l GUSTAV ADOLF LEHMANN
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"Römischer Tod" in, Kolophon/Kl...
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l GUSTAV ADOLF LEHMANN
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"Römischer Tod" in, Kolophon/Klaros Neue Quellen zum Status der "freien" Polisstaaten an der Westküste Kleinasiens im Späten zweiten Jahrhundert v. ehr.
V&R VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
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Vorgelegt von Herrn Gustav Adolf Lehmann in der Sitzung vom 3. Mai 1996
Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen
Reinhold Merkelbach in Dankbarkeit zum 7. Juni 1998 gewidmet
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Inhaltsübersicht
1. Die großen Eh re ndek re te for Menippos und Polemaios von Kolophon . .... .
7
2. Ämter und Liturgien der Honoranden .. '.................. '........ .
14
3. Die Gesandtschafisreisen nach Rom .............................. .
22
4. Politische Führung und demokratische Staatsordnung ................. .
28
5. Kolophon und die Provinz Asia . ................................ .
32
6. Die Entscheidung in Rom - E1tt tProJ.1at~&t 8ava"Crot? ................. .
38
7. Anhang . .................................................. .
45
7.1 Übersichtsplan des Heiligtums von Klaros (in hellenistischer und römischer Zeit) . .......................................... .
45
7.2 Menippos- Dekret . ........................................ .
46
7.3 Polemaios- Dekret . ........................................ .
50
7.4 Übersetzungen .. ......................................... .
57
8. Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 66
8.1 Antike Autoren . ........................................... 66 8.2 Inschri:/ten . ............................................... 68
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1. Die großen Ehrendekrete für Menippos und
Polemaios von ]\..olophon Zur Geschichte der römischen Interventionen ab 200 v. ehr. und der unterschiedlichen Reaktionen im hellenistischen Osten auf den Aufstieg Roms zur Weltmacht steht für die erste Hälfte des 2. Jh. v. ehr. eine reichhaltige Quellendokumentation zur Verfügung, in deren Mittelpunkt die zeitgenössischen "Historien" des Polybios stehen, auch wenn wir dieses Werk weithin nur noch in Teilen und sekundären Bearbeitungen (u. a. in Livius~ vierter und fünfter Dekade) greifen können. Weitaus schlechter ist es dagegen mit unserer Quellenbasis für die zweite Hälfte des 2. Jh. v. ehr. bestellt - insbesondere für die Zeit nach dem Schicksalsjahr 133 v. ehr. und dem abrupten Ende der machtvollen Monarchie in Pergamon, deren Kerngebiete - im Zuge der heftigen und schließlich in eine offene Krise mündenden Auseinandersetzungen in Rom um das Reformprogramm der Gracchen - nach dem sog. Aristonikos-Krieg zur provincia Asia umgestaltet wurden 1. Umso höher ist daher unter dem anhaltenden Zuwachs an epigraphischen Dokumenten des 2. Jh. v. ehr. der historische Rang der beiden Ehreninschriften für Menippos (Adoptivsohn des ApolIonides und natürlicher Sohn des Eumedes) und Polemaios (Sohn des Pantagnotos) aus Kolophon an der ionischen Ägäisküste zu veranschlagen, deren Texte an prominenten Plätzen innerhalb des kolophonischen Orakel-Heiligtums von Klaros (des neben Didyma bedeutendsten Apollon-Heiligtums an der ionischen Küste) auf monumentalen Steinbasen (ß1i~cx.) eingemeißelt worden sind, auf denen sich - von einer kleinen Säule (o'tOA,tC;) emporgehoben - jeweils vergoldete Standbilder der Honoranden befunden haben (s. u.). Von beiden Denkmälern hat im Zuge der weiteren Ausgestaltung des Heiligtums in hellenistisch-römischer Zeit jeweils offenbar eine Reihe jüngerer Statuenweihungen entlang der Heiligen Straße ihren Ausgang genommen: Fand das Menippos-Denkmal unmittelbar an der Südostecke des großen Apollon-Tempels seinen Standort, so wurde das Polemaios-Monument direkt am Südeingang zum heiligen Bezirk hinter dem Propyläentor, an der von der Küstensiedlung "NeuKolophon" / "Kolophon am Meer" aus in das Heiligtum führenden Straße, auf-
1 Wie sehr durch die politischen Initiativen des C. Sempronius Gracchus die ursprünglich vorn kommandierenden Proconsul M' Aquillius nach seinem Sieg über Aristonikos (s. u.) getroffenen Regelungen für die hellenischen Poleis im Bereich der Provincia Asia verändert worden sind, hat zuletzt R. M. KALLET- MARX, Hegemony to Empire: The Development 0/ the Roman Imperium in the East ./fom 148 to 62 B. c., Berkeley-Los Angeles 1995, bes. S. 97 ff. u. 109f. deutlich herausgearbeitet. Zur "demagogischen Wende" in der römischen Behandlung der Hellenenstädte von Asia s. generell die bekannte Rede des M. Antonius in Ephesos (42/1 v. ehr.) bei App. b. c. 5, 4.
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gestellt (s. u. die Übersichtsskizze S. 45). Die beiden Monumente markieren somit in der wechselvollen Geschichte dieses altberühmten - und sicherlich bis in vorgriechische Zeit hinaufreichenden - Orakelheiligtums in gewisser Weise den Wendepunkt zu einer neuen Blütezeit (s. u.). Die inhaltlich weithin parallelen (und nachweislich nahezu gleichzeitig abgefaßten) Ehrendekrete der Polis für Menippos und für Polemaios gehören zu dem reichen Bestand an epigraphischen Dokumenten, der bereits in den ersten Kampagnen der von 1951 bis 1954 von L. Robert im Heiligtum von Klaros geleiteten Ausgrabungen entdeckt wurde, aber bis 1989 (bzw. zu einem beträchtlichen Teil bis heute!) unpubliziert geblieben ist2 • Die Existenz dieser beiden besonders umfangreichen und unter kulturgeschichtlichem wie politisch-historischem Aspekt ergiebigen Inschriften ist freilich der fachkundigen Öffentlichkeit schon seit Jahr2 L. u. J. ROBERT, Claros 1- Decrets Hellenistiques, fase. 1, Paris 1989 (vgl. SEG 39, 1243 u. 1244); zu weiteren wichtigen Inschriftenfunden vor Ort (einschließlich der mehr als 300 in Stein gehauenen Listen von auswärtigen Gesandtschaften an das Orakel!) s. die Bemerkungen a. a. O. S. 4 f. u. 9, vgl. auch den ersten (nur andeutenden) Kurzbericht über die Befunde und Resultate der Ausgrabungen: L. ROBERT, Les fouilles de Claros. Conjerence donnee l'Universite d'Ankara la./in de quatre campagnes de fouilles (1954), wieder abgedruckt in: Opera Minora Selecta VI, Amsterdam 1989, S.523-549. Hinzugekommen ist inzwischen aber nur die Publikation des Ehrendekrets für den "Orakelleiter" Menophilos aus Smyrna, dessen 1nschriftenstele unweit des Polemaios-Monumentes an der Toranlage des Südeinganges zum Heiligtum aufgestellt worden ist: L. u. J. ROBERT, Decret de Colophon pour un chresmologue de Smyrna appele diriger l'oracle de Claros, in: BCH 116, 1992, S.279-291. Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des "Orakelbetriebes" und der spezifischen, regionalen "Reichweite" des Heiligtums von Klaros in der Kaiserzeit leistet die von R: MERKELBACH und J. STAUBER erstellte Sammlung der im vornehmlich kleinasiatischen und thrakischen Umkreis aufgefundenen Orakelsprüche aus Klaros: Die Orakel des ApolIon von Klaros, EA 27, 1996, S. 1-54 (jetzt auch in: R. MERKELBACH, Philologica. Ausgewiihlte Kleine Schriften, Stuttgart u. Leipzig 1997, S.155-218). Das in der hellenistischen Zeit weithin neu gegründete Orakelheiligtum von Klaros (s. u.) erreichte den Höhepunkt seines Ansehens erst in der frühen und hohen Kaiserzeit; wichtigstes Zeugnis: Tac. anno 2,54, 2f. (Besuch des Germanicus Caesar 18 n. Chr.), vgl. anno 12, 22, 1 (Orakelbefragung durch Lollia Paulina) sowie Plin. nato hist. 2, 232 U. a. m. - Zur Wiederaufnahme der französischen Grabungen in Klaros seit 1988 und den inzwischen besonders für die älteren Phasen seiner Geschichte (in leider eng begrenzten Sondierungen) erzielten Ergebnisse S. J. DE LA GENIERE, Le sanctuaire d'Apollon Claros, Decouvertes recentes, CRA1 1992, S.195-210; S. ferner B.HOLTZMANN, Les Sculptures de Claros, CRA1 1993, S. 809-817 U. H. W. PLEKET, Tempel en Oraakel van Apollo in Klaros, Hermeneus 66, 1994, S.143-151. Zu der im griechischen Mythos bewahrten "Rückerinnerung" an alte Beziehungen des Heiligtums von Kolophon/Klaros zu Pamphylien und dem - U. a. aus den Karatepe-1nschriften des 9./8. Jh. V. Chr. - bekannten (spät-) hethitischen Herrscherhaus in Kilikien ("Haus des Mopsos/Muksas") S. e. g. die Zeugnisse bei F.JACOBY, FGrHist 115 F 103 (m. Komm.) sowie die lokalhistorisch-genealogische Tradition bei Paus. 7, 3, 1-3. Rang und Glanz Kolophons und seines Apollonheiligtums innerhalb der archaischen griechischen Polis-Welt akzentuieren die bekannten Zeugnisse Horn. hymn. in ApolI. 1, 40, Art. 5 ferner Theopomp FGrHist 115 F 117, Aristot. pol. 4, 3, 8, 1290 b sowie Duris FGrHist. 81 F 86 (zur außerordentlich wohlhabenden und machtvollen Hopliten-Politeia Kolophons im 7.Jh. V. Chr. vor den Lyder-Kriegen). - Es gelten die Abkürzungen der "Annee Philologique".
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zehnten bekannt gewesen, konnten doch die der griechischen Epigraphik verpflichteten Althistoriker und Philologen immer wieder auf Bemerkungen und Hinweise in L. Roberts zahlreichen epigraphischen "Bulletins" und Studien stoßen, in denen einzelne Wendungen oder gar kurze Zitate aus den unpublizierten Texten vorgelegt und andeutungsweise erläutert wurden 3 • Offenkundig hat L. Robert mit wechselnder Intensität (bis zu seinem Tode am 31. Mai 1985) an einem möglichst umfassenden, alle Detailfragen und Probleme (einschließlich einer reichen Dokumentation von Parallelzeugnissen) erschöpfend behandelnden Kommentar zu den beiden - nach Erhaltung'szustand und Lesbarkeit der Texte weithin unproblematischen - Dekreten gearbeitet. Der gelehrten Öffentlichkeit aber wurde hier für mehr als ein Menschenalter jede zureichende Information verweigert; sie blieb darauf angewiesen, sich in Geduld aus den vereinzelten Hinweisen und Textproben - wie auch bei anderen wichtigen Inschriften Kleinasiens, die Robert in seine "Obhut" genommen hatte - ein eigenes Bild als i).rbeitsgrundlage zu schaffen 4 • Freilich hätte kein auf diese Weise erstellter "Komposit- Text" eine
3 Die postume Edition des Menippos- und Polemaios-Textes ist überdies etwas ungleichmäßig geraten: Gegenüber den ausführlichen und meisterhaften Erläuterungen zum Polemaios-Dekret fällt der Kommentar zur Menippos-Inschrift (S.67-104) deutlich ab; hinzu kommen einige (leicht korrigierbare) Versehen in der Textkonstitution. Mit der vollständigen Vorlage der beiden Dekret-Texte (mit deutscher Übersetzung) soll hier lediglich eine praktikable Arbeitsgrundlage bereitgestellt werden, die dem Leser das Verständnis der Einzelinterpretationen und -argumentationen erleichtern soll. Das Gleiche gilt für die beigefügte - vorläufige und durchaus schematische - Überblicksskizze (S. 45), da leider bislang in allen Grabungs- und Editionspublikationen (auch der neuesten Zeit) ein brauchbarer Überblicksplan fehlt, der eine Vorstellung von den Positionen des Menippos- und des Polemaiosdenkmals (noch in situ) sowie der anderen bislang ergrabenen Bauten und Monumente aus der späthellenistischen und römischen Zeit im Heiligtum von Klaros vermitteln könnte; der Entwurf unseres provisorischen Übersichtsplans basiert lediglich auf privaten'Unterlagen und Aufzeichnungen. - Kurze weiterführende Behandlungen der beiden Ehrendekrete aus Klaros haben inzwischen KJ. RIGSBY, Asylia. Territorial Inviolability in the Hellenistic Wor/d, Berkeley - Los Angeles 1996, S. 351/2 und SR. L. AGER, Interstate Arbitrations in the Creek Wor/d, 337- 90 B. c., Berkeley - Los Angeles 1996, S.59 - 461, Nr. 162, vorgelegt. 4 Zu der gleichwohl imposanten Gelehrtenpersönlichkeit Louis Roberts (1904-1985) und dem Rang seines großen auvres, das die griechische Epigraphik definitiv auf ein ganz neues Niveau gebracht hat und zu einer die antike Welt insgesamt und nahezu alle Bereiche der griechisch-römischen Altertumskunde umspannenden und befruchtenden Disziplin zu erheben suchte, s. u. a. den Nachruf von J. POUILLOUX, CRAI 1986, S. 355-367. - Das "reizvolle" Spiel mit Andeutungen und knappen Zitaten hat Robert über Jahrzehnte hin auch mit dem großen, für die politische Geschichte Griechenlands und seiner Bundesstaaten im späten 3. Jh. v. Chr. höchst bedeutsamen Xanthos- Dossier über die Unterstützung der dorischen "Metropolis" von Kytenion gespielt; vgl. hierzu nur die Hinweise in der editio princeps von J. BousQuET, La Stele des Kyteniens au Letoon de Xanthos, REG 101, 1988, S.1253 (SEG 38, 1476). Eine aufreizende Mißachtung der legitimen Informationswünsche in der gelehrten Öffentlichkeit stellte auch die "Präsentation" des (immerhin schon 1963 ausgegrabenen und historisch überaus wichtigen) seleukidischen Herrscherbriefe-Dossiers in
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Vorstellung von dem inhaltlichen Reichtum und der ereignis geschichtlichen Spannweite der in den Menippos- und Polemaios-Dekreten enthaltenen Informationen gegeben, die uns nunmehr für die Beziehungen zwischen Rom und den Polisstaaten Westkleinasiens vom Ende der pergarnenischen Monarchie bis (mindestens) in das vorletzte Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts v. ehr. zur Verfügung stehen. 5 Die chronologisch-historische Einordnung der kolophonischen Dekrete läßt sich freilich nur über entsprechend präzise Angaben im Menippos-Text absi-
Sardes aus dem Jahr 213 v. Chr. dar (abgesandt von Antiochos IH. und der Königin Laodike nach der Rückeroberung der Residenzstadt und Bezwingung des Usurpators Achaios: Pol. 7, 15-17 u. 8, 15-21, B. W.); in der archäologischen Gesamtpublikation wurde von R. am Ende nur eine französische Übersetzung der Texte und dazu eine einzige Photographie (!) beigesteuert, auf deren Grundlage R. MERKELBACH dankenswerterweise eine vorläufige Textfassung wenigstens von einem der Dokumente erstellen konnte: vgl. G. M.A. HANFMANN (ed.), Sardes /rom Prehistory to Roman Times, Cambridge Mass. 1983, S.l11ff. u. RMERKELBACH, Brief des Antiochos IIi an die Stadt Sardeis, EA 7, 1986, S.74; s. inzwischen die umfassende Publikation von PH. GAUTHIER, Nouvelles Inscriptions des Sardes 1I, Genf 1989, Inschrift. Nr.1-4, passim. 5 Einen wichtigen Anstoß für die schließlich doch erfolgte Gesamtedition der Texte haben zweifellos erst die demonstrativen "Not-Publikationen" von SENlAuv8Qoontq.) hat der achaiische Bund die foederale Integration der Peloponnesier zustande bringen können: c.38, 8, vgl. auch 2,41,6-7 (Zusammenhalt des Bundesstaates EV OTJlloxQUt(~)sowie c.42, 3 u. 44, 6; das achaiische XOlVOV als ein OTJlloxQutlxOv XUI. 1tOAU€lOec; nOAlt€Ullu: Pol. 23, 12, 8. Das Pendant zu dieser metaphorisch zugespitzten Würdigung der achaiischen "Bundesdemokratie" bildet die vorangehende These (Pol. 2, 37 9-11), daß die Peloponnes - insbesondere in der Ära Philopoimens und Lykortas' - politisch-institutionell dank der achaiischen Bundesverfassung zu "einer einzigen Polis" zusammengewachsen sei (zugleich in prinzipieller Auseinandersetzung mit der skeptischen Einstufung des Ethnos-Bundesstaates in der Staatstheorie des Aristoteles!). Die Zielrichtung der von Polybios hier am "Modell" Acha-
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Das anerkannte Ideal einer "Demokratie unter den Staatswesen" bildet somit auch den Hintergrund für die im Menippos-Dekret als vornehmste Aufgabe (und schönster Erfolg) des Honoranden herausgestellte Verteidigung der Autonomie und Rechtsordnung von Kolophon gegen Übergriffe der Provinzstatthalter und für das entschlossene Eintreten für bedrängte (bzw. schon verurteilte und von' der Vollstreckung bedrohte) Mitbürger: Die alljährlich wechselnden römischen Gouverneure und Amtsträger vor Ort - mit den von ihrer Seite drohenden Willkürmaßnahmen und Entscheidungen - werden daher als die eigentlichen Gegenspieler der kolophonischen Polis und ihrer Staatsmänner in den Blick genommen 39 • Allerdings ging es bei der ersten und zweiten der im Menippos-Text in chronologischer Reihenfolge aufgezählten Rom-Missionen des Honoranden weniger um die Regelung konkreter Konfliktfälle, als vielmehr um Grundsatzentscheidungen, die der Senat hinsichtlich der Konsequenzen des Aristonikos-Krieges (und der Aufrichtung der Provinz Asia) für die "freie" Polis Kolophon zu treffen hatte: Damals ging es, wie im Dekrettext eindringlich hervorgehoben wird, schlechthin um die politische Existenz und den Status der Stadt (I 20: unEQ au'tiir; 'tiir; AEOOr;) sowie die Bewahrung ihrer "Privilegien", d.h. ihrer Autonomie und verfassungsmäßigen Grundordnung ('ta 'tou 8~I.lOU q>tAcX.v8Qoona). Während der dritten Rom- Mission konnten sodann für Kolophon - offenbar im Zusammenhang mit der allgemeinen Festlegung der Grenzen von Asia - vorteilhafte Lösungen in der territorialen Zuordnung eines strittigen Küstenabschnitts und von Randbereichen des Polis-Gebietes erreicht werden 40 •
no-
ias entwickelten Theorie eines freiheitlichen Bundesstaates ist zuletzt von A. PIATKOWSKI, Eleutheria kai autonomia chez Polybe, Klio 73, 1991, S. 391-401, bes. 393, arg mißverstanden worden: Es geht dem Historiker aus Megale Polis hier keineswegs darum, einen auf die Gliedstaaten des xotvoV angeblich ausgeübten Zwang "schönzureden", die Staatsidentität und ihre gewachsenen Verfassungstraditionen preiszugeben, sondern um eine positive Würdigung der inzwischen bestehenden und fiir alle gemeinsamen Bundesinstitutionen (einschließlich der einheitlichen Münzprägung) und damit der "Demokratie der Glied-Staaten" im Rahmen dieser achaiischen Föderation! 39 Auch im Polemaios-Text (II 51 f.) wird ausführlich und mit besonderem Stolz von der gelungenen Rettung eines schon von einem römischen Gericht in der Provinz verurteilten Kolophoniers berichtet. "Als Gesandter hat er sich zum Praetor begeben und dafür gesorgt, daß der Vorgang rückgängig gemacht wurde. Und so hat er die Gerichtskompetenz (unserer Polis), den Mitbürger und die Rechtsordnung unversehrt bewahren können"! 40 Die einschlägigen topographischen und historischen Fragen sind von L. und J. ROBERT (a. a. O. [Anm.2] S. 71 f.) ausführlich und überzeugend behandelt worden. - Der Konflikt mit der Nachbargemeinde Metropolis (Menippos I 50-II 3) hatte sich offenbar primär durch (angeblich widerrechtliche) Rekrutierungsmaßnahmen der kolophonischen Behörden (av8QOA.~"'lOV im Grenzbereich der beiden Territorien) entzündet und gehört somit zeitlich wohl noch in die (End- )Phase des Aristonikos-Krieges, in der die ionischen und karischen Poleis bekanntlich verstärkt zur Stellung von Truppenkontingenten und anderen militärischen Leistungen herangezogen worden waren (s. o. Anm. 16). Diese Affäre könnte daher auch noch zu den dringenden politischen Anlässen der zweiten Rom-Mission des Honoranden gehört haben.
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Wesentlich ausführlicher geht der Dekrettext im Folgenden auf Anlaß und Resultate der vierten und fiin/ten Gesandtschaftsreise des Menippos nach Rom ein; erneut habe die Autonomie der Kolophonier und ihre Rechtsordnung auf dem Spiel gestanden: "Die vierte Reise (zum Senat) unternahm er, als die in Asia eintreffenden Statthalter die Gerichtszuständigkeiten von den gesetzlichen Grundlagen hinweg ihrer eigenen Willkür unterstellt hatten und dabei den angeschuldigten Mitbürgern (von Kolophon) jedes Mal unter Zwang die Zahlung von Gerichtskautionen auferlegten "41. Als positives Resultat dieser heiklen Mission wird anschließend· (Menippos I 37-40) hervorgehoben, daß durch Menippos' Erfolg vor dem Senat "die Einwohner der Polis" (toU~ ... xa'tOtxoüv'ta~ 't~v nOAtv) - also nicht nur die Bürger, sondern die gesamte Wohnbevölkerung Kolophons - von diesen Kautionszahlungen und generell von ihrer Abhängigkeit von Willkür - Entscheidungen und - Maßnahmen seitens der Praetoren in Asia (Tii~ cr'tQa'tllYtxfj~ €~oucrta~!) befreit worden seien. Die Formulierungen in diesem Textabschnitt zeichnen sich durch eine Sprache von geradezu erfrischender Deutlichkeit aus. Und wenn wir zuvor auf die selbstverständlich gewordene, beflissene Anpassung der hellenischen "Spitzenpolitiker" dieser Zeit an den Habitus und die gesellschaftlich-politische Praxis der römischen Nobilität hervorgehoben haben, (s. o. S. 23), so verdient auch das in diesen Texten dokumentierte stolze Beharren auf dy~ Prinzip der Polis-Autonomie, die zähe Verteidigung der Gerichtshoheits u ~ines eigenverantwortlichen Staatslebens in Kolophon, unsere Anerkennung. - " ht ganz befriedigend ist allerdings - zumindest aus unserer Sicht - der Beful1 ' daß die konkreten Gegenstände der zuvor von den Praetoren in Asia ergffnden (offenbar nicht gerade wenigen) Rechtsverfahren in den Dekretberichten nicht weiter erläutert werden und daß insbesondere die eigentlichen Prozeßgegner der Kolophonier unerwähnt bleiben (s.o.): Ging es hier der Sache nach primär noch um Vorfälle und Probleme aus der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit oder - wahrscheinlicher um Rechtsstreitigkeiten, die erst nach der vollen Etablierung des 123/2 v. ehr. in Rom politisch beschlossenen Provinzialregiments in Asia ausgebrochen waren 42?
41 Menippos I 23-27; zur juristischen Praxis von vadimonium und satisdatio s. J.-L. FERRARY, Le statut des cites libres, a. a. O. (Anm.37) S.566/7; zur antiken Kommentarliteratur vgl. auch A. RODGER, Vadimonium to Rome (and elsewhere) , ZRG 114, 1997, S.160-196. 42 Noch immer schwankt die Datierung des bekannten Senatus consultum de agro Pergameno, das zusammen mit einem Magistratsentscheid den Streit der Polis mit den publicani über den Bestand des "freien" pergamenischen Territoriums beizulegen suchte (R. K. SHERK, Roman Documents/rom the Greek East, Baltimore 1969, Nr.12 S.63-73 sowie die in Ephesos und in Smyrna gefundenen Exemplare dieser Urkunde: G. PETZL, Die Inschriften von Smyma I, 1, I.K. 24, Bonn 1987, Nr.589, S.51-64 sowie II, 1, S.54 und II, 2, S.376 m.it wichtigen Hinweisen u. Lit.) zwischen Ansätzen um 129 oder 101 v. ehr. Die in den Inschriften von Priene dokumentierten (zeitweilig äußerst heftig geführten) Auseinandersetzungen zwischen der griechischen Polis und den römischen publicani in Asia um die Nutzungsrechte an den Salinen auf dem Tempelland der Athena Polias (F. FREIHERR HILLER V.
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Die Grundsatzentscheidung, die der Senat in Rom zugunstert der (von Menippos so wirkungsvoll vertretenen) Anliegen der Polis Kolophon getroffen hat, wird pointiert als definitive Abtrennung der Provinzverwaltung und des ihr zustehenden Territorialbereiches vom Raum der "Freiheit und Autonomie" charakterisiert, dem sich Kolophon zurechnen durfte: 'tij; €naQXBla; 'tij; ao'tovOllta; X(J)Qt08BlO-&r]; (Menippos I 39/40)! Konkret hatte der Senat die Gültigkeit der Rechtsordnung, der VOIlO1. von Kolophon, "für jede Form einer Prozeßklage" (€nL nav'to; ByxA~lla'to;) bestätigt und darüber hinaus offenbar noch ausdrücklich festgelegt, "daß sowohl der römische Täter (und Beklagte), als auch der gege.n einen unserer Mitbürger auftretende römische Kläger bei uns vor Gericht zu stellen ist" (Menippos I 40-44). Damit waren die Gerichtskompetenz und die Autonomie der Polis konsequent nach allen denkbaren Richtungen hin abgesichert worden, ohne daß diese großzügige Regelung - gleichsam als Privileg - mit aktuellen, außerordentlichen Verdiensten Kolophons um die römische Hegemoniemacht eigens begründet worden wäre. Später, nach dem Abschluß des ersten Mithradates-Krieges, sind - wie die inschriftliche Dokumentation im Falle von Chios zeigt - dermaßen weitgehende (auch römische Bürger ausdrücklich einbeziehende) Bestätigungen der Rechtsordnung und Gerichtshoheit einer verbündeten Polis (von bewährter, stets opferbereiter Loyalität gegenüber Rom) nur noch ausnahmsweise erfolgt 43 • Den im Menippos-Dekret paraphrasierten Senatsbeschluß wird man auch vom Verfahrensablauf her weder als Routine-Angelegenheit noch als zufälligen Einzelentscheid, sondern als Ausweis einer damals offensichtlich mit einiger Konsequenz verfolgten Linie in der römischen Hegemonialpolitik bewerten können. Das von Menippos zurückgebrachte Senatsschreiben dürfte im übrigen wohl erst die Rechtsbasis für jene erfolgreiche Mission des Polemaios geschaffen haben, der beim römischen Statthalter in Asia erstaunlicherweise sogar die Freilassung eines dort von einem (vom Gouverneur bestellten) Gerichtshof schon verurteilten Kolophoniers erreichen konnte (s. o. Anm.39). Im Zusammenhang mit dieser, von einem spektakulären politischen Erfolg gekrönten Episode werden erneut die engen sachlichen und chronologischen Verbindungen zwischen den beiden kolo-
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GÄRTRINGEN, Inschriften von Priene, a.a.O. (Anm.6), Ehrendekret f. Krates Nr.111, S.98/ 9, Zl.112f. u. 134f.) gehören dagegen erst in die 90er Jahre des 1. Jh. v. Chr.; zum Rechtsstreit um die Besitztümer des Artemisheiligtums von Ephesos mit den publicani, der in Rom schließlich eindeutig zugunsten der griechischen Metropole entschieden wurde, s. Strabon 14, 1, 26, p.642. 43 Vgl. die ausdrücklichen Hinweise auf den einschlägigen Senatsbeschluß von 80 v. ehr. in dem Brief-Bescheid eines römischen Statthalters aus augusteischer Zeit: R. K. SHERK, Roman Documents/rom the Creek East a. a. O. (Anm. 42) Nr.70 S. 351-356. - Zur (noch immer scharf ausgeprägten) politisch-rechtlichen Abgrenzung der privilegierten alt-hellenischen Polis-Staaten an der klein asiatischen Küste von ihrem - angeblich ja "nur" phrygischen, mysischen, lydischen und karischen - Hinterland s. auch Cicero, Flacc. §§64 u. 100.
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phonischen Ehrendekreten und dem Inhalt ihrer Leistungsberichte deutlich (s. auch u. S. 43).
6. Die Entscheidung in Rom - Ent ~Pffi~atxrot 8avatffit ? Ein nicht minder spektakuläres Resultat wird sodann von Menippos' fünfter Rom-Mission berichtet - "als Sendschreiben aus Rom geschickt worden waren bezüglich des gegen unsere Polis eingeleiteten Gerichtsverfahrens vor den Consuln (Menippos I 27-30) und (zwar) in der Sache des (nach Rom) zu einem Prozeß auf Leben und Tod (eyxA:rlllu XEq>UAtXOV) einbestellten Mitbürgers "44. Über den glücklichen Ausgang dieser Mfäre, die sich in Rom offenbar dramatisch zugespitzt hatte, wird im anschließenden Resümee (I 44-50) mit bewegenden Worten mitgeteilt: "Und den angeklagten Mitbürger - E1tt ·ProllUtxrot 8uva'trot (s. u.) der einbestellt worden war (nach Rom) unter einer Anklage auf Leben und Tod und der einem Gerichtshof übergeben werden sollte, den hat er zusammen mit der Polis einschließlich ihrer Rechtsordnung (ällu 'tfit 1tOAEt IlE'tO, 'trov vOllroV: I 47/8) gerettet. Aus diesem Anlaß kamen Gesandte aus den verwandten und befreundeten Staaten (nach Kolophon), um verständlicherweise ein Freudenfest zusammen mit unserem Demos zu feiern und mit ihm DM'kopfer darzubringen"45. Leider mangelt es uns an genügend detaillierten Ipfbrmationen, um den berichteten Vorgang (mit Klageerhebung ausdrücklich a:1·~ gegen die Polis selbst) und seine aktuelle - über den Umkreis von Kolophon ffensichtlich weit hinausreichende - Relevanz ganz verstehen zu können: Jed nfalls muß es sich politischrechtlich buchstäblich um eine " Haupt- und Staatsaktion" gehandelt haben! Als einigermaßen rätselhaft erweist sich hier zudem die ebenso knapp wie eindringlich formulierte Wendung E1tt PCOIlUtxrot 8uva'tcol (I 45). L. und! Robert haben in diesem Ausdruck eine Anspielung auf die Ermordung eines Römers in der kleinasiatischen Stadt sehen wollen, wobei die Polis als verantwortliche erste Gerichtsinstanz aus der Sicht der Ankläger insofern involviert gewesen sei, als der angeschuldigte und schließlich nach Rom einbestellte Kolophonier zuvor in seiner Heimatstadt nicht - wie von der römischen Seite gefordert - zu einer angemessenen (Kapital-) Strafe verurteilt worden war 46 .
44 Die von den amtierenden Consuln in Rom betriebene evocatio-Aktion gegen den angeschuldigten Kolophonier verweist zweifellos auf einen politisch bedeutsamen Hintergrund dieser Affäre; zum Verfahren der evocatio s. e. g. Cic., 2. Verr. 184 f., vgl.' auch J.L. FERRARY, a. a. O. (Anm. 37) S. 570/1. 45 Menippos I 44-50; in diesem Abschnitt finden sich mehrfach wörtliche Übereinstimmungen mit den entsprechenden Formulierungen im Polemaios-Dekret (U 51 f.), s. o. Anm.39. 46 L. u. J. ROBERTS Übersetzung dieses Passus (a. a. O. [Anm.2] S. 87) lautet daher: "Et le citoyen, qui etait accuse pour le meurtre d'un Romain et qui avait ete mande (a Rome)
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Gegen diese Deutung hat allerdings J -L. Ferrary wesentliche Bedenken vorgetragen und darauf hingewiesen, daß die eigentümliche Formulierung ·ProJ.Lat?