EDMUND HUSSERL PHANTASIE, BILD BEWUSSTSEIN, ERINNERUNG
ZUR PHANOMENOLOGIE DER ANSCHAULICHEN VERGEGENWARTIGUNGEN TEXTE A...
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EDMUND HUSSERL PHANTASIE, BILD BEWUSSTSEIN, ERINNERUNG
ZUR PHANOMENOLOGIE DER ANSCHAULICHEN VERGEGENWARTIGUNGEN TEXTE AUS DEM NACHLASS ( 1898--1925)
HERAUSGEGEBEN VON
EDUARD MARBACH
•
1980
MARTINUS NIJHOFF PUBLISHERS THE HAGUE
I BOSTON I LONDON
Distributors: for the United States and Canada Kluwer Boston, Inc. 160 Old Derby Street Hingham, MA 02043 USA
for alt other countries Kluwer Academic Publishers Group Distribution Center P.O.Box322 3300 AH Dordrecht The N etherlands
Library of Congress Cataloging in Publication Data (Revised) Husserl, Edmund, 1859-1938. Husserliana. Vol. 6: "In Gemeinschaft mit dem Husserl-Archiv an der Universität Köln." Includes earlier editions of some volumes. 1. Philosophy - Collected works. I. Title. B3279.H9 1950, Bd. 1, etc. 193 51-9993
ISBN 90-247-2119-9
Copyright © I980 by Martinus Nijhoff Publishers bv, The Hague. Alt rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, mechanical, Photocopying, recording, or otherwise, without the prior written permission of the publisher, Martinus Nijhott Publishers bv, P.O. Box 566, z50I CN The Hague, The Netherlands. PRINTED IN THE NETHERLANDS
INHALT EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
• • • . • . • • • . XXV
PHANTASIE, BILDBEWUSSTSEIN, ERINNERUNG Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen Nr. 1.
(Drittes Hauptstück der Vorlesungen aus dem Wintersemester 1904/05 über "Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis") ..... .
PHANTASIE UND BILDBEWUSSTSEIN
1.
KAPITEL: Frage nach der Phantasievorstellung gegenüber der Wahrnehmungsvorstellung. . . . . . . . . . . .
§ 1.
Vieldeutigkeit des Begriffs der Phantasie in der gewöhnlichen Rede -Das Phantasieerlebnis als Fundament phänomenologischer Wesensanalyse und Begriffsbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Die Aufgabe der Gewinnung eines wesentlich einheitlichen Begriffs der Phantasievorstellung als Phantasieauffassung - Charakterisierung der Wahrnehmungsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Versagen der zeitgenössischen psychologischen Forschung in der Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung. Fehlen des Begriffs der objektivierenden Auffassung . . . . .~. § 4: Kurze Darstellung und Kritik von Brentanos Lehre vom "Vorstellen" . . . . . . . . . . . . . . . § 5. Die Frage nach dem Unterschied von Wahmehmungs- und Phantasievorstellung und das besondere Problem der Unterscheidung der entsprechenden Auffassungsinhalte, Empfindung und Phantasma.. § 6. Kritische Erörterung der von den Psychologen vorgebrachten Unterschiede von Wahrnehmung und Phantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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INHALT
2.
Interpretation der Phantasievorstellung als Bildlichkeitsvorstel1ung (Imagination) wie die physisch-bild. . . .• liehe Vorstellung. . . . . . . . . . . KAPITEL:
§ 7. § 8. § 9.
§ 10.
§ 11.
§ 12.
§ 13. § 14.
3.
Verwandte Unterschiede innerhalb der Wahrnehmungs- bzw. Phantasieauffassung . . • . . . . . Die Phantasievorstellung als Verbildlichung. Beginn der Wesensbestimmung des bildlichen Vorstellens.. Die physische Imagination als Parallelfall der Phantasievorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Wesensgemeinsamkeit der physischen Imagination und der gewöhnlichen Phantasievorstellung bezüglich der "geistigen Bilder" . . . . . • . . . . . Die Beziehung auf das Bildsujet, bzw. die zwei aufeinandergebauten Auffassungen in der Phantasievorstellung - Hinweis auf ein genaues Analogon: Worterscheinung als Träger einer zweiten Auffassung als Zeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzung der ganzen bisherigen Betrachtung: die doppelte Gegenständlichkeit bei der Phantasievorstellung und bei der physischen Bildauffassung Die zwei Auffassungen, die zur Konstitution der imaginativen Vorstellung wesentlich gehören . . . . . Wiederholung und neue Darstellung: Das Ineinander der beiden Auffassungen, die das Bewusstsein der Bildlichkeit konstituieren, und Ähnlichkeitsdeckung bzw. Auseinandertreten der Objekte dieser Auffassungen. Die Gegebenheit der bewussten Beziehung auf das Bildsujet durch das Bewusstsein der Vergegenwärtigung eines Nichterscheinenden im Erscheinenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KAPITEL: Bildlichkeitsbewusstsein in immanenter Funktion und in symbolischer Funktion - Zur ästhetischen Bildbetrachtung - Frage nach dem Verhältnis der fundierenden Auffassung beim Phantasie- und Bildbewusstsein zur Wahrnehmungsauffassung . . . . . • . • . .•
§ 15. Gemeinsamkeit und Unterschied von bildlicher und symbolischer Auffassung . . . . . . . . . . . . § 16. Einführung der Unterscheidung zwischen innerer (immanenter) und äusserer (symbolischer) Bildlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , § 17. Das Interesse am Wie der Verbildlichung des Bildobjekts bei der ästhetischen Bildbetrachtung im Gegensatz zur ausschliesslichen Interessenrichtung auf das
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INHALT
Bildsujet bei der gewöhnlichen Phantasie- und Erinnerungsvorstellung • • • • . • . . . . . . . . § 18. Möglichkeit des Wechsels in der Richtung der meinenden Intention und entsprechender Wechsel des Gegenstandes. Beschreibung der Erscheinungsweise des Bildobjekts z.B. in psychologischem Interesse.. § 19. Selbständigkeit und Unselbständigkeit der zwei sich durchdringenden Auffassungen und Frage nach dem 'Verhältnis der fundierenden Auffassung zur Wahrnehmungsauffassung im Falle der durch physische Bilder vermittelten Imagination. Wegfallen des Bildlichkeitsbewusstseins bei Täuschungen a la Panoptikum, Panorama etc. und ästhetischer Schein. . . . § 20. Ob die fundierende Auffassung bei der Phantasie im gewöhnlichen Sinn und der Erinnerung den Charakter einer Wahrnehmungsauffassung habe. Wegfallen des Bildlichkeitsbewusstseins bei der Vision u1l.d Halluzination. Waches Träumen und Bewusstsein des Scheins der Phantasiegestaltungen . • • . . . . .
4.
KAPITEL: Unterschiede zwischen gewöhnlicher Bildvorstellung und PhantasievOYstellung. . . . . . . . . . . .
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§ 21. Die zugrundeliegenden Auffassungen bei der physi-
§ 22.
§ 23.
§ 24.
§ 25.
schen Bildvorstellung, Frage nach der Identität bzw. Verschiedenheit der Auffassungsinhalte . . . . . , Die Erscheinung des Bildobjekts und ihr Charakter der Unwirklichkeit, des Widerstreits mit dem Gegenwart konstituierenden Blickfeld der Wahrnehmung. Das Verhältnis von wirklich Gegenwärtigem und biossem Fiktum im Widerstreit zweier Wahmehmungsauffassungen bei den Fällen des Sinnenscheins. Vorblick auf die Sachlage bei der Phantasie: völlige Trennung von Phantasiefeld und Wahrnehmungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekapitulation: Die doppelte Art der Repräsentation durch Ähnlichkeit, 1) die innere Bildlichkeit als das eigentlich imaginative Bewusstsein; die veranschaulichenden Momente bei der Bildobjekterscheinung als Träger des Bewusstseins der inneren Repräsentation und die übrigen Momente; der doppelte Widerstreitscharakter der Bildobjekterscheinung, 2) die äussere Bildlichkeit als Weise des symbolischen Bewusstseins
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VIII
INHALT
5.
Die Pkantasieerscheinung im Kontrast zurpkysisck-bildlichen Erscheinung und zur Wakrnekmungserscheinung . . . . . . . . . . • . . . . . . • . .
KAPITEL:
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§ 26. Das Fiktum und die Frage nach der Erscheinungs-
weise des "Phantasiebildes" • . . . . . . . . . . § 27. Die Phantasieerscheinung: Grade und Stufen der Angemessenheit der Vorstellung an ihr Objekt im Fall der physischen Bildlichkeit und bei der Phantasie § 28. Das Proteusartige der Phantasieerscheinung : der Wechsel der Fülle, Kraft und Lebendigkeit und der damit zusammenhängende Wechsel in der Angemessenheit der Repräsentation . . . . . . . . . . . § 29. Kontinuität und Diskontinuität bei Wahrnehmungserscheinung, physisch bildlicher Erscheinung und Phantasieerscheinung . . . . . . . . . . . . . 6.
KAPITEL: Rekapitulierende Darstellung der Ansicht, dass Phantasievorstellung sich als Bildlichkeitsvorstellung interpretieren lasse . . • . . . . . . . . . . . . . .
§ 30. Parallelismus zwischen gewöhnlicher Imagination und Phantasieimagination . . . . . . . . . . . . § 31. Starke und fIiessende Unterschiede zwischen der gewöhnlichen Imagination und der Phantasie § 32. Das Widerstreitsverhältnis von Phantasie- (bzw. Erinnerungs-)feld und Wahrnehmungsfeld und das Fiktum der Phantasie in den Fällen der klaren Phantasie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 33. Die Fälle der unklaren Phantasien und die Frage, ob hier überhaupt Bildobjekt und Bildsujet unterschieden werden darf. Hinweis auf analoge Erscheinungen in der Wahrnehmungssphäre: Doppelbilder und Wettstreit der Sehfelder beim Schielen
7.
Versuck, zwischen Pkantasievorstellung und Bildlichkeitsvorstellung einen wesentlichen Unterschied zu etablieren . . . . . . •........• ..
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KAPITEL:
§ 34. Der Zusammenhang des Blickfeldes des Wahrnehmungsbewusstseins und sein Fundament in den Zusammenhängen der Empfindungen in den Empfindungsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . " § 35. Das Verhältnis der Phantasmen und Phantasieerscheinungen zu den Zusammenhängen des Wahrnehmungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . " § 36. Vertiefte Erörterung der Frage nach Koexistenz bzw.
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INHALT
Widerstreit von Wahrnehmungs- und Phantasiefeld am Beispiel einzelner Sinnesfelder . . . . . . . . § 37. Ob nicht Wahrnehmung einen ursprünglichen Vorzug haben müsse, da Empfindungen allein Begründer von Gegenwartsrealität sind. Schwierigkeit bezüglich der irrealen Phantasmen als gegenwärtiger sinnlicher Inhalte. Versuch einer Antwort: imaginative Auffassung der Phantasmen unmittelbar ein Vergegenwärtigungsbewusstsein konstituierend; Möglichkeit nachträglicher Einordnung der Phantasieerscheinung und der fundierenden Phantasmen in die Gegenwart. § 38. Kennzeichnung des Unterschiedes der Phantasieauffassung gegenüber der perzeptiv-imaginativen durch das Fehlen des Bewusstseins eines Gegenwärtigen, das erst als Träger eines Bildlichkeitsbewusstseins zu fungieren hätte . . . . . . . . . . . . . . , § 39: Kodsequenz der versuchten Auffassung: kein direktes imaginatives Bewusstsein innerhalb der Sphäre der Wahrnehmung und Etablierung eines ursprünglichen phänomenologischen Unterschieds zwischen Empfindungen und Phantasmen. Hinweis auf den Glaubenscharakter und die Einteilung der Phantasievorstellungen in blosse Vorstellungen und Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 8.
KAPITEL: Ergebnisse und Vorblick auf die Analysen des Zeitbewusstseins . . . • . . . . . . . . • ..
§ 40. Bestimmung des wesentlichen Unterschiedes zwischen der Imagination im eigentlichen Sinn (perzeptiver Imagination) und Imagination als Phantasie § 41. Unterscheidung der schlichten Phantasievorstellung , und der bildlich sich vermittelnden; schlichte Phantasievorstellung als Voraussetzung der echten imaginativen Funktion in der Phantasie . . . . . . . . § 42. Umgrenzung des Begriffs der schlichten Phantasievorstellung als Vollzug von reinem Vergegenwärtigungsbewusstsein ; immanentes Bildbewusstsein als Phantasiebewusstsein. Terminologische Festlegung ,der Gegensätze Wahrnehmung - Phantasie oder Gegenwärtigung (Präsentation) - Vergegenwärtigung (Repräsentation). . . . . . . . . . . . . . . . § 43. Die Sachlage bei den unklaren Phantasien: die schlichte Phantasievorstellung jedenfalls vorausgesetzt. Abschliessende Übersicht über die in den Analysen hervortretenden Vorstellungsmodi . , . . . § 44. Absonderung eines neuen Begriffs von Erscheinung
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INHALT
9.
mit Rücksicht auf den Bewusstseinscharakter der Gegenwärtigung bzw. Vergegenwärtigung als dem Unterscheidenden zwischen Wahrnehmung und Phantasie. Anzeige des Übergangs in die Analysen des Zeitbewusstseins zur genaueren Unterscheidung der Differenzen im Wahrnehmungs- und Phantasiebewusstsein . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . .
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KAPITEL: Die Frage nach dem phänomenologischen Unterschied zwischen Empfindung und Phantasma und die Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmung und Phantasie . . . . . . . . . . . . • . . • . . . . . .
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§ 45. Anknüpfung an Brentanos Stellungnahme: keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Auffassungsinhalten : Empfindung und Phantasma . . . . . . §,46. Ansetzung des Unterschiedes zwischen Empfindung und Phantasma in den Auffassungsweisen. Diskussion eines Ungenügens dieser Theorie bei Brentano und anderen: die Interpretation der Humeschen vivacity als Intensität. . . . . . . . . . . . . . § 47. Die Schwierigkeit zu verstehen, wie der Unterschied zwischen Phantasie eines psychischen Aktes und aktuellem Vollzug dieses Aktes möglich ist. Das Moment des belief und die Uneigentlichkeit des Vorstellens . . . . . . . . . . • . . • . . . . . § 48. Auflösung der Schwierigkeit: Begründung des Unterschieds zwischen Wahrnehmungs- und Phantasieauffassung durch Hinzunahme der Bewusstseinscharakterisierung als "gegenwärtig" bzw. "vergegenwärtigt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 49. Neue Schwierigkeiten bezüglich der aktuell gegenwärtigen Akte und der Frage des inneren Wahrgenommenseins bzw. der Modifikation der diskreditierenden Phantasievergegenwärtigung . . . . . . . § 50. Fälle, wo erinnerte und aktuelle psychische Akte auf dieselbe Vorstellungsgrundlage bezogen sind . . . . § 51. Zur Aufklärung der Gesamtauffassung der Wahrnehmung gegenüber der Phantasie: entweder Ansatz der Repräsentation als modifizierenden Charakter und der Präsentation als das entsprechend U nmodifizierte. § 52. Oder Ansatz von zwei gleichberechtigten Auffassungen, Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, und entsprechend von zwei in sich verschiedenen Auffassungsinhalten, Empfindung und Phantasma . . . .
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INHALT
BEILAGE 1. Phantasie und bildliehe Vorstellung. Zum Verhältnis zwischen Wahrnehmungs- und Phantasievorstellung (3.-4. September bis 3. Oktober 1898). . . . . . . . • . . . . . . . §
t.
§ 2.
§ 3.
§ 4.
§ 5.
§ 6.
§ 7.
§ 8.
§ 9.
§ 10.
XI
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Die Phantasievorstellungen als bildliche Vorstellungen wie die gewöhnlichen Bildvorstellungen. Was liegt im " Vergegenwärtigen im Bilde"? . . . . . . . . . . . 108 Herausstellung von zwei Richtungen der Vergegenständlichung in der Phantasievorstellung am Leitfaden der gewöhnlichen Bildvorstellung . . . . . . . . . . . . . 111 Akt der Präsentation des Bildes als Fundament für das Bewusstsein der bildlichen Repräsentation in Phantasievorstellung und gewöhnlicher Bildvorstellung 113 Analogie und Differenzen zwischen dem Gegensatz von Präsentation und Repräsentation innerhalb eines konkreten Aktes der Repräsentation und der indirekten Präsentation bei der Wahrnehmungsvorstellung . . . 115 Vieldeutigkeit der Termini Phantasievorstellung und Phantasieobjekt. Analoge Unterscheidungen bei den physisch-bildlichen Vorstellungen. . . . . . . . . , 117 Verschiedenartigkeit der Vorstellungen durch Phantasiebilder und der Vorstellungen durch physisch vermittelte Bilder: kompliziertere Auffassungsgrundlage bei den letzteren; physisches Bild, Bildobjekt, Bildsujet im Wechsel der Betrachtungsrichtung; Beteiligung an der Auffassungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . , 120 Innere Gleichartigkeit des Aktcharakters bildlicher Repräsentation, jedoch äussere Unterschiede bei beiden Vorstellungsarten. Desiderat einer Aufklärung der inneren Unterschiede zwischen den sinnlichen Inhalten: Empfindungen und Phantasmen . . . . . . . . . . 123 Wahrnehmungsvorstellung von einer auf denselben Gegenstand gerichteten Phantasie- oder physisch-bildlichen Vorstellung unterschieden als Präsentation gegenüber Repräsentation. - Frage: Wie unterscheidet sich die Wahrnehmungsvorstellung eines Gegenstandes von der Vorstellung "desselben" Gegenstandes als Phantasieobjekts unter der Annahme, dass das Phantasieobjekt nicht repräsentativ fungiert? . . . . . . . . . . . . . . 124 Der allgemeine Charakter der Präsentation: einen Gegenstand zur Erscheinung zu bringen. - Die Beantwortung der Frage nach dem Unterschied zwischen Phantasieerscheinungen und Wahrnehmungserscheinungen zurückführend auf die Aufklärung des Unterschiedes zwischen den präsentierenden Inhalten . . . . . . . . . 126 Innere und äussere Unterschiede, Klassenunterschiede
XII
INHALT
und Unterschiede einander paarweise entsprechender Erscheinungen der Wahrnehmung und Phantasie § 11. Zur systematischen Beantwortung der Frage nach dem Unterschied zwischen Wahrnehmungs- und Phantasieerscheinungen bei identischem Gegenstand: Möglichkeit der Unterscheidbarkeit bei völligem Mangel an wesentlichen inneren Unterschieden durch äussere Unterschiede der Funktion § 12. Heranziehung der physisch-bildlichen Vorstellungen mit ihren Differenzen zwischen Bild und Original zur genaueren Aufklärung der verschiedenen Erscheinungen . § 13. Anwendung der bei den physisch-bildlichen Vorstellungen erörterten Möglichkeit der Unterscheidung von den Wahrnehmungserscheinungen bzw. der Möglichkeit der Täuschung auf die Phantasiebilder . § 14. Stetigkeit bzw. intermittierende Flüchtigkeit als gewöhnlich aufgeführtes Unterscheidungsmerkmal der Phantasiebilder von den Wahrnehmungserscheinungen . § 15. Das Merkmal der Fülle. Die Frage nach dem Intensitätsunterschied als Übergang zur Erörterung der inneren U nterschiede. Ob auch bei Phantasiebildern von psychischen Akten von Intensität zu reden sei. § 16. Deskriptive Einteilung der Vorstellungen nach dem Gesichtspunkt direkter und indirekter (bildlicher) Anschaulichkeit und Position
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BEILAGE Ir. Trotz meinender Zuwendung zum Bildding bleibt die erregte Erscheinung des repräsentierenden Bildes mitbemerkt (wohl 1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , 137 BEILAGE II!. Bild - Bildobjekt - Sache. Ähnlichkeit als Grundlage der Abbildlichkeit (wohl um 1904/05). . . . . . . . . .
138
BEILAGE IV. Eigentliche Vorstellung - uneigentliehe Vorstellung (wohI1904/05) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
BEILAGE V. Bildvorstellungen (bildliehe - symbolische). Übergang vom Bildbewusstsein zum Bewusstsein analogischer Repräsentation (Symbolbewusstsein). Klare empirisch zusammenhängende Phantasievorstellungen (WOhl um 1905) . . . . . .
141
BEILAGE VI. Warum die Natur, eine Landschaft als "Bild" wirkt - Ästhetik; Interesse an der Erscheinung. Dingerscheinungen drücken immer von innen her etwas aus für die Betrachtung der Kunst (wohl 1906). . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BEILAGE VII.
Widerstreit als Fundament der Bildlichkeitsvorstel-
INHALT
XIII
lung. Widerstreit zwischen dem Erscheinenden und dem empirisch Geforderten: logisch vermittelter, nicht bloss sinnlicher Schein. Widerspruchslos Erscheinendes "ist", gilt (wohl um September 1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BEILAGE VIII. Frage nach den Arten des Widerstreits bei den Fikta der Phantasie und der Erinnerung - Widerstandsleistung der Erfahrung (wohl 1906) . . . . • . . . . . . . . . . .
148
BEILAGE IX. Ob Phantasievorstellung bildliche Vorstellung sei Mehrfache Bildlichkeit: uneigentliche Vorstellung durch mehr oder minder vollkommene Abbilder gegenüber eigentlicher Vorstellung des im ästhetischen Bildbewusstsein Gemeinten (Erfüllung der Bildintention) ; Richtung des Interesses auf das im BIldobjekt Sich-darstellen des Objekts - Note: Kein Gefuhl der Uneigentlichkeit hinsichtlich des Dargestellten beim künstlerischen Bild; Stufen der Ähnlichkeit beim Bild-, Symbol- und Zeichenbewusstsein : Sollenscharakter des Hinweisens - Betrachtung des Fechnerbildes - Mehrfältige Bildlichkeit in bildender Kunst und Musik: zur Frage des adäquaten Bildes, Vergleich der Darstellung mit dem Ideal: 'Vieldeutigkeit der ästhetischen Apperzeption (wohl 1905) . . . . . . . . . . .
149
BEILAGE X. Klare und unklare Phantasie im Unterschied zur physischen Bildlichkeit (wohl 1905) . . . . . . . . . . . . "
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BEILAGE XI.' Schwanken, ob Phantasie oder Wahrnehmung (um 1905) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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BEILAGE XII. Empfindung - Phantasma und die ihnen wesentlichen "Auffassungen" (wohl 1904/05) . . . , .....
163
BEILAGE XIII. Phantasmen und Empfindungen als Wahrnehmungsobjekte und als Auffassungsinhalte von Wahrnehmungen (bzw. von Bildvorstellungen und von Phantasievorstellungen, Erinnerungen) (Abschrift und nähere Ausführung einiger Notizen aus 1905) . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nr. 2.
'vON DER THEORIE DER REPRÄSENTATION BEI PHANTASIE
UND ERINNERUNG ZUR EINFÜHRUNG DER
LEHRE VON DER REPRODUKTION BZW. DOPPELTEN
(Texte von etwa 1904 bis etwa 1909, evtl. 1912) . . . . . . . . . . . . . . 170 VERGEGENWÄRTIGUNG
I
a) Aporie. Doppelte Auffassung derselben Erscheinung: als
Phantasie der Wahrnehmungserscheinung in Beziehung
XIV
INHALT
b)
c) d)
e)
f)
g)
auf das aktuelle Ich bzw. als Wahrnehmungserscheinung in Beziehung auf das Phantasie-Ich. Ob nicht zum Wesen jeder Phantasie- und Erinnerungsvorstellung gehört, eine Erscheinung im Bewusstsein der Repräsentation darzustellen. Reflexion auf das Phantasie-Vorstellen (wohl I904). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. 170 Aktuelle Vorstellung "von" und Vorstellung in der Einbildung, Erinnerung (imaginatives Gegenbild); Reflexion inder Phantasie (umI90S) . . . • . . . . . . . . 179 Reflexion und Phänomenologische Reduktion in der Phantasie(wohII90S) . . . . . . . . . . . . . • . . . 184 Zweierlei Wahrnehmung - zweierlei Phantasie (wohl I907/o8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Doppelte Vergegenwärtigung:"Reproduktion von etwas" im Gegensatz zu "Phantasie von etwas" = Phantasievorstellung (woh1I908) . . . . . . . . . . . . • . . 189 Wahrnehmung von einer Phantasie (Reflexion) und Phantasie von einer Phantasie (wohl frühestens I909: evtl. I9IZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Ob die Folge von Modifikationen "Wahrnehmungserscheinung - Phantasieerscheinung - Phantasieerscheinung in einer Phantasie" eine Reihe iteriener M odifika192 tionen sei (wohl frühestens I909; evtl. I9IZ) . . .
BEILAGE XIV. a) Erinnerung und Wahrgenommenhaben (etwa 1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Implikation der Erinnerung an die frühere Wahrnehmung bei der Erinnerung - Keine Wahrnehmung ohne wahrnehmendes Subjekt (etwa 1898). . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193
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BEILAGE XV. Unmittelbarkeit der Erinnerungs- und Phantasievorstellung im Unterschied zur Bildapperzeption (wohl 1904) .
201
BEILAGE XVI. Die Erinnerungserscheinung mitsamt ihrem Gehalt an sinnlichen Inhalten als Vergegenwärtigung der früheren Wahrnehmungserscheinung Beirrung durch die falsche Theorie der Repräsentation (1904). . . . . . . . . . . . .
202
BEILAGE XVII. Erinnerung: Es genügt nicht, dass Wahrnehmung sich in Repräsentation des Wahrgenommenen modifiziert; der Wahrnehmung muss eine wirkliche oder mögliche Erinnerung dieser Wahrnehmung entsprechen (1904) . . . . . . .
204
BEILAGE XVIII. 1898) . . . BEILAGE XIX.
Kompliziertere bildliche Vorstellungen (wohl
205 Phantasie in der Phantasie (um 1905)
206
INHALT
XV
BEILAGE XX. Immanente Imaginationen (wohl frühestens 1909; evtl. 1912) . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . .
207
BEILAGE XXI. Reflexion in der Phantasie ist selbst Phantasie (wohl Herbst 1909) . . . . . . • . . . . . . . . . . . .
208
BEILAGE XXII. "Reproduktion von" gegenüber "Phantasievorstellung von" als objektivierendem Akt (wohl 1909) . . . . .
209
BEILAGE XXIII. Was macht den Unterschied zwischen originärem und nicht originärem Erlebnis? Möglichkeit einer doppelten Reflexion (1910) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210
Nr. 3.
PHANTASIE
UND VERGEGENWÄRTIGUNG
(ERINNE-
RUNG). FRAGE NACH DEM VERHÄLTNIS VON APPRE-
(Abschrift, wohl 1905/06, mit Ergänzung wohl aus 1909) . . . . . 212
HENSION UND GLAUBENsgUALITÄT
Nr. 4.
GLAUBE ALS IMPRESSION. INTERPRETATION DER GEGENSÄTZE ZWISCHEN WAHRNEHMUNG UND PHANTASIE, DER VERHÄLTNISSE ZWISCHEN ERINNERUNG UND PHANTASIE, DER ILLUSION, BILDVORSTELLUNG, LEERVORSTELLUNG
Nr.5.
(11. Oktober 1908) . . . . . . . . 218
ERINNERUNG UND ITERATIONEN DER ERINNERUNG. MODALE CHARAKTERE UND APPARENZEN
(wohl 1909) 229
BEILAGE XXIV. Die Erscheinung entweder Wahrnehmungs- oder Phantasieerscheinung als Materie der Setzung und der Zeitauffassung (wohl 1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
BEILAGE XXV. In Erinnerung, Erwartung, freier Phantasie ein Identisches als Kern, als Erscheinung sich abhebend; Frage nach einem Terminus dafür (vor 1900, modifizierte Abschrift wohl um 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 BEILAGE XXVI. Noten. Problemata. Der "Überschuss aber die Erscheinung" zur Vnterscheidung bei den nichtperzeptiven Erscheinungen (woh11909) . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
BEILAGE XXVII. Die Möglichkeit der abstraktiven Scheidung von Auffassung (Erscheinung) und qualitativem Modus (wohl ,1909 oder 1910) . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
BEILAGE XXVIII. Bildapparenz. Phantasieapparenz und die Frage der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung" (wohl 1912 oder etwas später) . . . . . . • . . . . . . .
238
XVI
INHALT
Nr.6.
ERINNERUNG UND PHANTASIE. GLAUBENSMODIFIKATION GRUNDVERSCHIEDEN VON MODIFIKATION DER IMPRESSION IN REPRODUKTION. APORIEN: WAS DENN ERINNERUNG FÜR EINE
MODIFIKATION
ERFAHRE
(wohl . . . . . . . . . . . . . . 241
DURCH ÜBERGANG IN DIE "BLOSSE PHANTASIE"
erste Hälfte 1909) Nr.7.
WAHRNEHMUNG, ERINNERUNG, PHANTASIE UND DIE ZUSAMMENHANGSINTENTIONEN (wohl 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
ZEITLICHEN
XXIX. Zur Unterscheidung von Erinnerung und blosser Phantasie: Zusammenhangsintentionen sind nicht wegzuschneiden; der Charakter der Aktualität bzw. Inaktualität als das Unterscheidende (wohl etwa Ende Februar 1910) . . . . . . 262
BEILAGE
Nr. 8.
PHANTASIE ALS "DURCH UND DURCH MODIFIKATION". ZUR REVISION DES INHALTS-AUFFASSUNGS-
(Abschrift und Verbesserung wohl Sommer . . . . 265 oder Anfang Herbst 1909) . . . . .
SCHEMAS
Nr.9.
IMMANENTE UND INNERE PHANTASIE (IN DOPPELTEM SINNE). PHANTASIE UND WAHRNEHMUNG. WAHRNEHMUNG ALS VORSTELLUNG, PHANTASIE ALS MODIFIKATION VON VORSTELLUNG
Nr. 10.
(September 1909)
270
DIE GLAUBENSMODIFIKATIONEN: GLAUBE (GEWISSHEIT), NEIGUNG, ZWEIFEL ETC. IN DER SPHÄRE DER SCHLICHTEN INTUITION. ÜBERTRAGUNG IN DER IMA-
(wohl Herbst 1909). . . . . . . . . . . . . . . . . 276
GINATIVEN MODIFIKATION AUF DIE PHANTASIE
Nr. 11.
ERINNERUNG ALS "WIEDER"BEWUSSTSEIN GEGEN-
(wohl . . . . . . . . . . . . 287
ÜBER WAHRNEHMUNG UND PURER PHANTASIE
1909 oder Anfang 1910) Nr. 12.
"EMPFINDUNG", ERINNERUNG,
ERWARTUNG
UND
PHANTASIE ALS MODI DES ZEITBEWUSSTSEINS. BEWUSSTSEIN ALS ZUSAMMENHANG
Nr. 13.
WAHRNEHMUNGSREIHE,
(wohl Anfang 1910) 289
ERINNERUNGSMODIFIKA-
TION, PHANTASIEMODIFIKATION. GEGENWÄRTIGUNG
INHALT -
XVII
VERGEGENWÄRTIGUNG, AKTUALITÄT UN'D INAK-
TUALITÄT ALS
SICH
KREUZENDE
UNTERSCHIEDE.
ZWEI FUNDAMENTAL VERSCHIEDENE BEGRIFFE VON
1) INAKTUALITÄT 2) VERGEGENWÄRTI1910; teils 15. Februar 1910) . . . . . . . . . . . . . . . . 294 PHANTASIE
GUNG (teils Abschrift, wohl Februar
Nr. 14.
LEBENDIGKEIT UND ANGEMESSENHEIT IN DER VERGEGENWÄRTIGUNG; LEERVERGEGENWÄRTIGUNG. INNERES BEWUSSTSEIN, INNERE REFLEXION.
PRÄG-
1911 1912). . . . . . . . . . . . . . . 301
NANTER BEGRIFF DER REPRODUKTION (wohl oder Anfang
BEILAGE XXX. Erinnerung, Vergegenwärtigung von absoluten sinnlichen Daten und von sinnlichen Gestalten (wohl 1909) . .
263
BEILAGE XXXI. Wahrnehmungserscheinung und quasi-Erscheinung nicht Glied der räumlich-zeitlichen Objektivität. Möglichkeit ontischer und phansischer Interpretation der Erscheinung (wohl 1912) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 BEILAGE XXXII. Lebendigkeit, Unlebendigkeit, Leere bei Vergegenwärtigungen und Retentionen. Auftreten und Abklingen der Vergegenwärtigungen (wohl 1911 oder Anfang 1912) . . . . • 314 BEILAGE XXXIII. Unterscheidungen in der Sphäre des inneren Bewusstseins (des Zeitbewusstseins)(wohI1911/12) . . . . . .
315
BEILAGE XXXIV. Schlichtes und synthetisches Meinen in Beziehung auf Klarheit und Deutlichkeit der Erscheinungen und Frage nach der Erscheinungseinheit. Bestimmtheit und Unbestimmtheit der Erinnerung und Phantasie. Leere Erscheinungen (woh11911 oder Anfang 1912) . . . . • • . . . • . . . . 316 BEILAGE XXXV. Zur Einteilung der Erlebnisse in Impressionen und Reproduktionen (Texte wohl zwischen 1910 und 1912)
Nr. 15.
320·
MODI DER REPRODUKTION UND PHANTASIE. BILDBEWUSSTSEIN (auch in Beziehung auf die Stellungnahmen) (März-April
1912) • • . . • • . . . . . 329
a) Terminologische Vorerwägungen bezüglich der herauszu-
stellenden Unterscheidungen von "ursprünglichen" und "reproduzierenden" Erlebnissen bzw. "ursprünglich" und "reproduktiv" bewussten individuellen Gegenständen (ZI. März I9IZ) • • . . . . . • . • . . . • . • . 329
XVIII INHALT
b)
~rinnerung und Einfühlung als Reproduktion~weier lei Wirklichkeitscharakterisierungen bezuglieh des ."Geffenständlichen" eines reproduzierten Aktes, Möglichkeit 2) Unterscheidungen von Aufmerksamkeit, Gerichtetsein auf, Meinen in einem spezifischen Sinn und Stellungnahmen und die Modifikationen der Stellungnahmen. 3) Der Unterschied zwischen schlicht kontinuierlichem Einheitsbewusstsein und synthetischen Diskretionen, Explikation, Prädikation. 4) Der Unterschied zwischen Stellungnahmen des Gemüts und Stellungnahmen des Verstandes, ferner zwischen Gemütsmomenten überhaupt, auch Gemutssinnlichkeit und Verstandessinnlichkeit, Gemütsauffassung und Verstandesauffassung" (Ms. A VI 8 Ir, S. 112a; das Blatt ist eine Drucksache vom 7. Februar 1912). , Vgl. oben "Textgeschichtliches",S. XXXVIIIff. Zur Sache vgl. auch Nr. 1,§§47ff.,
LXVIII
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
hang, die Möglichkeiten des Hinzutretens und Fortfallens von Stellungnahmen (vgl. Beilage XXXVII, S. 423ff.; S. 33Sff.), die sich auf das Erleben selbst oder auf die intentionalen Gegenstände des Erlebens beziehen können (S. 337 et passim). Ferner erörtert er die Phänomene des Vollziehens von Reproduktionen und des Vollziehens in den Reproduktionen (des Darinlebens, Aufmerksamseins) (S. 339ff. et passim). Damit hängen zusammen die Fragen nach den Verhältnissen zwischen den verschiedenen Modis des Vollziehens (primäres, eigentliches Vollziehen, im Hintergrund auftauchendes Vorstellen etc., Nochvollziehen, Sichenthalten, Nichtvollziehen) . Andererseits sind davon zu unterscheiden, wie Husserl teils selbstkritisch feststellen muss (z.B. S. 363, Anm. 4), die Phänomene der Aktualität und Inaktualität. Er studiert in diesen Texten insbesondere die zur "Eigentümlichkeit des inneren Bewusstseins" gehörende "mehrfache In akt u ali t ä t sm 0 d i fi kat ion" (die Nichtsetzung) im Bereich der Impression1 wie der Reproduktion. Hierbei kreist er um die schwierig zu bestimmenden Verhältnisse zwischen Phantasie- und Neutralitätsmodifikation2 einerseits, Phantasie, Neutralität und Ansatz (Annahme) andererseits. Im § 111 in den Ideen, "Neutralitätsmodifikation und Phantasie", hatte Husserl gewiss seine eigenen Denkerfahrungen, die sich in den Texten vom Frühjahr 1912 niederschlugen, im Auge, als er bezüglich der Möglichkeit der Verwechslung zwischen Neutralität und Phantasie schrieb: "Das Verwirrende und wirklich nicht leicht Auseinanderzuwirrende liegt hier darin, dass die Phantasie selbst in der Tat eine NButralitätsmodifikation ist, dass sie trotz der Besonderheit ihres Types von universeller Bedeutung ist, anwendbar auf all e Erlebnisse, dass sie bei den meisten Gestaltungen des Sich-denkens auch ihre Rolle spielt und dabei doch von der allg-emeinen Neu-
1
2
wo Husserl das Phänomen der Stellungnahmen bei Vergegenwartigungen zur Sprache bringt, noch ohne über die Lehre von der im inneren Bewusstsein begnindeten Reproduktion von Akten zu verfügen. Bemerkenswert ist, dass Husserl in diesen Texten im Fluss der Reflexionen mehrfach die Ansicht äussert, dass es "beim schlichten perzeptiven Glauben" des impressionalen Bewusstseins "kein Ausschalten und kein Sich-denken" gibt (vgl. S. 366, Anm. 1; Nr. 15j), was er nachträglich wieder ubersieht, so dass er, wie in den Ideen deutlich wird, die Neutralitätsmodifikation als "allgemeine Bewusstseinsmodifikation" bezeichnen kann (Ideen I, § 109; § 111). In den Texten vom Frühjahr 1912 gebraucht Husserl ursprünglich meist "Inaxiose", "Anaxiose" oder einfach "Inaktualität" für "Neutralität".
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
LXIX
tralitätsmodifikation mit ihren mannigfaltigen, allen Setzungsarten folgenden Gestaltungen unterschieden werden muss". Was die Neutralität oder Nichtsetzung im Bereich der Impr e s si 0 n des näheren betrifft, erläutert Husserl sie in den Aufzeichnungen vom Frühjahr 1912 wie schon in früheren und auch späteren Texten mit Vorliebe am Beispiel des Bildobjektbew u s s t sei n s, das er als eine "reine setzungslose Perzeption" anzusprechen versucht. 1 Andererseits dringt er in denselben Aufzeichnungen zu einer radikalen Infragestellung dieser Auffassung durch. Bezüglich der Bildobjekte sagt er: "Mein Beispiel der Raffaelschen Theologie ... Sehen wir aber näher zu, so bietet sich folgende Ansicht der Sachlage dar: Die kleinen Figürchen sind schon dargestellte Objekte" (S. 473), und er verändert "dargestellte" in "bloss vorgestellte" und ergänzt: "es sind nicht Sc he i n e, d.h. nicht erscheinende in einer setzenden Perzeption, nur herabgesetzt modal" (S. 473, Anm. 4). Kurz darauf heisst es: "Also zusammengefasst: 1) Wir müssen t ren n e n Bildobjektauffassung und Bewusstsein eines perzeptiven Scheines .... 2) Mit der Bildobjektauffassung haben wir in ein s die Dar s te llu n g" (S. 474). Im Weiteren stellt Husserl heraus, dass "Darstellung als solche Gemeinsamkeiten mit der Re pro du k ti 0 n" hat, "nämlich eben dies, dass wir in jeder Komponente der Darstellung (der eigentlichen Darstellung) eine Beziehung auf ,Entsprechendes' haben" (S. 475). Vor allem in den Texten aus 1912 stellt Husserl auch klar heraus, dass es sich beim Schein- oder Unwirklichkeitsbewusstsein im Falle eines Bildes nicht um ein eigentliches Fiktumbewusstsein im Sinne einer 111 u s ion handeln kann. "Das Bild ist keine Illusion" (S. 486). Das Entscheidende ist dies: Das eigentliche Fiktum einer Illusion erscheint direkt in der Einheit· einer Wirklichkeit, es ist eine Erscheinung mit dem Charakter der Setzung, der nun in Widerstreit gerät mit anderen Set zungen, so dass das Fiktum sich im Widerstreit der Setzungen als Illusion, als blasser Schein 'herausstellt (vgl. Husserls oft gebrauchtes Beispiel von Wachspuppe-Mensch). Demgegenüber ist der Charakter der Unwirklichkeit beim Bilde nicht das Resultat eines 1
Vgl. Nr. 16, S. 467ff.; ferner z.B. Nr. 4, S. 222f.; Beilage LI, S. 482ff., Nr. 18b, S. 514ff., Nr. 20d, S. 581ff.
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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
Streites verschiedener Glaubenstendenzen, sondern beruht darauf, dass in ein perzeptiv Erscheinendes etwas hineinphantasiert wird, das unmittelbar gar nicht gegenwärtig ist: Das Bild "erscheint" eigentlich nicht in der Einheit der Wirkiichkeit, "sondern in einem eigenen Raum, der an sich keine direkte Beziehung hat zum wirklichen". Das Bildfiktum erscheint, "ohne den Charakter der Wirklichkeit zu haben, ohne ,Anspruch' auf Wirklichkeit zu erheben, ein Anspruch, der erst vernichtet werden müsste" (v.a. Beilage L, S. 480; Nr. 17a). • Zum Abschluss seiner Überlegungen über "Modi der Reproduktion, Phantasie, Bildbewusstsein" unter Einbeziehung der Phänomene des Stellungnehmens und Sich-der-StellungnahmenEnthaltens hält Husserl bündig fest: "Wir müssen also den Begriff der Phantasie (sagen wir Vergegenwärtigung) verallgemeinern. Es gibt zwei Grundformen der Vergegen wärtigung: I) die reproduktive, 2) die perzeptive, d.h. die Vergegenwärtigung im Bild, in bildlicher Darstellung. .,. Scheiden muss man diese Modifikationen von denjenigen, die Setzung in Nichtsetzung verwandeln. (Kreuzung der beiderlei Unterschiede.) Ferner muss man nicht verwechseln nichtsetzende Perzeptionen mit bildlich darstellenden Erlebnissen: also mit Vergegenwärtigungen" (S. 47Sf.). Zu diesem Zeitpunkt, kurz vor Erscheinen der Ideen, verfügte Husserldeutlich über die Einsicht in die "eigen t ümliche Mi ttel bar k e i t"1 anschaulicher Vergegenwärtigungen, die weder einfach als "Bildlichkeit" auszulegen ist, noch aber auch als "schlichte, einfältige" intentionale Beziehung begriffen werden 'kann. Er wusste darum, wie er in der oben herangezogenen Aufzeichnung von 1918 prägnant festhalten wird, dass "jede ,Modifi kat ion' dadurch charakterisiert ist, dass in ihr sei b s t die B e z i e h u n gau f ein an der es Be w u s s t sei n, von dem sie Modifikation heisst, beschlossen ist, ein Bewusstsein, das in ihr nicht wirklich enthalten und doch für eine passend gerichtete Reflexion fassbar ist .. ,. Und damit hängen dann noch eigentümliche Reflexionen auf die entsprechenden Aktkorrelate zusammen" .2 1 2
Vgl. Husse,l1ana VIII, S. 116. Ms. L I 19, S. 10a; vgl. oben S. LXIII.
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
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In den bisher beleuchteten Texten aus der Göttinger Zeit stand die eigentlich noetische Akt- oder Erle bnisstrukt ur der ein z eIn e n Art e n anschaulicher Vergegenwärtigung deutlich im Vordergrund. Die Texte aus der Freiburger Zeit (Nr. 18Nr. 20 und Beilagen), deren entstehungsgeschichtliche Zusammenhänge oben angezeigt wurden (So XXXIXff.), bringen darüber hinaus hauptsächlich in zwei Hinsichten neue Gesichtspunkte zur Geltung. Diese lassen sich, in Anlehnung an Husserls Ausdrucksweise in den Ideen, als Untersuchungen nach der "objektiv-orientierten" und nach der "subjektiv-orientierten Seite" im Wesen der Erlebnissphäre kennzeichnen.! Zunächst zur objektiv-orientierten, no e m at i s c h e n Seite der Intentionalanalyse, die in den Ideen explizit eingeführt wurde und die unten auch im Haupttext Nr. 15 vom Frühjahr 1912 vielfach greifbar ist: Husserl behandelt die anschaulichen Bewusstseinsakte jetzt unter ausdrücklicher Einbeziehung von K 0 rrelat-Charakterisierungen als "Anschauungen von Individuen" (So 498), als Individuelles gebendes oder quasi gebendes Bewusstsein (S. 499ft.). Mit dieser objektiv-orientierten Beschreibung hängt die jetzt auftretende Thematisierung der Sinnes-Probleme und des "Wie der Erfüllung" und Bekräftigung als in tu i t i v e r 2 bei den verschiedenen Arten anschaulicher Vergegenwärtigung zusammen. 3 "Das,A n s c hau e n' ist ein allgemeiner Titel für positionale und neutrale Akte, die Individuelles in erfüllter Weise bewusst machen. Sie sind entweder ,wirklich' anschauende oder ,quasi' anschauende, und beiderseits ist Inhalt geformt. Aber einmal ist das Individuelle bewusst als Wirklichkeit, das andere Mal als Fiktum" (S. 504, Anm. 1). In dieser Interessenrichtung kommt Husserl ausdrücklich auf die Problematik der "k 0 n s t it u t i ve n Ver nun ft" (vgl. S. 559) zu sprechen. Er untersucht insbesondere die "konstitutive Leistung der Phantasie", die besondere Weise ihrer "Erfüllung" im Vergleich mit der Erinnerung (vor allem Nr. 19). , ,Bei der Erinnerung erfüllt sich die Intention auf das Selbst in
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A a.O., § 80, S. 1-61 (Ja1l,.buc1l-Paginierung). Vgl. Ideen I, Vlerter Abschrutt, §§ 136ff. VgI. unten Nr. 3, wo das Problem der "Erfullung" vom bloss noetischen Geslchtspunkt angeschnitten wird.
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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
einem ,geglaubten', in einem von sich aus als wirklich sich gebenden Selbst, und soweit es ei.nen Sinn hat, der noch unerfüllt ist, geht die Intention weiter und erfüllt sich in immer neuer Wirklichkeit. Da bin ich in einem Zusammenhang der ,Wirklichkeit', die ich nicht ,erfinde', die ich mir nicht (als Wirklichkeit) einbilde, sondern ,vorfinde' ... , Wir sind also nach Motivanten und Motivaten in einem Glaubenssystem" (S. 559). "Mit der Idee der W irklichkei t stehen wir im System der thetisch unmo difizierten Intentionalität, in der Intentionalität der Doxa, des Glaubens. Der Glaube ist ... das unmodifizierte Bewusstsein selbst. Es steht unter Gesetzen der Vernunft, ... Wesensgesetzen der Setzung von Gegenständen als Identitäten undurchbrechbarer Bewährung, die an sich ,sein' können gegenüber dem wechselnden (unmodifizierten) Bewusstsein. Konstitution von seienden Gegenständen einer seienden Welt ist die Vernunftleistung" (S.557f.). In der reinen Phantasie dagegen gilt:"Soweit Glaube noch da ist, ,entbindet' die Phantasieeinstellung von ihm, sie nimmt den wirklichen Glauben, ,als ob' es Glauben wäre, das Wirklich-sein wird zu einem Sein-als-ob (als ob es Wirklichkeit wäre) ... ' Die Modifikation des Als-ob ist eine eigene Dimension von Modifikationen ... Und diese Modifikation, wie jede andere, ist B ewusstsein-von und hat ihre konsti tu ti ve Vern unft. Ihr Korrelat ist die reine Möglichkeit" (S. 559). Charakteristisch für die Texte aus der Freiburger Zeit gegenüber der früheren Erörterung der intentionalen Wesenseigentümlichkeiten der einzelnen Erlebnistypen sind die Ansätze zur 'phänomenologischen Aufklärung der Konstitution der "W el t der E rf a h run g", der Positionalität, gegenüber den "We I t e n der Phantasie", der Unwirklichkeit, und deren Verhältnis zueinander.1 Von zentraler Bedeutung sind dabei die verschiedenen Weisen der Aufwicklung, Explikation der intentionalen Horizonte in den "erfahrenden" bzw. "bloss vorstellenden" oder "quasi erfahrenden" Akten (S. 510 et passim). Von der Welt der Erfahrung gilt, dass sie "ein festes, sich immerfort von selbst, aber in gebundener Weise erweiterndes 1
VgI. vor allem Nr. 18 und Beilagen, Nr. 19. bes. §§ 38-41 aus der Zeit von 1917fl8.
Siehe auch Erfahrung und Urteil,
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
LXXIII
System" mit einer nur "kleinen und in eigener Art umgrenzten Sphäre der Freiheit und damit der willkürlichen Veränderlichkeit" (S. 535) ist. Diese Welt der Erfahrung ist "eine Welt, und sie ist die eine und selbe Welt für jeden Erfahrenden" (S. 522). Demgegenüber "sind der Phan tasiewel ten unendlich viele" (S. 523), sie sind "durchaus freie Welten". Ihr "Unbestimmtheitshorizont ist kein durch bestimmte Erfahrungsanalyse explikabler.... Das Eigene der Phantasie ist ihre B eli e b i g k e i t. Und daher ideal gesprochen ihre unbedingte W i llkürlichkeit" (S. 535; S. 551f.). Husserl weist auf die Möglichkeit hin, eine Welt zu "schaffen", d.h. "sich in der Phantasie auf den Boden einer quasi.Wirklichkeit" zu stellen, diese hinzunehmen und festzuhalten und "die Beliebigkeit des weiteren Phantasierens durch die ständige Intention auf Einstimmigk e i t < zu > beschränken" (S. 535). "Die quasi-Welt ... ist auch unendlich vielfältig unbestimmt, insofern genauso wie die wirkliche Welt aussethalb meiner aktuellen Erfahrung. Aber was sie allein näher bestimmen kann, die ... Phantasie ist ungebunden, sie ist frei und nUr soweit gebunden, als sie dem Wesensstil eines Welthorizontes entsprechen muss .... Das ist auf unendlich vielfältige Weise und be li e b i g möglich: Jeder neue Schritt beschränkt und eröffnet wieder im selben Stil unbeschränkte Möglichkeiten" (S. 535f.)'. Husserl diskutiert diese Möglichkeiten des eine quasi-Welt schaffenden Phantasierens vor allem mit dem Blick auf die künstlerische Phantasie (s.u. S. LXXVIIff.). Das allgemeine Problem der Konstitution von Gegenständlichkeiten in der phantasierenden quasi-Erfahrung führt Husserl auch zu Überlegungen bezüglich des Ver h ä I t n iss e s zwischen Wirklichkeit und Phantasie bzw. reiner Möglichkeit. Er erörtert Fragen zur I den t i t ä t der Gegenstände in Wirklichkeit (Erfahrung) und Phantasie und kommt zum Ergebnis, dass bei einer Synthese von Erfahrung und Phantasie die "Möglichkeit der vollen Identifikation" der beiderseitigen Individuen, "dem Individuum schlechthin im ,wirklichen' Sinn" und dem "Individuum in der Fiktion, im Fiktionssinn" (S. 528), aus g e s chI 0 ssen ist. "Im strengen Sinn darf keine Rede davon sein, dass ein Phantasiegegenstand identisch sei mit einem Erfahrungsgegenstand - wie wir andererseits sehr wohl strenge Identität zwischen einem Wahrnehmungsgegenstand und einem Erinnerungsgegen-
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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
stand haben können" (S. 528). In weiterer Vertiefung in die Fragen nach der Konstitution in den quasi erfahrenden Anschauungen kommt Husserl zu dem "eigentlich merkwürdigen" Ergebnis, dass "ein Individuum sich eigentlich nicht voll und ganz fingieren lässt" (vgl. S. 552). "Jede individuelle Möglichkeit ist radikal unbestimmt, wesensmässig, und die Unbestimmtheit ist keine vollkommene, und sei es auch phantasiemässige quasi-Bestimmbarkeit" (S. 552). Der "Charakter des lebendig Daseins, das, was allererst konkret-individuell macht, lässt sich nicht erfinden, und wenn eine Phantasie dergleichen wie ein gegenwärtiges Leben vergegenwärtigt, so schafft sie quasiAnschauungen, aber in einer Weise der Umgebung mit unbestimmtem Horizont, dass dieser dabei nur fungiert als Index für beliebige Möglichkeiten der Erfüllung der Form der Zeitkonstitution" (S. 552). Des weiteren stösst Husserl in diesen Texten auf die schwierigen Fragen nach den Verhältnissen von Fiktum und Möglichkei P, "reiner Möglichkeit und Phantasie" (Nr. 19) und die Rolle des freien Ans atz e s für die Konstitution einer Gegenstandsmöglichkeit. Die Aufzeichnungen kreisen um die Probleme, ob Phantasiegegenständlichkeiten erfahrbares Sein seien, ob Fikta als Gegenstände reine Möglichkeiten seien bzw. ob Phantasiegegenstände mögliche Gegenstände seien; ferner um die Fragen der Rückbeziehung der phantasierten bzw. möglichen Gegenständlichkeiten auf die quasi konstituierende Subjektivität und Intersubjektivität. 2 Husserl scheint anfänglich die Tendenz zu haben, Möglichkeit und Phantasie zu identifizieren. 3 In einer Randbemerkung zu einem Text wohl von 1920/21 notiert er aber: "Im voraus gesagt, man gerät in Unklarheiten, wenn man Phantasien ohne weiteres für Möglichkeiten nimmt" (S. 567, Anm. 2). Und in einer kurzen Aufzeichnung wohl von 1922/23 fragt er mit Bezug auf die in Nr. 18 und Nr. 19 abgedruckten Texte: "Habe ich in diesen Manuskripten schon festgestellt, dass Einstellung des Als-ob in Phantasieverlorenheit, dass Einstellung auf reine Möglichkeiten, und endlich Einstellung auf Fikta zu Vgl. S. 506ft., S. 529ff.; Nr. 19 und Beilagen. a Bezuglich der Intersubjektivitat vgl. vor allem Beilage LXIII und Nr. 19b, S.564. 3 Vgl. Nr. 18a, bes. S. 506f.
1
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
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unterscheiden sind?" (S. 565). In den letzten unten abgedruckten Textstücken, wohl aus 1924, scheint Husserl dann die verschiedenen Erlebnisvollzüge zu trennen: "Vollzug eines Möglichkeitsbewusstseins nicht ein Phantasieren oder gar Annehmen".1 In den schliesslich im Haupttext Nr. 20 wiedergegebenen Textstücken aus der ersten Hälfte der zwanziger Jahre kommt als wohl wichtigste Neuheit die oben angezeigte "s u b j e k ti vo r i e n t i e r t e" Überschreitung der bIossen Er leb n i ssphäre zum Zuge. 2 Es finden sich hier nämlich Ansätze einer im Husserlschen Sinne genetischen Betrachtungsweise der anschaulichen Vergegenwärtigungsmodifikationen. 3 Charakteristisch dafür ist, dass es Husserl dabei nicht mehr bloss um die "statische" Analyse einzelner Erlebnistypen nach noetischnoematischen Mannigfaltigkeiten geht, sondern dass er die Weisen der "A p per z e p ti 0 n" studiert. Apperzeptionen haben ihre W esensg e s chi eh te im transzendentalen Leben des pe rso n ale n Ich. Unter diesem Gesichtspunkt kann Husserl z.B. sagen, "Wahrnehmung als Apperzeption ist selbst eine Sonderart von ,Erinnerung'" (S. 582).4 Die Apperzeptionen entstammen Urstiftungen des vollziehenden Subjekts. Es sind hier zu untersuchen die "Phänomene der Fortgeltung aus ursprünglicher Stiftung", "wo keine Hemmung eingetreten ist", unter Beteiligung des "alten Ich" (S. 582), bzw. die Phänomene des Auftretens von "Unstimmigkeiten zu diesen Fortgeltungen", der vielfältigen Mo d alisie rungen de r Posi t i on ali t ä t (in Anmutlichkeiten, Möglichkeiten, Zumutungen, Fraglichkeiten, 1 2
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Vgl. S. 583; S. 579. Von Interesse ist auch, dass Husserl sich in diesen Textstücken rückblickend, obzwar nur in knappen Hinweisen, auf Aristoteles, Hume, Brentano sowie 1}uf seine Logischen Untersuchungen und Ideen I bezieht. In Manuskrtpten der zwanziger und dreissiger Jahre nimmt Husserl insbesondere im Zusammenhang der Analysen zur Horizon tstrukt ur und zur ursprünglIchen Zeitigung (der lebendigen Gegenwart nach impressionalen, reprOduktiven Feldern) Bezug auf die anschaulichen Vergegenwärtigungen. Vgl. etwa die folgenden Manuskripte: B III 9, D 2, D 3 (wo Husserl im Verband mit Problemen der Dingkonstitution die "mö,gliche Wahrnehmung" als "einen eigenen Typus von Vergegenwartigung", "die nicht Erinnerung ist", anzusetzen versucht), C 3, C 4, eil, C 13 und C 16. Vgl. z.B. Ms. A VII 12, "Der Titel Apperzeption bezeichnet das Gesetz der Erf ahrungs bild ung überha upt und damit das allgemeine Gesetz der KonstitutIOn von Seienden aller Arten und Stufen. Apperzeption ... zunächst die Weise, wie eine Erfahrung hinsichtlich ihres Erfahrenen Mit-Erfahrungen ImpliZIert ... " (S. 34a, 12. Februar 1932).
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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
Nichtigkeiten).1 Husserl erörtert insbesondere auch das Verhältnis von Erinnerung und blosser Phantasie (Nr. 20d), ferner die "Modifikation der Enthaltung (der Willkür oder Unwi1lkür)" (vgl. S. 585, S. 717), d.h. "Allgemeinstes über ,Epoche' als Aktenthaltung in Beziehung auf die Idee der Neutralität".2 Damit zusammenhängend kommt mehrfach das Verhältnis von "Phantasie - Neutralität" zur Sprache. Husserl unterscheidet die "Enthaltungen" von der "reproduktiven Phantasiemodifikation", erachtet sie aber doch als "wesensverwandt".3 Er bezeichnet die Ph an t asie als "re pro d uk t i ve Neu t r ali t ä t" in Abhebung von der "Neutralität überhaupt" (vgl. S. 717). Er stellt hier, was wiederum mit seiner genetischen, das Leben des personalen Ich thematisierenden Betrachtungsweise zusammenhängt, auch heraus, dass "Neutralität in verschiedener Weise motiviert sein kann" (5. 577), dass sie von der "psychischen Gesamtsituation" hervorgetrieben wird (5. 578). Als Beispiele führt er an:"Sie kann als ,Einfall' auftreten, als ,Bildobjektbewusstsein' in einer Abbildung, als freies Spiel sich durchsetzender und dabei positional entwertender Reproduktionen, aber auch als willkürliche Enthaltung von aller Position. Die Rede von Phantasie wird nur auf die letzteren Fälle angewandt, und zwar darum, weil das Wort in der üblichen Rede ein geistiges Tun bezeichnet, das nicht dem Zweck dient, für die bewusste Welt irgendwelche Entscheidungen zu treffen. .. Die Phantasie ist das Reich der Zwecklosigkeit, des Spieles. .., Das Spiel .,. kann sich Regeln unterwerfen, z.B. ästhetischen. Dann ist die Bildgestaltung Phantasie, die ästhetische Thematik aber nicht Phantasie" (5.577).
* Zum Schluss dieser Skizze der Problementwicklung der Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen seien noch ein
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2 3
Vgl. vor allem Nr. 20d und Nr. 20c. S. 571, Anm. I; vgl. auch Husserliana VIII, Erste Philosophie (I9Z3/Z4)1I, bes. ab 41. Vorlesung. Vgl. S. 590; S. 58lff.; S. 578. Im Text der Beilage LXIV äussert Husserl Beden· ken ilber den Ausdruck "Neutralitatsmodifikation" mit Beziehung auf die Phantasie (S. 591).
EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
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paar Hinweise auf die Texte gegeben, die in einem engeren Sinn zu ästhetisch-künstlerischen Aspekten des Bildbewusstseins bzw. der Phantasie Stellung nehmen. l Vornehmlich drei Problembereiche kommen in diesen Texten zur Sprache: I) die ästhetische Einstellung, 2) die Frage der Abbildlichkeit beim künstlerischen Bild, 3) die Tätigkeit des schöpferischen Künstlers und die Werke der Kunst als Erzeugnis der objektivierenden Fiktion. Die ästhetische Einstellung bestimmt Husserl, sich Kants Lehre nahe wissend, ganz allgemein als "Interesse an der Er s c h ein 11> n g" in Abhebung vom "Interesse an der Sache" (S. 145). Das ästhetische Interesse oder Gefallen an der Erscheinung ist aber, bei aller Verwandtschaft als '&ewp(oc,2 zu unterscheiden vom theoretischen (z.B. psychologischen, erkenntnistheoretischen; S. 114, S. 117) Interesse an der Erscheinung (S. 145). Des näheren erörtert er vor allem die refl e x i v e Struktur des ästhetischen Bewusstseins, in welchem "der Gegenstand ... , wie immer er in sich selbst missfällig sein mag, wie immer ich ihn negativ bewerten mag, eine ästhetische Färbung um der Erscheinungsweise willen" erhält;3 ferner die eventuelle ästhetische Bedeutung des Gegenstandes (S. 390), die Frage der "Unempfindlichkeit gegen Sein und Nichtsein" (S. 390ff; S. 586), auch im Falle der ästhetischen Betrachtung der Na t ur, der Wirklichkeit. 4 In einem späten Text spricht Husserl in Abhebung vom normalen doxischen Glauben vom "ästhetischen Glauben" der ästhetischen Einstellung. Er führt aus, dass' "zwar meine Apperzeption des ästhetischen Gegenstandes auch ihren antizipierenden Glauben hat und eme 1
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Es kommen diesbezüglich vor allem folgende Texte in Betracht: Beilage VI, Beilage IX, Nr. 15h, Nr. 17, Nr. 18b, Beilagen LVII-LX, Nr. 20d. Ferner: Beilage I, § 6 ein Hinweis auf "Hildebrand", wohl der Kunsthistoriker Adolf von Hlldebrand gemeint, dessen Hauptwerk Das Problem der Form in der bildenden Kunst 1893 erstmals erschien; Nr. 1, §§ 1 und 16f., Beilagen XVIII und XIX, Nr. 15g, Beilage XL, bes. S. 441ft., Beilage XLIII, Nr. 16, Beilage LV, Nr. 20b, Beilage LXIV. Vgl. S. 541; S. 392, S. sn, S. 591. - Vgl. auch Husserls Brief an Hugo von Hofmannsthai über phänomenologisches und ästhetisches Schauen vom 12. Januar 1907 in R. Hirsch, "Edmund Husserl und Hugo von Hofmannsthal", veröffentlicht in Sprache und Politik. Festgabe für Doll Sternberger zum sechzigsten Geburtstag, Heidelberg 1968, S. 111-114. V gl. S. 389; S. 585ff., S. 36ft., S. 154ft. Vgl. S. 39lf., S. 587f., S. 591; S. 144.
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EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS
Glaubenseinheit ist; aber der Horizont, die Mannigfaltigkeit ist eine andere als für das Ding schlechthin. . .. Mein ästhetischer Glaube ... beschränkt mich auf die optische Erscheinungsreihe, die ich von hier ., . aus gewinne und die darin optisch konstituierte Einheit, als etwas für sich Identifizierbares und Erkennbares. Der unendliche Horizont darüber hinaus ... ist abgeschnitten, insofern er nicht Horizont der thematischen Geltung ist, die ich jetzt vollziehe. Diese beschränkte synthetische Einheit, und so wie sie da anschaulich ist, ist mein ästhetisches Objekt . . .. Ebenso in einer Erzählung, einer Novelle und dergleichen" (S. 587f.). In einer kurzen Aufzeichnung aus den zwanziger Jahren hält Husserl fest:"Das Wesentliche ist für die ästhetische Einstellung ... nicht die Phantasie, sondern die Einstellung auf das, was ästhetisch interessiert, Gegenständlichkeit im Wie" (S. 591). Was die Frage der Ab bildlichkei t beimkünstlerischen Bild betrifft, hat Husserl bereits in einem frühen Text ein deutliches Bewusstsein von der Besonderheit dieser bildlichen "Darstellung", die er sonst lange Zeit nicht eigens hervorhebt. Bei den Darstellungen der gewöhnlichen Bilder spricht er von einer uneigentliehen Vorstellung des Bildsujets "durch mehr oder minder unvollkommene Abbilder", wobei "eine andere, direktere, eigentlichere Vorstellung" vom Sujet möglich wäre. Dagegen fragt er: "Ist Ti z i ans Wer kein Ab bild-Sein, und durch Abbildung Vorstelligmachen ? ... ist das ,Sujet' ein Gegenstand, der durch das Bild als Ab b i I d repräsentiert ist und das als Fundament für eine auf ihn bezügliche uneigentliehe Vorstellung dienen soll? Gibt eine andere Anschauung eine eigentlichere Vorstellung des im ästhetischen Bildbewusstsein Gemeinten? Hätte ich eine eigentlichere Vorstellung, wenn ich mir das Objekt als Gegenstand allseitig und selbst vorstellte ... ? Von dem Objekt ja, aber eine Erfüllung der Bildintention wäre das nicht. Das Interesse geht hier ... auf das im Bildobjekt Sich-darstellen des Objekts.... Tizians Bild stellt mir die himmlische und irdische Liebe vor. Von einem bestimmten Standpunkt aus. Für diesen Standpunkt gibt es eine solche Vorstellung, dass ein Gefühl der Uneigentlichkeit hinsichtlich des Dargestellten gar nicht aufkommt. Was mich dabei interessiert, das ist da, das ist nicht
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indirekt vorgestellt" (S. 154f.).1 Husserl diskutiert in diesem Zusammenhang auch die Phänomene ."mehrfältiger Bildli c h k e i t" in der bildenden Kunst und Musik. Er überlegt die Verhältnisse von Original und Reproduktion eines Bildes ("Das Original ist die Madonna in Dresden"; S. 158) bzw. "die Reproduktion einer Sonate -von seiten des Klavierspielers und die Sonate selbst. Das Original die Sonate, so wie sie Beethoven meinte. Oder vielmehr so, wie derjenige sie als die von Beethoven gemeinte apperzipiert, der dieses Bildbewusstsein vollzieht" (S. 158). Dies führt zur Frage des "adäquaten Bildes" und dem damit zusammenhängenden "Vergleich der Darstellung mit dem Ideal (,wie Beethoven sich die Sonate gedacht hat', oder wie sie gespielt werden ,soll')" (S. 158f.). Aus diesen überlegungen schliesst Husserl: ,,1 n si c h ist jede ästhetische Apperzeption eine vieldeutige" (S. 159). Mehr als ein Jahrzehnt später stellt Husserl seine früher, mit Ausnahme des eben besprochenen Textes, allgemein gefasste Lehre vom Bildbewusstsein als Ab bild li c h k e i t im Falle der Kunst in Frage (Nr. 18b). Es ist "eine zu erwägende Frage, inwiefern diese Abbildlichkeit seIbst ästhetische Funktion hat" (S. 515). "Es kann nicht'gesagt werden, dass die Kunst sich notwendig in der Sphäre der Anschaulichkeit bewegen muss. Ich habe früher gemeint, dass es zum Wesen der bildenden Kunst gehöre, im Bild darzustellen, und habe dieses Darstellen als Abbilden verstanden. Aber näher besehen ist das 'nicht richtig" (S. 514). Am Beispiel des Scha uspiels, der "schauspielerischen Darstellung"2 versucht Husserl zu zeigen, dass "in er s t e r Linie . " sicher nicht die Abbildlichkeit, sondern die Bildlichkeit im Sinn der perzeptiven Phantasie als unmi t tel bare 1 m agina-. ti 0 n" ästhetische Funktion hat, und das meint vor allem in einer "von Anfang an" vollzogenen Einstellung der Neu t r a lit ä t (S. 515ff.). Verallgemeinernd folgert Husserl aus seinen Betrachtungen: "So bietet uns also in der Tat die Kunst eine unendliche Fülle von perzepti ven Fiktionen, und zwar auch von rein perzeptiven Fiktionen dar, ebenso wie von rein reproduktiven" (S. 519). In einem anderen Text jener Zeit spricht er von den 1 2
Vgl. auch Nr. 17b über "Orientierung des Bildobjekts". Vgl.auchNr.17a,S.490f.
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"heiden Extremen", zwischen denen sich alle Kunst bewegt: der so voll bestimmten Welt, wie es unsere Umwelt ist, und dem "es war einmal, irgendwo ... in irgendeiner Welt" (S. 540). Er unterscheidet dort "A) Bildkunst : im Bilde darstellend, abbildend, durch Bildbewusstsein vennittelnd. B) Rein phantastische Kunst, Phantasiegestaltungen in blosser Neutralitätsmodifikation erzeugend. Mindestens keine konkrete Bildlichkeit erzeugend" (S. 540). Ferner kennzeichnet er "realistische Kunst" gegenüber "idealistischer" (S. 540ft). Schliesslich sind in den Texten aus der Freiburger Zeit die Gedanken über die schöpferische Tätigkeit des Künstlers und die Objektivierung der künstlerischen Fikta als Ku n s t wer k e hervorzuheben.! Hierhin gehören Erörterungen einerseits über die "freie künstlerische Fiktion" und deren Bindung an "ästhetische Ideale"2, andererseits über den Sachverhalt, dass die Phantasien beim Betrachter oder Kunstgeniessenden "nicht frei vollzogen" sind, sondern "uns vorgeschrieben, uns aufgenötigt ... sind, als etwas, das wir hinnehmen müssen", und wo ich auch in der phantasierenden "Fortbildung (selbstverständlich im Stil der Einstimmigkeit mit der Vorzeichnung) ... gebunden" bin, "sonst dichte ich weiter und bin nicht in der Dichtung des Künstlers" (S. 588; vgl. S. 543, Anm. 1; S. 519). An anderer Stelle heisst es: "Nicht der Dichter, sondern die Dichtung wird nachverstanden. Das sind eigentümliche Verhältnisse, die wissenschaftlich gefasst werden müssen" (S. 540f.). Husserl stellt diesbezüglich insbesondere die 0 b j e k t i v i t ä t und dann auch die "intersubjektive ,Existenz'" der Phantasien im Reich der Kunst bzw. der Fikta selbst, kurz, den Werk charakter heraus (S. 519; S. 542ft). "Dasselbe schöne Gebilde ist nicht das Phantasierte als solches, verstanden als Korrelat des momentanen Phantasierens. Auch nicht ein abstrahiertes allgemeines Wesen ... Es ist eine i n d iv i d u e lI e ,objektive' Idee. Sie hat ihre Z e i t li c h k e i t, nämlich die ihrer Ursprungsstiftung durch den Künstler, und zwar im sprachlichen Ausdruck, der ein Ideales allein intersubjektiv zugänglich und identifizierbar macht. Somit ist jede solche objektive Idee und speziell jede, die in eins mit einem Ausdruck ein an sich Schönes, 1 I
Vgl. vor allem Nr. 18b, bes. S. 519ff.; Be1lagen LVII, LVIII und LX. Vgl. S. 524, S. 519; S. 535f., S. 540ff.,; vgl. S. 577.
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ein objektives Wertvolles sein soll, objektiv ein Werk" (S. 543f.). Husserl spricht von der "Schöpfung einer Verkörperung der Fikta, die eine Zumutung für jedermann (der nachverstehen kann) schafft, das Nachphantasierte als ,dasselbe' Fiktum zu übernehmen, das der Künstler erzeugt hat in der Absicht auf solche Übernahme" (S. 543, Anm. 1). Es gilt dann auch, dass unsere "beschreibenden Aussagen, die Urteile über die Charaktere, über die zu erwartende Entwicklung usw." bei einem Roman, Schauspiel etc. ,,eine Art 0 b j e k t i ver Wahrhei t , obschon sie sich auf Fikta beziehen" und daher einen "Als-ob-Charakter" haben (S. 520). AlsTa tsachenurteile, die Beziehung auf den in den quasi-Erfahrungen zur Gegebenheit gebrachten Ausschnitt der phantasierten quasiWelt haben, sind sie, sofern sie "in diesem Ausschnitt ausreichende Anhaltspunkte der Verifikation finden, .. , als Wahrheiten und Falschheiten auswertbar" . Anders ist es bei den "Wesensurteilen, die des quasi-Faktums dieser Welt nicht bedürfen und ihre verifizierbare Wahrheit und Falschheit haben von ihr abgesehen - eben auf Grund von Fiktionen, wenn auch nicht denen dieser Welt" (S. 521). Die Verifikation der Tatsachenurteile geschieht dadurch, dass "das Ku n s t wer k sei b s t herangezogen und als wie ein Rückgang auf wiederholte Erfahrung desselben Dinges als Mass der Objektivität benützt wird" (S.521).
*** Es ist mir eine Freude, bei Fertigstellung des vorliegenden Bandes in Dankbarkeit an die vielfältige Förderung und Unterstü.tzung zurückzudenken, die ich während der Jahre meiner Tätigkeit am Husserl-Archiv in Leuven von den Leitern dieser Ausgabe, dem vorzeitig verstorbenen Professor Dr. Pater H. L. Van Breda, Professor Dr. S. IJsseling und Professor Dr. R. Boehm, sowie von meinen Kollegen erfahren durfte. Insbesondere gebührt mein Dank Dr. Iso Kern, der mir die Anregung zur editorischen Bearbeitung von Husserls Thematik der "Phantasie" gab und mir dann bis zum Abschluss der Arbeiten sein fachmännisches Wissen aufs grosszügigste zur Verfügung stellte. Ich danke auch Dr. Rudolf Bernet und Herrn Reto Parpan für die ausführlichen
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Gespräche über die in den hier veröffentlichten Texten sich' stellenden Probleme. Schliesslich danke ich aufs herzlichste Frau Marianne Ryckeboer-Gieffers für ihre stets sorgfältige und aufmerksame Mithilfe beim Kollationieren aller Texte, bei der Herstellung des Druckermanuskriptes und bei der Korrektur sämtlicher Druckproben. Eduard Marbach
Nr. 1 PHANTASIE UND BILDBEWUSSTSEIN (Drittes Hauptstück der Vorlesungen aus dem Wintersemester 1904/05über "Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis")
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d. KAPITEL
Frage nach der Pllantasiev.orstellung gegenüber der Wahrnehmungsvorstellung> Wir haben uns bisher mit der Phänomenologie der Wahrnehmungen beschäftigt.1 In völlig zureichender Weise kann eine solche Phänomenologie nicht versucht und für sich abgeschlossen werden ohne Rücksichtnahme auf die ihnen nah verwandten Phänomene, und so wird denn, was wir bisher gelernt haben, 15 noch manche neue Beleuchtung, manche Ergänzung und Bereicherung erfahren durch die Analysen, zu denen wir jetzt übergehen. Unser nächstes Ziel ist die Phänomenologie der Phan t asien. 10
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Einen gewissen Begriff von Phantasie, Phantasieerscheinung, Phantasievorstellung bringen wir alle aus dem gewöhnlichen Leben mit, und es ist, wie fast alle aus dem gemeinen Leben 25 stammenden Klassenbegriffe von psychischen Phänomenen, ein vager und vieldeutiger. So ist es offenbar, dass man unter dem 1
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Titel Phantasie bald eine gewisse Geistesanlage oder Begabung versteht und bald wieder gewisse aktuelle Erlebnisse, Tätigkeiten oder Tätigkeitsergebnisse, welche aus der Anlage hervorgehen oder die Begabung dokumentieren. Manchmal stellt man ja auch 5 in differenzierter Bedeutung ausdrücklich gegenüber Phantasie, Betätigung der Phantasie, Werk der Phantasie. So wie man Verstand, Verstandestätigkeiten und Werke des Verstandes sondert. Phantasie meint dann also eine gewisse Geistesanlage, ein Vermögen, wie wenn wir sagen, ein Mann von starker oder schwa10 cher Phantasie, oder übertreibend, ein phantasieloser Mensch. Andererseits sprechen wir aber auch von den Phantasien eines Künstlers und haben hierbei gewisse psychische Erlebnisse im Auge, die er in sich vollzieht oder die er durch seine Werke in uns erweckt. Diese Werke, ich meine: die äusserlich sichtlichen WertS ke, werden wir im allgemeinen nicht Phantasien nennen, wohl aber die Gestalten, die mittels ihrer zur Erscheinung gebracht werden: die Menschen oder Fabelwesen, die Handlungen, Leidenschaften, Situationen usw., die der Dichter uns fingiert. Auch diese Gestaltungen werden als Werke der Phantasie (der Phan20 tasie im ersten Sinn) bezeichnet, und Werke in diesem Sinn nennt man auch mit Vorlieben selbst Phantasien. Die Phantasie als Vermögen liegt ausserhalb des Rahmens unserer Interessen, desgleichen auch die Phantasietätigkeit, sofern wir sie als einen in der seelischen Objektivität vonstatten 25 gehenden! kausalen Vorgang betrachten, als eine Tätigkeit im echten Sinn, als eine seelische Handlung; und natürlich gilt dasselbe vom Handlungsergebnis, vom Werke der Phantasie als solchem. Was uns interessiert sind phänomenologische Daten, als Fundamente einer vorzunehmenden Wesensanalyse, hier 30 speziell also gewisse intentionale oder besser objektivierende Erlebnisse, die unter dem zweideutigen Titel Phantasietätigkeit ebenfalls befasst zu werden pflegen, sogenannte Phantasievorstellungen, oft auch kurzweg Vorstellungen genannt; z.B. die Erlebnisse, in denen der Künstler seine Phantasiegestalten 35 schaut, und zwar jenes eigentümliche innere Schauen selbst oder sich zur Anschauung Bringen von Zentauren, von heroischen Heldengestalten, von Landschaften usw., die wir dem äusseren 1
Später eingefugt: "realen und". -
Anm. d. Hrsg.
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Schauen, dem der Wahrnehmung, entgegensetzen. Dem äusseren als gegenwärtig Erscheinen steht da gegenüber das sich innerlich Vergegenwärtigen, das "Vorschweben in der Phantasie". Die Anlage, das Vermögen, dieser Komplex, sei es ursprünglicher, 5 sei es erworbener Dispositionen, ist ja nichts Phänomenologisches. Die phänomenologische Sphäre ist die des wahrhaft Gegebenen, des adäquat Vorfindlichen, und die seiner reellen Bestandstücke. Disposition ist aber ein Begriff, der objektivierend über die echte immanente Sphäre hinausgeht. Es ist ein wichtiger Metho10 denbegriff der Psychologie, geht uns aber nichts an. Dagegen ist das Phantasieerlebnis, die sogenannte Phantasievorstellung, ein phänomenologisches Datum. Offenbar gehört es in die Sphäre der objektivierenden, Erlebnisse; Objektivitäten werden im Phantasieren zur Erscheinung gebracht und werden evtl. gelS meint und geglaubt. Diese Objektivitäten selbst, z.B. die erscheinenden Zentauren, sind nichts Phänomenologisches, genauso wie die erscheinenden' Gegenstände der Dingwahrnehmung es nicht sind, I gleichwohl kommen sie für uns in gewisser Weise sehr in Betracht, sofern das objektivierende Erlebnis, hier das Phanta20 sieerlebnis, die immanente Eigenheit zeigt, gerade dieses so und so erscheinende Objekt eben zur Erscheinung zu bringen und als dieses da . Es ist eine immanente Bestimmtheit der Phantasievorstellung, eine Wesenseigentümlichkeit, die durch evidente Analyse als rein inneres Moment 25 solcher Erlebnisse zu finden ist, und so gehört mit dem Erlebnis selbst auch der Umstand, dass es sich auf Gegenständliches bezieht, dass es sich darauf in dieser'Art und Form bezieht, und als was sich darin das Gegenständliche darstellt, zur phänomenologischen Analyse des Erlebnisses. 30 Der populäre Begriff der Phantasie bezieht sich aber nicht blass auf die Sphäre der künstlerischen Phantasie, aus welcher unsere Beispiele entnommen waren. Mindestens in naher Beziehung zu dieser Sphäre steht, allerdings ~in sehr gewöhnlicher, engerer Begriff von Phantasie, den die Psychologie unter dem Titel 35 produktive Phantasie, aufgenommen hat. Die produktive Phantasie ist willkürlich gestaltende Phantasie; wie -sie eben vorzüglich der Künstler zu üben hat. Doch müssen hier zwei Begriffe, ein weiterer und ein engerer Begriff, noch unterschieden werden, je nachdem man die Willkürlichkeit des Gestaltens zu-
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gleich im Sinn des freien Erd ich t e n s (Fingierens) versteht oder nicht. Produktive Phantasie, willkürlich gestaltende, übt ja auch der Historiker. Aber er fingiert nicht. Er sucht mittels der gestaltenden Phantasie auf Grund gesicherter Daten zusam5 menhängende Anschauung von Persönlichkeiten, Schicksalen, Zeitaltern zu entwerfen, Anschauung von Wirklichkeiten, nicht von Einbildungen. Die gewöhnliche Rede gebraucht den Begriff der Phantasie auch über die Sphäre der produktiven Phantasie hinaus. So wer10 den oft Halluzinationen, Illusionen, Traumerscheinungen als Phantasien bezeichnet. Dagegen nicht Erinnerungs- und Erwartungsvorstellungen, in denen nichtgegenwärtige Gegenstände in der Weise von Wirklichkeiten, als früher gewesene oder sicher zu erwartende bewertet werden. Von der Hoffnung heisst es, dass 15 sie Phantasie beschwingt, aber was hier als Phantasie gilt, das sind nicht bestimmte Erwartungen, sondern bloss Einbildungen. Sicherlich spielt im gewöhnlichen Wortsinn der Phantasie ein Moment seine Hauptrolle: Das Phantasieren ist gegenübergesetzt dem Wahrnehmen und dem anschaulich Für-wahr-Ansetzen des 20 Vergangenen und Künftigen, kurz, allen Akten, die individuell Konkretes als seiend ansetzen. Die Wahrnehmung lässt uns eine gegenwärtige Wirklichkeit als gegenwärtig und als Wirklichkeit erscheinen, die Erinnerung stellt uns eine abwesende Wirklichkeit vor Augen, nicht zwar als selbst gegenwärtig, aber doch als 25 Wirklichkeit. Der P ha n ta sie hingegen fehlt das auf das Phantasierte bezogene Wirklichkeitsbewusstsein. Ja noch mehr. Gemeiniglich drückt das Wort, zumal das parallele Wort "Einbildung", die U n-Wir k li c h k e i t, die Vorspiegelung aus, das Phantasierte ist bloss Einbildung, d.h. bloss Schein. Freilich 30 merken wir auch, dass nicht jeder Schein, auch nicht jeder sinnlich-anschauliche Schein als Einbildung, als Phantasieschein gilt. Die Quelle des Scheins muss im Subjekt liegen, der Schein muss dem Subjekt, seinen Tätigkeiten, seinen Funktionen, seinen Dispositionen zugerechnet werden. Wird er physikalischen Grün35 den zugerechnet, gründet er in der äusseren Natur, wie der gebrochene Stab im Wasser, der wundermächtig aufgehende Mond u.dgl., dann spricht man nicht von einer Phantasieerscheinung. Das sind nun Wendungen des Begriffes, die manches Interesse bieten mögen, aber phänomenologisch nicht eben bedeutsam
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sind. Phänomenologisch kommt es ja nur auf das Immanente an, auf innere Charaktere der in reiner Adäquation erschauten Erlebnisse, auf ihr Wesentliches, d.h. auf das, was zu Wesensverallgemeinerungen Anlass gibt, somit zu Begriffsbildungen Anlass 5 gibt, die adäquate Realisation gestatten, indem wir das begriffliche Wesen in evidenter Generalisation direkt zu erschauen vermögen.
Ob ein Vorstellen der Phantasie ein künstlerisches oder unkünstlerisches, ein willentliches oder unwillentliches, ein fingierendes oder nichtfingierendes ist, immer finden wir, neben den 15 wechselnden empirischen und psychologischen Zusammenhängen, die uns nichts angehen, und auch neben wechselnden Bewusstseinscharakteren, die an sich phänomenologisch gegeben sind, ein Gemeinsames, und dasselbe Gemeinsame finden wir im Fall der Erinnerungen und Erwartungen: Wir finden eben das, was da 20 als Vor s tell u n g bezeichnet wird und im Gegensatz zur Wahrnehmungsvorstellung in seiner geschlossenen Eigenart sich abhebt. Dieses Gemeinsame finden wir aber nicht im Fall der Halluzinationen, der Illusionen und der Traumerscheinungen. Hier sind die Erscheinungen bzw. die ihnen unterliegenden Auf25 fassungen offenbar Wahrnehmungsauffassungen, und soweit sich herausstellt, dass Phantasieauffassung nicht mit Wahrnehmungsauffassung zu identifizieren ist, müssen wir also die genannten Phänomene entgegen der gemeinen Redeweise aus"chliessen. 30 Abstrahieren wir bei den Wahrnehmungen (das Wort im gewohnlichen Sinn genommen) vom Charakter der Qualität und selbst Meinung, so gewinnen wir die Wahrnehmungsauffa s s u n g, und halten wir uns an das Wesentliche, dann reicht dieser Begriff so weit, als das markante Phänomen des als 35 selbst gegenwärtig Erscheinens reicht. Dieses Merkmal gibt einen wesentlich einheitlichen und phänomenologisch
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realisierten Begriff. Mit dieser Auffassung können sich dann verschiedene intentionale Charaktere verbinden, ein Glauben, Zweifeln, Begehren usw., es entstehen komplexe Phänomene, die aber verknüpft sind dadurch, dass ihnen eine und dieselbe Vorstel5lungsart, die "Wahrnehmungsvorstellung" oder "Wahrnehmungsauffassung" zugrunde liegt. Solche Vorstellungen finden wir aber bei den sogenannten Halluzinationen und Illusionen, ebenso wie bei den Fällen des physisch-natürlichen Scheins. Imgleichen wird es uns jetzt nur darauf ankommen müssen, 10 einen wesentlich einheitlichen Begriff der Phantasievorstellung als Phantasieauffassung zu gewinnen. Auch hier bemerken wir, oder können wir uns zur Einsicht bringen, dass unter dem populären Titel Phantasie, aber auch unter anderen Titeln wie Erinnerung und Erwartung, intentionale Erlebnisse stehen, die 15 neben wechselnden Bewusstseinscharakteren ein wesentlich Gemeinsames als Unterlage zeigen. Wie wir vorhin schon bemerkt , sind es natürlich objektivierende Akte und setzen als solche objektivierende Auffassung voraus, und diese Auffassung ist im spezifischen Wesen die gleiche, ob wir es zu tun haben mit 20 frei aufsteigenden Phantasien oder mit produktiven Phantasien oder aber mit anschaulichen Erwartungsvorstellungen oder anschaulichen Vergegenwärtigungen einer früheren Vergangenheit, die wir selbst erlebt haben. Unser Interesse geht also nicht auf Verschiedenheiten von kom25 plexen Erlebnissen, die der bald engere und< bald> weitere Begriff der Phantasie befasst, sondern auf diese ein h e i t li ehe und wesentlich einheitliche Auffassungsart, die wir als Phantasievorstellung bezeichnen wollen. Ob sie in der Tat eine wesentlich eigentümliche Vorstellungsart und eine gegen30 über der Wahrnehmung neue bezeichnet, muss allerdings erst untersucht werden.
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Die Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmungsvorstellung und Phantasievorstellung ist das Objekt vieler ernster Be-
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mühungen Igewesen. In der Literatur ist sie zwar nur ausnahmsweise in eigenen Schriften behandelt worden, und da gerade nur in ziemlich oberflächlicher Art. Aber in verschiedenen Zusammenhängen haben bedeutende Männer an sie gerührt und in 5 einer Weise, die zeigt, dass sie sie für keine eben leichte gehalten haben. Doch viel Tieferes als die Literatur bieten mitunter Vorlesungen, und hier denke ich die überaus scharfsinnige Art, wie die Frage in eigenen Vorlesungen Brentanos behandelt worden . Auch eine feine Behandlung Stumpfs in seinen Vor10 lesungen über Psychologie! ragt weit über das, was die Literatur bietet, hinaus. Was das Problem als so überaus schwierig erscheinen liess, und was eine ernste Lösung desselben zur Unmöglichkeit machte, war meines Erachtens der Umstand, dass es am Begriff der objekti15 vierenden Auff:1SSung und an den zugehörigen Unterscheidungen zwischen Auffassungsinhalten, Auffassungssinn, Auffassungsform fehlte. Selbst die bedeutendsten Forscher verwechseln konstant die sinnlichen Inhalte der Wahrnehmung und den Gegenstand der Wahrnehmung. Durch metaphysische Vorurteile ver20 wirrt wird als Gegem~tand der Wahrnehmung ein unanschauliches Ding an sich gesetzt, während der wirklich angeschaute Gegenstand in der theoretischen Betrachtung übersehen und mit dem Empfindungsinhalt identifiziert wird. Genauso geht es mit den Phantasievorstellungen. Man ver25 wechselt den sinnlichen Inhalt, der in der Phantasievorstellung erlebt ist und der als Repräsentant in der Phantasieauffassung fungiert, mit dem Gegenstand der Phantasie, man identifiziert beides. Infolgedessen übersieht man eigentlich die Phantasieauffassung als Weise der Objektivierung ganz und gar; ebenso 30 geschieht es ja bei der Wahrnehmung. Das für sie gerade Charakteristische, die Gegenwartsauffassung, wird nicht als phänomenologisches Charakteristikum erkannt. So erklärt sich auch der Streit um den Unterschied zwischen Akt und Inhalt der anschaulichen Vorstellungen. Sehr viele Forscher sagen, wenn wir 35 eine Farbe, einen Ton vorstellen, ihn wahrnehmen oder in der Phantasie vorstellen, so ist der Ton bewusst, Bewusstsein ist aber nichts Eigenartiges, das gerade zu diesem Ton gehörte. Alle 1 Zu den hier gemeinten Vorlesungen Brentanos und Stumpfs vgl. die Einleitung des Hrsg., S. XXV. - Anm. d. Hrsg.
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psychischen Erlebnisse haben eine indefinible Beziehung zum reinen Ich, die aber nicht etwas Vorfindliches ist in dem Sinn eines Inhaltes. Manche streichen das reine Ich noch weg und sagen einfach: Inhalt ist alles Vorfindliehe. Das Vorfinden ist 5 nicht ein neuer Inhalt, der den Inhalten anhinge. Nehmen wir wahr, so ist eben diese Farbe, jener Ton Erlebnis; ein Wahrnehmen als Sehen, Hören u.dgl. ist nicht ein neuer Inhalt, der mit dem Ton- oder Farbinhalt gegeben wäre, ein zweites Erlebnis neben der Farbe, dem Ton. Die sogenannten psychischen Akte, 10 wenn man darunter, wie etwa Brentano, Erlebnisse versteht, unterschieden von den sogenannten "physischen Phänomenen", von den Farben-, Tonphänomen usw., sind also Fiktionen.
Doch hi.er bedarf es der näheren Bestimmung und Begrenzung. Die Auffassung der erlebten sinnlichen Inhalte, der Empfin20 dungen im Fall der Betrachtung eines physischen Bildes, der Phantasmen im Fall der Phantasiebildlichkeit ergibt das erscheinende Bild, das erscheinende repräsentierende Bildobjekt. Aber damit, dass sich diese Erscheinung konstituiert hat, hat sich noch nicht die Beziehung auf das Bild s u jet konstituiert. Mit einer schlichten 25 Auffassung hätten lwir also im eigentlichen Sinn noch gar kein Bild, sondern höchstens den Gegenstand, der nachher als Bild fungiert. Wie kommt er dazu, So fungieren? Wie soll es ver~ ständlich werden, dass, während uns das BiIdobjekt erscheint, wir uns damit nicht genügen lassen, sondern mittels seiner ein 30 anderes Objekt meinen? Das Po r t rät gilt uns als Bild, d.h. den zunächst ' Graunuancen erscheinenden Bildgegenstand, oder den schon in Farben erscheinenden eines Gemäldes, meinen wir nicht. Er gilt uns eben als Bild der und der Person. Aber ein bIosses Meinen kann da nicht helfen. Es <muss> doch ein Vor35 stellen im Sinn eines Auffassens zugrunde liegen, eines Objektivierens, das den neuen Gegenstand intentional konstituiert. Das
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Meinen setzt ein Gemeintes voraus. Wo keine Vorstellung, keine objektivierende Auffassung vorhanden ist, da kann das Meinen auf keinen Gegenstand zielen. (Ich fasse auch hier natürlich das Meinen als etwas vom Auffassen Unterschiedenes, da wir uns da5 von überzeugt hatten, dass das Meinen eine pointierende Funktion ist, die unter einer Mehrheit von aufgefassten Gegenständen einen herausheben und ihn eben speziell meinen kann.) Sonach sehen wir, dass die Phantasievorstellung, und zunächst die Phantasieauffassung, ein komplizierteres Phänomen sein muss wie die 10 Wahrnehmungsvorstellung. In der letzteren haben wir einen aufgefassten Gegenstand, und dieser ist in der vollständigen Wahrnehmung der gemeinte.,In der Phantasie vorstellung haben wir aber zwei Auffassungen aRfeinander gebaut, zwei Gegenstände konstituierend, nämlich das Phantasiebild, das erscheint, 15 und das bildlich dargestellte Objekt, das Bildsujet"welches durch das Bild eben dargestellt ist. Zur vollständigen Phantasievorstellung gehört aber die Meinung, und diese richtet sich auf das Bi I d s u jet. Ich stelle das Berliner Schloss vor, d.h. ich mache mir es im Bild vorstellig, das Bild schwebt mir vor, ich meine 20 aber nicht das Bild. Vielmehr ist in der Bildauffassung eine zweite Auffassung fundiert, die ihr einen neuen Charakter aufprägt und eine neue gegenständliche Beziehung gibt. Im Bild, das selbst nicht das Schloss ist, schaue ich doch das Schloss an, das Bild vergegenwärtigt, verähnlicht mir das Schloss, und das 25 Meinen richtet sich nun nicht nur auf das Bildobjekt für sich, sondern auf das dadurch Repräsentierte, Analogisierte. Und danach finden wir in der Phantasievorstellung eine gewisse Mittelbarkeit des Vorstellens, die der Wahrnehmungsvorstellung fehlt. Die Wahrnehmung stellt ihren 30 Gegenstand direkt vor: Ein Gegenstand erscheint, und der ist es, der gemeint und für wirklich genommen ist. In der Phantasievorstellung erscheint auch ein Gegenstand, aber dieser im primären und eigentlichen Sinn erscheinende ist nicht der vorgestellte. Die Phantasie stellt einen Gegenstand dadurch vor, dass 35 sie zunächst einen anderen, ihm ähnlichen Gegenstand zur Erscheinung bringt und ihn als Stellvertreter oder besser, das einzige Wort ist hier doch Bild, ihn als Bild für den eigentlich gemeinten nimmt. Sie blickt auf das Bild hin, schaut aber im Bild die Sache oder fasst die Sache durch das Bild auf. Das ist aber
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eine neue Auffassung, d.i. ein neuer Bewusstseinscharakter, ohne den kein neuer Gegenstand gemeint sein könnte. Ein genaues Analogon werden wir noch kennenlernen :1 Es ist so, wie beim Lesen eines Wortes, etwa Integral, das Wort gesehen, aber nicht 5 gemeint ist. Neben der Worterscheinung haben wir, auf sie gebaut, eine zweite Auffassung (die keine Erscheinung ist): Das Wort gilt als Zeichen, es bedeu t et ebenJ. Und wir meinen im normalen Gebrauch des Wortes nicht das, was wir da sehen, was uns da sinnlich erscheint, sondern das dadurch Symbolisierte. 10 Das Wort mutet sich ganz anders an wie ein beliebig sonstiger Laut, wie ein sinnloses Schrift-, Klanggebilde. Dies ist nicht Träger einer neuen Auffassung und kann daher gemeint sein, nicht aber Träger eines über sich hinausweisenden Meinens sein. So verhält es sich auch bei der Bildlichkeit. Das erscheinende 15 Objekt erscheint, aber gilt nicht für sich. Es gilt für ein anderes und gilt so als analogiseher Repräsentant, als Bild.
Es ist für diese ganze Betrachtung natürlich die Voraussetzung, dass wirklich und mit Recht bei der Phantasievorstellung eine doppelte Gegenständlichkeit in Betracht kommt, und zwar gleichsam als immanente, und dass nicht etwa ein bloss begrifflicher, indirekt hineingetragener Unterschied vorliegt, hineingetragen 25 durch die Reflexion, die das Phantasieerlebnis zur Wirklichkeit in Beziehung setzt. Es handelt sich nicht um einen Unterschied der Art, wie wir ihn bei der Wahrnehmung öfter machen hören,_ zwischen dem erscheinenden Ding, dem Ding im gewöhnlichen, empirischen Sinn, und dem Ding an sich. In diesem Fall gehören 30 zum Erlebnis selbst, zu seinem Auffassungssinn und seiner Meinung, nicht diese zweierlei Dinge, das empirische Ding und das Ding an sich, sondern nur das eine, das erstere. Das naive Bewusstsein nimmt wahr und weiss nichts von einem Ding an sich. Die Beziehung auf dieses liegt nicht in der Wahrnehmung, son-
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Symbolisierung.
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dern in metaphysischen Reflexionen. Ganz anders verhält es sich mit den zwei Gegenständen der Phantasievorstellung. Jeder, der phantasiert, hat ein Bilderlebnis. Ihm erscheint ein Gegenständliches. Aber niemand hält diese Erscheinung für eine Selbst5 erscheinung des Gegenstandes. Diese schwankende, flüchtig bald auftauchende, bald verschwindende, dabei sich inhaltlich so vielfältig ändernde, so matte Erscheinung hält doch niemand für die Erscheinung des Gegenstandes, z.B. des Schlosses selbst, aber wohl für die "Vorstellung" desselben, für eine Vergegenwärti10 gung, für eine Verbildlichung. Aber wohlgemerkt, die Erscheinung, so, wie sie wirklich gegeben ist, meint man dabei nicht; man sieht sie sich nicht etwa an, wie sie ist und erscheint, und sagt sich: Das ist ein Bild. Vielmehr lebt man ganz und gar in dem auf die Erscheinung sich gründenden neuen Auffassen: im 15 Bilde schaut man die Sache an. Das Bildbewusstsein hat ein~ Tinktion, die ihm eine über seinen primären Gegenstand hinausweisende Bedeutung verleiht: den Charakter der Repräsentation nach Ähnlichkeit. So ist es auch bei der physischen Bildauffassung, und man er20 kennt aus dem Vergleich alsbald, dass der blosse Umstand, dass in der Wahrnehmungsvorstellung sinnliche Empfindungen, in der Phantasievorstellung aber Phantasmen zugrunde liegen, nicht den Unterschied zwischen beiden erschöpfen kann. In der imaginativen Vorstellung, wie sie sich in der Betrachtung des 25 Gemäldes vollzieht, haben wir ja auch Empfindungen als Auffassungsinhalte. Aber das Resultat der Auffassung ist doch nicht eine Wahrnehmung. Die Raffaelsche Madonna, die ich in einer Photographie anschaue, ist natürlich nicht das photographisch erscheinende Bildehen. Ich vollziehe also nicht eine blosse 30 Wahrnehmung; die Wahrnehmungserscheinung verbildlicht einen nichtwahrgenommenen Gegenstand. Und das ist wieder nicht ein begriffliches Wissen, und es besagt wieder nicht, dass ich ein Unterscheiden und Beziehen vornehme, das erscheinende Objekt in Beziehung setzend zu einem gedachten Opjekt, sondern 35 das Bild fühlt sich unmittelbar als Bild. Die auf sinnliche Empfindung gebaute Auffassung ist keine blosse Wahrnehmungsauffassung, sie hat einen geänderten Charakter, den Charakter der Repräsentation durch Ähnlichkeit, den Charakter des Schauens im Bild.
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Wenn wir von zwei Auffassungen sprechen, die zur Konstitution der imaginativen Vorstellung wesentlich gehören, so hanS delt es sich im Sinn des Ausgeführten natürlich nicht um zwei gesonderte und gleichstufige Auffassungserlebnisse, die nur miteinander durch irgendein Band zusammengehalten wären. Wenn der abgebildete Gegenstand durch einen Akt für sich und das Bild durch einen davon getrennten zweiten Akt konstituiert 10 würde, so hätten wir ja weder Bild noch Abgebildetes. Wir hätten hier den einen, dort den anderen Gegenstand vorgestellt, bestenfalls hätten wir noch durch Vergleichung ein Beziehungsbewusstsein : nämlich dass der eine Gegenstand dem anderen ähnlich sei. So liegt die Sache hier aber nicht. Nicht zwei gesonderte Vor15 stellungen haben wir und vor allem ja nicht zwei gesonderte Erscheinungen: 1 Z.B. wenn wir ein Schloss vorstellen, gewissermassen zwei Schlosserscheinungen, derart, wie wir es etwa haben, wenn wir zwei Bilder nebeneinander legen oder nacheinander zwei Phantasievorstellungen vollziehen. Vielmehr sind hier zwei 20 Auffassungen ineinander geflochten. Da ist eine primäre Auffassung, in ihr' haben wir eine Schlosserscheinung ; damit aber stellen wir bildlich das Schloss in Berlin selbst vor, wir fassen das Schloss als Ähnlichkeitsrepräsentanten auf. Ähnlich wie in der Wahrnehmung die Empfindung erlebt ist, aber Fundament der 25 wahrnehmenden Deutung ist, die aber nicht darin besteht, die Empfindung erst zum Inhalt für sich zu machen: So ist jetzt ein ganzes Auffassungsbewusstsein vollzogen, aber das Gegenständ-: liehe gilt nicht als Gegenstand für sich, es gründet sich darauf eine Ähnlichkeitsrepräsentation als eine neue Auffassungsweise, 30 welche die Beziehung zum Bildsujet gibt. Der eine Gegenstand gehört also mit zum Akte des einen. Die Auffassung, die den Bildgegenstand konstituiert, ist zugleich Grundlage für die Vorstellung, die mittels seiner den anderen Gegenstand konstituiert, und auf diesen ist es in der normalen 1 Dle neue Auffassung keine neue Präsentation: Woher sollte sie auch ihre Auffassungsinhalte nehmen? Alle vorhandenen sinnlichen Inhalte sind schon aufgebraucht Zur Konstitution des Bildobjekts.
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Phantasie- und Bildvorstellung abgesehen, auf ihn allein richtet sich das Meinen. Der zweite Gegenstand wird intentional in ganz besonderer Weise. Ihm entspricht keine Erscheinung. Er steht nicht gesondert da, in einer eigenen Anschauung da, er erscheint 5 nicht als ein zweites neben dem Bild. Er erscheint in und mit dem Bild eben dadurch, dass die Bildrepräsentation erwächst. Sagen wir, das Bild repräsentiert die Sache, so ist also nicht die Sache in einer neuen Vorstellung intuitiv, sondern nur intuitiv in dem Charakter, der die Erscheinung des als Bild fungierenden Gegen10 standes eben für unser Bewusstsein, für unser Zumutesein als Bildrepräsentation fühlbar macht. Allenfalls zu erwägen wäre nur, ob wir nicht sagen sollen: 1 dass hier zwei Sachlagen durch Wesenszusammenhänge zusammengehören, nämlich: eine Auffassung, in der uns das Bild15 objekt efscheint mit dem anhängenden Charakter, dass es Repräsentant für etwas sei, wobei ein Meinen und Achten auf das Bildobjekt geht und dazu auf ein darauf gebautes repräsentiertes Objekt. Und eine andere Auffassungsart, die durch allzeit mögliche und wesentlich mögliche Verwandlung statthat, wobei das 20 Bildobjekt gar nicht gegenständlich ist, vielmehr ein modifiziertes Auffassen derselben Inhalte, das eine neue einfache Auffassung ergeben würde: das bildliehe Vergegenwärtigen. Doch will es mir scheinen, dass hier im wesentlichen nur das verschieden fungierende Meinen den Unterschied setzt und dass eine 25 Doppelheit der Auffassung immer vorliege. 2
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Wir haben in der letzten Vorlesung den Versuch unternommen, die Phantasievorstellungen zusammen mit den physisch1 11 8
In der Vorlesung wurde das etwas näher ausgeführt. Bis hier 12.1.1905. 17.1.1905.
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bildlichen Vorstellungen unter den einheitlichen Gesichtspunkt der Im a gin a t ion zu befassen und die Eigentümlichkeiten der gesamten unter diesen Gesichtspunkt fallenden Vorstellungen, also der bildlichen Vorstellungen übe r hau p t, im Gegensatz 5 zu den bisher betrachteten Wahrnehmungsvorstellungen zu analytischer Klarheit zu bringen. Die Konstitution der bildlichen Vorstellungen erwies sich als komplizierter als diejenige der schlichten Wahrnehmungsvorstellungen. Mehrere wesentlich verschiedene Auffassungen zeigten sich da aufeinander oder inein10 an der gebaut, entsprechend den ·mehrfachen Gegenständlichkeiten, die sich durchsetzten und je nach Wechsel der Aufmerksamkeit für das bevorzugende Meinen hervortraten. Bei der physischen Bildlichkeit waren drei Gegenständlichkeiten, bei der Phantasie zwei ineinander gewoben. Das Gemeinsame beider15 seits lag darin, dass jeweils eine erscheinende Gegenständlichkeit nicht für sich galt, sondern für eine andere, nichterscheinende bildmässig repräsentierte. Das physische Bild weckt das geistige BIld, und dieses wieder stellt ein anderes; das Sujet vor. Das geistige Bild ist eine erscheinende Gegenständlichkeit, z.B. die in 20 photographischen Farben erscheinende Person oder Landschaft, die durch die Plastik erscheinende weisse Gestalt u.dgl. Das Sujet aber ist die Landschaft selbst, die gemeint ist nicht in diesen winzigen Dimensionen, nicht als grau-violett gefärbt wie die photographische, sondern in ihren wirklichen Farben, Grössen 25 usf. Aber diese Landschaft erscheint nicht als ein zweites neben der Bildlandschaft. Das vorhandene sinnliche Empfindungsmaterial, das irgend als Auffassungsinhalt fungieren kann, ist voll aufgebraucht, es kann sich nicht eine neue Erscheinung konstituieren, sie hat keine verfügbaren Auffassungsinhalte.30 Ebenso, versuchten wir anzunehmen, verhält es sich bei der Phantasie. In der Phantasieerscheinung erleben wir nicht das Ding selbst, wie es ist, wir haben eine von der Wirklichkeit oft sehr erheblich abweichende Erscheinung, sie ist dabei in ihren inneren Bestimmtheiten zumeist sehr schwankend und wech35 selnd. Was uns da erscheint, ist ein Gegenständliches, aber nicht so, wie es in der Tat erscheint, gilt es uns als phantasiertes Objekt. Phantasierend meinen wir ein anderes, für das dieses erscheinende und fühlbar von ihm verschiedene bildlich repräsentiert. Auch hier ist das Suj et, das Gemeinte, nicht in einer
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zweiten Erscheinung gegenwärtig. Nur eine Erscheinung haben wir, die des Bi I d 0 b je k t s. Aber wir haben tnehr als die eine Auffassung (oder, wenn Sie wollen, die eine Objektivation), in der sich uns dieses Bildobjekt konstituiert. Sonst könnte nichts 5 anderes als dieses Objekt gemeint sein. Im Bildobjekt verbildlichen wir uns die von ihm mehr oder minder verschiedene, wenn auch ähnliche Sache: Ein zweiter objektivierender Charakter ist da, eine neue Auffassung mit einem neuen Auffassungssinn, welcher in der Auffassung des Bildobjekts fundiert ist und eben das 10 für das Bewusstsein zustande bringt, was wir mit den Worten ausdrücken: "Mit dem erscheinenden Bild meinen wir die Sache". Die neue Auffassung ist aber nicht etwas bloss äusserlich der Bilderscheinung sich Anhängendes, nur von aussen her mit ihr Verknüpftes. Die neue Auffassung durchdringt die alte und hat 15 sie in sich aufgenommen. Das erscheinende Bildding weckt nicht eine n'eue Vorstellung, die sonst mit ihm nichts zu tun hätte. Es weist nicht in der Weise eines biossen, sei es auch analogischen Symbols oder eines willkürlichen Zeichens über sich hinaus auf ein anderes, das mit dem Zeichen selbst nicht innerlich einheit20 lich bewusst wäre oder gar zu ihm keine innere Beziehung hätte. Vielmehr veranschaulicht das Bildobjekt das mit ihm zwar nicht Identische, aber ihm inhaltlich mehr oder minder Gleiche oder Ähnliche. In den verwandten Zügen lebt etwas vom Bewusstsein des intendierten Gegenstandes. In das Bild schauen wir den ge25 meinten Gegenstand hinein, oder aus ihm schaut er uns her. Phänomenologisch liegt aber darin, dass das Bildobjekt nicht bloss erscheint, sondern einen neuen Auffassungscharakter trägt, der sich mit dem ursprünglichen in gewisser Weise durchdringt und verschmilzt, der sozusagen nicht vom Inhalt des Erscheinen30 den einfach weg, sondern in ihn hineinweist oder durch diesen Inhalt hindurch auf den eigentlich gemeinten Gegenstand hinweist. Was im Inhalt des Bildobjektes repräsentativ fungiert, das ist in eigentümlicher Weise ausgezeichnet: Es stellt dar, es vergegenwärtigt, verbildlicht, veranschaulicht. Das 35 Sujet blickt uns gleichsam durch diese Züge an. Diese Züge treten erst in Einzelbeachtung hervor und scheiden sich erst in ihr von den anderen Zügen des Bildobjekts: von Momenten, Teilen, Bestimmtheiten, die entweder ausgeprägt den gegensätzlichen Charakter, den des Widerstreits mit entsprechenden
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Bestimmtheiten des gemeinten Sujets, haben, oder denen weder der eine noch der andere Charakter anhaftet. Solche charakterlosen Züge verbildlichen nichts, es bleibt aber auch unbestimmt, wie sich darin das wirkliche Objekt stellt. So wie es ge5 meint ist, lässt es die betreffenden Bestimmtheiten offen, die Meinung bzw. die zugehörige Auffassung enthält in dieser Hinsicht Unbestimmtheiten. Was andererseits das Bewusstsein von nichtpassenden, vom Sujet abweichenden Momenten des Bildes anbelangt, so setzt es wesentlich voraus das Bewusstsein passen10 der, veranschaulichender Momente. Erst diese stellen ein Bildbewusstsein her. Wenn mit dem Bild nicht die bewusste Beziehung auf' ein Abgebildetes gegeben ist, haben wir ja kein Bild. Diese bewusste Beziehung aber ist gegeben durch jenes eigentümliche Bewusstsein der Vergegenwärtigung eines Nicht15 erscheinenden im Erscheinenden, wonach das Erscheinende sich vermöge gewisser seiner intuitiven Eigenheiten so gibt, als wäre es das andere: wobei dann freilich in anderen Momenten ein Widerstreit, oder, im Ähnlichkeitsabstand aller Momente, sich ein Unterschied gegen das Sujet herausstellen kann. Wie der20 gleichen möglich ist, da doch nur das Bild und gar nicht das Sujet in die Erscheinung fällt, wäre ein Wunder, oder wäre ein Nonsens, wenn nicht zwei objektivierende Auffassungen ineinander geflochten wären. Das Veranschaulichen im Bild, das im Bilderscheinen das Bewusstsein vom Bild s u jet hat, ist nicht 25 ein beliebiger Charakter, der dem Bild anhaftet; sondern die Anschauung vom Bildobjekt weckt eben ein neues Bewusstsein, eine Vorstellung von einem neuen Objekte, das mit dem Bildobjekt als ganzem, und im einzelnen nach den oder jenen Punkten, innere Verwandtschaft, Ähnlichkeit hat. Die neue Vorstellung, 30 sofern sie sich auf das neue Objekt mit den und den Bestimmtheiten bezieht, enthält natürlich durch ihren Auffassungssinn Seiten, Komponenten, die diesen mannigfaltigen Objektseiten entsprechen. Aber sie ist keine neUe Anschauung, die all das in der Weise direkter und eigentlicher Erscheinung, also der Selbst35 erscheinung, enthielte. Diese neue Vorstellung liegt nun aber nicht, neben der Vorstellung des Bildobjekts, sondern deckt sich mit ihr, durchdringt sie und gibt ihr in dieser Durchdringung den Charakter des Bildobjekts. Die Deckung bezieht sich auf die Momente der Ähnlichkeit. Wir blicken in das Bildobjekt hinein,
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wir blicken auf das, WO dur c h es BiIdobjekt ist, auf diese Mo~ mente der Ähnlichkeit. Und in ihnen stellt sich uns das Sujet dar, durch sie blicken wir in das Sujet hinein. Das Bewusstsein des Sujets breitet sich durch das Bewusstsein vom Bildobjekt 5 nach seiten der analogisierenden Momente hindurch. Soweit sie reichen, gibt das ein Identitätsbewusstsein, so dass wir in der Tat in ihnen das Sujet erschauen. Bestände allseitige Gleichheit, so bestände allseitige Deckung. Wir müssten dann ein Bewusstsein haben, dass das abgebildete Objekt voll und ganz vergegen10 wärtigt ist. Uns müsste in ihm so zumute sein, als ob das Objekt selbst, das ganze und volle Objekt, da wäre. Natürlich könnte es zu einem solchen "als ob" nicht kommen, wenn nicht hinreichend Momente für die Ermöglichung einer Verdoppelung des Bewusstseins als Bild- und Sujetbewusstsein beständen. Trotz voller in15 nerer Deckung brauchen solche Momente keineswegs zu fehlen. Wir \werden dann natürlich auf äussere Momente hingewiesen. Bei einem vollkommenen Porträt, das die Person nach allen Momenten (die irgend Merkmale sein können) vollkommen darstellt, ja schon bei einem Porträt, das dies in sehr ungenügender Weise 20 tut, ist uns so zumute, als wäre die Person selbst da. Aber die Person selbst gehört einem anderen Zusammenhang an wie das Bildobjekt. 1 Die wirkliche Person bewegt sich, spricht usw., die Bildperson ist eine starre, stumme Figur. Dazu der Widerstreit mit der physischen Bildwirklichkeit, der das Bildobjekt als sinn25 lichen Schein charakterisiert. Ebenso in der P ha n t a sie. Eine vollkommen lebendige Phantasie, ein Auftauchen einer so klaren Erinnerung, wie sie uns manchmal, bei frischen Sinnen, bei besonders günstigen Dispositionen zuteil wird, lässt kaum das Bewusstsein aufkommen, das sei ein blosses Bild. Wir fühlen uns 30 dem Gegenstand so nah, als wären wir mit ihm in Wirklichkeit eins, als stände er uns wirklich gegenüber. Ja gewiss: Er ist wahrhaft vergegenwärtigt, wir schauen ihn "selbst". Im Bildbewusstsein lebend, ist uns wirklich so zumute wie in einer entsprechenden Wahrnehmung. Aber näher besehen ist das doch eine analo35 gische Rede, vom" wirklich so zumute sein", oder sie ist eine ganz momentane Täuschung. Es ist immer nur Vergegenwärtigung und nicht Gegenwärtigsein. Das Phantasiebild zerfliesst, es er1
Darüber in einer späteren Vorlesung mehr.
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hält nicht lange seine Frische, plötzlich drängen sich andere Phantasiebilder dazwischen, vielleicht auch klare, aber sie unterbrechen das unmittelbare Gegenstandsbewusstsein, sie setzen es nicht fort, sie konstituieren nicht die Einheit einer gegenständ5 lichen Gegenwart, der das Phantasieobjekt einzuordnen wäre. Wir werden über diese Diskontinuitäten noch sprechen. Hier genügt der Hinweis auf die feste Einheit der Wahrnehmungswirklichkeit, auf die festen Zusammenhänge der Objektivitäten des Blickfeldes der Wahrnehmung, und auf der anderen Seite: 10 das sinnlose Durcheinander, mit dem Phantasien und selbst Erinnerungen durcheinanderlaufen und uns so das Bewusstsein geben von einer biossen Bildlichkeit. Ja gewiss, wir schauen die Sachen bei klarer Phantasie, es ist uns ganz so zumute, als wären sie es selbst, aber nur "ganz so, als ob": Die Erscheinung 15 hat noch einen Charakter,. der es hindert, sie für die Selbsterscheinung im eigentlichsten Sinn zu nehmen. Mindestens die verschiedenen intentionalen Zusammenhänge, denen sie eingeordnet sind, bewirken eine Zwiespältigkeit des Bewusstseins, sie hindern es, dass sich eine r schlichte, einfache Gegenstands20 intention konstituiert, sondern eine sich bestenfalls deckende Doppelheit. Deckung in den Momenten differenzlos empfundener Gleichheit, also in den Momenten genauer Bildlichkeit, bestenfalls in allen inneren Momenten, Scheidung aber in den mit Verflochtenen intentionalen Charakteren, die dem Erscheinenden 25 und Gemeinten Ergänzung ZU verschiedenen geltenden Gegenständlichkeiten zusprechen. l So wird das Erscheinende zum Bildobjekt gewissermassen für <sich> selbst, nämlich für dasselbe, als welches da erscheint, nur dass es woanders hingehört und somit doch nicht in strenger Identität dasselbe, sondern nur 30 ein gleiches sein kann. Im übrigen gibt es, wie bekannt, sehr verschieden vollkommene Bilder, also sehr verschiedene Grade und Stufen des Bildbewusstseins. Nur im Grenzfalle geht die Deckung zwischen der direkten gegenständlichen Auffassung" die dem Bildobjekt entspricht, und 35 der indirekten, die' dem Sujet zugehört, soweit, dass wir vollkommen im Bildobjekt das Bildsubjekt schauen, dass wir all seine inneren Bestimmtheiten dem Sujet zurechnen; im allge1
Riemannsche Fläche., ,
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meinen treten die beiden Objekte auseinander, sich identifizierend nach manchen Momenten, etwa nach seiten der plastischen Form, sich voneinander abhebend nach anderen Bestimmtheiten, etwa hinsichtlich der Färbung, der Grösse usw. Die im 5 Bildobjekte vorhandenen Bestimmtheiten gelten in letzterer Beziehung nicht für das Sujet, sie sind im Bild da, aber sie haben keine Abbildungsfunktion.
Die eben angestellten Betrachtungen machen uns das Ineinander der beiden Auffassungen, die das Auffassungs-Bewusstsein der Bildlichkeit konstituieren, einigermassen verständlich und 20 lassen nicht nur den Unterschied von der Wahrnehmungsauffassung, sondern auch den von der symbolischen Auffassung deutlich hervortreten. Was insbesondere den letzteren anbelangt, so haben bildliche und symbolische Auffassung das miteinander gemein, dass sie nicht schlichte Auffassungen sind. Bei d e 25 weisen in gewisser Art über sich hinaus. Aber die symbolische aus sich hinaus, und die signitive noch dazu auf einen dem Erscheinenden innerlich fremden Gegenstand. Jedenfalls, sie weist nach aussen. Die bildliche Auffassung weist auch auf einen anderen Gegenstand, immer auf einen gleichgearteten, auf einen analogen, 30 sich im Bild darstellenden, und vor allem, sie weist auf den Gegenstand durch <sich> selbst hindurch. Der meinende Blick wird bei der symbolischen Vorstellung von dem Symbol hinweggewiesen; bei der bildlichen Vorstellung auf das Bild hingewiesen. Um uns den Gegenstand vorstellig zu machen, sollen 35 wir uns in das Bild hineinschauen; in dem, was darin Träger der
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Bildfunktion ist, sollen wir den Gegenstand dargestellt finden, je lebendiger wir dies erfassen, um so mehr ist uns 'das Sujet im Bild lebendig, ist uns darin veranschaulicht, vergegenwärtigt.
Bei dieser Beschreibung wird uns zugleich klar, dass bei der Re prä sen tat ion dur c h An al 0 g i e zwei Fälle wohl auseinanderzuhalten sind. Ein Bild kann in n e r I ich re prä s e nlOt at i v fungieren in der Weise immanenter Bildlichkeit; ein Bild kann äusserlich repräsentativ fungieren, in einer Weise, die im wesentlichen dem Bewusstsein symbolischer Repräsentation gleichkommt. Z.B. kann ein Holzschnitt der Raffaelschen Madonna uns erinnern an das Original, das wir in der Dresdener 15 Galerie gesehen haben. Bilder können als analogische Erinnerungszeichen fungieren. Das tun Bilder in hohem Masse. Neuerdings gibt die Stuttgarter Verlagsanstalt Bände heraus, die vollständige Serien der Werke von Dürer, Raffael etc. in kleinsten Reproduktionen enthalten. Der Hauptzweck dieser Werke ist 20 nicht die Weckung innerer Bildlichkeit und der damit gegebene ästhetische Genuss, sondern es handelt sich um bildliche Inhaltsverzeichnisse der Werke jener grossen Künstler. Es sind Repertorien der Erinnerung. Es sind sozusagen ill u s t rat i v e Schlagworte, Hilfen der Erinnerung. Sie wirken allerdings 25 noch bildlich, aber zudem auch als Erinnerungen, sie sollen zugleich ass 0 z i a t i v fungieren und vollständigere Bildvorstellung in der Erinnerung reproduzieren. Wer sich rein in ein Bild hineinschaut, der lebt in der Bildlichkeit, er hat im Bild selbst die Vergegenwärtigung des Objekts. Wer sich des Bildes als Erinnerung 30 bedient, der sucht und findet evtl. eine andere Vergegenwärtigung des Objekts, die ihm vielleicht eine reichere Vergegenwärtigung desselben Objekts bieten mag. Wir könnten also im symbolischen Vorstellen z w e i K las sen unterscheiden. 1 Das symbolische im ursprünglichen, alten Wort35 sinn, das sich äusserlich Vorstelligmachen durch Bilder, Sym1 EIgentlich fraglich. Handelt es sich nicht um ein Gemisch bildlicher und symbolischer Funktion?
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bole, Hieroglyphen. Sprache und Schrift haben ursprünglich symbolischen bzw. hieroglyphischen Charakter. 1 Erst durch Abschleifung und weiterhin durch Bildung von Kunstworten, von algebraischen Zeichen usw. entsteht das signitive Vorstellen, 5 durch Zeichen, die zu den Sachen völlig beziehungslos sind, mit ihnen innerlich nichts zu tun haben. Zum ersteren gehören auch die meisten wissenschaftlichen Bilder. Natürlich kommt hierbei auch noch anderes mit in Betracht: die Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf die symbolisie10 renden Momente und ihre Isolation für die Aufmerksamkeit durch ausschliessliche Heraushebung im Bild (eben in Form der allein symbolisch fungierenden Bildelemente). 2.
Von diesen Bi I der n, die als S y m bol e fungieren,3 und von dem Bildbewusstsein, das in der symbolischen Funktion des Bildes vollzogen wird, haben wir zu unterscheiden das intuitive 20 Bildbewusstsein, das Bewusstsein der immanenten Bildlichkeit. Dieses allein spielt für die ästhetische Bild betr ach tung seine Rolle. Wir schauen uns dabei in das Bild hinein, ihm gehört unser Interesse, in ihm schauen wir das Sujet; nicht hat etwa das Bild die blosse Funktion, eine ihm äusserliche Vorstellung von 25 dem Gegenstand, eine neue Anschauung oder gar nur eine begriffliche Vorstellung zu erwecken. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass das Interesse und die Meinung des ästhetischen Bildes ausschliesslich auf das Sujet geht, als ob es sich überhaupt nur darum handle, dies zu einer anschaulichen Vorstellung zu brin1 Innere Bildlichkeit auch hier, aber dazu (neben der schon 'Vorhandenen Bildlichkeit) no c h eine Intention, eben eine symbolische, auf ein zweites, auf eine neue Erscheinung, mit eigentlicher Repräsentation des Gemeinten. Die immanente Bildfunktion: im Bild das Objekt erschauen, eine transeunte-symbolische Funktion: Man hat schon das innere Bildbewusstsein, dazu eine neue Intention auf eine neue Erscheinung. a Charakteristische Durchschnitte etc. Schematische Bilder. 8 Später eingefugt: "oder äusserlich erinnernd (ohne Konvention und Gewohnheit)". -Anm. d. Hrsg.
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gen. Wo das Bild ästhetisch wirkt, da mag es ja sein, dass eine neue Vorstellung das Sujet oder irgendwelche Bestandstücke desselben zu einer volleren Anschauung bringt, etwa zu ein~r angemesseneren Farbigkeit. überhaupt mag das Spiel der Phanta5 sie in Bewegung gesetzt werden, so dass wir uns in die Welt des Sujets hineinleben, wie wenn wir uns beim Anblick der Bilder eines Paolo Veronese versetzt fühlen in das prächtig-üppige Leben und Treiben der vornehmen Venetianer des 16. Jahrhunderts; oder in den gemütvollen Holzschnitten Dürers die Ver10 klärung der deutschen Landschaft und der deutschen Menschheit ihrer Zeit erschauen. Aber wie wesentlich am Interesse das Bildobjekt beteiligt ist, zeigt sich darin, dass die Phantasie nicht diesen neuen Vorstellungen nachgeht, sondern das Interesse immerfort zum Bildobjekt zurückkehrt und innerlich an ihm 15 hängt, in der Weise seiner Verbildlichung den Genuss findend. Sehr wesentlich unterschieden von dieser Stellungnahme zum Bildobjekt ist das Verhalten der gewöhnlichen Phantasieund Erinnerungsvorstellung, deren Interesse und Meinen ausschliesslich auf das Bild s u jet geht. Auch in der Phantasie 20 ist das Bildlichkeitsbewusstsein ein rein innerliches, so wenigstens in der voll-lebendigen Phantasie, der wirklichen Phantasieintuition. Das Bildobjekt bedeutet nichts, nämlich nichts in der Weise eines Symbols, es weist nicht von sich weg, aus sich heraus, sei es auch auf ein Ähnliches, das als ein anderes gegenüber dem 25 schon bildlich Erscheinenden sich geben würde: als ob die Intention des Bildes und des Abgebildeten sich nebeneinanderlegen und ein Hinweis des einen auf das andere erfolgen würde, sondern in sich hinein. Ausnahmsweise kann man auch seine Phantasien ästhetisch geniessen, und in dementsprechender Weise betrach30 ten. Dann blicken wir nicht bloss im Bildbewusstsein auf das Sujet, sondern uns interessiert, wie das Sujet sich da darstellt, welche bildliche Erscheinungsweise es zeigt, und vielleicht wie ästhetisch gefällige. So wird der Künstler seine eigenen Phantasien belauschen und belauern, um ihnen die ästhetisch schönsten 35 Posen abzusehen. 1 Oder er experimentiert geradezu in der Phan1 Das ist inkorrekt. Verwechslung zwischen Bildobjekterscheinung und Erscheinung des Sujets. Hier handelt es sich nicht um das Bild in dem hier fraglichen Sinn, sondern um die "Erscheinung" des Phantasie sujets, darum, welche "Seite" die asthetisch beste Wirkung gibt. Schon beim Wahrnehmungsobjekt kann ich mIch fragen, von welcher Seite wirkt es am besten ästhetisch? So stelle ich mir in der
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tasie. Er stellt sich ein Sujet mannigfaltig vor und sucht unter den Erscheinungsweisen in der Phantasie (unter den Weisen der Darstellung durch, ein so und so gestaltetes und erscheinendes Bildobjekt) die ästhetisch schönste heraus. Das ist natürlich 5 nicht der Normalfall. Phantasierend leben wir in den phantasierten Ereignissen, das Wie der innerlich bildlichen Darstellung fällt ausserhalb des Bereichs unserer natürlichen Interessen.
Wir sehen, dass auf demselben Auffassungsgrund sich verschiedene Vorstellungsakte aufbauen können. Es ist ein verschiedener vorstellender Habitus: das Bildsujet meinen, das Bild15 objekt meinen, und wieder das Bildobjekt als Bild des Sujets meinen. Da wir bei der Rede von dem Objekte unserer Vorstellung normalerweise dasjenige Objekt bezeichnen, auf das sich das vorstellende Meinen bezieht, so bedeutet' hier der Wechsel in der Richtung der meinenden Intention auch einen 20 Wechsel des Gegenstandes.! Leben wir in freien Phantasien oder in Erinnerungen, so geht das Meinen, die vorstellende Intention auf das Bild s u jet. Wir können aber auch auf das Bildobjekt achten und wieder auf die Weise seiner Erscheinung achten, auf die konstitutiven Bestandstücke der Erscheinung, 25 auf die sinnlichen Phantasmen usw. Wir können das Bildobjekt der Phantasie beschreiben: wie wenn wir z.B. sagen: Ich erinnere mich jetzt des Botanischen Gartens, wie er zur Phantasie das Objekt von verschiedenen Seiten vor und im Sujetbewusstsein lebend frage ich mich, wie wirkt es am meisten ästhetisch? Auch beim physischen Bild: Wesentlich ist, von welcher Seite das Objekt zur Darstellung kommt. Dazu auch das Wie hinsichtlich dessen, was nicht Sache des Objekts ist, z.B. Marmor, Pinselführung, Art der Farbenwirkung etc. Der Erscheinung, so wie sie in der Phantasie ist, wendet nicht der Künstler, sondern nur der Psychologe seine Aufmerksamkeit zu. 1 Indem die Intention auf das Objekt geht, geht sie notwendig auf das Objekt in irgendeiner "Erscheinung" (Seite). Also haben wir zu unterscheiden 1) das Phänomen der primären Erscheinung (Bildobjekt-Erscheinung), 2) das Bewusstsein, das auf das Sujet gerichtet ist, und zwar in einer seiner Erscheinungen aus der Synthesis. Es wird durchaus notwendig sein, die Begriffe von Erscheinung zu differenzieren und verschiedene Namen einzuführen.
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Sommerszeit war, voll rauschender Bäume, blühender Blumen, schattiger Hänge. Aber die Farben wollen mir nicht kommen, ich finde mehr die plastischen Formen, statt der Farben mehr ein flüchtig wechselndes Grau u. dgl. Da achten wir auf die Erschei5 nung selbst und vergleichen ihren Inhalt mit dem intendierten Sujet. Das Phänomen der normalen Phantasievorstellung und der Vorstellung, die auf die Phantasieobjekte, überhaupt die Bildobjekte, gerichtet ist, ist also offenbar verschieden. Es ist, um noch ein Beispiel zu haben, offenbar verschieden, ob wir bei 10 der Lektüre einer, Reisebeschreibung in dem Phantasiebewusstsein als einem Bewusstsein der anschaulichen Vergegenwärtigung der fremden Ländedeben oder ob wir, etwa durch ein psychologisch-deskriptives Interesse abgelenkt, unser Interesse und Meinen auf die Phantasiebilder selbst hinlenken. Dabei kann die 15 Auffassungsgrundlage genau dieselbe sein. Es erscheinen dieselben Bildobjekte.und begründen dieselbe Beziehung auf die fernen Länder. Einmal sind aber die Bildobjekte, das andere Mal die fernen Länder das Gemeinte und Interessierende.
Von den beiden Auffassungen, die sich im Bewusstsein der Phantasiebildlichkeit und im immanenten Bildlichkeitsbewusstsein überhaupt durchdringen, ist die eine offenbar uns e 1bständig, die andere selbständig. Die Erscheinung, die das 30 Bildobjekt uns vor Augen stellt, könnte so, wie sie im Bildlichkeitsbewusstsein auftritt, auch ohne solche imaginative Funktion erlebt seiu. Was hingegen die modifizierende Auffassung anbelangt, durch welche das Bild erst zum Bild wird, so ist sie evidentermassen gebunden an eine fundierende Erscheinung. Wo 35 keine Erscheinung, da ist auch nichts da, was als Bild dazu dienen könnte, ein anderes zu vergegenwärtigen, ein Gegenstand muss
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uns vor Augen stehen, damit wir in ihm einen anderen vorstellig machen können. Wie verhält es sich nun mit dieser fundierenden Auffassung im Verhältnis zur Wahrnehmungsauffassung? Wir können die SachS lage in den Fällen studieren, in denen das Bildlichkeitsbewusstsein, das sich aufgrund einer primären Erscheinung konstituiert hatte, wegfällt. Zunächst kommen solche Fälle bei der physischen Bildauffassung vor. Wir wollen voraussetzen, dass das physische Bild in 10 der Wahrnehmung gegeben ist. Hier es auch schon beim Vorhandensein der Bildauffassung, von der wir ja leicht abstrahieren können, klar, dass die fundierende Bild-Objekterscheinung an und für sich genommen den Charakter einer Wahrnehmungserscheinung hat, einer gewöhnlichen Präsentation. Es ist natür15lich keine normale und volle Wahrnehmung, sofern das Erscheinende, z.B. die Bild-Person des Ölgemäldes, nicht als wirklich gegenwärtig gilt, sie erscheint als gegenwärtig, wird aber nicht für wirklich gehalten. Ein Glaubensbewusstsein mag vorhanden sein, aber es bezieht sich nicht auf den Gegenstand der Wahr20 nehmungsauffassung, sondern auf denjenigen, der bildlich hineingeschaut wird, auf die nichtgegenwärtige, aber im Gegenwärtigen zur Bildvorstellung kommende, auf die eben nur vergegenwärtigte Person. Dass die Umwandlung eines Bildphänomens durch Fortfallen der imaginativen Funktion eine gewöhn25liche Wahrnehmungsauftassung, evtl. sogar eine volle, mit dem normalen Glauben ausgestattete Wahrnehmung hervorgehen lässt, zeigen die schon öfters erwähnten Täuschungen a la Panoptikum, Panorama etc. Hier mag es zunächst sein, dass wir die Puppe als Menschen sehen. Wir haben da eine, wenn auch nach30 träglich als Irrtum sich herausstellende normale Wahrnehmung. Werden wir uns plötzlich der Täuschung bewusst, dann tritt das Bildlichkeitsbewusstsein ein. Aber in diesen Fällen will es sich nicht auf die Dauer durchsetzen. Die Wachsfigur gleicht mit ihren wirklichen Kleidern, Haaren usw., ja selbst in den durch 35 mechanische Vorrichtung künstlich nachgeahmten Bewegungen so sehr dem natürlichen Menschen, dass sich momentan immer wieder das Wahrnehmungsbewusstsein durchsetzt. Die imaginative Auffassung fällt weg. Wir "wissen" zwar, dass es Schein sei, aber wir können uns nicht helfen, wir sehen einen Menschen. Das
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begleitende begriffliche Urteil, es handle sich um ein biosses Bild, wird wirkungslos gegenüber dem Wahrnehmungsschein, und die Neigung, ihn für die Wirklichkeit zu nehmen, ist so gross, dass <wir> für Momente sogar glauben möchten. Die Zwiespältig5 keit, in die wir da versetzt werden, ist natürlich ein grober und ganz unästhetischer Effekt. Wachsfiguren, aufs genaueste die Wirklichkeit nachahmend, mit wirklichen Kleidern behängt, mit echten Haaren ausgestattet usw. geben Wahrnehmungserscheinungen von Menschen, die sich mit den abgebildeten so voll10 kommen decken, dass die Momente der Differenz ein reinliches und klares Differenzbew-usstsein, d.h. ein sicheres Bildlichkeitsbewusstsein nicht erzeugen können. Dies aber ist das wesentliche Fundament für die Möglichkeit ästhetischen Fühlens in der bildenden Kunst. Ohne Bild keine bildende Kunst. Und das Bild 15 muss sich k I ar von der Wirklichkeit scheiden, d.h. rein intuitiv, ohne alle Beihilfe von indirekten Gedanken. Wir sollen aus der empirischen Wirklichkeit herausgehoben und in die ebenfalls intuitive Welt der Bildlichkeit emporgehoben werden. Der ästhetische Schein ist nicht Sinnentrug, die Freude am plumpen 20 Reinfall oder am rohen Widerstreit zwischen Wirklichkeit und Schein, wobei der Schein bald als Wirklichkeit, die Wirklichkeit bald als Schein sich ausgibt, Wirklichkeit und Schein gleichsam Verstecken miteinander spielen, das ist der äusserste Gegensatz zum ästhetischen Wohlgefallen, das sich auf das friedliche und 25 klare Bildlichkeitsbewusstsein gründet. Ästhetische Effekte sind nicht Jahrmarktseffekte.
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verhalten mag (wir wollen das näher hier nicht diskutieren), es gibt oft Fälle, wo sich Phantasieerscheinungen als kernige Gestaltung geben, wo sie scharf gezeichnete, plastische, farbensatte 10 Gegenstände zur Anschauung bringen. In unzähligen und den meisten Fällen verhält es sich anders. Die Phantasieobjekte erscheinen wie leere Sc h e m e n, durchsichtig blass, mit ganz ungesättigten Farben, mit mangelhafter Plastik, oft nur vagen und schwankenden Konturen, ausgefüllt mit einem je ne sais 15 quai, oder eigentlich mit nichts ausgefüllt, mit nichts, was dem Erscheinenden als begrenzende, so und so gefärbte Fläche zugedeutet würde. Proteusartig ändert sich die Erscheinung, da blitzt etwas wie Farbe und plastische Form auf, und schon ist es wieder weg, und die Farbe, auch wo sie aufblitzt, hat etwas 20 eigentümlich Leeres, Ungesättigtes, Kraftloses; und ähnlich die Form etwas so Vages, Schattenhaftes, dass uns nicht einfallen konnte, dergleichen in die Sphäre aktueller Wahrnehmung und Bildlichkeit hineinzusetzen. Das sind Unterschiede, die wir zwar mit Ausdrücken aus dem Wahrnehmungsgebiet beschreiben und 25 doch nicht in ihm wiederfinden; es sind neue Unterschiede. 1 Ungesättigte Farben in der Wahrnehmung, das sind Farben, die sich dem Grau nähern. Aber ein Grau kann etwas so Klares, Festes Reelles sein wie nur irgendeine Farbe. Aber das Rot, das in der Phantasie auftaucht, nähert sich nicht nur dem Grau an, 30 obschon es das gerne tun mag; denn wenn es das tut, so zeigt doch das Grau der Phantasie selbst eine unsagbare Leere, der die Fülle des wahrgenommenen Grau als Gegensatz gegenübersteht. Es fehlt nicht ganz an Analoga im Wahrnehmungsgebiet: Ich erinnere an die Erscheinungen, die wir in der Dämmerung, be35 sonders bei Nebel, oder im Halbdunkel haben; die Unterschiede 1 Genauer betrachtet sind es zwei Unterschiede. Zunächst 1) der Unterschied der KraftlgkeIt und Unkraftigkeit, der Lebendigkeit, der Fulle und Leere und Leblosig· kelt< ?>. DIeser erste Unterschied bezieht sich auf die primitiven Momente der Darstellung: dIeselben Momente können kräftiger, minder kraftig etc. <sein>.
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der Fülle, welche die Erscheinungen je nach Wechsel der Beleuchtungshelligkeit besitzen. Und doch erscheint es wieder anders. Während also bei der physischen Bildlichkeit die primären Erscheinungen, die der Bildobjekte, ganz und gar die Fülle und 5 Kraft der Wahrnehmung haben, eröffnet sich hier bei den Phantasiebildern, den primären Phantasieerscheinungen, eine Sphäre von Unterschieden und graduellen Abstufungen, welche eben die Fülle, Lebendigkeit der Erscheinung betreffen, und sie offenbar betreffen auf Grund entsprechender Unterschiede in den 10 Auffassungsinhalten, den Phantasmen. Offenbar hängt mit diesem Wechsel der Fülle und Lebendigkeit auch ein Wechsel in der Angemessenheit der Repräsentation in der Phantasie zusammen. Allgemein zu sagen ist es ja sicher, dass die Phantasievorstellungen mit den Bildvorstellungen den Unterschied zwischen voll15 kommener und unvollkommener Darstellung gemein haben. Aber ein gradueller Wechsel der Angemessenheit tut sich bei der Phantasievorstellung auf, der bei der physischen Bildlichkeit fehlt. Und zug 1 e ich werden wir aufmerksam, dass bei der letzteren das jeweilige Bild ein festes Bild zu sein pflegt, das daher seine Stufe der 20 Angemessenheit ein für allemal hat. Hier aber ist das Bild etwas Schwebendes, Schwankendes, sich Änderndes, bald an Fülle und Kraft Zunehmendes, bald Abnehmendes, also in der Vollkommenheitsskala dadurch beständig immanent sich Änderndes. Doch das gehört zugleich schon zu einem zweiten Punkt.
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Ein zweiter, bei den gemeinen Bildern fehlender Unterschied liegt nämlich in der nicht nur das Moment der Lebendigkeit betreffenden Dis k 0 n tin u i t ä t der Erscheinungsfolge auf Grund derselben, sich identisch erhaltenden Vorstellungsintention gegenüber der Kontinuität im Fall der physischen Bilderscheinung, die sich darin genau so Wie bei der Wahrnehmung verhält. Mit einem Wort: das Proteusartige der Phantasie.1 1 An dieser Stelle fügte Husserl ein auf ,,2.X.1898" datiertes Blatt in das Vorlesungsmanuskript von 1904/05 ein. Es trägt den oben S. 61, Zeile 1 bis S. 63, Zeile 5 wiedergegebenen Text; vgl. die Textkritischen Anmerkungen. - Anm. d. Hrsg.
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In der Einheit einer Wahrnehmung gibt es nur solche Än~ derungen der Erscheinungsgrundlage, welche Zusammengehöriges in Zusammengehöriges ändern. Die Einheit der Synthesis des Wahrnehmungszusammenhangs bzw. des Zusammenhangs in der 5 Auffassungsgrundlage ist eine fest geordnete. In dieser Ordnung gehört ein jedes Glied in seinen bestimmten Zusammenhang. Dasselbe gilt von der Einheit des repräsentativen Bildes in der physischen Bildvorstellung. All die Änderungen, welche er~ wachsen, indem unser Blick über das Bild hinweggleitet, gehören 10 zusammen, in ihnen konstituiert sich die betreffende "Seite" des Gegenstandes. Und wenn das Bild 'ein bewegliches ist, wie etwa im Stroboskop,' im Kinematographen, so wird doch die Einheit des präsentativen und dementsprechend des repräsentativen Zusammenhangs (dem die Einheit des sich in ihm entfaltenden 15 Gegenstandes! entspricht) gewahrt. Darin besteht die Stetigkeit und Konstanz der Erscheinung. Wie immer die Erscheinung wechseln mag, wo eben die Auffas~ sungsgrundlage eine flüssige ist, da bewegt sich die Änderung in den Grenzen, die ihr die synthetische Einheit des prä sen t a~ 20 ti v e n Zusammenhangs vorschreibt. In allem Wechsel erscheint ein und derselbe Bildgegenstand und durch ihn kommt der eine und selbe abgebildete Gegenstand zur Vorstellung. Wir haben hier also eine identische repräsentative Beziehung. Jedes repräsentative Moment behält in aller Änderung seine repräsentative 25 Funktion, nämlich es gehört zur identischen Einheit des Bild~ gegenstandes, der sich in der wechselnden Erscheinung nur in dieser oder jener Richtung entfaltet. Demgegenüber steht das Proteusartige der Phanta~ sie e r s c h ein u n g: Es liegt darin, dass in der Einheit der Phan~ 30 tasievorstellung die Ein h e i t des repräsentativen Bildes niclit gewahrt bleibt. Der als Bild erscheinende Gegenstand bleibt in der Einheit der bildlichen Vorstellung, in der identischen Einheit der auf denselben ungeänderten Gegenstand gerichteten Intention, nicht ungeändert, sondern wechselt beständig. Und damit 35 wechselt Reichtum und Armut an repräsentativen. Momenten. Das Bild ist jetzt ein getreuer Repräsentant des Gegenstands, dann wieder ein weniger getreuer. Es ist jetzt eben ein Gegen~ 1 "Gegenstandes" später verändert in "Bildobjekts und Bildsujets". Hrsg.
Anm. d.
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stand zur Erscheinung gekommen, der aus dem vorigen sich herausentwickelt haben mag, aber eben nicht mehr derselbe ist, sondern ein anderer, mit weniger reichen repräsentativen Momenten. Gewöhnlich liegt die Sache so, dass das erst gegebene 5 repräsentative Bild sich ändert, oft aber auch so, dass innerhalb einer Phantasievorstellung verschiedene repräsentative Gegenstände auftauchen, die in bezug aufeinander nicht als Änderungen gelten können. So z.B.: Ich stelle mir Bismarck vor, und zwar durch eines der bekannten Bilder in Kürassier Uni10 form. Dann taucht plötzlich ein anderes Bild .auf in Zivil etc. Gleichwohl kann die Einheit des vorstellenden Bewusstseins bestehen bleiben, so dass wir von einer Phantasievorstellung mit diskontinuierlicher Repräsentation sprechen können. Sehen wir von diesen Diskontinuitäten ab, so kommen doch 15 auch andere in Betracht: nämlich das In t e r m i tt i e ren des Bildes. Seine Flüchtigkeit, Verschwinden und Wiederkehren. Was ferner die Variabilität des einzelnen anbelangt, das, solange es nicht verschwindet, auch nicht ungeändert bleibt, so ist zu beachten, dass die Ver ä n der u n g des Bild e s, die normaler20 weise während einer nicht allzu kurz dauernden Phantasievorstellung zu konstatieren ist, durchaus nicht zu verwechseln ist mit den Veränderungen der Erscheinung, die sich innerhalb der Synthesis des Erscheinungszusammenhangs bewegt. In dem letzteren Fall ist das abbildende Objekt ungeändert, im-ersteren 25 Fall ist das abbildende Objekt geändert. Wenn mir ein lieber Freund zunächst in farbensatter Lebendigkeit erscheint, und dann, unter Erhaltung der Gestalt, die Farben in ein leeres Grau verschweben, oder wenn die ganze Erscheinung so ähnlich und doch ganz anders verfliesst wie die äusseren Wahrnehmungs30 erscheinungen im Eintritt der Dämmerung und Dunkelheit; so sind das Änderungen, welche die Identität des abbildenden Gegenstandes aufheben. Wenn hingegen die Phantasie sich besonders lebhaft erhält (wir wollen einmal annehmen, in voller Lebhaftigkeit, welche der Wahrnehmung nichts nachgibt) und 35 der Freund in der Vorstellung als sprechender, sich mannigfaltig bewegender erscheint u.dgl., so sind das Änderungen, welche zur identischen Einheit der repräsentativen Gegenständlichkeit gehören. In der Phantasievorstellung kombinieren sich nun beiderlei Veränderungen. Und die Einheit des repräsentativen Be-
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wusstseins setzt sich nicht bloss durch die Erscheinungsänderungen hindurch, welche zu der Identität des abbildenden Gegenstandes gehören, sondern auch durch die anderen Erscheinungsanderungen, in denen der erscheinende Gegenstand proteusartig 5 wechselt. ! 15 ebenfalls durch Glauben ausgezeichnet. 25 In der Erinnerung erscheint eine Gegenständlichkeit intuitiv, aber von ihr ist im ,primären Sinn nichts gegeben. Die Gegenständlichkeit erscheint von einer Seite, ebenso wie die gleiche in der Wahrnehmung nur' von einer Seite erscheinen würde. Während aber hier die erscheinende Seite das aktuell Gegenwärtige 30 vom Ding ist, ist sie bei der Erinnerung nur das aktuell Erinnerte, das Erinnerte im primären Sinn. Das übrige vom Gegenstand ist beiderseits hinzu apprehendiert.
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Das Ergebnis unserer letzten Untersuchungen können wir so rekapitulieren: Es besteht zwischen der Imagination im eigentlichen Sinn (z.B. physischer Bildlichkeit) und der Imagination 10 im Sinn der schlichten Phantasie ein wesentlicher Unterschied. 1) Imagination im eigentlichen Sinn, Vorstellung mittels eines Bildes, besteht darin, dass ein erscheinender Gegenstand als Abbild gilt für einen anderen, ihm gleichen oder ähnlichen Gegenstand. Im Fall eines physischen Bildes konstituiert sich der er15 scheinende Gegenstand in einer Wahrnehmung. Also ein als gegenwärtig erscheinender Gegenstand fungiert als Bildrepräsentant für einen nichtgegenwärtigen, genau, für einen anderen, in diesem Akte nicht sich präsentierenden Gegenstand. Hier durchdringen sich mehrfach Auffassungen; ganz ähnlich wie im Fall 20 der signierenden bzw. symbolisierenden Funktion: Das Symbol erscheint für sich, ist aber Träger einer Beziehung auf ein anderes, darin Bezeichnetes. So ist auch bei der eigentlichen Bildfunktion das "Bild" in einer eigenen gegenständlichen Auffassung konstituiert und Träger einer Beziehung auf das Abgebildete. Dabei 25·stellten sich freilich zwischen der symbolisierenden Funktion und der im Bild darstellenden wichtige Unterschiede heraus. Die symbolisierende Funktion ist eine äusserlich vorstellende, die bildliehe eine innerlich darstellende, ins Bild die Sache hineinschauende. - In jeder Bildrepräsentation unterscheiden wir die 30 Träger des Bewusstseins der Verbildlichung von den Momenten, die diesem Bewusstsein äusserlich bleiben. Unter allen Umständen muss zu den Trägern einer dinglichen Verbildlichung die plastische Form gehören, nicht aber die qualitativen Bestimmtheiten. Im reinen Bewusstsein der Verbildlichung wird 1
7.II.1905. Resümee.
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in das Bild hinsichtlich dieses tragenden K ern e s das S u jet hineingeschaut und <es> identifiziert sich damit rein. Das Bewusstsein der Deckung kann aber auch unrein sein, d.h. der Abstand zwischen der Sujetintention und der Bildobjekterscheinung 5 wird fühlbar, und zwar auch hinsichtlich der verbildlichenden Momente. - Dies sind die Übergangsphänomene zum s y mbol i s c h fungierenden Bildbewusstsein. Das Bild weist nun aus si c h her aus, es weist auf ein sich davon abhebendes anderes hin, an das es vermöge seiner Ähnlichkeit erinnert und das 10 es als Ähnlichkeitsrepräsentant abbildet. Diese äusserlich abbildende Funktion haftet auch dem "getreuen" Bild an, sowie die Achtsamkeit auf diejenigen Momente des Bildobjekts gerichtet ist, die hinsichtlich der Darstellung ein Manko darstellen: nämlich die überhaupt nicht darstellen. Solcher Momente gibt es 15 immer: Das Bild ist nicht selbst das Original. Soviel über die Imagination im eigentlichen Sinn, zunächst in der Form der physischen Imagination. 2) Die I mag i na t ion als P ha nt a sie. Sie ist von der I eigentlichen Bildfunktion, gleichgültig ob in ihr das immanente 20 oder das transeunte Bildbewusstsein prävaliert, scharf geschieden dadurch, dass es ihr an einem sich eigens konstituierenden Bi 1dobjekt fehlt. Und nun gar ein als gegenwärtig erscheinendes Bildobjekt. Hier wird also nicht wie in der physischen Bildlichkeit in ein als gegenwärtig erscheinendes Bildobjekt, in ein Ob25 jekt, das sich als Glied der Blickfeldgegenständlichkeit gebärdet, das Sujet hineingeschaut, oder äusserlich durch ein solches das Sujet abgebildet, oder gar nach entfernter Ähnlichkeit symbolisiert. In der Phantasievorstellung haben wir zwar eine Erscheinung von einem Gegenstand, aber keine Erscheinung von einem 30 Gegenwärtigen, mittels welcher Erscheinung von Nichtgegenwärtigem zustande käme. Wir werden gleich hören, dass es auch an einem Bildobjekt in jedem anderen Sinn bei den schlichten Phantasievorstellungen fehlt.
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Doch wir müssen der Klarheit halber nun zwei Fälle unterscheiden, 1) die schlichte Phantasievorstellung 2) die bildlich sich vermittelnde. In der letzten bezieht sich die Vorstellung mittelbar auf den Gegenstand, nämlich mittels einer Bildvorstellung, so dass sich hier, analog wie bei der phy10 sischen Bildfunktion, ein Bildbewusstsein konstituiert. In der schlichten Phantasievorstellung ist das nicht der Fall. In der bildlichen sind zwei Vorstellungsfunktionen aufeinandergebaut und durch Bildlichkeitsbeziehung aufeinander bezogen: Die fundierende ist eine Phantasievorstellung. Sie konstituiert phanta15 siemässig ein Objekt, das nun seinerseits mit einer imaginativen Funktion ausgestattet ist. So z.B. Wenn ein Geologe sich auf Grund von einigen, durch Versteinerungen an die Hand gegebenen Merkmalen eine anschauliche Vorstellung von einer vorweltlichen Tierart macht. 1 20 • Und so überhaupt,.2 wenn ein Phantasiebild eben als biosses Bild für etwas dient, was im Bild nicht selbst als angeschaut genommen wird. Auch hier kann je nachdem das Hineinschauen oder das Symbolisieren und Analogisieren überwiegen. Der Unterschied dieser echten und eigentlichen Bildfunktion in der Phan25 .t a sie gegenüber derselben Funktion im Fall der Bild li c hkeit der Wahrnehmung ist klar: Das Bildobjekt ist in diesem Fall ein als gegenwärtig erscheinendes, in dem Phantasiefall ein phantasiemässig erscheinendes, also nicht gegenwärtig erscheinendes. Andererseits aber hebt sich das Bewusstsein der 30 echten Bildlichkeit als ein Gemeinsames heraus. Ferner ist es klar, dass die echte imaginative Funktion in der Phantasie voraussetzt eine Phantasievorstellung, die nicht wieder imaginativ, wenigstens dies nicht in demselben Sinn ist. Wir werden also hingewiesen auf schlichte Phantasievorstellungen; wie die Wahr35 nehmungsbildlichkeit in Wahrnehmung fundiert ist, so ist die 1 2
Hier steckt ein Glaube, eine Vermutung. Also die Vorstellung keine "biosse". Bekannt und unbekannt.
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Phantasiebildlichkeit fundiert in' Phantasie, die nicht selbst schon Bildlichkeit ist.
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selbst bezogenen Charakter der Modifikation tragen, wenn es als bloss Vorgestelltes gelten sollte. Urteilen wir, so bezieht sich ein Urteilsbewusstsein auf einen 15 Sachverhalt. Von diesem Urteilsbewusstsein haben wir nicht vermöge einer darauf bezogenen Aktion eine innere Wahrnehmung, aber wir können eine solche haben, und das geschieht ausnahmsweise, in der "Reflexion". Wir urteilen wirklich, solange nichts weiter statthat als jenes schlichte Glaubensbewusstsein. 20 Wir urteilen noch, wenn wir wahrnehmend auf dieses Bewusstsein hinblicken: Das Wahrnehmen modifiziert nicht, im Gegenteil, in ihm konstituiert sich intuitiv das aktuelle "Dasein". Sowie wir aber uns phantasierend verhalten, sowie wir das Urteilsbewusstsein als Repräsentanten für ein gleiches Urteilsbewusst25 sein nehmen, sowie wir, statt das Urteil schlicht zu vollziehen oder auch schlicht darauf hinzublicken, vielmehr mit ihm ein anderes vorstellig machen in der Weise des schlichten Phantasiebewusstseins, ist das Urteil nicht mehr "aktuelles" Urteil, sondern Urteilsrepräsentant. 1 Kann je des? Und nur empirisch psychologische Gründe schliessen es aus oder bestimmen welches? ! Nein. Die vollen und wirklichen Erlebnisse können nie modi· flziert aufgefasst werden, die wirkliche Vorstellung, das wirkliche Urteil etc. wird nicht nUr nicht modifiziert, sondern kann nicht modifiziert werden, es sei denn in der Weise perzeptiver Bildlichkeit. Also mus s ein ursprünglicher Unterschied bestehen. Ich darf also nur sagen: Nach idealer Möglichkeit gesprochen korrespondiert jedem konkreten Erlebnis eine Modifikation; es ist "im Wesen" dasselbe, aber hat den "Charakter" der Vergegenwärtigunga. Wir haben aber nicht den "Inhalt" A und dazu den "Charakter der Vergegenwartigung" als ein neues Erlebnis, sondern "Vergegenwartigung von A", im "Wesen" A übereinstimmend mit Gegenwärtignng von A. Das Erlebnis Vergegenwärtigung von A bat selbst den Charakter einer Gegenwartigung von Vergegenwärtigung von A. a Kann das aber etwas anderes heissen als: in der Reflexion ist das Erlebnis nur auffassbar als Phantasie, als Vergegenwärtigung von etwas?
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Dagegen, das Phantasieren eines Urfeils, das wir jetzt vollziehen, ist wiedemm ein Gegenwärtiges, und zwar ein solches, welches ein Urteilsbewusstsein als Phantasma einschliesst; dieses Phantasma als solches, als Repräsentant, ist selbst wieder ein 5 Gegenwärtiges, aber ein mit dem Charakter der Diskreditierung verknüpftes. Es ist gegenwärtig in Verein mit diesem Bewusstsein. Natürlich würde dasselbe für alle Phantasien gelten, und ·für alle Verhältnisse von Empfindung und Phantasma. Was ist der 10 Unterschied zwischen empfundenem und Phantasie-Rot? Ein empfundenes Rot ist entweder ein Rot, das schlicht erlebt oder das zugleich erlebt und wahrgenommen ist; oder endlich, das als präsentierender Inhalt in einer äusseren Wahrnehmung, z.B. der Wahrnehmung eines roten Hauses, auftritt. Denn in all diesen 15 Komplexionen bleibt das Rot sozusagen ungeschoren. Sowie aber das Rot eine Phantasiecharakterisiemng erfährt, sowie sich mit ihm das Bewusstsein eines vergegenwärtigten Rot konstituiert, gilt es nicht mehr als selbst, es ist nun modifiziert, diskreditiert. Aber vorausgesetzt ist dabei das Vergegenwärtigungs20 Bewusstsein der Phantasie!l Würde ein Rot in eigentlicher, und zwar perzeptiver Bildlichkeit ein anderes darstellen, dann wäre es nicht diskreditiert; weil es ja gleichzeitig einer Wahrnehmungsauffassung angehörte, die seinen Kredit aufrecht erhielte. In genetischer Hinsicht ist eine solche Diskreditiemng ausser25 ordentlich bedeutsam. Ein Phantasiewille, ein diskreditierter, löst keine Handlungen aus, ein Phantasieurteillöst keine Wollungen äus, usw. Zum Teil gehören zu diesen Unterschieden Wesenszusammenhänge, auf die hier nicht eingegangen werden kann.
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Fragt man, wie es mit den Fällen steht, wo wir uns einer vergangenen Freude erinnern und uns zugleich über dasselbe aktuell 1 Aber, wird denn ein "anderes" dargestellt in der Phantasie, es sei denn, dass ich mir eine Sache in der Phantasie vorstelhg machen will, wo die Phantasie eben noch die Intention auf diese angenommene oder im Glauben gesetzte Sache erhalt. In der schlichten Phantasie stellt das Geschaute nichts anderes vor, sondern <sich> selbst: aber modifiziert.
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freuen, uns eines vergangenen Urteils erinnern und die überzeugung jetzt noch teilen, uns eines vergangenen Willens erinnern und zugleich jetzt dasselbe wollen (den Willensentschluss aufnehmen), so wäre etwa zu sagen: Es handle sich um Doppel5 phänomene, die sich decken, aber doch nicht anders denn als doppelte zu verstehen seien. Nehmen wir die entgegengesetzten Fälle: Wir erinnern uns unserer vergangenen Freude über den Sieg einer Partei, den wir jet z t vielmehr bedauern, wir erinnern uns einer vergangenen überzeugung, die wir jetzt nicht 10 mehr teilen usw. Dann verknüpft sich mit dem modifizierten Bewusstsein der Freude das aktuelle Bewusstsein einer Unfreude, mit dem modifizierten Bewusstsein eines Glaubens der aktuelle Unglaube. Immer bezogen auf dieselbe Vorstellungsgrundlage. Handelte es sich um lauter unmodifizierte Erlebnisse, so wären 15 solche Verbindungen nicht herstellbar (und zwar wohl aufgrund von Wesensgesetzen).l Eine Freude über A und eine Unfreude über A, über denselben Gegenstand, in derselben Hinsicht, schliessen sich aus. Die Überzeugung, es sei A, und die überzeugung, es sei A nicht,. beide überzeugungen festgehalten in 2Q einem und demselben Akte, schliessen sich aus. Hingegen stört sich die Modifikation eines Aktes mit dem aktuellen Vollzuge des unmodifizierten entgegengesetzten gar nicht. Beide liegen sozusagen in verschiedenen Dimensionen. Ebenso ist es unausdenkbar, dass ein und derselbe Sachverhalt 25 in einem Akte doppelt geglaubt werden könnte, doppelt gewollt, doppelt gefallen usw. Das ist evident unmöglich. Wir werden daran erinnert, dass im Blickfeld jede Stelle nur einmal erscheinen kann. Daher die totale Deckung der Gesichtsfelder bei der Augen hinsichtlich ihrer identischen Partien. Den korre- . 30 spondierenden Stellen beider Gesichtsfelder entsprechen dieselben unmodifizierten Erlebnisse, daher bilden sie eben ein und nicht zwei Erlebnisse. Sowie aber die modifizierende Phantasie in Aktion tritt, schafft sie auch schon eine neue Dimension. Die begrifflich identischen Phänomene geben zwar kein anschau35 lieh es Aussereinander und Nebeneinander , aber sie geben vermöge der Differenz der Auffassungen eine Doppelheit in der deckenden überschiebung. Die aktuelle Freude über den Sieg 1
Zu uberlegen.
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einer guten Sache deckt sich hinsichtlich des begrifflichen Wesens mit der Erinnerung an die früher empfundene Freude, und doch bleibt eine Doppelheit: Wir erinnern uns der Freude über den Sieg und freuen uns seiner noch. Und ebenso beim Urteil: 5 Wir erinnern uns, dass wir an ein X geglaubt haben, und glauben dasselbe noch.
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An unserer Gesamtauffassung der Wahrnehmung gegenüber der Phantasie wäre damit offenbar nichts geändert. Wir schrieben jeder vorläufig einen Charakter zu. Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, sagten wir, ist der fundamentale Unter15 schied. Aber über die Natur dieses Unterschiedes, sofern er auf Bewusstseinscharakterisierung beruht, waren die Akten nicht geschlossen. Im Gegenteil haben wir schon gelegentlich darauf hingewiesen, dass hier Probleme übrigbleiben. Wir können bei der jetzt versuchten Auffassung' noch immer sagen: Es ist ein letzter und 20 fühlbarer Unterschied zwischen Präsentation und Repräsentation. Wir klären ihn aber jetzt so auf, dass wir in der Repräsentation einen modifizierenden Charakter sehen und in der Präsentation das entsprechend Unmodifizierte. Die Wahrnehmung nimmt das Erscheinende Selbstsein, d.i. eben, sie modifiziert nicht, sie 25 imaginiert damit nichts, sie nimmt es eben als selbst. Dieselbe Erscheinung kann einem Vergegenwärtigungsbewusstsein zugrundeliegen, das ist die Modifikation. Das darf aber nicht so verstanden werden, als ob das Erscheinende erst un-modifiziert gegeben <sei> und dann erst die Modifikation auftritt, das gegen30 wärtig Gegebene in ein Nichtgegebenes bildlich umdeutend. Das ginge nicht. Das ist durch unsere Analysen der Phantasie ausgeschlossen. Das Phantasma ist ein Erlebnis, aber nicht ein erst als gegenwärtig, als selbst genommenes und dann für ein anderes genommenes. Nehmen wir das Phantasma für ein Gegenwärtiges, 35 so tun wir es nur, weil es Bestandstück ist der Phantasievorstellung, die ihrerseits ein Gegenwärtiges ist. Unmodifiziert heisst
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hier alles, was nicht in Funktion eines Phantasma in einer tasie fungiert. 1
Phan~
Die andere Weise, sich die Verhältnisse hier zurechtzulegen, besteht darin, dass man zwei gleichberechtigte Auffassungen oder charakterisierende Weisen als Gegenwärtigung und Ver10 gegenwärtigung statuiert und ihnen entsprechend ausserdem zwei Weisen, wie\gattungsmässig gleiche Inhalte im Bewusstsein realisiert sein können. Empfindung und entsprechendes Phantasma sind, abgesehen von den verschiedenen Auffassungsweisen, in sich schon verschieden charakterisiert, unbeschadet der in15 haltlichen Gemeinsamkeiten. Es gehört dann zum Wesen des Phantasma, dass es nur repräsentativ fungieren kann. 2 Wenn wir urteilen, so ist das Urteilen im allgemeinen nicht wahrgenommen. Aber empfunden ist es. Wenn wir ein Urteil einbilden, so ist das Urteilserlebnis nicht Empfindung, sondern 20 Phantasma. Urteilsempfindung und Urteilsphantasma unterscheiden sich in demselben wesentlichen Moment, das Empfindung und Phantasma überhaupt trennt. Ebenso, wenn wir wahrnehmen, so nehmen wir nicht wieder das Wahrnehmen wahr. Aber das Wahrnehmen ist ein Erlebnis, und zwar Empfindungs25 erlebnis. Stellen wir uns aber in der Phantasie ein Wahrnehmen vor, so ist das gegenwärtige "Bild" davon Phantasma eines 1 Dann ware also das Phantasma in Wahrheit ein Gegenwärtiges, das Phantasma Rot em gegenwartiges Rot, das Phantasma Ton ein gegenwärtiger Ton, wenn auch m immanenter Objektivation (phänomenologisch). Das Phantasma Wunsch, Glaube, etc. ware reell da, nur mit einem anhängenden neuen Charakter ausgestattet, genannt diskreditierende Modifikation. Aber möge dies sich auch so nennen, der Glaube, der Wunsch ware reell gegeben. Das alles ist offenbar falsch. 2 Es gehört zum Wesen der Empfindung, dass sie unmittelbar unbedingt präsentatIv aufgefasst werden muss (und nur mittelbar, in der Weise der Bildlichkeit, repräsentativ). Andererseits gehört es zum Wesen des Phantasma, dass es unmittelbar nur reprasentativ aufgefasst werden kann, d.h. in einer modifizierten Auffassung, z.B. als Vergegenwartigung von Rot, als Vergegenwärtigung eines Toten Hauses, u.dgl. Die modIfizierte Auffassung selbst, die den Charakter eines Phantasma einer Auffassung hat, hat aber Empfindungscharakter.
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BEILAGE I
Wahrnehmens, nicht Empfindungserlebnis eines Wahrnehmens. Kann man diese Ansicht durchführen? Wie verhält es sich, wenn wir ein Phantasieerlebnis selbst als gegenwärtig nehmen? Die Phantasie müsste charakterisiert sein 5 als Empfindung, und somit würde das Phantasieren Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung sein. Es erschiene darin als gegenwärtig. Aber kann das Phantasma, das darin auftritt, nicht doch auch wahrgenommen werden und als gegenwärtig erscheinen,· wenn auch im Zusammenhang dieser Phantasieerscheinung?l 10 (Im Sinn der anderen Theorie erklärt sich aber alles: Das Phantasma erscheint als modifiziert, wenn als Träger einer Phantasieauffassung. Abstrahieren wir von dieser und betrachten wir das Phantasma als Teil des Ganzen der Phantasieauffassung, so ist es ein Gegenwärtiges. Als Phantasma bleibt es aber aus15 gezeichnet darum, weil wir von der Phantasieauffassung zwar abstrahieren, aber sie nicht beliebig beseitigen können. Und erst recht gilt das von den Erscheinungen, die sich durch transeunte Deutung der Sinnesinhalte ergeben. Wir können nicht willkürlich das Erscheinende als gegenwärtig nehmen, nämlich wir können 20 nicht infreierWillkür an Stelle der Phantasieauffassung,die nun ei nmal da ist, eine entsprechende unmodifizierte Auffassung setzen.)
BEILAGE I PHANTASIE UND BILDLICHE VORSTELLUNG
(3.-4. September bis 3. Oktober 1898) 30
Den Unterschied <der Phantasievorstellungen> gegen die Wahrnehmungsvorstellungen zu bestimmen, heben wir zunächst hervor, was an der Oberfläche liegt und durch die Bezeichnung bildliche Vor1 Das widerspräche aber der jetzigen Theorie, die es ja ausschliessen würde, dass ein Phantasma auch mal als Präsentant einer Wahrnehmung dienen könnte. Oder sollen wir sagen, es geschehe nur mittelbar, unmittelbar könne nur die Empfindung als Präsentant einer Wahrnehmung fungieren, das Phantasma aber unmittelbar nur als Präsentant einer Phantasie?
BEILAGE I
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stellung ausgedrückt ist: Wahrnehmungsvorstellungen stellen ihren Gegenstand als ihnen selbstgegenwärtigen vor; Phantasievorstellun~ gen hingegen vergegenwärtigen sich ihn im Phantasiebilde, wie die gewöhnlichen Bildvorstellungen es im physischen Bilde tun. S Was liegt nun in diesem "Vergegenwärtigen im Bilde" oder kurzweg im bildlichen Vorstellen? Bei jedem solchen Vorstellen unterscheiden wir Bild und Sache. Die Sache ist der von der bezüglichen ,Vorstellung im eigentlichen Sinne gemeinte Gegenstand und ist als solcher zugleich der für seiend 10 gehaltene, spezieller etwa der erinnerte oder erwartete, und wieder der bezweifelte, erfragte, erwünschte, befürchtete Gegenstand, wenn diese Vorstellung einem Für-seiend-Halten, etwa einem Erinnern oder Erwarten, und wieder einem Zweifeln, Fragen, Wünschen, Fürchten u.dgl. zu Grunde liegt. Wenn mir das Berliner Schloss "im Phantasie15 bild vorschwebt", so ist das Schloss selbst die vorgestellte Sache. Davon unterscheiden -wir aber als einen zweiten Gegenstand das vorschwebende Bild. In täuschender Äquivokation heisst auch dieses in der Phantasievorstellung vorgestellt. Etwas komplizierter gestaltet sich die Sachlage im Falle physischer Bilder. Hier ist, wie leicht 20 übersehen wird, die Rede vom Bilde zweideutig. Der abgebildeten Sache steht Doppeltes gegenüber: 1) das Bild als physisches Ding, als diese bemalte und eingerahmte Leinwand, als dieses bedruckte Papier u. dgl. In diesem Sinne sagen wir: Das Bild hängt schief, ist zerrissen u.ä. 2) Das Bild als durch die bestimmte Farben- und Formengebung 25 so und so erscheinendes Bildobjekt, also nicht das abgebildete Objekt, das Bildsujet, sondern das Analogon des Phantasiebildes. Wir können der Deutlichkeit halber terminologisch unterscheiden: das repräsentierende oder abbildende und das repräsentierte oder abgebildete Bildobjekt. Von beiden ist wieder unterschieden das physische 30 Bild. Die schlichte Rede vom Bilde ist aber zweideutig, sofern neben dem physischen Bilde auch das repräsentierende Bildobjekt als Bild bezeichnet wird. Ein Beispiel wird dies klarmachen. Z.B. diese Photographie stellt mein Kind vor. Zunächst entwirft es aber ein Bild, das dem Kinde zwar im ganzen gleicht, aber in Ansehung der erscheinen35 den Grösse, der Färbung u. dgt: gar sehr merklich von ihm abweicht. Dieses hier erscheinender Miniaturkind in widerwärtig grau-violetter Färbung meine ich nicht, wenn ich "in" diesem Bilde mir mein Kind vorstelle. Es ist eben nicht das Kind, sondern nur sein B i1 d. Und wenn ich so vom Bilde spreche~ oder auch sage, das Bild sei misslungen, 40 o~er gleiche dem Original, so meine ich natürlich nicht das physische ~11d, das Ding, das da an der Wand hängt. Das letztere ist ein wirklIches Ding, jenes aber ein bloss erscheinendes, das nie existiert hat und nie existieren wird. Somit ist natürlich dies Bild im zweiten Sinn, d~s repräsentierende Bildobjekt, nicht Teil oder Seite des physischen 45 Blld:s, ~tw~ die so und so verteilte Färbung auf dem Papiere. Das Schemdmg 1st ein dreidimensionaler Körper mit körperlicher Farben-
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BEILAGE I
verteilung, es ist nicht identisch mit der Papierfläche und ihren Farbenabschattungen. Dieselben Farbenempfindungen, die wir einmal als diese objektive Farbenverteilung auf dem Papier deuten, deuten wir das andere Mal als das Bild-Kind, aber nicht als das wirkliche Kind; 5 diesem schreiben wir ganz andere Farben zu, Farben, die uns im Bilde überhaupt nicht erscheinen. Solcher, nach Bildern und Bildarten wechselnder Differenzen gibt es bei jedem Bilde, sonst könnte es zur Bildvorstellung überhaupt nicht kommen. Bevorzugen wir nun für den Augenblick den einfacheren Fall der 10 Phantasievorstellungen. Sind bei ihnen Bild und Sache als z vi ei Gegenstände zu unterscheiden, so müssen auch zwei objektivierende Akte oder zum mindesten zwei Richtungen oder Komponenten der vergegenständlichenden Auffassung vorhanden sein. Das naive Denken fasst die Sache freilich einfacher. Im "Geiste" steckt das Bild, 15 und "draussen" ist allenfalls der Gegenstand; und existiert dieser nicht, wie wenn ich einen Drachen phantasiere, so ist eben nur das geistige Bild vorhanden, und weiter gibt es nichts zu erklären. Nichts weiter als die Kleinigkeit, wie der Geist es anfängt, mit dem Bilde in sich einen Gegenstand, der vom Bilde verschieden ist, vorzustellen. 20 Wenn ich ein Bild in die Schublade stecke, stellt sie sich nun den Gegenstand vor? Die naive Auffassung irrt aber vor allem, indem sie im Geiste, oder wenig verfeinert: im Bewusstsein so das Bild sein lässt, wie in der Wirklichkeit ein Ding. Wenn ich mir in der Phantasie einen Löwen "ausmale", so verhält sich dieses Bild zum wirklichen Löwen 25 analog, wie sich zu ihm etwa ein physisch gemalter oder photographischer Löwe verhält. In beiden Fällen sind die! Bildgegenstände wahrhaft ein Nichts, und die Rede von ihnen hat einen modifizierten Sinn, der auf ganz andere Existenzen hinweist, als welche sie selbst sich ausgeben. Das photographische Bildobjekt (nicht der photographierte 30 Gegenstand) existiert wahrhaft nicht. Wahrhaft, das besagt nicht: ausser meinem Bewusstsein, sondern überhaupt nicht, auch nicht in ihm. Was wirklich existiert, das ist die bestimmte Farbenverteilung auf dem Papier und desgleichen eine entsprechende Komplexion von Empfindungen, die ich, die Photographie betrachtend, erlebe. Ebenso 35 existiert das Phantasiebild wahrhaft überhaupt nicht, aber es existiert eine ihm entsprechende Komplexion von sinnlichen Phantasieinhalten im Erlebnis der Phantasievorstellung. Und wie dort die Farbenempfindungen in ihrer konkreten Komplexion nicht selbst das Bild sind (man wird doch, um nur eins zu nennen, die objektiv-volle drei40 dimensionale Körperlichkeit nicht der Empfindungskomplexion unterschieben), vielmehr durch einen auffassenden, deutenden Akt erst den Bildcharakter gewinnen, so gilt dasselbe auch hier bei der Komplexion von Phantasieinhalten. Der auffassende Akt fügt nicht etwa neue sinnliche Inhalte hinzu, als ob ein Mehr an Inhalten das 45 machen könnte, ohne welches überhaupt die Gegenständlichkeit für 1
Später eiugefligt: "repräsentierenden". -
Anm. d. Hrsg.
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den Vorstellenden nichts wäre; sondern er bringt die "Bewusstseinsweise" hinzu, die den Inhalt deutet, ihm gegenständliche Beziehung unterlegt, die aus dem blinden Dasein des Inhalts das mit ihm etwas Vorstellen, nicht ihn, sondern durch ihn etwas Meinen zustande 5 bringt.1 Dieses Meinen 2 erleben und den Gegenstand vorstellen 3 ist ein und dasselbe. Und real existiert im Bewusstsein nichts als der Inhalt, und zwar in dieser Tinktion der Auffassung und Meinung4 • Die überdies noch bestehenden Dispositionen, welche hier eine wichtige genetisch-psychologische Rolle spielen, gehen uns jetzt 10 nichts an. Dispositionen sind keine Bewusstseinsdaten, sie sind keine Erlebnisse, die deskriptivaufweisbar wären. Also im Erlebnis existiert in der Tat und eigentlich gesprochen weder das photographische Bild (unterschieden vom photographierten Gegenstand und von der Photographie als Ding) noch das Phantasiebild.
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Die Vergegenständllchung, die wir bisher betrachtet haben, schafft das abbildende 5 Bild, nicht die abgebildete Sache: Genauer besehen 20 schafft sie nicht einmal das Bild, sondern nur den Gegenstand, der als Bild erst fungieren soll. (Ich gestatte mir die bequemen Uneigentlichkeiten der Rede, welche die vorgestellten Gegenstände wie in der Vorstellung seiende behandeln.) Dies wird alsbald hervortreten, wenn wir uns dem Vorstellen zuwenden, das uns die vorgestellte Sache 25 liefert. Es muss von dem Vorstellen verschieden sein, in dem das 6 Bildobjekt erwächst. Die Objekte sind ja verschieden. In der Phantasievorstellung ist zwar das Bild in gewisser 'Weise vorgestelltes Objekt, aber das in ihr eigentlich gemeinte ist ein anderes, eine von ihr verschiedene Sache. Das Berliner Schloss ist nicht mein Phantasiebild 30 vom Berliner Schloss. Den letzteren Gegenstand7 in der Vorstellung haben, heisst noch nicht, durch ihn einen anderen und8 durch ihn ab1 Den SatzteIl "die aus dem blinden Dasein ... " bis zum Ende des Satzes hat Hus· serl spater WIe folgt verändert und ergänzt: "die aus dem blinden Dasein des Inhalts das Ihn als etwas Auffassen, <mit> ihm etwas Vorstellen, das nicht ihn, aber durch Ihn etwas gegenstandlich Haben zustande bringt". - Anm. d. Hrsg. 2 ,,'lIemen" spater verändert in "Auffassen". Anm. d. Hrsg. 3 Ubec "vorstellen" später eingefügt: "in der Erscheinung haben". Anm. d. Hrsg. 4 "und Memung" später gestrichen. Anm. d. Hrsg. 5 Spdter emgefugt: "repräsentierende". Anm. d. Hrsg. 6 Spdter emgefugt: "repräsentierende". Anm. d. Hrsg. 7 "Den letzteren Gegenstand" hat HusserI später eingeklammert und dafür eingefugt· "Das BIld, den reprasentierenden Bildgegenstand". - Anm. d. Hrsg. 8 Spater emgefugt: "zwar als einen". Anm. d. Hrsg.
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gebildeten meinen. Es ist! sehr wichtig, sich klar vor Augen zu halten, dass hier eine doppelte Gegenständlichkeit für die Phantasievorstellung selbst, als Erlebnis wie es ist, in Betracht kommt und dass es sich nicht etwa um einen nur begrifflichen Unterschied handelt, der 5 erst nachträglich in der Reflexion über das Verhältnis dieses Erlebnisses zur Wirklichkeit erwächst. Es ist nicht ein Unterschied der Art, wie wir ihn bei der Wahrnehmung zwischen dem erscheinenden Ding (dem Ding im gewöhnlichen empirischen Sinne) und dem Ding an sich machen, wo ja in der Erscheinung nicht zwei Dinge, das empirische 10 und das an sich seiende Ding erscheinen, sondern nur das eine, das erstere. Die vergegenständlichende Auffassung der Phantasieinhalte, wodurch der äussere Gegenstand (im Beispiel das Berliner Schloss) zur Vorstellung kommt, ist keine bIosse Präsentation, wie sie der Wahrnehmung oder Wahrnehmungsvorstellung zu Grunde liegt. In der Präsenta15 tion erscheint uns der Gegenstand "selbst"; aber das Phantasiebild mutet sich anders an wie der Gegenstand "selbst", es ist eben nicht der Gegenstand, sondern stellt ihn nur als Bild vor. Und diese Rede drückt offenbar einen Unterschied aus, der in den Erlebnissen selbst liegt. Man darf nicht etwa glauben, es sei ihm durch den Umstand vollauf Genüge 20 geschehen, dass die Wahrnehmungsvorstellung Empfindungen vergegenständliche, die Phantasievorstellung aber Phantasmen. Eben in dieser Hinsicht erweist sich das bis nun arg vernachlässigte Studium der gemeinen Bildvorstellungen überaus lehrreich. Denn das Bild ist hier die "Vergegenständlichung" von Sinnesinhalten, und doch ist diese 25 Vergegenständlichung keine Wahrnehmungsvorstellung. Nicht der repräsentierende Gegenstand, das "geistige" Bild, ist das Gemeinte, sondern der abgebildete Gegenstand, das Bildsujet ; nicht dieses kleinwinzige, in photographischen Farben erscheinende Figürchen, sondern das "wirkliche" Kind. Und so meinen wir auch nicht das schwankende 30 und flüchtige, bald auftauchende und wieder verschwindende, dabei sich inhaltlich mannigfach ändernde Phantasiebild, wenn wir einen Gegenstand in der :phantasie uns vergegenwärtigen, wir meinen das Bild nur, wenn wir es als Psychologen darauf abgesehen haben. In der Wahrnehmungsvorstellung haben wir einen aufgefassten Gegen35 stand, und dieser ist auch der gemeinte. In der Phantasievorstellung haben wir zwei aufgefasste Gegenstände, nämlich das Phantasiebild und das hierdurch vorstellig gemachte Bildsujet : gemeint, im eigentlichen Sinn vorgestellt, ist aber nur das letztere. Die Wahrnehmungsvorstellung stellt ihren Gegenstand direkt vor, die Phantasievorstel40 lung indirekt: sie stellt ihren Gegenstand so vor, dass sie zunächst einen anderen, ihm ähnlichen Gegenstand zur Erscheinung bringt, dur c h den sie ihn bildlich auffasst und meint. Es war also nicht voreilig, wenn wir oben von zwei Akten oder zwei Richtungen der Vergegenständlichung sprachen. Die Auffassung, 45 welche die erlebten Phantasieinhalte zum erscheinenden Bilde ver1
Spater eingefügt: "hier". -
Anm. d. Hrsg.
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gegenständlicht, kann nicht identisch mit der Vorstellung sein, welche dIe abgebildete Sache und sie als das in der einheitlichen Phantasievorstellung einzig Gemeinte vorstellt. Natürlich kann es sich hier nicht um zwei konkret gesonderte Akte handeln, die etwa nur gleichzeitig 5 da waren. Wenn der abgebildete Gegenstand durch einen Akt für sich und das Bild durch einen davon getrennten, zweiten Akt konstituiert wurde, so hätten wir ja überhaupt weder Bild noch abgebildeten Gegenstand. Der ei~.e Gegenstand· wird zum Bilde dadurch, dass er den anderen 1 durch Ahnlichlreit repräsentiert, und so wird dieser auch 10 erst zum abgebildeten Gegenstand. Dies setzt aber voraus, dass der eine Gegenstand zugleich zum Akte des anderen gehöre, dass die Auffassung, die den einen Gegenstand konstituiert 2 , Grundlage ist für die Vorstellung, die mittels seiner den anderen Gegenstand konstituiert 3 • Ich habe hier nicht ohne Bedacht die Ausdrucke differenziert, ich 15 sagte4 Auffassung im einen, Vorstellung im zweiten Falle. In der Tat können hier nicht zwei ineinander gewobene Vorstellungen vorliegen, wofern dieses Wort' beiderseits (wie es seine häufige Intention ist) einen auf den Gegenstand absehenden, ihn meinenden Akt bedeutet. In der Phantasievorstellung erscheint das Bildobjekt, es ist aber 20 durchaus nicht gemeint, sondern gemeint ist nur der abgebildete Gegenstand. Jedenfalls liegt hier ein streng einheitlicher konkreter Akt vor, in dem wir nur abstraktiv (aber streng deskriptiv) zwei Aktmomente, zwei Richtungen der Vergegenständlichung unterscheiden.
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Wir verweilen noch bei der bevorzugenden Betrachtung der Phantasievorstellungen, um einige wichtigere Punkte in helleres Licht zu stellen. Zwei Gegenstände und ihnen entsprechend zwei Akte der5 30 Auffassung -unterscheiden wir. Betrachten wir den ersteren etwas genauer, der uns das Bild liefert. Abstrahieren wir von seiner abbildenden Funktion, so ist das Bild ein erscheinendes Objekt sogut wie irgendein Objekt in der Wahrnehmung. Und so ist denn der Akt, dem wir das Objekt verdanken, seinem Aktcharakter nach sicherlich nichts anderes 35 als ein Akt der Präsentation.6 Alle Unterschiede, die wir früher hinSpdter emgefugt: "und zwar". - Anm. d. Hrsg. Uber "konstituIert" später eingefügt: "vorstellig macht". - Anm. d. Hrsg. 3 "konstitUlert" später wellenförmig gestrichen. Anm. d. Hrsg. 4 Etwas nachtraglich eingefügt: "nur um nicht dasselbe Wort benützen zu müssen". - Anm. d. Hrsg. 5 "Akte der" spater gestrichen. _ Anm. d. Hrsg. 6 Der]( tz te Satz wurde später wie folgt veriindert': "In der Tat ist die Auffassung, der WIr dIeses erscheinende Objekt verdanken, ihrem wesentlichen Charakter nach slCherhch mcht wesentlich verschieden von der Auffassung in der Wahrnehmung." Anm d. Hrsg. 1 2
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sichtlich der Präsentation gemacht haben, finden wir auch hier vor: die Unterschiede von direkter und indirekter, primärer und sekundärer, einfacher und zusammengesetzter Präsentation. Auch der Unterschied zwischen der Einzelpräsentation und der synthetischen 5 Präsentationsreihe, in der sich ein Gegenstand oder ein Zusammenhang von Gegenständen schrittweise von verschiedenen Seiten aus zeigt und inhaltlich entfaltet, fehlt hier nicht. Die Präsentation steht hier freilich in einem ganz anderen Erlebniszusammenhang, sie erfüllt in dem umfassenderen Aktganzen der Phantasievorstellung eine we10 sentlich verschiedene Funktion wie in der Wahrnehmung (und den gleichgeordneten Akten), so dass ihr Charakter erheblich modifiziert erscheint. Wir betonten schon, dass sie jetzt nicht mehr "Grundlage" ist einer meinenden Zuwendung, wodurch ihr Gegenstand als der im Gesamtakt intendierte dasteht; wir erwähnten auch, dass solche auf 15 sie gegründete Zuwendung zwar möglich ist, aber nur dann statthat, wenn ein eigenes Interesse auf das Bild gerichtet ist. Dadurch aber erwächst ein neues Erlebnis, das der Bi I d b e t r ach tun g, welches von der normalen Phantasievorstellung wohl unterschieden ist. Die meinende Zuwendung, die bei der letzteren den Vorstellungsoharakter 20 komplettiert, ist zwar an die Bildpräsentation innigst angeknüpft, aber sie hat einen ganz anderen Gegenstand, statt des Bildes das Bildsujet. Dazu ist aber natürlich erfordert, dass dieses Sujet der Vorstellung irgendwie gegeben sei, d.h. dass ihr eine Auffassung zu Grunde liegt, die ihr ihn konstituiert. Wie in den bisher analysierten Fällen, so 25 müssen wir auch hier die das Objekt bereitstellende Auffassung und die meinende- Zuwendung zu deren Objekt unterscheiden. Die neue Auffassung ist aber keine neue Präsentation. Wo sollte sie auch den präsentativen. Inhalt hernehmen? Alle Phantasmen (so nennen wir kurzweg die sinnlichen, erlebten Inhalte der Phantasie) sind zur Prä30 sentation des Bildes voll aufgebraucht; ausser ihnen findet sich aber im Erlebnis der Phantasievorstellung nichts anderes wie der Komplex der Aktcharaktere. So kann die neue Auffassung, statt neue sinnliche Inhalte zu objektivieren, nur die erste Auffassung zum Fundament einer neuen Objektivierung machen. Hier liegt eine wesentlich 35 verschiedene Auffassungsart vor, die wir nach ihrem allgemeinen Charakter als Re prä sen tat ion, und nach dem besonderen, hier massgebenden, als bildliche Repräsentation bezeichnen werden. Repräsentation setzt notwendig Präsentation voraus. Ein präsentierter Gegenstand ist Repräsentant für den repräsentierten Gegenstand. 40 In der Präsentation ist es ein erlebter Inhalt, welcher der deutenden Auffassung unterliegt, und zwar ein Inhalt, welcher als das, was er ist, zwar erlebt, aber für uns nicht gegenständlich ist. Erst wenn wir auf ihn, z.B. in psychologischem Interesse, "reflektieren", wenn die "innere Wahrnehmung" sich seiner bemächtigt, wird er für uns Gegen45 stand; aber nun ist auch das ganze Erlebnis ein anderes, die ursprüngliche Präsentation hat einer neuen Platz gemacht. Dagegen ist der
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Repräsentant (also das, was in der Repräsentation der Auffassung, Deutung unterliegt) immer schon ein Gegenstand für uns. Das Phantasiebild "erscheint", es steht als Gegenstand vor uns. Der repräsentierende Gegenstand dient uns als Repräsentant - das kann aber 5 nichts anderes heissen, als dass die Präsentation, in der er erscheint, in eigenartiger Weise Grundlage ist für einen neuen psychischen Akt, in dem sich das Neue der repräsentierenden Funktion konstituiert. Das Hinzutreten dieses neuen Aktcharakters macht (für unser Erlebnis) den Unterschied zwischen der schlichten Auffassung eines A 10 und der komplizierteren Auffassung, wo das A nun zum Repräsentanten eines B wird. So erhält ,also auch in der Phantasievorstellung das präsentierte Objekt durch das "Bewusstsein" der bildlichen Repräsentation seinen Bildcharakter. Natürlich ist dieser nicht als eine an dem Phantasieobjekt erscheinende, dessen Bestimmtheitsgehalt erweitern15 de Eigenschaft zu missverstehen, Keine Inhaltsbereicherung kann das ausmachen, wodurch Bilder, Zeichen, überhaupt Objekte, die etwas "repräsentieren" (für etwas gelten, es darstellen, vergegenwärtigen, abbilden, bezeichnen, bedeuten usw.), von solchen <sich> unterscheiden, die es nicht tun. Ohne einen Akt, der Geltung verleiht, hat das 20 für etwas Gelten, etwas Darstellen, Vergegenwärtigen u. dgl. keinen Sinn. Andererseits hindert natürlich nichts, dass wir einem Gegenstande, in Reflexion auf die repräsentierende Funktion, die er zu tragen pflegt, den Bild- oder Zeichencharakter in der Weise einer Beschaffenheit beilegen. Daraus erst entspringt die Versuchung, diese 25 äussere mit einer inneren und bereichernden Eigenschaft zu verwechseln und demgemäss zu meinen, ein Gegenstand sei in sich selbst ein Bild oder ein Zeichen. I
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Welches Verhältnis besteht zwischen Bild und Sache? Welches Verhältnis besteht zwischen Bildobjekt und Sache?
1) Jedes "Bild" muss Träger eines sinnlichen Scheines sein, es muss ein von ihm verschiedenes, mit ihm auf derselben Präsentationsgrundlage gebautes, also mit ihm in partiellem Widerstreit 10 stehendes "Bildobjekt" zur Anschauung bringen. 1 2) Darf das Bildobjekt der "Sache" vollkommen gleich sein? Darf es auch nur einer "Seite" der Sache voll gleich sein? Abbildlichkeit setzt selbstverständlich Ähnlichkeit voraus, ja sogar Gleichheit. Das muss der Ausgangspunkt sein. 15 Aber a) Die Gleichheit muss das Anschauliche betreffen, die Erscheinung der Sache, nicht die unanschaulichen Bestimmungen allein. b) Kann die Erscheinung des Bildobjekts dieselbe wie die der Sache, völlig gleich mit ihr sein? Nein und ja, wie man es nimmt. Würde die Bildobjekterscheinung wirklich völlig gleich sein, nicht nur 20 als momentane Erscheinung,sondern als zeitlich kontinuierliche Erscheinung, mit einer Sache, dann hätten wir normale Wahrnehmung und kein Widerstreitsbewusstsein, keine Bildobjekterscheinung. Aber die Bildobjekterscheinung kann vollkommen gleich sein einem Teil der synthetischen Erscheinung und erst mit anderen Teilen streiten. Aber, 25 sowie nur ein' Teil, so haben wir einen anderen Widerstreit: Bildbewusstsein und Wahrnehmungsbewusstsein stören sich. Aber immerhin theoretisch möglich ist Bildbewusstsein hier. Nicht völlige Gleichheit, sondern Ähnlichkeit gehört zum rein sich abscheidenden, nicht durch Rückfall in Wahrnehmungsbewusstsein der Sache gestörten 30 Bildbewusstsein. 3) Was für Ähnlichkeit? Worin besteht die Ähnlichkeit der gemalten Plastik und der wahrgenommenen Plastik? Dass Dreidimensionales nicht empfunden hier, empfunden dort? Ein Teil der Lokalzeichen fehlt und streitet mit anderen Lokalzeichen. Die!Zeich35 nung ist e ben, die Plastik ist dreidimensional. Auch die Farbe ist eine verschiedene. Ich sehe aber, das Bild (Photographie) grau, das Sujet erscheint nicht als gefärbt. Was das Sujet in Hinsicht auf Farbe ist, das kommt nicht zum Bildbewusstsein. Hingegen "sehe" ich im Bild Plastik. Was macht den Unter1 Grund, warum es nur Gesichts- und Tastbilder geben kann. Während andere Sinne für sich keine Bildlichkeit haben können. Aber die Kirchenglocke tönt im Theater etc.
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schied aus? Die Graunuancen in ihren Helligkeitsabstufungen sehe ich, ebenso die Abstände in der "Ebene". Ich empfinde grau und Ebenes und deute die plastische Erscheinung hinein. Aber doch nicht bloss symbolisch. (Auch die ferne Landschaft fasse ich plastisch auf, 5 ohne die Tiefenunterschiede zu sehen.) Es ist wohl analog wie die Rückseite etc. symbolisch, aber lebendig zugehörig, in gesteigerter Weise vielleicht sogar hier gelegentlich Halluzinationen, d.h. sinnliche Reproduktionen eingetragen in den Zusammenhang der Empfindungs-Wahrnehmung. Aber wohl nicht dauernd, jedenfalls 10 wäre Widerstreit mit Empfindungs-Gegebenem. Natürlich, die Farbe hat nicht diesen innigen Zusammenhang mit der Raumform, daher wird sie nicht so "anschaulich" hineingedeutet. Schliesslich: Wie gering ist das Tiefen-Empfinden bei den meisten Wahrnehmungen. Die Plastik ist also gegeben; aber in einer Weise gegeben, dass ein Teil der 15 hilfreichen Empfindungen, die sonst vorhanden sind und dem plastischen Bewusstsein mehr Fülle geben, mehr "Kraft und Lebendigkeif', fehlen und durch ihnen widerstreitende ersetzt sind. Die Farbe der Sache ist nicht gegeben, die Plastik aber ist wenigstens im grossen und ganzen gegeben. 20 Die Sache stände anders, wenn Tiefe wirklich ursprünglich wäre, gleichstände mit Länge und Breite, oder wenn Tiefe nur durch Beziehung auf gewisse Tiefenzeichen venriittelt wäre. So wirkt vieles in gleicher Tendenz und gibt in gleichem Sinn "Anschauung" von Tiefe. Es fehlt hier nur einiges - näher auszuführen.
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(zu § 15f.)
<EIGENTLICHE VORSTELLUNG -
UNEIGENTLICHE
VORSTELLUNG>
<wohl 1904/05> 1) Eigentliche Vorstellung (Auffassung), unmittelbare Anschauung. 1. Mit Präs e n t a,ti on (eigentliche präsentative Vorstellungen). ~as Jetzt im Jetzt. Das Objekt der Vorstellung jetzt, der Akt auch Jetzt, beide "gegenwärtig": Ir. Mit Repräsen ta tiOll (Vergegenwärtigung) (eigentliche 35 präsentative Vostellungen). Phantasie- und Erinnerungsvorstellungen: besser Erinnerungsvorstellungen im weiteren Sinn. D~r Akt gegenwärtig, der Gegenstand nichtgegenwärtig. Im Jetzt das Nlcht-J etzt vergegenwärtigt. 40 2) Yneigentliche Vorstellung. 1. I?1~ bildlichen, Vorstellungen (im,wahren Sinn bildliche, imaginatw 1m strengen Sinn)
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BEILAGE IV
1) durch präsentative Bilder: auf dem Grund von Wahrnehmungen. 2) durch repräsentative: auf dem Grund von Phantasievorstellungen ; sich in der Phantasie ein Bild von etwas machen, dessen man sich nicht erinnert. 5 II. Symbolische Auffassung. Man könnte den Titel 2) auch als symbolische im weiteren Sinn bezeichnen. Wie hängt diese Scheidung mit derjenigen zwischen direkten und indirekten Vorstellungen zusammen? 10 Indirekte Vorstellungen, die ihre Gegenstände als Gegenstände anderer Vorstellungen oder zu so vorgestellten Gegenständen in Beziehung stehend vorstellen. Logische Untersuchungen <S.> 543. 1 Bildliehe Vorstellung: den Gegenstand als Analogon des durch die Bildvorstellung vorgestellten Gegenstandes vorstellend. 15 Symbolische Vorstellung: den Gegenstand als Bezeichnetes, als das, worauf das Zeichen hinweist . Aber in dem Sinn von <S.> 543 ist das nicht. Die Erfüllung ist nicht eine mittelbare, und die Vorstellung enthält nicht eine Vorstellung als Objekt. Die Bildvorstellung stellt ihren Gegenstand als Analogon des Bildobjekts vor. 20 Dieses steht erscheinungsmässig da, seine Vorstellung geht uns nichts an, und dieser Gegenstand steht charakterisiert als Ähnlichkeitsrepräsentant : eine ähnliche Charakteristik, wie sie das Symbol hat, nur dass der Gehalt des Symbols uns gleichgültig, der des Ähnlichkeitsrepräsentanten uns wichtig ist. Der repräsentativ fungierende Gehalt (nicht 25 der ganze Gehalt des Bildobjekts braucht den Charakter des repräsentativen zu haben) gilt als Verähnlichung des Gemeinten. Etwas der Art, ein x, das so und so geartet ist, das ist das Gemeinte. Oder überhaupt das dem Ähnliche, das Dargestellte. Natürlich nicht durch Vermittlung solcher Gedanken. Nichts von diesen kategorialen For30 men. Ebenso wie beim Symbol. Wir stellen nicht vor: das durch ,,7t" Bezeichnete, sondern wir verstehen 7t; es bedeutet uns dies und das, das uns in der Weise einer leeren Intention "bewusst" ist. So verstehen wir das Bild, wir schauen uns hinein, wir gehen in eigentümlicher Weise über das Bildobjektbewusstsein hinaus, während wir 35 doch auch darin leben, und tritt eine lebendige und reichere Phantasievorstellung des Abgebildeten ein, so steht damit das Sujet vor Augen, die Intention erfüllend, wobei das Analogisierende des Bildobjekts mit dem Bildsujet zur "Deckung", zum einheitlichen Gleichheitsbewusstsein kommt. Der Bildinhalt ist hier bei der Erfüllung wesentlich be40 teiligt. Und zugleich sieht man, dass von "begrifflichen" Elementen, von allem Beiwerk "höherer" intellektueller Funktion hier nichts vorhanden ist. Denn das müsste sich in der Erfüllung zeigen, auch das Kategoriale bedarf der Erfüllung. 1
VgI. VI. Untersuchung, § 18, S. 542 f. (1901). -
Anm. d. Hrsg.
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BEILAGE V (ZU
§§ 15f., § 25 und § 'Zl)
BILDVORSTELLUNGEN (BILDLICHE -
SYMBOLISCHE).
Physische Bildobjekte. Kann ich einen Zwilling als Bild für einen anderen nehmen? Ich kann den einen als Bild-Symbol für den anderen 10 nehmen: Ich stelle z.B. vor: ein anderer, mit ihm bis auf geringe Unterschiede gleicher, gleich erscheinender Mensch. Das Ölbild eines Menschen, den ich nicht kenne: "jemand, der durch dieses Bild dargestellt wird". a) Das im Bild innerlich Vergegenwärtigtsein hinsichtlich der ana15 logen Momente. b) Das über das Bild Hinausweisen durch die nichtanalogen Momente. Würde ich das Bildobjekt nehmen, so wie es erscheint, so hätte ich kein Bildobjekt. Ich würde das Bildobjekt betrachten wie irgend20 einen sinnlichen Schein sonst. Wie irgendein erscheinendes Objekt, das mit einem Widerstreit behaftet ist. Weisse Büste: Weisser Kopf (zugehörig psychische Phänomene etc.). Weiter in umgekehrter Linie aber nichtweiss. Natürliche Gesichtsfarhe. Kleiner Kopf - grosser Kopf. 25 Verschiedene Auffassungen sich durchdringend. Erfassungszusammen~ang. Was heisst das, im Bild die'Sache vergegenwärtigt haben? Im Ahnlichkeitsbewusstsein leben und Verschmelzung der ähnlichen Momente mit den nicht-analogisierten, aber mitintendierten, durch Angrenzung zugehörigen. Ferner: Analogie dieses Ganzen mit dem 30 Intendierten (Änderung der Grösse, Ergänzung in entsprechende Grösse, Perspektive etc.). Hat also nicht jedes Bild äussere Beziehung notwendig in sich? Dem Bildobjekt hängen nicht einfach äussere Intentionen durch blosse Angrenzung an, so wie dem gewöhnlichen Zeichen, sondern das 35 BII.dobjekt vergegenwärtigt in sich durch analogisierende Züge das SUJet, aber diese sind mit anderen Sujet-Intentionen verflochten, die mIt den zum Bildobjekt gehörigen und erscheinenden streiten. Insofern geht das Sujetbewusstsein durch das Bildobjektbewusstsein hindurch und daruber hinaus, und tatsächlich ist etwas anderes gemeint, 40 a~s w~s erscheint, etwas anderes, und doch im Erscheinenden (hinsIc~tl~ch der ähnlichen Züge) Vergegenwärtigtes. Erfüllung findet die SUJetlI~tention durch ein Original. Eine vorläufige durch eine anschaulIch vollkommene Phantasievorstellung : Da wird gewonnen,
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BEILAGE V
aber auch verloren. Denn die ähnlichen Züge im Bildobjekt geben mehr als die entsprechenden im Phantasiebild. Nur dass die Phantasie mit einem Schlage gibt, einheitlich, oder nach allen Erscheinungsmomenten gibt, ohne Widerstreit in sich. 5 Hier decken sich also Sujet- und 'Bildobjektintentionen nach seiten des Analogisierenden. Anstatt reiner Decknng (Gleichheitsbewusstsein, ja Identitätsbewusstsein : Man schaut darin das Sujet, es erscheint darin so, wie es wirklich ist) ist aber auch möglich unreine, unvollkommene Deckung. Neigung zur Deckung, Deckungs10 beziehung, die aber doch keine wirkliche Deckung ergibt. Das ist der Fall der mehr oder minder vollkommenen Ähnlichkeit. Ähnliches erinnert nicht nur an Ähnliches, sondern hat auch die Neigung, sich mit dem Ähnlichen zu überschieben, zu decken. Z.B. die plastische Form kann als die des Objekts selbst gelten, so ist es wirk15lich. Darin sehen wir, ..wie es ist. Vergegenwärtigung. Sie kann aber auch gelten als blosse Ahnlichkeit. Schlechte Reproduktion. Deckung und dabei Abstandsbewusstsein in verschiedenen Graden. Die Kontur der Madonna "ungefähr". Und doch anders. Und so in allem. Hier schauen wir nicht im Ähnlichen das Ähnliche, sondern wir haben 20 während wir dem Ähnlichen des Objekts zugewt;.ndet sind, das Sujet~ bewusstsein verworren sich deckend mit dem Ahnlichen, aber doch ein Bewusstsein des Anders. Ohne dass die beiden etwa nebeneinander wären. Sie scheiden sich nicht, bilden keine Zweiheit der Erscheinung. Die Erscheinung ist nur eine, die des Bildobjekts (so er25 scheint ja auch nicht das "anders" der Farbe und wird doch gefühlt). Die Erscheinung siegt natürlich. Aber die Beziehung auf das Sujet ist da, ist partiell in Deckungsintention, aber mit Abstand. Ganz anders wie bei den übrigen Momenten, wo nicht Ähnlichkeit mit Unähnlichkeit sich mischt, sondern reiner Widerstreit, nichts von Ähn30 lichkeitsbewusstsein . Wir haben hier noch Darstellung des Sujets im Bildobjekt, aber unreine Darstellung, wir haben nicht Selbstvergegenwärtigung in den gleichen Zügen, sondern unreine Darstellung, eine fälschende Unterscheidung des Ähnlichen (mit Tendenz zur Verschmelzung), 35 eine blosse Verähnlichung, die das Bewusstsein vom Sujet lebendig macht, aber nicht als eine Vergegenwärtigung desselben im Erscheinenden gelten kann. Je unreiner die Darstellung ist, um so mehr geht das Bildbewusstsein über in das Bewusstsein der "Erinnerung" des Erscheinenden an ein anderes, in dem und jenem Ähnliches. Das 40 Bildbewusstsein geht über in das Symbolbewusstsein (im engeren Sinn) oder besser in das Bewusstsein an a log i s c her Re prä sen tat ion. Bildbewusstsein und Symbolbewu~stsein sit~d miteinander also so stetig vermittelt wie Gleichheit und Ahn~ichkelt. Identitätsbewusstsein und Verschiedenheitsbewusstsein als Ahnlich45 keitsbewusstsein, das Bewusstsein eines Abstandes itnplizierend. Andererseits aber ist doch wieder ein stärkerer Schnitt. Denn das
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e c h t e Bildbewusstsein sieht eben wahrhaftig im Gleichen das Gleiche, es ist charakterisiert durch das Bewusstsein der reinen Vergegenwärtigung. Und das ~st ~twas völlig ?hänome~ologisch Char~ terisiertes. Nur das "unreme Bewusstsem hat seme Grade. Es 1st 5 noch Bi I d bewusstsein, solange wir im erscheinenden Objekt ein Bildobjekt haben, indem wir das Sujet wenigstens nach gewissen Mo~ men ten (das Räumliche muss es sein, die Farbe genügt nicht: warum?) vergegenwärtigt finden.! Sobald wir die Unreinheit fühlen, können wir im Objekt das Sujet nicht mehr sehen, gleich als wäre es selbst da; 10 es ist dann also nicht mehr eigentliches Bewusstsein der Vergegenwärtigung hinsichtlich des Gleichen. Es ist ~insichtlich der analogischen Momente nur eine Darstellung durch Ahnlichkeit und nimmt schon den Charakter des "Erinnerungs"bewusstseins an (T e r m i n 0log i e!). Oder es streitet Vergegenwärtigung mit "Erinnerung": Wir 15 haben den Gegenstand vor uns, und doch ist er es wieder nicht, es ist ein Widerstreit in dem Verähnlichenden selbst. Ist der Abstand sehr gross, dann vollzieht sich nicht mehr eine Tendenz auf de!?kende Identifizierung, sondern es ist blasse Hieroglyphe, biosses Ahnlichkeitszeichen, wobei wir im Inhalt des Zeichens die Meinung finden an das 20 Ähnliche, oder durch Hineinblicken in den Inhalt uns gleichsam genähert fühlen dem Sujet, ohne dass beide ineinanderflössen und ein Bewusstsein 'der Vergegenwärtigung, gestört durch Abweichung von der Linie der Gleichheit, zustandekäme. Eine grobe Silhouette kann noch als Bild, und zwar ganz rein emp25 funden werden, wenn wir eben unser Interesse auf das konzentrieren, was hier zur Darstellung kommt. Geht es weiter, so überwiegt schon die "Erinnerung". Weicht sie aber sehr weit ab, wie eine Kinderzeichnung eines Menschen, dann meint das einen Menschen, wir erkennen dies, wir werden daran gemahnt und wissen, dass das einen 30 Menschen darstellen soll, aber wir schauen es doch nicht mehr hinein. Oder "ielleicht doch noch ein wenig. Wir haben den Menschen in Deckung, die beiden überschieben sich, aber geben weit klaffende Unterschiede. Der Unterschied ist so grass, dass wir nicht mehr uns gestört fühlen durch das Bewusstsein der Verfälschung bei der Neigung 35 zur Identifizierung, sondern es fehlt die Neigung zur Identifizierung, und. bei dem grossen Abstand finden wir die Darstellung lächerlich. Indranerzeichnungen, hieroglyphische Zeichen. Also einmal reine Identifizierung, d.i. unterschiedlose Deckung, K?ngruenz, das andere Mal eine überschiebung zweier Intentionen 40 mIt dem Bewusstsein: dasselbe sei gemeint. Sie sind in Beziehung getzt , .zur. synthetischen Einheit gebracht. Sie geben ein gewisses ~eremstJmmungsbewusstsein, .!Lber nicht Kongruenz, vielmehr a) Naherungs-Gleichheit, nämlich Ahnlichkeit, in der eins in das andere ",~erfliesst und doch wieder als anders empfunden wird, b) rohe Ähn45 hchkeit, die jedes Verfliessen ausschliesst, innerhalb einer allgemeinen
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Warum mus s die Plastik das Fundament des Bildbewusstseins ausmachen?
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BEILAGE VI
Ähnlichkeit (übereinstimmung) und Synthesis der intentionalen Identität, starker Widerstreit. Dabei: Das eine erinnert an das andere und soll, will es darstellen (Symbolcharakter), das macht die Aufeinanderbeziehung, nämlich 5 das Erinnern und durch Ähnlichkeit Erinnern: im einen einen Nachklang, ein Analogon des anderen finden. Und beim Symbol: oe mein t A, im einen soll das andere dargestellt sein. Aber es ist nicht dargestellt, es ist ein blosser Hinweis, eine biosse Meinung.
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(zu § 17)
<WARUM DIE NATUR, EINE LANDSCHAFT ALS "BILD" WIRKT -
ÄSTHETIK: INTERESSE AN DER
ERSCHEINUNG. DINGERSCHEINUNGEN DRÜCKEN IMMER VON INNEN HER ETWAS AUS FÜR DIE BETRACHTUNG DER KUNST>
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<wohl 1906> Historische Bilder durch Überschriften als solche bezeichnet. Das Sujet erst bezeichnet und dann bildlich dargestellt. Musik durch überschriften als darstellende Musik bezeichnet. Symphonie Pastorale.
Warum wirkt die Natur, eine Landschaft! als "Bild"? Ein fernes Dorf. Die Häuser "kleine Häuser". Diese kleinen Häuser haben a) eine geänderte Grösse gegenüber den Häusern, wie wir sie gewöhnlich sehen, b) eine geringere Stereoskopie, geänderte Färbungen etc. Sie werden ähnlich 2 als Bilder aufgefasst wie Spielzeughäuser. Ebenso 25 Menschen: Puppen.3 Wir fassen sie in der Bildbetrachtung als nichtgegenwärtig : als Bilder.4 Gegenwärtig"'unsere nächste Umgebung, das, was wir "sehen, so wie es ist". Wir nehmen die Erscheinungen des Dorfes, der kleinen Menschen etc. als Bilder für die nichtgegenwärtige mögliche Gegen30 wart, für Erscheinungen, die wir haben würden, wenn etc. 5 20
1 In der Abschrift eingefugt : "mitunter" Anm. d. Hrsg. a "ähnlich" fehlt in der Abschrift. - Anm. d. Hrsg. 3 "Puppen" in der Abschrift verändert in "kleine Püppchen". Anm. d. Hrsg. 4 "als nichtgegenwilrtig: als Bilder" in der Abschrift verandert in "nicht als gegenwärtig: eben als Bilder". - Anm. d. Hrsg. 5 Der letzte Satz in der Abschrift verändert in: "Wir nehmen die Erscheinungen des Dorfes, der kleinen Menschen etc. als Bilder: für die nicht aktuell mögliche 'Gegenwart' (die nichtgegenwärtige Gegenwart, wie wir paradox sagen könnten), für ErSCheinungen, die wir haben würden etc." - Anm. d. Hrsg.
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Ästhetik
Wir unterscheiden: Interesse an, der Erscheinung (dessen, was wirklich "Anschauung" ist, aber Anschauung doch von der Sache). Interesse an der Sache. 5 Ästhetisch kommt die Erscheinung in Frage. Ist jedes Interesse an der Erscheinung ästhetisch? Gewiss nicht. Das psychologische nicht. Das rein "sinnliche" Interesse? Das Interesse an der Erscheinung, so wie sie eben ist, und nicht zu theoretischen Zwecken, zu erkenntnistheoretischen, zu psychologischen etc. "Die Freude an der Wahr10 nehmung", aber vielmehr Freude an der Erscheinung. Verschiedene Erscheinungen desselben Gegenstandes nicht gleichwertig in dieser Gefuhlsrichtung. Aufstellung von Vasen, Aschenbechern etc. im Salon. "Welche Stellung macht sich am schönsten?"l Schon das ist also ästhetisch. Da ist die günstigste Erscheinung ausIS gewählt. a) In sich das Maximum sinnlicher Momente und Komplexion enthalten, die in dieser Komplexion Wohlgefallen erwecken. b) Klare Weckung des Gegenstandsbewusstseins, obwohl das Interesse nicht den Gegenstand als Glied der ,wirklichen Welt betrifft, nach seinen gegenstandlichen Eigenschaften, Relationen etc., sondern eben nur 20 die Erscheinung. Aber da nun einmal die gegenständliche Auffassung da und natürlich unvermeidlich ist, da die Funktion des Gegenstandes, seine Zwecke etc. miterregt sind, so sollen sie es in klarer Weise. Der Gegenstand, selbst, seinem Zweck angemessen, sonst Widerstreit zwischen der Form des Gegenstandes und seiner Funktion. 2S Ein Missfälliges eingemengt. Die Form, zugleich die Funktion in klarer Weise ausprägend, ausdrückend, in gewisser Weise abbildend, nämlich möglichst analogisierend, (möglicJ?st anschaulich). So auch bei Menschendarstellung. Gruppe. Kein Haufen von Me>lschengliedern, bei denen man nicht recht weiss, wohin sie gehören. 30 Zu welchem Kopf gehören diese Beine, diese Arme etc.? Was tut die, wo steht er? Charakteristische Stellung. Momentphotographie : Unter den unzähligen sonderbaren Stellungen, die wirklich vorkommen, welche ist die "gesehene", und unter den gesehenen, welche ist die . "beste". Jeder Nerv, jeder Muskel auf die Handlung abgestimmt. 1 Eine Hauptsache ist hier nicht erwogen: In der psychologischen Einstellung ist die ErschelIlung Ge ge n s t a,n d j in der ästhetischen Einstellung betrachte ich nicht die Erschemung und mache sie nicht zum theoretischen Gegenstand j ich betrachte wahrnehmend den Gegenstand oder ih der Bildbetrachtung den abgebildeten durch das MedIUm des BIldes, und doch bin ich nicht in theoretischer Einstellung, in der Ich auf das "Sein" (wahrhafte Sein) gerichtet bin, etwa es zu bestimmen oder auch, In praktl,cher Emstellung, es umzugestalten, es mir zuzueignen, es zu begehren, mich ~aran als W,rkhchkeit zu freuen. Es ist ein Gefallen, das die Existenz ausser Spiel asst und wesentlIch bestImmt ist durch die Erscheinungsweise. Ist es ein Gebrauchs~egenstand, so 1st nicht die Existenz als Gebrauchsgegenstand in Frage, sondern wie er Gebrauchsgegenstand als solcher sich darstellt etc.; und so manches andere Siehe Text und Kants Lehre.
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Nichts Gleichgültiges, Zufälliges. Etc. Möglichst viel Ausdruck, d.i.: möglichst kräftige und möglichst erscheinungsmässige, anschauliche Erregung des Gegenstandsbewusstseins, und zwar nicht des Dinges Mensch, sondern des Menschen in seiner Funktion, in seiner Tätigkeit 5 (Ringkämpfer), in seinem Tun und Leiden, was eben Gegenstand der Darstellung sein soll. Und möglichst Einheitlichkeit. Der Ringkämpfer kann ja gleichzeitig Bauchweh haben, und das Bauchgrimmen kann sich im Gesicht ausdrücken. Aber das wäre ein schönes ästhetisches Objekt: Ein Ringkämpfer oder Diskuswerfer, der gleichzeitig Bauch10 weh hat. 1
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(zu §§ 22, 24-26 und 32)
WIDERSTREIT ALS FUNDAMENT DER BILDLICHKElTSVORSTELLUNG <WIDERSTREIT ZWISCHEN DEM ERSCHEINENDEN UND
DEM~PIRISCH 15
GEFORDERTEN: LOGISCH VERMITTELTER,
NICH~LOSS SINNLICHER SCHEIN. WIDERSPRUCHSLOS
ERSCHEINENDES "IST", GILT>
<wohl um September 1906>
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Der Hinblick auf meine alten Darstellungen macht mich aufmerksam, dass ich in den Vorlesungen nur eine spezielle Klasse von empirischen Widerstreitsmotiven Rücksicht genommen habe, gerade auf die Klasse, die ich früher übersehen hatte. Die Art, wie das Bildobjekt in der physischen Bildlichkeit sich als Scheinobjekt charakterisiert, der empirische Widerstreit zwischen erscheinendem Bildobjekt und physischem Objekt ist nicht die einzige Art von empirischem Widerstreit. Zunächst bei den physischen Bildern selbst eine andere Art von Widerstreit: die grau erscheinenden Menschen: Solche gibt es nicht. Die Menschenerscheinung fordert die und die Farben, die und die Grössen, die und die Bewegungen, die und die Veränderungen bei der Bewegung des Blickes usw. Ferner. Bildobjekte dieser Art sind ja nicht die einzigen Scheinobjekte. Z.B. Halluzinationen inmitten des Gesichtsfeldes. Nicolais halbe Menschen etc. Auch da haben wir empirischen Widerstreit, aber nicht gegen ein physisches Bild und auch nicht gegen die Umgebung, sondern Momente der Erscheinung fordern empirisch gewi~e andere Momente, gewisse Ergänzungen, die hier fehlen etc. Widerstreit 1 Die "Dinge", d.i. die Dingerscheinungen drücken immer etwas aus, bedeuten etwas, stellen etwas dar, nämlich für die Betrachtung der Kunst. Ästhetische Erscheinungen sind ausschliesslich Erscheinungen, die eben etwas ausdrücken, darstellen, und dies nicht in der Weise eines leeren Zeichens. Sie drücken i=er von innen her aus, durch ihre Momente, durch Momente der Analogie, und dann erst kommt der asthetische Unterschied des "schöner" und "minder schön", des "schön" und "hässlich" in Betracht. Was nichts ausdrückt, ist das ästhetische &aL~CPOPOV.
BEILAGE VII
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also zwischen dem Erscheirlenden und dem empirisch Geforderten. Die empirische Forderung kann sich beziehen auf den Inhalt des Gegenstandes, also auf den inneren Zusammenhang möglicher Erscheinungen, d~r zu deI?- einen und selb~n Objekt ge5 hört und gehören "kann". SIe kann sIch aber auch beZIehen auf den äusseren Zusammenhang des Objekts mit anderen Objekten in der Einheit der Wirklichkeit (der "Natur"). Da kommt aber nicht nur der unmittelbare intuitive Zusammenhang mit der Umgebung (intuitive Gegenwart) in Betracht, sondern auch der Umkreis der Erinnerungen, 10 die "denkende Bearbeitung" der Erfahrung, die Ergänzung der eigenen Erfahrung durch Mitteilung Anderer usw. Das Objekt erscheint als A, aber es zeigt da Eigenschaften, die unseren Kenntnissen widerstreiten und unseren allgemeinen Kenntnissen, unseren Erfahrungsgesetzen. Unsere Kenntnisse bestimmen Erwar15 tungen, die sich nicht erfüllen, fordern Eigenschaften, die sich nicht vorfinden. Ist das Urteil fest, so kann A nicht sein, oder nicht so sein etc. Das ist also ein logisch (intellektuell) vermittelter Schein, nicht ein bloss sinnlicher Schein. Das widerspruchslos und direkt Erscheinende, auch durch keine 20 äusseren Intentionen strittene (also nicht die Rede von Bildlichem und Symbolischem), "ist", es gilt. Was mit widerspruchslos Erscheinendem (Gegebenem) streitet, ist nicht. Das in der Erinnerung bildlich Erscheinende (wofern es keinen Widerspruch mit dem Gegenwärtigen zeigt), also unbestrittene Erinne25 rung, gilt ohne weiteres als gewesen. Was erwartet wird, das "wird sein". Phantasiertes gilt überhaupt nicht; lässt es sich einordnen in den Zusammenhang eines Erinnerungsfeldes, so war es, wenn in den Zusammenhang eines Erwartungsfeldes, so wird es sein. Streitet es, so ist es nicht. 30 . Kann es nicht erscheinen, und sich a) ~irgends einordnen lassen, in kein Feld des zeitlichen Seins, b) erscheinen und doch nicht widerstreiten mit irgendeinem Feld des zeitlichen Seins? b) ist Unsinn. Hineingesetzt in ein Feld, passt es hinein oder streitet damit. Eins oder das andere. Also a) und b) ist dasselbe. Alles zu Phantasierende 35 zerfällt in solches, das einem Feld angehört oder nicht angehört. Im :rsten Fall ist es (in der Zeit), im anderen Fall ist es nicht (nicht Jetz~, n~cht gewesen, nicht künftig). Hier"" ist freilich nicht zwischen subjektiver und objektiver Zeit unterschieden. Nun aber: Alle Zeitfelder den einen Zusammenhang den kontinuierlichen der 40 Zeit usw. . , I.n ~ewisser Weise ist b) aber doch kein Unsinn. Nämlich, ein Phantasleblld kann erscheinen in einem Phantasiefeld und daher ohne ~.viderstreit mit irgendeinem Erinnerungsfeld. Dann fehlt der Er45 ;nerun~s- und belief-Charakter. Inwiefern sagen wir, es-':sei blosse hantasle, und nichts Wirkliches? Es erscheint nicht als;wirklich, als gegenwärtig, vergangen, künftig. Aber darum noch nicht ohne
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weiteres als unwirklich. Die Möglichkeit der Einordnung, in eine Wirklichkeit kann ja bestehen. (Wirklich ist ja das Gegenwärtige, Vergangene oder Künftige.) a) Was nicht in Wahrnehmung, Erinnerung und Erwartung gegeben ist, aber durch "Verknüpfung" mit dieser 5 Urwirklichkeit als gegenwärtig (obschon nicht wahrgenommen), vergangen (obschon nicht erinnert)', künftig (obschon nicht erwartet) gilt und gelten muss! und dazu das Soll in all diesen Fällen, das "objektiv gültig". b) Was die Möglichkeit von vornherein ausschliesst und die blosse~.ti?n ch~rakterisiert. Zentauren h~t man nicht gefunden: 10 Es besteh kemerlei Erfahrungsgrund für Ihre Annahme. Leere, "grundlos " Einbildungen. I
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(zu §§ 22, 24-26 und 32)
<wohl 1906>2 Ein Fiktum haben wir bei der physischen Bildlichkeit aus doppelten Gründen: 1) Widerstreit durch Hineinsetzung in die Umgebung der "Wirklich20 keit" 2) Empirischer Widerstreit (Menschen in photographischen Farben gibt es nicht). Ebenso die Fikta der Phantasie? Sie gelten nicht als wirklich, weil sie durch ihnen anhaftende Erfahrungsforderungen bestritten 25 werden? Das würde auch gelten für ihre Flüchtigkeit, ihren Wechsel, ihr Intermittieren. Immerfort werden dadurch empirische Forderungen verletzt. Andererseits sind sie nicht so, wie sie da erscheinen, gemeint, sondern ein Gegenstand ist in ihnen analogisiert. Also wirklich Bildlichkeit. 30 Nicht ein festes Bildobjekt repräsentiert die Sache, sondern flüchtige und mannigfaltige Erscheinungen, wechselnde, schwankende Bildobjekte ergebend, tragen das Bildlichkeitsbewusstsein. Dazu ein anderer Widerstreit: derjenige gegen die Wahrnehmung; das ist aber ein ganz andersartiger als der der physischen Fikta. 35 Auch bei klaren und festen Erinnerungen und Phantasien nicht anders: Die Sachen stehen selbst da und doch wieder nicht da. Nicht nur die Wahrnehmung sträubt sich gegen sie, sofern sie, auch wenn wir nicht in ihr leben, eine Kraft des Widerstandes behält, sondern auch die Erfahrung leistet Widerstand. Wenn wir auch die Un1 "und gelten muss" wohl schon zur Zeit der Niederschrift gestrichen. Hrsg. 9 Abschrift. Die Auffassung ist nicht festgehalten worden.
Anm. d.
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angemessenheit der Fülle nicht deutlich merken, so finden wir' Ähnliches wie beim physischen Fiktum. Gemalte Farben sind nicht ganz so wie wirkliche. Die Differenz k' a n n wahrgenommen werden. J edenfalls auch ohne aktuelles Widerstreitsbewusstsein doch ein' Bewusst5 seinscharakter, der mitwirkt.
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(zu §I 17, § 25 und zum 6. Kapitel)
Abstand von der Wahrnehmungs-Gegenwart, ich erlebe das Nicht-Jetzt, Nicht-Hier. Was freilich ernstlich zu erforschen wäre. Ist das Widerstreit? Das kann 35 man doch nicht sagen. Übergang von dem Nicht-Jetzt in das Jetzt, von der Schattenwelt in die Welt der Wirklichkeit oder aktuellen Wahrnehmung. Der Wettstreit zwischen dem, was mein Wahrnehmungsblickfeld wirklich erfüllt, und dem, was die Phantasieblickfelder bieten: I Warum gilt da das Wahrgenommene als Wirklichkeit? 1 Wo wir dem einen uns zuwenden, flieht das andere. Ähnlich wie im Wettstreit der Sehfelder. Ist das aber Widerstreit? Widerstreit liegt in den In t e n t ion e n, in den anschaulichen Akten. Aber die streiten miteinander nicht, es sei denn, dass ich ein Phantasiebild in das Blickfeld der Wahrnehmung hineindeuten will. Phantasiere ich eine Linie in dieses Papier hinein, so erlebe ich den empirischen Widerstreit. Die Linie ist nicht darin, das Papier ist unbeschrieben. Stelle ich aber das Kinderzi=er vor, so streitet diese Vorstellung nicht mit der Wahrnehmung, obwohl ich beide nicht zugleich in wirklich anschaulicher Lebendigkeit halten kann. Doch geht schon daraus hervor, dass es sich nicht um einen ernstlichen Widerstreit handelt, da ich akustische
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Irgendein Unterschied muss also ausgeprägt sein. Das Phantasie"bild" verschwindet,! sowie ich der Wahrnehmungswirklichkeit bewusst werde. In gewissem "Grade" bewusst bin ich dieser immerfort, und daher das Scheinbewusstsein, das, mehr oder minder deutlich 5 ausgeprägt, durchschlägt. Ich lebe in der Erinnerung an meinen Sommer bei Brentano am Wolfgangsee, und nun setzt sich die Wirklichkeit der Gegenwart einen Augenblick durch, das Papier, auf das ich schreibe, der rollende Wagen. Das Phantasiebild schwebt zurück, verliert sich im Nebel, oder verschwindet ganz, um dann lebhaft zurück10 zukehren. Dann lebe ich wieder darin, und es wird klarer, eine Strecke ist es fast wie wirkliches Leben, dann plötzlich Bruch, ein anderes Phantasiebild, dann wieder ein anderes usw. Die "Zusammenhangslosigkeit der Ideenassoziation", das heisst ja nichts anderes als Zusammenhangslosigkeit in der Phantasie. Was ist Zusammenhang (na15 türlich sachlicher Zusammenhang, aber was ist das), und was ist Zusammenhangslosigkeit? Das wird die Frage sein müssen. Vorher bleiben wir aber noch stehen bei unserer Frage. Haben wir ein Bildbe w u s s t sei n? Haben wir Unwirklichkeitsbewusstsein und Widerstreitsbewusstsein im selben Sinn wie beim gemeinen Bildbewusstsein ? 20 Das "Bild" einen: Platz beanspruchend: aber der Platz in der Wirklichkeit besetzt? Der Bildraum hineingesetzt in den "wirklichen" Raum der W~ehmung, aber in diesen Raum nicht hineinpassend. Streitend? Das Bild unwirklich, aber repräsentierend die Sache: die nicht25 gegenwärtige Sache. Die nichtgegenwärtige : Das physische Bild erscheint als gegenwärtig. Freilich mit Widerstreit. Das Figürchen aus Bronze: Es wird ein menschliches supponiert, es wird so aufgefasst (ähnlich wie Kinder Puppen auffassen), es erscheint als da, aber es ist nur das Ding aus Bronze in Wirklichkeit da, und das Bildobjekt be30 deutet etwas anderes. ' (J a, gehört die Bildobjektauffassung überhaupt wesentlich zum Bildbewusstsein ? Kann ich nicht sagen: Das Empfindungsmaterial wird da unmittelbar aufgefasst als die Sache repräsentierend? Nein, das geht nicht.) 35 Also das "nichtgegenwärtig" des Bildobjekts bedeutet: Es erscheint als gegenwärtig, ist aber Schein, es verträgt sich nicht mit dem Phantasiebilder doch beständig im inneren Sprechen habe, ohne dass diese sich mit dem aktuell Gehörten stören. Und schliesslich verschwindet auch die Wahrnehmung des GeSIChtsfeldes nicht, während ich mir irgendein Gemälde etc. vorstelle. Aber versenken kann Ich mich nicht in beide zugleich und beide in gleicher Anschauung halten. Und Jedenfalls die Intentionen kann ich auf beides ungestört festhalten wie ich es bei der VergleIChung tue. Die sind nicht unverträglich, sondern verträglich. Dagegen ist ~Je Intention auf den gebrochenen Stab unverträglich mit der Wahrnehmungsauf.assung der Wirklichkeit. Die Intention auf den Strich auf dem Papier unvertraglich mit eier Papierwahrnehmung etc. Das Nichtgegenwärtige ist mit dem Gegenwärtigen un~ertraglich, wenn es eben gegenwärtig sein will. Aber doch nur zumeist.
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wirklich Gegenwärtigen: Es durchsetzt sich mit diesem, es ist ein Widerspruchsvolles (Widerstreitvolles). Aber beim "Phantasiebild" haben wir keine erscheinende Gegenwart, keinen Widerspruch daher mit der aktuellen Gegenwart. Die 5 Phantasie mischt sich nicht in die Wirklichkeit, sondern bildet ein Reich für sich, das Reich der Schatten. Ich verlasse den Boden der gegebenen Tatsache und schwinge mich in das Reich der Lüfte, versetze mich in die "Welt der Phantasien", der Erinnerungen, der Einbildungen'iF:e' physischen Bild habe ich eine Ineinanderwirkung 10 von zwei W ehmungsauffassungen, eine Durchdringung mit Wicht so beim Phantasiebild. Hier haben wir nichts von derstreit. Durchdringung, nicht dasselbe Empfindungsmaterial, das mehrfache Auffassung, erfährt,l nicht ein Hineinerscheinen in die feste Gegenwartswelt. (Physische Bildobjekte sind Scheindinge, ganz von der15 selben Art wie der sinnliche Schein, gebrochener Stab etc., ebenso Spiegelbilder, soweit bei letzteren überhaupt Widerstreitsbewusstsein, und zwar sinnlich-a k tue 11 e s vorhanden ist.) Die Empfindungs- und Wahrnehmungswirklichkeit, die aktuelle Gegenwart ist eins, und die Phantasiewelt ist ein anderes. Sowie ich mich dieser zuwende, ist jene 20 schon weg, verflüchtigt, bis auf leere Intentionen oder leise verschwebende Schattenbilder. Aber eins ist sicher, ein Widerstreit im echten Sinn ist da nicht vorhanden. Und ich wiederhole: Schwierigkeiten des gleichzeitigen Wahrnehmens oder Achtens auf wahrgenommene Objekte und gleichzeitigen Phantasierens finde ich zumal auf dem Feld 25 des Gesichtssinnes, nicht auf dem des Gehörsinnes. Ich stelle mir einen Walzer vor, und gleichzeitig höre ich das Ticken der Uhr, Stimmen aus dem Nachbarzimmer usw. Auch beim Tastsinn finde ich keine erhebliche Schwierigkeit. Doch wären Beispiele genau zu fixieren. Übrigens bei der gewöhnlichen 30 äusseren Wahrnehmung: Ich ergänze das Gesehene, oft durch Phantasien, die auf die nichtgesehenen Seiten des Gegenstandes sich beziehen, und auch durch Tastphantasien etc. Ich glaube allerdings, dass genauer besehen die gen au entsprechenden Tastfelder nicht gleichzeitig als Empfindungs- und Phantasiefelder ausgefüllt sein können: 35 es sei denn im bewussten Nacheinander. Ebenso wie beim Gesichtsfeld. 2 Achte ich auf eine Stelle des deutlichen Sehens und halte ich gleichzeitig eine Phantasie, die zu dieser Stelle gehört, fest, dann kann ich nicht anders als das Phantasiebild im Wettstreit und über1 Wo dasselbe Empfindungsmaterial mehrfache Auffassung erfährt, da ergeben die sich durchdringenden Wahrnehmnngen notwendig Widerstreit, nur den Fall ausgenommen, dass die entsprechenden Gegenstände im Verhältnis von Ganzem und Teil, und überhaupt in einem Teilverhältnis (Überschiebung), stehen. Haben beide Wahrnehmungen ein sich deckendes und total deckendes Empfindungsmaterial, so findet notwendig Widerstreit statt. 2 Viei1eicht Ähnliches auf dem Gehörfeld. Eine Melodie bildet ein Partialfeld. Da kann ich nichts Widerstreitendes gleichzeitig vorstellen. Aber daneben kann ich ein Geräusch vorstellen etc.
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schiebung zu finden. Also' das ist zu beachten. Man muss die erttsprechenden Teile der Sinnesfelder nehmen. Nur in der Form des Nacheinander ist Gegenwart und Nichtgegenwart hier zu vereinigen. Doch überlassen wir das weiterer Erforschung, so ist das sicher: Das 5 physische Bild ist ein Wahrnehmungsobjekt, steht in Reih und Glied mit den anderen Wahrnehmungsobjekten, es gehört dem Wahrnehmungsblickfeld an. Es wird zum Bild durch Widerstreit, durch doppelte Wahrnehmungsauffassung derselben Empfindungsunterlage, wobei die eine Auffassung der Einheit der Wahrnehmungsauffassung des Ge10 samtblickfeldes angehört, die andere mit ihr streitet. Das physische Bild ferner repräsentiert, es ist ein als gegenwärtig Erscheinendes, repräsentiert aber ein Nicht-Jetzt, es erregt es oft auch, dieses wird vorstellig eben durch eine andersartige Vorstellung, die dem Gegenstand den Charakter des Nicht-Jetzt gibt, Nicht-aktuell-da. Das 15 "Phantasiebild" gehört aber in eine andere Welt. Zu beachten ist: Es gibt auch echte Bildvorstellungen in der P h a n t a sie. Z.B. ich mache mir ein Bild von Cäsar etc. Das ist keine eigentliche Vorstellung von Cäsar, kein direktes Gegenstandsbewusstsein von ihm als einem Nichtgegenwärtigen. Keine "Erinnerung" von 20 ihm. l Sondern es ist eine Phantasievorstellung (Vorstellung eines Nichtgegenwärtigen), die einen Gegenstand (einen nichtgegenwärtigen) vorstellig macht, der seinerseits Cäsar "vorstellt", ein Bild von ihm entwirft. Das ist eine ech te Bildvorstellung. Ich "weiss", dass Jas nicht Cäsar ist, sondern dass es den Cäsar mir nur vorstellt, als ein 25 mehr oder minder' gutes Analogon, nicht ganz unbestimmt freilich, wiev,reit und worin die Vorstellung dem Gegenstand gleicht (etwa nach Bildern, die ich gesehert habe. Dann sind diese physischen Bildmomente diejenigen, die mir dienen).2
* Hier haben wir eine mehrfache Bildlichkeit. 3 1) Nehme ich die "Himmlische Liebe" (ein hübsches kleines Reklamebildchen für "Meisterwerke" liegt vor mir) als Bild für die grosse ~eproduktion in den "Meisterwerken", die ja selbst Reproduktion 1st Tizians Bild. Es soll mir eine "Vorstellung" gegeben werden für die treffliche Reproduktion in den "Meisterwerken". Hier ist ein 35 Bild Bild für ein anderes, dabei nicht das Bild in individuo, und nicht das physische Bild für ein anderes physisches Bild in individuo. Hier haben wir wohl Bildlichkeit: Das physische Bild allgemein als so und
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Oder der Kunstler entwirft sich in der Phantasie im voraus sein Bild: Er stellt
SIch den Tod C;isars vor _.
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2 Erinnerung an unsere Photographie der Madonna und die Erinnerung an die resdener Madonna selbst. d 3 Der folgende Text bezieht sich auf den oben wiedergegebenen Absatz der mit Zen Worten beginnt: "Hier könnte ich sagen: Es stellt Tizians Bild vo.;, (S. 149, elle 34). Vgl. die Textkritischen Anmerkungen, S. 641. - Anm. d. Hrsg.
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so geartetes, ein solches und solches Bildobjekt- und Bildsnjetbewusstsein bietend, repräsentiert mir für ein physisches Bild im allgemeinen mit einem anderen Bildobjekt und Bildbewusstsein. Und das letztere ist dann das Sujet. Ebenso: Bild von Tizians Bild (direkt), dann ist Tizians Bild das Objekt. 2) Ich sehe mich in die himmlische Liebe hinein und "denke" gar nicht an Tizians Bild (das Original), sondern verhalte mich dazu, als wäre der Tizian selbst da. Dann ist das Sujet eben die himmlische Liebe, diese überirdische herrliche Frauengestalt etc. Hier haben wir ein ganz al)defes Bewusstsein wie vorhin sub l. Bei 1))1aben wir äussere Repräsentation neben der inneren. Eigentlich wird gefordert, wir sollen uns eine Vorstellung (nach Analogie der gegebenen Bildanschauung) machen von dem Nichtgegenwärtigen. Wir werden auf eine andere Vorstellung, eine andere Anschauung hingewiesen, die das eigentlich Gemeinte ist. Wir haben eine "verkleinerte" Abbildung, eine farblose "statt" einer farbigen, eine Photographie statt eines Gemäldes oder einer Marmorplastik etc. Würden wir nach dieser Anweisung ein Phantasiebild entwerfen, so würden wir dies als eigentlichere Vorstellung von der Sache fassen. Wir haben hier ein Bild derselben Art wie etwa die Abbildung eines merkwürdigen Feuersteinbeils oder einer Stadt usw. Auch jede Photographie eines Menschen gehört hierher. Es sind uneigentliche Vorstellungen, aber aufgrnnd von Bildern. Das Bildlichkeitsbewusstsein ist verknüpft mit Intentionen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, der von dem im Bildobjekt erscheinenden verschieden ist und zu ihm in den oder jenen charakteristischen Relationen steht, die dazu dienen können, eine andere, direktere, eigentlichere Vorstellung zu vermitteln. Wir sagen am besten Abbildungen, Vorstellung durch mehr oder minder unvollkommene Abbilder oder Abbildungen. (Dahin gehören also auch Abbilder von Bildern.) Wie ist es bei 2)? Ist Tizians Werk ein Ab b i I d-Sein, nnd durch Abbildung Vorstelligmachen? Zwischen Bild und Sujet unterscheiden wir. Aber ist das "Sujet" ein Gegenstand, der durch das Bild als A bbild repräsentiert ist und Fundament für eine auf ihn bezügliche uneigentliche Vorstellung dienen soll? Gibt eine andere Anschauung eine eigentlichere Vorstellung des im ästhetischen Bildbewusstsein Gemeinten? Hätte ich eine eigentlichere Vorstellung, wenn ich mir das Objekt als Gegenstand allseitig und selbst vorstellte, ... ? Von dem Obj ekt ja, aber eine Erfüllung der Bildintention wäre das nicht. Das Interesse geht hier nicht auf das Objekt überhaupt, auf seine Vorstelligmachung überhaupt, sondern auf das im Bildobjekt Sich-darstellen des Objekts. Auf das Bildobjekt, sofern und soweit und so wie es das Sujet zur Anschauung bringt. Im Bildobjekt schaue ich das Sujet, in seinen analogisierenden Zügen lebend, habe ich eine Anschauung, ein analogisches Bewusst-
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sein vom Objekt, und so,' wie ich es da habe, genau so, wie es da erscheint", sich darstellt, interessiert es mich. Die Darstellung des Öbjekts und nicht das Objekt ist mein Interesse. Jede Abbildung enthält ein Bildbewusstsein, eine Darstellung, in der ich analogisches Be5 wusstsein vom Objekt habe, aber diese Darstellung dient als Fundament für ein indirektes Vorstellen.
* Note l I
Tizians Bild stellt mir die himmlische und irdische Liebe vor. Von einem bestimmten Standpunkt aus. Für diesen Standpunkt gibt es 10 eine solche Vorstellung, dass ein Gefühl der Uneigentlichkeit hinsichtlich des Dargestellten gar nicht aufkommt. Was mich dabei interessiert, das ist da, das ist nicht indirekt vorgestellt. Das Bild hat nicht die Funktion, etwas "anderes" vorstellig zu machen. Was heisst das? Es soll nicht "an ein anderes erinnern", durch 15 Ähnlichkeit und durch andere Relationen es indirekt vorstellig machen. Auch das genügt noch nicht zur Klarheit! J edenfalls ~scht sich im Bild Bewusstsein der Übereinstimmung und des Widerstreites. Im Ähnlichen ist das Ähnliche vergegenwärtigt, ist es dasselbe, im Unähnlichen ist es ein anderes. Ist die 20 Ähnlichkeit eine entfernte, genügend, um an das Ähnliche zu erinnern, aber nicht, um in ihm das Ähnliche zu schauen, so wirkt das Bild ganz als Symbol. Die Meinung geht auf das andere; es erinnert, und das, woran es erinnert, ist das Gemeinte. Auch der Name erinnert an die Person, so wie eine rohe und nicht getreue Silhouette. Und dies 25 letztere kann auch als Symbol dienen (Hieroglyphe), evtL auf Grund einer Vereinbarung, einer willkürlichen Festsetzung (ich will es als hieroglyphisches Zeichen verwenden, als Merkzeichen der Ähnlichkeit, als Erinnerungszeichen durch Ähnlichkeit). Dann hängt dem Zeichen der Charakter des Hinweises an, es soll nicht das Zeichen, 30 sondern das Bezeichnete gemeint sein. Das Meinen geht nicht nur auf das Bezeichnete, sondern das Zeichen hat auch fühlbar die Tendenz, die Meinung von sich abzustossen und auf das Bezeichnete hinzustossen. Also phänomenologisch hängt dem Zeichen auch etwas an; wenn wir darauf achten, so merken wir: Es hat die Funktion des 35 Zeichens, es soll als Träger einer Intention fungieren, eines aufmerkenden Meinens. das auf das andere geht, es soll nicht für sich gelten. A~ch ein Ähnlichkeitssymbol hat diese Eigenschaft. Nicht das Erschemende ist gemeint, sondern ein anderes, dieses soll gemeint sein, 40 das "Bild" hat fühlbar den Charakter des Zeichens. Durch ÄhnlichI Der Text dieser Note (bis S. 157,23) bezieht sich auf die Ausführungen von S. 153,29 bIS S. 155,6. Vgl. die Textkritischen Anmerkungen, S. 641. - Anm. d. Hrsg.
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keit und durch mitverflochtene andere Relationen soll es ein anderes vorstellig machen, als was in ihm selbst erscheint (Bildobjekt). Die Meinung geht auf das andere, das erregte Ähnlichkeitsbewusstsein soll das andere bezeichnen. Das Ähnliche weist als Zeichen auf das 5 Ähnliche hin. Ich blicke auf diese kleine Reklamereproduktion der Pieta von Fra Bartolomeo, ich erfasse mit einem Blick das Bild. Das übereinstimmungsbewusstsein erfüllt mich nicht, ich lebe nicht in dem Bild, sondern ich fühle den Zug nach aussen, ich erlebe das Bild als Zeichen)ür das Original, das ich früher einmal gesehen habe. Die 10 Meinung11egt nicht im Bild, sondern in einem zweiten, auf dem Bildbewu%tsein sich gründenden Meinungsbewusstsein, das mit dem Bildbewusstsein so verkn~pft ist wie Symbol und darüber hinausweisende Intention. Das Ahnlichkeitsbewusstsein kann dabei ganz untergeordnet sein. So z.B. bei einer roh-andeutenden Silhouette, z.B. 15 im Katalog eines Bilderunternehmens (Nonny). Die Ähnlichkeit wirkt hier nur symbolisc~, nur bezeichnend. Ebenso onomatopoetische Worte. Solange die Ahnlichkeit noch gefühlt ist. Anders ist es, 1 wenn die übereinstimmung eine tiefgehende ist und das Bewusstsein davon herrschend ist. Je mehr wir uns in das Bild 20 (Bildobjekt) hineinsehen und dabei auf die Momente der übereinstimmung, die analogisierenden Momente achten, um so weniger ist die Beziehung auf den Gegenstand eine äussere, vom Bildobjekt wegweisende. Die symbolische Beziehung weist vom Symbol-Objekt weg auf das Symbolisierte. Eine neue Intention ist da, oft eine leere, die 25 sich aber auch oft in eine erfüllte verwandelt, wir haben dann neben der Symbolvorstellung eine zweite, die des Symbolisierten, in dem Zusammenhang, dass das Symbolobjekt auf das nun in der Erscheinung gegebene Symbolisierte hinweist. So ist es auch bei symbolisch fungierenden Bildern. Das immanente Bildbewusstsein, d.h. dasjenige, 30 in welchem das Bild ni c h t als Symbol, nicht als äussere (transeunte) Vorstellung, sondern als immanente Vorstellung des Objekts fungiert, ist dadurch charakterisiert, dass die Vorstellung des Sujets nicht eine zweite ist neben der des Bildobjekts, mit ihr durch symbolische Verknüpfung verknüpft, sondern eine sich mit ihr durchdringende und 35 sich mit ihr partiell deckende. Wo das Sujet innerlich mit dem Bildobjekt sich nich t deckt, da kommt ja das Verschiedenheitsbewusstsein vor, es verschwindet aber, wo das Interesse in den Übereinstimmungsmomenten lebt. In ihnen schauen wir das Sujet an, in ihnen haben wir eine "Vorstellung", eine anschauliche Darstellung des 40 Sujets. Das Differente stellt im Objekt nichts dar, es bezeichnet es auch nicht. Das Ähnliche, während es darstellt, mag zugleich und wird zugleich Intentionen äusserlicher Art auf das mit ihnen Verbundene, aber nicht Dargestellte enthalten. Eben diese streiten mit dem anschaulich im Bildobjekt Erscheinenden. Aber eben damit ist 45 Bezeichnung usw. ausgeschlossen. 1
Besser als im Kolleg.
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Warum fühlen wir so oft den Widerstreit nicht? In der Regel sogar tritt er nicht hervor. Das Stahlstichbild hat einen doppelten Widerstreit: den Widerstreit mit der physischen Gegenwart und, den mit dem Sujet. Beides kann 5 hervortreten, wenn wir mit eigenen Intentionen die betreffenden Auffassungen verknüpfen. Sonst wird der Widerstreit als das "anders" nicht empfunden. Geht unser Interesse speziell auf die Farbe, oder auf die Farbe mi t, so fühlen wir die Farblosigkeit des Stichs als Mangel. Die Farben in das Bild hineintragen können wir nicht, da es die Er10 scheinung einer sinnlichen Gegenwart bietet. Wir können nur eine neue Erscheinung in der Phantasie bilden, eine Reproduktion des Sujets erzeugen: Wir müssen also nach aus sen gehen, wir müssen das Bild verlassen. Solange wir im immanenten Bildbewusstsein leben, solange leben wir in der Anschauung des Bildobjekts, aber nicht so, 15 als ob es nichts sonst bedeutete, sondern so, dass wir die verähnlichenden Züge als solche, als darstellende erleben, und in ihnen das Sujet schauen, während die·übrigen Momente des Bildes (Bildobjekts) zwar erscheinen, aber nicht für das Bildsnjet gelten. Verflicht sich die Bildfunktion mit der abbildenden und äusserlich 20 indirekt vorstellenden, so geht eben das Bewusstsein nach innen und dann wieder nach aussen. Das Bild veranschaulicht, repräsentiert das Objekt, und dann wieder steht es als Hinweis auf das Objekt, auf das anderwärtig Vorstelligzumachende da.
* Betrachtung des- Fechnerbildes.
Schaue ich mich hinein, so sehe ich in diesem Bild Fechner (nach den! dargestellten Büstenteil), Die Photographienuancen sehe ich, aber während ich in der plastischen Form Fechner selbst nach seiner Gestalt sehe, sehe ich nicht in den Photographienuancen Fechner. Ich bin immer der Person, der dargestellten, zugewendet. Das Weiss gilt 30 mir als Weiss des Haares, das Gesicht aber gilt mir seiner Färbung nach nicht, die Brillengläser geiten mir als Brillengläser, ich schaue in da~ .Empfundene etwas anderes hinein. Ja, eigentlich kann ich das frellIch nicht. Es kommt nicht zur Phantasierung. Es ist aber gemeint, es drängt sich im Widerstreit gegen die falschen Farben auf, 35 als eine Widerstreitintention, oder als eine Intention, die dies da nicht gelte.n lässt als analogische Darstellung, während die plastische Form u~mlttelbar "gilt". Wir haben hier also eine innere Re'präsentatl 0 n gegenüber der äusseren, die nach aussen drängt, auf eine andere ~arstellung, auf eine andere Erscheinung, so wie es in der Regel bei 40 emem schlechten Bild oder einem zum Symbol bestimmten und als Syu:bo~. fungierenden statthat. Das Bild kann nach aussen e ri nn ern, an em Ahnliches, evtI.. an das.Objekt nach dem dargestellten Teil, evtl.
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an das ganze Objekt, an die ganzen Situationen, in die es hineingehört, das Bild kann habituell oder konventionell die Funktion haben (und für uns dann fühlbar mit der Funktion behaftet sein), dies zu leisten. Es kann auch zufällig so wirken, und phänomenologisch erscheint dann 5 auch das Bild als das Erinnernde; das ist aber nicht die immanente Repräsentation, die mit der transeunten verflochten sein kann, aber nicht sein muss. Bis zu einem gewissen Grade ist auch beim schlechtesten Bild etwas immanente Repräsentation da, auch wo es behaftet ist mit einer Intention nach aussen, mit einer transeunten Repräsen10 tati~n, .ein~ymbolische~, aber analogisc?en. . Fur Jede lITImanente Bildbetrachtung gilt, dass etwaIge Phantasiebilder zur Erklärung dienen, ein Bewusstsein "das ist es" erzeugen, oder "so ist es", aber die Betrachtung immer wieder zum Bild zurückkehrt. 15 Die Intention geht auf Fechner: darum, wo etwas von ihm in voller Anschauung (Farbe, StinlITIe, Bewegung, ganze Gestalt) erscheint, alsbald das Erfüllungsbewusstsein gegeben ist. Aber soweit das Bild ihn wirklich angemessen (oder für mein Empfinden angemessen) darstellt, soweit schaue ich ihn im Bild; soweit nicht, soweit 20 genügt das Bild freilich nicht, werde ich über das im Bild Erscheinende hinausgewiesen. Aber da geht die Intention auf Ersatz, auf Ergänzung, oder auf Hebung und entsprechende Modifikation der Bildmomente unter Festhaltung des übrigen. Es sind Momente. Bei einer transeunten Bildfunktion weist mich das ganze Bild auf ein anderes, auf ein "Phan25 tasiebild", eine vollere Phantasieanschauung, eine Erinnerung, in der ich nun ein angemesseneres intuitives Bewusstsein vom Gegenstand hätte.
* Mehrtältige Bildlichkeit
1) Der Stich als Bild des Originals: Das Original ist die Madonna 30 in Dresden. 2) Der Stich als Bild: Ich schaue mich hinein und habe das Bild der Madonna. Original = Madonna. 1) Ebenso die Reproduktion einer Sonate von seiten des Klavierspielers und die Sonate selbst. Das Original die Sonate, so wie sie 35 Beethoven meinte. Oder vielmehr so, wie derjenige sie als die von Beethoven gemeinte apperzipiert, der dieses Bildbewusstsein vollzieht. 2) Die Sonate als Ausdruck der und der Gefühle, Stimmungen (Musik als Ausdruck). 40 Jeder hat seinen idealen Beethoven. Jeder Künstler fasst ihn anders auf. Der eine die Auffassung des anderen vernehmend, fasst sie als gutes oder schlechtes, als adäquates oder inadäquates Bild seines Beethoven, seiner eigenen Auffassung. Evtl. wird er bei eigener Dar-
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stellung hinter seiner Auffassung zurückbleiben. Er bringt diese oder jene Stelle nicht so heraus, wie er sie intendiert. A d ä qua t es Bild, d.h. bei Bildern von Bildern ein Bild, das eine vollkommene Kopie des Urbildes ist; so dass die Bildauffassung 5 überhaupt keine Doppelheit mehr fühlen, also keine Bildauffassung mehr statthaben konnte. :Nun werden wir aber, durch die Erfahrung des Widerstreites von Darstellungen mit dem Urbild oder durch Erkenntnis (gewonnen durch Studium), dass hinter dem Werke mehr steckt etc., an jede 10 Darstellung den Massstab legen: Wir haben eine durch jede solche Darstellung erregte Intention, also wir fassen jede als Intention auf das Original. Diese Intention kann durch die Darstellung vollkommen erfüllt werden: W a h r n e h m u n g des Originals, oder nicht. Blasse Bildintention, blasse Darstellung, diesmal schlechte Darstellung etc. 15 Hier besteht Wunsch und Erwartung, daher Enttäuschung und Widerstreit. Bei Gemälden: Die Bilder von Gemälden können adäquat sein, wenn das Bild nur für die plastische Gestalt etwa Bild sein will. In dieser Hinsicht haben wir Wahrnehmung, haben wir Erfüllung der 20 Intention. Oder wir haben keine auf die Plastik bezügliche Intention, die unerfüllt bliebe. Trotzdem haben wir nur Bild: weil das Grau zwar nicht Bild sein 'will (keine analogisierende Funktion hat), andererseits aber doch eine Intention auf das Original. Nämlich: dahin gehören Farben, "gewisse". Also so schauen wir im Bild das Original 25 nach einer Seite, ein Schauen, Haben von erfüllten Intentionen, aber kein Wahrnehmen, weil es sich um Momente handelt, die mit anderen verflochten sind, denen die Gunst der Erfüllung nicht zuteil ist. Vergleich der Darstellung mit dem Ideal ("wie Beethoven sich die Sonate gedacht hat", oder wie sie gespielt werden "soll"). 30 Ideal: Ich studiere die Sonate: Forderungen, die die Teile des ästhetisc!len Ganzen gegeneinander üben, das würde entsprechen der Erkenntnis des Sujets des Werkes und seiner ästhetischen Darstellung in diesen Tongestalten. Wie bei jedem Kunstwerk gehört "Vertiefung" dazu, um die ihm angemessene Apperzeption zu erzeugen. Was wollte 35 der Künstler darstellen, und wie wollte er darstellen? Welche Gefühle :-:ollte .er erregen etc.? Aber nicht abstrakte Reflexion. In sich ist jede asthensche Apperzeption eine vieldeutige. Welche Deutung ist die an~emessene? Welche Stellung zum Bild, welche Stimmung etc.? Das erglbt Verständnis des Bildes. 40 l\nde:erseits Wiedergaben des Bildes, das ist eine andere Mannigfalhgkel~ verschiedener, mehr oder minder treuer Wiedergaben. In der MUSlk: Die Wiedergabe, das Wiederspielen und Wiederspielen. Und d.as richtige Spielen, dem Verständnis entsprechend. Dann die verschledenen Arten der Wiedergabe, angemessenere oder minder an45 gemessene (den verschiedenen Reproduktionsarten von Bildern entsprechend). Vergleich mit der Idee: Wird der Name "Sonate x" ge-
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nannt, oder <werden> gar die ersten Takte' gehört, so ist die Idee geweckt (Intention auf die Sonate im Sinn meines durch Studium erworbenen Verständnisses), und damit wird die Reproduktion verglichen: ähnlich wie ein Holzschnitt mit der Idee des Bildes selbst. 5 Deckung und Widerstreit.
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(zu §§ 42f.)
EiJND UNKLARE PHANTASIE IM UNTERSCHIED ZUR PHYSISCHEN BILDUCHKEIT>
<wohl 1905> Und doch1 ist es ganz anders wie bei der gemeinen Bildbetrachtung.2 Bei dieser betrachten wir das Bildobjekt, und dieses gilt erst als darstellend, als Bild für etwas anderes.3 Dieses andere ist dispositioneIl erregt und drängt sich, wenn wir es kennen, auch oft hervor in Form von Phantasievorstellungen, evtl. nur nach Momenten: Dieses Haar 15 ist blond (das erscheinende Grau vertritt das Blond, usw.). In der Phantasie aber gilt das Erscheinende nicht für etwas anderes. Nicht erst etwas erscheinend und dann Geltung, die darauf sich gründete. In der Phantasie haben wir nicht ein Bildobjekt konstituiert" das, 20 unterschieden für das intentionale Erlebnis von dem Gemeinten, dieses darstellte. 4 In der gemeinen Bildlichkeit betrachten wir das Bild, ein volles phänomenales Objekt, das auch gemeint, obschon nicht als Endziel gemeint ist. Es ist gemeint, sofern es darstellt. Es ist gemeint, sofern es eben Abbild sein soll. 25 In der Phantasie aber ist es anders. Wir haben hier verschiedene Fälle. 1) Die Phantasieerscheinung ist eine klare, voll ausgearbeitete. Z.B. ich denke an den Ratskeller oder an die Laube unseres Rathauses, "ich sehe sie vor mir". Und ich sehe sie an. Hier habe ich kein Be30 wusstsein der Art: Ich betrachte das "Bild", und es gilt mir als Bild für etwas anderes. Sondern: Das ist die Sache. Die Erscheinung bringt mir die Sache selbst zum Bewusstsein, nur ist die Sache keine gegenwärtige. I) 10
1 Der Text dieses und der folgenden beiden Absätze sowie der zugehörigen Anmerkungen wurde später kreuzweise gestrichen; vermutlich sollte erst der darauffolgende Text ausgearbeitet werden. - Anm. d. Hrsg. Z Etwas nachträglich über der Zeile eingefügt: "in der Abbild-Auffassung".Anm. d. Hrsg. 3 Das gilt nur für die abbildliche, symbolische Funktion. . 4 Ja, wenn die Phantasievorstellung eine vollkommene ist! Sonst haben \'VII dann ein Bildbewusstsein, das seines Unterschiedes gegenüber dem gemeinten Gegenstand bewusst ist oder es sein kann. sUnd ausserdem Bewusstsein der Deckung (der angemessenen Deckung) der Intention, das Bild kann klar sein und doch kein solches Bewusstsein.
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2) Ist die Phantasieerscheinung unvollkommen, lückenhaft umrissen mit einer Ausfüllung "man weiss nicht was", flüchtig, die Farben auftauchend und wieder verschwindend, oder man weiss nicht recht was für eine Farbe, nur einzelne Teile mit zugehöriger Farbe etc., 5 dann geht die Intention doch auf einen Gegenstand in einer direkten Weise. Man betrachtet nicht das Bild als ein für sich konstituiertes Objekt, das man als so seiend nimmt und dann als Bild gelten lässt. Vielmehr, durch dies sonderbar Flüchtige hindurch geht die Intention auf die Sache, ähnlich wie man die unklare Wahrnehmung im Däm10 merschein nicht für sich nimmt und zum Bild macht, sondern in ihm den Gegenstand fasst. 1 Wir können die Erscheinung beachten, wir können ein Bildobjekt konstituieren und sagen, jetzt erscheint das Ding so und jetzt anders, und diese Erscheinung stellt mir die Sache vor. Darum die Rede von dem Phantasiebild. (übrigens reden wir 15 auch vom Wahrnehmungsbild, wenn wir die erscheinende Seite und die einzelne Erscheinung in Beziehung setzen zur identischen Sache. Das sind aber nur indirekte und analogische Reden.) Im Erlebnis selbst haben wir aber nicht eine doppelte Gegenständlichkeit konstituiert und ein Meinen auf ein anderes gebaut, ein Auffassen auf ein 20 anderes. 2 In der physischen Bildlichkeit erscheint ein graues Ding, das ein farbiges darstellt.3 Ich schaue das graue Ding, an, ich sehe gleichsam ein graues. Das Bildobjekt ist grau, hat sich mit dem Grau konstituiert. 4 In der Phantasie5 mag grau dasein. Aber es erscheint kein graues 25 Ding. Das Grau breitet sich innerhalb der Konturen aus (wofern die Konturen nicht unfassbar flüchtig sind). Aber dieses Grau ist nicht objektiviert zu einem grauen Ding, das ich betrachten würde. 6 Es ist ein unklarer Hintergrund, durch den die Kontur durchscheint, der aber nicht objektiviert wird. 7 Die Phanfasiemeinung geht auf die 30 S ach e, und das Vorüberflatternde ist Anhalt für sie, Ähnlichkeitsanhalt, im Ähnlichen wird das Ähnliche erfasst. Es ist schwer, hier 1 Im letzten Satz beginnt bei "nicht für sich nimmt und zum Bild macht" die RLickseite im Originalmanuskript; Husserl setzte oben an der Seite später einen abwartsgerichteten Pfeil und bemerkte: "Der Text ist beachtenswert und gut beobach tet. Die Seitenanmerkungen scheinen nicht sehr triftig". Diese Seitenanmerkungen werden hIer in Fussnoten wiedergegeben. Vgl. auch die Textkritischen Anmerkungen. - Anm. d. Hrsg. , ' 2 (reprasentierendes Auffassen; .Repräsentant, Abbild, Symbol sein). 3 (Ja, wenn ich die Abbild-Auffassung vollziehe, die ich ja immer vollziehen kann. Wenn ich aber im Bildbewusstsein lebe, einfach hineinschauend, wenn ich in der eIgentlichen Imagination lebe und nicht in einer darauf gegründeten RepräsentatlO.n, dIe evtl. .auf eine neue Imagination hinleitet, dann verhält es sich anders.) 5 (und reprasentlert nun als Abbild). . So auch schon im rein imaginativen Bewusstsein im Hineinschauen in das phySische Bild. ' t 6 Ich lebe rein in der Intention auf das Objekt. Bei der ästhetischen Bildbetrachs~e~~ geht das Interesse aber auf das Bildobjekt selbst, so wie es das Bildsujet dar7 K . s h . emerlei vorstellendes Meinen auf das Erscheinende gerichtet, so wie es erc emt, Sondern nUr auf das gemeinte Sujet.
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Aussagen zu' machen. Ich denke an unseren Besuchsraum. Das Bild von BrentanoI , die Kunstblätter, die aufgestellt sind. Nun, sie habe ich im Auge. Nicht andere Sachen, die auf sie erst Bedeutungsbe z i e h u n g haben, sei es auch in der Weise der Bi I d repräsentation, S der Darstellung. Ja, das ist noch ein gewisser Unterschied. Bei der physischen Bildbetr.~ch)Jm~ haben. wir ja ~iderst:eit im B~ckfeld der W~hrnehmung.
Da u:berschieben sIch zweI IntentIOnen. Bel der PhantasIe haben wir 10 entw'eder volle Anschauung: Dann haben wir kein eigentliches Bildbewusstsein, sondern ein direktes Gegenstandsbewusstsein, aber von "Nicht-Gegenwärtigem". Oder wir haben die Intention auf das Objekt und jene "Schatten", die nicht fes t e Bildobjekte herstellen, die etwa ein abbildliches oder ein mit Widerstreit gemischtes intuitives Bild15 bewusstsein herstellen. Nur unter Umständen, wenn wir zwar volle Phantasieerscheinungen haben, aber nicht wissen, ob der Mensch blond ist oder nicht, also Unbestimmtheitsintentionen. Wie fungieren nun jene "Schatten"? Es sind "unklar" wandelbare, flüchtige, sich vielfach ändernde Erscheinungen, vielfach unbestimmt, 20 unbestimmt nach Färbung etc. In ihnen erscheint der Gegenstand, nur schattenhaft, "unvollkommen", "unbestimmt". Wie durch einen Schleier, einen Nebel hindurch, durch die Dämmerung hindurch. Beim physischen Bild ist das Nicht-Analogisierende fest und klar. Daher drängt sich das Bildobjekt einheitlich auf, wenigstens leicht. Eigent25 lich konstituiert sich das Bildobjekt auch nur bei darauf gerichtetem Interesse. Hier kann sich keine feste Einheit bilden. Durch die analogischen Momente hindurch läuft die Objektintention. Das Bildobjekt konstituiert sich nicht als klare feste Einheit.
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(zu § 45)
<SCHWANKEN, OB PHANTASIE ODER WAHRNEHMUNG>
Das Blickfeld der Wahrnehmung ist ein Zusammenhang, ihm entspricht der Zusammenhang des Empfindungsblickfeldes, des Feldes der sinnlichen Empfindungen. Was in diesem Zusammenhang des 35 Wahrnehmungsblickfeldes ist, das ist, seinem Auffassungsinhalt nach, Empfindung, aufgefasst Wahrnehmung. Nun kommt aber ein Schwanken, ob Phantasie oder Wahrnehmung, nicht selten vor. Und zwar bei schwachen Empfindungen. Hier haben wir , 1 Franz Brentano malte, gemeinsam mit seiner Frau, im Jahre 1886 ein Porträt von Husserl, das später in Husserls Wohnung hing. Vgl. Herbert Spiegelberg: "The lost Portrait of Edmund Husserl by Franz and Ida Brentano" in Philomates, Gedenkband für Philip Merlan, Den Haag 1971, S. 341 ff. - Anm. d. Hrsg.
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Intermittieren. Das Blickfeld schwankt seinem Inhalt nach. Schwanke ich, ob der Glockenschlag gehört oder eingebildet ist, so schwanke ich, ob er ein "wirklicher" oder eingebildeter ist. Hier haben wir im Empfindungsfeld den Auffassungsinhalt, wie bei einer Halluzination. Wir 5 haben nicht ein Phantasma, ein vom Zusammenhang der Empfindungen Gesondertes (und als Phantasma notwendig Gesondertes). Ja aber, könnte man sagen: Bei sehr schwachen Empfindungen ist es eben möglich, die Empfindung vom Empfindungsfeld abzulösen (sie ordnet sich nicht mit Sicherheit ein) und sie ist einer Phantasie 10 zuzuweisen. Umgekehrt, bei gewissen Phantasmen ist es möglich, sie in das Empfindungsfeld einzuordnen. Normalerweise haben wir Trennung, aber in gewissen Grenzfällen partielle Deckung. Ein Ton erklingt: Höre ich ihn noch (Ticken der Uhr)? Ähnliche Sachlagen haben wir auch in der Phantasie: das Intermittieren der "Bilder" und 15 der Zweifel: Habe ich, das Phantasiebild noch? Die Intention auf den Gegenstand ist immerfort da, das Bild schwankt auf und ab. Eben glauben wir, es noch zu haben. Aber ganz sicher sind wir nicht. ,,,Bilde ich mir nur ein, das Phantasiebild noch zu haben?" Dieses Einbilden ist aber natürlich, nicht Phantasieren. Das ist sehr zu beachten. 20 Gehen wir zurück zum Fall des erklingenden Tones. Höre ich ihn noch? Hier ist es zweifelhaft, ob wir überhaupt noch etwas haben, sei es Empfindung, sei es Phantasma. Beim Intermittieren der Empfindung verbleibt die Intention. Aber wenn die Empfindung entfällt, können wir doch nicht sagen, dass an ihre Stelle ein Phantasma getre25 ten sei. Wenn wir einen Schlag der Uhr zu hören gl au ben, so haben wir Empfindung und Wahrnehmung. Wenn wir plötzlich zweifeln, so können wir darum ganz wohl die Empfindung weiter haben, denselben sinnlichen Inhalt. Wir zweifeln aber, ob es nicht eine subjektive Er30 scheinung ist (eine Halluzin,ation), der objektiv nichts entspricht.
BEILAGE XII <EMPFINDUNG -
(zu § 37 und §§ 51f.)
PHANTASMA UND DIE IHNEN
WESENTLICHEN "AUFFASSUNGEN">l
<wohl 1904/05> Als ge gen w ä r t i g auffassen können wir die Phantasmen und die Phantasievorstellungen auch. Jetzt schwebt mir der Roons vor, die Phantasievorstellung nehme ich wahr, die Phantasieinhalte sind auch gegenwärtig, aber natürlich nicht die phantasierten. o U D~s Phantasie-Urteil ist gegenwärtig, nur ist es nicht ein aktuelles 4 rtell. Ich "glaube nicht wirklich", ich stelle einen Glauben vor. Nehmen wir einen ursprünglichen Unterschied
35
1
(~ur zu aporetischer Darstellung).
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BEILAGE XII
zwischen Empfindung und Phantasma an, so macht nicht die Auffassung als nichtgegenwärtig die Modifikation erst aus, sondern der Inhalt selbst ist ein "modifizierter". Bei der gemeinen äusseren Bildlichkeit dienen unmodifizierte Inhalte in Phantasiefunktion, sie 5 werden dabei allerdings doppelt genommen, einmal in Wahrnehmungsfunktion, da erscheint in ihnen ein Gegenwärtiges, und zugleich in Phantasiefunktion, es ist etwas Nichtgegenwärtiges vergegenwärtigt: im äusser~ild veranschaulicht. Bei der Phantasiebildlichkeit auf Grund vjJn Ph~ntas~en, also der eigentlich~n Phantas~e, dienen die 10 Phantasmen nIcht In WahrnehmungsfunktIon. Aber SIe können es doch auch insofern, als das Phantasma als ein gegenwärtiges angesehen werden kann l . Dabei ist aber notwendig das Phantasma zugleich als nichtgegenwärtiges aufgefasst, seine Phantasiefunktion ist da, die Phantasie ist gegenwärtig, in demselben Sinn 15 wie die Wahrnehmung, das aktuelle Urteil, wie jedes aktuelle psychische Erlebnis. Die Phantasievorstellung ist nicht selbst ein Phantasma. Dieses ist aber ein Teil der Vorstellung. Ist es ein selbständiger Teil? Kann das Phantasma sein, ohne eine Phantasievorstellung zu begründen? Man könnte ebenso fragen: Kann die Empfindung sein, 20 ohne Wahrnehmungsauffassung zu begründen? Wenn eine Empfindung aufgefasst ist, so ist sie notwendig aufgefasst in Form einer Wahrnehmungsauffassung, sie kann dann höchstens noch eine Phantasieauffassung in Form einer mittelbaren Bildlichkeit tragen (einer durchdringenden). - Wenn ein Phan25 tasma aufgefasst ist, so ist es notwendig aufgefasst in Form einer Phantasieauffassung, es kann dann höchstens noch eine Wahrnehmungsauffassung tragen, nämlich die des Phantasmas als eines im Phantasiebewusstsein gegenwärtigen. Dort dient das Wahrnehmungsbewusstsein als Fundament für ein Phantasiebewusstsein, hier das 30 Phantasiebewusstsein Fundament für ein Wahrnehmungsbewusstsein. Beiderseits bestehen Mittelbarkeiten. Das konkrete Wahrnehmungsbewusstsein, die Wahrnehmungsauffassung, konstituiert ein Wahrnehmungsobjekt, das als Bild dient, das geschieht aber so, dass die sinnlichen Empfindungen, die wesentlich eine Wahrneh35 mungsfunktion tragen, zugleich und ausserwesentlich eine Phantasiefunktion tragen. Das setzt aber voraus, dass die Wahrnehmungsauffassung schon vollzogen ist. Andererseits: Dieselben sinnlichen Inhalte, die eine Phantasiefunktion wesentlich tragen, tragen zugleich und ausserwesentlich eine Wahrnehmungsfunktion: Sie setzt 40 voraus, dass die Phantasieauffassung vollzogen und als Ganzes als gegenwärtige genommen ist. Oder: Sinnliche Empfindungen können auch modifiziert sein, können phantasiemässig gefasst sein. Als "Phantasierepräsentanter( können sie aber nur gefasst sein in einem Bewusstseinsganzen, das SIe 45 erst als Empfindung fasst, als Wahrnehmungsrepräsentanten. Ihr als 1
Da ist der Haken.
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nichtgegenwärtig Gelten setzt ein als gegenwärtig Gelten voraus. Das als gegenwärtig Gelten der Phan tasmen setzt aber ein als nichtgegenwärtig Gelten voraus. Das sind also wesentliche Unterschiede zwischen Empfindungen 5 und Phantasmen. Empfindungen können nur eine Art u n mit t e 1bar e r Auffassung und Charakterisierung erfahren: die als Gegenwartigkeiten. Phantasmen können nur eine Art unmittelbarer Auffassung und Charakterisierung erfahren: die als Nichtgegenwärtigkeiten. Zum Wesen des "Wirklichen" (der Empfindung) gehört es, 10 dass es dazu berufen ist, in erster Linie für sich zu gelten, zu sein, und dann erst allenfalls anderes darzustellen. Zum Wesen des phantasiemässigen Inhalts gehört es, dass es berufen ist, in erster Linie für anderes zu gelten, und dann kann es aber auch als etwas für sich, das nun aber mit der Darstellungsfunktion 15 behaftet ist, gelten. Zu erwägen wäre, ob nicht Phantasmen nicht nur die Möglichkeit begrunden, als Phantasieauffassungsinhalte zu fungieren, sondern ob sie nicht notwendig diese immer mit sich tragen. Während das Analoge bei der Wahrnehmung nicht der Fall ist (es s'ei denn vielleicht bei der 20 sinnlichen Empfindung). Oder soll man sagen: 1 Alle Inhalte sind bewusst, alle sind "Bewusstseinsinhalte". Dazu gehört aber nicht das Bewusstsein im Sinn des "M ein e n s", des primären, des Hintergrund-Meinens usw. Dann wären alle Auffassungen und Meinungen "bewusst",. aber das hiesse 25 nicht, dass sie selbst gemeint wären. Das schlichte Bewusstsein eines Inhalts wäre kein meinendes Auffassen. Aber soll man sagen, jeder Inhalt ist als er selbst oder als anderes aufgefasst, und dem folgt das Meinen? I Was ist das "bewusst"? Ist es ein Charakter, dann fragen wir, ist 30 dieser Charakter selbst wieder,bewusst, also abermals Träger des "Bewusstseins" charakters und so in infinitum?
* Die Ansicht von der wesentlichen Sonderung von Empfindungen
u~d Ph.antasmen und zugleich der Sonderung der beiden Bewusst-
semswelsen, der Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung. Empfin35 dungen können nur die eine, Phantasmen nur die andere Auffassung erfahren. Da für spricht ein Argument, das mir letzthin noch nicht auf~estossen war. Wenn es nur an zufälligen psychologischen Gründen lage, was als Empfindung und was als Phantasma fungiert, d.h. in der 40 ~unktion einer Präsentation und einer Repräsentation steht, während m den so fungierenden Inhalten kein wesen tlicher Anhalt für 1 Der Text dIeses und des folgenden Absatzes wurde später in eckige Klammern gesetzt und dIagonal durchgestrichen. - Anm. d. Hrsg.
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die eine und andere Auffassung läge, dann wäre ,es ja auch nur Zufall, etwa Unserer "psychischen Organisation", dass die aktuellen Erlebnisse, die unsere Bewusstseinseinheit ausmachen, Gegenwärtigkeiten, also Realitäten sind. 5 Es wäre denkbar, dass alle Inhalte überhaupt in einem Bewusstsein als Phantasmen aufgefasst würden, es wäre ein nicht wahrnehmendes und nur~ha tasierendes Bewusstsein denkbar ... Ob nicht darin auch Unz äglichkeiten lägen? Alles, as reell erlebt ist, was die Bewusstseinseinheit ausmacht, 10 kann also nicht anders aufgefasst werden seinem Wesen nach, denn als Gegebenheit, als GegenwärtigkeiU Wie steht es dann aber mit den sogenannten "Phantasmen", mit den modifizierten Erlebnissen, den Sinnesphantasmen, den Modifikationen von Urteilen, Gefühlen usf.? Gehören sie nicht auch zur 15 Bewusstseinseinheit ? Ja, in ihren Modifikationen.
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(zu § 37 und zum 9. Kapitel)
2 3
(Abschrift und nähere Ausführung einiger Notizen aus 1905) Frage: Sind Phantasmen Inhalte, die als gegenwärtig erscheinen? Eine sonderbare Frage. Können sie als gegenwärtig erscheinen? Wenn das Phantasierte nicht als gegenwärtig erscheint, erscheint nicht das Phantasma eben25 falls als nichtgegenwärtig ?4 Wie verhält es sich im Fall der Wahrnehmung in dieser Hinsicht? Die Empfindung erscheint als jetzt, das Wahrnehmungsobjekt auch. Ferner bei der Bildvorstellung: z.B. beim Photographiebild, in dem ein Nicht-Jetzt, eine frühere Situation dargestellt ist. Hier sind die 30 Auffassungsinhalte wieder Empfindungen, sie konstituieren ein Bildobjekt, das als gegenwärtig erscheint, und dieses stellt dar das Nichtgegenwärtige, hier das Vergangene. Es "erinnert daran". In der Pha~ tasie konstituiert sich kein gegenwärtiges Bildobjekt, in der PhantasIe 1 Der letzte Satz wurde später wie folgt verändert: "Alles, was reell erlebt ist, was die Bewusstseinseinheit ausmacht, muss seinem Wesen nach auffassbar sein als Gegebenheit, als Gegenwärtigkeit." - Anm. d. Hrsg. 2 Handelt auch über Bildvorstellung und Phantasievorstellung. S Gute Darstellung der älteren Auffassung, die das Phantasma als ein Erlebtes, das die Apperzeption zu einem Nicht-Selbstda erfährt, ansieht. Sachlich offenbar unhaltbar. 4 Offenbar.
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ist nichts gegenwärtig, das an ein Nichtgegenwärtiges "erinnert." Natürlich gilt das von ,Phantasie im weitesten Sinn, inkL der Erinnerungsvorstellung. Steht in einer Erinnerungsvorstellung ein Gegenwärtiges vor Augen (erscheint ein Gegenwärtiges), das an ein NichtS gegenwärtiges "erinnert"? Doch ist hier genauer auszuführen: Vollziehe ich eine Bild auffassung (immer im eigentlichen Sinn: physisches Bild), so schaue ich .mich in die ähnliche.n Zü~e hine!n, i.ch lebe im Gegenstandsbewusstsem, ohne dass das BIldob]ekt mIch 1m 10 eigentlichen Sinn an den Geg~nstand (Sujet) "erinnerte", somit als Ähnlichkeitsrepräsentant, als Ahnlichkeitszeichen fungierte. So nämlich bei der immanenten Betrachtung. Erst für die Reflexion und transiente Betrachtung stellt sich Bildobjekt und Bildsujet gegenüber, und jenes "erinnert': an dieses, od~.r stellt es, wo von Erinnerung 15 keine Rede ist (fremdes Objekt), als Ahnlichkeitsrepräsentant dar. Insbesondere wenn die Differenzen gering sind, schaue ich im Bildobjekt, nach allem, was es in <sich> selbst, abgesehen von äusseren Verhältnissen, erscheinungsmässig bietet, das Sujet, schaue durch das Bild die Sache. Andererseits schaue icli imaginativ, im Bildbewusst20 sein, das ermöglicht ist durch Differenzen, -mindestens die Differenzen des gesamten gegenständlichen Zusammenhanges der Gegenwärtigke~_
I
Wir können auch sagen: Wir leben einmal im Symbolbewusstsein (Bedeutungsbewusstsein), das unexpliziert ist, der Ähnlichkeitsreprä25 sentant ist Ähnlichkeitsrepräsentant, aber das, wofür er repräsentiert, ist nicht vergegenwärtigt, und kein explizierter Akt der Beziehung auf den gemeinten und in der Phantasievorstellung vergegenwärtigten IGegenstand ist vorhanden, und in der transienten Betrachtung ist er vorhanden.! Bei der Bildvorstellung ist das Bild30 objekt etwas als gegenwärtig Erscheinendes, das Bildsujet also ist in ihm vergegenwärtigt., . Wie aber in der Phantasievorstellung? Hier ist nicht ein Gegenwärtiges, das ein Nichtgegenwärtiges vergegenwärtigt, niemals haben wir hier ein als gegenwärtig Erscheinendes (in der Funktion des 35 Bildobj ektes), ein als ,.selbstda" Erscheinendes. Hier ist nichts zu e~plizieren (mindestens, wenn wir ein gutes, vollkommenes Phantasieb~ld nehmen), denn das Explizierende wäre wieder eine Beziehung auf em Phantasiebild. Und weist das nicht auf einen ursprünglichen Unterschied zwischen 40 Empfindungen und Phantasmen hin? D~s Phantasma den ursprünglichen Charakter der "Reprodu~tlOn" oder den Charakter der "Nichtursprünglichkeit" , des "NIcht-da" (verglichen mit der Empfindung).
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Also ganz wie beim signitiven Vorstellen: expliziert und nichtexpliziert.
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Empfindung und Phantasma. Gedenwart des' Phantasmas
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Aber ist die Phantasievorstellung nicht ein Gegenwärtiges, ein als gegenwärtig Erscheinendes die Phantasievorstellung als ganzes, als Gegenstand der inneren Wahrnehmung? Und ist darin nicht das Phantas~ doch wieder ein Jetzt, ein Gegenwärtiges?1 Sollen wir sagen: Wi rd eine Empfindung (ein phänomenologischer Inhalt mit dem Cha akter der Ursprünglichkeit, eben der Empfindung) gegenständlich-(linglich2 apperzipiert, apperzipiert als "äussere Erscheinung", so konstituiert sich ein Gegenstand, der als gegenwärtig erscheint, ein Wahrnehmungsgegenstand oder ein gegenwärtiger Gegenstand, ein Selbstda (evtl. geleugnet). Wird ein Phantasma apperzipiert, und zwar als Ding3 apperzipiert, so wird es notwendig als nichtgegenwärtiges Ding apperzipiert, nicht-da, nicht in eigener Person, sondern "vorgestellt", durchaus nach allem, "was es ist".4 Findet aber phänomenologische Apperzeption statt, so ist das Phantasma sognt als eine Empfindung ein Dies, ein Moment des "Bewusstseins".5 Ein reelles Moment (im Gegensatz zum symbolischen oder transeunten), und findet psychologische Apperzeption statt, so gehört die Wahrnehmung, die Vorstellung, auch die Dies-Auffassung etc. zu mir, dem empirischen Ich, und jedes reelle Dies ist ein Psychologisch-Gegenwärtiges, eingeordnet in das individuelle Bewusstsein und dadurch in die objektive Zeit. In der objektiven Zeit ist die Empfindung und das Phantasma: nämlich als ein objektiv zeitlich dann und dann Seiendes eines individuellen Bewusstseins, eines Ich. Aber die Empfindung sowenig als das Phantasma hat seine Stellung in der dinglichen = physischen Natur, darin ist es nicht "da", weder wirklich noch vermeintlich, in wirklicher Erscheinung. Vielleicht muss man auch das hinzufügen: Das Phantasma ist ein Unselbständiges, es trägt6 notwendig den Apperzeptionscharakter des Nichtursprünglichen, die Empfindung ist ein Unselbständiges, sie trägt notwendig den Apperzeptionscharakter des Ursprünglichen, Gegenwärtigen. Nämlich jeder primäre Inhalt wird nach ursprünglicher Notwendigkeit dinglich apperzipiert (wenn auch zunächst nichts gesagt ist über Transzendenz durch Kontiguität). Das Bewusstsein aber, zu dem diese Apperzeption gehört, erfährt, sowie es zurri Gegenstand eines neuen Bewusstseins gemacht wird (das gehört zum Wesen Da ist der Fehler. ,,-dinglich" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg. 3 "Ding" später gestrichen. Anm. d. Hrsg. 4 Der Grundfehler ist, dass "Phantasma" als ein Gegenwärtiges genommen wird, das nur als Repräsentant "charakterisiert" ist, wogegen doch schon die Ausführungen der vorigen Seite sprechen. 5 So liegt es freilich nahe, zu sagen, da ist die grosse Versuchung, aber das ist eben unhaltbar. Das Dies ist eine Vergegenwärtigung von einem Dies. e Es "trägt"? 1
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des Bewusstseins), eine neue Apperzeption, die "innere" Apperzeption, und dieses Bewusstsein hat den Charakter einer Impression. Das Phantasma als Auffassungsinhalt der ersten Apperzeption (der auf ihn oder auf einen "äusseren Gegenstand" gerichteten Vorstellung) 5 hat den Charakter des Nicht-jetzt, Nicht-Selbstda. 1 Diesen Charakter gibt ihm diese Apperzeption. 2 Und diesen Charakter hat er notwendig in der Welt, die sich durch diese Apperzeption "konstituiert". Das Phantasma aber als Bestandstück solcher Apperzeption hat in den neuen inneren Apperzeptionen so wie die ganzen Wahrnehmungen 10 und Vorstellungen und Erinnerungen etc. den Charakter "innerer Gegenwart", "inneren jetzt- und Selbstda-seins". Und nun erwächst in der logischen Zusammenbeziehung der beiderlei Apperzeptionen, in ihrer logischen Bearbeitung: eine einzige Welt, die physische Welt und die mit ihr einheitliche geistige Welt, Leib und Seele, etc. Und 15 nun haben in ihr weder Empfindungen noch Phantasmen eine Stelle als physische Gegenstände, vielmehr haben solche Stelle die durch sie sich konstituierenden physischen Dinge. Dagegen haben Empfindungen und Phantasmen nun ihre Stelle in der geistigen Ergänzung, in der Welt des Psychologischen als Bes,tandstücke bzw. Fundamente 20 der Apperzeptionen und weiter der Akte des Wahmehmens, VorsteIlens etc.
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SPäter eingefügt· w· ."" der Idee" . _ Anm.d.Hrsg .. '1 Je kann eIne Apperzeption einem Erlebten den Charakter des Nicht·Selbstda
er t el en?
Nr.2
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Ich versetze mich in der Phantasie ins Herero-Land. Ich träume, von den wasserlosen Wüsten etc. Es sind Phantasien, ich habe keine angemessenen Beschreibungen davon, allenfalls unvollkommene, die mich in meinen Einbildungen leiten. 20 Die Phantasieerscheinungen habe ich jetzt: Ich habe Akte der Einbildung. Zugleich aber "versetze ich mich da hinein", in das Herero-Land, ich "sehe" den Busch, ich sehe die weiten wasserlosen Wüsten, ... Ich "sehe"; die Gegenstände, die Vorgänge erscheinen nicht als hier und jetzt im wirklichen Sinn, ich habe 25 jetzt keine Wahrnehmungen. Ich habe die Vorstellungen. Habe ich damit nicht auch die Vorstellungen der Wahrnehmungen? Die Vorgänge erscheinen als nicht jetzt, indem die Erscheinungen als Inhalte von Wahrnehmungserlebnissen ge-
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fasst sind, aber als Wahrnehmungserlebnissen, die ich nicht jetzt habe, sondern in die ich mich eben "hineinversetze". Es ist selbstverständlich, dass zum Wesen der "Vorstellung" nicht gehören kann, dc1SS ich mir vorstelle, ich nehme wahr, also 5 zum Wesen der Vorstellung eines A die Vorstellung, dass ich A wahrnehme. Denn dann käme der unendliche Regress. Wenn ich A wahrnehme, z.B. ich sitze im Ratskeller und sehe meinen Freund Schwarz, so muss ich nicht auch wahrnehmen, dass ich ihn wahrnehme. Ich werde zwar wie alle äusseren Ob10 jekte so auch meinen Freundin Beziehung zu mir apperzipieren, ich werde ihn also als mir gegenübersitzend, mit mir sprechend usw. wahrnehmen. Mindestens die räumliche Lage jedes äusseren Objekts zu mir, zu meinem Körper, zu meinem Kopf gehört! mit zur Auffassung des Objekts. Aber darin liegt nicht, dass ich not15 wendig mich als Wahrnehmenden, also die Wahrnehmung Vollziehenden auffasse. Ich kann es jedetzeit tun, ich "weiss", dass ich die Augen pffen habe, ich kann aussagen, ich sehe Freund S. Er kann mir g~genübersitzen, ohne dass ich ihn sehe. Wenn ich die Augen geschlossen habe, wenn es finster ist usw. Ich sehe ihn, 20 ich habe die Wahrnehmung des mir gegenübersitzenden Freundes, ich erlebe das Wahrnehmen, sein wahrnehmendes-Erscheinen, er steht selbst vor mir, dieses selbst-jetzt Dastehen ist ein Erleben, das ist und ist mein Erleben, es ist etwas, das zu meinen Erlebnissen, zu meinem geistigen Ich gerechnet wird. Aber all 25 das in neuen Wahrnehmungen und in der Wahrnehmung vollzogenen Beziehungen. Nehme ich wahr, so bin ich dem Objekte zugewendet, dem Freund, der meinem Körper gegenübersteht, und es ist evident, dass, wo dies Erlebnis ist, auch die Möglichkeit jener Reflexion und Beziehungen besteht. 30 Wenn ich nun eine Vorstellung habe, eine Erscheinung in der Phantasie oder eine intuitive Erinnerung (Vergegenwärtigung), so schaue ich in gewisser Weise auch, z.B. dass mein Freund mir gegemibersitzt, zu mir spricht. Bei der Vorstellung ist es nicht ander" wie bei der Wahrnehmung: Die Erscheinung ·des äusseren 35 Objekts ist in Beziehung gesetzt zur Erscheinung meines Körpers, der dann bei aller äusseren Phantasie irgendwie, mehr oder minder klar mitvorgestellt ist. (Speziell für das Sehen: Hauptsäch1
Spater eingefugt "normalerweise". _ Anm.. d. Hrsg.
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lich das sehende Auge, aber nicht als Objekt, das man selbst sieht, sondern repräsentiert durch die Muskelempfindung der geöffneten Augen, Akkomodationsempfindungen u.dgl. Gesichtsbild der in das Sehfeld hineinragenden Nase etc.) Meine 5 Hände sehe ich auch: Auch sie werden in Beziehung gesetzt zu meinem Kopf, zum körperlichen Sehzentrum. Dieses Zentrum der physischen Sehbeziehung wird aber nicht selbst wieder in dieser Weise vorgestellt. Allerdings, wende ich darauf die Aufmerksamkeit, so stelle ich mir meinen Kopf und 10 vielleicht mich selbst ganz vor, etwa wie ich "mich" vom Spiegel her kenne, wodurch dann die sonderbare Beziehung des Sehzentrums wieder auf ein anderes erfolgt. Nun gut. Wenn ich jetzt zurückdenke an die belebte Stunde mit Schwarz im Ratskeller, und speziell wie ich ihm gegenüber15 sass, im bestimmten Moment, der bestimmten Situation, da habe ich eine "Phantasie"-Vorstellung von der ganzen Situation, speziell eine solche von "mir". Und sogut ich einen Tisch, den ich sehe, identifizieren kann mit einem Tisch, dessen ich mich in einer Phantasieerscheinung erinnere (die Lage, das Aussehen 20 mag übrigens geändert sein), so kann ich die Erinnerung an das Ich identifizieren mit dem jetzt empfundenen oder wahrgenommenen Ich. Also me i ne mIch 1 steht in der Phantasie das Objekt gegenüber (meinem Ich in einer gewissen phantasierten Situation, Stellung). Natürlich wird das Wahrnehmen dabei nicht 25 phantasiert, und doch kann ich wieder sagen: Das Objekt erscheint dem Ich, und zwar so, dass das Ich das Objekt wahrnimmt, es hat die Augen offen, blickt auf das Objekt so und so hin usw. Nun wenn ich auf den Akt des Phantasierens reflektiere, stehe ich in der Gegenwart. Dieser Akt ordnet sich ein meinem aktu30 ellen Ich: Er wird wahrgenommen. Das so und so Erscheinen, das Vorschweben des Bildes etc., das ist ein aktuell Wahrgenommenes und gehört zur Sphäre der "Seele". Soeben schwebt mir das "Bild" der Situation im Ratskeller, Eugen Schwarz ete. vor. Ich kann aber auch die Erscheinung beziehen auf das phanta35 sierte, nicht bloss körperliche, sondern auch geistige Ich. Lebe ich in der Phantasie, so lebe ich in dem Bildbewusstsein, welches jenes Phantasie-Ich und jenes Phantasieobjekt, jene Phantasie1
"Ich" später verändert in "Phantasie-Ich". -
Anm. d. Hrsg.
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situation intentional umfasst. Zum' Phantasie-Ich gehört auch ein Phantasiebewusstsein mit seelischen Erlebnissen, und zu diesen gehört auch das Erscheinen des ihm gegenüberstehenden Objekts, das ihm Gegenüberstehen, das für es selbst Dasein. 5 Beziehe ich die Phantasieerscheinung "mein Freund S." auf mein wahrgenommenes Ich, so habe ich eben eine Phant a sie erscheinung, dem wahrgenommenen Ich schwebt der Freund vor, es hat ein Erlebnis der Anschauung des Freundes, aber einer Anschauung,' die nicht "wirklich selbst Dasein des 10 Freundes", nicht "jetzt selbst Gegenüberstehen", nicht selbst Gegenwärtigsein desselben, nicht -wahrgenommenes Sein ist. Beziehe ich die Erscheinung aber auf mein p ha n ta sie r t e sIe h, so ist sie ein psychisches Erlebnis dieses Ich, d.h. dieses Ich kann aufgefasst werden als diese Erscheinung habend. Freilich, die 15 jetzige Erscheinung, identisch dieselbe, kann nicht das phantasierte Ich haben. "Das phantasierte Ich hat die Erscheinung", d.h. zum Phantasieren jener Situation gehört die mit beschlossene Möglichkeit, dass phantasiemässig gilt (als implizierte Annahme): "dann muss zum phantasierten geistigen Ich 20 das Haben der Erscheinung gehören". Das Phantasie-Ich ist aber nicht das aktuelle Ich l , es ist zwar mit diesem identifiziert, aber nicht in dem Sinn, als ob seine Phantasieerlebnisse jetzt aktuelle sein könnten. Ich kann mich "so wie ich bin" hineinphantasieren in das Mohrenland, aber z ga n z so, wie ich bin, nicht. 25 Nämlich meine Wahrnehmungsumgebung kann ich nicht festhalten. Sie widerstreitet ja mit der Phantasieumgebung. Mein jetziges Gesichtsfeld ist unverträglich mit dem phantasierten usw. Das betrifft alle Teile des Bewusstseinsinhaltes, die gerade nur phantasiemässig angenommen, aber jetzt nie h t vorhanden 30 sind. Wohl nur dadurch ist das Bewusstsein der Repräsentation möglich. Die Erscheinung nun, die ich jetzt Phantasieerscheinung nenne und mein jetziges Ich in dieser Weise hat, hat die auch das eingebildete Ich in der Weise einer Phantasieerscheinung? Stelle 1 Das Ich, das phantasiemässig erscheint, wird also zu einem Nicht·Jetzt, was ich ihm vom Jetzt zudeute, wird zum Bild dessen, was jenes Ich hat. Der Widerstreit ~ennt ~ozusagen aktuelles und phantasiertes Ich. Und so wird auch die jetzt erlebte I rhschemun g zum Repräsentanten, Bild der "Erscheinung", die dem phantasierten c ZUgemutet wird. 2 Spater eingefugt "eigentlich". _ Anm. d. Hrsg.
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ich mir vor, ich sass Freund S. gegenüber, so liegt darin "implizite", dass ich mir vorstelle: ich hätte die Wahrnehmungserscheinung des gegenübersitzenden Freundes. Die Selbsterscheinung des Freundes, das Gegenübersitzen seI b s t wird 5 dem Phantasie-Ich eingelegt. Dem aktuellen jetzigen Ich wird eingelegt die Erscheinung, die nicht als Wahrnehmungserscheinung genommen, sondern als Vergegenwärtigung verstanden wird. Dieselbe Erscheinung wird doppelt aufgefasst. In Beziehung auf das Phantasie-Ich ist es Wahrnehmungserscheinung: Ich 10 phantasiere: "ich, in der und der Situation seiend, nehme das und das wahr", d.h. in der Phantasie wird die Erscheinung dem Phantasie-Ich als Wahrnehmung eingelegt. In Beziehung auf das jetzige Ich ist es Phantasie der Wahrnehmungserscheinung, aber als Phantasie dem gegenwärtigen Ich aktuell eingelegt in 15 eins mit der Phantasie des Ich in jener Situation. Gehört nicht zum Wesen jeder Phantasievorstellung, dass sie eine Erscheinung im Bewusstsein der Repräsentation darstellt? In diesem Bewusstsein leben, d.i. den Gegenstand, Freund S., sich "in der Phantasie vorführen". Auf dieses Bewusstsein re20 flektieren heisst, darauf hinblicken, es wahrnehmen, dass diese Vorstellung bestehe, diese Phantasie. Wie nun der erscheinende Gegenstand der phantasierte ist, vermöge des Repräsentationsbewusstseins (der vergegenwärtigte), und wie dabei die erlebten primären Inhalte, die Farben etc. Repräsentanten sind 25 für dieselben nicht erlebten, so kann notwendig auch die E rsc he i nun g als Repräsentation einer Wahrnehmungserscheinung gefasst werden. "Freund Schwarz" vorstellen heisst nicht, die Wahrnehmung des Freundes Schwarz vorstellen. Aber wenn ich Freund Schwarz vorstelle, so kann ich die Vorstellung, d.i. 30 die Erscheinung, die ich jetzt habe, als Bild einer entsprechenden Wahrnehmungserscheinung desselben auffassen. Sich X vorstellen = sich den Gegenstand X vorstellen C'V sich vorstellen, dass X da, gegenwärtig sei C'V sich vorstellen, dass X wahrgenommen sei, dass X in der Weise der Wahrnehmung er35 scheine C'V sich vorstellen, dass in der jetzigen Erscheinung die Wahrnehmungserscheinung desselben Gegenstandes repräsentiert sei. Man kann auch so sagen: Ein A (das Rathaus, Freund Schwarz) phantasieren heisst, sich diesen Gegenstand vorschweben lassen,
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d.i. ihn als selbst daseienden1 erscheinen lassen (ihn erscheinen bssen, vorschweben lassen und als selbst daseienden <erscheinen lassen> ist einerlei). Freilich nicht als jetzt seienden, als da in meiner jetzigen Umgebung seienden! Das ist wieder etwas anS deres. Ich kann mir auch ein Nichtseiendes oder jetzt Nichtseiendes im Zeitpunkt des Jetzt (in der Gegenwart, im jetzigen Zeitablauf seiend) und in der jetzigen Umgebung in diesem Zimmer usw. vorstellen. Hier erlebe ich das aktuelle Jetzt und die aktuelle Umgebung und phantasiere in sie hinein, im bewussten 10 W i der s t r e i t zu dem und jenem aktuell Erlebten. In der Phantasievorstellung eines A. das nicht in dieser Art hineinphantasiert ist, lebend, stelle ich ein Jetzt, eine Umgebung usw. vor, ohne Mischung mit der aktuell erlebten. Ein Gegenstand, ein Selbsterscheinendes wird vorgestellt: Ich lebe im Bewusstsein 15 der Repräsentation, das verschieden ist vom Bewusstsein des aktuellen Jetzt, vom wirklich Selbstgegebensein, Selbsterscheinen. Der Gegenstand ist gl ei c h sam selbst da. Er ist es in der und der Erscheinung, von der und der Seite etc. Diese Erscheinung ist nicht Wahrnehmungserscheinung, sondern Repräsen20 tant derselben. Das Bewusstsein der Phantasie ist nicht Wahrnehmung, sondern gleichsam Wahrnehmung. 2 Das ganze Bewusstsein ist vergegenwärtigt und ist Repräsentant. 3 Ich habe, nicht nur Empfindungen wie bei den Wahrnehmungen, die Empfindungen aufgefasst als denselben Gegenstand 25 , gestaltet zu gleicher Erscheinung. Und der Unterschied besteht nicht blass darin, dass einmal ein unsagbarer Charakter "der Wahrnehmung", das andere Mal ein korrelater Charakter "Phantasie" da ist,4 sondern ich habe einerseits den Charakter der Selbsterscheinung, auf die reflektiert werden kann,
1 "Ihn als selbst daseienden" später verändert in "ihn selbst (daseienden)". _ Anm. d. Hrsg 2 (Der Gegenstand erscheint, er selbst, aber als nicht jetzt gegenwärtig, in Widerstreit mit der Gegenwart"sein Erscheinen fallt in die Gegenwart, aber er selbst ist charaktenslert als mchtgegenwärtig, oder in einer "Seinsbestimmtheit", die mit der der Gegenwart streitet. Er ist im aktUiellen Jetzt nicht, sein "gegenwärtig" ist ein a ~ der e s, andere Zeitbestimmtheit, und Zeit gibt Indiv <wohll908~
Die Darstellung! ist sehr schwierig, weil wir die d 0 P P e I te Vergegen wärtigung zU scheiden haben. Etwa so: Reproduktion nennen wir das der Impres25 sion entgegengesetzte Bewusstsein, und zwar: 1) Wenn ich eine \Vahrnehmung habe, etwa die eines Hauses, so nennen wir sie als Ganzes so wie alle ihre reellen Teile "Impressionen". Z.B. die Empfindung, in der die Farbe und der sonstige sinnliche Gehalt der Wahrnehmung so "bewusst'·' ist, dass wir dann darauf adä30 quate Wahrnehmungssetzungen und Meinungen vollziehen kön.. nen. Ferner die Auffassungen, in denen sich gegenständliche }lomente des Hauses darstellen, die Einheitsformen der Auffassungen usw. Das ist also ein Bau von Impressionen, und "in ihm lebt" ein 1 Nachtraglieh fugte Husserl über der Zeile ein: ,,3- bis 6-"; dieser Hinweis trifft hier dle Texte Nr. 2c), Nr. 2d) und Nr. 2f). - Anm. d. Hrsg.
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Intendieren auf den aufgefassten Gegenstand Haus!. Die Impressionen sind bewusst, das Haus ist gewusst, gemeint, intendiert (im Glaubensmodus : Glaube oder Nicht-Glaube etc.). Es kann sich nun dieser Bau von Impressionen überbauen durch 5 eine neue Impression, die ihn oder seine Teile "auffasst", also die neue Impression ist die neue Auffassung, und nun kann sie "Trägerin" einer Intention sein, in der die unterliegende Impression die gemeinte ist. Diese ist jetzt in der "Stellung des Objekts". Das als Objekt Stellen ist aber das Werk einer neuen Im10 pression, die ihrerseits "bewusst" ist. Nehmen wir nun wieder die schlichte Wahrnehmung, so entspricht ihr eine schlichte Phantasie. 2) Wir nennen nun Reproduktionen die Modifikationen der Impressionen: Jede Reproduktion ist Reproduktion "von" 15 einer Impression. Die ganze Phantasie ist aber Reproduktion, Reproduktion der Gesamtimpression. Reproduziert ist darin notwendig auch das, was die Richtung auf den Gegenstand Haus ausmacht, eben die Einheitlichkeit, Form der Gesamtauffassung und der intentionale Modus, etwa gegenüber der normalen setzen20 den Wahrnehmung, die Modifikation: die Reproduktion der Setzung. Ebenso müssten wir das für alle Partialauffassungen nehmen, die doch auch ihre Setzungscharaktere haben werden. Das Haus ist nun quasi gewusst: Es ist das im ganzen Gemeinte: quasi"Gemeinte. Die Aufmerksamkeit geht aber zugleich 25 aktuell und unmodifiziert auf das phantasierte Haus. Phantasiert also (vergegenwärtigt) in dem Sinn 1) wie es das Hau s ist und 2) in dem Sinn, wie die Hausauffassungen <es> sind, das ist etwas Verschiedenes. Im Fall der Wahrnehmung vom Haus ist jede Impression "be30 wusst", im Fall der Phantasie, Phantasievorstellung, haben wir "quasi-Bewusstsein" von diesen Impressionen, und dieses quasiBewusstsein, das ist das Vergegenwärtigungsbewusstsein im Sinn der Reproduktion. Der Gegenstand aber ist nicht reproduz i e r t, sondern p ha n ta sie r t: vergegenwärtigtes repräsen35 tiertes Objekt. 1 Doch das heisst nicht mehr als dies: Die Impressionen bilden eine gewisse itllpressionale Gesamteinheit Auffassung vom Haus, und diese hat eo ipso einen intentionalen Charakter (Glaubensmodus) und einen Aufmerksatllkeitsmodus, speziell gemeint oder nebenbei gemeint.
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Ich kann schlicht phantasieren: Ich habe Vergegenwärtigung im Sinn der Reproduktion der entsprechenden Wahrnehmung und all ihrer impressionalen Bestandstücke, und ich "meine" das Objekt, das Objekt ist das quasi Wahrgenommene, nämlich 5 dasjenige, worauf die reproduzierte Wahrnehmung gerichtet ist (eine Richtung, die selbst reproduziert ist), und in der RichtungsReproduktion "lebe ich", d.h. die Aufmerksamkeit geht auf das Objekt. Ich kann aber'meine Aufmerksamkeit auch auf die reprodu10 zierten Impressionen richten: Wie ich, das Haus wahrnehmend, auf Momente der Wahrnehmung meine Aufmerksamkeit lenken kann, wozu eine Wahrnehmung der Wahrnehmung gehöI;t (eine neue Auffassung), so kann ich eine Reproduktion dieser Wahrnehmung zweiter Stufe erzeugen, auf die reproduzierte Wahr15 nehmung hinblicken, die reproduzierte Impression zum Objekt machen. Sie ist aber notwendig phantasiertes Objekt, da die Reflexion, die' ich vollziehe, keine wirkliche Reflexion, sondern die Reprodukt\on der Wahrnehmung von der Wahrnehmung ist (Reproduktion also einer Reflexion), und das ist "i n der P h a n20 t a sie re f lek t i e ren". Ich kann dann wieder auf diese Reproduktion reflektieren, wieder in der Phantasie in neuer Stufe reflektieren, Modifikation einer Wahrnehmung einer Reflexion (oder Wahrnehmung dritter Stufe) usw.'
25
d) Wahrnehmung 'IJOn einer Phantasie (Reflexion) und Phantasie von einer Phantasie> <wohl frühestens 1909; evtl. 1912>
Ich lebe in der Phantasie eines "Bajazzo". Ich nehme diese ~hantasie wahr. Sie ist in der Wahrnehmung so "enthalten", wie
Jedes Erlebnis, auf das ich reflektiere, in dieser Reflexion enthalten ist. Ich kann mir auch einbilden dass ich mir einen Ba.. jazzo vorphantasiere. Statt diese Phant~ie wahrzunehmen bilde ich mir sie ein. Also ich phantasiere, dass ich einen B~jazzo phantasiere (ich bilde mir ein, dass mir ein Bajazzo vorschwebt). Das ist eine Phantasie von einer Phantasie. Wie nun ist in 35 dieser P h an ta sie von der Bajazzo-Phantasie die BajazzoPhantasie enthalten? 30
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Nehmen wir eine Erinnerung an eine gehabte Phantasie. Diese Erinnerung ist ein Jetzt. Und ich frage: Ist in ihr die geh abt e Phantasie enthalten? Doch nicht. In ihr ist eine inhalts gleiche Phantasie enthalten, die mir die gehabte wieder vergegenwärtigt? 5 Haben wir also ein Bi I d bewusstsein? Aber ist denn diese Erinnerung anders geartet als jede andere Erinnerung, und können wir sagen, in der Erinnerung an einen gestrigen äusseren Vorgang sei ein inhaltsgleicher jetziger Vorgang reell da und dann als Bild? Das wäre doch Unsinn. Ich habe eine Modifikation des 10 Vorgangs. Und eine Phantasiemodifikation. Also doch wohl auch, müsste man sagen, im anderen Fall. Die Phantasie ist in der Erinnerung an sie Objekt der Wiedervergegenwärtigung, und das wiedervergegenwärtigende Phänomen ist Phantasie von Phantasie. 15 Die Modifikation der Wahrnehmung von einer Phantasie scheint analog wie die Modifikation der Wahrnehmung einer empfundenen Farbe zu verlangen, dass so, wie bei dieser Modifikation sich die Wahrnehmung in Phantasie verwandelt und dabei die empfundene Farbe (die erlebte) in Phantasmafarbe (Reproduk20 tion), sich dort Wahrnehmung in Phantasie und empfundene Phantasie in eine Modifikation in Phantasie-Phantasie verwandelt. Mus s es also nicht Phantasie zweiter Stufe geben?
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912>
Frage: Kann man wirklich diese Folge von Modifikationen 30 Wahrnehmungserscheinung Phantasieerscheinung Phantasieerscheinung in einer Phantasie ... als eine Reihe i terierter Modifikationen beschreiben? Die Phantasieerscheinung in einer Phantasie soll in dieser Folge den Wert haben Phantasiemodifikation von einer Phantasieerscheinung. Aber das Phänomen eines in der Phantasie 35 Phantasierens e n t hält doch reell die Phantasieerscheinung, die da Modifikation erfahren sollte. Die angeblich phantasie-
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mässig modifizierte Phantasie ist, scheint es, genau vom selben inneren Gehalt und Charakter wie eine schlichte Phantasie, nur dass eine Charakteristik da zukommt. Wenn ich von der Wahrnehmung ausgehe zu ihrer Modifi5 kation, so liegt in dieser Modifikation von der Wahrnehmung nicht wieder eine Wahrnehmung darin, nur weiter charakterisiert. Das spricht also dagegen, dass es sich um eine iterierte Modifikationsreihe handelt. Man beachte auch die Modifikation 10 von der Empfindung aus: Empfindung Phantasma dann müsste es ein Phantasma zweiter Stufe geben. Etc.
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<etwa 1898",
15
Problem!
Ich habe jet z tein Erinnemngsphänomen: Ein früher Vergangenes taucht auf und erscheint mir jetzt in dem eigentümlichen Charakter "erinnert". Z.B. es steigt das Bild des Berliner Tiergartens auf oder 20 das Brandenburger Tor mit dem Charakter der Erinnemng. In der Erinnerung betrachte ich es und all das, was in der erinnerten Umgebung vergangen ist. All das ist in bestimmter Weise charakterisiert. Die primäre Aufmerksamkeit ruht aber auf diesen vergangenen Vorgängen. 25 Wenn nun gegenwärtig nur das "Bild" ist, das in eigener Weise als Erinnerungsbild charakterisiert ist! mit welchem Rechte sage ich aus, dass ich das Erscheinende erlebt habe? Wie kann ich es als Evidenz bea~spruchen, dass wenn:ich den Inhalt meiner Erinnemng beschreibe, l:h sagen darf, ich war dabei, ich habe es damals wahrgenommen? 30. Die Antwort, die darauf weiter unten gegeben wird, lautet: Die Ermn~~ungsauffassung reicht weiter als der erinnerte Vorgang. 2 Zu ihr gehort notwendig auch das frühere Wahrnehmen und jedenfalls noch .. mancherlei sonst, was ich zu meinem Ich rechne. Und all das steht 1
Zelt.
•
d • "Ennnert" ist nur der erihüerte Vorgang. Er ist aber nur dadurch erinnert, dass das fruhere \Vahrnehmungsbewusstsein "vergegenwärtigt", "reproduziert" ist. Auf leses kann aber "lll der Erinnerung" reflektiert werden, und dann steht es auch als gewpsenes, aber lllcht als "gegenwärtig gewesenes" da. Ich reflektiere jetzt in der Er~nerung. Damals habe ich nicht reflektiert und das. Bewusstsein zum gemeinten egenstand gemacht.
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ebenfalls "bildlich", mit dem Charakter der Erinnerung vor meinen Augen. Mit Beziehung auf die jetzige Erinnerung ist in mehrfacher Weise von Bild die Rede: Das Erscheinende ist Bild des Gegenstandes 5 und die Erscheinung (die Erinnerungs-Erscheinung) ist Bild de; Wahmehmungserscheinung. Und das gilt für alles durch Erinnerung vergegenwärtigte Gegenständliche und seine Erscheinungsformen. Die Antwort aber beruht darauf, dass ich unter meinem vergangenen Ich dem Kern nach nichts anderes verstehe als erinnerte (als vergan10 gen intuitiv bewusste) Akte und deren reelle Inhalte und dass unter Supposition der Wahrhaftigkeit meiner Erinnerung dann evident ist, dass ich damals existiert haben muss, weil zum Bereich des Ich eben sicher die erinnerten Akte gehört haben. Es wurde dabei ferner Gebrauch gemacht vom Unterschied zwischen Reproduziertem (Er15 innertem) und Gemeintem sowie Reproduziertem und Nicht-Gemeintem. Ausführung
Das Problem, das uns die Erinnerung hier stellt, lautet kurz: Wie erklärt sich die Evidenz, dass die Aussagen: "Ich habe die 20 Erinnerung an A" und "Ich habe A früher wahrgenommen" in dem Sinn "Ich erinnere mich, A früher gesehen zu haben" einander äquivalent sind? Lösung. Zunächst ist zu bemerken, dass das Ich, das wir in diese Aussagen urteilend hereinziehen, weder bei der Erinnerung noch bei 25 der früheren Wahmehmung beachtet (gemeint) sein muSS. In der Wahrnehmung steht mir der Gegenstand zwar gegenüber, mir, dem empirischen Ich, auf das ich alles Gegenständliche zu beziehen pflege und das selbst ein Gegenständliches ist; aber in der Regel achte ich bloss auf den wahrgenommenen Gegenstand. So wie meine Um g e30 b u n g gegenständlich aufgefasst ist (in der Weise der perzeptiven Auffassung), so auch das Ich, das als Gegenpunkt zu dieser Umgebung gehört. Ich me i n e aber nur das wahrgenommene A. Ebenso in der Erinnerung. Das vergangene Ich und die vergangene Umgebung ist mit dem erinnerten A zugleich aufgefasst,! aber "er35 innere ich mich" an A, so meine ich eben A. Das A mit seiner Umgebung und seinem Ich kann jedenfalls nicht erinnert sein mit B~ ziehung auf ein weiter zurückliegendes Ich, was ja auf einen unendh• ehen Regress führen würde. 2 . Wir fragten nun, wie jene eben bezeichnete Evidenz möglich sel, 40 worin sie gründe. Wenn wir uns an A erinnern, so haben wir eine "Phantasie"ist aufgefasst = es erscheint. _ Den Satzteil "mit Beziehung auf ... " bis zum Satzende hat HusserI spa~er zwischen eckige Klammern gesetzt und vor dem Klammeranfang einen Punkt emgefügt. - Anm. d. Hrsg. 1
2
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erscheinung von A, d.i. nach .. meiner Darstellung eine "bildliche" Erscheinung, die also bei aller Ahnlichkeit mit einer Wahrnehmungserscheinung von dieser durch den Charakter der "Bildlichkeit"! unterschieden ist. Diesen Charakter hat A ebensowohl wie seine Umgebung. 2 5 Aber die Weise der Auffassung ist hier nicht die blosse einer Phantasievorstellung. Aufgefasst wird das bildlich Erscheinende als Vergangenes, und zwar als ein (mir) gegenwärtig Gewesenes. Die bildliche Auffassung des Inhalts liefert den erscheinenden Gegenstand oder vielmehr die bild10 liehe Erscheinung des Gegenstandes. Diese Erscheinung ist aber die Grundlage der Zeitauffassung, durch welche der Gegenstand den Charakter des Gewesenen, und zwar in dieser Erscheinungsweise "gegenwärtig gewesen" erhält. Dieser Zeitauffassung unterliegt aber nicht bloss das A, auf das ich hinblicke, sondern ebenso die ganze Bewusst15 seinseinheit3 und insbesondere auch das reproduzierte Ich und die reproduzierte Wahrnehmung des A. Die Erscheinung des gemeinten A ist Teil einer umfassenderen Erscheinung, in welcher die vergangene Wahrnehmung und ihr Ich erscheint. Ich habe also zugleich eine "bildlic:he" Repräsentation der früheren Wahrnehmung und sonach 20 nicht bloss das Bild des vergangenen Gegenstandes, sondern auch das Bild der früheren Wahrnehmung dieses Gegenstandes; wodurch gegeben ist, dass nicht bloss der Gegenstand verbildlicht da ist, sondern dass seine Erscheinung Bild der früheren Wahrnehmungserscheinung ist. Die Erscheinung ist Gegenstand eines bildlich4 auffassenden Be25 wusstseins und mit der Erscheinung der reproduzierte Wahrnehmungscharakter. Und dieses Ganze hat den zeitlichen Charakter. Meinend blicke ich aber bloss auf den Gegenstand A und auf seine zeitliche Bestimmtheit hin. Ich kann ebensogut auf die Wahrnehmung reflektieren und ihren identischen zeitlichen Charakter beachten. Zu30 gleich besteht die Notwendigkeitsbeziehung: Erinnert kann ein Gegenstand nur dadurch sein~ dass seine frühere Wahrnehmung bildlich gegenwärtig5 ist, also implicite ebenfalls erinnert ist, der Unterschied besteht nur darin, dass zum Begriff der Erinnerung gewöhnlich mitgehört der meinende Hinblick auf das Erinnerte. Besser aus35 gedrückt: . Wir müssen unterscheiden: Erinnerungen im Sinne von anschauh:hen Vergegenwärtigungen von Vergangenem und Erinnerungen im Sl!:n. von meinenden und zwar setzenden Akten von so Vergegenwarbgtem. Jene anschaulichen Vergegenwärtigungen sind entweder "
Freilich keine Bildlichkeit im eigentlichen Sinn. Daher der Ausdruck falsch. Die A·Erscheinung oder vielmehr die Erscheinung von A in: seiner Umgebung. : "Bewusstseinseinheit" später verändert in "Blickfeldeinheit" • - Anm. d. Hrsg. 5 "b~jdl:Ch" spater verändert in "imaginativ". Anm. d. Hrsg. "blldhch gegenwä.rtig" später verändert in ,,'gegenwärtig'''; wohl gleichzeitig be· mledTkj te Husserl am Rande: "selbst oder+) repräsentativ (nicht im eigentlichen Sinn b 1 lCh)". 1
2
+) "oder" wohl etwas nachträglich verändert in "aber". -
Anm. d. Hrsg.
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komplete oder inkomplete. Zur kompleten Vergegenwärtigung (Erinnerung) gehört, dass irgendein Objekt mit seiner Objekt-Umgebung Objekt eines erinner t e n Ich ist, und als solches vergegenwärtigt ist. Jedes anschaulich als vergangen Vergegenwärtigte ist notwendig 5 Objekt einesl Ich 2 • Also was immer wir als vergegenwärtigt bezeichnen, ist entweder Objekt oder Objekt mit seinem Ich. Inkomplete Vergegenwärtigung ist also nur ein Teil einer Gesamtvergegenwärtigung. Die Erinnerung ist eine meinende Beziehung, die sich entweder auf 10 einen Teil der kompleten Vergegenwärtigung richtet oder auf das Ganze. Notwendig gehört aber zu jeder Erinnerung die Möglichkeit der Reflexion auf die Gesamtvergegenwärtigung, so dass der Satz "ich erinnere mich an das Objekt (den Vorgang etc.) A" äquivalent ist, und zwar evident äquivalent, mit dem Satz: Ich erinnere mich, dass ich A 15 wahrgenommen habe, während dieser Satz keine solche Umformung mehr zulässt. Nach dieser Auffassung, die sicherlich richtig ist, ist also im Falle der Erinnerung nicht nur das erinnerte Objekt, der erinnerte Vorgang, als vergangen erscheinend, sondern, ob wir es uns nun zu besonderem 20 Bewusstsein bringen oder nicht, es gilt dasselbe auch von der entsprechenden früheren Wahrnehmungserscheinung, wofür die gegenwärtige Erinnerungserscheinung Bild, und zwar Wiedervergegenwärtigung ist. Und dasselbe gilt von den wiedervergegenwärtigten Objekten der Umgebung jenes Vorgangs und den zugehörigen ehemaligen 25 Wahrnehmungen, endlich von dem ganzen sonstigen mehr oder minder klar wiedervergegenwärtigten Bewusstsein. In diesem besteht nur phänomenal das frühere Ich, soweit der Körper ausser Spiel bleibt (das vermeintlich frühere - falsche Interpretationen mögen ja mitlaufen). So wie das "gegenwärtige Ich" - phänomenal- die Einheit 30 der gegenwärtigen und als gegenwärtig charakterisierten Akte und ihrer reellen Bestandstücke ist, so ordnet sich in das Phänomen "mein vergangenes Ich" (sc. eines bestimmten, wenn auch objektiv logisch nicht fest bestimmten Zeitpunktes bzw. Zeitteils) der Gesamtinbegriff von erinnerten (vergegenwärtigten und in der betreffenden Zeitbe35 stimmtheit aufgefassten) Akten (und reellen Inhalten derselben) ein, die in gegenwärtigen Erinnerungsakten erscheinen, also in Akten, die zum gegenwärtigen Ich gehören. Sehr vieles, was zum gegenwärtigen Ich gehört, ist nicht besonders wahrgenommen - ebenso vieles nicht besonders erinnert, was zum 40 vergangenen Ich gehört. Und doch hat jedes seinen Zeitcharakter, der eben alles durchdringt, ob es expliziert ist oder nicht. Das vergangene Ich ist das frühere gegenwärtige Ich, das erinnerte Ich gibt sich als das früher als gegenwärtig wahrgenommene. Wir haben die Evidenz, dass wenn die Erinnerung an A triftig ist, 1 2
Später eingefügt: "des sich erinnernden". Gemeint ist: des Erinnerten.
Anm. d. Hrsg.
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auch sicher ist, dass wir das A wahrgenommen haben, dass 'es um, gegenwärtig war. Unter meinem "vergangenen Ich" verstehe ich (und als solches schaue ich an) dasjenige, in das die erinnerten Akte, konkret genommen, insgesamt gehören, und wie sehr ich mich in dieser 5 Hinsicht täuschen mag, sowie ich irgendeinen noch so kleinen Bereich von erinnerten Akten setze, habe ich damit eo ipso mein vergangenes Ich gesetzt.
<etwa 1898> Es ist ein evidenter Satz: Jede Erinnerung eines A ist zugleich Erinnerung an eine frühere Wahrnehmung des A. Ich erinnere mich an einen Vorgang: Darin liegt, wird jeder sagen, 15 ich habe ihn erlebt, wahrgenommen. Ich erinnere mich an eine Melodie: Ich habe sie dereinst gehört; ich erinnere mich an einen Fackelzug: Ich habe ihn dereinst gesehen. Ich erinnere mich an einen Lehrsatz: Ich habe ihn dereinst kennengelernt. Usw. Die beiderseitigen Sätze sind nicht etwa gleichbedeutend, sie sind 20 nicht äquivalent als Ausdrücke identischer objektiver Sachverhalte. Ich kann einen Vorgang erlebt und doch keine Erinnerung daran haben. Sie sind auch nicht gleichbedeutend im Munde des Sprechenden. Ich kann überzeugt sein, dass ich ,den Vorgang miterlebt habe und brauche doch keine Erinnerung daran zu haben. Aber sicher ist: 25 Wenn ich Erinnerung an einen Vorgang habe, so "impliziert" sie evident die Überzeugung, dass ich den Vorgang wahrgenommen habe: Die Erinnerung an einen Vorgang impliziert evidentermassen die Erinnerung an die frühere Wahrnehmung dieses Vorganges. Wie ist diese Implikation zu verstehen? 30 Ein Vorgang wird erinnert, d.i. es ist eine anschauliche Vorstellung des Vorganges Erlebnis, und zwar eine Erinnerungsvorstellung. Diese V.orstellung ist nun "Abbild" der früheren Wahrnehmung, genauer dIe Erscheinung des Vorganges in der Erinnerung ist ein "Bild" der Erscheinung desselben Vorgangs in der früheren Wahrnehmung. 35 Aber in demselben Sinne kann doch nicht die Erinnerung an den ...vorgang auch Erinnerung an die Wahrnehmung des Vorganges sein. Sons~ .wäre die Erinnerung an die Wahrnehmung wieder Erinnerung an ~le \
Erinnerung: Vorhin war ich im Ratskeller. Ich fand die Räume neu 25 renoviert. Die gemütliche Gesellschaft bestand aus Schwarz, Morsbach, Kohn, Andres. Ich blickte beim Rückweg zurück auf das Rathaus, blickte mit Gefallen auf die alte Laube sowie auf den modernen zierlichen Brunnen, die Gänseliesel darstellend. Da ist die Rede vom Ich, das dies und jenes wahrgenommen, er30 lebt, gefühlt usw. hat. Also dem Sinn der Erinnerung entsprechend müssen wir sagen: Damals bestanden diese und jene Erlebnisse, in denen diese und jene Inhalte vorgestellt, beurteilt, geschätzt usw. wurden, und diese Erlebnisse wurden als solche auf mein "Ich" bezogen, das seinerseits wieder in gewissen Erlebnissen erschien. Diese 35 letzteren freilich wurden im allgemeinen nicht auf "Ich" bezogen. In1 Später fügte Husserl ein: "Das muss besonders besprochen werden", und er setzte den Absatz in eckige Klammern. - Anm. d. Hrsg. 2 Nach "Ich kann zwei" später eingefügt: "eine Wahroehmungserscheinung jet~~ haben und"; im Sinne dieser Einfügung ware dann das Zeichen fur "zwei" als "zwar aufzufassen und zu lesen: "Ich kann zwar eine Wahroehmungserscheinung jetzt haben und ähnliche Dinge, •.. ". - Anm. d. Hrsg.
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dem ich den Brunnen mit Wohlgefallen betrachtete, bezog ich das Betrachten auf das Ich, aber das Erlebnis des Ich nicht wieder auf das Ich. Ich "betrachtete den Brunnen", ich "sah" ihn. Bedeutet dieses Be5 trachten, dieses Wahrnehmen, dieses Erleben, bedeutet dies, frage ich, das Apperzipieren, als ob ich statt auf die Gegenstände auch auf ihre Erscheinungen und auf die Aktformen geachtet hätte? Das wäre die Frage. Es bedürfte hier zunächst einer Analyse, was das bedeutet: Ich sehe hier eine Lampe, einen Menschen usw. Man könnte ja die AntO sicht vertreten, dass hierbei Gegenstand und Ich beide als körperliche Objekte im räumlichen Verhältnis zueinander vorgestellt werden etc. Doch das als selbst gegenwärtig Erscheinen der Lampe etc. ist doch mit der Ausdrucksweise gemeint. Und gemein t ist doch auch nicht das bloss körperliche Ich. t5 Besteht aber eine wesentlich-notwendige Beziehung alles Wahrgenommenen auf das Ich? Eine in diesem Sinn ursprüngliche? Nichts kann, könnte man sagen, als Ge gen stand gegenüberstehen, ohne mir, einem Ich gegenüberzustehen. Notwendige Korrelativität! Aber wenn auf einen Schmerz geachtet wird, auf ein Unbehagen, auf 20 ein Lustgefühl etc., bedürfte es da, wie bei Aussendingen, einer solchen Korrelation? Angenommen also, wahrnehmen setzte nicht notwendig Beziehung auf das Ich voraus. Wo es geschieht, wo auf das Wahrnehmen selbst reflektiert, dieses also selbst wahrgenommen ist, da wird auch das 25 Erinnern Erinnern des Vorgangs und Erinnern der Wahrnehmung des Vorgangs sein. Wo aber nicht, da nicht. Wie komme ich dann aber zur Behauptung: Das, wessen ich mich jetzt erinnere, das habe ich im damaligen Jetzt wahrgenommen? Wie komme ich zur Behauptung, das Vergangene war gegen wärtig? Vergangen = jetzt30 gewesen oder gegenwärtig-gewesen. Es genügt nicht, dass Wahrnehmung sich irgendwie modifiziert in Repräsentation des Wahrgenommenen, sondern, wie der wahrgenommene Vorgang, Gegenstand im Erinnerungsbewusstsein zum vergangenen selben Gegenstand wird, so muss auch der Wahrnehmung des Vorgangs entsprechen eine 35 (wirkliche oder mögliche) Erinnerung dieser Wahrnehmung.
BEILAGE XVIII KOMPLIZIERTERE BILDLICHE VORSTELLUNGEN
<woh11898>
.1) Physische Bilder höherer Stufe (Bilder von Bildern). Ein
40
~lld.A, das. ein Bild B darstellt. Im Bilde etwa wieder ein Bild C. Biler
III
zweiter und dritter Stufe. Z.B. Gemälde eines Zimmers, in
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BEILAGE XIX
welchem ein Bild an der Wand hängt. Dieses Bild stellt etwa eine Gemäldegalerie dar, in welcher also wieder Bilder erscheinen. 1) Das physische Bild A, 2) das dadurch dargestellte Bild, 53) der durch 2 vorgestellte Gegenstand. Zu ihm gehört ein physisches Bild, welches jetzt also bildlich vorgestellt ist. Dazu gehört aber: 1) die bildliche Vorstellung des physischen Bildes, 2) die bildliche Vorstellung des dargestellten Bildes, } all das in 10 3) die bildliche Vorstellung seines Sujets. zweiter Stufe Nämlich: Es erscheint mir in der Tat ein repräsentierendes Bild, der Einfachheit halber ein Mann zu Pferd. Aber dieses repräsentierende Bild gehört nicht zu einem wahrnehmbaren physischen Gegenstand, sondern zu einem im Bild vorgestellten. Und dies beeinflusst auch so15 zusagen den Wert des repräsentierenden Bildes. Dieses Erscheine n deist nicht das repräsentierende Bild jenes gemalten Bildes, sondern nur ein Bild davon. Die Erscheinung, die ich hätte, wenn ich das Bild selbst sähe, ich meine die in diesem Bild zum Erscheinen kommende, habe ich jetzt nicht, sondern nur eben ein Bild davon. 20 Und dieser Bildlichkeit sind wir uns auch bewusst. Ebenso ist das im gemalten Bild Vorgestellte (deutlicher: in dem durch das Gemälde zur Erscheinung gebrachten anderen Gemälde) nicht so zur Vorstellung gebracht wie der Gegenstand eines Gemäldes erster Stufe. Es ist zur Vorstellung gebracht durch eine bildliche Vorstellung 25 von einer bildlichen Vorstellung und somit Gegenstand zweiter Stufe. Wir könnten von anschaulichen Vorstellungen erster, zweiter, dritter Stufe sprechen (ähnlich: Spiegelbilder von Spiegelbildern) . 2) Phantasiebilder von physischen Bildern. Z.B. ich stelle mir die 30 "Theologia" in der Phantasie vor. Hier haben wir ganz analoge Komplikationen wie vorher, nur dass das Phantasiebild selbst keinen Erreger hat. 3) Gibt es auch physische Bilder von Phantasiebildern ? Z.B. Gemälde eines Traumgebildes. Doch wird man derartige Darstellungen 35 nicht als rein anschauliche gelten lassen. Konzeptiv-gedankliche Vermittlung. Grillparzers "Der Traum ein Leben".
BEILAGE XIX PHANTASIE IN DER PHANTASIE
40 1) 2) 3) 4)
Erinnerung in einer biossen Phantasie Phantasie in einer Erinnerung Erinnerung in einer Erinnerung Phantasie in einer Phantasie
BEILAGE XX
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Ich phantasiere: Ich fahre auf der Eisenbahn und versinke in Träume (Phantasien) und weile träumend in der Erinnerung an meine jugendzeit, wie mir mein Vaterhaus vorschwebt. Wie ich in den altvertrauten teuren Räumen als Kind spiele etc. Hier haben wir eine 5 phantasierte Erin~erung,. eine modifi~ierte Erinnerung, .müsste. ~ch deutlicher sagen, eme ErInnerung In der PhantasIe. Freilich habe ich diesen konstruierten Fall nicht jetzt erlebt, ich habe das hier Ausgesagte nur im indirekten Vorstellen vollzogen. Anschaulich stelle ich mir eine Eisenbahnfahrt (etwa eine Erinnerung) vor. Die andere 10 Erinnerung an meine Kinderzeit beziehe ich dabei symbolisch auf das symbolisch vorgestellte Träumen. Aber ist das nicht möglich in eigentlicher Form? Leichter ist es, eine Phantasie in einer Erinnerung und eine Phantasie Ln einer Phantasie (oder in einem Gemisch 15 von Phantasie und Erinnerung, wie bei den meisten Phantasien) zu bilden. Natürlich kommt auch der vierte mögliche Fall vor: Erinnerung in einer Erinnerung. Beim Lesen eines Romans, wo der Held phantasiert, träumt, sich erinnert. Die Roman-Erzählung: Aber es ist nicht eine aktuelle Er20 zählung, sondern stellt eine solche nur vor. Das ist ein Bild bewusstsein. Ist hier ni<j:ht die Phantasie im übrigen Phantasie in der Phantasie, falls Ansclilaulichkeit vorhanden? (Aber wie, wenn ich nur symbolisch verstehe?) Der Traum wird hier gegenständlich, durch "Urteil" wird der Traum (Urteil auf Phantasiegrundlage) dem phanta25 sierten Helden als träumendem eingelegt; wird dem Urteil aber "Folge gegeben", so resultiert das anschauliche Bewusstsein vom Träumen des Helden. Der Leser "starker Phantasie" wird das wohl leisten können. • Wie bringt uns ein Dichter dazu, wirklich Erinnerung in einer 30 Phantasie zu vollziehen? Doch, so, dass wir mit dem Helden gewisse Vorgänge anschaulich miterleben und er in späteren Teilen der Dichtung sich dieser Vorgänge erinnert. Wir erinnern uns nun mit ihm. Das Beispiel bedarf aber näherer Analyse. BEILAGE XX
35
IMMANENTE IMAGINATIONEN
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912> .~:; gibt nicht nur transiente Bildvorstellungen, sondern auch immanente.! da' Welche Farbe h~t da.nn der Hintergrund ~es Tizianschen Bildes? Nun, ich will SJe mdlen. Dann 1st dIe gemalte gegenwärtIge Farbe doch "Bild" für die abwe~ende. Aber freIlich, in der gemalten kann ich die abwesende nicht sehen da 1%e pben gegenständliche Farbe und ohne Gegenstand nicht zu sehen ist. Was hier gemalt 1st, 1st eben notwendig zugleich ein anderer Gegenstand (ein Klecks etc.).
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BEILAGE XXI
So insbesondere dienen sie bei der Einfühlung. Ich kann z.B. ~ttels der Wahrne~m~ng, die ich selbst hab:, mir die Wahrnehmung
emes Anderen verbildlichen, und ebenso mIttels der Phantasievorstellung, die ich selbst habe, mir "eine Vorstellung machen", d.i. mir 5 verbildlichen die eines Anderen. Frage: Kann man "die Phantasie in der Phantasie" interpretieren als eine Verbildlichung? Ich kann natürlich eine Phantasie, wie wir oben sahen, als Bild verwenden. Kann ich aber sagen, dass, wenn ich mich erinnere, dass ich 10 gestern ein A phantasiert habe, z.B. einen Bajazzo (und ich erinnere mich dessen jetzt wirklich), dass ich da eine jetzige Bajazzo-Vorstellung als Bild verwende? Nun ist es sicherlich möglich, evtl. eine analogische Vorstellung (eben eine Bildvorstellung) von etwas zu bilden, was wir selbst früher 15 erinnert hatten; aber wo wir uns einfach erinnern, dass wir gestern uns den Bajazzo vorgestellt hatten, da leben wir einfach in der Vergangenheit und im vergangenen Phantasieren, genau wie wir sonst in der Vergangenheit leben: nur dass wir jederzeit die leichte Modifikation vollziehen können, welche aus der vergangenen Phantasie, aus der Er20 innerungsmodifikation der Phantasie, eine gegenwärtige Phantasie machen <würde>.
BEILAGE XXI REFLEXION IN DER PHANTASIE IST SELBST PHANTASIE
<wohl Herbst 1909> 25
Fordert die Möglichkeit der Reflexion in der Phantasie (des "Hinsehens" auf das Erscheinungs-Phantasma bzw. auch des Hinsehens auf das "Wahrnehmen des Gegenstandes") die Annahme, dass die unmodifizierten Erlebnisse, die "impressionalen" schon Inhalte eines Bewusstseins, eines impressionalen sind? Also ein in n e res B e30 w u s s t sei n, dessen Modifikation das Phantasma als Phantasmabewusstsein sei? Indessen, dann müssten wir für j e des Erlebnis ein inneres Bewusstsein annehmen und sagen, alle Erlebnisse sind bewusst. Wir kämen auf einen unendlichen Regress. Das geht nicht. 1 Das mag freilich so sein, dass psychologisch jedes Erlebnis "Spuren" 35 zurücklässt und dass Wiedererinnerungen und damit phantastische Modifikationen von ihm auftauchen. Aber Modifikation besagt nicht, dass das, was modifiziert heisst, schon früher da war, nur eben unmodifiziert. Eine Schwierigkeit finde ich darin wohl, dass ein Hinblick auf das 40 Objekt eines Phantasma (= einer Reproduktion) möglich ist. Erlebe 1 "Das geht nicht" später unterstrichelt ; am Rande steht zum folgenden ein grosses Fragezeichen. - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXII
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ich ein Phantasma; so kann ich auf sein Objekt hin< sehen>. Dieses Hinsehen stellt sich heraus als ein reproduktiv modifiziertes Hinsehen: als Hinsehens-Phantasma. Taucht eine Erinnerung auf, so kann ich auf das Erinnerte hinsehen, und dieses Hinsehen ist selbst ein 5 modifiziertes, ein "Phantasma", auch wenn ich es nicht immer selbst als Erinnerungs-Modifikation bezeichnen kann. So, wenn ich in der Erinnerung phänomenologisch reduziere. Ich achte in der Erinnerung auf die "Erscheinungsfarbe", auf die Erscheinungsform etc. Sie gehörten zur erinnerten Erscheinung, die eine "in der Erinnerung" 10 konstituierte Einheit war, die ich vielleicht nie zum gemeinten Objekt gemacht hatte. Ich sehe aber jetzt"mich jetzt erinnernd, auf sie hin. Und doch ist dieses Hinsehen als Beschäftigung mit der Phantasie-Erscheinung (Erscheinungs-Phantasma) Beschäftigung mit einem nicht selbst Gegebenen, sie ist eine Beschäftigung "in der Phantasie". Sie ist 15 selbst vom Charakter des Phantasma. Waslich jetzt meine Beschäftigung mit dem Erinnerungsobjekt bzw. Phantasieobjekt und seiner Erscheinung nenne, ist in Wahrheit ein Phantasiebewusstsein, das den Charakter von Phantasie von Beschäftigung mit dem Erinnerten hat. Mit reproduktiven Erscheinungen, nicht gegenwärtigen, sondern ge20 wesenen, kann ich mich im eigentlichen Sinn nicht beschäftigen. I
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1) "Sinnliche Anschauungen". Was soll das Charakteristische sein ? Ich habe in den Göttinger Vorlesungen unterschieden t r ans i e n t e (transzendente) und immanente Anschauungen. Kreuzt sich eine Einteilung der Anschauungen in sinnliche und nichtsinnliche mit dieser? Also immanente Anschauungen "sinnliche" (Ton: immanent genom35 men) und nichtsinnlich : immanente Anschauung eines "Aktes". In den Logischen Untersuchungen hatte ich die Unterscheidung der Inhalte" in primäre und Aktcharaktere, aber das alles,;>bedarf neuer Untersuchung aus dem letzten Grund. Was ist ,,Inhalt' . . 2) Das Problem des Verhältnisses zwischen perzeptivem Erlebms 40 (darin perzeptiver Erscheinung) und imaginativer Erscheinung (blos11
1 2
Später eingefügt: "d.h.". - Aum. d. Hrsg. Später eingefügt: "ebeusogut". - Anm. d. Hrsg.
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ser Phantasieerscheinung) und weiter Erinnerungserscheinung. Auen Erwartungserscheinung. Die Erscheinung, könnte man sagen, sei bei allen nichtperzeptiven Erscheinungen (Anschauungen) dieselbe. Der Unterschied liegt in einer anderen Dimension, in etwas, was über die 5 Erscheinung hinausgeht. 3) Die Probleme, welche den "Überschuss über die Erscheinung" betreffen. Zunächst der Charakter der "Setzung" und die parallelen Charaktere, die unter dem Titel Nichtsetzung stehen. Oder ist Setzung ein allgemeiner Charakter, der Glaube, Unglaube, Zweifel, Anmutung 10 etc. betreffen müsste, und daneben die zu ihnen allen gehörigen Modifikationen: Impression - Idee? I'
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15
<wohl 1909 oder 1910>
Ergänzend i!~t noch folgendes anzumerken.! Man nennt oft Erinnerung eine Pl;lantasie, auch spricht man davon, dass man sich hineinphantasiere in das Zimmer einen Zentauren, man kann sich in die gegebene Wirklichkeit "alles mögliche" hineinphantasieren. Man nennt 20 andererseits auch ein Bild, eine Illusion ein "Gebilde der Phantasie". Zunächst mit Vorliebe spricht man von Phantasie da, wo eine aus Phantasmen gebaute "Phantasie-Erscheinung" gegeben ist. Eine Erinnerungserscheinung mag Bewussfsein "wirklicher" Vergangenheit sein, zunächst ist sie "Phantasieerscheinung" . Ein Bewusstsein des 25 gleichsam Daseienden, eine Modifikation einer Wahrnehmung, und zwar einer sinnlichen Wahrnehmung liegt vor. Nun bedenken wir: Wir können vom modalen Charakter abstrahieren. Wir können dem Illusionären, also dem Nichtigkeitsbewusstsein entgegen und darum unbekümmert bei einem Bild von einer "Wahrnehmung", Wahrneh30 mungserscheinung sprechen: Es ist eine impressionale Auffassung aufgrund von Empfindungen, vom Glaubensmodus abgesehen, und von evtl. darauf gebauten weiteren Intentionen. In abstracto können wir also Erscheinung (Auffassung) und Modus, nämlich den qualitativen ~odus, scheiden. Und nun Wahrnehmungserscheinungen und Phanta35 sIeerscheinungen gegenüberstellen. Wie ist nun die "Phantasieerscheinlt'ng" .imaginative Modifikation der Wahrnehmungserscheinung? Doch mcht nach seiten der qualitativen Momente, die ja hier nicht in Frag.e. sin~. Andererseits, muss nicht hier von einer durchgehenden ModlllkatlOn gesprochen werden? Den Empfindungen entsprechen 1 Der Text dieser Beilage bis" ... so ginge der doch diese imaginative Modifikahon filchts an" (unten, S. 238,5) ist im Manuskript kreuzweise gestrichen. - Anm . d . Hrsg.
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Phantasmen, aber auch die Auffassungen sind beiderseits in demselben Verhältnis modifiziert, abgesehen vom Glaubens-Modus. Angenommen nun, es wäre auch so, dass Erscheinung in diesem Sinn notwendig einen qualitativen Modus verlangte, so ginge der doch 5 diese imaginative Modifikation nichts an. Nun wird man weiter einwenden können: Wenn wir nun Modi dazunehmen, so können die freilich auch phantasiemässig modifizierte sein. Jeden Modus des Glaubens, Zweifels, der Neigung etc. kann ich mir in der Phantasie mit den entsprechenden Motivationsstrahlen dato zu vorstellen. Aber das macht nicht die Phantasieerscheinung als solche aus, die vielmehr identisch dieselbe bleiben kann, wie immer diese Sachen dazu laufen mögen. Und sollte nicht eine pure Phantasie möglich sein als pure Phantasieerscheinung ohne j edel Glaubensmodi? Vor allem, geht nicht daraus hert5 vor, dass sich ein Ding imaginieren nicht so viel heisst wie quasi wahrnehmen im Sinn von quasi glauben? Vielmehr von quasi wahrnehmen im Sinn die Modifikation einer impressionalen "Erscheinung" haben,2 wie ich es ja im Bild habe ohne Glauben.3 Also ist nicht immer der Glaube mitimaginiert und ebensowenig ein bestimmter anderer 20 Modus. 4 Sich ein Haus einbilden heisst nicht, sich implizite die Wahrnehmung eines Hauses einbilden. Wenn Wahrnehmung eben der Glaubensakt ist. Anders ist es wohl in der Erinnerung, die in der Tat nicht nur die Einbildung und einen aktuellen Glauben dazu bietet, sondern die Wahrnehmung im vollen Sinn imaginativ bietet und dazu 25 jene Glaubensintentionen, die zum aktuellen Jetzt hinführen. Somit muss ich noch einmal alles durchdenken und sehe wieder die andere Möglichkeit bevorzugt, wonach wir "Auffassung" (Erscheinung) und Modus als relativ zu Sonderndes ansehen müssen.
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30
BILDAPPARENZ
<wohl 1912 oder etwas später> Diese Apparenz besteht aus einem einstimmigen intenti?nalen 35 Komplex. Umgebungsintentionen. Diese in Widerstreit nut der übrigen Wahrnehmung. Die Apparenz, die die Bilderscheinung aus1 Etwas nachträglich eingefügt: "sei es unmodifizierten oder modifizierten". Anm. d. Hrsg. . 2 So wie eben eine "Dingwahrnehmung" (Impression) (als impressionale Erschelnung verstanden) haben nicht heisst, es wirklich wahrnehmen. 8 Der Satzteil "wie ich es" bis " Glauben" etwas nachträglich gestrichen. - Anm. d. Hrsg. 4 Aber doch wohl irgendeiner !
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macht, bleibt in sich einstimmig; aber sie mit ihrem Bildraum erhäit den Charakter des Nichtigen. Evtl. stellt die Bildapparenz vermöge symbolischer Intentionen einen anderen Gegenstand dar. Diese Intention kann den modalen Charakter des Glaubens etc. haben, oder 5 auch der biossen Vorstellung. Kann nicht eine Bildapparenz genau so, wie sie ist, ohne jeden Widerstreit auftreten? Oder vielmehr, dann ist sie ja keine Bildapparenz. Also sagen wir besser, eine perzeptive l Apparenz hat den Charakter eben der Perzeption, und das ist modal der Charakter des 10 Glaubens" (Wahrnehmung). Und damit hat die Apparenz auch ihre Glaubensumgebung, das Erscheinende seine Einordnung in die Wahrnehmungswelt (vom Wahrnehmungsgegebenen allseitig sich forterstreckend). Eine illusionäre Apparenz hat in diese selbe Welt ihre Einordnung durch Widerstreit. Aber ist nicht eine Apparenz denkbar, 15 die gar keine Einordnung in die Welterscheinung hat, die keinen Modus des Glaubens oder der Illusion oder auch des Zweifels hat, etwa im "Wettstreit" mit einer anderen Apparenz usw. ?2Z.B. wenn wir im Dunkeln willkürlich eine visuelle Halluzination erzeugen könnten und wenn dabei alle anderen Sinnesauffassungen des in den anderen Sinnes20 feldern Empfundenen zu dem fIalluzinierten ohne intuitive Beziehung wären. Derart, /dass eine "Erscheinung" vorschwebte ohne jedes Bewusstsein der einordnenden Wirklichkeit, ebenso aber auch ohne Bewusstsein der durch Widerstreit mit der Wirklichkeit doch auf sie bezogenen Nichtigkeit, ebenso jeder andere Modus des Glaubens, der 25 ihr Stellung gäbe zur Welt und dem Ich. Dem nähern wir uns an, wenn wir irgendeine impressionale Apparenz etwa im Stereoskop sehen, aber ohne zu beachten, was z,ur Kastenwahrnehmung etc. gehört. Oder wenn wir uns sonst ein visuelles Bild denken, das das ganze 30 visuelle Gesichtsfeld ausfüllt, während wir, im visuellen Wahrnehmen ganz lebend, auf die übrigen Sinnesfelder nicht achten. Aber freilich da bleibt doch immer so viel übrig, dass eine Nichtigkeitscharakterisierung hängen bleibt. Dass es Empfindungskomplexe ohne jede Einordnung geben kann, 35 ohne Auffassung als Apparenz, die Einordnung vollzieht, das erweist m~in Erlebnis ("Finger - im Mund"), das ist eine Gegebenheit, die k~me "Wirklichkeit" ist und keine repräsentiert. Aber wichtiger ist dIe Frage, ob nicht eine Apparenz gegeben sein kann in der beschriebenen Weise, also in genauer Analogie zu einer "reinen Phantasie". 40 .~I'. der reinen Phantasie haben wir auch eine Apparenz, eine Phantasieapparenz, ohne jede Beziehung zur Aktuali tä t. Ich bin ~atürlich da und habe meine Einordnung in die Wirklichkeit, die ich ]~ auch fo~tdauernd wahrnehme, nur ohne auf sie gerade zu achten. Aoer zugleIch habe ich das "Bild", die Phantasieapparenz, und diese ~ Spdter emgefügt: "impressionale". - Anm. d. Hrsg. Aber trifft das nicht ohne weiteres für das ästhetische Bild ein?
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ist gegeben ohne jeden Widerstreit mit der Wahrnehmungsapparenz die den Boden der Aktualität liefert, ohne jede Beziehung zu ihr durch irgendwelche verbindende Intentionen und Glaubensmodi. Auch das Bild erscheint nicht positiv als nichtig (als illnsionär, als streitend), es 5 fehlt jeder Charakter der Setzung (der sich ausznweisen hätte durch Erinnerungszusammenhänge bzw. analoge Setzungszusammenhänge ' endend in aktneller Wahrnehmung). Bei einer pnren Phantasie ist keine Rede davon, dass irgendeine Beziehung zur Erinnerungswelt vorliegen müsste, also das Phantasie10 erscheinende, das Geträumte eine negative Setzung erfahren müsste. Allerdings können wir da jederzeit sagen, das ist blosse Einbildung. Genan besehen aber fehlt nur der letzte Grund, dergleichen für seiend oder gewesen seiend zu halten. Positiv könnten wir nur eine vage Überschau über unser Leben vollziehen und sagen, im ganzen Feld 15 meiner Erinnerung, soweit ich es zur Überschan bringen kann, finde ich nichts dergleichen vor. es ist nirgends einzuordnen. Scheinobiekte ohne intuitiven Widerstreit: Glaubensenthaltung1
Und weiter nehmen wir an, dass wir aus einem völlig verdnnkelten Raum in ein Stereoskop sehen und ausser der Scheinobjektwelt nichts 20 von der wirklichen Welt sehen, und dass die Aufmerksamkeit von den anderen Sinnesfeldern, besonders dem Tastfeld, abgelenkt ist, dass jedenfalls nichts da ist, was diese Bilder da als Trugbilder visuell, wahrnehmungsmässig ausweisen könnte. 2 Nur leise Regungen möglich. Übrige bliebe etwa ein Wissen, indirekte Intentionen, es handle 25 sich hier um eine Darbietung von "Bildern".3 Haben wir dann nicht ein volles Analogon von reinen Phantasievorgängen, reinen Phantasiegestaltungen? Jene erscheinen im Jetzt, als Gegenwärtigkeiten. Diese aber erscheinen als Nichtgegenwärtigkeiten. Und wie verhält es sich dabei mit den Intentionen? Sie sind da, aber modifiziert. Es fehlt 30 etwas an der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung". J '
Oder Glaube durch Wissen aufgehoben. . . NB: Es sollen nicht Bilder von wirklichen Objekten, sondern reine SchembIider gezeigt werden. S (aber nicht abbildenden von Landschaften der Wirklichkeit). 1 2
Nr.6
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ERINNERUNG UND PHANTASIE. <wohl erste Hälfte> (1909)
Wahrnehmung eines Dinges, Bilderscheinung (Scheinbildbewusstsein), aber hierher gehört auch das Schwanken, die Zweifelsnehmung "Bild oder Mensch". Hier ist es klar: Der Unterschied zwischen Wahrnehm ung und F i k t ion besteht nicht darin, dass wir dieselbe Empfindung 15 beiderseits haben und denselben Auffassungssinn, aber so, dass die Auffassung derselben Empfindung einmal impressionale Auffassung und das andere ,Mal modifizierte wäre im phantastischen Sinn. Man möchte ja freilich sagen: Bei der Fiktion habe ich nur eine Phantasie, das Objekt ist nur ein Phantasieobjekt, und das 20 erklärt sich so, dass ich zwar Empfindung als Unterlage habe, aber sie phantasiemässig auffasse, als etwas nicht Gegenwärtiges, sondern gleichsam Gegenwärtiges. l ...Denn: Das Objekt steht in der Tat als gegenwärtig da, selbst und aktuell da, sogut wie bei der Wahrnehmung. Die Erschei25 nllng ist eine Gegenwartserscheinung, eine Wahrnehmungserscheinung, genauso wie bei der normalen Wahrnehmung. Also beiderseits ist, die, Erscheinung eine Impression. Aber ein10
1
Spater eingefügt: "Das ist nicht richtig:" -
Anm. d. Hrsg
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TEXT NR. 6 (1909)
mal ist die Auffassungsintention ungehindert, einstimmig im System der aufeinander bezogenen Intentionen, und so hat die Impression den Charakter der Einstimmigkeit. Das andere Mal sind die Auffassungsintentionen gehemmt, auf5 gehoben, und in diesem Sinn modifiziert, und danach haben wir den Charakter des Fiktums oder den Charakter des Widerstreits zwischen zwei Auffassungsmöglichkeiten, Puppe oder Mensch etc. Also diese Modifikationen, welche Glauben (d.h. die Einstim10 migkeitscharaktere) in Unglauben, Zweifel verwandeln, sind g run d ver s chi e den von den Modifikationen, durch die sich Impression in Reproduktion verwandelt. Alle die ersteren Modifikationen verlaufen innerhalb der Impression; normale Wahrnehmung, illusionäres Bildbewusstsein als Fiktion, schwanken15 des Wahrnehmungsbewusstsein sind Impressionen. Wie steht es dann mit dem eigentlichen Bildbewusstsein, nicht dem illusionären, sondern dem auf einem solchen sich aufbauenden dar s tell end e n Bewusstsein? Po r t rät. Im Bildbewusstsein repräsentiert sich mir ein Ori20 ginal, im Fiktum, durch dasselbe vergegenwärtige ich mir ein anderes, Nichterscheinendes. Wir haben hier aber noch einen zweiten Fall, oder deutlicher, wir haben zwei Fälle: Das Dargestellte gilt als wirklich Seiendes oder wirklich Gewesenes (evtl. auch Seinwerdendes) oder es ist eine "blosse Phantasie". Wie ist 25 das phänomenologisch zu beschreiben? SoUen wir sagen, es gründet sich auf das Fiktumbewusstsein ceinma:l eine weitere Intention vom Charakter der Erinnerung (oder einem analogen Charakter) und das andere Mal eine Modifikation derselben? Aber was für eine Modifikation? Es wird sich 30 da'erst fragen, was denn Erinnerung für eine'Modifikation erfahre durch Übergang in die "blosse P h a n t a sie" . Erste Ansicht
Offenbar kann man nicht damit auskommen zu sagen: Es liegt 35 da zugrunde eine Phantasieerscheinung, nur einmal ist ein Mo-
ment des belief da und das andere Mal nicht. Sowenig wie man etwa das illusionäre Bewusstsein von einem Fiktum gegenüber
TEXT NR. 6 (1909)
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der Wahrnehmung damit beschreiben könnte, dass 'einmal Glaube fehle und das ,andere Mal vorhanden sei. Zweite Ansicht
Auch das geht nicht, dass man sagt: Die Phantasmen erfahren 5 einmal eine impressionale Auffassung und das andere Mal eine
reproduktiv modifizierte. (Und ebenso im anderen Fall: Die Empfindungen erfahren einmal eine impressionale Auffassung, das andere Mal eine modifizierte.) Kann man I'überhaupt so sinnliches Material und Auffassung 10 trennen, dass sich jedes für sich phantasiemässig modifizieren ," könnte? Man könnte da auf die Fälle hinweisen, wo wir etwa in eine gegebene Erscheinung eine andere hinein phantasieren. Wie wenn ich fiktiv die Hausauffassung ändere, aber so, dass das Empfin15 dungsmaterial unangetastet bleibt. Ich stelle mir etwa vor, da sei nicht wirklich/das Haus, sondern eine Theaterkulisse u.dgl. Da hätten wir mindestens einen Teil der Auffassungskomponenten derart modifiziert, dass wir ihnen phantasiemässige untergeschoben hätten: Was das Unterschieben freilich heisst und wie 20 das ganze Beispiel näher zu analysieren ist, das ist noch die Frage. Dritte Ansicht
Es ist offenbar, dass wenn wir Erinnerung und Phantasie vergleichen, wir vorsichtig in der Wahl der Beispiele sein müssen 25 und nicht als gleich behandeln, was nicht ganz gleich ist. Z.B. Erinnerung eines auffliegenden Vogels und Phantasie "desselben" = inhaltsgleichen Vogels in einer inhaltsgleichen Phantasieumgebung. 1 Da haben wir beiderseits diesdben Erscheinungen (Einheit derselben Erscheinung, Hintergrund dazu30 gerechnet) und doclt nicht volle Gleichheit, derart, dass wir sagen könnten, es komme einmal hinzu das Moment des belief und das anderE' Mal fehle es oder sei es phantasiemässig modifiziert. Denn wenn das eine Mal Erinnerung vorliegt, vermöge deren der Vor1
ad 1.
244
TEXT NR. 6 (1909)
gang als vergangener gilt, so ist dabei offenbar zu unterscheiden 1) der gleichsam ablaufende Vorgang, der da phantasiemässig erscheint, und 2) dasjenige, was ihn zum "Repräsentanten", zu einer Wiedervergegenwärtigung eines eben vergangenen Vor5 ganges macht. Ist dieser Unterschied nicht ganz analog demjenigen zwischen Scheinbewusstsein und Bildbewusstsein ? Der Schein, das Fiktum "gilt nicht für sich", in ihm repräsentieren wir, schauen wir repräsentativ an ein anderes, d.h. es ist eine neue Intention da, welche 10 den Charakter einer "repräsentierenden" hat. So ist auch das Phantasieerscheinende, der betreffende gleichsam ablaufende Vorgang, Repräsentant für einen vergangenen, d.h. ein fundiertes Bewusstsein ist da, und zwar eine impressionale Intention) die auf einen Zusammenhang von Intentionen verweist, durch die 15 sich die Beziehung zum aktuellen Jetzt herstellt. Der "Glaube" ist nicht Glaube an das phantasiemässig Erscheinende, sondern das Einstimmigkeitsbewusstsein, das zu der repräsentativen Auffassung gehört. Sie ist ungehemmte Intention. Und zwar impressionale. Was aber die pure Phantasie an20 langt, die hier Unterlage bildet, so ist das eine Modifikation, "Phantasmen in der und der Auffassung", die ganze Erscheinung und ihre Intentionen sind etwas Modifiziertes (Reproduktives, Abgeleitetes). Das macht hier den Unterschied gegenüber dem Fiktum im Fall, der Bildrepräsentation aus. Das Fiktum ist im25 pressional gegeben, und die Modifikation, die bei ihm bzw. bei der Scheinwahrnehmung vorliegt, besteht in der Aufhebung, welche die impressionalen Auffassungsstrahlen erfahren, also im Unstimmigkeitsbewusstsein etc. Es liegt nahe zu sagen: Empfindung (jede Impression) lässt 30 unmittelbar nur impressionale Auffassung zu, ebenso Phantasma unmittelbar nur phantastische Auffassung. Mittelbar aber, in Form der Repräsentation, in symbolisch intuitiver und symbolisch leerer Auffassung (innerlich analogisierend und äusserlich bezeichnend) kann es anders sein. Es kön35 nen da unmodifizierte und modifizierte Intentionen sich eingliedern. Doch ist der erste Satz fraglich. Auch diese Intepretation der Erinnerung wird aber Be d e nk e n erregen. Also es soll da eine pure Phantasie zugrunde liegen
TEXT NR. 6 (1909)
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und darauf gebaut erst Intentionen höherer Stufe? Aber wenn ich mir jetzt etwa Sieber1 vergegenwärtige, finde ich da irgendeine Mittelbarkeit? Ich lebe jetzt in diesem Erscheinen, ich mache den Gang über dem Dorf, blicke auf das Dorf und Tal 5 herab etc. Und alles ist da so wie bei der Wahrnehmung. Ich nehme gleichsam wahr, es ist eine Modifikation. Aber ist das nicht ebenso unmittelbar wie eineLWahrnehmung? Vierte Ansicht
Man könnte 'sagen: Eine fundamentale Modifikation verwan10 delt die Wahrnehmung in Erinnerung, und zwar: Wahrnehmung ist impressionaler Erscheinungsglaube - Erinnerung ist reproduktiver Erscheinungsglaube. Impressionaler Erscheinungsglaube, . konkret genommen die Wahrnehmung, kann durch Widerstreolt aufgehoben werden (und 15 zwar in verschie
.1) Physische Bilder höherer Stufe (Bilder von Bildern). Ein
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~lld.A, das. ein Bild B darstellt. Im Bilde etwa wieder ein Bild C. Biler
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zweiter und dritter Stufe. Z.B. Gemälde eines Zimmers, in
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welchem ein Bild an der Wand hängt. Dieses Bild stellt etwa eine Gemäldegalerie dar, in welcher also wieder Bilder erscheinen. 1) Das physische Bild A, 2) das dadurch dargestellte Bild, 53) der durch 2 vorgestellte Gegenstand. Zu ihm gehört ein physisches Bild, welches jetzt also bildlich vorgestellt ist. Dazu gehört aber: 1) die bildliche Vorstellung des physischen Bildes, 2) die bildliche Vorstellung des dargestellten Bildes, } all das in 10 3) die bildliche Vorstellung seines Sujets. zweiter Stufe Nämlich: Es erscheint mir in der Tat ein repräsentierendes Bild, der Einfachheit halber ein Mann zu Pferd. Aber dieses repräsentierende Bild gehört nicht zu einem wahrnehmbaren physischen Gegenstand, sondern zu einem im Bild vorgestellten. Und dies beeinflusst auch so15 zusagen den Wert des repräsentierenden Bildes. Dieses Erscheine n deist nicht das repräsentierende Bild jenes gemalten Bildes, sondern nur ein Bild davon. Die Erscheinung, die ich hätte, wenn ich das Bild selbst sähe, ich meine die in diesem Bild zum Erscheinen kommende, habe ich jetzt nicht, sondern nur eben ein Bild davon. 20 Und dieser Bildlichkeit sind wir uns auch bewusst. Ebenso ist das im gemalten Bild Vorgestellte (deutlicher: in dem durch das Gemälde zur Erscheinung gebrachten anderen Gemälde) nicht so zur Vorstellung gebracht wie der Gegenstand eines Gemäldes erster Stufe. Es ist zur Vorstellung gebracht durch eine bildliche Vorstellung 25 von einer bildlichen Vorstellung und somit Gegenstand zweiter Stufe. Wir könnten von anschaulichen Vorstellungen erster, zweiter, dritter Stufe sprechen (ähnlich: Spiegelbilder von Spiegelbildern) . 2) Phantasiebilder von physischen Bildern. Z.B. ich stelle mir die 30 "Theologia" in der Phantasie vor. Hier haben wir ganz analoge Komplikationen wie vorher, nur dass das Phantasiebild selbst keinen Erreger hat. 3) Gibt es auch physische Bilder von Phantasiebildern ? Z.B. Gemälde eines Traumgebildes. Doch wird man derartige Darstellungen 35 nicht als rein anschauliche gelten lassen. Konzeptiv-gedankliche Vermittlung. Grillparzers "Der Traum ein Leben".
BEILAGE XIX PHANTASIE IN DER PHANTASIE
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Erinnerung in einer biossen Phantasie Phantasie in einer Erinnerung Erinnerung in einer Erinnerung Phantasie in einer Phantasie
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Ich phantasiere: Ich fahre auf der Eisenbahn und versinke in Träume (Phantasien) und weile träumend in der Erinnerung an meine jugendzeit, wie mir mein Vaterhaus vorschwebt. Wie ich in den altvertrauten teuren Räumen als Kind spiele etc. Hier haben wir eine 5 phantasierte Erin~erung,. eine modifi~ierte Erinnerung, .müsste. ~ch deutlicher sagen, eme ErInnerung In der PhantasIe. Freilich habe ich diesen konstruierten Fall nicht jetzt erlebt, ich habe das hier Ausgesagte nur im indirekten Vorstellen vollzogen. Anschaulich stelle ich mir eine Eisenbahnfahrt (etwa eine Erinnerung) vor. Die andere 10 Erinnerung an meine Kinderzeit beziehe ich dabei symbolisch auf das symbolisch vorgestellte Träumen. Aber ist das nicht möglich in eigentlicher Form? Leichter ist es, eine Phantasie in einer Erinnerung und eine Phantasie Ln einer Phantasie (oder in einem Gemisch 15 von Phantasie und Erinnerung, wie bei den meisten Phantasien) zu bilden. Natürlich kommt auch der vierte mögliche Fall vor: Erinnerung in einer Erinnerung. Beim Lesen eines Romans, wo der Held phantasiert, träumt, sich erinnert. Die Roman-Erzählung: Aber es ist nicht eine aktuelle Er20 zählung, sondern stellt eine solche nur vor. Das ist ein Bild bewusstsein. Ist hier ni<j:ht die Phantasie im übrigen Phantasie in der Phantasie, falls Ansclilaulichkeit vorhanden? (Aber wie, wenn ich nur symbolisch verstehe?) Der Traum wird hier gegenständlich, durch "Urteil" wird der Traum (Urteil auf Phantasiegrundlage) dem phanta25 sierten Helden als träumendem eingelegt; wird dem Urteil aber "Folge gegeben", so resultiert das anschauliche Bewusstsein vom Träumen des Helden. Der Leser "starker Phantasie" wird das wohl leisten können. • Wie bringt uns ein Dichter dazu, wirklich Erinnerung in einer 30 Phantasie zu vollziehen? Doch, so, dass wir mit dem Helden gewisse Vorgänge anschaulich miterleben und er in späteren Teilen der Dichtung sich dieser Vorgänge erinnert. Wir erinnern uns nun mit ihm. Das Beispiel bedarf aber näherer Analyse. BEILAGE XX
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IMMANENTE IMAGINATIONEN
<wohl frühestens 1909; evtl. 1912> .~:; gibt nicht nur transiente Bildvorstellungen, sondern auch immanente.! da' Welche Farbe h~t da.nn der Hintergrund ~es Tizianschen Bildes? Nun, ich will SJe mdlen. Dann 1st dIe gemalte gegenwärtIge Farbe doch "Bild" für die abwe~ende. Aber freIlich, in der gemalten kann ich die abwesende nicht sehen da 1%e pben gegenständliche Farbe und ohne Gegenstand nicht zu sehen ist. Was hier gemalt 1st, 1st eben notwendig zugleich ein anderer Gegenstand (ein Klecks etc.).
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BEILAGE XXI
So insbesondere dienen sie bei der Einfühlung. Ich kann z.B. ~ttels der Wahrne~m~ng, die ich selbst hab:, mir die Wahrnehmung
emes Anderen verbildlichen, und ebenso mIttels der Phantasievorstellung, die ich selbst habe, mir "eine Vorstellung machen", d.i. mir 5 verbildlichen die eines Anderen. Frage: Kann man "die Phantasie in der Phantasie" interpretieren als eine Verbildlichung? Ich kann natürlich eine Phantasie, wie wir oben sahen, als Bild verwenden. Kann ich aber sagen, dass, wenn ich mich erinnere, dass ich 10 gestern ein A phantasiert habe, z.B. einen Bajazzo (und ich erinnere mich dessen jetzt wirklich), dass ich da eine jetzige Bajazzo-Vorstellung als Bild verwende? Nun ist es sicherlich möglich, evtl. eine analogische Vorstellung (eben eine Bildvorstellung) von etwas zu bilden, was wir selbst früher 15 erinnert hatten; aber wo wir uns einfach erinnern, dass wir gestern uns den Bajazzo vorgestellt hatten, da leben wir einfach in der Vergangenheit und im vergangenen Phantasieren, genau wie wir sonst in der Vergangenheit leben: nur dass wir jederzeit die leichte Modifikation vollziehen können, welche aus der vergangenen Phantasie, aus der Er20 innerungsmodifikation der Phantasie, eine gegenwärtige Phantasie machen <würde>.
BEILAGE XXI REFLEXION IN DER PHANTASIE IST SELBST PHANTASIE
<wohl Herbst 1909> 25
Fordert die Möglichkeit der Reflexion in der Phantasie (des "Hinsehens" auf das Erscheinungs-Phantasma bzw. auch des Hinsehens auf das "Wahrnehmen des Gegenstandes") die Annahme, dass die unmodifizierten Erlebnisse, die "impressionalen" schon Inhalte eines Bewusstseins, eines impressionalen sind? Also ein in n e res B e30 w u s s t sei n, dessen Modifikation das Phantasma als Phantasmabewusstsein sei? Indessen, dann müssten wir für j e des Erlebnis ein inneres Bewusstsein annehmen und sagen, alle Erlebnisse sind bewusst. Wir kämen auf einen unendlichen Regress. Das geht nicht. 1 Das mag freilich so sein, dass psychologisch jedes Erlebnis "Spuren" 35 zurücklässt und dass Wiedererinnerungen und damit phantastische Modifikationen von ihm auftauchen. Aber Modifikation besagt nicht, dass das, was modifiziert heisst, schon früher da war, nur eben unmodifiziert. Eine Schwierigkeit finde ich darin wohl, dass ein Hinblick auf das 40 Objekt eines Phantasma (= einer Reproduktion) möglich ist. Erlebe 1 "Das geht nicht" später unterstrichelt ; am Rande steht zum folgenden ein grosses Fragezeichen. - Anm. d. Hrsg.
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ich ein Phantasma; so kann ich auf sein Objekt hin< sehen>. Dieses Hinsehen stellt sich heraus als ein reproduktiv modifiziertes Hinsehen: als Hinsehens-Phantasma. Taucht eine Erinnerung auf, so kann ich auf das Erinnerte hinsehen, und dieses Hinsehen ist selbst ein 5 modifiziertes, ein "Phantasma", auch wenn ich es nicht immer selbst als Erinnerungs-Modifikation bezeichnen kann. So, wenn ich in der Erinnerung phänomenologisch reduziere. Ich achte in der Erinnerung auf die "Erscheinungsfarbe", auf die Erscheinungsform etc. Sie gehörten zur erinnerten Erscheinung, die eine "in der Erinnerung" 10 konstituierte Einheit war, die ich vielleicht nie zum gemeinten Objekt gemacht hatte. Ich sehe aber jetzt"mich jetzt erinnernd, auf sie hin. Und doch ist dieses Hinsehen als Beschäftigung mit der Phantasie-Erscheinung (Erscheinungs-Phantasma) Beschäftigung mit einem nicht selbst Gegebenen, sie ist eine Beschäftigung "in der Phantasie". Sie ist 15 selbst vom Charakter des Phantasma. Waslich jetzt meine Beschäftigung mit dem Erinnerungsobjekt bzw. Phantasieobjekt und seiner Erscheinung nenne, ist in Wahrheit ein Phantasiebewusstsein, das den Charakter von Phantasie von Beschäftigung mit dem Erinnerten hat. Mit reproduktiven Erscheinungen, nicht gegenwärtigen, sondern ge20 wesenen, kann ich mich im eigentlichen Sinn nicht beschäftigen. I
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1) "Sinnliche Anschauungen". Was soll das Charakteristische sein ? Ich habe in den Göttinger Vorlesungen unterschieden t r ans i e n t e (transzendente) und immanente Anschauungen. Kreuzt sich eine Einteilung der Anschauungen in sinnliche und nichtsinnliche mit dieser? Also immanente Anschauungen "sinnliche" (Ton: immanent genom35 men) und nichtsinnlich : immanente Anschauung eines "Aktes". In den Logischen Untersuchungen hatte ich die Unterscheidung der Inhalte" in primäre und Aktcharaktere, aber das alles,;>bedarf neuer Untersuchung aus dem letzten Grund. Was ist ,,Inhalt' . . 2) Das Problem des Verhältnisses zwischen perzeptivem Erlebms 40 (darin perzeptiver Erscheinung) und imaginativer Erscheinung (blos11
1 2
Später eingefügt: "d.h.". - Aum. d. Hrsg. Später eingefügt: "ebeusogut". - Anm. d. Hrsg.
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ser Phantasieerscheinung) und weiter Erinnerungserscheinung. Auen Erwartungserscheinung. Die Erscheinung, könnte man sagen, sei bei allen nichtperzeptiven Erscheinungen (Anschauungen) dieselbe. Der Unterschied liegt in einer anderen Dimension, in etwas, was über die 5 Erscheinung hinausgeht. 3) Die Probleme, welche den "Überschuss über die Erscheinung" betreffen. Zunächst der Charakter der "Setzung" und die parallelen Charaktere, die unter dem Titel Nichtsetzung stehen. Oder ist Setzung ein allgemeiner Charakter, der Glaube, Unglaube, Zweifel, Anmutung 10 etc. betreffen müsste, und daneben die zu ihnen allen gehörigen Modifikationen: Impression - Idee? I'
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<wohl 1909 oder 1910>
Ergänzend i!~t noch folgendes anzumerken.! Man nennt oft Erinnerung eine Pl;lantasie, auch spricht man davon, dass man sich hineinphantasiere in das Zimmer einen Zentauren, man kann sich in die gegebene Wirklichkeit "alles mögliche" hineinphantasieren. Man nennt 20 andererseits auch ein Bild, eine Illusion ein "Gebilde der Phantasie". Zunächst mit Vorliebe spricht man von Phantasie da, wo eine aus Phantasmen gebaute "Phantasie-Erscheinung" gegeben ist. Eine Erinnerungserscheinung mag Bewussfsein "wirklicher" Vergangenheit sein, zunächst ist sie "Phantasieerscheinung" . Ein Bewusstsein des 25 gleichsam Daseienden, eine Modifikation einer Wahrnehmung, und zwar einer sinnlichen Wahrnehmung liegt vor. Nun bedenken wir: Wir können vom modalen Charakter abstrahieren. Wir können dem Illusionären, also dem Nichtigkeitsbewusstsein entgegen und darum unbekümmert bei einem Bild von einer "Wahrnehmung", Wahrneh30 mungserscheinung sprechen: Es ist eine impressionale Auffassung aufgrund von Empfindungen, vom Glaubensmodus abgesehen, und von evtl. darauf gebauten weiteren Intentionen. In abstracto können wir also Erscheinung (Auffassung) und Modus, nämlich den qualitativen ~odus, scheiden. Und nun Wahrnehmungserscheinungen und Phanta35 sIeerscheinungen gegenüberstellen. Wie ist nun die "Phantasieerscheinlt'ng" .imaginative Modifikation der Wahrnehmungserscheinung? Doch mcht nach seiten der qualitativen Momente, die ja hier nicht in Frag.e. sin~. Andererseits, muss nicht hier von einer durchgehenden ModlllkatlOn gesprochen werden? Den Empfindungen entsprechen 1 Der Text dieser Beilage bis" ... so ginge der doch diese imaginative Modifikahon filchts an" (unten, S. 238,5) ist im Manuskript kreuzweise gestrichen. - Anm . d . Hrsg.
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Phantasmen, aber auch die Auffassungen sind beiderseits in demselben Verhältnis modifiziert, abgesehen vom Glaubens-Modus. Angenommen nun, es wäre auch so, dass Erscheinung in diesem Sinn notwendig einen qualitativen Modus verlangte, so ginge der doch 5 diese imaginative Modifikation nichts an. Nun wird man weiter einwenden können: Wenn wir nun Modi dazunehmen, so können die freilich auch phantasiemässig modifizierte sein. Jeden Modus des Glaubens, Zweifels, der Neigung etc. kann ich mir in der Phantasie mit den entsprechenden Motivationsstrahlen dato zu vorstellen. Aber das macht nicht die Phantasieerscheinung als solche aus, die vielmehr identisch dieselbe bleiben kann, wie immer diese Sachen dazu laufen mögen. Und sollte nicht eine pure Phantasie möglich sein als pure Phantasieerscheinung ohne j edel Glaubensmodi? Vor allem, geht nicht daraus hert5 vor, dass sich ein Ding imaginieren nicht so viel heisst wie quasi wahrnehmen im Sinn von quasi glauben? Vielmehr von quasi wahrnehmen im Sinn die Modifikation einer impressionalen "Erscheinung" haben,2 wie ich es ja im Bild habe ohne Glauben.3 Also ist nicht immer der Glaube mitimaginiert und ebensowenig ein bestimmter anderer 20 Modus. 4 Sich ein Haus einbilden heisst nicht, sich implizite die Wahrnehmung eines Hauses einbilden. Wenn Wahrnehmung eben der Glaubensakt ist. Anders ist es wohl in der Erinnerung, die in der Tat nicht nur die Einbildung und einen aktuellen Glauben dazu bietet, sondern die Wahrnehmung im vollen Sinn imaginativ bietet und dazu 25 jene Glaubensintentionen, die zum aktuellen Jetzt hinführen. Somit muss ich noch einmal alles durchdenken und sehe wieder die andere Möglichkeit bevorzugt, wonach wir "Auffassung" (Erscheinung) und Modus als relativ zu Sonderndes ansehen müssen.
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BILDAPPARENZ
<wohl 1912 oder etwas später> Diese Apparenz besteht aus einem einstimmigen intenti?nalen 35 Komplex. Umgebungsintentionen. Diese in Widerstreit nut der übrigen Wahrnehmung. Die Apparenz, die die Bilderscheinung aus1 Etwas nachträglich eingefügt: "sei es unmodifizierten oder modifizierten". Anm. d. Hrsg. . 2 So wie eben eine "Dingwahrnehmung" (Impression) (als impressionale Erschelnung verstanden) haben nicht heisst, es wirklich wahrnehmen. 8 Der Satzteil "wie ich es" bis " Glauben" etwas nachträglich gestrichen. - Anm. d. Hrsg. 4 Aber doch wohl irgendeiner !
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macht, bleibt in sich einstimmig; aber sie mit ihrem Bildraum erhäit den Charakter des Nichtigen. Evtl. stellt die Bildapparenz vermöge symbolischer Intentionen einen anderen Gegenstand dar. Diese Intention kann den modalen Charakter des Glaubens etc. haben, oder 5 auch der biossen Vorstellung. Kann nicht eine Bildapparenz genau so, wie sie ist, ohne jeden Widerstreit auftreten? Oder vielmehr, dann ist sie ja keine Bildapparenz. Also sagen wir besser, eine perzeptive l Apparenz hat den Charakter eben der Perzeption, und das ist modal der Charakter des 10 Glaubens" (Wahrnehmung). Und damit hat die Apparenz auch ihre Glaubensumgebung, das Erscheinende seine Einordnung in die Wahrnehmungswelt (vom Wahrnehmungsgegebenen allseitig sich forterstreckend). Eine illusionäre Apparenz hat in diese selbe Welt ihre Einordnung durch Widerstreit. Aber ist nicht eine Apparenz denkbar, 15 die gar keine Einordnung in die Welterscheinung hat, die keinen Modus des Glaubens oder der Illusion oder auch des Zweifels hat, etwa im "Wettstreit" mit einer anderen Apparenz usw. ?2Z.B. wenn wir im Dunkeln willkürlich eine visuelle Halluzination erzeugen könnten und wenn dabei alle anderen Sinnesauffassungen des in den anderen Sinnes20 feldern Empfundenen zu dem fIalluzinierten ohne intuitive Beziehung wären. Derart, /dass eine "Erscheinung" vorschwebte ohne jedes Bewusstsein der einordnenden Wirklichkeit, ebenso aber auch ohne Bewusstsein der durch Widerstreit mit der Wirklichkeit doch auf sie bezogenen Nichtigkeit, ebenso jeder andere Modus des Glaubens, der 25 ihr Stellung gäbe zur Welt und dem Ich. Dem nähern wir uns an, wenn wir irgendeine impressionale Apparenz etwa im Stereoskop sehen, aber ohne zu beachten, was z,ur Kastenwahrnehmung etc. gehört. Oder wenn wir uns sonst ein visuelles Bild denken, das das ganze 30 visuelle Gesichtsfeld ausfüllt, während wir, im visuellen Wahrnehmen ganz lebend, auf die übrigen Sinnesfelder nicht achten. Aber freilich da bleibt doch immer so viel übrig, dass eine Nichtigkeitscharakterisierung hängen bleibt. Dass es Empfindungskomplexe ohne jede Einordnung geben kann, 35 ohne Auffassung als Apparenz, die Einordnung vollzieht, das erweist m~in Erlebnis ("Finger - im Mund"), das ist eine Gegebenheit, die k~me "Wirklichkeit" ist und keine repräsentiert. Aber wichtiger ist dIe Frage, ob nicht eine Apparenz gegeben sein kann in der beschriebenen Weise, also in genauer Analogie zu einer "reinen Phantasie". 40 .~I'. der reinen Phantasie haben wir auch eine Apparenz, eine Phantasieapparenz, ohne jede Beziehung zur Aktuali tä t. Ich bin ~atürlich da und habe meine Einordnung in die Wirklichkeit, die ich ]~ auch fo~tdauernd wahrnehme, nur ohne auf sie gerade zu achten. Aoer zugleIch habe ich das "Bild", die Phantasieapparenz, und diese ~ Spdter emgefügt: "impressionale". - Anm. d. Hrsg. Aber trifft das nicht ohne weiteres für das ästhetische Bild ein?
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ist gegeben ohne jeden Widerstreit mit der Wahrnehmungsapparenz die den Boden der Aktualität liefert, ohne jede Beziehung zu ihr durch irgendwelche verbindende Intentionen und Glaubensmodi. Auch das Bild erscheint nicht positiv als nichtig (als illnsionär, als streitend), es 5 fehlt jeder Charakter der Setzung (der sich ausznweisen hätte durch Erinnerungszusammenhänge bzw. analoge Setzungszusammenhänge ' endend in aktneller Wahrnehmung). Bei einer pnren Phantasie ist keine Rede davon, dass irgendeine Beziehung zur Erinnerungswelt vorliegen müsste, also das Phantasie10 erscheinende, das Geträumte eine negative Setzung erfahren müsste. Allerdings können wir da jederzeit sagen, das ist blosse Einbildung. Genan besehen aber fehlt nur der letzte Grund, dergleichen für seiend oder gewesen seiend zu halten. Positiv könnten wir nur eine vage Überschau über unser Leben vollziehen und sagen, im ganzen Feld 15 meiner Erinnerung, soweit ich es zur Überschan bringen kann, finde ich nichts dergleichen vor. es ist nirgends einzuordnen. Scheinobiekte ohne intuitiven Widerstreit: Glaubensenthaltung1
Und weiter nehmen wir an, dass wir aus einem völlig verdnnkelten Raum in ein Stereoskop sehen und ausser der Scheinobjektwelt nichts 20 von der wirklichen Welt sehen, und dass die Aufmerksamkeit von den anderen Sinnesfeldern, besonders dem Tastfeld, abgelenkt ist, dass jedenfalls nichts da ist, was diese Bilder da als Trugbilder visuell, wahrnehmungsmässig ausweisen könnte. 2 Nur leise Regungen möglich. Übrige bliebe etwa ein Wissen, indirekte Intentionen, es handle 25 sich hier um eine Darbietung von "Bildern".3 Haben wir dann nicht ein volles Analogon von reinen Phantasievorgängen, reinen Phantasiegestaltungen? Jene erscheinen im Jetzt, als Gegenwärtigkeiten. Diese aber erscheinen als Nichtgegenwärtigkeiten. Und wie verhält es sich dabei mit den Intentionen? Sie sind da, aber modifiziert. Es fehlt 30 etwas an der "Einordnung in den Zusammenhang der Erfahrung". J '
Oder Glaube durch Wissen aufgehoben. . . NB: Es sollen nicht Bilder von wirklichen Objekten, sondern reine SchembIider gezeigt werden. S (aber nicht abbildenden von Landschaften der Wirklichkeit). 1 2
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ERINNERUNG UND PHANTASIE. <wohl erste Hälfte> (1909)
Wahrnehmung eines Dinges, Bilderscheinung (Scheinbildbewusstsein), aber hierher gehört auch das Schwanken, die Zweifelsnehmung "Bild oder Mensch". Hier ist es klar: Der Unterschied zwischen Wahrnehm ung und F i k t ion besteht nicht darin, dass wir dieselbe Empfindung 15 beiderseits haben und denselben Auffassungssinn, aber so, dass die Auffassung derselben Empfindung einmal impressionale Auffassung und das andere ,Mal modifizierte wäre im phantastischen Sinn. Man möchte ja freilich sagen: Bei der Fiktion habe ich nur eine Phantasie, das Objekt ist nur ein Phantasieobjekt, und das 20 erklärt sich so, dass ich zwar Empfindung als Unterlage habe, aber sie phantasiemässig auffasse, als etwas nicht Gegenwärtiges, sondern gleichsam Gegenwärtiges. l ...Denn: Das Objekt steht in der Tat als gegenwärtig da, selbst und aktuell da, sogut wie bei der Wahrnehmung. Die Erschei25 nllng ist eine Gegenwartserscheinung, eine Wahrnehmungserscheinung, genauso wie bei der normalen Wahrnehmung. Also beiderseits ist, die, Erscheinung eine Impression. Aber ein10
1
Spater eingefügt: "Das ist nicht richtig:" -
Anm. d. Hrsg
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TEXT NR. 6 (1909)
mal ist die Auffassungsintention ungehindert, einstimmig im System der aufeinander bezogenen Intentionen, und so hat die Impression den Charakter der Einstimmigkeit. Das andere Mal sind die Auffassungsintentionen gehemmt, auf5 gehoben, und in diesem Sinn modifiziert, und danach haben wir den Charakter des Fiktums oder den Charakter des Widerstreits zwischen zwei Auffassungsmöglichkeiten, Puppe oder Mensch etc. Also diese Modifikationen, welche Glauben (d.h. die Einstim10 migkeitscharaktere) in Unglauben, Zweifel verwandeln, sind g run d ver s chi e den von den Modifikationen, durch die sich Impression in Reproduktion verwandelt. Alle die ersteren Modifikationen verlaufen innerhalb der Impression; normale Wahrnehmung, illusionäres Bildbewusstsein als Fiktion, schwanken15 des Wahrnehmungsbewusstsein sind Impressionen. Wie steht es dann mit dem eigentlichen Bildbewusstsein, nicht dem illusionären, sondern dem auf einem solchen sich aufbauenden dar s tell end e n Bewusstsein? Po r t rät. Im Bildbewusstsein repräsentiert sich mir ein Ori20 ginal, im Fiktum, durch dasselbe vergegenwärtige ich mir ein anderes, Nichterscheinendes. Wir haben hier aber noch einen zweiten Fall, oder deutlicher, wir haben zwei Fälle: Das Dargestellte gilt als wirklich Seiendes oder wirklich Gewesenes (evtl. auch Seinwerdendes) oder es ist eine "blosse Phantasie". Wie ist 25 das phänomenologisch zu beschreiben? SoUen wir sagen, es gründet sich auf das Fiktumbewusstsein ceinma:l eine weitere Intention vom Charakter der Erinnerung (oder einem analogen Charakter) und das andere Mal eine Modifikation derselben? Aber was für eine Modifikation? Es wird sich 30 da'erst fragen, was denn Erinnerung für eine'Modifikation erfahre durch Übergang in die "blosse P h a n t a sie" . Erste Ansicht
Offenbar kann man nicht damit auskommen zu sagen: Es liegt 35 da zugrunde eine Phantasieerscheinung, nur einmal ist ein Mo-
ment des belief da und das andere Mal nicht. Sowenig wie man etwa das illusionäre Bewusstsein von einem Fiktum gegenüber
TEXT NR. 6 (1909)
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der Wahrnehmung damit beschreiben könnte, dass 'einmal Glaube fehle und das ,andere Mal vorhanden sei. Zweite Ansicht
Auch das geht nicht, dass man sagt: Die Phantasmen erfahren 5 einmal eine impressionale Auffassung und das andere Mal eine
reproduktiv modifizierte. (Und ebenso im anderen Fall: Die Empfindungen erfahren einmal eine impressionale Auffassung, das andere Mal eine modifizierte.) Kann man I'überhaupt so sinnliches Material und Auffassung 10 trennen, dass sich jedes für sich phantasiemässig modifizieren ," könnte? Man könnte da auf die Fälle hinweisen, wo wir etwa in eine gegebene Erscheinung eine andere hinein phantasieren. Wie wenn ich fiktiv die Hausauffassung ändere, aber so, dass das Empfin15 dungsmaterial unangetastet bleibt. Ich stelle mir etwa vor, da sei nicht wirklich/das Haus, sondern eine Theaterkulisse u.dgl. Da hätten wir mindestens einen Teil der Auffassungskomponenten derart modifiziert, dass wir ihnen phantasiemässige untergeschoben hätten: Was das Unterschieben freilich heisst und wie 20 das ganze Beispiel näher zu analysieren ist, das ist noch die Frage. Dritte Ansicht
Es ist offenbar, dass wenn wir Erinnerung und Phantasie vergleichen, wir vorsichtig in der Wahl der Beispiele sein müssen 25 und nicht als gleich behandeln, was nicht ganz gleich ist. Z.B. Erinnerung eines auffliegenden Vogels und Phantasie "desselben" = inhaltsgleichen Vogels in einer inhaltsgleichen Phantasieumgebung. 1 Da haben wir beiderseits diesdben Erscheinungen (Einheit derselben Erscheinung, Hintergrund dazu30 gerechnet) und doclt nicht volle Gleichheit, derart, dass wir sagen könnten, es komme einmal hinzu das Moment des belief und das anderE' Mal fehle es oder sei es phantasiemässig modifiziert. Denn wenn das eine Mal Erinnerung vorliegt, vermöge deren der Vor1
ad 1.
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TEXT NR. 6 (1909)
gang als vergangener gilt, so ist dabei offenbar zu unterscheiden 1) der gleichsam ablaufende Vorgang, der da phantasiemässig erscheint, und 2) dasjenige, was ihn zum "Repräsentanten", zu einer Wiedervergegenwärtigung eines eben vergangenen Vor5 ganges macht. Ist dieser Unterschied nicht ganz analog demjenigen zwischen Scheinbewusstsein und Bildbewusstsein ? Der Schein, das Fiktum "gilt nicht für sich", in ihm repräsentieren wir, schauen wir repräsentativ an ein anderes, d.h. es ist eine neue Intention da, welche 10 den Charakter einer "repräsentierenden" hat. So ist auch das Phantasieerscheinende, der betreffende gleichsam ablaufende Vorgang, Repräsentant für einen vergangenen, d.h. ein fundiertes Bewusstsein ist da, und zwar eine impressionale Intention) die auf einen Zusammenhang von Intentionen verweist, durch die 15 sich die Beziehung zum aktuellen Jetzt herstellt. Der "Glaube" ist nicht Glaube an das phantasiemässig Erscheinende, sondern das Einstimmigkeitsbewusstsein, das zu der repräsentativen Auffassung gehört. Sie ist ungehemmte Intention. Und zwar impressionale. Was aber die pure Phantasie an20 langt, die hier Unterlage bildet, so ist das eine Modifikation, "Phantasmen in der und der Auffassung", die ganze Erscheinung und ihre Intentionen sind etwas Modifiziertes (Reproduktives, Abgeleitetes). Das macht hier den Unterschied gegenüber dem Fiktum im Fall, der Bildrepräsentation aus. Das Fiktum ist im25 pressional gegeben, und die Modifikation, die bei ihm bzw. bei der Scheinwahrnehmung vorliegt, besteht in der Aufhebung, welche die impressionalen Auffassungsstrahlen erfahren, also im Unstimmigkeitsbewusstsein etc. Es liegt nahe zu sagen: Empfindung (jede Impression) lässt 30 unmittelbar nur impressionale Auffassung zu, ebenso Phantasma unmittelbar nur phantastische Auffassung. Mittelbar aber, in Form der Repräsentation, in symbolisch intuitiver und symbolisch leerer Auffassung (innerlich analogisierend und äusserlich bezeichnend) kann es anders sein. Es kön35 nen da unmodifizierte und modifizierte Intentionen sich eingliedern. Doch ist der erste Satz fraglich. Auch diese Intepretation der Erinnerung wird aber Be d e nk e n erregen. Also es soll da eine pure Phantasie zugrunde liegen
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und darauf gebaut erst Intentionen höherer Stufe? Aber wenn ich mir jetzt etwa Sieber1 vergegenwärtige, finde ich da irgendeine Mittelbarkeit? Ich lebe jetzt in diesem Erscheinen, ich mache den Gang über dem Dorf, blicke auf das Dorf und Tal 5 herab etc. Und alles ist da so wie bei der Wahrnehmung. Ich nehme gleichsam wahr, es ist eine Modifikation. Aber ist das nicht ebenso unmittelbar wie eineLWahrnehmung? Vierte Ansicht
Man könnte 'sagen: Eine fundamentale Modifikation verwan10 delt die Wahrnehmung in Erinnerung, und zwar: Wahrnehmung ist impressionaler Erscheinungsglaube - Erinnerung ist reproduktiver Erscheinungsglaube. Impressionaler Erscheinungsglaube, . konkret genommen die Wahrnehmung, kann durch Widerstreolt aufgehoben werden (und 15 zwar in verschie selbst aus solchen Hemmungen besteht. Und das war es, was ich wohl eigentlich im Auge hatte. Aber freilich ist das eine Konstruktion. Wir finden vor Wahr15 nehmungen und in ihrem Zusammenhang Empfindungen mit ihren Auffassungsintentionen. Wir finden auch vor Scheinwahrnehmungen, Brwusstsein von sensuellen Nichtigkeiten. Ferner finden wir vor wirkliche Erinnerungen mit ihrem Bewusstsein von Vergangenheiten, die ihre Beziehung zum Jetzt haben. Wir 20 finden abermals vor ,Fiktionen innerhalb der Erinnerungssphäre. Wieder freie Phantasien und in ihnen Phantasmen. Im4 Phantasiebewusstsein lebend haben wir ein Bewusstsein des gleichsamJ etzt, des gleichsam gegebenen DingeS, Vorganges etc. In ihm lebend haben wir kein Bewusstsein von Nichtigkeit, aber wohl, sowie wir 25 unseren Blick auf das Jetzt und die aktuelle Wirklichkeit überhaupt lenken und dem Phantasierten eine Beziehung dazu geben. Dann ist es nichtig, es ist nirgends, in keinem Raum, in keiner Zeit etc. Vergleichen wir Erinnerungen (anschauliclle) und reine Phantasien, so finden wir denselben, prinzipiell einen gleichen Er30 scheinungsgehalt in verschiedenem Charakter, wir finden Phant.asmen und Auffassung der Phantasmen zu einer GegenständlIchkeit, die den Charakter der gleichsam gegenwärtigen hat, und wir finden a1!dererseits ein Bewusstsein des Vergangen, das ~ Spater uber der Zeile eingefügt: "Phantasie-". - Anm. d. Hrsg. . Immer wieder ist aber einzuwenden, was auf ßl,a ausgekUhrt 1st. Aktualität ist nicht etwas, was sich mit blosser Phantasie verbinden tann, sondern diese ist Modifikation durch und durch, aus den inaktuellen IntenIonen werden aktuelle : Spater uber der Zeile eingefügt: "bIosse Phantasie-". - Anm. d. Hrsg. Spat er eingefügt: "bIossen". - Anm. d. Hrsg.
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dieser Gegenwart den Charakter einer gewesenen, zum aktuellen Jetzt in bestimmter Beziehung stehenden verleiht, und zwar in der Weise einer Setzung. 1 Die blosse Phantasie in sich ist das blosse modifizierte Bewusstsein (ich deute das immer 5 durch das "gleichsam" an). Es setzt nichts: es "stellt bloss vor". Handelt es sich um eine Phantasiegegenständlichkeit, die ich auf die erinnerte Strasse versetze, auf den Hohen Weg, so hat sie den Charakter des Fiktums. Die erinnerte Strasse fordert, die Forderungen, die sie stellt, beziehen sich auf mögliche Natur10 gegenstände, oder vermutliche, und somit ist ein Mensch mit sechs Köpfen ausgeschlossen. Aber ein beliebiger Maskenzug, der dort fährt, ist zwar möglich, aber wenn ich eine bestimmte Erinnerung nehme, so ist die Forderung, die diese stellt, dass kein Maskenzug, sondern die und die Vorgänge und keine anderen 15 sich auf der Strasse abspielen usw. In solchen Fällen habe ich also nicht pure Phantasie, sondern ein Bewusstsein des Widerstreits. Wie ist das aber möglich? Die Hineinversetzung des Phantasierten in die Erfahrungswirklichkeit streitet mit der zugehörigen thetischen Setzung. Freie Phantasie als solche ent20 hält gar keinen Setzungsmodus. Nota bene, völlig freie Phantasie, wenn man dergleichen zugesteht. Setzungsmodus ist aber nicht ein Annex, ebenso wie Modus Annahme, Ansetzung!! Phantasiere ich rein spielerisch und "frei", dass ich auf der Friedrichstrasse wandle, dort den Goethe treffe, der mich freund25lich anspricht usw., "träume" ich, so bestehen hier Wirklichkeitssetzungen. Es ist die Friedrichstrasse etc., aber was da hinzuphantasiert ist, das wird nicht aufgehoben. Und doch, bin ich nicht dabei, ich, der ich jetzt hier bin und niemals so was erlebt habe? Hier habe ich doch keine Ansetzung und Hinein30 setzung, sondern lIes fällt mir so ein" und spielend gehe ich den "Einfällen" nach. Es ist alles "nicht wahr", es ist "nichts". Also ohne besonderes Annehmen, Ansetzen etc. kann doch Widerstreitbewusstsein und Aufhebung erfolgen. Das Verbleibende sind Setzungen. Die gesetzte Friedrichstrasse2 mit dem gesetzten 35 Ich, das dort spazieren geht, und bevölkert mit den und den 1 Man kann aber ein wen den: Blosse Phantasie verbindet sich nicht mIt Setzung, lässt sich gar nicht damit verbinden. Sondern was hier Setzung heisst, ist die Modifikation der Aktualität! 2 Natürlich keine eigene "Setzung" hinzutretend zu "Friedrichstrasse". sondern einfach Erinnerung.
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Menschenrnassen, besitzt mit den Phantasievorgängen, Phantasiegestaltungen, diese Einheit, die partiell Erfahrungssetzung enthält, partiell Phantasie ist und als Ganzes Phantasie, streitet mit der gesamten Erfahrung, in die diese Setzungen einzu5 ordnen sind. Die Verbindung von Phantasiertem mit Gesetztem gibt dem Phantasierten aUch so etwas von Setzungscharakter, einen Anspruch auf Realität, auf Wirklichkeit, der durch die gewiss gesetzte Wirklichkeit aufgehoben wird. In all diesen Komplexionen finden wir nun einen Bestand an 10 Phantasieerschein~ng als Materie von Erinnerungssetzungen (Erfahrungssetzungen) im weitesten Sinn, und das sind nicht blosse "Färbungen" der Phantasieerscheinung, sondern es ist ein Bewusstsein, das die betreffende erscheinende Gegenständlichkeit als in der und der, Beziehung zur wirklichen Welt stehende 15 setzt. 1 Das führt auf intentionale Zusammenhänge, die "akt i v e" Intentionen miteinander verbinden, wirkliche und mögliche. Bestimmt(f Erfüllungswege (und Wegarten), immer in aktuellen Intenti@nen laufende, sind vorgezeichnet. Ausserdem haben wir einen Bestand. an Phantasieerscheinung nicht als 20 ~l1aterie von Erinnerungssetzung, vielmehr in Verbindung mit den Erinnerungsauffassungen, in Verwebung damit und dadurch auch charakterisiert und als Nichtigkeitsbewusstsein degradiert. Gibt es nun, Phan tasieerschein ung ohne jede Setzungsmodi?2 So darf man natürlich nicht sagen: Die 25 Elemente, das Rot z.B., waren schon in unzähligen Situationen und Verbindungen gegeben, keine ist bevorzugt, da jede die andere aufhebt u. dgl. Oder sie waren in jeder einzelnen Verbindung, die im vorliegenden Phantasma vorkommt, schon gegeben, aber niemals in dieser Komplexion, und indem jede Verbindung 30 Intention auf Verbindung mit anderen Verbindungen hat, als sie hier vorkommen, so hebt sich alles auf. Denn das ist sicher: Aufhebung im Sinn der wechselseitigen Hemmung ergibt keine Nichtigkeit, vielm.hr ist erfordert Aufhebung durch den Felsen v?n gegebener Gewissheit: durch Wahrnehmung, Erinnerung etc. 35 N ur so können wir denken, dass, psychologisch genommen, h 1 Das 1st WIeder unklar. Die Erinnerung ist Erinnerung an die Gegenständlichert, und cl 1. ;,Ie setzen. Was aber die Erscheinung der Gegenständlichkeit anlangt, ~ 1st SIe konkret genommen die Erinnernng selbst, sonst aber das Wes e n, das r~nnerung und blasse Phantasie identisch gemein haben können. Spater eIngefugt : "Nattirlich:"_ - Anm. d. Hrsg.
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die Dispositionen sich hemmen, welche zur möglichen Aktualisierung von gewissen wirklichen Intentionen gehören, so dass es also gar nicht zur betreffenden Auffassung kommt. Dann hemmen sich nicht Auffassungen, sondern Auffassungsdispositionen, 5 und die Auffassung ist überhaupt nicht da, somit auch kein Streit und keine Aufhebung von Auffassungen. Aufhebung als positives Aktvorkommnis ist nicht zu verwechseln mit der Aufhebung von Dispositionen, die Sache psychologisch-konstruktiver Erklärung, aber nicht phänomenologischer Analyse ist. 10 Ein Fall solcher dispositioneller Aufhebung, die in der Empfindungssphäre keine Empfindungs-Auffassung aufkommen lässt, wäre mein Erlebnis "Finger im Mund", wo ich Empfindung hatte, aber keine bestimmte Einordnung dieser Empfindungsgruppe als gegenständliche Auffassung in eine Ich- und Weltauffassung. 1 15 Das wäre ein Ausnahmsfall reiner Empfindungsgegebenheit, und natürlich war der Empfindungsinhalt hier nicht als Scheinobjekt charakterisiert. Ein Schein- oder Trugobjekt ist eingeordnet in die Erfahrungswelt. Ich versuchte oben (S. 249f.) zu sagen: Dieselbe Modifikation, 20 welche von Empfindung zu primitiver Reproduktion = sinnlich immanenter Erinnerung führt, führt von transienter Empfindungsintention zu entsprechender Erinnerungsintention. Ich stelle also zunächst gegenüber Empfindung und Reproduktion als Erinnerung. (Also nicht Empfindung und bIo s ses 25 "Phantasma" .)2 überlegen wir. Eine Erinnerung, das reproduktive Vergangenheitsbewusstsein weist auf Zusammenhänge hin. Zunächst haben wir originär: Ein gewisser Ablauf von Impressionen, sagen wir eine Tonfolge, laufe ab. Das Zeit bewusstsein haben wir schon 30 studiert. Also das gibt einen ganz bestimmten Fluss, in dem sich die originäre Tonfolge als wahrgenommene3 konstituiert. Nun habe ich eine Wiedererinnerung dieser Tonfolge. Sie läuft noch einmal ab, aber "modifiziert". 1) Jeder Ton, phänomenologisch der ganze ihm entsprechen~e 35 Fluss, hat die Modifikation der "Repräsentation"4, der Ton 1st Allerdings, sollte da gar keine unbestimmte Einordnung doch mitgespielt haben? Auch zur Lehre vom Dingbewusstsein und Zeitbewusstsein. 3 "wahrgenommene" später verändert in "gegenwärtige Einheit". Anm. d. Hrsg. 4 Später eingefügt: "Reproduktion". Anm. d. Hrsg. 1
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kein jetzt seiender, sondern er repräsentiert, es steht etwas gleichsam da (gleichsam Wahrnehmung), das Jetzt ist gleichsam Jetzt, die Dauer ist gleichsam Dauer, die Tonqualität gleichsam Tonqualität etc. 5 2) Die Erfahrungsintentionen, das, was es macht, dass das Jetzt, das erscheint (das gleichsam Jetzt), Vergangenes, ein aktuell Gewesenes repräsentiert. l Ich werde, der Erfüllung dieser Intentionen nachgehend, geführt auf einen Zusammenhang von Erinnerungen (ebenso charakterisierte Komplexe, mit eben10 solchen Repräsentationen und Intentionen, die schliesslich in das akt u elle Wahrnehmungsjetzt "münden" und sich damit einstimmig einigen). Es ist vielleicht auch auf folgendes hinzuweisen: Hat nicht jede Empfindung ihre Intentionen, die vom Jetzt auf ein neues 15 Jetzt und so weiter führen? Die Intention auf die Zukunft. Und andererseits die Intention auf die Vergangenheit. Was andererseits die Erinn~rung anlangt, so hat sie auch ihre erinnerungsmässigen Zukunftsintentionen. Diese sind völlig bestimmte, insofern als die Erfüllung dieser Intentionen (wofern sie überhaupt 20 zu Gebote steht) in bestimmter Richtung läuft und inhaltlich völlig bestimmt ist" während im Fall der Wahrnehmung die Zukunftsintentionen im allgemeit;J.en der Materie nach unbestimmt "ind und sich erst durch die faktische weitere Wahrnehmung bestimmen. (Bestimmt ist nur, dass überhaupt etwas kommen 25 wird.) Was die Vergangenheitsintentionen anlangt, so sind sie andererseits in der Wahrnehmung ganz bestimmte, aber sozusagen verkehrte. D.h. es besteht ein bestimmter Zusammenhang zwischen der jeweiligen Wahrnehmung und der Kette der Erinnerungen, aber so, dass die Erinnerungsintentionen (als ein30 seitig gerichtete) in ihr terminieren. Diese Erinnerungen sind nun selbstverständlich nur Möglichkeiten, sie sind nur ausnahmsweise oder einige von ihnen aktuell mitgegeben mit der Wahrnehmung. Andehrseits aber ist es doch so, dass die Wahrnehmung begabt ist mit entsprechenden Vergangenheitsintentionen, 35 aber leeren, jenen Erinnerungen oder Erinnerungszusammenhängen entsprechend. Einerseits das leere Soeben-vergangen, das seine Richtung hat auf das aktuelle Jetzt; weiter aber auch, wie I
1 Ja, aber was ich leugne, ist, dass man das trennen kann. Es ist völlig unlösIch, und modal ist das Tonphanbasma wesentlich charakterisiert.
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man wohl sagen darf, vage Leerintentionen, die das weiter Zurückgehende betreffen. Sämtlich gerichtet auf das Jetzt. Diese Intentionen werden aktualisiert, bzw. kommen zur Erfüllung dadurch, dass wir sozusagen sprungweise uns in die Vergangen5 heit durch Wiedererinnerung zurückversetzen und nun intuitiv die Vergangenheit uns wiedervergegenwärtigen im Fortschritt bis auf das Jetzt. Das ist also die Kette der einseitig gerichteten zeitlichen In t en tion en (von dem Vor-Jetzt auf das Jetzt und 10 vom Jetzt auf das Künftig). (Die pur e P ha n ta sie hat in ihrer Art modifizierte zeitliche Intentionen, keine Wirklichkeit setzende und demgemäss nicht wirklich zu erfüllende.) Was also die Erfahrungsintentionen anlangt, die es machen, 15 dass das gleichsam Wahrgenommene, gleichsam Jetzt-Seiende und Soeben-gewesene der Erinnerung ein Vergangenes repräsentiert, so gehören sie jenen "zeitlichen Intentionen" an. Aber wie ist dies zu denken? Da ist zunächst wohl ein sehr wichtiger Punkt nachzuholen. 20 Ich sagte oben: Jede Wahrnehmung sei begabt mit zeitlichen Intentionen. Was da beschrieben wurde, waren in der Tat nur Erfahrungsintentionen eigener Art. Ich könnte so sagen. Die Gegenwart war immer aus der Vergangenheit geboren, natürlich eine bestimmte Gegenwart aus einer bestimmten Vergangenheit. 25 Oder besser: Ein bestimmter Fluss spielt sich immer ab, das aktuelle Jetzt sinkt und geht über in ein neues Jetzt usw. Mag es eine Notwendigkeit apriorischer Art sein, so bedingt es doch eine "Assoziation", d.h. erfahrungsmässig bestimmt ist der vergangene Zusammenhang und wieder, "dass irgend etwas' kom30 men wird". Aber nun werden wir doch von diesem Sekundären (dem Komplex der vorhin zeitlich genannten Erfahrungsintentionen) zu dem Originären geführt, und das besteht in nichts anderem als eben in dem Übergang vom jeweiligen Jetzt auf das neue Jetzt. Das gehört zum Wesen der Wahrnehmung, 35 dass sie nicht nur ein punktuelles Jetzt im Blick hat und nicht nur ein Eben-gewesen aus ihrem Blick entlässt und in der eigentümlichen Weise des "eben gewesen" nun doch "noch bewusst" hat (primäre Erinnerung), sondern dass sie von Jet z t zu Jet z t übe r geh t und ihm blickend entgegengeht. Das
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wache Bewusstsein, das wache,Leben ist ein Entgegenleben, ein Leben von jetzt dem neuen Jetzt entgegen. Dabei ist nicht blass und nicht in erster Linie an Aufmerksamkeit gedacht, vielmehr möchte es mir scheinen, dass unabhängig von dem Modus der 5 Aufmerksamkeit (Aufmerksamkeit im engeren und weiteren Sinn) eine originäre Intention von Jetzt zu Jetzt geht, sich verbindend mit den bald unbestimmten, bald mehr oder minder bestimmten Erfahrungsintentionen, die aus der vergangenen Erfahrung entstammen. Diese zeichnen ja wohl die Li nie n der 10 Verbindung vor. Der'Blick des Jetzt auf das neue Jetzt, dieser Übergang, isf aber etwas'Originäres, das künftigen Erfahrungsintentionen erst den Weg ebnet. Ich sagte, das gehöre zum Wesen der Wahrnehmung. Ich sage besser, es gehöre zum Wesen der Impression. Denn 15 zur Wahrnehmung rechnen wir auch das Hinblicken im Sinn der Aufmerksamkeit. Nun soll keineswegs gesagt sein, dass jedes aktuelle Erlebnis in diesem Sinn eine Impression seLl Aber wohl soll es z.B. gesagt werden von jedem "primären Inhalt", von jeder Empfindung. Ein Bewusstsein ist auf den Empfindungsinhalt 20 (den primären Inhalt) gerichtet und ist ihm von Jetzt zu Jetzt entgegengerichtet. 2 Jeder primäre Inhalt konstituiert sich im ursprünglich impressionalen Bewusstsein als Einheit der Dauer und Veränderung. (Dagegen soll nicht dasselbe gesagt sein beispielsweise von diesem Bewusstsein selbst.) Leben wir nun in 25 diesem Einheits'bewus~tsein, so haben wir Aufmerksamkeit. (Bleibt die Frage der Abgrenzungen der sinnlichen Inhalte.) "Phantasma", zunächst primärer Erinnerungsinhalt, smnlicher, besagt die Modifikation: d.h. das entsprechende Bewusstsein der Repräsentation. Also auch hier ein Bewusstsein 30 von (ein "Blick auf")3; das zeitliche Einheit konstituiert. Aber es ist ein "gleichsam Bewusstsein".4 Aber wenn es wirklich Erinnerung sein soll, so gehört zu diesem 1 Den letzten Satz setzte Husserl später in Klammern und bemerkte dazu' siehe untcn". - Anm. d. Hrsg. ." 2 Das geh art zur Konstitution der Einheit des Bewusstseinsinhaltes, dass eine cInhelthche Intention von Jetzt zu Jetzt ubergeht. : ,,(eIn 'Bhck auf')" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg. kbtwas nachtraghch eingefugt: ,,(Nota bene ein aktuelles.) Wichtig zu bemer en 1st hIer, dass notwendig zu dieser aktuellen Reproduktion gehört, dass sie ~n~weder Erinnerung oder Erwartungl ist oder sonstwie ihre UmgebungsintentioD a , zelthche und evtl. zeitlich-räumliche." - Anm. d. Hrsg.
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Gleichsam-Bewusstsein ein Mehr. Die Einordnung in die Vergangenheit. Die Erinnerungsmodifikation besteht darin', dass das gesamte originäre Bewusstsein des betreffenden Momentes voll und ganz seine Modifikation erhält, also die zeitlichen Intentio5 nen, in deren Zusammenhang der impression ale Blick gehört, ganz und gar, und so überhaupt der ganze intentionale Zusammenhang, in den sich jene originäre Impression einfügte und der ihr mit Charakter verleiht. (Also wir müssten sagen, nicht nur im Übergang von Jetzt zu Jetzt, sondern auch in jedem 10 Jetzt besteht Einheit, und die jeweilige Gesamteinheit ist reproduziert: nämlich dem Reproduzierten haftet, wie Intention auf das Kommende, so auf das Gleichzeitige und Gewesene an. Der Charakter der Erinnerung ist diese volle Modifikation.) Damit ist auch gesagt, wie Erinnerungsmodifikation einer 15 Dingwahrnehmung aussieht. Ich müsste sagen Ding-Erscheinung (natürlich impressional). Sie unterscheidet sich von einer Impression von der Art der Empfindung dadurch, dass Empfindung verbunden ist mit gewissen näher zu charakterisierenden intentionalen Komplexen. Zu den Empfindungen rechnen wir nur das 20 Bewusstsein, das Einheit der Dauer und Veränderung der sinnlichen Inhalte konstituiert. Mit diesem verwoben finden wir aber nicht nur diejenigen Intentionen, welche der Erinnerungssphäre im spezifischen Sinn angehören und sich auf das Früher und Nachher dieser Empfindungsgegebenheit und ebenso auf das 25 Zugleich derselben beziehen, sondern es kommen auch die Komplexe motivierter Intentionen in Betracht, welche sich auf die "Wahrnehmungsmöglichkeiten" (auf motivierte Möglichkeiten zeitlicher Zusammenhänge von Empfindungen und zugehörigen Intentionen) beziehen. All das nun repräsentativ modifiziert er30 gibt nicht nur das gleichsam Wahrnehmen (gleichsam Erscheinen) des Dinges, sondern auch das Gleichsam für die Intentionen, welche sich auf den Zeitflusszusammenhang (und sachlichen Zeitzusammenhang) bis zum Jetzt beziehen, also das volle Erinnerungsmässige. 1 35 (Also einerseits: Ich sehe gleichsam das Ding: Und all die In1 All das ist richtig. Die Modifikation ist akt u e 11 e Vergegenwärtigung = Wiederbewusstsein, und zwar, dem Fall der Gewissheit bei der Wahrnehmung e~t sprechend, Gewissheitsmodus in der Wiedererinnerung. Blosse Phantasi~ ab~r Ist eben dasselbe (mit allen möglichen Modis) in Inaktualität. Und damIt stImmt auch alles im Sinn der Beilage ßl und ßz .
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tentionen sind reproduktiv mit den Gleichsam-Empfindungen da, die auf die motivierten Wahrnehmungsmöglichkeiten dieses Dinges sich beziehen. Andererseits: Das Ding gehört in den Ablauf des erinnerten Geschehens hinein. Ich habe es gesehen, inS dem ich damals darauf zugegangen bin, vorher war ich in der Stadt, und dann ging ich hin etc. Und weiter, nachdem ich es gesehen, habe ich das und das getan, die und die Dinge und Vorgänge sind erscheinungsn1ässig abgelaufen: bis zum Jetzt.) Diese Modifikation ist also die des "W i e der be w u s s t10 sei n s", eben der Wiedererinnerung. Diese WiederbewusstseinsIntentionen, die reproduktiven im eigentlichen Sinn, erfahren nun Modifikationen in einem ganz anderen Sinn, die "qualitativen" Modifikationen (belief-Modifikationen). Sie werden herabgesetzt zU ~ eigungen, sie treten in Streit miteinander, sie erfahren Stär15 kung und Hemmung etc. Die "blosse Phantasie" soll jetzt! eine Art Hemmung, und zwar "Aufhebung" dieser Intentionen sein. Ein bestimmtes Vorkommnis in dieser Reihe. Z.B. eine blosse Phantasie eines dauernden Dinges. Das, was zur allgemeinen Dingform gehört, das hat intentionalen Zusammenhang. Aber 20 gerade diesen Zusammenhang habe ich nie erlebt. Er fügt sich in keine Zeitreihe ein, und das nicht als Fiktum bloss, sondern es fehlen ihm die belief-Intentionen, d.h. die in dieser Hinsicht unmodifizierten Intentionen, deren Erfüllung den übergang zum Jetzt fordert. 25 Aber freilich, wie sind' sie zur Modifikation gekommen, oder vielmehr, wie wäre diese Aufhebung genauer zu charakterisieren? Das i'St ja leicht, mit dem Fall fertig zu werden, wo in einen Erfahrungszusammenhang hineinphantasiert wird, wodurch ein Fiktum erwächst, aufgehoben durch standhaltende Erinnerung. 30 (Ich stelle mir vor, dass vorhin das Haus vis-a-vis in Flammen gestanden habe etc.) Aber wirklich fertig? Wir haben da in die
Die Ausführungen dieser Seite lassen eine widerlegende Kritik zu. Das zur Erinnerung gehörige Sich-beziehen auf ein aktuelles Jetzt ist allerdings etwas höchst Wichtiges und Merkwürdiges. Es hat ein offenbares Analogon zur Beziehung jeder Wahrnehmung zu einem aktu15 ellen Hier. Ebenso wie ferner jede Erinnerung auf einen unendlichen Erinnerungszusammenhang hinweist (auch auf den früheren), so weist jede Wahrnehmung auf einen unendlichen Wahrnehmungszusammenhang (und auf eine mehrfältige Unendlichkeit) zurück. (Das Hier ist dabei nicht wahrnehmbar, das Jetzt ist nicht erinnerbar, d.h. 20 in der Erinnerung selbst nicht gegeben.) Wir können nun auch eine Wahrnehmung rein für sich nehmen: ausser Zusammenhang. Aber der Zusammenhang, wenn er auch nicht reell da wäre als Zusammenhang der Wahrnehmung mit weiteren Wahrnehmungen, liegt doch "potentiell" in der Intention. D.h. nehmen wir die volle Wahrneh25 mung jedes Augenblickes, so hat sie noch immer Zusammenhang in der Form, dass zu ihr ein Komplex von bestimmten oder unbestimmten Intentionen gehört, der weiterführt und in der Ausbreitung sich erfüllt in weiteren Wahrnehmungen. Diese Zusammenhangsin ten tionen sind nich t wegzuschneiden. Was die einzelne 30 Empfindung anlangt, so ist sie in Wahrheit nichts Einzelnes. D.h. die primären Inhalte sind überall Träger von Auffassungsstrahlen, und ohne solche treten sie nicht auf, mögen sie noch so unbestimmt sein. 1 Spater eingefügt: "Die blosse Phantasie hat nicht den Modus der Ge~iss heit, nicht den der Neigung, der Aufhebung einer Setzung, kurz, sie hat gar keUle Set z u n gs m 0 d i. Aber alle Setzungsmodi können selbst in der Phantasie vorkommen, eben im Phantasiemodus. Da die Akte hier objektivierende sind, so bildet nattirlich 'Glaubensmodus' den Unterschied zwischen aktueller Vergegenwärtigung und blosser Phantasie. Denn Glaubensmodus ist gar nichts anderes als objektivierender Modus als Aktualität verstanden, und die Phantasiemodifikation des G.laubensmodus, die zum Wesen der objektivierenden biossen Phantasie gehört, ist mchts anderes als dieser Modus in aktuell." - Anm. d. Hrsg.
BEILAGE XXX
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Ebenso ist es in der' Erinnerung. Sie hat in sicH ihren ;,Zusammenhang", d.h. als Erinne1rung hat sie ihre Form, die Wir beschreiben als vorwärts und rückwärts geric,htete intenti 0 n ale Mo m e n t e: aber ohne solche kann sie nicht sein. Ihre Er5 füllung fordert Reihen von Erinnerungen, die im aktuellen Jetzt münden. Es ist nicht richtig, dass wir scheiden können die Erinnerung für sich, abgesehen von den Intentionen, die sie mit anderen verbinden, und diese Intentionen selbst. Die Erinnerung für sich, die angebliche blosse Phantasie, hat schon diese Intentionen. Sagt man 10 aber: Die Erinnerung ist doch Erinnerung an ein früheres Jetzt, eine qucsi-Wahrnehmung, so und so einen zeitlichen Ablauf zum Wiederbewusstsein bringend, warum sollte man aber nicht das ganze Phänomen festhalten und die eigentlichen Erinnerungsintentionen beiderseits wegschneiden können: Was wäre da zu antworten? Vielleicht so: 15 Die Wahrnehmung selbst, der "originäre" Akt, hat nicht nur seine R ä u m I ich kei t s zusamm en häng e (auf Raumkonstitution bezügliche), sondern auch seine Zeitlichkeitszusammenhänge. Jede Wahrnehmung hat ihren retentionalen Hof und ihren protentionalen. Auch die Modifikation der Wahrnehmung muss 20 in Modifikations')'eise diesen doppelten Hof enthalten, und was die "bIosse" phan t asie von der Erinnerung un terscheidet, ist, dass einmal dieser ganze intentionale Komplex den Charakter der Aktualität hat, das andere Mal der Inaktualität. Damit wird allen phänomenologischen Anforderungen Rechnung 25 getragen und werden alle Verlegenheiten beseitigt. Also nur als Apo r i e ist das im Text Gesagte verwendbar. Offenbar überträgt sich das Gesagte auch auf die Elemente der Phantasien und Erinnerungen bzw. auf die Empfindungselemente der Wahrnehmungen. Auch da ist der Hof unerlässlich. 30 Die Theorie, welche übrigens die blosse Phantasie in aufgehobene Erinnerung verwandeln will, wird sich gar nicht begründen lassen. Nach Durchsicht der weiteren Blätter finde ich, dass die neuere Auffassung, die ich in diesem Beiblatt ausführte, in der Tat völlig ausreicht.
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BEILAGE XXX ERINNERUN~, VERGEGENWÄRTIGUNG VON ABSOLUTEN
:;'INNLICHEN DATEN UND VON SINNLICHEN GESTALTEN
<wohl 1909>
V"enn ich mich einer Melodie erinnere, hat da nicht auch jeder ein-
40 zeIne Ton mit seiner Qualität und Intensität Erinnerungscharakter,
also den Charakter der thetischen Vergegenwärtigung? Wenn aber beliebig ein Anfangstakt der Melodie in beliebig ver-
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BEILAGE XXX
schobener Tonhöhe'(etwa trIO Tonhöhe) angeschlagen wird, und nun rollt die Erinnerung der Melodie ab, dann hat das Ganze den Charakter der Erinnerung, und der Charakter geht durch alles hindurch. Liegt darin wirklich, dass ich meinen muss, das sinnliche Material 5 in seinem qualitativen und intensiven Charakter schon gehabt zu haben? Ich kann ja willkürlich hier verschiedene Tonhöhen wählen und Erinnerungen in verschiedener Höhenlage erzeugen. Immer sage ich ja, es ist dieselbe Melodie, und ich erinnere mich ihrer. Vgl. dazu Humes Selbsteinwand gegen die Lehre, dass jede Idee 10 auf eine Impression zurückweise: Qualitäten als Ergänzungen in kontinuierlichen Übergängen etc. Jedenfalls liegen hier Pro b 1e m e.
Nr. 8
5
,
I
,
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(Abschrift und Verbesserung <wohl Sommer oder Anfang Herbst 1909»
Was ist die Quelle/der immer aufs neue wiederholten und immer wieder misslingenden Versuche zu einer Aufklärung des Verhaltnisses von Wahrnehmung und Phantasie, oder 10 vielmehr die Quelle des Mi s s 1i n gen s dieser Versuche? Ich denke dies! Ich habe nicht gesehen (und man hat überhaupt nicht gesehen), dass z.B. bei der Phantasie einer Farbe nicht etwas Gegenwärtiges, nicht ein Erlebnis Farbe gegeben ist, das dann für die wirkliche Farbe repräsentiert. Wonach Empfin15 dung'ifarbe und Phantasmafarbe,in sich ein und dasselbe wäre, nur mit verschiedener Funktion behaftet. Ich hatte das Schema Auffa 'isungsinhalt und Auffassung, und gewiss hat das einen guten Sinn. Aber nicht haben wir, zunächst im Fall der Wahrnehmung, in ihr als dem konkreten Erlebnis, eine Farbe als Auffassungs20 inhalt und dann den Charakter der Auffassung, der die Erscheinung macht. Und ebenso haben wir im Fall der Phantasie nicht wieder eine Farbe als 'Auffassungsinhalt und dann eine geänderte Auffa'i'iung, diejeni§e, die die Phantasieerscheinung macht. Viel m eh r: "B ewuss ts ein" besteht d urc hund 25 durch aus Bewu.sstsein, und schon Empfindung so wi e Ph an t asma is t "B ewuss ts ein". Und da haben wir zunächst Wahrnehmung als impression ~ 1e s (originäres) Gegenwartsbewusstsein, Selbstda-Bewusstsem u.dgl. und Phantasie (in dem Sinn, in dem Wahrnehmung
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der Gegensatz ist!) als das reproduktiv modifizierte Gegenwartsbewusstsein, Bewusstsein des gleichsam Selbstda, des gleichsam Gegenwärtig, der Gegenwartsphantasie. (Gegenwärtig ist ein Individuum, es ist jetzt und dauert seine 5 Weile etc.) Wir können nun Wahrnehmung, wenn es transiente, äussere Wahrnehmung ist, analysieren und finden in ihr "Empfindung von Farbe"; wir finden dann ein Bewusstsein, das in der Einstellung, die wir jetzt haben, Wahrnehmung (Meinung) Von "Farbe" ist, ein Bewusstsein, in dem der und der Farbeninhalt 10 da, gegenwärtig (mir gegenüber) ist. Ich schrieb "Farbe" und sagte auch Farbeninhalt. Denn das ist nicht gegenständliche Farbe, Eigenschaft eines Dinges, sondern ein "Inhalt", in dem sich vermöge der Funktion die Eigenschaft Farbe "abschattet". Immerhin, mag auch, wie evident ist, dieses Moment Farben15 abschattung etwas anderes sein als Farbe, so ist es doch ein Selbstda1 , in der vollen Wahrnehmung, die wir jetzt üben, als Gegenstand ein Gesetztes. In der Empfindung haben wir ein "Bewusstsein" von dieser Abschattung, aber nicht eine Wahrnehmung. Aber immerhin haben wir auch hier zu sagen: Es ist nicht 20 die Abschattung selbst ein Bestandstück der äusseren Wahrnehmung, sondern eben die Empfindung, d.h. ein Bewusstsein von dieser Abschattung. 2 Es ist nicht volle WahrnehmungS, aber im Kern mit ihr verwandt, es ist Bewusstsein von, obschon nicht ein als Objekt Sich-gegenübersetzen. 25 Die Empfindung ist Unterlage für das Bewusstsein "Auffassung als", "Erscheinung von" einem Haus, das farbig ist. Dieses Auffassungsbewusstsein und das ganze Erscheinungs-Bewusstsein ist wieder ein impressionales, ein unmodifiziertes. Wir können vielleicht sagen: Wenn mir das Haus dasteht, 30 aber ich nicht darauf achte, dann ist das Bewusstsein der Wahrnehmungserscheinung so vollzogen, wie vorhin die Empfindung (z.B. innerhalb der normalen Wahrnehmung). Zur normalen und vollen Wahrnehmung pflegen wir zu rechnen das im eigentlichen Später eingefügt: "Selbstgegenwärtig (zeitlich)". - Anm. d. Hrsg. Das darf aber nicht missverstanden werden. Die Abschattung, der "Inhalt" als "Bestandstück des Bewusstseins" ist eine Ein h e i t, die sich erst im Fluss der let:z;ten Fluenten konstituiert; er ist nicht absolut, sondern Bewusstsein von ihm, und das nennen wir Empfindung von ihm. . . 3 "vVahrnehmung" später in Anfuhrungszeichen gesetzt und über der Zelle emgefügt: "Meinung". - Anm. d. Hrsg. 1
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Illt
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Sinn zum Objekt Haben, diesem Zugewendetsein, es als Subjekt für Prädikate Ansetzen usw. 1 Danach gebe ich also die Identifikation von Empfindung und Empfindungsinhalt (die ich in den Logischen Untersuchungen vollzogen, habe) wieder auf 5 und kehre ich zu der Ansicht zurück, dass Empfindung lind Wahrnehmung prinzipiell auf einer Stufe stehen, dass jede Empfindung Wahrnehmung' ist, nur nicht volle Wahrnehmung. 2 Oder dass wir bloss unterscheiden müssen das noch nicht "wirklieh objektivierende" impressionale Bewusstsein von, und zwar 10 Bewusstsein des Selbstda3, und das objektivierende4, in dem sich ein Aufmerken und Subjektsetzen noch vollzieht. Dem allem steht nun die reproduktive Modifikation gegenüber. Der Empfindung steht gegenüber das Phantasma. In dem letzteren steht die Farbenabschattung "gleichsam" da. Der 15 Dingwahrnehmung steht gegenüber die Dingphantasie als das Bewusstsein des gleichsam SelbstdaS des Dinges. So wie wir in,der Wahrnehmung den Auffassungsinhalt Farbenabschattung hatten für die objektive Farbe (dingliche), so haben wir in der Phantasie den Auffassungsinhalt Farbenabschattung 20 für die objektive Farbe'. 'Dasselbe beiderseits. Aber der Auffassungsinhalt ist einmal empfindungsmässig ("wirklich"), das andere Mal phantasiemässig ("gleichsam") bewusst. Und was die Auffassung anlangt, so ist sie einmal wirkliche perzeptive Auf-
1 Vor "es als Subjekt für, Prädikate Ansetzen usw." hat Husserl später eingefügt: "darauf gnindet sich,evtl." und diesen ganzen Satzteil in Klammern gesetzt. - Anm. d. Hrsg. 2 Der letzte Satz wurde, wohl schon kurz nach der Niederschrift, wie folgt verändert: "Danach gebe ich also die Identifikation von Empfindung und Empfindungsinhalt (die ich in den Logischen Untersuchungen vollzogen habe) wieder auf? In gewisser Weise ja. Muss ich damit zu der Ansicht zurückkehren, dass Empfindung und Wahrnehmung prinzipiell auf einer Stufe stehen, dass jede Empfindung Wahrnehmung ist, nur nicht volle Wahrnehmung, sofern Aufmerken oder Meinen fehlt?" Wohl gleichzeitig mit dieser Veränderung ergänzte Husserl den Text am Rande wie folgt, strIch die Erganzung aber später wieder durch: "Das scheint aber noch keineswegs gefordert. Ob das, 1tas die Einheit des Inhalts konstituiert, so etwas wie Apperzeption ist, ja ob man Überhaupt sagen kann, jeder Inhalt sei als ein Inhalt bewusst, auch wenn er nicht wahrgenommen wird? Das ist sicher, dass die Erscheinung innerhalb der normalen Wahrnehmung und all ihre Komponenten, die Farbenabschattung e~c. wirklich als Einheiten dastehen, wenn auch in ihnen das allein gemeinte transle.nte ~bjekt erscheint. Ist nicht ebenso ein Gefühl, eine Trauer, ein Wunsch, ein llle , eme Prädikation etc. eine Einheit? Und gibt es dann eine Grenze ?". - Anm. d. rsg. , 3 "Selbstda" später in "Selbstgegenwärtig" verändert. Anm. d. Hrsg. • Spater eingefügt: "meinende". - Anm. d. Hrsg.
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fassung, das andere Mal quasi perzeptive Auffassung (die reproduktive Modifikation). Auffassung ist hier verstanden als das Auffassen. Oben sagte ich ausdrücklich Auffassungsbewusstsein Bewusstsein von Erscheinung. Nämlich es scheint, dass wir sage~ 5 müssen: So wie der Empfindung der Empfindungsinhalt entspricht, so dem Auffassen die Auffassung, dem Bewusstsein der Erscheinung die Erscheinung. Die Wahrnehmung wäre danach Empfindungsbewusstsein hinsichtlich der Erscheinung. In der Tat kann ich wie den Inhalt "Farbenabschattung" so die Er10 scheinung zum Objekt machen. Im Fall der Phantasie habe ich das modifizierte Bewusstsein (Phantasma) von Erscheinung, Auffassung. Daher finde 'ioh in der Analyse Auffassungsinhalte und Auffassung (Erscheinung) als phantasierte, als gleichsam daseiende. 15 Die Auffassung der Phantasie ist dieselbe wie die Auffassung der Wahrnehmung. D.h. im Wesen ist Wahrnehmungs auffassung und Phantasieauffassung dieselbe, genauso wie wahrgenommene Farbe und phantasierte Farbe. Darin liegt, Wahrnehmungs- und Phantasiebewusstsein fun20 dieren hier ein Identitätsbewusstsein (und zwar ein evidentes). Natürlich kann ich vom Phantasiebewusstsein1 selbst wieder eine Wahrnehmung haben, es zum Gegenstand machen; es steht dann als gegenwärtiges Erlebnis da. Analysiere ich Phantasiebewusstsein (ein Phantasma), so finde 25 ich nicht eine Farbe und sonst dergleichen, sondern ich finde wieder Phantasiebewusstsein. Genauso wie ich beim Wahrnehmungsbewusstsein analysierend immer wieder Wahrnehmungsbewusstsein finde. Phan t asie is t eben durch und durch Modifikation, und anderes als Modifikation kann 30 sie nicht enthalten. Diese Modifikation ist als solche Erlebnis, ist Wahrnehmbares, und die Wahrnehmung dieses Erlebnisses hat dann selbst wieder ihre Mödifikation. Phantasie ist durch und durch Modifikation: Sie ist Phantasie 35 von Farbe, von Auffassung. Bei inadäquaten 2 Phantasien: ein verblasstes, lückenhaft schwankendes Rot mit fliessenden For1 Nachträglich eingeftigt: "besser Phantasma (als einheitlicher Inhalt)". d. Hrsg. 2 "inadäquaten" später verändert in "transienten". Anm. d. Hrsg.
Antll.
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men etc. Aber all das ist auch Phantasie, die fliessenden Formen phantasierte Formen etc. Genauso wie, wenn ein verwaschen, unklar etc. sich darstellendes Wahrnehmungsobjekt wahrgenommen ist, die Wahrnehmung durch und durch Wahrnehmung ist: 5 Freilich, da stellen sich Wahrgenommenheiten dar, die nicht dem Gegenstand selbst "zugedeutet" werden, aber durch sie hindurch "meinen wir" wahrnehmend (und ebenso im parallelen Fall phantasierend) das Nicht-Verwaschene, Nicht-Schwankende etc. Nicht zu verwechseln:! Blosse Phantasie und Vergegenwärti10 gung. Wahrnehmung Phantasie ist nicht der Gegensatz von Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, denn Vergegenwärtigung ist ein impressionaler Akt, der wieder seine Modifikation hat. Phantasie ist gleichsam Gegenwärtigung; Vergegenwärtigung, das sind die verschiedene,n Formen der Erinnerung, die wieder 15 ihre Modifikationen haben. Gleichsam erinnern, ebenso gleichsam bildlich vorstellen. Das 2 Gleic/hsam ist der Charakter der Reproduktion. Gleichsam Wahrnehmu.ng der Charakter der Phantasie im engeren Sinn. Doch kann man sagen, dass "Phantasie" gewöhn20 lich ein weiterer Begriff ist = intuitive Reproduktion.
1 Der Text dieses Absatzes wurde später mehrfach durchgestrichen und am Rande mI; emem Deleaturzeichen versehen. _ Anm. d. Hrsg. d Der Text dIeses Absatzes steht in Längsrichtung am Rande der Mannskriptseite un Wurde wohl etwas nachträglich eingefügt. - Anm. d. Hrsg.
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IMMANENTE UND INNERE PHANTASIE (IN DOPPELTEM SINNE). PHANTASIE UND WAHRNEHMUNG. <WAHRNEHMUNG ALS VORSTELLUNG, PHANTASIE ALS MODIFIKATION VON VORSTELLUNG> (September 1909)
Bei der immanenten Analyse kommen wir darauf zu sagen, dass das "immanente Rot", der immanente Ton ein absolut Ge10 gebenes sei. Gehen wir dann auf den Zeitfluss zurück, so werden wir zu sagen genötigt sein, der dem immanenten Ton entsprechende F I u s s sei ab sol u t, sei Bewusstseins-Sein. Und zwar, wenn wir auf den Ton nicht hinblicken und ihn nicht immanent setzen, so sei nichts anderes als dieser Fluss und darin sei das 15 Jetzt-Moment des Tones selbst absolutes Sein, während hinsichtlich der zu demselben Jetzt gehörigen Vergangenheitsphasen eine Art von Darstellung, ein Bewusstsein von, das Absolute sei. Stellen wir nun folgende Überlegung an. Wenn wir P h a n t asie (immanente) von dem Ton vollziehen, so steht gleichsam da 20 dieser Ton. Was wir wirklich gegeben haben oder uns zu wirklicher Gegebenheit bringen können, ist Phantasie von dem Ton. Während in der immanenten Wahrnehmung der Ton selbst Erlebnis ist (genauer, das Ton-Jetzt), ist in der immanenten Phantasie nicht der Ton, sondern das Tonphantasma, die Tonmodifi25 kation Erlebnis (bzw. das entsprechende Toninhaltsmoment im phantasierten Jetzt). Nun finden wir aber das Merkwürdige, dass wir hier noch eine zweite immanente Phantasie haben: Nämlich während die Phantasie vom Ton als immanente Modifikation
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vom Ton ist, ist sie zugleich Modifikation von der Wahrnehmung des Tones. Wie kann eine und dieselbe immanente Phantasie zugleich Phantasie vom Ton und Phantasie von der Wahrnehmung des 5 Tones sein? Aber das ist ein blosser Reinfall. Dieses Ineinander gilt nur bei transienten Phantasien, als ModifikatIOnen von t r ans i e nt e n Wahrnehmungen. Das Eigentümliche der transienten Wahrnehmungen ist, dass SIe sich auf ihre Gegenstände durch Erscheinungen beziehen. Die 10 Erscheinung in sich selbst ist selbst Darstellung eines Gegenstandes, der von ihr verschieden, nur durch sie abgeschattet, darge"tellt ist. Diese Wahrnehmungserscheinung ist Erlebnis und stellt dar, bezieht sich auf den transienten Gegenstand, ob wir auf sie hinsehen oder nicht. Also vor dem Hinsehen haben wir 15 schon zweierlei, Erscheinung und (intentionales) Objekt. Andererseits, wenn wir von der immanenten Wahrnehmung, etwa der eines Tones, ausgehen, so haben wir hier nicht vermittelnd eine Tonerschefuung, die schon vor dem immanenten Wahrnehmen Erlebnis sein könnte. Der immanente Ton und die Ton20 erscheinung ist hier einerlei. (Auch ist das Problem, ob denn nicht auch die immanenten Objekte, sei es überhaupt, sei es in gewissem Umfange, schon konstituierte "Objekte" sind, nur nicht gemeinte Objekte. Wir hatten dann etwa immanente Auffassungen (Erscheinungen) und 25 transiente zu unterscheiden. Und zu sagen: Bei der transienten Wahrnehmung vermittelten zwei Erscheinungen, nämlich die transiente Erscheinung sei immanent erscheinende und zugleich als transiente auf das Objekt bezogene, und im Fall normaler Wahrnehmung gehe die Meinung durch diese transiente Er30 scheinung hindurch.) Jedenfalls ist der Unterschied klar: Die immanente Wahrnehmung 1st schlichte Richtung auf das immanente Objekt. Die tranSIente Wahrnehmung ist eine Meinung, die sich gründet auf eme transiente Etscheinung und "durch sie hindurchgeht", aber 35 nIcht auf sie selbst hingeht. Bei der Modifikation haben wir dann: Phanta'oie von der Richtung auf das Objekt, Phantasma des Tones und des den Ton Meinens durch das Phantasma hindurch. Und Phantasie des das Haus Meinens == Phantasiemodifikation de.., zugrundeliegenden Erscheinens und des transienten DurchI
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gehens der Meinung. Sehen wir aber von der Richtung ab, so haben wir Phantasiemodifikation vom Ton (d.i. Phantasiemodifikation des den Ton konstituierenden Bewusstseinsflusses) und andererseits Phantasiemodifikation von der Hauserscheinung (die selbst wieder sich konstituiert in einem Bewusstseinsfluss). Die Hauserscheinung ist "Hauswahrnehmung" in einem Sinn: nämlich abgesehen von der Meinung. 1
* Aber wenn ich auf das Tonphantasma hin blicke, so ist dies doch Phantasiemodifikation des auf den Ton wahrnehmungs10 mässig Hinblickens : wie die Reflexion herausstellt. Auf den "Ton der Phantasie" hinblicken, ihn in einer Phantasievorstellung als Objekt vorstellen, das ist doch ihn gleichsam hören. Das Hinblicken gibt sich als nicht wirkliches, sondern selbst als Phantasie-Hinblicken. 15 Ebenso auf das Haus in der Phantasie hinblicken, d.h. das Haus zum 0 b j e k t einer Phantasievorstellung machen, das ist Phantasiemodifikation von dem das Haus Wahrnehmen im vollen Sinn: wie ebenso die Reflexion herausstellt. 2 Es ist eben "gleichsam das Haus sehen". Das Hinblicken auf das Haus, das sich als 20 Phantasievorstellung vom Haus konstituiert, gibt sich nicht als wirkliches, sondern als Phantasie-Hinblicken. Nur dass ich hier die Hauserscheinung vorfinde, als quasi-Hauserscheinung, nämlich Modifikation (Erscheinungs-Phantasma), oben aber finde ich den Ton vor, als quasi-Ton, als Tonmodifikation (Tonphantasma). 25 Also habe ich bei der immanenten Phantasievorstellung folgendes: Immanente Reproduktion (Phantasiemodifikation ohne Meinung) ist nichts Doppeltes. Es ist einfach Phantasma (immanentes Tonerscheinungs-Phantasma). Aber immanente Phantasievorstellung als Rich t ung auf das Phantasie-Objekt hat 30 den Charakter einer (immanenten) Reproduktion der immanenten Wahrnehmung des betreffenden Objekts (Ton).3 1 Hauswahrnehmung = impressionale Erscheinung oder, wie ich auch sagen'kann: Erscheinungs-Impression. 2 Hauswahrnehmung im zweiten Sinn. S Offenbar wird dadurch der Begriff der "inneren Phantasie" und Reflexion in der Phantasie doppeldeutig. I) Phantasie-Hinblick auf die Hauserscheinung (Wahrnehmung im ersten Sinn), 2} auf die Wahrnehmung als volle Meinung.
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Transiente Reproduktion (d.h. Reproduktion einer transienten Erscheinung ohne Meinung, die auf sie oder ihr Objekt gerichtet \v:ire) = transientes Erscheinungs-Phantasma ist in sich Reproduktion einer Wahrnehmungserscheinung, d.h. einer solchen Er5 scheinung, wie sie der transienten Wahrnehmung zugrundeliegt. Da~s zu ihrem Wesen ferner gehört, Erscheinung von einem transienten Objekt zu sein, ist ein zweites (beides stellt anschliessendes Urteil fest). Die Richtung auf das erscheinende Objekt, die gegeben ist als Phantasievorstellung vom Erscheinen10 den (Haus), hat nun wieder das Eigentümliche, dass sie Reproduktion der Wahrnehmungs-Meinung, Wahrnehmungs-Richtung auf das transzendente Objekt ist. K un ist es noch wichtig, phänomenologisch klar zu bestimmen, was die Meinung ist gegenüber Erscheinung. 15 Ist es richtig, das Sich-konstituieren des immanenten Objekts (des dauernden Tones) im Fluss der immanenten Zeitlichkeiten, ab g e s ehe n von der Meinung, durch die erst der Gegenstand zum Ge gen stande wird, auf eine Stufe zu stellen oder als der Hauptsache nach analog aufzufassen mit dem Sich-konstituieren 20 des äusseren (transienten) Objekts im Flusse der Erscheinungen im gewöhnlichen Sinn, wiederum ab g e se h e n von der Meinung des Objekts; s6 haben wir bei jeder Wahrnehmung zu unterscheiden Erscheinung und Meinung, bei der immanenten schlicht, bei der transzendenten fundiert: Eine immanente Erscheinung 25 hat ein Objekt, das zugleich Erscheinung eines transzendenten Objekts (differenzierend könnte man sagen, ein immanent konstituierter Inhalt, ein Phänomen, ist Erscheinung für ein transientes Objekt. Die Momente. des Flusses würden wir nicht Phänomene, sondern Fluenten nennen). Nun ist aber das Pro30 blem, ob 1\1 ein u n g nur ein hintretendes Moment ist oder eine eigentümliche Beseelung, kurzum, was das ist und leistet und zumal, wie das zum Urteil, belief sich verhält. Und ebenso bei der Phantasie, wo die Meinung modifizierte Meinung ist und doch Trägerin ~on Urteilen, deren Charakter dann in Frage ist. 35 \\'ie wäre es, gegenüberzustellen Impression und Phantasma? Impreosion als das immanent objektivierte (aber nicht gemeinte} Erlebnis, der Akt als Phänomen. Phantasma seine Phantasiemodifikation : also Phantasie von ihm. Auch als Phänomen genommen. Wille = Willensimpression - Willensphantasma, etc.
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Angeblich immanente Auffassung, Erscheinung. Phantasieerscheinung keine Erscheinung, Phantasievorstellung keine Vorstellung, wenn Wahrnehmungsvorstellung Vorstellung von ihrem Gegenstand ist
Es tut doch nicht gut, von immanenter neben transienter Erscheinung oder gar Auffassung zu sprechen. Wir sprechen von Inhalten, die Auffassung erfahren, und Von Inhalten in und mit ihrer Auffassung, und das mache die Erscheinung aus. Statt Auffassung sagte ich auch Repräsentation, 10 Apperzeption, das alles sind missdeutliche Ausdrücke. Behalten wir mal Apperzeption bei, so ist doch zu beachten, dass Apperzeption (diese "Auffassung") noch nicht Meinung in sich schliesst, dasjenige, wodurch ein Gegenstand als Gegenstand (worüber) dasteht. Und ebenso die konkrete Erscheinung. 15 Inhalte erfahren Auffassung (Apperzeption): Inhalte sind da schon konstituierte, individuelle Einheiten. Z.B. eine gewisse so und so dauernde Farbenabschattung, ein Toninhalt in der und der Qualität und Intensität dauernd oder sich verändernd etc. Und die Auffassung, die sie erfahren, ist etwas zu den Inhalten 20 (wenn auch nicht äusserlich) Hinzukommendes, evtl. Wechselndes: selbst wieder ein Inhalt, eine Einheit in dem angegebenen Sinn, nur von ganz anderer Artung. Wie soll nun von "immanenter Auffassung" und "E r sc h ein u n g" geredet werden? 25 Wenn ich auf einen immanenten Inhalt hinsehe und ihn als Gegenstand setze, so ist vor allem das Hinsehen und Setzen auszuschliessen, da wir es auch dort bei der transienten Erscheinung und Apperzeption ausgeschlossen hatten. Haben wir hier nun wieder Inhalt und Auffassung vor der Meinung (dem 30 Hinsehen)? Da ist also ein radikaler Unterschied. Transiente Auffassung und Erscheinung ist Inhalt, beseelt durch Auffassung, die ein neuer Inhalt ist. Bei "immanenter Erscheinung" finden wir keinen Inhalt und beseelenden Charakter abgesehen von der Meinung. Inhalt und Erscheinung ist da einerlei, d.h. 35 aber nicht, dass hier auch so etwas wie Apperzeption, Auffassung vorkommt. Ist! bei im man e n t er Wahrnehmung von Auffassung keine 5
1 Später bemerkte Husserl zum Text dieses und des folgenden Absatzes am Rande: "Zur Darstellung". - Anm. d. Hrsg.
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Rede (oder, was also dasselbe ist, von Apperzeption), so ist gleich hinzuzufügen, dass auch bei immanenter Phantasie davon keine Rede ist. Innerhalb der Phantasie ist von Apperzeption nur die Rede im modifizierten Sinn, nämlich als modifizierte Auffassung 5 (z.B. Phantasieauffassung von Haus). Grundverkehrt wäre es natürlich, bei einer Phantasievorstellung von immanentem Rot, also in Beziehung auf Rotphantasma, von Auffassung zu sprechen, etwa gar so, als ob ein Modus der Auffassung eines Rotinhaltes Wahr10 nehmung von Rot (Wahrnehmungsauffassung von Rot) ergäbe und ein anderer Modus desselben Inhaltes Phantasieauffassung. Man darf immer nicht verwechseln Auffassung und Meinung und <muss> daran denken, dass ein erlebter Inhalt natürlich nur in immanenter Wahrnehmung gemeint und in Form transien15 ter Wahrnehmung, oder besser Erscheinung, aufgefasst werden kann. Dagegen nicht aufgefasst werden kann in Form immanenter Phantasie (was keinen Sinn gibt) oder transienter Phantasie. Dar alles gibt keinen Sinn. Denn, wird ein Inhalt als etwas aufgefasst (apperzipiert), so ist der Auffassungs20 charakter ein neuer Inhalt, und das Ganze aus beiden ist kein Phantasma. Ein Phantasma ist nicht ein Charakter, der sich an ein Nicht-Phantasma anschliesst, ein dazutretender weiterer Inhalt, sondern Phantasma ist Mo d i f i kat ion von, und es ist zu sagen: dass jedes Phantasma durch und durch Phantasma 25 ist. Phantasieauffassung is nicht Auffassung, sondern Phantasie. Oder wenn wir deutlicher sprechen: Auffassungs-Phantasma ist nicht Auffassung, sondern Phantasma. Oder Phantasma von Auffassung. So ist auch Rotphantasma nicht Rot und etwas dazu, sondern ganz und gar nicht Rot, sondern etwas, 30 das Rot "vorstellt". Dieses Vorstellen darf man aber nicht zusammenwerfen mit dem Vorstellen in dem Sinn, in dem etwa eine Wahrnehmungserscheinung Erscheinung von einem Haus ist und das Haus vorstellt. Nennt man letzteres Vorstellung, so ist das Rot-Vor~ellen im Sinn der Phantasie kein Vorstellen, 35 sondern eben Modifikation von Vorstellen, Phantasma davon. So darf man also nicht Phantasievorstellung und Wahrnehmungsvorstellung auf gleicher Stufe behandeln. Ist Wahrnehmungsvorstellung Erscheinung, so ist "Phantasievorstellung" quasiErscheinung, gleichsam Erscheinung etc.
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DIE GLAUBENSMODIFIKATIONEN : GLAUBE (GEWISSHEIT), NEIGUNG, ZWEIFEL ETC. IN DER SPHÄRE DER SCHLICHTEN INTUITION. 1 <wohl Herbst 1909>
In den Vorlesungen 2 habe ich studiert das Verhältnis zwischen Phantasievorstellung, Wahrnehmung, Bildvorstellung als illusio10 närer Vorstellung, bildlich-symbolischer Vorstellung. Auf die "qualitativen Momente", auf die Modi des Glaubens, Zweifelns, etc. habe ich dabei keine Rücksicht genommen, obschon diese doch eine wichtige Rolle spielen. Allgemein habe ich schon in den Logischen Untersuchungen zu scheiden gelS sucht zwischen "qualitativer Modifikation" und "imaginativer Modifikation".3 Der letztere Titel erweist sich als unpassend, da ich zu erkennen meinte, dass Phantasieauffassung und eigentliche Bildauffassung wesentlich zu scheiden seien. Inzwischen habe ich erhebliche Fortschritte gemacht, habe erkannt, dass 20 Phantasieauffassung keine eigentliche Auffassung ist, sondern einfach die Modifikation der entsprechenden Wahrnehmungsauffassung, dass Bildauffassung als Illusion durch Streit aufgehobene Wahrneh1 Eng Zugehöriges in (MA), welches in der Manuskriptgruppe der Strukturen des Bewusstseins liegt . . 2 Husserl durfte sich hier auf den oben als Nr. 1 wiedergegebenen Vorlesungstell aus dem Wintersemester 1904/05 beziehen. - Anm. d. Hrsg. 3 Vgl. Logische Untersuchungen, 2. Teil, V. Untersuchung, §§ 39 und 40. Anm. d. Hrsg.
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mungsauffassung ist, wobei das "Aufheben" Sache der Qualifizierung ist und voraussetzt "Wettstreit" oder "Sich-durchdringen" von einfachen .kuffassungen, d.h. von Dingauffassungen. Das alles werde ich neu studieren müssen, obschon das Wesent5 liehe wohl schon gewonnen ist, nur dass es sorgfältiger Darstellung und Präzisierung bedarf. Ich werde zunächst behandeln müssen Wahrnehmung und P h a n ta sie. Ich muss von vornherein diese Gegenüberstellung machen, weil ja Erinnerung, Erwartung Phantasie10 erscheinungen enthalten. Ebenso muss von vornherein die symbolische Auffassung als leere und als verbildlichende herangezogen und <müssen> vereinzelte leere Intentionen beschrieben werden. Es wird in eine Reihe gestellt werden müssen normale Wahrnehmung, Illusion, Wahrnehmung im Modus der Neigung 15 und des Zweifels, Anmutung und Vermutung. Symbolisch fungierende Illusion (Bildvorstellung) und als äusserliches Zeichen fungierende Wahrnehmung oder Illusion. Die Reihe von Modifikationen, welche das gemein haben, dass sie "Wahrnehmungserscheinungen" enthalten. 20 Dann die Reihe von Modifikationen, welche Phantasieerscheinungen enthalten. Doch über die Ordnung der Darstellung wird es elgener Überlegungen bedürfen. W a h r ne h m u n gen und intuitiv schlichte Akte, die Wahrnehmungserscheinungen enthalten. 25 1) Die normale W3.hrnehmung. Dn-bestritten. Modus der Gewissheit. 2) Zweifelnde Auffassung. Ist das Freund Hans oder jemand anderer? Ist das ein Hund oder ein Fuchs? Zwei Wahrnehmungsauffa -,sungen: aber nicht normale Wahrnehmungen. Im Ver30 gleich mit der normalen Wahrnehmung haben sie beide eine gewisse ::\Iodifikation: nämlich hinsichtlich des belief-Modus. Der ZweIfel SE'tzt voraus einen "Widerstreit sich durchdringender Auffac,sungen", dabei aber gemeinsame Wahrnehmungsmomente, einen geme1nsamen Empfindungsbestand und einen gewissen 35 gemeinc,amen Wahrnehmungsbestand in der Auffassung. Schon hm-,ichtlieh der Dingform. Ebenso kann streiten eine Wahrnehrnunge.,auffassung mit einer bildlichen (abbildenden) Auffassung: So der Streit Puppe oder Mensch, Puppe ist Bild eines Menschen.
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Hier haben wir also "Sich-durchdringen" von Auffassungen. Hinsichtlich der Glaubensmodi eine "Glaubensneigung" , eine Anmutung für jede Seite. Verschiedene Stärke der Anmutung. Evtl. eine Gewissheitsentscheidung für die eine Seite, trotzdem 5 für die andere eine A~mutung verbleibt. Oder blosse Vermutung für die eine Seite, Überwiegen der Anmutung und ihr Nachgeben, nicht in Gewissheit, sondern in Vermutung. Es kann aber ein unausgeglichener Zweifel, und zwar als Bewusstsein des "das oder das?" verbleiben. Die Zweifelsfrage. 10 Wir haben also hier zu beachten a) einmal das Vorkommnis der sich "durchdringenden" Wahrnehmungserscheinungen, Wahrnehmungserscheinungen im Wettstreit. b) Andererseits die qualitativen Modifikationen. Jede der Erscheinungen mindestens als "Möglichkeit" dastehend (An15 mutung), dazu aber die verschiedenen Gewichte, die zu den Möglichkeiten gehören (verschiedene Stärke der Anmutungen), weiter die Entscheidungsphänomene, das Sich-entscheiden nach Schwanken oder Zweifeln, und das "zweifellos" erfolgende Entschiedensein : Phänomen der Gewissheit mit verschieden starken 20 Gegenanmutungen (sachlichen Gegenmöglichkeiten), Phänomen der Vermutung, wo die Gegenmöglichkeiten festgehalten, nicht abgelehnt, nicht beiseite geschoben werden. l Das spielt auch seine Rolle bei der Entscheidung: Ich lehne die Gegenmöglichkeiten, obschon sie Möglichkeiten verbleiben, Korrelate von An25 mutungen, ab, ich "lasse sie nicht gelten", oder ich lasse sie gelten, "halte sie fest" und vollziehe danach blosse Vermutung. Das alles eine Fülle von intuitiven Phänomenen, die auf Grund der Intuition des Wettstreites, des Sich-durchdringens und dabei Aufhebens der Erscheinungen statthaben können und darin fun30 diert sind. Die Zwiespältigkeit der Erscheinung, die so geartet ist, dass die eine und die andere nicht zugleich, sondern nur nacheinander gegeben sein kann, dass die Gegebenheit der einen die der anderen ausschliesst (doch da ist schon ont gesprochen: das kann ich nun ja sagen: Das Sein der Erscheinung im 350nt Sinn (nicht des Dinges) hebt das Sein der GegenErscheinung auf und umgekehrt: so wie dann weiter das Sein des 1 Überzeugung: mehr, starkere Zeugen sprechen dafur. Ein Glaube mit uberwiegenden "Grunden" oder dafur sprechenden "Mögllchkeiten". Die Gegentendenzen gering und vielleicht bewusst "beiseite geschoben", nicht gelten gelassen.
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erscheinenden Dinges das Sein des in der Gegenerscheinung erscheinenden aufhebt). 3) Illusion, z.B. Geistererscheinung. Sieist "nichts" oder "Bildobjekt". Auch hier haben wir Widerstreit in den Erscheinungen. 5 Aber keinen Wettstreit, wenn es eben als Illusion charakterisiert ist. Das erscheinende "Bild" ist nicht als Möglichkeit charakterisiert, ihm gilt keine Glaubensneigung (Anmutung). Hier ist kein Schwanken, Zweifeln, Sich-entscheiden. Auch setzt sich vielleicht das Scheinobjekt, wie im Fall des Geistes, nicht anstelle 10 eines anderen visuell erscheinenden Objekts, mit ihm sich durchdringend: Denn es setzt sich an die Stelle der Luft, und Luft "sieht" man nicht. Der Fall ist also im ganzen nicht wesentlich vom vorigen unterschieden. Ich kann ein Scheinobjekt betrachten, ohne mich an den 15 Unglauben zu kehren; etwa der Person auf der Bühne, ich folge ihren Handlungen etc. Oder den Bewegungen des Geistes, seinen meinenden Gebärden etc. Dieses Betrachten ist nicht Glaube oder Unglaub~ oder sonstiger Glaubensmodus, auf Sein des Dinges bezogen: Es ist Betrachtung des erscheinenden Objekts 20 als solchen, ein setzender Akt, der nicht die Wirklichkeit setzt, sondern eben das "Erscheinende als solches" setzt (also nicht etwa blosse Vorstellung im Sinn einer Phantasie ist u. dgl.). Hier wird das Perzeptionale entnommen und auf Grund desselben Synthesis, etwa auch Prädikation vollzogen, es ist eine 25 Prädikation von modifiziertem Sinn, sofern eine modifizierte "Auffassung" hier vorliegt. Was ist D ahinges t eH t seinlass en? Im Fall des Zweifels kann ich Entscheidung anstreben oder mich solchen Strebens auch enthalten. Mag es sein wie immer: Ich entscheide mich 30 nicht glaubend (in Gewissheit) für dies und nicht für jenes, ich bevorzuge keine der Möglichkeiten, "gebe keiner nach". Ich vermute auch nicht: Ich lasse unentschieden. Stellungnahme = sich auf den Boden einer der Anmutungen (Möglichkeiten) stellen, und das kann entweder heissen, ihr nachgeben, oder annehmen, 35 vorau-,sctzen, was n!türlich wieder ein Neues ist. 'Venn wir die kategoriale Analysis und Synthesis hereinziehen, SOWIe evtl. die prädikative Begriffsauffassung, so ergeben sich mancherlei höchst wichtige Vorkommnisse, die dann des näheren zu studieren sind.
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Es erscheint das Objekt S (und wird evtl. als S begrifflich erkannt) und wird in Wirklichkeitsweise gesetzt. An ihm erscheint p (das auch als p, nun ein Prädikat bezeichnend, begrifflich erkannt sein kann), und S wird als p gesetzt. Zugleich wird ein p' 5 dem S zugemutet, mag es sich auch nicht anmuten. Es wird S als p' zugleich "angesetzt", das p' streitet mit dem p und das p/_ Sein mit dem p-Sein. Widerstreit der vorstelligen Sachverhalte (der PropositionaHen), begründet im andersartigen Widerstreit der Bestimmun10 gen. Ich könnte übrigens das S zugleich ansetzen als p' und als pli, wobei wieder p' und pli in ihrer Beziehung auf S einander aufheben. Ist aber geurteilt S ist pt, so steht dieser Sachverhalt als wahrer da, und durch ihn aufgehoben ist das Angesetzte, die 15 Ansetzung (ontisch) "S! ist p'''. Nun das negative Urteil: (S ist p') unwahr. Andererseits S! steht da in Wahrheit als p, dieses p-Sein hebt das angesetzte p'-Sein auf: S! ist nicht p' = S! (ist p') nich t. Noch ein Phänomen muss beschrieben werden, nämlich das der freien Möglichkeiten, nämlich der durch Gegenmöglichkeiten nicht gehemmten. Ich sehe z.B. eine unbekannte Schachtel. Die Rückseite ist mitaufgefasst, aber unbestimmt hinsichtlich Farbe und Gestalt. 25 Nun taucht die Vorstellung auf, die diese Rückseite als rot oder als grün gefärbt denkt. Aber nichts spricht für das eine und das andere. Das sind hier freie Möglichkeiten. Sie bestimmen die Unbestimmtheit in einer Weise, die nicht vorgezeichnet ist durch eine bestimmte Neigung oder Forderung. Andererseits sind es 30 doch "Möglichkeiten". Es ist ungenau, wenn soeben gesagt war, nichts spricht für das eine und nichts für das andere. Sondern nichts spricht mehr für das eine als für das andere. Indem etwas und sogar Gewissheit für "e i n e Farbe" spricht, spricht es für jede Farbe, aber hier für jede in gleicher Weise. Aber freilich die 35 Wahrnehmungsauffassung selbst enthält keine eigenen intentionalen Strahlen, die auf die oder jene bestimmten Farben gerichtet sind, sondern nur die eine unbestimmte Intention "eine Farbe". Es handelt sich also um ein Wesensverhältnis, dass die Gewissheits20
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auffassung, dieser in der Wahrnehmung wirklich enthaltene intentionale Strahl, die vorzustellenden bestimmten Farben als ,)Iöglichkeiten" motiviert, und diese Vorstellungen der Möglichkeiten sind nicht etwa "blosse Phantasievorstellungen", sondern 5 haben einen bestimmten (impressionalen) Glaubens-Modus, unter den Begriff Anmutung gehörig.
* Alle Vorkommnisse im Gebiet der Wahrnehmung, alle Auffassungen, die sich auf Empfindung bauen und mit dieser Erscheinung konstituieren, mit allen qualitativen Modifikationen 10 übertragen sich in der imaginativen Modifikation auf die P h a n-t a sie. Sie treten "in der Phantasie" auf. Also auch alle Zusammenstimmungen und Widerstreite. Überlegen wir den Fall: In einer Phantasieumgebung, in einem Phantasie-Milieu erscheint ein Geist. Er hat den Charakter der 15 ~ichtigkeit: Er stteitet gegen die Phantasiedinglichkeit mit ihren imaginativ modifizierten Glaubenstendenzen. Wir können aber auch folgenden Fall überlegen: Ich habe eine Phantasiegegenständlichkeit, und nun stelle ich mir ei oder sein soll, ich nehme es eben dauernd als wirkliches Fenc,ter und konstituiere das Scheinbewusstsein in der Phantasie. Ich phantasiere eih Tier, und es steht in dauernder Phantasie35 emheit da, und nun kann ich auf Grund dieser Phantasie überZ~UgL sein, vermuten, zweifeln, ob es ein Säugetier sei, ob es dl.es er oder jener Tierklasse angehöre etc. Ist es ein pferdeartiges T~er, so werde ich überzeugt sein, dass es ein Säugetier sei. Aber WIe kann ich zweifeln oder vermuten? Doch nur die zur Auffas-
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sung gehörigen Merkmale kommen in Betracht, und nun ist die Frage, gehören sie zu denjenigen, welche charakteristisch sind für ein Säugetier etc. Ich habe dabei einen vag e n Begriff von Säugetier und muss erst die begriffliche Vorstellung auseinander5 legen; oder ich habe das Wort und eine sehr vage Wort bedeutung mit dem Annex, Säugetier ist so etwas, das Nähere steht in jedem Lehrbuch der Zoologie. Merkwürdig ist, dass jede Wahrnehmung in einem Wahrneh10 mungszusammenhang auftritt. Zu diesem gehören alle Zusam-
menstimmungen und Widerstreite, alle Anmutungen und Vermutungen, alle Zweifel und Entscheidungen. Immer ist schon Wahrnehmungserscheinung einer Wirklichkeit und Wahrnehmungsglaube als Fundament für alles andere da, und in 15 diesem ständig wechselnden Zusammenhang treten neue Erscheinungen auf, bald mit festen Glaubensmodis, die durch schon vorhandene, mit ihnen stimmende sich stützen, bald werden vorhandene Glaubensmodi gegebener Erscheinungen entwertet, sie erfahren durch Widerstreit, der zugleich die Auffassungen in20 einanderflicht und gegeneinanderbringt (Wettstreit u. dgl.), Aufhebung usw. (Und in all dem haben wir als Kern, der mit verschiedenen "Qualifikationen" ausgestattet ist, Wahrnehmungserscheinungen, und in diese wieder gehen Empfindungen ein, von denen man 25 fragen kann, ob sie nicht in ihrer Weise Glaubensmomente tragen: als ob Empfindungen schon allerschlichteste Wahrnehmungen wären.) Im übrigen bleibe ich bei der Ansicht: Wir haben Auffassungen (in der intuitiven Sphäre), Erscheinungen, so und so qualifiziert. 30 Der qualitative Modus ist ein blosser Modus, der immer eine Auffassungsmaterie, in der intuitiven Sphäre die blosse Erscheinung, voraussetzt. Aber blosse Erscheinung ist nichts ohne Qualifizierung. Bei gleicher Materie können die Qualifizierungen sich ändern, wobei zu beachten ist, dass dabei der Zusammenhang 35 der Wahrnehmungen, Erinnerungen, kurz der ganzen Phänomene, es sein wird, der für das vorgelegte Phänomen, das in dem Zusammenhang ist und das seine Materie erhalten soll, die qualitativen Änderungen mit sich führen wird. Das ergibt dann hinsichtlich des Zusammenhangs Änderung der Auffassungen. So
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wenn eine Wahrnehmung in eine Illusion übergeht u. dgl. Eine andere l\Iodifikationsrichtung ist die von Wahrnehmung in Phantasie, wobei das Wes en der Erscheinung erhalten bleiben mag. Die imaginative Modifikation, sie betrifft alle Vorkommnis5 se, Erscheinungen, überhaupt Auffassungsmaterien wie ihre Oualitäten. Das Merkwürdige ist, dass dann blosse Phantasie i~ Erinnerung übergehen kann, derart, dass die Phantasieerscheinung mit ihrer Phantasiesetzung verbleibt und ein Ganzes erwächst, das impressionalen Charakter hat: Das impression ale 10 Zeitbewusstsein setzt eine Phantasieerscheinung voraus.! Ebenso setzt ein Urteilen auf Grund der Phantasie eben Phantasie voraus und ist doch ein impressionaler, also wirklicher Akt und keine Aktmodifikation im Sinn einer Imagination2 • Akt e also, fundiert in einem Phantasiebewusstsein, und das Phantasierte er15 hält den Charakter des Gewesen, der ein aktueller Charakter ist und nicht ein quasi-Charakter.
--
~ ImpresslOnal he isst also Akt u ali t ä ts bewusstsein. Spater emgefugt:
,,=
Inaktualität". -
Anm. d. Hrsg.
Nr. 11 <ERINNERUNG ALS "WIEDER"BEWUSSTSEIN GEGENÜBER WAHRNEHMUNG UND PURER PHANTASIE> <wohl 1909 oder anfangs 1910>
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W a h r n e h m u n gis t Sei n s b e w u s s t sei n, Bewusstsein vom seienden Gegenstand, und zwar vom jetzt seienden, jetzt dauernden, so und so (zu mir) orientierten, "hier" seienden. Das liegt im Wahrgenommensein, Gegenstand in einer Wahrneh10 mungserscheinung erscheinend und in einer Wahrnehmungssetzung gesetzt. Die entsprechende Erinnerung ist gleichsam Wahrnehmung. Sie ist Bewusstsein nicht nur vom vergangenen Gegenstand, sondern Bewusstsein von so vergangenern, dass ich sagen 15 kann: von wahrgenommen gewesenem, von mir wahrgenommen gewesenem, in meinem vergangenen Hier und Jetzt gegeben gewesenem. Den Sonnenuntergang, dessen ich mich erinnere, "sehe" ich; ich habe jetzt die Erinnerung: ihn wahrgenommenzuhaben. Ich habe einen'gegenwärtigen Glaubensakt und in 20 gewisser Weise bezogen auf einen nichtgegenwärtigen, auf "meinen" vergangenen Glaubensakt. Den Mausberg1 sehe ich gewissermassen vor mir, indem ich mich seiner und des Spaziergangs zu ihm hin erinnere; ich sehe ihn aber "nicht wirklich", ich fühle mich ins Sehen "zurückversetzt". Die Erinnerung ist eine eigen25 tümliche Modifikation der Wahrnehmung. Die letztere eine Wahrnehmungserscheinung (originäre Erscheinung) im Mo d u s des Glaubens (auch originär); auf seiten der Erinnerung: ent1
Der Mausberg befindet sich in der Nähe von Göttingen. -
Anm. d. Hrsg,
TEXT NR., 11 (1909 ODER 1910)
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sprechende Phantasieerscheinung mit dem P h an ta sie glauben: Ich war auf dem Mausberg mit den Kindern, ein herrlicher Sonnenuntergang. Beleuchtung der Stadt durch das Abendlicht. Die von der Sonne erleuchteten Dampfwolken einer Lokomotive. 5 Das Kartoffelfeld mit den langen schwachen Schatten. Der tief rotbraun leuchtende Acker. Heimkehr. Die Maus im Vogelkäfig. Das alles steht nicht nur da als Phantasie. Ich sehe es wieder vor mir. Es ist "gesehen" und "wieder"gesehen, wenn auch mit Unterbrechungen. Bald wie durch Schleier verdeckt, dann den 10 Nebel durchbrechend. Es ist wiedergesehen, gibt sich als vergangen. Pur e P h a n ta sie hat nicht diesen Charakter. Sie ist zwar "gleichsam" Wahrnehmung, ich sehe gleichsam "ein Objekt in einem Hier und Jetzt", aber das Sehen ist nicht Wieder-sehen 15 und Schon-gesehen-Haben, und das Objekt ist nicht "vergangen" und als das gesetzt, mit einem vergangenen Hier und Jetzt. Die "Erscheinung" mag im _Wesen dieselbe sein für Wahrnehmung und ~rinnerung,. aber einmal ~ine impressionale, das andere Mal eine modifizierte Erscheinung. 1 Und beide in einem 20 verschiedenen Bewusstseinscharakter. Zunächst die zeitliche Modifikation. Das Erscheinende ist nicht jetzt, sondern gewesen, und zwar wahrgenommen gewesen. Der Glaube hängt nicht einfach an der imaginativen Erscheinung, sondern er "repräsentiert" den vergangenen Glauben, nämlich in dem Sinn, er ver25 gegenwärtigt ihn wieder. Aber was heisst das? Was ich habe, ist eine Phantasieerscheinung (also eine quasi-Erscheinung), die als solche einen beliet-Modus haben muss, und zwar hat sie den Modus "Glaube", aber natürlich "in der Phantasie", also einen Phantasieglauben; ganz so, wie die Phantasie als blosse Phanta30 sie, und andererseits doch wieder nicht ganz so. Es ist nicht etwa zweierlei vorhanden, die blosse Phantasie (nach "Erscheinung" und Glaubensmodus) und dazu noch eine Setzung, sondern eine andere Färbung, eine das Wesen nicht ändernde Modifikation, und das ist das Bewvsstsein als "Wieder"bewusstsein. Mit an35 deren Worten,2esistder Charakter der Aktualität: Also 1
tat. 2
-
Deutlicher: Einmal Aktualität (das sagt hier Impression) und einmal InaktualiVon hier bis ans Ende die~es Absatzes ist der Text etwas nachträglich eingefügt. .
Anrn. d. Hrsg.
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TEXT NR. 11 (1909 ODER 1910}
Erinnerung und blosse Phantasie sind sozusagen dasselbe, nur das eine Aktualität, das andere Inaktualität, sich zueinander verhaltend wie wirkliche Prädikation zu blosser propositionaler Vorstellung. 5 Und die zeitliche Einordnung? Ich habe hier doch Unterschiede. Ich kann das Wiederbewusstsein haben, wie wenn ich an den Roons denke und ihn zugleich als gegenwärtige Wirklichkeit setze. (In gewisser Weise kann ich es auch haben, wenn ich etwas wahrnehme und, es wahrnehmend, zugleich das Bewusstsein der 10 Bekanntheit habe: Identifikation des Wahrgenommenen und in eventueller Leererinnerung Erinnerten.) Hier! besteht also eine wesentliche Lücke. Dieselbe blosse Phantasie, könnte man sagen (Roonsphantasie), kann modifiziert werden einmal zur Erinnerung im gewöhnlichen Sinn2 , das 15 andere Mal zur erinnerungsmässigen3 Gegenwartssetzung des Roons. Was macht den Unterschied aus? Aktualitätsbewusstsein ist beides. Es ist also das Studium der Zu sam m e n h ä n g e nötig, wie ja wohl denkbar ist, dass "dieselbe" Wahrnehmung je nach dem "Zusammenhang" Wahrnehmung eines nahen kleinen 20 oder eines grossen fernen Körpers ist u. dg1. 4
1 Der Text dieses letzten Absatzes scheint etwas nachträglich eingefügt worden zu sein. - Anm. d. Hrsg. ...." d 2 Spater eingefügt: "aktuellen Vergangenheltsvergegenwarbgung . Anm. . Hrsg. 3 Später eingefügt: "aktuell vergegenwärtigenden". Anm. d. Hrsg. 4 Spater eingefügt: "Die Sache ist doch nicht schwierig". Anm. d. Hrsg.
Nr. 12
<wohl Anfang 1910>
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Nun habe ic~ bis jetzt die P h an t a sie m 0 d i f i kat ion noch nicht näher 1fetrachtet. Und ebenso die Empfindung manches nachzutragen. Es heisst also, jedem Empfinden ent10 spreche ein Phantasieren. Empfindung! ist dabei entweder Empfindung von Farbe oder Ton. Oder Empfindung von Lust und Schmerz, oder Etnpfindung von Wunsch und Wille. Auch Empfindung von äusserer Erscheinung, oder Bewusstsein von innerem Zustande. Empfindung von meinenderWahmehmung etc. 15 Jedenfalls haben wie im Was, im Empfundenen fundamentale Unterschiede, "primäre Inhalte" des Empfindens und "Reflexionsinhalte" , wie ich in den Logischen Untersuchungen sagte. 2 Und die letzteren 'haben den Charakter von "Bewusstsein von". Das Empfinden sehen wir an als das ursprüngliche Zeitbe20 wusstsein: In ihm konstituiert sich die immanente Einheit Farbe oder Ton, die immanente Einheit Wunsch, Gefallen etc. Das P h an ta sie ren ist also die Modifikation dieses Zeitbewusstseins, es ist Vergegen wärtigung. In ihm konstitmert sich verg~nwärtigte Farbe, vergegenwärtigter Wunsch 25 ete. Vergegenwärtigung kann aber sein Erinnerung, Erwartung
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Empfindung im weitesten Sinn genommen. Vgl Logtsehe Untersuchungen, 2. Teil, VI. Untersuchung, § 58. -
Anm. d. Hrsg.
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u. dgl. Oder auch "blosse Phantasie". So dass nicht von einer Modifikation der Empfindung gesprochen werden kann. Empfindung ist gegenwärtigendes Zeit bewusstsein. Auch die Vergegenwärtigung ist empfunden, ist gegenwärtig, konstituiert sich 5 als Einheit im gegenwärtigenden Zeitbewusstsein. Haben wir auch Modi im gegenwärtigenden Bewusstsein? Hier kämen nur die Unterschiede in Betracht zwischen J etzt-Gegenwärtigung und Soeben-Gegenwärtigung, die zur Einheit des konkreten Gegenwärtigungsbewusstseins mit10 gehören. Ferner der Unterschied zwischen Gegenwärtigung, die in sich ihre Jetzt-Gegenwärtigungsphase hat, und der selbständigen Retention, die zwar Beziehung zum aktuellen Jetzt einer Wahrnehmung hat, aber selbst nicht einen Jetzt-Gegenwärtigungspunkt in sich enthält. Z.B. das Bewusstsein eines eben 15 verklungenen Tones. ' Wir haben somit als wesentliche Modi des Zeitbewusstseins "Empfindung" als Gegenwärtigung, die mit ihr wesentlich verflochtene, aber auch doch zur Selbständigkeit kommende Retention und die Vergegenwärtigung, welche in "setzender" Weise 20 Wiedervergegenwärtigung (Erinnerung), Mitvergegenwärtigung und Vorvergegenwärtigung (Erwartung) sein kann. Dann die nichtsetzende Vergegenwärtigung: die pure Phantasie in ihren verschiedenen parallelen Modifikationen. Die Erwartung ist dabei aber besser als Pro t e n t ion der 25 Retention gleichzustellen, sofern jede Wahrnehmung sie enthält und wir doch nicht werden Protention und Erinnerung, Phantasie ernstlich gleichstellen wollen. Somit haben wir in der 1) originären Sphäre im weiteren Sinn die unselbständigen Modi der Retention, der Präsentation und 30 Protention (mit den Möglichkeiten der Selbständigkeit für Retention und Protention). 2) Dann Wiedervergegenwärtigung, in der alle diese Modi im "Wiederbewusstsein" auftreten. 3) Dann die Phantasievergegenwärtigung als pure Phantasie, in der alle dieselben Modi im biossen Phantasiebewusstsein auftreten. 35 Fraglich ist, ob noch weitere Modifikationen aufzuführen sind. Z.B. Phantasie verbunden mit dem Bewusstsein, dass das Phantasierte, so wie es da "erscheint", künftig eintreten werde. (Ich male mir ein erwartetes Ereignis aus.) Freilich hier haben wir es nicht mit beliebigen Ereignissen zu tun, sondern mit Modifika-
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tionen der "Empfindung" bzw. jedes Erlebnisses. Doch wie immer. Wie steht es mit dem analogisierenden Bewusstsein, dem bildlichen? Und wie mit dem symbolischen? Ferner mit der von mir 5 ziemlich vernachlässigten Einfühlung? Man könnte dooh sagen: Jedes Bewusstsein kann leer "intendierend" sein (gleichgültig, ob wir Meinen hineinlegen oder nicht: aber nicht eigentlich intendierendl ), und jedes kann analogisierend sein. Und jedes Bewusstsein hat seine Einfühlungsmodi10 fikation. Aber freilich, handelt es sich da nicht um Komplexionen? Aber welche? Ist es nicht zum mindesten durchaus notwendig, die Leermodifikation, Leervergegenwärtigung beizufügen, oder bei der Vergegenwärtigung den Unterschied zwischen voll und leer zu 15 machen?2
* Die symbolische Modifikation ist gehörig zu den Zusammenhängen. Ich habe ein Symbolbewusstsein und etwas, was daran geknüpft ist: ein Bewusstsein, das damit in Verbindung steht. Es sind also zuerst die Modifikationen, die das einzelne Be20 wusstsein betreffen, und zwar die zur Zeitlichkeit gehörigen, zu erwägen, und dann die Formen der Komplexionen. Bewusstsein ist immer Zusammenhang und notwendig Zusammenhang. Wir haben den originären Zusammenhang, den des ursprünglichen Zeitbewusstseins, und 25 in diesem haben wir, die Mannigfaltigkeit der impressionalen Inhalte (der Nicht-Vergegenwärtigungen), und zu diesen gehörig die Sinnesfelder und diese als Träger der sinnlichen Wahrnehmungen 3 . Dann der sonstigen impressionalen Akte, derjenigen, die rein auf die sinnlichen Impressionen und sinnlichen Wahr30 nehmungen sich gründen, und solchen, die Vergegenwärtigungen schon hereinziehen (wobei aber zu bemerken ist, dass schon in ~
~ "aber nicht eigentlich intendierend" später gestrichen. - Anm. d. Hrsg. .Doch fragt es sich, ob das "voll" und "leer" (der Unterschied der Lebendigkeit IU diesem Sinn) nicht zu jedem Bewusstsein gehört. 3 Spater uber der Zeile eingefügt: "Erscheinungen". Anm. d. Hrsg. .
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den sinnlichen Wahrnehmungen, wenn auch nicht Phantasien, so doch Leerintentionen stecken). Wichtig sind die Fragen, was der Zusammenhang für die Modifikationen im Fluss notwendig nach sich zieht. Im F I u s s 5 der empfundenen Zeit und im Fluss der Fluenten, da haben wir notwendige Abhängigkeiten, die ein notwendiges Folgen, ein notwendiges sich in bestimmter Art Modifizieren aussagen; was wieder Notwendigkeiten der "Koexistenz" nach sich zieht. Die ganze Urkonstitution des Zeitbewusstseins besteht ja aus solchen 10 Notwendigkeiten. Welche Rolle spielt der Zusammenhang für die Verfassung des Erinnerungsbewusstseins ? Ja schon früher, für die Verfassung des Wahrnehmungsbewusstseins, für die "isolierte"! und doch gar nicht isolierte Retention, für die Erwartung? Für das Wieder15 bewusstsein (Wiedererinnerung) ? Und dann weiter für die Phantasie? Kann es pure Empfindung ohne jede Auffassung, ohne repräsentative Funktion für die äussere Wahrnehmung geben: es sei denn durch wechselseitiges Sich-aufheben von Tendenzen? 20 Kann es pure Wahrnehmung ohne jeden Zusammenhang geben, und wie steht es mit dem eigentlichen Wahrnehmungshintergrund und andererseits dem Mitsetzungs-Hintergrund? Kann Erinnerung zur bIossen Phantasie nur werden dadurch, dass Erinnerungstendenzen sich wechselseitig aufheben? Und 25 ist jede blosse Phantasie so zu deuten? Ist jede Glied von Zusammenhängen, oder kreuzen sich in jeder Zusammenhänge; sind Zusammenhänge überhaupt nicht entweder Zusammenhänge der Einstimmigkeit und solche der Widerstimmigkeit etc. ? Zusammenhänge der Empfindungen (der Impressionen 2), 30 also Bau des originären Zeitbewusstseins. Darin haben die Bestandstücke ihre bestimmte intentionale Form! Bau des Wie der bewusstseins, des sekundären. Einerseits das, was zu seiner Konstitution gehört, sofern es Mitglied des originären Bewusstseins ist als empfundenes, gegenwärtiges. Anderer35 seits sein eigener Bau, Charakter. Später eingefügt: ,,'selbständige'''. - Aum. d. Hrsg. . ,'t' a "Impressionen" später verändert in "impressionale Erlebmsse"; glelchzel Ig "Empfindungen" mit Anführungszeichen versehen, - Anm. d. Hrsg. 1
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Aber da lässt sich durch immanente Analyse allerdings öfters finden, dass in einer "bIossen Phantasie", wenn wir auf einzelne ~lomente achten, ein Durcheinander von verschiedenen Erinnerungen vorliegt, zu denen verschiedene Zeitzusammenhänge ge5 hören, aber das Wesensgesetz kann man nicht aussprechen, dass jede Phantasie der Aufhebung von sich störenden Erinnerungen entspringt. Übrigens was ist das für eine "Psychologie", welche hier solche hypothetischen Konstruktionen macht? Gibt es eine Psychologie, 10 welche gar nicht mit physischer Natur operiert, gar nicht Naturwissenschaft ist, und doch nicht apriori als Wesenslehre verfährt? 1 Sie würde von Gegebenheiten der phänomenologischen "Erfahrung" ausgehen, sie würde sich in der Sphäre der "immanenten" Zeit bewegen, aber nicht in der rein intuitiven Sphäre. 15 Es würde eine' unendliche Zeit angenommen, darin eingeordnet die Bewusstseinserlebnisse (meine, aber ohne Rücksicht auf meinen Leib, es sei denn, dass dieser Anzeige gibt für gewisse Wahrnehmungszusammenhänge}, es würden angenommen, neben den aktuell gegenwärtigen und konstatierbaren Erlebnissen der Er20 fahrung, "unbewusste" Erlebnisse. Und diese benützt, um den Bau des, ,aktuellen Bewusstseins" zu "rekonstruieren". Auch Assoziation, Disposition etc. gehören hieher .
. 1 pSYChologie als immanente, nicht naturwissenschaftliche Psychologie, und doch meht als phänomenologische Wesenslehre.
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<WAHRNEHMUNGSREIHE, ERINNERUNGSMODIFIKATION, PHANTASIEMODIFIKATION. GEGENWÄRTIGUNG - VERGEGENWÄRTIGUNG, AKTUALITÄT UND INAKTUALITÄT ALS SICH KREUZENDE UNTERSCHIEDE. ZWEI FUNDAMENTAL VERSCHIEDENE BEGRIFFE VON PHANTASIE 1) INAKTUALITÄT 2) VERGEGENWÄRTIGUNG>
Geht daraus hervor, dass wir wirklich nicht mit einer! Modifikation auskommen? Und dass nicht alles Unterscheidende in der Art der Komplexion liegen könne? 2 "Erscheinung": Das weist auf einen Komplex hin, der ent15 weder un-modifiziert ist, also Impression, dann haben wir Wahrnehmungserscheinung; oder durch und durch modifiziert, und dann haben wir Phantasieerscheinung. Auf Phantasieerscheinungen können sich nun gründen Erinnerungen, durch Zuzug neuer Momente. Das Erscheinende 20 wird zum Vergangenen. Wodurch? Durch gewisse Beziehungen zur aktuellen Gegenwart. Z.B., ich bin vorhin spazieren gegangen. Nehme ich da eine Erinnerung heraus, so habe ich nicht bloss das Phantasiebild, sondern gewisse ihm zugehörige "subjektive" Zeiteinordnungen. Die Phantasieerscheinung ordnet sich in einen 25 Erinnerungszusammenhang ein, durchlaufe ich ihn, so habe ich: 1 Ich habe ja zwei Modifikationen für nötig befunden und bleibe dabei. Einmal d!e blosse Phantasiemodifikation und das andere Mal die Erinnerungsmodifikation. Sie unterscheiden sich als Aktualität und Inaktualität. S Das Grundlegende auf den folgenden Seiten. Diese Seite wohl unbrauchbar .
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So<eben> ging ich weg, und dann durchlaufe ich die Reihe der Erscheinungen "bis'zu meiner Rückkunft" und bis zum aktuellen Jetzt. Das alles ist schön. Nun, die "Intentionen" sind impressional, und sie zeichnen jede Erscheinung dieser Reihe aus und 5 geben jeder ein über sich Hinausweisen bis zum Jetzt. Aber diese Intentionen können nun wieder nichts Angehängtes sein. Jede Phantasieerscheiuung hat ihre erscheinende Phantasiedauer und alle in Ordnung gebracht schliessen sich zu einer phantasierten Ereignisreihe zusammen, es ist aber nicht bloss phantasierte, es 10 ist erinnerte. Kann man da anders sagen, als dass in jeder Erscheinung eine setzende Intention waltet, eine impressionale, eine Glaubensintention, welche das phantasiemässig Erscheinende, also gleichsam Gegebene setzt und vermöge der Transzendenz, die zum Wesen dieser Intentionen ge15 hört und die ihnen bestimmte Erfüllungsreihen zuweist, ihm eine Stelle gibt in der Ordnung des gleichsam Gegebenen bis zum Jetzt? Es sind" vergegenwärtigende" Intentionen und Zeitstellen in der Zeit mityergegenwärtigende, in Relation zum Jetzt. Es ist also die Frage, wie stehen diese Intentionen zu der 20 Phantasieerscheinung ? Sind sie etwas zu ihr Hinzutretendes? 1 Vergleichen wir eine Erinnerung und eine Erwartung. Ich erinnere mich an den Gesang der Lorelei, den ich "damals" hörte. Ich erwarte den Gesang. Ich erinnere mich an ein Leierkastenstück und erwarte es. Es kann sein, dass ich es gen au im 25 voraus vorstelle, dass ich es gen au kenne. Das Kennen ist nicht ohne weiteres ein Erinnern. Ich kenne das Stück und erwarte es, versetze es damit in die Zukunft: Ich werde es hören. Das Erinnern ist aber das Bewusstsein als Wiederbewusstsein des Gehörthabenden. Wobei wir in der Vergangenheit stehen. Dabei 30 die Unterschiede der vagen Erinnerung und Erwartung und der expliziten, in der das Vergangene "noch einmal abläuft", in einem Wiedernachleben, oder das Künftige im voraus abläuft in einem voraus VJ)rerleben. Erinnerung versetzt das Erinnerte in einen Erinnerungs35 zusammenhang, d.h. das Erinnerte steht als gegeben gewesen da und gehört in einen bestimmten Zusammenhang gegebener Gewesenheit. Die Erinnerung selbst in einen Zusammenhang von 1
Das Folgende beigefügt 15. Februar 1910.
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Erinnerungen mit einer Ordnung, terminierend im aktuellen Wahrnehmungsjetzt. Wie das nun? Zum Wesen des Erinnerungs_ bewusstseins gehört es, dass sie vorwärts weist, nicht als ob sie das Vorwärts vorstellte. Die Erinnerung stellt ihr Erinnertes 5 voraus. Aber die Erinnerungserscheinungen in ihrem Erinnerungscharakter haben einen "Zusammenhang" und weisen aufeinander in bestimmter Folge hin, d.h. zu jeder Erinnerung gehören Zusammenhangsintentionen. Müssen wir nicht sagen: Jede Erinnerung tendiert abzufliessen, und .dieser Abfluss ist selbst 10 Erinnerung, nämlich Erinnerung des "früheren Wahrnehmungsablaufs" ? Jede Erinnerung, die besonders bewusst ist, ist bevorzugtes Glied einer vagen umfassenden Erinnerung, eines Erinnerungshintergrundes. Jede Erinnerung tendiert nach vorwärts, sie ist aber auch Endpunkt von Tendenzen. Sie hat selbst einen Ver15 gangenheitshintergrund, Vergangenheit relativ zu ihrem Jetzt. Erinnerung ist also nicht blosse Phantasieerschein ung und ein leerer Glaube, oder eine beliebi'ge B ewuss tseinscharakterisierung mit dieser M at erie "Phan t asieerschein ung". Es ist ein bestimmtes 20 Bewusstsein, zu dessen Wesen diese Zusammenhänge gehören, so wie zum Wesen der äusseren Wahrnehmung (der räumlichen Wahrnehmung) die räumlichen Zusammenhänge gehören als Zusammenhänge der Koexistenz. Und bei der Erwartung haben wir wieder Phantasieerscheinung 25 in einem Bewusstsein, und dieses Bewusstsein hat wieder einen neuen Charakter, zu dem neue Bewusstseinszusammenhänge gehören. Jede bestimmte Erwartung ist in einem Erwartungszusammenhang, wie jede bestimmte Erinnerung in einem Erinnerungszusammenhang ist, aber intentional. Jede bestimmte 30 Erwartung ist begabt mit Zusammenhangsintentionen, die, auf Erwartungszusammenhänge hinweisen oder vielmehr zurückweisen, deren Zielpunkt sie ist. Wir haben überall, wo Phantasieerscheinung zugrunde liegt, nicht blosse Phantasieerscheinung und einen Modus des Glau35 bens, sondern Phantasieerscheinung ist ein ausgezeichneter Auffassungskern, der von weiteren A uffassungss trahlen umflossen is t. 1 Einerseits solche, 1 An den Rand dieses Satzes setzte Husserl später ein Fragezeichen und bemerkte: "siehe folgende Seite das Richtige", d.i. wohl unten S. 297,3lff. Anm. d. Hrsg.
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die in Zusammenhänge der' Koexistenz hinüberleiten, die Erscheinung ist Erscheinung von einer räumlichen Gegenständlichkeit etwa, die in -Zusammenhänge der Koexistenz hineingehört, die ihre Rückseite hat, ihr Inneres, ihre Umgebung, ihre Möglich5 keiten der Wahrnehmung von verschiedenen Standpunkten aus etc. Sie ist Erscheinung des Gegenstandes in der bestimmten Orientierung, die in eine Mannigfaltigkeit möglicher Orientierungen hineingehört etc. (zu demselben Moment gehörig). Andererseits die Zusammenhänge der Erinnerungsauffassung (bzw. 10 Erwartungsauffassung), welche die Stellung in der Zeit und dabei ihr die-Zeitgegebenheit verleihen. Die Erscheinung ordnet sich in die Erscheinungsreihe ein, die Gegebenheitsreihe der Zeitlichkeiten ist, die zu dem aktuellen Ich gehören. Das alles nun ist die volle M a t erie des belief, der Wahrnehmungsgewissheit, 15 der Erinnerungs- und Erwartungsgewissheit. Der belief ist aber nicht ein Hinzutretendes, nicht eine neue Intention, sondern nichts weiter als der modale Charakter 9:'er Gewissheit gegenüber den Charakteren der ~nmutung, Vermutung, damit zusammen20 hängend des Zweifels, und lässt wie alle diese Charaktere imaginative 1 Modifikation zu. D.h. der ganze Auffassungszusammenhang mit seinem modalen Gewissheitscharakter lässt imaginative Modifikation zu. Das wäre also Phantasiemodifikation einer Erinnerung (oder einer Erwartung). Da haben wir also Phantasie 25 in Phantasiezusammenhängen von gewissen intentionalen Verbindungen, die .Erinnerung ,oder Erwartung charakterisieren, einmal im Modus der Gewissheit, das andere Mal imaginativ modifiziert. Aber wie das? Doch nicht so, dass wir zunächst einen Phantasiezusammenhang haben und dazu ejnmal Gewiss30 heit als aktuelle Gewissheit, das andere Mal Einbildung von Gewissheit. Vielmehr scheint es, dass wir sagen müssen: Der originären Reihe, der Wahrnehmungsreihe entspricht als die eine j\~odifikation 1) e~e Erinnerungsmodifikation (bzw. noch analog, ehe EI wartungsreihe) , wobei alles durch und durch modifiziert 35 j-;t. 2) Und wieder die Phantasiemodifikation als blosse Phantasie. Nun haben wir aber in der Wahrnehmungsreihe Empfindungsmaterial, in der Erinnerungs- und Erwartungsreihe Phantasie1
Spater eingefügt: "Inaktualitäts-". _ Anm. d. Hrsg.
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material, und auch die verflechtenden Intentionen haben in der Wahrnehmungsreihe Empfindungscharakter, originären, in der Erinnerungs- und Erwartungsreihe nichtoriginären Charakter. Trotzdem aber den Modus der Gewissheit. In der Phantasiereihe 5 alles ebenfalls nichtoriginären Charakter, aber doch keinen Modus. Da steht wieder das Rätsel.l Aber das "nicht originär" besagt einmal akt u e 11 e Vergegenwärtigung (Wiedervergegenwärtigung, Vorvergegenwärtigung, Mitvergegenwärtigung in der Koexistenz), das andere Mal In akt u al i t ä t 2 : blosse Vorstellolung. Quasi-Wahrnehmung, quasi-Jetzterfassung; akt u elle Vergegenwärtigung wäre als Parallele eine vergegenwärtigende Jetztsetzung, zu deren Wesen gehörte ein gewisses aktuelles Zusammenhangsgebiet mit dem jetzt Wahrgenommenen. Quasi-Erin15 nerung, quasi-Bewusstsein des Wahrgenommenhabens von Vergangenem: das entsprechende Aktuelle die Erinnerung. QuasiErwartung, Erwartung. Ein Gemeinsames ist überall: Aktuelle Vergegenwärtigung und quasi-Vergegenwärtigung sind von verwandtem Wesen und 20 stehen zueinander wie Aktualität und Inaktualität. Gegenwärtigung - Vergegenwärtigung, Aktualität und Inaktualität als sich kreuzende Unterschiede
Das betrifft die ganzen Phänomene. Also auch P ha n t a s m a und Empfindung. Phantasma wäre der allgemeine Name für 25 die Vergegenwärtigung, die der Empfindung entspricht, und auch da hätten wir den Unterschied zwischen Aktualität und In akt u al i t äthinsichtlieh der Vergegenwärtigung. Die Unterschiede gehen der spezifischen "Meinung" vorher. Andererseits aber Empfindung, Wahrnehmung stand 30 unter dem allgemeinen Gesichtspunkt Ge gen w ä r t i gun g. Muss es dann nicht auch hier den Unterschied zwischen Aktualität und Inaktualität geben? Zunächst, Empfindung in <sich> selbst, wird man sagen, ist Aktualität. Ist nur zur Ver gegen1 Ja, wenn wir falsch reden. Keinen Modus?! Nein, denselben Mod us wie die entsprechende Erinnerung, nur ist der Modus wie das ganze Phänomen "blosse Phan-
tasie" . 2
Später eingefügt: "der Vergegenwärtigung". -
Anm. d. Hrsg.
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wärtigung als quasi-Empfindung der Unterschied zwischen aktuell und inaktuell gehörig?12 \V a h r n eh m u n g.3 Soll man sagen, hier haben wir den Unterschied in der Form der reinen Bildbetrachtung? Es ist 5 ja richtig, dass hier Widerstreite aufweisbar sind. Aber wenn wir in der Bildwelt leben und gar nicht auf die aktuelle Welt gerichtet sind, so ist auch kein Bewusstsein eines Widerstreits da. Es mag ja der Übergang in die Bildwelt den Widerstreitscharakter hervortreten lassen, und, es mag damit zusammenhängen, dass das 10 Bild nicht als Wirklichkeit gesetzt wird. Aber leben wir eben ganz in der Bildwelt und gar nicht in der Wirklichkeitswelt, so wird das modifizierte Wahrnehmungsbewusstsein allein vollzogen: Es ist "Phantasie", das heisst jetzt, es ist In akt u al it ci t s bewusstsein. 4 Es ist quasi-Wahrnehmungsbewusstsein, aber 15 nicht wirkliches. Wir sehen gleichsam. Aber es ist kein vergegenwärtigendes Bewusstsein, sondern ein ge gen w ä r ti gen des. Ein gegenwärtigendes,. aber Gleichsam-Bewusstsein. In der vergegenwärtigendin Phantasie-(Phantasie im anderen Sinn) haben wir nicht bloss gleichsam Wahrnehmung, sondern das Phänomen 20 hat vergegenwärtigenden Charakter. Es stellt Wahrnehmung dar, während hier im Bildbewusstsein nicht Wahrnehmung dargestellt ist, sondern in inaktueller Weise vollzogen ist. Die Unterlage sind hier Empfindungen als Gegenwärtigungen, dort Phantasmen als Vergegenwärtigungen. 25 Man könnte übrigens auch die Ansicht vertreten, dass auch im Gebiete der Vergegenwärtigung bei der Inaktualität zugleich Nichtigkeitsbewusstsein jederzeit möglich sei und eine analoge Rolle spiele. Gehe ichS in die Phantasie über, so habe ich das Bewusstsein des Übergangs in eine nichtige Welt. 30 Was vergegenwärtigt ist, ist nicht: weder jetzt, noch gewesen, noch sein werdend. Bei Phantasien, die sich, wie es gewöhnlich der Fall ist, an die 1 Den fundamentalen Gesichtspunkt der Aktualität und Inaktualität habe ich ab: r dann d,;,rchzufuhren gesucht durch die ganze Phänomenologie der Akte. 3 Spater emgefugt: ,,(Nein)". Anm. d. Hrsg. "Wahrnehmung." ergänzte Husserl später zur Frage: "Wie bei der Wahrnehmung?". - Anm. d. Hrsg. . 4 ZweI fundamental verschiedene Begriffe von Phantasie 1) Inaktualität, 2) Vergegen warÜgung. 5 Spater eingefugt: "aus der Wahrnehmung". Anm.d. Hrsg.
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wirkliche Welt der Wahrnehmung und aktuellen Vergegenwärti_ gung anschliessen, ist das ohne weiteres klar. Leben wir in der Phantasie, so stört uns das nicht. Wir vollziehen nicht beständig das Für-nichtig-Erklären. Wir "träumen". Das Träumen l ist das 5 inaktuelle Vergegenwärtigungsbewusstsein, bzw. verbunden mit inaktuellem Wahrnehmungsbewusstsein, wenn wir in die Wahrnehmungswelt hineinphantasieren. Denn man wird wohl sagen müssen, dass durch Hineinphantasierung die Wahrnehmungsgegebenheit 2 Modifikationen erhält, die sie in 10 einen Komplex der Inaktualität verwandeln (Bestands tücke von impressionaler, gegenwärtigender Inaktualität und vergegenwärtigender). Ebenso erhält auch eine aktuelle Vergegenwärtigung durch Mischung mit Phantasie den Traumcharakter. Was Phantasien anlangt, die keine bestimmte Beziehung auf 15 die aktuelle Welt haben, so haben sie doch eine unbestimmte Einordnung in eine "sagenhafte" Vergangenheit oder in eine "Wirklichkeitsferne" , die eine unbestimmte räumlich-zeitliche Ferne ist. Auch da besteht Nichtigkeit: sowie wir auf die aktuelle Welt achten und die Phantasie in Beziehung zu ihr setzen. Man 20 könnte auch sagen: In der Vergegenwärtigung sind wir gegenständlich mit dabei, und wir können jederzeit das Bewusstsein haben, dass wir nicht dabei waren. Wie viel ist aber noch zu studieren, um eine solche Auffassung in entscheidender Weise durchzuführen! 25 Ein Bild vergegenwärtigend ein Original: eine inaktuelle Gegenwärtigung3 verbunden mit einer Vergegenwärtigung ähnlichen Inhalts (desselben Wesens), analogisierend. Ebenso ein Ding oder ein "Bild" als Zeichen "erinnert" an ein Bezeichnetes etc.
1 2 3
Später eingefugt : "in diesem Sinn". - Anm. d. Hrsg. Spater eingefugt: ,,(Hineinziehen von InaktnelIem)". Spater eingefugt: ,,(Bildobjekt)". - Anm. d. Hrsg.
Anm. d. Hrsg.
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<wohl 1911 oder Anfang 1912>
Wir gehen ~wa aus von-der W a h r ne h m u n g und scheiden das eventuelte Meinen, den "setzenden Akt" aus und halten fest 10 die schlichte Wahrnehmung. Das ist der als Substrat fungierende Akt, in dem der spezifisch theoretische Akt, das theoretische Meinen fundiert ist. Wir haben da freilich kein rechtes Wort dafür. Denn Wahrrtehmungserscheinung besagt doch das gemein"ame Wesen, das bei verschiedener Qualifizierung vorhanden sein 15 kann, und die Qualifizierung ist nicht die theoretische, die vielmehr zum fundierten Akte gehört, die zum "theoretischen Meinen", zum V er gegenständlichen gehört, zu dem den Gegenstand Wahr-nehmen und auf dem Grund dieses Nehmens und Setzens neue Setzungen fundierter Art Vollziehen, in verschiedenen Stu20 fen, die durchaus' theoretisch sind. Das Wort "perzipieren", wie das Wort wahrnehmen, drückt nun gerade das theoretische Setzen aus. Wenn Leibniz Perzeption und Apperzeption gegenüberstellt, so schlies,t aber das "bloss" der Perzeption das, was das Wort primär andeutet, aus, und das "App<erzeption>" ist es, das 25 ec., erst hereinbringt. Mein Ausdruck Auffassung, Apperzeption ancererseits ging auf ganz anderes, gerade auf die blosse Perzeption und ihre Besonderheiten. Also da ist man in einer schwierigen SItuation. Sagen ,wir etwa "der bloss apparenziale Akt", der Akt des Erscheinens, und zwar des perzeptiven (aber nicht
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im prägnanten Sinn perzipierenden, fassenden) Erscheinens. Dem Akt schlichten perzeptiven Erscheinens steht gegenüber die Vergegenwärtigungsmodifika tion, d.i. Erinnerung im weitesten Sinn (wir bewegen uns natürlich innerhalb der 5 Sphäre der Aktualität), und zu dieser gehören verschiedene Grade der Lebendigkeit und Angemessenheit (in letzterer Hinsicht, sofern einzelne Momente der wiedererscheinenden Objekte, der vergegenwärtigten, nicht als darstellende, als Selbsterscheinungen der gegenständlichen Eigenschaften charakterisiert sind. 10 Es kann dabei das gegenständliche Moment "unbestimmt" durch das Moment der "Erscheinung" "repräsentiert" sein). Durch Abnahme der Lebendigkeit, die alles Darstellungsmaterial und repräsentative Material (Erscheinungsmaterial) betrifft, kann schliesslich die Lebendigkeit null sein; was sagt das? Es 15 sagt, eine Vergegenwärtigung ist möglich, die eine Leervergegenwärtigung ist, es schwebt mir etwas vor, aber ich habe keine merkliche "Erscheinung" davon, und doch ist das Vorschwebende bewusst, evtL sogar theoretisch gesetzt, objektiviert, und ich kann sagen, von welcher Seite es trotz der Leere "be20 wusst" ist, in welchen Formen usw. Freilich all das im allgemeinen nicht so deutlich und bestimmt wie im Fall klarer Erscheinung, die übrigens auch schwankend etc. sein kann. Wir haben also hier Unterschiede zwischen klarer und dunkler Erscheinung, bzw. zwischen vergegenwärtigenden 25 Akten von verschiedener Klarheit und Dunkelheit in der Art des zur Erscheinung Bringens. Dunkle Akte (in dunkler Weise vergegen wärtigende), das wäre ein Begriff von Leere. In dieser Weise leer oder dunkel sind mir die Gegenstände im 30 dunklen Zimmer, meines wohlbekannten, bewusst, wenn ich einem Gegenstand desselben zugewendet bin und seine Umgebung mit lebendig ist, während ich doch keinerlei "Anschauung", keine klare Erinnerungsvorstellung von all dem habe, vielleicht nicht einmal von dem Gegenstand, und nicht im mindesten, dem 35 ich zugewendet bin, nach dem ich etwa greife etc. Ferner, von dieser Art ist auch die Vergegenwärtigung, die in gewissem Sinn durch "Zeichen" statthat, nämlich, derart, dass mir irgend etwas in einer klaren, mehr oder minder klaren Anschauung (einer gegenwärtigenden oder vergegenwärtigenden)
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vorschwebt, das mich an' ein anderes, nicht zu 'seiner "Umgebung" gehöriges Objekt oder auch zu ihr gehöriges, "erinnert", wobei aber das letztere gar nicht zu einer "anschaulichen Vorstellung" kommt. Ob da im "Dunkeln" Leervorstellungen wieder 5 an Leervorstellungen erinnern und wie weit da die Verflechtungen gehen, das bleibe dahingestellt. Jedenfalls kann da Angeregtes sein, auf das sich der meinende Blick des theoretischen Bewusstseins richten und das er fassen kann, ohne dass es darum zur Anschauung käme. 1
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Leere Vergegenwärtigung und die sogenannte Leervorstellung der Rückseite als Apprehension
Ferner ist hiebei ein bedeutsamer Unterschied hervorzuheben: Wenn ich mich' im Dunkeln auf einen Gegenstand meinend fIxiere, so ist er mit einer Weise der Erscheinung, wenn auch 15 Dunkel-Erscheinung, gemeint, und danach hat auch die erregte "Umgebung" -eine gewisse/Dunkel-Erscheinungsweise. Allerdings hätten wir geItauer schon zu sagen: Gewisse geschlossene Erscheinungskreise, nämlich die ich in entsprechender Perzeption hätte, wenn ich von meinem ruhenden Standpunkt die Gegen20 stände mit den Blicken betra-chtete, über sie mit den Augen hinund wiedersähe, sind bevorzugt, und evtl. ist eine bestimmte Erscheinungsreihe davon "erregt", im Dunkel bewusst. Ist mein Standpunkt aber nicht ruhend, so ist in dunkler Weise ein entsprechender Ausschnitt aus den möglichen Erscheinungsreihen 25 bevorzugt. Freilich ziemlich "unbestimmt". Aber evident ist die Möglichkeit, dass eine ganz best.immte Leererscheinung oder Leererscheinungsreihe bewusst,ist. Ähnlich kann es sich verhalten hinsichtlich der "leer vorgestellten" Rückseite der jetzt betrachteten Schachtel. Ich durchlaufe die klar erscheinende, und 30 zwar perzeptiv erscheinende, mit den Augen, und evtl., wenn ich beim gesehenGtil Rand der Schachtel angelangt bin, gleitet der Blick in der Vergegenwärtigung über den Rand hinaus: Ich verfalle in eine Vergegenwärtigung: als ob ich meinen Kopf wendete und mit dem Blick eine Linie durchliefe, und so ist eine vergegen35 wartigte Erscheinungsreihe relativ bestimmter Art bewusst, aber bald ein wenig klarer, bald dunkel beWusst. Andererseits, während ich mit dem Blick rein haften bleibe an der sich wirk-
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lich darstellenden Seite der Schachtel, ist mir das Ganze, auch das Nichtgesehene, in mehr oder minder unbestimmter Weise bewusst: Jetzt kann ich nicht sagen, dass irgendeine der möglichen Vergegenwärtigungen der Rückseite oder irgendwelche bestimm5 ten Abläufe derselben dunkel bewusst, "erregt" seien. Und doch habe ich eine Leervorstellung davon und ist es eine Vorstellung, die in gegenständlicher Hinsicht ihren Bestimmtheits- (Bedeutungs-)Gehalt hat, in mancher Hinsicht reicher bestimmt, und eine Bestimmtheit, die in der Leervorstellung, im Leerstück der 10 Wahrnehmung steckt. Sowie wir uns meinend dem Unsichtigen zuwenden, finden wir freilich irgendwe1che Erscheinungen bevorzugt, aber nicht so, dass nicht im Wechsel andere aus der "Gruppe" eintreten und sich für andere setzen könnten. Man wird sich versucht fühlen, zu' sagen: 15 Wenn wir der Vorderseite der Schachtel zugewendet sind, so sei immer eine bestimmte Erscheinung oder Erscheinungsreihe, die zu den anderen Seiten gehöre, lebendig; aber für das meinende und auf das Vorderseiten-Betrachten eingeschränkte theoretische Bewusstsein ändere sich darin nichts "Wesentliches" und nichts 20 hinsichtlich der apparenzialen Unterlage Merkliches. Indessen merken wir ein Aufblitzen von bestimmten Erscheinungen der Rückseite sehr wohl, aber abgesehen davon ist folgendes zu beachten: Ist irgendeine Erscheinung, sei es auch als dunkle, bewusst, so ist sie doch Erscheinung-von, es gehört also auch zum 25 Erscheinenden eine Rückseite, und so haben wir auch innerhalb der Lee r vergegenwärtigung, dem Bewusstsein dunkler Erscheinung, einen Unterschied zwischen Vorderseitenerscheinung und der "miterscheinenden" Rückseite. Also hätten wir da sozusagen eine Leererscheinung zweiter Stufe. Aber was soll das 30 besagen, wenn Leererscheinung soviel wie Dunkelerscheinung besagt? Gibt es im Dunkel wieder ein Hell und Dunkel? Unterschiede der Lebendigkeit, das gibt doch jetzt keinen Sinn mehr. Und dazu ergeben sich unendliche Regresse, da die Rückseite der in Dunkelerscheinung erscheinenden Dinglichkeit wieder in 35 einer Dunkelerscheinung bewusst wäre, die selbst wieder eine Rückseite zur Erscheinung brächte, und so in infinitum. Also ist der stringente Beweis geführt, dass Leer-Vergegenwärtigung als Dunkel-Modifikation einer klar.en Vergegenwärtigung etwas prinzipiell anderes 1st
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a h das in jeder transienten "Erscheinung" als beständige Komponente enthaltene "Rückseitenbewusstsein", das Bewus s t s ein der Apprehension des erscheinenden Gegenständlichen, soweit es nicht durch Empfindung oder Phantasma 5 zur Selbstdarstellung kommt. Ich sprach immer von "Mitgemeintheit", aber es ist zu beachten, dass Mitmeinen (wenn ich z.B. den Gegenstand meine) Apprehension voraussetzt. Wir können in jeder Erscheinung eine Sphäre der Prehension und eine der biossen Apprehension unterscheiden. Der ganze 10 a p par e n z i ale Akt hat nun seine Leervergegenwärtigung (seinen Dunkelakt), und ins Dunkel tritt sowohl jede Prehension als jede blosse Apprehension. Und beide sind ja untrennbar miteinander verflochten.
* Wir haben uns bisher in sehr engem Kreis bewegt, im Kreis der apparenzialen Akte. Müssen wir nun nicht sagen, dass zu jedem Akte eine Vergegenwärtigungsmodifikation gehört? Da fragt es sich zunächst, was heisst das, Ver ge gen w ä rt igu ngs m 0 difika tion? Die der apparenzialen Wahrneh20 mung entsprechende ,.Erinnerung" ist die Vorlage für unsere Begriffsbildung. (Eigentlich handelt es sich um eine Serie von Modifikationen. Es kann sich um ein Vergangenheitsbewusstsein handeln, aber auch um ein Vergegenwärtigungsbewusstsein, in dem ein nichtgegenwärtiges Jetzt vergegenwärtigt ist. So, wenn 25 ich im Dunkeln die Umgebung als eine vergegenwärtigte Gegenwart bewusst habe und nicht als ein Vergangenes.) Das sind verschiedene Weisen der "R e pro du k t ion", der Vergegenwärtigung. Wir sagen normal Vergegenwärtigung mit Beziehung auf G e gen s t ä nd 1ich e s. Es handelt sich hier aber um eine Modi30 fikation d~f apparenzialen Wahrnehmung, und zwar eine solche, die, so wie die Wahrnehmung leibhafte Gegenwart erfasst oder erscheinen lässt, so die Reproduktion evtl. dasselbe Gegen
<wohl 1912> Dazu ist zu sagen: Wahrnehmungserscheinung, Erscheinung kann entweder ontisch oder phansisch interpretiert werden. Die Wahrnehmungserscheinung 10 hat den Charakter des Jetzt: des Aktuellen, "Ursprünglichen". Aber genau beseh:n-is~ sie gar nicht 9lie~ der rä~m1ich-~eitlichen