ATLAN Im Auftrag der Menschheit Nr. 141
Der Lordadmiral und die Rivalen von H.G. FRANCIS Tsopan, der Planet der Bewußts...
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ATLAN Im Auftrag der Menschheit Nr. 141
Der Lordadmiral und die Rivalen von H.G. FRANCIS Tsopan, der Planet der Bewußtseins-Forscher, der im Jahre 10.497 v.A. also zur Blütezeit des arkonidischen Imperiums, die etwa dem 9. Jahrtausend vor Christi Geburt entspricht, eine wichtige Rolle spielte, ist längst untergegangen. Die Nachfolger der skinischen Wissenschaftler, die seinerzeit das Bewußtsein des jungen Kristallprinzen Atlan speicherten und konservierten, um es in aller Ruhe zu studieren, sind in ihrem Forschungsdrang zu weit gegangen, als sie Experimente mit Antimaterie anstellten. Und so kam es, wie es zwangsläufig kommen mußte: Die Skinen starben, weil sie die Gewalten, mit denen sie spielten, nicht bändigen konnten. Zwar verging der Planet Tsopan mitsamt seinen Bewohnern, aber ein kleiner Teil des Erbes der Skinen konnte der Nachwelt dennoch Überliefert werden – in Form des Wanderers aus der Vergangenheit. Dieser „Wanderer“ ist nichts anderes als das vor Jahrtausenden gespeicherte Bewußtsein des jungen Kristallprinzen, das im Körper eines Galaktischen Händlers eine neue, permanente Bleibe gefunden hat. Jetzt, im April des Jahres 2843 irdischer Zeitrechnung, begegnet Atlan diesem seinem jüngeren Ich in Quinto-Center, und es kommt zur Konfrontation: DER LORDADMIRAL UND DIE RIVALEN…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan – Der Lordadmiral wird beraubt. Curs Broomer – Das Bewusstsein des Kristallprinzen in einem fremden Körper. Kalib Broltan – Ein Springer spielt ein riskantes Spiel. Chray – Ein Siganese. Friinkojes – Ein USO-Spezialist stellt Atlan II. Ronald Tekener – Atlans Stellvertreter.
1. Als er in seinem Hotelzimmer im Stadtzentrum von Apvron allein war, bereitete Kalib Broltan sich auf die Entscheidung vor. Vom Fenster aus hatte er einen freien Blick auf die Handelsmission des Solaren Imperiums. Diese lag mitten auf einem kreisrunden Platz und wurde von schlanken Plakaten umgeben, deren fächerartige Blätter einen Großteil des Gebäudes verdeckten. Das aber störte den Springer nicht. In aller Ruhe packte er seinen Koffer aus. Außer einem bestickten Hemd, einer goldenen Kette, einer Lampe, einem Minisender und einem Zielfernrohr lagen nur noch die Einzelteile eines Raketenadlers darin. Broltan nahm sie heraus und setzte sie zusammen. Dann heftete er das Zielfernrohr an den Magnetverschluß und hob die Waffe. Er richtete sie auf die Handelsmission. Der Entfernungsmesser im Objektiv zeigte exakt den vorausberechneten Wert an, der optimale Bedingungen für einen guten Schuß bot. Er blickte auf sein Chronometer. Noch blieb ihm Zeit genug. Er konnte mit sich und seinen Vorarbeiten zufrieden sein. Der Missionschef war bereits so gut wie tot.
Er erhob sich, ging in die Hygienekabine und kehrte mit zwei Trinkgläsern zurück. Er bestrich ihren Boden mit einem Spezialkleber und heftete sie an die Glassitscheibe. Zwei Minuten später hatten sie sich unlösbar mit ihr verbunden. Er riß mit einem Ynkeloniuminstrument ein Quadrat um die beiden Gläser herum und brach es mit ihrer Hilfe heraus. Trockene, heiße Luft wehte herein, und er konnte die Geräusche des fernen Raumhafens hören. Eine winzige Gestalt in einer grauen Kombination schwebte mit Hilfe eines Rückenhubschraubers heran und landete auf dem Tisch neben dem Gewehr. Grüßend hob er den rechten Arm, doch Kalib Broltan beachtete ihn kaum. Der Siganese ließ den Arm wieder sinken und blieb wartend neben der Waffe stehen. Der Galaktische Händler wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte sich wieder. „Hoffen wir, daß niemand etwas von der Scheibe merkt, Chray“, sagte er. „Wenigstens jetzt noch nicht.“ Ein Luxusgleiter näherte sich der Handelsmission. Gleichzeitig verließen mehrere Männer das Gebäude. Broltan griff zum Gewehr und stemmte es gegen die Schulter. Er zwang sich zur Ruhe. Dennoch verstrichen einige Sekunden, bis der Lauf der Waffe nicht mehr schwankte. „Du solltest es dir noch einmal überlegen“, schrie der Siganese mit aller Stimmengewalt. „Sei still, Kleiner“, sagte Broltan. „Du änderst nichts mehr.“ Der Gleiter befand sich im Zielkreuz, als er landete. Die Sicherheitsbeamten umringten das Fahrzeug, als der Missionschef ausstieg. Der Springer sah, daß seine Berechnungen richtig gewesen waren. Sie konnten den Terraner nicht ausreichend schützen. Das Opfer wechselte einige Worte mit einem Offizier. Dabei wurde er durch einen Baumstamm gedeckt. Geduldig wartete Broltan. Endlich bewegte sich der Missionschef. Schon nach zwei Schritten blieb er erneut stehen und drehte sich um. Seine Brust befand sich genau im Zielkreuz. Kalib Broltan zog dreimal durch. Mit dumpfen Lauten wurden die Geschosse ausgeschleudert. Sie rasten durch das Quadrat in der Scheibe hindurch. Dann zündeten die MikroRaketensätze. Heulend jagten die Projektile auf ihr Ziel zu. Durch das Zielfernrohr konnte Broltan sehen, wie sich das Gesicht
des Terraners vor Schreck verzerrte. Bevor das Opfer jedoch in Deckung gehen konnte, war es zu spät. Die Nadeln mit den winzigen Sprengsätzen schlugen in die Brust des Terraners und explodierten. Schlagartig brach der Missionschef zusammen. Broltan wußte, daß er tot war. Der Springer ließ das Gewehr sinken. Deutlich konnte er erkennen, daß einige der Sicherheitsbeamten sich über den Toten beugten, während andere zum Hotel herüberblickten. Er lächelte herablassend, als er sah, daß einige auf sein Versteck zuliefen, während zwei weitere in den Gleiter sprangen. Offenbar planten sie, das Gebäude zu umzingeln. Er schob einige Ausrüstungsgegenstände in seine Taschen und warf den Koffer mit den Gewehrteilen in den Abfallvernichter. „Komm“, befahl er dem Siganesen. Zusammen schwebten sie im Antigravschacht nach unten bis in die Kellerräume, in denen Gleiter parkten. Er nahm jedoch keines dieser Fahrzeuge, sondern sprang auf ein Laufband, das in einen Tunnel führte. Auf ihm erreichte er einen Gleitersilo, der zu einem Bürohochhaus gehörte und etwa zweihundert Meter vom Hotel entfernt war. Er wählte eine kleine, unauffällige Maschine und lenkte sie über eine Schräge hinaus. Zurückblickend bemerkte er, daß die Sicherheitsbeamten das Hotel tatsächlich vollkommen eingeschlossen hatten. Er beschleunigte voll und ließ den Gleiter steil in die Wolken steigen. Phrokus, die kleine, gelbe Sonne dieses Planeten, hatte den Zenit bereits überschritten. Ein kühler Wind wehte von Osten her. Als Broltan sich umdrehte, um nach den Sicherheitsbeamten auszuspähen, prallte etwas gegen die Windschutzscheibe. Der Siganese auf seiner Schulter schrie erschreckt auf. Der Springer fuhr herum und sah, daß er mitten in einen Schwarm großer, schwarzer Vögel geraten war, die ihm bei seiner großen Geschwindigkeit nicht ausweichen konnten. Innerhalb weniger Sekunden starben sieben oder acht Vögel, dann ließ er das Flugzeug absacken. Als er den Kurs wieder stabilisiert hatte und auf einer durch Funkimpulse vorgegebenen Flugstraße nach Westen flog, beobachtete er, daß sich mehrere Gleiter vom Hotel lösten und ihm folgten. Er beschleunigte mit Höchstwerten, bis er das Stadtviertel der Pelzhändler erreichte. Dann löste er sich aus der Impulsstraße,
um zwischen halbverfallenen Gebäuden und Bergen von Pelzen und Häuten zu landen. Um ihn herum wimmelte es von Männern, Frauen und Kindern, die um Felle, Kürschnerkleber, Jagdwaffen und Maschinen feilschten, mit denen die erlegten Tiere bearbeitet werden konnten. In seiner gut geschnittenen Kleidung, mit seinem feuerroten Haar und dem geflochtenen Bart fiel Kalib Broltan sofort auf. Man identifizierte ihn augenblicklich als Galaktischen Händler, und alle glaubten, er sei gekommen, um Geschäfte zu machen. Der Springer dachte jedoch nicht daran, sich mit diesem heruntergekommenen Volk aufzuhalten. Energisch stieß er zur Seite, was sich ihm in den Weg stellte, und ging auf ein rotes Gebäude zu, das mit verchromten Lettern verziert war. „Verschwindet“, rief er mit befehlender Stimme. „Oder muß ich mir mit der Waffe Platz machen?“ Murrend wichen die Suskorer zurück. „Er will zum alten Kisch“, sagte einer der Männer, der etwas besser als die anderen gekleidet war. „Laßt ihn durch.“ Broltan nickte ihm dankend zu, bevor er das Haus durch eine Metalltür betrat. Es glich einer bis unter die Decke mit Fellen gefüllten Lagerhalle. In einem winzigen, verstaubten Glaskasten kauerte ein weißhaariger Mann, der in Geschäftsbüchern gearbeitet hatte. Er blickte auf, als der Springer zu ihm kam. Er stand auf und ging Broltan entgegen. „Was kann ich für Sie tun, Patriarch?“ Der Springer lächelte über den plumpen Versuch, ihm zu schmeicheln. Kisch mußte wissen, daß ein Mann von achtzehn Jahren noch keiner Sippe vorstand. Broltan zog einen Kombistrahler unter der Bluse hervor und paralysierte den Alten. Dann eilte er zu einem Pelzstapel und stemmte sich gegen ihn, bis er umfiel. Der Siganese, der ihm im Schutz eines Deflektorfeldes gefolgt war, beobachtete ihn, als er die Waren zur Seite räumte und eine Luke im Boden freilegte. Kalib Broltan war zum ersten Mal in seinem Leben auf dieser Welt. Er kannte sich hier kaum aus. Nur durch einen Zufall war er vor einigen Tagen auf Kisch und seine Halle gestoßen, als er zusammen mit einigen anderen Springern aus der Sippe Broltanvors Pelze eingekauft hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte ihn Chray, der
Siganese, auf die zu dieser Zeit noch unbedeckte Luke hingewiesen. Der winzige Begleiter hatte dann den weiteren Fluchtweg ausgemacht und den stillgelegten Tunnel entdeckt, der unter der Lagerhalle hindurchführte. Der Springer klappte den Lukendeckel hoch und ließ sich in die Öffnung gleiten. „Du bleibst hier. Wir treffen uns später!“ Er ließ die Deckplatte fallen. Eine Lampe blitzte in seiner Hand auf. Über sich hörte er Schritte und Stimmen. Die Verfolger hatten die Halle betreten. Vorsichtig bewegte er sich durch den Tunnel. Unter Schmutz und Staub nisteten einige Schlangen. Sie blickten starr in den Lichtkegel und wichen ängstlich vor ihm zurück. Als er in der Ferne einen Lichtpunkt sah, begann er zu Hufen. Er war etwa zweihundert Meter weit gekommen, als auch seine Jäger den Einstieg gefunden hatten. Mit lauter Stimme befahlen sie ihm, stehen zu bleiben. Er drehte sich um. Seine Haut kribbelte. Das war ein deutliches Zeichen dafür, daß man mit Paralyseschockern auf ihn schoß. Die Wirkung blieb gering, weil er sich außer Reichweite befand. Er zog seinen Kombistrahler, justierte ihn und feuerte ihn ab. Ein sonnenheller. Energiestrahl zuckte fauchend durch den Tunnel, aber auch er erreichte sein Ziel nicht. Broltan feuerte erneut, zielte aber auf die Tunnelwand. Auf halber Höhe zwischen ihm und den Agenten schlug der Energiestrahl ein, und eine Wolke glutflüssiger Kunststofftropfen sprühte den Verfolgern entgegen. Diese schossen ebenfalls, waren aber durch die Glut zu stark behindert. Weit vor ihnen erreichte er das Ende des ehemaligen Fußgängertunnels. Er kam auf einem Platz heraus, auf dem einige Männer zwischen aufgestapelten Gleiterwracks arbeiteten. Sie schoben die Reste der verrotteten Maschinen in eine Schmelze. Der Springer rannte an ihnen vorbei zu einigen Gleitern auf einem Parkplatz. Bevor sie recht begriffen, was geschah, war er schon mit einer der Maschinen gestartet. Wenig später fädelte er sich in den Verkehrsstrom an der Westtangente von Apvron ein und ließ sich nach Süden treiben. Die Automatik lenkte den Gleiter. Immer wieder drehte er sich um und blickte zurück. Er wußte, daß er einen nur sehr geringen Vorsprung hatte, aber das störte ihn nicht.
Als er beobachtete, daß sich einige auffallend große Gleiter vom Schrottplatz her in den Verkehrsstrom drängten, scherte er aus und landete auf einem Parkplatz. Bevor er ausstieg, schaltete er das Visiphon ein. Wie erwartet, wurde der Diebstahl der Maschine bereits durchgegeben. Nun hefteten sich nicht nur die Sicherheitsbeamten der Handelsmission an seine Fersen, sondern auch die örtliche Polizei. Er eilte über eine Rasenfläche auf mehrere Wohngebäude zu. Ungehindert kam er in einen Park, der dahinter lag. Hier waren zahlreiche Plastiken aufgestellt worden. Vornehmlich ältere Bewohner der Stadt flanierten auf den gepflegten Wegen und bewunderten die Kunstwerke, die hauptsächlich der gegenständlichen Kunstrichtung angehörten. Broltan zögerte. Er wußte nicht genau, wohin er sich wenden sollte. Die Fahndungsbehörden hatten das abgestellte Fahrzeug sicherlich schon gefunden. Jetzt verfolgten sie ihn vermutlich mit Spürgeräten. Er entschloß sich, abermals einen Fußgängertunnel zu benutzen, dieses Mal aber einen, der noch in Betrieb war. Am Zubringer blieb er stehen und wartete, bis er die Polizisten mit ihren Suchinstrumenten in den Park kommen sah. Dann erst lief er die Antigravleiter hinunter und sprang auf das Laufband. Er war überrascht, weil es unerwartet stark frequentiert wurde. Damit verwischten sich seine Spuren. Mit einer solchen Entwicklung hatte er nicht gerechnet. Fieberhaft überlegte er, während er zusammen mit den anderen Fußgängern davongetragen wurde. Schließlich sprang er ab, als er die Innenstadt erreichte und sich wieder in unmittelbarer Nähe der Handelsmission befand. Er kam in einem Geschäftszentrum heraus und betrat ein Restaurant. Als die Robotsäule ihm ein Getränk serviert hatte, schob er seinen Ärmel zurück und drückte eine Taste an seinem Chronometer. Nur wenige Minuten verstrichen, bis es an seinem Ohr zu rauschen begann. Dann spürte er, wie sich zwei kleine Füßchen auf seine Schulter drückten. „Du kannst deinen Deflektor ausschalten, Chray.“ Der Siganese wurde sichtbar. „Es ist etwas Unangenehmes passiert, Chray. Ich war ein wenig zu geschickt bei meiner Flucht. Sie haben meine Spur verloren.“
„Das habe ich schon gemerkt, aber ich glaube nicht, daß es lange dauert, bis sie dich aufgespürt haben. Genügend Menschen haben dich gesehen und können dich beschreiben.“ „Das ist wahr, dennoch wäre es mir lieber gewesen, wenn sie mich mehr gehetzt hätten.“ „Das kannst du immer noch haben! Wenn du versuchst, aus der Stadt zu entkommen, wirst du ihnen bestimmt auffallen.“ „Du hast recht, Kleiner.“ Er trank sein Glas aus und blickte grübelnd vor sich hin. Chray blieb auf seiner Schulter. Der Springer hatte ihn offensichtlich vergessen. Er erinnerte sich erst wieder an ihn, als er sich abrupt erhob, so daß der Siganese fast heruntergefallen wäre. „Benutze den Deflektor. Niemand braucht dich zu sehen.“ Chray gehorchte. Gelassen ging Broltan auf den Platz zwischen den Geschäften hinaus, wo vornehmlich Frauen ihre Bestellungen aufgaben und Einkäufe tätigten. Niemand achtete auf ihn, als er zu einem Taxistand ging und sich einen Robotgleiter nahm. Er warf einige Münzen in die Automatik und tippte ein Ziel ein, von dem er wußte, daß es im Norden lag. Als die Maschine aufstieg, fiel ihm auf, daß die Sonne bereits tief über dem Horizont stand. Er war überrascht, wie viel Zeit seit dem Attentat vergangen war. Im Visiphon wurde auch jetzt noch fast ausschließlich von dem Mordanschlag auf den Missionschef der terranischen Handelsniederlassung gesprochen. Suskor war eine Welt, die hauptsächlich vom Handel und vom Güterumschlag lebte. Störungen dieser Art trafen den Nerv der Regierung, denn die wirtschaftlichen Beziehungen zum Solaren Imperium waren gerade für einen solchen Planeten von lebenswichtiger Bedeutung. Auch das hatte Broltan einkalkuliert. Er hatte gewußt, daß die örtliche Obrigkeit ein regelrechtes Kesseltreiben auf ihn veranstalten würde, daß aber auch die USO sich einschalten mußte. Und darauf kam es ihm an. Seit er wußte, daß der Epsaler Friinkojes der United Stars Organisation angehörte, hatte er seinen Plan gefaßt. Ungehindert überflog er den Stadtrand. Niemand schien damit zu rechnen, daß der Attentäter Apvron zu diesem Zeitpunkt verlassen würde. Die Polizei suchte in der Stadt. Das hatte er deutlich
beobachten können, als er über die Außenbezirke hinweggeflogen war. Die Zahl der Flugzeuge in seiner Nähe wurde immer geringer, bis er schließlich ganz allein nach Norden flog. Als er sich einem waldreichen Gebiet näherte, wandte er sich grollend an den Siganesen. „Ich hätte es wissen müssen. Dein Rat taugt nichts.“ Chray antwortete nicht. Broltan blickte sich in der Kabine um. Er wußte nicht, wo der Siganese war. „Zeige dich, wenn ich mit dir rede“, befahl er wütend. Der grünhäutige Zwerg schaltete den Deflektor aus. Er stand auf dem Armaturenbrett vor dem Springer und blickte zu diesem auf. In diesem Moment lösten sich vier große Jagdgleiter aus den Wäldern. Sie stiegen unglaublich schnell auf und umringten ihn. Der Galaktische Händler schob ein Fenster auf und eröffnete das Feuer mit seinem Kombistrahler. Er schoß auf einen Gleiter und traf das Kanzeldach. Die Männer im Flugzeug warfen sich zur Seite. Die Maschine glitt nach unten, und eine andere rückte nach. Broltan feuerte auch auf sie. Der weißglühende Energiestrahl durchschlug den Bug und setzte den Gleiter in Brand, der jedoch schon Bruchteile von Sekunden später von der automatischen Löschanlage erstickt wurde. Die Besatzungen der anderen beiden Maschinen schossen auf das Heck seiner Maschine. Sie trafen das Antriebsaggregat. Der Gleiter sackte ab. Die Sicherheitsvorrichtungen verhinderten, daß er mit großer Wucht auf den Boden prallte. Sie bauten ein Antigravkissen auf, das den Schweber relativ sanft abfing. Kalib Broltan sprang aus der Kabine und rannte einige Schritte von dem Gleiter fort. Dann warf er sich ins Gras und zielte auf einen der Gleiter, der sich noch in der Luft befand. Er tat, als habe er nicht bemerkt, daß in seinem Rücken eine andere Maschine bereits gelandet war. Er schoß und verfehlte sein Ziel. Dann stürzten sich zwei Männer auf ihn und rissen ihm die Waffe aus den Händen. Sie tasteten ihn nach weiteren Waffen ab und ließen ihn erst los, als sie sicher waren, daß er nichts mehr bei sich hatte, was ihm hätte gefährlich werden können. Er hörte das kaum wahrnehmbare Sirren der MikroHubschrauberflügel.
Warnend pfiff er durch die Zähne. Chray zog sich von ihm zurück. Der andere Gleiter war nunmehr ebenfalls gelandet. Wuchtig und mit weit ausholenden Schritten kam der USO-Spezialist Friinkojes auf ihn zu. Kalib Broltan war sicher, daß dieser ihn in der Nähe des Springerpatriarchen Broltanvor gesehen hatte. „Was soll das alles?“ fragte der Attentäter. „Können Sie mir erklären, weshalb Sie mich überfallen haben?“ Friinkojes blickte ihn prüfend an, als er vor ihm stand. „Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“ „Sie wissen sehr gut, wer ich bin, mein Junge“, sagte der USOSpezialist. „Ich möchte vor allem wissen, was in dich gefahren ist.“ „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ Friinkojes trat zur Seite, als sich ihnen ein hohlwangiger Mann mit auffallend tiefliegenden, schwarzen Augen näherte. Er sah Broltan einige Sekunden lang an, wandte sich danach zu dem Spezialisten und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Sir, aber dieser Mann ist parapsychisch taub. Ich kann seine Gedanken nicht erfassen.“ Broltan hatte Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. Natürlich hatte er gewußt, daß ein Telepath ihm nichts anhaben konnte, sonst hätte er sich nicht auf dieses Abenteuer eingelassen. „Vielleicht sagt uns der Springer auch so, weshalb er den Chef unserer Handelsmission ermordet hat.“ Broltan richtete sich ruckartig auf. Angriffslüstern blickte er den Epsaler an. „Ich verbitte mir derartige Beleidigungen.“ „Mord bleibt Mord, mein Junge.“ „Sie sind ein Narr. Dieser Mann, der Ihrer Handelsniederlassung vorstand, war ein Spitzenagent von Orbanaschol III. Er ist in den Mord an dem rechtmäßigen Imperator verwickelt. Ich habe ihn hingerichtet. Er hat bekommen, was er verdient hat.“ Friinkojes rieb sich das breite Kinn. „Wie heißen Sie?“ Kalib Broltan antwortete nicht. Er blickte an dem Epsaler vorbei, als habe er die Frage nicht gehört. Verächtlich zog er die Mundwinkel herab. Der USO-Spezialist ballte die rechte Hand zur Faust und rieb sie in der linken.
„Ich kann deine Lippen öffnen, Freundchen, wenn ich will. Das würde dir ziemlich schlecht bekommen. Deshalb würde ich dir raten, lieber zu antworten.“ Broltan sah ihm in die Augen. „Ich würde Ihnen nicht raten, sich an dem Kristallprinzen von Arkon zu vergreifen.“ „Du nennst dich Kristallprinz von Arkon. Willst du damit behaupten, daß du Atlan heißt?“ Broltan schlug blitzschnell zu. Seine Faust landete am Kinn des Epsalers, ohne eine Wirkung zu erzielen. Der Springer glaubte, seine eigenen Knochen zersplittern fühlen zu können. Er sprang an Friinkojes vorbei und versuchte zu fliehen, doch die Helfer des USOSpezialisten hatten ihn schon gepackt, bevor er drei Schritte weit gekommen war. Sie führten ihn zu dem Epsaler zurück. „Du bildest dir also ein, Atlan zu sein“, sagte Friinkojes. „Ich verbitte mir diese vertrauliche Anrede.“ „Ich kann auch höflicher sein. Wenn du mir ein wenig entgegenkommst, werde ich dich wie einen erwachsenen Mann behandeln.“ „Also, gut.“ „So ist es schon besser. Sie behaupten also, Atlan zu sein. Erklären Sie mir bitte, wieso Atlan einen Terraner ermordet. Der echte Atlan würde so etwas niemals tun.“ „Terraner? Ich habe nie von einem solchen Volk gehört.“ Kalib Broltan gab sich erstaunt. Hilfesuchend blickte er sich um. Der Epsaler beobachtete ihn. Broltan entging nicht, daß der USOSpezialist bereits zu einem Entschluß gekommen war. Er würde ihn nicht zu einem Nervenarzt schicken, sondern weiter verhören. Überstand er diese Prüfung, dann würde er ihn vielleicht an den gleichen Ort schicken wie Curs Broomer aus der Sippe Broltanvor. Broomer behauptete seit einigen Tagen ebenfalls, Atlan zu sein. Ihm glaubte Friinkojes offensichtlich. Warum sollte er nicht auch ihm, Broltan, glauben? Es war doch durchaus möglich, daß zwei parallele Fälle an Bord der BROLTANVOR auftraten. Kalib Broltan war sogar davon überzeugt, daß ein zweiter Fall in den Augen des Epsalers wahrscheinlicher war, als nur einer. „Sind die Terraner ein so interessantes und wichtiges Volk? Sie scherzen. Wenn es so wäre, müßte ich es wissen. Nein, mich werden
Sie nicht täuschen. Arred Vasdar war eine Kreatur von Orbanaschol III. Er war ein Arkonide, der den Tod verdient hat. Machen Sie also nicht so viel Aufhebens von diesem Mann – oder stehen Sie auch in den Diensten Orbanaschols?“ „Bringt ihn weg“, befahl Friinkojes.
2. Nach wie vor hatte ich keine Erklärung dafür, was geschehen war. Ich – Atlan – befand mich in einem Körper, der mir nicht gehörte. In der Kabine, in der sie mich untergebracht hatten, befand sich ein Spiegel, so daß ich mich selbst betrachten konnte. Seltsamerweise glaubte ich, gewisse Züge an mir zu entdecken, die mir vertraut vorkamen. Gewöhnte ich mich an meinen neuen Körper, oder unterlag ich nur einer Selbsttäuschung meines Verstandes, der sich weigerte, das Fremde und Unbegreifliche zu akzeptieren, und der deshalb nach einem für ihn erträglichen Ausweg suchte? Was war passiert? Hatten mich die Häscher Orbanaschols III überrascht? Hatten sie so schnell zugeschlagen, daß mir keine Zeit für eine Abwehrreaktion geblieben war? Ich legte mich auf mein Lager. Es bestand aus einem Antigravfeld, auf dem ein ungemein fein gewobenes Tuch lag. Ich hatte noch nie etwas derartig Elegantes und Vollkommenes gesehen. Bisher war es die fremdartige Technik gewesen, die mich fasziniert hatte. Jetzt zog mich dieser bräunliche Stoff in den Bann. Das alles war vermutlich ein einziger Trick, mit dem mein sauberer Onkel versuchte, mich hereinzulegen. Wollte er mich solange in die Enge treiben, bis mein Verstand nicht mehr mitmachte? Ich ließ das Tuch sinken und streckte mich aus. Zornig ballte ich die Fäuste, lockerte sie jedoch sogleich wieder, als ich spürte, daß ich einem Tobsuchtsanfall nahe war. Es hatte keinen Sinn, sich wie ein Narr aufzuführen, den man zu seinem eigenen Schutz in Fesseln legen mußte. Ich versuchte ein Lächeln. Wie unsinnig war es doch, daß ich meine Gedanken auf einen so
unwichtigen Gegenstand wie ein Tuch gerichtet hatte. Arkon pflegte Handelsbeziehungen mit vielen hundert Welten in der Galaxis. Täglich tauchten neuartige Konsumgüter auf dem Markt auf. Dieses Tuch war kein Beweis dafür, daß ich mit der unerwünschten Hilfe meines Oheims meine Zeitebene verlassen hatte und in eine andere, zukünftige eingetreten war. Der Epsaler, der sich Friinkojes nannte, beeindruckte mich nicht sonderlich. Er war nicht der erste Umweltangepaßte, mit dem ich zu tun gehabt hatte. Anders verhielt es sich schon mit den Männern, und Frauen, die zur Besatzung dieses kugelförmigen Raumschiffs gehörten, in dem ich mich befand. Sie nannten sich Terraner, und sie machten ganz und gar nicht den Eindruck, als könnte man kommentarlos an ihnen vorübergehen. Ich spürte die Kraft, den Mut und die Intelligenz dieser Menschen sofort, als ich ihnen das erste Mal gegenüberstand. Sie hätten Arkoniden aus den edelsten Familien sein können. Zunächst dachte ich auch, daß sich mein Oheim eine gewaltige Maskerade geleistet hätte, um mich zu täuschen. Welches Spiel auch immer er spielte, er mußte versuchen, es so vollkommen wie nur irgend möglich zu machen. Dazu hätte gepaßt, daß er mir die Existenz eines bislang völlig unbekannten Volkes vorgegaukelt hätte. Meine Bemühungen, die Masken zu durchschauen, blieben erfolglos. Ich merkte nur an Kleinigkeiten, daß das Raumschiff startete. Nur ein verhaltenes Rumpeln und Rauschen kam durch. Die Kugel wurde kaum erschüttert, sondern mit einer Perfektion gelenkt, die alles übertraf, was ich in meinem bisherigen Leben beobachtet hatte. Ich versuchte mir einzureden, daß man mir diesen Start ebenfalls nur vortäuschte, während der Raumer tatsächlich auf diesem Planeten blieb, der sich Suskor nannte. Auch die Videowürfel überzeugten mich nicht völlig. Auf ihnen konnte ich verfolgen, wie der Raumhafen dieses Planeten unter uns zurückfiel und wie sich diese Welt schließlich als Kugel zeigte, als wir uns im freien Raum befanden. Alles konnte nur ein Film sein, aber ich glaubte es nicht. Unsicher blickte ich auf die dreidimensionale Darstellung – die übrigens viel überzeugender und besser war, als jede, die ich vorher gesehen hatte. Plötzlich überkam mich die Verzweiflung. Ich sprang auf und rannte zum Türschott. Ich schlug die flachen Hände gegen
die Stelle, an der ich den Öffnungskontakt vermutete, ohne einen Effekt zu erzielen. Ich durfte Suskor nicht verlassen. Hier war es geschehen. Hier war ich in einem fremden Körper aufgewacht. Wenn ich mich verschleppen ließ, dann verlor ich den Anknüpfungspunkt, von dem aus ich alles vielleicht wieder rückgängig machen konnte. Die Lösung aller Rätsel konnte nur auf Suskor zu finden sein. Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. Niemals durfte ich aufgeben. Es war einfach unsinnig, wenn ich versuchte, mir einzureden, daß ich auch in diesem Körper leben konnte. Das war nicht mehr als ein frommer Selbstbetrug. Farnathia! Sie würde mich niemals in diesem Körper akzeptieren. Sie würde mir nicht glauben, daß ich jetzt hinter diesem Springergesicht lebte. Was war mit meinem wirklichen Körper geschehen? Lag er leblos irgendwo in den Kammern Orbanaschols III? Ich mußte es annehmen, denn Orbanaschol III kannte keine Rücksicht, wenn es um seine Machtinteressen ging. In mir verkrampfte sich etwas. Ich fühlte, daß ich mich einem Punkt näherte, an dem ich einfach durchdrehen würde. Längst war die Zeit vorbei, in der ich mich noch gefragt hatte, wo denn das Ich des jungen Mannes geblieben war, der vorher in diesem Körper gelebt hatte. Wie sollte ich mich wehren, wenn es dem anderen wider Erwarten gelingen sollte, in seinen Körper zurückzukehren. Was würde mit mir geschehen? Ich sank auf den Boden und vergrub mein Gesicht in den Händen. Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr mich der Gedanke, daß ich drauf und dran war, mich mit meinen Grübeleien selbst zu vernichten. Ich richtete mich auf. Das Türschott glitt zur Seite, und ein dunkelhaariger Mann blickte mich aus kühlen Augen an. „Was ist los mit dir, Broomer?“ fragte er. „Machen Sie die Tür zu“, herrschte ich ihn an. Er tat, was ich verlangte. Wieder legte ich mich auf das Lager und bemühte mich, die Ereignisse zu rekonstruieren. Ich erinnerte mich zunächst an
Richmonds Schloß und an alles, was dort geschehen war. Ich sah das schimmernde Phalaym vor mir. Fartuloon mit dem Skarg. Eiskralle. Mit einem Ruck erhob ich mich. Es war sinnlos, darüber nachzugrübeln, was hinter mir lag. Ich konnte mich nur retten, wenn ich mich vollkommen auf das konzentrierte, was kommen mußte. Dieses Raumschiff brachte mich zu einem Ziel. Eine unmittelbare Gefahr für mein Leben drohte nicht. Hätte man mich umbringen wollen, dann wäre das längst geschehen. Also plante man etwas anderes. Wenn es mir gelang, mich darauf vorzubereiten, dann hatte ich eine reelle Chance, die Pläne Orbanaschols zu durchkreuzen. Ich wurde ruhig. Alle Spannungen legten sich, und meine Selbstsicherheit kehrte zurück. Mein revoltierendes Nervensystem fand zu einem stabilen Gleichgewicht zurück. Ich lächelte. Sollten sie ruhig kommen. Jene, die sich Terraner nannten, sollten erfahren, was es bedeutete, sich mit einem arkonidischen Kristallprinzen einzulassen. Eine ungeheure Last fiel von mir ab. Ich konnte fühlen, wie ich frei wurde. Mit der Zuversicht stellte sich auch ein gesunder Hunger ein. Ich ging zum Automaten und hatte etwas Mühe, mich mit ihm zurechtzufinden, weil keine Bedienungsanleitung dabei war. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ein saftiges Steak auf einem tiefgrünen Selfftblatt und einer zähen, intensiv duftenden Creme vor mir lag. Ich machte mich über das Essen her, als hätte ich seit Tagen schon nichts mehr zu mir genommen. Doch schon bald war es mit meinem Appetit vorbei. Das Türschott glitt zur Seite, und ein Springer trat ein. Er kam mir irgendwie bekannt vor, doch es gelang mir nicht, ihn einzuordnen. Ich schluckte das Stück Fleisch herunter, das ich im Mund hatte, und erstickte fast daran. Hustend und würgend versuchte ich, mich von dem Bissen zu befreien. Der Besucher kam zu mir und klopfte mir kräftig mit der flachen Hand auf den Rücken, bis ich wieder frei atmen konnte. „Alles wieder gut?“ fragte er mich freundlich herablassend. Ich nickte mit tränenden Augen. „Es geht schon wieder“, sagte ich röchelnd. Er setzte sich mir gegenüber, nachdem er sich ebenfalls ein Steak
aus dem Automaten geholt hatte. Er schnitt sich ein großes Stück Fleisch ab und schob es sich in den Mund. „Mein Name ist Atlan“, sagte er, als er wieder sprechen konnte. „Und wie heißt du, mein Junge?“ Ich konnte nicht antworten. Mir war, als habe mich der Schlag getroffen. Eine derartige Frechheit war mir noch nicht vorgekommen. Glaubte dieser Springer, mich verhöhnen zu können? Meine Hände fuhren vor, packten ihn an den Schultern und rissen ihn quer über den Tisch. Er schrie erschreckt auf und wollte sich am Tisch festhalten. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, als ich sein völlig ungedecktes Kinn vor mir sah, das er mir unfreiwillig entgegenstreckte. Mit der ganzen Kraft meiner Muskeln schlug ich zu. Der Springer flog wie vom Katapult geschnellt zurück und prallte mit ausgebreiteten Armen gegen das Türschott. Er sackte kurz in die Knie, kam dann jedoch wieder hoch und wankte auf mich zu. Je näher er mir kam, desto klarer wurden seine Augen. Ich erkannte ein gefährliches Feuer in ihnen, dennoch griff ich erneut an. Mit der Linken fintierte ich. Ar fiel prompt darauf herein, und meine flache Hand klatschte ihm ins Gesicht. Er stand auf dem falschen Bein und verlor das Gleichgewicht. Dabei stürzte er direkt in meine aufwärtsfahrende Rechte. Ich traf ihn mitten auf die Stirn und fällte ihn wie einen hemmlotischen Blutochsen. Als er vor mir lag, die Arme und die Beine weit von sich gestreckt, beruhigte ich mich schlagartig wieder. Ich hatte ihm eine Lehre erteilt, und das sollte genügen. Ich gab mich gelassen, warf die Reste meiner Mahlzeit in den Abfallschacht und zog mir ein neues Steak. Als ich es zur Hälfte aufgegessen hatte, begann „Atlan“ sich zu bewegen. Ich ließ mich nicht stören. Er erhob sich, als ich den leeren Teller von mir schob und mich behaglich zurücklehnte. Benommen massierte er sich Kinn und Schläfen. „Es gefällt mir nicht, Freundchen, wenn sich jemand erlaubt, sich mir gegenüber als Atlan auszugeben“, sagte ich kühl. „Finden Sie sich damit ab.“ Er blickte mich verwirrt an, hielt sich am Tisch fest und setzte sich vorsichtig auf seinen Stuhl. Ich sah, daß er bleich wurde und sich eine Hand gegen den Magen drückte. Ihm wurde übel.
„Aber… ich bin Atlan“, behauptete er mit Nachdruck. „Ich kann nichts dafür, wenn Sie sich einbilden, der Kristallprinz zu sein. Ich weiß nur, daß ich wirklich und wahrhaftig Atlan, der Sohn des ermordeten Gonozal bin. Mein Oheim Orbanaschol…“ „Halten Sie den Mund“, herrschte ich ihn an. „Ich will nichts mehr hören.“ Ich glaubte ihm nicht, weil ich ihm nicht glauben wollte. Dennoch war ich unsicher geworden. Ich erkannte die Verzweiflung in seinen Augen und die abgrundtiefe Verwirrung. Dieser Mann sah nicht so aus, als sei er von meinen unbekannten Feinden zu mir geschickt worden, um mich psychisch zu vernichten. Ich glaubte eher, daß er ein Gefangener war wie ich auch. Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr mich. Sollte sich meine Persönlichkeit gespalten haben? Sollte ein Teil meines Ichs auf diesen Springer übergegangen sein? Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und erhob mich. Nein! Ich durfte so etwas noch nicht einmal denken. Wenn ich mich nicht von diesen Überlegungen befreien konnte, würde ich verrückt werden. Und vielleicht war es genau das, was mein teuflischer Oheim wollte. „Wer sind Sie?“ fragte er mich zunächst leise. Als ich nicht antwortete, wiederholte er seine Frage lauter, um dann, als ich immer noch schwieg, zu schreien: „Wer sind Sie?“ Ich musterte ihn kalt. „Mein Name ist Atlan!“ Seine Augen weiteten sich. Zunächst schien es, als wolle er die Wahrheit akzeptieren, aber dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und begann brüllend zu lachen. „Jetzt weiß ich es“, sagte er halberstickt von seinem Gelächter. „Ich bin in der Irrenanstalt. Es kann nicht anders sein.“ Und dann lachte er wieder so ungebärdig, daß er fast vom Stuhl gefallen wäre. Ich hielt es nicht aus. Der Zorn übermannte mich. Ich stützte mich auf ihn und schlug wild auf ihn ein, bis er erneut vor mir auf dem Boden lag. Ich taumelte vor Schwäche, als ich in die Hygienekabine ging. Mein Gesicht, meine Brust und mein Magen schmerzten. Dieses Mal hatte er kräftig zurückgeschlagen und mir bewiesen, daß er alles andere als ein Schwächling war.
Ich entkleidete und duschte mich. Als ich in die Wohnkabine zurückkehrte, saß er auf seinem Stuhl und starrte mich grimmig an. Auch er hatte sich ein neues Steak gezogen, doch er hatte keinen Bissen angerührt. Ich ging zum Türschott und klopfte mit den Knöcheln dagegen. Wie erwartet, öffnete sich die Tür darauf schon wenig später. Ein Terraner blickte mich fragend an. „Ich bestehe darauf, eine Kabine für mich allein zu haben.“ Er schüttelte den Kopf und grinste breit. „Alles, was Atlan heißt, kommt in eine Abteilung. Sollten noch mehr von deiner Sorte auftauchen, werden sie alle in diese Kabine gesteckt.“ „Ich verbitte mir diese…“ „Ja, ja“, unterbrach er mich gelangweilt. „Ich weiß schon.“ Das Schott schloß sich zischend. Der Springer lachte leise. Ich beachtete ihn nicht, sondern ging zu meinem Bett und legte mich darauf. Ich bedeckte meine Augen mit einem Zipfel des Tuches und entspannte mich. Sollten sie doch tun, was immer sie wollten. Mich würden sie nicht klein kriegen. In keiner Sekunde kamen mir Zweifel daran, daß ich wirklich Atlan war. Ich war der Kristallprinz und niemand anderes. Der Körper hatte damit nichts zu tun. * Kalib Broltan blickte auf sein Steak und schnitt lustlos mit seinem Messer daran herum. So sah es für den Außenstehenden Beobachter aus. Tatsächlich hatte er Mühe, seinen Appetit zu zügeln. Es machte ihm nur wenig aus, daß er Schläge bezogen hatte. Lediglich die Wildheit, mit der ihn Curs Broomer, der sich für Atlan hielt, überfallen hatte, war nicht einkalkuliert gewesen. Überrascht stellte Broltan fest, daß Broomer sich sehr stark mit seiner neuen Rolle identifizierte. Er schien wirklich zu glauben, daß er Atlan war. Natürlich war er es nicht. Broltan war sich dessen ganz sicher. Er wunderte sich nur darüber, daß die Terraner soviel Aufhebens von der Sache machten. Das war
das eigentliche Beunruhigende. Es war aber zugleich auch für ihn das Motiv gewesen, in die Sache einzusteigen. Zunächst hatte er – wie alle anderen auch – geglaubt, daß Curs Broomer durchgedreht war. Dann aber hatte er gemerkt, daß der junge Techniker durchaus kein pathologischer Fall war, zumal er ein erstaunliches Wissen offenbarte. Kalib Broltan hatte sich schon seit Jahren mit den politischen Bedingungen des vergangenen Großen Imperiums der Arkoniden beschäftigt. Anlaß dafür war ein bildschönes Mädchen aus der Sippe des Patriarchen Affkanyet gewesen, das keinerlei Interesse für Geschäfte zeigte, sondern Altertumsforschungen betrieb. Um in ihre Geisterwelt eintreten zu können, hatte auch Broltan gewisse Studien aufgenommen. Er wußte nicht annähernd soviel wie sie, konnte aber doch schon mitreden. So hatte er ziemlich viel über Gonozal, den Vater Atlans, und Orbanaschol, den Oheim des Arkoniden, erfahren. Seine Freunde und Verwandten hatten nie viel Verständnis für ihn gezeigt. Es paßte nun einmal nicht zur Mentalität der Springer, sich mit historischen Belangen zu befassen – es sei denn, man konnte sie geschäftlich nutzen. Das hatte auch Kalib Broltan eines Tages begriffen. Und er hatte seine Konsequenzen daraus gezogen. Deshalb befand er sich an Bord dieses Raumschiffes, von dem er hoffte, daß es auf Kurs zu dem geheimnisumwobenen Quinto-Center lag. „Warum transitiert das Schiff nicht?“ fragte Broomer. Broltan hätte es ihm sagen können, aber er dachte nicht daran, es zu tun. Transitionstriebwerke gab es schon lange nicht mehr. Dieser Raumer verfügte über ein Lineartriebwerk. Daher kam es auch nicht zu einer Entstofflichung. „Weil sie versuchen, uns hereinzulegen“, erwiderte er. „Dieses Schiff ist nie gestartet. Alles ist nur Bluff.“ Der Springer schnitt sich ein Stück Fleisch ab und verzehrte es. Dabei fragte er sich, was Curs Broomer wohl für ein Gesicht machen würde, wenn er dem echten Atlan gegenübertreten würde. Mußte er nicht annehmen, daß ein anderer Mann Besitz von seinem Körper genommen hatte? Die Tür öffnete sich. Ein hochgewachsener Terraner trat ein. „Dr. Perez möchte Sie sprechen“, sagte er zu Broltan.
„Ich esse.“ „Guten Appetit – aber wir gehen dennoch.“ Der Springer blickte auf und schob sich provozierend langsam ein Stück Fleisch in den Mund. „Wann wir gehen, das bestimme ich. Sie scheinen vergessen zu haben, wer ich bin.“ Broomer-Atlan richtete sich auf, sagte aber nichts. „Mir ist es egal, ob Sie Atlan oder Napoleon sind, mein Junge. Wir gehen jetzt zum Doktor. Er wird prüfen, ob wir Sie in die Psychiatrie bringen oder nicht.“ Kalib Broltan erhob sich. „Ich weiß nicht, wem ich in die Hände gefallen bin“, sagte er herablassend, „aber eines ist mir klar: Barbaren sind es auf jeden Fall. Niemand sonst hätte es gewagt, den Kristallprinzen beim Essen zu stören.“ „Komm schon, Napoleon, beeil dich.“ Broltan trat dicht vor den Terraner hin. „Für diese Frechheit werden Sie eines Tages bezahlen“, erklärte er. „Niemand redet ungestraft in diesem Tonfall mit mir.“ „Ach, Sie kennen Napoleon?“ „Ich habe keine Ahnung, wer dieser Kerl ist. Es ist mir auch egal. Und jetzt raus mit Ihnen, sonst vergesse ich mich.“ „Nach Ihnen, Hoheit.“ Kalib Broltan tat, als habe er die Worte nicht gehört. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und trat auf den Gang hinaus. Broomer-Atlan beobachtete ihn genau. Als der Springer außer Sicht war, lehnte Atlan sich wieder zurück. Ein feines Lächeln lag auf seinen Lippen. Jetzt wußte er, daß der andere seine Rolle nur spielte. Ein echter Kristallprinz hatte andere Tischmanieren.
3. Kalib Broltan schwieg immer dann, wenn Dr. Juan Perez Informationen haben wollte, die das Leben Atlans betrafen. Sobald der Kosmopsychologe aber Fragen stellte, die nichts mit dem Arkoniden zu tun hatte, antwortete er entgegenkommend.
Er machte jeden Test mit, weil er wußte, daß der Arzt zunächst einmal nur herausfinden wollte, ob er psychisch gesund war oder nicht. Ihm kam es aber darauf an, eindeutig zu beweisen, daß er geistig vollkommen in Ordnung war. Die Untersuchung dauerte drei Stunden. Dann ließ Dr. Perez sich ihm gegenüber in seinen Sessel sinken. Er war ein dunkelhaariger Mann, der klein und schmächtig wirkte. Ein schmaler Bart zierte seine Oberlippe. Die fast schwarzen Augen blickten den Springer starr an. „Wollen Sie das Theater nicht endlich aufgeben?“ fragte der Arzt. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.“ „Sie sind nicht Atlan.“ „Das zu beurteilen, überlassen Sie bitte mir.“ „Wie Sie wollen. Ich behaupte, daß Sie völlig normal sind, aber die Rolle des Arkoniden spielen, weil Sie sich Vorteile davon versprechen. Was haben Sie vor?“ Kalib Broltan sah sich gelangweilt im Untersuchungszimmer um. „Ich werde Order erteilen, Sie in einer isolierten Kabine unterzubringen. Zudem werde ich Sie scharf bewachen lassen und dafür sorgen, daß Sie das Schiff an unserem Ziel nicht verlassen dürfen.“ „Das ist mir völlig gleichgültig.“ „Sagen Sie mir, was Ihnen nicht egal wäre.“ Der Springer schwieg. „Nun gut, wie Sie wollen. Ich möchte Sie nur noch darüber informieren, daß wir uns mit Broltanvor in Verbindung gesetzt haben. Er hat Sie als Kalib Broltan, einen entfernten Verwandten von ihm, identifiziert. Sie haben als Verkaufspsychologe und Ingenieur bei ihm gearbeitet, gute geschäftliche Erfolge erzielt. Interesse haben Sie bisher gezeigt für das Gebiet der Kosmopsychologie, was verständlich ist, wenn Sie ein guter Händler sein wollen. Für andere wissenschaftliche Disziplinen haben Sie keine Zeit aufgewendet. Broltanvor bezeichnete Sie als trinkfest und gefräßig. Er meinte, wir sollten uns durch Ihre Figur nicht täuschen lassen. Bei Ihrem Lebenswandel hätten Sie eigentlich fetter sein müssen.“ Kalib Broltan durchzuckte es bei diesen Worten, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen. Broltanvor war ein alter, ausgekochter Fuchs!
Er hatte blitzschnell kombiniert. Ihm war es egal, ob sein Verwandter eine Rolle spielte, durchgedreht war oder sich wirklich als Atlan fühlte. Er verzichtete auf jeden Fall darauf, ihm einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Er hatte den Terranern nicht verraten, daß er – Broltan – sich mit Studien über das Große Imperium befaßt hatte. Damit gab er den Terranern eine gewaltige Nuß zu knacken. Woher sollte er so gut über das alte arkonidische Reich und seine inneren Verhältnisse Bescheid wissen, wenn er überhaupt kein Interesse für andre wissenschaftliche Disziplinen als nur die Kosmopsychologie gezeigt hatte? Kalib Broltan nahm sich vor, dem Alten für diese psychologische Glanztat später einmal gebührend zu danken. „Das sind die netten Worte eines Bewunderers für den falschen Mann“, entgegnete Broltan. „Broltanvor und ich sprechen von zwei ganz verschiedenen Männern. Er meint einen seiner Verwandten, ich aber bin ich, Atlan, Kristallprinz von Arkon.“ „Ich bin wirklich gespannt, ob Sie den Mund auch noch so voll nehmen werden, wenn ich Sie dem echten Atlan gegenüberstelle“, sagte der Psychologe. „Sie verwirren mich. Da ich Atlan bin, kann ich keinem echteren Atlan gegenübergestellt werden, Dr. Perez. Es gibt nur einen Kristallprinzen. Ich hoffe, Sie entschuldigen mich jetzt…“ Er erhob sich und ging auf die Tür zu. Dr. Perez hielt ihn nicht auf. Er rief den Wachen auf dem Gang zu, daß sie ihn in die Doppelkabine zurückbringen sollten. * Ich wachte auf, weil ich am ganzen Körper Schmerzen hatte. Nichts hatte sich verändert, seit ich das Licht auf Notbeleuchtung umgeschaltet hatte. Es war so dunkel, daß ich den Springer kaum erkennen konnte, der schnarchend auf einer zweiten Antigravliege ruhte. Langsam ließ ich meine Hände über meine Beine und meine Arme gleiten. Mir war nicht bewußt gewesen, daß die Schlägerei mit meinem Kabinennachbarn so schwer gewesen war. Zumindest hatte ich geglaubt, ziemlich gut daraus hervorgegangen zu sein. Jetzt aber
zeigte sich, daß ich recht schlimm verdroschen worden war. Das war die einzige Erklärung für die Schmerzen, die ich hatte. Ich versuchte, mich mit Entspannungsübungen und Selbstsuggestion in den Schlaf zu bringen, aber es dauerte lange, bis ich endlich wieder einschlief. Der Springer veranstaltete soviel Krach, daß er mich aufweckte. Das volle Licht brannte. Der Händler pfiff laut und falsch vor sich hin. Er befand sich in der Hygienekabine, wo er sich duschte. Ich ärgerte mich nicht über ihn. Die Schmerzen in meinen Gliedern beunruhigten mich viel mehr. Auch mein Kopf schien in einer mächtigen Zange zu stecken, die sich allmählich zu schließen drohte. Die Beschwerden bestärkten mich in der Ansicht, daß ich das Opfer eines riesigen Schwindels von Orbanaschol werden sollte. Was auch immer ich in den letzten Tagen erfahren hatte, es entsprach nicht der Wahrheit. Wenn Friinkojes behauptet hatte, daß es einen Atlan gab, der eine außerordentliche Machtposition in der Galaxis innehatte, und der einige Jahrtausende alt war, dann war das eine Lüge. Ich hatte gelernt, daß kein einziges Lebewesen in der Galaxis existierte, das länger als ein- oder zweitausend Jahre lebte. Das war die äußerste Grenze. Friinkojes, der behauptete, einer Organisation anzugehören, die sich United Stars Organisation nannte, hatte sich über mich lustig gemacht. Vielleicht gab es wirklich einen Atlan. Warum sollte es nicht ein zweites menschliches Wesen mit dem Namen Atlan geben? Mußte deshalb eine Parallele zwischen ihm und mir bestehen? Der Springer kam herein. Er sah frisch aus. Er winkte mir grinsend zu und ging zum Automaten, um sich ein Frühstück geben zu lassen. „Auf, Atlan“, rief er fröhlich. „Lassen Sie sich das Frühstück nicht entgehen.“ Ich hatte das Bedürfnis, mich mit Wasser zu übergießen. Ich hoffte, daß sich meine Qualen dadurch verringern würden. Ohne den Springer zu beachten, schleppte ich mich in die Hygienekabine, die sich selbst gesäubert hatte. Benommen drückte ich einige Knöpfe. Heiße und kalte Wasserstrahlen fuhren auf mich herab. Bürsten und unsichtbare Energiefelder begannen meine Muskeln zu bearbeiten. Die Massage war so heftig, daß ich zunächst aus der Kabine flüchten wollte, doch dann überwand ich mich und blieb. Ich ließ mir die
Muskeln durchkneten und spürte schon bald die angenehme Wirkung. Erfrischt und entspannt, aber nicht schmerzfrei, kehrte ich zu meinem Lager zurück. Wider Erwarten schlief ich augenblicklich ein. Ich kam erst wieder zu mir, als mich der Springer an der Schulter rüttelte. „He, Arkonidenprinz, stehen Sie auf.“ „Was ist los?“ Ich war vollkommen verwirrt und wußte nicht, wo ich war. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Ich fühlte nur noch ein leichtes Ziehen in den Gelenken. „Offenbar haben wir unser Ziel erreicht. Die Kommandobrücke hat soeben mitgeteilt, daß wir uns fertig machen sollen. Wir werden gleich abgeholt. Wenn Sie noch frühstücken wollen, alter Freund, dann müssen Sie sich beeilen.“ Ich erhob mich und ging zum Automaten, um mir etwas zum Trinken zu ziehen. Ich bekam eine tiefschwarze, stark duftende Flüssigkeit, die sehr heiß war. Vorsichtig trank ich sie und merkte, wie sie mich durchwärmte. Danach wählte ich noch eine bittere, aber nicht unangenehm schmeckende Frucht. Kaum hatte ich mein karges Frühstück abgeschlossen, als sich die Tür öffnete. Der gleiche Terraner, der schon mehrfach hier gewesen war, trat ein. „Ziehen Sie sich an, Hoheit“, befahl er ironisch. „Sie bieten zwar ein sportlich hervorragendes Bild, aber draußen sind ein paar Damen, die angesichts Ihres edlen Körpers in Ohnmacht fallen könnten.“ Schweigend kleidete ich mich an und ordnete mein Haar. Dabei stellte ich fest, daß die dunkle Farbe vollkommen herausgewaschen worden war. Aber die rostrote Tönung, die es ursprünglich gehabt hatte, war auch nicht mehr vorhanden. Es sah seltsam ausgebleicht aus. Meine Augen lagen tief in den Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Die Schmerzen hatten mich mehr gezeichnet, als ich erwartet hatte. Dazu waren auch jetzt noch deutlich Spuren des Kampfes mit dem Springer zu sehen. „Wo sind wir?“ fragte ich. Der Terraner sagte: „Das Schiff hat Quinto-Center erreicht.“ „Quinto-Center? Was ist das?“ „Ein Stützpunkt“, entgegnete er knapp. Ich verzichtete darauf, weiter zu bohren. Offenbar handelte es sich bei Quinto-Center um eine geheime Zentrale. Meine Spannung
wuchs. Die Entscheidung stand dicht bevor. Jetzt mußte sich zeigen, was Orbanaschol plante. Ich ging an dem Terraner vorbei auf den Gang hinaus. Ein wenig enttäuscht stellte ich fest, daß dort keine Mädchen warteten. Ich hätte gern gewußt, ob die terranischen Mädchen einen ähnlich ästhetischen Anblick boten wie die Männer. Ich wartete, bis der Springer und der Terraner neben mir standen. Zusammen gingen wir zu einem Antigravlift und schwebten in ihm nach oben. Dann ging es über einen breiten Gang weiter. Wir begegneten immer mehr Männern und Frauen, von denen wir kaum beachtet wurden. Für sie war ich nicht die zentrale Person. Das wurde mir immer klarer. Sie hatten andere Probleme. War dies wirklich noch eine Scheinwelt, oder war ich irgendwann in die Realität zurückgekehrt, ohne es zu merken? Als wir die Schleusen passierten, gesellten sich vier Roboter zu uns. Offenbar näherten wir uns geheimen Bereichen. Man wollte verhindern, daß ich mich selbständig machte. Überall begegnete ich einer Technik, die mich an arkonidische Konstruktionen erinnerte, nur wesentlich weiter entwickelt zu sein schien. Ich konzentrierte mich sorgfältig auf den Weg, den wir zurücklegten. Schon bald wurde mir klar, daß ich mich nicht mehr in einem Raumschiff, sondern im Innern eines Planeten oder eines Mondes befand. Wir hatten eine Entfernung von wenigstens zweitausend Schritten zurückgelegt. Solche Distanzen aber hätte man in einem Raumschiff nur überwinden können, wenn man ständig im Kreis oder in einer Spirale gelaufen wäre. Die Anlage dieses Stützpunktes hatte phantastische Dimensionen. Ich muß zugeben, daß ich beeindruckt war, selbst wenn ich zunächst kaum mehr als Gänge und Antigravschächte zu sehen bekam. Ich kam in einen großen Raum, der erstaunlich luxuriös eingerichtet war. Bequeme Polstermöbel bildeten den Mittelpunkt. Sie wurden von einer Kuppel überspannt, in der zahlreiche Ton- und Lichtquellen untergebracht waren. An den Wänden befanden sich geschmackvolle künstlerische Darstellungen verschiedener Welten. Der Schöpfer schien eine Schwäche für farbenprächtige Tiere zu haben. „Hygieneraum, Fitneßkabine und Schlafraum gehören noch dazu“,
erklärte mein terranischer Begleiter. „Sie können die verschiedenen Kommunikationsmittel benutzen.“ Er ließ mich allein und nahm den Springer mit. Ich lehnte mich an das relativ dünne Türschott, weil ich hoffte, hören zu können, wohin er ihn brachte, aber ich wurde enttäuscht. Danach informierte ich mich erst einmal über meine Unterkunft. Sie erfüllte höchste Ansprüche. Ich konnte zufrieden sein. Man behandelte mich anständig, so wie es mir zustand. Leider sah es mit den Informationsmöglichkeiten weniger gut aus. Im Videokubus konnte ich ein Unterhaltungsprogramm und Nachrichten empfangen, beide aber bezogen sich auf galaktische Verhältnisse, die mir fremd waren. Ich nahm an, daß die Schergen Orbanaschols bewußt versuchten, mich auf diese Weise zu täuschen. Als ich mich entschloß, mich an den Mann zu wenden, der meinen Namen trug, kehrten die Schmerzen plötzlich zurück. Es schien fast, als stünden sie mit meinen Gedanken in einem Zusammenhang. Mir wurde übel, und ich mußte mich hinlegen. Unmittelbar darauf wurden die Qualen fast unerträglich. Ich preßte die Lippen aufeinander, weil ich nicht schreien wollte. Sicherlich wurde ich beobachtet, und ich wollte niemandem die Freude machen, mich leiden zu sehen. Als die Schmerzen nachließen, fiel ich in einen kurzen, erholsamen Schlaf. Wie betäubt erwachte ich später. Um mich frisch zu machen, wollte ich in die Hygienekabine gehen. Dazu brauchte ich den Salon nicht zu betreten, aber ich konnte durch eine offene Tür zu den Sesseln hinübersehen. Betroffen blieb ich stehen. In einem der Sessel saß ein weißhaariger Mann, der mich aus rötlichen Augen anblickte. Ich hätte schreien mögen. Dieser Mann war ich! * Kalib Broltan ging zum Versorgungsautomaten, als er allein war. Er war mit sich und der Welt zufrieden, denn seine Räumlichkeiten lagen unmittelbar neben jenen von Curs Broomer. Sie waren nicht anders eingerichtet als seine. Aber darauf kam es nicht an. Er befand sich in Quinto-Center!
Das wußte er mit ziemlich großer Sicherheit, denn auch auf dem Wege hierher hatte er eine Bemerkung aufgeschnappt, die ihm die entsprechende Information vermittelt hatte. Sie waren an einer Gruppe von Männern und Frauen vorbeigegangen, ohne von diesen beachtet zu werden. Dabei hatte eine der Frauen gesagt: „…sind hier in QC keine Mittel mehr vorhanden? Das ist doch lächerlich. Gerade hier gibt es keine…“ Mehr hatte er nicht verstehen können. Aber das genügte ihm. QC konnte nur Quinto-Center bedeuten. Und selbst wenn das nicht der Fall war, so würde Lordadmiral Atlan hier früher oder später erscheinen. Er würde mit Curs Broomer, der sich für Atlan hielt, und mit ihm, der vorgab, sich für Atlan zu halten, treffen. Er würde mit beiden sprechen wollen. Natürlich glaubte Broltan nicht daran, daß er den Arkoniden länger als ein paar Minuten täuschen konnte. Darauf aber kam es nicht an. Lordadmiral Atlan verfügte über etwas, das zu den größten Kostbarkeiten der Galaxis gehörte. Er besaß den Zellaktivator, der biologische Unsterblichkeit verlieh! Kalib Broltan hatte den tollkühnen Plan gefaßt, Atlan den Zellaktivator zu stehlen. Und er wußte, daß er eine reelle Chance hatte, es auch zu schaffen. Wer Atlan stellen wollte, der mußte ihn dort aufsuchen, wo niemand mit einem Überfall auf ihn rechnete – in einem der USOStützpunkte, am besten aber in dem USO-Stützpunkt! Kein Mensch würde daran denken, daß jemand so tollkühn sein könnte, Atlan gerade hier den Zellaktivator zu entwenden. Kalib Broltan war sich darüber klar, daß er Quinto-Center in eine brodelnde Hölle verwandeln würde, wenn seine Aktion tatsächlich gelang. Mit Ausnahme von Curs Broomer-Atlan würde ihn jeder verfolgen, der sich in diesem Stützpunkt befand. Das alles hatte er sich sorgfältig überlegt – und seine entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Er würde sich nicht überraschen lassen! Und er würde sich das das Leben schenkende Instrument nicht wieder von der Brust reißen lassen, wenn er es erst einmal besaß! Zunächst begann er damit, seine Räume nach versteckten Beobachtungsinstrumenten zu durchsuchen. Da er als PositronikSpezialist gearbeitet hatte, glaubte er, alle Möglichkeiten zu kennen,
die es auf diesem Gebiet gab. Daher war er äußerst beunruhigt, als er nach vier Stunden intensiver Suche nichts gefunden hatte, was auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Abhör- und Beobachtungsgeräten hatte. Um sich Sicherheit zu verschaffen, machte er sich daran, die Kommunikationseinrichtungen auseinander zu nehmen. Das mußte auffallen, und darauf mußte auch eine Reaktion erfolgen. Kalib Broltan wurde abermals enttäuscht. Niemand kümmerte sich um ihn. Er wartete zwanzig Stunden seiner Chronometerzeit ab. Danach begann er damit, die für seine Aktion notwendigen Waffen aus dem vorhandenen Material zu konstruieren. * Mit einiger Skepsis las Atlan die Expertisen der Psychologen und Psychiater durch, die den jungen Mann beobachtet hatten, der sich als Atlan fühlte und sich nicht mehr daran zu erinnern schien, daß er davor Curs Broomer, ein Springer, gewesen war. Auf Anordnung des Lordadmirals hatten die Experten durch installierte Geräte Fernbeobachtungen vorgenommen. Atlan wollte diesen jungen Mann möglichst unbeeinflußt haben. Er glaubte, besser als jeder andere das Geheimnis lösen oder eine Maske entlarven zu können. Gelassen wartete er in einem Sessel im Wohnsalon des Atlan II ab, bis dieser aus dem Schlaf erwachte. Er war gespannt, wie der Springer reagieren würde, wenn er ihn zum ersten Mal sah. Als es dann soweit war, als Atlan-Broomer von der Schlaf- in die Hygienekabine gehen wollte, war er überrascht, wie heftig der junge Mann erschrak. Er fuhr förmlich zurück, als habe er etwas Unfaßbares erblickt. Zumindest kennt er mich! dachte Atlan. Das war zu erwarten, erklärte sein Extrasinn. Der junge Mann, der nur mit einer kurzen Hose bekleidet war, kam langsam und zögernd auf Atlan zu. Dieser blieb sitzen, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Er erkannte, wie sehr es hinter der Stirn des Springers arbeitete. Atlan fand, daß dieser überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihm hatte. Das Haar mochte ein wenig blas für einen Springer sein, aber es
blieb dennoch rot. Die Form des Gesichts und die Figur zeigten kaum Parallelen auf – jedenfalls nicht annähernd so viel, daß jemand sie miteinander hätte verwechseln können. Zwei Meter vor Atlan blieb Atlan II stehen. Er atmete schwer und keuchend. „Was… was haben Sie mit meinem Körper gemacht?“ fragte er. „Er ist um Jahre gealtert!“ Atlan blieb kühl und beherrscht. Starr blickte er dem anderen in die Augen. „Nun, er lebt auch schon einige Zeit, junger Mann.“ „Geben Sie ihn mir zurück. Sofort.“ „Gern, nehmen Sie ihn sich.“ Atlan-Broomer zuckte zusammen. Er ballte die Fäuste und beugte sich vor, als wolle er angreifen. In seinem Gesicht arbeitete es. Das ist nicht geschauspielert, stellte der Logiksektor fest. Wahrscheinlich hast du recht, dachte Atlan. „Ich glaube, ich verstehe“, sagte der junge Mann. Er preßte die Hände vor das Gesicht, drehte sich um und ging aus dem Zimmer. Atlan hörte, daß er sich in der Schlafkabine aufs Bett warf. Er erhob sich und folgte ihm. Atlan-Broomer lag auf dem Gesicht. Seine Schultern bebten. Seine Hände öffneten und schlossen sich pausenlos, und die Muskeln seiner Arme zuckten. „Was verstehen Sie?“ fragte Atlan. Broomer fuhr herum. Sein Gesicht verzerrte sich vor Hass und Abscheu. „Verschwinden Sie! So gehen Sie doch endlich!“ Atlan nickte. „Nun gut. Ich werde in den Salon gehen und dort warten, bis Sie in der Lage sind, vernünftig mit mir zu reden.“ Er verließ die Schlafkabine und kehrte in den Salon zurück, wo er sich ein Erfrischungsgetränk aus dem Automaten nahm. Er sprach einige Worte in sein Funkgerät, das er am Handgelenk trug, und wartete. Schon kurz darauf kam ein blondes Mädchen herein, das ihm einige Akten reichte. Er begann in aller Ruhe damit, sie durchzuarbeiten. Eine halbe Stunde verstrich. Dann erst kam AtlanBroomer aus der Kabine heraus. Er hatte sich vollständig angekleidet. Beherrscht kam er zu dem Lordadmiral und setzte sich
ihm gegenüber. Seine Augen blickten ihn kalt und verächtlich an. „Nun gut“, sagte er. „Wie geht es weiter?“ Atlan legte die Akten zur Seite. Er lächelte verstohlen. „Das müssen Sie mir schon erklären“, erwiderte er. „Ich verstehe nicht, was Sie mit diesen Worten ausdrücken wollen. Was geht wie weiter?“ „Tun Sie nicht so, als wüßten Sie nicht genau, was los ist“, herrschte Atlan II ihn an. „Sie haben Ihren Spaß gehabt. Jetzt reicht es. Ich will wissen, was Sie mit mir vorhaben.“ „Nichts. Sollte ich?“ Atlan II beugte sich vor. Wieder zuckte es verdächtig in seinem Gesicht. „Halten Sie mich nicht zum Narren!“ „Das tue ich keinesfalls, aber ich habe das Gefühl, wir reden von zwei verschiedenen Dingen. Sagt Ihnen das Ihr Logiksektor nicht?“ Atlan-Broomer zuckte zurück, als habe der Arkonide ihm ins Gesicht geschlagen. Sein Gesicht versteinerte. Aus schmalen Augen beobachtete er Atlan. „Allerdings. Woher wissen Sie das?“ „Weil mein Extrahirn soeben das gleiche signalisiert hat.“ „Sie lügen!“ „Wenn Sie meinen.“ Atlan erhob sich und tat, als wolle er gehen, doch Atlan II sprang auf und hielt seinen Arm fest. „Bitte, bleiben Sie. Ich muß mehr wissen.“ Atlan setzte sich wieder. „Nun, an mir soll’s nicht liegen, Curs Broomer, ich…“ „Wie nennen Sie mich denn? Ich bin nicht dieser… Broomer! Ich weiß gar nicht, wer das ist. Hören Sie endlich damit auf, mich verhöhnen zu wollen. Ich bin Atlan, Kristallprinz von Arkon, und niemand anders. Verstehen Sie?“ „Ich habe gehört, aber nicht verstanden. Vielleicht darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Atlan bin und weder meinen Verstand noch meinen Körper irgendwann und irgendwo verloren habe. Sie erscheinen hier und behaupten, ich zu sein. Verzeihen Sie mir, aber das finde ich nicht ganz in Ordnung.“ Er beobachtete Curs Broomer und sah, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.
„Wie können Sie so etwas sagen, Arkonide! Genügt es nicht, was Sie mir angetan haben? Müssen Sie mich auch noch demütigen?“ „Halt! Wir reden schon wieder aneinander vorbei. Mein Logiksektor – über den Sie ja eigentlich informiert sein müßten – meldet gerade, daß Sie sich erklären sollten. Warum glauben Sie, daß ich Sie demütigen will? Was ist Ihrer Ansicht nach passiert?“ Atlan II erhob sich. Er ging zum Versorgungsautomaten hinüber, aber nicht, um sich zu bedienen, sondern nur, weil er es in seinem Sessel nicht mehr aushielt. Er kreuzte die Arme vor der Brust. „Das ist doch ganz offensichtlich. Meinen Sie, ich hätte es nicht gemerkt?“ Er blickte Atlan fragend an, aber dieser antwortete nicht. „Irgendwann muß ich den Häschern Orbanaschols in die Hände gefallen sein. Daran gibt es wohl keinen Zweifel. Sie haben mich so schnell paralysiert, daß ich keinerlei Erinnerung mehr an den Überfall habe. Sie müssen mich vollkommen überrascht haben. Ich vermute, daß sie mich in eine der geheimen Kliniken meines sauberen Oheims verschleppt haben. Hier muß eine Gehirntransplantation vorgenommen worden sein. Mein Gehirn wurde in den Körper eines jungen Springers verpflanzt, während mein Körper Ihnen zur Verfügung gestellt wurde, wer auch immer Sie sind. Ich vermute weiter, daß einige Jahre verstrichen sind, bevor mein echter Körper voll aktionsfähig wurde. Anders kann ich mir den Alterungsprozeß nicht erklären.“ Erschüttert blickte Atlan Broomer-Atlan an. Er glaubte ihm, denn er konnte sich nicht vorstellen, daß ein Schauspieler diese Überlegungen so verzweifelt und selbstquälerisch vortragen konnte. Doch als der junge Mann schwieg, bekam Atlan sich schnell wieder in den Griff. Neue Zweifel tauchten auf. Dies alles mußte nicht so sein, wie Broomer es vortrug. Es gab genügend Maßnahmen psychologischer Kampfführung, mit deren Hilfe eine Persönlichkeit so umgeformt werden konnte, daß sie schließlich selbst an eine andere Identität glaubte und die Erinnerung an das eigene Ich vollkommen verloren hatte. „Wer hat Ihnen das angetan, Junge?“ fragte er leise. Er stand auf, nahm seine Akten und ging zur Tür. „Sie werden einige Zeit bei uns bleiben. Ich werde dafür sorgen, daß unsere Psychologen und Psychiater Ihre eigene Persönlichkeit wieder ausgraben.“
Atlan II stürzte sich auf ihn und packte ihn an den Aufschlägen seiner Jacke. „Sie dürfen nicht gehen. Ich muß mehr wissen. Ich will wissen, was wirklich geschehen ist.“ „Sie werden erfahren, was man mit Ihnen gemacht hat. Ich bitte Sie nur um etwas Geduld.“ „Wann kommen Sie wieder?“ „Sehr bald. Sie brauchen nicht lange zu warten.“ Atlan nickte Broomer-Atlan zu und ging.
4. Atlan hob freundlich grüßend die Hand, als er die benachbarten Räume betrat, in denen der andere Springer untergekommen war. „Hallo“, sagte er. Kalib Broltan sprang aus seinem Sessel auf, als habe ihm ein Unsichtbarer unversehens eine Nadel ins Hinterteil gestoßen. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er Atlan an. „Wer… wer sind Sie?“ fragte er stammelnd. „Das wissen Sie nicht?“ Der Lordadmiral setzte sich in einen Sessel, schlug die Beine übereinander, legte die Akten auf den Tisch und kreuzte die Arme vor der Brust. „Wie kommen Sie zu meinem Körper?“ „Durch eine Gehirntransplantation“, entgegnete Atlan mit feiner Ironie. „Unsere Ärzte haben Ihr Hirn in diesen Springerkörper verpflanzt und meines in diesen Körper getan. Leider haben wir nur einen unzulänglichen und verkrüppelten Körper für Sie gefunden.“ „Was?“ Der Springer blickte betroffen an sich herab. Für den Bruchteil einer Sekunde vergaß er die Rolle, die er spielte. „Dafür werden Sie mir büßen.“ Atlan lachte ihm ins Gesicht. Er erhob sich. „Wir haben Sie schon länger beobachtet“, erklärte er. „Ihnen glaube ich schon gar nicht, was mir Ihr Nachbar soeben erzählt hat.“ „Sie sind der Teufel selbst. Genügt es nicht, daß Sie den Körper geraubt haben? Warum haben Sie mich nicht sterben lassen? Müssen Sie mich unbedingt leben lassen? Die Kreaturen meines Oheims
scheinen vor nichts zurückzuschrecken.“ „Sagen Sie mir, wo es passiert ist.“ „Wo was passiert ist? Ich verstehe Sie nicht.“ „Ihr Logiksektor könnte Ihnen ein wenig helfen. Finden Sie nicht?“ „Vermutlich ist er bei der Operation verletzt worden.“ „Sie sind ein Spaßvogel, mein Freund. Wir werden Sie bald wieder nach Suskor zurückbringen lassen. Fühlen Sie sich solange wohl bei uns.“ Atlan ging an ihm vorbei. An der Tür drehte er sich um. Der Springer stand niedergeschlagen neben seinem Sessel und blickte auf den Boden. Für einen kurzen Moment wurde Atlan unsicher. Schauspieler konnten beide Springer sein. Es war auch möglich, daß sie beide einem extrem langen und intensiven Psychoterror ausgesetzt gewesen waren. Vielleicht war es ein Fehler, den einen von ihnen ernst zu nehmen und den anderen nicht. Genau! signalisierte das Extrahirn. Solange du nicht weißt, was hier gespielt wird, mußt du beide beobachten. Vielleicht hatte Broomer-Atlan nur die Aufgabe, alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während dieser zweite Springer tatsächlich die wichtigere Funktion hatte. „Ich komme wieder“, sagte Atlan. „Das verspreche ich Ihnen.“ Der Springer reagierte nicht. * Als Atlan seine Arbeitsräume betrat, saß ein narbengesichtiger Mann vor einem Instrumententisch und führte ein Visiphongespräch mit einem der Wissenschaftler, die in Quinto-Center arbeiteten. „Hallo, Tek“, sagte der Arkonide. Ronald Tekener schaltete das Gerät ab und erhob sich. Aufmerksam blickte er Atlan an. „Nun, haben Sie etwas herausfinden können?“ fragte er. „Ich möchte, daß Sie mit beiden reden, Tek“, sagte der Lordadmiral. „Sie machen einen ganz eigenartigen Eindruck auf mich. Und ich muß zugeben, daß ich nicht weiß, was hinter der ganzen Sache steckt. Bei Broomer habe ich den Eindruck, daß er wirklich glaubt, Atlan zu sein. Bei dem anderen sieht alles anders
aus. Er spielt eine Rolle und versucht, uns zu täuschen. Aber das können Sie als Psychologe wahrscheinlich noch besser beurteilen als ich.“ Der Galaktische Spieler zündete sich eine Zigarette an. „Halten Sie es für möglich, daß Broomer die Wahrheit sagt?“ Atlan schüttelte den Kopf. „Nein. Wie sollte die Persönlichkeit eines Menschen körperlos Jahrtausende überdauern, um dann plötzlich wieder im Körper eines Menschen zu erwachen? Es gibt viele phantastische und unerklärliche Dinge zwischen den Sternen, Tek, aber wir wissen doch, daß so etwas unmöglich ist.“ „Wissen wir es wirklich?“ „Ich weigere mich, an eine solche Möglichkeit zu glauben.“ Atlan setzte sich dem Kosmo-Psychologen, der sein Stellvertreter in Quinto-Center war, gegenüber. „Ich glaube, daß man uns diese beiden Männer mit einem ganz bestimmten Plan geschickt hat.“ „Um mit ihrer Hilfe die Koordinaten von Quinto-Center zu finden?“ „Nein.“ „Was dann? Erinnern Sie sich an Ihre Jugend? Wissen Sie noch, was in der Zeit geschehen ist, die dieser junge Mann als seine letzte Erinnerung schildert? Wissen Sie noch, wer Farnathia ist? Wie sah es auf Richmonds Schloß aus?“ Atlan lächelte. „Fällt Ihnen noch alles ein, Tek, was Sie als Siebzehnjähriger erlebt haben? Und bei Ihnen ist das noch gar nicht so lange her. Bei mir sind mehr als zehntausend Jahre verstrichen, die voll sind mit abenteuerlichen Erlebnissen und beeindruckenden Persönlichkeiten. Farnathia wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Gerade sie und ihr Schicksal. Auch Fartuloon werde ich nicht vergessen. Eiskralle war mein Freund. Ich sehe ihn noch heute vor meinen Augen. Aber sie sind wie die Spitzen der Eisberge. Sie sehe ich, aber nicht das andere, das darunter liegt. Ich müßte mich schon sehr darauf konzentrieren – und liefe dann Gefahr, auf Tage hinaus in einen Erinnerungszwang zu verfallen. Sie kennen das.“ „Vielleicht ist es das, was unsere bislang nur vermuteten Gegner beabsichtigen? Vielleicht will man Sie für einige Tage aktionsunfähig machen, indem man Sie zwingt, sich mit einem
Problem zu befassen, das Sie dann für einige Zeit nicht mehr losläßt?“ „Das könnte natürlich sein, Tek.“ Atlan blickte den Galaktischen Spieler an. Er wußte von seinem äußerst wachen und schnell kombinierenden Geist. Wenn hinter Broomer und dem anderen Springer tatsächlich jemand verborgen war, der einen großen Plan verfolgte, dann würde es dieser Unbekannte ungemein schwer haben, sich gegen Ronald Tekener zu behaupten. Atlan kannte keinen Kosmo-Psychologen, der sich so sehr in die Mentalität anderer Völker versetzen konnte. „Sehen Sie sich den Burschen an, Tek“, sagte er. „Ich meine den Springer, den ich für einen Schauspieler halte. Ich werde mich um Broomer kümmern. Sie werden später auch noch mit Broomer sprechen. Inzwischen sorgen Sie bitte dafür, daß sämtliche Funkeinrichtungen verstärkt gesichert und bewacht werden. Die beiden Springer sollen außerdem von Spezialisten untersucht werden. Ich will wissen, ob sie Sender bei sich tragen, mit denen sie unter Umständen Peilsignale abstrahlen können.“ „Ich werde alles veranlassen.“ Zwei Stunden später stand fest, daß keiner der beiden Springer irgend etwas bei sich hatte, womit er einem Außenstehenden Informationen hätte zuspielen können. Auch eine röntgenologische Untersuchung erbrachte kein anderes Ergebnis. Die Parapsychologen testeten die beiden Besucher, nahmen Messungen verschiedenster Art vor und stellten ihnen einige Fallen, in denen sie sich hätten verfangen müssen, falls sie parapsychisch begabt waren. Sie konnten dem Lordadmiral nur mitteilen, daß keiner der beiden Springer über paranormale Fähigkeiten verfügte – mit einer Einschränkung. Sie vermuteten bei Broomer in einem sonst völlig normalen Springerhirn einen Sondersektor, der dem Extrahirn Atlans zu vergleichen war. Der Arkonide las diese Nachricht durch. Offenbar hatte sich die aufgepfropfte Persönlichkeit von Atlan II selbst einen Logiksektor im Hirn des Springers geschaffen. *
Atlan hielt es nicht in seinem Büro aus. Er verständigte Ronald Tekener, der mit Broltan beschäftigt war, und ging zu BroomerAtlan. Der junge Mann saß in einem Sessel und grübelte vor sich hin, als der Lordadmiral eintrat. Atlan fiel sofort auf, daß das Gesicht des Springers schmaler geworden war. Die Augen hatten an Farbe verloren und schimmerten rötlich, und das Haar erschien ihm noch bleicher als zuvor. Broomer sprang sofort auf, als er Atlan sah. „Ich war verwirrt“, sagte er hastig. „Inzwischen habe ich mir alles überlegt. Es kann nicht so sein, wie ich gesagt habe.“ Der Arkonide setzte sich, ohne auf diese Worte einzugehen. Schweigend blickte er den jungen Mann an. „Oder doch? Sagen Sie mir endlich: Hat es eine Gehirntransplantation gegeben?“ „Nein.“ Broomer-Atlan ließ sich in einen Sessel sinken. Er schüttelte den Kopf. „Was ist dann wirklich passiert?“ „Ich weiß es nicht. Das wollte ich von Ihnen wissen.“ „Erzählen Sie mir von Orbanaschol III. Ist es ihm gelungen, die Macht Arkons…“ „Er ist tot“, unterbrach ihn Atlan. „Er ist seit zehntausend Jahren tot.“ „Was ist ein Jahr?“ „Ich wollte damit einen Planetenumlauf bezeichnen. Jahr bezieht sich auf den Planeten Terra.“ Atlan dachte kurz nach und nannte Broomer dann das arkonidische Wort für „Jahr“. Gespannt beobachtete er den Springer, dessen Gesicht sich aufhellte. „Ich verstehe“, sagte Broomer-Atlan, „aber ich glaube Ihnen nicht. Zehntausend Jahre vergehen nicht wie ein Tag.“ Er blickte den Lordadmiral forschend an. Seine Stirn krauste sich. „Außerdem dürfte kein Körper zehntausend Jahre lebend überstehen.“ Der Lordadmiral legte seine Hand um den Zellaktivator. „Ich bin Zellaktivatorträger. Dieses Gerät habe ich auf der Kunstwelt Wanderer erhalten. Es sichert mir die biologische Unsterblichkeit.“ „Der Zellaktivator!“ Broomer-Atlan richtete sich unmerklich auf.
„Ich erinnere mich. Ich habe davon gehört. Einer meiner Freunde behauptete, daß es ihn gibt. Ich glaubte ihm nicht. Wer war es doch? Helfen Sie mir nach!“ „Nein.“ „Warten Sie. Ich hab’s. Es war Kolcho, der Mann mit den eigentümlichen blauen Augen, die aussahen wie das Phalaym in Richmonds Schloß. Er erwähnte den Zellaktivator. Er sagte, er habe eine Spur von ihm gefunden.“ Er sah Atlan mit unstet suchenden Augen an. „Sie müssen sich erinnern!“ „Es liegt zu weit zurück.“ „Das ist nicht wahr. Ich weiß es noch ganz genau. Ich war auf der Jagd nach Freemush, dem Ökonomen, und es ist mir auch gelungen, ihn zu entführen. Es war der erste große Schlag gegen Orbanaschol.“ Lordadmiral Atlan schwieg. Er fand keine Worte. Dieser junge Mann wußte Dinge, die er selbst schon längst vergessen hatte. Sie konnten in keinem Geschichtsbuch festgehalten worden sein. Kolcho beispielsweise spielte eine untergeordnete Rolle in dem ganzen Geschehen. Bei ihm waren eigentlich nur die Augen bedeutungsvoll, weil sie in einer geheimnisvollen Verbindung mit dem zuvor zerstörten Phalaym standen. Kolcho war ein Mosaiksteinchen, das bei der Lösung eines großen Rätsels nur eine Ergänzungsrolle spielte. „Ich versichere Ihnen, wer auch immer Sie sind, daß Sie sich irren“, sagte Atlan endlich. „Sie sind nicht Atlan, weil ich es bin. Irgend jemand hat Sie vermutlich manipuliert.“ „Das stimmt nicht. Er hätte nur keine so komplette Erinnerung vermitteln können. Das ist unmöglich. Soll ich Ihnen mehr erzählen? Soll ich Ihnen schildern, wie und wo ich Mornover Sprangk kennen gelernt habe, und wer dieser Mann war?“ „Bitte.“ Der Lordadmiral wurde von der Erzählung des jungen Mannes in eine Vergangenheit gerissen, die er längst vergessen zu haben glaubte. Er erinnerte sich nur noch undeutlich an jene Ereignisse vor mehr als zehntausend Jahren, als er um seine Anerkennung als Kristallprinz gekämpft und sich gegen seinen Oheim Orbanaschol aufgelehnt hatte. Zuviel war seitdem geschehen. So fiel es ihm schwer, sich zugleich mit dem Bericht Broomer-Atlan jene Vorgänge
wieder ins Gedächtnis zu rufen. Er glaubte, daß alles so gewesen war, wie der junge Mann es schilderte, aber er wußte es nicht genau. Vorsicht! warnte der Logiksektor. So könnte es gewesen sein. Es liegt zu weit zurück. Du solltest allein versuchen, diese Dinge zu rekonstruieren. Atlan erhob sich abrupt. „Wir werden uns später noch ausführlich darüber unterhalten“, sagte er schroff. „Zunächst möchte ich Ihnen nur noch etwas zu denken mitgeben. Ihre Erinnerung setzt etwa zu der Zeit aus, als Freemush entführt wurde. Inzwischen sind mehr als zehntausend Jahre vergangen.“ „Das glaube ich Ihnen nicht.“ „Das liegt bei Ihnen. Sie können selbst entscheiden, was Sie glauben wollen oder nicht. Ich möchte Sie nur bitten, einmal zu überlegen, wo diese Zeit geblieben sein könnte.“ Broomer-Atlan rieb sich die Knie. Er schien Schmerzen zu haben. „Wenn ich nur wüßte, was für ein Spiel Sie mit mir treiben“, erwiderte er leise. „Ich kann es einfach nicht glauben.“ Der Lordadmiral ging zur Tür. „Überlegen Sie es sich in Ruhe. Auf Suskor sind Sie in Bibliotheken und Infotheken gewesen. Sie haben versucht, sich zu informieren. Halten Sie das alles für Lüge?“ „Ich weiß es nicht.“ „Glauben Sie, Orbanaschol würde einen derartigen Aufwand treiben, um Sie hinters Licht zu führen? Glauben Sie, er würde ganze Städte, Raumschiffe und Raumstationen neu entwerfen und gestalten lassen, nur um Sie zu narren? Das könnte er doch wohl wesentlich billiger haben. Glauben Sie mir, diese Welt ist real. Das Große Imperium gibt es nicht mehr. Ich, Atlan, war sein letzter Imperator. Unter dem Namen Gonozal VIII habe ich versucht, das Imperium wieder aufzubauen, aber es war schon zu spät. Die Arkoniden unserer Zeit sind nicht mehr mit jenen zu vergleichen, mit denen Sie glauben, gelebt zu haben.“ Er blickte den jungen Mann scharf an. Dann aber entspannten sich seine Lippen. „Ist Ihnen jetzt die Erleuchtung gekommen, oder hat sich Ihr Logiksektor gemeldet?“ fragte er. Broomer-Atlan wandte sich ab.
„Lassen Sie mich allein“, bat er leise. Der Lordadmiral ging. Als er an der nächsten Tür vorbeikam, öffnete sich diese und Ronald Tekener kam heraus. Ein Lächeln lag auf den Lippen des Mannes, den man auch „the smiler“ nannte. An ihm vorbei konnte der Arkonide den Springer sehen, der in einem Sessel saß. Broltan war anzusehen, wie es ihm ergangen war. „Ich brauche wohl kaum noch zu fragen“, sagte Atlan, als er zusammen mit seinem Stellvertreter weiterging. „Oder?“ „Nein. Es ist alles klar. Dieser Springer heißt Kalib Broltan. Er hält sich nicht für den jungen Atlan. Das hat er nur vorgegeben, weil er sich ein besonderes Abenteuer und gewisse finanzielle Vorteile davon versprach. Er hat zunächst versucht, seine Rolle als Atlan II aufrechtzuerhalten, aber er hat es nicht durchgestanden.“ Atlan lächelte. Er warf Tekener einen Seitenblick zu. „Der arme Junge“, sagte er ironisch-mitfühlend. „Wie sollte er auch? Sie haben ihm doch wohl keine Ihrer zahlreichen Waffen unter die Nase gehalten?“ Tekener zündete sich eine Zigarette an. „Das war gar nicht notwendig“, entgegnete er. „Broltan ist harmlos. Er sieht ein, daß er gescheitert ist, und er ist auch damit einverstanden, daß wir ihn nach Suskor schicken.“ „Könnte das eine Rolle sein, auf die man ihn getrimmt hat?“ „Das glaube ich nicht, Sir. Er hat ein paar krause Ideen, aber sie sind nicht ganz ernst zu nehmen. Außerdem hat er keinerlei Möglichkeiten, die Position von Quinto-Center herauszubekommen. Er ist von allen Informationsquellen weit entfernt. Nein, das ist einfach nur ein Irrläufer, dem wir nicht viel Gewicht beizumessen brauchen. Bescheinigen muß ich ihm allerdings eine überraschende Intelligenz. Was nicht zu diesem Bild paßt, ist der Mord, den er begangen hat.“ Achtung! warnte der Logiksektor. Du darfst ihn nicht mißachten! Broltan ist schon so harmlos, daß er wiederum verdächtig ist. „Danke, Tek“, sagte Atlan. „Ich bin froh, daß Sie diesen Mann unter die Lupe genommen haben.“ *
„Tu, tu“, machte es am Ohr von Broltan. Der Springer drehte sich langsam um sich selbst. Suchend sah er sich um. „Du hast lange auf dich warten lassen“, sagte er leise. Genau vor seinen Augen erschien Chray, der seinen Deflektorschirm ausgeschaltet hatte. Er schwebte auf den Tisch zu und landete dort. Erschöpft wischte er sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Es war ein hartes Stück Arbeit, bis hierher zu kommen“, rief er. „Überall sind Sperren angebracht, die nur mit Hilfe von Individualtastern zu passieren sind. Ich mußte immer warten, bis ich von jemandem mitgenommen werden konnte.“ Kalib Broltan ging in die Schlafkabine hinüber. Der Siganese folgte ihm. Er ließ sich neben dem Kopf des Springers nieder, als dieser sich in sein Antigravbett gelegt hatte. „Hast du etwas erfahren können?“ fragte Broltan. „Eine ganze Menge. Zunächst: Dies ist wirklich Quinto-Center, aber niemand scheint etwas über die Koordination zu wissen. Du bist nur in den ersten Stunden beobachtet worden. Dann kam man zu dem Schluß, daß von dir nichts Böses zu erwarten ist. Man rätselt allerdings noch immer herum, warum du den Mord begangen hast. Das paßt nicht zu der Rolle, die du spielst.“ „Keine Sorge. Das schaffe ich schon. Auch dieses Narbengesicht hat mich danach gefragt, aber ich habe ihm noch nicht die passende Antwort gegeben. Die bekommt er erst morgen.“ „Ich habe gehört, daß man dich morgen mit einem Kurierkreuzer nach Suskor abschieben will. Man will dich den zuständigen Behörden übergeben.“ „Dann müssen wir schnell handeln.“ „Gibt es keine Verbindungstür zu den Nebenräumen?“ Kalib Broltan antwortete nicht. Er erhob sich und kehrte in den Salon zurück. Hier begann er die Wand zu untersuchen, die ihn von Curs Broomer-Atlan trennte. Chray half ihm. Seine Augen waren viel feiner als die des Springers, und er war es auch, der schließlich den winzigen Spalt im Verkleidungsmaterial der Wand entdeckte. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis sie den Kontakt gefunden hatten. Broltan drückte ihn, und ein Türschott glitt zur Seite. Broomer-Atlan fuhr erschrocken herum, als er die Stimme des
Springers hinter sich hörte. „Ich wußte nicht, daß es eine Tür in dieser Wand gibt“, sagte Broomer. „Ich habe sie eben erst gefunden.“ Chray erwähnte er nicht, denn der Siganese hatte sich wieder unsichtbar gemacht und war zurückgeblieben. „Sie haben sich erstaunlich verändert, Atlan“, sagte der Springer. Broomer nickte versonnen. „Ja, das ist mir auch aufgefallen. Ich werde dem Mann, der sich ebenfalls Atlan nennt, immer ähnlicher. Mein Haar ist fast weiß, und die Augen werden albinotisch rot. Ich bin beunruhigt.“ „Das ist für Sie doch der beste Beweis dafür, daß Sie wirklich Atlan sind – oder nicht?“ „Wahrscheinlich haben Sie recht. Sie erheben keinen Anspruch mehr darauf, Atlan zu sein?“ Kalib Broltan schüttelte den Kopf. „Ich barg vorübergehend ein fremdes Bewußtsein in mir, das mich glauben ließ, ich sei Atlan“, schwindelte er. „Aber jetzt hat es mich verlassen, und ich fühle mich frei.“ Er trat dicht an Broomer-Atlan heran. „Ich muß Ihnen etwas sagen“, flüsterte er. „Reden Sie.“ „Sie müssen sich darüber klar sein, daß der andere Mann, der sich Atlan nennt, Sie töten wird. Er wäre verloren, wenn er Sie leben ließe. Sehen Sie das ein?“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht.“ „Sie müssen weg von hier.“ Broomer blickte ihn fragend an. Er war unsicher. „Wohin sollte ich mich wenden?“ „Wir müssen versuchen, ein Raumschiff zu kapern. Damit könnten wir die Flucht antreten.“ „Wir?“ „Natürlich, wir. Oder können Sie ein modernes, terranisches Raumschiff fliegen?“ „Können Sie es?“ „Ich denke schon.“ „Wohin sollten wir uns wenden? Ich weiß nicht, wo wir sind. Wenn es uns nicht gelingt, einige Koordinaten zu bekommen, haben
wir keine Aussichten.“ „Lassen Sie mich nur machen.“ „Was haben Sie vor? Glauben Sie, man würde uns so ohne weiteres davonfliegen lassen?“ „Ich weiß sogar genau, daß man das nicht tun würde, es sei denn, wir könnten sie dazu zwingen. Und ich habe ein Mittelchen, mit dem ich erreichen kann, was ich will.“ * Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Der Springer hatte richtig beobachtet. Ich verwandelte mich auf ganz erstaunliche Weise. Das, was mit mir vorging, kann ich nur als echte Metamorphose bezeichnen. Jetzt konnte ich mir auch die Schmerzen erklären, die mich gequält hatten. Mein ganzer Körper formte sich um, und das konnte eben nicht unbemerkt vonstatten gehen. Tatsächlich sah ich schon zu diesem Zeitpunkt, als der Springer bei mir war, dem anderen Atlan sehr ähnlich. Ich konnte nicht umhin, diesen Mann zu bewundern. Er war mir überlegen. Das war weiter kein Wunder. Immerhin war er ein erwachsener Mann, der über unendlich viel Erfahrung verfügte. Daß er über zehntausend Jahre alt war, glaubte ich ihm nicht. Ich bemühte mich zwar darum, es ihm abzunehmen, aber mein Verstand weigerte sich, als Wahrheit anzuerkennen, was er mir gesagt hatte. Als der Springer mit mir sprach, war ich davon überzeugt, daß es nur noch einige Stunden dauern würde, bis ich dem anderen Atlan absolut gleichen würde. Dann mochte nur noch ein geringer Altersunterschied äußerlich zu erkennen sein. Aber das würde auch alles sein. Daher hörte ich dem Springer interessiert zu. Auch ich hatte mir Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen sollte. Würde der andere Atlan mich neben sich dulden – vorausgesetzt, er war tatsächlich kein Handlanger Orbanaschols? Oder würde er mich ermorden, um sich damit einen lästigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen? Ein Mord wäre vollkommen sinnlos gewesen, wenn mein Oheim hinter dem ganzen Geschehen steckte, aber er wäre nur logisch gewesen, wenn das nicht der Fall war.
Richtig! signalisierte mein Logiksektor. Endlich denkst du klar. „Also, um was geht es?“ fragte ich. „Atlan ist Zellaktivatorträger“, erklärte er in einem Ton, als habe er mir damit eine Sensation mitgeteilt. „Ich weiß“, entgegnete ich möglichst gleichgültig. Er lachte mir ins Gesicht. „Tun Sie nicht so, als ob Sie das kalt ließe, Atlan! Ich sehe es Ihnen an der Nasenspitze an, was Sie denken.“ „Und was denke ich?“ „Sie meinen, daß Sie der rechtmäßige Eigentümer dieses Zellaktivators sind. Sie sind es, weil Sie allein der echte Atlan sind.“ Genau! meldete mein Extrasinn. Genau das ist es! „Mag sein“, erwiderte ich ausweichend. Er sagte nichts, sondern blickte mich nur unmerklich lächelnd an. Er wußte genau, daß er mich an der Angel hatte. „Was gedenken Sie zu tun?“ fragte ich gewollt kühl. „Liegt das nicht auf der Hand?“ „Ich verstehe nicht.“ „Nun gut, wenn Sie nicht wollen…“ Er wandte sich ab und ging auf die Tür zu, die zu seinem Salon führte. Ich zögerte zunächst, doch dann folgte ich ihm rasch. Am Durchgang holte ich ihn ein und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Warten Sie…“ Er blieb stehen und drehte sich zu mir um. Nun tat er, als sei er kühl bis ins Herz hinein. „Was wollen Sie noch?“ „Hören Sie“, sagte ich unruhig. „Wir müssen schnell handeln. Lange wird dieser falsche Atlan nicht warten. Ich weiß nicht, was er vorhat, aber, was es auch sei, wir müssen ihm zuvorkommen.“ „Und wie?“ „Sie sagten etwas von einem Plan.“ „Gut, Atlan. Ich werde den Zellaktivator an mich bringen und ihn später an Sie übergeben.“ „Wirklich?“ fragte ich zweifelnd. Er richtete sich auf und blickte mir zornig in die Augen. „Sie wissen nichts über Zellaktivatoren, Atlan.“ „Ich muß zugeben, daß Sie recht haben.“ „Dann verschonen Sie mich mit Ihrem Mißtrauen. Zellaktivatoren
sind auf die Personen abgestimmt, für die sie gedacht sind. Ich könnte ihn gar nicht tragen, weil er bei mir eine gesundheitsschädliche Wirkung hätte. Das Gerät paßt nur zu Ihnen. Es wäre also sinnlos, wenn ich versuchte, ihn für mich zu behalten.“ Vorsicht! warnte mein Logiksektor. Das kann wahr sein, klingt aber ziemlich unwahrscheinlich. Dennoch mußt du versuchen, an den Zellaktivator zu kommen. Ich konnte mitmachen und das Instrument später immer noch an mich bringen. Ich fühlte mich dem Springer überlegen. Sollte er ruhig versuchen, mich zu übertölpeln. Es würde ihm nicht gelingen. „Einverstanden“, sagte ich. „Wir arbeiten zusammen. Ich bin auf Ihre Hilfe angewiesen, aber ich bin in der Lage, Sie reich dafür zu belohnen, wenn ich erst einmal wieder frei bin und Verbindung mit meinen Freunden aufgenommen habe.“ Du weißt nicht, ob sie noch leben! warnte das Extrahirn. Noch kennst du die Wahrheit nicht. Das war richtig. Aber mußte ich dem Springer auf die Nase binden, wie wenig ich wußte? Ich fürchtete noch immer, daß er mich übervorteilen wollte. Nun, ich würde genau das gleiche mit ihm versuchen. „Wann?“ fragte ich. „Sobald der andere Atlan bei Ihnen ist, geben Sie mir ein Zeichen. Damit.“ Er reichte mir ein Ding, das wie eine Münze aussah. „Sie brauchen es nur kräftig zwischen den Fingern zu drücken, dann höre ich drüben ein Signal. Ich werde die Tür öffnen und hereinkommen. Sie werden den Arkoniden genau in diesem Moment niederschlagen. Ich komme Ihnen zu Hilfe und nehme ihm den Zellaktivator ab.“ Ich atmete tief durch. „Gut. Ich bin einverstanden.“
5. Dreißig Stunden später – nach Erdzeit gemessen – betrat Ronald Tekener das Arbeitszentrum Atlans. Der Lordadmiral saß hinter seinem Kommunikationstisch, von dem aus er Verbindungen mit allen wichtigen Welten der Galaxis aufnehmen konnte. „Ich habe weitere Informationen von Suskor über den
Mordanschlag auf den Missionschef vorliegen“, eröffnete der Narbengesichtige das Gespräch. „Haben Sie mehr über ein mögliches Motiv Broltans herausgefunden?“ Tekener setzte sich. „Leider nicht, Sir. Der Springer hat den Anschlag scheinbar ohne Sinn und Verstand verübt.“ „Scheinbar?“ „Es sei denn, daß er damit beabsichtigt hätte, nach Quinto-Center zu kommen.“ „Ist das nicht etwas abwegig?“ „Durchaus nicht. Er behauptete, ebenfalls Atlan zu sein. Damit hatten wir zwei parallele Fälle. Um sich noch etwas wichtiger zu machen und um uns zu zeigen, wie ernst er es meinte, verübte er das Attentat. Wir fielen prompt auf ihn herein und ließen ihn hierher bringen. Hier entpuppte er sich als harmloser Junge, der keineswegs in der Lage war, die selbstgewählte Rolle als Atlan durchzustehen, obwohl er beachtliche Kenntnisse über das Imperium der Arkoniden besitzt. Sein Wissen ist jedoch ganz anderer Art als das von Broomer-Atlan. Während dieser sich an Dinge erinnert, die in keiner Infothek zu finden sind, weiß Broltan nur das, was aus historischen Berichten hervorgeht.“ „Das ist mir bekannt.“ „Broltan versucht auch gar nicht mehr, seine Rolle als Atlan aufrechtzuerhalten. Er behauptet, vorübergehend besessen gewesen und nicht für seine Handlungen verantwortlich zu sein.“ „Vielleicht war das wirklich so?“ „Sie wissen, daß alles nur ein Bluff ist. Broltan verfolgt andere Ziele. Entweder geht es ihm um die exakten Daten von QuintoCenter, oder er will…“ „Wir wissen, daß er die Daten nicht bekommen kann.“ „Wir haben uns geirrt. Heute Nacht haben wir festgestellt, daß Broltan nicht allein ist. Ein Siganese hält sich ständig in seiner Nähe auf. Diesem ist es offensichtlich auch gelungen, einige Erkundungsausflüge nach bewährtem Muster der Siganesen zu unternehmen, ohne daß wir etwas gemerkt haben.“ Atlan pfiff leise durch die Zähne. „Damit sieht alles anders aus.“
„Obwohl der Siganese sich fast ständig im Schutze eines Deflektorfeldes bewegt, konnten wir ihn einwandfrei anmessen. Broltan hat also geblufft. Er hat den Weg nach Quinto-Center gesucht und gefunden. Wir dürfen ihn nicht einfach abschieben. Er könnte schon zuviel erfahren haben. Das müssen wir erst herausbekommen, bevor wir weitersehen können.“ „Das ist vollkommen klar. Was wäre die zweite Möglichkeit?“ „Sie klingt etwas unwahrscheinlich, Atlan, aber ich halte sie dennoch für erwähnenswert. Broltan könnte es auf einen Zellaktivator abgesehen haben.“ Der Arkonide blickte überrascht von den Akten auf, in denen er einige Notizen gemacht hatte. „Warum ausgerechnet hier?“ Ronald Tekener erklärte, wie gering die Chance anderswo in der Galaxis war, überhaupt einen Zellaktivatorträger zu treffen. „Er rechnet sich hier also die größten Chancen aus.“ „Er käme nie heil heraus.“ „Das wäre abzuwarten. Ich bin nicht davon überzeugt, daß er keine Erfolgsaussichten hat. Die bisherigen Schritte sind so kalt und nüchtern erwogen worden, daß wir uns auf weitere Überraschungen gefaßt machen müssen.“ Atlan erhob sich. „Ich werde zu Atlan junior gehen“, erklärte er mit spöttischem Unterton. „Wir werden ja sehen, ob sich etwas ereignet, wenn ich mich anschließend bei Broltan sehen lasse.“ „Ich halte es für wahrscheinlich, daß der Springer die Verbindungstür entdeckt hat.“ „Ihr Respekt vor diesem Burschen scheint erheblich angewachsen zu sein, Tek. Vor vierundzwanzig Stunden haben Sie noch anders über ihn gesprochen.“ „Da wußte ich auch noch nicht soviel von ihm. Ich halte Broltan nunmehr für gefährlicher und beachtenswerter als Atlan II.“ „Ich werde mich vorsehen.“ Atlan griff unwillkürlich nach seinem Zellaktivator, als er seinen Arbeitsbereich verließ. Dies war durchaus nicht das erste Mal, daß sich jemand für den Zellerneuerer interessierte. Im Laufe der Jahrtausende hatten sich immer wieder Interessenten gefunden, die mit unterschiedlichen
Methoden versucht hatten, ihm das lebenserhaltende Instrument zu entreißen. Wenn er sich nur für einige Stunden von ihm trennte, spielte das keine große Rolle. Überschritt er jedoch eine Zeit von 62 Stunden, dann trat ein rapider Zellverfall ein. Das Ende war dann nicht mehr aufzuhalten. Atlan gedachte jedoch nicht, es überhaupt zu einer Trennung kommen zu lassen. * Broomer-Atlan war überrascht und beunruhigt, als Atlan mit einem Medoroboter zu ihm kam. „Was ist das?“ fragte er argwöhnisch. „Das ist ein Roboter, der Sie untersuchen wird.“ „Warum?“ „Sie machen eine erstaunliche Wandlung durch, Atlan. Wir müssen wissen, wer oder was dafür verantwortlich ist. Es könnte immerhin sein, daß Mikroben daran beteiligt sind, die gefährliche Krankheiten bei anderen auslösen könnten. Wir dürfen kein unnötiges Risiko eingehen. Außerdem könnte Ihr Leben in Gefahr sein.“ „Das wäre natürlich unangenehm für Sie“, antwortete Broomer sarkastisch. Atlan blickte ihn an. Die Metamorphose war äußerlich nahezu abgeschlossen. Broomer sah jetzt so aus wie er selbst in einem Alter von etwa siebzehn Jahren. Er war der junge Rebell, der sich gegen Orbanaschol III und sein grausames Regime aufgelehnt hatte. Atlan konnte seine Unruhe und Verwirrung kaum verbergen. Eine längst vergessen geglaubte Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Er konnte sich nicht erklären, was geschehen war. Auch er dachte flüchtig an eine Zeitverschiebung, so wie Broomer es getan hatte, obwohl sie ihm äußerst unwahrscheinlich erschien. Diese Idee war mit zu vielen Widersprüchen behaftet. Wäre dieser junge Mann durch die Jahrtausende geschleudert worden, dann hätte er – Atlan – doch nicht zugleich diese Zeit auf der Erde und in der Galaxis erleben können, dann hätte er nicht zweimal existieren dürfen. In den letzten Stunden hatte er vergeblich versucht, dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Er hatte keine Erklärung gefunden.
Offenbar war aus diesem jungen Springer wirklich ein zweiter Atlan geworden, der mit jenem Widerstandskämpfer identisch war, der um die Macht im alten Arkon gefochten hatte. „Sie können sich von diesem Medoroboter getrost untersuchen lassen“, sagte der Lordadmiral. „Sie können mir vertrauen.“ „Warum sollte ich das? Ich halte Sie für einen Betrüger, denn der echte Atlan bin allein ich.“ „Ich weiß“, entgegnete der Arkonide spöttisch. „Leider bringt uns eine Diskussion nicht weiter. Wenn Sie also so freundlich sein…“ Weiter kam er nicht. Broomer-Atlan schnellte sich aus dem Stand heraus auf ihn und krallte ihm die Hände um die Kehle. Atlan wurde von dem Angriff überrascht. So verlor er das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Im Fall gewann er die Übersicht zurück. Er rollte sich geschickt ab und schleuderte den Angreifer dabei über seinen Kopf hinweg. Broomer konnte sich nicht mehr halten. Seine Hände lösten sich vom Hals des Lordadmirals. In seiner Verzweiflung schlug er blind mit dem rechten Fuß zu. Er fühlte, daß dies seine letzte Chance war. Seine Fußspitze prallte dicht über dem Ohr gegen den Schädel Atlans. Broomer, der von den ungewöhnlichen biologischen Vorgängen in seinem Körper noch stark geschwächt war, richtete sich auf. Auch sein Gegner kam langsam hoch, war jedoch halbwegs betäubt. Als der junge Atlan sich erneut auf ihn warf und ihm die Fäuste an den Kopf hieb, ließ er sich zurückfallen. Broomer verfehlte ihn und wurde von dem Schwung seines Schlages herumgerissen. Atlan setzte einen Dagorgriff an und warf ihn spielerisch leicht herum. Broomer schrie auf. Er rutschte haltlos über den Boden und konnte sich erst an der Tür wieder abfangen. Er spürte, daß ihm die Felle davonschwammen. Der Lordadmiral erholte sich von Sekunde zu Sekunde mehr. Wenn jetzt nicht sofort etwas Entscheidendes geschah, waren alle Chancen verspielt. Broomer konzentrierte sich. Er dachte an alles, was Fartuloon, der Bauchaufschneider, ihm beigebracht hatte. Dann rannte er auf den Arkoniden zu, fintierte, wich aus und schlug mit aller Kraft zu, als Atlan zu langsam reagierte. Seine stahlharte Handkante fuhr dem Gegner gegen den Hals, erreichte jedoch nicht exakt den wirksamsten Punkt. Atlan streckte das linke Bein seitwärts aus und rammte Broomer
zugleich den Ellenbogen in die Seite, bevor er selbst unter der Wirkung des Schlages auf die Knie herabfiel. Wieder litt Broomer stärker unter dem Treffer als der Lordadmiral. Er brauchte länger, bis er sich zu einer neuen Attacke aufraffen konnte als dieser. Atlan erwartete ihn bereits, und endlich begriff Broomer, daß er keine Chance mehr gegen ihn hatte. „Gut“, sagte er keuchend. „Ich werde mich untersuchen lassen.“ „Warum nicht gleich so?“ fragte Atlan. „Wir hätten uns viel Ärger ersparen können – oder?“ Er ging zu Broomer, um ihm die elektronischen Kontakte anzulegen. In diesem Moment griff dieser blitzschnell zu dem Kombistrahler Atlans und drückte den Auslöser herunter. Atlan lächelte. „Glaubst du wirklich, Junge, daß ich mit geladener Waffe zu dir käme?“ Mit einem wilden Aufschrei warf sich Broomer auf ihn. Er hieb ihm die Fäuste in blinder Wut gegen die Brust und drängte ihn zurück. Der Lordadmiral wich ihm aus, stolperte, fing sich jedoch sogleich wieder, geriet dabei aber in die Nähe der Trennwand zum benachbarten Wohntrakt. Obwohl er damit gerechnet hatte, daß Kalib Broltan in den Kampf eingreifen würde, wurde er doch zu diesem Zeitpunkt davon überrascht. Plötzlich flog das Türschott zur Seite, der Springer rannte in den Salon und hieb ihm das Handsteuergerät seiner Kommunikationsanlage über den Kopf. Broomer nutzte die Gelegenheit, als Atlan unter der Wirkung des Schlages nach vorn kippte, um beide Fäuste unter das Kinn zu setzen. Blitzschnell beugte er sich über ihn, riß ihm die Hemdbluse auf und wollte ihm den Zellaktivator entreißen, doch seine Hand griff ins Leere. „Verdammt“, rief Broltan keuchend. „Er hat den Zellaktivator abgelegt. Er wußte, daß wir es versuchen würden.“ Die Tür ging auf. Der Springer packte Atlan am Hals, richtete ihn auf und setzte sich hinter ihn. Dann hielt er ihm mit der linken Hand einen eiförmigen Gegenstand gegen die Schläfe. „Bleiben Sie stehen“, schrie er dam narbengesichtigen Mann zu,
der eingetreten war. Ronald Tekener gehorchte und kreuzte die Arme vor der Brust. „So“, sagte er spöttisch. „Und wie soll es weitergehen, meine Herren?“ „Das ist ganz einfach“, antwortete der Springer. „Sie werden uns sofort den Zellaktivator Atlans bringen.“ „Warum sollte ich das?“ „Mr. Tekener, Sie wurden mir als außergewöhnlich intelligenter Mann geschildert. Darauf habe ich mich eingestellt. Glauben Sie wirklich, ich würde Forderungen stellen, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, sie auch durchzusetzen?“ „Das hat etwas für sich.“ Atlan regte sich. Broltan, der den Arm um seine Kehle gelegt hatte, verstärkte den Griff. „Bleiben Sie stehen, wo Sie sind, Mr. Tekener. Sehen Sie sich von Ihrem Platz aus genau an, was ich in der linken Hand halte. Können Sie es erkennen?“ „Nein.“ „Dann will ich es Ihnen erklären. Ich habe diese Bombe aus den Bestandteilen des Kommunikationszentrums nebenan zusammengebaut. Sie besteht aus mehreren Vakuumeinheiten, die ich mit Knopfdruck zerstören kann. Damit kann ich Implosionen auslösen, die Atlan den Kopf zerfetzen würden.“ Tekener lächelte noch immer. Es war das Lächeln, das seinen Gegnern Furcht einjagte und ihm den Namen „the smiler“ gegeben hatte. Kalib Broltan reagierte entsprechend. Er wurde immer nervöser. Der Kosmo-Psychologe spürte, daß er ihn beruhigen mußte, um eine Panikhandlung zu vermeiden. „Gut, Broltan, ich glaube Ihnen. Sie haben also eine reelle Waffe gegen den Lordadmiral in der Hand. Was weiter?“ „Nichts weiter, Tekener. Das genügt mir. Ich verlange, daß Sie Atlans Zellaktivator zu mir bringen.“ „Und wenn ich es nicht tue?“ „Dann werde ich hier zweiundsechzig Stunden sitzen.“ „So? Werden Sie das wirklich? Warum?“ Kalib Broltan grinste teuflisch. „Damit haben Sie nicht gerechnet, wie? Sie haben nicht gedacht, daß ich so gut Bescheid wüßte. Ich habe mich schon seit Jahren mit
dem Zellaktivator beschäftigt und alles durchgesehen, was es an Berichten darüber gibt. Ich weiß, daß Atlan höchstens 62 Stunden von ihm getrennt sein darf. Danach tritt ein rapider Zellverfall ein. Atlan wird innerhalb weniger Stunden zu einem Greis werden und dann nicht mehr zu retten sein. Sie sehen, Tekener, ich habe mir alles genau überlegt. Sie haben keine Chance. Bringen Sie mir den Zellaktivator, oder Atlan ist ein toter Mann.“ „Broltan“, erwiderte Tekener gelassen. „Sie wissen, daß ich darauf nicht eingehen kann. Was haben Sie mit dem Zellaktivator vor? Wollen Sie ihn mitnehmen? Dann ist Atlan ebenfalls zum Tode verurteilt. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Also können Sie sich an Ihren zehn Fingern ausrechnen, daß ich Ihnen das Gerät nicht geben kann.“ Kalib Broltan lachte leise. „Wie auch immer Sie sich entscheiden, Mr. Tekener. Das ist Ihr Problem. Nicht meines. Lassen Sie uns allein und überlegen Sie sich alles in aller Ruhe.“ „Einverstanden.“ Der Galaktische Spieler ging zur Tür. Broltan rief ihn zurück. „Ach, Mr. Tekener?“ „Ja, Broltan?“ „Versuchen Sie nicht, mich zu paralysieren. Ich halte den Zünder meiner Bombe ständig fest. Wenn ich ihn loslasse, implodiert sie. Sie würden den Lordadmiral also umbringen, wenn Sie mich zu schocken versuchten oder auf andere Weise überrumpeln wollten, verstehen Sie?“ Ronald Tekener hatte längst begriffen. Der Springer hätte ihn nicht darauf aufmerksam machen müssen. Er hatte es auch so gewußt. Er hob grüßend die Hand und verließ den Salon. Ihn zog es zu den Waffenexperten von Quinto-Center. Sie sollten ihm sagen, ob Broltan bluffte, oder ob es ihm tatsächlich gelungen sein konnte, aus den Bestandteilen der Kommunikationsgeräte eine Bombe zu bauen. Er bezweifelte, daß der Springer das fertig gebracht hatte. Die Wissenschaftler machten ihm jedoch klar, daß es gar nicht so schwer war, eine Implosionsbombe aus den Teilen der Geräte zu konstruieren. Und sie erklären ihm auch, daß diese Waffe eine verheerende Wirkung haben konnte, die auf jeden Fall ausreichte,
Atlan zu töten. Damit war klar, daß Kalib Broltan ein ernst zu nehmender Gegner war. Man konnte ihm weder mit Paralysestrahlen, noch mit Gas beikommen. Einer der führenden Waffenexperten sagte Tekener: „Ich würde Ihnen empfehlen, Sir, dem Jungen den Zellaktivator zu geben. Dadurch würden Sie Zeit und Aktionsfreiheit gewinnen. Sie müssen erreichen, daß er die Bombe von der Schläfe Atlans nimmt. Danach ergeben sich vielleicht bessere Chancen, ihn zu überwältigen.“ „Ich werde ihm eine Imitation des Aktivators geben. Was halten Sie davon?“ „Um ehrlich zu sein, Sir, nicht viel. Ich kann mir vorstellen, daß der Junge die 62 Stunden abwartet, um zu sehen, wie die Wirkung auf Atlan ist. Er wird erst fliehen, wenn er sicher weiß, daß er den echten Zellaktivator hat. Würden Sie nicht auch so handeln, Sir?“ „Natürlich würde ich das. Sie haben vollkommen recht.“ * Abenteuerliche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich meinen älteren Doppelgänger und den Springer beobachtete. Mir war völlig klar, daß Kalib Broltan seinen Plan von langer Hand vorbereitet hatte. Daraus folgerte ganz eindeutig für mich, daß er nicht gewillt war, mir das lebenserhaltende Instrument zu geben, wenn alles vorüber war. Niemand arbeitet besessen an einem Vorhaben, um sich den Erfolg dann aus den Händen nehmen zu lassen. Nein, Broltan hatte mich angeschwindelt, als er behauptet hatte, der Zellaktivator sei auf Atlan – und damit auch auf mich – abgestimmt. Das war das eine. Sodann überlegte ich immer wieder, welche tiefere Bedeutung meine Begegnung mit dem anderen Atlan hatte. Ich spürte, daß er wahrscheinlich doch kein Betrüger war. An eine Gehirntransplantation glaubte ich nicht mehr so recht. Sie war medizinisch noch nicht durchzuführen. Sollte es dann wirklich zwei Atlans geben? Mich und den anderen? Auch das war nur schwer vorstellbar. Wie aber nun, wenn die Natur sich gegen den lebensverlängernden Kunstgriff mit dem
Zellaktivator wehrte? Wie, wenn sie mich geschaffen hätte, um das widernatürlich ausgeweitete Leben des anderen endlich zu beenden? Ich merkte, daß ich mich in verrückten Gedanken verlor. Wo setzte denn meine Erinnerung aus? Was hatte ich zuletzt erlebt, bevor ich in diesem Körper wieder erwachte, dem ich inzwischen durch meinen Willen meine ursprüngliche Gestalt aufgezwungen hatte? Ich dachte flüchtig an eine Welt, die wir angeflogen hatten. War es nicht die Welt der Skinen gewesen? Mir ging der Name „Tsopan“ durch den Kopf, aber er erweckte keine Gedankenassoziationen bei mir. Die Probleme, mit denen ich unmittelbar konfrontiert wurde, lenkten mich zu sehr ab. Ich beobachtete das grüne Männlein, das sich stets in der Nähe von Kalib Broltan aufhielt. Nie zuvor hatte ich ein derart kleines humanoides Wesen gesehen. Es war ja noch nicht einmal so lang wie der Mittelfinger meiner Hand, aber es schien dennoch über eine erstaunliche Intelligenz zu verfügen. Leider schien es nicht gesund zu sein, denn mir fiel auf, daß es sich immer wieder mit einer oder beiden Händen an den Kopf faßte und das Gesicht verzog. Daraus schloß ich, daß es unter starken Kopfschmerzen litt. „Was jetzt?“ fragte ich. Der Springer blickte lächelnd zu mir auf. „Es wäre zu früh, schon heute unseren Sieg zu feiern, Atlan, aber wir können uns schon mal mit dem Gedanken befassen, daß wir es geschafft haben.“ Mein Doppelgänger streckte die Beine aus. Gelassen schob er die Hände in die Hosentaschen. „Sie irren sich grundlegend, Broltan“, sagte er ruhig. „Ihr Gedanke, den Zellaktivator in der Höhle des Löwen zu suchen, war richtig, aber Sie haben nicht daran gedacht, daß es praktisch unmöglich ist, aus dieser Höhle wieder herauszukommen.“ „Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Arkonide. Ich habe noch immer geschafft, was ich schaffen wollte. Ich weiß sehr gut, wie es weitergeht.“ „Da bin ich aber gespannt.“ „Das freut mich“, erwiderte der Springer sarkastisch. „Ich hätte mir ewig Vorwürfe gemacht, wenn ich Sie gelangweilt hätte.“ Atlan lachte leise. Er schien sich tatsächlich nicht ernstlich bedroht
zu fühlen. „Ich habe noch eine ganze Menge zu tun, Broltan. Ich nehme an, Sie haben Verständnis dafür. Wie wäre es, wenn wir alles ein wenig schneller abwickeln würden?“ „Das liegt nicht an mir, sondern an dem Galaktischen Spieler. Wenn er darauf verzichtet, ein raffiniertes Spielchen mit mir zu inszenieren, haben wir es bald hinter uns gebracht.“ „Seien Sie still“, rief ich gereizt. „Mir ist nicht zum Scherzen zumute.“ „Nur nicht nervös werden“, ermahnte Broltan mich. „Darauf warten sie doch nur.“ Beschämt schwieg ich. Der Springer hatte recht. Wir durften keine Schwächen zeigen. Ich drehte mich um, entkleidete mich in der Schlafkabine und duschte mich anschließend. Ich blieb absichtlich lange in der Hygienekabine. Als ich schließlich in den Salon zurückkehrte, hatte sich noch nichts getan. „Das Narbengesicht läßt sich viel Zeit“, sagte Broltan. „Offensichtlich ist der Krisenstab von Quinto-Center zusammengetreten. Man scheint zu beraten, wie man uns ausschalten kann.“ Er war sich seiner Sache schon fast zu sicher. Dadurch geriet er in Gefahr, unvorsichtig zu werden. „Unterschätzen Sie die anderen nicht“, sagte ich kühl, „sonst ist es schneller vorbei, als Sie sich träumen lassen.“ Ich ahnte nicht, daß Ronald Tekener zu dieser Zeit Hyperkomgespräche führte, die große Abschnitte der Galaxis erfaßten. Er war auf der verzweifelten Suche nach einem Telekineten, der schnell genug in Quinto-Center sein konnte. Doch er fand keinen derart begabten Mutanten, der vor Ablauf von siebzig Stunden eintreffen konnte. In diesen Stunden wußte ich noch nicht einmal, daß die Terraner über Mutanten verfügten, sonst wäre ich wahrscheinlich weniger ruhig und weniger zuversichtlich gewesen. Endlich ging die Tür auf, und Ronald Tekener trat ein. Er hielt ein eiförmiges Gebilde in der offenen Hand. „Das hat lange gedauert“, rief Kalib Broltan. „Es sind fast acht Stunden vergangen. Aber mir soll’s egal sein.“ Er deutete mit der freien Hand auf mich. „Atlan“, befahl er mir, „nehmen Sie ihm das Ding ab.“
„Ich gehe schon.“ Ronald Tekener zögerte, überreichte mir das geheimnisvolle Gebilde dann aber doch. Vorsichtig schloß ich meine Hände um den Zellaktivator. Ein Schauer überlief mich, während ich meinen älteren Doppelgänger ansah. Ich wußte, daß ich ihn zum Tode verurteilte, wenn ich dieses Instrument behielt, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich war Atlan, und ich war erheblich jünger als er. Daraus leitete ich das Recht ab, nunmehr einem Leben ein Ende zu setzen und für mich die Unsterblichkeit zu gewinnen. Der Zellaktivator hing an einer dünnen Kette. Sie glitt geschmeidig durch meine Finger. Kalib Broltan streckte seinen Arm aus. „Geben Sie ihn mir, Atlan.“ „Er gehört mir!“ „Natürlich. Sie sollen ihn ja auch tragen. Er paßt nur zu Ihnen. Ich habe es Ihnen ja erklärt. Vorläufig aber benötige ich ihn als Passierschein aus Quinto-Center. Wenn Sie ihn mir nicht geben, werden wir nicht heil hier herauskommen.“ Ich ahnte, was er vorhatte, und ging zu ihm. Als ich ihm den Zellaktivator überreichte, hatte ich das Gefühl, einen ungeheuerlichen Verrat an mir selbst und an meinem Doppelgänger begangen zu haben. Kalib Broltan grinste. „Na, also“, sagte er. Zugleich nahm er blitzschnell die Hand mit der Bombe von der Schläfe des Arkoniden und preßte sie an den Zellaktivator. Es klickte leise. Er stieß meinen Doppelgänger von sich und sprang auf. „So“, sagte er triumphierend. „Das war’s also.“ Der Lordadmiral erhob sich ohne große Hast. „Würden Sie mir erklären, was Sie vorhaben, Broltan?“ fragte er. „Gern, Atlan.“ Mich störte, daß er für meinen Doppelgänger die gleiche Anrede benutzte wie für mich. „Sehen Sie, die Situation hat sich nicht verändert. Bildlich gesehen halte ich Ihnen die Bombe noch immer an den Kopf. Wenn Sie nicht so wollen, wie ich will, dann lasse ich sie implodieren. Sie wird den Zellaktivator fraglos zerstören. Das aber ist für Sie ebenfalls das Todesurteil, denn nach nunmehr etwa 54 Stunden Ihrer Zeitrechnung setzt bei Ihnen der rapide Zellverfall ein.“
Atlan wollte sich schweigend abwenden und zur Tür gehen, doch Kalib Broltan rief ihn zurück. „Nicht doch, Sir. Sie bleiben bei uns, bis die 54 Stunden abgelaufen sind.“ „Warum das?“ „Weil ich erst danach wissen werde, ob Sie mir den echten oder einen falschen Zellaktivator in die Hände gespielt haben.“ „Sie machen einen gravierenden Fehler, Broltan.“ „Meinen Sie?“ „Sie vergessen, daß ich nach 54 Stunden unweigerlich sterben werde. Danach spielt es also keine Rolle mehr für uns, ob wir Sie töten oder nicht.“ „Meinen Sie wirklich? Sie vergessen, daß es dann immer noch einen Zellaktivator gibt, der für jeden Ihrer Männer die Unsterblichkeit bedeuten kann.“ Atlan ging zu Tekener. „Überlegen Sie es sich in Ruhe, Broltan. Sie können keine 54 Stunden warten. Ihre Uhr läuft ab. Wenn Sie nach 54 Stunden noch nicht auf einem Planeten weitab von Quinto-Center in Sicherheit sind, dann sind Sie ein toter Mann – ebenso wie ich. Bis zur letzten Stunde werde ich mit aller Macht gegen Sie kämpfen, bis ich entweder den Zellaktivator wieder auf meiner Brust trage – oder tot bin.“ Kalib Broltan verzog geringschätzig die Lippen. „Auf einen fröhlichen Zweikampf“, sagte er höhnisch. „Natürlich bleiben Sie hier.“ Atlan schüttelte den Kopf. „Ich gehe.“ „Dann zerstöre ich den Zellaktivator.“ Atlan lächelte. „Natürlich werden Sie das nicht tun. Alles, was Sie bisher getan hätten, wäre damit sinnlos geworden.“ Ronald Tekener verließ den Raum. Atlan befand sich bereits in der Tür, als der Springer rief: „Atlan!“ „Was gibt es noch?“ „Machen Sie eine Korvette für uns fertig. Wir starten in zwei Stunden. Und versuchen Sie keine Tricks, sonst ist es schnell für Sie vorbei.“
Atlan folgte Tekener, ohne auf diese Forderung zu antworten. Ich bezweifle, daß der tollkühne Plan des Springers gelingen würde, aber ich war fest entschlossen, mit ihm zu gehen. Erstens faszinierte mich die unverfrorene Art Broltans, und zweitens beanspruchte ich den Zellaktivator für mich. Der Siganese, der während der Besprechung unsichtbar gewesen war, tauchte wieder aus seinem Deflektorversteck auf.
6. Der Hauptbildschirm erhellte sich. Kalib Broltan ging zu ihm und setzte sich davor in einen Sessel. „Ich begrüße Sie, Lordadmiral“, sagte er. „Darf ich mich nach Ihrem Wohlbefinden erkundigen?“ Atlan ging nicht auf diese Worte ein, mit denen der Springer ihn provozieren wollte. „Ich habe eine Space-Jet für Sie bereitgestellt, Broltan“, erklärte er. „Sie scheinen überhört zu haben, daß ich von einer Korvette gesprochen habe, Atlan.“ „Wenn Ihnen eine Jet nicht paßt, können Sie ja hier bleiben. Wir stellen Ihnen nichts in den Weg.“ Ich trat von hinten an den Springer heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wir wollen nicht übertreiben, Broltan. Warum sträuben Sie sich gegen den Vorschlag? Ist eine Space-Jet zu groß für uns?“ „Im Gegenteil, Atlan, sie ist zu klein.“ „Es ist besser, ein kleines Raumschiff zu nehmen, vorausgesetzt es hat eine ausreichende Aktionsweite und Schnelligkeit. Wenn wir allein an Bord sind, haben wir bessere Erfolgschancen.“ „Sie sind klug, junger Freund“, sagte mein Doppelgänger vom Bildschirm herunter. „Die Korvette könnten Sie nicht allein steuern. Sie müßten einige Besatzungsmitglieder akzeptieren.“ „Das wäre doch ganz in Ihrem Sinn“, stellte Broltan argwöhnisch fest. „Warum geben Sie keine Korvette heraus?“ „Überlassen Sie es mir, Broltan.“ „Nun gut, ich bin einverstanden. Schicken Sie uns jemanden, der
uns zu dem entsprechenden Hangar führt. Ich warne Sie jedoch. Sollten Sie versuchen, mich unterwegs zu überfallen, werde ich hart zuschlagen. Es kommt mir auf ein Leben mehr oder weniger nicht an. Ist das klar?“ „Mir ist längst klar, Broltan, was für ein Verbrecher Sie sind.“ Ich blickte auf den Springer, und ich wußte, daß mein Doppelgänger recht hatte. Kalib Broltan war ein übler Mensch. Er verfügte über eine beachtliche Intelligenz, stellte sie aber ganz in den Dienst seiner verbrecherischen Pläne. Ich wußte nicht, wer Atlan den Zellaktivator gegeben hatte. Mir war jedoch klar, daß ein solches Gerät äußerst selten in der Galaxis existierte. Ich war sicher, daß der Zellaktivator nur verdienten Persönlichkeiten verliehen wurde, solchen Männern und Frauen, die so wichtig für das Imperium waren, daß man es sich nicht leisten konnte, sie sterben zu lassen. Der so genannte Lordadmiral Atlan war so ein Mann. Broltan war es nicht. Kalib Broltan schaltete das Visiphongerät ab und drehte sich zu mir um. „Jetzt geht’s los, Atlan. Auf die nächste Stunde kommt es an. Sie wird alles entscheiden. Wenn wir die Augen offen halten, kann nichts passieren. Wenn wir aber zuviel Rücksicht nehmen, war alles umsonst. Eines sollten Sie wissen, Kristallprinz! Diese Männer handeln anders, als sie reden. Wenn sie mir eben moralische Vorhaltungen wegen meiner Drohungen gemacht haben, so ist das bedeutungslos. Wenn es darauf ankommt, dann töten sie eiskalt und erbarmungslos. Offenbar kennen Sie die Terraner wirklich nicht.“ „Nein. Ich habe nie von ihnen gehört.“ „Dann lassen Sie es sich sagen, Kristallprinz, daß sie eine Mentalität haben, die sich grundlegend von der Arkons und der der Galaktischen Händler unterscheidet. Während für uns das Leben vor allen anderen Erwägungen steht, kennen die Terraner die Achtung vor dem Leben nicht. Sie glauben so fest an ein Leben nach dem Tode, daß sie keine Bedenken haben, andere oder sogar sich selbst zu töten. Mit dem Tod ist für sie der schlechtere Teil des Lebens zu Ende, und der bessere beginnt. So widersinnig das in Ihren Ohren klingen mag, Terraner haben das Gefühl, einen Menschen, den sie töten, zu belohnen, denn sie verhelfen ihm ja zu einem Leben, nach dem sie sich alle sehnen.“
Ich antwortete nichts, denn ich wußte, daß er mich nur aufhetzen wollte. „Sie müssen in größerem Rahmen denken, Atlan“, fuhr er fort. „Klammern Sie sich nicht an diese kleinlichen Vorkommnisse. Für Sie ist nur das Große Imperium und seine Entwicklung wichtig. Für das Wohlergehen dieses größten und mächtigsten Staatsgebildes in der Geschichte dieser Galaxis sind schon viele Intelligenzen gestorben und werden auch noch viele ihr Leben lassen müssen. Manchmal geht es eben nicht anders.“ Ich schwankte wieder. Wußte Kalib Broltan doch viel mehr über das Imperium, als er mir bisher gesagt hatte? Das Rätsel war noch immer nicht gelöst. Es kam ja nicht nur darauf an, daß ich diesen Stützpunkt lebend verließ, ich mußte auch aufklären, woher ich gekommen war, und wer hinter diesem abscheulichen Komplott stand. „Sie können sich auf mich verlassen, Broltan“, entgegnete ich. Mein Mund war trocken. Ich ging zum Automaten und holte mir etwas zu trinken. Danach fühlte ich mich wohler. Die Tür öffnete sich. Ronald Tekener trat ein. „Kommen Sie mit, meine Herren“, sagte er. „Ich werde Sie zum Schiff führen.“ Wir gingen zur Tür. Er trat zur Seite, und wir verließen die Wohneinheit. Draußen auf dem Gang wachten zwei Roboter und drei uniformierte Männer. Wo war Chray, der Siganese? War er uns gefolgt? Tekener gab mir einen leichten Stoß gegen die Schulter. Damit bedeutete er mir, daß ich weitergehen sollte. Mir war unbehaglich zumute. Mein Doppelgänger mußte irgend etwas unternehmen, wenn er nicht sterben wollte. Seine letzte Möglichkeit, gegen uns vorzugehen, hatte er auf dem Weg zum Raumschiff. Bei dem Gedanken an den Raumer fiel mir wieder ein, daß ich auf dem Flug nach Quinto-Center keine Transition bemerkt hatte. Wieder stiegen Zweifel in mir auf. Träumte ich? War alles wirklich? Hatte man mich in einem Raumschiff hergebracht? Wenn ja, wie war das ohne Ent- und Rematerialisation möglich? Befand sich dieser Stützpunkt in einem Sonnensystem, so daß eine Überlichtgeschwindigkeit gar nicht notwendig gewesen war? Wie aber wollte Kalib Broltan dann entkommen? Mir wurde bewußt, daß
ich einfach zu wenig Informationen besaß, um Erfolg versprechend in die Entwicklung eingreifen zu können. Ich agierte in einer Welt, die ich nicht kannte. Der Narbengesichtige, der Springer und ich schwebten in einem aufwärts gepolten Antigravschacht nach oben. Wir schwiegen und beobachteten uns gegenseitig. Ich hielt es für durchaus möglich, daß Broltan versuchen würde, mich schon jetzt abzuschütteln. Für mich war es jedoch unerläßlich, daß ich mit auf das Schiff kam. Wir erreichten einen menschenleeren Gang, der mit einem roten Material ausgelegt war. Zahlreiche Türen zweigten von ihm ab. An den Wänden waren politische Karten befestigt, die über die Machtverhältnisse auf den verschiedenen Planeten der Galaxis Auskunft gaben. Ich wäre gern stehen geblieben, um sie mir anzusehen, obwohl ich mir darüber klar war, daß auch sie zu einem groß angelegten Bluff gehören konnten. Aber wir hatten keine Zeit, und wir durften uns nicht ablenken lassen. Mir wäre wohler gewesen, wenn ich eine Waffe gehabt hätte. „Vorsicht“, sagte der Springer plötzlich. Er blieb stehen. Tekener wollte ihm einen Stoß gegen den Rücken geben. Ich sah es und schlug seine Hand nach unten. In diesem Moment blitzte es auf. Ein nadelfeiner Energiestrahl fuhr auf ein unsichtbares Hindernis im Gang zu. Ich hörte es krachen, und dann stürzte uns ein Mann, der plötzlich wieder sichtbar wurde, vor die Füße. Der Energiestrahl hatte seine Brust durchbohrt und den Deflektorgenerator getroffen, den er an einem Gurt vor der Brust trug. Broltan fuhr herum und streckte Ronald Tekener wütend die geballte Faust entgegen, die den Zellaktivator und die Implosionsbombe umspannte. „Das versuchen Sie nicht noch einmal“, schrie er. „Niemand wird mir den Aktivator entreißen, auch kein Unsichtbarer. Ist das klar?“ Ronald Tekener blickte auf den Siganesen, der aus einer Brusttasche des Springers hervorsah und mit einem winzigen Energiestrahler auf ihn zielte. „Sie müssen uns schon einige kleine Tricks zugestehen, Broltan“, sagte er gelassen. „Auch wenn es Ihnen nicht paßt. Gehen Sie weiter.“ Er wartete, bis wir seinem Befehl gefolgt waren, dann beugte er
sich über den Mann, den Chray niedergeschossen hatte. Ich blickte zurück und erkannte, daß er tot war. „Bitte, haben Sie Verständnis dafür“, sagte ich und griff nach Tekeners Energiestrahler. Er packte meine Hand und hielt sie fest. „Nein, Atlan.“ „Doch, Mr. Tekener“, antwortete ich ruhig und bestimmt. Broltan kam zu uns. „Muß mein Siganese Ihnen erst zeigen, was Sie zu tun haben?“ Ronald Tekener verzog seine Lippen zu einem eigentümlichen Lächeln, das mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagte. Ich erkannte, daß dieser Mann ungeheuer gefährlich war. Ich gestehe, daß er mich unsicher machte. Deshalb richtete ich, einem spontanen Impuls folgend, den Energiestrahler auf seinen Kopf. Er sah mir direkt in die Augen und schüttelte den Kopf. „Hm, Atlan“, sagte er leise. „Sie sind kein Mörder. Das paßt nicht zu einem Kristallprinzen.“ Betroffen senkte ich die Waffe. Ich fühlte, wie mir Tränen der Erregung in die Augen stiegen. Abrupt wandte ich mich ab. Ich wußte, daß dieser Mann mich bis in die Tiefen meiner Seele durchschaut hatte. Er hatte recht. In meiner ersten Erregung hätte ich ihn ermorden können, aber ich wäre nie mit dieser Belastung fertig geworden. Eine solche Tat hätte mich mein ganzes Leben lang verfolgt. „Beeilen Sie sich, Broltan“, sagte ich heiser. Der Springer lachte leise. Skrupel, wie ich sie hatte, kannte er nicht. „Geben Sie mir die Waffe“, forderte er. „Besorgen Sie sich selbst eine“, riet ich ihm in schroffem Ton. Ronald Tekener tat, als sei nichts geschehen. Er führte uns durch einen Nebengang in einen Hangar, in dem ein scheibenförmiges Raumschiff von etwa dreißig Schritten Durchmesser stand. „Bitte sehr, meine Herren“, sagte er. „Es steht zu Ihrer Verfügung.“ „Ich hoffe nur, daß Sie keinen Trick versuchen, Tekener. Es würde Ihnen schlecht bekommen.“ „Halten Sie den Mund, Springer, und verschwinden Sie endlich.“ Broltan führte mich zur Bodenschleuse und ging als erster an Bord. Ich folgte ihm, wobei ich mich zwingen mußte, mein
Augenmerk nicht ständig auf das Schiff und seine Ausstattung zu richten. Der Springer schloß die Schleuse. „Ich rechne damit, daß Atlan versucht hat, jemand an Bord zu verstecken“, erklärte er mir. „Vielleicht sind Siganesen hier, die uns überrumpeln sollen. Wir werden starten, uns eine gewisse Strecke entfernen und dann alles genau untersuchen. Erst dann lasse ich den Zünder los.“ „Einverstanden.“ Im zentralen Liftschacht schwebten wir nach oben. Kalib Broltan setzte sich in den Sessel des Piloten. Diese Aufgabe hätte ich ohnehin nicht übernehmen können. Auf den Bildschirmen konnte ich sehen, daß der Hangar geräumt wurde. Die Schleusentore öffneten sich, und wir blickten in den Weltraum hinaus. Broltan schaltete eine Verbindung zur Funkleitzentrale von Quinto-Center. Als das Gesicht eines Terraners im Bildwürfel erschien, sagte er: „Darf ich Ihnen in Erinnerung bringen, daß die Position von Quinto-Center geheim ist? Also weiß ich nicht, wo ich mich befinde. Geben Sie mir bitte die Koordinaten eines Sonnensystems, das ich mit der Jet erreichen kann, so daß ich einen Bezugspunkt habe, von dem aus ich meinen Ausflug fortsetzen kann. Oder gehe ich fehl in der Annahme, daß Sie sich darüber noch keine Gedanken gemacht haben?“ Der Terraner ließ sich nicht anmerken, wie sehr er sich über diese Worte ärgerte. Mit nüchterner und unbeteiligter Stimme gab er dem Springer eine Reihe von Zahlen durch, die dieser sich sorgfältig notierte. Die Jet schwebte durch die Schleuse hinaus. Kalib Broltan schaltete schnell und sicher. Damit bewies er mir, daß er sich genau mit diesem Raumschiffstyp auskannte. * In Quinto-Center wurden in fieberhafter Eile Pläne entwickelt, verworfen, erneut ausgearbeitet, wiederum umgestoßen und diskutiert, bis schließlich eine kleine Reihe von nutzbaren Möglichkeiten blieb. Lordadmiral Atlan war nicht anzumerken, was er empfand. Jeder
wußte, daß er höchstens noch zwei volle Tage zu leben hatte, wenn es nicht gelang, den Zellaktivator zurück zu gewinnen. „Vielleicht wäre es doch besser gewesen, Broltan zu sagen, daß er mit dem Zellaktivator nichts anfangen kann, und daß er nur auf Sie abgestimmt ist“, sagte Ronald Tekener, als er nach dem Start der Jet zu Atlan in dessen Arbeitstrakt zurückgekehrt war. „Wir haben uns dagegen entschieden“, erwiderte der Arkonide. „Sie wissen ebenso gut wie ich, daß der Springer uns nicht geglaubt hätte. Nein, wichtig ist für uns, daß Zellaktivator und Bombe erst einmal voneinander getrennt werden – und das ist erst der Fall, wenn die beiden mit ihm allein sind.“ „Sie werden sich früher oder später darum schlagen.“ „Das wird sich nicht vermeiden lassen. Es tut mir leid um den Jungen.“ Ronald Tekener setzte sich Atlan gegenüber in einen Sessel. „Ihnen ist noch immer nicht eingefallen, wie die ganze Sache zustande gekommen ist?“ „Ich erinnere mich dunkel an eine Welt namens Tsopan. Sie wurde von einem eigentümlichen Volk bewohnt, das sich Skinen nannte. Aber nein, das ist alles zu phantastisch und hilft uns auch nicht weiter.“ „Wollen Sie mir nicht sagen, woran Sie gedacht haben?“ „Warum nicht, Ronald, aber es bringt wirklich nichts. Die Skinen zeichneten die Bewußtseinsinhalte intelligenter Lebewesen auf und speicherten sie. Auch mein Bewußtseinsinhalt wurde aufgenommen. Dabei gab es eine Panne. Sie spielte aber, wie ich meine, keine wesentliche Rolle. Entscheidend war, daß eine Bewußtseinskonserve auf Tsopan zurückblieb. Sie enthielt meine Persönlichkeit, so wie sie zu diesem Zeitpunkt war. Das Wissen des Jungen könnte ungefähr damit übereinstimmen.“ „Dann nehmen Sie also an, daß die Skinen diese Bewußtseinsaufzeichnung vor kurzer Zeit in den freien Raum abgestrahlt oder diesem Springer aufgezwungen haben?“ „Nein, Tek, das ist alles zu phantastisch. Damit kann man nicht arbeiten. Wenn so etwas Ähnliches überhaupt passiert ist, dann müssen die Skinen ihre Bewußtseinskonserven wie eine Funkbotschaft in die Galaxis geschickt haben. Curs Broomer wurde bei Arbeiten an der Außenhülle des Springerschiffes erwischt. Aber
lassen wir das. Wir kommen damit nicht weiter.“ „Auf jeden Fall sollten wir ein Kurierschiff nach Tsopan schicken. Es könnte immerhin sein, daß wir dort Anhaltspunkte finden – oder daß Curs Broomer-Atlan jetzt dorthin zurückbeordert wird.“ Atlan blickte überrascht auf. „Der Gedanke hat etwas für sich, Tek. Ich werde Ihnen einige Anhaltspunkte geben. Vielleicht finden die Astronomen Tsopan wieder.“ Das Gedächtnis des Arkoniden funktionierte ausgezeichnet, als er sich noch mehr als zuvor auf Tsopan konzentrierte. Schon zwei Stunden nach dieser Unterredung startete ein schnelles Raumschiff zu diesem Planeten. Die Nachricht, die Atlan wiederum einige Stunden später erhielt, war allerdings niederschmetternd. Tsopan existierte nicht mehr. Eine Katastrophe hatte den Planeten förmlich zerrissen. Die Reste bildeten einen Ring um die Sonne. Währenddessen warteten Atlan und Tekener nicht untätig ab. Bevor sie Kalib Broltan Daten übermittelt hatten, die er für seine Kosmo-Navigation benötigte, hatte der Arkonide eine Korvette an eben diesen bezeichneten Punkt geschickt. Eine weitere Korvette stand startbereit in einem der großen Hangare. Mit ihr wollte Atlan die Jagd aufnehmen, sobald die erste Positionsangabe durchkam. Als Tekener wieder zu ihm ins Büro kam und sich setzte, blickte Atlan auf sein Chronometer. „Vier Stunden sind vergangen“, sagte er. „In fünfzehn Minuten müßte sich der Peilsender zum ersten Mal melden – falls sie ihn nicht entdeckt haben.“ „Die beiden Jungen haben keine Chance“, erklärte Tekener zuversichtlich. „Wir werden sie schnappen, bevor die Zeit um ist.“ * Meine Verwirrung steigerte sich. Ich wußte wirklich nicht mehr, was ich noch glauben sollte. Als das Raumschiff beschleunigte, blickte ich auf die Instrumente. Ich sah, wie die Werte rasend schnell anstiegen, aber sie sagten mir nichts, weil mir die Bezugssysteme fehlten. „Erklären Sie mir doch ein wenig“, bat ich Broltan. „Ich würde
gern wissen, wie groß die Beschleunigung ist.“ Er nannte mir eine Reihe von Zahlen, mit denen ich überhaupt nichts anfangen konnte. „Wann kommt die erste Transition?“ „Wann kommt die… was?“ fragte er mich, als habe ich etwas Unanständiges gesagt. „Wann schalten Sie auf das überlichtschnelle Triebwerk um?“ „Ach, so“, sagte er grinsend. „Der Herr ist ja über zehntausend Jahre alt. Zu seiner Zeit gab es ja noch keine Lineartriebwerke, sondern nur diese alten Transitionsmaschinen.“ Ich ließ mir nicht anmerken, was ich empfand. Am liebsten wäre ich ihm an den Hals gesprungen und hätte ihn niedergeschlagen. Er wollte sich auf meine Kosten amüsieren. War dies nun wiederum Theater und Bluff, oder flogen wir wirklich? Die Jet besaß eine volltransparente Sichtkugel, durch die ich in den freien Raum sehen konnte. Stimmte das aber wirklich? Ich konnte nur dann feststellen, ob wir uns durch den Raum bewegten, wenn ich durch eine offene Schleuse hinausblickte. Alles andere konnte vorgegaukelt sein. Broltan blickte mich an. „Wann wollen Sie endlich akzeptieren, daß Sie nicht im Traumland leben, Kristallprinz?“ fragte er mich. „Sie befinden sich nicht mehr in der Epoche Orbanaschols. Das ist längst vorbei. Sie haben zehntausend Jahre übersprungen, und die Technik hat dabei einige Fortschritte gemacht. Passen Sie auf. Wir gehen jetzt zum überlichtschnellen Flug über. Ohne Transition.“ „Wie geht das?“ „Wir werden in den Linearraum eintreten, das ist eine Librationszone, die zwischen vier- und fünfdimensionalem Kontinuum besteht. In dieser Zone wird die Lichtgeschwindigkeit unendlich, das heißt also, daß wir tatsächlich stets unterhalb der Lichtgeschwindigkeit bleiben werden, obwohl wir in kürzester Zeit Entfernungen zurücklegen, von denen ihr alten Arkoniden nur träumen konntet.“ Ich fühlte einen leichten Druck auf den Magen, als er einige Tasten betätigte. Das Geräusch der Antriebsaggregate veränderte sich leicht. Außerhalb der Jet aber wandelte sich die Szene. Der nachtschwarze Raum wurde rot. Riesige Blasengebilde bewegten
sich darin wie gleitende Inseln auf einem Ozean, der von untergehenden Sonnen rot gefärbt wurde. Nur mit halbem Ohr hörte ich, wie Kalib Broltan sagte, diese Gebilde seien andere Galaxien. In meinem Kopf rauschte es. Ich sah den Springer neben mir, schien aber immer weiter von ihm abzurücken. Er schien nicht mehr zu meiner realen Welt zu gehören, sondern in eine Sphäre zu versinken, die einem Traumland glich. Zugleich kämpfte ich mit einer aufsteigenden Übelkeit. Kalib Broltan merkte, daß ich nicht in Ordnung war. Er kippte die Lehne meines Sessels nach hinten, so daß ich mich lang ausstrecken konnte. Danach wurde mir etwas besser, dennoch war ich nicht eigentlich das Opfer meines rebellierenden Nervensystems, sondern meiner chaotischen Gedanken. Was sollte ich denn noch glauben? War es nicht besser, wenn ich mich dazu durchrang, diese neue Welt zu akzeptieren? Ich mußte es tun, wenn ich nicht den Verstand verlieren wollte. Allmählich wurde mir besser, bis ich schließlich wieder klar sehen konnte. Wieder merkte Broltan, daß ich die Krise durchgestanden hatte. Er kippte meinen Sessel kurzerhand hoch. „Wir befinden uns wieder im Normalraum“, sagte er und deutete auf eine weiße Zwergsonne, die sich in einer Entfernung von etwa zwei Lichtstunden von uns befand. „Das ist die Position, die uns Atlan angegeben hat. Wir müssen damit rechnen, daß hier ein Beobachtungsschiff steht. Also sollten wir zunächst die kosmonautischen Karten durchsehen. Das könnten Sie übernehmen, Atlan, obwohl Sie sich in der Galaxis dieser Zeit kaum sehr gut auskennen werden. Ich werde die Jet zusammen mit Chray nach einem Peilsender untersuchen.“ „Sie glauben, daß wir einen Peilsender an Bord haben?“ „Natürlich! Denken Sie, Ihr Doppelgänger verschenkt seinen Zellaktivator einfach so? Nein, er wird kämpfen, so wie er vielleicht noch nie gekämpft hat. Sie sollten ihn doch am besten kennen.“ Kalib Broltan ging zum Kartentisch. Auf ihm lag der Zellaktivator, an dem noch immer die Implosionsbombe heftete. Er löste sie vorsichtig von ihm ab und nahm den Zellaktivator in die Hand. Mit glänzenden Augen betrachtete er ihn. Ich beobachtete ihn.
Kalib Broltan war am Ziel. Er brauchte mich nur noch zu töten, dann gehörte ihm diese geheimnisvolle Kapsel, die ihm die Unsterblichkeit schenken würde, ganz allein. Ich war fest davon überzeugt, daß er versuchen würde, mich zu beseitigen, wenn die Zeit gekommen war. Zugleich kamen mir Bedenken. War es nicht seltsam, daß mein Doppelgänger diesen Zellaktivator über 10.000 Jahre hinweg getragen hatte, ohne daß es einem anderen gelungen wäre, ihn zu stehlen? Unsterblichkeit, das ist etwas, wonach sich jedes intelligente Lebewesen sehnt. Ich war erst siebzehn Jahre alt und konnte mir noch nicht vorstellen, daß ich irgendwann einmal sterben mußte. Und dennoch übte dieses Gerät eine ungeheure Faszination auf mich aus. Dabei interessierten mich auch technische Fragen. Wie war es möglich, daß dieser Zellaktivator mehr als 10.000 Jahre lang funktionierte? In seinem Herzen mußte es eine Energiequelle geben, die winzig, unerschöpflich und unzerstörbar zugleich war. Welch überragender Geist hatte ein solches Instrument entwickelt und konstruiert? Es mußte jemand aus meiner Zeit gewesen sein. „Haben Sie sich nie gefragt, Broltan, weshalb der Arkonide den Zellaktivator mehr als 10.000 Jahre lang für sich bewahren konnte?“ Der Springer, der die Zentrale gerade verlassen wollte, fuhr herum, als habe ihn der Schlag getroffen. Er blickte mich mit funkelnden Augen an. Er sah aus, als wollte er sich im nächsten Moment auf mich stürzen. „Was wollen Sie damit sagen?“ fragte er barsch. „Nichts. Ich habe Ihnen nur eine Frage gestellt. Mehr nicht.“ Er kam langsam auf mich zu. „Eine sehr eigenartige Frage, finde ich. Was steckt dahinter?“ „Ich wundere mich nur darüber, daß Atlan den Zellaktivator noch immer hat. Sollte vor uns niemand auf den Gedanken gekommen sein, ihn ebenfalls an sich zu nehmen?“ Seine Augen flackerten. „Natürlich haben es welche versucht. Viele sogar. Er hat ihn sich immer wieder zurückgeholt.“ Er grinste sarkastisch. „Allerdings war niemand zuvor so raffiniert wie wir.“ „Ich meinte etwas anderes!“ „Was?“
„Könnte es nicht sein, daß Atlan den Zellaktivator immer wieder zurückgewinnen konnte, weil er genau auf ihn und seine Individualimpulse abgestimmt ist?“ Kalib Broltan fuhr auf mich zu und packte mich an der Hemdbluse. „Was wissen Sie davon?“ brüllte er mich an. Ich drückte seine Hände zur Seite und trat einen Schritt zurück. „Nichts“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Es war nur eine Überlegung von mir.“ „O ja, ich verstehe vollkommen“, sagte er zornig. „Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, daß nur Sie für den Zellaktivator in Frage kommen. Sie sind Atlan. Also haben Sie auch die gleichen Individualdaten wie er. Bei mir, das wollen Sie mir einreden, würde er eine vielleicht tödliche Wirkung haben, während er bei Ihnen die Unsterblichkeit verursacht.“ Ich lächelte kühl. „Sie wissen viel mehr über den Zellaktivator, als Sie mir bisher erzählt haben“, sagte ich. „Broltan, geben Sie zu, daß Sie genau diese Informationen über ihn erhalten haben, die ich angedeutet habe, aber Sie glauben nicht daran.“ „Nein“, schrie er mich mit fast hysterischer Wildheit an. „Nein, ich glaube nicht daran. Das ist alles Lüge. Das sind Gerüchte, mit denen Atlan den Zellaktivator sichern will. Er will anderen einbläuen, daß es sinnlos ist, wenn sie den Zellaktivator rauben und ihn sich selber umhängen. Er meint, mit diesem Unsinn intelligente Menschen abschrecken zu können. Aber er soll sich verschätzt haben!“ Kalib Broltan sprang mit einem Satz zum Kartentisch und legte sich den Zellaktivator an die Brust. Seine Hände klammerten sich um das Gerät. Mit glühenden Augen blickte er mich an, und seine Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. „Ich bin es, der unsterblich sein wird. Atlan wird in etwa zwei Tagen tot sein, aber ich werde leben.“ Er beruhigte sich ein wenig und fuhr dann gemäßigter fort: „Aber erst müssen wir unsere Flucht erfolgreich abschließen.“ „Sie gehen ein hohes Risiko ein.“ „Vielleicht, Atlan“, erwiderte er nüchtern. „Aber es ist alles ganz einfach: Wenn ich den Zellaktivator tatsächlich nicht vertrage, können Sie ihn sich noch immer nehmen. Sie brauchen noch nicht
um ihn zu kämpfen. Warten Sie doch erst einmal ab.“ Er hatte recht. Zugleich erschreckte mich die Kälte seiner Kalkulation.
7. „Helfen Sie mir“, sagte der Springer. „Wir müssen den Sender finden, sonst kommen wir nicht weit.“ „Das ist mir klar, Broltan.“ Vom Pilotensitz schwebte Chray zu uns herüber. Er wollte sich offensichtlich ebenfalls an der Suche beteiligen. „Wir nehmen uns gemeinsam Raum für Raum vor“, entschied der Springer. „Dann können wir uns am besten gegenseitig unterstützen.“ „Ich bin einverstanden.“ Ich kannte mich mit der neuen Technik nicht aus. Das wurde mir immer klarer, je länger wir uns bemühten, das Gerät zu finden, mit dem Atlan uns folgen zu können glaubte. Ich stellte Fragen über Fragen, während Broltan schweigend durch die einzelnen Abschnitte der Jet kroch. Wir unterbrachen die Arbeiten kurzfristig, weil der Springer ein primitives Suchgerät zusammenbauen wollte. „Es funktioniert aber nur, wenn der Sender funkt“, erklärte er mir. Seine Augen waren gerötet. Die Lider zeigten deutliche Schwellungen. Ich sah ein Zeichen der Erschöpfung darin. „Dann sollten wir in das Sonnensystem hineinfliegen und auf einem Planeten landen“, sagte ich und deutete dabei auf die Bildschirme, auf denen der Stern zu sehen war, in dessen Nähe wir aus dem Linearraum gekommen waren. „Der Sender gibt wahrscheinlich nur dann Impulse ab, wenn wir uns bewegen.“ „Sie sind gar nicht so dumm, Atlan“, erwiderte er anerkennend. „Wenn Sie ein bißchen von Ihrer Arroganz ablegen könnten, haben Sie alle Chancen, einmal ein vernünftiger Mann zu werden.“ Ich ging über diese beleidigende Bemerkung hinweg. Kalib Broltan setzte sich hinter die Instrumente. Die Jet beschleunigte und raste auf die Sonne zu. Ich war sicher, daß dort ein Beobachter des Lordadmirals wartete, der jede Bewegung, der Jet verfolgte. Aber das störte mich nicht. Wir mußten ohnehin
unverschämt viel Glück haben, wenn uns die Flucht gelingen sollte. Ich sagte auch nichts von meinen Überlegungen zu dem Springer, weil ich das Gefühl hatte, daß er nicht mehr stärker belastbar war. Seine Kräfte ließen nach. Die stundenlange Konzentration, die unser Kampf in Quinto-Center erfordert hatte, waren zuviel für ihn gewesen. Ich dagegen war immer noch frisch. „Da ist ein Planet“, meldete Broltan. „Er könnte günstig für uns sein.“ „Was haben Sie vor?“ „Ich werde dort landen, und dann werden Sie nach draußen gehen und die Jet von außen absuchen. Immerhin ist es möglich, daß Atlan den Peilsender an die Außenhaut geheftet hat.“ „Ich verstehe davon zu wenig“, entgegnete ich ruhig. „Es ist besser, wenn Sie das übernehmen. Ich werde im Schiff bleiben.“ Er blickte mich erregt an. „Das könnte Ihnen so passen.“ „Glauben Sie, ich würde Sie aussperren, Broltan? Was hätte ich davon? Ich könnte die Jet nicht steuern. Ich könnte also nicht verschwinden und Sie zurücklassen. Ganz anders aber sieht es umgekehrt aus.“ „Ich werde nicht vergessen, was Sie mir da vorgeworfen haben“, sagte er erregt. Ich lächelte und schwieg, denn ich wußte, daß ich seine geheimen Absichten erraten hatte. Kalib Broltan führte das kleine Raumschiff geschickt an den Planeten heran. Es war eine urwüchsige Welt, mit sieben riesigen Kontinenten und großen Wasserflächen. Weite Gebiete wurden von dichten Wäldern überzogen. Nur in der Nähe der beiden Pole lagen einige wüstenartige Gebiete. Der Springer landete in einem solchen Streifen, weil die Umgebung hier besonders übersichtlich war. Er setzte die Jet auf der Kuppe eines lang gestreckten Hügels auf. Von hier aus konnten wir die Umgebung in allen Richtungen gut übersehen, so daß wir von unerwarteten Besuchern nicht überrascht werden konnten. Kalib Broltan nahm einen Schutzanzug aus einem der Schränke und streifte ihn sich über. Bevor er das Schiff verließ, deutete er auf den Siganesen und sagte: „Chray wird auf Sie aufpassen, Atlan. Er wird dafür sorgen, daß
Sie mich nicht hereinlegen.“ „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“ Seine Augen waren blutunterlaufen. Dunkle Ränder umgaben sie. Er sah krank aus. Ich wartete, bis er den Raumer verlassen hatte, dann streifte ich mir selbst einen Schutzanzug über und ging durch die Bodenschleuse hinaus. Erst jetzt, als ich natürlichen Boden unter meinen Füßen fühlte und das Land mit eigenen Augen sah, wurde mir in aller Deutlichkeit bewußt, daß ich weder geträumt hatte, noch einem Täuschungsspiel zum Opfer gefallen war. Alles was ich erlebt hatte, war wirklich geschehen. Den Flug durch den Linearraum gab es tatsächlich. Die so genannte „Sprungtechnik“ war überholt. Das war für mich der letzte Beweis dafür, daß sehr viel Zeit vergangen sein mußte. Neue Raumschiffstriebwerke für Überlichtgeschwindigkeiten wurden nicht im Handumdrehen entwickelt. Die Technik war vielmehr so kompliziert geworden, daß neue Verfahren erst nach jahrzehnte- oder jahrhundertelanger Arbeit realisiert werden konnten. Ich hörte Kalib Broltan auf der anderen Seite des Schiffes arbeiten. Er klopfte die Wandungen ab. Irgend etwas warnte mich. Ich spürte, daß etwas nicht in Ordnung war und versuchte, wieder ins Schiff zu kommen. Chray flog mir entgegen. Er zielte mit seinem Kombistrahler auf mich. Unwillkürlich duckte ich mich ab. Der nadelfeine Energiestrahl zuckte dicht an meinem Kopf vorbei. Ich reagierte instinktiv und schlug mit der Hand nach dem Siganesen. Ich traf ihn und schleuderte ihn weit von mir weg. Herumfahrend beobachtete ich, daß er sich in der Luft mehrmals überschlug. Etwa zehn Schritte von mir entfernt fing er sich ab. Ich sprang in die Schleuse, weil ich einen weiteren Angriff erwartete, doch Chray verhielt sich völlig anders, als ich gedacht hatte. Er floh! Ich blickte ihm nach und wußte nicht, was ich davon halten sollte. Plötzlich stand Kalib Broltan neben mir. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Wie wild versuchte er seinen Schutzanzug zu öffnen, und an die Taschen seiner Kombination zu kommen. Ohne Rücksicht auf Mikroben zu nehmen, die möglicherweise in der Atmosphäre dieses Planeten enthalten waren, riß er sich den Schutzhelm herunter und holte schließlich eine flache Metalldose aus der Tasche. Er
klappte sie auf, und ich sah eine Reihe von winzigen Tasten und Knöpfen. „Was tun Sie?“ fragte ich. „Das geht Sie gar nichts an.“ Er wollte einige Tasten drücken. Ich packte seinen Arm. „Vielleicht doch!“ „Chray ist mein Sklave“, brüllte er mich an. „Was ich mit ihm tue, ist meine Sache.“ „Wirklich? Was haben Sie denn mit ihm vor?“ „Ich will ihm befehlen, zu mir zurückzukommen.“ „Warum nehmen Sie nicht das Funkgerät?“ Er schüttelte den Kopf, deutete auf die Schaltungen und erklärte mir: „Ich habe eine Reihe von positronischen Bauelementen in sein Gehirn verpflanzt. Damit kann ich ihn ganz nach meinem Willen steuern.“ Ich schlug ihm blitzschnell die Dose aus der Hand. Sie fiel auf den Boden, und ich setzte den Fuß darauf. „Sie werden ihm die Freiheit geben“, sagte ich entschlossen. „Ich werde jedenfalls nicht zulassen, daß Sie so etwas mit ihm machen.“ Er sah ein, daß es sinnlos war, mit mir zu kämpfen. Vielleicht wollte er seine Kräfte auch für später aufsparen. Er gab nach, drehte sich um und entfernte sich wieder. Ich wußte, daß ich mir einen Todfeind geschaffen hatte. Chray gönnte ich die Freiheit, wenngleich er versucht hatte, mich zu töten. Er. war nicht dafür verantwortlich zu machen, was er getan hatte. Erst jetzt war er frei. Wahrscheinlich zog er ein einsames Leben auf diesem unbesiedelten Planeten vor. Ich glaubte nicht, daß er zurückkommen würde. Um mich nicht noch weiteren Gefahren auszusetzen, ging ich in die Jet zurück. * Ich konzentrierte mich auf das mittlere Deck der Jet, das den Maschinenraum mit dem Antrieb und den Generatoren enthielt. Hier fand ich auch die Bordwaffen. Sie faszinierten mich derart, daß ich mich intensiv mit ihnen beschäftigte und dabei fast vergaß, daß es hauptsächlich darum ging, den Peilsender zu finden. Ich stellte schon
bald fest, daß Lordadmiral Atlan die Geschütze unbrauchbar hatte machen lassen. Wichtige Teile fehlten. Ich war nicht überrascht, denn ich hatte mit einer derartigen Maßnahme gerechnet. Auf die Waffen aber kam es gar nicht an. Ich brauchte nur das Raumschiff mit seinem phantastischen Antrieb, das mich in die Lage versetzte, jedes Ziel zu erreichen, das ich anstrebte. Hätte ich ein derartiges Schiff in meinem Kampf gegen Orbanaschol gehabt, dann hätte ich seine gesamte Flotte an der Nase herumführen können. „Das war’s wohl“, sagte Kalib Broltan plötzlich hinter mir. Zugleich versuchte er mir den Energiestrahler zu entreißen. Im letzten Moment warf ich mich zur Seite, wobei ich die Waffe festhielt. Fluchend blickte er auf mich herab. Er hielt ein kompliziert aussehendes Instrument in der Hand. Es hatte ihn behindert, sonst wäre ich wohl schon tot gewesen. Ich erhob mich, als sei überhaupt nichts vorgefallen. „Ist das der Peilsender?“ „Das ist er.“ Broltan ließ seinen Fund achtlos auf den Boden fallen. „Wir können weiterfliegen.“ Er drehte sich um und verließ den Maschinenraum. Als ich das oberste Deck betrat, saß er bereits am Steuerpult. Die Antriebsaggregate liefen an. Ich sah, daß der Springer sich suchend umsah. Er vermißte Chray, seinen Siganesen, aber dieser dachte offensichtlich nicht daran, sich uns anzuschließen. Ich beobachtete den Springer, als die Jet startete und mit hoher Beschleunigung durch die Atmosphäre jagte. Kalib Broltan hatte sich erschreckend verändert. Seine Augen waren stark haloniert. In der Haut seiner Wangen glaubte ich, rötliche Risse sehen zu können. Und die Adern traten so stark hervor, als würden sie kaum noch von Fettgewebe überdeckt. Seine Hände zitterten. Als wir den freien Raum erreicht hatten, nahm der Springer einige Kursberechnungen vor. Dabei bediente er sich der Sternenkarten, die wir vorgefunden hatten. Er erledigte diese Arbeit erstaunlich schnell und präzise, unterbrach sie nur einige Male, um sich aus dem Automaten etwas Wasser zu holen. Er trank wie ein Verdurstender. „Kalib“, sagte ich in aller Ruhe. „Sie sollten den Zellaktivator
ablegen. Sie vertragen ihn nicht.“ Er schüttelte den Kopf und ging nicht darauf ein, aber seine Hände schlossen sich um die Kapsel. Viel später, als die Jet sich der Lichtgeschwindigkeit näherte und unmittelbar davor stand, in den Linearraum zu gehen, sagte er scheinbar zusammenhanglos: „Eher zerstöre ich sie.“ Dann schaltete er. Die Jet glitt in die Librationszone zwischen vier- und fünfdimensionalem Kontinuum. Unmittelbar davor, so knapp, daß kaum ein Unterschied feststellbar war, blitzte es auf dem Instrumentenpult Broltans auf. Er fluchte. „Es ist noch ein Peilsender an Bord!“ Wir blickten uns an. Mein Doppelgänger hatte versucht, uns zu täuschen. Dabei hatte er Broltan nur ein wenig unterschätzt. Da dieser Positronik-Spezialist war und als Schwachstromingenieur gearbeitet hatte, hatte er einige Vorbereitungen getroffen. So zeigte ein kleines Gerät, das er in die Ortungsanlage eingesetzt hatte, die Impulse jedes eigenständigen Senders an. „Er wollte uns hereinlegen“, sagte Broltan wütend. „Draußen hat er einen Sender anbringen lassen, der relativ einfach zu finden war. Er hat sich wohl eingebildet, daß wir uns damit zufrieden geben würden.“ Er unterbrach den Linearflug. Die Jet kehrte in das Normalkontinuum zurück. „Wir suchen weiter“, sagte er. Als er sich erhob und den Kommandostand verlassen wollte, wäre er fast gestürzt. Sein Gesicht verzerrte sich. Wieder krallte er die Hände um den Zellaktivator. Ich erschrak. Würde er das unersetzliche Instrument wirklich zerstören? Das konnte ich nicht zulassen. Notfalls mußte ich ihn töten, um den Zellerneuerer zu retten. Broltan fing sich wieder. Er atmete schwer und keuchend. Wieder trank er etwas Wasser. Danach schien es ihm besser zu gehen. Wir begannen erneut mit der Suche nach dem Peilsender. Ich ließ mir Zeit, denn ich wußte, daß die Zeit für mich arbeitete. Je länger wir uns im Nichts aufhielten, desto geringer wurden die Chancen für den Lordadmiral, desto mehr verschlechterte sich aber auch der Gesundheitszustand des Springers. Ich zweifelte nicht ein einziges Mal daran, daß der Zellaktivator
ihn umbringen würde, während ich ihn vertragen konnte. Ich war Atlan – ebenso wie jener ältere Mann in Quinto-Center Atlan war. Ich existierte zweimal, und beide Atlans waren völlig identisch miteinander. Es war nur ein geringer Altersunterschied vorhanden. Für mich stand fest, daß der Zellaktivator diese kleine Differenz zwischen uns beiden mißachten würde. Wieder war es Kalib Broltan, der den Sender fand. Er brüllte meinen Namen, und ich sank im Antigravschacht nach unten. Der Springer befand sich auf dem untersteh Deck. Immer wieder trat er mit dem Fuß nach einem kniehohen Roboter, der auf Gleisketten lief, einen eiförmigen Hauptkörper und vier Greifarme hatte. Ich könne mir nicht vorstellen, wozu dieses Ding dienen sollte. „Das ist er, Atlan“, rief der Springer, beugte sich über den Roboter und klappte ihn auf. „Das ist der Sender. Verteufelt gut untergebracht. Schießen Sie mit Ihrem Strahler hinein. Dann ist er erledigt.“ Ich griff zur Waffe. Mir wurde heiß. Ich mußte sie auf kleinste Wirkung, also auf Nadelstrahl, justieren. Aber was mußte ich dazu tun? Ich durfte mir nicht anmerken lassen, wie hilflos ich war. Broltan wartete ja nur darauf, mir den Strahler abnehmen zu können, um mich dann damit zu erschießen. Ich legte meine Finger um ein kleines Stellrädchen an der Seite und drehte daran. Der Springer beobachtete mich aufmerksam. Ich blickte ihm ins Gesicht, und ich sah ihm die Enttäuschung an. Da wußte ich, daß ich es richtig gemacht hatte. Ich zielte auf das Innere des Roboters und löste die Waffe aus. Ein nadelfeiner Energiestrahl zerstörte den Sender. Ich atmete auf und schob den Strahler in den Gürtel zurück. „Das war’s dann wohl“, sagte ich. Er ging an mir vorbei, ohne zu antworten, und glitt im Antigravschacht nach oben. Ich folgte ihm vorsichtig, ständig darauf gefaßt, von ihm überfallen zu werden. Als ich in die Zentrale kam, saß er jedoch schon wieder vor den Instrumenten. Die Jet, die bis jetzt antriebslos durch das All gefallen war, beschleunigte wieder. Kurz darauf ging sie zum Linearflug über. Wir beide achteten auf den Lichtknopf, der uns einen Impuls eines Peilsenders anzeigen würde, doch es gab kein Zeichen. Wir blickten uns an.
Wir hatten es geschafft. Lordadmiral Atlan war abgeschüttelt. Er hatte keine Chance mehr. Fast tat er mir leid, denn ich wußte, daß ich ihn mit dem Schuß auf den Roboter praktisch getötet hatte. * Die Korvette IZMIR lag auf Wartestellung weit außerhalb des Eidre-Systems, in dem sich der Beobachter befand. Atlan atmete auf, als dieser ihm meldete, daß die Jet mit dem Springer und dem jugendlichen Atlan gestartet war. „Ich fürchtete schon, sie würden dort bleiben“, sagte er zu Tekener, der neben ihm in der Hauptleitzentrale saß. Kommandant Veller hielt die Funkverbindung mit dem Eidre-System ständig aufrecht. „Wir sollten angreifen“, sagte Tekener. „Mir gefällt das nicht. Leider haben wir nicht mehr viel Zeit.“ „Das ist mir bekannt“, entgegnete der Lordadmiral. Er blickte auf sein Chronometer. Ihm blieben nur noch etwa 46 Stunden. „Ich frage mich nur, was wir tun sollen, wenn Broltan und der Junge auf den Gedanken kommen, die restliche Zeit einfach irgendwo im All abzuwarten. Der Springer weiß, worum es geht. Er hat sich offensichtlich sehr intensiv mit Zellaktivatoren befaßt.“ „Das wäre das Schlimmste, was Uns passieren könnte“, antwortete Atlan, „aber daran glaube ich nicht. Broltan wird sehr bald feststellen, daß die Sauerstoffvorräte schnell zu Ende gehen. Er muß irgendwo landen. Vielleicht bleibt er sogar im Eidre-System.“ „Das wäre etwas zu früh.“ Atlan nickte. „Es tut mir leid um den Springer, aber er hat es nicht anders verdient.“ „Sie glauben also wirklich, daß er den Zellaktivator zuerst umlegt?“ „Ich bin davon überzeugt.“ „Ich hoffe nur, daß alles gut geht.“ „Danke, Tek. Ich weiß, wie Sie es meinen.“ Kommandant Veller kam zu ihnen. „Sir, die Jet ist gestartet und verläßt das Eidre-System.“ „Wir rücken näher heran. Sie darf uns nicht entkommen.“
Veller bestätigte und kehrte auf seinen Platz zurück. Wenig später beschleunigte die Korvette. Schweigend warteten Tekener und Atlan ab. Sie blickten auf die Ortungsschirme. Auf ihnen konnten sie den Flug der Jet verfolgen. Wieder kam der Kommandant zu ihnen. „Sie haben einen der Peilsender gefunden und ausgeschaltet.“ „Damit haben wir gerechnet.“ Die Korvette hielt die Distanz zur Jet. Sie blieb ihr auch auf der Spur, als sie in den Linearraum überging. Als sie jedoch unmittelbar darauf wieder in das Normalkontinuum zurückkehrte, sprang der Lordadmiral auf und ging zum Kommandanten. Tekener folgte ihm. Die beiden Männer blickten sich flüchtig an. Sie wußten, was diese Unterbrechung zu bedeuten hatte. „Sie haben gemerkt, daß noch ein Sender an Bord ist“, sagte Tekener. „Es sind noch zwei Sender da“, bemerkte Atlan. „Sollen sie ruhig noch einen finden. Der dritte wird erst dann zu senden beginnen, wenn die Sauerstoffvorräte zu Ende gehen.“ Tekener schwieg. Er wußte, daß Atlan gewagt kalkulierte. Der letzte Sender würde nur dann arbeiten, wenn Sauerstoffnot an Bord eintrat. Das aber würde nicht der Fall sein, wenn die Jet auf einem erdähnlichen Planeten landete und die Schleusen öffnete, denn dann wurde das bordeigene Versorgungssystem nicht beansprucht. Die nächste halbe Stunde verstrich, ohne daß jemand etwas sagte. „Es geht weiter“, meldete Kommandant Veller endlich. Die Jet beschleunigte wieder und verschwand im Linearraum. Dieses Mal strahlte sie kein Peilzeichen aus. Sie tauchte ins Nichts. Betroffen setzte Atlan sich in seinen Sessel. Er spürte, daß er verloren hatte. Kalib Broltan war raffinierter gewesen, als er angenommen hatte. „Versuchen Sie, der Jet zu folgen“, rief Atlan. Die IZMIR ging ebenfalls in den Linearraum. Die Ortungszentrale arbeitete mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Tatsächlich fing der Beobachter im Eidre-System die an Bord der Jet errechneten Kursdaten auf. Auch hier hatte Atlan einige Vorbereitungen getroffen und der Positronik ein Normalfunkgerät beigegeben, in der
Annahme, daß Broltan sich nur auf einen Hyperfunk-Peilsender konzentrieren würde. Als die IZMIR den Linearraum wieder verließ, fing sie die Meldung des Beobachters auf, der die Daten per Hyperfunk übermittelte. Unmittelbar darauf konnte die Jet in einer Entfernung von einigen Lichtminuten geortet werden. Wiederum konnten über Normalfunk neue Daten aufgefangen werden, aber dann verschwand die Jet. Die IZMIR jagte ihr nach, aber als sie die Position erreichte, an der das kleine Raumschiff hätte sein müssen, war es bereits verschwunden. Alle Bemühungen, es erneut aufzuspüren, blieben vergeblich. „Jetzt bleibt nur noch eine Hoffnung“, sagte der Lordadmiral zögernd. „Sie müssen irgendwo landen.“ „Und dann müssen sie noch einen Fehler machen, der auffällig genug ist“, fügte Tekener hinzu. Atlan wandte sich ab und verließ die Zentrale. Tekener brauchte ihn nicht darauf hinzuweisen, wie gering die Chancen waren. Die Jet unter diesen Umständen wieder zu finden, war nahezu unmöglich. Ronald Tekener ging in die Funkleitzentrale. „Geben Sie das Signal ‚Spektrum’ hinaus“, befahl er. „QuintoCenter soll noch einmal überprüfen, wie weit die Jet mit ihren Sauerstoffvorräten kommen kann. Danach müssen alle Spezialisten auf den Welten, die möglicherweise von der Jet angeflogen werden, verständigt werden. Sie sollen uns sofort melden, wo Broltan und Curs Broomer aufgetaucht sind, wenn sie sie entdecken.“ Das war die letzte Hoffnung, die noch blieb. Die beiden Springer konnten nicht im All abwarten, bis die 62 Stunden-Frist abgelaufen war. Sie mußten irgendwo landen und das Schiff verlassen. Sie konnten erst wieder starten, wenn die Sauerstofftanks gefüllt waren. Diese Arbeit konnte unter Umständen in wenigen Minuten erledigt sein, wenn sie einen gut ausgestatteten Raumhafen erreichten. Es genügte aber auch, wenn sie auf einem unbesiedelten Sauerstoffplaneten einfach nur die Schleusen öffneten. Dadurch würden sie Zeit gewinnen. Jede Minute, die sie auf diese Weise für sich sicherten, brachte Atlan dem Tod näher.
8. Mit Kalib Broltan ging es zu Ende. Seine Gliedmaßen schwollen in erschreckender Weise an, und auch sein Gesicht sah viel voller aus als vorher. „Seien Sie vernünftig“, sagte ich zu ihm. „Legen Sie den Zellaktivator ab, bevor es zu spät ist.“ „Das sind nur Umstellungsschwierigkeiten. Mein Körper wird umstrukturiert. Bald sieht alles ganz anders aus.“ „Sie sind ein Narr, Kalib Broltan.“ Die Jet raste durch den Linearraum. Ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden. Hin und wieder studierte ich die Sternenkarten. Ich hatte keine Mühe, Arkon auszumachen, aber da der Springer mir keine Angaben über unsere augenblickliche Position machte, wußte ich noch nicht einmal, in welchem Sektor der Galaxis wir waren. Flüchtig überlegte ich, ob ich Broltan töten sollte. Diese Lösung bot sich an. Er würde ohnehin sterben, aber es würde lange dauern, bis es soweit war. In dieser Zeit konnte er den Zellaktivator zerstören. Dieses Risiko durfte ich nicht eingehen. Auf der anderen Seite brauchte ich den Springer, denn ich konnte die Jet nicht allein fliegen. Natürlich hatte ich eine hervorragende Ausbildung genossen. Fartuloon, der Bauchaufschneider, hatte mir alles beigebracht, was ich wissen mußte, um ein Raumschiff fliegen zu können. Aber meine Kenntnisse bezogen sich auf die Raumer, die von Arkoniden konstruiert waren. Sie verfügten über Transitionstriebwerke. Die Schaltungen und Steueranlagen dieser Space-Jet sahen ganz anders aus als die der arkonidischen Raumer, auf denen ich trainiert hatte. Ich beobachtete Broltan genau, um so schnell wie möglich zu lernen. Immer wieder stellte ich Fragen, aber er beantwortete sie nicht. „Wir sind ein Team, Atlan. Wir hängen unlösbar voneinander ab. Ich kann dieses Raumschiff fliegen, und Sie haben die Waffe.“ Ich schwieg dazu. Was hätte ich auch sagen sollen? Wir standen uns mit gleichwertigen Waffen gegenüber. Ich konnte es mir nicht leisten, den Springer zu töten. Er wiederum konnte mich nicht umbringen,
weil er keine Waffe hatte. Was sollte ich tun? Durfte ich abwarten, bis Broltan völlig durchdrehte und dann den Zellaktivator zerstörte? Wie konnte ich die Jet aus dem Linearraum bringen? Würde sie von selbst aus ihm austreten, wenn die Energievorräte zu Ende gingen? Nein, Broltan mußte das Schiff zu einem Sauerstoffplaneten lenken, wo ich es verlassen konnte. Ich konnte ihn nicht ausschalten, weil ich dann früher oder später per Hyperfunk um Hilfe hätte rufen müssen. Das aber wäre gleichbedeutend mit einer Niederlage gewesen. Ich konnte mir schon vorstellen, wer mir als erster zur Hilfe kommen würde. Mein Doppelgänger Atlan! Damit war nichts gewonnen. „Wohin fliegen wir?“ fragte ich. „Der Name des Sonnensystems sagt Ihnen überhaupt nichts, Atlan. Ich weiß, was ich tue, verlassen Sie sich darauf.“ „Ich finde, daß es heiß und stickig ist. Können Sie die Klimaanlage nicht etwas anders einstellen?“ Er blickte mich an, als habe er nicht richtig verstanden. „Und ich dachte, das hätte mit dem Ding da zu tun.“ Er tippte mit dem Finger gegen den Zellaktivator. „Ich dachte, Sie merken nichts davon.“ Er erhob sich und ging einige Schritte zur Seite, um einige Instrumentenanzeiger abzulesen. Schwerfällig drehte er sich um. Sein ganzer Körper war mit Ödemen bedeckt. Unter den Augen hatten sich Tränensäcke gebildet. „Dieser arkonidische Verräter hat uns betrogen“, sagte er keuchend. „Ich verstehe nicht.“ „Wir haben zu wenig Sauerstoff. In vier Stunden sind wir erledigt, wenn wir nicht bis dahin auf einem geeigneten Planeten gelandet sind.“ „Haben Sie die Vorräte der Schutzanzüge berücksichtigt?“ Er lachte bitter. Ich sah, daß mehrere seiner Zähne locker waren. „Natürlich habe ich das.“ Er kehrte zu seinem Pilotensitz zurück und ließ sich ächzend in die Polster sinken. Wenig später verließ die Jet den Linearraum. Broltan nahm eine Reine von Positionsberechnungen vor, bei denen ich ihm
nicht folgen konnte, weil ich die Sprache der positronischen Rechner nicht beherrschte. Wieder einmal zeigte sich, wie wenig mir meine ganzen Kenntnisse auf diesem Schiff nützten. „Wir können es schaffen“, sagte der Springer plötzlich. Wieder beschleunigte die Jet und tauchte in den Linearraum. Staunend beobachtete ich wiederum die Veränderungen des Universums durch die Sichtkuppel des Raumschiffs. Es war ein faszinierender Anblick, wie ich ihn nie zuvor genossen hatte. Mir wurde nicht mehr übel. Ich hatte mich bereits an diese phantastische Art der überlichtschnellen Reise gewöhnt. Als die Jet in das Normalkontinuum zurückkehrte, sah ich eine hellrote Sonne vor uns. „Das müßte das Effnoy-System sein“, erklärte Broltan mir. Er konnte kaum noch sprechen. Der Atem ging ihm pfeifend durch die Kehle. Seine Haut begann sich schwärzlich zu verfärben. Er sah aus, als ob er bei lebendigem Leibe verfaulte. „Die Sonne hat vier Planeten, wenn ich mich nicht irre. Nummer zwei ist Karagam, eine Welt mit dünner, aber gut atembarer Atmosphäre.“ „Besiedelt?“ „O ja. Es gibt laut Unterlagen dort sogar einen Raumhafen, auf dem wir uns neue Vorräte besorgen können. Atlan soll sich verschätzt haben.“ Ich ging zu der Instrumenten wand, um selbst abzulesen, wie viel Sauerstoff wir noch hatten. Dabei merkte ich nicht, daß Broltan lautlos aus seinem Sessel glitt und sich von hinten an mich heranschlich. Erst im allerletzten Augenblick sah ich ihn in den spiegelnden Instrumenten. Ich fuhr herum, konnte dem wuchtig geführten Schlag jedoch nicht mehr voll ausweichen. Er hielt einen dünnen Stahlstab in der Hand. Ich wußte nicht, woher er ihn hatte. Erstaunlicherweise beschäftigte mich diese Frage mehr als der Angriff. Ich reagierte zu langsam, und der Stab fuhr mir in die rechte Schulter. Ich schrie auf. Rasender Schmerz lähmte meine rechte Seite. Der Springer trat nach mir und traf mich am Knie. Ich stürzte zu Boden und sah, wie er sich über mich warf, um mir den Stab ins Herz zu stoßen. Ich wälze mich zur Seite und entging dem Stahl. Broltan blieb dennoch im Vorteil. Er lag mit seinem ganzen
Gewicht auf meinem rechten Bein, während mein rechter Arm bewegungslos war, und ich nicht zum Strahler greifen konnte. Ich ruckte hoch und schlug ihm mit aller Kraft meine linke Faust unter das Kinn. Die Haut platzte auf. Der Springer taumelte. Endlich bekam ich meinen rechten Arm hoch. Ich zerrte den Strahler aus dem Gürtel, als er wiederum wie ein Wahnsinniger mit dem Stahlstift angriff. Ich konnte nicht verhindern, daß er mich abermals in der Schulter traf, dann aber konnte ich mein Bein unter ihm herausziehen und mich blitzschnell von ihm wegrollen. Seine Stichwaffe knallte auf den Boden der Kommandozentrale. Zwei Schritte von ihm entfernt blieb ich liegen und preßte meine Hand gegen die stark blutende Schulter. „Seien Sie vernünftig, Broltan“, sagte ich keuchend. „Wir haben nichts davon, wenn wir uns gegenseitig töten!“ Er lachte verächtlich, richtete sich auf und kam langsam auf mich zu. Auch ich erhob mich und nahm den Energiestrahler in die linke Hand. Ich zielte auf ihn. Der Springer schüttelte den Kopf. „Nein, Atlan, mein Junge, du wirst nicht auf mich schießen. Das weiß ich genau. Du könntest den Zellaktivator treffen, und das willst du nicht.“ „Der Zellaktivator ist mir gleichgültig, Kalib“, entgegnete ich. „Mir geht es um die Jet. Ich kann sie nicht fliegen, nur Sie können das. Ich darf Sie nicht töten, weil ich sonst nicht auf einem der Planeten landen könnte.“ Langsam hob er die rechte Faust mit dem Stahlstift. „Aber ich kann dich umbringen, ohne dadurch etwas zu verlieren, Atlan, und ich werde es tun.“ Ich sah den Angriff kommen und wich ihm aus. Das war nicht schwer. Broltan bewegte sich so langsam und so mühsam, daß er mir nunmehr weit unterlegen war. Er blieb stehen und blickte mich aus tief roten Augen an, als er merkte, wie hilflos er war. Da machte ich den entscheidenden Fehler. Ich sprang ihn an, umklammerte ihn und riß ihm blitzschnell den Zellaktivator mit der Kette über den Kopf. Er brüllte auf wie ein Tier und versuchte, das Instrument zurückzubekommen, von dem er ewiges Leben erwartete. Dabei knickte ihm ein Bein vor Schwäche weg. Kalib Broltan stürzte. Ich
sah das Verhängnis kommen und wollte eingreifen, aber ich reagierte zu spät. Der Springer fiel direkt in den Stahlstift. Er bohrte ihn sich in die Brust. Kalib Broltan war sofort tot. * Ich brachte die Leiche nach unten ins Zwischendeck und verstaute sie dort in einer leer stehenden Kammer. Als Broltan vor mir lag, sah ich ihn mir noch einmal genau an, obwohl sich mir fast der Magen umdrehte. Der Zellaktivator hatte verheerend gewirkt. Der Springer glich einem Seuchenopfer. Sein Körper bildete ein einziges, großes ödem. Die Zellmembranen schienen sich aufgelöst zu haben, so daß die Körperflüssigkeit überall austreten konnte. Nachdenklich kehrte ich in die Zentrale zurück. Jetzt war ich längst nicht mehr so sicher wie zuvor, daß der Zellaktivator bei mir eine positive Wirkung haben würde. Ich brauchte ihn ja noch nicht gleich anzulegen. Mit siebzehn Jahren hat man Zeit und kann warten. Vielleicht sollte ich das Gerät irgendwo verstecken. In zehn Jahren konnte ich es mir immer noch holen. Als ich mich in den Pilotensessel setzte, wurde mir bewußt, daß für mich überhaupt kein Zellaktivatorproblem bestand. Es ging um etwas ganz anderes. Die Space-Jet jagte mit annähernd Lichtgeschwindigkeit auf eine hellrote Sonne zu, und ich wußte nicht, wie ich das Raumschiff lenken mußte. Ratlos blickte ich auf die zahllosen Instrumente. Vorhin, als Broltan noch gelebt hatte, war ich der Ansicht gewesen, notfalls doch etwas bewerkstelligen zu können. Jetzt war ich anderer Meinung. Was mußte ich tun, um die Geschwindigkeit herabzusetzen? Ich erhob mich wieder und nahm einen Schutzanzug aus einem Ausrüstungsschrank. Vorsorglich überprüfte ich das Atemgerät. Ich wollte nicht überrascht werden, falls die Luft in der Jet noch knapper wurde oder die Klimaanlage ganz ausfiel. Ruhe bewahren! mahnte mein Extrahirn. Hatte ich nicht schon dadurch viel gewonnen, daß ich mich im
Normalkontinuum bewegte? Ich befand mich in der Nähe einer Welt, auf der ich leben und atmen konnte. Ich hatte eine hervorragende Ausbildung als Raumschiffspilot genossen. Das Problem ist lösbar! stellte der Logiksektor nüchtern fest. Ich mußte ihm recht geben. Wenn ich kühl genug blieb und nicht in Panik verfiel, dann mußte ich es schaffen können, die Jet auf den Planeten herunterzubringen. Es ist zu schaffen! Vorsichtig begann ich damit, einige Schaltungen auszuprobieren. Noch war ich weit von der Sonne entfernt. Ich konnte den Sauerstoffplaneten schon erkennen, hatte aber noch viel Zeit. So konnte ich unbeeinflußt von allzu starken Gravitationszügen experimentieren. Unversehens glitt das Schiff in den Linearraum, aber schon im gleichen Atemzug korrigierte ich meine Schaltung und kehrte in das Normalkontinuum zurück. Ich begann zu schwitzen. In dieser außerordentlich kurzen Zeitspanne hatte ich eine ungeheure Entfernung zurückgelegt. Hatte ich den zweiten Planeten bislang nur als kleinen Ball gesehen, so blickte ich jetzt auf eine Welt, die nur noch wenige Lichtsekunden von mir entfernt war. Aber nicht das erschreckte mich am meisten! Viel schlimmer war, daß ich ein Raumschiff unserer Todfeinde von diesem Planeten starten sah! Was trieben die Methanatmer auf dieser Welt, die meine Rettung war? Ich hatte keine Zeit, mich mit dieser Frage noch länger zu beschäftigen. Ich mußte mich auf die Landung konzentrieren. Vorsichtig veränderte ich einige Schaltungen, und dann hätte ich fast einen Jubelschrei ausgestoßen. Die Jet verzögerte. Zugleich ertönte ein Warnsignal. Suchend blickte ich mich um. Der Sauerstoffanzeiger! Die Luftvorräte gingen zu Ende. Ich mußte herunter, ob ich wollte oder nicht. Ich mußte auf diesem Planeten landen. Aus der Höhe sah er wenig einladend aus. Nur in der Äquatorgegend schien es ausreichend Wasser zu geben. Hier zogen sich breite Vegetationsgürtel um den Planeten. Meere sah ich nicht. Vereinzelt lagen Seen in wüstenartigen Gebieten. Es konnten verkrustete Salzseen sein. Das war nicht einwandfrei festzustellen.
Sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte die Siedlungen der Terraner, die hier angeblich leben sollten, nicht finden. Erst als die Jet halb um den Planeten herumgeschleudert worden war, bemerkte ich unter mir etwas, das der von Kalib Broltan bezeichnete Raumhafen sein konnte. Ich verzögerte stärker, um zu verhindern, daß die Space-Jet über den Planeten hinausschoß und wieder in den freien Raum hinausglitt. Dann hängte ich mir den Zellaktivator doch um. Meine Gründe dafür waren einfach. Ich war mir darüber klar, daß ich wahrscheinlich so etwas wie eine Bruchlandung bauen würde – wenn es mir überhaupt gelang, den Raumer heil herunterzubringen. Sollte alles in erträglicher Weise ablaufen, dann mußte ich schnell aus der Jet verschwinden. Bei solchen Landungen besteht immer Explosionsgefahr. Also galt es, keine Zeit zu verlieren. Unter solchen Umständen konnte ich es mir nicht leisten, lange nach dem Zellaktivator suchen zu müssen, falls dieser heruntergefallen und irgendwohin verschwunden war. Warum mußte Broltan auch durchdrehen! Warum konnte er nicht vernünftig bleiben, bis wir gelandet waren? Er mußte sich doch darüber klar gewesen sein, daß für ihn alles vorbei war. Er mußte die Veränderungen an sich selbst beobachtet haben, und er mußte begriffen haben, daß es der Zellaktivator war, der ihn langsam aber sicher tötete. Der Kampf war völlig unsinnig gewesen, denn Broltan hätte nichts gewonnen gehabt, wenn er ihn gewonnen gehabt hätte. Ich verzögerte stärker. Deutlich merkte ich, wie die Jet von dem gelblich-braunen Planeten angezogen wurde. Das Raumschiff berührte die obersten Luftschichten. Es gab kein Zurück mehr. Mir brach der Schweiß aus, und meine Augen tränten. Einen Fehler konnte ich mir nicht mehr leisten. Sollte ich abermals das Lineartriebwerk einschalten, dann war das gleichbedeutend mit meinem Ende. Seltsamerweise entdeckte ich gerade in dieser kritischen Phase des Fluges immer mehr Parallelen in der Schaltung zu arkonidischen Schiffen. Vermutlich konzentrierte ich mich derart, daß alles wie von selbst ablief. Hin und wieder machte ich etwas falsch. Dann ging ein harter Ruck durch die Maschine, oder sie sackte ab. Ich hörte das Rauschen
der Luft an den Außenwänden. Die Jet zog einen roten Streifen erhitzter Gase hinter sich her. Er zeigte mir an, daß die Geschwindigkeit viel zu hoch war. Dann hatte ich den Planeten umrundet. Ich hatte das Gefühl, daß ich am Raumhafen oder zumindest in seiner Nähe herunterkommen würde. Vorübergehend hatte ich erwogen, irgendwo in der Wildnis zu landen. Diesen Plan hatte ich aber schnell wieder verworfen, weil ich ihn mir nicht leisten konnte. Fiel die Bruchlandung zu hart aus, dann war ich auf Hilfe angewiesen. Diese aber konnte ich nur am Raumhafen bekommen, wo man auf derartige Zwischenfälle eingerichtet war. Das Funkgerät schaltete sich ein, und ich sah das Gesicht eines dunkelhaarigen Mannes. Er sagte etwas zu mir, aber in meiner Erregung verstand ich ihn nicht. Erst als er lauter und energischer sprach, konzentrierte ich mich auf ihn. „Was ist los mit Ihnen?“ fragte er. Ich verstand ihn mühelos, so wie ich zuvor auch alle anderen verstanden hatte. Sie sprachen Interkosmo, und er benutzte diese intergalaktische Sprache, die sich auf arkonidischen Grundbegriffen aufbaute, ebenfalls. Ich lachte hysterisch. „Was mit mir los ist? Ich versuche, mit dieser Jet zu landen, aber ich habe keine Ahnung, wie man das macht. Können Sie mir in einem Blitzkursus beibringen, wie man ein Raumschiff steuert?“ Er blickte mich verblüfft an. Seine Stirn rötete sich. „Wir haben wenig Verständnis für derartige Scherze, Lordadmiral“, sagte er heftig. Ich sah ihn fassungslos an, und allmählich dämmerte mir, daß ich von ihm keine Hilfe erwarten konnte. Niemand auf diesem Planeten würde mir Ratschläge erteilen, denn sie hielten mich auf Grund meines Aussehens für Lordadmiral Atlan. Und dieser – das wußten sie – ging spielerisch leicht mit allen möglichen Raumschiffstypen um, die es in der bekannten Galaxis gab. Das durfte ich als gegeben voraussetzen. Ich schaltete ab. Ich hätte lachen können, wenn mir nicht so elend zumute gewesen wäre. Auf der Brust trug ich den Zellaktivator, der mir Unsterblichkeit verleihen sollte, aber ich befand mich in einem
Schiff, in dem ich sehr wahrscheinlich den Tod finden würde. Du kannst es schaffen! meldete mein Logiksektor. Benutze deinen kühlen Verstand. Ich riß mich zusammen. Ich mußte es schaffen. Als Unsterblicher wollte ich nicht tödlich verunglücken. Ich wollte leben! Ich – Atlan – mußte leben.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 142. Ein Abenteuer des Helden von Arkon. DIE VERGESSENE POSITRONIK von H. G. Ewers. Sie geistert durch das All – und bewahrt das größte Geheimnis des Universums.