KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HUDOLF OSKAR IRMER
IM REICH DES P...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HUDOLF OSKAR IRMER
IM REICH DES PERLENKONIGS VON TOBA
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN LUX MÜRNAU . MÖNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
Der „Perlenprozeß" von Paris Im Börsengebäude für den Juwelenhandel in Paris, das, solange die Börsianer darin ihren Geschäften nachgingen, von Detektiven bewacht wurde wie kaum ein anderes Haus in der Lichterstadt, herrschte an einem Tage des Jahres 1921 bestürzte Aufregung. Zwar ließen sich die Makler des Weltmarktes so leicht nicht aus der Fassung bringen. Aber an diesem Tage ereignete sich etwas, was durchaus Grund zur größten Beunruhigung sein konnte. Paris, das man so gern als „lichtschimmernde und funkelnde Perle in der Kette der W e l t s t ä d t e " bezeichnet, erstrahlte mehrmals im Jahre unter dem Geleucht unzähliger Perlen, die dort an der Juwelenbörse gehandelt wurden. Seit je galt die Hauptstadt Frankreichs als der Handelsmittelpunkt und Hauptumschlagplatz für die „Edelsteine des Meeres", wie es in der römischen Kaiserzeit Alexandrien für die gesamte antike Welt gewesen war. An der Pariser Weltbörse für Ankauf und Verkauf von Perlen wurden in jedem Jahre die schimmernden Kostbarkeiten in ungeheuren Mengen „umgeschlagen", erreicht die Welternte an Perlen doch Tonnengewichte. Während die Vertreter des Juwelenhandels, der Schmuckindustrie und der Perlenverarbeitungsbetriebe an diesem Tage des Jahres 1921 noch die Preise verfolgten und erwogen — das Angebot an kleinen „Staubperlen", den etwas größeren „Lotperlen", den großen „Zahlperlen", den kugelrunden und tropfenförmigen Perlen, den beerenartig zusammengewachsenen „Barockperlen", den seidig glänzenden „Pinkperlen", den zaubervollen „Glanzperlen", den Erträgnissen aus dem Persischen Golf, von den Küsten Ceylons, Australiens und der Südseemseln, aus Venezuela, Mexiko und Panama —, wurde plötzlich ein Angebot laut, das, wenn es hieb- und stichfest war, den ganzen Markt 2
durcheinander bringen mußte. Auf einem Tablar, jenem mit r o tem Samt bezogenen Vorlegebrett, auf dem die Juweliere vor ihren Kunden Schätze auszubreiten pflegen, wurden Perlen herumgereicht, die sich an Schönheit mit allen bisher angebotenen Perlen durchaus messen konnten, die aber nur ein Viertel soyiel kosteten, wie es die Pariser Juweliere bisher gewohnt waren. Das Angebot stammte von einem Japaner. Die gezeigten Stücke, die soviel Aufsehen erregten, erwiesen sich von einer erstaunlichen Größe, und ihr Glanz glich dem sanften Licht des Mondes. Dem Augenschein nach waren die Perlen von den echten Pariser Stücken nicht zu unterscheiden. Was ging hier vor sich? Wollte Japan mit Kampf preisen den Einbruch in das Börsengeschäft erzwingen, das die französischen Perlenhändler als ihre ureigenste Domäne betrachteten? Aber der Name des Mannes, dessen Agenten die Börsianer und Handelsleute der Weltstadt so sehr in Aufruhr versetzte, hatte einen zu guten Klang, als daß es sich um unlautere Machenschaften handeln konnte. Kokichi Mikimoto, so hieß der Japaner, besaß einen untadeligen Buf unter den Perlenfachleuten der Welt. Aber daß er es wagte, in Europa aufzutreten und mit Recht oder Unrecht die bisher geforderten Preise zu unterbieten, das brachte die große Verwirrung. Man zog sich zu langen Beratungen zurück, und der Verband der Pariser Juweliere beschloß, dem Konkurrenten durch einen Prozeß die Lust an der Sache zu nehmen. Damit der Japaner inzwischen nicht Boden fassen konnte, wurde gegen ihn der Boykott verhängt. Als sich dann die beiden Parteien, die Angreifenden und der Angegriffene, vor den unbestechlichen Richtern t r a fen, gab es sehr erstaunte Gesichter. Der Japaner Mikimoto hatte für die Verhandlung aufs gründlichste vorgesorgt. Mikimoto konnte mit außerordentlichen Gutachten aufwarten. Sie stammten von dem ehrenwerten Doktor Lyster Jameson, P r o fessor an der englischen Universität Oxford, von dem bekannten Zoologen David Tarr Jordan, der sich viele Jahre mit den Perlmuscheln beschäftigt hatte, und von den hervorragenden französischen Biologen, den Professoren Louis Goudhan, Adolph Lou3
gin und Auguste Dollfus, an deren Sachkunde ebenfalls nicht zu zweifeln war. Dies« Fachleute waren die wirksamste Schutztruppe, die Kokichi Mikimoto sich hatte verpflichten können. Sie bezeugten einhellig, daß an seinen Perlen nichts auszusetzen sei. Die Prozeßgegner hatten diesem Urteil nichts Gewichtiges entgegenzustellen. Sie blieben den Nachweis der Unechtheit und der Unlauterkeit schuldig; denn hier stand nicht „echte N a t u r " gegen „unechte Nachahmung", sondern hier handelte es sich in beiden Fällen um die gleichen, naturgewachsenen Perlen. Nur die Methode, zu diesen echten Perlen zu kommen, war in beiden Fällen verschieden.
Ein Kapitel „PerienbioJogie" Um diesen Naturvorgang zu verstehen, müssen wir uns hier ein wenig mit den Daseinsverhältnissen der perlenerzeugenden Lebewesen befassen. ' Die Biologen, die über den Werdeprozeß der Perlen befragt werden, gestehen, daß sie im letzten das Bätsei noch immer nicht ganz gelöst haben. Sie können zwar vieles erklären und begreiflich machen, aber anderes wieder ist mit einem dichten Schleier noch verhüllt. Es sind nicht nur die Muscheln, die in ihrem I n nern die „Versteinerten Tautropfen" heranwachsen lassen; es gibt auch Meeresschnecken und manche schalentragenden Tintenfische, die mehr oder weniger ansehnliche Perlen hervorzaubern können. Untersucht man die Schalen dieser Perlenlieferanten, so entdeckt man gleich, daß sie aus ziemlich rauh gefügten Kalkschichten bestehen. Gegen diese Bauheit hat sich der zarte, fleischige Körper im Innern durch jenen schimmernden, glatten Überzug geschützt, den wir Perlmutter nennen. Aus dem gleichen Perlmutterstoff bestellen auch die Perlen. Sie bilden sich aber nur in Abwehr gegen bestimmte Reize. Man hat deshalb die Perlen als das krankhafte Erzeugnis der schalentragenden Weichtiere bezeichnet. Solche Reize in dem äußerst empfindlichen Leib der Weichtiere, der Muscheln oder Schnecken, können zunächst einmal entstehen, wenn ein Fremdkörper, ein sogenannter Reizkörper, in 4
Der PerlenkOnif» Kokichi Mikimoto als Neunzigjähriger
das Innere des Schalengehäuses dringt oder wenn sich vom Körper selbst Partikelchen ins Schaleninnere absondern. Von mancherlei Fremdstoffen kann das hochempfindliche Tier belästigt oder geärgert werden. Bei einem Stoß von außen kann sich ein Schalentriimmerchen nach innen absetzen, Steinchen oder Sandkörnchen dringen von außen ein, Milbeneier, Blattwurmlarven, Würmer, Spaltalgen oder Spaltpilze suchen sich im Innern ein Versteck. Diese Wasserlebewesen sind ja oft so winzig, daß sie irgendwo Einlaß finden. Wenn es dem Schalentier nicht gelingt, die Eindringlinge wieder hinauszuwerfen, so versucht es, eie wenigstens unschädlich zu machen und die Belästigung zu beseitigen. 5
Der Fremd- und Reizkörper wird eingehüllt. Um ihn herum bildet sich ein häutiger Perlsack, und aus den Zellen des Sackes scheidet sich Perlmutter ab, die sich konzentrisch um den störenden Körper legt. Immer mehr dieses Perlstoffes baut sich in harmonischer Ordnung und in hauchfeinen Schichten um das abgestorbene Gewebeteilchen, das Schalensplitterchen, den Milbenkörper, das eingedrungene Steinkörnchen, den Spaltpilz. Es ist ein geradezu wundersamer Vorgang, wie durch diese automatische Abwehrhandlung des Tierkörpers im Laufe vieler Jahre Perlkugeln von geradezu vollendeter Rundung entstehen. Wenn jedoch der Perlsack nahe der Schale liegt, kann es vorkommen, daß die Perle mit der Schale verwächst oder in ihrem Wachstum gehemmt wird und zu weniger schönen Formen gelangt. Bei den Perlen, die sich um einen Fremdkörper herum gebildet haben, läßt sich später meist der dunkle Kern noch erkennen. Aber es gibt auch völlig kernlose Perlen, die keine Verdunkelung im Zentrum zeigen, und sie sind es, die die meisten Rätsel aufgeben. Bis heute weiß man nicht, wie sich hier das Perlwachstum vollzieht. Man vermutet nur, daß es vielleicht Wucherungsprozesse im Gewebe des Körpers, fehlerhafte chemische UmsetZungen, Gefäßverengungen oder Wachstumsstörungen sind, die in solchen Fällen zur Bildung von Perlsubstanz anreizen. Aber das letzte W o r t ist hier noch nicht gesprochen.
Perlen aus unseren Flüssen W i r brauchen gar nicht bis ins Rote Meer, in den Persischen Golf, nach Indien, Japan, Australien, in den Malaiischen Archipel oder an die tropischen Küsten Amerikas zu gehen, um Perlnfuscheln aufzufinden. Auch in Bächen und Flüssen gibt es Muscheln, die Perlen erzeugen, und diese Süßwassermuschelperlen haben in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt. Es gibt Mississippi-, Missouri-, Hudson-Flußperlmuscheln; in den Bächen der Pyrenäen, in Schottland und in Frankreich findet man sie. Sie kommen aber auch in deutschen Gewässern vor, in den Bächen des Spessart, in Oberfranken, in Niederbayern, in der Oberpfalz, im sächsischen Elstergebiet. Auch bei den Fluß6
muscheln ist der Vorgang, der zur Perle führt, der gleiche wie bei den Meeresmuscheln. Der Raubbau h a t jedoch den Flußperlmuscheln im Laufe der Jahrhunderte sehr zugesetzt. Man fischte sie nicht nur wegen ihrer Perlen, sondern auch wegen ihrer, perlmutternen Schalen, die von den Kunsthandwerkern als Zierblätter für Einlegearbeiten begehrt waren. Später drechselte man auch Zierknöpfe daraus. Eine der ergiebigsten Perlmuscheln der heimischen Gewässer war die Margaritana margaritichera L., mit der sich Professor Wellmann eingehend beschäftigt hat. Man hat sich in Forscherkreisen lange darüber gestritten, ob sie ein Überbleibsel der Eiszeit sei. Vor allem in der Lüneburger Heide sind ja die perlmuschelführenden Bäche Reste von Wasserläufen aus der großen Vereisung Norddeutschlands. Heute glaubt man, daß die F l u ß perlmuschel mit der Eiszeit nichts zu tun habe. Vor dem zweiten Weltkrieg schätzte Professor Wellmann die Zahl der Perlmuscheln in den Bächen des Lüneburger Landes auf etwa 50000. Aber einst müssen lange Strecken der Bäche gleichsam mit Muscheln „gepflastert" gewesen sein, so daß mehrere Schichten übereinander saßen. Die Muschelbänke dehnten sich über Sandflächen und steinigen Untergrund, zwischen das Wurzelgeflecht der Waldbäume und an dicken, grünen Pflanzenpolstern entlang. Nach dem Kriege konnte der Muschelbestand der deutschen Bäche noch nicht abgeschätzt werden. Die Verunreinigung der Gewässer hat sehr zum Verschwinden der Flußperlmuscheln beigetragen.
Aus der Arbeit der Perlenfischer Die Sachverständigen vor dem Pariser Gericht hielten, um Kokichi Mikimotos Vorgehen zu erklären, eine richtige Vorlesung über die bisherigen Methoden der Perlenfischerei. Sie wiesen darauf hin, wie sehr das Auffinden solcher Perlmuscheln in der freien Natur, d. h. im freien Meer, vom Zufall abhängig sei, sie schilderten anschaulich die Mühsal, der die Perlfischer bei der Suche nach fündigen Muscheln ausgesetzt seien. Zwanzig bis fünfundzwanzig Meter tief stiegen sie zu den Muschelgründen und Muschelbänken hinab, die Füße mit schweren Steinen b e -
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lastet, und lösten, mehr tastend als sehend, mit ihren Haumessern die Muscheln vom Meeresgrund. In Körben werde die Muschelernte an Land gebracht, aber es müßten oft viele Tausende Musehein gewaltsam geöffnet werden, ehe eine einzige, verkaufsgünstige Perle zum Vorschein komme. Dadurch würden die Muschelbänke immer mehr verringert. Was Mikimoto getan habe, so erklärten sie weiter, sei ein viel schonenderes Verfahren; und es sei keineswegs Gaukelei, sondern Nachahmung eines natürlichen Vorgangs: er führe der Muschel Fremdkörper zwischen die Schalen ein. So werde die Muschel angereizt, den Schutzvorgang auszuführen und Perlsaft zu erzeugen. Wenn der Heizkörper an die richtige Stelle eingeschoben werde, dann bilde sich ganz von selbst die begehrte runde Perle. Diese Perlproduktion sei weit weniger kostspielig als die bisherige Perlmuschelsuche. Wie könne man da von Marktbetrug und Übervorteilung sprechen? Mikimoto gewann den gegen ihn angestrengten Prozeß. Die Juweliere und Großhändler mußten sich damit abfinden. Als sich die Wogen der Erregung gelegt hatten, erwies sich Mikimoto als ein Mann der Weisheit des Fernen Ostens: Er nannte seine Perlen im Gegensatz zu den Zufalls- oder Naturperlen Kultur- oder Zuchtperlen, weil der menschliche Eingriff sie entstehen läßt. Als Mikimoto vor dem letzten Krieg sein Unternehemn zur größten Höhe gesteigert hatte und als Perlenzüchter internationalen Rang besaß, gehörten ihm an den Küsten seiner j a p a n i schen Heimat ausgedehnte Anlagen, in denen er Millionen von Muscheln unterhielt, die etwa 45 Prozent des Weltangebots an Perlen lieferten. Der Anteil an Naturperlen war zwar zurückgegangen, aber sie galten auch weiterhin als die wertvollsten Erzeugnisse der Muscheltiere. Es war nicht verwunderlich, daß die Welt Mikimoto den „Perlenkönig" nannte.
Aus der Kulturgeschichte der Perlen Die blumenreiche Sprache des Orients hat die Perle und ihr wie von innen kommendes mattes Leuchten mit den liebreizendsten Namen bedacht. Der orientalische Händler nimmt, um der 8
Schönheit dieser Kleinodien gerecht zu werden, seine Vergleiche aus allen Gebieten der Natur. Er spricht vom Rosenglanz der Perle aus dem indischen Bombay, vom Silberlicht der Australperlen, vom Goldgelb der Bahrein-Perlen, er rühmt ihr Licht als den Kristallglanz oder den Sternenschein der Frostnacht. Er bezeichnet sie als die Juwelen des Ozeans, als Erstarrte Träume, Versteinerte Tautropfen. Er vergleicht das Schimmern mit dem des silberwölkigen Mondes oder mit dem Weiß der geschlossenen Lotosblüte; er nennt sie Meine Mond-, Meine Sonnenscheibe oder Himmelstau, und er findet immer neue, überschwengliche schmückende Beiwörter, um Lobenswertes zu sagen. Der blitzende Diamant, das zarte chinesische Porzellan, die samtzarte Perle: Sie stehen in einer Reihe, wenn man die Kulturgeschichte des Schmuckes zurückverfolgt. Wie weltbekannte Diamanten ihre oft beschriebenen, beinahe phantastisch anmutenden Schicksale haben, so gibt es auch Perlen mit eigener, seltsamer Geschichte. Vor 4500 Jahren rühmten die Chinesen die Juwelen des Ozeans als das Erlesenste, was die Welt besitze.
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So wachsen Perlmuscheln des Meeres im Laufe von zehn Jahren heran 9
Peilenringe und Perlenketten kamen aus den Gräbern assyrischer Fürstinnen zutage; sie haben zwar im Laufe der Jahrtausende ihren einstigen Glanz verloren - wie jede Perlenschonheit nur von begrenzter Dauer ist -, aber auch diese erblindeten Perlen erzählen manches aus dem Kulturleben jener frühen Fürstenhäuser des Zweistromlandes. Als Alexander der Große erobernd und staatenbildend das Perserreich durchzog, brachten die Vertreter der Städte unter den Tributen Perlen, die von Tauchern aus dem Persischen Golf heraufgeholt worden waren. Durch Alexander lernten die Griechen die Perle schätzen, und ihre Händler brachten sie auf die Märkte Roms, ü b e r die Herkunft und über die Entstehung der Perlen hat der römische Naturforscher Plinius eifrig nachgedacht und in seiner Naturgeschichte berichtet, was er darüber zu wissen glaubte. Er bekannte: „ P r i n cipium columenque omnium rerum pretii margaritae tenent", ,Nichts Kostbareres gibt es auf der Welt als die Perlen.' Von Julius Cäsar erzählt man, daß er nach unserem Gelde über eine Million ausgegeben habe, um eine einzige Perle von erlesenem Glanz zu erwerben. Manche behaupten sogar, Cäsar habe seine Feldzüge nur deshalb immer weiter nach Norden ausgedehnt, um endlich an die vielgerühmten schottischen Perlenbänke zu gelangen; aber er ist sicher enttäuscht worden; denn die Flußperlen Europas können den Vergleich mit den Meeresperlcn der warmen Gewässer nicht aushalten. Die nordischen Schatzsucher der Römerzeit fanden einen Ersatz, der ihnen, wenn er auch nicht gleich wertvoll wie die Perlen war, so doch immerhin gut genug erschien zum handelsfähigen Schmuck: den Bernstein. Im Mittelalter gewann die Perle fast kultische Bedeutung, in ihrer Reinheit und in ihrer vollkommenen Gestalt galt sie dem Menschen der romanischen und der gotischen Zeit als das heilige Sinnbild für die Liebe Gottes, und man schmückte mit ihr die Reliquienschreine und die Kreuze und fügte sie in die Buchdeckel ein, diese oft überreich geschmückten Behältnisse für die Niederschrift des Wortes Gottes und der Texte für das Chorund Meßgebet. Unter den Perlen, die in späterer Zeit Geschichte gemacht haben, ragen hervor die große birnenförmige Perle „Pellegrina", 10
die aus Westindien an den Hof des spanischen Königs Philipp II. kam und hier wie ein Weltwunder bestaunt wurde; sie gehörte zu den größten, die je gefunden worden sind, und kostete nach heutigem Gelde vier bis fünf Millionen Mark. Größer war u n seres Wissens nur noch die Perle, die im Jahre 1851 auf der Londoner Industrieausstellung gezeigt wurde, sie hatte eine Länge von 3,8 und eine Breite von 2,5 Zentimetern. Von verhängnisvoller Bedeutung wurde ein Diamanten- und Perlenhalsband, das Prinz Rohan der Königin Marie Antoinette von Frankreich zueignen wollte, um ihre Gunst zu erkaufen. Die Skandalgeschichte um diese Kette untergrub das bereits schwer erschütterte Ansehen des französischen Königtums noch mehr und brachte einem der Mitbeteiligten lebenslänglichen Kerker ein. Auch von Flußperlen wissen alte Chroniken manches Interessante zu berichten. In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege, als der Aufbau der zerstörten Städte und Dörfer, der nur noch mit dem Aufbau nach dem letzten Kriege zu vergleichen ist, allerorts begann, als Straßen wiederhergestellt und Brücken neu errichtet werden mußten, als das wiedererwachte Lebensgefühl des Barock nach Ausdruck drängte und überall Großkirchen, Dome und Paläste in dem neuen Architekturstil entstanden, suchten die Landesfürsten nach Geldquellen für all diese Bauvorhaben. Scharlatane boten sich an und behaupteten, aus Blei Gold machen zu können. Für die Umwandlung der Elemente, die in unserer Zeit gelungen ist, war es in jenen Jahrzehnten jedoch noch zu früh. In dieser Zeit entsannen sich die fürstlichen Finanzleute einer fast vergessenen Schatzquelle: Es waren die Perlmuschelbänke in den Gewässern ihrer Länder. Wie das einheimische Porzellan, das in den fürstlichen Manufakturen hergestellt wurde, durch den Export in fremde Länder die fast immer leeren Kassen der Höfe zu füllen begann, so hoffte man auch aus den Perlen der Flußmuscheln ein erträgliches Geschäft zu machen. Im Schloß zu Celle in der Lüneburger Heide residierte im Zeitalter des französischen Sonnenkönigs die Herzogin Eleonore. Sie war in Frankreich als eine Gräfin d'Olbreuse geboren und 11
hatte aus ihrer Heimat nicht nur die Vorliebe für schöne Pariser Perlen mitgebracht, sondern auch den handfesten Sinn der Merkantilisten, jener Wirtschaftsleute, die sagten, was man im eigenen Lande haben könne, das solle man nicht aus andern Landern beziehen. So kam es, daß die Heidegewässer um Lüneburg, von denen bekannt war, daß sie Perlmuscheln in großer Zahl bargen, durch die fürstlichen Aufseher abgefischt wurden. Den Untertanen war die Perlmuschelfischerei untersagt, da sie von altersher ein königliches, später ein landesfürstliches Vorrecht war. Und tatsächlich: Die Bäche und Flüsse, deren Bestände lange Zeit geschont geblieben waren, brachten den amtlichen Perlenfischera reiche Erträge ein. Die Perlen aus den einheimischen Muscheln konnten sich zwar nicht mit denen der Meeresgründe messen,i sie waren meist kleiner und saßen oftmals an der Muschelschale fest, so daß sie nur zu halbrunden Gebilden heranwachsen konnten. Trotzdem zeigten sich die fürstlichen Kammern mit dem, was ihnen zugetragen wurde, durchaus zufrieden. Aus den schönsten Stücken ließ sich Herzogin Eleonore eine glanzvolle Perlenkette herstellen, auf die sie mit Recht besonders stolz sein durfte. Mit größter Genugtuung habe die H e r zogin ihren zahlreichen Besuchern aus aller Welt die wundervolle Schmuckkette vorgewiesen, so berichten die alten Geschichten. Im Staatsarchiv zu Hannover kann man darüber Erstaunliches nachlesen. Die Funde ließen indes schnell nach, da sich schon bald W i l derer über die Muschelbänke hermachten. Erst in viel späterer Zeit haben sich die Muschelbänke wieder so weit entwickelt, daß sich die Ausbeutung lohnte. Ein förmliches Perlfieber gab es zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der Heide. Alt und Jung fischte nach Perlen; Hamburger Juweliere kauften die Funde auf. Eines der wertvollsten Perlenkolliers von Heideperlen besaß die Königin Maria von Hannover. Es war das Geschenk eines begüterten Hamburger Kaufmanns und fügte sich aus 64 der schönsten deutschen Flußperlen zusammen. Perlenfischer schenkten Heideperlen auch den Kirchen, wo sie zur Verzierung von Altardecken und Altargeräten verarbeitet wurden. Solche Dek12
Die Chinesen schieben oft kleine metallne Buddhafiguren in die Muschel, die sie mit Perlstoff überzieht ken und Geräte findet man noch in den niedersächsischen Klöstern in Wienhausen und an anderen Orten. Eines der herrlichsten einheimischen Kleinodien jener Jahre gelangte in die Krone der Königin von England.
Der Nudelhändler Kokichi Aber weder die Naturperlen der Binnengewässer noch die der tropischen Meere haben im Laufe der Zeit den Bedarf decken können. Erst die Entdeckung der Zuchtmethoden durch Mikimoto h a t den Markt belebt. Kokichi Mikimotos Leben ist mehrmals erzählt worden. Als der Verfasser sich in die Lebensdarstellungen vertiefte, ergaben sich so viele Widersprüche, daß er sich entschloß, sich über den 13
Perlenkönig durch japanische Augenzeugen unterrichten zu lassen. So entstand das nachfolgende Lebensbild, aus dem hervorgeht, daß es Kokichi Mikimoto nicht leicht gefallen ist, die Zuchtperlen zu einer Weltangelegenheit zu machen; denn er hat nie eine Hochschule besucht, ja, er ist niemals über den Bildungsstand der Volksschule hinausgekommen, und trotzdem wurde er, kraft seines eisernen Willens, aus einem armen Nudelverkäufer ein japanischer Baron und ein Großkaufmann. Und das will, besonders unter den fernöstlichen Bedingungen, etwas heißen. Japan, das „Land, wo die Sonne aufgeht", steckt voller Merkwürdigkeiten. Kommt man als Tourist in das Inselreich des Tenno, so erwartet den Besucher eine fast unüberschaubare Fülle von Sehenswürdigkeiten; so kommt es, daß nur wenige Europäer einmal den Weg nach Toba finden, das etwa zweihundertfünfzig Kilometer südwestlich von Tokio liegt. Hier gibt es keine schauwürdigen Tempel oder uralte Paläste, die den Besuch lohnten. Toba ist nichts als eine Hafenstadt, klein, eng, wie es eben j a panisehe Kleinhäfen sind. Und doch bietet Toba etwas Besonderes, das „Perlenreich" Kokichi Mikimotos. Hier lebte vor hundert Jahren ein armer Nudelmacher, Kokichis Vater. Was hätte bei den ärmlichen Verhältnissen, in denen die Mikimotos lebten, der junge Kokichi anders werden können als der Vater! Die Familie zählte viele hungrige Köpfe. Um sie satt zu bekommen, mußte die Mutter mit dem Vater zusammen den kärglichen Lebensunterhalt verdienen. Doch die Teigwaren, die sie herstellten, brachten nicht mehr als einen Sen für den Napf ein, das sind wenige Pfennige nach unserem Geld. Kokichi wuchs inmitten der Kinderschar heran, für eine gediegene Schulbildung war keine Zeit. Die Eltern erzogen den Knaben im Glauben an die alten Götter, die sie vor dem Hausaltar und in den Tempelchen und Tempeln der Umgebung verehrten und denen sie opferten. Dieser Glaube hat Kokichi Mikimoto zeit seines Lebens nicht verlassen. Er wurde die Richtschnur für sein Streben und Handeln; und auch die Ehrfurcht vor den Eltern und den heimgcgangenen Ahnen verlor er nicht, jenen Vorfahren, die nach der uralten Vorstellung des Japaners im Umkreis der Familie weiterleben und denen er in Gehorsam zuge14
tan war. Zu ihnen flüchtete er, wenn widrige Schicksalsschläge sein Leben und sein W e r k bedrohten; und solche Schicksalssehläge trafen ihn eigentlich in all den Jahrzehnten, bis er endlich einen Erfolg seiner Arbeit sehen konnte. Als Kokichi Mikimoto vierzehn Jahre alt war, begleitete er als „Reisender in Teigwaren" seinen Vater, und bald durfte er schon selbständig und allein über Land ziehen, damit sich die Eltern mit der Herstellung der W a r e befassen konnten. Doch erkannte er bald, daß dieses Geschäft zu einseitig sei und daß es sich auf die Dauer nicht lohne; es müsse noch etwas dazukommen, damit sein Angebot verlockender werde. So packte er auch Sojabohnen — das schmackhafte Gemüse für das japanische Nationalgericht —, Bauernkäse und Obst auf seinen Karren. Später nahm er auch Hummern und Schnecken in seinen fahrenden Laden auf. Man liebte den unternehmungsfrohen und immer heiteren Wanderkaufmann, und so stiegen bald der Umsatz und der Nutzen. Aber noch immer reichte es nicht für ein einigermaßen gutes Einkommen seiner Familie. Kokichi mußte an seiner Kleidung sparen, um das Geld, das er heimbrachte, nicht zu schmälern. Japan ist nicht immer warm wie zur Zeit der Kirschblüte, die in der übrigen Welt als das japanische Naturwunder betrachtet wird. In Japan kann es auch sehr kalt sein. Der Knabe Kokichi fror in seiner dürftigen Kleidung oft gottserbärmlich. Dann packte er heiße, süße Kartoffeln unter seinen Kimono, dort bildeten sie seinen Leibwärmer. Zum Frühstück, wenn die Sonne das gefrorene Gebein etwas auftauen ließ, aß er sie auf. ..
Die Sternstunde Kokichis Im Jahre 1891, als unsere eigentliche Geschichte beginnt, zählt Kokichi 33 Lebensjahre. Noch immer hat er es nicht zu dem gebracht, was er sich in seinen Jugendträumen erhofft hat. Zwar nennt er ein Geschäft sein eigen, seitdem er dem Elternhaus entwachsen ist und die Geschwister den Weg in die Berufe gefunden haben. Aber immer mehr scheinen die Aussichten, einmal ein reicher Mann in Toba zu werden, in nebelhafte Ferne zu zerfließen. 15
Ein Ausflug in die große und alte Stadt Yokohama wird zu seiner Sternstunde. Dort ist in jenem Jahre eine Gewerbeausstellung aufgebaut. An vielen Ständen werden Perlen feilgehalten. Keine großen Stücke sind es, aber sie erzielen gute Preise. Kokichi unterhält sich mit den Händlern. Er hört, daß die Nachfrage nach diesen bescheidenen Perlen immer mehr ansteigt. Einer der Händler überläßt ihm eine Flugschrift, bedeckt mit den uns seltsamen japanischen Druckbuchstaben, die von oben nach unten gelesen werden. Der Kaufmann hat ihm erzählt, daß in dem Heft mancherlei über die Perlen geschrieben sei. Als Kokichi nach Hause gekommen ist, vertieft er sich mit steigendem Interesse in den Inhalt. Bei der Lektüre dieser Flugschrift, so sagt man, sei Mikimoto die Idee gekommen, die sein Leben völlig verwandeln sollte. Es war Erstaunliches, was in der Flugschrift berichtet wurde. Die Chinesen, hieß es da, hätten vor vielen Jahrhunderten damit begonnen, aus den Muscheln, die sie vom Meeresgrund heraufbrachten, die größten und schönsten auszusuchen, um sie in ein Bassin mit Wasser zu setzen. Das Bassin brachten sie an einen vor Winden und Fluten geschützten Ort vor der Küste und ließen es ins Wasser hinab. Dann stellten sie winzige Kerne her, die sie aus pulverisierten Saatperlen bereiteten. Saatperlen sehen aus wie blinkende Senfkörner, aber sie gelten nicht als vollwertige Perlen oder als Perlenableger, sondern als mißachtete Perlenzwerge, für die es bis dahin keine Verwendung gegeben hat. Die chinesischen Fischer vermahlten sie zu Pulver, fügten den Saft einer besonderen Art der Stechpalme dazu, mischten das Ganze zu Kügelchen und schoben diese Gebilde in die geöffneten Muscheln ein. Die Muscheln selber ernährten sie mit einem Gemisch von Honig und Arzneikräutern hundert Tage lang. Dann begannen die Muscheltiere das Kügelchen nach und nach „zu umspinnen". Aus diesen „Gespinsten", so behauptete der Verfasser der Schrift, seien Perlen entstanden. Mancher dieser Perlenfischer habe anstelle der pulverisierten Saatperlen auch winzige, geschnitzte, metallene oder wächserne Buddhafiguren in die Muscheln eingeführt, um sich den Segen der Götter für das Wachstum der Perlen zu sichern. Solche mit Perlsubstanz über16
Frisch aus den Muscheln geerntet; unten und an der Seite Perlen, die mit der Perlmutterschicht der Schale verwachsen waren und geringeren Wert haben
zogene Buddhafiguren finde man noch in den Basaren, aber bisher habe niemand recht gewußt, wozu sie einst gedient hätten. Auch fromme Amulette, so hieß es, seien manchmal als Kerne in die Muscheln eingepflanzt worden. Nachdenklich kehrte Kokichi nach Toba zurück. Es arbeitete in ihm. Der Gedanke, daß ein so unscheinbares Geschöpf wie eine Muschel mit erheblichem Nutzen zu einer vom Menschen gesteuerten Tätigkeit angehalten werden könne, erschien selbst seinem an Phantasie reichen japanischen Kopf zu phantastisch. Er überlegte kühl. Trotz seines frommen Gemütes glaubte er nicht daran, daß die Perlenbildung, sofern die alte Geschichte wahr sein sollte, etwas mit der Gestalt Buddhas oder mit der Wirksamkeit eines Amuletts zu tun haben könne. Er glaubte, daß etwas ganz anderes der Grund sei. Er überlegte, ob es nicht möglich sei, die Muscheln durch andere Dinge zur „Spinntätigkeit" anzuregen, etwa durch einfache Tonkügelchen oder Steinchen oder Sandkörnchen. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los. Es mag ihm bei seiner 17
Ehrerbietung vor dem Walten der Götter zunächst vermessen vorgekommen sein, der göttlichen Natur ins Handwerk zu pfuschen; denn das war doch der Fall, wenn man solch ein unbegabtes Muschelgeschöpf zwang, das zu tun, was der überlegene Intellekt des Menschen ihm befahl. Er war unschlüssig, was er tun solle. W a r es nicht ein großer Frevel wider die Natur, wider die Geschöpfe, die von den Göttern geschaffen wurden, wenn man auf solche Weise in den geordneten Lauf der Dinge eingriff? Kokichi kämpfte einen heftigen Kampf in sich selber aus. Erst als er den Tempelpriestern von seinem Vorhaben sprach und sie ihm alle Bedenken nahmen, entschloß er sich zu einem Versuch.
In der Bucht von Toba Vor Toba erstreckt sich die vielfach ausgewölbte Ago-Bucht. Die Wasser sind hier ruhig, die Haifische wagen sich nicht herein, und selten brandet die Hochflut in das Gewässer. Kokichi Mikimoto war überzeugt, daß das die richtige Stelle sei, um zu experimentieren. So wurde die Ago-Bay Kokichis Arbeitsfeld. Aber es sollte einige Jahrzehnte dauern, bis er mit seiner Arbeit zufrieden sein durfte. Kokichi befaßte sich, soweit es seine Einsicht und seine Bildung erlaubten, eingehend mit den Lebensumständen der Austermuscheln, die als die besten Perlenlieferanten bekannt waren und die er auch für sein eigenes Unternehmen bevorzugen wollte. So tauchte er, wie die Muschel- und Perlenfischer seiner Heimat, mit einem Steingewicht an den Füßen und mit einem Haumesser und einem Korb versehen, auf den Grund und sammelte Austermuscheln, soviel er nur raffen konnte. Wenn er eine große Menge an Land gebracht hatte, klappte er die lebenden Muscheln ein wenig auf, ohne daß sie Schaden litten, und schob ihnen zwischen Austernleib und Schale Sandkörner ein. Es mögen etwa zehntausend Austermuscheln gewesen sein, die er als erste „ p r ä parierte". Dann brachte er sie an eine eng umgrenzte Stelle der Bucht und wartete einige Monate. Als er aber nachschaute, fand er nicht die winzigste Spur eines Perlansatzes. 18
Doch etwas anderes hatte er mittlerweile gefunden,' was ihn seine Enttäuschung vergessen ließ: ein treues Weib, Urne mit Namen. Während sie den Nudelladen schlicht und recht weiterführte, verbrachte er Wochen und Monate brusttief im Wasser. Er hatte einige Taucher gewonnen, die ihm beim Muschelsammeln halfen. Doch wie sollte er sie bezahlen? Von seinem Nudel- und Gemüseverkauf bestimmt nicht! So machte er Schulden und galt als Perlennarr, dem schon bald niemand mehr Geld borgen wollte. Manch anderer hätte vor all den Schwierigkeiten kapituliert. Auch Kokichi dachte manchmal daran, ob jene chinesische Geschichte nicht vielleicht ein Märchen gewesen sei und ob er nicht einem Phantom- nachlaufe. Aber dann begann er doch wieder weiterzumachen. W a r es mit den Sandkörnchen nicht gelungen, so konnten vielleicht Perlmutterstückchen helfen oder Glas, oder Kupferteilchen, oder auch Paraffinbröckchen. Mit allem, was er nur irgendwie für geeignet hielt, stellte er seine Versuche an. Er setzte die Fremdkörper an das Muschelschloß oder dicht an die perlmutterschimmernde Innenseite der Schale. Aber er gab sich damit allein nicht zufrieden, er untersuchte auch die Temperatur des W a s sers, brachte die Muscheln bald in kältere, bald in wärmere Tiefen. Das Ergebnis war gleich Null. Da kam ihm eine Erleuchtung: Vielleicht lag sein Mißerfolg darin begründet, daß er die Muscheln nach der Impfung wieder auf den freien Meeresgrund zurückbrachte, wo die Lebensbedingungen für die durch den Eingriff noch empfindlicher gewordenen Tiere ungünstig sein mußten. Vielleicht wurden „seine" Muscheln durch Tiefenströmungen hinweggeschwemmt, so daß er gar nicht mehr dieselben Muscheln heraufbrachte, die er behandelt hatte. Konnte es nicht sein, daß die ungeschützt lagernden Muscheln von Kraken und Seesternen angegriffen und gefressen wurden. Er mußte anders vorgehen! Kokichi baute sich aus langen Stangen und leeren Trommeln und Fässern einige langgestreckte Flöße, die er im Schutz einer Halbinsel ins Wasser brachte und dort fest verankerte. An die Flöße hängte er in bestimmten Abständen ins Wasser reichende Käfige aus Bambusstäben oder Draht. In diese Käfige, in die so 19
leicht kein Feind eindringen konnte," barg er jetzt die Muscheln,1 denen er die Fremdkörper einverleibt hatte. Zwei Jahre vergingen. Dann aber war seine Geduld zu Ende. Kokichi und Urne nahmen Stichproben aus den Behältern. Sechs Tage lang öffneten sie Muschel um Muschel, aber jede brachte nur Enttäuschung. Da im Juli 1893, brach Urne eine Muschel auf und fand eine halbrunde Perle! Vier weitere gesellten sich aus anderen Muscheln dazu. Urne und Kokichi wußten sich vor Glück nicht zu fassen. Mit den Perlen eilten sie heim. Vor dem Familienaltar knieten sie nieder und opferten die fünf halbrunden Perlen den Göttern. Wieder aber stiegen Zweifel in ihm auf. Waren diese halbrunden Perlen wirklich seinem Eingriff zu verdanken? Oder hatten sich die Muscheln beim Atmen vielleicht selber einen Fremdkörper einverleibt und diesen zur Perle umsponnen? W e r konnte das sagen? Kokichi mußte sicher gehen. Er arbeitete jahrelang unermüdlich weiter. Mehr als einmal zerstörten in dieser Zeit Taifune seine immer größer werdenden Floßgerüste, Seuchen fielen über den jungen Muschelnachwuchs her, und oftmals zwang der Mangel an Geldmitteln und an Hilfskräften zur Einstellung der Versuche. Aber er mußte zum Ziel kommen. An einer kleinen Insel, die nach unserer Sprache den Namen „Viele Tugenden" trägt, legte er eine neue Unterwasserfarm an. Die ganze Familie arbeitete mit, auch die Kinder, soweit sie schon mittun konnten. Jedes J a h r im April setzte er fünfzigtausend Muscheln aus und senkte sie in den Käfigen einige Meter tief ins Wasser. Urne starb, ohne daß sie ihrer beiden Hoffnungen erfüllt gesehen hätte. Kokichi trauerte so sehr um sie, daß er sich nicht wieder vermählte. Bis zu seinem Tode hielt er ihr die Treue, 53 J a h r e lang. Unvergeßlich war ihm ihr Andenken. Stets, wenn er einen neuen Erfolg verbuchte, ging er zu ihrem Grabe und hielt mit ihr Zwiesprache. Einige Jahre nach Umes Tod kam Kokichi zum ersten Ruhm; sein Unternehmen und gewisse Erfolge waren der Öffentlichkeit
In der Bucht von Koba, Flöße der schwimmenden Perlfarm
nicht verborgen geblieben. Schon gab es einige Unruhe auf dem Perlenmarkt, zumal sich auch die Wissenschaft mit der Frage der Perlenzüchtung zu befassen begann. Der erste europäische Gelehrte, der die Auffassung vertrat, daß es möglich sein müsse, Muscheln künstlich zur Perlbildung anzuregen, war Theodor von Hessling; Hessling hatte einige Zeit, bevor Mikimoto sein Perlmuschel-Experiment begann, eine grundlegende Arbeit über die Perlmuschel und die Perlen erscheinen lassen. Mikimoto lernte diese Schrift Jahrzehnte später mitten in seinen Versuchen mit Muscheln kennen. Er ging damit zu dem japanischen Zoologieprofessor Kakiki Mizukuri und ließ sie sich ins Japanische übersetzen. Mikimoto ersah, daß der deutsche Gelehrte praktische Anweisungen nicht angegeben hatte. Mizukuri aber ermunterte seinen Landsmann, in seiner Arbeit nicht nachzulassen. 21
Das Jahr 1901 führte Kochiki einen guten Schritt vorwärts. In diesem Jahre besuchte der japanische Prinz Komazu den englischen König Eduard VII. in London und wohnte seiner Krönung bei. Wie es bei solchen Anlässen üblich ist, überbrachte der Besucher als Festgeschenk eine besonders wertvolle Gabe: Perlen. Bescheiden bemerkte er, als er das Krönungsgeschenk überreichte, daß es nicht gewöhnliche Perlen von den Muscheln des freien Meeresgrundes seien, sondern daß sie von einem Untertanen seines Kaisers gezüchtet worden seien. Zwar waren es nur halbrunde Perlen, aber ihre Anzahl, Schönheit und vor allem die Absonderlichkeit ihrer Herkunft imponierten dem englischen König. In Europa erregten sie größte Überraschung. Nach diesem ungewöhnlichen Erfolg der Mikimoto-Zuchtperlen erreichte ein kaiserliches Schreiben die bescheidene Hütte, in der der Perlenzüchter immer noch wohnte. Mikimoto wurde an den Hof des Kaisers nach Tokio befohlen. Der Tenno wollte erfahren, auf welche Weise Kokichi „WasserJuwelen" erzeugt habe. Der Perlenzüchter war erschrocken über diesen Befehl, und doch war er im Innersten beglückt über die Anerkennung, die endlich seinen Bemühungen zuteil wurde. So begab er sich in die Kaiserstadt. Doch zuvor kam er um die Erlaubnis ein, vor dem gottähnlichen Herrscher aller Japaner im baumwollenen Kimono zu erscheinen. Zu einem seidenen Kimono, wie es das Hofzeremoniell verlangte, hatte es bei dem sparsamen Manne noch nicht gereicht. Gnadenvoll empfing ihn der Kaiser, vor dessen Anblick sich Mikimoto niederwarf. In einfachen Worten berichtete er dem Herrseher und denen, die um ihn standen, von seiner Arbeit, von seinen Erfolgen und Mißerfolgen. Als er mit freundlichen Worten entlassen war, führte ihn sein erster Weg zum Grabe seiner Frau Ume. Er wollte ihr berichten, welche Ehre ihm widerfahren sei und daß ihr gemeinsames Lebenswerk nun endlich die ersten Früchte zeige. Danach ging er nach Hause. Dort errichtete er, da ihn sein Gewissen beunruhigte, einen Schrein für die Perlmuscheln, die ihr Leben lassen mußten, wenn sie ihre Perlen hergabein. Als ihn der Priester seines Glaubens befragte, warum er soviel Wesens um solche jämmerlichen Tiere mache, antwortete er ihm: Viel schulde er Buddha, seinem Gott, doch die Ehre, vom Kaiser 22
empfangen worden zu sein,' verdanke er einzig und allein seinen Perlen — und mithin den Perlmuscheln. — Später, als Mikimoto bereits zum Perlenkönig der Welt erhoben worden war, ließ er den Austermuscheln sogar einen Tempel errichten. Zum Eröffnungsgottesdienst waren über fünfzig Priester aufgeboten, und zehntausend Mädchen in festlichen Kimonos trugen Opfergaben zu den Altären. Aber alles, was er bis zum Tage der Kaiseraudienz erreicht hatte, konnte Kochiki nicht genügen. Was ihn innerlich beschäftigte, kreiste um das Geheimnis, vollkommenere Perlen zu schaffen, kreisrunde, und keine halbrunden mehr. Sollte es nicht gelingen, die Natur und die Gesetze des Schöpfers aller Welten wirklich zu ergründen? Er lag vor dem Hausaltar auf den Knien, er pilgerte erneut andächtig zum Grabe seiner Urne, wann würde Buddha ihn erhören? Wieder vergingen Jahre. Man schrieb das J a h r 1905. In Mikimotos Unterwasserbehältern lagerten um diese Zeit eine Million Muscheln, etwa zehn Faden tief. Auf verschiedene Weise brachte er bei den Muscheln die Kerne ein. Es gab so viele Möglichkeiten, die alle durchdacht und erprobt sein wollten. Die Stäbe an den Käfigen waren noch enger zusammengefügt, damit selbst die schlankste Krake nicht in das Innere eindringen konnte. Aber da ergab sich eine neue Gefahr für seine Muschelbänke. Der Alarmruf „Akashio!" lief die Küste entlang. Wenn dieser Ruf in den Muschelbuchten ertönte und von Hütte zu Hütte weitergegeben wurde, war er das Signal, daß die „Rote F l u t " herannahte. Diese Flut wird von einem roten Plankton gebildet, einem Strom kleinster Lebewesen im Wasser, an denen sich die Muschel überfrißt, so daß sie eingeht. Mikimoto brachte in kürzester Zeit zweihundert Taucher auf die Beine, die ihm helfen mußten, die Muscheln in Sicherheit zu bringen. Das W a s ser war sehr kalt, die Taucher, die sonst minutenlang unter der Wasseroberfläche bleiben konnten, mußten schon bald wieder nach oben kommen. So konnte nur ein Viertel der Muschelbestände in sichere Gewässer gebracht werden. Doch ließ Mikimoto alle Muscheln, die sich noch in den Gerüsten befanden, heraufholen und ließ sie einzeln öffnen. 23
Dabei gab es eine große Überraschung: Fünf Perlen kamen zum Vorschein, die vollendet rund waren und eine schneeig weiße Farbe hatten. Große, schimmernde Perlen lagen in seiner Hand. In der Erhabenheit dieses Augenblicks schloß er die Augen. Bei diesen Käfigmuscheln gab es keinen Zweifel mehr: Die Perlen waren durch die von ihm eingeführten Kerne entstanden und hatten sich um diese Kerne gebildet, und zwar auf eine ganz besondere Art und Weise. Bisher hatte Mikimoto geglaubt, er müsse die Kerne, die Fremdkörper, in der Muschel in der Nähe der Schale ablagern, da er annahm, daß die Perlensubstanz von der Schale gebildet werde. In Wirklichkeit war es aber nicht die Schale, die den Saft für die Peilen absonderte, sondern es waren Drüsen im Fleischmantel des Perlentieres. Und nur hier, unbehindert von der harten Schale, konnten sich wirklich kugelrunde Perlen bilden. Niemals durften die eingefügten Kügelchen mit der Schale in Berührung kommen. Bei der genauen Untersuchung der perlentragenden Austern erkannte er noch ein zweites: Er durfte die Kügelchen auch nicht zu tief einfügen, da dann die Muschel leicht beschädigt wurde; sie durften auch nicht zu flach hineingebracht werden, dann schied die Muschel den Fremdkörper wieder aus. Er wußte jetzt die Stelle, wo im Fleisch der Muschel der Kern hingehörte. Es war eine natürliche Tasche, die sich zwischen Magen und Nieren der Auster befand. Mikimoto ließ zudem die Kügelchen, mit denen er arbeitete, mit einem winzigen Stück aus dem Fleischmantel einer Auster umhüllen, da die Muschel hierdurch besonders heftig zur Abgabe von Perlensaft angetrieben wurde. Die Anregung zu diesem Verfahren verdankte Mikimoto wahrscheinlich Veröffentlichungen des deutschen Forschers Alverdes. Mikimoto hatte außerdem inzwischen die beste Wassertiefe für das Eintauchen seiner Käfige herausgefunden; hingen nämlich die Behälter zu tief, so wurden die Perlen glanzlos, hingen sie zu niedrig im Wasser, so verfärbten sie sich rötlich. Nach jahrzehntelanger, harter, wechselvoller Arbeit war Kokichi Mikimoto endlich am Ziel. Das war im Jahre 1913. Von da an wuchs sein Werk. Zwar legte der erste Weltkrieg d e n A b 24
Impferinnen pflanzen die Reizkörper ein
satzmarkt fast ganz lahm, aber schon im Jahre 1921, als er erstmals an der Pariser Juwelenbörse erschien, züchtete er Perlen im Innern von einer Million Austern. Zehn Jahre später beherbergten seine Käfige in der Bucht von Toba und in der Nachbarschaft fünfzehn Millionen Austern, von denen aller Voraussicht nach eine Million absetzbare Perlen liefern würden. Später kam es so weit, daß Mikimoto den Absatz regeln mußte, um die Preise für Perlen nicht zu tief sinken zu lassen. Er brachte jährlich nur noch 250 000 gute Perlen auf den Weltmarkt und scheute sich nicht, die anderen zu verbrennen. 1937 eröffnete er jenen Sühnetempel, von dem wir schon erzählt haben. 1939 exportierte J a pan aus den Zuchtfarmen Mikimotos über dreiviertel Tonnen Perlen. 1950 waren es über sechseinhalb Tonnen, obwohl in der Zwischenzeit, vor allem in den Jahren 1944 und 1947, schreckliche Winterkälte den Austernbänken sehr zugesetzt hatte. 25
Im Reich des Perlenkönigs W e r um das J a h r 1950 nach Toba in Japan kam, um sich im Perlenreich Kokichi Mikimotos umzusehen, dem begegnete inmitten der Perlenfarmen mitunter ein uralter Mann, angetan mit einem schwarzseidenen Kimono oder mit einem Mantel und einem halbsteifen Hut auf dem Kopf. Zwei Krücken ermöglichten ihm — dem Gelähmten — das mühsame Fortbewegen zwischen den weiten, lichten Holzhallen. Hier und da ließ sich der alte H e r r in den Arbeitsräumen vor einem Tisch nieder, während ihm Arbeiterinnen in kleinen Schalen Perlen herbeibrachten, damit er sie begutachte. Längst hatte der Greis — es war niemand anders als der Perlenkönig Kokichi Mikimoto — das neunzigste Lebensj a h r überschritten. Doch immer noch stand er seinem weitverzweigten Betrieb vor. In Tokio, auf der Pinza, einer der lärmvollsten, lebendigsten und romantischsten Großstadtstraßen der Welt, lag das große Handelszentrum für seine Zuchtperlen, ein moderner Bau aus Glas und Beton, mit der lapidaren Aufschrift „Mikimoto Pearls". Aber auch in anderen Städten der Welt fanden sich ähnlich aussehende und ähnlich ausgestattete Geschäfte mit der gleichen Aufschrift. Kein W o r t mehr, keins weniger! In Toba aber saß Kokichi Mikimoto als der Organisator und Lenker all dieser Betriebe und als der unermüdliche Aufseher über seine Unterwasseranlagen und die großen Werkhallen.
* Der Rundgang des Besuchers begann meist im Laboratorium, in dem sich ein Großteil der Lebensgeschichte Kokichis abgespielt hat. Hier war er mit seinen Sorgen allein, wenn Stürme seine Anlagen vernichtet hatten, wenn Seuchen über sie herfielen, wenn Sturmfluten die Flöße aus ihrer Verankerung rissen. Hier ging er seinen Gedanken nach, als im letzten Weltkrieg seine Perlenbuchten eine Versorgungsbasis für die japanische Marine wurden und alle Muschelbänke zum Erliegen kamen. Mikimoto sagt selber über die Schwierigkeiten der Perlenzucht: V,In der Perlenzucht ist man wie beim Weinbau abhängig von Temperatur, Bewölkung und Regenfällen. Milde Temperaturen und die richtige Strömung können eine vortreffliche Ernte er26
geben. In dem einen J a h r lenkt ein Erdbeben die Strömung ab. Ein anderes Mal wirkt sich eine kurze Kälteperiode vernichtend aus. Schwere Regenfälle können Glanzlosigkeit der Perlen verursachen." Durch die geöffneten Fenster des hochgelegenen Laboratoriums überblickt man einen großen Teil der Bucht. Längs des Ufers ziehen sich die Holzhallen hin, in denen Hunderte von Frauen und Mädchen beschäftigt sind. Drunten in dem schmalen Golf plätschern die Wellen an die über die ganze Wasserfläche verteilten Flöße. Es ist nur so viel Platz gelassen, daß die motorisierten Kontrollboote des Unternehmens von Floß zu Floß fahren können. Eine kleine Flotte von Booten und flachen Kähnen liegt außerdem bereit, um bei Sturmgefahr zu bergen, was zu bergen ist. Am Strande türmen sich die Käfige, deren Herstellung allein hunderte Arbeitskräfte erfordert. Es ist eine richtige Industrielandschaft, die sich hier den staunenden Blicken des Besuchers auftut. Als Mikimoto das beste Zuchtverfahren herausgefunden hatte, ging er gleich daran, mechanische Arbeitsgänge zu entwerfen, die, ineinandergefügt, eine einzige Kette von Verrichtungen bilden. Ein Arbeitsgang geht in den anderen über. Der Besucher verläßt das Laboratorium und geht zu den Holzhallen hinüber. Hier beginnt die Arbeit der Muschel für den Menschen, und hier endet sie wieder: Der Beginn ist die Einverleibung des Fremdkörpers in die Muschel, das Ende ist die erhoffte makellose Perle, die die Muschel nach vielen Jahren gebildet hat, indes sie selber dabei ihr Leben verliert. In einer der Hallen sitzen entlang der hohen Fenster, durch die das Meer blaut und die Sonne hell hereinscheint, die Impferinnen. In langer Reihe hintereinander hat jedes der Mädchen seinen eigenen Tisch und darauf in Greifweite mehrere Behälter. Aus dem Kasten zur linken Hand entnimmt sie die Muscheln, denen zur Vorbereitung der Impfung ein schmales Holzstückchen zwischen die Muschelklappen gesteckt wird. Die Impferin setzt die Muschel auf einen Ständer und führt hier durch den Schalenspalt mit Hilfe zweier Stäbchen geschickt die kleinen Kugeln als Kerne ein, die von anderen Arbeiterinnen 27
vorgearbeitet worden sind. Es sind Muschelkalkkügelchen, die mit wenig Muschelfleisch umwickelt wurden. Mikimoto hat die dafür geeigneten Muscheln erst durch lange Versuche ausfindig machen müssen. Als beste Muscheln, de?en Fleisch zur Umwicklung der Kerne besonders gut ist, erwiesen sich Perlmuscheln aus dem Mississippigebiet Nordamerikas. Es sind jährlich erhebliche Mengen, die über den Stillen Ozean nach Japan gebracht werden müssen. Die Größe der Muschelkalkkerne richtet sich nach der Größe der gewünschten Zuchtperlen. Es können auch mehrere Kerne in eine Muttermuschel eingesetzt werden. Die Impferin weiß aus Erfahrung, wieviel Kerne sie der einzelnen vor ihr liegenden Muschel zutrauen kann. Manchmal sind es drei bis sechs Kerne, manchmal bis zu zehn. Sind es ihrer zu viele oder sind sie zu groß, so kann die Muschel diese Fremdkörper nicht mehr bewältigen und stirbt ab. Die Mädchen wissen auch genau, an welcher Stelle sie Kügelchen einsetzen müssen, damit mit großer W a h r scheinlichkeit Perlen zustande kommen. Frauenhände sind hier geschickter als Männerhände. Eine flinke Arbeiterin kann bis zu siebenhundertfünfzig umwickelte Kerne am Tage einsetzen. Die so geimpften Mutteraustern, die etwa drei Jahre alt sind, werden gleich danach in die Käfige zurückgebracht und in ihnen ins Wasser hinabgesenkt. Dann dauert es fünf bis sieben Jahre, bis sich vielleicht Perlen entwickeln. Auch den Augenblick, da die Perlen geborgen werden, kann der Besucher in den Holzhallen miterleben; denn es ist gerade nicht nur Impf-, sondern auch Erntezeit. Wieder sehen wir an kleinen Tischen Scharen von Mädchen bei der Arbeit. In Schalen werden die von Muschelöffnerinnen entnommenen Zuchtperlen zu ihnen gebracht. Sie selber sind von einer Reihe von Schalen umgeben. Ihre Aufgabe ist es, die Perlen nach Glanz, Farbe und Größe zu sortieren. Das geschieht nach Augenmaß. Aber die Hand berührt die Kostbarkeiten nicht. Eine kleine Pinzette greift zu. Noch heikler als diese Sortierarbeit aber ist die weitere Bearbeitung der Perle. Sie ist die letzte Handhabung, die an ihr vorgenommen wird, und sie erfordert die äußerste Geschicklichkeit. Die Perlen werden mit 28
Die große Reinigung: Von Zeit zu Zeit werden die Käfigmuscheln gründlich gesäubert
Hilfe einer kleinen Maschine vorsichtig einzeln durchbohrt. Hält man eine solche Perle mit der Bohrachse gegen das Licht, so kann man im Inneren meist deutlich noch die dunkle Stelle des Kernes erkennen. Andere Perlen erhalten keine Bohrung, sie werden unversehrt in den Handel gegeben, und erst der Juwelier wird sie weiter bearbeiten, um sie zu Perlennadeln zuzurichten oder sie in Fassungen einzusetzen. Von den Hallen, die etwas erhöht an der Küste stehen, geht es auf Stufen hinunter zum Meer, wo sich die Floßanlagen a u s breiten, in denen sich das Geheimnis der Perlbildung vollzieht. Nur mit Hilfe eines sachkundigen Führers kann sich der Fremde hier zurechtfinden. Er wird in ein Motorboot gebeten und läßt das quirlende Treiben am Strande bald hinter sich. Tiefblau liegt die Meeresfläche in der Bucht. Ziel der Bootfahrt sind lang29
gestreckte Hausboote. Auf den Hausbooten scheint immer W a s c h tag zu sein. Was da im Winde flattert, sind die weißen Kittel und Hüfttücher der Taucherinnen. Bald sieht der Besucher die Taucherinnen selbst. Wie Wassernixen steigen sie im Meere auf und nieder, ihre Aufgabe ist es, wildwachsende Austern vom Meeresboden heraufzuholen. Die Mädchen haben in einer Hand einen eisernen Haken, mit der anderen Hand werfen sie ihre Beute in große Kübel, die verankert über ihrem Arbeitsplatz schwimmen. Ein Motorkutter surrt heran. Kräftige Männerarme greifen die Kübel auf und schütten ihren Inhalt auf das Deck. Der Arbeitsplatz der Taucherinnen ist der Meeresboden in etwa zehn Meter Tiefe. Deutlich kann man durch die blaue Flut das Hellgrün der Muschelbänke heraufschimmern sehen. Dort hinunter tauchen die Frauen, brechen mit den eisernen Haken die Muscheln ab und bringen sie herauf. Jedes Tauchen dauert etwa eine Minute. Nach einer halben Stunde beginnt für die Taucherinnen eine längere Pause; w ä h rend dieser Ruhezeit pfeifen sie lauthals auf ihren Booten, um ihre Lungenkraft wieder aufzufrischen. Es ist eine sehr harte Arbeit, und doch haben sich Frauen für dieses Tauchgeschäft am geeignetsten erwiesen. Der Beruf der Taucherin ist in Toba ein sehr altes Gewerbe, die Tochter lernt das Tauchen von der Mutter. Der Japaner nennt diese tapferen Frauen Amas. Ama heißt übersetzt ,,Mädchen des Meeres". Im jüngeren Alter sind die Mädchen jedoch für diese Aufgabe nicht kräftig genug. Im Alter von 40 bis 50 Jahren ist die Taucherin am einsatzfähigsten. Ihre Zahl beträgt durchschnittlich etwa 2000. Sie sind wie die Impferinnen in den Hallen hoch bezahlt. Mikimotos Meistertaucherin, die 58jährige Kitamura Oruku, besaß einen großen Ruf in ganz Japan. Sie vermochte zweieinhalb Minuten am Meeresboden zu verweilen. Diese Zeit lese man einmal an der Uhr ab und halte dabei den Atem an, dann erhält m a n einen Begriff von der Tauchleistung dieser Frau. Das Besucherboot fährt weiter zu den verankerten Floßanlagen. Die fest vertäuten Balken der Gerüste ruhen auf hölzernen oder metallenen Trommeln und sind aus Zypressen gehauen. Man sieht, wie in kurzen Abständen die Käfige in das Meer hineinhängen. 30
Sie bilden den W o h n - und Lebensraum der mit den Kernen versehenen Muttermuscheln, bis die Zeit der Ernte gckomemn ist. Jeder Käfig enthält etwa fünfzig Muttermuscheln, und an jedem Floß hängen über achtig Käfige. Je zwei bis sechs Flöße werden zusammengekoppelt. Das Besucherboot ist an ein Floß herangefahren. Der Blick des Führers geht prüfend über das Gerüst hin, und wo er etwas Verdächtiges bemerkt, greift er ordnend zu, denn die Muschelkäfige lassen die Aufseher niemals zur Buhe kommen. Seeunkraut, Wasserpflanzen, Entenmuscheln können sich an den Muttermuscheln festsetzen und ihr Wachstum stören oder unterbrechen. Deshalb werden die Käfige mit den Muttermuscheln zwei- bis dreimal im J a h r zur Kontrolle heraufgeholt. Jede Muschel muß einzeln herausgenommen und gereinigt werden. Geschickte Arbeiterinnen können bis zu tausend Muscheln am Tage überprüfen und sie von allen Schmarotzern befreien. Die täglichen Beobachtungen werden ständig sorgfältig ausgewertet. Das beginnt schon mit der Beschaffung der Larven. Denn die Muscheln, die in der „ W i l d n i s " des Meeresbodens von den Taucherinnen mit Haken geerntet werden, reichen längst nicht mehr für den Großbetrieb aus. Deshalb muß für weiteren Nachwuchs gesorgt werden. Mikimoto hat selber noch die Einrichtungen für die Nachzucht von Perlmuscheln entworfen. Er konstruierte Drahtgitter, die mit einer klebrigen Kalk-Zement-Mischung beworfen werden. Im Juli gleiten sie wie Schirme ins Meer hinab. Im November holen die Arbeiter sie wieder herauf. Dann wimmeln sie von Millionen von Muschellarven, die nun in Schutzgehegen herangezogen werden, damit sie später Muttermuscheln werden können, wie die wilden, die vom freien Meeresgrund stammen. Eine große Bolle spielt die Beobachtung der Wetterverhältnisse. Neuerdings sind die Farmen mit den meteorologischen Stationen des Landes verbunden und erhalten täglich die neuesten Klimaberichte. Denn wenn anhaltende kalte Meeresströmungen zu befürchten sind, müssen die Käfige höher oder tiefer gehängt werden. Regen ist durchaus willkommen, da er für Frischwasser sorgt; fällt er aber zu stark, so werden die Käfige ebenfalls tie31
fer gebracht. Manchmal löst man die Flöße auch aus ihrer Verankerung, wenn eine plötzliche starke Strömung sie zu gefährden droht, und verbringt sie an eine stillere Stelle der Bucht. Das Boot kehrt von dem Ausflug zu den Flößen an das Gestade zurück. Hier am Strand herrscht immer ein geschäftiges Treiben. Motorkutter legen an, schütten ihre Last an Muttermuscheln aus. Taucherinnen haben ihre Pause beendet und eilen zu ihrem Hausboot, um dort den Arbeitsstellen auf dem Meere zugeteilt zu werden. An langgestreckten Landeplätzen liegen Drahtkäfige bereit, die mit Muttermuschen gefüllt sind, und warten auf den Abtransport. Sobald die Käfigbewohner in die Wassertiefe verbracht sind, wird sich vielleicht erneut das Perlwunder vollziehen, dessen Geheimnis Kokichi Mikimoto auf so geniale Weise der Natur abgelauscht hat.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Archiv R. O. Irmer und E. Karthaus
L u x - L e s e b o g e n 2 9 4 (Naturkunde) H e f t p r e i s 2 5 P f g . [Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vlerteljährl. 6Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München