Reset
Der bedeutende US-amerikanische Ökonom Richard Florida, Jahrgang 1957, ist Direktor des Martin Prosperity Insti...
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Reset
Der bedeutende US-amerikanische Ökonom Richard Florida, Jahrgang 1957, ist Direktor des Martin Prosperity Instituts der Universität Toronto und ein international bekannter Intellektueller. Als der weltweit einflussreichste Experte in Sachen Wirtschaftsgeografie ist er ein gefragter Redner und Berater. Florida ist Autor mehrerer Bücher, darunter The Rise of the Creative Class (2003) und schreibt regelmäßig für Atlantic Monthly, The Economist, Harvard Business Review und andere. Weitere Informationen unter www.creativeclass.com.
Richard Florida
Reset Wie wir anders leben, arbeiten und eine neue Ära des Wohlstands begründen werden
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die englische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel The Great Reset. How New Ways of Living and Working Drive Post-Crash Prosperity bei Harper, an imprint of HarperCollins Publishers, New York, USA. Copyright © 2010 by Richard Florida.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-39125-0 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2010. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Umschlaggestaltung: Hißmann, Heilmann, Hamburg Umschlagmotiv: © getty images/William Andrew Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht Druck und Bindung: Beltz Druckpartner, Hemsbach Gedruckt auf Papier aus zertifizierten Rohstoffen (FSC/PEFC). Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Für Zak
Inhalt
Vorwort für die deutsche Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Teil I: Vergangenheit als Prolog 1. Der große Reset . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die großen Vorgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stadtentwicklung als Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Jahrzehnt der größten technischen Fortschritte . . . . 5. Die Stunde der Vorstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Raumlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Fäden entwirren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Teil II: Die Umgestaltung der Wirtschaftslandschaft 8. Die Hauptstadt des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Ablösung an der Spitze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Der FIRE-Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Der Boom der Behördenstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Leben und Sterben alter Industriestädte . . . . . . . . . . . . 13. Nordlicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Sonnenuntergang über dem Sunbelt . . . . . . . . . . . . . . .
67 74 81 87 92 110 115
Teil III: Eine neue Lebensweise 15. Die Reset-Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Eine gute Jobmaschine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Die neue Normalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18. Die große Umsiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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19. Groß, schnell und grün . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Die eigene Geschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Wie ein geölter Blitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22. Ein Traum zur Miete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Der Zeitpunkt für den Reset . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181 186 195 203 213
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Vorwort für die deutsche Ausgabe
Mit der industriellen Revolution veränderte sich die Gesellschaft in allen Regionen Europas grundlegend, auch in Deutschland. Die Arbeit der Bauern und Handwerker, die jeden Entstehungsschritt ihres Produkts begleitet und verantwortet hatten, verlor an Bedeutung, und an ihre Stelle trat die industrielle Fertigung durch den Arbeiter. In den Fabriken der großen Städte arbeiteten die Menschen nun in einem Prozess, der die Herstellung der Güter in viele einzelne Schritte zerlegt und auf Fließbänder verlagert hatte. Die zunehmende Produktivität verhalf der gesamten Bevölkerung über die Jahrzehnte zu mehr Wohlstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfüllte sich gerade auch in Deutschland der Traum vom Wirtschaftswunder. Die eigenen vier Wände ließen sich mit Gebrauchsgütern aller Art füllen, vor der Tür stand das eigene Auto. Den Kindern ermöglichte man eine Ausbildung, mit der sie es später einmal sogar noch besser haben sollten als man selbst. Heute ist unsere Gesellschaft erneut in einer Umbruchphase. Wir haben das industrielle Zeitalter ein für alle Mal hinter uns gelassen und stehen an der Schwelle zu einem völlig neuen Wirtschaftssystem, dem der »kreativen Wirtschaft«. Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise hat diesen Umbruch zusätzlich beschleunigt. In der neuen Wirtschaftsordnung sind nicht mehr länger Kapital und Arbeit die Motoren der Wirtschaft, sondern Kreativität. Die hochkreativen und kreativen Berufe vom Designer bis zum Informatiker, vom Ingenieur bis zum Wissenschaftler drängen die Produktionsund Dienstleistungsberufe in den Hintergrund. Dabei ist Kreativität nicht den Künstlern und einigen wenigen vorbehalten, sondern eine Fähigkeit aller Menschen, die sie bei ihrer beruflichen Tätig-
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keit entfalten können. Die gerne beschworene Wissensgesellschaft ist nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn das im Überfluss vorhandene Wissen in Geschäftsideen umgewandelt und ökonomisch genutzt wird. Nur mit Innovationen, die genau diese Kreativität hervorbringt, mit dem Schaffen von neuen Produkten, neuen Verfahren, neuen Märkten und Organisationsformen werden wir einen Weg aus der Krise finden und einen neuen Aufschwung erleben. Die drei entscheidenden Faktoren der kreativen Wirtschaft sind Talent, Technologie und Toleranz. Wie auch in den USA vertrauen die Deutschen dabei bislang zu sehr auf die Technologie und die damit verbundenen Errungenschaften. Technologie ist jedoch kein Allheilmittel. Weder der Technologie noch der protestantischen Arbeitsethik verdanken die USA ihre Position als globale Wirtschaftsmacht, sondern der Tatsache, dass Amerika es geschafft hat, talentierte und kreative Menschen aus aller Welt anzuziehen. Was das angeht, hat Deutschland noch einiges vor sich. Allerdings haben die Deutschen den USA auf dem Weg zur Kreativwirtschaft auch einiges voraus, und das ist Toleranz, jedenfalls in bestimmten Städten und Regionen. Damit meine ich die Offenheit gegenüber Vielfalt, alternativen Lebensstilen und zeitgenössischen Werten wie Meinungsfreiheit, Forscherdrang, Experimentiergeist und Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen. Wegen ihrer Klassengesellschaft sind die USA gar nicht in der Lage, die Kreativität jedes Einzelnen gesamtgesellschaftlich zu nutzen. Städte in Kanada, Skandinavien, aber eben auch in Deutschland haben dabei viel bessere Chancen. Denn künftig werden nicht nur Firmen wie Porsche, Siemens und BMW in globalem Wettbewerb mit beispielsweise Toyota oder Sony stehen, sondern Städte wie Hamburg, Berlin oder München ebenso miteinander konkurrieren wie mit Barcelona, Toronto, London, New York oder Stockholm. Und in allererster Linie ist dies ein Konkurrieren um Talente. Bei diesen Talenten wird künftig die wirtschaftliche Wertschöpfung liegen. In Deutschland gibt es im Wesentlichen zwei Arten von kreativen Zentren. Zum einen die Metropolregionen wie Hamburg oder Mün-
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chen, zum anderen Berlin – die Stadt, die die Forderung nach Talent, Technologie und Toleranz bereits am konsequentesten erfüllt. Die Stadt ist frei, offen und schnell und erfindet sich ständig neu. Noch geht es bei der Debatte in Deutschland um eine Form sozialer Gerechtigkeit, um die bessere Verteilung materieller Güter. Aber meines Erachtens ist eine solche Debatte irrelevant, denn tatsächlich ist doch die wesentliche Frage, wie man Menschen dazu bringt, ihre Talente zu entwickeln und sie ökonomisch zu nutzen. Deutschland hat Städte mit hoher Lebensqualität und gute Universitäten. Trotzdem wandern Talente ins Ausland ab. Warum ist das so? Was kann das Land dagegen tun? Wie auch Japan und die USA ist Deutschland in einer nationalen Identitätskrise verhaftet. Die Deutschen thematisieren Einwanderung als volkswirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Problem, aber das führt in eine völlig falsche Richtung. Das eigentliche Thema ist, wie es gelingen kann, Talente ins Land zu holen. Australien, Neuseeland, Skandinavien haben das längst erkannt, neuerdings sogar Großbritannien. Daher sollte die Debatte in Deutschland so zusammengefasst werden können: Wie kann das Land mit seinen guten Universitäten, seiner fantastischen wissenschaftlichen Tradition und seinen wunderbaren Städten attraktiv für Talente aus der ganzen Welt werden? Deutschland hat mit seiner offenen, lebenswerten und toleranten Gesellschaft eine hervorragende Grundlage für die Zukunft. Jetzt gilt es, die vielen Chancen und Möglichkeiten zu nutzen, die sich in der Krise bieten. Es liegt an den Politikern, Firmen und Wirtschaftsführern – und in der Hand jedes Einzelnen. Richard Florida Toronto, im Juli 2010
Einleitung
Im Grunde haben wir es doch kommen sehen. Vielen mag es zwar erscheinen, als sei die amerikanische Gesellschaft beinahe über Nacht vom Wohlstand ins Chaos gestürzt, aber in Wirklichkeit hat sich die Finanzkrise, die die Wirtschaft 2008 und 2009 lahmgelegt hat, über Jahre, vielleicht sogar über Generationen hinweg vorbereitet. Es ist leicht, mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen und die Banker und Hypothekenkreditgeber in ihrem Profitstreben als Sündenböcke auszumachen, die mit hochriskanten Spielchen die Finanzmärkte ruiniert haben. Aber das wäre wohl so, als würde man Fast Food die Schuld an Fettleibigkeit geben. Die Vereinigten Staaten haben lange über ihre Verhältnisse gelebt. Über mehr als 25 Jahre ist die US-Wirtschaft unablässig gewachsen, gespeist vom ungebremsten Konsum einer endlosen Flut von Immobilien, Waren und technischen Spielereien. Früher schätzte man die USA wegen ihrer Innovationsfreudigkeit, ihres sogenannten amerikanischen Erfindergeists, doch offenbar konzentrierten sich diese Fähigkeiten irgendwann nur noch auf die Entwicklung hochriskanter Finanzprodukte. Angeheizt von leicht zugänglichen Krediten entwickelte sich die Wirtschaft zu einem gigantischen Basar. Gleichzeitig verwandelten sich die Finanzmärkte, die früher ein Hort für Investoren gewesen waren, in Spielcasinos, in denen viele der brillantesten Köpfe sich mit aberwitzigen Einsätzen auf tollkühne Glücksspiele und schwindelerregend komplexe Wetten einließen. Als Alan Greenspan, der damalige Chef der US-Notenbank, vor nahezu zehn Jahren das Kartenhaus immer höher und labiler werden sah, revidierte er seine Einschätzung, dass es sich um »irrationalen Überschwang« handele, und ersetzte sie durch den schärferen Ausdruck »ansteckende Gier«.
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Wie wir wissen, fiel dieses Kartenhaus unweigerlich in sich zusammen. Das sollte uns auch nicht überraschen, denn es ist nicht das erste Mal. In den vergangenen 150 Jahren erlebte die Wirtschaft bereits zweimal – in den 1870er und den 1930er Jahren – einen solchen Einbruch mit anschließender Depression. Beide Male ging sie jedoch aus diesen finsteren Zeiten gesünder und gestärkt hervor. Das ist auch heute wieder möglich. Es gibt schon genug Versuche, die Ursachen dieser Krise zu benennen und vorherzusagen, wie tief die Wirtschaft sinken und wann sie sich wieder erholen wird. Beim Blick zurück sollte es aber in erster Linie darum gehen, etwas für die Zukunft zu lernen, und in der Tat können wir aus den Krisen- und Aufschwungphasen der Vergangenheit viele Lehren ziehen. Es waren verheerende, leidvolle Zeiten, die in Wirtschaft und Gesellschaft tiefe Lücken rissen. Doch die Natur duldet kein Vakuum. Für jede Institution, die versagte, für jedes Geschäftsmodell, das sich überlebt hatte, entstanden sehr schnell neue und bessere, die diese Lücken schlossen. Aus vergangenen Krisenzeiten erwuchsen schließlich neue Epochen, die von Erfindergeist und Einfallsreichtum geprägt waren. Gerade in solchen Zeiten entstanden neue Technologien und Geschäftsmodelle, neue Wirtschafts- und Gesellschaftsformen und völlig neue Lebens- und Arbeitsweisen. Die Uhr der Geschichte tickt unablässig. Wir können die Daumen drücken und das Beste hoffen oder jetzt Maßnahmen ergreifen für eine bessere, reichere Zukunft. Wir haben schon früher furchtbare Wirtschaftseinbrüche und Depressionen erlebt und uns immer wieder aufgerafft, unsere Wirtschaft und Gesellschaft unbeirrt umgestaltet und die Voraussetzungen für längerfristigen Wohlstand geschaffen. Mit dem Wandel der Zeiten haben wir neue Arbeits- und Lebensweisen entwickelt, unsere Städte umstrukturiert und die Grundlagen für wirtschaftliches Wachstum und Erholung gelegt. Immer wieder sind wir aus Krisen gestärkt und reicher – im materiellen wie immateriellen Sinn – hervorgegangen. Dieses Buch wird die entscheidenden Faktoren früherer Krisen und Umbruchphasen analysieren. Möge es dazu beitragen, die entscheidenden Faktoren des gegenwärtigen Wandels besser zu erkennen und den Weg in eine neue Ära dauerhaften Wohlstands einzuschlagen.
Teil I
Vergangenheit als Prolog
Kapitel 1
Der große Reset
Ich frage mich, was meine Eltern wohl heute denken würden. Meine Mutter und mein Vater wurden in den 1920er Jahren geboren und erlebten viele der größten Umwälzungen des 20. Jahrhunderts, von der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre bis zum rasanten Wirtschaftsaufschwung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide wuchsen in Newark auf, dem italienischen Bezirk von New Jersey. Ihre Erinnerungen an Suppenküchen, Zeltstädte und staatliche Kleiderspenden zeugen vom urbanen Elend in den Jahren der Depression. Bei meinem Vater zu Hause gab es weder einen Kühlschrank noch sanitäre Anlagen. Mit 13 Jahren verließ er die Schule, um in einer Brillenfabrik zu arbeiten und gemeinsam mit seinen Eltern und seinen sechs Geschwistern die Familie zu ernähren. Da seine Eltern sich keine neuen Spielsachen leisten konnten, packten sie Jahr für Jahr denselben Spielzeugbagger ein und legten ihn unter den Weihnachtsbaum. Dreißig Jahre später jedoch konnten meine Eltern wie so viele andere in die grüneren Vororte ziehen, sich zuerst ein eigenes Haus, dann einen funkelnagelneuen Chevy Impala, eine Waschmaschine und ein Fernsehgerät leisten und ihre Kinder in materieller Sicherheit aufziehen. Mein Vater erlebte, wie seine schlecht bezahlte Arbeit sich – in derselben Fabrik – in eine ordentliche, besser bezahlte Stellung verwandelte, von der unsere ganze Familie leben konnte. Die wirtschaftlichen Höhen und Tiefen, die meine Eltern durchlebt haben, gehören zum Lebenszyklus jeder Gesellschaft. Sie können schwierig und zuweilen furchtbar schmerzlich sein. Aber ebenso wie Bäume im Herbst ihr Laub abwerfen, um Platz für neues Wachstum im Frühjahr zu machen, vollziehen auch Wirtschaften einen Reset. In Krisenzeiten offenbart sich, was funktioniert und
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was nicht funktioniert. In solchen Zeiten brechen überholte Systeme und Praktiken zusammen oder geraten ins Abseits, während die Saat der Innovationen und Erfindungen aufgeht und Kreativität und Unternehmergeist blühen. Sie gestalten sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft um und ermöglichen so einen neuen Aufschwung. Große wirtschaftliche Umbruchphasen, wie die Große Depression in den 1930er Jahren oder vor ihr die Lange Depression der 1870er Jahre, vollziehen sich über längere Zeit. Der Weg zur wirtschaftlichen Erholung kann ebenfalls lang und schwierig sein und dauerte in den beiden letzten Krisen jeweils nahezu dreißig Jahre. Im historischen Kontext gesehen zeigt sich, dass Wirtschaftskrisen unweigerlich die entscheidenden Phasen der Umgestaltung einleiten, in denen sich die Wirtschaft erholen und wieder wachsen kann. Solche Phasen bezeichne ich als großen Reset. Karl Marx beschrieb von seinem Logenplatz im British Museum aus präzise den gewaltsamen Übergang von einer älteren Agrarwirtschaft zu einer modernen kapitalistischen Industriegesellschaft. Doch der Kapitalismus, das innovativste, revolutionärste Wirtschaftssystem aller Zeiten, war zugleich anfällig für Panikausbrüche und Krisen. Diese Krisen verursachten massive Entbehrungen und menschliches Leid, aber sie trugen auch grundlegend dazu bei, die Wirtschaft voranzutreiben, denn in ihnen vollzog sich die Umwälzung bestehender ökonomischer und sozialer Verhältnisse, und neues Wirtschaftswachstum wurde möglich. Joseph Schumpeter, der große Theoretiker der Innovation und des Unternehmergeistes, der in Marx’ Todesjahr geboren wurde, bezeichnete diesen Prozess als »schöpferische Zerstörung«: Wirtschaftskrisen fegen alte Unternehmen und überholte Wirtschaftssysteme hinweg, machen den Weg frei für neue Technologien oder sogar völlig neue Industriezweige und setzen eine neue Ära des Wachstums in Gang. John Maynard Keynes leitete aus diesen Krisen die Notwendigkeit ab, den Kapitalismus durch Staatsausgaben im Grunde vor sich selbst zu schützen. Wenn der Privatsektor am Boden läge, seien Staatsausgaben der einzige Weg, den Kapitalismus in Gang zu halten und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Jeder dieser bedeutenden Denker beschrieb den Teil des Prozesses, in dem ein Abschwung sich
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langsam umkehrt und zu einem erneuten Boom führt. Aber eine reale, dauerhafte Erholung erfordert mehr als technische Innovationen und neue Staatsaufgaben. US-Präsident Obamas Stabschef Rahm Emanuel zitiert gern die mittlerweile berühmte Maxime des Wirtschaftswissenschaftlers Paul Romer, dass es eine schreckliche Verschwendung wäre, eine Krise nicht zu nutzen.1 Tatsache ist aber, dass die gegenwärtige Krise völlig ungenutzt bleibt. Der Ansatz, der alten Ökonomie Milliarden an Staatsgeldern hinterherzuwerfen, ist kurzsichtig und dient nur dazu, die kollektive Bequemlichkeit wiederherzustellen. Eine deutliche Erholung der Märkte erfordert wesentlich mehr als staatliche Finanzhilfen, Anreize und andere Flickschustereien, die darauf abzielen, das alte System wiederzubeleben oder einen scheinbaren kurzfristigen Aufschwung am Aktien-, Immobilien- und Automarkt zu erzeugen. Auf Dauer sind Staatsausgaben keine Lösung. Der Staat kann zwar vorübergehend Lücken füllen, aber ihm fehlen schlicht die Mittel, die enorme Nachfrage zu schaffen, die für anhaltendes Wachstum notwendig ist. »Bei dieser Wirtschaftskrise handelt es sich nicht um einen Zyklus. Es handelt sich um einen Reset. Sie ist ein emotionaler, harter sozialer, wirtschaftlicher Reset«, erklärte Jeffrey Immelt, der Vorstandschef von General Electric. »Wer das versteht, wird Erfolg haben. Wer es nicht begreift, wird abgehängt.«2 »Reset« bedeutet, etwas in eine bestimmte Ausgangslage zurückzuversetzen oder einen Neustart durchzuführen. Große Resets sind umfassende, grundlegende Umwälzungen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung und beschränken sich längst nicht allein auf ökonomische oder finanzielle Ereignisse. Ein echter Reset verändert nicht nur die Innovations- und Produktionsweise, sondern führt zu einer völlig neuen Wirtschaftslandschaft. In dem Maße, wie sie mit neuer Infrastruktur und neuen Transportsystemen Gestalt annimmt, lässt sie neue Wohnverhältnisse entstehen und verändert, wo und wie Menschen leben und arbeiten. Schließlich führt sie zu einer ganz neuen Lebensweise, geprägt von neuen Wünschen, Bedürfnissen und Konsumvorstellungen, die die Wirtschaft ankurbeln, eine Ausdehnung der Industrie und eine Steigerung der Produktivität ermöglichen und dabei neue und bessere Arbeitsplätze schaffen.
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Wirtschaftssysteme existieren nicht in einem abstrakten Raum, sie sind vielmehr eingebettet in das geografische Gefüge der Gesellschaft. Die Nutzung von Grund und Boden, die Lage von Wohnhäusern und Geschäften, die Infrastruktur, die Menschen, Orte und Kommerz verbindet – alle diese Faktoren prägen Produktion, Konsum und Innovation, und wenn sie sich verändern, wandeln sich auch die grundlegenden Triebkräfte der Wirtschaft. Diese Neuordnung der Wirtschaftslandschaft ist das eigentliche Erkennungsmerkmal eines großen Resets. Nach der Großen Depression der 1930er Jahre wuchs mit den Vororten zugleich die Nachfrage nach Autos, Elektrogeräten, Fernsehern und anderen Gütern, und das goldene Zeitalter der Massenproduktion gelangte zum Höhepunkt. Aus der Wirtschaftskrise des ausgehenden 19. Jahrhunderts erwuchsen nicht nur neue Industriezweige und Technologien, sondern auch riesige Industriestädte. Geografen bezeichnen die Problemlösung durch neue Raumstrategien als spatial fix.3 Starke wirtschaftliche Erschütterungen verändern letztlich ihre Umwelt durch das, was sie zerstören oder stehen lassen, durch die Reaktionen oder neuen Aktivitäten, die sie hervorbringen, und durch den Raum, den sie für neues Wachstum frei machen. Technologische Innovationen führen zu neuen Formen von Infrastruktur, die wiederum revolutionieren, wo und wie Menschen leben und arbeiten. Durch Rohr- und Kabelleitungen, Eisenbahnen oder Brücken erweitern die neuen Systeme die Reichweite von Energie und die Effizienz von Kommunikation und Verkehr und beschleunigen den Fluss von Gütern, Menschen und Ideen. Der Aufstieg und Niedergang von Städten und Ländern zieht eine starke Wanderung von Menschen nach sich, da große Ballungszentren sich erheblich ausdehnen und die Wirtschaftslandschaft immer intensiver genutzt wird. Jede große Wirtschaftsära bringt eine eigene charakteristische Geografie hervor. Auch der gegenwärtige große Reset wird mit einer neuen Wirtschaftslandschaft und einer ganz neuen Lebensweise einhergehen, die der aufkommenden ökonomischen und sozialen Realität unserer Zeit entsprechen. Da der jetzige wirtschaftliche Reset sich noch in einem sehr frühen Stadium befindet, ist nur schwer abzuschätzen, wie er sich letztlich
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entwickeln wird. Doch schon jetzt ist in den USA spürbar, dass die Lebensweise und auch die Wirtschaftslandschaft sich verändern. Dieser Wandel vollzieht sich bereits seit geraumer Zeit organisch und schubweise. Er ist kein Ergebnis von Programmen oder politischen Maßnahmen, obgleich die Entscheidung für oder gegen eine staatliche Maßnahme ihn fördern oder behindern kann. Eines steht fest: Diese neue Lebensweise, die manche schon jetzt als bevorstehende »neue Normalität« bezeichnen, wird sich weniger an Autos, Häusern und Vororten orientieren. Die Menschen werden, relativ gesehen, weniger Geld für die Dinge ausgeben, die die alte Lebensweise prägten. Das werden sie müssen, wenn Geld für die neuen Industriezweige übrig bleiben soll, die beim großen Reset entstehen und eine Ära erneuten Wohlstands einleiten werden. Während der Großen Depression der 1930er Jahre sank die Geldmenge, die Familien für Nahrungsmittel ausgaben, ebenso dramatisch wie der Prozentsatz der Amerikaner, die in der Landwirtschaft unmittelbar mit der Erzeugung dieser Nahrungsmittel beschäftigt waren. Ein solcher Wandel muss auch heute stattfinden. Bevor wir die neuen Industriezweige der Zukunft entwickeln, neue Formen der Gesundheitsversorgung und Biotechnologien schaffen oder neue Arten von Bildung, und stärker erlebnisorientierte Möglichkeiten der Unterhaltung und Freizeitgestaltung erkunden können, müssen wir zunächst Kapital freisetzen, indem wir die Güter der alten Industrieordnung billiger und effizienter produzieren. Die Grenzen der »Eigentümergesellschaft«, wie George W. Bush sie nannte, sind erreicht. Ein eigenes Haus zu besitzen war sinnvoll, als Menschen damit rechnen konnten, einen Arbeitsplatz über den größten Teil ihres Lebens hinweg zu behalten. Aber in einer Wirtschaft, in der sich alles um Mobilität und Flexibilität dreht, wird ein unverkäufliches Haus zu einer ökonomischen Falle, die Menschen hindert, dorthin zu gehen, wo sich wirtschaftliche Chancen bieten. Dieser Teil des amerikanischen Traums ist ausgeträumt. Zudem hat sich deutlich gezeigt, dass finanzielle Exzesse auf dem US-Immobilienmarkt eine der zentralen Ursachen der Wirtschaftskrise waren. Immobilien haben einen viel zu großen Anteil vom Kapital des Landes und der Welt verschlungen, und zu viele Menschen – die sich durch den Kauf überdimensionierter Häuser bereits finanziell übernommen
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hatten – haben diese Häuser praktisch als Geldautomaten benutzt, um unbeschwerten Konsum zu finanzieren. Bei jedem großen Reset haben sich die Wohnverhältnisse verändert, und der gegenwärtige bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Seit geraumer Zeit nimmt in den Vereinigten Staaten der Prozentsatz der Hausbesitzer ab. Viele, die nach wie vor Häuser kaufen, werden sich für kleinere Eigenheime entscheiden, und viele andere werden Mietwohnungen vorziehen. Auch das Auto wird in unserer neuen Lebensweise wahrscheinlich eine wesentlich kleinere Rolle spielen. Im Oktober 2009 berichtete die New York Times: »Die Rezession und ein wachsendes Umweltbewusstsein veranlassen viele, ihren Autobesitz zu überdenken. Nachdem ein Auto über mehr als ein Jahrhundert hinweg den amerikanischen Traum repräsentierte, gehört die Autobegeisterung vielleicht nicht mehr länger zur amerikanischen DNA.«4 Die Autokultur übt nicht mehr den starken Reiz aus wie früher. Immer mehr Familien verzichten auf ein Auto und entscheiden sich für Car-Sharing. Junge Leute verschieben die Anschaffung eines Autos und benutzen stattdessen öffentliche Verkehrsmittel, Fahrräder, eines der verschiedenen Car-Sharing-Angebote oder gehen zu Fuß. Das liegt nicht nur an den gestiegenen Kraftstoffpreisen, sondern auch an der hohen Verkehrsdichte und den zahlreichen Staus, die für Mensch und Wirtschaft eine enorme zeitliche Belastung darstellen. Eine Konstante in der Geschichte des Kapitalismus ist die immer intensivere Nutzung von Grund und Boden: Aus Bauerndörfern wurden zunächst Handelsstädte und später große Industriestädte. Diese Großstädte weiteten schließlich ihre Grenzen durch ausgedehnte Vororte und Edge-Citys aus. Bei dem Wandel, der sich gegenwärtig vollzieht, handelt es sich um mehr als eine bloße Abwanderung aus den Vororten in innerstädtische Gebiete. Vielmehr entsteht derzeit eine neue, größere und dichtere Wirtschaftslandschaft als je zuvor – riesige Megaregionen wie die, die sich von Boston bis nach New York und Washington, D. C., rund um London und von Shanghai nach Beijing erstrecken. Diese Tendenzen stecken noch in den Kinderschuhen, werden aber künftige Generationen immer stärker prägen. Sie gilt es zu
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verstehen, damit wir uns auf sie einstellen und die besten Voraussetzungen schaffen können, um Wohlstand für breite Bevölkerungsteile zu fördern. Mit diesem Buch möchte ich ein tieferes Verständnis für die Kräfte vermitteln, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft umformen. Ich möchte ein Konzept anbieten, das uns hilft, diese Kräfte zu steuern oder zu beschleunigen und negative Auswirkungen auf die Bevölkerung zu verringern. Resets sind komplexe, organische Prozesse, deren Fortschritte in einem Lebensbereich stets weitere Veränderungen in anderen Bereichen auslösen. Aus der Analyse der Vergangenheit möchte ich die Hauptfaktoren und Kräfte herausarbeiten, die in früheren Krisen aufgetreten sind, frühere Resets geprägt und letztlich zu völlig neuen Formen von Wachstum und Wohlstand geführt haben. Mit Blick auf die Zukunft versuche ich, die sich abzeichnenden Tendenzen in der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft auszumachen, die zusammen die Kernelemente eines weiteren großen Resets bilden können: neue Konsummuster, die weniger auf Eigenheime und Autos ausgerichtet sind, neue Formen von Infrastruktur, die die Mobilität von Menschen, den Fluss von Gütern und Ideen wieder beschleunigen, und eine radikal veränderte, erheblich dichtere Wirtschaftslandschaft, die das Sprungbrett zu einer völlig neuen Lebensweise bildet und die Entwicklung neuer Industrien und Arbeitsplätze vorantreibt. Es ist notwendig, die im Keim vorhandenen Tendenzen zu erkennen und zu begreifen. Nur so lassen sich neue Strategien entwickeln, um nach der Krise so bald als möglich wieder eine dauerhafte Erholung zu erzielen, und nur so lässt sich letztlich eine neue Ära allgemeinen Wohlstands schaffen.
Kapitel 2
Die großen Vorgänger
Die Lange Depression von 1873 weist nach Ansicht des Historikers Scott Reynolds Nelson die engsten Parallelen zur gegenwärtigen Krise auf.1 Die »gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme haben viel Ähnlichkeit mit dem, was meine 96-jährige Großmutter bis heute als ›die wirklich Große Depression‹ bezeichnet«, schreibt er. »In den 1930er Jahren musste sie jeden Cent zweimal umdrehen, aber wie sie sagt, waren die Zeiten damals nicht annähernd so schlimm wie die Wirtschaftskrise, die ihre Großeltern durchgemacht haben … Sie hat wesentlich mehr Ähnlichkeit mit der gegenwärtigen Krise.« Damals begann der Abschwung mit einer Bankenkrise, ausgelöst durch zahlungsunfähige Hypothekenschuldner und komplexe Finanzinstrumente. (Kommt uns das bekannt vor?) Sie griff sehr schnell auf die gesamte Wirtschaft über und führte zu erhöhter, längerfristiger Arbeitslosigkeit. So lang und schmerzlich diese Krise auch war, sie setzte eine Phase unglaublichen Erfindergeistes in Gang. Ein Wirtschaftswissenschaftler erfasste alle in den USA patentierten Erfindungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts und stellte in den 1870er Jahren einen enormen Zuwachs fest. Diese Innovationen revolutionierten bestehende und beförderten neue Industriezweige, aus denen schließlich die größten Industriebetriebe entstanden, die die Welt bis dahin gesehen hatte.2 Es kam zu einer Revolution in der Verkehrstechnik. Eines der ersten Beispiele für eine industrielle Massenfertigung von Fahrzeugen war das Fahrrad. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten frühen Fahrräder entwickelt, aber erst mit der Erfindung des Rover-Sicherheitsniederrades 1885, das eine ausbalancierte Sitzposition und eine einfache Lenkung ermöglichte, entstand das
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Fahrrad in der Form, wie wir es heute kennen. Dank des Fahrrads wurde für viele die Haltung eines eigenen Pferds überflüssig, und besonders bei Frauen, für die das Fahrrad eine spürbare Befreiung bedeutete, erfreute es sich großer Beliebtheit. Weiterentwicklungen der Dampfturbine durch Gustaf de Laval und Charles Parsons ermöglichten ab Mitte der 1880er Jahre den Bau erheblich größerer Schiffe. An Varianten des Verbrennungsmotors hatten Erfinder bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts gearbeitet, aber erst 1877 baute der deutsche Erfinder Nicolaus Otto einen modernen Viertaktgasmotor. Rund zehn Jahre später präsentierten Gottlieb Daimler und Karl Benz einen Ottomotor mit modernem Vergaser, der Luft und Treibstoff mischte.3 Diese Revolution im Transportwesen wäre in einem technologischen Vakuum nicht möglich gewesen. Ohne Fortschritte in der Materialtechnik, vor allem beim Stahl, und in der Fertigung hätten sich diese genialen Erfindungen niemals realisieren lassen. Bereits 1850 hatte Henry Bessemer die Stahlherstellung revolutioniert, indem er ein Frischeverfahren erfand, das die erste Massenproduktion von Stahl aus Roheisen ermöglichte. Bessemer-Stahl war jedoch von geringer Qualität. Eine Reihe weiterer Erfindungen ebneten den Weg für die Entwicklung des Siemens-Martin-Ofens, mit dem sich hochwertigerer Stahl in größeren Mengen erzeugen ließ. Andrew Carnegie erklärte 1900, das Siemens-Martin-Verfahren sei die Zukunftstechnik der Stahlerzeugung. Der erste Reset führte zu einem grundlegenden Wandel in der Organisation der Produktion. Neue Technologien zu erfinden ist eine Sache, aber erst die Fähigkeit, sie in ein funktionsfähiges System zu übertragen, kann zu einer beträchtlichen Steigerung der Produktion und der Produktivität führen, die eine Wirtschaft zu revolutionieren vermag. Diese neuen Systeme sind entscheidende Faktoren eines Resets. Mitte des 19. Jahrhunderts war ein leistungsfähiges neues Produktionssystem aufgekommen, das auf austauschbaren Teilen basierte und als »amerikanisches Manufaktursystem« bezeichnet wurde.4 Es brachte erhebliche Vorteile gegenüber der bislang üblichen Fertigung, bei der Handwerker unabhängig voneinander Teile mit Meißel und Feile herstellten, und ersetzte diese althergebrachte Praxis durch maschinell gefertigte Teile. Aber
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dieses System setzte sich nur langsam und schrittweise durch und kam zunächst vor allem in der Waffenherstellung zur Anwendung. Während des ersten Resets konnte es sich ausweiten, »von Waffen auf Uhren, Pumpen, Schlösser, Mähmaschinen, Schreibmaschinen, Nähmaschinen und schließlich auf Fahrräder und Motoren«, wie der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr schreibt.5 Hinzu kamen erhebliche Fortschritte in der Fließbandtechnik. Bahnbrechend waren auf diesem Gebiet die riesigen fleischverarbeitenden Betriebe Chicagos, die sie ursprünglich einsetzten, um Schlachtvieh schneller zu zerlegen, und die damit den Weg für eine moderne Massenproduktion im Stile Henry Fords ebneten. Diese und viele andere Innovationen, die während des ersten Resets entwickelt wurden, trugen dazu bei, dass Schumpeter seine Theorie der schöpferischen Zerstörung formulierte. In Krisenzeiten verlangsamen sich Innovationen nicht, sondern stauen sich wegen der wirtschaftlichen Flaute auf. Sobald die Wirtschaft sich erholt, brechen sie sich Bahn.6 »Ein Grund, weshalb auf Abschwünge Aufschwünge folgen, ist, dass Abschwünge dazu tendieren, über das Ziel hinauszuschießen«, erklärte Nobelpreisträger Edmund Phelps zu der Tatsache, dass Krisen Innovationen anregen und zu neuen Firmengründungen führen. »Unternehmer warten mit neuen Produktionen ab, sodass sich bislang ungenutzte Ideen ansammeln … Die Lage kann sich aber nur bis zu einem gewissen Punkt verschlechtern. Die Menschen müssen essen, irgendwann weigern sie sich, ihren Konsum noch weiter einzuschränken – das ist kein Fass ohne Boden. Diese ungenutzten Ideen häufen sich weiter an, eine Fülle von Treibstoff für neue Projekte und neue Investitionen … Viele neue Projekte werden aus Unsicherheit verschoben, aber in dem Maße, wie die Abwärtsspirale nachlässt, schwindet die Unsicherheit.«7 Die technologische Revolution des ersten Resets ließ leistungsstarke neue Energiesysteme entstehen, die eine beispiellose Infrastruktur für ein Wachstum ungeahnten Ausmaßes schufen. So kam es zu einer ganzen Reihe wichtiger Erfindungen, die die Nutzung der Elektrizität revolutionierten. Paul Jablotschkow etwa erfand eine spezielle Form der Kohlebogenlampe, Charles Brush die
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Gleichspannungs-Bogenlampe und Thomas Edison die Glühlampe sowie neue Einsatzmöglichkeiten von Wechselspannung. Nikola Tesla entwickelte Elektromotoren für Wechselstrom weiter, George Westinghouse den Transformator und die Gleichstromtechnik. Diese Entwicklungen fanden Anwendung in neuen Produkten von Heizdecken bis zu beheizten Tellern, trugen aber auch dazu bei, das moderne Stromverteilernetz zu schaffen, das bis heute Haushalte, Städte und Industrie mit Strom versorgt. Aus diesen Erfindungen erwuchs eine massive, entscheidende Welle von »Systeminnovationen«, wie der Technikhistoriker Thomas Hughes es nannte.8 Thomas Edison war ein Systementwickler par excellence, der den Weitblick besaß, das Zusammenspiel von Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Kommerz zu begreifen. Entgegen weitverbreiteter Ansichten war er nicht der »Erfinder« der Glühlampe. Bereits Ende der 1870er Jahre war die Avenue de l’Opéra in Paris von großen elektrischen Bogenlampen erleuchtet. Aber niemand hatte ein tragfähiges Konzept für alltagstaugliche, erschwingliche Glühlampen entwickelt, auf das Edison seine Anstrengungen konzentrierte. Seine Herangehensweise war insofern genial, als er zunächst seine eigene Infrastruktur schuf und die Edison Electric Light Company gründete, um etwaige Erfindungen, die er und sein Labor entwickeln würden, zum Patent anzumelden und später Lizenzen zu vergeben. Sobald Edison die Technik der Glühlampe perfektioniert hatte, machte er sich an den Aufbau einer umfassenden Infrastruktur für die Erzeugung und Verteilung von Strom, ohne die Glühlampen kaum mehr als eine neumodische Spielerei geblieben wären. Edisons Denkfabrik brachte sämtliche Komponenten dieses Stromnetzes hervor: Generatoren, Schalter, Sicherungen, Steckdosen und so weiter. Edison errichtete 1882 das erste Stromnetz der USA, das eine ganze Stadt versorgte. Sein Elektrizitätswerk in der Pearl Street in New York City, das erste große Bauprojekt der Edison Electric Illuminating Company, lieferte Gleichstrom, den es mit niedrigen Spannungen durch dicke Kupferleitungen über kurze Distanzen verteilte. »Edison erfand Systeme«, schreibt Hughes. Er befasste sich vornehmlich mit Erfindungen, war aber bestrebt, »alles in den Zusammenhang einer einzigen, zentralen Vision zu stellen«. Dazu musste er »über
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seine Fachkompetenz hinausgehen, um seine Erfindungen zu erforschen, zu entwickeln, zu finanzieren und zu managen«. Nach Bedarf gründete er Firmen, um seine Erfindungen zu vermarkten und einen Markt für sie zu schaffen: ein Unternehmen für Forschung und Entwicklung, andere für die Herstellung von Komponenten und wieder andere für den Betrieb des Stromnetzes. Von Edison stammt auch ein neues System, Forschung und Erfindungen zu organisieren und unmittelbar auf die Entwicklung neuer Handelsprodukte anzuwenden. In Menlo Park, New Jersey, eröffnete er 1876 ein Laboratorium, das er als seine »Erfinderfabrik« bezeichnete und das zum Ziel hatte, fortlaufend »nützliche Dinge, die jeder Mann, jede Frau und jedes Kind auf der Welt braucht …, zu einem für sie erschwinglichen Preis« zu produzieren.9 Innerhalb von zehn Jahren machte er daraus eine gigantische Erfinderfabrik, die sich über zwei Straßenzüge erstreckte und über technisches Personal, eine Bibliothek, Maschinen, wissenschaftliche Instrumente und elektrisches Gerät verfügte. Er verband im Grunde »die Maschinenhalle mit aufwändigen elektrischen und chemischen Laboratorien«, schreibt der Historiker Paul Israel, »und beschäftigte Forscherteams, die alle Aspekte seiner Erfindungen experimentell erkunden und schnell von der Erforschung über die Entwicklung bis zur Vermarktung vorantreiben konnten«.10 Die Anwendung von Naturwissenschaften und Erfindungen in der Industrie brachte einen massiven Produktivitätsschub. »Die erste industrielle Revolution – und die meisten technischen Entwicklungen, die ihr vorausgingen – hatten keine oder nur eine geringe wissenschaftliche Grundlage«, schreibt Mokyr. »Sie brachte eine chemische Industrie ohne Chemie, eine Eisenindustrie ohne Metallurgie, Dampfmaschinen ohne Thermodynamik hervor.«11 Die unmittelbare und systematische Anwendung der Naturwissenschaften auf die Industrie führte zu Erfindungen, die erhebliche Produktivitätssteigerungen bewirkten und dem Alltag der Arbeiterund Mittelschicht alle diese technischen Neuerungen bescherte. Ein weiterer großer Systementwickler war George Westinghouse. Er ließ sich von Alexander Graham Bells Erfindung des Telefons inspirieren, erkannte die Schwächen, die Edisons Nutzung von Gleichstrom innewohnten, und stellte Expertenteams zusammen,
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zu denen auch der große serbischstämmige Ingenieur Nikola Tesla gehörte. Sie entwickelten Signal- und Schaltsysteme sowie Transformatoren, die eine schnellere, weitreichendere Stromverteilung ermöglichten. Auch Westinghouse gründete Firmen, um seine neuen Technologien zu produzieren und zu vermarkten. Seine Entwicklungen ließen sich auch auf die Eisenbahn anwenden und führten in den 1880er Jahren zu weiteren Verbesserungen der Infrastruktur. Er verstand es meisterhaft, technische Entwicklungen von allen erdenklichen Seiten aufzugreifen. Als englische Erfinder seine Fabrik in Pittsburgh besuchten, staunten sie, dass es ihm gelungen war, aus ihren Einzelerfindungen ein derart leistungsfähiges System zu machen. »Es ist kein Kompliment für europäische Elektrotechniker und Kapitalisten, dass zwar sämtliche erforderlichen Ideen und Experimente aus Europa kommen … es aber einem amerikanischen Unternehmen vorbehalten war, das System aufzugreifen und zu dem kommerziellen und praktischen Erfolg zu führen, den die Westinghouse Company derzeit erlebt«, beklagte ein englischer Fachjournalist 1887.12 Der »Stromkrieg«, wie manche Historiker den Wettbewerb zwischen Edison und Westinghouse nennen, diente letztlich dem Allgemeinwohl, da er klärte, welches System das effizienteste war und daher der Öffentlichkeit mehr nützte. Diese Bestrebungen sind ein eindeutiges Beispiel, wie Innovationen zu einer Infrastruktur führten, die zur Grundlage eines großen Resets werden konnte. Elektrischer Strom war nur ein System, das aus dem großen Reset hervorging. Es gab noch weitere, von denen viele zum Wandel in einem Bereich beitrugen, den man heute als Kommunikations- und Informationstechnologie bezeichnet. Alexander Graham Bell stellte 1876 sein Telefon vor. Edison erfand 1877 den Phonographen. Auch in der drahtlosen Übertragung akustischer Signale, dem Funk, gab es in dieser Zeit erhebliche Fortschritte. In den 1880er Jahren kam die Linotype-Setzmaschine zunächst für den Zeitungsdruck und später auch für den Buchdruck auf. Die großen Systeminnovationen des ersten Resets entstanden nicht an beliebigen, sondern an ganz bestimmten Orten. Edisons Labor in New Jersey und Innovationszentren in Pittsburgh und Cleveland hatten zur damaligen Zeit eine ähnliche Funktion wie
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später Silicon Valley. Hier wurden neue Technologien ausgebrütet und neue Branchen hervorgebracht.13 Sie entwickelten zudem frühe, informelle Finanzierungsformen durch Risikokapital. So verlegte Andrew Mellon einige Unternehmen, in die er investierte, nach Pittsburgh. Der erste Reset stärkte die Position dieser Innovationszentren und ermöglichte es ihnen, andere Orte zu überflügeln und zu den größten und reichsten Städten der Vereinigten Staaten zu werden. Während des ersten Resets gab es auch erhebliche Fortschritte im Verkehrswesen. In den 1830er und 1840er Jahren entstanden in einigen Metropolen die ersten Massenverkehrsmittel. Große Pferdekutschen verkehrten als Vorformen der heutigen Omnibusse zu niedrigen Fahrpreisen auf festen Routen. Effizienter waren die Pferdebahnen, die auf Schienen fuhren, mehr Passagiere befördern konnten und buchstäblich weniger Pferdestärken benötigten. Der erste erfolgreiche Versuch, Pferde als Hauptantrieb für Transportmittel zu ersetzen, waren die Cable Cars in San Francisco. Diese 1873 von Andrew Smith Hallidie eingeführte Kabelbahn fuhr auf Schienen, zwischen denen ein dampfgetriebenes Umlaufseil verlief. Die Wagen kuppelten sich an dieses Seil an, das sie dann auf den Schienen entlangzog. In den 1880er und 1890er Jahren gab es solche Kabelbahnen für die Personenbeförderung in San Francisco, Chicago und anderen Großstädten. Harriet Harper erklärte 1888: »Wenn man mich nach Kaliforniens auffälligster und fortschrittlichster Erfindung fragen würde, würde ich prompt antworten, seine Kabelbahnen. Und es ist nicht allein das offenbar perfekt entwickelte System, sondern auch die erstaunlich lange Fahrt, die man für ein Fünfcentstück bekommt«.14 Frank Sprague, ein Protegé Edisons, baute 1888 in Richmond, Virginia, ein komplettes elektrisches Straßenbahnsystem. Im ganzen Land gingen anschließend Städte zu elektrischen Straßenbahnen über, die man als »Trolley« bezeichnete.15 In rudimentärer Form gab es solche Systeme bereits vor der Krise von 1873. Das Eisenbahnnetz war im Aufbau, und manche Großstädte verfügten bereits über Wasserleitungs- und Kanalisationssysteme. Während der Umbruchphase der Langen Depression wurden
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diese Systeme jedoch beträchtlich ausgebaut. Die Krise »machte das technische Großsystem von der Ausnahme zur Regel«, wie Mokyr feststellt.16 Wie das nächste Kapitel zeigen wird, wirkten die neuen Infrastruktursysteme zusammen als Triebkräfte, die wesentlich größere Städte entstehen ließen und für den spatial fix, also die Raumlösungen sorgten, in denen die Industrie ihre volle Kraft entfalten konnte. Neben dieser greifbaren gibt es noch eine andere Art von Infrastruktur, Innovationen eines anderen Großsystems, die für große Resets entscheidend sind: Bildung und die dafür erforderliche Infrastruktur. Die Vision eines umfassenden staatlichen Bildungswesens in den USA geht auf Thomas Jefferson zurück. Pennsylvania führte bereits 1834 ein kostenloses Universitätsstudium ein, und Massachusetts und New York schufen in den 1850er Jahren ein staatliches Schulsystem. Aber bis zum ersten Reset bestanden im staatlichen Bildungswesen erhebliche regionale Unterschiede, und weiterführende Schulen waren nur den Wohlhabenden vorbehalten. In den 1870er Jahren sorgten die aufkommenden Fabriken für einen deutlich höheren Bedarf an öffentlichen Schulen, die einer wachsenden Menge angehender Fabrikarbeiter grundlegende Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die erforderliche Disziplin und soziale Fähigkeiten vermitteln konnten. Der massenhafte Zustrom von Einwanderern in die Fabriken machte diesen neuen Bedarf an Lese- und Schreibkenntnissen umso dringender. In den 1880er Jahren brachte John Dewey die Reformpädagogik in den USA auf, und bis zur Jahrhundertwende wurde staatliche Schulbildung für die breite Masse in amerikanischen Städten zur Norm. Von 1870 bis 1950 verdoppelte sich die Anzahl der Tage, die ein amerikanisches Kind in der Schule verbrachte, von 78 auf 157.17 Da Fabrikarbeiter nur Grundkenntnisse brauchten, besuchten sie meist nur die Grundschule. Die wachsende Zahl von Beschäftigten in Verwaltung und akademischen Berufen brauchte jedoch eine höhere Schulbildung. Mit den Morrill-Gesetzen von 1862 und 1890 förderte die US-Bundesregierung den Ausbau des höheren Bildungswesens, indem sie den Bundesstaaten Land für höhere Bildungseinrichtungen übertrug und die Grundlage für das System staatlicher
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Universitäten schuf. Zwischen 1870 und 1900 stieg die Zahl der College-Studenten von 63 000 auf 238 000.18 Im ersten Reset kam in den Vereinigten Staaten ein umfangreiches Ausbildungswesen für Ingenieure auf. Der Industriekapitalismus brauchte kluge, gut ausgebildete Ingenieure für den Betrieb der Fabriken und für weitere Innovationen. In Boston wurde 1865 die Polytechnische Hochschule gegründet, aus der später das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hervorging. Ihren ersten Studiengang für Elektroingenieure bot sie 1882 an. Als weitere Technische Hochschulen entstanden 1874 Purdue, 1880 Case Western Reserve und 1888 Georgia Tech. Von 1862 bis 1917 wuchs die Zahl der Ingenieurschulen von 6 auf 126, die Zahl der Absolventen stieg von 1870 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs von 100 auf 4 300.19 Was den ersten Reset beflügelte, waren jedoch weniger einzelne Innovationen als vielmehr deren Zusammenschluss zu umfassenderen Systemen. Diese Umbruchphase brachte neue Arten der Infrastruktur hervor – vom Stromnetz über Verkehr bis hin zum allgemeinen staatlichen Bildungswesen; sie ebneten den Weg für eine neue Ära des Wachstums und Wohlstands, die die Produktivkräfte des Industriekapitalismus umfassend nutzbar machen konnte. Diese neuen Infrastruktursysteme führten zu allgemeinen Produktivitätssteigerungen, veränderten die Lebens- und Arbeitsweise grundlegend und ließen große Industriestädte – die Raumlösung des ersten Resets – entstehen.
Kapitel 3
Stadtentwicklung als Innovation
Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die meisten Menschen in Europa wie auch in Nordamerika auf kleinen Bauernhöfen auf dem Land oder in Kleinstädten. Die typische Familie baute ihre Nahrungsmittel weitgehend selbst an, hielt eigenes Vieh und verkaufte oder tauschte etwaige Überschüsse auf dem nächstgelegenen Markt. Die Städte der damaligen Zeit waren klein, nach heutigen Maßstäben sogar winzig, erstreckten sich über eine Fläche von wenigen Kilometern und hatten, abgesehen von den größten, nur 50 000 bis 100 000 Einwohner. In den 1860er Jahren lebten acht von zehn Einwohnern der Vereinigten Staaten in ländlichen Gebieten und weniger als 20 Prozent in größeren Städten.1 Die fünf größten Städte der USA lagen an der Ostküste: New York mit 813 000 Einwohnern; Philadelphia mit 565 000 Einwohnern, Brooklyn mit 266 000 Einwohnern, Baltimore mit 212 000 Einwohnern und Boston mit 177 000 Einwohnern. Die späteren großen Industriestädte Pittsburgh, Cleveland und Detroit hatten jeweils weniger als 50 000 Einwohner.2 Zu Beginn der Wirtschaftskrise 1873 gab es in den USA keine einzige Stadt mit einer Million Einwohnern. Große Resets sind nicht nur von Innovationen geprägt, sondern auch von erheblichen Wanderungsbewegungen. Sie sind wesentlich an der Entstehung einer neuen, produktiveren Landschaft beteiligt. Wie im vorangegangenen Kapitel geschildert, wurden während des ersten Resets große Industriezweige wie Eisenbahn-, Öl- und Stahlindustrie ausgebaut, neue Industrien und Systeminnovationen entstanden und ebneten den Weg für ein erstaunliches industrielles Wachstum. Um die Wende zum 20. Jahrhundert verwandelte sich auch die Wirtschaftslandschaft.3 Zwischen 1870 und 1900 stiegen die Bevölkerungszahlen der amerikanischen Städte sprunghaft an.
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Die Bevölkerung von New York City wuchs von 942 000 auf 3,4 Millionen, also auf mehr als das Dreifache. In Philadelphia stieg die Einwohnerzahl von 550 000 auf 1,3 Millionen und in Chicago von 300 000 auf 1,3 Millionen. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Beschäftigten in der Produktion in diesen drei Städten um 245 Prozent.4 In dieser Zeit entstanden zudem zahlreiche neue große Industriestädte. Pittsburgh wuchs zwischen 1870 und 1900 von 86 000 auf 320 000 Einwohner, Detroit von 79 000 auf 285 000 Einwohner und Cleveland von 92 000 auf 382 000 Einwohner. In den gesamten USA stieg die Zahl der in Städten wohnenden Amerikaner um 20 Millionen an, was den Anteil der Stadtbevölkerung von 25 auf 40 Prozent wachsen ließ. In einer Kultur geht es natürlich nicht nur um Technologien, Industrien und Orte, sondern um Menschen. Große Resets beinhalten auch einen erheblichen Bevölkerungswandel, vor allem in der Konzentration von Talenten oder »Humankapital«, wie wir es heute nennen. Es sind Umbruchphasen, in denen Talente von einigen Orten abfließen und sich an anderen sammeln. Während des ersten Resets betraf diese Wanderung die unterschiedlichsten Menschen, von Bauern und Einwanderern auf der Suche nach besserer Arbeit bis zu Erfindern und Unternehmern, die neue Standorte für ihre Unternehmungen suchten. Derartige Talentverschiebungen verändern daher die Machtverhältnisse zwischen Städten und Regionen und sogar zwischen einzelnen Ländern. Die Fähigkeit, Talente aller Art – von brillanten Innovatoren bis zu ungelernten Arbeitern – anzulocken, zu halten und produktiv zu nutzen, bildet die Basis für den Aufstieg oder Niedergang einer Region. Resets bringen manche Regionen nach vorn, während andere einen Niedergang erleben. Wachstumsregionen greifen neue Technologien auf und locken neue Talente an. Aber während diese führenden Regionen wachsen und sich entwickeln, werden manche von ihnen Opfer einer »institutionellen Sklerose«, wie der Wirtschaftswissenschaftler Mancur Olson es nannte.5 Da sie noch immer in alten Verhaltensweisen, Sozialsystemen und Technologien, vor allem aber in überholten und schwer zu verändernden Institutionen, Organisationen und Geschäftspraktiken verhaftet
Stadtentwicklung als Innovation 35
sind, verändern sie sich zu langsam oder sind praktisch unfähig für einen Wandel. Diese Faktoren verhinderten das Wachstum in vielen früheren Industriestädten wie Paterson, New Jersey, Städten in Massachusetts, im Norden des Bundesstaates New York oder heute im sogenannten Rustbelt im Nordosten der USA. Nach Olsons Ansicht entwickeln sich deshalb neue Technologien und Wirtschaftssysteme oft in Regionen, die vorher weniger Bedeutung besaßen. Resets stoßen demnach solche geografischen Verlagerungen an und beschleunigen sie. Der erste Reset lockte Menschen von weither in die Vereinigten Staaten. Um die Wende zum 20. Jahrhundert kam es zu großen Einwanderungswellen. In dieser Zeit kamen auch meine Großeltern aus Süditalien über Ellis Island nach Newark, New Jersey. Zwischen 1881 und 1930 strömten 27,6 Millionen Einwanderer nach Amerika.6 Einwanderer machten damals einen höheren Bevölkerungsanteil aus als heute, nämlich 14 Prozent. Die meisten von ihnen stammten aus Italien, Österreich-Ungarn, Russland und Osteuropa. Sie trieben Amerikas Fabriken an mit ihrer Arbeitskraft und oft genug sogar mit ihrem Unternehmergeist, wie zum Beispiel der schottische Stahlmagnat Andrew Carnegie, der deutsche Brauer Adolphus Busch oder der in Ungarn geborene Zeitungsgigant Joseph Pulitzer.7 Für die große Mehrheit der Massen, die in den Hafenstädten der Ostküste ankamen, gab es in den nahen Industriezentren ausreichend Arbeit. Nur ein kleiner Teil zog weiter in die relativ dünn besiedelten ländlichen Gebiete der Kornkammer Amerikas. In acht der fünfzig größten Städte des Landes, darunter New York, Chicago und Detroit, bestand die Bevölkerung 1890 zu über 40 Prozent aus Einwanderern.8 Sie ließen nicht nur die Einwohnerzahlen dieser aufstrebenden urbanen Zentren steigen, sondern brachten auch ihre eigene Kultur und Lebensweise mit, die erheblich dazu beitrug, den Charakter dieser Regionen zu verändern (man denke nur an Opern, Pizza, Hotdogs und Polka). Als die Veränderungen durch den ersten Reset zur Alltagsrealität geworden waren, entwickelten sich die amerikanischen Großstädte zu dynamischen Anziehungspunkten, die neue Einwohner aus dem In- und Ausland anlockten.
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Die großen Industriestädte wurden nicht nur größer, sondern mit der Ausdehnung ihrer Grenzen auch komplexer. Es entstanden separate Gewerbe- und Wohnviertel und verschiedene Wohngebiete für Arbeiter, leitende Angestellte und Akademiker sowie Kapitalisten. Vor dem ersten Reset drängte sich in den Städten alles auf engstem Raum. Die meisten Städter wohnten dort, wo sie arbeiteten: Handwerker lebten über oder neben ihren Werkstätten, Anwälte und Ärzte hatten ihre Praxis in ihrem Wohnhaus. Wirtshäuser und Cafés waren Treffpunkte der Nachbarschaft oder von Gemeinschaften innerhalb der großen, vielfältigen Stadtbevölkerung, wie sie es auch heute noch sind. Neue Verkehrsmittel – Straßenbahnen, Pferdebahnen, Eisenbahnen und U-Bahnen – ermöglichten eine Ausdehnung der Städte. Die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit verdoppelte sich zwischen 1850 und 1900 von 6 auf 12 Kilometer pro Stunde.9 In dem Maße, wie bessere Verkehrsmittel es den Menschen erlaubten, weiter von ihren Arbeitsstätten entfernt zu wohnen, veränderte sich nach und nach die Lebensweise des Durchschnittsarbeiters. Die heute übliche Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz ist eine unmittelbare Folge der Raumstrategien dieser Epoche. Immer mehr Menschen ließen die Zeiten, in denen die Wohnung Teil einer Hofanlage war, die Scheune, Ställe, Felder und Obstwiesen umfasste, hinter sich. Wer in einer Fabrik oder einer Handelsgesellschaft in der Stadt arbeitete, ging nun »zur Arbeit« in eine Welt, die außerhalb der eigenen vier Wände lag. Städte gliederten sich zunehmend in Gewerbe-, Einkaufs- und Wohnviertel. Treibende Kraft dieser Entwicklung war der Aufstieg der Fabrik zum Zentrum des Wirtschaftslebens. »Die Hauptelemente in den neuen städtischen Gebilden waren die Fabrik, die Eisenbahn und der Slum, das Elendsviertel«, schrieb der berühmte Stadtforscher Lewis Mumford. »Die Fabrik wurde zum Kern des neuen städtischen Organismus. Alle anderen Einzelheiten des Lebens waren ihr untergeordnet.«10 Zunächst konzentrierten sich Fabriken in und um das Stadtzentrum. Als sie ihre Produktion ausweiteten, zogen einige in die Randgebiete, wo größere Grundstücke zur Verfügung standen. So entwickelte sich Pittsburghs Stahlindustrie an den Ufern der drei großen Flüsse des Ortes. Bostons Schuh-, Textil- und Maschinenindustrie breitete sich ebenfalls in mehreren Industriegebieten am Stadtrand
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aus. In einer Stadt nach der anderen dehnten die wachsenden Fabriken die Stadtgrenzen immer weiter aus, von Philadelphia bis Baltimore, von Buffalo bis Cleveland und andernorts. Lagen Fabriken bis dahin »nah genug an der Stadtmitte, dass man sie für ein zusammenhängendes Gewerbezentrum halten konnte, so erreichte die Urbanisierung um die Jahrhundertwende Großstadtdimensionen«, schreiben die Geografen Richard Walker und Robert Lewis. Ende des 19. Jahrhunderts »wuchs die nordamerikanische Stadt großenteils durch die Entstehung neuer Industriegebiete am Stadtrand«.11 Die kompakte Stadt der Vergangenheit entwickelte sich zu einer großflächigeren, ausgedehnteren Metropole. Auch im Inneren veränderte sich das Stadtbild. In dem Maße, wie die Industriestadt sich ausdehnte, begann sie, sich in verschiedene Bezirke und Viertel zu gliedern, die zunehmend nach Schichtzugehörigkeit getrennt waren. Die Wohlhabenderen einschließlich der wachsenden Gruppe der leitenden Angestellten flohen aus den engen schmutzigen Zentren in die Vororte, die entlang den Straßenbahnlinien entstanden.12 Arbeiter lebten beengt in Mietshäusern in der Nähe der Fabriken, in denen sie arbeiteten. Auch die Geschäftsviertel der Innenstädte veränderten sich. Waren sie früher von einem bunten Gemisch aus Fabriken, Werkstätten und Läden geprägt, strukturierten die Städte sich nun, da diese Tätigkeitsfelder sich zunehmend räumlich voneinander trennten, um. Im Stadtzentrum entstanden Warenhäuser und eigenständige Einkaufsviertel. Schließlich regelten Vorschriften die unterschiedliche Nutzung von Grundstücken und schützten noble Einkaufsviertel vor den vordringenden Fabriken. Mit diesem erheblichen Wandel in Wohnverhältnissen und Arbeitsleben der Bevölkerung gingen beträchtliche Veränderungen der Lebensweise und des Konsums einher: Es entstand eine neue Lebensweise. Tage und Wochen gliederten sich klarer in Arbeitszeit und häusliche Zeit. Freizeit blieb nicht länger auf den Sonntag beschränkt. Vielleicht war das die Geburt des heiligen »Wochenendes«. Selbstverständlich entstanden auch neue, großenteils von technischen Fortschritten gespeiste Unterhaltungsformen, um diese Freizeit auszufüllen. Im ganzen Land schossen Gaststätten und Tanzlokale, Billardhallen und Vergnügungsviertel aus dem
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Boden. Die Menschen strömten in Scharen in Filmvorführungen und die aufregenden neuen Lichtspielhäuser. Professionelle Sportligen und andere Veranstaltungen lockten Tausende zahlender Zuschauer in Stadien und Sportarenen. Baseball entwickelte sich zur »Freizeitbeschäftigung Amerikas«. Zwischen 1900 und 1920 stieg die Zahl der Zuschauer bei Baseballspielen von 3 auf 9,6 Millionen. Noch schneller wuchsen Amateursportvereine wie Fahrradclubs und Softball-Ligen. Ab Anfang der 1890er Jahre nahmen die Mitgliederzahlen in Clubs und Vereinen aller Art rapide zu, ob sie nun kirchlichen, sportlichen, gesellschaftspolitischen oder sonstigen Interessen dienten.13 Die damals noch neuartige Vorstellung von Freizeit und Unterhaltung außerhalb des Hauses verfestigte sich in dem Maße, wie immer dichter besiedelte Ballungszentren nicht nur Arbeit, sondern auch Kultur und Unterhaltung boten. Ironischerweise waren nicht alle Erfindungen dieser Zeit von Vorteil: Statt zu entlasten, brachten einige neue Haushaltsgeräte den Frauen eine höhere Arbeitsbelastung. Der Geograf Roger Miller untersuchte die Auswirkungen des Staubsaugers auf die Hausarbeit: »Kurz, die Maßstäbe wurden in dem Maße strenger, wie die Mittel, sie zu erfüllen, allgemein verfügbar wurden. So bedeutete die Möglichkeit, Wäsche effizienter zu waschen, keineswegs, dass weniger Zeit für die Wäsche aufgewendet wurde, sondern dass dieselben Kleider häufiger gewaschen werden konnten. Der Teppich, der früher nur zu besonderen Gelegenheiten vom Speicher geholt wurde, lag nun dauerhaft aus und musste somit jede Woche gesaugt werden. Frauen mussten ihre Zeitplanung entsprechend den neuen Geräten, die sie bedienten, rationalisieren.«14 Im Rückblick auf diese Epoche haben wir gern Suffragetten vor Augen, Frauen, die Unabhängigkeit erlangten und ihren rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft einforderten, aber in Wirklichkeit sahen viele Frauen sich gerade durch die Verlockungen des modernen Lebens, das sie hätte befreien sollen, stärker ans Haus gefesselt. Der neue urbanere Lebensstil förderte einen Wandel des Konsumverhaltens. Gab die Durchschnittsfamilie 1874 noch 56 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, so waren es 1901 nur noch 47 Prozent. (Während der Großen Depression und des zweiten Resets sank dieser Anteil noch einmal erheblich.) Dieser Wandel er-
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öffnete Spielräume für die Anfänge der Konsumgesellschaft. Um die Wende zum 20. Jahrhundert erweiterte die US-Regierung ihre Erhebungen zu den Ausgaben von Privathaushalten um drei neue Kategorien: Möbel, Gesundheitsausgaben und Erholung standen nun neben den traditionellen Ausgabenbereichen Nahrung, Wohnung und Kleidung.15 Das ist ein weiterer entscheidender Faktor großer Resets: Sie bewirken einen Wandel im Konsumverhalten, der aufstrebende Industriezweige fördert. Die neue Lebensweise entsprach der neuen Raumstrategie, trug dazu bei, eine Ära des erneuten Wachstums und der Expansion zu fördern und vollendete den sprichwörtlichen Wachstumszyklus, indem sie neue Betätigungsfelder für wachsende Erfindungsgabe und gesteigerte Produktivität schuf. Die Fabriken liefen auf Hochtouren, und die Bevölkerung in den ständig wachsenden Städten erzeugte Nachfrage nach den produzierten Gütern. Es waren gute Zeiten – so lange, bis der Zyklus die nächste große Krise erreichte: die Große Depression.
Kapitel 4
Das Jahrzehnt der größten technischen Fortschritte
Die Schrecken der Großen Depression der 1930er Jahre wirken bis in unsere Zeit nach. Es fällt schwer, die Schlagzeilen über den Bankrott ehemals großer Unternehmen zu lesen, seien es altehrwürdige Investmentbanken oder Automobilhersteller, und nicht mit Unbehagen an den Börsenkrach von 1929 und die nachfolgenden Bankenpleiten zu denken, als gut 9 Millionen Amerikaner erleben mussten, wie ihre Ersparnisse sich schlicht in nichts auflösten, die Vermögen von Privathaushalten und Firmen ausgelöscht wurden und die Wirtschaft zum Erliegen kam.1 Tatsächlich gab es in der Wirtschaftslandschaft vor dem Börsenkrach 1929 vieles, was uns heute gespenstisch vertraut anmutet. Man denke nur an Jay Gatsby und seine Freunde, die im Smoking in ihren Luxusvillen am Meer, umgeben von den neuesten Konsumgütern, rauschende Feste feierten. Ende der 1920er Jahre hatten manche mit riskanten Investmentinstrumenten und wilden Immobilienspekulationen riesige Vermögen verdient. Die Kluft zwischen der Mittelschicht und den Superreichen wuchs, und ein immer größerer Anteil des gesamten Wohlstands konzentrierte sich auf wenige Privilegierte. Die USA saßen auf einer riesigen Blase, nicht unähnlich jener, die 2008 platzte. Die Parallelen reichen sogar bis zu den Begriffen, mit denen diese Zeiten beschrieben werden. Bei der gegenwärtigen Krise ist von einer starken Rezession die Rede, weil es nicht so schlimm klingt wie Depression. Herbert Hoover wählte seinerzeit die Bezeichnung »Depression«, weil sie weniger alarmierend klang als »Panik« oder »Krise«, wie man frühere Wirtschaftseinbrüche genannt hatte.2 Aber wie man es auch nennt, der große Börsenkrach von 1929 zog Zeiten großer Not nach sich, und die Bilder von Suppenküchen,
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dicht gedrängten Menschenmassen, Elendsvierteln und heimatlosen Wanderarbeitern, die mit Güterzügen kreuz und quer durch das Land trampten, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der USA eingebrannt. Doch auch wenn es schwer vorstellbar sein mag, so spornte diese Zeit zugleich auch zu weitreichenden und einschneidenden Innovationen an. Nach Ansicht des Wirtschaftshistorikers Alexander Field waren die 1930er Jahre das »technisch progressivste« Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts,3 und übertrafen in ihrer technologischen Dynamik sogar die große Hightech-Revolution der jüngeren Vergangenheit. Der Innovationsschub der 1930er Jahre ist nach meiner Einschätzung durchaus mit dem der Langen Depression vergleichbar, was die tiefgreifenden Auswirkungen auf das Wesen und die Struktur des Kapitalismus angeht. Allerdings dürfte das kaum jemand so empfunden haben, der diese schweren Zeiten erlebte. Der damalige Zeitgeist war geprägt von Panik angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs und der »säkularen Stagnation«. So nannte der Wirtschaftswissenschaftler und Berater Franklin D. Roosevelts, Alvin Hansen, die Tendenz der Volkswirtschaft, in der Depression zu verharren, weil die Menschen Geld sparten und sogar horteten, statt es auszugeben und so zu investieren, dass Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft sich allgemein erholen konnte. Ende der 1930er Jahre lähmte die säkulare Stagnation nach Hansens Auffassung dauerhaft die amerikanische Wirtschaft. Nach seiner Überzeugung würde sie nie wieder ein schnelles Wachstum erleben, da sämtliche Wachstumsfaktoren wie technologische Innovation und Bevölkerungswachstum erschöpft waren. Den einzigen Ausweg sah er in defizitären Staatsausgaben. Die große Depression ebnete den Weg für den zweiten großen Reset. Während Hansen und andere mit ihrer Theorie die Aufmerksamkeit von Politikern und Öffentlichkeit fanden, entwickelte sein Kollege Joseph Schumpeter eine eigene, zutreffendere Sicht, welche Rolle Innovationen für die Überwindung von Wirtschaftskrisen spielen. Schumpeter hatte, wie Alexander Field schreibt, eine wesentlich »bessere Einschätzung, was vorging. Er entwickelte seine Hommage an die Kraft der schöpferischen Zerstörung vor dem Hin-
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tergrund einer Zeit, die sich als technologisch dynamischste Epoche des 20. Jahrhunderts erweisen sollte.«4 Field stützt seine Behauptung über die Innovationskraft des zweiten Resets auf eingehende Studien. Anhand von Statistiken zeichnet er Entwicklungstendenzen bei Innovationen und totaler Faktorproduktivität über das gesamte 20. Jahrhundert nach und untersucht detailliert das Aufkommen spezifischer neuer Technologien. Mit dem Begriff »totale Faktorproduktivität« bezeichnen Wirtschaftswissenschaftler den Teil des Produktionsertrags, der nicht auf die Menge der eingesetzten Produktionsfaktoren zurückzuführen ist. Er spiegelt somit die Effizienz wider, mit der die verfügbaren Ressourcen in der Produktion genutzt werden. Field stellte fest, dass die totale Faktorproduktivität während der Depression am schnellsten wuchs, nämlich mit einer jährlichen Rate von 2,3 Prozent. Damit lag sie höher als während des Booms der 1920er Jahre – als sie um jährlich 2 Prozent wuchs – und in der goldenen Nachkriegsära von 1948 bis 1973, als sie um jährlich 1,9 Prozent wuchs. Diese Produktivitätssteigerung war, wie Fields zeigt, den enormen Innovationen der Depressionszeit geschuldet und nicht etwa anderen Faktoren wie dem Ersatz von Facharbeitern durch geringer qualifizierte Arbeitskräfte. Field vertritt sogar die Auffassung, die 1930er Jahre seien innovationsfreudiger gewesen als der jüngste Hightech-Boom. Während der Großen Depression stieg die Produktivität etwa dreimal so stark wie in den 1990er Jahren. Wie seine eingehende Studie zeigt, beschränkten sich die Produktivitätssteigerungen in den 1990er Jahren auf einen kleinen Bereich von Hightech-Branchen wie Halbleiter, Kommunikation, Computer, Logistik, Transport und Sicherheitswesen. Er schreibt: »Dieser technische Fortschritt war zwar in mancherlei Hinsicht unbestreitbar dramatisch, aber in seiner Gesamtwirkung geringer und stärker auf wenige Bereiche konzentriert als das, was in den 1930er Jahren stattfand.« Der HightechBoom war nach Fields Ansicht mehr Fiktion als Realität, da die »Kapitalwertspirale der 1990er Jahre von menschlicher Fehlbarkeit und einer der großartigsten Marketing-Maschinerien getrieben war, die es je gab«. Zu dem Schluss, dass die 1930er Jahre eine Zeit beispielloser Innovationen waren, kommen auch die Wirtschaftswissenschaftler Michelle Alexopoulos und John Cohen, die in einer sorg-
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fältigen Analyse von Publikationen über neue Technologien Fields Ergebnisse bestätigten.5 Was war für diese Innovationsleistungen angesichts so widriger Wirtschaftsverhältnisse verantwortlich? Während des zweiten Resets kam es wie schon im ersten Reset zu erheblichen Verbesserungen der wirtschaftlichen Effizienz. Rationalisierungseffekte durch fortschrittlichere Maschinen und die Einführung moderner Fließbandtechnik brachten enorme Ersparnisse. Die Energieerzeugung wurde verbessert, und Unternehmen lernten, die vorher verschwendete Energie besser zu nutzen. Bauteile, die bis dahin aus Holz oder dünnen Blechen hergestellt waren, fertigte man nun aus neuen Legierungen oder Kunststoffen, die widerstandsfähiger, haltbarer und leistungsfähiger waren. Bessere Motoren und Werkzeuge erhöhten die Effizienz und sparten Kapital und Arbeit. Anstelle von älteren Fabriken, die in mehrstöckigen Gebäuden in Innenstadtnähe untergebracht waren, traten größere, eingeschossige Hallen, die sich besser für lange Montagebänder eigneten. Solche Innovationen schufen zusammen das neue, immer leistungsfähigere System der fordistischen Massenproduktion, benannt nach seinem geistigen Vater Henry Ford. Es verband Frederick Taylors wissenschaftliche Betriebsführung mit Fließbandtechnik und bewirkte einen Quantensprung in der Produktivität. Laut Fields war die Produktivitätssteigerung während der Großen Depression »geprägt von Fortschritten in einem breiteren Grenzbereich der Wirtschaft«; vorangetrieben wurde sie durch technische und organisatorische Verbesserungen in den verschiedensten Fertigungsindustrien, durch Fortschritte in Verkehrs- und Kommunikationswesen und durch Effizienzsteigerungen im Versorgungsbereich sowie im Groß- und Einzelhandel. Forschung und Entwicklung nahmen während des zweiten Resets erheblich zu. Gerade in Zeiten von Etatkürzungen scheint sich vielen dieser Bereich für Einsparungen besonders anzubieten, doch in den 1930er Jahren stiegen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um das Doppelte. In den ersten vier Jahren der Großen Depression entstanden in den Vereinigten Staaten mehr Forschungsund Entwicklungsabteilungen als im gesamten vorangegangenen Jahrzehnt: 73 gegenüber 66. Die Zahl der in Forschung und Entwick-
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lung Beschäftigten vervierfachte sich von 1929 bis 1940 von weniger als 7 000 auf annähernd 28 000, und das in Zeiten einer zweistelligen Arbeitslosenquote. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung verdoppelten sich in den 1930er Jahren.6 Der zweite Reset brachte auch eine enorme Ausweitung und Verbesserung des amerikanischen Bildungswesens. Immer mehr Amerikaner besuchten eine staatliche Schule, und der Anteil der HighSchool-Absolventen stieg zwischen 1920 und 1950 von etwa 20 auf über 50 Prozent.7 War es während der Großen Depression noch üblich, dass Jugendliche nach der sechs- bis achtjährigen Grundschule ins Arbeitsleben eintraten, wurde eine höhere Schulbildung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Regel. Colleges und Universitäten erlebten im zweiten Reset eine ähnliche Blütezeit. Dank der sogenannten G. I. Bill erhielten heimkehrende Kriegsveteranen staatliche Beihilfen, um ein College besuchen zu können. Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf die US-Regierung die National Science Foundation und förderte die Forschung an den Universitäten mit beträchtlichen staatlichen Zuwendungen. Nachdem die Sowjetunion mit dem Sputnik den ersten künstlichen Erdsatelliten ins All befördert hatte, stellten die USA mit dem National Defense Education Act neue Bundesmittel für mathematische und naturwissenschaftliche Bildung bereit. Besuchten 1940 etwa 500 000 Amerikaner oder 15 Prozent der entsprechenden Altersgruppe ein College, so waren es 1960 mehr als 3,5 Millionen und 1970 mit über 7,5 Millionen bereits 40 Prozent aller Heranwachsenden im Collegealter. Zwanzig Jahre später lag ihre Zahl bei annähernd 17 Millionen.8 Die Vereinigten Staaten und andere fortgeschrittene Länder hatten eine wichtige Lektion gelernt: dass nämlich gut ausgebildete, talentierte Arbeitskräfte ein Eckpfeiler wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit sind. Schwung, Elan und Arbeitseifer genügten nicht mehr. Wissbegierde, analytisches Denken, fundierte Kenntnisse und Erfindergeist waren die notwendigen Instrumente der modernen Welt. Der gleiche Imperativ gilt auch heute. Daher ist ein ebenso tiefgreifender Wandel der Bildungsprioritäten wie im zweiten Reset entscheidend für eine langfristig gesunde Wirtschaft. Als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, waren die wesentlichen Faktoren des zweiten Resets implementiert. Die massive,
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gut geölte Produktionsmaschinerie und das erforderliche Personal standen bereit und ein neues erweitertes Bildungssystem war geschaffen. Bei Kriegsende war die amerikanische Gesellschaft bereit für das letzte Puzzleteil des Resets: für einen erneuten gesellschaftlichen Wandel durch eine suburbane Raumstrategie.
Kapitel 5
Die Stunde der Vorstadt
Als mein Vater in den 1920er und 1930er Jahren aufwuchs, lebten seine Eltern, die erst kurz zuvor in die USA eingewandert waren, praktisch von der Hand in den Mund. Meine Großmutter wusch die Wäsche ihrer neunköpfigen Familie von Hand auf einem Waschbrett und trocknete sie auf der Wäscheleine. In ihrer bescheidenen Wohnung gab es einen einfachen Herd, aber keinen Kühlschrank, ganz zu schweigen von einem Toaster oder einer Waschmaschine. Dies alles änderte sich mit dem zweiten Reset, als die moderne Technik auf breiter Front Einzug in die Privathaushalte hielt. Während Konsumausgaben für große Anschaffungen wie Häuser und Neuwagen dramatisch sanken, galt für kleinere Haushaltsgeräte das Gegenteil. In einem Artikel der Zeitschrift Atlantic führt Megan McArdle an: »1926 besaßen 20 Prozent der amerikanischen Haushalte Radiogeräte. 1929 waren es 50 Prozent und zwei Jahre später, mitten in der Wirtschaftskrise, 75 Prozent. Kühlschränke gab es 1932 in 20 Prozent der Haushalte und 1938 in 50 Prozent.«1 Allmählich bildete sich eine neue Lebensweise heraus, die eine Nachfrage nach neuen Produkten schuf. In den USA werden die 1920er Jahre häufig als Jazz Age bezeichnet. Damals griffen die Menschen begierig alles auf, was modern zu sein versprach, von Telefon und Flugzeug über kreischende Trompeten und hämmernde Schlagzeugrhythmen bis hin zu mehr sexueller Freizügigkeit und sogar radikalen politischen Einstellungen. Mit Beginn der Großen Depression setzte nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich und kulturell eine Rückzugsbewegung ein. Ohne Geld und Zukunftsperspektiven sahen junge Leute kaum eine Möglichkeit, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Eheschließungen und Geburtenraten gingen in den 1930er Jahren in den USA
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erheblich zurück. Selbst unverbindliche Rendezvous erschienen problematisch, denn auch ohne die Aussicht auf Heirat sind junge Männer und Frauen in der Regel versucht zu tun, was sie nun einmal tun, und auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise konnte es kaum etwas Verheerenderes geben als eine ungeplante Schwangerschaft. Sozialhistoriker stellten fest, dass die Menschen in diesen Jahren vermehrt zu häuslichen Formen der Freizeitgestaltung zurückkehrten. Das quirlige Nachtleben der 1920er Jahre verblasste sehr bald zur bloßen Erinnerung, und Familien verbrachten immer mehr Zeit miteinander. »Familien bestellten und nutzten ihre Gärten mehr (die 1930er Jahre erlebten eine Badminton-Renaissance); abends saßen sie gemeinsam vor dem Radio, legten Puzzle (eine weitere Modewelle der 1930er), spielten Karten und natürlich Monopoly (das ironischerweise ein Produkt der Depression ist)«, schreibt Benjamin Schwarz in einem kürzlich erschienenen Artikel über die sozialen und kulturellen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. »Und sie frönten jener kostenlosen typischen Beschäftigung von Stubenhockern: Sie lasen. Zwischen 1929, dem letzten Jahr des Wirtschaftsbooms, und 1933, dem Höhepunkt der Depression, stiegen in der öffentlichen Bücherei der Stadt Muncie die Ausleihzahlen und die durchschnittliche Zahl der Bücher, die jeder Benutzer auslieh, auf mehr als das Doppelte an.«2 Meine Großeltern waren sehr stolz auf ihr Radio und ihr Victro la-Grammofon mit Handkurbel. Mein Großvater stellte den Lautsprecher gern ins Fenster, damit seine Verwandten und Nachbarn den großartigen Opernsänger Enrico Caruso, die Talentshow Major Mowes’ Amateur Hour, durch die Frank Sinatra bekannt wurde, oder die Übertragung eines Boxkampfs um die Meisterschaft im Schwergewicht mithören konnten. Meine Großeltern gehörten zur großen Gruppe von Amerikanern, die sich in der Zeit der Wirtschaftskrise ein Radio kauften. »Die Schnelligkeit, mit der sich das Radio nach seiner Markteinführung verbreitete, ist bewundernswert«, schreibt McArdle. »Nur der Schwarz-Weiß-Fernseher schaffte es später in noch kürzerer Zeit in 75 Prozent der US-Haushalte, und dabei legte das Radio immerhin das letzte Drittel des Weges während einer schweren Finanzkrise zurück.« Radios waren für Familien wie die meines Vaters in der Zeit der Depression eine große Anschaffung,
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da sie im Schnitt 133 US-Dollar kosteten, während die Wirtschaftsleistung eines Durchschnittsamerikaners damals bei 850 US-Dollar im Jahr lag. Dennoch war es eine kluge Investition, wie McArdle feststellt. Familien schafften sich Radios an, weil sie für ihr Geld einen hohen Unterhaltungswert bekamen. Das Radio konnte eine ganze Palette anderer Aktivitäten ersetzen, von Konzerten und Sportveranstaltungen über Zeitungen bis zum Kino. Wenn es sich erst amortisiert hatte, bot es preiswerte Unterhaltung. Die Große Depression vernichtete nicht nur Wohlstand und Arbeitsplätze, sondern auch Zukunftsaussichten, wie Schwarz schreibt: »Das prägende Merkmal der Mittelschicht war schon immer ihre Zukunftsorientierung. Die Depression machte alle Aussichten auf Annehmlichkeiten und Vergnügungen wie ein neues Auto oder einen Winterurlaub zunichte. Aber vor allem behinderte sie oder zerstörte schlimmstenfalls die sorgsam gehegten Pläne für sogenannte Investitionen in die Zukunft: das geräumige Haus im soliden Viertel, Ersparnisse und vor allem eine bestimmte Hochschulausbildung für die Kinder – damals wie heute das Hauptbestreben amerikanischer Mittelschicht- und Akademikerfamilien … Ständig drohte die Katastrophe; die Zukunft war bestenfalls unsicher und eingeschränkt.« Familien rückten zusammen und wurden zu Arbeitseinheiten. Kinder übernahmen Erwachsenenpflichten. »Laut einer Studie hatte die Hälfte aller Jungen Teilzeitjobs, und Mädchen wie Jungen übernahmen mehr Arbeiten im Haushalt«, stellt Schwarz fest. »Ob sie außerhalb des Hauses arbeiteten oder nicht, waren diese Kinder überzeugt, dass sie eine produktive Aufgabe zu erfüllen hatten, damit es der Familie besser ginge. Sie sahen die Depression als Familienproblem, zu dessen Bewältigung sie beizutragen hatten, und diese Einstellung band sie noch stärker in die Familie ein.« Es bedurfte eines jeden Haushaltsmitglieds, ob Erwachsener oder Kind, um das Existenzminimum zusammenzukratzen und die Familie zu ernähren. Häufig erstreckten sich diese gemeinsamen Anstrengungen über den einzelnen Haushalt hinaus. Viele Amerikaner sind mit Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern über die damalige Nachbarschaft aufgewachsen: Tanten, Onkel, Vettern, Cousinen und Großeltern, die im gleichen Häuserblock oder um die Ecke wohn-
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ten und sich alle gegenseitig unterstützten. Das sollte sich jedoch mit der neuen Wirtschaftsgeografie des zweiten Resets ändern, als immer mehr Menschen aus diesen dicht besiedelten, zusammenhängenden Enklaven fortzogen, um in den neuen Vororten mehr Privatsphäre und Freiheit zu suchen – ihr ganz persönliches Stück vom amerikanischen Traum. Die Suburbanisierung begann in den USA bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. In dem Maße, wie Stromnetze, Eisenbahn- und Straßenbahnlinien über die alten Stadtgrenzen hinausreichten, folgten ihnen die bauliche Erschließung und die Bevölkerung. Auch das Straßennetz und die Autoproduktion wuchsen. Die Zahl der zugelassenen Autos stieg in den Vereinigten Staaten zwischen 1900 und Ende der 1920er Jahre explosionsartig von 8 000 auf über 20 Millionen, die der Lastwagen von praktisch null auf über 3 Millionen. Obwohl unzählige Menschen während der Großen Depression ihre Wohnung verloren, stieg der Anteil der Amerikaner, die ein Eigenheim besaßen, zwischen 1917 und dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 1936 von 27 auf 30 Prozent.3 Unter Roosevelt suchte die US-Regierung nach Möglichkeiten, arbeitenden Durchschnittsamerikanern den Weg zum Eigenheim zu erleichtern. Sie schuf die Federal Housing Administration, um erschwingliche langfristige Immobilienkredite bereitzustellen, und die heute als Fannie Mae bekannte Federal National Mortgage Association, die dafür sorgte, dass Kapital für Hypothekenkreditgeber zur Verfügung stand. Häuser wurden erschwinglich und Kredite für ihren Kauf einem größeren Kundenkreis zugänglich.4 Da die Kriegsanstrengungen Anfang der 1940er Jahre die gewaltige Produktionsmaschinerie der Vereinigten Staaten auf Hochtouren brachten, war sie darauf vorbereitet, in Friedenszeiten weiter massenhaft Güter auszustoßen. Zwar herrschte unter den führenden Industriellen die Sorge, dass die Wirtschaft nach Kriegsende wieder in eine Rezession fallen würde, aber zahlreiche staatliche Maßnahmen trugen dazu bei, Konsum – und Wohlstand – aufrechtzuerhalten. Hatten junge Männer ein Jahrzehnt zuvor die finanziellen Belastungen durch Ehe und Familie gescheut, stellten heimkehrende Kriegsveteranen nun fest, dass ihnen dank G. I. Bill
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und der Veterans Administration der Zugang zu einem Studium, einer Arbeitslosenversicherung, Unternehmens- und Hypothekenkrediten offenstand. Doch auch ohne diese staatliche Förderung hatte sich die Situation der Arbeiter nach dem Krieg erheblich verbessert. Der Wagner Act – ein Gesetz, das unmittelbar vor Kriegsbeginn verabschiedet worden war – entfaltete nun seine volle Wirkung. Er garantierte Mindestlöhne, geregelte Arbeitszeiten und -bedingungen und gab der Arbeiterschaft erheblich mehr Verhandlungsmacht gegenüber Unternehmern, indem es gewerkschaftliche Betätigung unter Schutz stellte. Wie mein Vater mir erzählte, war seine Fabrikarbeit vor dem Krieg schlecht bezahlt, aber als er aus dem Krieg zurückkehrte, bekam er einen ordentlichen Lohn und Sozialleistungen. Er konnte sich ein Haus und ein Auto kaufen und seine Söhne – meinen Bruder Robert und mich – aufs College schicken. Ein weiterer wesentlicher Faktor des Vorstadtbooms war natürlich der Ausbau der Land- und Fernverkehrsstraßen in der Nachkriegszeit. Nachdem durch den Defense Highways Act von 1956 die Mittel für den Bau von gut 65 000 Kilometern neuer Landstraßen bereitgestellt worden waren, konnten in Folge zahlreiche neue Wohngebiete und Siedlungen für Pendler erschlossen werden. Die Zahl der Autos, die auf den amerikanischen Straßen unterwegs waren, stieg von etwa 20 Millionen in den 1930er Jahren bis 1960 sprunghaft an auf über 60 Millionen und bis Anfang der 1970er Jahre auf mehr als 100 Millionen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der Personen und Güter befördert wurden, stieg zwischen 1900 und 1950 von 13 auf 39 Stundenkilometer.5 Die wachsende Zahl der Eigenheime trieb den zweiten Reset voran. Hausbesitz wurde in erster Linie deshalb zu einem Eckpfeiler des amerikanischen Wirtschaftslebens, weil eine jahrzehntelange Politik ihn dazu machte. Wohneigentum war nicht mehr länger nur wohlhabenden Amerikanern vorbehalten, sondern auch für Arbeiter und Angehörige der Mittelschicht erschwinglich. Über weite Teile der amerikanischen Geschichte wohnten mit Ausnahme von Farmern die meisten Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im eigenen Haus. Lag der Prozentsatz der Amerikaner, die ein Eigenheim besaßen, vor 1920 bei 27 Prozent, so stieg er bis 1950 auf 45 Pro-
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zent und erreichte in den 1960er Jahren über 60 Prozent – in dieser Zeit kauften auch meine Eltern sich ein Haus in einem Vorort.6 Für Einwanderer wie meine Großeltern war der amerikanische Traum gleichbedeutend mit wirtschaftlichen Chancen. Im zweiten Reset veränderte und erweiterte sich dieser Traum und umfasste nun als zentralen Bestandteil das Eigenheim. Der Besitz von Wohneigentum brachte vor allem radikale Veränderungen im Konsumverhalten mit sich. Gab eine amerikanische Durchschnittsfamilie um die Jahrhundertwende für Nahrungsmittel etwa die Hälfte des Haushaltseinkommens aus, so sank dieser Anteil bis 1950 auf ein Drittel und lag Mitte der 1980er Jahre nur noch bei einem Fünftel. Die Ausgaben für Grundbedürfnisse – Nahrung, Wohnung und Kleidung – sanken von der Jahrhundertwende bis 1960 von drei Viertel auf die Hälfte des Haushaltseinkommens. Da die Wirtschaft brummte und die Löhne stiegen, stand mit einem Mal ein enormer Teil des Einkommens für den Kauf von Massenprodukten zur Verfügung. Der Ausgabenanteil für Möbel und Wohnungseinrichtung stieg von 4 Prozent während der Depression auf 7 Prozent im Jahr 1950, der Anteil für Fahrzeugausgaben im selben Zeitraum von 5 auf 12 Prozent und machte 1970 nahezu ein Viertel der Familienausgaben aus.7 Im Jahr 1920, also vor der Großen Depression, lebte annähernd die Hälfte der US-Bevölkerung auf Farmen oder in ländlichen Gegenden. Gegen Ende der Wirtschaftskrise 1950 wohnten annähernd zwei Drittel der Amerikaner in Städten und Vororten, 1970 waren es bereits drei Viertel. Amerika entwickelte sich zu einer »suburban nation«. Im Jahr 1910 lebten nur 7 Prozent der amerikanischen Bevölkerung in Vororten. Dann wuchsen sowohl die Innenstädte als auch ihre Vororte rapide bis zum Börsenkrach 1929. Während des zweiten Resets erlebten Vororte einen deutlichen Aufschwung, wuchsen ab 1940 erheblich schneller als die Innenstädte und übertrafen deren Einwohnerzahlen schließlich Anfang der 1960er Jahre.8 In dieser Zeit erlebten viele amerikanische Innenstädte von Newark und Philadelphia bis nach St. Louis und Detroit einen Niedergang, da wohlhabendere, überwiegend weiße Einwohner aus den älteren Stadtvierteln in die sicheren, komfortablen Vororte zogen.
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Die Abwanderung und der Verfall vieler dieser einst großartigen Innenstädte war in jeder Hinsicht eine tragische Entwicklung – die durch die staatlich geförderte Stadtsanierung noch verschlimmert wurde. Das Elternhaus meines Vaters in Newark habe ich nie gesehen, weil es im Zuge eines umfangreichen Sanierungsprojekts abgerissen wurde. Durch das Wachstum der Vororte dehnten die Metropolen ihre Grenzen aus. Die Stadt Detroit, die 1910 eine Fläche von 100 Quadratkilometern umfasste, wuchs bis 1950 explosionsartig auf 360 Quadratkilometer, die rasch wachsenden Vorstadtgürtel nicht mitgezählt. Diese Entwicklung ließ sich anhand der Namen ihrer Hauptstraßen gut nachvollziehen, die den Abstand zum Stadtzentrum nachzeichnen: Six Mile Road, Seven Mile Road, Eight Mile Road, Nine Mile Road, Ten Mile Road bis hin zur Eighteen Mile Road. Viele, die das Stadtzentrum verließen, zogen zu Anfang in die umliegenden Neubausiedlungen. So landeten meine Eltern, Tanten und Onkel in Belville, Montclair, Oranges oder North Arlington, den neuen Vororten von Newark. Mit der Zeit siedelten sich die Menschen jedoch immer weiter von der Stadt entfernt an. Als meine Vettern und Cousinen heirateten und eigene Familien gründeten, zogen viele von ihnen in neu entstandene Ortschaften in der Mitte und im Süden New Jerseys. Andere wagten sich schließlich noch weiter vor in die boomenden Regionen des sogenannten Sunbelt, der sich südlich des 37. Breitengrades von der Ost- bis zur Westküste der USA erstreckt. In meiner Verwandtschaft zog eine Schwester meines Vaters mit ihrer Familie nach Kalifornien. Von 1940 bis 1983 wuchs die Bevölkerung der Sunbelt-Region um 112 Prozent. Zwei Drittel des Bevölkerungswachstums, das die USA im 20. Jahrhundert – fast ausschließlich ab 1950 – erlebte, betraf den Süden und Westen des Landes. Das rapide Wachstum des Sunbelts lässt sich am Beispiel Phoenix verdeutlichen. Hatte die Stadt 1950 rund 100 000 Einwohner und zählte damit knapp zu den hundert größten Städten der USA (auf Rang 99), so vervierfachte sich die Bevölkerung bis 1960 auf 439 000 und verdoppelte sich noch einmal bis 1980 auf 789 000. Damit gehörte Phoenix zu den zehn größten Städten des Landes. Seit 1950 haben die fünf Sunbelt-Städte Phoenix, San Diego, Houston, Dallas und San Antonio fünf Städte der Nordstaaten – St. Louis, Boston,
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Baltimore, Cleveland und Washington, D. C. – aus der Liste der zehn größten US-Städte verdrängt. Dieser Wandel veranlasste die Verfasser einer umfassenden Studie des U.S. Census Bureau zu der Schlussfolgerung: »Einer der signifikantesten demografischen Trends des 20. Jahrhunderts bestand in der stetigen Bevölkerungswanderung nach Süden und Westen.«9 Im Jahr 1900 lebte die Mehrheit der Amerikaner (62 Prozent) im Nordosten und mittleren Westen der USA. Im Jahr 2000 lebte die Mehrheit (58 Prozent) im Süden und Westen. Damit verlagerte sich der durchschnittliche Bevölkerungsschwerpunkt im Laufe des vergangenen Jahrhunderts um 520 Kilometer nach Westen und um 160 Kilometer nach Süden.10 Über die große Wanderungsbewegung der Nachkriegszeit in die Vororte und den Sunbelt ist schon viel geschrieben worden. Dennoch lohnt sie eine eingehendere Untersuchung, da sie veranschaulicht, welche Rolle die Raumstrategie – der spatial fix – in einem wirtschaftlichen Reset spielt.
Kapitel 6
Raumlösungen
Die beliebte Serie Mad Men, die seit 2007 im US-Fernsehen läuft, zeichnet ein faszinierendes, detailliertes Bild der amerikanischen Gesellschaft nach dem zweiten Reset. Neben anderen Kulturphänomenen zeigt sie, mit welchem Nachdruck und mit welcher Aggressivität der neue Vorstadttraum dem kollektiven Unbewussten eingehämmert wurde. Ohne Fernsehgerät war das Haus nicht komplett, und einmal angeschafft, lief es pausenlos. Das Fernsehen zeigte harmlose, anständige Familienserien, die in Musterhäusern in Vorortalleen spielten – von Father Knows Best (Vater ist der Beste) und Ozzie and Harriet in den 1950er Jahren über Leave it to Beaver (Erwachsen müsste man sein) in den 1960er Jahren bis zu The Brady Bunch (Drei Mädchen und drei Jungen) in den 1970ern. Selbstverständlich wurden diese Programme finanziert von eben den Unternehmen, die diesen Lebensstil möglich machten: Procter & Gamble, Hallmark, Philco, Maytag, Ford, General Motors, Shell und vielen anderen. Nahezu alles wurde möglich in den 1950er und 1960er Jahren – durch private Investitionen, aggressiven Unternehmensopportunismus oder durch zeitlich gut abgestimmte politische Maßnahmen. Die Wirtschaft boomte wie nie zuvor. Roosevelts New Deal hatte die Grundlagen für den zweiten Reset geschaffen, aber er realisierte sich erst durch die transformative Kraft des Vorortlebens – die Raumlösung der Nachkriegszeit. Den Begriff des spatial fix brachte der Geograf David Harvey erstmals Mitte der 1970er Jahre auf, »um den unersättlichen Drang des Kapitalismus zu beschreiben, innere Krisen durch räumliche Ausdehnung und geografische Umstrukturierung zu lösen«. Der Begriff der technologischen Lösung ist allgemein bekannt: Innovationen und technologische Fortschritte können nicht nur technische
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Probleme lösen, sondern auch wirtschaftliche und soziale. Harvey vertrat die These, dass technologische Lösungen nicht genügen, um Wirtschaftskrisen zu beheben, vielmehr gehörten dazu immer auch neue Muster des Städtebaus und der allgemeinen Wirtschaftsgeografie. Der spatial fix, die Raumlösung, bewirkt einen Ausweg aus der Krise, indem er einen äußeren Rahmen für die Entwicklung und weitere geografische Expansion schafft.1 Damit »eröffnet er einen Weg, Kapital produktiv aufzunehmen, indem er die Geografie des Kapitalismus verändert«, wie die Geografin Erica Schoenberger erklärt. Die Raumlösung führt zu massiven Investitionen und zu einem Ausbau der Infrastruktur, was effektiv »einen erheblichen Anteil akkumulierten Kapitals im Boden bindet und zugleich nutzt, um die weitere Akkumulation von Kapital zu fördern«.2 Solche spatial fixes wirken eine Zeit lang, sind aber keine dauerhaften Lösungen, sondern Teil eines ständigen Zyklus. Anfangs überwinden sie Krisen und führen Kapital einer produktiveren Nutzung zu. Letztlich stoßen diese Raumlösungen jedoch an ihre Grenzen. Neue Blasen entstehen, platzen und weichen neuen Wachstumszyklen, die diesen Prozess auf vorhersehbare Weise wiederholen. Die Folgen haben wir alle erlebt, als der Zusammenbruch des amerikanischen Immobilien- und Hypothekenmarkts zum Kollaps der Finanzwirtschaft führte. Das Gleiche passierte vor über hundert Jahren, als wackelige Hypotheken und andere komplexe Finanzinstrumente 1873 zum wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenbruch führten. Auch in der Krise 1929 und der Großen Depression war dies ein wesentlicher Faktor. In den 1920er Jahren erlebte die Industrieproduktion einen enormen Aufschwung, als Unternehmen wie Ford, General Motors und General Electric ein erneutes Wirtschaftswachstum ankurbelten. Der Bereich, der am meisten zum gesamten Kapitalbestand und Investitionsvolumen der USA beitrug, war jedoch nicht Unternehmen, Eisenbahnen oder Industriebauten, sondern Wohnhäuser, und zwar vor allem Neubauten. Sie stellten die größte Einzelkomponente des nationalen Grundkapitals – Fabriken, Gebäude, Straßen und anderes – und die größte Einzelquelle der Nettoinvestitionsströme dar. Investitionen in alle möglichen Bauprojekte stiegen in diesem Jahrzehnt sprunghaft an, von kleinen Apartment- und Geschäftshäu-
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sern bis hin zu ersten Vorortsiedlungen und Wohnanlagen für Rentner in Florida. »Ein Merkmal der ausgehenden 1920er Jahre waren sicherlich Apartmenthäuser, die sich aufgrund ungünstiger Lage und geringer Belegung als Fehlinvestitionen erwiesen. Sie spielen in den Schilderungen des Booms nachweislich eine herausragende Rolle«, schreibt Alexander Field.3 Aber 80 Prozent dieser Wohnungsbauinvestitionen flossen in Ein- bis Vierfamilienhäuser. Das Problem ging über steigende Preise und nachlassende Erschwinglichkeit hinaus, auch wenn beides eine Rolle spielte. Denn es bestand zudem ein Missverhältnis zwischen dem Bauboom bei Einfamilienhäusern und der damaligen Infrastruktur, die der Menge der neu errichteten Wohnhäuser nicht gewachsen war. Das galt für lasche Bauvorschriften und die Ausweisung von Baugebieten ebenso wie für die zu geringen Kapazitäten von Wasser- und Abwasserleitungen, Straßen und Fernverkehrsstraßen. Manche Neubaugebiete waren zu weit von Stadtzentren entfernt und ohne Verkehrsanbindung, anderen fehlte schlicht der Anschluss an Versorgungseinrichtungen. Das »urbane System« war für die Wohnungen, die gebaut wurden, einfach nicht ausreichend weit entwickelt, und so brach das ganze Gebilde schließlich in sich zusammen. Raumlösungen brauchen lange, um sich zu entwickeln, und noch länger, bis sie einen wirtschaftlichen Reset bewirken können. Die folgenden erstaunlichen Fakten sprechen für sich: Die Blase der 1920er Jahre war so groß, dass es nach ihrem Platzen in der Großen Depression 22 Jahre dauerte, bis die Investitionen in Bauten, die nicht Wohnzwecken dienten, wieder den Höhepunkt vor dem Börsenkrach erreichten, und 24 Jahre, bis die Ausgaben für den Wohnungsbau wieder den Stand vor der Krise erreichten. Wer glaubt, wir könnten den heutigen Immobilienmarkt schnell wieder ins Lot bringen, sollte sich diese Fakten genau ansehen. In jedem Fall ist festzustellen, dass ein spatial fix den Schlüssel zu einem großen Reset darstellt. Es ist ein Zyklus, der in fünf Phasen verläuft. In der ersten Phase zu Beginn einer Krise brechen alte Institutionen zusammen, und Unternehmen und Konsumenten schränken ihre Ausgaben ein. In der zweiten Phase kommt es zur Entwicklung und Markteinführung von Innovationen. In einem dritten Schritt entwickeln Unternehmer aus diesen neuen Techno-
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logien größere und bessere technische Systeme. In der vierten Phase schaffen öffentliche und private Investitionen in die Infrastruktur von Energie, Verkehr und Kommunikation das umfassende Gerüst einer neuen Wirtschaftslandschaft und erhöhen das Tempo des urbanen Lebens. In der fünften Phase entsteht schließlich eine neue Raumlösung und bringt eine neue Wirtschaftslandschaft hervor, die der verbesserten Produktivität der zugrunde liegenden Wirtschaft besser entspricht. Auf diese Art materialisiert sich eine neue Lebensweise, die ein starkes neues Konsumverhalten entfesselt und so das Wirtschaftswachstum schüren kann. Raumlösungen können zwar die Entstehung eines neuen Wirtschaftssystems prägen – und tun dies auch –, sind aber ihrem Charakter nach vorübergehende Lösungen. Sie wirken für eine gewisse Zeit, stoßen aber letztlich an ihre eigenen Grenzen. Und dann beginnt der Zyklus von vorn, wie es gegenwärtig der Fall ist.
Kapitel 7
Die Fäden entwirren
Wir alle wissen, wie es ist, das Platzen einer riesigen Wirtschaftsund Finanzblase zu erleben. Der Niedergang der alten suburbanen Lebensweise ist buchstäblich um uns herum spürbar. Aber wie kam es eigentlich dazu? Die Finanztricks und politischen Fehler, die zum Zusammenbruch von Lehman Brothers führten und die Wirtschafts- und Finanzkrise auslösten, wurden von anderen bereits ausführlich beschrieben. In erstaunlichem Maße hat der Crash aber auch geografische Ursachen. Das System, das letztlich die Blase platzen ließ und zur Krise führte, hatte sein Verfallsdatum längst überschritten. Eine Zeit lang funktionierte die Suburbanisierung gut. Der Lebensstil, der auf Millionen Fernsehbildschirmen präsentiert wurde, war weit mehr als ein kulturelles Phänomen: Er verbesserte das Leben der Menschen und trug erheblich dazu bei, die amerikanische Produktionsmaschinerie auf Hochtouren zu halten. Mittlerweile gelten Vororte zwar als langweilig und homogen, aber viele der kühlen »Organisationsmenschen«, die William Whyte in seinem Buch Herr und Opfer der Organisation beschrieb, stammten aus traditionellen Gemeinden und ethnisch geprägten Vierteln. Familien zogen aus einer Umgebung fort, in der jeder jeden kannte, um in den damals neuen Vororten ein freieres, kosmopolitischeres Leben zu suchen. Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Städte schmutzig, stinkend und beengt, während es sich aus den ersten, stadtnahen Vororten schnell und einfach pendeln ließ. Als die Fertigung technisch stabiler und die Fließbandproduktion im Nachkriegsboom ausgereifter wurde, passte die Ausdehnung der Vororte hervorragend zum industriellen Wachstumsmuster. Unternehmen eröffneten neue Werke auf der grünen Wiese, wo Grundstücke und
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Arbeitskräfte billiger waren. Das Management sah keinen Grund, mittlerweile standardisierte Produkte weiter in den teuren Innenstadtlagen herzustellen, wo man sie ursprünglich entwickelt und verkauft hatte. Firmen verlagerten die Arbeit in die Vororte und in die aufstrebenden Gebiete des Sunbelts, die durch ihre Anbindung an das Fernstraßennetz eine schnelle, kostengünstige Verteilung ermöglichten. Dieser Prozess brachte der Wirtschaft des Sunbelts, die seit dem amerikanischen Bürgerkrieg hinterhergehinkt war, den Anschluss an moderne Zeiten und den gesamten Vereinigten Staaten einen anhaltenden Aufschwung. In dieser goldenen Ära wurde der Besitz eines Eigenheims höchstes Ziel der Mittelschicht. Für die Generation der eisernen Sparer, die während der Großen Depression aufgewachsen war, waren politische Maßnahmen durchaus vernünftig, da sie den Kauf eines Eigenheims durch leicht zugängliche Kredite förderten, und damit ein schnelleres Wirtschaftswachstum ermöglichten. Der Traum vom eigenen Haus in einer Vorortsiedlung umfasste weitaus mehr als eine behagliche Wohnung. Das Eigenheim stand für ein besseres Leben mit mehr persönlicher Freiheit – zu sein, wie man wollte, und seine Kinder nach eigenen Vorstellungen aufzuziehen. Nachfolgende Generationen, die in relativen Wohlstand hineingeboren und in einer Kultur scheinbar risikoloser Kredite aufgewachsen waren, sahen ein eigenes Haus dagegen zunehmend als etwas, worauf sie Anspruch hatten, und als Investitionsinstrument. Im Jahr 2004, auf dem Höhepunkt des Booms und der von George W. Bush proklamierten Eigentümergesellschaft, besaßen annähernd sieben von zehn amerikanischen Familien ein eigenes Haus. Für viele war Immobilienbesitz nicht mehr nur Selbstzweck, sondern ein Mittel, schnellen finanziellen Gewinn zu machen. Finanzinnovationen wie Hypothekenkredite mit flexiblen Zinssätzen und verbriefte Subprime-Darlehen ließen die Wohneigentumsquote noch stärker steigen, hielten die Nachfrage hoch und machten das Eigenheim zu einer Art Privatbank. In den Jahren der Immobilienblase nahmen Amerikaner auf den Wert oder Eigenkapitalanteil ihres Hauses durchschnittlich 25 bis 30 Cent pro Dollar auf, die sie für Renovierungen oder Konsumausgaben verwendeten. Da die Immobilienpreise über eine so lange Zeit stark stiegen, schien für die meisten
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Amerikaner das Eigenheim die einfachste, lukrativste Investition, die sie tätigen konnten.1 Als der Immobilienwahn um sich griff, ließen sich immer mehr Amerikaner auf Immobilienspekulationen ein. Wie die Verheißung auf Profite aus Dotcom-Unternehmen die Hightech-Blase schürte, so stürzten sich nun alle möglichen Anleger kopfüber in das Glücksspiel mit Immobilien. Sie witterten die Chance, schnell ein- und wieder auszusteigen und mit dem An- und Verkauf von Immobilien schnelle Gewinne zu machen. In Orten wie Miami und Las Vegas besaß offenbar jeder Frisör, jede Masseurin und jeder Kellner eine oder mehrere Eigentumswohnungen. So kaufte Rula Giosmas aus Miami, über die in der Fernsehsendung 60 Minutes berichtet wurde, innerhalb von fünf Jahren sechs Immobilien und finanzierte sie durch Hypothekenkredite mit flexiblen Zinssätzen. Als der Markt kippte, stand ihr das Wasser bis zum Hals. Giosmas räumte ein, dass sie viel zu beschäftigt war, um das Kleingedruckte zu lesen. »Im Vollzeitberuf mache ich Akupunktur. Das mache ich also nur nebenher.«2 Die eigentliche Frage ist, welcher vernünftige Mensch ihr überhaupt das Geld für diese Immobilienkäufe geliehen hätte. Auf einer Ebene hat die Krise offenbart, was alle schon lange wussten: Amerikaner haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt, haben Hypotheken, leicht verfügbare Kredite von Einzelhändlern und Kreditkartenunternehmen und riesige Mengen ausländischen Kapitals genutzt, um weit mehr zu konsumieren, als ihr Einkommen zuließ und sie verdienten. Der Crash hat alledem vermutlich ein Ende gesetzt. Diese Korrektur ist schmerzhaft, aber notwendig. Ein anderer Aspekt der Krise, der bisher weitgehend übersehen wurde, könnte sich letztlich sogar als wichtiger erweisen. Da die Tendenz der Amerikaner, zu viel zu konsumieren und zu wenig zu sparen, eng mit dem spatial fix der Nachkriegszeit verknüpft war – mit Eigenheimbau, Suburbanisierung und den unzähligen Konsumformen, die damit einhergehen –, kam es zu einem ausgeprägten wirtschaftlichen Ungleichgewicht. Es zeigte sich in allen Bereichen, von der Wahl des Wohnortes bis hin zu den Investitionsentscheidungen. In den Jahrzehnten von 1980 bis 2007 stieg der Anteil der Investitionen in Wohnimmobilien und der Konsumausgaben am Brutto-
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inlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten von zwei Drittel auf drei Viertel. Die Verschuldung der Familien ging sprunghaft in die Höhe. Laut einer Studie der Federal Reserve Bank of San Francisco lag das Verhältnis von privater Verschuldung zum verfügbaren Einkommen im Jahr 1960 bei 55 Prozent und stieg bis Mitte der 1980er Jahre auf 65 Prozent.3 Von da an explodierte der private Verschuldungsgrad und erreichte 2007 einen absoluten Höchststand von 133 Prozent. Im März 2009 summierten sich die ausstehenden privaten Schulden auf schwindelerregende 5,3 Billionen US-Dollar. Dieses Geld musste irgendwoher kommen: Da die Amerikaner mehr konsumierten, als sie produzierten, sank die Leistungsbilanz des Landes von einem knappen Überschuss von 0,4 Prozent des BIP im Jahr 1980 bis 2006 auf ein Defizit von 6 Prozent. Dieser Kauf- und Kreditrausch machte die Vereinigten Staaten extrem abhängig von Auslandskapital, vor allem aus China, und schuf ein enormes Ungleichgewicht auf globaler Ebene.4 Letztlich stieß die heile Welt der Vororte an ihre eigenen inneren Grenzen, als das Gleichgewicht zwischen industrieller Massenproduktion und suburbanem Massenkonsum völlig aus den Fugen geriet. Produktionsverlagerungen in aufstrebende Volkswirtschaften wie China oder Indien, wo Arbeit billiger war, verschlimmerten das Ungleichgewicht zusätzlich. Stagnierende Reallöhne der Arbeiterund Mittelschicht hatten zur Folge, dass weniger Geld für den Konsum zur Verfügung stand. Und Billiglohn-Arbeiter in aufstrebenden Volkswirtschaften verdienten eindeutig nicht genug, um diese Lücke zu schließen. Als die Reichen und Superreichen immer wohlhabender wurden, klaffte die Schere immer weiter auseinander. Der Anteil der Top-US-Verdiener am Gesamteinkommen steigt bereits seit dreißig Jahren kontinuierlich an. 2007 entfiel auf das oberste eine Prozent aller US-Verdiener nahezu ein Viertel des Gesamteinkommens. Doch Reiche können nun einmal nur eine begrenzte Menge von Luxusvillen, deutschen Autos, Himalaya-Reisen und Flaschen alten Single-Malt-Whiskys kaufen. Die wirtschaftliche Ungleichheit wuchs aber auch, weil Einkommen und Kaufkraft der breiten Masse der Amerikaner langfristig sanken. Nach Angaben des Wirtschaftswissenschaftlers Matthew Slaughter vom Dartmouth College gab es von 2000 bis 2008 nur bei 2 Prozent der amerikanischen Erwerbstätigen Steigerungen des »mittleren Realeinkommens«, nämlich bei
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Akademikern wie Ärzten, Anwälten und Betriebswirtschaftlern. Bei allen anderen Gruppen einschließlich College- und Universitätsabsolventen sank das Einkommen.5 Während die Amerikaner ihren Lebensstandard mit Krediten aufrechterhielten, schränkten sie ihre Ersparnisse ein und hörten schließlich ganz auf zu sparen. Lag die Sparquote bezogen auf das verfügbare Einkommen in den 1980er Jahren noch bei ansehnlichen 10 Prozent, so sank sie bis Mitte der 2000er Jahre auf annähernd null. »Die Kombination aus höheren Schulden und geringeren Ersparnissen machte es möglich, dass der private Konsum schneller wuchs als das verfügbare Einkommen und dem Wirtschaftswachstum der USA in dieser Zeit einen beträchtlichen Aufschwung verschaffte«, stellte die Federal Reserve Bank of San Francisco fest, fügte aber hinzu: »Auf Dauer kann der Konsum jedoch nicht schneller wachsen als das Einkommen, da es aufgrund ihres Einkommens eine Obergrenze gibt, wie viele Schulden Haushalte bedienen können.«6 Noch aussagekräftiger ist die Tatsache, dass die Zahl der Privatinsolvenzen in den 1990er Jahren in die Höhe schnellte. Als die US-Bundesgesetze zum Insolvenzrecht 2005 geändert wurden, sanken die Privatinsolvenzen zwar etwa um die Hälfte, stiegen aber 2008 um über 40 Prozent und in den ersten neun Monaten des Jahres 2009 um weitere 35 Prozent.7 Vor hundert Jahren sah der österreichische Ökonom Rudolf Hilferding gerade in dieser Tatsache den grundlegenden Widerspruch des modernen Kapitalismus.8 In seinem Werk mit dem treffenden Titel Das Finanzkapital vertrat er die Auffassung, die kapitalistische Wirtschaftsentwicklung stehe auf tönernen Füßen, da Arbeiter immer mehr produzieren, als sie und sogar die Gesellschaft als Ganze konsumieren können. Der Blogger Yves Smith formulierte es so: »Die USA müssen sich den unhaltbaren Überkonsum abgewöhnen, und da der Konsum inzwischen von wachsender Verschuldung abhängig ist, bedarf es einer Umkehr, so schmerzhaft dies auch ist. Unsere Exzesse waren so groß, dass der einzige Ausweg in einer allgemeinen Senkung des Lebensstandards liegt.«9 Auf einer tieferen Ebene signalisierte der Zusammenbruch der Finanzmärkte auch den Beginn eines neuen Wirtschaftssystems. Die
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Lange Depression war die Krise der ersten industriellen Revolution. Die überwiegend ländliche Gesellschaft der damaligen Zeit vermochte das massive Wachstum und die Produktivität der Textil-, Stahl- und Eisenbahnindustrie nicht zu tragen. Durch den spatial fix verwandelten sich die Vereinigten Staaten von einer weitgehend ländlich geprägten Nation mit einigen Handelszentren und Fabrikstädten in ein Land voller gigantischer Industriestädte, das die Produktion konzentrierte, eine große Innovationswelle hervorbrachte und eine neue Lebensweise sowie flächendeckendes Wirtschaftswachstum schuf. Die Große Depression war die Krise der zweiten industriellen Revolution. Sie erwuchs aus der Unfähigkeit der damaligen Städte und der damaligen Industriegesellschaft, die Produktivität der auf Massenproduktion ausgerichteten Wirtschaft aufzunehmen. Die Suburbanisierung war die Raumlösung des Industriezeitalters – der geografische Ausdruck dieses Wirtschaftsmodells. Henry Fords Automobile rollten seit 1913 vom Fließband. Nachdem Ford die Autoherstellung effizienter und billiger gemacht hatte, erkannte er, dass er einen größeren Markt für seine Fließbandautos brauchte. Also erhöhte er die Löhne seiner Arbeiter und führte ein, dass sie unter bestimmten Bedingungen bis zu 5 US-Dollar pro Tag verdienen konnten. Aber der echte Fordismus, die Kombination aus Massenproduktion und Massenkonsum, entwickelte sich erst mit der massenhaften Abwanderung in die Vororte zu einem umfassenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell – dem spatial fix der USA in der Nachkriegszeit. Der wirtschaftliche Zusammenbruch in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ist die Krise der jüngsten wirtschaftlichen Revolution: des Aufstiegs einer ideengetriebenen Wissenswirtschaft, die mehr auf Hirn als auf Muskelkraft basiert. Er spiegelt die Grenzen des suburbanen Entwicklungsmodells wider, das volle Innovationsund Produktivitätspotenzial der kreativen Wirtschaft zu kanalisieren. Derzeit florieren die Orte, die über die höchste Geschwindigkeit bei Ideen, die höchste Dichte an talentierten, kreativen Menschen und die höchste Umwandlungsrate verfügen. »Geschwindigkeit« und »Dichte« sind keine Begriffe, die man gemeinhin mit Vororten verbindet.
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Aufgrund ihrer Beschaffenheit wirkte sich die jüngste Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten und in der Welt recht ungleichmäßig aus. Als der Finanz-Crash in New York sich zur Wirtschaftskrise ausweitete, traf sie manche Orte härter als andere. In den ersten acht Monaten des Jahres 2008 stieg die Arbeitslosenquote in allen 372 US-Metropolen. Unter der Arbeitslosigkeit hatten vor allem ältere Industriestädte des sogenannten Rustbelts zu leiden, für die der schwere Einbruch des Produktionssektors verheerende Folgen hatte. Auch in den ausgedehnten Ballungsgebieten des Sunbelts stieg nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes die Arbeitslosigkeit.10 Als die Immobilienblase platzte, fielen auch die Preise für Wohnhäuser um ein Drittel und mehr gegenüber dem Höchststand von 2006.11 Obwohl praktisch jede Stadt und jede Region von diesem Preisverfall betroffen war, traf er ältere Städte des Rustbelts und Ballungsgebiete im Sunbelt besonders schwer. Die Krise beschleunigte und verfestigte mehrere Entwicklungen, die bereits die Wirtschaftslandschaft veränderten, und markierte das Ende eines Kapitels der Wirtschaftsgeschichte und einer ganzen Lebensweise. In den folgenden Kapiteln befasse ich mich mit den Faktoren, die vermutlich über das Schicksal vieler Städte entscheiden werden. Ich zeige Orte auf, die angesichts der Krise wahre Widerstandskraft bewiesen haben, und solche, die sich schwierigeren Bedingungen ausgesetzt sehen.
Teil II
Die Umgestaltung der Wirtschaftslandschaft
Kapitel 8
Die Hauptstadt des Kapitals
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als sei durch den Börsenkrach kaum eine Stadt so offenkundig bedroht wie New York. Im Jahr nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte gingen im Big Apple annähernd 100 000 Arbeitsplätze verloren, darunter über 35 000 hoch bezahlte Stellen in der Finanzwirtschaft. Die Arbeitslosenquote stieg bis September 2009 auf über 10 Prozent, mehr als 400 000 Arbeitslose.1 Zum ersten Mal seit 16 Jahren schrumpfte die Finanz- und Versicherungswirtschaft. Diese Entwicklung hatte verheerende Auswirkungen auf andere Wirtschaftsbereiche. Die Steuereinnahmen der Stadt sanken dramatisch, was Einschränkungen im öffentlichen Dienst erzwang und kurzfristiges Wirtschaftswachstum behinderte. Da unzählige kleine Geschäfte, von Restaurants über Reinigungen bis hin zu Fitness-Centern, schließen mussten, weil ihre gut betuchte Kundschaft schwand, gingen weitere Arbeitsplätze verloren. Experten auf der ganzen Welt waren bereit – fast schon begierig –, New Yorks Stern sinken zu sehen. »Farewell Wall Street, Hello Pudong?«, begann ein Artikel, der mutmaßte, die futuristischeren Wolkenkratzer Shanghais würden Manhattan mit seinen von Marmorsäulen gezierten Bauten als Finanzhauptstadt ablösen.2 Andere sahen nicht nur New York vom Niedergang bedroht, sondern auch London. Michael Lind von der New America Foundation schreibt: »New York, London und andere Finanzplätze waren stark von Gewinnen aus dem Finanzsektor abhängig.« Als weiteres Beispiel führt er Frankfurt an. »Nimmt man den technologisch bedingten Zusammenbruch der Verlags-, Rundfunk- und Fernsehbranche hinzu, die ihren Hauptsitz in solchen Orten hat, werden diese Städte wahrscheinlich verheerende Rückschläge erleiden.«3 Bessere Zukunfts-
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aussichten sieht Lind für Städte wie Paris und Tokio, wo sich Handel und Banken mit zahlreichen Verwaltungsbehörden mischen. Seiner Ansicht nach werden diese Städte sich besser an die neue Ära der hybriden staatskapitalistischen Welt anpassen. »Ohne die unanständig reichen Investmentbanker und die Legionen gut bezahlter Gefolgsleute, die ihren Lebensstil trugen, verfallen ehemals blühende Viertel dieser früheren Finanzhauptstädte vielleicht ebenso wie Detroit oder die bröckelnden Industriestädte Nordenglands und des Ruhrgebiets in Deutschland.« Ich bin nicht überzeugt, dass Lind Recht hat mit dem finsteren Bild, das er entwirft. Der Wirtschaftshistoriker Youssef Cassis erklärt in seinem Buch Metropolen des Kapitals, dass führende Finanzplätze ein unglaubliches Durchhaltevermögen besitzen.4 So war Amsterdam im 17. Jahrhundert das Zentrum des weltweiten Finanzsystems. Erst 200 Jahre später, Anfang des 19. Jahrhunderts, lösten Paris und später London Amsterdam ab. Es dauerte weitere 100 Jahre, bis New York im 20. Jahrhundert Londons Rolle übernahm. Aber selbst wenn eine Stadt als globales Finanzzentrum einen Niedergang erfährt, verliert sie nie völlig an Bedeutung. Im Laufe der Zeit spielten Frankfurt, Amsterdam, Zürich und andere eine Rolle in der Finanzwelt und spielen sie noch heute. In einer Rangfolge der Finanzzentren stand London 2009 an erster Stelle, gefolgt von New York, Singapur, Hongkong, Zürich, Genf und Chicago. Nach allen diesen Jahren rangierte Amsterdam noch immer unter den 25 wichtigsten Finanzplätzen der Welt.5 Der Aufstieg größerer Finanzzentren steht in engem Zusammenhang mit dem Anstieg der Wirtschaftskraft eines Landes, wenn auch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Globale Finanzplätze erlangen erst herausragende Bedeutung, wenn ihr Land sich als Wirtschaftsmacht fest etabliert hat. So stiegen Amsterdam, London und New York erst nach dem Aufstieg ihrer Volkswirtschaften zu Finanzplätzen ersten Ranges auf. Als Amsterdam im 17. Jahrhundert die Finanzwelt beherrschte, lag das Pro-Kopf-Einkommen in den Niederlanden 50 Prozent über dem Englands. Als England um 1860 die Spitzenstellung erlangte, war das Pro-Kopf-Einkommen dort mehr als doppelt so hoch wie in jedem anderen europäischen Land. Mitte des 20. Jahrhunderts hatten die USA eine doppelt so
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hohe Wirtschaftsleistung wie die von ganz Europa. Erst zu dieser Zeit errang New York die Stellung als Finanzhauptstadt der Welt. Ebenso besteht eine erhebliche zeitliche Verzögerung zwischen dem Niedergang eines Landes als Wirtschaftsmacht und dem Verlust der globalen Vorrangstellung seines Finanzzentrums. Obwohl Großbritannien seine Position als weltgrößte Volkswirtschaft 1872 und die des größten Exportlandes 1915 an die Vereinigten Staaten verlor, lief New York erst nach den beiden Weltkriegen und der Großen Depression London seinen Rang als Finanzhauptstadt der Welt ab. Ebenso ist Asien zwar mittlerweile zu einer wirtschaftlich treibenden Kraft aufgestiegen, aber seine wichtigsten Finanzplätze, vor allem Tokio, Hongkong und Singapur, reichen bislang nicht an New York und London heran. So wird es noch einige Zeit bleiben. Wie aus dem Global Financial Centres Index (GFCI) hervorgeht, der auf Umfragen unter Finanzexperten und Fachleuten basiert, konnten New York und London 2009 ihre Spitzenposition im globalen Finanzsystem offenbar festigen.6 London und New York sind nach Aussagen des FGCI nicht nur »widerstandsfähig«, sondern auch die einzigen »wahrhaft globalen Finanzzentren«. Tatsächlich fielen die Ratings für diese beiden Finanzplätze während der Finanzkrise nur leicht. Londons Widerstandsfähigkeit ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sich die britische Wirtschaft seit mehreren Generationen im Niedergang befindet. Besonders erstaunlich ist, dass London Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre New York das Leben äußerst schwer gemacht hat. Mitte der 2000er Jahre war London führend sowohl im grenzüberschreitenden Kreditgeschäft und im Asset-Management als auch bei Eurobond-Emissionen, Transaktionen mit ausländischen Währungen und Niederlassungen ausländischer Banken. 7 Beunruhigend ist weniger die Frage, wie groß die Abwanderung der Finanzbranche aus New York an andere Orte sein wird, als vielmehr, inwieweit Teile dieses Industriezweiges schlicht gänzlich verschwinden werden. Arbeitsplätze im Finanzsektor gehören zu den bestbezahlten. Ganz abgesehen von den astronomischen siebenstelligen Bonuszahlungen am oberen Ende der Skala, lag der Durchschnittsverdienst in der Finanzbranche in New York 2008 bei annä-
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hernd 300 000 US-Dollar im Jahr (es waren exakt 280 872 Dollar).8 Auf dem Höhepunkt der jüngsten Blase kamen etwa 22 Prozent der Löhne und Gehälter in New York aus dem Finanzsektor.9 Die meisten Wirtschaftswissenschaftler sind sich einig, dass die Finanzwirtschaft zu diesem Zeitpunkt aufgebläht und überentwickelt war und wahrscheinlich deutlich schrumpfen wird. Und jegliche Reduktion wird sich zu einem erheblichen Teil in Manhattan bemerkbar machen. New Yorks Finanzbranche stehen zweifellos magere Zeiten bevor, aber selbst wenn es ihr eine Weile schlechter gehen sollte, wird sie nicht die gesamte Wirtschaft der Region mit nach unten ziehen. New York hat zwar landesweit die meisten Arbeitsplätze im Finanzsektor – mit 620 000 etwa doppelt so viele wie Los Angeles oder Chicago, dreimal so viele wie Boston oder Dallas und sechsmal so viele wie San Francisco, Minneapolis, Atlanta, Washington, D. C., oder Miami –, aber diese Stellen machen im Großraum New York nur 8 Prozent aller Arbeitsplätze aus; der Anteil liegt damit nur wenige Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt von 5,5 Prozent. Dagegen ist der Prozentsatz der Beschäftigten im Finanzsektor in vielen kleineren Regionen der USA höher als in New York, auch wenn die Zahl der Beschäftigten niedriger ist. Die Finanzbranche stellt 28 Prozent der Arbeitsplätze in Bloomington-Normal, Illinois, 18 Prozent in Des Moines, 13 Prozent in Hartford, 10 Prozent in Sioux Falls, Charlotte, Omaha und Columbus. Nach diesem Maßstab sind viele dieser Regionen wesentlich anfälliger für die wirtschaftliche Rezession als New York. Zählt man die Arbeitsplätze der Versicherungsbranche zum Finanzsektor hinzu, wie viele Beobachter es tun, so hatte dieser Wirtschaftsbereich 2006 im Großraum New York einen Anteil von etwa 15 Prozent. Das ist weniger als die Hälfte der entsprechenden Zahlen in Charlotte, wo die Finanz- und Versicherungsbranche bis zu 31 Prozent der örtlichen Wirtschaft ausmachte, und prozentual erheblich weniger als in vielen kleineren Städten von Des Moines über Hartford bis Winston-Salem.10 Stadtplaner beurteilen die Abhängigkeit einer Region von bestimmten Wirtschaftszweigen nach ihrem Standortquotienten. Er vergleicht die Spezialisierung einer Region auf eine bestimmte Branche mit der im gesamten Land. Ein Standortquotient von 1 bedeutet, dass
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die Branche an einem Ort im Landesdurchschnitt vertreten ist. New Yorks Standortquotient für die gesamte Finanzwirtschaft liegt bei einem bescheidenen Wert von 1,5, also 50 Prozent über der Konzentration in den gesamten USA und etwa gleich hoch wie in Philadelphia, Tampa und Madison. Aber die Finanzwirtschaft bringt einen enormen Anteil des Wohlstands hervor, der in New York zirkuliert, und hat damit lange zur Erhaltung der lebendigen Kultur der Stadt beigetragen. New York war jedoch immer weit mehr als nur ein Finanzplatz. Elizabeth Currid beschreibt in ihrem Buch The Warhol Economy eingehend die Vielfalt New Yorks.11 Sie stellte in ihrer Untersuchung fest, dass von den Top-50-Wissens- und Kreativberufen in New York nur neun in der Finanzwirtschaft angesiedelt sind, und davon rangiert nur einer unter den Top Ten. Nach diesem Maßstab ist New York eher ein Mekka für Modedesigner, Musiker, Filmregisseure, Künstler und Psychiater als für Finanzprofis. Der anhaltende Erfolg der Stadt, ihr untrügerisches Geschick, sich immer wieder zu erneuern, basiert auf der Vielfalt ihrer Wirtschaftszweige und der Fähigkeit, die Besten und Fähigsten aus einer großen Bandbreite von Fachgebieten anzulocken. Jane Jacobs, die große Kritikerin der Stadtplanung in den 1960er und 1970er Jahren, erkannte als eine der Ersten, dass vielfältige wirtschaftliche und soziale Strukturen der eigentliche Wachstumsmotor der Städte ist.12 Mehr als 200 Jahre zuvor hatte der große Moralphilosoph und Ökonom Adam Smith in seinem mittlerweile berühmten Beispiel der Stecknadelproduktion aufgezeigt, wie Arbeitsorganisation und kleinteilige Arbeitsteilung zur Triebkraft wirtschaftlicher Effizienz wurden und damit die Basis für eine gesunde kapitalistische Wirtschaft schufen. Jacobs verlieh diesem Bild Tiefe und Dimension, indem sie die wesentliche Rolle der Städte in der Organisation innovativer Arbeitsteilung hervorhob: Das geschäftige Treiben vieler verschiedener Berufe und Menschentypen in einer dicht besiedelten Umgebung ist entscheidend, damit etwas wahrhaft Neues entstehen kann. Auf Dauer sind Innovationen das, was die Lebendigkeit und Relevanz der Städte erhält. In alledem steckt also die jeder Intuition widersprechende Idee, dass die Finanzkrise New York letztlich helfen könnte.
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Die außergewöhnlichen Geldmengen, die Investmentbanker, Aktienhändler und Hedgefonds-Manager in den vergangenen beiden Jahrzehnten anzogen, brachten die Wirtschaft der Stadt in manche äußerst ungesunde Schieflage. Als ich 2005 einen Manager aus der Führungsriege einer großen Investmentbank fragte, ob die steigenden Immobilienpreise in New York sich nachteilig auf die Möglichkeiten seines Unternehmens auswirkten, globale Talente zu engagieren, antwortete er schlicht: »Wir sind die Ursache, nicht die Wirkung der Immobilienblase«. Wie sich herausstellte, hatte er nur zum Teil Recht. Denn die Immobilienpreise sind im Großraum New York weniger stark gefallen als in angeschlagenen Großstädten des Rustbelts wie Detroit oder auch im Sunbelt, wo die Immobilienblase die Wirtschaft in Städten wie Phoenix, Las Vegas oder Los Angeles antrieb. Während die Immobilienpreise in diesen und anderen Regionen nach dem Platzen der Blase dramatisch fielen, hielten sie sich 2009 im Raum New York bei mehr als 75 Prozent über dem Stand des Jahres 2000 – und lagen damit am höchsten unter den 20 Metropolregionen, die der weithin genutzte Case-Shiller Home Price Index anführt. Die astronomisch hohen Immobilienpreise trugen jedoch dazu bei, dass New York auf Dauer weniger an Vielfalt zu bieten hatte und an Reiz verlor. Als ich Jane Jacobs vor einigen Jahren nach den Auswirkungen steigender Immobilienpreise für die Kreativität fragte, antwortete sie: »Wenn ein Ort langweilig wird, ziehen selbst reiche Leute weg.« Nachdem die Vormachtstellung der Investmentbanker beendet ist, hat New York nun bessere Chancen, diesem unfruchtbaren Schicksal zu entgehen. Um die Kreativität zu fördern, hat die New Yorker Kommunalverwaltung unter Bürgermeister Michael Bloomberg beschlossen, Existenzgründer zu subventionieren und arbeitslosen Finanzfachleuten die Gründung neuer Hightech- und Medienfirmen zu erleichtern. »Statt sie als Verlierer in den Kasinos des Kapitalismus abzuschreiben, ermuntert die Stadt sie, im Stil von Silicon Valley von vorn anzufangen«, schrieb die New York Times über das Förderprogramm in Höhe von 45 Millionen US-Dollar.13 Einen weiteren Aspekt gilt es in Betracht zu ziehen: New York ist der Knotenpunkt der größten Megaregion der USA, die sich von Boston über New York bis Washington, D. C. erstreckt, mehr als 50 Mil-
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lionen Einwohner und eine Wirtschaftsleistung von über 2 Billionen US-Dollar hat. »The Big Apple« ist das Zentrum dieser vielfältigen, innovativen Wirtschaft, die auf einer breiten Palette kreativer Branchen von Massenmedien über Design bis hin zu Kunst und Unterhaltung basiert. »Ein Mann, der vor 40 Jahren in New York geboren wurde, findet nichts, absolut nichts von dem New York wieder, das er kannte«, schrieb die Zeitschrift Harper’s Monthly 1846 zu Beginn der industriellen Revolution.14 Dasselbe gilt auch heute.
Kapitel 9
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»Eines scheint mir aber wahrscheinlich«, erklärte der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück im September 2008 zu den Folgen der Finanzkrise. »Die USA werden ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren.«1 Im September 2009 erklärte Weltbankpräsident Robert Zoellick bei einem Vortrag an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies: »Es wäre ein Fehler, wenn die Vereinigten Staaten die Stellung des Dollar als führende Reservewährung der Welt für selbstverständlich halten würden.« Er fügte hinzu: »In Zukunft wird es zunehmend andere Optionen zum Dollar geben.«2 Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um die Finanzkrise als Totenglocke für ein überschuldetes, allzu konsumfreudiges und zu wenig produzierendes amerikanisches Imperium zu sehen – ein Fall, den der Historiker Paul Kennedy schon vor langer Zeit prophezeite.3 Weltwirtschaftskrisen wie der ökonomische Zusammenbruch 1873 und die Große Depression der 1930er Jahre bewirken häufig, dass die geopolitische Ordnung auf den Kopf gestellt und der Niedergang alter Großmächte sowie der Aufstieg neuer beschleunigt wird. Nach dem Aufstieg Westeuropas im 15. Jahrhundert und dem Aufstieg Amerikas im 19. Jahrhundert stehe der dritte Großmachtwechsel der modernen Geschichte unmittelbar bevor, vertritt Fareed Zakaria in seinem Buch Der Aufstieg der Anderen: das postamerikanische Zeitalter, das einige Monate vor dem Crash an der Wall Street erschien. Dieser Wandel erwachse allerdings weniger aus dem Niedergang Amerikas als aus dem Aufstieg der anderen: »… wir bewegen uns auf ein postamerikanisches Zeitalter zu, das von zahlreichen Orten aus und von vielen Akteuren definiert werden wird«.4 Das trifft sicher zu.
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Über die brüllenden Tiger der asiatischen Wirtschaft wurde bereits viel geschrieben, vor allem seit China sich als bedeutender wirtschaftlicher Player auf der Weltbühne behauptet hat. Bevor man aber voreilige Schlüsse zieht und spekuliert, Hongkong, Singapur, Tokio und Seoul würden New York und London als globale Finanzzentren schon bald den Rang ablaufen, sollte man sich eine überraschende Tatsache vor Augen führen: Singapur, Hongkong und Zürich – die drei Finanzzentren, die unmittelbar hinter New York und London rangieren – erlebten in den sechs Monaten nach dem Börsencrash im Oktober 2008 eine Talfahrt ihrer Ratings auf dem Global Financial Centres Index. Tokio fiel vom siebten Platz aus den Top Ten auf den 15. Platz. New York und London machten sicher harte Zeiten durch, aber den meisten Finanzzentren der zweiten Reihe erging es noch schlechter. John Pender von der Financial Times vermutete in einem Kommentar, dass wohl nur Shanghai, dessen Banken eine gute Kapitalausstattung und staatliche Rückendeckung besitzen, New York und London bis 2020 als erstrangiges globales Finanzzentrum der Welt in den Schatten stellen könnte. Im Januar 2010 überholte Shanghai vom Handelsvolumen her Tokio als größten Aktienmarkt Asiens.5 Der Wirtschaftshistoriker Angus Maddison sagt voraus, dass die chinesische Wirtschaftsleistung die der Vereinigten Staaten bis 2015 übersteigen wird.6 Schon jetzt trägt China den Titel der »Weltfabrik« und ist jüngst zum größten Exporteur der Welt aufgestiegen. Dennoch wird es noch lange dauern, bis China – oder genauer: eines der chinesischen oder asiatischen Finanzzentren – New York oder London überholen wird. Chinas Industrie- und Finanzzentrum Shanghai steht auf dem Global Financial Centres Index auf Platz 36, also auf einem ähnlichen Rang wie die Britischen Jungferninseln und die Bahamas. So rapide China auch wächst, bleibt es insgesamt doch eine aufstrebende Volkswirtschaft im weitesten Sinne des Wortes: Nach dem Davos Competitiveness Index rangiert China auf Platz 30, nach dem Human Development Index der Vereinten Nationen auf Platz 81 und nach meinem Global Creativity Index – der globale Innovation, Offenheit und Wettbewerbsfähigkeit misst – auf Platz 36. Es wird noch einige Zeit dauern, bis das Land mit den etablierteren Wirtschaftsmächten der Welt konkurrieren kann, ganz zu schweigen von den Vereinigten Staaten.
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Manche chinesischen Beobachter sehen ihre finanziellen Aussichten offenbar recht optimistisch, andere weniger, wie diese Schlagzeile aus der China Digital Times belegt: »Shanghai as World Financial Capital? Maybe Next Century« (»China als Weltfinanzhauptstadt? Vielleicht im nächsten Jahrhundert«).7 Nach Einschätzung von Helmut Reisen, Professor für internationale Wirtschaft an der Universität Basel, wird es noch geraume Zeit dauern, bis Chinas Währung den Dollar ersetzt. »Man kann damit rechnen, dass der chinesische Renminbi den US-Dollar um 2050 als Reservewährung ersetzen wird.«8 Bis dahin bleiben den Chinesen seiner Ansicht nach allerdings noch einige Probleme zu lösen. Sie müssen die Beschränkungen aufheben, die derzeit für den Geldfluss in und aus dem Land gelten, und die vollständige Konvertierbarkeit der Währung sicherstellen, sodass sie weltweit ohne Genehmigung einer Zentralbank gehandelt werden kann. Druck aus dem In- und Ausland wird Chinas Aufstieg wahrscheinlich behindern. Im Inneren ist anhaltende lähmende Armut ebenso eine Tatsache wie die wachsende Kluft zwischen der neureichen Unternehmerschicht in den Städten und der Landbevölkerung. Zudem tragen Infrastrukturprobleme und der allgegenwärtige Schatten politischer Unruhen zur Instabilität bei. Wenn schon nicht China, so stehen doch sicher andere aufstrebende Zentren in den Startlöchern. Singapur, ein Stadtstaat mit annähernd 5 Millionen Einwohnern, ist ebenfalls ein wichtiger Finanzplatz. Das Land versucht zwar, in Kreativität zu investieren – sein »Cool-Quotient« stieg, als es kürzlich in die Reihe der ultrahippen Wallpaper City Guides aufgenommen wurde. Aber nach wie vor ist die Gesellschaft Singapurs stark durch sozialpolitische Maßnahmen und Regulierungen des Staates geprägt. Ich würde zwar nicht so weit gehen wie ein Besucher, der kürzlich erklärte: »Es wirkt wie Atlanta, nur asiatisch«, aber von der Vielfalt und Energie, die in den Straßen von New York, London oder Toronto zu finden sind, ist Singapur weit entfernt. Hongkong scheint die besten Chancen zu haben. Die Stadt war lange ein Zentrum von Ausländern, ist gegenwärtig ein Global Player und eng mit China, der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt, verknüpft. Sie hat einen hoch entwickelten
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Markt für Aktien-Neuemissionen, es fehlen ihr jedoch viele andere Bereiche – wie der Handel mit Bonds, Devisen und Waren –, die New York und London zu treibenden Kräften der globalen Finanzwirtschaft machen. Ein weiterer Faktor, der Hongkong hemmt, ist der immense Wettbewerb zwischen den Finanzzentren Asiens – Hongkong, Tokio, Singapur und Shanghai – sowie fehlende Möglichkeiten, sich zu einem ebenso offenen globalen Zentrum für Talente zu entwickeln wie New York und London. Vielleicht wachsen die beiden Städte, die nur zweieinhalb Flugstunden voneinander entfernt liegen, mit der Zeit zu einer Megaregion »Shang-Kong« zusammen.9 Denn Shanghai besitzt die Industrie und die Wirtschaftskraft und Hongkong die Offenheit und Attraktivität für globale Talente. Im Nahen Osten sieht die Lage völlig anders aus. Dubai stand in einem kürzlich erstellten Ranking globaler Finanzplätze auf Platz 44, also in der Größenordnung von Edinburgh, Bangkok, Lissabon und Prag. Das war jedoch vor dem Zusammenbruch von Dubai World. Andererseits herrscht im Land religiöse Intoleranz, und Homosexualität ist verboten. Ohne Offenheit mangelt es der Region an Attraktivität, die vielfältigen Talente anzuziehen, die notwendig sind, um in der Spitzenliga der Weltfinanzen mitzuspielen. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Finanzplätze die notwendige Kombination aus Offenheit und Beweglichkeit erreichen, um im Wettbewerb um Talente auf Weltklasseniveau mitzuhalten. Das gilt für praktisch alle aufstrebenden Finanzzentren außerhalb von New York und London. Sie sind weder sonderlich offen für globale Talente, noch gehören sie zu den bevorzugten Orten solcher Talente (abgesehen von einzelnen Angestellten im öffentlichen Dienst). Sprachbarrieren und Lebensqualität, ganz zu schweigen von Einwanderungsbeschränkungen stellen nach wie vor echte Probleme dar. Die Fähigkeit, Talente anzulocken, ist seit langem ein wesentliches Merkmal führender Finanzplätze. »Ein Faktor, der zur Entwicklung der Finanzplätze in den letzten zweihundert Jahren einen entscheidenden Beitrag leistete, war der Zustrom neuer Talente, um Kraft und Innovationsfähigkeit zu erlangen«, schreibt Youssef Cassis.10 Wie er erklärt, prägte die Zuwanderung deutscher und Schweizer Bankiers nach Paris in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Pariser Handelsbanken (maisons de Haute Banque),
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London profitierte vom Zustrom internationaler Finanziers wie der Rothschilds aus ganz Europa, und in New York »wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein ganzer Bereich des Investmentbankings von eingewanderten Juden aus Deutschland aufgebaut«. Andererseits untergruben zwei Weltkriege, der Faschismus und die anschließende Isolation während des Kalten Krieges Berlins Position als globales Wirtschaftszentrum. Aufstrebende Finanzplätze in Asien und im Nahen Osten sind für ausländische Akademiker nicht annähernd so reizvoll wie New York oder London. Gewiss ist Tokio eine herrliche Stadt mit wunderbarer Infrastruktur, unglaublichen Shopping-Möglichkeiten und den weltbesten Restaurants, wie manche Reiseführer behaupten. Doch Japan ist zwar eine innovative, fortgeschrittene Volkswirtschaft, lässt aber weniger Einwanderer ins Land als jedes andere Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in der dreißig marktwirtschaftlich orientierte Demokratien zusammengeschlossen sind. Auf den Straßen oder in der U-Bahn sind Leute, die nicht japanisch aussehen, so ungewöhnlich, dass sie fehl am Platz wirken. Nur ein Prozent aller (legal und illegal) Beschäftigten in Japan sind Ausländer, das ist der niedrigste Anteil in einem fortgeschrittenen OECD-Land.11 Jane Jacobs schrieb in The Economy of Cities: »Die Vielfalt jeglicher Art, die Städte hervorbringen, beruht auf der Tatsache, dass dort so viele Menschen so dicht beieinander leben und viele verschiedene Geschmäcker, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Bedarfsartikel und Marotten haben.«12 Eine so dissonante Vielfalt der Stimmen und Bedürfnisse ist in den Bürotürmen und Geschäftsvierteln Tokios und Singapurs – zumindest in ihrer bisherigen Form – schwer vorstellbar. Edwin Truman, ehemaliger Staatssekretär im US-Finanzministerium, erklärte dem Christian Science Monitor die dauerhaften Vorteile der großen Finanzakteure. In der Finanzwelt »gibt es einen riesigen Netzwerk- und Verdichtungseffekt«, ein Vorteil, der aus der räumlichen Nähe von zahlreichen Finanzprofis aus vielen verschiedenen Fachgebieten und von Anwälten, Wirtschaftsfachleuten und anderen Experten erwächst, die sie unterstützen. Nach Trumans Einschätzung ist es überaus schwierig, solche dichten Netzwerke aus
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dem Nichts aufzubauen, aber ohne sie können aufstrebende Städte nur schwer eine herausragende Position in der globalen Finanzwelt erreichen.13 »Hongkong, Shanghai, Singapur und Tokio sind heute wichtiger als vor zwanzig Jahren«, erklärte Truman. »Aber werden sie in zwanzig Jahren die dominante Stellung von London und New York erreichen? Ich vermute, nein.« Finanzexperten und Institutionen in diesen Zentren räumen das ebenfalls ein. Ein wesentliches Element ihrer Wachstumsstrategie besteht darin, ins Ausland – nach New York und London – zu gehen, um dort an Weltklassetalente zu kommen. Eine Möglichkeit ist dabei der Kauf von Wall-Street-Unternehmen. Genau das tat das riesige japanische Finanzunternehmen Nomura Holdings, als es die Geschäftsbereiche der insolventen Bank Lehman Brothers in Asien, Europa und im Nahen Osten erwarb. Unter Hunderten neuer Mitarbeiter, die Nomura in den Vereinigten Staaten und Europa engagierte, befanden sich auch der ehemalige Leiter der globalen Equities-Abteilung der Bank of America, der führende Währungsstratege von Goldman Sachs und zwei Topmanager der Citigroup. Die kleine indische Investmentbank Ambit Holdings Pvt. Ltd. mit Sitz in Mumbai, die nicht einmal zweihundert Beschäftigte hat, warb drei Spitzenkräfte von Merril Lynch ab. »Wir sehen diese Situation als Chance, einige der besten verfügbaren Talente der Branche zu verpflichten«, erklärte ein Spitzenmanager der Tata-Gruppe und wies auf die Absicht des Konzerns hin, seine Tätigkeit im Bereich Investmentbanking und Private Equity auszubauen.14 Durch ihre Anziehungskraft werden New York und London wahrscheinlich ihre Spitzenstellung als dominierende Finanzplätze behalten. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in dieser Zeit angeblich reibungsloser Kommunikation und hochmobiler Talente die lokale Kultur und das gesellschaftliche Leben nach wie vor bestimmen, wer die Spitzenkräfte bekommt. Obwohl Talente mobil sind und Freizügigkeit genießen, bleibt die Frage, wohin sie gehen möchten. Daher vermute ich, dass New York und London in absehbarer Zukunft die entscheidenden globalen Finanzzentren bleiben werden. »Finanzkrisen lösen tendenziell überzogene Voraussagen auf erhebliche wirtschaftliche Veränderungen aus – und widerlegen
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sie anschließend. In dieser Hinsicht stellt der gegenwärtige Zusammenbruch der Weltwirtschaft keine Ausnahme dar«, erklärte Professor Michael Pettis von der Universität Peking in Newsweek.15 »In den letzten Monaten haben Vorhersagen an Popularität gewonnen, dass New York und London (zusammengezogen zu Ny-Lon) letztlich Marktanteile verlieren werden, da Städte in den aufstrebenden Teilen der Welt die Krise nutzen, um ihnen die Vorrangstellung abzujagen. Aber die Geschichte lässt vermuten, dass das Gegenteil wahrscheinlicher ist: New York und London werden im kommenden Jahrzehnt tatsächlich an Bedeutung gewinnen.« Wenn Krisen eintreten und die Liquidität versiegt, so Pettis, dann gewinnen große Finanzzentren noch stärkere Vorteile gegenüber kleineren Zentren und nutzen die Gelegenheit, noch größere Investoren anzulocken. Noch sicherer ist nach meiner Einschätzung, dass im Laufe der Wirtschaftskrise und der anschließenden Erholung bestimmte Städte und Regionen innerhalb der Vereinigten Staaten einen Aufstieg erleben werden, während andere einen Niedergang erfahren.
Kapitel 10
Der FIRE-Sektor
Als Junge brachte ich meine Ersparnisse zu einer örtlichen Sparkasse, die auf lokale Sparanlagen und Hypothekenkredite spezialisiert war. Die Sparkasse Kearney Federal war nach der kleinen Arbeiterstadt in New Jersey benannt, in der sie beheimatet war. Solche Kreditinstitute, die der Filmklassiker It’s a Wonderful Life (Ist das Leben nicht schön?) mit Mr. Potters Bank und George Baileys Bausparkasse verewigte, waren in fast allen amerikanischen Kleinstädten eine feste Größe. Über weite Teile der amerikanischen Geschichte war die Finanzwirtschaft des Landes überwiegend dezentralisiert. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich in der Finanzwirtschaft ein Konzentrationsprozess. Größere Banken und Unternehmen schluckten kleinere, und die daraus entstehenden Großunternehmen fusionierten miteinander. Nach und nach verschwanden die beschaulichen kleinen Lokalbanken von der Landkarte und wurden durch Filialen nationaler und globaler Banken ersetzt. Aus den »großen Acht« der Kreditinstitute wurden die »großen Sechs« und schließlich die »großen Vier«. Chase Manhattan kaufte die Chemical Bank und fusionierte mit J. P. Morgan zu J. P. Morgan Chase. Dieser Konsolidierungsprozess vollzog sich schubweise, angespornt einerseits von Innovationen wie elektronischen Überweisungen und Wertpapieren, die durch Grundpfandrechte besichert waren (mortgage-backed securities), und andererseits durch regulatorische Reaktionen auf verschiedene Krisen. Die drei führenden Finanzplätze der USA waren 2006 New York, Los Angeles und Chicago. Sie hatten 16 Prozent aller Finanzfirmen, 20 Prozent der Beschäftigten und ein Drittel aller Lohnkosten im Finanzsektor – Zahlen, die ohne Zweifel nach dem Reset noch wachsen werden. In den zehn führenden Finanzplätzen der USA
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gab es etwa ein Drittel aller Finanzunternehmen, 39 Prozent aller Beschäftigten und die Hälfte der Lohnkosten im Finanzsektor. Die Konsolidierung der Finanzwirtschaft folgte einem Muster, das in vielen Handelsbereichen vom Einzelhandel über Gastronomie bis zur Unterhaltung zu beobachten war, wo nationale Ketten kleinere lokale Konkurrenten entweder schluckten oder eliminierten. Beispiele in den USA sind Home Depot und Pottery Barn, AMC Theaters und Clear Channel, Barnes & Noble und Starbucks. Man muss nicht mit Begriffen wie »Machtelite« oder »Monopolkapital« gewappnet sein, um zu begreifen, dass derzeit eine weitere massive Konsolidierungsrunde stattfindet. Nach meiner Einschätzung werden neben New York auch die meisten großen US-Finanzzentren die Krise relativ gut überstehen. Das hat weniger mit der weiteren Entwicklung der dortigen Finanzwirtschaft zu tun als mit der Tatsache, dass sie eine große, relativ diversifizierte Wirtschaft haben. Chicago, das zu den fünf führenden Finanzplätzen der Welt gehört, hat sich zu einem Zentrum für Industriemanagement und Consulting sowie zu einem regionalen Talentzentrum entwickelt, das viele Geschäfts- und Finanzfunktionen aus kleineren Städten im Mittleren Westen der USA abgezogen hat. Los Angeles ist eine große, diversifizierte Region und ein Global Player der Unterhaltungsbranche. Silicon Valley behauptet seine Stellung in der Risikofinanzierung von Hightech-Unternehmen. Selbst Miami, das durch Immobilienspekulationen am Boden lag, bleibt das Finanz- und Geschäftszentrum für Lateinamerika. Für diese und andere Städte wird sich die Fähigkeit, zu diversifizieren und gesunde Wirtschaftszweige jenseits des Finanzsektors zu entwickeln, als Dreh- und Angelpunkt ihres Erfolges – und in manchen Fällen ihres Überlebens – erweisen. Vor einem oder zwei Jahrzehnten vertraten viele Experten die Meinung, der große Wirtschaftssektor Finanzen, Versicherungen und Immobilien – den sie (als Abkürzung von finance, insurance, real estate) FIRE nannten – präge das nächste Entwicklungsstadium des Kapitalismus. Die Argumentation lautete mehr oder weniger folgendermaßen: Die dynamischsten Märkte des Kapitalismus entwickelten historisch immer ausgereiftere Wirtschaftsfunktionen:
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Beispielsweise von Häfen und Handelszentren im 18. und frühen 19. Jahrhundert über Industriezentren im ausgehenden 19. Jahrhundert und Hightech-Lösungen der 1970er Jahre bis hin zur heutigen Ökonomie, deren treibende Kraft eine Kombination aus FIRE-Industrien ist. Das ist eine Komponente des Übergangs zur »postindustriellen« Gesellschaft, wie der große Soziologe Daniel Bell es nannte.1 So gesehen ist die gegenwärtige Krise nicht bloß eine der Banken und Finanzwirtschaft, sondern eine umfassendere Krise des gesamten FIRE-Sektors. Der Venture-Kapitalist Eric Janszen schrieb in der Zeitschrift Harper’s: »In dem Maße, wie immer mehr Risikobelastung zutage tritt, werden Kredite weiter zurückgehen, und die FIRE-Wirtschaft, die auf den ungehinderten Kreditfluss angewiesen ist, wird ihre erste Nahtoderfahrung machen, seit dieser Sektor Anfang der 1980er Jahre an die Macht gekommen ist.«2 Das vielleicht beste Beispiel für den FIRE-Sektor ist die Stadt Charlotte in North Carolina. Auf dem Höhepunkt des Booms 2006 machte die Finanz-, Versicherungs- und Immobilienbranche in Charlotte 45 Prozent der örtlichen Wirtschaft aus, nur in Naples, Florida, lag ihr Anteil mit 47 Prozent noch höher. Aber die Krise dieses Sektors wirkte sich auf die Stadt nicht annähernd so verheerend aus wie der Zusammenbruch der verarbeitenden Industrie auf die älteren Rustbelt-Regionen. Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der FIRE-Wirtschaft in einem Urlaubsort wie Naples, in dem Immobilien den einzigen Wirtschaftsfaktor darstellen, und einer größeren Stadt wie Charlotte, die stärker auf Finanzwirtschaft ausgerichtet und Sitz mehrerer globaler Banken ist. Innerhalb des FIRE-Sektors traf es die Immobilienbranche wesentlich härter als den Finanz- und Versicherungsbereich. Meine Kollegin Charlotta Mellander analysierte umfangreiches Datenmaterial und stellte fest, dass kein statistischer Zusammenhang zwischen Metropolen mit einer hohen Konzentration von Arbeitsplätzen im FIRE-Sektor und der Arbeitslosenquote bestand. Es ist schwer zu sagen, warum so viele vom FIRE-Sektor geprägte Wirtschaftsregionen den Sturm überstanden haben, zumal diese Branche einen massiven Schlag erlitten hat. Ein Grund könnte die Tatsache sein, dass Metropolen mit einem hohen Anteil an Arbeitsplätzen in der Finanz- und Versicherungsbranche wirtschaftlich stärker diversifiziert sind. Zudem
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besitzen Beschäftigte im Finanz- und Versicherungssektor einen höheren Bildungsgrad, eine bessere Berufsausbildung und eine größere Flexibilität als Arbeiter in der Produktion. Dadurch fällt es ihnen leichter, in anderen Bereichen eine neue Anstellung zu finden. In der amerikanischen Fernsehsendung 60 Minutes wurde einmal die Vermutung geäußert, Charlottes Finanzwirtschaft könne eines Tages der von New York Konkurrenz machen. Das geben die Zahlen jedoch nicht her. Vor der Krise rangierte die Stadt nach der Zahl der Finanzarbeitsplätze auf dem 16. Platz der größten US-Finanzzentren hinter Houston, Detroit und Tampa, nach den gesamten Lohnkosten im Finanzsektor auf dem 17. Platz hinter Detroit, Houston und Phoenix und nach der Anzahl der Finanzinstitutionen auf Platz 32 hinter Indianapolis, Sacramento, Las Vegas und Columbus, Ohio.3 Die Stadt Charlotte ist für den Banken- und Finanzsektor das Gleiche, was vor einer Generation die Niedriglohn-Fertigung für den Sunbelt war. Sicher verhinderte die Finanzkrise einen weiteren Aufstieg Charlottes im Finanzsektor. Wachovia, die zweite größere US-Bank neben der Bank of America, die ihren Hauptsitz in der Stadt hat, war nach der Krise stark angeschlagen und wurde von Wells Fargo aus San Francisco übernommen. Die Bank of America handelte sich mit der Übernahme von Merrill Lynch mehr Schulden ein, als das Management erwartet hatte. Andererseits ist der Augenblick, in dem die Konkurrenten den Rückzug antreten, der günstigste Zeitpunkt, seinen Marktanteil auszuweiten. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Deborah Strumsky von der University of North Carolina in Charlotte erklärte mir, die Stadt sei wesentlich besser davongekommen als befürchtet. Die Übernahme Wachovias durch Wells Fargo hielt sie nicht nur über Wasser, sondern führte auch zu wesentlich geringeren Arbeitsplatzverlusten, als viele vorhergesagt hatten. Wachovia war im Privatkundengeschäft äußerst wettbewerbsfähig, hatte sich aber auch in anderen, weniger lukrativen Geschäftsbereichen engagiert. »Wells Fargo war froh, die Einrichtungen für das Privatkundengeschäft bei der Übernahme zu diesem niedrigen Preis zu bekommen. Immer wieder erklärte Wachovia, man werde gründlich aufräumen, aber dann wurden Gespräche mit dem Per-
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sonal in Charlotte geführt, Bewertungen vorgenommen, erneute Gespräche geführt und schließlich mehr Mitarbeiter behalten als erwartet. Wachovia hatte vor, den riesigen Verwaltungskomplex im Nordosten Charlottes und die Büros in der Innenstadt völlig zu schließen, beschloss dann aber, das Personal auf den Firmensitz im Nordosten der Stadt zu ›konsolidieren‹. Für die Mietpreise in den betroffenen Innenstadt-Hochhäusern bedeutete das zwar einen Rückschlag, hieß aber auch, dass wesentlich mehr Beschäftigte ihren festen Arbeitsplatz behielten, als irgendjemand anfangs gedacht hätte.« Hatte man ursprünglich mit dem Verlust von bis zu 80 Prozent der Arbeitsplätze gerechnet, so waren es letztlich weniger als 20 Prozent, erklärt Strumsky und fügt hinzu: Die Bank of America reagierte »auf die Bankenkrise wie ein Kaufsüchtiger auf eine neue Kreditkarte – ging auf Schnäppchenjagd und machte manchen erstaunlichen Fang«. Da sogenannte Massenentlassungen nach den gesetzlichen Vorschriften in North Carolina öffentlich bekanntgegeben werden müssen, war man bei der Bank besorgt über die Auswirkungen, die ein Stellenabbau auf die ohnehin schon unter Druck geratenen Aktienkurse haben könnte. Stattdessen unterzog das Unternehmen »sein Personal einer sorgfältigen Prüfung, entließ etwa 20 Mitarbeiter pro Woche und hielt den Aktienkurs stabil, indem es nur seine leistungsschwächsten Mitarbeiter kündigte, da es genauestens prüfen musste, wen es gehen ließ«. Nach Stromskys Ansicht war der Rückgang der Profite im Finanzsektor letzten Endes kurzfristig und vielleicht auch langfristig gut für Charlotte. Er veranlasste mehrere New Yorker Banken und Finanzunternehmen, im Zuge von Sparmaßnahmen manche Tätigkeitsfelder der mittleren Ebene nach Charlotte zu verlagern. »Große Finanzunternehmen können ihren Standort nicht irgendwohin verlegen; sie brauchen hoch qualifizierte Arbeitskräfte mit Erfahrung im Bankensektor«, erklärt Strumsky. »Willkommen in Charlotte.«4 Charlotte hat seine Innenstadt aufgewertet, kulturelle Aktivitäten gefördert und seinen Bestand an talentierten, gut ausgebildeten Fachkräften ausgebaut. Im Laufe der Jahre haben die Kommunalpolitiker manche guten Maßnahmen getroffen, aber in der Krise von 2008 und 2009 hatte die Stadt etwas weniger Greifbares und erheblich Wertvolleres: viel Glück.
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Es gibt eine Kategorie von Städten, die den Sturm besser überstanden haben als alle anderen. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, sind diese Orte weit entfernt von den lebendigen Zentren des Marktkapitalismus.
Kapitel 11
Der Boom der Behördenstädte
»Erinnern Sie sich noch an Firmenstädte?«, fragte die Zeitschrift Newsweek rhetorisch im März 2009. »Von Detroit bis Wolfsburg, dem Sitz von Volkswagen, waren es Orte, an denen man sich auf einen Arbeitsplatz fürs Leben verlassen konnte. Heute sind es meist Orte, an denen man sein Arbeitslosengeld zählt. Aber in dem Maße, wie die Weltwirtschaft schrumpft … und der öffentliche Sektor wächst, um mit den Auswirkungen fertigzuwerden, gibt es eine neue Art von Boomtown: die Behördenstadt.« In Hauptstädten wie Washington, D. C., Ottawa, Brüssel und Brasilia »entstehen nicht nur neue Jobs, auch die Hausverkäufe steigen, die Einkommen sind hoch, die Autohandlungen sind voll und neue Einkaufszentren, Geschäfte, Luxushotels und Fitness-Center können gar nicht schnell genug gebaut werden«.1 Auf Washington, D. C., trifft das offensichtlich zu. Der Arbeitsmarkt im District of Columbia hatte 2008 die zweitgrößte Wachstumsrate aller US-Bundesstaaten. Und der Großraum des Bundesdistrikts Washington, zu dem der Norden Virginias und der Süden Marylands gehören, bildet eine starke Wirtschaftseinheit. Mit einer Wirtschaftsleistung von 275 Milliarden US-Dollar ist er die viertstärkste Wirtschaftsregion der USA – nur übertroffen von New York, Los Angeles und Chicago – und erreicht annähernd die Größe des Bundesstaates Massachusetts. Weltweit rangiert er unter den 25 führenden Wirtschaftsregionen vor Dänemark, Norwegen, Irland und Hongkong.2 Washington, D. C., hat sich zu einem starken Anziehungspunkt für Talente entwickelt und lockt unzählige junge, hoch qualifizierte, ehrgeizige Menschen an. Über 46 Prozent der Erwachsenen im Großraum Washington haben mindestens einen College-Ab-
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schluss und 22 Prozent einen Hochschulabschluss. Auf diesem Gebiet rangiert er an erster Stelle unter den größten Metropolen der USA. Die benachbarten Countys in Virginia und Maryland weisen das höchste Einkommensniveau, den höchsten Bildungsstand und den höchsten Stand des Humankapitals in den Vereinigten Staaten auf. Sechs der acht US-Countys mit dem höchsten Bildungsstand gehören zum Großraum Washington, D. C. In gewisser Hinsicht ist es eine definitiv postindustrielle Stadt, in der 43 Prozent der Einwohner wissensintensiven oder kreativen Berufen nachgehen – der höchste Anteil in allen Metropolregionen.3 Selbst alteingesessene Einwohner Washingtons sind überrascht, wenn sie erfahren, dass der größte Wirtschaftssektor ihrer Region nicht etwa die Regierungsbehörden sind, sondern die Technologie. Tatsächlich steht die Region in der Elektronikindustrie an zweiter Stelle hinter San José, der selbsterklärten Hauptstadt des Silicon Valley, und in den Software-Arbeitsplätzen landesweit an dritter Stelle. Auch in der Biotechnologie spielt der Großraum Washington eine Rolle, zudem gehört er zu den führenden Zentren der Rundfunk- und Fernsehmedien des Landes. Weiterhin gibt es dort die höchste Konzentration an Computerfachleuten, Software-Entwicklern und Mathematikern sowie an Politologen, Anwälten, Wirtschaftswissenschaftlern und Politikversessenen. Auf dem Höhepunkt der Krise hatte der Großraum Washington, D. C., eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der USA: Mit etwa 6 Prozent lag sie ganze 4 Prozent unter dem Landesdurchschnitt. Die Immobilienpreise in der näheren Umgebung sanken nur mäßig, wobei der Preisverfall vor allem abgelegenere Vororte und Randgebiete traf. Eine Feststellung, die treue Anhänger des Bundesdistrikts ärgern mag, ist jedoch, dass der Großraum Washington nah genug an New York City liegt und ausreichend gute Verbindungen dorthin besitzt, um quasi als Vorstadt der Metropole zu gelten. Mit dem Auto fährt man vier Stunden, mit dem Zug zweieinhalb Stunden, und ein Hochgeschwindigkeitszug würde die Fahrzeit auf weniger als 90 Minuten verringern. Selbstverständlich verkehren im Halbstundentakt Linienflüge. Das soll jedoch keineswegs heißen, dass Washington in irgendeiner Weise von New York abhängig wäre. Es handelt sich
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vielmehr um eine symbiotische Beziehung. Da ein wechselseitiger Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Ideen und Menschen besteht, profitiert die US-Hauptstadt von ihrer Nähe zu der größeren, globaleren Stadt im Norden. Die Lebensqualität ist hoch, und die Lebenshaltungskosten halten sich im Rahmen. In meinem Buch Who’s Your City? habe ich ausgeführt, dass Washington, D. C., unter den Großregionen der USA auf dem ersten Platz für Familien mit Kindern rangiert und auf dem zweiten Platz für junge Singles (nach San Francisco). Zudem gehört es zu den besten Städten für Schwule und Lesben.4 Nach einer Umfrage, die ich in Zusammenarbeit mit Gallup durchführte, äußerten die Einwohner ein hohes Maß an Zufriedenheit mit der Region und würden sie anderen »sehr« empfehlen. Die Region Washington sieht sich allerdings mit schwierigen Problemen konfrontiert. Sie hat mit die stärksten Pendlerströme und Verkehrsstaus des Landes, leidet unter tiefgreifender und wachsender urbaner Ungleichheit, verheerender Armut in manchen Vierteln und einem Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Aber sie übersteht die gegenwärtige Wirtschaftskrise bislang ebenso gut wie jede andere Stadt der Vereinigten Staaten. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass sie gegenüber allen anderen US-Regionen einen großen Vorteil besitzt, und zwar nicht nur wegen der Ausgaben der Bundesregierung, sondern weil sie als wohnliches und relativ erschwingliches Zentrum in der gigantischen Megaregion Boston-Washington Talente und Unternehmen anlockt. Kanada hat eine eigene boomende Behördenstadt: die Hauptstadt Ottawa. Die Arbeitslosenzahlen blieben während der gegenwärtigen Krise niedrig und die Immobilienpreise relativ stabil. Da über 40 Prozent der Einwohner in Kreativ- und Wissensberufen arbeiten, liegt Ottawa in diesem Bereich vor Austin, Texas, und dem Forschungsdreieck in North Carolina und nur knapp hinter Silicon Valley. Und 25 Prozent der Beschäftigten konzentrieren sich auf eine noch speziellere Gruppe von Berufen in Wissenschaft, Technologie, Kunst und Medien, die ich als superkreativen Kern bezeichne. Dieser Anteil ist doppelt so hoch wie in anderen nordamerikanischen Städten.
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Der Großraum Ottawa besitzt eine hohe Konzentration von Unternehmen der Kommunikations- und Informationstechnologie, Unternehmensdienstleistungen sowie Bildung und Wissen. Ottawa ist eine klassische postindustrielle Stadt wie Washington, D. C., und bietet eine hohe Lebensqualität. In der Rangfolge der kanadischen Ausgabe meines Buches Who’s Your City? nahm Ottawa den ersten Platz für junge Akademiker, Familien mit Kindern und Rentner und den zweiten Platz für junge Singles (nach Calgary) und Eltern erwachsener Kinder ein (nach Toronto).5 Universitätsstädte sind Kleinausgaben boomender Behördenstädte. Dank ihrer großen Universitäten, eines hohen Zuflusses an staatlichen Mitteln und einer deutlichen Konzentration stabiler Arbeitsplätze im Bereich Medizin und Bildung, die ihre Wirtschaft abfedern, besitzen amerikanische Universitätsstädte eine beträchtliche Widerstandskraft. Definitionsgemäß sind sie Talentmagnete, die begabte Studenten und Lehrkräfte aus den USA und der ganzen Welt anlocken. Aus diesem Grund erklärte das Wall Street Journal, dass Universitätsstädte angesichts der Krise »smart aussehen«.6 Im September 2009 lag die Arbeitslosenquote nur in zwölf Großstadtregionen der USA unter 5 Prozent, während sie landesweit 9,5 Prozent erreichte. Drei von ihnen waren Universitätsstädte: Morgantown mit der West Virginia University, Logan als Heimat der Utah State University und Ames mit der Iowa State University.7 Unabhängig davon, ob die Wirtschaft eines US-Bundesstaates florierte oder zu kämpfen hatte, ging es seiner Universitätsstadt offenbar besser. So erreichte die Arbeitslosenquote im Großraum Detroit 17 Prozent, in der Stadt Detroit über 20 Prozent, aber in Ann Arbor, das knapp eine Autostunde entfernt liegt, nur 8 Prozent. In den texanischen Städten College Station und Austin lag die Arbeitslosenquote bei 4 beziehungsweise 4,8 Prozent gegenüber 7 Prozent in Dallas. In den gesamten USA wiesen Universitätsstädte auf dem Höhepunkt der Krise relativ niedrige Arbeitslosenzahlen und relativ stabile Immobilienmärkte auf, von Lawrence, Manhattan in Kansas und Athens in Georgia, über Lansing in Michigan und Bloomington in Indiana bis hin zu Champaign-Urbana in Illinois. Selbst in Kalifornien, wo die Haushaltskrise des Bundesstaates zu Etatkürzungen
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und zur Beurlaubung von Personal an den staatlichen Universitäten führte, lag die Arbeitslosigkeit in Universitätsstädten wie Santa Barbara und San Luis Obispo unter dem Durchschnitt. Noch größere Vorteile haben Städte wie Austin, Texas, und Madison, Wisconsin, die nicht nur große Forschungsuniversitäten haben, sondern auch Hauptstadt ihres Bundesstaates sind. »Es ist keineswegs so, dass manche Regionen auf wundersame Weise besser imstande wären, den Abschwung zu verkraften«, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Edward Glaeser. »Die meisten Unterschiede in den derzeitigen Arbeitslosenquoten lassen sich durch althergebrachte Merkmale der urbanen Landschaft erklären.« Glaeser analysierte mehrere Faktoren, die nach seiner Vermutung die regionale Arbeitslosigkeit beeinflussten. Als Anhaltspunkt für den Bildungsgrad einer Region nahm er den Prozentsatz der College-Absolventen und stellte fest: »Die Unterschiede in den Arbeitslosenzahlen sind zwar enorm, aber keineswegs zufällig«.8 An Orten mit einem höheren Anteil gut ausgebildeter Einwohner – mit Hochschulabschluss – lag die Arbeitslosigkeit niedriger. Das galt für Orte, die im Jahr 2000 einen höheren Prozentsatz an College-Absolventen hatten. Aber auch Orte, in denen der Anteil der Hochschulabsolventen lange vor dem Zweiten Weltkrieg höher lag, hatten heute eine niedrigere Arbeitslosenquote. »Angesichts der enormen Unterschiede zwischen dem Anteil der Arbeitslosen bei qualifizierten und unqualifizierten Erwerbstätigen ist es durchaus nicht überraschend, dass die Qualifikation die heutigen Arbeitslosenquoten in Großstadtregionen am besten erklärt«, schloss Glaeser. Umgekehrt stellte er fest, dass die Arbeitslosigkeit in Produktionszentren am höchsten lag. Städte und Regionen mit Fertigungsindustrien – mit rostenden Stahlträgern und Tauben auf den Dachsparren – bereiten Ökonomen und Politikern am meisten Kopfzerbrechen. Lassen sich die verloren gegangenen Arbeitsplätze je wieder ersetzen? Können die Vereinigten Staaten ihre Stellung als Industriemacht wiederherstellen? Was steht diesen Regionen wirklich bevor?
Kapitel 12
Leben und Sterben alter Industriestädte
Die Vorzüge körperlicher Arbeit zu rühmen hat bei Autoren eine lange Geschichte. Von Leo Tolstois Gutsbesitzer Lewin in Anna Karenina, der sein Glück bei seinen Feldarbeitern findet, bis zu Robert Pirsig und seinem Buch Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten von 1974 entdeckten die größten Intellektuellen immer wieder erstaunt die schlichten Freuden harter körperlicher Arbeit. In seinem Bestseller Ich schraube, also bin ich: Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen beschreibt Matthew Crawford, wie er nach seiner Promotion seine akademische Karriere und seinen langweiligen Job an der Universität von Chicago aufgibt und nach Pirsigs Vorbild eine weitaus befriedigendere Arbeit in einer Motorradwerkstatt findet. Richard Sennett untersucht in seinem Buch Handwerk ebenfalls die ehrliche Befriedigung der Handarbeit.1 Ich höre förmlich meinen Vater, meine Onkel und unsere Nachbarn über die Vorstellung lachen, dass studierte Leute ihr Geld mit Büchern über körperliche Arbeit verdienen. Meine Verwandten konnten alles selbst reparieren. Ich kann mich nicht erinnern, je einen Handwerker im Haus gesehen zu haben. Wir Kinder schauten alle zu, halfen und lernten von den Erwachsenen, sodass wir unsere Fahrräder auseinandernehmen und wieder zusammenbauen und die Musikinstrumente und Verstärker unserer Band selbst reparieren konnten. Als Teenager arbeitete ich jedes Jahr in den Sommerferien in einer Fabrik. Die Arbeit an den Maschinen war monoton, stumpfsinnig und mehr als langweilig. Und sie war gefährlich. Man konnte leicht durch die Maschinen einen Finger oder Arm verlieren oder sich eine gebrochene Nase holen, weil einem der älteren Arbeiter etwas an einem nicht passte. Dennoch habe ich das Können und
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die Fertigkeiten der Arbeiter zutiefst schätzen gelernt. Ich erinnere mich noch lebhaft an einen Besuch in der Brillenfabrik in Newark, in der mein Vater arbeitete. »Richard«, sagte er immer, »die Fabrik läuft nicht von allein. Diese Männer mit ihrem unglaublichen Können sind das Herz, die Seele und der Kopf dieser Fabrik.« Leider haben vermutlich gerade Betriebe, wie mein Vater sie so gut kannte, unter der Wirtschaftskrise am meisten zu leiden, auch wenn es traurig und nicht gerecht sein mag. Das gehört zu einem anhaltenden Strukturwandel der US-Wirtschaft. Seit 1950 ist der Anteil des Produktionsbereichs an der Erwerbstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft von 32 auf nur 10 Prozent geschrumpft. Der Anteil der Arbeiter an den Erwerbstätigen erreichte 1951 mit 39 Prozent seinen Höhepunkt und ging seitdem auf gegenwärtig 19 Prozent zurück.2 Dieser Rückgang ist die Folge langfristiger Entwicklungen wie der zunehmenden Konkurrenz aus dem Ausland und vor allem der ständig fortschreitenden Maßgabe, menschliche Arbeit durch Maschinen zu ersetzen. Es ist eine unausweichliche Realität, dass sich vieles im Ausland billiger herstellen lässt. In den Vereinigten Staaten sind zahlreiche Arbeitsplätze im Produktionsbereich mittlerweile verschwunden und werden nicht wiederkommen. Als Sohn eines Fabrikarbeiters, der den wirtschaftlichen Niedergang und die verheerenden Auswirkungen für die Menschen in Newark und Detroit und selbst in Pittsburgh und Boston (bevor diese Städte sich neu erfanden) mit eigenen Augen gesehen hat, geht es mir nahe, was so viele Arbeiter mit ihren Familien und Gemeinden in diesen Zeiten verheerender Arbeitsplatzverluste durchmachen müssen. Nach einer Analyse, die der ehemalige Wirtschaftsredakteur der BusinessWeek Michael Mandel durchgeführt hat, gingen von Dezember 2007 bis November 2008 in den USA 1,8 Millionen Arbeitsplätze im Produktionsbereich verloren. Von April 2008 bis April 2009 stieg die Arbeitslosenquote in diesem Sektor von 6,3 Prozent auf mehr als das Doppelte, nämlich 13,7 Prozent. In manchen Bereichen vollzog sich der Beschäftigungsrückgang für Arbeiter schneller als in anderen, so stieg die Arbeitslosigkeit in der Fabrikation auf 15,6 Prozent und im Baugewerbe auf 19,7 Prozent.3 Die Arbeitsplatzverluste in der Fertigung konzentrierten sich auf bestimmte Regio-
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nen. Das Epizentrum der Krise ist laut Paul Krugman der Slump Belt (»Abschwunggürtel«), der sich mit zahlreichen Produktionszentren vom industriellen Mittleren Westen der USA bis nach North und South Carolina erstreckt.4 In elf von 14 Regionen Michigans, neun von 13 Regionen Ohios, sechs von 13 Regionen Indianas und sieben von 14 Regionen North Carolinas lag die Arbeitslosenquote 2009 über 10 Prozent. Detroit ist zum Aushängeschild für das wirtschaftliche Trauma der Krise geworden. Obwohl die Arbeitslosenquote mancherorts höher ist, wirkt keine Großstadt der Vereinigten Staaten so angeschlagen. Im Oktober 2008 lag der durchschnittliche Preis für Wohnimmobilien in Detroit bei 18 513 US-Dollar, und von 65 000 Häusern, die von 2007 bis 2009 in die Zwangsvollstreckung gingen, blieben 44 000 leer.5 In einem Video auf der Internetplattform YouTube von November 2008 sieht man die Liste von Zwangsversteigerungen allein im Landkreis Wayne County, zu dem Detroit gehört: Sie umfasst 137 Seiten.6 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts, als die Einwohnerzahlen ihren Höchststand erreichten, haben annähernd eine Million Menschen Detroit verlassen. Als erste Millionenstadt in der Geschichte der Vereinigten Staaten erlebte Detroit im Jahr 2000, dass ihre Einwohnerzahl unter die Millionenmarke sank. Die Immobilienpreise fielen um 40 Prozent gegenüber ihrem Höchststand und lagen Ende 2009 bei weniger als 70 Prozent ihres Standes vom Jahr 2000 und damit – auch ohne Inflationsbereinigung – auf einem Niveau, wie man es seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr erlebt hatte. Im Dezember 2009 übernahm der Bundesstaat das öffentliche Schulsystem der Stadt, das ein Haushaltsdefizit von über 400 Millionen US-Dollar aufwies. Seit 2005 wurden Dutzende Schulen wegen sinkender Anmeldezahlen geschlossen. In Detroit gibt es keine einzige Filiale einer landesweiten Supermarktkette und nur vier Starbucks-Filialen (die in vielen Vierteln Chicagos praktisch an jeder Straßenecke zu finden sind). Die Buchhandelskette Borders, die erst vor einer Generation ihren ersten Laden in der Nachbarstadt Ann Arbor eröffnete, schloss ihre letzte Filiale in Detroit im Frühjahr 2009. Während die offizielle Arbeitslosenquote von Detroit
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im Oktober 2009 schwindelerregende 27 Prozent betrug, erklärte Bürgermeister Dave Bing bei einer Tagung in Washington, D. C., die tatsächlichen Zahlen »könnten näher an 50 Prozent« liegen, da viele die Arbeitsplatzsuche schlicht aufgegeben hätten.7 Wenn Talent eine entscheidende Triebkraft der entstehenden neuen Wirtschaft ist, weist Detroit ein erhebliches Defizit auf. Nur 10 Prozent der erwachsenen Einwohner der Stadt sind Hochschulabsolventen, 30 Prozent erhalten Lebensmittelgutscheine. Nach dem MetroMonitor Index der Brookings Institution ist Detroit die Metropolregion der USA, die diese Wirtschaftskrise am härtesten getroffen hat. »Es ist eine Depression, keine Rezession«, erklärte die 81-jährige ehemalige Chirurgiemechanikerin Warlena McDuell gegenüber Associated Press mit der Autorität eines Menschen, der die Große Depression selbst erlebt hat. »Es wird noch schlimmer, bevor es besser wird.«8 Wie jeder weiß, der Clint Eastwoods Film Gran Torino gesehen hat, sind Teile Detroits verlassen und haben ihren früheren städtischen Glanz verloren. Im Geschäftsviertel des Zentrums stehen 48 große Gebäude – mit mindestens fünf Stockwerken oder 10 000 m2 Nutzfläche – leer, wie eine eingehende Recherche der Detroit News ergab. Im gesamten Stadtgebiet gibt es nach Unterlagen des U.S. Postal Service 62 000 Brachgrundstücke und leer stehende Gebäude.9 Im Jahr 2009 ließ die Stadt annähernd 9 000 verlassene oder verfallene Häuser und Grundstücke versteigern. »Die Immobilien, die wegen Steuerrückständen von den Finanzbehörden beschlagnahmt wurden, ergeben zusammen eine Fläche in der Größe des New Yorker Central Park«, berichtete Reuters. Die Leerstände bei Grundstücken in Detroit addieren sich nach einer Schätzung von Detroit Free Press mittlerweile auf eine Fläche, die nahezu dem Stadtgebiet von Boston entspricht. Obwohl die Preise auf einem Tiefststand waren, fand bei der Versteigerung nicht einmal ein Fünftel der Grundstücke einen Käufer. Der Artikel zeichnet ein finsteres Bild. »Für eine Immobilie nach der anderen rief der Auktionator des County ›kein Gebot‹ aus – das Auktionsverzeichnis war so dick wie ein Telefonbuch. Nach fünf Stunden verließen ihn schließlich die Kräfte.«10 Detroit wirkt nicht nur wie ausgebombt, sondern ist schon allein durch seine ausufernde Weitläufigkeit gehandicapt, in der das Auto
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unverzichtbar ist. Das New York Times Magazine schrieb im Juni 2009 in einem Artikel:11 Anders als die meisten größeren Großstadtregionen im Nordosten, die auf maximale Dichte angelegt waren, stieg Detroit im Autozeitalter auf. Das trug zur Entstehung einer weitläufigen Stadt mit freistehenden Einfamilienhäusern bei. Als … ich durch die Straßen fuhr, sah ich Bilder der post apokalyptischen Stadt, an die wir uns alle gewöhnt haben: menschenleere Straßen, verwilderte Grundstücke und leere Geschäfte mit vernagelten Schaufenstern und verblassten Schildern längst geschlossener Läden und Restaurants wie Pick’n Party, Jet King Chop Suey und afrikanische Haarstudios. So vertraut diese Bilder mittlerweile auch sind (um sie zu sehen, braucht man nur auf YouTube »Detroit« und »urban decay« einzugeben), begreift man die Tragweite – das Sterben einer Stadt – erst, wenn man tatsächlich durch Detroit fährt und sieht, dass es Block für Block, Meile für Meile so weitergeht.
Wenn die Arbeitsplätze verschwinden, nimmt die Bevölkerung der Städte nicht immer so schnell ab, wie vielleicht zu erwarten wäre. Obwohl der Großraum Detroit gegenüber dem höchsten Bevölkerungsstand Mitte des vergangenen Jahrhunderts mehr als eine Million Einwohner verloren hat, ist er erstaunlicherweise immer noch die elftgrößte Metropolregion der Vereinigten Staaten. Aber ein Großteil der verbliebenen Einwohner sitzt dort fest, weil sie finanziell nicht in der Lage sind, wegzuziehen. Der Großraum Detroit hat eine massenhafte Abwanderung junger, talentierter und ehrgeiziger Leute erlebt. Viele, die bleiben, haben entweder nicht die nötigen Qualifikationen und Mittel, wegzuziehen, oder sind durch Häuser gebunden, deren Wert so weit gesunken ist, dass ein Verkauf vollkommen unrealistisch ist. »Wie soll man fortziehen, wenn man sein Haus nicht mehr verkaufen kann«, fragte Robin Boyle, Professor für Stadtplanung an der Wayne State University, und beantwortete seine Frage selbst: »Manche schalten einfach das Licht aus und gehen – die Immobilienpreise sind so weit gefallen, dass wegzugehen keine so schwierige Entscheidung mehr ist.«12 So schwer vorstellbar es auch sein mag, geht es anderen Städten im sogenannten Rustbelt der USA noch schlechter als der Autostadt Detroit: Am schwersten hat es die kleineren, zweit- und dritt-
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rangigen Kommunen dieses Industriegürtels getroffen. Die Arbeitslosenquote im Großraum Detroit war keineswegs die höchste in den Regionen Michigans; noch höher war sie in den kleineren Städten Flint und Monroe. Das Gleiche gilt für Ohio, wo die Arbeitslosigkeit in Akron, Canton, Toledo, Youngstown und Mansfield höher war als in Cleveland. Und die unbekannte Arbeiterstadt Elkhart in Indiana hatte mit 17,8 Prozent die höchste Arbeitslosenquote der gesamten Vereinigten Staaten.13 Detroit und ähnliche Orte haben einen Wendepunkt erreicht. In den nächsten Jahren werden sie meiner Erwartung nach sicher schneller schrumpfen als in den vergangenen Jahren. Aber viele werden bleiben: Menschen mit engen familiären Bindungen an die Region; junge Akademiker und Kreative, die die alten Industriegebäude und billigen Immobilien der Stadt zu nutzen versuchen; Hausbesitzer, deren Hypothekenkredit den Wert ihres Hauses übersteigt, und alle, deren spärliche Mittel ihnen einen Umzug unmöglich machen. Aber in dem Maße, wie die Einwohnerzahlen weiter sinken, wird sich das Ringen nur noch verschärfen, in einer immer menschenleereren Landschaft Dienstleistungen anzubieten und die Verwahrlosung zu verhindern. Vor dieses Problem sehen sich viele Städte des Rustbelts gestellt: Wie sollen sie mit solcher wirtschaftlichen Härte umgehen, ohne zusammenzubrechen. Das zeitgleiche Schrumpfen der örtlichen Dienstleistungsunternehmen wie Marketingfirmen, Werbeagenturen, Unternehmensberater und Anwaltskanzleien, die unmittelbar von der Fertigungsindustrie abhängig sind, macht diese Aufgabe umso schwieriger. Aber nicht jede Industriestadt befindet sich im unaufhaltsamen Niedergang. Man braucht sich nur einmal das Ergebnis aus der USSenatsabstimmung zum Rettungsplan für die Autoindustrie vom Dezember 2008 anzuschauen: Vor allem manchen Orten im Süden der Vereinigten Staaten würde ein Bankrott von General Motors oder Chrysler nützen. Marysville, Georgetown, Smyrna, Montgomery oder Canton sind nur einige der zahlreichen Kleinstädte von South Carolina und Georgia über Texas bis nach Indiana und Ohio, die im Laufe der Jahre von der Ansiedlung ausländischer Autowerke profitiert haben.14 Sie werden in den kommenden Jahren und Jahr-
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zehnten noch weiter profitieren, wenn amerikanische Autobauer ihre Produktion rationalisieren und konsolidieren. Aber es wird nach der Krise in den Vereinigten Staaten sicher weitaus weniger Arbeitsplätze im Produktionsbereich geben. Angesichts des globalen Wettbewerbs wird die Produktionslandschaft sich zudem noch ungleichmäßiger entwickeln, da viele ältere Industriezentren weiter schrumpfen werden – und allzu viele in einem verheerenden Ausmaß. Zahlreiche ältere Industriestädte versuchen, sich auf unterschiedliche Weise und mit wechselndem Erfolg neu zu erfinden. So bemüht sich Pittsburgh erfolgreicher als die meisten anderen Städte, sich als Hightech-Zentrum zu etablieren.15 Da ich 17 Jahre dort gewohnt und an der Carnegie Mellon University gelehrt habe, kenne ich die Stadt gut. Pittsburghs Renaissance, die von viel Wirbel begleitet war, wurde unzählige Male als Vorbild für Detroit ausgerufen – ein Vergleich, der vielleicht noch angefacht wurde durch den Sieg der Pittsburgh Steelers im Endspiel um die Super Bowl XL der AmericanFootball-Liga 2005, das in Detroit stattfand, und vom spannenden Endspiel 2009 zwischen den Pittsburgh Pinguins und den Detroit Red Wings um den Stanley Cup der Eishockey-Liga. Howard Fineman, der aus Pittsburgh stammende Journalist des Nachrichtenmagazins Newsweek, zieht Pittsburgh gern als Vorbild für den Strukturwandel älterer Industriestädte und sogar für Kommunalpolitik in der Obama-Ära heran.16 Im Frühjahr 2009 schrieb er: »Bevor Präsident Obama zu einer Reise in den Nahen Osten und nach Europa aufbrach, kümmerte er sich um eine weitere Angelegenheit der internationalen Diplomatie: Er gab die Stadt bekannt, in der die Vereinigten Staaten im September als Gastgeber den nächsten G-20-Gipfel abhalten werden. Seine Wahl löste bei Reportern und Diplomaten gleichermaßen Verwunderung und Gelächter aus.« Fineman fuhr fort: »Pittsburgh? Im Ernst? Als stolzer Sohn der Stadt verstehe und begrüße ich die Entscheidung des Präsidenten. Pittsburgh hat eine spannende, beeindruckende Geschichte. Der ehemals rostende, Stahl produzierende Koloss kämpfte sich mit Mühen und Kreativität empor zu einem erstaunlich lebendigen Vorreiter des 21. Jahrhunderts auf den Gebieten Bildung, Computer-
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technik, medizinische Forschung, Sport und Einzelfertigung. Nach den meisten Messwerten – etwa Arbeitslosigkeit und Zwangsversteigerungen, um nur zwei zu nennen – wirkt Pittsburgh wie eine Insel der Ruhe in der wütenden Rezession.« Fineman ist zu Recht stolz auf die Leistungen seiner Heimatstadt. Während Detroit nach dem Brookings MetroMonitor als US-Region mit der schlechtesten Wirtschaftsleistung rangierte, gehörte Pittsburgh im Frühjahr 2009, also mitten in der Wirtschaftskrise, zu den zwanzig stärksten Metropolregionen. Zwischen Pittsburgh und Detroit bestehen offenkundige Parallelen. Beide tragen am Vermächtnis von Industriestädten, die ihre Kernindustrie verloren haben – Automobilherstellung in Detroit, Stahlindustrie in Pittsburgh. Beide gehörten zu den größten Städten der USA. Detroit war 1940 die viertgrößte Stadt, Pittsburgh die zehntgrößte Stadt der Vereinigten Staaten. Aber in mancherlei Hinsicht bestehen zwischen Pittsburgh und Detroit erhebliche Unterschiede. Fineman schrieb: »Ich bin skeptisch, was den nächsten Schritt in den Überlegungen des Weißen Hauses angeht. Pittsburghs Erfolg, erklären Regierungsvertreter, gebe Anlass zur Hoffnung, dass Obamas Wirtschaftspolitik für Detroit und andere bedrängte Städte und Industriezweige funktionieren werde. Nein, keineswegs. Einfach ausgedrückt funktioniert das, was in Pittsburgh ging, nicht in der Autoindustrie, und was der Präsident für Detroit tun will, ist nicht das, was in meiner alten Heimatstadt funktioniert hat. Bei Pittsburghs Wiedergeburt ging es um Mumm, Opferbereitschaft und Einsatz von Einheimischen – nicht um groß angelegte Pläne und Macht von Bundesbürokraten.« Das ist ein wichtiger Punkt. Pittsburgh erlangte früher industrielle Bedeutung als Detroit. Es war eine Stadt des ersten Resets. Ihre Kernbranche war zwar die Stahlindustrie, aber sie besaß mit Westinghouse, Pittsburgh Plate Glass, Alcoa, Heinz und anderen starken Unternehmen eine vielfältigere wirtschaftliche Basis als Detroit. Zudem wurde das Mellon-Bankenimperium in Pittsburgh gegründet und stellte das nötige Risikokapital bereit, um Technologie in die Stadt zu holen. Außerdem gibt es in der Stadt die University of Pittsburgh mit ihrem großen medizinischen Komplex und die Carnegie Mellon University, eine führende Forschungsuniversität auf dem Gebiet der Informatik.
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Pittsburghs Einwohnerzahl ist von ihrem Höchststand von annähernd 700 000 um die Mitte des 20. Jahrhunderts zwar auf derzeit 300 000 gesunken, aber die Innenstadt ist intakt geblieben. Sie ist nach wie vor ein regionales Handels- und Geschäftszentrum. In Pittsburghs Innenstadt arbeiten mehr Menschen als in der City von Detroit – 298 429 gegenüber 241 627 –, obwohl Detroit dreimal so viele Einwohner hat. In der Region Pittsburgh machte sich der Niedergang am schlimmsten in den älteren Industrievororten an den Flüssen außerhalb der Stadtgrenzen bemerkbar. In zahlreichen gehobenen und mittleren Wohnvierteln leben Freiberufler, Akademiker, jüngere Leute, Künstler und Kreative. In der Stadt gibt es mehrere hervorragende städtische Schulen. Fineman führt dieses urbane Wunder auf lokale Förderung und Bildung zurück: Als die Fabriken in den 1970er und 1980er Jahren schlossen, machten viele Einwohner Pittsburghs Ausbildungen und Hochschulabschlüsse. Das war nicht etwa eine Aktion der Bundesregierung oder eine von oben nach unten initiierte Lösung, wie Fineman erklärt, sondern eine Bewegung von unten, die mit Mitteln des Bundesstaates und der Kommune sowie mit Privatgeldern finanziert wurde. Heute glüht der Himmel über Pittsburgh nicht mehr rot von den Stahlwerken. Es ist eine Universitätsstadt geworden, die bezogen auf die Zahl der ständigen Einwohner den höchsten Studentenanteil der USA aufweist. Ich kenne Detroit nahezu ebenso gut wie Pittsburgh, da die Familie meiner Frau dorther stammt und ich viel Zeit dort verbracht habe. Die Ursachen für den verheerenden Niedergang der Stadt mögen im Versagen der US-amerikanischen Autoindustrie im globalen Wettbewerb begründet liegen, aber die weiträumige, stark zergliederte Wirtschaftslandschaft der Stadt ermöglichte, dass sich das ungeheure Elend im nahezu vollständig ausgehöhlten Stadtkern konzentrierte. Pittsburgh wurde buchstäblich vom ersten Reset geformt und besitzt eine relativ kompakte Geografie. Der Stadtkern ist recht funktionell, und es gibt zahlreiche stabile Stadtviertel, in denen Arbeiter, Angehörige der Mittelschicht und Wohlhabende leben. Detroit ist eine Stadt und eine Region des zweiten Resets und wuchs entlang von mehrspurigen Straßen und Fernstraßen, die strahlenförmig vom Zentrum ausgehen. Gegen Ende der 1960er und in den
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1970er Jahren gab es eine massenhafte Abwanderung weißer Einwohner aus der Stadt und der Region, die nahezu verwaist zurückblieb. Große Teile der Stadt sind ausgebrannt. Die Armut ist stark konzentriert. Die Landschaft hat etwas Postapokalyptisches – mit einem kleinen Areal gesicherter »Renaissance«-Hochhäuser, Casinos und Stadien, die von Brachflächen und ausgebrannten Häusern umgeben sind. Nicht nur Mittelschicht- und Einwandererfamilien ziehen auf der Suche nach geringerer Kriminalität und besseren Schulen in die Vororte. Detroit hat auch viele junge Freiberufler und Akademiker, seine Lesben und Schwulen und seine Kreativen an ältere Vororte wie Ferndale und Royal Oak verloren. Ist Detroit also überhaupt noch etwas geblieben, womit sich arbeiten ließe? Selbstverständlich. Die Metropolregion ist mit 4,2 Millionen Einwohnern die elftgrößte der USA. Sie besitzt einen Weltklasseflughafen in logistisch günstiger Lage. Zwei ihrer größeren Universitäten – die University of Michigan und die University of Michigan State – liegen zwar außerhalb der Stadt, bilden aber zusammen mit anderen Hochschulen am Ort ein Forschungszentrum, das Pittsburgh an Bedeutung sogar noch übertrifft. Im Großraum Detroit ist auch das weltweit renommierte Bildungszentrum Cranbrook für Architektur, Kunst und Design angesiedelt. Zudem hat die Region Vororte wie Birmingham in Oakland County, deren Humankapital und Bildungsgrad dem von Bethesda in Maryland, den Vororten Washingtons im nördlichen Virginia und sogar von Washington, D. C., entspricht. Detroit hat eine lange Einwanderergeschichte, einen hohen arabischen Bevölkerungsanteil und eine zwar schrumpfende, aber weiterhin funktionierende Industrie. Im Großraum Detroit sind einige der fortschrittlichsten Einrichtungen im Technik- und Designbereich angesiedelt, die nicht nur gute Beziehungen zu den drei großen Automobilunternehmen der USA, sondern auch zu den meisten großen Autoherstellern der Welt unterhalten. Als FIAT im Sommer 2009 Chrysler kaufte, kamen neue ausländische, in diesem Fall italienische und andere europäische Talente in die Region. Detroit besitzt eine beträchtliche kreative Ader. Die Stadt, aus der die Plattenfirma Motown und Musiker und Bands wie Mitch Ryder, Iggy Pop, Bob Seeger und White Stripes hervorgegangen sind, hat auch
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heute noch eine der lebendigsten Musikszenen von Rock über elektronische Musik bis Hip-Hop. Manche musikalischen Größen haben die Region zwar verlassen, aber viele wie Kid Rock und Eminem sind geblieben, und Detroit ist nach wie vor eine innovative Brutstätte neuer Musiktrends. Es besitzt eine größere Vielfalt und nach meiner Einschätzung einen höheren »Coolness-Faktor« als viele andere Orte. Und die Innenstadt wird, wenn auch nur allmählich, wiederbelebt. Jenseits der neuen Stadien und Casinos findet eine organischere Stadtsanierung von unten statt. In der Umgebung der Wayne State University und der Kultureinrichtungen erwacht ein ausgewiesener »Kreativbezirk« mit Cafés, Kunstgalerien, Restaurants und sogar einem Bed-and-Breakfast zu neuem Leben. Junge Technikfirmen, Architektur- und Designbüros bauen alte Fabrikhallen und Lagerhäuser in Büroflächen um. Neue Generationen junger Freiberufler und sogar einige junge Familien ziehen in wiederbelebte Innenstadtviertel wie den berühmten Lafayette Park. Dieses 30 Hektar große Areal mit einer faszinierenden Mischung aus Grünflächen, modernen Hochhäusern und Stadthäusern wurde von einem der ersten »Stararchitekten« entworfen: von Mies van der Rohe. In der ganzen Stadt werden einstige Brachflächen in lebendige Nutzflächen verwandelt. Ein Autor behauptete sogar, die Stadt entwickele sich zu einem veritablen Laboratorium für innovative Ansätze der urbanen Revitalisierung.17 Wie lange wird es also dauern, bis Detroit oder andere schwer angeschlagene Städte im Rustbelt wieder auf die Beine kommen? Auf diese schwierige Frage gibt es keine einfachen Antworten. Manche Städte sind recht widerstandsfähig: Orte wie New York und London sind anscheinend in der Lage, sich endlos neu zu erfinden. Andere scheitern, kommen nie wieder in Schwung und werden im Grunde Geisterstädte. Detroit wird mehr brauchen als diese wenigen Hoffnungsschimmer, um das Verschwinden seines industriellen Erbes zu überwinden. Es wird wohl eine, vermutlich aber eher zwei Generationen dauern, bis Detroit sich von dieser Wirtschaftskrise erholt. So lange brauchte Boston, um sich von der Produktionskrise der 1970er Jahre zu erholen, und Pittsburgh, um seine Renaissance zu vollziehen. Eines steht fest: Das Detroit – oder Cleveland, Buffalo oder Scranton –, das aus diesem Chaos hervorgeht, wird wenig Ähnlichkeit mit der früheren Stadt haben.
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Im Großraum Boston begannen die Bemühungen um einen Wirtschaftswandel bereits in den 1940er Jahren nach dem Niedergang der dortigen Textil- und Schuhindustrie. Sie fingen mit der Gründung des frühen Risikokapitalfonds American Research and Development an, der in die Digital Equipment Corporation investierte. Als ich in den 1980er Jahren dort studierte, war der Campus des Massachusetts Institute of Technology (MIT) noch von verfallenen Fabrikgebäuden umgeben. Heute befindet sich dort ein Komplex mit Hightech-Laboratorien. In Pittsburgh zahlen sich gegenwärtig Maßnahmen zur Wiederbelebung der Stadt aus, die in den 1970er Jahren auf den Weg gebracht wurden. John Craig, der ehemalige Redakteur der Pittsburgh Post-Gazette, schreibt in der Washington Post: »Wenn ich darüber nachdenke, welche Lehren der dreißig Jahre währende Wirtschaftswandel der Stahlstadt für Detroit als Stadt beinhalten könnte, die ebenfalls auf einer von der Konkurrenz geschlagenen und vom Bankrott bedrohten Industrie aufgebaut ist, muss ich sagen: Die erste und härteste Lektion für die Autostadt ist, dass ein grundlegender Wandel wesentlich länger dauern wird, als man sich vorstellen kann.« Er fügt hinzu: »Ihr werdet es überleben. Aber man kann die Vergangenheit nicht ›überwinden‹, man kann sie nur hinter sich lassen.«18 Einen ähnlichen Rat gibt Fineman und erklärt, dass Pittsburgh zwei Jahrzehnte gelitten habe: »Die Steelers und andere heimische Sportmannschaften salbten die Wunden, aber der Schmerz war äußerst real.« Daraus sollte man seiner Ansicht nach die Lehre ziehen, sich aufzuraffen und an die Arbeit zu machen, aber nicht vom Staat oder sonst jemandem zu erwarten, dass er die Stadt retten oder die Industrien zurückbringen werde. »Die Lehre ist, dass die alte Welt unweigerlich verschwinden wird und es bei einem selbst und niemandem sonst liegt, eine neue zu schaffen.« Eine Reaktion auf die Probleme rostzerfressener Industriestädte wie Detroit besteht in einem neuen Stadtplanungsansatz, der sich »schrumpfende Städte« nennt.19 Diese Idee fand, vielleicht von Pittsburgh inspiriert, Anklang in kleineren Städten des amerikanischen Mittleren Westens wie Youngstown, Ohio, und Flint, Michigan, sowie in entsprechenden europäischen Städten. Die Grundidee
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ist, dass ältere Industriestädte nicht wachsen müssen, um sich zu verbessern. Das können sie auch erreichen, indem sie mit weniger auskommen, sich auf Verbesserungen der Lebensqualität ihrer Einwohner konzentrieren und ihre Infrastruktur und Wohnungssituation an die kleinere Bevölkerung anpassen. Im Juni 2009 erschien in der britischen Tageszeitung Telegraph ein Artikel mit der erschreckenden Überschrift: »U.S. Cities May Have to Be Bulldozed to Survive« (»Vielleicht müssen US-Städte abgerissen werden, um zu überleben«).20 Die Vorstellung, dass ein Schrumpfungsprozess für manche Orte besser wäre, kursiert bereits geraume Zeit. Bereits in den 1970er Jahren schlug der damalige Leiter des New Yorker Wohnungsamtes, Roger Starr, eine »geplante Schrumpfung« vor. Auch der inzwischen verstorbene US-Senator Daniel P. Moynihan hatte die Überlegung angeregt, sanfte Vernachlässigung könne Teil der Kommunalpolitik sein. Eigentlich wollte Moynihan die Aufmerksamkeit auf sterbende Städte lenken, für die er sich während seiner gesamten Karriere einsetzte, aber letztlich wurde der Begriff »sanfte Vernachlässigung« zum Inbegriff für die Einstellung, mit der die Regierung Nixon urbanen Zentren Amerikas begegnete: hoffnungslose Stadtviertel verfallen zu lassen und die verbleibenden gesünderen Viertel zu unterstützen.21 Die heutigen Verfechter einer Politik schrumpfender Städte sind wesentlich sensibler für die Probleme, mit denen sich ältere Industriestädte konfrontiert sehen. Ihnen ist klar, wie Globalisierung und Marktkräfte auf manche älteren Kommunen wirken. Daher vertreten sie vernünftigerweise die Ansicht, solchen Orten sei besser gedient, wenn sie den Wirtschaftswandel und die Strukturanpassung aktiv vorantreiben und Strategien entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Lebensqualität zu verbessern und sich auf die neuen wirtschaftlichen und fiskalischen Realitäten einzustellen. Die erfolgreichsten Beispiele für einen solchen Schrumpfungsprozess sind (wie in Pittsburgh) nicht das Ergebnis einer von oben verordneten Kommunalpolitik, sondern natürlich gewachsener kommunaler Bemühungen von unten. Pittsburghs Kommunalpolitiker und führende Geschäftsleute drängten zwar auf große staatliche Lösungen – neue Stadien und Tagungszentren –, aber die
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eigentliche Wende der Stadt ging von örtlichen Vereinen und Bürgerinitiativen aus. Vereine, Stiftungen und gemeinnützige Einrichtungen – nicht Wirtschaftsentwicklungsgruppen unter Führung der Kommunalpolitiker oder Geschäftsleute – trieben den Wandel voran, spielten eine Schlüsselrolle für die Stabilisierung und Stärkung von Stadtvierteln, bauten ökologisch und sorgten für die Sanierung der Uferbereiche und des Umfelds der Universitäten. Viele der schönsten Viertel Pittsburghs wie die South Side gehören zu den Arealen, die irgendwie von der Sanierungswut verschont geblieben sind. Andere wie East Liberty profitierten von Bürgerinitiativen, die sich dafür einsetzten, den Schaden zu beheben, den groß angelegte Sanierungsprojekte angerichtet hatten. Statt funktionierender Stadtviertel hatten sie nämlich Brachflächen und seelenlose Hochhäuser mit Sozialwohnungen hinterlassen. Heute gibt es in diesem Viertel mehrere neue Community-Development-Projekte, unter anderem eine Filiale der Biosupermarktkette Whole Foods Market, die Arbeitsplätze schafft und einen Ankerpunkt der Gemeinde bildet. Ein solcher Prozess, der von unten nach oben wirkt, erfordert viel Zeit und Ausdauer. In Pittsburgh brauchte es nahezu eine Generation, um Stabilität und das Potenzial für eine langfristige Wiederbelebung zu schaffen. Es ist eine traurige, aber unausweichliche Tatsache, dass überall in den Vereinigten Staaten und anderen fortgeschrittenen Ländern Städte, deren Regionalwirtschaft auf Fertigungsindustrien basiert, mit wenigen Ausnahmen auf Probleme zusteuern. In meinen eingehenden statistischen Untersuchungen zu Hunderten Städten und Regionen stellte ich fest, dass in Regionen mit einer hohen Konzentration von Arbeitern Wirtschaftsleistung, Einkommensniveau, Innovationen und Zufriedenheit geringer sind. In weiteren Studien verglichen wir die 50 US-Bundesstaaten und eine Stichprobe von über hundert Ländern weltweit und kamen zu den gleichen Ergebnissen.22 Darüber sollte man einen Moment nachdenken. Sowohl in den Ländern der Stichprobe als auch in den US-Bundesstaaten sind die Menschen weniger zufrieden, die in Orten mit einem hohen Arbeiteranteil leben. Offenbar sind sie sogar ausgesprochen unzufrieden. Vielleicht hatte Karl Marx doch Recht, was die Entfremdung
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durch Fabrikarbeit angeht oder, im Hinblick auf unsere Diskussion, die Unzufriedenheit in Arbeiterstädten. Nun stellt sich die große Frage: Wie begegnet die Politik den Problemen der wirtschaftlich notleidenden Städte? Sollte sich die Politik auf die Menschen konzentrieren und sie neben Umschulung und Fortbildung auch zum Umzug in Orte mit einem günstigeren Arbeitsmarkt ermuntern? Oder sollte die Politik sich auf die Orte konzentrieren und geografisch gezielte Investitionen fördern? Für viele Stadtökonomen ist die Antwort einfach: An erster Stelle sollten die Menschen stehen. Edward Glaeser schreibt: »Regionale Vielfalt innerhalb der Vereinigten Staaten mag Politiker zu Maßnahmen veranlassen, die Hilfe für notleidende Regionen zum Ziel haben, aber das dürfte wahrscheinlich kontraproduktiv sein. Amerika hat regionale wirtschaftliche Unterschiede schon immer durch Migration gehandhabt … Auch die aktuelle Rezession wird zu Mobilität führen, die sich vermutlich auf Städte mit höherem Bildungsniveau und geringerer historischer Produktionsbindung richtet.«23 Nach meiner Ansicht ist es durchaus sinnvoll, Menschen an die erste Stelle zu setzen. Letzten Endes sollte unsere größte Sorge den Menschen und nicht Industriezweigen oder Orten gelten. Clyde Prestowitz, Präsident des Economic Strategy Institute, sagte treffend: »Die Not dieser Menschen ist in gewisser Weise auch unsere Not.«24 Jenen, die am härtesten von der Krise betroffen sind, lässt sich am besten helfen, indem man ein großzügiges soziales Netz schafft, in ihre Bildung und Ausbildung investiert und sie ermuntert, wenn nötig aus sterbenden Städten fortzugehen in Regionen, die bessere Chancen bieten. Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es für alle besser, den Menschen zu helfen. Sie brauchen Bildung und Qualifikationen, um aus alten Industriezweigen in neue Arbeitsplätze zu wechseln. Und da diese Arbeitsplätze sich oft an anderen Orten befinden, müssen sie in der Lage sein, dorthin zu gehen, wo die Arbeit ist. Dieser Imperativ gilt vor allem für Angehörige benachteiligter Gruppen in niedergehenden Gebieten, die auf neue wirtschaftliche Realitäten vorbereitet werden müssen. In manchen Zeiten ist es schlicht besser, wenn Familien dorthin gehen, wo die Arbeitsplätze sind, als abzuwarten, bis langfristige Bemühungen um den Wiederaufbau niedergehender Industrien greifen.25
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Das heißt keineswegs, dass man manche Orte ganz aufgeben sollte. Es gibt sinnvolle Hilfen für Städte und Regionen im Niedergang, die eine Wende oder zumindest eine Stabilisierung erreichen möchten. Als Erstes müssen ihre gewählten politischen Vertreter aufhören, mit großen Sanierungsprojekten zu liebäugeln. Wenn wir von den vergangenen ein bis zwei Generationen etwas gelernt haben, dann ist es, dass von oben angeordnete öffentliche Großprojekte zur Wiederbelebung von Kommunen nicht funktionieren und oft mehr schaden als nützen. Staatliche Rettungspläne für alte Industriezweige laufen häufig ebenfalls auf eine schlechte Verwendung begrenzter Mittel hinaus, weil sie das Unvermeidliche nur hinauszögern und wenig dazu beitragen, die Zukunftsaussichten älterer Industrieregionen zu fördern. Was ist also zu tun? Statt Millionen auszugeben, um Fabriken zu retten oder anzulocken, oder Hunderte Millionen – und in einigen Fällen sogar Milliarden – für den Bau von Stadien, Tagungszentren und Hotels aufzuwenden, sollte man das Geld in lokale Aktivposten investieren, die Gründung und Entwicklung ortsansässiger Unternehmen fördern, Einheimische beschäftigen, ihre Fähigkeiten nutzen und die Standortbedingungen verbessern. Ein führender Wirtschaftsentwickler, der über umfangreiche Erfahrungen in der wirtschaftlichen Revitalisierung in den Vereinigten Staaten, Kanada und Europa verfügt, erklärte zur Verlagerung der Wirtschaftsförderung auf ältere Industrieregionen: »Urbane Revitalisierung, die auf Anreizen für sogenannte Großprojekte basiert, hat in den fortgeschrittenen Ländern keinen Platz mehr. Wenn Wirtschaftsentwickler das heute machen wollen, sollten sie nach China gehen. Da sind oder werden sämtliche großen Unternehmensprojekte angesiedelt. Die Wiederbelebung alter Städte in Nordamerika und Europa hängt zunehmend davon ab, viele kleinere Initiativen, Gruppen und Projekte unterstützen zu können.« Nach seinen Schilderungen haben sich Maßnahmen, über die er und seine Kollegen noch vor ein bis zwei Jahrzehnten die Nase gerümpft hätten, zum Kernbereich der Wirtschaftsförderung gemausert: Bestrebungen wie lokale Cluster (eine Ansammlung einzelner Branchen) aufzubauen und zu unterstützen, die Kunst- und Kulturbranche zu entwickeln, örtliches Unternehmertum, lokale Festivals und Tourismus zu fördern, Men-
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schen anzulocken und zu halten. Scheinbar kleine Initiativen und Bemühungen können sich auf eine Weise addieren und ergänzen, dass reale Vorteile für Kommunen entstehen. Als Fürsprecher des altbewährten Urbanismus unterstützten Jane Jacobs und andere solche Initiativen. Wie ich in Kapitel 21 zeigen werde, besteht eine der wirkungsvollsten Maßnahmen, mit denen die US-Regierung die Wiederbelebung älterer Städte und Regionen des Rustbelts unterstützen könnte, im Bau eines Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes, das sie untereinander besser verbinden und eine Anbindung an blühendere Wirtschaftszentren schaffen würde. Durch ein solches Netz würde die Entfernung zwischen ihnen schrumpfen und eine wirtschaftliche Größenordnung geschaffen, die für eine höhere Wettbewerbsfähigkeit notwendig ist. Auch über ihre räumliche Umgestaltung hinaus können Städte beherzte Maßnahmen ergreifen. Ein hervorragendes Beispiel bietet die Initiative »Graduate! Philadelphia!« in der Stadt der brüderlichen Liebe. Seit Jahren weise ich darauf hin, dass Städte mit einem höheren Anteil an Hochschulabsolventen eine bessere Ausgangsposition haben, um langfristigen Wohlstand zu erreichen. Die Stadt Philadelphia erkannte das ebenfalls und wusste, dass sie in Bezug auf den Bildungsgrad ihrer Einwohner schlecht abschnitt. Den führenden Vertretern der Stadt war klar, dass ein hoher Prozentsatz der Einwohner zwar keinen Hochschulabschluss besaß, aber im Laufe des Lebens manche Verdienste erworben hatte. Stadtverwaltung, Stiftungen und andere private Einrichtungen gingen eine Partnerschaft ein, um jeden Einwohner Philadelphias zu fördern, der wieder die Schulbank drücken und einen Abschluss machen wollte. Eine ganze Reihe Colleges und Universitäten der Umgebung beteiligten sich an dem Projekt. Ein verwandtes Projekt, Campus Philly, bemühte sich, die Stadt und die Region für Studenten attraktiver zu machen und junge Hochschulabsolventen zu halten beziehungsweise anzulocken. Außerdem entwickelten die größeren Hochschulen der Stadt, vor allem die University of Pennsylvania, neue, stärker auf Kooperation ausgerichtete Ansätze, die Stadtviertel in ihrer Umgebung wiederzubeleben. Sie investierten in örtliche Schulen, unterstützten die Sanierung von Wohnungen und Ladengeschäften und öffneten ihre medizinischen Einrichtungen außer für Studen-
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ten und Mitarbeiter auch für Anwohner. Philadelphia schaut in die Zukunft und entwickelt eine Strategie, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, indem es mehr Einwohner für den Erfolg in der postindustriellen wissensgestützten Wirtschaft des gegenwärtigen Resets rüstet. Offenbar zahlt es sich aus. Während ältere Industriestädte im Rustbelt und ausgeuferte Städte im Sunbelt 2009 durch sinkende Einwohnerzahlen buchstäblich ausbluteten, erlebte Philadelphia ein Bevölkerungswachstum. Wie bei so vielen Dingen im Leben können Kleinigkeiten für die Menschen, die in Städten leben, tatsächlich einen erheblichen Unterschied ausmachen. Das klingt, als sei es leicht dahingesagt, stützt sich aber auf umfangreiche Forschungen. Die Lebensqualität am Wohnort ist eine Schlüsselkomponente der Zufriedenheit, wie Umfragen der Gallup Organization unter Zehntausenden Befragten ergaben. Drei wesentliche Merkmale sorgen für Zufriedenheit der Einwohner mit ihrer Gemeinde und lassen sie eine solide emotionale Bindung an ihren Wohnort entwickeln. Das Erste ist das ansprechende und gepflegte Äußere ihres Wohnortes – große Freiflächen und Parks, historische Gebäude und Rücksicht auf das ästhetische Erscheinungsbild. Das Zweite ist die Leichtigkeit, mit der Menschen Kontakte knüpfen, Freundschaften schließen und Anschluss an soziale Netzwerke finden können. Das dritte Puzzleteil der Zufriedenheit ist das Maß an Vielfalt, Aufgeschlossenheit und Akzeptanz: Besteht Chancengleichheit für alle? Kann jeder einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten und sich daran erfreuen?26 In meiner eigenen Arbeit über Städte in den Vereinigten Staaten, Kanada und anderen Ländern der Welt bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass keiner dieser Aspekte sich durch staatlich geförderte Megaprojekte realisieren lässt. Sie entstehen vielmehr ihrem Charakter nach organisch und erfordern echte Führungskraft und aktives Engagement der Bürger.
Kapitel 13
Nordlicht
Im Laufe meines Lebens habe ich eine Reihe von Städten gut kennen gelernt: Newark, Boston, Washington, Pittsburgh, Detroit. Mittlerweile habe ich eine neue Wahlheimat gefunden: Toronto, wo ich seit 2007 lebe. In einigen wesentlichen Aspekten ist Toronto eine klassische Stadt des Frostbelts, jenes Gebietes rund um die Großen Seen. Wie die nahe gelegenen US-amerikanischen Städte Buffalo, Cleveland und Detroit liegt Toronto an den Großen Seen. Die Stadt erlangte schon früh Bedeutung durch Handel und Industrie, insbesondere als Zentrum der Nahrungsmittelverarbeitung, die ihr den Spitznamen »Hogtown« (Schweinestadt) eintrug. Aber während andere Städte des Frostbelts seit Jahrzehnten einen Niedergang erleben, ist Toronto nicht nur stetig gewachsen, sondern hat auch die Wirtschaftskrise überstanden und ihren Wachstumskurs beibehalten. Torontos Widerstandskraft hat mehrere Gründe. Zum einen besitzt die Stadt mit 2,5 Millionen Einwohnern eine Größe, die ihr viele Möglichkeiten eröffnet. In den Vereinigten Staaten gibt es nur drei bevölkerungsreichere Städte: New York, Los Angeles und Chicago. Im Großraum Toronto (Greater Toronto Area, GTA) leben über 5,5 Millionen Menschen. Zudem ist Toronto das Zentrum einer Megaregion, die sich nach Westen annähernd bis Detroit, nach Osten bis an die kanadische Hauptstadt Ottawa und nach Montreal und nach Süden bis nach Buffalo und Rochester erstreckt. Diese Region hat 22 Millionen Einwohner und eine Wirtschaftsleistung von 530 Milliarden US-Dollar. Dank seiner Größe hat Toronto eine vielfältige Wirtschaftsstruktur, die weniger Ähnlichkeit mit der Detroits oder Chicagos hat, als vielmehr einer Mischung aus New York, Los Angeles und sogar San
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Francisco entspricht. Finanzen, Medien, Film- und Unterhaltungsindustrie sind hier stark konzentriert. Es gibt einen hohen Anteil an Biotechnik- und IT-Unternehmen, insbesondere in Waterloo, das in Pendlerdistanz südlich von Toronto liegt. Research in Motion (der BlackBerry-Hersteller) ist dort angesiedelt sowie zahlreiche weitere Hightech-Unternehmen. Auf einer Liste der wirtschaftsstärksten Städte der Welt, die Forbes kürzlich veröffentlichte, rangierte Toronto auf dem zehnten Platz, und in einem anderen Bericht über urbane Wettbewerbsfähigkeit auf dem elften Platz.1 Toronto profitiert zudem von einem stetigen Einwandererstrom, der seine Bevölkerung zu einer der vielfältigsten unter allen Städten der Welt macht. Da annähernd die Hälfte (46 Prozent) der Einwohner Torontos außerhalb Kanadas geboren wurde, ist die Bevölkerung ethnisch so gemischt wie in kaum einer anderen Stadt der Welt. Der Anteil der im Ausland geborenen Einwohner mag zwar in Miami noch etwas höher sein, aber dort stammt die überwiegende Mehrheit aus Lateinamerika und der Karibik, nicht aus einem so breiten, globalen Länderspektrum wie in Toronto. Weder Miami noch Los Angeles oder New York können mit Torontos kosmopolitischer Vielfalt mithalten. Aber im Gegensatz selbst zu den besten Städten der USA wohnen in Torontos Innenstadt neben Arbeiter- und Einwandererfamilien auch unzählige Mittelschichtfamilien, die demografisch mit den Einwohnern beispielsweise von Bethesda, Maryland, vergleichbar sind. Die Stadt ist ein funktionierendes Modell einer »urbanen Familiengegend«, die in krassem Gegensatz zu amerikanischen Städten steht. Denn dort wohnen überwiegend Singles, kinderlose Paare, Ehepaare, deren Kinder bereits aus dem Haus sind, Schwule und Lesben. Diese Vielfalt spiegelt die Attraktivität der Region für Spitzentalente der ganzen Welt wider, die einen starken Ansporn für Innovationen und Wachstum darstellt. Toronto bietet eine hohe Lebensqualität und rangiert durchweg ganz oben auf den Ranglisten für die besten Wohnorte der Welt. Nach einem Bericht der Economist Intelligence Unit vom vergangenen Jahr stand Toronto an fünfter Stelle der wohnlichsten Städte der Welt. Die Zeitschrift Economist stellte fest, dass Toronto wohlhabend, gesund, gebildet und erheblich sicherer ist als alle Städte
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vergleichbarer Größe in den USA. Die Quote der Tötungsdelikte lag 2008 bei 1,9 auf 100 000 Einwohner. Demnach ist Toronto nicht einmal halb so lebensgefährlich wie Des Moines, Iowa, das immerhin zu den sichersten Städten der Vereinigten Staaten gehört.2 Der wirtschaftliche Erfolg der Stadt spiegelt sich in den Immobilienpreisen wider, die sich eher auf dem Niveau von Boston und Washington, D. C., als auf dem von Cleveland, Pittsburgh oder Detroit bewegen. Auf dem Höhepunkt der gegenwärtigen Krise erlebten sie zwar einen leichten Einbruch, erholten sich aber sehr schnell. Von September 2008 bis September 2009, als der Immobilienmarkt in praktisch allen U.S.-Städten immer noch am Boden lag, stiegen die Häuserpreise in Toronto um 10 Prozent und die Verkäufe um 28 Prozent.3 An einem kühlen Wochenende im Oktober 2009 bemerkte ich an einem Haus in meiner Straße ein Verkaufsschild. Bereits am folgenden Dienstag stand »Verkauft« daran. In derselben Woche berichtete die New York Times, dass in Torontos Finanzviertel ein beispielloser »Bauboom« herrsche.4 In einer Zeit, in der US-amerikanische Städte von Bauruinen durchsetzt waren, erlebte Torontos Innenstadt einen »ungewöhnlichen Ausbruch von Bautätigkeit«, wie die New York Times es nannte: Unter anderem entstanden drei neue energieeffiziente »grüne« Bürohochhäuser und drei Hochhäuser mit Hotels und Eigentumswohnungen im Gesamtwert von einer Milliarde US-Dollar. »Torontos Grundlagen der Immobilieninvestitionen und seine Stellung als Finanzhauptstadt Kanadas sind solider als in den meisten internationalen Hauptstädten, New York eingeschlossen«, erklärte Blake Hutcheson, Partner und Leiter der weltweiten Immobilieninvestitionen der New Yorker Firma Mount Kellett Capital, gegenüber der New York Times. Einer der Gründe dafür ist, dass es Toronto und ganz Kanada gelungen ist, die gigantische Immobilienblase und finanzielle Verantwortungslosigkeit zu verhindern, die in den Vereinigten Staaten grassierten. Nachdem der Publizist Fareed Zakaria in Toronto an einer Wirtschaftstagung mit jungen Akademikern und Führungskräften aus der Finanzbranche teilgenommen hatte, fragte er: »Raten Sie mal, welches Industrieland der Welt als Einziges keine einzige Bankenpleite, keine Forderungen nach Rettungsplänen oder staatlichen Eingriffen in den Finanz- und Hypothekensektor erlebt
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hat? Genau, Kanada.«5 Wie Zakaria anführt, stufte das Weltwirtschaftsforum das kanadische Bankensystem 2008 als das stabilste der Welt ein, während das der Vereinigten Staaten an 40. Stelle rangierte. Eine strengere staatliche Regulierung (unter anderem durch Gesetze, die verhindern, dass Käufer aus ihren überschuldeten Häusern ausziehen) und höhere Eigenkapitalanforderungen trugen dazu bei, dass kanadische Banken während der Krise profitabel blieben. Seit 2007 haben die größten Banken Kanadas 20 Milliarden US-Dollar an Abschreibungen und Kreditverlusten verbucht. Das ist ein Bruchteil der Verluste von 1,6 Billionen US-Dollar, die globale Finanzdienstleister laut Bloomberg in dieser Zeit gemacht haben. Daher mussten sie weniger Einsparungen vornehmen und konnten stärker wachsen. Die fünf größten Banken Kanadas haben seit Beginn der Krise ihre Belegschaft um 3 135 Beschäftigte oder 1,1 Prozent reduziert. Im selben Zeitraum strichen allein die Bank of America 46 150 Stellen, Citigroup 38 900 Stellen, und bei Lehman Brothers gingen 13 390 Arbeitsplätze verloren.6 »Kanada hat diese Finanzkrise mehr als überlebt. Das Land blüht in ihr eindeutig auf«, erklärt Zakaria und fügt hinzu, dass kanadische Banken über genügend Kapital verfügen und gut aufgestellt sind, um Chancen zu nutzen, die US-amerikanische und europäische Banken nicht ergreifen können. So stand die Toronto Dominion Bank unter den nordamerikanischen Banken 2008 noch an 15. Stelle und schaffte 2009 den Sprung auf den 5. Platz, und die Royal Bank of Canada stieg auf den 4. Platz auf. Nur J. P. Morgan Chase, Wells Fargo und die Bank of America waren größer. Frank McKenna, Deputy Chairman der Toronto Dominion Bank, räumt allerdings gelassen ein, dass dieser Aufstieg in der Rangliste weniger auf Maßnahmen seines Hauses zurückzuführen ist als auf das dramatische Schrumpfen der US-Banken. Nach dem Börsenwert rangiert die Toronto Dominion Bank weltweit auf Platz 17, die Bank of Nova Scotia auf Platz 24 und die Royal Bank auf Platz 13 und übertrifft gegenwärtig die traditionellen Giganten Barclays und Credit Suisse.7 Alle diese Entwicklungen waren gut für Toronto. Kanadische Finanzinstitutionen, die in Torontos Finanzviertel an der Bay Street angesiedelt sind, haben mehr globale Talente in die Stadt geholt und Spitzenkräfte aus New York und London angelockt. »Der globale
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Stellenwert der kanadischen Banken ist im Laufe des vergangenen Jahres exponentiell gestiegen«, erklärte ein Headhunter aus Toronto gegenüber Bloomberg News. »Sie wirken stärker und können Talente holen, die ihnen in der Vergangenheit nicht zur Verfügung standen.«8 Trotz alledem konnte Toronto natürlich nicht alle hartnäckigen Probleme umgehen, an denen die meisten schnell wachsenden Metropolregionen kranken. Nach einer bahnbrechenden Studie über die »drei Torontos«, die das Centre for Urban and Community Studies der University of Toronto durchgeführt hat, klafft die Einkommensschere stärker auseinander und die Bevölkerung teilt sich zunehmend nach Schichtzugehörigkeit und ethnischer Herkunft.9 Die Studie zeichnet ein schonungsloses Bild einer Stadt, die sich immer stärker in drei verschiedene Regionen gliedert: Zum einen reiches Zentrum, zweitens einen inneren Vorortgürtel, der zunehmend von Benachteiligung, Ausgrenzung und Armut geprägt ist, und schließlich die äußeren Vorstädte mit den Arbeiter- und Mittelschichtfamilien, deren Zahl immer weiter schwindet. Die wachsende wirtschaftliche Polarisierung wird laut dieser Studie von der ethnischen Zugehörigkeit überlagert. Trotz alledem herrscht in Toronto nicht annähernd so viel Spaltung und Ungleichheit wie in New York, Los Angeles oder Chicago.10 Dennoch besitzt Toronto meiner Ansicht nach in der aktuellen Krise ein enormes Aufstiegspotenzial. Es wird zwar weder New York oder London den Rang als Finanzplatz ablaufen, noch Los Angeles als internationale Hauptstadt der Unterhaltungsindustrie entthronen, aber es wird Boden gutmachen, da es so große, stabile Banken, zahlreiche blühende wissensbasierte Industrien in der umliegenden Megaregion und eine immer vielfältigere Bevölkerung hat. Und da die Arbeitsplätze in den größten Zentren schwinden, kann Toronto einen großen Vorstoß auf globale Spitzentalente unternehmen. Toronto ist ein Beispiel für eine ältere ehemalige Industriestadt des Frostbelts, die nicht nur eine Wende geschafft hat, sondern weiter wächst und gedeiht.
Kapitel 14
Sonnenuntergang über dem Sunbelt
Seit mehr als einer Generation hat keine Region der Vereinigten Staaten ein verrückteres, ungezügelteres Wachstum erlebt als der Sunbelt, jener breite Streifen, der sich von South Carolina und Florida durch den gesamten Süden der USA bis nach Arizona, Nevada und Südkalifornien erstreckt. Die Gründe für dieses Wachstum sind zum großen Teil sehr nachvollziehbar: Los Angeles wuchs zum weltweiten Zentrum der Medien- und Unterhaltungsindustrie heran, in San José und Austin entstanden beträchtliche innovative HightechIndustrien, Houston wurde zu einem Zentrum der Energieproduktion, Nashville war Nische für preisgünstige Musikaufnahmen und -produktionen und Charlotte entwickelte sich zu einem Zentrum für kosteneffizientes Banking. Aber in den schwindelerregenden Tagen der Immobilienblase erlebten manche Städte und Regionen des Sunbelts einen irrationalen Boom, hauptsächlich im Häusermarkt und in der Baubranche. Phoenix und Las Vegas sind die extremsten Beispiele: Da sie viel Sonne und reichlich unbebautes Land besaßen, gerieten sie in einen klassischen Boomzyklus. Auch in Florida errichteten Bauunternehmer offenbar auf jedem verfügbaren Hektar Land neue Eigentumswohnungen und Siedlungen. Wohnungen wurden nicht mehr für die Beschäftigten wachsender Industriezweige gebaut, sondern entwickelten sich selbst zu einem zentralen Wirtschaftszweig. Auf dem Höhepunkt des Booms machten Immobilien und Bauindustrie in Las Vegas, Miami und Phoenix zusammen mehr als ein Viertel der gesamten Wirtschaft aus, in Orlando über 30 Prozent und in Naples, Florida, über 40 Prozent.1 In diesen Orten wurden Immobilien, Immobilienkredite und Bauindustrie buchstäblich zum Hauptwirtschaftszweig, der mehr Menschen beschäftigte
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als Produktion, Behörden, Gesundheits- und Bildungswesen zusammen. Daraus erwuchs etwas, was ich als die große Wachstumsillusion bezeichne: Bauen um des Bauens willen. Neue Wohnsiedlungen brachten neue Einkaufszentren mit Filialen von Restaurantketten, Großkaufhäusern und ähnlichem, die zumindest den Anschein erweckten, Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen. Alle diese neuen Wohnungen und Einfamilienhäuser brauchten selbstverständlich Möbel, Elektronik, Haushaltsgeräte, Granit-Arbeitsplatten, Vorhänge und so weiter, was noch mehr Einzelhandelsgeschäfte notwendig machte. Und die Menschen, die in Scharen dorthin strömten, brauchten immer mehr Autos und folglich auch mehr Autohändler und letztlich mehr Straßen. Dieses Phänomen schwappte auf den öffentlichen Sektor über. Städte wuchsen, der Steuersäckel füllte sich, die Ausgaben stiegen, und es kamen immer mehr Menschen. Aber der Boom gründete nicht in einer Entwicklung tragfähiger, hoch produktiver Industrien oder Dienstleistungen, noch förderte er deren Entstehung. Er war getrieben und finanziert durch Wohnimmobilien, die zugleich sein Hauptprodukt darstellten. In diesen schuldenverseuchten, verrückten Zeiten während der Immobilienblase wurden ganze Städte und Regionen zu gigantischen Schneeballsystemen. So stieg die Einwohnerzahl von Phoenix zwischen 1990 und 2007 von 983 000 auf 1,5 Millionen. Einer der Vororte, Mesa, wuchs aus dem Nichts auf über eine halbe Million Einwohner, mehr als Pittsburgh, Cleveland oder Miami. In dem Maße, wie Neubauten entstanden und Immobilienpreise stiegen, schossen auch die Steuereinnahmen in die Höhe, und die gefüllten öffentlichen Kassen ermöglichten im gesamten Großraum Phoenix einen Investitionsboom. Die Arizona State University baute einen neuen Campus in der Innenstadt von Phoenix, die Kommune erweiterte ihr Kongresszentrum und baute eine 30 Kilometer lange S-Bahn-Linie von Phoenix über Mesa nach Tempe. Dann platzte die Blase, und Phoenix erlebte den landesweit stärksten Einbruch der Immobilienwerte. Bis April 2009 fielen die Immobilienpreise auf weniger als die Hälfte ihres Höchststandes. Mortgages Ltd., der größte private Hypothekenanbieter des Bundes-
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staates, meldete Konkurs an. In Rustbelt-Städten wie Detroit sind Bilder von Massenzwangsversteigerungen an der Tagesordnung, aber auch in Phoenix gab es zwischen 2005 und 2009 mehr als 75 000 Zwangsvollstreckungen.2 Die von Schulden angeheizte Spekulation reichte jedoch weit über den Wohnungsbau hinaus bis in die Hotelbranche von Phoenix. »Phoenix leidet unter dem doppelten Problem zu vieler Neubauten und sinkender Nachfrage aufgrund des landesweiten Einbruchs bei Firmentagungen«, erklärte David Loeb, ein Analyst der Hotelbranche, dem Wall Street Journal. »Das alles bedeutet, dass der Hotelmarkt in Phoenix einen der heftigsten Konjunktureinbrüche überhaupt erlebt hat.«3 Die baulich derart überfrachtete Region musste sogar einen doppelten Schlag hinnehmen: Zusätzlich zu den fallenden Immobilienpreisen erlebten viele Rentner (gut 21 Prozent der Einwohner sind über 55 Jahre alt), dass die Ersparnisse für ihren Lebensabend sich dezimierten. »Wir hatten hier eine große Blase, und sie ist geplatzt«, erklärte Anthony Sanders, Wirtschafts- und Finanzprofessor an der Arizona State University, im Dezember 2008 gegenüber der Tageszeitung USA Today. »Wir sind den gleichen Worten gefolgt wie Kevin Costner in dem Film Feld der Träume: ›Wenn du es baust, wird er kommen.‹ Doch hier ist es zum Feld der Alpträume geworden: Auch wir haben gebaut, aber niemand ist gekommen.«4 Der Wirtschaftseinbruch weitete sich bald zu einer Steuerkrise aus. Das Haushaltsdefizit der Stadt schwoll auf gut 200 Millionen US-Dollar an und zwang die Kommunalregierung in ihrer Finanzmisere, Bundeshilfen zu beantragen. Der Bundesstaat Arizona versuchte sogar, seine Ministeriumsgebäude zu verkaufen, um die wachsenden Finanzlöcher zu stopfen (diese Idee wurde in einem Beitrag in Jon Stewarts The Daily Show großartig persifliert). Phoenix war nicht die einzige Stadt im Sunbelt, die unter der Krise litt. Bis Ende 2009 fielen die Immobilienpreise in Las Vegas um über 50 Prozent gegenüber ihrem Höchststand. Auch in Florida, einem weiteren beliebten Rückzugsort für Rentner, machte sich das Platzen der Immobilienblase in drastisch fallenden Preisen bemerkbar. In Miami und Tampa sanken die Preise über 40 Prozent gegenüber ihrem Höchststand. Die Krise dezimierte die Neureichen des Sunbelts, von denen viele ihr Vermögen mit Immobilien gemacht
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hatten. In Phoenix sank die Zahl der Einwohner, die außer ihrem Haus ein Vermögen von über 1 Million US-Dollar besaßen, um 34 Prozent, in Las Vegas um 38 Prozent, in Miami und Orlando um 42 Prozent und in Tampa um 51 Prozent.5 Fallende Immobilienpreise lösten eine Sturzflut von Folgeproblemen aus. In den Sunbelt-Städten gab es die höchste Konzentration an Häusern, deren Hypothekenbelastung den Verkehrswert überstieg. US-Spitzenreiter in diesen sogenannten »Unterwasser-Immobilien« war im Mai 2009 Las Vegas mit 67,2 Prozent. In Stockton und Modesto, Kalifornien, waren mehr als die Hälfte der Häuser überschuldet. Zu den Top Ten gehörten außerdem Phoenix, Orlando, Reno, Riverside, Vallejo und Merced, Kalifornien, sowie Port St. Lucie in Florida, wo jeweils über 40 Prozent der Häuser »unter Wasser« waren, also etwa doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt.6 Für manche Orte gilt ebenso wie für manche Menschen, dass sie niemals lernen. Ende 2008 und Anfang 2009 war in den schwer getroffenen Sunbelt-Städten ein hoher Prozentsatz der Häuser von Zwangsversteigerung oder Notverkauf betroffen. Dennoch wurden im April 2009 annähernd vier von zehn verkauften Häusern in Phoenix von Käufern erworben, die diese Häuser nicht selbst bewohnen wollten. Die New York Times schloss daraus: »Immobilien haben nahezu jeden in Phoenix in Schwierigkeiten gebracht, und offenbar herrscht die Ansicht, dass Immobilien alle auch wieder aus den Schwierigkeiten herausholen werden.«7 Mittlerweile ist offensichtlich, dass Immobilien kein dauerhafter Motor für Wirtschaftswachstum waren. Zu vielen Städten fehlte die wirtschaftliche Basis und Produktivität, die für hohe Immobilienpreise erforderlich ist. Historisch waren Immobilienpreise in den USA dreimal so hoch wie das Einkommen, bis 2006 stiegen sie jedoch auf mehr als das Fünffache des Einkommens. In Irvine, Kalifornien, erreichte das Verhältnis von Immobilienpreisen zu Einkommen auf dem Höchststand das 8,6-Fache.8 Mir persönlich gefällt eine andere Maßzahl besser: das Verhältnis von Immobilienpreisen zu Arbeitseinkommen. Es zeigt die enorme Kluft, die im Sunbelt zwischen den Immobilienpreisen und den Löhnen klaffte. In sechs Regionen, die alle zum Sunbelt gehören, lag dieser Quotient bei 15 oder höher.
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Weitere zwölf Metropolregionen im Sunbelt hatten Quotienten von über 10. In Las Vegas war er 9, in Miami 8,4 und in Phoenix 7,2, also in jeder Hinsicht enorm hoch.9 Da die Wirtschaft vieler Sunbelt-Städte vom kreditfinanzierten Immobilienmarkt angeheizt war, brachte die Immobilienkrise sie, wenig überraschend, in ernste Schwierigkeiten. Nach einer Studie der Brookings Institution lagen von den zwanzig am schwersten betroffenen Regionen des Landes 14 im Sunbelt, darunter auch Las Vegas und Miami.10 Der Economic Stress Index, eine von Associated Press entwickelte Maßzahl, in die verschiedene wirtschaftliche Belastungsfaktoren einfließen, verdoppelte sich mehr oder weniger im Zeitraum Dezember 2007 bis März 2009 sowohl für Las Vegas als auch für Miami.11 Auf dem Höhepunkt der Krise erlebten die Bundesstaaten und Städte des Sunbelts etwas, was bis dahin unvorstellbar war: Nach einem Jahrhundert ungezügelten Wachstums bekamen sie einen ersten Vorgeschmack auf Massenabwanderung und Bevölkerungsschwund. »Der Zusammenbruch des Immobilienmarktes und die Wirtschaftskrise verändern die Bevölkerung und die politische Landschaft der Nation dramatisch, indem sie den Sunbelt-Boom beenden, der eine Generation lang das Wachstum dominiert hat«, schrieben Haya El Nasser und Paul Overberg in der Tageszeitung USA Today.12 Auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms von 2004 bis 2006 wuchs die Bevölkerung Floridas täglich um 1 100 Einwohner. Aber 2009 zogen zum ersten Mal nach über hundert Jahren mehr Menschen aus Florida fort, als neue zuzogen. Aus dem Sunshine State, der lange Zeit in den USA führend war, wenn es darum ging, Menschen aus anderen Bundesstaaten anzulocken, zogen nun mehr Menschen fort. »Es ist dramatisch«, erklärte Stanley Smith, Professor an der University of Florida, der die Bevölkerungsentwicklung des Bundesstaates verfolgt, gegenüber der New York Times. »Ein Bundesstaat, der boomte und in den vergangenen hundert Jahren an der Spitze des Bevölkerungswachstums stand, erlebt plötzlich einen beträchtlichen Wandel.« William H. Frey, führender Demografieforscher bei der Brookings Institution, ergänzt: »Es muss ein echter psychischer Schlag sein. Ich weiß nicht, ob man einen ganzen Bundesstaat zum Psychiater
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schicken kann, aber die gesamte Wirtschaft Floridas basierte auf Zuwandererströmen.«13 Wenn ein Bild tausend Worte wert ist, dann gibt es eins, das zehntausend Worte wert sein muss: Ein Video im Internet zeigt, wie ein Bulldozer brandneue Einfamilienhäuser in der Neubausiedlung eines Sunbelt-Vorortes dem Erdboden gleichmacht. Ich nenne es den »suburban bulldozer« analog zu dem Begriff »federal bulldozer«, der sich auf den staatlich geförderten Abriss ganzer Innenstadtviertel in der Hochblüte der landesweiten Stadtsanierungen in den 1950er und 1960er Jahren bezog.14 Die Hintergrundgeschichte dieses Videos ist, dass die Guaranty Bank of Austin die Häuser im Zuge der Zwangsvollstreckung übernommen hatte, vier in der Vorortsiedlung in Texas und weitere zwölf in Kalifornien. Die Bank erklärte, sie reiße sie ab, um eine »sichere Umgebung« für die Nachbarn zu schaffen. Es lohnt sich, einmal kurz über diese interessante Auffassung nachzudenken, dass leer stehende brandneue Einfamilienhäuser als Gefahr für ein Viertel gelten können. Tatsächlich suchen Obdachlose und junge Arbeitslose Zuflucht in vielen der leer stehenden McMansions (Pseudoherrenhäusern in Leichtbauweise) im Sunbelt, wie Jugendliche zuvor leer stehende Mietshäuser in der South Bronx und Künstler leere Lofts und Fabriken in Brooklyn besetzten. Es ist selbstverständlich durchaus möglich, dass die Bank den Abriss der Häuser für billiger hielt, als sie gemäß den Bauvorschriften zu erhalten. In einigen ähnlich betroffenen Teilen des Landes sind Bulldozer vielleicht nicht einmal nötig, da die Häuser von allein einstürzen. Auf dem Höhepunkt des Baubooms wurden überall Häuser aus dem Boden gestampft. Die Qualität litt, und viele dieser Neubauten sind marode. Im Juli 2009 berichtete M. P. McQueen im Wall Street Journal unter der passenden Schlagzeile »Cracked Houses – What the Boom Built« (Rissige Häuser – was der Boom baute) über Robert und Kay Lynn, die ein Haus in Kalifornien besitzen. Eines Morgens wachten sie in ihrem neuen Haus am Golfplatz in Rancho Murieta, Kalifornien, auf und hörten pochende Geräusche. Sie dachten, es käme von Eicheln, die auf das Dach fielen. »Wir hatten keine Ahnung, dass es das Haus war, das knackte«, erzählte Mrs. Lynn dem Reporter.15
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Wie sich herausstellte, sackte ihr Haus zum Golfplatz hin ab. Der Verlust ihres Hauses war für sie nach eigenem Bekunden schmerzlicher als der Verlust ihrer Altersrücklagen am Aktienmarkt. »Das Einzige, was nicht mehr besser wird, ist dieses Haus, es wird immer Probleme mit dem Fundament haben«, sagte Mr. Lynn. »Ich musste deswegen trotz Ruhestand einen Teilzeitjob auf dem Golfplatz annehmen, dabei hatte ich geglaubt, ich sei für den Rest meines Lebens finanziell abgesichert.« McQueen schreibt: »Von Kalifornien bis Georgia erklären Hunderttausende, dass ihre nahezu neuen Häuser wegen Baumängeln teure Reparaturen brauchen.« Auf dem Höhepunkt des Booms wurden in den USA jährlich über 2 Millionen Häuser gebaut. Es gab gar nicht ausreichend qualifizierte Bauarbeiter und hochwertige Materialien, um mit dieser rasanten Bautätigkeit Schritt zu halten, aber die Häuser schossen weiter aus dem Boden. Es gab nicht einmal genügend Beamte, die bei allen diesen Neubauten die Bauaufsicht hätten führen können. Die mangelhafte Ausführung ist eine schwere Belastung für viele Hauseigentümer, deren Hypothekenkredit den aktuellen Wert ihres Hauses bereits übersteigt. »Wegen der fallenden Immobilienwerte sagen Eigentümer mangelhafter Häuser, dass die Reparaturen häufig mehr kosten, als die Häuser gegenwärtig wert sind«, stellt McQueen fest. »Viele erklären, dass sie weder ihre Hypotheken zurückzahlen oder ihr Haus verkaufen können, noch Sicherheiten haben, um Kredite für die Reparaturen aufzunehmen.« Ist das möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs? Könnte es sein, dass die einst so begehrten Vorort- und Umlandsiedlungen mit ihren endlosen Sackgassen und eingezäunten McMansions auf dem Weg sind, die verlassenen und verfallenden Siedlungen von morgen zu werden? »Vororthäuser werden sich wahrscheinlich in Zukunft nicht gut halten«, schrieb der Stadtplanungsexperte Christopher Leinberger in seinem aufsehenerregenden Artikel »The Next Slum?« im Atlantic.16 Viele Innenstadtviertel, deren Niedergang in den 1960er Jahren begann, bestanden aus solide gebauten Reihenhäusern der Jahrhundertwende, die stabil genug waren, sie in Wohnungen aufzuteilen, und die relativ niedrige Instandhaltungskosten hatten. »Dagegen sind moderne Vororthäuser, selbst McMansions der oberen Preisklasse, billig gebaut. Hohle Türen und
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Leichtbauplatten sind weniger haltbar als massive Eichentüren und verputzte Wände. Die Sperrholzböden, die unter Holzfurnieren oder Teppichböden lauern, neigen dazu, zu reißen und sich zu werfen, wenn der Leim, der das Holz zusammenhält, austrocknet. Dacheindeckungen aus Bitumenschindeln müssen in der Regel nach zehn Jahren erneuert werden. Viele Häuser, die in den letzten Jahren gebaut wurden, beziehen ihr bisschen Standfestigkeit durch Trockenbauplatten – ihre dünnen Holzrahmen sind zu schwach, die Häuser zu tragen.« Vor einiger Zeit fragte ich David Lewis, einen Stadtplaner und Architekten der Carnegie Mellon University, was er für das größte Problem einer urbanen Wiederbelebung in unserer Zeit halte. Ohne Zögern antwortete er, dass im Vergleich zu dem Niedergang ausgedehnter, schlecht gebauter Siedlungen im Umland selbst schwierige Stadtkerne wie in Philadelphia und sogar in Detroit – mit ihrer kompakten Infrastruktur, den dichtbebauten Vierteln und historisch gewachsenen Strukturen – geradezu idyllisch wirken werden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der gesamte Zyklus aus Bauboom und Platzen der Immobilienblase, den wir gerade hinter uns haben, eine gigantische Verschwendung von Ressourcen und eine Belastung für die langfristige wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand darstelle. Werden Menschen weiterhin die einst boomenden Städte und Regionen des Sunbelts scharenweise so schnell verlassen, wie sie dorthin geströmt sind, und leere großflächige Siedlungen mit den damit verbundenen Übeln zurücklassen? Werden die Städte nach und nach mehr Unternehmen und Industrien anlocken, die ihnen den Aufbau einer stärker diversifizierten und widerstandsfähigeren Wirtschaft ermöglichen? Oder werden sie von Tourismuseinnahmen leben, die vielleicht für geraume Zeit spärlich fließen werden, und von den Renten ihrer Pensionäre? Welchen Kurs sie auch einschlagen, ihr Charakter und ihre Atmosphäre werden sich radikal ändern. Aber nicht in allen Städten des Sunbelts sieht es düster aus. Einige von ihnen wie Atlanta, Dallas und Houston haben den Sturm einigermaßen gut überstanden. Das Gleiche gilt für Universitätsstädte
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von Chapel Hill in North Carolina über Austin in Texas und Athens in Georgia bis nach Gainesville in Florida. Und Charlotte konnte, wie bereits gesagt, seine Position in der Finanzindustrie festigen und seine Wirtschaft in einem gewissen Maße diversifizieren. Eine eingehendere Analyse der Daten zeigt, dass der Sunbelt sich in zwei recht verschiedene Teile spaltet. Die zersiedelten Gebiete von Arizona, Florida, Nevada und Teilen Kaliforniens, die von der Immobilienblase getrieben und von deren Platzen in Mitleidenschaft gezogen wurden, sind ins Wanken geraten. Das Gebiet von Colorado und New Mexico über das rohstoffreiche Texas bis nach Oklahoma ist dagegen gesund, hat ein dauerhafteres Wachstum erlebt und war kaum von dem Boom der Immobilienspekulationen betroffen, der in Phoenix und Las Vegas so verheerende Auswirkungen hatte. San Antonio in Texas rangierte nach dem Brookings MetroMonitor zusammen mit Oklahoma City und Tulsa unter den Städten mit der »stärksten Wirtschaftsleistung«. Auf den Plätzen 4 bis 10 standen Austin, Houston, Dallas und McAllen, Little Rock, Baton Rouge und Omaha.17 Zehn der Städte, deren Bevölkerung 2008 am schnellsten wuchs, lagen überraschenderweise im Sunbelt. Allerdings waren es keineswegs ausufernde Neubaugebiete, sondern überwiegend Technologie- und Talentzentren wie Round Rock, Texas, ein Vorort von Austin, der das zweitstärkste Bevölkerungswachstum in den USA verzeichnete. Gleich dahinter rangierte Cary, North Carolina, eine Vorstadt im sogenanten Research Triangle, in der das SAS Institute angesiedelt ist. Das benachbarte Raleigh stand auf dieser Liste auf Platz 6.18 Selbst für die Sunbelt-Städte mit den größten Schwierigkeiten ist ein Comeback möglich. Diese US-Bundesstaaten, die von warmem, sonnigem Wetter profitieren, haben ihren Teil an Großstädten und Megaregionen hervorgebracht. Miami ist das Finanzzentrum für Lateinamerika und Knotenpunkt der großen Megaregion Südflorida, die den Cluster der Unterhaltungsindustrie in Tampa und den Hightech- und Messestandort Orlando umfasst. Phoenix ist Mittelpunkt einer Großregion mit bedeutenden Universitäten und Technologieansiedlungen, auf denen es aufbauen kann. Dazu wird
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es allerdings die Immobilienspekulationen und die allzu aggressive Ausweitung von Vorortsiedlungen als Hauptmotor seiner Wirtschaft durch andere Faktoren ersetzen müssen. Las Vegas ist vielleicht der interessanteste Fall. Die Stadt besitzt wirtschaftliche Aktivposten, die aus ihr mehr machen können als eine ausufernde Wüstensiedlung. In einem Artikel der Las Vegas Sun schrieben die Experten für Wirtschaftsentwicklung Robert Lang und Mark Muro im Februar 2009: »Las Vegas, das vor allem für Glücksspiel und Unterhaltung berühmt ist, hat sich auch zu einem Messezentrum von Weltrang entwickelt.«19 Las Vegas ist mittlerweile die Messe- und Tagungshauptstadt der Welt! Hier finden Handelsmessen statt wie die International Consumer Electronics Show (150 000 Besucher), World of Concrete (85 000 Besucher) und die National Association of Broadcasters Show (110 000 Besucher). Die Größe dieser Medienmesse kann ich selbst bezeugen, da ich dort im Winter 2009 eine Eröffnungsrede gehalten habe. Tatsächlich handelt es sich um gut elf verbundene Ausstellungs- und Tagungseinrichtungen, die sich über mehrere Blocks erstrecken und eine Stadt in der Stadt bilden. Las Vegas ist weltweit der einzige Messeplatz, der für Veranstaltungen dieser Größe geeignet ist. »Diese Messen sind Ad-hoc-Märkte, die ganze Industrien an einem Ort versammeln, um Geschäfte zu machen«, schreiben Lang und Muro. »Die Ironie dabei ist, dass das, was in Las Vegas passiert, im Hinblick auf geschäftliche Aktivitäten weit über die Stadt hinausreicht. Der Ruf der Stadt, in persönlichen Dingen Diskretion zu wahren, hat ihre Attraktivität als öffentlicher Raum erhöht.« In Zukunft kann Las Vegas auf seiner zunehmenden Bedeutung als wichtiger Knotenpunkt für globale Wirtschaftsbeziehungen aufbauen. »Die Tatsache, dass Las Vegas besonders unterhaltsam und frivol ist – ein Disneyland für Erwachsene –, bietet zusätzliche Anreize, die dortigen Handelsmessen zu besuchen; aus diesem Grund wurde es überhaupt erst zum bedeutendsten Messeplatz des Landes«, schreiben Lang und Muro. »Allen Moralaposteln, die den Messebesuchern in Las Vegas ein schlechtes Gewissen einreden wollen, sagen wir, dass das soziale Schmiermittel, das Sin City für Geschäftskontakte bietet, ein wichtiger Stimulus für das Land ist.« Damit sprechen sie einen wichtigen Punkt an. Las Vegas ist nicht
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nur ein Zentrum für Handelskontakte, sondern hat auch eine Vielzahl von ortsansässigen Firmen, die auf Glücksspiel- und Veranstaltungstechnik spezialisiert sind. Beide Branchen besitzen erhebliche Exportmärkte. Die Nähe von Las Vegas zu der gigantischen Megaregion Südkalifornien ist ein weiterer Vorteil, der die Stadt mit einem größeren Ballungsraum und einem riesigen Komplex der Technologieunternehmen und Unterhaltungsindustrie verbindet. Es ist geradezu ironisch, dass diese echten wirtschaftlichen Stärken von Las Vegas durch den Ansturm auf den fiktiven Wohlstand der Immobilienblase in den Schatten gestellt wurden. Die Frage ist, ob die Wirtschaft von Las Vegas sich halten wird. »Das Schicksal von Las Vegas ist gegenwärtig in der Schwebe zwischen seiner zusammenbrechenden Immobilienbranche und den widerstandsfähigeren Messe- und Unterhaltungsindustrien«, schrieb Lang mir in einer E-Mail. Seiner Ansicht nach wäre es für die Stadt entscheidend, ihre Vorteile als Messestandort und Knotenpunkt für Geschäftskontakte nicht nur in Touristendollars umzumünzen, sondern auch für den Aufbau neuer Industriezweige zu nutzen. Eine Möglichkeit sieht er im Las Vegas Market and Design Center, einer mehr oder weniger permanenten Handelsmesse für Innenausstatter und Bauindustrie, die sich als Hebel nutzen ließe, eine Architektur- und Designindustrie in die Stadt zu holen. »Las Vegas ist eigentlich ein Laboratorium, um zu testen, wie große ›Messeregionen‹ ihre derzeit vorübergehenden Vorteile als Weltstädte nutzen könnten, indem sie diese Kontakte ganzjährig in ihre Wirtschaft einbinden«, schrieb Lang. Seit aus dieser winzigen Wüstenstation nach dem Zweiten Weltkrieg Amerikas Sin City wurde, stand sie irgendwie außerhalb des Lebens im übrigen Land. In Las Vegas konnte man nicht nur dem Trott des Arbeitsalltags entfliehen, sondern anscheinend auch den gesellschaftlich auferlegten Regeln. Man konnte Filmstars sehen, einen Haufen Geld gewinnen oder verlieren. Man konnte sogar heiraten, wenn man eine halbe Stunde Zeit übrig hatte. In Las Vegas war alles möglich. Die jüngste Werbekampagne der Stadt zielte sogar auf diese stillschweigende Vereinbarung ab: »What happens in Vegas stays in Vegas« (Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas). Obwohl Las Vegas als Ausnahme von allem gilt, was in den USA normal ist, verdeutlicht die Stadt wohl am anschaulichsten, was uns
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an diesen Wendepunkt gebracht hat. Vegas ist sicher überdimensioniert und übertrieben, aber jeder, der schon einmal an einer Diskussion teilgenommen hat, wird bestätigen, dass man zuweilen übertreiben muss, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. In einem Kommentar in der Las Vegas Sun schrieb Muro, Las Vegas’ »gigantische Probleme und sein erforderlicher Weg nach vorn spiegeln in extremem Maße die unseres gesamten in Bedrängnis geratenen Landes wider. Südnevada mag durchaus am Nullpunkt einer nationalen Wirtschaftskrise stehen, die durch Spekulation, Glücksspiel der Finanzwelt und ungenügende Beachtung der grundlegenden Dinge so massive Ausmaße angenommen hat.«20 Las Vegas machte sich selbst anfällig, indem es auf eine einzige Einnahmequelle setzte: Konsum, seien es Touristendollars aus Glücksspiel, Hotels, Restaurants und Läden oder geborgtes Geld für Eigenheime und Neubauten. Im Grunde war es ein doppelter Schlag für die Stadt. Und als ob das alles noch nicht schlimm genug wäre, führt Muro sämtliche Risse in der glitzernden Fassade an: niedriger Bildungsgrad, jämmerliche Infrastruktur, keine oder nur wenige Investitionen in technologische Innovationen. Was nun? »Las Vegas versinnbildlicht die Fragen, vor denen die gesamte Nation steht. Woher soll die nächste Wachstumsperiode kommen?«, fragt Muro. »Wie können wir eine nachhaltigere neue Wirtschaftsordnung schaffen? Wie werden wir die schlechten Zeiten nutzen, um uns zu verändern und zu bessern?« Das sind genau die richtigen Fragen, die Las Vegas und ganz Amerika sich stellen muss.
Teil III
Eine neue Lebensweise
Kapitel 15
Die Reset-Ökonomie
Für jeden aufmerksamen Beobachter war die Krise geradezu unausweichlich. »Ich glaube, dass das, was in den letzten zehn bis 15 Jahren an der Wall Street passiert ist, immer etwas Unhaltbares hatte«, erklärte Präsident Obama im Frühjahr 2009 der New York Times, »und es unterscheidet sich nicht sonderlich von dem, was während des Dotcom-Booms passiert ist, als so mancher in Silicon Valley enorme Summen verdienen konnte, obwohl es eigentlich nie Anzeichen gab, dass das, was dort verhökert wurde, jemals Gewinn abwerfen würde. Das heißt allerdings nicht, dass Silicon Valley nicht immer noch ein großer, entscheidender, wichtiger Teil unserer Wirtschaft ist, und die Wall Street wird ein großer, wichtiger Teil unserer Wirtschaft bleiben, wie sie es in den 1970er und 1980er Jahren war.« Er fügte hinzu: »Wir wollen nicht, dass jeder Hochschulabsolvent mit Sinn für Mathematik Derivatehändler wird. Wir möchten, dass einige Ingenieure werden und einige sich mit Computertechnik befassen.«1 In diesem Punkt dürften wohl alle mit Präsident Obama einer Meinung sein. Intuitiv spüren wohl die meisten schon jetzt, dass die amerikanische Gesellschaft sich tiefgreifend und grundlegend verändert. Das betrifft sämtliche Verhaltensweisen und Gewohnheiten von der Frage, wo und was wir einkaufen, über die Art der Freizeitgestaltung bis hin zu den Werten, die unser Leben prägen. Das meint Kurt Andersen, wenn er von einem Reset unserer Werte spricht.2 Viele sehen eine neue Genügsamkeit im Kommen, da die Menschen sich von auffallendem Konsum abwenden und schlichtere, grundlegendere Prioritäten setzen. An die Stelle der Überzeugung, sich den Weg zum Glück kaufen zu können, tritt etwas Besseres, Realeres. Eindeutig haben viele Amerikaner angefangen, mehr zu sparen und weniger
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Kredite aufzunehmen, was zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist, dass Kredite schwieriger zu bekommen sind. Meiner Ansicht nach ist jeder Schritt weg von dem ungeheuren, überzogenen Materialismus, der allzu lange vorgeherrscht hat, gut. Aber ein Wertewandel an sich kann keine wirtschaftliche Erholung und keinen neuen Wohlstand schaffen. Und dauerhaft reduzierter Konsum bedeutet weniger Nachfrage und eine niedrigere Wachstumsrate. Damit der große Reset zu einer zuverlässigen Erholung führt, muss die Gesellschaft eine vollständige Wende vollziehen, nicht nur situativ reagieren, sondern auch neue Technologien, neue Wirtschaftssysteme und neues Konsumverhalten entwickeln. Der nächste große Reset muss für die Gegenwart das Gleiche leisten wie die Suburbanisierung für die Nachkriegszeit: Er muss Gestalt annehmen in einer neuen Lebensweise und einer neuen Wirtschaftslandschaft, die letzten Endes neue Arten der Nachfrage hervorbringen wird und die Grundlage für eine neue Wachstumsrunde schaffen kann. Experten reden viel davon, dass sich im Digitalzeitalter alles mit Lichtgeschwindigkeit verändert, aber der gegenwärtige Reset wird alles andere als automatisch erfolgen. »Im Gegensatz zu manchen Rezessionen der jüngeren Vergangenheit kann die Wirtschaft dieses Mal nicht zu ihrem Ausgangspunkt vor der Rezession zurückkehren«, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Mark Thoma, »und der Strukturwandel, der kommen muss, um Ressourcen aus dem Immobilien- und Finanzsektor anderen, produktiven Verwendungen zuzuführen, wird Zeit brauchen.«3 Ich besitze keine Kristallkugel. Niemand vermag vorherzusagen, wie diese neue Ökonomie, die neue Lebensweise, die neue Raumlösung letztlich aussehen wird. Während der Großen Depression hätten meine Eltern sich kaum vorstellen können, dass sie sich einmal in einem Vorort ein Haus kaufen würden, wo damals noch Ackerland war. Die wirtschaftliche Erholung nach der Langen Depression der 1870er Jahre und der Großen Depression der 1930er Jahre – der erste und zweite Reset – brauchte gut zwei bis drei Jahrzehnte. Der Versuch, ein detailliertes Bild von Wirtschaft, Gesellschaft und Alltagsleben zeichnen zu wollen, wie sie sein werden, wenn diese Wirtschaftskrise erst einmal Geschichte ist, wäre so, als hätte man am
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Tag der Amtseinführung Franklin Roosevelts 1932 die Hochblüte der Suburbanisierung in der Nachkriegszeit vorhersagen wollen. Allerdings lassen sich jetzt schon eine Reihe von Kräften in unserer Gesellschaft ausmachen, die einen echten großen Reset und eine tragfähige neue Lebensweise anschieben könnten. Sie entstehen aus unserer Wirtschaft heraus und nicht aus politischen Maßnahmen oder Programmen, die von oben verordnet wurden. Sie sind in neuen Arten des Konsumverhaltens, neuen Organisations- und Führungsweisen in Unternehmen und in den Faktoren zu erkennen, die bestimmen, wo und wie wir leben. Es gilt, die Stoßrichtung dieser Kräfte zu erkennen, damit man die verheißungsvollsten fördern kann, während man zugleich ältere, unproduktive Wege aufgibt und damit Kosten mildert, die sie nach sich ziehen. Um eine echte, dauerhafte wirtschaftliche Erholung zu gewährleisten, müssen wir diese Kräfte des Wandels mobilisieren und so steuern, dass sie sich zu einem funktionsfähigen System zusammenfügen. Eine neue Raumlösung – ein spatial fix, eine neue Arbeits- und Lebensgeografie – ist der einzige Weg, der zu neuem Wirtschaftswachstum, Selbstvertrauen und Wohlstand führt. Die Finanzkrise hat die Wirtschaftskrise ausgelöst, aber der große Reset ist die Folge eines wesentlich tiefgreifenderen, grundlegenden Wandels in den Triebkräften, die unserer Wirtschaft zugrunde liegen. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich in der Wirtschaft der USA ein Wandel vollzogen, weg von produzierenden Industriezweigen und Fabrikarbeit, hin zu wissensintensiven, technischen und kreativen Tätigkeiten. Zwischen 1980 und 2006 entstanden in den Vereinigten Staaten gut 20 Millionen Arbeitsplätze in den kreativen und wissensbasierten Bereichen der Wirtschaft. Die Arbeitseinkommen daraus summieren sich auf 2 Billionen US-Dollar und machen die Hälfte aller Löhne und Gehälter in den USA aus. Derselbe Trend ist in den entwickelten Ländern Nordeuropas, in Kanada, Australien, Neuseeland und Japan zu beobachten, wo die Beschäftigten im Kreativbereich 30 bis 40 Prozent der Erwerbstätigen stellen. Ebenso wie die Lange Depression ein Produkt der ersten industriellen Revolution und die Große Depression ein Produkt der zwei-
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ten industriellen Revolution war, hängt die gegenwärtige Krise mit der dritten industriellen Revolution zusammen: mit dem Wandel von einer güterproduzierenden Wirtschaft hin zu einer Ökonomie, die sich um Wissen und Kreativität dreht. Die entstandene Finanzblase ist ein Produkt dieses tiefgreifenderen Wandels, Bestandteil eines langen historischen Zyklus. Finanzexperte Thomas Philippon von der New York University hat in einer eingehenden Studie den Anteil der Finanzwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt der USA von 1860 bis in die Gegenwart untersucht und festgestellt, dass er in Einklang mit größeren Epochen wirtschaftlichen Wandels steigt und fällt.4 Vor dem Börsenkrach 1873 und dem ersten Reset stieg der Anteil des Finanzsektors am Bruttoinlandsprodukt von 1 auf 2 Prozent. Während des Booms vor dem Börsenkrach 1929 und dem zweiten Reset schnellte er sprunghaft von 2 auf 4 Prozent hoch. Von den ausgehenden 1940er Jahren bis etwa 1980 hielt er sich bei 2 bis 4 Prozent. Von 1980 bis zur gegenwärtigen Krise stieg dieser Anteil erheblich, erreichte 2006 ganze 8,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und war damit doppelt so hoch wie in den 1940er und 1950er Jahren und viermal so hoch wie im ausgehenden 19. Jahrhundert. Nach Philippons Ansicht wird der Anteil des Finanzsektors zwangsläufig wieder abnehmen und vermutlich auf etwa 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fallen.5 Ich sehe ihn eher auf 6 oder sogar 5 Prozent zurückgehen, was mehr oder weniger seinem historischen Stand vor dem Höhenflug der 1980er und 1990er Jahre entspricht. In einer anderen Studie zeigten Philippon und Ariell Reshef von der University of Virginia, dass Löhne, Gehälter und Bonuszahlungen an Finanzprofis in zwei Zeiträumen enorm stiegen: in den 1920er Jahren und in der Gegenwart.6 Als nach der Großen Depression neue Finanzvorschriften eingeführt wurden, sanken die ungeheuren Gehälter, die Beschäftigten im Finanzsektor vorher gezahlt wurden, und Fachkräfte strömten in andere Wirtschaftszweige. In der goldenen Nachkriegszeit entsprach die Bezahlung in der Finanzbranche weitgehend der in anderen akademischen Berufen. Nach der Analyse von Philippon und Reshef sanken die Gehälter der Finanzfachleute in den 1930er Jahren sogar drastisch und stiegen bis in die 1980er Jahre in normalem Maße an, bevor sie in den letzten
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Jahren explodierten. Vielleicht werden sie nun wieder fallen, obwohl die Bonuszahlungen in Milliardenhöhe, die Goldman Sachs 2009 leistete, zu denken geben. »Wollen wir als Gesellschaft ein Drittel unserer besten Köpfe in den Finanzsektor stecken«, fragte Philippon die New York Times rhetorisch.7 Eine ähnliche Sorge äußerte der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini: »Wenn es mehr Finanzingenieure als Computeringenieure gibt, weiß man, dass die klügsten Köpfe in einen Bereich gegangen sind, der wahrscheinlich übertriebene Margen hatte«, erklärte er gegenüber der Zeitschrift New Republic. »Vielleicht werden nun einige dieser hellen Köpfe etwas Unternehmerisches, Kreativeres machen oder in den Staatsdienst gehen, und das ist, finde ich, doch eigentlich eine positive Veränderung.«8 Das finde ich auch. Einige kluge Ökonomen sind der Meinung, die Finanzschmelze sei nicht die Ursache der Finanzkrise. Diese sei in Wirklichkeit ein Symptom eines wesentlich schwerwiegenderen wirtschaftlichen Übels. Nicht nur habe sich der Finanzsektor aufgebläht und Ressourcen und Fachkräfte von dringend notwendigen Innovationen und Verbesserungen unserer Schlüsselindustrien abgezogen, sondern die Realwirtschaft sei ebenfalls geschwächt. Produktivität und Innovationen seien sowohl in traditionellen Industrien als auch im Hightech-Bereich ins Stocken geraten. Der stimmgewaltigste Vertreter dieser Argumentation ist der ehemalige Chefökonom der BusinessWeek, Michael Mandel. In einer Reihe von Artikeln und Beiträgen in seinem einflussreichen Blog führte er eine Menge überzeugender Daten an, die zeigen, dass das vergangene Jahrzehnt im Hinblick auf Produktivität und Innovationen ein verlorenes war. Der Arbeitsmarkt war anämisch, und bei den Löhnen bewegte sich für die meisten Amerikaner gar nichts. »Was ist, wenn das vergangene Jahrzehnt außer in einigen wenigen viel beachteten Bereichen viel zu wenig kommerzielle Innovationen hervorgebracht hat, die das Leben verändern und die Wirtschaft voranbringen können? Was ist, wenn es keine Ära rasanter Innovationen, sondern eine Ära stockender Innovation war?«, fragt Mandel.9 Der entscheidende Punkt seiner Argumentation ist, dass es in vielen Bereichen von der Biotechnologie bis zur Mikromechanik
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nur wenige oder gar keine bahnbrechenden Innovationen gegeben hat. Amerikas Hightech-Branche machte 1998 Gewinne von 30 Milliarden US-Dollar und 2008 Verluste von 53 Milliarden US-Dollar. Solche schwachen Leistungen bei technologischen Innovationen ebneten den Weg für die Finanzblase und letztlich für den Wirtschaftskollaps. »Ende der 1990er Jahre waren sich die meisten Ökonomen und Spitzenmanager einig, dass die USA am Beginn einer Jahrhundertwelle von Innovationen stünden – nicht nur in den Informationstechnologien, sondern auch in der Biotechnologie und vielen anderen Bereichen«, erklärt Mandel. »Fachleute hoben ihre Vorhersagen für das langfristige Wachstum der US-Wirtschaft an. Konsumenten beliehen ihre Häuser in der Annahme, dass ihr Einkommen steigen werde. Und ausländische Investoren borgten Amerika Geld, indem sie US-Wertpapiere kauften, weil sie davon ausgingen, dass das Land genügend neue Produkte entwickeln werde, um das angehäufte Handelsdefizit abzuzahlen.« Wie bereits geschildert, verlangsamen sich Innovationen in den Anfangsphasen wirtschaftlicher Krisen tendenziell, um während des Resets, der auf diese Krisen folgt, wieder anzuspringen. Im vergangenen Jahrzehnt nahmen die Innovationen in den USA zweimal ab, einmal nach dem Platzen der Hightech-Blase 2001 und erneut vor der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise.10 Dennoch erreichten amerikanische Innovationen 2007 – gemessen an der Gesamtzahl der Patente oder der Patente pro Forscher – insgesamt einen höheren Stand als ein Jahrzehnt zuvor. Heißt das, dass das USSystem das Schlimmste überstanden hat und wieder auf dem Weg nach oben ist? Aus zwei Gründen ist das nicht der Fall: Geografisch haben sich die Innovationen in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich verschoben. In etablierten Hightech-Zentren von Silicon Valley und Seattle bis nach Austin und dem Forschungsdreieck in North Carolina sind die Innovationen gestiegen. Gesunken sind sie dagegen in amerikanischen Industriestädten wie Pittsburgh und Detroit, in Sunbelt-Städten wie Dallas und Houston und sogar in großen Metropolen wie New York und Chicago. Gleichzeitig spielen mittlerweile ausländische Erfinder eine Schlüsselrolle bei amerikanischen Innovationen. Inzwischen gehen in den Vereinigten Staaten 17 Pro-
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zent aller Bachelor-Abschlüsse, 29 Prozent der Master-Abschlüsse und 38 Prozent der Promotionen an Wissenschaftler, die nicht in den USA geboren wurden. Unter Naturwissenschaftlern und Ingenieuren stammt ein Viertel aus dem Ausland, und bei einem Drittel bis der Hälfte aller Firmen, die in den 1990er Jahren in Silicon Valley gegründet wurden, gehörte ein im Ausland geborener Unternehmer oder Wissenschaftler zum Gründerteam.11 In den vergangenen zehn Jahren kam nahezu die Hälfte aller neu zum Patent angemeldeten Innovationen von ausländischen Erfindern. Innovation ist keine nationale Angelegenheit mehr, sondern eine globale. Alles, was die Einwanderung oder den Zustrom ausländischer Erfinder verlangsamen oder ihre Erfindungen und Patente in eine andere Richtung lenken könnte – etwa Sanktionen gegen ausländische Arbeitskräfte –, würde amerikanische Innovationen und die gesamte US-Wirtschaft behindern. Es könnte auch die wirtschaftliche Entwicklung andernorts beeinträchtigen, da viele dieser Innovationen wahrscheinlich außerhalb der Vereinigten Staaten produziert – und dafür Fabriken gebaut und Arbeitsplätze geschaffen – würden. Der gegenwärtige Reset wird die Gesellschaft der Vereinigten Staaten tiefgreifender verändern als frühere Resets. Wir erleben gerade einen noch stärkeren, grundlegenderen Wirtschaftswandel von einer industriell geprägten Gesellschaft hin zu einer Ökonomie, die zunehmend von Wissen, Kreativität und Ideen lebt. Die gegenwärtige Krise spiegelt das Unvermögen der Vereinigten Staaten und der meisten Länder der Welt wider, ein dauerhaftes Wirtschaftssystem zu schaffen, das diese enormen neuen Produktivitäts- und Wachstumsquellen zu erfassen vermag. Statt die Wirtschaft zu stärken, fing das Finanzsystem an, es zu untergraben. Es lenkte Kapital, das man für die Entwicklung neuer Technologien und Industrien hätte nutzen können, in den Immobilienmarkt und in windige Finanzinstrumente, warb eine Unmenge von Talenten ab und erzeugte letztlich eine Reihe von Blasen, die in das aktuelle Dilemma führten. »Kern der aktuellen Krise ist eine grundlegende Verwirrung über das Wesen des Wohlstands«, schrieb der Economist. »Würde man einem Außerirdischen eine Kammer voller Goldbarren, einen Stapel 20-Dollar-Scheine oder eine Zahlenreihe auf einem Compu-
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termonitor zeigen, würde er ihre Funktion wohl nicht begreifen. Unsere Verehrung für diese Dinge dürfte ihm ebenso seltsam erscheinen wie uns das Verhalten der Laubenvogelmännchen (die ihr Nest mit bunten Gegenständen schmücken, um ein Weibchen anzulocken).« Wahrer Wohlstand basiert auf »den Gütern und Produkten, die wir konsumieren möchten, oder auf Dingen (Fabriken, Maschinen, qualifizierten Arbeitskräften), die uns in die Lage versetzen, mehr solcher Güter und Dienstleistungen zu produzieren.« Dagegen erwachsen Finanzwerte »aus dem Wunsch, den Konsum zu verschieben, um Geld aus Vorsorgegründen zu sparen oder so zu investieren, dass man in der Zukunft mehr Güter und Dienstleistungen konsumieren kann.« So gesehen sind »Finanzwerte kein ›Wohlstand‹, sondern ein Anspruch auf realen Wohlstand«.12 Der Finanzsektor hat sich von einem »Diener der Wirtschaft« in einen »Räuber« verwandelt, wie William Black es ausdrückt.13 Er ist zu groß geworden. Black schreibt: »Der Finanzsektor ist ein Vermittler – im Grunde ein ›Mittelsmann‹. Wie alle Mittelsmänner sollte er so bescheiden wie möglich, aber dennoch imstande sein, seine Aufgabe zu erfüllen.« Statt die Teile der Wirtschaft zu unterstützen, die realen Wohlstand schaffen, ist er zu ihrem Parasiten geworden. Statt Kapital und Unternehmen zusammenzubringen, wie ein Mittelsmann es tun sollte, hat sich der Finanzsektor selbst zum Zielunternehmen entwickelt, dessen einziges Produkt in Kapitalzuwachs besteht. »Der Finanzsektor zieht nicht nur Kapital für seinen eigenen Vorteil ab, sondern lenkt das verbleibende Kapital in falsche Richtungen, die der Realwirtschaft schaden … Da es dem Finanzsektor fast ausschließlich um hohe Bucherträge und ›Profite‹ geht, kanalisiert er Kapital weg von Firmen und Unternehmern, die die Realwirtschaft am meisten verbessern könnten (zum Beispiel, indem sie kurzfristige Gewinne durch die Finanzierung teurer Forschung und Entwicklung reduzieren, die innovative Güter und höhere Zukunftsfähigkeit schaffen könnten).« Der Finanzsektor zieht zudem Fachkräfte aus entscheidenden Bereichen der Realwirtschaft ab. Eine Studie nach der anderen belegt, dass die Vereinigten Staaten unter einem erheblichen Mangel an Naturwissenschaftlern und Ingenieuren leiden und, wie bereits gesagt, zunehmend auf ausländische Fachkräfte angewiesen sind,
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um diese Lücken zu schließen. In den vergangenen zwanzig Jahren lockte die Wall Street Spitzenabsolventen in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik mit außerordentlich hohen Gehältern an. »Leute mit diesen umfangreichen Fachkenntnissen arbeiten überwiegend an der Entwicklung von Finanzmodellen, die entscheidend zur Finanzkrise beigetragen haben«, schreibt Black. »Wir nehmen Leute, die für den Erfolg unserer Realwirtschaft (und auch für deren Zukunftsfähigkeit) wichtige Forschungs- und Entwicklungsarbeit leisten könnten, und stecken sie stattdessen in den Finanzsektor, wo sie angelockt von perversen Bonuszahlungen sowohl der Finanzwirtschaft als auch der Realwirtschaft weiteren Schaden zufügen.« Es ist Zeit, dass wir aufhören, das Verschieben von Geld mit der Schaffung von echtem Wohlstand zu verwechseln. Wenn wir wieder eine florierende Wirtschaft haben wollen, müssen wir vom Finanzkapitalismus wegkommen und zur Realwirtschaft zurückkehren, die ihren Namen zu Recht trägt: Wir müssen wieder in Technologie, Humankapital und eine neue Infrastruktur investieren, die langfristiges Wirtschaftswachstum ermöglichen. Es mag sein, dass dies bereits geschieht. Dabei rede ich nicht von den Fernsehberichten über unzählige ehemalige Banker, Aktienhändler und Hedgefonds-Manager, die offenbar ihr »wahres Ich« gefunden haben, indem sie Yoga-Studios, Coffee Shops oder Restaurants eröffneten. Junge Leute überdenken anscheinend ihre Karrieremöglichkeiten, nachdem die Finanzwelt einen Teil ihres Glanzes eingebüßt hat. Strömten noch in den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre Harvard-Absolventen scharenweise in den Finanzsektor, ändert sich dies nun, wie jährliche Umfragen von Harvard Crimson unter Studienabsolventen zeigen.14 Im Vergleich zu 2008 gaben 2009 nur halb so viele Harvard-Absolventen an, eine Stellung in der Finanzbranche anzustreben, ihr Anteil sank von 23 auf 11,5 Prozent. Auch Consulting erlebte als Karriereziel einen drastischen Einbruch von 16 auf 8,5 Prozent der Absolventen. In welche Bereiche zog es die Harvard-Absolventen? Gesundheitswesen und Bildung. Der Anteil, der in den Bildungsbereich strebte, stieg von 10 auf 15 Prozent, der Anteil, der in das Gesundheitswesen ging, erhöhte sich von 6 auf 12 Prozent. Obwohl allgemein die Ansicht herrscht, der Staatsdienst, der »Gutes tun« mit einer gewissen
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Arbeitsplatzsicherheit vereint, könnte an Attraktivität gewinnen, sank der Anteil der Absolventen, die eine staatliche Anstellung anstrebten, von 4,5 auf 3 Prozent. Nach Ansicht des Harvard Crimson ist das ein »paradoxer Trend angesichts der Siege der Demokraten bei den Wahlen 2008 und der Tatsache, dass 74 Prozent der HarvardStudenten sich als liberaler oder erheblich liberaler als der Durchschnittsamerikaner bezeichnen«. Vielleicht hätten die studentischen Herausgeber der Zeitschrift sich nicht wundern brauchen. Ich unterrichte seit nahezu drei Jahrzehnten Politikstudenten und stelle seit langem eine Tendenz weg von der Arbeit im traditionellen Staatsdienst fest, den viele junge Leute für zu hierarchisch und bürokratisch halten. Studenten, die sich für den öffentlichen Dienst und gesellschaftliche Fragen interessieren, tendieren eher zu kleineren, flexibleren gemeinnützigen Organisationen, in denen sie ihrer Ansicht nach unmittelbarer Einfluss ausüben können. Wie der Harvard Crimson berichtet, zog es 14 Prozent der Absolventen zu gemeinnützigen Organisationen, mehr als je zuvor. Das wohl bezeichnendste Ergebnis der Harvard-Umfrage bezog sich auf Traumberufe und Traumkarrieren der Absolventen. Auf die Frage, welche Laufbahn sie einschlagen würden, wenn Geld keine Rolle spielte, gaben 16 Prozent als »Traumbereich« Kunst an, gefolgt vom öffentlichen Dienst (12,5 Prozent) und Bildung (12 Prozent). Weniger als halb so viele, nämlich nur 5 Prozent, gaben Finanzsektor und Consulting an. Wir erleben derzeit einen uralten Konflikt: Auf der einen Seite stehen die »Händler«, auf der anderen die »Hersteller«, wie Geoff Beattie, der Chef der Woodbridge Group, es nennt. Händler verdienen ihr Geld mit An- und Verkauf. Sie schaffen wenig oder gar keinen realen Wohlstand, weil sie nicht produktiv sind. Ihre Gewinne stammen aus dem Handel. Hersteller konzentrieren sich dagegen auf Investitionen in tatsächliche Vermögenswerte in der Realwirtschaft. Sie schaffen langfristigen Wohlstand. Nach meiner persönlichen Ansicht versinnbildlichen diese Etikettierungen über den Bereich des Geldes und der Finanzwelt hinaus die Art von Unternehmungen, die Menschen betreiben. Die Industriellen früherer Zeiten waren »Hersteller«, Giganten der Innovation und Produktion: Sie produzierten Stahl, Autos, Straßen, bauten Zeitungsimperien auf, versorgten die Welt mit Strom und schufen für alle Menschen spürbare
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Verbesserungen des Lebens. Die Gründer von Firmen wie Apple und Microsoft, Genentech und Google sind vielleicht aus dem gleichen Holz geschnitzt. Aber die heutige Wirtschaftslandschaft ist voller Instant-Tycoons, die ihr Vermögen mit kleinen Kurssteigerungen an der Börse oder dem Handel mit Anteilen an den Schulden anderer gemacht haben. Bei viel zu vielen dieser »Händler« war das einzige Produkt der Profit, und die einzigen Kunden waren sie selbst. Das sind sicher Extrembeispiele, aber ich führe sie hier an, um eines klarzumachen: Hersteller im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinn müssen wieder ihre Vorrangstellung gegenüber den Händlern einnehmen, damit die Wirtschaft der Zukunft florieren kann. Man sollte jedoch nicht glauben, dass der Finanzsektor verschwinden wird. Obama hat Recht, wenn er sagt, dass die Finanzbranche »ein großer, bedeutender Teil unserer Wirtschaft« bleiben wird. Es ist wichtig, Kapital in die Weltwirtschaft zu kanalisieren. Meine Forschungsarbeit belegt, dass er einer von vier oder fünf wesentlichen Wirtschaftssektoren neben Business und Management, Naturwissenschaften und Technik sowie Kunst, Unterhaltung und Medien ist, die das Wachstum von Städten und Regionen vorantreiben. Aber der Finanzsektor wird seine Ausrichtung ebenfalls vom Handel auf herstellende Bereiche verlagern müssen. Sich darauf zu konzentrieren, das Finanzsystem um seiner selbst willen zu stützen und wiederherzustellen, birgt echte Gefahren. Zweck des Finanzsektors ist es, die Wirtschaft zu unterstützen und für ihren reibungslosen Ablauf zu sorgen; denn diese Wirtschaft bringt Güter und Dienstleistungen, die überwiegende Anzahl neuer Arbeitsplätze, realen Wohlstand und Einkommen der Menschen hervor. Ich stimme William Black uneingeschränkt zu, der schreibt: »Wir dürfen nicht praktisch unsere gesamten Reformbemühungen auf den Finanzsektor verwenden und annehmen, wenn wir dessen Mängel beseitigt hätten, hätten wir die anderen grundlegenden Probleme gelöst, deretwegen die Realwirtschaft seit Jahrzehnten so funktionsuntüchtig war. Wir müssen gleichzeitig daran arbeiten, die Finanz- und die Realwirtschaft in Ordnung zu bringen.«15 Insider sahen schon vor Jahren mit Sorge, dass Daytrader und andere, die vom schnellen Geld träumten, die Finanzmärkte zunehmend an sich rissen und besonnene Investoren verdrängten.
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Es dauerte nicht lange, bis die größten Finanzunternehmen diese Spielermentalität institutionalisierten, da sie die Augen nicht vor den Marktlagengewinnen verschließen konnten, die Derivatehändler und Währungsswap-Spekulanten mit Cowboyallüren erzielten. Unser Wirtschaftssystem muss aufhören, Geld in hochriskante, weitgehend auf Krediten basierende und spekulative Bereiche zu lenken, und muss zurückkehren zur ursprünglichen Sicht und Aufgabe der Finanzmärkte: Innovation und Wachstum der Realwirtschaft zu unterstützen.
Kapitel 16
Eine gute Jobmaschine
Versetzen wir uns einmal 150 Jahre zurück und stellen uns vor, wir würden Zeuge, wie Nachbarn und Verwandte ihre Sachen packten, um den Bauernhof der Familie für immer zu verlassen. Wie schwierig muss es gewesen sein, sich das Leben, das vor diesen Menschen lag, auszumalen oder überhaupt vorherzusehen, wie Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren sollten, wenn niemand mehr da wäre, um die Felder zu bestellen. Wie sollten diese Menschen überleben? Wo würden sie wohnen, was würden sie essen? Woher sollten ihre Nahrungsmittel kommen? Wie sollten Gemeinden, ja ganze Länder überleben, wenn die Landwirtschaft den meisten kein Auskommen mehr bot? Als die Menschen begannen, Dampf, Stahl und Kohle für die neue Produktionsära nutzbar zu machen, wurden völlig neue Industriezweige geboren. Überall schossen Fabriken aus dem Boden und boten den Zehntausenden Arbeit, die vom Land und ihren Bauernhöfen in die Städte strömten. Die niedrigen Löhne reichten kaum zum Leben, und die Fabrikarbeit war zu Beginn des Industriezeitalters hart, schmutzig und gefährlich. Sie verkörperte sämtliche Übel, die Marx und andere gegen den Kapitalismus ins Feld führten. In seinem Gedicht »Jerusalem« bezeichnete der Dichter William Blake Englands erste Fabriken als »satanische Mühlen«.1 Springen wir nun hundert Jahre weiter und versetzen uns in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Es dauerte zwar mehrere Generationen, aber mit der Zeit ließen wir das Agrarzeitalter hinter uns und schufen zuvor unvorstellbare Arbeitsformen. Sie leiteten eine neue Lebensweise ein, brachten einen wachsenden Lebensstandard und letztlich ein neues Zeitalter des Fortschritts hervor. Arbeitsplätze im Produktionsbereich gehörten zu den begehrtesten. Noch immer
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bedeuteten sie anstrengende Knochenarbeit, waren aber nun mit lohnenden Aussichten verbunden: mit hohen Löhnen, gewerkschaftlichem Schutz, großzügigen Sozialversicherungen und zuvor ungeahnter Sicherheit. In diesen goldenen Zeiten konnten Millionen Fabrikarbeiter nach ihrem Berufsleben von ihrer Rente leben. Fabriken boten jedoch nicht von Anfang an gute Arbeitsplätze, vielmehr machten Staat und Gesellschaft sie durch politische Maßnahmen erst nach und nach zu guten Stellen. Aber seit den 1950er Jahren nimmt die Zahl der Fabrikarbeitsplätze in den Vereinigten Staaten kontinuierlich ab. Viele Tätigkeiten wurden automatisiert oder ausgelagert und werden nicht wiederkommen. Die Wirtschaftskrise hat in den USA über 7 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Wir können weiter Geld und Kraft – und sehr viel Wunschdenken – in vergebliche Bemühungen investieren, das Unausweichliche hinauszuzögern. Oder wir können versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen und mehr Arbeitsplätze in den Bereichen, die gegenwärtig bereits heranwachsen, in gut bezahlte Stellen zu verwandeln. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es auf diesem Gebiet kaum Fortschritte. »Das ist die einzige Rezession seit der Großen Depression, die das gesamte Beschäftigungswachstum des vorangegangenen Konjunkturzyklus auslöscht«, schrieb Mort Zuckerman, der Chefredakteur von U.S. News & World Report, in einem Kommentar mit der unheilvollen Überschrift »The Free Market Is Not Up to the Job of Creating Work« (Der freie Markt ist der Aufgabe nicht gewachsen, Arbeitsplätze zu schaffen).2 In dieser Zeit flossen buchstäblich sämtliche Lohnsteigerungen – und des Einkommens allgemein – an die bestverdienenden 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung. Den gegenwärtigen Kurs weiter zu verfolgen heißt, die Kluft zwischen der Elite und der übrigen Bevölkerung immer größer werden zu lassen. Eine neue Quelle für gute Arbeitsplätze zu schaffen ist eine Vorbedingung für eine wirtschaftliche Erholung. Wie das aber gehen soll, ist schwer vorstellbar. Woher sollen sie kommen? Es gibt zwei Arten von Beschäftigung, die derzeit zunehmen: zum einen besser bezahlte Arbeitsplätze für Freiberufler, Kreative und Fachleute im Wissensbereich (von Hightech-Ingenieuren und Software-Entwicklern bis zu Grafikdesignern) sowie die ebenfalls
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kreativ tätigen professionals (von Managern und Ärzten bis hin zu Anwälten), und zum anderen schlechter bezahlte Routinearbeiten im Dienstleistungssektor (Arbeitskräfte im Bereich Gastronomie, stationäre und häusliche Krankenpflege, Hausverwaltung und ähnliches). Im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte entstanden in der US-Wirtschaft 28 Millionen Stellen für Geringqualifizierte im Dienstleistungssektor und 23 Millionen Stellen für Fachkräfte im Wissens- und Kreativbereich. Dem standen nur 1 Million Stellen in der Produktion gegenüber. Einfache Arbeiten im Dienstleistungssektor machen mittlerweile in den USA den größten Einzelbereich aus, nämlich 45 Prozent aller Arbeitsplätze. Der Kreativbereich stellt 31 Prozent der Arbeitsplätze und der Produktionsbereich 23 Prozent.3 Diese Tendenzen werden sich im kommenden Jahrzehnt noch stärker ausprägen. Nach Prognosen des U.S. Bureau of Labor Statistics werden von 2008 bis 2018 in den Vereinigten Staaten 15,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen. Nahezu alle – nämlich 13,8 Millionen neue Stellen – werden einerseits im Kreativbereich und in den wissensintensiven Berufen und andererseits im Bereich Dienstleistungen, Verwaltung und Kirchen entstehen, die jeweils 6,9 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen werden. Die Stellen für Arbeiter werden um 1,5 Millionen zunehmen, aber dieser Zuwachs wird sich auf die Bereiche Bau und Transport konzentrieren. In der Produktion werden in den Vereinigten Staaten weitere 349 000 Stellen verloren gehen, also jene Fabrikarbeit, die die Hauptstütze der Industriewirtschaft bildete. Und die Fertigungsindustrien allgemein werden 1,2 Millionen Arbeitsplätze abbauen, da der sogenannte güterproduzierende Wirtschaftssektor seinen Niedergang von 17,3 Prozent im Jahr 1998 auf 14,2 Prozent 2008 fortsetzen wird bis zu 12,9 Prozent im Jahr 2018.4 In der Wirtschaftskrise erwiesen sich Stellen im Dienstleistungsund Kreativbereich als wesentlich widerstandsfähiger. So lag die Arbeitslosenquote in den USA auf ihrem Höchststand im September 2009 insgesamt etwa bei 10 Prozent, unter Industriearbeitern bei 15 bis 17 Prozent, bei Arbeitern im Dienstleistungsbereich bei 9,5 Prozent und unter Beschäftigten in kreativen und wissensintensiven Berufen bei nur 5 Prozent. Das gilt bereits seit Jahrzehnten. Industriearbeiter bekamen seit 1971 die Auswirkungen jeder Rezession
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besonders zu spüren und hatten drei- bis viermal höhere Arbeitslosenquoten als Beschäftigte im Kreativbereich. Tatsächlich stieg die Arbeitslosenquote im Kreativbereich nur ein einziges Mal über 5 Prozent, und zwar in der gegenwärtigen Krise. Bei geringqualifizierten Beschäftigten im Dienstleistungssektor lag die Arbeitslosenquote im mittleren Bereich.5 Die alte produzierende Wirtschaft brauchte körperliche Fertigkeiten wie Muskelkraft und manuelle Geschicklichkeit. Heute sind Fähigkeiten anderer Art gefragt: analytische Fähigkeiten wie das Erkennen von Mustern und Problemlösungen und soziale Intelligenz, die sich beispielsweise in situativer Sensibilität und Überzeugungskraft äußert, wie sie zur Teambildung und Mobilisierung erforderlich sind. Tätigkeiten, die hohe analytische Fähigkeiten wie in Medizin und Biotechnik oder soziale Intelligenz wie in der Psychiatrie und im Management verlangen, entstehen nicht nur in stärkerem Maße als andere Stellen, sondern werden auch besser bezahlt. Bei den analytischen Fähigkeiten liegt zwischen dem unteren und dem oberen Viertel der Anforderungen – etwa zwischen einem Reiseverkehrskaufmann und einem Wirtschaftsprüfer – ein Unterschied in der Bezahlung von durchschnittlich 18 700 US-Dollar; bei Fähigkeiten der sozialen Intelligenz ist die Kluft mit 25 100 US-Dollar noch größer. Das Umgekehrte gilt bei körperlichen Fähigkeiten: Vom unteren zum oberen Viertel der körperlichen Anforderungen sinkt die Bezahlung durchschnittlich um 8 100 US-Dollar.6 Diese Tatsachen stellen den Arbeitsmarkt vor eine doppelte Herausforderung. Es liegt auf der Hand, dass einerseits mehr Stellen zu schaffen sind, die hohe analytische und soziale Fähigkeiten erfordern, andererseits müssen aber auch die analytischen und sozialen Anforderungen in den bestehenden Arbeitsplätzen erhöht werden. Darüber ist sich die Politik im Umgang mit der Wirtschaftskrise offenbar nicht im Klaren. Knapp einen Monat nach ihrem Amtsantritt veröffentlichte die Regierung unter Präsident Obama ihr umfangreiches Konjunkturpaket: Es umfasste erstaunliche Ausgaben in Höhe von einer Dreiviertelmilliarde Dollar, um die lahmende amerikanische Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. In der Senatsdebatte über die ursprüngliche Vorlage für das Konjunkturpaket wurde ein relativ kleiner Betrag, der im Kunstbereich für
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die National Endowment for the Arts (NEA, eine staatliche Stiftung für Kulturförderung) vorgesehen war, als verschwenderische porkbarrel-Ausgabe verhöhnt, die Interessen einer bestimmten Wählerklientel bediene. Das erscheint mir geradezu absurd. Jack Kingston, ein republikanischer Abgeordneter aus Georgia, erklärte: »Da draußen sind in diesem Augenblick reale Menschen arbeitslos! Es ist unehrlich, 50 Millionen Dollar in die NEA zu stecken und so zu tun, als ob das Arbeitsplätze retten würde, statt 50 Millionen in ein Straßenbauprojekt zu investieren.«7 Das ist grotesk. Die Kunst ist ein wichtiger Bereich der Kreativwirtschaft. Die Volkswirtschaft profitiert von erheblichen Spillover- und Synergie-Effekten, wenn Sachverstand in Kunst und Design sich mit technologischem Know-how verbindet und alle möglichen originellen neuen Güter und Dienstleistungen hervorbringt. Zu den Produkten, die diese dynamische Kreuzung aus Kunst und Wissenschaft allein in den letzten Jahren geschaffen hat, gehören iPods, Videospiele, Blogs, E-Books, virtuelle Musikstudios und Online-Universitäten. Wenn solche Technologien und neuen Industriezweige wachsen sollen, müssen wir weniger Zeit und Kraft darauf verwenden, die alte Ökonomie vor dem Bankrott zu bewahren, und mehr in den Aufbau dieser neuen Bereiche investieren. Es genügt jedoch nicht, Arbeitsplätze für Kreative und Akademiker nur im oberen Bereich auszubauen. Entscheidend ist, die analytischen und sozialen Aspekte aller Arbeitsplätze zu verstärken. In einigen Bereichen geschieht das bereits. In manchen Fertigungsbetrieben verrichten Arbeiter nach wie vor stumpfsinnige Handgriffe, in anderen nehmen sie an Qualitätszirkeln und Statistikkursen teil und haben mehr individuellen Einfluss auf die Fließbandfertigung. Ihre Unternehmen profitieren durch höhere Produktivität, und die Arbeiter profitieren durch sicherere Arbeitsplätze und höhere Löhne. Eine enorme potenzielle Quelle für gute Arbeitsplätze liegt unmittelbar vor unserer Nase: der Dienstleistungssektor, der in den Vereinigten Staaten vier von zehn Erwerbstätigen beschäftigt. Viele werden jedoch einwenden, dass diese Jobs im Dienstleistungs-
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bereich zu den schlechtesten der Wirtschaft zählen. Die Bezahlung ist im Durchschnitt sehr niedrig und Arbeitsplatzsicherheit kaum vorhanden. Solche Arbeiten bieten kaum Hoffnung auf langfristige finanzielle Sicherheit und entsprechen zudem in der Regel nicht den Karrierevorstellungen, die die meisten Menschen hegen. Es sind Jobs für junge Leute, die während des Studiums Geld verdienen, und für Einwanderer und Menschen ohne Bildungschancen, die sie übergangsweise annehmen, während sie auf bessere Gelegenheiten warten. Aus diesen und anderen Gründen sehen viele darin einen armseligen Ersatz für langfristige, stabile, gut bezahlte Arbeitsplätze, die in der Produktion verloren gehen. »Wenn es überhaupt einen Zuwachs an Arbeitsplätzen gibt, kommt er überwiegend aus dem Gesundheits- und Bildungswesen und dem Hotel- und Gaststättengewerbe«, schreibt Zuckerman. »Allein das Gesundheitswesen stellte den gesamten Nettozuwachs an Arbeitsplätzen des vergangenen Jahrzehnts.« Er fügt jedoch hinzu: »Solche Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich können allerdings Wachstum und Innovation nicht stützen.« Aber gerade die Vorstellung, nur Arbeitsplätze im Produktions- und Hightech-Bereich könnten Innovation und Wachstum hervorbringen, hat die Wirtschaft in ihre derzeitigen eingefahrenen Arbeitsmarktbahnen gebracht und hält sie darin gefangen. Aus meiner Sicht bieten Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor viel Potenzial für Innovation, Unternehmergeist und die Aufwertung von Beschäftigungsmöglichkeiten. Hochfliegende Hightech-Neugründungen wie Facebook und Twitter ziehen zwar die gesamte Medienaufmerksamkeit auf sich, aber in den USA werden bei weitem die meisten Firmen im Dienstleistungssektor gegründet: Restaurants, Einrichtungen zur Kinderbetreuung, Landschaftsgärtnereien, neue Marketing- und Lieferdienste, etwa für hausgemachte Mahlzeiten, bis hin zur häuslichen Technologieberatung. Es bieten sich enorme Chancen, diese Unternehmer durch Managementhilfen und Mentoren zu unterstützen, damit ihre Firmen wachsen und sich langfristig entwickeln können. Damit bleiben immer noch unzählige hochstandardisierte Arbeitsplätze in Restaurantketten, Supermärkten, Autovermietungen und Kopierläden bestehen. Aber selbst solche Arbeitsplätze lassen sich nach denselben Prinzipien umgestalten, die auch die besten
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Hightech-Unternehmen wie Google, Cisco Systems, Genentech und SAS Institute und die besten Produktionsunternehmen wie Toyota anwenden, indem sie ihre Arbeiter ständig in Innovationen und Produktivitätssteigerungen einbeziehen. Einige der erfolgreichsten Service-Unternehmen verfolgen einen ähnlichen Kurs und verwandeln Tätigkeiten, die früher als niedere Arbeiten galten, in attraktive, lohnende Beschäftigungen. Nicht Produktionsbetriebe, sondern Dienstleistungsunternehmen rangieren heute neben führenden Hightech-Firmen an der Spitze der besten Arbeitsplätze. Zwanzig Dienstleister von Wegmans Food Markets, Whole Foods Markets und Starbucks über die Einzelhandelskette für Freizeitbedarf REI bis hin zu Nordstrom, Zappos und The Container Store gehören zu den hundert Spitzenarbeitgebern in den Vereinigten Staaten.8 Diese Unternehmen erhöhen zum einen die Löhne. So verdient der typische stundenweise entlohnte Beschäftigte bei The Container Store mit etwa 30 000 US-Dollar im Jahr zwar immer noch nicht das Gleiche wie ein Arbeiter am Fließband bei General Motors in der Blütezeit des Unternehmens, liegt aber immerhin 50 Prozent über dem Durchschnittsverdienst von Einzelhandelsbeschäftigten. Bei Trader Joe’s gilt, dass Vollzeitbeschäftigte mindestens das mittlere Haushaltseinkommen ihres Wohnorts verdienen, und Filialleiter, die überwiegend innerhalb des Unternehmens in diese Position aufgestiegen sind, können es auf sechsstellige Jahreseinkommen bringen. Von diesem Ausgangspunkt müssen wir dahin kommen, dass Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich noch innovativer, produktiver und besser bezahlt sind. Wir dürfen nicht ruhen, bevor sie besser bezahlt werden und eine bessere Lebensweise erlauben, als Arbeitsplätze in der Produktion es den beiden vorangegangenen Generationen ermöglicht haben. Menschen wollen lernen, neue Kompetenzen entwickeln und ihre Fähigkeiten und ihr Selbstvertrauen durch Ausbildung, Fortbildung und Aufstiegsmöglichkeiten ausbauen. Dass sich Four Seasons als eine der weltweit führenden Hotelketten etablieren konnte, liegt nicht zuletzt daran, dass das Unternehmen seine Beschäftigten mit Anstand behandelt, ihnen den Aufstieg in die Führungsebene und den Wechsel in neu eröffnete Hotels ermöglicht.
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Mehr und mehr Unternehmen setzen auf Teamarbeit, um die Gemeinschaft unter ihren Beschäftigten zu fördern, und entwickeln Einstellungs- und Auswahlprogramme, die etwa denen führender produzierender Firmen wie Toyota und Hightech-Unternehmen wie Apple entsprechen. So absolvieren neue Arbeitskräfte bei Whole Foods Market eine dreißigtägige Probezeit, nach der die anderen Mitglieder ihres Teams abstimmen, ob der neue Mitarbeiter einen ausreichenden Beitrag geleistet hat und gut genug in das kooperative Umfeld passt, um zu bleiben. Der Internet-Schuhhandel Zappas, der 2009 von Amazon übernommen wurde, verfolgt eine noch radikalere Politik und bezahlt Mitarbeiter dafür, dass sie kündigen. Das Unternehmen ist sehr bemüht, die richtigen Leute einzustellen, aber etwa eine Woche nach Arbeitsbeginn bietet es einem neuen Mitarbeiter eine Prämie von 1 000 US-Dollar für die Kündigung an. Es klingt verrückt, aber das Management ist überzeugt, damit äußerst effektiv Mitarbeiter aussieben zu können, die auf Dauer nicht zum Unternehmen passen. Wer bereit ist, das »Angebot« anzunehmen, beweist damit, dass er nicht die gewünschte Einstellung zur Firma hat. Der Dienstleistungsbereich bietet ein enormes Potenzial, die kreativen Beiträge von Mitarbeitern in vorderster Front für eine Produktivitätssteigerung zu nutzen. Ein Beispiel ist Best Buy, der weltgrößte Spezialeinzelhändler für Unterhaltungselektronik mit 90 000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von gut 25 Milliarden US-Dollar. Nach dem Vorbild des viel gelobten Managementsystems von Toyota ermuntert das Unternehmen die Beschäftigten, die Arbeitsprozesse zu verbessern. Im ganzen Unternehmen wurden Verbesserungsvorschläge von Verkäufern umgesetzt, die Umgestaltung eines Displays für Internettelefone auf Vorschlag eines jugendlichen Verkäufers oder gezielte Werbe- und Serviceangebote für nicht englischsprachige Kunden auf Vorschlag eines Verkäufers mit Migrationshintergrund. Solche Maßnahmen brachten Millionen Dollar an Mehreinnahmen. Best Buy setzt bevorzugt auf Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens, die motivierten Mitarbeitern eine baldige Beförderung vom Verkaufsraum in die mittlere Managementebene ermöglichen, wo die Bezahlung wesentlich besser ist.9
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Eine solche Herangehensweise steckt bislang noch in den Kinderschuhen und lässt sich erheblich ausweiten. Man nehme nur einmal die Tätigkeit von Hausmeistern, die in der Regel als schmutzige Arbeit mit geringem Ansehen und geringen Qualifikationsanforderungen gilt. Das Tätigkeitsfeld lässt sich jedoch ausdehnen und die erforderliche Qualifikation so anheben, dass sie zu einer Quelle für Innovationen wird. Warum sollte man Hausmeister neben der Reinigung von Fußböden und Fenstern nicht auch damit beauftragen, Verbesserungen anzuregen, wie man die Gebäude energieeffizienter und ihre Verwaltung kostengünstiger machen kann? Menschen, die die Heizungs- und Klimaanlage eines Gebäudes warten, können sicher auch in einem Team mitarbeiten, das Modernisierungsmöglichkeiten erarbeitet. Wenn wir Dienstleistungen erst einmal als Quelle von Innovationen und Produktivitätssteigerungen erkennen, können wir anfangen, die Löhne entsprechend den Produktivitätsgewinnen zu erhöhen, die diese Arbeiter erzielen. Die Art der Arbeit, die Menschen tun, und die Art von Arbeitsplätzen, die wir schaffen, haben weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Kommunen. Die Krise wirkt sich, wie gesagt, verheerend auf Industriestädte aus, während Universitätsstädte, Verwaltungs- und Finanzzentren sich als widerstandsfähiger erweisen. Die Konzentration hoch bezahlter Akademikerstellen und gut ausgebildeter, hoch qualifizierter Arbeitskräfte wirft ein Schlaglicht auf den Wandel, der sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Wirtschaftslandschaft vollzogen hat. Vor dreißig Jahren war der Anteil der College-Absolventen in den verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten weitgehend gleich. Mittlerweile ist er jedoch in Städten wie Seattle, San Francisco, Austin, Raleigh und Boston zweibis dreimal so hoch wie beispielsweise in Akron oder Buffalo. Noch größer ist die Ungleichverteilung bei den Absolventen eines weiterführenden Studiums. Eine so starke geografische Sortierung von Menschen nach Fähigkeit und Bildungsgrad gab es bisher noch nie. Die Art der Arbeit und der Arbeitsplätze, die in einer Kommune konzentriert sind, hat weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche von den ökonomischen Aussichten bis hin zur Zufriedenheit und dem Wohlbefinden ihrer Einwohner.10 Wie bereits aufgezeigt,
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leiden Arbeiterstädte unter einem niedrigeren Einkommensniveau und geringerer Zufriedenheit. Städten mit einer hohen Konzentration von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich geht es wesentlich besser. Tatsächlich weisen sie große Ähnlichkeit mit Städten auf, in denen es eine hohe Konzentration von gut bezahlten Arbeitsplätzen für Akademiker und Kreative gibt. Das mag überraschend erscheinen, da Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich die niedrigsten Löhne, geringere Sozialversicherung und weniger Sicherheit bieten als andere Beschäftigungsarten. Regionen mit einem höheren Anteil an Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich erwiesen sich ebenso wie solche mit einer hohen Konzentration von Arbeitsplätzen im Kreativbereich als wirtschaftlich äußerst widerstandsfähig. Dort lag die Arbeitslosenquote von vorneherein niedriger als in anderen Regionen und stieg während der jüngsten Rezession geringer an. In US-Bundesstaaten mit einem höheren Anteil an Dienstleistungsstellen lagen ebenso wie in solchen mit einer hohen Konzentration von kreativ Tätigen die Wirtschaftsleistung, das Einkommen und die Innovationen höher als in anderen Regionen. Dagegen waren Scheidungsrate und Stress niedriger und die Zufriedenheit größer. Das Gleiche gilt für andere Staaten der Welt: Länder, in denen ein höherer Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor arbeiteten, hatten eine höhere Wirtschaftsleistung, Produktivität und Innovationsrate, mehr Firmengründungen und ein erheblich höheres Maß an Zufriedenheit und Wohlbefinden. Das sind tatsächlich gute Nachrichten. Viele Dienstleistungen sind aufgrund ihrer Beschaffenheit weniger dem globalen Wettbewerb und Outsourcing ausgesetzt. Tätigkeiten wie Haare schneiden, Rasen mähen, Kinder betreuen oder einen alten Menschen pflegen lassen sich nur schwer in kostengünstigere Regionen verlagern. Sie gehören zu den Arbeiten, die am stärksten ortsgebunden sind. Da der Dienstleistungsbereich so vielen Menschen Arbeit bietet und einen so großen Wirtschaftsbeitrag leistet, bleibt kaum eine andere Wahl, als diese Arbeitsplätze attraktiver und emotional wie finanziell lohnender zu gestalten. Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich aufzuwerten ist jedoch schwierig. Zum einen trifft die Wirtschaftskrise männliche Arbeiter
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am schwersten. Als Folge der Entlassungen männlicher Arbeiter stellen Frauen mittlerweile annähernd die Hälfte der Erwerbstätigen. In der gegenwärtigen Krise stieg in den USA die Arbeitslosenquote bei Männern um ganze drei Prozentpunkte über die der Frauen – im Frühjahr 2009 auf 10,5 Prozent gegenüber 7,5 Prozent (für Erwerbstätige über 16 Jahren) –, weil Männer stärker im Produktionsbereich tätig sind. Catherine Rampell bezeichnete diese Tendenz in der New York Times als »mancession«.11 Die Geschlechterteilung erschwert auch wirtschaftliche Anpassungen. In der Herstellung arbeiten überwiegend Männer, im Dienstleistungsbereich überwiegend Frauen. Nach Ansicht von Margaret Wente von Globe and Mail begünstigen die allgemeinen wirtschaftlichen Veränderungen – der Anstieg von Arbeitsplätzen im Wissens- und Dienstleistungsbereich und die Abnahme von Beschäftigung in der Produktion – Frauen gegenüber den Männern: »Die neue Ökonomie schafft (langfristig) jede Menge Dienstleistungsstellen in Einzelhandel, Kundendienst und Pflege. Aber so viel Bildung und Umschulungen wir auch anbieten mögen, werden wir aus Fabrikarbeitern und Studienabbrechern nicht so bald Kundendienstmitarbeiter oder Pflegehelfer machen. Diese Jobs werden ihre Frauen und Töchter bekommen.« Sie kommt zu dem Schluss: »In der neuen Welt der Arbeit sind die alten Werte der männlichen Arbeiterklasse ein Anachronismus. Und im Grunde verlangen wir von ihnen nicht, sich umschulen oder fortbilden zu lassen. Wir verlangen vielmehr von ihnen, ihre Vorstellung von Männlichkeit aufzugeben.«12 Aus meiner Sicht hat sie im Wesentlichen Recht. Ich bin in dieser Kultur aufgewachsen. Sexismus und Rassismus grassierten, nahezu täglich kam es zu Handgreiflichkeiten, mit denen Auseinandersetzungen in der Arbeiterklasse fast immer endeten. Als ein GardenState-Stipendium mir ein Studium an der Rutgers University ermöglichte, war ich verblüfft über die relative Sicherheit, meritokratische Orientierung und persönliche Freiheit, die die Mittelschichtkultur bot. Sicher hat die moderne Mittelschichtkultur viele Mängel. Und gewiss teilen nicht alle Arbeiter diese rückwärts gewandten Einstellungen. Viele Arbeitskräfte in modernen Hochleistungsfabriken (unter denen sehr viele Frauen sind) würden gut in den Dienstleistungsbereich oder in akademische Berufe passen. Dennoch ist die
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alte männliche Arbeiterkultur an zu vielen Orten immer noch zu fest verankert. »Männer haben schon wesentlich länger als Ladenbesitzer und Verkäufer als am Fließband gearbeitet«, schrieb Lance Mannion, ein Blogger. »Kellner gibt es schon ewig. Anwälte gehören zum zweitältesten Berufsstand der Welt. Lehrer war jahrhundertelang ein reiner Männerberuf. Die Vorstellung, dass Männer unreflektierte, mürrische Schlägertypen sind, ist eine Frage der Schichtzugehörigkeit, nicht des Geschlechts, und wird Arbeitern von einem System aufgezwungen, das sie als Lastesel braucht. Männer, die bestimmte Werte und Verhaltensweisen als ›weichlich‹ oder ›weibisch‹ ablehnen, schlagen im Prinzip die Chance auf Erfolg aus, und ihre Chefs dürften ihnen dafür sogar dankbar sein.«13 Das kommt mir bekannt vor. Als ich noch ein Kind war, nahm mein Vater mich oft samstags mit nach Newark, um italienisches Brot zu kaufen. Dabei kamen wir unweigerlich an einem Friseursalon vorbei, an dem mein Vater kurz stehen blieb. »Richard, ich war ja so dumm«, sagte er dann. »Als deine Tante [seine ältere Schwester] nach Kalifornien gezogen ist, wollte sie mir diesen Laden geben. Ich hätte ihn in Gang bringen können. Es macht mir Spaß, dir die Haare zu schneiden und deiner Mutter die Haare zu färben. Aber als ich jung war, hielt man Friseure für ›Weichlinge‹. Deshalb habe ich meinen Stolz siegen lassen. Statt meinen eigenen Laden zu übernehmen, mein eigener Herr zu sein und das zu tun, was mir Spaß machte, bin ich in der verdammten Fabrik geblieben.« Am glücklichsten habe ich ihn erlebt, als er in Rente gegangen war und in einem Fitness-Center aushalf. Obwohl diese Arbeit weit unter der leitenden Position war, in die er sich in der Fabrik hinaufgearbeitet hatte, machte sie ihm viel mehr Spaß. Immer wieder sagte er mir, wie sehr er den Kontakt mit Menschen genoss, die dorthin kamen, um sich in Form zu bringen oder in Form zu bleiben – eine Welt, die so anders war als die alten Gewohnheiten in der Fabrik. Manche glauben, Arbeit im Dienstleistungsbereich ließe sich nicht verbessern. Matthew B. Crawford äußert sich in seinem Buch Shop Class as Soulcraft abfällig über meine Behauptung, man könne Dienstleistungsjobs wie in dem angeführten Beispiel bei Best Buy aufwerten. Leidenschaftlich tritt er für die qualifizierte Facharbeit
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ein, die er in seiner Motorradwerkstatt leistet. Zu Recht lobt er die Vorzüge qualifizierter Handarbeit, die den Glücklichen, die sie leisten können, einen guten Lebensunterhalt und viel Erfüllung sichert. Die leidige Wahrheit ist jedoch, dass die Art von Arbeit, die Crawford leistet, nur einer kleinen Minderheit von Arbeitern offensteht. In den Vereinigten Staaten gibt es 5,3 Millionen Arbeitskräfte, die Installations-, Reparatur- und Wartungsarbeiten ausführen, davon sind aber nur ein verschwindender Bruchteil – 16 850 – Zweiradmechaniker. Das ist weniger als ein Zehntel der über 600 Millionen Arbeitskräfte, die überwiegend geringqualifizierte, schlecht bezahlte Dienstleistungen erbringen. Crawfords Tätigkeit ist besonders beneidenswert. Als Besitzer einer eigenen Werkstatt ist er durchaus kein elender Proletarier, sondern Unternehmer und Firmeninhaber. Was seinen Beruf zu einer guten Tätigkeit macht – sogar zu einer großartigen – sind nicht nur seine ausgefeilten manuellen Fertigkeiten, sondern die Tatsache, dass er zu einer kleinen Minderheit von körperlich arbeitenden Menschen gehört, die das Glück haben, die gesamte Bandbreite ihrer Talente und Fähigkeiten nutzen zu können – kognitive, körperliche und organisatorische. Es liegt nahezu vollständig in seiner Entscheidungsgewalt, wie und wann er seine Arbeit erledigt, denn schließlich ist er sein eigener Herr. Deshalb ist er stolz auf seine Arbeit und macht sie gerne. Das trifft auf die meisten Arbeitsplätze im herstellenden Gewerbe nicht zu. Viele beinhalten nach wie vor stumpfsinnige Tätigkeiten. Wie unzählige Studien zeigen, sind sie gezielt so angelegt, dass sie nur geringe Qualifikationen voraussetzen und das Arbeitstempo von Maschinen bestimmt wird – eine moderne Version von Charlie Chaplin, der wild um sich schlagend versucht, mit dem Fließband Schritt zu halten. Motorradreparaturen, wie Crawford sie lobt, sind eine tolle Arbeit, und sicher sollten wir mehr solcher Arbeitsplätze schaffen. Aber Tatsache ist, dass sie die klaffende Lücke im heutigen Arbeitsmarkt nicht schließen können. Wir können nicht auf Jobs im Dienstleistungssektor verzichten, der gegenwärtig zu den am schnellsten wachsenden Arbeitsmarktbereichen zählt. Um der Menschen willen, die heutzutage Serviceleistungen erbringen, und um des langfristigen Wohlstands unseres Landes willen müssen wir alles tun,
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was in unserer Macht steht, um Dienstleistungen zu innovativeren, spannenderen, befriedigenderen und besser bezahlten Tätigkeiten zu machen. Es ist ein großer Fehler, eine Art von Arbeit über eine andere zu erheben. Jegliche Arbeit – sei es im Verkaufsraum, in der Fabrik, im Bildungsbereich, im Dienstleistungssektor oder in der Landwirtschaft – kann sinnvoll und etwas Besonderes oder stumpfsinnig, monoton und seelenlos sein. Meine größte Hoffnung ist, dass der gegenwärtige Reset beitragen kann, ein neues Arbeitsengagement hervorzubringen und jeden Einzelnen in die Lage zu versetzen, eine Arbeit zu verrichten, die Spaß macht, motivierend ist und gut bezahlt wird. Denn das, was Menschen erfüllt und ihnen ein positives Selbstbild und Identität verleiht, sind letztlich nicht käufliche Dinge, sondern ihre Arbeit. Schließlich ist Arbeit das, was uns zu Menschen macht. Marx sah Fabrikarbeit zugleich als Ausbeutung und Entfremdung der Arbeiter an. Seiner Ansicht nach schweißte ihre körperliche Arbeit, ihre Entfremdung und Ausbeutung sie zu einer gesellschaftlichen Klasse zusammen. Aber nicht körperliche Arbeit verbindet Menschen, sondern ihre angeborene Kreativität. Sie unterscheidet den Menschen von jeder anderen Spezies und macht uns alle gleich. Auch wenn wir im Laufe der Zeit ein Kons trukt geschaffen haben, das zwischen Arbeit und angenehmen Freizeitbeschäftigungen unterscheidet, ist die Arbeit der Schlüssel zum Glück. Wir blühen auf, wenn wir eine anspruchsvolle, interessante Arbeit machen. Zu vieles, was in den vergangenen Zeiten der Konjunkturblase zur Krise geführt hat – der aufwändige Konsum, der »Gatsbyismus« der letzten Zeit –, war von dem Drang gespeist, eine riesige emotionale und psychische Leere zu füllen, die das Fehlen befriedigender Arbeit hinterließ. Wenn Menschen in ihrer Arbeit keinen Sinn mehr finden, wenn die Arbeit langweilig, entfremdend und seelenlos ist, bleibt ihnen nur das Konsumbedürfnis übrig, der Drang, sich das Glück im Laden zu kaufen, ein Phänomen, das, wie wir wissen, auf Dauer nicht ausreichen kann. Falls diese Krise tatsächlich etwas Gutes hat, dann sollte es darin bestehen, dass wir unsere Kraft darauf richten, Menschen eine Arbeit zu ermöglichen, die ihrem Leben Sinn verleiht. Das erfordert die
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Logik unserer Wirtschaft. Es ist eine große Chance, dass die weitere wirtschaftliche Entwicklung zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte verlangt, die kreativen Talente des Menschen stärker zu nutzen. Es genügt nicht mehr, immer mehr Ressourcen aus dem Boden zu pumpen, größere Fabriken zu bauen oder mehr Menschen für körperliche Arbeit einzuspannen. Wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft wächst und gedeiht, müssen wir den Einsatz unserer gesamten kreativen Talente ausweiten, nicht nur die einer kleinen Elite, sondern die aller arbeitenden Menschen. Erwerbstätige aller Bereiche (ob auf Farmen, in Labors und Ateliers, Büros oder Einzelhandel, Restaurants, Frisiersalons oder Fitness-Centern) müssen Teil dieser neuen Kreativwirtschaft sein. Letzten Endes werden die Regionen als stärkste und widerstandsfähigste aus der Krise hervorgehen, welche die Notwendigkeit zum Aufbau ökonomischer und sozialer Systeme erkennen und umzusetzen vermögen, die sämtliche kreativen Fähigkeiten eines erheblich größeren Teils der Erwerbstätigen nutzen und die in jedem vorhandene Kreativität wecken können.
Kapitel 17
Die neue Normalität
In keinem Wirtschaftssystem geht es schlicht und ausschließlich nur um Geld. Wirtschaftssysteme spiegeln wider, welche Lebensweise Menschen wählen und wie eine Gesellschaft sich sieht. Wenn für den Massenkonsum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Schlagwort galt, dann war es: »mit den anderen mithalten«. In den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren wurde dieser Leitsatz fast zu einem ängstlichen Mantra. Hersteller und Einzelhändler schlugen Kapital daraus. Geschmack und Status gab es quasi von der Stange, sie wurden effektiv als Fertigprodukt vermarktet. War man Armani oder L. L. Bean? IKEA oder Pottery Barn? ShopRite, WinnDixie, Kroger oder Whole Foods? Die Populärkultur war so von Markennamen besessen, dass es nahezu unmöglich wurde, die Werbung vom eigentlichen Inhalt zu unterscheiden. Ich frage mich, ob jemand, der in fünfzig Jahren zufällig den Filmtitel Der Teufel trägt Prada hört, überhaupt noch eine Ahnung hat, was er bedeutet. Und was ist mit den Frauen der Serie Sex and the City, die mindestens ebenso oft über ihre Lieblingsschuh- und Lieblingshandtaschen designer sprachen wie über ihre besten Freundinnen? Rückblickend erscheint das alles gar nicht mehr real. Viele haben sich wie ich gewundert, wie so viele Menschen sich immer größere Häuser, Strandhäuser in New England, Eigentumswohnungen in Florida und teure Autos leisten konnten. Die Antwort ist ganz einfach: Sie kauften diese Dinge nicht von bereits verdientem Geld, sondern auf Kredit, wie Ben Funnell in der Financial Times schrieb. Er bezeichnet Schulden als »das schmutzige kleine Geheimnis des Kapitalismus«.1 In einer Zeit geringer Produktivität und spärlicher Einkommenssteigerungen, als der Zuwachs an Wohlstand überwiegend an den obersten Bruchteil der Haushalte floss, verschafften
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billige Hypothekenkredite, billige Leasingraten für Autos und Eigenheime, die man praktisch als Bankautomaten benutzte, der amerikanischen Mittelschicht und der Mehrheit der Bevölkerung einen fiktiven Lebensstandard. »Exzessive Kredite waren die einzige Möglichkeit, den Lebensstandard der breiten Masse der Bevölkerung in einer Zeit aufrechtzuerhalten, in der sich Wohlstand zunehmend in den Händen der Elite konzentrierte«, erklärt Funnell. Das Erstaunlichste an diesem ganzen Wahnsinn ist, dass er von unseren führenden Politikern gebilligt und sogar gelobt und gefördert wurde. Wer könnte wohl vergessen, wie George W. Bush in den Tagen und Wochen nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 die Amerikaner ermahnte, nicht zu verzagen, sondern hinauszugehen und das Richtige, das Patriotische, das Einzige zu tun, was die Wirtschaft wieder in Gang bringen könne: einkaufen. Jeder Amerikaner kennt wohl den Slogan: »Ein Huhn in jedem Topf und ein Auto in jeder Garage«, der angeblich von Herbert Hoover stammt. Auch wenn Herbert Hoover diesen Satz in Wirklichkeit nie gesagt hat, vermittelt er anschaulich, dass der Dreh- und Angelpunkt wahren Wohlstands darin bestand, gleichzeitig die industrielle und die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern. Dieser Aussage kam eine Wahlwerbung des Republican National Committee von 1928 nahe, die »das sprichwörtliche Huhn in jedem Topf. Und obendrein ein Auto auf jedem Hof« als Inbegriff des Wohlstands anführte. Hoover erklärte: »Der Slogan des Fortschritts ändert sich vom vollen Henkelmann zur vollen Garage.«2 Um aber an den Punkt zu gelangen, an dem tatsächlich in jeder Garage ein Auto stand, musste zunächst die Nahrungsmittelproduktion billig genug werden, um ein Huhn in jeden Topf zu bringen. Während der Großen Depression und des zweiten Resets sank der Einkommensanteil, den eine amerikanische Familie für Nahrung aufwandte, drastisch. Lag er um die Wende zum 20. Jahrhundert noch bei annähernd der Hälfte des Durchschnittseinkommens einer Familie, so sank er bis 1950 auf weniger als ein Drittel. Gleichzeitig fiel in den USA der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft zwischen 1900 und 1945 von 41 auf 16 Prozent (heute liegt er unter 2 Prozent).3 Billigere Nahrungsmittel setzten verfügbares
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Einkommen frei, das ausgegeben wurde, um Autos, Eigenheime in Vororten und das Inventar dafür zu kaufen. Dieser Strukturwandel der Wirtschaft war notwendig als Starthilfe für das viel bejubelte goldene Zeitalter des Nachkriegswohlstands. Ein ähnlich grundlegender Wandel ist auch im gegenwärtigen Reset notwendig. Es geht nicht nur darum, Konsumvorlieben zu verändern und uns vom alten Dreamteam des Konsums, Haus und Auto, wegzubringen. Vielmehr muss sich unsere Wirtschaftsstruktur tiefgreifend wandeln. Im Laufe der vergangenen fünfzig Jahre ist der Einkommensanteil, den eine amerikanische Durchschnittsfamilie für Wohnung und Autos ausgibt, sprunghaft gestiegen. Von 1950 bis Mitte der 1980er Jahre verdoppelte sich der Anteil, der für Wohnung und Autos aufgewendet wurde, von 22 auf 44 Prozent des Haushaltseinkommens. (Gleichzeitig verdreifachte sich der Anteil, den eine amerikanische Durchschnittsfamilie für die Gesundheitsversorgung ausgeben musste, von 5,2 Prozent Ende der 1950er Jahre auf 14,8 Prozent im Jahr 2000). Noch vor einer Generation machten die Gesamtausgaben für den Grundbedarf – Wohnung, Transport, Krankenversicherung, Bildung und Steuern – 54 Prozent des durchschnittlichen Familieneinkommens aus. Heute sind es 75 Prozent. Es liegt weniger an einem leichtfertigen »Überkonsum« normaler Mittelschichtangehöriger, wie Harvard-Professorin Elizabeth Warren und ihre Tochter Amelia Warren Tyagi erklären, als vielmehr an der Tatsache, dass sie durch die ständig steigenden Kosten dieses Grundbedarfs in der Falle sitzen.4 Das gilt natürlich nicht für alle. Manche haben tatsächlich zügellos immer mehr Geld für teure Autos und Häuser ausgegeben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie größer (wie McMansionHäuser oder Hummer-Geländewagen) oder besser (wie Hybridautos oder renovierte Backsteinhäuser) waren; Tatsache ist, dass sie mehr kosteten. Die Konzentration von Wirtschaftsaktivität und Fachkräften in bestimmten Städten – New York, Washington, San Francisco und so weiter – trieb die Nachfrage vor allem in begehrten, zentrumsnahen Wohnlagen in die Höhe. Ein nettes Haus zu kaufen genügte nicht mehr. Das Zeitalter schicker Wohntrends und des Home-&-Garden-Fernsehsenders war angebrochen: Man brauchte eine Küche mit Kühlschrank und Elektrogeräten von Sub-Zero und
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Wolf, ein gigantisches Badezimmer mit Fußbodenheizung, riesiger Badewanne und Regendusche, einen ausgeklügelten begehbaren Kleiderschrank mit Spezialfächern und Regalen für alles Mögliche von Schuhen über Hemden bis zu Hüten und ein Heimkino mit eingebauter Stereoanlage in der Decke und Flachbildschirm an der Wand, ganz zu schweigen vom eigenen Weinkeller. Ein Toyota, Honda oder Lexus reichte nicht mehr. Immer mehr Leute meinten, einen Range Rover, einen Mercedes, BMW oder Prius fahren zu »müssen« oder gar ein sogenanntes »Luxusnutzfahrzeug« (luxury utility vehicle, abgekürzt LUV). (Über diese Wortschöpfung sollte man einmal nachdenken. Wie »Designer-Jeans« grenzt allein schon der Begriff ans Absurde.) Der Drang, seinen eigenen Status über Wohnung und Auto zu definieren, wurde immer stärker. Nach einer umfassenden kanadischen Studie von 2005 unterschieden sich Kauffreudige von Sparern in ihren Ausgaben für Wohnungen und vor allem für Autos.5 Kauffreudige gaben durchgängig mehr Geld für alle möglichen Dinge von Möbeln und Unterhaltung über Essen und Trinken bis zu Technologie und Bildung aus als Sparer. Bei Autos und verwandten Transportmitteln waren es jedoch ganze 54 Prozent mehr. Wenn wir diese Ausgaben reduzieren und mehr Geld für die Industrien der Zukunft übrig haben wollen, müssen wir anders leben und andere Prioritäten setzen. Auch wenn wir es uns nur ungern eingestehen, stehen wir heute vor noch größeren Herausforderungen als in den 1930er Jahren. Die Große Depression war eine Krise des reifen Industriekapitalismus, und das hatten Ökonomen, Wirtschaftsführer und Politiker recht gut erkannt. Als John Maynard Keynes 1936 sein Werk Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes veröffentlichte, war klar, dass der Staat Geld ausgeben musste, um dem wirtschaftlichen Niedergang entgegenzuwirken, es war jedoch auch klar, wofür dieses Geld ausgegeben werden sollte: für große Infrastrukturprojekte wie den Bau von Fernstraßen, öffentliche Versorgungsnetze und sogar Wohnungen. Lange bevor Keynes Staatsausgaben befürwortete, um die Wirtschaft zu stimulieren, trat Henry Ford für einen Arbeitslohn von 5 Dollar pro Tag ein, damit Arbeiter der Autofabriken sich die Autos kaufen konnten, die sie bauten. Der Einzelhandelsmagnat Lincoln Filene, der die Warenhauskette Filene’s
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Basement gründete, sah es als wichtigste Herausforderung der Wirtschaft an, die Nachfrage der Konsumenten nach allen möglichen Produkten zu stärken. Manche legten Keynes’ Theorie dahingehend aus, dass es der Wirtschaft sogar besser ginge, wenn sämtliche Arbeiter nichts anderes täten, als Gräben auszuheben und wieder zu verfüllen. Aber was während der Großen Depression funktionierte, wird heute nicht mehr ganz so gut wirken. Motor der heutigen Wirtschaft sind weitgehend die ideengetriebenen Kreativindustrien, die in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten herangewachsen sind. Das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln wird dieses Mal einen neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmen erfordern, der dieser neuen ideengetriebenen Wirtschaft entspricht. Leider sind wir nach wie vor in den Denkmodellen der alten Industriewirtschaft verhaftet. Das Platzen der Hightech-Blase im Jahr 2001 behinderte die Entstehung der neuen Wirtschaftsordnung. Es schreckte Investoren ab, sich in Technologie, Internet und aufstrebenden Wirtschaftssektoren zu engagieren, und lenkte den Kapitalfluss aus der Kreativwirtschaft zurück in sichere Immobilien. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der öffentliche Diskurs sich darauf beschränkt, dem alten Haus-Auto-System wieder Leben einzuhauchen – Rettungspläne für Banken, Hypothekenbanken und Automobilhersteller zu erstellen –, obwohl eben diese Bereiche dazu beigetragen haben, die Krise überhaupt erst zu schüren. Gerade diese Produkte und Dienstleistungen müssen sich derzeit neu erfinden und effizienter und erschwinglicher werden. Wir müssen unsere Ausgaben für Häuser, Autos und Energie radikal reduzieren, um verfügbares Einkommen für neu entstehende Güter und Dienstleistungen freizusetzen – von neuen Biotechnologien und leistungsfähigeren Computern bis hin zu neuen Formen persönlicher Entwicklung und Erfahrungen. Teils wird es ganz von selbst zu solchen rückläufigen Ausgaben kommen, wenn die Immobilienblase zurückgeht und die Häuserpreise fallen. Aber da der Grundbedarf immer noch einen so hohen Anteil des Familieneinkommens verschlingt, bleibt der Anteil gering, den Amerikaner für andere Bereiche aufwenden. So stiegen die Ausgaben für Elektronik, die man stellvertretend für Hightech anführen kann, von 1959 bis
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2000 lediglich von 1 auf 1,6 Prozent. Die Ausgaben für Unterhaltung, die man stellvertretend für Erfahrungen setzen kann, sanken von 1950 bis 2000 sogar von 5,8 auf 3,9 Prozent im Jahr.6 Ich bin alt genug, um mehr als einmal erlebt zu haben, wie sich der Zeitgeist völlig änderte. Die 1960er Jahre brachten einen radikalen Wandel der kulturellen Sichtweisen und Werte mit sich. Die aggressive Schickeria- und Yuppie-Mentalität der 1980er Jahre lenkte die Gesellschaft in eine völlig andere Richtung. Aber die Paradigmenwechsel jener Zeiten werden verblassen im Vergleich zu dem, was uns bevorsteht. So war es schon in den 1930er Jahren, als die wilden Zwanziger, die Zeit des Jazz, der unkonventionellen jungen Frauen und des »Großen Gatsby« abrupt umschlugen in die Ära des Musikers Woody Guthrie und der Romanfigur Studs Lonigan. Meine Eltern erzählten oft, welchen tiefen Eindruck die Weltwirtschaftskrise auf sie und ihre Zeitgenossen gemacht hatte. Sie blieben ihr Leben lang finanziell konservativ, leasten nie ein Auto und besaßen keine Kreditkarte. Wird der gegenwärtige Wirtschaftseinbruch Amerikaner veranlassen, weniger auszugeben und mehr zu sparen? Wird er eine neue Ära der Sparsamkeit und Einkehr, Vorsicht und Genügsamkeit einleiten? So viel ist klar: Der Einbruch veranlasste schon jetzt amerikanische Konsumenten, ihre Ausgaben längerfristig erheblich einzuschränken, weniger Kredite zu nutzen und mehr zu sparen. Die Ausgaben sanken beträchtlich – stärker als in jeder anderen Rezession der jüngeren Vergangenheit – und hielten sich über längere Zeit auf niedrigem Niveau. Annähernd zwei Jahre, nachdem das National Bureau of Economic Research den Beginn der Rezession erklärt hatte, blieb der Konsum unter dem früheren Stand. In jeder anderen Rezession seit 1980 normalisierte sich der Konsum in den USA innerhalb von weniger als neun Monaten.7 Im November 2009, über zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte – als viele in den Medien von einer bevorstehenden Erholung sprachen –, lagen die Konsumausgaben laut einer Gallup-Umfrage noch ganze 20 Prozent unter dem Vorjahresstand.8 Das galt für alle Altersgruppen und Generationen, von den Millenials über Generation X, Babyboomer und Achtundsechziger bis hin zu den Senioren. Bei den Senioren ab
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65 Jahren gingen die Ausgaben verständlicherweise am stärksten zurück, nämlich um drastische 32 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren waren es ansehnliche 29 Prozent. Die geringsten Einsparungen gab es in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen, die ihren Konsum um 15 Prozent einschränkten, aber das mag einen jahreszeitlich bedingten Hintergrund haben. Da diese Altersgruppe kleine Kinder hat, ist bei ihr die Notwendigkeit, Weihnachtsgeschenke zu kaufen, am größten. Selbst jüngere Konsumenten von 18 bis 29 Jahren, die kaum Verpflichtungen haben und denen die Zukunft offensteht, reduzierten ihren Konsum um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine andere Umfrage, die das Konsumforschungsunternehmen Yankelovich im Sommer 2009 durchführte, ergab, dass nahezu die Hälfte aller Amerikaner viele Dinge, die ihnen Spaß machten, wegen der Rezession aufgegeben hatten. Eine noch größere Zahl – 65 Prozent – gab an, sie würden nie wieder so unbekümmert Geld ausgeben wie vor der Rezession. Aber nicht alle schränken sich im gleichen Maße ein oder sind zu Einsparungen gezwungen. Von den Befragten, deren Jahreseinkommen unter 35 000 US-Dollar lag, gaben 57 Prozent an, sie hätten Dinge aufgegeben, die ihnen Spaß machten; in der Einkommensgruppe über 125 000 US-Dollar waren es nur 36 Prozent. In der ersten Gruppe erklärten 73 Prozent, nie wieder so unbekümmert Geld ausgeben zu wollen wie vor der Rezession, in der Gruppe der Besserverdienenden waren es nur 49 Prozent.9 Woran sparen die Menschen konkret? Ipsos/Reuters fragte Konsumenten in zwei Dutzend Ländern weltweit, wie sie ihre Ausgaben einschränken. Die größten Einsparungen betrafen verständlicherweise das frei verfügbare Einkommen. Siebzig Prozent der Befragten gaben an, bei Unterhaltung, Urlaub und Luxusgütern zu sparen. Weitere 30 Prozent sparten nach eigenen Angaben am Handy, und etwa 20 Prozent am Kabelfernsehen. Aber mehr als die Hälfte der Befragten erklärte, an Dingen zu sparen, die gemeinhin als Grundbedarf gelten. So gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, sich bei Kleidung und Energieverbrauch einzuschränken, und über 40 Prozent erklärten, beim Autofahren und bei Lebensmitteln zu sparen. Glücklicherweise sagten nur 10 Prozent der Befragten, dass sie an Bildungsausgaben sparten.10
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Es mag durchaus sein, dass das alte Vorortleben in Teilen an Glanz verliert. Das neue Einfamilienhaus, das neue Auto, der Zweitwagen und das ganze Drum und Dran haben nicht mehr die unglaublich beherrschende Stellung, die sie vorher besaßen. Größer gilt nicht mehr als besser. Viele Amerikaner schalten einen Gang herunter und tauschen ihr großes Haus und ihr großes Auto gegen kleinere. Dabei spielen teils finanzielle Gründe eine Rolle. Energie- und Benzinpreise erreichten vor der Rezession einen Höchststand, und vielen wurde klar, dass sie noch lange steigen und vielleicht nie wieder deutlich fallen werden. Es spiegelt jedoch auch ein wachsendes Energie- und Umweltbewusstsein bei immer mehr Amerikanern wider. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt nahm die mittlere Wohnfläche bei neuen Einfamilienhäusern in den USA ab: Sie lag 2007 noch bei 211 Quadratmetern und sank 2008 auf 205 Quadratmeter.11 Das ist zwar kein übermäßig starker Rückgang, kehrt jedoch die jahrzehntelang steigende Tendenz bei den Häusergrößen um. Offenbar verlieren große Vororthäuser und zwei oder mehr neue Autos für jüngere Generationen ihren Reiz. Als die College-Absolventin Jessica Gitner nach Washington zog, schaffte sie den 20 Jahre alten Nissan Kombi ab, den ihre Eltern ihr geschenkt hatten. Sie macht ein Volontariat bei National Public Radio und fährt nun mit der U-Bahn oder mit dem Fahrrad. »Ich habe wie viele, die im selben Boot sitzen, zu kämpfen, um genug für die Miete und die Lebenshaltungskosten zu verdienen«, erklärte sie gegenüber der New York Times. »Ich habe keine Krankenversicherung. Lieber würde ich mein Geld dafür ausgeben als für ein Auto.«12 Die Einsparungen sind tatsächlich beträchtlich. Menschen, die in fußgängerfreundlichen Orten wohnen, geben weniger als 10 Prozent ihres Einkommens für Transportmittel aus, dagegen sind es bei der amerikanischen Durchschnittsfamilie 25 Prozent.13 Ich sehe es an meinem eigenen Leben. Ich bin ein Kind der Autokultur, aber mittlerweile haben meine Frau und ich Autos abgeschafft und fahren die, die wir besitzen, länger. Diese Tendenz ist in Europa und sogar Japan noch ausgeprägter, wo junge Männer und Frauen »das Auto als Statussymbol verschrotten«.14 Eine Umfrage, die das Pew Research Center 2009 durchführte, vermittelt interessante Einblicke in die sich wandelnden Konsum-
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prioritäten der US-Amerikaner. Die Befragten sollten verschiedene lebensnotwendige Dinge nennen und angeben, wie sich deren Rangfolge von 2006 bis 2009 verändert hatte. An erster Stelle der Gebrauchsgegenstände stand das Auto: 88 Prozent der Befragten nannten es lebensnotwendig.15 Das mag immer noch viel erscheinen, aber in einer Gesellschaft, in der jede Familie zwei oder mehr Autos besitzt und das Vorortleben praktisch ein Auto erfordert, um die grundlegenden Alltagsaufgaben zu erledigen, ist es ein beachtlicher Anteil, wenn 12 Prozent der Befragten das Auto nicht mehr für lebensnotwendig halten. Der Statistikguru Nate Silver schrieb in der Zeitschrift Esquire, es gebe greifbare Belege, dass Amerikas einst große Autokultur ihren Zenit überschritten habe. Anhand einer statistischen Analyse, die sich auf Benzinpreise und Arbeitslosenzahlen stützte, zeichnete er nach, wie viel Amerikaner Auto fahren. Die Ergebnisse für die Zeit von 1980 bis 2009 stellte er anschließend in einer Grafik dar. »Amerikaner hätten im Januar 2009 etwas mehr Auto fahren müssen als im Vorjahr«, stellte er fest und verwies als wesentlichen Faktor auf die stark gesunkenen Benzinpreise. »Stattdessen fuhren sie, wie beschrieben, etwas weniger. Tatsächlich fuhren sie 8 Prozent weniger, als das Modell voraussagte.« Dies und die ungewöhnlich schwachen Verkaufszahlen bei Neuwagen lässt Silver vermuten, dass Amerikaner vielleicht »dauerhaftere Änderungen ihres Lebensstils in Erwägung ziehen« – weniger Autos zu kaufen oder weniger häufig neue Autos zu kaufen, weniger zu fahren und allgemein »mit dem Gedanken spielen, ein autofreies Leben zu führen«.16 Eine Studie von J. D. Power and Associates, die vor allem durch ihre Qualitätsranglisten für Autos bekannt sind, bestätigt, was junge Leute mir erzählen: Die Studie analysierte Hunderttausende Internetbeiträge in Autoforen, bei Twitter und Facebook und stellte fest, dass Teenager und junge Leute mit Anfang zwanzig immer weniger »die Notwendigkeit sehen und den Wunsch haben, ein Auto zu besitzen«.17 »Es findet ein Kulturwandel statt«, erklärte John Casesa, ein altgedienter Analyst der Autoindustrie gegenüber der New York Times. »Teils liegt das am starken wirtschaftlichen Abschwung. Aber jüngere Konsumenten stehen Autos ablehnend gegenüber. Sie sehen das Auto nicht so, wie ihre Eltern es taten, und sie verfügen nicht über das Geld, das ihre
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Eltern hatten.«18 Ob es nun daran liegt, dass sie kein Auto wollen, es sich nicht leisten können oder es als Symbol der Verschwendung und Umweltverschmutzung sehen – immer mehr Amerikaner verzichten auf ihr Auto. Sie fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder ziehen in fußgängerfreundliche Viertel, in denen sie ohne Auto auskommen können, nehmen gelegentlich einen Mietwagen oder steigen auf Car-Sharing um. Außer Autos haben auch viele Haushaltsgeräte ihren Reiz und den Stellenwert als Statussymbol verloren, den sie früher besaßen. In der Umfrage des Pew Research Center ging die Zahl der Befragten, die eine Spülmaschine für notwendig hielten, nach der Wirtschaftskrise gegenüber der Zeit vor der Rezession um 14 Prozent zurück, bei Klimaanlagen waren es 16 Prozent, bei Wäschetrocknern 17 Prozent und bei Mikrowellen 21 Prozent. »Diese stark gesunkene Wahrnehmung von Wäschetrocknern, Heimklimaanlagen und Spülmaschinen als notwendige Haushaltsgeräte ist meiner Ansicht nach teils eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise, aber mehr noch eine Reaktion auf das Platzen der Immobilienblase«, schreibt Felix Salomon, ein Wirtschaftsblogger; »Leute definieren sich nicht mehr so sehr über ihre Haushaltsgeräte, wie sie es während des Immobilienbooms taten«.19 Die Ausgaben für greifbare Dinge, vor allem für Luxusgüter, sind zwar nachweislich zurückgegangen, aber die amerikanischen Konsumenten haben nicht vollständig aufgehört, Geld auszugeben. Ein Teil der Konsumausgaben fließt nun stärker in Erlebnisbereiche: Reisen, Wellness und Fitness, Unterhaltung, Selbstverwirklichung und Selbstvervollkommnung. Die kreative Schicht begnügt sich nicht damit, still in ihren bescheidenen Häusern zu sitzen, vor denen vernünftige Autos stehen. Sie besuchen auch weiterhin Restaurants und Kulturveranstaltungen, unternehmen mit ihren Familien Kajaktouren, lernen Fallschirmspringen oder arbeiten in den Ferien als ehrenamtliche Helfer; sie brauen Bier, legen Gemüsegärten an, bauen Möbel und schaffen neue Märkte für neue Güter und Dienstleistungen, auch wenn sie eine selbstgenügsamere Doit-yourself-Mentalität entwickeln. Das fiel mir besonders auf, als ich im Winter Anfang 2009 in Miami Beach war. Die Immobilien-
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blase war geplatzt, und aufwändige neue Wohnkomplexe mit Eigentumswohnungen standen komplett leer, nicht ein einziges Licht brannte abends darin. Dennoch waren Restaurants, Cafés und Bars an der Lincoln Road voller Gäste, die aßen und sich unterhielten. Sie mochten zwar nicht das Geld haben, Immobilien zu kaufen oder im teuersten Hotel abzusteigen, aber sie unternahmen etwas zusammen, machten kürzere, weniger kostspielige Wochenendausflüge und nahmen sich Zeit, sich mit Freunden auf einen Drink oder zum Essen zu treffen. Es ist verlockend, sich vorzustellen, dass Menschen für ein selbst gekochtes Essen mit Freunden darauf verzichten, die neueste angesagte Bar zu besuchen oder die aktuelle Crossover-Küche zu testen, aber dabei sollte man den Blick für die Realität nicht verlieren. Menschen werden sich immer über ihre Konsumgewohnheiten definieren. Konsum wird immer und unausweichlich von einer gewissen Konkurrenz getrieben sein, selbst wenn die Regeln sich ändern. Wenn Menschen früher finanziellen Erfolg durch den Kauf von Statussymbolen zur Schau stellten, werden sie auch heute ihr neues Verantwortungsbewusstsein als Konsument nach außen zu präsentieren wissen. Solange Menschen mit Geld, Gütern und Dienstleistungen handeln, werden sie auch weiter auf Marketing-Maschen hereinfallen – und Werbefachleute wissen, was funktioniert. Man denke nur an die Kampagne der Bekleidungskette The Gap »Buy Red, Save Lives«, die den Kampf gegen Aids in Afrika unterstützt, oder an eine Firma wie Endangered Species Chocolate, die einen gewissen Teil ihres Umsatzes für bedrohte Arten einsetzt. Dennoch zielen solche Kampagnen darauf ab, Kunden zum Kauf von Dingen zu bewegen, die sie definitiv nicht brauchen, die nun aber ihre neu gewonnene Identität als verantwortungsbewusste Erdbewohner ansprechen. Auch wenn wir es uns nur ungern eingestehen, ist unser Konsum weniger von den materiellen Gütern an sich bestimmt als von dem Status, den wir mit ihnen verbinden. Materieller Besitz und der wahrgenommene Status sind weitgehend ein und dasselbe. Das gilt allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Vor knapp zehn Jahren stellte John Seabrook eine Verlagerung fest, weg von älteren Formen des Prestigekonsums, hin zu neuen, subtileren Statussymbolen.20
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Ökoprodukte haben sich zu den ultimativen Statusgütern entwickelt. Wer Hybridautos kauft, tut dies mehr wegen des Status, den sie vermitteln, als wegen der Benzineinsparungen und der Energieeffizienz. Besitzer eines Toyota Prius zahlen einen beträchtlichen Aufpreis gegenüber vielen herkömmlichen Autos mit sparsamem Treibstoffverbrauch. Auf die Frage nach den wichtigsten Motiven für ihren Kauf stand ganz oben auf der Antwortliste: »Es sagt etwas über mich aus«, während »geringerer Benzinverbrauch« an dritter Stelle und »geringere Schadstoffemissionen« an fünfter Stelle rangierte, wie eine Umfrage der New York Times im Juli 2007 ergab.21 (Ein solches Ergebnis hätte man wahrscheinlich vermuten können. Schließlich haben Autohersteller schon vor langer Zeit herausgefunden, dass der Trend, SUVs zu kaufen, weniger mit Sicherheit, Ladekapazität oder Stabilität zu tun hat als mit der Einstellung der Käufer, die das Fahren eines SUV mit dem Image von Jugendlichkeit, Robustheit und Abenteuerlust verbinden.) Forscher der University of Minnesota, der University of New Mexico und der Rotterdam School of Management stellten 2009 in einer Studie fest, dass es beim Kauf von Ökoprodukten weniger um Energie- oder Kostenersparnisse geht als um Status und Image. »Status motiviert Menschen, Ökoprodukte luxuriöseren, nicht-ökologischen Produkten vorzuziehen.« Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich für Ökoprodukte entschieden, war höher, wenn sie in der Öffentlichkeit einkauften und wenn sie mehr kosteten als konventionelle Alternativen. Die Forscher schlossen daraus, dass Ökokonsumenten von Status und Image motiviert sind, vor allem von dem Wunsch, auf andere altruistisch zu wirken.22 Bei diesem Trend handelt es sich offenbar um ein zentrales Element der neuen Normalität: Konsumenten entwickeln eine neue Einstellung zur Markenidentität als Statussymbol. Insbesondere Erfolgreiche und Wohlhabende stellen nicht länger Markenlogos und materiellen Überfluss zur Schau, um zu demonstrieren, was sie im Leben erreicht haben, sondern schmücken sich mit ihrem Konsumverzicht oder zumindest mit ihrer Fähigkeit zu durchdachtem, ökologisch verträglichem oder politisch korrektem Konsum. Die Qualitätsmaßstäbe verändern sich. Für manche bedeutet Qualität vielleicht, die beste Verarbeitung oder das authentischste Produkt
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zu haben. Anderen geht es um komplexe oder exotische Komponenten. Wieder andere verstehen unter Qualität, das preisgünstigste Produkt zu finden, das seine Funktion ebenso gut erfüllt wie die teuren Alternativen. Und für manche bedeutet Qualität, dass der Kauf eines Produkts einen Wert für die Welt hat oder ihr nicht schadet. Es ist ermutigend, sich eine Konsumumgebung vorzustellen, in der kleiner tatsächlich besser sein kann; in der der Druck wächst, weniger zu konsumieren, und sich Einkäufe in Grenzen halten, in der man seine Identität nicht mehr von der (Designer-)Stange kauft und Kaufentscheidungen von übergeordneten, stärker nach außen gerichteten Dingen beeinflusst werden. Dieses Ziel haben wir sicher noch nicht erreicht, aber wir machen Fortschritte. Der Wandel ist spürbar, vor allem im Vergleich zu dem übertriebenen Lebensstil der vergangenen zwanzig Jahre. Eine der wenigen guten Auswirkungen der Krise ist, dass sie einigen der schlimmsten Auswüchse des Prestigekonsums den Boden entzogen hat. »Notversteigerungen von Villen, Yachten, Sportwagen und anderen Wohlstandsattributen sind zunehmend an der Tagesordnung, da die Reichen weniger reich sind«, schrieb Robert Frank, der Autor des Buches Richistan im Wall Street Journal. »Ob sie nun ihre Rechnungen nicht bezahlen können oder in einer Zeit nationaler Sparmaßnahmen nicht verschwenderisch erscheinen wollen, schaffen sich viele Millionäre und Milliardäre ihre Spielereien vom Hals. In einer Abwandlung der Nachlassversteigerungen verstorbener Berühmtheiten erfreuen sich ›Nachlassversteigerungen Lebender‹ zunehmender Beliebtheit.«23 Gut so. Es fällt schwer, Mitleid mit den strebsamen Neureichen zu empfinden, die gezwungen sind, sich von ihren extravaganten Anschaffungen zu trennen. Noch immer gibt es genügend Menschen, die große Autos und große Häuser haben wollen. Aber solche Dinge verlieren an Reiz, der ohnehin großenteils etwas Schauriges und Voyeuristisches hat. Das erklärt übrigens auch die Popularität von Reality-TV-Serien wie Real Housewives, die das Leben wohlhabender Hausfrauen schildern. McMansions sind geschmacklos, einen Hummer zu fahren ist mehr als protzig und Typen wie der Filmmilliardär Gordon Gekko sind schlicht widerlich. Der Zeitgeist ändert sich und wendet sich ein-
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deutig ab von schnödem Materialismus – zumindest außerhalb der Kreise in Südflorida, über die Reporter wie Robert Frank berichten, oder in Beverly Hills und ähnlichen Nobelwohngegenden. Das allgemeine gesellschaftliche Ende dieser Einstellung war längst überfällig. Es ist jedoch keineswegs klar, dass wir in die entgegengesetzte Richtung steuern. Dass ein neues Zeitalter der Sparsamkeit und Einfachheit anbricht, ist unwahrscheinlich. Die Belege dafür »scheinen eher das Produkt von Wunschdenken zu sein als alles andere (unter Experten herrscht eine spürbare Sehnsucht, dass Amerikaner genügsamer werden)«, schreibt James Surowiecki im New Yorker.24 Als der Aktienmarkt einbrach, gingen auch die Konsumausgaben drastisch zurück, erholten sich aber innerhalb von nur neun Monaten bis zum Frühjahr 2009, wie er anmerkt. Aber wahrscheinlich werden wir erleben, dass sich die Art des Konsums weiterentwickelt – was für eine dauerhafte Erholung auch notwendig ist. Und das wiederum hängt von der Entwicklung des nächsten spatial fix, der nächsten Raumlösung ab.
Kapitel 18
Die große Umsiedlung
Im Frühjahr 2008 besuchte ich die Google-Niederlassung in Manhattan, Chelsea. Der Zutritt zu dem Gebäude war umständlich, denn ich musste mehrere Sicherheitskontrollen passieren. Als ich schließlich den imposanten Altbau betrat, erwartete mich an der Wand der Eingangshalle eine mannshohe interaktive Google-Karte, die meine Bewegungen verfolgte. Das gesamte Gebäude war gestaltet wie ein Loft. An den Wänden hingen LCD-Bildschirme, überall gab es moderne Möbel und raffinierte Beleuchtung. Die Beschäftigten passten zu keiner einheitlichen Kategorie oder Kleiderordnung. Die meisten waren zwischen zwanzig und vierzig und trugen lässig Jeans, Piercings und sogar hüftlanges purpurrotes Haar. Als man mich in den Vortragsraum führte, bemerkte ich Schlafsofas und Tischtennisplatten, die eher den Eindruck eines Studentenwohnheims als einer Firmenverwaltung weckten. Als ich aufstand, um meinen Vortrag zu halten, fiel mir auf, dass die meisten im Publikum mir mit geöffneten Laptops zuhörten. Mehrere schauten sich meine Internetseite an oder googelten mich und andere Quellen, während ich sprach. Harmlos fragte ich meine Zuhörer, ob sie eine Karte hätten, auf der eingetragen sei, wo die Beschäftigten dieser Niederlassung wohnten. Innerhalb von Sekunden zeigten sie mir auf ihren Laptops GoogleKarten mit Markierungen, die ihre Wohnungen in Mittelschichtsvierteln und gehobenen Vororten von Montclair und Basking Ridge, New Jersey, Westchester County und ähnlichem anzeigten. Besonders viele Markierungen zogen sich wie ein Band durch Lower Manhattan, Brooklyn und ehemals heruntergekommene Arbeiterviertel wie Jersey City und Hoboken in New Jersey, wie mir auffiel. Später besuchte ich auch den wesentlich größeren Hauptsitz des Unternehmens in Silicon Valley, Googleplex, der noch imposan-
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ter war. Ich ging über das Firmengelände zwischen Scharen von Leuten, die an Tischen im Freien aßen oder Fußball und Frisbee spielten. In der Kantine gab es an Dutzenden Essensausgaben kostenlose Gerichte aus aller Welt – indische, chinesische, mexikanische –, die von der kulturellen Vielfalt der Google-Beschäftigten zeugten. Hier saßen nicht nur Firmenangehörige, sondern auch Ehegatten, Kinder und Verwandte. Es herrschte eine erstaunlich bunte Mischung, ich sah Hidschabs, weite Gewänder, zerrissene Jeans und Kippas. Während meines Vortrags stellte ich dem Publikum die gleiche Frage wie den Google-Mitarbeitern in New York: wo sie wohnen und wie sie zur Arbeit kommen. Ich erfuhr, dass Google einen Shuttle-Bus mit drahtlosem Internetzugang betreibt, der Beschäftigte, die im Zentrum von San Francisco wohnen, nach Silicon Valley bringt. Manche nehmen die lange Fahrt in Kauf, um die Großstadtatmosphäre San Franciscos genießen zu können, andere ziehen es vor, näher an Silicon Valley in Vororten zu wohnen. Aber sie alle arbeiten am gleichen Ort und gehören zur selben Wirtschaftsregion. Die Zukunft der Stadtentwicklung gehört einer größeren geografischen Einheit, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat: die Megaregion. Auf der ganzen Welt drängen Menschen in die vielversprechendsten Megaregionen, die in den vergangenen Jahren rapide gewachsen sind – Ballungsräume, die mehrere Großstädte mit ihren Vorstadtgürteln umfassen. Die größte Megaregion der USA ist gegenwärtig »Bos-Wash«, die der Geograf Jean Gottmann erstmals als »Megalopolis« beschrieb. Sie erstreckt sich an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Boston über New York, Philadelphia und Baltimore bis nach Washington, D. C., hat über 50 Millionen Einwohner und bringt Wirtschaftsaktivitäten im Wert von über 2 Billionen US-Dollar hervor. Die Wirtschaftsleistung der Region ist größer als die Großbritanniens oder Frankreichs und doppelt so groß wie die Indiens oder Kanadas. Die zweitgrößte Megaregion, die Gottmann »Chi-Pitts« nannte, umfasst eine Fläche von 260 000 Quadratkilometern mit den Städten Chicago und Pittsburgh, hat 46 Millionen Einwohner und eine Wirtschaftsleistung von 1,6 Billionen US-Dollar. Weitere Megaregionen der USA sind:
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• Char-lanta: Atlanta, Charlotte und Raleigh-Durham, 22 Millionen Einwohner • So-Cal: Südkalifornien mit Los Angeles und Umgebung, 21 Millionen Einwohner • Tor-Mon-tawa: Toronto, Montreal und Ottawa, 22 Millionen Einwohner • Nor-Cal: Nordkalifornien mit San Francisco und Umgebung, 12,8 Millionen Einwohner • So-Flo: Südflorida mit Miami, Orlando und Tampa, 15 Millionen Einwohner • Dal-Austin: Dallas und Austin, 10 Millionen Einwohner • Hou-Orleans: Houston und New Orleans, 9,7 Millionen Einwohner • Cascadia: Seattle, Portland und Vancouver, 9 Millionen Einwohner • Pho-Tus: Phoenix und Tuscon, 4,7 Millionen Einwohner • Den-Bo: Denver und Boulder, 3,7 Millionen Einwohner Zentren weiterer Megaregionen in anderen Teilen der Welt sind London, Amsterdam, Tokio, Shanghai und Mumbai. Sie alle sind Finanz- und Handelszentren mit Zigmillionen Einwohnern und einer Wirtschaftsleistung von Hunderten Milliarden Dollar.1 Nicht einzelne Staaten, sondern die Megaregionen sind der eigentliche Motor der Weltwirtschaft. Die vierzig größten Megaregionen der Welt bringen zusammen zwei Drittel der globalen Wirtschaftsaktivität hervor und 85 Prozent der weltweiten technologischen Innovation, obwohl dort nur 18 Prozent der Weltbevölkerung leben. Megaregionen sind strategische Machtzentren der Wirtschaft; in den Vereinigten Staaten und Kanada beheimaten sie 85 Prozent aller Unternehmenszentralen.2 Viele Analysten haben zwar vorhergesagt, dass Städte – und Standorte – mit der Globalisierung an Bedeutung verlieren werden, in Wirklichkeit haben Städte und Megaregionen jedoch eine größere wirtschaftliche Bedeutung als je zuvor. Selbst als die Globalisierung Fabriken, Unternehmen und Laboratorien in Länder wie Indien, China, Brasilien und darüber hinaus verlagerte, wuchs die Konzentration in den Megaregionen. Entgegen der Vorstellung,
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dass die Welt flach sei, werden die erfolgreichsten Megaregionen de facto nicht flacher, sie werden wirtschaftlich noch stärker herausstechen.3 Megaregionen sind für unsere Zeit, was die Suburbanisierung für die Nachkriegszeit war. Sie enthalten den Keim einer neuen Raumlösung. Sie erweitern und intensivieren die Nutzung von Land und Raum ebenso, wie es die Industriestadt im ersten Reset und die Vorstadt im zweiten Reset taten. In dem Maße, wie Menschen in die größten Megaregionen der Welt strömen, werden Innenstädte und zentrumsnahe Vororte zurückerobert und umgebaut. Ältere Vororte, besonders an Durchgangsstraßen, werden umstrukturiert und zu dichteren Siedlungen umgestaltet, die neben Einfamilienhäusern mehr Eigentumswohnungen und Stadthäuser bieten. Einkaufszentren und Bürokomplexe der Vororte werden umgerüstet und in fußgängerfreundliche Viertel mit einer Mischung aus Wohnhäusern, Läden und Restaurants und zuweilen sogar neuen Parks verwandelt. Zunehmende Staus auf den Hauptverkehrsstraßen führen zu einem Ausbau des U-Bahn- und Eisenbahnnetzes. Den meisten fällt es schwer, sich eine schlagartige, radikale Veränderung ihrer Lebensweise vorzustellen. Überzeugte Städter schwelgen in den kulturellen Angeboten der Städte und brauchen das quirlige Stadtleben. Glückliche Vorstadtbewohner würden im Traum nicht daran denken, ihre komfortablen Häuser mit den großzügigen Gärten und Doppelgaragen mit Minivans und SUVs aufzugeben. Beide tappen in die Falle, zukünftige Lebensstile als Entscheidung zwischen dem einen oder dem anderen, als Konflikt zwischen urbanem und suburbanem Leben zu sehen. Es gibt genügend eingefleischte Stadtplaner, die das Sterben der Vorstädte und die Rückkehr zu dichteren urbanen Vierteln vorhersagen. Das ist zwar eine schöne, romantische Vorstellung, aber sie ist falsch. Es ist ein Irrtum, die Suburbanisierung für einen Rückschritt zu halten, sie in Bausch und Bogen als »Zersiedelung« zu verurteilen und allein in der Rückbesinnung auf die kompakteren, urbanen Siedlungsformen der Städte einen Weg in die Zukunft zu sehen. Es gibt keinen Kampf zwischen Schwarz und Weiß, Stadt gegen Vorort, aus dem nur einer als Sieger hervorgeht. Städte und Vororte gehören beide zur neuen Raumlösung. Weder die
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weitläufigen Vororte, die Satellitenstädte mit ihren ausgedehnten Bürokomplexen, Wohnvierteln und Einkaufszentren noch die äußeren Speckgürtel der Städte werden einfach verschwinden. Unternehmen werden ihre attraktiven Vorortbüros kaum aufgeben, selbst wenn immer mehr Büros in zentraleren Stadtlagen eröffnen. Viele Menschen werden nach wie vor mit dem Auto zur Arbeit fahren, aber wer lieber öffentliche Verkehrsmittel benutzt, mit dem Fahrrad fährt oder zu Fuß geht, kann das ebenfalls tun. Eine der vielversprechendsten Tendenzen, die ich sehe, ist die Umstrukturierung älterer Vororte in dichtere Mischgebiete. Solche Entwicklungen gibt es im Großraum Washington, D. C., in Vororten wie Arlington, Virginia, und Silver Spring, Maryland, in der Umgebung von S-Bahn-Stationen. Auch in weiter entfernten Vororten vollzieht sich dieser Wandel. Selbst Tysons Corner, der gigantische Einkaufsund Bürokomplex in Fairfax, Virginia, der noch vor nicht allzu langer Zeit als Musterbeispiel einer neuen Ära autoorientierter Randstädte (edge cities) gefeiert wurde, verfolgt ehrgeizige Pläne, sich in eine fußgängerfreundlichere Wohn-, Arbeits- und Freizeitstadt mit einer neuen Bahnlinie zu verwandeln, die Einwohner vom Auto unabhängig machen soll. In Phoenix hat ein Projekt mit dem Namen Green Street Development einige Dutzend zwangsversteigerte Häuser erworben – kleine, schlichte Einfamilienhäuser mit jeweils etwa 130 Quadratmetern Wohnfläche –, die an Hauptverkehrsstraßen in Zentrumsnähe liegen. Diese werden nach ökologischen Maßstäben renoviert und modernisiert. Die Zielgruppe sind junge, hoch qualifizierte Leute, die weiter außerhalb in größeren Häusern wohnen, aber die langen Fahrzeiten zur Arbeit leid sind. (Im Raum Phoenix dauert die durchschnittliche Fahrt zur Arbeit und zurück über eine Stunde.) »Es könnte sich um Leute handeln, die in der Innenstadt arbeiten und ein Viertel suchen, in dem alles fußläufig erreichbar ist«, erklärte der Bauträger in der Radiosendung Morning Edition. »Sie können ins Café gehen, ein richtig cooles Café direkt um die Ecke. Oder sie können zur S-Bahn gehen und zur Arbeit oder zum Sport fahren, mehr Zeit zu Hause verbringen und weniger Auto fahren.« Der Projektplaner ergänzte: »Ich stelle fest, dass sich insofern ein Wandel vollzieht, als die Häuser kleiner und kleinere Räume funktioneller gestaltet werden. Den Menschen geht es weniger um den
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Versuch, anderen zu imponieren, und mehr um Räume, die funktionell und preiswert sind und ihrem Budget entsprechen.«4 Galt gemeinhin die Annahme, dass Vorstädte Aktivposten aus Städten abziehen, so sind die heutigen Metropolregionen mit ihren Stadtkernen, Vororten und Speckgürteln in Wirklichkeit ausgedehnte Städte. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts konnten Städte das Wachstum an ihren Rändern an sich binden, indem sie Anschluss an Neubaugebiete schufen. Doch dann fanden Vororte heraus, dass sie es als eigenständige Gemeinden zu Wohlstand bringen konnten. So entstand der mittlerweile berühmte konzentrische Ring oder in manchen Fällen das Loch-im-Doughnut-Muster unserer Metropolregionen. »Das Vorortwachstum ist größtenteils nicht Folge eines Bevölkerungsschwunds der Innenstädte«, schreibt der Stadtplaner Wendell Cox, »sondern entsteht, weil Menschen aus ländlichen Gebieten und Kleinstädten in die großen Metropolregionen ziehen. Es ist der Reiz großer Metropolen, der das Vorstadtwachstum antreibt. In großen Metropolregionen gibt es lukrativere Arbeitsplätze und im Allgemeinen höhere Einkommen als in kleineren Metropolen.« Folglich ziehen »Ballungsgebiete Menschen an, die der häufig stagnierenden oder sogar rückläufigen Wirtschaft kleinerer Regionen entkommen wollen.«5 Diese Erkenntnis, die stark an die Ansichten von Jane Jacobs erinnert, finde ich durchaus überzeugend. In Stadt im Untergang vertrat Jacobs die umstrittene These, praktisch jedes Wirtschaftswachstum sei auf Städte zurückzuführen. Ihrer Ansicht nach entstanden die Städte noch vor dem Ackerbau. Frühe Städte förderten die Entwicklung der Landwirtschaft, indem sie Handelszentren für landwirtschaftliche Erzeugnisse boten.6 Tatsache ist, dass viele Städte – vor allem die Zentren großer Megaregionen – jahrzehntelang Einwohner an die Vororte verloren haben und nun wieder wachsen. Eine Schlagzeile im Wall Street Journal verkündete im Juli 2009: »Städte wachsen in der Rezession auf Kosten der Vororte.«7 In dem Artikel hieß es: »US-Städte, die über Jahre hinweg Einwohner an die Vororte verloren haben, halten ihre Bevölkerung durch eine Mischung aus Leuten, die in unverkäuflichen Häusern festsitzen, und solchen, die Stadtwohnungen abgelegeneren McMansions vorziehen. Wachsende Städte wachsen
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schneller und schrumpfende verlieren weniger Einwohner, was eine Kombination aus freier Entscheidung und zwingenden Umständen widerspiegelt.« Bei den Einwohnern von San Francisco und Seattle lag das Einkommen 1980 unter dem der gesamten Metropolregion. Aber in beiden Städten überstieg das Einkommen der Stadtbevölkerung 2008 das der Einwohner der Metropolregion um 20 Prozent.8 Die Immobilienpreise lassen eine ähnliche Entwicklung erkennen: In fußläufiger Entfernung zur Innenstadt und in stadtnahen Vororten hielten sich die Preise erheblich besser als in weiter entfernten Vororten und im äußeren Vorstadtgürtel. Im Großraum Washington, D. C., verloren Immobilien in der Stadt weniger an Wert als in den umliegenden Vororten und haben mittlerweile einen erheblich höheren Wert als Vorstadthäuser.9 Großstädte mit mehr als 1 Million Einwohnern verdoppelten bis 2008 ihre Wachstumsrate gegenüber den Jahren 2002 bis 2005. Zum großen Teil konzentrierte sich dieses Wachstum auf Großstädte im Norden der USA wie New York und Chicago, während die Bevölkerung in Sunbelt-Städten zunächst langsamer wuchs und schließlich sogar abnahm. »Das zeigt, dass Städte am Ende dieses Jahrzehnts eine Wiederbelebung erfahren und auch eine Rezession überstehen, die andere Teile unserer Landschaft erheblich schwerer trifft«, erklärte der Demograf William Frey gegenüber dem Wall Street Journal. »Städte sind groß genug und genügend diversifiziert, um diese Höhen und Tiefen der Wirtschaft erheblich besser zu überstehen.«10 Eine große Studie der Brookings Institution zur Migration in den USA bestätigte diese Trends. Sie stellte fest, dass die Abwanderung in stadtferne und neuere suburbane Landkreise 2005 bis 2008 erheblich zurückging, was vielen Großstädten wie New York, Chicago, San Francisco, Boston und Philadelphia einen unerwarteten Bevölkerungszuwachs brachte. Wie die Studie weiter ergab, erlebten die Städte und Regionen den »stärksten Zuwanderungsrückgang, die während der Immobilienblase in der Mitte dieses Jahrzehnts die meisten Zuwanderer hatten«.11 Diese Tendenzen haben sich seit dem wirtschaftlichen Einbruch noch deutlicher ausgeprägt. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise war die Arbeitslosigkeit »am niedrigsten in den Gebieten mit der zentralsten Lage«, wie der Ökonom Edward Glaeser herausfand.12
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Großstädte besitzen eine starke Anziehungskraft auf junge, mobile, gut ausgebildete Leute. Unter den Städten, die mehr als 2 Millionen College-Absolventen als besten Ort für den Berufseinstieg nannten, rangierte New York City im Mai 2009 trotz Finanzkrise bei acht von zehn Befragten an erster Stelle. An zweiter Stelle stand Washington, D. C., das 63 Prozent der Befragten angaben. Außerdem gehörten Los Angeles, Boston, San Francisco, Chicago, Denver, Seattle und San Diego zu den Top Ten. Es ging hier wohlgemerkt um eine Liste der Orte, die sich am besten für den Karrierestart eignen, nicht etwa um die Frage, wo man sich am besten amüsieren, gute Restaurants und Clubs, Freunde oder Dates finden kann. Die Harvard-Umfrage, die bereits in Kapitel 15 zitiert wurde, fragte Absolventen ebenfalls, in welche Stadt sie ziehen würden. Auf den Plätzen eins bis drei standen Boston, New York und Washington, D. C. Meine eigenen Forschungen ergaben, dass New York, San Francisco, Washington, Boston und Los Angeles die besten Orte für 20- bis 29-Jährige sind.13 Seit Jahren interessiere ich mich für die Ortswahl junger Hochschulabsolventen, weil sie damit entscheiden, in welche Art von Arbeit und Karriere sie einsteigen wollen und welcher Ort dafür am besten geeignet ist. Ihre Entscheidung beinhaltet nicht nur eine Einschätzung über die Firma, für die sie arbeiten werden, sondern auch über den Arbeitsmarkt, in dem sie angesiedelt ist, und über das, was das Umfeld zu bieten hat. Da sie sowohl gut ausgebildet als auch sehr mobil sind – die Wahrscheinlichkeit für einen Umzug ist bei ihnen drei- bis fünfmal höher als etwa bei 45-Jährigen –, hat ihre Wohnortwahl wahrscheinlich dauerhafte Auswirkungen auf die Wirtschaftslandschaft. Meine Kollegin Charlotta Mellander und ich analysierten die Ergebnisse einer Gallup-Umfrage unter 28 000 Amerikanern, um herauszufinden, welche Faktoren bestimmte Orte für Angehörige der Generation Y, die zwischen 1979 und 1990 geboren wurden, attraktiv machen und sie dort halten.14 Arbeitsplätze sind eindeutig wichtig. Gen-Y-Angehörige nannten die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen an zweiter Stelle auf die Frage, was sie an ihrem gegenwärtigen Wohnort halten könne, und an vierter Stelle ihre allgemeine Zufriedenheit mit ihrer Gemeinde. Aus dieser Sicht sind Großstädte für sie sinnvoll, weil sie einen robusteren Arbeitsmarkt mit mehr
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und besseren Stellenangeboten in einer großen Bandbreite von Tätigkeitsfeldern bieten. In einer Zeit, in der die Firmenbindung schwindet, die Beschäftigungsdauer wesentlich kürzer geworden ist und Menschen ihren Arbeitsplatz wesentlich häufiger wechseln, erfordert beruflicher Erfolg weitaus mehr, als die richtige Stelle für den Berufseinstieg zu finden. In diesen hoch mobilen, wirtschaftlich turbulenten Zeiten hängt der berufliche Erfolg junger Leute davon ab, an einen Ort zu gehen, der einen großen Arbeitsmarkt mit einer Fülle diverser Arbeitsplatzangebote bietet. Die Entscheidung für einen lebendigen Wirtschaftsstandort ist eine wichtige Vorsorge gegen wirtschaftliche Unsicherheit und das Risiko, entlassen zu werden. In den Umfragen rangierten die Arbeitsplätze jedoch nicht an erster Stelle der genannten Faktoren. Die Möglichkeit, Menschen kennen zu lernen und Freunde zu finden, besaß für die Befragten durchweg überragende Bedeutung. Intuitiv verstanden diese jungen Leute, was Wirtschaftssoziologen dokumentiert haben: dass lebendige soziale Netzwerke entscheidend sind, um eine Stelle zu finden, beruflich voranzukommen und die persönliche Zufriedenheit zu sichern. Sie wünschen sich nicht nur einen großen Arbeitsmarkt, sondern suchen etwas, was ich als großen Partnerschaftsmarkt bezeichne. Er bietet ihnen die Möglichkeit, neue Menschen zu treffen, sich bei Dates besser kennen zu lernen und schließlich einen Partner fürs Leben zu finden. Ihnen ist klar, was Psychologen in Bezug auf Glück nachgewiesen haben: Nicht Geld an sich macht glücklich, sondern eine interessante Arbeit und erfüllte persönliche Beziehungen. Ob es nun für das eigene Glück wichtiger ist, einen guten Arbeitsplatz oder den richtigen Partner fürs Leben zu finden, muss jeder selbst entscheiden. Während für ältere Amerikaner gute Schulen und sichere Straßen für ihre Kinder ein wesentlicher Faktor sind, rangieren bei der Generation Y verständlicherweise herausragende Colleges und Universitäten höher. Viele möchten noch ein Aufbaustudium anschließen und legen Wert auf gute Studienprogramme in der näheren Umgebung. Aus allen diesen Gründen stehen Großstädte in Megaregionen ganz oben auf der Liste ihrer Wunschwohnorte. Megaregionen haben sich nach der Wirtschaftskrise als äußerst widerstandsfähig erwiesen. New York habe ich bereits erwähnt, aber
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auch die anderen Großstädte der Megaregion Bos-Wash haben den Sturm besser als erwartet überstanden. Washington hat, wie gesagt, eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der USA. In New York, Boston und Washington liegen die Immobilienpreise weiterhin beträchtlich über dem landesweiten Niveau. Und alle drei Städte belegten zusammen mit Baltimore und Philadelphia Spitzenplätze auf einer Rangliste der klügsten US-Städte 2009.15 Im September 2009 veröffentlichte das Wall Street Journal eine Liste der zehn amerikanischen Städte mit den besten Aussichten, junge Talente anzulocken und sich von der Krise zu erholen. Sie basierte auf einer Umfrage bei sechs führenden Experten für Stadtentwicklung (ich gebe zu, ich war einer der Befragten). Alle Städte, die auf dieser Liste standen, lagen in einer der Megaregionen der USA: Washington, New York und Boston in Bos-Wash; Chicago, Knotenpunkt von Chi-Pitts; Austin und Dallas; Seattle und Portland in Cascadia; das Research Triangle in North Carolina als Teil der Megaregion Char-lanta; Silicon Valley in Nor-Cal; und Denver, Zentrum der Megaregion Den-Bo.16 Chicago ist die einzige Stadt im Rustbelt, die aus der gegenwärtigen Krise wahrscheinlich stärker hervorgeht, als sie vorher war. Sie besitzt landesweit bei weitem den größten Anteil an Firmenzentralen in der produzierenden Industrie. Zudem hat sie, wie gesagt, viele Funktionen übernommen, die früher beispielsweise in Detroit und Milwaukee erfüllt wurden, und hat aus diesen Städten viele Talente abgezogen. Zwischen 1984 und 2006 stockten die Chicagoer Niederlassungen der fünfzig größten Anwaltskanzleien der USA ihren Mitarbeiterstab um 2 130 Anwälte auf, wie William Henderson und Arthur Alderson von der Indiana University feststellten.17 Im übrigen Mittleren Westen der USA betrug der Zuwachs dieser Firmen insgesamt nur 169 Anwälte. San Francisco, das Herz der Megaregion NorCal, hat Silicon Valley, das weiterhin das weltweit führende Zentrum für Hightech und Venture Capital bleiben wird, wenn diese Krise schon lange vorüber ist. Zwar hat die Krise den Immobilienmarkt der Stadt anfangs schwer getroffen, doch er erholt sich schnell. Los Angeles, Knotenpunkt der Megaregion Südkalifornien, ist das weltweit führende Zentrum der Film-, Fernseh- und Unterhaltungsindustrie. Während die Wirtschaftskrise die Vororte im sogenannten Inland Empire östlich der Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen
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hat, gehören Immobilien in West Los Angeles und seinem Umland nach wie vor zu den teuersten der USA. Seattle, das Zentrum der Megaregion Cascadia, hat Weltunternehmen wie Microsoft, Amazon, Starbucks und Costco. Der dortige Immobilienmarkt gehörte während der Krise zu den stabilsten des Landes. Houston ist ein Zentrum der Energieproduktion, und Dallas profitiert von einer diversifizierten Hightech-Industrie. Beide hielten sich in der Wirtschaftkrise gut. Die Arbeitslosenquoten blieben weit unter dem Landesdurchschnitt, und der Immobilienmarkt gehörte zu den widerstandsfähigsten der USA. Atlanta, Herz der Region Charlanta, hat die Firmenzentralen von Home Depot, Coca-Cola und anderen Unternehmen und ist Anziehungspunkt für talentierte junge Leute, insbesondere für Afro-Amerikaner mit College-Abschluss. Selbst Miami, das schwer unter dem Platzen der Immobilienblase zu leiden hatte, müsste sich wieder erholen können, da es Handelszentrum für die Megaregion So-Flo und Finanzzentrum für weite Teile Latein- und Südamerikas bleibt. Durch ihre Größe, Vielfalt und regionale Rolle waren diese Zentren von Megaregionen besser gegen die Wirtschaftskrise gefeit als andere Regionen – besonders als die von Produktion abhängigen Industriestandorte und all jene Gebiete, deren Wohlstand an ein einziges vorübergehendes Phänomen wie den Immobilienboom im Sunbelt geknüpft war. Diese Städte haben Anschluss an die Weltwirtschaft und profitieren von ihrer Fähigkeit, verschiedene Wirtschaftsfunktionen an sich zu ziehen und zu konsolidieren, die vorher von kleineren Städten ihrer Umgebung erfüllt wurden. Außerdem haben sie sich zu wichtigen Anziehungspunkten für Talente entwickelt und locken junge, gut ausgebildete Leute aus ihrer Region und zuweilen auch aus anderen Teilen der USA und der Welt an.
Kapitel 19
Groß, schnell und grün
Man sollte meinen, dass diese Großstädte und Megaregionen Opfer ihrer eigenen Größe werden müssten. Irgendwann sollten sie doch an einen Punkt gelangen, an dem sie zu verstopft, schmutzig oder teuer sind, um wettbewerbsfähig zu sein, und müssten ihren Vorsprung an kleinere, flexiblere Orte verlieren. New York ist seit 149 Jahren die größte Stadt der USA. London war bereits vor dem 17. Jahrhundert die größte Stadt Großbritanniens.1 Nicht zu vergessen sind Städte wie Beijing und Mumbai, die sich seit langem halten. Dass manche Städte, Ballungsgebiete und Metropolregionen immer größer werden und dennoch florieren können, beruht auf einer grundlegenden Logik. Diese riesigen Städte profitieren von hohen Innovationsraten und einer schnelleren »urbanen Stoffwechselrate«. Das behauptet jedenfalls eine bahnbrechende Theorie über die Rolle von Städten für das Wirtschaftswachstum, die ein Team von Mathematikern, Physikern, Biologen und Sozialwissenschaftlern am Santa Fe Institute in New Mexico entwickelt hat.2 Wie man weiß, verlangsamt sich die Stoffwechselrate, mit der Lebewesen Nahrung in Energie umwandeln, tendenziell mit zunehmender Größe. Verdauung und Bewegungen erfolgen bei Elefanten, bezogen auf das Körpergewicht, langsamer als bei Ameisen oder Schmetterlingen. Als das Forscherteam die Trends bei Innovationen, Patentanmeldungen, Löhnen und Wirtschaftsleistung untersuchte, machte es jedoch eine überraschende Feststellung: Der »Stoffwechsel« erfolgreicher Städte wird anders als bei biologischen Organismen tatsächlich mit wachsender Größe schneller. Die Vorstellung, dass Städte, die mit kulturellen Einrichtungen und einer hohen Lebensqualität talentierte Fachkräfte anlocken,
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dadurch nur noch heller strahlen, größer werden und sich effektiv von ihrer eigenen Energie speisen, hat etwas Revolutionäres. Die Forscher bezeichneten dieses Phänomen als »superlineare Skalierung«: »In nahezu jeder Hinsicht gilt, je größer die Bevölkerung einer Stadt ist, umso größer ist die Innovation und Schaffung von Wohlstand pro Kopf.« Orte wie New York mit Finanz- und Medienwirtschaft, Los Angeles mit Film- und Musikindustrie und Silicon Valley mit Hightech-Industrie sind Beispiele für Städte mit hochaktivem Metabolismus. Zunehmend wird Wirtschaftswachstum nicht nur von den Orten getragen, die über die meisten Rohstoffe, die größten Häfen oder auch die besten Fabriken verfügen, sondern von solchen, die das größte Bevölkerungscluster haben. Die große Stadtplanerin Jane Jacobs beschrieb als Erste den starken Einfluss von Talentclustern auf Städte und Gemeinden. Später erfasste der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Robert Lucas formal die Rolle der »Humankapital-Externalitäten«, wie er die positiven Effekte eines hohen Bildungsgrades nannte, für Innovationen und Wirtschaftswachstum.3 Talentierte Menschen, die in dichten Ökosystemen leben und miteinander interagieren, bringen schneller Ideen und Produkte hervor, als sie es in anderen Umgebungen können. Es gibt keinerlei Hinweise, dass die Globalisierung oder das Internet daran etwas geändert hätten. Da die Globalisierung die finanzielle Innovationsrendite (durch Erweiterung des Konsummarktes) erhöht hat, ist die Anziehungskraft innovativer Orte, die bereits eine starke Konzentration von hoch talentierten Arbeitskräften haben, nur noch gewachsen. Talentreiche Ökosysteme sind nicht leicht herzustellen. Damit talentierte, ehrgeizige Fachkräfte ihren wirtschaftlichen Wert vollständig realisieren können, müssen sie zunehmend in solchen Systemen leben. Schon in guten Zeiten sind Metabolismus und Talentcluster entscheidend für die Geschicke von Städten und Regionen. Aber in schweren Zeiten werden sie überlebenswichtig. Städte mit schnellem Stoffwechsel sind jedoch nicht immun gegen die negativen Auswirkungen von Wirtschaftskrisen. Wenn Blasen platzen, Kredite versiegen und ein langer Konjunkturabschwung folgt, können Unternehmen unvorhergesehen pleitegehen, ganz gleich,
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wo sie angesiedelt sind. Die entscheidende Stärke von Städten mit schnellem Metabolismus ist, dass sie Unternehmenspleiten leichter überwinden können, indem sie deren talentierte Arbeitskräfte aufnehmen und neue Unternehmen hervorbringen. In dem Maße, wie der Reset voranschreitet und die wirtschaftliche Erholung einsetzt, werden solche Städte wieder aufblühen. Ihre ohnehin schon hohen Stoffwechselraten werden sich noch weiter beschleunigen. Umgekehrt ist ein Niedergang in Städten wahrscheinlich, die nicht Schritt halten können, die abhängig sind von rückwärtsgewandten Industriezweigen – weil es an Unternehmergeist oder Geld fehlt und organisatorische und soziale Strukturen veraltet sind. Große Städte sind nicht nur schneller und produktiver, sie sind auch grüner. Das mag viele überraschen. »Für die meisten Menschen wirken dicht bevölkerte Städte wie ein ökologischer Alptraum, eine Betonwüste voller Müll, Dieselabgase und Verkehrsstaus«, schreibt David Owen, der Autor von Green Metropolis. »Aber im Vergleich zu anderen bewohnten Orten sind Städte Muster an Umweltbewusstsein.« Seiner Ansicht nach ist die grünste Stadt der Vereinigten Staaten ausgerechnet New York City, die einzige in den USA, die »an Umweltstandards heranreicht, die in anderen Teilen der Welt gelten«. Der durchschnittliche New Yorker erzeugt in einem Jahr mehr Treibhausgase als etwa der Durchschnittsschwede, aber 30 Prozent weniger als der Durchschnittsamerikaner. New Yorker produzieren weniger Müll, verbrennen weniger Kraftstoff, verbrauchen weniger Wasser und erheblich weniger Strom, weil sie weniger Auto fahren und in den energieeffizientesten Wohnhäusern der Welt leben: in Apartmenthäusern.4 Der entscheidende Faktor für New Yorks Umweltfreundlichkeit ist ganz einfach: die Bevölkerungsdichte, die auch Innovationen und Geschwindigkeit fördert. Manhattan ist 800-mal so dicht besiedelt wie die USA insgesamt und 30-mal so dicht wie Los Angeles. Diese Dichte ermöglicht es den Einwohnern, alltägliche Dinge zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erledigen. New Yorker können im Alltag ohne Auto auskommen, und viele tun es auch. Das gilt auch für einige andere nordamerikanische Städte (unter anderem für Toronto), ist aber in den meisten
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Orten der USA und Kanadas unmöglich. In großen, dicht besiedelten Städten herrscht oft dichter Verkehr, was ironischerweise weitere Umweltvorteile mit sich bringt. Staus und die Sorge, im Verkehr stecken zu bleiben, halten viele davon ab, mit dem eigenen Auto zu fahren. »Verkehrsstaus können tatsächlich gut für die Umwelt sein, wenn sie U-Bahn, Bus, Fahrgemeinschaften, Fahrrad und Zu-FußGehen zur attraktiveren Alternative machen«, erklärt Owen.5 New York und andere Großstädte nutzen die bestehende Infrastruktur besser und effizienter, von Gebäuden und Büros über Straßen und öffentlichen Nahverkehr bis hin zu Versorgungsleitungen. Umgekehrt gilt, dass Vorstädte und das Wachstumsmodell der Vororte in großem Stil Energie verschwenden. Amerikas »vorortfreundliche, große Häuser fördernde Politik trägt dazu bei, dass USHaushalte weiterhin im Haus wie auch im Auto viel Energie verbrauchen«, schreibt Edward Glaeser. Wenn eine Familie aus einem Haus, das 3 Kilometer vom Zentrum entfernt steht, in ein Haus zieht, das 16 Kilometer vom Zentrum entfernt ist, verbraucht sie nach seinen Berechnungen etwa 380 Liter Kraftstoff mehr im Jahr.6 In der Umweltfreundlichkeit von Städten spiegelt sich ebenfalls ihr schneller Stoffwechsel wider. Als das Forscherteam des Santa Fe Institute die Umweltemissionen untersuchte, stellte es fest, dass in diesem Bereich der gleiche Skalierungseffekt in Bezug auf die Stadtgröße gilt: Größere Städte nutzen Energie effizienter und produzieren weniger CO2-Emissionen. Der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid, der weithin als Anhaltspunkt für den Energieverbrauch gilt, steigt zwar mit dem Bevölkerungswachstum einer Stadt, allerdings wächst er geringer. Mit jedem Bevölkerungszuwachs um 1 Prozent nehmen die CO2-Emissionen um 0,92 Prozent zu. Und mit jedem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 1 Prozent steigen die CO2-Emissionen nur um 0,79 Prozent. Selbst Los Angeles, eine Metropolregion mit annähernd 13 Millionen Einwohnern, die berühmt-berüchtigt ist für ihren Smog, produziert pro Kopf nur halb so viel Kohlenstoffdioxid wie Yuba City in Kalifornien, ein Ort mit 150 000 Einwohnern und Landwirtschaft. Wie bei biologischen Organismen verlangsamt sich auch bei Metropolregionen der Energiestoffwechsel mit zunehmender Größe: Größere Regionen verbrauchen pro Kopf weniger Energie als kleinere.7
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Wirtschaftskrisen verstärken und beschleunigen tendenziell die zugrunde liegenden langfristigen Tendenzen in der betroffenen Volkswirtschaft. Wenn es eine Konstante in der Geschichte kapitalistischer Entwicklung gibt, dann ist es die immer intensivere Raumnutzung. Dieses Phänomen wird sich erneut wiederholen, wenn die Bevölkerung von den äußeren Vorstädten in die zusammenwachsenden Megaregionen zieht. Heute müssen wir anfangen, sowohl die städtischen Räume als auch die umliegenden Vorortringe klüger zu nutzen, komfortablen, erschwinglichen Wohnraum für mehr Menschen zu schaffen und dabei für eine höhere Lebensqualität zu sorgen. Das erfordert diverse Maßnahmen: Erstens liberale Nutzungs- und Bauvorschriften, die mehr Wohnungsbau und mehr Mischbebauung in Vororten und Städten ermöglichen, zweitens die Schließung von Baulücken in der Umgebung von Bahnhöfen in Vorortzentren, drittens neue Investitionen in Massenverkehrsmittel und schließlich die Erhebung einer Stau-Maut auf den Straßen. Da nicht jeder in der Innenstadt wohnen möchte, werden die Vororte nicht verschwinden. Aber die wirtschaftliche Erholung lässt sich nicht fördern, indem man die Flächenexpansion fortsetzt und immer mehr Land für Neubausiedlungen verschlingt. Denn schließlich war es weitgehend diese Entwicklung, die den Vereinigten Staaten die gegenwärtige Krise eingetragen hat. Aber die bestehenden Vororte lassen sich besser an die Städte und an andere Vororte anbinden, indem man bereits bebaute Flächen effizienter nutzt und es den Regionen ermöglicht, größer und dichter zu werden, ohne an Geschwindigkeit zu verlieren. Zu diesem Zweck ist es notwendig, in eine große Bandbreite öffentlicher Verkehrsmittel wie Eisenbahnen, U-Bahnen und Buslinien zu investieren und neue Wohnformen zu entwickeln, die Menschen die Möglichkeit bieten, näher an ihrem Arbeitsplatz zu wohnen. Jeder große Reset wurde von einer neuen Infrastruktur vorangetrieben, die die Beförderung von Gütern, Menschen und Ideen beschleunigen konnte. Das ist auch im gegenwärtigen Reset nicht anders, wie das folgende Kapitel zeigen wird.
Kapitel 20
Die eigene Geschwindigkeit
Als mein Vater damals in Newark zu arbeiten begann, ging er zu Fuß zur Arbeit. Später nahm er die U-Bahn und meine Mutter den Bus. Als sie in einen Vorort zogen, herrschte auf den Straßen noch nicht viel Verkehr, und er brauchte für die Fahrt zur Arbeit und zurück jeweils zehn Minuten. Die Grenzen der Stadt und der Region hatten sich ausgedehnt, aber das Auto schuf die Verbindung zwischen allen und allem. Es stand für schnelles, bequemes Fortkommen und bot zugleich Mobilität, Komfort und Unabhängigkeit. Als die Ausdehnung zur Zersiedelung ausuferte, wich die Begeisterung, am Steuer zu sitzen und unterwegs zu sein, bald dem zermürbend dichten Verkehr. Heutzutage sind die Hauptverkehrsstraßen in Großstädten und Megaregionen die reinsten Parkplätze. Gleichzeitig können Ideen auf einer digitalen Datenautobahn im Nu um die ganze Welt reisen, und wer bereit ist, genug zu zahlen, kann ein Päckchen praktisch über Nacht überallhin schicken. Aber an das andere Ende einer Stadt, in den Nachbarort oder sogar in den benachbarten Bundesstaat zu kommen, um eine gute Stelle oder eine geschäftliche Chance zu nutzen, ist noch immer ebenso schwierig wie vor einer Generation. Mit einem einzigen Tastendruck lassen sich Erkenntnisse und kreative Ideen in der gesamten Gesellschaft verbreiten, und dieses Phänomen hat unsere Lebensweise revolutioniert. Die dräuende Herausforderung besteht darin, die Beförderung von Gütern und Menschen und die Geschwindigkeit von Dienstleistungen – also die greifbaren Elemente der realen Welt – zu beschleunigen, damit sie dem blitzschnellen elektronischen Informationsfluss in der virtuellen Welt besser entsprechen. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte des Kapitalismus und der beiden vorhergegangenen Resets war die Entstehung einer neuen
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Verkehrsinfrastruktur. Sie ermöglichte eine intensivere Nutzung des Landes und dehnte die Grenzen des Wohn- und Arbeitsortes aus. Gleichzeitig beschleunigte sie den Transport von Gütern, Menschen und Wissen. Diese Leistung vollbrachten im 19. Jahrhundert Eisenbahnen und Straßenbahnen und nach der Großen Depression die autogestützte Suburbanisierung. In den Vereinigten Staaten stieg die durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 13 Stundenkilometern im Jahr 1900 auf 40 Stundenkilometer 1950 und auf 112 Stundenkilometer im Jahr 2000 (Auto, Lastwagen, Eisenbahn und Flugzeug).1 Wie mein Kollege Christopher Kennedy von der University of Toronto in seinem Buch The Wealth of Cities zeigt, ermöglicht nur ein umfassender Strukturwandel, der von erheblichen Verbesserungen der Infrastruktur über neue Wohnverhältnisse bis hin zu starken Veränderungen des Konsums reicht, dass Orte sich von schweren Wirtschaftskrisen erholen und wieder zu einer schnellen Expansion zurückkehren. London schuf die Grundlagen für seine spätere kommerzielle Vormachtstellung, indem es nach dem verheerenden Brand von 1666 die Bauvorschriften änderte und seine Straßen verbreiterte. Die Vereinigten Staaten erlangten ihre herausragende wirtschaftliche Bedeutung, indem sie periodisch völlig neue Infrastruktursysteme entwickelten – von Kanälen und Eisenbahnen über moderne Wasser- und Abwasserleitungen bis hin zu Bundesstraßen. Jedes dieser Systeme trug erheblich dazu bei, jeweils eine ganze Wachstumsära zu ermöglichen und zu prägen.2 Es wird viel Wirbel um den Einfluss gemacht, den steigende Ölpreise oder sogar ein »peak oil« – also die Vorstellung, dass die Erdölversorgung ihren Zenit überschritten hat und daher abnehmen und teurer werden muss – auf die Umgestaltung unserer Wirtschaftslandschaft hat.3 James Kunstler schreibt, dass abnehmende Ölvorräte und steigende Preise uns zwingen werden, »in kleineren Maßstäben zu denken, was unsere Wohnorte angeht, über die Art der Nahrungserzeugung bis hin zur Arbeitsweise und dem Handel mit den Produkten unserer Arbeit«. Die geringere Verfügbarkeit von Öl wird gegen die übertriebenen Größenordnungen arbeiten, an die Amerikaner sich in Vororten wie in Städten gewöhnt haben. »Unser Leben wird sich von Grund auf und zutiefst lokal gestalten«,
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schreibt er. »Im Alltag wird es wesentlich weniger um Mobilität und wesentlich mehr darum gehen, zu bleiben, wo wir sind. Alles, was in großem Maßstab organisiert ist, sei es der Staat oder ein Unternehmen wie Wal-Mart, wird in dem Maße schwinden, wie die auf billiger Energie basierenden Requisiten wegfallen, die Größe unterstützen.«4 Niemand – abgesehen vielleicht von den Erdölkonzernen – bezweifelt, dass die Menschen sich in den kommenden Jahrzehnten vom Öl unabhängig machen müssen. Aber ich sehe das Problem noch in einem anderen Licht. Die Ölpreise sind extrem unbeständig und fielen, sobald die gegenwärtige Krise begann. (Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Ölpreisschwankungen ebenso stark von Spekulanten wie von Angebot und Nachfrage bestimmt werden.) Doch was in der heutigen Wirtschaft wirklich zählt, sind Zeitkosten. Angesichts des ständigen Innovationsdrucks ist es wenig sinnvoll, kollektiv unzählige Stunden für die Fahrt von und zur Arbeit zu verschwenden. Die effizientesten und produktivsten Regionen sind daher solche, in denen Menschen denken und arbeiten, statt im Verkehr festzustecken. In den meisten Großstädten und Megaregionen hat der Autoverkehr seine Grenzen erreicht. Mit dem Auto von und zur Arbeit zu fahren gehört zu den ineffizientesten Tätigkeiten – und zu den unerfreulichsten, wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und seine Kollegen in einer eingehenden Studie gezeigt haben.5 Obwohl man vermuten sollte, dass sich das Verkehrsaufkommen durch die Krise verringert hätte (weil bei hoher Arbeitslosigkeit weniger Menschen zur Arbeit pendeln), ist das Gegenteil der Fall. Die durchschnittlichen Fahrzeiten zur Arbeit sind länger geworden, und die Verkehrsdichte hat zugenommen. In den Vereinigten Staaten stieg die durchschnittliche Fahrzeit zur Arbeit im Jahr 2008 auf 25,5 Minuten und machte »den jahrelangen Rückgang zunichte, um wieder den Stand von 2000 zu erreichen. Die Menschen mussten morgens früher das Haus verlassen, um Freunde für die Fahrt zur Arbeit abzuholen oder zum Bus oder zur U-Bahn zu gehen«, erklärte das U.S. Census Bureau, das diese Daten erhebt. Und dabei handelt es sich um Durchschnittswerte. In den Großstädten an der Westküste wie Los Angeles und San Francisco und an der Ostküste wie
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New York, Philadelphia, Baltimore und Washington dauert die Fahrt zur Arbeit erheblich länger.6 In vielen dieser Städte sind Staus nicht nur zu den Hauptverkehrszeiten, sondern den ganzen Tag über die Regel. Diese Situation verursacht enorme Kosten. In Los Angeles frisst der dichte Verkehr mehr als 485 Millionen Arbeitsstunden im Jahr; das entspricht 70 Stunden oder annähernd zwei Wochen Vollzeitarbeit pro Pendler. In Washington verschlingen die Fahrzeiten jährlich 62 Stunden pro Beschäftigtem. In New York sind es 44 Stunden. Im Durchschnitt entstehen so in den 13 größten Ballungsgebieten der Vereinigten Staaten Zeitkosten von jährlich 51 Stunden pro Beschäftigtem. In den gesamten USA werden jährlich 4,2 Milliarden Arbeitsstunden auf Fahrzeiten verschwendet, also nahezu eine ganze Arbeitswoche pro Pendler. Die Gesamtkosten für die amerikanische Volkswirtschaft belaufen sich auf 90 Milliarden US-Dollar, wenn man den Verlust an Produktivität und die Kraftstoffverschwendung mitrechnet.7 Im Martin Prosperity Institute rechnen wir, dass jede Minute, um die man die Fahrzeiten amerikanischer Pendler verkürzt, einen volkswirtschaftlichen Wert von 19,5 Milliarden US-Dollar hat. Diese Zahlen addieren sich schnell zu hohen Summen: 5 Minuten sind 97,7 Milliarden US-Dollar wert, 10 Minuten 195 Milliarden US-Dollar, 15 Minuten 292 Milliarden US-Dollar.8 Ironischerweise halten viele nach wie vor den Bau neuer Straßen für das wirksamste Mittel gegen Verkehrsstaus, obwohl dies das Problem nur verschlimmert. Neue Straßen erzeugen ein höheres Maß an »induziertem Verkehr«, das heißt, neue Straßen laden Autofahrer ein, mehr zu fahren, und verleiten Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel, sich wieder ans Steuer zu setzen. Letzten Endes führt der Straßenbau also zu höherer Verkehrsdichte statt zu langfristigen Verbesserungen im Verkehrsfluss. In den kommenden Jahrzehnten werden sich Arbeitsplätze, Innovationen und Produktivität wahrscheinlich in einer geringeren Anzahl von Großstädten und Regionen ballen. Manche Regionen könnten letztlich dabei über die Kapazitäten ihrer Infrastruktur hinaus anwachsen, während andere zu kämpfen haben, weil mangelnde menschliche und sonstige Ressourcen ihre Entwicklungschancen zunichte machen. Der Staat kann und muss mitwirken,
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dieses Wachstum durch umsichtige Infrastruktur und Investitionen zu steuern. Zumindest teilweise muss gewährleistet sein, dass wichtige Städte und Regionen weiterhin Menschen, Güter und Ideen schnell und effizient transportieren können. Das an sich ist schon keine einfache Aufgabe, denn zunehmende Verkehrsdichte droht, diese Stadtregionen allmählich ihrer Vitalität zu berauben. Wissenschaftler und Experten, die sich als Futuristen bezeichnen, haben einen Hang zu ausgefallenen Hightech-Lösungen. Ihnen schwebt eine Stadt wie in der Zeichentrickserie Die Jetsons vor. Die Menschen sollen zwar nicht gerade mit düsengetriebenen Rucksäcken von Ort zu Ort jetten, aber doch in neuartigen Fahrzeugen auf computergesteuerten Straßen. Hier ein Beispiel: »Man steigt aus, streckt ein bisschen die Beine und setzt seine Fahrt dann im Toyota i-Real fort (ein einsitziges Konzeptfahrzeug mit drei Rädern und einer Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern). Mit diesem Fahrzeug erreicht man die höher gelegene Velo-City. Die Velo-City, ein neues Netz von Fahrradröhren, zieht sich kreuz und quer durch die Stadt und verbindet City Ports (Stationen von Elektrofahrzeugen) mit Pendlerstädten und Sehenswürdigkeiten im Stadtzentrum. Eine reibungsarme Oberfläche ermöglicht Radfahrern und leichten Elektrofahrzeugen erstaunliche Fahrgeschwindigkeiten, und die Überdachung schützt sie vor der Witterung … Statt mühsam einen Parkplatz zu suchen, findet man bei der Ankunft an einem City Port eine Ladestation und stellt das i-Real in eine freie Parkbucht … Sobald das i-Real an die Ladestation angeschlossen ist, leuchtet die Front rot auf als Zeichen, dass die Batterie geladen wird. Das iPhone piepst, wenn die Mietdauer beendet ist.« – Der Autor betont, dass diese Vision keineswegs weit hergeholt sei, sondern eine Kombination aus drei bereits vorhandenen Konzepten darstelle. Das mag zwar sein, aber ich bin überzeugt, dass es naheliegendere realistische Lösungen gibt. Immer mehr Menschen entschließen sich, den Weg zur Arbeit oder zu alltäglichen Besorgungen mit U-Bahn, Eisenbahn, Bus, Fahrrad oder zu Fuß zurückzulegen. Das setzt jedoch voraus, dass ihre Umgebung diese Alternativen zulässt. In Manhattan fahren 82 Prozent der Beschäftigten mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder
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dem Fahrrad zur Arbeit oder gehen zu Fuß. Dieser Prozentsatz liegt zehnmal höher als in den gesamten Vereinigten Staaten, achtmal höher als in Los Angeles County und 16-mal höher als in der Metropole Atlanta. Die U-Bahn von New York ist erstaunlich leistungsfähig. An einem normalen Werktag benutzen 385 000 Fahrgäste zwischen acht und neun Uhr morgens die U-Bahn, um in das Geschäftszentrum zu pendeln. Alle sechs Sekunden fährt ein U-BahnZug mit 1 050 Passagieren in Manhattans Geschäftsviertel. Im selben Zeitraum überqueren nur 1,2 Autofahrer den East River. Nach einer Berechnung bräuchte man »167 Fahrspuren in Stadtrichtung oder 84 Tunnel wie den Queens Midtown Tunnel, um die Menschen zu befördern, die die New Yorker U-Bahn über 22 Gleise in Stadtrichtung durch zwölf Tunnel und über zwei (Teil-)Brücken transportiert«.9 Zudem bräuchte man zehn Quadratkilometer zusätzliche Parkflächen, also dreimal die Fläche des Central Parks. Nun ist New York sicher eine besonders kompakte, dicht besiedelte Stadt, in der man in der Nähe seines Arbeitsplatzes wohnen oder mit der U-Bahn fahren kann. Aber es ist keineswegs die einzige Stadt der USA, in der sich solche Veränderungen bei Pendlern und im örtlichen Verkehr vollziehen. In Washington, D. C., legen 57 Prozent der Pendler den Weg zur Arbeit nicht mit dem Auto zurück: Mehr als ein Drittel benutzt öffentliche Verkehrsmittel, 12 Prozent gehen zu Fuß und 2 Prozent fahren mit dem Rad. Nur vier von zehn Pendlern fahren ausschließlich mit dem Auto zur Arbeit. In Boston und San Francisco kommt etwa die Hälfte der Beschäftigten ohne Auto zur Arbeit: Ein Drittel der Pendler benutzt öffentliche Verkehrsmittel, und 10 bis 15 Prozent gehen zu Fuß. In Philadelphia pendeln 41 Prozent ohne Auto, 27 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Chicago kommen vier von zehn Pendlern ohne Auto zur Arbeit, 27 Prozent mit öffentlichen Verkehrsmitteln. In Seattle benutzen 38 Prozent kein Auto, 18 Prozent öffentliche Verkehrsmittel. Bei diesen Beispielen handelt es sich überwiegend um ältere Städte, deren Innenstädte gebaut wurden, lange bevor es Autos gab. Aber die Tendenz weg vom Auto ist auch in anderen Orten zu beobachten, wo man es nicht erwartet hätte. So benutzen mindestens drei von zehn Pendlern in Pittsburgh, Minneapolis, St. Louis und Baltimore kein Auto. In einigen kleineren Städten werden öffent-
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liche Verkehrsmittel ebenfalls gut genutzt, obwohl dort für den öffentlichen Personennahverkehr keine Etats in Milliardenhöhe zur Verfügung stehen. In Boulder kommen 40 Prozent der Beschäftigten nicht mit dem Auto zur Arbeit. Davon benutzen 10 Prozent öffentliche Verkehrsmittel, und 10 Prozent arbeiten in der Nähe ihrer Wohnung. In Iowa City fährt ein Drittel der Pendler nicht mit dem Auto zur Arbeit, 16 Prozent gehen zu Fuß.10 Wenn man nah genug an seiner Arbeitsstätte wohnt, gibt es nichts Effizienteres, als mit dem Fahrrad zu fahren oder zu Fuß zu gehen. Weniger als 4 Prozent der Amerikaner gehen zu Fuß zur Arbeit, in Boston sind es jedoch 14 Prozent, in Washington 12 Prozent und in Pittsburgh 11 Prozent, also mehr als in New York. Der frühere Frontman der Rockband Talking Heads, David Byrne, ist ein passionierter Verfechter des Radfahrens, um sich fortzubewegen und Städte kennenzulernen. Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Als ich in Boston wohnte, brachte der örtliche Radiosender etwa einmal jährlich einen Beitrag, in dem er die Fahrzeiten von Pendlern verglich, die mit Fahrrad, Auto oder Bahn zur Arbeit fuhren. Auf vielen Strecken lagen die Radfahrer vorn. In den gesamten USA fahren nur 0,5 Prozent der Pendler mit dem Fahrrad zur Arbeit. In Portland, Ohio, sind es dagegen 6 Prozent, in Minneapolis 4 Prozent und in San Francisco und Seattle 3 Prozent.11 Diese Zahlen mögen wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen. Aber bei Umfragen im Jahr 2005 gaben 60 Prozent der befragten Amerikaner an, sie würden gern in einer Gemeinde mit fußläufig erreichbaren Läden, Restaurants, Kinos, Schulen und Kirchen wohnen.12 Schon jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Amerikaner in fußgängerfreundliche Viertel näher an ihrem Arbeitsplatz ziehen. Diese Tendenz wird in den kommenden Jahrzehnten sicher noch zunehmen. Wie das folgende Kapitel zeigen wird, muss man diesen Trend fördern, indem man flexiblere Wohnformen schafft, durch die sich die Entfernungen und Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz reduzieren lassen. Gegenwärtig sitzen noch die meisten Amerikaner hinter dem Steuer. Mehr als drei Viertel der Amerikaner fahren allein zur Arbeit. Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig. Man kann jedoch noch andere Maßnahmen ergreifen, um die Verkehrsdichte zu verringern
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und mehr Autos von der Straße zu holen. Arbeitgeber können flexiblere Arbeitszeiten und Möglichkeiten anbieten, von zu Hause zu arbeiten. In vielen Städten ist der Verkehr, wie bereits gesagt, nicht nur zu den Stoßzeiten ein Problem. Als einzige Alternative bleibt übrig, eine Maut zu erheben. Für alles andere muss man ebenfalls bezahlen: für die U-Bahn, den Bus, den Zug, die Benutzung des Lincoln- und Holland-Tunnels oder die Fahrt über die George-Washington-Brücke. Warum sollte die Benutzung der Straßen kostenlos sein? Wenn man die Verkehrssituation verbessern will, bleibt kaum eine andere Wahl, als Autofahrer für die Benutzung der Straßen zur Kasse zu bitten. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen diese Abgabe als »Stau-Maut«. Nachdem London und Stockholm sie eingeführt haben, sind Verkehrsaufkommen und Staus dort erheblich zurückgegangen. »Die Stau-Maut folgt im Grunde ganz einfachem wirtschaftlichem Basiswissen«, schreibt David Owen. »Wenn man ein sporadisch knappes Gut hat wie den Platz auf Autofahrspuren, kann man Verteilungsengpässe beseitigen, indem man die Preise kontrapunktisch zu Nachfrageschwankungen anpasst. Hotels tun dies, indem sie Zimmerpreise zu beliebten Reiseterminen anheben und zu weniger beliebten senken. Das hilft, Schwankungen der Buchungsraten auszugleichen und die Gesamteinnahmen zu erhöhen, ohne neue Kapazitäten zu schaffen, die letzten Endes außerhalb der Spitzenreisezeiten leer stehen würden.«13 Es gibt keinen Grund, warum man dieselben Prinzipien nicht auch anwenden sollte, um den Autoverkehr effizienter und handhabbarer zu machen. Owen unterstützt die Grundidee einer StauMaut, weist aber auch auf mögliche Nachteile für die Umwelt hin. Er fürchtet, dass Autofahrer die mit höheren Abgaben belegten Stauzonen umgehen und letztlich sogar mehr fahren könnten. »Staubekämpfung hat nichts Grünes, wenn sie durch effizientere Verteilung des Verkehrs letztlich dazu führt, dass das Verkehrsaufkommen insgesamt steigt und Fahrzeuge zusätzliche Kilometer fahren, weil sie die mit Maut belegten Zonen umfahren.« Im Grunde befürwortet Owen ein rückhaltloses Vorgehen gegen den Autoverkehr in Städten und schlägt vor, hohe Gebühren für jeglichen Autoverkehr und öffentliche Parkplätze zu erheben. Er ist sogar überzeugt, dass Städte die für Autos verfügbaren Fahrbahnen auf ihren Straßen reduzie-
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ren sollten, um Autofahrern buchstäblich weniger Raum zu lassen. Owen hält eine ständige Frustration von Autofahrern für eine gute Möglichkeit, sie von der Straße fernzuhalten. Und er hat Recht. Alle diese Maßnahmen können helfen, die Verkehrsstaus in Großstädten und ihrer Umgebung zu verringern. Aber wie soll man die Zeit reduzieren, die nötig ist, um von einer Stadt zur anderen oder sogar durch die ausgedehnten Megaregionen zu kommen? Das erfordert eine neuartige Infrastruktur. Sie kann die Produktivität steigern, indem sie die Geschwindigkeit erhöht und Fahr-, Transportund Kommunikationszeiten verringert. Eine neue Infrastruktur erschließt zudem, wie bereits gezeigt, neue Baugebiete und ermöglicht die Umstrukturierung älterer Städte und Vororte. Es zeichnet sich nur eine Technologie ab, die der geografischen Größenordnung von Megaregionen entspricht und die beitragen kann, eine intensivere Bebauung dieser Regionen zu ermöglichen: Hochgeschwindigkeitszüge.
Kapitel 21
Wie ein geölter Blitz
Unmittelbar nach Obamas Regierungserklärung zur Lage der Nation 2010 verkündete seine Regierung, dass sie 8 Milliarden USDollar für Hochgeschwindigkeitszüge zugesagt habe. Stadtplaner, Umweltschützer und Verfechter der Energieeffizienz begrüßten die Nachricht mit unverhohlenem Jubel. Sicher, es ist ein Anfang, aber die Vereinigten Staaten hinken bei Hochgeschwindigkeitszügen weit hinter anderen Ländern her. So plant China, mehr als 300 Milliarden Dollar für den Ausbau seines Hochgeschwindigkeitsnetzes auszugeben und bis 2020 Tausende Kilometer neuer Strecken zu bauen. Das entspricht der Entfernung von Beijing nach London und zurück. Bis 2020 will China mehr Hochgeschwindigkeitsstrecken haben als die übrige Welt zusammen. Frankreich baut sein TGV-Netz aus. Spanien plant eine umfangreiche Erweiterung seines Hochgeschwindigkeitsnetzes und ist entschlossen, Japan als Land mit dem teuersten Hochgeschwindigkeitsnetz zu übertreffen. Ziel ist, dass neun von zehn Spaniern nicht weiter als 50 Kilometer vom nächsten Anschluss an einen Hochgeschwindigkeitszug entfernt sind. Kein Wunder, dass ein hochrangiger Firmenvertreter von Siemens gegenüber der New York Times äußerte, die Vereinigten Staaten wirkten gegenwärtig »in Bezug auf Hochgeschwindigkeitszüge wie ein Entwicklungsland«.1 Hochgeschwindigkeitszüge können Personen wesentlich schneller von einem Ort zum anderen befördern als Autos oder andere erdgebundene Verkehrsmittel. Auf manchen Strecken können sie sogar mit dem Flugzeug konkurrieren, weil sie Passagiere von Bahnhof zu Bahnhof in die Innenstadt bringen und ihnen so die lange Fahrt zum Flughafen ersparen. Japans Shinkansen und Frankreichs TGV fahren mit Geschwindigkeiten von 300 beziehungsweise 250 Stun-
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denkilometern. Spaniens Hochgeschwindigkeitszug erreicht auf der AVE-Strecke von Madrid nach Barcelona 340 Stundenkilometer. Shanghais Transrapidstrecke zum Flughafen ist mit einer Höchstgeschwindigkeit von 400 Stundenkilometern die schnellste der Welt. Der amerikanische Acela-Schnellzug von Amtrak, der an der Ostküste zwischen Boston und Washington, D. C., verkehrt, fährt dagegen nur 130 Stundenkilometer. In Japan kann ein Fahrgast mit dem Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen in weniger als drei Stunden von Tokio nach Osaka fahren. Die Fahrt von Madrid nach Barcelona dauert zweieinhalb Stunden. In Frankreich kann ein Fahrgast von Marseille in nur drei Stunden durch das ganze Land bis nach Paris fahren. Von London nach Paris nehmen heutzutage viele den Eurostar, der durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal von Bahnhof zu Bahnhof nur 2 Stunden 15 Minuten braucht.2 Skeptiker der Hochgeschwindigkeitszüge kritisieren, sie seien zu teuer und ungeeignet für großflächige Länder mit weit verstreuter Bevölkerung wie die Vereinigten Staaten und Kanada. In einer Kolumnenreihe für den Economix-Blog der New York Times nahm der Harvard-Ökonom Edward Glaeser Kosten und Nutzen der Hochgeschwindigkeitszüge unter die Lupe. Er erklärte, er »würde gern den Optimismus des Präsidenten in Bezug auf Hochgeschwindigkeitszüge teilen, aber wenn der Nutzen die Kosten nicht übersteigt, wird Amerika lediglich im echten Leben eine Variante von ›Homer kommt in Fahrt‹ erleben, jener Simpsons-Episode, in der die Einwohner von Springfield dumm genug sind, sich für eine schicke Einschienenbahn begeistern zu lassen, die ihnen ein windiger Geschäftsmann (verkörpert von Phil Hartman) überschwänglich anpreist.« Glaeser führt Schätzungen des U.S. Government Accountability Office (GAO) an; demnach würde der Bau einer Hochgeschwindigkeits-Bahnlinie pro Kilometer zwischen 13,6 Millionen US-Dollar für eine Strecke von Las Vegas nach Victorville, Kalifornien, und 82 Millionen US-Dollar für die Verbindung zwischen Baltimore und Washington kosten. Aufgrund dieser Schätzwerte erstellt er eine eigene Kosten-Nutzen-Rechnung für eine Hochgeschwindigkeits-Verbindung von Houston nach Dallas. Selbst wenn er den Nutzen für die Umwelt mit 29,7 Millionen US-Dollar veranschlagt, würde eine Hochgeschwindigkeits-Bahnlinie zwischen Houston und Dallas
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nach seinen Berechnungen mit jährlichen Verlusten zwischen 400 und 500 Millionen US-Dollar arbeiten.3 In den Vereinigten Staaten ein landesweites Streckennetz für Hochgeschwindigkeitszüge aufzubauen, das die größeren Städte der Megaregionen verbindet, würde schätzungsweise 140 bis 500 Milliarden US-Dollar kosten. Das ist zwar denkbar viel Geld, übersteigt aber keineswegs die Infrastrukturausgaben früherer Zeiten. Das Fernstraßennetz der USA kostete den Gegenwert von 429 Milliarden US-Dollar nach dem Stand von 2009. Zusätzlich geben Städte, Bundesstaaten und Bundesregierung jährlich 80 bis 100 Milliarden USDollar für Straßen und Fernstraßen aus.4 Die Federal Railroad Administration hat in den Vereinigten Staaten elf potenzielle Korridore für Hochgeschwindigkeitszüge ausgewiesen. Die meisten liegen in den großen Megaregionen. Von Boston über New York nach Washington, D. C., besteht der Acela-Korridor. An der Westküste ist eine Bahnlinie vorgeschlagen, die die Bay Area mit Los Angeles und San Diego verbindet. Im Mittleren Westen sind Strecken durch die Megaregion Chi-Pitts vorgeschlagen, die von Minneapolis nach Chicago und weiter nach Cleveland, Detroit und in zahlreiche andere Städte führen. Weitere Streckenvorschläge gibt es für Miami, Orlando und Tampa in Südflorida; Seattle, Portland und Vancouver in Cascadia; Dallas, Austin und San Antonio; Houston und New Orleans; Atlanta, Charlotte und Raleigh in Charlanta. In Kanada ist eine Strecke von Windsor nach Toronto und weiter nach Ottawa, Montreal und Quebec City im Gespräch.5 Hochgeschwindigkeitszüge können das Verbindungsnetz schaffen, das es Megaregionen ermöglicht, als wahrhaft integrierte Wirtschaftseinheiten zu funktionieren. Sie würden die Fahrzeiten zwischen den Großstädten nordamerikanischer Megaregionen drastisch reduzieren.6 Philadelphia würde damit praktisch zu einem Vorort New Yorks, da die Fahrzeit sich von annähernd zwei auf eine halbe Stunde verringern würde. Von Washington beziehungsweise Boston nach New York bräuchte man eineinhalb Stunden. San Diego wäre eine Schlafstadt von Los Angeles. Auch in der Megaregion Cascadia würden die Fahrzeiten für Pendler zwischen den wichtigsten Städten beträchtlich schrumpfen: Von Portland nach Seattle würde sich die Fahrzeit auf gut eine Stunde halbieren und von Seattle nach
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Vancouver auf unter eine Stunde reduzieren. Von Charlotte nach Atlanta bräuchte man nur noch gut eineinhalb Stunden. Von Dallas nach Houston und nach Austin könnte man jeweils in weniger als 90 Minuten pendeln. Da man während der Zugfahrt Zeitung lesen oder elektronische Medien nutzen, sich mit Kollegen oder Bekannten unterhalten oder arbeiten kann, ist die Bahnfahrt wesentlich produktiver und angenehmer, als am Steuer im Stau festzusitzen. Hochgeschwindigkeitszüge könnten für die untergehenden Städte im Rustbelt zu einer echten Lebensader werden, die sie mit größeren Städten wie Chicago oder sogar Toronto verbindet. Chicago hat, wie bereits gesagt, eine Fülle wirtschaftlicher Funktionen an sich gezogen, die früher in anderen zweit- und drittrangigen Städten des Mittleren Westens erfüllt wurden. Mit dem Zug könnte man von Milwaukee in gut eineinhalb Stunden nach Chicago und zurück pendeln. Von Detroit nach Chicago käme man in weniger als 75 Minuten. Selbst die Strecke von Pittsburgh nach Chicago, für die man mit dem Auto gegenwärtig siebeneinhalb Stunden braucht, ließe sich in weniger als drei Stunden bewältigen. Pittsburgh könnte zudem eine bessere Verbindung nach Washington bekommen. Als ich zwischen den beiden Städten pendelte, dauerte die Autofahrt über vier Stunden. Aber mit Hochgeschwindigkeitszügen würde daraus eine überschaubare Fahrt von 90 Minuten. Mir schwebt nicht vor, dass Pendler diese Strecken täglich zurücklegen. Aber da flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, viele Arbeiten zu Hause am Computer zu erledigen, in Zukunft noch üblicher werden dürften als heute, versprechen Hochgeschwindigkeitszüge, wirtschaftliche Chancen der Bewohner von rückläufigen Orten zu verbessern, indem sie sie mit aufstrebenden Orten verbinden. Statt sich als funktionell eigenständige Zentren ineffizient durchzuschlagen, können sie Teil einer wesentlich größeren Region werden, in der Angebot und Nachfrage, Produktion und Konsum miteinander in Wechselbeziehung stehen. In Kanada wächst die Unterstützung für eine Hochgeschwindigkeitslinie, die etwa von Windsor vor den Toren Detroits über Toronto und Ottawa bis nach Montreal und Quebec City führt. Sie böte eine Möglichkeit, Kanadas größte Megaregion zusammenzuschweißen und entlang dieser Bahnstrecke Baulücken zu schließen.
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Da weiterhin neue Einwohner und Einwanderer in den Großraum Toronto strömen, würde eine funktionierende Bahnverbindung die Bebauungsgrenzen erweitern und dem gesamten Korridor die entsprechenden Größenvorteile verschaffen. Sie könnte auch der autoproduzierenden Region um Windsor und in Detroit am gegenüberliegenden Flussufer helfen. Da meine Frau aus dem Großraum Detroit stammt, fahren sie und ich regelmäßig mit dem Auto von Toronto dorthin und brauchen dafür vier Stunden. Mit einem Hochgeschwindigkeitszug würde sich die Fahrzeit auf etwa 90 Minuten verringern. Selbst wenn sich dem Bau einer grenzüberschreitenden Hochgeschwindigkeitsstrecke von Toronto nach Detroit Hindernisse in den Weg stellen sollten, könnte eine Verbindung von Toronto nach Windsor durchaus die gleiche Wirkung haben, da sich eine Anbindung an die Innenstadt von Detroit ohne weiteres mit einer U-Bahn-Linie durch den Tunnel schaffen ließe. Der Blogger und Stadtplaner Ryan Avent sieht eine wichtige Parallele zwischen der Revitalisierung des Rustbelts und der Entwicklung, die im Bos-Wash-Korridor stattgefunden hat: »Im nordöstlichen Korridor gibt es Städte, die den Sprung von industrieller zu postindustrieller Ökonomie recht erfolgreich gemeistert haben, nämlich jene, die wissensintensive Industrien wie Finanz- oder Technologiebranche entwickelten, als die produzierende Industrie die Stadtzentren zu verlassen begann.« Der Grund für diese Wende ist seiner Ansicht nach das Verkehrssystem, das die Verbindungen und die Nähe zu florierenden Märkten erhöht. »Eine der Hauptlektionen der Wirtschaftsgeografie ist, dass eine gute Möglichkeit, reich zu werden, darin besteht, in der Nähe anderer reicher Orte zu sein. Abgeschiedenheit ist teuer.«7 Das trifft es genau. Ein entscheidender Faktor dieses Wandels war eine schnelle, zuverlässige Eisenbahn, nämlich Amtraks Expresslinie Acela. Obwohl sie nicht annähernd so schnell ist wie Hochgeschwindigkeitszüge in Europa oder Japan, verbindet die Acela-Linie Städte in dem Korridor der Megaregion Bos-Wash. Damit hat sie diesen Korridor zu einer wesentlich stärker integrierten Wirtschaftseinheit gemacht. Als Unternehmen im Raum New York in den 1960er und 1970er Jahren expandierten, konnten sie einige Bereiche auslagern, um Talentpools und Kostenvorteile im gesamten Umland zu
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nutzen, das sich über drei Bundesstaaten erstreckt. Heute kann man dieselben Bereiche ohne weiteres nach Philadelphia, Baltimore und sogar Washington verlagern. Schnellere Eisenbahnverbindungen lassen die effektive Entfernung zwischen Städten innerhalb der Megaregionen schrumpfen und ermöglichen zweitrangigen Städten, von Wirtschaftsfunktionen zu profitieren, die früher ausschließlich dem Zentrum der Region vorbehalten waren. Man sollte Hochgeschwindigkeitszüge unter dem Aspekt sehen, dass sie Entfernungen schrumpfen lassen, Nähe und Größe schaffen. Ihre Geschwindigkeit und Bequemlichkeit bringt weit entfernte Städte in engere Reichweite zueinander. Sie sind vielleicht die beste Einzelmaßnahme, mit der die US-Regierung die Sanierung der ehemals bedeutenden Industrieregionen an den Großen Seen fördern kann, die viele ihrer bisherigen Wirtschaftsfunktionen eingebüßt haben und in denen die Entfernungen zwischen den Städten gegenwärtig zu groß sind, um zu pendeln. Chicago und Toronto sind mit ihrer starken, wachsenden Wirtschaft die beiden Stützpfeiler der Region. Aber was wäre, wenn es gelänge, die anderen Städte zeitlich näher rücken zu lassen und die Region zu einer Wirtschaftseinheit zu verflechten? »Wenn wir sämtliche Städte im Mittleren Westen auf diese Weise zusammenrücken und anschließend näher an den nordöstlichen Korridor schieben könnten, wären wir mit unserer Aufgabe, diese Städte wieder wirtschaftlich lebensfähig zu machen, schon ein gutes Stück weitergekommen«, schreibt Ryan Avent. Und eben darin sieht er die Aufgabe der Hochgeschwindigkeitszüge: »Im buchstäblichen Sinne geht das nicht, aber effektiv lässt sich etwas ganz Ähnliches erreichen, indem man die Verkehrsverbindungen innerhalb des Mittleren Westens und zwischen dieser und anderen Regionen verbessert. Wir könnten die Verkehrsdichte auf Fernstraßen und Flughäfen beispielsweise durch eine Stau-Maut verringern und die Einnahmen in Hochgeschwindigkeitszüge für Personenund Güterverkehr zwischen den Städten des Mittleren Westens und von dort zum nordöstlichen Korridor und zu gesunden kanadischen Metropolen investieren.« Hochgeschwindigkeitszüge sind ein Mittel, großen Industriestädten wieder Leben einzuhauchen. Sie reduzieren nicht nur die Fahrzeiten zwischen diesen Städten, sondern schaffen auch einen
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Rahmen für die zukünftige Schließung der Baulücken an ihren Strecken. Wie sich die Bebauung an den frühen Straßenbahnlinien und den Fernstraßen der Nachkriegszeit schloss, werden auch Hochgeschwindigkeits-Bahnlinien dazu beitragen, dass sich mit der Zeit an ihren Strecken eine dichtere Bebauung entwickelt. Spaniens neue Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Barcelona und Madrid hat nicht nur die Fahrzeiten zwischen diesen beiden spanischen Großstädten drastisch verkürzt, sondern auch geholfen, mehrere von Schwierigkeiten geplagte Orte entlang der Strecke zu revitalisieren. Es wäre vorstellbar, dass eine solche Wiederbelebung auch entlang von neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken an den Großen Seen stattfände. Nach meiner Überzeugung könnten Investitionen in ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen die wichtigste Einzelmaßnahme sein, um die einst großen Städte des Rustbelts wieder nach vorn zu bringen. Es wäre der erste Schritt, die am stärksten notleidenden Städte der USA in die neue Raumstrategie einzubeziehen, indem man sie mit den wachsenden Megaregionen verbindet, die die nächste Phase unserer Wirtschaft darstellen. Es ist an der Zeit, Verkehrs- und Infrastrukturprojekte weniger unter politischen Aspekten zu betrachten. Vielmehr sollte man sie als strategische Investitionen sehen, die für Geschwindigkeit und Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung ebenso grundlegend sind wie für die Gestaltung der zukünftigen Wirtschaft, Gesellschaft und Gemeinden. Kritiker weisen auf die enormen Kosten von Hochgeschwindigkeitszügen hin und glauben, diese Investitionen könnten sich niemals rechnen. Aber strikte Kosten-Nutzen-Rechnungen erfassen den wirtschaftlichen Nutzen nicht, der aus einer neuen Infrastruktur erwächst. Vergangene Investitionen in Eisenbahnlinien und Fernstraßen spornten Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt und in Industriezweigen an, die weit über das hinausgingen, was man sich damals vorstellen konnte. Infrastruktur ist immer extrem kostspielig, und es gibt keine eindeutige Möglichkeit, die gesamte zukünftige Investitionsrendite zu messen, die sie in Form von Innovationen, Entwicklung, neuen Siedlungen oder Arbeitsplätzen bringt. Infrastruktur schafft das Gerüst, auf dem ein neues Wirt-
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schaftsmodell wachsen kann. Investitionen, die man heute in die Infrastruktur macht, bestimmen über die Wirtschaft der Zukunft. Die Geschichte zeigt, dass es noch kostspieliger ist, hinterherzulaufen und abzuwarten, bis ein dringender Bedarf nach einer bestimmten Infrastruktur besteht, bevor man anfängt, sie zu schaffen. In der Vergangenheit waren die USA führend in der Entwicklung neuer Infrastrukturen, was dazu beitrug, ihre wirtschaftliche Dominanz zu sichern. Heute erfolgen diese Investitionen meist in anderen Ländern der Welt, von China bis nach Spanien. Ebenso wie sich die Zivilisation an natürlichen Verkehrswegen wie Flüssen, Buchten und Tälern entwickelte, wuchsen Städte entlang von Straßen- und Eisenbahnlinien und Fernstraßen, die gebaut wurden. Hochgeschwindigkeitslinien werden die oben beschriebene Schließung von Baulücken ermöglichen, dazu müssen sie aber erst einmal vorhanden sein. Wenn du es baust, werden sie kommen. Der Spruch aus Phil Robinsons Film mag schon alt und inzwischen etwas abgenutzt sein (wird er doch häufig genutzt, um sich über neue Investitionen lustig zu machen). Aber in Bezug auf die Infrastruktur enthält er mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. In gewisser Hinsicht hat die Infrastruktur Ähnlichkeit mit staatlicher Unterstützung für die Grundlagenforschung in der Medizin und den Naturwissenschaften. Solche Investitionen, die für Privatunternehmen entweder zu groß oder zu riskant sind, bieten eine beträchtliche gesellschaftliche Rendite, die ein Ansporn für zukünftige Erfindungen, Produktivität und Wachstum sein kann. Sie lassen sich nicht immer damit rechtfertigen, dass ihr unmittelbarer kurzfristiger Nutzen die Kosten übersteigen wird, und auch ihr langfristiger Nutzen lässt sich nicht vollständig abschätzen, aber sie sind von entscheidender Bedeutung für anhaltenden Wohlstand. Und nach wie vor bildet die Infrastruktur eine wichtige Grundlage für Wachstum und einen Rahmen für den Aufbau einer neuen Wirtschaft.
Kapitel 22
Ein Traum zur Miete
Mitten in der Großen Depression führte der Historiker James Truslow Adams 1931 den Begriff des »amerikanischen Traums« ein. Er definierte ihn als den »Traum von einem Land, in dem das Leben für alle besser, reicher und erfüllter sein und das jedem nach seinen Fähigkeiten oder Leistungen Chancen bieten sollte«.1 In den vergangenen fünfzig Jahren war der Besitz eines Eigenheims ein Eckpfeiler dieses Traums. Ein eigenes Haus mit Garten und weißem Lattenzaun, ein oder zwei Autos in der Einfahrt, das galt über Generationen hinweg als wichtiger Schritt auf dem Weg zu Glück und Sicherheit und als Grundwahrheit. Aber zahlreiche neuere Studien deuten darauf hin, dass dies nicht unbedingt den Tatsachen entspricht. Eine eingehende Untersuchung von Grace Wong Bucchianeri, einer Wirtschaftswissenschaftlerin der Wharton School of Business an der University of Pennsylvania, sind Hauseigentümer, wenn man Einkommen und Demografie berücksichtigt, im Vergleich auch nicht glücklicher als Mieter. Weniger überraschend ist, dass Hauseigentümer ein erheblich höheres Maß an Stress angeben als Mieter. Das ist durchaus nachvollziehbar, denn sie haben eine höhere finanzielle Belastung und tragen zudem die Last, ein Haus zu erhalten.2 Nicht ohne Grund bezeichnen manche ihre Häuser als »finanzielles Fass ohne Boden«. Und Zeitfresser sind sie außerdem. Historisch bestand der größte Anreiz für ein Eigenheim darin, dass es Wohlstand bedeutete. Ein Haus war wie ein Sparkonto, das im Laufe der Zeit ständig wuchs. Es war eine Investition. Wenn man ein Haus kaufte und es zwanzig oder dreißig Jahre behielt, konnte man es mit genügend Gewinn verkaufen, um seinen Ruhestand davon zu finanzieren. Die Steuergesetze der USA sahen diese Möglichkeit sogar ausdrücklich vor und räumten für den Verkauf eines
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Eigenheims eine einmalige Befreiung von Kapitalertragssteuern ein, wenn der Verkäufer über 59,5 Jahre alt war. Diese Ära endete natürlich, als die Immobilienblase platzte. Statt mit ihren Häusern Geld zu verdienen, haben Millionen Amerikaner mittlerweile hohe Verluste gemacht. Und Millionen sitzen in Häusern fest, weil die Hypothekenschulden deren Wert übersteigen. Einer Studie zufolge hatten 30 Prozent der 45- bis 54-Jährigen und 18 Prozent der 55- bis 64-Jährigen 2009 ein Eigenheim, dessen Wert die Kreditschulden nicht mehr abdeckte.3 Von einigen wenigen Boomperioden abgesehen, waren Immobilien nie eine gute finanzielle Investition. Robert Shiller von der Yale University, der weltweit führende Erforscher von Wirtschaftsblasen im Immobilienmarkt und anderen Bereichen, stellte fest, dass »von 1890 bis 1990 die Rendite bei Wohnimmobilien inflationsbereinigt lediglich nur etwa bei null lag«.4 Selbst wenn der Wert eines Hauses die Hypothekenschulden übersteigt, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es seine Eigentümer im traditionellen Sinne arm macht: Ein zu großer Anteil des Einkommens wird von Abzahlungen und sonstigen Ausgaben für das Haus aufgezehrt. Früher galt in den USA die Faustregel – zumindest erzählten das unsere Eltern –, dass man 25 bis 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Wohnung ausgeben sollte. Als die durchschnittlichen Immobilienpreise jedoch immer schneller und höher stiegen als die Durchschnittslöhne, ging dieser Prozentsatz in die Höhe. An manchen Orten gaben – und geben nach wie vor – Amerikaner 50 Prozent und mehr ihres Einkommens für die Wohnung aus, ganz zu schweigen von den Ausgaben für Autos und andere Grundbedürfnisse. Aus diesen Gründen könnte man auf die Idee kommen, dass Mieter sich finanziell eigentlich besser stellen als Hauseigentümer mit vergleichbarem Einkommen, besonders im Vergleich zu denjenigen, die ihr Haus auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms gekauft haben. Das bestätigen die Ergebnisse einer Studie: Unter Amerikanern in ähnlichen finanziellen Verhältnissen waren solche, die sich 2004 für eine Mietwohnung entschieden hatten, 2009 wohlhabender als solche, die ein Haus gekauft hatten.5 Immobilienbesitz bringt erhebliche gesellschaftliche Vorteile mit sich. In der Regel schafft er eine tiefere emotionale Bindung der
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Menschen an ihren Wohnort. Dennoch kann er für die Volkswirtschaft kostspielig werden.6 Eine Studie der Federal Reserve Bank of Dallas, die 1998, also lange vor dem Immobilienboom durchgeführt wurde, lieferte eingehende empirische Belege, dass die Vereinigten Staaten seit 1929 in Wohnimmobilien, verglichen mit anderen Kapitalformen, zu viel investiert hatten. »Das allgemeine Muster war, dass wir in Wohnhäuser im Verhältnis zu anderen Kapitalwerten mehr investiert haben, als wir es in einer Volkswirtschaft tun würden, in der Steuersystem und Kreditanstalten keinen einseitigen Einfluss ausüben würden«, schrieb der Ökonom vom Massachusetts Institute of Technology, James Poterba. Anders ausgedrückt: Der Immobiliensektor schöpfte wertvolles Kapital ab, das man ansonsten für Produktivitätssteigerungen, Innovationen, Medizintechnik, Software oder alternative Energien hätte ausgeben können – also für genau die Sektoren und Produkte, die auch in den kommenden Jahren ein Motor für Wirtschaftswachstum und Exporte der Vereinigten Staaten sein könnten. Die Nachfrage nach größeren Häusern sorgte auch für eine Schieflage der Siedlungsstrukturen, da sie zu einer exzessiven Ausbreitung von Vororten mit geringer Siedlungsdichte führte. Diese Siedlungen zogen wiederum für die gesamte Volkswirtschaft hohe Kosten an Energieverbrauch und Ausbau der Infrastruktur nach sich. Der Ökonom Edmund Phelps brachte es auf den Punkt: »Früher hieß es, Amerikas Geschäft sei das Geschäft. Heute ist Hauseigentum Amerikas Geschäft.«7 Seiner Ansicht nach muss Amerika seine »Hausleidenschaft« überwinden, um sich zu erholen und wieder zu wachsen. Mobilität und Flexibilität sind Grundprinzipien der modernen Wirtschaft. Hauseigentum schränkt beides ein. Laut einer bedeutenden Studie haben Städte mit hohem Anteil an Eigenheimbesitz auch höhere Arbeitslosenquoten. Der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Oswald stellte in dieser Untersuchung fest, dass in europäischen Städten eine 10-prozentige Zunahme des Eigenheimbesitzes mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote um 2 Prozent korrelierte. Demnach ist Eigenheimbesitz für die Vorhersage von Arbeitslosigkeit eine wichtigere Variable als der Grad gewerkschaftlicher Organisierung oder die Großzügigkeit von Sozialleistungen.8 Wer in
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ein Haus investiert hat, packt in schwierigen Zeiten mit geringerer Wahrscheinlichkeit seine Sachen und zieht um, weil er entweder in die Gemeinde investiert und dort soziale Wurzeln geschlagen hat oder sein Haus nicht zu einem Preis verkaufen kann, den er für angemessen hält. In Amerika sank die Mobilität während der gegenwärtigen Krise auf ein Rekordtief. Im Jahr 2008 zog ein geringerer Bevölkerungsanteil um als in jedem Jahr seit Ende der 1940er Jahre, als das U.S. Census Bureau mit Aufzeichnungen über Adressänderungen begann: 2008 waren es weniger als 12 Prozent der Bevölkerung gegenüber mehr als 20 Prozent in der Hochblüte der Vororte. »Die US-Bevölkerung, die häufig als mobilste der entwickelten Welt gilt, ist offenbar durch die Zwänge, die in ökonomisch schwierigen Zeiten entstehen, völlig zum Stillstand gekommen«, erklärte der Demografieforscher William H. Frey gegenüber der New York Times.9 Es ist eine bittere Ironie, dass das Eigenheim sich für so viele Amerikaner von einem Zufluchtsort zur Bürde entwickelt hat. Ein Reset wie der gegenwärtige ist die denkbar schlechteste Zeit, seine Freizügigkeit einzubüßen. In der Wirtschaft vollzieht sich ein umfassender Strukturwandel. Dabei handelt es sich nicht um einen typischen, vorhersagbaren Verlauf oder Wirtschaftszyklus. So geht es derzeit nicht nur um eine Phase vorübergehender Entlassungen von Arbeitern im Produktionsbereich, die wieder eingestellt würden, sobald die Wirtschaft sich erholt. Vielmehr handelt es sich um eine Zeit beträchtlicher schöpferischer Zerstörung. Ältere Firmen, Arbeitsplätze und Industriezweige im Produktionssektor werden vernichtet, und neue Industrien, Tätigkeitsfelder und Firmen entstehen. In einer solchen Lage ist es vor allem für geringqualifizierte Arbeitskräfte schwieriger, an ihrem Wohnort Arbeit zu finden. In der heutigen wie auch in der zukünftigen Wirtschaft ist geografische Mobilität gefordert, um Arbeitskräfte und ihre Fähigkeiten mit den entsprechenden Arbeitsplätzen zusammenzubringen. Tatsache ist, dass ein Konflikt zwischen zwei Träumen besteht: zwischen dem Traum unbegrenzter wirtschaftlicher Möglichkeiten und dem Traum vom eigenen Einfamilienhaus. Die Vereinigten Staaten haben erlebt, wie Hauseigentum eine übertriebene Bedeutung erlangte und die Wirtschaft zu untergraben begann, wie es
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bei allzu vielen einen immer größeren Teil des Einkommens verschlang, den Lebensstil einschränkte und sie manchmal sogar ruinierte, und wie es ein massives, unhaltbares Wachstum an Orten förderte, wo Grundstücke billig und die Immobilienwirtschaft dominant war. Man könnte diese Phase der Geschichte durchaus als eine Zeit sehen, in der die Menschen als abhängige Diener ihrer Eigenheime lebten, die zu ihren Herren und Meistern wurden. Für allzu viele wurde der Traum vom Eigenheim zur selbst gemachten wirtschaftlichen Falle. Den schlimmsten Schaden hat die Immobilienkrise nicht unbedingt auf den Finanzmärkten angerichtet, sondern in den langfristigen Wettbewerbsnachteilen, die durch unflexible Arbeitskräfte entstanden. Sie siedeln nicht mehr dort, wo die Arbeitsplätze der Zukunft sind. Schlecht ist nicht der Besitz eines Eigenheims an sich, sondern die Tatsache, dass Hausbesitz in dem mittlerweile erreichten Ausmaß eindeutig nicht zur heutigen postindustriellen Wirtschaft passt. Ihn als zentrales Ziel unserer kollektiven Bestrebungen aufzugeben ist vielleicht der gesündeste, befreiendste Schritt, den wir tun können. Schon jetzt sind Anzeichen für eine Verlagerung zugunsten von Mietwohnungen zu beobachten. Angesichts der Turbulenzen auf dem Immobilienmarkt verschieben viele Amerikaner den Kauf eines Hauses. Und durch die strengeren Bedingungen bei der Kreditvergabe (ein gewisses Eigenkapital und eine vertretbare Kreditwürdigkeit als Voraussetzung für eine Genehmigung) ist ein Kauf für diejenigen mit etwas fragwürdigen Finanzen wesentlich schwieriger geworden. Im Dezember 2009 berichtete das Wall Street Journal über die vielen Amerikaner, die ihre Häuser aufgaben oder aufgeben mussten und in Mietwohnungen zogen. Der Artikel fasste die Lage mit der Schlagzeile zusammen: »American Dream 2: Erst Pleite, dann Miete«.10 Während der Anteil der Hauseigentümer den stärksten Abschwung in zwanzig Jahren erlebte und von 69,2 Prozent 2004 auf 67,6 Prozent im September 2009 zurückging, sank er am stärksten bei jüngeren Amerikanern. Bei Amerikanern unter 35 Jahren fiel der Anteil der Hausbesitzer von 2008 bis 2009 um 2 Prozent. In den gesamten Vereinigten Staaten wohnen 36 Millionen Menschen zur Miete. Etwa ein Drittel aller bewohnten Wohnungen
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sind Mietwohnungen. Der anhaltende Zustrom besser bezahlter, hoch qualifizierter Fachkräfte in die Megaregionen und die attraktiven Großstädte stärkt die Nachfrage nach Mietwohnungen. Obwohl die Preise leicht gefallen sind, ist es in vielen dieser Orte nach wie vor sehr teuer, eine Wohnimmobilie zu kaufen. In diesen Städten bleibt immer mehr Einwohnern nichts anderes übrig, als eine Wohnung zu mieten. In Metropolregionen wie New York lebt die Mehrzahl der Einwohner in Mietwohnungen, nämlich 66 Prozent, und in Washington und Chicago sind es mehr als die Hälfte (56 beziehungsweise 51 Prozent).11 Die Immobilienkrise schafft zusätzliche Chancen für den Mietwohnungsmarkt. In den gesamten Vereinigten Staaten häufen sich die Zwangsversteigerungen von Einfamilienhäusern und insolventen Neubauprojekten mit Eigentumswohnungen, die sich in Mietwohnungen umwandeln ließen. Da an manchen Orten die Immobilienpreise um 30 bis 40 Prozent gefallen sind, ist eine solche Umwandlung zunehmend wirtschaftlich sinnvoll. Es böte sich an, viele Wohneinheiten zusammenzufassen und Größenvorteile zu nutzen. Neue Bautechniken und -materialien sowie neue Energie spartechnik bieten die Möglichkeit zu langfristigen Kosteneinsparungen. Noch vielversprechender sind neue Strategien in der Ausstattung und Verwaltung von Mietwohnungen. Tata, der riesige indische Konzern, der mit seinem Kleinstwagen Nano für 2 000 Dollar Pionierarbeit auf dem Gebiet billiger Autos leistete, schlägt im Wohnungsmarkt die gleiche Richtung ein. In einer Zeit, in der die meisten Bauträger in indischen Großstädten wie Mumbai Luxushochhäuser und Vorortvillen für die Neureichen in Indiens blühender Wirtschaft bauen, errichtet Tata »Nano-Wohnungen«. Nach einem Bericht der BusinessWeek baut das Unternehmen ganze Siedlungen mit kleinen, äußerst energieeffizienten, preiswerten Wohnungen in Industriegebieten, in denen vernünftige Wohnungen für untere Einkommensgruppen knapp sind.12 Man könnte meinen, ein solches Konzept hätte in den Vereinigten Staaten, dem Land der McMansions, kaum Zukunft. Ich bin jedoch alt genug, mich noch an Zeiten zu erinnern, in denen Amerikaner über die winzigen japanischen »Schuhschachtelautos« spotteten. Ich will gar nicht behaupten, dass typische amerikanische Familien sich für
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23 Quadratmeter große Nano-Wohnungen begeistern würden, doch dieses Konzept ließe sich sicher auf größere, aber noch erschwingliche Mietwohnungen übertragen, die eher nach amerikanischem Geschmack sind. Am anderen Ende des Preisspektrums betätigen sich gehobene Hotelketten wie Four Seasons, Ritz-Carlton und St. Regis schon jetzt im großen Stil auf dem Markt für Eigentumswohnungen und bieten den Bewohnern sämtliche Annehmlichkeiten, Dienstleistungen und Rundumservice an. Ein solches Konzept wäre auch für erschwinglichere Mietwohnungen denkbar. Das geschieht schon jetzt. So baut Korman Communities in New Jersey, Pennsylvania, und in Vorstädten in Virginia neue Formen flexibler Siedlungen mit Mietwohnungen, wie die New York Times berichtete. Die AVE-Komplexe bieten möblierte und unmöblierte Mietwohnungen mit den Annehmlichkeiten von Eigentumswohnungen und hotelähnlichem Service. Möblierte Wohnungen werden monatsweise vermietet, unmöblierte mindestens für ein halbes Jahr, meist aber für ein Jahr. In den AVE-Siedlungen gibt es Kinos, Swimmingpools und Freizeiteinrichtungen, organisierte Veranstaltungen, Versammlungsräume und Geschäfte. Ursprünglich waren sie für Familien und Menschen in Übergangssituationen gedacht – die vielleicht gerade arbeitslos oder geschieden wurden. Ein solcher Ansatz könnte aber potenziell auch für mobile Menschen nützlich sein.13 Mir schwebt eine Zukunft vor, in der man einen Vertrag mit einem großen Anbieter von Mietwohnungen schließt. Man sucht sich die Wohnung aus, die man haben möchte, und wählt die Innenausstattung, die einem gefällt. Wenn man den Arbeitsplatz wechselt oder aus anderen Gründen umziehen möchte, kein Problem: Man kündigt und geht die Liste der Wohnungsangebote in der neuen Stadt durch. Wenn man so will, ist es eine Art von schlüsselfertigem Wohnen, das die Flexibilität und Mobilität erleichtert, die in der heutigen Wirtschaft gebraucht wird. Es gibt einige Maßnahmen, mit denen der Staat den Übergang von Wohneigentum zu Mietwohnungen fördern kann. Die ObamaRegierung ist mit ihren Plänen viel zu weit gegangen, den Immobilienmarkt zu stabilisieren, die Flut der Zwangsversteigerungen einzudämmen und dem gelähmten Hypothekenmarkt wieder Leben
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einzuhauchen. Es ist völlig sinnlos – ja geradezu tollkühn –, wenn der Staat Hilfen gegen Zwangsvollstreckungen vorschlägt, die die Laufzeit von Hypothekenkrediten auf vierzig Jahre verlängern und die monatlichen Ratenzahlungen auf 38 oder sogar 31 Prozent des Einkommens reduzieren.14 Solche Maßnahmen verlängern nur die sklavische Bindung an Häuser, die diese Menschen sich von Anfang an nicht leisten konnten.15 Das Bestreben des Staates, den Eigenheimbesitz wieder zu stärken, wirkt tatsächlich der Flexibilität und Erschwinglichkeit entgegen, die für eine wirtschaftliche Erholung notwendig sind. Warum nimmt man den Eigentümern die Häuser nicht ab und vermietet sie ihnen zu einem wesentlich erschwinglicheren Mietpreis? Fannie Mae hat einen Schritt in diese Richtung unternommen. Man ermöglichte Hauseigentümern, die ihre Kredite nicht bedienen konnten, ihre Immobilie auf das Unternehmen zu überschreiben und ihre Häuser anschließend zu mieten. Im ersten Halbjahr 2009 wurden im Zuge dieses Programms 1 200 ehemalige Hauseigentümer zu Mietern. Allerdings betraf diese Maßnahme nur 2 Prozent der 57 000 Zwangsvollstreckungen, die Fannie Mae in dieser Zeit durchführte.16 Der Staat könnte diesen Ansatz aufgreifen und gemeinsam mit Banken und Immobilienfirmen Hauseigentümern anbieten, ihnen die Häuser für eine gewisse Zeit zu Marktpreisen zu vermieten. In der Regel würden die Mieten unter den Kreditraten liegen. Nach Ablauf der vereinbarten Frist könnte man dem früheren Hauseigentümer die Möglichkeit einräumen, das Haus zum aktuellen Verkehrswert zurückzukaufen. Und was ist mit Hauseigentümern, die sich bereits im Zwangsvollstreckungsverfahren befinden? Auch in diesen Fällen könnte der Staat Banken und großen Immobilienfirmen helfen, die Häuser in Mietobjekte umzuwandeln. Das würde zur Sanierung ganzer Viertel beitragen und zugleich erschwingliche Mietwohnungen schaffen. Die amerikanische Wohnungspolitik fördert Eigentümer weit stärker als Mieter. Die amerikanische Bundesregierung stellte laut Congressional Budget Office 2009 Hilfsmittel für Hauseigentümer in Höhe von 230 Milliarden US-Dollar bereit, das sind annähernd viermal so viel wie die 60 Milliarden US-Dollar, mit denen sie Mieter unterstützte.17 Aber welche dieser beiden Gruppen hätte
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die Unterstützung dringender gebraucht? In dem Bericht heißt es, dass Mieter höhere Wohnungskosten haben. So gaben 45 Prozent der Mieter, aber nur 30 Prozent der Hauseigentümer 2007 mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Wohnung aus – ein Anteil, der in der Regel anzeigt, dass Wohnen unerschwinglich ist, wenn man andere Haushaltsbedürfnisse hinzurechnet. Es ist an der Zeit, dass die Wohnungspolitik sich ändert. Ökonomisch ist es nicht mehr vertretbar, das Eigentum an Wohnimmobilien mit beträchtlichen Subventionen, Steuervorteilen und anderen Anreizen zu fördern. Edward Glaeser gehört zur wachsenden Zahl der Wirtschaftswissenschaftler, die die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekenzinsen abschaffen oder zumindest einschränken wollen: »Die Große Depression bot eine Gelegenheit, die frühere Politik grundlegend zu überdenken. Im derzeitigen Sumpf sollte wieder einmal alles zur Diskussion gestellt werden. Eine heilige Kuh, die schon längst in den Schlachthof gehört, ist die steuerliche Absetzbarkeit von Hypothekenzinsen.«18 Die steuerliche Absetzbarkeit fördert die ineffiziente Verwendung knapper wirtschaftlicher Ressourcen. Zudem profitieren davon vor allem relativ wohlhabende Haushalte. »Leute, die überwiegend in freistehenden Einfamilienhäusern wohnen, würden diese Häuser wahrscheinlich ohnehin besitzen, mit oder ohne die steuerliche Absetzbarkeit der Hypothekenzinsen«, merkt Glaeser an. Das gilt beispielsweise für mich. Ich habe ein Einfamilienhaus in Kanada, wo diese Zinsen nicht steuerlich absetzbar sind. Er schlägt vor, die Obergrenze der Absetzbarkeit nach und nach auf Kredite bis zu einer Höhe von 300 000 US-Dollar zu begrenzen. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Der gegenwärtige Reset bietet die Gelegenheit, das Immobiliensystem umfassender zu überdenken und umzustrukturieren. Diese Umstrukturierung muss ebenso weitreichend sein wie die, die uns im zweiten großen Reset das moderne System der Wohnungsfinanzierung gebracht hat. Das bedeutet, die Vergabepraxis bei Hypothekenkrediten an die anderer fortgeschrittener Länder wie Kanada, Schweden und der meisten europäischen Staaten anzupassen. Es bedeutet einen größeren Eigenanteil und strengere Maßstäbe für die Kreditvergabe. Die amerikanische Toleranz, die es Schuldnern ermöglicht, der Bank praktisch ihre Hausschlüssel einzuwerfen und sich vor ihren Kreditschulden
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zu drücken, ist verheerend und muss aufhören. In Kanada ist das nicht möglich, ebenso wenig in den meisten anderen Ländern der Welt. Wenn dort jemand aufhört, seine Hypothekenkredite zu bedienen, pfändet die Bank seinen Lohn und seine Ersparnisse. Welchen finanziellen Sinn hat es, Menschen zum Kauf von Häusern zu ermuntern und sie ihnen praktisch ohne Eigenkapital zu verkaufen, wenn sie einfach die Schlüssel zurückschicken können, falls das Haus an Wert verliert? So wie der Staat gemeinsam mit privaten Kreditinstituten nach dem Zweiten Weltkrieg den Hausbesitz mit Anreizen gefördert hat, kann er heute die Ausweitung neuer, flexi blerer Formen von Mietwohnungen erleichtern, die den Menschen die Freiheit bieten, umzuziehen, wenn ihre Arbeit, ihre Karriere und ihr Lebensstil sich verändern. Ein solcher Wandel würde das Leben unzähliger Menschen und der gesamten Wirtschaft stabilisieren. Neue Wohnformen waren immer ein entscheidender Aspekt großer Resets. Der moderne Hypothekenkredit und das Einfamilienhaus trieben die Raumstrategie der vergangenen Ära voran. Für ihre Zeit waren diese Entwicklungen richtig und förderten unbedingt die langfristige Dynamik wirtschaftlicher Erholung und den Nachkriegswohlstand. Rückblickend ist jedoch festzustellen, dass eben diese Faktoren dazu beitrugen, Ressourcen in großem Stil fehlzulenken, weg von wachsenden Industrien und Produktivkräften. In Amerika überwiegend auf den Besitz von Einfamilienhäusern zu setzen ist ein Experiment, das sich überlebt und sein Verfallsdatum weit überschritten hat. Inzwischen ist ganz offensichtlich, dass nicht jeder ein Eigenheim besitzen sollte und dass das System der Hypothekenkredite zu einem erheblichen Teil zur gegenwärtigen Finanzklemme beigetragen hat. Außerdem ist klar, dass Hausbesitz Menschen an einen Ort bindet und es ihnen schwieriger macht, in Gebiete wirtschaftlichen Aufschwungs zu ziehen. Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts bietet das Platzen der Immobilienblase nun die Gelegenheit, die Wohnverhältnisse so umzugestalten, dass sie den Erfordernissen der Wirtschaft nach Flexibilität und Mobilität der Arbeitskräfte besser entsprechen.
Kapitel 23
Der Zeitpunkt für den Reset
Wir Amerikaner sind ein Volk, das es eilig hat und in einer beunruhigenden Zeit lebt. Wir sind ungeduldig und an schnelle Erfolge gewöhnt. Wir wollen einfach nur, dass die Wirtschaftskrise vorbei geht. Wir wollen, dass unsere Pensionsfonds, Aktienportfolios und Ausbildungssparpläne solide sind und wachsen; wir wollen unsere Arbeitsplätze wiederhaben, zum Essen ausgehen und uns etwas leisten können, ohne wegen des Haushaltsbudgets in Panik zu geraten. Und das alles wollen wir sofort. Resets brauchen jedoch Zeit. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, sind Resets komplexe Prozesse, die sich über zwei bis drei Jahrzehnte vollziehen, also über gut eine Generation hinweg. Niemand kann genau wissen, wie Wirtschaft und Gesellschaft in einer oder zwei Generationen aussehen werden. Es lässt sich nicht mit Gewissheit voraussagen, wie die nächste Wirtschaftslandschaft und räumliche Problemlösung aussehen werden. Wir können jedoch versuchen, die positiven Tendenzen zu erkennen und zu begreifen, die selbst in diesen schwierigen Zeiten existieren. Und wir können die Lehren nutzen, die sich aus den Erfahrungen früherer Generationen ziehen lassen. Eines steht fest: Der Staat ist nicht die primäre Triebkraft bei großen Resets. Sicher kann der Staat Maßnahmen ergreifen, um die schlimmsten Auswirkungen einer Krise zu mildern, und einen regulatorischen Rahmen schaffen, um zukünftige Krisen zu verhindern. Aber auch wenn der Staat manche Lücken schließen kann, um die Wirtschaft kurzfristig in Gang zu halten, fehlen ihm sowohl die Möglichkeiten als auch die Ressourcen, um die enorme Nachfrage zu erzeugen, die für ein anhaltendes Wachstum notwendig ist. Wie ich zu zeigen versucht habe, entwickeln sich große Resets
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organisch: Es kommen Innovationen auf, neue Technologien und Infrastruktursysteme werden entwickelt, nach und nach entstehen neue Lebens- und Arbeitsweisen und gestalten allmählich die Wirtschaftslandschaft um. Hauptaufgabe des Staates ist es, diese Veränderungen zu ermöglichen und zu beschleunigen. Er kann helfen, eine fruchtbare Umgebung zu schaffen, in der sie wachsen und sich entfalten können. Resets sind – wie nahezu alles andere – eine heikle Kombination aus organischen Entwicklungen und deren gezielter Förderung. Große Resets sind die Dreh- und Angelpunkte der Wirtschaftsgeschichte, das galt für das 19. und 20. Jahrhundert ebenso wie für die Gegenwart. Es sind große Umbruchphasen, in denen neue Technologien und technische Systeme entstehen, Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft stattfinden und Lebens- und Arbeitsräume sich neuen Anforderungen anpassen. Resets verlaufen jedoch nicht alle gleich. Gegenwärtig richten wir den Blick vornehmlich auf die Große Depression und die Politik des New Deal als historische Prüfsteine und hoffen, in diesen früheren Erfahrungen Einsichten für den Umgang mit der jetzigen Krise zu finden. Auch wenn wir es uns nicht eingestehen mögen, stehen wir heute doch vor wesentlich größeren Herausforderungen als in den 1930er Jahren. Die Sofortprogramme für den Straßenbau wirkten während der Großen Depression und danach so gut als Stimulus, weil sie dazu beitrugen, Nachfrage nach industriellen Fließbandprodukten zu fördern. Geld in öffentliche Bauten und Infrastruktur zu investieren, ebnete buchstäblich den Weg für eine Suburbanisierung, die dann genau jene Art von Industrieproduktion stimulierte, die für den wirtschaftlichen Aufschwung notwendig war. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme weisen mehr Ähnlichkeiten mit der Langen Depression des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf. Ich bezeichne diese Periode als ersten Reset. Heute stecken wir ebenso wie damals mitten in einer tektonischen Verschiebung hin zu einer grundlegend neuen Wirtschaftsordnung: Damals ging es um den Übergang von einer Agrarwirtschaft zur Industriewirtschaft, heute um den Übergang von einer Industriewirtschaft zu einer ideengetriebenen Kreativwirtschaft. Die Herausforderung besteht darin, den Übergang von der alten zur neuen Ordnung zu beschleunigen und gleichzeitig den
Der Zeitpunkt für den Reset 215
Übergang zu einem neuen geografischen Rahmen voranzutreiben, in dem neue Lebens- und Arbeitsgewohnheiten Gestalt annehmen können. Unsere Bemühungen müssen sich darauf konzentrieren, aktiv die Wirtschaft der Zukunft aufzubauen. Statt knappes Kapital gerade in die Banken und Finanzsysteme zu stecken, die uns überhaupt erst an den Rand des Abgrunds gebracht haben, oder die Immobilien- und Hypothekenmärkte wiederzubeleben, und statt schlecht geführte Unternehmen der alten Ökonomie vor dem Bankrott zu bewahren, müssen wir alle verfügbaren Ressourcen nutzen, um den Übergang zu einer ideengetriebenen Kreativwirtschaft zu beschleunigen. Wir müssen die Arbeitsplätze verbessern, die überlebt haben oder gerade neu entstehen. Es ist zwar unmöglich, ein genaues, detailliertes Bild zu entwerfen, wie die Wirtschaft und die Gesellschaft nach der Krise aussehen werden, aber aus der Untersuchung vergangener Resets lassen sich einige Leitlinien ableiten, die helfen können, den Weg in eine nachhaltigere, prosperierende Zukunft zu beschreiten. Fakt ist, dass jeder Mensch kreativ ist. Daran lassen sich sämtliche Bemühungen und politischen Initiativen messen: Wie fördern sie die Fähigkeit von Menschen, Organisationen, Orten und Unternehmen, Kreativität zu mobilisieren? Nicht jeder kann malen, Romane schreiben, Filme drehen, Symphonien komponieren, neue Software, neue energieeffiziente Systeme oder neue Biotechnologien entwickeln. Aber jeder hat etwas, worin er gut ist, etwas Kreatives, und es gibt im Leben nichts Befriedigenderes und Lohnenderes als die Chance, dieses Talent umzusetzen. Der eigentliche Schlüssel zu Wirtschaftswachstum liegt darin, die kreativen Talente jedes Einzelnen voll auszuschöpfen. Es ist dringend erforderlich, neue gute Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar viele. Ich habe aufgezeigt, wie die Wirtschaft aktiv neue Arbeitsplätze im Wissensbereich und Jobs für geringer Qualifizierte im Dienstleistungssektor schafft, auch wenn in der Produktion Stellen abgebaut werden. Das Rad der Geschichte lässt sich weder anhalten noch zurückdrehen, wir können die alte Industriewirtschaft nicht auf wundersame Weise zurückholen. Stattdessen müssen wir besser bezahlte Arbeitsplätze im Wissens- und Kreativbereich för-
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dern und mehr Arbeitskräfte für diese Tätigkeiten vorbereiten. Das ist aber nur ein Stück des Weges. Da weiterhin mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor entstehen, die für viele den Berufseinstieg darstellen, müssen wir daraus bessere, höher bezahlte Tätigkeiten machen. Das duldet keinen Aufschub. Es bedarf erheblicher Anstrengungen, diese Arbeiten aufzuwerten und sie innovativer und produktiver zu gestalten. Bei Arbeitsplätzen in der Produktion ist das früher bereits gelungen, jetzt müssen wir es bei den Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor schaffen. Denn sie können vielen Menschen ein besseres Leben bieten und einen sinnvollen Beitrag zur Produktivität und Prosperität unserer Wirtschaft leisten. Aus dieser Sicht tritt deutlicher denn je die Notwendigkeit zutage, unser Bildungssystem grundlegend zu reformieren. Kleinere Korrekturen in Randbereichen genügen nicht länger. Wir brauchen ein Bildungs- und Ausbildungssystem, das der neuen Kreativwirtschaft entspricht. Auch in dieser Hinsicht sind die beiden vergangenen Resets lehrreich. Neue und bessere Bildungssysteme waren für sie unverzichtbar und sind es auch für den gegenwärtigen Reset. Der erste Reset brachte das moderne System staatlicher Schulen und schuf die Grundlagen der Universitäten, des College-Systems und der modernen Ingenieurausbildung. Der zweite Reset weitete das höhere Bildungssystem aus und führte zur Entstehung der modernen forschungsintensiven Universitäten. Im Vergleich zu den Veränderungen, die gegenwärtig notwendig sind, bedeuten diese gigantischen Fortschritte jedoch nur kleine Schritte. Wir brauchen ein Bildungs- und Ausbildungssystem, das die kreativen Talente der Menschen massenhaft mobilisiert und nutzbar macht. Bill Gates und andere sind der Ansicht, das gegenwärtige Schulsystem sei »bankrott«. Es entstand im Übergang von einer Agrar- zur Industriewirtschaft und entsprach den Anforderungen der damaligen Zeit, indem es massenhaft genügsame, gut ausgebildete Fabrikarbeiter lieferte, die lesen und schreiben konnten. Aber die Entwicklung des Bildungssystems hat mit dem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft nicht Schritt gehalten. Ironischerweise wirkt unser Schulsystem im Kontext der heutigen wissensbasierten Ökonomie mehr als antiquiert, als sei es eigens darauf zugeschnitten, kreatives Denken im Keim zu ersticken. Die Geschichte von
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Bill Gates, Steven Jobs oder Michael Dell wird zum Mythos verklärt; immer wieder wird erzählt, wie diese Draufgänger in ihrer Freizeit in Studentenbuden oder Garagen neue Unternehmen aufbauten. Aber niemand stellt die Frage, die auf der Hand liegt: Warum machten sie das in ihrer Freizeit? Warum ist das Bildungssystem nicht so strukturiert, dass es sich solche Aktivitäten zum Ziel setzt? Menschen haben schon immer im Wesentlichen durch praktisches Tun gelernt. Erst seit relativ kurzer Zeit gilt die Schule als Hauptquelle von Bildung. Wir müssen begreifen, dass Schulbildung nur eine Phase in einem fortwährenden Prozess des Lernens, Entdeckens und Engagierens darstellt, der überall und jederzeit erfolgen kann. Wir brauchen ein Bildungssystem, das unsere kollektive Kreativität anspornt, statt sie zu ersticken. Darüber hinaus ist ein neuer Gesellschaftsvertrag notwendig. Es wird viel Aufhebens um die Notwendigkeit gemacht, das Gesundheitswesen in den Vereinigten Staaten zu verbessern und etwas gegen die wachsende Ungleichheit zu unternehmen, aber das ist nur ein Teil des Problems. Der amerikanische Gesellschaftsvertrag muss so umgestaltet werden, dass er den Bedürfnissen und Herausforderungen der heutigen wissensgetriebenen Wirtschaft gerecht wird. Die alte industrielle Ordnung organisierte sich um Großunternehmen, die langfristige, stabile Arbeitsplätze boten, und um einen Staat, der ein soziales Netz bereitstellte. Große Unternehmen spielen auch weiterhin eine wichtige Rolle, prägen aber Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr im selben Maß wie in den vergangenen rund fünfzig Jahren. In unserem mobileren, flexibleren Wirtschaftssystem wechseln Menschen den Arbeitsplatz häufiger als früher. Diese wirtschaftliche Flexibilität erfordert ein ebenso flexibles soziales Netz, das zudem den tatsächlich Benachteiligten einen angemessenen Lebensstandard gewährleisten muss. Und selbst Länder wie Schweden, Dänemark oder Kanada, die ein hervorragendes soziales Netz bieten, müssen mehr tun. Entscheidend ist, die Idee des sozialen Netzes so auszuweiten, dass es nicht nur materielle Absicherung, sondern jedem Menschen reale Chancen bietet. Ein Gesellschaftsvertrag unserer Zeit geht von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch das Grundrecht auf umfassende Entwicklung und Nutzung seiner kreativen Fähigkeiten haben sollte – und
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zwar in einer Weise, die dem Einzelnen den Lebensunterhalt sichert und die Produktivität der gesamten Gesellschaft fördert. Auf vergangene Resets folgten massive Investitionen in neue Infrastruktursysteme – von Eisenbahn, Straßenbahn und U-Bahn bis hin zu Telefonleitungen und Bundesstraßen –, die dazu beitrugen, das Wirtschaftswachstum in Gang zu bringen. Heute gilt es, die Infrastruktur der Zukunft aufzubauen, statt Flickschusterei an der Infrastruktur der Vergangenheit zu betreiben. Es nicht zu tun hieße, den gegenwärtigen Reset zu verzögern und die wirtschaftliche Erholung zu behindern. Wir brauchen intelligente Investitionen in eine neue Infrastruktur, die die Beschränkungen der gegenwärtigen energiefressenden, umweltschädlichen, zeitraubenden Infrastruktur zu überwinden vermag. Die Geschwindigkeit, mit der Menschen, Güter und Ideen befördert werden, muss erhöht werden. Die Entwicklungsgeschichte der Wirtschaft ist eine Geschichte der Expansion und der intensiveren Nutzung von Land und Raum. Der erste Reset erlebte den Übergang von Kleinstädten und einer Agrargesellschaft zu dicht besiedelten Industriestädten. Der zweite Reset brachte die ausgedehnten Vororte und Großstädte, die unsere jüngste Vergangenheit prägten. Der gegenwärtige Reset setzt die Entstehung einer neuen, noch größeren Wirtschaftslandschaft voraus, geprägt von Megaregionen, die sich über viele Städte, mehrere Bundesstaaten und Provinzen und in manchen Fällen Staatsgrenzen hinweg erstrecken. Diese Regionen werden sich ohne die nötige Infrastruktur, die Menschen und Ideen zusammenbringt, nur schwer bilden können. Statt mehr Autobahnen zu bauen, müssen wir in Hochgeschwindigkeitszüge investieren, die diese Megaregionen verknüpfen, die Fahrzeiten durch diese Regionen verkürzen, die Bebauung von Freiflächen innerhalb dieser Regionen und eine dichtere Besiedlung ermöglichen. Eine solche Infrastruktur trägt dazu bei, ein Umfeld für neue Lebens- und Arbeitsweisen zu schaffen, die es Menschen erlauben, näher an ihrer Arbeitsstätte zu wohnen und ihre Anfahrtswege zu reduzieren. Das wiederum fördert den Wirtschaftskreislauf und sorgt für die Dichte und Interaktion, die zu Innovationen führt und zukünftigen Wohlstand ermöglicht. Zu lange galten urbane Zentren als Brennpunkte konzentrierter Armut und Benachteiligung. Es ist an der Zeit, sie als wichtige Trieb-
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kräfte des Wirtschaftswachstums zu erkennen. Auch staatliche Strukturen bedürfen einer Anpassung. Während Staatsregierungen in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern der Welt in ideologischen Auseinandersetzungen oder parteipolitischer und bürokratischer Starre feststecken, erarbeiten Politiker in Städten, Kreisen und Bundesstaaten auf der ganzen Welt neue pragmatische Lösungen für drängende soziale und wirtschaftliche Probleme. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Alice Rivlin vertrat schon vor langer Zeit, die lokale Ebene sei der richtige Ort für Entscheidungen über Produktivität und Wirtschaftsentwicklung, weil lokale Akteure ihre Wirtschaft am besten kennen.1 Nach demselben Prinzip lassen führende Unternehmen einzelne Mitarbeiter und Teams eigenständig Problemlösungen und innovative Lösungswege entwickeln. Wir müssen unsere staatlichen Institutionen und Verwaltungsstrukturen diesen Realitäten anpassen und der lokalen und regionalen Ebene mehr Entscheidungsbefugnisse einräumen. Resets bringen unweigerlich neue Lebens- und Arbeitsweisen und neue Konsumgewohnheiten mit sich. Darin bildet auch der gegenwärtige Reset keine Ausnahme. Der enorme Schuldenberg, den wir Amerikaner kollektiv angehäuft haben, indem wir immer größere Häuser, Autos, Güter und Geräte gekauft haben, hat uns letztlich ruiniert. Inzwischen kommen wir allmählich von unserer Kaufsucht ab. Das ist sehr gut. Die Menschen kaufen umsichtiger und weniger ein, sparen mehr und konzentrieren sich stärker darauf, ihr Geld für bereichernde Erlebnisse auszugeben, statt nur ihre Häuser mit allem möglichen Zeug zu füllen. Es ist sinnvoll, sich von allzu belastendem Besitz zu trennen – von hohen Hypotheken und Autokrediten, von Häusern voller Haushaltsgeräte, die nur Geld verschlingen –, wenn wir die Mobilität und Flexibilität bekommen wollen, die für diesen Reset notwendig ist. Vielleicht ist der traditionelle Eigentumsbegriff an sich veraltet. Die einst gerühmte Eigentümergesellschaft weicht interessanterweise offenbar einer neuen Form der Mietergesellschaft. Ersetzte Leasing schon vor langer Zeit den Autokauf, so tritt nun an seine Stelle zunehmend das Car-Sharing. Und immer mehr Menschen, auch Hausbesitzer, entschließen sich, Häuser und Wohnungen zu mieten. Der gegenwärtige Reset verspricht die Chance auf ein Leben, das nicht durch den Besitz von Immobilien, Haushaltsgeräten, Autos
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und allen möglichen materiellen Gütern besser wird, sondern durch größere Flexibilität, geringere Verschuldung, mehr Zeit für Familie und Freunde, die Verheißung auf persönliche Entwicklung und Zugang zu mehr und besseren Erfahrungen. Sämtliche Organismen und Systeme erleben den Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt. Waldbrände zerstören die Landschaft, erfüllen aber eine notwendige Funktion, indem sie dicht bewachsenen, überwucherten Boden für neues Wachstum frei machen. Im Herbst wird das Gras braun, und das Laub fällt von den Bäumen, aber im Frühling sprießen neue Blätter, und die Bäume sind größer und kräftiger geworden. Die Politiker müssen umsichtige Entscheidungen treffen, wie viel Zeit und Ressourcen sie auf den Versuch verwenden, Unternehmen und Firmen zu retten, die besser nicht gerettet werden sollten. Den Menschen wäre weit mehr gedient, wenn man versuchen würde, sie auf etwas Neues vorzubereiten, und ihnen den Weg ebnen würde, ihren Lebensunterhalt dauerhaft selbst bestreiten zu können. Bildung und Infrastruktur, Kreativität und Konnektivität, das sind die Dinge, die wir in Angriff nehmen können und verbessern und gewährleisten müssen, um diesen Reset zu überstehen und neuen Wohlstand aufzubauen. Darin sehe ich die Rolle des Staates auf unserem Weg in die Zukunft. Der Staat hat eine wichtige und legitime Aufgabe zu erfüllen, wenn es darum geht, die Rahmenbedingungen für eine neue Ära gemeinsamen Wohlstands zu schaffen. Wenn der Staat alte Industriezweige vor dem Ruin bewahrt, überholte Institutionen wiederbelebt oder Probleme zupflastert, verschwendet er wertvolle Ressourcen, mit denen sich solche zukunftsorientierten, wohlstandsfördernden Maßnahmen finanzieren ließen. Ein solches Vorgehen bringt vielleicht die Blutung zum Stillstand, verhindert aber nicht, dass wir erneut fallen. Und es trägt kaum dazu bei, uns auf den Weg in eine bessere Zukunft zu führen. Hören wir auf, die Symptome zu kurieren. Hören wir auf, Nostalgie mit Entschlossenheit zu verwechseln. Es ist Zeit, dass wir alle, jeder Einzelne von uns, der Staat und die Gesellschaft, unsere Anstrengungen darauf richten, die notwendigen Voraussetzungen für eine lebendige, prosperierende Zukunft zu schaffen.
Danksagung
Rückblickend entstand dieses Buch durch einen Anruf von Don Peck vom Atlantic. Der Aktienmarkt war gerade zusammengebrochen, und Don wollte wissen, ob ich etwas über die Krise und ihre Auswirkungen auf New York schreiben wollte. Etwa vier Wochen später trafen wir uns in Washington, D. C., und besprachen in groben Zügen die Grundideen für meine Titelstory im Atlantic, die im März 2009 unter der Überschrift »How the Crash Is Reshaping America« erschien. Don gilt mein aufrichtiger Dank. Er half mir, die Grundidee auszuarbeiten und auszufeilen, und wirkte intensiv an der Gestaltung des endgültigen Artikels mit. Der Artikel erregte mehr Aufmerksamkeit, als ich mir je erträumt hätte, und so entstand die Idee, ihn zu einem Buch auszuweiten. Zu danken habe ich mehreren Menschen, die entscheidend daran beteiligt waren, dass ich diese Idee in die Tat umsetzen konnte. Mein Literaturagent Jim Levine half, das Projekt zu formen und zu lenken und großartige Verleger zu finden. Hollis Heimbouch von HarperCollins in den Vereinigten Staaten und Anne Collins von Random House Canada möchte ich danken, weil sie an dieses Projekt geglaubt haben und sich als umsichtige, hilfreiche Lektoren erwiesen haben. David Scobel half, das Manuskript zu gestalten und zu bearbeiten. Beth Fisher von Levine Greenberg sorgte dafür, dass das Buch ein weltweites Publikum erreichte, indem sie renommierte Verlage auf der ganzen Welt dafür interessierte. Ein Buch wie dieses kann nur in Teamarbeit entstehen, und ich danke jedem Einzelnen in meinem Team aufrichtig. Patrick Adler war von Anfang an mein Ansprechpartner, der unermüdlich historische Quellen sichtete, Daten ausgrub, Analysen durchführte und alle erforderlichen Hintergrundrecherchen übernahm. Char-
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lotta Mellander, mit der ich bereits bei zahlreichen Projekten zusammengearbeitet habe, bewies wieder einmal ihr gewohntes Geschick, Zahlenmaterial zu bewältigen, und unterstützte mich mit ihren Kommentaren zu verschiedenen Entwürfen des Manuskripts. Kevin Stolarick, Forschungsdirektor am Martin Prosperity Institute (MPI), unterstützte mich auf jede erdenkliche Weise: Er stellte Daten bereit, trug zu ihrer Analyse bei, las das Manuskript und leitete unser hervorragendes Forscherteam. Ian Swain, Ronnie Sanders, Scott Pennington und Adrienne Ross leisteten wertvolle Unterstützung bei der Forschungsarbeit. Kim Silk, unsere Datenbibliothekarin, half bei Quellenrecherchen, Überprüfung von Daten, Lektorat und bibliografischen Details. Laura Anderson vom Business Information Centre der Rotman School unterstützte uns ebenfalls bei Quellennachweisen und Fragen. Erik Calonius redigierte Entwürfe zu mehreren Kapiteln. Craig Pyette von Random House Canada half ebenfalls bei der Redaktion des Textes. Die Möglichkeit, kreativ zu arbeiten, hängt davon ab, dass andere sich um Management und Verwaltung kümmern. Diese Aufgaben übernimmt weitgehend unser Verwaltungsdirektor Jim Milway mit Unterstützung von Kim Ryan und den überaus fähigen Mitarbeitern des MPI und der Rotman School. Marisol D’Andrea, die mich in meiner täglichen Arbeit unterstützt, half bei der Überprüfung von Fakten und der Bearbeitung des Manuskripts. Das MPI bietet eine hervorragende Umgebung, zu denken, zu forschen und zu schreiben. An dieser Stelle danke ich Roger Martin, dem Dekan der Rotman School of Management, für seine originelle Vision, Geoff Beattie für seine fortwährende Unterstützung, und unseren Förderern, Joe Rotman, der Provinz Ontario, der Royal Bank of Canada, Manulife und Jim Fleck für ihre Großzügigkeit. Meinem Team von der Creative Class Group (CCG) – Reham Alexander, Steven Pedigo und Elizabeth McGolerick – danke ich für ihre Hilfe bei meinen Vorträgen, Blogs und Publikationen. Ich habe das Glück, einer großen Familie anzugehören, die mir viel Rückhalt und Freude gibt. Dazu gehören mein Bruder Robert, seine Frau Ginny, meine Nichten Sophie und Tessa und mein Neffe Luca; der Kozouz-Clan: Ruth, Reham, Markis und Adiev Alexander; Dean und Ruba Alexander; Leena, Adam, Christian, Melia und So-
Danksagung 223
phia Hosler; Raig, Anastasia und Zachary; Ramiz und Christina; sowie meine Vettern und Cousinen DeCicco, die zu zahlreich sind, um sie hier namentlich aufzuführen. Den größten Dank schulde ich meiner Frau Rana, die unseren Alltag regelt und mir in allem, was ich tue, zur Seite steht. Sie hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und zu klären, redigiert, was ich schreibe, und kümmert sich um die großen und kleinen Details. Sie ist die Liebe meines Lebens und erfüllt jeden Tag mit Freude, Leidenschaft und grenzenloser Energie.
Anmerkungen
1. Der große Reset 1 Emanuel sagte in der CBS-Fernsehsendung Face the Nation: »Regel eins: Lass nie zu, dass eine Krise ungenutzt bleibt. Krisen sind Chancen, Großes zu vollbringen«; zit. in Jeff Zeleny, »Obama Weighs Quick Undoing of Bush Policy«, New York Times, 9.11.2008. Laut Thomas Friedman sagte dies Romer zu ihm, siehe »9/11 and 4/11«, New York Times, 20.7.2008. 2 Rede auf der Jahrestagung von Business for Social Responsibility, 8.11.2008, www.marcgunther.com/2008/11/06/an-emotional-social-economic-reset. 3 Der Begriff stammt von David Harvey, »The Spatial Fix – Hegel, Von Thunen and Marx«, Antipode, 13/2, 1981, S. 1–12; Harvey, The Limits of Capital, New York 1982; Harvey, The New Imperialism, New York 2003; dt.: Der neue Imperialismus, Hamburg 2005. 4 Michelle Maynard, »Is Happiness Still That New Car Smell?«, New York Times, 21.10.2009.
2. Die großen Vorgänger 1 Scott Reynolds Nelson, »The Real Great Depression: The Depression of 1929 Is the Wrong Model for the Current Economic Crisis«, Chronicle of Higher Education: The Chronicle Review, 55/8, Oktober 2008, S. B98. 2 Alfred Kleinknecht, Innovative Patterns in Crisis and Prosperity: Schumpeter’s Long Cycle Reconsidered, New York 1987. Siehe auch Jacob Schmookler, Invention and Economic Growth, Cambridge, Mass., 1966. 3 Die Darstellung technischer Innovationen während des ersten Resets beruht auf folgenden Quellen: Joel Mokyr, The Lever of Riches: Technological Creativity and Economic Progress, New York 1992; Mokyr, Gifts of Athena: Historical Origins of the Knowledge Economy, Princeton, N. J., 2004. Siehe auch David Landes, The Wealth and Poverty of Nations: Why Some Nations Are So Rich and Others Are So Poor, New York 1999; dt.: Wohlstand und Armut der Nationen: Warum die einen reich und die anderen arm sind, München 1999.
Anmerkungen 225
4 David Hounshell, From American System to Mass Production, 1880–1932: The Development of Manufacturing Technology in the United States, Baltimore 1985. 5 Joel Mokyr, »The Second Industrial Revolution, 1870–1914«, in: Valerio Castronovo (Hrsg.), Storia dell’economia mondiale, Rom 1999, S. 219–245. 6 Christopher Freeman, The Economies of Industrial Innovation, London 1997; Gerhard Mensch, Das technologische Patt: Innovationen überwinden die Depression, Frankfurt a. M. 1975. 7 »Interview with Edmund Phelps«, The Daily Beast, 13.7.2009, www.thedaily beast.com/blogs-and-stories/2009-07-13/interview-with-edmund-phelps. 8 Thomas P. Hughes, Networks of Power: Electrification in Western Society, 1880–1930, Baltimore 1983; Hughes, American Genesis: A Century of Invention and Technological Enthusiasm, Chicago 2004; dt.: Die Erfindung Amerikas: der technologische Aufstieg in den USA seit 1870, München 1991. 9 Mathew Josephson, Edison: A Biography, New York 1992, S. 314, www.nps. gov/nr/twhp/wwwlps/lessons/25edison/25edison.htm; dt.: Thomas Alva Edison, München 1969. 10 Paul Israel, »Inventing Industrial Research: Thomas Edison and the Menlo Park Laboratory«, Endeavor 26/2, 1.6.2002, www.sciencedirect.com. 11 Mokyr, »The Second Industrial Revolution«, a. a. O. 12 Aus Telegraphic Journal and Electrical Review, 20/1887, S. 349, zit. n. Hughes, Networks of Power, S. 105. 13 Eine hervorragende Studie zu diesem Prozess bieten Naomi R. Lamoureux, Margaret Levenstein und Kenneth L. Sokoloff, »Mobilizing Venture Capital during the Second Industrial Revolution: Cleveland, Ohio, 1870–1920«, Capitalism and Society, 1/3 2006, www.bepress.com/cas/vol1/iss3/art5. Richard Florida und Mark Samber, »Capital and Creative Destruction: Venture Capital and Regional Growth in U.S. Industrialization«, in: The New Industrial Geography, Regions, Regulation and Institutions, Trevor Barnes und Meric Gertler (Hrsg.), London 1999, S. 265–287. 14 Das Harper-Zitat und die Erörterung früher urbaner Verkehrssysteme ist entnommen aus Mary Bellis, »History of the Streetcar«, http://inventors. about.com/library/inventors/blstreet.htm. 15 Siehe Brian Cudahy, Cash, Tokens and Transfers: A History of Urban Mass Transit in North America, New York 1990. 16 Mokyr, »The Second Industrial Revolution«. 17 Die Daten zum Schulbesuch sind entnommen aus Williams Sonnenberg, »Elementary and Secondary Education«, in: Thomas Snyder, 120 Years of American Education: A Statistical Portrait, Darby, Pa, 1993, Kap. 2, S. 25–62. 18 Allerdings besuchten nur 2 Prozent der Amerikaner ein College; siehe Thomas Snyder, 120 Years of American Education: A Statistical Portrait, Darby, Pa, 1993.
226 Reset 19 Zur Geschichte der Ingenieurausbildung in den USA siehe Roger Geiger, To Advance Knowledge: The Growth of American Research Universities, 1900– 1940, New York 1990; David Noble, America by Design: Science, Technology and the Rise of Corporate Capitalism, New York 1977; Nathan Rosenberg und Richard Nelson, »American Universities and Technical Advance in Industry«, Research Policy 23/3 1994, S. 323–348.
3. Stadtentwicklung als Innovation 1 Die Zahlen stammen vom U.S. Census Bureau, Selected Historical Decennial Census Population and Housing Counts, Urban and Rural Populations, Population 1790–1900, 1993, www.census.gov/population/www/census/files/ table-4.pdf. 2 »Figures on Urban Population, Population of the 100 Largest Urban Places: 1860, Table 9«, 1998, www.census.gov/population/www/documentation/ twps0027/tab09.txt. 3 Zu diesem Prozess gibt es zahlreiche Studien, siehe z. B. den klassischen Beitrag von David Gordon, »Capitalist Development and the History of American Cities«, in: William K. Tabb und Larry Sawers (Hrsg.), Marxism and the Metropolis: New Perspectives in Urban Political Economy, New York 1984, S. 21–53. 4 Die Bevölkerungszahlen für amerikanische Städte sind entnommen aus Campell Gibson, »Population of the 100 Largest Cities and Other Urban Places in the United States: 1790 to 1990«, U.S. Census, Juni 1998, www. census.gov/population/www/documentation/twps0027/twps0027.html. Die Zahlen zur Beschäftigung in der Produktion stammen aus Gordon, »Capitalist Development and the History of American Cities«. 5 Mancur Olson, The Rise and Decline of Nations: Economic Growth, Stagflation and Social Rigidities, New Haven 1984; dt.: Aufstieg und Niedergang von Nationen: ökonomisches Wachstum, Stagflation und soziale Starrheit, Tübingen 2004. 6 Die Einwanderungszahlen zum ersten Reset sind entnommen aus Campbell J. Gibson und Emily Lennon, »Historical Census Statistics on the Foreign-born Population of the United States: 1850–1990«, U.S. Census, Februar 1999, www.census.gov/population/www/documentation/twps0029/ twps0029.html. 7 Eine umfassendere Erörterung zur Rolle eingewanderter Unternehmer in der Industrialisierung der USA siehe R. Florida, The Flight of the Creative Class: The Global Competition for Talent, New York 2005. 8 In New York waren 42 Prozent der Einwohner Immigranten, in Chicago 41 Prozent und in Detroit 40 Prozent. 9 Daten zur durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit stammen von Randal O’Toole, zitiert in Neil Reynolds, »America’s Fast Track to Wealth«, Globe and Mail, 9.10.2009.
Anmerkungen 227
10 Lewis Mumford, The City in History, New York 1964; dt.: Die Stadt: Geschichte und Ausblick, Bd. 1, München 1979, S. 533 f. 11 Zur frühen industriellen Vorortbildung siehe Richard Walker und Robert D. Lewis, »Beyond the Crabgrass Frontier: Industry and the Spread of North American Cities, 1850–1950«, Journal of Historical Geography, 27/1, Januar 2001, S. 3–19. 12 Als »Straßenbahnvororte« bezeichnete sie der Stadthistoriker Sam Bass Warner in Street Car Suburbs: The Process of Growth in Boston, 1870–1900, Cambridge, Mass., 1978. Siehe auch Kenneth Jackson, Crabgrass Frontier: The Suburbanisation of the United States, New York 1987. 13 Eine Dokumentation bietet Claude Fischer, »Changes in Leisure Activities, 1890–1940«, Journal of Social History, 27/3 1994, S. 453–475. 14 Roger Miller, »The Hoover in the Garden: Middle-Class Women and Suburbanization, 1850–1920«, Environment and Planning D: Society and Space 1, 1/1983, S. 73–87. 15 Diese Daten sind zusammengestellt in Eva Jacobs und Stephanie Shipp, »How Family Spending Has Changed in the U.S.«, Monthly Labor Review, 113/3 1990, S. 20–27; Larry Moran und Clinton McCully, »Trends in Consumer Spending, 1959–2000«, Survey of Current Business 2001, S. 15–21; und Ben J. Wattenberg, The Statistical History of the United States, New York 1977.
4. Das Jahrzehnt der größten technischen Fortschritte 1 Zahlreiche Studien befassen sich mit den wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen der Großen Depression, siehe z. B. John Kenneth Galbraith, The Great Crash of 1929, New York 1997, dt.: Der große Crash 1929: Ursachen, Verlauf, Folgen, München 2008; Robert McElvaine, The Great Depression: 1929–1942, New York 1993; und David Kyvig, Daily Life in the United States, 1920–1940: How Americans Lived through the Roaring Twenties and Great Depression, Chicago 2004. 2 Noah Mendel, »When Did the Term Great Depression Receive Its Name (and Who Named It?)«, History News Network, 19.6.2009. 3 Alexander Field, »The Most Technologically Progressive Decade of the Twentieth Century«, American Economic Review, 39/4, September 2003, S. 1399–1413. 4 Alexander Field, »Technological Change and U.S. Productivity Growth in the Interwar Years«, Journal of Economic History, 66/1 2006, S. 203–236. 5 Ihre Studie basiert auf eingehenden Daten über Buchveröffentlichungen zu neuen Technologien. Damals waren Bücher die beste, wenn nicht gar einzige Möglichkeit, neue Technologien publik zu machen. Sie stellen daher einen zuverlässigen Indikator für die Innovationsrate dar. In einem weiteren Schritt untersuchten die beiden Forscher die Auswirkungen ver-
228 Reset schiedener Technologien und konnten belegen, dass die Innovationen dazu beitrugen, die allgemeine wirtschaftliche Erholung zu beschleunigen: Michelle Alexopoulos und John S. Cohen, »Measuring our Ignorance, One Book at a Time: New Indicators of Technical Change, 1909–1949«, Journal of Monetary Economics, 56/4 2009, S. 450–470; und Alexopoulos und Cohen, »Believe It or Not! The 1930s Was a Technologically Progressive Decade«, University of Toronto, Department of Economics, Januar 2007, www.chass. utoronto.ca/~malex/believeitornot.pdf. 6 Die Zahlen sind entnommen aus David Mowery und Nathan Rosenberg, »Twentieth Century Technological Change«, The Cambridge Economic History of the United States, Bd. 3, Stanley Engerman und Robert Gallman (Hrsg.), Cambridge 2000, S. 803–906. Siehe auch Mowery und Rosenberg, Technology and the Pursuit of Economic Growth, Cambridge 1989. 7 Thomas Snyder, 120 Years of American Education: A Stratistical Portrait, Darby, Pa., 1993. 8 Die Daten stammen vom U.S. Census Bureau, Current Population Survey, www.census.gov.
5. Die Stunde der Vorstadt 1 Megan McArdle, »Home Economics«, Atlantic, Juli-August 2009, www. theatlantic.com/doc/200907/home-economics. 2 Benjamin Schwarz, »Life In (and After) Our Great Recession«, Atlantic, Oktober 2009; www.theatlantic.com/doc/200910/middle-class. 3 Eva Jacobs und Stephanie Shipp, »How Family Spending Has Changed in the U.S.«, Monthly Labor Review, März 1990, S. 24. 4 Ich habe mich mit der Rolle der Wohnungsbaupolitik in der Suburbanisierung der Nachkriegszeit beschäftigt, seit ich Mitte zwanzig war. Zu diesem Thema habe ich meine Abschlussarbeit in Rutgers, meine Doktorarbeit an der Columbia University und meine ersten Veröffentlichungen geschrieben. Siehe Richard Florida und Marshall Feldman, »Housing in U.S. Fordism«, International Journal of Urban and Regional Research, 12/2 1998, S. 187–210; R. Florida und Andrew Jonas, »U.S. Urban Policy: The Postwar State and Capitalist Regulation«, Antipode, 23/4 1991, S. 349–384. 5 Daten zur durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit stammen von Randal O’Tool, zitiert in: Neil Reynolds, »America’s Fast Track to Wealth«, Globe and Mail, 9.10.2009. 6 Jacobs und Shipp, »How Family Spending Has Changed in the U.S.«, S. 23. 7 Die genauen Zahlen, entnommen aus ebd., sind: Nahrungsausgaben sanken von 46,4 Prozent 1901 auf 32,5 Prozent 1934–1936 und 19,4 Prozent 1986–1987. Ausgaben für »Möbel und Wohnungseinrichtung« stiegen von 4,6 Prozent 1934–1936 auf 12 Prozent 1950 und 22,9 Prozent 1972–1973.
Anmerkungen 229
Ausgaben für Grundbedürfnisse (»Nahrung und alkoholische Getränke«, »Wohnung« und »Kleidung und Dienstleistungen«) sanken von 76 Prozent der Haushaltsausgaben 1901 auf 49 Prozent 1960. 8 Frank Hobbs und Nicole Stoops, »Demographic Trends in the Twentieth Century: Census 2000 Special Reports«, Series CENSR-4, November 2002, www.census.gov/prod/2002pubs/censr-4.pdf. 9 Ebd., S. 18. 10 Zwischen 1950 und 1990 wuchs die Bevölkerung der Weststaaten um 170 Prozent, die der Südstaaten um 81 Prozent, also erheblich stärker als der Mittlere Westen mit 34 Prozent und der Nordosten mit 29 Prozent. Ebd.
6. Raumlösungen 1 David Harvey legt diese Vorstellungen in verschiedenen Schriften dar. Siehe D. Harvey, »The Spatial Fix – Hegel, Von Thunen and Marx«, Antipode 13/4, Dezember 1981, S. 1–46; Harvey, The Limits to Capital, New York 1982; Harvey, The New Imperialism, New York 2003, dt.: Der neue Imperialismus, Hamburg 2005; Harvey, »Globalization and the Spatial Fix«, Geographische Revue, 2/2001, S. 23–30. 2 Erica Schoenberger, »The Spatial Fix Revisited«, Antipode, 36/3, 2004, S. 427–433. 3 Alexander Field, »Uncontrolled Land Development and the Duration of the Depression in the United States« Journal of Economic History, 52, Dezember 1992, S. 785–805.
7. Die Fäden entwirren 1 Reuven Glick und Kevin Lansing, »Global Household Leverage, House Prices, and Consumption«, FRBSF Economic Letter, 11.1.2010. 2 Scott Pelley, »Where’s the Bottom? Fears of a Second Mortgage Crisis Coming to Bear Soon«, 60 Minutes, 14.12.2008. 3 Federal Reserve Bank of San Francisco, »U.S. Household Deleveraging and Future Consumption Growth«, FRBSF Economic Letter, 15.5.2009. 4 Die Zahlen sind entnommen aus »Rebalancing the World Economy: America, Dropping the Shopping«, Economist, 23.7.2009, www.economist.com/ businessfinance/displaystory.cfm?story_id=14098372 (kostenpflichtig). 5 Matthew Slaughter, »Time to Tackle America’s Widening Inequality«, Financial Times, 6.10.2009. 6 Federal Reserve Bank of San Francisco, »U.S. Household Deleveraging and Future Consumption Growth«. 7 Von Januar bis September 2009 wurden 1 046 449 Privatinsolvenzen angemeldet gegenüber 773 810 im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Sara Murray, »Personal Bankruptcy Filings Soar«, Wall Street Journal, 2.10.2009.
230 Reset 8 Rudolf Hilferding, Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, Berlin 1955. 9 Yves Smith, »Why You Should Hate the Treasury Bailout Proposal«, Naked Capitalism, 21.9.2008, www.nakedcapitalism.com/2008/09/why-you-shouldhate-treasury-bailout.html. 10 Im August 2009 lag die Arbeitslosenquote in den USA bei 9,8 Prozent. In einem Drittel der Metropolregionen lag die Arbeitslosenquote bei 10 Prozent und darüber, blieb aber in einem Fünftel von ihnen unter 7 Prozent. U.S. Bureau of Labor Statistics, Local Area Unemployment Statistics, www. bls.gov/lau. 11 Siehe auch S&P/Case-Shiller Home Price Indices (im Internet verfügbar).
8. Die Hauptstadt des Kapitals 1 Von August 2008 bis August 2009 gingen in der Privatwirtschaft 96 739 Stellen verloren, davon 35 986 in der Finanz- und Versicherungsbranche. Siehe Christine Haughney, »Bloomberg Has Added Jobs, and Lost Some, Too«, New York Times, 14.10.2009. Siehe auch Mary Pilon, »From Ordering Steak and Lobster to Serving It«, Wall Street Journal, 1.6.2009. Die Arbeitslosenquote von 10,3 Prozent oder 415 000 Arbeitslosen stammt aus Patrick McGeehan, »Unemployment Hits 10.3% in New York City«, New York Times, 19.9.2009. Siehe auch Andrew Beveridge, »New York’s Now Beleaguered Financial Workforce«, Gotham Gazette, 3.8.2009. 2 Marcus Gee, »Centre of the Financial Universe Could Soon Be Shifting East«, Globe and Mail, 8.10.2008. 3 Michael Lind, »The Next Big Thing: America«, Foreign Policy, Mai-Juni 2009, www.foreignpolicy.com/story/cms.php?story_id=4848. 4 Youssef Cassis, Capitals of Capital: A History of International Centres, 1780– 2005, Cambridge 2007; dt.: Metropolen des Kapitals: die Geschichte der internationalen Finanzzentren 1780–2005, Hamburg 2007. 5 Amsterdam stand an 24. Stelle. Siehe Mark Yeandle, Jeremy Horne und Nick Danev, »The Global Financial Centres Index – 4«, City of London Corporation, 2009. 6 Ebd. 7 Siehe Cassis, Capitals of Capital, S. 265. 8 Haughney, »Bloomberg Has Added Jobs, And Lost Some, Too«. 9 Nach einer Analyse von Charlotta Mellander aufgrund von Daten des U.S. Bureau of Labor Statistics. 10 Ebd. 11 Elizabeth Currid, The Warhole Economy, Princeton, N. J., 2008. 12 Jane Jacobs, The Economy of Cities, New York 1970, dt.: Stadt im Untergang: Thesen über den Verfall von Wirtschaft und Gesellschaft in Amerika, Frank-
Anmerkungen 231
furt a. M./Berlin/Wien 1970; Jacobs, Cities and the Wealth of Nations, New York 1985. 13 Patrick McGeehan, »After Reversal of Fortune, City Takes a New Look at Wall Street«, New York Times, 22.2.2009. 14 Fred Siegel und Harry Siegel, »Can Bloomberg’s ›Luxury‹ City Survive?«, Wall Street Journal, 14.10.2009.
9. Ablösung an der Spitze? 1 Regierungserklärung des Bundesministers der Finanzen Peer Steinbrück »Zur Lage der Finanzmärkte« im Deutschen Bundestag, 25.9.2008, www. bundesfinanzministerium.de, Reden und Interviews. 2 Zit. in Edmund Andrews, »World Bank Head Expects Dollar’s Role to Diminish«, New York Times, 29.9.2009. 3 Paul Kennedy, The Rise and Fall of Great Powers, New York 1989; dt.: Aufstieg und Fall der großen Mächte: ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt a. M. 2000. 4 Fareed Zakaria, The Post American World, New York, 2008; dt.: Der Aufstieg der Anderen: das postamerikanische Zeitalter, München 2009, S. 32. 5 John Pender, »War, Peace and Financial Hubs«, Financial Times, 12.5.2009. 6 Angus Maddison, Chinese Economic Performance in the Long Run, Paris Organization for Economic Cooperation and Development, 1998. 7 »Shanghai as World Financial Capital? Maybe Next Century«, China Digital Times, 31.5.2009, http://chinadigitaltimes.net. 8 Helmut Reisen, »Shifting Wealth: Is the US Dollar Empire Falling?«, 20.6.2009, www.voxeu.org/index.php?q=node/3672. 9 Jeffrey Garten, »Amid Economic Rubble, Shangkong Will Rise«, Financial Times, 10.5.2009. 10 Youssef Cassis, Capitals of Capital: A History of International Financial Centres, 1780–2005, Cambridge, 2007; dt.: Metropolen des Kapitals: die Geschichte der internationalen Finanzzentren 1780–2005, Hamburg 2007. 11 OECD, Economies Survey of Japan 2006, www.oecd.org/document/47/ 0,3343,en_2649_34601_37130991_1_1_1_1,00.html. 12 Jane Jacobs, The Economy of Cities, Harmondsworth 1972; dt.: Stadt im Untergang. Thesen über den Verfall von Wirtschaft und Gesellschaft in Amerika, Frankfurt a. M. 1970. 13 Peter Ford, »Will Asian Financial Centers Overtake Wall Street?«, Christian Science Monitor, 10.10.2008. 14 Siehe »Today in Lehman Poaching: Barclays and UBS«, Wall Street Journal, 8.10.2008, http://blogs.wsj.com/deals/2008/10/08/today-in-lehmanpoaching-barclays-and-ubs; »China’s Sovereign Wealth Fund Seeking Talent«, Reuters, 17.6.2009, http://money.cnn.com/2009/06/17/news/
232 Reset international/CIC_hiring.reut; »Wall Street’s Job Losses May be Asia’s Gain«, Reuters, Trading Places, 19.9.2008, http://blogs.reuters.com/ trading-places/2008/09/19/wall-street-job-losses-may-be-asias-gain; Gavin Finch und Poppy Trowbridge, »Nomura, Barclays Lure Bankers as Rivals Cut Jobs, Cap Bonuses«, Bloomberg, 6.11.2009, www.bloomberg.com/ apps/news?pid=newsarchive&sid=aGY5f6XsWveE. 15 Michael Pettis, »Bigger than Ever: Why the Crisis Will Only Help Ny-Lon«, Newsweek, 23.5.2009, www.newsweek.com/id/199100.
10. Der FIRE-Sektor 1 Daniel Bell, The Coming of Post-Industrial Society, New York 1976, dt.: Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1975; Thierry Noyelle und Thomas Stanback, The Economic Transformation of American Cities, Totowa, N. J., 1984. 2 Eric Janszen, »The Next Bubble: Priming the Markets for Tomorrow’s Big Crash«, Haper’s, Februar 2008, www.harpers.org/archive/2008/2/0081908. 3 Analyse von Charlotta Mellander aufgrund der Bureau of Economic Analysis, Regional Economic Accounts, www.bea.gov/national/index.htm#gdp. 4 E-Mail-Korrespondenz mit Deborah Strumsky von der University of North Carolina, Charlotte, vom 15.1. 2010.
11. Der Boom der Behördenstädte 1 Mac Margolis, »The New Boomtowns«, Newsweek, 14.3.2009. 2 »The Role of Metro Areas in the U.S. Economy«, Bericht für die U.S. Conference of Mayors, Global Insight, 2006, Washington, D. C., U.S. Conference of Mayors. 3 Richard Florida, »A Creative Crossroads«, Washington Post, 7.5.2006, www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2006/0505/AR2006050501750. html; Florida, »Where the Brains Are«, Atlantic, Oktober 2006. 4 Richard Florida, Who’s Your City?: How the Creative Economy Is Making Where to Live the Most Important Decision of Your Life, New York 2008. 5 Richard Florida, Who’s Your City? How the Creative Economy Is Making Where to Live the Most Important Decision of Your Life, kanadische Ausgabe, Toronto 2008. 6 Kelly Evans, »Why College Towns Are Looking Smart«, Wall Street Journal, 24.3.2009. 7 Zahlen zu diesen Tendenzen sind angeführt in Richard Florida, »Town, Gown, and Unemployment«, Atlantic, 20.5.2009, http://correspondents. theatlantic.com/richard_florida/2009/05. 8 Edward L. Glaeser, »How Some Places Fare Better in Hard Times«, New York Times, 24.3.2009.
Anmerkungen 233
12. Leben und Sterben alter Industriestädte 1 Robert Pirsig, Zen and the Art of Motorcycle Maintenance: An Inquiry into Values, New York 2008, dt.: Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten, Frankfurt a. M. 2005; Matthew Crawford, Shop Class as Soulcraft: An Inquiry into the Value of Work, New York 2008, dt.: Ich schraube, also bin ich: vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen, Berlin 2010; Richard Sennett, The Craftsman, New Haven 2008, dt.: Handwerk, Berlin 2008. 2 Die Daten stammen vom U.S. Bureau of Labor Statistics, www.bls.gov/ces/ tables.htm. 3 Michael Mandel, »The Failed Promise of Innovation in the U.S.«, BusinessWeek, 3.6.2009, www.businessweek.com/magazine/content/09_24/ b4135000953288.htm?chan=top+news_top+news+index+-+temp_top+ story. 4 Paul Krugman, »Southern Discomfort«, New York Times, 22.12.2008, http:// krugman.blogs.nytimes.com/2008/12/22/southern-discomfort. 5 Siehe »Motor City’s Woes Extend Beyond Auto Industry«, Associated Press, 20.12.2008, www.msnbc.msn.com/id/28327490. 6 Andrew Leonard, »137 Pages of Wayne County Foreclosures«, Salon, 18.11.2008, www.salon.com/tech/htww/2008/11/18/wayne_county _foreclosures/ index.html. 7 Mike Wilkinson, »Nearly Half of Detroits Workers are Unemployed«, Detroit News, 16.12.2009, www.detnews.com/article/20091216/METRO01/ 912160374/1409/METRO/nearly-half-of-Detroit-s-workers-are-unemployed. 8 Zitiert in »Motor City’s Woes Extend Beyond Auto Industry«. 9 Louis Aguilar, »48 Vacant Buildings Blight Downtown Detroit«, Detroit News, 17.8.2009. 10 Kevin Krolicki, »Detroit Housing Auction Flops for Urban Wasteland«, Reuters, 25.10.2009, www.detnews.com/article/20090817/METRO01/908170334 /48-vacant-buildings-blight-downtown-Detroit (kostenpflichtig). Siehe auch Jonathan Oosting, »48 Vacant Buildings in Downtown Detroit«, Mlive.com, 17.8.2009, www.mlive.com/news/detroit/index.ssf/2009/08/report_48_ vacant_buildings_in.html. 11 Jonathan Mahler, »GM, Detroit, and the Fall of the Black Middle-Class«, New York Times Magazine, 24.6.2009, www.nytimes.com/2009/06/28/ magazine/28detroit-t.html. 12 James R. Gaines, »Detroit’s Second Life: An Urban Planner’s View«, FLYP, 19.2.2009, www.flypmedia.com/content/detroits-second-life-urbanplanners-view. 13 Im April 2009 war die Arbeitslosenquote in der Metropolregion Detroit 13,6 Prozent, in Flint 14,2 Prozent und in Monroe 14,3 Prozent. In Ohio lag sie in Akron bei 9,8 Prozent, in Canton bei 11,5 Prozent, in Toledo bei 12 Prozent, in Youngstown bei 12,8 Prozent und in Mansfield bei 13,2 Prozent.
234 Reset Daten des U.S. Bureau of Labor Statistics, www.bls.gov/news.release/metro. t01.htm. 14 Martin Kenney und Richard Florida, Beyond Mass Production: The Japanese System and Its Transfer to the U.S., New York 1993; Daniel Gross, »Big Three, Meet the ›Little Eight‹: How Foreign Car Factories Have Transformed the American South«, Slate, 13.10.2008, www.slate.com/id/2206525/pagenum/all. 15 Eine realistische Darstellung des Wirtschaftswandels in Pittsburgh bietet Franklin Toker, Pittsburgh: A New Portrait, Pittsburgh 2009. 16 Howard Fineman, »What Pittsburgh (Don’t Laugh) Can Teach Obama«, Newsweek, 6.6.2009. 17 Aaron Renn, »Detroit: Urban Laboratory and the New American Frontier«, New Geography, 4.11.2009, www.newgeography.com/content/001171-detroiturban-laboratory-and-new-american-frontier. 18 John C. Craig Jr., »To: Detroit, From: Pittsburgh«, Washington Post, 22.3.2009, w w w.wash ing tonpost.com/w p - dy n/content/ar tic le/2009/03/12/ AR2009031202480.html. 19 Belinda Lanks, »The Incredible Shrinking City«, Metropolis, 17.4.2006. 20 Tom Leonard, »U.S. Cities May Have to Be Bulldozed to Survive«, Telegraph, 12.6.2009. Siehe auch Edward L. Glaeser, »Bulldozing America’s Shrinking Cities«, The New York Times, 16.6.2009, http://economix.blogs.nytimes. com/2009/06/16/bulldozing-americas-shrinking-cities. 21 Einen historischen Überblick über geplante Schrumpfung und sanfte Vernachlässigung bietet Deborah Wallace, A Plague on Your Houses, London 2001. 22 Mein Team und ich haben zu diesem Thema breit angelegte Forschungen durchgeführt. Zu unseren Ergebnissen in Bezug auf Städte und Regionen siehe R. Florida, »Worsening Unemployment«, Atlantic, 3.7.1009; »Unemployment’s Geography«, Atlantic, 5.6.2009. Zu den Ergebnissen für die US-Bundesstaaten siehe Jason Rentfrow, Charlotta Mellander und Richard Florida, »Happy States of America: A State-Level Analysis of Psychologial, Economic and Social Well-being«, Journal of Research in Personality, 43/3, Dezember 2009, S. 1073–1082; und Florida, »Happy States and the Economic Crisis«, Atlantic, 17.8.2009. Zu den Ergebnissen auf Länderebene siehe R. Florida, »Why Class Still Matters«, Atlantic, 18.5.2009; »Class and Innovation«, Atlantic, 20.5.2009; »Class and Entrepreneurship«, Atlantic, 21.5.2009; »Class and the Happiness of Nations«, Atlantic, 22.5.2009; alle unter http://correspondents.theatlantic.com. 23 Edward L. Glaeser, »How Some Places Fare Better in Hard Times«, New York Times Economix (online), 24.3.2009, http://economix.blogs.nytimes. com/2009/03/24/how-some-places-fare-better-in-hard-times. 24 Zitiert in Dana Hedgpeth und Jennifer Agiesta, »Poll of Detroit Residents Finds Grimm Conditions but Optimistic Outlooks«, Washington Post, 3.1.2010, www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/01/02/ AR2010010201935.html.
Anmerkungen 235
25 Das zeigen die eingehenden Studien des Wirtschaftswissenschaftlers James Heckman; siehe James Heckman, »Schools, Skills and Synapses«, Economic Inquiry, 46/3, 2008, S. 289–324. 26 Das sind die wesentlichen Ergebnisse der Umfrage »Soul of the Community Survey« durch die Gallup Organization, siehe www.soulofthecommunity. org. Sie ist eingehend erörtert in meinem Buch Who’s Your City? How the Creative Economy Is Making Where to Live the Most Important Decision of Your Life, New York 2008, sowie in »Soul of the City«, Atlantic, 1.10.2009, http://correspondents.theatlantic.com.
13. Nordlicht 1 Joshua Zumbrun, »World’s Most Economically Powerful Cities«, Forbes, 15.7.2008, www.forbes.com/2008/07/15/economic-growth-gdp-biz-cx_jz_0715 poercities.html; »2007–2008 Global Urban Competitiveness Report«, www. gucp.org/en/news.asp?NewsID=424&BigClassID=2&SmallClassID=20. Die Daten zur Kriminalität stammen von Statistics Canada. 2 Die Daten zur Rate der Tötungsdelikte in Toronto stammen aus Marnie Walker, »Police-Reported Crime Statistics in Canada, 2008«, Statistics Canada, Juli 2009, www.statcan.gc.ca/pub/85-002-x/2009003/article/10902 -eng.htm. 3 Die Zahlen zu Toronto stammen vom Toronto Real Estate Board; siehe »GTA Housing Market Rebound Continues in September«, Toronto Real Estate Board, 5.10.2009, www.torontorealestateboard.com/consumer_info/market_ news/mw2009/pdf/mw0909.pdf. In ganz Kanada stiegen die Immobilienpreise im dritten Quartal 2009 um 11 Prozent und die Verkäufe um den Rekordwert von 18 Prozent; siehe Steve Ladurantaye, »Fewer Listings Boost Home Prices«, Globe and Mail, 15.10.2009. 4 Albert Watson, »A Rare Building Boom up North«, New York Times, 14.10.2009. 5 Fareed Zakaria, »Worthwhile Canadian Initiative«, Newsweek, 16.2.2009. 6 Doug Alexander, »Wall Street Cedes to Bay Street as Canada Banks ›Play Offense‹«, Bloomberg, 6.10.2009, www.bloomberg.com/apps/news?pid=206 01109&sid=aNaLwcGrz3. 7 Die Daten zum Bankenranking stammen von der Internetseite The Banker, www.thebanker.com/cp/57/T1000_Top25.gif. 8 Doug Alexander, »Wall Street Cedes to Bay Street as Canada Banks ›Play Offense‹«, Bloomberg, 6.10.2009. 9 J. David Hulchanski, »The Three Cities within Toronto: Income Polarization among Toronto’s Neighbourhoods, 1970–2000«, University of Toronto, Centre for Urban and Community Studies, Research Bulletin 41, Dezember 2001.
236 Reset 10 Diese Angaben beruhen auf dem Ungleichheitsindex des Martin Prosperity Institute, der die Einkommensverhältnisse in kreativen Berufen mit denen von stärker durch Routine geprägten Tätigkeiten vergleicht.
14. Sonnenuntergang über dem Sunbelt 1 Die genauen Zahlen sind: Las Vegas 26,6 Prozent; Miami 26,1 Prozent; Phoenix 25 Prozent. Analyse von Charlotta Mellander, aufgrund von Daten des Bureau of Economics Research von 2006. 2 David Streitfeld, »Amid Housing Bust, Phoenix Begins a New Frenzy«, New York Times, 23.5.2009. 3 Zitiert in Kris Hudson, »Phoenix Bears the Brunt of Hotel Market’s Steep Downturn«, Wall Street Journal, 3.6.2009. 4 Zitiert in Dennis Wagner, »Pain on Main Street: Timing Proves Bad for Phoenix«, USA Today, 20.12.2008. 5 Daniel Gross, »Who is Killing America’s Millionaires?«, Slate, 24.7.2009; Gross führt als Datenquelle eine Studie der Beratungsfirma Capgemini an. In den USA sank die Zahl der Millionäre von 2007 bis 2008 um 18,5 Prozent von 3,02 Millionen auf 2,46 Millionen. Gross zitiert Ilena van der Linde von Capgemini: »Wir erstellen diesen Bericht seit 13 Jahren und haben einen solchen Wohlstandsverlust, seit wir angefangen haben, noch nicht erlebt.« 6 Zu diesem Zeitpunkt galten 21,9 Prozent der Häuser in den USA als »Unterwasser-Immobilien«. Siehe Ruth Simon und James Haggerty, »House Price Drops Leave More Underwater«, Wall Street Journal, 6.5.2009, basierend auf Daten von www.zillow.com. 7 Nach einer Untersuchung der New York Times aufgrund von Daten des Forschungsinstituts DataQuick entsprach das einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr (Ende 2007) um über 50 Prozent. Siehe Streitfeld, »Amid Rubble of Housing Bust, Phoenix Begins a New Frenzy«. 8 Siehe Shelley Dreiman, »Using the Price to Income Ratio to Determine the Presence of Housing Bubbles«, o. Datum, www.fha.gov/webfiles/1071/ Focus4Q00.pdf. Eine anschauliche Grafik zum historischen Verhältnis von Immobilienpreisen zu Einkommen findet sich bei CalculatedRisk, »House Price-to-Income Ratio«, 25.11.2008, www.calculatedriskblog.com/2008/11/ house-price-to-income-ratio.html. Unsere Kalkulationen und eine Karte sind erschienen in Richard Florida, »Bubble Cities«, Atlantic, 24.5.2009, http://correspondents.theatlantic.com/richard_florida/2009/05/bubble_ cities.php. 9 Zum Einkommen gehört nicht nur das Arbeitseinkommen, sondern auch Einnahmen aus anderen Quellen wie Wertpapieren, Zinsen und Mieten. Löhne bilden dagegen unmittelbarer und sinnvoller ab, wie viel Geld in einer Region verdient wird, und sind daher ein realistischerer Maßstab
Anmerkungen 237
für das Verhältnis der Immobilienpreise zur Produktivität eines Ortes. Mein Team und ich haben diesen Quotienten aus Immobilienpreisen und Arbeitseinkommen für jede Metropolregion der USA auf dem Höhepunkt der Immobilienblase 2006 berechnet. Einen hohen Quotienten von Immobilienpreisen und Löhnen gab es in New York (9,4), im Großraum Washington, D. C., (8,7) und in Boston (8,1), wo die Häuserpreise in stärkerem Maße an das regionale Wirtschaftswachstum und die steigende Nachfrage gekoppelt war als das spekulative, von Immobilien getriebene Wachstum im Sunbelt. Das beste Verhältnis von Immobilienpreisen zu Löhnen gab es in Dallas (3,5), Houston (3,2), Pittsburgh (3) und Buffalo (2,8), wo die Immobilienpreise nicht sonderlich gestiegen waren. 10 Brookings MetroMonitor verfolgt die Wirtschaftsleistung der hundert größten Metropolregionen der USA und erstellt anhand von sechs Schlüsselindikatoren eine Rangliste: Beschäftigungs- und Arbeitslosenzahlen, Löhne, Bruttoprodukt der Metropolregion, Immobilienpreise und Quote der Zwangsvollstreckungen. Siehe »MetroMonitor: Tracking Economic Recession and Recovery in America’s 100 Largest Metropolitan Areas«, Brookings Institution, September 2009, www.brookings.edu/reports/2009/06_ metro_monitor.aspx. 11 Der Stress-Index für den Großraum Phoenix stieg von 5,1 zu Beginn der Rezession im Dezember 2007 auf 12,7 im März 2009, der Stress-Index für Phoenix stieg im selben Zeitraum von 10.5 auf 19,5. 12 Haya El Nasser und Paul Overberg, »America’s New Landscape«, USA Today, 23.12.2008. 13 Wie die New York Times berichtete, nahm die Bevölkerung Floridas laut Bureau of Economic and Business Research an der University of Florida von April 2008 bis April 2009 um 58 000 Einwohner ab. Mit Ausnahme des Ersten und Zweiten Weltkriegs war dies zum ersten Mal seit 1900 der Fall. Die New York Times schreibt: »Florida wuchs von 2,8 Millionen Einwohnern 1950 auf 6,9 Millionen 1970 und seitdem in jedem Jahrzehnt um etwa 3 Millionen. Selbst während der Stagflation der 70er Jahre nahm Floridas Bevölkerung jährlich um 200 000 Einwohner zu. In jüngster Zeit, von 2004 bis 2006, wuchs Floridas Bevölkerung täglich um 1 100 Einwohner.« Damien Cave, »After Century of Growth, Tide Turns in Florida«, New York Times, 30.8.2009. 14 Originalvideo ist zu finden über Diana Olick, Reality Check, »Are Bulldozers the Best Neighbors?«, CNBC.com, 5.5.2009, www.cnbc.com/id/30580830. Siehe auch Richard Florida, »The Suburban Bulldozer«, Atlantic, 11.5.2009, http://correspondents.theatlantic.com/richard_florida/2009/05/the_ suburban_bulldozer.php. Der Begriff »federal bulldozer« geht zurück auf den Titel des Buches von Martin Anderson: »The Federal Bulldozer: A Critical Analysis of Urban Renewal, 1942–1962, Cambridge, Mass., 1964.
238 Reset 15 M. P. McQueen, »Cracked Houses – What the Boom Built«, Wall Street Journal, 13.7.2009. 16 Christopher Leinberger, »The Next Slum?«, Atlantic, März 2008, www. theatlantic.com/doc/200803/subprime. 17 »MetroMonitor: Tracking Economic Recession and Recovery in America’s 100 Largest Metropolitan Areas«, Brookings Institution, September 2009, siehe: www.brookings.edu. 18 Patrik Jonsson, »Fastest Growing Cities Seek to Beat Recession Soonest«, Christian Science Monitor, 1.7.2009. 19 Robert E. Land und Mark Muro, »What Happens in Vegas … Stimulates the Economy«, Las Vegas Sun, 25.2.2009. 20 Mark Muro, »Las Vegas’ Dilemma: America’s, Only More So«, Las Vegas Sun, 25.10.2009.
15. Die Reset-Ökonomie 1 David Leonhardt, »After the Great Recession«, New York Times, 29.4.2009. 2 Kurt Andersen, Reset: How the Crisis Can Restore Our Values and Renew America, New York 2009. 3 Mark Thoma, »FRBSF: U.S. Household Deleveraging and Future Consumption Growth«, Economist’s View, 19.5.2009, http://economistsview.typepad. com/economistsview/2009/05/frbsf-us-household-deleveraging-and-future-consumption-growth.html. 4 Thomas Philippon, »The Evolution of the Financial Industry from 1860 to the Present: Theory and Evidence«, Arbeitspapier, New York University, November 2008. 5 Thomas Philippon, »The Future of the Financial Industry«, Stern on Finance, 16.10.2008, http://sternfinance.blogspot.com/2008/10/future-offinancial-industry-thomas.html. 6 Thomas Philippon und Ariell Reshef, »Wages and Human Capital in the U.S. Financial Industry: 1909–2006«, National Bureau of Economic Research, Januar 2009, www.nber.org/papers/w14644. 7 Floyd Norris, »In Finance, Wages Are Due for a Fall«, New York Times, 2.2.2009. 8 Julia Ioffe, »Prophet Motive«, New Republic, 3.6.2009. 9 Michael Mandel, »The Failed Promise of Innovation in the U.S.«, Business Week, 3.6.2009. Siehe auch Michael Mandel, »The GDP Mirage«, Business Week, 29.10.2009, www.businessweek.com/magazine/content/09_45/ b4154034724383.htm. 10 Mithilfe meines Forschungsteams habe ich die Entwicklung der Patentanmeldungen über weite Teile des Jahrhunderts nach Großstädten und der relativen Bedeutung amerikanischer und außerhalb der USA gebore-
Anmerkungen 239
ner Erfinder für die Entwicklung neu patentierter Innovationen untersucht. 11 Siehe Vivek Wadhwa, AnneLee Saxenian, Richard Freeman und Gary Gereffi, »America’s Loss Is the World’s Gain: America’s New Immigrant Entrepreneurs, Part 4«, 2.3.2009, http://ssrn.com/abstract=1348616; Richard Florida, The Flight of the Creative Class: The New Global Competition for Talent, New York 2005. 12 »The Nature of Wealth«, Economist, 8.10.2009, www.economist.com/ businessfinance/displaystory.cfm?story_id=14587262. 13 William Black, »How the Servant Became a Predator: Finance’s Five Fatal Flaws«, New Deal 2.0, 12.10.2009, www.newdeal20.org/?p=5330; Peter Goodman, Past Due: The End of Easy Money and the Renewal of the American Economy, New York 2009; »The Nature of Wealth«, Economist; Benjamin Friedman, »Overmighty Finance Levies a Tithe on Growth«, Financial Times, 26.8.2009. 14 Diese Stichprobe ist zwar einseitig, aber überaus interessant, da sie die Absolventen der wohl weltweit führenden Universität betrifft. Somit liefert sie wertvolle Anhaltspunkte, welche Arbeitsplätze und Karrieren hoch motivierte, mobile junge Talente anstreben. Paras D. Bhayani, »Surveying the Class«, Harvard Crimson, 1.6.2009. 15 Black, »How the Servant Became a Predator: Finance’s Five Fatal Flaws«.
16. Eine gute Jobmaschine 1 In seinem Gedicht »Jerusalem« heißt es: »And was Jerusalem builded here / Among these dark Satanic mills«, siehe http://theohterpages.org/poems/ blake01.html. 2 Mort Zuckerman, »The Free Market Is Not Up to the Job of Creating Work«, Financial Times, 18.10.2008. 3 Richard Florida, The Rise of the Creative Class, aktualisiert vom Martin Properity Institute, New York 2002. 4 Arbeitsmarktprojektionen des U.S. Bureau of Labor Statistics, »Employment Projections, 2008–18«, U.S. Department of Labor, Bureau of Labor Statistics, 10.12.2009, www.bls.gov/news.release/pdf/ecopro.pdf. 5 »Unemployment Rise: Who’s Hit Most by the Recession?«, Martin Prosperity Institute, Rotman School of Management, University of Toronto, 21.6.2009. 6 Richard Florida und Roger Martin, »Ontario in the Creative Age«, Martin Prosperity Institute, Rotman School of Management, University of Toronto, 2009. 7 Zitiert in Scott Lilly, »Arts Bashing«, Center for American Progress (online), 6.2.2009, www.americanprogress.org/issues/2009/02/arts_bashing.html.
240 Reset 8 Jährliches Ranking des Great Places to Work Institute; demnach übertrafen von 1998 bis 2009 die besten Arbeitgeber die im Börsenindex S&P 500 gelisteten Unternehmen in ihrer Leistung erheblich, siehe www. greatplacestowork.com. 9 Die Fallbeispiele sind einem laufenden Forschungsprojekt des Martin Prosperity Institute zur Aufwertung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor entnommen. 10 Mit Unterstützung von Charlotta Mellander untersuchte ich, wie drei Haupttypen von Arbeit – im Produktions-, Dienstleistungs- und Kreativbereich – sich auf alle Lebensaspekte auswirken, von Einkommen und Arbeitslosigkeit über Innovation und Unternehmergeist bis hin zu Heirats- und Scheidungsraten, Stress und Wohlbefinden. Diese Untersuchung führten wir für alle US-Metropolen, die 50 US-Bundesstaaten und gut hundert Länder der Welt durch. Zu unseren Ergebnissen für die US-Bundesstaaten siehe Jason Rentfrow, Charlotta Mellander und Richard Florida, »Happy States of America: A State-level Analysis of Psychological, Economic, and Social Well-being«, Journal of Research in Personality, 46/6, 2009, S. 1073–1082; sowie R. Florida, »Happy States and the Economic Crisis«, Atlantic, 17.8.2009. Zu unseren Ergebnissen auf nationaler Ebene siehe R. Florida, »Why Class Still Matters«, Atlantic, 18.5.2009; »Class and the Wealth of Nations«, Atlantic, 19.5.2009; »Class and Innovation«, Atlantic, 20.5.2009; »Class and Entrepreneurship«, Atlantic, 21.5.2009; »Class and Happiness of Nations«, Atlantic, 22.5.2009, alle zu finden unter http://correspondents. theatlantic.com. 11 Catherine Rampell, »The Mancession«, New York Times, 10.8.2009, http:// economix.blogs.nytimes.com/2009/08/10/the-mancession. 12 Margaret Wente, »We Are Witnessing the Passing of Working-class Masculinity«, Globe and Mail, 22.5.2009. 13 Lance Mannion, »Male values Don’t Inculde Patience?«, 24.5.2009, http:// lancemannion.typepad.com/lance_mannion/2009/05/male-values-dontinclude-patience.html.
17. Die neue Normalität 1 Ben Funnell, »Debt Is Capitalism’s Dirty Little Secret«, Financial Times, 20.6.2009. 2 Eine Klarstellung findet sich auf der Internetseite der Herbert Hoover Presidential Library and Museum, siehe http://hoover.archives.gov/info/faq. html#chicken. 3 Der Nahrungsmittelanteil an den Haushaltsausgaben sank von 47 Prozent im Jahr 1901 auf 32 Prozent 1950; siehe Eva Jacobs und Stephanie Shipp, »How Family Spending Has Changed in the US«, Monthly Labor Review,
Anmerkungen 241
März 1990. Die Zahlen zum Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft stammen von Carolyn Dimitri, Anne Effland und Neilson Conklin, »The 20th Century Transformation of U.S. Agriculture and Farm Policy«, US Department of Agriculture, Economic Research Service, Electronic Information Bulletin, 3/2005, www.ers.usda.gov/publications/eib3/eib3.pdf. 4 Elizabeth Warren und Amelia Warren Tyagi, »What’s Hurting the Middle Class: The Myth of Overspending Obscures the Real Problem«, Boston Review, Sept.– Okt. 2005, http://bostonreview.net/BR30.5/warrentyagi.php. 5 Raj Chawla und Ted Wannell, »Spenders and Savers«, Perspectives, Statistics Canada, März 2005. 6 Die Zahlen über Ausgaben für Unterhaltung 1950 basieren auf Eva Jacobs und Stephanie Shipp, »How Family Spending Has Changed in the U.S.«, Monthly Labor Review, 113/3 1990, S. 20–27; die Zahlen über Ausgaben für Unterhaltung und Elektronik in der Zeit von 1959 und 2000 sind entnommen aus Larry Moran und Clinton McCully, »Trends in Consumer Spending, 1959–2000«, Survey of Current Business, 2001, S. 15–21. 7 Die Zahlen sind entnommen aus Mark Thoma, »Will Consumption Growth Return to its Pre-recession Level«, Moneywatch.com, 30.11.2009. http:// moneywatch.bnet.com/economic-news/blog/maximum-utility/willconsumption-growth-return-to-its-pre-recession-level/265. 8 Dennis Jacobe, »Upper Income Spending Reverts to New Normal«, Gallup Organization, 10.12.2009, www.gallup.com/poll/124634/Upper-IncomeSpending-Reverts-New-Normal.aspx?CSTS=alert. 9 Yankelovich/The Future Group, »A Darwinian Gale: 2010«, 12.11.2009, www.darwiniangale.com. 10 Michelle Nichols, »Exclusive Exclusive: Global Consumer Confidence Stabilizing«, Reuters, 2.6.2009, www.reuters.com/article/ousiv/idUSTRE5512 L720090602. 11 Mark J. Perry, »Average New Home Size Falls for the First Time since ’94«, Seeking Alpha (online), 8.2.2009, http://seekingalpha.com/article/124684average-new-home-size-falls-for-first-time-since-94. 12 Micheline Maynard, »Is Happiness Still That New Car Smell?«, New York Times, 22.10.2009. 13 Christopher Leinberger, »Car Free in America/Bottom Line: It’s Cheaper«, New York Times, Online-Symposium, 12.5.2009, http://roomfordebate. blogs.nytimes.com/2009/05/12/carless-in-america/?hp. 14 Yuri Kageyama, »Car-Free: In Japan, That’s How a Generation Rolls«, Associated Press, 6.1.2009. 15 Rich Morin und Paul Taylor, »Luxury or Necessity? The Public Makes a U-Turn«, Pew Research Center, 23.4.2009, http://pewsocialtrends.org/ pubs/733/luxury-necessity-recession-era-reevaluations. 16 Nate Silver, »The End of Car Culture«, Esquire, 6.5.2009, www.esquire.com/ features/data/nate-silver-car-culture-stats-0609.
242 Reset 17 Martin Zimmerman, »Rebel without a Car?«, Los Angeles Times, 8.10.2009, http://latimesblogs.latimes.com/uptospeed/2009/10/james-dean.html (nicht mehr online verfügbar). 18 Micheline Maynard, »Is Happiness Still That New Car Smell?«, New York Times, 22.10.2009 19 Felix Salomon, »Chart of the Day: Necessity«, Reuters (blog), 28.4.2009. 20 John Seabrook, Nobrow: The Culture of Marketing, the Marketing of Culture, New York 2001. 22 Umfrage der New York Times: Micheline Maynard, »Say ›Hybrid‹ and Many People Will Hear ›Prius‹«, The New York Times, 4.7.2007. 22 Vladas Griskevicius, Joshua M. Tybur und Bram van den Bergh, »Going Green to be Seen: Status, Reputation, and Conspicuous Conservation«, University of Minnesota, Carlson School of Management, www.carlsonschool. umn.edu/assets/14055.pdf. 23 Robert Frank, »At Estates of the Fabulously Rich, Gilded Era Is Going, Going, Gone«, Wall Street Journal, 19.5.2009. 24 James Surowiecki, »Inconspicuous Consumption«, New Yorker, 12.10.2009.
18. Die große Umsiedlung 1 Jean Gottmann, Megalopolis: The Urbanized Northeastern Seabord of the United States, New York 1961. Eine eingehendere Darstellung, wie wir Megaregionen definieren und identifizieren, findet sich in Richard Florida, Tim Gulden und Charlotta Mellander, »The Rise of the Megaregion«, Cambridge Journal of Regions: Economy and Society 1, 3/2008, S. 459–476; und in R. Florida, Who’s Your City? How the Creative Economy Is Making Where to Live the Most Important Decision of Your Life, New York 2008. 2 »Head-Office Clustering in the Mega-Regions«, Martin Prosperity Institute, 5.6.2009. 3 Thomas Friedman, The World Is Flat, New York 2005, dt.: Die Welt ist flach: eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 2008. Die Ins piration zu seinem Bestseller kam Friedman nach eigenen Angaben bei einem Gespräch mit dem Chef eines Hightech-Unternehmens in Bangalore, Indien, einem Ballungsraum mit über 6 Millionen Einwohnern im Zentrum der indischen Software-Industrie und wesentlicher Bestandteil der Megaregion Bangalore-Mumbai. Siehe auch Edward Leamer, »A Flat World, A Level Playing Field, a Small World After All, or None of the Above? Review of Thomas L. Friedman, The World Is Flat, Journal of Economic Literature, 43/1 2007, S. 83–126; Richard Florida, »The World Is Spiky«, Atlantic, Oktober 2006, www.theatlantic.com/images/issues/200510/world-is-spiky. pdf.
Anmerkungen 243
4 Adam Hochberg, »In Ariz., Luring Suburbanites to Greener, Urban Life«, Morning Edition, National Public Radio, 23.10.2009, www.npr.org/templates/ story/story.php?storyId=113816643. 5 Wendell Cox, »Suburbs and Cities: The Unexpected Truth«, New Geography, 16.5.2009, www.newgeography.com/content/00805-suburbs-and-cities-theunexpected-truth. 6 Jane Jacobs, The Economy of Cities, New York 1970, 1. Aufl. 1969; dt.: Stadt im Untergang. Thesen über den Verfall von Wirtschaft und Gesellschaft in Amerika, Frankfurt a. M. 1970. 7 Conor Dougherty, »Cities Grow at Suburbs’ Expense during recession«, Wall Street Journal, 1.7.2009. 8 Berechnungen aufgrund von Zahlen des U. S. Census Bureau im Blog Discovering Urbanism, »Charting the Reinvestment in Central Cities«, 5.10.2009, http://discoveringurbanism.blogspot.com/2009/10/chartingreinvestment-in-central-cities.html. 9 Ebd. 10 Zitiert in Conor Dougherty, »Cities Grow at Suburbs’ Expense during recession«, Wall Street Journal, 1.7.2009. 11 William H. Frey, The Great American Migration Slowdown: Regional and Metropolitan Dimensions, Washington, D. C., The Brookings Institution, Dezember 2009. 12 Edward L. Glaeser, »How Some Places Fare Better in Hard Times«, New York Times, Economixblog, 24.3.2009, http://economix.blogs.nytimes. com/2009/03/24/how-some-places-fare-better-in-hard-times. 13 Die einzige andere Kategorie von Städten, die nach meinen Forschungen bei dieser demografischen Gruppe gut abschneidet, sind große Universitätsstädte in oder in der Nähe von Megaregionen wie Austin als Teil der Region Dal-Austin, Boulder als Teil von Denver-Boulder und Raleigh in Char-lanta. Andrew Strieber, »Starting Out: The 10 Most Popular Cities for First Time Job Seekers«, Careercast.com, Mai 2009, www.careercast.com/ jobs/content/ten-best-cities-college-graduates-jobs-rated; Richard Florida, Who’s Your City? 14 Zum Zeitpunkt der Umfrage waren die Befragten zwischen 18 und 29 Jahre alt. Richard Florida, »Why Certain Cities Attract Gen Ys«, Business Week, Juni 2009, www.businessweek.com/managing/content/jun2009/ ca2009069_660226.htm. 15 Boston lag auf dem dritten Platz, Washington auf dem siebten, Baltimore auf dem zehnten, Philadelphia auf dem elften und New York auf dem 13. »America’s Smartest Cities – from First to Worst«, Daily Best, 4.10.2009, www.thedailybeast.com/blogs-and-stories/2009-10-04/americas-smartest-cities---from-first-to-worst. 16 Sue Shellenberger, »The Next Youth-Magnet Cities«, Wall Street Journal, 30.9.2009.
244 Reset 17 William Henderson und Arthur Alderson, »The Changing Economic Geography of Large U.S. Law Firms«, vorgestellt bei der 3rd Annual Conference of Empirical Legal Studies Papers, 16.5.2008, http://papers.ssrn.com/sol13/ papers.cfm?abstract_id=1134223.
19. Groß, schnell und grün 1 Zu New York siehe Edward L. Glaeser, »Urban Colossus: Why New York is America’s Largest City«, Federal Reserve Bank of New York Economic Policy Review 11/2 2005, S. 7–24. Zu London siehe »London (England)«, Encarta Online Encyclopedia 2009, http:encarta.msn.com 2 Luís M. A. Bettencourt, José Lobo, Dirk Helbing, Christian Kühnert und Geoffrey B. West, »Growth, Innovation, Scaling, and the Pace of Life in Cities«, Proceedings of the National Academy of Sciences, 104/17 2007, S. 7301–7306. 3 Jane Jacobs, The Economy of Cities, New York 1970, dt.: Stadt im Untergang, Frankfurt a. M. 1970; Robert Lucas, »On the Mechanics of Economic Development«, Journal of Monetary Economics, 22/1988, S. 3–42. 4 David Owen, Green Metropolis: Why Living Smaller, Living Closer, and Driving Less Are Keys to Sustainability, New York 2009; Owen, »Sustainable Cities«, Project Syndicate, 5.10.2009, www.project-syndicate.org/contributor/ 1661. 5 David Owen, »How Traffic Jams Help the Environment«, Wall Street Journal, 9.10.2009. 6 Edward L. Glaeser, »With a Tax Break, a Big Carbon Footprint«, Boston Globe, 5.11.2009. 7 »Cities and CO2: Bigger Is Better«, Martin Prosperity Institute, 14.10.2009, www.martinprosperity.org/insights/insight/cities-and-co2-bigger-isbetter.
20. Die eigene Geschwindigkeit 1 Die Zahlen zur durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit stammen von Randal O’Toole, zitiert von Neil Reynolds, »America’s Fast Track to Wealth«, Globe and Mail, 9.10.2009. 2 Christopher Kennedy, The Wealth of Cities, Toronto, noch nicht erschienen. 3 Zu diesem Thema gibt es umfangreiche Literatur. Erstmals sagte M. King Hubbert peak oil voraus, siehe Kenneth Deffeyes, Hubbert’s Peak: The Impending World Oil Shortage, Princeton, N. J., 2001; James Kunstler, The Long Emergency: Surviving the End of the Oil Age, Climate Change, and Other Converging Catastrophes, New York 2005; Paul Roberts, The End of Oil: On the Edge of a Perilous New World, Boston 2004; Michael Ruppert, Crossing the
Anmerkungen 245
Rubicon: The Decline of the American Empire at the End of the Age of Oil, Gabriola Island, Kanada, 2005; Matthew Simmons, Twilight in the Desert: The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy, Hoboken, N. J., 2005, dt.: Wenn der Wüste das Öl ausgeht. Der kommende Ölschock in Saudi-Arabien: Chancen und Risiken, München 2007; Christopher Steiner, $20 Per Gallon: How the Inevitable Rise in the Price of Gasoline Will Change Our Lives for the Better, New York 2009; Jeff Rubin, Why Your World Is About to Get a Whole Lot Smaller: Oil and the End of Globalization, New York 2009, dt.: Warum die Welt immer kleiner wird: Öl und das Ende der Globalisierung, München 2010. 4 James Kunstler, »The Long Emergency«, Rolling Stone, 24.3.2005. 5 Daniel Kahneman, Alan B. Krueger, David A. Schkade, Norbert Schwarz und Arthur A. Stone, »Survey Method for Characterizing Daily Life Experience: The Day Reconstruction Method«, Science, 306/5702, 2004, S. 1776–1780. 6 Daten des U.S. Census Bureau, American Community Survey, zusammengefasst in: Population Research Center, »The Great Recession: A View from the American Community Survey«, 22.9.2009, www.facebook.com/note. php?note_id=140544004586. 7 Texas Transportation Institute, 2009 Urban Mobility Report, Texas A&M University, 2009, http://mobility.tamu.edu/ums. 8 Nach Schätzungen von Kevin Stolarick und Patrick Adler vom Martin Prosperity Institute. Die Zahlen errechnen sich nach der Zeitersparnis in Minuten als Prozentsatz des gesamten Arbeitstages. Der volkswirtschaftliche Wert ergibt sich aus der Multiplikation dieses Prozentsatzes mit dem Verdienst. Außerdem wird das Verkehrsmittel mit in die Kalkulation einbezogen. 9 Joe Simpson, »Digital Cities: The Transport of Tomorrow Is Already Here«, Wired UK, November 2009, www.wired.co.uk/wired-magazine/ archive/2009/11/features/digital-cities-the-transport-of-tomorrow-isalready-here.aspx. 10 »What’s Capacity Got to Do with My City?« Frumination, 9.8.2009, http:// frumin.net/ation/2009/08/whats_capacity_go_to_do_with_m.html. 11 Die Daten zum Pendlerverkehr stammen von Kaid Benfield, »Which US Cities Have the Greenest Commuting Habits?«, National Resources Defense Council, 2.10.2009, http://switchboard.nrdc.org/blogs/kbenfield/which_ us_cities_have_the_green_1.html. 12 »2008 Bike Share Rankings«, The Wash Cycle, 23.9.2009, www.thewashcycle. com/2009/09/2008-bike-share-rankings.html. 13 Susan Handy, James F. Sallis, Deanne Weber, Ed Maibach und Maria Hollander, »Is Support for Traditionally Designed Communities Growing? Evidence from Two National Surveys«, Journal of the American Planning Association, 74/2 2008, S. 209–221.
246 Reset 14 David Owen, »How Traffic Jams Help the Environment«, Wall Street Journal, 9.10.2009, http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703746604574 461572304842840.html?KEY.
21. Wie ein geölter Blitz 1 Zitiert in Chris Nelder, »High Speed Rail: A No-Brainer«, GetRealList, 5.10.2009, www.getreallist.com/high-speed-rail-a-no-brainer.html; Robert Wright, »New Age of Train Offers Route out of Recession«, Financial Times, 6.10.2009; Jamil Anderlini, »Beijing’s Ambitions Eclipse ›Golden Age‹«, Financial Times, 6.10.2009; Giles Tremlett, »Spain’s High-Speed Trains Win over Fed-Up Flyers«, Guardian, 13.1.2009. 2 Die Höchstgeschwindigkeiten der Hochgeschwindigkeitszüge sind entnommen aus Vukan R. Vuchic und Jeffrey M. Casello, »An Evalutaion of Maglev Technology and Its Comparison with High Speed Rail«, Transportation Quartlery, 56/2, 2002, S. 33–49, http://thetransitcoalition.us/ LargePDFfiles/maglev-EvalandComparisonHSR.pdf. Die Zeiten für den Shinkasen stammen von www.japanrail.com, und zum TGV/Eurostar von www.raileurope.ca. 3 Edward L. Glaeser, »Is High-Speed-Rail a Good Public Investment?«, 28.7.2009; Glaeser, »Running the Numbers on High-Speed Trains«, 4.8.2009; Glaeser, »How Big Are the Environmental Benefits of High-Speed Rail«; Glaeser, »What Would High-Speed Rail Do to Suburban Sprawl«; alle in der New York Times, http://economix.blogs.nytimes.com. 4 Die Dollar-Umrechnung auf heutige Werte basiert auf Daten aus Wendell Cox und Jean Love, The Best Investment a Nation Ever Made: A Tribute to the Dwight D. Eisenhower System of Interstate & Defense Highways, Philadelphia 1998. 5 Ein Karte mit den elf vorgeschlagenen Strecken in den USA findet sich in »High Speed Rail Corridor Destinations«, Federal Rail Administration, www.fra.dot.gov/us/content/203. Zur vorgeschlagenen kanadischen Hochgeschwindigkeitsstrecke siehe SNC-Lavalin und Delcan, »Quebec-Ontario High Speed Rail Project: Preliminary Routing Assessment and Costing Study, Final Report«, März 1995, www.bv.transports.gouv.qc.ca/mono/0985915. pdf. 6 Die folgenden Berechnungen basieren auf den Entfernungen zwischen den wichtigsten Städten und den gegenwärtigen Höchstgeschwindigkeiten von Hochgeschwindigkeitszügen, wie sie in Transportation Quarterly angegeben sind. Die geschätzten Fahrzeiten mit dem Auto basieren auf Google Maps. Siehe Richard Florida, »Mega-Regions and High-Speed Rail«, Atlantic, 4.5.2009, http://correspondents.theatlantic.com/richard_florida/ 2009/05/mega-regions_and_high-speed_rail.php.
Anmerkungen 247
7 Ryan Avent, »Why Railroads Will Make Us Richer«, Seeking Alpha, 5.5.2009, http://seekingalpha.com/article/135297-why-railroads-will-make-usricher.
22. Ein Traum zur Miete 1 James Truslow Adams, The Epic of America, Safety Harbor, Fla, 2001; auch dt.: Der Aufstieg Amerikas vom Land der Indianer zum Weltreich, Wien 1933. 2 Grace W. Bucchianeri, »The American Dream or the American Delusion? The Private and External Benefits of Homeownerschip«, Wharton School of Business, University of Pennsylvania, 1.12.2008, http://real.wharton. upenn.edu/~wongg/research/The%20American%20Dream.pdf. 3 David Rosnick und Dean Baker, »The Wealth of the Baby Boom Cohort after the Collapse of the Housing Bubble«, Center for Economic Policy Research, Februar 2009. 4 Jason Zweig, »Shiller: Mr. Worst-Case Scenario«, Money, 6.7.2007. 5 Rosnick und Baker, »The Wealth of the Baby Boom Cohort after the Collapse of the Housing Bubble«. 6 Siehe Stephen Slivinski, »House Bias: The Economic Consequence of Subsidizing Homeownership«, Region Focus, Herbst 2008, S. 1–4; darin ist Proterba zitiert. Lori Taylor, »Does the United States Still Overinvest in Housing?«, Federal Reserve Bank of Dallas, Economic Review, 2. Quartal 1998, S. 10–18. 7 Zitiert in Amity Shlaes, »America’s Obsession with Housing Hobbles Growth«, Bloomberg, 20.8.2009, www.bloomberg.com/apps/news?pid =newsarchive&sid=a5LoEiJ0IyAo. 8 Andrew Oswald, »The Housing Market and Europe’s Unemployment: A Non-technical Paper«, Homeownership and the Labour Market in Europe, Casper van Ewijk und Michiel van Leuvensteijn (Hrsg.), New York, 2009. 9 Sam Roberts, »Slump Creates Lack of Mobility for Americans«, New York Times, 22.4.2009. 10 Mark Whiteman, »American Dream 2: Default, Then Rent«, Wall Street Journal, 10.12.2009, http://online.wsj.com/article/SB126040517376983621.html. 11 Die Mieterzahlen stammen aus dem American Community Survey. Die Zahlen für die Metropolregionen sind entnommen aus U.S. Census Bureau, »2005–2007 American Community Survey 3-Year Estimates«, http://factfinder.census.gov/servlet/DatasetMainPageServlet?program=ASC. Die Angaben zum Hausbesitz sind entnommen aus U.S. Census Bureau, »Housing Vacancies and Homeownership, 2nd Quarter 2009«, www.census.gov/hhes/ www/housing/hvs/qtr209/q209ind.html. 12 Prashant Gopal, »Tata’s Nano Home: Company Behind the World’s Cheapest Car to Sell $7,800 Apartments«, BusinessWeek, 7.5.2009, www.businessweek. com/the_thread/hotproperty/archives/2009/05/first_it_came_o.html.
248 Reset 13 Antoinette Martin, »The Divorced Find a Housing Niche«, New York Times, 12.12.2008. 14 Mark S. Smith und Alan Zibel, »Obama Unveils $75 Billion Mortgage Relief Plan«, USA Today, 18.2.2009. 15 55 Prozent der Hypothekenkredite, für die neue Bedingungen ausgehandelt wurden, wurden innerhalb von zwölf Monaten nicht mehr bedient, siehe U.S. Department of Treasury, »OCC and OTS Mortgage Metrics Report 2009«, www.occ.treas.gov/ftp/release/2009-118a.pdf. 16 Alan Zibel, »Fannie Mae Offers Borrowers Option to Foreclosure«, Associated Press, 5.11.2009, http://finance.yahoo.com/news/Fannie-Mae-offersborrowers-apf-3320393724.html?x=0. 17 Congressional Budget Office, »An Overview of Federal Support for Housing«, 3.11.2009, www.cbo.gov/ftpdocs/105xx/doc10525/11-03-HousingPrograms.pdf. Siehe auch Justin Fox, »Almost $300 Billion in Housing Aid (and Only $60 Billion of It for Renters)«, Time, 3.11.2009, http://curiouscapitalist.blogs.time.com/2009/11/03/almost-300-billion-in-housing-aid-andonly-60-billion-of-ot-for-renters/#ixzz0WTk6zVHH. 18 Edward L. Glaeser, »Killing (or Maiming) a Sacred Cow: Home Mortgage Deductions«, New York Times, 14.2.2009, http://economix.blogs.nytimes. com/2009/02/24/killing-or-maiming-a-sacred-cow-home-mortgagedeductions.
23. Der Zeitpunkt für den Reset 1 Alice Rivlin, Reviving the American Dream: The Economy, the States and the Federal Government, Washington, D. C., 1992.