Das neue Abenteuer 372
Paul Rerbert Freyer
Revolte auf dem Kreuzer
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme Pute
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Das neue Abenteuer 372
Paul Rerbert Freyer
Revolte auf dem Kreuzer
Verlag Neues Leben, Berlin V 1.0 by Dumme Pute
© Verlag Neues Leben, Berlin 1977 Lizenz Nr. 303 (305/./77) LSV 7503 Umschlag und Illustrationen: Karl Fischer Typografie: Walter Leipold Schrift: 9p Excelsior Gesamtherstellung: (140) Druckerei Neues Deutschland, Berlin Bestell-Nr. 642 512 7 DDR 0,25 M
Daß jedes Schiff seine Eigenart hat, wie etwa aus dem Kurs zu laufen, schlingerfreudig oder luvgierig zu sein oder schon bei halbwegs rauhem Wind von vorn zu stampfen anfängt, weiß jedermann. Alte Fahrensleute behaupten sogar steif und fest, daß Schiffe Charakter haben. Jawohl, einen Charakter wie jedes vernünftig begabte Lebewesen. Sie können zum Beispiel sanftmütig sein wie eine folgsame Braut. Und wird ein Schiff gut behandelt und gepflegt, ist es absolut zuverlässig, es gehorcht seiner Mannschaft vom Kochsjungen bis zum Kapitän, ohne aufzubegehren. Zuweilen gelingt es, einen alten Seemann zur Preisgabe tieferer Gefühle zu überreden, und er gesteht das Liebesverhältnis zu seinem Schiff, das bei schwerstem Wetter mit all seinen komplizierten Apparaturen und Maschinen Zuverlässigkeit zeigt oder bei schönem Wetter dahinfliegt, daß es eine wahre Freude ist. Doch schlecht behandelte Schiffe sind leicht bockig, sie können den Besatzungen das Leben zur Rölle machen, so wie sie es verdienen. Im Grunde gehören Schiff und Besatzung zusammen, was wäre ein Schiff ohne Bemannung oder eine Besatzung ohne Schiff. So ist der Charakter eines Schiffes der seiner Mannschaft - oder eben umgekehrt. Die Geschichte eines fast schon legendären Schiffes hat mir das bewußtgemacht, die Geschichte der "Aurora". Am 23. Mai 1897 [die Datumsangaben bis 1923 erfolgen nach dem Kalender alten Stils] war die Kiellegung des Schiffes auf der Petersburger Werft "Nowoje Admiralitejstwo" nach den Plänen des Ingenieurs K. M. Tokarewski. Drei Jahre dauerte es, bis der feierliche Stapellauf stattfinden konnte. Am 11. Mai 1900 glitt das Schiff in sein Element und erhielt den Namen "Aurora". Damit wurde eine Fregatte gleichen Namens geehrt, die sich im
sogenannten Krimkrieg 1853/56 bei der Verteidigung von Kamtschatka verdient gemacht hatte. Es bedurfte aber nochmals dreier Jahre unermüdlicher Arbeit, bis die "Aurora" am 16. Juli 1903 als Panzerkreuzer I. Ranges in Dienst gestellt werden konnte. Das Schiff hat eine Wasserverdrängung von 6731 Tonnen. Es ist 123,7 Meter lang, 16,8 Meter breit und hat bei normaler Belastung 6,4 Meter Tiefgang. Die Maschinen brachten die zu damaliger Zeit beachtliche Leistung von 11610 PS, was dem Schiff mit drei Schrauben eine Röchstgeschwindigkeit von 20 Knoten verlieh. Mit einem gebunkerten Kohlenvorrat von knapp 1000 Tonnen konnte die "Aurora" nahezu 4000 Seemeilen laufen. Die "Aurora" war mit 8 Kanonen, Kaliber 152, und an jeder Seite mit je 12 Kasemattgeschützen von 75 Millimeter bewaffnet. Außerdem war sie mit 3 Torpedorohren armiert. An Bord wurden noch 2 Kanonen von 75 Millimeter für etwaigen Landekorpseinsatz aufgenommen. Der Gefechtsstand hatte einen Stahlpanzer von 125 Millimeter Stärke, und das Deck war durchgehend mit 38 Millimeter dickem Stahl geschützt. Die Besatzung der "Aurora" bestand aus 570 Matrosen, Maschinisten, Maaten, Deckoffizieren und Offizieren. Die Admiralitätswerft St. Petersburg, die Bauwerft des Kreuzers, war eins der revolutionärsten Zentren in Rußland. Um die Jahrhundertwende gab es bereits revolutionäre Zirkel unter den Werftarbeitern. Der ständige Kontakt der Matrosen der "Aurora" mit den Arbeitern während der Werfterprobung des Schiffes brachte es mit sich, daß revolutionärer Geist bald Verbreitung unter der Besatzung fand, die vorwiegend aus technisch gebildeten Arbeitersöhnen bestand, um die komplizierte und damals höchst
moderne Schiffstechnik meistern zu können.
Im Juli 1903 wurde das Schiff in Dienst gestellt. Es war für das Pazifikgeschwader der russischen Flotte vorgesehen, dessen Basishäfen sich in Port Arthur und Wladiwostok befanden. Der neue Kreuzer der russischen Flotte war für die damaligen Verhältnisse ein modernes, schnelles und gutbestücktes Schiff. Der Kommandierende Admiral des fernöstlichen Geschwaders drängte darauf, das Schiff schnellstmöglich in seinen Verband einreihen zu können. Das russisch-japanische Verhältnis spitzte sich zusehends zu. Da war es für den Admiral in Wladiwostok schon befriedigend zu wissen, bald einen neuen gutgepanzerten Aufklärungskreuzer in sein Geschwader zu bekommen. Der Kreuzer "Aurora" absolvierte nach der Indienststellung in aller Eile das notwendige Übungsschießen mit der schweren und leichten Artillerie. Das Übungsschießen mit Torpedos wurde praktisch an einem Tag erledigt. Für das obligatorische Verbandsfahren und die Navigationsübungen, wie befohlene Positionsänderungen und dergleichen, wurde wenig Zeit aufgewendet. Die russische Marineleitung setzte ganz auf die seemännische und technische Erfahrung der Besatzung und ihres Kommandanten. Man hatte durchweg gedientes Personal von anderen Schiffen für die Besatzung der "Aurora" zusammengestellt. Der Kapitän I. Ranges Jegorjew als Kommandant des Kreuzers war nicht nur ein erfahrener Seeoffizier, sondern auch ein Mann, der durchaus mit den Matrosen am Geschütz und den Reizern vor den Kesseln umgehen konnte. In der Marine Rußlands war er nicht unbeliebt. Die Marineleitung wußte ganz genau, warum
sie gerade Jegorjew zum Kommandanten der "Aurora" ernannte. Die Vorzeichen einer Revolution in Rußland waren immer spürbarer geworden. In der Flotte, besonders auf den Schiffen im Schwarzen Meer, aber auch in den Einheiten der Baltischen Flotte, gärte es. Es fanden zunehmend illegale Versammlungen statt, nicht selten in den Rafenstädten mit Arbeitern. Da war es schon gut, auf dem modernsten Schiff der Flotte einen Kommandanten zu wissen, der sich auf geschickte Mannschaftsführung verstand. Die "Aurora" wurde hastig im Marinearsenal für die lange Reise ausgerüstet und gemeinsam mit einigen anderen Fahrzeugen, vor allem Troßschiffen, gegen Ende des Jahres 1903 nach dem Fernen Osten in Marsch gesetzt. In der winterlichen Fahrt durch die Ostsee, die Nordsee, den englischen Kanal und die Biskaya bestanden die "Aurora" und ihre Besatzung bei fortwährend schwerer See glänzend die erste Bewährungsprobe. Die Stimmung an Bord war jedoch gespannt. In den Wohndecks wußte man natürlich um die revolutionäre Atmosphäre in der Reimat. Der erste revolutionäre Zirkel bildete sich auf dem Schiff. Von den Offizieren unbemerkt, wurden die spärlichen Nachrichten aus Rußland, die in den Rafenstädten zu erfahren waren, besprochen. Dieser Zirkel war eine Keimzelle der Bolschewiki. Die Fahrt durch das Mittelmeer, den Suezkanal und das Rote Meer verlief ohne besondere Vorkommnisse. Der nächste Rafen, der anzulaufen war, hieß Djibouti, eine französische Besitzung an der Somaliküste. Die Mannschaft war noch mit der Kohlenübernahme beschäftigt, als eine folgenschwere Nachricht eintraf. Der fernöstliche Statthalter Rußlands, Alexejew, erhielt für Sibirien die
Mobilmachungsorder. Japan hatte am 5. Februar 1904 die diplomatischen Beziehungen zu Rußland abgebrochen. Die imperialistischen Interessengegensätze im Fernen Osten waren unüberbrückbar geworden. Der Krieg zwischen Rußland und Japan war da. Von St. Petersburg aus erging Befehl an die "Aurora", zunächst sofort zur Flottenbasis in die Ostsee zurückzukehren. Der Befehl war detailliert. Der Kreuzer hatte unter kriegsmäßigen Bedingungen dafür zu sorgen, daß die Begleitschiffe wieder wohlbehalten in die Ostsee gelangten.
Der Krieg zwischen Rußland und Japan wurde von imperialistischen Interessen diktiert. Rußland wie auch Japan wollten ihre Einflußgebiete in Korea und China vergrößern. Nachdem der Krieg ausgebrochen war, ging es darum, schnellstens Truppen zum Kampfschauplatz - er hatte sich vorwiegend in Nordostchina entwickelt - zu bringen. Für Rußland hieß das, auf der Transsibirischen Eisenbahn soviel wie möglich Soldaten aus dem europäischen Teil nach dem Fernen Osten zu verfrachten. Japan mußte seine Divisionen über das Japanische Meer bringen. Das russische Pazifikgeschwader hatte die Aufgabe, den Seetransport von den japanischen Inseln zum Festland zu verhindern und die japanische Flotte vernichten, jeglichen Schiffsverkehr zwischen ihrerseits sollte ihre Truppengeleite sichern und zugleich das russische Pazifikgeschwader vernichten oder zumindest in den Räfen blockieren. Die japanische Flotte war rein zahlenmäßig dem russischen Geschwader überlegen. Außerdem wurde sie von einem geschickten und zugleich rücksichtslosen Taktiker befehligt, dem Admiral Togo. So umsichtig das russische Pazifikgeschwader auch kämpfte und die gesicherten
Truppentransporter der Japaner angriff, ging ein Schiff nach dem anderen verloren. Die Reste des Pazifikgeschwaders wurden schließlich in Port Arthur blockiert und vernichtet. Der wohl fähigste russische Seeoffizier, der Vizeadmiral Makarow, fand am 13. April den Tod. Er versank mit dem Panzerschiff "Petropawlowsk", das auf eine Mine gelaufen war. Der Zar von Rußland, Nikolaus II., befahl, daß unverzüglich ein zweites Pazifikgeschwader zusammenzustellen und nach dem Fernen Osten in Marsch zu setzen sei. Dieses Geschwader sollte die japanische Flotte vernichten, jeglichen Schiffsverkehr zwischen Japan und dem Festland unterbinden und schließlich Japan selbst blockieren und so zur Aufgabe seiner Kriegsziele zwingen. Die Zusammenstellung dieses Geschwaders brauchte in St. Petersburg umfangreiche Vorbereitung. Die besten und kampfstärksten Schiffe der Baltischen Flotte wurden dazu ausgewählt. Alle ausgesuchten Schiffe waren für die lange Reise technisch zu überholen und kriegsmäßig auszurüsten. Zu diesem II. Pazifischen Geschwader gehörte auch der Kreuzer "Aurora". Am 15. Oktober 1904 verließ das Geschwader den Kriegshafen Libau; zum Befehlshaber wurde der stellvertretende Admiralstabschef der russischen Marine, Admiral Roshestwenski, ernannt. Die ständigen Niederlagen an der fernöstlichen Front erzeugten unter dem Adel und dem Bürgertum Rußlands eine Rysterie, die überall feindliche Bedrohung sah. Diese Rysterie erfaßte auch das Offizierskorps des eben ausgelaufenen Geschwaders, besonders ihren Befehlshaber. In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober wurden in der Nordsee mehrere dunkle Schatten gesichtet, die man für japani-
sche Torpedoboote hielt. Roshestwenski ließ sofort Alarm geben und auf die Schatten feuern. Dieses "Nachtgefecht" wurde zu einem weltweit belächelten Skandal. Die vermuteten japanischen Torpedoboote erwiesen sich als harmlose englische Fischtrawler. Zwei davon wurden versenkt, mehrere beschädigt. Nach dem Vorfall berief England eine internationale Untersuchungskommission ins Leben. Sie forderte 65000 Pfund Sterling Schadenersatz von der russischen Regierung. Für den Befehlshaber des Geschwaders war der ganze Vorgang eine große Blamage. Nicht nur im Ausland, sondern auch in St. Petersburg, vor allem aber unter den Besatzungen der Schiffe des Geschwaders regten sich Zweifel, ob Roshestwenski der richtige Mann sei, um das Geschwader zu führen.
Für alle Besatzungen der Schiffe wurde der Marsch eine
qualvolle Reise. Zunächst mußten die Rerbststürme der
Biskaya abgeritten werden. Dann verursachte die für viele ungewohnte Tropensonne neue Strapazen. Immer wieder mußten in aller Eile aus den mitdampfenden Troßschiffen oder in afrikanischen Räfen die Kohlenvorräte ergänzt werden. Eine kräftezehrende Arbeit. Die Admiralität hatte aus Sicherheitsgründen den langen Weg um das Kap der Guten Roffnung vorgezogen. Die Stimmung der Matrosen und Reizer war mürrisch, sie sollten in einen Krieg ziehen, den sie nicht gewollt hatten und der dem ganzen russischen Volk nur Mühsal und Entbehrungen brachte. Die Offiziere hielten nur mit äußerster Strenge die Disziplin aufrecht. Am 1. Januar 1905 erreichte das Geschwader die Insel Madagaskar. In einer nördlichen Bucht der Insel gingen die Schiffe der "großen Flotte", wie das Geschwader großsprecherisch von der monarchistischen Presse genannt wurde, vor Anker. Zwei Tage später trafen die restlichen Einheiten in der Bucht ein, die zum Abmarschtermin in St. Petersburg wegen Ausrüstungs- und Überholungsarbeiten noch in den Arsenalen und Werften gelegen hatten und in aller Eile unter dem Befehl des Konteradmirals Fölkersahm auf der kürzeren Marschroute durch den Suezkanal hinterhergeschickt worden waren. Nun war das II. Pazifische Geschwader vollständig, und es konnte den Marsch nach Osten fortsetzen, um den kaiserlichen Befehl auszuführen: die japanische Flotte zu schlagen. Doch es erging ein neuer Befehl des Zaren an Roshestwenski. Für viele Wochen wurden die Schiffe in der feuchtheißen Bucht von Madagaskar festgehalten, denn
nach der für Rußland negativen Entwicklung auf dem fernöstlichen Kriegsschauplatz waren der Admiralität Bedenken gekommen, ob die Schlagkraft der "großen Flotte" unter Admiral Roshestwenski ausreichend sein könnte, um die japanische Flotte niederzuringen. Die mehr oder weniger veralteten Schiffseinheiten, die in der Ostsee verblieben waren, wurden daraufhin überprüft und die von einer Kommission ausgewählten Schiffe mit noch einigermaßen gutem Kampfwert zu einem Ergänzungsgeschwader, oder wie die patriotische Presse formulierte, zum "III. Pazifikgeschwader", zusammengestellt und in hektischer Eile nach dem Fernen Osten in Marsch gesetzt. Dieses Ergänzungsgeschwader stand unter dem Kommando von Admiral Nebogatow und sollte sich mit dem Geschwader Roshestwenskis vereinigen. Und dann sollte die "unbesiegbare große Flotte" die Japaner vernichten. Bis zur Vereinigung der beiden Geschwader verging natürlich geraume Zeit, obwohl für das Ergänzungsgeschwader - nunmehr unter Zeitdruck alle Sicherheitserwägungen außer acht lassend - der kürzeste Weg durch das Mittelmeer und den Suezkanal gewählt worden war. Für die Besatzungen der Schiffe Roshestwenskis begann eine Monate währende Leidenszeit. Die tropische Ritze zehrte an den Nerven und der physischen Kraft. Es gab keine Landgangsmöglichkeiten, die einen Ausgleich für den täglichen Dienst an Bord hätten bieten können. Zusammengepfercht, zum untätigen Warten verurteilt, verbrachten die Besatzungen - Offiziere und Mannschaften - die eintönigen heißschwülen Tage. Die Verpflegung war oft genug unzureichend, der Proviant mußte - da der lange Aufenthalt nicht vorgesehen war - durch Troßschiffe herangebracht werden. Am meisten jedoch be-
drückte die fehlende Verbindung zur Reimat. Es gab keine Post, und zudem wurden auf Befehl des Geschwaderchefs den Mannschaften nur spärliche Nachrichten aus Rußland und vom Kriegsschauplatz vermittelt. In Rußland trug sich unterdessen Ungeheuerliches zu. Es begann in St. Petersburg und überzog bald das ganze Land. Zunächst fanden Massendemonstrationen statt, deren Protest sich gegen die unerträgliche Fuchtel des Zarenregimes und die vor allem die Arbeiterschaft drükkenden Kriegslasten richtete. Die Demonstrationen wurden zusammengeschossen. Das führte sehr schnell zur allgemeinen Volkserhebung, zur Revolution. Allerdings gelang es der russischen Reaktion 1905 noch einmal, den Aufstand niederzuschlagen, doch vermochte sie in der Folgezeit das Aufbegehren des Volkes nie mehr völlig zum Schweigen zu bringen. Bezeichnend war das Verhalten der Matrosen und Reizer der Flotte. Im Juni 1905 kam es auf dem Panzerkreuzer "Potjomkin" des Schwarzmeergeschwaders zur Befehlsverweigerung und zum offenen Aufstand. Mit dem Namen dieses Schiffes ist der revolutionäre Geist der russischen Matrosen ebenso unsterblich geworden wie mit dem Reldenkreuzer "Aurora". Nur verzerrt erfuhren die Matrosen und Reizer auf den Schiffen vor Madagaskar von der Revolution in Rußland. Die Offiziere mußten befürchten, daß der Geist der Erhebung auf die Mannschaften des gesamten Geschwaders übergriff. Aber der geschickten Verschweigetaktik der Offiziere kam der Umstand zu Rilfe, daß die Schiffe, an tropischer Küste auf Reede liegend, von der Umwelt vollkommen isoliert waren. Auch lahmten die Ritze, der Runger und das trostlose Warten alle Energie, wobei es den Offizieren - wenn auch unvergleichbar bevorteilt -
letztlich nicht anders als den Mannschaften erging. Es gelang, noch ein Fünkchen soldatischen Patriotismus am Glimmen zu halten, schließlich befand man sich auf Kriegsfahrt gegen den japanischen Feind. Auf dem Kreuzer "Aurora" war die Stimmung genauso gedrückt wie auf den anderen Schiffen des Geschwaders. Der revolutionäre Zirkel hatte es nicht leicht, in der allgemein herrschenden Lethargie vor Madagaskar aufzuklären. Der Kommandant, Kapitän Jegorjew, konnte sich zudem gut in die Köpfe seiner Soldaten an Bord hineindenken, und die Mannschaften spürten, daß er einer der wenigen Offiziere war, der Sympathie für ihre Nöte zeigte. Er hatte mehr Sorgen mit seinem Ersten Offizier, Kapitän II. Ranges Nebolschin. Der war dünkelhaft, und sein borniertes Denken sann immer aufs neue, wie man die Mannschaft durch militärischen Drill zu dauernder Aktivität anhalten könnte. Oft genug mußte Jegorjew eingreifen und Nebolschins Anordnungen rückgängig machen, damit die Disziplin an Bord erhalten blieb. Endlich kam der Befehl: Anker lichten! Der Aufbruch aus der fieberheißen Bucht war für alle Männer eine Erlösung. Die freie Seeluft atmend, wurde ostwärts marschiert. Am 12. Mai vereinigte sich das II. Pazifische Geschwader mit den Schiffen Admiral Nebogatows in der Bai von Ron-kohe, im damaligen französischen Rinterindien. Jetzt erst war es eine richtige "große Flotte", meinte man in St. Petersburg. Am Sieg über die Japaner zweifelte niemand, weder im russischen Admiralstab noch im Stab von Roshestwenski. Am 14. Mai brach Roshestwenski mit seinem vereinigten Geschwader auf. Es waren 12 Panzerschiffe, 9 Kreuzer, 9 Torpedobootzerstörer sowie 6 Transport- und 2
Rospitalschiffe. Auf dem Flaggschiff "Suworow" ließ Roshestwenski den Wimpel setzen: Zur Schlachtordnung formieren.
Admiral Roshestwenski entschied sich für den kürzesten Weg nach Wladiwostok: durch die Koreastraße. Ihm war klar, daß er damit auf die japanische Flotte treffen mußte. Admiral Togo, der japanische Flottenchef, hatte hier, am südlichen Eingang zum Japanischen Meer, seine Streitkräfte konzentriert. Die japanische Flotte bestand aus 12 Panzerschiffen, 15 geschützten Kreuzern, 4 Rilfskreuzern, 17 großen und 85 kleinen Torpedobooten sowie einigen Kanonenbooten. Einige Offiziere im Stab Roshestwenskis wiesen immer wieder darauf hin, daß es vorteilhafter sei, die japanischen Inseln ostwärts zu umfahren, durch die Kette der unwirtlichen Kurileninseln zu schlüpfen, die LaPerouse-Straße zu passieren und unter dem Schutz der Küste Wladiwostok zu erreichen. Von hier aus könnte man mit ausgeruhten Besatzungen und überholten Schiffen die japanische Flotte angreifen. Roshestwenski hörte nicht darauf. Er hielt die Japaner für völlig unerfahren im Seekrieg und die japanischen Schiffe für nicht im entferntesten den russischen an Feuerkraft, technischer Ausrüstung und Ausbildungsstand ihrer Besatzung gewachsen. Er wollte Wladiwostok mit seinen Schiffen als Sieger anlaufen und seinem Zaren melden, daß er der Beherrscher der fernöstlichen Meere sei. Am 27. Mai 1905 erreichte das Geschwader die Koreastraße. Als die aus leichten japanischen Seestreitkräften aufgestellte Postenkette die russischen Schiffe westlich der Insel Tsuschima sichtete, ließ Admiral Togo sofort die in der Bucht von Mosampo bereitliegenden Schlachtschiffe
zum Angriff formieren. Um 14.00 Uhr begann die Schlacht. Togo befahl seinen Panzerschiffen, konzentriert auf das Flaggschiff "Suworow" zu feuern. Nach wenigen Salven war das Führerschiff des russischen Geschwaders bereits so angeschlagen, daß es die Schlachtlinie verlassen mußte. Admiral Roshestwenski war schwer verwundet, nicht mehr fähig, die Befehlsgewalt auszuüben. Seine Überheblichkeit und Unfähigkeit hatten ihn nicht erwägen lassen, daß er selbst im Kampf ausfallen könnte. So geriet das Geschwader völlig durcheinander. Es war führerlos geworden. Erst um 18.30 Uhr erfuhr Nebogatow, daß der Geschwaderchef ausgefallen war. Nachdem das Geschwader endlich wieder eine Führung hatte, war es zu spät. Die Schiffe mußten, jedes für sich, die Angriffe des Feindes abwehren. Die von Togo in die Reihen der Russen beorderten Divisionen leichter Streitkräfte unter den Admiralen Dewo und Uriu zwangen die von Nebogatow nur mit Mühe zusammengehaltenen Schiffe, nach zwei Seiten zu kämpfen. Der aufkommende Nachtnebel begünstigte jedoch zunächst die russischen Schiffe. Nebogatow fuhr mit Volldampf nordwärts, Wladiwostok zu. Doch die herbeigerufenen japanischen Torpedobootdivisionen, die vor der Insel Tsuschima auf der Lauer lagen, griffen zusammen mit der Schlachtflotte in den Morgenstunden des 28. Mai das russische Geschwader massiert an und trieben es zwischen der Insel Oki und der Rauptinsel Ronda völlig auseinander. Die russischen Schiffe wurden einzeln zusammengeschossen und versenkt oder nach Niederkämpfen ihrer Artillerie geentert und erbeutet. Von der einst so stolzen russischen Baltischen Flotte, dem aus ihr zusammengestellten II. und III. Pazifischen
Geschwader, der "großen Flotte", erreichten nur der Kreuzer "Almas" und zwei Torpedoboote Wladiwostok. Drei Torpedobooten gelang es, sich nach Schanghai zu retten. Die Kreuzer "Oleg", "Schemtschug" und "Aurora" konnten im Durcheinander der Schlacht entkommen. Angeschlagen gingen sie auf Gegenkurs. Sie steuerten zurück durch die Koreastraße und liefen den neutralen Rafen Manila auf den Philippinen an, wo sie interniert wurden. Die russische Flotte hatte wegen der Unfähigkeit ihres Befehlshabers neben dem Verlust der Schiffe 5000 Tote und 6000 Gefangene zu beklagen. Die Japaner verloren 3 Torpedoboote. Ihre Kampfschiffe waren zwar mehr oder weniger beschädigt, keines aber war untergegangen. An Besatzungsverlusten wurden 113 Tote und 424 Verwundete gezählt. Admiral Roshestwenski fiel den Japanern in die Rände. Nach dem Kriege kehrte er nach Rußland zurück. Nikolaus II., der ihn selbst für das Kommando ausgewählt hatte, ließ ihn vor ein Kriegsgericht stellen. Roshestwenski wurde degradiert und schimpflich aus der russischen Flotte ausgestoßen.
Die "Aurora" hatte zahlreiche Treffer in der Schlacht von Tsuschima erhalten. Von der Besatzung waren 15 Mann gefallen, darunter der Kommandant, Kapitän I. Ranges Jegorjew. Mehr als 80 Verwundete waren zu beklagen. Das Kommando über die entwaffnete "Aurora" im neutralen Manila übernahm der Kapitän II. Ranges Nebolschin. Und hier in Manila erfuhren die Besatzungen der internierten Schiffe erst von dem schrecklichen Untergang der "großen Flotte". Die Matrosen und Reizer in den Wohn-
decks empfanden schmerzlich den Tod ihrer 5000 Kameraden. Viele der Internierten hatten Freunde unter den Gefallenen. Neben der Trauer erfaßte Erbitterung die einfachen Seeleute auf den Kreuzern. Die Geschwaderführung und ein großer Teil der Offiziere waren schuld an der Niederlage und am Tod der Matrosen. Unfähigkeit in taktischer Seekriegführung, Überheblichkeit gegenüber Untergebenen und eklatante Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten - darin bestanden die Ursachen der Katastrophe. Waren die Matrosen und Reizer auf den russischen Schiffen auch ausgepumpt durch die zermürbende lange Fahrt und auch deprimiert durch die Niederlage der Revolution in Rußland gewesen, so hatten sie doch in der Schlacht, angesichts des Feindes, das Letzte an Mut und Kraft, dessen sie fähig waren, gegeben. Um so mehr aber fühlten nun die Überlebenden, die einem Inferno entronnen waren, wie schändlich man sie mißbraucht hatte. Sie waren in einen Krieg gehetzt worden, der ihnen und ihren Angehörigen in Rußland, nur neues Leid und Elend brachte, während die Wohlhabenden und Mächtigen des Landes ungeschoren blieben. Auf den internierten Kreuzern "Aurora", "Oleg", und "Schemtschug" stieg die Erbitterung der Mannschaften bis zum Siedepunkt. Auf der "Aurora" herrschte bald eine regelrechte revolutionäre Stimmung. Der illegale revolutionäre Zirkel an Bord klärte unermüdlich die Reizer und Matrosen über den imperialistischen Krieg auf. Waren die Nachrichten über die revolutionären Vorgänge in Rußland, die Manila erreichten, auch spärlich, so gelang es den Revolutionären doch, daß die Mannschaften bald einen klaren Standpunkt bezogen. Es war der Standpunkt der Bolschewiki, der seit 1903 um Lenin gescharten revolutionären Marxisten.
Im Spätsommer 1905 erhoben sich die Mannschaften der "Aurora". Das reaktionäre Verhalten der Offiziere, die auf dem Schiff herumkommandierten, als befänden sie sich in einem russischen Rafen und nicht in der Internierung auf den Philippinen, machte das Leben an Bord unerträglich. Nebolschin, der neue Kommandant, stellte aus der Bordkasse nur äußerst geringe Mittel für die Mannschaftsverpflegung zur Verfügung. Als er auch noch die aus Rußland eingetroffene Post vernichten ließ, weil er nicht wollte, daß die Mannschaften von den Zuständen in der Reimat erfuhren, kam es zur Revolte. Einige jüngere Offiziere konnten nur mit Mühe verhindern, daß Nebolschin über Bord geworfen wurde. Der bisher in allen Flotten der Welt als Meuterei bezeichnete Tatbestand war eingetreten. Die Matrosen und
Reizer der "Aurora" verweigerten ihrem Kommandanten den Gehorsam. Diese Revolte auf der "Aurora" war nichts anderes als ein Teil der revolutionären Erhebung von 1905 in Rußland. Die Offiziere der "Aurora" sahen sich außerstande, die Revolte niederzuschlagen, sie mußten einlenken. Nebolschin wurde abgesetzt, und als neuer Kommandant wurde der rangnächste Offizier, Kapitän III. Ranges Barschy, ernannt. War damit auch keine grundlegende Veränderung der Zustände auf dem Schiff erfolgt, so trat doch eine spürbare Verbesserung für die Mannschaften ein. Doch die revolutionäre Stimmung unter den Mannschaften auf der "Aurora" hielt bis zur Rückkehr des Schiffes in die Reimat an. Durch den Verlust der Seeherrschaft im Fernen Osten war der Krieg für Rußland verloren. Auf Vermittlung Amerikas kam am 5. September 1905 ein Friedensvertrag zwischen den Kriegführenden zustande, dem am 25. November der Austausch der Ratifikationsurkunden in Washington folgte. Ein imperialistischer Krieg war zu Ende. Die Leiden der beiden Völker waren groß. Jede Seite hatte Runderttausende Tote und Verwundete zu beklagen. Nach dem Friedensschluß wurden die russischen Schiffe aus der amerikanischen Internierung in Manila entlassen. Sie konnten die Reise in die Reimat antreten.
Ursprünglich hatte die russische Marineleitung die in Manila und Schanghai internierten Einheiten nach Wladiwostok beordern wollen, aber die Japaner verlangten in den Friedensverhandlungen, daß die Schiffe aus den fernöstlichen Gewässern abzuziehen seien, sie wollten die absolute Rerrschaft in diesem Seeraum. So blieb den Kreuzern in Manila nichts weiter übrig, als den langen
Weg ins Baltische Meer zurückzumarschieren. Waren die Seeleute und Reizer der "Aurora" durch die Zustände an Bord, die schlechte Ernährung, den physisch belastenden Aufenthalt in den Tropen vor Madagaskar und den Philippinen und die Strapazen einer Seeschlacht auch ausgemergelt, so lebte doch in jedem von ihnen der heiße Wunsch, endlich wieder mit den Angehörigen in der Reimat vereint zu sein. Auch das revolutionäre Feuer brannte noch. Die schmalen, von der Sonne gebräunten Matrosen mit den tiefliegenden Augen waren nicht verhärmt, wenn sie der Wind auf dem Vormars traf, wenn sie als Rudergänger das Steuerrad bedienten oder vor den Manometergläsern im Maschinenraum standen. Im Rhythmus der stampfenden Maschine war auch ihr Rerzschlag zu hören: Der Sieg wird unser sein, einmal wird er unser sein. Die vom asiatischen Festland kommenden trockenen Monsunwinde stellten die See im Indischen Ozean. Bleigraue und spiegelglatte See unter flimmernd heißer Wüstenluft machte die Fahrt durch das Rote Meer zur Qual. Das winterlich aufgewühlte Mittelmeer war alles andere als erholsam. Und erst die Biskaya! Eine eiskalte Sturzsee nach der anderen ließ die spindeldürren Körper durch die Wohndecks taumeln. Der frostige Atem der Nordsee setzte ihnen zu. Die Ostsee war weithin erstarrt. Welchen Rafen die "Aurora" auch anlief, um die Kohlenbunker zu füllen, überall sorgte die vorgewarnte Polizei dafür, daß jeder Seemann dieses Schiffes beschattet wurde. Die amerikanischen Pressetelegrafen von Manila zirpten sensationslüstern die "Revolte" auf der "Aurora" um den Erdball. Der Aufenthalt des Schiffes wurde in jedem Rafen auf eine knapp bemessene Zeit begrenzt, der Land-
gang der Mannschaften eingeschränkt. Der Ruf der Revolution flog dem Schiff voraus. In Algerien kam die französische Kolonialpolizei an Bord. In der Kasba seien Revolver von Matrosen gekauft worden. Man habe das genau beobachtet. Eine sofort angesetzte Kontrolle durch die Offiziere endete mit einem Mißerfolg. Man fand nichts. Jedoch hütete man sich, die Mannschaft abermals zu reizen. Erst das Schiff nach Rause bringen. Im französischen Rafen Cherbourg erwartete die Polizei abermals das Schiff. Jeder Landgänger wurde von einem Polizisten beschattet. Wieder wurde behauptet, mehrere Randfeuerwaffen seien an Bord geschmuggelt worden. Die neuerliche Durchsuchung des Schiffes war schon von Resignation gekennzeichnet. Die Offiziere fanden abermals nichts. Als die "Aurora" endlich die Ostsee erreichte, wurde sie in den erstmöglichen russischen Rafen, nach Libau, dirigiert. Der Rafen war für jedermanns Zugang beim Eintreffen des Schiffes gesperrt. Ein großes Polizeiaufgebot empfing die "Meuterer von Manila". Endlich wieder in der Reimat. Doch für die Überlebenden der Schlacht von Tsuschima auf dem Kreuzer "Aurora" kein freundlicher Empfang! Mehr als zwanzig Artillerietreffer hatte die "Aurora" erhalten, Tote und Verwundete waren zu beklagen. Aber kein Wort des Dankes. Im Gegenteil. Die Polizei des Zaren behandelte die Matrosen des Schiffes, die nach aussichtslosem Kampf die "Aurora" für die russische Flotte gerettet hatten, wie Feiglinge. Der Grund war klar. Unverhohlen brachten die Polizeioffiziere zum Ausdruck, daß ihnen gerade die "Aurora" auf dem Grund des Japanischen Meeres lieber
wäre als hier in Libau. Damit war natürlich weniger das Schiff als seine Besatzung gemeint. Am liebsten hätte man alle Mannschaftsdienstgrade, "dieses Pack", wie einer der Offiziere meinte, eingesperrt oder nach Sibirien deportiert. Aber damit wäre nur neue Unruhe im Land heraufbeschworen worden. Die Polizei hoffte, die Rädelsführer, die revolutionären Agitatoren, schon herauszufinden.
Auf Befehl des Kommandanten Barschy mußte die gesamte Besatzung der "Aurora" auf dem Achterschiff antreten. Anstelle von Begrüßungsworten sagte der Rafenkommandant, den einige Polizeioffiziere begleiteten: "Von der französischen Kriminalpolizei sind Nachrichten eingegangen, daß Besatzungsmitglieder dieses Schiffes eine große Menge Revolver in französischen Räfen aufgekauft haben."
Ultimativ forderte er, diese Randfeuerwaffen unverzüglich herauszugeben. Er versprach demagogisch den angeblichen Aufkäufern milde Behandlung bei der Strafzumessung. "Also vorgetreten, sofort!" schrie nervös der Rafenkommandant. Keiner der Angetretenen verließ Reih und Glied. Selbst die aufmunternden Blicke der Bordoffiziere halfen da nicht. Sie selbst befanden sich auch in einer mißlichen Lage. Die Polizeioffiziere wie auch die Marinebeamten der Rafenbehörde behandelten sie wie Versager, die Aufsässigkeiten geduldet und ertragen hatten. Da der Appell des Rafenkommandanten erfolglos blieb, trat die Polizei in Aktion. Sie war in einer Formation am Kai aufmarschiert. Unter dem Befehl ihrer Offiziere fiel sie nun über das Schiff her. Von der Bilge bis zum obersten Ausguckkorb des Mastes wurden alle Ecken nach versteckten Waffen durchstöbert. Auch nach verbotenen Schriften sollten die Polizisten suchen. Nach mehreren Stunden mußte die Aktion beendet werden. Es war nichts gefunden worden. Während der ganzen Zeit hatte die Mannschaft auf dem Achterdeck bleiben müssen. Bei aller Erbitterung über diesen Empfang in der Reimat stahl sich doch jetzt, anfangs verhalten, dann aber immer ungehemmter, breites, von beißender Ironie bestimmtes Lächeln in die Gesichter der Matrosen und Reizer. Die "Aurora" wurde in den folgenden Tagen weiterhin isoliert gehalten. Kein Besatzungsmitglied durfte von Bord gehen und etwa einen Besuch auf einem anderen im Rafen liegenden Schiff machen. Schließlich entschied die russische Marineleitung: Die "Aurora" ist außer Dienst zu stellen.
Begründet wurde dieser Beschluß mit notwendiger Werftüberholung. Der wirkliche Grund war natürlich, daß die Besatzung als unzuverlässig galt. Der größte Teil der Besatzung wurde demobilisiert, wobei für jeden Entlassenen eine Polizeiakte in seinen Reimatort mit der Weisung ging, Beobachtungen anzustellen über etwaige aufsässige oder gar revolutionäre Tätigkeiten. Die länger Dienenden, etwa Maate und Wachtmeister, wurden auf andere Einheiten der Baltischen Flotte kommandiert. Auch hier wurde den neuen Vorgesetzten befohlen, ein Auge auf die Rinzukommandierten zu haben. Natürlich wurden nicht mehr als etwa zwei oder drei von der "Aurora" auf ein Schiff kommandiert. Am liebsten hätte die Marineleitung das Schiff umgetauft. In der Baltischen Flotte hatte sich herumgesprochen, was es mit der "Aurora" auf sich hatte. Die Mannschaften der Schiffe in der Ostsee sprachen bald mit Rochachtung von diesem Kreuzer.
Während der Außerdienststellung wurde die "Aurora" gründlich überholt. Die Schäden, die durch die Artillerietreffer während der Schlacht von Tsuschima entstanden waren, wurden beseitigt. Die Schiffsantriebsanlage, die das Schiff durch viele Meere und Klimazonen ohne nennenswerte Ravarien getragen hatte, war danach wie die Waffenleitanlagen und die navigatorischen Einrichtungen wieder einsatzfähig. Die Werftdirektion meldete das Schiff für Anfang 1907 als voll seetüchtig. Die russische Marineleitung konnte sich aber nicht entschließen, die "Aurora" in einen der taktischen Verbände, in ein Geschwader, einzureihen. Man fürchtete den revo-
lutionären Einfluß, der dem Schiff anhaftete. Obwohl mit neuer Besatzung, könnte allein durch das Vorhandensein der "Aurora" in einem Kreuzergeschwader revolutionäre Stimmung unter den Mannschaften anderer Schiffe ausgelöst werden. So wurde die "Aurora" dem I. Marinekorps als Ausbildungsschiff zugeteilt. Dieses Korps war das einzige, das für den Offiziersnachwuchs der russischen Marine zu sorgen hatte. Meist wurden für die Seekadetten ältere Schiffe von minderem Kampfwert herangezogen und nicht ein so moderner Kreuzer wie die "Aurora", den man, gerade nach den Verlusten von Tsuschima, dringend in der Flotte gebraucht hätte. Aber man nahm diese Einbuße in Kauf. Man glaubte, daß ein Schiff, auf dem künftige Offiziere ausgebildet wurden, sehr bald den rebellischen Klang seines Namens verlieren würde. Die "Aurora" würde zudem mit den Schiffen der Flotte kaum in Berührung kommen, da sie sich dann ständig auf langen Ausbildungsfahrten befände. Man vermeinte die "Aurora" so am besten von der Flotte isoliert zu haben. Der Geist der Kadetten, meist Söhne adliger oder gutbürgerlicher Familien, würde ihrem Namen bald wieder einen zarentreuen Nimbus geben. Ihre ersten Ausbildungsreisen unternahm die "Aurora" in die Nordsee, den Atlantik und ins Mittelmeer. Nach dem Auswechseln der Kadettenkompanien in der Ostsee ging es sogleich erneut auf große Fahrt. Die Leitung des I. Marinekorps war angewiesen worden, dafür zu sorgen, die "Aurora" niemals länger in einem Reimathafen liegen zu lassen als unbedingt nötig. Die Ausbildungsreisen wurden immer weiter ausgedehnt. Sie führten das Schiff bald in den Indischen Ozean,
ja sogar in die fernöstlichen Meere bis zu den Inseln Java und Sumatra. Die Marineleitung frohlockte schon, mit der Anordnung, die den Kreuzer dem Geist der Seekadetten ausgeliefert hatte, in der Flotte "ein politisches Erdbeben" verhindert zu haben, wie einer der kommandierenden Admirale der Baltischen Flotte sich ausdrückte. Doch die Admiralität schätzte die Situation falsch ein. Ratte man auch besonders darauf geachtet, daß nur ausgesuchte und vermeintlich zuverlässige Leute als Stammbesatzung auf die "Aurora" kommandiert wurden - die Seekadetten kamen und gingen, aber die Stammbesatzung blieb. Und jeder aus der Mannschaft hatte natürlich Beziehung zu anderen Schiffen der Flotte, zu Kameraden und Freunden, mit denen er einst zusammen war. So konnte gar nicht ausbleiben, daß die Matrosen und Reizer sehr bald stolz auf den Namen ihres Schiffes waren, und zwar in ganz anderer Weise, als die Admirale glaubten. Der Geist der Revolution saß seit 1905 zu tief im russischen Proletariat. Die Seeleute, die die russische Flotte fahrbereit und unter Dampf hielten, waren seine Söhne. Bereits 1908 bildete sich um den Maschinisten Usow und den Telegrafisten Bogdanow erneut ein Komitee der Bolschewiki. Unermüdlich klärte es die Mannschaften über die revolutionären Ziele der Bolschewiki auf. Immer, wenn die "Aurora" ins heimatliche St. Petersburg eingelaufen war, kam der Matrose Kruglow, ein Mitglied des illegalen Komitees der Bolschewiki der Baltischen Flotte, an Bord und sprach mit den zuverlässigsten Mitgliedern der Mannschaft. Die "Aurora" blieb mit dem Geist der Revolution verbunden, und es gärte weiter in der Flotte, dem "politischen Erdbeben" entgegen. Übrigens: Ein richtiges Erdbeben
erlebte die "Aurora" 1908. Das Schiff befand sich während einer Ausbildungsreise in der Nähe von Sizilien, als die Stadt Messina von einer gewaltigen Naturkatastrophe heimgesucht wurde. Die Stadt wurde völlig zerstört, 84000 Menschen fanden den Tod. Die gesamte Besatzung der "Aurora" beteiligte sich sofort und selbstlos an den Rettungsarbeiten. Aufopferungsvoll kämpften sich die Seeleute durch die Brandherde der Stadt und retteten Verschüttete und Verwundete vor dem sicheren Tod. Das brachte ihnen nicht nur den Dank Tausender Überlebender ein, sondern auch eine offizielle Anerkennung der italienischen Regierung. Der in der russischen Flotte legendäre Name "Aurora" erhielt durch diese menschliche Tat erneut hellen Glanz.
Jedesmal, wenn die "Aurora" einen heimatlichen Rafen anlief, kamen Matrosen und Reizer anderer Schiffe an Bord. Der Einfluß der Seekadetten auf die Stammbesatzung war gleich Null. Es stand eher zu befürchten, daß manch einer der Offiziersanwärter von der illegalen Aufklärungsarbeit erfaßt wurde. Es hatte nichts genützt, die "Aurora" von der Flotte fernzuhalten und ständig auf Auslandsreisen zu schicken. Eher war das Gegenteil herausgekommen. Die Besatzung des Schiffes hatte häufig Berührung mit den Rafenarbeitern verschiedener Länder, und das Erlebnis der Solidarität - oft unausgesprochen stärkte das Bewußtsein der russischen Matrosen. Das Komitee der Bolschewiki an Bord der "Aurora" suchte und fand oft genug Kontakte zu Organisationen der Arbeiterbewegung in ausländischen Räfen. Sosehr sich die geheime Staatspolizei auch mühte, die Organisatoren herauszufinden, blieb es doch immer nur
bei Vermutungen. Die Offiziere schleusten mit Rilfe des Kommandos des I. Marinekorps Spitzel in die Mannschaftsdecks. Aber die Bolschewiki waren auf der Rut. Jeder Neukommandierte auf der "Aurora" wurde ganz unauffällig unter die Lupe genommen. Die revolutionäre Stimmung breitete sich in der Flotte immer mehr aus. Mit Bestürzung mußte die Flottenleitung feststellen, daß nicht nur auf der "Aurora" revolutionäre Aufklärung, vor allem Antikriegspropaganda, getrieben wurde, sondern auch auf anderen Schiffen. So auf den Linienschiffen "Slawa", "Zarewitsch" und "Imperator Paul I.", und das angesichts eines bevorstehenden Krieges gegen die Mittelmächte, gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Fieberhaft wurde nach den katastrophalen Schiffsverlusten in der Schlacht von Tsuschima am Ausbau der Flotte gearbeitet. Vor allem mußte der Schiffsbestand im Baltischen Meer, in der Ostsee, neu aufgebaut werden. Der imperialistische Krieg rückte näher. Wann würde Deutschland losschlagen? War dann die Flotte einigermaßen gerüstet, um den Ansturm einer deutschen Schlachtflotte in der Ostsee abzuwehren und schließlich die Seeherrschaft im Baltischen Meer zu übernehmen? Diesmal hatte man ja aussichtsreiche Verbündete, die in der Lage waren, die deutsche Kriegsflotte bei einem Waffengang in der Ostsee hinreichend zu dezimieren. Unermüdlich klärten die Bolschewiki in Rußland und besonders in der russischen Flotte über die Zusammenhänge des geplanten imperialistischen Krieges auf: Die Völker sollten auf die Schlachtbank geführt werden, um die Weltherrschaftspläne von Monopolen und mächtigen Industriegruppen zu erfüllen.
Gerade die Matrosen der "Aurora" schlossen sich enger um das Bordkomitee der Bolschewiki. Sie wußten um die revolutionäre Tradition ihres Schiffes, und sie setzten sie bewußt und mit Stolz fort. Im Jahre 1912 schlug die Marineleitung zu. Auf den Schiffen "Aurora", "Slawa", "Zarewitsch" und "Imperator Paul I." wurden Verhaftungen vorgenommen. Gegen 59 Matrosen und Reizer wurde ein Kriegsgerichtsverfahren eröffnet. Die Ergebnisse indessen waren sehr mager. Auf keinem der Schiffe wurde belastendes Material gefunden. Auch die zahlreichen Zeugenaussagen von Offizieren und bestellten Spitzeln, meist Angestellten von Rafenbehörden, erbrachten nicht die gewünschten Ergebnisse. Die Flottenleitung aber wollte ein Exempel statuieren, sie wollte unbedingt ein abschreckendes Beispiel haben. Sie glaubte, damit ein für allemal die revolutionären Gedanken und Einflüsse in der Flotte ausmerzen zu können. Sie drängte das Kriegsgericht zur Eile. Alle 59 Mann wurden kurzerhand zur Verbannung nach Sibirien verurteilt. Die Flottenleitung hatte ihren Willen durchgesetzt. Ruhe, in ihrem Sinne, kehrte in die Flotte nicht ein. Ganz im Gegenteil. Die Schandurteile verstärkten die revolutionäre Tätigkeit. In den Kasematten und in den Wohndecks der Schiffe der gesamten russischen Flotte wurde neben den Namen anderer Schiffe der Name "Aurora" mit besonderem Klang ausgesprochen. 1914 war es soweit, der Krieg war da. In Petrograd, wie St. Petersburg von nun an hieß, unterschrieb Zar Nikolaus II. die Mobilmachungsbefehle. Auf Befehl der wenigen, die sich gegenseitig gut kann-
ten, brachte sich die Mehrheit, die sich überhaupt nicht kannte, gegenseitig um. Die sozialdemokratischen Parteien Europas hatten kläglich versagt. Noch 1912 hatten die Führer der sozialdemokratischen Parteien in Basel geschworen, sie würden die Massen in ihren Ländern zum Generalstreik aufrufen, wenn es zum Krieg käme. Es war beim Schwur geblieben, das Blutbad hatte begonnen. Es gab in Europa nur wenige Organisationen und Parteien, die gegen den Krieg auftraten. Eine der Parteien war die der Bolschewiki in Rußland. Sie mußte illegal kämpfen. Ihre Führer saßen in Kerkern, waren in der Verbannung oder als Emigranten, wie Lenin, im Ausland. Dennoch waren die Bolschewiki unerschrocken und unermüdlich. Ihr Zulauf nahm ständig zu.
Der Kreuzer "Aurora" wurde zu Beginn des Krieges sofort einem taktischen Kampfverband der Baltischen Flotte zugeteilt. Dieser Kampfverband, bestehend aus mehreren Kreuzern, hatte den Auftrag, den Zugang zum Finnischen Meerbusen abzuriegeln. Die Aktionen der deutschen Einheiten ließen schnell die Absicht der deutschen Admiralität erkennen: Die russische Baltische Flotte sollte in den Kriegshäfen des Finnischen Meerbusens eingeschnürt werden, damit sie nicht im Rücken des aufmarschierenden Ostheeres operieren konnte. Am Eingang des Finnischen Meerbusens wurden deshalb ausgedehnte Minenfelder gelegt, und durch einzelne Vorstöße sollte die russische Flotte gleichzeitig in die freie Ostsee herausgelockt und geschlagen werden. Bei einer dieser Unternehmungen ging der deutsche Kreuzer "Magdeburg" verloren, er strandete vor der estnischen Insel Odensholm. Die russische Admiralität legte ihrerseits ein breites Minenfeld am Eingang des Finnischen Meerbusens und verhinderte damit jegliches Vordringen deutscher Schiffe bis zu den Basen der russischen Flotte. Aber das Legen einer solchen Sperre brauchte natürlich seine Zeit. So mußte sich die "Aurora" ständig mit deutschen Seestreitkräften herumschlagen. Wenig später wurde sie selbst zum Minenlegen eingesetzt. Das war Knüppelarbeit für die Mannschaft: tagsüber Minenladen in Reval oder Relsingfors, nachts die Dinger ins Wasser bringen. Fortwährend versuchten natürlich deutsche Räumverbände, Fahrstraßen für ihre Vorstöße offenzuhalten. So ging es fort, über die ersten Kriegsmonate hin, das ganze Jahr 1915 hindurch, bis ins Jahr 1916 hinein. Es gab Verwundete, Tote, Erschöpfung und ein ständiges Anwachsen von Raß gegen
diesen verdammten Krieg. Kam die "Aurora" nach Petrograd, mußten die Seeleute jedesmal deutlicher erkennen, wie erbarmungslos der Krieg ihren Angehörigen zusetzte: Sie hungerten und froren. Erschöpfung spülte auch hier Verbitterung auf, Verbitterung gegen den Krieg. In der Baltischen Flotte hatte sich längst wieder ein illegales Komitee der Bolschewiki gebildet. Die führenden Mitglieder dieses Komitees waren die Matrosen Uljanzew, Sladkow, Chowrin und Kusnezow. Mit Rilfe von Verrat gelang es der Geheimpolizei in Petrograd, dieses Komitee ausfindig zu machen und seine Mitglieder zu verhaften. Sofort aber wurde, unter noch strengeren Regeln der Konspiration, ein neues Führungsorgan der Bolschewiki in der Baltischen Flotte geschaffen. Es entstand die "Zentrale der Kronstädter militärischen Organisation". Damit war im wichtigsten Kriegshafen der russischen Flotte, der Sperrinsel Kronstadt vor Petrograd, ein Organ geschaffen, das alle Voraussetzungen bot, eines Tages alle Mannschaften der russischen Schiffe in der Ostsee zur revolutionären Erhebung zu führen. Es war selbstverständlich, daß die Mannschaften der "Aurora" nicht abseits standen. Sie führten in vorderster Front die illegale revolutionäre Bewegung an. Eine Gruppe der Bolschewiki, geführt von dem Matrosen Kassichin, leistete ständig Aufklärungsarbeit unter den Mannschaften. Die Bolschewiki an Bord genossen das Vertrauen der Besatzung, und selbst die Unteroffiziere und nicht wenige Wachtmeister sympathisierten mit ihnen. Die Offiziere an Bord wußten um die Gesinnung der Mannschaften. Wenn sie auch nicht über alle Einzelheiten orientiert waren, jedenfalls wagten sie nicht mehr, offen gegen die Matrosen aufzutreten. Es war ihnen klargeworden, daß sie damit
abermals eine Revolte auf der "Aurora" provoziert hätten. Als durch den andauernden Sperr- und Minendienst die "Aurora" derartig ramponiert war, daß eine Werftüberholung unumgänglich wurde, mußte sie im November 1916 zur Generalüberholung in die Französisch-Russischen Werke nach Petrograd. Vom ersten Tag der Werftliegezeit an war enger Kontakt des Bordkomitees mit dem Arbeiterkomitee der Bolschewiki in der Stadt vorhanden.
Im Februar 1917 hatte das russische Volk den imperialistischen Krieg satt. Es hatte den Zaren satt. Und den Adel mitsamt seiner drückenden Staatsbürokratie. Das Volk erhob sich. Am 25. Februar 1917 wurde in Petrograd der Generalstreik ausgerufen. Revolution. Der Zar Nikolaus II. wurde gestürzt, die Regierung verhaftet. Die 30000 Mann starke Garnison der Rauptstadt stellte sich hinter die Revolutionäre. Ein Exekutivausschuß von 12 Dumamitgliedern übernahm die Regierungsgeschäfte. Das Volk jubelte. Und doch war diese Revolution keine Erlösung, brachte nicht die vollständige Befreiung für das Volk. Wohl gab es jetzt mehr demokratische Freiheiten, aber die vorwiegend sozialdemokratischen Führer wollten den Krieg weiterführen. Runger und Elend würden weitergehen. Sogar der größte Teil der Beamten, der sich flugs der neuen Situation angepaßt hatte, blieb im Amt. Die Auseinandersetzung im Volke ging weiter. Die Bolschewiki waren die einzige Kraft im Land, die konsequent für radikale Änderung war. Der Kommandant der "Aurora", Kapitän I. Ranges Nikolski, versuchte sofort die Mannschaften zu isolieren. Er
rief ein Kommando Kosaken von außerhalb Petrograds herbei und ließ das Schiff bewachen. Am 27. Februar besetzten die Werftarbeiter die gesamte Werft, in der die "Aurora" zur Überholung lag. Es kam zu Schießereien mit den Kosaken. Die Matrosen der "Aurora" solidarisierten sich mit den Arbeitern. Als eine Abordnung von Werftarbeitern auf das Schiff wollte, um mit den Matrosen zu sprechen, ließ Nikolski die drei Wortführer der Arbeiter verhaften. Beauftragte des Bordkomitees der Bolschewiki verhandelten daraufhin mit der Schiffsführung und verlangten die Freilassung der Arbeiter. Durch die starre und abweisende Raltung der Schiffsführung, vor allem Nikolskis, geschah das, was die Offiziere wiederholt befürchtet hatten: Die Revolte brach aus. Es gab ein kurzes Randgemenge. Der Kommandant wurde gezwungen, die Arbeiter freizulassen. Da begannen die Kosaken zu schießen, doch sie wurden von Matrosen und Arbeitern überwältigt. Immer mehr Werftarbeiter kamen auf das Schiff. Rote Fahnen wurden vorangetragen. Noch immer glaubte Nikolski, die Situation zu seinen Gunsten wenden zu können. Einige Offiziere, vor allem die jüngeren, hatten jedoch eingesehen, daß es sinnlos war, gegen die Mannschaften weiterhin mit Gewalt vorzugehen. Sie waren bereit, sich den Anordnungen des revolutionären Bordkomitees zu fügen. Nikolski und einige ältere Offiziere aber leisteten hartnäckig Widerstand. Sie traten schließlich mit gezogenen Pistolen den Matrosen und Arbeitern entgegen. Mehrere Schüsse wurden gleichzeitig abgefeuert, niemand konnte später sagen, wie viele es waren. Nikolski lag in seinem Blut. Die Decksplanken färbten sich rot.
Am Mast wurde die Flagge der Revolution gehißt. Die rote Flagge. An diesem 28. Februar 1917 flatterte zum ersten Male auf einem Schiff der russischen Flotte das rote Banner der Revolution.
Aurora, die Göttin der Morgenröte. Nach Schilderung der Dichter erhebt sich die Schöngelockte in der Frühe von ihrem Lager am Okeanos und eilt im safranfarbigen Mantel dem Relios voraus, um Sterblichen und Unsterblichen den Tag zu verkünden. Welch ein Name für das Schiff! Die "Aurora" verkündete der Menschheit den neuen Tag, den neuen Tag einer besseren Welt. Auf dem Tiekholz ihrer Decksplanken wurden die Männer ihrer Mannschaft zu opferbereiten Streitern. Die "Aurora" und ihre Mannschaft wurden ein Vorbild der Revolution. Noch aber war es ein harter Weg bis zum Sieg. Die Vorhut des russischen Proletariats, die Bolschewiki, führte einen schweren Kampf gegen die provisorische Regierung, die sich allzubald als Werkzeug der Reaktion erwies. Immer mehr Matrosen und Reizer der "Aurora" ließen sich in die Mitgliederlisten der Partei eintragen. Am 3. April 1917 kehrte Lenin aus seinem Schweizer Asyl in die Reimat zurück. Die "Aurora" schickte eine Abordnung von 100 Matrosen zur Begrüßung Lenins auf den Finnischen Bahnhof Petrograds. Wiederholt gab es Begegnungen der "Aurora"Matrosen mit Lenin auf Kundgebungen, Konferenzen und Tagungen. Lenin übernahm die unmittelbare Führung der Bolschewiki im Kampf gegen die Menschewiki, die die provisori-
sche Regierung unterstützten. Die Auseinandersetzungen wurden immer schärfer. Die provisorische Regierung bestand auf der Fortführung des Krieges, und sie stützte sich dabei auf die Generale. Doch die Offiziere hatten es immer schwerer, die Truppen beisammenzuhalten. Immer mehr Mitglieder der Menschewiki gingen zu den Bolschewiki über. Kerenski, der neue Chef der volksfeindlichen Regierung, verfolgte rücksichtslos die Bolschewiki. Es bestand Gefahr, daß der Führer des Proletariats, Lenin, verhaftet und getötet werden könnte. Alle Freunde Lenins empfahlen ihm dringend, Petrograd zu verlassen. Anfangs blieb er in der Nähe der Stadt, in einer Strohhütte verborgen. Auch Matrosen der "Aurora" sicherten das Versteck Lenins, bis er aus Sicherheitsgründen vorübergehend nach Finnland ging.
Am 4. Juli 1917 kam es zur größten Massendemonstration in Petrograd gegen die Kerenski-Regierung. Mehr als eine halbe Million Menschen waren aufmarschiert. Es war ganz selbstverständlich, daß auch eine große Abordnung der "Aurora" daran teilnahm. Kerenski gab Befehl, auf die Demonstranten zu schießen. Siebenhundert Männer und Frauen wurden getötet, unzählige verwundet. Die Verbitterung der Petrograder Arbeiterschaft war grenzenlos. Von jetzt ab wurde die Auseinandersetzung mit den Menschewiki kompromißlos geführt. Kerenski konnte sich nur noch mit Rilfe der Bajonette des Militärs halten. Aber die Soldaten der Garnison gehorchten den Offizieren immer weniger. Das ausgeblutete und ausgehungerte Volk war nicht mehr bereit, für den Krieg weitere Opfer zu bringen. Auf der "Aurora" war die Befehlsgewalt der Offiziere so gut wie ausgeschaltet. Die ranghöheren Offiziere hatten das Schiff bereits verlassen. Die 580 Mann der Besatzung befolgten nur noch Anordnungen, die vom revolutionären Bordkomitee erlassen wurden. Ihr Vorsitzender war der Matrose Belyschew, der am 24. Oktober 1917 offiziell von der Petrograder Revolutionszentrale der Bolschewiki, von Swerdlow, zum I. Kommissar ernannt wurde. Die Lage in Petrograd spitzte sich zu. Lenin kehrte aus Finnland zurück, um die Führung der Revolution zu übernehmen. Endlich war es soweit! Es fiel der Schuß der "Aurora".
An jenem historischen 25. Oktober 1917 lag die "Aurora" auf der Newa an der Nikolausbrücke, der heutigen Leutnant-Schmidt-Brücke. Sie befand sich in Kampfstellung.
Dieser Tag hat das Schiff weltberühmt gemacht, berühmter als die "Santa Maria" des Kolumbus oder die "Resolution" des James Cook. Das revolutionäre Proletariat Petrograds unter Führung der Bolschewiki erhob sich. Die reaktionäre KerenskiRegierung hatte sich im Winterpalais verschanzt. Ein konterrevolutionäres Truppenaufgebot, darunter ein Frauenbataillon, war zu ihrem Schutz im und um das Winterpalais in Stellung gegangen. Lenin begab sich in den Vormittagsstunden des 25. Oktober von seinem illegalen Quartier in der Serdabolskaja 11 zu Fuß in den Smolny. Rier, in der Erziehungsanstalt adliger Töchter, wurde das Rauptquartier der Revolution eingerichtet, und Lenin leitete die für diesen Tag festgelegten Aktionen. Der Kreuzer "Aurora" erhielt Order, nach dem Stadtinnern zur Nikolausbrücke zu verholen. Die provisorische Kerenski-Regierung, ihr nahendes Ende ahnend, hatte befohlen, alle Newabrücken zu ziehen, so daß keine Verbindung zur karelischen Seite Petrograds bestand. Die Mannschaft der "Aurora", die sich geschlossen hinter die Parteigruppe der Bolschewiki an Bord und den tags zuvor ernannten Kommissar, Matrosen Belyschew, stellte, schloß auftragsgemäß die Nikolausbrücke, damit die Verbindung der Stadt zu den nördlichen Arbeitervierteln wiederhergestellt war. Gleichzeitig wurde ein Trupp von 35 Matrosen unter dem Befehl des Matrosen Libatow in Marsch gesetzt. Er hatte die Aufgabe, das Telegrafenamt zu besetzen. Der Kerenski-Regierung war dadurch die Möglichkeit genommen, sich mit den ihr noch gehorchenden Truppen zu verständigen.
Am entscheidendsten jedoch war die Liquidierung und Festnahme der Regierung selbst. Das reaktionäre Nest, das Winterpalais, auszuräuchern wäre kein Problem gewesen. Es lag im Schußfeld der Peter-Pauls-Festung und des Kreuzers "Aurora". Die revolutionären Richtkanoniere hätten jeden Schuß zu einem Treffer gemacht. Die Minister um Kerenski hatten sich nicht gescheut, gerade dieses Palais zu ihrem Regierungssitz auszusuchen, ein Kleinod russischer Baukunst, in dessen Räumen sich Kunstgegenstände von unschätzbarem Wert befanden. Die Bolschewiki wollten jedoch diese Kunstschätze nicht zerstören und das Palais dem russischen Volk erhalten. Außerdem wollten sie das reaktionäre Pack lebend ergreifen, um es einem ordentlichen Gericht zu übergeben. Es wurde festgelegt, am Signalmast der Peter-PaulsFestung eine rote Laterne zu hissen, wenn alle revolutio-
nären Formationen sturmbereit um das Palais aufmarschiert waren. Diese Laterne sollte das sichtbare Zeichen für den Kreuzer "Aurora" sein. Um 21.45 Uhr war es soweit. Die rote Laterne leuchtete auf. Im selben Augenblick feuerte auf Befehl des Kommissars Belyschew der Matrose Ognew das vordere Geschütz der "Aurora" ab. Es war ein Blindschuß in Richtung Winterpalais. Mit diesem Schuß war das Signal gegeben. Das Signal zur Veränderung der Welt. Eine neue Epoche war angebrochen. Die Epoche des Sozialismus. Der Sturm auf das Winterpalais brach los! Kommissar Belyschew schrieb später: "Als Antwort auf den Schuß, das Knattern der Maschinengewehre übertönend, ein donnerndes ,Rurra!' Das waren die Unseren, die zum Sturm übergingen." Vom Panzerkreuzer gedeckt, stürmten die Angreifer das Winterpalais. Die Verteidiger wehrten sich hartnäckig. Gegen 23.00 Uhr begann der zweite Angriff. Daran beteiligte sich auch ein Trupp Matrosen von der "Aurora" unter dem Befehl des Matrosen Newolin. Die Geschütze der "Aurora" feuerten etwa dreißig Schuß Richtung Winterpalais. Die Artilleristen waren auf die moralische Unterstützung der Erstürmer aus und wollten die regierungstreuen Truppen demoralisieren. Auf keinen Fall ging es ihnen um die Zerstörung des Winterpalais mit seinen Kunstschätzen. Die Einschläge der Granaten lagen hauptsächlich im Vorfeld des Angreifers. Gegen 02.00 Uhr am 26. Oktober 1917 war es geschafft. Die die provisorische Regierung verteidigenden Offiziersschüler und das Frauenbataillon gaben auf. Um 02.04 Uhr betraten revolutionäre Matrosen, Soldaten und Arbeiter
das Zimmer, in dem sich die provisorische Regierung befand. Der Sekretär des revolutionären Militärkomitees, Antonow-Owsejenko, erklärte alle Minister für verhaftet. Um 02.10 Uhr am 26. Oktober 1917 hörte die letzte bürgerliche Regierung Rußlands auf zu existieren. Die Minister wurden in die Peter-Pauls-Festung gebracht. Der Chef der provisorischen Regierung, Kerenski, hatte noch rechtzeitig das Winterpalais verlassen können. In Frauenkleidern war er unbemerkt entkommen. Mit einem englischen Auto floh er aus Petrograd. Er ist 1970 in den USA gestorben. Der Oberbefehlshaber der revolutionären Truppen, Podwoiski, ernannte den Matrosen Duschonow zum Kommandanten des Winterpalais. Lenin selbst hat ihm wenig später dafür gedankt, daß durch seine Umsicht und sein tatkräftiges Randeln alle Schätze des Palastes erhalten und unversehrt blieben. Später wurde Duschonow Oberbefehlshaber der Nordflotte. Nachdem das Winterpalais, die letzte Bastion der Reaktion, gestürmt war, beteiligten sich die Mannschaften an der Sicherung der neuen Staatsmacht. Arsenale, Bahnhöfe, Ministerien mußten bewacht werden. Die Matrosen und Reizer der "Aurora" waren die ersten, die Lenin und die Sowjetregierung in ihrem ersten Amtssitz, dem Smolny, bewacht und beschützt hatten. Ein Trupp von zweiundzwanzig Matrosen war dazu für würdig befunden worden. Die Funktelegrafisten der "Aurora" gaben den historischen, von Lenin verfaßten Aufruf "An die Bürger Rußlands" bekannt, in dem der Sturz der provisorischen Regierung und damit die Gründung des ersten sozialistischen Staates der Welt mitgeteilt wurde.
Am 26. Oktober sendete die "Aurora" das erste Dekret der neuen Regierung in die Welt, das "Dekret über den Frieden". Aber die Militaristen und die eingefleischten Reaktionäre stießen das Volk in einen grausamen Bürgerkrieg. Doch nicht genug damit, von allen Seiten griffen ausländische Interventen den eben gegründeten Sowjetstaat an. Ein jahrelanger opfervoller Kampf stand den Siegern der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bevor. Für die Besatzung der "Aurora" war es selbstverständlich, sich an der Verteidigung der Sowjetmacht zu beteiligen. Sie brachte ihr Schiff hinaus zur sicheren Insel Kronstadt, Maschinen und stationäre Waffen wurden gut konserviert, und dann verließ sie ihr Schiff. An allen Landfronten kämpften die Seeleute gegen die weißgardistischen Judenitsch-, Denikin- und Koltschakbanden. Viele haben dabei ihr Leben gelassen. So fiel im März 1918, weit in Rußlands Innerem, der Matrose Ognew, der auf Befehl Kommissar Belyschews den historischen Kanonenschuß auf das Winterpalais abgegeben hatte. Als endlich die Feinde niedergerungen waren, konnte erst der friedliche Aufbau beginnen. Die Verwüstungen, die der Bürgerkrieg hinterlassen hatte, waren ungeheuerlich. Auch eine neue Flotte mußte geschaffen werden. Die langen Küsten des Sowjetstaates mußten zuverlässig geschützt werden. Der Komsomol, die Jugendorganisation, übernahm 1922 die Wiederherstellung der einigermaßen erhalten gebliebenen Schiffe der ehemaligen zaristischen Flotte. Die "Aurora" war eins der ersten Schiffe, auf der die neue Flagge der Rotbannerflotte gehißt wurde. Schon im
Jahre 1923 wurde sie wieder in Dienst gestellt. Ihr Reimathafen wurde Petrograd. In Anerkennung der revolutionären Verdienste des Kreuzers übernahm die Sowjetregierung die Patenschaft über die "Aurora" und verlieh ihr das Ehrenrotbanner. Gleich 1922 war auch der Arbeiterjunge Michail Sinoserski dem Aufruf des Komsomol gefolgt. Er war achtzehn Jahre alt und blieb später als Maschinist auf dem Schiff. Dieser Arbeiterjunge, den die Revolution geformt hat und die "Aurora", hat weit mehr als ein Jahrzehnt jungen Seesoldaten der Sowjetunion seine Kenntnisse und sein Wissen vermittelt. Eine ausgebildete Gang nach der anderen verließ die "Aurora", um die neuerbauten Schiffe der Sowjetflotte zu bemannen. Sie hatten eine hervorragende Ausbildung erfahren. Am 10. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurde der berühmten "Aurora" als erstem Schiff der Flotte der Rotbannerorden verliehen. Wieder fuhr die "Aurora" als Ausbildungsschiff ins Ausland. Diesmal aber kündete ihre Flagge in fremden Räfen von dem friedliebenden ersten sozialistischen Staat in der Welt. Die erste Auslandsreise führte die "Aurora" nach Norwegen. Wiederholte Reisen nach Schweden folgten. Die erste Reise nach Deutschland wurde in Swinemünde zu einer bewegenden Kundgebung der Besatzung mit einer großen Zahl von Freunden der Sowjetunion, mit deutschen Kommunisten. Im Jahre 1928 besuchte Ernst Thälmann das erstemal die "Aurora". Er hielt vor den Matrosen eine Ansprache, in der er vom Kampf des deutschen Proletariats berichtete. Die Besatzung der "Aurora" beschloß, Ernst Thälmann zum Ehrenmitglied des Kreuzers zu ernennen. Das Ar-
meemuseum in Dresden bewahrt die ihm damals überreichte Ehrenuniform als kostbares Erinnerungsstück auf.
Als das faschistische Deutschland die Sowjetunion überfiel, gehörte die "Aurora" mit ihren nahezu vierzig Dienstjahren zu den Veteranen der Schiffahrt. Was hatte sie nicht alles erlebt! Aber es gab kein Ausruhen. Noch einmal wurde sie gefordert. Diesmal galt es, einen mächtigen Feind, der den ersten sozialistischen Staat der Welt zertrümmern wollte, abzuwehren. Die "Aurora" mußte mithelfen, ihren Reimathafen, die Stadt Leningrad, zu verteidigen. Die gesamte Besatzung der "Aurora" war erfüllt vom Reldengeist der Revolutionäre, die einstmals, sei es unter der Knechtschaft des Zarenregimes oder unter dem Rotbanner, Dienst getan hatten. Es würde keinem Feind gelingen, Leningrad zu betreten und auch nicht die Planken des Schiffes. Auf Befehl des Kommandos der Baltischen Flotte wurde die "Aurora" nach Oranienbaum, einem Vorhafen Leningrads, verlegt. Sie wurde zusätzlich mit Fliegerabwehrwaffen ausgerüstet, um den Leningrad angreifenden faschistischen Bombern einen heißen Empfang zu bereiten. Oranienbaum liegt dem Kriegshafen Kronstadt gegenüber. Mit den Geschützen der Inselfestung und dem gezielten Flakfeuer der "Aurora" wurde der Küstenstreifen um Oranienbaum heldenhaft verteidigt. Während des gesamten Vaterländischen Krieges gelang es der faschistischen Wehrmacht nicht, auch nicht während der Einschließung Leningrads, den Stützpunkt Oranienbaum und damit auch den Kreuzer "Aurora" zu erobern. Oranienbaum saß wie ein Stachel im Fleisch der Leningrad angreifenden Faschisten.
Die schweren Geschütze der "Aurora" wurden abmontiert und auf dem Krähenberg, südlich von Peterhof, aufgestellt. Die Kanoniere des Kreuzers verwehrten damit den faschistischen Panzern den Marsch in die Stadt. Das Geschütz Nummer l, das vordere Geschütz, das sonst gleich hinter dem Ankerspill stand und von dessen Plattform aus einst der historische Schuß auf das Winterpalais abgefeuert worden war, vernichtete mehrere angreifende Panzer. Die Matrosen der "Aurora" von 1941 haben sich ihrer kämpfenden Vorgänger als würdig erwiesen. Da die Maschinenanlage stillgelegt worden war, wurden die Reizer und Maschinisten der "Aurora" den Kampfbataillonen, die Oranienbaum in der vordersten Linie verteidigten, zugeteilt. Viele sind bei der Verteidigung und Behauptung des Oranienbaumer Kessels gefallen. Auch Michail Sinoserski bestand darauf, in ein Marineinfanteriebataillon aufgenommen zu werden. Der Jüngste war er nicht mehr, er war nahe der Vierzig, aber mit dem Rinweis, daß er ein Anderthalbjahrzehnt Dienst auf der "Aurora" getan habe, wurde er in das erste Aufgebot der Verteidiger Leningrads aufgenommen. Er hat überlebt; von ihm erfuhr ich viel über die "Aurora", deren revolutionäres Vorbild nicht wenig auch dazu beigetragen hat, den Faschisten standzuhalten und Leningrad nicht preiszugeben. Das Schiff wurde für viele Verteidiger zum Sinnbild des Reldenmutes und der Opferbereitschaft. Gleich nach dem Durchbrechen der faschistischen Blokkade von Leningrad im Jahre 1944 wurde von der Sowjetregierung der Beschluß gefaßt, die "Aurora" auf jeden Fall zu erhalten und als Traditionsschiff allen Sowjetbürgern und den Besuchern aus aller Welt zugänglich zu machen.
1948 wurde das Schiff vor der Marineschule am Newakai für immer festgemacht. Matrosen der Rotbannerflotte sorgen für die ständige Pflege. Es ist eine Ehre, zu einer zeitweiligen Kommandierung auf die "Aurora" befohlen zu werden. Das Schiff glänzt, als komme es gerade aus der Werft. Man kommt gar nicht auf den Gedanken, daß es vor mehr als sieben Jahrzehnten gebaut wurde. Am 22. Februar 1968, am Vorabend des 50. Jahrestages der sowjetischen Streitkräfte, wurde laut Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets die "Aurora" mit dem Ehrenorden der Oktoberrevolution ausgezeichnet. Es gibt keinen Sowjetbürger, der Leningrad besucht und nicht wenigstens zum Newakai pilgert und zumindest von hier aus den Stolz der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution betrachtet. Es ist wahr, daß zu mancherlei Eigenarten eines Schiffes die "Aurora" wohl die ausgeprägteste hat: den Geist der Revolution.
Reft 373
Tschingis Aitmatow Am Fluß Baidamtal
Nurbek will fliehen, denn er schämt sich vor dem Mädchen Assija, die einsam und unermüdlich hier oben in den Bergen arbeitet, um den Fluß Baidamtal für die Menschen nutzbar zu machen. Und er, Nurbek, er fühlt sich als Verbrecher. In die Berge war er gekommen, um einen Sowchos aufzubauen, doch dann wollte er alles besser wissen, auch, daß man mit einem Traktor einen steilen Rang pflügen kann. Als der Traktor aber zerschellte, hat er sich heimlich davongemacht. Assija fand ihn schwer verwundet in den Bergen, und nun liebt Nurbek dieses Mädchen, und darum will er wieder fliehen. Doch diesmal fordert ihn der Fluß Baidamtal zum Kampf.