Parker langt in fremde Taschen Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Es war in der Nähe ...
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Parker langt in fremde Taschen Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Es war in der Nähe des Trafalgar Square, als Butler Parker eine interessante Beobachtung machte. Zwei Taschendiebe arbeiteten mit Routine und Geschick. Sie befaßten sich mit einem Touristen, der offensichtlich aus den Staaten gekommen war, um sich in London ein wenig umzusehen. Dieser Mann hatte keine Ahnung, daß er nach allen Regeln der Kunst ausgenommen wurde. Er konnte es auch nicht ahnen, denn die beiden Taschendiebe waren gut aufeinander eingespielt. Einer von ihnen hatte das Opfer bereits angerempelt und lenkte es wortreich ab. Der »Drücker«, wie es in der Branche heißt, entschuldigte seine Tolpatschigkeit, während der »Klemmer« dicht hinter dem verwirrten Touristen stand und blitzschnell nach dessen Brieftasche langte. Parker bewunderte die gekonnte Arbeit der beiden Ganoven. Sie betätigten sich unauffällig, fast schon elegant. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Brieftasche ihren Besitzer gewechselt hatte. Während der »Drücker« sich immer noch entschuldigte, setzte der »Klemmer« sich bereits ab. Josuah Parker, durchdrungen von Gerechtigkeit, schritt nicht sofort ein. Falls ihn
nicht alles täuschte, wanderte die gestohlene Brieftasche in die Hände einer dritten Person, die sie dann endgültig in Sicherheit brachte. Er hatte es, wie er längst wußte, mit echten Profis zu tun. Parkers Vermutung erwies sich als richtig. Der >Klemmer< passierte die dritte Person. Es handelte sich um einen seriös gekleideten Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der eine Zeitung unter dem Arm trug. Der >Klemmer< überholte ihn und reichte die Beute an den >Träger< weiter. Auch das geschah elegant und unauffällig. Sekundenschnell verschwand die Beute in der wahrscheinlich unergründlich tiefen Manteltasche des Mannes. Josuah Parker, ein Mann undefinierbaren Alters mit dem glatten Gesicht eines Pokerspielers, wenig über mittelgroß und durchaus als schlank zu bezeichnen, folgte dem >TrägerDreierTeamTräger< erneut beliefert, wie Josuah Parker bemerkte. Der > Klemmer < erschien wieder hinter dem seriös gekleideten Mann und ließ eine weitere Brieftasche verschwinden. Kaum war dieser Zulieferer verschwunden, als ein weiterer Dieb erschien und ebenfalls eine Brieftasche ablieferte. Das Geschäft blühte. Butler Parker wechselte die Straßenseite und verfolgte von seinem neuen Standort aus den >TrägerTräger< begnügte sich mit einem Glas Rotwein, wie Parker
hörte. Was er dann in der sichtgeschützten Nische trieb, bekam Parker nicht mit. Wenig später aber erhob sich der Seriöse wieder und hatte plötzlich ein Päckchen unter dem Arm. Parker, der sein Glas Rotwein bereits bezahlt hatte, konnte unmittelbar folgen. Der >TrägerTräger< das Päckchen unter dem Arm weg und stieß mit der Spitze seines UniversalRegenschirms leicht nach den Zehen
des linken Fußes. Der Mann jaulte auf, lehnte sich gegen die Hauswand und wußte nicht, wie ihm geschah. »Ich bedaure außerordentlich, zu solchen Methoden greifen zu müssen«, entschuldigte Josuah Parker sich. »Sie dürfen versichert sein, daß ich Gewalt im Grund ablehne. Sie können mit einem Schmerzensgeld rechnen und werden es in Ihrer Manteltasche finden.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und ließ den >Träger< einfach stehen, der wie durch einen Wasserschleier den davon schreitenden Butler nur unscharf sehen konnte. Der Seriöse war nicht in der körperlichen Verfassung, dem Butler zu folgen. Die Nase schmerzte, der Fuß nicht weniger, und die Nässe in seinen Augen vermehrte sich von Sekunde zu Sekunde. Parker bog in die nächste Seitenstraße, wechselte noch einige Male die Richtung und winkte einem Taxi. Es klappte schnell, er stieg ein und ließ sich in die Nähe seines Wagens bringen, der bei der National Gallery parkte. Sein hochbeiniges Monstrum, wie der Wagen von Freund und Feind respektvoll genannt wurde, glich äußerlich einem betagten Londoner Taxi, doch in Wirklichkeit war dieser eckige Wagen fast schon ein Wunderwerk moderner Technik. Er war nach Parkers Plänen umgebaut worden und deshalb eine Trickkiste auf Rädern. Der Butler setzte sich ans Steuer und begab sich zurück zum Haus der Lady Agatha Simpson, das sich in Shepherd's Market befand. Hier
wollte er den Inhalt des Päckchens in aller Ruhe prüfen, um die Beutestücke an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückzusenden. Er empfand dies als einen Akt der Höflichkeit jenen Gästen gegenüber, die London besuchten. Vor dem Anfahren hatte Parker sich die Adresse auf dem Päckchen angesehen. Es sollte an einen gewissen James W. Winters gehen, der jenseits der Themse im Stadtteil Newington wohnte. War dieser James W. Winters identisch mit dem Mann, dem er das Päckchen abgenommen hatte? Normalerweise arbeiteten Taschendiebe nach diesem bewährten Verfahren und schickten die Beute an ihre eigene Adresse. Oder gab es drüben in Newington ein weiteres Mitglied der Bande? War Mr. James W. Winters vielleicht ein Hehler, der die Brieftaschen ausschlachtete? war er der Leiter dieser LangfingerGMBH? Aus Instinkt heraus verzichtete Parker darauf, nach Shepherd's Market zu fahren, wenngleich Lady Simpson ihn sicher bereits ungeduldig erwartete. Parker wollte diesem an sich kleinen Fall auf den Grund gehen. Er benutzte die WestminsterBrücke, überquerte die Themse und nahm seine schwarze Melone ab, als er sich der Harper Street näherte. Er drückte auf einen der vielen unbeschrifteten Knöpfe seines mehr als reichhaltig ausgestatteten Armaturenbretts, worauf vorn auf dem Wagendach das sattsam bekannte Taxikennzeichen aus einer
Versenkung erschien. Sein hochbeiniges Monstrum war jetzt ein echtes Taxi, was die Optik anbetraf. Von der Harper Street bog er nach Süden ab und hielt in der Nähe des Hauses, in dem Mr. James W. Winters laut Adresse wohnte. Es handelte sich um ein unansehnliches, graues Mietshaus mit einem engen Torbogen, in dem Kinder spielten. Nach knapp zehn Minuten tauchte ein kleiner Kastenlieferwagen ohne Firmenbezeichnung auf. Parker merkte sich automatisch das Kennzeichen und schaute den beiden Fahrern nach, die den Wagen verließen und im Torbogen verschwanden. Nach weiteren fünf Minuten kam der >TrägerTräger< verschwand ebenfalls im Torbogen, ohne sich überhaupt zu vergewissern, ob er vielleicht beschattet wurde. Er schien es eilig zu haben. Josuah Parker hatte das Empfinden, sich bei diesem Mann entschuldigen zu müssen. Er stieg aus, setzte seine schwarze Melone auf und schritt gemessen auf den Torweg zu. *
»Nahm er Ihre Entschuldigung an?« fragte Lady Agatha Simpson mit gemäßigtem Interesse. Sie war eine majestätisch aussehende Dame, die seit Jahren beschlossen hatte, sechzig Jahre alt zu bleiben. Sie war groß, ein wenig füllig und hatte weißgraues Haar. Sie trug mit Vorliebe viel zu weite, ungemein bequeme Tweedkostüme und noch bequemere Schuhe, die, was ihre Größe anbetraf, an kleine Lastkähne erinnerten. Lady Agatha war eine immens reiche Frau, die sich jedes noch so verrückte Vergnügen leisten konnte und es tat. Sie war mit dem Blutund Geldadel verschwistert und verschwägert, der auf der Insel den Ton angab. Sie war gefürchtet wegen ihres unkonventionellen Benehmens. Lady Agatha konnte sehr drastisch werden und liebte die ungeschminkte Wahrheit. Ihr Steckenpferd war die Kriminalistik. Sie betätigte sich als Amateur-Detektiv und konnte sich glücklich schätzen, einen Butler Parker neben sich zu haben, den sie übrigens voll und ganz respektierte, auch wenn sie es nicht immer deutlich zeigte. Er hatte übrigens alle Hände voll zu tun, um Lady Agatha vor Schaden zu bewahren. Seine Herrin ging stets ohne jede Umschweife direkt auf ihr Ziel los und entwickelte dabei manchmal den unwiderstehlichen Charme eines schweren Kampfpanzers. Butler Parker wurde bei seinen Bemühungen von Kathy Porter unterstützt, die offiziell als Sekretärin und Gesellschafterin der Lady fungierte.
Kathy Porter wirkte nach außen hin wie ein attraktives, aber scheues Mädchen, doch das täuschte. Sie war eine erstklassig ausgebildete Sportlerin und in allen Künsten der Selbstverteidigung erfahren. Sie wußte sich ihrer schönen Haut durchaus zu wehren, wie mancher Gangster in der Vergangenheit erfahren mußte. Parker befand sich während seines Berichtes im Stadthaus der Lady Simpson, einem altehrwürdigen Fachwerkbau, gelegen an einem winzig kleinen Platz in Shepherd's Market, einer Oase der Ruhe und Stille inmitten der Millionenstadt London. »Besagte Entschuldigung, Mylady, konnte Mr. Winters erst zu einem erheblich späteren Zeitpunkt entgegennehmen«, beantwortete Parker die Frage der älteren Dame. »Wollte er nicht?« »Er konnte nicht, Mylady. Mr. Winters befand sich in einem Zustand, den man nur als äußerst beklagenswert bezeichnen konnte.« »Das klingt bereits besser.« Sie richtete ihre kühlen, grauen Augen auf den Butler. »Mr. Winters wurde zur Zeit meines Erscheinens in seiner Wohnung gerade von zwei jungen Männern körperlich mißhandelt«, präzisierte der Butler. »Ich sah mich gezwungen, ein wenig für sein ferneres Wohlergehen zu unternehmen. « »Nämlich, Mr. Parker? Sie waren hoffentlich nicht wieder zu vornehm, oder?« »Ich befleißigte mich einer gewissen Zurückhaltung, Mylady«,
antwortete Josuah Parker. »Ich fürchte allerdings, daß es den beiden jungen Schlägern noch immer nicht besonders gut geht.« »Wo sind die Flegel jetzt?« »Mylady mögen verzeihen, aber ich ließ sie ihrer Wege gehen, nachdem sie wieder zu sich gekommen waren.« »Ich ahnte es.« Ihre Stimme grollte vor Ärger. »Solche Burschen gehören schleunigst hinter Schloß und Riegel.« »Im Prinzip erlaube ich mir, Myladys Standpunkt zu teilen«, lautete die Antwort des Butlers. »In diesem speziellen Fall hingegen werden sie früher oder später wieder in Erscheinung treten und Mylady dann zu jenem Mann führen, der eine neuartige Organisation hier in London aufgezogen haben dürfte.« »Sehr gut, anders hätte ich auch nicht reagiert«, behauptete die Lady unverfroren. »Sie lernen erfreulicherweise dazu, Mr. Parker. Wir haben es also mit einem neuen Fall zu tun?« »Davon sollte und könnte man ausgehen, Mylady.« »Und was ist aus diesem Mr. Winters geworden?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Eben.« Lady Agatha nickte ihrer Gesellschafterin zu. »Danach wollte ich auch gerade fragen. Haben Sie dieses Subjekt ebenfalls laufen lassen?« »Wie Mylady es bereits vermuteten.« Parker nickte. »Ich riet Mr. Winters allerdings dringend zu einem baldigen Wohnungs- und Ortswechsel, zudem hinterließ ich ihm sicherheitshalber meine
Visitenkarte. Möglicherweise wird er sich wieder melden.« »Ihr Optimismus schreit manchmal direkt zum Himmel!« Agatha Simpson ärgerte sich. »Ich werde Ihnen mal etwas sagen, Mr. Parker: Der Fall ist beendet, bevor er überhaupt begonnen hat! Von diesen Lümmeln wird sich keiner mehr zeigen.« * »Sechs Brieftaschen«, zählte Josuah Parker, der das mitgebrachte Päckchen in Gegenwart seiner Herrin geöffnet und den Inhalt ausgepackt hatte. Er legte sie der Reihe nach nebeneinander. »Nicht gerade billiger Plunder«, stellte Lady Simpson fest. »Krokoleder, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Mylady, feinstes Nappaleder, Reptilienleder.« »Ziemlich protzig«, urteilte Lady Simpson und sah ihren Butler schon wieder leicht gereizt an. »Wann wollen Sie diese Brieftaschen endlich öffnen?« »Die Taschendiebe scheinen sich auf einen ganz bestimmten Besitzertyp spezialisiert zu haben, Mylady, wenn ich mir diesen Hinweis gestatten darf.« »Natürlich.« Sie lächelte wissend. »Sie werden sich nicht gerade kleine Angestellte ausgesucht haben.« Parker öffnete die erste Brieftasche und durchsuchte ihre Fächer. Er fand Kreditausweise, Kreditkarten Travellerschecks, viel Bargeld und dann Notizen und Fotos, die ihm aber vorerst nichts sagten. Aus den Unterlagen ging eindeutig hervor,
daß der Besitzer der Brieftasche ein gewisser John Falcon war, der aus den USA stammte, genauer gesagt aus der Bundeshauptstadt Washington. Parker ließ sich durch das ärgerliche Schnaufen der Lady Simpson keineswegs aus der Ruhe bringen. Er machte seine entsprechende Notizen in seiner ganz speziellen Kurzschrift, die seine Herrin nicht lesen konnte. Dann kam die zweite Brieftasche an die Reihe. Ihr Inhalt war fast identisch mit dem der ersten. Bei den restlichen vier Brieftaschen war es kaum anders. Der Inhalt war in allen Fällen mehr als ansehnlich und geldschwer. »Reichen wir den ganzen Kram an McWarden weiter«, schlug Lady Agatha mißgelaunt vor. Sie hatte bereits jegliches Interesse verloren. »Soll er die Besitzer aufspüren und das Zeug zurückgeben. Nein, nein, das ist kein Fall für mich, sondern für die Polizei.« »Zwei der Brieftaschenbesitzer stammen aus den Vereinigten Staaten«, faßte Parker halblaut zusammen und überflog seine Notizen.« Zwei der Bestohlenen leben hier in England, einer kommt aus Frankreich, und der sechste Bestohlene reiste aus der Bundesrepublik Deutschland an.« »London wird eben überlaufen«, sagte Lady Simpson. »Nicht, daß ich etwas gegen Ausländer hätte, aber hier ist man wirklich nicht mehr unter sich. Eine sehr bedauerliche Entwicklung!« »Es gibt eine Gemeinsamkeit, Mylady«, meldete Parker.
»Und ob!« Sie lachte grimmig auf. »Diese Ausländer nutzen die momentane Schwäche unseres Pfundes und kaufen unsere Warenhäuser leer. Man sollte ein Besuchsverbot erlassen.« »Alle sechs Bestohlenen, Mylady, haben an einem Kongreß teilgenommen, der gestern beendet wurde.« »Woher wollen Sie denn das wissen?« Agatha Simpson wurde immer noch nicht hellhörig. Sie gähnte nicht nur andeutungsweise. »Dies geht aus Rechnungen hervor, die von einer einzigen Hotelbar ausgestellt wurden. Es handelt sich um das Hallford-Hotel, um ganz genau zu sein.« »Sie haben mir schon aufregendere Dinge erzählt, Mr. Parker.« Sie rang sich ein verzeihendes Lächeln ab. »Und wieso ist dieser Kongreß, wie Sie behaupten, bereits beendet?« »Dies, Mylady, erlaube ich mir aus der Höhe der jeweiligen Rechnungen abzulesen. Es handelt sich in allen sechs Fällen um recht beachtliche Beträge, woraus sich schließen läßt, daß man bis spät in die Nacht hinein dem Genuß alkoholischer Getränke gehuldigt haben dürfte. Daraus, Mylady, möchte ich weiter schlußfolgern, daß es sich um eine Art Abschlußfeier gehandelt haben muß.« »Eine kühne Behauptung, Mr. Parker, die Sie erst beweisen müssen.« »Die auf den Rechnungen aufgeführten Summen sind beachtlich, wie ich mir bereits zu bemerken erlaubte. Eine Weiterführung des Kongresses am
anderen Vormittag wäre wohl rein physisch kaum möglich gewesen.« »Wegen des allgemeinen Katers, nicht wahr?« Agatha Simpson nickte verständnisvoll. »In der Tat, Mylady«, redete Parker weiter. »Miß Porter dürfte inzwischen wohl den klärenden Anruf tätigen wollen.« Kathy Porter war aufgestanden und ging zu einem kleinen Wandtisch hinüber, auf dem der Apparat stand. Sie suchte im Fernsprechverzeichnis nach der Nummer des HallfordHotels, wählte sie und ließ sich dann mit dem Sekretariat verbinden. Ihr Gespräch dauerte nur wenige Minuten. Sie lächelte, als sie auflegte und zurück an den Tisch kam. »Der Kongreß dauerte drei Tage«, berichtete sie. »Er wurde gestern beendet. An den Beratungen nahmen genau hundert Personen teil, die aus Europa und den USA stammen.« »Und wer richtete diesen Kongreß aus?« erkundigte Lady Simpson sich. Sie ärgerte sich natürlich, daß Parkers Deutungen sich als richtig erwiesen hatten. Man sah es ihr deutlich an. »Der Ausrichter des Kongresses, Mylady, ist der internationale Dachverband >Ewige RuheGlücksbringerGlücksbringer< tat wieder mal seine Pflicht. Der erste Cowboy machte einen schnellen Schritt zurück und griff nach den beiden tief geschnallten Colts. Prompt stieß er ins Leere und war verständlicherweise verdutzt. Er wußte schließlich genau, daß sie eben noch in den Halftern gewesen waren. Er konnte ja nicht wissen, daß Parker sie ihm bereits geschickt weggenommen hatte. Lady Simpson hatte ihren Butler nicht ohne Absicht gegen diesen Mann gestoßen. »Ich möchte in Ihrem Interesse nicht hoffen, daß diese beiden Sechsschüsser nicht geladen sind.« Parker hielt die Colts in seinen schwarz behandschuhten Händen und ließ sie dann herumwirbeln, daß es eine Pracht war. Der Cowboy hatte so etwas noch nie gesehen. Er starrte fasziniert auf die kreiselnden Colts. »Vorsicht«, keuchte er dann, als die Läufe sich auf ihn richteten und Parker dabei die Hähne spannte.
»Mann, Vorsicht! Die Dinger sind echt.« »Aber doch wohl nicht geladen, wie?« Parker schüttelte den Kopf.« Offen gestanden, das kann ich mir nicht vorstellen.« »Die... Die sin' scharf«, sagte der Cowboy und wurde kreideweiß im Gesicht. »Das möchte ich aber als ausgesprochen leichtsinnig bezeichnen« antwortete Josuah Parker. »Die Schüsse, falls getätigt, würde man bei diesem geradezu höllischen Lärm wohl kaum zu hören vermögen.« Der zweite Cowboy beteiligte sich aus verständlichen Gründen nicht an dieser Unterhaltung. Er hatte mit seiner Nase zu tun und war nicht ansprechbar. »Sehen wir uns doch die Räume hinter der Tür an«, sagte Agatha Simpson unternehmungslustig und nickte Parker zu. »Ach richtig, die beiden anderen Colts würde ich mir gern mal aus der Nähe ansehen.« »Miß Porter wird sie Mylady gern überreichen.« Parker hielt die beiden Weidereiter mit den Sechsschüssern im Schach. Kathy Porter übereignete ihrer Chefin die beiden Colts des anderen Cowboys und trat dann sicherheitshalber hinter Mylady zurück. »Sehr lustig«, fand Agatha Simpson und nahm die beiden Schußwaffen fachgerecht in ihre Hände. »Ich glaube, wenn man hier diese beiden Hebel zurückzieht, müßte sich eigentlich ein Schuß lösen, oder?« »Mylady deuten dies technisch durchaus richtig«, lautete Josuah
Parkers Antwort. »Aber vielleicht warten Mylady mit diesem Experiment noch etwas.« * Die Fingerfertigkeit des Butlers war einmalig. Er schloß die beiden Cowboys mit einer seiner privaten und sicherheitshalber mitgebrachten Handschellen aneinander, doch sie merkten es überhaupt nicht, was wohl auch ein wenig mit ihrer Angst vor Lady Simpson zu tun hatte. Sie hantierte nämlich wie verwegen mit ihren beiden Sechsschüssern. Als Parker, Lady Simpson und Kathy Porter den beiden Cowboys den Rücken zuwandten, um durch den kurzen Korridor nach hinten zu gehen, witterten die beiden Muskulösen ihre Chance, um das Geschehen noch mal rückgängig machen zu können: Sie stürzten sich auf das Trio und erlebten die nächste herbe Überraschung. Parker hatte eine zweite seiner Handschellen dazu benutzt, einen der beiden Cowboys am Gestänge der Zentralheizung anzuschließen. Die beiden Männer, die mit viel Dampf und Wut losspurteten, kamen nicht sonderlich weit. Gehalten von den Handschellen, wurden sie jäh gestoppt und förmlich zu Boden gerissen. Sie schafften es allerdings noch, eine Rohrleitung um einen halben Meter aus dem Verputz zu reißen. »Ihre Aktivitäten sind unpassend und sinnlos«, sagte Parker, der sich gemessen umwandte. »Gedulden Sie
sich, man wird Sie bei passender Gelegenheit wieder auslösen!« Lady Simpson hatte inzwischen die einzige Tür erreicht, die es hier gab. Sie öffnete sie wie selbstverständlich und sah interessiert in einen großen, niedrigen Raum, über dem sich wahrscheinlich die Bühne befand. Von der grellen und überlauten Musik war hier kaum etwas zu hören. Dafür aber hörte man das Klicken der Kugeln, die sich in Roulettekesseln drehten. »Das ist ja ein Spielclub«, sagte Lady Agatha, sich an Parker wendend, der inzwischen neben ihr stand. »Das stand zu erwarten, Mylady«, erwiderte der Butler. »Die Bewachung vorn am Eingang ließ darauf schließen.« »Ein verbotener Spielclub, oder?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« »Ob ich ein kleines Spielchen wage, Mr. Parker?« »Darf ich mir erlauben, für Mylady einige Jetons zu erstehen?« Sie war voll und ganz damit einverstanden und hätte offensichtlich gern ihr Spiel gemacht, doch ein junger, drahtiger Mann von vielleicht dreißig Jahren, der einen schwarzen Abendanzug trug, kam ein wenig hastig auf sie zu und machte einen leicht irritierten Eindruck. »Wie ... Wie sind Sie hier hereingekommen?« fragte er scharf. »Sie sind nicht angemeldet worden.« »Ihr Personal scheint nicht zuverlässig zu sein«, erwiderte Agatha Simpson und hob ihre linke Hand. Als der junge Mann den robusten Sechsschüsser sah, wich er
instinktiv zurück und hätte wohl am liebsten schleunigst die Hände gehoben. »Madam, Schußwaffen sind hier nicht...« »Mylady wünschen Mr. Minton zu sehen«, sagte Parker, ihm das Wort abschneidend. »Richten Sie Mr. Minton das umgehend aus!« »Ich weiß nicht, ob ich ... Also ... Wie sind Sie eigentlich ... Ich begreife das nicht!« Der junge Mann verstand die Welt nicht mehr. Hinzu kam die Mündung der Waffe, die auf seinen Leib gerichtet war. »Fo ... Fol.... Folgen Sie mir, bitte«, stotterte er und schielte nach dem Sechsschüsser. »Und bitte, Madam, nehmen Sie die Waffe herunter! Sie könnte geladen sein!« »Sie ist es, junger Mann!« Myladys Stimme übertonte das diskrete Klicken der Kugeln in den Roulettekesseln. »Sechs Patronen sollen sich in der Trommel befinden. Vielleicht sind es gleich nur noch fünf!« Die Spieler an den Tischen - es waren vier Spieltische - waren inzwischen aufmerksam geworden und hatten plötzlich keine Lust mehr, weiter ihr Spiel zu machen. Für sie ging nichts mehr. Sie setzten sich vorsichtig nach hinten in den Raum ab und verschwanden dann ohne Proteste nacheinander hinter einer Pendeltür, die wahrscheinlich so etwas wie einen Notausgang darstellte. Die letzten Spieler waren noch nicht verschwunden, als rechts aus einer Tür ein gelackt aussehender Fünfziger erschien, der ein weißes Dinner-Jackett trug. Der Mann sah
unangenehm aus, hatte kalte Augen und einen harten Mund. Sein Haar war zu voll, um echt zu sein. Er trug wohl ein Toupet. »Was geht hier vor?« fragte er mit überraschend hoher, ein wenig quäkig klingender Stimme. Er wurde begleitet von zwei jüngeren Männern, die man sofort als Leibwächter einordnen konnte. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und wirkten gespielt lässig. »Sind Sie dieser Minton?« erkundigte Lady Simpson sich und spielte weiter mit ihrem Sechsschüsser, den Minton und die beiden Leibwächter bisher noch gar nicht gesehen hatten. »Madam...!« Earl Minton verfärbte sich und blieb wie angewurzelt stehen. »Wer ... Wer sind Sie? Die Waffe kann jederzeit losgehen. Bitte, seien Sie vorsichtig!« »Darf ich etwas klarstellen«, schaltete Josuah Parker sich ein und zeigte seine schwarz behandschuhten Hände, die die beiden anderen Sechsschüsser hielten.« Ein zu schneller und vielleicht noch nicht mal negativ gemeinter Griff oder eine entsprechende Bewegung müßte ich als einen äußerst unfreundlichen Akt ansehen.« Während er redete, ließ er die beiden Sechsschüsser gekonnt in seinen Händen rotieren, was ungemein beeindruckend aussah. * »Wie sind 'reingekommen?« Minton.
Sie fragte
hier Earl
»Das scheint die Standardfrage des Hauses zu sein«, spöttelte die ältere Dame. »Sind Sie nun Minton oder nicht? Beeilen Sie sich etwas mit Ihrer Antwort.« »Ich bin Minton.« Der Besitzer des Westener nickte. Seine Nervosität hatte sich noch gesteigert. »Hören Sie, Madam, falls Sie oder irgendeiner Ihrer Angehörigen den Eindruck hat, hier gegen die Regeln verloren zu haben, so werde ich jeden Betrag rückerstatten. Das ist selbstverständlich.« »Schnickschnack, junger Mann. Mein Butler hat ein paar Fragen an Sie.« »Sind Ihnen die Herren bekannt, deren Vornamen Mel und Gus lauten? Sie dürften sich vor nicht allzulanger Zeit hier gemeldet haben.« »Mel und Gus?« Minton nickte zögernd. »Doch, natürlich, die haben hier mal gearbeitet.« »Und wo halten sie sich jetzt auf? Stehen sie noch in Ihren Diensten?« Parker fragte kühl und höflich weiter. »Schon seit Monaten nicht mehr. Die sind freiwillig gegangen. Was ist mit Ihnen? Haben die mir was eingebrockt? Wollen die mir was anhängen?« »Sie haben den ersten Teil meiner Frage noch nicht hinreichend beantwortet. Wenn ich erinnern darf: Wo halten sie sich jetzt auf, oder präziser gefragt, wo sind sie jetzt beschäftigt?« »Ich weiß es wirklich nicht.« Minton schielte nach den Sechsschüssern und' verfluchte
innerlich die beiden Leibwächter, die bisher überhaupt nichts getan hatten. »Sind das hier Ecken Ihrer Eintrittskarten?« Parker zeigte einige der Abrisse. Er wußte zwar, daß das nicht der Fall war, wollte aber die letzte Sicherheit haben. »Nein, nein, bestimmt nicht.« Minton schüttelte den Kopf. »Was ist mit Mel und Gus? Was wollen die mir anhängen?« »Sie haben wirklich keine Ahnung?« schaltete Lady Simpson sich ein. »Nicht die geringste. Moment mal, sind Sie nicht vielleicht Lady Simpson?« Minton hatte eine plötzliche Eingebung und wandte sich dem Butler zu. »Und Sie müssen Butler Parker sein, oder? Mein großes Ehrenwort, hier in meinem Laden ist alles in bester Ordnung. Reelle Preise, reelle Unterhaltung. Müssen Sie doch vorn gesehen haben. Und das hier, der kleine private Spielclub, nun, das ist doch kein Verbrechen. Davon gibt es hier in London eine ganze Menge.« Die beiden jungen und geschmeidigen Leibwächter waren inzwischen zu der Ansicht gekommen, daß sie etwas für ihr Geld leisten und zeigen mußten. Sie hatten mitbekommen, daß die ältere Dame eine Lady war und ihr Begleiter ein Butler. Auf die junge Dame links neben Lady Simpson achteten sie überhaupt nicht. So etwas Scheues übersahen sie, davon konnte keine Gefahr ausgehen. Wie sollten und konnten eine Lady und ihr Butler schon gefährlich sein? Dachten sie! Mit so etwas mußte
man doch im Handumdrehen fertigwerden ... Wie schon gesagt, sie waren sehr geschmeidig. Sie brachten ihre Arbeitshände millimeterweise in die richtige Position, um dann blitzschnell ihre Schußwaffen ziehen zu können. Sie merkten, daß weder die verrückte Alte noch ihr Butler Verdacht schöpften. Die Überraschung mußte also perfekt gelingen. Sie übersahen das scheue Reh, das ihre kleine Handtasche unter den rechten Oberarm geklemmt hatte und einen desinteressierten, abwesenden Eindruck machte. Kathy Porter existierte für sie nicht. Vorerst wenigstens nicht! * Die Überraschung gelang perfekt. Sie geschah allerdings nicht im Sinn der beiden Leibwächter, die ihre Waffen ziehen wollten. Die beiden jungen Männer stöhnten nämlich plötzlich auf und vergaßen ihre finsteren Absichten. Sie litten unter akuten Sehstörungen und hatten ein Brennen in den Augen. Sie taumelten zurück, rieben sich die Augen und waren überhaupt nicht mehr daran interessiert, etwas für ihren Arbeitgeber zu unternehmen. Earl Minton wirbelte herum und starrte auf die beiden Vollprofis, die inzwischen dicke Krokodilstränen vergossen, sich halblaut beklagten und einige schauerliche Flüche produzierten. »Die Manieren Ihrer Angestellten sind auf keinen Fall das, was man als mittelmäßig oder gar als gut
bezeichnen könnte«, stellte Josuah Parker fest. Er tauschte mit Kathy Porter einen blitzschnellen Blick. Sie hatte dafür gesorgt, daß die beiden Leibwächter auf diese Art und Weise außer Gefecht gesetzt worden waren. Durch einen Druck auf die kleine Handtasche hatte sie einen Gummiball zusammengepreßt, in dem sich eine beißende, aber gesundheitlich unschädliche Reizflüssigkeit befand. Diese Flüssigkeit war wie ein gebündelter Spray-Strahl durch eine der Ziernieten nach außen getreten und hatte die Gesichter der beiden Männer nachhaltig eingesprüht. Das alles war derart schnell und unauffällig über die Bühne gegangen, daß Minton noch immer nicht begriff, wie es zu dieser Ausschaltung der beiden Begleiter gekommen war. Parker zeigte sich als durchaus hilfsbereiter Mensch. Er kümmerte sich ein wenig um die betriebsblinden Leibwächter und drückte sie freundlicherweise in Sessel. Daß er bei dieser Gelegenheit gleich ihre Schußwaffen an sich nahm, verstand sich am Rand. »Nach einer gründlichen Spülung mit warmen Wasser werden Ihre Sehqualitäten wieder der regulären Norm entsprechen«, versicherte er dann den beiden weinenden Leibwächtern.« Nehmen Sie die Dinge auf keinen Fall zu tragisch!« »Was haben Sie mit ihnen gemacht?« Minton wandte sich wieder Lady Simpson zu. »Sie sind also nicht dafür verantwortlich, daß die Taschendiebe von London in Angst
und Schrecken leben?« fragte die Detektivin streng. »Taschendiebe, Mylady? Was habe ich mit Taschendieben zu tun?« Minton schüttelte eilfertig den Kopf. »Sie wissen immer noch nicht, für wen Ihre beiden früheren Angestellten augenblicklich arbeiten?« »Sie meinen Mel und Gus?« »Dumme Frage«, grollte sie. »Wen denn sonst?« »Ich hab' keine Ahnung, Lady, aber ich weiß jetzt, daß die mich 'reingelegt haben. Und das wird Konsequenzen haben.« »Sie wollen diese beiden Flegel zur Rechenschaft ziehen?« »Darauf können Sie Gift nehmen, Lady.« Minton wandte sich wieder nach seinen beiden schluchzenden Leibwächtern um. »Und das waren mal Asse in ihrem Beruf!« »Sie werden sich wieder erholen«, versprach Josuah Parker. »Ich darf Sie daran erinnern, daß ich das bereits andeutete. Ist Ihnen der Name Walter Brennan bekannt?« »Ich hab' mal von ihm gehört. Er muß da irgendwo ein großes Showgeschäft aufgezogen haben, ist aber keine Konkurrenz für mich. Moment mal, habe ich diesen Besuch hier diesem Brennan zu verdanken?« »Das deuteten Sie an, Mr. Minton.« Parker lächelte, aber wirklich nur andeutungsweise. »Der kann was erleben.« Earl Minton wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Falls Sie daran interessiert sein sollten, von Mylady nicht noch mal besucht zu werden, sollten Sie sich
im Augenblick jeglicher Aktivitäten enthalten«, antwortete Butler Parker. »Sie könnten sonst Myladys Kreise stören, wenn ich es so umschreiben darf.« »Okay, okay.« Minton hob abwehrend die Arme. »Ich halte mich also 'raus. So habe ich das doch richtig verstanden, oder?« »Ihre schnelle Auffassungsgabe, Mr. Minton, dürfte sich auf Ihre weiteren Geschäfte positiv auswirken.« »Ah, werden Sie mich jetzt bei der Polizei verpfeifen? Ich meine, weil hier gespielt worden ist?« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit dürfen wohl davon ausgehen, daß Sie die Spieltische für einige Zeit wegschaffen lassen werden«, sagte Josuah Parker würdevoll. »Es steht nämlich zu befürchten, daß Myladys Fahrt von der Polizei registriert wurde. Was sich aus solch einer Tatsache ergibt, dürfte auf der sprichwörtlichen Hand , liegen.« * »Wird dieses Subjekt sich auch an Ihre Warnung halten?« fragte Agatha Simpson, als man sich auf dem Weg zurück nach Shepherd's Market befand. »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, gab Parker zurück: »Mr. Minton dürfte aus dieser Lektion, die ihm erteilt wurde, viel gelernt haben.« »Mr. Brennan dürfte inzwischen darüber informiert worden sein, daß Mylady das Westener aufgesucht hatten«, führte Parker weiter aus. »Er wird zumindest für eine gewisse
Zeit annehmen, Mylady von etwaigen Spuren abgebracht zu haben, die auf ihn hindeuten könnten.« »Und was soll das alles?« Lady Simpsons Stimme hatte wieder den bekannt grollenden Unterton. »Warum fahren wir nicht hinaus zu diesem Vergnügungspark, Mr. Parker! Ich verbürge mich dafür, daß dieses Subjekt schon bald danach reden wird.« »Um dann später vor Gericht zu behaupten, man habe seine Aussagen erpreßt, Mylady. Die momentanen Beweise reichen auf keinen Fall aus, Mr. Walter Brennan im Sinne einer abgesicherten Anklage verurteilen zu können.« »Und wie wollen Sie diese Beweise herbeischaffen? « »Mr. Brennan selbst, Mylady, wird dafür sorgen. Die Dinge treiben einem Punkt zu, die ihn zu Gegenmaßnahmen zwingen. Und damit würde er dann seine bisherige Deckung aufgeben müssen.« »Wehe diesem Minton, falls er in dieser Nacht nicht aktiv wird!« Lady Simpson schmunzelte. »Hoffentlich kommt uns McWarden nicht dazwischen.« »Man wird den ChiefSuperintendent ein wenig ablenken und täuschen müssen, Mylady. Falls ich die Lage richtig beurteile, werden wir zur Zeit wieder von einem Polizeifahrzeug beschattet.« »Fein, Mr. Parker, dann tun Sie gefälligst etwas dagegen!« Sie lehnte sich jetzt zufrieden zurück. Sie hoffte, daß diese Nacht doch noch ein wenig abwechslungsreich werden würde.
* Butler Parker lenkte sein hochbeiniges Monstrum in eine Tiefgarage, die um diese Zeit noch geöffnet war. Hier waren die Wagen der vielen Theaterbesucher abgestellt. Eine generelle Schließung fand erst in einer Stunde statt. Parker hielt neben dem Automaten kurz an und drückte den Knopf für die Ausgabe des Parkscheins. Eine Sekunde später hob sich der sperrende Querbalken aus solidem Stahlrohr und gab die Durchfahrt frei. Parker fuhr über die Rampe hinunter in die Tiefgarage, um gleich scharf links abzubiegen. Er setzte den hochbeinigen Wagen geschickt zurück in eine freie Parktasche und harrte der Dinge, die kommen mußten. Da die Tiefgarage einen zweiten Ein- bzw. Ausgang besaß, mußten die Verfolger, ob sie nun wollten oder nicht, folgen ... Und sie kamen nach! Es handelte sich um einen zivil aussehenden Ford, in dem zwei Polizeidetektive saßen, die ein wenig irritiert nach Parkers Wagen Ausschau hielten. Langsam fuhren sie an den Reihen der abgestellten Fahrzeuge vorüber und suchten nach ihrem Objekt. Sie wurden zusätzlich abgelenkt und auch aufgeheizt, als weit hinten in der Tiefgarage ein völlig anderer und unbeteiligter Fahrer den Motor seines Wagens anließ. Der zivile Streifenwagen nahm Fahrt auf und verschwand in der dämmerigen Tiefe der Garage.
»Darf ich Mylady zu einem kleinen Spaziergang ermutigen?« Parker stand bereits neben der hinteren Wagentür, öffnete sie und lüftete seine schwarze Melone. Die ältere Dame stieg aus und lächelte animiert. Sie hatte, natürlich längst verstanden, daß Parker ein kleines Täuschungsmanöver plante. So etwas gefiel ihr immer, vor allen Dingen dann, wenn es um Mitarbeiter eines gewissen ChiefSuperintendent McWarden ging. Kathy Porter hatte sich dem Duo angeschlossen. Man passierte die Barriere, die sich längst wieder gesenkt hatte, und stieg über die Rampe zurück nach oben zur Straße. Man ließ sich Zeit, damit die beiden Männer im Streifenwagen ausreichend Zeit hatten, ihren Irrtum zu korrigieren. Was sie auch prompt taten! Sie hatten inzwischen herausgefunden, daß sie sich für den falschen Wagen interessiert hatten und kehrten zurück. Die Scheinwerfer erfaßten das Trio, das die Rampe bis zum letzten Drittel bereits hinter sich gebracht hatte. »Was werden McWardens Männer jetzt tun?« fragte Agatha Simpson. »Annehmen, daß Mylady ein Taxi abwinken.« »Und weiter?« »Der Streifenwagen wird in der Tiefgarage wenden und zurückfahren, falls ich die Reaktionen der beiden Insassen richtig einschätze. Sie werden alles daransetzen, das vermutete Taxi weiter zu verfolgen.« Genau das taten sie wirklich ...
Der Streifenwagen wendete, man hörte es an den Schalt- und Motorgeräuschen. Dann jagte der Wagen durch die lange Tiefgarage zum anderen Ende, wo sich das Kassenhäuschen befand. »Wenn ich vorschlagen darf, Mylady, sollte man jetzt zurück in den Wagen steigen.« Parker hatte gestoppt und deutete in die Tiefgarage. Die Detektivin und Kathy Porter folgten dem Butler also zurück zum hochbeinigen Monstrum und nahmen darin Platz. Parker wartete noch einen Moment und fuhr dann in aller Seelenruhe und Selbstverständlichkeit zum Kassenschalter, wo er seinen Parkschein einlöste. Wenig später befand er sich oben auf der Querstraße und konnte die nächtliche Fahrt fortsetzen. Von einem Streifenwagen war von diesem Zeitpunkt ab nichts mehr zu sehen. Er befand sich mit Sicherheit vorn am Eingang zur Tiefgarage und verfolgte wahrscheinlich schon ein Taxi. Butler Parker hatte den Streifenwagen nicht ohne Grund abgehängt. Es ging ihm darum, Komplikationen zu vermeiden. Chief-Superintendent McWarden war gewiß schon per Sprechfunk darüber informiert worden, wo Mylady sich für eine gewisse Zeit amüsiert hatte. Er sollte jetzt annehmen, daß Mylady auf keinen Fall zurück nach Shepherd's Market fuhr, sondern noch weiterhin aktiv blieb. Zu diesem Schluß mußte McWarden kommen, denn sonst hätte Parker ja auf keinen Fall den verfolgenden Streifenwagen abgeschüttelt.
Auf Umwegen fuhr Parker also zurück zum Stadthaus seiner Herrin, durchfuhr die schmale Gasse hinter dem Haus und stellte sein hochbeiniges Monstrum in der Garage ab. Als man sich im Haus befand, schaute Parker auf das Zifferblatt der alten Standuhr in der Wohnhalle. »Falls Mr. Minton pünktlich ist, was ich als sicher annehmen möchte, Mylady, dürfte der Überfall genau in einundzwanzig Minuten stattfinden.« »Ich werde Minton die Hölle heiß machen, falls er nicht pünktlich ist«, verhieß die Detektivin. »So, Mr. Parker, vorher brauche ich aber noch einen Kreislaufbeschleuniger, damit ich den Aufregungen auch wirklich gewachsen bin!« * »Ich komme einfach mal vorbei«, sagte McWarden am anderen Morgen und verbeugte sich vor Lady Simpson, die einen wallenden Hausmantel trug, aus dessen Weite man drei Bekleidungsstücke dieser Art hätte schneidern können. »Ein Wunder, daß die Polizei sich überhaupt blicken läßt«, sagte Lady Agatha spitz. »Wenn man Sie und Ihre Leute wirklich mal braucht, sind sie natürlich nicht zu Stelle.« »Man hat einen Überfall auf das Haus versucht?« McWarden vibrierte vor Eifer. »Auf das Haus? Auf mich, McWarden, auf mich! Ich zitterte und bebe noch jetzt am ganzen Leib. Nein, nein, das können Sie natürlich nicht sehen. Sie brauchen mich gar nicht so prüfend anzusehen.«
»Was ist passiert? Die Funkdurchsagen waren sehr allgemein gehalten.« »Mr. Parker, berichten Sie!« Lady Simpson nickte Butler Parker zu und ließ sich leidend in einem der bequemen Sessel nieder. »Ich bin nicht fähig, zusammenhängend zu erzählen.« »Es geschah in den frühen Morgenstunden, Sir, so etwa gegen sechs Uhr dreißig, wenn ich mich recht erinnere. Maskierte versuchten, sich gewaltsam Einlaß zu verschaffen. Wie ich es umschreiben möchte. Zuerst mit einem Nachschlüssel, dann sollte wohl die Tür aufgesprengt werden.« »Etwa mit Dynamit?« McWarden war skeptisch. »Mit diversen Brecheisen, Sir, die noch vor der Tür liegen.« »Worauf hier im Haus natürlich sofort eine Panik ausbrach, nicht wahr?« Der Chief-Superintendent lächelte. »Nicht gerade das, was man als Panik bezeichnen müßte«, redete Parker gemessen weiter. »Es breitete sich jedoch, wie ich bekennen muß, eine gewisse Unruhe und Besorgnis aus.« »Weshalb Sie sofort die Polizei anriefen?« »Miß Porter war so geistesgegenwärtig, wie ich betonen möchte.« »Und als die Polizei hier eintraf, war der ganze Spuk vorüber, ja?« »Dies entspricht den Tatsachen, Sir.« »Sie haben natürlich keine Ahnung, wer hier einbrechen wollte?« erkundigte McWarden sich.
»Die Antiquitäten im Haus, Sir, dürften von beträchtlichem Wert sein und könnten Interessenten angelockt haben.« »Normale Einbrecher, also?« McWarden schüttelte den Kopf. »Diese Frage vermag ich nicht zu beantworten, Sir.« Parker schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Umbringen wollte man Mylady, Miß Porter und Sie also wohl nicht?« »Diese Frage vermochte ich an die drei Maskierten nicht zu stellen, Sir.« »Es könnte auch nicht ein gewisser Earl Minton gewesen sein?« »Earl Minton, Sir?« Parker schien diesen Namen noch nie in seinem Leben gehört zu haben. »Earl Minton, in dessen Beatschuppen Sie doch gestern gewesen sind.« McWarden nickte grimmig. »Mylady gelüstete nach einer etwas ungewöhnlichen Unterhaltung«, schickte der Butler voraus. »Mylady besuchte in der vergangenen Nacht ein Lokal, das sich >Westener< nennt.« »Und das einem Earl Minton gehört!« McWarden schüttelte den Kopf.« Spielen Sie mir doch nichts vor, das war und ist Ihnen doch längst bekannt!« »Lassen Sie mich etwa überwachen?« grollte Lady Agatha dazwischen und runzelte die an sich nicht gerade faltenlose Stirn. »Habe ich richtig gehört? Ich werde überwacht? Man bespitzelt mich, eine ehrbare Bürgerin dieses freien Landes?«
»Das war reiner Zufall«, schwindelte McWarden. »Zwei meiner Mitarbeiter haben Sie gesehen, Mylady. Wie gesagt, reiner Zufall.« »Mr. Parker, ob ich mich an das Innenministerium wende?« erkundigte Lady Agatha sich bei Parker. »Vielleicht käme das einer gewissen Überreaktion gleich«, sagte Butler Parker vermittelnd. »Mr. McWardens Darstellung dürfte die gleiche Aussagekraft und den gleichen Wahrheitsgehalt haben wie jene, die zu geben ich mir erlaubte, was den nächtlichen Einbruchsversuch betrifft.« McWarden hüstelte daraufhin leicht, während Lady Agatha an ihrem Kreislaufbeschleuniger nippte. »Ich ahne und spüre es förmlich, daß Sie auf einer heißen Spur sind, was diese Taschendiebgeschichte angeht«, sagte McWarden dann. »Mylady, falls Sie...« »Schnickschnack, junger Mann«, unterbrach die ältere Dame ihn. »Zitieren Sie gefälligst keine Gesetzestexte! Möchten Sie einen Kognak haben oder nicht?« »Dankend akzeptiert.« McWarden nagte an seiner Unterlippe. »Earl Minton, das ist vielleicht der Hinweis, auf den ich gewartet habe. Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, Mylady, diesen Minton werde ich mir ein wenig aus nächster Nähe ansehen. Und diesmal, das schwöre ich Ihnen, werde ich schneller sein als Sie!« *
Walter Brennan war heiterer Stimmung. Die beiden Schläger Jim und Hale hatten gute Nachrichten mit ins Sheriff-Büro gebracht. »Die Bullen um McWarden filzen Mintons Laden«, hatten sie gerade berichtet. »Minton also im Schußfeld.« Walter Brennan zündete sich eine Zigarre an. »Habt ihr schon die Morgenzeitungen gelesen, Jungens? Maskierte Täter haben versucht, in das Haus einer gewissen Lady Agatha Simpson einzudringen.« »Mintons Leute, ist doch klar«, sagte Schläger Jim. »Sie haben's nur versucht?« erkundigte sich Schläger Hale. »Das reicht schon«, antwortete Walter Brennan, der Besitzer des Western-Paradise und schmunzelte. »Mel und Gus haben doch 'ne ganz brauchbare Fährte ausgelegt. Kann man nicht anders sagen.« »Wo stecken die eigentlich, Chef?« fragte Jim. »Die machen 'ne Streife durch die Stadt und klappern die Bahnhöfe ab«, lautete Brennans Antwort. »Mein Spezialist will da was 'rausgefunden haben.« »Noch ein Verrückter, der sich die Finger quetschen lassen will?« Hale grinste wie ein Filmschurke. »Die Sache mit den Fingern scheint sich noch immer nicht ganz 'rumgesprochen zu haben.« Walter Brennan nickte. »Aber das spielt keine Rolle. Ich habe Zeit. Zuerst muß da mal reiner Tisch gemacht werden. Und dann bauen wir die neue Organisation auf, Jungens! Dann steigen wir groß ins Geschäft.«
»Und die verrückte Alte?« Jim hatte so seine Bedenken. »Die befassen sich mit Minton. Wie die Bullen! Besser konnte sich die Sache überhaupt nicht entwickeln. Minton wird sich mit der Lady und dem Butler auseinandersetzen, die wieder mit Minton. Und dann ist da noch die Polizei, die mitmischen wird. Wir können in aller Ruhe die letzten Verrückten ausschalten, die noch auf eigene Rechnung arbeiten wollen.« Walter Brennan wollte noch etwas hinzufügen, doch das Telefon unterbrach ihn. Er hob den Hörer ab und meldete sich. »Hallo«, sagte der neutral, als sich eine ihm bekannte, etwas breit und nasal klingende Stimme meldete. »Natürlich höre ich? Wie war das? Sie haben da einen Burschen aufgespürt, der arbeitet? Der erstklassig arbeitet? Ausschalten, sage ich, ausschalten! Mel und Gus sind ja greifbar, oder? Abschleppen, diesen Burschen, 'raus mit ihm zu den Docks. Und da wird er dann behandelt, aber gründlich. Von wo aus rufen Sie an? Victoria Station? Seit wann haben Sie ihn im Visier?« Walter Brennan hörte einen Moment zu und nickte dann mehr als nachdrücklich. »Ausschalten, sage ich«, wiederholte er dann noch mal. »Mel und Gus sollen gründliche Arbeit leisten, wie im Fall Blair. Gut, Ende!« »Will da wieder einer seine Finger behandelt haben?« fragte Jim ironisch.
»Muß ein verdammt langsamer oder schwerhöriger Typ sein«, warf Hale ein. »Inzwischen dürfte es sich hier doch 'rumgesprochen haben, wie schnell man sich die Finger klemmen kann.« »Der Bursche ist mit dem Zug gekommen und stammt von auswärts«, entgegnete Brennan. »Doch was soll's! In 'ner halben Stunde wird er Blair Gesellschaft leisten!« * Er arbeitete seit einer halben Stunde auf dem Bahnhof und war erstklassig. Der Taschendieb mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und glich ein wenig Pete Blair. Auch dieser Bursche hier hatte sich auf seriös getrimmt. Er trug einen hellgrauen, leichten Mantel, hatte silbergraues, kurzes Haar und schien Schwierigkeiten mit den Augen zu haben. Er trug eine randlose Brille und schaute immer wieder in einen Sprachführer. Das war überhaupt der Trick, um sich Opfern zu nähern. Der Taschendieb stammte offensichtlich vom Kontinent, genauer gesagt, aus Frankreich. Immer wieder erkundigte er sich bei Besuchern des Bahnhofs nach gewissen Adressen oder Sehenswürdigkeiten in der Stadt. Sein Akzent verriet ihn als Ausländer. Die Schnelligkeit seiner Hände war bemerkenswert. Der Informant, der eben mit Brennan gesprochen hatte, war erst dadurch auf diesen Mann aufmerksam geworden, als er
bemerkte, daß man ihn um seine Brieftasche erleichtert hatte. Dieser von Brennan engagierte Beobachter und Informant hatte davon nicht die Spur mitbekommen und bewunderte deshalb insgeheim diesen Fachmann. Er hatte sich gerade an einen eindeutig geldschweren Mann herangemacht und zog erneut seine Masche mit dem Reiseführer ab. Er erkundigte sich etwas umständlich nach dem Tower und >zog< dabei die Brieftasche des hilfsbereiten und höflichen Londoners. Der Informant Brennans schüttelte fast resigniert den Kopf. Nein, so gut' wie dieser Spezialist war selbst er nicht. Und er rechnete sich zu den Spitzen der Branche. Er hatte drüben in den Staaten schon fast so etwas wie einen legendären Ruf gehabt. Dieser Informant bedauerte es fast, diesen einsamen Könner aus dem Verkehr ziehen zu müssen. Es war doch eigentlich eine Schande, solche begnadeten Finger zu verstümmeln. Aber es mußte wohl sein. Er wurde ja dafür bezahlt, Taschendiebe ausfindig zu machen und sie an die Schläger weiterzureichen. Dafür wurde er sogar fürstlich bezahlt. Der einsame Körper im hellgrauen Mantel befaßte sich inzwischen mit dem nächsten Opfer. Auch in diesem Fall ließ er sich etwas auf der Stadtkarte erklären. Unter dem Schutz der ausgebreiteten Karte ging die linke Hand geschmeidig auf Reise und ... zupfte die nächste Brieftasche. Der Informant hatte bereits Schuldgefühle. Er schlenderte zu einem Kiosk hinüber, wo die beiden Schläger Mel
und Gus auf ihren Einsatz warteten. Er nickte ihnen unauffällig zu, worauf die beiden Schläger ihm folgten. Der Informant passierte den Spezialisten und legte dabei seine Hände auf den Rücken. Damit wußten die ahnungslosen Mel und Gus, mit wem sie sich zu befassen hatten. Dieses Hinweiszeichen war von ihnen vorher vereinbart worden. Gus und Mel warteten, bis der Informant aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Dann nahmen sie den Spezialisten in die Mitte und schoben sich eng an ihn heran. »Polizei«, sagte Mel mit dienstlicher Stimme. »Wie, bitte?« fragte der Spezialist mit deutlichem Akzent. »Folgen Sie uns unauffällig, oder wir legen Ihnen Handschellen an«, fügte Gus ebenso dienstlich hinzu. »Ich... Ich protestiere.« Das sagte der Spezialist zwar noch in Englisch, doch dann folgte eine wahre Kaskade in Französisch, ein sicheres Zeichen dafür, wie überrascht und aufgeregt der Mann war. Natürlich ließ er sich abführen, denn er mußte ja annehmen, es tatsächlich mit zwei Detektiven zu tun zu haben. Sie bugsierten ihn aus der Bahnhofshalle, und Brennans Informant seufzte auf. Er wußte, was in wenigen Minuten passierte. Er bedauerte es sehr, daß dieser Künstler seines Fachs nie wieder würde arbeiten können. Das stimmte ihn ehrlich traurig. Gus und Mel hatten ihr Opfer bereits aus der Bahnhofshalle geführt und gingen mit ihm hinüber zu den Parkplätzen. Der Informant seufzte und zündete sich eine Zigarette an.
Er kam sich wie ein Judas vor. Er verriet, wenn auch für ein einmal hohes Honorar, Zunftgenossen an einen im Grund billigen Gangster, der für geschmeidige Finger und Hände überhaupt kein Gefühl hatte. Der Informant dachte an den Mann, der Pete Blair hieß. Der war schon Spitzenklasse gewesen, doch der Mann im hellgrauen Mantel war mit Sicherheit der Größte. * Das Opfer hatte keine Chance. Gus und Mel führten es zu einem zivil aussehenden Ford und freuten sich bereits auf das, was sie tun wollten. So war es auch im Fall Pete Blair gewesen, von anderen Einsätzen ganz zu schweigen. Es machte diesen Schlägern einfach Spaß, Menschen zu quälen. Zudem wollten sie jetzt und hier die Scharte auswetzen, die ein gewisser Parker ihnen beigebracht hatte. Ihr Chef Brennan sollte wissen, daß sie nach wie vor erste Klasse waren. Der Franzose protestierte nur noch gelegentlich. Und das hing wohl mit dem harten Gegenstand zusammen, den Mel ihm gegen die Hüfte preßte. Der Taschendieb hatte inzwischen erkannt, daß es sich bei diesem harten Gegenstand wohl um, den kurzen Lauf einer Schußwaffe handelte. Gus öffnete die Tür des Ford und lächelte maskenhaft. Er deutete auf den oberen Rahmen. »Leg' die Flossen drauf«, sagte er. »Warum, meine Herren Detektive, warum?« fragte der Franzose verängstigt.
»Das wirst du gleich sehen, Mann. Mach' die Finger lang, Junge! Ja, so! Und jetzt schieb sie unter den Rahmen ... Wir werden mal deine Taschen durchsuchen.« »Ich... Ich gebe alles zu«, sagte der Taschendieb leise und senkte den Kopf. »Wie ... Wie haben Sie mich erkannt?« »Los, die Hände!« erinnerte Mel. »Wir wollen erst mal sehen, was du so gezogen hast.« Er griff in die Manteltasche seines Opfers und ... blieb dann wie versteinert stehen. Dann verzog sein Gesicht sich zu einer entsetzten Grimasse. Erst jetzt stieß er einen keuchenden, nicht gerade lauten Schrei aus. Gus vergaß darüber, die Wagentür in den Rahmen zu schmettern, wie er es vor hatte. Er fuhr herum und sah seinen Partner an, der die Hand blitzartig aus der Manteltasche zog und sie anstierte. Das Gesicht des Mannes hatte ein kreidiges, graues Weiß angenommen. Er wollte etwas sagen, doch er schaffte es einfach nicht. Er stand ganz eindeutig unter einem Schock. »Mensch, was is', fragte Gus. »Hi... Hülfe«, keuchte Mel und schüttelte seine Hand. Er wich vor dem Taschendieb zurück, als habe er bei ihm Aussatz entdeckt. »Mach, so red' doch!« Gus vergaß den Taschendieb neben ihm. »Sch ... Schlange!« Mel schüttelte sich und taumelte gegen einen anderen, parkenden Wagen. »Schlange?« Gus wandte sich zu dem Taschendieb um, der jetzt zustimmend nickte.
»Schlange?« wiederholte Gus noch mal und wich seinerseits zurück. Er schüttelte ihn bereits. »Die Hüterin meiner Schätze«, bestätigte der angebliche Franzose in flüssigem, akzentfreien und bestem Englisch. »Sie werden gewiß im Nachhinein verstehen, daß ich die Gesundheit meiner Hände wahren mußte, meine Herren. Ich schlage vor, sie steigen in den Wagen und lassen sich zu einem Arzt bringen, der sich auf Schlangengifte spezialisiert hat.« Gus hatte keine Lust, diese Einladung anzunehmen. Er dachte nur an sich. Er schlug die geöffnete Wagentür mit viel Wucht in den Rahmen und übersah dabei, daß sein Partner Mel inzwischen seine linke Hand stützend gegen den Rahmen gelegt hatte. Der Schrei, der jetzt erfolgte, war mehr als spitz. Schläger Mel erfuhr am eigenen Leib, welche Schmerzen das waren. Er heulte auf, wurde fast ohnmächtig und bemerkte nicht die beiden Polizeidetektive, die herbeieilten und sich seiner annahmen. Schläger Gus aber rannte über den Parkplatz und wollte sich in Sicherheit bringen. Der Franzose im hellgrauen Mantel, der plötzlich so ausgezeichnet Englisch sprach, dachte nicht im Traum daran, etwa eine Verfolgung aufzunehmen. Sie wäre auch gar nicht notwendig gewesen. Der flüchtende Gus rannte in den Bahnhof zurück, um sich dort in der Menge erst mal unsichtbar zu machen, doch er kam nicht sonderlich weit. Mitten im Lauf - er
hatte die Treppe hinauf zur Halle noch nicht ganz erreicht - absolvierte er plötzlich einen halben Salto nach vorn und schlitterte dann über den Bauch ein gutes Stück weiter. Plötzlich geschah etwas, was man nur als einen schicksalsträchtigen Akt ausgleichender Gerechtigkeit bezeichnen konnte: Gus rappelte sich auf und stützte sich gegen ein Taxi, dessen Fahrer gerade die Tür hinter einem eingestiegenen Fahrgast zuwarf. Gus brüllte und erlitt das, was er Pete Blair und eben erst seinem Partner Mel zugefügt hatte. Auch seine Finger wurden von der zuschlagenden Türkante erfaßt und gegen den Rahmen gepreßt. Der Mann im hellgrauen Mantel ließ derweil seine Gabelschleuder unauffällig in einer Manteltasche verschwinden und wandte sich einem der Detektive zu. »Auch dieser Herr drüben wird Ihnen mit Sicherheit gern folgen«, sagte der angebliche Franzose gemessen. »Meine Empfehlungen an Mr. McWarden!« »Und was ist mit dem Schlangenbiß?« fragte einer der Beamten, der von dem wimmernden Schläger Mel inzwischen gehört hatte, was zusätzlich noch passiert war. »Eine harmlose Blindschleiche«, sagte Parker, um den es sich natürlich handelte. »Möchten Sie sie sehen?« Die beiden Mitarbeiter McWardens wichen sicherheitshalber zurück und vertraten gemeinsam die Ansicht, daß sie auf solch einen Anblick nicht besonders erpicht seien.
* Der Informant hat die Häufung der peinlichen Zwischenfälle mitverfolgt. Was sich da allerdings genau abgespielt hatte, wußte er nicht. Er suchte nach dem Mann im hellgrauen Mantel, der das alles inszeniert haben mußte, doch dieser Mann war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Dafür sah der Informant aber, daß die beiden stöhnenden Schläger Mel und Gus in einem Streifenwagen der Polizei abtransportiert wurden. Der Informant hatte plötzlich Angst. Er suchte die nächste Telefonzelle auf und rief seinen Auftraggeber Brennan an. »Nein, nichts ist gelaufen«, widersprach er, als Brennan sich gut gelaunt gemeldet hatte. »Mel und Gus sind von der Polizei festgenommen worden. Jawohl, festgenommen! Und ihren Händen ist genau das passiert, wie sie... Wie, bitte? Ja, ihre Hände sind behandelt worden, und nicht zu knapp. Nein, nein, Brennan, ich breche hier meine Zelte ab, ich habe keine Lust, daß mir auch sowas passiert. Sie erreichen mich in meinem Hotel, aber ich sage Ihnen gleich, ich spiele nicht länger mit.« Er legte auf und zündete sich erst mal eine Zigarette zur Beruhigung an. Dann verließ er die Bahnhofshalle und ging über die Belgrave Road hinunter in den nahen Stadtteil Pimlico, wo er sich in
einem kleinen Touristenhotel eingemietet hatte. Daß er beschattet wurde, merkte er überhaupt nicht. Hinter ihm, wenn auch auf der anderen Straßenseite, ging ein junges Mädchen, das wohl in einem Modegeschäft arbeitete. Es trug einige Pakete, hatte einen rosafarbenen Kittel an und schien Zeit für sich herausschinden zu wollen. Die junge Verkäuferin blieb immer wieder vor Schaufenstern stehen, schlenderte herum und wartete, bis der Informant endlich sein kleines Hotel betreten hatte. Die junge Verkäuferin ging weiter, verschwand in einer Nebenstraße und wartete in einer Teestube darauf, was sich ereignete. Von ihrem Tisch aus konnte sie gerade noch den Hoteleingang beobachten. Es war Kathy Porter, die den Informanten verfolgt hatte. Als Musterschülerin eines gewissen Josuah Parker war auch sie längst zu einer Meisterin der Maske geworden. Mit nur wenigen Hilfsmitteln war sie in der Lage, Aussehen und auch Persönlichkeit zu verändern. Wenn sie eine bestimmte Rolle übernahm, schlüpfte sie in diese neue Haut und war ein anderer Mensch. Nach etwa zehn Minuten erschien der Informant. Er trug einen kleinen Koffer in der Hand und hatte es eilig, doch er nahm kein Taxi. Kathy Porter deponierte den Kittel und die Päckchen bei der Bedienung und revanchierte sich für diese Freundlichkeit mit einem kleinen Trinkgeld, das ihrer Rolle als
angebliche Verkäuferin angemessen war. Sie zeigte nun ein flottes Sommerkleidchen und setzte sich draußen vor der Teestube eine große, runde Sonnenbrille auf. Dann verfolgte sie den Mann, auf den Parker sie bereits an der Victoria Station angesetzt hatte. Der Informant blieb nicht lange auf der Straße. Nach knapp fünf Minuten betrat er die Halle eines ebenfalls kleinen Hotels, um sich ein Zimmer zu mieten. Durch die Glastür konnte Kathy Porter sehen, wie der Mann bald darauf mit dem Lift nach oben fuhr. Sie zweifelte nicht daran, daß er vorerst in diesem Hotel blieb. Wahrscheinlich hatte er aus Gründen seiner persönlichen Sicherheit einen Quartierwechsel vorgenommen. * »Ich weiß, junger Mann, Sie waren zufällig in der Nähe«, sagte Lady Agatha spöttisch, als Butler Parker den Chief-Superintendent in den Salon geführt hatte. »Ich bin sogar sehr gezielt gekommen.« McWarden schluckte den >jungen MannWagenhimmelDrückerZieher< und >TrägerErste-Hilfe-KastenSonnensöhne< Parker war ein wenig indigniert, als die Dame ihn >Bruder< nannte und ihm das große Glück des Lebens versprach. Sie war eine Tochter des Mo, wie sie behauptete, aber auch bereit, Ihm Privatunterricht In ihrem Zimmer zu geben. Über diese Tochter des Mo geriet Butler Parker dann wenig später an die Söhne der Sonne, die sich ausschließlich mit verschreckten Frauen befaßten. Lady Simpson und Butler Parker legten sich mit diesen skurrilen Sekten an und merkten bald, daß ein raffinierter Gangster der Kopf war, der auf schnelle Art und Weise zu viel Geld kommen wollte. Als seine Kreise gestört wurden, ging er zum Angriff über und hetzte seine Söhne und Töchter auf den Butler, der das gar nicht sonderlich schätzte. Günter Dönges schrieb einen neuen Parker-Krimi mit flotten Gags. Eine Story, In der gelacht werden darf, in der aber auch Hochspannung serviert wird. Ein echter Parker, den Sie nicht versäumen sollten.