f. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 52. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 53 f.
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Roten Armee nach dem Krieg1050 oder von Wilhelm Piecks Befreiung aus der Haft in der Weimarer Republik1051. Die Lesebücher der Klassen fünf und sechs sind inhaltlich geteilt. Märchen und Sagen bilden den ersten Teil, der kein Potenzial zur Instrumentalisierung bietet. Dies verhält sich anders bei den dann folgenden Gedichten und Erzählungen. So finden sich verschiedene wehrerzieherisch-wehrpropagandistische Texte, einschließlich Nachwuchswerbung für die NVA.1052 Es werden von „Reichen“ verbreitetes Unheil,1053 Ernst Thälmann,1054 Pionierveranstaltungen1055 oder der Kampf der Arbeiterklasse behandelt.1056 In Klasse sieben und acht enthalten die Lesebücher zu einem Drittel „sozialistische Literatur des 20. Jahrhunderts“.1057 Das Lesebuch der Klasse neun und zehn befasst sich auf rund dreihundert seiner rund vierhundert Seiten mit „bürgerlich-humanistischer und sozialistischer Literatur von 1900 bis 1945“ sowie mit „der sozialistischen und bürgerlich-humanistischen Literatur nach 1945“.1058 Besonders für den Unterricht in den höheren Klassenstufen können die Schulbuchautoren auf einen Fundus an instrumentalisierbarer Literatur zurückgreifen. Die zu Wort kommenden Autoren loben unter anderen die „Partei Lenins“1059 oder Kuba,1060 reimen von der „Imperialistenlogik“,1061 erzählen von der Pionierorganisation,1062 äußern sich positiv über die Abschnittsbevollmächtigten in der DDR,1063 glorifizieren die Sowjetunion,1064 die Rote Armee1065 sowie Lenin und die Oktoberrevolution1066, romantisieren den Revolutions- und Kampfgedanken,1067 berichten von Arbeiterklasse, Klassenkampf und Partei,1068 machen Ernst Thälmann zum Helden1069 oder loben ganz allgemein den Kommunismus.1070 1050 1051 1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066 1067
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216
Lesebuch Klasse 4 1990, S. 60 ff. Lesebuch Klasse 4 1990, S. 63 f. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 161–167, 209; Lesebuch Klasse 6 1985, S. 208. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 197 f. Lesebuch Klasse 5 1988, S. 207. Lesebuch Klasse 6 1985, S. 167–170. Lesebuch Klasse 6 1985, S. 191. Vgl. die Inhaltsverzeichnisse der Lesebücher Klasse 7 1985 und Klasse 8 1986. Vgl. das Inhaltsverzeichnis des Lesebuchs Klasse 9/10 1988. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 143. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 155 f.; Klasse 9/10 1988, S. 262. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 166. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 167. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 211. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 140. Lesebuch Klasse 8 1986, S. 219–236. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 129, 216 f. Lesebuch Klasse 7 1985, S. 181–188; Klasse 8 1986, S. 210; Klasse 9/10 1988, S. 125– 128, 367. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 145 f. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 213.
Wie die Muttersprachschulbücher bieten auch die Lesebücher breiten Raum für die Instrumentalisierung. Besonderheit der Lesebücher ist, dass die Schulbuchtexte nicht von den durch die SED kontrollierten Schulbuchautoren verfasst werden, sondern dass hier Texte von dritten Autoren zusammengestellt sind. Das instrumentelle Potenzial liegt in der Auswahl dieser Texte. Dabei enthalten die Lesebücher alle Varianten potenziell herrschaftssichernder Inhalte. Neutrale Texte wechseln sich mit instrumentalisierten ab. Anders als im Fach Muttersprache sind auf Herrschaftssicherung angelegte Botschaften in den Lesebüchern oft eindringlicher, da in Form von Gedichten oder ganzen Geschichten vermittelt und nicht selten emotional erzählt. Im Lesebuch der Klassen neun und zehn wird Johannes R. Becher mit den Worten zitiert: „Das wichtigste auf dem Gebiet der Literatur ist die Entstehung einer proletarischrevolutionären Literatur (...) Proletarisch-revolutionäre Literatur singt Klassenliebe und Klassenhaß (...) Kunst ist für uns eine höchst gefährliche Sache. Sie ist ein Einbruch, sie bohrt an und betrommelt den Menschen dort, wo, oft unberührt von politischem Tageskampf, die Gefühlsmassen verborgen liegen. Hier bricht die Kunst durch [....] Sie dringt vor bis zur letzten unbewußten und innersten Gefühlsregung. (...)“1071
Das in den Lesebuchtexten wurzelnde instrumentelle Potenzial wird hier im Schulbuch selbst formuliert. Fibel Anfangs verstärkt in Bildform, später dann auch in Textform werden in der Fibel Pioniere dargestellt – beim Singen,1072 beim Appell der Pionierfreundschaft, beim Basteln von Pionierwimpeln,1073 bei der Verleihung des blauen Halstuches,1074 beim Besuch im Altenheim,1075 im Gespräch mit einem Soldaten,1076 beim Altpapiersammeln,1077 im Rahmen der Freundschaft zu Pionieren anderer sozialistischer Länder1078 oder in ihrer Thälmanntradition.1079 Die Pionierorganisation spielt in der Fibel auffallend oft eine Rolle. 1070 1071 1072 1073 1074 1075 1076 1077 1078
Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 219. Lesebuch Klasse 9/10 1988, S. 127. Unsere Fibel 1988, Buchdeckel vorn, innen. Unsere Fibel 1988, S. 27, Buchdeckel hinten, innen. Unsere Fibel 1988, S. 33. Unsere Fibel 1988, S. 35. Unsere Fibel 1988, S. 50. Unsere Fibel 1988, S. 78. Unsere Fibel 1988, S. 93, 95.
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Fibeltexte handeln von NVA-Soldaten, welche die Pioniere besuchen, oder von Pionieren, die sich ihrerseits darauf freuen, NVA-Soldaten zu besuchen.1080 Es wird von Grenzsoldaten berichtet, die die Heimat Tag und Nacht vor Feinden schützen, oder der Brief eines Soldaten an die Pioniere abgedruckt und erzählt, wie die NVA und die „Waffenbrüder“ anderer sozialistischer Länder gemeinsam auf „Friedenswacht“ stehen.1081 Ernst Thälmann oder Lenin finden in Bildform und/oder in Geschichten Erwähnung.1082 Die Freundschaft innerhalb der sozialistischen Staatengemeinschaft und zur Sowjetunion wird betont und die DDR sowie die dortigen Lebensverhältnisse werden gelobt.1083 Es ist die Rede von Freundschaft zu den Arbeitern aller Länder; und in Form reicher Landbesitzer, welche die Arbeiter in Südamerika ausbeuteten, hat auch das Feindbild seinen Platz in der Fibel.1084 In der ersten Klasse entfallen von insgesamt einundzwanzig Wochenstunden im ersten Halbjahr elf, im zweiten Halbjahr zehn Wochenstunden auf den Deutschunterricht. Die übrigen Stunden verteilen sich auf die Fächer Mathematik (fünf Wochenstunden), Werken, Zeichnen und Musik (je eine Wochenstunde) sowie Sport (zwei Wochenstunden) und ab dem zweiten Halbjahr Schulgartenunterricht (eine Wochenstunde).1085 Das heißt, die Hälfte des Unterrichts in der ersten Klasse steht dem Deutschunterricht zur Verfügung. Das hier zugrunde liegende Schulbuch ist die Fibel. Ihr Einfluss auf die Schüler ist schon darum beträchtlich. Er erfährt eine zusätzliche Verstärkung in der Tatsache, dass die Fibel das erste Schulbuch (neben dem Mathematikbuch der Klasse eins) überhaupt ist, mit dem die Schüler in ihrem Leben in Kontakt kommen, Neugier und Interesse sind hier besonders ausgeprägt. Aus diesen Gründen nimmt die Fibel innerhalb der Schulbücher eine Sonderrolle ein.1086 Ihre Instrumentalisierung spricht in diesem Kontext für sich. Auf einem Fünftel aller Fibelseiten kommen die Schüler mit potenziell herrschaftssichernden Inhalten verschiedener Art in Berührung.
1079 1080 1081 1082 1083 1084 1085 1086
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Unsere Fibel 1988, S. 109. Unsere Fibel 1988, 1988, S. 50 bzw. S. 105. Unsere Fibel 1988, S. 71 bzw. S. 106 f. Unsere Fibel 1988, S. 26, 27, 108 f. Unsere Fibel 1988, S. 59, 75, 93, 109 bzw. S. 73, 81, 94, 105, 109. Unsere Fibel 1988, S. 75 bzw. S. 94. Vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 62. Der Verfasser, dessen Einschulung in der DDR 24 Jahre zurückliegt, kann sich beispielsweise deutlich an die Abbildungen und Erzählungen der Fibel erinnern.
Heimatkunde Auf den Buchdeckeln des Heimatkundeschulbuchs der dritten Klasse finden sich Bilder paradierender, bewaffneter und uniformierter Arbeiter.1087 Im Buch werden zunächst Schule, Heimatort und Heimatkreis behandelt.1088 Die Schüler erfahren von den fleißigen Werktätigen, die dafür sorgen, dass im Heimatkreis alles reibungslos funktioniere, und von der Mitwirkung aller Bürger an der Verbesserung des Lebens im Heimatort.1089 Sie lernen, dass sozialistische Betriebe von den Kampfgruppen der Arbeiterklasse geschützt werden müssten, untermalt von Fotos aus der Gefechtsausbildung dieser Kampfgruppen sowie von Paradefotos, dem Emblem der Kampfgruppen und deren Gelöbnistext.1090 Ein eigenes Kapitel befasst sich mit der „Vorbereitung der Jungpioniere auf ihre Aufnahme als Thälmannpioniere“.1091 Die Gesetze und die Geschichte der Pionierorganisation werden hier ebenso behandelt wie die Pionierrepublik und der Pionierpalast als „Geschenk der Arbeiter“ an „ihre Pioniere“ oder die Freundschaft zu sowjetischen Pionieren und deren Pioniergesetze.1092 Auf acht Seiten wird über Ernst Thälmann als „Vorbild der Pioniere“, als KPD-Vorsitzenden und Antifaschisten, berichtet sowie von der KPD, der Haft Thälmanns, dem Kampf für seine Freiheit und schließlich seiner Ermordung.1093 Das nächste Kapitel thematisiert die Befreiung Deutschlands vom Faschismus bzw. Nationalsozialismus durch die Sowjetunion. Es wird dort von den Gräueln faschistischer Herrschaft erzählt und vom Überfall auf die Sowjetunion, sodann vom Kampf der Antifaschisten, der vornehmlich als kommunistisch deklariert wird, und schließlich vom „Heldentum“ der Sowjetsoldaten bei der „Zerschlagung des Faschismus“.1094 Unter Betonung der helfenden Rolle von Roter Armee und Sowjetunion werden sodann die ersten Anstrengungen des Wiederaufbaus behandelt.1095 Abbildungen von Karl Marx, Friedrich Engels und Lenin zieren die Buchdeckel des Heimatkundeschulbuches der Klasse vier.1096 Zunächst geht es um den Heimatbezirk. Die Bezirksstadt wird nicht nur als Verwaltungssitz sondern auch als Sitz der Bezirksleitung der SED und Zentrum der Arbeit von FDJ und Pio1087 1088 1089 1090 1091 1092 1093 1094 1095 1096
Heimatkunde Klasse 3 1986. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 3. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 9–12. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 45 ff. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 50. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 50–58. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 59–66. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 67–84. Heimatkunde Klasse 3 1986, S. 84–96. Heimatkunde Klasse 4 1986.
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nierorganisation dargestellt.1097 Das nächste Kapitel hat die DDR zum Gegenstand. Hier werden die friedlichen Beziehungen zu den sozialistischen Nachbarn betont. Außerdem stellen die Schulbuchautoren heraus, dass in Berlin „seit dem Sieg der ruhmreichen Sowjetarmee über die Faschisten ein großes Aufbauwerk“ vollbracht werde.1098 Berlin wird auch als Regierungszentrum der DDR beschrieben, wobei neben den staatlichen Organen Ministerrat, Volkskammer und Staatsrat auch das Zentralkomitee der SED zu Sprache kommt.1099 Die DDR werde von Arbeitern und Bauern unter Führung der SED regiert; sie sei ein Staat, in dem man in Sicherheit und Geborgenheit lebe.1100 Die letzte Aussage wird in Kontrast zur Bundesrepublik Deutschland gesetzt, wo es 1984 zwei Millionen Arbeitslose gebe.1101 Ausführlich wenden sich die Schulbuchautoren im anschließenden Kapitel dem „Kampf für ein sozialistisches Vaterland“ zu. Hier stehen zunächst Karl Marx und Friedrich Engels im Mittelpunkt. Es wird das Leid der Arbeiter zur Zeit von Marx und Engels dargestellt und der Einsatz der beiden Männer für ein besseres Leben der Werktätigen betont. Die Entstehung des Bundes der Kommunisten wird behandelt, wie auch die des kommunistischen Manifests. Der Text schließt mit dem Hinweis, das Werk von Marx und Engels lebe in der DDR fort.1102 Anschließend widmen sich die Autoren Lenin und der Oktoberrevolution. Auch hier geht es zunächst um das Leid der Arbeiter im zaristischen Russland. Lenin wird sodann als Anhänger der marxschen Lehren und als Führer der Revolution beschrieben.1103 Unter der Überschrift „Vom heldenhaften Kampf der deutschen Arbeiter unter Führung der Kommunisten gegen Unterdrückung, Krieg und Faschismus“ wird die Rolle Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs herausgehoben, ebenso die der KPD, Thälmanns und weiterer Kommunisten.1104 Anschließend geht es um die Gründung der DDR, wiederum mit dem Hinweis auf die Hilfe der Sowjetunion, der Roten Armee und die führende Rolle der SED.1105 Im westlichen Teil Deutschlands hingegen entstehe währenddessen entgegen den Zielen aller fortschrittlichen Menschen mit Unterstützung der westlichen Besatzungsmächte ein imperialistischer Staat.1106 Im Zuge der Beschreibung der DDR-Gründungsjahre gehen die Schulbuchautoren auf Wilhelm Pieck, 1097 1098 1099 1100 1101 1102 1103 1104 1105 1106
220
Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 24 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 27–33. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 33–36. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 37–42. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 43. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 45–55. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 56–66. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 67–78. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 78 f. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 80.
Otto Grotewohl und Walter Ulbricht ein – permanent versehen mit positiven Bewertungen. Im Kontrast dazu sprechen sie abschließend „Hetze, Verbrechen und Raub durch die Feinde unseres Vaterlandes“ an, Adressat ist insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Zahlreiche Unterstellungen von Angriffen auf die DDR gipfeln in der Aussage, der Mauerbau sei nötig gewesen, um den Frieden in Europa zu sichern.1107 Im vorletzten Kapitel wird die DDR als starker und weltweit geachteter „Staat des Friedens und des Sozialismus“ propagiert. Es ist die Rede von guten Ergebnissen in Industrie und Landwirtschaft, von vorbildlichen Leistungen zum Wohle des Volkes, exemplarisch am Wohnungsbauprogramm der SED verdeutlicht, vom Kampf der DDR für „Frieden, Fortschritt und Sozialismus in der Welt“ und von den Anstrengungen der Staaten des Warschauer Vertrages zum gemeinsamen Schutz von Frieden und Sozialismus. Die DDR wird als weltweit anerkannter und geachteter Staat mit Strahlkraft und Vorbildfunktion und von hervorragenden Lebensbedingungen gekennzeichnet beschrieben.1108 Das Buch schließt mit einem nichtinstrumentalisierten Kapitel über Naturkenntnisse ab.1109 Einordnung Schon In der Fibel zeigt sich komprimiert, was auch anhand der umfänglich instrumentalisierten Lese- und Muttersprachschulbücher deutlich wird: Der Deutschunterricht trägt einen wesentlichen Teil zur Instrumentalisierung des Schulunterrichts bei. Die beiden Heimatkundeschulbücher stehen hierfür erneut exemplarisch.1110 Mehr als ein Drittel aller Seiten des Schulbuches der Klasse drei und mehr als die Hälfte des Schulbuches der Klasse vier weisen auf Herrschaftssicherung angelegte Inhalte auf. Die jeweiligen Kapitel sind vollständig im Sinne des Weltbildes der SED instrumentalisiert, weil hier leicht zu manipulierendes historisches Wissen behandelt wird. Dem Deutschunterricht muss angesichts der vorstehenden Befunde starkes herrschaftssicherndes Potenzial zugeschrieben werden. Hinzu kommt, dass Deutsch das Fach mit dem größten Anteil am Gesamtstundenaufkommen der POS ist. Von 293 Wochenstunden entfallen 80 auf den Deutschunterricht und damit 27 Prozent. 1107 1108 1109 1110
Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 81–95. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 96–108. Heimatkunde Klasse 4 1986, S. 113–155. Hier sei auch auf Elke Urbans Unterrichtsprotokoll einer (nachgestellten) Heimatkundestunde verwiesen, das anschaulich den instrumentellen Charakter des Heimatkundeunterrichts offenlegt (Urban 2008).
221
5.2
Musik
Bilder von Pionieren finden sich insbesondere in den Musikschulbüchern der Klassen zwei bis vier mehrfach.1111 Lieder, in denen es um die Pionierorganisation geht, sind mit ebensolcher Häufigkeit vorhanden: „Unser blaues Halstuch“1112, „Mein blaues Halstuch“1113, „Pioniermarsch“1114, „Weckruf der Pioniere“,1115 „Pioniere voran“ 1116. Solche Lieder enthalten zum Teil Aussagen wie die folgenden: „Auf zum Sozialismus“, 1117 „Auf dem Wege weiter, den uns die Partei gewiesen! Vorwärts, junger Streiter, vorwärts, Pionier!“1118, „Seid bereit, ihr Pioniere, wie Ernst Thälmann, treu und kühn!“1119 Derart eindeutige Bekenntnisse zum Sozialismus unterstreichen den Charakter der Pionierorganisation als Instrument zur Herrschaftssicherung für die SED. Indem die NVA zum Gegenstand eines Liedes mit dem Titel „Gute Freunde“ gemacht oder in einem anderen Lied die Schutzfunktion der „Friedenskämpfer – Grenzsoldaten“ herausgestellt wird, unterziehen die Schulbuchautoren die SEDArmee einer positiven Bewertung.1120 In weiteren Liedern würdigen sie Partisanen1121 oder sprechen von der Notwendigkeit des Schutzes der Heimat.1122 Gleich zu Beginn des Musikschulbuchs der Klasse drei wird festgelegt: „Wir Jungpioniere lieben unsere Deutsche Demokratische Republik“.1123 Lieder wie „Festtag ist in unsrer Republik“,1124 „Unsere Republik“1125 oder „Ich weiß ein schönes Land“1126, aber auch kommentierende Texte, in denen zum Beispiel die Friedensliebe der DDR propagiert wird oder ihr Reichtum und ihre Schönheit, verbreiten ein positives Bild von der DDR.1127 Die Sowjetunion findet ganz grundsätzlich
1111
1112 1113 1114 1115 1116 1117 1118 1119 1120 1121 1122 1123 1124 1125 1126 1127
222
Z. B. Musik Klasse 2 1971, S. 3, 16, 40; Klasse 3 1979, S. 1, 2, 7, 26, 27, 35, 59; Klasse 4 1989, S. 3, 5, 6, 9, 11, 15, 24, 26, 30, 39. Musik Klasse 2 1971, S. 41. Musik Klasse 3 1979, S. 26. Musik Klasse 3 1979, S. 58 f. Musik Klasse 4 1989, S. 7. Musik Klasse 4 1989, S. 66. Musik Klasse 4 1989, S. 25. Musik Klasse 4 1989, S. 25. Musik Klasse 3 1979, S. 58. Musik Klasse 3 1979, S. 42 f. bzw. 40. Musik Klasse 3 1979, S. 45. Musik Klasse 3 1979, S. 3; Klasse 4 1989, S. 12, 73. Musik Klasse 3 1979, S. 3. Musik Klasse 3 1979, S. 8. Musik Klasse 4 1989, S. 72. Musik Klasse 4 1989, S. 73. Musik Klasse 4 1989, S. 11 bzw. 31.
lobende Erwähnung,1128 außerdem wird die Freundschaft zur ihr betont1129 oder Lenin ein Lied gewidmet.1130 Bereits in Klasse zwei wird die Arbeiterklasse erwähnt,1131 was sich auch in den anderen Klassenstufen fortsetzt. Exemplarisch sei hier das Lied vom kleinen Trompeter, dem „Arbeiterjungen aus Halle“, genannt.1132 Ab Klasse vier halten Arbeiterkampflieder kontinuierlich Einzug in die Schulbücher. In der sechsten Klasse sind sie Gegenstand eines eigenen Kapitels. Hier geht es um die „Marseillaise“, die „Internationale“, das Lied „Brüder, zur Sonne zur Freiheit“ und um „Kampflieder der revolutionären Arbeiterjugend“.1133 Die Musikschulbücher der Klassen zwei bis sechs sind stärker instrumentalisiert als die Schulbücher der naturwissenschaftlich-technischen Fächer. Wie bei diesen ist ihre Instrumentalisierung jedoch punktuell. Sie leisten vornehmlich einen Beitrag zur positiven Bewertung der sozialistischen Welt und zur Gewöhnung an die Pionierorganisation. Auch wehrerzieherisch-propagandistische Inhalte treten auf. In den Musikbüchern der Klassen sieben bis zehn lauten die Überschriften der einzelnen Kapitel wie folgt: Klasse sieben: „Proletarischer Internationalismus im Arbeiterlied“, „Sozialistisches Heldentum und Heimatliebe in sowjetischen Musikwerken“; Klasse acht: „Die Widerspiegelung der Entwicklung unserer Republik im sozialistischen Jugendlied“, „Lieder als Waffe im internationalen Kampf der Arbeiterklasse“, „Der Kampf der revolutionären Arbeiterklasse im Musikschaffen der Deutschen Demokratischen Republik“, „Lieder der Singebewegung der FDJ als Ausdruck sozialistischen Lebensgefühls“; Klasse neun: „Siegeszuversicht und Parteilichkeit, Kampf gegen Faschismus und Krieg im kompositorischen Schaffen“, „Die Weiterführung der Arbeiterliedtradition im Liedschaffen der Komponisten der Deutschen Demokratischen Republik“, „Gesellschaftskritik und Aggressivität in den Songs von Hanns Eisler und Kurt Weill“, „Klassenauseinandersetzung im Chanson“; Klasse zehn: „Werke sozialistischer Komponisten als Ausdruck eines sozialistischen Lebensgefühls“, „Hanns Eisler und seine Bedeutung für das sozialistisch-realistische Musikschaffen“, „Die Verteidigung der sozialistischen Heimat in Liedern der Nationalen Volksarmee“.1134 Die Kapitelüberschriften weisen bereits auf die Instrumentali1128 1129 1130 1131 1132 1133 1134
Musik Klasse 3 1979, S. 60 f.; Klasse 4 1989, S. 11, 45. Musik Klasse 3 1979, S. 27. Musik Klasse 4 1989, S. 8 f. Musik Klasse 2 1971, S. 39. Musik Klasse 4 1989, S. 42 f. Musik Klasse 5/6 1990, S. 77–83. Vgl. die Inhaltsverzeichnisse der Schulbücher Musik Klasse 7/8 1985 und Klasse 9/10 1986.
223
sierung der Musikschulbücher hin. Die in den jeweiligen Kapiteln behandelten Lieder haben Titel wie diese: „Hammer und Zirkel im Ährenkranz“1135, „Brüder, seht, die rote Fahne“ 1136, „Thälmannlied“1137, „Des Friedens Soldaten“1138, „Lenin“1139, „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“1140, „Aufbaulied der FDJ“1141, „Tapfer lacht die junge Garde“1142, „Unsterbliche Opfer“1143, „Marsch der kubanischen Befreiungsarmee“1144, „Bei Leuna sind viele gefallen“1145, „Oktobersong“1146, „Sing, Soldat“1147, „Sag mir wo du stehst“1148, „Proletarier aller Länder, vereinigt euch“1149, „Bulgarisches Partisanenlied“1150, „Republik, mein Vaterland“1151, „Vorwärts, Freie Deutsche Jugend“1152, „Lied der roten Matrosen“1153, „Lied vom Bau des Sozialismus“1154, „Einheitsfrontlied“1155, „Wann kommt für uns der Tag, Genossen“1156, „Solidaritätslied“1157, „Marschlied der Nationalen Volksarmee“1158, „Unsere Volksarmee“1159, „Die Internationale“1160, „Lied von der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei“1161. Die SED kann auf eine beachtliche Anzahl an Liedern zurückgreifen, um ihr Weltbild zu untermauern, wie allein die Liedüberschriften zeigen. Der Sinn dieses Liedgutes erschließt sich unter anderem im Musikschulbuch der Klassen neun und zehn, wo zum Beispiel für das Arbeiterkampflied Folgendes ausgeführt wird: 1135 1136 1137 1138 1139 1140 1141 1142 1143 1144 1145 1146 1147 1148 1149 1150 1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157 1158 1159 1160 1161
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Musik Klasse 7/8 1985, S. 12 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 22 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 28 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 50–53. Musik Klasse 7/8 1985, S. 53–57. Musik Klasse 7/8 1985, S. 58 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 95. Musik Klasse 7/8 1985, S. 98 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 107. Musik Klasse 7/8 1985, S. 129. Musik Klasse 7/8 1985, S. 157. Musik Klasse 7/8 1985, S. 166 f. Musik Klasse 7/8 1985, S. 169. Musik Klasse 7/8 1985, S. 170. Musik Klasse 7/8 1985, S. 182. Musik Klasse 7/8 1985, S. 182. Musik Klasse 9/10 1986, S. 10. Musik Klasse 9/10 1986, S. 11. Musik Klasse 9/10 1986, S. 52. Musik Klasse 9/10 1986, S. 53. Musik Klasse 9/10 1986, S. 78. Musik Klasse 9/10 1986, S. 88 f. Musik Klasse 9/10 1986, S. 186. Musik Klasse 9/10 1986, S. 194. Musik Klasse 9/10 1986, S. 198. Musik Klasse 9/10 1986, S. 200 f. Musik Klasse 9/10 1986, S. 202.
„Das moderne Industrieproletariat lebt in so komplizierten Arbeitsverhältnissen, daß die naive Art des Volksliedes nicht mehr ausreicht, sie zu beschreiben. (...) Das Proletariat hat sich aber für seine Klassenzwecke etwas viel verwendbareres geschaffen, das Kampflied. Das Kampflied ist das eigentliche Volkslied des Proletariats.“1162
In den Musikschulbüchern der Klassen sieben bis zehn nimmt die Instrumentalisierung relativ zu den vorangehenden Klassen merklich zu. Mehr als ein Drittel des Umfangs der Musikschulbücher der Klassen sieben bis zehn weist herrschaftssichernde Inhalte auf. Diese Zahl muss zudem vor dem Hintergrund gesehen werden, dass viele Seiten nur wenig Text und hauptsächlich Noten enthalten. Die angeführten Kapitel- und Liedüberschriften machen die Vereinnahmung des Musikunterrichts in den höheren Klassen durch die SED deutlich. Dies geschieht über alle in Kapitel vier dieser Untersuchung beschriebenen Themenfelder der Instrumentalisierung hinweg. Zur Vervollständigung des Bildes sei erwähnt, dass sich in den Musikbüchern nicht ausschließlich mit herrschaftssichernden Liedern beschäftigt wird. Volkslieder oder Weihnachtslieder, die Werke Beethovens, Bachs, Mozarts, Händels, Telemanns oder Haydns werden ebenfalls behandelt. Sie bieten grundsätzlich wenig Spielraum für eine Instrumentalisierung. Dahingehende Ansätze sind dennoch erkennbar. In Bezug auf die Werke Bachs, Händels und Telemanns zitieren die Schulbuchautoren zum Beispiel Willi Stoph mit den Worten: „Das humanistische Erbe der Vergangenheit ist eine der Quellen, aus denen der Marxismus-Leninismus geschöpft hat.“1163 Die Autoren führen dann weiter aus: „Bachs, Händels und Telemanns Musik wurzelt im Volke. Darum gehört sie auch dem Volke und hat im Musikleben der Deutschen Demokratischen Republik ihren festen Platz.“1164 Hier wird versucht, den Glanz großer Komponisten auf die DDR zu projizieren. Zu Ludwig van Beethoven schreiben die Schulbuchautoren: „Die Musik Beethovens zeichnet sich durch ungemeine Aktivität aus. Sie ist vom Drang nach Umgestaltung der Welt erfüllt, ihr Held ist dazu berufen, die Ideen des sozialistischen Fortschritts im Leben zu verkörpern.“1165 Auch hier spiegelt sich der Versuch der Vereinnahmung wider. Musik wird über alle zehn Klassen hinweg unterrichtet. Der Unterricht umfasst insgesamt dreizehn Wochenstunden und damit vier Prozent des Gesamtstundenaufkommens an den POS. Musik wird in ähnlichem Umfang unterrichtet wie Biologie, Chemie und Physik. Die zugrundeliegenden Schulbücher sind 1162 1163 1164 1165
Musik Klasse 9/10 1986, S. 117. Musik Klasse 9/10 1986, S. 19. Musik Klasse 9/10 1986, S. 19. Musik Klasse 9/10 1986, S. 116.
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allerdings insgesamt stärker instrumentalisiert. Ähnlich wie in den Lesebüchern werden herrschaftssichernde Inhalte im Fach Musik durch Texte Dritter transportiert. Einen Beitrag zur Herrschaftssicherung sollen die Schulbücher über die Lieder, die in ihnen abgedruckt sind, leisten. Dies wird ergänzt durch Bilder und kommentierende bzw. erläuternde Beitexte. 5.3
Geographie
In Klasse geht es zunächst um die Erde. Am Ende des entsprechenden Kapitels betonen die Schulbuchautoren, dass jeder dritte Mensch in einem sozialistischen Land lebe und seit der Verwirklichung des Sozialismus in Russland in diesen Ländern die Leistungen der Wirtschaft allen Menschen zugute kämen.1166 Der Hauptteil des Buches befasst sich mit der DDR. Schon in der Einführung des DDR-Kapitels ist die Rede von der Schönheit des Landes sowie der Städte und Dörfer und dem Fleiß der Werktätigen, durch den viel erreicht worden sei.1167 Industrie und Landwirtschaft werden immer wieder als modern und leistungsfähig beschrieben. Seit 1945 entwickle sich nach der Darstellung des Schulbuchs alles erfolgreich und immer weiter aufwärts. Paradigmatisch dafür ist dieser Satz aus einem Abschnitt zum Bezirk Potsdam: „Wie überall im Lande werden auch in Premnitz die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen und ihrer Familien zielstrebig verbessert.“1168 Vor allem die Behandlung der Bezirke wird genutzt, diese und damit die DDR in einem ausnahmslos positiven Licht erscheinen zu lassen. In der Behandlung der DDR eröffnet sich für die SED die Möglichkeit der positiven Bewertung des eigenen Staates, die auch intensiv genutzt wird. Fast alle Themenbereiche der Instrumentalisierung, wie sie in Kapitel vier behandelt werden, kommen im Geographieschulbuch der fünften Klasse zum Tragen. Die positive Bewertung der DDR ragt hier jedoch heraus. Die Schüler bekommen das problemfreie Bild eines perfekt funktionierenden Staates am Beispiel seiner regionalen Untergliederungen vermittelt.1169 Im Schulbuch der Klasse sechs wird der Kontinent Europa zunächst ganz unpolitisch, etwa hinsichtlich seiner physischen Geographie, seiner Gebirge oder der erdgeschichtlichen Entwicklung beschrieben, was wenig Spielraum für eine Instrumentalisierung bietet. Ausgenommen ist ein Abschnitt zu den Unterschie1166 1167 1168 1169
226
Geographie Klasse 5 1990, S. 22 f. Geographie Klasse 5 1990, S. 27. Geographie Klasse 5 1990, S. 111. Geographie Klasse 5 1990, S. 71–186.
den zwischen kapitalistischen und sozialistischen Ländern. In den sozialistischen Ländern werde „unter Führung der Partei der Arbeiterklasse“ an der „weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen“ gearbeitet; in ihnen übten die Arbeiter und Bauern die Macht aus.1170 In den kapitalistischen Staaten hingegen herrschten „die Besitzer großer Betriebe und Banken“, deren Streben darauf gerichtet sei, „sich den durch die Arbeit der Werktätigen geschaffenen Reichtum anzueignen“.1171 Das Buch befasst sich dann ausführlich mit den einzelnen Staaten Europas – klar gegliedert in sozialistische und kapitalistische Länder. Den kapitalistischen Staaten werden zwar der hohe Lebensstandard und die leistungsfähige Landwirtschaft und Industrie attestiert, doch werden vor allem die sozialen Unterschiede sowie Krisen, Umweltprobleme, hohe Rüstungsausgaben oder der Reichtum Einzelner zu Lasten aller kritisiert.1172 Exemplarisch hierfür ist die Beschreibung der Bundesrepublik Deutschland, die sich besonders intensiv der Kritik ausgesetzt sieht.1173 Der dichotome Charakter der Schulbücher wird im Geographieschulbuch der Klasse sechs besonders offensichtlich. Obwohl auch hier alle Themenfelder der Instrumentalisierung zum Tragen kommen, dominieren zu etwa gleichen Teilen die negative Bewertung der westlichen Staaten und die positive Bewertung des Sozialismus. Wie bei der Darstellung der Bezirke der DDR in Klasse fünf wird die Behandlung sozialistischer Länder in Klasse sechs genutzt, ein umfassendes Positivbild des Sozialismus zu zeichnen – diesmal auf internationaler Ebene.1174 In Klasse sieben wird Asien behandelt. Die Hälfte des Buches konzentriert sich auf die Sowjetunion; dabei dominiert die positive Bewertung des Landes. Didaktisch wird wie bei der positiven Bewertung der Bezirke der DDR oder der anderen sozialistischen Länder vorgegangen.1175 Großen Anteil an der Ideologisierung des Geographieschulbuchs Klasse sieben hat auch die positive Bewertung der anderen sozialistischen Staaten Asiens: Chinas, der Mongolei und Nordkoreas.1176 Im Mittelpunkt des Geographieschulbuchs der achten Klasse stehen die Kontinente Afrika, Amerika und Australien. Es ist die Rede vom „räuberischen Charakter des USA-Imperialismus“1177, von mächtigen „USA-Monopolen“1178, von 1170 1171 1172 1173 1174 1175 1176 1177 1178
Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse
6 1989, S. 11. 6 1989, S. 11. 6 1989, S. 101–201. 6 1989, S. 102–122. 6 1989, S. 37–100. 7 1990, S. 17–98. 7 1990, S. 116–156. 8 1989, S. 127. 8 1989, S. 135.
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der „Einmischung in die Politik anderer Länder zur Verhinderung progressiver Entwicklungen“1179 oder von einer „aggressiven und menschenfeindlichen Politik der USA“1180. Die USA werden ausführlicher Kritik unterzogen, indem sie eine Beschreibung als expansionistischer und hochgerüsteter Staat voller Gegensätze erfahren.1181 Armut und Rückständigkeit in Lateinamerika werden als Folge kapitalistischer Ausbeutung und des Eindringens von „USA- und europäischen Monopolen“1182 oder als Folge „neokolonialistischer Methoden“1183 beschrieben.1184 Dieser Logik gemäß wird schließlich der Kampf der lateinamerikanischen Völker „für sozialen Fortschritt, für ökonomische und politische Unabhängigkeit“1185 thematisiert, wobei die helfende Rolle der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten herausgestellt wird.1186 Als Beispiele werden Nicaragua und Kuba angeführt. Die Darstellung Kubas – des „ersten sozialistischen Staates Amerikas“, der den Machtbereich der USA einschränke1187 – weist intensive positive Bewertungen auf.1188 Wie die der Staaten Nord- und Südamerikas ist auch die Beschreibung der afrikanischen Staaten im Geographieschulbuch der Klasse acht über die gesamte Bandbreite möglicher Spielarten hinweg instrumentalisiert. Unter Betonung der Rolle von als revolutionär oder marxistisch-leninistisch beschriebenen Organisationen wie der Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA), der Befreiungsfront von Mosambik (FRELIMO) oder der algerischen nationalen Befreiungsfront (FLN) beschreiben die Schulbuchautoren den Weg ausgewählter afrikanischer Staaten (außer den genannten noch Äthiopien, Ägypten, Nigeria) zur „Überwindung des kolonialen Erbes“ hin zu einer sozialistischen Entwicklung.1189 Erst in jüngster Vergangenheit würden sich die afrikanischen Staaten von „kolonialer Knechtschaft“ befreien. Unter Einsatz veränderter Mittel und Methoden versuche der Imperialismus auch heute noch, „seinen Einfluß auf die selbstständigen Staaten Afrikas aufrechtzuerhalten“. Eine vollständige Befreiung aus der „Abhängigkeit von imperialistischen Staaten“ sei nur unter konsequenter Fortführung des „antiimperialistischen Kampfes“ möglich, bei dem diese Staaten in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern 1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185 1186 1187 1188 1189
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Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse Geographie Klasse
8 1989, S. 135. 8 1989, S. 135. 8 1989, S. 113–135. 8 1989, S. 140. 8 1989, S. 144. 8 1989, S. 136–150. 8 1989, S. 150. 8 1989, S. 152. 8 1989, S. 155. 8 1989, S. 152–162. 8 1989, S. 57.
„treue Verbündete“ hätten.1190 Das Geographieschulbuch der achten Klasse endet mit einer Zusammenfassung und der Feststellung von zunehmender Stärke und wachsendem Einfluss des sozialistischen Weltsystems.1191 Gegenstand des Geographieschulbuchs der neunten Klasse sind die Atmo-, Hydro- und Lithosphäre, die erdgeschichtliche Entwicklung Mitteleuropas und die landschaftliche Entwicklung.1192 Das Instrumentalisierungspotenzial dieser Themen ist gering und beschränkt sich zum Beispiel im Kapitel über die Hydrosphäre auf die Hinweise, die sozialistischen Produktionsverhältnisse böten beste Voraussetzungen zum notwendigen rationalen Umgang mit der Ressource Wasser oder der Charakter der kapitalistischen Produktionsweise sei umweltzerstörerisch.1193 Zwar finden sich auch im Geographieschulbuch der Klasse neun vereinzelt herrschaftssichernde Inhalte über die gesamte Bandbreite möglicher Spielarten, doch ist die Instrumentalisierung hier im Vergleich zu den übrigen Geographieschulbüchern auffallend niedrig, was in der geringen Instrumentalisierbarkeit des behandelten Stoffes gründet. Im Geographieschulbuch der Klasse zehn geht es um die „ökonomische Geographie“ der sozialistischen Staaten und der DDR.1194 Zu den sozialistischen Staaten fassen die Schulbuchautoren ihre Ausführungen zunächst wie folgt zusammen: Ziel der Produktion im Sozialismus sei „die ständige Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung“. Dieses Ziel sei durch die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ erreichbar. Die damit verbundenen schwierigen Aufgaben würden gelöst, indem die RGW-Länder „im steigenden Maße die Vorzüge der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung“ nutzten und somit „zum gegenseitigen Vorteil die ökonomische Effektivität“ erhöhten. Die Entwicklung verlaufe planmäßig und sei darauf gerichtet, alle Möglichkeiten „für das Produzieren, Wohnen und Erholen“ zu verbessern.1195 Die anschließende Darstellung der „ökonomischen Geographie der DDR“ folgt dem gleichen Muster. Die DDR wird als „modernes sozialistisches Industrieland“ mit „einer hochentwickelten Landwirtschaft“ beschrieben, in dem die Industrie „ein hohes Entwicklungsniveau“ erreicht habe.1196 Diese einführende Behauptung versuchen die Schulbuchautoren auf den nachfolgenden Seiten zu belegen.1197 1190 1191 1192 1193 1194 1195 1196 1197
Geographie Klasse 8 1989, S. 5. Geographie Klasse 8 1989, S. 175–178. Vgl. Inhaltsverzeichnis Geographie Klasse 9 1986. Geographie Klasse 9 1986, S. 40 bzw. 8. Vgl. Inhaltsverzeichnis Geographie Klasse 10 1988. Geographie Klasse 10 1988, S. 91 f. Geographie Klasse 10 1988, S. 95 f. Z. B. Geographie Klasse 10 1988, S. 97, 102, 110, 114, 126, 143, 156.
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Zwar weniger häufig als die positive Bewertung des Sozialismus, aber dennoch umfangreich wird im Geographieschulbuch der Klasse zehn die Abwertung des Kapitalismus betrieben. Ihm werden Entwicklungsunterschiede, beispielsweise in der Wirtschaftskraft verschiedener Territorien, vorgehalten, Ausbeutung der Entwicklungsländer und Krisen.1198 Zusammenfassend wird festgestellt, der Kapitalismus sei „gesetzmäßig“ von einer „ungleichmäßigen ökonomischen Entwicklung“ gekennzeichnet, Gebiete mit hohem Entwicklungsstand würden neben „Notstandgebieten“ existieren.1199 Die Beschreibung der DDR ist begleitet von der permanenten Behauptung aus der kapitalistischen Wirtschaftsordnung vor 1945 geerbter und zu überwindender Nachteile.1200 Verglichen mit den übrigen Schulbüchern werden im Geographieschulbuch der Klasse zehn kommunistische Parteien besonders oft thematisiert. Da das Schulbuch ökonomische Fragen behandelt und die Partei wesentlicher ökonomischer Akteur ist, erscheint das nachvollziehbar.1201 Zusammen mit dem Geographieschulbuch der Klasse acht gehört das der Klasse neun zu den am stärksten instrumentalisierten Schulbüchern des Geographieunterrichts – mehr als die Hälfte der beiden Büchern weist herrschaftssichernde Inhalte auf. Hier dominiert die positive Bewertung der sozialistischen Welt, da ausschließlich diese behandelt wird. Die Instrumentalisierung des Geographieunterrichts ist von den bisher beschriebenen Schulfächern am ausgeprägtesten; mit Ausnahme des Schulbuches der neunten Klasse (dort nur punktuelle Instrumentalisierung) liegt sie in allen Büchern bei mehr als einem Fünftel des Umfangs; in Klasse fünf bei mehr als einem Drittel und Klasse acht und zehn bei mehr als der Hälfte. Der Geographieunterricht nimmt mit elf Wochenstunden einen Anteil von vier Prozent an der Stundentafel ein.
1198 1199 1200 1201
230
Z. B. Geographie Klasse 10 1988, S. 16, 17 ff., 45 f., 70 f. Geographie Klasse 10 1988, S. 92. Z. B. Geographie Klasse 10 1988, S. 111, 112, 126, 140, 143, 149. Z. B. Geographie Klasse 10 1988, S. 5, 17, 47, 98.
6
Schulbuchanalyse Teil III: Instrumentalisierung der Geschichts- und Staatsbürgerkundeschulbücher
6.1
Geschichte
Klasse fünf Der im Geschichtsschulbuch der Klasse fünf behandelte Stoff erstreckt sich von der Entstehung des Menschen bis hin zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums im Römischen Reich. Für den Alten Orient wird erstmals das Aufkommen eines Mehrprodukts konstatiert,1202 wodurch es zur Arbeitsteilung und der Herausbildung von Religion und Priestern komme.1203 Jene begännen sodann, die Bauern und Handwerker auszubeuten und zu unterdrücken.1204 Mit der Herausbildung erster Staaten um 3000 v. Chr. verstärke sich die Ausbeutung und Unterdrückung. Diese Staaten führten unter anderem Krieg, um noch mehr Menschen ausbeuten zu können.1205 Im antiken Athen wird die Rolle der Sklaven betont.1206 Auch hier kommen die im Zusammenhang mit dem Kapitalismus häufig benutzten Termini Ausbeutung und Unterdrückung zur Anwendung. Gleiches gilt für die Darstellung Roms,1207 wo in einem eigenen Abschnitt auf das Leben der Sklaven eingegangen und thematisiert wird, „wie sich die Sklaven wehrten“.1208 Ein gesonderter Abschnitt ist dem Aufstand des Spartakus gewidmet.1209 Die Instrumentalisierung des Geschichtsschulbuchs der Klasse fünf bleibt gering. Erkennbar ist jedoch das Bemühen, historische Prozesse als Geschichte von Ausbeutung und Unterdrückung sowie Auflehnung dagegen darzustellen, also als Geschichte von Klassen und Klassenkämpfen. Die Ausbeutung der Sklaven 1202 1203 1204 1205 1206 1207 1208 1209
Geschichte Klasse 5 1989, S. 44. Geschichte Klasse 5 1989, S. 46. Geschichte Klasse 5 1989, S. 53. Geschichte Klasse 5 1989, S. 58. Geschichte Klasse 5 1989, S. 95. Geschichte Klasse 5 1989, S. 114. Geschichte Klasse 5 1989, S. 115–119. Geschichte Klasse 5 1989, S. 120–123.
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
wird zwar als Voraussetzung für Spezialisierung und Arbeitsteilung beschrieben; in dem wiederholten Aufbegehren der Sklaven gegen ihre Unterdrücker deute sich aber bereits der „Verfall der Sklavereigesellschaft“ an.1210 Diese Darstellung entspricht dem historisch-materialistischen Geschichtsbild der SED. Klasse sechs Im Geschichtsschulbuch der Klasse sechs wird der Zeitraum von der Jahrtausendwende bis zum fünfzehnten Jahrhundert behandelt. Mit der Entstehung des Mehrproduktes entwickle sich auch bei den Germanen ein Stammesadel,1211 dessen Reichtum kontinuierlich wachse.1212 Im Frankenreich bilde sich im achten und neunten Jahrhundert die Klasse der Feudalherren als „neue herrschende Klasse der Ausbeuter im Feudalismus“ heraus.1213 Die Feudalherrschaft werde durch Karl den Großen weiter ausgebaut und mit der Kaiserkrönung Ottos des Ersten endgültig gefestigt.1214 Auch die Beschreibung des Feudalismus ist begleitet von Abschnitten, in denen die Schulbuchautoren den „Widerstand der Bauern gegen die Ausbeutung“ oder „Neue Klassenkämpfe“ im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zum Thema machen.1215 Ab dem vierzehnten Jahrhundert stellen die Autoren eine Verschärfung des „Klassenkampfes zwischen Bauern und Feudalherren“ fest.1216 Die Hussitenbewegung beschreiben sie als „ersten umfassenden Angriff auf die Papstkirche“, der als solcher die „gesamte Feudalordnung“ erschüttert habe.1217 Beginnend mit dem fünfzehnten Jahrhundert ist von „Vorboten einer neuen Zeit“ die Rede, erste Anfänge der neuen Gesellschaftsordnung Kapitalismus würden sichtbar.1218 „Reiche Kaufleute“ investierten in die Produktion, machten Handwerker von sich abhängig und beschäftigten Lohnarbeiter in Manufakturen.1219 Der wirtschaftliche Aufschwung sehe sich zwar durch die staatliche Zersplitterung und den Feudalismus behindert,1220 brin-
1210 1211 1212 1213 1214 1215 1216 1217 1218 1219 1220
232
Geschichte Klasse 5 1989, S. 134–139. Geschichte Klasse 6 1989, S. 14. Geschichte Klasse 6 1989, S. 28. Geschichte Klasse 6 1989, S. 42. Geschichte Klasse 6 1989, S. 58, 84. Geschichte Klasse 6 1989, S. 61 bzw. 177 ff. Geschichte Klasse 6 1989, S. 179. Geschichte Klasse 6 1989, S. 194. Geschichte Klasse 6 1989, S. 195. Geschichte Klasse 6 1989, S. 207. Geschichte Klasse 6 1989, S. 214.
ge allerdings bedeutende Fortschritte, die Voraussetzungen für den Übergang zum Kapitalismus seien.1221 Auch die Instrumentalisierung des Geschichtsschulbuches der Klasse sechs ist noch gering. Das bereits in Klasse fünf feststellbare Bemühen, Geschichte dem historisch-materialistischen Geschichtsbild der SED gemäß als Geschichte von Klassenkämpfen zu präsentieren, wird in Klasse sechs fortgesetzt. Die feudale Gesellschaft wird als Fortschritt „im Vergleich zur Sklaverei“ gedeutet. Sie ermögliche, langsam zwar und „bei allerlei Rückschlägen“, dass sich die menschliche Gesellschaft auf der Grundlage von Produktivitätssteigerungen immer höher entwickle, behindere aber schließlich den Fortschritt.1222 Klasse sieben Der in Klasse sieben behandelte Zeitraum beginnt mit der Reformation am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts und endet mit der Entstehung des Marxismus im neunzehnten Jahrhundert. Die Reformation bezeichnen die Schulbuchautoren als „frühbürgerliche Revolution“,1223 die jedoch zugunsten des Adels scheitere. Die „niederländische frühbürgerliche Revolution“ hingegen sei die erste „siegreiche Revolution der Weltgeschichte“.1224 Während die Autoren Deutschland nachhaltig von Dreißigjährigen Krieg geschädigt sehen, entstünden im England des sechzehnten Jahrhunderts „die Bedingungen für die Herausbildung kapitalistischer Monopole“. Zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts spielten hier die Manufakturen in der Produktion die bestimmende Rolle und die Interessengegensätze „zwischen dem Feudalstaat und dem erstarkenden Bürgertum“ führten Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zu einer Revolution. Das Bürgertum erkämpfe sich dabei die Macht, was zu freien Entfaltung des Kapitalismus führe.1225 Auch in Deutschland komme es Mitte des siebzehnten Jahrhunderts nach Überwindung der Folgen des Dreißigjährigen Krieges vermehrt zur Entstehung von Manufakturen.1226 Aus der Erfindung von immer mehr Maschinen Ende des siebzehnten Jahrhunderts resultiere in England eine zunehmende Zahl von Fabriken und die Ent-
1221 1222 1223 1224 1225 1226
Geschichte Klasse 6 1989, S. 247. Geschichte Klasse 6 1989, S. 6. Geschichte Klasse 7 1990, S. 7. Geschichte Klasse 7 1990, S. 70. Geschichte Klasse 7 1990, S. 95. Geschichte Klasse 7 1990, S. 131.
233
stehung der „Industriebourgeoisie“ und des „Industrieproletariats“.1227 Die französische Revolution leite dann Ende des achtzehnten Jahrhunderts eine „neue welthistorische Epoche“ ein, „die Epoche bürgerlicher Umwälzungen, des Sieges und der Festigung des Kapitalismus in den fortgeschrittenen Ländern der Welt“.1228 Beeinflusst durch die Französische Revolution und die französische Julirevolution sowie durch „fortschrittliche Dichter“ gewinne die bürgerliche Bewegung auch in Deutschland an Kraft und angesichts schneller Fortschritte in der Landwirtschaft und der Durchsetzung der industriellen Revolution auch in Deutschland Anfang des neunzehnten Jahrhunderts komme es dort zur Ausdehnung industrieller Anlagen und zur Entstehung der Arbeiterklasse.1229 Deren erste Kämpfe gegen die Bourgeoisie beschreiben die Schulbuchautoren als „spontane Abwehrkämpfe“ gegen „die zunehmende ständige Verschlechterung“ der Lebensbedingungen.1230 Ein fünfseitiger Abschnitt befasst sich in diesem Kontext mit dem schlesischen Weberaufstand, der zeige, „daß der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat eine neue, höhere Stufe“ erreiche.1231 Im Anschluss werden die utopischen Sozialisten Charles Fourier und Robert Owen behandelt. Als „frühe Wegbereiter für den Kampf um eine ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung“ wünschten jene sich von den „Ausbeuterklassen“ selbst die Beseitigung der „Ausbeutung“, was jedoch ein unerfüllbarer „Wunschtraum“ bleiben müsse.1232 Für die dreißiger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts beschreiben die Schulbuchautoren die Entstehung erster Organisationen mit kommunistischen Auffassungen innerhalb der Arbeiterklasse. Beispielhaft nennen sie die Chartistenbewegung, die deutschen Handwerksgesellschaften und vor allem den Bund der Gerechten.1233 Karl Marx und Friedrich Engels werden als Angehörige der bürgerlichen Klasse benannt, die sich „mit der Not und Unterdrückung der Volksmassen“ nicht abfänden. Beide Männer entdeckten in der Arbeiterklasse die gesellschaftliche Kraft, die berufen sei, „im Ergebnis ihres Kampfes eine Gesellschaftsordnung ohne Ausbeutung des Menschen durch dem Menschen aufzubauen“.1234 Unter dem Einfluss von Marx und Engels entwickle sich sodann der Bund der Gerechten weiter zum Bund der Kommunisten und damit „zur ersten revolu1227 1228 1229 1230 1231 1232 1233 1234
234
Geschichte Klasse 7 1990, S. 158. Geschichte Klasse 7 1990, S. 210. Geschichte Klasse 7 1990, S. 244 bzw. 252. Geschichte Klasse 7 1990, S. 256. Geschichte Klasse 7 1990, S. 261. Geschichte Klasse 7 1990, S. 263. Geschichte Klasse 7 1990, S. 264 f. Geschichte Klasse 7 1990, S. 270.
tionären Partei des Proletariats“. Für diesen Bund fassten Marx und Engels ihre Erkenntnisse „über die Widersprüche des Kapitalismus und die geschichtliche Entwicklung zum Sozialismus“ im „Manifest der Kommunistischen Partei“ zusammen, bei dem es sich um ein „wissenschaftliches Programm“ handle.1235 Der im Geschichtsschulbuch der Klasse sieben behandelte Stoff nähert sich der Epoche des Sozialismus in Teilen der Welt. Die Instrumentalisierung nimmt hier merklich zu. Nachdem Geschichte bis zu diesem Zeitpunkt stets als Geschichte von Klassenkämpfen beschrieben wird, erreicht diese Darstellung einen ersten für das Weltbild der SED bedeutsamen Höhepunkt mit der Entstehung des Kapitalismus. Der Weg bis dahin sei von Rückschlägen wie dem Dreißigjährigen Krieg markiert, doch schließlich werde die „Macht des Feudalismus“ endgültig durch die Französische Revolution gebrochen; und während Kapitalismus und Feudalismus bzw. Bourgeoisie und Feudaladel noch in Auseinandersetzungen verstrickt seien, entstehe erneut eine „neue gewaltige Kraft“, die Arbeiterklasse.1236 Klasse acht Der im Schulbuch der Klasse acht behandelte Zeitraum liegt zwischen zwei deutschen Revolutionen – der Märzrevolution 1848/49 und der Novemberrevolution 1918/19. Die Märzrevolution wird als Ergebnis immer „schroffer“ werdender Widersprüche zwischen Bourgeoisie und Adel gedeutet.1237 Angestoßen durch die Februarrevolution in Frankreich 1848 komme es zu einer „Welle von Revolutionen in Europa“,1238 die schließlich auch in Deutschland zum Sieg der „Volksmassen“ führe.1239 Die Vorstellungen der „Volksmassen“ und der Bourgeoisie über den weiteren Weg der Revolution gingen dann auseinander, wobei die siebzehn Forderungen des Bundes der Kommunisten den Aufgaben entsprächen, „die in dieser Phase der Revolution gelöst werden“ müssten.1240 Die Revolution scheitere schließlich aufgrund des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat.1241
1235 1236 1237 1238 1239 1240 1241
Geschichte Klasse 7 1990, S. 274. Geschichte Klasse 7 1990, S. 5 f. Geschichte Klasse 8 1988, S. 12. Geschichte Klasse 8 1988, S. 21. Geschichte Klasse 8 1988, S. 28. Geschichte Klasse 8 1988, S. 34. Geschichte Klasse 8 1988, S. 48.
235
In den fünfziger und sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts komme die industrielle Revolution in den „fortgeschrittensten Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, USA)“ zum Abschluss. Großstädte und Industriezentren, in denen sich das Proletariat konzentriere, entstünden ebenso wie ein kapitalistisches Weltwirtschaftssystem, in das ökonomisch weniger entwickelte Länder gewaltsam einbezogen würden.1242 Als Ergebnis des Dranges der Arbeiter nach Einheit und Solidarität entstehe zu dieser Zeit die I. Internationale. Mit Marx als Führer trage die Organisation zur Verbindung von „wissenschaftlichem Sozialismus und proletarischer Massenbewegung“ bei und schaffe eine neue Ausgangsbasis für „das Ringen um die Formierung der Arbeiterklasse“ sowie „die Verwirklichung ihrer historischen Mission“.1243 Die Eisenacher Partei als „Vorhut der deutschen Arbeiterklasse“, widersetze sich, geführt von August Bebel und Wilhelm Liebknecht, dem ab 1870/71 einsetzenden „Kriegstaumel“ der „herrschenden Klassen“ in Deutschland und sei damit Beispiel für eine „konsequente proletarische Klassenpolitik auch in schwierigsten Situationen“.1244 Als ersten Versuch der Arbeiterklasse, ihre politische Macht zu errichten, wird die Pariser Kommune beschrieben. Jene vermittle wichtige Erkenntnisse darüber, wie sich die Arbeiterklasse auf den Kampf um die Eroberung der politischen Macht vorzubereiten habe.1245 Die Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands 1875 verhelfe der Arbeiterbewegung dann zu einem „raschen Aufschwung“.1246 Der Widerstand gegen Bismarcks Sozialistengesetz wird als „opferreicher, zwölfjähriger Kampf“ glorifiziert, durch den sich die sozialistische Arbeiterpartei zur marxistischen Massenpartei entwickle, was günstige Bedingungen für „eine demokratische und friedliche Entwicklung der deutschen Nation“ schaffe.1247 Mit der Gründung der II. Internationale 1889 formiere sich die internationale Arbeiterbewegung neu und entwickle sich zu einem „gesellschaftlichen Machtfaktor“.1248 Für die Jahrhundertwende wird die Ablösung des Kapitalismus durch den Imperialismus konstatiert und die zunehmende Unterwerfung des deutschen Staatsapparates unter die Wirtschaft.1249 Auch in Russland bilde sich zu dieser Zeit der Imperialismus heraus. Dort seien „Ausbeutung und Unterdrückung der 1242 1243 1244 1245 1246 1247 1248 1249
236
Geschichte Klasse 8 1988, S. 59, 63. Geschichte Klasse 8 1988, S. 74. Geschichte Klasse 8 1988, S. 94. Geschichte Klasse 8 1988, S. 112. Geschichte Klasse 8 1988, S. 130. Geschichte Klasse 8 1988, S. 143. Geschichte Klasse 8 1988, S. 148. Geschichte Klasse 8 1988, S. 154.
Volksmassen“ besonders hart. Lenin werde in dieser Zeit zum „bedeutendsten Arbeiterführer Rußlands“ und trage mit der Zeitung „Iskra“ zur Organisation der Arbeiterbewegung bei. Unter seiner Führung entstehe in der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands „eine revolutionäre marxistische Partei, die Partei der Bolschewiki“.1250 Die „bürgerlich-demokratische Revolution“ in Russland von 1905 bis 1907 unter Führung Lenins und der Bolschewiki wird als erste „Volksrevolution unter den Bedingungen des Imperialismus“ bezeichnet. Die hier gemachten Erfahrungen nutze Lenin, um die marxistische Lehre von der sozialistischen Revolution weiterzuentwickeln.1251 Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ziehe die Gefahr eines Weltkrieges auf, der die sozialistischen Parteien entschieden entgegenträten. Die „Kampfkraft der Arbeiterklasse“ werde jedoch durch opportunistische Bestrebungen in der deutschen Sozialdemokratie geschwächt.1252 Opportunistische Führer der Arbeiterbewegung unterstützten die „imperialistische Kriegspolitik“; und nur „die revolutionären Kräfte wie die Bolschewiki unter Führung Lenins und die deutschen Linken um Karl Liebknecht“ hielten am Friedenswillen fest.1253 Da die Werktätigen unter dem Krieg litten und die „Monopolkapitalisten“ gleichzeitig hohe Profite in der Rüstung erzielten, komme es zur Zuspitzung aller „der kapitalistischen Gesellschaftsordnung innewohnenden Widersprüche“.1254 Die Spartakusgruppe in Deutschland stehe dabei an der „Spitze aller Kriegsgegner“.1255 Ein eigenes Kapitel befasst sich mit der „Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“. Jene beginne im April 1917, „als Lenin die geniale Strategie des Übergangs von der bürgerlich-demokratischen Revolution zur sozialistischen Revolution“ entwerfe und finde ihren Abschluss mit „dem Inkrafttreten der ersten sozialistischen Errungenschaften gemäß der Verfassung Sowjetrußlands“ im Juli 1918. Innerhalb dieses Zeitraums vollzögen sich „Umwälzungen von welthistorischen Ausmaßen“. Der „weltweite Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus“ nehme seinen Anfang.1256 Die Auswirkungen dieser Revolution und des Ersten Weltkrieges führten im Herbst 1918 auch in Deutschland zu einer „revolutionären Situation“, wo der Kieler Matrosenaufstand die Novemberrevolution als „antiimperialistische Volksrevolution“ einleite. In der vordersten Reihe „des revolutionären Kampfes“ stünden die Spartakusgruppe und andere linke Kräf1250 1251 1252 1253 1254 1255 1256
Geschichte Klasse 8 1988, S. 182. Geschichte Klasse 8 1988, S. 188. Geschichte Klasse 8 1988, S. 203. Geschichte Klasse 8 1988, S. 210. Geschichte Klasse 8 1988, S. 222. Geschichte Klasse 8 1988, S. 226. Geschichte Klasse 8 1988, S. 252.
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te.1257 Mitten in der Revolution entstehe die KPD als „Ergebnis des Kampfes der deutschen Linken gegen Imperialismus und Opportunismus“. Damit sei ein „Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ markiert, denn die deutsche Arbeiterklasse besitze nun eine „revolutionäre Partei mit einem marxistischen Programm“, ohne die sie den „Kampf um Demokratie und Sozialismus“ nicht erfolgreich führen könne.1258 „Mit Hilfe rechter Führer der SPD“ werde die Novemberrevolution „niedergeschlagen“. Die KPD verliere dabei mit der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs „ihre bedeutendsten Führer“. Der Beginn der Weimarer Republik sei sodann durch Wahlen gekennzeichnet, die unter den Bedingungen „konterrevolutionären Terrors und antibolschewistischer Hetze“ stattfänden. In der Weimarer Republik übten „Bourgeoisie und Großgrundbesitzer ihre Klassenherrschaft in bürgerlichparlamentarischer Form“ aus.1259 Beginnend mit Ende der siebten Klasse wird die historische Tradition, auf die sich die SED stützt, in den Geschichtsschulbüchern behandelt. Ab Klasse acht ist Geschichte nur noch Geschichte der Arbeiterbewegung. Jedwede Schilderung geschieht aus dieser Perspektive. In der Einführung zum Schulbuch der Klasse acht sagen die Schulbuchautoren voraus: „Diese Kenntnisse werden dir helfen, auch unsere Gegenwart besser zu verstehen und deinen Platz im Leben der Gesellschaft richtig zu bestimmen.“1260 Klarer offenbaren sich die herrschaftssichernden Intentionen der Partei, insbesondere angesichts der dann folgenden Inhalte des Schulbuches, selten. Klasse neun Die Weimarer Republik und die Gründung der DDR rahmen den im Geschichtsschulbuch der Klasse neun behandelten Zeitraum ein. Nach der russischen Oktoberrevolution komme es überall auf der Welt zu „Massenkämpfen der Werktätigen“ und „Massenbewegungen der unterdrückten und entrechteten Völker“, die Vorbote der neuen Epoche des Übergangs zum Sozialismus seien. Die Arbeiterbewegungen weltweit würden durch Lenins Partei die Notwendigkeit zur Bildung kommunistischer Parteien erkennen und sich folglich zu diesen zusammenschließen.1261 Es ist von der „Konterrevolution“ in Russland die Rede als Versuch 1257 1258 1259 1260 1261
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Geschichte Klasse 8 1988, S. 271. Geschichte Klasse 8 1988, S. 281. Geschichte Klasse 8 1988, S. 290. Geschichte Klasse 8 1988, S. 6. Geschichte Klasse 9 1989, S. 18.
„der gestürzten Ausbeuterklassen“, die „Volksmacht“ zu beseitigen. Das russische Volk könne sich hier von der Fähigkeit der Partei überzeugen, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen.1262 In der Folge werde die UdSSR gegründet und der Sozialismus weiter ausgebaut. Auch nach dem Tode Lenins, „des großen Revolutionärs und Theoretikers“, erfülle die Arbeiterklasse „sein Vermächtnis“ und führe „ihren Kampf um Frieden und Sozialismus“ fort.1263 Die Weimarer Republik, ein Staat mit „imperialistischem Klassencharakter“, fördere unterdessen die Entstehung zahlreicher Organisationen, „die Revanchismus, Chauvinismus und Nationalismus“ propagierten und von „reaktionären Kräften des Monopolkapitals“ gefördert würden.1264 Beispielhaft wird der Kapp-Putsch angeführt, der an der „geschlossenen Abwehr der Arbeiterklasse und ihrer Bündnispartner“ scheitere.1265 Ein achtseitiger Abschnitt widmet sich der Entwicklung der KPD „zur marxistisch-leninistischen Massenpartei“.1266 Die Bildung einer „marxistischleninistischen Parteiführung“ unter Ernst Thälmann sehen die Schulbuchautoren als Erfolg. Außerdem fördere die KPD die Verbreitung des MarxismusLeninismus unter anderem durch die „Marxistische Arbeiterschule“ und werde dadurch wirksamer.1267 Die Weltwirtschaftskrise wird als Auslöser für die Verschärfung aller „Widersprüche des imperialistischen Systems“ beschrieben, was „reaktionärste Kreise“ wie die NSDAP nutzten, um auf eine diktatorische Herrschaftsform hinzuwirken.1268 Im Kontrast zur Weltwirtschaftskrise stehe der Aufbau der Sowjetunion, die zwischen 1928 und 1932 den ersten Fünfjahresplan erfülle und damit „die geschichtliche Überlegenheit der sozialistischen gegenüber der kapitalistischen Ordnung“ verdeutliche.1269 Das Scheitern der Weimarer Republik erklären die Schulbuchautoren damit, dass „herrschende Kreise“ in der dortigen Staatsordnung „keine ausreichende Gewähr“ sähen, „für die Niederhaltung revolutionärer Kräfte, für die Durchsetzung ihres Strebens nach Maximalprofit und der Machtausdehnung und Expansion“. Darum errichteten diese „Kreise“ eine faschistische Diktatur. Eine Mitschuld wird der SPD zugeschrieben, da jene durch falsche Politik „gemeinsame Kämpfe der Antifaschisten“ verhindere und die „Spaltung der Arbeiterbewegung“ vertiefe. Indes bewähre 1262 1263 1264 1265 1266 1267 1268 1269
Geschichte Klasse 9 1989, S. 24. Geschichte Klasse 9 1989, S. 31. Geschichte Klasse 9 1989, S. 37. Geschichte Klasse 9 1989, S. 40. Geschichte Klasse 9 1989, S. 57. Geschichte Klasse 9 1989, S. 64. Geschichte Klasse 9 1989, S. 76. Geschichte Klasse 9 1989, S. 80.
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sich die KPD als „konsequenteste Interessenvertreterin des deutschen Volkes“. Aufgrund der Zersplitterung der „Kräfte des Antifaschismus“ könne sie die Errichtung der faschistischen Diktatur jedoch nicht verhindern.1270 Diese Diktatur diene sodann den Interessen der „aggressivsten Monopolkapitalisten, Junker und hohen Militärs“, werde aber von den Kommunisten und „anderen Antifaschisten“ von Beginn an bekämpft.1271 Die KPD führe diesen Kampf „aktiv in der Illegalität“ mit dem Ziel, „alle antifaschistischen Kräfte um sich zu scharen“ und alles zu tun, „um den Faschismus zu stürzen“.1272 Während das nationalsozialistische Regime aufrüste und mit Kriegsvorbereitungen beginne, sei die Sowjetunion „der einzige Staat“, „der der faschistischen Kriegspolitik entschieden“ entgegentrete, könne sich aber weltpolitisch darin nicht durchsetzen.1273 Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wird ein Entgegenstehen von zwei „gefährlichen Kriegsherden“ konstatiert: Deutschland, Italien und Japan auf der einen und die „anderen imperialistischen Großmächte“ Frankreich, Großbritannien und die USA auf der anderen Seite. Letzteren gemein sei eine „feindselige Haltung gegenüber der UdSSR“. Während die „Faschisten“ danach trachteten, andere Völker zu „unterjochen“, „auszuplündern“ und „die Weltherrschaft zu erobern“, seien die „imperialistischen Kreise der Westmächte“ bestrebt, die bürgerlich-parlamentarische Regierungsform zu festigen sowie außenpolitische und wirtschaftliche Positionen und Einflusssphären auszudehnen und zu sichern. Um den Krieg gegen die Sowjetunion zu lenken, förderten sie „die faschistischen Aggressionsbestrebungen in vielfältiger Weise“. Die Politik der Nichteinmischung und „Beschwichtigung des Aggressors“ wird als Beispiel angeführt und wiederum die Rolle der Sowjetunion als des einzigen Staates propagiert, der für die Erhaltung des Friedens kämpfe. Die „fortschrittlichsten Kräfte der ganzen Welt“, mit den kommunistischen Parteien aller Länder an der Spitze, „scharten“ sich um die Sowjetunion.1274 Der Zweite Weltkrieg ist Gegenstand des anschließenden vierten Kapitels und trägt schon in der Kapitelüberschrift den Titel „Der Große Vaterländische Krieg der Sowjetvölker“.1275 Die „kapitalistischen Großmächte“ führten einen „beiderseits imperialistischen Krieg“, wohingegen der Widerstand der Tschechoslowakei und Polens ein „gerechter Befreiungskampf“ sei. Der Angriff Deutschlands auf weitere acht europäische Staaten wird thematisiert, während die KPD 1270 1271 1272 1273 1274 1275
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Geschichte Klasse 9 1989, S. 97. Geschichte Klasse 9 1989, S. 102. Geschichte Klasse 9 1989, S. 114. Geschichte Klasse 9 1989, S. 122. Geschichte Klasse 9 1989, S. 146. Geschichte Klasse 9 1989, S. 147.
die „einzige politische Kraft in Deutschland“ sei, die den Krieg als „imperialistischen Eroberungskrieg“ entlarve und den Kampf dagegen verstärke. Auch in den innerhalb der okkupierten Staaten Europas entstehenden Widerstandsbewegungen seien die Kommunisten „die aktivste Kraft“.1276 Unter Führung der KPdSU erhebe sich sodann das sowjetische Volk zum „Großen Vaterländischen Krieg“ gegen die „Aggressoren“ und bringe die „faschistischen Armeen“ unter „ungeheuren und opferreichen Anstrengungen der Sowjetarmee, der Partisanen und der Werktätigen im Hinterland“ vor Moskau zum Stehen und damit den deutschen Angriff zum Scheitern. Mit der Sowjetunion an der „Spitze des Kampfes der Völker gegen den Faschismus“ werde der endgültige Wandel des Zweiten Weltkrieges zu einem „gerechten antifaschistischen Befreiungskrieg“ herbeigeführt.1277 Die Erfolge der Sowjetarmee bei Stalingrad und Kursk markierten die Wende des Krieges. Diese Wende werde „von den sowjetischen Truppen auf dem europäischen Schlachtfeld allein errungen“, da die Westmächte ihre Zusage, 1943 eine zweite Front zu eröffnen, nicht einhielten.1278 Im Zuge der Thematisierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Deutschland liegt der Schwerpunkt auf der KPD.1279 Auch von den „Patrioten einer Verschwörergruppe“ ist die Rede, die angesichts der sich abzeichnenden Niederlage am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler unternähmen. Der darauf folgenden Terrorwelle fielen Tausende Antifaschisten zum Opfer fallen, darunter Ernst Thälmann.1280 Die „mächtigen Schläge“ der Sowjetarmee und der Armeen der westlichen Staaten führten schließlich zur Niederlage der „faschistischen Wehrmacht“.1281 Nach dem Zweiten Weltkrieg eröffne der „Sieg der Sowjetunion und ihrer Verbündeter“ vielen Völkern die Chance, „den Weg antiimperialistischer, antikolonialer, demokratischer und sozialer Umgestaltung zu beschreiten“; die kommunistischen Arbeiterparteien gewännen an Einfluss und Ansehen. In Teilen Zentral- und Südosteuropas gehe der „antifaschistische Befreiungskampf“ in „volksdemokratische Revolutionen“ über und die politische Macht an die Arbeiterklasse, werktätige Bauern und die städtische Mittelschicht. Mit der „nationalen Befreiungsbewegung der kolonial unterdrückten Völker“ entstehe ein wichtiger Bündnispartner für die sozialistischen Länder und „die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Staaten“. Unterdessen gehe das „imperialistische Weltsys1276 1277 1278 1279 1280 1281
Geschichte Klasse 9 1989, S. 156. Geschichte Klasse 9 1989, S. 166. Geschichte Klasse 9 1989, S. 177. Geschichte Klasse 9 1989, S. 184. Geschichte Klasse 9 1989, S. 190. Geschichte Klasse 9 1989, S. 200.
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tem“ geschwächt aus dem Krieg hervor. Um aus der „historischen Defensive“ zu entkommen, verstärkten „rechte Kräfte imperialistischer Länder“ ihre „antirevolutionären Aktivitäten“ und verfolgten eine zunehmend „antisowjetische Außenpolitik“.1282 Die KPD hingegen betreibe, gestützt von der Sowjetarmee, deutschlandweit den Versuch einer „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“. Wichtige Voraussetzung hierfür sei die Zusammenarbeit zwischen KPD und SPD sowie die Organisation dieser Parteien gemeinsam mit der CDU und der LDPD im antifaschistischen „demokratischen Block“. Die Schüler erfahren, dass die Arbeiterklasse im Osten zum „Hegemon der antifaschistisch-demokratischen Umwälzungen“ werde und „antifaschistische Verwaltungsorgane“ entstünden, was der „Umwälzung“ eine „antiimperialistische Stoßrichtung“ verleihe.1283 Sowjetische Unterstützung ermögliche sodann „eine Vielzahl antifaschistischer Aktivitäten auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur“. Die „demokratische Schulreform“ wird als Schritt zur Brechung des „bürgerlichen Bildungsprivilegs“ herausgehoben und die als demokratisch bezeichnete Bodenreform als entscheidender Schritt auf dem Weg der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ sowie als „antiimperialistisch-demokratische Agrarrevolution“ bezeichnet.1284 Während in der entstehenden DDR eine Hauptaufgabe in der „Abrechnung mit Faschismus und Militarismus“ sowie der Verbreitung „der Wahrheit über die Sowjetunion“ bestehe, verhinderten die „Westmächte“ „antifaschistischdemokratische“ Aktionen auf ihrem Gebiet und träfen sich in ihren Interessen mit denen der „deutschen Monopolbourgeoisie“.1285 Als „Höhepunkt“ und „Wende“ in der Geschichte des deutschen Volkes und der Arbeiterbewegung bewerten die Schulbuchautoren die Gründung der SED. Mit der SED werde die Möglichkeit geschaffen, „den revolutionären Prozess zum Siege zu führen“.1286 Die „ersten demokratischen Wahlen“ im Oktober 1946 in der SBZ bezeichnen die Autoren als „Bevölkerungsentscheidung für die Fortsetzung der Blockpolitik und der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“.1287 Die Herausbildung anderer sozialistischer Staaten in Europa und Asien wird als Entstehung „volksdemokratischer Staaten“ beschrieben, in denen „die Arbeiterklasse unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei“ die „Diktatur des Proletariats“ errichte.1288 Zwischen der Sowjetunion und diesen „Volks1282 1283 1284 1285 1286 1287 1288
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Geschichte Klasse 9 1989, S. 214. Geschichte Klasse 9 1989, S. 225. Geschichte Klasse 9 1989, S. 235. Geschichte Klasse 9 1989, S. 230, 283. Geschichte Klasse 9 1989, S. 247. Geschichte Klasse 9 1989, S. 253. Geschichte Klasse 9 1989, S. 262.
demokratien“ entwickelten sich die Beziehungen basierend auf dem Prinzip des „proletarischen Internationalismus“. Zusammen mit der Gründung des RGW nehme so die „Herausbildung eines sozialistischen Weltsystems“ ihren Anfang.1289 Dagegen ziele die Politik der Westmächte darauf, Deutschland in ein „imperialistisches Paktsystem“ einzubeziehen und eine „gesamtnationale deutsche Vertretung“ abzulehnen. Die USA setzten ihre ökonomische Stärke ein, um die „kapitalistische Gesellschaftsordnung“ in Westeuropa zu stabilisieren, ihren Einfluss in Europa zu verstärken und die westeuropäischen Länder für die Teilnahme an einem „antikommunistischen Block“ zu gewinnen.1290 Während in der sowjetischen Besatzungszone das Lösen weiterer Aufgaben der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“1291 im Mittelpunkt stehe, würden die „Westmächte“, unter anderem durch die Währungsreform, die Gründung eines „westdeutschen Separatstaates“ vorbereiten. Bürgerlichen und „antikommunistischen SPD-Politikern“ wird vorgeworfen, die durch die Währungsreform in den Westzonen ausgelöste Krise zu nutzen, „um die Stadt Berlin zu spalten“, und die NATO wird als „imperialistischer und gegen die UdSSR wie auch die volksdemokratischen Staaten gerichteter Militärpakt“ bewertet. Aus Machtgründen schaffe sich die „deutsche Monopolbourgeoisie“ einen eigenen Staat und vollziehe somit die „endgültige Spaltung“ Deutschlands.1292 Unmittelbar aus der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ und dem Kampf „um die demokratische Einheit Deutschlands und den Frieden“ gehe hingegen die DDR hervor. Die Schulbuchautoren nutzen die Gründung des zweiten deutschen Staates, um ein Resümee der Geschichte der Arbeiterbewegung zu ziehen: Bis zur Gründung der DDR erringe die deutsche Arbeiterklasse große Siege, müsse aber auch schwere Niederlagen ertragen. Ende des neunzehnten Jahrhunderts könne sie, beherrscht von „opportunistischen Einflüssen“, den Ersten Weltkrieg nicht vereiteln, und trotz großer Erfolge während der Novemberrevolution vermöge sie es nicht, dem Beispiel Russlands zu folgen und zur sozialistischen Revolution überzugehen. Ein Höhepunkt der Geschichte der Arbeiterbewegung sei die Gründung der KPD, unter deren Führung das „deutsche Proletariat“ in der Weimarer Republik „heroische Klassenschlachten“ gegen den Kapitalismus und für den Frieden schlage. Dabei müsse es allerdings aufgrund der „Spaltung der Arbeiterbewegung“ in der Errichtung der „faschistischen Diktatur“ die „schwerste Niederlage“ hinnehmen. Die sich nach dem Zweiten Welt1289 1290 1291 1292
Geschichte Klasse 9 1989, S. 262. Geschichte Klasse 9 1989, S. 268. Geschichte Klasse 9 1989, S. 274. Geschichte Klasse 9 1989, S. 280.
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krieg eröffnende Chance werde jedoch genutzt, um die „Einheit der Arbeiterklasse“ durch die Gründung der SED zu verwirklichen und unter Führung der Partei in der SBZ einen „revolutionären Prozeß“ zu beginnen, der 1949 in die Gründung der DDR münde.1293 Klasse zehn In Klasse zehn geht es um die Geschichte der DDR bis zum Zeitpunkt des elften Parteitags der SED 1986. Die DDR-Gründungsjahre werden als Jahre, in denen die „Werktätigen“ unter Führung der SED ihr „Geschick“ in die eigenen Hände nähmen, dargestellt. Errungene Erfolge würden dabei „in harten Klassenkämpfen“ gegen Angriffe der „imperialistischen Feinde“ wie Anschläge, Sabotage oder „Wirtschaftskrieg“ seitens der Bundesrepublik Deutschland verteidigt. Während dieser Zeit sei die Hilfe der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder eine große Unterstützung.1294 Dessen ungeachtet beschließe die SED 1952, die „sozialistische Revolution auf höherer Ebene fortzuführen“, da es keinen Stillstand geben dürfe, wolle man nicht „alles verlieren“.1295 Trotz der Versuche des Westens, den Sozialismus „zurückzudrängen, zu schwächen und zu vernichten“, und trotz eines dazu einkalkulierten „menschheitsvernichtenden Atomkriegs“, entwickle sich das Kräfteverhältnis zugunsten des Sozialismus. Die „Brechung des Atombombenmonopols der USA durch die UdSSR“ sei ebenso ein Beispiel hierfür wie der stetige Rückzug des Kapitalismus, exemplarisch festgemacht am Koreakrieg der USA oder an den „konterrevolutionären Attacken in Ungarn und Polen“.1296 Der 17. Juni 1953 wird als Versuch des „USA-Imperialismus“ beschrieben, „die DDR in ihren Machtbereich einzugliedern“. Generell unternähmen die USA in den fünfziger Jahren Versuche, den Sozialismus „zurückzurollen“. Dabei lehnten sie etwa „alle sowjetischen Vorschläge für einen deutschen Friedensvertrag“ ab und betrieben stattdessen die „offene Remilitarisierung“ der Bundesrepublik Deutschland.1297 Infolgedessen finde schließlich die „Formierung der Hauptkräfte der beiden antagonistischen Weltsysteme“ ihren Abschluss im Gegenüberstehen zweier militärischer Bündnissysteme.1298 1293 1294 1295 1296 1297 1298
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Geschichte Klasse 9 1989, S. 288. Geschichte Klasse 10 1989, S. 30. Geschichte Klasse 10 1989, S. 35. Geschichte Klasse 10 1989, S. 51. Geschichte Klasse 10 1989, S. 68. Geschichte Klasse 10 1989, S. 75.
Zwischen 1957 und 1962 versuche der Imperialismus, mit „Gewalt, Krieg und Aggressionen“ das Zusammenbrechen seiner „Kolonialimperien“ zu verhindern. Im Zerfall des Kolonialsystems und der Entstehung unabhängiger Staaten in Afrika sehen die Schulbuchautoren „historische Siege“ der „nationalen Befreiungsbewegung“. Besonders heben sie die Revolution in Kuba hervor. Rückhalt in ihren „antiimperialistischen Bestrebungen“ erhielten „junge Nationalstaaten“ von den sozialistischen Ländern.1299 Ende der fünfziger Jahre gehe es in der DDR um den „Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“. Wirtschaftliche Erfolge würden sich ebenso einstellen, wie es zur Vertiefung des „Bündnisses der Arbeiterklasse“ mit der „Klasse der Genossenschaftsbauern“ komme. Zudem werde die „sozialistische Ideologie und Kultur“ mehr und mehr zum „Allgemeingut der Bürger“.1300 Während sich der Sozialismus zu Beginn der sechziger Jahre in Europa und Asien festige und in Korea und Vietnam gar „Aggressionen des Imperialismus“ standhalte, füge die „Arbeiter-und-Bauern-Macht“ in der DDR den „Kräften der Restauration und der Konterrevolution“ Niederlagen zu und durchkreuze das Ziel des „BRD-Imperialismus“, seine Herrschaft auf die DDR auszudehnen.1301 In den sechziger Jahren würden dann die „wichtigsten Aufgaben der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus“ gelöst. Die USA würden mit dem Versuch scheitern, der Integration Kubas in das sozialistische Weltsystem zu verhindern, und in der Ermordung Kennedys würden sich die Intentionen „aggressiver Kräfte“, politische Entspannung zu verhindern, zeigen. Dem „schmutzigen Krieg“ der USA gegen „das vietnamesische Volk“ wird der Kampf sozialistischer Staaten „um die Sicherung des Friedens in der Welt“ entgegengehalten, der durch deren spürbar gestärkte Wirtschaftskraft eine „feste Basis“ erhalte.1302 In der DDR würden unterdessen die „Produktivkräfte“ erfolgreich weiterentwickelt. Wirtschaftliche Erfolge und Verbesserungen der „Lebensbedingungen der Werktätigen“ kämen hinzu.1303 Ebenso gebe es einen Aufschwung in Bildung und Kultur, festgemacht zum Beispiel am „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“. Die Bemühungen um Förderung von Familie, Jugend und Sport würden „sichtbar verstärkt“.1304 Wirtschaftliche Erfolge der RGW-Staaten seien Voraussetzungen dafür, dass Ende der sechziger Jahre ein militärstrategisches Gleichgewicht entstehe und 1299 1300 1301 1302 1303 1304
Geschichte Klasse 10 1989, S. 85. Geschichte Klasse 10 1989, S. 95. Geschichte Klasse 10 1989, S. 103. Geschichte Klasse 10 1989, S. 117. Geschichte Klasse 10 1989, S. 133. Geschichte Klasse 10 1989, S. 139.
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„die militärische Überlegenheit der Ausbeuterklassen“ überwunden werde. Die Abwehr des „konterrevolutionären Angriffs des Imperialismus gegen den Sozialismus in der CSSR“ sei ein Beitrag zur Sicherung des Friedens in Europa.1305 Die Entwicklungsländer erhöhten in diesen Zeiten „ihre internationale Autorität“ und prägten – obwohl noch abhängig von den „ehemaligen Kolonialmächten“ und weiterhin „neokolonialistisch ausgebeutet“ – zunehmend „antiimperialistische Grundpositionen“ aus. Die Schuld an der Entstehung des Krisengebietes Naher Osten (Israel) wird der USA als Versuch zugewiesen, sich Einflusssphären „im Kampf gegen den Weltsozialismus auf Kosten der jungen Nationalstaaten zu schaffen“.1306 Beginnend mit den siebziger Jahren erfolge die Umstellung der DDRVolkswirtschaft „mit dem Ziel der immer besseren Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen“. Die SED vollziehe hier eine „konsequente Hinwendung zu den Massen“ und deren Interessen und Bedürfnissen. Ihre Beschlüsse entsprächen dabei „voll und ganz dem Willen der Arbeiterklasse und des ganzen Volkes in der DDR“. So entstehe „eine neue Qualität des „Vertrauensverhältnisses zwischen Partei und Volk“, das den „Charakter der SED als Partei der Arbeiterklasse und des ganzen Volkes“ weiter auspräge. Ein „revolutionärer Führungsstil“ entwickle sich, der allen Anforderungen der Zeit entspreche. Die Politik der SED weise weit in die Zukunft, „über die Jahrtausendwende hinaus“.1307 Als Verdienst der Sowjetunion, der DDR und aller anderen sozialistischen Staaten wird die Anfang der siebziger Jahre einsetzende Entspannung gewertet.1308 Außerdem werden die weitere Vertiefung der Beziehungen zwischen DDR und Sowjetunion auf Grundlage des „neuen Freundschaftsvertrages zwischen der DDR und der UdSSR“ thematisiert1309 und Erfolge im „Ringen um die weitere Gestaltung der entwickelten, sozialistischen Gesellschaft in der DDR“ herausgestellt.1310 Die Schulbuchautoren setzen sich mit dem neuen Programm der SED aus dem Jahr 1976 auseinander, zu dem die Bevölkerung „in einer bereiten Volksaussprache“ Stellung nehme und das sich folglich als „vom Willen des gesamten Volkes der DDR getragen“ verstehe.1311 Für die zweite Hälfte der siebziger Jahre wird konstatiert, dass „große Arbeit zur Stärkung des Sozialismus“ geleistet werde. Betont wird insbesondere der Aufbau einer Mikroelektronikindustrie auf Beschluss der 1305 1306 1307 1308 1309 1310 1311
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Geschichte Klasse 10 1989, S. 146. Geschichte Klasse 10 1989, S. 154. Geschichte Klasse 10 1989, S. 178. Geschichte Klasse 10 1989, S. 196. Geschichte Klasse 10 1989, S. 197, 202. Geschichte Klasse 10 1989, S. 203, 214. Geschichte Klasse 10 1989, S. 222.
Partei. Gelobt werden auch die Kohle- und Energiewirtschaft, das Wohnungsbauprogramm und sozialpolitische Maßnahmen generell.1312 In den achtziger Jahren sehen die Schulbuchautoren zwei gegenläufige Tendenzen der Weltpolitik: „die Kräfte des Friedens und des sozialen Fortschritts“ stünden den „aggressivsten imperialistischen Kreisen, hauptsächlich der USA, als Initiatoren einer globalen und militanten Konfrontationspolitik“ entgegen.1313 Als Zuspitzung der „Konfrontationspolitik“ der USA wird der NATODoppelbeschluss thematisiert. Gegengewicht hierzu und einflussreichste „Friedenskraft“ sei der „Weltsozialismus“. Die DDR setze sich für eine „Koalition der Vernunft und des Realismus“ ein, was insbesondere dem Wirken Erich Honeckers zu verdanken sei.1314 Das Geschichtsschulbuch der Klasse zehn schließt mit einer zweiseitigen Zusammenfassung. Dort beschreiben die Schulbuchautoren die Welt des Sozialismus eine der „Freiheit, des Fortschritts, der Menschenwürde“. Die Stärkung des Potenzials des Sozialismus sei nötig, um diejenigen Kräfte „zu zügeln“, die die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzten: „Die Verteidigungsfähigkeit des Sozialismus muß stets dem Grad der Aggressionsfähigkeit des Imperialismus entsprechen.“ Angesichts dieser Auseinandersetzung sei ein „harter ideologischer Kampf“ um die „Herzen und Hirne der Menschen“ entbrannt. „Klare klassenmäßige Positionen“ seien unverzichtbar bei der „Beurteilung aller wechselvollen Ereignisse auf dem Erdball“. Die Geschichte beweise, „dass der Kampf der Klassen seit der Auflösung der Urgesellschaft die wichtigste Triebkraft“ sei. Diesen Klassenkampf erfänden die Kommunisten zwar nicht, wohl aber entdeckten Marx, Engels und Lenin die ihm zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten und alle historischen Erfahrungen bewiesen die Richtigkeit dieser Lehre. Dass nur der Sozialismus Frieden, Humanismus, die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit und das Glück des Volkes verwirklichen könne, bestätige die Geschichte der DDR nachdrücklich. Dort werde der Übergang aus „dem Reich der blinden Notwendigkeit in das Reich der Freiheit“ vollzogen. Unter Führung der SED schreite das Volk „erfolgreich weiter voran“. Auf Basis der Erfolge der letzten vier Jahrzehnte werde auch das fünfte gemeistert, wozu „kluge, gute und schöpferische Arbeit“ notwendig sei. Für die Zukunft wird vorausgesagt, dass alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von der „wissenschaftlich-technischen Revolution“ durchdrungen seien, die Intensivierung der Produktion ein nie gekanntes Tempo erreiche, neue Schlüsseltechnologien eine neue Qualität der Arbeitsproduktivität mit sich brächten und das „beispielhaft 1312 1313 1314
Geschichte Klasse 10 1989, S. 245. Geschichte Klasse 10 1989, S. 267. Geschichte Klasse 10 1989, S. 279.
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hohe Niveau der Wirtschafts- und Sozialpolitik“ das Leben in der DDR bestimme. Auf solch hohem Niveau entwickelt, werde die DDR ein „noch größeres Gewicht in die Waagschale des Friedenskampfes legen“. Darin sehen die Schulbuchautoren den Beitrag der DDR „zur Erhöhung des internationalen Kraft und Autorität des Sozialismus, für den gesellschaftlichen Fortschritt der Welt“.1315 Einordnung In den Geschichtsschulbüchern sind herrschaftssichernde Inhalte durchgängig nachweisbar; sie nehmen insbesondere ab der Darstellung des Kapitalismus im neunzehnten Jahrhundert zu. Die angeblichen Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, allen voran der Klassenkampf und die Mission der Arbeiterklasse, sind es, die entdeckt zu haben vom MarxismusLeninismus beansprucht wird. Dass der Geschichtsunterricht darum wie kein anderes Fach außer der Staatsbürgerkunde instrumentalisiert ist, liegt auf der Hand. In den Geschichtsschulbüchern findet keine Auseinandersetzung mit historischen, dokumentierten Ereignissen statt. Es wird Geschichte aus Sicht der unterdrückten Klasse mit dem Feindbild der herrschenden Klasse und in der Zwangsläufigkeit der marxistischen Geschichtsphilosophie vermittelt. Hierin liegt die Sonderrolle der Geschichtsschulbücher. Selbst in den von den Geschichts- und Staatsbürgerkundeschulbüchern abgesehen am stärksten instrumentalisierten Deutsch- und Geographieschulbüchern steht grundsätzlich die Wissensvermittlung im Vordergrund. Hier geht es z. B. um Rechtschreibung, Grammatik oder klimatische und geologische Themen, sodass weite Teile dieser Schulbücher auch frei von auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten sind. Nicht so in den Geschichtsschulbüchern: Es steht für die SED fest, dass die Arbeiterklasse als historische Erbin aller unterdrückten Klassen und in stetiger Auseinandersetzung mit der Klasse der Kapitalisten siegreich aus der Menschheitsgeschichte hervorgehen wird. Diese Sichtweise ist grundlegend für die Geschichtsschulbücher, in denen von Anfang an darauf hingearbeitet wird, dieses Weltbild zu belegen.1316 Die Instrumentalisierung geschichtlicher Prozesse im Sinne der marxistischen Geschichtsphilosophie ist das Grundprinzip der Geschichtsschulbücher. 1315 1316
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Geschichte Klasse 10 1989, S. 314. Anschauliche Beispiele zur ideologischen Instrumentalisierung des Geschichtsunterrichts finden sich im Aufsatz von Henning Schluß (2008) über eine POS-Geschichtsstunde zum Mauerbau.
Viele Schilderungen und Bewertungen der Geschichtsschulbücher entsprechen den Tatsachen bzw. sind angemessen. Der Umgang mit Bauern und Frondienstleistenden im Feudalismus ist mit den Vokabeln Ausbeutung und Unterdrückung richtig beschrieben. Die Herrschaft des Adels ist, solange sie andauert, begleitet von Unrecht. Zu Frühzeiten der Industrialisierung gibt es Kinderarbeit und die Arbeiter dieser Zeit leben unter katastrophalen Bedingungen. Der verbrecherische Charakter von Faschismus und Nationalsozialismus ist ebenso wenig strittig wie die Verwicklung deutscher Industrieller hierin und auch der Vietnamkrieg bietet breite Angriffsfläche für Kritik. Die Darstellung der Schulbücher ist jedoch offenkundig nicht daran orientiert, wahrheitsgetreu zu berichten, sondern dient der Manipulation der Schüler in Richtung einer Sichtweise, wie sie der SED genehm ist. Die angesprochenen Negativbeispiele der Geschichte werden verkürzt, vereinfacht, übertrieben oder unter vollkommener Verzerrung der eigenen Rolle hierbei thematisiert. Für Kritik an den Entwicklungen im eigenen Land oder in der sozialistischen Staatenwelt wird kein Raum gefunden. Exemplarisch dafür sei die Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg angeführt: Im Widerspruch zu dem propagierten Bild der Sowjetunion als antifaschistisch-friedfertiger Staat – wie es sich in Bemerkungen wie jener widerspiegelt: „Die Sowjetunion, die den Sozialismus erfolgreich aufbaute, war der einzige Staat, der der faschistischen Kriegspolitik entschieden entgegentrat“1317 – stehen zum Beispiel der Hitler-Stalin-Pakt und der Einmarsch der Sowjetunion in Polen 1939. Die vollkommene Ausblendung solcher Umstände bei gleichzeitiger größtmöglicher Dämonisierung nicht nur des Nationalsozialismus, sondern ganz allgemein des Kapitalismus bzw. Imperialismus offenbart den Versuch, Geschichte zur Untermauerung eigener Positionen zu verzerren. Auch der Umgang mit den Volkserhebungen in den sozialistischen Staaten ist exemplarisch dafür: Am 17. Juni 1953 legten gemäß Geschichtsschulbuch der zehnten Klasse Berufstätige in der DDR die Arbeit nieder, beginnend mit den Berlinern Bauarbeitern. Darunter befänden sich zahlreiche „ehemalige Nazis“. Die Demonstrationen in „272 von zirka 10000“ Gemeinden seien „Zusammenrottungen“, in die „Provokateure und Angehörige staatsfeindlicher Gruppen“ eingeschleust seien. Jene sollten nicht nur „Aufwiegelung“ zum Sturz der Regierung betreiben, sondern auch Symbole des Staates und der Arbeiterbewegung besudeln und vernichten sowie „Funktionäre und klassenbewußte Arbeiter“ ermorden. Der insbesondere in den Geschichtsschulbüchern immer wieder glorifizierte Kampf von Arbeitern für ihre Rechte wird hier, da er sich gegen den ,Staat der Arbeiter’ richtet, als „konterrevolutionärer Umsturz“, gestützt auf 1317
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„Feinde und Schwankende im Inneren des Landes“, umgedeutet.1318 Auch andere Aufstände in der sozialistischen Hemisphäre werden auf ähnliche Weise herabgewürdigt: „Es gelang, den konterrevolutionären Angriff des Imperialismus gegen des Sozialismus in der CSSR abzuwehren und den Frieden in Europa zu sichern.“1319 „Die imperialistische Aggression gegen Ägypten und die konterrevolutionären Attacken in Ungarn und Polen scheiterten.“ 1320
In welchem Maße Aussagen der Geschichtsschulbücher tatsächlich der Wahrheit entsprechen, bleibt indes schwierig zu beurteilen, zumal auch gerade in Bezug auf Geschichte äußerst vorsichtig mit dem Begriff Wahrheit umzugehen ist. Die Deklarierung von Geschichtsschreibung als wahr oder unwahr mag in manchen Fällen möglich sein. Grundsätzlich ist eine solche Bewertung aber stets ein Stück weit anmaßend, da historische Forschung schon aufgrund ihrer Angewiesenheit auf menschengemachte Quellen niemals uneingeschränkt objektiv sein kann. Zurückhaltung scheint hier also stets angebracht (gerade die SED lässt diese Zurückhaltung vermissen und weist ihr Weltbild als objektiv wahr aus). Wenigstens aber kann von Geschichts- wie auch Schulbüchern im Allgemeinen erwartet werden, dass sie den aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis widerspiegeln und dabei auch Kontroversen, Diskussionen oder abweichende Minderheitenmeinungen erwähnen. Ein geschlossenes, jegliche Kontroversität und jegliches eigene Denken vorwegnehmende Weltbild, wie es von den DDRGeschichtsschulbüchern transportiert wird, ist Ausdruck eines eklatanten Mangels an Meinungsfreiheit, Pluralität und Toleranz und mindestens auf dieser Ebene zu kritisieren. Während die Instrumentalisierung in den bisher beschriebenen Schulbüchern zusätzlich, manchmal gar ohne Bezug zu dem dort qua Fachzweck zu vermittelnden Wissen erscheint, ist sie im Fach Geschichte mit diesem eng verwoben. Der auf Herrschaftssicherung angelegte Grundcharakter des Faches dürfte den Schülern zwar offenkundig sein, wo aber die Grenze zwischen instrumentalisiertem Wissen und Wahrheit, zwischen Geschichte und Geschichte aus Sicht der SED verläuft, bleibt nicht selten schwer erkennbar – im Übrigen auch für die Lehrer, die weder in der Schule noch im Studium jemals eine andere Sicht auf die Geschichte erlebt haben. Die Verschlungenheit potenziell herrschaftssichernder Aussagen mit tatsächlichen historischen Gegebenheiten macht sie schwer 1318 1319 1320
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Geschichte Klasse 10 1989, S. 64 Geschichte Klasse 10 1989, S. 146. Geschichte Klasse 10 1989, S. 51.
erkennbar und verleiht ihnen ein Stück weit Glaubwürdigkeit. Obwohl der Geschichtsunterricht insgesamt nur elf Wochenstunden und somit lediglich vier Prozent des Gesamtstundevolumens an den POS umfasst, dürfte seine herrschaftssichernde Wirkung aus diesen Gründen nicht gering gewesen sein. Wenn auch nicht alle Aussagen der Geschichtsschulbücher von den Schülern verinnerlicht werden, so ist doch anzunehmen, dass die konsequente ,Beweisführung’ der Schulbücher zum Beispiel gegen den Kapitalismus Spuren hinterlässt, zumal sie durch die übrigen Schulbücher ergänzt wird. 6.2
Staatsbürgerkunde
Klasse sieben Nach eine kurzen Einführung unter der Überschrift „Du und deine Zeit“1321 widmet sich das Staatsbürgerkundeschulbuch der siebten Klasse im zweiten Kapitel dem Zeitraum zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Gründung der DDR. Die Schüler erfahren hier die „Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus durch den Sieg der Sowjetunion“ als Möglichkeit, „den Weg zu Frieden, Demokratie und Sozialismus zu beschreiten.“ Diese Chance werde genutzt, indem die Arbeiterklasse unter Führung der Partei „in hartem Klassenkampf antifaschistisch-demokratische Machtorgane“ errichte, während die „Monopolkapitalisten“ Deutschland spalteten, um „ihre Macht in einem Teil Deutschlands“ zu retten und die Bundesrepublik Deutschland zum „Bollwerk gegen den Sozialismus“ auszubauen. Fundament für diese Erfolge der DDR seien die „revolutionäre Einheit der Arbeiterbewegung“ und die Gründung der SED, sowie die „wertvolle Hilfe“ der Sowjetunion.1322 Die im dritten Kapitel behandelten „großen Leistungen unseres Volkes im Kampf um das Erstarken des sozialistischen Vaterlandes“ sehen die Schulbuchautoren in der „fleißigen Arbeit der Werktätigen unter der weitsichtigen Führung der SED“ und gegen den „erbitterten Widerstand der Imperialisten“. So werde eine „leistungsfähige sozialistische Industrie und eine moderne sozialistische Landwirtschaft“ aufgebaut. Die „großen sozialen und kulturellen Errungenschaften der Werktätigen“ gründeten dabei auf dem sozialistischen Eigentum, sodass die Ergebnisse der Arbeit allen Werktätigen zugutekämen. Betont wird, dass eine 1321
1322
Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 6, auf dieses Einführungskapitel wird zum Ende dieses Kapitels nochmals ausführlicher eingegangen. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 47.
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„solide, fachliche und politische Bildung aller Werktätigen, insbesondere der Jugend“, sowie deren Leistungsbereitschaft grundlegende Voraussetzungen seien, um die Aufgaben zu lösen, vor die die Staatsbürger der DDR von der Geschichte gestellt würden.1323 Zum Ende der siebten Klasse befassen sich die Schüler mittels des Schulbuchs mit der „führende[n] Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistischleninistischen Partei“. Zunächst wird festgehalten, wie bedeutsam es sei, in welcher Gesellschaftsordnung man lebe. Die Schüler werden zur Verdeutlichung dieser These aufgefordert, an den preisgünstigen Kindergartenbesuch, die Feriengestaltung oder die Mietpreise zu denken: „Die Liste kann noch viel länger werden, immer würde zu sehen sein: Im Sozialismus stehen die Interessen der Werktätigen an erster Stelle; und die gesellschaftlichen Lösungen, die im Sozialismus getroffen werden, liegen immer im Sinne der Werktätigen.“ Solche Erfolge seien „nur unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ möglich, auch zukünftig. Das „gesellschaftliche Eigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln“ hielten Arbeiterklasse und Werktätige ebenso wie die Macht „fest in ihren Händen“. Die SED sei indes in der Lage, „durch ihre wissenschaftliche Leitungstätigkeit“ auch in komplizierten Situationen „die entscheidenden Anregungen und Zielsetzungen zu geben“. Sowohl auf wirtschaftlichem Gebiet als auch auf „internationalem diplomatischen Parkett“ und insbesondere beim „Klassenkampf um die Köpfe der Menschen“ sehe sich die SED wie auch andere kommunistische Parteien dabei ständigen Angriffen „aus den Ländern des Kapitals“ ausgesetzt. Abschließend machen sich die Schulbuchautoren zum Ziel, zwei Hauptargumente des zitierten Kampfes um die Köpfe der Menschen zu entkräften. So entbehre die Behauptung, „in der DDR könne nur ‚etwas werden’, wer in der SED ist“, jeglicher Grundlage. Denn es gebe viele Eltern, Freunde und Bekannte, die auch ohne Mitgliedschaft in der Partei „etwas geworden“ seien. Auch mit Blick auf Leitungsfunktionen könne man viele solche Nicht-Mitglieder aufführen. Dem von den „imperialistischen Gegnern“ formulierten Vorwurf, die SED sei „allmächtig“ und „überall gegenwärtig“, wird entgegengehalten, gerade das sei ein Vorzug der Partei, weil sie dadurch „überall eng mit dem Leben und der Arbeit der Massen verbunden ist“. Daher vermöge die SED „die Interessen der Massen zu kennen und die Massen zu gewinnen“.1324
1323 1324
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Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 91. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 109–112.
Klasse acht Im ersten Kapitel des Staatsbürgerkundeschulbuchs der achten Klasse befassen sich die Schulbuchautoren mit dem sozialistischen Staat und der „sozialistischen Demokratie“.1325 Der Staat wird als Machtinstrument der Arbeiterklasse und der Werktätigen charakterisiert. Er diene dem „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR und der Verwirklichung der Ziele der SED.1326 Die „sozialistische Demokratie“ sei „Machtausübung im Interesse aller Werktätigen“ und durch „verantwortungsbewusste Arbeit von Millionen Bürgern bei der umfassenden Mitgestaltung des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens“ gekennzeichnet.1327 Die Verfassung der DDR als „Ausdruck der Macht der Arbeiterklasse“ diene dem Wohl des Volkes.1328 Ihre Macht übten die Bürger durch „demokratisch gewählte Volksvertretungen“ als „wichtigste Organe der sozialistischen Staatsmacht“ aus.1329 Die Volkskammerabgeordneten führten „ihre verantwortungsvollen Aufgaben“ zum Wohl des Volkes aus, wobei die Bürger „in die Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle“ aller Entscheidungen einbezogen seien.1330 Es werden Staatsrat und Ministerrat vorgestellt sowie die örtlichen „Volksvertretungen“, die „unter Führung der SED in enger Verbindung mit den Werktätigen“ auf Grundlage der Gesetze die „Staatspolitik der Arbeiter-undBauern-Macht“ verwirklichten.1331 Abschließend wird der demokratische Zentralismus behandelt, den die Schulbuchautoren als Voraussetzung für die „weitere allseitige Stärkung des Sozialismus und seiner Staatsmacht“ beschreiben. Nur mithilfe des demokratischen Zentralismus könnten die „Einheitlichkeit und Schlagkraft der Aktivitäten der Volksmassen“ und das „Zusammenwirken aller staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen zur Durchsetzung der Politik der SED“ gewährleistet werden, was „zutiefst den Interessen der Werktätigen“ entspreche.1332 Das zweite Kapitel hat „grundlegende Rechte und Pflichten der Staatsbürger“ in der DDR zum Gegenstand. Hier wird zunächst das „Recht auf umfassende Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens“ genannt und betont, dass unter „kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen“ die Werktätigen von der 1325 1326 1327 1328 1329 1330 1331 1332
Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 5. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 9. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 15. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 17. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 18. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 25. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 27–36. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 41.
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Machtausübung weitestgehend ausgeschlossen seien, da der „bürgerliche Staat“ Vertreter der „herrschenden Kapitalistenklasse“ sei und die Lebensinteressen und „bürgerlich-demokratischen Rechte“ der Werktätigen gefährde.1333 Sodann wenden sich die Schulbuchautoren dem „Recht auf Arbeit“ zu, das es möglich mache, im Sozialismus „frei von Ausbeutung und Existenzangst zu leben und eine menschenwürdige Gesellschaft aufzubauen“. Der Imperialismus hingegen verweigere dieses Recht Millionen Werktätigen, was Ausdruck seiner Unmenschlichkeit sei und „nur durch die Beseitigung der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse“ abgeschafft werden könne.1334 Die Schulbuchautoren bezeichnen das „gleiche Recht auf Bildung“ als große Errungenschaft und kontrastieren es zum „Bildungsprivileg im Imperialismus“.1335 Den Schutz des Friedens und des „sozialistischen Vaterlandes“ erheben sie zum Recht und zur „Ehrenpflicht“. Hier finden sich Parolen wie: „Ein Gewehr ist dann eine gute Sache, wenn es für eine gute Sache da ist.“1336 Auch zahlreiche Fotos von NVA-Soldaten in der Ausbildung sind abgebildet.1337 Die Schüler lernen, dass die „großen Errungenschaften“ nur in Anspruch genommen werden können, „wenn sie vor dem Zugriff der aggressivsten Kräfte des Monopolkapitals geschützt sind“. Aus diesem Grund sei die „Einhaltung der Wehrpflicht sowie die Entscheidung für einen freiwilligeren längeren Dienst in den bewaffneten Organen“ ein bedeutendes Recht.1338 Abschließend wird vom Schutz dieser Rechte „durch staatliche und gesellschaftliche Organe“ berichtet: Es sei notwendig, dass der „sozialistische Staat“ die Rechte der Staatsbürger „durch seine Justiz- und Sicherheitsorgane“ schütze, da die „Vorzüge des Sozialismus“ nur so genießbar seien. Der Schutz dieser Rechte selbst sei ein Recht, „für dessen Wahrnehmung es viele gesellschaftliche Organe“ gebe. Jeder Staatsbürger trage „eine persönliche Verantwortung“ für die Einhaltung der Gesetze sowie für Ordnung und Sicherheit.1339 Das Staatsbürgerkundeschulbuch der Klasse acht schließt mit einem Kapitel über „die sozialistische DDR und die imperialistische BRD – zwei Staaten mit gegensätzlicher gesellschaftlicher Ordnung“. Dabei wird herausgestellt, dass Sozialismus und Imperialismus vor allem wegen ihrer gegensätzlichen Machtund Eigentumsverhältnisse unvereinbar seien.1340 Unter einer eigenen Überschrift 1333 1334 1335 1336 1337 1338 1339 1340
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Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 48, 50. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 57 f. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 63. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 67. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 67–71. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 71. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 75. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 83.
wird die „Aggressivität des Imperialismus in der BRD“ behandelt. Schon mit der Gründung beider Staaten werde deren „vollkommen entgegengesetzte“ Zielsetzung klar. Während die DDR die Interessen der Arbeiterklasse vertrete, diene die Bundesrepublik Deutschland der Verwirklichung „der volksfeindlichen Bestrebungen des Monopolkapitals“. Dieser Unterschied sei nur durch den „Kampf gegen die Monopole“ und die „Beseitigung des Imperialismus“ zu überwinden.1341 Die gesamte Innenpolitik der Bundesrepublik ziele „auf die weitere Festigung der ökonomischen und politischen Macht der Monopole“. Alle politischen Kräfte, die für das „imperialistische System“ einträten, brächten sich damit in einen „immer tieferen Gegensatz zu den fortschrittlichen Volksmassen“. Dies komme darin zum Ausdruck, dass sich „die Massen“ zunehmend zu Protestaktionen vereinigen würden. Hervorragendes zu leisten, wird dabei den Kommunisten attestiert, weshalb ihnen der „ganze Haß der Herrschenden“ gelte und sie sich der „Gewalt des imperialistischen Staates“ ausgesetzt sähen.1342 Alle Kräfte, die sich gegen die DDR wendeten, würden „in der BRD große Möglichkeiten“ und jede Unterstützung haben. Staatliche Stellen, Geheimdienste und kriminelle Organisationen arbeiteten hier Hand in Hand.1343 Grund für diese Aggressivität sei die Einschränkung des Herrschaftsgebietes des „BRD-Imperialismus“ durch die DDR und das Ausstrahlen der Vorzüge des Sozialismus auf die Werktätigen in den „imperialistischen Ländern“. Weil die Bürger in den sozialistischen Ländern jedoch „in ihrer Mehrheit mit dem Sozialismus verbunden“ seien und dieser sich militärisch zu schützen wisse, würden derlei Angriffe abgewehrt.1344 Angesichts dieser Bedrohung stelle sich der Hauptinhalt der Politik der SED als die „allseitige Stärkung und Verteidigung des Sozialismus“ sowohl zur Sicherung des Friedens als auch „zur Herstellung normaler Beziehungen mit der BRD“ dar. Zu erreichen sei dies durch die weitere Festigung „der politischen Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten“ sowie durch die Erhöhung der sozialistischen „Wirtschafts- und Verteidigungskraft“ und die „Vertiefung des Bündnisses mit der Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft“. Es sei jedoch auch Anforderung an einen jeden Staatsbürger, insbesondere die Jugend habe „hohe Verpflichtungen in Gegenwart und Zukunft“.1345
1341 1342 1343 1344 1345
Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 87. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 93. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 97. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 101. Staatsbürgerkunde Klasse 8 1986, S. 109, 111.
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Klasse neun Das erste Kapitel im Schulbuch der Klasse neun handelt von der „Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung“. Die Schüler erfahren hier, dass „wissenschaftlich begründete Aussagen über die Ursachen und Triebkräfte unserer Epoche“, gestützt auf die Entdeckungen von Marx und Engels, möglich seien und die „Siegeszuversicht“ sowie der „historische Optimismus“ des weltweiten kommunistischen Kampfes auf der Einsicht in diese Gesetze beruhe.1346 Als Haupttriebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung wird der Klassenkampf benannt, und zwar so lange, wie der in den „Ausbeutergesellschaften“ selbst begründete Gegensatz zwischen „Ausgebeuteten und Ausbeutern“ bestehe.1347 Die gesellschaftliche Produktion vollziehe sich „stets auf konkreten, geschichtlich bestimmten und sich verändernden Entwicklungsstufen“ und die andauernde Entwicklung der Produktivkräfte verstehe sich als „eine Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung“.1348 Die gesellschaftlichen Produktivkräfte brächten die ihnen entsprechenden Produktionsverhältnisse, mit den Eigentumsverhältnissen im Mittelpunkt, hervor.1349 Dabei stünden die Eigentümer der Produktionsmittel „unversöhnlich jener Klasse gegenüber, die von diesem Eigentum an Produktionsmitteln ausgeschlossen“ sei. Hier handle es sich um einen unüberbrückbaren „Klassenantagonismus“, der alle sozialen Beziehungen präge und von dem sich niemand unabhängig machen könne, solange das Privateigentum an Produktionsmitteln herrsche.1350 Stets werde die Übereinstimmung der Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nur von begrenzter Dauer sein und müsse früher oder später „auf dem Wege des Klassenkampfes ausgetragen werden“, wobei die alte Gesellschaftsordnung durch eine Revolution von einer neuen abgelöst werde.1351 Das folgende zweite Kapitel macht die Hälfte des Schulbuchs aus, stellt also den inhaltlichen Schwerpunkt dar. Die Schulbuchautoren schließen nahtlos an die Schilderung des marxistisch-leninistischen Geschichtsbildes des ersten Kapitels an, wenn sie sich mit der „historischen Notwendigkeit der Ablösung des Kapitalismus“ auseinandersetzen. Als wesentliches Merkmal attestieren sie dem Kapitalismus, dass „die Bourgeoisie Eigentümer der entscheidenden Produktionsmittel“ sei, während „das Proletariat“ keine Produktionsmittel besitze. Darum 1346 1347 1348 1349 1350 1351
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Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 9. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 14. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 16, 18. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 21. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 22. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 26.
hätten Bourgeoisie und Proletariat als „Grundklassen im Kapitalismus“ gänzlich entgegengesetzte Interessen, die sie zu „unversöhnlichen Klassengegnern“ machten.1352 Das „Wesen der kapitalistischen Ausbeutung“ wird in der unentgeltlichen Aneignung der Arbeitskraft des Arbeiters identifiziert. Diese Arbeitskraft schaffe im Produktionsprozess mehr Wert, als sie selbst besitze, den Mehrwert.1353 Das „Mehrwertgesetz“ sei das „ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus“.1354 Es wirke als „mächtige Triebkraft“ der kapitalistischen Gesellschaft, weshalb es dort keinen Bereich des Lebens gebe, „der sich außerhalb des Konkurrenzkampfes um den höchsten Profit durch die Verschärfung der Ausbeutung und außerhalb des Klassenkampfes“ entwickeln könne. Dies führe zwangsläufig zur Zuspitzung aller „Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ und zur Vertiefung des „antagonistischen Klassengegensatzes zwischen Bourgeoisie und Proletariat.1355 Das Entstehen kapitalistischer Monopole verstehe sich dabei als „gesetzmäßiges Resultat der Entfaltung des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften“.1356 Ihre Existenz führe zur „Vertiefung des Klassenwiderspruchs“, der nur durch Beseitigung der Monopole aufgehoben werden könne,1357 wie auch die Überwindung des Imperialismus überhaupt nur möglich sei, wenn die „Macht der internationalen Monopole“ als dessen „Rückgrat“ gebrochen werde.1358 Andernfalls übertrage sich das „reaktionäre und aggressive Wesen“ der Monopole auf den Staat und präge seinen Charakter, weshalb der Imperialismus seinem Wesen nach „eine reaktionäre und menschenfeindliche Gesellschaft“ sei.1359 Monopole seien aggressiv, weil sie zur Sicherung ihrer „Profit- und Machtinteressen“ ihre Herrschaft immer weiter ausdehnten. Darum sei das Streben nach der Weltherrschaft kennzeichnend für den Imperialismus und richte sich in erster Linie gegen den Sozialismus.1360 Weiterhin sprechen die Schulbuchautoren vom „faulenden und parasitären Kapitalismus“. Dessen „historische Frist“ sei abgelaufen, da eine Gesellschaft, die sich als unfähig erweise, „dem raschen Wachstum der Produktivkräfte und des Reichtums im Interesse der gesamten Gesellschaft freie Bahn zu schaffen“, als zwangsläufig historisch überlebt erscheine.1361 Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt im Imperialismus seien den „Pro1352 1353 1354 1355 1356 1357 1358 1359 1360 1361
Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 33. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 39. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 42. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 48. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 52. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 55. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 58. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 63, 67. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 71 f. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 79.
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fit- und Machtinteressen der Monopolbourgeoisie“ untergeordnet und somit außerstande „die sozialen Probleme der Volksmassen“ zu lösen, vielmehr erwiesen sie sich als „Quelle unheilbarer sozialer Übel und Krankheiten“.1362 „Die historische Mission der Arbeiterklasse“ ist Gegenstand des dritten und letzten Kapitels. Der Inhalt dieser Mission wird mit „zwei untrennbar miteinander verknüpften Aufgaben“ angegeben: „dem Sturz des Kapitalismus und dem Aufbau des Sozialismus und Kommunismus“, was der Befreiung der Menschheit „von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg“ gleichkomme.1363 Dabei stellen die Schulbuchautoren heraus: „Erst mit der Errichtung des Kommunismus hat die Arbeiterklasse ihre welthistorische Mission erfüllt.“1364 Mithilfe eines Zitates von Lenin betonen die Autoren, dass „das Wichtigste in der marxschen Lehre“ die „Klarstellung der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als des Schöpfers der sozialistischen Gesellschaft“ sei.1365 Damit sich das Proletariat jedoch „als selbständige revolutionäre Kraft“ begreife und die Fähigkeit erlange, „seine welthistorische Mission zu erfüllen“, bedürfe es der marxistisch-leninistischen Partei als des „Führungszentrums der Arbeiterklasse“.1366 Abschließend wird zusammengefasst, „alle bisherige Geschichte“ habe die Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin bestätigt, wobei die Eroberung und Festigung der politischen Macht als „die Kernfrage der sozialistischen Revolution“ gelte. In diesem Sinne sei die „Diktatur des Proletariats“ Voraussetzung für die Schaffung sozialistischer Produktionsverhältnisse. „Diktatur des Proletariats“ bedeute die „demokratische Machtausübung der Mehrheit des Volkes unter Führung der Arbeiterklasse“. Sie sei notwendig, „um die welthistorische Mission der Arbeiterklasse ihrer Vollendung entgegenzuführen“.1367 Klasse zehn Der Anteil des Staatsbürgerkundeunterrichts verdoppelt sich in der zehnten Klasse auf zwei Wochenstunden.1368 Auch das Schulbuch der zehnten Klasse ist nahezu doppelt so umfangreich wie seine Vorgänger. Das erste Kapitel handelt vom „Charakter unserer Epoche“ und dem „Kampf um den Frieden“. Die gegenwärti1362 1363 1364 1365 1366 1367 1368
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Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 83. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 88. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 90. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 99. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 101. Staatsbürgerkunde Klasse 9 1987, S. 105. Vgl. Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 62.
ge Epoche sei eine „des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab“. Der „unvermeidliche Wettbewerb zwischen Sozialismus und Kapitalismus“ könne sich im Interesse des Überlebens der Menschheit zwar nur noch friedlich und unter Ausschluss aller militärischen Mittel vollziehen, doch habe der Imperialismus seine weltbeherrschende Rolle verloren sowie „bedeutende Positionen eingebüßt“. Die „Entwicklung in der Welt von heute“ bestärke darin, dass die Zukunft dem Sozialismus gehöre.1369 Erneut wird Friedensliebe in der Aussage propagiert, es liege tief „im Wesen des Sozialismus“ begründet, dass Sozialismus und Frieden eine Einheit bildeten. Das Ziel des Sozialismus wird in der Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit für alle Staaten gesehen, unabhängig von ihrer Gesellschaftsordnung. Unverändert wird dabei festgestellt, es seien große Anstrengungen nötig, „um die aggressivsten Kräfte des Imperialismus zurückzudrängen“.1370 Kapitel zwei ist überschrieben mit: „Die strategische Aufgabenstellung der SED – die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR“. Hier wird konstatiert, dass „theoretische Klarheit über die sozialistische Gesellschaft“ Bedingung sei, um „die Politik der marxistisch-leninistischen Länder“ richtig bestimmen zu können. Diese Klarheit könne nur im „praktischen Prozeß des Aufbaus und der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft“ gewonnen werden.1371 Die „Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft“ erfordere einen längeren Zeitraum, da es sich um einen „Prozeß tiefgreifender Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft“ handle.1372 Nach den kurz gehaltenen ersten beiden Kapiteln wird den „Grundfragen der ökonomischen Entwicklung in der DDR“ Raum gegeben. Klar stellen die Schulbuchautoren, dass der Sinn des Sozialismus verlange, den Bedürfnissen der Menschen immer besser zu entsprechen, und dass sich daraus zwangläufig die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ergeben müsse, zu der es „keine brauchbare Alternative“ gebe.1373 Der „Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktion und der Entwicklung der Bedürfnisse der Menschen“ (die Bedürfnisse würden schneller wachsen als die Produktivkraft) sei eine wichtige „Triebkraft im Sozialismus“. Um diesen Widerspruch aufzulösen, bleibe es Hauptaufgabe, die Arbeitsproduktivität zu steigern. Nur so könnten die Interessen der Gesellschaft und die der Werktätigen in Übereinstimmung gebracht wer-
1369 1370 1371 1372 1373
Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 26. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 40. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 47. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 54. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 65, 70.
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den.1374 Als Grundprinzip der Verteilung im Sozialismus wird dabei das Leistungsprinzip benannt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“.1375 Das notwendige wirtschaftliche Wachstum hänge wesentlich von modernen Hochtechnologien ab. Fortschritte ermöglichten es, das „beachtliche materielle und kulturelle Lebensniveau des Volkes der DDR weiter zu erhöhen“, und stellten sicher, dass die DDR „ökonomisch unangreifbar“ bleibe.1376 Insgesamt ziele die „ökonomische Strategie der SED“ darauf, „die Vorzüge des Sozialismus noch wirksamer mit den Errungenschaften der wissenschaftlichtechnischen Reproduktion zu verbinden“.1377 Betont wird auch die „Teilnahme der Werktätigen an der Leitung des Staates und der Wirtschaft“ als „schöpferischer Kraftquell wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“.1378 Für die sozialistische Planwirtschaft wird eine „Überlegenheit über die kapitalistische Konkurrenzund Profitwirtschaft“ konstatiert.1379 Die Planwirtschaft sei eine „große historische Errungenschaft“ und Indikator für die Fähigkeit des Menschen, die ökonomischen Gesetze seinen Erfordernissen anzupassen. Dies verstehe sich als „qualitativ neue Situation“ im Vergleich zu jenen Gesellschaftsordnungen, „die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“ beruhten.1380 Das vierte Kapitel ist überschrieben mit „Sozialstruktur und sozialistischer Staat in der DDR“. Unter Sozialstruktur werden insbesondere die Klassen und Schichten (Arbeiter, Bauern, ,Intelligenz’, Handwerker, Gewerbetreibende) sowie die zwischen diesen herrschenden Beziehungen verstanden. Die Arbeiterklasse sei hierbei die „führende soziale Kraft“.1381 Die Aufgaben der Arbeiterklasse wüchsen mit der „weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“, weshalb sie sich unter Führung der SED entwickeln und ihr Wissen und Können erhöhen, sowie ihr „sozialistisches Bewusstsein“ ausprägen müsse.1382 Die „Vertiefung des Bündnisses der Arbeiterklasse“ mit den anderen Klassen und Schichten beschreiben die Schulbuchautoren als Prozess, in dem sich die Klassenunterschiede und die bestehenden sozialen Unterschiede schrittweise verringerten, in dem für alle Werktätigen gleichermaßen günstige Bedingungen für die Befriedigung ihrer materiellen und geistigen Bedürfnisse entstün1374 1375 1376 1377 1378 1379 1380 1381 1382
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Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 76. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 76, 81. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 91. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 99. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 106. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 109. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 120. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 128. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 136.
den und der durch Annäherung aller Klassen und Schichten gekennzeichnet sei. Dieser Prozess vollziehe sich „unter der bewährten Führung der SED“.1383 Der sozialistische Staat, die „Arbeiter-und-Bauern-Macht der DDR“, verkörpere dabei „die demokratische Machtausübung durch das ganze Volk unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“ als „Herrschaft der großen Mehrheit im Interesse aller“.1384 Als „Machtorganisation der Arbeiterklasse“ im Bündnis mit den anderen Schichten und Klassen sei die „Arbeiterund-Bauern-Macht“ Ausdruck sowohl eines „breiten Klassenbündnisses“ als auch „umfassender demokratischer Zusammenarbeit und Mitwirkung“ und eine „Form der Diktatur des Proletariats“.1385 Zwischen der „Stärke der Staatsmacht“ und der „Entfaltung der sozialistischen Demokratie“ bestehe der Zusammenhang, dass nur „durch demokratische Aktivität aller Mitglieder der Gesellschaft“ die staatlichen Aufgaben wirkungsvoll gelöst werden könnten. Die „sozialistische Demokratie“ verkörpere daher einen historisch neuen Typ der Demokratie, „millionenfach demokratischer als jede bürgerliche Demokratie“.1386 Das Staatsbürgerkundeschulbuch der zehnten Klasse schließt mit einem Kapitel unter der Überschrift: „Der Marxismus-Leninismus – die Weltanschauung, nach der wir leben und handeln“. Die Kapitelüberschrift verdeutlicht sogleich die Rolle des Lehrgebäudes. Entscheidendes Anliegen des Marxismus-Leninismus sei es, „der Arbeiterklasse diejenigen wissenschaftlichen Kenntnisse zu vermitteln, die es ihr ermöglichen, ihre Aufgabe als revolutionärste Klasse der Geschichte zu verstehen und auch praktisch zu verwirklichen“. Dies zu erreichen bedürfe es einer „folgerichtig aufgebauten, in sich geschlossenen, einheitlichen und wissenschaftlichen Weltanschauung“.1387 Diese Weltanschauung könne nur in der Politik und basierend auf der Macht der Arbeiterklasse praktisch angewandt und verwirklicht werden, wobei Politik und politische Macht ihrerseits „der klaren ideologischen Orientierung durch die marxistisch-leninistische Weltanschauung“ bedürften.1388
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Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 142. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 149. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 156. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 163. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 170. Staatsbürgerkunde Klasse 10 1989, S. 178.
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Einordnung In allen Schulbüchern wird vordergründig Wissen vermittelt, etwa naturwissenschaftliche, mathematische oder geographische Kenntnisse. Dies trifft selbst auf die Geschichtsschulbücher zu, die – obschon von Grund auf dem historischmaterialistischen Geschichtsbild verpflichtet und inhaltlich entsprechend geformt – doch auch historische Tatsachen zum Gegenstand haben. Die Staatsbürgerkundeschulbücher dagegen transportieren kein Wissen in diesem Sinne, sondern ausschließlich das Weltbild der SED. Subtrahierte man die auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalte aus den Schulbüchern, bliebe in manchen Fächern wie etwa Mathematik dennoch der allergrößte Teil des Schulbuchinhaltes unberührt. Im Fach Geschichte wären die Einschnitte enorm. Die Staatsbürgerkundeschulbücher wären nach einer solchen Subtraktion kaum noch existent. Hier findet keine Instrumentalisierung von Fachwissen statt, hier wird ausschließlich die Weltsicht der SED vermittelt. Die Staatsbürgerkundeschulbücher sind ein reines Instrument der Herrschaftssicherung für die Partei. Sie werden damit zum Artefakt, das nur unter den Bedingungen kommunistischer bzw. sozialistischer Herrschaft existieren kann. Die Staatsbürgerkundeschulbücher unterscheiden sich darum sowohl hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit herrschaftssichernder Inhalte als auch hinsichtlich der Art und Weise, mit der diese präsentiert werden, von allen anderen Schulbüchern – auch nochmals von den Geschichtsschulbüchern. Sie explizieren die herrschaftssichernden Intentionen der Partei im Schulwesen. In den Staatsbürgerkundeschulbüchern offenbart sich das gesamte Weltbild der SED, wie es auch aus den übrigen Schulbüchern hervorgeht, dort aber punktueller. An einer paradigmatischen Schulbuchpassage sei dies nochmals verdeutlicht: Das Staatsbürgerkundeschulbuch der Klasse sieben eröffnet den Staatsbürgerkundeunterricht mit einem Kapitel unter der Überschrift „Du und deine Zeit“. Hier findet sich das Bild der Erde, deren Alter mit fünf Milliarden Jahren angegeben wird. Verdeutlicht wird das anhand eines Zeitstrahls von fünf Metern Länge, wobei jeder Meter einer Milliarde Jahren entsprechen soll. Das Alter der Menschheit wäre auf einem solchen Zeitstrahl äquivalent zu einem Millimeter. Sodann wird ausgeführt: „Aber auch das schärfste Adlerauge würde es nicht schaffen, von diesem Millimeter den Teil zu erfassen, der etwa die letzten siebzig von der einen Million Jahre ausmacht. Und dabei waren gerade diese siebzig Jahre so entscheidend für die gesamte Menschheit und auch für die Existenz unserer guten alten Erde. Zu den wichtigsten Daten gehört nämlich der 7. November (nach der alten russischen Rechnung der 25. Oktober) 1917. Damals be-
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gannen russische Arbeiter, Bauern und Soldaten den ersten sozialistischen Staat der Welt zu errichten, die heutige Sowjetunion.“1389
Gleich zu Beginn des Unterrichts in Staatsbürgerkunde wird also der Sozialismus, beginnend mit der Oktoberrevolution im Russland des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, zu einem der wichtigsten Ereignisse nicht nur der Menschheits-, sondern der gesamten Erdgeschichte gemacht. Das Augenmerk wird dann auf die DDR gelenkt: „Die Symbole unser aller gemeinsamer Arbeit sind im Staatswappen der DDR enthalten, weil im Sozialismus die Arbeiterklasse und die anderen Werktätigen die Macht haben. Dadurch ist im Sozialismus das Fortschrittlichste durchgesetzt worden, was man sich denken kann: Diejenigen, die alle Werte und Reichtümer schaffen, verfügen über sie und können sie auch nutzen.“1390
Nach dieser positiven Bewertung der DDR äußern sich die Schulbuchautoren folgendermaßen: „Die aggressivsten führenden Kräfte im Imperialismus – vor allem die USA – wollen die Schwierigkeiten in ihren Ländern auf ihre Weise lösen: Sie streben einen dritten Weltkrieg an: Was bewegt sie zu diesem Wahnsinnsplan? Diese Kräfte erhoffen sich von einem neuen Weltkrieg erst einmal ein super Geschäft, denn sie könnten den imperialistischen Regierungen riesige Mengen an Waffen verkaufen.“1391
„Einer“ von den „imperialistischen Kräften“ wird mit den Worten zitiert: „Es gibt Wichtigeres als den Frieden.“ Dabei wird weder benannt, wer dieser eine gewesen ist, noch in welchem Zusammenhang diese Aussage gefallen sein soll. Wohl aber wird angemerkt: „Sicherlich ungewollt, hat er damit die wahren Ziele dieser aggressiven Politik bloßgelegt.“1392 Diese Feindbildschilderung dient wiederum der Überleitung zu folgender Aussage: „Diese Kräfte sind unser aller Feind. Doch wie kann man die bekämpfen? Diese Frage stellen sich viele Menschen in der Welt. Vor allem muß der Frieden sicher sein, und der Frieden wird besonders dann gesichert, wenn der Sozialismus ein starkes Bollwerk gegen die aggressivsten Kräfte des Imperialismus bildet, damit er sie hindern kann, ihre Kriegspläne zu verwirklichen.“1393
1389 1390 1391 1392 1393
Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 6. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 7. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 7. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 8. Staatsbürgerkunde Klasse 7 1985, S. 8.
263
Bezeichnend ist hier die mit der Propagierung friedlicher Absichten verflochtene Bekundung militärischer Stärke. Auf nur wenigen Seiten machen diese Ausführungen das Grundprinzip deutlich, mit dem die SED ihre herrschaftssichernden Intentionen in den Staatsbürgerkundeschulbüchern verfolgt. Die positive Bewertung des Sozialismus, verbunden mit der negativen Bewertung des Kapitalismus ist das Grundprinzip dieser Bücher. Darin unterscheiden sie sich prinzipiell nicht von allen übrigen Schulbüchern; doch ist der Tonfall hier in beiden Fällen besonders deutlich und gegenüber dem Kapitalismus besonders scharf. Insofern ist die Instrumentalisierung der Staatsbürgerkundeschulbücher entgrenzt, was Effekte auf die mit dem Staatsbürgerkundeunterricht befassten Personen hat: Staatsbürgerkundelehrer sind in der Regel Mitglieder der SED und nehmen regelmäßig an ideologischen Schulungen teil. Lehrinhalte und Aufgabenstellungen in Staatsbürgerkunde zielen auf Bekenntnisse zum SED-Weltbild, angesichts des hier vermittelten Wissens ist etwas anderes gar nicht denkbar.1394 Insgesamt stellt sich der Staatsbürgerkundeunterricht als fest gefügtes, durch das Weltbild der SED bestimmtes Gebilde dar, in dem kaum Raum für individuelle Ansichten oder kreatives Denken der Schüler bleibt.1395 Die uneingegrenzte Instrumentalisierung des Faches ist auch der Grund dafür, dass sich der Staatsbürgerkundeunterricht sowohl seitens der Schüler als auch seitens der Lehrer geringer Beliebtheit erfreut. Die damit verbundenen Akzeptanzprobleme führen zum Beispiel zu Mangel an Fachlehrern.1396 Der instrumentelle Charakter des Staatsbürgerkundeunterrichtes ist insofern leicht zu durchschauen, was seine Wirkung auf die Schüler massiv geschmälert haben dürfte. Vor allem darum, nebenbei auch wegen des begrenzten zeitlichen Anteils des Staatsbürgerkundeunterrichts an der Stundentafel, wird sein herrschaftssicherndes Potenzial geringer bewertet, als der erste Blick in die Staatsbürgerkundeschulbücher vermuten lässt. Die offenkundige Instrumentalisierung der Staatsbürgerkundeschulbücher könnte paradoxerweise mögliche herrschaftssichernde Effekte geschmälert haben.
1394 1395
1396
264
Vgl. Behrmann 1999, S. 151–154. Wie starr und unbeweglich der Unterricht in Staatsbürgerkunde verlaufen kann und wie festgefahren und unflexibel er hinsichtlich seiner Inhalte ist, zeigt Tilmann Grammes anhand eines Unterrichtsprotokolls (vgl. Grammes 1996). Vgl. Grammes 1996, S. 37; Behrmann 1999, S. 152 f.
7
Analyse und Diskussion der Befunde
7.1
Zusammenfassung
Wegen der herausgehobenen Bedeutung, die dem Schulbuch insbesondere auch in der DDR zukommt, wurde in dieser Quelle ausreichend Potenzial gesehen, um eine Analyse mit dem Ziel durchzuführen, einen Beitrag zur Erhellung der Instrumentalisierungsrealität im DDR-Schulwesen zu leisten. Dieser Beitrag bleibt begrenzt, denn die Studie kann nur wenige Aussagen zur Wirksamkeit von Schulbüchern oder über den den Instrumentalisierungsprozess ganz wesentlich regulierenden Faktor Mensch, d. h. über Lehrer, Eltern, die Schüler selbst usw. treffen. Die Perspektive wurde dabei im Schwerpunkt klassenstufen- und unterrichtsfächerübergreifend gewählt, um den Instrumentalisierungsprozess ganzheitlich so zu erfassen, wie ihn die Schüler durch diejenigen Schulbücher erfahren, die für sie obligatorisch sind. Die Untersuchung des Beitrages einzelner Unterrichtsfächer zur Instrumentalisierung diente dann der Präzisierung der Ergebnisse, d. h. der Ermittlung von fachbedingten Unterschieden. Auf Grundlage dieses Erkenntnisinteresses wurde als analytische Basis herausgearbeitet, dass in einem Staat und einem Schulwesen, die beide vom Herrschaftssicherungsanspruch der SED geprägt sind, insbesondere die Schulbücher als staatlich kontrollierte und für den Unterricht zentrale Lehrmedien Instrument der Partei zu Herrschaftssicherung sind. Außerdem wurde festgehalten, dass diese Instrumentalisierung der Vermittlung von Inhalten mit dem Ziel der Legitimation des bestehenden gesellschaftlich-politischen Zustands dient. Die klassenstufen- und unterrichtsfächerübergreifende Analyse der Schulbücher erbringt zwölf Themenbereiche, denen sich Schulbuchinhalte zuordnen lassen, auf die dieses Kriterium zutrifft. Zuerst genannt sei die Behandlung kommunistischer Parteien und der Arbeiterklasse. Die SED lässt kommunistischen Parteien und der Arbeiterklasse von den Schulbuchautoren ganz unmissverständlich eine universelle Führungsrolle zuschreiben, lässt sie positiv bewerten und darüber hinaus in verschiedensten Kontexten erwähnen. Dabei erfolgt durch die Zuschreibung der Führungsrolle die Untermauerung sozialistischer Machtverhältnisse und durch die positive Bewertung ein beträchtliches Eigenlob. Zusammen mit der andauernde Erwähnung, insbesondere der SED und insbe-
L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
sondere auch dort, wo eine solche Erwähnung in keinster Weise notwendig ist, wird der SED und anderen kommunistischen Parteien sowie der Arbeiterklasse in den Schulbüchern die ubiquitäre Rolle zuteil, die sie auch in der DDR bzw. im Sozialismus generell innehaben. Von fundamentaler Bedeutung für den SEDHerrschaftssicherungsanspruch sind solche Schulbuchaussagen, weil die SED als Machthaber ganz pragmatisch von ihnen profitieren kann. Aus weltanschaulicher Perspektive sind Arbeiterklasse und Partei zudem die wesentlichen Akteure im marxistisch-leninistischen Ideengebäude, aus dem heraus sich die SED legitimiert. Mittels ihrer positiv konnotierten Darstellung, der Thematisierung ihres vermeintlichen Führungsanspruches und der Ubiquität ihrer Darstellung versuchen die Schulbuchautoren diese Sichtweise tagtäglich im Schulbuchalltag zu fundieren. Jede Auseinandersetzung mit der DDR, mit ihren lokalen oder regionalen Untergliederungen, mit einzelnen Städten oder mit einzelnen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Aspekten usw. wird in den Schulbüchern genutzt, um ein umfassendes und unbescheidenes positives Bild vom SEDStaat zu zeichnen. Hier wird eine DDR beschrieben, die von Demokratie, Mitbestimmung, Freiheit, hoher Lebensqualität, Fortschritt und Erfolg gekennzeichnet sei. Jedwede Entwicklung in diesem Staat weise, gleich für welche Bevölkerungsgruppe, nach vorn und aufwärts, was der DDR weltweite Strahlkraft verleihe. Probleme oder mögliche Fehler in der gegenwärtigen oder historischen Entwicklung werden nicht thematisiert. Die SED nutzt hier die Möglichkeit, sich mittels der Schulbücher, die zwangsläufig immer wieder auf die DDR eingehen, indirekt in ein positives Licht zu rücken. Denn sie ist der zentrale Akteur im zweiten deutschen Staat, sodass dessen regelmäßig von den Schulbuchautoren betonte Erfolge auf sie zurückfallen. Ähnliches gilt in internationaler Perspektive, wo ein gleichermaßen unkritisch überhöhtes Bild von der sozialistischen Welt vorherrscht. Wie die DDR werden auch andere sozialistische Staaten ausschließlich positiv dargestellt, auch hier ist Kritik nicht zu finden. Dies gilt nochmals in herausragender Weise für die Sowjetunion. Neben der umfassenden positiven Bewertung dieses Staates werden insbesondere die Freundschaft zur Sowjetunion, deren Rolle als kommunistische Schutz- und Hegemonialmacht sowie ihre historische Rolle als erstes sozialistisches Land und als Befreierin vom Faschismus betont. Als historisches Beispiel für die marxistisch-leninistischen Lehren ist die Sowjetunion ideell und als Schutzmacht sowie Garant der SED-Herrschaft ganz pragmatisch von Wert für die Partei. Wie auch kommunistische Parteien und die Arbeiterklasse finden sozialistische Staaten und vor allem die Sowjetunion auffallend häufig Erwäh266
nung in den Schulbüchern. Für diesen Vorgang wird in dieser Untersuchung der Begriff Gewöhnung gewählt, weil hierin der Versuch gesehen wird, das sozialistische System zu festigen, indem seine wesentlichen Bestandteile permanent in das Bewusstsein der Schüler gehoben werden, damit sich diese an eine bestimmte Sichtweise der Welt gewöhnen. Die Schulbuchautoren setzen sich mit zahlreichen historischen, teils auch gegenwärtigen Persönlichkeiten auseinander, die entweder dem Sozialismus zuzuordnen sind oder ihm zugeordnet werden. In erster Linie sind hier Lenin, Ernst Thälmann, Karl Marx und Friedrich Engels als für Geschichte und Weltbild der SED bzw. des Sozialismus zentrale Persönlichkeiten zu nennen. Diese und weitere Personen werden überschwänglich, teils pathetisch zu Vorbildern und Helden stilisiert. Hierin zeigt sich der Versuch, die Vorzüge des Sozialismus anhand realer Personen zu veranschaulichen. Daneben ist auch die Behandlung solcher Personen auf Gewöhnungseffekte angelegt. Am Beispiel systemrelevanter Personen zeigen sich die mit der Gewöhnung verbundenen herrschaftssichernden Intentionen ähnlich deutlich wie im Falle kommunistischer Parteien. Wie diese werden systemrelevante Personen nicht selten ohne jede inhaltliche Rechtfertigung in den Schulbüchern vergegenständlicht – ein Indiz für das Bemühen, durch andauernde Thematisierung von Bestandteilen der sozialistischen Welt einen Gewöhnungsprozess in Gang zu setzen. Positiven Bewertungen sind auch FDJ und Pionierorganisation ausgesetzt. Die Auseinandersetzung der Schulbücher mit dem Jugend- und Kinderverband ist außerdem im starken Maß von offenkundig auf Gewöhnungsprozesse angelegten Passagen gekennzeichnet. In Form von Bildern, Liedern, Gedichten, Geschichten, Aufgabenstellungen oder sonstigen Schulbuchtexten sind Pioniere oder FDJ-Mitglieder, Pionierorganisation oder FDJ ubiquitärer Bestandteil der Bücher. Das ausdrückliche Bekenntnis der beiden Organisationen zur SED weist auf das herrschaftssichernde Potenzial hin, das ihrer Behandlung in den Schulbüchern innewohnt. Dies insbesondere auch darum, weil Pionierorganisation und FDJ nicht zur Schule gehörende Freizeitorganisationen sind. Da die Mitgliedschaft in beiden Organisationen freiwillig und damit formal keine Selbstverständlichkeit ist, üben die Schulbücher in ihrer Darstellung des Kinder- und Jugendverbandes Druck auf alle Nichtmitglieder aus. Hier wird der in der DDR überall wirkende Anpassungszwang weitergeführt, der die Mitgliedschaft faktisch doch zu einer Selbstverständlichkeit macht. Breiten Raum in den Schulbüchern nehmen militärische Inhalte ein. Schon dieser Befund ist angesichts der besonderen Qualität solcher Inhalte auffällig. Militärische Inhalte treten in der positiven Bewertung der NVA und anderer 267
militärischer oder paramilitärischer Organisationen der DDR sowie in der positiven Bewertung der Streitkräfte anderer sozialistischen Staaten auf. Diese bewaffneten Organisationen sind auch Gegenstand der Gewöhnung, die sich darüber hinaus auf weitere militärische Inhalte erstreckt: In Bilder, Lieder, Aufgaben, Geschichten oder andere Schulbuchtexte fließen Waffen, Waffensysteme, Soldaten oder allerlei militärisches Fachwissen ein. Unmittelbar wird zudem Nachwuchswerbung betrieben, indem teils subtil, teils sehr direkt für den Soldatenberuf geworben wird, was verbunden ist mit einer ebenso abwechselnd subtilen oder latenten Suggerierung von Schutz- oder Verteidigungserfordernissen. Letzteres schafft gleichsam die Legitimationsgrundlage für die beschriebene Konfrontation der Schüler mit militärischen Inhalten, die als umfassend zu bezeichnen ist. Neben den generellen Versuch eine positive Einstellung zum sozialistischen Militär zu vermitteln, tritt das Bemühen, erste militärfachliche Kenntnisse zu lehren. Grundsätzlich scheinen die Schulbücher darauf angelegt, mögliche Distanzen zwischen militärischer und nicht-militärischer Welt abzubauen, denn die auffallend häufige Präsentation militärischer Themen macht jene zu einem scheinbar regulärem Bestandteil der Bücher. In Verbindung mit dem Machtsicherungspotenzial, das der NVA für die SED zukommt, offenbaren sich in der qualitativ und quantitativ beachtlichen Konfrontation der Schüler mit militärischen Inhalten die herrschaftssichernden Intentionen der Partei noch deutlicher, als sie es in den meisten anderen Themen der Instrumentalisierung tun. In den Schulbüchern schlägt sich die marxistisch-leninistische Kampf- und Revolutionsidee in der Romantisierung von Revolutionen, Revolutionsführern oder ganz allgemein revolutionären Ansichten und Ideen nieder. Auch der Kampf angeblich unterdrückter Staaten findet Aufmerksamkeit und Solidarität. Revolution und Kampf ziehen sich als Traditionslinien wie ein roter Faden durch die Schulbücher. Insbesondere Arbeiterlieder und denen ähnliche Gedichte oder Texte vermitteln dabei kämpferische, martialische und oftmals brutale Botschaften, die sich direkt drohend gegen den Kapitalismus richten. Kampf und Revolution sind nach marxistisch-leninistischer Anschauung die Triebkräfte der Menschheitsentwicklung. Sie sind darum und auch aufgrund der ganz realen, von Auseinandersetzungen etwa mit dem Nationalsozialismus geprägten Geschichte des Sozialismus bzw. Kommunismus wesentliche Bestandteile sozialistischer Tradition und der sozialistischen Idee. Nicht jede auf das Analysekriterium zutreffende Aussage lässt sich den bisher genannten Themen zuordnen, nicht jede Aussage gehört einem umfangreicheren übergeordneten Themenbereich an. Die wesentlichen Themenbereiche 268
sind die in dieser Studie beschriebenen. Zahlreiche weitere Aussagen lassen sich dem ganz grundsätzlichen Versuch zuordnen, die Schüler von der Parteinahme für den Sozialismus zu überzeugen. Hier wird der Sozialismus als Ganzes selbst Gegenstand positiver Bewertungen. Außerdem weisen die Schulbücher regelmäßig unmittelbar auf das Erfordernis zur Parteinahme hin; dies geschieht nicht selten in größter Deutlichkeit, indem einerseits klar aufgezeigt wird, welche die richtige Seite ist (dies passiert mithin ja bereits in den anderen Themenbereichen der Instrumentalisierung) und andererseits die Notwendigkeit betont wird, sich für eine Seite zu entscheiden. Geht es in den bisherigen Themenbereichen vor allem um die positive Bewertung des Sozialismus, also des (aus SED-Sicht) eigenen Systems, wird in den Schulbüchern sehr oft auch die negative Bewertung des anderen Systems betrieben, also der unter dem Begriff Kapitalismus subsumierten westlichen marktwirtschaftlichen Demokratien. Die hier zur Anwendung kommenden Mechanismen sind denen der positiven Bewertung ähnlich, nur unter einem anderen Vorzeichen. Die permanent als positiv herausgestellten Eigenschaften des Sozialismus, verdeutlicht zum Beispiel an der DDR, der Sowjetunion, der NVA, Ernst Thälmann usw., liegen der Darstellung der Schulbücher nach im Kapitalismus ins Gegenteil verkehrt vor. Der Kapitalismus wird zudem als im leninschen Sinne imperialistisch qualifiziert und damit als unmittelbar vor seinem Ende stehend sowie besonders aggressiv und ausbeuterisch. Kapitalistische bzw. imperialistische Staaten seien ausschließlich ein von Konkurrenz dominiertes Instrument profitorientierter Imperialisten, gegen die Interessen der Menschen gerichtet und kriegsversessen. Während die Vorzüge des sozialistischen Systems weltweit ausstrahlen würden, sei der Kapitalismus historisch überlebt. Die Schulbücher vermitteln hier ein stereotypes und dichotomes Weltbild. In besonderer Weise pejorative Züge trägt dabei der Versuch, den Kapitalismus als faschistisch zu qualifizieren. Auch vor Wahrheitsverzerrungen und Lügen wird nicht zurückgeschreckt. Diese Darstellung zieht sich gleichsam der positiven Bewertung des Sozialismus über alle Klassenstufen und Unterrichtsfächer hinweg durch die Schulbücher. So offenkundig unbescheiden die positive Bewertung des eigenen Systems ist, so offenkundig überheblich ist die negative Bewertung des Kapitalismus; so wenig wie Kritik am Sozialismus geübt wird, so wenig wird dem Kapitalismus Positives gelassen. Darüber hinaus legt vor allem die Undifferenziertheit und Aggressivität, mit der der die westlichen Demokratien systematisch zum Feindbild gemacht werden, die in den Schulbüchern verfolgten herrschaftssichernden Intentionen offen.
269
Grundsätzlich in gleicher Weise ist die Bundesrepublik Deutschland negativen Bewertungen ausgesetzt. Doch ist der Tonfall hier noch feindseliger. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, dass die Bundesrepublik als Staat mit den gleichen historischen und kulturellen Wurzeln sowie als unmittelbare Alternative ,vor der Haustür’ eine besondere Konkurrenzsituation für die SED begründet. Von besonderer Schärfe ist die Schilderung angeblicher Über- und Angriffe auf Grenzen und Territorium der DDR seitens des westdeutschen Staates. In solcherlei Ausführungen liegt für die SED die Möglichkeit, ihren unmittelbaren Konkurrenten, dessen offenkundiger wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand eine alltägliche Bedrohung nicht nur des sozialistischen Weltbildes ist, abzuqualifizieren und damit die Vorzüge der DDR noch deutlicher herauszustellen. Das Thema Faschismus wird genutzt, um den Sozialismus als per se antifaschistisch und im Kontrast dazu den Kapitalismus als faschistische Züge tragend zu charakterisieren. In der geschichtlichen Singularität nationalsozialistischer bzw. faschistischer Verbrechen erkennt die SED offenkundig ein enormes normatives Potenzial, was sie in den Schulbüchern, der kommunistischen Faschismustheorie folgend, für den Sozialismus und gegen den Kapitalismus instrumentalisiert. Der Marxismus-Leninismus beinhaltet ein Weltbild im besten Wortsinn, aus dem Aussagen zu nahezu jedem Lebensbereich ableitbar sind. Dementsprechend liegen die marxistisch-leninistischen Lehren mehr oder weniger deutlich (und damit erkennbar) allen möglichen Schulbuchäußerungen zugrunde, insbesondere auch den bisher beschriebenen Themen. Zusätzlich lässt die SED in den Schulbüchern den Marxismus-Leninismus direkt ansprechen und bewerben. Damit bereitet die Partei unmittelbar den Weg für ihre fundamental auf dem Marxismus-Leninismus basierende Legitimation als Herrscherin. Das herrschaftssichernde Potenzial der Schulbücher in den einzelnen Unterrichtsfächern ist unterschiedlich. Es hängt maßgeblich von dem fachspezifischen Stoff ab, der nicht immer für eine Instrumentalisierung geeignet ist. Die Schulbuchautoren versuchen das Potenzial der verschiedenen Fächer dennoch weitestgehend auszuschöpfen: Auf Herrschaftssicherung angelegte Inhalte finden sich so beispielsweise in Rechenaufgaben der Fächer Mathematik und Physik, im Rahmen von Bemerkungen zur chemischen Wissenschaft im Fach Chemie oder zum Gesundheitswesen der DDR im Fach Biologie, in Übungstexten zu Rechtschreibung und Grammatik oder Gedichten und Lesebuchgeschichten im Deutschunterricht, weiterhin in Liedtexten und deren Erläuterungen im Fach Musik, in der Darstellung der Welt, der sozialistischen Staaten, der DDR oder einzelner Bezirke im Fach Geographie und schließlich als historisch270
materialistische Geschichte in der Zwangsläufigkeit des Sieges des eigenen Systems sowie als Vermittlung der SED-Weltanschauung ohne jeden Umschweif über andere fachspezifische Inhalte im Fach Staatsbürgerkunde. Obwohl die Instrumentalisierung oft dichotom, undifferenziert und stereotyp ist, ist sie doch auch variantenreich und tiefgehend. Insbesondere ist anzumerken, dass über alle Schulbücher hinweg ein Weltbild aufgebaut wird, zu dem alle Bücher auf ihre individuelle Weise beitragen. Das Feindbild zum Beispiel wird aus Perspektive der naturwissenschaftlich-technischen Schulbücher, wo es dann um den kapitalistischen Missbrauch der Wissenschaft oder der Raumfahrt geht, ebenso bedient wie in den Deutschschulbüchern, in denen in Gedichtform von schlechten reichen Menschen die Rede ist oder in denen Übungstexte vom manipulativen Missbrauch der Sprache durch die Kapitalisten handeln. In den Geographieschulbüchern wird dieses Bild weiter ausgebaut, wenn die Ausbeutung afrikanischer Staaten durch den Kapitalismus beschrieben wird; und im Musikunterricht formulieren Arbeiterkampflieder deutliche Kampfansagen an diesen. Vom menschheitsgeschichtlich unabwendbaren Ende des Kapitalismus erfahren die Schüler dann aus den Geschichtsschulbüchern und in den Staatsbürgerkundeschulbüchern wird die marxsche Kapitalismuskritik unmittelbar aufbereitet und dargeboten. In ähnlicher Weise geschieht dies für die anderen Themen der Instrumentalisierung und damit letztlich für das Weltbild insgesamt. Die zwölf Themen der Instrumentalisierung spielen dabei in fast allen Schulbüchern eine Rolle. Es lässt sich bilanzieren, dass die Schulbücher der einzelnen naturwissenschaftlich-technischen Fächer am wenigsten Herrschaftssicherungspotenzial aufweisen. Sie enthalten weniger auf Herrschaftssicherung angelegte Inhalte als die Schulbücher der übrigen Fächer. Außerdem machen einzelne naturwissenschaftlich-technischen Fächer lediglich einen geringen Anteil am Gesamtwochenstundenaufkommen der POS aus. Sehr starkes Herrschaftssicherungspotenzial ist den Deutschschulbüchern zuzuweisen. Die quantitative Instrumentalisierung ist hier hoch; zudem ist Deutsch das am meisten unterrichtete Fach an den POS. Stark instrumentalisiert sind auch die Musik- und Geographieschulbücher, denen aber ein geringer Anteil am Gesamtwochenstundenaufkommen der POS zukommt. Das herrschaftssichernde Potenzial der Schulbücher in den verschiedenen Fächern wird nicht ausschließlich von der Rolle des jeweiligen Faches im Gesamtunterrichtsgefüge und dem Instrumentalisierungsgrad seiner Schulbücher bestimmt. So sind die Staatsbürgerkunde- und auch die Geschichtsschulbücher mit deutlichem Abstand zu allen übrigen Büchern am stärksten von auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten durchdrungen. Gerade im Staatsbürgerkun271
deunterricht ist die Instrumentalisierung jedoch so stereotyp und offenkundig, dass mögliche herrschaftssichernde Effekte geschmälert werden. Der Geschichtsunterricht nimmt einen deutlich geringeren Anteil am Gesamtwochenstundenaufkommen ein als der Deutschunterricht, greift aber nach dem Staatsbürgerkundeunterricht auf die am stärksten instrumentalisierten Schulbücher zurück. Die potenziell herrschaftssichernden Inhalte sind hier mit der realen historischen Entwicklung verwoben, sodass ein wenigstens dem ersten Anschein nach in sich stimmiges Bild der Menschheitsgeschichte gezeichnet wird, indem alles auf den Kommunismus hinausläuft. Die Grenzen zwischen instrumentellen und nicht-instrumentellen Schulbuchinhalten verschwimmen im Geschichtsunterricht wie in keinem zweiten Fach. Aus diesen Gründen wird dem Geschichtsunterricht das größte herrschaftssichernde Potenzial zugeschrieben, gefolgt vom Deutschunterricht und den anderen Unterrichtsfächern. Für die naturwissenschaftlich-technischen Fächer ist indes zu bemerken, dass trotz der hier insgesamt geringen quantitativen Instrumentalisierung gerade diesen aufgrund ihres tendenziell objektiveren Inhaltes schwierig zu instrumentalisierenden Fächern ein nicht zu unterschätzendes Herrschaftssicherungspotenzial zukommt. In diesen Fächern kommen die Schüler auch dort mit auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten in Berührung, wo weniger damit zu rechnen ist. Für das herrschaftssichernde Potenzial der Schulbücher in den verschiedenen Unterrichtsfächern sind also verschiedene Faktoren ausschlaggebend. Ganz wesentlich dürften trotz der übrigen erwähnten Einflussfaktoren das Ausmaß der Schulbuchinstrumentalisierung und die Gesamtzahl an Wochenstunden sein, mit denen die jeweiligen Unterrichtsfächer während der zehnjährigen Schulpflichtzeit an den POS unterrichtet werden. Die Wochenstundenanteile der Unterrichtsfächer sind der untenstehenden Tabelle zu entnehmen. In der darauf folgenden Abbildung sind das Ausmaß der Schulbuchinstrumentalisierung und die Gesamtzahl an Wochenstunden zueinander in Beziehung gesetzt:
272
Fach
Klasse
1 I
2
3
4
5
6
7
8
9
10
II
Deutsch
11 10 12 14 14 7
6
5
5
3
3
Russisch
6
5
3
3
3
3
6
6
6
4
5
4
3
2
2
3
3
Mathematik
5
5
6
6
6
Physik Astronomie
1
Chemie
2
4
2
2
Biologie
2
2
1
2
2
2
Geographie
2
2
2
2
1
2
2
2
4
4
5
5
Werkunterricht
1
Schulgartenunterricht
1
1
1
2
1
1
1
1
Polytechnischer Unterricht, davon ESP
(1) (1) (2) (2)
Technisches Zeichnen
(1) (1)
Produktive Arbeit
(2) (2) (3) (3)
Geschichte
1
2
Staatsbürgerkunde
2
2
2
2
1
1
1
2
Zeichnen
1
1
1
1
2
1
1
1
1
1
Musik
1
1
1
2
2
1
1
1
1
1
1
Sport
2
2
2
2
3
3
3
2
2
2
2
Wochenstunden
21 21 24 27 29 31 33 32 33 31 32
Tabelle 3:
1397
Stundentafel POS Anfang der achtziger Jahre 1397
Quelle: Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR 1989, S. 62.
273
Abbildung 30:
Herrschaftssichernde Potenziale der Schulbücher nach Unterrichtsfächern 1398
Die Schulbücher lassen sich innerhalb dieser Vier-Felder-Matrix vier Quadranten zuordnen. Von insgesamt geringem herrschaftssichernden Potenzial für die SED sind diejenigen Schulbücher, die sich im ersten Quadranten befinden – ein geringes Ausmaß auf die jeweiligen Fächer entfallender Wochenstunden trifft hier auf ein geringes Ausmaß der Schulbuchinstrumentalisierung. Am höchsten ist das Herrschaftssicherungspotenzial in den Quadranten zwei und drei, wo das Ausmaß der Schulbuchinstrumentalisierung groß ist und insbesondere im dritten Quadranten zudem auf eine hohe Anzahl an Wochenstunden trifft. Aus der Matrix ist lediglich eine Tendenz ablesbar, da – wie schon ausgeführt wurde – weite1398
274
Quelle: Verfasser.
re Faktoren existieren, die das herrschaftssichernde Potenzial der Schulbücher beeinflussen. Auch wenn es Seiten, Kapitel und sogar vereinzelte Schulbücher gibt, die keine auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalte aufweisen, ist der Instrumentalisierungsprozesse über die Klassenstufen und Unterrichtsfächer hinweg insoweit vollständig, als eine durchgängige Konfrontation der Schüler mit potenziell herrschaftssichernden Inhalten sichergestellt ist. Dem Instrumentalisierungsprozess können sich die Schüler während ihrer Schulpflicht auf Ebene der Schulbücher unmöglich entziehen, er begleitet sie während ihrer gesamten Schulbiographie. Die insgesamt umfängliche Instrumentalisierung führt dazu, dass die Schulbücher rein auf Adaption angelegt sind. Dies trifft nicht auf ausnahmslos jede Aufgabe oder ausnahmslos jede Aussage des Schulbuchs zu, doch es geschieht immer dann, wenn Themen mit weltanschaulicher Relevanz behandelt werden. Dies ist wie ausgeführt wurde oft der Fall und die Grenzen sind fließend. Damit schaffen die Schulbuchautoren eine für selbstbewusstes Denken und Hinterfragen hinderliche Atmosphäre. Kritische Urteilsfähigkeit wird ebenso wenig gefördert wie Analysefähigkeit, denn die Ergebnisse eines wie auch immer gearteten Denkprozesses stehen allzu oft bereits fest. Meinungen werden zu Tatsachen und Argumentation ist, wenn sie versucht wird, am Weltbild orientiert, nicht an der Kraft der Argumente. Zusammengefasst zeigt sich die Instrumentalisierung der Schulbücher also in der Durchdringung dieser Lehrmedien mit einer Vielzahl von Aussagen, die auf verschiedene Weise der Legitimation der SED dienen. Sie tun dies, weil sie zunächst das sozialistische System umfassend und ohne Ausnahme positiv bewerten – hier liegt der eindeutige Schwerpunkt der Instrumentalisierung. In der Gesamtschau und mit Blick auf die Deutlichkeit, mit der dies geschieht, ist es angemessen, dies als universelle Glorifizierung des Sozialismus zu bezeichnen. Hinzu tritt der Versuch, die Schüler an den Sozialismus zu gewöhnen, d. h. durch fortwährende Thematisierung seiner Bestandteile ein ganz bestimmtes Bild des Systems zu verfestigen. Um die möglichen Effekte der Glorifizierung und Gewöhnung zu verstärken, lässt die SED eine Vergleichsfolie schaffen die, um die eigenen Vorzüge kontrastieren zu können, das Gegenteil des Sozialismus sein muss und die, um den Gewöhnungsprozess zu stützen, Alternativen zum eigenen System ausschließen muss. Diese Vergleichsfolie sind die westlichen Demokratien, verschlagwortet als Kapitalismus oder Imperialismus. Wann immer ein Schüler von einem sozialistischen Vorzug liest, ist er entweder bereits mit dem entsprechenden kapitalistischen Nachteil konfrontiert worden, oder dies wird noch geschehen. Dort, wo in den Schulbüchern die Arbeiterklasse oder kommu275
nistische Parteien behandelt werden, lässt die SED deren Führungsanspruch und Position im sozialistischen Machtgefüge regelmäßig betonen. Das allem übergeordnete und in dieser Form von den Schulbüchern auch offen kommunizierte Bemühen gilt dem Versuch, die Schüler zu Parteinahme für den Sozialismus zu bewegen. Alle Bereiche des in den Schulbüchern zu vermittelnden Wissens sind dazu zwar nicht ausnahmslos aber durchgängig instrumentalisiert. Die Bücher sind hier aufeinander abgestimmt. 7.2
Wirkung
Die Frage nach der Wirkung des Instrumentalisierungsprozesses kann diese Studie nicht beantworten, dies war auch nicht das Ziel. Doch lassen die Befunde einige Thesen zu: Angesichts der offenkundigen Instrumentalisierung z. B. im Staatsbürgerkundeunterricht oder mit Blick auf das stereotype Feindbild, das mit dem Erleben vieler Schüler (Anziehungskraft des Westens, ,Westfernsehen’) ebenso wenig kompatibel ist wie das ausufernde Lob sozialistischer Lebensverhältnisse, dürfte weiten Teilen der Schulbuchinstrumentalisierung ein beträchtliches Maß an Wirksamkeit genommen worden sein. Eine Wirkung des Instrumentalisierungsprozesses gänzlich auszuschließen, scheint aber nicht nur angesichts der Befunde dieser Studie zu einfach. Monika Gibas sieht es beispielsweise als evident an, dass „die Sozialisationsinstanz Marxismus-Leninismus im kollektiven Gedächtnis Spuren hinterlassen hat“ und sich zu „spezifischen Bewußtseins-, Verhaltens- und Denkweisen von Menschen materialisiert“. Gibas weist darauf hin, dass die Adaption der marxistisch-leninistischen Lehre selektiv sei und insbesondere der Friedensgedanke, das Gleichheits- und Solidaritätsprinzip und das Feindbild auf- und angenommen würden. In Verbindung mit „tradierten Mentalitätsbausteinen“ führe dies zu einer unterscheidbaren ostdeutschen Mentalität.1399 Winfried Gebhardt und Georg Kamphausen sehen in dem Alltagsphänomen der Ostalgie latent anti-westliche und anti-kapitalistische Ideologeme. Dies werde manifest in der Suche nach einem richtigen dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus, ein Gedanke, der sich auch im Westteil der Republik einer großen Zahl von Sympathisanten erfreuen könne.1400 Die Autoren konstatieren auch ein Bedürfnis vieler Ostdeutscher nach einem starken Staat, der Ordnung in die nach der Wende schwieriger zu durchschauenden Lebensverhältnisse bringe. 1399 1400
276
Gibas 1997, S. 262. Vgl. Gebhard/Kamphausen 1999, S. 516.
Angesichts der Verklärung der DDR als sozialen Paradieses scheint dieser Befund plausibel. Die Überbetonung des Staates ist auch ein Merkmal der Schulbücher. Staat und SED sind dort nicht zu trennen, und die SED bzw. der Staat ist der Schulbuchdarstellung nach nicht nur universell zuständig, sondern auch universell erfolgreich. Auch Lothar Fritze hält die Propaganda- und Erziehungsversuche der SED nicht für gänzlich erfolglos. Er sieht diese Erfolge aber als sehr vermittelt, sporadisch und unvollständig an.1401 Von rudimentären Spuren der ideologischen Erziehung in der DDR spricht Udo Margedant1402 und für Roswitha Wisniewski ist noch nicht absehbar, „ob die ständige Indoktrination nachhaltiger, als zunächst offensichtlich, das Denken beeinflußt und unbewußte Vorurteile gezüchtet hat“.1403 Johannes L. Kuppe sieht eine die gesellschaftliche Realität der DDR bestimmende „ideologischen Gemengelage“. Nach Kuppe sei offen, welche Rolle der Marxismus-Leninismus jenseits der Parteiintentionen tatsächlich im täglichen Leben habe. Insbesondere sieht der Autor einen Unterschied zwischen der Scheinakzeptanz ideologischer Setzungen als sich in Anpassung zeigender Abwehr und der gegen rasches Umdenken weitestgehend resistenten Wirkung vierzigjähriger Indoktrination. Nach Kuppe sei es abwegig, davon auszugehen, dass der in der DDR gelebte und praktizierte Marxismus-Leninismus nur ein Oberflächenphänomen bleibe.1404 Die Schulbücher sind nur ein Indikator für die gesamtgesellschaftliche Indoktrination, die von der Kindergrippe bis hin zum Berufsleben ein ständiger Begleiter der DDR-Bürger ist und sich manifester Strukturen, Kontrollmechanismen und Repressionsmöglichkeiten bedienen kann. Eine Wirkung der Indoktrination gänzlich zu verneinen, scheint angesichts dessen nicht plausibel. Andererseits wäre es zu einfach gedacht, etwa die Verklärung der DDR als in der Instrumentalisierung der DDR-Schulbücher begründet zu sehen. Zumindest gestattet sich aber die Frage nach diesbezüglichen Zusammenhängen. Es ist offensichtlich, dass die vor allem im Ostteil der Republik verbreitete verklärende Nostalgie auf einer wenigstens in Teilen positiven Einstellung zur DDR wurzelt. Durchaus denkbar wäre hier ein Zusammenhang mit der exzessiven positiven Bewertung der DDR und des Sozialismus in den Schulbüchern und vielleicht noch mehr mit der systematischen Verschleierung von Problemen und Krisen im 1401 1402 1403 1404
Vgl. Fritze 1999, S. 499. Vgl. Margedant 1995, S. 1525. Wisniewski 1995, S. 2066. Vgl. Kuppe 1995, S. 1372.
277
zweiten deutschen Staat. Einen Beitrag hierzu, so viel kann mindestens festgehalten werden, leisten die Schulbücher. Mag also die positive Bewertung der sozialistischen Welt Spuren in den Köpfen hinterlassen, so trifft dies möglicherweise auch auf die negative Bewertung des Kapitalismus zu. Gegebenenfalls liegt schon die zunehmend gebräuchlicher werdende Wahl des Begriffs Kapitalismus für die marktwirtschaftliche Wirtschaftsform (gar die soziale Marktwirtschaft) teils in der entsprechenden Begriffswahl in den ehemaligen Ostblockstaaten (und ihren Schulbüchern) begründet. Auch mögliche Aversionen gegen diese Wirtschaftsform oder gar gegen die Demokratie mögen zu welchen Teilen auch immer in dem Glauben an die marxsche Kapitalismuskritik und in deren exzessiver Darbietung in den Schulbüchern gründen. Ähnliche Fragen werfen auch die Befunde einer im Jahr 2003 veröffentlichten Längsschnittstudie auf.1405 Untersucht wird hier der politische Mentalitätswandel von ostdeutschen Jugendlichen der Geburtsjahrgänge 1972/73 zwischen dem vierzehnten und neunundzwanzigsten Lebensjahr. Gegen Ende der achtziger Jahre ist bei dieser Personengruppe ein zunehmender Verfall sowohl des Glaubens an den Sieg des Sozialismus als auch der politischen Identifikation mit der DDR messbar. Dennoch glauben noch 1989 vierundneunzig Prozent der Befragten an eine gesicherte Zukunft der DDR.1406 Hier offenbart sich erneut die eben angesprochene Unkenntnis der Verhältnisse im eigenen Staat – etwa hinsichtlich der zu dieser Zeit existenziell bedrohlichen Wirtschaftslage. Angesichts der Schulbücher als Indikator für gesellschaftliches Wissen und angesichts solcher Befunde sei hier die These formuliert, dass die DDR-Bürger ihren Staat in weiten Teilen nicht kennen. Wohl mögen sie mit ihrer eigenen Lebenswelt vertraut sein, doch nicht mit den systemischen Gegebenheiten um diesen kleinen Realitätsausschnitt herum – was sich heute auch in der Verzerrung des DDR-Bildes niederschlägt. Die Befragten sind im Jahr 1992 überwiegend positiv zur deutschen Einheit eingestellt, betrachten aber das Gesellschaftssystem mehrheitlich skeptisch. Die Unzufriedenheit bezieht sich einerseits auf das politische System, andererseits auf die Wirtschaftsordnung.1407 Weit verbreitet sind auch Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des Systems.1408 Manifestieren sich hier auf Unwissenheit beruhende Verklärung und falsche Erwartungen, oder handelt es sich lediglich um berechtigte Skepsis? Falls Letzteres zutrifft, sei gefragt, wieso diese Jugend1405 1406 1407 1408
278
Förster 2003. Vgl. Förster 2003, S. 7. Vgl. Förster 2003, S. 10. Vgl. Förster 2003, S. 11.
lichen noch im Jahr 1989 an eine sichere Zukunft der DDR glauben, die diese Zukunft aus eigenem Verschulden heraus nie hat, aber der Zukunft des über lange Jahre trotz Krisen von Wohlstandzuwächsen gekennzeichneten westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems so skeptisch gegenüberstehen. Ist dies nachvollziehbare Folge der erlebten Zäsur oder doch Folge von Indoktrination? Fragen wirft auch der Befund auf, dass mehr als die Hälfte der Befragten im Jahr 2002 an sozialistische Ideale glaubt – mit zunehmender Tendenz.1409 Es wird nicht untersucht, was sich unter dem Konstrukt sozialistischer Ideale verbirgt, doch scheint der Befund dennoch begrenzt aussagefähig: Sozialistische Staaten und insbesondere diejenigen, mit denen die Befragten konkrete Erfahrungen machen, können jegliche Form von Idealen zwar auf dem Papier bzw. ideell beanspruchen, doch kaum in der Realität. Dies gilt mithin für alle sozialistischen Staaten, weltweit und historisch. Was also sind die Ideale, an die hier geglaubt wird? Die Schulbücher liefern durchaus ein umfängliches Portfolio solcher Ideale (Friedensliebe, Antifaschismus, Humanismus, Freiheit, Demokratie, Wohlstand für alle etc.). Sollten sich die Befragten auf diese Ideale beziehen, sähen sie also diese für sich genommen durchaus anstrebenswerten Ziele als sozialistisch an, wäre hier doch ein Erfolg der Instrumentalisierung gegeben. Die tatsächliche Instrumentalisierung erlebt jeder DDR-Bürger anders und sie führt bei jedem Individuum zu individuellen Schlüssen und Konsequenzen. Betont sei daher, dass Determiniertheiten wie den eben angesprochenen, nie pauschale Gültigkeit gegeben ist, weder für Personen(gruppen) noch für auftretende Denkhaltungen. Die Befunde der Studie lassen keine über die aufgeführten Überlegungen und Fragen hinausgehenden Schlüsse zu. Es dürfte im Übrigen ausgeschlossen sein, zwanzig Jahren nach Ende der DDR noch einwandfrei bestimmen zu können, welche aktuellen Haltungen in welcher Form und in welchem Ausmaß auf die Indoktrination durch die SED oder gar die Schulbücher zurückzuführen sind.1410 Zusammenfassend lässt sich zu dem Problem der Wirksamkeit der Schulbuchinstrumentalisierung mit Sicherheit nur dieses sagen: Eine Wirkung der über zehn Schulpflichtjahre hinweg betriebenen Indoktrination der Schüler durch die Schulbücher ist angesichts der Breite und Tiefe, mit der sie stattfindet, und angesichts der Rolle der Schulbücher wahrscheinlich.
1409 1410
Vgl. Förster 2003, S. 14. Zur Wirksamkeit der ideologischen Erziehung und zu damit verbundenen Messproblemen vgl. z. B. die ausführlicheren Ausführungen von Tenorth/Kudella/Paetz 1996, S. 247–258.
279
7.3
Instrumentalisierungsrealität
Mögliche Aussagen zur Instrumentalisierungsrealität basieren auf der Stellung der Schulbücher in der DDR, die bereits ausführlich dargelegt wurde. Vor dem Hintergrund dieser Stellung der Schulbücher und unter der Prämisse, dass die Lehrer und Schüler die instrumentalisierten Abschnitte der Schulbücher nicht systematisch ignoriert haben, ergeben sich hier zwangsläufig auch Einblicke in die Instrumentalisierungsrealität. Von einem solchen Ignorieren ist indes nicht auszugehen, nicht nur, weil es der Rolle der Schulbücher nicht gerecht wird, sondern auch weil die instrumentalisierten Abschnitte nicht immer ohne weiteres insbesondere für die Schüler aber auch für die Lehrer zu erkennen sind und weil in vielen Fächern oder Kapiteln die Instrumentalisierung nicht einfach von den fachlichen Ausführungen zu trennen ist. Die Instrumentalisierungsrealität lässt sich damit innerhalb folgender Grenzen beschreiben: Sie ist einerseits bestimmt von der zwangsläufigen Konfrontation der Schüler mit auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten, und zwar in einer systematischen Weise. Generell kann von einer Wirksamkeit dieser Inhalte ausgegangen werden, exaktere Wirkungsaussagen sind auf Basis der Befunde dieser Studie nicht möglich. Die Instrumentalisierungsrealität ist aber andererseits auch von einem Instrumentalisierungsprozess gekennzeichnet der oftmals offenkundig stereotyp und vereinfacht ist und dadurch eine Schwächung erfährt. Sie ist vor allem auch von relativierenden Einflüssen außerhalb der Schulbücher bestimmt, zu denen anhand der Untersuchungsergebnisse keine Aussage getroffen werden kann. Mit Blick auf diese Grenzen lautet der aus den Untersuchungsergebnissen ableitbare Befund zur Instrumentalisierungsrealität im DDRSchulwesen wie folgt: Kein DDR-Schüler kann sich der Instrumentalisierung entziehen. Die Zwangsläufigkeit, in der sich die Schüler mit dem Inhalt der obligatorischen Schulbücher in den obligatorischen Fächer befassen müssen, begründet auch die unvermeidbare Befassung mit auf Herrschaftssicherung angelegten Inhalten. Nahezu alle DDR-Schüler machen darum Erfahrungen mit der Glorifizierung des Sozialismus und der intensiven Abwertung des Kapitalismus. Sie alle werden in zahlreichen Varianten über alle Fächer und Klassenstufen sowie schulbuchinterne Darstellungsformen hinweg permanent mit einem festgefügten Weltbild konfrontiert. Hier und schon in den vorangegangenen Ausführungen dieses Kapitels werden zahlreiche weiterführende Fragen aufgeworfen. Auf die grundsätzlichen Probleme der Wirkungsmessung und der Messung von Instrumentalisierungsrealität wurde bereits hingewiesen. Dennoch kann weitere Forschung hier durchaus erhellend tätig sein. Analysen grundlegender Quellen, z. B. von Schulbüchern 280
anderer Schulformen, auch unter quantitativen Fragestellungen wären geeignet, die aus solchen zunächst von menschlichen Einflüssen unabhängigen Quellen resultierende Erkenntnisse zu verbreitern und zu vertiefen. Sie sollten ergänzt werden durch Untersuchungen relevanter Personenkreise wie etwa in der oben zitierten Längsschnittstudie. Im Zusammenspiel so gewonnener Untersuchungsergebnisse ließe sich das Bild von der Instrumentalisierungsrealität und damit eng verbunden von der Wirkung der Instrumentalisierung schärfen. Die SED unternimmt wenigstens den Versuch, alle DDR-Bürger zu manipulieren. Die Frage, inwieweit sich das tatsächlich auswirkt, geht einher mit der Frage, inwieweit das aktuelle gesellschaftliche Zusammenleben davon, gleich in welche Richtung, beeinflusst ist. Das Aufdecken etwaiger Zusammenhänge dieser Art birgt Brisanz, aber auch die Chance von Erkenntnis, die die Grundlage von Aufklärung ist. 7.4
Ausblick
Während in den Monaten vor der Wiedervereinigung eine breite Mehrheit aller Deutschen gegen den Sozialismus ist und die DDR verurteilt, wandelt sich dieses Bild im Ostteil der Republik bald. Nach der Wiedervereinigung wird deutlich, dass der Transformationsprozess auch mit Schwierigkeiten verbunden ist, augenfällig ist zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit. Vor diesem Hintergrund wird die DDR nun wieder zunehmend positiv gesehen. Vor 1989 bietet die Bundesrepublik die idealisierte Vergleichsfolie zum Alltagsleben vieler Ostdeutscher. Heute kommt der gleichsam idealisierten DDR diese Funktion zu. Seit der Jahrtausendwende werden dem SED-Staat von der Mehrheit der Ostdeutschen mehr gute als negative Seiten bescheinigt. Parallel zum Wachstum der Unzufriedenheit über die eigene oder allgemeine Lebenssituation nimmt die Verklärung der DDR bei vielen Ostdeutschen zu, d. h., positive Seiten werden betont, während negative verschwiegen oder ignoriert werden.1411 Diejenigen, die konkrete Erfahrungen mit der DDR vorzuweisen haben, geben diese an die Jüngeren weiter. Dabei wird regelmäßig ein DDR-Bild vermittelt, welches von individuellen Erlebnissen und Erfahrungen geprägt ist und kein negatives Gesamturteil zulässt. Dieses Kurzschließen individueller Lebenswelten mit der systemischen Realität kommt im Nachhinein dem SED-Staat zugute.
1411
Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 9, 13, 19, 55.
281
Kritik an der DDR wird als Angriff auf die eigene Lebensleistung gesehen.1412 Dabei korrespondiert das DDR-Bild deutlich mit dem Bildungsniveau. Mit zunehmendem Bildungsniveau wird die DDR kritischer, d. h. negativer gesehen. Je mehr Kenntnisse über den SED-Staat vorhanden sind, desto kritischer fällt ein entsprechendes Urteil aus.1413 Die Charakterisierung der DDR ist also weniger eine Frage der Tatsachen als eine Frage der Kenntnis derselben. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint das Desinteresse an der Aufarbeitung der DDRGeschichte bedenklich. Das Interesse von Schulen und Universitäten an DDRbezogenen Themen lässt nach. Der zweite deutsche Staat ist vielerorts wenig mehr als eine „Fußnote in der zeitgeschichtlichen Betrachtung“.1414 „Jahre nach der Vereinigung zeigt sich das lange Leben der Mythen des Kommunismus. Hand in Hand geht damit die Tabuisierung seiner Verbrechen. Gepflegt wird der Mythos vom Sozialstaat DDR, der Mythos von der Frauenemanzipation und vor allem der Mythos Antifaschismus. Er dient der nachholenden Legitimation und Definition einer DDRIdentität, als hätte es keine Opfer, Flüchtlinge, keine Entmündigung gegeben. Vorreiter sind die Postkommunisten und viele Intellektuelle, die nach wie vor den Mythos vom demokratischen Sozialismus verkünden, die Segnungen der Diktatur preisen, die Verbrechen verharmlosen und zugleich die alten Feindbilder revitalisieren. […] Da auch noch über den Wertekonflikt zwischen Arbeit und Freiheit die Institutionen der Freiheit abgewertet werden, fördert dies das verbreitete mangelnde Vertrauen in die demokratischen Verfahren und Institutionen, und statt Teilhabe wird ein Verständnis von Politik, das allenfalls 1412
1413 1414
282
Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 19. Dies zeigt sich beispielhaft in Leserbriefen, die Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder als Resonanz auf erste veröffentlichte Ergebnisse ihrer Untersuchung des DDR-Bildes bekommen: „Ich bin geborener DDRBürger, heute 38 Jahre alt und habe – Gott sei Dank – die DDR noch einige Zeit erleben dürfen. Und diese Zeit war ganz sicher nicht von Repressalien und Angst geprägt, sondern von einer Kindheit und Jugend in sozialer Sicherheit und Geborgenheit. Existenzangst, Zittern um den Job, Bettler und Obdachlose habe ich erst nach der Wende kennengelernt. Ich werde alles daran setzen, meiner Tochter ein wahres Bild über die DDR zu vermitteln, eben aus Sicht eines DDR-Bürgers“ (Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 15). Hier wird persönliches Erleben mit generellen Systemmerkmalen verwechselt. Nicht nur die in 3.3.1 skizzierten Auswüchse der SED-Herrschaft setzten den Leserbriefschreiber ins Unrecht, sondern auch die individuellen Erfahrungen anderer DDR-Bürger, nämlich die Erfahrungen derjenigen, die in Kontakt mit der ,anderen Seite’ des SED-Regimes kommen oder einfach in der Lage oder willens sind, diese Seite wahrzunehmen. Die folgenden Zeilen einer Mutter gingen dem Verfasser der vorliegenden Studie als Reaktion auf eine frühere Publikation zum DDR-Schulwesen zu: „Mein Sohn mußte mit vierzehn oder fünfzehn an einer Ausbildung der GST teilnehmen. Das wurde von der Schule organisiert und man hat die Kinder in einem Lager im Schießen und Nahkampf ausgebildet. Es wurde ihnen vorgeführt, wie man mit einer Drahtschlinge einen Menschen tötet. Der Feind war immer der ‚Aggressor Bundesrepublik’. Wir haben unsere Kinder in der DDR erzogen, wie auch ich erzogen wurde, zweigleisig. Das war nicht anders möglich, denn wir wollten unsere Kinder nicht durch diesen Staat erziehen lassen.“ Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 9, 597, 601. Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 13.
auf Teilnahme aus ist, verstärkt. In dieser geistigen Landschaft gewinnt die Aufarbeitung und Erinnerung der Verbrechen beider deutscher Diktaturen besondere politische Bedeutung.“1415
Rechtfertigungs- und Verharmlosungstendenzen oder Mythen gibt es in Deutschland auch nach dem Zweiten Weltkrieg (z. B. Mythos von der ,sauberen’ Wehrmacht). Angesichts solcher Fanale wie Auschwitz ist es jedoch kaum möglich, Verbrechen des Nationalsozialismus anhaltend zu relativieren. Die SED hat Verbrechen von der Dimension des Nationalsozialismus nicht zu verantworten. Ihre Verbrechen unterscheiden sich jedoch nur graduell von denen des Nationalsozialismus, nicht prinzipiell. Die Auschwitz-Lüge ist unter Strafandrohung gestellt. Wie mögen wohl angesichts der Behauptung der DDR als sozialen Paradieses hunderte Mütter empfinden, deren Kinder an der Mauer erschossen, hunderte Familien, die durch die Grenzschließung auseinandergerissen, hunderttausende Menschen, die verhaftet, dann gefoltert und erniedrigt werden, weil sie anders denken, Unzählige, die aus demselben Grund nie zu reparierende Schäden in ihren Bildungs-, Karriere- und Lebensbiografien hinnehmen müssen, ebenso Unzählige, die von Ehepartnern, Freunden oder Kollegen bespitzelt und verraten werden, oder alle diejenigen, denen das Recht auf Glaube oder eigenverantwortliche Gewissensentscheidungen aberkannt wird? Hier handelt es sich nicht um Polemik, sondern um tragische Fakten, die zunehmend in den Hintergrund gedrängt werden. Dies wäre als Prozess des vergessenden historischen Gesundens dann akzeptabel, wenn sich das Bild von der DDR, die dies unter Herrschaft der SED zu verantworten hat, nicht gleichermaßen verklärte. Momentan ist allerdings kein auf gründlicher Aufarbeitung, Dokumentation und Aufklärung beruhender Prozess des Abschließens mit der Vergangenheit zu beobachten, sondern ein Prozess der Uminterpretation und Verfälschung dieser Vergangenheit. Der hier dominierenden Unwissenheit, Verdrängung oder Schönfärberei ist im Übrigen leicht zu begegnen: Zahlreiche Quellen aus der DDR selbst sind geeignet, das verklärte Bild von der DDR wieder stärker an den Realitäten auszurichten: „Die Selbstzeugnisse der Diktatur sprechen eine viel offenere Sprache, als die meisten vermuten. Dem Irrglauben vieler Ostdeutscher, sie würden die DDR kennen, weil sie in dem Staat gelebt haben, ließe sich durch unter Verschluss gehaltene Dokumente zu den genannten Themen [Zustand der Wirtschaft, Versorgungsmängel, Verfolgung Oppositioneller – L. K. ] oder auch zur Umweltsituation, zur Einkommens- und Lohnstruktur usw. entgegenwirken.“1416
1415 1416
Neubert 2000b, S. 882 f. Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 605.
283
Eine ähnliche Wirkung ist mithin den Schulbüchern zuzubilligen. Schon der Blick in einzelne Bücher zeigt plastisch vor allem auch denen, die nicht in der DDR aufwachsen, sie aber beispielsweise basierend auf Erzählungen von Verwandten dennoch verklären, welchen Deformationen der Alltag in der DDR ausgesetzt ist.1417 Fast zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung ergibt sich also noch mehr als zuvor die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit der DDR. Angesichts der Quellenlage, angesichts baulicher Denkmäler wie Hohen-Schönhausen, Bautzen oder Mauer, Grenze und Todesstreifen, angesichts tausender Zeitzeugen geht es hier nicht mehr um die Frage, ob in der DDR Unrecht geschehen ist. Diese Frage ist beantwortet. Es geht vielmehr darum, die tatsächlichen Verhältnisse offenzulegen, um einem einseitig verklärenden Bild entgegenzuwirken, sodass künftige Generationen die Chance haben, ihr DDR-Bild auf Grundlage aller dazugehörigen Informationen zu formen: „Diesen unbefriedigenden Zustand [die eben angesprochene Schieflage des DDR-Bildes – L. K.] zu verändern, ist Aufgabe von Wissenschaftlern, Politikern und Medien, die sich der freiheitlich-demokratischen Ordnung einer zivilen Gesellschaft verpflichtet fühlen. Dabei geht es, um es noch einmal zu wiederholen, nicht um die Delegitimierung ostdeutscher Biografien, sondern um die Delegitimierung einer Diktatur, die den Menschen Unfreiheit und Leid gebracht hat. Einem Bild, auf dem die positiven Impulse der friedlichen Revolution, der Wunsch nach Freiheit, Demokratie, Wohlstand verblassen, während die Erinnerung an das vermeintlich schöne und solidarische Leben in der DDR die dunklen Seiten sozialistischer Diktatur überlagert, muss durch Aufklärung entgegengewirkt werden.“1418
Hier bleibt selbstredend auch Raum für die Betrachtung positiver Aspekte.1419 Die Wissenschaft kennt keine Untersuchungsverbote und in der öffentlichen Diskussion gefährden diesbezügliche Tabuisierungen den für einen differenzierten Umgang mit der DDR-Geschichte notwendigen Meinungspluralismus.1420 Dies 1417
1418 1419
1420
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Der Verfasser konnte derartige Erfahrungen mit jungen Ostdeutschen machen. Hier zeigt sich schnell, dass eine enorme Unwissenheit über die DDR vorherrscht und schon das Vermitteln weniger Fakten, der Einblick in die Schulbücher ist hier nur ein Beispiel, ein Umdenken auslöst. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 606. Zu den ,guten Seiten’ der DDR werden zum Beispiel die Kindereinrichtungen, Jugendklubs, Ferienlager, Polikliniken oder auch das Schulsystem gezählt. Der am stärksten positiv erinnerte Aspekt der DDR bleibt die Sozialpolitik, d. h. die empfundene soziale Sicherheit (vgl. Förster 2003, S. 12 f. oder auch Gebhardt/Kamphausen 1999, S. 519). „Es muß möglich sein, auch Positives zu benennen, ohne deshalb in den Verdacht der Verklärung der DDR-Verhältnisse oder gar der Gegnerschaft zum System der Bundesrepublik zu geraten“ (Fritze 1999, S. 495).
kann jedoch niemals losgelöst von den Negativaspekten geschehen, da diese stets mit den Positivaspekten in Verbindung stehen. Als zentraler Vorteil der DDR wird zum Beispiel und wie schon erwähnt regelmäßig die dort vermeintlich vorhandene hohe soziale Sicherheit angeführt.1421 Diese existiert jedoch nur bei oberflächlicher Betrachtung. Sie ist tatsächlich permanent mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden, insofern die Staats- bzw. SED-Macht nicht austausch- oder kontrollierbar ist und für die DDR-Bürger grundsätzlich keine Möglichkeit besteht, gegen einen Missbrauch dieser Macht vorzugehen, etwa mithilfe unabhängiger Gerichte oder freier Medien. Es trägt zynische Züge, bezogen auf einen Staat, in dem niemand ausschließen kann, aufgrund der Bespitzelung von Freunden oder Familienmitgliedern zum politischen Häftling zu werden, von sozialer Sicherheit zu sprechen. Hinzu kommt, dass das, was unter dieser sozialen Sicherheit verstanden wird, teuer erkauft ist: Die Gewährleistung sicherer Arbeitsplätze oder günstiger Mieten etwa ist maßgeblich für die Deformation der DDR-Wirtschaft verantwortlich. Die permanent nicht vorhandene Konkurrenzfähigkeit der DDR-Wirtschaft mit den westlichen Marktwirtschaften, die nach dem Mauerfall offenkundig wird, oder ihre Unfähigkeit, die Binnennachfrage zu befriedigen (Mangelwirtschaft), resultieren (auch) hieraus. Die vermeintliche soziale Sicherheit in der DDR ist politisch motiviert und gewollt, aber ökonomisch nicht realisierbar.1422 Sie ist mitverantwortlich für das Ende der DDR und die bis heute daraus resultierenden wirtschaftlichen Konsequenzen für ganz Deutschland, vor allem aber für den Osten. Dennoch wird gerade die soziale Sicherheit als Stärke der DDR angeführt. Angesichts solcher Paradoxien findet Tobias Hollitzer klare Worte: „Dass sich die Diktatur der Nationalsozialisten nicht auf Autobahnbau und geringe Arbeitslosigkeit reduzieren lässt, haben wir gelernt. Muss betont werden, dass sich das Alltagsleben in der DDR nicht auf Schulmilch und billige Mieten beschränkte?“1423 Für den Bereich des DDRBildungswesens fast Peter Kohrs dies bereits 1986 trefflich so zusammen: „Könnte man im Bereich der allgemeinen Erziehungs- und Bildungsvorstellungen des DDR-Systems viele gesellschaftliche Normen […] und moralische Normen […] für sich genommen durchaus akzeptieren, so wird man insgesamt dennoch kritisch beurteilen müssen, daß diese Bezüge determiniert sind durch ‚totale’ ideologische Anforderung, so daß
1421 1422
1423
Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 597, 605. Das Recht auf Arbeit, die niedrigen Mieten und Lebensmittelpreise dienen dem Nachweis der Überlegenheit des Sozialismus und stehen darum nie zur Disposition (vgl. Schroeder 1999, S. 496 f., 516). Hollitzer 2004, S. 5
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offiziell für andere Auffassungen und kritisches Hinterfragen kaum eine Möglichkeit besteht.“1424
Anhand der Schulbücher wird evident, dass das DDR-Schulwesen, gleich welche Vorteile es durchaus auch haben möge, an wesentlicher Stelle versagt: Die schulische Sozialisation erstarrt in den Grenzen eines unantastbaren Weltbildes. Hier werden keine selbstbewussten, kritischen, kreativen oder mündigen Bürger sozialisiert. Am unproblematischsten bewegen sich diejenigen durch das Schulwesen, die das Weltbild entweder verinnerlichen und leben oder sich wenigstens den Anpassungszwängen unterwerfen. Angesichts der stereotypen und verfälschenden Undifferenziert dieses Weltbildes ist Ersteres ebenso wenig ein Gewinn für die betroffenen Menschen wie das vom Anpassungszwang auferlegte Leben zwischen zwei Welten, nämlich der offiziellen vom Weltbild bestimmten und der inoffiziellen eigenen Gedankenwelt. Die dritte Gruppe von Menschen schließlich, die auch offiziell Andersdenkenden, werden bestenfalls in die Grenzen des Weltbildes verwiesen und schlimmstenfalls Opfer von Repression. In der DDR-Schule will die SED keine Persönlichkeiten formen, sondern ,sozialistische Persönlichkeiten’. Angesichts dessen, was sich dahinter verbirgt, findet hier am ehesten eine Persönlichkeitsdeformation statt. Wenn diese begrenzt oder gar ins positive Gegenteil verkehrt wird, ist das nicht das Verdienst offizieller staatlicher, sondern Ergebnis inoffizieller privater Bemühungen von Eltern, Verwandten, Freunden, einzelnen Lehrern oder sonstigen Bezugspersonen. Das private Glück, das es selbstredend auch in der DDR gibt, die individuelle, vermeintlich von der Diktatur entfernte Lebenswelt, ist doch – das zeigen in aller Deutlichkeit die eben besprochenen Beispiele – in nahezu allen Bereichen von dieser bestimmt. Folgerichtig sehen Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder vom Forschungsverbund SED-Staat in der von der SED betriebenen Politik der Entdifferenzierung der Gesellschaft ein Erschwernis für die analytische Trennung von System und Lebenswelt. Sie sprechen sich darum gegen die getrennte Betrachtung von Herrschaft und Gesellschaft in der DDR aus. Die Autoren bezeichnen es sogar als „fatal“1425, die Gesellschaft der DDR als losgelöst von der SED-Herrschaft zu sehen, weisen aber ausdrücklich auch auf das informelle Eigenleben von Teilen der Gesellschaft hin.1426 Gerade die Schulbücher zeigen, wie gründlich verflochten Alltag und Weltanschauung sind; hingewiesen sei dazu beispielsweise noch einmal auf die Ubiquität von SED, Arbeiterklasse, Sowjetunion, FDJ und Pionierorganisation in den Schulbüchern. Kei1424 1425 1426
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Kohrs 1986, S. 5 Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 89 Vgl. Deutz-Schroeder/Schroeder 2008, S. 89.
ner der angeblich positiven DDR-Aspekte ist frei von solchen in der SEDDiktatur wurzelnden ,Nebenwirkungen’. Eine isolierte Beschäftigung mit vermeintlich positiven Aspekten ginge an der Realität vorbei und wäre insofern erneut Ausdruck verzerrter Darstellung.1427 Darum ist die Aussage, in der DDR sei nicht alles schlecht gewesen, oder die Feststellung, es habe gute und schlechte Seiten an der DDR gegeben,1428 zwar zutreffend aber auch banal und sagt nichts über den SED-Staat aus. Zum Schluss steht somit ein Plädoyer für weitere Forschung und Aufklärung zur DDR. Wissenschaft dient dem Fortschritt. Die Verklärung der DDR weist in die entgegengesetzte Richtung.
1427
1428
Vgl. Fritze 1999, S. 493. Weitere Beispiele für mit vermeintlichen Positivaspekten in Verbindung stehende Negativaspekte sind: Kinderbetreuung vs. ideologische Indoktrination und Militarisierung, vermeintlich leistungsfähiges Schulsystem vs. Determiniertheit von Bildungskarrieren durch politische Angepasstheit usw. Diese Feststellung trifft die große Mehrheit der in der oben besprochenen Längsschnittstudie befragten Jugendlichen (vgl. Förster 2003, S. 13).
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:
Gewöhnung an die SED im Heimatkundeschulbuch .......................................89 Positive Bewertung der SED im Geschichtsschulbuch ...................................98 Führungsrolle und positive Bewertung von SED und Arbeiterklasse im Heimatkundeschulbuch .............................................................................102 Positive Bewertung der DDR in der Fibel .....................................................103 Positive Bewertung der DDR im Geographieschulbuch ...............................105 Positive Bewertung der DDR im Musikschulbuch ........................................109 Gewöhnung an sozialistische Staaten in der Fibel ........................................120 Positive Bewertung Thälmanns im Geschichtsschulbuch .............................123 Positive Bewertung Lenins im Musikschulbuch ...........................................125 Gewöhnung an Thälmann und Lenin in der Fibel .........................................128 Gewöhnung an die Pionierorganisation in der Fibel .....................................133 Gewöhnung an die FDJ im Geschichtsschulbuch .........................................135 Positive Bewertung der NVA im Lesebuch ...................................................142 Gewöhnung an Waffen im Schulbuch Technisches Zeichnen ......................148 Gewöhnung an Waffen im Physikschulbuch .................................................149 Gewöhnung an Waffensysteme im Mathematikschulbuch ...........................151 Militärisches Fachwissen im Physikschulbuch ..............................................151 Militärische Gewöhnung im Heimatkundeschulbuch ...................................153 Positive Bewertung der NVA in der Fibel .....................................................155 Fahnensymbolik im Lesebuch .......................................................................158 Sympathie mit Afrika im Geschichtsschulbuch .............................................162 Kampf- und Revolutionssymbolik im Lesebuch ...........................................163 Positive Bewertung des Sozialismus im Lesebuch ........................................170 Negative Bewertung der USA im Geschichtsschulbuch ...............................174 Feindbild im Geschichtsschulbuch ................................................................176 Feindbild im Lesebuch ...................................................................................176 Dichotome Gegenüberstellung von Sozialismus und Kapitalismus im Geographieschulbuch ................................................................................182 Behauptung westdeutscher Aggression im Heimatkundeschulbuch .............191 Feindbild Bundesrepublik Deutschland im Geschichtsschulbuch ................195 Herrschaftssichernde Potenziale der Schulbücher nach Unterrichtsfächern ..................................................................................274 Arten von Schulbüchern in der DDR ...............................................................43 In die Untersuchung eingehende Schulbücher .................................................48 Stundentafel POS Anfang der achtziger Jahre ...............................................273
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Literatur und Dokumentenverzeichnis
Wissenschaftliche Literatur Ackerman, Jens P., 2005: Die Jenaer Schulen im Fokus der Staatssicherheit. Eine Abhandlung zur Mitarbeit von Lehrern und Schülern beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Weimar: Bertuch. Ahbe, Thomas, 2004: Die Konstruktion der Ostdeutschen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 41– 42/2004. Herausgegeben von der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn. S. 12–22. Ahrberg, Edda, 1996: Mit gestutzten Flügeln. Jugend in der DDR. Magdeburg. Arendt, Hannah, 1986: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München: Piper. Agethen, Manfred/Jesse, Eckhard/Neubert, Erhart (Hrsg.), 2002: Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken. Freiburg: Herder. Ammer, Thomas, 2003: Die ,sozialistische Schule’ – Erziehung und Bildung in der DDR. In: Eppelmann, Rainer/Faulenbach, Bernd/Mählert, Ulrich (Hrsg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Paderborn: Schoningh. S. 293–299. Andersen, Uwe, 2008: Kapitalismus. In: Nohlen, Dieter/Grotz, Florian (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik. 4. Auflage. Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung. S. 254–256. Ansorg, Leonore, 2002: Die Pionierorganisation ,Ernst Thälmann’. In: Stephan, Gert Rüdiger/Herbst, Andreas/Krauss, Christine u. a. (Hrsg.): Die Parteien und Organisationen der DDR. Ein Handbuch. Berlin: Dietz, S. 658–677. Anweiler, Oskar, 1988: Schulpolitik und Schulsystem in der DDR. Opladen: Leske + Budrich. Baerns, Barbara (Hrsg.), 1986: Die DDR in Deutschland. Köln: Wissenschaft und Politik. Ballestrem, Karl Graf, 1999: Aporien der Totalitarismus-Theorie. In: Jesse, Eckhardt (Hrsg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert: Eine Bilanz der internationalen Forschung. 2. Auflage: Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung. S. 237–251. Bamberger, Richard, 1995: Methode und Ergebnisse der internationalen Schulbuchforschung im Überblick. In: Olechowski, Richard (Hrsg.): Schulbuchforschung. Frankfurt am Main: Peter Lang. S. 46–94. Barion, Jakob, 1974: Was ist Ideologie? Studie zu Begriff und Problematik. 3. Auflage. Bonn: Bouvier. Barkleit, Gehrhard/Kwiatkowski-Celofiga, Tina (Hrsg.), 2008: Verfolgte Schüler – gebrochene Biographien. Zum Erziehungs- und Bildungssystem der DDR. Dresden: Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung.
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L. Knopke, Schulbücher als Herrschaftssicherungsinstrumente der SED, DOI 10.1007/978-3-531-93371-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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