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F ranz Zinniker
PROBLEME DER SOGENANNTEN KINDHEITSGESCHICHTE BEI MATTAUS von Franz Zinniker
Der Verfasser hat s...
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F ranz Zinniker
PROBLEME DER SOGENANNTEN KINDHEITSGESCHICHTE BEI MATTAUS von Franz Zinniker
Der Verfasser hat sich seit einer Reihe von Jahren mit dem Problem der mattäischen Votlgeschichte beschäftigt und legt hier die Ergebnisse seiner Stu dien vor. Die sogenannte Kindheitsgeschichte Jesu gehört, soweit sie in den beiden Anfangskapiteln des Mattäusevangeliums zur Sprache kommt, ohne Zweifel zu den bedeutet 1• In 2,11 lautet die Wendung «das Kind mit Maria, seiner Mutter», in 2,13. 14. 20. 21 (viermall) heißt es konstant «das Kind und seine Mutter». Es sind also zwischen dem Josefblock und der Magiererzählung auch sprachlich-stilistische Unterschiede festzustellen.
3. Ein drittes Charakteristikum, wodurch der J osefblock sich von der Magiererzählung unterscheidet, betrifft die Erfüllungszitate. Die Stücke 1, 3 und 4 enthalten insgesamt vier Erfüllungszitate, Stück 2 jedoch keines. Was ist aber von der Stelle 2,5 f. zu halten? Sie lautet: «Sie sagten zu ihm: 'Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten: Und du Bethlehem, Land Juda, keineswegs bist du der geringste unter den Fürstensitzen Judas; denn aus dir wird hervorgehen ein Führer, der leiten wird mein Volk Israel.'» Diese Stelle stammt aus dem Propheten Micha 5, 1. Es handelt sich um Schriftbefragung und Schriftauskunft. Das Zitat wird den Schriftkundigen in den Mund gelegt (Mt 2, 4), kann aber auch lediglich die vorherrschende Meinung der Öffentlichkeit oder der Schriftgelehrten wiedergeben. Solche Zitate nennt man richtigerweise «Kontextzitate», weil sie zum berichtenden Text gehören. Grundsätzlichanderer Art sind die Erfüllungszitate. Sie gehen vom Evangelisten aus, unterbrechen sozusagen den Text und sind Ausdruck seiner Reflexion über das Berichtete. Deshalb werden die «Erfüllungszitate» auch «Reflexionszitate» genannt. Die Magiererzählung enthält kein Erfüllungszitat, sondern ein Kontextzitat (Mt 2, 6). Die Stelle wäre auch als Erfüllungszitat an diesem Ort.' schlecht geeignet. Denn im 1 W. BAUER, Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu. den Schriften des NT, ' Bcrlin 5 1958, 669.
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Mittelpunkt der Erzählung stehen ja die Magier, und zwar die Magier als Vertreter der Heidenvölker, geführt von einem wunderbaren Stern, und ihre Gesinnung ist sichtbar gemacht durch ihre Huldigung und ihre Gaben. Das Erfüllungszitat müßte sich also auf die Magier selbst oder auf den Stern beziehen, der sie geführt hat, oder auf die Gaben, die sie darbringen. Der Geburtsort Betlehem spielt im Ganzen der Magiererzählung nur eine untergeordnete Rolle. Die Tatsache, daß in Mt 2,1-12 kein Erfüllungszitat des Evangelisten sich findet, wäre verständlich und würde niemand verwundern, wenn in den Schriften des AT kein geeignetes zu finden gewesen wäre. Gerade das aber ist nicht der Fall. Es gibt nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe alttestamentlicher Schriftstellen, die als Erfüllungszitate in diesem Zusammenhang in Betracht gekommen wären, ja sich vorzüglich geeignet hätten. Es handelt sich beispielsweise um folgende Stellen:
1. Psalm 72,10: «Die Könige von Tarsis und den Inseln sollen Geschenke bringen, die Könige von Saba und Seba Gaben entrichten I» 2. Psalm 72,11 : «Alle Könige sollen ihm huldigen, alle Völker ihm dienstbar sein.» 3. Jesaja 49,7 (ev. mit Auslassungen): «So spricht der Herr, Israels Erlöser, sein Heiliger, zum allseits V erachteten, den die Leute verschmähen ... : Fürsten werden sich niederwerfen um des Herrn willen, der getreu ist, um des Heiligen Israels willen, der dich erwählt hat.» 4. Jesaja 60,2: «Denn seht, die Erde bedeckt Finsternis und Wolkendunkel die Völker, doch über dir strahlt der Herr, und seine Herrlichkeit wird über dir sichtbar.» 5. Jesaja 60,3: «Völker wallen zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Lichtglanz. » 6. J esaja 60,4: «Erhebe deine Augen ringsum und schau: Sie alle haben sich versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern und deine Töchter werden auf den Armen getragen.» 7. Jesaja 60,6: «Die Flut der Kamele wird dich bedecken, Jungkamele von 26
Midian und Epha; von Saba kommen sie alle, tragen Gold und Weihrauch mit sich und verkünden froh die Ruhmestaten des Herrn.» 8. Numeri 24,17: «Aufgeht aus Jakob ein Stern, ein Zepter erhebt sich aus Israel.>> Diese Stellen enthalten so viele treffende Aussagen, die sich entweder auf den Stern oder auf die Huldigung der Fremden oder auf die königlichen Gaben beziehen, daß es einfach nicht zu verstehen ist, warum die Magiererzählung keine davon als Erfüllungszitat gebracht hat. Bedenkt man, daß in den drei Erzählstücken des Josefblockes insgesamt vier Erfüllungszitate stecken, während in der Magiergeschichte, die umfangmäßig das größte Stück darstellt, überhaupt keines vorkommt, dann haben wir hier ein Charakteristikum der Magiergeschichte vor uns, das sie deutlich von den J osefgeschichten unterscheidet. Diese Tatsache kann nicht Zufall sein, sie muß ihren Grund haben. Das Fehlen eines Erfüllungszitates muß vernünftig erklärt werden können. Wir werden darauf zurückkommen. 4. Als vierte Beobachtung wäre zu nennen, daß die Magiergeschichte gleich im ersten Satz (2, 1) mit einer genauen Orts- und Zeitangabe aufwartet: «Als nun Jesus geboren war zu Betlehem in J udäa in den Tagen des Königs Herodes ... » Der Hörer bzw. Leser wird also gleich am Anfang orientiert über das Wo und Wann der zu erzählenden Ereignisse. Das ist überraschend und steht im Gegensatz zu Stück 1 der J oseftraditionen, wo die Ausgangssituation geschildert und das gewichtige Anfangsereignis berichtet wird, ohne auch nur mit einer Andeutung auf Ort oder Zeit des Berichteten hinzuweisen. Man wäre demgemäß versucht, als weiteres Charakteristikum der Magiergeschichte die zeitliche und örtliche Orientierung mitzugeben. Doch könnte man hier einer Täuschung erliegen. Wohl fehlt diese völlig im Erzählstück 1. Jedoch werden wir orientiert in den zum Josefblock gehörenden Erzählstücken Nummer 3 und 4. In diesen beiden Stücken werden alle Ortsveränderungen mitgeteilt. Ja, in Kapitel 2 scheinen die Ortsverände27
rungen wesentlich zum Text zu gehören, so sehr, daß man von einem «geographischen Itinerarium» spricht 1• Auch die Zeitangaben spielen hier mit, denn es ist von Herades die Rede, es wird von seinem kommenden (2,15) und vom eingetretenen Ende (2,20) und vom Herrschaftsbeginn seines Nachfolgers in Judäa (2,22) gesprochen. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, daß gerade das Erzählstück 1 keine örtliche und zeitliche Orientierung enthält. Doch kann dies leicht erklärt werden und dies wird gegebenenorts geschehen. Doch zurück zu Kapitel 2, Vers 1, mit seiner genauen örtlichen und zeitlichen Orientierung. Wenn schon mehr und mehr klar wird, daß die Magiergeschichte mit dem J osefblock keine ursprüngliche Einheit bildet und deshalb als Einschub angesehen werden muß, dann stellt sich die Frage, ob Vers 1 dieses Kapitels von Anfang an zur Magiergeschichte gehört hat oder ob sie - wenigstens zum Teil dem Beginn des zweiten Erzählstückes des J osefblockes zuzusprechen ist. Sicher ist in der Wendung 'AviXx. Der Grund füt dieses Vorgehen liegt ohne Zweifel darin, daß er den Freudenruf der Sacharjastelle als unpassend empfand, da ja Jesus mit diesem Einzug seine Passion begann. Die Sacharjastelle «Siehe, dein König kommt zu dir; gerecht und heilbringend ist er, demütig, und reitend auf einem Esel, auf dem Füllen einet Eselin» wurde auch in der rabbinischen Literatur messianisch gedeutet. Strack- Billerbeck schreibt: «Dagegen ist in der rabbinischen Literatur die Deutung der Stelle auf den Messias gang und gäbe.» und er bringt dafür eine ganze Anzahl von Belegen 1• Im Sacharjatext sind natürlich nicht zwei Tiere gemeint, sondern nur eines. Die Doppelung der Ausdrücke stammt lediglich aus dem poetischen Sprachgebrauch des Parallelismus membrorum, der in der hebräischen Literatur häufig vorkommt. Der Sinn der Aussage ist: Der kommende Messiaskönig ist demütig und friedliebend, er kommt nicht mit militärischer Macht und nicht im Glanz eines Triumphators! Das ist aus dem Kontext beim Propheten klar ersichtlich: «Er beseitigt die Streitwagen aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem. Die Kriegsbogen werden vernichtet. Er gebietet den Völkern Frieden» (Sach 9,10). Nun gibt allerdings das Reittier, das Jesus benützt hat, Anlaß zu Fragen. Alle 1
STRACK-BILLERBECK,
I 842 ff. 61
Evangelien außer Mattäus reden nur von einem Tier: Markus und Lukas von einem (Esels)Füllen, Johannes von einem jungen Esel. Mattäus aber spricht von zwei Tieren, einer Eselin und ihrem Füllen; auf beide werden (Mt 21,7) Kleider ausgebreitet, damit Jesus sich darauf setze. Daß auf beide Tiere Kleider ausgebreitet werden, kann man zur Not noch verstehen. Daß aber Jesus auf zwei Tiere zugleich sich setzen soll, ist gewiß eine unmögliche Vorstellung. Der griechische Text kann immerhin so verstanden werden: Auf beide Tiere werden Kleider gelegt, und Jesus setzt sich darauf,- wohlverstanden auf die Kleider, nicht auf die zwei Tiere. Die rabbinische Exegese hat bei der Kommentierung von Sacharja 9, 9 stets nur von einem Tier gesprochen 1 und, wie bereits gesagt, haben auch die Evangelien -außer Mattäus- dies so verstanden. Warum also hat Mattäus zwei Tiere? Hat er den Parallelismus membrorum nicht verstanden? Oder hat er als Orientale und Palästiner seine Auffassung einfließen lassen, daß ein junges Füllen stets noch neben dem Muttertier einhergeht? Otto Michel sieht eine weitere Möglichkeit, nämlich daß «der Evangelist offenbar an einen orientalischen Thronsitz über zwei Tieren denkt» 2 • Wenn man aber beachtet, daß der Einzug Jesu auf einem Reittier völlig überraschend kam für die Jünger und den Charakter der Improvisation hatte, wird man doch kaum an so etwas denken, ganz abgesehen davon, daß der biblische Text keinen Anhaltspunkt dafür bietet. Da haben die Überlegungen von Paul Gaechter doch mehr Gewicht, wenn er sagt, daß die Schwierigkeit eher bei Markus und Lukas liege als bei Mattäus. Man könne nicht ein Eselsfüllen, das noch nicht zugeritten ist, von einem Fremden besteigen lassen, ohne daß das Muttertier neben dem Jungen einhergeht. «Unter diesen Umständen hätte es sich nämlich wie alle nicht zugerittenen Jungtiere endlos bockig gezeigt und wäre für den gewollten Zweck absolut unbrauchbar gewesen ... Die Erwähnung der Eselin entspricht durchaus der geschichtlichen Situation ... Matth zeigt genaueres Wissen als Mk und Lk; die Eselin muß in diesen beiden Evv hinzugedacht werden» 3• In der Mischna heißt es: «Wer eine Eselin verkauft, hat das Füllen mitverkauft» 4• Ein Füllen, auf dem noch Zahlreiche Belege ebenda 842-844. 0. MICHEL, polos (gr.) = TWNT, VI 961. 3 P. GAECHTER, Das Matthäus-Evangelium, Innsbruck 1963, 657. 4 BT Baba Bathra 78b (= STRACK-BILLERBECK, I 842). In der Linie der Erklärung von P. Gaechter kommentieren auch z. B.: D. BuzY, Evangile selon 1
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niemand gesessen ist, ist ein Jungtier, das noch zu seiner Mutter gehört, von ihr gesäugt wird und neben ihr einhergeht, deshalb auch nur mit ihr zusammen gekauft oder verkauft und auch - wie hier nur mit ihr zusammen ausgeliehen wird. Diese praktischen, der Natur der Sache entsprechenden Überlegungen sollten hier beachtet und berücksichtigt werden. Im übrigen kann man ruhig Otto Michel zustimmen, wenn er schreibt: «Die Frage, weshalb für Mt die Erwähnung der Eselin neben dem 'Füllen' (1tw'Aoc;) wichtig wurde, bleibt offen» 1• Markus und Lukas legen Wert darauf zu sagen «Ein Füllen, auf dem noch nie ein Mensch gesessen ist». Diese Bemerkung zielt darauf ab, daß nur ein solches Tier des königlichen Messias würdig ist. Es ist durchaus möglich, daß diese Aussage mehr kerygmatisch als historisch zu nehmen ist. Sie ist aber in diesem Bericht vom Einzug Jesu nur von nebensächlicher Bedeutung. Sie möchte lediglich der Idee dienen: Die Würde des Messias soll augenfällig hervortreten und die Bedeutung dieses Ereignisses (Der König zieht in seine Stadt ein!) soll kräftig betont werden. Das Hauptmotiv jedoch liegt im Einzug Jesu, des gerechten und demütigen Königs, der in die Königsstadt einzieht auf dem Tier des Armen und Friedfertigen, - auf einem Esel, nicht auf einem Streitroß! St. Matthieu (La Sainte Bible, von Pirot und Clamer, Bd. IX), Paris 1950, 270 f.; F. M. WILLAM, Das Leben Jesu im Land und Volk Israel, Freiburg 8 1949, 377, offenbar aus praktischer Beobachtung im Orient; G. M. LAMSA, Die Evangelien in aramäischer Sicht, Gossau/St. Gallen 1963, 172, der schreibt: «Die Eselin mußten sie mitführen, denn das Füllen war noch nicht entwöhnt und konnte darum nicht von seiner Mutter getrennt werden.» 1 0. MICHEL, onos (gr.) = TWNT V 286. - Wenig überzeugend ist der Lösungsvorschlag von R. PESCH, Eine alttestamentliche Ausführungsformel im Matthäus-Evangelium, BZ NF 10 (1966) 220-245 und 11 (1967) 79-95. Pesch rechnet mit starker redaktioneller Bearbeitung der Markusvorlage durch den Verfasser des Mt.-Evangeliums (a. a. 0. 10 [1966] 240 f.). Der Haupteingriff sei dadurch geschehen, daß er statt des einen Tieres in der Vorlage deren zwei einsetzte, damit eine «wortwörtliche, ja überwörtliche Ausführung und Erfüllung» (ebenda 244) des Sacharjawortes eintreten kann. Nun ist darauf hinzuweisen, daß Mattäus offenbar der einzige Schriftkundige ist, der Sacharja so versteht (um nicht zu sagen- vergewaltigt!), denn weder Lukas noch insbesondere Johannes, der ja auch Sacharja 9, 9 erfüllt sieht, noch die gesamte rabbinische Literatur, soweit man sehen kann, hat in der Sacharjastelle zwei Tiere gefunden. STRACKBILLERBECK (I 842 ff.) führt aus dieser Literatur über ein Dutzend Belegstellen an, die alle einmütig dasselbe Bild bieten. Mattäus fällt also völlig aus der Reihe dieser Schriftkundigen. Er erscheint mit seiner «überwörtlichcn» Erfüllungstheologie in der These Peschs als ein etwas naiver Sonderling.
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Die Frage des Reittieres beim Einzug Jesu in die Heilige Stadt ist tatsächlich ein ungelöstes Problem. Was steckt dahinter? Was ist in Wirklichkeit geschehen? So fragt man sich, wenn man die vier diesbezüglichen Texte nebeneinander stellt: Mk 11,1-7; Lk 19,28-35; Mt 21,1-7; Joh 12,14-16. Ist vielleicht der Bericht vom Einzug Jesu auf einem Eselsfüllen eine Legende oder ein urchristlicher Midrasch? Beginnen wir beim Bericht des letzten Evangeliums, J ohannes, der sicher eigenständig ist und keine literarische Verwandtschaft mit den Synoptikern zeigt. Bei Johannes lautet der Einzugsbericht so: «Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht: 'Fürchte dich nicht, Tochter Sion! Siehe, dein König kommt, sitzend auf einem Eselsfüllen'. Dies verstanden seine Jünger zunächst nicht; als aber Jesus verherrlicht war, dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben war und daß sie ihm dies getan hatten» (Joh 12,14-16). Der Unterschied zu den Synoptikern springt in die Augen. Bei Johannes scheint es, daß Jesus wie zufällig einen jungen Esel findet, ihn besteigt und zur Stadt reitet. Die Jünger kommen erst später darauf, was da eigentlich geschehen ist. Bei den Synoptikern schickt Jesus zwei Jünger voraus, das junge Tier (bei Mt: das Junge und sein Muttertier) herzubringen, nachdem er- gleichsam hellseherischweiß, daß und wo es (sie) zu finden ist (sind) und daß der Eigentümer keinen Einspruch machen wird. Es scheinen da zwei Varianten vorhanden zu sein, die nicht leicht miteinander zu versöhnen sind. Stellen wir aber trotzdem fest, was übereinstimmender Inhalt der Variantenist. Erstens ist gesagt, daß der feierliche Einzug nicht von langer Hand vorbereitet war. Der Vorgang findet statt in geringer Entfernung von den Stadtmauern, als J esus mit den Jüngern sich der Stadt näherte (vgl. Mt 21,1; Mk 11,1; Lk 19,28; Joh 12,12). Die Ortsangaben bei Markus und Mattäus sind nicht sehr aufschlußreich. Es ist nicht möglich, gestützt auf die synoptischen Angaben sich ein genaues Bild der damaligen Topographie und des Weges Jesu zu machen. Freilich fehlen auch bis heute sichere archäologische Punkte, die uns die Wege und Straßen um Jerusalem und um den Ölberg herum mit Sicherheit und in genügendem Umfang bestimmen ließen. Doch dies kann mit Bestimmtheit gesagt werden, der Standplatz des Reittieres war nicht weit vor den Stadtmauern; hier wurde es durch Jesus bestiegen. «Am Ölberg» heißt es ja bei allen Synoptikern. Jesus 64
muß den Entschluß, ein Reittier zu besteigen, kurz vor Erreichen der Stadtgrenze mitgeteilt haben. Zweitens ist in allen Evangelien implicite gesagt, daß Jesus der Initiant des feierlichen Einzuges gewesen ist, nicht die Jünger und nicht das Volk. Jesus selbst hat also eine Art messianischer Kundgebung beabsichtigt. Sie war derart, daß politische Absichten und jegliche Demonstration von Macht vermieden wurden. Drittens ist zu beachten, daß Johannes (12,15) dieselbe Sacharjastelle erfüllt sieht wie Mattäus. Die J ohannesparallele zum mattäischen Erfüllungszitat ist übrigens sehr interessant und aufschlußreich. Sie wirft ein überraschendes Licht auf die Entstehung der Erfüllungszitate überhaupt und speziell auf das von Mattäus 21,5. Fassen wir Johannes 12,14-16 noch einmal ins Auge, besonders den aufschlußreichen Vers 16: «Dies verstanden seine Jünger zunächst nicht; als aber Jesus verherrlicht war, dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben war und daß sie ihm dies getan hatten.» Markus, das älteste Evangelium, und der von ihm abhängige Lukas haben betr. den feierlichen Einzug kein Erfüllungszitat. In Mattäus aber findet es sich, und es ist in seinem Hauptteil dem Propheten Sacharja (9, 9) entnommen. Dieselbe Prophetenstelle liegt auch bei J ohannes vor, lediglich etwas mehr gekürzt als bei Mattäus. J ohannes aber fügt die gar nicht selbstverständliche Bemerkung hinzu, daß die Jünger zunächst ('ro 1tflW't'ov) nicht verstanden, daß eine Weissagung - eben die von Sacharja 9, 9 - dadurch in Erfüllung ging. Erst später, genauer «als Jesus verherdicht war», d. h. nach seiner Auferstehung, ist ihnen ein Licht aufgegangen. Welche Zeitspanne ist wohl mit dem Temporalsatz gemeint «als J esus verherrlicht war»? Ist an die allernächste Zeit nach der Auferstehung Jesu zu denken oder darf mit einer längeren Frist gerechnet werden? Die Tatsache, daß das zuerst entstandene Evangelium, Markus, dieses Erfüllungszitat nicht aufweist -und es wird ja noch vor das Jahr 70 datiert! - deutet doch wohl darauf hin, daß an eine längere Periode biblischer Besinnung und theologischer Arbeit zu denken ist. Diese biblisch-theologische Arbeit wird im Zusammenhang mit der Verkündigung innerhalb der christlichen Gemeinden, dann besonders bei der Entstehung der Jesusüberlieferung und der Evangelien geleistet worden sein, näherhin bei der Sammlung und Ausscheidung des Stoffes, bei der Anordnung und Verbindung der Stücke, bei der Komposition einzelner Teile, bei der Sinngebung der Teile und des Ganzen. Die Erfüllungszitate 5
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sind das Resultat der Besinnung und des Nachdenkens der Jünger Jesu in der nachösterlichen Zeit, das ist die Aussage von Joh 12, 16. Gewisse Kritiker betrachten die Geschichte vom Einzug Jesu auf einem Reittier als Legende. Diese habe sich allmählich aus der Stelle Sacharja 9, 9 entwickelt, wobei die Behauptung, daß Jesus auf einem Esel in die Stadt eingeritten sei, am Anfang der Legendenbildung gestanden habe 1 • Wenn Jesus nun nicht auf dem Rücken eines Esels, sondern zu Fuß in J erusalem eingezogen wäre, - hätte dann das AT keinen Text hergegeben, der als Erfüllungszitat hätte dienen können, d. h. eine Stelle, die in messianischem Sinn gedeutet wurde oder gedeutet werden konnte? Solche Stellen hätte es genug gegeben. Es seiz. B. hingewiesen auf den Gen 49,10: «Nicht weicht der Herrscherstab von Juda noch der Fürstenstab von seinen Füßen, bis der kommt, dem er gebührt und dem der Völker Gehorsam gehört.» Im Buche Jesaja gäbe es die Stellen 46,12: «> (Mt 21,1). «Sie», das sind die Jünger zusammen mit Jesus. Der Standort des J ohannes aber ist J erusalem mit seinen Festpilgern aus allen Landesgegenden. Subjekt aller Sätze von Joh 12,9-13 sind entweder Einwohner von Jerusalem oder Festpilger oder die Hochpriester. Der Erzähler befindet sich in Jerusalem. Dort erlebt er das Staunen und das Gerede der Menge wegen der Auferweckung des Lazarus (Vers 9), er erfährt den Plan der Hochpriester, auch Lazarus umzubringen (Vers 10), er heohachtet das Hinauslaufen vieler Juden ~rach lktanic:n (Vtrrl 11 ), er hilrt da~ (;crtdc dn V1Jihrr1trJ$~t Obtr Jesus (Vers 12), er sieht, wie sie sich Palmzweige beschaffen und hinau';ziehen, um Jesus zu empfangen (Vers 13). Die Hosannarufe erklingen. Jetzt ist der Blick wieder auf Jesus gerichtet, und es wird beschrieben, in welchem Zustand er ankommt: Er hat ein Reittier gefunden, einen Esel, und auf diesem reitend kommt er auf die Stadt zu. Wenn man den Standpunkt des Erzählers in Betracht zieht, wird es doch wieder fraglich, ob Joh 12,14-16 tatsächlich als Nachtrag angesehen werden muß. Der Text selbst enthält einen Hinweis, welcher der Legendenhypothese nicht günstig ist: «Dies verstanden seine Jünger zunächst nicht. Als aber Jesus verherrlicht war, dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben war und daß sie ihm dies getan hatten» (Joh 12,16). Durch diese Bemerkung wird der historische Gehalt des unmittelbar vorher Berichteten tangiert. Gehen wir diesem Satz etwas nach. Was haben die Jünger zunächst nicht verstanden? Sicher dies, 67
was in Vers 15 gesagt ist, d. h. daß eine Schriftstelle - Sacharj a 9, 9 in Erfüllung gegangen ist. Als Jesus auf einem Esel reitend zur Stadt zog, dachten sie nicht an die Erfüllung der Schrift. Erst später, «als Jesus verherrlicht war», d. h. nach Jesu Auferstehung, kam ihnen der Gedanke (!!J.v~ae"t)a()(v = sie erinnerten sich), daß sich durch jene Begebenheit diese Schriftstelle erfüllt hatte. Es ergibt sich von selbst, daß der Gedanke an Schrifterfüllung sich einstellte im Verlauf der Betrachtung der geschehenen und erlebten Ereignisse, im Nachdenken über die Person Jesu, seine Stellung, seine Aufgabe, seine Sendung, und dies alles im Licht der alttestamentlichen Schriften. Sie erkannten, daß die Stelle Sacharja 9, 9 sich gemäß dem Plan und der Absicht Gottes auf Jesus bezog, m. a. W. daß dies über ihn «geschrieben war» 1 • Joh 12,16 schildert einen seelischen Vorgang, ist Ausdruck einer Reflexion, beleuchtet die theologische Entwicklung der Jünger. Er könnte tatsächlich auf eine Mitteilung eines am Ereignis Beteiligten zurückgehen. Joh 12,16 ist nicht die Sprache der Legende. Damit soll nicht gesagt sein, daß im Bericht über den Einzug J esu in Jerusalem jedes einzelne Detail einer historisch exakten Schilderung entspreche. Es gilt hier die Regel, extreme Thesen zu vermeiden : Alles und jedes ist historisch - Alles ist fromme Erfindung. Wer Legende sagt, sollte sich bewußt sein, daß Legende immer ein Gemisch ist, das Historisches enthält und Züge frommer Ausschmükkung. Dabei kann der historische Gehalt sehr stark oder sehr schwach sein, er kann jeden Teilstrich zwischen einem Minimum und einem Maximum einnehmen. Was unser Thema betrifft, geht es darum, einsichtig zu machen, daß zum allermindesten der Kern der Erzählung Vertrauen verdient. Der Kern lautet: Jesus ist auf dem Rücken eines Esels in Jerusalem eingeritten und schuf damit die passende Voraussetzung für die Huldigung der Menge, die er ohne Widerspruch entgegennahm. Doch zurück zu den synoptischen Berichten. Da Lukas weitgehend dem Markustext folgt, bleibt die Konfrontation im Grunde auf Markus - Mattäus beschränkt. Die Berichte dieser beiden unterschei1 Es sei hier einmal beigefügt: Es ist keineswegs erforderlich, daß wir der Idee der «Schrifterfüllung», wie sie bei Mattäus und überhaupt in den Evangelien zum Ausdruck kommt, in jeder Hinsicht zustimmen oder daß wir sie nachvollziehen müssen. Es soll hier lediglich aufgespürt werden, wie man dort und damals gedacht hat.
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den sich hauptsächlich in drei Stücken voneinander: Erstens hat Markus nur ein Reittier, 1twA.ov oe:oe:(Levov =«ein Füllen, angebunden» (Mk 11, 2), während Mattäus von zwei Tieren weiß: Övov oe:oe:fLCV1JV xat 7tWAOV (L&-r' aunjt; =«eine Eselin, angebunden, und ein Füllen bei ihr». Zweitens, Markus betont, daß auf dem Füllen «noch nie ein Mensch gesessen ist», Mattäus jedoch ist dieses Detail unbekannt. Drittens hat Markus das Erfüllungszitat nicht, das Mattäus so wichtig und bedeutsam ist. Der auffällige und augenfällige Unterschied im Erzählungsinhalt beider Berichte ist die Anzahl der Tiere. Was hat das zu bedeuten bzw. was läßt sich daraus schließen? Wir gehen von einer Alternative aus und sagen: Entweder hat Mattäus den Markustext (oder die Markusüberlieferung) gekannt und als Vorlage benützt (vieles spricht dafür!), oder er hat den Markustext nicht gekannt und nicht benützt. Dann ergibt sich: a) Wenn Mattäus den Markustext nicht gekannt hat, dann muß ihm eine (andere) Überlieferung vorgelegen haben, die von zwei Tieren berichtete (Muttertier und ihr Füllen). Dann hat der Evangelist dieser Überlieferung so großes Gewicht beigelegt, daß er sich veranlaßt sah, die Sacharjastelle 9, 9 anzupassen, so daß aus dem einen Tier nun deren zwei wurden 1 • Man kennt keine Textvarianten, weder der Masora noch der Septuaginta, aus denen zwei Tiere herausgelesen werden müssen. Auch die rabbinische Literatur, welche die Stelle ebenfalls messianisch deutet 2, findet darin stets nur ein Tier. Mattäus 1 Es ist unglaubwürdig, daß Mattäus, dem man gewiß - nicht zuletzt auf Grund der von ihm eingefügten Erfüllungszitate - einige Schriftkenntnis zuschreiben muß, Sach 9, 9 mit so «unsemitischen» Augen gelesen haben soll, daß er im Text zwei Tiere gefunden hat! Merkwürdig argumentiert diesbezüglich R. PESCH in BZ NF 10 (1966) 245. Einerseits schreibt er Mattäus eine bedeutende Schrift- und Sprachenkenntnis zu, wenn er sagt: «Man darf annehmen, daß er nicht nur die Texte seiner Reflexionszitate ad hoc jeweils selbst interpretierend übersetzt, sondern auch die Einleitungsformeln dazu gebildet hat» (a. a. 0. zweimal!).- Auch rabbinische Literatur soll Mattäus gekannt haben. «Die jüngste Forschung hat mit Recht auf den Einfluß der Moses-Haggada auf die Bildung der matthäisehen Kindheitsgeschichte hingewiesen. Hier stecken die Elemente des erzählerischen Vorwurfs unserer Szene» (BZ NF 11 [1967] 88). Wenn Mattäus Schriftkenner und Schriftübersetzer war, wenn er einigermaßen Einblick in die rabbinische Literatur hatte, dann konnte er unmöglich - ohne sich zu blamieren l - in Sach 9, 9 zwei Tiere hineinlesen und sich damit obendrein die messianische Bedeutung der Stelle erschweren, denn es ist bis jetzt keine jüdische oder rabbinische Schrift gefunden worden, die in Sach 9, 9 zwei Tiere findet. 2 STRACK-BILLERBECK, I 842 ff.
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mußte sich also mit seiner Deutung gegen die gewohnte Lesung und Deutung stellen 1 • Dafür muß er einen gewichtigen Grund gehabt haben. Es wäre ja leichter und seiner messianischen Deutung dienlicher gewesen, wenn er sich der herkömmlichen Auffassung angeschlossen hätte. Dieser gewichtige und genügende Grund kann nur in der Überlieferung gesehen werden, der Mattäus folgen wollte. b) Wenn aber Mattäus den Markustext kannte und trotzdem von zwei Tieren sprach, dann kommt sein Vorgehen einer Korrektur des Markustextes gleich. Mattäus fühlte sich besser informiert. Er wies bewußt den markinischen Text zurück und brachte seine eigene Vorlage zur Geltung. In diesem Fall wiegt das Zeugnis des Mattäus noch schwerer als bei der ersten Annahme. Man kann dieser Alternative nur ausweichen, wenn man annimmt, Mattäus habe überhaupt keine andere Überlieferung gekannt als den Markustext, und er habe diesen auf Grund eigener Überlegung modifiziert bzw. korrigiert. Doch ist dies sehr unwahrscheinlich und wird wohl kaum angenommen. So haben wir Grund für die Annahme, daß Mattäus eine Überlieferung über den Einzug Jesu in die Heilige Stadt vorgefunden hat, die sich in gewissen Einzelheiten von der Markustradition unterschied. Nepper-Christensen argumentiert so: «Entweder liegt im Matthäusevangelium ein Mißverständnis des parallelismus membrarum vor, oder aber wir haben eine echte Tradition vor uns» 2• Nachdem er die Möglichkeit eines Mißverständnisses von Sacharja 9, 9 als schlecht vorstellbar ausgeschlossen hat, kommt er zum Schluß: «Unter solchen Bedingungen erscheint es uns notwendig, mit der von uns erwähnten anderen Möglichkeit zu rechnen, daß wir hier einer 'echten' Tradition gegenüberstehen>> 3• Nun wird man die Frage stellen: Wenn die mattäische Überlieferung zwei Tiere annimmt, aufwelchem von ihnen ist dann Jesus bei 1 Diesen Gedanken spricht auch 0. MrCHEL (TWNT, V 286) aus: «Der Einzug auf zwei Eseln stimmt nicht mit der Messiaserwartung überein, erscheint aber auch sachlich schwierig. Die Frage, weshalb für Mt die Erwähnung der Eselin neben dem 'Füllen' wichtig wurde, bleibt offen.» Die Antwort liegt vermutlich darin, daß der Evangelist sich an die ihm vorliegende Überlieferung gebunden glaubte. 2 P. NEPPER-CHRISTENSEN, Das Matthäusevangelium ein judenchristliches Evangelium?, Aarbus 1958, 146. Auch dieser Autor betont, daß nirgends in der rabbinischen Literatur Sach 9, 9 so gelesen worden ist, daß zwei Tiere auftreten. 3 A. a. 0. 147.
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seinem Einzug geritten? Doch wohl nicht auf dem jungen, sondern auf dem alten Tier, das gewohnt war, Lasten zu tragen I Dies wird auch von Nepper-Christensen angenommen. «Das Tier, das man holt, hat ein Füllen bei sich, das natürlich dem Muttertier folgt, und man kann nicht im Zweifel darüber sein, welches Tier zum Reiten benutzt werden soll ... Nichts im Bericht des Matthäus also deutet darauf hin, daß das jüngere der beiden Tiere zum Reiten benutzt wurde. Im Gegenteil: wir sind der Ansicht, daß es sich um das Muttertier handelte, und deswegen berichtet Matthäus nicht, daß das benutzte Tier nicht früher zum Reiten gedient hatte» 1• Mit Recht weist der Autor darauf hin, daß bei Mattäus nicht das Füllen {7twAoc;}, sondern die Eselin {i>voc;) im Vordergrund steht. Das Füllen folgt stets dem Muttertier, aber es hat keine selbständige Funktion. Es ist eben ein Füllen, kein ausgewachsenes Tier 2, und deshalb auch noch nicht zugeritten. Da Johannes den Zusatz «auf dem noch nie ein Mensch gesessen ist» ebenfalls nicht hat, ist es durchaus möglich, daß sein öv,Xpwv dasselbe meint wie i>voc; bei Mattäus. So rückt dann die Johannesdarstellung in dieser Beziehung in die Nähe der mattäischen. Zwar meint Otto Michel, der kleine Esel (ovtXptov) in Joh 12,14 entspreche dem Eselsfüllen (7twAoc; ISvou) bei Sacharja 3• Walter Bauer aber erklärt, daß das Deminutiv oft nur formellen Charakter hat und übersetzt ov,Xptov in Joh 12,14 einfach mit Esel 4• Es scheint uns demnach, Mattäus hat die schlichtere und deshalb ältere Darstellung des Einzugs Jesu in Jerusalem. In der Markustradition wurde wohl von den überlieferten zwei Tieren (Muttertier und Füllen) das eine, das Muttertier, vergessen bzw. verdrängt. Es blieb nur das Füllen, das allein geeignet ist für die Aussage «auf dem noch nie ein Mensch gesessen war». In der Überlieferung, die dem Johannesevangelium zu Grunde liegt, verschmolzen die beiden Tiere zu einem einzigen, was verständlich ist, da ja in der Erzählung überhaupt nur eines eine aktive Rolle spielen konnte. Die Überlieferung, die sich bei Mattäus erhalten hat, verdient Vertrauen und scheint die ältere zu sein. Denn es ist leichter erklärbar, daß in der erzählerischen Weitergabe von zwei Tieren, von denen nur eines eine Rolle spielen kann, eines in Vergessenheit gerät, als umgekehrt, daß zu dem einen Tier, 1 2
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A. a. 0. 147. A. a. 0. 147. 0. MICHEL, onos, onarion (gr.) = TWNT, V 283-287, bes. 286 f. W. BAUER, onarion (gr.) = WNT, 1128. 71
das tatsächlich gebraucht wird, noch ein zweites, das eigentlich nicht gebraucht wird, hinzuerfunden wird. Das Füllen, auf dem noch nie jemand saß, hat seine Parallele und sein Vorbild im Bericht von der Grablegung, wo das Felsengrab geschildert wird als eines, «in das noch nie jemand gelegt worden wa:r» (J oh 19,41; vgl. Lk 23, 53; Mt 27,60 «neue Gruft»). Abschließend zitieren wir Ed. Schweizer, der zu Markus 11,1-11 schreibt: «Daß die ganze Geschichte erst aus Sach. 9, 9 nachträglich herausgesponnen wäre, ist unwahrscheinlich; in diesem Fall wären die Beziehungen darauf viel deutlicher» 1 • Diesem Urteil möchten wir zustimmen. Es scheint uns, es ist nicht gerechtfertigt, die Einzugsgeschichte mit dem Reittier als fromme Erfindung abzutun. Die Erzählung in ihrem Kern und in ihren Hauptzügen ist durchaus zuverlässig. Sie wird gestützt von drei verschiedenen Überlieferungssträngen, von Mattäus, von Markus-Lukas und von Johannes. Zwei Evangelisten fügen ein Erfüllungszitat bei, sehen also in dem, was sie als geschehen betrachten, eine alttestamentliche Schriftstelle erfüllt. Freilich treten legendäre, erbaulich ausschmückende Züge hinzu, so z. B. das Reinheitsmotiv beim Reittier (Mk 11,2 par), das die Würde und Hoheit Jesu hervorheben will 2 • Schließlich gibt Heinz Schürmann über den Einzug Jesu zu bedenken, er sei «vielleicht doch am besten verständlich zu machen als eine eschatologische Zeichenhandlung angesichts der bevorstehenden Katastrophe. Diese setzt mit dem Hinweis auf den demütigen Friedenskönig - allen zelotischen Erwartungen entgegen - Zeichenhaft Sach 9, 9 in Szene und löst eine peinlich-geHihrliehe messianische Ovation aus ... , die dann Anlaß gab für den Kreuzigungstitel 'König 1 E. ScHWEIZER, Das Evangelium nach Markus (NTD 1), Göttingen 1968, 129. - «Es läge an dieser Stelle der Argumentation nahe, den Schluß zu ziehen, also sei Jesu Ritt auf dem Esel unhistorisch und aus Sach 9, 9 erlesen. Dieser Ausweg ist meines Erachtens zu bequem ... Historisch näher liegt der umgekehrte Schluß: Sach 9,9 konnte erst dann auf Jesus bezogen werden, als von seinem Eselritt erzählt wurde.» So H. PATSCH, Der Einzug Jesu in Jerusalem, ZThK 68 (1971) 1-26, bes. 23/24. 2 0. MICHEL sieht wohl richtig, wenn er sagt: «Die Einzugsgeschichte wird allerdings legendäre Einzelzüge in sich aufgenommen haben» (TWNT, V 286).Die Zuverlässigkeit einer Tradition wird nicht in jedem Fall erwiesen durch volle und allseitige Übereinstimmung verschiedener Tradentet\. Dieser Glücksfall kann eintreten, ist aber selten. Die Harmonie im Kern qer Sache und das Auseinandergehen in Einzelzügen ist eigentlich der Normalfall und eben dies entspricht den Möglichkeiten und Gesetzen mündlicher Überlieferung.
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der Juden' (Mk 14,26 parr)» 1• Auch dieser Gesichtspunkt verdient Beachtung. Mattäus sieht in der Begebenheit, die ihm als Jesusüberlieferung vorlag, die Schriftstelle Sacharja 9, 9 erfüllt und verwirklicht.
10. Mt 27,7-10: «Sie hielten Rat und kauften damit den Acker des Töpfers zum Begräbnis für die Fremden. Deswegen heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag. So erfüllte sich, was gesagt worden ist durch den Propheten Jeremias: 'Sie nahmen die dreißig Silberlinge, den Schätzwert für ihn, wie er von den Söhnen Israels eingeschätzt worden war, und gaben sie für den Acker des Töpfers, wie mir der Herr befohlen hat'.» Dieses Zitat samt seinem Kontext wirft schwere Probleme auf. Der ganze Bericht von der unfruchtbaren Reue des Judas, sein Gang zu den hohen jüdischen Instanzen, sein Bekenntnis, unschuldiges Blut verraten zu haben, die Rückgabe der Geldsumme, der Kauf des Töpferackers, der nun Blutacker genannt wird, ist mattäisches Sondergut. Nur in der Apostelgeschichte wird über das Ende des Judas noch berichtet und zwar in folgender Weise: «Dieser erwarb sich einen Acker vom Lohn des Verbrechens, stürzte kopfüber, barst mitten entzwei, und alle seine Eingeweide traten heraus. Und es wurde allen Bewohnern von Jerusalem bekannt, so daß jenes Grundstück in ihrer Sprache Hakeldama genannt wurde, das ist Blutacker» (Apg 1,18 f.). Kann dieser Bericht mit Mt 27,3-10 in Einklang gebracht werden? Wohl kaum! Nach Mattäus kauften die Hohenpriester einen Acker, der als Begräbnisplatz für Fremde dienen sollte. Nach Apg erwarb jttdas einen Acker für sich. Nach Mattäus starb Judas als Selbstmörder durch Erhängrmg, nach Apg starb er, indem er kopfüber (vornüber) stürzte, sein Leib zerbarst und die Eingeweide austraten. Dabei kann man sich fragen, ob das Bersten des Leibes und das Austreten der Eingeweide Mitursache des Todes waren oder ob dies erst nach dem Tod des Judas, also im Lauf der Verwesung, eingetreten ist. Nach Mt wurde der Acker Blutacker 1 H. ScHÜRMANN, Die Symbolhandlungen Jesu als eschatologische Erfüllungszeichen. (Eine Rückfrage nach dem historischen Jesus), BuL 11 (1970), 29--41, bes. 39.
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genannt, weil er vom «Blutgeld» des Verräters erworben wurde, nach Apg scheint es, daß der Name von dem an jener Stelle vergossenen B/IJI des Verräters entstanden ist. Immerhin bleibt als gemeinsamer Kern der beiden Berichte: Das gewaltsame und grausige Ende des Judas, Kauf eines Ackers vom Verrätergeld, der dann «Blutacker» genannt wird. Diese letzte Bemerkung- bei Mattäus in der Form «Deswegen heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag»- hat ganz Lokalkolorit. Es wird, nebenbei gesagt, hier auch ersichtlich, daß die biblischen Verfasset - es handelt sich um den Verfasset des Mattäusevangeliums und um den der Apostelgeschichte - sich bei der Abfassung ihrer Schrift auf das stützen, was ihnen bekannt ist, d. h. was sie an Überlieferung vorfinden, - was man sagt, was man erzählt, was mündlich oder schriftlich weitergegeben worden ist. Wenn man die beiden Varianten von Mattäus 27,3-10 und von Apg 1,18 f. miteinander vergleicht und erwägt, welche von ihnen ein Plus von historischer Wahrscheinlichkeit aufweise, dann wird man gewiß dieses Plus Mattäus zubilligen. Die Variante in Apg wird am besten erklärt durch Anlehnung an den schimpflichen und grausigen Tod des Ungerechten, wie er im Buch der Weisheit geschildert wird 1 • Eine sachliche Verbindung zwischen dem mattäischen Bericht und dem der Apg könnte darin bestehen, daß Judas als erster auf dem Blutacker bestattet wurde. Der eben gekaufte Acker «zum Begräbnis für die Fremdem> konnte für den Nichtjerusalemer und Selbstmörder Judas tatsächlich als passender Bestattungsort in Frage kommen. Wie wurde der Selbstmord bei den Juden betrachtet? Sie sahen ihn als schlecht und verwerflich an. Flavius J osephus schreibt darüber: «Wer aber im Wahn selbst Hand an sich legt, dessen Seele nimmt ein besonders finsterer Ort in der Unterwelt auf ... Es ist bei uns bestimmt, Selbstmörder bis zum Sonnenuntergang unbeerdigt draußen liegen zu lassen, während wir es für unsere Pflicht halten, selbst Feinde zu bestatten» 2 • Man pflegt gern die Berichte in Mt 27,6-10 und Apg 1,19 f. als christliche Aetiologien zu bezeichnen, d. h. als Geschichten, die in christlichem Milieu entstanden seien, um den Namen «Blutacker» zu erklären und ihm Sinn zu geben. Nun kommt allerdings Wilhelm 1 «Als Quelle für die Apg kommt die genannte Stelle Weish 4,18 f. in Betracht, die das dunkle 'stürzte kopfüber' am besten erklärt.» So A. WrKENHAUSER, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg 31956, 35. 2 B J Ili 375-378 ( = 3, 8, 5).
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Rothfuchs, dessen Arbeit über die Erfüllungszitate bei Mattäus schon mehrfach erwähnt worden ist, zum Ergebnis, daß die arn besten begründete Erklärung der in Frage stehenden Texte die ist, «daß eben doch eine Tradition bestanden hat, die von einem Acker des Töpfers wußte, der anläßlich seines Kaufes für den 'Blutlohn' des Verräters den Namen 'Blutacker' erhalten hat» 1• Zunächst ist es kaum fraglich, was Judas beabsichtigt hat, als er die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Altesten zurückbrachte. Seine Erkenntnis, > 20 b: « J oseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen.» 24b: <mnd nahm seine Frau zu sich.» 25b:
·. ·
235ff. (= 16, 8, 2); XVI 253. (= 16, 8, 4); XVI 71 (= 16, 3, 1).
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4. Daß die Magier, die ein Königskind an einem Königshof erwarten, einem Kind aus ärmlicher Familie in Handwerkermilieu königliche Huldigung darbringen. Diese Beobachtungen zusammen mit der Feststellung, daß ein diesbezügliches Erfüllungszitat fehlt mitten in einem Komplex von Erzählungen, deren jede mit einem Erfüllungszitat abschließt, berechtigen uns zur Annahme, daß hier keine Geschiehtsetzählung vorliegt, sondern ein Midrasch oder eine Legende. · Die Magiergeschichte enthält Elemente sowohl der Legende wie des Midrasch. Damit will gesagt sein, daß nicht die ganze Magiergeschichte in all ihren Teilen dichterische Komposition sei, sondern daß ein gewisser historischer Hintergrund und historische Elemente darin liegen. Recht gut fügen sich hier einige Sätze aus dem Vorwort des jüdischen Werkes «Aus Israels Lehrhallen» von August Wünsche ein, um Sinn und Geist des Midrasch zu beleuchten: «Aber auch vom dichterischen Gesichtspunkte verdienen die kleinen Midraschim Beachtung .. . Die Phantasie mag noch so umrankend und üppig wuchernd gestalten, allenthalben geschieht es im Geist der biblischen Schriftsteller. Die dichterische Zutat ist dem Geiste des Alten Testamentes kongenial. Wir haben plastische Gemälde vor uns von großer Lebendigkeit und Anschaulichkeit. Oft geht durch sie sogar ein frischer dramatischer Zug mit reichem Wechsel der Szenerie. Man hört Monologe und Dialoge, bald oben im Himmel, bald unten auf der Erde. Engel steigen auf göttliches Geheiß hernieder und greifen in die Handlung ein. Bisweilen erscheint Gott selbst auf dem Plan und gibt der kritischen Situation entscheidende Wendung ... » 1 Mit der echten Legende hat dle Magiergeschichte gemeinsam, daß der historische Hintergrund und darüber hinaus zutreffende historische Züge vorhanden. sind, vor allem aber die religiös belehrende, erbauende und geilii.its~ft ergreif~nqe Tendenz. Sie hat mit dem .Midrasch gemein$a .1'~: ga~ sie :~m ~ine;:jSobrift~telle angelegt ist - hier .is~.es (Mt 2,6) Mt···· ~~hbl.die erzä~epd,~edepte~ und um die herum
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·.~It1*· c;~et. Erz. jl:l. Mit diesem Titel wäre noch nichts gesagt über die literarische Gattung der Stücke, und auf die drei im Text stehenden Hymnen (Benedictus, Magnificat, Nunc dimittis) wäre nicht Rücksicht genommen. Man sieht jedoch, daß die Verschiedenheit der Titel auch verschiedene Inhalte erwarten läßt. Das Auswahlprinzip, 152
dem die beiden Vorgeschichten unterworfen sind, zeigt, daß in keiner von ihnen eine eigentliche «Kindheitsgeschichte Jesu» zu erwarten ist und läßt zum vornherein vermuten, daß jede der beiden Vorgeschichten Eigenes und Besonderes zu bieten hat. Der historische Gehalt von Mt 1,18-2,23 kann folgendermaßen skizziert werden:
1. Als Josef und Maria sich verloben, ist Nazaret ihr Wohnsitz. Das ist aus den Texten sozusagen mit Sicherheit zu erschließen. In Nazaret sind auch die Verwandten Jesu zu Hause. 2. Maria wird auf unerklärliche Weise schwanger zur Zeit, als sie erst mit Josef verlobt, aber noch nicht heimgeführt ist. 3. Dadurch gerät Josef in schwere Bedrängnis und Gewissensnot. Die Krise wird gelöst, Josef führt die Hochzeitszeremonien durch und führt Maria heim. 4. Jesus wird in Betlehem in Judäa, wohin die beiden Vermählten offenbar hingezogen sind, geboren. 5. Das Kind, als dessen Vater der Davidide J osef gilt, gerät für eine zeitlang in den Bereich messianischer Erwartungen und wird dadurch gefährdet. 6. J osef bringt das Kind in Sicherheit durch die Flucht nach Agypten. 7. Als Folge der krankhaften Angst und Vorsicht des Herrschers muß eine Anzahl kleiner Knaben in Betlehem das Leben lassen. 8. Nach dem Tod He:rodes' d. Gr. kehrt Josef nach Palästina zurück und nimmt nach einigem Zögern wieder Wohnsitz in Nazaret. Hier werden nüchterne Dinge berichtet. Es sind Begebenheiten, die als historischer Gehalt in den Erzählungen der mattäischen Vorgeschichte enthalten sind. Wunderbar für den, der an Wunder zu glauben vermag, ist einzig die ohne menschliches Zutun entstandene Schwangerschaft Marias. «Als Maria, seine Mutter, mit Josef verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, daß sie empfangen hatte ... » (Mt 1,18). Die textgerechte Auslegung der mattäischen Vorgeschichte schließt, so glauben wir, dieses Wunder ein.
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EXKURS
3
Jüdische Sitten und Bräuche in bezug auf Verlobung und Vermählung Daß der Mann sich verehelichen und Kinder zeugen soll, wurde als Pflichtgebot betrachtet. Dies galt jedoch nicht für die Frau. Für die Ehepflicht des Mannes bringt Billerbeck zahlreiche talmudische Zeugnisse, auch solche aus der Zeit um etwa 100 nach Christus 1 • Daß aber um eines höheren Ideales willen Ehelosigkeit möglich war, beweist die Sitte der Essener, ehelos zu sein 2 • Auch die Gemeinde von Qumran scheint Ehelosigkeit vorgezogen zu haben, mindestens lebte die führende Gruppe unter ihnen zölibatär 3 • Jesus selbst war ehelos und hat nach Mt 19,12 Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen empfohlen.
1 STRACK-BILLERBECK, li 372 f.- Siehe auch S. KRAuss, Talmudische Archäologie, Hildesheim 1966, li 25. Hierzu zwei Zeugnisse aus früher Zeit: Rabbi EHezer (um 90 n. Chr.) hat gelehrt: «Wenn jemand die Fortpflanzung nicht übt, so ist es ebenso, als würde er Blut vergießen» (BT Jabmuth 63b) ... Rabbi Jochanan ben Beroqa (um 110 n. Chr.) erklärte zum Satz ((Der Mann ist zur Fortpflanzung verpflichtet, nicht aber die Frau»: ((Von beiden heißt es: Der Herr segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch» (BT Jabmuth 65b). 2 Betreffs der Frage ((Essener und Ehe» siehe: FL. JosEPHUS BJ li 121 (= 2, 8, 2); AJ XVIII 21 (= 18, 1, 5). PHILON schrieb eine Apologia pro Judaeis, die nur bei EusEBIUS in der Praeparatio evangelica erhalten ist, und wo gesagt ist: ((Sie lehnen die Ehe ab, so daß sie das seltene Lob vollständiger Enthaltsamkeit beanspruchen dürfen. So pflegt also kein Essäer zu heiraten, weil die Frau so veranlagt sei, daß sie wegen ihrer heftigen Selbstliebe und Eifersucht die Sitten des Mannes leicht verkehren und durch die verführerischen Reize ihrer Schmeicheleien verweichlichen könne.» MIGNE PG 21, 643. PLINIUS schreibt: dm Westen [= des Toten Meeres I] leben die Essener, ein einsames und sonderbares Volk, das sich vor allen Völkern des Erdkreises dadurch auszeichnet, daß es keine Frauen nimmt, der Liebe ganz entsagt, und ohne Geld inmitten der Palmen lebt» Naturalis Historia, 5. Buch XV (73). Ganz ähnlich berichtet auch am Anfang des 3. Jahrh. n. Chr. HIPPOLYT von Rom in seinem Werk Refutatio omnium haeresium ( = Elenchos). Siehe Hippolytus Werke 3. Band, ed. P. Wendland, GCS 26, Leipzig 1916, 256. Allem Anschein nach gab es freilich auch eine Gruppe von Essenern, die sowohl Ehe wie auch Privateigentum hochhielten. Dafür zeugt die sog. DAMASKUSSCHRIFT, die durch einige QuMRAN-Fragmente ergänzt wird. Siehe z. B. K. SGIUBERT, Die jüdischen Religionsparteien in neutestamentlicher Zeit (SBS 43), Stuttgart 1970, 52. 3 J. VAN DER PLOEG, Qumran = BL von H. Haag, Einsiedeln 21968, 1430-1440.
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Die Werbung Der jüdische Jungmann heiratete im allgemeinen zwischen dem 18. und 24. Lebensjahr 1• Für Mädchen galt es als normal. wenn sie im Alter von 12 bis 12% Jahren von ihrem Vater verlobt wurden. Die Verlobungszeit dauerte in der Regel etwas mehr als ein Jahr. So wurde das jüdische Mädchen normalerweise im Alter von 13% bis 14 Jahren verheiratet. Wenn ein Mädchen 12% Jahre alt geworden war, ohne verlobt zu sein, dann, meinte man, tue Eile not und man dürfe in der Wahl des Mannes nicht mehr wählerisch sein 2• Der Mann sollte sich eine ebenbürtige Frau nehmen, möglichst aus dem gleichen Gesellschaftskreis. «Es war weithin üblich, daß man sich mit einer Verwandten verlobte, und zwar nicht nur in den vornehmen Kreisen ... » 3 «Auch die beliebte und mehrfach empfohlene Verwandtenehe wird mit dem Wunsch zusammen gehangen haben, die Frau möglichst aus einem Kreis zu wählen, dem der Mann selbst angehörte. Mit der Zugehörigkeit der Braut zur Familie des Bräutigams schien ihre Ebenbürtigkeit am sichersten gewährleistet zu sein» 4• Vor allem war es wünschenswert, die Frau möglichst aus dem eigenen Stamm zu wählen. Freilich war es im Laufe der Zeit zu einer gewissen Freizügigkeit gekommen, die nur dann zwingend eingeschränkt wurde, wenn eine Tochter Erbtochter war, d. h. wenn kein männlicher Erbe vorhanden war und die Tochter somit Erbin des väterlichen Grundbesitzes wurde. Zeugnis für die genannte Freizügigkeit ist z. B. die Stelle Num 36, 3, wo die Folgen ins Auge gefaßt werden, die entstehen, wenn Erbtöchter außerhalb des Stammes heiraten. Num 36,6 enthält sodann die Bestimmung, daß Erb1 Dies sind eher obere Grenzen. In der Mischna heißt es: «Achtzehn Jahre alt - zum Trauhimmell» (Abot V, 21). - Gewisse Quellen geben schon das 16. Lebensjahr an. Siehe STRACK-BILLERBECK, II 374 f. 2 Zur Stelle Lev 19,29 «Du sollst deine Tochter nicht entweihen, indem du sie zum Huren anhältst» sagte Rabbi Akiba (gest. um 135 n. Chr.), «dies beziehe sich auf den Fall, wenn jemand seine mannbare Tochter sitzen läßt.» (BT Sanhedrin 76a). - Ein Rabbi sagte: «Wenn deine Tochter mannbar geworden ist, dann laß deinen Sklaven frei und gib sie ihm.» Das bedeutet, das Mädchen ist schnell an den Mann zu bringen und man hat nicht mehr Zeit, lange zu wählen. (BT Pesachim 113a.) Betr. Alter und Einverständnis der Tochter siehe auch Anm. 3 Seite 156. 3 J. }EREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen 21958, II B 238.- Vergleiche Gen 24, 4: «Vielmehr sollst du in mein Heimatland und zu meiner Verwandtschaft ziehen und dort für meinen Sohn eine Frau suchen.» 4 STRACK-BILLERBECK, II 379.
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töchter nur innerhalb des eigenen Stammes heiraten dürfen. Dieser Text gehört vermutlich der Priesterschrift an, also der Zeit des 6. oder 5. Jahrh. vor Christus. Doch- auch vom Sonderfall der Erbtochter abgesehen- die Tendenz, innerhalb des Stammes zu heiraten, blieb bestehen, oder wurde wenigstens als wünschbares Ideal betrachtet. Deshalb wird dem jungen Tobias gesagt: «Nimm dir eine Frau aus dem Geschlecht der Väter, keine fremde Frau, die nicht aus dem Stamm deines Vaters ist» (Tob 4,12). Das Buch Tobias ist mindestens drei Jahrhunderte jünger als das Buch Num, es muß um 200 v. Chr. geschrieben worden sein. Natürlich boten Ehen übet die Stammesgrenzen hinaus im allgemeinen keine Schwierigkeiten, aber «Heirat innerhalb des Stammes und der Familie ist das Normale und Wünschenswerte», wie Joachim Jeremias auch für die Zeit Jesu annimmt 1• Diese alte Sitte scheint vor allem in Priesterkreisen beobachtet worden zu sein 2• Nach Lk 1,5 waren sowohl Zacharias wie auch seine Frau Elisabet aus dem Hause, d. h. aus der Familie und Nachkommenschaft Aarons. Wenn der heiratslustige Mann sich eine Braut erkoren hatte, galt es, alle jene Schritte zu unternehmen, die nach Recht und Brauch notwendig waren, um sie als seine Frau heimzuführen. Der junge Mann mußte, wenn seine Erwählte das Verlobungsalter erreicht hatte, bei ihrem Vater vorsprechen und seine Einwilligung zu erreichen suchen. Dies gab nach orientalischer Art Anlaß zu längeren Verhandlungen. Der Werbende mußte zum voraus der Zuneigung seiner zukünftigen Verlobten sicher sein, denn ohne ihre Zustimmung gab es keine Heirat 3• Der Fachausdruck für die Werbung war siddukhin (= wörtlich «Überredung»). Sie konnte durch den jungen Mann selbst oder durch einen Mittelsmann - in der Regel war dies der zukünftige Brautführer bei den Hochzeitsfeierlichkeiten! erfolgen. Das Ziel dieser Verhandlungen war der Ehevertrag mit den damit verbundenen vermögensrechtlichen Vereinbarungen. Diese Verhandlungen wurden für so wichtig angesehen, daß sie auch an J. JEREMIAS, a. a. 0. 238 Anm. 55, mit Verweis auf Quellen. J. JEREMIAS, a. a. 0. 238. 3 Siehe STRACK-BILLERBECK, a. a. 0. 375, S. KRAUSS, Talmudische Archäologie, Hildesheim 1966, II 24 ff. - Das Mädchen ist minderjährig bis zum Alter von «zwölf Jahren und einem Tag», es ist Jungfrau im Alter von 12- 121/ 2 Jahren, es ist volljährig, wenn es älter ist als 121/ 2 Jahre. «Erst die Volljährige (über 121/ 2 Jahre) ist selbständig: sie kann nicht ohne ihre Einwilligung verlobt werden.» So J. ]EREMIAS, a. a. 0. 236 f. 1
2
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einem Sabbat geführt werden durften normalerweise vier Punkte.
1•
Der Ehevertrag enthielt
1. Die Aussteuer der Braut. Der Vater war verpflichtet, seiner Tochter eine Aussteuer oder Ausstattung in die Ehe zu geben im Mindestwert von 50 Zuz. Ein Zuz=ein Denar. Da der Denar nach Mt 20,2 den Wert eines Tageslohnes hat, war die Mindestaussteucr etwa 50 Tageslöhne wert. Dabei wird es sich in einfachen oder ärmlichen Verhältnissen um die notwendigsten Kleidungsstücke und Hausgeräte gehandelt haben. In vermöglichen Kreisen werden auch Grundstücke, Sklaven (Dienerinnen!) und Bargeld dazu gekommen sein. Die Aussteuer sollte standesgemäß sein. Sie blieb Eigentum der Frau, ihrem Gatten aber stand die Nutznießung zu. Bei einer Auflösung der Ehe nahm die Frau wieder an sich, was davon noch vorhanden war 2 • 2. Die Mitgift. Sie ist nicht dasselbe wie die Aussteuer. Sie wird in den meisten Fällen in Geld bestanden haben, kann aber auch in Form von Vieh oder Sklaven gegeben worden sein. Ihre Höhe war dem Belieben des Brautvatersanheim gestellt. Nach Sitte und Brauch sollte sie sich jedoch nach dem Vermögen des Brautvaters richten. Im babylonischen wie im jerusalemischen Talmud wird angenommen, daß die Mitgift etwa ein Zehntel des väterlichen Vermögens ausmachen sollte 3 • Das ist ein beträchtlicher Anspruch, besonders wenn man bedenkt, daß die zu verlobende Tochter meist nicht das einzige Kind und nicht unbedingt auch die einzige Tochter dieses Vaters sein mußte. Aber es ist zu bedenken, daß nach alttestamentlicher Auffassung die Töchter vom Vermögen ihres Vaters nicht erben konnten, ausgenommen in dem Fall, daß keine Söhne vorhanden waren (Num 27, 8). Diese Bestimmung beruht jedenfalls auf der Annahme, daß das Hauptvermögen in Grund und Boden besteht und daß dieser nicht aufgeteilt werden sollte. So darf man annehmen, daß diese Mitgift eine Art Ersatz dafür war, daß die Töchter nicht erben konnten 4• Die vereinbarte Mitgift ging mit der Heirat in den Besitz li 384. li 385. 3 BT Kethuboth 68a-69a (etwa zehnmall). JT Kethuboth IV 11; VI 6. 4 R. DE V Aux, Das Alte Testament und seine Lebensordnungen, Freiburg 1960, I 96 f.: «Als Grundregel gilt, daß nur die Söhne erbberechtigt sind.» «Töchter können nicht erben, außer wenn keine männlichen Erben da sind.»1 STRACK-BILLERBECK, 2 STRACK-BILLERBECK,
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des Mannes über, und es stand ihm auch das Verfügungsrecht darüber zu. Aber der Wert dieses Besitzes mußte zugunsten der Frau sichergestellt sein und die Frau konnte bei Auflösung der Ehe durch Entlassung oder durch den Tod des Mannes diese Mitgift zurückfordern. 3. Die Kethubba oder Hochzeitsverschreibung. Es ging darum, genau festzusetzen, welche Summe der Frau aus dem Vermögen des Mannes auszuzahlen war, wenn er sie entlassen oder wenn er vor ihr sterben sollte. Diese Kethubba setzte sich zusammen aus drei Teilen: Erstens aus einer Summe, die ohne Rücksicht auf die von der Frau hereingebrachte Mitgift festzusetzen war; man mag sie als Grundbetrag oder Grundtaxe bezeichnen. Sie betrug für eine Braut, die als Jungfrau heimgeführt worden war, 200 Zuz (= Denare), für eine Braut, die als Witwe geheiratet worden war, 100 Zuz. Zweitens durfte dieser Grundbetrag vom werbenden Mann durch eine beliebig hohe «Zugabe» erhöht werden. Die Priesterschaft von Jetusalern nahm z. B. das Recht in Anspruch, für Frauen ihres Standes in jedem Fall das Doppelte des Grundbetrages zu verlangen. Drittens kam hinzu ein Betrag, der nach der Höhe der von der Frau mitgebrachten Mitgift berechnet wurde. Brachte z. B. die Frau 1000 Zuz Bargeld mit in die Ehe, so wurde diese Mitgift plus 50 Prozent Zuschlag berechnet, d. h. die Kethubba betrug dann 1500 Zuz plus Grundbetrag plus «Zugabe». Es ist klar, daß sich hierbei am Schluß beträchtliche Summen ergeben konnten. Die gesamte Kethubba mußte durch Grundpfandverschreibung auf den vorhandenen Liegenschaften des Mannes oder, wenn solche nicht oder nicht im genügenden Ausmaß vorhanden waren, durch Bürgen gesichert werden. In der Institution der Kethubba steckt wohl auch die Absicht, die Auflösung einer eingegangenen Ehe zu erschweren. Die Mitgift erhöhte den Wert der umworbenen Frau, die Kethubba schützte ihre Stellung als Gattin und Mutter. Die früheste Nachricht, die von der Kethubba und ihrer Sicherung durch das Vermögen des Mannes spricht, stammt von Sim'eön ben Setalt um etwa 90 vor Christus 1• L. DELEKAT, Erbe = BHHWB, Göttingen 1962, 423: «Töchter werden durch eine Mitgift abgefunden.» 1 BT Kethuboth 82b: «Da kam Simon ben Setah und ordnete an, daß er ihr schreibe: all meine Güter haften für deine Morge.ngabe.» ( = STRACK-BILLERBECK II 390 und 391.) 158
4. Weitere Bestimmungen besonderer oder gar sonderbarer Art konnten noch in den Ehevertrag einbedungen werden. Ein solcher V ertrag wurde wohl in vielen Fällen zuerst mit einem Sachverständigen beraten, sodann vom Schreiber geschrieben und von zwei Zeugen unterzeichnet. Die älteste Erwähnung eines Ehevertrages ist im Buche Tobias (7,14) zu finden. Der Ehevertrag kommt offenbar erst in nachexilischer Zeit auf und stammt ohne Zweifel aus Babylonien. Dort war - in der Zeit des neubabylonischen Reiches - die Institution des Ehevertrages und der Mitgift (viel weniger der «Brautpreis» von seiten des werbenden Mannes) wesentlich für die Eheschließung 1 • Man weiß aus dem Talmud, daß es Orte gab, wo Eheverträge geschrieben wurden, und Orte, wo nichts geschrieben wurde 2 • Man geht nicht fehl, wenn man annimmt, daß schriftliche Eheverträge vor allem in Jerusalem und überhaupt in größeren Ortschaften ausgefertigt wurden. In ländlichen Gegenden wird man sich meistens mit mündlichen Abmachungen begnügt haben. So wird es wohl zutreffen, daß im kleinen und unbedeutenden Nazaret die Eheverträge in mündlicher Form geschlossen wurden. Aber irgend eine Art von Ehevertrag wird auch der Verlobung J osefs mit Maria vorausgegangen sein. Die Verlobung War es dem jungen Mann gelungen, selbst oder durch seinen Mittelsmann den gewünschten Ehevertrag zu vereinbaren, war der Weg frei für die Verlobungsfeier. Diese fand im Hause des Brautvaters statt, der auch das Verlobungsmahl veranstaltete 3 • Der eigentliche Verlobungsakt bestand darin, daß der Bräutigam seiner Braut in Gegenwart von zwei Zeugen eine Peruta oder einen Gegenstand im Wert von wenigstens einer Peruta (= kleinste Münze) übergab und dabei sagte: «Siehe, du bist mir verlobt» oder «Siehe, du bist mir zur Ehefrau» 4• Während des Mahles wurde- wahrscheinlich vom Vater der Braut - über einem Becher Wein der Segensspruch für Verlobte gesprochen. Von nun an hieß die Verlobte «das Mädchen des So1 2 3
4
W. KoRNFELD, Mariage = DBS, Paris 1957, V 908 und 923. BT Kethuboth 89a (= STRACK-BILLERBECK, II 393). BT Pesachim 49a (= STRACK-BILLERBECK, II 394 ff.). BT Qiddusin 2a, Sb, 6a (= STRACK-BrLLERBECK, II 394 f.). 159
undso» oder «die Frau des Soundso» 1• Sie wurde als Witwe betrachtet, wenn der Verlobte starb. Nach der Verlobung pflegte der Neuverlobte Geschenke an die Braut und wohl meistens auch an deren Vater zu übersenden. Hier lebte also der uralte Brauch der «Morgengabe», des mohar, wenigstens zum Teil weiter. (Vgl. Gen 24,53; 34,12; Ex 22,16; 1 Sam 18,25.) An die Übersendung der Morgengabe konnte sich ein zweites Verlobungsmahl anschließen. Im jüdischen Recht galt der Grundsatz: «Die Frau wird erworben durch Geld, durch Urkunde und durch Beiwohnung.» Verlobung durch Geld meint offenbar die soeben geschilderte Form mit der Übergabe einer Münze. Die Münze ist hierbei offenbar das Symbol des Brautpreises bzw. der Kethubba. «Durch Beischlaf» könnte den Eindruck erwecken, als ob Geschlechtsverkehr als völlig normales Mittel der Verlobung betrachtet worden wäre. Aber dies ist nicht der Fall. Billerbeck schreibt dazu: «Der letzte Modus ist wohl schon frühzeitig in Verruf gekommen» 2 • Gaechter im Anschluß an Jakob Neubauer denkt an uralte Tradition, an ein Relikt aus weit zurückliegender Zeit, als die Eheschließung aus einem einzigen Vorgang bestand, der Übergabe der Braut und dem Vollzug des Geschlechtsverkehrs 3 • (Vgl. etwa Gen 30,4; 38,2; Deut 21,13.) Sodann legt Gaechter eine Reihe von Argumenten vor, die zeigen, daß von der Braut Jungfräulichkeit verlangt wurde. Im Sinne dieser Anschauung war es, wenn den Brautleuten verboten war, allein beisammen zu sein oder unter dem gleichen Dach die Nacht zuzubringen. Die Braut, obgleichrechtlich bereits die Frau des Verlobten, lebte bis zur Heimführung im Haus und damit auch unter der Kontrolleihres Vaters 4• Der übliche Hochzeitstag in der früheren Zeit war der vierte Wochentag (= Mittwoch) für Jungfrauen. Wenn also der junge Ehemann eine Klage wegen fehlender Jungfrauschaft vorbringen wollte, konnte er gleich am folgenden Tag die Klage vorbringen, denn Donnerstag und Montag waren Gerichtstage. (Sabbat und Sonntag waren als Hochzeitstage nicht gebräuchlich!) 5 Wir dürfen anS. KRAuss, a. a. 0. II 35.- STRACK-BILLERBECK, II 393. STRACK-BILLERBECK, a. a. 0. 394. 3 P. GAECHTER, Maria im Erdenleben, Innsbruck 1953, 81 f. • P. GAECHTER, a. a. 0. 83. 5 BT Kethuboth 2a: «Eine Jungfrau ist am Mittwoch und eine Witwe am Donnerstag zu ehelichen, weil zweimal wöchentlich, am Montag und am Don1
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nehmen, daß die Verlobung zwischen J osef und Maria in diesem Rahmen vor sich gegangen ist, und daß selbstverständlich auch von ihnen die geschlechtliche Enthaltsamkeit bis zum Tag der Heimführung gemäß allgemeiner Anschauung gefordert war. Wäre den Nazarenern bekannt geworden, daß Maria während der Verlobungszeit schwanger geworden war, wäre sie selbst zum mindesten der öffentlichen Verachtung anheim gefallen und J osef wäre in schlimmen Verdacht geraten. Gaechter schreibt: «Es besteht somit kein Zweifel, daß zur Zeit, als Maria verlobt war, auf die Jungfrauschaft der Braut am Hochzeitstag größtes Gewicht gelegt wurde und ihr Verlust eine öffentliche Schmach bedeutete, für religiös eingestellte Mädchen zugleich ein Vergehen gegen Gottes Willen. Nur auf diesem Hintergrund läßt sich ermessen, was die voreheliche übernatürliche Empfängnis für Maria bedeutete» 1• Es wird etwa die Meinung vertreten, die jüdischen Verlobten zur Zeit Jesu hätten schon vor der Heimführung- der eigentlichen Hochzeitsfeier! - den ehelichen Verkehr ausüben können, ohne der öffentlichen Verachtung anheimzufallen. Der Grund für diese zugestandene Freiheit sei das ius primae noctis gewesen, das die römische Besatzungsmacht für sich in Anspruch nahm und das die Juden durch Erlaubnis bzw. Duldung eines freieren Verkehrs der Verlobten zu sabotieren suchten. Tatsächlich sind aus dem Talmud drei Dinge zu ersehen: Erstens, daß - gemäß altem Empfinden - die körperliche Unversehrtheit der Braut vor der Hochzeit erwartet und verlangt wurde und daß gerichtliche Klage erhoben werden konnte, wenn die Braut in der Hochzeitsnacht schon defloriert erfunden wurde 2• Zweitens zeugt der Talmud für das angemaßte Recht der römischen Besatzungsbehörde, die neuvermählte jüdische Braut dem obersten am Orte anwesenden Vertreter der Besatzungsmacht zuzuführen, um das ius primae noctis auszuüben 3• Drittens ist bezeugt, daß es bezüglich der Verlobten - offenbar seit der römischen Besatzung -zweierlei Gewohnheiten gab, die strengere nerstag, die Gerichte Sitzungen in den Städten abhalten, und er, wenn er die Jungfernschaftsanklage zu erheben hat, sich sofort am folgenden Morgen an das Gericht wenden kann»(= STRACK-BILLERBECK, II 398). 1 P. GAECHTER, a. a. 0. 89. 2 BT Kethuboth 2a; JT Kethuboth I 1. 3 BT Kethuboth 3b; JT Kethuboth I 5. 11
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galiläische, die den Verlobten jedes Alleinsein unter sich verbot (was eine vorzeitige Deflo:rierung des Mädchens unmöglich machte I) und die freiere judäische Gewohnheit, die den Geschlechtsverkehr der Verlobten aus dem schon genannten Grund durchaus möglich machte 1 • Dazu ist nun allerdings zu sagen, daß es zur Zeit, als Josef und Maria verlobt waten, noch keine :römische Besatzung gab. Denn wenn, wie allgemein angenommen wird, Jesus jedenfalls vor dem Jahre 4 v. Chr., vermutlich zwischen 8 und 6 v. Chr. geboren wurde, dann muß die Verlobung Josefs mit Ma:ria etwa ein Jahr zuvor angesetzt werden, also in der Zeit 9 bis 7 vor Christus. Damit stehen wir aber in der Regierungszeit Herodes' d. G:r. und keineswegs in der Periode der :römischen Besetzung Palästinas. Es gab somit in Palästina noch kein verhaßtes ins primae noctis einer ebenso verhaßten fremden Besatzungsmacht. Das jüdische Volk hatte weder Grund noch Anlaß, die überlieferten Auffassungen und Gewohnheiten bezüglich V e:rlobung und Heimführung aufzugeben und einer veränderten Situation anzupassen. Man gewährte der Braut von dem Tage an, da der Bräutigam sie zur Hochzeit ( = Heimführung) aufgefordert hatte, zwölf Monate Zeit, um ihre Ausstattung zu besorgen 2 • Etwa soviel Zeit benötigte auch der Bräutigam, um die notwendigen Konsumgüter (Mehl, Wein, Schlachtvieh, Öl usw.) für das siebentägige Hochzeitsfest zu besorgen und die Wohnung und insbesondere das Brautgemach herzurichten 3 •
Die Heimführung Die Heimführung war das eigentliche Hochzeitsfest. Die Feier begann mit der Abholung der Braut aus ihrem Elternhaus. Die Braut hatte sich gewaschen und gesalbt, das Brautkleid angezogen und sich mit 1 BT Kethuboth 12a (vgl. auch 7b); JT Kethuboth I 5.- Hier im Jerusalemer Talmud ist ausdrücklich gesagt: «Ün subjugua !es Judeens, on violenta leurs filles, et l'on decreta, que le a-rpiXTLWnJc; (stratege, chef de guerre) aurait le droit d'en user d'abord (avant le mariage). Pour parer a cet outrage et a ses suites juridiques, il fut institue, que le fiance pourrait s'unir a sa fiancee dans Ia maison de son beaupere ... » (JT Kethuboth I 5). Auch der babylonische Talmud antwortet auf die Frage über Zeit und Anlaß der geduldeten größeren Freiheiten: «Als verhängt worden war, jede Jungfrau, die ... geehelicht wird, werde erstmalig vom Hegemon beschlafen» (BT Kethuboth 3b). 2 BT Kethuboth 57a und b (= STRACK-BILLERBECK II, 394, 397 f.). 3 S. KRAuss, a. a. 0. II 36.
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dem Brautschmuck geschmückt. (Vgl. Apok 21,2: «gekleidet wie eine Braut, die geschmückt ist für ihren Mann».) Als Salböl wurde das wohlriechende Nardenöl verwendet. Vom Schmuck der Braut spricht Psalm 45,14 f. und Jesaja 61,10. Die Braut war vermutlich auch in irgend einer Art bekränzt. Es scheint sich um Kränze aus Rosen oder Myrten gehandelt zu haben. Zwischen 115-117 n. Chr. erließ man jedenfalls ein V erbot der Brautkränze. Während sonst die jüdische Frau Kopftücher trug, ein Haarnetz und ein Stirnband mit herabfallenden Bändern, die das Gesicht verhüllten, war die Braut unverschleiert (im Gegensatz zu Gen 24,65 I); das Haar trug sie lose herabfallend 1 • So erwartete sie, von ihren Freundinnen umgeben, den Bräutigam. Der Bräutigam war begleitet von seinen Freunden, die Mt 9,15 wörtlich «Söhne des Brautgemachs» genannt werden, und vom Brautführet oder von den Brautführern, wenn er zwei solche hatte. Diese letzten waren vertrauteste Freunde (vgl. Joh 3,29 «der Freund des Bräutigams»), sie hatten auch die Aufgabe, den Geschlechtsverkehr des jungen Paares zu überwachen 2• Der Bräutigam trug einen Kopfschmuck, den seine Mutter ihm aufsetzte. Davon spricht Jesaja 61,10 und Hoheslied 3,11. Aber welcher Art dieser Schmuck gewesen ist, weiß niemand genau. Die einen reden ganz allgemein von Kopfputz, andere von Turban, Krone, Diadem, Kopfbund. Das Stichwort in BT Kethuboth 15 b; 28a. STRACK-BILLERBECK, I 500. -In STRACK-BILLERBECK, I 46 gewinnt man den Eindruck, daß die Institution des Brautführers nur in Judäa, nicht aber in Galiläa zu finden sei. Ein etwas anderer Eindruck entsteht jedoch im Kommentar zu Mt 9,15 (I 500-518, bes. 500 f. und 503 f.). - Auffällig sind die zahlreichen Zeugnisse (S. 503 f.) für die rabbinische Auffassung, daß Gott die neugeschaffene Eva dem Adam zugeführt habe in der Rolle eines Brautführers. Es bereitet tatsächlich Schwierigkeiten anzunehmen, daß diese Institution nur in Judäa bekannt gewesen sein soll, wenn man bedenkt, daß es noch andere Aufgaben des Brautführers gegeben haben muß - außer der Überwachung des ersten Geschlechtsverkehrs (speziell der Kontrolle der Zeichen für die körperliche Unversehrtheit der Braut). Der Brautführer konnte, wie man weiß, schon bei der Brautwerbung in Erscheinung treten, vor allem aber am Hochzeitstag bei der Abholung der Braut in der Sänfte und beim festlichen Hochzeitszug. Darüber heißt es in der Talmudischen Archäologie: «Das Gefolge stellten, abgesehen von der ganzen jüdischen Bevölkerung des betreffenden Ortes, die durch Herolde zur Teilnahme aufgefordert worden war, die besten Kameraden des Bräutigams, geführt vom Brautbeistand (schöschbin, Paranymphios), seinem intimsten Freund, der an diesem Tage überhaupt in den Vordergrund tritt» (S. KRAuss, a. a. 0. II 38). - Die Vorstellung vom Brautwerber bzw. Brautführer hat wohl auch Paulus in 2 Kor 11, 2. 1
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Jes 61 ist im Septuagintatext !J.hpcx, was Kopfbinde, aber auch Gürtel bedeuten kann; im Hohelied ist es O"'t'tcpocvoc;, was eindeutig Diadem, Stirnband, Kranz bedeutet. Im Traktat Sota des babylonischen Talmud heißt es: «Bei der Invasion des Vespasian verbot man die Bräutigamskränze .. . Bei der Invasion des Quietus verbot man die Brautkränze ... Bei der letzten Invasion verbot man, die Braut unter einem Baldachin durch die Stadt zu führen» 1• Wir dürfen annehmen, daß es sich um einen Kranz gehandelt hat, der vermutlich aus Goldblech gefertigt :war. Unter den Freunden des Bräutigams waren auch die Musikanten, wie 1 Makk beschrieben ist: «Sie erhoben ihre Augen, schauten und nahmen viel Lärm und einen großen Aufzug wahr: Der Bräutigam samt seinen Freunden und Brüdern kam ihnen entgegen mit Pauken und Musikinstrumenten ... » (1 Makk 9,39). Sowie der Bräutigam mit seiner Begleitung beim Hause der Braut angelangt war, formierte sich der Hochzeitszug. Die Braut erbat und erhielt von ihrem Vater den Segen. Sie bestieg die bereit gestellte Sänfte, die von vornehmen Leuten getragen wurde 2 • Nun setzte sich der Zug in Bewegung. Der Bräutigam und seine Freunde sowie Musikanten begleiten die Sänfte mit der Braut. Die Hochzeitsgäste tragen Myrtenzweige. Musik ertönt, Hochzeitslieder werden gesungen und es wird getanzt. Man denkt an Mt 11,17: «Wir haben euch aufgespielt, aber ihr habt nicht getanzt» 3 • Man wirft Nüsse und geröstete Ähren unter das Volk. (Nüsse und geröstete Ähren waren die Bonbons der Antike!) Die
1 BT Sota 49a und b. - Der hier genannte Quietus ist der Nordafrikaner («Maure») Lusius Quietus, der sich und seine Reiter dem Kaiser Domitian zuführte und das römische Bürgerrecht und Ritterrang erlangte. Unter Trajan wurde er Konsul und 116/17 Legat von Judäa. Von Hadrian wurde er von diesem Posten abberufen. Die «letzte Invasion» meint wohl die unter Hadrian von 132-13S, die dem Aufstand unter Bar-Kochba ein Ende setzte. 2 STRACK-BILLERBECK, a. a. 0. I SOS und S09 f.- S. KRAUSS, a. a. 0. II 38.Das hebräische Wort für «Sänfte»= 'aftrjon ist vermutlich als Lehnwort aus dem Griechischen übernommen: <popdov = Tragsessel, Sänfte. Von dieser Sänfte ist natürlich die Chuppa (= Brautgemach, Brautzeit) zu unterscheiden! 3 Über den Hochzeitszug siehe STRACK-BrLLERBECK, I SOS; S. KRAuss, I 37-40. - Das kleine Gleichnis ist dem Alltagsleben entnommen: Kinder spielen auf der Straße. «Wir wollten Hochzeit spielen», so rufen die Knaben ihren Kameraden zu (der Reigentanz bei der Hochzeit ist überwiegend Sache der Männer), aber «