Race Across America 130 ± 5
Für Sanne
2000 Udo Voss-Bickenbach Im Erlengrund 28 53175 Bonn Tel. 0228/282577 1. Aufla...
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Race Across America 130 ± 5
Für Sanne
2000 Udo Voss-Bickenbach Im Erlengrund 28 53175 Bonn Tel. 0228/282577 1. Auflage September 2000 Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung des Textes und der Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors urheberrechtswidrig und strafbar.
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„....Aber ich entdeckte, daß Kleine-Jungen-Träume nicht so leicht sterben, und ich pfiff auf den gesunden Menschenverstand. (...)Als er mich fragte, ob ich mir auch sicher wäre, die Sache wirklich durchziehen zu wollen, sagte ich ja, ohne vorher auch nur Luft zu holen.“ John Krakauer, In eisigen Höhen, Das Drama am Everest.
Vor mir sehe ich ein Foto. Das Foto eines Mannes, auf einem Rad vor der untergehenden Sonne. Irgendwo in Amerika. Ich war in meinem Kinderzimmer in Remscheid, Deutschland, 15 Jahre alt. Wieder und wieder trete ich in die Pedale, schaue hinunter auf die dahingleitende Carbonfelgen, das leise Surren. Ich schwebe. Leise immer weiter. Weiter. Rechts sehe ich seit zehn Minuten ein und denselben Zug neben mir herfahren. Bei Wagon 40 höre ich auf zu zählen. Schwerfällig, aber gleichmäßig nimmt mir der Zug unter Ächzen, Pfeifen und Stöhnen Meter um Meter ab. Wieder schaue ich auf die Straße, die unter meinem Reifen dahingleitet. Ich bin glücklich. Aus den Boxen hinter mir schallt jetzt Bruce Springsteen. Born in the USA. Was sonst. Die Straße vor mir endet nicht. Sie wird immer weiter gehen. Bis zur anderen Seite des Kontinents. Bis an den Atlantik. Bis nach Savannah. Ich bin bereit ihren Regeln zu folgen, mich ihren Gesetzen hinzugeben. Und zu bestehen. Der Traum, eines Tages an dem Rennen „Race Across America“ teilzunehmen, wuchs früh. Noch hatte ich keinen Schulabschluß, noch nicht einmal eine konkrete Vorstellung, was ich denn so mit meinem Leben anfangen wollte, wovon leben, wo wohnen. Wirklich fasziniert war ich nur von meinem Sport. Und der hatte für mich uneingeschränkte Priorität. Erst das Schwimmen, und dann ab 1988 der Triathlon. Ständig palaverten wir in unserer triathletischen Einfalt über irgendwelche Rennen, die es zu bestreiten galt. Ein großer Teil unseres Selbstverständnisses definierten wir über den Sport. Wir waren Triathleten. Daran glaubten, daß fühlten wir. Den Ironman fest im Visier, bestritten wir gemäß unserer Altersklasse Wettkämpfe der Länge 0,5 km Schwimmen, 20 km Radfahren und 5 km laufen. Kurze Zeit später dann die doppelte Distanz.
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Ich war gerade 15 und hatte im Triathlon meine erste Kurzdistanz-Saison absolviert. Durchaus mit kleinen Erfolgen, faszinierte mich dieser Sportart immer mehr. Ankommen hieß die Devise, Ziele stecken und mit den gegebenen Voraussetzungen erreichen. Das war die große Herausforderung, wie ich sie verstand. Am Anfang war die Distanz, die lockte und die es zu bewältigen galt. Nicht das Material war ausschlaggebend, sondern der trainierte Körper und der Geist, mit dem man das Ganze anging. Denn es ging um das Finishen, nicht um die großen Preise (die es damals eh nicht gab), nicht nur um das Gewinnen, nein sondern darum, den Wettkampf zu beenden und dabei vielleicht seine Leistung zu steigern. Jeder, der wollte, konnte sich selbst testen und schauen wie weit seine Ausdauer reichte. Besonders faszinierend war die Atmosphäre dieser wenigen Veranstaltungen. Sehr familiär durch geringe Teilnehmerzahlen, gab es in den Anfangsjahren des Triathlons auch erst sehr wenige davon. Die meisten hatten feste Termine im Jahreskalender und häufig traf man auf den Wettkämpfen die Teilnehmer der Vorjahre wieder. Man sah sich auf verschiedenen Veranstaltungen. Daraus entstanden durchaus Sympathien - und natürlich entwickelte sich der Ehrgeiz. Schnell fand man Athleten vergleichbarer Klasse, in allen Altersstufen, und die Rangliste wurde ständig verändert, je nach Abschneiden bei der einzelnen Veranstaltung....der Müller war schon wieder vor mir. Aber beim nächsten mal, da überhol ich ihn schon beim schwimmen. Dadurch aufgerüttelt, schaute man auch über den Tellerrand der „Randsportart Triathlon“ hinaus. Es gab ja noch Volksläufe, Radtouristiken und was noch alles, wo man sich messen und auspowern konnte. Manchmal mußte dafür auch eine einfache Trainingstour herhalten. Trainingslehre? Nie gehört. Wenn das Wetter gut ist wird geradelt. Und wenn der Müller schneller war, dann trainiere ich halt die nächste Woche mehr. Trotz dieses Ehrgeizes lag die Hauptfreude darin, daß man Dinge ertesten und probieren konnte. Zwar gab es dafür immer wieder neue Anreize, aber das Ziel lag hier im Ausprobieren, rumgucken und erzählen. Unvergessen sind Lauf oder Radtreffs, wo Freunde und Bekannte ihre Erlebnisse zum Besten gaben. Wir lebten die Idee Triathlon. Die Idee eigene Grenzen zu erreichen. Diese Mentalität prägt mich noch heute. Sich selbst im Sport zu finden oder vielleicht auch zu verlieren, erachte ich immer noch als weitaus wichtiger als den verbissene Kampf um eine Zehntelsekunde, das Platz schaffe mit dem Ellenbogen. Umso mehr sind für mich eigentlich jene zu achten, die ihren eigenen Weg einschlagen. Und mein Weg wurde vom Training geleitet und begleitet. Da mir der Sport als solcher sehr viel Spaß machte, tat ich mich mit der Befolgung von Trainingsplänen ausgesprochen schwer. Denn diese waren auf Leistungsverbesserung und einen bestimmten Höhepunkt zugeschnitten. Ich wollte aber am liebsten jeden Tag schwimmen, radfahren und laufen. Und am
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besten, so viel wie möglich! Mit diesem gedanklichen Hintergrund stieß ich eines Tages auf einen Artikel in einem Triathlon Magazin. Dieser berichtete über die Geschichte des AeroLenkers. Nebendran war das Bild eines RAAM-Fahrers abgebildet: Ein sich verlierender Sonnenuntergang, im Vordergrund der Athlet, vermeintlich bequem auf seinem Lenker liegend, den Horizont im Visier. Nostalgie mit etwas Dynamik gepaart. Nun gut, ein Fahrer am Abend, das kann aber auch bei einer Trainingsfahrt passieren. Oder? Eine andere Frage drängte sich mir auf: - was ist das RAAM denn eigentlich? Start in Los Angeles, Ziel Savannah. Riders go. 5000 km. Ohne Pause. Wer zuerst da ist hat gewonnen. Windschattenfahren ist generell nicht erlaubt, die Straßen sind für die Radfahrer nicht abgesperrt, es geht über Highways und Freeways, Kilometer ohne Ende, durch Wüste, über Berge..... Moment. Da stand doch was von Fahrradfahren. Unglaublich! Wie kann ein Mensch das aushalten? Und warum macht er das überhaupt? War nicht schon ein Kurztriathlon lang genug? Bei all den Fragen die sich mir stellten blieb doch eigentlich nur eins haften: der Grundtenor, die Faszination, das innerliche Verständnis für diese Herausforderung. So prägte es sich mir damals ein; tief in meinem Kopf verankerte ich es als einen meiner Lebensträume: ich wollte dieses Rennen unbedingt einmal fahren! Ich wußte fast nichts über diese Kontinentdurchquerung, nur den Namen. Wann und wo, wie sollte ich je das Geld organisieren und überhaupt, war ich für eine Teilnahme geeignet? Die Zweifel verschwanden - der Gedanke blieb. Das Leben ging seinen normalen Gang, mit Ausnahme, ja mit Ausnahme dessen, daß mein Sport eine immer höhere Priorität bei mir einnahm. Das war insofern erstaunlich, als daß der Rest der Bekannten und Klassenkameraden Fußball spielte und damit hoch angesehen waren. Meine Leistungen wurden nur selten erwähnt, die Publicity war gering. Ich war einer von vielen, die nicht nur Erfolg hatten. Jedoch einer der wenigen, die sich schon in jungen Jahren der Ausdauer widmeten und ihr viele glückliche Momente verdankten. Denn was gibt es schöneres als eine lange Abfahrt nach einem schweißtreibenden Paß, der Lauf durch den Wald, der dann irgendwann nicht mehr eine Stunde, sondern nur noch 50 Minuten dauert. Das Schwimmtraining, das einen so fordert, daß man nach einer ausgiebigen Mahlzeit froh und erschöpft nur noch in sein Bett schlüpfen möchte. Zwischendurch probierte ich aus, wie denn das Leben als reiner Läufer oder reiner Radfahrer ist. Doch nichts kam dem Triathlon gleich. Nach dem bestandenen Abitur sollte es dann langsam soweit sein, ein neuer Abschnitt begann: Der Zivildienst rief, dies bedeutete weg von zu Hause, in einer eigenen kleinen Bude, auf engstem Raume mit einigen Fahrrädern, geregelten Dienstzeiten, nichts zu lernen und viele Ideen. Die Idee eines Fernstudiums
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ließ ich ebenso schnell wieder fallen wie ich sie bekam. Mit jedem Sonnenstrahl, der den Himmel erhellte, erwachte in mir die Trainingslust. Über viele Hügel war ich noch nicht gefahren und vielfach trieb mich die Neugierde, was hinter der nächsten Kurve liegen würde und ob man nicht auf einem andere Weg genauso nach Hause gelangen könnte. Was lag da näher, als ein neues, hoch gestecktes Ziel, für das sich herrlich viel trainieren ließ. Die Idee lag auf der Hand: der Ironman ...den wollte ich bewältigen. Ironman, die Königin unter den Triathlons mit der ursprünglichen Strecke dieses Sports: 3,8 km schwimmen, 180 km radfahren und 42,195 km laufen. Voller Motivation entschied ich mich 1994, meinen ersten Ironman zu wagen. Ich trainierte lang, ausgiebig. Immer wieder stellte ich mir in Gedanken vor, wie es wohl sein würde: eine Langstrecke zu beenden, den Gipfel der Ausdauersportarten zu bezwingen. Es mußte ein berauschendes Gefühl sein. Unvergleichlich. Aufgeregt und voller Zweifel fuhr ich nach Norddeutschland und absolvierte ihn. Nach dem Startschuß legten wir mit dem Schwimmen los. Es lief hervorragend. Auch der Wechsel zum Radfahren klappte wie am Schnürchen. Einmal auf dem Rad lagen meine Probleme auch eher darin mich nicht zu überschätzen und die 180 km richtig einzuteilen. Stolz stieg ich nach Beendigung der Radstrecke vom Sattel und torkelte ich mit „dicken“ Beinen zu meinen Laufschuhen. Noch 42km trennten mich vom Ziel. Und die Strecke schien immer länger zu werden. Über vier Stunden lief ich so durch die Felder bis ich das Ziel vor mir sah. Glücklich und ausgeglichen überlief ich die Ziellinie. Ein Ziel war erreicht. Als Wermutstropfen blieb nur die Erinnerung ans Laufen: lang hatte es gedauert den Marathon zu absolvieren und daß, obwohl es im Training viel besser gegangen war. Das nächste Jahr sollte dann mehr Wettkämpfe enthalten. In meinem ersten Jahr als Krankenpflegeschüler wollte ich den Trans Swiss Triathlon, den Langtriathlon in Kulmbach sowie den Euroman in Zürich bestreiten. Immerhin drei Langstrecken Wettbewerbe der Ironman Distanz. Der Trans Swiss lag sogar noch deutlich darüber. Hinzu kamen zahlreiche Kurzstreckenwettkämpfe. Alle gestarteten Wettkämpfe konnte ich, mit teils guten Plazierungen beenden. Durch meine Arbeit als Krankenpfleger arbeitete ich im Schichtdienst, was sich für das Training als sehr vorteilhaft erwies, vor allem im Winter. (Durch den frühen Einbruch der Dunkelheit ist es günstiger Spätdienst zu haben und Vormittags zu trainieren). Das nächste Jahr sollte dann ein besonderes werden. Ich wollte endlich einmal ganz oben sein und bereitete mich intensiv auf ein Kurztriathlon vor. Als Ziel hatte ich mir eine Plazierung unter den ersten zehn ausgemalt. Doch oh weh. Eine Woche vor dem Wettkampf schlug ich wieder eine ach so verhängnisvolle Triathlon-Zeitung auf und siehe da, gerade an dem Wochenende sollte ebenso ein Triple-Triathlon in Neulengbach, Österreich stattfinden. Da ich zufällig ein langes Wochenende frei haben sollte, meldete ich mich telefonisch an. In einem Gewaltakt mußte ich in drei Tagen den kompletten Wettkampf für mich durchorganisieren. Meine Freundin konnte mitkommen, dies bedeutete ein Betreuer, das Wichtigste. Dann mußte noch ein Auto her und natürlich viel Verpflegung.
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Es sollte gelingen! Ich konnte den Triathlon mit 11,4 km schwimmen, 540 km radfahren und 126,6 km laufen beenden und bekam das erste Mal einen Eindruck von Schlafmangel während sportlicher Aktivität. Kaum zu Hause, meldete ich mich für einen weiteren TripleTriathlon in Lensahn an, nur wenige Wochen später. Von der Gesamtzeit her etwas schneller, konnte ich auch diesen Wettkampf beenden, spürte aber deutlich meine Schwäche beim Laufen. Doch trotz alledem war für mich klar: das ist meine Welt! Der Einstieg in den Extremsport war geschafft, wenn ich mir dessen auch nicht ganz bewußt war. Ein LangdistanzWettkampf (3,8/180/42), den ich im Anschluß daran ohne jeden Ehrgeiz absolvierte, wirkte im Vergleich zum Triple-Triathlon wie eine Erholung. Alles eine Frage des Tempos? Vom Ehrgeiz angestachelt, startete ich ´97 wieder in Österreich. Dort wurde ich Dritter, und fragte mich innerlich zum wiederholten Male, warum ich nicht schneller laufen konnte. Ich verlor etliches bei dieser Disziplin. Als es nach wirklich intensivem Lauftraining auch beim Langstrecken-Wettkampf in Podersdorf wieder nicht ganz klappte, hatte ich genug vom Laufen. Endgültig. Radfahren war angesagt. Langstreckenradfahren. Gekrönt wurde die 98er Saison von einer wunderschönen Fahrt von Bonn nach Örnsköldsvik, Schweden, etwa 2800 km, die ich in 6 Tagen zurücklegen konnte. Mit nur einem Rucksack und ohne Begleitung ein herrliches Erlebnis. Ich erlebte die Freiheit des Radfahrens, meine persönliche Freiheit, und konnte Reinhold Messners passenden Buchtitel: „Die Freiheit aufzubrechen wohin ich will.“ sehr gut nachempfinden. Komplett unabhängig gelangte ich wirklich gut vorwärts und genoß dabei die Reise. Lediglich etwas abgemagert kam ich in Schweden an. Schon früher hatte ich solche Radreisen mit Rucksack unternommen und dabei erfahren, daß ich am besten ohne Begleitung fahre. Denn irgendwie sah ich Pausen immer als Zeitverschwendung an. Und sei es auch nur für Fotos. Ich wollte weiter und weiter. So fuhr ich im Alter von 16 Jahren mit einem Freund zusammen von Basel nach Nizza, einige Jahre später von Nürnberg nach Graz und quer durch Irland. Erlebte aber nie dieses unvergleichliche Wohlgefühl - vermutlich schon allein deshalb nicht, weil meine Kondition noch nicht so ausgeprägt war. Hinzu kam noch, daß ich mir Sorgen um die Unterkunft und die Strecke machte. Auf der Schwedenfahrt hingegen gelang es mir ruhiger voraus zu schauen. Mit dem wenigen Gepäck was ich hatte, war ich sehr flexibel und vertraute auf mein Glück, war bereit auch mal eine Nacht draußen zu schlafen und suchte so erst die Unterkunft bei Einbruch der Dunkelheit. Da ich schon in Schweden war, wollte ich im Anschluß an den Urlaub eigentlich kurz nach Trondheim, um dort an der legendären „Kraftprobe“ Trondheim-Oslo teilzunehmen. Gesagt getan. Der Start verlief auch noch ganz gut, bald darauf wurde mir jedoch unheimlich kalt. Ich hielt bei jedem Verpflegungsstop und aß alles, was ich kriegen konnte, verlangte sogar noch Nachschlag. Aber auch die warme Brühe wollte nicht richtig helfen. Ich fühlte
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mich sehr unbehaglich. Mir leuchtete bald ein, daß mein Körper sich noch nicht wieder genügend regeneriert hatte um für eine solche Strapaze gerüstet zu sein. Zumindest nicht, wenn ich in zügigem Tempo fahren wollte. Der Körper war von der Schweden-Tour allzu sehr gezeichnet. Nach einsetzendem Regen stieg ich bei Beginn der Dunkelheit nach dreihundert Kilometern aus. Oh weh. Da Freunde und Bekannte das als Zeichen der Schwäche werteten, war ich um so begieriger, es wieder gut zumachen. Und nicht zuletzt mir selbst mußte ich beweisen, daß ich doch erheblich mehr draufhatte. Kurz entschlossen startete ich im August `98 in Dänemark, einen 288 km langen Radmarathon „Sönderjylland rundt 98“. Ich gewann mit deutlichem Vorsprung und glaubte mein Aussteigen bei Trondheim-Oslo als nicht mehr so schlimm. Ich dachte mir, daß diese Kerbe ausgemerzt sei. Mir wurde erst später klar, daß ich hauptsächlich deshalb ausgestiegen war, weil ich meinen eigenen Anforderungen nicht gerecht wurde und die Hoffnung auf Besserung auf den weiteren Kilometern aufgegeben hatte. Ich suchte den Sinn an der meßbaren Leistung, an der Plazierung festzumachen und hatte dabei vergessen in mich selbst hinein zu hören. Zu dem Erfolg in Dänemark kam, daß sich auch die Radzeiten in den Kurztriathlons, die ich in der zweiten Bundesliga absolvierte verbesserten. Mit meinem Training war ich daher eigentlich sehr zufrieden. Aber Ende ´98 sollte trotzdem ein weiterer, gänzlich unerwarteter Tiefschlag für mich folgen. Ich wollte, die gute Form nutzend, noch einen Wettkampf fahren und meldete mich für die „24 Stunden vom Attersee“ an. Nach einer kurz vorher durchlaufenen Grippe, die mich erheblich geschwächt hatte, kam am Wettkampftag noch gräßliches, demoralisierendes Wetter hinzu. Regen, ununterbrochener Regen, ließ dann auch in mir die Frage nach dem Sinn aufkommen. Unbedingt wollte ich mich bei diesem Rennen vorne plazieren, dabei war das Rennen für mich schon nach einer halben Runde gelaufen, als ich die anderen habe ziehen lassen müssen. Gerade einmal 580 km schaffte ich in den 24 Stunden, nachdem ich nachts völlig enttäuscht und lustlos geworden vier Stunden lang geschlafen hatte. Der Frust über diese Niederlage war groß. Selbst mein Trainer und Meister im positiven Denken, Peter Vohryzka, wußte keine Erklärung. Welchen Trost hätte es auch gegeben? Ich zweifelte stark an mir: war es wirklich die Grippe oder war der Zeitpunkt gekommen einzusehen, daß andere auch mit viel weniger Training einfach stärker sind? War für mich kein Platz im Sport? Ich war knapp davor alles hinzuwerfen und schaute mich nach dieser und jener beruflichen Weiterbildung um. Der sportliche Frust saß tief. Dementsprechend mißmutig betrachtete ich das Leben. Dennoch fing ich im Dezember mit der Vorbereitung für ´99 an. Eher locker und nicht immer auf Kilometer bedacht. Wofür wußte ich selbst nicht, denn ein geeignetes Ziel war in Deutschland und Österreich nicht in Sicht. Einer Eingebung folgend schickte ich im Januar einen Brief an Michael Shermer, dem ‚Race Director‘ des „Race Across America“ und erkundigte mich nach Qualifikationswettbewerben zum RAAM. Aus Büchern wußte ich
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immerhin, daß man eine Qualifikation brauchte, um sich für dieses Rennen zu qualifizieren. Zweimal hatte hierfür sogar eine in Europa stattgefunden, beide Male bei einem Rennen quer durch Österreich. Da mir inzwischen klar war, daß das Rennen ein Traum von mir war, hoffte ich, daß ich mit einer Quali-Teilnahme zumindest einen Schritt in die richtige Richtung tun würde. Auch für meine Moral und Motivation war es erfolgversprechend, hieß es doch, sich auf ein fernes Ziel vorzubereiten. Vielleicht würde es ja eines Tages tatsächlich gelingen das Rennen selbst anzugehen. Aus purem Zufall zählte ich meine bisherigen „Erfolge“ am Ende des Briefes dazu auf. Die Antwort kam prompt: „..based on your list of events you have finished, you are invited to compete in the 1999 Race Across America.“. Das war, fürwahr, die beste Nachricht die ich je bekommen habe. Ich konnte es kaum fassen. Unglaublich, sollten meine Träume in Erfüllung gehen? Ich hatte eine Einladung für das Race. Die Einladung meines Lebens. Denn ich zweifelte keinen Augenblick daran, sie anzunehmen. Auch wenn ich nur wenige tausend Mark auf dem Konto liegen hatte und gänzlich keine Vorstellung davon besaß, woher ich den Rest des Geldes nehmen sollte. Den Tränen nahe rief ich meine Freundin an. Sie kam direkt von der Arbeit heim, ebenso erfreut wie ich und - glücklicherweise - voll auf meiner Seite. Sie wollte mitkommen. Dieser Augenblick verlieh meinem Leben eine andere Richtung. Die Freude brodelte in mir, doch hatte ich auch vor Augen was da für Strapazen auf uns zukamen. Nicht nur rein physiologisch, sondern auch finanziell, mental und organisatorisch. Zum Beispiel brauchte ich ein Betreuerteam. Und wer ist schon bereit seinen Urlaub zu opfern, um einen Verrückten mit 25 km/h quer durch die USA zu folgen, noch dazu ohne sich die Sehenswürdigkeiten in Ruhe ansehen zu können? Wider Erwarten sollten die Betreuer das kleinste Problem in der Planung darstellen. Statt dessen stellten sie sich sehr bald als eine unwahrscheinlich große Hilfe dar. So hatte ich das Glück, daß ich gar nicht lange suchen mußte. Schon nach einer Woche hatte ich mein Team beisammen. Mit Krankenschwestern, Ernährungswissenschaftlerin, Ärztin, Physiotherapeuten, Trainer - perfekt! Die meisten waren damals Bekannte, nur drei mir fremde Personen gehörten zum Team. Aber alle waren hellauf begeistert von dem Unternehmen und erklärten sich sogar bereit, sollten keine Sponsorengelder eintreffen, die Flüge selber zu finanzieren. Nacheinander lasen wir sämtliche RAAM Bücher, die wir finden konnten - was sowieso nur drei waren - und versuchten aus den Erfahrungen der anderen zu el rnen. Einmal im Monat trafen wir uns, um zu reden, zu planen und Aufgaben zu verteilen. Das hatte unter anderem den Vorteil, daß wir uns besser kennenlernten und wir die Aufgabenbereiche schon in etwa aufteilen konnten - auch wenn während des Rennens alles anders kommen sollte, was uns durchaus auch bewußt war. Wir waren voller Enthusiasmus.
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Finanziell holten mich die Sorgen schnell ein. Denn grob kalkuliert benötigt man für dieses Unternehmen 50.000 DM. Schnell ging das Geld für die ersten Anzahlungen der Flüge und Autos weg. Da wir erst relativ spät die Flüge buchten, waren diese verhältnismäßig teuer. Die Begleitwagen, ein Van und ein Wohnwagen für 6 bis 8 Personen taten ein übriges. Doch mußten wir diese schon zu Beginn buchen, da natürlich alle Teilnehmer ähnliche Fahrzeuge für die Strecke benötigten. Auf diese Weise hätte es leicht zu einem Engpaß kommen können an dessen Schluß wir uns nicht unbedingt wiederfinden wollten. Jetzt fehlten nur noch die Sponsoren. Um die Firmen konkret ansprechen zu können wollten wir ein Expose über das RAAM und mich erstellen. Guter Dinge, zogen wir eines trüben Wintertages in den Wald und schossen einige Aufnahmen, die wir in ein paar Mappen, mit Text versehen, heften wollten. Ilona, eine Freundin und Kollegin von mir, übernahm hier schon früh einen Großteil der Verantwortung und war mir eine große Hilfe. Unsere selbst entworfenen Werbetexte stießen allerdings nicht auf ungeteilte Zustimmung. Etwas ratlos überlegten wir was zu tun sei. Da lernten wir Thomas kennen. Begeistert von elektronischen High-Tech-Geräten, besonders wenn sie grau sind und Computer heißen, erstellte er nicht nur eine achtseitige Broschüre, sondern lotste diese auch gleich noch ins Internet. Interessenten konnten nun direkt dorthin verwiesen werden, ohne daß sie erst auf die Post warten mußten. Sogar eine englische Fassung kam hinzu. Vor allem für mich war jedoch die Reaktion der Firmen enttäuschend. Die meisten lehnten ab, viele mit dem Hinweis darauf, daß das Budget schon lange erschöpft sei. Ein Argument was im März durchaus nachvollziehbar ist, werden doch die Verträge eigentlich im Herbst abgeschlossen. Im Krankenhaus in dem ich arbeite, hatten wir mehr Erfolg. Durch Privatspenden kam zumindest etwas Geld hinein. Für mich war es die erste Erfahrung und Vorbereitung auf das Rennen. Einfach deshalb, weil ich mir schon frühzeitig überlegen mußte, was mir der Spaß wert ist. Denn relativ früh war absehbar, daß ich mir das benötigte Geld irgendwo würde leihen müssen. Auch wenn ich genau wußte, daß ich das Rennen unbedingt fahren wollte, belastete mich die finanzielle Situation recht stark. Lebe ich doch lieber in den Tag hinein als mich um die Abarbeitung von Schulden zu kümmern. Ein anderes Thema ist die Vereinbarung des Trainings mit der Arbeit auf der Intensivstation. Als Krankenpfleger arbeitete ich zu Beginn 100% im Dreischichtsystem. Das heißt Früh-, Spät-, und Nachtdienst. Nebenher dann bis zu 45 Stunden pro Woche zu trainieren ist nicht gerade eine Kleinigkeit. Und doch war es machbar. Dank der Unterstützung meiner Freundin Sanne, sie ist selbst aktive Triathletin, war es mir wirklich möglich, direkt nach der Arbeit loszufahren, ohne daß ich mich um den Einkauf oder ähnliches hätte kümmern müssen. Ohne ihre volle Unterstützung und ihr Einfühlungsvermögen hätte das Projekt durchaus
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schon in der Anfangsphase scheitern können. Abgesehen davon, daß nicht erst eine Beziehung durch die Belastungen des Sports auseinander ging. Den Trainingsplan erstellte mir mein langjähriger Freund und Trainer Peter aus Österreich, der sich auch gleich bereit erklärte, nach Amerika mitzufliegen und mich beim Rennen zu betreuen. Wir legten jeweils vier wöchentliche Stufen fest. Drei Wochen Trainingssteigerung und eine Woche Regeneration waren vorgesehen. Das fing bei mindestens 18 Stunden die Woche an und hörte bei maximal 45 Stunden auf. Wichtig ist vor allem das Training der Grundlagenausdauer und die genaue Beachtung der Pulswerte. Im Laufe der Zeit konnte ich durch diese Kontinuität meine Durchschnittsgeschwindigkeit erheblich steigern, obwohl ich auch weiterhin mit der selben Pulsfrequenz um 130 Schläge in der Minute trainierte. Der Puls sollte dem normalen Trainingswert für die Grundlagenausdauer entsprechen, das heißt ein Laktatwert von unter zwei Millimol war angestrebt, um das Herz, die Muskulatur und die Fettverbrennung zu trainieren. Das wurde allerdings etwas dadurch erschwert, daß ich keine Möglichkeit hatte, einen Stufentest mit genauer Laktatbestimmung zur Leistungsdiagnostik durchzuführen. Demnach mußten wir meine Pulswerte teilweise nach Gefühl und den Werten des Vorjahres festlegen. Hinzu kam zweimal in der Woche ein Fahrtspiel, das heißt den Puls der erforderten Belastung anpassen. So zum Beispiel beim schnelleren Windschattenfahren oder beim Überwinden von Hügelketten oder Bergen. Hierbei durfte der Puls ruhig 170 bis 175 Schläge in der Minute erreichen. Nur eine komplette Übersäuerung sollte ich im Hinblick auf die Langstrecke völlig vermeiden. Das Training bereitete mir etwas Sorgen, ich fühlte mich diesbezüglich ziemlich unsicher. Was hatte ich nicht alles von absonderlichen Trainingsmethoden gehört. Tagelang fuhren da Leute durch die Gegend: Seana Hogan, eine vielfache RAAM-Finisherin, trainierte teilweise mit Motorradhelm, um sich an die Hitze und die Nackenmuskulatur an die Belastung zu gewöhnen. Einige Fahrer hat es gegeben, die mit einer Halskrause im Ziel angekommen sind. Die Nackenmuskulatur verkrampfte total und die Fahrer waren dann nicht mehr in der Lage, den immer schwerer werdenden Kopf zu tragen. Diesen steifen Nacken nennt man auch nach Michael Shermer den „Shermer Neck“, da er ihm bei seinem letzten aktiven Rennen solche Qualen bereitete, daß er danach auf einen weiteren Start verzichtete. Das Ergebnis, das Seana mit ihrer Methode erzielte, spricht für sich: Sogar Gesamtdritte wurde sie 1994, stärker als die meisten Männer! Und nicht zu vergessen ihr phänomenaler Rekord: San Francisco - Los Angeles fährt sie schneller als jeder Mann!!! Oder Wolfgang Fasching, der Gewinner des 97er RAAMs. Er gibt an, bis zu 40 Tage am Stück trainiert zu haben. Wer ihn fahren sah wird dieses ohne weiteres glauben. Ihm gelang es 1998 trotz eines Schlüsselbeinbruchs das Rennen noch auf dem zweiten Patz zu beenden. Aus diesen Erfahrungen konnte ich zwar lernen, doch mußte ich auch akzeptieren, daß jeder seinen eigenen Weg hat. Jeder
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nach seiner Geschichte und seinen Möglichkeiten. Der Seine nicht der Meine ist und ich deshalb mit meinen eigenen Begebenheiten klarkommen mußte. Das alles lief, wie gesagt, neben der Arbeit ab. Das Training sollte nicht „nur“ geregelt verlaufen, schon ab Januar standen Nachtfahrten auf dem Programm. Mindestens einmal die Woche hieß es zur Nachtzeit raus aus den Federn und aufs Rad. Gerade im Januar bei Minusgraden und Regenfall nicht nur angenehm. Hier konnte man dann wieder Kopfarbeit leisten: Sich selbst darüber klar werden was man denn da tat, zu wissen warum es sinnvoll war, so zu trainieren, und vor allem das Wetter zu akzeptieren, wie es ist - trotz Schimpfen und Fluchen tut sich da keine Veränderung auf. Es ist wie es ist. Aber alles fließt. So auch das Wetter: irgendwann hört es auf zu regnen und irgendwann ist auch der Winter vorbei - so machte ich wichtige Erfahrungen, die mir in der Hitze Amerikas hilfreich waren. Zetern und Fluchen hilft nicht. Ab Mai ergab sich dann eine neue Situation. Dank Ilona, meiner Stationsleitung, wurde es mir möglich, meine Stelle auf 75% zu reduzieren. Mehr Zeit zum Training und etwas Entspannung. Sanne und ich gönnten uns dann auch direkt ein einwöchiges Trainingslager auf Mallorca. Ganze 50 Trainingsstunden schaffte ich in der beeindruckenden Landschaft der spanischen Insel. Dabei fühlte ich mich das erste Mal wirklich bereit für das Rennen. Ich spürte, daß ich die Leistung erbringen konnte, daß ich meinen Traum durchhalten konnte. Während das Trainingsprogramm lief, versuchte ich abends immer noch etwas Gymnastik einzubauen. Gerade Übungen zur Kräftigung der Rückenmuskulatur hielt ich für besonders wichtig. Nichts ist schrecklicher als mit Rückenschmerzen über einen Triathlonlenker gebeugt zu fahren. Auch gelegentliche Schwimmeinheiten sollten der Muskelkräftigung dienen. Als Gipfel meiner Trainingsvorbereitung war ein Testwochenende vorgesehen. Zu diesem wollten fast alle Betreuer kommen und mich nacheinander, ungefähr 36 Stunden lang, betreuen. In der Eifel war eine 150 km lange Strecke schnell gefunden. Mit integriert waren einige schwerere Anstiege, die mich schon bei einer normalen Trainingsfahrt aus dem Sattel zwangen. Diese Strecke galt es sechsmal zu fahren. Nach je zwei Runden sollte ich Pause für Massage und, eventuell, etwas Schlaf einlegen. Denn wer konnte vorher wissen, ob ich auch unter Belastung und Anspannung schlafen konnte? Schließlich legt man sich ja nicht jeden Tag von jetzt auf gleich mit einem 140er Puls zur Ruhe und die Aufregung würde das Einschlafen auch nicht gerade leichter machen. Doch das eigentlich Gute dieser Testfahrt war ein Ereignis in der Nacht. Pünktlich um Mitternacht fing es an zu regnen und zu stürmen. Da ich mich auf der dritten Runde befand und vor dieser geruht hatte kam eine Pause oder ein Unterstellen nicht in Frage. Es sollte möglichst viel den Rennbedingungen in Amerika entsprechen. Innerhalb von kürzester Zeit
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war ich also klatschnaß. Mir fiel wieder ein, wie gemütlich es nachts sein kann: zum Beispiel zu Hause, im warmen Bett oder in einem Wollpulli gekuschelt auf dem Sofa, ein Buch dabei. Auch meine bisherigen Triple-Triathlons fielen mir ein. Der Tradition folgend, bat ich dann auch ca. 50 km vor dem Ende der Runde um eine Dusche. Peter als Trainer war für solche Belange verantwortlich. Da er es genehmigte, stand eigentlich nichts mehr im Wege kurz nach Hause abzuzweigen, zu duschen und danach erst weiter zu fahren. Ursprünglich war ein Halt jedoch erst nach einer weiteren 150 km Runde vorgesehen. Da kam mir der Gedanke, wofür ich hier denn eigentlich fuhr? Ging es nicht darum meine eigenen Schwächen zu überwinden und der Bequemlichkeit einmal bewußt zu entsagen? Die Gedanken kamen mir noch gerade rechtzeitig. Ich ließ mir eine wärmere Jacke geben und bog wieder auf die Trainingsrunde ein. Ein Stück Puzzle sackte an seinen Platz. Dieser kleine Sieg über mich selbst und die Tatsache, daß ich zu jedem Zeitpunkt schlafen konnte, machten das Unternehmen zu einem Erfolg. Auch muskulär hatte ich eigentlich keine Probleme. Aber was sind schon 900 km in Vergleich zu 5000 km? Daß man beides keineswegs vergleichen konnte, sah ich am deutlichsten, als beim Rennen nur noch 900 km zu fahren waren und die Erinnerungen an die Eifel in mir lebendig wurden. Ausdauer ganz anderer Art bewiesen hier schon mein Trainer Peter, Petra die uns als Physiotherapeutin begleitete und Lisi meine engagierte Sportärztin. Obwohl die drei in Österreicher in der Nähe Wiens wohnen, kamen sie zu diesem Test Wochenende kurzerhand angefahren! Das sind um die 1000 km. Sie betreuten mich gut 15 Stunden lang und fuhren dann wieder zurück - fast ohne jeglichen Schlaf! Nach diesem Vor-Rennen war meine Hauptsorge, ob meine gute Form wohl anhalten würde. Alles andere war nach bestem Wissen von uns organisiert worden. Als längstes stand in den darauffolgenden Wochen noch eine 35 Stunden Trainingswoche an, dann hauptsächlich Regeneration. Warten, sich sammeln, etwas rollen. Ja und dann sollte es endlich losgehen - auf nach Amerika. Vorweg lief noch der letzte Räderscheck. Dabei fiel eines meiner Räder durch einen besonders schlechten Zustand auf. Sämtliche Lager des Rades hatten in ihrem Leben noch kein Fett gesehen, der Vorbauschaft war angebrochen, das Tretlager so festgerostet, daß man es nur noch mit einem Meißel herausschlagen konnte. Radmechaniker Rainer Breuer konnte zwar mit viel Aufwand noch ein neues Lager hineinfräsen - doch leider löste sich dieses schon nach wenigen Metern und war trotz etlicher Versuche nicht mehr ideal zu fixieren. Da stand ich nun, zwei Wochen bis zum Abflug und mein Zweitrad war hin. Toll! Finanziell war es mir zu diesem Zeitpunkt schon gänzlich unmöglich, mir ein neues Rad zu leisten, geschweige denn es noch 1.000 km einzufahren. Blieb nur die Lösung, zwei anstatt der bisher drei vorgesehenen Räder mitzunehmen.
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Galt der 14. Januar als Stichtag für die Vorbereitung, so war der 15. Juli der festgesetzte Abflugtermin für Sanne, Lothar, einem erfahrenen Ironman, der sich um die Radmechanik kümmern sollte und mich. Ilona, die bereits einige Zeit vorher in den USA war, wollte uns am Flughafen in L.A. treffen. Der Flug erschien mir fürchterlich lang, mußte man doch, meist sitzend, zwölf lange Stunden eingepfercht aushalten - und wie sehr sehnte ich mich nach Bewegung. Auch das Essen war für meine Bedürfnisse etwas kurz ausgefallen. Aber alles halb so wild. Ein freundliches Nachfragen brachte rasch ein zweites Mittagessen zutage. Es konnte nichts mehr schiefgehen. Ich war auf dem Weg nach Amerika - zum Start zur Reise in mein Ich. Gleichwohl ich schon viele amerikanische Spielfilme und Dokumentationen gesehen hatte war ich nach der Landung doch sehr erstaunt, von dem was mich auf der anderen Seite des Atlantiks erwartete. Mit unserem gemietetem Van, einem neunsitzigem Chrysler, begaben wir uns zum Hotel. Der Weg dorthin - unglaublich. Eine neun-, teils zehnspurige Straße, eingebettet in Betonmauern, überfüllt mit ewig langen, rollenden Autokaravanen. Und doch, irgendwie wirkte die ganze Blechlawine wesentlich ruhiger als eine vergleichbare sechsspurige in Deutschland. Es schien, als würde ein großer Teil der PS gestärkten Aggressivität fehlen. Beeindruckend. Das Hotel als solches war schon Ort des lang ersehnten Geschehens. Hier würden bald auch die anderen Fahrer absteigen, so hofften wir, und am 22.7. sollte auf dem Vorplatz der Start erfolgen, umgeben von glitzernden, Sonne reflektierenden Hochhäusern. Das Holiday Inn in Irvine, L.A. war schon seit einigen Jahren Ausgangspunkt dieses Rennens. Vorher war der Startort irgendwo entlang der Küste, auf der Golden Gate Bridge oder auch am Huntincton Beach selbst gewesen. Schließlich verlegte jedoch die Renndirektion den Start nach Irvine. Die Gründe sind wohl in der Bürokratie und dem Organisationsaufwand zu suchen. Mußte man bisher Genehmigungen beantragen, ein Stück Gelände absperren - entfiel nun all dieses, da es auf dem Hotelgelände unter idealen Bedingungen stattfinden konnte. Aber bis es soweit war, das uns der Startschuß auf die reise schickte, hatten wir noch einiges zu erledigen. Nach der Gewöhnung an die ewig summende Klimaanlage ging es los auf Erkundung. Selbstverständlich mit dem Auto, denn die Entfernungen dort drüben überraschten uns immer wieder. L.A., als eine der verkehrsreichsten Städte der Welt, zog uns in ihren Bann. Schon 1988 gab es hier über vier Millionen Autos. Wieviel werden es jetzt sein und wieviele Straßen sind erforderlich um all diese Autos zu beherbergen? Die zweitgrößte US Metropole hat aber auch sonst viel zu bieten. Laut Statistik gibt es hier nämlich 325 Tage Sonnenschein. Vermutlich wird es trotzdem noch Sonnenstudios geben. Aber so viel Sonne! Wie war das doch mit der Stadt der Engel? Das Klima dürfte wohl mit ein Grund dafür sein, daß sich die Reichen und Schönen hier niederlassen. Im Nachhinein finde ich diese Großstadt als Kulisse eines Rennens, das quer durchs Land führt und nur selten belebte Gegenden passiert, einfach grandios. Hier das vom Menschen geschaffene, die pompöse Fassade, dort die
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Weite und letztendlich unbezwingbare Natur. Vor beidem kam ich mir klein und mikrig, vergänglich vor - und doch ein Teil von allem. Eine vom Veranstalter angefertigte und mitgeschickte Skizze sollte uns den Weg ebnen, all die Dinge zu finden, die wir noch benötigten. Eine Musikanlage für das Autodach, Mobiltelefone, Nahrungsvorräte, Kühlbehältnisse, Benzinkanister, Ersatzbirnen, unzählige Mengen an Batterien für die Fahrradlampen und so weiter. All dieses Zeug wollten wir besorgen, doch in einem fremden Land ist das nicht ganz so einfach wie wir bald erfahren sollten. Freundlich dirigiert von meist ebenso freundlichen Amerikanern, gelangten wir früher oder später immer zu den gesuchten Läden um unsere Einkaufsliste zu schmälern. Viele Stunden verbrachten Ralf , ebenfalls ein ausgezeichneter Physiotherapeut, Lothar und Peter damit, den Van für die Fahrt zu präparieren. Obenauf wurden zwei große Musikboxen angebracht. Mit Hilfe von breitem Isolierband wurden sie auf dem Radständer festgezurrt und -geklebt. Direkt daneben befestigten wir zwei Suchscheinwerfer, um die Möglichkeit zu haben nachts die Straße vor mir besser auszuleuchten. Die Mühe lohnte sich: schließlich würde der Wagen 5.000 km lang mein unmittelbarster Gefährte sein. Ständig hinter mir, sollte er alles in sich tragen was ich eventuell benötigen könnte und mir mit der Lichtanlage die Müdigkeit austreiben. Davon abgesehen, daß auch jede Menge Unrat auf den Straßen liegen und zu unliebsamen Zwischenfällen führen könnte. Das Wohnmobil mußte einige Tage später abgeholt werden und die erste ernsthaftere Diskussion begann: war es wirklich der richtige Weg, ein einziges Wohnmobil (Platz für sechs Erwachsene) zu mieten? Waren wir hiermit flexibel genug? Konnten alle Betreuer darin schlafen? - Und überhaupt, würde unser Gepäck, inklusive der nun vorläufig nicht benötigten sperrigen Radkoffer dort hineinpassen? Die Diskussion war schnell beendet, da ich den Wagen schon in Deutschland vorfinanziert hatte. Die Zweifel blieben. Doch die Diskussion zeigte, wie sehr die Praxis sich von der Theorie entfernt, hatten wir doch seit einem halben Jahr geplant und sowohl der Van als auch das Wohnmobil waren fester Bestandteil dieses Plans gewesen. Bald saßen wir also in dem schaukelnden Wohnschloß und navigierten es zum Hotel. Ich saß hinten drin, stolz wie ein Pascha und genoß die wenigen Meter, die ich auf unserer Fahrt in einem Wagen verbringen sollte. So ein Ungetüm, aber doch recht gemütlich. Schon wenige Zeit später reihte sich auf dem Parkplatz des Hotels „Crowne Plaza“ Wohnmobil an Wohnmobil, Van an Van. Die meisten Teilnehmer hatten auf Mietautos zurückgegriffen, die Ausstattung war je nach Börse ausgefallen. Dabei gab es Autos mit so perfekten Ausstattungen, daß man nur staunen konnte. Schließlich war fast der gesamte Parkplatz von Betreuer Fahrzeugen vollgestellt, der Start rückte näher und näher. Zu diesem Zeitpunkt klinkte ich mich immer mehr von den Vorbereitungen aus. Ich suchte meine eigene innere Ruhe, versuchte mein Selbstbewußtsein aufrechtzuerhalten angesichts dessen was da auf mich zukommen sollte. Im Vertrauen auf die Arbeit meines Teams, trainierte ich täglich lockere zwei Stunden. Den Rest der Zeit aß und schlief ich, genoß den Tag und träumte davon, wie es wohl
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sein würde unterwegs zu sein. Da ich mich bestmöglich akklimatisieren wollte, verzichtete ich auf die Klimaanlage - sofern das möglich war ohne zu ersticken, denn die Fenster im Hotel waren nicht zu öffnen. Auf eine extra Fahrt in die Wüste verzichtete ich aber doch, denn was hätte ich dort schon sehen sollen? so dachte ich bei mir und blieb im Hotel... ach hätte ich mich aufgerafft dorthin zu fahren! Wer weiß wie dann alles gekommen wäre. Der 21. Juli war der Athletenvorstellung gewidmet. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und nachdem unsere Autos und Räder auf die Race-internen Regeln, Beleuchtung, Versicherung, Reflektoren etc. hin überprüft waren, wurden alle Teilnehmer in den gediegenen Hotelsaal gebeten. Da reihte sich nun alles auf was Rang und Namen hatte oder solchen noch erwerben wollte. All jene, deren Traum es ist quer durch Amerika zu fahren. Von Rob Kish, der dieses Jahr zum 14. Mal (!!!) startet, über Wolfgang Fasching, dem Österreicher, der auch schon vier mal das Rennen beenden konnte bis zu Jürgen Schmidt, einem weiteren deutschen Teilnehmer, der aus Bad Oeynhausen stammt. Jürgen war 1997 schon einmal am Start gewesen, mußte aber mit massiven Darmproblemen, die er sich infolge einer medikamentösen Infektbehandlung zuzog, nach fast dreitausend Kilometern aufgeben. Dabei hatte er schon den europäischen Konkurrenten des RAAMs, das Race Across Europe - vom Nordkap nach Gibraltar - als zweiter Gesamtsieger beenden können. Jetzt, im Alter von 51 Jahren, wollte er es erneut versuchen. Auch Herbert Mensweger, ein weiterer Österreicher, war nach seinem Ausscheiden von 1990 wieder an den Start zurückgekehrt. Danny Chew aus Pittsburgh und Gerry Tatrai aus Australien waren mit dabei, beide hatten das RAAM schon einige Male bestritten und auf vorderen Plätzen beendet. Ich selbst war sehr beeindruckt von all diesen Klassefahrern, doch glaubte ich zu wissen, daß das Rennen mit dem Kopf gefahren wird. Folglich kümmerte ich mich hauptsächlich um meinen eigenen und hatte damit auch mehr als genug zu tun. Das erschien mir sinnvoller, als mich mit der vermeintlichen Stärke meiner Gegner zu demoralisieren. Denn damit hatte ich schon genügend Rennen im Triathlon verloren. Gerade im High-Tech-Radbereich der Triathleten ist es schwer, immer einen klaren Kopf für das Wesentliche zu bewahren. Selbst in Hobby-Startfeldern sind Räder mit Werten weit über 5.000,- DM keine Seltenheit. Man versucht sich gegenseitig etwas vorzumachen, nur das neueste Material zählt. Doch mit den Jahren der Erfahrung kam auch hier das Wissen, daß Material nicht alles ist und allein der Druck auf die Pedale entscheidet. Dagegen sind Attribute wie Zuverlässigkeit und Sitzposition dagegen sind sehr viel höher zu bewerten. Und natürlich die Anzahl der gefahrenen Kilometer. Schließlich, was hatte ich zu verlieren? Mein Ziel war einfach und klar definiert: Ich wollte das RAAM fahren. Bis nach Savannah. Alles andere lag in weiter Ferne, von einem Vergleich mit Wolfgang oder Danny konnte hier keine Rede sein. Das hatte ich mir selbst
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immer wieder eingetrichtert, wenn mich allzu brennender Ehrgeiz während des Trainings überkam. Ich wollte mir von Anfang an über meine Ziel im Klaren sein. Denn eine ständige, dem Rennverlauf entsprechende Zielkorrektur nach unten oder oben fand ich nicht unbedingt angenehm. Jede Korrektur konnte sich auf die Motivation auswirken. Deshalb wollte ich lieber gleich die Meßlatte etwas niedriger anlegen als während des Rennens dann auch noch mit dem großen Frust zu tun zu haben. Aber trotz aller guten Vorsätze war es am Abend vor dem Start fast vorbei mit meiner Selbstdisziplin. Zum Vorstart-Dinner sollte der Film des letztjährigen Rennens gezeigt werden. Bisher hatte ich nur Kurzberichte über deutsche Fahrer gesehen. Mit deutschem Blickwinkel. Hier nun war die amerikanische Perspektive. Unglaublich. Das Leiden kam heraus. All das gesammelte Wissen über die Strapaze einer solchen Strecke. Da Michael Shermer selbst kommentierte, gab es da noch einiges zu erfahren. Der Blick auf die große Leinwand machte das ganze noch unwahrscheinlicher. Hier sah schon alles so riesig aus, wie sollte dann erst die Realität werden? Selbst ich, der ich doch morgen an den Start eben dieses Rennens gehen sollte, zweifelte. Zweifelte stark an mir. Würde ich, Udo Bickenbach, wirklich aus diesem Holz geschnitzt sein etwas derart Unmögliches zu bewältigen? Hatte ich genügend Kilometer in den Beinen, die richtige Einstellung? Wie würde ich mit der Crew klarkommen und wie auf sie reagieren? Und sie auf mich? Lauter Fragen jagten mir durch den Kopf. Es waren 5000 km, die da auf mich zukamen. 5000 km. 5000, 5000, fünftausend! Zum ersten Mal wurde mir richtig bewußt, was das bedeutete. Unermeßlich viel Raum. Eigentlich jenseits der Vorstellungskraft. Morgen? Ich? Nach dem Film verließ ich schleunigst die Gesellschaft, um auf meinem Zimmer wieder zur Ruhe zu kommen, mir meiner selbst bewußt zu werden. Ich war plötzlich sehr nervös und aufgeregt. Mir erschien die erforderliche Leistung und das Rennen in einem ganz anderen Blickwinkel. Fand es unglaublich, daß Gerry Tatrai gegen Ende des letztjährigen RAAMs noch ein internes Rennen mit den Fahrern der Staffel ausfuhr, die er nicht passieren lassen wollte. Dabei konnten diese sich abwechseln und waren ganze zwei Tage später gestartet! Im Zimmer sitzend schaute ich mein Fahrrad an, schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme. Dann schaltete ich ihn wieder aus, ging duschen. Meine Aufregung hatte sich noch immer nicht gelegt, doch jetzt kam endlich wieder etwas konkretes: Eine Massage sollte dabei helfen die Beine zu lockern und mir wieder etwas Selbstvertrauen einzuflößen. Ich würde es schaffen. Ich würde mit dem Rad nach Savannah fahren, komme was da wolle. This is the day - your live will surely change This is the day - when things fall into place`s The The, Soul Mining
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Der Start. Pünktlich um sieben Uhr klopfte es an der Tür. Der entscheidende Morgen war gekommen! Es war der 22.7.1999. Der Starttag des „Race Across America“. War es wirklich soweit? War das halbe Jahr der Vorbereitung zu Ende? Sollte jetzt der wirkliche Traum beginnen? Meine Meditationsarbeit hatte sich schon jetzt ausgezahlt. Friedlich hatte ich die letzten neun Stunden geschlafen. Ideale Ausgangsvoraussetzung für die nächsten Tage, an denen es fast keinen Schlaf geben sollte. Zum Frühstück aß ich, wie immer, Müsli und eine Tasse entkoffeinierten Kaffee. Wenn auch die Portion deutlich geringer war als üblich. Seit ein bis zwei Monaten hatte ich nun nichts Koffeinhaltiges mehr getrunken - ich würde die aufputschende Wirkung während des Rennens noch genügend brauchen. Im Anschluß daran eine auflockernde Massage, Kleidung anlegen. Warten. Ich legte mich ein letztes Mal aufs Bett. Sanne und die anderen waren in reger Betriebsamkeit dabei, die letzten Kleinigkeiten zu verstauen. Ich war allein. Mein Blick schweifte durch den Raum, hielt die Einzelheiten fest, die Decke über mir, die Wände mit den bewußt unauffälligen Bildern, der Schrank mit dem Fernseher, der Schreibtisch. Vor dem großen Fenster rechts von mir steht mein Rad. Ich schaue es mir noch einmal genau an. Dieses Gerät, mit dem ich die nächsten Tage verbringen werde. Der grüne Aluminiumrahmen ist ausnahmsweise sauber, ein bequemer Ledersattel wartet in der exakt richtigen Position. Noch vorhin habe ich die Schaltung überprüft, zum zigsten Mal. Die Kette gefettet, den richtigen Gang eingelegt. Am Unterrohr, direkt über dem Tretlager: zwei RAAM-Aufkleber. Meine eigene Motivation. Das Oberrohr ist mit zwei, drei Sponsoren-Etiketten versehen. Mitten drauf prankte ein einfacher Schriftzug: Race Across America. Irgendwo hatte ich davon gelesen, daß ein äußerst müder Fahrer nur schwer zu motivieren ist, daß er nicht mehr weiß, warum er hier ist. Das alles wollte ich jeden Moment vor Augen haben. Du bist beim Race Across America. Ich stand auf, schnappte mir das Rad und verließ das Zimmer. Es wurde Zeit zum Wohnwagen zu gehen. Ich versuchte meine aufkommende Aufregung hinter einer steinernden Gesichtsmimik und kurzen, knappen Aussagen zu verbergen. Natürlich hatte ich schon die Sonnenbrille aufgesetzt, auch wenn ich die im Fahrstuhl am allerwenigsten brauchte. Leute, die ich im Hotel traf, wünschten mir spontan Glück. Ich konnte es gebrauchen! Gleich sollte es losgehen! Wieder ging ich meine Checkliste durch: Ist das Rad aufgepumpt? Sind auch wirklich die Spinergy Laufräder, die Sanne mir geschenkt hatte, an dem Rad.? Trinkflaschen aufgefüllt, Rechnungen beglichen? „Vergiß es Junge. Dafür ist dein Team dabei, konzentriere du dich aufs Fahren.“ Wie sagte schon Klaus Haetzel, der zweite deutsche RAAM-Fahrer, der sein Rennen schon 1994 bestritt bei unserem Telefonat: „Hab Vertrauen in dein Team. Die tun alles für dich und passen schon auf.“
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8:30 Uhr: Bei strahlendem Sonnenschein stakste ich auf meinen Radschuhen hinunter zum Wohnwagen in dem meine Crew aufgeregt herumwirtschaftete. Noch am Vorabend waren sie mit dem Wagen unterwegs gewesen, um sich an das Lesen des Route Books, welches die Gesamtstrecke Meter für Meter genau wiedergibt, zu gewöhnen. Ich saß mehr oder weniger versteinert da. Wurde ich irgendwas gefragt, gab ich nur eine einsilbige Antwort. Alleine. Aufgeregt. Ich sehnte mich danach, endlich auf meiner Maschine zu sitzen und loszulegen. Das pulverbeschichtete Aluminiumrad lehnte noch unberührt vor dem Wagen. 8:50 Uhr: Die Athleten standen vor dem Sponsorenschild. Wir alle wurden der Reihe nach noch einmal vorgestellt. Die meisten versteckten sich schon jetzt hinter ihren verspiegelten Sonnenbrillen, die wenigsten wünschten sich untereinander Glück. Eine seltsame Atmosphäre und ein seltsames Gefühl war es, hier zu stehen. Und doch hatte ich solange darauf gewartet, hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie denn der Start ablaufen würde. Trotzdem schien unsere kleine Gruppe eher ein ruhender Pol zu sein: die Unruhe kam von außerhalb. Die Nervosität wurde von den Crews herangetragen, die um uns herumliefen, dem jeweiligen Athleten noch einmal Glück wünschten, auf die Schulter klopfen, schnell noch ein Foto machten. Halt - die Video-Kamera brauchte auch noch ein paar Bilder. Ein, zwei Kamerateams stellten sich vor mich und filmten die anderen. Na ja. Allen voran galt das Interesse denen, die das RAAM schon einmal gewinnen konnten und dem außergewöhnlichem Team „Secure Horizons“. Alle vier Teilnehmer, zwei Frauen und zwei Männer, waren über 65 Jahre alt! Der älteste Teilnehmer, Jewett Pattee hatte sogar schon 75 Lenze gesehen! Und er nahm seit 1995 regelmäßig als Staffelteilnehmer am RAAM teil. Was, um Himmels willen, hatte dieser Mann wohl erst in seiner Jugend angestellt? Dann endlich, endlich war es soweit. Kein Startschuß gab uns den ersehnten Adrenalin-Kick, nur zwei Worte: Riders go. ‚Race director‘ Michael Shermer hatte uns auf die Reise geschickt. Gemächlich, wie einer der ewig langen Transkontinental Güterzüge, ging ein Ruck durch das Feld. Noch hatte es keiner von uns eilig, das Rennen war noch weit von allen Entscheidungspunkten entfernt. Und doch spürte man deutlich, daß sich hier nicht nur ein paar Verrückte zum Kaffeeklatsch auf zwei Rädern getroffen hatten. Die erste Zeitstation galt noch als Mittelpunkt, sozusagen zum Warmfahren. Bis dorthin konnte man Windschatten fahren, mit den anderen Fahrern Erfahrungen austauschen oder mit den Radsport-Anhängern von Los Angeles plaudern, die sich in recht großer Anzahl beim Start eingefunden hatten, um uns ein Geleit aus der verkehrsreichen Millionenstadt zu geben. Langsam rollte ich mit, ich fühlte nichts. Kein Triumph, kein unbändiger Jubel. Noch nicht einmal das Bewußtsein, daß es jetzt endlich soweit war, daß ich unterwegs war, nicht
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die Klarheit, daß vor mir schier endlos lange 5000 km lagen. Nur schiere Ungläubigkeit ob der Realität dieser Dinge erfüllte mich. Völlig unwirklich wollte mir das alles erscheinen. Auch keine Aufregung wallte in mir auf. Aber etwas war passiert. Ich war ruhiger. So, als wäre nunmehr das letztes Puzzlestück in die dafür vorgesehene Lücke gefallen. Etwas endgültiges war in meinem Leben passiert. Viel wichtiger als der Schulabschluß, die Ausbildung oder die eigene Wohnung. Ich fühlte mich als Teil von dem Rennen. Es gab keinen Aufschub, kein zurück. Ich war eingegangen in dieses riesige Land, atmete die Luft, schöpfte Energie aus der Straße, aus der Landschaft. Nicht besiegen wollte ich die Strecke, nicht meinen Willen behaupten, sondern Teil des Ganzen sein, für kurze Augenblicke eins mit dem Universum. Bemüht fuhr ich im Windschatten der anderen um Kräfte zu sparen solange es noch möglich war. Hier endlich traf ich Jürgen, ein Hüne von Gestalt, der trotz seines Alters wirklich gut auf dem Rad saß. Er hatte die Zeit vor dem Rennen genutzt, um sich in der Wüste zu akklimatisieren. Das Gespräch steigerte wieder mein angekratztes Selbstvertrauen. So verschlossen die anderen Fahrer auch waren - bisher hatte ich nur mit zweien reden können – nun empfand ich es fast als erholsam, sich über das Rennen auszutauschen, den Erfahrungen, die Jürgen bei seinem ersten Race gemacht hatte, zu lauschen. Schon vor der ersten Zeitstation mußte ich das erste Mal meine Blas entleeren. Der Trinkrucksack auf meinem Rücken war mit Elektrolytflüssigkeit gefüllt. Aus Angst bei der hohen Temperatur und der permanenten Aktivität zu dehydrieren, zu wenig Flüssigkeit im Körper zu haben, trank ich immer wieder. Doch das treibt. Egal- wer weiß wie heiß es in der Wüste sein würde und ob ich dann noch Lust hätte überhaupt etwas zu trinken. Langsam, einer nach dem anderen, verabschiedeten sich die uns begleitenden Tourenradfahrer. Das Feld verdichtete sich, reduziert auf die RAAM-Fahrer wird es deutlich schneller. Bin ich hier auch wirklich im richtigen Film oder ist das vielleicht doch ein Sprintrennen? Dann die Abzweigung zu einem Park, unsere Vans standen mitsamt den Mannschaften in Reih und Glied parat. Sie versuchten ihre Fahrer zu erspähen und zu sich zu lotsen. Die ersten Darreichungen erfolgten, neue Flaschen, ein Müsliriegel, vor allem Sonnenmilch und ein Baumwollüberzug für die Unterarme, denn weit konnte es nicht mehr sein bis zur glühenden Hitze. Hier, in dem schattigen Grün des Parks, war es mir noch nicht klar, wie es ist, wenn die Sonne richtig auf den Asphalt brennt. Die Sandhügel sprachen jedoch eine andere Sprache. Schon in dieser Gegend Kaliforniens fällt sehr wenig Niederschlag. Relativ lang kam mir die Zeit vor, die wir hier rasteten. In der Regel dient eine Zeitstation eigentlich nur dazu, daß ein Betreuer die Ankunftszeit des Fahrers telefonisch an das Hauptquartier weitergibt. Dort wird das Ganze dann zu Protokoll gebracht. Fehlt eine Meldung oder wurde die Zeit eines Fahrers plötzlich sehr schnell, so schaute man genauer hin und im Zweifelsfall gibt es Strafzeiten. Tagsüber konnte – wenn die Streckenführung es zuließ –
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der Fahrer während der Meldung weiterfahren, nur nachts war er gezwungen anzuhalten und kurz auf den Begleitwagen zu warten. Hier bei der ersten der 63 Zeitstationen , die jeweils 50 bis 90 km auseinander lagen, war die Atmosphäre noch entspannt. Einige Athleten saßen in Camping Stühlen, ließen die Beine baumeln. Ich hockte noch mit halbem Körpergewicht auf dem Rad, hatte wohl Angst, daß die anderen ohne mich weiter fahren könnten. Vielleicht wollte ich, jetzt da es angefangen hatte, auch einfach nur weiter. Bald ging es wieder los, in das welliger werdende Gelände, noch gut gekühlt von dem Meereswind. Die Hügel um uns herum werden schon die Ausläufer der „Santa Monica Mountains“ gewesen sein, die sich immerhin bis auf eine Höhe von 598 Meter über dem Meeresspiegel auftürmen. Und daß, obwohl wir quasi gerade erst von der Meereshöhe aus gestartet waren. An einer Unterführung ging es entlang, sogar auf einem Radweg. Am Ende des Weges angekommen, wurden wir wieder angehalten. Die letzten Radfahrer blieben zurück. Wir waren allein. Zum letzten Mal hörten wir das uns schon vertraute „Riders go“. Diesmal galt es wirklich! Auch die letzten Annehmlichkeiten waren jetzt vorbei. Ab jetzt war das Windschattenfahren verboten. Als wäre das hier tatsächlich eine Sprint-Veranstaltung flog das Fahrerfeld mit unglaublicher Geschwindigkeit auseinander. Versuchshalber gab ich etwas Gas. Bei Puls 150 hörte ich aber schnell wieder auf damit. Wozu sonst hatte mir Peter eingebleut bloß nicht zu früh mein Pulver zu verschießen. Trotz des (für Ultra-Langstrecken) eigentlich hohen Pulses konnte ich keine Annäherung an die vor mir liegenden Fahrer feststellen. Das konnte nur heißen, daß die vorne noch ganz andere Pulswerte in Kauf nahmen. Ich war jedoch der festen Überzeugung, daß ich die anderen noch früh genug wiedersehen würde, spätestens dann, wenn sie ihren Einbruch aufgrund des hohen Anfangstempos bekämen. Ja, wenn. Schon nach den ersten Hügeln war von den meisten anderen Fahrern nichts mehr zu sehen. Und doch, wieviele Geschichten hatte ich gehört: vom ersten deutschen RAAMFahrer Hubert Schwarz, der in seinen Berichten immer wieder beschrieb, daß er das Rennen zu schnell angegangen war - und dafür innerhalb von 24 Stunden die Quittung zahlen mußte. Anderen ging es ebenso. Unter dem Eifer litt dann bei einigen Fahrern die meist sorgfältig abgestimmte Ernährung. Die Folgen waren Schwächeanfälle, frühe Schlafpausen und Durchfälle. Für einige endete so das Rennen recht früh, andere brachten genügend Kraft auf, um sich davon zu erholen und fuhren weiter. Etwas enttäuscht aufgrund der hohen Geschwindigkeit der anderen Teilnehmer, fuhr ich weiter. Peinlich genau achtete ich darauf, mich an alle Verkehrsregeln zu halten. Bei Mißachtung würde mir eine Strafzeit drohen und die wollte ich auf jeden Fall umgehen. Gerade in der Anfangsphase, wo das Feld noch relativ dicht beieinander lag, mußte man immer damit rechnen, einem offiziellen Beobachter zu begegnen. Die Hügel wurden steiler, die Gegend war aber weiterhin relativ dicht besiedelt. Auf einer Bergkuppe hatten wir Aussicht auf einen
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wunderbar blauen See, der inmitten von Sandbergen gelegen war. Menschenleer. Oben auf der Kuppe angekommen, setzte der für diese Gegend berüchtigte Rückenwind ein. Wie das lief. Locker und leicht konnte ich die höchste Übersetzung, den schwersten Gang (d.h. möglichst viele Meter mit nur einer Pedalumdrehung), den ich überhaupt nur dabei hatte, treten und dabei noch nach mehr lechzen. Der schwerste Gang, 53/11 lief als wäre das nichts! Ich wurde regelrecht übermütig ob dieses neuen Fahrgefühls. Doch vom Begleitvan her bremste eine neue Information meinen Fahrrausch. Bald würde es auf den Freeway gehen, quasi die amerikanische Autobahn, die die nächsten Kilometer bildbestimmend sein sollte. Kurz vor der Auffahrt sahen wir dann unzählige Groß-Wind-Anlagen. Unzählige dieser der Energiegewinnung gewidmeten Windräder standen in der ansonsten kargen Landschaft. Auf riesigen Standbeinen stehend, reckten sich die propellerartigen Flügel in den heißen Wind. Dicht gedrängt erfüllten sie das ganze Tal, erkletterten die umliegenden Hügel. Ein beeindruckender Anblick. Es mußten mehr als 1000 sein, die hier standen. Hinzu kam das Wissen aus den Büchern: irgendwo mußte nun der Eingang zur Wüste folgen. Um eine weitere Kurve fuhr ich, der Straße folgend, dann schlug mir auch schon die Hitze entgegen, als hätte ich ein unsichtbares Tor durchfahren. Unglaublich. Die sengende Hitze eines Backofens, nein, eher eines Hochofens war das. Schlagartig hörte alles andere auf zu existieren. Daß ich schwitzte, merkte ich nicht mehr. Ich war Teil der Hitze geworden, absolut trocken, fast dörr. Alles um mich herum, daß ich wie aus einer anderen Person heraus wahrnahm, verblaßte ob dieser Erkenntnis, daß ich hier inmitten der Wüste, als Wesen Bestandteil des Ganzen geworden war. Es gab nunmehr nur noch das Treten und die Hitze. Sich nicht feindlich gegenüberstehend, sondern sich natürlich ergänzend, absolut zusammengehörig. Dabei ging es weiter. Ständig trank ich jetzt. Die Angst war immens, der Respekt vor der Naturgewalt, die sich hier offenbarte so groß, wie diese selbst. Um mich herum waren all diese Urviecher Amerikas. Riesige Trucks die, zusätzlich zur Sonne, auch noch ihre Hitze nach außen abstrahlen. Doch wir leben in friedlicher Koexistenz. Etwas, dass in Deutschland unmöglich wäre, mitten auf der Autobahn zu fahren, stellte hier kein Problem dar. Im Gegenteil. Die meisten Fahrzeuge wichen auf die linke Außenspur aus, obwohl wir schon von uns aus möglichst rechts auf dem Seitenstreifen fuhren. Einige hupten anfeuernd - und waren wieder auf ihrem eigenen Weg. Als der Berg kam, war ich überrascht. Nein, das konnte doch nicht sein. Eine regelrechte Wand tat sich vor mir auf, ihr Ende nicht sichtbar, verdeckt von einer Kurve. Es war warm, so unglaublich heiß. In suchte meinem eigenen Rhythmus. Treten, trinken, treten. Umdrehung für Umdrehung. Immer weiter und doch hörte der Berg nicht auf. Die Truck-Motoren heulten in den niedrigen Gängen. Da endlich war die Kurve erreicht. Doch dahinter ging es weiter hinauf, die Spitze war noch nicht erreicht. Mindestens das doppelte des bisher zurückgelegten Weges lag noch vor mir. Einige weitere Pedalumdrehungen folgten, dann mußte ich
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stehen bleiben. Ich hatte das Gefühl, daß ich verdunsten müßte, wenn ich nicht sofort mit Wasser meinen Kopf kühlen würde. Zerplatzen, mich auflösen ins Nichts. Sofort war der Van herangefahren. Wasser. Dieses kühle Naß. Oh, wie war das angenehm, gleich noch etwas hinterher. O.K. jetzt konnte ich wieder loslegen. Langsam fuhr ich an. Bewußt schaute ich nicht mehr nach oben. Wollte gar nicht mehr wissen, wie lang der Berg noch war. Der hörte sowieso nicht auf. Dafür winkte ich meine Helfer immer öfter heran. Sie sollten mich „duschen“, mir Wasser über den Kopf schütten. Meine eigene Klimaanlage schien bei diesen Temperaturen restlos überfordert. Ein Gefühl für die Zeit hatte ich nicht mehr. Ich wußte nicht mehr, wie lange ich schon an diesem Berg fuhr, hatte vergessen wann er angefangen hatte, wann und ob er wieder aufhören würde. Es war auch irrelevant. Es gab nur den Berg und mich. Wir waren eins. Irgendwann war ich oben. Vor mir erstreckte sich eine lange Straße, sich langsam durch die Wüstenlandschaft schlängelnd. Wo war die Abfahrt?? Schließt nicht an jeden Anstieg eine Abfahrt an? Anscheinend nicht. Der kühlende Fahrtwind entfiel. Noch spürte ich keine Schmerzen in den Beinen, auch die Hände und Arme waren in Ordnung. Jetzt war etwas Zeit zu reden, die erste wirkliche Probe war bestanden. Peter sagte mir, daß wir gerade 45 °C - 50 °C Außentemperatur hatten, eine Temperatur, wie ich sie nirgends vorher erlebt hatte. Na dann. Mir wurde derweil etwas anderes klar. Man sagt, eine Katze habe, laut Sage, sieben Leben. Wenn es bei mir genauso wäre, hätte mich dieser Berg mit Sicherheit eines davon gekostet. Geröstet bei lebendigem Leibe. Ilona berichtete mir später noch von einer anderen Aussage, die ich während der Fahrt von mir gegeben habe: „Wenn ich jemals Präsident der USA werde, werde ich diesen Berg untertunneln.“ Schade, daß die meisten Amerikaner nichts davon wissen, ich hätte bestimmt gute Chancen... Übrigens Chiriaco Summit heißt dieses Scheusal von einem Berg. Langsam sank die Sonne, die Landschaft tauchte in rötliches Licht, die Sandberge schimmerten, ja erstrahlen förmlich in einem eigenen Licht. Die Konturen der Sandberge hoben sich kraß von dem blau des Himmels ab. Wunderschön. Mir bescherte dieser Anblick Ruhe und ich verstand, warum manche Menschen von der Wüste so begeistert sind. Ihr obliegt eine ganz eigene Faszination. Als es langsam dunkel wurde, rüsteten wir uns für die Nachtfahrt: Der Van hinter mir schaltete die auf dem Dach montierten Scheinwerfer ein, ich selbst befestigte kleine, batteriebetriebene Lampen an meinem Rad. Auch ein anderes Trikot wollte ich tragen. Da es gewöhnlich nachts kühler wird, nahm ich ein langärmliges Trikot. Doch oh weh. Nicht die kleinste Abkühlung kam mit der Abendluft. Immer noch mußte der Körper die Temperatur hinunterkühlen: die ganze Nacht lang sollte es nicht kühler als 37 °C werden! Unvorstellbar. So brauchte ich dann auch nachts die rettende Abkühlung aus dem Begleitwagen. Wo mein
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Team während der Nacht immer die Wasservorräte hernahm? Das wissen nur sie, nur allzu spärlich war die Besiedlung, Tankstellen Mangelware. Irgendwann teilte uns dann ein einsames, buntes Schild mit, daß wir ab jetzt auf den Straßen Arizonas unterwegs sein würden. Der erste Bundesstaat war durchquert. Eine Hörspielkassette, die meine Freundin Sanne noch in Deutschland gekauft hatte, bekam nachts um 2:30 Uhr einen ganz eigenen Reiz. Sie half mir, mich auf die Stimmen der Sprecher zu konzentrieren und so nicht auf die Müdigkeit einzugehen, die mir mein Körperbewußtsein eingab. Da störte auch der erste Plattfuß nicht. Immer weiter ging es durch die Nacht, fort von der heißen Glut der Wüste. Als der Morgen kam, war ich dann aber doch recht müde - nicht nur die Hitze forderte ihren Tribut. Mit Peter beschloß ich, daß eine Ruhepause möglich sei. Ungefähr eineinhalb Stunden durfte ich schlafen – dabei verschlief ich leider meinen ersten Sonnenaufgang dieser Tour. Kaum im Wohnwagen, legte ich mich direkt zum Schlafen nieder. Dort wurde ich von Petra, meiner Physiotherapeutin aus St. Pölten, gewaschen, massiert und konnte währenddessen schon die Augen schließen und fast sofort einschlafen. Gut erholt, wachte ich nach der angegebenen Zeit von selbst wieder auf. Mein Biorhythmus hatte sich ganz auf das RAAM eingestellt. Nach einem kurzen Frühstück fuhr ich weiter den Highway entlang. Die geringfügige Abkühlung, die die Nacht gebracht hatte, wurde schnell von der höher steigenden Sonne zunichte gemacht. Einsame Highways waren unser Weg, selten, daß man etwas wirklich Grünes sah. Kakteen, ein paar Grasbüschel, sonst nichts. Da wir immer noch in Arizona waren, mußten wir das Leap Froging System anwenden. Das heißt, daß mich der Wagen nie direkt verfolgen durfte. Statt dessen fuhr er vor, wartete am Straßenrand auf mich und jemand gab mir aus dem Stand zu trinken oder zu essen, nur um mich wenig später erneut zu überholen und wieder zu warten. Und so weiter und so fort würde es gehen, quer durch den ganzen Staat. Dieses System war für uns zumindest gewöhnungsbedürftig. Von der Musik kam bei mir nicht allzuviel an, da unsere Musikanlage nicht so fürchterlich laut war, aber was sollte es. Die Landschaft bot genügend Reize. Mein Team hatte seinen Spaß bei den ständigen Überholvorgängen, denn so konnten sie sich zumindest etwas bewegen, kurze Zeit neben meinem Rad herlaufen, etwas herumalbern. Michael Shermer, der Race Director, erzählte uns am Start den Grund dieser Ausnahmeregelung, da ansonsten, in allen anderen Bundesstaaten die das RAAM durchquerte, direkt hinter dem Fahrer gefahren werden durfte. Und zwar hatte seinerzeit ein einziger Protestbrief an den Gouverneur dafür gesorgt, daß diese potentielle Staugefahr direkt im Keim erstickt wurde. Und das auf Straßen, die so menschenleer waren, daß man regelrecht froh sein konnte, wenn ein Auto überholte - das verdeutlichte einem zumindest, daß es weiterging. Schließlich
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wurden die Straßen extra auf die Kriterien guter Befahrbarkeit und wenig Verkehr hin überprüft. Denn die Erstellung eines Route Books war mit erheblichem Aufwand verbunden. So mußte nach dem groben Blick auf die Karte mit Anwohnern telefoniert werden, ob die Strecke zu gebrauchen sei, dann galt es natürlich die erforderlichen Genehmigung einzuholen und schließlich blieb noch die Abfahrt eines jeden Meters. Erst dann erfolgte die genaue, für das Rennen gültige Dokumentation. Alles, um uns eine möglichst gute Navigation quer durch die USA zu ermöglichen. Und tatsächlich. An für sich hätten wir keine einzige Straßenkarte benötigt. Das genaue Lesen des Buches hat uns, auch als Orts- und Landesunkundige, exakt geführt. Zwei, drei Anstiege waren auf dem nun folgenden Streckenabschnitt zu bewältigen. Bei der Hitze, die nun wieder herrschte, war es nicht leicht einzuschätzen, wie steil die Berge denn jetzt wirklich waren, aber hoch ging es, immer weiter. Aus der Erfahrung des Vortages schlau geworden, ließ ich es bewußt ruhig angehen, trank viel und konzentrierte mich darauf, einen möglichst niedrigen Puls beizubehalten. Die letzten Meter dieser Anfahrt lief Lisi, die als Ärztin für meine medizinische Versorgung verantwortlich war, neben mir her, dann endlich war es geschafft. Jetzt gab es etwas Richtiges zu trinken. Zumindest meiner Meinung nach. Die ganze Zeit über bekam ich nur Getränke mit irgendwelchen Beisätzen. Zwar waren sie gut gekühlt, und durchaus trinkbar, doch ohne Kohlensäure. Demnach nicht unbedingt immer erfrischend. Wer einmal ein Elektrolyt Getränk zusätzlich mit einer Portion Kalium versehen und ausgetrunken hat, wird wissen, was ich meine. Aber: hier nun endlich bekam ich eine Flasche Sprite. Pur. Was für ein Erlebnis, wenn das süße, klebrige Naß die Kehle herunterrinnt! Und auch noch eisgekühlt. So muß sich ein Kamel an der Oase fühlen! Ich wollte gar nicht aufhören zu trinken. Außerdem kam noch hinzu, daß sich dem Auge nach der Einsamkeit und der Trostlosigkeit der Hitzelandschaft jetzt neue Reize boten. Es gab hoch gewachsene Bäume, Sträucher und Wiesen zu sehen. Das war fast genauso erfrischend und aufmunternd wie das Getränk. Sozusagen Labsal für die Seele. Einfach nur zu sehen, daß es hier Leben gab, wir wieder ein gutes Stück Weg zurückgelegt hatten. Aber ich war nicht der Einzige, der froh war, der Wüste entronnen zu sein. Arizona hatte auch einen Teil meines Teams in Mitleidenschaft gezogen. Die Angst vor Schlangen war so ausgeprägt, daß sich einige nicht zum Wasserlassen in die Wüste trauten. Statt dessen hielten sie bis zur nächsten Tankstelle ein – denn die war, wenn schon nicht sauber, so doch wenigstens schlangensicher. Nur um dann zurückzukommen und am Armaturenbrett des Wagens die angesteckte Postkarte einer Schlange zu finden, die irgendein Spaßvogel dort befestigt hatte! Im Nachhinein gesehen, fingen hier schon ein paar von den vermeintlichen Fehlern an. Unterhalb des Berges hatte ich die Schuhe gewechselt, oben dann auch noch angehalten um
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zu trinken. Kurze Zeit später ließ ich mich massieren, lehnte mich zurück in den klimatisierten Wagen, schaute mir die Gegend an, war froh hier zu sein, überhaupt zu sein. Nur muß man berücksichtigen: Jeder Stop kostet Zeit! Zum urinieren, oder besser, „Wasserlassen“ denn der Urin war kaum noch konzentriert - hielt ich eh schon oft genug an. Jetzt kamen zusätzlich noch diese anderen Stops hinzu. So wenig es auch sein mochten. Die Zeit summierte sich, und das war im Hinblick auf die Gesamtdauer des Rennens nicht zu unterschätzen. Sekunden sammeln sich zu Minuten an. Daraus werden leicht zehn Minuten und dann sind es auch schon ganz schnell Stunden, die verrinnen, ohne daß man auch nur einen Meter zurückgelegt hat. Ob frisches Trikot oder nicht ist am Ende völlig egal. Wichtig ist nur, daß es weiter geht. Stinken oder nicht - wen interessiert es! Außer zum schlafen sollte man sich bestenfalls nur auf dem Rad aufhalten. Jeder Meter zählt, wie hoch oder niedrig das Tempo auch immer sein mag: Doch wie genußreich sind die Minuten, in denen man im Wohnmobil sitzt, die Truppe um einen herum. Eine derartige Geborgenheit und Sympathie habe ich bisher selten gespürt. Zumal ich mich hier, müde wie ich war, etwas hängen ließ. Regelrecht losreißen mußte ich mich von meinen Betreuern und erst auf dem Rad ging es mir wieder zunehmend besser. Die Fahrt war auch in dieser Gegend noch relativ schwierig, es war eine bergige Landschaft und gute Wegstrecken waren auf dem Highway selten. Wir befanden uns auf dem Weg Richtung Williams/Flagstaff. Eine herrliche Gegend. Wir waren dort nur drei Meilen vom Grand Canyon entfernt und doch habe ich ihn nie zu Gesicht bekommen. Ich konnte mir noch nicht einmal vorstellen, daß er hier direkt um die Ecke sein sollte. So unterschiedlich war die Landschaft. Auf Bildern hatte ich den Canyon immer als sehr staubig und trocken gesehen. Im Gegensatz dazu fuhren wir hier in dichten, bergigen Nadelwäldern spazieren. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, wo ich mein Team zum erstenmal bat, mir ein 39er Kettenblatt zu organisieren. Hiermit wäre mir ein leichteres, flüssigeres Bergauftreten möglich gewesen. Nach meinen Gesprächen in Deutschland hatte ich doch einen etwas anderen Eindruck von den amerikanischen Bergen gewonnen. Da hieß es, für uns Europäer würden sie kein Problem darstellen, wir wären von den Alpen ja doch etwas anderes gewohnt. - Na ja. Im Moment sah ich die Sache etwas anders. Oder war ich vielleicht nur nicht genügend in den Alpen gefahren? So fuhr ich dann einfältig mit einer 42/23 Übersetzung - die in der Eifel alle Male ausreichend ist - nach Amerika. Vor Sonnenuntergang durfte ich an einer Tankstelle in Williams eine weitere Schlafpause einlegen. Mein halbes Team war derweil damit beschäftigt, so schnell wie möglich nach Flagstaff, der nächst größeren Stadt, zu fahren einen geöffneten Radladen zu finden, und mir ein 39er Kettenblatt zu besorgen. Obwohl sie den ganzen Ort durchkämmten und den ortsansässigen Bike-Freaks von einer Bar in die andere folgten, konnten sie keines auftreiben, doch immerhin das Verspre-
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chen eines Ladenbesitzers erhalten, daß, wenn er bis zum nächsten Tag keines gefunden haben sollte, er kurzerhand eines von seinen Neurädern abschrauben würde. Nur ein Beispiel wie hilfsbereit und freundlich uns die Amerikaner begegnet sind. Mit derselben Freundlichkeit hatte man uns an der Westküste zwei Telefone verkauft, die angeblich im ganzen Land benutzbar sein sollten. Es war unser erster großer Coup und wir waren stolz darauf, überhaupt einen entsprechenden Laden gefunden zu haben. Aber die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten: Obwohl die Geräte beim Testdurchlauf in L.A. einwandfrei funktionierten, war das schlechthin der einzige Beweis ihrer Qualität. Die 500$-Ausstattung versagte mit dem Verlassen der Stadtgrenze. Unwiderruflich und endgültig. Hauptleidtragende dieses technischen Desasters waren meine Betreuer. Eine Kommunikation untereinander war nun nicht mehr möglich. Daher entschieden sie sich, mit dem Wohnmobil jeweils bis zur nächsten Zeitstation vorzufahren. Dabei galt es einzukaufen, zu tanken und die weitere Versorgung aufrechtzuerhalten. Ebenfalls mußten sie in der nun wesentlich kürzeren Ruhezeit essen und schlafen. Da die Stationen 2 - 3,5 Radfahrstunden auseinander lagen, kann man sich ausrechnen, wieviel Netto-Ruhezeit wirklich für den Einzelnen übrigblieb. Hinzu kam ja auch noch der „Schichtdienst“ im eigentlichen Betreuerfahrzeug. Trotzdem tat das der allgemein guten Laune und dem Arbeitswillen meines Teams keinen Abbruch. Als der Begleitvan von der Kettenblatt-Suche zurückgekehrt war, konnte ich direkt losfahren. Einer neuen Nacht entgegen, die mir aus drei Gründen gut in Erinnerung geblieben ist. Erstens half mir ein wunderbarer Rückenwind, zweitens durchnäßte mich einer der wenigen Regenschauer dieser Reise und drittens hatte ich erfahren, daß Jürgen knapp vor mir fuhr! Natürlich wollte ich ihn unbedingt treffen und mit ihm die Viertelstunde, die uns laut Reglement pro Tag zustand, verquatschen. Da das gesamte Regelwerk auf ein Einzelzeitfahren ausgelegt ist, wertet man längeres Beieinanderbleiben als Windschattenfahren. So fuhr ich denn fröhlich durch die Nacht, immer damit rechnend vor mir den Begleitwagen Jürgens auszumachen. Jeder Scheinwerfer war für mich ein Anlaß zu hoffen, daß ich ihn bald eingeholt hätte. Ja, ja. Pech gehabt. Die ganze Nacht hoffte ich vergebens. Doch dann, im frühen Morgengrauen, trafen wir uns endlich. Eine Viertelstunde Gespräch ist wirklich etwas feines, doch wie bald ist sie zu Ende! Jürgens Zustand war gut, aber wie jeder andere auch, hatte er einige Probleme. Er klagte über Schlafstörungen. Trotz aller Anstrengungen konnte er nicht richtig schlafen. Demzufolge stoppte er meistens nur für zehn Minuten Pause, die aber nur wenig Erholung brachten. Natürlich war er trotzdem hoch motiviert und genoß die wunderbare Landschaft in vollen Zügen. Als wir uns trennten, äußerten wir die Hoffnung, uns noch vor dem Ziel erneut zu treffen. Leider wurde daraus nichts, erst in Deutschland sahen wir uns wieder. Hier zeigt sich, wie leicht man doch das eigene Ich beeinflussen kann. Allein durch das Warten und Hoffen darauf, Jürgen zu sehen, gelang es mir, daß ich die ganze Nacht über
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keine Müdigkeit verspürte und immer nur den Blick voraus hielt, um zu sehen wo er denn sein könnte. Nicht einmal die Warnung vor entflohenen Sträflingen, die immer wieder am Straßenrand von Hinweisschildern wiederholt wurde, hatte mich sonderlich interessiert, oder meine Phantasie angeregt. Ohne diese Vorfreude auf unser Treffen, wäre mir das Aufbleiben in dieser Nacht bestimmt nicht so leicht gefallen. Der Morgen brachte noch eine andere Überraschung. Mit der aufgehenden Sonne zogen riesige, schwarze, Bergsilhouetten am Horizont auf! Der Himmel war jetzt wieder wolkenleer und aus den Silhouetten entwickelten sich mit jeder Minute mehr rote, kantig gezeichnete Felsen jeglicher Größe, angesiedelt in einer ansonsten flachen Ebene. Gestochen scharf hoben sie sich gegen den morgendlichen Himmel ab. Wir kamen uns vor wie in einem Wildwestfilm! Das Navajo Gebiet Arizonas breitete sich um uns aus. Der ehemals größte amerikanische Indianerstamm lebt heute in diesem Reservat. 125.000 Stammesangehörige soll es noch geben, das ihnen zugeteilte Reservat war mit 64.000 km2 angegeben. Mir wurde bewußt, wie sehr wir vorankamen und wie abwechslungsreich dieses Land trotz oder gerade wegen all seiner Größe ist. Ich denke bei einer Autofahrt hätte man vieles einfach übersehen, die Veränderungen als solche gar nicht wahr genommen, nicht so intensiv erlebt und gespürt. Ich wäre vermutlich mehr damit beschäftigt gewesen, die Landschaft als eine Art Filmkulisse zu betrachten und vorbeiziehen zu sehen. Den Tempomat eingestellt, nur auf das Ankommen wartend, erstickend an der Streckenlänge und der Unabänderlichkeit des Weges. Und nun tauchen hier vor uns die Silhouetten der Berge auf. Am Vorabend hatten wir noch ein gänzlich anderes Landschaftsbild um uns gehabt! Kurz nach dem Gespräch mit Jürgen hielt ich an einem Stop Schild. Leider nicht nur des Verkehrs wegen. Irgendetwas war da nicht richtig mit meinen Füßen. Sie schmerzten bei jeder Pedalumdrehung, waren geschwollen. Ich hatte mir auf den harten, nicht mit Fußbett versehenen Radschuhen einen „Plattfuß“ eingefahren. Jedes Aufsetzen des Fußes auf flachen Untergrund schmerzte. Als wir die Einlagen mit besonders verstärktem Fußbett, sie waren extra meiner Fußform angepaßt worden, benutzten, kam ich gar nicht mehr in den Schuh hinein, die Füße waren zu sehr angeschwollen. Die Ersatzschuhe, mit zwei Nummern Übergröße waren wohlverstaut im Wohnmobil, das Wohnmobil....10 km entfernt. Nun ja, da war die theoretische Planung halt hinfällig, nach der das Begleitfahrzeug für alle unmittelbaren Belange ausgestattet sein sollte. Ralf bot mir freundlichst seine Sandalen an.. paßt. Und auf geht’s, zwar etwas ungewohnt aber es ging. Kurzzeitige Geschwindigkeitsrekorde stellte ich hier nicht auf. Und das Wichtigste war ja, daß ich schmerzfrei weiterfahren konnte. Im Nachhinein denke ich, daß diese Erfahrung nicht nötig gewesen wäre. Hätte ich von Anfang an Schuhe mit ordentlich gearbeitetem Fußbett getragen, wären mir sowohl die Schmerzen als auch die Zeit für das ständige Wechseln der Radschuhe erspart geblieben.
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Doch was heißt hätte!! Es ist wie es ist und fertig. Gerade das macht einen großen Teil der RAAM-Faszination aus, mit den Dingen und ihrer Veränderung und Vergänglichkeit klar zu kommen und sie so hinzunehmen wie sie sind. Wie sagt doch ein alter, viel zitierter RAAM Leitspruch: everything can happen any time. An der nächsten Zeitstation bekam ich die richtigen Schuhe, so daß dieses Problem endgültig gelöst war. Ein Wort zur Navajo - Gegend wie sie mir erschien. Noch waren wir alle das große L.A. gewohnt, in all seiner Pracht und Herrlichkeit - zumindest wie die Stadt von außen zu sein scheint. Gänzlich verschieden davon war nun dieses Gebiet. Wer hatte nicht von den Problemen der Indianer und ihren Reservaten gehört. Unabhängig von den häufig gehörten Problemen wie Alkohol, angestrebter Autonomie in den Reservaten und vermehrte Eingliederung in die Gesellschaft, sah man nun Offensichtliches. Scheinbar grenzenlose Armut oder war es nur ein anderer Lebensstil? Auf Flächen, groß wie ein Fußballfeld, stand lediglich ein Wohnwagen, seltener eine Hütte, Hunde sprangen fröhlich kläffend herum. Heruntergekommen, verrostet, umgeben von alten Pickups, ausgedienten Reifen in unkultiviertem Land. Kein Mensch zu sehen. Auch kein Dorf. Lebensmittelpunkt, sofern es einen gibt, scheint die Tankstelle mit ihren Nebengebäuden zu sein. Und doch, was hat dieses Volk an Tradition und eigener Lebensweisheit gehabt....oder trägt sie es noch immer in sich? Unser Kontakt mit den Indianern war sehr beschränkt. An der Tankstelle, wo mein Team auf mich wartete, wurden sie immer wieder von vorbeikommenden, heruntergekommenen Gestalten angesprochen, die um 5$ baten. Ansonsten sah man die Bevölkerung dieses Landes nur mit Cowboy Hüten auf den Köpfen in den vorbeifahrenden Autos sitzen. Auf der Weiterfahrt attackierte mich hin und wieder ein Hund, lief laut bellend neben meinem Rad her, lüstern meine Waden begutachtend. Doch Dank der Autohupe kam es nur zu einem nennenswerten Zwischenfall: als der Wagen etwas weiter zurücklag, mußte ich einen Sprint einlegen, da es sonst knapp geworden wäre den zuschnappenden Zähnen zu entgehen. Im Wagen hatten zu dieser Zeit schon Überlegungen stattgefunden, was denn im „Ernstfall“ gegen die Hunde unternommen werden sollte. Die Antwort war radikal ausgefallen. Im schlimmsten Falle hätte der Wagen Kurs auf den angreifenden Hund genommen! Gut das es dazu nie gekommen ist, denn ich wäre mit dieser Lösung nicht glücklich gewesen. Gegen Mittag bildete meine Mannschaft dann ein kleines Spalier, durch das ich fuhr, und simulierte eine Welle! So groß ihre Freude, so groß mein Unverständnis. Es waren tausend Kilometer gefahren. Ein fünftel der Strecke lag nun hinter uns. Aber wir hatten noch vier tausend Kilometer vor uns. Und die müssen erst bewältigt werden. Danach wäre hoffentlich Zeit zum Feiern. Trotzdem - ein gutes Gefühl, unterwegs zu sein, die Straße zu spüren, die Natur in sich aufzunehmen, frei und „ich-selbst“ zu sein. Es wurde heißer und heißer. Nach unseren bisherigen Erfahrung mit den hohen Tagestemperaturen, hatten wir uns entschlossen, in der Mittagshitze zu rasten und die Nacht über
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komplett durchzufahren. Und welche Kulisse würde sich besser zu einem Halt eignen als das Monument Valley? Schon Kilometer voraus konnte man das mächtige Wahrzeichen Amerikas und Teil des Colorado Plateaus erkennen. Zwar spiegelte es in der nun von einigen Wolken verhangenen Mittagssonne nicht seine ganze Farbenpracht wieder, ein bleibender Eindruck blieb aber trotzdem in uns zurück. Ein Halt in der Sonne - nach dem Schlafen war ich schweißgebadet, trotz laufender Klimaanlage. Der Fahrtwind brachte doch noch einiges mehr an Abkühlung. Nach dem Kurzschlaf gab es ein ebenso kurz ausgefallenes Frühstück. Nicht nur wegen der Zeit, die dabei verloren ging, sonder vor allem deshalb, weil ich gar nicht in der Lage war während des Rennens größere Portionen Nahrung auf einmal aufzunehmen. Aß ich zuviel, fühlte ich mich übersättigt. Statt dessen mußte ich die Kalorien in vielen kleinen Mahlzeiten aufnehmen. Noch etwas benommen ging es aber auch schon weiter- der wenige, aufgekommene Wind war eine willkommene Abwechslung. Auch wenn er sich bald als Gegenwind herausstellen sollte, der die Fahrt zusätzlich erschwerte. Die mitgeführten Wolken brachten zwar etwas Schatten, gewährten uns jedoch keine Abkühlung. Peters Plan zufolge sollte ich jetzt bis in die Nacht hinein weiterfahren. Die Landschaft wurde erneut hügelig, einige Regenwolken entluden sich über uns. Unmittelbarer Motivationsanhalt für mich war, daß wir uns auf dem direkten Weg nach Colorado befanden und es womöglich noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen sollten. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit hielten der Begleitwagen und ich an einer kleinen, heruntergekommenen Tankstelle - ich mußte schon wieder meine Blase entleeren! Ich war etwas genervt. Diese ständige Wasserlassen! Alle paar Minuten spürte ich Druck auf der Blase, mußte anhalten und verlor meinen Rhythmus. Vielleicht wäre es wirklich sinnvoller, wenn auch unhygienischer, das Geschäft vom Fahrrad aus zu erledigen und, nötigenfalls, mit etwas Wasser nachzuspülen, viele andere Fahrer arbeiteten auch mit diesem System. Seana Hogan ging sogar soweit, sich in einem Artikel darüber zu beschweren, daß sie ja keine Vorrichtung zum Wasserlassen während der Fahrt hätte. Und so würde sie wertvolle Zeit einbüßen, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen. Natürlich wäre das auch eine weitere Strapaze für die Haut und mein Sitzfleisch gewesen, und das sollte ja noch etwas halten. Einmal davon abgesehen, daß es mir einfach unangenehm war während der Fahrt vom Rad aus zu urinieren. Damit dürfte eine der im Vorfeld meist gestelltesten Fragen an einen RAAM-Fahrer wohl hinreichend beantwortet sein. In der zunehmenden Abenddämmerung verdichteten sich die aufkommenden Wolken wieder erheblich. Das bedeutete für mich das Hineinschlüpfen in meine ungeliebte Regenkluft. Sie ist vor allem eins: dicht. Sowohl für den Regen von außen, als auch für den Schweiß von innen. Zusätzlich noch mit Überschuhen und warmer Regenjacke bestückt, rückte der eben noch brennende Sommer in weite Ferne. Ich badete in meinem eigenen Schweiß!
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Einige Meter weiter empfing uns das erwartete Grenzschild: Colorado. Wir hatten den Bundesstaat der Rocky Mountains erreicht. Nach Californien und Arizona nun der dritte Staat auf unserer Tour. Hier wartete der höchste Paß Amerikas darauf bezwungen zu werden. Insgesamt lagen nun drei Pässe vor uns, danach sollten die Berge vorerst passé sein. Wir unterlagen bald einem kleinen Irrtum, der sich für mich als sehr anstrengend herausstellen sollte. Das Route Book sagt alles mögliche über die Strecke aus, nur über die Steigungen und Gefällstrecken gab es keine eindeutigen Angaben. Ich fuhr in dem Glauben los, die Strecke würde weiterhin flach sein. Doch die nächsten Stunden ging es ununterbrochen bergauf!! Der Weg führte nach Cortez hinauf und ich litt schwer darunter, daß ich gedanklich nicht darauf eingestellt war, zumindest am oberen Ende, als der Berg zunächst nicht aufzuhören schien. Hinzu kam noch ein Wärmegewitter, welches sich immer mal wieder über mir ausschüttete. Ich an dem besagten Anstieg, fern über mir hunderte von Blitzen, gelegentliches Donnergrollen: Colorado hieß uns mit einem großartigen Naturschauspiel willkommen. Mit der Zeit wurde es merklich kühler, so daß die Regenhaut immer weniger störte, aber das konnte mir ja nur recht sein. Wäre doch nur der Berg bald zu Ende, dachte ich und fluchte ein wenig vor mich hin. Es war so dunkel, daß wir auch nicht im entferntesten abschätzen konnten, wie weit der Anstieg ging. Bis zur nächsten Zeitstation sollten es noch gut 50 km sein. Vielleicht war erst dort das Ende der Steigung? Aber das konnte ja nun wirklich nicht sein, die großen Pässe sollten erst später kommen. Während ich gegen den Berg und das Gewitter ankämpfte, galt es im Begleitwagen eines ganz anderen Problems Herr zu werden, ohne daß ich überhaupt etwas davon wußte oder vom Verlauf her mitbekam. Es beschreibt aber hervorragend die für das Rennen geltende Moral meines Teams: Irgendwann stellte ich fest, das Peter hinten im Van schlief, Petra dafür irgendwo im Kofferraum mit dem gesamten Ersatzmaterial eingekeilt war - wohl alles andere als bequem. Mich wunderte es auch nur, da Peter eigentlich ausgesprochen zäh ist und bis hierhin noch überhaupt keine Müdigkeit gezeigt hatte. Fast in Cortez angekommen, war er dann irgendwann, ob meiner zunehmend schlechter werdenden Laune, von den anderen geweckt worden - ich schalt ihn eine Schlafmütze!! Zurück in Deutschland erzählte mir Ralf von der Geschichte - wieso Peter von jetzt auf gleich so müde geworden war? Der Auslöser war folgender: Das Team hatte an einem normalen Hotel gehalten und aus der Küche für mich Wasser erbeten, auf die übliche Weise in einem Kanister abgefüllt. Ohne mein Wissen hatte die Mannschaft alle Flüssigkeit, die ich bekommen sollte, vorher getestet - Peters Müdigkeit resultierte aus der Übelkeit und den Magenspastiken von eben diesem Wasser. Regelrecht grün muß er gewesen sein, von seinen Erbrechungskrämpfen aus dem schmalen Seitenfenster des Wagens ganz abgesehen. Vorne hörte ich nur die laut aufgedrehte Musik, die mich ermunterte endlich diesen immer noch währenden Berg zu bezwingen. Um mich nicht zu belasten, hatte mir keiner etwas davon erzählt. Ich sollte mich um gar nichts sorgen, nur fahren. Peter hatte nach dem Wechsel im Wohnmobil weiter geschlafen - und war wieder halbwegs
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auf die Beine gekommen - zumindest bemerkte ich keinen Unterschied. Müde wie ich war, hätte er aber auch wirklich sehr grün sein müssen um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Was wäre nun gewesen wenn ich das Wasser getrunken hätte ? Mein Traum wäre geplatzt wie eine Seifenblase. Dies ist nur ein Beispiel wie mein Team Probleme für mich löste und mich vor allen Unwegbarkeiten abschirmte. Irgendwann war es geschafft, wir waren in Cortez, der 16. Zeitstation, 1330 km nach dem Start. Es war die Nacht auf den 25. Juli, drei Tage nach dem Start. Ich durfte, mußte kurz schlafen - der Berg hatte mich weit mehr geschlaucht als ich dachte. Ich war völlig am Ende. Vor allem psychisch. Nie und nimmer hatte ich damit gerechnet über 50 km nur bergauf zu fahren. Auch die Vorstellung, daß das erst der Anfang der Berge war, schlauchte mich. Aber damit war ich nicht der einzige. Hugh Murph, ein 51-jähriger Teilnehmer aus Californien beendete sein RAAM an der nächsten Zeitstation. Egal, nach der Pause ging es weiter - ausnahmsweise mal in langer Radlerkluft, teilweise auch bergab - endlich, hurra, rollen. Meine Stimmung stieg mit zunehmender Geschwindigkeit. Ein wunderbares Panorama breitete sich am Morgen vor uns aus. Berge, meist mit Tannenwäldern bedeckt, soweit das Auge reichte. Das ganze Land war ruhig, wenig Menschen kamen uns zur frühen Stunde entgegen. Ich genoß die herrliche Abfahrt, eine mehr als ausreichende Entschädigung für die Strapazen der Nacht. Ich bekam meinen Kopf wieder frei, hatte erneut Spaß am Fahren. Im Tal angekommen ging es hügelig weiter, hoch und runter, kein Ende in Sicht. Bei nur 25°C war es einfach nur schön zu fahren! Die gut gelaunte Truppe hinter mir sorgte mit Country- und Rock-Musik aus den vollaufgedrehten Boxen für Stimmung. Verschieden Zeitstationen nahmen wir fast wie im Flug, so leicht kam mir das Radfahren vor. Die Schwächen der Nacht waren vergessen, sie gehörten der Vergangenheit an. Die Reifen rollten auf dem Asphalt, ich lebte den Augenblick. Immer weiter und weiter, erwartungsvoll dem großen Paß entgegen. Kurz vor Mittag hielt das Wohnmobil etwas vor uns, der Begleitvan fuhr hinzu. Das mußte mein 39er Kettenblatt sein, was sie da ergattert hatten und nun übergeben wollten. Hurra, noch vor dem Paß. Doch schon bald erfuhr ich, daß es zu knapp vor dem Paß sei, um das Kettenblatt noch einzubauen. Mit meinem Ersatzrad wollte ich, wenn nicht unbedingt nötig, gar nicht fahren.... gedacht und schon brach der von selbst hochklappende Armaufleger meines Triathlon Lenkers an meinem Rad ab. Damit war er unbrauchbar. Toll! Mist! Da gibt man extra viel Geld aus, damit man auch in aufrechter Lenkerhaltung fahren kann und dann bricht das Ganze einfach auseinander. Dazu muß ich aber anmerken, daß der amerikanische Traum von Asphalt sich selbst noch wesentlich von den Nebenstreckenasphaltierungen Deutschlands unterscheidet. Statt einer einheitlichen Asphaltdecke, bevorzugt man dort vielfach Betonplatten, die mit bis zu 5 cm Abstand aneinander
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gepappt werden. Die Notwendigkeit, die Fugen ordentlich zu verschließen ist dem allseits automobilem Zeitgenossen Amerikas vermutlich auch nicht so ein Bedürfnis wie einem Radler. Der hat als Federung nur sein Kreuz, seine Knie und nicht zuletzt, seinen Allerwertesten anzubieten. Natürlich - bei der Weite des Landes verständlich, als Radfahrer aber überhaupt nicht angenehm. (Wie sich später zeigte, wurde glücklicherweise der Asphalt nach Colorado deutlich besser). Trotz der Misere, beschloß ich bis auf die Höhe des Wolf Creek Passes mit meinem „Alu – Renner“ zu fahren - oben wollte ich dann das Rad wechseln um Lothar so Gelegenheit zu geben den neuen Lenkeraufsatz vom Ersatzrad ab und auf mein Hauptrad zu montieren. Dann kam endlich das Schild, das den offiziellen Paßanstieg einläutete. „Wolf Creek Pass, 8 miles“. Mit richtiger Vorfreude trat ich in die Pedale. Da erscholl aus dem Lautsprecher auf einmal die Filmmusik von Rocky. Was für ein Gefühl: Peter fuhr heran, grinste von einem Ohr bis zur anderen und sagte: „Von mir für dich“. Einen günstigeren Augenblick kann es für diese motivationsgeladene Musik gar nicht geben. Blauer Himmel, ein gutes Rad und einen ordentlichen Anstieg in dem für mich schönsten Rennen überhaupt - fast bin ich hochgeflogen, da war keine Rede mehr von einem 39er Kettenblatt. Es ging höher und höher, immer Richtung Baumwuchsgrenze. Viel Platz bot die Straße und führte in weit ausladenden Bögen den Berg hinauf. Hinauf auf 10.850 Fuß, immerhin 3.361m über Normal Null, dem Meeresspiegel, der doch noch vor wenigen Tagen unser Ausgangspunkt gewesen war. Oben angekommen, war die Freude natürlich groß, schnell bekam ich eine Kurzmassage. Sanne gab mir etwas zu trinken. Ilona kam mit einem frischen Trikot und einer Tube Sonnencreme. Voilà, fertig ist der Radler. Derweil stürzten sich die anderen auf die beiden Räder, so daß ich möglichst bald wieder losfahren konnte. Schließlich saß ich dann auch wirklich auf meinem Ersatzrad - und kam mir ziemlich dämlich vor. Mein Hauptrad fuhr ich mit 175er Kurbeln. An diesem hatte ich jedoch nur die herkömmlichen 172,5 - an sich nicht weiter tragisch. Doch die etwas anderen Streckwinkel merkte ich bei jeder Umdrehung in den Knien. Dann geschah auch noch etwas Seltsames. Den Rahmen besaß ich erst recht kurze Zeit. Vermutlich war ich erst drei, viertausend Kilometer damit gefahren, wenn überhaupt. Auf der nun folgenden Abfahrt, die wie eine Flugzeuglandepiste gebaut war und außer einer Tunneldurchquerung keine Schwierigkeiten bot, fing der Rahmen an zu flattern. Und wie!! Wie froh war ich, als ich die Kiste halbwegs gebremst bekam. Fast wäre ich abgestiegen und hätte geschoben. Der Begleitvan war jedoch noch oben auf dem Berg – und da ich fortab langsam weiter fuhr hatte es keiner gesehen, wie sich das Rad auf dieser prima Abfahrt gebärdete und mir den Spaß verdorben hatte. Lothar glaubt es mir bis heute noch nicht. Er meint, daß ich mir das eingebildet hätte. Und zugege-
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ben. Auf den abfallenden Strecken meiner heimatlichen Trainingsrunden habe ich noch kein ähnliches Verhalten feststellen können, wobei ich aber auch noch nicht wieder an die in den Rockys gefahrene Geschwindigkeit herangekommen bin. So hielt ich dann schon bald wieder an - Kommando zurück, der Herr hätte gerne sein Alu-Rad wieder. War das ein schönes Gefühl erneut auf meinem gewohnten Renner dahinzugleiten. Der neumontierte Lenker war zwar noch nicht ganz ausgereift, dem konnte man aber sicher leicht beim nächsten Stop mit einer geschickten Umwickelung und Polsterung abhelfen. Dieses Material hätte ich auf alle Fälle im Vorfeld besser testen sollen. Aber weder vor, noch während unserer 900 km langen Testfahrt, hatte es Probleme gegeben. Nach Möglichkeit fahre ich im Training und Wettkampf ohne Armaufleger, mit normalem Rennlenker....man lernt nie aus, die Fehler summieren sich. Für jetzt aber hatten wir alle Unannehmlichkeiten unbeschadet überstanden. Die Abfahrt war nicht mehr lang und wollte genossen werden. Denn schon bald darauf kamen wir in ein riesiges, weites Tal. Fast ein Hochplateau, umfaßt von Bergspitzen - und dazwischen kilometerlange gerade Wege. Diese Fläche mußte ich also erst durchqueren, bevor wir zu den beiden anderen Pässen dieser Tour kommen sollten. Da es gerade erst um die Mittagszeit war, sah unser Plan denn auch vor das Plateau bei Tageslicht zu durchfahren. Kurz vor dem nächsten Anstieg wollten wir „Nachtruhe“ halten um dann, frisch gestärkt und ausgeruht, die Berge in der Kühle der Nacht zu bezwingen. Lisi hatte schon in Cortez eine Karte gekauft, die zumindest für Colorado jede Steigung haarklein mit genauer Länge angab. Wir wußten jetzt endlich, wo uns die Anstiege erwarteten und mich interessierte vor allem, wie lang und steil sie waren, um nicht noch einmal ein Erlebnis wie bei der Anfahrt nach Cortez zu durchleben. In dem Tal oder besser der Bergmulde hatten sich Wolken angesammelt, man sah in der Ferne niederkommende Regengüsse, dazwischen immer wieder Sonnenstrahlen, die durch die Wolkenritzen ein bizarres Bild aus Licht und Schatten warfen. Mit Glück fuhr ich in einer Wolkenlücke, die mich lange Zeit begleitete und trocken hielt. Das ging ungefähr 50 km gut, dann war es damit vorbei, und es begann zu regnen. Ich entschied mich für meine Regenhaut. Denn nichts hatte mir Peter in unserer langjährigen Zusammenarbeit so eingetrichtert, wie die stetige Gefahr des Auskühlens und wie diese durch richtige und notfalls häufige Kleidungswechsel zu vermeiden sei. Also, nichts wie hinein in die wasserdichte Kleidung (schon wieder ein Stop) und dem Regen trotzend ein paar weitere Kilometer vorwärts kommen, näher nach Savannah, meinem Ziel entgegen. Es zeigte sich, daß das Wetter ohne Regenschauer, trocken und heiß, auf unserer Seite war. Denn nicht lange, und die Regenwolken verzogen sich. Erneut machte sich die Hitze bemerkbar. Meine Gummihaut brachte mir noch zusätzlich das Schwitzen bei - versprach die Werbung nicht atmungsaktives Material? Sollte ich, um mich ihrer zu entledigen, anhalten?
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Kam nicht in Frage! Viel zu oft hatte ich bereits diese Methode gewählt und immer wieder Zeit verloren. Also zog ich nur die Jacke aus, reichte sie in den Wagen; welch eine Wohltat. Blieben nur noch die Überschuhe und das Korsett einer Regenhose, aus der der Schweiß wenige Minuten später unten herauslief. Eisern hielt ich bis zum nächsten Kontrollpunkt durch. Dann riß ich mir quasi die Hose vom Leibe. War das schön wieder Luft an der Haut zu spüren! Jetzt war es nicht mehr weit bis zum Nachtquartier, der Wind half mit Rückenwind und die aufziehende Abenddämmerung versprach ein übriges. Schon bald sahen wir eine Abzweigung zu den großen Wanderdünen. Es sind die höchsten in Amerika. Sie liegen zu Füßen der Sangre de Christo Mountains. Ihr Sand wird über die Rio Grande Ebene herbeigeweht, die hier ihren Ursprung nimmt. Der Sand stammt jedoch vom viel weiter westlich gelegenen San Juan Mountain (nordöstlich von Durango). Wie schon am Grand Canyon, blieb auch hier keine Zeit für die Natursehenswürdigkeiten. Statt dessen führt die Strecke stur geradeaus weiter. Hin zu dem nächsten Paß. In einem kleinen Dorf hielten wir dann am Straßenrand. Pause! Lothar stürmt in die gegenüberliegende Bar und überredet die Angestellten, die gerade geputzt hatten und Feierabend machen wollten, mir noch schnell einen Hamburger zuzubereiten. Hätte nie geglaubt, das ein Hamburger bei sportlicher Betätigung so angebracht ist. Es war das schmackhafteste, was ich seit drei Tagen gegessen hatte. Derweil begutachteten Lisi und Petra schon meinen recht mitgenommenes Hinterteil. Vor Beginn der Fahrt hatten wir ihn mit einer extra „Haut“ abgetapet. Langsam aber sicher granulierten jedoch die Seitenränder, so daß wir anfingen uns Gedanken zu machen. Auch eine Infusion wollte sie mir legen. Zwar wären es nur ein paar Vitamine und Flüssigkeit gewesen, ich war aber so schmerzempfindlich, daß ich direkt auf die Barrikaden ging, als ich die Braunüle nur sah. Auf keinen Fall. Vermutlich war mein Schmerzempfinden durch den Schlafmangel extrem gesteigert, denn bei der Nadel handelte es sich um eine der kleinsten Butterflynadeln die überhaupt nur produziert werden (viel kleiner als herkömmliche Kanülen zur Blutentnahme). Irgendwann hatte ich sie dann alle soweit, daß sie von mir abließen und ich während der Massage hinwegdämmern und einschlafen konnte. Wie anstrengend würden die nächsten Berge werden? Nicht lange und Peter entriß mich meiner Träume. Der nächste Paß sagt er, sei eigentlich keiner. Was soll mir das sagen, wenn eine Österreicher von einem Berg behauptet es sei kein Paß - für seine Verhältnisse oder auch für meine? Wie auch immer. Derweil hatte Lothar meine Klick-Pedalen-Halterung weitestgehend gelockert. Ich hatte darum gebeten, weil ich Schmerzen im Außenknie verspürte. An der Pedaleinstellung konnte es aber nicht liegen, da ich seit Jahren mit eben diesem Winkel an den Pedalplatten fahre. Die Vermutung lag also nah, daß die Spannungsfeder, beim Ausklinken aus den Pedalen erforderlich, zu hart eingestellt war. Zum Glück hatte ich recht und der
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Schmerz ließ nach, verschwand schließlich ganz. Die Dunkelheit hatte mich wieder aufgenommen und im Licht des Scheinwerfers fuhr ich den Highway entlang. Auf der Straße herrschte eigentlich kaum Verkehr, es war recht kühl, angenehm zum fahren. Die Steigung war minimal, sie störte fast nicht. Eine Zeitlang schaute ich mir das an. Dann winkte ich den Begleitwagen heran und fragte, wo denn hier der Paß sei. -„Du bist schon fast oben.“ -„Aha. Gut zu wissen.“ So konnte ich Peters Einschätzung wunderbar nachvollziehen. Diese ein bis zwei Prozent Steigung konnte man nun wirklich nicht als Paß bezeichnen. Der „La Veta Pass“ sollte 9.600 Fuß hoch sein. Also immer noch 2.980 m Höhe insgesamt. Oben angekommen sorgte ich mich schon um andere Dinge, denn die folgende Abfahrt versprach kühl zu werden. Schnell ein paar Jacken angezogen- wir hatten inzwischen nur noch sieben Grad - und ab ging es. Was war das für eine Abfahrt. Im Prinzip benötigte man die Bremsen gar nicht, denn es ging immer nur geradeaus. Konnte mir aber nur recht sein, da ich es, mitten in der Nacht, als wesentlich angenehmer empfand wie auf Schienen dahinzusausen, als irgendwelche Kurven auszumanövrieren. Am Fuße des Berges sollten es dann nur noch wenige Kilometer bis zur nächsten Zeitstation sein, dann folgte schon der nächste Anstieg. Als einzig verbliebener Paß blieb nun noch der „Cuchara Pass“, der mit 9941Fuß nur unwesentlich höher als der vorhergegangene zu sein schien. Im Gegensatz zu diesem, war die Auffahrt hier aber phantastisch! Eine richtige Bergfahrt. Die Straße war nicht mehr so ewig breit gebaut, sondern hatte normale Ausmaße. Der Verkehr ruhte noch in den frühen Morgenstunden. Und der Weg schlängelte sich hübsch kurvig nach oben. Auch die steileren Passagen haben in dieser Umgebung richtig Spaß gemacht und ließen sich gut bewältigen. Aus dem Sattel gehen, treten, hinsetzen. Dem eigenen Rhythmus folgend, möglichst harmonisch den Berg hinaufkommen. Als die Sonne uns dann langsam den Weg erhellte, traute ich meinen Augen nicht: schön und natürlich mit dem goldenen Morgenlicht eine Gegend, die ich am liebsten gar nicht wieder verlassen hätte! Noch dazu war die Paßhöhe fast erreicht. Die Anstiege waren jetzt so, daß ich häufiger aus dem Sattel gehen mußte. Für Lothar ein willkommener Anlaß aus dem Wagen zu flüchten und neben mir herzulaufen und mich anzufeuern. Das verstieß zwar gegen die Regel, aber wir hatten unseren Spaß. Hin und wieder kamen wir an prächtigen Holzhäusern vorbei, die einen Charme versprühten, der direkt zum Einkehren einlud. Natürlich war um diese Uhrzeit noch keiner wach, so daß wir der Versuchung auch nicht erliegen konnten. Dann, endlich, kam der letzte Anstieg, der sich ein letztes Mal in einer größeren Kurve um den Berg wand, etwas steiler als bisher. Und das war es dann. Wir waren oben, die Paßhöhe war erreicht. Wie friedlich und vollkommen mir diese Gegend erschien. Die Zeit für das Ankleiden der warmen Wintersachen, die ich hier noch für
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die Abfahrt für nötig hielt, nutzte ich geschwind, um mich in den Wagen zu setzen. Der Augenblick war für das Rennen nicht entscheidend, wir waren weit weg von den anderen Teilnehmern. Es hat wenig und doch sehr viel mit RAAM zu tun. Hier erlebte ich einen der glücklichsten Augenblicke des ganzen Rennens und vielleicht meines Lebens. Einen Augenblick, der allein wert wäre, daß ganze Rennen noch einmal zu fahren, auch zweimal - wenn man nur diesen Augenblicke wiederholen könnte. Ich war von dem Anstieg gezeichnet. Nicht geschafft, sondern wohlig erschöpft, so als wenn man nach einem langen Arbeitstag in der Frühlingssonne joggen geht, duscht und sich glücklich und zufrieden hinsetzt um etwas zu trinken, zufrieden mit dem was man getan hat, damit, daß man sich gefordert hatte, frei von Zweifel, Neid, Mißgunst, Plänen oder was einem sonst noch den Kopf gedanklich verbaut. So ging es mir in diesem Augenblick - Es war phantastisch. Ich hatte den letzten großen Paß erklommen, genoß die Eindrücke der Natur, die Pflanzenvielfalt, die reglosen Nadelbäume, die majestätischen Berggipfel, die von hier aus zu sehen waren. Bei all dem konnte ich einen Augenblick erleben, der unvergeßlich bleiben wird. Es war nicht nur die Zufriedenheit mit der vollbrachten Leistung, die Zufriedenheit an diesem Ort zu sein. Vielfach wird den Extremsportlern ja vorgeworfen, sie seien Einzelgänger. Das schönste an diesem Moment war aber gerade, daß ich nicht alleine war, sondern, daß eine wunderbare Einheit und Einstimmigkeit zwischen mir und meinen Betreuern, meinen Freunden, bestand. Ohne sie, die das ganze miterlebten, wäre der Augenblick nie so eindrucksvoll und erfüllt gewesen. Ich fühlte eine noch nie dagewesene Zusammengehörigkeit, die keine Wünsche offen ließ, und die für mich nur als der vollkommene Augenblick der Harmonie bezeichnet werden kann, so ich es überhaupt in Worten auszudrücken vermag. In meine warme Winterjacke gekuschelt saß ich im Wagen und genoß den Blick, spürte die Ruhe, genoß die Fürsorglichkeit mit der man mich bedachte. Eine halbe Tasse warmen Kaffee durfte ich sogar trinken - der erste während des bisherigen Rennens. Ich gebe es ja zu: viel zu lange saß ich dort, zögerte den Moment hinaus, mir dessen bewußt, daß ich ihn genauso wenig halten konnte wie alle anderen schönen Augenblicke meines Lebens. Es geht weiter, hin zu Neuem. Um irgendwann vielleicht zu lernen, jeden Augenblick des Lebens zu genießen und ihn als in sich geschlossen zu akzeptieren. In dem Bewußtsein, daß nichts Bestand hat, das alles immer weiter geht. Die guten wie die schlechten Dinge die uns begegnen. Ob von uns herbeigeführt oder ob sie uns durch „Schicksal“ ereilen, ob schön oder nicht: sie sind vergänglich. Etwas Überwindung kostete es mich trotzdem mein so bequemes Netz auf dem Rücksitz des Vans zu verlassen. Doch die Aussicht auf eine herrliche Talfahrt im sanften Morgenlicht beflügelte mich. Auf geht’s.
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Die Abfahrt war nicht langgezogen, sondern eine stetige, von immer wiederkehrenden, kurzen Anstiegen durchsetzt. Meine Verkleidung mit den Wintersachen hätte ich mir getrost sparen können. Nach nur einem Kilometer zog ich die Jacke wieder aus. Und verschwendete damit Zeit. Eigentlich die ganze Abfahrt über. Ich war so fasziniert von der Landschaft, daß ich auch trotz der teils hohen Geschwindigkeit den Kopf nach hinten wand, um einen Blick auf die phantastischen Rockys zu werfen, deren schneebedeckte Gipfel mir aus dem Bergpanorama zuzwinkerten. Vorbei ging es an zwei Seen, die ich umfahren durfte. Angler versuchten hier die Morgenstille für einen guten Fang zu nutzen. Mein Weg ging weiter. Und trotz der Bewegung, trotz der Fahrt, kostete ich wohl dieselbe Ruhe aus, die das Angeln ausmacht. Die Stimmung ist in meinem Kopf geblieben, kein Foto kann sie wiedergeben, obwohl wir es mit dutzenden versuchten. Mit sinkender Höhe änderte sich das Landschaftsbild. Langsam näherten wir uns den ersten Dörfern. Die Straße wurde lebhafter befahren, die Berge, ich warf einen letzte Blick zurück, gehörten nunmehr der Vergangenheit an. Es ging vorwärts. Keinen Meter wollte ich auf dieser Tour zurückfahren. Etwas konzentrierter, versuchte ich nun das Tempo zu erhöhen. Schließlich winkte in dem nächsten Ort eine kurze Rast. Dort angekommen - wieder einmal diente eine Tankstelle als Zeitstation - ging ich ins Wohnmobil, zog mich um, visitierte die Toilette. Und wollte weiter. Peter hielt mich kurz auf. - „Es wird heute wieder heiß werden.“ Vermutlich schaute ich etwas dümmlich, vielleicht enttäuscht. -„aber wir haben die Rockys doch hinter uns.“ Milder Protest. Wie lange denn noch, und wie warm wird es werden“ , daß waren meine nächsten Fragen. -„Die nächsten Tage“ und „40 °C“ die entsprechenden mich desillusionierenden Antworten. Ja so. Bisher war ich davon ausgegangen, daß die Wüste aufgrund der Hitze ein Problem darstellt (was sie ja auch war), dabei spekulierte ich jedoch darauf, daß sich das Problem mit zunehmender Streckenlänge verflüchtigen würde. Zwei Tage Hitze und gut ist. Statt dessen waren wir in eine Hitzeperiode geraten, die uns während der nächsten Tage weder Regen noch eine Abkühlung unter 28 °C gewährte. Weder Tag noch Nacht. Tagsüber sollten es eher 40 °C und mehr sein. Zu diskutieren gab es da nichts. „Ich werde lachen bis zum Schluß!“ hatte Klaus Haetzel in seinem Buch über das 94er RAAM geschrieben. Nach Möglichkeit wollte ich es genauso halten. Oder? Berge, Anstiege und Gefälle. Nun kam eine ganz andere Seite Colorados. Die Ebene. Kilometerlang ging hier die Straße nur geradeaus. Umsäumt von Wiesen, hin und wieder eine Kuh. Selbst die immer seltener vorbeikommenden Trucks stellten eine willkommene Abwechslung dar. Spannend war noch die Episode mit der Kuh, die von der Straße aus den Wegesrand abgraste. Man weiß ja nie was so ein Tier tut. So beschrieb ich einen großen Bogen
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um das Tier. Kam ungeschoren davon. Die Gegend wurde hügeliger, was die Straße aber nicht von ihrem schnurgeraden Kurs abbringen konnte und sie auch nicht interessanter machte. Monotonie. Weiter und weiter. Von hinten jaulte der Kassettenrekorder. Immer öfter kam der Wagen herangefahren. Wie dankbar war ich für die kurzen Gespräche, die aufmunternden Witze und, wie schon in der Wüste, für die Abkühlung mit dem Wassersprüher. Einmal lieh ich mir selbiges Gerät aus und besprühte Ilona damit, die auf dem vorderen Beifahrersitz mit dem Route Book in der Hand, ihrer Aufgabe als Scout nachging. Zu schnell war das Fenster oben. Sie würde wohl auch kaum denselben Genuß bei einer Abkühlung empfinden wie ich. Als es noch langweiliger wurde, ließ ich mir Zahnbürste und Rasierapparat geben, betrieb Kosmetik und war froh, wieder ein paar Kilometer in dieser tristen Einöde vorangekommen zu sein. Trotzdem lugte ich weiter nach Abwechslungen und Reizen fürs Auge. Endlich gab es welche: ein riesiges Sonnenblumenfeld, eine Farm mit riesigem Torbogen. Schließlich sogar eine beinahe rechtwinklige Straßenkurve. Wir durchfuhren einen Ort, der wie eine Geisterstadt anmutete. Die der Straße zugewandten Häuser blickten leer, stumm und verlassen. Die Fenster teils noch intakt, boten Blicke in das Innere, wo eine verlassene Ladentheke immer noch auf Kundschaft wartete, ein umgefallenes Schild verkündete weiter in roter Schrift, das dieses Ladenlokal zu vermieten sei. Es wird wohl noch lange dort stehen. Die wenigen Autos fuhren achtlos vorbei, fraßen die Meilen bis zur nächsten Großstadt. Eine intakte Tankstelle gab es immerhin. Sie diente denn auch prompt als Zeitstation. Irgendwer kam auf die gute Idee mir ein Softeis mitzubringen. Hervorragend. Aber warum nur eins? Auf meine Nachgefrage, bekam ci h zu hören, daß noch ein zweites auf mich wartete, aber als Motivationsanreiz noch etwas zurückgehalten würde. Dafür legten sie 50er Tanzmusik auf. Und sangen dazu. Gleich fuhr ich schneller (wenn auch nicht für lange). Bis ich endlich auch das zweite Eis bekam. Am Vormittag hatte ich in der Hitze um ein Eis gebeten. Logischerweise war natürlich keines vorrätig. Das gestoßene Eis, das wir an den Tankstellen kauften und zum Kühlen verwandten, war gerade lang genug haltbar um das Trinkwasser zu kühlen. Aber um ein Eis im gefrorenen Zustand zu halten, reichte es natürlich nicht aus. Da wir uns auch nicht in der Reichweite einer Tankstelle befanden, hatte mein Team sich kurzerhand ein eigenes Eis für mich ausgedacht: Man nehme etwas Trinklösung von Ensure (ein Ernährungskonzentrat) und Eiswürfel. Das ganze versehe man mit einigen Bananen und Apfelstückchen, garniert mit einigen Ovomaltinestreuseln. Als Waffel verwende man einen Müsliriegel und verpacke das ganze in einem Becher, der groß genug ist, um zwischen den Lenkeraufsatz geklemmt zu werden. Fertig ist das RAAM Eis. Mit ungefähr 500 Kj könnte es einem Normalbürger auch als Abendbrot dienen. Noch während der Berge hatten wir einmal das Laufrad gewechselt. Ich war der Ansicht gewesen, damit schneller zu sein - davon abgesehen, daß ich allein durch die Wechsel
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der Laufräder mehr Zeit verloren habe, als sie mir je hätten einsparen helfen können. Nun wollte ich aber unbedingt meine Spinergy Laufräder weiter fahren. Neben der aerodynamischen Funktion, die ich nicht nachprüfen konnte, hat das Rad nämlich eine ganz entschieden angenehme Eigenschaft. Da die Felge nur auf vier Carbonstreifen ruht, die im rechten Winkel zueinander angeordnet sind, hatte das Rad wunderbare Dämpfungseigenschaften, die Kerben zwischen den Asphaltplatten waren gleich nicht mehr so schlimm. Und da der Asphalt in diesem Teil des Landes fast nur aus Asphaltrillen bestand, wollte ich mir die Fahrt mit der Reifenwahl möglichst erleichtern. Langsam wurde auch mein Team die Strecke leid, die schier kein Ende nehmen wollte. Ein neues Ziel, auf das zu warten es sich lohnte, war aber schon bald in Sicht: Slapout, Oklahoma, die 28. Zeitstation. Mitten in dieser kargen Einöde gab es dann ein paar hochgezogene Häuser und scheinbar etwas Leben. Eine Tankstelle diente als Zeitstation, wie schon so oft. Hier wurde die Halbzeit gefeiert. Hier hatte ich die Hälfte der zu fahrenden Kilometer geschafft.....oder fast jedenfalls. Michael Shermer hatte uns schon zu Beginn des Rennens gesagt, daß die eigentliche magische Kilometerspitze die nächste, auf Slapout folgende, Station sei. Aber die seit Jahren RAAM begeisterten Tankstellenbesitzer ließen es sich nicht nehmen, ihre Station als den „Mittelpunkt“ anzusehen. Sie druckten T-Shirts und verteilten kleine Fress-Pakete an die Teams. Die waren natürlich dankbar, daß sie endlich einmal richtig wahrgenommen wurden und nicht nur im Schatten des Athleten gesehen wurden. Um der Aufgabe eines „offiziellen“ Mittelpunktes auch wirklich gerecht zu werden, hatte man ein großes Plakat zur Begrüßung der Fahrer montiert. Und sogar eine Zeittafel hing in dem kleinen Tankstellengebäude, auf der die Fahrer samt Ankunftszeit und Plazierung aufgeführt waren. Zu dieser Zeit, etwa 2400 km nach dem Start, befand ich mich auf Platz 15. Nicht gerade berauschend. Wenn ich bedachte welche Fahrer da vor mir fuhren: meine Chancen noch ganz nach vorne zu kommen schätzte ich realistisch ein. Sie waren gleich null. Die meisten anderen Fahrer hatten zu diesem Zeitpunkt schon einen ordentlichen Vorsprung auf mich herausgearbeitet. Etwas geknickt fuhr ich weiter. Peter hatte wieder einmal gerechnet. Dabei war herausgekommen, daß ich noch genau 50 km zu fahren hätte um zum Streckenmittelpunkt zu gelangen. Wer nun wirklich recht hat mit seinem Mittelpunkt, weiß ich nicht. Es ist mir aber auch egal. Wichtiger war mir die Aussicht, genau an diesem Punkt dann ein kleines Nickerchen von drei Stunden halten zu dürfen. Denn das war dringend erforderlich. Mein schlechter Platz, die weiterhin schlechte Wegstrecke und das ewige geradeaus, bedrückten mich doch mehr als ich mir selbst eingestehen und wahrhaben wollte. Vor allem die Plazierung machte mich traurig. Wie hatte ich trainiert und gehofft das Rennen zu fahren, die nervenaufreibende und letztendlich unergiebige Suche nach Sponsoren. Und nun war ich 15ter, von 17 noch im Rennen verbliebenen Teilnehmern. „Udo du bist ein Versager, ist das alles was in dir steckt?“, so redete ich mit mir selber.
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Aber es ist wie es ist und es ist gut so. Selbst jetzt bin ich erstaunt, wie gut ich diesen Rückschlag wegsteckte. Meine gedankliche Arbeit und Vorbereitung auf das RAAM zahlte sich aus. Ich schaffte es, mich wieder auf das eigentliche Ziel zu konzentrieren. Nun, ich war nicht zum Gewinnen hier, wenn ich auch, natürlich, nichts dagegen gehabt hätte. Schon zu Beginn hatte ich gesagt, das ich „nur“ ankommen wollte. Mein erklärtes Ziel war es nach Savannah zu kommen. Und das war gut so. Durch die absichtlich niedrig gehaltene Zielsetzung bot ich Frustrationen kaum Angriffsfläche. Sonst hätte ich hier das Rennen aus lauter Frust hingeworfen oder länger geschlafen als eigentlich notwendig gewesen wäre, da das ganze Gebäude meiner Motivation in sich zusammengefallen wäre. Die Diskrepanz zwischen Ziel und Realität wäre zu groß geworden. Vor lauter alles überragendem Ziel wäre der Weg auf der Strecke geblieben. Endgültig. Die Seifenblase „Ziel“ wäre wie ein übergroßer Luftballon in meinem Kopf geplatzt. Nur äußerer Antrieb von meinem Team hätte mich dann weitergebracht, hätte vielleicht die Kraft besessen, mich aus dem selbst gegrabenem Loch der Sinnlosigkeit, der Schwäche und der drohenden Aufgabe herauszuholen. Der Kopf hätte versagt. Den Splitter, den ich mir hier eingefangen hatte, konnte ich mir also getrost ziehen und wie bisher mit allen Möglichkeiten und meinem eigenen Gedankengebilde, das ja eigentlicher Generator des Race Across Americas ist, weiter machen. Diese Einstellung war es vermutlich, die es mir ermöglichte, die ganze Fahrt über zufrieden zu sein, die mich meine Mitte finden ließ, so daß ich nicht dauernd gezwungen war mich auf ein neues Ziel festzulegen, meine Motivation zu korrigieren oder neue Wege der Selbsttäuschung zu finden. Vieles konnte ich durch diese Anschauung lockerer sehen - und trotzdem relativ zügig vorankommen. Was mir „fehlte“ um vorne mitzufahren, war dieser brennende, alles andere versengende Ehrgeiz zu gewinnen. Und dafür jeden noch so hohen Preis zu akzeptieren und zu zahlen. Fahren bis zum Ende - das wollte ich. Natürlich fehlte mir auch die Erfahrung. Wenn ich mir heute die Ergebnisliste anschaue, erkenne ich ganz deutlich, wer schon vorher RAAM - Erfahrungen gemacht hatte und wer nicht. Gerade in der Spitzengruppe war eine wirklich bewundernswerte Kontinuität zu erkennen. Einen Tag Fahrt - ohne ständige Pausen - nachts zwei Stunden Schlaf, einen Tag Fahrt, zwei Stunden Schlaf und so weiter. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten zeigten kaum Schwankungen auf - im Gegensatz zu meinen, die abgesehen vom wahrscheinlich niedrigerem Tempo, noch zusätzlich durch die ganzen kleinen Stops und die längeren Schlafzeiten verringert wurden. Mit diesen Gedanken ging ich also auf die Fahrt zu dem Wohnmobil, welches die 50 km schon vorausgefahren war. Wie froh war ich, daß ich mein Team hinter mir hatte. Buchstäblich - denn wie immer fuhren sie im Van hinter mir her. Sonst wäre ich mir auf dieser Strecke sehr einsam vorgekommen, mit all meinen verworrenen Gedanken, die von einer realistischen Aufschlüsselung wie der obigen noch weit entfernt waren. Mir war aber bewußt, daß ich meine Leistung annehmen mußte wie sie war - oder daran kaputt gehen würde. So
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kam die Schlafpause gerade recht um mich aus diesem Gedankendickicht der Selbsterniedrigung und der Selbstzweifel, die teils auch durch den Schlafmangel bedingt waren, zu befreien. Peter hatte extra den Massagetisch draußen aufgestellt, damit ich nicht in der brütenden Hitze des Mobils schlafen mußte. Ich entschied mich trotzdem dafür, weil, verbunden mit erheblichem Wind, ein Wärmegewitter aufzog. Im Regen schlafen? Nein danke. Hätte ich es doch bloß getan! Wieder einmal wachte ich schweißgebadet auf, um dann zu erfahren, daß es nicht einen Tropfen geregnet hatte. Zum Wachwerden bekam ich einen Pancake. Ich stellte fest, daß ich trotz des Hungers kein übergroßer Fan davon war. Am Rad waren derweil die Lampen befestigt worden. On the road again. Eine der für mich schwersten Nachtfahrten begann. Dieses Land hatte auf der ganzen Strecke, die wir durchfuhren, bestimmt keine 5 Kilometer zusammenhängende Ebene. Statt dessen ging es in einem ständigen Wechsel auf und ab. Hier, am Anfang des Staates, war dieses Gefälle recht flach und teilweise kaum wahrnehmbar. Trotzdem ging die Straße - natürlich - schnurgeradeaus. Auf meinem Seitenstreifen gab es nicht viel zu sehen, außerhalb des Lichtkegels, der die Nacht durchschnitt, nichts zu erkennen. Da konnte ich mich noch so oft umschauen und in die Dunkelheit spähen. Da war nichts. Oder vielleicht doch? Ich schaute mich immer wieder um, denn jede Ablenkung, alles was den Blick irgendwie auf sich zog, half mir beim Wachbleiben. Zum nächsten Kontrollpunkt sollten es etwa 90 km sein. Aha. Gut - in drei Stunden bist du da, kein Problem, so geht die Nacht schnell herum. Mir waren die etwas kürzeren Abstände zwischen den Stationen zwar lieber, es gab dann immer etwas mehr Abwechslung und ich hatte das Gefühl wieder etwas geschafft zu haben, aber gerade diese hier war länger. Ein weiterer entscheidender Vorbereitungsfehler, wie sich bald herausstellen sollte. Während meines Trainings für das RAAM hatte ich viel trainiert. Logisch. Ziel dieses Trainings war es gewesen nicht nur ausdauernder zu werden, sondern die Geschwindigkeit von 30 km/h ständig fahren zu können. Im Vorfeld hatte das auch prima geklappt. Egal wann, zu jeder Uhrzeit konnte ich diese Geschwindigkeit halten. Die Kalkulation in meinem Kopf war also die, daß ich 30 km/h fuhr, wenigstens aber 28 km/h. Dafür, daß ich schon so lange radfahre, eine unverzeihliche Dummheit. Ungefähr wußte ich ja mit meinem Zeitgefühl einzuschätzen, wie lange denn eine Stunde dauert, auch wenn ich keine Uhr anhatte. Zwei oder drei konnte ich ebenfalls noch ganz gut abschätzen. Um so verwunderter war ich, als ich fuhr und fuhr, und nicht an die besagte Zeitstation gelangte. Endlich fragte ich ziemlich genervt nach, wie weit es denn noch bis zum nächsten Kontrollpunkt sei. 50 km, war die lapidare Antwort. Ich war am Boden zerstört. War ich denn nicht schon drei Stunden unterwegs gewesen? Mir jedenfalls kam es wie eine ganze Ewigkeit vor. Oh je, wie sollte ich das noch schaffen. Auf diesen endlos langen Straßen war kein Ende in Sicht. Nicht einmal eine Stadt konn-
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ten wir durchfahren. Es gab einfach keine. Darum war wohl auch die nächste Zeitstation so weit entfernt. Aufraffen, weiterfahren, es fiel mir schwer. Ungefähr nach einer weitere halben Stunde merkte ich wie die zunehmende Müdigkeit meine Augenlider schwerer werden ließ. Dabei hatte ich doch erst vor kurzem geschlafen und müßte demzufolge ausgeruht sein. Vermutlich war das die Quittung des Kopfes für meine vorausgeeilten Gedanken. Schon bei meinen dreifachen Triathlons hatte ich festgestellt, das die Strecke immer erst dann anfing mich zu quälen, wenn ich auf das Ankommen wartete. Zwei bis drei Stunden konnte ich ohne Probleme im 50 Meter Becken auf und ab kraulen, ohne genervt zu sein, ohne ungeduldig zu werden. Aber bei den letzten 500 Metern war alles anders. Auf diesen letzten Metern der 11.6 km langen Schwimmstrecke konnte ich geradezu hektisch werden, besessen davon endlich anzukommen. Das Ziel nicht im Weg sehend, mit dem Kopf schon im Ziel, der Körper noch eine geraume Zeit hinterher paddelnd. Genauso ging es mir jetzt hier. Ich fand keine Erklärung, warum ich noch nicht da war. Die Aussicht, hier nun noch weitere 50 km in diesem Tempo vor mir zu haben, zermürbte mich. Ich ließ mich hängen, gab mich selbst kurzfristig auf und wurde immer langsamer. Der Kopf schaltete ab, die Augen fielen mir zu. Glücklicherweise erinnerte ich mich daran, daß mir Klaus Haetzel bei einem Telefonat geraten hatte, in solchen Klappaugen-Zeiten eine kurze Schlafpause einzulegen. Peter, als dafür Verantwortlicher, war mehr als skeptisch, als er von meinen Plänen erfuhr. Äußerst kritisch schaute er mich an. „Und wie kriege ich dich wieder wach?“ „Das klappt schon, beruhigte ich ihn.“ Denn schließlich konnte ich mich nicht ewig damit wachhalten, das Rad auf dem weißen Begrenzungsstrich zu balancieren. Die nächste Hofeinfahrt mußte für mein provisorisches Schlaflager herhalten. Erschöpft ließ ich mich auf der schnell freigeräumten Rückbank des Wagens nieder, schaute mir die weiße Decke des Wagens an, hörte meine Gefährten leise flüstern, am Auto herumbasteln. Dann ließen sie mich allein. Nie werde ich diese mich jetzt umgebende Stille vergessen. Es waren vermutlich nur wenige Sekunden bis ich einnickte, doch diese Stille war so gegenwärtig, das ich danach hätte greifen können. Sie war grenzenlos. Derjenige, der es mit dem Schlafmangel bisher am weitesten getrieben hat, ist der schon mehrfach erwähnte Michael Shermer. Er muß seinerzeit wirklich gedacht haben, daß Rennen sei auch ganz ohne Schlaf zu bewältigen. Kaum anders kann man seinen Rekord deuten. Während die meisten Fahrer ungefähr mit zwei Stunden pro Tag auskommen, ließ er auch diesen weg. Er fuhr im 1983er Rennen ganze 1.259 Meilen ohne Schlaf. Von Kalifornien bis nach Nebraskar. Gut 2.100 km in 83 Stunden ohne Ruhe! Als er sich dann doch für eine ganze 45 Minuten lange Schlafpause niederließ, war das Erwachen dementsprechend. Er hielt seine Begleitcrew für Außerirdische. Und diese hatten es seiner Meinung nach - wie soll es
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anders sein - auf ihn abgesehen. Dabei hielt er sie für so geschickt, daß er glaubte, sie hätten sich in die menschlichen Hüllen seiner Freunde eingenistet. Da diese aber auch noch persönliche Details auf seine, die Vergangenheit betreffenden Fragen, beantworten konnten, war er wirklich beeindruckt von der Art wie sie ihre Rollen als „Menschen“ spielten. Das alles half ihm aber nicht einzusehen, daß er in der Realität weilte. Eine ganze Stunde diskutierte er mit seinem Team. Dann verordnete dieses ihm eine Zwangspause, hiernach gehörten auch die Außerirdischen der Vergangenheit an. Daraus resultierend gibt das heutige Reglement der Rennleitung die Möglichkeit, übereifrigen Kandidaten auf der Strecke eine Zwangsschlafpause zu verordnen. Peter schüttelte mich. Das war doch ich, der da in dem Wagen lag. Irgendwo im Nirgendwo Amerikas auf irgendeinem ebensowenig bekannten Highway und doch an dem Ort wo ich mich hin gehörig fühlte. Beim Race Across America. Ohne lange zu zögern, raffte ich mich auf, stieg auf das Rad und sauste los. Sausen ist durchaus das richtige Wort, denn ich fuhr deutlich schneller, als vor meinem Zwischenstop. Doch mein Wachheitsgrad hielt nicht lange an. Das heißt, eigentlich weiß ich es nicht. Denn ich fuhr ohne dazusein. Zwar mit unverändertem Tempo, zwar mit offenen Augen - und doch war ich gar nicht da. Das ist der einzige Streckenabschnitt auf der ganzen Fahrt, von dem ich nicht sagen kann, wie ich ihn eigentlich gefahren bin. Irgendwann gelangten wir an die nächste Zeitstation. Ein sehr RAAM-typisches Erlebnis. Mein Team wechselte, und ich baute kurz meine Lampen ab und unterhielt mich derweil mit Peter. -„Du bist teilweise 20 km/h gefahren“, vertraute er mir an Jetzt sah ich klar, weshalb mir die Zeit so lang geworden war. Warum ich überhaupt nicht vorwärts kam. -„Und nach der Schlafpause mehr oder weniger konstant 30 km/h.“ Was soll ich sagen? Warum, ich 30 km/h fahren kann ohne etwas davon mitzubekommen und im wacheren Zustand keine 20 km/h - ich weiß es nicht. Doch die Nacht war nun endgültig vorbei. Bei der jetzt aufgehenden Sonne würde es mir bestimmt gelingen wach zu bleiben. Schnellstmöglich mußte ich respektieren lernen, daß nicht alles im Einheitstempo ging, sondern, daß man teilweise eben so frustrierend langsam fährt. Und dabei sollte ich am besten gleich begreifen, daß auch dieses Tempo mich vorwärts brachte. Trotz allem, jeder gefahrene Meter liegt hinter einem und mußte nie wieder gefahren werden. Warum nur hatte ich nie daran gedacht, daß ich zumindest teilweise so langsam sein würde? Wo es doch eigentlich klar auf der Hand lag. Das Wissen um meine niedrige Geschwindigkeit machte mir das Fahren zeitweise zur Qual. Ich war mit mir selbst nicht zufrieden. Wie kann man nur so langsam sein? Aber wie das so ist, wenn etwas daneben läuft, lief in dieser Nacht auch noch
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einiges andere schief. So fiel Peter auf, daß ich ziemlich häufig aus dem Sattel ging, an meiner Radhose zuppelte, mich streckte und dabei versuchte die Hosenlage zu korrigieren, um vermutlich bequemer sitzen zu können. Das schien jedoch immer seltener zu gelingen, denn immer öfter stand ich auf. Schon mittags, als wir in die Ebene Colorados einfuhren merkte ich die Schmerzen in meiner Gesäßfläche. Zuerst spürte ich es im Schritt. Links und rechts am Beineinsatz hatte ich mir zum Schutz vor dem Wundscheuern hydrokoloide Platten aus der Dekubitusprophylaxe aufgeklebt. Zwar hatten sie bisher gut gehalten, aber langsam fingen die Ecken und Seiten an sich aufzurollen. Einmal dabei, wurden sie auch härter und bohrten sich unnachgiebig in den Oberschenkel. An den gelösten Enden klebten zudem noch die nachgewachsenen Haare. Nicht nur die vom Oberschenkel, auch einige Schamhaare hatten sich dazugesellt. Diese zerrten und bissen nun ständig, bei jeder Pedalumdrehung aufs Neue. Wieder einmal hieß es rein ins Auto und sehen was Sache war. Als ich die Bescherung samt der teils wunden Haut begutachtete, war klar, daß dieser Mist runter mußte. Schmerzen hatte ich dabei genug. So stark, daß ich diese Aufgabe keinen anderen erledigen ließ. Als ich es dann endlich, mit zusammengebissenen Zähnen, geschafft hatte, teils mit Hilfe einer Nagelschere, die mich von der lästigen Behaarung befreite, machte ich meine erste Bekanntschaft mit der Österreichischen Antwort auf meine High-Tech-Schutzhaut. Sie hieß Hirschtalg. Glücklicherweise hatte Peter eine angebrochene Packung aus Österreich mitgenommen. Und tatsächlich verhinderte diese fettige Substanz auf den nächsten Kilometern ein Wundscheuern an besagter Stelle. Als dann am nächsten Tag die eigentlichen Pflaster an meinem Hinterteil entfernt wurden, biß ich fast vor Schmerz in das unter mir liegende Kissen! Wie war ich froh, als meine Haut wieder ohne die Schutzschicht war! Fortan hieß also die Devise Hirschtalg, Hirschtalg und nochmals: Hirschtalg. Leider war unsere mitgebrachte Tube bald leer, so daß sich meine Mannschaft um Nachschub sorgte. Natürlich gab es das Wort Hirschtalg aber nicht im Englischen. Man entschied sich für die zusammengesetzte, wörtliche Übersetzung der beiden Worte, Hirsch und Talg. „stag tallow“. Die Amerikaner müssen recht verdutzt geschaut haben. Vermutlich gingen ihre Gedanken in Richtung „crazy Germans“ oder immer diese RAAM-Fahrer, bei denen kann ja nicht alles stimmen. Ohne Erfolg zogen meine Leute also wieder ab und überlegten sich etwas Neues: Sie studierten die Packungsbeilage und setzten die Creme einfach aus Vaseline und Bepanthen zusammen. Der Erfolg sprach für sich. Innerhalb der nächsten 36 Stunden heilten die angegriffenen Stellen am Gesäß wieder zu. Im Nachhinein nennen wir sie jetzt unter uns die „Ratz - Fatz – Cream“.
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Doch die Sache hatte noch einen kleinen Haken. Um den Hirschtalg optimal verwenden zu können, mußte ich eine Hose mit Ledereinsatz tragen. Um das Gesäß des Radlers zu schützen, sind die Radhosen mit einem Einsatz aus Leder oder einem Kunststoffeinsatz versehen. Diese sollen sowohl eine zusätzliche Polsterung darstellen, als auch das lästige Scheuern und Eindrücken von Nähten beim Fahren verhindern. Von einigen Firmen hatte ich Radhosen bekommen, andere hatte ich mir noch extra hinzugekauft. Ungefähr fünfzehn kurze Radhosen führte ich auf dieser Tour mit. Ich wußte ja nicht, was passieren und wie oft ich die Hose wechseln würde. Fast alle hatten einen Kunststoffeinsatz! Schließlich fanden wir doch noch drei Exemplare, die den erwünschten Ledereinsatz hatten. Es waren die ältesten Hosen, die ich überhaupt nur besaß. Teils ausgeleiert wie ein altgedienter Badeanzug einer größeren Person. Meine Begeisterung war dementsprechend groß, als ich mit diesen Utensilien ausgestattet, dick mit Talg eingeschmiert, auf die Reise ging. Die aneinander haftenden Hirschtalg Seiten, mein Hintern und die „Leder“ Hose pappten aneinander wie mit Alleskleber dorthin modelliert. Wenn ich an einem Berg oder Hügel aus dem Sattel ging, bewegte sich die Hose um keinen Millimeter. Und ich hatte das Gefühl eine Plastiktüte würde mir am Gesäß kleben. Doch meiner Haut ging es ab sofort besser! Selbst die schon bestehenden Wunden heilten rasch ab. Schmerzen waren ab jetzt passé! So kam ich doch noch mit einer intakten Haut, zart wie ein „Baby-Popo“, ins Ziel. Ich gab mir Mühe etwas schneller zu fahren. Obwohl die Sonne langsam aufging, wurde ich nicht viel wacher. Die ländliche Gegend hatte zwar durchaus ihre Reize, doch ich war schon fast mit dem Offenhalten meiner Augen überfordert! Auch meine alte Taktik nach links und rechts zu schauen, wollte nicht recht gelingen. Die Müdigkeit hatte so vollkommen von mir Besitz ergriffen, daß ich selbst zum Kopfheben noch zu müde war. Immerhin waren dort aber immer mal wieder einige Bohrtürme zu sehen. Die Ersten, die ich bisher gesehen habe, und eigentlich hätte ich mich doch sehr für die Funktionsweise dieser kolossalen Maschinen interessiert. Stattdessen kämpfte ich erneut gegen den Schlaf. Ging es leicht bergab, war ich versucht die Beine baumeln zu lassen und dem Bedürfnis nach Schlaf nachzugeben. Erst ein bis zwei Stunden später hatte ich die Müdigkeit wieder im Griff. Wir waren nun mitten in Oklahoma. Für mich das Land der tausend Hügel. So weit ich mich entsinnen kann, ging es nur auf und ab. Nicht, daß man bequem hätte darüber rollen können, nein, gerade so, daß sich das Hantieren mit der Schaltung nicht lohnte und Aufstehen angesagt war. Der geeignete Name dafür war unter den RAAM-Fahrern die „Knee Burning Hills“. Bezeichnender kann man diese Art von Wegstrecke gar nicht nennen. Ich verbrachte den ganzen Tag mit diesem ewigen Auf und Ab. Damit nicht genug, auch noch die ganze Nacht. Das Glück blieb mir hold. Es traten keine Komplikationen auf, die wir nicht im Griff gehabt hätten. Meine Knie spürte ich gerade soweit, daß ich den oben genannten Ausdruck sehr gut nachvollziehen
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konnte. Die Landschaft verschwimmt vor meinem geistigen Auge. Das ist die Landschaft Amerikas. Das ist die Landschaft, die ich nach fast 3.000 km Fahrt erreicht habe. „Junge, Du fährst deinen Traum! Du lebst ihn! Wie auch immer es danach weitergehen mag, du hast es geschafft.“ Wellen des Hochgefühls erfaßten mich - und entließen mich wieder in die gnadenlose Hitze. Erinnerungen wurden wach. Erinnerungen an all meine Wettkämpfe, an die Triathlons, an einen Bundesligawettkampf, Kurzstrecke. Ich war gut radgefahren und quälte mich über die Laufstrecke. An die 560 km radfahren während eines Triple-Triathlons. 25 Mal den Berg hoch und wieder runter. Immer wieder. Bis die Zahlen in ihrer Bedeutungslosigkeit erstarren. Die Ernährungsprobleme, die ich damals hatte. Ich hatte keinen Hunger und der gnadenlose Einbruch, der darauf folgte, vorhersehbar und doch unaufhaltsam. Oder sogar unbewußt einkalkuliert? Der Kopf sagte: ich will nicht mehr. Nur um eine Stunde Schlaf zu bekommen. Endlich lernte ich ein paar Tricks. Zum Beispiel, daß ich trockenes Brot und klares Wasser immer essen konnte. Auch dann, wenn mir alles andere zum Hals heraushing. Oder, daß es manchmal der größte Unsinn ist zu schlafen, da die Müdigkeit meistens wieder vergeht. Wohingegen man nach einer Schlafpause meistens müder ist als vorher. Ein Sprichwort sagt, das die Erfahrung der beste Lehrmeister sei. So auch bei mir. Bei meinem dritten Triple-Triathlon 1997, hielt ich es in der Nacht für nötig zu schlafen. Der hierfür vorgesehene Rastraum lag direkt neben einer zum Heizen des Gebäudes erwärmten Sauna. Das Ergebnis war fast zwangsläufig: Als es Zeit zum Aufstehen war, kam ich nicht hoch, konnte nicht einmal mehr alleine stehen, mußte mich auf meine Betreuer Jutta und Sanne stützen, die mich mühsam die Treppe hoch zerrten. Mir war schlecht, die Beine waren weich wie Pudding und überhaupt, was tat ich hier? An der Luft ging es immer noch nicht viel besser. Erst im Ambulanzwagen, als ich lag, mit etwas Sauerstoff um Mund und Nase, kam Leben ins müde Hirn, meine Muskeln strafften sich wieder, ich konnte den Wettkampf fortsetzen. Was bewog mich damals nicht aufzugeben, was bewog mich, trotz dieser Erfahrungen weiter im extremen Langstreckenbereich zu bleiben? Der Sport, mit meinen daraus gewonnenen Erfahrungen und neuen Zielen ist eine Sache die sich über die Jahre hinzog und zu dem machte, was ich jetzt bin. Doch neben der sportlichen, gibt es natürlich noch eine andere, die finanzielle Seite: Zu Beginn der RAAM Planung traute mir kaum jemand etwas derartiges zu - ich selbst hatte riesigen Respekt vor der 3.000 Meilen Strecke. Unerhört hoch schwebten über mir Gestalten wie Rob Kish, Lon Haldeman, Michael Secrest oder andere Absolventen, die die Geschichte dieses Rennens durch ihre Teilnahme mitgeschrieben hatten. Einige hatten es auf Anhieb geschafft, andere kamen nach einem Aufgeben erst Jahre später wieder oder versuchten es gleich im darauffolgenden Jahr erneut. Sie fanden ihre Herausforderung im „Race Across America“. Dem un-
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glaublichsten Rennen, welches es überhaupt nur geben kann. In einem Fernsehinterview sah ich die Fahrer auf der Strecke, staunte über ihre Klarheit, die Einschätzung der Dinge, die sie erlebten, über die unglaubliche Landschaft im Hintergrund. Steve Born, ein inzwischen 40 Jahre alter, dreifacher RAAM Veteran sagte: „Ich liebe dieses Rennen“. Das kam mir damals noch sehr überzogen vor. Aber warum nicht: eine Art der Motivation. Hingegen gibt es bestimmt keine Motivation aus rein finanziellem Aspekt. Selten, daß es für den Gesamtsieger Preisgeld gab, ein Farbfernseher war wahrscheinlicher, wenn überhaupt. Und doch gibt es immer wieder Fahrer, die an den Start gehen. Vielleicht um die Erfahrung und das Abenteuer zu suchen: wer sich hier überschätzt, sich selbst über das Rennen stellt und nicht bereit ist auf die besonderen Regeln einzugehen, nämlich die besondere Kopfarbeit während des gesamte Rennens, fällt unweigerlich in die Realität zurück. Die simple und harte Realität ist derart, daß wenn Du meinst, du hättest dem RAAM alles gegeben, es mehr von dir verlangt. Es gibt kein zurück, es gibt bei diesem Rennen keine Kompromisse, als Hilfe nur die physischen Voraussetzungen, das Rad und vor allem die Psyche. Manche Fahrer haben spirituellen Antrieb, doch für fast alle ist es ein Traum, eine Herausforderung sondergleichen. Wie meistern solche Personen ihren Alltag? Wie schaffen sie es bloß, sich und ihre Familien zu ernähren? Wie gelingt es ihnen, nach der Arbeit immer und immer wieder auf das Rad zu steigen, bis zum Dunkelwerden, und darüber hinaus, im Sattel zu sitzen? Wie finanzieren sie das RAAM, wie gehen sie mit ihren Erfahrungen um? Auf all das wollte ich eine Antwort. Meine eigene Antwort. Vielleicht war das auch mit ein Grund gewesen, hierhin zu kommen, mit zu diesem Kreis zu gehören und vielleicht die ein oder andere Antwort zu finden. Aus eigener Kraft dazu in der Lage zu sein, Tag und Nacht radzufahren, mit dem Ziel einen ganzen Kontinent zu durchqueren - in einem Rennen mit den besten Langstreckenfahrern der Welt. Was ich nicht so erwartet hätte und was doch mit die schönste Erfahrung des Rennens war, waren meine Teammitglieder. Ich kann es nicht oft genug betonen was sie alles für mich getan haben! Angefangen mit der finanziellen Unterstützung und der Bereitschaft, durchaus auch einmal auf unbequemere Art zu nächtigen, in Positionen, von denen man vorher nie geglaubt hätte, daß man so schlafen kann. Ständig dazusein. Sich ganz auf mich und meinen Rhythmus einzulassen, trotzdem flexibel zu bleiben. In unserer schnellebigen Zeit durch das Land zu kriechen, ständig an gleich aussehenden, trostlosen Tankstellen auf mich zu warten. Und doch verband uns viel mehr als nur das Rennen und die dafür nötige Organisationsarbeit. Ich will nicht verhehlen, daß ich unwahrscheinlich viel Glück mit meinem Team hatte, von Anfang an. Alle Leute, die mitfuhren, sagten quasi innerhalb einer Woche zu, keiner sprang ab. Alle halfen mit Sponsoren zu suchen. Ralf sprach solange die ihm bekannten und unbe-
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kannten Personen an, bis er ein ordentliches Weggeld erzielt hatte; wie ich während des Rennens dachte auch er überhaupt nicht ans Aufgeben. Eher verspürten wir etwas Unverständnis in uns, daß es uns nicht gelingen wollte einen großen Sponsor auf unsere Seite zu bringen. Mit dabei war natürlich auch meine Freundin Sanne, die mich das ganze halbe Jahr bis zum Start ertrug. Währenddessen schrieb sie noch ihre Diplomarbeit als Oecotrophologin an der Universitätsklinik in Bonn. Trotzdem fand sie Zeit mich zu unterstützen, viele Besorgungen zu erledigen und dafür zu sorgen, daß ich einen Platz hatte um Nachhause zu kommen. Das war für mich nicht unwichtig, da ich meistens durch Abwesenheit glänzte, und im erschöpften Zustand überaus froh war, daß Sanne zu mir hielt und bereit war all das zu akzeptieren. Denn wenn ich nicht gerade Rad fuhr, arbeitete, aß oder schlief ich. Soziale Kontakte lagen eigentlich völlig brach, für Kino und ähnliches blieb keine Zeit und wenn doch, war ich meist zu erschöpft, um noch „große“ Unternehmungen zu starten. Über die Hilfe der Österreicher könnte ich ein ganzes Kapitel schreiben. Weit von Bonn entfernt lebend fing ihre RAAM-Reise noch anders an. Peter sprach Lisi und Petra ungefähr so an: „Was machst du denn im Sommer? Hast du Lust auf Urlaub in Amerika? Na ja, eigentlich ist es kein Urlaub. Ich weiß auch noch nicht ob es etwas gibt,......, aber wenn, kommst du mit?“ Peter und Petra nahmen sich von ihrer Ausbildung zu Physiotherapeuten kurzerhand Urlaub. Peter baute in seiner knappen Freizeit Massagebänke, um sich den Flug zu finanzieren. Dazu kam natürlich noch die Ausarbeitung meiner Trainingspläne, um mich auf das Rennen gezielt vorzubereiten. Petra als meine Physiotherapeutin verbrachte eine ordentliche sportliche Leistung nur mit meiner Betreuung: die ganzen Tage unserer Reise war sie unermüdlich für mich da. Ob Tag ob Nacht, ob sie schon vorher im Begleitwagen mitgearbeitet hatte oder nicht. Wenn ich kam war sie stets voller Aufmerksamkeit für mich und meine Blessuren da. Zu meiner Testfahrt kamen die drei kurzerhand in die Eifel, betreuten mich und fuhren wieder heim, ohne selbst geschlafen zu haben. Lisi, eine Internistin aus St. Pölten, arbeitete eine kompletten Plan aus, wie mit mir während des Rennens zu verfahren sei. Sie organisierte die gesamte medizinische Betreuung für mich und das Team. Lisi besorgte sogar ein hochmodernes, transportables Gerät um meine Blut-Plasmawerte bestimmen zu können, sowie ein Elektrokardiogramm. Und all dieses brachte sie auch noch gewissenhaft durch den amerikanischen Zoll, was auch mit weniger, nicht so wertvollem Gepäck nicht immer ohne Komplikationen abläuft. Ilona: Zu ihr gibt es sehr viel zu erzählen. Schon am ersten Tag hatte sie spontan zugesagt mich zu begleiten. Daraufhin plante sie das halbe Reisekonzept, entwickelte unsere ersten Mappen zur Sponsorensuche, schrieb unablässig Firmen an - und lebte mit den frustrierenden und enttäuschenden Absagen. Nebenher arbeitete sie, genauso wie ich, als Vollzeitkraft auf der Intensivstation. Dazu absolvierte sie ihren Kurs zur Stationsleitung. Einer Auf-
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gabe, der sie ab Mai 99 auf unserer Station nachging. Dabei noch immer unaufhörlich bemüht, mich weiterhin zu motivieren und zu verhindern, daß mich die Tiefschläge der absagende Sponsoren zu sehr trafen. Mit Gesprächen und Literatur half sie mir zu einer anderen Sichtweisen der Dinge, die mir vor und während des RAAMs sehr zugute kam. Lothar, selbst aktiver Triathlet, trainierte schon vor dem RAAM gelegentlich mit mir zusammen. Voller Begeisterung für diese Idee und die zu vollbringenden Leistungen schleppte er sein ganzes Werkzeug und seine Laufräder mit um die halbe Welt, um meine Pannen zu beheben. Und natürlich war Rita dabei, die gute Seele des Teams. Als ich sie fragte ob sie mitkommen wollte, rief sie ein paar Tage später an: meinte ich das auch ernst? Und sie sagte zu! Stets ausgeglichen und freundlich, von einer Ausdauer die ich nur bewundern kann, sorgte sie nicht nur für mein Wohlergehen während der Fahrt. Es ließt sich fast wie eine Auflistung, eine Lobpreisung. Dabei habe ich die ganze Arbeit die jeder im Team leistete wenig beschrieben: vom Autofahren bis Karten lesen, einkaufen, tanken, Räder reparieren und was sonst noch anfiel. Und doch kann man mit Worten gar nicht beschreiben, was diese, meine Freunde, alles für mich getan haben. Unvergeßlich ist die Liebe und die Fürsorglichkeit mit der sie mich betreut haben - einer der wesentlichen Aspekte des RAAM. Ich wünsche vielen RAAM-Fahrern diese Erfahrung. Nun zurück zum Rennen. Die drückende Hitze belastete mich immer mehr, teilweise kroch ich nur noch, so heiß war es. Irgendwie konnte mein Körper die hohen Außentemperaturen nicht mehr so herunterkühlen wie es ihm gut getan hätte. Langsamer fahrend betrachtete ich die Gegend. Es wurde zunehmend belebter. Wir durchfuhren Dörfer und kleine Städte. Zum Teil kamen wir an Bäumen vorbei, die so dicht mit zirpenden Grillen besetzt waren, daß man den Baum nur als schwarze Schattierung wahrnehmen konnte. Die Insekten zirpten in einer unglaublichen Lautstärke. Sie waren so laut, daß ich die 200 Watt starke Musik des hinter mir fahrenden Wagens nicht hören konnte. Zirp Zirp Zirp. Manchmal sah ich im Hintergrund dieser Bäume auch noch ein eingefallenes Gehöft, mir war dann schon etwas mulmig und unheimlich zumute. Obwohl es hellichter Tag war. Doch dies alles in der flimmernden Hitze.....ich war froh als ich weiterkam und bewohntere Gebiete erreichte. Hinzu kam noch ein bestialischer Gestank. Er wurde von überfahrenen Gürteltieren verbreitet. Etwa hoch wie ein Dackel, mit kurzen Beinen, einem langen Schwanz, sind diese Tiere mit einem körpereigenen Panzer geschützt, der sie natürlich nicht im entferntesten vor den Autoreifen behütet. Diese Tiere lagen nun zu Dutzenden mit halb aufgerissenem Körper auf dem Seitenstreifen und verbreiteten diesen fürchterlichen Gestank. Nur ein einziges Tier sah ich lebend nachts über die Straße huschen. Diese auch als Bible Belt bekannte Gegend
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lockte vielfach vom Straßenrand aus mit Leuchtreklame und Blinklichtern zu den verschiedenen kirchlichen Angeboten hin. Hier schien offensichtlich ein etwas anderer Umgang und eine andere Sichtweise der Religion zu herrschen als in Deutschland. Wir rollten weiter, fanden immer wieder zu unserem Tempo, nahmen hin, daß ich in der Hitze des Tages kaum vorwärts kam. Wie schon vor den Rockys, versuchte ich auch hier tagsüber zu schlafen, um die Kühle der Nacht komplett mit Fahren auszunutzen. Ein Unterfangen, von dem ich jedesmal klatschnaß geschwitzt wieder aufwachte. Nur um dann den schwachen, heißen Luftzug der Außenluft auf der Haut zu spüren. Die Nacht verlief erstaunlich gut, eine richtige Wohltat. Irgendwann war ich jedoch wieder knapp davor, den uns entgegenkommenden Verkehr zu rammen. Ich war dabei einzuschlafen. Auf dem Asphalt fand ich geschriebene Zahlenkolonnen, alle hundert Meter aufs neue. Man sollte sie zusammenzählen - und schon war ein weiterer Kilometer absolviert, man blieb dabei wach und sah, daß man vorwärts kam. Kein schlechtes System, auch wenn die einfache Addition von eins auf Dauer auch für einen müden Geist keine rege Aktivität darstellt. Welchem Fahrer es wohl ursprünglich helfen sollte? Als auch die Rechnerei mich nicht mehr wachhalten konnte und ich die Mittellinie zum zigsten Male überfahren hatte, durfte ich an der nächsten Zeitstation eine Stunde lang schlafen. Um mich und andere nicht zu gefährden. Oh wie tat das gut. Diesen Nachtschlaf empfand ich als viel erfrischender als den Tagesschlaf, und doch mußte ich nachts fahren um der Hitze zu entgehen....verheerend, die Auswirkungen sollten sich bald zeigen. Der nächste, bald anbrechende Tag brachte für mich die Wende. Obwohl bisher alles doch noch recht gut gelaufen war, zeigten sich nun die Auswirkungen der Hitze. Mit zunehmend steigender Sonne wurde ich langsamer, wie gehabt, nur dieses mal noch eine Stufe schlimmer. Ich stand geradezu in der Landschaft. Als dann ein Berg kam (es war eigentlich nur ein kleiner Hügel), war ich am verzweifeln, das Rad blieb trotz meiner Pedalumdrehungen fast stehen. Mir war entsetzlich heiß. Das ging eine Weile, bis dann ein Radler von hinten angeflogen kam. Es war der zur Zeit fahrende Aktive des führenden Teams. Er preschte in hohen Gängen zu mir heran und parkte mit qualmenden Reifen neben mir, um kurz mit mir zu sprechen. Wir tauschten irgendwelche Belanglosigkeiten aus, dann verabschiedete er sich mit der Begründung zu viel Zeit zu verlieren. Prima. Bei dem Schneckentempo, welches ich gerade vorlegte, konnte ich seine Reaktion verstehen. Doch ich war wütend und etwas genervt. Zuhause, ja zu Hause hätte ich die Beine in die Hand genommen und erst Mal Gas gegeben. Eigentlich: warum nicht auch hier? Meinem Team, das gerade aufholte, um sich zu erkundigen worüber wir gesprochen hätten, sagte ich etwas ähnliches wie: „der glaubt wohl er ist hier der Einzige der Radfahren kann!“
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Dem vollmundigen Versprechen ließ ich durchaus willig Taten folgen, ....wenn auch nur kurzfristig. Ich schaltete ein paar Gänge höher, trat an, und sah zu, daß ich an den vorauseilenden Athleten heranfuhr. Es dauerte einige Zeit, doch schließlich hatte ich ihn. Ah, endlich ein gescheites Tempo, die Strecke flog nur so vorbei. Der gute Mann staunte nicht schlecht. Die Team Fahrer haben große Achtung vor den Einzelfahrern, quasi alle halten an, sprechen mit den Fahrern, zeigen ihnen ihre Anerkennung, fordern sie zum Durchhalten auf. Im Gegensatz zu uns Einzelfahrern, fährt das Team das RAAM zwar auf derselben Strecke, sie haben jedoch vier Athleten zum abwechselnden Fahren. Eine Leistung, die bestanden sein will! Denn ihr Tempo ist unwahrscheinlich hoch. Der Fahrer, mit dem ich sprach, berichtete mir, daß sich die Mitglieder seines Teams alle zwanzig, dreißig Minuten beim Fahren abwechseln würden, um so einen Schnitt nahe 40 km/h halten zu können. Da die Teams drei Tage später starten, kam bisher immer der Augenblick, wo sie schließlich auch die Führenden des Solo Rennens überholten. Einzig der Australier Gerry Tatrai wehrte sich im Vorjahr verbissen gegen dieses Überholmanöver, doch schließlich unterlag auch er. Der Team-Rekord liegt seit 1996 bei 5 Tagen, 6 Stunden und 4 Minuten! Das ist fast drei Tage schneller, als der offizielle Solo RAAM Rekord von Rob Kish, mit 8 Tagen, 3 Stunden und 11 Minuten. Das die Bestzeit haltende kalifornische Team hatte ein enormes Tempo gefahren. Da die Spitze des Rennens weit entfernt fuhr, war ich einer der ersten, die jetzt überholt wurden. Um so größer war meine Freude, daß ich doch noch radfahren und den vorbeifahrendem Teamfahrer einholen konnte. Wir unterhielten uns ein bißchen, schließlich, nach einer Ampel, war er weg. Sein Teamfahrzeug fuhr hupend und winkend vorbei, meines folgte, und hielt direkt darauf neben mir. Johlend begrüßte mich die Truppe, feierte meinen kurzen Ausflug in richtiges Radler-Tempo als gute Leistung und willkommene Abwechslung. Ehe wir uns versahen, waren wir bei der nächsten Zeitstation. Die hatte ich vorher als fürchterlich weit entfernt angesehen und noch gar nicht erwartet. Erfreut nahm ich diese Auswirkung des höheren Tempos zur Kenntnis. Nach der Meldung beim Hauptquartier unterlief uns ein kleines Mißgeschick, statt nach links abzubiegen, fuhren wir geradeaus weiter. Nach zwei Meilen stellten Lothar und Ralf den Irrtum fest und korrigierten ihn. Schnell wurde das Rad in den Wagen geladen, ich hinterher und schon ging es zum Ausgangspunkt zurück, genau so, wie es das Regelwerk vorsieht. Ich war nicht einmal sauer. Weshalb auch? Da es unser erster und gleichzeitig auch letzter Navigationsfehler war, bestand dazu kein Anlas. Schließlich tat hier jeder sein Bestes und außerdem war ich zu diesem Zeitpunkt geradezu glücklich im klimatisierten Auto sitzen zu können, draußen drückte mir die Hitze auf die Seele. Ich fuhr diesmal an derselben Abzweigung links hoch, was wesentlich angenehmer zu fahren war, da hier viel weniger Verkehr herrschte. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut. Als wäre ich in einem Backofen eingeschlossen.
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Nicht mehr lang und ich stellte das Rad ab, ging die Böschung hinauf und legte mich in den Schatten eines Baumes. Es war mir zu heiß, ich war am Ende, wollte nur noch meine Ruhe, vor allem aber Schatten und Kühle. Ich dachte zwar keinen Augenblick daran aufzuhören, war aber nicht fähig in der Hitze weiterzufahren. Mein Team versorgte mich besorgt mit Getränken und kalten Tüchern. Sie waren nicht sonderlich überrascht, kein einziger machte mir Vorwürfe oder versuchte mich vorwärtszutreiben. Abwartend beobachteten sie meinen Zustand. Schließlich dämmerte ich ein. Als ich nach etwa einer Stunde erwachte, fühlte ich mich deutlich besser, war bereit den restlichen Weg zur nächsten Zeitstation, an der das Wohnmobil wartete, zu fahren. Wir hatten schon fast Oklahoma durchquert, beinahe die Grenze eines weiteren Bundesstaates hinter uns gelassen. Auf etwa halbem Wege kam uns das ewig lange Geschoß, unser Wohnmobil, entgegen. Sie hatten sich Sorgen um mich gemacht, umgedreht und kamen mich jetzt suchen. Hier kam ich nun endlich. Besorgt fuhren sie wieder vor, um alles für meine Ankunft vorzubereiten. Es war Schlafenszeit. Als ich ankam konnte ich direkt ins Bett, Rita hatte noch einen wunderbar großen Hamburger als Abendbrot organisiert, ich schlief fast auf der Stelle ein. Wieviel Zeit mich diese ganze Geschichte gekostet hat? Ich weiß es nicht, doch dieses mal verheerend viel. Bisher konnten wir viele Schlafpausen damit aufwiegen und rechtfertigen, daß sie trotzdem in den Plan paßten. Peter rechnete kontinuierlich herum und wenn ich zügig fuhr, hielt er den Schlaf in der eingesparten Zeit für gerechtfertigt und sah ihn nicht als Zeitverlust an. Nach der Schlafpause fühlte ich mich erheblich besser. Ich war wieder motiviert und willens voranzukommen. Hinaus, um die beginnende Nacht zu begrüßen und der Grenze von Arkansas entgegen zu eilen. Ohne weitere Probleme erreichten wir diese schließlich. Arkansas bietet im Vergleich zu Oklahoma nicht viel Neues, nur an seinem westlichen Ende ist es sehr flach. Sonst alles wie gehabt: Hügel. Doch dafür ging es durch eine sehr schöne Gegend. Hier gab es vermehrt Gehöfte, Wohlstand schien hier zu herrschen. Viele Clubs luden zum Verweilen auf Golfplätzen oder Reitfarmen ein. Wir wollten weder das eine noch das andere. Uns war nach singen zumute. Zum Glück hatten wir ein Lied von Marius Müller Westernhagen dabei, das wir kräftig mitsingen konnten. Von der Schlappe des Vortages merkte ich nun nichts mehr, es ging zügig voran - die Stimmung war prächtig. Erst gegen Mittag, als die Hitze wieder gegen 40 °C schritt, wurde ich langsamer, die üblichen Probleme, doch auch hier schafften wir etliche Kilometer. Ich versuchte, die Hitze auszublenden und zu ignorieren. Unser großes Ziel hieß jetzt Mississippi. Der große Fluß stellte nicht nur die Grenze Tennessees dar, sondern auch einen besonderen Punkt im RAAM. Zum einen ist die Brücke über den Mississippi das einzige Stück der gesamten Strecke, das wir mit unseren Rädern nicht befahren durften. Die Brücke ist für Radfahrer gesperrt. Daher hatten wir die Möglichkeit im Auto
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sitzend den Fluß zu überqueren, wovon aber kaum je einer etwas mitbekam, da die meisten, einmal im Wagen, direkt einschliefen. Zum anderen stellt sie einen Wendepunkt im RAAM dar. Viele Veteranen sagen, daß das Rennen erst hier begänne, die letzten tausend Meilen galt es dann noch zu bestehen. Doch der Weg dorthin war noch weit. Wir schätzten, daß noch ein ganze Nachtfahrt vor mir lag, ehe ich den breiten Fluß endlich würde sehen können. Die Strecke war denkbar einfach. Einmal auf dem richtigen Highway ging es schnurgeradeaus. Vorher mußten wir noch ein paar Brücken und einige Steigungen passieren. Die unter den Brücken liegenden Flüsse konnte man mehr erahnen als wirklich sehen. Nebelschwaden stiegen aus der Tiefe auf. Schilder warnten uns vor Glätte, die auf den Brücken bestehen könnte. Bei 30 °C? Wir lachten. Die Luft war immer noch recht heiß, wobei die Luftfeuchtigkeit deutlich angestiegen war. Manchmal rutschte ich fast von den Bremsgriffen ab, trotz der Radhandschuhe. Als wir schließlich die Ebene vor uns hatten, wußten wir, daß wir bald Memphis erreichen würden. Endlos lang ging die Straße nun mehr geradeaus, nur hin und wieder sorgte ein Haus für Abwechslung. Wir nutzen die Gelegenheit zu einem richtigen kleinen Fest. Peter, Petra und Sanne saßen im Auto. Erst fingen sie an neben mir herzufahren, machten Späße. Dann fingen sie mit Singen an. Erst sie, dann ich, dann alle zusammen. Viel hörten wir nicht voneinander, trotz heruntergekurbelter Fenster, doch es machte riesigen Spaß. Schließlich gingen uns die gemeinsamen Texte aus und ich mußte ihnen mit meiner alles anderen als gut ausgebildeten Gesangsstimme etwas vorsingen. Wahrscheinlich passend zum Mondlicht. Aber wir waren ganz bei der Sache. Auf dieser Nachtfahrt dachte ich nicht einmal an Müdigkeit, konstant fuhr ich weiter. Während die anderen hin und wieder von Mücken heimgesucht wurden, mußte wohl schon mein Geruch die Viecher vertrieben haben, ich blieb ungeschoren. Innerlich brannte ich natürlich darauf diesen riesigen Fluß zu erreichen und mit Memphis endlich das Tor zum vorletzten Bundesstaat Tennessee vor mir zu haben. In den frühen Morgenstunden hielten wir alles, was auch nur im entferntesten nach einer Brückenspitze aussah, für das gesuchte Zeichen. Von wegen. Eine gute dreiviertel Stunde durften wir noch durch Vororte gondeln, ich mit Zähneputzen und Rasieren, meine Mannschaft damit beschäftigt die richtige Brückenauffahrt nicht zu verpassen. Dann endlich war es soweit: wir erreichten einen riesigen Parkplatz, mit jeder Menge Trucks und Autos. Ich war etwas enttäuscht, hatte ich mir doch zumindest den Ausblick auf den Fluß erhofft! Zumindest konnte ich in das Wohnmobil steigen, und eine Weile schlafen. Als es weitergehen sollte waren wir immer noch aufgeregt. Jetzt galt es auch noch die richtige Abfahrt in Memphis zu finden und mich dort rauszulassen, wo das Route Book es vorsah. Eine Baustelle wollte uns das erst vereiteln, doch schließlich gelang es. Davon bekam ich aber
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nicht viel mit, denn ich wollte nur schnell auf das Rad und weitereilen. Im Auto fühlte ich mich nicht wohl, ich wollte wieder „Teil“ der Straße sein. Als ich dann draußen war, wunderte ich mich über meine vorherige Unruhe. Die Straßen, auf denen wir uns anfänglich durch Memphis quälten, waren so groß wie die bundesdeutschen Autobahnen, jedoch friedlicher. Zwischen drei- und vierspurigen Fahrbahnen durfte ich mich, auf der äußeren rechten Spur gegen die Autos behaupten. Doch der frühe Morgen verhinderte ein großes Verkehrsaufkommen, wir brauchten nur an jeder zweiten Ampel halten - was immer noch genug war. Nach einem kurzen Halt bei Mc Donald`s - warum gibt es denn bitte in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten um 8 Uhr noch keine Hamburger? - gelangten wir aber auf wesentlich schönere Straßen. Ruhig und verlassen lagen sie da. Großzügige Häuser waren, leicht zurückversetzt, an die Straßenränder gebaut, teils immens groß, teils kleiner. Viele mit Veranden, einige mit herrschaftlichem Aussehen, von stützenden Säulen getragen, mit marmorbeschlagenen Stufen. Zwischen den Häusern standen oftmals wunderschöne Bäume, die zusammen mit dem saftigem Grün der Gräser eine wirklich üppige Vegetation für eine Großstadt darstellten. Es war herrlich. Mindestens drei in meinem Team schworen sich, hierhin wieder zurückzukommen, um sich das noch einmal genauer anzuschauen. Unsere Fahrt ging aber natürlich weiter, ließ keine Zeit zum Verweilen. Immer tiefer hinein ins große Tennessee. Die Vegetation war auch weiterhin recht üppig. Unglaublich dichtes Gebüsch drängte auf die Straße zu, wie eine Mauer ragte es an ihrem Rand empor. Viele hoch gewachsene Bäume hatten ihre Wurzeln in von dunklem Wasser überschwemmter Erde. Fast wie ein Moor, doch viel lebendiger und gewaltiger. Eine Vegetation mit Kletterpflanzen, Bäumen Sträuchern und Büschen in allen nur möglichen Grüntönen. Dazwischen breiteten sich immer wieder ausgedehnte Wasserflächen aus, teils mit vermoderten Baumstämmen bestückt. Es war ein wunderschöner Anblick, eine Landschaft die mich voll in ihren Bann zog. Selten konnte man darüber hinaus etwas von der Weite des Landes erkennen. Überall ragten mächtige Bäume in den Himmel. Lediglich um die Städte und Dörfer boten gerodete Flächen Platz für Felder. Diese unglaubliche Pflanzenvielfalt hatte für mich noch einen anderen Vorteil: Die Bäume warfen Schatten. Wirklich, Schatten. Solange die Sonne nicht zu hoch stand, ließ es sich gut aushalten. Hier brauchte ich mich nun wirklich nicht mehr um Abwechslung zu sorgen. Immer und überall gab es etwas zu bewundern, diese phantastische Landschaft ließ gar keine Unruhe oder Hast in mir aufkommen. Im Schatten dieser Giganten schien auch ich zu wachsen. Und das war dringend nötig. Es war Freitag. Und das hieß der achte Tag seit unserem Start. Am heutigen Abend würde vermutlich der Sieger in Savannah ankommen.
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Um offizieller Finisher zu werden hätte ich danach noch genau 48 Stunden Zeit das Ziel zu erreichen. Bei allem was noch an Kilometern vor mir lag alles andere als eine Kleinigkeit. Wie üblich schlief ich mittags, war danach aber erfreut weiterfahren zu können, hoffte, daß bald der Abend kommen würde. Es näherte sich ein großer Meilenstein in meinem RAAM. Als ich schließlich abends in Linden eintraf, fühlte ich mich auf seltsame Weise unwohl. Am Mittag des Tages hatte ich Sanne einmal angepampt. Für nichts und wieder nichts. Warum weiß ich selber nicht mehr. Irgendwie bedrückte mich die Hitze und sie bekam die Auswirkungen zu spüren. Vielleicht hatte ich das Gefühl, sie wollte mich ein wenig zuviel bemuttern, etwas, wovon ich nicht viel halte. Es tat mir schrecklich leid. Nachher entschuldigte ich mich bei ihr. Doch ihr hatte es mächtig die Stimmung verschlagen. Schließlich war nicht nur ich seit acht Tagen unterwegs, wir hatten alle Schlafmangel. Trotz allem ging es dann recht gut weiter. Bis Linden, der 47. Zeitstation, noch gute 1000 km bis zum Ziel in Savannah. Mit Schrecken denk ich an den Aufenthalt an diesem Kontrollpunkt zurück. Ich legte mich hin um zu schlafen, vielleicht hatte ich vorher noch kurz im Wohnmobil geduscht, alles wie sonst auch. Als ich lag, schlief ich wie üblich fast unmittelbar darauf ein. Lisi wollte mir aufgrund der Hitze noch eine Infusion legen, mit etwas Blut die Plasmawerte abchecken. Beim Einstich erwachte ich, wahnsinnig erschrocken, ich dachte wunder was los sei. Plötzlich fing ich an zu hyperventilieren, etwas was ich in meinem ganzen Leben noch nicht getan hatte! Es gab keinen Grund dafür. Doch ich hörte auch nicht wieder auf damit. Ich sah keine Möglichkeit das willentlich zu beeinflussen. Ich versuchte es. Doch statt ruhiger zu atmen schnaubte und schnaubte ich. Peter, Rita, Lisi, und Sanne gaben sich Mühe beruhigend auf mich einzuwirken, sie wollten wissen was los sei. Ich hatte keine Ahnung. Ich hätte sogar lachen mögen, wenn ich mir nicht so wahnsinnig blöd vorgekommen wäre, da zu liegen wie ein Fisch auf dem Trockenen und nach Luft zu schnappen. Eindeutig, daß ich mich nicht unter Kontrolle hatte, doch was war los? Ich empfand Schmerzen im Arm und Schulter, sowie Lungen Bereich. Das schnell abgeleitete EKG brachte uns auch keine Aufklärung. Die Stimmung war derart gespannt, daß ein Weiterfahren wirklich in Frage stand. Lisi, als meine Ärtztin hatte sogar schon Ralf losgeschickt um sich nach dem nächsten Krankenhaus zu erkundigen! Doch davon wußte ich, der ich dort lag nichts. Später berichtete mir Rita, daß ich, sobald ich eingeschlafen war, sofort mit der Hyperventilation aufgehört hatte. Was war los? War ich zum Hypochonder geworden? War es ein Hitzschlag oder nur die Müdigkeit? Hatte mein Körper genug vom Schlafmangel und zeigte jetzt seine Grenzen auf? Sollte es das Ende meines RAAMs sein? Ich weiß es immer noch nicht. Mein Team ließ mich schlafen, fast sechs Stunden lang. Das Rennen gegen die Uhr war gelaufen. Das war uns allen klar. Wir konnten nur vermuten, daß es an der ständigen Hitze und dem Schlafmangel gelegen haben konnte. Beweise für eine Mikroembo-
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lie – einen Verschluß eines Lungenteils durch einen Blutpfropfen – oder einen Infarkt, konnten wir mit unseren diagnostischen Hilfsmitteln nicht finden. Ebenfalls bestand die Möglichkeit, daß es ein Bronchospasmus – ähnlich wie beim Asthma, ein Krampf der Bronchialmuskeln - war, vielleicht ausgelöst durch eine allergische Reaktion auf die Vitamine die in der Infusion gelöst waren. In Anbetracht dieser Überlegungen entschieden wir uns trotzdem einstimmig dafür, weiterzufahren, in der Mittagshitze wie gewohnt zu rasten und dabei so gut als möglich vorwärts zu kommen. Die Plazierung hatten wir abgehakt. Uns lag nur noch das Ankommen am Herzen. Da unsere Rückflüge noch über eine Woche entfernt lagen würde es damit keinen terminlichen Druck geben, egal wie lang wir brauchen sollten. Doch das Übel hatte auch etwas gutes. Wir waren ausgeschlafener, munterer, trotz der traurigen Wahrheit. Außerdem konnten wir froh sein, daß ich nichts Ernstes hatte, der Schwächeanfall war auf einmal wie weggeblasen. Erneut auf dem Rad sitzend, trat ich beherzt in die Pedale, war glücklich wieder fit zu sein und weiter mein Rennen fahren zu dürfen. Und wenn ich auch hinterherfuhr, wen störte das schon? Wie viele waren auf diese oder eine andere, vielleicht ähnliche Art zu allen Möglichen Zeitpunkten des Rennens schon ausgeschieden. Wie viele mußten ihre Träume schon im Sand der kalifornischen Wüste begraben? Ich war hier, ich durfte weiterfahren!! Ein richtiges Hochgefühl überkam mich jetzt beim Fahren. Weiter wollte ich, nicht einmal vor den immer öfter aus den Häusern preschenden, kläffenden Hunden war mir mehr bange. Glücklicherweise hatte ich recht und die Tiere verteidigten nur ihr Revier, wurden also umsonst von der dröhnenden Hupe des Wagens hinter mir verschreckt. Wie verabredet machten wir mittags halt. Ich schlief wieder einmal ein paar Minuten und weiter ging es. Wir hatten die Hälfte Tennessees fast hinter uns gelassen. Die folgende Nacht brachte uns aufs Neue ein paar Berge. Diesmal richtige. Keine Ahnung, wo die herkamen, aber ich mußte doch schon ackern um dort hinauf zu kommen. Die Luft war schwül, alles was man anfaßte klebrig. Die Luftfeuchtigkeit war enorm hoch. Bei mir hatte sich ein neues Problem eingestellt. Meine Hände. Gewohnt mich damit auf den Lenker abzustützen und zu schalten, hatte ich aufgrund des Triathlon Lenkers eigentlich keine muskulären Schwierigkeiten erwartet. Zur Schonung der Nerven hatte ich meistens Handschuhe getragen, quasi als Polster zwischen Lenker, Nerv und Knochen. Nun aber hatte ich ein ganz anderes Problem. Meine Handmuskeln. Ich war außerstande meine Schaltung, die mit dem Bremsgriff zusammenhängt, zu bewegen. Weder mit zwei, noch mit drei Fingern, wollte es mir gelingen den Bremshebel seitlich zu verschieben. Die Muskeln waren schon für diese kleine Anstrengung zu schwach. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als oberhalb der Lenkstange hindurchzugreifen, den Bremsgriff von innen mit der ganzen Hand zu umschließen und seitlich zu versetzen. Und schon war der neue Gang eingelegt. Erklären konnte ich mir dieses neue Handicap nicht. Das ich die beiden Außenfinger meiner Hand nicht mehr ganz absprei-
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zen, nicht mehr richtig strecken konnte, war mir schon länger aufgefallen, daß die Kraft meiner Hände aber nicht mal mehr reichte, um die Schaltung zu betätigen wunderte mich aber doch. Leise fluchte ich auf die Schaltung. Schließlich war es die teuerste einer großen Marke, warum konnte die nicht leichter umspringen? Um mir das Leben am Berg etwas leichter zu machen zog ich meinen Helm ab, gab ihn kurz ins Auto, nicht ohne eine Rüge von Petra einzukassieren, die ihn mir aber trotzdem verständnisvoll abnahm. Ein weiterer Regelverstoß, der glücklicherweise nicht bemerkt wurde. So konnte ich etwas mehr Luft an mir spüren und bei der Anstrengung abkühlen. Na, vielleicht war es auch nur eine Art Ballastabwurf, ein kleines Aufbäumen gegen den unerwarteten Widerstand des Berges. Brav zog ich den Helm auf der Spitze des Berges wieder auf, froh oben zu sein, denn so konnte ich bald wieder einer Abfahrt entgegen sehen. Die aufsteigende Morgendämmerung hatte eine ganz besondere Stimmung für uns parat. Phantastisch. In Erinnerung an diesen Moment sind mir sehr warme, angenehme Gefühle. Zum Morgengrauen brachte Ilona uns allen, denen im Pace Car und mir, der ich auf dem Rad war, einen Kaffee. Einen richtigen Kaffee!!! Lang war es her. Vor dem RAAM hatte ich zwei Monate jegliche Art von Koffein gemieden, damit es, falls beim RAAM benötigt, auch seine Wirkung entfalten würde. Hier nun bekam ich richtig aufgebrühten, heißen Kaffee. Da ich an sich sehr viel Kaffe trinke, war es für mich ein wahrer Hochgenuß. Und es sollte noch besser kommen. Die Sonne erwärmte das Land, die Feuchtigkeit stieg nach oben, wir hatten eine landschaftlich reizvolle, schnelle Abfahrt vor uns und ich blickte verträumt und versonnen in das aufkommende Tageslicht. Das Licht war noch ganz jung, als Lisi eine Kassette mit der Götterdämmerung von Edvard Grieg auflegte. Sie war mir bis dahin noch nicht bekannt. Aber es war wunderschön. Beinahe schaute ich mich schon nach Elfen und Zwergen um. Die Musik paßte so genau zu diesem Sonnenaufgang und der morgendlichen Stille, daß es fast unnatürlich wirkte. Als Lisi schließlich noch die Geschichte dieser Musik erzählte, blickte nicht nur sie träumend in die Welt, wir alle horchten in uns hinein, genossen den Tag, unser Leben und unsere Gedanken. Einen Augenblick, den ich nie vergessen werde, der tief in mir ruht. Die radfahrerische Krönung war natürlich die Abfahrt. 70 km/h, 75 km/h, 80 km/h und der Berg war noch nicht zu Ende! Die Sonne blitzte zwischen den Bäumen hindurch. Ich war fest mit meinem Rad verwachsen, wir bildeten eine Einheit. Tief beugte ich mich über den Lenker. In aerodynamischer Position wollte ich noch schneller werden. Dabei hätte ich gar nicht gedacht, daß ich nach der bisherigen Belastung noch so beweglich sein würde. Ich sauste den Berg hinunter, dem Ziel entgegen, immer mehr Meilen hinter mir lassend. Als nächstes Naturschauspiel, gab es den Tennessee River zu bewundern. Unvergleichlich wie er einfach dalag, an manchen Stellen fast schon so groß wie ein See. Teilweise lagen eine ganze Reihe
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von Bootshäusern an den Ufern. Ilona hatte mit dem Wohnmobil diese Stelle im Morgengrauen erreicht und ein paar wunderbare Fotos geschossen. Die Landschaft hinterließ mit ihrer Weite und ihrer scheinbaren Unberührtheit auf uns alle tiefe Eindrücke. Dafür waren wir jetzt besonders empfänglich: wir hatten fast die Grenze von Georgia erreicht. Der letzte der sieben Bundesstaaten lag unmittelbar vor uns!! Das Ziel war in Reichweite. Natürlich dachte ich während der Fahrt noch anders. Die Kilometerzahl, die mir hier angegeben wurde, war immer noch so lang wie die unserer Testfahrt. Etwas mulmig war mir also noch zumute. Ich verspürte noch kein Gefühl der Sicherheit, ich wollte kein gedankliches Risiko eingehen, sondern mich Meter um Meter dem großen Ziel nähern. Zudem hatten wir unsere letzte große Prüfung noch vor uns: die Anfänge der Appallachen. Jene Berge, die eigentlich keine mehr sein sollten und die mir noch sehr genau die Geschichte mit dem 39er Kettenblatt in Erinnerung rufen sollten. Es wurde dann auch zunehmend hügeliger, doch war es anfangs eher angenehm. Eine Pause direkt am frühen Morgen lehnte ich ab. Statt dessen wollte ich lieber in den Mittagsstunden rasten. Bei zunehmender Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit erschien uns hier eine gänzlich andere Landschaft. Viel mehr Zivilisation war zu erkennen, der Bewuchs nicht mehr ganz so üppig. Viele Felder säumten den Wegesrand. Eine erste „Serpentinenstraße“ machte uns auf die Nähe der Berge aufmerksam. Schon recht ordentlich ging es den Berg hinauf. Fast war ich versucht zu glauben, daß sei schon der Hauptanstieg. Aber nein, natürlich war das hier nur ein Vorgeplänkel. In der Mittagshitze suchten wir uns einen Stop auf der Landstraße. Da es sehr heiß und die Luftfeuchtigkeit fast unerträglich war, wollte ich gerne draußen schlafen um der brütenden Hitze des Wohnwagens zu entgehen. Die Wagen würden derweil halb im Graben parken. Eine Feldeinfahrt diente mir als Lager, einige Büsche warfen freundlichen Schatten. Vorher duschte ich unter einer Wasserspritze, dann legte ich mich zum Schlafen auf die Luftmatratze. Peter hockte sich daneben und vertrieb mit grimmigem Gesicht annäherungsfreudige Insekten. Wie immer merkte ich nicht allzu viel davon, schlief ein in dem Bewußtsein, daß Ziel immerhin in greifbare Nähe gerückt zu haben. Aufwachen, kurz etwas essen, wieder völlig verschwitzt aufs Rad steigen, immer dem Berg entgegen, es war schon fast Gewohnheit. Doch ich mußte mich konzentrieren und meine Kräfte einteilen, denn kleinere Ausläufer wollten jetzt überall bezwungen werden. An einem recht steilen Berg bekam ich dann zu hören: „Hej, daß war es! Jetzt geht es nur noch flach und geradeaus bis zum Ziel.“ Ja ja. Natürlich fingen die Berge jetzt erst an. „Burnt Mountain“ hieß der Herausforderer, den ich zu überfahren hoffte. Irgendwie geschah es, daß ich das erste Mal im ganzen Rennen etwas zu wenig Nahrung aufgenommen hatte. Ich fühlte mich schlapp, wußte nicht wie ich den Berg bezwingen sollte. Als ich den Anstieg dann schließlich vor mir liegen sah, verließ mich fast der Mut. Er hatte noch etliche Kilometer - und ich kroch schon auf seinen
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ersten Metern auf dem letzten Blatt, dem kleinsten Gang, hinauf. Hinter mir dröhnte der gewaltige Motor des Vans. Ich schickte mein Team weg. Ich wollte allein sein, wollte nicht wie ein Schaf getrieben werden, den PS starken Boliden nach neuen Aufgaben schreien hören während ich mich schwach fühlte und den Berg hinauf kroch. In einigen Triathlon-Wettkämpfen hatte ich es schon öfter so gehandhabt. Es hatte gewirkt, weil einfach keiner da war, der einem Mitgefühl oder sonstiges hätte entgegenbringen können. Das hatte mir geholfen zu meinem eigenen Rhythmus zurück zu finden und meinen Gleichmut zu bewahren. Ich war allein und schaute mir die Landschaft an. Bäume, nichts als Bäume, die in einem bläulichem Licht zu schimmern schienen. Inzwischen war es schon fast Abend, und es ging immer noch stetig bergan. An einer Kehre stand meine Truppe, machte Photos von den bewaldeten Hügeln anderer Berge, reichte mir Tomatensuppe in einer Trinkflasche um den Kaliumhaushalt wieder auszugleichen. Langsam fühlte ich mich körperlich etwas besser, war aber immer noch vom Kopf her ausgebrannt. Zu sehr war mir die Enttäuschung über die weiteren Berge und meine Schwächephase zu Kopf gestiegen - oder war es nur die Müdigkeit die mir etwas vorgaukelte? Weiter und weiter - bis ich dann ganz oben war. Der Himmel war bewölkt, wollte den Regen los werden. Es stürmte schon fast, gelbliches Licht zeigte uns den Weg, Blätter flogen um uns herum. Ein phantastischer Anblick. Und tatsächlich, hier ging es jetzt nur noch bergab bis zur nächsten Zeitstation - eine weitere Tankstelle, die sich auf unseren Besuch freute. Die Bergkuppe stellte nicht nur einen Wendepunkt im Anstieg, sondern auch in meiner Laune dar. Denn mit dem Erklimmen des Berges ging es mir schon fast wieder gut. Während die Sonne glutrot unterging, verkroch ich mich ins Wohnmobil, um zu schlafen. Peter weckte mich nach drei Stunden, doch ich winkte ab, bat um eine weitere Stunde Schlaf. Ganze vier Stunden habe ich so gelegen und ausgeruht. Nur halb im Bewußtsein, daß es jetzt nur noch sechshundert Kilometer bis zum Ziel in Savannah sein konnten. Als ich wieder auf dem Rad saß, war es stockdunkel, die Straße war jedoch mit dem Licht der Scheinwerfer gut zu erkennen. In recht ordentlichem Tempo gelangten wir vorwärts. Ich hatte den Frust vom letzten Berg überwunden. Das Gelände war nun wirklich einfach, es schien, als würde die Straße ganz leicht abfallend sein. Das kam mir natürlich sehr entgegen. Den Rest der Nacht konnte ich ohne Probleme durchfahren. Ein neuer Entschluß hatte mich gepackt: Ich war entschlossen bis zur Zielankunft nicht mehr zu rasten. Mit der Morgensonne erwachte in meinem Team die große Begeisterung, eine regelrechte Euphorie machte sich breit. Die Laune war sprunghaft angestiegen. War doch allen klar, daß die verbliebenen Kilometer durchaus nicht mehr allzu viel waren - zumindest im Vergleich zu dem bisher hinter uns gebrachten. Nur ich sträubte mich weiterhin gegen diese Einsicht, wollte im Hier und Jetzt bleiben. Wie oft hatte ich schon beim Triple Triathlon eine ähnliche Distanz gefahren und diese keineswegs als eine Kleinigkeit empfunden. Ganz im
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Gegenteil, mir war die Strecke als unermeßlich weit vorgekommen. Doch anscheinend ist es alles nur eine Frage der Relation. Wenn der Verkehr es zuließ, rollte der Wagen neben mich und wir plauderten über das RAAM, als wären wir schon im Ziel. Der Optimismus, der sich jetzt aufgrund der Nähe des Ziels bemerkbar machte, war unermeßlich groß. Meine Betreuer hatten ihre Skepsis aufgegeben. Für sie stand nun endgültig fest: ich, wir hatten es geschafft. Die gute Laune meines Teams steckte mich an. Da der Weg gut und einfach zu fahren war, hatten wir jede Menge Gelegenheit, Späße und Eindrücke auszutauschen. Ich fühlte mich magnetisch von Savannah angezogen. An eine weitere Pause dachte ich überhaupt nicht. Erst am Nachmittag, als mich die Hitze wieder zu erdrücken schien, legte ich mich ein paar Minuten in einem nahegelegenen Wald hin. Doch ich erwachte nach einer Viertelstunde von selbst und sprang auf die Beine. Entweder ich hatte mich an die Hitze gewöhnt oder meine neu gewonnene Zielperspektive zahlte sich aus. Meter um Meter näherten wir uns dem Ziel. Die ersten Berechnungen kursierten, wann wir es erreichen würden. Die Begleitcrew wechselte jetzt an jeder Zeitstation, alle wollten sie noch einmal als Betreuer mit dabei sein, noch einmal die Erfahrung RAAM auskosten und mich begleiten. Das Wohnmobil fuhr voraus und bemalte die Straße, wies mir den Weg zu zwei prima Hamburgern - auf dieser Tour mein eindeutiges Leibgericht. Als die Sonne unterging wurden es immer weniger Kilometer. Wie im Zeitraffer fielen die Kilometerzahlen. Erst Zweihundert, dann drunter, dann hundertfünfzig, dann hundert, hundert? Im Kopf durchfuhr ich einige meiner Trainingsstrecken, die ungefähr die Länge von hundert Kilometer hatten. Je nach Tag waren mir auch diese hundert Kilometer recht lang vorgekommen. Hier nun war ich hundert Kilometer von meinem Traumziel entfernt. In hundert Kilometern sollte ich das längste und härteste Rennen der Welt bestanden und gefinisht haben. Mich durchlief ein freudiger Schauer. Ab jetzt folgten alle zehn Kilometer die Angaben wie weit es noch zum Ziel war. Bei vierzig Kilometern ließ auch ich endlich die Skepsis fallen. Ich würde es schaffen!! Und wenn ich die letzten Kilometer mit einem Bein strampeln müßte. Jetzt würde mich nichts mehr aufhalten. Es war inzwischen Nacht geworden, die Straße schien leicht anzusteigen. Ohne Probleme fuhr ich meinen Stil, genoß jede Bewegung, jede Pedalumdrehung. Das Ziel war zum greifen nah! An der vorletzten Station zog ich noch ein frisches Trikot an und bereitete mich innerlich auf meine Zielankunft vor. Dann bekam ich einen Schluck Cola. Er schlug ein wie eine
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Bombe. Der Zucker und das Koffein machten sich sofort in meinem Kopf und in der müden Muskulatur bemerkbar. Gestärkt schwang ich mich auf mein Rad. Ich war im Bereich eines Kurztriathlons vom Ziel entfernt. Und ich wußte wie man so einen Kurztriathlon fährt. Ich trat in die Pedale. Wie befreit fuhr ich ohne Rücksicht auf Verluste. Nur hohe Gänge, das große Kettenblatt aufgelegt und ab ging es. Ich hatte endlich das Gefühl wieder richtig radfahren zu dürfen, ohne ständige Rücksicht auf Müdigkeit und verbleibende Restkilometer. Entsprechend schnell fuhren wir. Da krachte etwas gegen meinen Helm - was war das? Der Van hinter mir brachte Aufklärung. Eine Fledermaus hatte meinen Weg gekreuzt - sie hatte mich nicht geortet und ich hatte sie nicht gesehen. Unbeschadet war zumindest ich davongekommen Immer schneller und schneller jagten wir dahin. Täuschte mich die Dunkelheit, oder stand dort ein Schild: „Savannah 17 miles“. Was für ein Triumph! Ein Blaulicht heulte durch die Nacht, entriß mich meiner Gefühle, machte uns darauf aufmerksam, daß ein Polizist hinter uns etwas wollte. Wir waren knapp vor der letzten Zeitstation, knapp vor dem Ziel. Was konnte der gute Mann nur wollen? Warum jetzt? Wir fuhren rechts heran und hielten. Ich natürlich auch, klar, denn das alleinige Fahren im Dunkel war ja laut Reglement verboten und mit einem Polizisten direkt hinter mir hatte ich auch keine Lust dazu, auch wenn das Ziel unmittelbar vor uns lag. Ilona, mit ihren hervorragenden Englischkenntnissen, war direkt ausgestiegen und auf den Mann zugegangen. Eine Taktik, die sie inzwischen perfekt beherrschte. Während unserer Tour hatte sie wohl gut ein halbes bis ganzes Dutzend Gesetzeshüter kennengelernt. Alle waren nett und hilfsbereit gewesen, hatten sich erkundigt, was denn ein Wohnmobil in so einsamer Gegend machte oder warum wir die Zusatzscheinwerfer anhätten, einige unwirsch, doch keiner hatte uns wirklich unüberwindbare Probleme in den Weg gestellt. Auf meinen Lenker gelehnt blieb ich vorne und wartete, daß es weitergehen konnte. Ich war innerlich noch ganz aufgewühlt von der schnellen Fahrt, dem baldigen Ziel. Ich hatte einen regelrechten „Temporausch“, sofern man eine etwas schnellere Fahrt nach gut 5.000 km so nennen kann. Als meine Geduld erschöpft war, ging ich um den Begleitwagen herum auf den dahinter parkenden Polizeiwagen zu. Vielleicht konnte ich mit meiner Montur und einem erschöpften Ausdruck zur schnelleren Beendigung der Diskussion beitragen. Das Blaulicht war noch eingeschaltet, Ilona war zum offenen Fenster des Wagens hinuntergebeugt. Der jetzige Hüter von Recht und Ordnung saß mit beachtlichem Leibesumfang hinter sein Steuer geklemmt und hörte sich unsere Geschichte an. Gerade als ich ankam, schienen die Beiden handelseinig geworden zu sein. Ilona kam zu mir und erklärte, wir hätten weiter rechts zu fahren, da wir einen Stau verursachen würden.
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Der Verkehr war keinesfalls dicht, vielleicht mußte ein Auto kurz den Gegenverkehr abwarten bevor es uns überholen konnte, aber von Stau konnte nun wirklich nicht die Rede sein. Egal, ich stieg wieder auf mein Rad und machte mich nun ohne Musik, denn auch diese störte den Hüter von Recht und Ordnung, auf den restlichen Weg zur Büßerstation. Pooler hieß die 62ste von insgesamt 63 Zeitstationen. Ab hier war das Rennen vorbei, die Plazierungen lagen fest. Gerade einmal zehn Meilen vor dem Ziel mußten die für Regelwidrigkeiten erhaltenen Zeitstrafen abgesessen werden. Zum Glück hatten wir keine! In Pooler angekommen, kam einer nach dem anderen auf mich zu, um mir zu gratulieren, wir waren zwar noch nicht ganz da, aber ein bißchen Freude konnte nicht schaden. Währenddessen versuchte Ralf am Telefon Michael Shermer zu erreichen, um ihm unsere Ankunft mitzuteilen. Normal wird der jeweilige Fahrer nämlich irgendwo auf den noch verbleibenden Kilometern vom Race Director höchst persönlich in Empfang genommen und ins Ziel geleitet. Zwar lag ich mittlerweile außerhalb der offiziellen Rennzeit, doch trotzdem wollte mir Michael entgegenkommen. Als das geklärt war, durfte ich endlich weiter. Erst hatte ich gedacht, ich wäre jetzt ruhiger, würde nun gemütlich ins Ziel rollen, mir für die letzten 16 Kilometer soviel Zeit nehmen, wie ich wollte. Doch einmal wieder in die Pedalen eingeklickt, gab ich aufs neue Gas, wollte noch einmal wissen wie das ist, die letzten Kilometer im Renntempo zu absolvieren. Natürlich hatte ich auch keine Ambitionen wie ein Häufchen Elend ins Ziel zu kommen. Ich dachte nur an das Fahren, daran möglichst hohe Gänge und viel Geschwindigkeit zu erreichen. Nur zwischendurch lugte ich immer wieder nach einem Radfahrer oder einem Auto, das dem von Michael ähnlich sah. Als er kam, war ich total happy. Der äußerst sympathische Michael lehnte sich weit aus dem Fenster und feuerte mich an. „Sorry Michael, I‘m late.“ Ich berichtete ihm kurz von der Hitze, von den niedrigen Geschwindigkeiten, die ich nicht einkalkuliert hatte, davon, wie froh ich war hier zu sein. Das alles während der Fahrt, ich ordentlich trampelnd, Michael halb zum Fenster rausgelehnt. Vermutlich hat Michael nicht alles verstanden was ich ihm sagen wollte, denn es sprudelte nur so aus mir heraus. Es ging noch um eine Biegung, einen Berg hinab, dann sah ich eine Hoteleinfahrt, rechts davon hing ein kleines Schild. Finish. Race Across America. Kaum zu glauben, da hing ein kleines Schild, eine Hofeinfahrt, in der ein Helfer von Michael und er selbst eine „Finish Line“ hielten - und das war es. Mein Team war vollzählig anwesend, photographierte, jubelte. Und ich? Ja ich jubelte am lautesten, reckte meine Arme in die Luft, schrie meine Freude heraus. Geschafft!! Ich hatte das Race Across Amerika geschafft! Hatte ganz Amerika von Irvine in Los Angeles bis nach Savannah durchradelt, ungefähr 40.000 Höhenmeter überwun-
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den und mich dabei nicht zu sehr entkräftet. Ich konnte das Rennen und die Ankunft genießen. Ich unterhielt mich noch mit Michael, der mir die Uhr des Sponsors überreichte, (viel weiß ich jedoch nicht mehr von dieser Unterhaltung.) Ich grinste über beide Backen, von einem Ohr bis zum anderen. Überglücklich dachte ich an nichts. War einfach da. War eins mit diesem wunderbaren Augenblick. Noch wirkte es etwas surreal, daß das Rennen vorbei war. Einfach so, nur weil da ein Schild stand. Ich zog die Radschuhe aus, umarmte meine treue Truppe: Ilona, Petra, Rita, Peter, Ralf, Lothar, Lisi und Sanne. Wir hatten es geschafft. Ich bedankte mich bei jedem. Mein Gesicht wird ihnen gezeigt haben, wieviel dieser Augenblick mir bedeutete. Und ich wußte, daß ich ohne sie und ihre vorbildliche Leistung nie hier angekommen wäre. 11 Tage, 11 Stunden und 39 Minuten hatte ich benötigt. 11 Tage, 11 Stunden und 39 Minuten war die offizielle Zeit die mein Traum gedauert hat. In Wahrheit währte er, seit ich das erste Mal von dem Rennen hörte. Seit ich die Einladung bekam, die ganzen zig tausend Trainingskilometer, ja und auch jetzt, wo ich hier sitze und diese Zeilen schreibe und wieder dieses innerliche Hochgefühl durchlebe. Der Traum wird mich mein ganzes Leben lang begleiten. „If there is one thing to learn from this book it is that this race is not for the elite athlete alone. Nor it is for the rich rider. The Race Across America has been done by professional and amateur, rich and poor alike. Both have succeeded and both have failed. Ultimately your performance in the race - win, lose, or finish, depends on what you‘ve got inside, and little else.“ Michael Shermer, Race Across America, 1993.
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Nachtrag. Das war es also, das offizielle Ende meines Rennens. Wir blieben noch eine knappe Woche in Savannah, die ich aber hauptsächlich in meinem Motelbett verschlief. Nun zeigte der Körper einige Ermüdungserscheinungen. Zudem war ich absolut geräuschempfindlich und sehr hitzescheu. Aber sonst ging es mir gut. Rita sagte wohl irgendwann auf den letzten Kilometern, daß ich doch sehr dünne Beine bekommen hätte. Das wollte ich gar nicht glauben. Als ich mich aber in einem Spiegel sah, glaubte ich alles. Trotz exaktem Plan und rechnerisch ausreichend bilanzierter Ernährung, hatte ich stark abgenommen. Ich hatte nicht nur Fettgewebe verbrannt, sondern auch gleich eine ganze Menge Muskeln dazu. Die Hände waren so geschwächt, daß ich es nicht einmal mehr schaffte, eine Pizza zu zerschneiden. Ich konnte lediglich die fertigen Stücke mit der Gabel aufspießen. Aber das reicht ja auch um sich zu ernähren. Eine Fahrt ans Meer zeigte mir den Atlantik, der mit gut 30 °C so warm wie eine Badewanne war. Während meine Crew die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit ausnutzte, schlief ich meistens, überbrückte die wache Zeit mit Gymnastik und Massage und dachte nach. Ich legte mich in die Badewanne und versuchte mir darüber klar zu werden was mit mir passiert war. Die Emotionen aus dem Zieleinlauf wichen erst einmal der Erschöpfung. Einfach nachdenken. Ob ich es wieder tun würde zum Beispiel. Die Antwort ist so simpel wie klar. Ein einfaches „ja“. Auf jeden Fall möchte ich das Rennen noch einmal fahren und als offizieller Finisher mir den goldenen RAAM-Ring verdienen. Die Trophäe schlechthin. Und das seit 17 Jahren RAAM-Geschichte. Oftmals der einzige Lohn der Fahrer - und nur beim ersten offiziellen Finishen vergeben. Dadurch, daß ich über den geforderten 48 Stunden zum Sieger in das Ziel kam, hatte ich ihn natürlich nicht erhalten. Doch bin ich der Ansicht, daß diese Zeitspanne mehr als ausreichend ist um Amerika zu durchqueren. Mag sein, daß es dazu eine gewisse Erfahrung braucht. Die Geschichte des RAAMs zeigt, daß viele Fahrer wiederkommen. Vielleicht nicht jedes Jahr, aber vielleicht in zwei bis fünf Jahren - und dann von ihren Erfahrungen profitierend. Wenn ich das Geld also wieder beisammen habe, geht es los! Schon jetzt ist der Drang wieder unbändig. Ein Ereignis wie das RAAM zieht einen nicht nur mental in seinen Bann. Mich macht es geradezu süchtig. Häufig schaue ich mir die Bilder und Dias an und frage mich, wann ich wieder dabei sein werde. Auch Sanne möchte wieder hin, obwohl sie weiß, was für Entbehrungen und Strapazen schon in der Vorbereitungszeit auf uns zukommen.
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Tips, Tricks und Fallen Das RAAM hat gut und gerne 50.000 DM verschlungen. Davon habe ich ungefähr 35.000 DM selbst getragen, 5.000 DM davon waren Spendengelder. Den Rest hatte meine Crew hinzugelegt, indem sie ihre Flüge selbst bezahlte. Zwar noch deutlich billiger als eine Mount Everest Expedition, aber trotzdem denkt man bei diesen Ausmaßen doch eher an eine Expedition als an eine Radtour. Und tatsächlich entspricht der organisatorische Aufwand einer ausgewachsenen Expedition. Die Wagen alleine verschlangen schon fast 12.000 DM an Miet- und Rückführ-Gebühr. Mit dem Wohnmobil „RV 30“ hatten wir das größte Reisemobil gewählt, welches zur Verfügung stand. Es bot sechs Erwachsenen gleichzeitig Schlafmöglichkeit. Nicht bedacht hatten wir, daß das Team sowieso fast so wenig schläft wie der Radfahrer. Für Lothar war es ab Mitte der Fahrt unmöglich geworden im fahrenden Mobil zu schlafen! Dafür war das Wohnmobil aber exzellent mit Herd, Mikrowelle, Klimaanlage und Kühlschrank ausgestattet. Eine andere Möglichkeit der Teamversorgung und -unterbringung, besteht darin, mit zwei Vans zu fahren. Mit dieser Methode würde die jeweilige Freischicht in einem Motel absteigen und dort schlafen. Nachteil daran ist, daß die RAAM-Strecken wirklich durch teils recht unbewohnte Gebiete führen. Hier kann einem das Auffinden eines Motels schon einmal Kopfzerbrechen bereiten. Zumal wenn die Mannschaft müde ist. Dann aber wieder zurück auf die Strecke und den Fahrer finden, dürfte in jedem Falle noch komplizierter sein. Finanziell könnte es etwas günstiger ausfallen als die Wohnmobil-Variante. Ein weiterer Nachteil dürfte aber darin liegen, daß die eine Belegschaft, wenn sie zum Schlafen wegfährt, komplett ausfällt. Das heißt Besorgungen wie Eis, Wasser und ähnliches, müssen auch noch von der jeweils betreuenden Mannschaft abgedeckt werden. Unser Van war ein Acht-Sitzer und hatte als einziges aufgetretenes Problem zu Beginn keinen Tropfen Öl im Motor gehabt - dafür war seine Motorlaufleistung, ebenso wie die des Wohnmobils, deutlich unter 10.000 Meilen, also gerade einmal knapp eingefahren! Da beide Fahrzeuge auch noch im Baujahr ´99 gefertigt wurden, haben wir sehr viel Glück gehabt. Aufgrund all der gehörten Pannengeschichten hatten wir uns schon umgehört, was denn ein Ersatzrad für solch einen Wagen kosten würde. Der Preis ließ uns nur den Atem anhalten, was den Verkäufer aber nicht entmutigte uns auch noch zu sagen, daß wir im Falle eines platten Autoreifens eh nicht dazu befugt wären diesen zu reparieren! Dafür müßte man eine Fachwerkstatt, am Besten eine Leihwagen-Vertretung kommen lassen. Bei den riesigen Entfernungen der USA würde man demnach mit einer einzigen Reifenpanne locker 36 Stunden verlieren! Denn solange würde es bestimmt dauern, bis man ein Telefon und die nächste zuständige Garage gefunden und den Fachmann zum Auto befördert hätte. Doch Papier ist geduldig. Mit etwas Glück passiert nichts. Wir hatten, wie gesagt, keinen Wagendefekt. Es wurde aber schon von fünf Reifenpannen während eines RAAMs berichtet! Im Zuge der Autoabhandlung möchte ich noch kurz auf das Gepäck hinweisen: es versteht sich von selbst, daß es, selbst
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wenn man nur mit dem Nötigsten bepackt ist, immer noch eng in den Autos werden wird. Deshalb gleich Unnötiges zu Hause lassen. Das Team selbst hätte ruhig kleiner sein können. Jeder hatte zwar in seiner Weise zum Gelingen des Unternehmens beigetragen. Aber die Betreuer selbst sagten mir nachher, daß es mit weniger Leuten durchaus auch gegangen wäre. Der Hauptgedanke unserer Planung, daß nämlich die nichtarbeitende Mannschaft sich ausruhen konnte, war so nicht gewährleistet. Nicht jeder kann auf Kommando schlafen und auch die Bedingungen unter denen geschlafen werden muß, müssen berücksichtigt werden.. Für alle Beteiligten ist es daher wichtig, daß sich die Betreuer darüber im klaren sind, auf was für eine Strapaze sie sich da einlassen. Es ist nicht nur mit Autofahren und Essenreichen getan. Denn, wie gesagt, auch als Betreuer schläft man nicht viel, die Gereiztheit kann sich leicht ansammeln und eskalieren. Man ist mit acht bis zehn weiteren Leuten kontinuierlich beisammen, ohne Rückzugsmöglichkeiten. Das Team kann das Rennen nicht gewinnen, aber es kann es durchaus für den Radfahrer verlieren. Dafür gibt es unzählige Beispiele. Man sollte sich durchaus darüber im klaren sein, daß man nicht jeden Tag duschen kann, daß die Hitze einen ebenso trifft wie den Fahrer und daß es auch mal nötig sein kann, im Freien zu schlafen. In jedem Falle empfehle ich, einen Familienangehörigen, Freund oder Freundin mitzunehmen. Denn wenn man selbst in ein „Loch“ fährt, ist es ratsam, jemanden dabei zu haben, der einen genau kennt und im Interesse des Radfahrers Entscheidungen treffen kann. Mal abgesehen davon, daß es auch einfach nur schön ist, ein geliebtes Gesicht zu sehen. In gravierenden Fällen ist es manchmal auch erforderlich, sich von einem oder mehreren Teammitgliedern zu trennen. Bevor ein Team komplett auseinanderbricht, und das Unternehmen RAAM scheitert, sollte man hierzu übergehen. Denn wer kann schon wissen, wie viele Chancen der Fahrer bekommt. Das RAAM sollte daher solange Priorität behalten, bis der Fahrer eindeutig anders entscheidet. Achtgeben sollte man auch darauf, daß das Team nicht in zwei Lager gespalten wird, die sich untereinander neiden und bekämpfen. Was auch immer als offensichtlich und normal angesehen wird, ist beim Rennen außer Kraft gesetzt. Es handelt sich für alle Beteiligten um eine Extremsituation. Eine Ärztin oder einen Arzt im Team zu haben ist durchaus sinnvoll Gesundheit - auch im Hinblick auf die Versorgung anderer Rennfahrer und teams. Sie können die Situation aus medizinischer Sicht am besten einschätzen, erkennen, wann und ob ein Fahrer sich oder andere gefährdet. So empfiehlt
für die eigene des Betreuerund vor allem sich auch der
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Umgang mit Überwachungsinstrumenten. Eine der goldenen Regeln des RAAMs ist sich darauf einzustellen, daß man nie wissen kann, was passiert. Auf einer Strecke von 5.000 km kann einem schlichtweg alles widerfahren. Eine Kunst ist, diese Herausforderungen anzunehmen und darauf vielleicht auch schon vorbereitet zu sein. Amerikaner: Nur wenige Amerikaner kennen das RAAM. Auch wenn jährlich Fernsehreportagen laufen, ist es immer noch eine Randsportart und nicht zu vergleichen mit Football. Die Antwort auf die häufigste Frage - wohin geht es? - quittieren die meisten mit einem fassungslosen Kopfschütteln. Andere wiederum wissen nicht wo Savannah liegt. Doch auch wenn man das Unverständnis spüren kann, sind die meisten Amerikaner sehr freundlich und hilfsbereit. Im Umgang mit der Polizei ist ein freundlicher Ton immer angebracht. Auch wenn deren Auftreten für Europäer manchmal etwas befremdlich wirkt, lassen sich doch die meisten mit Freundlichkeit überzeugen. Räder: Ich hatte nur zwei Räder und vier Laufräder als Ersatz dabei, doch im Endeffekt bin ich nur auf einem der Räder gefahren. Dabei hatte ich drei Platten auf der ganzen Strecke. Ich habe jedoch von 18 und mehr Reifenpannen gehört und hatte mich deshalb ordentlich mit Ersatzmaterial eingedeckt. Empfehlung: ruhig ein vollgefedertes Rad ausprobieren. Rücken und Psyche werden es danken, und einen guten Mantel aufzulegen lohnt sich, auch wenn er etwas teurer ist. Empfehlung: Contis Grand Prix 3000 Faltreifen. Und natürlich sollten während der Vorbereitung die Armaufleger und die Triathlonlenker einer harten Belastungsprobe ausgesetzt werden. Je weniger Verschleißteile an einem solchen Lenker sind, desto besser. Übersetzungstechnisch sollten Ritzel für die Bergfahrten mit dabei sein. Bei mehreren Rädern besteht auch die Möglichkeit, auf einem die Bergübersetzung zu installieren. Daß man einen bequemen Sattel aussucht und ihn nach Möglichkeit ordentlich einfährt, versteht sich von selbst. Zu empfehlen ist ein gut gepolsterter Leder- oder auch ein GelSattel. Desweiteren sollte man sich frühzeitig Gedanken über eine zweckorientierte Beleuchtungsanlage für das Rad machen. Herkömmliche Batterielampen für das Rad halten meist nur eine Stunde und verschlingen Unmengen an Energie. Trotzdem sind sie während des Rennens vorgeschrieben. Ebenso wie Reflektoren. Ich habe für meine Räder reflektierende Aufkleber genommen. Diese sind jedoch nur äußerst schwer in Deutschland zu bekommen. In den USA sieht es damit etwas besser aus, suchen muß man aber wahrscheinlich trotzdem. Die Räder sollten mit mindestens 1.000 km eingefahren sein und der gewohnten Geometrie entsprechen. Bei beginnenden Rückenproblemen empfiehlt es sich den Lenker höher zu stellen, eventuell einen neuen, längeren Vorbau dabeizuhaben. Das sollte auch die Devise für das Mitnehmen von Werkzeug sein: Für das Rad muß jeder Schlüssel vorhanden sein und darauf geachtet
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werden, daß die Komponenten miteinander stimmig sind! An Ersatzmaterialien wie Bremsklötze, Ketten und Sattelklemmschrauben denken. Kleidung: Soviel wie möglich! Man muß sich darauf vorbereiten, daß man jede Stunde von oben bis unten naß werden kann und man dann froh ist, etwas warme, trockene Kleidung zu haben. Dabei sollte man bedenken, daß die Nächte in den Rockys auch im Hochsommer fürchterlich kalt sein können. Temperaturen um den Gefrierpunkt sind hier keine Seltenheit. Auch hier gilt das Testen. Ein Trikot sollte zwar eng anliegen, jedoch nicht jegliche Blutzufuhr zum Arm unterbinden. Beim Anprobieren mitbedenken, daß eine etwas luftigere Kleidung in extremer Hitze vielleicht angenehmer ist. Direkte Sonneneinwirkung sollte soweit wie möglich vermieden werden: Rücken, und Kopf immer bedeckt halten. Die Hosen mit Radeinsatz sollten exakt passen und am besten schon auf vielen Trainingseinheiten gefahren worden sein. Ich persönlich trage lieber Trägerhosen, da, wenn einmal Magenprobleme auftreten sollten, nicht auch noch der stramme Gummizug der Hose auf die Eingeweide drückt. Aus rein hygienischer Sicht empfiehlt sich ein häufiges Wechseln, da sich Wundstellen sonst leichter entzünden können. Beim Fahren mit nassen Hosen kann man zusehen, wie die Haut wund wird. Die Radhandschuhe sollten vor allem bequem und gut gepolstert sein. Bei dem tagelangen Abstützen auf den Handballen kann es leicht zu nervalen Schädigungen kommen, die teils irreparabel, teils erst sechs Wochen später verschwinden. Nötigenfalls den Lenker mit etwas Watte umpolstern! (Selbiges gilt für den Armaufleger). Schuhe: Bequeme Radschuhe sollten mit ordentlichem Fußbett und eventuell orthopädischen Einlagen versehen werden, damit sich der Fuß in den langen Stunden des Pedallierens nicht platt tritt. Da die Füße schwellen können, neben dem normalen Wechselpaar einen Satz in Übergröße mitnehmen! Hierbei aber darauf achten, daß die Einstellung der Pedalplatten bei allen Schuhen den gleichen erprobten Winkel beträgt. Dies schützt vor Knieschmerzen. Als Ultima Ratio ruhig bequeme Turnschuhe und Pedale mit Riemenschnallen mitführen. Das ermöglicht zwar kein elegantes, dafür aber manchmal ein schmerzfreies Radfahren.
Sonstiges: Sonnencreme würde ich hierzu zählen. Sehr wichtig! Verbrannte Haut braucht zur Heilung Sauerstoff, und den brauchen auch die Muskeln, um ihre Leistung erbringen zu können, ebenso wie der in einem solchen Falle erhöhte Verbrauch an Vitaminen und Mineralstoffen.
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Verschiedenes: Hier sind Anmerkungen zum Reisepaß unerläßlich: unbedingt darauf achten, daß die Pässe aller Teilnehmer einen gültigen mit sich führen. Ebenso sollte ein gültiger Versicherungsausweis und ein internationaler Führerschein vorliegen. Die Kreditkarten sollten mindestens einen Monat länger gültig sein als der Aufenthalt geplant ist, da es ansonsten zu Zugriff-Schwierigkeiten kommen könnte. Bei der Einreise in die USA ist das Mitbringen von Lebensmitteln nicht gestattet, Energieriegel und ähnliches müssen also drüben organisiert werden. Für Musikliebhaber und die langen Nächte eine erhöhte Anzahl an Kassetten mitnehmen. Es ist fürchterlich langweilig, wenn immer dieselbe Musik läuft. So tendierte mein Team dazu, immer wieder eine Flower-Power Musik aufzulegen. Von dieser Musik, die ich vorher gerne gehört habe, bin ich endgültig geheilt. Musik zum Mitsummen halte ich dagegen für sinnvoll, Texte in der Muttersprache erleichtern dem müden Hirn das Verständnis. Ich hatte im Vorfeld das Glück, daß mir viele Freunde und Bekannte Musik aufgenommen haben. Diese habe ich, ungehört, bis zum RAAM aufbewahrt und konnte so neue Musik mit meinen Gedanken an die Person, die sie mir schenkte, kombinieren
Trainingstips: Trainingstips möchte ich lieber individuell und persönlich geben. Ich denke, daß eine ein- bis zweijährige Vorbereitungszeit nicht zuviel ist, wenn man vorher schon Erfahrungen im Ausdauerbereich gemacht hat (Radmarathons, Ironman). Ohne Erfahrung würde ich fünf Jahre veranschlagen, damit das RAAM nicht von einem Desaster gekrönt wird. Die zeitlichen Umfänge sind aber immens, so daß man sich darüber klar sein sollte, daß andere Dinge zu kurz kommen. Zur Probe mindestens eine Fahrt über 24 Stunden absolvieren, Nachtfahrten bewußt mit einplanen. Wenn es die Zeit zuläßt, ein- bis zweimal deutlich über 6, 7 oder 8 Stunden ausfahren.
Bleibt noch ein letztes Wort. Danke. Dank an all die, die dieses Rennen ermöglichten und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Und natürlich denen, die an mich glaubten, wenn ich selbst keine Hoffnung sah.