ERNST KAPP
DER URSPRUNG DER LOGIK BEI DEN GRIECHEN
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Ernst Kapp Geb. 21.1.1888, p...
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ERNST KAPP
DER URSPRUNG DER LOGIK BEI DEN GRIECHEN
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Ernst Kapp Geb. 21.1.1888, promovierte 1912 in Freiburg mit einer Dissertation über 11 Das Verhältnis der Eudemischen zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles", habilitierte sich 1920 in München mit einer Arbeit über die 11 Kategorienlehre in der Topik". 1927 Berufung auf den Lehrstuhl für Griechische Sprache und Literatur in Hamburg. Wanderte 1939 nach den USA aus, dort seit 1941 an der Columbia University tätig; hier 1948 zum Professor of Greek and Latin ernannt. 1955 Rückkehr nach Deutschland, zunächst nach Harnburg, 1959 nach München. Außer kürzeren streng
fachwissenschaftliehen Arbeiten von allgemeinerem Interesse 'das Buch 11 Greek Foundations Traditional Logic", 1942, Columbia University Press, New York.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von EUsabeth SerelmanKüchler mit Genehmigung der Columbia University Press, New York. Titel des Originals: Greek Foundations of Traditional Logic Kleine V 11ndenhoedc-Reihe 214/216
Umsmlag: lrmgard Suckstorff.- Deutsche Übersetzung Vandenhoeck &: Ruprecht, Göttingen~..._-;- Printed in Germany. Ohne ausdr!ickllche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Gesamtherstellung: Hubert &: Co., Göttingen 8361
VORWORT Die fünf Kapitel dieses kLeinen Buches geben das Manuskript einer Reihe von fünfVorlesungen wieder, die ich an derColumbi.a UI1!i.vel1Sität aJUf Einladung des Depalitment of Philosophy und des Department of Greek and Latin ·~ehalten habe. Es war nicht nur dWeser besondere Anlaß, der mich den Ve11such wagen ließ, das Thema so zu behandeln, .daß nichts von a'USschließlich philologischem oder ausschließLich philosophiischem Interes.s-e berührt wurde. Dre Logik der Antike geht beide Departments gLeichermaßen an, und in der Beschäftigung mit ili.r muß der Logrlker das Risiko eines philologischen Dilettantismus auf sich nehmen, während der phüologi:sch geschulte Deuter von Plato und Aristoteles das vielleicht noch ärgere Risdko läuft, sich als Dilettant in Eragen der Logik zu erweisen. Es wäre von jedem der beiden Beteiligten tör,icht, .die Hilfe des anderen weder zu erhoffen noch, wenn sie angeboten wird, dankbar anzunehmen. Aber wenn ·ein Gedankenaustausch ohne Zeitverlust stattfinden soll, muß jeder bel'eit sein, einen Großteil seines ·eigenen nie vollendeten Anlilegens beiseite zu lassen. Das heißt nicht, daß man sich zu~sten eines gegenseitigen Gedaatkenaustauschs und einer guten Zusammenarbeit auf unbestllitt:ene Aussagen beschränken !Soll; täte man dies, so würoe auf dem Gebiet der an!Wken Logik wenig Wissenswertes übrigbleiben. Aber die diskutierten P.robleme ll.tnd d~e Fo:rm der Dilskuss.ion dürren ndcht so beschaffen .sein, daß sie nur Speztalisten auf dem einen oder dem anderen Gebiet verständlich sä.nd. Da ·die Auswahl der Problem-e und Einschränkung im Aufzeigen von Einzelheiten für einen solchen VerSIUch wesentlich sind, habe ich am Text meiner VorLesungen nur geringfügige Ände-· run~ vorgenommen und nur einige gelegentliche Anmerkungen hinzugefügt. AuS!Sparungen in der Behan.d1ung des Themas waren zwangsläufig teilweise Willkürlich oder sogar 3
zufällig- aber nicht alle-, und in dies·em Vorwort sollte vielleicht Erwähnung finden, was mit Absicht unberührt gebLieben ist. Es scheint, als ob von der Logik mit Sichenheit "gesagt werden kann, sie sei abstrakter, allg~emeiner und formaler als illgendeine andere Wissenschaft, mit Aus.nahme vielleicht der ·reinen Mathemaflik"l; wenngleich eine weitgehende MeinungJSverschiedenheit darüber besteht, ob es eine abschließende Leistung2 oder vielmehr eine Abweichung von der wahren Natur des Gegenstandes .ist, daß "logtsche Formen als nur formal behandelt werden" 3 • Was j.etzt "formale Logik" genannt wird, geht in der Hauptsache und Letztlich rurück auf dte .abstrakte Behandlung .syllogilstiJScher Formen in Aristoteles' Analytica priora, niCht auf die Analytica posteriora, die, als des Artstoteles Behandlung wds:Senschaftlicher Beweisführung, s·elbstV'erständlich riJn Verhindung zu den damals bestehenden Wissenschaften, besondeiiS den mathematischen, gebracht wird. Nun scheint es natürlich, anzunehmen - und überdies erweckt es in Gegnern der traditionellen Weiterführung aristote&cher Logik ein Gefühl der Großmut -, daß die aristotelische Logik mit den wilssenschaftlichen und kulturellen Normen ihrer Zeit auf die gleiche Weise verbunden war, wie die moderne Logik den Normen unserer Zeit ve11haftet ist. Wer geneigt ist, diese Verbindung als eine wesentldche oder zum.itndest genetische Abhängigkeit des "Abstrakteren, Allg~emeineren, Formaleren" von dem weniger Abstrakten, weniger Allgemeinen, weniger Formalen aufzufassen, der wird versucht •sein, die Analytica priora im Zusammenhang mit den Analytica posteriora und den außerlogischen Werken des AI'istobeLes, oder mit der Philo-sophie Platos, oder sogar mit der Gesamtheit griecruscher W,:iJss.enschaft und KulbU.r zu interpretieren. Zahlreiche verschiedene Versuche sind unternommen worden, um den abstrakten Aspekt der syllogistischen Formen des Aristoteles als den "formaleren" (legitimen oder illegibimen) Sprößli.ng von etwas wend.ger FormaLem und mehr Inhaltlichem zu erklären; und von diesem 1 Keynes, Formal Logic, 4. Ausgabe, S.
z.
Julius Stenze! in Pauly-Wissowa, Real-Encyclopädie, Stichwort Logik, Bd. XIII;Sp. 992: "die abschließenden Leistungen griechischer Abstraktion"; vgl. meine Bemerkungen ebd., Stichwort Syllogistik, Bd. IV A, Sp. 1051 und 1066. 3 Dewey, Logic, S. 94. 2
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Gesichtspunkt aus wä11e das Mi:ndeste, was man von jegLicher allgemeinen Untersuchung antiker Logik erwarten könnte, eine lückenlose Erörterung der Beziehungen zwischen acistoteHscher Logik und zeitgenössischer Wissenschaft, so wie s1e sich in den Analytica posteriora darstellt. Ich bin weit davon entfernt, die Bedeutung und Dringlichkeit einer solchen Erörterung zu unterschätzen 4; aber ich bin über.zeugt, daß Erwägungen der Art, wie ich -sie anzustelLen vorschlage, den Vorrang haben sollten. Sie werden, so hoffe ich, für sich ·selbst sprechen; aber wenn ich es abLehne, als Ausgangspunkt die jetzt fast allgemeingültige Meinung zu akzeptieren, daß man an die at1istotelische Logik von der inhaltlichen und nkht von der formalen Seite herangehen müsse, so mag ·es wünschenswert sein festzustellen, daß d1!e Schriften des Aristoteles nicht einen einzigen Abschnitt enthalten, der eine solche Methode begünstigen würde, und daß von seinem ·eilgenen theoret1schen und systematischen Standpunkt aus Aristoteles skh ausdrücklich zum Ge~enteil bekannte: "Der Schluß sollte vor dem BeweiiS erörtert werden, denn der Schluß ist das Allgemeinelle: der Beweis ist e1ne Art Schluß, aber nicht jeder Schluß ~st ein Beweis" (Analytica priora zsb ZB-31)5. Im Verlauf dieser Kapitel werde ich gewisse Züge der antiken Logik gewissen Zügen der "traditionellen" Logik oder dem Für die hiermit .zusammenhängenden Probleme siehe: Friedrich Solmsen, Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik, Berlin 1929 (Neue Philologische Untersuchungen IV); Friedrich Solmsen, Platos Einfluß auf die Bildung der mathematischen Methode, Studien .zur Geschichte der Mathematik I, S. 93ff.; Kurt von Fritz, Platon, Theatet und die antike Mathematik, Philologus 87 (1932), S. 40ff. 136ff.; einige Abschnitte in meinem Artikel Syllogistik, in Pauly-Wissowa, Real-Encyclopädie, Bd. IV A; W. D. Ross, The Discovery of the Syllogism, Philosophkai Review 48, (1939), 5. 251ff.; Friedrich Solmsen, The Discovery of the Syllogism, Philosophical Review 50, (1941), 5. 410 ff. 5 Prantls Geschichte der Logik im Abendlande war ein groß angelegter Versuch, die theoretische Verantwortung für die "formale" Logik dem Aristoteles abzunehmen und die Schuld daran der späteren historischen Entwicklung zuzuschieben. Aber bei allem schuldigen Respekt vor dieser ungeheuren Anstrengung und vor jedem Gelehrten, der, bewußt oder unbewußt, noch von ihr beeinflußt sein mag, muß gesagt werden, daß die dort aufgestellte Behauptung dem Tatbestand klar widerspricht.
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traditionellen Element in anderen Typen der modernen Lo~k gegenüberzustellen haben; hoffentlich entschuldigt d!Les den verhältnismäßig umfangrci!Chen, aber unmethodischen Gebrauch, den kh ·in einem kleinen Buch von Zitaten aus mehr oder minder modernen Alutoren gemacht habe 6• Wie &ehr ich Cohen U11Jd Nagels Introduction to Logic and Scientific Method, die ich als hervorragende Darstellung der An;schauungen moder.ner Logik im allgemeinen zu Rate gezogen habe, verpflichtet bin, muß ei~ens erwähnt werden; es bedarf gewill keiner Rechtfertigung. Zd.tate aus klassischen Autoren, vor allem Plato und Ailiistoteles, werden natürlrich in Übemetzung gegeben. Es erschdlen ~boten, ·sich so weit wie möglich an Jowetts übersetzung der Dialoge Platos und die neue OxfordObersebzut1Jg von Acistoteles' Werken zu halten7. Jedte Abweichung von dies·en Texten ist ·in den Anmerklungen erwähnt, und dch habe dre Arbeit des übersel:zel1S nur .in den Fällen kommentiert, die medri ·spezielles Thema unmittelbaT berühren. Die VeröffentLi.chung .dieses Buches dn den "Columhi:a Stu.dies in Philosophy" wurde in einem Geiste der GastfDeundschaft ermöglicht, für den ~eh allen BebeiJ.igten aufrichtig darikbar bin. Mein besonderer Dank gli.lt den Pmfessoren Clinton W. Keyes, Emest Na~ und John H. Randall, die nach der Lektüre meines Manuskripts hilfreiche Kritik beigesteuer.t ha1ben. Zutiefst verpflichllet bin ich auch der "Columbia University Press" 11md ihrem .AJSsrustant Editor, Miss Ida M. Lynn, deren Anre~gten bei der Drucklegung des Manuskripts übe11aus wertvoll waren. New York, 16. J.uni 1942
Ernst Kapp
Ein Verzeichnis der erwähnten Bücher befindet sich auf S. 104. Ich muß dankbar anerkennen, daß Harcourt, Brace u. Co. lnc., Verleger von An Introduction to Logic and Scientific Method von M. R. Cohen und E. Nagel, Thomas Y. Crowell Company, Verleger von Humanistic Logic for the Mind in Action von P. Reiser, und Prentice Hall, Inc., Verleger von Logic in Theory and Practice von C. G. Shaw, mir freundlich den Gebrauch bestimmter Zitate erlaubten. 7 The Works of Aristotle, ins Englil;che übertragen, hrsg. von W. D. Ross, Oxford 1908-1931. 6
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I. KAPITEL
Der Ursprung der Logik als Wissenschaft Es ist eine alte Geschichte, daß die historischen Gnmdla~ der traditionellen Logik im alten Griechenland gelegt wuroen. und diese Tatsache dist allgemein an-erkannt. Heute jedoch hat entweder dite Ri:valität der modemen Logik oder Unzufriedenheit mit jeglicher formaler Logik die traditionelle Logik selbst sogar in den Augen der Wissenschaftler so sehr llhres Ansehens beraubt, daß eine Überprüfung der griechischen Grundlagen der tr.aditti.onellen Logik ziemLich überflüssig erscheinen mag. Wohlmeinende werden vielleicht ·em gewisses histol'.isches In· te009Se ZJUgeben, daJs den Fachgelehrten dazu berechtigt, das Thema zu erörtern, falls er j-emanden findet, der ihm zuhört. Weniger Wohlmeinenden jedoch werden seine Ansprüche verdächtig er.scheinen. Mein Freund E. P1anofsky hat einmal gesagt: "Wir Kunsthistoriker .g~ehen von der Annahme aus, daß niemand jemals etwas erfunden hat, wähTend Ihr klas:sischen Philologen von der Annahme aousgeht, .daß die Griechen alles erf'u.n.den haben." Der weniger wohlmeinende Leser wird wahrscheinlich argwöhnen, Zweck meiner Bemerkungen ·sei es, den wohlbekannten griechilschen Urspnmg der Wissenschaft von der Lo~ über seine wahre Bed-eutung hinau:szuheben .und die griechische Logik zum Maßstab der Logik überhaupt zu machen. Ich möchte 2JU Beginn sagen, daß ich nichbs dergleichen tun werde. Im Gegenteil, meiner Meinung nach machen diie modernen Logiker sich oder zumindest gik =-~ JasL alJe .Qis zu. ein€1J!. _g!;!lVD~se~ Grade v~_A.!iJ:Sto~les' u1:1sprünglichem _l'lan e4te.s _logi~che~ .?l~tems ~~en,. d~e untereinander jedoch nicht da11in übereinstimmen, was Logik bedeutet -, und andererseits -sehen wir den Erfinder dileser Wissenschaft ~t einer so klaren Vorstellung von deren Unterschied zu anderen Fonschun~gebieten, daß er es nicht einmal für notwendig hält, die Frage besonders zu erörtern. Nun ist eine moderne Logik durchaus berechHgt, selbst zu entscheiden, womit sie sich zu beschäftigen hat, und selbst wenn sich herausstellt, daß diese Entscheidung nicht nur zu anderen Typen der modernen Logik, sondern auch zu dem antiken Begründer ·dies-es Zweiges der Wissenschaft im Gegensatz steht, kann die moderne Doktnin nichtsdestoweni~er in sich selbst geschlossen und folgerichtig sein. Natürlich ist es einem modernen Logiker erlaubt, die Ansichten des Aristoteles, selbst in bezug auf das Gegenstandsgebiet der Logik, anzugreifen oder zu versuchen, sie zu korrigieren. Aber eine echte Schwierigkeit erhebt sich, wenn wi.r unsere Aufmerksamkeit auf j_en_e_!}'pen _4~!._!Il__()cl_E!!',!t~l!-Log~~_P,_c'h,t~J.- 9,~ ~eil w_e_ise _oder ganz ~t den Ansichten des Aristoteles, wie_ Pro~e~sor Ross sde darlegt, über_einstinunen. Kaum jemand wird behaupt~n, daß eine solche frb.erei:D:stlmmung bloßer Zufall sei, und meines Wissens hat es auch niemand getan. Nehmen wir einmal an - wie Professor Ross augenscheinlich annimmt -, daß Aristoteles und seine modernen Nachfolger grundsätzLich recht haben, soweit sie übereinstimmen. Selbst dann werden nur wenige moderne Logiker so leidenschaftliche Verteidiger ihres logischen Glaubensbekenntnisses SJ~~ ~ie _Carl PramJ,_yerfasser einer vielgebrauchten und überaus nützlichen Geschichte der Lo~k der Antike und des Mittelalters. Prantl sah überall da, wo er logische Häresie z~ wiJ:!.~w_glntt'll'sl#ed_~ch~nPsycho ~-i!_]J!!cl ~Qgi.k_ pandelt, beruht die Aussage von Professor Ross auf den El'gebnii&S.en einer mühevollen und gewi-ssenhaften Arbeit über d~e Syllogistik des Aristote1es _von Heinl'ich ~a~er, die um die Jahrhund.ertwlende erschienen ist und von Professor Ross zu den wenigen neueren Büchern gezählt wird, die dhm von großem Nutzen gewesen sind. Mater unternahm seine Arbeit in der ausgesprochenen Absicht, zu zeigen, daß die moderne Logik auf _Ari.stoteles zurückgehen und von ihm l~rnen müsse, daß Logik und Psychologie zweierlei smd. Maier zufolge war es Adstoteles' bemerkenswerteste Leistung auf dem Gebi·et der Logik, daß er die Lo~ von der Psychologie freimachte. Das ist !Sehr merkwürdig. In den neunziger Jahren, als Maier mit seinen Untersuchungen begann, hatten wir eine psychologische Schule der Logik, und damals mag die Emanzipierung der Logik eLne sehr dringliche Au.f:igabe gewesen sein. Aber als Aristote1es mit seinen logLschen Studien begann, gab es überhaupt keinerlei umfassende logtsehe Theorie, ganz gewiß keine psychologisch gefärbte. Daher ist es nicht ganz ein~ach, sich vorzustellen, wie Aristote1es ,es fertigbrachte, die Logik von der Psychologie freizumachen, und wie wir es anfangen sollen, von ihm die LöS'Uillg eines Problems .ZU lernen, über d
sben Logiker von heute vorwegnahm, daß nämlich die Logik sich nicht primär mit der Art und Weise befaßt, dn der unser Denken sich m Wdrklichkeit vollzieht. Erlauben Sie mir em weiteres Zitat .aus Cohen und Nagel: "Eine alte überliefel1UI1g definiert dde Logik al:s die Wissenschaft von den Denk~setzen. Di!es geht auf eine Zeit zurück, da Logik und PISychologie sich noch nicht vöJl.ig zu getrennten Wissenschaften entwickelt hatten, diJe sich von anderen Zweigen der Philosophie deutlich unterschieden. Heute jedoch steht fest, daß jede Erfol\Schung der Gesetze oder der Art und Weise, die unser Denken tatsächlich bestimmen, dem Gebiet der Psychologie angehöl't. DiJe logiJSche UnterscheidU:Jlß zwischen gültigen und ungülbigen Schlußfolgerungen bezieht sich nicht ·auf die Art uns·eres Denkens - auf den Vorgang, der sich im Geiste eines Menschen ahspielt. Das Gewicht der Beweisgründe ist selbst kein Ereignis in der Zeit ... "s Wiederum habe ich Grund dazu, ganz besonders dankbar zu sein für ·eine klare Charakterisierung der gegenwärtigen Lage, denn sie befähigt mich, leicht :m1 formulieren, was ich für ein ernstes Problem ha1te. Di:e Epoche des Aristotele!S war !Sicher eine Zeit, "da Logik und P.sychologie noch nicht voll ru getrennten WisS~ens.chaften entwickelt waren, die sich deutlich von andem Zweigen der Philosophie unterschieden". Im Unterschied zu vielen seiner Nachfolger war Aristoteles nichtsdestoweniger ims.tande, eine über.raschend reine Logik zu lehren. Welchem Leitfaden folgte er? Wie konnte er den Gegenstand der Logik vorwegnehmen, ohne die Schwierigkeiten zu gewah11en, und ohne die künftige Entwiddung der verschiedenen Zweige der PhUosoph1e abwarten zu müs.sen? Woher nahm er in solcher Reinheit den Gegenstand .seiner Logik? Jetzt, denke ich, sdnd wir so weit, daß wir ·erkennen können, wde wichtig es is·t zu wis.sen, daß .di~e Topik des Aristoteles früher als seine anderen AbhandlUillgen geplant und ausgearbeitet worden ist. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der Begriff des Syllogismus im Mittelpunkt der logischen Interessensphäre des Aris.tote1es stand; und ·es ist nicht das ge• s A.a.O., S. 18.
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rin~te
der Verdienste von Heinrich Maier, daß er diese Tatsache betonte, indem er für sein umfas!>endes Werk über die Logik des Aristoteles ·den Titel Die Syllogistik des Aristoteles wählte. Aristoteles' Definition eines Syllogismus ~t wohlbekannt: "Ein Syllogismus ist eine Argumentation, bei der auf der Grund1age bestimmter vorausgesetzter Dinge etwas anderes als das Vorausgesetzte mit Notwendigkeit folgt." Diese Defirution erscheint nicht nur im Text der Analytica priora, sondern auch zu Beginn der Topik 6 zur Erklärung des Gegenstandes dieses Werkes. 41:>~Ldet:_§YLIQ&i:~m~.3~hl i~L.:c!en b~:)landlungen gr.undver~~e4_~~us. In den Analytiken folgt auf die Definition des Syllogismus alsbald die L~r~yQ~_Ae!!_~lJQgi§ffi:~chen :E!&!!!_!!_!!., von denen jedermann wenigstens das HClluptbeispiel kennt: Alle Menschen .sind sterblich, Sokrates ist ein Mensch, also Sokrates ist sterblich. In diesen Kapiteln des Aristoteles über Ode möglichen Formen des Syllogismus haben wir Logik_i:J1 ihrer formalsten Erschein~, nicht nur dem Aussehen, sondern auch ihrem Wesen nach so etwas wle_rei!ll~ _Matb_eroJI.tik. Wer auch imm&- hoffte, aus der Logik einen unmittelbaren N.ut~~n für sein eigenes Denken zu :z;iehen, muß enttäuscht sein; und daß dies nicht nur gewöhnlichen Sterblichen passiert, geht aus folgender Bemerkung hervor, di:e sich inl±egels _.Papieren fand: "Zur histori.sch·en Logik. Es wird versichert, daß wir urteüen: das Gold ist •&elb. Diese Versicherung i:st wahrscheinlich. Aber nicht ebenso wahrscheinlich ist, daß wir schließen: alle_M!!nsclwn ~11d. ~erhlich: Cajus ist ein Mensch, also ist er sterblich. Ich wenigstens habe ni:e so plattes ZeugJt_~acht. Es soll im Innern vorgehen, ohne daß wir Bewußtsein daTüber haben. Freilich, im Innern geht viel vor, z. B. Harnbereitung Der Wortlaut der Definition in der Topik (100a 25) unterscheidet sich nur sehr wenig von dem in den Analytica priora (24b 18); die Variante in der Oxford-Übersetzung ist irreführend. Für meine Zwecke habe ich eine Form gewählt, die aus der überset:Zung von Professor Ross übernommen ist (Aristotle, S. 21).
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und ein noch SchHnuneres, aber wenn es äußerlich wird, halten wir die Nase zu. Ebenso bei solchem Schließen." 7 SoVIiel ist sicher: jeder, der seine Logikstudien mit Aristoteles' Analytica priora beginnt, wird sich bald VOill sonderbar formalen Syllogismen umgeben S'ehen und nicht w.iJssen, wo er sie in_der We1!:,Jn der er lebt, unterbriDg!!n_!_oll. _ Dank dem Umstand, daß die Topik erhalten geblieben und ihre relative Datierung gut ge&.i.chert ,ist, wissen wir, daß Aristoteles selbst s_eine syl!Qßi!st:ischen_EQ!'_~_chu~~!J.i.fb!_~acl! d!!r_in d_eJl Analytiken y_erwend_e!~nJiyl~thode 1?egp~11en hat. Die ganze Topik handelt von Syllogismen, und es ist nicht immer eine sehr amüsante Lektüre. Aber Aristoteles sagt wenigstens gleich zu Anfang in der denkbar deutlichsten Weise, worum es geht, und bis zuletzt werden wir n&emals im Z weife! darüber gelassen, welchen ~~l;!~k~ qie neue_:Leh:!:_e -~ne~ soll. Wenn man dem erklärten Thema der Topik einige Aufmerksamkeit geschenkt hat, wird es einem leicht fallen, die Art von Syllo~s mus, auf die .es ankommt, zu lokalisier.en. Der moderne Leser wird auf den unmittelbar.en Zweck der Vorlesung des Anstoteies kaum gefaßt sein. Denn, wenn wir den Erklärungen des Aristoteles in den Anfangskapiteln der Topik aufmerksam folgen, erfahren wir, daß er ganz einfach, als eine Se1bsh•erständlichkeit und einen ,allgeme,in augewandten Knnstgriff, eine merkwürdi.ge Art g_~t~ger Gymnastik vora'q§_srut. Sie besteht darin, -daß man ein gestelltes Problem - irgendein strittiges P.roblem - von wahrscheinlichen Prämissen ausgehen-d erörtert, oder, wenn man in der Beweisführung angegriffen wird, ~-'!'~fl!leist: zu wide~rechen~ Für diese Art von philosophischem Training werden stets zwei Persoillen sowie ein Problem benötigt; die eine Person spielt die Rolle des Fragenden, die andere die des Antwortenden und WidersacheDs. Der Fragende schlägt zuerst ein Problem vor, der Antwortende wählt seinen Standort, und dann muß der Fr.agende als seinen Standpunkt j.ene Seite des P.roblems vertreten, die der Antwortende verworfen hat. Nun muß der Fragende weitere Fragen stellen und versuchen, 7 K. Rosenkranz, G.
W. F. Hegels Leben (1844), S. 538.
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eine Schlußfolgerung zu ziehen, oder man könnte sagen, einen Syllogd.smus zugunsten seiner Auffassung aus den Antworten herilllls2lUholen, die er seinem Gesprächspartner zu entlocken vermag. Die Rolle des Antwortenden ist passiver, aber er muß auf der Hut s·ein vor Konzes,sionen, die dem fl"agenden zu seiner Schlußfolgerung verhelfen könnten. Denn wenn der Fnagende zu seiner Schlußfolgerung gelangt, ist der Antwort-ende offensichtlich der Verlierer, da er gezwungen ist zu leugnen, was er zu Beginn behauptet hatte, oder umgekehrt. Der unmittelbare Zweck der Topik ist es, für diese künstlidte Art des Argumentierens eine Methode zu schaffen. "Daß die Methode ·für Geilstesgymnastik nützlich ist", sagt A11istoteles (lOla 28), "liegt auf der Hand. Denn wenn wir über eine Methode verfügen, wird es uns leichter fallen, einem gegebenen Problem zu Leibe zu gehen." 8 Natürlich Iist diese Methode auch noch anderweitig anwendbar. So wird die Methode, Ar.istoteles zufolge, uns befähigen, mit ungeschulten Leuten auf der Grundlage ihrer eigenen Meinungen zu diskutieren. Und schließlich wird die Befähigung, so oder so zu .argumentieren, uns helfen, die Wahrheit in ernsten philosophischen Frai?Jen zu erkennen. Imstande zu sein, von allgemein verbreiteten Meinungen ausgehend zu diskutieren, ist übeMies der einzige Weg, die Grundprinzipien von Wissenschaften zu erörtern, die .sich als Prinzipien nicht von anderen Prinzipien wissenschaftlich ableiten lassen. Der zweite Vorteil, den Aristoteles aufzählt, kann nicht verfehlen, uns an die Art und Weise zu erinnern, wie Sokrates mit den Leuten umging; Xenophon (Memor. 4, 6, 15) beschreibt das einmal wie folgt: "Wenn er selber etwas erklären wollte, begann er mit Voraussetzungen, welche die größte Wahrscheinlichkeit einer Obereinstimmung boten, denn er hielt das für die sicherste Art zu argumentieren; und daher gelang es ihm bess·er als irgend jemandem, den ich je gekannt habe, die Zustimmung seiner Hörer zu gewinnen." Und was Aristoteles als den dritten Vortell dialektischer Gewandtheit beschreibt, kennzeichnet genau seine eigene Art, eine philosophische Diskussion in 8
Übersetzung stammt vom Verfasser.
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Gang zu hr.ingen. Aber es besteht ein Unterschied in dem Verhältnis der Topik zu den verschiedenen Vorteüen ihrer Methode. Für die an zweiter und dritter Stelle erwähnten AnwendungsmögLichkeiten ist die Topik nur indirekt von Nutzen, nämlich indem sie ihre Methode für ein geistiges Training liefert; und ein richtig angewandtes gei:stiges Training wiederum soll der Vorbereitung für die Aufgaben des wirklichen Lehens und der Philosophie dienen. Innerhalb der Topik wird auf den Umgang mit ungeschulten Leuten kaum weiter eingegangen; und wenn immer Aristotele.s die Philosophie und ihre Gegenstände erwähnt, zieht er stets einen scharfen Trennungsstrich zwischen dem ihr angemessenen Verfahren und der in der Topik gelehrten Methode. Ich kann nicht auf die Einzelheiten dieser dialektischen Methode eingehen, d.ie ja nicht unmittelbar philosophisch ist, sondern zugestandenermaßen nur der Vorbereitung dient; erwähnen möchte ich jedoch dies: wenn man von den Analytiken mit ihrer starren Schablone des perf.ekten Syllogismus und den verhältnismäßig wenigen erlaubten Varianten herkommt, wird man überrascht sein von der verwirrenden Vielgestaltigkeit dessen, was Aristoteles in der Topik als Syllogismen gelten läßt und mit heißem Bemühen methodisch zu mei:stern verStUcht. Trotz allem ist, wre ich schon .sagte, d!l;! '[)~finition des SyllogisllJ:~ts~d~ gleiche ·in der Topik wie in den Analytiken. Sehen \oVir sie uns noch einmal an. "Ein Syllogismus [st eine Argumentation, .bei der auf ·der Grundlage bestimmter vorausgesetzter Dinge ·etwas anderes als daJs Vorausgesetzte mit Notwendigkeit folgt." Nun wollen wir versuchen, einen solchen Syllogismus zu beschreiben, den Bedingungen entsprechend, die Amstoteles durch den ganzen Verlauf der Topik voraussetzt. Zuerst müssen bestimmte Dinge angenommen werden; dann folgt aus ihnen 'unvermeidlich etwas anderes. Wann und wo geschieht das? Wie wir gesehen haben, setzt ein dialektischer Syllogismus zwei Personen voraus: den Fragenden und den Antwortenden. Der Fragende weiß natürlich von Anfang ,an, worauf er hinaus will: auf j-ene affirmative oder negative Behauptung, die er seinem Gegner aufzuzwingen gedenkt. Dies nennt man ge19
wöhnlich eine Schlußfolgerung, aber vom Standpunkt des Fragenden aus ist die SchlUßfolgerung das, was am Anfang steht, und zwar ganz wörtlich:-rd Üf!Xfi das, was .am Anfang ist, nennt Aristoteles es tatsächlich, wenn er aJUf die petitio principii der traditionellen Logik zu sprechen kommt. Da der Fragende die beabsichtigte Schlußfolgemng •schon dm Kopfe hat, muß er nach passenden Fragen suchen, di:e er seinem Gegner stellen kann. Diese Fragen s.ind di·e Prämissen der traditionellen Logik - Protaseis auf gciechi:sch, das, was dem Gesprächspartner angeboten wird, so daß er es annehmen kann; da sie jedesmal, wenn ein Syllogismus aufgestellt wird, an erster Stelle vorgebracht werden, nennt man •solche Propositionen jetzt meist "Prämissen" 9, Im Kopf ·des FI'agenden verläuft die Richtung des Denkens, das zum Syllogismus führt, umgekehrt zu der Anordnung von Prämissen und Schlußfolgerung im Syllogismus selbst; der Fragende muß gewissermaßen ei:nen rückwärtigen Denkpro:reß vornehmen, von der Schlußfolgerung zu den Prämissen, nicht, w.ie wir die Reihenfolge im SyllogLsmus sehen, von den Prämissen zur Schlußfolgerung. Das letztere V erfahren ist leicht, denn, wenn man einmal die Prämissen angenommen hat, kann man d~e Schlußfo1ger.ung nicht verfehLen. Mit der Schlußfolgerung zu beginnen, um die Prämissen zu finden, dst jedoch ein vollständig anderer Denkprozeß, für den dringend eine Methode benötigt wird. Aber es ist sicher nicht ganz so .einfach, wie in ·einem ähnlichen Falle ein Humorist einer neugterdgen Dame geantwortet haben soll. Sie hatte ihn gefragt, wie er auf so komLsche Ideen komme. "0, das ist ganz leicht", sagte er, "zuerst •setze ich mich hin nnd lache, rund dann- denke ich rückwärts.'{ Nun wollen wir uns dem zuwenden, was im Kopfe des Antwortenden vor sich geht. Auch er kennt von Anfang an die Schlußfolgerung, aber er versucht ihr auszuweichen, und so muß er mit seinen Antworten vorsichti!g sein. Den Spielregeln zufolge, die Aristoteles in allen Einzelheiten gibt, s\)11 er andererseits mit emem gewissen Grad von Aufrichtigkeit antworten; er darf 'Sich nicht weigern, Meinungen und Oberzeugun-
ev
9 Als eine Version von Protasis bevorzugt die Oxford-Übersetzung "proposition" in der Topik, "premiss" in den Analytiken.
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gen beizustimmen, die vernünftigerweise vertreten werden können, und die in der Tat mit seinen eigenen Meinungen und Überzeugungen übereinstimmen, es sei denn, er kann zeigen, daß .die Bedeutung einer gewissen Prämisse unmittelbar identisch ist mit der Bedeutung der Schlußfolgerung. So sollten die Erwiderungen des Antwortenden, außer wenn er eine petitio principii zurückweisen muß, einigermaßen objektiv sein, so daß der Fragende eine Chance hat. Wenn nun zufällig der Fra11Jende ein tüchtiger Mann ist, der für eine nicht :ru schlechte Sache argumentiert, oder ein nicht zu untüchtiger Mann, der für eine gute Sache argumentiert, :und wenn die Dinge seinen Absichten entsprechend verlaufen, dann wird das Ergebnis ein im Kopfe des Antwortenden erzeugter Syllo~smus sein. Zuerst kann der Antwo·rtende nicht wnhin, die vorgeschlagenen Prämissen anzunehmen, und dann - wenn der Fr8Jgende g.eschickt ist - steckt er in einer Falle: der Fragende zieht die Schlußfolgerung als eine notwendige Folge der Prämissen, :und der Antwortende steht einer Niederlage gegenüber, denn nach Annahme der Prämissen läßt sich die Schlußfolgerung nich·t mehr vermeiden, und es gibt kein weiteres Ar~ntieren gegen sie. Nebenbei rät Aristoteles dem Fragenden, rue Schlußfolgerung nicht ~n die Form einer Frage zu kleiden, um so jede Unredlichkeit von seiten des Antwortenden zu verhindem. Weiter äns einreine bnauch'ert wir nicht zu gehen; auf jeden Fall haben wir einen ·echten Syllogismus gefunden, der sich genau nach der aristotelischen Definition entwickselt hat; nicht nur das, wir wilssen auch - zumindest aus einfachen chronologischen Gründen -, daß Aristoteles diese Art von syllogistischer Praxis im Sinn hatte, als er zuerst soeine Definition formuli-erte, nicht die abstrakten Formen der .syllogistischen Figuren. Ein Syllogismus, der durch einen klu~ Fragesteller im Geiste des Antwortenden hervorger.ufen wurde, ist, soweit wir die Frage bemachtet haben, ein Erzeugnis durchaus künstlicher Bedingungen. Wie wir gesehen haben, fehlt es ihm dennoch nicht an psychologischer Wirklichkeit; so etw8JS spielt sich tatsächlich in der Zeit und inne~~halb einer Seele ab, der des Antwortenden. Andererseits ist es sehr .schwierig, ·es in der Terminologie der empirischen Wissenschaft der P.sychologie zu beschrei-
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ben, die versucht, das tatsächliche Funktionieren unseres Denkans zu erforschen. Denn für gewöhnlich denken wir ja nicht in aristotelischen Syllogismen. Dile moderne Logik befreit sich von dieser Schwierigkeit - und für ihre eigenen nicht historischen Zwecke ist das natürlich ihr gutes Recht -, indem sie scharf unterscheidet zwischen Behauptungen und Urteilen in einem besonderen, eng begrenzten Sinn, wie er •gewöhnlich nicht beobachtet wird, Jlllld indem s1e entscheidet, daß die Logik es mit Behauptungen und den in ihnen enthalten-en Folgerungen zu tun hat, nicht mit Urteilen und dem geistigen Prozeß, tatsächlich zu Schlußfolgerungen zu kommen. Im Falle des ariJStotelischen Syllogismus jedoch scheint diese Unterscheidung gar keinen so großen Unterschied zu machen. Die Stellungnahme des Aristoteles wurde genügend bestimmt dmch die Tatsache, daß in einem normalen aristotelischen Syllogismusdie Prämissen nicht als spontane Urteile eines frei denkenden oder beobachtenden Geistes in den Sinn kommen, sondern als bereits formulierte, und zudem klug formulierte Behauptungen, vor denen es kein Entrinnen gibt. In dieser Lage bestand keine Gefahr, daß die Logik durch Psychologie beeinflußt werden könnte, denn •selbst psychologische ßeobachtung könnte nichts anderes liefern als die Feststellung, daß die Schlußfolgerung unvermeidbar i:st. Die Gefahr lag eher in der entgegengesetzten Richtung, und wir wissen, daß jahrhundertelang, angefangen mit Aristoteles selber, die Logiker dazu neigten, Logik da einzusetzen, wo Psychologie benötigt wurde. Aber das waren ·spätere Entwicklungen. Uns geht es hier um den Ur.sprung der Wissenschaft von der Logik, und .ich meine, wir haben gesehen, daß der Inhalt der ersten systematischen Arbeit über dieses Thema Anspruch darauf erheben kann, nicht nur aus chronologischen Gründen zuerst in Betracht ~zogen zu werden. V1elleicht hatte Ari.stoteles gar nicht so unrecht, als er ein griechisches Sprichwort zitierte, das soviel bedeutet wie "der erste Schritt ist der wichtigste"; obwohl man seine Zweifel haben ~nn wegen des Grades der Dankbarkeit, die wLr i•hm für diesen ersten Schritt schulden. Auf jeden Fall verlangt dieser Anfang nach einer historischen Erkläl'Uilg, denn das Vorhandensein eines solchen Denksportes, wie wir .Jhn annehmen mußten, um das erste Lehrbuch der
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Logik, die Topik, zu verstehen, erscheint sog;ar noch verwunderLicher als gewisse Merkmale der entwickelten aristotelischen Logik in den Analytiken. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in der Schule des Aristoteles solch ein geistiger Sport ziemlich emst genommen wurde. Andernfalls würde Aristoteles nicht so viel Zeit und Mühe an die Vorbereitung der Topik gewendet haben, wie er es nach dem Ausweis des Buches getan haben muß, und wie er es nach seinem eigenen Zeugnis auch wirklich getan hat. Wir verspüren Verwunderung und ein wenig Unbehagen um des Aristoteles willen; aber d1e Erklärung des Phänomens ist nicht so schwer, wie es den Anschein haben könnte. Es genügt, sich einige wohlbekannte Tatsachen aus der Geschichte der Wissenschaft und Philosophie in Griechenland ins Gedächtnis zurückzurufen. Wenn wir heute ohne die Hilfe der Oberlieferung Wissenschaft und Philosophie nach dem Gegenstandsgebiet der Logik durchforschen müßten, wo sollten wir suchen? Nun wohl, wir nehmen an, daß Wissenschaft und Philosophie im Geiste und in den Forschungen der Wissenschaftler, Gelehrten und Philosophen leben, und die Ergebnisse ihrer mühevollen geistigen Arbeit sind in Büchern ntedergelegt. Und außerdem haben wir natürlich die ·akademische Lehrtätigkeit. Doch es wäre vielleicht ein wenig, sagen wir, einseitig, 1Ulsere Vorstellungen von der Logik hauptsächlich auf die Praxis der akademischen Lehrtätigkeit zu gründen. Aber dies ist genau das, was A:cistoteles getan hat. Wir wissen aus gewissen Abschnitten in den späteren Schriften Platons, daß in Wirklichkeit Platon der Erfinder des Begriffs der geistigen Gymnwstik war, und daß er deren Praxis iln seine Schule, die ursprüngliche "A~ademie", ·einführte, als Pflichtfach zur Vorbereitung zukünftiger Philosophen. Was Aristoteles zum Besten seiner eigenen Schule dieser erzieherischen Praxis hinzufügte, war eine systematische Einführung: die Topik. So kam es, daß ·am Anfang systematischer logischer Forschung ein Syllogismus nicht innerhalb der Gedankenwelt des einsamen Denkers oder in seinen Büchern oder Vorlesungen gesucht oder gefunden wurde, sondern daß der ursprüngliche GegellJStand der Logik der "dialektische Syllogismus" war, der Syllogismus, der sich im Gespräch entwickelt. 23
Die Pflege des dialekttschen Syllogismus als eines unentbehrlichen Mittels zur philosophischen Bildung ist offenbar ein Produkt j·ener Epoche in der Geschichte der Philosophie, in der die Fragen und Antworten des im Gemeinschaftsleben gebundenen Gesprächs Weg und Mittel zu neuen Entdeckungen waren, als ·die Dialektik, die Kunst, Dinge im Gespräch zu behandeln, nahezu identisch mit echter Philosophie und Wiss·enschaft erscheinen konnte, und als man Büchern und den Ansprüchen auf fertige, jederzeit verfügbare Erkenntnis mißtraute. Das war natürlich die Epoche, welche durch ·die Namen Sokrates und Platon gekennzeichnet ist. Es war eine kurze Epoche: Platons größter Schüler Anstoteies war wieder ein eifriger Leser und selbstbewußter Schreiber von .Büchern. In den beiden Generationen vor Aristoteles waren Vertrauen auf das Gespräch und zugleich Mißt11a.uen gegen Bücher und dergleichen eine neue Geisteshaltung, ·denn in der griechischen Welt des 5. Jahrhunderts, der Sokrates angehörte, war es bereits .so selbstverständlich wie heute, ein Buch zu Rate zu ziehen, wenn man wissen wollte, was ein P.hilosoph oder Wis·senschaftler zu lehren hatte. Platon zufolge (Apol. 26d) erwiderte zum Beispiel Sokrates, als er des Atheismus ·beschuldigt wurde: "Freund Meletos, Ihr glaubt, 1hr beschuldigt Anaxagoras: und Ihr habt eine recht schlechte Meinung von den Richtem, wenn Ihr sie für so ungebildet haltet, daß sie nicht wiss.en, daß dilese Lehren sich in den Büchern des Anaxagoras von Klaz6menai finden, die voll von ihnen sind. [Junge Leute könnten für ein bißchen Geld leicht diese Bücher kaufen und Sokrates auslachen, wenn er behauptete, diese Lehren wären die seinen]." 10 Aber Sokrates selber hat keine Bücher geschrieben. Seine Rolle im wirklichen Leben und in der Philosophie war die des Fragenden, wie Aristoteles in einem interessanten Absdmitt der Topik {183b 7) feststellt, wobei er sich des historischen Zusammenhangs der Dialektik des Sokr.ates mit dem Thema der Topik voll bewußt ist. Zweifellos war Sokrates' Art und Weise, Die Auslegung des griechischen Textes ist umstritten. An Steile von Jowetts Übersetzung, die irreführend ist, gibt die Paraphrase in eckigen Klammern die Bedeutung, soweit sie praktisch gesichert ist.
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im Gespräch zu philosophieren, die Grundlage der dialektischen Praxis in den Schulen des Platon und des Ari:stoteles. Platon allerdingjs hat Bücher geschrieben, und wir würden weder von den Ansichten des Sokrates noch von den Lehren Platons viel Nennenswertes wissen, wenn auch Platon es abgelehnt hätte, .zu schreiben. Nichtsdestoweniger ist es ebenfalls wahr, daß Platon nicht an Bücher und fortlaufende Vorlesungen glaubte als Mittel, wissenschaftliches und philosophisches Denken ro erwecken und zu verbreiten; und es ist kein Zufall, daß seine Bücher in der Form lebendiger Gespräche geschrieben sind. Ebensowenig .ist es ein Zufall, daß zumindest in seinen frühen Dialogen die Art .des Gesprächs genau so ist, wie wir sie erfinden müßten, wenn wir den V.ersuch machen wollten, die natürlichen Vorbilder der künstlichen Syllogismen in der Topik zu rekonstruieren. So werden wir hier zu Tatsachen und literarischen Belegen geführt, die .so wohlbekannt 'sind, daß dieses Kapitel über den Ursprung der Wissenschaft von der Logik beendet werden kann. Es ~st nicht nötig, über P1atons Einstellung zu der dialektischen Form des Argumentierens sich weitläufig auszulassen. Aber ich möchte noch ein paar Worte über den Ausdruck "Logik" hinzufügen. Dieser Ausdruck erschei.llt~icl;,t vor dem 1. Jahrhundert v. Chr. in der vorhandenen antiken Literatur; Ari:stoteles verwendet ihn nich_t_ Er ~st von dem griechischen Wort Myo~ abgeleitet, das "Rede" bedeuten kann, außerdem jedoch vLeles, was mit Rede zusammenhängt. Zu der Zeit, da die Leute glaubten, sie könnten in der Logik eine allgemeine methodische Unterweisung finden, wie man denken oder vernünftig argumentieren solle, wurde .gewöhnlich eine Bedeutung von Logos angewendet, ~~lieh "Vernunft", so daß der Ausdruck. "Logik" eine Kunst oder eine Wissenschaft des vernünftigen Smließens oder Den:kens bedeutete. Aber das ist gewi:ß keine zutreffende Ety:Il1ologie~_'Jenn auch Ari:stoteles das W~rt -,:Logik" nicht afs Substantiv benutzt, ,braucht er es als Adjektiv in gewissen Funktionen, die zwei-erlei beweisen: ·erstens, daß_4~r sp_!i_tere N~l!lce_
senwir UiliS auf die Feststellung beschränken, daß, wer immer die Verantwortung für die überlieferte Ordnung der Schriften des Aristoteles trägt, diese Anordnung in dem Glauben durchführte, daß der Behandlung von Sätzen (oder Urteilen) die Behandlung von nicht zu Sätzen ve11bundenen Worten vorangehen müsse, und daß eilnze1ne Urteile vor Zusammenfassungen von Urteilen zu Syllogismen behandelt werden müssen. Es besteht kein Grund die Anordnung, die wah11scheinlich älter ist als das 1. Jahrhundert v. Chr., zu tadeln; als eine Anordnung von Manuskripten oder Büchern, die irgendwie in eine Reihenfolge gebracht werden mußten, kann man sie gelten lassen. Aber, ob di:e Reihenfolge ein organisches und einheitliches Ganzes einer logischen Doktrin bildet oder bilden soll, das ist eine andere F.rage. Aristoteles' Definition des Syllogismus besagt, daß eiin Syllogismus eine gewisse Verbindung von P.ropositionen (oder Prämissen) •enthält, und in einer Erklärung, die er im ersten Kapitel der Analytica priora gibt, nennt er das, worin eine P.roposition ·sich auflöst, horos, "Terminus". So erhalten wir die Reihenfolge "Terminus, Proposition, Syllogismus", und zu dieser Dr-eiheit werden meist die drei Hauptteile bzw. die er:sten drei Teile ·der tvaditionellen Logik in Beziehung gesetzt, selbst wenn eine andere (angeblich gleichwertige) Terminologie bevorzugt wird, wie "concept, j.udgment, r:easoning" im Englischen, oder "Begriff, Urteil, Schluß" im Deutschen; oder, wie die berühmte und einflußreiche französische Logique de Port Royal 1 es nennt, "idee, jugement, raisonnement" 2• Zuerst werden wir ·also zu fragen haben, ob die Logik des Aristoteles ein organisches, dreibeiliges Ganzes war, wie die Einteilung und Anordnung des Sachgegenstandes in unzähligen nicht ganz neuzeitlichen Lehrbüchern der Logik es anzudeuten scheint. Die Antwort ist .ein kurzes "Nein". Denn obwohl irgendein historischer Zusammenhang zwischen der Struktur Zuerst veröffentlicht in Paris 1662. Mein Zitat ist der englischen Übersetzung von Th. 5. Baynes entnommen. 2 Für ., The Three Parts of Logical Doctrlne" und einige GrUnde für und gegen diese Anordnung siehe § 6 in Keynes, Formal Logic, 4. Aufl. 5. 8 f. Über die modernen terminologischen Schwierigkeiten siehe ebd. 5. 10, 66. 1
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der tr-aditionellen Logik und der aristotelischen Dreiheit "Termini, Propositionen, Schlüsse" sowie der antiken Ordnung der Bücher des Organon bestanden haben muß, ist es eiil.l.e - 1n Heinrich Maiers Syllogistik des Aristoteles mit Recht hervorgehobene - Tatsache, daß Aristoteles' beide Analytiken und die Topik, die alle drei von Syllogismen handeln, keinerlei getrennte Behandlung weder von Propositionen noch von Termini voraussetzen. Die Analytiken und die Topik bedienen sich gelegentlich der Lehre von den Kategorien, aber sie beziehen sich nicht auf die kleine Abhandlung, die jetzt die erste der Schriften des Adstoteles ist, und es ist ziemlich schwierig, die Beziehung ihres Inhalts zu den Termini und den Propositionen der Syllogistik des Aristoteles zu definieren. Der Versuch, .es zu tun, hat den Systematikern des ·aristqtelischen Organon manche Kopfschmerzen verursacht. Die Abhandlung De interpretatione kommt dem Postulat eines den Urteilen gewidmeten "zweiten Teils der Logik" näher, Tatsache jedoch ist, daß die Analytiken und die Topik alles über die syllogistischen Sätze lehren, was für ihre Zwecke erforderlich ist, und daß sie De interpretatione überhaupt nicht beachten. Aus Gründen, die ich zu Beginn dieses Kapitels zu erklären versuchte, beabsichtige ich dennoch, den ersten Teil der traditionellen Logik zu behandeln, gleichgültig, ob dies mit den Anschauungen des Aristoteles übereinstimmt oder nicht. So wollen wir zunächst Propositionen (oder Urteile) 'lllld Syllogismen außer acht lassen und nach den griechischen Grundlagen jenes ersten Teiles Ausschau halten, wo Termini (oder Begl'iffe) soweit wie möglich um ihrer selbst willen, und noch nicht zu Teilen von Urteilen oder Propositionen verbunden, betrachtet werden sollen. Es besteht kein Zweifel, daß das Buch Kategorien für den Inhalt dieses ersten Teiles der traditionellen Logik zum Teil verantwortlich ist, denn es beschäftigt sich ausdrücklich mit der Bedeutung von unverbundenen Satzteilen; aber die Topik, unser frühestes Dokaunent, nicht nur der aristotelischen Behandlung von Syllogismen, sondem auch der Kategorien, zeigt, daß die Kategorienlehre ursprünglich eine Lehre von den Satzprädikaten war und erst .später von Aristoteles selbst in ein Schema zur Klassifizierung ·all dessen umgewandelt wurde, was 30
ein einzelnes Wort als Namen führt. Die Frage der Kategorien ist außerordentlkh kompli:ziert, und es ist beSISer, wir beginnen mit dem anderen aristotelischen Bestandtell des ersten TeUes der traditionellen Logik, dem "Terminus" der Syllogisbik des Aristoteles, welcher - das dürfen wir nicht vergessen nicht, wie 1n der traditionellen Logik, Gegenstand der Behandlung in einem besonderen Kapitel oder TeU der Logik du'l."ch Aristoteles war. Von 11Tenninus" besitzen wi.r folgende Definition: "Ich nenne Terminus das, worws sich die Prämis.se zusammensetzt, nämlich Prädikat und Satzsubjekt, wobei das ,Sein' oder ,Nichtsein' entweder hinzugefügt oder abgetrennt wird" (Anal. pr. 24b 16). Aus der Praxis des Aristoteles in den Analytiken ersehen wir, daß ein Terminus durch einen Buchstaben des Alphabets symbolisiert werden kann, und daß ein solcher Buchstabe tatsächlich für alles eintreten mag, was entweder als Subj-ekt oder als Prädikat einer Aussage erscheinen kann. Die Tatsache, daß es häufig nicht ein einzelnes Wort ist, welches einem einzelnen Terminus .entspricht, wird von Aristoteles selbst gebührend betont: 11Wir dürfen nicht immer danach trachten, Termini in einem ·einzelnen Wort auszudrücken; denn wir werden es oft mit Wortgruppen zu tun haben, die nicht mit einem einzelnen Namen bezeichnet werden. Infolgedessen ist es schwierig, Syllogismen mit solchen Termini .auf eine knappe Fonnel:öu bringen." Nachdem er in diesem Zusammenhang den mathemabischen Beweis erwähnt hat, daß die Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten Winkeln sind, fährt er fort: "Es ist klar, daß das Mittelglied nicht immer unbedingt etwas Individuelles, sondern mitunter eine Wortgruppe ist, wie in dem erwähnten Falle" (Anal. pr. I. Kap. 35). Um ·ein weiteres Beispiel anzuführen, können wir ein Kapitel aus den AnalyHca posteriora (I, 34) heranziehen. Es betrifft den Scharfsinn (eVo'-roxla): "Scharfsinn ist die Fähigkeit, das MitteLglied sofort zu treffen. Ein Beispiel hierfür wäre der Mensch, der sah, daß der Mond seine helle Seite stets der Sonne zuwendet und sogleich die Ursache hierfür erfaßte, nämlich, daß er sein Licht von ihr entlehnt; oder beobachtete ... In allen diesen Beispielen hat er die Ober- und Unterbegriffe gesehen und dann die Ursachen, die Mittelbegriffe, erfaßt. Setzen wir A für ,helle
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Seite der Sonne zugewandt', B für ,von der Sonne beleuchtet', C für den Mond, dann ist B ,von der Sonne beleuchtet' aussagbar von C, dem Mond, und A ,seine helle Seite der Quelle seines Lichtes zugewandt', ist aussagbar von B. Demzufolge ist A aussagbar von C mittels B." In einem anderen Fall muß Aristoteles elf Worte für einen einzigen Terminus, die OxfordÜber-setzung dreiundzwanzig Worte (Anal. post. 93a 37) verwenden: "Angenommen C ist der Mond, A ·die Mondfinsternis, B die Tatsache, daß der Mond keine Schatten hervorbr-ingt, obwohl er voll ist und kein sichtbarer Körper zwischen uns und dem Mond Hegt." Immerhin werden solche Termini, die sich nicht durch einzelne Namen ausdrücken lassen, offensichtlich als Ausnahmen angesehen, und Aristoteles zufolge ist ein einzelner Name für den einzelnen Terminus das übliche. Alber John Stua.rt Mills Versuch, die Tatsachen darober hinaus ZIU vereinfachen, und "Termini" und "Namen" völüg kommensurabel zu machen, dient kaum einem objektiven, ganz gewiß keinem historischen Zweck. Denn die "vielwortigen Namen", die er als Folge seiner Gleichsetzung von Termini und Namen annehmen 3 mußte, würden dn der Sprache -des Aristoteles in sich widersprüchlich sein -, sie würden als "vielwortige Wörter" oder als "vielnamige Namen" ·erscheinen. So wie die unleugbare Verwandtschaft der syllogistischen Termini mit den aus der Umgangssprache 'stammenden Enzelnamen von Aris·toteles nie genau bestimmt wurde, so fehlt es seiner .An.tssage über die Beziehung der Termini zu einer gewissen Kategorie von Wesenheiten an Genauigkeit. In Kapitel 27 von Buch I der Analytica priora ·erkennt Anistoteies die Tatsache an, daß "von allen Dingen, di-e existieren", manche nicht geeignet sind, Prädikate von normalen syllogistischen Sätzen zu werden (nämlich Einzelwesen wie der Mensch K.allias oder Sokrates), wohingegen andere außerstande sind, Subjekte solcher syllogistischen Sätze zu werden ("manch.e Dinge we~:~den von anderen ausgesagt, aber nichts wird von ihnen ausgesagt"); aber "von dem, was li.mmer zwischen diesen Grenzen liegt, kann auf beide Weisen gesprochen werden: sie können von anderem und anderes von ihnen ausgesagt werden", 3 Siehe sein System of Logic, Buch I,
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Kap. II, §
2.
zum Beispiel über Kallias, daß er ein Mensch, über einen Menschen, daß er ein Lebewesen ist. "Und in der Regel befassen Beweisführungen und Untersuchungen sich mit solchen Dingen." Die ausgesprochene Gleichgültigkeit des Aristoteles gegenüber einer genauen Bestimmung im Falle der Beziehung von "Dingen", sowie im Falle der Beziehung von "Namen" zu "Termini" zeigt deutlich, daß er gar nicht daran dachte, die Behandlung der "Termini" streng .auf eine Lehre entweder von den Namen oder von den Dingen zu begründeni so sind die Versuche späterer Systematiker, ebenso wie ihre Schwierigkeiten in beiden Richtungen, nur allzu verständlich. Es gibt eine dritte Möglichkeit. Namen sollten Dinge bedeuten, aber um ver.ständlich zu sein, setzen sie Gedankeneinheiten voraus, die dm Geiste des Sprechenden wie des Hörenden gleichermaßen mit ihnen verknüpft .sind. "Termini" sind Namen oder, in manchen Fällen, Gruppen von Namen (Mills "vielwortige Namen") i wo immer in einem echten Syllogismus solche Termini auftauchen, haben sie daher unweigerlich stets ihre ·entsprechenden einfachen oder mehrf.achen Gedankencinheiten, die im Englischen "ideas" (notions, conceptions) oder "concepts" genannt werden. Da nun "Namen" im allgelnei,.. nen als sekundär zu den Gedanken gelten, und andererseits die Dinge nicht unmittelbar in logische Operationen ·einbezogen sind, ,scheinen ziemlich gewichtig·e Gründe dafür zu spr.echen, die Behandlung von "Termini" und der Logik im allgemeinen ,auf die B.etrachtung von Ideen (oder Begriffen usw.) zu gründen. Genau das haben, ]. S. Mills zufolge, die Logiker von Descartes bis in seine eigene Zeit getan: "Urteilen hieß, zwei Ideen miteinander zu verbinden, oder eine Idee einer anderen unterzuordnen, oder zwei Ideen :zJU vergleichen, oder we Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung. von zwei I~een wahrzunehmen: und die ganze Lehre von den Propositionen zusammen mit der Theor1e vom Schließen (die sich immer notwendig auf die Theorie von den Propositionen .grün. det) war so aufgebaut, als ob Ideen oder Begriffe, oder welchen Namen auch dmmer der Verfass.er für geistige Vorstellungen im allgemeinen bevorzugte, im wesentlichen S.achge~enstand 33
und Substanz jener Operationen bildeten."4 Die Logique de Port-Royal beginnt ihren ersten Abschnitt tatsächlich folgendermaßen: "Da wir von dem, was außer uns ist, keinerlei Kenntnis haben können, wenn nicht durch die Vermittlung von Ideen, die in illlts sind, bilden die überlegun~en, die wir über unsere Ideen anstellen können, vielleicht den wichtigsten Teil der Logik, denn auf sie gründet •sich alles übrige." Noch heute kann es geschehen, daß "deduktive Logik" als "auf den Begriff gegründet" eingeführt wird 5• Mill selbst war ein entschiedener Gegner dieser AufFassung: "Die Ansicht, daß in einer Proposition die Beziehung zwischen den beiden, dem Subjekt und dem P,rädrikat entsprechenden Ideen (anstatt der Beziehung zwischen den beiden Phänomenen, die sie jeweils ausdrücken) für den Logiker von primärer Bedeutung ist, erscheint mir als einer der v.erhängni.svollsten Irrtümer, die je in die Philosophie der Logik Eingang .gefunden haben, und als der Hwptgrund, wa1l\1Jll die Theorie dieser Wissenschaft während der letzten zwei Jahrhunderte so geringe Fortschilitte gemacht hat." Die Betonung der unleugbaren Tatsache, daß im allgemeinen "Propositionen keine Aussagesätze sind, die unsere Begriffe (Ideen, Vorstellungen) von den Dingen betreffen, ·sondern Aussagesätze, welche die Ding.e selbst betreffen", war sein Mittel, sich der Erforschung des Denkprozesses des Urteilens zu ·entziehen. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß das Fehlen der Psychologie in der aristotelischen Lehre von den in Sätzen ausgedrückten Urteilen andere Gründe hat als die Argumente von Mill. Was die "Namen" ·betrifft, so war Millnicht hnibiVIe Art, lediglich als ein Mittel, eine von ihm selbst getroffene F.eststellung zu bestätigen (ge1eg€'11.tlich gla"Ubt er, sd.e sei auch durch einen Syllogismus zu be:wei:sen). Im Falle seiner EinteiLung der Propositionen in vier verschiedene Arten entsprechend der Natur ihrer Prädikate (103b 1), sowie im Falle ·seiner BinteUung mündlicher Trugschlüsse in sechs verschdedene Arten (165b 27) bedeutet zum Bei:spd.el Be:weis durch Induktion einfach, daß, oganz g1eich w,elche Einzelbehauptung oder welchen sprachl:ichen Trugschluß man betrachben mag, man stets finden wird, daß er tatsächlich zu einer der vier bzw. sechs festges,etzten Arten gehört, und daß man keinerl.ei Ausnahme finden wird. Das einzig Interessante daran ist der hochtmbende Name für ein mehr als einfaches logisches Verfahren; meinier Meinung nach ist es ZJiemlich sicher, daß der Name nicht für dies.en Typ der Induktion erfunden, sondern von der ande.ren Art ·entLehnt worden ist, die sicherLich wichtig genng war, um durch einen terminus technicus bezeichnet zu werden.
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Anderel1Seits .ist es richtig, daß Nachprüfung bzw. Beweis durch Induktion beträchtlim an Bedeutung gewinnt, wenn Aristoteles sie später behandelt. Eine sorgfältiJ~ Interpretation eines v.ielwnst:cittenen Kapitels der Analytica priora (63b 15) würde meiner Meinung nach zeigen, .daß Axüstoteles, soweit es um logische Pr.i.nzipden geht, sich hier .auf gleicher Ebene befindet wie die Methoden der Naturwissenschaften, welche die moderne sogenannte tinduktive Logik zum Gegenstand .ihres Studiums machen. Tatsache is·t, daß Aristoteles' Theorie des.sen, was er dann den "Syllogismus durch Induktion" nennt - sow.ie sein Beispiel für eine incfuktive Bestätigung der biologischen Hypothese, es bestehe ein Zusammenhang zw.i:schen einem langen Leben und dem Fehlen von Galle -, so sehr von den tatsächlichen wissenschaftlichen Diskussdenen seiner Zeit abhängig ist, daß wir nicht ganz imstande wären, das logische Kapitel zu verstehen, besäßen wir nimt eine ausreichende l