Manfred Wegener
PARKER
jagt die
Schutzgeld-Gangster
Lady Agatha Simpson saß entspannt und zurückgelehnt im Fond. ...
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Manfred Wegener
PARKER
jagt die
Schutzgeld-Gangster
Lady Agatha Simpson saß entspannt und zurückgelehnt im Fond. Sie las die Zeitung und konzentrierte sich auf einen bestimmten Artikel, der sie fesselte. Josuah Parker befand sich mit seinem hochbeinigen Monstrum auf dem Rückweg nach London. Mylady hatte in Ramsgate eine Verwandte besucht. »Wir machen in Whitestable eine Pause, Mister Parker«, sagte sie plötzlich. »Dort liegen Schiffe der Royal Navy. Man lädt zum Tag der offenen Tür, wie hier steht. Ich würde mir das gern mal ansehen.« »Meine Wenigkeit wird Myladys Wunsch unverzüglich nachkommen«, versicherte der Butter mit unbewegtem Gesicht Er war mittelgroß, fast schlank und verkörperte das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers, wie er nur noch in historischen Filmen gezeigt wurde. Er kannte Myladys Hobby, die Kriminalistik, zur Genüge, und er wußte auch, daß »eine Herrin in jedes nur erreichbare Fettnäpfchen trat Im Moment stand ein solcher »Fettnapf« wieder bereit, als er sich entschloß, von der Autobahn nach Whitstable abzubiegen. Aber noch begann alles recht harmlos...
Die Hauptpersonen: Jaco Fleetwood zertrümmert mit Genuß ein Restaurant.
Frank Irvin hilft ihm dabei tatkräftig und pöbelt die Gäste an.
Rod Boyler sein Lieblingsspielzeug ist ein Flammenwerfer, mit dem er an
einer gewissen Mauer kein Glück hat.
McWarden der Mann vom Yard hinkt immer einen Schritt hinter einer
gewissen Dame her.
Lady Agatha löst auf einem U-Boot versehentlich einen Torpedo und »ver
senkt« einen Kiosk.
Butler Parker betätigt sich als Pizza-Spezialist und hilft seiner Herrin aus
der Patsche.
Caesare Varese der große Zampano macht zum Schluß eine lächerliche
Figur.
Parker nahm Kurs auf den Marienhafen vor der Isle of Sheppey, parkte seinen
Privatwagen und half seiner Herrin beim Aussteigen. Wie immer tat sie sich
wegen ihrer beachtlichen Fülle etwas schwer.
Ein vorbeigehender Marinesoldat sperrte den Mund auf, als er das skurrile
Paar sah. Sein Blick blieb an Myladys Hut hängen.
Sie trug zum weitgeschnittenen Tweedkostüm derbe Schnürschuhe und auf
ihrem Kopf ein Gebilde, das der Navymann noch nie in seinem Leben gesehen
hatte. Es erinnerte an eine Mischung aus einem nicht ganz fertiggewordenen
Zwetschgenkuchen und einem demolierten Südwester mit etwas Seetang an
den Seiten.
Der Mann marschierte hastig weiter, drehte den Schädel aber so, daß er
rückwärts blickte, worauf er prompt mit einem Laternenpfahl Bekanntschaft
schloß.
Tränenden' Auges setzte der abgelenkte Vaterlandsverteidiger seinen Weg fort.
»Er scheint mich zu kennen«, behauptete Lady Agatha. »Wahrscheinlich
haben sich meine kriminalistischen Fähigkeiten schon bis zur Air Force
herumgesprochen.«
»Mylady dürften die Royal Navy meinen und hier sicher nicht unbekannt
sein«, erwiderte Parker, wobei er so unauffällig wie möglich korrigierte.
»Da kennt man mich natürlich auch, Mister Parker«, lautete ihre Antwort.
Agatha Simpson schien den kleinen Unterschied überhört zu haben.
Die passionierte Detektivin sah sich gründlich um und musterte die Schiffe im
Hafen, Zerstörer, Minenräumer, eine Korvette, Lenkwaffenboote, Schnellboote
und zwei Unterseeboote. Eines der beiden war eindeutig ein Exemplar aus dem
Zweiten Weltkrieg, aber erstaunlich gut erhalten.
Viele Leute tummelten sich auf den
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Schiffen, ließen sich dies und jenes erklären, oder sahen stumm der demon strierten Ausbildung an den Geschützen zu, an denen Seekadetten hantierten. »Ich denke, ich werde auch ein paar Schüsse abgeben, möglichst aus einer großen Kanone«, deutete Mylady an. »Sie wissen, daß ich mich darauf ver stehe, Mister Parker.« Der Butler deutete eine leichte Verbeugung an. »Mylady sind selbst in der Waffentechnik ungemein erfahren. Man erkühnt sich allerdings zu behaupten, daß hier nicht scharf geschossen wird.« »Papperlapapp, Mister Parker. Schließlich zahle ich Steuern, also kann ich auch mal etwas davon verpulvern.« »In solcher Sichtlage haben Mylady durchaus recht.« »Na also. Zuerst sehe ich mir mal dieses Schlachtschiff an.« Lady Agatha deutete auf ein Minenräumboot, das vertäut am Kai lag. Parker geleitete seine füllige Herrin fürsorglich über die ausgebrachte Stelling an Bord. Einige Angehörige der Royal Navy sahen dem ungewöhnlichen Paar stumm und neugierig entgegen. Parker und Mylady erregten beträchtliches Aufsehen, als sie über das Deck des Minenräumers gingen. Der Butler erklärte der passionierten Detektivin Sinn und Zweck eines Minenräumers, doch die streitbare Dame sah in der ganzen Sache keinem vernünftigen Sinn. »Sie wollen mir weismachen, Mister Parker, daß man extra ein Schiff braucht, um Minen zu legen, und dann wieder ein anderes, um sie wegzuräumen. Ist das nicht umständlich? Das kostet doch alles eine Menge Geld. Ich habe da einen Verbesserungsvorschlag, den man honorieren müßte. Man braucht erst gar keine Minen zu legen, dann spart man nämlich das Aufräumen. Etliche Schiffe und Besatzungen sind doch überflüssig. Ich glaube, ich werde diesen Vorschlag der Admiralität unterbreiten.« Josuah Parker wußte, daß Lady Agatha weitaus sparsamer war als das berühmte schottische Highländer Dudelsack-Regiment. »Mylady glänzen mit bestechender Logik und Argumentation«, lobte er, ohne eine Miene zu verziehen. »Man muß nur nachdenken, Mister Parker. Von diesen Marinelümmeln hat das offenbar noch niemand getan. Die schmeißen das Geld mit vollen Händen sozusagen ins Meer.« Die ältere Dame wandte sich wohlwollend an einen goldbetreßten Offizier, der vor ihr Haltung annahm und salutierte. Etwas nachdrücklich tippte sie ihm mit dem Finger auf die Brust. »Sollten Sie demnächst arbeitslos werden, junger Mann, weil ich bezüglich der Navy umwälzende Veränderungen plane, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an mich. Ich werde Ihnen eine andere Arbeit verschaffen, die weniger gefährlich ist. Mister Parker wird Ihnen meine Karte überreichen.« Der Butler lüftete stumm die Melone
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und übergab dem hilflos dreinblickenden Lieutenant eine von Myladys Visitenkarten. »Beim Großlord«, murmelte der Mann verblüfft und sah dem skurrilen Paar ratlos nach. Die Karte drehte er hilflos in den Fingern. Sein Krächzen war reiner Verlegenheitsausbruch. »Offenbar ein Italiener«, vermutete Lady Agatha im Weitergehen. »Der Mann hustet mit deutlich südländischem Akzent.« Parker enthielt sich eines Kommentars und führte die streitbare Dame noch auf eine Korvette und ein Lenkwaffenboot. Letzteres war Mylady allerdings zu klein und taugte ihrer Ansicht nach bestenfalls zum Wasserskilauf. Außerdem weigerte sich der diensthabende Offizier hartnäckig, Agatha Simpson an Schießübungen teilnehmen zu lassen, worauf sie grollend von Bord ging und ihr Interesse auf ein älteres U-Boot konzentrierte, das etwas abseits an der Pier lag. »Da gibt es ja gar keinen Eingang«, mokierte sich die füllige Dame mit ihrer baritonal gefärbten Stimme. Prompt drehten sich ein paar Leute um, die hinterhältig grinsten. »Sie müssen durch das Turmluk da oben, Oma«, sagte feixend ein junger Bursche, der eine Lederjacke trug. »Vorausgesetzt, Sie kommen mit Ihrem dicken Achtersteven überhaupt durch.« »Sie Lümmel wagen es, eine Lady Simpson zu beleidigen«, erregte sich die ältere Dame, holte aus und landete blitzschnell eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen. Die Maulschelle war so gewaltig, daß sie den Mann augenblicklich von den Beinen riß. Er schlitterte über das geriffelte Deck, griff haltsuchend um sich und landete mit einem erschreckten Aufschrei im Wasser. Parker griff ein und zog den Gestrauchelten wieder an Bord, wo er klatschnaß und bibbernd herumstand. »Man würde anraten, Mylady nicht zu nahe zu treten«, empfahl er dem verstörten Burschen, der an seine Wange griff und sie vorsichtig massierte. Sie schwoll bereits beträchtlich. »Mylady?« ächzte der Getroffene. »Die hat wohl mal im Ring gestanden, was?« Er registrierte eine Handbewegung der energischen Dame, zuckte zusammen und nahm sozusagen die Beine in die Hand, in der Annahme, Mylady würde einen Nachschlag servieren. Innerhalb weniger Sekunden war er bereits an Land. Für das alte U-Boot schienen sich nur wenig Leute zu interessieren. Die modernen Schiffe waren wesentlich stärker frequentiert, obwohl gerade auf diesem Tauchboot eine Übung simuliert wurde. Lady Agatha hatte den »Eingang« gefunden und enterte die Leiter zum Turmluk. Dort sah sie sich allerdings einer gewissen Schwierigkeit gegenüber, als sie die enge Öffnung bemerkte, die in die Tiefe des Bootes führte. Zum Glück war es kein Alarmtauchen unter kriegsähnlichen Bedingungen. So gelang es Parker mit unzähligen 6
Verrenkungen Mylady in die enge Stahlröhre zu bugsieren, wo die kriegerische
Dame sich äußerst interessiert umsah.
»Mein seliger Gatte fuhr auf so einem Boot«, schwindelte sie ungeniert.
»Daher kenne ich mich hier aus.«
In der Zentrale saß ein Uniformierter mit einem riesigen schwarzen Bart, in
dem kaum das Gesicht zu erkennen war. Der Mann erweckte den Eindruck, als
würde er sich hinter seinem eigenen Gebüsch verstecken.
Ein anderer, offenbar der Kommandant, gab Befehle durch das Boot.
Stimmen schwirrten durcheinander, und die wenigen Besucher sahen sich
alles interessiert an.
Der Kommandant, ein junger Mann mit Habichtnase, wandte sich an Lady
Agatha und ihren altväterlich bekleideten Begleiter, der stumm seine schwarze
Melone lüftete.
»Ein Überwasserangriff wird simuliert, meine Herrschaften«, ließ er verlauten.
»Dabei wird ein Torpedo auf ein fiktives Ziel abgefeuert.«
Irgendwo weiter achtern lief röhrend ein Diesel an, der sein Brummen auf die
gesamte Stahlhülle übertrug.
Nach einigen Vorbereitungen gingen Meldungen ein. Kurze Befehle erklangen.
»Bugrohr eins laden!«
Der Mann mit dem Rauschbart hantierte an Hebeln und Schaltern. Aus dem
Horchraum meldete ein anderer Schraubengeräusche. Die Atmosphäre wirkte
sehr echt.
»Bugrohr eins geladen, Aal gewässert«, meldete der Bartträger, womit er den
Torpedo meinte.
»Sie wässern Aale?« erkundigte sich Lady Agatha stirnrunzelnd. »Haben Sie
nichts Besseres zu tun, junger Mann? Ich denke, das ist eine Schießübung.
Außerdem sollten sie Aale lieber räuchern, das hebt den Geschmack hervor
und macht sie pikanter.«
Der Bartträger starrte Agatha Simpson mit offenem Mund an.
»Räuchern?« ächzte er. »Aber - die kann man doch nicht räuchern, Lady. Das
sind ...«
»Mylady«, verbesserte die passionierte Detektivin. »Wie auch immer, junger
Mann. Für einen derartigen Unfug zahle ich keine Steuern. Das grenzt schon
an Tierquälerei.«
»Aber damit sind doch Torpedos gemeint, Mylady«, erwiderte der Bartträger
verzweifelt. »Man bezeichnet sie nur als Aale.«
»Das weiß ich auch, junger Mann. Ich habe Sie nur einem kleinen Test
unterzogen. Ich bin früher jahrelang als Konteradmiralin bei der Royal Air
Force zur See gefahren, als Sie noch nicht mal wußten, daß ein Boot
schwimmen kann.«
Der Mann war so verblüfft, daß er Lady Agatha mit offenem Mund anstarrte
und dann hart schluckte.
»Die Air Force ist aber nicht die Navy«, würgte er schließlich fassungslos
hervor. »Und von einer Konteradmiralin der Lüfte habe ich noch nie gehört.«
Der erbauliche Dialog wurde durch weitere Kommandos unterbrochen.
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Josuah Parker führte seine Herrin weiter nach achtern und kehrte schließlich wieder in die Zentrale zurück. Dort war der Bartträger gerade abberufen worden, und so lag die Zentrale verwaist. »Die Luft bedrückt mich hier, Mister Parker«, sagte Mylady. »Hier fühlt man sich ja wie in einem Sarg. Gehen Sie schon voraus und reichen Sie mir die Hand, wenn Sie oben sind.« »Sehr wohl, Mylady«, erwiderte der Butler mit einer angedeuteten Vernei gung. Vor Parker stieg gerade ein junges Pärchen durch das Turmluk nach oben. So hatte Lady Agatha noch etwas Zeit, sich in der Zentrale umzusehen. Die vielen Hebel und Schalter faszinierten sie, und sie war neugierig, welche Reaktion das Umlegen eines Hebels wohl bewirkte. Ihrer Ansicht nach konnte nicht viel dabei passieren. Um sich das selbst zu beweisen, drückte sie kurzentschlossen auf einen kleinen Knopf, als Parker gerade die Leiter nach oben enterte. Es geschah absolut nichts, wie Lady Simpson das auch erwartet hatte. Also zog sie entschlossen noch einen Hebel herunter, als niemand zu sehen war. Auch hier zeigte sich kaum ein Erfolg. Lediglich durch das U-Boot ging ein kleiner, kaum spürbarer Ruck. * Die Hafenmeisterei befand sich vierhundert Yards entfernt von der Stelle, wo
die Schiffe lagen.
Für den Hafenmeister Finley war es ein ausgesprochen langweiliger Tag, weil
er nichts zu tun hatte.
So hockte er blinzelnd vor dem kleinen Backsteinhaus in der Sonne und starrte
aufs Wasser. Eine Weile rang er mit dem Entschluß, nach nebenan zum Kiosk
zu gehen und sich ein Würstchen zu holen. Aber weil er selbst dazu zu faul war,
blieb er sitzen und rief dem Kioskbesitzer seinen Wunsch zu.
Ein paar Minuten später erschien der Mann mit dem Gewünschten und
brachte zusätzlich noch einen Pappbecher Bier.
»Seit die Navy hier im Hafen liegt, gibt es kaum was zu tun«, sagte Finley.
»Das wird sich erst übermorgen wieder ändern.«
»Mein Laden läuft auch nicht«, beklagte sich der Kioskmann. »Die Lords
geben kein Geld für Würstchen aus. Haben sie ja selbst an Bord.«
Finley trank einen Schluck Bier, wischte sich mit der Hand über den Mund
und biß herzhaft in die heiße Wurst.
Er hatte sie noch im Hals, als er plötzlich knallrot anlief und an dem
Würstchen fast erstickte.
Der Kioskbesitzer sah es mit Betroffenheit.
»Ist der Senf sehr scharf, oder das Würstchen schlecht?« fragte er heiser.
Finley spie ächzend die Wurst aus und fegte das Bier mit einer Handbewegung
von der Bank.
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»Oh, mein Gott«, stöhnte er und sprang blitzschnell auf. »Was ist denn los, Finley?« »Da... da... da«, stammelte der Hafenmeister entsetzt. »Mann, nimm deine Beine in die Hand und verschwinde, so schnell du kannst. Los, schnell weg!« »Aber warum denn, zum Teufel?« wunderte sich der Mann vom Kiosk. »Da... da... kommt ein Torpedo«, kreischte Finley. »Ein ... ein altes Ding zwar, aber sehr wirkungsvoll. Man sieht die Blasenbahn.« Das Wasser glitzerte leicht, aber dennoch war die Blasenbahn deutlich zu sehen. Sie war schnurgerade und hielt genau auf das Häuschen des Ha fenmeisters zu. Dort gab es im Wasser eine schräge Ebene für die Sportboote, die von einem Schlitten ins frische Naß gelassen wurden. Der Kioskmensch hielt sich nicht mit weiteren Fragen auf. Er wußte, daß Finley viele Jahre bei der Royal Navy gedient hatte und sich auskannte. Er hätte auch keine Frage mehr stellen können, denn der Hafenmeister rannte los, als wären alle Hunde hinter ihm her. Mit pfeifendem Atem folgte er und brachte sich in Sicherheit, bis er den großen Getreidespeicher erreichte, an dessen Wand erschöpft und ausgepumpt Finley lehnte. Die Blasenbahn war nicht mehr zu sehen, aber der Verursacher zeigte sich sekundenlang, den komprimierte Preßluft antrieb. Der Hafenmeister grübelte vergeblich darüber nach, welcher Dummkopf auf dem U-Boot wohl den gefechtsbereiten Torpedo ausgelöst hatte. Er grübelte allerdings nicht sehr lange. Das Ungetüm aus Stahl und Eisen verließ sein Element und raste die schräge Ebene hinauf. Triefend wie ein Rachegott jagte es weiter, wurde ein oder zwei Yards abgelenkt und suchte sich dann sein etwas ungewöhnliches Ziel. Der Torpedo fegte genau durch die offene Tür des Backsteinhauses und beendete seine eigenwillige Reise an der hinteren Hauswand, wo der fast antike Aufschlagzünder endlich Widerstand fand. Die Hafenmeisterei wurde mit unwahrscheinlichem Getöse in die Luft geblasen und flog restlos auseinander. Der Kiosk daneben verwandelte sich ebenfalls übergangslos in eine zerfetzte Bretterbude. Der verstörte Besitzer glaubte noch zu sehen, wie die sauber aufgereihten Würstchen durch die Luft flogen und in einem Feuerball verschwanden, in dem sich Zigaretten, Eis und Souvenirs auflösten. Der Kioskbesitzer hatte Tränen in den Augen. »Das wird die verdammte Navy mir teuer bezahlen«, keuchte er mit versa gender Stimme. »Wo soll ich jetzt meine Würstchen verkaufen?« Das wußte der Hafenmeister auch nicht und ärgerte sich darüber, daß er die Navy nicht ebenfalls verklagen konnte, oder bestenfalls auf einen
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leeren Bierkasten, der als sein Eigentum in dem Haus gestanden hatte. Die Explosion war verhallt, nur eine dunkle Rauchwolke war noch zu sehen. Der so überraschend besitzlos gewordene Kioskinhaber hatte seinen Schrecken überwunden, der sich in rasenden Zorn verwandelte. Zusammen mit dem Hafenmeister marschierte er los, um »gewissen Hornochsen von der Navy« seine Meinung kundzutun. * Josuah Parker reichte seiner Herrin gerade die Hand, um sie durch das enge Luk zu ziehen, als er einen blendenden Blitz sah und eine Explosion hörte. Die Druckwelle kam sofort danach und trieb ihn mit Gewalt an die Verschanzung des Turmes. Zwangsläufig mußte er loslassen. Die resolute Dame stieß einen unterdrückten Schrei aus, konnte sich nicht mehr halten und fiel auf den herbeigeeilten Kommandanten, den sie hoff nungslos unter sich begrub. Sie glaubte noch einen erstickten Schrei zu hören, doch der ging im Geräusch einer Explosion unter. Oben richtete der Butler sich wieder auf. Seinem Gesicht war keine Regung anzusehen, nur das sanfte Heben einer Augenbraue deutete auf etwas Ungewöhnliches hin. Er sah Flammen und Rauch und ein paar umherwirbelnde Trümmer, fand aber keine Erklärung für den Vorfall. Jedenfalls erkannte er, daß es die Hafenmeisterei nicht mehr gab und auch den Kiosk nicht, den er vorhin gesehen hatte. »"Was muß ich davon halten, Mister Parker«, drang Myladys baritonal ge färbtes Organ aus der Tiefe. »Haben Sie eine Dummheit begangen und mit Schießpulver hantiert?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, versicherte der Butler. Es kostete ihn einige Anstrengung, bis die ältere Dame endlich an Deck stand und tastend die Hände bewegte. »Weshalb ist es so dunkel, Mister Parker?« wollte sie wissen. Agatha Simpson entdeckte jedoch selbst den Grund dafür. Ihre monströse Hutkreation war beim Aufstieg über die Augen gerutscht und sorgte für spontane Finsternis. Ungehalten rückte sie das Gebilde zurecht und trat schnell zur Seite, als Angehörige der Besatzung nach oben drängten. Stimmen schwirrten durcheinander. Alle sahen fassungslos zu der qualmenden Wolke hinüber. Auch auf anderen Schiffen standen die Seeleute an Deck. »Der Bugtorpedo ist abgeschossen worden«, sagte der Kommandant mit brüchiger Stimme. »Er kann sich aber nicht von allein gelöst haben. Wenn Sie das waren, Saunders, lasse ich Sie vor ein Gericht stellen.« Der Bartträger zuckte zusammen und warf einen mißtrauischen Blick auf Lady Agatha, die sich davon jedoch nicht irritieren ließ. »Sie haben mich selbst nach achtern gerufen, Sir«, verteidigte er sich. »Ich 10
spürte lediglich einen Ruck, der durch das Boot ging.«
Am Kai erschienen zwei aufgebrachte Männer, die laut nach dem
Kommandanten verlangten. Der eine schrie, daß man seinen Kiosk in die Luft
gesprengt habe und wo, zum Teufel, er jetzt seine Würstchen verkaufen solle.
Der andere war der Hafenmeister, dessen Bude ebenfalls nur noch aus Staub
und Dreck bestand. Auch er brüllte.
»Lassen Sie uns gehen, Mister Parker«, sagte Mylady unbehaglich. »Wir haben
noch einen weiten Weg bis nach London.«
»Wie Mylady zu wünschen belieben.«
Josuah Parker waren inzwischen die Zusammenhänge durchaus klar. Seine
Herrin hatte offenbar ein wenig in ihrem unermeßlichen Interesse an den
Apparaturen gespielt und somit den gefechtsbereiten Torpedo ausgelöst.
Ihm entging auch nicht, daß die passionierte Detektivin etwas blaß um die
Nasenspitze war. Zum Glück war kein Mensch dabei zu Schaden gekommen,
wenn man von der materiellen Seite einmal absah.
Lady Agatha hatte es ziemlich eilig, denn der Bartträger musterte sie immer
ausgiebiger. Er entsann sich deutlich, die ältere Dame als letzte in der
Kommandozentrale gesehen zu haben, nachdem das junge Pärchen das Boot
schon verlassen hatte.
»Sie waren doch vorn«, sagte er mit finsterem Blick. »Haben Sie etwa ...«
»Saunders, ich muß doch sehr bitten«, rief der Kommandant. »Sie wollen eine
Lady doch nicht beschuldigen, einen Torpedo abgefeuert zu haben. Das ist ja
wohl reichlich weit hergeholt. Da müßte zuerst mal die Sperre gelöst werden,
was für einen Laien ein fast unlösbares Problem darstellt.«
Agatha Simpson nestelte an ihrem perlenbestickten Pompadour, brachte den
sogenannten Glücksbringer jedoch nicht zum Einsatz, weil sich ihr schlechtes
Gewissen meldete.
Die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich dann den beiden Schreihälsen zu,
die mittlerweile das Boot gestürmt hatten. ,
In der hitzigen Diskussion geleitete Josuah Parker seine Herrin unauffällig von
Bord, ging mit ihr zu seinem hochbeinigen Monstrum und öffnete mit einer
formvollendeten Verneigung die hintere Wagentür, wo Mylady seufzend im
Fond Platz nahm.
»Mein Kreislauf ist auf dem Nullpunkt, Mister Parker«, beschwerte sie sich.
»Ein Tropfen dürfte mir jetzt gut tun, nach allem, was da passiert ist. Es ist
einfach empörend, daß gewisse Lümmel eine schwächliche Frau beschuldigen,
Torpedos abzufeuern.«
»Mylady haben sicher nur zufällig einen Kontakt ausgelöst, wenn meiner
bescheidenen Wenigkeit die Bemerkung gestattet ist«, sagte Parker.
»Natürlich, was denn sonst! Ich muß da irgendwo hängengeblieben sein, wie
das ja mal passieren kann. Was werde ich in dieser Angelegenheit deshalb
unternehmen, Mister Parker?«
»Mylady spielen sicher mit dem Gedanken
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den Kioskbesitzer für den herben Verlust zu entschädigen«, führte Parker die streitbare Dame behutsam auf den humanitären Weg. »Entschädigen? Ich denke, das ist Sache der Navy. Schließlich sind es königliche Torpedos, die man nicht einfach so herumliegen läßt, daß sie gleich soviel Schaden anrichten können.« »Ein gewisses Verschulden dürfte dem Kommandanten selbstverständlich anzulasten sein, Mylady, andererseits ist bekannt, daß Behörden bei Schadensregulierungen - mit Verlaub - recht penibel sind«, erwiderte der Butler. »Sie meinen, der Arme kann eventuell ewig auf sein Geld warten?« »Das könnte in der Tat durchaus zutreffen, Mylady.« »Zum Glück habe ich kein Kriegsschiff versenkt«, überlegte Lady Simpson laut. »Sonst müßte ich jetzt am Bettelstab gehen. Suchen Sie bitte die Adresse dieses Mannes heraus, Mister Parker. Ich werde ihm eine Entschädigung zukommen lassen.« »Mylady sind sehr gütig und wohltätig«, versicherte Parker mit unbewegtem Gesicht. »Meine Wenigkeit wird sich sofort darum bemühen.« Agatha Simpson lehnte sich zurück und öffnete die im Fond eingebaute kleine Bar. Sie entschied sich für einen alten Cognac, den sie in kleinen Schlucken sichtlich genoß. Danach verkündete sie, daß sie noch ein wenig meditieren würde. Parker vernahm aus dem Fond etwas später vertraute Geräusche — das sichere Zeichen dafür, daß seine Herrin sich in tiefer Selbstversenkung befand. * Lady Agatha träumte von einem Rudel U-Boote, das unerklärlicherweise vor Sheperd's Market aufgetaucht war und Zielschießen auf ihr Anwesen un ternahm. Die Navy feuerte aus allen Rohren, und ein Treffer nach dem an deren verwandelte das altehrwürdige Fachwerkhaus in einen Trümmerhaufen. Heftig zusammenfahrend erwachte die ältere Dame. »Wo sind wir, Mister Parker?« »Mylady befinden sich in der Saint James Street und sind gleich zu Hause. Haben Mylady bestimmte Wünsche für das Dinner?« »Und ob, Mister Parker. Nach dem anstrengenden Tag muß ich unbedingt eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Ich dachte an Kräutergarnelen vom Rost als Appetitanreger. Danach vielleicht ein kanadisches Lachskotelett in Dillsauce mit gelierten Langostinos. Das ist Fisch genug für heute. Danach würde ich einen Rosmarin-Schmorbraten in Steinpilz- und Trüffelsauce vorschlagen, dem Himbeer Crepes mit Pistazien folgen können. Als Abschluß ein BlaubeerBavarois und eine diverse Käseplatte. Ich kasteie mich damit zwar, muß aber an meine Diät denken, Mister Parker.« »Mylady pflegen ihre Vorsätze stets unerschütterlich einzuhalten«, lobte der Butler und verzog keine Miene.
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Er wunderte sich keineswegs über die merkwürdige Zusammenstellung des Menues, denn Agatha Simpson zeigte in fast allen Dingen eine Extravaganz, die direkt darauf zielte, Aktuelles zu ignorieren, was wiederum für ihr unerschütterliches Selbstvertrauen sprach. Das betraf auch ihre Kleidung samt den eigenwilligen Hüten. Zehn Minuten später befand man sich bereits in der großen Wohnhalle des altehrwürdigen Fachwerkhauses. Parker wollte sich in die Küche begeben, um das Abendessen für seine Herrin zuzubereiten, doch Lady Agatha hatte ihre Absicht geändert und es sich anders überlegt. »Mein Blutzuckerspiegel sinkt rapide«, teilte sie dem Butler mit. »Wenn ich nicht schnell etwas tue, werden Sie mich auf die Intensivstation bringen müssen, Mister Parker.« »Was meine Wenigkeit zutiefst bedauern würde, Mylady. Darf man zur vorläufigen Stabilisierung des Kreislaufs einen Sherry servieren?« »Sie dürfen«, erlaubte die ältere Dame mit schwach klingender Stimme. »Aber nehmen Sie eines von den großen Gläsern.« Parker beeilte sich mit dem Einschenken und Servieren. Er kannte diese Stimmung, die bei Lady Agatha den Tiefpunkt ankündigte. »Meine Wenigkeit wird sich sofort in die Küche begeben, Mylady«, versicherte er. Die Hausherrin winkte ab. »Zu spät, Mister Parker«, sagte sie mit theatralischer Geste. »Bis zum Dinner bin ich zusammengebrochen. Die Zubereitung dauert ja zwei Stunden, eine Zeit, die ich vermutlich nicht überlebe.« »Mylady sehen meine Wenigkeit zutiefst bestürzt. Was die Kräutergarnelen betrifft, so dürfte man für deren Zubereitung eine halbe Stunde veran schlagen.« »Ich werde essen gehen«, verkündete Mylady plötzlich. »Und Sie dürfen mich begleiten, Mister Parker. Damit sind Sie für heute entlastet. Immerhin sind Sie seit frühester Zeit ständig auf den Beinen. Empfehlen Sie mir ein gutes Hotel.« »Bevorzugen Mylady exotische Küche oder die landeseigene?« erkundigte sich Parker höflich. »Exotisch - warum eigentlich nicht? Das ist mal etwas anderes. Vielleicht chinesisch, Mister Parker. Ich war schon lange in keinem diesbezüglichen Lokal mehr. Es muß aber gediegen sein.« »Mit vollem Recht, Mylady. Wenn meine bescheidene Wenigkeit das >Mandarin< empfehlen darf?« »Hört sich gut an. Teuer?« fragte sie schnell. , »Mylady dürfen mit einer exzellenten Küche rechnen. Die Preise sind den Speisen angemessen, Mylady.« »Also teuer«, seufzte Agatha Simpson. »Das bringt mich zwar an den Rand des Bettelstabes, aber verhungern ist ja noch schlimmer.« »Worin meine Wenigkeit nur zustimmen kann, Mylady.« »Also schön, ich ziehe mich um.« Als die Kriminalistin aus den oberen 13
Räumen zurückkehrte, nahm Parker das gelassen zur Kenntnis. Mylady trug zum zeitlosen Tweedkostüm eine Bluse, die sie passend fürs chinesische Restaurant fand. Die Vorderseite der Bluse zierte ein feuer speiender Drache mit gefährlichen Krallen, der grimmig unter dem Kostüm hervorschaute. Nicht ganz in dieser Richtung lagen die derben Schnürschuhe, die an Kampfspringerstiefel erinnerten. Und Myladys Hutkreation hätte der chine sische Koch vermutlich mit Freuden geplündert, denn darauf befand sich eine Menge undefinierbares Grünzeug und zwei an Porree erinnernde Stangen, die neben einem monströsen Blumenkohl in die Höhe wuchteten. Das Attribut der Weiblichkeit, der perlenbestickte Pompadour, fehlte so wenig wie die mit Bratspießen vergleichbaren Hutnadeln, die den Gemüsegarten krampfhaft zusammenhielten. Die passionierte Detektivin gedachte, den Abend geruhsam und genußvoll zu verbringen... * Etwa zwanzig Gäste befanden sich im »Mandarin«, wie Parker nach einem schnellen Blick feststellte. Es waren ausschließlich Leute in gehobenen Stellungen oder aus den sogenannten besseren Kreisen, die sich kulinarisch verwöhnen ließen. Die Atmosphäre war echt mit Drachenlampen, Buddhas, kostbaren chinesi schen Vasen, hölzernen Figuren und Bambus. Bambus wuchs auch in großen Kübeln bis fast zur Decke. In der Luft lag ein betäubender Hauch von Räucherstäbchen. Die Kellner, in chinesische Gewänder gekleidet, eilten lautlos und geschäftig hin und her und bedienten höflich und zurückhaltend, wie es den Asiaten eigen ist. Mit einer tiefen Verbeugung erschien sofort einer an Myladys Tisch und überreichte die Speisekarte. »Die Auswahl überlasse ich Ihnen, Mister Parker«, sagte die füllige Dame. »Aber zur Einstimmung können Sie mir einen Cognac bestellen. Danach vielleicht eine Fischvorspeise.« »Wie Mylady belieben. Darf man darauf hinweisen, daß es sich bei dem gewünschten Cognac um einen hochprozentigen Bambusschnaps handelt, der mit Vorsicht zu genießen ist?« »Schnickschnack«, reagierte die resolute Dame. »Ich bin harte Drinks ge wöhnt.« Parker begnügte sich mit Lü cha, einem grünen Tee, und bestellte für Mylady den »chinesischen Cognac.« Beides wurde in erstaunlich kurzer Zeit gebracht, wobei sich der Kellner immer wieder verneigte. Aus alter Tradition trug er einen langen schwarzen Zopf, der im Nacken baumelte. Der Bambusschnaps war leicht lilafarben und wies fünfundsiebzig Prozent auf. Lady Agatha verzog keine Miene, als sie das leere Gläschen wieder abstellte. Parker stand schon in seiner gewohnten 14
Stellung, um Mylady hilfreich beizustehen. Zumindest hatte er einen Tränenausbruch oder ein ersticktes Keuchen erwartet. Statt dessen nickte die ältere Dame anerkennend. »Wirklich ausgezeichnet«, meinte sie. »Sagen Sie diesem knickrigen Zopfmann, daß er das nächste Mal ein größeres Glas bringen darf, Mister Parker. Ich bin schließlich kein Kolibri.« »Mylady fühlen sich wohl?« fragte Parker besorgt. »Aber selbstverständlich, Mister Parker. Wozu raten Sie mir jetzt?« »Darf meine Wenigkeit Yü Wuan Tang vorschlagen, Mylady?« »Seetang etwa?« fragte Lady Agatha pikiert. »Halten Sie mich etwa für einen Aal, der sich durch das Zeug schlängeln will?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady. Es handelt sich um eine Fischklöß chensuppe, eine pikante Köstlichkeit der chinesischen Küche, die mit frischem Koriander garniert wird. Danach würde meine Wenigkeit vielleicht Szetschuan Tza Ya vorschlagen, eine kleine Ente in Sternanis, Ingwer und Zimt, ebenfalls eine hervorragende Köstlichkeit, wenn die Bemerkung gestattet ist. Das Mahl könnten Mylady eventuell mit Suen La Tang abschließen, einer sauer-scharfen Suppe.« »Das hört sich sehr gut an«, lobte Lady Agatha. »Genau das werde ich nehmen. Aber bitte zuerst noch einen Kreislaufbeschleuniger. Sie dürfen sich dann auch etwas aussuchen, Mister Parker, was natürlich den Rahmen meiner bescheidenen Geldmittel nicht sprengt. Sie wissen ja, daß ich haushalten muß, um nicht eines Tages am Bettelstab zu gehen. Außerdem sollten Sie auf Ihre Leber achten. Allzuviel ist ungesund und macht nur fett.« In Parkers Gesicht rührte sich kein Muskel. Es blieb glatt und undurch dringlich. »Meine Wenigkeit weiß Myladys Großzügigkeit zu schätzen und wird mit gütiger Erlaubnis mit einem kleinen Reisteller vorlieb nehmen.« »So ist es recht für ihre Gesundheit«, freute sich die Kriminalistin. »Sie dürfen dazu noch einen weiteren Tee trinken.« »Wofür man überaus verbindlichen Dank sagt, Mylady.« Der Butler bestellte beim herbeieilenden Kellner und sorgte für einen weiteren Kreislaufbeschleuniger. Der Zopfchinese zuckte mit keiner Wimper, als Mylady das scharfe Zeug in einem Zug trank. Auch sein Gesicht war undurchdringlich und verriet nicht, was hinter seiner Stirn vorging. Überraschend schnell wurde aufgetragen, und die ältere Dame gab sich genußvoll den Spezialitäten der chinesischen Küche hin. Das Umfeld gefiel ihr sichtlich, die Atmosphäre war freundlich und die Gäste wie handverlesen. Das änderte Sich etwas später, als Lady Agatha bei der sauerscharfen Suppe La Tang war. Zwei neue Gäste betraten das Restaurant. Es waren hartgesichtige Burschen
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mit Schultern wie Kleiderschränke. Der eine, groß und schwarzhaarig, trug
unter einer dunklen Jacke ein knallrotes Hemd. Als Krawatte dienten ihm zwei
schwarze Bänder, wie sie einst im Wilden Westen modern gewesen waren, aber
keinesfalls ins »Mandarin« paßten.
Der andere hatte Fäuste wie Bratpfannen und einen Nasenerker, der etwas
schief im Gesicht hing. Der Mann trug ebenfalls keine Krawatte und hatte eine
schwere Goldkette um den Hals. Das Hemd war weit offen und ließ eine stark
behaarte Brust erkennen.
Betretene Blicke folgten den seltsamen Neuankömmlingen, die sich kurz
angrinsten und dann an einem Tisch Platz nahmen.
Dem Butler entging nicht, daß die Kellner peinlich berührt waren, aber sie
schienen auch Angst zu haben.
Der Chinese an der Theke in Form eines riesigen Drachens begann unmerklich
zu zittern. Seine Gesichtsfarbe wechselte in ein fahles Grau.
Die beiden Burschen störten sich nicht daran, daß sie hier deplaziert wirkten.
Kein Kellner rührte sich oder traf Anstalten, sie zu bedienen.
Die Unbekannten saßen eine Minute schweigend, dann deutete der eine mit
ausgestrecktem Zeigefinger auf den Kellner mit dem schwarzen Zopf.
»Eh, Mister Um-lei-tung«, sagte er mit harter Stimme. »Hoffentlich schwingst
du Chinesenlümmel bald mal die Hufe. Wir wollen was essen, aber was
Anständiges.«
Dem Zopfmann fiel der Unterkiefer herab, seine Hände zitterten leicht.
Die unpassenden Gentlemen propagierten nicht gerade die feine englische Art.
Die anderen Gäste sahen sich naserümpfend um, doch die Kerle schien das
direkt zu belustigen.
Lady Agatha zog indigniert die Augenbrauen hoch und widmete sich wieder
ihrem Nachtisch.
Der Kellner nahm allen Mut zusammen und näherte sich dem Tisch mit den
Störenfrieden. Seine Stimme war hoch und piepsig.
»Guten Abend«, zirpte er. »Vielleicht haben die Herren sich geirrt? Wir sind
ein Hotel.«
»Tatsächlich?« fragte der Mann mit dem roten Hemd. »Und wir dachten
schon, das hier ist ein Saustall. Stimmt's, Frank?«
»Na klar«, versicherte der Angesprochene. »Genau das dachten wir. Aber das
macht nichts. Wir kriegen zwei Bier und die Speisekarte. Und nun zisch
endlich ab, Mann, wir haben Durst!«
Der Kellner wankte davon und bewahrte nur mühsam Haltung.
Das Bier ließ drei Minuten auf sich warten. Inzwischen musterten die beiden
Männer ungeniert die übrigen Gäste.
Dann brachte das Bier aber nicht der Kellner, sondern der Inhaber persönlich,
ein dicklicher Chinese, der an den Tisch watschelte mit Schweißperlen auf der
Stirn. Flehentlich sah er die beiden an.
»Bitte, machen Sie keinen Ärger«,
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sagte er mit versagender Stimme. »Sie werden anständig bedient, und das an
dere werde ich gleich morgen regeln.«
»Hast du gehört, Jaco, er will das morgen regeln«, sagte Frank zu seinem
Kumpan. »Dazu ist es zu spät, Konfuzius. Aber jetzt sollten wir uns erst mal
stärken. Bring uns was zu essen.«
Der dickliche Chinese atmete erleichtert auf.
»Was darf es denn sein?« erkundigte er sich unterwürfig und mit einer tiefen
Verneigung.
»Pellkartoffeln«, sagte Frank grinsend. »Zehn Stück, schön heiß.«
Der Dicke schluckte trocken, nickte aber schnell, um sich keinen Ärger
einzuhandeln.
»Und was darf ich Ihnen bringen, Sir?«
»Elefantenohren. Zwei Stück, Meister.« Ein breites Grinsen folgte seinen
Worten.
»Ich muß sehr bedauern, Sir. Darauf sind wir leider nicht eingerichtet. Kann
ich Ihnen anderweitig behilflich sein?«
»Keine Elefantenohren?« fragte der Mann erstaunt. »Na, sowas! Und das
nennt er nun einen vornehmen Laden. Na schön, dann bring mir einen großen
Teller trockenen Reis.«
»Mit welchen Beilagen?«
»Weiter nichts. Noch zwei Bier.«
Der Mann, der mit Frank angesprochen wurde, spie dem Chinesen haargenau
auf die schwarzen Lackschuhe, goß den Rest seines Bieres in den
Aschenbecher und rührte das alles mit einer halbgerauchten Zigarette um.
Steif und hölzern, dabei wieder dienernd, trat der Inhaber zurück. Er versuchte
verzweifelt, die beiden als Gentlemen zu behandeln, und er schaffte es, wenn
auch mit inneren Tränen.
Zwei Gäste verlangten spontan nach der Rechnung, obwohl Teller und
Schüsseln noch halbgefüllt waren. An einem weiteren Tisch rüstete man
ebenfalls zum Aufbruch.
Die beiden Kerle erzählten sich Witze und lachten laut.
* »Da haben Sie mich in einen feinen Laden geführt, Mister Parker«, mokierte
sich die füllige Dame. »Hier verkehren ja die reinsten Rüpel.«
»Mylady sehen meine Wenigkeit fassungslos«, sagte Parker entschuldigend.
»Man geht davon aus, daß es sich um einen einmaligen Vorfall handelt,
sozusagen, um die unrühmliche Ausnahme. Darf man zum vorzeitigen
Aufbruch raten, Mylady?«
»Ich möchte noch ein Dessert, Mister Parker. Außerdem interessiert mich der
weitere Verlauf des Abends. Ich hoffe, die beiden Lümmel fordern mich
heraus«, erwiderte die streitbare Lady freundlich.
»Wie Mylady meinen. Vielleicht ist der Hinweis gestattet, daß die unge
wöhnlichen Herren bewaffnet sind, Mylady.«
Josuah Parker hatte längst die unauffälligen Ausbuchtungen unter den
Achselhöhlen gesehen. Der Bursche mit dem knallroten Hemd schien eine
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ungewöhnlich große Waffe herumzutragen. »Waffen haben mich noch nie geschreckt, Mister Parker. Sie fordern mich heraus.« Der Butler kannte dies zur Genüge. Agatha Simpson ignorierte Schußwaffen selbst dann, wenn sie auf sie gerichtet waren, wodurch sie sich oft leichtsinnig in Gefahr begab. »Mylady sind jeder Herausforderung gewachsen«, lobte er. »Das will ich meinen. Aber jetzt suchen Sie bitte ein Dessert aus, Mister Parker. Ein Dinner ohne Dessert ist ein Stilbruch.« Der Butler bestellte eine Mischung exotischer Früchte und dazu eine Portion Eis, was Myladys Geschmack entsprach. Inzwischen servierten zwei eilfertige Kellner die ausgefallenen Wünsche der beiden Flegel. Auch das Bier wurde gebracht. »Wir wünschen einen guten Appetit, Sir«, dienerten die verängstigten Chi nesen. »Untertänigsten Dank«, sagte Jaco höhnisch. »Und richtet der Geschäfts leitung unseren Dank aus.« Lautlos verschwanden die Kellner. Sie beherrschten sich nur mühsam, um nicht zu rennen. Parker fragte sich natürlich längst, weshalb man die beiden Männer in diesem Lokal überhaupt duldete, die es nur darauf abgesehen hatten, für schlechte Stimmung zu sorgen. Jeder andere hätte die Polizei gerufen und die ungebetenen Gäste entfernen lassen. Hier tat es der Inhaber allerdings nicht, offenbar aus dem ganz einleuchtenden Grund, weil er Angst hatte. Parker unterbrach seinen Gedankengang und warf einen Blick auf den anderen Tisch. Jaco grinste seine Pellkartoffeln an und fuhr mit dem Handrücken darüber. »Schön heiß sind sie ja«, meinte er, wobei er sich gleichzeitig prüfend im Lokal umsah. »Was hältst du von der Dicken da drüben, die mit der schwarzen Perlenkette um den feisten Hals. Ob die wohl meckert, wenn ich ihr mal eine Kartoffel serviere?« »Das wird sich ja feststellen lassen«, meinte Frank. »Vielleicht hat ihr Alter was dagegen. Aber warte doch, bis er seinen Schnurrbart wieder ins Glas taucht. Dann merkt er es nicht.« Die Kerle unterhielten sich ungeniert und so laut, daß man sie mühelos an allen Tischen verstand. Die meisten Gäste fühlten sich zu diesem Zeitpunkt bereits sehr unbehaglich. Frank ergriff eine der heißen Kartoffeln und wog sie prüfend in der Hand. Die füllige Dame widmete sich gerade einer chinesischen Wachtel, als das Ding geflogen kam. Der heiße Gruß zerplatzte auf dem Blusenausschnitt der Lady. Ein spitzer Schrei folgte. Die beiden Kerle grinsten und taten so, als wäre nichts gewesen. Wieder langten sie zu und bewarfen die Gäste wahllos mit Reis und Kartoffeln. Die erlauchte High Society riß es von den lederbezogenen Stühlen. 18
Etliche Herrschaften sprangen kreischend und in Panik auf. An den Wänden standen hilflos die Kellner, im Hintergrund zitterte der Inhaber, der verstohlen auf das Telefon blickte. Immer wieder zuckte seine Hand vor. Jaco warf ihm eine Kartoffel an den Kopf, schlenderte zur Bar, griff dort eine volle Flasche und schmetterte sie in die Regale. Das löste eine Kettenreaktion aus. Weitere Flaschen gingen zu Bruch, die ihren Inhalt auf die kostbaren Teppiche ergossen. Ein großer Spiegel zerbarst mit schmetterndem Knall. Die Lady, als erste von der heißen Kartoffel getroffen, fiel in eine gnädige Ohnmacht. Inzwischen blieb Frank nicht untätig. Er hatte ein Klappmesser aus der Tasche gezogen, köpfte die Bambuspflanzen in den großen Kübeln und schlitzte die Samtportieren der Länge nach auf. Zwischendurch pöbelte er ein paar Gäste an und zog ihnen die Tischdecke mitsamt dem Geschirr weg. Das vornehme »Mandarin« ähnelte jetzt verblüffend einem Schlachtfeld. Jaco nahm sein halbvolles Bierglas und leerte es seelenruhig über einen zitternden Mann mit Glatze aus. Als der aufspringen wollte, kippte der Gangster ihm den Inhalt des Aschenbechers über den Schädel und verrieb das alles genüßlich und im Bewußtsein seiner Stärke. Als der Glatzköpfige ächzend zusammenbrach, trat Jaco ihm den Stuhl unter der Sitzfläche fort und lachte, als der Dicke hilflos und besudelt am Boden lag. Etliche Gäste flüchteten und versuchten, den Ausgang zu erreichen. Die Tür wurde jedoch vom Inhaber blockiert, der bewußtlos davorlag, nachdem Frank ihn mit einem Faustschlag zu Boden gestreckt hatte. Die beiden Schläger wandten sich dann dem Tisch zu, an dem Lady Agatha und Josuah Parker saßen. Der Butler war so unbeweglich, als hätte er einen Ladestock verschluckt. In seinem glatten Gesicht zuckte kein Muskel. Nicht mal die rechte Augenbraue steilte. * »Na, ihr komischen Vögel - hat es euch gefallen?« fragte Jaco. »Oder seid ihr
etwa Wachsfiguren, weil ihr euch nicht rührt?«
»Mylady läßt sich beim Speisen nicht stören«, erwiderte Parker gemessen und
würdevoll.
Die beiden Kerle sahen sich fassungslos an.
»Das gibt es doch nicht«, meinte Frank. »Das scheint ein echter Butler zu sein,
und zwar einer von der Sorte, die nicht mal beim Erdbeben eine Miene
verzieht. Den Lakai sollte man sich direkt ausstopfen lassen.«
Die passionierte Detektivin beendete ihr Dessert, ohne die Burschen auch nur
eines Blickes zu würdigen. Diese Art von Nichtbeachtung reizte sie ungemein
und ärgerte sie. Sie fanden es unbegreiflich, einfach ignoriert zu werden.
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Jaco wandte sich aufreizend an die ältere Dame, die ihren leeren Teller zur Seite schob. Er holte ein Klappmesser aus der Tasche, ließ die Klinge aufspringen und hielt sie nach oben gerichtet. »Du hast dein Gemüse noch nicht gegessen, Oma«, sagte er und zeigte auf die eigenwillige Hutkreation. »Wir werden den Garten oben ein bißchen zerschnippeln und abernten und das Zeug dann mit Salz und Pfeffer würzen.« Lady Agatha schob ihre Fülle in die Höhe, während Josuah Parker ruhig sitzenblieb. Er war jedoch auf dem Sprung. »Wie reden Sie eigentlich mit einer Lady, Sie Lümmel?« fragte die energische Dame. Ihr Pompadour beschrieb ein paar Kreise, was die beiden Helden offenbar mit Nervosität oder Angst verwechselten. »Ein nettes Täschchen«, sagte Jaco und zeigte auf den Handbeutel. »Sind da etwa deine Zähne drin?« Er wollte sich ausschütten vor Lachen, doch das verging ihm schlagartig, als die kreisende Bewegung schneller wurde. Das Ding ging ab wie ein Satellit auf seiner Bahn. Jaco sah den vermeintlich harmlosen Beutel auf sich zufliegen und verspürte plötzlich einen heftigen Schlag am Schädel, daß er glaubte, ein auskeilendes Pferd hätte ihn getreten. Daß ihn ein stämmiges Hufeisen gestreichelt hatte, und nicht gerade ein kleines, ahnte er nicht. Er ahnte überhaupt nichts mehr, weil er wie paralysiert war. Der Boden kam in rasender Fahrt auf ihn zu. Er konnte nicht mal die Arme abstützen, um den Sturz zu bremsen. Er konnte absolut nichts tun und fiel quiekend auf die Nase, die der Belastung nicht standhielt und sich nach links verschob. Frank, ein nicht gerade schwacher Mann, stand da mit offenem Mund, sah fassungslos auf den am Boden schnüffelnden Kollegen und blickte dann auf Lady Agatha. Offenbar ging das nicht in seinen Schädel, was er da eben gesehen hatte. Diese grauhaarige, etwas füllige Dame hatte mit einer Wucht zugeschlagen, die einen Ochsen gefällt hätte, wie er meinte. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. So von einer Frau hereingelegt worden zu sein, ärgerte ihn maßlos. Das war eine Scharte, die er unbedingt auswetzen mußte. »Na warte, du ...« keuchte er und erstickte fast an seinem Grimm. Er mußte allerdings an diesem Tag, eine neue Erkenntnis hinnehmen, die da hieß, nie seinen Gegner zu unterschätzen. Er konzentrierte seinen Blick auf das scheinbar so harmlose Beutelchen, das hin- und herschwang und seinen Kumpan so exakt gefällt hatte. Er wollte danach grapschen, doch da trat ihm ein ziemlich derber Schnürschuh so überraschend schnell und kräftig ans Schienbein, daß er unwillkürlich aufschrie und sich vor der streitbaren Lady verneigte.
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Die ältere Dame reagierte sofort und belohnte ihn mit einer Ohrfeige, die ihn zur Seite warf. Wie ein angeschlagener Boxer taumelte Frank und hielt abwehrend eine Hand hoch. Doch die streitbare Lady blieb in ihrem Element und setzte erneut ihren Glücksbringer ein. Das mit Schaumstoff umwickelte Hufeisen zerschlug mühelos die gerade aufgebaute Deckung, haute mitten durch und traf das Nasenbein des Un glücklichen. Kommt ein Vogel geflogen, dachte Frank noch, denn genauso sah es aus. Doch der Vogel war eisenhart, schnell und präzise, daß der Gemaßregelte unwillkürlich den Boden aufsuchte und ihm das Wasser wie ein Sturzbach in die Augen schoß. Ausgerechnet sein empfindliches Nasenbein hatte sich der hinterhältige Piepmatz zur Landung ausgesucht. »Ich möchte zu gern wissen, wie man vor so einer halben Portion Angst haben kann«, hörte er aus weiter Ferne eine grollende Stimme. Die Blamage war fast noch schlimmer als der Schmerz, der in Wellen seinen Schädel malträtierte. Unter Aufbietung aller Kräfte griff Frank in seine Jacke, um die Pistole zu ziehen. »Darf meine Wenigkeit behilflich sein?« hörte er eine Stimme. Es war der Butler, den er aus der Froschperspektive sah und der wie ein Riese wirkte. Woher der Mann so plötzlich einen Degen hatte, dachte Frank wie betäubt. Die Spitze saß nämlich genau an seiner Kehle. Parker nahm seinen altväterlich gebundenen Regenschirm vom Hals des Mannes, bückte sich und verhalf dem Bedauernswerten zu einer Gewichts abnahme von fast einem Kilo, indem er dessen Waffe an sich brachte. Parker erleichterte auch den Kerl mit dem knallroten Hemd und fand seine Vermutung bestätigt. Jaco trug ein beachtliches Schießeisen mit sich herum. Es handelte sich um eine High Standard Tournament Pistole in Military-Ausführung, zehnschüssig mit Long Rifle Patronen. Auch diese Spezialausführung verschwand in den unergründlichen Taschen seines Covercoats. Etwa acht Gäste hielten sich jetzt noch im »Mandarin« auf. Die anderen waren rasch verschwunden, nachdem sie den dicken Inhaber an der Tür beiseite geschoben hatten. Bezahlt hatte niemand, und die Gäste, die hier diniert hatten, würden sicher nicht wiederkommen. »Ich werde die Rüpel einem strengen Verhör unterziehen«, kündigte Lady Agatha entschlossen an. »Was zu weit geht, geht zu weit, Mister Parker. Die haben ja die Gäste regelrecht verprügelt und genötigt, und jetzt haben sie auch noch mich angegriffen.«, Der Butler holte seine Einweg-Handschellen aus Plastik hervor und versorgte die beiden Stöhnenden mit soliden Fesseln. Wenn sie an denen zerrten, zogen sie sich nur noch mehr zusammen. Die restlichen Gäste sahen fassungslos auf die streitbare ältere Dame und den altväterlich gekleideten Butler, 21
die es fast mühelos geschafft hatten, die Eindringlinge zu überwältigen. Einige wollten es einfach nicht glauben. »Was gedenke ich jetzt zu tun, Mister Parker?« erkundigte sich die Kri minalistin. »Mylady deuteten ein strenges Verhör an«, antwortete Parker, wobei er andeutungsweise die Melone lüftete, was die restlichen Gäste abermals staunend zur Kenntnis nahmen. »Richtig, genau das hatte ich vor.« Die beiden Kerle waren jetzt wieder einigermaßen klar im Kopf und wurden ruppig, wie es ihrer Art entsprach. »Übernimm dich nur nicht, Oma«, höhnte Frank. »Wir lassen uns doch nicht von einer wandernden Hutschachtel verhören.« Er wandte sich zur Seite und blickte Parker kalt an. »Und dir, mein Freund, kann ich nur empfehlen, ganz schnell die Fesseln zu lösen. Dann hast du wenigstens noch ein paar Tage zu leben.« »Meine Wenigkeit dankt für die verlängerte Lebensspanne, was man durchaus zu schätzen weiß«, erwiderte der Butler trocken. »Allerdings sollten die ehrenwerten Herren mit ihren Bemerkungen Mylady gegenüber etwas zurückhaltender sein. Mylady könnte sich sonst echauffieren.« Agatha Simpson hatte sich bereits empört, als der Kerl sie mit »Oma« und »Hutschachtel« titulierte. Unauffällig hatte sie eine ihrer Hutnadeln aus der Kreation auf ihrem Kopf gezogen und setzte sie prüfend ein, wie man es bei einem Braten tat, um festzustellen, ob er bereits garte. Der Gepiesackte schrie auf und wand sich in seinen Fesseln. »Man bringt mich um«, kreischte er. »Papperlapapp. Ich wiederhole nur das, was Sie mit den Gästen getan haben, Sie unverschämter Lümmel«, herrschte Lady Simpson den Gangster an. »Und dabei bin ich noch gnädig verfahren. Machen Sie mich nicht ungehalten, dann bin ich nämlich erbarmungslos. Und jetzt stehen Sie mir Rede und Antwort, Ihr Kumpan ebenfalls.« »Den Teufel werde ich«, knurrte Jaco heiser. Er hatte einen trübseligen Blick und sah alles leicht verschleiert. Ihn wurmte ebenfalls die Tatsache, von der älteren Dame so mühelos abserviert worden zu sein, obwohl er sich für einen harten Kämpfer hielt. Er tröstete sich allerdings damit, daß es Frank auch nicht besser ergangen war, und der war bestimmt kein kleines Licht in gewissen Kreisen. »Meine Wenigkeit kann nur nachdrücklich zu einer Aussage anraten«, schaltete Parker sich ein. »Mylady verfügt über Mittel und Wege, um selbst verstockte Zungen zu lösen.« Jaco wollte gerade antworten, als die Eingangstür zum »Mandarin« hart aufgestoßen wurde. Im Rahmen standen hartgesichtige Männer mit schmalen Augen, die offenbar mit einem Blick die Lage erfaßten und auch entsprechend reagierten. Sie trugen graublaue Anzüge und waren barhäuptig. Der eine hatte 22
einen Dreitagebart und wirkte brutal. Der andere war glattrasiert. Der Stoppelbärtige hielt eine fast zierlich anmutende Maschinenpistole in den Händen, die Parker sofort als tschechische Skorpion einstufte. Sie hatte bequem in einer Handtasche Platz, war aber dennoch sehr gefährlich. Der andere begnügte sich mit einer Smith and Wesson vom Kaliber 38. Es war das Heavy Duty Model 20 von durchschlagender Wirkung. Josuah Parker hob unauffällig die Spitze seines Universal-Regenschirmes, um einen kleinen Blasrohr-Pfeil auf die Reise zu schicken. Der Bärtige reagierte erstaunlich schnell, als er die beiden Männer am Boden sah. Er schnappte sich den dicken Inhaber, legte ihm einen Arm als Klammer um den Hals und drückte ihm den Lauf der Waffe ins Ohr. Der andere preßte seine Heavy Duty dem Kellner ins Kreuz, der ihm am nächsten stand. Der Chinese hob die Hände vor Angst so hoch, als wollte er die Decke streicheln. »Schön ruhig bleiben«, warnte der Stoppelige. »Sonst fliegen Konfuzius kleine Vögel aus den Plüschohren. Was ist hier los?« wandte er sich dann fragend an die Gefesselten, die sich langsam erhoben. »Haben die euch etwa flachgelegt?« Die beiden Kerle nickten beschämt »Fesseln durchschneiden!« befahl der Mann mit harter Stimme. »Oder soll es hier ein paar Leichen geben?« Er zeigte mit dem Finger auf Parker und stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. »Ich meine dich, Alterchen. Los, heb' das Messer vom Boden auf und tu, was ich dir sage.« Josuah Parker wußte sehr wohl, wann er eine Runde verloren hatte, was man von seiner Herrin nicht unbedingt behaupten konnte, die wieder mal die Gefahr völlig falsch einschätzte und angesichts von Waffen keinerlei Furcht zeigte. »Mylady wollen sicher ein Blutvergießen vermeiden«, sagte der Butler schnell, als die resolute Dame Anstalten traf, auf die Gangster zuzugehen und ihren Pompadour in schnelle Schwingung versetzte. Der Bärtige reagierte gelassen, aber wieder relativ schnell. Er hielt die kleine Maschinenpistole nach unten und drückte ab. Dicht vor Lady Agatha spritzten zwei Kugeln in den Teppich und zerfetzten das Gewebe. Etwas in Parkers Stimme hielt die ältere Dame davon ab, ihren Weg fort zusetzen. Groll beherrschte ihre Stimme, ihre graugrünen Augen blitzten den Mann zornig an. Ihre kräftige Nase vibrierte leicht. »Das werden Sie noch bereuen, Sie Lümmel, sich mit einer Lady Agatha anzulegen. Sie wagen es, auf eine wehrlose Dame zu schießen? Ich werde Mittel und Wege finden, Sie zu bestrafen.« Parker sah den Gangstern an, daß sie nicht lange fackelten und keine Hemmungen kannten, auch jemanden umzubringen, wenn es ihren noch un bekannten Interessen diente..
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Schweigend schnitt er die Plastikfesseln durch und kassierte dafür einen Tritt
von Frank.
Jaco nahm ihm die eingesammelten Waffen wieder ab und musterte ihn
scharf.
»Wer seid ihr eigentlich?« fragte er heiser und voller Wut.
»Man hat die Ehre und das Vergnügen, in Lady Agatha Simpsons Diensten zu
stehen«, antwortete der Butter. »Josuah Parker - mein Name.«
»Nie gehört. Aber mit euch beiden stimmt was nicht.«
Der Bärtige kniff auch die Augen zusammen und musterte nachdenklich das
skurrile Paar.
»Vielleicht war das alles nur ein Zufall«, überlegte er laut. »Die Oma da
scheint kräftig genug zu sein, um ein paar Hiebe auszuteilen. Wenn dies aber
kein Zufall war«, er kniff die Augen noch mehr zusammen, »dann solltet ihr
nie wieder unseren Weg kreuzen, sonst werden die Leute hier alle sehr böse.
Kapiert?«
Er hielt die kleine MPi weiterhin auf Mylady und Parker gerichtet. Gleichzeitig
wandte er sich an den bibbernden Inhaber.
»Das war die letzte Warnung, Konfuzius! Wir lassen uns nicht von ein paar
Chinesenlümmeln an der Nase herumführen. Sagt ihm das noch mal in aller
Deutlichkeit.«
Zwei Kerle traten sofort in Aktion und bewiesen ihre Brutalität.
Harte Fäuste schlugen zu, bis der Chinese zusammenbrach und sich auf dem
Boden ausstreckte.
Die vier Gangster begaben sich auf den Rückzug, den der Bärtige mit der
Maschinenpistole sicherte.
Kurz bevor sich die Tür hinter ihm schloß, drückte Parker auf den kleinen
Auslöser in seinem Universal-Regenschirm.
Ein kleiner gefiederter Pfeil löste sich aus der Spitze, der ein schnellwirkendes,
aber harmloses Betäubungsmittel enthielt. Angetrieben wurde er durch
komprimierte Kohlensäure aus einer kleinen Druckpatrone, die sich im Schaft
oder auch in den Falten des Schirmes befand.
Man konnte es als intramuskuläre Fernimpfung bezeichnen.
Josuah Parker sah gerade noch, wie der Bärtige zusammenzuckte, als hätte ihn
was gestochen, was ja auch der Fall war. Den winzigen Pfeil, der etwas
oberhalb von seiner Sitzfläche im Körper steckte, sah er jedoch nicht.
Die Kerle stürmten hinaus, doch der Bärtige begann bereits leicht zu taumeln,
als er auf dem Gang war.
Josuah Parker war mit zwei schnellen Sätzen an der halboffenen Tür und
blickte ihnen nach. Er wollte noch eine Fernimpfung ansetzen, um mit den
restlichen zwei Gangstern leichteres Spiel zu haben, doch die Männer ver
schwanden gerade durch die andere Tür ins Freie.
»Was ist denn los mit dir, Skorpion?« hörte er Franks Stimme.
Der mit Skorpion Angesprochene, ein Spitzname, der zweifellos mit der
Bezeichnung seiner Maschinenpistole zusammenhing, murmelte etwas und
knickte in den Knien ein. Sein Lallen brach unvermittelt ab, sein Gesicht
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wurde schlaff, und er wäre der Länge nach hingefallen, hätten ihn zwei andere nicht sofort bei den Armen ergriffen. Er wurde zu einem Auto geschleppt, dessen Motor aufheulte und das mit quietschenden Reifen davonfuhr. Inzwischen war auch der letzte Gast verschwunden, und das »Mandarin« sah aus, als hätten die Vandalen darin gehaust. Zwei immer noch total eingeschüchterte Kellner und Lady Agatha kümmerten sich um den niedergeschlagenen Inhaber. »Sie haben diese Subjekte einfach laufen lassen, Mister Parker«, monierte Lady Agatha, »obwohl ich sie schon so gut wie dingfest hatte. Und Sie lassen diese Lümmel unbehelligt ziehen...« Der Butler verneigte sich leicht vor seiner Herrin. »Meine Wenigkeit möchte in aller Bescheidenheit zu bedenken geben, daß die Herren keine leeren Drohungen ausstießen, Mylady. Man neigt zu der Annahme, daß sie zweifellos einen Gast erschossen hätten.« , . . »Papperlapapp, Schnickschnack, Mister Parker. Seit wann haben Sie Angst vor einer kleinen Maschinenpistole? Nehmen Sie sich ein Beispiel an meiner Unerschrockenheit.« »Myladys Mut ist überwältigend. Meine bescheidene Wenigkeit wird sich stets ein Vorbild an Myladys Kühnheit und Myladys Erfahrung nehmen. Man war allerdings sehr besorgt um Myladys Leben.« »Mir passiert nichts«, wehrte die ältere Dame ab und bewies wieder mal ihren Leichtsinn vor geladenen Waffen. Josuah Parker holte aus einer der unergründlichen Innentaschen seines Covercoats ein Fläschchen mit einem Glasstöpsel, öffnete es und hielt es dem bewußtlosen Chinesen unter die Nase. Das Riechsalz hatte der Butler in seinem Labor selbst gebraut. Es übertraf an Wirksamkeit alles, was auf dem Markt war. Als Trägersubstanz dienten schwefelsaures Kali und Ammonium, das mit Salmiakgeist und diversen ätherischen Ölen versetzt war. Mike Rander hatte mal behauptet, das Zeug würde selbst Tote aus ihren Gräbern erwecken und zu sofortiger Flucht veranlassen. Der Chinamann sog den Duft ein und sprang trotz seines beachtlichen Gewichtes fast kerzengerade in die Höhe, als er daran geschnuppert hatte. Seine Augen tränten, und er begann zu husten. Verzweifelt sah er sich in seinem Restaurant um. Auf dem Boden lagen Essensreste, zerbrochenes Geschirr, geköpfte Bambus, Scherben und Teile der Samtportieren. »Mein schönes Lokal«, jammerte der Besitzer. »Das ist jetzt schon das zweite Mal, daß man es kurz und klein geschlagen hat.« »Wer waren diese Lümmel?« fragte Lady Agatha sofort. Tai Lingh, so hieß der Besitzer, blickte betreten zu Boden. Er wich
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Lady Agathas durchdringendem Blick beharrlich aus. Die Angst stand deutlich
in seinem feisten Gesicht geschrieben.
»Ich... ich kenne sie nicht«, stammelte er.
»Heißen Sie nicht Konfuzius?« fragte die passionierte Detektivin.
»Nein, Mylady, die Männer nennen mich nur so.«
»Was darauf hindeuten dürfte, daß man sich doch kennt«, schaltete Parker
sich ein. »Sie haben die Ehre und das Vergnügen, einer berühmten Kri
minalistin Rede und Antwort stehen zu dürfen.«
»Einer sehr berühmten«, behauptete Lady Agatha. »Mir ist noch nie ein
Verbrecher entkommen, Mister...«
»Tai Lingh«, sagte der Chinese kläglich. »Aber ich habe mit der ganzen Sache
nichts zu tun. Es muß sich um einen Zufall handeln. Wahrscheinlich waren die
Männer betrunken.«
»Papperlapapp, die Lümmel waren nicht betrunken, Mister Haifisch.«
Tai Lingh zuckte zusammen, als er die Abart seines Namens hörte.
»Jedenfalls kenne ich sie nicht«, behauptete er abermals. »Ich will damit auch
nichts zu tun haben.«
»Geht man recht in der Vermutung, daß besagte Männer von Ihnen ein
Schutzgeld erpressen wollen, Mister Tai Lingh?« fragte Parker.
»Genau das wollte ich gerade fragen, Mister Parker, aber Sie kamen mir
zuvor«, mischte sich Lady Agatha ein.
»Schutzgeld?« Tai Lingh schien angestrengt nachzudenken. »Was ist das -
Schutzgeld?« fragte er.
»Mylady vermutet, daß Sie erpreßt werden«, erklärte der Butler geduldig.
»Mylady geht ferner von der Tatsache aus, daß Ihnen der Begriff des Schutz
geldes durchaus geläufig sein dürfte, Mister Tai Lingh. Es wäre von Vorteil für
Sie, Myladys Fragen zu beantworten. Man möchte Ihnen helfen, falls Sie in der
vielzitierten Klemme stecken.«
»Ich stecke in keiner Klemme«, wehrte der Chinese ab. »Es ist eine rein
persönliche Angelegenheit. Ich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit einem
der Kerle. Daraufhin haben sie mein Lokal zertrümmert.«
»Sie erwähnten ein zweites Mal«, sagte Parker.
Tai Lingh räusperte sich verlegen. Parker sah ihm an der Nasenspitze an, daß
er nicht die Wahrheit sagte.
Agatha Simpson reagierte meist direkt und ohne Umschweife.
»Lügen Sie mich nicht an, junger Mann. Eine Lady Agatha verträgt das nicht.«
Die energische Stimme riß den Chinesen hoch.
»Man wird mich umbringen, Mylady.«
»Papperlapapp, und nun reden Sie endlich.«
* »Ja, ich werde erpreßt«, gab Tai Lingh nach einigem Zögern zu. »Sie verlangen monatlich die Zahlung einer
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Schutzgebühr von tausend Pfund.«
»Eine beachtliche Summe, Mister Haifisch, das muß ich schon sagen.
Demnach scheint Ihr Geschäft ja gut zu laufen. Aber offenbar haben Sie
diesmal nicht bezahlt«, meinte die Detektivin scharfsinnig.
»Das Geschäft ging nicht so gut wie sonst, Mylady. Ein paar Gastwirte haben
sich zusammengeschlossen und verweigern die Zahlung, weil man sie mit
unverschämten Forderungen fast an den Rand des Ruins getrieben hat. Die
Quittung haben wir umgehend erhalten. Beim nächsten Mal werden sie mich
umbringen.«
»Darf Mylady davon ausgehen, daß Sie sich bereits mit der Polizei in Ver
bindung gesetzt haben, Mister Tai Lingh?« fragte der Butler.
Die Antwort war ein klägliches Nicken.
»Vor vierzehn Tagen schon. Ein Yard-Beamter war mit zwei Männern hier und
hat einige Fragen gestellt.«
»Ein Yard-Beamter?« hakte Mylady mit blitzenden Augen nach. »War er
korpulent und hatte Ähnlichkeit mit einer Bulldogge?«
»Ja, Mylady. Er sah wie eine gereizte Bulldogge aus.«
»Dann war es McWarden«, stellte Agatha Simpson umgehend fest. »Es war ja
wieder mal zu erwarten, Mister Parker, daß er nichts herausgefunden hat.«
»In der Tat scheinen Mister McWardens Bemühungen nicht von Erfolg
gekrönt zu sein«, gab Parker seiner Herrin recht.
»Er hat nie Erfolg«, behauptete Lady Agatha. »Und wenn er mal Erfolg hat,
dann verdankt er ihn einzig und allein mir. Ich werde ihm die unverschämten
Lümmel wieder mal auf silbernem Tablett servieren müssen, damit er ein
Erfolgserlebnis hat. Sonst muß der Gute noch vorzeitig seinen Dienst beim
Yard quittieren.«
Lady Agatha und Chief-Superintendent McWarden pflegten ein besonders
inniges Verhältnis, eine Art Haßliebe, die sie miteinander verband. McWarden
schätzte zwar die unkonventionelle Art der Lady und nahm es sogar in Kauf,
von der älteren Dame mehr oder weniger bespöttelt zu werden, aber
manchmal platzte ihm doch der Kragen, und er reagierte ausgesprochen sauer.
»Er hat also nichts mehr von sich hören lassen«, stellte Agatha Simpson
boshaft fest. »Das bedeutet, daß er nichts herausgefunden hat.«
»Er wollte sich wieder melden, schien mir aber nicht so recht dran zu
glauben«, bemerkte Tai Lingh.
»Wie darf Mylady das auffassen?« fragte Josuah Parker.
»Ich nannte einen Namen«, deutete der Chinese an, »und da hat er nur
geringschätzig das Gesicht verzogen.«
»Mylady vermutet den Drahtzieher im Hintergrund«, ließ Parker anklingen.
»Darf man den vermutlich etwas ungewöhnlichen Namen erfahren?«
»Er nennt sich der Zampano, der große Zampano«, sagte Tai Lingh mit
unglücklichem Gesichtsausdruck. »Seinen richtigen Namen kennt
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niemand. Aber alle sprechen vom Zampano.« »Ein lächerlicher Name«, stellte die Detektivin fest. »Vermutlich ein Mafiosi. Habe ich recht, Mister Parker?« Der Butter lüftete andeutungsweise die Melone. »Mylady meinen sicher die Hauptfigur des italienischen Films >La StradaShang-haiPeking< und Tong Wy Xing, dem das >Nanking< gehört. Aber sie können auch nicht mehr sagen als ich, falls sie überhaupt etwas sagen.« »Eine Kleinigkeit, sich diese Namen zu merken«, behauptete Lady Agatha wider besseres Wissen, denn sie hatte nicht einen einzigen behalten. »Sie sollten sich die Namen ebenfalls merken, Mister Parker, damit Sie Ihr Ge dächtnis trainieren. Ich werde Sie später mal auf die Probe stellen.« »Meine Wenigkeit ist stets bemüht, Mylady nachzueifern«, versicherte der Butler ausdruckslos. »Was allerdings nicht besagt, daß man Myladys phäno menales Gedächtnis auch nur annähernd erreichen kann.« »Es gehört sehr viel Übung dazu, Mister Parker. Selbst ich habe sehr lange gebraucht, um jede Einzelheit
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fotografisch im Gedächtnis zu behalten.«
»Mylady haben das sozusagen im Schlaf geschafft«, erwiderte Parker.
»Es gehört eine erstaunliche Selbstbeherrschung dazu«, lobte sich die passionierte Detektivin.
Sie hatte es jetzt eilig, Ermittlungen anzustellen und verabschiedete sich von Tai Lingh, der geknickt zurückblieb.
Parker war überzeugt davon, daß es sich ziemlich schnell herumsprechen würde, daß man bei dem Chinesen nicht mehr in entspannter Atmosphäre speisen konnte, und der Mann um sein Leben fürchten mußte.
* »Wie werde ich jetzt vorgehen, Mister Parker?« erkundigte sich die Kri minalistin, als sie im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum saß und entspannt in die Polster sank. »Mylady werden eruieren, wie es den anderen Herren ergangen ist, falls die Vermutung meiner Wenigkeit zutrifft.« »Genau, Mister Parker, so habe ich es geplant. Leider ist es heute zu spät dazu«, fügte sie seufzend hinzu. »Ich werde noch ein kleines Getränk zu mir nehmen und weiter an meinem Bestseller schreiben, damit die Verleger mir nicht ständig ins Haus rennen.« »Mylady haben bereits Fortschritte gemacht?« fragte Parker höflich. Er hatte seiner Herrin ein Studio eingerichtet, das einem hochmodernen Büro ähnelte und in dem nichts fehlte, nicht mal der PC-Computer. Mylady gab vor, an einem Drehbuch zu schreiben, aber Parker wußte, daß sie noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht hatte. Wenn sie zu schreiben vorgab, saß sie meist entspannt da und schaute Kriminalfilme im Fernsehen an oder besorgte sie sich per Video. Sie war überzeugt davon, eine gewisse Agatha Christie eines Tages in den Schatten zu stellen. »Sehr große Fortschritte«, behauptete die ältere Dame. »Manchmal schreibe ich ganze Nächte hindurch ohne die kleinste Pause.« »Mylady kasteien sich förmlich.« »Ich weiß«, seufzte sie entsagungsvoll. »Aber die Verleger lassen nicht locker. Sie bieten schon sechsstellige Summen.« »Was durchaus berechtigt ist. Man weiß Myladys Bestseller entsprechend zu honorieren.« »Ich werde übrigens verfolgt, Mister Parker«, ließ sie sich einen Augenblick später vernehmen. »Man hat mir aufgelauert, weil man meine Gefährlichkeit erkannt hat. Immerhin habe ich zwei Gangster schachmatt gesetzt. Uns folgt ein brauner Lieferwagen.« »Mylady meinen den Abschleppwagen?« Ein brauner Wagen fuhr hinter ihnen, der ein demoliertes Auto am Haken hatte. In dem Wagen saßen zwei dickliche Männer in blauen Overalls. »Das Auto am Haken ist natürlich Tarnung, Mister Parker. Ihr kriminali stischer Scharfsinn sollte inzwischen so weit ausgebildet sein, daß Sie das 29
sofort erkennen. Eine Lady Simpson täuscht man nicht auf derart primitive
Weise.«
»Mylady durchschauen jedes noch so kunstvoll durchdachte Manöver.«
»Das will ich meinen, mir macht man gar nichts vor«, warf sich Lady Agatha in
die ohnehin üppige Brust.
Der Abschleppwagen bog nach rechts ab, was Mylady aber nicht davon abhielt,
auch weiterhin an eine Verfolgung zu glauben. Die Kerle wendeten
wahrscheinlich nur einen weiteren Trick an.
Josuah Parker sah im Rückspiegel, daß ihnen kurz nach der Abfahrt vom
»Mandarin« eine japanische Suzuki folgte. Die Maschine hielt immer den
gleichen Abstand. Der Fahrer trug dunkles Lederzeug und einen Sturzhelm,
der sein Gesicht nicht erkennen ließ.
»Myladys Aufmerksamkeit ist sicher nicht der Motorradfahrer entgangen«,
deutete er dezent an.
Agatha Simpson hatte gerade ein wenig die Augen geschlossen, um bis
Shepherd's Market noch etwas zu meditieren. Jetzt aber schrak sie aus ihrer
Versunkenheit.
»Auf keinen Fall, Mister Parker. Ich beobachte den Lümmel schon seit einer
Weile. Natürlich ist er bewaffnet und hat es auf mich abgesehen. Ich nehme an,
er wird mit Raketen schießen. Das silbern Schimmernde an der Seite der
Maschine deutet daraufhin.«
»Mylady vermuten, daß die Auspuffrohre nur getarnt sind?« fragte der Butter,
ohne eine Miene zu verziehen.
»Selbstverständlich. Ich sah neulich einen Film, in dem so etwas passierte.
Seien Sie auf alles gefaßt, Mister Parker.«
»Meine Wenigkeit nimmt Myladys Warnung dankend zur Kenntnis. Man wird
sich vorsehen.«
Der Motorradfahrer unternahm jedoch nichts, außer daß er Parkers Trickkiste
auf Rädern auch weiterhin beharrlich folgte.
Der Butler bog auf das Anwesen seiner Herrin ein und betätigte mit dem
Impulsgeber das Garagentor, das sich automatisch öffnete.
Der Unbekannte befand sich etwa fünfzig Yards entfernt, hatte seine Maschine
zum Halten gebracht und sah herüber. Sein Gesicht war nur eine re
flektierende Scheibe im Schein der Straßenlampen.
Gerade als Parker aussteigen wollte, um sich mit dem Unbekannten ein wenig
näher zu befassen, ließ der Mann seine Maschine an, gab Gas und brauste
aufheulend davon. Innerhalb weniger Sekunden war er spurlos verschwunden.
»Er hat mich beobachtet«, stellte die füllige Dame fest. »Er will herausfinden,
wo ich wohne. Natürlich gehört er zu den Gangstern um den Zampelmann. Ich
fürchte, Mister Parker, wir haben bald mit Besuch zu rechnen.«
»Worin man Mylady nur beipflichten kann«, sagte der Butler. »Meine
Wenigkeit wird jedoch bemüht sein, alles Ungemach von Mylady fernzuhalten,
um Myladys Schlaf nicht zu stören.«
»Schlaf ist gut«, erwiderte die ältere Dame seufzend. »Wahrscheinlich werde
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ich die ganze Nacht damit verbringen, weiter an meinem Bestseller zu
schreiben.«
»Mylady sollten unbedingt an ihre Gesundheit denken.«
»Von Genies werden immer Opfer verlangt, Mister Parker, und ich bilde darin
nun mal keine Ausnahme. Sie dürfen mir in der Halle noch einen kleinen
Cognac servieren zur Aufmunterung für die anstrengende Nacht.«
»Sehr wohl, Mylady.«
Josuah Parker geleitete seine Herrin ins Haus und kontrollierte die Alarm
anlage, die das altehrwürdige Fachwerkhaus nach allen Seiten absicherte.
Er rechnete zwar nicht mit nächtlichem Besuch, aber ein solcher war dennoch
nicht endgültig ausgeschlossen.
Der Mann auf dem Motorrad hatte vermutlich nur die Lage sondieren und
ihnen auf den Zahn fühlen wollen. Es mußte den Gangstern seltsam
erscheinen, daß sie von einer älteren Dame kräftige Hiebe bezogen hatten.
Dadurch war ihr Mißtrauen geweckt, und daher wollten sie feststellen, mit
wem sie es zu tun hatten.
Parker kredenzte seiner Herrin zwei Cognacs, die ihren Kreislauf für die
geplante Nachtarbeit anregen sollten.
Eine halbe Stunde später hörte er aus dem oberen Stock leise Schnarchtöne,
die darauf hindeuteten, daß Mylady wohl mehr von ihrem Bestseller träumte,
als daß sie ihn schrieb.
* Das »Shanghai« lag in Finsbury an der Rosbery Avenue und ähnelte in der
Aufmachung verblüffend dem »Mandarin«. Der Besitzer war Fun Chu aus
Hongkong.
Parker und Mylady überquerten eine Art Vorhof, der zur Pine-Street wei
terführte. Es war ein längerer Arkadengang, von dem aus man das »Shanghai«
von zwei Seiten betreten konnte.
»Haben Sie sich den Namen gemerkt, Mister Parker?« fragte die resolute
Dame, die energischen Schrittes die Arkade durchquerte. »Ich will feststellen,
ob Sie etwas gelernt haben.«
»Der Inhaber heißt Fun Chu, Mylady.«
»Stimmt, Mister Parker. Sie machen Fortschritte und werden bald das
Rüstzeug für einen guten Kriminalisten haben.«
»Mylady schmeicheln meiner Wenigkeit außerordentlich«, erwiderte der
Butler höflich. »Man dankt und weiß dieses Kompliment zu schätzen.«
»Noch ist es allerdings nicht soweit«, schwächte Lady Agatha ab. »Jetzt werde
ich mir erst mal diesen Mister Buntschuh vorknöpfen.«
Das Restaurant war leer. Um die vormittägliche Zeit kam niemand auf die
Idee, chinesisch zu speisen.
Hinter der breiten Theke hantierte ein Mann mit eulenhaftem Gesicht. Seine
Nase sprang merkwürdig scharf und gekrümmt hervor. Seine Lippen waren
nur ein dünner, zusammengekniffener Strich. Er, war groß und
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breitschultrig und schien keinen Spaß zu verstehen.
Zwei Chinesinnen waren damit beschäftigt, den Teppichboden zu reinigen,
während der Mann in die verspiegelten Regale diverse Flaschen stellte, die er
einem Karton entnahm.
Josuah Parker lüftete höflich seinen schwarzen Bowler und stellte Lady Agatha
und sich vor.
»Mylady wünschen, Mister Fun Chu zu sprechen«, trug der Butler sein An
liegen vor.
»Wills«, sagte der Mann knapp und musterte das skurrile Paar nachsichtig von
oben bis unten. Das Lächeln verkniff er sich zuerst, aber es schlich sich dann
doch unmerklich in sein Gesicht.
»Fun Chu ist auf den Kontinent gereist«, erklärte Wills. »Wenn ich Ihnen
behilflich sein kann - ich bin der Geschäftsführer.«
»Sie werden erpreßt«, begann Lady Agatha ohne Umschweife und in ihrer
direkten Art.
»Stimmt«, gab Wills verblüfft zu. »Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Mister Haifisch, bei dem ich gestern speiste. Einige Rüpel haben sein
Restaurant buchstäblich auseinandergenommen.«
Ihre Mundwinkel verzogen sich leicht.
»Der Mister hat noch nie einen Hai gefangen«, sagte Wills. »Sie meinen sicher
Tai Lingh, Mylady.«
»Wie auch immer, junger Mann. Namen sind wie Schall und Rauch. Außerdem
haben Sie sich verhört. Ich irre mich nie mit Namen.«
»Und worum geht es, Mylady?«
»Mylady ist auf der Spur jener mysteriösen Erpresser«, schaltete der Butler
sich ein. »Mylady hätte gern ein paar Auskünfte.«
Die ältere Dame wurde nochmal einer genauen Musterung unterzogen. Wills
kam anscheinend zu dem Ergebnis, daß man ihn zum Narren hielt.
»Soll das ein Witz sein?« fragte er etwas schärfer. »Sie wollen mir doch nicht
weismachen, daß Sie hinter den Gangstern her sind.«
»Und ob, junger Mann«, fuhr Lady Simpson ihn an. »Und wenn ich hinter
jemand her bin, kriege ich ihn auch. Darauf können Sie sich verlassen.«
»Mylady hat in der Tat beachtliche Erfolge als Detektivin aufzuweisen, Mister
Wills«, sagte Parker, der den Sitz seines am Unterarm hängenden
Regenschirmes akkurat korrigierte. »Mylady ist Kriminalistin mit dem le
gendären Ruf, bisher jeden Fall aufgeklärt zu haben.«
»Aha«, reagierte Wills vorsichtig und etwas überrascht. »Das sieht man
Mylady aber gar nicht an. Und welche Rolle spielen Sie dabei?«
»Meine bescheidene Wenigkeit hat die Ehre und das Vergnügen, als Butler in
Lady Simpsons Diensten stehen zu dürfen, Mister Wills.«
»Aha«, wiederholte Wills, diesmal etwas ratlos. Er wußte immer noch nicht,
wie er das skurrile Paar einordnen sollte. »Was haben Sie denn bisher
herausgefunden?«
»Myladys Recherchen ergaben einwandfrei den Tatbestand der Erpressung«,
antwortete der Butler. »Dabei
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handelt er sich zumeist um chinesische Restaurants, denen man eine gewisse Schutzgebühr abfordert. Da Mister Tai Lingh offenbar nicht den Wünschen jener Organisation nachgekommen ist, wurde sein Restaurant demoliert. Mylady eruierte ferner, daß der Drahtzieher ein gewisser Zampano sein soll.« Wills grinste. Sein Eulengesicht verzog sich, aber er wirkte keinesfalls amüsiert. »Zampano«, sagte er verächtlich. »Genauso nennt er sich. Der große Zampano! Offenbar ein überspannter Ganove mit dem Anflug von Größen wahn.« »Der Herr ist Ihnen bekannt?« fragte Parker. »Nur seinem hochtrabenden Namen nach. Wir hatten noch nicht die Ehre und das Vergnügen, seine persönliche Bekanntschaft zu machen.« »Aber sein Gefolge kennen Sie bereits?« vermutete der Butler. »Ja, natürlich. Als Mister Chu auf meinen Rat hin nicht zahlte, zerschlugen sie die Einrichtung, pöbelten die Gäste an und sorgten für ein heilloses Durcheinander. Sie kamen spät am Abend, als im Hotel schon viele Gäste schliefen. Einer brüllte durch alle Gänge, daß sich im Haus eine Bombe befände. Damit war das Chaos perfekt, und man rannte im Schlafanzug blind vor Angst auf die Straße.« »Sie weigern sich, auch weiterhin zu zahlen, junger Mann?« verlangte Lady Agatha zu wissen. »Diese Initiative geht von mir aus«, informierte Wills. »Ich habe mich mit einigen Kollegen zusammengetan, die ebenfalls nicht mehr bereit sind zu zahlen. Zampanos Forderungen werden nämlich immer unverschämter.« »Man verlangt von Ihnen tausend Pfund im Monat, Mister Wills?« »Das war einmal. Von Mister Chu fordert man zweitausend Pfund, weil ihm auch das angeschlossene Hotel gehört. Eine derart hohe Summe hat bereits einige Besitzer in den Ruin getrieben.« »Was durchaus verständlich ist«, pflichtete der Butler ihm bei. »Meine Wenigkeit vermutet, daß man nun massiv gegen Sie vorgehen wird, respektive gegen alle, die die Zahlung verweigern.« Wills nickte bekümmert, aber nachdrücklich. »Wir rechnen stündlich damit. Bereits heute morgen kam die telefonische Aufforderung, sofort zu zahlen, zuzüglich fünfzig Prozent Zinsen.« »Eine Unverschämtheit«, empörte sich Lady Agatha. »Das ist ganz übler Wucher. Dem werde ich ein Ende setzen.« »Sie haben abermals abgelehnt?« fragte Parker. »Allerdings. Wir sind darauf vorbereitet, daß es jetzt einen heißen Krieg gibt. Ich bin bewaffnet, Mister, und werde versuchen, einen der Gangster zu fassen, um ihn der Polizei zu überstellen. Dort wird man zweifellos herausfinden, wer der Zampano ist.« Parker konnte diese Zuversicht nicht teilen, da es sich zumeist um kleine Fische handelte, die das Kassieren besorgten. Es war unwahrscheinlich,
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daß jemand von ihnen den eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund persönlich kannte. »Hier scheint nichts zu holen zu sein«, grollte Lady Agatha. »Niemand kennt den Zampanack. Ich glaube, wir werden bei den anderen ebenfalls kein Glück haben, Mister Parker.« »Was durchaus der Fall sein könnte, Mylady.« »Was werde ich jetzt unternehmen?« fragte die passionierte Detektivin etwas ungehalten, doch Parker wurde einer Antwort enthoben. * Durch die offene Tür des Restaurants hörte man das Blubbern eines Motors.
Die Handbremse rastete ein. Ein Lieferwagen vor dem Haus hielt.
»Das wird unser Händler sein«, vermutete Wills.
Agatha Simpson wandte sich enttäuscht zum Gehen und kollidierte dabei fast
mit einem Mann, der gerade zur Tür hereinkam. Er hatte einen Plastikkanister
in der Hand, dessen Verschluß geöffnet war.
Ein unangenehmer Duft begleitete den Mann. Er roch aufdringlich nach
Benzin oder Gasolin.
»Was gibt es?« fragte Wills stirnrunzelnd. »Bringen Sie das Sojaöl?«
Der in einen neutralen Overall Gekleidete gab keine Antwort und kümmerte
sich auch nicht um die erstaunten Gesichter. Wills schenkte er nicht mal einen
Blick.
Stattdessen tat er etwas sehr Merkwürdiges.
Er stieß den Kanister um und gab ihm einen Fußtritt.
»He, was soll das?« brüllte Wills. »Sind Sie verrückt geworden? Sie vermiesen
ja den ganzen Teppich.«
Es roch aufdringlich nach Öl, wie man es auch zum Heizen verwendete. Im Nu
breitete sich eine schillernde Pfütze aus, die gierig vom kostbaren
Teppichboden geschluckt wurde.
Alles ging ziemlich rasch. Aus dem Kanister gluckerte es noch, als Wills zur
Theke rannte, um von dort seine Waffe zu holen.
Der Butter wollte ebenfalls in Aktion treten, als der Fremde sich umdrehte und
nun seinerseits mit einer großkalibrigen Waffe auf das skurrile Paar zielte.
»Nur nicht nervös werden, Leute«, sagte er lässig.
Lady Agatha schwang bereits ihren Pompadour an den langen Lederschnüren
wie einen Morgenstern, aber die Distanz zu dem Mann war unüberbrückbar,
der jetzt in der offenen Tür stand.
Ein zweiter Mann erschien, ebenfalls in einem Overall. Auf dem Rücken trug er
einen Kanister, und in der Hand hielt er einen längeren Stutzen, dessen Ende
sich nach vorn verdünnte. Er sah aus, als wollte er Obstbäume spritzen und
vom Ungeziefer befreien.
»Könnte ein bißchen warm werden, Herrschaften«, sagte er grinsend. »Ihr
solltet euch lieber verziehen.«
»Was soll das?« ächzte Wills, der grau wie Haferbrei wurde.
Josuah Parker hob den Universal-Regenschirm etwas, um einen kleinen
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Blasrohrpfeil auf die Reise zu schicken. Er hatte sofort erkannt, daß der Mann einen Flammenwerfer trug. »Rühr dich lieber nicht«, warnte der Revolverheld, »und versuch nicht, deine Krücke als Waffe zu benutzen, sonst heizen wir dir gründlich ein und der alten Fregatte auch.« Lady Agatha fühlte sich provoziert und ging entschlossen auf den Revol vermann zu, wobei sie wieder mal großzügig die geladene Waffe des Mannes ignorierte. Offenbar konnte oder wollte sie sich nicht vorstellen, daß man auf sie schießen würde. Der Kerl mit dem Flammenwerfer drehte sich halb zur Seite und betätigte einen Knopf an seinem Gerät. Gleichzeitig hab er das schimmernde Rohr des Werfers. Eine Feuerlanze tobte durch das Lokal. Schlagartig begann der Teppich mit dem ausgelaufenen Öl zu brennen. Fauchen, Zischen war zu hören. Der Mann mit dem Flammenwerfer grinste Wills an, der wie angenagelt neben der Theke stand und sich vor Entsetzen nicht rührte. Um sie her tobte die Hölle. Es wurde so heiß, daß das Atmen fast zur Qual wurde. Parker drängte Mylady zum Ausgang. Der Revolvermann trat fast höflich zur Seite und grinste ebenfalls. »Ein schönes Feuer, was?« höhnte er. »Heute grillen wir umsonst.« Auf den ersten Tischen schmorten die Decken. Ruß flog in kleinen Flocken durch den Raum. Die Feuerlanze zischte weiter und wurde hin und hergeschwenkt, bis sie auch die Wandverkleidung erfaßte. Das Teakholz an der Theke fing fast schlagartig Feuer. Innerhalb weniger Sekunden war der ganze Raum in schwarzen Qualm gehüllt. Mit einem Handgriff stellte der Gangster den Flammenwerfer ab. Das Fauchen erlosch mit einem Schlag. Das schimmernde Rohr hielt er jetzt auf Parker und Lady Agatha gerichtet. Aus dem Qualm löste sich Wills, hustend, keuchend und von Atemnot ge peinigt. Er konnte kaum etwas sehen, so sehr tränten ihm die Augen. »Jetzt dürfte es etwas teurer werden, Mister«, sagte der Gangster gehässig. »Sag das deinem Konfuzius! Die alte Forderung bleibt natürlich bestehen. Er hätte es wirklich billiger haben können.« Die beiden Kerle grinsten hinterhältig. Der eine schnallte den Kanister mit dem Flammenwerfer ab und holte ebenfalls eine Pistole aus seinem Overall. Feixend klemmte er sich ans Lenkrad und startete den Motor des Liefer wagens. Als der zweite Mann einsteigen wollte, hob Parker die Spitze seines Re genschirmes unauffällig und drückte auf den Auslöser. Ein gefiederter Pfeil jagte aus dem zur Geschoßrampe umfunktionierten Schirmstock und traf zielsicher den einsteigenden Mann am Oberarm. Verwundert und entsetzt zugleich starrte er auf das winzige Ding und wurde blaß. Gleichzeitig begann sein Blick zu flackern, und der Getroffene fing an zu taumeln. 35
»Die haben mich vergiftet«, brüllte er. »Hilf mir, Rod, ich sterbe!« Sein Kumpan kümmerte sich indes nicht um das Geschrei. Vielleicht hatte er auch Angst, daß der Mann etwas Verraten würde, falls er wirklich vergiftet worden war. Statt zu helfen hob er die Waffe und gab einen Schuß ab. Gleichzeitig raste der Lieferwagen mit quietschenden Reifen davon. Parker merkte sich die Nummer, obwohl er ahnte, daß er damit nicht viel anfangen konnte. Wahrscheinlich war das Fahrzeug nur »ausgeborgt« worden. Wills erwachte aus seiner Erstarrung und griff nach dem neben der Tür angebrachten Schaumlöscher. Er nebelte das Restaurant ein, bis das Feuer erstickt war und sich nur noch Rauchschwaden durch die Tür wälzten. »Meine Wenigkeit würde vorschlagen, die Polizei zu rufen, Mylady«, schlug der Butler vor. »Man wird sich inzwischen mit dem Mann beschäftigen.« »Genau das habe ich vor«, sagte die ältere Dame etwas atemlos. »Ich werde Mister McWarden anrufen und ihm beweisen, daß ich bereits einen Gangster geschnappt habe. Vielleicht glaubt der Gute dann endlich an den großen Zampelmann. Das Gespräch muß er natürlich ersetzen. Schließlich muß ich mit jedem Penny rechnen«, fügte die sparsame Lady hinzu. Parker kümmerte sich um den Mann, der stöhnend am Boden lag und von seinem Kumpan so schmählich im Stich gelassen wurde. Er zog ihm den kleinen Pfeil aus dem Arm und versuchte, seinen Gegner auf die Beine zu stellen. Doch das Betäubungsmittel wirkte bereits und ließ den Gangster immer schlaffer werden. »Ich muß sterben«, röchelte er mit versagender Stimme. »Erst vergiftet, dann erschossen.« »Dem ist keineswegs und mitnichten so«, versicherte der Butler. »Sie arbeiten für den großen Zampano?« »Ich ... ich ...«, lallte der Mann hoch. Dann setzte die Narkose voll ein, und er trat vorübergehend von der Szene ab. Josuah Parker sah nach der Wunde und verband sie. Es war nur ein Streif schuß an der Schulter, der leicht blutete. Der Gangster hatte noch mal Glück gehabt. Sicherheitshalber verfrachtete der Butler den Schläfer in sein hochbeiniges Monstrum, setzte ihn in den Fond und verriegelte die Tür. Selbst wenn der Mann erwachte, würde er nicht fliehen können. »Mister McWarden wird gleich persönlich mit seinen Leuten da sein«, versicherte Lady Agatha. »Am Telefon ist ihm fast die Luft weggeblieben. Er hat gestaunt über meinen Erfolg.« »Myladys Meisterstücke sind schon Legende«, lobte Parker. Sein Gesicht blieb dabei glatt und unbeweglich wie immer. Wills stand mit hängenden Schultern neben der Tür und starrte in die Nebelschwaden, die immer noch aus
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dem Restaurant krochen und sich träge durch die Passage wälzten. Ein paar Neugierige hatten sich ebenfalls eingefunden, die herumstanden und gafften. »Diese Halunken«, stöhnte Wills mit erstickter Stimme. »Die scheuen selbst vor einem Mord nicht zurück, wenn es um ihr Geschäft geht. Mister Chu wird so gut wie ruiniert sein. Bis das alles wieder aufgebaut ist, vergehen Wochen.« »Man geht in der Tat mit ungewöhnlicher Härte vor«, urteilte Parker. »Aber nicht mehr lange«, versprach die resolute Dame grimmig. »Ich werde diese Subjekte fassen und einem scharfen Verhör unterziehen, bis sie alles gestanden haben. Mit dem Lümmel im Wagen fange ich an, sobald er erwacht ist.« Durch die Passage fuhr in diesem Augenblick ein Polizeifahrzeug, das vor der qualmenden Tür hielt. Chief-Superintendent McWarden und zwei Beamte stiegen aus. * McWarden war etwa fünfundfünfzig Jahre alt. Er hatte einen deutlichen Bauchansatz. Vom Aussehen erinnerte er lebhaft an eine leicht gereizte Bulldogge, und der Blick aus seinen Basedowaugen trug noch maßgeblich dazu bei. Als ChiefSuperintendent leitete er im Yard ein Sonderdezernat, das sich in erster Linie mit organisiertem Bandenunwesen befaßte und dem Innenminister direkt unterstellt war. Da McWarden oft unter Erfolgszwang stand, bat er gern bei Mylady um Rat, wobei er vorwiegend Parkers Mithilfe schätzte. Diesmal sah er etwas unglücklich aus und schien auch leicht gereizt zu sein, wie sein schneller Blick auf Lady Agatha bewies. »Ah, mein lieber McWarden«, säuselte die temperamentvolle Dame mit süffisantem Lächeln. »Sie erscheinen immer dann am Tatort, wenn ich ihn bereits fast verlassen habe.« »Oder verwüstet«, knurrte der Yard-Gewaltige. »Hier sieht es ja nicht gerade gemütlich aus.« »Ich habe einen Gangster kampfunfähig gemacht«, ließ Mylady triumphierend verlauten. »Sie können sich das Subjekt im Wagen ansehen. Es ist ein wahrer Feuerteufel. Mister Parker wird Ihnen gern die Details berichten. Sie wissen ja, daß ich mich nicht mit Kleinigkeiten befasse.« »Ja, das weiß ich, Mylady. Sie fangen immer nur die ganz großen Fische, während ich mich mit Sardinen begnügen muß.« Bevor die beiden weiter lästern konnten, berichtete Parker, was sich zugetragen hatte. Er vergaß auch nicht, den Namen Zampano zu erwähnen. »Es scheint diesen Kerl also doch zu geben«, überlegte McWarden laut. »Ich hielt es anfangs für etwas überspannt, denn alle Nachforschungen verliefen ergebnislos. Sie erstreckten sich auf etliche Restaurants, deren Besitzer oder Inhaber vermutlich erpreßt wurden, doch ich stieß überall auf eine
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Mauer des Schweigens. Die Leute haben ganz einfach Angst und fürchten schlimme Repressalien.« »Dem kann man in der Tat nur beipflichten, Sir«, erwiderte Parker. »Der einzige, der der Organisation mutig entgegentritt, ist Mister Wills. Bedau erlicherweise kann er ebenfalls keine Angaben machen.« »Stimmt«, nickte Wills kläglich. »Wir hören nur hin und wieder eine telefonische Stimme, die uns rät, rechtzeitig zu zahlen, wenn wir Ärger vermeiden wollen. Dann tauchen ein oder zwei Kerle auf, kassieren und verschwinden wieder. Natürlich sind die Männer bewaffnet, und es sind je desmal andere.« McWarden nickte und betrat das verwüstete Restaurant. Das Feuer war restlos gelöscht, und der Qualm verzog sich langsam. Aber die kostbare Einrichtung war nur noch ein beklagenswerter Trümmerhaufen. McWardens Begleiter nahmen eine Anzeige auf, während Parker mit dem Chief-Superintendent zum hochbeinigen Monstrum ging. »Haben Sie schon eine Vermutung, Mister Parker?« fragte der Yard-Mann. »Meine Wenigkeit bedauert, Sir, noch mit keinerlei Anhaltspunkten dienen zu können. Man hat sich lediglich die Nummer des Lieferwagens gemerkt, sowie die Physiognomie des Mannes, der einen Flammenwerfer trug und davon nachhaltig Gebrauch machte.« Der Butler gab eine detaillierte Beschreibung des Gangsters und nannte auch die Wagennummer. »Ich lasse sofort nachforschen«, versprach McWarden. »Darf man dazu anmerken, Sir, daß der Wagen vermutlich gestohlen sein dürfte? Der mysteriöse Zampano würde sich nicht durch derartige Kleinig keiten verraten, wenn die Bemerkung gestattet ist. Man muß ihm eine gewisse Intelligenz bescheinigen.« »Damit könnten Sie recht haben, Mister Parker. Aber mitunter hilft gerade ein glücklicher Umstand dazu, daß...« »Sie sollten sich nicht auf glückliche Umstände verlassen, mein lieber McWarden«, mischte sich Lady Agatha ein. »Kriminalistischer Scharfsinn ist hier gefragt und kein Glück.« Der Yard-Gewaltige verzichtete auf eine Antwort, weil ihm nichts einfiel, was er hätte erwidern können. Aber er ärgerte sich über die Belehrung der streitbaren Dame, der es offenbar ein diebisches Vergnügen bereitete, McWarden immer wieder auflaufen zu lassen. Das Kennzeichen des Lieferwagens wurde über Polizeifunk durchgegeben und brachte genau das Ergebnis, das Parker vermutet hatte. Der Wagen war als gestohlen gemeldet. »Pleite«, reagierte McWarden ungehalten. »Das habe ich ja gleich behauptet«, schwindelte Lady Agatha. »Aber Sie hören mir ja nicht zu, mein Bester.« McWarden wandte ihr abrupt den Rücken zu, gab erneut keine Antwort
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und sah durch die Scheiben von Parkers Wagen.
Im Fond saß der Gangster mit glasigen Augen und wackelndem Kopf. Seine
Lebensgeister kehrten allmählich zurück. Die Wirkung der Betäubungsspritze
klang langsam ab.
Parker öffnete die Zentralverriegelung. Der Mann torkelte hinaus und bekam
von einem Beamten Handschellen verpaßt.
»Darf man fragen, mit wem man das zweifelhafte Vergnügen hat?« erkundigte
sich der Butler bei dem Mann.
»Von mir erfährt keiner was«, murmelte der Gangster. »Ich zeige euch an
wegen Mord. Ihr wolltet mich vergiften.«
Lady Agatha war empört. Sie stand seitlich neben dem Gangster und zog
unauffällig eine Hutnadel aus dem pompösen Gebilde auf ihrem Kopf.
»Nennen Sie ihren Namen, Sie Lümmel, und drehen Sie nicht den Spieß um«,
herrschte sie den Gangster an.
»Den Teufel werde ich... Findet das doch selbst heraus.«
Die Hutnadel, einem Grillspieß nicht unähnlich, trat unvermittelt in Aktion
und erwischte den Mann an einer Stelle, auf der er zu sitzen pflegte. Er zuckte
heftig zusammen.
»Barney«, sagte er gequält. »John Barney.«
McWarden war das kleine Intermezzo entgangen. Er blickte Agatha Simpson
an und schüttelte den Kopf.
»Eigenartig, wie Sie das immer wieder herausbringen, Mylady«, sagte er
staunend.
»Einfühlungsvermögen, McWarden«, erwiderte die passionierte Detektivin
liebenswürdig. »Dazu gehört natürlich Fingerspitzengefühl, das Sie leider
nicht haben.«
»Sie arbeiten im Auftrag des Zampano?« lenkte Parker höflich ab.
»Kenne keinen Zampano. Wer soll das sein?«
»Ihr Auftraggeber, Mister, jener Mann, der Ihnen den Auftrag gab, das Lokal
zu verwüsten.«
»Das war nur ein Jux, weil wir uns mal über das Essen geärgert haben.«
»Ein Jux, der Sie allerdings ein paar Jährchen kosten wird«, meinte
McWarden. »Ich werde Ihnen eine Tötungsabsicht unterstellen.«
»Pah! Ich habe einen guten Anwalt«, wurde der Mann patzig. »Ich sage
überhaupt nichts mehr.« Er gab sich zugeknöpft und verstockt und be
antwortete keine weiteren Fragen mehr.
»Sie hören wieder von mir, Mylady«, verabschiedete sich McWarden. »Ich
fürchte nur, er wird wirklich nichts sagen. Sein Kumpan hat ja bewiesen, daß
er nicht gerade zimperlich war, als er auf ihn schoß.«
Der Gangster wurde in den Wagen verfrachtet Er wirkte trotzig und versuchte
ein überhebliches Grinsen, das allerdings recht kläglich ausfiel.
»Ich hätte dieses Individuum lieber selbst verhören sollen«, beklagte sich Lady
Simpson, als der Polizeiwagen davonfuhr. »McWarden wird nichts aus ihm
herausbringen, wie ich ihn kenne. Mir hat er jedenfalls sofort seinen Namen
gesagt. Man muß nur
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intensiv fragen, Mister Parker, und dabei gewisse psychologische Punkte
beachten.«
»Mylady sind eine unübertreffliche Meisterin im psychologischen Verhör«,
schmeichelte Parker seiner Herrin.
»Das haben Sie schön gesagt«, erwiderte die ältere Dame und schob ihre
Hutnadel etwas fester in das monströse Gebilde.
Inzwischen hatte Wills ein paar Helfer aufgetrieben, die gerade dabei waren,
das demolierte Lokal einigermaßen herzurichten. Sie trugen angesengte Möbel
hinaus und nahmen eine erste Reinigung vor.
* »Ich gestehe, daß ich nur ein paar vage Spuren habe«, sagte die füllige Dame, als sie wieder im Fond von Parkers Privatwagen saß und sich bequem in die Ecke kuschelte. »Zunächst werde ich aber meinen angegriffenen Kreislauf wieder in Schwung bringen.« Agatha Simpson bediente sich recht großzügig aus der eingebauten Bar. Erst nach zwei Gläschen Sherry meldete sie sich wieder. »Ich weiß jetzt, wie ich vorgehe«, verkündete sie entschlossen. »Mylady haben eine Spur?« fragte Parker höflich. »Eine sehr heiße Spur sogar, Mister Parker. Ich bin gespannt, ob Sie meine Gedankengänge nachvollziehen können.« »Mylady denken an den Motorradfahrer?« »An welchen Motorradfahrer?« fragte sie ratlos. »Jenen Herrn, der Mylady gestern verfolgte«, half der Butler ihr auf die Sprünge. »Richtig, Mister Parker, genau an den. Aber das betonte ich ja schon in aller Deutlichkeit. Der Lümmel wird mir Rede und Antwort stehen, sobald ich ihn habe. Natürlich steckt er mit diesem Mafiosi unter einer Decke. Er wird mich auf die Spur zu diesem Zampelmann bringen. Ich sehe da einen klaren Zusammenhang.« »Mylady haben die Verbindung sofort erkannt. Es ist in der Tat davon auszugehen, daß eine Beziehung zum großen Zampano besteht.« »Wie werde ich feststellen, wo sich das Subjekt befindet, Mister Parker? Ich hoffe doch, daß Sie sich ein paar Gedanken gemacht haben und die Details nicht mir überlassen.« »Meine Wenigkeit versucht stets Myladys Gedankengänge nachzuvollziehen. Man hat sich deshalb die Nummer des Motorrades gemerkt und geht davon aus, daß die Maschine nicht gestohlen wurde, Mylady.« »Davon gehe ich ebenfalls aus, Mister Parker. Da Sie nun genügend Hinweise haben, überlasse ich es ihnen, das Individuum auszumachen. Für mich wäre es eine Kleinigkeit, den Wohnort herauszufinden, aber Sie sollen auch einen Anteil an der Lösung des Falles haben.« »Man dankt von ganzem Herzen für Myladys grenzenloses Vertrauen«,
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entgegnete Parker mit unbewegtem Gesicht. Er ließ das hochbeinige Mon
strum vor einer Telefonzelle ausrollen und stieg gemessen und würdevoll aus.
Gleich darauf führte er ein kurzes Telefongespräch mit einem Mann, dem er
schon öfter einen Dienst erwiesen hatte, und der durchaus zu Gegenleistungen
bereit war.
»Habe ich die Adresse dieses Lümmels?« erkundigte sich die Detektivin, als
der Butler wieder zurückkehrte.
»Mylady haben die Adresse in der Tat. Der Mann heißt Jack Fleetwood und
wohnt in der Poland-Street in Soho.«
»Genau dort habe ich das Subjekt vermutet«, nickte die ältere Dame
nachdrücklich. »Rüpel dieser Art wohnen grundsätzlich in Soho. Sie sollten
sich das für die Zukunft merken, Mister Parker.«
»Mylady sehen meine Wenigkeit stets lerneifrig. Mylady wünschen, dorthin zu
fahren?«
»Selbstverständlich. Ich muß den Verdächtigen doch verhören und werde alles
von ihm erfahren, was ich wissen will.«
Parker änderte die Richtung und nahm Kurs auf die Theobalds Road. Von dort
aus waren es noch zehn Minuten bis zur Poland-Street, wo der Butler sein
Vehikel vor einer kleinen Fabrik abstellte.
Das skurrile Paar gelangte in einen Innenhof mit schmuddeligen Wänden. Vor
einem geöffneten Garagentor stand eine japanische Suzuki, davor kniete ein
Mann, der an der Maschine hantierte. Er war so in seine Arbeit vertieft, daß er
nichts hörte.
»Man wünscht einen relativ schönen Guten Morgen«, sagte Parker höflich,
wobei er andeutungsweise die Melone lüftete. »Hat man das Vergnügen mit
Mister Fleetwood?«
Der Angesprochene fuhr blitzschnell herum.
Man kannte sich bereits, denn der Mann trug ein knallrotes Hemd unter seiner
Jacke. Er war es, der im »Mandarin« Gäste angepöbelt und geschlagen hatte.
Sein Komplice hatte ihn mit Jaco angesprochen.
Fleetwood starrte das skurrile Paar an und schüttelte überrascht den Kopf.
Gleichzeitig überschattete Mißtrauen seinen Blick.
»Das ist vielleicht ein Ding«, sagte er. »Die wandelnde Hutschachtel und der
steife Ladestock! Das ist doch kein Zufall, oder?«
»Was durchaus zu verneinen ist«, ließ Parker sich vernehmen.
»Na schön, ihr habt also herausgefunden, wo ich wohne. Wie, das ist mir zwar
ein Rätsel, aber das werde ich aus euch beiden herausprügeln, damit wir uns
verstanden haben.«
»Geht man recht der Annahme, daß Sie unter Umständen daran denken,
notorische Gewalt anzuwenden?« fragte Parker höflich.
»Na klar, was denn sonst! Jetzt sind wir unter uns, und ein zweites Mal falle
ich auf miese Tricks garantiert nicht herein.«
»Junger Mann«, herrschte die ältere Dame den Gangster an. »Nehmen Sie den
Mund nicht zu voll und beantworten
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Sie mir ein paar Fragen. Ich lasse nicht mit mir spaßen, und über die Be leidigung reden wir später noch.« »Was darf´s denn sein?« fragte Fleetwood höhnisch. »Mylady möchte wissen, wer sich hinter dem Namen Zampano verbirgt, und wo der Mann gegebenenfalls zu finden ist. Meine Wenigkeit darf davon ausgehen, daß Sie in seinen Diensten stehen, Mister. Ferner möchte Mylady den Namen Ihres mit Frank titulierten Begleiters erfahren.« »Sonst nichts?« »Mylady würde gern noch die Frage klären, was Sie gestern abend veranlaßte, Mylady zu folgen.« »Aber ein bißchen plötzlich, junger Mann«, forderte Agatha Simpson energisch, »sonst kriegen Sie eine Ohrfeige, an die Sie noch lange denken.« Jack Fleetwood schien ganz Herr der Lage zu sein, wie er sich - allerdings falsch - einschätzte. »Hört mal zu, ihr beiden Spinner«, sagte er. »Bisher habe ich alles als Spaß aufgefaßt. Aber ihr interessiert euch ein bißchen zuviel für Dinge, die euch nichts angehen, und bei denen ich und ein paar andere Herrschaften keinen Spaß verstehen. Ich habe hier aber etwas, das euch interessieren dürfte.« »Nur heraus damit«, forderte Lady Agatha. Fleetwood öffnete einen kleinen Kasten an seinem Motorrad und griff hinein. Als die Hand wieder zum Vorschein kam, schwang sie eine lange, elastische Stahlrute. Das biegsame Schlaginstrument war an den Enden zu gekrümmten Krallen geschliffen worden und blitzte gefährlich im Sonnenlicht. Fleetwoods Einschätzung nach war die Lady mit dem seltsamen Hutgebilde der schlagende Part bei dem skurrilen Paar. Immerhin war sie es gewesen, die ihn mit gezieltem Schlag von den Beinen geholt hatte. Den Butter sah er als nicht so gefährlich an. Lautlos drang er auf Agatha Simpson ein, um sie nachhaltig mit der ge fährlichen Waffe zu traktieren. Er war so schnell und unberechenbar, daß es ihm gelang, eine aus der Hutkomposition herausragende Porreestange zu köpfen. Sogleich wollte er wieder zuschlagen und wich dabei geschickt dem perlenbestickten Pom padour aus, der schon gefährlich zu schwingen begann. Josuah Parker hob kurz den linken Arm an und ließ seinen Universal-Regenschirm senkrecht in die Luft steigen. Er packte die Spitze und neigte den bleigefütterten Bambusgriff nach vorn. Die Stahlrute wurde dem Schläger aus der Hand gewirbelt und flog in hohem Bogen davon. Aber der Gegner war gefährlich und zögerte keine Sekunde. Die Rute wirbelte noch durch die Luft, als er plötzlich seine Spezialwaffe, die High Standard Tournament Pistole, in der Faust hielt. Bevor sein Zeigefinger sich jedoch krümmte, klopfte der Butler mit dem Griff etwas unsanft auf die Nase des Mannes, der daraufhin einen erstickten
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Schrei von sich gab, die Waffe fallen ließ und sich jaulend ans Riechorgan griff. Lady Agatha setzte noch eins drauf und ließ genußvoll die Lederschlaufen, des Pompadours etwas nach. Das Beutelchen mit dem Glücksbringer traf wie immer sein Ziel. Fleetwood schluchzte auf, als er von der Landewucht zurückgetrieben wurde und über seine Maschine fiel, die er umriß. Beide gingen unter prächtigem Getöse zu Boden. * »Ein gefährlicher Lümmel«, meinte die streitbare Dame. »Er hat es doch tatsächlich gewagt, meinen schicken Hut zu verunzieren. Aber dem Strolch habe ich es gegeben.« »Was man nur nachdrücklich bestätigen kann«, sagte Parker. Er zog den Schläger unter der Suzuki hervor und ließ die zehnschüssige Waffe in den unergründlichen Innentaschen seines Covercoats verschwinden. Gleichzeitig band er dem Gangster die Hände mit einer Einwegfessel, wie er das schon mal getan hatte. Fleetwood war total benommen, hockte auf dem Boden und zeigte eine schmerzerfüllte Miene. Tränen rannen ihm aus den Augen, und sein Schädel wackelte haltlos von einer Seite zur anderen. An der Schläfe begann eine Beule zu wachsen, die der Glücksbringer bei seinem vehementen Einsatz hinterlassen hatte. »Mylady gestattet sich, das Verhör wieder fortzusetzen«, sagte Parker. Fleetwoods Widerstand war endgültig gebrochen, seit er die zweite Niederlage erlitten hatte. »Antworten Sie schnell«, grollte Lady Agatha. »Ich sehe mich sonst ge zwungen, Ihnen eine weitere Lektion zu erteilen, junger Mann, die wesentlich nachhaltiger ausfallen wird. Wer ist also dieser Zampermann?« »Ich weiß es nicht«, lautete die klägliche Antwort vom Boden. »Wir verkehren nur telefonisch miteinander.« »Dann geben Sie mir die Nummer.« »Die kenne ich nicht. Ich werde immer angerufen, wenn ein Einsatz nötig wird. Das ist die reine Wahrheit.« »Mylady würde gern etwas über einen gewissen Mister Frank erfahren«, setzte Parker hinzu. Jaco Fleetwood hatte sich erstaunlich schnell gewandelt. Von großspurigem Gehabe war nichts mehr vorhanden. Ziemlich kleinlaut stand er Rede und Antwort. »Das ist mein Kumpel. Er heißt Irvin mit Nachnamen und wohnt nur ein paar Straßen weiter in der Carlisle-Street sechzehn.« »Warum nicht gleich so, junger Mann«, sagte Mylady. »Sie hätten sich eine Menge Ärger ersparen können. Sie sorgen also dafür, daß die Lokale verwüstet werden, wenn die Inhaber nicht zahlen?« Ein klägliches Nicken war die Antwort. »Ich höre gar nichts«, ließ Agatha Simpson verlauten. 43
»Ja, dafür werden wir bezahlt.« Die Stimme glich einem Wispern. »Wer sind die anderen Kumpane?« Lady Agatha ließ nicht locker und wartete umgehend auf Antwort. »Ich meine den Kerl mit dem Bart und den anderen, die Sie befreit haben. Natürlich brauche ich auch die Adressen.« »Ich kann nicht alle Namen preisgeben«, sagte Fleetwood mit erstickter Stimme. »Die würden mich glatt umbringen.« »Niemand dürfte Sie umbringen«, versicherte der Butler. »Man gestattet sich, Sie nachher an einen Ort zu delegieren, wo Sie vor eventuellen Racheakten absolut sicher sind.« »Den gibt es gar nicht«, behauptete der Gangster. »Ich werde auch keine weiteren Namen mehr nennen. Mein Hemd ist mir schließlich näher als meine Jacke.« »Eine durchaus logische Feststellung«, stimmte Parker zu. »Mylady würde aber noch interessieren, in welcher Größenordnung sich die Lokale bewegen, deren Inhaber erpreßt werden.« »Ungefähr vierzig Restaurants sind es, in der Hauptsache Ausländer, denn die haben am meisten Angst und lassen sich schneller einschüchtern.« »Vierzig Lokale«, staunte die passionierte Detektivin. »Das macht über vierzigtausend Pfund im Monat, ganz zu schweigen von denjenigen, die das Doppelte zahlen müssen, und die dafür auch noch ausgeräuchert werden. Das ist eine beachtliche Summe, junger Mann. Nach Abzug der Unkosten für Schläger und Kassierer dürfte dem großen Zappelfloh mindestens die Hälfte bleiben. Diesem Treiben setze ich ein Ende«, verkündete die ältere Dame resolut. »Wir fahren jetzt zu McWarden, Mister Parker, und setzen diesen Lümmel dort ab. Es liegt ja fast am Weg. Ich denke, ich gehe nach der Methode der kleinen Nadelstiche vor, indem ich ein Subjekt nach dem anderen aus dem Verkehr ziehe. Das wird den Zappelmann geradezu herausfordern, wenn seine Garde ständig dezimiert wird.« »Eine Taktik, die gravierende Einschnitte hinterlassen dürfte, Mylady, wenn diese Äußerung gestattet ist.« Fleetwood versuchte es noch ein letztes Mal. Ein paar seiner Lebensgeister waren wohl wieder mobil. Er kroch langsam aus seiner kauernden Stellung hoch und versuchte dabei, der fülligen Dame die Beine unter dem Körper wegzuziehen, um sie zu Fall zu bringen. Doch die streitbare Lady rechnete bereits mit einer Attacke, die sie natürlich nicht unbeantwortet ließ. Fleetwood schrie plötzlich auf. Sein Schrei ging in ein langgezogenes Jaulen über, wie ihn ein Hund oft bei Vollmond produzierte. Die bereits ausgestreckte Hand war unter Myladys derbem Schnürstiefel verschwunden. Auch ihr nicht unbeachtliches Gewicht trug entscheidend dazu bei, dem Gangster das Gefühl zu vermitteln, als wäre er mit der Hand in eine Mangel geraten. »Verdammt«, nuschelte er, als Lady Simpson endlich einen Schritt zurücktrat. »Meine Hand ist gebrochen.«
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»Papperlapapp«, fuhr die ältere Dame ihn an. »Seien Sie nicht so empfindlich!
Bei anderen waren Sie es auch nicht. Mister Parker wird Ihnen eine kleine
Erfrischung reichen, damit Sie endlich Ruhe geben.«
Der Butler hatte den Hinweis verstanden. Aus einer der unergründlichen
Taschen des Covercoats holte er ein Sprayfläschchen, das vom Format her
einem Lippenstift ähnelte.
Den Inhalt hatte er in seinem Labor selbst gemixt. Er bestand auf der Basis
von Distickstoffoxyd mit einigen harmlosen Zusätzen. Das Rausch- oder
Lustgas rief in geringen Dosen Lachreize hervor, ohne irgendwelche Schäden
zu hinterlassen.
Parker drückte auf die Düse, die er dem Gangster vor's Gesicht hielt. Ein
hauchdünner Film entstand, den Fleetwood ungnädig und nichtsahnend auf
seinem Gesicht verteilte.
Anschließend schien er sich sehr fröhlich zu fühlen, denn er begann dümmlich
zu grinsen und kicherte dabei in unregelmäßigen Abständen, als würde jemand
ein paar gute Witze erzählen.
Parker holte sein hochbeiniges Monstrum und bugsierte es in den Innenhof,
wo der Gangster immer noch grinsend am Boden hockte.
»Mylady haben die Absicht, in Scotland Yard vorzufahren?« erkundigte er sich
nochmal.
»Natürlich, weshalb denn nicht? Dem guten McWarden wird ein Kloß im Hals
stecken bleiben, wenn ich den Lümmel persönlich abliefere.«
»Wie Mylady zu meinen belieben«,
sagte Parker mit ausdruckslosem Gesicht.
Er öffnete den Kofferraum seines Privatwagens, lüftete andeutungsweise die
schwarze Melone und bat den Gangster, einzusteigen.
»Wo geht es denn hin?« fragte Fleetwood kichernd.
»In ein ein- und ausbruchsicheres Versteck«, ließ Parker verlauten.
»Na, dann nichts wie los«, reagierte der Gangster grinsend. Gehorsam
kletterte er hinein und legte sich zusammengerollt hin.
* »Der gute McWarden hat vielleicht gestaunt«, sagte die ältere Dame und rieb sich die Hände. »Ich werde ihm die anderen Lümmel auch noch servieren, wenn nötig, einzeln und einen nach dem anderen. Als Krönung erhält McWarden dann den Zappelfloh. Habe ich den Obergangster jetzt deutlich genug herausgefordert, Mister Parker?« »Dem kann man nur voll und ganz beipflichten, Mylady. Zampano dürfte sich in der Tat provoziert fühlen.« »Genau das hatte ich vor. Das ist meine Taktik. Er wird jetzt etwas un ternehmen und wie eine Ratte aus dem Loch kommen. Dann kann ich zum großen Schlag ausholen.« »Mylady werden wie immer unfehlbar sein«, versicherte der Butler, der sein hochbeiniges Monstrum zügig und geschickt durch den Londoner Verkehr lenkte. 45
»Was plane ich jetzt eigentlich?« fragte sie dann.
»Mylady beabsichtigen, einem gewissen Frank Irvin sozusagen auf den Zahn
zu fühlen, Mylady.«
»Stimmt genau, Mister Parker. Wohnt der Lümmel nicht auch in Soho?«
»In der Tat, Mylady, in der Carlisle-Street sechzehn«, informierte der Butler.
»Das war mir natürlich bekannt«, behauptete sie. »Damit ist erneut die
Theorie untermauert, daß derartige Subjekte grundsätzlich in Soho wohnen.
Meine Taktik der Nadelstiche wird sich auch diesmal bewähren, Mister
Parker.«
»Woran meine Wenigkeit nicht den geringsten Zweifel hegt, Mylady.«
Der Verkehr war inzwischen dichter geworden. Einmal mußten sie halten, weil
in der Nähe von Covent Garden ein Unfall passiert war. Die Fahrzeuge
begannen sich zu stauen.
»Das ist natürlich eine Falle«, vermutete Lady Agatha sofort. »Man hat den
Unfall bewußt inszeniert, um mich unauffällig aus dem Weg zu räumen. Ich
hätte nicht gedacht, daß der Zampelmann so schnell reagiert, Mister Parker.
Halten Sie die Augen offen!«
»Mylady sind stets und überall gefährdet«, gab der Butler zu. »Meine
Wenigkeit wird bemüht sein, sich nichts entgehen zu lassen.«
Eine Viertelstunde später konnte Parker endlich seinen Privatwagen in der
Carlisle-Street parken und half seiner fülligen Herrin aus dem Wagen.
Nummer sechzehn war nicht gerade eine gute Adresse. Es war ein altes Haus,
von dem schon lange der Putz abblätterte. Auf der Straße spielten Kinder mit
einem räudigen Hund, der das skurrile Paar umschlich und ankläffte.
Auf Parkers Klingeln öffnete eine junge Frau in Jeans und roter Bluse. Ihr
Atem verriet, daß sie Hochprozentiges getrunken hatte. Sie musterte die
Einlaßbegehrenden ausgiebig.
»Sind Sie von der Salvation Army?« wollte sie wissen.
»Sehe ich so aus, als sei ich von der Heilsarmee?« erwiderte Agatha Simpson
mit grollender Stimme.
»Na ja«, meinte die Kleine, »die tragen auch immer so komische Hüte, Ma'am.
Aber Sie haben keine Musikinstrumente dabei. Ich gebe allerdings nichts, das
will ich gleich klarstellen.«
»Mylady hätte gern einen gewissen Mister Irvin gesprochen«, sagte der Butler
mit einer leichten Verbeugung.
»Frank ist nicht da, er kommt erst morgen mittag wieder zurück. Sein
Arbeitgeber hat ihn mit Beschlag belegt. Er muß Überstunden machen.«
Josuah Parker konnte sich die Überstunden lebhaft vorstellen. In seinem
Gesicht regte sich jedoch kein Muskel.
»Es geht um eine Erbschaftssache«, erfand der Butler. »Darf man Namen und
Adresse des Arbeitgebers erfahren?«
Die Kleine zuckte ratlos mit den Schultern.
»Darum kümmere ich mich nicht. Ich kenne Frank erst seit ein paar Tagen.
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Kommen Sie doch morgen oder übermorgen wieder.« »Man dankt für die Auskunft und wünscht noch einen möglichst angenehmen Tag«, sagte Parker höflich, die Melone lüftend. Die Kleine blickte dem Paar etwas belustigt nach und wußte die beiden Skurrilen offensichtlich nicht einzuordnen. Schulterzuckend schloß sie deshalb die Tür. »Fehlanzeige«, monierte Lady Simpson leicht verärgert. »Natürlich hat das Subjekt sich irgendwo versteckt, weil es Angst vor mir hat. Aber ich werde mit den Lümmel noch kaufen. Fahren Sie mich bitte zurück, Mister Parker, ich muß eine Kleinigkeit zu mir nehmen, und wenn ich nicht pünktlich meine Diät einhalte, bricht mein Kreislauf zusammen.« »Was meine Wenigkeit keineswegs und mitnichten verantworten möchte, Mylady. Man wird umgehend zurückkehren.« In Shepherd's Market bereitete der Butler dreißig Minuten später in der geräumigen Küche das Dinner zu. Es bestand aus Filet Wellington in Sauce Perigord mit diversen Beilagen. Den Abschluß bildeten Schnee-Eier in Va nillesauce und Pistazien. Nach einer weiteren halben Stunde begann Parker aufzutragen. Seine Herrin aß mit sichtlich gutem Appetit, bis das Telefon klingelte. Myladys Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. »Nehmen Sie bitte ab, Mister Parker. Ich möchte aber beim Essen nicht gestört werden. Und lassen Sie keine Besucher vor, falls sich jemand anzumelden gedenkt.« »Sehr wohl, Mylady«, erwiderte der Butler mit unbewegtem Gesicht, ging in die Diele, um Mylady nicht zu stören, und nahm den Hörer ab. »Im Hause Lady Simpson«, meldete er sich höflich. »Josuah Parker am Ap parat. Man wünscht einen äußerst angenehmen Tag.« Aus dem Hörer kam eine ölig klingende Stimme, die etwas belustigt klang, doch der Tonfall änderte sich bald. »Sie sind also der Butler selbst«, stellte der Anrufer fest. »In der Tat, Sir. Darf man fragen, mit wem man die Ehre hat?« »Na, mit mir natürlich, mein Freund. Nennen Sie mich Zampano, wenn Sie wollen.« »Wie Mister Zampano belieben«, reagierte Parker ausdruckslos. Lady Agatha hatte etwas gehört. Neugierig geworden, unterbrach sie ihren Nachtisch und nahm den zweiten Hörer ab. Der Name Zampano hatte sie elektrisiert. »Sie haben mir einigen Ärger bereitet, mein Freund«, fuhr Zampano fort. »Anfangs haben Sie und Ihre komische Alte mich belustigt, das muß ich zugeben. Mittlerweile habe ich aber erkannt, daß von euch beiden Gefahr ausgeht. Sie verstehen natürlich, daß ich das unterbinden muß. Betrachten Sie sich deshalb von mir als so gut wie zum Tod verurteilt.« Josuah Parker ließ nicht die geringste Regung erkennen. »Meine Wenigkeit nimmt solche
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Hiobsbotschaft mit dem größten Bedauern zur Kenntnis, Mister Zampano, wenn man von der Drohung auch nicht sonderlich beeindruckt ist. Derartige Ankündigung hat in der Vergangenheit bereits seinen gewissen Reiz verloren.« »Sie sind ein kaltschnäuziger Hundesohn, mein Freund. Aber meine Warnungen sollten Sie keinesfalls in den Wind schlagen. Ich meine es grundsätzlich ernst. Sie haben allerdings noch eine kleine und allerletzte Chance.« »Man dankt für dieses Angebot«, erwiderte Parker kühl. »Darf man davon ausgehen, daß dafür gewisse Gegenleistungen erwartet werden?« »Selbstverständlich dürfen Sie. Igeln Sie sich jetzt in Ihrer Hütte ein und lassen Sie sich nicht wieder draußen sehen. Das gilt natürlich auch für die dicke Lady. Und geben Sie sich nicht der Illusion hin, ich würde nur bluffen. Ich meine es wirklich ernst.« »Wie Sie bereits andeuteten, Mister Zampano.« »Ich hoffe, wir haben uns verstanden, mein Freund.« »Das dürfte leider nicht möglich sein, Mister Zampano«, meinte Parker bedauernd. »Mylady und meine Wenigkeit haben sich vorgenommen, auch fürderhin das Verbrechen zu bekämpfen. Mylady kann und wird nicht zulassen, daß weiterhin Gastwirte und Hoteliers erpreßt und unter Umstanden ins sogenannte Jenseits befördert werden.« »Sie wollen mir doch nicht den Kampf androhen, Parker? Das halte ich für einen schlechten Witz«, sagte der Anrufer wütend. »Meine Wenigkeit beliebt nicht zu scherzen, Mister Zampano.« Ein kurzes und trockenes Gelächter war zu hören. »Mann, Sie sind ja total verrückt... Ich werde euch beide auf eine Art und Weise ausräuchern, von der ihr nicht mal alpträumt. Ihr werdet wie zwei Schinken im Rauch hängen.« »Darf man davon ausgehen, daß dieser Rauch durch einen Flammenwerfer erzeugt wird, Mister Zampano?« reizte der Butler. »Ganz genau, mein Freund. Ihr habt einige meiner Männer der Lächerlichkeit preisgegeben, zusammengeschlagen und der Polizei überstellt. Ich wollte das anfangs nicht glauben, aber jetzt weiß ich es. Ich bin auch nicht so dumm, euch zu unterschätzen, nur habt ihr gegen mich und meine Männer nicht den Hauch einer Chance.« »Man dürfte entsprechende Maßnahmen treffen, um Myladys Leben nicht unnötig der Gefahr auszusetzen, Mister Zampano«, versicherte der Butler. »Darüber kann ich nur lachen. Also noch mal: Haltet euch da raus, und ihr bleibt am Leben. Ich werde es entgegenkommenderweise bei einem kleinen Denkzettel belassen.« »Meine Wenigkeit erlaubt sich für die großmütige Gefälligkeit zu danken, behält sich aber vor, die schon erwähnten Maßnahmen unverzüglich einzuleiten.« Zampanos Stimme klang danach eisiger. 48
»Dann tu was du willst, du Dummkopf! Jedenfalls lasse ich euch umlegen.« »Dürfte man davon ausgehen, daß nach solch rüder Sprache das Gespräch als beendet betrachtet werden kann?« erkundigte sich Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art. Die Antwort war ein Knurren wie von einer wilden Bestie. Dann hängte der Anrufer ein. Lady Agatha war fast entzückt, als der Hörer aufgelegt wurde und Parker sich mit seiner gewohnten Pokermiene näherte. »Mylady haben das Gespräch gehört?« fragte er. »Ich dachte mir gleich, daß es dieser üble Lümmel ist, Mister Parker. Ich habe ihn nervös gemacht. Jetzt ist er angriffslustig wie eine zustoßende Kobra. Ich werde den Zappelmann also erwarten und ihn unschädlich machen.« »Mister Zampano dürfte Mylady nicht entgehen«, versicherte Parker. Er ging noch mal ans Telefon und wählte eine Nummer. Den Hörer hatte er noch nicht eingehängt. Er führte nur ein kurzes Gespräch. »Haben Sie Mister Pickett angerufen?« wollte die Hausherrin wissen. »Meine Wenigkeit war so frei, sich nach dem Teilnehmer zu erkundigen, Mylady. Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Mister Pickett in diesem spe ziellen Fall nicht zum Einsatz gelangt.« »Dem Teilnehmer?« fragte die Detektivin ratlos. »Ich denke, das war dieser Zampermann.« »In der Tat, Mylady. Man hat sich nach dem Ort erkundet, an dem das Gespräch geführt wurde.« »Richtig, das hatte ich Ihnen ja aufgetragen«, behauptete sie munter. »Ich wollte feststellen, wo der Lümmel wohnt. Natürlich haust auch er in Soho wie die anderen Rüpel.« »Der Anruf erfolgte aus Shoreditch, Mylady, wie man einwandfrei festgestellt hat. Er wurde in einem italienischen Restaurant namens >Isola de Capri< geführt.« »Das ist das Hauptquartier der Bande«, sagte Lady Agatha impulsiv. »Das werde ich noch heute hochgehen lassen.« »Mylady ziehen vermutlich auch in Betracht, daß der Anrufer sich nur vorübergehend in dem besagten Lokal aufgehalten hat?« »Das könnte auch der Fall sein, Mister Parker. Doch das läßt sich feststellen. Ich werde noch ein wenig meditieren, um mich in die Gedankengänge des Gangsters versetzen zu können. Danach brechen wir auf. Sie können ja schon mal feststellen, wo genau sich das besagte Lokal befindet. Ich kann mich nicht um solche Kleinigkeiten kümmern, dazu ist meine Zeit zu kostbar.« »Dem meine bescheidene Wenigkeit nur beipflichten kann, Mylady«, gab Parker zurück. Agatha Simpson nickte ihrem Butler zu und begab sich über die Freitreppe in die oberen Räume, um dort zu meditieren, woraus mitunter ein kleiner Mittagsschlaf wurde.
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Inzwischen räumte Parker das Geschirr ab. Es war für ihn eine Kleinigkeit herauszufinden, wo sich das besagte italienische Restaurant befand. Es lag in Shoreditch in der Sun-Street in unmittelbarer Nähe des Finsbury Square. Anschließend kontrollierte er die Räume des Hauses und schaltete nacheinander die Überwachungsmonitore ein. Soweit er feststellen konnte, war alles in bester Ordnung. Auch der rächende Besuch hatte sich noch nicht eingestellt. Josuah Parker gönnte sich erst mal eine schwarze Zigarre, die er genußvoll rauchte und dabei in einem Magazin für High Tech blätterte. * Nach einer Stunde erschien Lady Agatha wieder sichtlich ausgeruht und
unternehmungslustig.
»Mylady haben die Meditation gutgetan?« erkundigte sich Parker, obwohl er
genau wußte, daß sie geschlafen hatte.
»Von wegen Meditation«, ließ sie sich vernehmen. »Ich habe fast zwanzig
Seiten geschrieben. Es war sehr anstrengend.«
»Mylady sollten an die Gesundheit denken und sich nicht so verausgaben«,
meinte Parker mit unbewegtem Gesicht. .
»Für die Kunst muß man Opfer bringen «, sagte die Hausherrin theatralisch.
»Ich fürchte nur, daß mein Kreislauf wieder auf dem tiefsten Punkt steht.«
Der Butter verstand den Hinweis auf den Kreislaufbeschleuniger und brachte
die Cognacflasche und einen Schwenker.
»Das tut gut nach all der Arbeit«, meinte Mylady und erholte sich. »Aber jetzt
steht weitere Arbeit bevor. Wem wollte ich das schändliche Handwerk legen?«
»Mylady dachten an Mister Zampano.«
»Richtig, das sagte ich ja gerade. Und wo finde ich dieses Subjekt, Mister
Parker?«
Der Butler wiederholte geduldig die Adresse des italienischen Restaurants, aus
dem der Anruf erfolgt war.
»Dann darf ich jetzt keine Zeit versäumen. Ich werde augenblicklich fahren,
Mister Parker.«
»Sehr wohl, Mylady.«
In diesem Augenblick erklang ein Summton in der Halle, der Parker aktivierte.
Gleichzeitig zuckte ein rotes Lämpchen auf. Es signalisierte, daß sich jemand
dem altehrwürdigen Fachwerkhaus näherte, und zwar von der Rückseite her,
wie der Butler sofort feststellte.
Er schaltete die Monitoren wieder ein. Gestochen scharf gaben sie in
Schwarzweiß das Geschehen wieder.
An der rückwärtigen Mauer des Anwesens fuhr ein Tankwagen vorbei, der
nach wenigen Metern stoppte.
Zwei Männer stiegen aus, die sich gründlich und vorsichtig umsahen.
»Ist das nicht dieses Subjekt mit
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dem Flammenwerfer?« fragte Lady Agatha erfreut. »In der Tat, Mylady. Es handelt sich um jenen Herrn Rod, der den Flam menwerfer betätigte und damit auf seinen Kumpan schoß. Der andere Mister dürfte ebenfalls zu Zampanos Gang gehören, Mylady.« »Und was habe ich davon zu halten, Mister Parker. Will man mich etwa ausräuchern?« »Damit müssen und sollten Mylady unbedingt rechnen. Mister Zampano war so frei, dies telefonisch anzukündigen.« »Dann hat er sich aber sehr beeilt«, wunderte sich die streitbare Dame. »Aber was bedeutet der Tankwagen? Oder haben Sie etwa Heizöl bestellt?« »Keinesfalls und mitnichten, Mylady. Mister Zampano beabsichtigt offenbar, das Heizöl auf Myladys Anwesen abzulassen, um es dann mittels Flammenwerfer zu entzünden. Die Hitzeentwicklung dürfte Myladys Anwesen beträchtlichen Schaden zufügen.« »Raffiniert ausgedacht, Mister Parker«, verstieg sich Mylady anerkennend. »Aber das kommt mir gerade recht. Mister Zappelmann hätte mir keinen größeren Gefallen erweisen können.« »Wie darf man Mylady dahingehend interpretieren?« fragte der Butler höflich. Er kannte zwar die Angriffslust seiner resoluten Herrin, wußte aber auch, daß sie sich oft leichtsinnig in Gefahr begab. Sie konnte sich wohl einfach nicht vorstellen, bei lebendigem Leib geröstet zu werden, und nahm wieder alles auf die leichte Schulter. »Aber Mister Parker«, sagte sie fast vorwurfsvoll. »Denken Sie doch bitte mal nach. Sie sind nun lange genug durch meine kriminalistische Schule gegangen.« Josuah Parker konnte seiner Herrin noch immer nicht folgen. Es kam höchst selten vor, daß er Mylady nicht verstand, aber sie entwickelte mitunter recht eigenartige Vorstellungen. In diesem Augenblick war auf dem Monitor zu sehen, daß die beiden Gangster einen armdicken Schlauch vom Tankwagen rollten und ihn mit dem Stutzen voran über die Mauer schoben. Sie zogen und zerrten kräftig an dem schweren Ding. »Genau jenen Schlauch meine ich, Mister Parker«, fuhr Lady Agatha fort. »Fast direkt darunter befinden sich die Tanks für das Heizöl. Und es ist doch anzunehmen, daß der Wagen Heizöl transportiert. Ich bin eine Frau, die mit dem Penny rechnen muß, Mister Parker. Wenn ich also eine größere Menge Heizöl schon kostenlos angeboten bekommen, muß ich zugreifen, um im nächsten Winter nicht zu frieren. Mit dem Kamin allein kann ich nicht das ganze Haus heizen. Verstehen Sie jetzt, was ich meine?« Der Butler stellte die rechte Augenbraue, ein Ausdruck höchster Ver wunderung und Verblüffung bei ihm. Agatha Simpsons sprichwörtliche Sparsamkeit setzte heute allem die Krone auf. »Mylady wünschen, das Heizöl zu bunkern«, sagte er steif und förmlich.
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»Genau das meine ich, Mister Parker. Ich tue damit gleichzeitig ein gutes Werk, indem ich einer Ölkatastrophe vorbeuge. Sie brauchen nur den Stutzen anzuschrauben.« »Mylady haben in Bezug auf Ökologie umwerfende Vorstellungen entwickelt, falls die Bemerkung gestattet ist. Meine Wenigkeit wird Myladys potentiellem Entsorgungswunsch unverzüglich nachkommen.« »Das haben Sie schön gesagt, Mister Parker«, freute sich die ältere Dame und blickte gebannt auf den Monitor, während Parker im Keller verschwand. Unter der Mauer tauchte der Butler wieder auf, öffnete den riesigen Tank und schraubte lautlos den Stutzen fest. Für die eifrigen Gangster befand er sich im toten Winkel. Die ahnungslosen Öllieferanten setzten die Pumpe in Gang, blieben neben dem Tankzug stehen und warteten geduldig. Der eine rauchte eine Zigarette, und der andere machte den Flammenwerfer startklar. Parker war inzwischen wieder zurück und verfolgte mit seiner Herrin das Geschehen auf dem Monitor. Das Außenmikrophon war ebenfalls einge schaltet, das jedes Geräusch aufzeichnete. »Das wird eine Feuerhölle«, hörten sie Rod sagen. »Die werden da drin gebraten wie zwei Hähnchen auf dem Grill.« Man lachte laut und ungeniert. »Caesare wird sich freuen. Den Tankzug stellen wir nachher woanders ab, damit es nicht auffällt.« Zehn Minuten vergingen, in denen sich Myladys Heizölvorräte für den Winter beträchtlich auffüllten. Agatha Simpson rieb sich erfreut die Hände und nickte zufrieden vor sich hin. »Das wäre eine schöne Rechnung geworden«, stellte sie fest, nachdem fünf weitere Minuten vergangen waren und es aus dem Bauch des Tankzuges immer noch in die Tanks quoll. Die beiden Gangster opferten großzügig den halben Wageninhalt. »Das müßte jetzt reichen«, meinte Rod. »Gut und gern zehntausend Liter Brühe sind ausgelaufen. Stell mal ab, ich werde danach ein bißchen zündeln. Das wird die reinste Hölle.« Josuah Parker war längst am fraglichen Ort. Er schraubte den Stutzen ab, als das Geräusch der Pumpe verklang und der Diesel nur noch im Leerlauf röhrte. Gleichzeitig schloß er die Schieber und stellte fest, daß die Tanks fast randvoll waren. Anschließend begab er sich in die oberen Gemächer, wo er einen Ausblick aus dem Fenster hatte und auch besser agieren konnte. Rod stieg gerade auf die Leiter des Tankzuges, bis er mit den Füßen den Mauersims berühren konnte. Er suchte sich eine bequeme Position, bei der er sich stützen konnte und schaltete das gefährliche Gerät auf seinem Rücken ein. Sekunden später brüllte eine Feuerlanze aus dem Rohr, die in das parkartige Anwesen hineinfuhr und hin- und hergeschwenkt wurde. Der Lärm ähnelte dem Tosen eines Orkans. Die Flammen zuckten über die Betonplatten,
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fanden aber nichts, was sie in Brand setzen konnten.
Zehn Minuten später erlosch der Feuerwerfer, der Rückenkanister war leer.
Die Gangster sahen sich bestürzt an, als das Feuer schlagartig aufhörte. Nur
ausgesprochen heißer Wind blies ihnen um die Ohren.
Der eine Kerl kratzte sich verblüfft den Schädel, der andere stierte zu seinem
Komplicen hinauf und stand mit offenem Mund da.
»Da brennt ja gar nichts«, war über das Mikrofon zu hören.
»Das verstehe ich nicht. Es muß aber brennen, verdammt noch mal. Das war
extraleichtes Heizöl, und das brennt höllisch.«
»Dann sieh doch mal nach ... Vielleicht hast du den Werfer in die falsche
Richtung gehalten.«
»Quatsch, habe ich natürlich nicht. Aber ich kann nicht über die verdammte
Mauer gucken.«
»Die beiden Ölmänner standen vor einem Rätsel und kapierten die Welt nicht
mehr.
Parker fand, daß es Zeit zur Abrechnung war. Die Männer hatten ihre
Schuldigkeit getan, und Mylady verfügte über eine frische und zudem ko
stenlose Lieferung.
Er holte seine Patentschleuder hervor und legte eine hartgebrannte Tonerbse
in die Lederschlaufe. Das Fenster war einen Spaltbreit geöffnet. Der Butler
hatte gutes Schußfeld, als er die Gummistränge spannte.
Es handelte sich um eine Schleuder, wie Lausbuben in aller Welt sie benutzten,
um Erbsen, Steinchen oder harte Beeren zu verschießen. Die Zwille war jedoch
eine besondere Konstruktion und mit keiner der herkömmlichen Schleudern
zu vergleichen. Sie trug wesentlich weiter und hatte eine Zielvorrichtung.
Josuah Parker schickte die Tonerbse auf die kurze Reise.
Wenig später klopfte sie nachdrücklich bei dem Mann im Overall an die Stirn.
Er schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft und wollte sich noch
an die getroffene Stelle greifen. Doch da wurde sein Blick bereits glasig. Mit
einer rudernden Bewegung rutschte er in sich zusammen und legte sich neben
den Vorderreifen des Tankzuges.
Rod sah es mit Bestürzung und Verwunderung.
»He, was ist denn mit dir los?« fragte er wie verstört. Der andere gab ver
ständlicherweise keine Antwort. Er befand sich schon in einer dunklen Sphäre,
die keine Fragen an sein Bewußtsein mehr durchließ.
Wiederholt beugte sich Rod über seinen gefällten Kumpan, schüttelte den Kopf
und gab dem Mann einen Klaps ins Gesicht, der allerdings auch keinen Erfolg
zeigte.
Mißtrauen befiel ihn immer stärker. Hastig sah er sich erneut nach allen Seiten
um. Dann zog er überaus vorsichtig seine Pistole aus der Hosentasche. Er
ahnte, daß etwas nicht mit rechten Dingen zuging, konnte sich aber keinen
Reim darauf machen.
Josuah Parker lud inzwischen seine Zwille nach. Diesmal wählte er ein
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weiches Geschoß aus einer plastik-ähnlichen Substanz, unter der sich ein Glaskügelchen verbarg. Ruhig und gelassen zielte er auf die ausgestreckte Waffe in der Hand des Gangsters. Das Geschoß zerplatzte direkt am oberen Teil des Magazins. Es gab nicht mal einen Knall. Nur ein kaum hörbares Schmatzen war zu vernehmen. Von der Waffe stieg weißlicher Rauch auf, wie feiner Nebel, der sich rasch in der Luft verteilte. Der gefoppte Öllieferant starrte seine Waffe an, blickte konsterniert auf den weißlichen Nebel und wußte nicht, was er davon halten sollte. Es sah aus, als hätte er gerade aus der Waffe geschossen, aber er wußte genau, daß das nicht der Fall war. Unbewußt atmete er dabei die feine Substanz ein und schnüffelte zusätzlich noch an der Pistole herum. Dies gab ihm den Rest. Er schlenkerte die Waffe achtlos fort, begann dümmlich zu grinsen und setzte sich auf den Hosenboden. Er grinste noch, als er ebenfalls schläfrig wurde und sich dann lautlos neben seinen Kumpan legte. * »So ist es richtig«, lobte Lady Agatha. »Dies nennt man Salamitaktik. Mister Parker, falls Ihnen der strategische Ausdruck geläufig ist. Eine Scheibe nach der anderen wird abgeschnitten, bis von der Wurst nur noch ein kläglicher Rest bleibt. Und genau diesen Rest werde ich mir heute noch holen.« »Mylady setzen ihre Pläne grundsätzlich in die Tat um«, versicherte der Butler. »Wenn Mylady gestatten, wird man sich um die ehrenwerten Gentlemen kümmern. Wünschen Mylady, die Herrn einem Verhör zu unterziehen?« »Nur einem kurzen«, entschied die resolute Dame nach einem Zögern. »Mister McWarden kann sie dann abholen. Es sind ohnehin nur kleine Fische, mit denen ich mich nicht lange befasse. Mir genügt es, den Kopf der Bande unschädlich zu machen, Mister Parker.« »Wie Mylady belieben.« Der Butler verließ ohne sonderliche Eile das Haus, um sich die beiden Ga noven aus nächster Nähe anzusehen und sie ins Haus zu bitten, falls sie bis dahin wieder erwacht waren. Doch die beiden Kerle hielten auch weiterhin ihr Nickerchen, als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Parker zog zwei Einwegfesseln aus der Tasche, als er aus dem Tankzug undeutliches Murmeln hörte. Rasch stieg er ein und fand ein Funkgerät vor, aus dem jetzt deutlich eine Stimme quakte. »Wo bleibt ihr denn so lange, verdammt nochmal«, vernahm der Butler. Er kannte die leicht ölige Stimme bereits, die relativ gefährlich klang. Sie gehörte Zampano, der auf den Vornamen Caesare hörte, wie der Butler von einem der Gangster erfahren hatte.
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Parker war ein ausgezeichneter Stimmenimitator, und so fiel es ihm nicht schwer, mit Rods Stimme zu antworten, die er schon ein paarmal gehört hatte. »Seid ihr endlich fertig?« fragte Zampano weiter. »Ihr vertrödelt nur wieder die Zeit. Wir haben nachher eine wichtige Besprechung. Ihr habt noch einen anderen Einsatz vor euch. Wie sieht es jetzt aus — ist alles schön flambiert?« »Ein schönes Feuerchen«, versicherte der Butter mit einem Auflachen, wie es Rod an sich hatte. »Es ist so warm, daß wir uns jetzt verziehen.« »Prima«, freute sich Zampano. »Bringt den Zug ein paar Straßen weiter und kehrt anschließend mit einem Taxi zurück. Ihr müßt heute noch im »Peking« ein bißchen aufräumen. Ching Han ist etwas übermütig geworden und offenbar von den Heldentaten der anderen angesteckt worden. Verschwindet, bevor die Feuerwehr oder die Bullen dort aufkreuzen.« »Wird sofort erledigt«, sagte Parker. »Wir verschwinden. Wird ja auch un erträglich hier.« Zampanos Lachen war zu hören und Parker war überzeugt, daß er keinen Verdacht geschöpft hatte. Er lud sich Rod auf den Rücken und brachte ihn ins Haus, wo er ihn vor der Blumenrabatte auf den Boden legte. Gleich darauf kehrte er mit dem anderen Gangster zurück. »Wünschen Mylady, daß man die Herren in die Gästezimmer bringt?« erkundigte er sich gemessen und würdevoll. »Nein, nein«, wehrte die Detektivin ab. »Da muß ich sie womöglich noch verköstigen. Ein bißchen frische Luft wird den Lümmeln guttun. Außerdem habe ich Mister McWarden verständigt. Er wird bald hier sein.« Die beiden genasführten Öllieferanten lagen vor der Rabatte und horchten den Boden ab. Der eine hatte einen roten Punkt auf der Stirn, wo ihn die Tonerbse getroffen hatte. Er sah aus, als trüge er deutlich sichtbar das Kainszeichen. Rod atmete etwas schneller und war dabei, wieder in die Gegenwart zu rückzukehren. Dabei grinste er so, als hätte ihm jemand einen guten Witz er zählt. Ziemlich schnell war er dann wieder präsent Sein Blick wurde tückisch, und er versuchte aufzuspringen. Die Einwegfessel aus Plastik hinderte ihn jedoch daran und zog sich fester zusammen. »Was geht hier vor?« schrie er unbeherrscht. »Brüllen Sie gefälligst nicht auf meinem Grundstück«, wurde er von der resoluten Dame in die Schranken gewiesen. Der Gangster wechselte die Farbe, als er das skurrile Paar wohlbehalten vor sich sah. Er warf einen schnellen Blick zu seinem Kumpan hinüber, doch der kapierte noch nicht so recht, was hier lief und konnte seinen Denkapparat nicht in Bewegung setzen. »Sie wollten mein Haus in Brand stecken?« erkundigte sich Lady Agatha mit strenger Miene. »Und ich sollte dabei ums Leben kommen.«
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Rod sah ein, daß er verspielt hatte. Er zuckte leicht zusammen und grinste schief. »Aber, Lady, wir hatten nur den Auftrag, Öl zu liefern, wie Sie es bestellt hatten«, erwiderte er. Dabei fiel sein erstaunter Blick auf den immer noch leicht pendelnden Ölschlauch an der Mauer. Zu seiner großen Verwunderung stellte er fest, daß sich auf dem ganzen Anwesen nicht mal ein Ölfleck befand. Das verstand der Gangster absolut nicht. »Wie dem auch sei«, bekräftigte Mylady. »Jedenfalls haben Sie ganze Arbeit geleistet, wenn Sie verstehen was ich meine.« »Ich verstehe überhaupt nichts«, behauptete Rod. Der andere Schläfer gab ein hustendes Geräusch von sich und kehrte wieder in die rauhe Wirklichkeit zurück. »Was ist los?« fragte er kläglich und wollte sich an die rote Stelle am Schädel greifen. »Au, mein Kopf«, stöhnte er. »Jemand muß mich niedergeschlagen haben.« »Meine Wenigkeit war so frei, die Herren bei ihrer interessanten Be schäftigung zu stören«, sagte Parker. »Mylady geht natürlich davon aus, daß Sie gelogen haben.« »Na schön. Is' ja nichts passiert«, meinte Rod. »Aber wie soll das jetzt weitergehen? Haben Sie etwa die Absicht, uns gefesselt herumlaufen zu lassen?« »Nur solange, bis die Polizei eintrifft, was in kürzester Zeit der Fall sein dürfte«, ließ Parker die beiden Kerle wissen. »Die Polizei? Mann, machen Sie bloß keinen Quatsch. Dort wird man Sie auslachen. Schließlich haben wir nichts getan.« »Sie planten ein Kapitalverbrechen«, sagte Lady Agatha. »Sie sind die Handlanger vom Zampermann.« »Zampermann? Wer ist das?« Die beiden wechselten einen schnellen Blick des Einverständnisses. »Mylady spricht von jenem Mann, der sich der große Zampano nennt«, erwiderte Parker gelassen. »Man hat genügend Beweise zur Hand, die aus reichen, um den Gewaltverbrechen ein Ende zu bereiten. Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie Mühe haben dürften, der Polizei nachzuweisen, was Sie mit dem Tankzug vorhatten. Dabei wirft man natürlich auch die Frage auf, wie ein Flammenwerfer in diesen Zusammenhang paßt.« Die Gangster zerrten wieder an ihren Fesseln, aber die resolute Dame ließ schon ihren Glücksbringer kreisen und wartete nur auf eine Gelegenheit zum Eingreifen. »Sie werden eine Menge zu erklären haben«, sagte Lady Agatha hintergründig. »Ah, ich höre schon einen Wagen.« Vor Shepherd's Market hielt ein Polizeifahrzeug, dem McWarden und zwei Yard-Beamte entstiegen. Josuah Parker ließ das Triumvirat eintreten. »Das wird ja immer lustiger«, sagte der Chief-Superintendent nach der
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Begrüßung. »Wen haben Sie denn jetzt schon wieder, Mylady?«
»Zwei weitere Lümmel, mein lieber McWarden«, säuselte die ältere Dame. »Es
hat mich nicht mal viel Mühe gekostet, sie zu fangen. Man rennt mir ja
förmlich das Haus ein.«
»Und was ist mit dem Tankwagen?« wollte der Mann vom Yard wissen.
»Da saßen die beiden Lümmel drin«, erklärte die Detektivin. »Sie ließen Öl auf
mein Grundstück laufen, um es mit einem Flammenwerfer zu entzünden. Aber
dem kam Mister Parker natürlich zuvor.«
»Das entlarvt allerdings die Bande«, sagte McWarden. »Zum Glück konnten
die Kerle ihr Vorhaben nicht in die Tat umsetzen, sonst würde Ihr Anwesen
jetzt lichterloh brennen.«
»Zum Glück?« fragte Lady Agatha. »Mein lieber McWarden, das ist nur
meiner Geistesgegenwart zuzuschreiben. Ich gab Mister Parker sofort Order,
die unteren Schächte zu öffnen, wo das Öl dann auch hineingeflossen ist. War
es nicht so, Mister Parker?«
»Das stimmt in der Tat, Sir«, erwiderte Parker, ohne seine Miene zu verziehen.
McWarden kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht.
»Donnerwetter. Und zufällig befand sich Ihr Öltank genau unter dem Ein
füllstutzen?«
»Nur zwei Yards entfernt, Mister McWarden«, entgegnete Lady Simpson.
»Hätten Sie denn das Öl auf Ihr Grundstück laufen lassen?«
»Ganz sicher nicht, Mylady. Aber ehrlicherweise muß ich zugeben, daß ich auf
den Gedanken gar nicht gekommen wäre. Jedenfalls haben Sie etwas für die
Umwelt getan, Mylady.«
»Man muß heutzutage flexibel sein, mein lieber Freund. Sie können die beiden
Subjekte mitnehmen und sich bereithalten, um auch den Chef der Bande noch
in Empfang zu nehmen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich ihn habe.«
Einer der Yard-Leute hatte Rod einen Ausweis aus der Brusttasche seines
Overall gezogen.
»Ein guter Bekannter, Sir«, ließ er seinen Chef wissen. »Er heißt Rod Boyler,
und es liegt eine Menge gegen ihn vor. Er ist geradezu ein Zauberkünstler in
Sachen Hausbrände und Versicherungsbetrug.«
»Schlägerei, Erpressung, Kidnapping«, zählte der zweite Beamte auf.
»Da kommen ein paar Jährchen zusammen, wenn er auspackt. Er dürfte eine
lange Arie zu singen haben.«
»Von mir erfahrt ihr kein Wort«, reagierte der Gangster trotzig. »Ich hab noch
nie im Chor gesungen. Außerdem verlange ich erst mal meinen Anwalt.«
»Mit der Zeit werden die Burschen alle mürbe«, wußte McWarden. »Jedenfalls
haben Sie uns einen großen Gefallen erwiesen, Mylady.«
Daß er dabei dem Butler heimlich zuzwinkerte, entging der resoluten Dame.
»Was natürlich nicht der letzte sein wird, Mister McWarden«, erklärte die
Detektivin mit maliziösem Lächeln. »Allerdings muß ich zugeben, daß ich
wesentlich mehr Spielraum habe als
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Sie. Nicht zu vergessen meine besondere und langjährige Erfahrung in der
Bekämpfung von Verbrechen aller Art.«
»Ja, das auch«, knurrte McWarden. »Mir hat außerdem noch niemand ko
stenlos Heizöl geliefert.«
»Das war eine Sache der Cleverneß«, urteilte Mylady. Ich würde Sie gern noch
zu einem Sherry einladen, aber Sie sind im Dienst, mein Lieber, und an
betrunkenen Polizisten könnte die Öffentlichkeit Anstoß nehmen.«
McWarden schluckte die Galle hinunter, die ihm hochstieg. Einerseits war er
froh, daß Josuah Parker ihm eine Menge Arbeit abnahm, andererseits ärgerte
es ihn, daß er meistens hinter Lady Agatha herhinkte, die natürlich glaubte,
jeden Fall allein gelöst zu haben.
Schließlich und endlich mußte er auch noch die Pille schlucken und Myladys
Sticheleien in Kauf nehmen. Er fand seine Arbeit ziemlich frustrierend.
»Morgen lade ich Sie zum Tee ein«,
versprach Agatha Simpson in einem Anflug von Großmut. »Dann nämlich
haben Sie auch den Zampermann hinter Schloß und Riegel.«
»Zampano, nicht Zampermann«, korrigierte McWarden.
»So sagte ich ja wohl, aber Sie hören nie richtig zu, Mister Scotland Yard.«
McWarden bemühte sich um ein freundliches Gesicht. Er hatte es auch
ziemlich eilig, ließ die beiden Gangster in den Wagen verfrachten und verpaßte
ihnen noch zusätzlich Handschellen.
»Bis morgen, Mylady«, sagte er. »Bin ja gespannt, wo Sie den großen Zampano
auftreiben.«
»Ich habe meine Verbindungen«, erwiderte Lady Agatha spitz. Vergnügt sah
sie dem davonfahrenden Wagen nach.
* »Wie werde ich jetzt vorgehen, Mister Parker?« fragte sie wenig später. »Ich hoffe doch, ich weiß, wo ich dieses Subjekt stelle.«
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»Mylady dachten an das italienische Restaurant. Die Stimmen des Anrufers
und die des Sprechers im Tankzug waren identisch, womit die Identität des
Mannes geklärt sein dürfte.«
»Von welchem Mann sprechen Sie, Mister Parker?«
»Meine Wenigkeit meint Mister Caesare Varese, den Lokalbesitzer. Man hat
den Nachnamen im Telefonbuch gefunden, Mylady.«
»Natürlich meine ich diesen Caesar«, behauptete Mylady. »Aber zuerst kaufe
ich mir den Zampermann.«
Der Butler verzog keine Miene. Sein Gesicht blieb glatt wie stets.
»Mylady stellen meine bescheidene Wenigkeit auf die Probe«, mutmaßte er.
»Mylady wissen natürlich, daß Mister Varese der besagte Zampano ist.«
»Diesmal haben Sie gut aufgepaßt, Mister Parker. Ich wollte Sie tatsächlich auf
die Probe stellen. Nun, Sie haben den Test bestanden.«
»Mylady sind zu großzügig mit ihrem Lob.«
Etwas später befand sich das hochbeinige Monstrum auf dem Weg zu dem
italienischen Restaurant.
* Die Einrichtung des »Isola de Capri« war typisch und vermittelte italienische Atmosphäre. Auf den Tischen standen Weinflaschen, lagen Gedecke und brannten Kerzen. Im Hintergrund erklang dezent und gedämpft »O sole mio« aus den Lautsprechern. Bis auf ein einsames junges Pärchen, das händchenhaltend in einer Nische saß, war das Restaurant leer. Varese bot jedoch auch Heimservice zum Mitnehmen. Daher herrschte in der unteren großen Backstube reger Betrieb, und ein verlockender Duft stieg Lady Agatha in die Nase. »Bevor ich endgültig zur Verhaftung schreite, Mister Parker«, ließ die ältere Dame verlauten, »sollte ich vielleicht zuerst eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Ich will ja schließlich nicht vom Fleisch fallen.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, erwiderte Parker und reichte seiner Herrin die bereitliegende Speisekarte. Die ältere Dame entschied sich für Bistecca alla pizzaiola, ein deftiges Rumpsteak mit Sardellen, Oregano, Knoblauch, Ölwein, Tomatensoße mit Spaghetti und Salat. Dazu ließ sie sich einen als Grappa deklarierten Trester schnaps servieren, der es in sich hatte. Sie speiste mit gutem Appetit, vergaß auch den Rotwein nicht und bestellte sich anschließend ein Dessert. Nach dem dritten Grappa wurde ihr so warm, daß sie in die Nische zur Gar derobe ging, um ihre Jacke abzulegen. Parker wartete geduldig, doch seine Herrin kehrte nicht mehr zurück. Sie schien sich buchstäblich in Luft aufgelöst zu haben. Unruhig geworden, nahm er ebenfalls den Weg zur Garderobe, begab sich aber gemessen und würdevoll dahin, als hätte er die Absicht, ebenfalls etwas abzulegen. Gleich hinter der 59
Garderobe ging es ein paar Treppenstufen hinab. Parker sah sich unauffällig um und spürte das bekannte Alarmzeichen, das ihn stets vor einer Gefahr warnte, die unvermittelt in Verzug war. Sein Gefühl trog ihn auch diesmal nicht. Im Halbdunkeln der Nische sah er eine Gestalt, die einen großkalibrigen Revolver in der Hand hielt. »Sicher haben Sie den Wunsch, nach dem alten Mädchen zu sehen«, sagte eine ölige und bereits vertraut klingende Stimme. »Da geht's hinunter, mein Freund. Sie haben mich wieder mal sehr überrascht.« »Man hat die Ehre und das zweifelhafte Vergnügen mit Mister Zampano?« vergewisserte sich der Butler höflich. Sein Gegenüber war groß, kräftig und sehr muskulös. Er überragte den Butler um Haupteslänge, hatte ebenfalls ein glattes Gesicht, aber eine fleischige Nase, unter der eine Narbe verlief. »Nun mach schon, mein Freund. Einmal hat jeder Spaß ein Ende. Da unten stehen zwei riesige Backöfen. Diesmal spielen wir Hansel und Gretel, wie nach dem bekannten deutschen Märchen. Zuerst schieben wir die Hexe in den Backofen, und dann sehen wir weiter.« Josuah Parker folgte der Treppe, wurde durch eine Tür bugsiert und befand sich übergangslos in einer großen Küche. Ein riesiger Kübel rotierte, Knethaken wühlten eine dünne Teigmasse um, die sich in dem Kübel befand. Die Backöfen verströmten angenehmen Duft. Es roch nach Pizza, Nudeln und italienischen Gewürzen. Vier grimmig dreinblickende Kerle erwarteten den Butler. Der eine war Frank Irvin, der andere der Mann, den sie wegen seiner Maschinenpistole Skorpion nannten. Die letzten beiden kannte der Butler nicht. Die Gangster flankierten Lady Agatha, die ahnungslos in die Falle gelaufen war. Einer drückte ihr einen Revolver in die Seite. Parker nahm das mit hochgestellter Augenbraue zur Kenntnis. »Man wünscht einen relativ Guten Tag«, sagte er höflich. Zwei Bäcker räumten gerade einen Ofen aus und stellten Pizzas, Nudelgerichte und andere diverse Menues auf einen Rollwagen mit elektrischer Heizung zum Warmhalten. »Ein unverfrorener, ungemein kaltschnäuziger Hund«, sagte Zampano mit überheblichem Grinsen. »Er ist dem Flammenwerfer entkommen und hat es fertiggebracht, Rod und Benny den Bullen zu übergeben. Dieser scheinbar harmlose Trottel hat es faustdick hinter den Ohren, und die alte Fregatte natürlich auch. Die vermasseln uns das ganze Geschäft und lassen trotz aller Warnungen nicht locker. Was haltet ihr davon?« wandte er sich an die Ganoven. Die hielten nicht sehr viel davon, wie ihren Gesichtern zu entnehmen war. Sie blickten ausgesprochen unfreundlich und haßerfüllt. »Wir sollten sie in den Ofen schieben«, meinte Frank Irvin, »der ist gerade
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frei. Wenn sie eine Weile bei dreihundert Grad gebacken werden, sind sie so klein und verschrumpelt, daß man sie irgendwo auf eine Müllhalde kippen kann.« »Darf man davon ausgehen, daß Sie beabsichtigen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, Mister Zampano?« erkundigte sich Parker. »Aber sicher, mein Freund. Aufs Backen verstehen wir uns. Wir können euch noch ein bißchen würzen, damit es besser duftet.« »Meine Wenigkeit darf dazu erklären, daß man mit solch mörderischem Ansinnen keineswegs und mitnichten einverstanden ist«, deutete der Butler an, der sich bereits ausgiebig orientiert hatte. »Mylady dürfte diese Ansieht sicher teilen, wenn man richtig vermutet.« Alle Kerle grinsten bis an die Ohren. Die beiden Pizzabäcker standen an der Wand und grinsten mit. »Ah, ihr seid damit nicht einverstanden«, freute sich Zampano. »Nun, wir werden nicht lange um Erlaubnis fragen. Was habt ihr denn den Waffen entgegenzusetzen? « »Pizza Sicilia«, sagte Parker. »Mit Tomaten, Käse, Salami und bunten Pfefferschoten.« »Wie bitte?« fragte Zampano fassungslos. »Bist du verrückt geworden vor Angst?« Zum Glück trug der Butler seine Handschuhe, denn die diversen Gerichte auf dem Rollwagen waren sehr heiß. Er ergriff blitzschnell die Pizza Sicilia mit der Hand und schleuderte sie auf den Mann, der Lady Agatha mit der Waffe bedrohte. Den Unglücklichen traf die heiße Pracht wie eine Bombe. Mit einem Aufschrei ließ er die Waffe fallen und taumelte blindlings an die Wand. Die Verblüffung bei den anderen war so groß, daß sie sekundenlang wie erstarrt standen. »Spaghetti al forno«, sagte Parker, der die Gerichte vom Rollwagen nur auf einem kleinen Schild abzulesen brauchte. »Mit Fleischsoße und Käse, heiß überbacken.« Spaghetti al forno kam angeflogen und landete zielsicher auf der Nase des Skorpions. Sein Schädel ähnelte einem Medusenhaupt, als ihm die heißen Nudeln um die Ohren flogen. Er stieß ebenfalls einen Schrei aus und zappelte wie ein Hampelmann. Sehen konnte er überhaupt nichts mehr. Das nächste Gericht hieß Tortellini alla panna, das der Butler feierlich an kündigte. Die Fleischtaschen in Sahnesoße trafen den dritten im Bunde und ließen ihn aufjaulen. Das Zeug landete auf seiner behaarten Brust und verschwand hinter dem geöffneten Hemd. Der Mann zeigte daraufhin eine beeindruckende Tarantella, die darin gipfelte, daß er kopfüber in einem Kübel mit Tomatensoße landete; Frank Irvin feuerte allerdings seinen Revolver ab. Der Schuß ging im wahrsten Sinn des Wortes in den Ofen und durchschlug die Rückwand. Zampano duckte sich hinter einem 61
Holztisch und zielte auf den Butler, der die Position wechselte. »Calamari italia«, kündigte Parker an, nachdem das Dröhnen des Schusses verhallt war. Das waren Tintenfische mit Weißwein und Tomatensoße. Auch sie waren noch sehr heiß, wie Frank Irvin feststellen mußte. Er sprang mit einem wilden Satz in die Höhe, doch in diesem Augenblick griff auch Mylady tatkräftig in das Geschehen ein. Sie beglückte den schreienden Frankyboy mit Combinazione, Nudeln in Fleischsoße und Käse, ebenfalls im Ofen überbacken und noch sehr flüssig. Frank Irvin dankte mit einem Steptanz und benahm sich anschließend wie eine Tarantel in Teufelssoße. Zampano war weiß vor Wut. Er schoß wieder aus seiner Deckung heraus und traf das Milchregal, aus dem sich ein heller Strom ergoß. Brüllend sprang er auf und wollte vorwärtsstürmen. Parker warf ihm aus dem anderen Regal eine Flasche Olivenöl vor die Beine, die mit sattem Knall zerplatzte. Der Zampano hatte es plötzlich sehr eilig, als das Öl seine Schritte zusätzlich beschleunigte. Parker trat schnell zur Seite, als Mister Zampano anraste. Er korrigierte lediglich mit seinem Universal-Regenschirm ein wenig die Richtung auf den großen Kübel zu. Gleichzeitig trieb er den Zampano mit einem gezielten Nackenschlag zu größerer Eile an. Der Gangster landete in dem Teigkübel, in den sich ein Strom von Milch ergoß. Er griff blind und haltsuchend um sich, packte die groben Knethaken und ließ sich willig durch den Bottich zerren, der ihn wie in einer Tretmühle herumwirbelte. Schon nach ein paar Sekunden war Caesare Varese mit Teig überzogen, verlor die Orientierung und gab große Blasen von sich, die Parker als undefinierbare Schreie interpretierte. »Köstlich«, rief Lady Agatha. »Die Lümmel hätten gleich wissen müssen, daß sie mit mir nicht fertig werden.
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Lassen Sie das Rührwerk ruhig weiterlaufen, Mister Parker. Ich werde in
zwischen McWarden anrufen. Und behalten Sie die anderen Subjekte im Auge,
bis ich zurück bin. Habe ich mich diesmal nicht selbst übertroffen?«
»Worin man Mylady nur beipflichten kann«, erwiderte der Butter mit
ausgesuchter Höflichkeit. »Mylady sind einzigartig und unübertrefflich als
Detektivin.«
Die ältere Dame rief inzwischen den Yard-Gewaltigen an.
»Was gibt es?« hörte Parker die klare Stimme durch den Draht.
Auch Myladys Antwort regte des Butlers glattes Gesicht zu keiner Veränderung
an. Es blieb total unbewegt.
»Riesenpizza alla Zampano«, sagte die leidenschaftliche Kriminalistin.
»Natürlich als Heimservice, mein lieber McWarden. Sie brauchen den Zap
pelmann nur noch abzuholen.«
Mit grimmigem Lächeln sah sie, wie Caesare Varese langsam in dem großen
Kübel weiter umgerührt wurde.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 531 Curd H.Wendt
PARKER blamiert die »Todesboten« »Ich mache es nicht kurz und schmerzlos«, sagte der geheimnisvolle Anrufer. »Bis zur Hinrichtung schmort ihr noch tüchtig.« Adressaten dieser wenig freundlichen Ankündigung sind Agatha Simpson und Josuah Parker. Der Unbekannte, der es offenbar darauf anlegt, das skurrile Paar nervös zu machen und in die Enge zu treiben, zeigt eine deutliche Vorliebe für theatralische Effekte. An seiner Entschlossenheit ist dennoch nicht zu zweifeln. Das beweist schon die Sprengladung, die der Butter in letzter Sekunde entschärft. Auch sonst läßt sich der vom mörderischen Haß beseelte Unbekannte einiges einfalten. Aber schließlich ist er der unkonventionell agierenden Kriminalistin und dem ebenso unerschrockenen wie umsichtigen Butler nicht gewachsen. Seine Identität wird gelüftet, das Motiv für die Rachsucht enthüllt. Butter Parker erscheint wöchentlich in der Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG Anzeigenleitung: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 16. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m. b. H., Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskripteinsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Verlagsunion Erich Pabel-Arthur Moewig KG, Postfach 2352,7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr. Mai 1991
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