Anneliese Wipperling
Heimkehr in die Fremde
zweiter Teil der Voyager-Stargate-Crossover-Trilogie
„Heimkehr in die Fremde“ von Anneliese & Adriana Wipperling
Impressum: Ein kostenloser Star Trek Roman von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin.
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eBook Heimkehr in die Fremde, Teil 2: „Heimkehr in die Fremde“ Copyright 2004 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Anneliese Wipperling Cover: Adriana Wipperling
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Dieser und andere Romane von Anneliese Wipperling sind zuerst als nichtkommerzielle Fanzines beim „Star Trek Forum“ erschienen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Anneliese Wipperling
Heimkehr in die Fremde Quälende Zweifel Das Fest war vorüber und die Gäste verabschiedeten sich nach und nach. Annika Hanson, oder Seven, wie ihre Schiffskameraden und Freunde sie immer noch nannten, stand in ihrem langen, weißen Kleid neben Chakotay. Captain Janeway beobachtete die beiden unauffällig und mit einer gewissen masochistischen Neugier. Sie fand, dass ihr erster Offizier in seiner Galauniform nicht nur würdevoll, sondern auch sehr männlich und anziehend wirkte. Er sah ein wenig müde aus, während Seven, aus deren kunstvoller Frisur sich lediglich ein paar blonde Strähnen gelöst hatten, wunderschön und immer noch erstaunlich frisch war. „Sie ist viel stärker als wir Menschen, weil sie Borg ist", überlegte Captain Janeway frustriert. „Vielleicht werden ihre Nanosonden auch dafür sorgen, dass sie langsamer altert als eine gewöhnliche Frau ... mit ihren perfekten Kurven kann sie womöglich noch in hundert Jahren jeden Mann becircen. Den Männern können die Frauen einfach nicht jung genug sein ... da bringt es ziemlich wenig, jahrelang wie vierzig auszusehen ... vorausgesetzt, es stimmt, was der Wurm mir erzählt hat." Plötzlich wurde sich Kathryn der Schäbigkeit ihrer Gefühle bewusst. „Verdammt!" schimpfte sie mit sich selbst. „Du hast Chakotay doch selbst zurückgewiesen! Du hast diesen blödsinnigen Ehrenkodex der Sternenflotte so bierernst wie immer genommen: nur ja keine Liebesbeziehungen zu einem Untergebenen! Dabei ist Chakotay ein guter Mann. Niemand von dieser Crew weiß besser als ich, wie zärtlich und fürsorglich er sein kann. Wenn sie damals kein Heilmittel gefunden hätten, würden wir immer noch wie Adam und Eva auf diesem verwunschenen Planeten leben, unsere Tomaten wären einfach legendär und ich hätte wahrscheinlich schon ein oder zwei Kinder." Sie lächelte schief und seufzte dann leise. Natürlich wünschte sie ihrem ersten Offizier Glück im Leben, trotzdem fiel es ihr extrem schwer, mit anzusehen, dass eine andere Frau ihn bekam. Kathryn fühlte sich mit einem Mal unsäglich einsam. Sowohl Marc als auch Chakotay waren für immer verloren und die leise, fremdartige Stimme in ihrem Inneren war kein Ersatz für die körperliche Nähe eines richtigen Mannes aus Fleisch und Blut. „Selmak ist nur ein seltsamer, göttlicher Wurm mit Erinnerungen an längst verstorbene Leute." Als sie die beruhigende mentale Stimme ihres Symbionten vernahm, hätte sie ihn aus Frust am liebsten für immer zum Schweigen gebracht. „Du wirst viel langsamer altern als andere Frauen“, flüsterte es begütigend in ihr. „Du kannst fast so alt werden, wie eine Vulkanierin.“ „Wie kommt er nur ausgerechnet auf Vulkanier", dachte Kathryn verwundert. Dann zuckte sie die Schultern. „Was soll es! Ich hätte mich damals rigoros über diese spießigen Vorschriften hinwegsetzen sollen! Mein Gott, wir waren die einzigen Menschen im Deltaquadranten! Unsere Aussichten, nicht als verwelkte Wracks oder tot heimzukehren, waren verschwindend gering. Niemand hätte es uns übel genommen ... und nun bleibt mir nur noch ein gewisser irischer Barkeeper, der nicht einmal echt ist. Wenn mir nicht so sehr nach Weinen zumute wäre, könnte ich einfach zu dem Brautpaar gehen, ihnen ganz souverän ein glückliches gemeinsames Leben wünschen und durch diese Tür weit fortgehen." Eine Welle von Panik schwappte in das Bewusstsein des Captains. „Ich bringe das nie und nimmer fertig! Seven freundlich die Hand drükken und in gemessenen Worten meinen Glückwunsch ... nein, ich muss wahrscheinlich gleich laut schreien! Ich möchte nur noch so schnell wie möglich hier raus und ich weiß nicht, wie ich das unauffällig anstellen kann! Jeder wird es mir sofort ansehen, dass ..." Sie war mit einem Mal so zornig und enttäuscht, dass sie das sanfte, beruhigende Summen ihres Untermieters, wie sie Selmak ab und zu respektlos bezeichnete, gar nicht mehr wahrnahm. Captain Janeway bemerkte nicht sofort, dass sich Tuvok inzwischen zu ihr gesellt hatte. Ganz offensichtlich ging es ihm ebenfalls nicht besonders gut. Ein fremder Beobachter hätte es wahrscheinlich gar nicht bemerkt, aber Kathryn kannte dieses unmerkliche Zucken seiner Wangen-
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muskeln, dieses unvollkommen verborgene Funkeln seiner Augen. „Ich empfinde meine Situation ebenfalls als extrem unbefriedigend“, bekannte der Vulkanier mit ungewohnter Offenheit. „Ach Tuvok, Sie haben doch gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen", erwiderte Janeway bitter. „Ihre nette Frau und ihre Kinder haben sich regelmäßig gemeldet. Sie haben doch nicht so einen entzückenden Brief erhalten, in dem stand: ‚Entschuldige bitte, aber ich habe dich leider für tot gehalten ... und da ich nur dieses eine Leben habe ... ich hoffe, du verstehst, dass ich inzwischen eine andere geheiratet habe ... schließlich steht mir auch ein wenig Glück zu ... und sie mag sogar den Hund von dir ...' zum Teufel mit Marc! Für meinen Geschmack hat er mich ein wenig zu schnell aufgegeben!" „Es war unehrenhaft von Ihrem Partner, nicht auf Sie zu warten!“ Die Missbilligung in Tuvoks dunklen Augen war subtil, aber nicht zu übersehen. „Ich hoffe nur, dass ich mich nie damit auseinander setzen muss, dass meine Gemahlin T’Pel die Bindung nicht geehrt hat.“ Janeway beruhigte ihn mütterlich: „Das müssen Sie bestimmt nicht, allein der Gedanke daran, dass eine Vulkanierin sich unkorrekt verhalten haben könnte ... nein, ich halte das für völlig unwahrscheinlich!" Tuvoks Wangenmuskeln verhärteten sich jetzt deutlicher. „Leider bin ich mir der Ehre meiner Familie nicht annähernd so sicher, wie Sie annehmen. Seit wir in den Raum der Föderation zurückgekehrt
sind, gelingt es mir nicht, Kontakt zu T'Pel oder den Kindern aufzunehmen. Ich habe zwar zu wenig Informationen, um die Situation korrekt beurteilen zu können, aber es wäre unlogisch, die schlimmsten Varianten nicht in Betracht zu ziehen. Vulkan hat sich seit dem Dominionkrieg sehr verändert." Der Vulkanier verstummte und Kathryn wartete geduldig, dass er den Satz beenden würde. „Mein Planet ist der Entropie anheim gefallen, mein Haus liegt in Trümmern, mein Clan existiert möglicherweise nicht mehr", sagte er schließlich mit unnatürlich flacher Stimme. „Ich fürchte, alle sind tot und irgendjemand wollte verhindern, dass ich mich fern von Vulkan in den Abgrund ohne Wiederkehr stürze. Ich vermute, all die guten Nachrichten waren Fälschungen." Captain Janeway sah ihn missbilligend an. „Ich bin es von Ihnen nicht gewöhnt, dass Sie dermaßen pessimistisch sind ..." „Mit Pessimismus oder Optimismus hat das gar nichts zu tun", konterte Tuvok würdevoll. „Derart irrelevante Emotionen kann ich problemlos verstoßen. Nein, mein Verdacht wird von ganz konkreten Informationen genährt. Ich habe die Datenbanken Vulkans befragt. Es gibt keine Hinweise auf das Haus Komor mehr ... es ist niemand mehr da. Nicht nur meine Gemahlin und die Kinder sind verschwunden, auch alle übrigen Verwandten ... und was das Schlimmste ist: Ich hätte T'Pels Stimme in meinem Geist vernehmen müssen, als wir den Transwarpkanal der Borg verließen ... aber da ist nichts. Ich bin ganz allein." Kathryn schämte sich plötzlich, weil ihre eigenen Probleme gemessen an Tuvoks unendlichem Leid eher zweitrangig waren. Mitfühlend sagte sie zu ihrem alten Freund: „Dass T'Pels Stimme verstummt ist, tut mir Leid. Womöglich ist ihr tatsächlich etwas zugestoßen ... aber Ihre Kinder und die übrigen Angehörigen ... es könnte doch sein, dass mit diesen Datenbanken etwas nicht stimmt ... vielleicht sind sie nicht auf dem neuesten Stand?" „Nein“, entgegnete Tuvok hilflos. „Die letzten Einträge stammten vom heutigen Tag, an den Daten liegt es bestimmt nicht.“ „Aber die Besetzung Vulkans durch das Dominion hat, soviel ich weiß, nur ein paar Monate gedauert. Es kann doch gar nicht sein, dass von so vielen Personen niemand übrig geblieben ist!“ Unwillkürlich stemmte Captain Janeway die Hände in die Hüften. „Wie viel Mitglieder hatte denn Ihr Clan?“ „Zweihundertdreiundfünfzig“, antwortete Tuvok leise. „Und Ihre optimistische Haltung bezüglich der Opfer ist nicht logisch. Die Jem’Hadar haben alle größeren Städte zerstört.“ „Trotzdem können unmöglich alle tot sein! Ich würde mich an Ihrer Stelle direkt an die Regierung wenden. Man wird Ihnen bestimmt helfen, die VOYAGER ist schließlich ein Sonderfall.“ „Ich verspüre wenig Neigung, das zu tun“, antwortete Tuvok nachdenklich. „Vulkan wird neuerdings von Barbaren regiert, die das Kohlinar nicht achten.“ Captain Janeway rekapitulierte hastig ihre neuesten Erkenntnisse über Vulkan. Sie erinnerte sich an Berichte über eine neue Ordnung: an einen sehr jung und ausgesprochen attraktiv aussehenden, dunkelhäutigen Premierminister ... einen Rat der Weisen, der von der gesamten Bevölkerung direkt gewählt wurde und dessen soziale Zusammensetzung genau festgelegt war. So und so viel älteste Mütter, Wissenschaftler verschiedener Sparten, Kohlinar-Meister, Arbeiter, Krieger. Diese vulkanischen Kämpfer hatten Erstaunliches geleistet, waren mit modernsten
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Kampffliegern und unbekannten Waffen gegen das Dominion vorgegangen. Die Sternenflotte hätte es allein bestimmt nicht geschafft, die Erde zu beschützen. „Aber Tuvok!" sagte sie streng. „Wenn die neue Ordnung so schlecht wäre, würde die Föderation sie nicht akzeptieren! Ich habe bis jetzt nur Gutes gehört. Die Beziehungen zwischen Vulkan und den übrigen Föderationswelten haben sich enorm verbessert. Es gibt einen regen Kulturaustausch, Gastprofessuren ..." „Vulkan hatte früher keine fremden Professoren nötig. Unsere Elite ist mit den Großstädten untergegangen und nun ..." erwiderte Tuvok reserviert. Captain Janeway musterte ihren alten Freund misstrauisch. „Sie hatten doch bisher nichts gegen Außenweltler... und die neue Regierung scheint sehr tüchtig zu sein. Ihr Volk handelt friedlich und einträchtig. Der Wiederaufbau erfolgt weitaus schneller als auf Betazed. Dieser Madras scheint ein äußerst kompetenter Mann zu sein. Er versteht es offenbar ausgezeichnet, die Massen zu mobilisieren.“ „Ich habe gehört, dass er die Bindung nicht respektieren soll“, erklärte Tuvok widerwillig. Kathryn erinnerte sich an ein zeitlos schönes, tiefschwarzes Gesicht mit geheimnisvoll funkelnden grünen Augen. So etwas Banales wie billige Affären konnte sie sich bei diesem Mann einfach nicht vorstellen. Nein, sie war sogar verärgert, dass Tuvok das überhaupt in Betracht zog und fühlte sich irgendwie verpflichtet, den fremden Vulkanier zu verteidigen. „Sie meinen, er betrügt seine Gemahlin?" fragte sie schroff. „Sie werden doch nicht auf solchen Klatsch hereinfallen! So etwas sieht Ihnen überhaupt nicht ähnlich!" Tuvoks Lippen zuckten abfällig, als er konterte: „Madras ist ein Wilder aus der südlichen Wüste. Er hat ganz offen zugegeben, mit mehreren Partnern unterschiedlichen Geschlechts zu verkehren, wie es bei seiner unzivilisierten Gemeinschaft Sitte ist.“ Jetzt war Captain Janeway doch verblüfft ... und merkwürdigerweise auch ein wenig traurig. „Euer neuer Regierungschef ist polygam und bisexuell? Ich wusste gar nicht, dass es so etwas auf Vulkan gibt ..." Kathryns Augen funkelten plötzlich zugleich herausfordernd und amüsiert. „Ist das etwa mit Suraks Lehren vereinbar?" „Nein, es ist so extrem unlogisch und unrein ..." murmelte Tuvok empört. „Und warum hat Vulkan nicht längst etwas gegen diese seltsame Sekte aus der Wüste unternommen?“ „Es ist keine Sekte. Es handelt sich um ein Volk, das sich bis heute den Reformen Suraks widersetzt hat.“ „Sie wollten sich offenbar nicht assimilieren lassen“, kommentierte Selmak ironisch. „Aber Ihr verbannt doch normalerweise alle Abweichler“, bemerkte der Captain verwundert. „Bei diesen war das leider nicht möglich. Der große Surak selbst hat sich um des UMUKPrinzips willen für ihren Schutz ausgesprochen und es scheint, dass es dafür stichhaltige Beweise gibt. Ich verstehe nur nicht, was unseren großen Lehrer und Erneuerer an den Turuska so fasziniert hat!“ „Woran erkennt man eigentlich diese ... wie heißen sie doch gleich ... Turukka?" „Es heißt Turuska“, verbesserte Tuvok den Captain geduldig. „Sie sind schwarz.“ „Aber das sind Sie doch auch!“ konterte Kathryn irritiert. „Es mag sein, dass ich irgendwie von diesen Leuten abstamme, aber ich bin nicht wie sie. Ich habe die gleiche Bildung genossen, wie jeder andere Vulkanier“, antwortete Tuvok betont selbstbewusst. „Ich befolge die Anweisungen meines Kohlinar-Meisters. Ich bin nicht abergläubisch und ich wälze mich auch nicht bei jeder Gelegenheit wie ein Tier mit meiner Gemahlin im Sand. Ich weiß ganz genau, was Zivilisation und Logik bedeuten. Diese Turuska hingegen benehmen sich wie Urvulkanier!“ Tuvoks Nasenlöcher weiteten sich und in seinen schwarzen Augen glomm für einen winzigen Augenblick eiskalter Zorn. „Sie besudeln unsere Kultur!“ Janeway sah ihn verwundert an. So fanatisch hatte sie ihren alten Freund noch nie erlebt ... offenbar schämte er sich seiner Vorfahren. „Ihr hättet diese Turuska doch irgendwie integrieren können ..." bemerkte sie. „Es ist doch nicht logisch, einfach einen Teil der Bevölkerung solch einer Barbarei zu überlassen!" Inzwischen war Captain Janeway so intensiv in die Probleme Vulkans vertieft, dass sie gar nicht mehr an Seven, Chakotay und ihren eigenen Kummer dachte. „Man hätte doch die Kinder dieser Leute auf gute Internatsschulen schicken können ..." „So wie man früher den Reservationsindianern auf der Erde ihre Söhne und Töchter weggenommen hat, um aus ihnen willfährige Angehörige der Unterschicht zu machen, braune, schlecht bezahlte Arbeiter mit den Werten der Weißen“, murrte Selmak tonlos. „Nur die Goa’uld könnten auf schlimmere Ideen kommen!“
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„Aber Selmak!" protestierte Janeway ebenso lautlos. „Ich wollte doch nicht ..." „Oh doch“, antwortete der göttliche Wurm in ihrem Inneren. „Genau das wolltest du! Dabei gibt es bei Euch die Erste Direktive! Auch unterentwickelte Völker auf dem Territorium der Föderation haben das Recht, über ihr Leben selbst zu entscheiden.“ Tuvok wunderte sich über das lebhafte Mienenspiel seines Gegenübers. „Unglücklicherweise haben die Turuska sich gegen jeden Eingriff in ihre Bräuche erbittert zur Wehr gesetzt. Sie haben sich einfach geweigert, ihre Gefühle zu verstoßen.“ Kathryn schwieg nachdenklich. Die Vorstellung, dass es auch Vulkanier gab, die leidenschaftlich und zärtlich sein konnten, gefiel ihr. Wieder musste sie an das makellose dunkle Gesicht des neuen Anführers denken. Dieser Madras hatte auf sie sehr kontrolliert und kühl gewirkt ... nicht wie jemand, der so unersättlich war, dass er unbedingt mehrere Sexualpartner brauchte, trotzdem hatte er ein unglaubliches, sehr subtiles Charisma ... unter seiner glatten Maske brannte ein beunruhigend heißes Feuer, das sie bei Tuvok plötzlich schmerzlich vermisste. „Ich finde, Sie urteilen ziemlich oberflächlich über diese Leute", bemerkte sie schließlich vorsichtig. „Vielleicht sind sie nicht unzivilisierter als andere Völker der Föderation ... wir Menschen zum Beispiel. Sie sollten sich besser selbst ein Bild machen!" Selmak seufzte erleichtert ... offenbar war seine Wirtin doch ganz in Ordnung ... Tuvok sah Kathryn nur mit einem undefinierbaren Blick an. Er mochte seinen Captain ... andererseits wäre ihm eine Person wie sie auf Vulkan völlig deplatziert vorgekommen. Er fand sie extrem emotional. Zuweilen war ihm völlig unverständlich, auf welche Weise sie ihre Entscheidungen traf. Wahrscheinlich waren sogar Instinkte im Spiel, die primitivste Methode im bekannten Universum, um zu einer Entscheidung zu kommen. Jedes Reptil war dazu in der Lage ... „Dieser Tuvok sieht so hübsch aus", dachte Selmak enttäuscht. „Er ist gut gebaut und bewegt sich mit so einer Leichtigkeit ... als ich ihn das erste Mal sah, habe ich zutiefst bedauert, dass Vulkanier sich als Wirte für mich nicht eignen. Aber nun bin ich ganz froh: Der Kerl hat keinerlei Humor und er ist ein richtiger Spießer. Nein, ich würde mich mit ihm zu Tode langweilen!" „Sie haben fast ein Jahr Urlaub angehäuft“, erklärte Captain Janeway nach längerem unbehaglichem Schweigen energisch. „Fliegen Sie nach Vulkan! Vielleicht finden Sie sogar ihre Gemahlin und ihre Kinder gesund und munter wieder. Sie sollten ein wenig toleranter und optimistischer sein!“ „Ich sagte es schon, Optimismus ist irrelevant. Falls T'Pel noch lebt, hat sie unsere Bindung entfernen lassen ..." „Vielleicht hatte sie dafür gute Gründe und ist sogar bereit, mit Ihnen einen neuen Anfang zu wagen. Sich zu quälen, wenn man gar nicht die ganze Wahrheit kennt, ist sehr unlogisch“, konterte der Captain ruhig. „Sie sollten ihre Vorbehalte beiseite schieben. Ich habe jedenfalls keine Probleme damit, der neuen Regierung Vulkans zu vertrauen.“ „Sie haben möglicherweise recht. Ich werde versuchen, das Cthia zu ehren und zu verstehen, warum meine Heimat sich auf so schreckliche Weise verändert hat“, antwortete Tuvok ernsthaft. „Warum ein Schlächter wie Madras, der angeblich mit eigener Hand über hundert Jem’Hadar getötet hat, Premierminister werden konnte. Warum die Föderation die Methoden dieser Wüstennomaden nicht verurteilt hat. Wissen Sie, dass die Kämpfer der Turuska prinzipiell keine Gefangenen gemacht haben?“ „Was vermutlich ganz vernünftig war ..." murmelte Selmak. „Sie sollten das eigentlich verstehen. Immerhin sind Sie Sternenflottenoffizier und haben bereits gegen verschiedene Gegner gekämpft. Dieser neue Feind war besonders grausam und unerbittlich", erklärte Kathryn leise. „Vulkan war nicht vorbereitet auf einen Krieg. Ihr Volk musste sich ganz schnell anpassen, sonst wäre es elend zu Grunde gegangen. Vielleicht waren diese archaischen Wilden die Einzigen, die dazu im Stande waren. Manchmal kann Zivilisiertheit sehr hinderlich sein." „Betazed hat auch überlebt, ohne seine Kultur zu verstoßen.“ „Betazed wurde von den Romulanern aus den Fängen des Dominion befreit", erinnerte Janeway behutsam. „Sie waren geradezu entsetzliche Sieger! Die Föderation hat diesen Planeten erst nach langwierigen Verhandlungen zurück erhalten. Wir mussten ihnen dafür mehrere andere Welten überlassen. Die Bevölkerung hat unglaublich gelitten. Die Romulaner haben sie als Versuchskaninchen missbraucht ... viele starben ... andere sind verschollen, wurden wahrscheinlich verschleppt und man quält sie immer noch in irgendwelchen dubiosen Labors. Die Nervenheilanstalten der Föderation sind völlig überfüllt mit betazoidischen Patienten. Ich kann
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mir nicht vorstellen, dass Sie ihrem eigenen Volk ein solches Schicksal wünschen. Vulkan hat es nicht nur in recht kurzer Zeit allein geschafft, sich zu befreien, seine getarnten Kampffliegergeschwader haben geholfen, die Breen aus dem Raum der Erde zu vertreiben. Es war fast so, als ob ... wie dem auch sei, die Menschen sind Vulkan zu großem Dank verpflichtet." Tuvok starrte nachdenklich auf die beige Wand des Festsaales. „Die Turuska wussten genau, dass ein Krieg bevorstand. Sie müssen sich seit Jahrzehnten heimlich darauf vorbereitet haben. Anders sind diese erstaunlichen Erfolge nicht zu erklären ..." „Hättet ihr denn auf eine Warnung der Wüstenbewohner gehört?“ „Vermutlich nicht.“ Wieder tauchte vor Kathryns Augen das faszinierend makellose, dunkle Gesicht auf. „Mich interessiert eigentlich nur, dass es überhaupt gelungen ist, unsere Föderation zu retten. Wenn ich an die grausamen und heimtückischen Methoden denke, mit denen die Gründer jeden Widerstand zu ersticken pflegen ..."
„Und wenn die Turuska in Wirklichkeit nur auf eine Gelegenheit gewartet haben, um auf Vulkan die Macht zu ergreifen ... wenn sie womöglich ..." „Tuvok!“ sagte Janeway unerwartet scharf. „Sie sehen Gespenster! Niemand wurde bisher auf Vulkan versklavt oder unterdrückt!“ „Aber ..." „Nein!" schnitt sie ihm energisch das Wort ab. „Die vulkanischen Krieger waren unglaublich tapfer, selbstlos und verantwortungsbewusst. Sie haben sich nicht nur um ihr eigenes Volk gesorgt. Ich werde nicht so undankbar sein ..." „Wenn das Wohl der Vielen ihnen tatsächlich wichtig war ..." murmelte Tuvok gedankenverloren. „Es scheint, als hätten sie Surak möglicherweise doch nicht völlig verstoßen." „Verstoßen Sie endlich Ihre Vorurteile und geben Sie Madras und seiner neuen Regierung eine faire Chance!" forderte Kathryn ihren vulkanischen Freund auf. „Vielleicht haben diese Turuska in manchen Dingen gar nicht so unrecht. Sie könnten faszinierende neue Seiten an sich selbst entdecken und Sie verstehen vielleicht sogar irgendwann, wie wichtig die Liebe ..." Plötzlich musste sie übermütig lächeln. Tuvoks zutiefst irritierter Gesichtsausdruck sah so umwerfend komisch aus ... und Selmak fand das offensichtlich ebenfalls sehr amüsant. Auf einmal war es ganz leicht, Seven und Chakotay in die Augen zu sehen. „Kommen Sie, Tuvok, wir wollen dem Brautpaar gratulieren und dann so schnell wie möglich verschwinden. Ich bin so was von müde!" Impulsiv packte sie die Hand des Vulkaniers und zog ihn energisch in Richtung Tür. „Tuvok mag es überhaupt nicht, wenn ich ihn anfasse. Ich hoffe nur, er benimmt sich T’Pel gegenüber nicht genauso zickig“, dachte Kathryn belustigt. „Aber mir ist egal, was er mag und was nicht. Mir ist heute einfach danach, ihn anzufassen und er wird es vor all den Leuten nicht wagen, dagegen zu protestieren.“ Erstaunt registrierte sie, dass die warme dunkle Hand ihres vertrauten Freundes heftig zitterte. Unerwartet bemächtigte sich Selmak der Kontrolle über ihre Finger und streichelte Tuvoks Hand sanft und andächtig.
Die dunkle Nemesis Der Versammlungsplatz der Ah'Maral lag still und einsam im Licht des frühen Nachmittags. Es war völlig windstill. Der Himmel wölbte sich orangegelb über dem fast schwarzen Untergrund. T'Khuth schimmerte als halb durchsichtige, riesige Kugel am südlichen Himmel ... ein dunkelroter, in goldene Schleier gehüllter Albtraum. Einige scharfe Felsnadeln am Rand der heiligen Stätte schienen Vulkans Zwilling regelrecht zu durchbohren. Mit einiger Fantasie konnte man sich vorstellen, dass rotes Außenweltlerblut aus tiefen Wunden hervorquoll, in den heißen, dunklen Sand tropfte und von ihm gierig aufgesogen wurde. Mitten in dem von Kraftfeldemittern umgebenen Oval ragte eine fünfzig Meter hohe Säule aus reinem Titan empor: übereinander gestapelte Köpfe ... zornige, traurige, angstvolle und tote Gesichter ... Gesichter von Männern, Frauen, Kindern. Das graue Metall war unterschiedlich strukturiert, gehärtet, wirkte widerstandsfähig und unbesiegbar wie der größte Kopf in Augenhöhe ... ein herber, verschlossener Mann mit einer Adlernase und einem großen weichen Mund: Schaman aus dem Hause Kuma, dessen Clan auf diesem Platz vor fast tausendsechshundert Jahren elend verblutet war ... der Erfinder der Ah'Maral, der allererste Krieger der Turuska. Plötzlich erschien eine flirrende Säule neben dem Monument. Eine zierliche, dunkelhäutige Frau mit mandelförmigen dunklen Augen und kinnlangem, schwarzem Haar erschien praktisch aus dem Nichts. Sie trug einen langen, weißen, seidigen Mantel, schwarze Kniehosen, ein
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schwarzes Bustier, Sandalen, eine schlichte Kette aus unregelmäßig geformten Hämatitperlen, einen Waffengürtel mit einem silbrig schimmernden Dolch und einem schussbereiten Phaser. Einen winzigen Augenblick verharrte sie desorientiert in einer Haltung, als wolle sie im nächsten Augenblick in die Wüste flüchten, dann drehte sie sich zu dem Monument um und sah dem großen grauen Kopf mit der Adlernase direkt in die Augen. „Schaman, mein Urahn, mein Meister, ich grüße dich! Ich bin T'Pel und gehörte früher zum Hause Komor. Ich war die Gemahlin eines gewissen Tuvok ... eines Mannes, der wie ich seine Wurzeln vergessen hatte. Er verschwand mit einem Raumschiff des Maquis in den Badlands in der Nähe des bajoranischen Raums. Ich war viele Jahre allein mit meinen vier Kindern und meinem brennenden Schoß. Dann kam der Krieg: Quantentorpedos radierten unsere Städte aus ... ich musste mit ansehen, wie viele gute Vulkanier starben. Ich stand mit Eyzel, meinem jüngsten Kind vor der Asche unseres Hauses. Meine drei Söhne waren fort ... irgendwo unter den Trümmern ... vielleicht atmete ich auch gerade die zerstreuten Atome ihrer verdampften Leiber ein. Mein Kohlinar zerbrach wie schwarzes Glas und ich schrie und klagte wie ein Tier, dem man seine Brut genommen hat. Ich konnte nicht eher damit aufhören, bis dieser dunkle Riese vor mir auftauchte und mich und meine kleine Tochter zu den Zelten und Höhlen des Hauses Raban brachte. Piri führte mich zu Eyro, dem Heiler ... der nahm mein Blut und stellte fest, dass ich eine Tochter des Hauses Kuma bin. Seitdem wandle ich in deiner Fußspur, Schaman, mein Urahn. Dein Kampf ist mein Kampf ... Sklavenjäger ... Krieger ohne Clan ... wo ist da der Unterschied? Alle wollen sie nur unser Fleisch und unsere Erbanlagen. Unsere Leiden zählen für sie nicht, unsere Trauer ist irrelevant. Ich trat Piris Bruderschaft bei und wurde eine Kriegerin für Vulkan. Bei jedem Jem'Hadar, den ich tötete, dachte ich an meine verschollenen Söhne, bei jedem Vorta, dem ich mit geballter mentaler Kraft die Geheimnisse der Gründer entriss ... am liebsten hätte ich wie ein Lematya das Blut meiner Feinde getrunken. Ich war stark, heiß, gnadenlos ... und nach jeder Schlacht suchte und fand ich Frieden und Leben in den Armen meiner Brüder und Schwestern. Ihre heißen Hände oder Speere bewiesen mir, wie lebendig ich immer noch war ... lebendig genug, um am Morgen danach meinen scharfen Dolch in die Kehlen weiterer Krieger ohne Clan zu rammen." Die Ah'Maral hob mit einer anmutigen Geste beide Arme empor, winkelte das linke Knie an und reckte ihr dunkles Gesicht der Sonne Vulkans entgegen. Ihre schwarzen Augen bedeckten sich mit dem milchigen dritten Lid. Sie sah aus wie ein flugbereiter Raubvogel ... so leicht, so stark und so gefährlich. Ihre Gedanken drifteten zurück bis zu jenem Moment, als sie sich entschloss, den weißen Mantel zu nehmen und Verantwortung für das Überleben ihres Volkes zu tragen ... Piri, der Wahrträumer, Piri der Anführer ... Piri, der starke, unglaublich begehrenswerte Mann! T'Pel war so fasziniert von dem, was sie mit all ihren ausgehungerten Sinnen wahrnahm, dass sie ihn schon am Tag nachdem sie die Wahrheit über sich selbst erfahren hatte, ganz direkt ansprach: „Ich möchte auch den Phaser und das Schwert in meine Hände nehmen ... mein Katra verlangt nach Rache für das Blut meine Söhne." Piri schaute sie nachdenklich und besorgt an. „Du kommst aus der Stadt, hast bisher im Erziehungsministerium gearbeitet ... ich bin mir nicht sicher ..." „Ich war ausgesprochen gut in allen Kampfsportarten“, unterbrach ihn T’Pel hastig. „Das hier ist etwas anderes“, warnte der Krieger sanft. „Du musst bereit sein, schnell und gnadenlos zu töten. Wenn du einen Fehler machst, wird es dein Ende sein. Das ist kein Spiel und auch keine sportliche Übung!“ „Ich weiß, dass ich dazu fähig bin", antwortete die junge Frau still. „Ich kann nicht zulassen, dass Fremde von weither kommen und uns und unseren Kindern einfach das Leben stehlen. Wir wollen ihre widerliche Ordnung nicht! Sie haben keinerlei Recht ... nein, wer unerlaubt und als Feind den Boden meines Planeten betritt, verdient den Tod. Es ist vollkommen logisch, sich gegen solche Bestien zu verteidigen." „Du willst tatsächlich Ah'Maral werden?" fragte Piri erwartungsvoll und zugleich ein wenig ungläubig. „Du bist eine verheiratete Frau ..." „Mein Gemahl ist verschollen, für tot erklärt ... niemand weiß, wie er gestorben ist. Er war Offizier der Sternenflotte, ein Kämpfer für die Föderation. Ich denke, dass ich auch in seinem Sinne handle, wenn ich den weißen Mantel und den Phaser nehme. Dass er nicht mehr da ist, ist für mich ein weiterer guter Grund zum Kämpfen."
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„Liebst du ihn noch?" fragte Piri mitleidig. „Wenn ja, wird es dir schwer fallen, dich mit zwanzig oder mehr Frauen und Männern zu vereinigen. Dein Schamgefühl wird entsetzlich leiden ... wir schaffen es auch ohne dich. Du musst dich nicht schuldig fühlen ..." „Ich bin eine Tochter des Hauses Kuma“, sagte T’Pel mit bescheidenem Stolz. „Ich kenne jetzt die Geschichte meiner Vorfahren. Vielleicht bin ich es euch nicht schuldig, aber der allererste Ah’Maral ruft mich. Das kann ich unmöglich ignorieren.“ „Ich werde für dich träumen, T’Pel aus dem Hause Kuma“, antwortete Piri und berührte sanft das Gesicht der jungen Vulkanierin. „Wenn es dein Schicksal ist, sollst du eine Kriegerin und Hüterin der Zeitlinie sein.“ „Darf ich deine Waffenschwester werden?“, fragte T’Pel und sah dem dunklen Riesen furchtlos direkt in die Augen. „Auch das werde ich erst morgen früh wissen ..." Piri verschwand mit raschen Schritten in Richtung Transporter-Plattform. T'Pel blieb mit einem vagen Schmerz in ihrem Unterleib und dem Zorn ihres Katra zurück. „Bei Ah'Tha!" dachte sie verzweifelt. „Wenn es nicht mein Schicksal ist, zu kämpfen, will ich nicht mehr weiterleben ... alles andere wäre einer Tochter des Hauses Kuma nicht würdig." Die Frau im weißen Mantel ließ die Arme sinken und stellte den linken Fuß mit einer langsamen, fließenden Bewegung wieder auf den Boden. „Ich habe siebenundneunzig Jem'Hadar, vier Vorta und einen Gründer vernichtet", erklärte sie dem unbeweglichen Gesicht aus Titan. „Ich war dabei, als wir mit der reinen Kraft des Geistes drei Kreuzer der Eroberer aus dem Orbit holten. Wir haben ihre Piloten so sehr verwirrt, dass sie völlig die Kontrolle verloren. Die hässlichen Schiffe des Feindes bohrten sich tief in den Sand. Ich sah sie explodieren und hoffte, dass möglichst viele Krieger ohne Clan an Bord wären. Danach hat mich jedes Mal Piri in die Arme genommen. Er ist heiß wie die Lava unter dem Berg Seleya... und sanft wie der Abendwind. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann zu verzichten ..." T'Pel kauerte sich frustriert in den dunklen Sand und bedeckte ihre Augen mit beiden Händen. „Ich kann mir auch nicht vorstellen, zu diesem unnützen Leben einer Schulbürokratin zurückzukehren! Ich kann nicht auf diesen weißen Mantel verzichten, auf das leidgeprüfte Haus Kuma, auf T'Kuro, meine schöne, rätselhafte älteste Mutter, auf die Ekstasen mit meinen Brüdern und Schwestern ... ich kann nicht auf Piri verzichten, der mich und Eyzel gerettet und unserem Leben einen neuen Sinn gegeben hat. Ich kann nicht auf den Sohn verzichten, den er mir inzwischen geschenkt hat ..." Einzelne helle Tropfen rannen unter T'Pels Fingern hervor. Sie war froh, dass auf diesem einsamen Platz niemand ihren Gefühlsausbruch sehen konnte. „Ich habe das Kohlinar verstoßen und mich dem Unbekannten ganz weit geöffnet ..." flüsterte sie. „Ich habe sogar die Aufnahmezeremonie irgendwie genossen. Meine Weiblichkeit war wie eine verschlossene Raukanuss ... vorher war ich zwar eine Mutter, aber keine richtige Frau." Mit funkelnden, dunklen Augen, zornig über ihre Situation, stand sie auf und erklärte dem Abbild ihres Ahnen: „Du verstehst das wahrscheinlich nicht, Schaman, aber fünfhundert Jahre nach deinem Tod kam ein gewisser Surak auf den netten Gedanken, dass Emotionen die Wurzel allen Übels wären. Er hatte ja sogar recht, wenn es um Machtgier, Neid, Hass und ähnliche unappetitliche Regungen geht ... aber dieser Wohltäter aller Vulkanier verstieß auch die Liebe! Tuvok war ungefähr so leidenschaftlich wie ein Krieger, der im Auftrag des Rates der Anführer einer wildfremden Frau ein Kind schenkt und sich bemüht, ihr Katra und ihre weiblichen Empfindungen nicht zu berühren, um die Beziehung zu ihrem Ehemann oder Verlobten nicht zu gefährden. Nur beim Pon Farr war seine Männlichkeit heiß und hungrig ... und da war er leider nicht richtig bei sich. Tuvok glaubt, dass er die Lehren Suraks besonders ernst nehmen muss, weil er nur ein unbedeutender Sohn des Hauses Komor ist, dessen weiße Mitglieder in der sozialen Hierarchie weit über ihm stehen ..." T'Pel seufzte leise. „Tuvok ist ein anständiger und gebildeter Mann, aber er ist auch ein richtiger Philosophiebürokrat." Behutsam berührte sie mit ihren Fingerspitzen die Nervenpunkte in dem metallenen Gesicht Schamans. „Wenn ich nur wüsste, was du für richtig halten würdest ... Tuvok versteht uns nicht, schon die Aufnahmezeremonie, wahrscheinlich hält er mich für ehrlos, weil ich mit vierundzwanzig Kriegern ..."
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T'Pel hatte ungeduldig darauf gewartet, dass endlich die Sonne aufging, dass Piri ihr mitteilte, dass die Ah'Maral tatsächlich ... ängstlich sah sie ihn an, als er im hell gelben Frühlicht bei ihrem Gästezelt auftauchte. „Heute Abend beginnt deine Aufnahmezeremonie", erklärte er ohne Umschweife. „Ja, dein Platz ist tatsächlich an meiner Seite. Wir brauchen dich ganz schnell und wir können diesmal keine Rücksicht nehmen." „Wie meinst du das?" fragte T'Pel unschuldig. „Ich möchte keinen Extrapudding ... mir ist schon klar, dass ich mich mit allen geistig und körperlich verbinden muss. Auch zu Schamans Zeit ..." „Nein“, schnitt ihr Piri das Wort ab. „Schamans Regeln sind nicht ohne weiteres auf unsere Situation übertragbar. Er hat gegen die Privatarmeen kleiner lokaler Fürsten und Sklavenjäger gekämpft. Sie waren nicht besonders zahlreich und sie handelten unkoordiniert. Wir jedoch kämpfen gegen die Streitkräfte eines technisch weit überlegenen Imperiums. Wir können es uns nicht leisten, auch nur eine Bruderschaft wochenlang dem Kampf zu entziehen.“ „Also wird es keine Begutachtung durch die Vollversammlung und keine Entrückungen ..." „Der Rat der Anführer und deine zukünftige Bruderschaft werden dich prüfen. Danach werden deine Waffenbrüder so schnell wie möglich die Bindung mit dir vollziehen. Die Feier holen wir nach, wenn der letzte Feind vertrieben oder tot ist.“ „Eine Bindung ohne körperliche Vereinigung?“ wunderte sich T’Pel. „Doch", antwortete Piri ernst. „Aber du wirst nicht hoch fliegen und tödlich erschöpft in die Arme deines Partners fallen ..." Als die Frau ihn verwirrt ansah, setzte er bedauernd hinzu: „Aron der Gedankentechniker wird dir ein Medikament verabreichen, wodurch die Prägung deines Geistes auf einen neuen Partner erheblich erleichtert wird. Er wird dich über gewisse Nervenpunkte beruhigen und stärken, während die Krieger direkt aus dem Kampf nacheinander zu dir kommen und so schnell und schonend wie möglich die Bindung herstellen werden. Sobald du eine von uns bist, erhältst du sofort deinen Transponder und deine Waffen. Aron wird dir helfen, dein erstes Gefecht zu überstehen." „Gehört Aron auch zu unserer Bruderschaft?“ fragte T’Pel neugierig. „Nein, sein Anführer ist Tapa aus dem Hause Kinsai.“ „Ein fremder Mann wird zusehen, wie sich meine zukünftigen Waffenbrüder mit mir vereinigen?" fragte T'Pel entsetzt. „Ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann ..." „Ich verstehe dich und ich fühle mit dir", murmelte Piri traurig. „Ich bin froh darüber, dass Frieden war, als ich aufgenommen wurde ... und Zeit für eine würdige Feier. Aber solange die Schiffe des Feindes Vulkan umkreisen, können wir keine Rücksichten auf persönliche Befindlichkeiten mehr nehmen. Aron muss dir helfen, weil er der beste Gedankentechniker unseres Volkes ist, gewisse Talente hat und diese Arbeit inzwischen schon sehr oft getan hat. Du kannst ihm ohne Einschränkung vertrauen ..." „Ich ertrage es für Schaman ...“ „Das ist ein sehr guter Grund“, bestätigte Piri sanft. „Irgendwann wird dieses Gesindel von Vulkans Oberfläche verschwunden sein. Ich verspreche dir eine legendäre Feier und viele denkwürdige Entrückungen.“ T'Pel strich mit der rechten Hand so sanft über das graue Titan, als wäre es lebendes, warmes Fleisch. „Ich werde diese lange Nacht niemals vergessen. Die Aufnahmezeremonie war das emotionalste, was mir jemals passiert ist. Die Höhle, in die mich zwei Kinder führten, lag sicher verborgen tief in den Bergen des Hauses Raban. Eine Quelle murmelte sanft und unzählige uralte Lampen aus Stein verbreiteten ein geheimnisvolles gelbliches Licht. Von irgendwoher kam Musik: die klare, helle Stimme einer Frau, die zum Klang fremdartiger Instrumente sang. Piri hatte es mir erklärt: Marana vom Hause Boras, eine vor dreizehn Jahren verstorbene betazoidische Waffenschwester Arons interpretierte auf eigenwillige Weise die Verse des Dichters und Kriegers Warun. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt bei den sanften oder kriegerischen, im mer jedoch sehr gefühlvollen Klängen. So etwas Schönes hatte ich noch nie in meinem Leben gehört! Meine jungen Führer zogen sich behutsam zurück. Ich entkleidete mich in dem anheimelnden Raum, wusch und salbte mich und legte mich wie befohlen nackt in die grünen Kissen. Mir war seltsam zumute. Ich hatte Angst vor den kommenden Stunden und ich sehnte mich danach, endlich etwas zu tun ... mehr zu sein, als ein Opfer."
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Aron kam zu ihr wie ein lautloser Schatten, ein kalter Wind ... ein scharfes, mentales Schwert. Er war ein sehniger, mittelgroßer Mann mit einem dunklen, undurchdringlichen Gesicht und hellen, gefährlichen Augen. Er warf unauffällig einen prüfenden Blick auf T'Pels nackten Körper und setzte sich zu ihr auf die Kante der Liege. Die junge Frau verkrampfte sich unwillkürlich. „Er sieht wild aus", dachte sie voller Panik. „So gar nicht wie ein seriöser Heiler. Gleich wird er mich anfassen und womöglich noch Schlimmeres mit mir tun. Später kann das sowieso niemand mehr beweisen ... nachdem so viele Krieger ... worauf habe ich mich nur eingelassen!" Aron warf ihr einen missbilligenden, fast angeekelten Blick zu. „Für eine Tochter des Hauses Kuma hast du reichlich merkwürdige Ansichten. Du solltest deine Vorurteile ganz schnell verstoßen, sonst können wir dich leider nicht gebrauchen!“ T'Pel starrte ihn entsetzt an. „Ich wollte dich nicht beleidigen, ich dachte nur ..." Aron lächelte zynisch. „Du kannst natürlich nicht wissen, dass ich deine Gedanken aufnehmen kann wie einen unverschlüsselten Datenstrom. Du weißt eigentlich ganz genau, welch strenge Regeln Schaman den Ah'Maral gegeben hat ... Piri hat sie dir ausführlich erklärt. Du gehörst nicht zu meiner Bruderschaft. Ich darf nicht einmal an dich denken!" „Aber Piri sagte auch, dass die Regeln Schamans für einen solchen Krieg nicht gelten ..." murmelte T'Pel verunsichert. „Wir folgen nur der reinen Logik", erklärte der Gedankentechniker kühl. „Alles, was unsere Kampfkraft schwächen würde, haben wir modifiziert. Wir wissen, dass wir nur siegen können, wenn wir auch die letzten Reserven mobilisieren. Aber das bedeutet nicht, dass wir der Entropie eine Chance geben, unkontrolliert in unseren Katras zu wuchern. Du bist für mich eine Waffenschwester aus einer fremden Bruderschaft ... das heißt, dass du auf meine Solidarität ohne Einschränkung bauen kannst ... und dass deine Weiblichkeit für mich tabu ist." Dann lächelte er plötzlich professionell und aufmunternd. „Halt still! Ich muss dich jetzt vorbereiten!" Aron entnahm seiner Tasche eine Dosierpumpe, die er am Oberarm der jungen Frau festschnallte. Er aktivierte sie kurz und schob dann die Kanüle in eine Armvene, sicherte alles sorgsam mit breiten elastischen Klebestreifen. Dann befestigte er schmalere Streifen Sensorfolie auf ihrer Stirn und zwischen ihren Brüsten. „Was ist eigentlich in der Pumpe?“ fragte T’Pel neugierig. „Nährstoffe, Vitamine, Stärkungsmittel und ein wenig Crispantin... eine äußerst nützliche und vielseitige Substanz ..." T'Pel wagte nicht, weiter zu fragen. Seltsame Empfindungen durchfluteten sie. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Geist sich gleichzeitig ausdehnte und irgendwie porös wurde. Plötzlich schienen ihre Gedanken unkontrolliert zu fließen ... als wäre es überhaupt kein Problem, alles infrage zu stellen. Es war nicht schmerzhaft oder direkt unangenehm, aber T'Pel verstörte und verunsicherte ihre ungewohnte Machtlosigkeit ... als wäre sie nur noch ein wehrloses, weit offenes Tor, durch das jedermann hereinspazieren konnte. Unwillkürlich wimmerte sie leise. Aron streichelte brüderlich ihr dichtes, glattes Haar. „Hab keine Angst! Dir kann nichts geschehen. Ich achte auf dein Herz und dein Katra. Wenn es zu schlimm für dich wird, schicke ich deine Waffenbrüder einfach zurück in die Schlacht.“ Eine Weile lauschte T'Pel nur dem leise rieselnden Wasser und dem Klopfen ihres Herzens, genoss es, die warmen Finger des Gedankentechnikers an ihrer Kehle zu spüren. Eine große Ruhe und Gelassenheit bemächtigte sich ihrer: „Alles ist bereit ... und ich tue das Richtige." Plötzlich bildete sich eine flimmernde Säule, verdichtete sich zu einer Gestalt ... Der Mann war ihr bereits bei der Befragung aufgefallen: seine stattliche Figur, die samtige dunkle Haut, das tiefe Grün seiner Augen ... und das lange, dunkelrote Haar ... eine richtig wilde, lockige Mähne. Jetzt fiel ihr auch wieder sein Name ein: Juan vom Hause Boras. T'Pel musterte ihren zukünftigen Bindungspartner unauffällig. Haar und Kleidung waren angesengt und unsäglich schmutzig. Der weiße Mantel zerfetzt und voller braunroter und olivgrüner Flecken. Aus einer frischen Wunde am Oberarm sickerte dunkelgrünes Blut. Juan zitterte am ganzen Körper vor Erregung und in seinen Augen flackerte die blanke Mordlust. Unwillkürlich zog die Frau die Beine an und presste die Knie so fest sie konnte aneinander ... „Er wurde offenbar direkt aus einem heftigen Nahkampf zu dir gebeamt", erklärte Aron leise. „Du wirst auch nicht viel zivilisierter aussehen, wenn du ..."
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Der Krieger blickte sich desorientiert um, dann bohrten sich die scharfen grünen Augen geradezu in den nackten Körper vor ihm. T'Pel konnte zusehen, wie er seine heißen Emotionen gnadenlos verstieß, wie das Kohlinar sein Gesicht zu einer undurchdringlichen Maske erstarren ließ ... irgendwie hatte er ihr vorher besser gefallen. In dem Moment, wo sie das dachte, huschte ein flüchtiges Lächeln über das dunkle Gesicht des Mannes. Er riss sich hastig die zerfetzte Kleidung vom Leib und warf sie achtlos in eine dunkle Ecke der Höhle, dann kniete er nieder und verbarg wie ein verstörtes Kind sein Gesicht im Schoß der Frau. „Du bist so schön ..." flüsterte er andächtig. „Du siehst aus wie das Leben und der Frieden persönlich ... musst du wirklich hinaus in dieses Grauen und kämpfen? Ich könnte dich beschützen ... ich will nicht, dass die Jem'Hadar dich töten!" „Ich kann selbst auf mich aufpassen", antwortete T'Pel sanft. „Gemeinsam werden wir beide überleben und irgendwann ..." „... haben wir Zeit, uns ganz tief ineinander zu verlieren und in reiner Ekstase zu unbekannten Welten zu fliegen", vollendete Juan liebevoll den Satz. Im nächsten Augenblick berührten seine Fingerspitzen ihren Bauch und aggressive männliche Energie schoß wie flüssiges Metall durch ihre Adern. Gleichzeitig schenkte ihr Aron Ruhe und Geborgenheit. Anfangs zerriss es sie fast, dann stellte sich allmählich ein makelloses Gleichgewicht ein. „Numor, Elbo und Sitor aus der Bruderschaft Schamans haben diese Art Entrückungen erfunden", erklärte Aron leise. „Lass es einfach geschehen ..." Juan und T'Pel begegneten sich in einem unwirklichen, grünen Leuchten. Sie waren Wasser, das sich vermischte ... Stürme, die ihre Kraft vereinigten ... Feuer und Rauch. „Dein Geist zu meinem Geist, deine Gedanken zu meinen Gedanken ..." Juans dunkle Stimme schien von überall her zu kommen. T'Pel ergab sich willig dem heißen Rhythmus seines Speers, dem flakkernden Licht, dem Gesang ihres eigenen Blutes. Ungehindert durchschritt der Krieger das geheimnisvolle, von Aron geschaffene Tor ins Innere ihres Katras. Plötzlich spürte sie die schmerzenden Wunden ihres Bindungspartners als wären es ihre eigenen ... seine grenzenlose Erschöpfung, seinen Hass auf die Eindringlinge ... seine wilde Befriedigung, wenn er eins dieser hässlichen Monster tötete. „Verlass mich nicht, Juan ..." murmelte sie, als der Mann sich abrupt wieder von ihr löste. „Ich komme zurück zu dir, wenn meine Arbeit getan ist.“ „Nein", antwortete T'Pel selbstbewusst. „Ich komme zu dir! Schon morgen Abend werde ich an deiner Seite kämpfen." Langsam näherte sich die rote Sonne Vulkans dem Horizont. Die Säule mit den übereinander gestapelten Köpfen aus Titan warf einen langen violetten Schatten. T'Pel dachte daran, dass Schamans Kopf wahrscheinlich dem Original ziemlich ähnlich sah. Man hatte vor vierzig Jahren eine tiefgekühlte Probe seines Samens in einem uralten havarierten Raumschiff voller mumifizierter Sklavenjäger gefunden. Einige Zellen lebten noch ... und so hatte Schaman über tausendfünfhundert Jahre nach seinem Tod noch drei Söhne gezeugt. Flying Eagle, der Schöpfer des Denkmals hatte sich seine Kinder genau angesehen, bevor er den wichtigsten Kopf des archaischen Totempfahls entwarf. T'Pel fiel es leicht, sich vorzustellen, dass sie mit dem realen Schaman sprach. „Die Krieger materialisierten nacheinander vor meinen Augen", erzählte sie mit leiser Stimme. „Sie waren erhitzt vom Kampf, ihre Herzen schlugen wild, sie rochen nach Rauch, Blut und Tod. Männer und Frauen, Jugendliche und Erwachsene, Greise ... Vulkanier und Außenweltler. Jeder Ankömmling entkleidete sich hastig, betrachtete und berührte mich dankbar wie ein Geschenk aus einer verlorenen, sicheren Heimat ... entschuldigte sich mit sanfter Stimme, dass er nicht die Möglichkeit hätte, meine Schönheit und Weiblichkeit gebührend zu würdigen, weil da draußen noch so viele Jem'Hadar wären, die er töten müsste. Trotz der Eile nahmen sie sich die Zeit für ein paar behutsame Liebkosungen, für empfindsame Nervenpunkte, von deren Existenz ich vorher gar nichts gewusst hatte. Jeder bewies mir seine Zuneigung und seinen Respekt, bevor er sich in mir verlor ... schenkte mir einen winzigen, fremdartigen Augenblick in seiner inneren Welt. Jedes Mal schrie meine Weiblichkeit verzweifelt nach mehr, während der Krieger hastig unsere Selbstsphären verband. Aron beruhigte mich nach jeder Begegnung, legte in den Pausen zwischen den Vereinigungen seine warmen Hände auf meine Brust und konnte dennoch nicht verhindern, dass ich immer tiefer in einen Strudel aus Zorn und Ekstase gezogen wurde.
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Wenn ich erst meine Waffen ... ich wollte nur noch die schuppigen Bestien da draußen metzeln und ihnen die Schläuche mit dem verdammten White sonst wohin stopfen! Ich wollte nur noch, dass dieser ganze Spuk endlich vorbei war und ich mich meinen Brüdern und Schwestern widmen konnte, ihre Leidenschaft und Zärtlichkeit genießen ... die bisher verbotenen Früchte gierig verschlingen ... vor allem Piri, dessen männliche Stärke und Schönheit, dessen Duft und Nehau mich so sehr faszinierten, dass ich mich in jeder freien Minute nach ihm verzehrte ..." T'Pel strich sich nachdenklich eine Strähne ihres glatten, schwarzen Haars aus dem Gesicht. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie anstrengend es war, sich jedes Mal auf einen neuen Partner einzustellen. Ich wunderte mich selbst, woher ich die Kraft dazu nahm, dachte, dass es vor allem Arons Medikamente wären, die mir halfen ... dann bemerkte ich, dass sein Gesicht schweißnass und grau vor Erschöpfung wurde. Auf einmal hatte ich nur noch Angst um ihn. Als der nächste Krieger erschien, bat ich ihn, dem Gedankentechniker zu helfen. Der Mann verschwand hastig in einem der dunklen Gänge, einige Zeit später kam er mit einigen Greisen und einer schönen, üppigen Frau in einem schmutzigen weißen Mantel zurück. Aron wurde trotz seines Protestes aus der Höhle getragen und die Fremde nahm ganz selbstverständlich seinen Platz ein. Sie legte ihre kräftigen Hände auf meine Brust und sah mir ernst und konzentriert in die Augen. Auf einmal fühlte ich mich leicht wie ein Luftgleiter und stark wie ein Sehlath. Da begriff ich, dass sie mir einen Teil ihrer Lebenskraft schenkte ... genau wie Aron vor ihr. ‚Halte durch', flüsterte sie beschwörend. ‚Jetzt kommen nur noch zwei Kriegerinnen und dein Anführer Piri ..." Er kam als Letzter. Seine Augen funkelten immer noch kampflustig und er war über und über mit fremdem rotem Blut besudelt. Achtlos riß er sich die ohnehin ramponierte Kleidung herunter, beugte sich über T'Pel und sah ihr eindringlich in die Augen. Dann entfernte er entschlossen die Klebebänder und Sensoren, zog die Kanüle aus ihrer Armvene ... „Was tust du da?“ fragte die üppige Kriegerin irritiert. „Wir waren neun Tage ununterbrochen im Einsatz", antwortete Piri mit heiserer Stimme. „Madras hat uns soeben eine Ruhepause bis morgen Abend verordnet. Nichts hindert mich mehr daran ... unsere neue Waffenschwester hat Besseres verdient als Drogen und Apparate." „Ich verstehe, du willst das Feuer des Kampfes in ihrem Schoß löschen. Du willst mit ihr fliegen, bis die große Dunkelheit dir Frieden schenkt. Ich verstehe dich ... mir ist diese Gier nach dem Töten auch nicht fremd." Sie stand auf und wandte sich einem der dunklen Gänge zu. Kurz bevor sie verschwand, sah sie sich noch einmal nach T'Pel um. In ihren dunklen Augen glühte bereits die Vorfreude auf den nächsten Kampf. „Ich bin T'Kuro, die älteste Mutter des Hauses Kuma... deine älteste Mutter. Ich wünsche dir Frieden und ein langes Leben!" „Sie sieht so jung aus ..." murmelte T'Pel verwirrt. „Es ist noch nicht lange her, dass sie Schaman zwei Söhne gebar und das Haus Kuma neu begründete“, erklärte Piri. „In ihrem Geist flüstern der A‘Kweth Hrrwass und das Katra von Ernesto Corvalán, dem ehemaligen Botschafter der Erde auf Vulkan.“ „Ein Mensch ist in ihr ..." wunderte sich die Frau. „Ein fremder Mann ... das ist seltsam." „Er war viele Jahre ihr Waffenbruder", erklärte Piri bereitwillig, während seine großen, kräftigen Hände ihre Brüste massierten, ihre Schenkel, den Bauch ... als sein Speer ihren Schoß berührte, begann ihr Blut zu kochen. Sie bäumte sich auf, um ihm näher zu sein ... er verlor sich immer tiefer in ihr ... war so unglaublich machtvoll, groß und heiß ... Als Piri die Nervenpunkte in T'Pels Gesicht berührte und die rituellen Worte der Bindung sprach, verschwand die Realität plötzlich ... das heißt, die schwarzen Felsen waren noch da, aber alles andere ... Piri und T'Pel hockten unter einem kalt glitzernden Sternenhimmel nebeneinander am Rand einer gigantischen Schlucht. Tief unten wirbelte ein breiter Strom aus reinem Feuer ... ein Universum aus züngelnden, lodernden Flammen ... gelb, orange, rot ... „Was tun wir hier?" fragte T'Pel ängstlich. „Das dort unten ist die pure Entropie, das entsetzlichste, was es für einen Vulkanier gibt ..." „Und eine Macht, der niemand auf Dauer widerstehen kann, ihre Quellen sind die Trauer und der Zorn aller gepeinigten Individuen im Universum. Auch deine Verzweiflung über den Verlust deiner Söhne ist Teil jenes Stroms. Wenn wir es schaffen, ihn in die richtigen Bahnen zu lenken, wird er unsere Feinde zermalmen und uns die Freiheit zurück geben.“ „Die Freiheit wovon?“
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„Den Gründern und ihren Kreaturen, ihrer unwürdigen Ordnung, unserer eigenen Schwäche und Engstirnigkeit ... komm, wir müssen hineinspringen, bevor es zu spät ist!" „Wir werden sofort verbrennen“, flüsterte T’Pel ängstlich. „Das nützt doch niemandem etwas!“ „Wir sind nur Katras", antwortete Piri ernst. „Uns kann das Feuer nicht verzehren. Es wird heiß sein und schmerzhaft ... aber es wird uns auch hart und unbesiegbar machen." Behutsam griff er nach der Hand der Frau neben ihm. „Aber ich spüre dich doch, du kannst nicht nur ein Geist ..." „Das ist irrelevant. Spring endlich!" Gemeinsam ließen sich die beiden in die Glut fallen, schrien vor Angst und Qual, wurden mitgerissen und dann ... ihre Körper verwandelten sich in Feuer, das vorwärts stürmte, sich gierig auf jede Nahrung stürzte, sie eilig in Asche verwandelte: Jem'Hadar, Vorta, Wechselbälger, ihre Schiffe und Waffen, ihre seltsamen Gerätschaften, ihre Sklavenhalterinstrumente. Als alles aufgezehrt war, fanden sie sich nackt auf dem dunklen Gestein wieder ... eng umschlungen, in Ekstase zuckend, sich immer tiefer ineinander verlierend. „Wir sind ein Geist“, erkannte T’Pel und bewegte probeweise Piris Hände, genoss es, sich selbst zu liebkosen. „Unsere Vereinigung wird fruchtbar sein", murmelte Piri während sich sein Samen in ihr ergoss. „Unser Volk wird wachsen und leben ..." Mit einem letzten, heftigen Stoß schuf er einen schwarzen Wirbel, ein riesiges Tor zum gnädigen Frieden der Dunkelheit. „Mein Liebster ..." murmelte T'Pel andächtig, während sie gemeinsam hineingezogen wurden. Die zierliche Kriegerin betrachtete nachdenklich die Feldemitter, die traditionell diesen Platz vor neugierigen Blicken schützten, wenn sich die Ah’Maral versammelten. „Ich liebe Piri, Eyro, Juan, Miranda und all die anderen Mitglieder meiner Bruderschaft. Ich tausche das nicht ein gegen Tuvoks sachliches Gestochere. Er versteht überhaupt nichts von guten Entrückungen. Ich bin jetzt eine Frau, eine Kämpferin ... und kein armseliger Kohlinarkrüppel mehr! Als Tuvok noch im Deltaquadranten verschollen war, habe ich ihm tröstende Nachrichten zukommen lassen. Er ist völlig unschuldig an seiner Unvollkommenheit ... und bei Ah'Tha! ... er verdiente es nicht, dass ich ihm fern von Vulkan noch zusätzliche Leiden aufbürdete. Dennoch ließ ich meine Bindung an ihn vorsorglich von Aron entfernen." Mit langsamen, raubtierhaften Schritten umkreiste T’Pel das Monument des Hauses Kuma, probierte spielerisch einige Ausfälle mit dem Dolch und durchlöcherte mit einem kräftigen Phaserstrahl probeweise einen mittleren Felsen am Rand des Platzes. „Nein", sagte sie schließlich mit fester Stimme. „Ich werde diese Freiheit und meine Verantwortung nie wieder aufgeben. Ich werde Piris Sohn nicht verlassen und das andere Kind, das gerade in mir wächst ... Juans Tochter. Ich folge weiter der Fußspur von Schaman. Wenn Tuvok mich immer noch liebt, kann er Ah'Maral werden, meiner Bruderschaft beitreten und die Künste der Krieger lernen. Dann ... und nur dann wird mein Schoß offen für seinen Speer sein!" Einen Moment stand die Frau im weißen Mantel still wie eine Statue im Abendlicht. „Juan!“ schrie sie. „Juan, hol mich heim in dein Zelt!“ Dann löste sie sich in einem Flirren auf.
Gespenster aus finsteren Zeiten Nein, Captain Janeway konnte sich nicht vorstellen, die VOYAGER aufzugeben und das Kommando über ein anderes Schiff zu übernehmen. „Es wird aber eine Weile dauern, bis sie wieder einsatzfähig ist", warnte Admiral Ross. „Ihre Crew hat sich zwar große Mühe gegeben, aber sie musste auch ziemlich oft improvisieren. Und dann gibt es noch die Hinterlassenschaften von Neelix' Kochkünsten: Unmengen fremder Mikroorganismen, deren Gefährdungspotential momentan niemand richtig abschätzen kann. Ich fürchte, es wird Monate dauern ..." Kathryn lächelte schief. „Es ist schon wahr, das Schiff mag auf einen Außenstehenden ein wenig zusammen geflickt wirken ... aber gerade das macht es so ungeheuer liebenswert. Jeder Kratzer erinnert mich an bestandene Abenteuer und Kämpfe. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass jemand anderes sich in diesen Kommandosessel setzt ..." „Merkwürdigerweise sehen das die meisten Besatzungsmitglieder ebenso. Fast alle haben sich entschieden, erst einmal Urlaub zu machen und dann auf die VOYAGER zurückzukehren.“
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„Sie sprechen damit mein zweites Problem an, Admiral. Diese Crew ist für mich wie eine Familie ..." Janeways gefühlvoller Blick verriet, dass ihre Worte todernst gemeint waren. Sie seufzte leise. „Wir haben wahrscheinlich zusammen viel zu viel durchgemacht, um uns jetzt so einfach trennen zu können." „Kann es sein, dass es Ihnen an professioneller Distanz fehlt?“ hakte der Admiral sofort nach. Captain Janeway stemmte unwillkürlich die Hände in die Hüften. „Bis jetzt hatte ich noch nie Probleme, jemand auf eine gefährliche Mission zu schicken!" Im selben Augenblick erinnerte sie sich daran, wie schwer ihr das oft gefallen war und wie sehr sie immer noch der Tod einiger Crewmitglieder belastete. „Allerdings ist es nie einfach, Admiral ..." „Nun gut", entschied Admiral Ross. „Sie und ihre Leute haben es sich verdient, dass ihre Wünsche in angemessener Weise Berücksichtigung finden ... ich lasse Ihnen freie Hand. Falls Sie Hilfe bei der Suche nach einem neuen, taktischen Offizier brauchen ..." „Tuvok?" fragte Kathryn fassungslos. „Tuvok verlässt uns? Verlässt mich ... warum?" „So genau kann ich das nicht sagen", antwortete der Admiral nachdenklich. „Genau genommen hat er sich überhaupt noch nicht entschieden ... es ist nur eine Vermutung von mir. Er wirkte bei unserem letzten Gespräch ziemlich gleichgültig. Ich meine, nicht kühl und ausdruckslos wie ein Vulkanier sein soll, sondern so, als wenn ihm wirklich alles egal wäre." „Wo ist er jetzt? Auf Vulkan?“ „Nein, er macht angeblich Urlaub in der Atacama-Wüste.“ „Verrückt! Das ist ein arides Biosphärenreservat. Da bekommt er doch nicht einmal etwas Ordentliches zu essen ... und dass er sich dazu herablässt und sich etwas jagt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen." „Ich auch nicht“, bestätigte der Admiral schmunzelnd. „Irgendetwas gefällt mir überhaupt nicht“, murmelte Kathryn. „Können Sie mir seine Koordinaten geben? Ich fürchte, er hat eine Riesendummheit vor.“ „Sie meinen, er hat Probleme?“ „Seine Familie ... wie es scheint, ist sie verschollen." „Und die ganzen Briefe, die wir mit dem Datenstrom geschickt haben?“ „Er hält sie inzwischen allesamt für Fälschungen ..." „Mein Gott!“ murmelte Admiral Ross. „Das klingt alles ziemlich merkwürdig. Sie sollten wirklich ganz schnell nach Tuvok sehen. Er ist ein großartiger Offizier. Ich hasse den Gedanken, ihn jetzt, wo alles überstanden ist, zu verlieren.“ Die Wüstennacht war klar und eiskalt. Irgendwie schienen die Sterne bedrohlich nahe zu sein, so, als könnten sie jeden Augenblick herabstürzen und wie kleine Photonentorpedos explodieren. Captain Janeway, die seit Stunden neben dem schweigsamen Tuvok im Sand hockte, fror erbärmlich. Sie sehnte sich nach einer bequemen Sitzgelegenheit, etwas Wärme, einer starken Tasse Kaffee. Wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, wünschte sie sich zurück in den Kommandosessel ihrer heiß geliebten VOYAGER ... und in eine überschaubare Situation, vielleicht sogar einen Kampf. Ihre Hilflosigkeit gegenüber Tuvoks Problemen machte sie zugleich traurig und wütend. „Nun sagen Sie doch endlich etwas!" verlangte sie empört. „Wir kennen uns schon so lange ... wir sind Freunde. Spucken Sie es endlich aus ... das ist ein Befehl!" Der Schatten neben ihr rührte sich nicht, schien noch weiter in sich zusammenzukriechen. Captain Janeway streckte frustriert die Hand aus und tat etwas, was aus Sicht der vulkanischen Etikette geradezu ein Sakrileg war: Sie berührte Tuvoks Oberarm, strich über seine Schulter ... seinen Nacken. Als sie spürte, wie er sich versteifte, musste sie unwillkürlich grinsen. Tuvok nahm sein Ehegelübde ungefähr so ernst, wie ein Sektenpriester seine Weihe. „Das Haus Komor", begann Tuvok unerwartet, „das Haus Komor ist ... war keine gute Heimstatt für die Nachkommen seiner ehemaligen Sklaven. Wir waren tausend Jahre nach Surak immer noch nicht gleichberechtigt. Schwarze Haut zu haben war eine Garantie dafür, niemals in den Ältestenrat gewählt zu werden und niemals eine Partnerin oder einen Partner mit heller Haut erwählen zu dürfen ..." „Aber die Gesetze der Föderation verbieten ..." „Sicher", unterbrach sie Tuvok leise. „Diskriminierung ist auch auf Vulkan offiziell verboten, aber was innerhalb einer Familie geschieht, ist kaum beeinflussbar. Es gibt bei uns sehr liberale
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Clans, wie zum Beispiel das Haus Surak. Es gibt arme und wenig angesehene Häuser, wo man schon immer pragmatisch und freizügig war ... und es gibt die alten Adelshäuser. Sie haben sich der neuen Ordnung nur widerwillig unterworfen, sind stolz auf ihre lange Reihe ältester Mütter und ihre kriegerische Vergangenheit. Sie haben immer noch viel Einfluss und Macht." „Was genau hat man Ihnen angetan?“ „Das lässt sich schwer erklären. Materiell ging es meiner Familie gut ... und solange wir uns an die inoffiziellen Spielregeln hielten, ließen uns die Ältesten weit gehend in Ruhe. Wir hatten zwar weniger Rückenhalt als die echten Verwandten, aber es gab für uns, vor allem nach Gründung der Föderation, dennoch genügend Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung." „Aber ..." fragte Janeway behutsam. „Alle dunkelhäutigen Kinder des Hauses Komor wurden zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr von weißen Angehörigen unseres Clans unterrichtet. Angeblich war es nötig, uns auf den regulären Unterricht speziell vorzubereiten. Wir erfuhren, wie bedeutend und mächtig das Haus Komor früher war, wie treu es dem Haus Sadam diente, wie minderwertig und wild unsere eigenen Vorfahren waren, dass wir nicht wirklich mit den anderen verwandt wären, es eigentlich gar nicht verdienten, dankbar sein müssten ... demütig. Dass es für uns besonders wichtig wäre, das Kohlinar zu ehren, weil wir von wilden Bestien aus der Wüste abstammen würden. Sie sagten, dass sie jeden von uns sofort verstoßen müssten, wenn er nicht höchsten Ansprüchen genügen würde, weil unsere gewalttätigen Katras eine Gefahr für die Allgemeinheit wären." „Das klingt ja geradezu faschistoid ... und das haben Sie geglaubt?" „Wir erfuhren Einzelheiten über die barbarischen Sitten unserer Vorfahren, dass sie gnadenlos jeden töteten, der die Grenze zu ihrem Gebiet unerlaubt überschritt, dass sie keine richtigen Familien hatten und es ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht wild durcheinander trieben, dass sie ehrenwerte adlige Frauen entführten, ihnen Gewalt antaten und sie dann nackt und gefesselt den Lematyas überließen. T’Lomak, die Schwester einer ältesten Mutter des Hauses Sadam soll auf diese Weise elend umgekommen sein. Wir alle verstanden irgendwann, dass unser Blut unrein war und wir nur akzeptiert werden konnten, wenn es uns gelang, makellos zu sein.“ „Das sind wahrscheinlich Gräuelmärchen“, protestierte Kathryn. „Und selbst, wenn die Turuska früher wirklich ein wenig rabiat waren, hatten sie vermutlich gute Gründe für ihr Verhalten.“ „Es gibt keine guten Gründe für den Mord an wehrlosen Frauen ..." „Es ist allgemein bekannt, dass die Vulkanier vor Surak nicht gerade nette Zeitgenossen waren“, murmelte Janeway nachdenklich. „Ich halte es für wenig sinnvoll, das noch weiter zu differenzieren und außerdem ist das alles ziemlich lange her. Sie sollten sich nicht für einen schlechten Vulkanier halten, weil Ihre Vorfahren aus unbekannten Gründen unfreundlich zu irgendeiner adeligen Dame waren. Das macht doch überhaupt keinen Sinn! Was sagt denn das offizielle Vulkan dazu?“ „Das offizielle Vulkan schweigt. In den Datenbanken steht praktisch nichts über die Turuska... das beweist, dass man sich ihrer immer noch schämt.“ „Möglicherweise sehen die Turuska das ganz anders. Tuvok, Sie sollten sich endlich für Ihr Volk ... Verzeihung, Ihr ehemaliges Volk interessieren! Reden Sie mit den Leuten und dann ..." „Nein! Das ist völlig unmöglich!“ „Warum?“ Captain Janeway erhielt keine Antwort. Eine ganze Weile hörte man nichts als das leise Rauschen des Windes. Irgendwann gegen Mitternacht begann Tuvok wieder, zu sprechen. Seine Stimme klang leise, fast brüchig. Captain Janeway konnte spüren, wie ungern er einer Fremden etwas über seine Probleme verriet. „Ich habe von Madras aus dem Hause Kinsai die Aufforderung erhalten, mich so schnell wie möglich bei ihm zu melden." „Dem Madras? Dem neuen Premierminister?“ fragte Kathryn fasziniert. „Ja.“ „Und wann?“ „Gleich nach der Rückkehr der VOYAGER in den Alphaquadranten.“ „Das ist ungewöhnlich ..." überlegte Janeway. „Es gibt Milliarden von Vulkaniern ... und ausgerechnet der Premierminister ..." „Sie wollen ihn wahrscheinlich heim zu seinem Volk holen“, meldete sich Selmaks Stimme.
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„Sie wollen mich wahrscheinlich in einen ihrer Clans eingliedern“, vermutete Tuvok im gleichen Augenblick. „Aber das ist doch sehr freundlich von ihnen“, bemerkte Janeway verwundert. „Ihre Leute sind tot und man bietet Ihnen großzügig eine neue Familie.“ „Es ist nicht gerade die Art Familie, die er sich vorstellt“, mutmaßte Selmak. „Ich kann mir nicht vorstellen, so einem wilden Nomadenclan beizutreten“, antwortete Tuvok würdevoll. „Das ist noch schlimmer, als überhaupt keinen Clan zu haben.“ „Dann sagen Sie Madras einfach, dass Sie das nicht wünschen. Er wird Ihnen bestimmt nicht den Kopf abreißen“, erklärte Kathryn energisch. „Sie müssen ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden, wie skeptisch Sie seinem Volk gegenüberstehen, finden Sie eine nette Ausrede!“ Tuvok gab einen undefinierbaren Laut von sich. „Wenn das ginge, hätte ich es längst hinter mich gebracht, aber vor diesen Turuska kann man nichts verheimlichen. Sie lesen die Gedanken anderer im Vorübergehen und sie halten sich nicht an die Gesetze Vulkans. Madras wird sofort wissen, was ich über ihn und seine Anhänger denke. Dann wird man mich von Vulkan verbannen und ich habe auch noch meinen Heimatplaneten verloren.“ „Tuvok scheint eine Heidenangst vor seinem neuen Regierungschef zu haben“, bemerkte Selmak nachdenklich. „Schlimmer als die Goa’uld können die Turuska auch nicht sein.“ „Tuvok übertreibt“, antwortete Janeway lautlos. „So etwas sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Einer seiner Lieblingssprüche war immer, dass er nicht genug Informationen hat, um etwas beurteilen zu können und nun beschuldigt er einen ihm völlig unbekannten Mann, dass er unlautere Absichten hätte. Mit dem berühmten Cthia der Vulkanier hat das wenig zu tun.“ „Sich der Wahrheit zu stellen erfordert Stärke", murmelte Selmak. „Tuvok kommt mir momentan ziemlich schwach und verunsichert vor. Er braucht dringend Hilfe ... und das kann er natürlich auf gar keinen Fall zugeben." „Ich könnte mich für Ihre Loyalität gegenüber der Föderation verbürgen“, sagte Kathryn zu dem unglücklich neben ihr hockenden Vulkanier. „Das wird nichts nützen. Die Turuska sind archaisch und grausam ... und jetzt haben sie ganz Vulkan unterworfen. Alles, was mir bisher heilig war, ist besudelt oder zerstört. Der Sieg über das Dominion hat ihnen eine Popularität beschert, die praktisch jeden Widerstand im Keim erstickt. Ich bin wahrscheinlich der letzte richtige Vulkanier, der Suraks Lehren gebührend ehrt." Tuvok schwieg einen Augenblick, erschrocken über einen Gedanken, der ihm plötzlich ungemein logisch vorkam. „Vielleicht hält Madras mich auch für einen gefährlichen Feind seiner neuen Ordnung. Er will mich wahrscheinlich umbringen ..." „Er hat tatsächlich eine mordsmäßige Angst ..." bemerkte Selmak interessiert. „Tuvok, Sie sind paranoid!“ sagte Janeway streng. „Überlegen Sie doch einmal selbst: Vulkan ist Teil der Föderation. Der Mord an einem Sternenflottenoffizier würde die neue Regierung in arge Schwierigkeiten bringen.“ „Das mag sein, dennoch ..." „Tuvok, wovor fürchten Sie sich wirklich?“ „Madras ist einer der zehn berühmtesten Kohlinar-Meister der Gegenwart. Man behauptet, dass es völlig unmöglich sei, vor ihm etwas zu verbergen. Ich werde hilfloser als ein Kleinkind vor ihm stehen. Er wird sogar erkennen, was ich vor mir selbst verberge. Es wird qualvoll sein ... eine Schmach ... und außerdem ..." „Das klingt wirklich unbehaglich ..." meinte Selmak. „Ich glaube nicht, dass ich auf eine Begegnung mit so einem Supertelepathen scharf wäre." Janeway ignorierte Selmaks Flüstern. „Und wenn ich an Ihrer Stelle mit Madras spreche", fragte sie mitfühlend. „Ich könnte vielleicht herausfinden, was er vorhat, dann fällt Ihnen die Entscheidung leichter ..." „Kathryn!" protestierte ihr Symbiont verängstigt. „Er wird mich entdecken ..." Tuvok schwieg frustriert. „Angst ist ein sehr schlechter Ratgeber", entschied Captain Janeway nach längerem Nachdenken energisch. „Madras wird sich hüten, mir gegenüber respektlos zu sein ... und wenn ich merke, dass er unerlaubt in meinem Geist buddelt, werde ich ihm unverblümt sagen, was ich davon halte. Ich bin Captain der Sternenflotte und kein Spielzeug! Madras wäre nicht der erste Premierminister eines Planeten, dem ich den Kopf wasche." „Sie unterschätzen ihn, er ist sehr gefährlich“, warnte Tuvok besorgt.
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„Ich habe Erfahrung mit gefährlichen Leuten.“ Inzwischen reizte Captain Janeway die Herausforderung, ganz allein mit diesem merkwürdigen Mann fertig zu werden. „Soviel ich weiß, tagt seit gestern der Föderationsrat. Er ist bestimmt auf der Erde und ich kann ihm, falls er sich nicht zu sehr abschirmen lässt, ohne großen Aufwand begegnen.“ „Ich weiß nicht ..." flüsterte Selmak mit fatalistischem Humor. „Vielleicht hat er ja eine Reptilienphobie ... und dann ..." Kathryn hätte am liebsten laut gelacht, aber sie entschloss sich, Selmaks Galgenhumor zu ignorieren. „Das glaube ich eher nicht. Vulkan ist ein Wüstenplanet. Er dürfte sich mit deinen Verwandten bestens auskennen. Außerdem respektieren Vulkanier auch sehr merkwürdige Geschöpfe ... Hortas zum Beispiel. Selmak, er wird dir nichts antun, solange er es nicht aus irgendwelchen Gründen für logisch hält." „Ich kann dich wohl nicht von diesem Irrsinn abhalten ..." seufzte dieser ergeben. Während sich Captain Janeway unauffällig mit ihrem Symbionten unterhielt, war Tuvok zu einem Entschluss gelangt. „Wie lange dauert die Tagung des Föderationsrates?" fragte er ruhig. „Vermutlich zehn Tage, wie immer.“ „Dann breche ich so schnell wie möglich nach Vulkan auf", sagte der Vulkanier entschlossen. „Ich kann ganz unauffällig Nachforschungen anstellen ... bevor er zurückkommt bin ich längst fertig." Gemeinsam ließen sich Captain Janeway und ihr taktischer Offizier zum Raumhafen beamen. „Frieden und langes Leben!“ grüßte Tuvok, bevor er sich zu seinem Kurierschiff begab. Als Kathryn zu Hause ihren Briefkasten im Datennetz öffnete, fand sie eine Nachricht von Madras vor: „Ich möchte, dass Sie sich morgen achtzehn Uhr Ortszeit zu den folgenden Koordinaten beamen lassen ..." Die Zahlenkombination sagte ihr gar nichts, das konnte ein vornehmes Restaurant in Paris oder ein unwirtlicher Asteroid irgendwo zwischen Mars und Jupiter sein. „Jetzt bist du aber paranoid“, meinte Selmak besorgt. Sie materialisierte auf einem schwarzen Felsen ... aber er befand sich nicht etwa im Weltraum, sondern mitten im Meer. Die Wellen rauschten leise, ab und zu flog kreischend ein Seevogel vorüber und in der Ferne sah man die vertraute Skyline von San Francisco. Das weiche Licht des späten Nachmittags umflutete einen schwarzen, ungewöhnlich großen, kräftigen Mann in Jeans und einem weißen, weit geschnittenen Hemd, der nachdenklich ins Wasser starrte. Plötzlich drehte er sich um und kam direkt auf Janeway zu. Statt des üblichen vulkanischen Grußes streckte er ihr nach Menschenart die Hand entgegen. Kathryn drückte sie vorsichtig. Sie war groß, wohlgeformt, fühlte sich hart an und war auffallend warm. „Bitte entschuldigen Sie den ausgefallenen Ort, aber es fällt mir schwer, den ganzen Tag in geschlossenen Räumen zu verbringen“, erklärte der Premierminister Vulkans höflich, während er Captain Janeway prüfend musterte. „Ich verstehe ..." antwortete diese. „Es ist hübsch hier ..." Ganz nebenbei registrierte sie, dass ihr reptilienartiger Untermieter sich tot stellte. Sie wollte gerade amüsiert lächeln, als in ihr eine unerklärliche Furcht emporstieg. Dieser Mann war ganz anders als Tuvok, überhaupt nicht steif und hölzern. Er wirkte auf subtile Weise emotional und gefährlich ... wie ein mächtiger Zauber, dessen Zorn man auf gar keinen Fall herausfordern durfte. Das Kohlinar war für ihn vermutlich nur ein überaus kraftvolles Instrument, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden ... zumindest konnte Kathryn ahnen, dass in Madras eine geheimnisvolle Glut schwelte, auch wenn seine reduzierte, fremdartige Mimik kaum etwas davon verriet. Die klaren grünen Augen, die in dem tiefschwarzen Gesicht beinahe unnatürlich leuchteten, hielten sein Gegenüber inzwischen gnadenlos fest, bohrten sich immer tiefer in ihren verstörten, wehrlosen Geist. Leider gab es keine Möglichkeit zu fliehen. „Tuvok hat recht", dachte sie flüchtig. „Diesen Kopf kann man nicht so ohne weiteres waschen ..." Plötzlich rührte sich Selmak... krümmte sich lautlos vor Schmerz. „Sie sind nicht allein gekommen, Captain Janeway“, bemerkte der Vulkanier kühl. „Ich möchte dieses Wesen sofort sprechen! Ich muss wissen, was es ist und welche Pläne es hat, sonst kann ich Ihnen leider nicht vertrauen.“ Kathryn spürte, wie sie beiseite gedrängt wurde und die Schlange von ihr Besitz ergriff, während Madras fasziniert beobachtete, wie ihre Augen plötzlich hell aufglühten. „Ich bin ein Tok’Ra
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und heiße Selmak. Kathy hat sich freundlicherweise damit abgefunden, mein Wirt zu sein.“ Die Stimme der Schlange klang noch dunkler und rauer als die eines Mannes. „Ich habe noch nie etwas von deiner Spezies gehört", bemerkte der Vulkanier misstrauisch und fasziniert zugleich. „Woher stammst du und warum hast du Captain Janeway erwählt?" „Es war Zufall", antwortete die tiefe Stimme. „sie wollte meinen Wirt retten und da ergab sich für mich eine überaus günstige Gelegenheit ... es war meine einzige Chance, zu überleben. Es war gar nicht so einfach, Kathy von meinen lauteren Absichten zu überzeugen. Viele meiner Art sind Goa'uld, die ihre Wirte vollständig überwältigen und sich mithilfe einer hoch entwickelten Technologie als Götter aufspielen. Wir Tok'Ra, sind anders, wir streben ein gleichberechtigtes Zusammenleben mit den Menschen an. Wir schenken ihnen Weisheit, heilen ihre Krankheiten, verlängern ihr Leben ... und manchmal sorgen wir auch für ein wenig Spaß. Kathy und ich teilen uns nicht nur einen Körper, wir sind inzwischen gute Freunde." „Aber warum ausgerechnet Captain Janeway?“ beharrte Madras. „Sie haben recht, ich hatte zwar anfangs keine Wahl, aber ich dachte schon bald, dass ich einen sehr guten Fang gemacht hatte. Kathy ist hübsch, witzig und verantwortungsbewusst ... und sie wollte in die gleiche Richtung wie ich, zurück zur Erde. Ich muss nämlich die Menschen warnen", erklärte Selmak besorgt. „Den Goa'uld gehen langsam die Wirte aus. Sie behandeln ihre Sklaven zu schlecht ... viele wollen keine Kinder mehr, andere bringen sich einfach um oder sterben an fremdartigen Krankheiten. Deshalb planen sie einen Angriff auf die Erde." „Darf ich den Wahrheitsgehalt deiner Aussage überprüfen, indem ich unsere Gedanken vereinige?“ Madras wartete nicht ab, bis das seltsame Wesen seinem Vorschlag zustimmte. Seine Finger berührten ohne Vorwarnung Janeways Gesicht. Selmak hatte keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Im fahlen Licht eines imaginären Raums begegneten sich ein Vulkanier und eine seltsam kantig und stachelig aussehende, hoch aufgerichtete Schlange. Kathryn war nur noch ein vager Schatten im Hintergrund. „Ich will deine Vergangenheit sehen!“ Die Schlange zischte leise, wehrte sich jedoch nicht, als das dunkle Katra sie berührte und allmählich vollständig mit ihr verschmolz. „Ich verstehe dein Anliegen, Selmak“, sagte Madras nach einer kleinen Ewigkeit. „Auch mir ist das Wohl der Erde wichtig. Ich werde meinen Kämpfern sagen, dass sie wachsam bleiben müssen, bereit für einen weiteren Krieg.“ Kathryn taumelte, als Madras sie losließ. Behutsam fing er sie auf. „Madras ist ein vernünftiger Mann", flüsterte Selmak. „Ein bisschen selbstherrlich und rabiat, aber wir können ihm trotzdem vertrauen ..." „Du meinst, Tuvok hat Unrecht?“ „Seine ehemaligen Sklaventreiber haben ihn mit Propaganda der übelsten Sorte voll gestopft ... ihm beigebracht, das eigene Volk zu verachten. Die Turuska sind keine Eroberer, sie haben niemals versucht, fremdes Territorium zu rauben, die Föderation hat nichts von ihnen zu befürchten." Selmak schwieg einen Moment und setzte dann nachdenklich hinzu: „Die Vereinigung mit Madras war eine äußerst seltsame Erfahrung. Er ist ein mächtiger und harter Mann, ein wahrer Eisenfresser. Der Krieg gegen das Dominion hat tiefe Spuren in ihm hinterlassen. So viele Feinde persönlich umzubringen, hat aus ihm einen abgebrühten Kerl gemacht, jemanden, der stolz auf seine Geschicklichkeit im Nahkampf ist ... aber seine Ethik ist trotzdem nicht ernsthaft zu beanstanden. Das ist erstaunlich!" Der Vulkanier lächelte unmerklich, während er wahrnahm, wie sich Janeway und Selmak unterhielten. „Kommen wir zur Sache“, sagte er schließlich ruhig. „Es geht um Tuvok.“ Captain Janeway drehte sich abrupt zu ihm um. „Sie haben unerlaubt in meinem Geist herumgestochert", fauchte sie ihn entrüstet an. „Soviel ich weiß, ist das auf Vulkan streng verboten. Auch ein Premierminister darf sich nicht einfach über die Gesetze seines Planeten hinwegsetzen ... Sir!" „Sie irren sich", antwortete Madras kalt. „Ich habe Ihren Geist nicht einmal berührt ... lediglich den ihres verborgenen Symbionten. Ich habe nicht den Eindruck, dass er vorhat, sich über mich zu beschweren." Er warf Kathryn einen undefinierbaren Blick zu. „Als Captain der Sternenflotte sollte Ihnen eigentlich klar sein, dass ich im Recht bin. Fremde, parasitäre Lebensformen aus dem Deltaquadranten wären im Stande, die gesamte Föderation zu unterwandern ... da hätten wir uns gleich dem Dominion ergeben können."
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„Selmak hat mir glaubhaft erklärt, dass seine Absichten ehrenwert sind“, erklärte Kathryn würdevoll. „Es stand Ihnen nicht zu, meine Kompetenz anzuzweifeln!“ Die grünen Augen des Vulkaniers funkelten ironisch. „Bei allem Respekt, Captain, diese Schlange hätte Sie ohne weiteres nach Strich und Faden belügen können. Sie sind gar nicht in der Lage, sie so gründlich zu prüfen wie ich.“ „Du solltest akzeptieren, was er getan hat, Kathy", mischte sich Selmak lautlos ins Gespräch. „Der Vulkanier hat recht. Es war zwar ein extrem scheußliches Gefühl, als er auch noch den letzten Krümel Schmutz aus meiner Vergangenheit zu Tage förderte, aber ich verstehe das. Wir Tok'Ra haben auch nur durch äußerste Vorsicht überlebt. Madras weiß jetzt alles, was ich weiß ... er kennt die Verirrungen meiner Jugend ebenso wie meine radikalen Methoden im Kampf gegen die Systemlords der Goa'uld. Er hat alles akzeptiert und ist bereit, uns mit seinen Kriegern zur Seite zu stehen. Das ist mehr, als ich in meinen kühnsten Träumen erwartet habe. Es ist gut, dass ich diesem Mann begegnet bin." „Trotzdem darf er nicht einfach einen Captain der Sternenflotte ..." dachte Janeway irritiert. „Er hat auf skrupellose Weise meine Privatsphäre verletzt ... mich einfach überwältigt und ..." „Er kann, denn er trägt nicht nur für einen ganzen Planeten, sondern auch für die gesamte Föderation Verantwortung ..." plötzlich spürte Kathryn, wie sehr die Schlange in ihrem Inneren sich amüsierte. „Bei Madras hat es keinen Zweck, meilenweit den Boss heraushängen zu lassen. Die Hierarchien der Sternenflotte bedeuten ihm rein gar nichts. Er hat seine eigene Streitmacht." „Und er tut so schrecklich übermächtig ..." murrte Captain Janeway. „Ja, das ist schon irgendwie ätzend. Aber vielleicht ist er uns wirklich überlegen", flüsterte Selmak leise. „Auf mich wirkt der Vulkanier ziemlich irritierend. Er ist ein extrem starker Telepath ... und bei weitem nicht so jung, wie er aussieht. Er war am Ende, als wir uns bereits einigermaßen mochten, so freundlich, einige seiner Erinnerungen mit mir zu teilen. Um all das zu erleben, braucht man mindestens hundertzwanzig Jahre. Also behandle ihn besser nicht, wie einen arroganten, jungen Schnösel." „Tatsächlich?“ fragte Kathryn versehentlich laut und sah Madras beschämt an. „Wir sollten über jetzt Tuvok sprechen“, bemerkte dieser ungewohnt sanft. „Es gelingt mit einfach nicht, ein Treffen mit ihm zu arrangieren.“ „Was wollen Sie eigentlich von ihm?“ fragte der Captain streitlustig, machte Anstalten, die Arme energisch in die Hüften zu stemmen und ließ sie dann frustriert wieder sinken. Madras setzte sich an den Rand der Klippe und zeigte auf einen verhältnismäßig ebenen Platz neben sich. Mit einem leisen Seufzen ließ sich Janeway auf dem harten Boden nieder. Es sah nach einer längeren Unterredung aus ... und bis jetzt sträubte sich alles in ihr gegen die Nähe des mächtigen Telepathen. „Wahrscheinlich hat Ihnen Tuvok bereits mitgeteilt, dass sein Clan nicht mehr existiert.“ „Aber wie ist das möglich?" fragte Kathryn betrübt. „Es können doch nicht alle ..." „Das müssen sie auch nicht", informierte sie Madras geduldig. „Nach den Gesetzen Vulkans hört ein Clan auf, zu existieren, wenn seine älteste Mutter stirbt, ohne ihr Katra weiterzugeben. Das Haus Komor ist tot, weil seine älteste Mutter unter den Trümmern ihres Hauses begraben wurde. Die weißen Überlebenden haben mit einer neuen ältesten Mutter das Haus Kerra gegründet. Die Abkömmlinge der Sklaven haben bei den Turuska eine neue Identität gefunden. Nur Tuvok ist noch übrig ..." „Das erklärt nicht, warum ein einfacher Commander der Sternenflotte ein Fall für den Premierminister ist ..." Madras lächelte flüchtig. „Das ist nur eine Familienangelegenheit. Tuvoks Vorfahren wurden wahrscheinlich dem Hause Kinsai geraubt. Unsere älteste Mutter hat mich beauftragt, mich um ihn zu kümmern, weil ich gewisse Talente habe. Ich könnte ihm helfen, das alles leichter zu akzeptieren, aber wenn er unbedingt Doktor Kimble spielen muss ..." Captain Janeway sah ihn entgeistert an, während Selmak leise kicherte. „Das und noch eine Menge anderer menschlicher Redewendungen habe ich von Doktor McCoy gelernt“, erklärte Madras genüsslich. „In Stockholm haben wir uns zusammen das siebente Remake der Geschichte eines Mannes angesehen, der des Mordes an seiner Gemahlin angeklagt ist, flieht und verzweifelt versucht, seine Unschuld zu beweisen, die Einzelheiten sind nicht sonderlich wichtig, jedenfalls wendet er allerlei raffinierte Tricks an, um seinen Verfolgern zu entwischen. Wo steckt Tuvok jetzt?“
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„Er kannte den Bordarzt der alten Enterprise persönlich ", überlegte Janeway verblüfft. „Womöglich auch Kirk und Spock ... Selmak hat recht: Madras ist gemessen an mir uralt ... aber wieso sieht er dann so verdammt attraktiv und jung aus?" Vorsichtig antwortete sie laut: „Soviel ich weiß, ist Tuvok auf dem Weg nach Hause.“ „Das ist schlecht ..." murmelte Madras unzufrieden. „Das ist sogar sehr schlecht. Er wird es nicht begreifen, sich nicht mit dem Verlust abfinden können, jemand muss ihm helfen, sonst ..." „Was ist passiert, welcher Verlust?“ fragte der Captain mitfühlend. „Den seiner Familie ... seine drei Söhne kamen während der Angriffe der Jem'Hadar ums Leben. Mein Freund Piri fand seine Gemahlin und seine kleine Tochter Eyzel und brachte die beiden in Sicherheit. T'Pel entschloss sich, ihre Kinder zu rächen. Sie wurde eine Kriegerin für ihr Volk und Vulkan." „Sie lebt also noch ..." „Ja, aber sie ist für Tuvok verloren. In ihrem Geist flüstern nun die Stimmen ihrer Waffenbrüder. Sie hat inzwischen einen kleinen Sohn von ihrem Anführer Piri und ist jetzt schwanger von ihrem liebsten Bindungspartner Juan.“ „Tuvok hat seine Ehe immer wie ein Heiligtum angesehen", murmelte Janeway mitfühlend. „Und nun hat ihn seine Gemahlin einfach verlassen ..." „So simpel ist das nicht. Die Besatzung der VOYAGER war gerade für tot erklärt worden und T’Pel hielt es für ihre Pflicht, den Spuren ihrer Vorfahren zu folgen. Sie ist eine Tochter des Hauses Kuma, eine Verwandte des allerersten Kriegers der Turuska.“ „Das klingt alles reichlich schwülstig ..." „Keine Sorge, verehrter Captain, die Fakten sind real.“ „Das sind sie tatsächlich“, bestätigte Selmak. „Ich kenne diese Erinnerungen von Madras.“ „Der heilige Wurm weiß wieder einmal mehr als ich ..." „Es ist eine Schlange, Captain“, korrigierte der Vulkanier sanft. „... und in der nächsten Zeit unser wichtigster Verbündeter. Ich werde Piri so bald wie möglich zur Erde holen, damit er Kontakt zu ihm aufnimmt." „Noch ein Mitwisser ... wozu soll das gut sein?" „Mein Freund Piri ist kein Privatdetektiv oder Klatschreporter, sondern Krieger und Wahrträumer. Er wird herausfinden, was die Zukunft für uns alle bereithält und ob man sie noch positiv beeinflussen kann." „Das ist doch unwissenschaftlicher Hokuspokus!“ erklärte Janeway empört. „Darauf lassen wir uns auf gar keinen Fall ein!“ „Ich weiß nicht", meinte Selmak nachdenklich. „Das Weltall ist riesig und es gibt verflixt seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde ... allein diese Asgard." „Nun", meinte Madras kühl. „urteilen Sie selbst: Miro aus dem Hause Boras sah vor mehr als achtzig Jahren im Traum weit weg von Vulkan eine bläuliche Quelle der Entropie entstehen, aus der gestaltlose Wesen und Krieger ohne Clan hervorquollen und den gesamten Alphaquadranten verwüsteten. Er sah, wie die Städte Vulkans brannten und der Wind die Gebeine seiner Bewohner mit Asche bedeckte. Wenn wir damals auf ihn nicht gehört hätten ..." „Das ist ..." murmelte Kathryn entsetzt. „Ihr habt es die ganze Zeit geahnt ... und ..." „Keiner hätte uns geglaubt! Wir waren auf uns allein gestellt, mussten Krieger anwerben, Waffen entwickeln ... Kampfflieger bauen. Niemand durfte etwas ahnen ..." „Ihr hättet wenigstens versuchen können, uns zu warnen ..." „Damit irgendwelche Wechselbälger auf uns aufmerksam werden und begreifen, dass ihr gefährlichster Feind sich in ein paar schäbigen Zelten mitten in der Wüste verbirgt? Die Jem’Hadar hätten uns zu Staub zermahlen und aus unseren Kindern Laborratten gemacht. Sie mögen sich nicht vorstellen können, wie das ist, aber unsere ältesten Mütter erinnern sich noch viel zu gut an die alte Zeit vor Surak.“ Plötzlich spürte Janeway, wie der Symbiont sie sanft beiseite schob. „Ich möchte diesen Piri unbedingt kennen lernen“, sagte die dunkle Stimme ernst. „Er vermag weiter zu sehen als ich.“
Nur noch Asche und Schlacke ... Tuvok erkannte den Raumhafen Vulkans nicht wieder. Dort, wo früher das prächtige Empfangsgebäude gestanden hatte, die Shuttlehallen, die Reparaturwerkstätten, das Transporter-
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Terminal, war nur noch ein leerer dunkler Platz. Schlackeklümpchen – Überbleibsel der zerstörten Bauten – bedeckten ihn mit einer gleichmäßigen Schicht. Man hatte die Trümmer fortgeschafft und ihre letzten Überreste platt gewalzt, um den Platz zu befestigen. Der heiße Wind aus der Wüste trieb ein paar undefinierbare Fetzen vor sich her. Zwei große, graubraune Zelte zogen Tuvoks Aufmerksamkeit auf sich. Die anderen Passagiere bewegten sich zielstrebig auf sie zu ... also war es wohl das beste, einfach mitzugehen. Der Eingang zu dem kleineren Zelt war mit einem leichten Kraftfeld verschlossen. Dahinter standen zwei Männer in schwarzen Kniehosen, Knöchelsandalen, weißen seidigen Mänteln und glitzernden Waffengürteln. Der eine war ein dunkelhäutiger Vulkanier, während der andere wie ein blonder, blauäugiger Mensch aussah. „Ihre Identicard bitte!“ forderte der Mensch nach einem prüfenden Blick auf Tuvoks Sternenflottenuniform mit ruhiger Stimme und Tuvok beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. „T u v o k“, buchstabierte der Außenweltler die vulkanischen Schriftzeichen. „Tuvok aus dem Hause Komor?“ fragte der andere Wächter sofort und der Mensch nickte. Der Sternenflottenoffizier spürte, wie sich seine Eingeweide verkrampften. Ganz offensichtlich hatte Madras seine Lakaien beauftragt, ihn festzunehmen, sobald er auf Vulkan auftauchen würde ... und nun war er so einfältig gewesen, in die Falle zu tappen. „Niemand hat vor, Ihnen etwas anzutun“, protestierte der blonde junge Mann beleidigt. „Wir sollen nur dafür sorgen, dass Sie warten, bis die Abgesandten Ihres Clans eintreffen.“ Tuvok überlegte, dass er wahrscheinlich gar keinen Menschen, sondern einen Betazoiden vor sich hatte, dass dieser einfach in seinen Gedanken herumstochern konnte und dass es irgendwie nicht in Ordnung war, dass Außenweltler auf Vulkan zum Sicherheitsdienst gehörten ... dennoch ... „Ich bin angenehm überrascht, dass das Haus Komor so viel Anteil an meiner Heimkehr aus dem Deltaquadranten nimmt", bemerkte er steif. „Das Haus Komor existiert nicht mehr“, klärte ihn der dunkle Vulkanier emotionslos auf. „Seine älteste Mutter kam während der Kämpfe um die Hauptstadt um und die Überlebenden haben die Gelegenheit genutzt, sich der Nachkommen ihrer ehemaligen Sklaven zu entledigen. Sie haben das weiße Haus Kerra gegründet. Ich würde Ihnen nicht empfehlen, dort anzuklopfen. Man wird Sie bestimmt nicht freundlich empfangen.“ „Ich habe ein Recht darauf, hier zu stehen", murrte indessen der Außenweltler leicht verärgert. „Ich habe vom ersten Tag an mit meinen Waffenbrüdern gegen die Jem'Hadar gekämpft. Ich wurde fünfmal verwundet ... mein Blut hat Vulkans Boden getränkt. Das ist jetzt auch meine Heimat." „Frieden, Amiro, mein liebster Bindungspartner“, sagte der Vulkanier in dem weißen Mantel sanft. „Deine Wurzeln haben sich tief in Vulkans Boden gegraben. Niemand zweifelt daran, dass du alles Recht des Universums hast, weiter über unsere Sicherheit zu wachen.“ Tuvok bemühte sich, den Ekel zu verbergen, der ihn bei dem Gedanken daran, dass er offenbar ein schwules Paar vor sich hatte – und an ihre unlogischen Praktiken – beschlich. „Ich erledige nur schnell die Formalitäten und warte dann draußen. Ich war viel zu lange in diesem Raumschiff eingesperrt.“ Mit diesen Worten eilte er zum nächsten freien Tisch und hielt einer jungen Beamten wortlos seine Identicard hin. In wenigen Minuten waren die Einreiseformalitäten erledigt. Tuvok fand, dass es noch nie so schnell gegangen war. „Bitte gehen Sie nicht weg!“ bat der vulkanische Wächter am Eingang. „Natürlich nicht", antwortete Tuvok und wunderte sich, wie leicht ihm diese Lüge fiel. Wie vermutet, befanden sich in dem größeren Zelt die Transporter-Terminals. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fanden Tuvoks Finger die richtigen Tasten. Die Koordinaten seines Hauses waren ihm noch ebenso vertraut wie vor sieben Jahren. „Ich muss erst sehen, was passiert ist ... ob es noch steht ... und die Nachbarn ..." Gerade als Tuvok sich im Transporterstrahl auflöste, tauchten vor dem Empfangszelt wie aus dem Nichts drei Männer in weißen Mänteln auf. Zwei waren grünäugig, hellbraun und zierlich. Die Ähnlichkeit und der Altersunterschied ließen vermuten, dass es Vater und Sohn waren. Der Dritte war tiefschwarz und sehnig. Seine Augen waren sehr hell, von undefinierbarer Farbe ... und eiskalt. Als die Umwelt wieder zu existieren begann, dachte Tuvok mit dumpfem Unbehagen, dass er aus Versehen die falschen Koordinaten eingegeben hätte. Die schönen alten Häuser mit ihren
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Umfassungsmauern und winzigen Gärten waren verschwunden. Auf dem platt gewalzten Untergrund standen Zelte in allen Größen und lieblos aus Fertigteilen zusammengepfuschte Häuser. Es war unnatürlich still ... nur der Wind pfiff leise um die Hausecken. Auf einem Mauerrest hockten zwei unbekannte, in unförmige, dunkle Kleidung gehüllte Frauen. „Frieden und langes Leben!“ grüßte Tuvok mit lauter Stimme. Dann setzte er tonlos hinzu: „Ich glaube, ich habe früher hier gewohnt.“ Die jüngere Frau streifte ihn mit einem undefinierbaren Blick. „Offenbar sind Sie sehr lange fort gewesen. Ich bin erst nach dem Krieg hierher gezogen. Soviel ich weiß, wurde in einem Umkreis von dreitausend Metern alles zerstört. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand überlebt hat.“ „Aber das war doch früher die Kasanastraße?" fragte Tuvok beklommen und hoffte inständig, dass er sich irrte. „Sie heißt immer noch so“, antwortete die Frau ruhig und wies auf eine unregelmäßige Zeile aus Zelten und Behelfsbauten. Plötzlich brannte ein heißer Schmerz in Tuvoks Brust, ein Schmerz, den er nicht abblocken konnte, gegen den sein Kohlinar völlig machtlos war. „T'Pel, Eyzel... meine Söhne ..." flüsterte er fassungslos. Dann wurde ihm bewusst, dass ihn die beiden Frauen aufmerksam ansahen. „Langes Leben und Erfolg!" murmelte er hastig und wandte sich einem kleinen, mit einer Mauer umfriedeten Schutthaufen zu. „Das war Commander Tuvok von der VOYAGER", erklärte die ältere Frau nach einer Weile. „Als ich die Nachricht von ihrer Heimkehr im Datennetz sah, habe ich mich besorgt gefragt, wie er es wohl verkraften würde ..." „Du kennst ihn?" fragte die Jüngere erstaunt. „Warum hast du nicht ..." „Meine Tochter hat hier gewohnt", unterbrach sie die alte Frau leise. „mit ihrem Gemahl und ihren zwei Kindern. Sie mochte T'Pel und Eyzel hat gern mit ihrer Jüngsten gespielt. Die Jem'Hadar haben sie einfach ausgelöscht ... ich bin ganz allein übrig geblieben. Was hätte ich Tuvok sagen sollen? Er ahnt doch längst, was geschehen ist ..." „Und wenn wir seine Trauer bemerken ..." „Es wäre eine zusätzliche Qual für ihn“, bestätigte die alte Frau. Jetzt kniete Tuvok an der schlichten Gedenkstätte für die Opfer dieses Viertels der Hauptstadt nieder. Seine dunklen, feingliedrigen Hände berührten hilflos die kläglichen Reste von Datenpads, Haushaltsgegenständen, Spielzeug ... all den kleinen Dingen, die ein normales Vulkanierleben fast unbemerkt begleiten. Sein Kopf sank immer tiefer herab, die Schultern erschlafften. Wie ein wehrloser, uralter Mann wiegte er den Oberkörper hin und her. „Das hat er nicht verdient", sagte die alte Frau ernst und machte Anstalten, zu ihm hinüber zu gehen, um ihn zu trösten. Im selben Augenblick begann Tuvok laut zu schreien ... wie ein wildes Tier, das seine Jungen verloren hatte. Die Frau setzte sich still zurück auf die niedrige Mauer. Sie wusste, dass sie ihm jetzt auf gar keinen Fall zu nahe treten durfte. In dem Haus, das Tuvok zusammen mit T‘Pel und seinen drei Söhnen bewohnte, gab es ein Zimmer, das praktisch immer verschlossen war. Manchmal rüttelte eins der Kinder in einem unbeobachteten Augenblick an der Tür. Das Geheimnis war viel zu faszinierend, als dass die Jungs es immer geschafft hätten, ihre Neugier im Zaum zu halten. „Dieser Raum ist nicht für Kinder bestimmt“, tadelte Tuvok jedes Mal den neugierigen kleinen Forscher, während T’Pel mit nachsichtigem und wehmütigem Lächeln schwieg. „Offenbar ist er auch für Erwachsene tabu", dachte sie frustriert. „Ich kann es an meinen Händen abzählen, so selten haben wir ihn betreten. Meistens hatte Tuvok Pon Farr ... und dann benimmt er sich jedes Mal am Ende wie ein Wahnsinniger. Es macht keinen Spaß mit dem Tier in ihm ... und wenn er nur meint, dass unsere Familie ein weiteres Kind braucht ..." „Spaß ist irrelevant, T'Pel", erklärte Tuvok mit dem gewohnten, heiligen Ernst. „Schon allein die Tatsache, dass wir diese tierischen Bedürfnisse haben, ist demütigend genug ..." Von ihren Freundinnen wusste T’Pel, dass es genug Männer gab, die ihren eigenen animalischen Bedürfnissen – und denen ihrer Partnerinnen – weit weniger ablehnend gegenüberstanden. Manche nahmen sogar Drogen, um ab und zu ihre vulkanische Erziehung zu vergessen und sich eine richtig wilde Entrückung zu gönnen. Tuvok war so anziehend, alle ihre Sinne reagierten so heftig auf ihn ... wenn er nur ein bisschen weniger tugendhaft gewesen wäre!
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„Meine Gemahlin!“ belehrte sie Tuvok vorwurfsvoll. „Du entehrst unsere Bindung mit deiner unlogischen Gier!“ „Unsere Verbindung ist tief und makellos", dachte T'Pel traurig. „Er spürt meine Sehnsucht, aber sein Kohlinar-Meister ... diese Ausgeburt der Entropie - oder vielleicht auch einer widerlich statischen Ordnung - hat ihm eingeredet, dass Liebe die allerschlimmste Quelle des Chaos wäre ... ich merke doch deutlich, dass er mich ebenfalls begehrt." Tuvok sah sie nur frustriert an. „T’Pel, du denkst wieder einmal mit deinem Schoß. Das ziemt sich nicht für eine ehrbare vulkanische Ehefrau!“ „Wir sollten das verdammte Bindungszimmer abreißen, oder eine Abstellkammer daraus machen", meinte T'Pel empört. „Dann würde ich nicht immer diese verdammte Tür anstarren und mir vorstellen, wie es wäre, wenn ... bei Ah'Tha, ich liebe dich doch, Tuvok!" „T’Pel!“ „Ach lass mich doch in Ruhe!" dachte die junge Frau wütend. „Am besten er geht zum Heiler und lässt sich die verdammten Dinger entfernen ... dann würde er keine Frau mehr brauchen und könnte makellos kühl und logisch ... aber er quält sich lieber und mich auch." „Es bringt keine Ehre, sich seiner Gefühle zu entledigen, indem man die dafür verantwortlichen Drüsen chirurgisch entfernen lässt“, protestierte Tuvok hoheitsvoll. „Für dich zählt doch nur dieser Surak... und wie dein uralter, vertrockneter Kohlinar-Meister ihn interpretiert“, murrte T’Pel verbittert und verließ, ohne ihren Gemahl eines weiteren Blickes zu würdigen, den Raum. „Das Erbe der Barbaren ist stark in ihr", überlegte Tuvok bekümmert. „Jetzt geht sie wahrscheinlich in ihr Zimmer und streichelt sich selbst. Warum ist sie nur nicht bereit, diese peinlichen Anwandlungen zu verstoßen? Es ist doch eigentlich klar, dass es das ist, was Surak von uns verlangt ... und gerade, weil ihr Schoß so hungrig ist ..." Fünf Monate später kündigte sich bei Tuvok das Pon Farr an. Ihm war abwechselnd heiß und kalt, er war unkonzentriert, verwirrt ... und er spürte dieses elende Ziehen in den Lenden. Es gab nichts Demütigenderes, keine schlimmere Qual, als zu spüren, wie das Tier in ihm gegen die Mauern seines Kohlinar prallte ... immer wieder dagegen anrannte wie eine blinde Naturgewalt, ohne auf die schmerzhaften Verletzungen zu achten, die es sich dabei zuzog ... wie es mit blutenden, krallenbewehrten Pfoten an seiner Selbstachtung zerrte ... Das Schlimmste war, dass es auf jeden Fall gewinnen würde ... dass er nur die Wahl hatte, seine Gier auszuleben oder zu sterben. „Heute Abend werden wir gemeinsam durch diese Tür gehen", sagte er betont kühl zu T'Pel, während das Fieber bereit wie ein Lavastrom durch seine Adern kroch. „Ja, mein Gemahl“, antwortete T’Pel ausdruckslos. „Wir beide werden gemeinsam durch diese Tür gehen und ich werde dein Katra beschützen, wie es meine Pflicht ist.“ „Ich weiß deine Umsicht und dein Verantwortungsbewusstsein zu schätzen“, erklärte Tuvok ernst. T'Pel unterdrückte den Wunsch, ihm ein paar besonders unangenehme Wahrheiten an den Kopf zu werfen. In diesem Zustand war ihr Ehemann völlig unfähig, irgendwelche Argumente zu würdigen. Sie konnte es nur auf irgendeine Weise hinter sich bringen ... diese wilde Leidenschaft, die mit ihr als Person überhaupt nichts zu tun hatte. „Vielleicht sind Männer so verrückt nach abgehobenen Theorien, weil sie mit diesen periodisch auftretenden Anfällen von Unvernunft nicht zurechtkommen. Weil sie sich schämen, so geil und gleichzeitig so wehrlos zu sein." Sie machte sich eifrig daran, das seit Jahren nicht mehr benutzte Zimmer zu lüften und den feinen Wüstensand, den der Wind durch die Ritzen des Fensterrahmens gepresst hatte, zu entfernen. Dann bestellte sie eine staatlich geprüfte Kinderfrau. Sorgsam vermied sie es, daran zu denken, was ihr bevorstand. Am Abend trat Tuvok als Erster in den zeremoniellen Raum. Unter dem langen Gewand aus dicht gewebter, terellianischer Seide war er völlig nackt. T'Pel, die ein ähnliches Kleidungsstück trug, folgte ihm und sperrte sorgfältig die Tür hinter sich ab. Alles, was in diesem spärlich möblierten, schalldicht verkleideten Zimmer passierte, ging Außenstehende nichts an. „Mein Ehemann", begann sie mit ruhiger Stimme. „Wie von Anbeginn unserer Tage werden wir unsere Körper und unsere Katras vereinigen. Mein Schoß ist nur für dich offen ... heute und bis zu meinem Tod. Du darfst dich in mir verlieren."
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„Meine Gemahlin", antwortete Tuvok mit dumpfer Stimme. „Ich danke dir, weil du dem unvernünftigen Tier großmütig Einlass gewährst und bereit bist, mein Selbst zu schützen und vor Zerstörung zu bewahren. Wie von Anbeginn unserer Tage vertraue ich dir mein Katra an ... dein Schoß ist für mich die einzige Pforte. Ich werde sie immer voll Demut durchschreiten." „Mein Liebster", dachte T'Pel, während sie ihm sanft das rituelle Gewand abstreifte. Behutsam berührte sie ihn intim, schmiegte sich zärtlich an ihn ... aber es waren bereits die Augen des Tieres, die sie gierig ansahen. Es sog hörbar den Duft ihrer Weiblichkeit ein, schleuderte sie auf die breite Matratze in der Mitte des Raumes und war Sekunden später in ihr. Ein Teil von ihr genoss die heftigen Stöße, ihr Fleisch antwortete bereitwillig und hungrig, während ihr Geist auf seltsam unbeteiligte Weise registrierte, was geschah. Lange Zeit hörte man nur die archaischen Geräusche ihrer wilden Vereinigung, dann erschlaffte Tuvok. T'Pel legte ihre Fingerspitzen auf die Nervenpunkte in seinem Gesicht. „Dein Geist zu meinem Geist ... deine Gedanken zu meinen Gedanken. Wie von Anbeginn unserer Tage gebe ich dir dein Selbst zurück." Einen Augenblick zögerte die Frau, dann setzte sie mit leiser Stimme hinzu: „Wie von Anbeginn unserer Tage schenke ich dir meine Liebe, auch wenn du nicht verstehen willst ..." Tuvoks Lider flatterten, als wäre er der Agonie nahe, aber T'Pel spürte, dass er bereits wieder er selbst war und ihre letzten Gedanken empfangen hatte. Merkwürdigerweise protestierte er diesmal nicht. Am nächsten Morgen rappelte sich T'Pel mühsam auf, zog sich an und ging leise in die Küche, um für ihren erschöpften Ehemann Frühstück zu machen. Jeder Muskel und jedes Gelenk von ihr schrie nach Ruhe, ein paar schmerzhafte Prellungen erinnerten sie an wilde Attacken weit jenseits dessen, was vernünftig und angenehm war ... aber sie durfte sich nicht gehen lassen. Tuvoks Energiereserven befanden sich mit Sicherheit auf einem sehr viel niedrigen Level als ihre eigenen. Er brauchte jetzt dringend Nahrung und Kaffee. Dankbar registrierte sie, dass die Kinderfrau sorgsam darauf achtete, dass ihre Söhne in ihren Betten blieben. Mit dem Essen und Alltagskleidung bepackt ging sie zurück ins Bindungszimmer und verschloss die Tür von innen. Tuvok befand sich immer noch in einem Zustand irgendwo zwischen Agonie und Schlaf. T'Pel streichelte sanft sein Gesicht, zeichnete liebevoll den weichen Mund und den aparten Schwung seiner Nase nach, bewunderte seinen dunklen Körper ... diese überaus anziehende Mischung aus Zartheit und Kraft. „Ich würde so gern ..." flüsterte sie und verstummte dann. Als Tuvok aufwachte, war er so kühl und beherrscht wie immer. Das Frühstück verschlang er noch stumm und mit einer gewissen Demut, dann, als sie beim Kaffee waren, bemerkte er sachlich. „Ich habe den Auftrag, mich undercover dem Maquis anzuschließen. Ich soll die Absichten eines gewissen Chakotay erkunden ..." In T’Pels Magen schien sich der heiße Kaffee in Eis zu verwandeln. „Das kann Captain Janeway doch nicht mit dir machen“, sagte sie enttäuscht. „Du bist schließlich Sicherheitsoffizier und kein Spion der Sternenflotte.“ „Der Captain vertraut nur mir“, bemerkte Tuvok mit einem Anflug von Stolz. „Aber das ist bestimmt gefährlich! Sie muss doch daran denken, dass du Familienvater bist. Deine Söhne brauchen dich!“ „Ich habe einen Eid geleistet“, antwortete Tuvok spröde. „Es steht mir nicht zu, mit meinem Captain zu diskutieren. Vielleicht ist das in deinem Erziehungsministerium möglich, aber bestimmt nicht beim Militär.“ „Ich hasse die Sternenflotte ..." murmelte T'Pel leise. „Ein höchst irrationales Gefühl, das du sofort verstoßen solltest“, konterte Tuvok ernst. „Ich möchte, dass du alles vorbereitest, ich reise übermorgen ab.“ „Und du kannst mir wahrscheinlich nicht sagen, wann du wiederkommst.“ „Nein, das kann ich in der Tat nicht.“ T'Pel wusste selbst nicht, weshalb Tuvoks neue Mission sie diesmal so sehr erbitterte. Sorgsam bemühte sie sich, das Cthia zu ehren und herauszufinden, was diesmal anders war. Plötzlich wussten sie es beide ... „Wir werden noch ein Kind haben", sagte Tuvok andächtig. „Diesmal wird es eine Tochter sein." „Bitte versprich mir, vorsichtig zu sein und so schnell wie möglich ..." „Ja, meine Gemahlin.“ Die starre Maske von Tuvoks Kohlinar wurde für einen winzigen Augenblick transparent.
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„Er liebt mich", dachte T'Pel zufrieden. Er kann es nicht zeigen und sich selbst nicht eingestehen ... aber ich spüre seine Zärtlichkeit." Wenn sie gewusst hätten, dass diese verdammte Mission ihn ans andere Ende der Galaxis befördern würde ... Tuvok war schon vor einer Weile verstummt. Es war unlogisch und unwürdig, seinen Schmerz laut herauszuschreien. Mittlerweile schämte er sich seines Gefühlsausbruchs. Inzwischen wünschte er sich nur noch, dass die VOYAGER im Orbit von Vulkan wäre und ihn ganz schnell heraus beamen würde ... zurück in die Normalität auf der Brücke, eventuell sogar zurück in den Deltaquadranten. Das Irritierendste war, dass die Erinnerungen an die letzten Tage mit seiner Familie sich einfach nicht zurückdrängen ließen, dass sie in Tuvok brannten wie eine riesige, offene Wunde ... Er blickte sich vorsichtig um: Die beiden Frauen saßen immer noch seelenruhig auf dem Mäuerchen. Ganz offensichtlich waren sie in ein interessantes Gespräch vertieft. Wahrscheinlich redeten sie über ihn, warteten darauf, dass er wieder an ihnen vorüberging, damit sie ihm in die Augen sehen konnten. Unschlüssig blieb er vor den undefinierbaren Überbleibseln irgendwelcher geschmolzener Haushaltsgegenstände hocken. Ganz langsam breitete sich eine dumpfe Verzweiflung in ihm aus. „Ich hätte nicht herkommen sollen ..." murmelte er frustriert und schloss die Augen, um die Spuren von Tod und Zerstörung ... und die geballte Hässlichkeit dieser trostlosen, behelfsmäßigen Behausungen nicht mehr zu sehen. Er bemerkte die drei flirrenden Säulen nicht, die sich langsam zu drei Männern in weißen Mänteln verdichteten ... Plötzlich berührte eine warme, ziemlich kleine Hand Tuvoks Schulter, seinen Hals ... fand einen bestimmten Punkt unterhalb seiner Kehle. Tuvok war wie gelähmt vor Verzweiflung, ließ es einfach geschehen, genoss nach wenigen Sekunden die sanfte Ruhe und Geborgenheit, die ihm auf geheimnisvolle Weise geschenkt wurde. Unwillkürlich stellte er sich vor, dass es T'Pels Hand wäre, dass sie ihn endlich gefunden hätte. Ganz selbstverständlich schmiegte er sich vertrauensvoll an die fremde Person. Der Körper des anderen war warm, fest und muskulös ... auf gar keinen Fall weiblich. Tuvok drehte sich irritiert um: Hinter ihm standen drei Männer in der gleichen, merkwürdigen Kluft, wie er sie bereits von den beiden Wächtern im Empfangszelt her kannte. Weiße Mäntel, Kniehosen, Sandalen, glänzende Waffengürtel ... Schmuck. Zwei der Männer waren zierlich und hatten hellbraune Haut. Sie sahen aus Tuvoks Sicht wie typische Schwule aus ... viel zu hübsch und zart, um richtige Männer zu sein. Wahrscheinlich waren sie die Bettgenossen des anderen, der ein wenig abseits stand: ein schwarzer, harter, drahtiger Kerl mit sehr hellen, kalten Augen, definitiv eine typische Bestie aus der Wüste ... jemand, bei dem er sich sehr gut vorstellen konnte, wie er adelige Damen den Lematyas zum Fraß vorwarf. „Ich bin Tapa aus dem Hause Kinsai“, erklärte der Mann, der ihn angefasst hatte, sanft. „Der Rat der Ältesten hat mich beauftragt, dich zu den Zelten unseres Clans zu bringen.“ Tuvok starrte ihn nur entgeistert an. „An deiner Stelle wäre ich nicht so scharf darauf, diesen Philosophiebürokraten in dein Haus aufzunehmen", erklärte der drahtige Kerl angeekelt. „Dieser Tuvok hat die Vorurteile seiner Sklaventreiber vollständig verinnerlicht. Er hält uns für unzivilisiert, irrelevant und ehrlos ... wir sollten ihn den Rassisten vom Hause Kerra überlassen. Vielleicht nehmen sie ihn ja auf, wenn er lange genug auf ihrer Schwelle herum kriecht." „Aber Aron!“ protestierte Tapa vorwurfsvoll. „Du solltest Tuvok eine Chance geben. Er kann nichts für seine verdrehte Erziehung. Wir wissen doch, wie sehr die alten Adelshäuser die Kinder der Nachkommen ihrer ehemaligen Sklaven traumatisiert haben.“ „Er hätte den Quatsch ja nicht glauben müssen“, knurrte Aron unbußfertig. „Ihr könnt mich nicht einfach verplanen“, unterbrach Tuvok vorsichtig die Diskussion. „Vielleicht bin ich ja gar nicht mit euch verwandt.“ „Das können wir auf der Stelle nachprüfen“, bemerkte der dritte Mann emotionslos. „Ich bin Eyro aus dem Hause Kinsai, Tapas Vater ... und von Beruf Heiler. Wenn Sie mir bitte eine Blutprobe zur Verfügung stellen würden ..." Tuvok war angenehm überrascht, dass der andere ihn nicht sofort duzte, auch sein Benehmen wirkte auf ihn kultiviert und angemessen ... dennoch protestierte er. „Woher soll ich wissen, dass ich es nicht mit Schwindlern zu tun habe?" Eyro zeigte ihm wortlos seinen Approbationschip. „Ich werde nicht weggehen, ohne den Auftrag meiner ältesten Mutter erfüllt zu haben", erklärte Tapa fest. „Wir brauchen Gewissheit ..."
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Wortlos schob Tuvok den rechten Ärmel hoch. Eyro entnahm routiniert eine Blutprobe, steckte sie in ein kleines Analysengerät und studierte intensiv die Anzeigen. „Und“, fragte Aron ruhig. „Gehört dieses Muster an Toleranz zu eurem Clan?“ „Sechsundsiebzig Prozent Kinsai", murmelte Eyro nachdenklich. „Acht Prozent Raban ... der Rest könnte alles Mögliche sein." „Philosophiebürokraten?“ fragte Aron lauernd. „Nein, das mit Sicherheit nicht. Wahrscheinlich handelt es sich um Hinweise auf ausgerottete Häuser." Eyro sah Tuvok kühl an. „Sie gehören nach den Gesetzen Vulkans zweifelsfrei zum Hause Kinsai. Es sollte für Sie eigentlich eine Ehre sein ..." „Madras!" flüsterte Tuvok. „Der Premierminister und ich gehören ..." „Richtig“, ergänzte Aron ironisch. „Der Premierminister hatte niemals vor, Sie umzubringen. Er wollte sich nur um seinen irregeleiteten Verwandten kümmern, wie sich das auf Vulkan gehört.“ „Und wenn ich dieses Erbe nicht will?“ fragte Tuvok. „Zuerst müssen Sie sich Ihrer ältesten Mutter stellen", erklärte Tapa sanft. Auch er war inzwischen von der vertraulichen Anrede abgerückt. „Sie müssen das Erbe offiziell vor dem Rat der Ältesten ausschlagen ... danach ist es für uns nicht mehr relevant, was aus Ihnen wird." „Ich füge mich ..." erklärte Tuvok nach kurzem Überlegen. „Das ist vernünftig!" lobte ihn Aron. Tuvok dachte, dass er diesen eiskalten, unhöflichen Kerl nicht leiden konnte ... dass es völlig unmöglich war, ihn jemals zu mögen.
Ein Hüter der Zeitlinie Captain Janeway wusste selbst nicht so genau, wie sie vor das unscheinbare graue Haus gelangt war. Eigentlich sollte es nur ein Morgenspaziergang werden ... schließlich hatte sie Urlaub und nach sieben Jahren im Deltaquadranten tat es unendlich gut, die heimatliche Erde unter den Füßen zu spüren, vertraute Gerüche einzuatmen, all die sorglosen, braungebrannten Zivilisten zu beobachten und dem Gewirr alter Lokalsprachen der Erde zu lauschen. Aber die Gegend, in die sie die öffentliche Schwebebahn geführt hatte, wirkte ziemlich einsam. Außer ihr war nur ein auffällig großer und kräftiger dunkelhäutiger Mann mit scharf geschnittenem Gesicht ausgestiegen ... dass er ihr beharrlich bis zu dem grauen Gebäude gefolgt war, irritierte sie ein wenig. „Ich hoffe nur, der Kerl will nichts von mir, aber wenn er denkt, dass er irgendein hilfloses Weibchen vor sich hat, irrt er sich gewaltig!" Janeway straffte unwillkürlich die Schultern und bereitete sich darauf vor, einen Angriff abzuwehren ... da sah sie das Schild: „Öffentliches Tierheim der Stadt San Francisco". In elf Minuten würde die Einrichtung öffnen und dann konnte ihr dieser riesige Bursche sowieso nichts mehr anhaben. Der große, fremde Mann stellte sich wortlos neben Kathryn und betrachtete mit fatalistischer Geduld das Schild. Sie konnte jetzt sehen, dass seine Ohren lang und spitz waren und auf seinen Lippen ein grünlicher Schimmer lag: ein Vulkanier... möglicherweise sogar einer dieser geheimnisvollen Turuska! „Sind Sie auch Tierfreund?" fragte Captain Janeway nach kurzem Stillschweigen neugierig. Der Mann schwieg mit undurchsichtigem Gesichtsausdruck, dennoch sprach sie unbeirrt weiter. Der Frust der letzten Tage musste einfach heraus und dazu eignete sich am besten eine Augenblicksbekanntschaft, die einem später nie wieder über den Weg laufen würde, jemand, der völlig irrelevant in Bezug auf das eigene Leben war ... dass der Vulkanier zu ihren Gedanken hintergründig lächelte, entging ihr, so sehr war sie in ihre eigenen Probleme vertieft. „Vor sieben Jahren hatte ich eine wunderbare Hündin – Cora – sie hat mir sehr viel bedeutet. Sie war so ein schönes, treues und liebes Tier. Leider arbeite ich auf einem Raumschiff. Hunde sieht man da nicht besonders gern. Katzen eher, weil man sie auf das Quartier beschränken kann und weil sie problemlos diese automatischen Katzentoiletten benutzen, bei denen man die Fäkalien auf Knopfdruck weg beamen kann ... aber mit Hunden ist das eine richtige Schweinerei. Sie pinkeln in die Ecken der Korridore und hinterlassen überall ihre Häufchen. Auf die Dauer kann man fairer Weise nicht verlangen, dass das jemand wegmacht ..." „Sie sind Captain“, vermutete der Vulkanier gelassen. „Wie kommen Sie darauf?“ „Ganz einfach ... ein Crewman würde gar nicht auf die Idee kommen, dass jemand anderes die Verdauungsprodukte seines Tierchens wegräumen würde."
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„Sie haben recht“, gestand Kathryn reumütig. „Ich bin Captain Janeway von der U.S.S. VOYAGER ... wahrscheinlich haben Sie davon gehört.“ „Sie waren sieben Jahre fort, ihr Tier hat Sie möglicherweise längst vergessen.“ „Es ist noch viel schlimmer: Mein Ex hat Cora, mein Ex und seine neue Frau! Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meine Hündin zurückzufordern, aber das wäre dem Tier gegenüber nicht fair. Es versteht unsere Zwistigkeiten nicht.“ „Und jetzt möchten Sie sich einen neuen vierbeinigen Freund aussuchen ..." „Vielleicht, eigentlich habe ich mich nur irgendwie hierher verirrt ... will mir die Tiere bloß ansehen, davon träumen ..." Janeway verstummte frustriert. „Wenn mein Schiff auf eine Langzeitmission geschickt wird, bleibt nur eine Pension. Früher hatte ich wenigstens noch Marc ... was suchen Sie eigentlich hier. Möchten Sie sich etwa auch ein Haustier anschaffen?" „Möglicherweise ..." antwortete der Vulkanier vage. In dem Augenblick wurde die Tür geöffnet und sie gingen zusammen hinein. Drinnen bellten die Hunde. Sie waren überall: In Zwingern, auf dem Hof und die junge Frau, die offenbar für den Empfang der Besucher zuständig war, hatte auch zwei bei sich. Alle bekannten Rassen und die abenteuerlichsten Mischlinge waren vertreten. Der Vulkanier verzog wegen des Lärms schmerzlich das Gesicht. „Machen diese ... irdischen Lematyas immer solchen fürchterlichen Krach?" fragte er entsetzt. „Haben Sie keine leiseren, sanfteren Geschöpfe?" Die Tierpflegerin sah ihn irritiert an. „Das sind Hunde ... sie sind halt aufgeregt, weil Besuch kommt. Aber wir haben auch Vögel, Meerschweinchen, Kaninchen ... Katzen." „Der frühere Botschafter der Erde auf Vulkan hatte eine schwarze Katze ... Lolita. Ein sehr angenehmes und selbstständiges Geschöpf." „Dann kommen Sie mit", entschied die Frau nach einem kritischen Blick auf den Vulkanier. „Ich muss Sie allerdings warnen! Wir prüfen sehr genau nach, ob es unsere ehemaligen Schützlinge gut haben. Wenn Sie die Katze nicht anständig behandeln, dann werden wir ... haben Sie überhaupt Ahnung von Tieren?" „Ich kann mich mit ihnen verständigen.“ „Das ist ein Witz!“ „Nein", antwortete der Mann würdevoll. „Falls eins Ihrer Tiere mich mag und mit meinen Bedingungen einverstanden ist, werde ich eventuell in Erwägung ziehen ..." Inzwischen waren sie in einem der Zwinger für Katzen angekommen. Ungefähr zwanzig Tiere bewegten sich frei in dem riesigen, mit Kratzbäumen, kuscheligen Wohnhöhlen und Klettergerüsten möblierten Raum. Wie auf Befehl erstarrten alle mitten in der Bewegung und sahen den fremden Mann aus geheimnisvollen, grün oder gelb funkelnden Augen erwartungsvoll an. Kathy beobachtete fasziniert, was nun geschah. Als Erste rührte sich eine kräftige rot getigerte Katze mit grünen, verblüffend intelligenten Augen. Sie balancierte vorsichtig ein dickes Seil entlang zu einem Hochsitz, der sich ganz in der Nähe der beiden Besucher befand, und sprang dem Vulkanier mit einem gewaltigen Satz auf die linke Schulter. Sie beschnupperte ihn kurz und begann sofort, ihren Kopf unter ekstatischem Schnurren an ihm zu reiben. „Das ging aber schnell“, meinte Captain Janeway amüsiert. Der Mann beachtete sie gar nicht. „Du magst meinen Geruch", sagte er leise. „Du liebst meine Wärme und mein Nehau tut dir wohl ... du spürst, dass ich dich schön finde ... die Farbe deines Fells passt zu unserer Wüste und zum Himmel meines Heimatplaneten ..." „Mmmrrrr ..." antwortete die Katze. „Sie heißt Kira“, erklärte die Tierpflegerin beeindruckt. „T'Kira willst du mit mir nach Vulkan gehen und in meinem Zelt wohnen?" „Mrrr ... rrr ... mrrr ..." „Alles klar“, meinte Kathryn. „Das bedeutet eindeutig ja.“ „Das bedeutet es in der Tat ... T'Kira findet das Leben im Tierheim eintönig und ihre Mitbewohner nicht gerade sympathisch. Sie wünscht sich jemanden, der sie liebt." „Er ist doch ein Turuska, ein normaler Vulkanier würde niemals so selbstverständlich über Gefühle reden ... nicht einmal über die einer Katze", dachte Janeway. „Dann wollen wir mal die Papiere fertig machen", erklärte die junge Frau eifrig. „Wenn ich also um Ihre Identicard bitten darf ... brauchen Sie einen Transportbehälter?" „T’Kira“, fragte der Vulkanier sanft. „Ich würde dich ungern einsperren. Versprich mir, auf meiner Schulter sitzen zu bleiben, bis wir in meinem Schiff sind!“
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„Mrrrrrwwwmiau!“ antwortete die Katze und sah ihren neuen Besitzer eindringlich an. „Und Sie?“ fragte der Mann Captain Janeway. „Haben Sie sich schon entschieden?“ Kathryn seufzte. „Ich möchte so gern ... aber die Vernunft gebietet leider ..." „Vielleicht kann ich Ihnen helfen ... ich könnte herausfinden, ob es für Sie in der nächsten Zeit ratsam wäre, sich ein Haustier anzuschaffen." „Sie können uns doch nicht einfach die Kunden vergraulen!“ meinte die Tierpflegerin empört. „Mmmrrrr ..." schnurrte T'Kira behaglich und kratzte vorsichtig an der Jeansjacke ihres neuen Untertanen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie mir bei einer so privaten Entscheidung helfen können!“ meinte Kathryn mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen. „Wer sind Sie überhaupt?“ „Ich bin Piri aus dem Hause Tureg.“ „Der Piri, von dem Madras sprach? Dann war es gar kein Zufall, dass Sie mir gefolgt sind ..." „Ich habe die Schwingungen Ihres Katras und das Spektrum Ihres Nehaus aufgenommen", erklärte der große Vulkanier sanft. „Ich bin jetzt in der Lage, für Sie zu träumen ... allerdings muss ich noch Selmak berühren, um meinen Auftrag vollständig zu erfüllen." Die Tierpflegerin starrte ihn entgeistert an. Am liebsten hätte sie dem aus ihrer Sicht völlig verrückten Kerl die Katze sofort wieder weggenommen. Piri bedeckte T'Kira schützend mit der rechten Hand. Sie brummte leise. „Kommen Sie, Captain Janeway, wir müssen uns unterhalten ... und ich möchte T'Kira in ihr neues Heim bringen." Mit zwei Schritten war der Vulkanier bei ihr und drückte ihren Kopf fest an seine Brust." „Wie können Sie es wagen ..." Eine einzige breite, flimmernde Säule bildete sich und Captain Janeway, der geheimnisvolle Vulkanier und die rot getigerte Katze lösten sich vor den Augen der Tierpflegerin auf. „Mein Gott", murmelte sie erstaunt ... und noch einmal: „Mein Gott!" „Donnerwetter!" flüsterte Captain Janeway, als sie wieder materialisierten. „Was zum Teufel ist das für ein Schiff?" Sie konnte unter sich die blaue Erde sehen ... über sich und um sich herum das tiefschwarze All mit seinen kalt glitzernden Sternen. Es gab einen Pilotensessel, eine weiche Schlafmatte mit einer grünen Decke dahinter, zwei dunkle Truhen, einen Replikator, ein schmales, fremdartig beschriftetes Armaturenbrett ... einen mit Plüsch ausgepolsterter Korb und eine handelsübliche Katzentoilette. „Manche Begegnungen lassen sich nicht vermeiden“, erklärte Piri leise. „Sie haben gewusst, dass Sie eine Katze mitbringen würden?“ „Ich habe geträumt, Sklave einer überaus anmutigen, rothaarigen Frau zu sein. Ich musste ihr Nahrung und Schmuck beschaffen und sie hat mich dafür zärtlich gestreichelt. Ich war glücklich, obwohl sie mir ein goldenes Halsband angelegt hatte ... ich konnte nicht fliehen, aber das wollte ich auch gar nicht." Kathryn konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Es ist ziemlich weit hergeholt, so einen Traum auf eine Katze zu beziehen ... vielleicht begegnet Ihnen morgen schon Ihre Traumfrau und Sie bereuen Ihren Irrtum mit der Mieze." T'Kira warf Janeway einen empörten Blick zu. „Sie verstehen uns noch nicht richtig“, erklärte Piri würdevoll. „Ich als Krieger kann nicht einfach irgendwelche Frauen anmachen. Unser Ehrenkodex verbietet Sex außerhalb der Bruderschaft.“ „Aber Tuvok sagte ..." Piris Gesicht färbte sich vor Verlegenheit noch dunkler. „Dass wir uns wie die brünstigen Lematyas wahllos herum wälzen gehört zu den üblichen Verleumdungen der Philosophiebürokraten. Es tut mir Leid, dass ich Tuvok unabsichtlich die Gemahlin weggenommen habe, aber deswegen bin ich noch lange nicht ehrlos!“ „So habe ich das nicht gemeint", beschwichtigte ihn Janeway. „Es war nur ein Scherz ... trotzdem interessiert es mich, wie Sie auf eine Katze gekommen sind. In dem Korb liegen ja sogar Fellmäuse!“ „Sehen Sie T’Kira nur genau an! Sie ist tatsächlich das Urbild einer anmutigen rothaarigen Frau. Außerdem weiß ich von Ernesto Corvalán ...“ „Dem ehemaligen Botschafter ..." Piri lächelte verlegen. „Ernesto sagte mir, dass Katzen im Unterschied zu Hunden Angestellte hätten ... und keine Herrchen." „Trotzdem ..."
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Piri amüsierte sich immer mehr über Janeways Neugier. „Es war nicht besonders schwierig, herauszufinden, dass es um ein Tier ging. Meine Schöne fraß eine Art bräunlichen Brei aus einem simplen Plastikfutternapf.“ „Mrrrmiau!“ sagte T’Kira fordern. „Du hast ja recht, meine Kleine!" Piri programmierte den Replikator und entnahm ihm ein Schüsselchen mit undefinierbaren, braunen Brocken, die in einer gleichfarbigen Soße schwammen. Dann stellte er eine Schale Wasser daneben. „Es riecht zwar ziemlich unethisch ... aber lass es dir trotzdem schmecken!" Beide sahen zu, wie die Katze gierig fraß und sich dann zufrieden in ihrem Korb zusammenrollte. Janeway überlegte, dass ein Mann, der so liebevoll mit seinem Haustier umging, Vertrauen verdiente. Auch Piri gefiel Janeways Sorge um die schlichteren Geschöpfe ihres Planeten. „Jetzt möchte ich Selmak sprechen“, sagte er ruhig. „Er braucht keine Angst vor mir zu haben. Ich werde seinen Geist nur berühren, nicht überwältigen.“ Janeways Augen leuchteten unheimlich auf. „Ich möchte auch wissen, was die Zukunft für die Tok’Ra bereithält“, sagte eine unnatürlich tiefe Stimme. Ganz vorsichtig berührte Piri das Haar und die Schultern des merkwürdigen Wesens vor ihm. „Dein Nehau ist fremdartig und sehr schön. Ich hoffe, dass Menschen, Vulkaniern und Tok’Ra eine würdige gemeinsame Zukunft bevorsteht.“ Die Katze zuckte im Schlaf angriffslustig mit den Pfoten. „Sie träumt auch“, dachte Piri andächtig. „Vielleicht hat ja auch sie Macht über die Zeit.“ Drei Tage später trafen sich Captain Janeway und Piri in einer gemütlichen kleinen Eisbar. Es war später Nachmittag. Kinder drängelten sich an der Theke, Liebespaare schlürften eng aneinander geschmiegt irgendwelche exotischen Long Drinks und eine umfängliche alte Dame widmete sich hingebungsvoll einem großen Stück Butterkremetorte. Ein diffuses Getöse erfüllte den kleinen, sonnendurchfluteten Raum. Piri studierte nachdenklich die Karte. „Sind Sie auch ganz sicher, dass diese Gerichte keine unethischen Bestandteile enthalten?“ fragte er skeptisch. Janeway verbiss sich mit Mühe ein spöttisches Lächeln: Solche Pingeligkeit wirkte ausgesprochen befremdend bei einem derartig riesigen, gefährlich aussehenden Krieger. „Diese Speisen enthalten kein Fleisch. Lediglich ein wenig Milch und Sahne.“ „Sahne stammt doch von diesen possierlichen Tieren mit langen Ohren“, meinte Piri entsetzt. „Sie sehen nett aus, ich möchte nicht, dass man ihnen meinetwegen etwas antut!“ „Ach Piri", murmelte Kathryn verschwörerisch. „Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Sahne überhaupt von irgendeinem Tier stammt, geht gegen Null ... und falls doch, handelt es sich um Kühe und nicht um Kaninchen. Sie werden nur gemolken und nicht etwa umgebracht." „Ich weiß nicht ... das riecht zwar ganz verführerisch, trotzdem ..." Jetzt lachte Captain Janeway ganz offen. „Soviel ich weiß, essen Vulkanier ziemlich gern Kuchen und Schokolade von der Erde ... was meinen Sie, was da drin ist?" „Na gut“, entschloss sich Piri widerstrebend. „Ich probiere einen kleinen Eisbecher.“ Amüsiert beobachtete Janeway, mit welcher Andacht der Vulkanier jeden Löffel Eis oder Sahne und jede kleine Erdbeere genoss. Erst als die leeren Becher weggeräumt waren und zwei starke Tassen Kaffee vor ihnen standen, war er wieder ansprechbar. „Was haben Sie herausgefunden?“ fragte Captain Janeway neugierig. „Ich sah sieben glitzernde Schlangen die Stufen zum Hauptquartier der Sternenflotte emporkriechen. Sie waren ungefähr acht Meter lang, hatten glühende Augen und gefährlich aussehende Zähne. Ihr zahlreiches Gefolge bestand aus allerlei widerwärtigem, ekligem Getier, hauptsächlich Heuschrecken, Skorpionen und kleinen, giftigen Reptilien. Die Stufen zerbrachen unter dem Gewicht der Bestien, die Mauern wankten, überall lagen Leichen in Sternenflottenuniform, Zivilisten rannten verängstigt durcheinander ... schrille, angstvolle Schreie ertönten. Ich hielt verzweifelt nach Hilfe Ausschau ... plötzlich bildeten sich viele flimmernde Säulen. Männer und Frauen in weißen Mänteln versperrten den Schlangen den Weg ... sie fassten sich an den Händen und starrten ihnen direkt in die Augen. Dann legte sich ein Nebel über die Szenerie und es wurde dunkel." „Sieben Systemlords", flüsterte Selmak unglücklich. „Sieben skrupellose, selbst ernannte Götter ... das ist schlimm, sehr schlimm sogar! Noch nie haben sich so viele auf einmal zusammengetan. Ihre Lage muss völlig hoffnungslos sein, normalerweise führen sie Krieg gegeneinander."
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„Selmak meint, dass sich die Erde auf die Armeen von sieben Systemlords einstellen muss", erklärte Captain Janeway bekümmert. „Ihr Traum sagt mir, dass die Sternenflotte den Kampf verlieren wird ... und die Ah'Maral werden wahrscheinlich auch nicht viel erreichen, sonst wäre nicht die große Finsternis ausgebrochen ..." „Nein“, entgegnete Piri sanft. „Der Traum zeigt deutlich, dass immer noch Hoffnung besteht. Die Zukunft ist noch nicht vollständig festgelegt. Alles, was nach dem Nebel kommt, ist im Fluss. Ich denke, wenn wir klug sind und uns gut vorbereiten, können die Ah‘Maral die Goa’uld aufhalten.“ „Und was kann ich tun?“ „Das Geheimnis bewahren ... und Selmak behilflich sein, insgeheim die richtigen Kontakte zu knüpfen. Er kennt den Feind und wird uns helfen, die beste Strategie auszuwählen." „Ihr wollt die Sternenflotte wieder ausbooten, das gefällt mir überhaupt nicht!" Captain Janeway sah sich unauffällig in der kleinen Bar um und seufzte erleichtert. Sie hatte zwar ziemlich laut gesprochen, aber zum Glück hatte wegen des Lärms, den die Kinder veranstalteten, niemand darauf geachtet ... und ihr Untermieter Selmak schien sowieso ganz genau zu wissen, dass er sich jetzt auf gar keinen Fall zeigen durfte. „Captain Janeway", erklärte Piri fast liebevoll. „Es geht nicht darum, die Sternenflotte zu diskriminieren, sondern ein zusätzliches As im Ärmel zu haben. Eine Strategie, die gegen das Dominion so erfolgreich war, kann womöglich auch den Sieg über die Goa'uld bringen. Der Rat der Anführer wird Selmak voraussichtlich in seine Beratungen einbeziehen. Sie werden bald sehr viel über uns erfahren, soviel, dass Sie den Ah'Maral Treue schwören müssen. Ich hoffe nur ... ich rede mit Madras, dann wissen wir, wie es weitergeht." „Madras", murmelte Kathryn unbehaglich. „Der Mann ist mir unheimlich. Er ist so undurchsic htig, eine einzige Täuschung ... sieht aus, als wäre er gerade dreißig – oder nach vulkanischen Maßstäben höchstens fünfzig – Jahre alt, aber Selmak sagte mir ... und dann tut er so ungeheuer wichtig und geheimnisvoll ..." „Er ist der Beste", versicherte Piri leise. „Über seine Fähigkeiten darf ich leider nicht sprechen aber ..." Jetzt sah Piri Captain ernsthaft an. „Madras ist bestimmt kein Schwindler, niemand, dem Äußerlichkeiten sonderlich wichtig wären oder der gar wegen ein paar Falten zu einem Schönheitschirurgen rennen würde. Alles an ihm ist echt: seine Weisheit, seine Kraft ... und auch seine makellose Schönheit." „Aber wie kann er dann ..." „Ein Narguhl liebt ihn, heilt und stärkt mit seinem warmen, strahlenden Nehau jede einzelne seiner Zellen. Jede Entrückung mit einem solchen Mann ist das, was ihr Menschen einen Jungbrunnen nennt.“ Kathryn schwieg verblüfft. „Ich habe ja schon einige seltsame Dinge über Vulkanier gehört, aber so etwas ..." murmelte sie nachdenklich. „Irgendwie finde ich es ungerecht, dass ein großes Tier wie Madras auch noch die ewige Jugend für sich reklamiert. Es ist nicht fair, wenn die einen alles bekommen und ..." „Frieden, Captain Janeway! Die Zuneigung eines Narguhl kann man nicht kaufen. Sie wirkt nur, wenn sie wahrhaftig und rein ist. Ihr Menschen glaubt doch an das Wunder der Liebe! Ganze Industrien leben davon – ganz abgesehen von euren grauenhaften Schlagern." Piris schwarze Augen funkelten amüsiert. Mit einem Mal sah er überhaupt nicht mehr gefährlich aus. „Ich habe nicht nur für Selmak geträumt ..." Janeway verkrampfte sich unwillkürlich. „Ich weiß nicht, ob ich das wissen will ... wenn es etwas Schlimmes ist ..." „Sie waren zusammen mit zwei kleinen Kindern und einem großen, braunen Hund in einem wunderschönen Garten. Ein Mann war an Ihrer Seite, jemand, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte. Ich weiß nur eins: Seine Haut war tiefschwarz. Irgendwo wartet eine neue Liebe auf Sie, eine Familie ... ein richtiges Heim." „Und die VOYAGER?“ fragte Kathryn traurig. „Man kann nicht alles gleichzeitig haben. Nach den Abenteuern im Deltaquadranten ist es Zeit für die Liebe ... selbst ich spüre, wie laut Ihre Weiblichkeit weint." „Ich bin ..." begann Captain Janeway empört. Dann senkte sie beschämt den Kopf. „Sie haben recht, ich fühle mich wirklich sehr unglücklich und wenn dieser unbekannte Mann ..." „Vielleicht kennen Sie ihn ja bereits“, meinte Piri freundlich.
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Auf Janeways Gesicht spiegelte sich ein merkwürdiges Sammelsurium von Empfindungen wieder: Neugier, Hoffnung, Furcht ... Zärtlichkeit.
Der verlorene Sohn des Hauses Kinsai Sie führten Tuvok in ein unscheinbares, sandfarbenes Zelt. Innen herrschte ein diffuses, gelbliches Licht. Es war angenehm für die Augen, leuchtete jeden Winkel aus und ließ alle Einzelheiten deutlich hervortreten. Als Erstes fiel Tuvok das moderne Computerterminal ins Auge, dann die funktionale, geschmackvolle Einrichtung ... erst ganz zum Schluss wagte er es, die weiß gekleidete uralte Frau anzusehen, die in entspannter Haltung auf einem bunt gemusterten Bodenkissen saß. „Frieden und langes Leben, Tuvok! Ich bin T'Solon, deine älteste Mutter." „Langes Leben und Erfolg!“ antwortete Tuvok vorsichtig. T’Solon strahlte so viel Würde und Weisheit aus, dass es einfach unmöglich war, sie nicht zu respektieren. „Ich freue mich, dass du endlich zu den Zelten deines Clans gefunden hast“, erklärte die älteste Mutter feierlich. „Es ist gut, dass die Nachkommen derjenigen, die man uns vor langer Zeit geraubt hat, endlich heimkehren. Wir konnten sogar das verlorene Haus Kuma wieder neu errichten. Ohne die vielen Nachkommen von Sklaven, die freiwillig ihr Erbgut testen ließen, wäre das nicht möglich gewesen.“ Tuvok erinnerte sich an den Aufruhr, den die Entdeckung uralter, tief gefrorener Spermaproben vor siebenundsechzig Jahren verursacht hatte. Einige dunkelhäutige Mitglieder des Hauses Komor hatten sich testen lassen ... und bei vier Frauen und zwei Männern war eine nahe Verwandtschaft zum Hause Kuma festgestellt worden. Sie hatten sich unverzüglich von ihrem bisherigen Haus losgesagt und waren diesem dubiosen neuen Turuska-Clan beigetreten. Tuvok hatte sie nie wieder gesehen. Er selbst hatte es damals strikt abgelehnt, sich testen zu lassen. Er hielt es für unlogisch, ein angesehenes Haus zu verlassen und einen derartigen zivilisatorischen Rückschritt in Kauf zu nehmen, nur um ... „Du kannst nicht verstehen, warum deine Verwandten das getan haben?“ fragte T’Solon, die ihn die ganze Zeit intensiv angestarrt hatte, ernst. Tuvok zuckte zusammen. Die Vorstellung, dass wieder einmal jemand in seinem Geist wie in einem unverschlüsselten Datenpad las, irritierte ihn gewaltig, aber da er dieser alten Frau sowieso nichts vormachen konnte, war es wohl logisch, offen zu sein. „Ich kann dem Gedanken, einem Haus der Turuska beizutreten, immer noch nichts Positives abgewinnen", erklärte er reserviert. „Das Haus Komor war mir bisher eine zuverlässige Stütze." „Du meinst also, dass es angemessen ist, als Kleinkind einer Gehirnwäsche unterzogen und als Erwachsener von allen Führungspositionen ausgeschlossen zu werden?“ „Mein Erbe ist viel zu wild, als dass man mir restlos vertrauen dürfte.“ „Du hast all die Jahre geglaubt, was man dir erzählt hat? Du hast nie versucht, die Wahrheit über dich und dein Volk herauszufinden?“ fragte T’Solon behutsam. „Vulkanier lügen nicht!“ antwortete Tuvok gekränkt. „Theoretisch ist das so“, stimmte T’Solon ihm gelassen zu. „Surak sagt, dass die Lüge ein unlogischer Umgang mit der Sprache ist. Aber du musst zwei Dinge bedenken: Nicht alle Vulkanier sind wirklich Anhänger Suraks... und aus mancher Sicht mag es überaus logisch sein, die Wahrheit zu verschweigen oder ein wenig zu verdrehen.“ „Bei allem Respekt ..." murmelte Tuvok unzufrieden. „Ehre das Cthia und überlege selbst!" befahl die älteste Mutter streng. „Wenn alles so einfach wäre ... warum hat das Haus Komor dann seine dunkelhäutigen Kinder mit derart grausamen Geschichten konfrontiert? Warum hat man so konsequent an gewissen Machtpositionen festgehalten? Warum hat man euch eingeredet, dass euer Erbe besonders schlecht ist?" Tuvok sah sie verwirrt an ... woher kannte sie seine heimlichen Wunden? „Wir sind dieser Verschwörung gegen unser Volk erst nach dem Krieg richtig auf die Spur gekommen. Viele alte Adelshäuser haben ihre ehemaligen Sklaven nur unter Druck aufgenommen. Man ist dort nicht unbedingt surakfreundlich. Macht und Einfluss dieser Clans sind nach der Reform enorm geschrumpft, liebe Gewohnheiten mussten aufgegeben werden ... und nicht zuletzt gefiel es den ehemals privilegierten Vulkaniern nicht sonderlich, sich um die kleinen Mühen des Alltags selbst kümmern zu müssen. Die Ächtung der Sklaverei war für diese Leute womöglich die größte Katastrophe."
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„Das sind doch alles Hypothesen!“ protestierte Tuvok. „Und die Rassenunruhen vor achtundachtzig Jahren?“ fragte T’Solon scharf. Tuvok schluckte hart. Er war damals noch sehr jung gewesen ... aber er erinnerte sich nun wieder an die beiden von Rassisten ermordeten Kinder. „Das waren Verbrecher ... völlig irrelevant", murmelte er. „Und T’Lursas Verschwörung?“ fragte T’Solon kühl. „Der ganze stinkende Sumpf, der sich damals auftat? Man hätte Vulkan beinahe aus der Föderation geworfen!“ Tuvok sah sie nur unglücklich an. „Hör zu", sagte die älteste Mutter ruhig. Ihre Stimme klang merkwürdigerweise zugleich Respekt einflößend und liebevoll. „Diese Lematyas vom Hause Komor haben dich betrogen und dein Selbstbewusstsein beschädigt. Du bist momentan gar nicht in der Lage, eine logische Entscheidung zu treffen. Ich möchte, dass du die Briefe liest, die Surak vor langer Zeit an T'Guris, die damalige älteste Mutter des Hauses Kinsai schrieb. Ich möchte, dass du dir die Begegnung zwischen Surak und einer Bruderschaft der Ah'Maral ansiehst ... und ich möchte, dass du die Beweise für die Verbrechen des Hauses Sadam und seiner Vasallen an unserem Volk studierst. Erst dann reden wir noch einmal über deine Aufnahme." „Surak?“ fragte Tuvok ehrfürchtig. „Ihr habt echte Aufzeichnungen von Surak?“ „Auch Surak wurde nach seinem Tod verfälscht“, antwortete T’Solon ernst. „Vulkan ist nicht ganz das, was es zu sein scheint. Und nun geh und erfülle den ersten Auftrag deiner ältesten Mutter! Tapa wird dir alle Beweisstücke aushändigen.“ Mit einer wahrhaft königlichen Handbewegung entließ sie den verunsicherten Tuvok. Draußen war es heiß, wie in einem Backofen und man konnte T'Khuth als riesige, halb durchsichtige Kugel am gelblichen Himmel hängen sehen. „Ich bin in die Fremde heimgekehrt", murmelte Tuvok verwirrt. „Alles löst sich auf, alles verändert sich ... und das Cthia." Als Tuvok endlich den letzten Brief Suraks gelesen und die uralte, audiovisuelle Aufzeichnung zum elften Mal abgespielt hatte, fühlte er sich elend und ausgelaugt. Die Familie zu verlieren war das eine ... und irgendwie hatte er seit der Heimkehr aus dem Deltaquadranten damit gerechnet. Aber nun geriet sein gesamtes Weltbild ins Wanken. „Es ist möglicherweise genau umgekehrt!" sagte er erstaunt zu Tapa. „Wenn all das echt ist, sind die Turuska bei weitem nicht so gewalttätig wie die hellhäutigen Bewohner Vulkans. Die Symbiose mit den A`Kweth hat ihnen geholfen, nach der verheerenden Sonneneruption zu überleben und ihre Kultur enorm bereichert. Sie haben ihre sanften und freundlichen Kinder nicht getötet." „Richtig“, bestätigte Tapa leise. „Die Wege der Philosophiebürokraten sind nicht unsere Wege. Surak hat das ausdrücklich gesagt. Sämtliche Gefühle zu verstoßen ist keine Errungenschaft der Zivilisation, sondern ein Akt nackter Verzweiflung. Nichts spricht dafür, dass aus dir eine Bestie wird, wenn du ihnen Raum gibst.“ „Aber einmal hat mich der Geist eines soziopathischen Betazoiden überwältigt ... ich habe die Kontrolle verloren und zu Captain Janeway unverzeihliche Dinge gesagt." „Das warst nicht du!“ erklärte Tapa mitfühlend. „Hast du noch andere Momente erlebt, wo deine Mentalkontrolle beeinträchtigt war?“ „Ich wurde im Deltaquadranten einmal mit einer fremdartigen Schockwaffe angegriffen ..." „Und wie warst du danach?“ „Ich war albern", murmelte Tuvok unbehaglich. „... habe über die unlogischsten Witze gelacht ... und ich habe für die Mannschaft Torten gebacken und Eisspezialitäten erfunden. Aber ich fühlte mich unglücklich, weil ich so vieles nicht mehr konnte." „Und wenn es möglich wäre, die Schärfe der Logik mit dieser Leichtigkeit zu verbinden?" lockte Tapa behutsam. „Du musst nicht alle Gefühle verstoßen ..." „Aber in meinem Inneren sind diese grausamen Bilder ..." „Du warst noch ein Kleinkind, als man dich mit diesen Scheußlichkeiten konfrontiert hat. Sie haben sich zwar tief in dein Katra gebrannt ... aber es sind nur Geschichten, nicht deine eigenen Wünsche und Fantasien." „Meine Lehrer ... es fällt mir schwer, zu glauben ..." „Es wird Zeit, dass du etwas über die Häuser Sadam und Komor erfährst", erklärte Tapa heftig. „Die Wahrheit und nicht diese kitschigen Märchen! Das Haus Sadam bestand zum größten Teil aus perversen Verbrechern ... sie hatten ein ziemlich großes Fürstentum, eine Privatarmee von
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Halsabschneidern ... und sie waren so reich, dass sie ihre Sklaven nach Lust und Laune getötet haben. Das Haus Komor stellte vor allem die Spezialisten für langweilige und gefährliche Schmutzarbeit ... Sklaventreiber, Erfinder von Waffen und Folterwerkzeugen, Betreiber von Samenbanken ... so genannte Genetiker." Tuvoks Gesicht färbte sich abrupt noch dunkler, als es schon war. Inzwischen wusste er einiges über die schamlosen und grausamen Methoden dieser dubiosen Forscher. Wenn das Haus Komor tatsächlich in so etwas verwickelt war ... „Ich schlage vor, du liest T'Lomaks Tagebuch", entschied Tapa ernst. „Sie war eine Sadistin, die gefangene Turuska zu ihrem Vergnügen gefoltert und getötet hat. Nicht alle Ideen stammten von ihr selbst. Der Name eines gewissen Tulpa aus dem Hause Komor wird mehrmals mit Begeisterung und Dankbarkeit erwähnt ..." „Die Frau, die man zu den Lematyas brachte ..." Tapa nickte. „Sie folterte eigenhändig einen jungen Mann namens Koras so lange, bis er wahnsinnig wurde. Danach ließ sie ihm das Rückgrat brechen und schickte ihn so zurück zu seinem Volk. Jemand, der diesen Jungen sehr geliebt hatte, tötete ihn aus Mitleid und schwor dem Haus Sadam Ashv’cezh, Rache schlimmer als der Tod.“ „Das klingt entsetzlich ..." „Ja“, antwortete Tapa schlicht. „Und nun begeben wir uns am besten zu den Höhlen des Hauses Raban und sehen uns einige Beweisstücke an.“ Tapa hatte Tuvok lange durch ein Labyrinth von dunklen Gängen geführt. Dann schloss er eine schwere Eisentür auf und schaltete das Licht ein. Sofort war der unregelmäßig geformte Raum in grelles, weißes Licht getaucht. In einer Ecke lag ein riesiger Ballen aus sandfarbigem Stoff. „Temos Zelt“, flüsterte Tapa verstört. „Niemand wollte es danach mehr benutzen.“ Tapas Haut färbte sich plötzlich fast weiß, er zitterte und sein freundliches, sanftes Gesicht war nass von Schweiß und Tränen. „Ich wollte es dir erklären, aber ich kann das nicht“, sagte er mit seltsam heiserer Stimme. „Ruf uns, wenn du hier fertig bist.“ Wortlos legte er einen Kommunikator auf den mit Kunststoff überzogenen Eisentisch und verschwand eilig in der Dunkelheit. Tuvok machte sich daran, mit der Akribie eines ehemaligen Sicherheitsoffiziers die Beweise zu prüfen. Schon nach kurzer Zeit wurde ihm regelrecht übel. Er versuchte verzweifelt, sein Entsetzen, seine Scham und seinen Ekel zu verstoßen. Er war noch ein kleines Kind gewesen, als der Fall Temo durch die Medien nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet wurde. Seine Eltern hatten ihm in dieser Zeit den Zugang zum Datennetz verboten, um Schäden an seinem Katra zu verhindern ... dennoch hatte er das eine oder andere aufgeschnappt. Jetzt war ihm auch klar, was mit Tapa los war: Er war eines der Opfer gewesen und der Anblick dieses Zeltes und seiner Einrichtung ... plötzlich tat er ihm nur noch Leid. Trotz allem, was er bisher in seinem über hundertjährigen Leben erlitten und ertragen hatte ... nichts hatte sein Kohlinar bisher so sehr erschüttert. „Vielleicht ist es sogar ein Verbrechen, solchen Schandtaten logisch und emotionslos gegenüberzustehen", dachte er unvermittelt und wunderte sich gleichzeitig, dass er zu einem so unvulkanischen Gedanken überhaupt fähig war. Nur zögernd, fast angstvoll griff Tuvok nach dem Tagebuch jener Frau, deren Geschichte ihn von Kindheit an mit Scham über die Bösartigkeit seines eigenen Volkes erfüllt hatte ... aber er musste das Cthia ehren ... nur so war eine logische Entscheidung möglich. Tuvok las mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen: „... In letzter Zeit ist es schwer, geeignete Sklaven zu finden. Diese verfluchten Krieger machen uns das Leben immer schwerer. Ich meine, es ist doch eine Zumutung, für etwas, das nur als Dekoration für ein kleines Familienfest oder eine Liebesnacht gedacht ist, für eine Wegwerfware, dermaßen viel Geld auszugeben! Neulich musste ich notgedrungen unseren uralten, inzwischen völlig unbrauchbaren Hausmeister an die Haken hängen, um meinem neuen jungen Liebhaber zu imponieren. Er rümpfte die Nase, als er das schwarze, faltige Gestell sah ... und als ich ihm die Elektroden angelegt habe, hat er sogar weggesehen. Aber dann hat ihn mein kunstvoll programmierter Stromfluss doch beeindruckt ... und das klägliche, verständnislose Gejammer unserer Dekoration hat ihn ordentlich heiß gemacht. Es hat ihn amüsiert, dass der verdammte Turuska sich tatsächlich eingebildet hat, dass ihm nach hundertfünfzig Jahren Sklavenarbeit für das Haus Sadam ein wenig Dankbarkeit zustünde. Marka war ein großartiger Lieb-
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haber, aber ich vergesse nicht den angeekelten Blick, mit dem er am nächsten Morgen den armseligen Kadaver betrachtet hat. Ich habe ihn so schnell wie möglich in den Müll werfen lassen. Nein, ich bin meinen Jägern schon dankbar, dass sie diesmal etwas ganz Besonderes aufgetrieben haben ... einen echten jungen Krieger. Er soll Koras heißen, aber der Name interessiert mich eigentlich nicht. Er war anfangs ziemlich stur, aber seit er seinen Mentalblocker intus hat ... er sieht wunderschön und beruhigend wehrlos aus, wie er nackt mit gespreizten Armen und Beinen am Fußende meines Bettes hängt. Es ist nicht zu übersehen, dass ihm vor Angst regelrecht übel ist ... deshalb habe ich mit einigen praktischen kleinen Vorrichtungen verhindert, dass er meine seidenen Laken beschmutzen kann. Ich freue mich schon sehr darauf, an ihm herumzuspielen. Am besten gebe ich ihm zusätzlich ein Aufputschmittel, damit er mir nicht gleich am ersten Tag krepiert. Nein, dieses prächtige Stück Fleisch sollte mindestens drei Wochen durchhalten. Für meinen Liebsten und mich wäre es wirklich gut, wenn wir uns einmal ausgiebig unserer Lieblingsbeschäftigung widmen könnten. Wenn ich ihm erlaube, ab und zu selbst Hand anzulegen, wird er begeistert sein ... und aufhören, diesen jungen Dingern hinterher zu schauen ..." Es war der Atem des echten, alten Vulkan vor Surak, der Tuvok frösteln ließ. Theoretisch über den gewalttätigen und bösartigen Charakter der Vulkanier nachzudenken war etwas ganz anderes, als die realen Aufzeichnungen dieser Bestie zu lesen. Bereits nach wenigen Seiten konnte Tuvok den Mann, der sie den Lematyas zum Fraß vorgeworfen hatte, problemlos verstehen. Sie hatte Peitschen verwendet, elektrischen Strom, Feuer, Gift ... und jedes Mal ausführlich die Wirkung beschrieben. Und dann gab es noch diese kleinen Gerätschaften an Kabeln oder Schnüren, die sie in irgendwelche Körperöffnungen schob. Sie hatten scharfe Stacheln, erhitzten sich, vibrierten dabei heftig, sonderten scharfe Säuren ab ... Tulpa aus dem Hause Komor war der Erfinder und Hersteller dieser widerlichen Apparate ... und Temo hatte sie benutzt. Tuvok zitterte am ganzen Körper, als er eine graue Kiste öffnete und ihren Inhalt auf dem schweren, mit Kunststoff überzogenen Metalltisch ausbreitete. Er musste sich abwenden, die Augen schließen. In ihm war nur Hass auf T'Lomak und ihre Handlanger aus dem Hause Komor... Hass und unsägliches Mitleid mit den Opfern. Plötzlich drängte sich ihm ein Gedanke auf, der so ungeheuerlich war, der alles an seinen richtigen Platz rückte, den letzten Schleier beiseite riss ... „Wenn ich wirklich so ein grausames Naturell hätte, wie diese Lematyas von Lehrern behauptet haben, müsste mir doch gefallen, was ich lese und sehe. Es müsste mich erregen ... aber ich bin nur entsetzt und wütend. Ich fühle wahrscheinlich das Gleiche, was Captain Janeway an meiner Stelle ... ich fühle ganz ähnlich wie ein Mensch! Auch wenn ich das Kohlinar ... nein, T'Solon hat recht. Die anderen sind die Soziopathen ... jedenfalls einige von ihnen ... zum Beispiel Erzieher, die Kleinkinder mit grausamen Lügenmärchen voll stopfen ... ich habe keinen Grund, mich meiner dunklen Haut zu schämen ... ich darf fühlen ... leben ..." Mit einer fahrigen Bewegung aktivierte er den Kommunikator. „Ich möchte bitte zurück zu den Zelten des Hauses Kinsai. Ich habe alles verstanden.“ Kurze Zeit später betrat Eyro den Raum. „Tapa fühlt sich nicht wohl“, erklärte er mit neutraler Stimme. „Aron hilft ihm, sich ein wenig zu entspannen.“ „Es ist alles meine Schuld“, murmelte Tuvok verlegen. „Wenn ich nicht diesen ganzen Unsinn gedacht hätte, wäre es nicht nötig gewesen, die alten Scheußlichkeiten auszugraben.“ Eyro warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. „Ich bin nur ein simpler Berührungstelepath ... ich weiß also nicht, was in deinem Kopf ablief. Allerdings war nicht zu übersehen, dass du Aron damit ziemlich verärgert hast ... und da er Tapa sehr liebt, wird er jetzt nicht gerade mit Wohlwollen an dich denken." Eine winzige Spur Wärme stahl sich in Eyros Augen. „Komm, wir gehen in meine Privaträume, da können wir uns in Ruhe unterhalten." „Er wurde auch auf traditionelle Weise erzogen“, erkannte Tuvok und empfand plötzlich ein warmes Mitgefühl für den Heiler. „Wie bist du eigentlich zu den Turuska gelangt?“ fragte Tuvok neugierig, als sie beim Kaffee zusammensaßen. „Ich habe mich in T’Mura verliebt“, antwortete Eyro still. Tuvok sah ihn verblüfft an. „Du hast deine Gemahlin selbst erwählt? Warst verliebt?" Er dachte flüchtig an eine hellhäutige Mitschülerin und daran, welch merkwürdige Empfindungen sie in ihm
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hervorgerufen hatte. Seine Eltern hatten ihn damals das erste Mal zu einem wirklichen KohlinarMeister gebracht, dem Mann, dessen Anweisungen er bis vor kurzem rückhaltlos vertraut hatte. „Mein Meister sagte mir, dass Liebe das schädlichste aller Gefühle wäre, dass es nichts gäbe, was die Entropie im Universum stärker erhöhen würde ..." „Bei wem warst du?“ fragte Eyro ruhig. „Ahram aus dem Hause Baldur“, erklärte Tuvok stolz. „Er ist ziemlich bekannt, aber du hättest trotzdem irgendwann noch jemand anderes konsultieren sollen. Silmoh aus dem Hause Markab bewertete die Liebe bei weitem nicht so negativ.“ „Silmoh war dein Lehrer ... deine Eltern müssen sehr einflussreich sein." „Mein Vater war Heiler wie ich. Er hatte die Gelegenheit, der Familie des Meisters einen Dienst zu erweisen. Silmoh nahm danach alle Schüler an, die das Haus Karm oder später das Haus Kinsai ihm schickten. Madras war in seiner Jugend ebenfalls bei ihm.“ „Der berühmteste Kohlinar-Meister unserer Zeit ..." murmelte Tuvok beeindruckt. „Was hat er über die Liebe gesagt?" Eyro seufzte leise. „Er hielt sie zumindest nicht für gefährlicher, als andere Gefühle ... und er gab zu, dass die Familie ohne ein gewisses Maß an Zuneigung nicht funktioniert. Über Entrükkungen habe ich mit ihm nie gesprochen ... das wäre mir viel zu peinlich gewesen. Ich hatte eigentlich gar keine Ahnung, bevor ich mit Taru intim wurde. Wir waren acht Jahre ein Paar ..." Der Heiler wurde plötzlich grün vor Verlegenheit. „Später kam Piri und nahm mich auf unbeschreibliche Art in Besitz ..." „Warum hast du dich von deiner Gemahlin getrennt und dich diesen unlogischen Verbindungen zugewandt?“ fragte Tuvok behutsam. „Ich war krank", antwortete Eyro spröde. „Mein Katra wurde während meines ersten Pon Farr beschädigt. Taru hat mich gerettet ... aber da war T'Mura bereits fertig mit mir. Sie hat mich einfach verstoßen." Nach einer nachdenklichen Pause fuhr er leise fort: „Die Liebe des Kriegers und mein kleiner Sohn Tapa waren alles, was ich noch hatte. Es war logisch, ihm zu vertrauen ... alles Übrige hat er bewirkt. Die Krieger verfügen über geheime mentale Techniken, mit denen sie dafür sorgen, dass der Partner willig ist ... offen für ihren Speer." „Dieser Taru hat dich verführt und seitdem missbrauchen dich die Krieger ..." sagte Tuvok empört. „Das ist barbarisch!" Eyros Haut färbte sich noch ein wenig dunkler. „So einfach ist das nicht. Ich liebe meine Brüder und Schwestern, vor allem Piri und ..." Der Heiler verstummte verlegen, starrte intensiv auf den Boden, als er kaum hörbar fortfuhr: „Ich wollte es dir eigentlich sofort sagen ... aber dann war ich froh, dass du erst ein paar Fragen gestellt hast ... und ... ich ..." Er hob abrupt den Kopf und sah Tuvok offen in die Augen. „T'Pel und deine Tochter Eyzel haben den Krieg überlebt. Sie waren nicht zu Hause, als die Jem'Hadar euer Viertel zerstört haben. Piri hat die beiden zu uns gebracht ... T'Pel ist eine wahre Tochter des Hauses Kuma: Sie bestand darauf, den Tod ihrer Söhne zu rächen und ist eine Kriegerin für ihr Volk und Vulkan geworden." Tuvok wusste inzwischen nur zu gut, was das bedeutete. „Heißt das, meine Gemahlin paart sich regelmäßig mit einem oder zwei Dutzend wildfremder Männer?“ „Es war ihre eigene freie Entscheidung, Piris Bruderschaft beizutreten", antwortete Eyro, der sich inzwischen gefasst hatte, kühl. „Du warst nicht dabei, als die Krieger ohne Clan wie unzählige Rudel Lematyas über uns hergefallen sind. Du hast keine Ahnung, was die Bewohner dieses Planeten durchgemacht haben. Du hast die Wahnsinnigen nicht gesehen ... nicht diejenigen, die sich aus Selbsthass verstümmelt oder getötet haben ... nicht die anderen, die völlig die Kontrolle verloren und wie im Rausch ihre Mitvulkanier vergewaltigt und getötet haben! Piri hat das einzig Richtige getan ... sonst hätte eine so schöne junge Frau wie T'Pel nicht ohne Verletzung ihrer weiblichen Würde ..." Plötzlich verstand Tuvok alles und ein archaischer Impuls aus der Vorzeit überwältigte ihn. „Du wälzt dich schamlos mit meiner Gemahlin herum!" sagte er eiskalt. „Du entehrst mich ... und verlangst auch noch von mir, dass ich dankbar sein soll. Das ist völlig inakzeptabel ... dafür werde ich dich töten!" Eyros Gesicht verhärtete sich auf subtile Weise. „Wenn du einen Kampf auf Leben und Tod willst, stehe ich dir selbstverständlich jederzeit zur Verfügung“, erklärte er steif. „Meinetwegen können wir das sofort erledigen", antwortete Tuvok noch ein wenig steifer. „Je eher ich mit dir fertig bin, desto besser ... wähle bitte die Waffen!"
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Der Heiler entnahm einer alten Truhe zwei völlig gleiche, kunstvoll ziselierte Dolche und warf einen davon mit einer lässigen Bewegung Tuvok zu. „Wir sollten eine der unbewohnten Höhlen nehmen. Ich habe kein Verlangen, hinterher dein Blut von meinem Teppich zu wischen.“ „Es wird wohl eher umgekehrt sein ..." „Du hast bloß eine Sternenflottenausbildung – ich bin ein Ah’Maral.“ „Dein bisschen Kampfsport kann man doch an jeder Provinzschule lernen“, behauptete Tuvok mit hämischem Grinsen. „Hör endlich auf zu reden“, entgegnete Eyro betont würdevoll. „Es ist an der Zeit, zu handeln.“ Demonstrativ langsam öffnete er die Tür. „Geh voran, wenn du es wagst!“ Tuvok drehte sich gelassen um und schickte sich an, in den finsteren Gang hinauszutreten. Plötzlich bildete sich direkt vor ihm eine flirrende Säule, die sich zu der Gestalt einer zierlichen Frau in einem weißen, seidigen Mantel verdichtete. „T'Pel!" flüsterte Tuvok. „Meine Gemahlin ..." T’Pel funkelte die beiden Streithähne wütend an. „Hört sofort mit dem Unsinn auf! Beide!“ „Meine männliche Ehre wurde verletzt“, protestierte Tuvok würdevoll. „Ich bin schon lange nicht mehr deine Gemahlin“, entgegnete die Frau ruhig. „Es ist unlogisch, wegen deiner Hirngespinste zu riskieren, dass jemand verletzt wird.“ „Es sind keine Hirngespinste ... ich liebe dich, ich möchte dich zurückhaben." „Das ist nicht allein deine Entscheidung, Tuvok ... und das mit der Liebe kommt reichlich spät. Wo warst du, wenn meine Weiblichkeit sich nach dir gesehnt hat? Du hättest deinen KohlinarMeister heiraten sollen, er hat dir immer wesentlich mehr bedeutet als ich." Ganz beiläufig nahm T'Pel den beiden Männern die Dolche weg und warf sie mit heftigem Schwung zurück in die Truhe. „Wenn du Eyro etwas antust, bekommst du es mit unserer ganzen Bruderschaft zu tun ... auch mit mir. Irgendjemand von uns wird dann schon dafür sorgen, dass dein Katra im nirgendwo verweht." „T’Pel, ich kann für mich selbst einstehen!“ protestierte Eyro. „Halte dich da heraus! Das ist eine Sache zwischen meinem ehemaligen Ehemann und mir!“ Die junge Frau fixierte Tuvok herausfordernd. „Ich komme nicht wieder zu dir zurück. Ich verzichte nicht auf das Feuer der Krieger, auf ihre Zärtlichkeit und ihr Verständnis. Sie wissen den hungrigen Schoß einer Frau wenigstens zu würdigen.“ „Ich habe mich geändert“, erklärte Tuvok sanft. „Ich habe eingesehen, dass viele meiner Ansichten falsch waren. Ich bin jetzt ein Sohn des Hauses Kinsai... wir sollten einen neuen Anfang wagen.“ „Nein, Tuvok. In deinen Adern fließt nur dünnes Wasser, kein Blut. Wenn deine Männlichkeit irgendwie relevant wäre, wärst du gar nicht in der Lage gewesen, so gleichgültig in mir herumzustochern. Ich war für dich nur ein Brutkasten für deine Nachkommen ... und wo sind sie jetzt? Der Krieg hat sie gefressen!" Eine flüchtige Trauer huschte über das ebenmäßige Gesicht der jungen Frau. „Für jedes verlorene Kind habe ich dreißig Jem'Hadar mit eigener Hand getötet. Piri hat mir einen neuen Sohn geschenkt und in meinem Leib wächst eine Tochter meines liebsten Bindungspartners Juan vom Hause Boras heran. Ich bin im Einklang mit mir und völlig zufrieden mit meinem Leben. Das lasse ich mir von dir nicht wegnehmen ... niemals." „Aber du hast mich früher einmal gern gehabt ..." murmelte Tuvok schwach. „Du hast nicht nur meine Kinder empfangen, du hast mehrmals liebevoll mein Selbst bewahrt ..." „Ach ja", antwortete T' Pel ironisch. „Diese andere nette Funktion einer Gemahlin hatte ich ganz vergessen ... diese Entrückungen, die steif und zeremoniell anfingen und jedes Mal in üble Misshandlungen ausarteten. Das Tier in dir war nicht gerade anziehend. Bei den Ah'Maral erledigen das die Männer zumeist unter sich. Das ist mir wesentlich lieber." „Du hast mir einmal Treue geschworen“, sagte Tuvok traurig. „Aber das bedeutet dir wohl nichts mehr.“ „Es bedeutet mir tatsächlich nichts mehr", antwortete T'Pel würdevoll. „Ich bin mit Schaman, dem allerersten Ah'Maral verwandt. Er ist mein Vorbild, mein Leitstern ... mein Lehrer." „Ich verstehe“, flüsterte Tuvok unglücklich. „Ich entschuldige mich bei dir, Eyro und ziehe meine Herausforderung zurück.“ „Einverstanden“, antwortete der Heiler sanft. „Wir können immer noch Freunde werden.“ T’Pel wandte sich dem Ausgang zu, drehte sich jedoch im Türrahmen noch einmal um. Einen Augenblick verschob sich ihr weißer Mantel und Tuvok erkannte deutlich die Anzeichen einer
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ziemlich weit fortgeschrittenen Schwangerschaft. „Ich gehe jetzt heim zu den Zelten des Hausers Boras. Juan und meine Kinder warten auf mich. Ich empfehle dir, die Bindung an mich durch Aron entfernen zu lassen, dann wird es dir leichter fallen, dich einer anderen Frau zuzuwenden. Vergiss nicht, du bist jetzt frei wie ein Luftgleiter. Frieden und langes Leben, mein ehemaliger Ehemann!“ Jemand, wahrscheinlich Juan, beamte T’Pel aus dem Korridor. Tuvok hockte sich frustriert auf den Boden und vergrub das Gesicht in beiden Händen. „Alles ist so sinnlos", murmelte er. „Es nützt überhaupt nichts mehr, dass ich mich geändert habe. Niemand will mich ... meine T'Pel hat mich verstoßen ... gerade jetzt, wo ich anfange, zu begreifen, was sie für mich sein könnte ... es ist nicht gerecht." „Ich verstehe dich ja", tröstete ihn Eyro brüderlich. „Ich habe dasselbe durchgemacht, als T'Mura einfach mit einem seltsamen, blauen Außenweltler fortging. Wenn Taru nicht gewesen wäre ... ich finde dich überaus anziehend, Tuvok ... was hältst du davon, Piris Bruderschaft beizutreten? Meine Liebe würde dein wundes Katra heilen ... und auch T'Pel dürfte dich nicht im mer abweisen." Tuvok starrte den Heiler mit einer Mischung aus Ekel und Empörung an. „Habe ich das richtig verstanden? Ich soll eure unappetitlichen Entrückungen ertragen, um ab und zu ein paar Krümel von Piris und Juans Tisch zu bekommen? Für wen hältst du mich? Ich bin Sternenflottenoffizier und keine Matratze für einen verfluchten Schwulenclub! Ich sterbe lieber, als dass ich so etwas mit mir m achen lasse!“ Eyro konnte nichts dagegen tun, dass Tuvok zum Ausgang stürmte und das große eiserne Außentor wütend hinter sich zuwarf. Er alarmierte sofort die älteste Mutter des Hauses Kinsai. „Verzeih mir, T'Solon! Ich habe wahrscheinlich alles falsch gemacht ..." Die Felsen waren tiefschwarz, glasig und sehr glatt. Tuvok, der noch niemals in der Nähe der Zelte des Hauses Raban gewesen war, musste sich auf jeden Schritt und jeden Griff konzentrieren. Er spannte die Muskeln an, schob sich einen schmalen Sims entlang, sein Fuß suchte Halt in winzigen Mulden, die Finger krallten sich an kaum sichtbaren Vorsprüngen fest. Ganz langsam bewegte er sich die steile Wand hinauf ... wie ein seltsames Insekt, das immer weiter kriecht, obwohl es gar nicht weiß, wohin es eigentlich will. Einmal wagte Tuvok einen Blick nach unten. Es ging mindesten vierzig Meter steil nach unten und überall lagen Felsbrocken herum ... einen Absturz hätte er auf keinen Fall überlebt. „Wenn ich jetzt loslasse, ist alles vorbei", dachte er flüchtig. „Es wäre ein Unfall ... eine saubere Lösung. T'Pel müsste sich keine Vorwürfe machen ..." Der Gedanke an seinen blutigen, zerschmetterten Körper bewirkte, dass er sich noch fester an das glatte Gestein klammerte, entschlossen weiter aufwärts kletterte. Das war auf jeden Fall leichter, als der Weg zurück. Es war unvernünftig gewesen, sich ohne Kletterausrüstung in die Berge des Hauses Raban zu wagen, aber Tuvok fühlte sich seltsam wohl dabei. Die akute Gefahr überflutete seinen Körper mit Stresshormonen, erzeugte euphorische Gefühle ... und lenkte ihn erfolgreich von seinem Elend ab. Als er den Gipfel, ein schwach konvex gewölbtes Plateau von etwa drei Metern Durchmesser erreichte, bot sich ein weiter Rundblick: Felsen, die wie schwarzer Lack glänzten, sanfte Dünen aus dunklem, feinem Sand, ein orangefarbener Abendhimmel ... erste Sterne. Von Tuvoks Position aus waren keinerlei Spuren einer Zivilisation zu erkennen. Die wenigen sandfarbenen Zelte vor dem großen eisernen Tor zu den Höhlen wurden von einer niedrigeren Bergkuppe verdeckt und die Zelte der anderen Clans lagen hinter dem Horizont verborgen. Die Turuska waren viel zu vorsichtig, um überflüssige Spuren zu hinterlassen. „Ihre wilden Reflexe funktionieren immer noch", überlegte Tuvok verwundert. „Sie möchten nicht entdeckt werden und vor allem diese herrlichen untervulkanischen Seen und Quellen vor neugierigen Blicken verbergen, diesen unglaublichen Reichtum, der nicht einmal in den Datenbanken Vulkans aufgezeichnet ist." Tuvok setzte sich hin und umschlang die Knie mit den Armen. Es war so friedlich hier oben! „Am liebsten würde ich bis ans Ende meiner Tage sitzen bleiben ..." Die Erinnerung an die vor kurzem erlittene Schmach ließ ihn zusammenzucken, als wenn ihn ein spitzer Pfeil verwundet hätte. „Ich habe mich wie ein Kleinkind aufgeführt ..." überlegte er frustriert. „Ich kann es diesen Leuten nicht übel nehmen, dass sie sich um T'Pel und Eyzel gekümmert haben. Eyro hat wahrscheinlich recht, wenn einer dieser Amokläufer ... er hätte sie womöglich beide missbraucht und danach weggeworfen wie Abfall ... wie Schlacke der Entropie. Ich hätte es noch weniger ertragen können, wenn irgendwelche Psychopathen ... wer
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hätte gedacht, dass unter der Oberfläche immer noch ... und dass es sich in einer so abscheulichen Eruption Bahn brechen würde. Unsere Zivilisation war zerbrechlich wie Glas. „Wir waren so stolz auf unsere Logik, unsere Emotionslosigkeit unseren Entwicklungsstand ... wir hielten uns für die Spitze der Evolution im Alphaquadranten ... dabei war all der Schmutz nur in einer dünnen, gläsernen Hülle eingeschlossen und als die zerbrach, hatten wir keinerlei Widerstandskraft mehr, haben uns unlogischer und unmoralischer als Menschen verhalten. Was sage ich, sogar die Cardassianer haben mehr Anstand und Würde bewiesen, als die Jem'Hadar sie angriffen." Tuvok verstummte und betrachtete nachdenklich das Farbenspiel am Horizont. Zwei Luftgleiter badeten ihre glitzernden Flügel im Abendlicht. „Du bist so frei wie ein Luftgleiter, hat T'Pel gesagt ... frei ... aber ich kann nicht fliegen." Der Mann auf der Bergkuppe seufzte leise. Er wusste, dass es nicht mehr darauf ankam und dass ihn sowieso niemand hörte. „Ich habe meine Gemahlin enttäuscht, ich bin in ihren Augen kein richtiger Mann, nur ein armseliger Krüppel. Ihre größte Angst war, wieder mit mir unter einem Dach oder unter einer Zeltplane leben zu müssen. Dabei dachte ich, ich könnte um sie kämpfen, ihr irgendwie imponieren. Sie hat mich wie ein unartiges Kleinkind angesehen, mir das Messer einfach weggenommen ... aber es hätte auch nichts gebracht, Eyro zu töten ... er ist nett ... wahrscheinlich ein guter Arzt ... nützlich für sein Volk, während ich ... ich habe mich aufgeführt, wie ein Urvulkanier ... ein Angehöriger der Sternenflotte darf so etwas nicht ... ich bin nicht nur ein jämmerlicher Mann, sondern auch ein sehr schlechter Offizier ..." Über das starre Gesicht Tuvoks huschte ein Schatten. „Captain Janeway hielt meine Ansichten über die neue Ordnung auf Vulkan für ziemlich irrelevant ... verbohrt, intolerant ... was würde sie wohl über mich denken, wenn sie wüsste, dass ich mich bei meinen neuen Verwandten wie ein Verrückter aufgeführt habe, wie ein beleidigter Pascha ... jemand, dessen Ehre an den Genitalien hängt." Plötzlich konnte er sich nicht mehr vorstellen, Janeway je wieder in die Augen zu sehen. „Sie hielt immer so viel von mir, hat meinen Rat gesucht ... dabei bin ich noch dümmer als ein Sehlath. Ich habe die ganze Zeit gar nicht selbst gedacht, nur die Meinung meines Kohlinar-Meisters wiedergekäut ... wie eins dieser Tiere von der Erde, die dasselbe Gras immer wieder ..." Er versank in dumpfes Brüten. „T'Pel verabscheut mich, Captain Janeway wird es wahrscheinlich auch tun ... ich bin für sie nicht einmal ein richtiger Mann ... T'Pel hat gesagt, ich hätte Wasser in den Adern ... ich kann mich selbst nicht leiden ... Ich hasse mich! Ich sollte es zu Ende bringen ... es lohnt sich nicht ... die Mühe des Abstiegs ... da kann ich gleich hier oben ..." Inzwischen war es fast Nacht geworden. Tuvok wusste selbst nicht, warum er seine Sternenflottenuniform und die Unterwäsche auszog, alles sorgfältig auf einen Stapel packte, den Kommunikator obenauf legte und sich ein Stück entfernt nackt auf den Rücken legte. Er warf einen letzten Blick auf die vertrauten, glitzernden Sterne des heimatlichen Nachthimmels und schloss die Augen. Er war bereit für den Tod ... dass seine Uniform sich plötzlich in einem Flirren auflöste, bemerkte er nicht mehr. Bei jedem Vulkanier sieht die innere Welt ein wenig anders aus. Es hängt von seiner Persönlichkeit ab, seinem Gesundheitszustand, seiner momentanen Stimmung, seinen Erlebnissen ... seinem Leben. Tuvok fand sich in einem riesigen Borg-Kubus wieder. Giftig grünes, flackerndes Licht schimmerte in den unübersichtlichen, mit Rohren und Leitungen vollgestopften Gängen, ab und zu klapperte ein Ventil, zischte Dampf oder Plasma ... und dann hörte er die dumpfen Schritte hinter sich, Stiefel, die auf Eisen trafen ... regelmäßiges Stampfen, wie von einer Maschine ... Tuvok rannte, bis ihm die Lungen brannten, kletterte Leitern empor, bog blitzschnell in Seitengänge ab, kroch unter undefinierbaren Konsolen hindurch, schob sich mühsam durch Kraftfelder ... aber das Dröhnen der Schritte hörte nicht auf, wurde immer lauter ... kam näher und näher. Eine kleine, verschwommene Gestalt rannte ihm über den Weg und Tuvok folgte ihr. Sie hatte kein richtiges Gesicht und die Proportionen ihres Körpers veränderten sich ständig ... nur das lange, blonde Haar ... „Meine erste Liebe!" dachte Tuvok euphorisch. „Ich habe damals sogar um sie gekämpft ... mich mit meinem Meister gestritten ... vielleicht weiß sie ja den richtigen Weg." Irgendwo musste doch eine Tür sein, die hinaus führte ... heim zu den Sternen ... ins Vakuum. Irgendwo musste der Tod sein, der all die Schmach abwusch ... der ihn von seiner entwurzelten Existenz befreite, der T'Pel ein Wort des Bedauerns entlockte ... oder Captain Janeway einen ihrer typischen, ungemein emotionalen Blicke, vielleicht sogar eine Träne.
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Plötzlich stand Tuvok vor einer massiven Wand aus Metall ... und er sah die Drohnen unaufhaltsam näher kommen ... Widerstand war zwecklos ... sie würden ihn wieder assimilieren und diesmal würde ihm kein Gerät des Doktors helfen ... Es waren sechs, drei Männer und drei Frauen. Ihre Gesichter waren nicht grau und fleckig, wie es sich gehörte ... die Haut sah warm und lebendig aus ... auch das unversehrte Auge ... und nun erkannte er sie: Aron, Eyro, Tapa, T'Solon, T'Pel ... und Captain Janeway, die ihn besorgt ansah. „Tuvok, was machen Sie hier! Sie sind noch nicht fertig. Sie müssen sofort zurück in die Reifungskammer. Das ist ein Befehl!" „Ich komme nicht mit", sagte Tuvok zitternd. „Ich weiß nicht, wer ihr seid und was ihr aus mir machen wollt ... zeigt mir lieber den Weg nach draußen." „Ich bin dein Freund“, entgegnete Eyro sanft. „Ich habe mich in dich verliebt, du bist kraftvoll und anmutig zugleich, dein Haar ist wie schwarzer Samt und deine Augen...“ „Nein!" flüsterte Tuvok verängstigt. „Ich kann das nicht ... allein der Gedanke daran, dass ein Mann meine Intimität ... lieber sterbe ich." Eyro wandte sich enttäuscht ab. „Wir sind deine Ältesten, du musst uns gehorchen!“ forderten T’Solon und Tapa energisch. „Ich kann nicht ..." „Ich verzeihe dir und ich möchte, dass du deine Tochter Eyzel besuchst ... sie braucht dich." In T'Pels vulkanischem Auge stand warmes Mitgefühl. „Dass ich mit dir nicht mehr leben möchte, bedeutet nicht, dass ich dir etwas Schlechtes wünsche. Ich möchte, dass du weiter lebst und mit einer guten Frau die Liebe erprobst." Captain Janeway sagte gar nichts, stellte sich nur ganz dicht neben Tuvok, rieb sich behutsam an ihm und sah ihm liebevoll in die Augen. „In Ordnung, wir nehmen ihn jetzt mit und stecken ihn in die Reifungskammer“, erklärte Aron kühl. „Wenn er erst ein richtiger Mann ist, wird Kathryn mit uns zufrieden sein.“ Seine Hände waren hart und stark wie Schraubstöcke. Er packte Tuvok... der rechnete schon damit, dass die Assimilationsröhrchen hervorschießen und sich in seinen Hals bohren würden, dass sich die Borg-Implantate schmerzhaft durch seine Haut zwängen würden... aber der Furcht erregend harte Kerl setzte lediglich ein Hypospray an, es zischte leise und dann wurde es dunkel. „So sieht also der Tod aus“, war Tuvoks letzter Gedanke.
Tuvok, mon amour ... Kathryn Janeway liebte das kleine Hotel „Mercedes" in der Altstadt von Bonn. Es hatte nur vierzehn Zimmer, von denen die meisten auf einen kleinen, romantischen Innenhof hinausgingen. Palmen in Terrakottakübeln, Bambus, unzählige Geranien in Töpfen und ein sanft plätschernder Brunnen schufen eine südländische Atmosphäre. Sie liebte es, abends hinunterzugehen und im Schatten der Palmen ein kühles Glas Weißwein zu trinken. Manchmal wandelte sie abends andächtig durch den Hofgarten, bewunderte die herrlichen Kastanienbäume und beobachtete die Pärchen, die sich reichlich ungeniert auf der großen Liegewiese vergnügten. Den Gedanken an ihr Haus in Indiana schob sie beiseite. Zu viel erinnerte sie dort an die Nächte mit Marc. Sicher, sie müsste einmal nach dem Garten sehen ... aber wenn die Nachbarn sich sieben Jahre lang darum gekümmert hatten, konnten sie es auch einige Tage länger tun. „Es ist doch sonst nicht deine Art, Probleme einfach auszusitzen“, bemerkte Selmak besorgt. „Vielleicht solltest du das Haus verkaufen, wenn du mit den Erinnerungen nicht zurechtkommst. Das ist immer noch besser, als sich hier zu verkriechen.“ „Ich mag das Hotel und ich habe Urlaub", widersprach Kathryn sanft. „Und außerdem hat der Konferenzraum eine Kommunikationsanlage, die einer Raumbasis würdig wäre. Zu Hause habe ich nur das notwendigste installieren lassen, um ein wenig mehr Privatsphäre zu haben ..." „Aber du hast Urlaub ..." erinnerte Selmak. Kathryn seufzte. „Ich habe immer noch keine Nachricht von Tuvok. Er ist seit mindestens drei Tagen auf Vulkan ... verdammt, er meldet sich nicht bei mir und er hat seinen Kommunikator deaktiviert. Das ist doch sonst nicht seine Art!" „Vielleicht hat er seine Frau wiedergefunden. Es ist doch ganz natürlich, wenn er da nicht gerade an seine Chefin denkt ..." mutmaßte Selmak. „Er weiß aber, dass ich mir Sorgen um ihn mache und er ist Vulkanier", widersprach Captain Janeway. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er in einem Anfall wilder Leidenschaft alles Übrige vergisst ... nein, das würde nicht zu ihm passen."
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„Soviel ich weiß, droht ihm auf seinem Heimatplaneten keine direkte Gefahr", murmelte Selmak tröstend. „Vergiss nicht: Das ist die Föderation und nicht das Orion-Syndikat! Hab Geduld ... alles wird sich fügen.“ „Theoretisch hast du recht, aber ich halte das nicht mehr lange aus. Wenn ich nicht bald etwas erfahre, nehme ich das nächste Kurierschiff nach Vulkan!“ „Das wäre keine schlechte Idee", murmelte Selmak versonnen. „Tuvok scheint dir extrem wichtig zu sein und ich könnte mich auch an ihn gewöhnen ... er ist schön und er riecht gut." „Selmak!“ protestierte Kathryn scharf. „Tuvok ist nur ein Freund!“ „Schade!“ murmelte die Schlange und zog sich beleidigt zurück. „Zum Teufel mit diesem Untermieter!" dachte Janeway verärgert. „Am besten, ich gehe ins Bett und vergesse den ganzen Quatsch. Vielleicht hat ja Selmak recht und die Hormone haben ihn voll im Griff. So genau kenne ich die vulkanische Physiologie auch nicht ... und sieben Jahre Enthaltsamkeit führen vielleicht doch zu einem gewissen Stau." Merkwürdigerweise gefiel ihr dieser Gedanke überhaupt nicht. Ein schrilles, nervtötendes Klingeln weckte sie am nächsten Morgen. Schlaftrunken und verärgert schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und aktivierte die Verbindung zur Rezeption. „Ich hoffe, es ist etwas Wichtiges, schließlich habe ich Urlaub!" Die dunkelhäutige, junge Frau sah sie ernst an. „Für Sie kommt eine Subraumnachricht vom Planeten Vulkan herein. Ich schlage vor, Sie begeben sich in den Konferenzraum.“ Kathryn wurde blass. „Ist es Tuvok?“ fragte sie ängstlich. „Nein, es ist ein gewisser Aron aus dem Hause Boras. Er weigert sich strikt, mir zu sagen, worum es geht.“ „Sagen Sie ihm, dass ich in drei Minuten zur Verfügung stehe." Das war an der Akademie die Standardzeit, um im Ernstfall kampfbereit zu sein. Als sie in ihre Uniform schlüpfte und mit dem Kamm durch ihr halblanges Haar fuhr, saß jeder Handgriff. Dann stürmte sie mit Riesenschritten den Gang entlang. Der Konferenzraum war zum Glück leer. Sie verriegelte ihn hinter sich, bevor sie den riesigen Bildschirm aktivierte. Das Gesicht des Fremden war schmal und dunkel. Sehr helle Augen von undefinierbarer Farbe sahen sie kühl und forschend an. „Captain Janeway von der U.S.S. VOYAGER?" fragte er in neutralem Ton. „Ja, die bin ich ..." antwortete Kathryn reserviert. „Frieden und langes Leben!“ sagte der Fremde förmlich und spreizte die Finger zum typisch vulkanischen Gruß. „Ich bin Aron aus dem Hause Boras, Gedankentechniker und Ah’Maral. Ich möchte, dass Sie so schnell wie möglich nach Vulkan kommen.“ „Tuvok!" murmelte Kathryn unglücklich. „Ich wusste, dass da irgendetwas nicht stimmt ..." „Das ist korrekt", bestätigte der Vulkanier sachlich. „Tuvok hat versucht, sich in den Abgrund ohne Wiederkehr zu stürzen. Ich habe ihn gewaltsam daran gehindert ... und nun liegt er in meiner Praxis. Er reagiert leider nicht mehr auf logische Argumente, deshalb war ich gezwungen, ihn mit Beruhigungsmitteln und Mentalblockern von weiteren Attacken gegen sich selbst abzuhalten. Eine akzeptable Lösung ist das nicht ... die Medikamente haben unglücklicherweise auf Dauer schlimme Nebenwirkungen." „Aber was kann ich da tun?“ murmelte Janeway bedrückt. „Was ist überhaupt passiert?“ „Er hat seine ehemalige Gemahlin und seine kleine Tochter Eyzel wiedergefunden ..." begann Aron und berichtete ihr ausführlich, was mit ihrem taktischen Offizier seit seiner Ankunft auf Vulkan passiert war. „Der Wahrträumer Piri?" fragte Janeway neugierig, als Aron mit seinem Bericht fertig war. „Den kenne ich, er ist ziemlich eindrucksvoll ..." Aron lächelte zynisch. „Er ist vermutlich so heißblütig und einfallsreich, wie ein Anführer der Ah'Maral sein soll. Kein Wunder, dass T'Pel nicht auf ihn und seine Waffenbrüder verzichten möchte. Ich kann nicht verstehen, dass jemand die Weiblichkeit einer so anziehenden Frau einfach verhungern lässt. Die meisten Philosophiebürokraten hüten sich, ihre Gemahlinnen zu verärgern ... aber Tuvok musste den ganzen Blödsinn ernst nehmen." „Er hat nur um sich fortzupflanzen, mit ihr geschlafen ..." „Ja ... und sie durfte die Drecksarbeit erledigen und ihm beim Pon Farr sein makellos logisches Selbst zurück in seinen wirren Schädel stopfen. Aber darüber hinaus hielt er Entrückungen für die reine Inkarnation der Entropie." Arons Gesichtsausdruck wurde unvermittelt weicher, als er
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fortfuhr. „Tuvok hat im Großen und Ganzen seine Fehler eingesehen. Er hat das Haus Kinsai als neue Familie akzeptiert, seine Meinung über die Turuska geändert ... und sogar verstanden, dass es nicht logisch ist, alle Gefühle zu verstoßen. Dennoch hat ihm das wenig genutzt. T'Pel will ihn nicht mehr, sie ist einfach fertig mit der Vergangenheit." „Tuvok liebt seine Frau immer noch und nun will er sterben, weil sie ihn verlassen hat ..." „Das ist es wohl nicht allein. Tuvok hat sich völlig irrational aufgeführt, wollte sich mit einem Mitglied seines neuen Clans, das rein zufällig in Piris Bruderschaft ist, auf Leben und Tod duellieren. T'Pel hat auf etwas rigorose Weise Frieden gestiftet und dabei ein paar besonders unangenehme Wahrheiten laut ausgesprochen. Nun schämt er sich ..." „Ich komme nach Vulkan", entschied der Captain energisch. „Ich sehe zwar nicht, was ich für ihn tun kann, aber ich sollte wenigstens versuchen ..." „Sie sind die Einzige, die noch etwas bewirken kann", widersprach Aron unerwartet sanft. „Ich habe Tuvoks Geist genau untersucht. Es gibt nur drei Frauen, die ihm wirklich etwas bedeuten: Die Tochter des terellianischen Botschafters ... diese Liebe hat er auf Geheiß seines KohlinarMeisters verstoßen. Sie ist nach über achtzig Jahren nur noch eine vage Erinnerung. Dann gibt es noch T'Pel, die ihn definitiv nicht mehr liebt. Tuvok wird sich seiner Gefühle für sie entledigen müssen, wenn er überleben will ..." „Und die dritte Frau?“ fragte Kathryn und versuchte krampfhaft, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Sie wissen es doch längst ... die dritte Frau sind Sie." Kathryn spürte, wie sich die Schlange in ihrem Inneren erwartungsvoll aufrichtete. „Ich hätte es doch gemerkt, wenn unsere Freundschaft einen sexuellen Aspekt ..." flüsterte sie. „Ein verheirateter Vulkanier wird niemals zugeben, dass eine andere Frau als seine Gemahlin ihm etwas bedeutet", erklärte Aron nachsichtig. „Ich musste, um ihn zu retten, ganz tief in seine innere Welt vordringen und zu meiner großen Überraschung habe ich Sie dort vorgefunden. Tuvok liebt Sie ... er hat Sie von Anfang an geliebt." „Mein Gott", murmelte Janeway frustriert. „Sie können doch nicht einfach von mir verlangen ... ich meine, ich mag Tuvok und er tut mir furchtbar Leid ... ich würde ihm gern helfen, aber das geht entschieden zu weit! Er ist überhaupt nicht mein Typ." Arons helle Augen sahen sie spöttisch an. „Sie denken doch nicht etwa an ihre üblichen weißen Bildungsbürger, die dauernd mit Mombasirup herumschmieren? Es gibt andere Möglichkeiten, einer Frau zu zeigen, wie anziehend man sie findet." Kathryn stemmte entschlossen die Hände in die Hüften und funkelte den Vulkanier entrüstet an. „Ich weiß zwar nicht, was Sie damit sagen wollen, aber ich protestiere ..." Weiter kam sie nicht. „Ich weiß alles, was Tuvok weiß, vergessen Sie das bitte nicht! Wie oft haben Sie jegliche Vorsicht außer acht gelassen und ihre Mannschaft in Gefahr gebracht, nur um Tuvok zurück zu bekommen? Als Sie die VOYAGER vor sieben Jahren in den Plasmasturm gesteuert haben, befand sich Ihr Sicherheitsoffizier nicht einmal in akuter Lebensgefahr ... schließlich bestand der Maquis aus ehemaligen Bürgern der Föderation und nicht aus irgendwelchen wilden Bestien. Aber Sie konnten den Gedanken nicht ertragen, dass Chakotays Schiff mit ihm verschwinden würde." Aron schwieg einen Augenblick, dann bemerkte er kalt: „Sie sollten sich endlich über ihre Gefühle im Klaren werden. Immerhin haben Sie wegen Tuvok einen völlig unschuldigen Mann hinrichten lassen. Es hat Sie nicht einmal interessiert, dass er laut um sein Leben gefleht hat." „Ich habe so etwas niemals getan!“ „Sie vergessen Tuvix ..." sagte Aron ruhig. „Tuvok denkt oft an ihn, quält sich, weil der andere seinetwegen geopfert wurde ..." „Tuvix war das Ergebnis eines Transporterunfalls", entgegnete Janeway hitzig. „Er hatte kein Recht, da zu sein ... und außerdem wollte Kes ihren Neelix zurück." „Aber wegen Kes haben Sie es nicht getan", antwortete Aron eindringlich. „Glauben Sie mir, ihre schnelle Entscheidung verrät Sie ... und dass Sie nicht einmal ernsthaft nach einer Möglichkeit gesucht haben, das Leben von Tuvix zu erhalten. Der Gedanke, dass Ihr geliebter Tuvok in dieser fremden Person steckt, war Ihnen so zuwider, dass Sie ihn so schnell wie möglich vom Schiff haben wollten! Genau genommen war das ein Verbrechen ... nur ein Übermaß an Zuneigung würde erklären ..." Kathryn sah den Vulkanier erschüttert an. „Das ist nur Ihre Theorie ..."
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„Ich bin schon sehr lange das, was man auf der Erde einen Psychiater nennt", belehrte sie Aron kühl. „Ich kenne die verdeckten Gefechte, die sich das Unterbewusstsein mit dem Gewissen liefert, sehr genau. Ihre Liebe zu Tuvok hat Sie zu dieser fragwürdigen Handlungsweise getrieben ... eine Liebe, die Sie sorgsam verdrängen, weil sie nicht mit Ihren anerzogenen Wertvorstellungen übereinstimmt." „Ich bin keine Rassistin!“ protestierte Janeway empört. „Das habe ich auch nicht behauptet. Aber Sie haben feste Vorstellungen, was zu Ihnen passt. Es ist menschlich, weiß, männlich, mittleren Alters, humanistisch gebildet ... und es verteilt großzügig Komplimente. Sie haben zu viele Romane gelesen, Captain! Mit Ihren wirklichen Bedürfnissen und Gefühlen hat das sehr wenig zu tun." „Das ist alles nicht wahr ..." sagte Kathryn beleidigt. „Dann besteht ja keine Gefahr für Sie. Fliegen Sie nach Vulkan und kümmern Sie sich um Ihren Brückenoffizier. Wenn ich Unrecht habe, sind keinerlei Verwicklungen zu befürchten.“ „Und wenn ich nicht nach Vulkan fliege?“ „Dann werden Sie mit dem Gedanken an Tuvoks sinnlosen Tod weiterleben müssen. Ich kann ihm nicht mehr helfen ... und uns läuft die Zeit weg." „Gut, ich nehme das nächste Kurierschiff", erklärte Kathryn ergeben. „Aber nur, weil ich nicht diejenige sein will, der man einfach die Schuld an einer Sache gibt ..." „Nein“, plötzlich wirkte der Gedankentechniker sehr besorgt. „Das Kurierschiff ist viel zu langsam. Sie fliegen mit Piri in seinem Kampfflieger. Ich habe das bereits arrangiert.“ „Dieser winzige Katzentransportbehälter!“ „Ein zugegebenermaßen unbequemes Schiff“, sagte Aron ruhig. „Aber für ein reines Katra sollten Sie das auf sich nehmen. Frieden und langes Leben, verehrter Captain!“ Der Bildschirm erlosch abrupt. Aron hatte die Verbindung unterbrochen. Piri holte ein Captain Janeway unbekanntes Gerät hervor, drückte auf einige Schaltflächen und studierte einen winzigen Monitor. „Mist“, sagte er ärgerlich. „Sie hat schon wieder vergessen, was diese Tonfolge bedeutet. Meine Katze ist nicht halb so intelligent, wie sie guckt.“ Er seufzte leise, berührte eine leuchtend violette Fläche. „Na gut“ murmelte er. „Dann eben auf die harte Tour. Ich weiß, dass du diese Frequenz überhaupt nicht leiden kannst.“ Einen Bruchteil einer Sekunde später waren sie in dem winzigen Raumschiff. Hinter den durchsichtigen Wänden leuchteten die Sterne. Die Erde lag wie eine riesige, blau gemusterte Kugel unter ihnen. „Ich weiß nicht", murmelte Captain Janeway unbehaglich. „Ich habe das Gefühl, nackt durch den Weltraum zu gondeln ... irgendwie gefällt mir das nicht besonders." Piri lachte leise. „Keine Sorge, das Material ist wesentlich stabiler als die Hülle der VOYAGER ... und es ist auch nur in einer Richtung durchsichtig. Diese Konstruktion hat sich im Gefecht sehr bewährt. Selbst bei Totalausfall der Sensoren kann der Kampf weitergehen.“ Die rothaarige Katze saß immer noch brav in ihrem Korb und sah Piri erwartungsvoll an. „Mrrrrau“ schnurrte sie leise. „Tut mir Leid, meine Kleine", erklärte Piri sanft. „Das mit der Intelligenz habe ich nicht so gemeint. Schließlich kannst du nicht wissen, was passiert, wenn wir genau an der Stelle materialisieren, wo du gerade herumkugelst. Komm, jetzt gibt erst einmal was Nettes zu essen ... und Tante Kathy kennst du ja bereits." „Er ist genauso verrückt wie ich", dachte Captain Janeway amüsiert. „Ich habe mit Cora auch über alles geredet ... wie mit einer guten Freundin. Vielleicht wird der Flug doch ganz amüsant." Laut fragte sie: „Wie lange sind wir eigentlich bis Vulkan unterwegs?" „Sieben Stunden und vierzig Minuten ... wenn alles gut geht", sagte Piri munter und streichelte das weiche rot getigerte Fell seiner Katze. „Zeit genug, um noch einiges zu klären. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie nach dem Gespräch mit Aron noch Fragen haben." Er setzte sich in den Pilotensessel und aktivierte die Kontrollen. „Für Sie bleibt leider nur die Matratze", entschuldigte er sich. „Machen Sie es sich bequem ... und kümmern Sie sich bitte um T'Kira. Ich habe keine Ahnung, wie ihr der Warpflug bekommen wird." Kathryn setzte sich, Kira kletterte freiwillig auf ihren Schoß, kuschelte sich zärtlich an sie und schnurrte behaglich. Unvermittelt verschwand die vertraute Umgebung und es sah aus, als würden Myriaden von Sternen an der Außenhaut vorüberrasen. „Sie können doch nicht mitten im erdnahen Raum auf Maximum Warp gehen!“ protestierte sie
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empört. „Es sei denn, Sie wollen uns umbringen und noch ein paar andere Schiffe mit ins Verderben reißen!“ Piri berührte gelassen eine blinkende Fläche und schwenkte seinen Sessel herum. „Keine Sorge, wir fliegen mit Autopilot“, beruhigte er Kathryn. „Uns kann nichts geschehen, wir sind getarnt. Wir verwenden eine Technik, bei der das Schiff aus der Phase geschoben ist. Selbst wenn wir mitten durch die Sonne fliegen, kann nichts passieren.“ „Ich erinnere mich, dass die Sternenflotte vor einigen Jahren in dieser Richtung geforscht hat“, überlegte Captain Janeway. „Es gab sogar einen Prototyp, die PEGASUS. Im Interesse des Friedens mit den Romulanern wurden die Pläne auf Eis gelegt.“ „Und trotzdem hat die Föderation angesichts der Kriegsgefahr heimlich ein neues Schiff mit einer solchen Tarnvorrichtung gebaut, die U.S.S. DEFENDER. Captain Lairis war so freundlich, uns die Unterlagen zur Verfügung zu stellen.“ „Das durfte sie gar nicht! Sie konnte doch nicht einfach ohne den Segen des Hauptquartiers einen interstellaren Vertrag brechen ... schon gar nicht mit einem so bösartigen Partner ..." Piri lächelte amüsiert. „Die Ah'Maral sind kein Teil der Streitkräfte der Föderation, insofern galt der Vertrag nicht für uns. Wahrscheinlich hätten Sie uns an ihrer Stelle die Unterlagen trotzdem nicht gegeben, aber wir hatten Glück: Als ehemalige bajoranische Widerstandskämpferin verstand Captain Lairis unser Anliegen sehr gut. Sie wusste, dass man gegen eine Übermacht wie das Dominion nur eine Chance hat, wenn man ihr einige nette Überraschungen bereiten kann." „Wenn sie es nicht getan hätte ..." „Ohne die getarnten Kampfflieger hätten wir die Erde unmöglich vor den Breen beschützen können“, erklärte Piri. „Manchmal ist ein wenig Insubordination wichtig für das Überleben. Guerillakämpfer wie die Ah’Maral und die Widerstandskämpfer auf Bajor haben da ein sehr feines Gespür für den richtigen Moment.“ „Ja, wahrscheinlich ..." murmelte Janeway unbehaglich. „Sie sollten froh sein", tröstete sie Piri. „Es ist uns gelungen, Córdoba zu retten ... und das ist schließlich die Hauptsache." „Córdoba?“ fragte der Captain irritiert. „Das ist nur eine Metapher“, antwortete Piri locker. „Eine Kollegin von mir sah, wie eine Reiterarmee der Ah’Maral unter der Führung von T’Kuro die Wechselbälger vernichtete und siegreich durch die Tore von Córdoba ritt.“ „Aber so etwas ist doch überhaupt nicht passiert!“ „In gewisser Hinsicht schon: T’Kuro hatte den Oberbefehl über die sieben Kampffliegergeschwader, die im in eurem Sonnensystem operierten.“ „Das ganze Leben ist eine Metapher“, meldete sich Selmak unerwartet zu Wort. „Kluge Schlange!“ bemerkte Piri anerkennend. Captain Janeway gewöhnte sich langsam daran, auf Piris Matratze wie auf einem fliegenden Teppich durchs All zu rasen ... auf gleichem Kurs mit einem mystischen Krieger, seinem Pilotensessel, einem Katzenkorb, einer Katzentoilette, einigen Kisten und ein paar merkwürdigen Armaturen. T'Kira schien der Warpflug nichts auszumachen. Sie schlief friedlich auf Kathys Schoß und fing ab und zu im Traum mit zuckender Pfote eine imaginäre Maus. Es war still und friedlich in dem kleinen Raumschiff. Piri war in seine Konsole vertieft und Janeway hing ihren Gedanken nach. „Dieser Aron ist irgendwie unverschämt", überlegte sie. „Erst behauptet er, besser als ich zu wissen, was gut für mich ist ... und dann sagt er auch noch, ich wäre eine Mörderin. Zugegeben, Tuvix war den meisten Crewmitgliedern sehr sympathisch und ganz objektiv war er ja auch freundlicher als Tuvok und weniger nervig als Neelix. Einige haben mir damals meine Entscheidung ziemlich übel genommen, aber ich wusste nicht, dass auch Tuvok ... ich hatte doch damals gar keine Wahl!" „Sie hätten versuchen können, Tuvix die Informationen über Neelix und Tuvok zu entnehmen, sie in die Musterpuffer zu laden und die beiden wiederherzustellen, ohne ihn zu vernichten“, antwortete Piri auf ihre Gedanken. „So einfach ging das nicht", widersprach Janeway. „Ich hätte Tuvix auf jeden Fall erst einmal im Transporterstrahl auflösen müssen ... die VOYAGER verfügte über keine Technologie, um aus einer realen Person etwas zu extrahieren."
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„Aber Sie hätten Tuvix vielleicht duplizieren können – so wie vor einigen Jahren ein gewisser Riker bei einem Transporterunfall dupliziert wurde. Danach hätten Sie das Duplikat in Tuvok und Neelix aufspalten können ..." „Vielleicht hätte das Duplikat ebenfalls um sein Leben gejammert und ich hätte am Ende ein ganzes Schiff voller Tuvixe gehabt“, wehrte sich Kathryn unbußfertig. „Außerdem denke ich, dass unsere Speicherkapazität für solche Spielchen nicht ausgereicht hätte.“ „Sie hätten abwarten können, bis Sie unterwegs auf eine fortgeschrittene Spezies stoßen“, bemerkte Piri vorsichtig. „Aber ich brauchte Tuvok!“ „Sie können nicht allen Ernstes behaupten, dass seine Arbeit nicht von anderen Crewmitgliedern hätte mit erledigt werden können ... zumindest vorübergehend." „Sie lassen wohl nie locker“, seufzte Janeway. „Selbst wenn meine Entscheidung falsch war, ich kann sie nicht rückgängig machen. Ein Captain muss mit seinen Befehlen leben. Er wird handlungsunfähig, wenn er sich selbst ständig infrage stellt.“ „Als Anführer einer Bruderschaft der Ah'Maral kenne ich diese Problematik ebenso gut wie Sie", antwortete Piri sanft. „Ich habe während des Dominionkrieges mehrere meiner Brüder in den sicheren Tod schicken müssen, aber das war in Momenten akuter Gefahr für mein Volk, Vulkan ... die Föderation. Auch wenn es sehr weh tat, diese Bindungspartner zu verlieren, auch wenn ich jedes Mal ein wenig selbst gestorben bin ... ich bereue nichts. " „Zum Teufel!" Kathryns Augen funkelten ärgerlich. „Warum reitet ihr auf dieser TuvixGeschichte herum, die ich sowieso nicht mehr ändern kann? Okay, es war eine harte Entscheidung und vielleicht hat Aron ja recht, wenn er meint, dass ich immer ein wenig abhängig von Tuvok war ... ich habe mich mit ihm einfach sicherer gefühlt." „Abhängig ist sicher das falsche Wort ... Sie haben seine Nähe genossen." „Aber ich habe dabei nie an Sex gedacht!“ Piri lächelte hintergründig. „Liebe verbirgt sich manchmal hinter merkwürdigen Masken, vor allem, wenn der kulturelle Hintergrund nicht stimmig ist. Tun Sie mir bitte einen Gefallen und beschreiben Sie Ihren taktischen Offizier!“ „Er ist mittelgroß", sagte Janeway ergeben. „Seine Haut ist samtig schwarz, das kurz geschnittene Haar so kraus, dass es wie Plüsch aussieht. Manchmal habe ich darüber nachgedacht, wie es sich wohl anfühlt ... eventuell wie der Teddybär, den ich als Kind hatte." Piri lächelte amüsiert. „Weiter!“ befahl er ruhig. „Tuvok ist gut durchtrainiert", fuhr Kathryn nachdenklich fort. „Aber sein Knochenbau ist zart, seine Hände ... er hat ausgesprochen schöne Hände." „Sympathische Hände sind wichtig ..." ergänzte der Vulkanier sanft. „Sie stellen die Nähe her, berühren intim, bereiten die Entrückung vor ..." Janeway errötete heftig. „Und jetzt das Gesicht!" forderte Piri ungerührt. „Ich kenne diesen Mann nur aus T'Pels Erinnerungen und da war sie nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Ich möchte jetzt wissen, wie Sie Tuvok sehen." „Im Profil ist es makellos schön", antwortete Janeway um Ehrlichkeit bemüht. „Seine Nase hat einen geradezu aristokratischen Schwung ... allerdings sieht sie von vorn ganz breit gelaufen aus ... ein bisschen knollig ... ziemlich witzig. Wahrscheinlich gibt es im gesamten Universum nur eine einzige derartige Nase." „Und der Mund?“ „Weich ... und dennoch verschlossen. Und bevor Sie mich fragen ... ja, er hat schöne schwarze Augen. Aber man muss ihn schon in einem unbeobachteten Augenblick ertappen, um ein wenig Gefühl darin zu entdecken." „Aha, Sie haben ihn also beobachtet.“ „Und jetzt denken Sie, dass Sie mir etwas beweisen können!" entgegnete Janeway mit angriffslustig funkelnden Augen. „Du hast den Duft vergessen“, erinnerte Selmak genüsslich. Piri grinste hintergründig. „Ich hoffe, Sie haben sich die schleimigen Bildungsbürger ebenso genau angesehen ..." Die Schlange kicherte leise.
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Am Abgrund ohne Wiederkehr Aron beugte sich über den reglos daliegenden Tuvok. „Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät", sagte er zu dem neben ihm stehenden Tapa. „Ich bin nur froh, dass er so durcheinander war und nicht auf den Gedanken gekommen ist, den Kommunikator rechtzeitig wegzuwerfen ... allerdings sind solche Fehlhandlungen manchmal ein unbewusster Hilferuf." „Du meinst, er will in Wirklichkeit gerettet werden?“ „Vielleicht ... aber dann weiß er es selbst nicht." Aron sah seinen Anführer Tapa eindringlich an. „Was immer Tuvok – oder ein Teil von ihm – wirklich gedacht haben mag, er ist schon weit weg, wir müssen uns sehr beeilen! Ich gehe jetzt rein und suche ihn. Ich möchte, dass du über unsere Sicherheit wachst und dass du mir hilfst, ihn an irgendwelchen Dummheiten zu hindern.“ „Du meinst, er wird vor dir weglaufen und sich in den Abgrund ohne Wiederkehr stürzen", sagte Tapa verständnisvoll. „Er ist noch nicht lange bewusstlos, sicher hat er noch die Kraft ..." „Denk nicht an die Vergangenheit", warnte Aron ärgerlich. „Du hattest viel mehr Grund, den Abgrund zu wählen als dieser verwöhnte Philosophiebürokrat. Na schön, ihm ist die Gemahlin weggelaufen ... aber daran ist er schließlich selbst schuld." „Frieden Aron! Auch wenn du wütend auf meinen Verwandten bist, müssen wir ihn retten. Sag mir, was ich tun muss.“ Der Gedankentechniker gab ihm ein Hypospray. „Wenn ich Tuvok gefunden habe, werde ich seinem Abbild im Geist ein Medikament verabreichen. Du musst in der Realität das Gleiche tun." „Was ist da drin?“ fragte Tapa besorgt. „Ein starker Mentalblocker", antwortete der Gedankentechniker ungerührt. „Ein wenig Beruhigungsmittel ... und eine Droge, die seine Muskeln vorübergehend lahm legt. Ich habe keine Lust, mich hier oben mit ihm zu prügeln und mir wegen seiner elenden Unlogik den Hals zu brechen." „Und die Nebenwirkungen?“ fragte Tapa besorgt. „Die sind auf jeden Fall weniger gefährlich als seine Lebensmüdigkeit ... oder ein Sturz von dieser verdammten Bergkuppe." Aron legte die Finger der rechten Hand auf die Nervenpunkte in Tuvoks Gesicht und murmelte feierlich: „Dein Geist zu meinem Geist ... deine Gedanken zu meinen Gedanken ..." Tapa richtete besorgt einen medizinischen Tricorder auf Tuvok. „Wir hätten Eyro mitnehmen müssen“, dachte er beklommen. Aron sah sich verwundert um. „Bei Ah'Tha, was ist das für eine ekelhaft technokratische Umgebung. Kein vernünftiger Vulkanier hat solch ein Innenleben ... höchstens jemand, der sieben Jahre lang in einer Blechbüchse eingesperrt war ... aber wie ein Raumschiff der Föderation sieht dieses missratene Gebilde auch nicht gerade aus." Dann erinnerte er sich: „Das ist ein BorgKubus. Einige Crewmitglieder der VOYAGER wurden vorübergehend assimiliert." Zum ersten Mal tat ihm Tuvok richtig Leid. Aron beschloss, sich in dem unübersichtlichen Gewirr aus Rohren und Leitungen zu verstecken und erst einmal abzuwarten. Plötzlich stand ein nacktes, sehr junges Mädchen mit langen blonden Haaren vor ihm. Es hatte eine anmutige Figur, kleine feste Brüste ... und ein Gesicht, das wie eine Skulptur von Brancusi aussah: eiförmig, mit riesigen blicklosen Augen und einem Mund, der nur ein winziger Strich war. Aron überlegte, dass es sich bei dem Mädchen nur um eine sehr weit zurückliegende Erinnerung handeln konnte, eine Erinnerung, die Tuvok die ganze Zeit über mit aller Macht verstoßen hatte ... möglicherweise seine allererste Liebe. „Ich weiß, wo Tuvok ist“, sagte die Kleine eifrig. „Ich habe ihn selbst in die Falle gelockt.“ Aron schlängelte sich wieder hinaus auf den Gang und folgte dem merkwürdigen Mädchen. Vor ihnen liefen sechs Borgdrohnen, von denen eine ihm einen eisigen Schauer den Rücken hinunterjagte: Sein eigenes, mit Implantaten gespicktes Abbild stapfte schwerfällig den Gang entlang ... und die anderen waren auch alles Leute, die er mehr oder weniger gut kannte: T'Solon, Eyro, Tapa, T'Pel... und Captain Janeway von der VOYAGER! Aron überwand entschlossen seinen Ekel vor dem eigenen, misshandelten Selbst und schlüpfte in sein Abbild. „Er wird es gar nicht merken, dass ich in ihn eingedrungen bin", dachte er zufrieden. „Aber bei allen Lematyas der Wüste, was sucht seine Chefin hier ... die einzige Erklärung wäre ..." „... Sie müssen sofort zurück in die Reifungskammer. Das ist ein Befehl!“ befahl die JanewayDrohne ungerührt.
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„Dieser Tuvok ist bei weitem nicht so verblödet, wie ich dachte", überlegte Aron verwundert. „Er begreift sogar seine Unvollkommenheit ... und es ist Captain Janeway, vor der er sich in erster Linie schämt. Nicht T'Pel ... sondern Janeway. Er liebt in Wirklichkeit tatkräftige, energische Frauen ... genau, wie ich meine Yanar liebe. Womöglich fasziniert ihn T'Pel erst, seit er begriffen hat, dass sie gar nicht das fügsame Weibchen ist, für die er sie gehalten hat. Sein Unterbewusstsein ist verblüffend normal, wenn ich es erst geschafft habe, die Konditionierung durch diese Lematyas zu überwinden ... eigentlich mag ich diesen Mann sogar und ich hätte nicht übel Lust, das Haus Kerra unter die Lupe zu nehmen und seinen widerlichen Kinderquälern ein paar besonders unangenehme Medikamente zu verabreichen. Es gibt so ein hübsches Ritual zur Reinigung des Geistes ... Kahma-raka. Vielleicht entwickelt dieses eklige Geschmeiß danach sogar ein wenig Gemeinsinn und Mitgefühl." Dann sah er, wie sich Captain Janeway unauffällig an Tuvok schmiegte. „Ich muss herausfinden, ob sie tatsächlich etwas für ihn übrig hat", überlegte Aron fieberhaft. „Wenn das stimmt, ist es eigentlich ganz einfach, sein Leben in Ordnung zu bringen. Tuvok wird sich diesmal Mühe geben, ein guter Liebhaber zu sein. Ich denke, er hat es für alle Zeit begriffen ... würde die Weiblichkeit seiner Partnerin nie wieder kränken ... und wenn er ..." Entschlossen näherte er sich Tuvok mit dem Hypospray. „Pass auf, Tapa ... halte dich bereit ... gleich!" Dann sagte er betont kühl zu den übrigen Drohnen: „In Ordnung, wir nehmen ihn jetzt mit und stecken ihn in die Reifungskammer. Wenn er erst ein richtiger Mann ist, wird Kathryn mit uns zufrieden sein." Tuvok wehrte sich nicht einmal, als Aron ihn derb packte und das Hypospray in seine Halsschlagader entleerte. Plötzlich wurde es dunkel ... und Aron befreite sich mit letzter Kraft aus dem kraftlosen Geist seines Patienten. „Das war verdammt knapp", sagte er zu Tapa. „Beinahe hättest du mich mit in die Finsternis katapultiert. Aber jetzt haben wir ihn ..." Das Erste, was Tuvok wahrnahm, war ein ekelhaft stechender Kopfschmerz. Er versuchte, seine mentalen Kräfte dagegen zu mobilisieren ... aber nichts passierte. Das machte ihm Angst ... und es verstärkte die Qual ... unwillkürlich stöhnte er leise. Jemand strich ihm sanft über das Gesicht und legte dann ein kühles, feuchtes Tuch auf seine Stirn. „Aron hat dich offenbar mit der dicksten chemischen Keule, die er finden konnte, daran gehindert, die Selbstzerstörung zu aktivieren", bemerkte eine weibliche Stimme mitleidig. „Unglücklicherweise würde ein Schmerzmittel alles noch viel schlimmer machen ... glaub mir, ich kenne mich mit so was aus. Du musst das leider aushalten, bis das ganze Gift wieder raus ist ..." „Ich bin am Leben ..." wunderte sich Tuvok. „Dieser eiskalte Aron hat mich daran gehindert ... und nun muss ich mich meiner Schande stellen." Die sanften Hände wechselten behutsam die Kompresse. „Es hat keinen Zweck, sich tot zu stellen“, bemerkte die weibliche Stimme spöttisch. „Ich weiß doch, dass du wach bist.“ Widerwillig öffnete Tuvok die Augen. Ein grauer Fleck über ihm wurde langsam zu einem fremdartigen Gesicht mit schuppigen Erhebungen und besorgten Augen – eine Cardassianerin in der Kleidung der Ah'Maral saß an seinem Bett. „Das ist ein Albtraum ... das kann gar nichts anderes, als ein Albtraum sein!" Die Cardassianerin lächelte ihn offen und freundlich an. „Ich bin Yanar Antorra, Botschafterin Cardassias auf Vulkan.“ „Exzellenz", sagte Tuvok respektvoll. „Ich bin mir sicher, dass ich keine cardassianische Interessen berührt habe ... jedenfalls nicht in den letzten sieben Jahren." Yanar lachte leise. „Ich bin nicht als Botschafterin hier. Ich bin auch eine Ah'Maral und außerdem mit deinem aktuellen Katra-Klempner Aron verheiratet. Er hat bis Mitternacht an deinem Bett gesessen ... jetzt schläft er." „Was hat er mit mir gemacht? Ich kann mich vom Hals abwärts nicht mehr richtig bewegen.“ „Ich weiß es nicht so genau, er hat was von irgend so einem Zeug erzählt, das die Muskeln erschlaffen lässt. Die Alternative wäre gewesen, dich festzubinden und dagegen habe ich energisch protestiert. Ich finde, du hast schon genug durchgemacht.“ „Ich verstehe das nicht“, sagte Tuvok vorsichtig. Er war sich nicht sicher, wie er das merkwürdige Geschöpf anreden sollte. Einerseits duzte sie ihn einfach, andererseits war sie immerhin eine hohe Würdenträgerin. „Wahrscheinlich verstehst du nicht, warum ich so mit dir rede. Aber in erster Linie fühle ich mich als Ah'Maral und damit auch als Turuska. Diese Leute haben mir eine Heimat gegeben,
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eine Aufgabe ... und ihre Zuneigung. Ich war damals ganz weit unten, nur ein von der eigenen Familie verstoßenes, unglückliches, tablettensüchtiges Wrack, aber diese Berufsoptimisten haben ihre Wahrträumer befragt und beschlossen, mich zu einem wertvollen Mitglied ihrer Gesellschaft zu machen. Der andere Grund ist, dass du mich ziemlich heftig an meinen großen Bruder erinnerst. Ich war schon immer eigensinnig und widerspenstig, deshalb bin ich auch auf der K AL RANOR gelandet, einem alten Schrotteimer mit einem üblen Sadisten als Captain. Mein lieber Bruder hingegen war ein richtiger Bilderbuchcardassianer, die Freude unserer Eltern und der übrigen buckligen Verwandtschaft. Er hat den ganzen Propagandamüll ohne Wenn und Aber geschluckt: Cardassianer sind die intelligenteste, tatkräftigste und am weiteste entwickelte Spezies in der ganzen Galaxis. Es ist ihr gutes Recht, sich von anderen Planeten zu nehmen, was sie brauchen. Glory to Cardassia eben. Na ja, ganz abgesehen davon liegt mir das respektvolle Getue nicht sonderlich. Es ist anstrengend genug, dass ich mich als Botschafterin dauernd so moderat ausdrücken und oft genug den Mund halten muss, wenn ich am liebsten kräftig durchstarten würde." „Ich bin kein Rassist“, widersprach Tuvok, nachdem er mit einiger Mühe herausgefunden hatte, was ihn angeblich mit dem Bruder dieser Frau verband. „Du bist noch viel schlimmer als ein gewöhnlicher Rassist, du hast freiwillig dein eigenes Volk für minderwertig gehalten, dafür muss man wohl erst einen neuen Fachausdruck erfinden ... Rassen-Masochist vielleicht, denn normalerweise verbietet so etwas schon der Selbsterhaltungstrieb. Offenbar warst du bisher bereit, euren aufgeblasenen Autoritäten auch den unlogischsten Blödsinn abzukaufen. Sei froh, dass du in der edlen Föderation groß geworden bist, sonst wärst du vielleicht auch ein Mörder geworden, wie mein Bruder." „Dein angepasster Bruder ist unter die Verbrecher gegangen?“ Yanar lachte freudlos. „Bei allen A'Kweth dieser Wüste, Tuvok! Ich sage nur Cardassia und Armee ... natürlich war er wie fast jeder Soldat eine Zeit lang auf Bajor stationiert ... und selbstverständlich war der Musterknabe nicht so dumm, zu protestieren, wenn die Angehörigen irgendwelcher Widerstandskämpfer ein wenig gefoltert oder gemetzelt wurden. Er hat ganz bestimmt übereifrig alle Befehle erfüllt und eifrig schwanzwedelnd noch eins draufgesetzt. Immerhin wurde er befördert, während ich im Militärknast gelandet bin." „Schwanzwedelnd?“ fragte Tuvok irritiert. „Ach, das habe ich von Harim... auf der Erde haben sie diese Hunde, richtige Sklavenseelen und die wedeln mit dem Schwanz, um ihrem Herrchen zu zeigen, wie begeistert sie von ihm sind. Diese Biester kann man übrigens auch auf den Mann dressieren. Herrchen sagt ‚Fass!' und das dämliche Biest beißt eine x-beliebige Person, die ihm nie etwas getan hat. Wenn du mich fragst, haben diese Viecher große Ähnlichkeit mit cardassianischen Soldaten." „Was ist aus deinem Bruder geworden?“ fragte Tuvok vorsichtig. „Sie haben ihn auf Cardassia Prime öffentlich aufgehängt“, erklärte Yanar ganz selbstverständlich und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Weil er Bajoraner umgebracht hat?“ „Natürlich nicht, er war so dienstgeil, bis zum Schluss den treuen Diener des Dominion zu spielen. Ich meine, es hätte ihn doch ein wenig aufrütteln müssen, dass selbst so ein Dumpfhirn wie Damar die Fronten gewechselt hat ... und was zur heiligen Entropie hat ihn am Ende dazu gebracht, auf die eigenen Leute zu ballern, um diese Schleimsuppe zu beschützen?" „Deine Eltern müssen sehr darunter leiden ..." „Sie verstehen die Welt nicht mehr“, erklärte Yanar angewidert. „Ihr Musterknabe fällt in Ungnade und dem schwarzen Schaf bieten sie einen Botschafterposten an. Es ist schon witzig, wie sie jedes Mal, wenn ich auf Cardassia bin, um Aron und mich herumschwänzeln. Aron lässt dann immer meilenweit den Eisenfresser heraushängen. Er weiß, welchen Spaß es mir macht, wenn sie ihn mit dieser Mischung aus Grauen und Respekt ansehen.“ Tuvok überlegte, was es wohl mit diesem Schaf auf sich hätte, wollte aber nicht schon wieder seine Unwissenheit zeigen. „Woher kennst du so viel Redensarten von der Erde?“ fragte er statt dessen neugierig. „Von meinem Psychiater", antwortete Yanar prompt. „Nein, nicht von Aron ... ich war in Stockholm, in einer Rehabilitationsklinik für Gewaltopfer. Sie wird von einem Vulkanier geleitet, einem Turuska. Er heißt Harim und hat einen ausgesprochen schrägen Humor." „Ich habe von dieser Klinik gehört ..." bemerkte Tuvok mitleidig.
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Yanar funkelte ihn zornig an. „Ich will nicht darüber reden“, erklärte sie schroff. „Ich habe dir den ganzen Mist nur erzählt, damit du endlich begreifst, was aus Leuten wird, die gehorchen, ohne nachzudenken.“ „Aber jetzt verlangt man schon wieder von mir, dass ich mich füge. Ich soll ein guter Turuska werden, alles, woran ich geglaubt habe, über Bord werfen ... es fällt mir schwer." „Ich denke, mit ein bisschen gesundem Vulkanierverstand findest du problemlos heraus, was richtige Informationen sind und was Müll ist", sagte Yanar aufmunternd. „Solange niemand versucht, dir fertige Antworten in den Schädel zu stopfen, kannst du bis zu einem gewissen Grad davon ausgehen, dass es die Leute ehrlich meinen. Wenn du dir ganz unsicher bist, ob du auf dem richtigen Weg bist, solltest du mal eine richtig heftige Grundsatzdiskussion mit deiner ältesten Mutter anfangen ..." „Hast du das etwa versucht?“ fragte Tuvok und probierte vorsichtig ein winziges Lächeln. „Hmm“, antwortete Yanar und sah plötzlich ziemlich verunsichert aus. „Ich hoffe doch, dass T’Wakan unsere netten Plaudereien genießt.“ Tuvok konnte nicht verhindern, dass seine Mundwinkel sich immer weiter voneinander entfernten. Die Vorstellung, wie eine älteste Mutter mit Yanar diskutierte ... es war zu komisch. „Zumindest schätzt sie meine makellose Logik“, erklärte die Botschafterin Cardassias würdevoll und registrierte nebenbei erfreut, wie hübsch Tuvok aussah, wenn er lachte. „Aron hat recht“, dachte sie amüsiert. „Eine erfahrene Frau könnte an diesem Mann viel Freude haben.“ Es war totenstill in dem mit Kraftfeldern schalldicht isolierten Zelt. Draußen war es offenbar Nacht, kein Lichtschein drang durch die Planen. Eine spärliche Notbeleuchtung ließ die Einrichtung von Arons Praxis nur schemenhaft erkennen. Tuvok, dessen Kopfschmerzen inzwischen etwas nachgelassen hatten, betrachtete mit undefinierbarem Unbehagen die anatomisch geformte Diagnoseliege in der Mitte des Zeltes. Sie war offenbar um ihre Längsachse drehbar, mit stabilen Klammern und Gurten versehen und hatte an irritierenden Stellen Öffnungen, durch die man den Patienten auch auf der Rückseite berühren konnte. Die Vorstellung, dort festgeschnallt und dem Heiler völlig wehrlos ausgeliefert zu sein, war extrem Furcht erregend. Normalerweise hätte Tuvok dieses Gefühl verstoßen und sich mit stoischer Gelassenheit in sein unvermeidliches Schicksal gefügt ... aber der Mentalblocker hinderte ihn daran. Am liebsten wäre Tuvok aufgesprungen und in die Nacht hinaus geflüchtet. Seine kraftlosen Muskeln reagierten jedoch nicht auf den Befehl, die Arme und Beine zu bewegen, aufzustehen. Plötzlich fand Tuvok diese Lähmung noch grausamer als alle anderen Optionen. Aron würde ihn mit seinen kalten, hellen Augen ansehen, ihn aufdecken ... überall anfassen. Sein Katra war ebenso schutzlos wie sein Körper ... und Aron sah nicht aus, als wenn er zimperlich wäre. Plötzlich war Tuvok regelrecht übel vor Angst ... die nackte Panik rumorte in seinen Eingeweiden. Yanar war fortgegangen, wahrscheinlich, um den Furcht erregenden Gedankentechniker zu wecken und ihm mitzuteilen, dass sein Patient wieder ansprechbar war. „Wie konnte sie nur freiwillig ein solches Monstrum heiraten", überlegte Tuvok, um sich abzulenken und seine Physiologie wieder unter Kontrolle zu bringen. „Yanar ist freundlich und mitfühlend. Einiges, was sie mir über ihre Familie erzählt hat, klingt in der Tat ziemlich beunruhigend ... und auch logisch. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass es so ohne weiteres möglich gewesen wäre, mich zum Mörder zu machen, andererseits haben sie es geschafft, aus mir einen unfähigen Ehemann zu machen, jemanden, der sich seiner Männlichkeit schämt und sich nur gezwungenermaßen fortpflanzt. Was wollten die weißen Ältesten meines ehemaligen Clans eigentlich erreichen? Dass ihre befreiten Sklaven allmählich aussterben? Aber dann waren sie nicht besonders erfolgreich ... ich mag Kinder sehr. Ich hatte drei Söhne und eine Tochter, bevor der verfluchte Krieg kam. Die meisten dunkelhäutigen Mitglieder des Hauses Komor hatten mehrere Kinder ... nein, diese Lematyas hätten uns heimlich sterilisiert, wenn es ihnen darum gegangen wäre, uns loszuwerden. Es war etwas ganz anderes: Sie haben die Macht genossen, die sie über uns hatten ... die verstörten Blicke der Eltern, wenn ihre Kinder zum Unterricht befohlen wurden und die Angst der Kleinen vor diesen abscheulichen Horrorgeschichten. Ich erinnere mich viel zu gut daran, wie mir zumute war, als sie meine Söhne holten und wie verstört sie jedes Mal zurückkamen ..." Tuvok spürte, ein eiskalter Hass in ihm aufstieg. Seine Furcht war verschwunden und damit auch die Gefahr, sich zu entehren, indem er ... „Sie haben früher zum Spaß gefoltert und getötet", erkannte er plötzlich mit unerwarteter Hellsicht. „Die Gesetze Vulkans haben sie daran gehin-
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dert, ihre sadistischen Impulse auszuleben, aber sie haben eine andere Möglichkeit gefunden, etwas, was schwer nachzuweisen war ... eine Lücke im Rechtssystem. Deshalb war es jedes Mal ein anderer so genannter Lehrer, deshalb haben sie uns Kinder ab und zu gesondert beiseite genommen, um mit uns über besonders üble Grausamkeiten zu plaudern. Jeder, den diese Sucht plagte, wollte Anteil an der mageren Beute haben ... an dem bisschen verdeckten Psychoterror. Andere Kinder haben das wahrscheinlich durchschaut, aber ich musste den Musterknaben spielen ... habe um die arme T'Lomak getrauert und sie in meinen Träumen heldenhaft vor den Lematyas gerettet. Ausgerechnet eine Cardassianerin musste mir die Augen öffnen und mir zeigen, wie gefährlich mein Irrweg war!" Tuvok dachte daran, wie sehr er sich über den betazoidischen Sicherheitsbeamten im Em pfangszelt des Raumhafens geärgert hatte. Inzwischen wusste er, dass die Ah'Maral ausgesprochen gern Außenweltler in ihre Bruderschaften aufnahmen. „Sie schätzen das UMUK-Prinzip höher als das Kohlinar", ging es ihm durch den Kopf. „Beide Prinzipien stammen von Surak, aber sie sind eigentlich überhaupt nicht miteinander vereinbar. Wenn ich alles tatsächlich auf die reine Logik reduziere, bleibt kein Raum zur Entwicklung der Persönlichkeit übrig. Schließlich gibt es nur eine einzige Logik: Sie ist makellos, kühl ... und führt unabhängig von der Person immer zum gleichen Ergebnis. Es ist ein gefühlloses Streben nach Vollkommenheit, wie bei den Borg. Vielleicht haben die Borg irgendwann genauso begonnen, wie wir ... und jemand hat den Gedanken an Expansion hinzugefügt, daran, dass man die übrigen Spezies von ihrem emotionalen Qualen befreien muss, sie retten, zur Vollkommenheit führen ... notfalls auch gegen ihren Willen. Wie konnte Surak nur derart widersprüchliche Thesen verkünden? Jedenfalls ist es gut für Vulkan, dass wir Kontakt zu Außenweltlern haben, die unseren Horizont erweitern ... wenn wir es denn zulassen." Tuvok seufzte leise. „Diese Yanar ist ein ganz schön harter Brocken – und eine bewundernswerte Frau! Sie hat schon als Kind gegen alle möglichen Dogmen rebelliert. Sie denkt unglaublich selbstständig und klar ... kein Wunder, dass ein Vulkanier an ihr Gefallen gefunden hat. Allerdings verstehe ich immer noch nicht, was sie an Aron findet ... obwohl, wenn ich an Seska denke: Cardassianische Frauen haben offenbar seltsame Vorlieben, sonst hätte sie doch nicht diesen unlogischen Kazon genommen ... aber ich kann mich auch irren: Vielleicht ist der Gedankentechniker in Wirklichkeit ganz anders, als er aussieht? Ich habe ihn mit meinen rassistischen Überlegungen verärgert. Ich war so verbohrt, dass Tapa mich in diese Höhle geführt hat, mir das Zelt gezeigt hat und den Tisch, auf dem er wahrscheinlich ... Tapa musste meinetwegen leiden. Trotzdem hat Aron alles daran gesetzt, mich zu retten." Plötzlich fand es Tuvok nicht mehr ganz so schwierig, sich auch ohne mentale Kontrolle mit fatalistischer Gelassenheit der unvermeidlichen Begegnung mit dem Gedankentechniker zu stellen ... Als es plötzlich hell im Zelt wurde, bedeckte Tuvok unwillkürlich die Augen mit dem dritten, halb durchsichtigen Lid. Ein dunkler Schemen beugte sich über ihn, deckte ihn auf. Warme, harte Hände tasteten ihn sachlich ab. „Wie fühlst du dich? Bist du bereit für die Behandlung?“ fragte eine kühle, professionelle Stimme – eindeutig Aron. „Was hast du mit mir vor?“ fragte Tuvok beklommen. „Ich muss die Bindung an deine ehemalige Gemahlin löschen", erklärte Aron ungerührt. „Weil ich ihr Gegenstück schon vor Monaten beseitigt habe, ist sie wie ein Vektor, der ins Leere zielt ... und da T'Pel noch lebt, wird er nicht von selbst vergehen." Die warme Hand strich sacht über Tuvoks Wange. „Ich meine es gut mit dir. Um ein neues Leben anzufangen, musst du dich von dem Bisherigen vollständig trennen. Deine nächste Bindung wird leiden, wenn du mir nicht erlaubst, diesen Schlussstrich zu ziehen." „Habt ihr jemanden für mich ausgesucht?“ fragte Tuvok mit einer Mischung aus Unbehagen und Hoffnung. In der Stimme des Gedankentechnikers war ein winziges Lächeln zu hören. „So funktioniert das bei uns nicht. Du musst schon selbst um eine neue Partnerin werben ... aber vielleicht ergibt sich ja bald eine gute Gelegenheit." „Ich bin mit der Behandlung einverstanden“, erklärte Tuvok nach kurzem Nachdenken. „Du darfst tun, was nötig ist, damit ich normal weiterleben kann.“ „Eine gute Entscheidung", lobte ihn Aron. „Bitte verzeih, wenn es jetzt ein wenig unangenehm wird. Ich gebe dir eine Dosis Crispantin, es dient dazu, die Verknüpfungen der Nervenbahnen aufzuweichen ... so ist der Zugriff auf deinen Geist wesentlich leichter."
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Der Gedankentechniker wartete nicht auf Tuvoks Zustimmung. Das Hypospray zischte leise und Tuvok schnappte erschrocken nach Luft. Er hatte das Gefühl, sich in schmerzhaften Krämpfen zu winden, keine Luft mehr zu bekommen. Sein Herz begann, unregelmäßig zu schlagen. Es war wie eine Agonie ... und es war doch größtenteils nur eine Illusion, weil seine gelähmten Arme und Beine überhaupt nicht reagierten. Nur die Muskeln in Hals und Gesicht zuckten unkontrolliert. Tuvok war froh, als Aron ihm vorsichtig eine elastische Atemhilfe in die Luftröhre schob. Nun bekam er endlich wieder genug Sauerstoff! Langsam ließen die Schmerzen wieder nach, wurden durch ein merkwürdiges Gefühl der Dissoziation abgelöst. Jede Empfindung und jeder Gedanke existierte irgendwie separat, als wäre der Geist ein Mosaik aus unzähligen einzelnen Bausteinen. Aron legte seine Fingerspitzen auf die Nervenpunkte in Tuvoks Gesicht. „Dein Geist zu meinem Geist, deine Gedanken zu meinen Gedanken ..." Jetzt war der Beobachter in ihm: ein verjüngter, nachdenklicher Aron, der leichtfüßig durch Tuvoks Erinnerungen wanderte, behutsam mit der Fußspitze den einen oder anderen Baustein berührte. „Ich will deine letzte Entrückung mit T’Pel sehen“, verlangte er nach einer Weile mit ruhiger Stimme. Tuvok konnte nicht verhindern, dass das Bindungszimmer seines zerstörten Hauses aus dem Nichts auftauchte. T'Pel kam herein und verschloss sorgfältig die Tür hinter sich. „Mein Ehemann, wie von Anbeginn unserer Tage ..." begann sie, dann weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Aron stand plötzlich vor ihr, zog einen reich geschmückten Dolch aus seinem Gürtel und sagte kalt: „Es tut mir Leid, aber du musst jetzt sterben ... Tuvok braucht seine Freiheit." Es war nicht die tatkräftige Kriegerin, sondern die fassungslose Ehefrau, die Aron entsetzt ansah und einen schrillen Schrei ausstieß, als der Gedankentechniker näher kam. „Halt still, dann ist es schnell vorbei!“ knurrte Aron ärgerlich. Tuvok war außer Stande, sich zu bewegen, konnte nur mit wachsendem Grauen das Geschehen verfolgen. T'Pel wandte sich ab und flüchtete, so schnell es das lange, rituelle Gewand zuließ. Merkwürdigerweise dehnte sich der Raum vor ihr aus ... wie auf einem Holodeck schien der Fluchtweg kein Ende zu nehmen. Aron folgte ihr, packte ihr Gewand ... die Frau trug plötzlich Kniehose und Bustier, Sandalen und einen goldenen Waffengürtel. Mit einer blitzschnellen Wendung stand sie Aron kampfbereit gegenüber, den Dolch in der erhobenen rechten Hand. „T’Pel!“ sagte Aron ernst. „Ich will nicht die Kriegerin töten, sondern die Ehefrau. Verschwinde und lass mich meine Arbeit tun.“ „Das steht leider nicht in meiner Macht“, antwortete die Frau sachlich. „Tuvok hat uns vertauscht, als er mir in Eyros Wohnräumen begegneten. Die alte T’Pel existiert nur noch in diesem Bindungszimmer.“ „Aber du gehörst zu deiner Bruderschaft und zu deinem liebsten Bindungspartner Juan!“ „Für die reale T'Pel trifft das zu, aber nicht für mich. Ich bin ein Produkt von Tuvoks Fantasie. Ich bin jetzt die Frau, die er liebt und begehrt ... und die treu zu ihm steht. Die biedere Hausfrau spielt für ihn keine Rolle mehr. Wenn du mich töten willst, musst du kämpfen!" „Mit dir habe ich nicht gerechnet ..." murmelte Aron und stürzte sich mit einem wilden Kampfschrei auf seine Gegnerin. Was danach folgte, war wie ein schier endloser, schneller, wirbelnder Tanz: Angriff, Abwehr, heimtückische Finten, Scheingefechte ... beide Kämpfer waren mit Blut besudelt, ächzten vor Anstrengung ... Irgendwann gelang es Aron, T'Pel ein Bein zu stellen. In dem Moment, als sie mit vor Überraschung geweiteten Augen stürzte, rammte ihr der Gedankentechniker den Dolch unterhalb des Brustbeins in den Bauch und schlitzte sie bis hinunter zum Schambein auf. Tuvok musste entsetzt mit ansehen, wie die Därme seiner Gemahlin hervorquollen und sich ein immer größer werdender See aus grünem Blut unter ihr bildete. Er hörte, wie ihre qualvollen Schreie zu hilflosem Röcheln wurden, das immer leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Aron kniete vor seinem Opfer nieder und rammte wütend den blutigen Dolch vor sich in den Boden. „Es tut mir so Leid um dich T'Pel ... ich habe dir über die Aufnahmezeremonie geholfen, dir meine Lebenskraft gegeben, ein Teil meines Katras gehört gegen alle Vernunft dir ... und nun hast du dich schützend vor diese längst nicht mehr existierende Ehefrau gestellt. Warum hast du mich gezwungen, dich zu töten, obwohl du mir so viel bedeutest!" Als der Gedankentechniker aufstand und zu ihm herüber kam, konnte Tuvok sehen, dass er aus zahllosen tiefen Wunden blutete. „Sieh genau hin!" befahl Aron ernst. „Das Abbild deiner Gemahlin ist tot ... ebenso wie eure Bindung. Dein Geist wird nie wieder nach ihr suchen." Tuvok sah die verkrümmte, blutige Leiche, die einmal seine Gemahlin T'Pel gewesen war ... und sein Traum von einer ebenbürtigen Partnerin. Er kniete nieder, hob die Hand und wagte es
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doch nicht, den aufgeschlitzten Körper zu berühren. „Glaubst du wirklich, dass es mir jetzt leichter fällt, von ihr zu lassen?" fragte er unglücklich. „Ja", antwortete der Gedankentechniker kühl. „Sie ist tot und deine Bindung wird absterben ... nur das zählt. Dein Körper und dein Katra wissen jetzt, dass sie nicht mehr in dir ist ... dass es keinen Sinn mehr macht, nach ihr zu suchen. Deshalb musstest du ihre Wunden und ihr Sterben sehen. Jetzt bist du tatsächlich so frei wie ein Luftgleiter." Plötzlich löste sich die Leiche spurlos auf und sie standen in einem weißen, gestaltlosen Nebel. „Ich gebe dich jetzt vollständig frei!" sagte Aron erschöpft. „Beginne etwas Sinnvolles mit deinem neuen Leben." „Und wenn ich das gar nicht will?“ fragte Tuvok traurig. „Du kannst nicht mehr zurück“, antwortete Aron und brach bewusstlos zusammen. Danach wurde es dunkel und auch Tuvok hörte auf, zu existieren. Yanar Antorra wachte gegen Morgen auf, tastete im Dunkeln nach ihrem Ehemann und liebsten Bindungspartner Aron. „Verdammt!" sagte sie, als sie merkte, dass er immer noch nicht zurück war. „Dieser Männlichkeitsprotz hat wieder auf Risiko gespielt. Er weiß doch, wie sehr ich es hasse, wenn er sich sinnlos in Gefahr begibt ... und während des Krieges hatte er doch reichlich Gelegenheit, reale Gegner zu Filet zu verarbeiten. Irgendwann sollte er genug von dem Gemetzel haben! Mir jedenfalls reicht es für die nächsten hundert Jahre." Als sie das Behandlungszelt betrat, blieb sie entsetzt stehen. Tuvok und Aron lagen reglos mit geschlossenen Augen aufeinander, wie die Leichen von zwei Waffenbrüdern, die sich bis zur letzten Minute gegenseitig beschützt hatten. Yanar wusste selbst nicht so recht, wie sie so schnell zu dem Krankenbett gekommen war, die Lebenszeichen der beiden Männer geprüft und beiden ein gängiges Stimulationsmittel verabreicht hatte. Mit wenigen Griffen aktivierte sie die Com-Anlage. „Eyro, bitte", sagte sie zu dem verschlafenen Heiler. „Ich habe hier etwas, was meine Freundin Morrigan O'Connor als zwei halb tote Machos bezeichnen würde ..." „In Ordnung, ich bin gleich bei euch“, antwortete Eyro beruhigend. Yanar wanderte unruhig in dem grell erleuchteten Zelt umher. „Am besten, ich frage Madras, wann dieser Irrsinn ein Ende hat", dachte sie. „Ich mag Tuvok sehr, aber allmählich macht er zu viel Scherereien. Inzwischen sind ja ganze Kolonieplaneten damit beschäftigt, ihn glücklich zu machen! Dabei freue ich mich schon seit Tagen vergeblich darauf, Arons Künste in aller Ruhe zu genießen. Ich habe schließlich selbst ein paar gute Ideen ..." Fast ohne Verzögerung erschien das Gesicht von Madras auf dem Bildschirm. „Yanar“, fragte er beunruhigt. „Was gibt es für Probleme?“ „Aron wollte Tuvoks Bindung an T'Pel beseitigen. Dabei muss irgendwas schief gegangen sein. Ich habe die ganze Nacht von wüsten Prügeleien geträumt ... und dann finde ich die beiden Kerle halb tot vor. Aron hat sogar überall blutunterlaufene Schwellungen, so, als hätte er sich wirklich geschlagen. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Kannst du nicht Aron befehlen, dass er in Zukunft einen Disruptor nimmt, oder wenigstens einen Phaser der Sternenflotte? Meinetwegen kann er ja an dem zu entfernenden Bindungspartner noch ein wenig herumschnippeln, nachdem er ihn betäubt hat." „Liebe Yanar!" antwortete Madras amüsiert. „Ich werde mich auf gar keinen Fall in die Geschäfte des Gedankentechnikers einmischen. Dazu habe ich viel zu viel Respekt vor ihm ... und außerdem wird er nicht auf mich hören. Mit einem so störrischen und unbußfertigen Kerl wie deinem Aron eine Konfrontation zu suchen, ist unvernünftig. Was meinst du, was dabei herauskommt? Außerdem liebst du ihn, gerade weil er so wild und risikofreudig ist ..." „Ja, theoretisch hast du recht. Trotzdem mache ich mir Sorgen ... so schlimm war es noch nie. Was bei allen Sehlaths haben die beiden miteinander angestellt. So schwierig kann es doch nicht sein, das Abbild einer schlichten Ehefrau umzubringen." „Hat denn Tuvok auch diese Beulen?“ fragte Madras interessiert. „Nein“, antwortete Yanar, nachdem sie den bewusstlosen Tuvok untersucht hatte. „Er ist körperlich völlig intakt, keinerlei Spuren einer Keilerei.“ „Das hätte mich auch sehr gewundert“, bemerkte Madras zufrieden. „Es ist nicht Arons Art, seinem Patienten eine Chance zu geben, sich einzumischen. Tuvoks Geist war mit Sicherheit nur ein passiver Zuschauer. T’Pel muss ihn so heftig verprügelt haben.“ „Eine Verwaltungsangestellte hat einen durchtrainierten Krieger vermöbelt?“ „Vielleicht ist er ja der Ah’Maral T’Pel begegnet.“
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„Das klingt reichlich absurd ..." „Tuvok hat sich möglicherweise in seine Frau neu verliebt", überlegte Madras. „Das wäre überhaupt nicht gut. Ich bin in zwei Stunden zu Hause ... schneller geht es nicht. Seht zu, dass ihr so lange ohne mich zurecht kommt." „Und diese Janeway?" fragte Yanar skeptisch. „Ich hoffe doch, ihr konntet sie überzeugen ..." „Sie kommt mit Piris Kampfflieger. Die beiden sind zwei Stunden nach mir gestartet.“ „Also kommt es jetzt zum großen Showdown! Mir soll es recht sein.“ „Ja“, sagte Madras lächelnd. „Langes Leben und Erfolg, Vater!“ Als Yanar sich umdrehte, stand Eyro hinter ihr. „Es ist gut, dass du mich sofort gerufen hast", erklärte er ruhig. „Ich kümmere mich jetzt um die beiden." „Wie sieht es aus?“ fragte Yanar besorgt. „Wird Aron wieder gesund?“ „Es sind nur imaginäre Beulen“, erklärte Eyro amüsiert. „Sie werden verschwinden, wenn dein liebster Bindungspartner wieder bei Bewusstsein ist. Es besteht keine Gefahr!“ Als Tuvok wieder zu sich kam und sich verstohlen umsah, entdeckte er den Heiler Eyro, der in einem bequemen Klappsessel saß und intensiv ein Datenpad studierte. Er verspürte wenig Lust, mit ihm zu reden ... schon der Gedanke daran, wie Eyro ihn angesehen hatte, als er ihm vorschlug, Piris Bruderschaft beizutreten, war extrem irritierend. Tuvok überprüfte lautlos und mit geschlossenen Augen seinen körperlichen Zustand. Er fühlte sich zwar noch ein wenig schwach, konnte jedoch seine Gliedmaßen wieder problemlos bewegen. Probeweise kniff er sich heftig in den Oberschenkel und blockte dann lässig den Schmerz ab. „Sie haben die Medikamente abgesetzt", frohlockte er in Gedanken. „Sie vertrauen mir inzwischen, denken, dass ich alles tun werde, was sie verlangen ... womöglich sogar irgendeine Turuskafrau heiraten, die sie für mich ausgesucht haben." Sofort erschien die zierliche Gestalt T'Pels vor seinen Augen ... ihre selbstsichere Anmut, als sie mit Aron gekämpft hatte und ihr langsamer, qualvoller Tod. „Sie hätte beinahe den Gedankentechniker besiegt ... sie wollte mich nicht verlassen." Tuvok hielt inne, bemühte sich, das Cthia zu ehren und die Realität von seinen Wunschvorstellungen zu trennen. „Die reale T'Pel hätte sich wahrscheinlich widerstandslos abschlachten lassen, um in Ruhe mit diesem Juan und ihrem Anführer Piri zusammenbleiben zu können. Wahrscheinlich sind das unermüdliche Kerle, die überall riesengroß sind. Ich kenne doch T'Pels Gier ... sie konnte niemals genug bekommen." Im nächsten Augenblick schämte er sich seiner hässlichen Gedanken. „Ich habe T'Pel wirklich zu wenig gegeben und sie ist auch nicht wegen ihrer sexuellen Not zu den Ah'Maral gegangen. Sie hat für Vulkan und die Föderation gekämpft, sie hat unsere Söhne gerächt, während ich mit der VOYAGER im Deltaquadranten festsaß. Ich hätte Captain Janeways Befehl nicht akzeptieren dürfen! Ich habe meine schwangere Gemahlin im Stich gelassen, um diesen Chakotay auszuspionieren. Wenn ich ehrlich sein soll, war er kein besonders wichtiger Mann im Maquis ... nur der unbedeutende Captain eines kleinen Schiffes von vielen. Wahrscheinlich war die Sternenflotte nur deshalb so hinter ihm her, weil er früher einer von uns gewesen ist. Die ganze Mission war nicht besonders logisch. Irgendwie wäre mir wohler, wenn ich zu Hause gewesen wäre, als die Jem'Hadar Vulkan angriffen. Vielleicht hätte ich etwas für T'Pel und die Kinder tun können ... sie irgendwie in Sicherheit bringen ... aber wahrscheinlich wäre ich auch nur tot." Es war still im Zelt und Tuvok hing weiter seinen Gedanken nach. „Es wäre gar nicht so schlecht, jetzt tot zu sein. Seit ich T'Pel in meinem Geist sterben sah, gefällt mir das Leben nicht mehr. Sie ist die einzig richtige Frau für mich ... und diese Bestie Aron hat sie vor meinen Augen aufgeschlitzt. Vielleicht wollte er die Bindung auf besonders eindrucksvolle Weise beenden und vielleicht klappt das ja sogar meistens, aber nicht bei mir. Ich habe in dem Augenblick, als sie starb, endgültig begriffen, wie viel sie mir bedeutet. Nein, ich gebe den Abgrund ohne Wiederkehr nicht auf. Ich will gar nicht wissen, was die Turuska mit mir vorhaben ... ich mache hier und jetzt ein Ende mit diesem Elend." Sorgfältig bereitete Tuvok auf die Reise in sein Inneres vor. Nacheinander erlosch die sinnliche Wahrnehmung der Außenwelt. Er hörte nur noch sein Herz schlagen und sein Blut leise rauschen, roch nur noch den eigenen Körper ... sah ein grünes Leuchten. „Ich stecke erneut in diesem Borg-Kubus fest!" erkannte er entsetzt. „Vermutlich finde ich wieder keinen Ausgang." Plötzlich stand Captain Janeway vor ihm. „Sie sind schon wieder aus Ihrer Reifungskammer gekrochen!“ sagte sie vorwurfsvoll. „Sie drücken sich einfach vor der Liebe und dem wirklichen
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Leben. Das lasse ich nicht zu!“ Ein Phaserstrahl raste auf Tuvok zu und eine gnädige Finsternis verschlang sein Bewusstsein. Als Erstes kam der Schmerz zurück, der dumpfe Schmerz um die verlorene Gemahlin und der scharfe, stechende Schmerz des eigenen Versagens. „Ich bin nicht einmal im Stande, mein Leben zu beenden", dachte Tuvok mit einer Mischung aus Verwunderung und Zorn. „Jeder erwachsene Vulkanier kann das, nur ich wache jedes Mal wieder auf." Im nächsten Augenblick spürte er, etwas Fremdes im Raum: Eine unglaublich starke mentale Präsenz erfüllte Arons Behandlungszelt, ein klares, leuchtendes Nehau, das ihn wie ein warmer Mantel einhüllte. Eine große, kräftige Hand strich behutsam über sein Haar. „Es ist nicht nett von dir, dass du immer wieder unsere Rettungsversuche sabotierst“, sagte eine dunkle Stimme, die Tuvok nicht einordnen konnte, obwohl sie ihm seltsam bekannt vorkam. „Wir geben uns wirklich große Mühe, dein Leben in Ordnung zu bringen.“ „Das könnt ihr gar nicht“, widersprach Tuvok mit geschlossenen Augen. „Es sei denn, ihr bringt T’Pel dazu, mich wieder als Ehemann zu akzeptieren.“ „Dein Wunsch ist ziemlich egoistisch", tadelte ihn die dunkle Stimme ernst. „Du vergisst T'Pels Wohl ... sie liebt ihre Waffenbrüder sehr." Tuvok dachte, dass es wohl keinen Zweck hätte, sich länger vor der Realität zu verschließen. Er erkannte das dunkle Gesicht sofort: makellos ebenmäßig und ohne Spuren der Zeit, prüfende grüne Augen ... eine reine Maske durch die ein Hauch Ironie schimmerte. „Exzellenz!" sagte er respektvoll. „Ich bin es nicht wert, dass der Premierminister Vulkans ..." „Was für eine seltsame Anrede unter nahen Verwandten“, unterbrach ihn Madras amüsiert. „Ich bin nicht als dein Regierungschef gekommen.“ „Ich verstehe, einer der Ältesten meines neuen Clans spricht zu mir.“ „Das auch, Tuvok, wir brauchen dich wirklich. Der Krieg gegen das Dominion hat viele Söhne und Töchter des Hauses Kinsai verschlungen. Wir freuen uns über jeden, der zu uns findet. Aber eigentlich benötigst du in erster Linie einen Kohlinar-Meister, der dir hilft, dein neues Leben zu akzeptieren.“ „Du hast mich auserwählt?“ fragte Tuvok respektvoll. „Welche Lektion willst du mir erteilen?“ „Die Trauer“, antwortete Madras schlicht. „Ich weiß selbst, wie schwer es einem Mann fällt, zu weinen, aber das ist jetzt dringend nötig, um dein Katra zu reinigen. Gestatte mir, dir zu helfen!“ Der alte Mann, der ihn vor langer Zeit im Auftrag seiner Eltern von seiner Verliebtheit befreit hatte, wäre niemals auf den Gedanken gekommen, seinen Schüler anzufassen. Madras pflegte offensichtlich einen ganz anderen Stil. Er setzte sich auf den Bettrand, deckte Tuvok auf, bettete seinen Kopf an seine muskulöse Brust und verhüllte ihn mit einem Zipfel seines weißen Mantels. Tuvok wagte es nicht, sich zu rühren. Die intime Nähe seines neuen Lehrers irritierte ihn zutiefst, aber er hatte merkwürdigerweise keine Angst vor ihm ... war sich ganz sicher, dass der andere Mann ihn respektieren würde. Die warmen Hände strichen über Tuvoks Schultern, seinen Rücken, seine Achselhöhlen ... fanden dort zielsicher zwei Nervenpunkte, von denen er noch nie etwas gehört hatte. Als Madras sie mit sanftem Druck stimulierte, begann Tuvoks Haut von der Kehle bis hinunter zu den Lenden zu prickeln. Er hatte das Gefühl, als würden sämtliche Nerven bloß liegen ... ganz instinktiv spreizte er die Oberarme und erleichterte so dem Kohlinar-Meister den Zugriff. „Es ist unlogisch, seine Gefühle im Inneren einzuschließen", flüsterte die dunkle Stimme sanft. „Sie wuchern dann im Geheimen, verfälschen jeden Sinneseindruck und jeden Gedanken. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Du kannst deine Emotionen gänzlich entfernen ... oder du musst sie eines Tages abfließen lassen, sonst wird dein Katra irgendwann krank. Aber du musst sorgfältig das Cthia ehren und das Richtige tun! Wenn du ganz ehrlich zu dir selbst bist, kannst du deutlich erkennen, welche Empfindungen wie bösartige Wucherungen sind, die man so schnell wie möglich abschneiden oder ausbrennen muss: Hass, Neid, Arroganz, Eitelkeit, Ehrgeiz ... und welche Gefühle ein harmonischer Bestandteil deiner Persönlichkeit sind: Liebe zum Beispiel, Angst, Trauer ... wie sehr es dich verstümmeln würde, wenn du sie entfernst." Madras schwieg und verstärkte behutsam den Druck auf die Tuvok unbekannten Nervenpunkte. Jetzt wurde aus dem Prickeln ein sanft ziehender, fast süßer Schmerz. „Deine Identität ist erschüttert. Ein Teil von dir sehnt sich nach dem Vulkan der Philosophiebürokraten. Dort war alles viel einfacher. Du hast deine vertraute Welt verloren, empfindest wie ein Heimatloser. Du
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konntest nicht einmal die Asche deiner Söhne dem Wind übergeben ... du schämst dich, weil du nicht da warst, als deine Familie und dein Planet dich gebraucht haben. Du bist traurig, weil du dich von deiner Gemahlin nicht auf angemessene Weise verabschiedet hast, weil du ihr keine unvergessliche Nacht geschenkt hast ... weil du jahrelang das Weinen ihrer Weiblichkeit ignoriert hast. Es ist dir jetzt peinlich, dass du den Feinden deines Volkes blind vertraut hast, dass du uns für minderwertig gehalten hast, für Wilde ohne Ethik und Kultur. Und am schlimmsten von allem schmerzt es dich, dass du bis jetzt fremdbestimmt gelebt hast, dass du es nie gewagt hast, deine Vorurteile zu überprüfen. Dabei wäre es so einfach gewesen: Alle Häuser der Turuska hätten dich liebevoll empfangen, an deiner dunklen Haut erkannt, dass du einer unserer geraubten Söhne bist. Sie hätten dir unser Leben gezeigt, unsere Bräuche, die Briefe Suraks... alles, was dir mein Bruder Tapa gezeigt hat." Tuvoks Qual wurde mit jedem Wort des Kohlinar-Meisters schlimmer. Ein unerträglicher Schmerz pochte von innen an die Grenzen seines Selbst. Ein Dröhnen erfüllte seinen Geist, imaginäre Wunden brachen auf. „Lass deine Gefühle fließen!" befahl Madras laut. „Weine! Niemand außer mir wird es erfahren ... und ich, dein Kohlinar-Meister, werde schweigen wie die Felsen des Hauses Raban. Ich bin die geheime Höhle, in der du dich von deinem Schmerz befreien kannst." Tuvoks schluchzte hilflos ... trocken. „Denk an deine erste Liebe!" befahl Madras ernst. „Denk daran, wie schwer es war, sie zu verstoßen und dass deine Eltern wahrscheinlich nur die Befehle ihrer Ältesten befolgt haben ... dass man dich um deine Liebe genauso betrogen hat, wie um dein gesundes Selbstbewusstsein! Dann haben sie deine Bindung mit T'Pel arrangiert. Erinnere dich, wie sie damals, als du sie zum ersten Mal berührt hast, aussah!" Das trockene Schluchzen wurde heftiger, Tuvoks Schultern zuckten, sein Herz hämmerte, das Atmen fiel ihm immer schwerer. „Denk an Captain Janeway! An die vielen Jahre unerfüllten Begehrens ... wie schmerzhaft es für dich jedes Mal war, wenn sie sich irgendwelchen irrelevanten Kerlen zuwandte, es sogar mit einem Hologramm tat, während du ... deine gefesselte Sexualität ..." Plötzlich öffneten sich die verborgenen Schleusen und Tuvok weinte zum ersten Mal seit seinem Kahs-wan, der Überlebensprüfung, der sich alle vulkanischen Kinder im Alter von zehn Jahren unterziehen müssen. Es war wie ein Dammbruch, als die seit neunzig Jahren zurückgehaltenen Tränen hervorquollen. Madras löste seine Finger von den Nervenpunkten und streichelte seinen Schüler liebevoll und besorgt. „Jetzt wird alles gut ... hab keine Angst, wir verstehen dich, niemand macht sich über dich lustig, niemand nimmt dir etwas übel ... vertrau uns, deiner neuen Familie ... vertrau mir, ich kann dir helfen, alles zu verstehen ... zu lernen ..." Es dauerte fast eine Stunde, bis Tuvok sich wieder beruhigt hatte. Merkwürdigerweise fühlte er sich jetzt so stark und frei, wie noch niemals zuvor in seinem Leben. „Trink das", sagte Madras sanft und reichte ihm ein großes Glas mit einer durchsichtigen, perlenden Flüssigkeit. „Das ist echtes Mineralwasser von der Erde. Ich finde, es schmeckt sehr gut ... und es gleicht den Verlust an Flüssigkeit und Salzen aus." „Danke“, sagte Tuvok und leerte andächtig das Glas. „Es ist das beste, was ich jemals getrunken habe.“ Kurze Zeit später drehte sich Tuvok neugierig vor dem großen Spiegel in Arons Praxis. Er trug jetzt die übliche Kleidung der Turuska: weite helle Hosen, ein legeres Hemd mit Stehkragen und bestickten Ärmeln, Knöchelsandalen mit dicken Sohlen ... „Du siehst hübsch aus“, meinte Madras amüsiert. „Captain Janeway wird es gefallen.“ Tuvok sah ihn erschrocken an. „Ihr habt es ihr gesagt!“ Madras lächelte amüsiert. „Ganz so primitiv sind wir nicht vorgegangen, schließlich konnten wir nicht riskieren, dass dein Katra noch einmal verletzt wird. Aron hat mit Janeway über Tuvix gesprochen, ihr auf den Kopf zugesagt, dass es nur eine einzige Möglichkeit gibt, ihre Handlungsweise zu erklären.“ „Ihr habt sie erpresst“, sagte Tuvok enttäuscht. „Ihr habt ihr weh getan und sie manipuliert. Ich möchte nicht, dass sie sich gezwungenermaßen mit mir trifft. Wahrscheinlich bin ich für sie nur ein Untergebener, bestenfalls ein Freund.“
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Madras lächelte nur ironisch. „Viele Menschen – und auch etliche Vulkanier – sind nicht bereit, sich mit ihren wahren Gefühlen auseinander zu setzen. Sie folgen bestimmten kulturellen Mustern oder auch einfach der Mode. Captain Janeway liebt Holoromane, die weit in der Vergangenheit spielen ... englische Landadelige, die sich in die Gouvernanten ihrer Kinder verlieben, gefühlvolle Dialoge, altmodische Umgangsformen. Natürlich sieht ihr Traumprinz entsprechend aus: weiß, gepflegt, höflich. Aber ihre Weiblichkeit möchte in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Sie hat inzwischen eingesehen, dass sie für dich viel mehr als Freundschaft empfindet." „Bist du sicher ... ich meine, gibt es Anhaltspunkte dafür?" „Piri hat es mir erzählt, als sie in seinem Kampfflieger eingeschlafen war. Sie vergleicht deine Haare mit dem Teddybär aus ihrer Kinderzeit und sie denkt an deine Hände ... nein, die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, ist sehr gering." „Sie vergleicht mich mit einem Spielzeug?“ fragte Tuvok verwirrt. „Ich glaube nicht, dass mir das gefällt.“ „Nur mit etwas, was sie früher sehr gern im Arm gehalten hat und womit sie sich im Dunkeln sicher gefühlt hat", beruhigte ihn Madras. Dann fügte er schmunzelnd hinzu: „Sie findet dich anziehend, das ist schon mal gut. Es ist nun deine Sache, ihre Weiblichkeit in Aufruhr zu versetzen und eine makellose Beziehung herzustellen. Wenn du möchtest, bringe ich dir ein paar Tricks der Ah’ Maral bei." Tuvoks Gesicht färbte sich noch dunkler, als es bereits war. „Gut“, kommentierte Madras sein Schweigen. „Wir nehmen einige erotische Künste der Krieger mit ins Lehrprogramm auf. Bis zum Ritual der Annäherung solltest du zumindest die erste Lektion beherrschen.“ „Ich denke noch nicht so weit“, murmelte Tuvok unbehaglich. „Vielleicht will sie mich gar nicht.“ „Es gibt noch etwas, was du über sie wissen musst“, wechselte Madras geschickt das Thema. „Du wirst es spätestens merken, wenn du dich das erste Mal mit ihr vereinigst. Sie trägt einen Symbionten in sich, einen Tok’Ra namens Selmak... es ist so ähnlich wie bei den Trill.“ „Als wir im Deltaquadranten das Stargate fanden ..." erinnerte sich Tuvok unbehaglich. „Selmak ist in Ordnung“, beruhigte ihn Madras. „Ich habe ihn gründlich geprüft. Er ist wahrscheinlich ein großer Gewinn für eure Bindung.“ Tuvok sah ihn nur verwirrt und zweifelnd an. „Selmak ist uralt, weise und sehr humorvoll. Er hat schon in vielen Wirten gelebt, in Männern und Frauen. Mit Sicherheit ist er weder verklemmt noch verkitscht.“ „Das ist alles so fremdartig und es geht viel zu schnell ... ich bin mit T'Pel noch nicht richtig fertig und nun soll ich mit einer Außenweltlerin ... und dann ist da noch Eyzel. Wahrscheinlich braucht sie mich und vielleicht mag Captain Janeway sie nicht ..." „Eyzel fühlt sich bei ihrer Mutter und Juan wohl. Du kannst sie da nicht einfach herausreißen. Außerdem wird T’Pel niemals auf ihre Tochter verzichten. Du handelst dir mit Sicherheit ihre erbitterte Feindschaft ein, wenn du so etwas versuchst. An deiner Stelle würde ich nicht einmal daran denken!“ „Ich bin aber ihr Vater!“ erklärte Tuvok störrisch. „Juan ist mein leiblicher Sohn. Seine Mutter war eine legendäre Heldin der Ah'Maral: Captain Corazón Inserra von der U.S.S. CASABLANCA. Sie ist freiwillig in den sicheren Tod gegangen, um eine Bruderschaft junger Ah'Maral zu retten. Juan ist ein tapferer und ehrenwerter Mann. Es gibt keinen logischen Grund, an ihm zu zweifeln! Ich werde ihn bitten, mit dir zu sprechen. Dann wirst du merken, dass deine Bedenken irrelevant sind. Er ist ein sehr guter Vater und Bindungspartner." „Ich werde mich wohl nie an diese merkwürdigen Verhältnisse gewöhnen.“ „Doch, das wirst du“, widersprach ihm Madras freundlich. Tuvok saß im Schatten von Arons Behandlungszelt und wartete mit gemischten Gefühlen auf den neuen Partner seiner ehemaligen Gemahlin. „Jetzt werde ich merken, was ihr wirklich gefällt“, dachte er voller Unbehagen. „Und er wird vermutlich auf mich herabsehen. Er ist ihr liebster Bindungspartner, weiß alles von mir, kennt jeden törichten Spruch und jede misslungene Entrückung. Er kennt alle Erinnerungen T’Pels... ihm ist schon lange klar, was für ein erbärmlicher Ehemann sein Vorgänger war. Ich hätte dieser extrem peinlichen Begegnung niemals zustimmen dürfen!“
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Dann sah er zwei Gestalten auf sich zukommen. Sein Herz stockte einen Augenblick und machte dann einen kleinen, ängstlichen Sprung: Ein großer, breitschultriger Mann in der typischen Kleidung der Ah'Maral schritt würdevoll durch die sandige Gasse zwischen den Zelten auf ihn zu. Neben ihm ging eine kleine, zierliche Gestalt, die vertrauensvoll seine Hand hielt ... Eyzel. Tuvok erhob sich, als die beiden vor ihm standen. „Frieden und langes Leben, Tuvok aus dem Hause Kinsai!" sagte der Ankömmling ernst und hob die rechte Hand zum typisch vulkanischen Gruß. „Ich hoffe, du kannst mir verzeihen, was geschehen ist. Es war niemals meine Absicht, dich zu entehren." Es war wider Erwarten ganz einfach, mit dem fremden Krieger zu reden. Er wirkte nicht hochmütig und selbstgerecht, eher ein wenig verlegen. „Ich habe inzwischen alles verstanden", antwortete Tuvok ehrlich. „Es ist nicht deine Schuld, dass T'Pel mich nicht mehr liebt. Ich habe ihre Weiblichkeit nicht so geehrt, wie sie es verdient hätte ... ich war irregeleitet. Ich sehe das alles ein, aber es schmerzt trotzdem, dass ich sie verloren habe ... sicher ist das nicht besonders logisch." Frustriert sah er Juan an, registrierte, wie ähnlich er seinem Vater Madras war, fand, dass es eher aussah, als wenn Madras der Sohn wäre ... und diese wilden, schulterlangen, roten Locken ... fremdartig und sehr beeindruckend! „Ja, sie sind ebenso wie mein Name ein Erbe der Menschen“, antwortete Juan bereitwillig auf Tuvoks Gedanken. „Ich habe meine Kindheit auf einem Raumschiff verbracht. Linar vom Hause Boras, der Ehemann meiner Mutter, hat mich immer sehr liebevoll behandelt. Er hat die alten Bräuche der Turuska geehrt und seinen eigenen Sohn Argip niemals bevorzugt.“ „Juan hatte einen verantwortungsbewussten Stiefvater, ein makelloses Vorbild“, erkannte Tuvok „er würde niemals ein Kind quälen, nur weil er nicht sein leiblicher Vater ist.“ „Das ist korrekt“, antwortete der Krieger. „Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und ich werde dafür sorgen, dass das auch auf Eyzel und Piris Sohn Nugar zutrifft. Du musst dir wirklich keine Sorgen machen.“ Tuvok warf einen scheuen Blick auf seine Tochter. Sie war zierlich für ihr Alter, hatte große, intelligente Augen ... eine Nase, die im Profil makellos zart wirkte und von vorn irgendwie breit gelaufen aussah. Plötzlich hoffte er nur noch, dass man ihr im Haus Komor nicht auf dieselbe Weise weh getan hatte, wie ihm. „T'Pel hat versucht, Eyzel zu beschützen, aber es ist ihr leider nicht gelungen. Aron hat der Kleinen geholfen, mit den Erinnerungen an diesen dubiosen Unterricht fertig zu werden. Wir haben ihr die Wahrheit gesagt und ihr die weniger schlimmen Beweise gezeigt. Sie hat alles verstanden ..." erklärte Juan leise. „Wie konntet ihr so etwas nur zulassen!", fügte er hinzu und für einen Augenblick glomm Zorn in seinen klaren, grünen Augen. „Ich war kein guter Vater für meine Söhne ..." flüsterte Tuvok entsetzt. Juan sah ihn nur mitleidig an. „Es ist vorbei, Tuvok... du kannst nicht mehr ändern, was geschehen ist. Ich bin frei geboren, war immer im Einklang mit meinem Volk und den Menschen. Niemand hat mein Selbstbewusstsein beschädigt ... es steht mir nicht zu, über dich zu richten. T'Pel und ich, wir sind uns einig: Du darfst dich mit Eyzel treffen, so oft du willst. Sie ist das Letzte, was dir geblieben ist und wir respektieren deine Gefühle. Allerdings würden wir dir sehr übel nehmen, wenn du versuchen würdest, sie uns zu entfremden. Dieses Kind hat bereits genug durchgemacht, es braucht emotionale Sicherheit." „Danke für eure Großmut!“ „Sprich mit deiner Tochter“, forderte Juan Tuvok auf. „Wir beide haben keine Probleme miteinander und T’Pel wird dich als Freund empfangen, wenn du sie nicht weiter bedrängst. Eyzel braucht auch eine tragfähige Beziehung zu dir. Du bist jetzt mehr, als nur ein Name!“ Tuvok hockte sich vor seine Tochter und sah ihr forschend in die Augen. „Weißt du, wer ich bin?“ fragte er leise. „Mein Vater hat es mir erklärt“, sagte das Kind sachlich. „Du bist der ehemalige Ehemann meiner Mutter. Ihr hattet vor sieben Jahren eine Entrückung und dabei bin ich entstanden.“ Tuvok zuckte zusammen, als die Kleine Juan als ihren Vater bezeichnete. „Es tut mir Leid, dass ich nicht bei euch sein konnte. Es war nicht meine Schuld.“ „Ich weiß, dein Raumschiff war ganz weit weg. Mutti hat gar nicht damit gerechnet, dass du jemals zurückkommst ..." „Trotzdem“, bekannte Tuvok leise. „Wenn ich diese Sondermission nicht angenommen hätte, wäre das alles vielleicht gar nicht passiert.“ „Die bösen Fremden mit den Kriegsschiffen wären trotzdem gekommen.“ „Eyzel, ich sehe dich heute zum ersten Mal ... irgendwie ist das nicht richtig."
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„Piri sagt, dass wir alle Hüter der Zeit sind“, antwortete Eyzel ernsthaft. „Wenn wir etwas gegen unser Schicksal tun, kann es morgen schon ganz schlimm werden. Sicher ist es richtig, dass ich jetzt in einem Zelt wohne und zwei Väter habe.“ Jetzt erst wagte es Tuvok, seine Tochter in den Arm zu nehmen. „Sie hat mich Vater genannt“, dachte er euphorisch. „Schon dafür lohnt es sich, weiter zu leben!“ Juan lächelte zufrieden.
Auf dem Pfad des Schicksals Captain Janeway betrachtete die rötliche, staubige Kugel, der sich der Kampfflieger unaufhaltsam näherte, mit tiefem Unbehagen. „Ich weiß nicht", sagte sie leise zu Piri, „irgendwie kommt mir unser Vorhaben reichlich verrückt vor. Rein theoretisch habe ich eingesehen, dass Tuvok für mich mehr als Freundschaft empfindet, aber wenn ich daran denke, wie er ist ... so ungeheuer steif und verschlossen ... also, ich kann mir nicht vorstellen, ihn zu küssen oder gar mit ihm in einem Bett ... nein, da kommt nichts dabei heraus, wir sollten ganz schnell umkehren, bevor wir uns alle zum Narren machen!" „Ich verstehe Ihre Bedenken", erklärte Piri nachdenklich. „Eine Entrückung mit einem überzeugten Philosophiebürokraten ist tatsächlich das Allerletzte. Allerdings hat mir Madras versichert, dass Tuvok sich inzwischen sehr geändert hat. Es kann eine reizvolle Aufgabe sein, einen Geist im Feuer der Leidenschaft von den letzten Überresten einer verfehlten Konditionierung zu reinigen. Als ich Eyro zum liebsten Bindungspartner nahm und immer neue Varianten erprobte, um seine Sinne und sein Katra in Aufruhr zu versetzen ... es war auch für mich sehr schön. Er wirkte damals so unberührt, so überaus empfänglich für alles ... meinen heißen Speer, die fantastischen Welten, die wir gemeinsam erschufen." „Das klingt reichlich fremdartig ... und vielleicht ist das für einen Mann einfacher." „Wir haben während der kurzen Besatzungszeit unzählige Philosophiebürokraten aufgenommen. Alle, die jung und kräftig waren – und noch einigermaßen logisch denken konnten – wollten helfen, den Feind zu besiegen. Mit der richtigen Technik ist es gar nicht so schwer, Verkrustungen aufzubrechen, vor allem, wenn der andere sich auch danach sehnt. Sie sollten mit einer unserer Waffenschwestern reden, am besten mit Morrigan O’Connor. Soviel ich weiß, macht sie das ganz ausgezeichnet, obwohl sie ein Mensch ist.“ Janeway schwieg und streichelte nachdenklich die Katze, die behaglich auf ihrem Schoß lag und laut schnurrte. „Warum haben Sie mir eigentlich nicht gleich gesagt, dass Tuvok mein zukünftiger Partner ist und statt dessen diesen dubiosen Unbekannten erfunden?“ „Weil ich es selbst nicht genau wusste“, antwortete Piri prompt. „Das heißt, Sie schleppen mich nach Vulkan zu einer peinlichen Gegenüberstellung mit meinem taktischen Offizier, obwohl Sie sich gar nicht sicher sind, ob das richtig ist?“ fauchte Kathryn unerwartet wütend, was die Katze dazu veranlasste, blitzschnell von ihrem Schoß zu springen und in ihrem Korb zu verschwinden. „Aua! Du hättest wenigstens deine verdammten Krallen einziehen können!“ „Frieden, Captain Janeway", versuchte sie Piri zu beruhigen. „Ich kenne Tuvok nur von Bildern und aus den Erinnerungen T'Pels, da sah er jedes Mal wie ein versteinerter Sehlath aus. Der Mann an Ihrer Seite war ihm äußerlich ähnlich ... und auch wieder ganz anders: Er wirkte fröhlich und verliebt, hat Sie immer wieder zärtlich berührt. Wenn Tuvok jetzt wirklich so ist, haben Aron und Madras ein wahres Meisterwerk vollbracht. Es kann aber auch sein, dass für Sie eine Menge Arbeit übrig geblieben ist. Im schlimmsten Fall ist Ihnen gar nicht Tuvok vorherbestimmt, sondern ein anderer Mann des Hauses Kinsai, der ihm sehr ähnlich sieht." „Das heißt also, Vulkan ist auf jeden Fall richtig“, vermutete Selmak zufrieden. „Das ist korrekt", antwortete der Wahrträumer. „Alles übrige weiß ich erst, wenn ich Tuvok mit eigenen Augen gesehen habe ... und dann wissen Sie es vermutlich auch selbst." „Dann sollten Sie vorausgehen und mir eine unnötige Blamage ersparen ... Bitte!" „Einverstanden“, antwortete Piri schlicht. „Und wenn es der Falsche ist?“ „Sie können die Annäherung jederzeit abbrechen. Wir haben nicht vor, Ihren freien Willen zu beeinträchtigen. Das ist nicht unsere Art." „Aber diese Wahrträume schmälern doch tatsächlich die Freiheit des Einzelnen!“
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„Sie erteilen uns keine Befehle ... sie zeigen uns nur, was sein wird." „Und warum hat Aron mich dann so unter Druck gesetzt?“ fragte Captain Janeway angriffslustig. „Warum musste er mich mit diesem verdammten Tuvix quälen?“ „Was Sie erleben, ist der Pfad des Schicksals und keine Manipulation. Ich habe mit Aron nichts abgesprochen, er hat aus eigenem Antrieb gehandelt. Jeder von uns baut unabhängig vom anderen an einer Zukunft, die nicht mehr im Fluss ist: Sie, ich, Tuvok, Madras, Tapa, Eyro, T'Pel... wir haben uns jedes Mal entweder gar nicht abgestimmt, oder erst, nachdem eine Wegkreuzung bereits überschritten war." Kathryn sah ihn mit großen Augen an. „Sie könnten recht haben“, murmelte sie erstaunt. „Die Bausteine der Zukunft werden gerade auf makellose Weise gruppiert. Nur rohe Gewalt könnte jetzt noch etwas verändern ... eine Gewalt, deren Folgen nicht absehbar wären. Nach der Chaostheorie könnte das der Schmetterling sein ..." „... der am anderen Ende der Galaxis eine Raumanomalie entstehen lässt, die ganze Planetensysteme verschlingt", ergänzte Captain Janeway besorgt. „Ich bekomme Kopfschmerzen, wenn ich nur daran denke! Ahnt Captain Braxton eigentlich, dass ihr mit euren Träumen nachts an der Zeitlinie herum biegt?“ „Wer ist Braxton?“ fragte Piri neugierig. „Der Captain des Föderationszeitschiffs Aeon aus dem neunundzwanzigsten Jahrhundert. Er wollte allen Ernstes die VOYAGER abschießen, weil wir angeblich in ferner Zukunft unser Sonnensystem zerstören würden! Wir haben Widerstand geleistet und er musste am Ende einsehen, dass wir im Recht waren. Seitdem gehöre ich zu seinen besonderen Lieblingen.“ Piri schmunzelte. „Das kann ich mir gut vorstellen. Glücklicherweise sind die Aktivitäten eines Wahrträumers nicht messbar ... ebenso, wie die Kommunikation unter Bindungspartnern. Dieser Braxton weiß nichts von uns. Dennoch bitte ich Sie, uns ernst zu nehmen." „Das tue ich doch“, erklärte Captain Janeway ungeduldig. „Zum Teufel, was warten wir noch? Beamen Sie uns auf die Oberfläche!“ Als die Welt wieder existierte, sah sich Captain Janeway entsetzt um. „Um Himmels willen! Wo ist das Empfangsgebäude geblieben, die Hangars ... und die Stadt?" „Es gab bereits beim ersten Angriff der Jem'Hadar neun Millionen Tote", erklärte Piri bedrückt. „Unsere damalige Regierung dachte, dass sie mit dem Gegner verhandeln könnte ... dass unsere Makellosigkeit und Friedfertigkeit die Gründer irgendwie beeindrucken würde. Es gab keine Schutzräume, keine Bodentruppen, keine Abwehrkanonen ... nicht einmal eine Bürgerwehr. In den Augen der Jem'Hadar verdienten wir dennoch eine grausame Bestrafung, weil wir uns im mer noch für relevant hielten und ihre wundervollen Götter nicht anbeten wollten. Ihre Schiffe kamen in endlos neuen Angriffswellen, bis von unseren drei größten Städten nicht mehr allzu viel übrig war. Dann beamten die Bodentruppen herunter. Männer, Frauen und Kinder wurden wahllos in Lager verschleppt. Das waren durch Kraftfelder rundherum eingegrenzte winzige Gebiete ohne Unterschlupf, Wasser oder Nahrung. Es war darin völlig windstill, die Mittagshitze brütete mörderisch und der Sauerstoffvorrat ging ziemlich schnell zur Neige. Als wir noch in der gleichen Nacht die Stützpunkte des Feindes angriffen und unsere Landsleute befreiten, waren ein Teil der Alten, Kranken und Kleinkinder bereits gestorben. Die jüngeren Männer und Frauen wollten zum größten Teil nur noch kämpfen." „Also gehen wir gerade über die Asche zahlloser Toter“, flüsterte Kathryn traurig. „Ja, unzählige Katras sind auf diesem Platz im Feuersturm der Photonentorpedos verweht.“ „Die Vulkanier bewahren sie normalerweise in der Halle der alten Gedanken auf ... es muss für die Angehörigen doppelt schlimm sein, dass gar nichts von ihren Lieben übrig geblieben ist." „Es gibt keine Halle der alten Gedanken mehr“, sagte Piri unnatürlich ruhig. „Jemand verriet den Jem’Hadar, wo sich die Höhlen befanden und die dachten, dass sie eine gute Möglichkeit gefunden hätten, die Bevölkerung noch mehr zu demoralisieren. Wir waren nicht schnell genug. Eine Fusionsbombe verwandelte alles in Asche.“ „Es gab also Verräter ..." „Sie nennen sich ‚Vulkans Reinheit und Macht'" erläuterte Piri angewidert. „Dieses Geschmeiß hat ein überaus schlichtes Programm: Aus der Föderation austreten, alle Außenweltler töten oder verjagen und die alte Ordnung vor Surak wieder herstellen. Dann könnten sie endlich wieder in aller Ruhe Wehrlose vergewaltigen, foltern, morden ... und irgendwann Krieg gegen fried-
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liche Planeten führen. Glauben Sie mir, die Romulaner sind nette Kerle im Vergleich zu solchen Lematyas! Dieses Gesindel war so einfältig, zu glauben, sie könnten das Dominion für ihre eigenen Zwecke benutzen. Sie haben nicht damit gerechnet, auf den Seziertischen von Cardassianern und Vorta zu enden, nachdem sie ihre Schuldigkeit getan hatten." „Mein Gott ..." flüsterte Kathryn entsetzt. „Aber jetzt müssen sie doch einsehen ..." „Wir haben natürlich keinen einzigen Krieger geopfert, um die Handlanger unserer Feinde zu retten." Piris dunkle Augen glühten hasserfüllt, als er hinzusetzte: „Auf diese Weise blieb uns viel Arbeit erspart. Als alles zu Ende war, mussten wir nur noch die Anführer finden und vaporisieren. Ich hoffe, wir haben für die nächsten fünfhundert Jahre Ruhe!" „Das entspricht nicht gerade der Charta der Föderation ..." „Es war Krieg", antwortete Piri hart. „Unsere Ressourcen waren begrenzt. Es wäre völlig unlogisch gewesen, sie zur Bewachung von Gefangenen einzusetzen. Das Dominion hatte im Alphaquadranten und speziell auf Vulkan nichts zu suchen. Die sollen sich ihre ekelhafte Ordnung sonst wo hinschieben! Wenn andere Spezies bereit sind, diesen chauvinistischen Brei anzubeten, sollen sie das meinetwegen ruhig tun. Wir Vulkanier wissen, wer Ah'Tha ist: ein reines Katra aus einem anderen Universum. Uns kann man nicht mit irgendwelchen Formwandlern oder Goa'uld beeindrucken ... nicht einmal mit den Propheten der Bajoraner." „Schade, dass wir die Ah‘Maral nicht eher kennen gelernt haben“, überlegte Selmak wehmütig. „Vielleicht hätten wir gemeinsam sogar das Gemetzel von Anubis an den die Tok’Ra verhindern können.“ „Wir können immer noch eine Menge für euch tun“, antwortete Piri freundlich. „Langsam verstehe ich, was für ein Kulturschock das neue Vulkan für Tuvok war", dachte Captain Janeway verständnisvoll. „Aber ich bin in den letzten sieben Jahren auch härter geworden ... vor allem nach der Sache mit der Equinox. Ich verstehe die Ah'Maral recht gut ..." Kathryn wartete mit gemischten Gefühlen in der Nähe der Transporter-Plattform des Hauses Kinsai auf Piri. „Wenn ich nun einfach verschwinde ..." überlegte sie und tastete nach ihrem Kommunikator. „Irgendein Schiff der Sternenflotte ist bestimmt in der Nähe und holt mich hier raus. Aber was zum Teufel sage ich denen? Bitte rettet mich ganz schnell, ich soll einen Vulkanier heiraten ... oder ... mein taktischer Offizier ist in mich verliebt und seine Sippe versucht, mich mit ihm zu verkuppeln ... ein Wahrträumer und ein Gedankentechniker haben mich gemeinsam in die Falle gelockt ... oder gar, der Premierminister Vulkans pfuscht in meinem Leben herum? Die würden mich nur kariert ansehen und den nächsten Counseler rufen. Na gut, stehen wir diese Begegnung der dritten Art irgendwie durch. Vielleicht gibt es ja anschließend sogar eine ordentliche Tasse Kaffee." Eine uralte Vulkanierin kam mit langsamen Schritten auf sie zu und setzte sich leise ächzend neben Janeway in den Schatten. „Es ist heute besonders heiß“, begann sie und sah der menschlichen Frau prüfend in die Augen. „Das muss ziemlich schwer für Sie sein. Ich vermute, dass Sie noch nie in unserer Wüste waren.“ „Im Deltaquadranten gab es etliche Höllenplaneten ... ich bin so einiges gewöhnt." „Aber dort wollten Sie nicht heimisch werden. Der Gedanke an ein gut klimatisiertes Quartier tröstet über so manches hinweg. Wenn Sie mit Tuvok die Bindung vollziehen, müssen Sie einen Teil Ihrer Zeit bei uns verbringen. Wir werden nicht zulassen, dass er sich wieder seinem Volk entfremdet. Wir mögen die Menschen, aber manchmal denken sie in zu engem Rahmen. Wer sich mit einem Vulkanier verbindet, heiratet immer auch seinen Clan. Er erhält den Schutz und die Geborgenheit einer großen, strukturierten Gemeinschaft, aber das hat seinen Preis: Manchmal muss er sich der Autorität seiner Ältesten beugen.“ „Sie sind ..." „Ich bin T'Solon, Ihre zukünftige älteste Mutter", bestätigte die alte Frau gelassen. „Es war mir wichtig, dass Sie diese Information erhalten, bevor Sie sich entscheiden." Nun lächelte sie freundlich und fügte sanft hinzu: „Ich habe nicht die Absicht, mich in Ihr Leben einzumischen, Kathryn Janeway von der Erde. Allerdings ist mir Tuvoks Wohl sehr wichtig. Er ist momentan sehr verletzlich ... ich werde es nicht dulden, dass Sie ihm mit dem typisch menschlichen Egoismus und Leichtsinn schaden." „Ich bin nicht leichtfertig“, sagte Kathryn verärgert. „Und dennoch haben Sie erwogen, einfach wegzulaufen ..."
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„Sie lesen meine Gedanken, das ist nicht fair!“ „Viele Turuska haben die Fähigkeit, ohne physischen Kontakt in einen anderen Geist einzudringen. Deshalb hat man uns gehasst, versklavt und getötet. Wer mit uns in Harmonie leben möchte, muss Gedanken und Worte in Einklang bringen ... vergessen Sie das bitte nie!" In dem Augenblick tauchte Piri zwischen den Zelten auf. „Tuvok ist der richtige Mann ... kommen Sie, er wird Ihnen gefallen!" Erschrocken sprang Kathryn auf. „Dann wird es jetzt also ernst.“ „So ernst nun auch wieder nicht, Tuvok strahlt wie ein blank geputzter Kupferkessel.“ Die alte Frau verfolgte Captain Janeway und Piri vom Hause Tureg mit den Augen, bis sie im Gewirr der Zelte nicht mehr zu sehen waren. „Ich hoffe nur, diese Frau weiß, was sie tut!" murmelte sie. „Sonst werde ich ..." Kathryn konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich Piri in dem Gewirr sandfarbener Zelte orientierte. Abgesehen von dem großen Versammlungszelt, konnte sie kaum Unterschiede entdecken ... bis der Wahrträumer ihr unauffällige Markierungen dicht über dem Boden zeigte. Sie konnte die vulkanischen Schriftzeichen nicht entziffern, erkannte jedoch mühelos, dass jedes Zelt anders gekennzeichnet war. „Was bedeuten diese Zeichen?" fragte sie Piri neugierig. „Himmelsrichtungen, Abstände, Namen ..." antwortete der Träumer. „Es ist ein logisches System. Wer es einmal erkannt hat, findet sich mühelos zurecht." „Und jetzt gehen wir zu Tuvok...“ „Ja, Madras hat ihm gerade im Namen der Ältesten des Hauses Kinsai ein eigenes Zelt geschenkt. Andere Mitglieder des Clans haben Einrichtungsgegenstände gespendet ... Yanar Antorra ist wieder einmal nicht davon abzubringen, es zu dekorieren ... und Aron passt auf, dass sie es nicht zu schlimm treibt. Ich bin vorhin in ein ziemlich lustiges Chaos geraten." „Yanar Antorra? Das klingt ziemlich fremdartig ..." „Die Botschafterin Cardassias auf Vulkan. Sie ist mit Aron liiert ... er kennt und fürchtet ihr innen architektonisches Temperament." Captain Janeway konnte sich ein verstohlenes Grinsen nicht verbeißen, als sie an die Vorliebe der Cardassianer für dekorative, in praktischer Hinsicht völlig unbrauchbare Möbel dachte ... diese bunten, gewölbten Tische zum Beispiel. Und dann die schrägen Farbkombinationen ... plötzlich kicherte Selmak ganz ungeniert. „Wir sind da“, unterbrach Piri ihre vergnüglichen Überlegungen und wies auf eines der unauffälligen Zelte. „Dort ist der Eingang, lassen Sie sich durch das leichte Kraftfeld nicht irritieren.“ „Ich soll da allein hineingehen? Warum kommen Sie nicht mit?“ „Ich möchte Tuvok nicht noch mehr die Freude verderben", antwortete Piri ruhig. „Ich bin der Mann, der ihm seine Gemahlin abspenstig gemacht und einen Sohn mit ihr gezeugt hat. Ich bin einer der Bindungspartner, von denen T'Pel sich auf keinen Fall trennen würde ... und der jede Entrückung mit ihr sehr genießt." Piri brummte etwas Unverständliches und fügte hinzu: „Ich bin eine offene Wunde in seinem Selbstbewusstsein ... mehr noch, als es Juan ist. Ich hoffe nur, er nimmt den ganzen Unfug irgendwann nicht mehr so ernst." „Also gut, ich gehe allein in die Höhle des Löwen!“ „Wohl eher die eines Teddybären“, korrigierte Piri amüsiert. Kathryn musste sich sehr zusammenreißen ... die Szenerie war einfach zu komisch! Eine große, schlanke Cardassianerin umwickelte gerade die Zeltstangen mit braun und violett gemustertem Tüll. Mehrere abstrakte Figuren waren direkt an der Zeltplane aufgereiht; eine davon sah wie eine Kreuzung aus einem Wasserkocher und einem Dromedar aus und die übrigen ... „Weiß der Kuckuck, was das sein soll, aber es passt wenigstens in der Farbe zu diesen Tüchern und der Tischattrappe. Vermutlich würde sogar ein einzelnes Glas Kanar an der Wölbung abrutschen ... aber vielleicht gibt es ja Gläser mit entsprechend geformtem Fuß." Madras saß mit ironisch funkelnden Augen in entspannter Haltung auf der breiten Liege mit den beige und grün gemusterten Kissen, während Aron den Arm um Tuvoks Schulter gelegt hatte und beruhigend auf ihn einredete: „... lass sie nur, wenn sie sich wieder eingekriegt hat, packen wir den ganzen Kram heimlich zurück ins Vorratszelt unseres Clans. Was meinst du, wo dieses Tischmonstrum schon überall herumgestanden hat. Es findet wahrscheinlich von allein den Weg in seine Kiste. Ich weiß, von wem du ein oder zwei wirklich schöne Artefakte unseres
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Volkes bekommen kannst. Eyro hat von Karak eine Sammlung alter Skulpturen und Tongefäße geerbt ... sicher schenkt er dir gern eine Kleinigkeit." Aron stutzte und lachte dann amüsiert. „Was muss ich erfahren! Eyro hat versucht, dich in seine Bruderschaft zu locken? Ausgerechnet der introvertierte Eyro ist so begeistert von dir und hat es einfach gewagt! Darauf kannst du eigentlich sehr stolz sein, so etwas bringt er normalerweise nicht fertig ... gut, ich gehe für dich zu Eyro, aber jetzt noch nicht, weil ..." Plötzlich entdeckte Tuvok Captain Janeway und das geschäftige Treiben gefror abrupt zu einem Bild. Selbst Yanar blieb mit erhobenen Händen an ihrer Zeltstange stehen und sah Kathryn mit großen, erstaunten Augen an. Ganz langsam gingen die beiden aufeinander zu und blieben in einem halben Schritt Abstand voneinander stehen. Beide sagten kein Wort, sahen sich nur unverwandt in die Augen: Staunen, Skepsis, leise Hoffnung, panische Angst, Neugier. Wie Wellen fluteten die unterschiedlichsten Empfindungen über die beiden Gesichter. „Sie könnten sich doch jetzt umarmen und küssen, wie in den netten Datenpads der Föderation“, dachte Yanar verunsichert. „Ich meine, wo alles in Ordnung ist und die bei den Turuska übliche Kuppelorgie ihren krönenden Abschluss findet. Wenn ich daran denke, wie schnell Aron und ich uns die Sachen vom Leibe gerissen haben. Die beiden benehmen sich ja wie zwei Halbwüchsige beim ersten Rendezvous!“ „Für einen ehemaligen Philosophiebürokraten reagiert Tuvok verdammt emotional“, wunderte sich Aron. „Sieh nur, sein Katra ist ja fast nackt!“ „Mir wird ganz komisch zumute", flüsterte Yanar in Arons Geist. „Je länger sich die beiden anstarren, um so heißer wird mir. Wer hätte gedacht, dass zwei Sternenflottenoffiziere dermaßen inspirierend sein können ... ich habe da so eine hübsche Idee." „Die VOYAGER in einem Plasmastrudel?“ „Nicht ganz, so etwas Ähnliches." „In meinem Speer bilden sich Wurzeln ..." murmelte Aron leise. „Ich möchte überall in dir wuchern. Komm, wir verschwinden unauffällig." Madras warf Aron einen amüsierten Blick zu, stand auf und entfernte sich wortlos. Wie auf Kommando folgten ihm Aron und Yanar. „Sie sind weg!" freute sich Selmak. „Jetzt kannst du Tuvok endlich küssen!" Als Kathryn nicht sofort reagierte schob er sie einfach beiseite, wandte kurz den Kopf ab, damit Tuvok nicht das helle Glühen seiner Augen sehen konnte, dann umschlang er den Vulkanier wortlos, betastete das kurze, krause Haar, streichelte seine Schultern, seinen Rücken, seine Hände wanderten tiefer. Als er mit dem Mund Tuvoks Lippen berührte, begann dieser heftig zu zittern. Offenbar wusste er von diesem Brauch der Menschen, denn er gewährte der warmen Zunge willig Einlass, wehrte sich nicht, als sie sanft über sein Zahnfleisch leckte ... vorsichtig weiter vordrang. Selmaks Hände berührten den Vulkanier immer intimer ... fühlten, dass seine Erregung stark war. Die Schlange seufzte zufrieden, endlich würde dieser überaus anziehende Mann ... Plötzlich riss sich Tuvok heftig los und trat zwei Schritte zurück. „Ich darf das nicht", sagte er tonlos. „Noch nicht ..." Selmak zog sich beleidigt zurück. „Sieh zu, wie du mit ihm klarkommst, Kathy. Ich verstehe diesen Mann beim besten Willen nicht.“ Kathryn ließ die Arme sinken und sah ihren taktischen Offizier besorgt an. „Habe ich ... haben wir etwas falsch gemacht?" Tuvok schwieg und streifte sie mit einem dunkel brennenden Blick. Aus Kathryns Sicht verging eine kleine Ewigkeit. „Ich befürchte, dass ich dich gekränkt habe, das heißt, eigentlich war ich das gar nicht," probierte sie schließlich vorsichtig die vertrauliche Anrede. „Ich nehme an, du weißt Bescheid über ..." „Selmak“, ergänzte Tuvok sanft. „Madras hat mich darüber informiert.“ „Er stört dich hoffentlich nicht ..." „Nein, Kathryn, mich stört überhaupt nichts an dir. Ich fände es nur nicht richtig, wenn wir so formlos ... wenn wir einfach kopulieren würden wie zwei Tiere. Dazu verehre ich dich viel zu sehr", erklärte Tuvok ernst. „Du hast recht, die Schlange hat es viel zu eilig“, bestätigte Captain Janeway behutsam. „Hast du bestimmte Vorstellungen, wie es mit uns weiter gehen soll?“
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„Mein Kohlinar-Meister Madras ist der Meinung, dass ich noch einiges über menschliche Frauen lernen muss ... und gewisse Künste der Krieger." „Tricks, um mich zu manipulieren?“ fragte Janeway skeptisch. „Nein, Methoden, um auf makellose Weise die Entrückung vorzubereiten, Wege zur reinen Ekstase, die Erschaffung imaginärer Welten, Abenteuer der Sinne und des Katras. Ich möchte einzigartig für dich sein.“ Kathryn erschauerte unwillkürlich. „Das hört sich nicht nach dem an, was ich kenne“, murmelte sie zugleich verängstigt und fasziniert. „Das trifft auch auf mich zu", bekannte Tuvok ehrlich. „Da, wo ich aufwuchs, betrachtete man Entrückungen eher als notwendiges Übel ... um Kinder zu zeugen oder das Pon Farr zu überleben. Die Turuska sehen das ein wenig anders, aber ich vertraue meinem Meister." „Und wenn dein ... Meister mit dir zufrieden ist?" „Dann werde ich dich bitten, mich zur Oase von Karka zu begleiten. Es gibt dort eine steinerne Hütte, die so alt wie mein Volk ist, einen Brunnen mit klarem Wasser, einen winzigen Garten mit drei knorrigen alten Bäumen und vielen bunten Wüstenblumen.“ „Und was ..." begann Kathryn und verstummte ratlos. „Ein alter Brauch meines Volkes, das Ritual der Annäherung. Wir haben jeweils einen Tag Zeit um unsere Katras und unsere Körper zu erkunden. Jeder, der etwas entdeckt, was ihn verunsichert oder gar abstößt, darf das Ritual sofort abbrechen. Wenn uns beiden alles gefällt, was wir gesehen, gefühlt, gerochen und geschmeckt haben, dürfen wir am dritten Tag unsere Körper und unsere Katras vereinigen.“ „Ein merkwürdiger Brauch", flüsterte Kathryn errötend. „Wenn ich mir vorstelle, wie du ..." Zum ersten Mal wurden ihr die Konsequenzen ihrer Reise nach Vulkan richtig klar, die unvermeidlichen Intimitäten mit ihrem langjährigen, vertrauten Freund und Untergebenen ... wie fremdartig die Turuska waren, einerseits äußerst sachlich und logisch, andererseits war da diese unbekannte, beängstigende, überaus verlockende Glut. „Das gefällt mir ..." murmelte Selmak. „Vernunft und Liebe – eine seltene Mischung." „Darf ich hoffen?“ fragte Tuvok beinahe schüchtern. „Ja", antwortete Captain Janeway und ihre Augen funkelten auf einmal ganz abenteuerlustig. „Es ist die älteste Geschichte der Welt: ein wunderschöner Garten, ein Mann, eine Frau ... und eine Schlange. Ich hoffe nur, dass Gott keinen Erzengel schickt, um uns zu vertreiben." „Ah’Tha, der alles sieht und niemals eingreift würde so etwas niemals tun“, sagte Tuvok ernsthaft. „Er erfreut sich an den Liebenden.“ „Was für ein wundervoller Planet“, brummte Selmak zufrieden.
Ende
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A&A Wipperling: The Turuska Chronicles Bis jetzt sind beim Star Trek Forum folgende Veröffentlichungen erschienen: Adriana Wipperling:
Star Trek Defender – Band 1: Ein Paradies in Aufruhr März 2001, 100 S. Adriana Wipperling:
Star Trek Defender – Band 2: Schonungslose Wahrheit Mai 2002, 182 S. Adriana Wipperling:
Star Trek Defender – Band 3: Mit der Seele eines Trill April 2003, 136 S. In Vorbereitung: Adriana Wipperling:
Star Trek Defender – Band 4: Verrat und Widerstand (Roman) Anneliese Wipperling:
Der weite Weg zur Erde (Roman) März 2001, 204 S. Anneliese Wipperling:
Der älteste Krieger (Storyband) August 2001, 172 S. Adriana & Anneliese Wipperling:
Für Vulkan leben und sterben (Storyband) April 2002, 174 S. Anneliese Wipperling:
Logik aus der Kälte (Roman) Mai 2002, 192 S. Adriana & Anneliese Wipperling:
Heimkehr in die Fremde (Storyband) Stargate -Turuska-Voyager-Crossover Oktober 2002, 190 S. Anneliese Wipperling:
Flügel aus Glas (Anthologie turuskischer Autoren) Februar 2003, 208 S. Anneliese Wipperling
Gesang mitten im Feuer (Roman) Januar 2004, 226 S.
Kontakt: Uschi Stockmann • Otto-Heinrichs-Str. 6 • 38442 Wolfsburg; Tel: (05362) 62867 • Fax: (05362) 63069 • Email:
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