Terra Astra 229
E. C. Tubb
Rivalen der Nacht Ein Roman mit Earl Dumarest
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Waldschrat
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Terra Astra 229
E. C. Tubb
Rivalen der Nacht Ein Roman mit Earl Dumarest
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Waldschrat
TERRA-ASTRA erscheint wöchentlich im Moewig-Verlag Redaktion: Pabel Verlag KG Druck und Vertrieb: Erich Pabel KG, 7550 Rastatt Printed in Germany. Januar 1976. Deutscher Erstdruck Titel des Originals: VERUCHIA Copyright © 1973 by E, C, Tubb Aus dem Englischen von H. R Lehnen
Die Hauptpersonen des Romans: Earl Dumarest - Der kosmische Vagabund trägt einen tödlichen Kampf aus Veruchia - Eine Frau, die eine Welt erben soll Surat - Ein Cyber Montarg - Veruchias Rivale Selkas - Ein Mann, der um Veruchias Wohlergehen besorgt ist
1.
In dem Museum herrschte die Atmosphäre wie in einer Kathedrale. Die Besucher gingen leise hin und her und flüsterten nur, so, als wollten sie dem ehrwürdigen Gebäude ihre Achtung erweisen. Aus natürlichem Gestein gehauen, zogen sich hohe, gewölbte Gänge in alle Richtungen. Das Licht fiel durch schmale, bunte Glasfenster. Die Angestellten, die meist reglos neben riesigen Säulen standen, wirkten eher wie ausgestopfte Museumsstücke denn wie Menschen. Sie fielen kaum auf, und man konnte sie schnell vergessen Dumarest allerdings vergaß sie nicht. Seit er das Gebäude betreten hatte, folgten ihm ihre aufmerksamen Blicke - immerhin war er ein Fremder und daher interessant. „Ein Phendrat", ertönte jetzt wieder die Stimme des Führers, und alle Mitglieder der Besuchergruppe blieben stehen. Er deutete hinauf zu einem schlanken, geflügelten Wesen, das an unsichtbaren Drähten von der Decke herabhing. Selbst ausgestopft strahlte es noch etwas von seiner früheren Gefährlichkeit und Bösartigkeit aus. Die Fänge glitzerten bedrohlich. „Das letzte dieser Tiere wurde vor dreihundert Jahren in den Tamar-Bergen getötet. Es war ein Fleischfresser und das größte Insekt, das je auf dieser Welt gelebt hat - offensichtlich das Ergebnis einer wilden Mutation. Die weiblichen Tiere legten mit einem langen Stachel ihre Eier in fremde Wirtskörper, und die betroffene Kreatur konnte nichts dagegen tun, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, wenn die Brut ausschlüpfte. Und so hört sich ein Phendrat im Flug an." Der Führer drückte einen Knopf an einer Säule, und ein dünnes, häßliches Sirren erfüllte die Luft. Eine dicke, alte Dame räusperte sich, als es verstummte. „Sind Sie sicher, daß es keine Exemplare mehr davon gibt?"
„Absolut, Madam." „Ich habe eine Farm in den Tamar-Bergen - wenn diese Biester dort noch existieren, verkaufe ich sie auf der Stelle," „Sie haben nichts zu befürchten, Madam, das versichere ich Ihnen", sagte der Führer, dann gingen sie weiter. Kurz darauf blieb er vor einem Podest stehen, auf dem sich eine seltsame Metallkonstruktion befand. „Ein Rätsel", sagte er. „Die Legierung des Materials ist hier unbekannt und enthält Spuren von Elementen, die man auf dieser Welt nicht kennt. Offensichtlich gehörte diese Konstruktion zu einem Gerät, zu einer Maschine, aber was das gewesen sein könnte, ist ebenfalls völlig unbekannt. Man fand das Gebilde in einer Alluvium-Schicht während Bergbau - Arbeiten auf Creen. Abgesehen davon, daß es sehr alt und künstlich erschaffen worden ist, weiß man nichts darüber." Er hielt kurz inne. „Natürlich gibt es Gerüchte, wonach es sich um Reste einer alten Kultur handeln soll, die ohne weitere Spuren verschwunden ist, oder um ein Bruchstück von einem fremden Raumschiff, einen Kunstgegenstand einer unbekannten Kultur. Ich persönlich glaube aber nicht an solche unwahrscheinlichen Erklärungen." „Sondern?" fragte ein Mädchen. „Ich denke, das Ding ist Teil einer Maschine, die ihre Aufgabe nur unvollkommen erfüllte und weggeworfen wurde. Die fremden Elemente können importiert worden sein, die Legierung war vielleicht ein Test in einer Reihe anderer, und vermutlich hat ökonomischer Druck, billigere, bessere Geräte herzustellen, das Ding aus dem Rennen geworfen. Vermutlich fiel es von einem Waggon, während es zum Einschmelzen gebracht wurde." Eine runde, einleuchtende Erklärung, die dafür sorgt, daß sich niemand sonderlich für das Stück interessiert, dachte Dumarest. Er ließ sich aber nicht so leicht abspeisen, trat näher an das Podest heran und musterte das formlose Etwas genauer. Nichts
deutete auf den Verwendungszweck der Metallanhäufung hin außerdem hatte die Zeit ihre Spuren daran hinterlassen. Und doch war es eine komplizierte Konstruktion, trotz der Zerstörungen. „Sehr alt", sagte eine Stimme neben ihm. Das war das Mädchen von eben. „Sehr alt", wiederholte sie. „Ist Ihnen aufgefallen, wie der Führer darüber hinwegging, während er seine Erklärung abgab?" „Wahrscheinlich hielt er es für unwichtig." „Sie auch?" fragte sie. „Interessieren Sie sich für alte Dinge? Besuchen Sie deshalb das Museum?" Ihr Interesse an ihm wunderte Dumarest. Sie sah harmlos aus, ein junges Mädchen, Studentin vermutlich, aber das konnte auch Tarnung sein. „Es regnete", sagte er. „Das Museum bot mir Schutz. Und Sie?" „Ich habe nichts Besseres zu tun", sagte sie. „Im Museum trifft man immer interessante Leute." Ihre Hand glitt dur ch seinen Arm, sie hakte sich unter. Dumarest spürte ihren Körper dicht neben sich. „Sollen wir uns wieder den anderen anschließen oder haben Sie schon genug?" „Und wenn dem so wäre?" „Es gibt noch mehr Dinge, die man an einem verregneten Abend tun kann." Sie verstummte und fügte bedeutungsschwer hinzu: „Viel unterhaltsamere und genauso bildend. Nun?" „Der Führer wartet", sagte er, machte seinen Arm frei und ging den Saal weiter entlang. Der Museumsführer war vor einer freien Stelle stehengeblieben, die von einem Seil abgesperrt war. Eine Hand des Mannes ruhte auf einem Kontrollpunkt, die andere hatte er theatralisch erhoben, als Dumarest und das Mädchen sich wieder zu ihm gesellten. „Aufgepaßt, meine Damen und Herren! Was Sie jetzt zu sehen bekommen, ist ein Rätsel, für das selbst ich keine Erklärung habe. Ich werde Ihnen Zeit lassen, sich das anzusehen, dann werde ich Ihnen sagen, was Sie sehen." Er machte eine Kunstpause, dann drückte er einen Knopf. „Achtung!"
In dem abgesperrten Kreis bildete sich plötzlich eine grüne Landschaft, eine Dschungelwelt, in der einige zerstörte Gebäude und Gebäudereste zu sehen waren, fast überwuchert von der dichten Vegetation. Eine Stadt, dachte Dumarest, die genau wie ein Mensch oder ein Tier die Agonie ihres Todes zeigen konnte. Er trat etwas näher an das Hologramm heran, das so lebensecht wirkte, daß man sich gewaltsam daran erinnern mußte, keine echten Ruinen, sondern nur ein Luftbild vor sich zu haben. Mit belegter Stimme sagte er: „Korotya?" „Genau die", sagte der Führer überrascht. „Höchst ungewöhnlich, nicht wahr? Eines der Rätsel von Seiend. Niemand weiß, wie diese Stadt zerstört wurde, selbst ihre Existenz war bis dato nur ein Gerücht. Die Lage ist für Besiedlung ungeeignet, und nur hin und wieder sind vielleicht Jäger darübergestolpert - sie haben aber nie etwas berichtet. Vermutlich wollten die alten Bewohner das auch gar nicht." „Ein schreckliche Zerstörung", flüsterte eine Besucherin. „Wie war das möglich?" „Natürlich Atombomben", erklärte ihr Begleiter. „Nur große Hitze kann die Gebäude so zerschmolzen haben, daß Steine zu farbigem Glas wurden. Das Ganze muß innerhalb weniger Sekunden geschehen sein - eine Hitzewelle, die das gesamte Stadtgebiet zu dem machte, was wir hier sehen." „Aber eine ganze Stadt?" fuhr das Mädchen ungläubig fort. „Niemand hat etwas von ihr gewußt?" „Niemand, abgesehen von den Bewohnern, natürlich", sagte der Führer. „Wir wissen nur, daß vor achtundfünfzig Jahren ein lokales Beben von den Seismologen registriert wurde. Fast zur gleichen Zeit entdeckte man eine Flammen- und Rauchsäule an der gemessenen Stelle. Spätere Untersuchungen ergaben dann das, was Sie vor sich sehen. Das ganze Gebiet war stark radioaktiv verseucht, und es wird noch ein Jahrhundert dauern, bevor jemand dort gefahrlos Untersuchungen anstellen kann."
Ein Mann meldete sich. „Ich verstehe trotzdem nicht, wie dieser Platz völlig unentdeckt bleiben konnte. Es gab doch bestimmt Landkarten des Gebiets." „Ja, dreimal während der letzten drei Jahrhunderte wurden Karten von diesem Gebiet angefertigt, aber niemals war etwas Besonderes zu sehen. Wir wissen nur eines: Die Ruinen sind achtundfünfzig Jahre alt. Wie lange die Stadt bestanden hat, wer darin gelebt hat, ist unbekannt." „Sie sagten, dort ist alles radioaktiv - also war es eine atomare Zerstörung?" fragte Dumarest den Führer. „Ja, das könnte sein." „Könnte das Gebiet, könnte die Stadt bombardiert worden sein?" Der Mann runzelte die Stirn. „Ich verstehe nicht, Sir. Seiend befand sich nicht im Krieg, das Geschehnis war ein einmaliger Akt, und wie sollte jemand eine Stadt angreifen, von deren Existenz man nichts wußte? Und aus welchem Grund?" Dumarest hakte noch einmal nach. „Könnte es also sein, daß die Stadt von äußeren Kräften zerstört worden ist?" „Natürlich", erklärte der Mann zögernd. „Aber es gibt noch eine Reihe anderer Möglichkeiten, eine Explosion in der Stadt selbst, etwa. Ein Experiment, das außer Kontrolle geriet - aber das sind alles nur Vermutungen. Wie ich schon sagte, Korotya ist ein Rätsel." Er sah zu Dumarest. „Haben Sie noch Fragen?" „Eine", sagte Dumarest. „Sie sagten, es habe Gerüchte gegeben sprach eines davon vielleicht von den Wirklichen Menschen, einer religiösen Sekte, die streng unter sich bleibt. Könnte Korotya ihre Heimat gewesen sein?" „Möglich ist alles, Sir, aber ich habe von dieser Sekte noch nie etwas gehört." Er wurde wieder lauter. „Und nun, meine Damen und Herren, folgen Sie mir in den nächsten Saal..." Seine Stimme verhallte, während er davonging. Das Mädchen, das Dumarest angesprochen hatte, zö gerte kurz, zuckte dann die Schultern und schloß sich der Gruppe wieder an. Allein starrte Dumarest in rätselhafte Ruinen. Er war sechzig Jahre zu spät
gekommen. Ein Gerücht auf einer fernen Welt hatte ihn veranlaßt, nach Seiend zu fliegen die Reise war wieder einmal umsonst gewesen. Dumarest wandte sich ab, als eine neue Gruppe Besucher auf das Hologramm zukam. Draußen hatte es aufgehört zu regnen; Dumarest blieb kurz in der Eingangstür des Museums stehen und sah auf die nassen Straßen und die glitzernden Lichter. Kurz darauf kam eine Gruppe Erwachsener auf die Tür zu, und Dumarest lief die breite Treppe zur Straße hinunter. Er schlug die Richtung auf den Stadtrand und sein Hotel ein. Ein Kundenschlepper sprach ihn leise an, als er an einer erleuchteten Tür vorbeiging. „Allein, Mister? Hier finden Sie viel Spaß, echte Unterhaltung auf tausenderlei Art. Wir garantieren vollste Zufriedenheit - Sie erleben erregende Abenteuer, ohne wirklich in Gefahr zu sein. Nein?" Er zuckte die Schultern, als Dumarest einfach weiterging, sprach dann lauter weiter. Urplötzlich aber verstummte er. Dumarest hielt inne und runzelte die Stirn. Ohne Grund würde der Mann seinen Sermon nicht unterbrechen. Irgend jemand mußte dicht hinter ihm sein, der alles vorhatte, nur nicht, sich zu amüsieren. Dumarest ging langsam weiter und lauschte angestrengt dabei. Um ihn herum war zuviel Lärm, als daß er hätte Schritte hören können. Er wurde noch langsamer - wenn der Verfolger nichts .von ihm wollte, mußte er ihn überholen. Er überholte nicht. Dumarest blieb stehen, seine Nackenhaare sträubten sich - zu spät. Während er herumfuhr, spürte er einen leichten Schlag am Kopf. Er hatte seine Hände ausgestreckt, und sein großer, rubinfarbenfunkelnder Ring leuchtete kurz auf. Dumarest sah den Mann hinter sich, das blasse Gesicht, den überraschten Blick, als er zustieß. Er traf den Fremden mit den Fingern in die Augen, und schreiend stürzte der Mann um. Dumarest hatte
genug Schwung, um sich weiter zu drehen - sein Hals war bereits steif, die Beine reagie rten nicht mehr. Der Schrei des Verwundeten war das letzte, das er hörte, bevor er auf den Beton aufschlug, der sich unendlich tief unter ihm befand. Unter gleißendem Licht wurde er wach. „Sehr gut, Schwester", sagte eine Stimme. „Es hat geklappt." Das Licht verschwand und wurde durch ein breites, dunkles Gesicht mit einer grünen Kappe darüber ersetzt. „Keine Sorge", sagte der Arzt, „die Gefahr ist vorbei, Sie werden wieder völlig gesund. Schwester, geben Sie ihm noch eine Spritze." Dumarest hörte ein leises Zischen hinter seinem Ohr, dann war die Droge in seiner Blutbahn. Urplötzlich spürte er seinen Körper wieder, merkte, daß sich seine Lunge füllte und gegen die leicht schmerzenden Rippen drückte. Er setzte sich auf und mußte einen Übelkeitsanfall überwinden. Nach wenigen Sekunden war das vorbei. „Sie zu fragen, wie es Ihnen geht, wäre wohl albern", sagte der Arzt. „Sie waren fast zwei Wochen unter künstlicher Ernährung, und Maschinen sind nicht immer sehr sanft. Aber Sie leben, und das Unwohlsein wird vergehen." „Danke, daß Sie mein Leben gerettet haben", sagte Dumarest. „Sie hatten in jeder Beziehung Glück", fuhr der Arzt fort. „Das Schreien des Mannes, den Sie verletzten, lockte die Polizei an, die sofort eine Ambulanz rief. Man verabreichte Ihnen Schnellzeit, um den Metabolismus zu verlangsamen, und unterkühlte Sie. In Ihrem Hirn fand ich einen Pfeil, der Spuren einer Substanz enthielt, die unserem Analysecomputer einige Mühe bereitete, besonders, was die Suche nach einem Gegenmittel anging. Das Problem war, Sie in der Zwischenzeit am Leben zu halten." „Was ist mit dem anderen?" fragte Dumarest. „Den Sie verletzt haben?" Der Arzt zuckte die Schultern. „Er ist tot nicht durch die Augenverletzung, sondern durch
Herzversagen." Der Mann änderte seinen Tonfall. „Wir reden schon zu lange. Ruhen Sie sich noch etwas aus, damit Sie wieder zu Kräften kommen. Aber keine Sorge, Sie sind wieder gesund, alles in Ordnung." Bis auf die Tatsache, daß man versucht hatte, Dumarest umzubringen und dies vermutlich wieder versuchen würde. Der Arzt ging mit der Schwester hinaus. Dumarest stand auf und trat zum Fenster. Es wunderte ihn nicht, daß es vergittert war. Er sah hinaus in die Nacht. Wieder hatte es geregnet - tief unter sich sah er das glitzernde Band einer Straße. Sein Blick ging über die Ansammlung von geduckten Häusern und gewundenen Straßen. Als er sich umwandte, musterte er sein Zimmer. Ein Bett, eine Duschkabine, eine Toilette, sonst nichts. Er selbst trug nur ein Anstaltshemd und an der linken Hand seinen Ring. Zumindest hatte man ihm den gelassen. Er öffnete die Tür - sie war nicht verschlossen - und sah einen bewaffneten Wächter wenige Meter davor sitzen. Der Mann schüttelte stumm den Kopf. Dumarest schloß die Tür und legte sich wieder aufs Bett. Kein Zweifel, er war ein Gefangener und konnte nichts weiter tun als warten. Nach zwei Tagen bekam er seine Kleidung zurück und wurde zu einem Verhör gebracht. „Dumarest", sagte der Mann unbestimmten Alters, der hinter seinem Schreibtisch saß. Er nahm eine kleine Karte auf, die vor ihm lag. „Earl Dumarest, Reisender, auf Seiend vor siebzehn Tagen angekommen... Von wo?" Er sah auf. „Onsul." „Und davor?" „Vington." Der Mann lächelte - seine blitzweißen Zähne leuchteten. „Ich freue mich, daß Sie vernünftig sind, Earl - ich darf Sie doch so nennen. Mein Name ist Cluj. Bitte, setzen Sie sich." Er wartete,
bis Dumarest der Aufforderung nachgekommen war. „Von welchem Planeten stammen Sie?" ,.Erde." „Ein seltsamer Name für eine Welt. Es gibt keine Aufzeichnungen; aber egal, solcherart gibt's noch mehr Welten." Ohne den Tonfall zu ändern, fuhr er fort: „Warum kamen Sie nach Seiend?" „Um Korotya zu besuchen." Vermutlich hatte man ihn unter Drogen verhört, es hatte also keinen Sinn, zu lügen. Wie hätte Cluj auch sonst schon nach der Erde geforscht haben können? „Ich hörte gerüchteweise von dem Ort und wollte ihn sehen." „Warum?" „Ich war neugierig." „Was die Wirklichen Menschen betrifft?" Der Beamte lehnte sich lächelnd zurück. „Ich bin über alles informiert, was Sie seit Ihrer Ankunft getan haben. Schade, daß Sie so weit gereist sind, um so wenig zu erfahren. Sie haben die Ruinen gesehen." „Ich sah ein Hologramm der Ruinen", berichtigte Dumarest. „Korrekt, aber ich versichere Ihnen, daß das echt war. Korotya ist unglücklicherweise für immer verloren. Die Wirklichen Menschen", murmelte der Mann. „Eine unbedeutende Sekte. Sie behauptet, daß alle Menschen von einem einzigen Planeten abstammen - der Erde." Er sah zu Dumarest. „Gehören Sie zu der Sekte?" „Nein." „Und doch suchen Sie nach ihr. Nun, ich kann Ihnen sagen, daß wir auf Seiend solche verführten Fanatiker nicht dulden. Und glauben Sie etwa, daß solche Leute eine Stadt wie Korotya erbaut haben? Das wäre wider jegliche Vernunft." Cluj warf die Karte auf den Tisch. „Jetzt aber zu etwas Wichtigerem. Der Angriff auf Sie verwirrt mich etwas, das ist alles irgendwie rätselhaft, und ich mag keine Rätsel. Das war kein Raubüberfall, aber auch kein Mordversuch. Das Gift, das
wir fanden, sollte Sie nicht umbringen, sondern nur betäuben. Warum wollte man Sie betäuben - um Sie zu entführen?" „Vielleicht eine Verwechslung?" sagte Dumarest. „Das wäre möglich", gab der Beamte zu. „Das kommt vor. Leider können wir den Mann nicht verhören, der Sie angriff. Er ist tot." „Das sagte man mir", erklärte Dumarest trocken. „Herzversagen." „Das stimmt - aber es gibt viele Möglichkeiten, ein Herz zum Stillstand zu bringen. In diesem Fall war es der Schuß aus einem Strahler", fuhr Cluj fort und lehnte sich vor. „Wissen Sie, was das bedeutet? Der Mann war nicht allein, und wenn Sie nicht so vorsichtig gewesen wären, hätte das Attentat geklappt. Sie wären spurlos verschwunden - wer hätte sich um einen Fremden gekümmert, der auf der Straße zusammenbricht?" Der Mann schwieg, um Dumarest Gelegenheit zu einem Kommentar zu geben. Dumarest schwieg. Ich will offen zu Ihnen sein", fuhr Cluj fort. „Das sieht mir nach politischen Verwicklungen aus, nach Gefahren für unseren Planeten. Seiend darf nicht zum Austragungsort der Kämpfe rivalisierender Fraktionen werden." „Sie übertreiben den Fall", sagte Dumarest ruhig. „Ich glaube nach wie vor, daß man mich irrtümlich angriff." „Dann sind Sie ein Dummkopf, und dafür halte ich Sie nicht. Ich denke vielmehr, daß Sie sich über die Implikationen im klaren sind. Sie haben Feinde, und Sie nehmen schmerzhafte Angriffe nicht hin, ohne sich dafür zu rächen. Aber das geht uns nichts an, und, um noch einmal ganz offen zu sein: Sie sind auf dieser Welt nicht länger erwünscht. Ich habe Ihre Abschiebung angeordnet." „Dazu besteht kein Grund", sagte Dumarest. „Ich verschwinde, sobald sich eine passende Gelegenheit ergibt." „Die Sache ist bereits arrangiert."
„Aber nicht in meinem Sinne", sagte Dumarest scharf. „Ich bin kein Verbrecher und das ist eine zivilisierte Welt. Ich verlange das Recht, selbst eine Passage buchen zu können." „Und wie wollen Sie das bezahlen?" Cluj sah, wie Dumarest seinen linken Arm freimachte und auf die Tätowierung zeigte. Es war die Metalltätowierung seiner Universal-Kreditkarte. Ruhig fuhr Cluj fort: „Ich lasse niemanden mittellos. Vielleicht haben Sie noch genug für eine Woche Hotel." Dumarest glättete seine Tunika wieder. „Ich hatte noch Bargeld. Tragen die Diebe auf Seiend Uniformen?" Cluj war verletzt. „Sie wurden nicht ausgeraubt. Schließlich war einiges an Arztkosten zu bezahlen, die Untersuchung des Giftes in Ihrem Körper kostete Geld. Fast den Preis einer OberdeckPassage. Das Bargeld und die Kreditkarte deckten kaum die Kosten." Er sprach jetzt in ein Mikrophon auf dem Tisch. „Gespräch beendet. Holt den Mann ab und verfahrt mit ihm wie befohlen." Er wandte sich wieder an Dumarest. „Sie verschwinden im Morgengrauen. Kehren Sie nie nach Seiend zurück." Man brachte ihn zum Landefeld in ein kleines Gebäude innerhalb des Feldes, in dem man unbeliebte Reisende vorübergehend unterbrachte. Die Zelle war klein und sauber. Vor dem einzigen, vergitterten Fenster des Raumes aus konnte Dumarest die Schiffe sehen, die in den dunklen Himmel rasten. Eines von ihnen würde ihn von Seiend fortführen - wohin? Dumarest dachte eine Weile darüber nach, während er auf seinem schmalen Feldbett saß. Seine Abschiebung war angeordnet, sein Geld hatte man ihm abgenommen - hatte jemand diese ganze Aktion geplant und gesteuert? Wurde er wie ein Expreßpaket in die Hände seiner Jäger geschickt? Dieses Risiko wollte er nicht eingehen. Er blickte wieder aus dem Fenster. Fünf Schiffe standen dort - einige wurden beladen oder repariert, andere waren gerade angekommen und hatten mit dem Löschen der Ladung begonnen. Vor der Rampe eines
Schiffes lagerten einige heruntergekommene Gestalten, die auf eine Unterdeck-Passage hofften. „ Dumarest wandte sich nachdenk lich um und sah zu seiner Zellentür. Das war nur ein kleines Hindernis im Vergleich zu der Tatsache, daß er kein Geld besaß. Wer würde ihm eine Passage schenken? Dann betrachtete er den klotzigen Ring an seiner Hand, der wie frisches Blut leuchtete. Cluj hatte einen Fehler gemacht. Dumarest wartete bis zur Dunkelheit, dann klopfte er gegen die verriegelte Tür. Eine Wache kam - ein großer Mann mit unglaublichen Muskeln. Er war ziemlich ungehalten über die Störung, beruhigte sich aber, als Dumarest ihm sein Anliegen vortrug. „Sie möchten etwas Gutes zu essen und zu trinken? Nun, das kann besorgt werden, wenn Sie dafür bezahlen können." „Ich habe Kredit." Duma rest zeigte die Tätowierung. „Wenn hier irgendwo eine Buchungsmaschine steht, kann ich Bargeld abheben. Hören Sie", drängte er, als der Mann zögerte. „Was haben Sie zu verlieren? Ich überweise das Geld auf Ihr Konto und Sie geben mir zwei Drittel des eigentlichen Wertes." „Zwei Drittel?" „Meinetwegen die Hälfte. Bringen Sie die Maschine her, und das Geschäft klappt. Ich verhungere bald." Der Mann rieb sich das Kinn. „Ich kann die Maschine nicht herbringen, sie ist im Büro installiert. Ich glaube aber, ich kann Sie hinbringen, Die Hälfte, sagten Sie?" Dumarest hatte ihn an der Angel. „Einverstanden", sagte der Mann. „Aber keine Tricks. Wir wollen Sie nicht mit zerschmettertem Schädel in ein Schiff bringen." Er schloß die Zellentür auf und deutete in den Gang. ,Am Ende nach rechts", befahl er. „Und Beeilung." Dumarest traf den Posten mit der Schulter genau am Kinn. Lautlos sackte er zusammen. Schnell zerrte Dumarest ihn in die Zelle, dann schloß er die Tür ab. Ruhig ging er in das Büro und
sah auf die Papiere, die auf einem Tisch lagen. Die Lachse würde in der Morgendämmerung starten. Draußen regnete es wieder. Dumarest verließ das kleine Gebäude und rannte durch die schweren Tropfen über das Landefeld. Vor ihm lagen zwei Schiffe, die er bereits gesehen hatte. Beide hatten den Ladevorgang beendet und bereits die roten Startlampen gesetzt. Er erreichte die Rampe des einen Schiffes, rannte hinauf und stieß an der Schleuse auf einen feindlich dreinschauenden Maat. „Was wollen Sie?" fragte dieser kurz. „Wir starten in Kürze." „Gut. Ich brauche eine Passage." „Das regelt der Alte oben." „Im Unterdeck, nicht oben." Dumarest sah sich um, dann zog er seinen Ring ab, riß den Stein aus der Fassung und nahm ihn zwischen die Zähne. Den Metallring warf er dem Mann zu. Während er ihn sich ansah, biß Dumarest zu - der Stein zerbarst in Millionen winzige Teilchen. „Sind Sie verrückt?" rief der Mann. „Ein solch schöner Stein!" „Vergessen Sie den. Sehen Sie sich den Ring an - er ist eine Oberdeck-Passage wert. Er gehört Ihnen, wenn Sie mich im Unterdeck mitnehmen." „Hm. Wir fliegen nach Dradea." Er. musterte Dumarest, dann den Ring. „Wenn das Ding aber eine Fälschung ist, geht es Ihnen schlecht." „Der Ring ist echt", sagte Dumarest. „Also gut. Sie sind schon mal unten gereist? Nun, dann wissen Sie ja, was zu tun ist." Dumarest zog sich aus und kletterte in eine Kühlbox für Tiere. In Kürze würde er ohnmächtig werden und betäubt erneut sein Glück im Spiel gegen den Tod - der fünfzehn Prozent der Reisenden dieser Art jedesmal holte - wagen. Bisher hatte er Glück gehabt, eigentlich schon zu oft. Vielleicht war dies seine letzte Reise dieser Art. Das Glück konnte einem Menschen nicht ewig hold sein.
2.
Veruchia kam zu spät in die Arena - gerade noch so rechtzeitig, daß ihre Verspätung nicht unentschuldbar und zur Beleidigung wurde. Beides wäre höchst dumm und ungeschickt gewesen die Politik verlangte von ihr, in der Loge zu sitzen und den Kämpfen zuzuschauen. Sie schloß daher meist einen Kompromiß zwischen ihren Gefühlen und ihrer Pflicht und sorgte dafür, daß sie gesehen wurde, war aber durch kein Gesetz dieser Welt dazu zu bewegen, sich noch tiefer zu erniedrigen. Fanfaren ertönten, während sie die Stufen zu ihrem Platz hinaufeilte. Sie hörte das Grölen der Menge -dreißigtausend Menschen schrieen auf einmal auf -, es klang wie das Brüllen einer Bestie, die nach Blut gierte. Trotz ihres Ekels vor diesem Schauspiel konnte sich auch Veruchia nicht ganz der Faszination der Kämpfe entziehen. Mit leuchtenden Augen sah sie zu den halbnackten Männern, die mit Dreizacken und Netzen durch die Arena rannten, sah die Blutlachen überall. Sehnend blickte sie sich nach den anderen Anwesenden in der Loge um. Chorzel war da, natürlich, sein großer, bulliger Körper saß zusammengesackt in dem thronartigen Sessel. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Veruchia runzelte die Stirn. Sicher, es war sehr heiß, aber Chorzel vertrug sonst ziemlich viel Hitze, und ohne dazu gezwungen zu sein, setzte er sich auch nicht irgendwelchen Unbequemlichkeiten betreff seiner Kleidung aus. War er so von dem Geschehen in der Arena gefangengenommen, daß er sogar vergaß, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen? Die anderen in der Herrscherloge schien das Geschehen zumindest zu fesseln. Vidda, zum Beispiel, sah aus, als käme sie gerade aus den Armen eines wilden Liebhabers. Ihre Wangen
waren rot, die Augen glasig, ihr ganzer Körper deutete sinnliche Lust an. Und Selkas? Er sah aus wie immer, irgendwie abwesend, gleichmütig, schien sich zynisch zu amüsieren. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was ihn veranlaßt haben mochte, alles Streben nach Macht aufzugeben und das Verhalten eines Dilettanten anzunehmen. Montarg, lächelnd wie immer, übertönte plötzlich mit seiner Stimme den Lärm der Umgebung. „Liebe Cousine, du siehst ungut aus. Macht dein Magen bei so einem bißchen Blut nicht mehr mit?" Kühl antwortete sie: „Ich halte den Tod von Menschen nicht für belustigend." „Aber für lehrreich, nicht wahr? Siehst du, wie die Leute das amüsiert? Höre doch, wie sie schreien. Lehrt dich das nicht etwas über die Natur des Menschen?" Er lachte lautlos. „Wenn du mehr eine Frau wärst, Veruchia, würde euch das auch berühren. Sieh dir Vidda, Loris oder gar Nita an - sie reagieren ganz fraulich darauf. Du aber sitzt immer wie ein Eiszapfen da in deinen Adern muß Wasser fließen. Kein Wunder, daß die Männer lächeln, wenn sie über dich sprechen." „Zumindest spucken sie nicht aus." „Bist du da ganz sicher, Cousine?" Wie immer, machte er sie vor anderen verächtlich. Ruhig sagte sie: „Du bist ein Sadist, Montarg - ich werde aber nicht zu deinem Vergnügen beitragen." „Ein Sadist, Cousine?" „Ja, ein Sadist", wiederholte sie. „Und schlimmer: ein Feigling. Du siehst zu, wie andere sich umbringen und labst dich an ihren Schmerzen und Leiden. Wenn du so an die kämpferische Natur des Menschen glaubst, warum gehst du dann nicht selbst hinunter? Könnte es sein, daß du Angst hast, deine Männlichkeit einem Test zu unterwerfen?" Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Anders als bei dir, meine Liebe, steht mein Geschlecht außer Frage. Dein Verstand ist nicht nur sehr beschränkt, was das Wohlergehen Dradeas betrifft, sondern du hast auch von der Liebe keine Ahnung. Ein
Mann könnte dir da sicher so manches zeigen. Versuch's doch mal." Und mit subtiler Grausamkeit fügte er hinzu: „Vielleicht findest du jemanden, der mit dir ins Bett geht -einen Krüppel vielleicht, oder einen Blinden." Seine Rede traf sie wie Peitschenhiebe. Sie wandte sich ab, als die Masse aufschrie. Ein Helfer behandelte den Arm eines Gladiators, der schwer blutete. Belev, Montargs Vertrauter, schnaufte unwillig. „Der Kerl hätte besser aufpassen sollen. Und überhaupt sind heute alle langsam." „Dann mach ihnen Dampf", sagte Montarg gleichmütig. Belev grinste und verschwand. In der relativen Kühle und Dämmerung des Vorbereitungsraums der Kämpfer nahm man die Weisung zur Kenntnis. „Man wird draußen ungeduldig", sagte ein Arzthelfer. „Montarg will etwas sehen für sein Geld. Es ist nur ein Wunder, daß wir nicht schon ein Fließband bauen mußten." Sadoua sah finster drein; einige der nächsten Kämpfer zuckten gequält die Schultern, andere lachten mit falschem Mut. Dumarest tat keines von beiden. Er saß auf einer Bank, die Augen halb geschlossen, den Körper entspannt, und atmete tief. Seine Muskeln bewegten sich unter der dunklen Haut. Für die meisten sah es aus, als sei er halb eingeschlafen, aber der Kampfmeister wußte es besser. Hier bereitete sich ein Mann auf den Kampf vor, eine gepreßte Feder, die bereit war, auseinanderzuspringen -ein Mann, der sich anschickte, für Geld zu kämpfen und eine Verwundung oder gar den Tod in Kauf zu nehmen. Sadoua schlurfte auf ihn zu. „Du bist der nächste." „Schon?" „Bald." Der alte Kampfmeister schwitzte, sein narbenüberzogener Körper glänzte in dem schummrigen Licht. Er trat zur Seite, als man eine Bahre vorbeitrug. Er fluchte, als er den verstümmelten Mann darauf sah. „Der Idiot! Ich sagte ihm, er soll auf die Füße achten. Ein Krell tritt nach vorn, nie nach
hinten. Paß auf den Schnabel und die Füße auf, habe ich ihm gesagt. Warum hat der verdammte Narr nicht darauf gehört." Dumarest erhob sich und streckte sich. „Vielleicht hatte er's vergessen." „Vergessen? Man vergißt nur einmal etwas in der Arena. Er hat mir versichert, ein guter Kämpfer zu sein - was er getan hat, hätte ein Kind auch geschafft. Aber glaube nur nicht, daß ich scharf darauf bin, die Leute hinausgehen und tot zurückkehren zu sehen. Heute wurden bereits drei so verletzt, daß sie sterben werden, und vier können nie wieder so sein, wie sie vorher waren. Und nicht ein Krell hat bisher dafür büßen müssen." „Du möchtest sehen, wie einer zu Boden geht?" „Mehr als nur einer." Sadoua spie auf den Boden. „Ich mag die verdammten Biester nicht. Verstehe es nicht falsch, die Arena ist mein Leben, aber früher war das anders. Menschen gegen Keulen, Rüstungen, solche Sachen. Man konnte verletzt werden, klar, aber nie wurden einem die Gedärme herausgezerrt. Dann holte man Tiere in die Arena, erst Bullen, dann Riesenratten, dann diese verdammten Vögel. Anfangs hatten die Menschen sogar noch eine gute Chance, dann aber züchtete man Kampfvögel, die immer großer, bösartiger wurden..." Er verstummte, weil er merkte, daß er zuviel gesagt hatte. „Ein Krell ist ein überzüchteter Vogel - du kannst es schaffen." „Wenn er mich nicht schafft." „Daran sollte man immer denken." Sadoua blickte hinaus in die Arena. „Brauchst du eine Droge oder so was? Manche glauben, daß das hilft." Dumarest schüttelte den Kopf. „Sehr vernünftig", sagte der massige Kampfmeister. „Ich habe das Zeug auch nie ge nommen, höchstens hinterher." Er ging zu einem Gitter und öffnete es. „Vergiß nicht, achte auf die Füße. Ein Krell ist schnell; versuche, ihm Sand in die Augen zu streuen, damit er langsamer wird. Bleibe nie zu lange irgendwo stehen, bewege dich hin und her. Vergiß das nie.
Eine Fanfare ertönte. „Viel Glück!" Es war Veruchia unmöglich, nicht hinzusehen. Nach und nach hatte das wilde Fieber, das die Menge in der Arena schüttelte, auch sie ergriffen -es war wie eine Droge, die Männer und Frauen zu Bestien werden ließ. Aber konnte man ihnen das vorwerfen? Sie nahmen nur, was man ihnen gab; man hatte sich etwas dabei gedacht, sie sich hier austoben zu lassen. Als die Fanfaren verstummten, stieg aus dreißigtausend Kehlen ein Seufzer empor, alle Kopfe gingen na ch vorn, jeder wollte alles sehen. Neben Veruchia hielt Seikas den Atem an. „Den Mann kenne ich", flüsterte er ungläubig. „Ich habe ihn schon mal gesehen, vor Jahren. Das werde ich nie vergessen." Sie spürte sein Gesicht neben sich, als er ihr zuflüsterte. „Veruchia, verlaß dich auf mich, Das ist die Chance für deine Rache an Montarg. Nimm alles, setzte alles auf den Kämpfer. Das ist eine Wette, die du nicht verlieren kannst." Sie zögerte noch. Ja, der Mann, der da selbstbewußt in die Arena kam, machte eine n guten Eindruck. Sein Körper war von vielen Kämpfen gezeichnet - man sah ihm an, daß er sich stets auf seine Kraft und auf sonst nichts verlassen hatte. Veruchia fühlte sich sofort irgendwie zu ihm hingezogen - er wie sie spielten ein gewagtes Spiel. Wenn sie ihn jetzt unterstützte und an ihn glaubte, vielleicht half ihm das. Und noch nie hatte sie einen Rat von Seikas bereuen müssen. „Schnell, Veruchia", drängte er sie. Montarg gab dann den Ausschlag. „Eintausend auf den Krell. Tod des Mannes nach drei Minuten!" „Nehmen Sie eine Minute, Sir, das reicht", empfahl Belev. „Nein, drei. So langsam, wie der Kerl da marschiert, braucht er die Zeit schon, um zum Krell zu kommen. Ich werde mich mal
wieder mit Sadoua unterhalten müssen. Was er da an Kampfvieh aussuc ht, ist unter aller Würde!" Vieh! So sprach er von Menschen! Veruchia wandte sich um. „Wir war's mit einer Wette, Cousin?" „Du, Veruchia, willst wetten?" Er war überrascht, lachte dann aber leise. „Setzt dir die Hitze zu, oder möchtest du plötzlich doch Blut sehen?" „Du hast einen großen Mund, Cousin", sagte sie, „und Worte sind billig. Nimmst du meine Wette an?" „Auf den Krell?" „Den Mann. Was soll ich setzen?" „Du hast im Norden neben meinem Grundstück ein Stück Land. Ich setze den dreifachen Wert des Landes dagegen, daß der Mann verliert." „Nur das Dreifache?" ..Meinetwegen fünfmal soviel." „Du bist vorsichtig geworden, Montarg." Veruchia bedauerte schon ihre Tollkühnheit. Abgesehen von einem Haus in der Stadt war das Land alles, was sie besaß. Zwar war es öde und wenig wert... Wenn sie die Wette zu hoch ansetzte, zog er vielleicht zurück. „Setze den zwölffachen Marktwert, und ich stimme zu", sagte sie. „Abgemacht", sagte er schnell. Der Mann in der Arena näherte sich dem Vogel. „Du bist Zeuge, Selkas, und du auch, Vidda." „Still!" zischte die Frau. Sie atmete erregt, während sie das Geschehen beobachtete. Dumarest spürte die Blicke der Menschen, ihre Gier nach Blut und Kampf. Er kannte das, verdrängte es jetzt aber, während er langsam über den Sand ging. Sein Blick war fest auf den Krell gerichtet. Bis auf einen Lendenschurz war Dumarest nackt, die Sonne brannte auf seine Schultern, unter seinen Füßen spürte er heißen Sand. Als einzige Waffe hatte man ihm einen ZweiMeter-Speer mitgegeben, und er wußte, daß die Länge Berechnung war - er konnte nur einmal damit werfen; traf er
nicht, war die Waffe verloren. Wollte er damit zustechen, ihn also nicht aus der Hand geben, würde er in den Bereich der Klauen und des Schnabels des Vogels kommen. Er blieb stehen, als das Tier sich bewegte. Es war etwa einen Meter fünfzig groß, hatte einen langen Hals, etwa einen Meter, darauf einen Kopf mit einem spitzen Hornschnabel. Der Körper bestand nur aus Muskeln, die allerdings von Federn bedeckt waren. Hüpfend bewegte sich das Tier ein paar Meter fort, blieb dann wieder starr stehen. Mit reptilartigen, reglosen Augen starrte es auf den Menschen. Jetzt griff der Vogel an. Ohne Warnung, aus dem Stand heraus, als würde er von einem Katapult abgeschossen, raste er mit ausgestrecktem Hals auf den Menschen zu. Dumarest sprang zur Seite, landete wie eine Katze auf dem Boden, den Speer in beiden Händen. Er stand kaum, da griff die Bestie wieder, an. Zeit, die Waffe einzusetzen, blieb ihm nicht. Wo er eben noch gestanden hatte, schlug jetzt eine Kralle des Vogels in den heißen, staubigen Sand. Dumarest lief um sein Leben. Er hörte das enttäuschte Wutgeheul der Menge, während er die Arena entlangspurtete, auf den Eingang der Gladiatoren zu. Er sah Sadouas Gesicht auftauchen, dann Männer mit Speeren, die ihn zurückjagen würden, sollte er zu nahe kommen. Dumarest sprang, drehte sich in der Luft und landete so, daß er in die Richtung sehen konnte, aus der er geflüchtet war. Der Vogel war ihm nicht gefolgt. Am anderen Ende der Arena lief er gemächlich entlang und kratzte gelegentlich im Sand. Die Zuschauer tobten über dieses Schauspiel blanker Feigheit. Dumarest, der durch diese Aktion nur hatte testen wollen, was der Vogel konnte, wie schnell er war, steckte den Speer in den Sand und rieb sich dann die Hände mit Sand trocken, wobei er nicht eine Sekunde den Vogel außer acht ließ. Dann stand er auf und ging erneut langsam auf das Tier zu. Überrascht verstummte die Menge und wartete.
Dumarest machte sich klar, daß er eine Kampfbestie vor sich hatte, die doch nur ein Tier war, mit allen Nachteilen, die das mit sich brachte. Allein das Hirn eines Menschen war dem geschicktesten Tier mehrmals überlegen. Er hatte seinen Speer, seine Hände und Füße, seinen Kopf, um diesen Kampf zu gewinnen. Er mußte blitzschnelle Entscheidungen treffen - seine alten Erfahrungen kamen ihm sicherlich zugute. Der Krell drehte sich um, erstarrte wieder, Dumarest machte noch einen Schritt auf ihn zu, einen zweiten, einen dritten. Er ging in die Knie, als der Vogel angriff. Das linke Knie im Sand, den rechten Fuß fest auf den Boden, hielt er den Speer schräg nach vorn, mit dem stumpfen Ende in die Erde gerammt. Die Spitze zeigte genau auf die Brust der Bestie. Dann bohrte sich der schimmernde Stahl in die gefiederte Brust des Tieres. Der Aufprall betäubte fast Dumarests Arme, die die Waffe hielten. Zentimeter vor seinen Augen sausten Krallen vorbei, mit denen die Bestie nach der Waffe schlug. Dumarest ließ sie fahren, sah Blut an seinen Armen und rollte so schnell er konnte nach der Seite. Die riesigen Krallen wirbelten den Sand auf, der Schnabel fuhr in den Boden - Dumarest war gerade noch rechtzeitig aufgesprungen. Die Menge tobte vor Begeisterung. So lange hatte es noch niemand gegen einen Krell durchgehalten. Der Vogel war nicht tot - im Gegenteil, der Schmerz in der Brust machte ihn rasend vor Wut. Er sah Dumarest und griff an. Dabei ging er mit dem Kopf fast in die Waagerechte, der Körper beugte sich vornüber, was den Speer noch tiefer in die Brust trieb; erschrocken blieb das Tier stehen, dann riß es sich die Waffe aus dem Leib. Dumarest rannte nach vorn, trotz des Schmerzes, den er im linken Fuß verspürte. Als der Krell sich anschickte, wieder anzugreifen, sprang Dumarest, griff nach dem muskulösen Hals
und schwang sich auf den Rücken der Bestie, die sofort einen wilden Tanz aufführte. Sie sprang nach der Seite, in die Luft, schüttelte sich. Mit den Krallen konnte sie Dumarest nicht erreichen, aber mit dem Schnabel. Dumarest duckte sich, dann biß er mit aller Kraft, die er hoch besaß, in den Halsansatz des Tieres. Mit den Fingern hatte er eine pulsende Ader ertastet und plötzlich schoß ihm ein dunkler Blutstrahl an den Hals. Stoßweise spritzte das Blut in den Sand der Arena. Der Rest war eine Frage des Ab wartens.
Das würde sie niemals vergessen. Völlig gefesselt von den Ereignissen, saß Veruchia in ihrem Sessel. Die Menge war von ihren Sitzen aufgesprungen und tobte. Münzen und Kleidungsstücke regneten in die Arena, Frauen rissen sich die Blusen und Jacken vom Körper und boten sich dem Sieger an. Ganz weit hinten wurde Veruchia bewußt, daß sie gewonnen hatte. Der Mann, den sie unterstützt hatte, hatte gewonnen. Sie hatten gewonnen. Sie? Sie sah hinunter zu dem Kämpfer, der nur ein wenig humpelte, als man ihn jetzt hinausführte. Er schien das Getobe um sich herum gar nicht wahrzunehmen. Kinder sammelten das Geld ein, Arbeiter schafften den Krell fort. Woher sollte dieser Mann wissen, daß sie ihn wider alle Logik unterstützt, an ihn geglaubt hatte? Selkas war noch neben ihr. „Sieh dir Montarg an. Hast du ihn schon mal so verbittert erlebt?" Sie blickte nur kurz hin, bemerkte die Wut. Dann wandte sie sich schnell ab, denn sie wollte ihn jetzt nicht noch mehr reizen, das war nicht ihre Art. „Zwölf zu eins, sehr gut", sagte Selkas. „Er wird sich anstrengen müssen, das Geld zusammenzubekommen." „Wieso konntest du so sicher sein, daß der Mann gewinnt?"
„Ich kenne ihn, das sagte ich schon. Es war auf einer Welt, deren Namen ich vergessen habe, vor vielen Jahren. Ich hatte Langeweile, hörte, daß ein Kampf arrangiert worden sei und ging hin. Es war das Übliche: Männer gingen mit Messern aufeinander los, die Zuschauer wetteten auf den Sieger; ein Zeitvertreib, sage ich dir. Einer der Kämpfer war sehr jung und etwas nervös. Ein Mann reichte ihm ein Messer, und, während er danach griff, ließ er es fallen. Es wurde aufgefangen, bevor es den Boden erreichte." Selkas zuckte die Schultern. „Ein alter Trick, damit testet man die Leute und demoralisiert sie. Diesmal aber war es nicht absichtlich geschehen - der junge Mann war ungeheuer schnell." Sie sah dem Mann in der Arena nach. Er hatte fast den Ausgang erreicht, gleich würde er verschwinden. „Dieser Mann?" „Derselbe. Ich habe viele Kämpfer gesehen, so viele, daß ihre Gesichter vor meiner Erinne rung ineinander verschwimmen, aber ihn werde ich nie vergessen. Damals war er jung, neu im Ring, keineswegs geschickt im Umgang mit dem Messer. Er siegte nur dank seiner schnellen Reflexe. Es war eine Freude, ihm zuzusehen. Hast du beobachtet, wie er den Krell bestiegen hat?" Sie nickte. „Das mußte sehr schnell gehen - eine schnelle Entscheidung und ebensolche Bewegungen. Den Bruchteil einer Sekunde an Verzögerung, und die Bestie hätte ihm die Gedärme aus dem Leib gerissen. Ein schlechterer Mann hätte gezögert - und es mit seinem Leben bezahlt. Du hast sicher auch den Rest beobachtet... Ich war sicher, daß er gewinnen würde", fügte Selkas noch hinzu. „Ein Kämpfer, der so lange überlebt hat, der so schnell ist - wie kann der überhaupt verlieren?" Dumarest war jetzt verschwunden, verschluckt von dem Gitter und den Gängen zu den Quartieren der Kämpfer. Die Arena schien plötzlich irgendwie leer zu sein, trotz der Menschenmassen. Veruchia erhob sich, unwillig, noch weiter
zuzusehen. Alles, was jetzt noch kommen konnte, würde nur den Höhepunkt von eben verwässern. Und sie mußte auch nicht mehr bleiben - sie hatte die Spiele besucht, Chorzel hatte sie gesehen; sollte er sich über ihr frühes Verschwinden mokieren, würde sie eine Unpäßlichkeit vorschieben.
Sie sah zu dem Landesherrn hinüber. Er saß immer noch reglos in seinem Sessel, die Hände um die Lehnen gekrampft. Irgendwie spürte die Frau, daß da etwas nicht stimmte. Sie machte drei Schritte auf ihn zu, sah, daß er nicht mehr schwitzte, und war Augenblicke später neben ihm. „Schnell", sagte sie zu seinen Bediensteten. „Bringt etwas, um Schatten für den Landesherrn zu spenden." Sie nestelte verzweifelt an seiner am Hals geschlossenen Tunika, und wütend riß sie ihm dann das Kleidungsstück auf der Brust auf. Darunter trug er ein metallenes Schutzhemd, und sie schüttelte leicht den Kopf über den Wahnsinn, bei dieser Hitze ein solches Gewicht mit sich herumzuschleppen. Kein Wunder, daß ihm zu heiß geworden war. „Ruft einen Arzt herbei", sagte sie. „Sein persönlicher Arzt soll kommen. Und bringt Eis und Wasser her, schnell!" Sie legte ein Ohr auf die Brust und lauschte auf die Herzschläge - zuerst meinte sie, gar nichts zu hören, dann aber war da noch ein leises, unregelmäßiges Klopfen. Als sie sich aufrichtete, war sie von Gesichtern umgeben. Montarg drängte sich heran. „Was ist los?" „Chorzel ist krank." „Der Landesherr? Krank?" Vidda schien völlig aufgelöst zu sein. „Wird es ihm wieder bessergehen?“ „Vielleicht ein Herzschlag?" Belev biß sich auf die Unterlippe. „Man hat ihn vor Aufregung gewarnt." „Laßt mich mal sehen." Izard beugte sich über ihn. Andere taten es ihm gleich.
„Ich will auch was sehen." „Stirbt er?" Sie kamen näher, wie Raubvögel, noch ganz unter dem Eindruck der Kämpfe in der Arena. Sie wollten Tote sehen. Seltsam, dachte Veruchia - sollten die barbarischen Spiele, die er inszeniert hatte, der Grund für seinen Tod sein? Sadoua jubelte. „Du hast es geschafft!" brüllte er. „Du hast gewonnen! Mann, bin ich stolz auf dich!" Dumarest ruhte sich aus. Die Kühle dieses Raumes war angenehm nach der Backofenhitze draußen. Ein Junge kam mit Wein heran - Sadoua schlug ihm den Becher aus der Hand. „Für den Sieger ist das Beste gerade gut genug!" grölte er. „Bringe gekühlten Champagner in Spezialgläsern." Er führte Dumarest zu einer Liege. „Trink etwas", forderte er ihn auf. „Dann werde ich den besten Masseur kommen lassen, um dir auch den letzten Schmerz aus den Gliedern zu walken. Weißt du eigentlich, was du da getan hast?" Er reichte Dumarest ein Glas Sekt. „Du hast gezeigt, wie man die verdammten Vögel besiegen kann, genau das. Ich habe dich beobachtet. Jede Bewegung war kalkuliert, und du hast dich auf dein Glück verlassen. Deine Taktik war mir klar, als du vor dem Tier davongelaufen bist. Du hättest die Menge mal brüllen hören sollen! Mann, ich dachte, mir platzen die Trommelfelle. Junge, mehr Sekt!" Sadoua schenkte Dumarest nach. „Das Geld?" fragte der Vagabund von den Sternen. „Du bekommst jede Münze, dafür sorge ich." Sadoua setzte sich. „Du bist ein guter Jäger", sagte er langsam. „Du weißt, wie so ein Tiergehirn arbeitet. Mit dem Speer - das war ein hervorragender Trick. Allerdings hast du ihn etwas zu hoch angesetzt. Zehn Zentimeter tiefer, und du hättest sofort das Herz getroffen. Na, beim nächsten Mal wird es besser klappen." „Es gibt kein nächstes Mal." Nein?"
„Ich hatte Glück", sagte Dumarest. „Die Speere sind einfach zu kurz - wenn du mehr Männer sehen möchtest, die lebend aus der Arena kommen, dann gib ihnen längere. Und laß sie trainieren binde so einen Krell fest, dann sollen sie üben, den Schaft des Speeres zu halten. Und gib ihnen Messer mit." Er deutete auf seine Zähne. „Mit einem Messer hätte ich dem Biest den Kopf vom Rumpf trennen können." „Ich mache die Regeln nicht", sagte Sadoua. „Aber noch etwas: Du kommst bestimmt wieder. Wenn du auf dieser Welt bleibst, hast du keine andere Wahl. Wie willst du Geld verdienen? Und du bist ein guter Kämpfer. Noch ein paarmal in die Arena, dann kannst du alles Geld und alle Frauen dieser Welt haben. Als Sieger hat man hier so seine Vorteile. Überlege es dir." Dumarest nickte. „Du bist hier immer willkommen." Sadoua wurde lauter. „Larco! Komm her und bearbeite ihn." Dumarest entspannte sich, während der Masseur seine Glieder massierte. Das Öl war warm auf der Haut, und der Mann war ein Könner. Er nahm sich reichlich Zeit, und Dumarest war fast eingeschlafen, als er endlich von ihm abließ. ,,Mein Name ist Selkas", sagte eine Stimme. „Ich hörte, Sie heißen Dumarest, Earl Dumarest. Ich möchte mit Ihnen sprechen." „Später", murmelte Dumarest. »Nein, Die Angelegenheit ist einigermaßen wichtig." Dumarest seufzte und öffnete die Augen. Der Mann war groß und zart gebaut und in teure Kleider gekleidet. Er hielt Dumarest eine offene Handfläche entgegen. „Ein Brauch auf dieser Welt", erklärte er. „Ich zeige damit, daß ich ohne Waffen komme. Das Gegenüber hat entsprechend mit seiner Handfläche die meine zu berühren. Es ist eine Geste der Freundschaft." „Und die andere Hand?" „Die zeigt man nur vertrauten Freunden oder erklärten Gegnern, wenn man mit ihnen verhandeln will. Einmal, um Vertrauen zu
bezeugen also, zum anderen, um für die Zeit der Verhandlung eine Vertrauensbasis zu schaffen. Finden Sie das komisch?" „Eigenartig." Dumarest berührte die ausgestreckte Hand. „Und ein wenig sinnlos." „Vielleicht, aber der Brauch ist sehr alt. Sie interessieren sich für alte Dinge." „Manchmal, ja." „Nun - was haben Sie als nächstes vor?" „Ich nehme mein Geld und gehe", sagte Dumarest. „Weg von dieser Welt?" Selkas zuckte die Schultern. „Das wäre sicher möglich; Ihre Belohnung reicht für eine OberdeckPassage - aber was dann? Mittellos stehen Sie auf einer neuen Welt. Keine angenehme Zukunft, mein Freund." Er berührte Dumarest an der Brust, auf der die Rippen deutlich hervorstanden. „Und es wäre nicht gesund für Sie, im Unterdeck zu reisen, sogar gefährlich, in so kurzem Abstand. Sie haben kein Fett am Körper, und von Dradea aus sind die Flüge lang. Es sieht so aus, als bliebe Ihnen nichts anderes übrig, als wieder zu kämpfen." Kühl sagte Dumarest: „Es gibt immer eine Alternative." „Auf einer fremden Welt, auf der man keinen kennt? Vielleicht, aber ich glaube, das wissen Sie selbst besser. Sie haben nicht freiwillig gekämpft - ganz sicherlich war das notwendig." Abrupt wechselte er das Thema. „Ich bin hier, um Ihnen eine Stellung anzubieten." Dumarest hatte so etwas erwartet. „Welcher Art?" „Es gibt da eine Frau, die mir aus Gründen na hesteht, die Sie nicht zu interessieren brauchen. Ich schätze sie sehr. Ich möchte, daß Sie sie beschützen." „Also Leibwächter?" „Mehr als das - Schutz, der über Vereitelung von Angriffen hinausgeht. Sie ist allein und hat kaum Freunde. Es gibt viele, die sie anschwärzen, und es ist wichtig, daß sie jetzt stark erscheint. Sie braucht jemanden, der ihr Mut macht, einen
Mann, der mehr ist als ihr Diener. Ich denke, das könnten Sie sein. Nehmen Sie an, und Sie werden es nicht bereuen." „Wer ist diese Frau?" „Sie werden sie heute abend sehen. Ich lade sie - unter anderen zum Essen ein. Sie werden auch kommen. Und sagen Sie ihr nicht, daß ich Sie angeworben habe. Sie sind einfach als Freund da. Halten Sie sich in ihrer Nähe auf, begleiten Sie sie, beharren Sie darauf, auch wenn sie ablehnt. Das überlasse ich ganz Ihnen -haben Sie verstanden?" „Ich denke schon. " „Und Sie nehmen an?" „Das sage ich Ihnen", sagte Dumarest, „wenn ich die Frau kennengelernt habe."
3.
Sie kam die Stufen herabgelaufen, leichtfüßig und geschmeidig. Ein langes Kleid schmiegte sich um ihren Körper. Auf den ersten Blick hätte man sie für einen Jungen halten können - dann sah Dumarest die vollen Lippen, die tiefliegenden blauen Augen, sah ihre samtene Haut. Sie hatte nur wenig, aber teuren Schmuck angelegt, der ihr Aussehen vorteilhaft unterstrich. Das Haar war kurzgeschnitten und lag fast glatt an. „Selkas!" Sie streckte beide Arme aus, als der Mann ihr am Fuß der Treppe entgegentrat. „Wie nett von dir, mich einzuladen." „Du bist eine Ehre für mein Haus", sagte er formell - ihre Handflächen berührten sich. „Veruchia, darf ich dir Earl Dumarest vorstellen?" „Mylady." Dumarest wiederholte Selkas' Geste und bemerkte, daß sie ihn in diesem Augenblick seltsam ansah. Ein Hauch von
Rot flog über ihre Wangen, während sie die Arme wieder senkte. „Ihr habt euch schon gesehen", erklärte Selkas. „Vermutlich wird Earl sich aber nicht daran erinnern - er hatte andere Dinge im Kopf. Du solltest ihm dankbar sein, Veruchia, daß er so viel für dich gewonnen hat." Das also war der Mann, auf den sie in der Arena gesetzt hatte. Sie sah ihn an und wunderte sic h, daß sie ihn nicht gleich erkannt hatte. Jetzt wirkte er allerdings entspannter, sein Gesicht hatte etwas an Härte verloren. Und er war größer als sie, fast einen ganzen Kopf, und sie selbst war nicht gerade klein. Auch das hatte aus der Loge heraus getäuscht. „Mylady - darf ich Sie zum Essen begleiten?" fragte Dumarest und reichte ihr seinen Arm. Veruchia sah sich etwas verwirrt um - Selkas war verschwunden, als ob er geahnt hätte, was dieser Mann ihr anbieten würde. Nun, warum nicht? Zumindest wäre es eine neue Erfahrung. Sie nahm den Arm und spürte plötzlich, daß ihr Herz schneller schlug. Eine biologische Reaktion auf die Nähe eines Mannes, dachte sie. Wie kindisch bin ich eigentlich noch? „Sie sind neu auf Dradea?" Zumindest konnte sie noch höfliche Konversation machen. „Ja, Mylady." „Mein Name ist Veruchia. Wir benutzen hier keine Titel, abgesehen vom Landesherrn. Auf dieser Welt tragen alle übrigen Landbesitzer den gleichen Titel." „Und der Rest, Mylady?" „Veruchia. Sie meinen die Landbesitzlosen. Auch sie sind gleichgestellt, obwohl es einige Privilegien gibt, die ihnen verwehrt bleiben. Haben Sie schon oft gekämpft?" „Das war das erste Mal." „Auf Dradea - ich verstehe." Sie war froh darüber, daß er auf Einzelheiten verzichtete. Ein primitiver Mensch hätte sie mit langen Geschichten über seine großartigen Kämpfe gelangweilt.
Primitiv? Wieso schätzte sie ihn eigentlich so viel höherstehend ein? Selkas hatte seine Gäste sorgfältig ausgewählt. Veruchia nickte dem alten Nebka zu, der sich gerade setzte, dann Wolin und Pezia. Auf Shamar hätte sie verzichten können, und auch Jebele mochte sie nicht besonders, aber beide Frauen hatten Einfluß. Dumarest, so bemerkte sie, war an ihrer Seite plaziert worden. „Auf den Landesherrn!" Selkas hob sein Glas. „Den Landesherrn!" Alle tranken, dann wurde das Essen aufgetragen. Fisch und Fleisch, Gemüse und Salate wurden angeboten; die Gespräche der Anwesenden drehten sich um Themen wie den Stand des Getreides, den geplanten neuen Hafen, Erhöhung der Gebühren für die Gladiatorenspiele. Nebka meldete sich zu Wort. „Das ist rausgeworfenes Geld. Ja, ja, ich kenne all die Argumente, die die Befürworter herausbringen, meine aber nach wie vor, daß es noch eine andere Möglichkeit geben muß. Man kann die Vitalität einer Rasse nicht dadurch hervorheben, indem man ihr solche unschönen Spektakel vorsetzt - nicht wahr, Veruchia?" „Du weißt, wie ich darüber denke, Nebka." „Was sollen diese Kämpfe überhaupt?" warf Shamar ein und beugte sich vor. „Ich persönlich finde unsere Männer lebend ig genug." „Du mußt es ja wissen", sagte Jebele gehässig. „Du hast ja genug davon." „Bitte, meine Damen." Pezia schüttelte den Kopf. „Einig sind wir uns doch darin, daß unser Volk schwach und .müde geworden ist. Was also kann man dagegen tun? Ich persönlich glaube nicht so recht an die erste These. Schwäche ist relativ und hängt von der jeweiligen Gesellschaft ab. Jede Rasse hat Höhepunkte und Tiefpunkte durchzumachen, und ich habe noch nie jemanden gehört, der darüber diskutiert hat, daß wir
gegenwärtig eine Talsohle durchmachen - wenn man so will, eine Atempause einlegen. Die Zeit wird diesen Zustand verändern, ohne solche wilden Experimente wie diese Spiele. Sie sind übel und unserer nicht würdig. Wir sollten das Problem ganz anders angehen, aber das habe ich schon oft gesagt." „Richtig", sagte Jebele scharf, „Das haben wir schon gehört." „Wahres wird durch Wiederholung nicht weniger wahr." „Was ist wahr?" Wolin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lächelte. „Du redest so, Pezia, der Landesherr aber redet anders. Der Unterschied zwischen ihm und uns ist, daß er gehandelt hat. Ich meine auch, daß die Spiele Verschwendung sind, aber welche Alternative bieten wir an? Arbeiten und etwas aufbauen, sagt ihr, aber wie soll man die Leute dazu motivieren? Unsere Rasse, ist in einen Halbschlaf verfallen, und vielleicht haben Montarg und die anderen recht: Blut könnte sie wieder wecken und ihr Leben einhauchen." Veruchia schüttelte den Kopf. „Nein." „Woher willst du das wissen?" „Ich spüre es. Die Leute kommen zu den Spielen, um zuzusehen, nicht, um daran teilzunehmen. Sie wollen Gewalttätigkeit sehen, sich aber nicht selbst darin üben." Selkas räusperte sich. „Ich denke, wir können einen Schritt in der Diskussion weiterkommen, wenn wir jemanden befragen, der da große Erfahrungen hat. Was glauben Sie, Earl? Sie haben nun zugehört - meinen Sie auch, daß blutige Kämpfe eine Rasse aus dem Tal bringen können?" „Nein, das glaube ich nicht." „Könnten Sie das nicht ausführlicher begründen? Immerhin haben Sie in der Arena Ihr Leben riskiert, und man hört selten, daß jemand etwas verschreit, wovon er lebt." „Gehen Sie selbst in die Arena", sagte Dumarest fest. „Kämpfen Sie um Ihr Leben, hören Sie das Brüllen der Zuschauer, sehen Sie zu, wie zivilisierte Frauen wildfremden Kämpfern ihre nackten Körper anbieten. Riechen Sie den Gestank von Blut.
Das sind Einzelheiten, mehr brauche ich nicht zu sagen. Die Spiele züchten nur Barbaren." „Aber Sie kämpfen doch." „Weil ich muß, nicht freiwillig." „Barbaren also", sagte Jebele. „Immerhin ist eine barbarische Kultur vital." „Echte Barbaren, die noch auf dieser Entwicklungsstufe stehen, sicher, aber für Zivilisationen bedeutet das Dekadenz. Und zivilisierte Kulturen werden dadurch verderbter als echte Barbaren, wirklich rückständige Völker, nicht wahr, Earl?" „Ja, richtig." Pezia lächelte. „Hast du gehört, Wolin? Wie oft habe ich das schon gesagt. Wir wollen etwas sein, was wir nicht sind. Darin liegt eine Gefahr." „Trotzdem muß in solchen Kämpfen etwas Mystisches, Rätselhaftes liegen", sagte Shamar und lächelte Dumarest einladend an. „Sie als jemand, der mitgemacht hat, müßte wissen, was die Zuschauer dabei empfinden, wie Ängste und verdrängte Wünsche durch das Zuschauen abreagiert werden. Schlafende Energien werden wach, und das muß noch viel mehr mit jenen geschehen, die tatsächlich daran teilnehmen. Fühlt man sich nicht nach jedem Kampf wie neugeboren, ungeheuer befreit?" „Nein, Mylady. Ich bin einfach froh, daß es vorbei ist." „Sie spaßen", sagte die Frau. „Ich wünschte, Montarg wäre hier, er könnte Ihnen das viel besser erklären als ich." „Hat er in der Arena gekämpft?" „Montarg? Nein, aber ..." „Dann, bei allem Respekt, Mylady, ist er kaum ein Experte." „Aber Sie sind einer?" fragte die Frau spitz. „Er lebt noch", sagte Selkas ruhig. „Welche Beweise brauchst du noch?" Kurz darauf wurden die Teller abgeräumt und durch Gebäck und alkoholische Getränke ersetzt. Dumarest nahm eine Platte mit Keksgebäck und bot Veruchia davon an.
„Erlauben Sie", sagte er und sah ihr direkt in die Augen. „Danke." Sie nahm sich etwas und konnte ihren Blick kaum von ihm wenden. Irgendwo in seinem Gesicht suchte sie nach den Anzeichen der unterdrückten Spannung, der erzwungenen Höflichkeit ihr gegenüber, nach Beweisen dafür, daß ihre Gegenwart ihn im Grunde störte. Nichts davon - unglaublich, daß dieser Mann sie als Frau ernst nahm und sie nicht für ein seltsames Monstrum hielt. Nur um etwas zu sagen, fuhr sie fort: „Sie sind weit gereist?" „Ja." „Und schon sehr lange?" Zu lange - er erinnerte sich kaum noch an alle Welten, die er schon besucht hatte. „Ja." „Selkas auch." Sie sah zum Tischende. „Als er jung war, war er jahrelang unterwegs - ich glaube, er hat sich gelangweilt. War das auch bei Ihnen der Fall?" Gleichmütig antwortete Dumarest: „Nein, Veruchia. Ich suche etwas, einen Planeten namens Erde." Sie runzelte die Stirn. „Kann ein Planet so heißen? Erde ist doch Boden, Schmutz, Acker. Das muß eine seltsame Welt sein." „Nicht seltsam, sondern alt, zernarbt von unzähligen Kriegen der Vergangenheit. Aber der Himmel ist blau, und ein großer, silberner Mond hängt darin. Ich wurde dort geboren." Sie verstand sofort. „Und Sie wollen wieder nach Hause deshalb haben Sie in der Arena gekämpft. Nun, Sie brauchen nicht weiterzukämpfen. Ich habe viel gewonnen, und ein Teil davon gehört Ihnen. Wenn das nächste Schiff landet, werde ich dafür sorgen, daß man Sie dort hinfliegt." »Das ist nicht so einfach, Veruchia. Niemand scheint die Koordinaten der Erde zu kennen." „Aber Sie stammen von dort und müssen es doch wissen." „Ich ging von dort fort, als ich noch ein Kind war, versteckte mich auf einem Schiff. Der Kapitän war gütig zu mir - statt mich
aus der Luke zu werfen, durfte ich die Passage abarbeiten. Als er dann später starb, zog ich allein weiter." „Dann sind Sie im All verloren", sagte sie mitfühlend. „Sie finden nicht mehr zurück. Aber irgend jemand muß Ihnen doch helfen können. Selkas, vielleicht. Ich werde ihn fragen." Schweigen folgte auf ihre entsprechende Frage. Dumarest senkte den Blick und starrte auf seine Hände. Zu oft war er schon enttäuscht worden, und doch... Vielleicht konnte ihm diesmal jemand das sagen, was er so dringend wissen mußte. „Erde?" Selkas grübelte mehrere Minuten. „Nein, Veruchia, ich weiß nicht, wo sie ist. Ich war noch nie da, aber der Name ist mir seltsam vertraut. Erde", sann er, „Erde." „Der Planet hat noch einen zweiten Namen", sagte Dumarest. „Terra. Und er liegt in dieser Region der Galaxis." Soviel zumindest hatte er herausgefunden. Pezia meldete sich zu Wort. „Ich glaube, Sie suchen da nach einer Legende, guter Freund." Selkas zuckte zusammen. „Eine Legende! Jetzt habe ich es! Die Wirklichen Menschen, sie behaupten, von der Erde zu stammen." Er lächelte. „Sie behaupten noch mehr - nämlich, daß alle Menschen von einer einzigen Welt stammen." „Absurd!" stieß Nebka hervor. „Das ist Unsinn. Wie können all die verschiedenen Rassen von einem Planeten stammen? Die Erde ist ein Mythos wie El Dorado, Bonanza, Eden und ein Dutzend andere. Träume ohne Substanz." „Jede Legende hat einen wahren Kern", sagte Selkas nachdenklich. „Meist ist er durch die Jahre mit Spekulationen und Vermutungen überdeckt - es wäre immerhin denkbar, daß alle Menschen von dort stammen - wenn auch nicht von einem Planeten, aber einem bestimmten, geschlossenen Abschnitt der Galaxis. Nehmen wir mal an, dort haben unsere Vorfahren gelebt. Irgendwann entwickelten sie die Raumfahrt und breiteten sich aus - in welche Richtung würden sie das getan haben? Sicher nicht zum dünnen Rand der Galaxis zu, sondern dorthin,
wo unzählige Welten darauf warteten, entdeckt und genutzt zu werden - also auf das Zentrum zu." „Und weil dort die Planeten dichter standen, drangen sie immer weiter in die Galaxis vor." Pezia nickte. „Gut argumentiert, Selkas." Jebele zuckte die Schultern. „Spekulatione n ohne Beweise. Eine amüsante Theorie, mehr nicht. Eine Legende." Wolin lächelte. „Wir haben doch auch eine, erinnerst du dich? Das erste Schiff." „Das ist keine Legende", sagte Veruchia scharf. „Das sagst du." „Ihr wißt es, und ich weiß es! Das Schiff existiert, und wir wissen sogar ungefähr, wo man es finden kann. Es ist ein Verbrechen, daß man sich nicht darum kümmert, während ein Vermögen für andere Dinge zum Fenster hinausgeworfen wird." „Beruhige dich, Veruchia." Shamar lächelte wie eine Katze ihre Zähne blitzten. „Was nützt so ein altes Schiff, selbst wenn wir es finden können. Das ist Teil unserer Vergangenheit, unserer Geschichte, eine Legende mehr als alles andere. Ich persönlich halte es für Zeitverschwendung, von der Vergangenheit zu träumen. Das kannst du tun - ich mag die Gegenwart mehr." Ihr Lächeln, das sie Dumarest schenkte, war eine unverhüllte Aufforderung. „Du verlangst zuviel, Veruchia", sagte Wolin. „Wir haben keine Beweise dafür, wo das Schiff liegt, vorausgesetzt, es existiert überhaupt. Mal soll es in den Frenderha-Hügeln liegen, dann wieder in den Gletschern von Cosne, dann wieder am Boden der Elgish-See." „Hört auf damit", rief Shamar. „Kümmern wir uns um die Gegenwart. Was haben Sie als nächstes vor, Earl? Kämpfen Sie wieder, oder suchen Sie anderweitige Beschäftigung? Wenn ja, so könnte ich Ihnen vielleicht helfen, etwas zu finden -sehr
wahrscheinlich sogar. In meinem Haushalt ist immer Platz für einen Mann mit Ihren Eigenschaften." „Er ist bereits engagiert", sagte Veruchia schnell. „Wirklich?" Shamar hob die Brauen. „In welcher Richtung, meine Liebe?" „Als mein Angestellter. Ich möchte, daß er die Möglichkeiten meiner südlichen Ländereien erkundet." „Und du wirst ihn gut bezahlen, zweifellos", sagte Shamar und lächelte anzüglich. „Um deinetwillen, Veruchia, hoffe ich, daß er dich nicht enttäuscht." „Nein, Veruchia, das werde ich nicht", sagte Dumarest ruhig. Veruchia lehnte sich erleichtert zurück. Er hatte sie nicht im Stich gelassen, und noch mehr, er hatte soga r gekonnt mitgespielt. Ein Diener betrat den Raum und übergab Selkas eine Notiz. Selkas las sie, winkte den Mann hinaus. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte er: „Veruchia, wir müssen hinauf in den Palast. Chorzel ist sehr krank." In seinem riesigen Bett wirkte er zwergenhaft, trotz der lebenserhaltenden Maschinen und Apparate, die ihn umgaben. Wie grüne Gespenster standen die medizinischen Experten um das Bett herum und schwiegen. Hamane richtete sich von einer Anzeigetafel auf. Er sah sehr ernst drein, und daß der alte Arzt sehr kurz angebunden war, unterstrich seine Besorgnis noch. „Es geht ihm schlecht, sehr schlecht, Veruchia. Ich glaube kaum, daß er die Nacht überstehen wird." „Wann?" „Vor zwei Stunden gab es einen Rückfall. Der Dummkopf hätte niemals in die Arena gehen sollen, ich hatte ihn oft genug gewarnt. Er hatte nur einen kleinen Herzanfall, der aber schlimmer wurde, als der zweite, stärkere Schlag erfolgte. Ich weiß noch nicht genau, warum er einen zweiten Anfall bekam, werde es aber herausfinden."
„Und es besteht keine Hoffnung?" „Keine. Das Gehirn ist durch einen Blutsturz beschädigt, und er ist fast völlig gelähmt. Ohne die Maschinen wäre er schon tot. Tut mir leid, Veruchia, aber so etwas kommt vor. Alles hat einmal ein Ende." Veruchia trat an das Bett heran und beugte sich über den Kranken. Chorzel schien sie immerhin noch zu erkennen und wollte allem Anschein nach etwas sagen, aber er brachte nur ein schwaches Gurgeln hervor. Eine Krankenschwester wischte ihm den Speichel vom Mund. Diesen Mann, der einst so stark gewesen war, so schwach vor sich zu sehen, war erschütternd. Selkas hatte sich leise mit einem der Ärzte unterhalten. „Wir können hier nichts mehr tun, Veruchia", sagte er. „Chorzel ist so gut wie tot, er wird nie wieder sprechen können." „Weiß Montarg schon Bescheid?" „Er wurde informiert, hielt es aber nicht für nötig, sich um den Sterbenden zu kümmern, und wir beide wissen, warum. Er wird schon erste Arrangements treffen. Auch wir werden alle erforderlichen Schritte einleiten, dürfen keine Zeit mehr verlieren." „Was soll's", sagte die Frau niedergeschlagen. „Wir wissen, was geschehen wird. Er wird seine Ansprüche anmelden und akzeptiert werden, während man mich ablehnt." „Du gibst auf, Veruchia?" „Nein ..." Sie holte tief Luft und reckte sich. Wenigstens wollte sie nicht kampflos aufgeben. „Wann wirst du den Rat einberufen?" „Morgen um zwölf Uhr. Chorzel wird dann tot sein, und es gibt keinen Grund dafür, die Sitzung noch länger hinauszuzögern." Er nahm die Frau am Arm. „Das ist nicht der Zeitpunkt, schwach zu sein, Mädchen." „Noch mehr Ratschläge, Selkas?" „War der letzte so schlecht?"
„Nein, aber warum bist du so besorgt? Du hast doch bisher kein großes Interesse gezeigt?" „Ich mag Montarg nicht. Ich glaube, er wird dieser Welt schaden, und das ist Grund genug, um besorgt zu sein. Jetzt ist die Zeit, um Partei zu nehmen, Veruchia, und ich nehme deine." Er führte sie aus dem Raum. „Gehe jetzt besser nach Hause. Dumarest wartet unten, er wird sich darum kümmern." „Ich brauche ihn nicht, ich komme allein zurecht." „Vielleicht, aber er braucht dich, meine Liebe. Du hast ihn eingestellt, hast du das vergessen?" Tatsächlich, das hatte sie fast schon vergessen; jetzt schien es, als würde sie den Mann nicht mehr los. „Also gut", gab sie nach. „Er darf mich nach Hause bringen." Sie bewohnte ein kleines Haus am Stadtrand, ein Gebäude auf ebener Erde ohne Boden oder Keller. Auf einen Handdruck hin öffnete sich die Tür. Dumarest hielt Veruchia kurz zurück und betrat als erster den Raum. Überall gingen Lichter an, während er den großen Wohnraum betrat und sich umsah. Teure Möbel, weiche Teppiche, hier und da eine schwere Bodenvase mit herrlichen Blumen. „Sie müssen müde sein", sagte er, während er ihr den Mantel abnahm. „Wenn nicht, ich zumindest bin es. Es war ein anstrengender Tag." Dumarest machte keine Anstalten, zu gehen. „Ein sehr schönes Haus, Veruchia -darf ich es mir ansehen?" Ohne ihre Erlaubnis abzuwarten, ging er von Zimmer zu Zimmer. Als er seine Runde abgeschlossen hatte, kehrte er in ihr Arbeitszimmer zurück, wo sie auf einer Couch saß und gerade einen Likör in zwei Gläser goß. Sie reichte ihm ein Glas und sagte: „Nun, sind Sie zufrieden?" „Mit dem Haus?" „Daß niemand irgendwo in einer dunklen Ecke auf mich lauert."
„Sollte da jemand sein, habe ich ihn nicht gesehen." Dumarest nippte an seinem Getränk. „Sie glauben, da könne jemand sein?" „Natürlich nicht." „Darf ich fragen, warum Sie so sicher sind?" „Dradea ist keine solche Welt. Lassen Sie sich von der Arena kein falsches Bild aufdrängen. Das ist eine üble Erfindung - die Menschen hier sind sanft und kennen keine Gewalt. Chorzel wollte das durch die Spiele ändern. Aber das wissen Sie ja. Nein, ich befürchte keine Angriffe auf meine Person." Ihr Tonfall wurde bitter. „Und die Gefahr, daß ich vergewaltigt werde, besteht auch nicht." „Es ist so eine Gewohnheit von mir", sagte Dumarest schnell. „Ich kenne gern die Umgebung, in der ich mich aufhalte. Ich sehe, Sie interessieren sich für alte Dinge." „Die Karten? Das ist ein Hobby und noch etwas darüber hinaus. Ja, ich interessiere mich für alte Dinge." Sie deutete auf einen Sessel. „Trinken Sie in Ruhe aus. Haben Sie eine Bleibe? Morgen wird man Ihnen Geld geben. Wenn es für heute nicht reicht, kann ich da noch etwas arrangieren lassen." „Ich denke, das ist schon geklärt. Als Ihr Angestellter muß ich auf jeden Fall in Ihrem Haus bleiben." „Unmöglich! Ich lebe allein!" Sie bemerkte sein Lächeln, und ihr wurde klar, wie albern sie sich aufgeführt hatte - wie ein ängstliches kleines Mädchen, das sich alle möglichen schrecklichen Gefahren ausmalt. Und die Reaktion war übertrieben gewesen, und sie war intelligent genug, um zu wissen, warum sie so ausgefallen war. Ich habe mich in ihn verliebt, dachte sie. Oder ich verliebe mich in ihn und kann nichts dagegen tun. Ihre letzte große Enttäuschung hatte sie mit fünfzehn Jahren erlebt und sich seitdem zurückgehalten. Sollte es jetzt wieder geschehen...?
„Veruchia." Sie spürte, daß er neben ihr saß. Sie wandte sich um und sah ihm ins Gesicht, sah seine Stärke, sein Verständnis für sie. „Veruchia, stimmt etwas nicht?" Sie wandte sich ab und griff nach ihrem Glas. „Es ist alles in Ordnung, alles." Sie trank und sagte: „Ich denke, Sie gehen jetzt besser." „Wollen Sie das wirklich?" „Sie wissen verdammt gut, daß ich es nicht will", sagte sie hastig. „Aber wenn Sie bleiben, ist es das Schlimmste, was mir jetzt passieren könnte! Glauben Sie, ich könnte schlafen, wenn ich weiß, daß Sie im Haus sind? Daß Sie irgendwo in der Nähe sind, während ich ..." Sie verstummte. „Nein." „Ich bleibe", sagte er ruhig, „und werde Sie nicht belästigen. Sie können baden und dann schlafen und vergessen, daß ich hier bin. Aber ich werde Sie nicht allein lassen." Er war zu stark für sie, war ihr überlegen, und dann dachte sie: Warum eigentlich nicht? Warum nicht das tun, was Shamar schamlos angedeutet hatte? Warum nicht einmal, nur einmal, erfahren, wie es ist, sich als richtige Frau zu fühlen? Wenn er blieb, würde sie nicht allein schlafen. Das Telefon klingelte, bevor sie etwas sagen konnte. Sie drückte einen Knopf. Hamanes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. „Veruchia - ich gebe überall bekannt, daß Chorzel tot ist."
4.
Nichts hatte sich verändert, und Montarg konnte gar nicht begreifen, daß man in der Stadt von Chorzels Tod anscheinend keine Notiz genommen hatte, während er langsam in den Palast hineinging. War er doch nicht der Größte gewesen, daß es niemanden zu interessieren schien, ob er tot oder lebendig war? Aber ihm war es nicht gleichgültig, und Veruchia sicher auch nicht, und beide hatten sie natürlich ihre Gründe dafür. Montarg ging einen Gang entlang zu einem Fahrstuhl, der ihn dann hoch hinauf in das Gebäude brachte. Als er aus dem Schacht trat, erhob sich eine scharlachrote Gestalt vor ihm. „Mylord?" Ein Gehilfe des Cybers, ein junger Bursche, stand hier Wache. „Ich bin Montarg. Surat erwartet mich." „Einen Augenblick, Mylord." Der rote Schatten glitt davon und kehrte schweigend zurück. „Treten Sie ein, Mylord." Der Cyber, der eine spartanisch eingerichtete Suite bewohnte, in der kein Luxus zu finden war, erhob sich, als Montarg eintrat. Er wirkte in seiner scharlachroten Robe wie eine lebendige Flamme, das Siegel des Cy-Clans glitzerte auf seiner Brust. In dem Raum war es ziemlich warm, und der Cyber hatte die Kapuze seiner Robe zurückgeschlagen. In dem hellen Licht, das durch ein Fenster fiel, wirkte sein kahler Kopf wie ein Totenschädel. „Mylord." Er verbeugte sich. „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Voraussage, Cyber. Sie traf hundertprozentig zu. Der Landesherr ist tot." „Eine einfache Vorhersage, Mylord. Und jetzt?" fragte er bescheiden. „Hamane hat Verdacht geschöpft - er will die Leiche eingehend untersuchen. Was wird er finden?" „Die Chance, daß er Spuren eines Meuchelmords finden wird, sind ein Wahrscheinlichkeitsfaktor von acht undsechzig Komma sieben Prozent, Er wird über sein mageres Ergebnis beschämt
sein und sich hüten, seine Blamage zuzugeben. Die Beweise werden nicht reichen, um andere davon zu überzeugen." Montarg nickte erleichtert. „Es bestehen kaum Zweifel, daß ich Nachfolger werde - die Frage ist jetzt, ob Sie mir so bereitwillig dienen werden wie Chorzel?" „Ich diene dem Cy-Clan. Mylord. Wenn Sie dessen Dienste wünschen, so kann das zweifellos arrangiert werden. Werden Sie die gleic he Politik treiben?" „Ich weiß es noch nicht, muß darüber nachdenken. Chorzel hatte ein paar gute Ideen, aber ich glaube, er hat nicht mit der möglichen Effizienz gearbeitet. Und das laste ich Ihnen an, Cyber", fügte er scharf hinzu. „Er hat sich zu sehr auf Ihre Dienste verlassen. Ein Mann sollte seine eigenen Entscheidungen treffen." „Ich berate, Mylord, mehr nicht. Ich treffe keine Entscheidungen, verdamme oder ergreife Partei. Meine Pflicht liegt darin, die logischen Konsequenzen einer Handlung zu errechnen, um einen Beschluß oder eine Entscheidung zu erleichtern, indem ich alle unausbleiblichen Konsequenzen der Handlungen oder Unterlassungen aufzeige." „Macht", sagte Montarg langsam. „Chorzel wollte Macht. Aber er besaß einen ganzen Planeten, welch größere Macht hätte er noch haben können?" „Was ist Macht, Mylord? Reichtum? Geld kann nur Dinge kaufen, die auch zu kaufen sind. Gewalt? Da besteht immer die Gefahr, daß eine noch stärkere Gewalt die eigene unterdrückt. Wahre Macht liegt darin, daß man andere dazu bringen kann, das zu tun, was man selbst will. Hat man das einmal erreicht, folgt der Rest allein nach. Aber die zivilisierten Menschen sind selten loyal im wahrsten Sinne des Wortes. Ihre Gehirne vergeuden ihre Energie, alles verläuft planlos, hin und her gerissen zwischen gegensätzlichen Idealen. Der verstorbene Landesherr wußte das."
Montarg wußte es auch. Er erinnerte sich gut an die langen Theoriedebatten mit Chorzel, wenn sie sich über andere Kulturen unterhalten hatten. „Er wollte König im echten Sinne des Wortes sein", sagte er. „Er wollte auf einem Thron sitzen und die Welt zu seinen Füßen liegen haben." „Und Sie, Mylord?" Die Versuchung war groß - eine Welt zu beherrschen, die nicht von Pächtern und Besitzlosen bevölkert wurde, sondern von willigen Sklaven. Verwirrt blinzelte er, als er sich der Aufmerksamkeit des Cybers bewußt wurde. Hatte man seine Gedanken in dieser Richtung manipuliert? Trotzdem: Die Versuchung war groß. „Wir müssen darüber sprechen, wenn ich Nachfolger geworden bin. Wie sieht Ihre Vorausberechnung da aus?" „Die Wahrscheinlichkeit, daß der Rat Sie als Nachfolger einsetzen wird, liegt bei neunundachtzig Prozent." „Sie sollte bei hundert liegen." „Das wäre die Gewißheit, und die gibt es nicht, Mylord. Es kann immer ein unbekannter Faktor dazukommen, und jede Vorhersage muß das einkalkulieren, Meine Vorausberechnung basiert auf mir zur Zeit zur Verfügung stehenden Informationen, darauf muß ich hinweisen. Sollte es etwas geben, was ich wissen muß, sagen Sie es mir." Montarg. sah zu den Aufzeichnungen auf dem Tisch des Cybers. Für ihn waren das unverständliche Symbole, für den Angehörigen des Cy-Clans hatte sicher jede dieser Aufzeichnungen Bedeutung. Trocken sagte er: „Ihre eigenen Informationsquellen scheinen ganz gut zu arbeiten." „Es geht dabei aber immer um einen Zeitfaktor, um den ich diese Informationen später erhalte. Etwas, was sich in diesem Augenblick ereignet, das ich aber erst Stunden oder Tage später erfahre, könnte meine Vorausberechnung verändern. Zum
Beispiel könnt e irgendwo ein Meuchelmörder auf Sie lauern. Dann würden Sie nie Nachfolger." „Haben Sie da einen Verdacht?" „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, aber sie existiert und muß berücksichtigt werden. Deshalb: Wenn Sie Informationen neueren Datums haben, Mylord, sagen Sie sie mir." „Selkas ist sehr aktiv - wer hätte gedacht, daß ihn das so sehr interessiert. Episko konnte nicht aufgetrieben werden, er soll auf der Jagd sein, und Boghara hat eine Zusage von mir verlangt, wenn ich Nachfolger werde, soll ich die Arena schließen. Und Veruchia hat einen Geliebten", fügte er nach kurzer Überlegung hinzu. „Einen Kämpfer aus der Arena." „Einen Liebhaber, Mylord?" „Unglaublich, nicht wahr? Gestern noch hätten Sie das für völlig unmöglich erklärt. Jeder hätte das, der sie kennt, Aber ich habe verläßliche Informationen darüber. Vielleicht zahlt sie ihm in der Form etwas von dem Betrag zurück, den sie durch ihn gewonnen hat." Sein Gesicht verfinsterte sich. „Dumarest", sagte er. „Earl Dumarest - ich werde mir diesen Namen merken." „Es wäre nicht gut, das zu tun, was Sie vorhaben, Mylord." „Warum nicht? Veruchia hat mich zum Narren gemacht, und ihr den Liebhaber wegzunehmen, wäre eine süße Rache." „Er ist ein geübter Kämpfer - Meuchelmörder, die Sie anheuern, könnten versagen und gezwungen werden, zu plaudern. Ich warne Sie: Meine Berechnungen kommen völlig durcheinander selbst solche Ereignisse am Rande können das Ergebnis gefährden. Ich nehme an, daß Sie interessieren wird, welche Extrapolationen ich in letzter Zeit erstellt habe, die auf den verschiedenen Vorschlägen des verstorbenen Landesherrn basieren. Vielleicht hilft Ihnen das auch für Ihre Entscheidungen weiter. „Berichten Sie", forderte Montarg den Mann auf. Der Cyber entwickelte ausführlich seine Gedanken.
Reglos stand Surat dann nach der Unterredung an seinem Tisch und ließ seinem Verstand Zeit, die gerade erhaltenen Daten zu verarbeiten. Montarg war kein Problem: Er war ein Kind und konnte mit glitzerndem Spielzeug bestochen werden. Man konnte ihn leicht beeinflussen und so steuern, wie der Cy-Clan es wollte. Sollte er neuer Landesherr werden, so würde er zwar herrschen, aber die Macht auf dem Planeten blieb weiterhin da, wo sie immer war: bei Surat und seiner Organisation. Der Mann drückte einen Knopf, und einer seiner Helfer kam herein. „Gestern hat ein Mann namens Dumarest in der Arena gekämpft". informierte der Cyber seinen Untergebenen. „Sammeln Sie alle verfügbaren Informationen über ihn." Der junge Mann verbeugte sich. „Jawohl, Meister." „Sofort. Die Angele genheit ist dringend." Surat widmete sich wieder seinen Papieren auf dem Schreibtisch. Wie ein Computer, speicherte er alles Wichtige, was er las: Die Ernte war schlecht in der Provinz Tien, eine Flutwelle hatte ein Dorf an der Küste zerstört, die Polizei des Planeten verlangte größere Mobilität und bessere Bezahlung. Der Kommunikator auf seinem Tisch summte. Der Helfer meldete sich und erstattete Bericht. „Meister, der Mensch Dumarest kam vor fünf Tagen nach Dradea. Er hat nur wenig Geld und brauchte es für Unterkunft und eine proteinreiche Nahrung. Da er keine andere Arbeit finden konnte, bewarb er sich in der Arena - im Augenblick wohnt er im Haus der Hohen Pächterin Veruchia." „Er muß unter Beobachtung gestellt werden, kümmern Sie sich darum." „Verstanden, Meister." Surat unterbrach die Verbindung. Ein zweiter Helfer erhob sich, als Surat den hinter dem Arbeitszimmer liegenden Raum betrat. „Ich bin für die nächste Zeit absolut nicht zu sprechen", sagte er zu dem Mann. „Unter keinen Umständen darf ich gestört werden."
Als der Helfer den Raum verlassen hatte, um vor der Tür Wache zu stehen, drückte Surat einen Knopf an einem dicken Armband an seinem linken Handgelenk. Unsichtbare Energien begannen zu fließen und errichteten um ihn herum ein Schutzfeld, das durch kein Spionagegerät durchbrochen werden konnte. Dann legte er sich auf den Rücken auf sein schmales Bett und schloß die Augen, während er sic h auf die Samatchazi-Formel konzentrierte. Sein Herzschlag verlangsamte sich, der Atem wurde flacher, die Körpertemperatur sank. Langsam verlor er alles Gefühl für die Umwelt - hätte er die Augen geöffnet, wäre er blind gewesen. Er vergaß seinen Körper, konzentrierte sich nur auf sein Gehirn, in dem jetzt die eingeimpften HomochonElemente aktiv wurden. Surat glitt in eine andere Welt. Sie schien aus flackernden Regenbogen zu bestehen, wundersamen Kaleidoskopen, glitzernden, zerspringendem Kristall. Es kam ihm vor, als fliege er durch einen gleißenden Irrgarten; links und rechts von ihm erhoben sich farbige, gläserne Wände. Die Ebenen um ihn herum verschoben sich, und hier und da erhaschte er einen Blick auf unerforschliche Wahrheiten und Geheimnisse des Universums und der Schöpfung. Die Farben pulsierten, schienen ein Eigenleben zu führen, und Surat war eine von ihnen, gehörte zu der Universalgestalt, in der sein Ego aufging und sich praktisch in die Unendlichkeit ausdehnte. Und irgendwo im Zentrum dieses blendenden Gebildes war das pochende Herz und Hirn des Cy-Clans, vergraben unter Kilometern von Felsgestein, vo n wo aus der Clan sein weltumspannendes Netz ausbaute und leitete. Das Zentralhirn berührte Surats geistiges Ich, absorbierte seinen Inhalt wie Licht Dunkelheit verschluckt. So etwas wie verbale Kommunikation gab es hier nicht, alles spielte sich auf geistiger Ebene ab und
mit einer Geschwindigkeit, die das Supra-Radio zu einem simplen Krauchen verkümmern ließ. „Dumarest auf Dradea?" Bestätigung. „Unglaublich, daß frühere Berechnungen so verkehrt gewesen sein sollen. Es besteht keinerlei Zweifel?" Verneinung. Die Möglichkeit eines Fehlers bleibt. Solange das nicht geklärt ist, volle Aufmerksamkeit auf Dumarest. Die Wichtigkeit dieses Mannes kann nicht genug betont werden. Alle Maßnahmen müssen ergriffen werden. Informiere mich weiter." Zustimmung. „Pläne betreffs des Landesherrn beschleunigen. Verfügbare Zeit wird um ein Viertel gekürzt." Eine Frage. „Unter keinen Umständen. Du wirst persönlich zur Verantwortung gezogen." Das war alles - der Rest nur noch geistige Ekstase, was das einzige war, was ein Cyber an sinnlichem Vergnügen empfinden konnte. Diese Periode setzte immer dann ein, wenn die HomochonElemente wieder abgebaut wurden und in ihre Depots verschwanden. Surat trieb in endlosen Schleifen durch das All, sah, spürte, schmeckte Fremdes, Unbekanntes, Betäubendes und Betörendes auf unzähligen Welten. Gedankenfetzen, Gedanken von Genies streiften sein Ego, und Surat verspürte etwas, was ihm im Normalzustand ein Schaudern der Ehrfurcht eingebracht hätte. Hier war er im gigantischen Cybernetischen Komplex, der die Macht des Clans bildete. Eines Tages würde auch er ein Teil davon sein - als Belohnung, die jeder Cyber bekam, der gehorchte und nicht versagte.
Sie war jung, geschmeidig und voller Leidenschaft. Sie hatte Dumarest mit brennender Intensität überfallen und alle Hemmungen über Bord geworfen. In der Dunkelheit war das hauchdünne, elfenbeinfarbene Gewand nicht zu sehen gewesen jetzt, im Licht, fand Dumarest, daß es ihre Schönheit noch betonte. „Geliebter!" Sie klammerte sich an ihn, während das Wasser der Dusche auf ihre Körper prasselte. „Earl, du bist ein ganz, ganz wunderbarer Mann!" Sie schmiegte sich an ihn, während er ihr über das Haar strich. „Du bist auch gezeichnet - wir haben viel gemeinsam." „Stört es dich?" Er lächelte ihr ins Gesicht; er mochte es, wie sie ihn ansah, während das Wasser in ihr Gesicht trommelte. „Daß du Narben hast? Natürlich nicht." Sie senkte den Kopf und drückte ihn wieder an seine Brust. „Earl, es war doch nicht nur Begierde? Ich meine, du bist nicht bei mir geblieben, nur weil ich eine Frau bin?" „Nein." „Ich glaube dir", sagte sie. „Ich möchte dir glauben, aber noch mehr möchte ich die Wahrheit wissen. Du kannst sie mir ruhig sagen. Ich weiß sehr wohl, daß, nun, Männer so etwas tun gelegentlich, kurzfristige Verbind ungen eingehen, meine ich. Hast du das auch getan?" „Ja, aber diesmal war es das nicht." „Du weißt, daß ich das hören wollte", sagte sie und ging zum heißen Luftstrom der Trockenanlage. „Du bist gütig, Earl, und sanft und hast viel Verständnis. Vielleicht glaubst du, daß ich denke und handle wie ein Dummkopf. Nun, vielleicht stimmt das, aber es war das erste Mal für mich, und ich habe so etwas noch nie verspürt." Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn. Wenn es vielleicht eine wahnsinnige Illusion war - was machte das? Das Summen des Telefons schien irgendwo aus weiter Ferne zu kommen.
„Verdammt!" Sie wollte es klingeln lassen, besann sich dann aber anders. „Ich melde mich lieber, es könnte wichtig sein. Bleibe hier, ja? Versprichst du das?" Dumarest lächelte, während sie hinauseilte. Getrocknet, begann er sich anzuziehen und war gerade damit fertig, als sie zurückkehrte. „Es war Selkas - er kommt gleich herüber. Ich weiß nicht, was er denken wird, wenn er dich hier sieht. Wahrscheinlich nennt er mich ein leichtes Mädchen und will mich nicht mehr sehen." „Nein", sagte Dumarest, „das wird er nicht tun." Sie sah an sich herunter. „Wenn mir gestern jemand gesagt hätte, daß ich heute so vor einem Mann stehen würde, hätte ich ihn einen Lügner genannt- aber es erscheint mir völlig natürlich - Selkas wird bald hier sein, und es ist noch allerhand zu erledigen, bevor der Rat zusammentritt. Iß etwas, wenn du möchtest. Kümmere dich nicht um mich, ich bin zu aufgeregt, um zu essen." „Du wirst etwas essen." „Schikanierst du mich, Earl?" „Ich rate dir nur. Ein leerer Magen hilft einem gar nichts. Iß, solange du Gelegenheit dazu hast." Er lächelte. „Das ist die Philosophie eines Reisenden, die sehr gut für ihn ist, wenn er nie weiß, wann er wieder etwas zu essen bekommt. Jetzt zieh dich an, während ich etwas zu essen vorbereite." Selkas kam, als er gerade das Geschirr auf den Tisch stellte. Er folgte Dumarest in die Küche. „Wo ist Veruchia?" „Im Arbeitszimmer. Allein." „Gut - sie hat viel zu tun und nur wenig Zeit dazu." Selkas schenkte sich ein Glas Tisan ein. „Haben Sie etwas zu berichten?" Dumarest schüttelte den Kopf. „Gut." Selkas nippte an seinem Getränk. „Ein Mann, der auf vielen Gebieten zu Hause ist", sann er. „Sie kämpfen, kochen und bedienen. Und Sie üben große Anziehungskraft auf Frauen
aus. Shamar rief mich heute morgen an und wollte wissen, ob ich ihr helfen könnte, Sie zu überreden, in ihr Haus umzuziehen. Natürlich sagte ich ihr, daß Sie nicht zur Verfügung stehen. Ich nehme jedoch an, der Hauptzweck des Anrufs war, klarzumachen, daß alle davon ausgehen, daß Sie über Nacht hiergeblieben sind." „Sind Sie dagegen?" „Veruchia nicht. Veruchia kann tun, was sie möchte. Ich glaube sogar, daß Sie sich ausgezeichnet um sie kümmern - was Sie auch müssen, um sie schützen zu können. Da es sich überall herumgesprochen hat, wird es noch notwendiger denn je sein." „Wovor soll ich sie schützen?" fragte Dumarest. „Eine einsame Frau ohne große Bedeutung und keiner sichtbaren hohen Stellung - wer sollte ihr etwas antun wollen?" Selkas hob die Brauen. „Sie wissen es nicht? Hat sie nichts gesagt?" „Nein - aber Sie bezahlen gut, und ich nehme an, daß Sie dazu guten Grund haben. Aber ich sehe ihn leider nicht." „Für ein großes Vermögen gibt es zwei Erben, und einer ist sehr hinterher - ist das Grund genug?" „Vielleicht, wenn das Vermögen groß genug ist - und wenn der eifrige Erbe sicher ist, das Vermächtnis des anderen zu bekommen. Ist es groß?" „Sehr groß." Selkas setzte sein Glas ab. „Genauer gesagt, es handelt sich um eine ganze Welt. Veruchia steht es zu, Dradea zu erben."
Sie glitten hoch über der Stadt dahin. Unter ihnen breiteten sich Straßen und Häuser aus, Geschäftshäuser, Fabriken dazwischen lag wie ein gähnender Rachen die Arena. Am Horizont erstreckten sich weite Felder und Bauernhöfe, in der Ferne erhoben sich Berge. Eine schöne Welt mit ungeheuren Möglichkeiten- und Veruchia konnte das alles erben.
Dumarest musterte die Frau - sie hatte eine unpersönliche, geschäftsmäßige Maske aufgesetzt. Dumarest hoffte, etwas zu ihrem Selbstvertrauen beigetragen zu haben. Sie landete als eines der letzten Fahrzeuge vor dem Ratsgebäude, wenige Sekunden später ging ein zweiter Gleiter hinter ihnen nieder. Montarg kam auf sie zu. Er lächelte. „Veruchia, meine Liebe, wie schön, dich zu sehen. Du siehst gut aus. Die Arznei, die du letzte Nacht bekommen hast, tut dir gut. Du solltest mehr nehmen." „Genug, Montarg", sagte Selkas. „Du findest die Wahrheit unfein? Nun, da kann man nichts machen. Ich freue mich, daß Veruchia auf meinen Rat gehört hat und mit einem Mann ins Bett gegangen ist. Sie hatte Glück, einen zu finden, der dazu bereit war. Na ja, über Geschmack kann man nicht streiten." Dumarest trat vor. „Sie werden sich entschuldigen, sofort." „Entschuldigen? Ihnen gegenüber?" „Bei Lady Veruchia." „Und wenn ich es nicht tue?" Montargs Augen verrieten seine Wut. „Noch ist Ihr Äußeres in Ordnung; es wäre schade, diesen Anblick zu verderben. Wenn Sie sich nicht entschuldigen, werden Sie bluten müssen." „Er schlägt dir die Nase ein", sagte Selkas. „Ich an deiner Stelle würde mich entschuldigen. Immerhin zeugte deine Bemerkung von ziemlich schlechtem Geschmack." „Du forderst den neuen Landesherrn auf, sich vor einem Hund aus der Arena zu entschuldigen?" „Noch bist du es nicht, Montarg. Und die Entschuldigung gilt Veruchia, nicht Dumarest." „Nicht, Earl", sagte Veruchia, als Dumarest sich anspannte. Sie legte eine Hand auf seinen Arm. „Ich bin Montargs Schmeicheleien gewöhnt. Jetzt ist nicht die Zeit, zu streiten, der Rat wartet."
Sie saßen alle an einem langen Tisch, die Hohen Pächter von Dradea, Männer und Frauen, alle so ernst, wie es die Situation erforderte. Dumarest beobachtete sie, während er sich setzte. „Ich dachte, das sei alles nur eine Formalität", sagte er zu. Selkas.„Diesmal nicht - Chorzel hatte keine Kinder, und so muß der Rat entscheiden, welcher Bewerber um die Erbfolge die größeren Ansprüche hat. Nun, es geht los." Andreas war der Vorsitzende. Er war alt, und seine rauhe Stimme schallte jetzt durch den Saal. „Diese Zusammenkunft findet auf Wunsch Selkas' statt - erhebt jemand dagegen Einspruch?" Das war mehr ein Ritual - niemand konnte dagegen etwas sagen. „Chorzel ist tot, Dradea hat keinen Landesherrn mehr. Das Gesetz dieses Planeten schreibt vor, daß der Rat so lange regiert, bis wir einen rechtmäßigen Erben ernannt haben." Ein Mann warf ein: „Über seinen Tod besteht kein Zweifel?" Auch das war eine Routinefrage. „Keiner. Der Arzt Hamane und drei andere haben ein Gutachten erstellt, und die Leiche ist von sieben Mitgliedern des Rates besichtigt worden. Ihre Aussagen und ihre Namen sind dem Protokoll von heute zu entnehmen." Er trank einen Schluck Wasser. „Wir stehen heute vor einer neuen Situation - Chorzel ist kinderlos gestorben. Er war der älteste von drei Brüdern, die beiden anderen Brüder, Zwillinge, hatten je ein Kind, Veruchia und Montarg. Beide erheben Anspruch auf die Nachfolge, wir müssen entscheiden, wem das Erbe rechtmäßig zusteht. Montarg?" Der Mann stand auf. „Da mein Vater und der von Veruchia Zwillinge waren, ist dieser Fall insofern nicht neu, als ich knapp ein Jahr älter bin als sie und daher einen größeren Anspruch habe." „Veruchia?"
„Zugegeben, Montarg ist der ältere von uns, aber ich habe doch den größeren Anspruch. Meine Mutter ist ein direkter Nachfahre des Ersten Landesherrn." „Das ist eine Lüge!" „Montarg!" Andreas schlug mit der Hand auf den Tisch. „Wie kannst du s wagen, so im Rat dazwischenzurufen?" „Es bleibt doch eine Lüge. Lisa gehörte zur Familie Chron, jeder weiß, daß der Name des Ersten La ndesherrn Dikarn war. Es beweist, wie schwach ihr Anspruch eigentlich ist, daß sie zu falschen Aussagen greifen muß." „Nein", sagte Pezia und erhob sich. „Chron war der Erste Landesherr, und wenn ihre Mutter in direkter Linie mit ihm verwandt ist, hat sie den größeren Anspruch." „Dikarn war der erste!" „Nein, Chron!" Ein Mann neben Dumarest pfiff leise, als sich ein Sturm im Saal erhob. „Das ist ja schlimmer als in der Arena. Sehen Sie Montarg? Wenn Blicke töten könnten, wäre Veruchia jetzt tot..." „Ich begreife das nicht - worum geht es eigentlich?" „Ein alter Streit. Als das erste Schiff auf diesem Planeten landete, machte der Schiffsbesitzer die Welt zu seinem Eigentum, wurde Erster Landesherr. Die meisten glaubten nun, daß Dikarn es gewesen ist, und alle Landesherren haben sich bisher auf seine Nachfolge berufen. Allerdings gibt es Legenden, die besagen, daß der Erste Landesherr nicht Dikarn, sondern Chron hieß. Bisher war das uninteressant, weil es bei der Erbfolge keine Probleme gab - hätte Chorzel zum Beispiel ein Kind gehabt, wäre das keine Frage. Aber so streiten sich Montarg und Veruchia darum. Er ist der ältere, aber die meisten Menschen würden wohl lieber Veruchia an der Spitze sehen. Jeder, der zu ihr hält, tut sein Bestes, damit sie Landesherrin wird." „Wird sie es schaffen?"
„Ich bezweifle es. Montarg hat ein gewichtiges Plus - sein Alter -, und ob es den Leuten gefällt oder nicht, man wird ihn zum Nachfolger ernennen müssen." Jetzt erhob Andreas seine Stimme. „In all den Jahren als Vorsitzender habe ich noch nie ein solches, unserer unwürdiges Spektakel erlebt. Ihr alle seid Hohe Pächter von Dradea, und euch muß das Wohl dieser Welt am Herzen liegen. Die Angelegenheit ist zu ernst, als daß wir uns derartige emotionale Ausbrüche leisten könnten." „Ich erhebe Anspruch darauf, daß mein Recht anerkannt wird", schrie Montarg dazwischen. „Montarg scheint zu vergessen, wo er sich befindet", sagte Selkas und erhob sich. „Noch ist er nicht Landesherr, und, um offen zu sein, ich hoffe, daß er es nicht wird. Allein sein Benehmen in diesem Kreis läßt viel zu wünschen übrig. Veruchia dagegen hat Standhaftigkeit trotz seiner Angriffe bewiesen. Da sie direkte Abstammung vom Ersten Landesherrn beanspruchen kann, schlage ich vor, sie zur Landesherrin zu machen. Sollen wir darüber abstimmen?" „Ich protestiere", sagte Montarg. „Die Erbfolge wird nicht nach Beliebtheit, sondern durch Fakten bestimmt. Ich bin der ältere." „Aber da ihre Mutter von Chron abstammt, ist sie Erbin." „So? Habt ihr Beweise, daß Chron mehr als nur eine Legende ist? Seit wann bestimmt Folklore unsere Entscheidungen?" „Ich werde es beweisen", sagte Veruchia. „Gebt mir Zeit, und ich werde mein Recht nachweisen. " Andreas entspannte sich - das Mädchen hatte ihm den Ausweg gezeigt. „Wir sind alle ziemlich erregt", sagte er mit einem Blick zu Montarg. „Ich will daher keine Rede mehr halten und nur noch sagen, daß wir Veruchia eine Zeitspanne von einhundert Tagen einräumen sollten, damit sie ihren Anspruch beweisen kann. Wenn ihr das nicht gelingt, wird Montarg Nachfolger Chorzels."
Er ließ seine Hand schwer auf den Tisch fallen. „Die Sitzung ist beendet." Selkas, Veruchia und Dumarest waren in Veruchias Haus versammelt und besprachen die Lage. Veruchia schenkte Weinbrand ein. „Bedient euch, du auch, Earl." Sie selbst nahm ebenfalls ein Glas. „Einhundert Tage - das ist nicht viel." „Sie werden vergehen", sagte Selkas und blickte auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen. „Räumst du auf, Veruchia? Das ist auch gut. Es ist sinnlos, noch Dinge offenzulassen, wenn du weggehst." „Weggehen?" „Ich hielte es für das Beste, wenn du eine Passage zu einem anderen Planeten buchst," „Warum?" „Du kannst nicht erben. Ich weiß, daß der Rat dir gewogen ist, aber Montarg hat das Recht auf seiner Seite. Andreas hat getan, was er konnte, aber einhundert Tage sind das Maximum - länger kann der Rat eine Entscheidung nicht hinauszögern. Am Ende dieser Zeit wird Montarg der neue Landesherr sein." „Ich gehe nicht weg", sagte sie. „Und Montarg wird nicht erben. Nicht, wenn ich die notwendigen Beweise finden kann." „Existieren die?" „Vielleicht nicht, aber ich fühle, daß es sie gibt. Wir müssen sie nur finden." „Wo?" Selkas runzelte die Stirn. „Im ersten Schiff." „Veruchia - meinst du das ernst? Hoffst du wirklich, den Standort des ersten Schiffes zu finden und es ausgraben zu können? Wenn es überhaupt existiert - Mädchen, das sind doch Träume!" „Du sprichst unvernünftig, Selkas. Wir haben diese Welt besiedelt, müssen also von irgendwoher mit einem Schiff gekommen sein. Man sagt, dieses Schiff befindet sich noch auf
Dradea, nicht wahr? Dann gibt mir einen guten Grund, warum man es nicht finden kann?" „Weil es verschwunden ist, Niemand weiß, wo es sein könnte. Veruchia, das ist Wahnsinn. Du hast wahrhaftig keine Zeit, einen ganzen Planeten nach einem so winzigen Gegenstand abzusuchen. Und zum anderen hast du kein Geld dafür." „Das werde ich haben, wenn Montarg seine Wettschulden bezahlt. Und du unterschätzt mich - ich habe seit Jahren an diesem Problem gearbeitet, ich habe feste Vorstellungen davon, wo man das Schiff finden könnte." Sie nahm Landkarten von einem Schrank und legte sie auf den Tisch. „Ich habe etliche Stellen schon überprüft, alte Siedlungen, Müllhalden und stillgelegte Fabriken dabei entdeckt, auch einige Erzlager. Ich habe versucht, die Ausbreitung der ersten Siedler zurückzuverfolgen wir wissen, daß es im Norden eine Stadt gibt, die jetzt von Eis bedeckt ist. Das Klima unterliegt ständigen Veränderungen, und es gab vulkanische Tätigkeit." „Und?" „Wir wissen, daß durch Naturkatastrophen und vielleicht Erdbeben die ersten Siedler mehrmals ihre Niederlassungen aufgeben mußten. Vermutlich haben sie bald vergessen, wo das erste Schiff geblieben ist. Ich kann und werde das Schiff finden. Dann werde ich die Beweise haben, daß ich rechtmäßig über diese Welt herrschen kann, Earl, was meinst du –irre ich mich?" „Du mußt tun, was du für richtig hältst, Veruchia." „Ich tue, was ich muß." Wenn sie enttäuscht war, daß Dumarest sie nicht stärker unterstützte, so zeigte sie es nicht. „Wirst du mir helfen, Selkas?" Selkas hatte sich wieder gefangen. „Wie könnte ich das ablehnen. Ich werde dafür sorgen, daß Montarg seine Schulden bezahlt und alles tun, was du wünschst." „Und du, Earl?"
Er sah ihr an, daß sie verletzt war, weil er mit der Antwo rt zögerte. Als Frau konnte sie sich nur einen Grund dafür denken. „Entschuldige, vielleicht verlange ich zuviel von dir." „Das ist es nicht. Ich hatte nicht vor, lange auf Dradea zu bleiben." Dumarest wollte schon längst auf einem Schiff zu einer anderen Welt sein und seine Suche fortsetzen. Das aber würde sie nie verstehen. „Veruchia." Er ergriff ihre Hand. „Komm mit mir, tu, was Selkas vorschlägt. Es gibt tausend Welten, auf denen du glücklich sein kannst." „Earl!" Überrascht und glücklich sah sie ihn an, „Earl, du wirst vielleicht nie verstehen, was es mir bedeutet, daß du das gesagt hast. Aber ich kann es nicht, noch nicht. Nicht, bevor ich wenigstens versucht habe, das erste Schiff zu finden. Ein ganzer Planet wartet auf uns, wenn ich gewinne, und es sind nur noch einhundert Tage hier, wenn ich verliere. Es ist ein sehr altes Schiff, Earl - wer weiß, vielleicht findest auch du darin Informationen und Antworten auf deine Fragen." Alte Sternkarten und Navigationstabellen, die ihm vielleicht sagten, wo die Erde zu finden war. Es war ein Glücksspiel, aber er mußte es versuchen. Wie Veruchia, so hatte auch er nichts zu verlieren.
5.
Vor dem Hintergrund des Himmels war der Gleiter nur ein kleiner Fleck - die letzten Sonnenstrahlen des Tages verwandelten ihn in einen funkelnden Rubin. Dumarest sah ihm
nach, wie er verschwand und kurz darauf in weitem Bogen zurückkehrte. Dreimal verfolgte er den Flug noch, dann wurde es ihm zu kalt, und er wandte sich um und ging in die Hütte. Drinnen war es warm. Veruchia sah auf - sie stand über einem mit Landkarten bedeckten Tisch. „Ist er schon gelandet, Earl?" „Noch nicht." „Warum bleiben sie so lange oben?" Sie zeigte die ersten Anzeichen der Erschöpfung, bemerkte Dumarest. Wochen intensiver Arbeit und wenig Schlaf hatten sie schmaler werden lassen. „Wenn sie schneller fliegen würden, könnten wir dieses Gebiet schon abhaken." „Izane weiß, was er tut." Dumarest blickte zu einer mit Nadeln bespickten Karte an der Wand hinter der Frau. „Das Ergebnis, der ersten Ortungen?" „Ja." Sie sah sein Gesicht. „Schon gut, sage nichts. Ich verschwende meine Zeit." „Das habe ich nicht gesagt." „Aber gedacht. Hältst du mich für einfältig, Earl?" „Nein, nur für ungeduldig." Sie schlug mit einer Hand auf den Tisch. „Ich war sicher, in dieser Region das Schiff zu finden, ich hätte darauf gewettet. Vor Jahrhunderten herrschte hier ein warmes Klima, und der Platz war günstig für eine Besiedlung. Dann trieb die Kälte die Menschen weg, sie siedelten weiter südlich. Das Schiff wäre unter Schnee und später Eis begraben worden. Logisch, nicht wahr?" Logischer wäre gewesen, wenn die ersten Siedler das Schiff wegen benötigter Materialien gegen die Kälte auseinandergenommen hätten, aber Dumarest sagte das nicht. „Du bist müde und solltest schlafen." „Später. Ist Izane noch nicht gelandet?"
„Er wird sich melden, sobald er unten ist." Dumarest studierte die Karte, auf der die Daten der Radarortung aus dem Gleiter eingetragen waren. „Hat man das Objekt bei Wend überprüft?" Ein zweiter Gleiter hatte dort etwas geortet. „Es war eine unterirdische Lagerhalle. Verlassen und leer und angefüllt mit Wasser, etwa dreihundert Jahre alt. Ich habe den Gleiter zur Elgish-See geschickt." „In die Region, wo die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist?" „Ja", sagte sie und musterte ihn neugierig. „Wenn ich dich nicht besser kennen würde, hielt ich dich für einen Cyber, so, wie du eben gesprochen hast. Kennst du die Cyber?" „Ja", sagte er bitter. „Nur zu gut." „Du magst sie nicht?" „Ich habe keinen Grund, sie zu lieben. Ist einer auf Dradea?" „Ja, Surat. Er wohnt im Palast und hat Chorzel beraten. Jetzt steht er wohl Montarg zur Seite. Ich habe ihn zweimal aufgesucht, als ich meine Landkarten bearbeitete. Er half mir bei den Berechnungen über den Standort des ersten Schiffes. Er hielt Wend für am wahrscheinlichsten. Er sagte auch, die ElgishSee habe die geringste Wahrscheinlichkeit." Sie schüttelte sich. „Ein seltsame Person, mich fröstelte in seiner Nähe. Er betrachtete mich meist wie ein interessantes Musterexemplar... Stimmt etwas nicht, Earl?" „Alles in Ordnung." Ein Cyber auf Dradea - ganz sicher wußte der Mann von Dumarest. Er, Dumarest, hätte gleich nach dem Kampf in der Arena verschwinden sollen. Jetzt war es zu spät. „Bedroht dich der Cy-Clan irgendwie, Earl?" .,Ich besitze etwas, das er haben möchte, das ist alles." Dumarest rang sich ein Lächeln ab. „Vergiß es - hier können sie mir nichts tun, und wenn du einmal das Schiff gefunden hast, stehe ich unter deinem Schutz." Er wandte sich um, als er hinter sich leise Schritte hörte. „Izane ist da." Der kleine Mann mittleren Alters mit grauem Haar sah völlig gleichmütig drein. Sein Leben lang beschäftigte er sich mit
elektronischen Geräten, und das hatte ihn den Wert von Geduld und Ruhe kennenlernen lassen. Er legte einige Papiere auf den Tisch. „Wir haben zwei Stellen ausgemacht." Er deutete auf zwei Punkte auf der Karte. „Hier und hier. Einmal sechzig Meter unter der Erde, der zweite Punkt etwa die Hälfte. Ich vermute allerdings, daß es sich um Ansammlungen erzhaltigen Gesteins handelt. Morgen werde ich das Gelände genauer ausloten, mit empfindlicheren Geräten. „Morgen?" „Es ist spät und die Temperatur fällt. Bis wir wieder starten können, ist es dunkel." „Das ist unwichtig", sagte Dumarest. „Wir haben Scheinwerfer, und die Kälte trifft uns im Gleiter nicht. Wir starten, sobald das bessere Gerät an Bord ist." Sein Ton verschärfte sich, als Izane zögerte. „Los, Mann, wenn wir uns beeilen, kann morgen früh eine Gruppe bei den beiden Stellen sein und mit den Ausgrabungen beginnen. Veruchia, ziehe dir etwas Warmes an." Draußen war es dunkel, als sie starteten. Über der Kunststoffkuppel ihres Gleiters glitzerten die Sterne, unter ihnen lag das schier endlose Eis. Als sie sich der ersten georteten Stelle näherten, ließ Dumarest die Scheinwerfer einschalten. Das Licht war so stark, daß man in der Tiefe des Eises die Ansammlung dunkler Schatten erkennen konnte. Vielleicht gehörte auch das alte Raumschiff dazu. „Das ist alter Gesteinsschutt", sagte Izane, der neben seinem Ortungsgerät stand. „Felsen, Gewächse, die im Verlauf der Jahre begraben wurden. Je tiefer sie liegen, desto älter werden sie sein. Langsamer, bitte. Jarg, übernimm du jetzt." Er sah zu Dumarest, während sein Gehilfe die Kontrolle des Gleiters übernahm. „Er ist ein guter Pilot - das ist nicht gegen Sie gerichtet. Kümmern Sie sich bitte um den Ausstoß an Messungen, die aus den Geräten kommen werden." Er drückte auf ein paar Knöpfe, die
Apparate erwachten zu regem Eigenleben. „In Position, Jarg? Gut, dann wollen wir mal sehen, was da unten begraben liegt." Izane las seine Geräte ein paar Minuten ab - dann war er sicher, daß es sich nur um eine Felsformation handeln konnte. Dumarest musterte die Frau - auch jetzt würde sie nicht aufgeben. Izane erstattete seinen Bericht und wartete. Veruchia lächelte nur, während er dann zur zweiten georteten Stelle flog. „Ich habe mich geirrt", sagte sie nur. „Überprüfen wir noch die zweite Stelle, aber ich erwarte auch da nichts." Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Earl, lügt ein Cyber?" „Er sagt oft nicht die Wahrheit." „Kann er sich je irren?" „Ja, schon möglich. Die Genauigkeit seiner Berechnungen basiert auf den verfügbaren Daten. Selbst ein Cyber braucht Tatsachen, auf denen er arbeiten kann. Du denkst an das, was er über die Elgish-See gesagt hat?" „Ja - vielleicht hat er das nur gesagt, um mich überall sonst suchen zulassen." „Wann hast du ihn gefragt?" „Vor zwei Jahren. Nein, er kann nicht gelogen haben, das hätte damals keinen Sinn gehabt, denn er kann nicht gewußt haben, daß ich das erste Schiff unbedingt brauche." „Du irrst", sagte Dumarest. „Unterschätze nie die Cyber. Für sie ist alles eine Frage verschiedener Wahrscheinlichkeiten, alles! Er wird dich damals überprüft haben und daraus - und aus deiner Frage - extrapoliert haben, was du vielleicht bezweckst. Es war außerdem unvermeidlich, daß Chorzel starb, und auch da konnte man notfalls etwas nachhelfen. Nach seinem Tode würdest du erben – die Wahrscheinlichkeit dafür war aber so gering, daß man sie fast ignorieren konnte. Im umgekehrten Fall wärst du schon lange tot." „Ermordet?" Sie spannte sich innerlich an. „Earl, meinst du das ernst? Der Cyber würde so etwas nicht tun."
„Das brauchte er gar nicht. Eine Andeutung in das richtige Ohr, und alles wäre gelaufen. Montarg ist strebsam und würde alles tun, um Landesherr zu werden. Und wenn der Cy-Clan das für das Beste für Dradea hält, so wird er dich in die Irre führen." Der Gleiter stoppte, sie brachen ihre Unterhaltung ab. Dumarest ging etwas beiseite, während sich Veruchia mit Izane an die Messungen machte. Dumarest sah hinaus - unzählige Sterne glitzerten über ihm, die meisten wurden von bewohnbaren Welten umkreist. Welche dieser Sonnen schien auf die Erde hinab? Das Wetter über der Elgish-See war drückend, die Sonne brannte vom Himmel herunter, es ging kaum etwas Wind. Von seinem Standort auf den Klippen am Ufer konnte Dumarest das dunkelgrüne Wasser unter sich sehen, das sich bis zum Horizont erstreckte. Hier und da trieben braune Pflanzeninseln im Wasser. Als er nach oben blickte, entdeckte er zwei Gleiter, die etwa fünfzig Meter über dem Wasser dahinschwebten und einem genau ausgearbeiteten Plan folgten. In dem einen Gleiter war Veruchia - sicher und gut aufgehoben, wie Dumarest hoffte. Solange sie das Schiff nicht fand, bestand kein Grund, ihr etwas anzutun. „Sie werden nichts finden", sagte der kleine dicke Mann neben Dumarest. Seine dunkle Haut war vom Leben an der See gegerbt. „Meine Jungs haben jeden Quadratzentimeter nach Schellfisch abgesucht, und wenn etwas am Boden lie gen würde, hätten sie es gefunden, nicht wahr, Larco?" Sein Partner nickte. „Stimmt, Shem. Von hier bis zum Rand des Kontinental-Schelfs. Aber glaubst du, die Eierköpfe aus dem Institut hätten auf mich gehört? Sie glauben nicht einmal, daß es regnet, wenn sie in einem Sturzregen stehen." „Ja, so sind sie. Statt Schellfisch gibt es hier aber Zehnfüßler, Quallen und Riesenaale, die so dick werden wie Ihr Körper. Sie haben Rachen, die einen Menschen mit einem Mal verschlingen
können. Wir können sie nicht essen, aber wenn mal einer an Land geworfen wird, verarbeiten wir ihn zu Dünger." Er blinzelte Dumarest an. „Sie wollen auch weiter nördlich suchen?" „Würden Sie uns helfen?" „Nach unten zu tauchen?" Shem schürzte die Lippen. „Das kommt auf das Geld an, denn das Leben ist so schon schwer genug, und da unten kann die Hölle los sein. Wir würden gern helfen, aber Sie wissen ja, wie das ist." „Ja", sagte Dumarest. „Ich weiß." Ein Boot brachte ihn hinaus, wo einer der Gleiter über dem Wasser stand. Auf ein Signal hin kam er herunter, und Izane beschwerte sich bei Dumarest, als er an Bord kletterte. „Sie bringen unseren Plan durcheinander. In zwei Stunden wären wir sonst fertig gewesen." „Wir haben keine zwei Stunden Ze it", sagte Dumarest kurz. „Soweit ich sehe, verschwenden wir hier Zeit." „Ich beherrsche meinen Job." „Zugegeben, aber die Fischer kennen die Gegend hier. Warum nehmen Sie nicht einen Rat von ihnen an?" „Sie können nie sicher sein - sie würden etwas finden und vielleicht gar nicht erkennen. Inzwischen ist so ein Schiff unter Wasser nämlich mit Moos und Algen und Korallen überzogen, die Form also kaum noch wiederzuerkennen. Bevor wir die Gegend hier verlassen, müssen wir jeden Quadratmeter abgesucht haben." Er nahm einige Papiere aus einem Schubfach und fuhr mit den Fingern unzähligen Linien nach. „Sehen Sie? Wir sind am Rande einer Kontinental-Bruchlinie, hier gibt es gehäuft Erdbeben und Vulkanausbrüche unter Wasser. Vor ein paar Jahrhunderten hat sich die Küstenlinie dadurch verändert, und wenn das Schiff eventuell dicht am Wasser gestanden hat, so ist es vermutlich mit untergegangen.
Natürlich können wir nicht ganz sicher sein, wo das gewesen ist, aber diese Gegend hier hat die höchste Wahrscheinlichkeit." Izane hatte vielleicht recht, aber sie hatten schon mehrere Tage hier verbracht und keine Zeit mehr, sich zu vergewissern. „Im Norden liegt ein Abschnitt, der nicht berührt wird", sagte Dumarest. „Ich denke, wir sollten ihn überprüfen." „Auf Verdacht suchen? Ich denke, das wäre unvernünftig", wandte Izane ein. „Auf Verdacht könnten wir es an tausend Stellen versuchen und doch das verpassen, was wir suchen. Um sicherzugehen, müssen wir ge nau und nach Plan arbeiten." Dumarest wandte sich an Veruchia. „Veruchia?" Jetzt überließ er ihr die Entscheidung, und sie zögerte, eine zu treffen. „Ich weiß nicht, Earl. Wir könnten unsere einzige Chance verpassen. Kann die Suche nicht beschleunigt werden, Izane?" „Wir arbeiten schon, so schnell es geht. Ich schlage vor, wir machen weiter wie bisher, aber natürlich müssen Sie das entscheiden, Veruchia. Sie bezahlen schließlich dafür." Veruchia seufzte und wandte sich an Dumarest. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Earl. Kannst du das nicht entscheiden?" Ohne zu zögern, sagte Dumarest: „Wir gehen nach Norden und Süden und suchen die Gegend neben den Fischgründen ab, bis hinaus zum Kontinental-Schelf. Ich gehe davon aus, daß es keinen Sinn hat, weiter draußen zu suchen, oder?" „Mit unserer Ausrüstung jedenfalls nicht", sagte Izane. „Die Kontinental-Kante fällt scharf ab, und der Meeresboden ist sehr tief. Unsere Ortungen würden zu sehr gestört werden. Hätten wir ein Unterseeboot, würde ich es versuchen, aber..." Darüber brauchte er nicht länger zu spekulieren. „Also nach Norden?" „Sofort. Schicken Sie den zweiten Gleiter nach Süden - er soll alles halbwegs Interessante melden." Jetzt konnten sie nur noch warten - und hatten doch so wenig Zeit.
6.
Während er über den Strand lief, spürte Dumarest plötzlich einen leichten Erdstoß. Veruchia begann zu stolpern und wäre gefallen, hätte Dumarest sie nicht festgehalten. „Earl!" „Das hat nichts zu bedeuten", sagte Shem, während er zu ihnen aufholte. „Nur ein leichtes Zittern, das haben wir oft." Er sah zu Dumarest. „Was die Ausrüstung betrifft - soll ich sie an Bord bringen?" Er deutete zu einem Gleiter und einem Haufen Gegenstände. „Nein, da ist zuwenig Platz. Der zweite Gleiter wird bald von Süden her hier sein. Wenn er kommt, schicken Sie alle Leute hinaus, und nur der Pilot bleibt an Bord; dann können Sie aufladen. Wie viele Leute haben Sie auf getrieben?" „Nur Larco und mich." „Mehr nicht?" „Ich sagte Ihnen ja, die Leute mögen diesen Küstenabschnitt nicht. Wir auch nicht, aber Sie haben ein anständiges Angebot gemacht, und wir wollen uns das Geld verdienen. Vielleicht machen die Gebrüder Ven noch mit, wenn sie kommen, aber das kann ich nicht versprechen." „Hinterlassen Sie ihnen eine Nachricht, nachzukommen, mit dem größten Boot, das sie haben. Und jetzt darf keine Zeit mehr verschwendet werden." „Earl!" Veruchia ergriff ihn am Arm. „Wir können nicht sicher sein, hier etwas zu finden. Es könnte alles umsonst sein."
„Wir können Geld verschwenden, aber keine Zeit", sagte er. „Los geht's!" Izane war voll bei der Sache, als sie starteten. Sein Entdeckergeist meldete sich wieder, während er auf seine Papiere deutete. „Dort", erklärte er und zeigte auf einen Punkt. „Das ist die einzige Stelle in dieser Region, die wir mit einigermaßen Aussicht auf Erfolg durchsuchen sollten. Fällt Ihnen an der Form der Ortung etwas auf? Der Metallgehalt ist jedenfalls zu hoch, um natürlich zu sein." „Sie haben das noch nicht näher überprüft?" fragte Dumarest. „Nein. Das Objekt liegt tief unter Wasser, und wir hatten keine entsprechende Ausrüstung dabei. Ich habe die Lage markiert und kam her, um erst einmal zu berichten. Ich muß gestehen, daß Sie mit Ihren Vermutungen recht hatten und gut vorgearbeitet hatten. Hätte nie geglaubt, daß die entsprechende Ausrüstung schon bereitliegt." Trotz allem standen zu wenig Leute und nur eine begrenzte Ausrüstung zur Verfügung, mehr war aber nicht zu bekommen gewesen. Dumarest spürte eine innere Unruhe, denn die Zeit drängte. Der Gleiter verlangsamte, als ein gelber Schimmer in Sicht kam, und verharrte genau darüber. „Sehen Sie?" Izane deutete auf seine flackernden und summenden Geräte. „Diese dunkle Masse da ist der KontinentalSockel, der, wie Sie sehen können, hier scharf abfällt. Dieses Bild hier sind Geröll und Felsen, aber genau dazwischen, dicht am Rand des Sockels, haben wir die ungewöhnliche Ortung." Er deutete auf einen fast zigarrenförmigen Schatten. „Hier." Dumarest studierte das Bild - irgendwie sah es ihm nicht nach einem Schiff aus, aber dann dachte er daran, daß es sich natürlich verformt hatte durch die Verkrustung mit Gewächsen und Meerestieren. Und woher wollte er wissen, daß man vor einigen Jahrhunderten nicht andere Schiffe gebaut hatte als die, die er kannte?
„Earl, wir haben es!" keuchte Veruchia hinter ihm. „Wir haben etwas gefunden", sagte er gleichmütig, um ihre großen Hoffnungen nicht zu sehr zu bestärken. Es gab nur einen Weg, Genaueres herauszubekommen. „Gehen Sie tiefer", sagte Dumarest zum Piloten des Gleiters. „So dicht ans Wasser wie möglich." Veruchia runzelte die Stirn, als Dumarest sich auszog und die Kunststoffkuppel des Gleiters beiseiteschob. „Was hast du vor?" „Ich möchte nachsehen, was wir gefunden haben." Er nahm sein Messer in eine Hand, dann sah er sich um. „Ich brauche einen schweren Gegenstand, auf den wir verzichten können." Er nahm eine Kiste mit Verpflegung auf. „Das wird gehen." Mit dem linken Arm umfaßte er die Kiste, mit dem Messer in der rechten Hand stand er dann eine Minute am Rand des Gleiters und atmete tief durch. Dann sprang er hinunter ins Wasser. Das Wasser, das über seinem Kopf zusammenschlug, war warm, wurde aber schnell kälter, während er nach unten glitt. Er sah die Kette des Schwimmers, hielt sich' in ihrer Nähe, während er nach unten glitt. Fische huschten nach allen Seiten davon, und der Druck in seinen Ohren wurde stärker - er schluckte ein paarmal, dann war er in der richtigen Tiefe. Er ließ sein Tauchgewicht fahren und griff nach einem Vorsprung an dem völlig überwachsenen Gegenstand, den sie geortet hatten. Das Blut pulste in seinen Ohren, er hatte das Gefühl, als würden seine Augen in den Hinterkopf gedrückt. Mit seinem Messer stieß er in die harte Kruste, blieb damit hängen, warf sein ganzes Gewicht dagegen, und ein Stück des dunkelgrünen Belages sprang ab. Dumarest kratzte hastig in dem Loch herum und sah plötzlich darunter mattschimmerndes Metall. Sofort lief er los und stieg nach oben. Hoch über sich sah er die glitzernde, wabernde Wasseroberfläche, und die Zeit, die er brauchte, um an die rettende Luft zu kommen, erschien ihm wie
eine Ewigkeit. Er war zu tief getaucht. Er spürte einen unwiderstehlichen Drang, den Mund aufzureißen und nach der nichtexistierenden Luft zu schnappen. Dann, im letzten Moment, durchbrach er die Oberfläche, legte sich auf den Rücken und rang keuchend nach Luft. Blut lief ihm aus Nase und Ohren. Plötzlich verdunkelte ein Schatten die Sonne, und Hände griffen nach ihm. „Earl! Earl, Liebling! Du warst so lange unten, wir glaubten schon, du seiest tot." Dumarest drehte sich auf den Bauch und stützte sich langsam mit Händen und Knien auf. Nach und nach kehrten seine Kräfte zurück. „Schon gut - wir werden Hilfe brauchen, dort hinunterzukommen." „Ist es ..." „Es ist sicherlich ein Schiff, es könnte sich auch um das erste Schiff handeln, aber es ist völlig zugewachsen. Wir brauchen mehr Leute und Ausrüstung da unten." Dumarest stand auf. „Wir kümmern uns darum, sobald die anderen kommen." „Sie hatten Glück", sagte Shem. „Das Wasser ist hier zu tief, um ohne Gerät zu tauchen. Sie sind stark, aber Sie müssen das Wasser respektieren, sonst bringt es Sie um. Kennen Sie sich mit einer Taucherausrüstung aus?" „Ich habe auf der Universität einen Kursus mitgemacht und bin später auch selbst getaucht", sagte Veruchia. „Sie dürfen nicht mit hinunter", erklärte Shem scharf. Er sah zu Dumarest. „Und Sie?" „Ich komme mit." „Gut, dann wissen Sie, was zu tun ist." Er sah hinunter aufs Wasser. „Mir gefällt das nicht, ist keine schöne Gegend, Wir haben hier schon viele Leute verloren, nicht wahr, Larco!"
„Richtig." Der zweite Mann von Dradea hatte bereits einen primitiven Taucheranzug angelegt und zwei Flaschen auf den Rücken geschnallt. „Kann man damit Bewegungen im Wasser orten?" fragte Shem Izane und deutete auf die Meßgeräte. Letzterer nickte. „Gut - wenn sich etwas auf uns zubewegt, warnen Sie uns." „Was erwarten Sie?" fragte der Techniker verwirrt. „Das Schlimmste. Es gibt eklige Kreaturen in der Tiefsee, und Erdstöße schrecken sie manchmal auf. Vielleicht sind sie bereits unruhig oder in Bewegung. Verdammt - ich muß verrückt sein, das hier mitzumachen!" platzte es plötzlich aus ihm heraus. „Tun Sie's nicht", sagte Veruchia. „Ich geh dann mit hinunter." „Davor habe ich ja Angst - eine Frau tauchen zu lassen, während ich vor Angst zittere. Nein, nein, tauchen wir." Diesmal ging es leichter. Dumarest sah Blasen über sich aufsteigen, während er fast gewichtslos in die Tiefe glitt. Die Atemgeräte funktionierten, die Brille erlaubte eine ausgezeichnete Sicht. „Hölle - das verdammte Ding liegt auf dem Rand!" Shems Stimme klang verzerrt durch sein Kehlkopfmikrophon. Larco antwortete. „Es kann jeden Augenblick absinken. Ein richtiger Erdstoß, und es ist weg." Dumarest umrundete das gefundene Schiff. Es hing auf der Kante einer Unterwasserklippe - sie befanden sich am Rande des Kontinental-Sockels. Shem sagte: „Earl, Sie sind der Boß. Was tun wir?" „Wir müssen die Kruste entfernen", sagte Dumarest. „Wie wollen wir das machen?" „Wir schlagen sie mit Hämmern ab", sagte Shem und fingerte an einer Kiste mit Werkzeug, die sie mit hinuntergenommen hatten. „Schwere Strahler wären besser - so dauert das ziemlich lange und ist anstrengend."
Selkas würde mehr Ausrüstungsgegenstände aus der Stadt bringen, aber bis er kam, mußte man sich behelfen. Ein mechanisches Werkzeug ließ sich nur wie in Zeitlupe im Wasser bewegen. Aber immerhin war das Gestein und Gewächs an dem Schiff relativ leicht zu entfernen. Dumarest schlug mehrere große Gesteinsstücke ab. Als Shem das sah, griff er auch nach einem Werkzeug. „Es könnte schlimmer sein", murmelte er. Dann, lauter: „Larco, paß gut auf!" „Ich passe auf", sagte der Mann und klopfte auf seinen Strahler. Eine halbe Stunde später besah Dumarest sich das freigelegte Stück des Schiffes. Farbreste klebten noch an dem Metall - war es eine Beschriftung gewesen, ein Hinweis für Leute von draußen, die den Noteinstieg suchten? Er schlug noch mehr Gestein ab und entdeckte dann den Rand einer Luke. „Los, Earl!" Larco glitt heran. „Es ist ein Schiff - wir sollten versuchen, hineinzukommen. Ich kann die Luke aufbrennen, und dann..." Er verstummte, als plötzlich der Boden unter ihren Füßen schwankte. „Ein Erdbeben!" Ein zweiter Stoß folgte, ein dritter. Dumarest wurde von unsichtbaren Kräften von den Beinen gerissen, als das Wasser plötzlich in wilde Strömungen versetzt wurde. Das Schiff wurde etwas angehoben, schien einen Moment zu zögern, glitt ein kleines Stück weiter auf den Sockelrand zu und kam dann wieder zur Ruhe. Aus der Tiefe stieg wie eine Rauchfahne etwas empor. Ein Tiefsee-Aal, angelockt durch das Hämmern und verschreckt durch das Beben. Der längliche Körper war zehn Meter lang, der tonnengroße Kopf war mit langen Kiefern besetzt, diese wiederum mit Reihen blitzender Zähne. Larco war ihm am nächsten. „Shem! Um Gottes willen!"
Ein Feuerstrahl verfehlte die Bestie, Shem feuerte noch einmal und traf das Schwanzende der Kreatur. Das hinderte sie nicht daran, wie ein Pfeil durch das Wasser zu schießen. „Shem!" Larco schrie auf, als die Bestie ihn mit dem Maul griff. Wie ein Nebel stieg eine Blutwolke im Wasser auf. Dumarest schwamm auf das Tier zu und feuerte. Zweimal verfehlte er den Kopf, dann aber schoß er das Tier in der Mitte entzwei. Auch Shem feuerte erneut und leerte sein gesamtes Magazin. Das Schreien verstummte, als der Kopf und der Mensch darin in einer Explosion auseinanderflogen. „Hinauf", sagte Shem rauh. „Schnell, bevor das Blut noch mehr Tiere anlockt!" Er würgte, während sie nach oben glitten. „Larco - guter Gott, wie soll ich das seiner Frau sagen?" Wieder im Gleiter, beobachteten sie auf den Geräten das Geschehen in der Tiefe. „Da geht etwas vor", sagte Veruchia. „Können Sie uns das erklären, Shem?" Der Mann, der immer noch etwas unter Schock stand, kam heran. „Ein Zehnfüßler und einige Aale. Blut aktiviert sie ungemein. Ich sagte Ihnen im vorhinein, daß dieser Abschnitt der Küste gefährlich ist." „Aber die Bestien werden wieder ve rschwinden, nicht wahr?" „Ja", sagte Dumarest. „Wenn sie nichts mehr zu fressen finden." Er verstand Veruchias Unruhe. Jetzt, da sie das Schiff hatten, war jede Verzögerung unerträglich, aber man konnte es nicht ändern. Um sie etwas zu beruhigen, sagte Dumarest: „Wir haben einen Eingang gefunden. Sobald das Wasser sauber ist, gehen wir hinunter und brennen ihn auf." „Wir?" Shem schüttelte finster den Kopf. „Ich jedenfalls nicht, und Sie werden kaum einen anderen finden. Sie müssen schon allein hinunter, ich will nicht Larco folgen." „Izane?"
Der Techniker überlegte. „Meine Leute sind Arbeiten unter Wasser nicht gewöhnt, und, um ganz offen zu sein, nach den Vorkommnissen werden sie auch keine Lust verspüren, mitzumachen. Wir könnten gelernte Taucher heranscha ffen, aber dafür ist keine Zeit. Wir befinden uns in einer instabilen Region, und in den letzten paar Stunden hat es etliche kleine Beben gegeben. Jeder größere Stoß wird das Schiff jetzt über den Rand in die Tiefe treiben. Es ist nur eine Frage von Stunden." Dumarest holte tief Luft. „Sind Sie sicher?" „Daß in den nächsten Stunden ein Beben kommt? Ja; ich bin Geologe. Die bisherigen Ortungen sind typisch für diese Region. Der einzige Unsicherheitsfaktor ist die Zeit." Dumarest überlegte angestrengt. Eigent lich brauchten sie nicht mehr viel Zeit, denn die Luke war leicht aufzubrennen. Sie konnten dann mit Scheinwerfern in den Kontrollraum eindringen - die Scheinwerfer würden allerdings auch die Bestien der Tiefsee anlocken ... Nachdenklich starrte Dumarest auf den Bildschirm des Ortungsgerätes. „Sie sagen, Blut lockt die Bestien an. Fangen wir uns weiter draußen einen Fisch und benutzen ihn als Köder. Töten Sie, was immer sich auf den Köder stürzt. Geht das?" „Sicher - so fangen wir die Zehnfüßler. Nicht, das wir das gern tun, aber manchmal vertreiben reiche Leute sich damit die Zeit. Einmal haben wir auch ein Exemplar betäubt und eingefangen, für das Institut. Gott weiß, was die damit gemacht haben oder wofür sie es brauchten." „Für den Export", erklärte Veruchia. „Ich erinnere mich daran ein Museums-Schiff von Garne wollte ein lebendes Exemplar." „Dann gehen wir so vor", beschloß Dumarest. „Wir gehen zurück ins Dorf, besorgen Leute und Boote. Wenn hier oben alles vorbereitet ist, tauche ich hinunter zum Schiff." „Ich gehe mit ihm", sagte Veruchia. „Vielleicht ist es unsere einzige Chance, und ich muß in das Schiff."
Shem verzichtete auf eine Diskussion und zuckte die Schultern. „Einverstanden - ich helfe Ihnen. Aber wenn mir etwas zustößt kümmern Sie sich um meine Familie." Als sie wieder tauchten, war es Nacht, und der Meeresboden hatte sich in eine geheimnisvolle Landschaft verwandelt, die nur von ihren Scheinwerfern erhellt wurde. Seegrasbüschel trieben wie Gespenster durchs Wasser, hier und da blitzten Fische auf und verschwanden wieder. „Keine Bewegungen in Ihrer Nähe", sagte Izane per Funk von oben durch. „Allerdings lebhaftes Treiben bei unserem Köder." Das war mehrere Kilometer entfernt, wo die Gebrüder Ven Tonnen von Kadavern als Köder ins Meer geschüttet hatten. Bisher lief alles nach Plan. Dumarest erreichte die freigeschlagene Stelle des Schiffes.„Ist das die Schleuse?" fragte Veruchia. „Ja, ich bin ziemlich sicher." Er griff sich wieder einen Hammer. „Ich werde das Zeug weiter abschlagen. Schwimme jetzt beiseite und sichere." Veruchia tat, wie ihr geheißen, und Dumarest machte sich an die Arbeit. Ganz wohl war ihm dabei nicht, dann wenn ein Aal angriff, mußte der erste Schuß sitzen, sonst war es zu spät. Die Zehnfüßler waren zwar langsamer, dafür aber zäher und nicht so leicht zu töten. Auch Shem war ziemlich nervös -aber, so dachte er, gerade das können wir jetzt nicht gebrauchen. Ein Augenblick der Unaufmerksamkeit, und er konnte seinem früheren Partner in den Tod folgen. Minuten später meldete Izane sich wieder. „Etwas Längliches kommt aus der Tiefe auf Sie zu." Shem ließ seinen Hammer fallen und griff nach seiner Waffe. Dumarest meldete sich. „Veruchia, stelle dich mit dem Rücken zum Schiff unter die Schleuse und sichere das Gelände zum Ufer hin. Shem, postieren Sie sich rechts von ihr und schauen
Sie nach links, ich übernehme die andere Seite. Aus welcher Richtung und wie nah?" fragte er dann Izane. „Etwa dreißig Meter südwestlich. Bewegt sich nur sehr langsam." „Das Licht wird ihn neugierig gemacht haben", meinte Shem. „Das und das Hämmern. Wir brauchten noch viel mehr Leute was ist, wenn die Bestie hinter dem Schiff vorkommt?" Sie hätten noch ein Dutzend Leute brauchen können, aber es bestand kein Grund zur Aufregung. Sie hatten zusätzliche Sauerstofftanks mitgenommen. „Izane?" sagte Dumarest. „Das Objekt läßt sich offensichtlich treiben ... Nein, jetzt beschreibt es einen Kreis und geht wieder tiefer." Veruchia atmete hörbar auf. „Warten wir noch fünf Minuten", sagte sie dann. „Vielleicht kommt der Aal zurück." Sie warteten, dann machten sie sich wieder an die Arbeit, und kurz darauf konnte Dumarest die Kante der freigelegten Schleuse greifen. Mit aller Kraft zerrte er daran - sie hatten beschlossen, sie nicht aufzubrennen. Die Hitze hätte unerwünschte Besucher anlocken können. „Kommt her, Shem, Veruchia. Helft mir", sagte Dumarest. Gemeinsam stemmten sie ihre Beine in die Schiffshälfte und zogen an dem Rand der Schleuse. Endlich gab sie nach, Blasen stiegen auf. „Weiter", keuchte Dumarest. Jetzt ging es schon leichter. Noch eine Anstrengung, dann stürzte Wasser in den geöffneten Schleusenraum. Veruchia ließ sich hineingleiten, während die beiden Männer die Schleuse ganz auf wuchteten. „Earl!" hörte Dumarest sie erregt rufen. „Die Innenschleuse ist noch intakt. Ich könnte jetzt die äußere schließen und hineingehen. Bedenke doch: Drinnen ist noch alles so wie damals, Wasser ist nicht eingedrungen. Earl!" Der Erfolg der Expedition hatte sie wie ein Rausch gepackt. Veruchia tauchte weiter in das Schiff hinein. Izanes Stimme
wurde von den Menschen als Störung empfunden, als sie urplötzlich dazwischenfunkte. „Gefahr! Zwei Schatten nähern sich schnell von unten! Sie sind sehr nah!" „Aufpassen, Earl!" Shem hockte sich auf den Meeresboden. Plötzlich hatte er ein Tier in seinem Scheinwerfer - er schoß, aber die Sprengpfeile verschwanden nutzlos in der Dunkelheit. Ein zweiter Aal kam heran, angelockt vom Licht. Sie hatten keine Zeit, sichere Positionen einzunehmen. Veruchia steckte noch in der Schleuse, und Dumarest schloß die Luke über ihr. Darunter war sie ziemlich sicher. Dann schwamm Dumarest zu Shem. Sie lehnten sich, Rücken an Rücken, aneinander, um nach allen Seiten sichern zu können. „Abwarten, bis sie angreifen", befahl Dumarest. „Keine Munition verschwenden." Izane meldete sich wieder. „Aus Westen kommen zwei weitere Schatten. Ein dritter steigt aus der Tiefe auf." Angestrengt starrten Shem und Dumarest in die Runde. „Nach links, Earl! Nach links!" meldete sich Izane. Damit war Shems linke Seite gemeint. Dumarest wandte sich nach rechts und hatte plötzlich ein Tier im Scheinwerfer. Ein zweiter Schatten glitt von der anderen Seite heran -gemeinsam griffen die Monstren an. „Bis zum letzten Augenblick warten", schrie Dumarest. Erst dann durften sie schießen, weil der erste Schuß treffen mußte. Shem feuerte, Dumarest folgte. Er sah, wie seine Pfeile der Bestie in den geöffneten Rachen fuhren. Blut, Fleisch und Knochen schwammen im Wasser umher. Die Aale waren tot, aber noch zuckten ihre Körper in wilden Re flexen. Dumarest spürte, wie ein schlanker Körper über ihn hinwegzischte. Er wurde von den Beinen gerissen. Shem schrie laut auf und wurde fortgewirbelt. Einen kurzen Moment sah Dumarest seinen Kopfscheinwerfer im Dunkeln aufblitzen.
„Veruchia! Komm heraus, schnell!" schrie Dumarest, als die beiden Aal-Kadaver das Schiff mit voller Wucht trafen. „Um Gottes willen, komm heraus!" Das Schiff bewegte sich, schwankte. Dumarest sah hilflos zu, wie das Schiff langsam nach vorn rutschte und wie in Zeitlupe über den Rand in die Tiefe der See glitt. „Veruchia!" Dumarest schwamm hinterher, klammerte sich an der Schleuse fest. Shems Stimme schrillte in Dumarests Ohren: „Um Gottes willen, Earl, weg von hier! Es kommen noch mehr aus der Tiefe!" Dumarest ignorierte die Warnung und zerrte an der Luke, während das Schiff schneller wurde. Dumarests Finger rutschten ab - er hatte den Kampf verloren. Das Schiff sank wie ein Stein in schier bodenlose Tiefe. Die Sonne war gerade aufgegangen, das Himmelsgewölbe strahlte grell, leichte Federwolken zogen darüber hin. Dumarest lag reglos da und beobachtete sie. Irgendwie schien er ganz woanders zu sein. Als er sich nach Minuten bewegte, hatte er Schmerzen in der Brust und spürte Blut im Mund. Selkas kam heran. „Wie geht es Ihnen?" „Nicht gut." Dumarest sah an seinem nackten Körper hinunter und richtete sich auf. Ein Bein war schwer verletzt, die Wunde war deutlich unter dem durchsichtigen Heilverband zu sehen. „Wann sind Sie gekommen?" „Als Sie noch unten waren. Ich sah, wie man Sie aus dem Wasser zog." „Und Shem?" „Er war nicht zu finden." Dumarest hatte es gewußt - er erinnerte sich an den verzweifelten Kampf, den sie unter Wasser geführt hatten. Shem hatte mehrmals zu früh geschossen, als weitere Tiere auftauchten, die vom Blutgeruch angelockt worden waren. Er hatte aber nur kurz gelitten.
Wieder hatte Dumarest unwahrscheinliches Glück gehabt Shem hatte das gefährliche Spiel verloren, und Veruchia auch. „Sie hätte nie mit hinuntergehen dürfen", sagte er. „Ich hätte es nicht, zulassen sollen." „Es war ein Kampf um diese Welt, und sie hat noch nicht verloren", fuhr Selkas fort. „Sie ist nicht tot - während das Schiff versank, funkte sie aus der Tiefe. Im Innern ist noch alles völlig in Ordnung - ein Wunder. Vielleicht wäre es besser gewesen, der Druck hätte das Schiff zerstört -jetzt sitzt sie dort unten in der Falle und wartet auf den Tod." Dumarest überlegte fieberhaft, wie lange die Luft wohl reichen würde, was man tun könnte, Veruchia doch noch zu retten... „Nein." Selkas hatte seine Gedanken gelesen. „Wir können sie nicht retten, Izane?" Auch der Techniker war am Ende seiner Kräfte. „Das Schiff liegt zu tief. Mit der richtigen Ausrüstung könnten wir Le ute hinunterschicken, aber was nützte das? Veruchia würde zerdrückt, sobald sie das Schiff verläßt. Wir könnten versuchen, Bojen am Schiff zu befestigen und es heben, aber dann wäre sie lange tot, bevor wir überhaupt das notwendige Material hier hätten." „Wie meint er das?" Dumarest wandte sich an Selkas. „Sie hat Schnellzeit genommen, Earl. Ein paar Ampullen lagen noch in der Bordapotheke. Sie wußte, daß die Luft nicht lange reichen würde und hoffte..." Er biß sich auf die Unterlippe. „Es besteht keine Hoffnung, sie kann dadurch nur das Unvermeidliche hinauszögern." Aber noch lebte sie, hoffte auf ein Wunder. Dumarest starrte vor sich hin. Hätte er doch darauf beharrt, daß sie an der Oberfläche blieb... „Earl!" Selkas griff ihn am Arm. „Das war nicht Ihr Verschulden, Mann!" Dumarest schüttelte die Hand ab. „Holen Sie mir die Gebrüder Ven. Schnell!"
Dann stand er auf, zog sich an und sah hinunter auf die Ansammlung der Schiffe und die anderen Gleiter, hinunter zu zwei Männern mit harten Gesichtern, die kurz, darauf in seinen Gleiter kletterten. „Können Sie mir einen Zehnfüßler fangen?" fragte er. Einer der Zwillinge sagte: „Sicher, aber dazu brauchen wir Gerät, und das ist nicht billig." „Ich brauche ihn lebend, betäubt." „Das wird nicht leicht sein", sagte der zweite Mann. „Sind ziemlich schwierige Biester." „Sie haben das doch schon früher gemacht", sagte Dumarest. „Izane wird Ihnen bei der Suche helfen. Und Sie werden gut dafür bezahlt. Ich brauche das Tier, wenn ich zurückkomme." Dann wandte er sich an Selkas. „Bringen Sie mich in die Stadt, schnell." „Ich hörte von Selkas, daß Sie ein Problem haben und dies mit mir besprechen wollen", sagte der Direktor der Biologischen Forschungsanstalt auf Dradea zu Dumarest. „Ich nehme an, es ist wichtig - ansonsten braucht man mich bei wichtigen Experimenten." „Ich benötige Ihre Hilfe, Direktor Amplon. Sie sind der einzige Mensch auf Dradea, der mir helfen kann. Ich weiß, daß Sie Biologe sind und möchte, daß Sie mir Ihre Möglichkeiten, Ihr Können zur Verfügung stellen. Sagen Sie: Sind Sie eine echte Größe auf Ihrem Gebiet?" Trocken antwortete Amplon: „Als junger Mann studierte ich auf Atin und später auf Orge. Ich war Klassenbester und durfte eigene Experimente machen. Ja, man kann schon sagen, daß ich auf meinem Gebiet gewisse Fähigkeiten besitze." „Ich meinte mehr die Techniker, die zur Verfügung stehen." „Ich habe einen geschickten jungen Kollegen, ja, er ist sogar brillant. Wie aber kann ich Ihnen helfen?" Dumarest ergriff ein Papier und malte wahllos fünfzehn verschiedene Symbole darauf. „Kennen Sie das?"
„Sie haben mit Biologie zu tun?" „Ja." „Dann sind es Molekulareinheiten, ich kenne die Symbolik. Die Konstruktion solcher Einheiten gehört zu jedem BiologieLabor." „Sind Sie in der Lage, diese herzustellen?" „Ja, aber ..." „Dann tun Sie es, so schnell Sie können." „Moment mal - wir sind kein Dienstleistungsbetrieb. Unsere Geräte sind mit Experimenten voll ausgelastet, und außerdem wird es lange Zeit dauern, bis wir sie umgestellt haben. Immer vorausgesetzt, ich stimme zu, Ihnen den Gefallen zu tun. Da müssen Sie mir schon mehr Gründe liefern, warum ich das tun sollte." Dumarests Gedanken flogen. Wie sollte er den Mann von der Wichtigkeit seines Vorhabens überzeugen? Ihm die Wahrheit sagen? Ganz sicher wußte dieser Mann, was er von einem Montarg-Regime zu erwarten hatte. Also die Wahrheit sagen, aber nicht die ganze. Amplon war verwirrt, als Dumarest ihm seine Geschichte erzählt hatte. „Ich sehe nicht, wie diese Einzelheiten da helfen könnten." „Isoliert, tun sie das auch nicht, aber in einer Kette können sie es. Nein, nein, ich werde Sie Ihnen nicht mitteilen. Ich möchte von Ihnen nur, daß Sie die Einheiten herstellen. Zusammenfügen kann ich sie selbst." „Sind Sie dazu imstande?" „Ja", sagte Dumarest nur, während er kurz an die unzähligen Stunden dachte, in denen er sich das nötige Wissen erworben hatte. „Redal - das ist der junge Mann, von dem ich sprach - wird Ihnen helfen, wenn Sie Hilfe brauchen. Ich übertrage ihm die Verantwortung für das Projekt. Geben Sie mir zwölf Stunden Zeit."
„Zwölf?" „Ja, die brauche ich, um die Einheiten herzustellen. Sie müssen wachsen und ihre Charakteristika herausbilden, dann müssen sie geprüft werden, ob unerwünschte Elemente dabei sind. Unter keinen Umständen geht das unter zwölf Stunden." Die Zeit reichte, wenn Veruchia nur am Leben blieb, überlegte Dumarest und verließ die Anstalt. Selkas erwartete ihn draußen und lief nebeln ihm her, während sie einen Korridor entlangmarschierten. Draußen schien die Sonne. Die beiden Männer setzten sich an einen Teich, an dem Bänke standen, eingerahmt von herrlichen Blumen. „Nun, Earl?" „Wenn Amplon kein Lügner ist, dann kann Veruchia gerettet werden." „Earl, ich muß wissen, was Sie vorhaben. Ich kann doch hier nicht herumsitzen und nichts tun, während Veruchia auf den Tod wartet." „Sie können nichts tun, Selkas." „Verdammt, das weiß ich auch! Um Himmels willen, Earl, wenn Hoffnung besteht, lassen Sie mich daran teilhaben." Dumarest spürte die Qual des Mannes. Ruhig sagte er: „Sie lieben sie?" „Nicht so, wie Sie meinen, aber: Ja, ich liebe sie. Für mich ist diese Frau das Wichtigste auf der Welt. Ich will alles dafür tun, daß sie lebt..." Selkas kämpfte mühsam um seine Fassung, die er für einen Moment verloren hatte. „Bitte, Earl. Wenn es eine Chance gibt, sagen Sie es mir." „Es gibt eine Möglichkeit", sagte Dumarest vorsichtig. „Auf einer Welt, fern von Dradea, kam ich hinter das Geheimnis eines künstlichen Symbionten namens Afinitätszwilling. Er besteht aus fünfzehn Molekulareinheiten, und die Umkehrung eines jeden macht ihn entweder dominant oder rezessiv. In den Blutstrom injiziert, setzte er sich im Kortex fest, verbindet sich mit dem Thalamus und dem Nervensystem. Mit anderen
Worten: Das Wesen mit der dominanten Hälfte des Affinitätszwillings übernimmt den Gastkörper, der die rezessive Hälfte behält. Muß ich sagen, was das bedeutet?" Völlige Beherrschung des fremden Körpers - es war auch möglich, die Intelligenz eines Menschen auf eine Bestie zu übertragen. Selkas holte tief Luft. „Der Zehnfüßler?" „Ja." „Wird es funktionieren?" Dumarest wagte nicht daran zu denken, wenn es nicht klappen sollte. Dumarest dachte kurz an Kalin, die das Geheimnis des Cy-Clans, das Brasque gestohlen hatte, ihm übergeben hatte. Er hatte es in seinem Ring mit sich herumgetragen. Der Ring war jetzt weg, aber das Geheimnis des Affinitätszwillings war sicher in seinem Gehirn verankert. Für dieses Geheimnis würde der Cy-Clan Welten geben, denn damit konnte er eines Tages die Galaxis beherrschen. Kein Wunder, daß man ihn, Dumarest, mit wachsender Verzweiflung jagte, Die Ven-Brüder hatten gute Arbeit geleistet. In einem weiten Kreis von Booten schwamm eine riesige Gestalt mit langen Fangarmen im Wasser. „Earl, das können Sie nicht machen. Nicht mit Hilfe dieses Monstrums, es ist unmöglich", sagte Selkas, blaß im Gesicht. „Die Bestie hat ein Hirn und einen Blutstrom, also ist es möglich." Wenn er die Einheiten richtig zusammengestellt hatte, wenn sie bei fremden Kreaturen auch funktionierten, wenn... Sie hatten keine Zeit mehr gehabt, Tests durchzuführen. Izane kam neben ihren Gleiter geflogen und brachte die Gebrüder Ven mit. Sie sahen finster drein, als Dumarest mit Selkas auf ihr Gefährt hinübersprang. „Wie lange sollen wir das Ding noch festhalten?" fragte einer der Männer. „Wir haben Sie früher erwartet." „Wir wurden aufgehalten. Ist alles unter Kontrolle?"
„Im Augenblick, ja. Wir haben zwei Boote und drei Mann verloren, und wenn Sie sich nicht beeilen, bleibt von uns allen nichts mehr übrig. Die verdammten Aale werden alles zerfetzen, das sich nicht schützen kann. Wozu brauchen Sie das Monstrum?“ „Das ist meine Angelegenheit. Können Sie mir Taucher herbeischaffen?" Ungläubig starrten ihn die Brüder an. „Nach dem, was mit Larco und Shem geschehen ist?" „Versuchen Sie's, melden Sie sich dann bei Selkas." Dumarest wartete, bis sie weg waren. „Sehen Sie zu, daß wir Ta ucher bekommen", sagte er zu Selkas. „Ich will versuchen, das Schiff auf den Meeresboden dicht am Strand zu heben. Gelingt mir das nicht, müssen Taucher hinunter. Bieten Sie ein Vermögen an, aber sorgen Sie für Taucher. Jede Minute ist kostbar." „Ich will tun, was ich kann. Sie glauben wirklich, es wird gehen, Earl?" „Es wird klappen. Izane soll jetzt auf dem Rücken des Monstrums landen." Als das geschehen war, rannte er zum Kopf der Bestie. Zusammen mit Selkas hatte er die Anatomie des Tieres studiert und wußte, wo er eine Arterie fand. Als er zum Gleiter zurückkehrte, war er mit Blut und Schleim überzogen. «Sofort die Umgebung räumen, schnell!" befahl er. Er wischte sich mit Tüchern ab, „Izane, wenn Sie die Spur dieses Dinges verlieren, kostet Sie das das Leben." Der Techniker war beleidigt. „Ich kenne meine Verantwortung", sagte er kurz. „Werden Sie nicht sorglos." Dumarest zog seine Tunika aus. „Fertig, Selkas?" fragte er. Selkas nahm eine zweite Spritze auf. „Jetzt?" „Ja." Dumarest spürte den Stich der Nadel und holte tief Luft.
Es war wie in einem Alptraum, ein Durcheinander unzusammenhängender Eindrücke. Alle Informationen wirbelten sinnlos durcheinander, dann merkte er, daß er schwamm, nein, er flog, er flog durch dicken Qualm ... Nichts war wirklich. Er hatte Angst. Verzweifelt kämpfte er dagegen an. Ich bin im Gehirn dieser Kreatur, hämmerte Dumarest sich ein. Ich reite darauf wie auf einem Pferd, und doch bin ich nicht wirklich darin. Ich bin sicher oben im Gleiter mit Selkas. Nichts kann mich verletzen. Ich bin gar nicht hier... Es half alles nichts, denn er war hier. Sein Körper war zu einem Alptraum geworden, verzerrt und gefangen in einem völlig fremden Element. Verzweifelt versuchte Dumarest, die Kontrolle über den fremden Körper zu bekommen. „Nach unten!" dachte er intensiv. Die Dunkelheit wurde dichter, aber immer noch konnte er klar sehen. Die Augen des Zehnfüßlers paßten sich dem nachlassenden Licht an. Dumarest steuerte auf das Ufer zu. Er hatte keine Ahnung, wo das liegen mochte, aber die Kreatur wußte es. Das Wasser wurde heller, und Dumarest spürte Unwohlsein. Ein Überlebensmechanismus meldete sich - diese Region des Wassers war gefährlich für das Tier, zu dem er, Dumarest, jetzt geworden war. Aber er unterdrückte die Warnsignale und tauc hte an dem abfallenden Felsen hinab. Hin und wieder schnappten Aale nach seinen Tentakeln, aber sie zogen sich zurück, wenn er sich wehrte und nach ihnen schlug. Jetzt war es fast dunkel, die Gegenstände waren nur noch sche menhaft zu erkennen. Dann aber machte er den gesuchten Gegenstand aus. Er wirkte kleiner als früher, fast wie ein Spielzeug. Dumarest wurde schnell klar, daß dies an der veränderten Optik des Zehnfüßlers lag. Er schwamm darauf zu, versuchte angestrengt, das Schiff mit seinen zehn Armen zu umfassen. Zweimal mißlang dieser
Versuch, dann hatte er aber die offene Ladeschleuse gefunden, verankerten zwei Arme darin und hob das Schiff an. Jetzt kam es mit, als er langsam wieder nach oben stieg. Er beschleunigte den Aufstieg, da nun verstärkt die Aale angriffen. Er blutete bereits aus mehreren Wunden. Das wiederum lockte noch mehr Gegner an, die ihn umschwärmten. Das Wasser wurde wieder heller, die Kontinental-Klippe kam in Sicht. Immer noch stieg Dumarest/Zehnfüßler nach oben, bis grelles Sonnenlicht seine Augen blendete. Es war ihm unmöglich, das Schiff aufs Trockene zu werfen, dazu war das Gewicht zu groß, das bisher durch den Auftrieb des Wassers vermindert worden war. Er ließ das Schiff an sicherer Stelle los und stürzte sich wieder in tieferes Wasser. Jetzt spürte er die Wunden an seinem Körper. Er schwamm schneller, um seine Verfolger vom Schiff wegzulocken. Ohne den menschlichen Geist in Form des Affinitätszwillings im Hirn hätte sich die Bestie gewehrt oder zumindest ein sicheres Versteck gesucht. Dumarest aber hatte keinen Grund, das Tier am Leben zu erhalten. Es mußte sterben, bevor er wieder aus der Gehirnfalle entkommen konnte. Also sah er ziemlich reglos zu, wie die Aale den Körper nach und nach in Stücke rissen, spürte die scharfen Zähne näherkommen, den anschwellenden Schmerz, der alles hinwegzuspülen drohte, und wartete auf die endgültige Erlösung von dieser Pein. „Ich war sehr besorgt, Earl", sagte Selkas. „Zuerst dachte ich, Sie würden sterben, dann mußte ich Sie festhalten lassen." Dumarest musterte seinen Körper, sah Prellungen und Blutergüsse, sah die Riemen, mit denen man ihn festgeschnallt hatte, „Veruchia?" „Die Gebrüder Ven holten sie im letzten Augenblick heraus. Die Luft war verbraucht und Veruchia war bereits ohnmächtig. Daher wissen wir auch noch nicht, ob sie gefunden hat, wonach sie suchte. Jetzt steht sie unter Drogen, denn vermutlich hat der
unausweichlich kommende Tod ein schweres Trauma ausgelöst, das überwunden werden muß. Aber sie wird gesund werden, Gott sei Dank." Selkas war wohl der glücklichste Mensch auf diesem ganzen Planeten. „Earl - ich weiß nicht, wie ich Ihnen jemals danken soll. Was kann ich bloß tun?" Dumarest erhob sich. „Noch ist die Arbeit nicht erledigt." „Was meinen Sie damit?" „Wir haben das alles ja nicht umsonst gemacht. Morgen mittag muß Veruchia vor dem Rat beweisen, daß sie rechtmäßige Erbin ist. Wir müssen wissen, ob sie diesen Beweis hat." Die Frau lag blaß und reglos auf einem Lager in einer Hütte dicht am Wasser. Selkas hielt Wache. „Ich habe ihr eine neutralisierende Droge gegeben", sagte Izane. „Sie wird bald aufwachen, aber ich muß noch einmal warnen, daß dies gefährlich sein kann." „Lassen Sie uns allein", sagte Selkas. Dann ging er in die Knie und strich Veruchia zärtlich über das Haar. „Veruchia, liebe Veruchia, wach auf. Wach auf, mein Kind." „Selkas?" Sie lächelte abwesend. „Bist du es?" „Wach auf, Veruchia." Offensichtlich kehrten jetzt mehr Erinnerungen zurück. Mit immer noch geschlossenen Augen flüsterte sie: „Earl?" „Er lebt und steht in diesem Augenblick vor dir." „Earl!" Sie streckte die Arme aus. „Earl, du hast mich gerettet. Ich wußte, daß du mich retten wirst." Dumarest umarmte sie, spürte ihren Körper, der nichts weiter wollte als leben, der wußte, daß er praktisch vom Tode auferstanden war. Sanft befreite er sich aus der Umarmung. „Hast du gefunden, was du gesucht hast?" „Ja, Earl, ja!" Sie sah sich gehetzt um, „Ich hatte ein Buch, es steckte unter den Riemen meines Atemgeräts. Wo...?"
„Wir haben alles nebenan untergebracht", beruhigte Selkas sie. „Das Buch wird dabei sein." „Holt es, laßt es nicht aus den Augen. Es ist ein altes Logbuch, aus dem hervorgeht, daß der Name des Ersten Landesherrn Chron war. Dickarn war Kapitän des Schiffes, aber es gehörte ihm nicht, und er war auc h nicht Erster Landesherr. Chron starb nach der Landung auf dem Planeten, und Dickarn heiratete Chrons Witwe, und da begann das Durcheinander. Aber Chron war der Erste Landesherr, das steht in dem Buch. Ich habe es gelesen." Sie seufzte glücklich. ,„Wir haben gewonnen, Earl. Wir haben hoch gespielt und gewonnen. Ich bin Landesherrin von Dradea." „Haben Sie es schon gehört?" funkelte Montarg den Cyber an. „Die Hure hat gefunden, was sie sucht und ist auf dem Weg zum Rat. Um Mittag wird sie neuer Landesherr von Dradea sein." Wütend stampfte er mit den Füßen, während er durch den Raum ging. „Soweit, was Ihre Voraussagen betrifft, Surat. Jeder gemeine Dummkopf in der Stadt hätte das genauso gut gemacht." „Ich sage nicht die Zukunft voraus, Mylord, ich weise nur auf den höchstwahrscheinlichen Ausgang einer Reihe von Geschehnissen hin und habe nie behauptet, unfehlbar zu sein." „Sie entschuldigen sich, Cyber?" „Ich habe Tatsachen benannt." Surats modulierte Stimme stand in krassem Gegensatz zu Montargs Wutausbrüche n. „Die Entscheidung des Rates war Ihre Schuld, Mylord. So, wie Sie sich aufgeführt haben, haben sie ihn gezwungen, die bekannte Entscheidung herbeizuführen und der Frau Zeit zu geben, Beweise zu finden. Die Entdeckung des Schiffes war reiner Zufall. Meine Voraussage lautete zweiundneunzig Prozent, daß sie es nicht finden wird, wie Sie wissen." „Und die andere Berechnung? Neunundneunzig Prozent, daß sie es nicht überleben würde?"
„Der unbekannte Faktor", erklärte der Cyber. „Neunundneunzig Prozent sind eben nicht Gewißheit..." „Der unbekannte Faktor!" wiederholte Montarg. „In diesem Fall hieß er Dumarest. Er hat sie gerettet - ich werde ihn dafür töten." „Das wäre höchst unklug." „Warum? Was bedeutet Ihnen der Kerl? Dreck aus der Arena, ein Vagabund!" Er zog ein Messer aus seinem Gürtel, warf es, und es blieb zitternd in der Tischfläche vor dem Cyber stecken. „Veruchia", sagte .Montarg dann drohend, „wird niemals Landesherrin dieses Planeten werden." Surat blickte auf das Messer, das dicht neben seinen Händen steckte. Er hatte sich nicht gerührt, als es auf den Tisch zugeflogen war. Er beobachtete den Mann, als er das Messer herauszog und wieder in die Scheide steckte. Der Wutausbruch hatte den Mann etwas beruhigt, denn jetzt sprach er ausgeglichener. „Wie stehen die Chancen, Cyber, daß Veruchia Landesherrin wird?" „Wenn sie den Beweis in den Händen hat, den sie gesucht hat, ist es fast absolut sicher, daß sie es wird." „Falsch", sagte Montarg und lachte leise. „Ihre Herkunft ist zweifelhaft- ich habe Grund zu der Annahme, daß Oued nicht ihr Vater ist. Eine genetische Untersuchung wird das an den Tag bringen. Amplon, der alte Dummkopf, wird sie durchführen müssen, wenn der Rat es ihm direkt befiehlt. Ich werde ihn anrufen - wo ist Ihr Apparat?" Montarg griff nach dem Hörer, ehe Surat etwas sagen konnte, drückte eine Nummer und wartete. Dann sprach er kurz hinein, hörte zu, wandte sich dann schließlich völlig verwirrt um. „Amplon ist tot." Amplon und Redal - der eine sicherheitshalber, der andere, weil er versagt hatte. Redal hatte die Chance versäumt, die korrekte Abfolge des Affinitätszwillings herauszufinden, und der Cy-
Clan hatte keinen Platz für jene, die ihre Aufgaben nicht erfüllten. „Er ist kein Verlust, er hätte uns auch nicht helfen können, Mylord", sagte Surat. „Es gibt noch andere", sägte Montarg. „Ich bin überzeugt davon, daß Selkas Veruchias Vater ist." „Selbst wenn es so ist, Mylord, so ändert das nichts. Die Erbfolge wird mütterlicherseits bestimmt, nicht väterlicherseits. Lisa, Veruchias Mutter, stammt direkt von Chron ab, und es besteht kein Zweifel, daß Veruchia ihr Kind ist." „Dann muß sie sterben. Und dieser Mann Dumarest auch." „Nein, Mylord, der Mann nicht." Selkas sann darüber nach, warum der Cyber sich so für den Kämpfer aus der Arena interessierte. Welche Verbindung gab es zwischen diesem Mann und einer weltumspannenden Organisation wie dem Cy-Clan? Ruhig sagte Montarg: „Dumarest, der unbekannte Faktor. Es ist geheimnisvoll, wie er Veruchia gerettet hat. Irgendwie gelang es ihm, einen Zehnfüßler unter Kontrolle zu bringen. Ja, ich habe auch meine Informanten. Dumarest und Selkas haben die Biologische Forschungsanstalt besucht, sämtliche Apparate des Instituts für die Herstellung von fünfzehn Molekulareinheiten abgestellt. Ein Angestellter dort berichtete mir das. Ich nahm ihn nicht ernst, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Amplon ist tot, sein Assistent ist nirgends aufzufinden. Mysteriös, Surat, nicht wahr?" „Eine Serie unzusammenhängender Ereignisse, Mylord." „Das sagt ein Cyber? Gibt es Ereignisse, die nicht irgendwie zusammenhängen? Dumarest hat etwas, das Sie haben wollen", wechselte er abrupt das Thema. „Ein Geheimnis, vermute ich. Fünfzehn Einheiten - geht es vielleicht um die richtige Reihenfolge dieser Einheiten? Ist es das?" Seine Intuition war unglaublich - irgendwie war er auf die Antwort gestoßen. Noch war es eine Vermutung, aber im
Normalfall hätte selbst nur eine Vermutung bereits seinen Tod bedeutet. Surat gab aber noch nicht das Signal dafür. Montarg hatte mehr Glück, als er je vermutet hätte. „Fünfzehn Molekulareinheiten", sagte er noch einmal. „Aber nein, die richtige Reihenfolge könnte man herausfinden, indem man alle Möglichkeiten durchprobiert." Jeder Mathematiker hätte ihm das Gegenteil beweisen können. „Die Möglichkeiten gehen in die Millionen, Mylord, und wenn man jede Sekunde eine Möglichkeit testete, würde es viertausend Jahre dauern, bis man alle ausprobiert hätte." „Dann hat Dumarest das Geheimnis?" „Ja - er hat es dem Cy-Clan gestohlen." „Und Sie wollen es zurückhaben." Montarg lachte. „Machen wir ein Geschäft, Cyber: Sie sorgen dafür, daß ich erbe, und ich werde Ihnen sagen, wie Sie zu dem kommen, was Sie suchen." Jetzt hatte ihn seine Intuition verlassen. Ihm war nicht bewußt geworden, daß er anbot, die größte Macht zu verschenken, die ein Mensch erlangen konnte. Im Haus war alles noch wie vorher. Glücklich, wieder daheim zu sein, rannte Veruchia durch alle Räume, während Dumarest und Selkas sich kurz unterhielten. „Sie ist glücklich", sagte Selkas. „Ich habe sie noch nie so erregt gesehen. Diesen Augenblick habe ich mir für ihr ganzes Leben gewünscht." „Ist sie Ihre Tochter?" fragte Dumarest. „Sie haben es erraten." Selkas holte tief Luft. „Sie darf es nie erfahren. Lisa war eine wunderbare Frau und Oued mein Freund. Es geschah in einem Augenblick süßen Wahnsinns - ich will mich nicht entschuldigen. Lieben Sie sie? Warum sollten Sie sonst Ihr Leben für sie riskiert haben?" „Ich brauche Informationen." „Nur das?" Selkas glaubte Duma rest nicht ganz. „Nun, gehen wir ins Arbeitszimmer."
Das Logbuch aus dem alten Raumschiff lag auf dem Tisch. Dumarest blätterte es durch. Es enthielt nichts außer Aufzeichnungen über die Reise. Nirgends fand er die Navigationstabellen, die er suchte, aber immerhin gab es einige Anhaltspunkte... „Unsere Welt wurde von einem Planeten namens Hensh besiedelt", sagte Selkas. „Namen wie Quell und Allmah werden erwähnt, aber nicht die Erde." „Selkas, gibt es hier ein Planeten-Jahrbuch?" „Ich weiß es nicht - soll ich Veruchia fragen?" „Schon gut." Dumarest suchte selbst die Regale durch, zog dann einen dicken Wälzer heraus. Schnell blätterte er ihn durch. „Hensh", sagte er dann. „Selkas, die Koordinaten hier sind nicht dieselben!" „Sind Sie sicher?" Dumarest deutete auf das Jahrbuch, dann auf das Lo gbuch. „Bei Quell und Allmah stimmen sie auch nicht überein." Er lehnte sich nachdenklich zurück. „Das alte Schiff muß die frühen Navigationstabellen benutzt haben. Deshalb sind die Koordinaten auch anders als die, die man heutzutage benutzt." „In diesem Fall... Nein, Earl, das muß ein Irrtum sein. Vielleicht handelt es sich um einen privaten Kode des Kapitäns. Vielleicht sind es überhaupt keine Koordinaten." Dumarest hörte nicht zu, sondern starrte auf das fleckige Papier des alten Logbuches. Hatte der Mann die Erde gekannt? Wußte er, welcher Stern am Himmel den Planeten erwärmt, den er, Dumarest, so sehnsüchtig suchte? Drei kleine Informationen hatte er, die er in einen Computer geben konnte, um sie auf heutige Navigationstabellen umrechnen lassen zu können. Vielleicht waren die alten Tabellen von der Erde als Nullpunkt ausgegangen und hatten alle Berechnungen nach ihr ausgerichtet...?
Dumarest sah auf seine Hände. Sie zitterten ein wenig. Jetzt brauchte er nur zu einem Planeten, wo man Computer mieten konnte, und dann würde seine Suche bald vorbei sein. Dumarest sprang auf. „Veruchia!" „Was gibt es, Liebling!'' In ungetrübter Hochstimmung kam sie heran. „Earl?" Als sie das Arbeitszimmer betrat, stürmten Männer in den Vorraum des Hauses. „Ein hübsches Haus", sagte Montarg. „Klein, gemütlich und genau das Richtige für eine hübsche Perle wie dich, auch wenn du nicht mehr ganz so glänzt wie früher." Er blieb hinter Veruchias Stuhl stehen und zog die Riemen fester, die sie fesselten. „Sitzt du bequem, Cousine?" Sie tat ihm nicht den Gefallen, zu antworten, und grimmig ging Montarg zu seinem nächsten Opfer. „Na, du Stück Dreck aus der Arena? Wirst du um dein bißchen Leben winseln?" Dumarest ignorierte ihn. „Antworte, wenn ich mit dir spreche!" Montarg schlug Dumarest mit dem Handrücken in das Gesicht. Ein Ring, den er an der Hand trug, riß Dumarest dabei die Lippe auf. „Eine hilflose Frau zu quälen und einen hilflosen Mann zu schlagen", sagte Dumarest und spie Blut „Ein tapferer Krieger sind Sie, Mylord." Wütend holte Montarg noch einmal aus, schlug zu und trat gleichzeitig gegen den Stuhl, der umkippte und gegen die Wand schlitterte. Montarg lief hinterher und wollte noch einmal zuschlagen. „Mylord." Surats Stimme wirkte wie Wasser auf ein Feuer. „Wir verschwenden Zeit. Der Rat tritt in einer Stunde zusammen. Wir sollten ihn nicht warten lassen." „Er wird warten, er hat keine andere Wahl." „Trotzdem dürfen wir keine Zeit verschwenden, Mylord."
„Schon gut, Cyber, ich verstehe." Montarg sah zu Dumarest. „Hör zu, elender Kerl - du hast ein Geheimnis, das der Cyber gern wissen möchte. Sage ihm, was er wissen will, oder das Mädchen wird es büßen." Dumarest blickte zu Montarg in seiner scharlachroten Robe. Arbeiteten die beiden zusammen? Unmöglich, der Cy-Clan akzeptierte keinen Gleichgestellten neben sich. Dumarest spannte seine Arm- und Schultermuskeln an. „Wieso sollte mich das stören?" „Weil du sie liebst und nicht zusehen könntest, wie man sie quält." „Sie ist nur eine Frau - mein Geheimnis ist Millionen von ihnen wert." Das war eine Logik, die der Cyber verstand. Er brauchte Montarg jetzt nicht mehr, da er Dumarest hatte und erfahren konnte, was er wissen wollte, „Mylord, wir sind lange genug hier. Ich nehme den Mann jetzt mit und gehe." „Sie werden nicht weit kommen, Cyber", sagte Montarg höhnisch. „Ich habe meinen Leuten draußen entsprechende Befehle gegeben. Ohne mich kommen Sie hier nicht weg. Wir machen es so, wie ich es möchte, wie wir es vereinbart haben." „Aber so kommen Sie nicht weiter, Mylord." „Das klappt schon, lassen Sie sich nicht irremachen. Ich weiß das besser, und die Frau auch. Wenn sie erst einmal schreit, wird er schon sprechen ..." In diesem Moment warf Dumarest sich samt seinem Stuhl auf ihn. Montarg konnte im letzten Moment ausweichen, der Helfer des Cybers kam herangelaufen und hielt Dumarest fest. Montarg war ungewöhnlich ruhig, während er zu Veruchia ging und mit beiden Händen nach ihr griff. Dann schrie die Frau auf. „Earl, Hilfe! Hilf mir!" Dumarest spürte, wie die Lehne seines Stuhles etwas nachgab noch eine Anstrengung, und er würde sie zerbrechen können.
Die Schreie wurden lauter und verzweifelter. Dumarest spürte Schweiß auf seinem Gesicht. Der Helfer des Cybers starrte ihn an, und Dumarest mußte sich zur Geduld zwingen. Würde er zu früh losschlagen, wäre das verkehrt. Kam er zu spät, mußte das Mädchen unnötig leiden. Montarg ließ von der ohnmächtigen Frau ab. „Nun, Dumarest, wie gefällt dir das? Wenn du nicht bald redest, werde ich ihr mit meinem Messer persönlich das Gesicht entstellen. Wie wird sie danach aussehen...? Ganz interessant, finde ich." Ihr Schrei zerriß die Luft. Nein!" Dumarest zerrte an seinen Fesseln. „Ich werde sagen, was Sie hören wollen." Montarg sah triumphierend zu dem Cyber. „Nun, Dumarest, was weißt du so Wertvolles vom Cy-Clan?" „Die Reihenfolge der Molekular-Einheiten des Affinitätszwillings", sagte Dumarest schnell. „Sie versetzte mich in die Lage, den Zehnfüßler zu kontrollieren." „So eine Art hypnotisierende Che mikalie?" Montarg zuckte die Schultern. „Nun, sage das dem Cyber, damit hier endlich Schluß ist." Offenbar wußte Montarg nicht, welches Geheimnis Dumarest wirklich wußte. „Und was ist danach? Was geschieht dann?" „Nichts - du und die Frau, ihr seid frei." Eine Lüge. Der Cy-Clan würde ihn mitnehmen, nachdem Veruchia umgebracht war. Surat würde ihm nicht trauen, die richtige Reihenfolge angegeben zu haben, und seine Aussage nachprüfen wollen. „Ich muß das aufschreiben, daher müssen meine Arme frei sein", sagte Dumarest. „Es geht auch so", erklärte Surat und gab seinem Helfer ein Zeichen. „Reiche ihm Papier und einen Stift." Dumarest bekam einen länglichen Kugelschreiber und kritzelte damit auf dem Papier herum. „Ist dies das Geheimnis?" fragte Montarg und kam heran. „Ich möchte auch eine Kopie davon."
„Sicher, Mylord", sagte Surat, der diese Reaktion erwartet hatte. „Er wird Ihnen eine schreiben." Dumarest beugte sich wieder über das Papier. Die wahllos hingeschriebenen Symbole waren schwer in der gleichen Reihenfolge zu wiederholen. Wenn die Männer die Aufzeichnungen verglichen, würden sie feststellen, daß mindestens eine davon nicht stimmte. ' „Laß sehen!" sagte Montarg und riß ihm das Papier aus der Hand. „Sind es dieselben Zeichen?" Gemeinsam mit dem Cyber machte er sich an den Vergleich. Darauf hatte Dumarest gewartet. Er sprang auf, stieß nach hinten gegen die Wand und merkte, wie die Lehne des Stuhles zersplitterte. Der ganze Stuhl, brach auseinander. Als der Helfer des Cybers auf ihn zustürzte, stieß Dumarest mit dem Schreibstift von unten nach oben zu und traf durch ein Auge das Gehirn. „Nein!" Surat sprang zwischen Dumarest und Montarg, als letzterer nach seinem Strahler griff. „Zur Seite, Idiot!" schrie Montarg. „Weg da!" Er fluchte, als der Cyber ihm weiter die Sicht versperrte. Dann wandte er sich um und lief zu Veruchia, die ohnmächtig in ihren Fesseln lag. Dumarest stürzte hinterher - er sah, wie sich die Waffe auf ihn richtete, wie Montargs Finger weiß wurden, während er den Drücker betätigte. Der erste Schuß ging daneben, der zweite brannte ihm ein Loch in seine Tunika. Dann war Dumarest über dem Mann, riß ihn die Waffe aus der Hand und feuerte auf Surat, der ihn von hinten angreifen wollte. Ein leises Zischen, und mit einem Loch im Kopf fiel der Cyber tot zu Boden. Dumarest griff mit der anderen Hand nach seinem Messer, zog es aus dem Stiefel und hielt es hoch, daß sich das Licht darin brach. „Nein, bitte nicht!" „Für Veruchia, Montarg", sagte Dumarest.
Dann stieß er das Messer genau ins Herz.
In der Stadt wurde gefeiert. Überall tanzten und sangen die Menschen, genossen Musik und kostenlosen Wein. Veruchia, Selkas und Dumarest flogen in einem Gleiter zu Veruchias Haus. „Warum hat er das alles getan?" fragte Veruchia und wandte sich damit an Selkas. Sie war jetzt bereits einen Tag Landesherrin. „Er wurde vom Cy-Clan angeleitet", sagte Dumarest. „Surat hat ihn aber schlecht beraten", meinte Selkas. „Meinen Sie das damit, Earl?" „Ich denke, der Clan wollte diese Welt ruinieren, und es wäre ihm auch gelungen, mit einem willigen Werkzeug wie Montarg an der Spitze. Diese Welt ist immer rückständiger geworden, und deine Aufgabe, Veruchia, ist es, dies zu ändern." „Welchen Grund könnte der Clan haben, diese Welt immer mehr zu isolieren?" fragte die Frau. Dumarest blickte hinauf zu den Sternen. Der Cy-Clan tat nie etwas ohne Grund ... „Ich habe eine Theorie", begann er langsam. „Was geschieht, wenn eine Welt sich entwickelt? Die Handelskontakte nehmen zu, Schiffe fliegen hin und her, Welten in der Umgebung nehmen ebenfalls am Aufstieg teil. Es könnte sein, daß der Cy-Clan genau diese Entwicklung auf Dradea verhindern wollte." Was wiederum bedeutete, daß der Clan in diesem Sektor der Galaxis Ruhe haben wollte. Warum? Versteckte man etwas? Eine Welt, die niemand finden sollte? Vielleicht gar die Erde? Sie landeten vor Veruchias Haus. Selkas verabschiedete sich. „Ich melde mich morgen mal, und ihr habt hier auch noch viel
zu tun. Die Ratssitzung morgen muß vorbereitet werden. Auch für Sie ist noch einiges zu erledigen, Earl." Ja, er bekam noch Geld - wenn nicht noch anderes. „Machen wir das gleich, ich komme mit", schlug Dumarest vor. „Morgen ist früh genug. Heute braucht Veruchia Sie." Dumarest blickte dem Mädchen nach, das lächelnd ins Haus ging. Dumarests Aufgabe war vorbei, er brauchte Veruchia eigentlich nicht mehr zu bewachen, und daher... „Sie liebt Sie", sagte Selkas. „Das wissen sie auch. Und sie braucht Kraft und Selbstvertrauen, um diese Welt zu regieren. Sie können ihr beides geben, Earl. Sie müssen es sogar." „Muß?" „Ich bitte Sie. Gehen Sie zu ihr." Dumarest wandte sich um, ging ins Haus und in das Arbeitszimmer. Dort schenkte er sich einen Brandy ein, während Veruchia irgendwo im Haus sang. An der Wand hing eine große Karte des Planeten, und Dumarest studierte sie - die Wüste von Wend, die Gletscher von Cosne, die breite ElgishSee, in der sie beinahe umgekommen wären... „Eine wunderschöne Welt, Earl. Sie gehört dir." „Nein, dir, Veruchia." Lautlos war sie hinter ihn getreten. Sie hatte sich umgezogen und trug ein durchsichtiges Seidengewand. Ihre Lippen leuchteten dunkelrot, das helle Haar fiel locker um ihre Schultern. „Unsere Welt", sagte sie. „Wir teilen sie uns - wir haben schließlich ein Geschäft miteinander gemacht, nicht wahr?" Nach einer Liebesnacht, als sie ihn verzweifelt um Hilfe gebeten hatte. „Nein", sagte er. „Geteilte Macht funktioniert nicht. Und was soll ich mit einer halben Welt? Behalte sie. Du hast sie gewonnen." Sie sah zu, wie er auch ihr Glas mit Brandy einschenkte und ihr reichte.
Einen Toast, Veruchia. Auf den hübschesten Landesherrn, den diese Welt je gehabt hat." Earl, mein Liebling!" Sie ließ das Glas fallen und schlang ihre Arme um seinen Hals. Dumarest reagierte positiv, und plötzlich spülte eine Welle der Glückseligkeit alle momentanen Probleme der Frau hinweg. Der Mann würde bleiben. Zumindest heute nacht würde er noch bei ihr bleiben.
ENDE