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Pakt mit dem Teufel Von Bob Walden Es war in den letzten Tagen des März. ― Über London blaute ein selten schöner Frühlingstag. ― Die Menschen, die um die Mittagszeit die City belebten, schienen durchweg freundliche Gedanken zu hegen. Einander gänzlich fremde Leute nahmen die kleinste Gelegenheit zum Anlaß, ein fröhliches Lächeln oder ein freundliches Kopfnicken zu tauschen. ― Gutgelaunt vor sich hin pfeifend ließ sich Bob Hill von der leise summenden Menschenwoge vorantreiben. ― Ein solcher Tag ließ einen alle Spitzbuben der Welt vergessen. ― Irgendwo verließ er schließlich die Hauptstraße und schlug die Richtung zum Hydepark ein. ― Vorbei an den „Seifenkistenaposteln“, die ― auf ihren Kisten stehend ― mit temperamentvoll rudernden Armen ihrem teils belustigt, teils interessiert lauschendem Publikum allerhand weltverbessernde Ideen schmackhaft zu machen suchten, schritt er dem stilleren Teil des fast 160 ha. großen Parks zu, um sich schließlich auf einer idyllisch in einem dichten Gebüsch stehenden Bank niederzulassen. ― Die Welt, dachte er, ist schön und sah ― ein wenig geblendet von den Sonnenstrahlen, die zitternd durch die leichtbewegten Zweige über ihm flimmerten ― einer Am―2―
sel zu, die mit erregtem „Witwitwit“ einen sich heftig sträubenden Wurm aus der Erde zu ziehen suchte. ― Einerseits, lächelte er in sich hinein, der Kampf um’s tägliche Brot oder besser den täglichen Wurm, andererseits der Kampf um’s Leben! ― Mensch oder Tier ― es bleibt sich gleich, philosophierte er und stellte fest, daß sich der verzweifelte Wurm entschloß, kurzerhand die hintere Hälfte seines elastischen Leibes im Stich zu lassen, um sich mit der anderen schleunigst erdwärts zurückzuziehen. Eine für beide Teile befriedigende Lösung, denn der Vogel begnügte sich wohl oder übel mit der ihm verbliebenen „Aufwandsentschädigung“. ― Derartige Kompromisse sind nicht jedermanns Sache! ― So saß er fast eine ganze Stunde und brachte es fertig, Alltag, Verbrechen und Verbrecher völlig aus seinem Gedächtnis zu streichen. ― Dann hörte er von Westminster Eins schlagen. ― Zeit zum lunchen. ― Irgendwie erholt und geistig gekräftigt schlenderte er durch den Park zu seiner Wohnung in der vornehmen Regentstreet. ― Er widmete dem wirklich hervorragend zubereiteten Essen zur größten Freude seiner alten Haushälterin ungeteilte Aufmerksamkeit. Dann zog er sich mit einer Schachtel Zigaretten in das beinahe luxuriös eingerichtete Wohnzimmer zurück, um ― wie jeden Mittag ― die einzelnen Tageszeitungen durchzusehen. ― Dieser Gewohnheit, auch die kleinsten, scheinbar unwichtigen Notizen zu lesen, verdankte er in seiner Praxis manchem wertvollen Fingerzeig. Heute schien er nichts Wesentliches zu finden. ― Lauter kleine, für ihn unbedeutende Sachen. Dinge, die von den Dezernenten des Yard ganz am Rande bearbeitet und gelöst ―3―
werden. ― Beispielsweise die Sache mit Lady Vermores Perlenkollier, das man ihr gestern während eines Wohltätigkeitsbasars entwendete. Bob Hill war überzeugt, daß die Lady einige Tage später, wenn nicht ihr Eigentum, so doch wenigstens den Bescheid bekommen würde, daß man den Täter gefaßt habe. ― Gleich unter dieser Meldung berichteten einige Zeilen, daß der 1935 zu 15 Jahren Dartmoor verurteilte Loon Spencer, der unter dem Namen „the quiet Loon“ (der ruhige Loon) der Anführer einer skrupellosen Bande von Bankräubern war und manche Kasse ohne Rücksicht auf Menschenleben leerte, gestern wieder entlassen wurde. ― Auf der nächsten Seite behandelte man einen Raubüberfall auf die City-Bank, der von einem einzelnen Mann ausgeführt wurde. Man schilderte ihn als einen korpulenten Mann in den Vierzigern mit frischer, gesunder Gesichtsfarbe und pechschwarzem Haar. ― Das war genau das Signalement des „ruhigen Loon“ vor 15 Jahren. ― Bob Hill schüttelte verwundert den Kopf. Das war weiß Gott ein blutiger Anfänger, der da ausgerechnet für Loon Spencer gehalten werden wollte. ― Wer gerade aus dem Zuchthaus kam, hatte wohl kaum noch eine frische, gesunde Gesichtsfarbe. Außerdem war es wohl anzunehmen, daß der Gangster während seiner Strafzeit einiges von seiner Körperfülle, die ihn schon mit einem Alter von 25 Jahren auszeichnete, verloren hatte. ― Zudem aber würde er niemals sozusagen einige Stunden nach seiner Entlassung gleich in dieser Form wieder über die Stränge schlagen! ― Dazu war Loon Spencer nicht dumm genug! ― Im Yard schien man dieser Personenbeschreibung auch weiter kein Gewicht beizulegen, denn die am Kassenschalter per Zufall ―4―
zurückgebliebenen Fingerabdrücke hatten mit den seinen nicht die geringste Ähnlichkeit, waren aber andererseits auch nirgendwo in den daktyloskopischen Karteiblättern aufzufinden. Es mußte sich also unbedingt um einen Neuling handeln. ― Interessant war nur, daß der Gangster sich bei dem Kassierer sehr für das Depotfach mit der Nummer 2712 interessierte und Auskunft heischte, ob bereits jemand den Inhalt abholen ließ. ― Der Kassierer ― so schrieb die Zeitung weiter ― konnte dem Gangster schon darum keine Auskunft geben, weil die Depotabteilung von einem seiner Kollegen betreut wurde und auch der wäre wohl schwerlich in der Lage gewesen, einen befriedigenden Bescheid zu geben, weil der Depotraum jedem Kunden offenstand, der im Besitz eines Tresorschlüssels war. Die einzige Kontrolle bestand für den betreffenden Beamten im Überprüfen der Kundenausweise. Da in den Depotfächern dieses Raumes keine Wertsachen aufbewahrt wurden, hatten sich weitere Sicherheitsmaßnahmen bisher als überflüssig erwiesen. ― Der Gangster hatte daraufhin wortlos die ihm von dem zitternden Kassierer auf das Zahlbrett geschobenen Banknotenbündel in seine Aktentasche gesteckt und war, ehe noch jemand Alarm schlagen konnte, bereits wieder verschwunden. ― „Seltsam!“, knurrte Bob Hill vor sich hin und ließ die Zeitung sinken. „Was wollte der Mann mit dem Depot2712?“ ― Der Direktor der City-Bank, den er eine halbe Stunde später nach seiner Meinung fragte, zuckte die Achseln. „Weiß der Teufel, wieso sich der Kerl dafür interessiert! ― Das Fach war, als wir gleich nach dem Überfall mit dem ―5―
Universalschlüssel nachsahen, völlig leer und im Kundenbuch war als der Mieter ein gewisser Mister Atkins bezeichnet. Es war nicht festzustellen, wann er das Fach ausräumte. Das kann gestern so gut wie vorgestern gewesen sein. Vielleicht; war es auch noch ein wenig früher! Wer weiß?!“ „War denn im Kundenbuch die Anschrift dieses Mister Atkins angegeben?“ ― „Eben nicht! Sonst hätten wir uns bei dem Herrn bereits näher erkundigt. Es ist nun soviel aus der betreffenden Eintragung zu ersehen, daß er das Fach erst vor acht Tagen mietete.“ ― Damit war es völlig unmöglich, diesen mysteriösen Herrn aufzufinden, denn der Name Atkins ist in England ebenso häufig, wie Müller oder Meier in Deutschland. „Seltsam!“, sagte Bob Hill zum zweitenmal und begab sich nachdenklich nachhause. ― * Aus einer der vielen Kellerspelunken des Whitechapel taumelte ein Mann in die Nacht. Das weißblonde Haar hing ihm wirr in das ein wenig weichliche Gesicht. Unzusammenhängende Worte vor sich hin murmelnd tappte er im Schatten der alten Häuser über den schmutzigen Bürgersteig, hin und wieder werbend aus einladend geöffneten Türen angesprochen. ― Als er achtlos vorüberging, schoß eine Flut von Schimpfworten hinter ihm her. ― Er wendete nicht einmal den Kopf und machte so den Eindruck eines Menschen, der an garnichts mehr Interesse hat. ― Beide ―6―
Fäuste in die Taschen gebohrt, trottete er ziellos durch die Nacht. Ohne recht zu wissen, wo er sich eigentlich befand, stand er plötzlich vor dem Geländer der Themse. Wie unter einem inneren Zwang wandte er sich nach links und ging flußabwärts weiter. Irgendwo bog er nach rechts ab und fand sich plötzlich mitten auf der London-Bridge, der ältesten Brücke der Themsestadt wieder. ― „Ach so!“, murmelte er bitter. „Die Themse, das Wasser! ― Da bin ich richtig!“ Er lehnte schwer über der Brüstung und starrte grübelnd in das nachtschwarze, leise glucksende Wasser hinunter. Hin und wieder huschte der Lichtschein eines am Ufer vorbeifahrenden Wagens über die sanften Wogenkämme. ― Damned! Was wollte er eigentlich noch hier in London? ― Drei Tage war er nun bereits aus dem Gefängnis entlassen und immer noch hatte er weder Verdienst noch Arbeit gefunden. ― Und dabei hätte er verschiedentlich gute Chancen gehabt. ― Als man aber dann aus den Papieren sah, daß er soeben erst nach Verbüßung einer achtmonatlichen Gefängnisstrafe entlassen wurde, war man plötzlich sehr zugeknöpft und bedauerte unendlich, keine Verwendung für einen Chauffeur zu haben, der wegen Beihilfe zum Diebstahl und fahrlässige Tötung gesessen hatte. ― Und alles nur, weil er damals nicht nein sagen konnte, als Mortimer ihm für zwei Stunden Fahren die immerhin beachtliche Summe von 500 Pfund versprach. Und dann stellte es sich heraus, daß Mortimer und dieser William Aston den Tresor und einen Teil des Warenlagers einer Tuchfabrik ausgeräumt hatten und daß er, der bis dahin unbescholtene Kraftfahrer Steve Benson, das Diebesgut unter ―7―
Assistenz seiner beiden Auftraggeber in dem Wagen der Firma Horace & Baxter nach London hineinschaffen sollte. ― Und er hatte sich nicht geweigert, als er wußte, warum es ging. Er war trotzdem gefahren. Die 500 Pfund lockten. Davon hätte er das kleine Häuschen draußen in den Gärten von Wimbledon für sich und seine Nelly kaufen können. ― Für die Nelly, die sich dann von ihm zurückzog, als man ihn verhaftete und kurz darauf den dicken Ellingstone geheiratet hatte. ― Ja, und unterwegs, als sich plötzlich ein mißtrauischer Bobby dem in rasender Fahrt der Stadt zustrebenden Wagen haltgebietend in den Weg stellte, war er durchgefahren, hatte nicht gehalten, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Er hatte einen Menschen getötet. ― Er hätte ja beiseite springen können, hatte er sich während der restlichen Fahrt dauernd eingehämmert. Ich habe doch gehupt. Habe ihm damit gesagt: „Geh’! Ich fahre weiter! Spring’ beiseite, sonst verletze ich Dich! Ich darf nicht halten, weil ich mir für Mortimers 500 Pfund das kleine Häuschen kaufen und Nelly endlich heiraten will!“ ― Ja, das alles hätte der Polizist doch ahnen müssen!! ― Aber nein! Er blieb stehen und wollte den ihm verdächtigen Wagen zum Halten bringen. ― Fahrlässige Tötung, sagte der Richter und Steve Benson konnte noch von Glück sagen, daß man ihm eine vorsätzliche Tötung nicht beweisen konnte. Und heute abend hatte er den Rest des im Gefängnis verdienten Geldes in Whisky angelegt. ― Nun besaß er nicht einen Penny mehr. In ein paar Stunden würde der Hunger schmerzhaft werden. Er würde betteln gehen, vielleicht auch Abfälle aus den Tonnen suchen, wie es die ―8―
Elendsgestalten aus den Slums tun. Würde er das wirklich? ― Nein! ― Viel eher noch würde er mit irgendwelchen Gangstern gemeinsame Sache machen und seinen Lebensbedarf zusammenrauben! ― Was kam es denn jetzt noch darauf an? ― Er war ja doch ein Verfemter. Ein sogenanntes Subjekt, das der wohlanständige Unternehmer niemals in seinem Betrieb dulden würde. ― Was lag also daran, wenn er gleich gründlich auf die schiefe Bahn rutschen würde? ― Aber was kam dann? ― Eines Tages, hatte der Inspektor gesagt, der ihn damals vernahm, faßt man jeden Verbrecher und darum ist es eine glatte Dummheit, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen! ― Man würde ihn also wieder verhaften, verurteilen und einsperren. Und wenn er seine Strafe abgebüßt hätte, würde er wieder versuchen, ein anständiger Mensch zu werden und wenn er dann wie jetzt nahe am Verzweifeln wäre, weil er wieder nur verschlossene Türen und Gesichter fände, war das Verbrechen und nachher erneut das Gefängnis die unausbleibliche, grausame Konsequenz. ― Verzweifelt stöhnte der Mann auf. ― Sollte das in der Zukunft sein Leben sein? Stets abseits der Gesetze, immer gehetzt? ― Nein! ― Da war es schon besser, dieses Leben wegzuwerfen, wie man einen ausgedienten Anzug von sich wirft, den man nicht mehr tragen mag. Vielleicht war es eine besondere Fügung, daß er gerade hier auf der London-Bridge stand und in das Wasser starrte?!! ― Es bedurfte nur eines Sprunges und der Energie, gegen etwaige instinktive Schwimmbewegungen anzukämpfen! Ja, es war einfach, zu sterben! ― „Damit ist für Sie nichts gebessert, lieber Freund!“, ließ sich da plötzlich eine Stimme neben ihm vernehmen. ―9―
„Was wollen Sie?! Das ist meine Sache!“, entgegnete Steve rauh und ohne den Blick von dem dunklen Wasser zu heben. ― „Mag sein!“ ― In der Stimme des Fremden schwang etwas wie ein spöttisches Lachen. „Aber ich bin der Überzeugung, daß Sie wahrscheinlich jetzt in irgendeiner Bar hocken würden, wenn Sie eine Brieftasche voll Geld hätten, statt hier über der Brüstung zu hängen und Trübsal zu blasen. ― Wegen einem Weib geht heute niemand mehr ins Wasser! Es gibt ja viel zu viel von der Sorte! ― Also ― denke ich mir ― geht’s Ihnen um Geld und Essen!“ ― „Und wenn’s so wäre?“, erkundigte sich Steve höhnisch. „Wollen Sie vielleicht behaupten, daß ausgerechnet Sie einem entlassenen Strafgefangenen Arbeit und damit alles das, was er braucht, geben wollen?“ ― „Warum nicht?“, war die ruhige Antwort. ― Jetzt sah Steve Benson erstmalig auf und stellte fest, daß der Mann neben ihm einen dunklen Mantel trug und einen großen Schlapphut, der fast das ganze, bleiche Gesicht beschattete. Er trug eine Hornbrille mit auffallend wuchtigem Gestell, durch die er den anderen soeben abwartend anblitzte. „Mann, treiben Sie keinen Scherz mit mir!“, sagte der mit rauher Stimme. „Es kommt mir auf einen Totschlag mehr oder weniger so knapp vor dem Abkratzen nicht mehr an! ― Aber das sage ich Ihnen gleich: Wenn es Ihnen ernst ist mit Ihrem Vorschlag und ich soll Ihnen schließlich ein krummes Ding drehen helfen, dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse! ― Die letzten acht Monate haben mir für’s ganze Leben gereicht!“ ― 10 ―
„Wer sagt Ihnen denn,“ lachte der andere spöttisch, „daß ich Ihre Tugend ins Wanken bringen will? ― Was ich Ihnen vorzuschlagen habe, ist ein regelrechtes Arbeitsverhältnis. Sie sollen für mich gewissermaßen als Bote oder Vertreter arbeiten. Ich zahle Ihnen ein festes monatliches Gehalt und gegebenenfalls auch ab und zu eine Sondergratifikation. Mit gesetzwidrigen Dingen sollen Sie sich garnicht abgeben.“ „Warum nehmen Sie denn da ausgerechnet mich dazu, wo Sie genügend Nicht-Vorbestrafte bekommen können?“, fragte Steve mit kühlem Mißtrauen. ― „Warum? ― Mann, Sie denken zuviel! ― Warum fließt wohl da unten die Themse, he? Und warum komme ich zufällig gerade daher, wo Sie ins Wasser jumpen wollen? ― Wären Sie es nicht gewesen, den ich jetzt hier getroffen und vor einer Dummheit bewahrt hätte, dann wäre es morgen vielleicht jener Mister Smith gewesen, den ich aufgrund seiner Bewerbung angestellt hätte! ― Ich habe nun aber einmal ein Faible für solche Leute, die von der Gesellschaft wegen irgendeiner Dummheit, die sie einmal begangen haben, abgelehnt werden. Nehmen Sie an, es wäre mir in jungen Jahren ähnlich gegangen!“ ― Steve fühlte selbst, daß diese Antwort auf seine Frage irgendwie nicht der Wahrheit entsprach. ― Trotzdem folgte er willenlos jenem Mann, als der ihn am Arm zog und zu einer in der Nähe auf dem linken Ufer gelegenen Kneipe führte. ― „Hier“, sagte er, „ist nicht der richtige Ort dazu, einen Vertrag abzuschließen. Gehen wir also dort drüben hinein!“. ― ― 11 ―
Obwohl es mittlerweile bereits drei Uhr morgens war, hatte das Lokal noch geöffnet und sogar nicht geringen Betrieb. ― Die beiden Männer suchten sich eine stille, halbdunkle Ecke aus und ließen sich, nachdem der Fremde zwei Tassen starken Kaffee bestellt hatte, an einem runden Tisch nieder, der ein ungestörtes Verhandeln garantierte. ― Als der Bebrillte seinen großen Hut abnahm, kam darunter ein völlig kahler, langer Schädel zum Vorschein. Er machte beinahe den Eindruck eines Mephisto. Die eckig hochgezogenen Augenbrauen unterstrichen das nur noch. ― Dieser Mann, dachte Steve Benson mit leichtem, unerklärlichem Schauder, kann ein wahrer Teufel werden, wenn er irgendwo auf Widerstand stößt. ― Und dabei konnte er sich den Ursprung dieses absonderlichen Gedankens durchaus nicht erklären. Er war ganz einfach da und hätte ihn eigentlich abhalten müssen, mit diesem Manne zu paktieren, wie es ihm vor einigen Minuten vorgeschlagen, wurde. ― Aber der Fremde zerredete alle seine Gedanken mit dieser unangenehm spöttischen Stimme, die wie ein Messer schneiden konnte und jeden Widerspruch bereits unausgesprochen zur Lächerlichkeit verdammte. Der Ober brachte den Kaffee. ― „Trinken Sie!“, sagte der Fremde befehlend. „Sie sind nicht gerade nüchtern!“ ― Steve Benson gehorchte ohne ein weiteres Wort. Er fühlte, wie er einen klareren Kopf bekam. Schließlich konnte er ihn gleich noch gut gebrauchen. ― „So, ich denke, daß Sie jetzt soweit sind, mir ohne Schwierigkeiten folgen zu können, wenn ich Ihnen jetzt sage, was sie wissen müssen.“ ― 12 ―
Benson nickte nur abwartend und erbat sich eine Zigarette. ― „Sie bekommen Ihre Direktiven über Mister Leslie Samson von der „Quick-Auskunftei“. Ich nehme an, daß Sie das Unternehmen kennen!“ Wieder nickte er stumm. ― Er kannte diese Agentur. Sie lag in der City und genoß den Ruf, sich nur mit sauberen Sachen zu befassen. ― „Ich selbst bin sehr viel unterwegs und brauche jemanden, der in der Zwischenzeit für mich einige Dinge erledigt. ― Beispielsweise morgen fahre ich nach Birmingham und komme sobald nicht wieder zurück. Es gilt in der Zeit einige Briefe zu befördern, die ich bis morgen früh um 9.00 Uhr bei Samson hinterlegt habe. Diese Briefe sollen aber nicht mit der Post, sondern persönlich zugestellt werden. Es wäre also Ihre Aufgabe, anhand der Adressen die einzelnen Leute aufzusuchen und die Briefe in die jeweiligen Briefkästen zu stecken. Es handelt sich um Wertbriefe, die ich auf keinen Fall der Post anvertrauen möchte. ― Ich nehme an, daß Sie das in Sie gesetzte Vertrauen zu würdigen wissen! ― Es kommt mir darauf an, die einzelnen Sendungen bis morgen nachmittag spätestens 14.00 Uhr an Ort und Stelle zu sehen.“ ― „Und dafür“, verwunderte sich Benson, „zahlen Sie mir ein Monatsgehalt?“ ― „Nicht nur dafür, mein Lieber! Einige Tage später haben Sie nochmal etwas Ähnliches zu tun und dann gebe ich Ihnen verschiedene meiner Fabrikate mit, die Sie von Haus zu Haus anbieten müssen. Bei gutem Absatz bekommen Sie die vorhin erwähnte Prämie! ― Wenn Sie so einschla― 13 ―
gen, wie ich mir das denke, werden Sie für die Zukunft keine Existenzsorgen mehr zu haben brauchen!“ ― Steve Benson versuchte vergeblich, einen Haken an der ganzen Sache zu finden. Das alles lief ja anscheinend später auf eine regelrechte Vertretertätigkeit hinaus. ― Nun, wenn der Mann Wort hielt, sollte es an ihm nicht liegen. ― Er hatte nur die Sorge, wie er die nächsten Tage bis zum ersten Geld überstehen wollte. Und um einen Vorschuß wollte er nicht schon gleich zu Anfang bitten. Der andere schien Gedanken lesen zu können. Er zog mit dem üblichen unangenehmen Lachen seine Brieftasche und reichte ihm einige Pfundnoten über den Tisch. ― „Damit Sie mir fremder Leute Kassen in Ruhe lassen!“, sagte er dazu und Benson war sich nicht ganz klar darüber, ob er sich beleidigt fühlen sollte. „Ich bin kein Bankräuber!“, knurrte er schließlich wütend und stopfte das Geld in seine Tasche. ― Der Fremde sah ihm nur mit einem seiner starren Blicke in die Augen. Da fühlte er ein eisiges Unbehagen, das ihm die Lust zu weiteren Sätzen dieser Art verleidete. ― „Gehen Sie jetzt nachhause, Benson, und schlafen Sie wenigstens noch ein paar Stunden!“ Der Fremde erhob sich, ohne auf das erstaunte Gesicht seines Gegenübers zu achten. ― Woher, dachte der Chauffeur, weiß der Mensch meinen Namen? ― Auch hier erhielt er eine Antwort ohne zu fragen. ― „Jaja, wer einmal hinter Gittern saß, hat es nicht leicht, irgendwo nicht erkannt zu werden! ― Sie brauchen sich also nicht zu wundern, daß ich ihren Namen kenne! ― Den ― 14 ―
wissen sicher noch mehrere, ohne daß Sie eine Ahnung davon haben!“ ― „Sagen Sie!“, Benson hielt den Fremden hastig am Ärmel fest. „Wer sind Sie eigentlich? ― Wie heißen Sie?“ Der andere griff zum Hut. „Sie können mich ja Atkins nennen!“, sagte er unbestimmt und war mit einem leisen Lachen verschwunden. * Leslie Samson, der Inhaber der Quick-Auskunftei, sah auf die Uhr. ― Noch zwei Minuten bis Neun! ― Mit den langsamen, abgezirkelten Bewegungen eines Pedanten entnahm er einer Mappe fünf adressierte Briefe, die er mit peinlicher Akkuratesse an der rechten oberen Ecke seiner Schreibunterlage ablegte. ― Dann verwandte er keinen Blick mehr von der elektrischen Wanduhr. Fast sah es aus, als zähle er die Sekunden. ― Genau vier Minuten nach Neun klopfte es. „Come in!“, sagte Samson mit seiner farblosen Stimme. Es war Steve Benson, der jetzt eintrat und den Mann hinter dem Schreibtisch interessiert betrachtete. ― Das also war Leslie Morris, von dem seine Bekannten sagten, daß er ein sogenannter „Stockengländer“ sei. ― Sein peinlich gescheiteltes Haar war von einem faden Blond, ebenso die kleine Bürste auf der Oberlippe. Zu diesen Einzelheiten standen die dunkelbraunen Augen in seltsamem Kontrast, die den Eintretenden jetzt kühl und abschätzend musterten. ― „Sie sind“, sagte Mister Samson trocken, „um ganze vier ― 15 ―
Minuten zu spät! Mister Atkins liebt die Pünktlichkeit bei seinen Leuten!“ ― „Mister Atkins ist wohl ein alter Kunde von Ihnen?“, erkundigte sich Benson ohne auf den Vorwurf einzugehen. ― „Welche Art Geschäft betreibt er eigentlich?“ ― „Ich bin nicht beauftragt, über Dinge Auskunft zu geben, die mein Kunde vorläufig für zu verschweigen richtig hielt!“, entgegnete der Besitzer der Auskunftei in kühlem, geschäftsmäßigem Ton. „Ich habe Ihnen lediglich diese Briefe zu übergeben und um 14.00 Uhr Ihre Vollzugsmeldung entgegenzunehmen!“ ― Damit übergab er dem anderen jene fünf Briefe und erhob sich sodann. Ein unzweifelhaftes Zeichen, daß er die Unterredung als beendet betrachtete. ― Benson lächelte spöttisch. „Sie scheinen ein Mann mit Grundsätzen zu sein!“ ― Der andere schien die Bemerkung überhört zu haben. Steif und würdevoll kam er hinter seinem Schreibtisch hervor und machte sich an einem Aktenregal zu schaffen. Benson war für ihn bereits gegangen. ― Mit einem ärgerlichen Ruck stieß der die Briefe in seine Jackentasche und wandte sich brüsk zur Türe. Mit einem knall flog sie hinter ihm zu. ― Mister Samson nickte wie es schien ein wenig befriedigt. Dann nahm er eine Art Kontobuch zur Hand und machte sorgfältig einige Eintragungen. ― Einen korrekteren Sachwalter für seine mysteriösen Geschäfte hätte dieser Mister Atkins kaum finden, können. ― *
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Der Mann, der gegen 10.00 Uhr an diesem Morgen in die Ligthstreet, eine übelbeleumundete Straße im finstersten Whitechapel, einbog, schien irgendeine Gefahr zu erwarten, denn er spähte aufmerksam und mit einem gehetzten Ausdruck in den flinken Augen nach allen Seiten, bevor er seinen Weg fortsetzte. ― Dabei behielt er aber immer die rechte Hand in der Tasche, in der sich sichtlich die scharfkantigen Umrisse einer Schußwaffe abmalten. Nach etlichen Metern bog er plötzlich in eine links am Wege liegende dunkle Toröffnung ein, die er mit gezogener Waffe und bis zum Zerreißen gespannten Nerven durchschritt, um dann mit einem plötzlichen Ruck die Haustüre zur rechten Seite aufzustoßen. Erleichtert atmete er auf, als alles ruhig blieb. Trotzdem behielt er seinen Revolver in der Hand und stieg durch das nach Kohl riechende Treppenhaus bis zum zweiten Stock aufwärts. Vor einer Türe, die durch eine vergilbte Visitenkarte Auskunft gab, daß hier ein Mister Danny Prescott wohne, hielt er heftig atmend inne. Die Aufregung der letzten Minuten und nicht zuletzt seine Korpulenz schienen ihm zu schaffen zu machen. ― Dann schloß er, mit der Rechten immer noch den Revolver haltend, mit der Linken die Türe auf. Schnell ein spähender Blick in alle Ecken des dürftig möblierten Zimmers und mit sichtlicher Erleichterung drehte er hinter sich den Schlüssel wieder um. ― Dann ließ er sich kraftlos in einen altmodischen, mit verschossenem Plüsch bezogenen Sessel fallen. Diese Ungewißheit soll der Teufel aushalten, dachte er verzweifelt und streifte die griffbereit auf dem Tisch liegende Waffe mit einem abwesenden Blick. ― Jeden Au― 17 ―
genblick mußte man damit rechnen, von irgendwo eine Kugel zu bekommen! ― Vorgestern war „Er“ hier und wollte sein Eigentum zurückhaben. ― „Soso“, hatte er auf seine Ausflüchte gesagt und in einer ganz verdammten Art dazu gelächelt. „Gestohlen hat man es Dir?! Und Du verlangst von mir, daß ich Dir das glauben soll?!“ ― Und dann hatte er ohne viel Umstände die an der Türe (hängende Jacke ergriffen und die Brieftasche herausgezogen. „Was ist denn das, Freund Prescott? Wozu hast Du Dir denn vor acht Tagen das Depotfach Nr. 2712 gemietet, he? ― Etwa, um Deine letzte unbezahlte Schneiderrechnung darin aufzubewahren?“ ― Dabei hielt er ihm höhnisch die Legitimation der Zentralbank unter die Nase. Er hatte nur noch schlucken können, und als der andere schließlich mit eisigkalter Schärfe den Tresorschlüssel verlangte, gab er ihn widerstandslos her. ― „Wir rechnen noch ab!“, hatte „Er“ dann nur noch gesagt, und war, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, aus der Türe gegangen. ― Und dieser eine Satz war es, der Danny Prescott seit zwei Tagen keine Ruhe mehr finden ließ. Er wußte, daß er keine Gnade zu erwarten hatte. Eines Tages würde er sang und klanglos aus dieser Welt verschwinden. ― Unten ging die Haustüre. ― Nervös lauschend stellte er fest, daß der Ankömmling mit wuchtigen Schritten nach oben kam. ― Jetzt hatte er den ersten Stock erreicht, und nun? ― Tatsächlich, er ging weiter und betrat die ersten Stufen der Treppe zum zweiten Stock. ― Zum Äußersten entschlossen raffte Danny Prescott seine Pistole an sich ― 18 ―
und stellte sich so, daß derjenige, der etwa mittels eines Dietriches oder irgendwie gewaltsam eindringen würde, ihn beim Öffnen der Türe mit dieser verdecken mußte. Wenn es jetzt hart auf hart ging, dann wollte er sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. ― Die Schritte auf der Treppe verstummten. Der Mann stand offenbar vor der Türe. Prescott stand unbeweglich. Er hörte die Atemzüge des anderen deutlich. ― Und dann schob sich etwas Weißes unter der Türe her. Stück für Stück, bis man erkennen, konnte, daß es ein Brief war. ― Wieder wurden die Schritte laut. Diesmal bewegten sie sich nach unten. Aufatmend ließ Prescott den Revolver sinken. ― Das war scheinbar nur der Briefträger! ― Aber als er das Kuvert vollends hereinzog, stutzte er. ― Es war nicht frankiert. ― Das ist von „Bim“, dachte er und spürte, wie eine eisige Welle den Rücken hinaufkroch. ― Halb im Unterbewußtsein sah er, daß die einzelnen Buchstaben der Anschrift fein säuberlich aus einer Zeitung herausgeschnitten und dann nebeneinander aufgeklebt wurden. ― Innen fand sich eine Karte, auf der nur drei Worte standen: „Noch zwei Tage.“ ― Anstelle der Unterschrift war ein Teufelskopf gezeichnet. ― Er spürte, wie er zu zittern begann. ― „Noch zwei Tage“, sprach er abwesend vor sich hin. 48 Stunden sollte er noch leben dürfen. ― Dann würde man ihn zu finden wissen, wohin er sich auch verkriechen mochte. ― Irgendetwas in ihm wehrte sich gegen den Gedanken, das Ende so tatenlos auf sich zukommen zu lassen. ― Aber was sollte er tun? ― An wen sich wenden? ― Nein, das beste war, alles Geld zusammenraffen und den ― 19 ―
nächsten Dampfer über den Kanal zu nehmen. Auch in Frankreich würde er gute Pfundnoten irgendwo zum Schwarzmarktkurs eintauschen können. ― Und wenn er erst einmal drüben war, würde er schon weitere Wege finden, irgendwo in Italien oder schließlich sogar in Algier unterzutauchen. ― Der Gedanke elektrisierte ihn förmlich. ― Keine Minute würde er zögern. ― Mit fiebernden Händen nahm er ein kitschiges Ölgemälde von der Wand und nahm aus der dahinter sichtbar werdenden Höhlung ein in Ölpapier gewickeltes Bündel. ― Dann hängte er das Bild wieder an seinen Platz. ― „10 000 Pfund!“, murmelte er befriedigt. „Damit dürfte ich fürs erste reichen!“ ― Er schob das Paket in eine Aktentasche, warf noch einige Toilettengegenstände dazu und machte sich an einem kleinen Koffer zu schaffen, aus dem er nach und nach ein wahres Arsenal von Perücken, Bärten und Schminktöpfen zu Tage förderte. ― Eine Viertelstunde später verließ ein graubärtiger, gebeugt gehender Mann mit einem altväterlichen Gehrock und einer unansehnlichen Aktentasche das Haus. ― Ein vorsichtiger Blick nach rechts und links ließ ihn unmerklich aufatmend den Weg zur Themse einschlagen. ― Der Mann hinter dem Bauzaun auf der anderen Straßenseite stieß ein leises spöttisches Lachen aus. ― Ehe der Alte noch um die Straßenecke verschwinden konnte, peitschte ein Schuß, der ihn wie einen gefällten Baum augenblicklich zu Boden warf. ― Sogleich bewegten sich an einigen der verkommenen Häuser die schmutzigen Gardi― 20 ―
nen, aber auf der Straße ließ sich niemand sehen. ― Man war gewitzigt in derartigen Dingen. Die Männer vom Yard verlangten dann Zeugenaussagen und man hatte durchaus keinerlei Interesse, einen „von der Zunft“ anzugeben oder ihm in irgendeiner Weise den Strick drehen zu helfen, der sich einmal um seinen Hals legen sollte. ― So sah man zwar auch jetzt, daß sich ein Mann mit einem großen Schlapphut und einer wuchtigen Hornbrille über den Toten beugte und irgendetwas in dessen Aktentasche zu schieben schien, beschloß aber sogleich, das alles wieder zu vergessen. ― Als kurz darauf Chefinspektor Crawley am Tatort erschien und nach Augenschein der Sachlage in den umliegenden Häusern etwas Näheres zu erfahren suchte, mußte er unverrichteter Dinge und nicht eben gutgelaunt wieder zu seinen Kollegen, die den Toten fachsimpelnd umstanden, zurückkehren. ― „Das Pack hält zusammen, wie Pech und Schwefel!“, knurrte er mißmutig. ― „Natürlich will niemand etwas gesehen haben!“ ― Die anderen nickten nur. Das kannte man schon. ― Als der Fotograf sein Gerät wieder einpackte, ging man daran, den Toten auf die Seite zu wälzen und bei dieser Gelegenheit kam unter dem grauen Schopf eine Strähne andersfarbigen Haares zum Vorschein. ― „Sieh da, der Bursche trägt eine Perücke!“, lachte Crawley grimmig. „Ich wette, daß der schöne würdige Bart nicht viel echter ist!“ ― Er begann sogleich pietätloserweise an dem Bart des Ermordeten zu zerren und behielt ihn tatsächlich sogleich in der Hand. ― ― 21 ―
Inspektor Webbs trat mit einem gedehnten Pfiff näher. ― „Das ist doch Danny Prescott!“, stellte er verwundert fest. ― „Hm!“, sagte der Chefinspektor lediglich und öffnete nachdenklich die Aktentasche, die der Tote seltsam verkrampft in der Hand hielt. ― „Ich schätze da haben wir erstmalig mit einem Toten einen guten Fang gemacht!“, meinte er dann und wies den anderen das geöffnete Wachsruchpaket. ― „Das stammt wahrscheinlich aus dem Handstreich auf die Zentral-Bank. ― Und hier haben wir sogar eine Legitimation für das geheimnisvolle Fach Nr. 2712 und den dazugehörigen Schlüssel.“ ― „Also war Danny Prescott dieser unauffindbare Mister Atkins und anscheinend gleichzeitig derjenige, der die. Bank um 10 000 Pfund erleichterte!“, ließ sich Inspektor Webbs vernehmen. ― „Ich möchte aber nur wissen, wieso er sich als Inhaber des Faches, der doch selbst den Schlüssel hatte, erkundigte, ob bereits jemand den Inhalt abgeholt habe! ― Da stimmt doch etwas nicht!“ ― „Nun, dafür gibt es nur eine Erklärung!“, entgegnete Crawley. „Ihm sind wahrscheinlich Schlüssel und Legitimation gestohlen worden und er wollte wissen, ob der Dieb schon alles ausgeräumt hatte!“ ― „Aber warum ging er dann nicht selbst hin und überzeugte sich?“ ― „Ganz einfach darum, weil er wußte, daß er ohne Legitimation nicht in den Depotraum gelangen konnte! ― Und um die Sache anzuzeigen, hätte er nicht Danny Prescott heißen dürfen. Der Dieb wußte also sehr genau, was er tat. ― Aber was er damit bezweckte, daß er seinem Opfer bei― 22 ―
des wieder zusteckte, als er es vor rund zwanzig Minuten niederschoß, das ist mir nicht ganz klar!“ „Woraus schließen Sie denn das, Chef?“, erkundigte sich Webbs interessiert. „Daraus!“, entgegnete der Chefinspektor und hielt seinem jungen Kollegen eine kleine Visitenkarte mit einem Teufelskopf unter die Nase. Auf der Rückseite stand etwas mit Bleistift gekritzelt. Mühsam entzifferte der Inspektor: „Mit besten Empfehlungen an die Zentral-Bank!“ ― Kopfschüttelnd reichte er das Kärtchen wieder zurück. ― „Der Mörder hat einen abgründigen Humor, wie mir scheint! ― Aber was hat das mit Ihrer Vermutung zu tun, daß der Mann dem Toten Schlüssel und Legitimation eben erst in die Tasche geschoben hat?“ ― „Die Karte stak in der Zelluloidhülle, in der Frescott die Legitimation aufbewahrte und dies mitsamt dem Schlüssel hatte irgendwer ziemlich eilig in die Aktentasche gestopft. Das aber ging daraus hervor, daß ich die Dinge beim Öffnen der Tasche gleich in der Hand hatte. Zudem aber frage ich Sie: Würden Sie vielleicht einen Schlüssel in der Aktentasche befördern, wenn Sie erstens eine Schlüsseltasche besäßen, wie diese hier“ ― dabei wies er auf eine solche, die er soeben dem Toten aus der Tasche zog ― „und zweitens wüßten, daß ihre Aktentasche seit längerer Zeit bereits ein Loch am Boden hat, durch das ein Schlüssel, unbedingt schon nach einigen Schritten zu Boden fallen müßte? ― Und daß dieses Loch nicht erst zwei Tage alt ist, kann man ohne Anstrengung erkennen. Also muß der Besitzer der Tasche davon gewußt haben, und würde demnach besagten Schlüssel niemals dort getragen haben. ― Oder sind Sie anderer Meinung?“ ― ― 23 ―
„Kaum, Chef!“, gab der Inspektor zu und versuchte, einen Blick auf den Brief zu werfen, den Crawley soeben aus der Brieftasche des Toten nahm. Er sah aber nur, daß er ihn äußerst sorgfältig behandelte, um etwaige Fingerabdrücke nicht zu verwischen und ihn sodann in eine Ledermappe legte, die er gewöhnlich zu diesem Zweck bei sich führte. ― „Arbeit für die daktyloskopische Abteilung!“, knurrte er dazu und gab Inspektor Bright, der mit dem Fotografen das Für und Wider der Sache angeregt erörterte, den Auftrag, die Überführung der Leiche zu veranlassen und den Transport sowie die anschließenden Formalitäten zu überwachen. ― Dann bestieg er mit Webbs den Dienstwagen, der die Beamten in rascher Fahrt zum Yard brachte. ― „Es sind Leute da, die Sie sprechen möchten, Chef!“, empfing sie einer der beim Empfang diensttuenden Bobbys. ― Crawley verschluckte eine unhöfliche Bemerkung, begab sich aber trotzdem sogleich in sein Amtszimmer. ― „Webbs, sehen Sie mal nach, wer da im Vorzimmer sitzt und führen Sie den ersten rein!“ ― Der Inspektor ging und kam gleich darauf mit einer elegant gekleideten Dame zurück, die sichtlich den oberen Gesellschaftsschichten angehörte. ― Es war Lady Eleanor Granstone, die Gattin des bekannten Parlamentariers Lord Philipp Granstone. ― Crawley ging ihr äußerst zuvorkommend entgegen und wich damit sehr von seiner sonstigen kühlen Reserve ab, die er im Umgang mit Außenstehenden, besonders Damen, gemeinhin an den Tag legte. ― Die schöne Lady Granstone kannte er schon als Mädel und darum verband ihn heute ― 24 ―
noch eine gewisse Zuneigung mit der Gesellschaftsdame, die sie inzwischen durch ihre Heirat geworden war. ― „Das nenne ich eine Überraschung, Mylady!“, lächelte er und streckte ihr beide Hände entgegen. ― „Was führt Sie denn zu mir? Doch wohl nichts dienstliches?“ ― Die Lady tat einen ungewissen Seufzer und ließ sich in dem angebotenen Sessel nieder. ― „Leider, Mister Crawley!“, entgegnete sie bedrückt und entnahm ihrer eleganten Handtasche einen Brief, den sie dem Beamten reichte. ― „Lesen Sie selbst und sagen Sie mir dann, was Sie davon halten!“ ― Nichts auf dem Gesicht des Chefinspektors ließ den Schrecken erkennen, der ihn beim Anblick der aus aufgeklebten Druckbuchstaben zusammengestellten Anschrift überfiel. ― Das war ja ein ähnliches Kuvert, wie er es vorhin dem toten Prescott aus der Tasche gezogen hatte. ― Äußerlich ruhig und unbefangen öffnete er den Umschlag und zog eine Briefkarte heraus. ― „In zwei Tagen werden Sie nicht mehr leben!“, las er mit gerunzelter Stirn. Auch hier wieder ausgeschnittene und aufgeklebte Druckbuchstaben. ― Als Unterschrift wieder ein Teufelskopf. ― „Wann bekamen Sie den Brief, Mylady, und wer brachte ihn?“ ― „Er muß heute morgen gegen 10.00 oder 11.00 Uhr in den Briefkasten am Parktor geworfen worden sein, denn James, unser Butler, brachte ihn kurz nach 11.00 Uhr mit der übrigen Post, die an mich adressiert war.“ ― „Haben Sie eine Vermutung, wer der Absender sein ― 25 ―
könnte, irgendeinen Feind, dem Sie etwas Derartiges zutrauen könnten?“ ― Die Lady zuckte sichtlich ratlos die schönen Schultern. ― „Ich habe schon hin und her überlegt, aber ich kann mir nicht vorstellen, wer an meinem Tod interessiert sein könnte. Ich habe doch niemals einem Menschen etwas getan!“ ― Chefinspektor Crawley sog wütend an seiner Zigarre. Das war ja eine schöne Bescherung. ― Das bedeutete für die nächsten Tage angestrengten Streifen- und Überwachungstätigkeit für die Beamten der Sonderabteilung, und gegebenenfalls den Einsatz des „Gespensterabteilung“, ― so nannte man eine kleine Gruppe ausgesuchter Beamten, die sich besser in der Unterwelt als in ihren Dienststellen auskannten und von den Gangstern: durchweg für „Kollegen“ gehalten wurden. ― Abgesehen von seiner Sympathie, die er für die Lady hegte, durfte er es auch andererseits nicht darauf ankommen lassen, daß der geheimnisvolle Briefschreiber seine Drohung wahrmachen konnte. Lady Granstone war eine bekannte und nicht zuletzt beliebte Persönlichkeit, deren Tod in der Öffentlichkeit gewaltigen Staub aufwirbeln würde und Crawley unter Umständen seine Stellung kosten konnte. ― Die Lady hatte inzwischen abwartend geschwiegen und ängstlich in den Zügen des Beamten zu lesen versucht. Als er sie jetzt ernst ansah, wußte sie, daß ihr ernstliche Gefahr drohte. ― „Mylady, ― wir dürfen diesen Brief nicht auf die leichte Schulter nehmen! Aber das soll für Sie kein Grund zur Beunruhigung sein! ― Ich gebe sofort Befehl zur Überwachung ihrer Villa. Niemand kommt hinein, der nicht von ― 26 ―
meinen Leuten auf Herz und Nieren geprüft wurde. Und dann wollen wir doch mal sehen, ob es dem großsprecherischen Herrn Unbekannt gelingen wird, seine Drohung in die Tat umzusetzen. ― Jedenfalls war. es sehr richtig von Ihnen, sofort mit dem Schreiben zu mir zu kommen! ― Jetzt aber noch etwas! Wer, außer Ihnen hat den Brief in der Hand gehabt?“ ― „Niemand außer James, dem Butler, natürlich. Sir Philipp ist seit gestern in Nottingham und wird voraussichtlich erst gegen Abend zurücksein.“ ― „Das ist gut! Hoffentlich sind wenigstens noch ein paar andere Abdrücke darauf!“, knurrte er vor sich hin. ― Dann stand er auf und geleitete die Lady zur Türe. ― „Sie können sich darauf verlassen! In spätestens einer Viertelstunde ist Ihre neue Leibgarde auf den Plätzen!“, versuchte er sie scherzend ein wenig aufzumuntern. „Und dann kann Ihnen nichts mehr geschehen!“ ― „Ich vertraue auf Sie, Mister Crawley!“, entgegnete sie einfach und verabschiedete sich dann mit einem herzlichen Händedruck! ― Inspektor Webbs, der sich während des Gespräches diskret in den Hintergrund des Raumes zurückgezogen hatte, ging jetzt, den nächsten Besucher hereinzubitten: ― Es war Mister Lionel Stoke, ein kleiner, rundlicher Herr, der mit allen Anzeichen der Erregung in den Raum schoß. ― Er besaß auf dem Südufer der Themse eine große Seifenfabrik. ― Schon an der Türe fuchtelte er mit einem weißen Briefumschlag in der Luft herum. ― „Es ist ein Skandal!“, keuchte er atemlos und ließ sich ― 27 ―
ohne eine Einladung abzuwarten in den ersten besten Sessel fallen. Der sonst so formvollendete Mann schien rein aus dem Häuschen. Etwas Außergewöhnliches mußte ihn aus dem Geleis geworfen haben. ― Chefinspektor Crawley griff ahnungsvoll und mit einer gemurmelten Entschuldigung nach dem Brief, den der Fabrikant immer noch in der Hand hielt. ― Schwer krachte die Faust des Beamten auf den Schreibtisch. ― Schon wieder so ein verdammter Wisch!! ― Und haargenau ― wortwörtlich das gleiche, wie in dem der Lady Eleanor. ― „Wann haben Sie den Brief bekommen und wer brachte ihn!“, fragte er ihn mit den gleichen Worten, wie vorhin die Lady. ― „Das muß so zwischen 9.00 und 12.00 Uhr gewesen sein, denn ich habe den Briefkasten erst kurz nach Zwölf, also vor einer knappen halben Stunde leeren können. Und heute früh, als ich zum Werk ging, ― es war gerade vor Neun ― habe ich bereits die Frühpost herausgenommen. Demnach muß er also innerhalb der nachfolgenden drei Stunden von irgendjemand eingeworfen worden sein. Wer das aber gewesen ist, das kann ich natürlich nicht sagen und mich bei den Anwohnern nach einem verdächtigen Individuum zu erkundigen, auf die Idee bin ich offen gestanden garnicht gekommen. ― Ich sehe Ihnen nämlich an, daß Sie mir soeben eine diesbezügliche Frage stellen wollen!“ „Nun, bei einer Befragung der Anwohner dürfte wohl auch nicht allzuviel herauskommen, fürchte ich, denn soweit ich mich entsinnen kann, haben Sie Ihr Haus in der Minsterstreet und da herrscht ein ziemlicher Personenver― 28 ―
kehr. ― Was ich Sie aber fragen wollte, war eigentlich etwas ganz anderes! ― Hat außer Ihnen irgendjemand den Brief oder das Schreiben noch in der Hand gehabt?“ „Nein!“, sagte der Fabrikant verwundert. ― „Das ist schon viel wert, denn ich will den Umschlag der daktyloskopischen Abteilung zur Prüfung übergeben. ― Vielleicht bringt uns das ein Stückchen weiter. ― Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß Sie heute bereits der dritte Fall dieser Art sind und wir auch in den beiden anderen Fällen ohne jeden Anhaltspunkt sind.“ Mister Stoke erbleicht sichtlich. „Ja, um Himmelswillen, was soll das denn werden? Ich habe durchaus keine Lust, mich von irgendeinem Irrsinnigen ermorden zu lassen! ― Können Sie mich denn nicht gegen solche Drohungen schützen?“ ― „Ob ich das kann, müssen wir abwarten. Es muß mit allem gerechnet werden. Eines aber kann ich Ihnen! sicher versprechen, Mister Stoke: Ich werde sofort veranlassen, daß man Ihre Villa ständig im Auge behält und alles tun, um einen Menschen, der sich Ihnen mit derartigen Vorsätzen zu nähern versucht, dieses Vorhaben unmöglich zu machen. ― Allerdings rate ich Ihnen zu Ihrem eigenen Besten, das Haus für die nächsten zwei Tage nicht zu verlassen. ― Übergeben Sie einem Ihrer Herren vorläufig die Leitung der Fabrik und gleichzeitig die Wahrung Ihrer Interessen, sodaß Sie unbeschadet zuhause bleiben können.“ ― Der Direktor bekam wieder ein wenig Farbe. ― „Wenn Sie es für richtig halten, werde ich das natürlich auf jeden Fall tun! loh will dann gleich gehen und das Nötige veranlassen!“ ― ― 29 ―
„Das ist wohl das Richtigste! ― Aber zuvor beantworten Sie mir vielleicht noch eine Frage, wenn es Ihnen möglich ist?!“ „Aber bitte, fragen Sie nur!“ ― „Haben Sie irgendeinen Feind oder einen Menschen, der Ihnen dies oder jenes neidet oder vielleicht von einer bestimmten Seite einen Racheakt oder etwas Ähnliches zu befürchten?“ ― Der Direktor schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf. ― „Nicht, daß ich wüßte! Ich habe eigentlich nie in meinem Leben einen Feind gehabt. Jedenfalls aber habe ich nie etwas Ähnliches bemerkt!“ ― „Vielleicht ein wegen irgendwelcher Verfehlungen abgewiesener Angestellter?“, versuchte der Chefinspektor nachzuhelfen. ― „Nein, wirklich! Ich könnte mich nicht entsinnen! ― Nur ― aber das ist ja Unsinn! ― Nein, das hat bestimmt mit der Sache nichts zu tun!“ Der Beamte sah interessiert auf. ― „Nichts ist unwichtig, Mister Stoke. Vergessen Sie nicht, es geht um Ihr Leben und um das von anderen Personen. Sie sind ja nicht der einzige, der einen solchen Brief erhalten hat! Und da kann jeder noch so geringe Fingerzeig unter Umständen von immenser Wichtigkeit sein!“ ― Mister Stoke lächelte ungläubig, berichtete aber schließlich doch, was ihm soeben einfiel. „Es handelt sich um einen stellungslosen Chauffeur, der sich gestern nachmittag bei mir um eine Anstellung bewarb. ― Er gefiel mir sehr gut und ich hätte ihn unbedingt ― 30 ―
genommen, wenn der Mann nicht wegen irgendeiner Sache acht Monate gesessen hätte. Ich glaube, es war wegen Beihilfe zum Diebstahl und fahrlässiger Tötung oder irgendsowas. Und als ich das erfuhr, habe ich doch lieber verzichtet! ― Sie wissen, es ist wegen der anderen Angestellten. Manch einer zum Beispiel will mit einem, der im Gefängnis gesessen hat, nicht zusammenarbeiten und wieder andere lassen sich von dem schlechten Einfluß, den doch gewiß manch einer dieser Menschen auf andere hat, zu irgendwelchen Dummheiten verleiten. Und da habe ich von der Sache Abstand genommen! ― Und als ich ihm das sagte, da sah er mich an, wie ein waidwund geschossenes Tier! ― Bitte halten Sie mich nicht für romantisch oder verstiegen. Aber so war dieser Blick bestimmt am besten zu beschreiben. ― Von Haß oder Wut oder schließlich irgendwelchen Rachegefühlen habe ich nicht das Geringste bemerkt. ― Darum halte ich es auch für ausgeschlossen, daß der Mann mit dieser Sache zusammenhängen könnte! Ich halte ihn eines Mordes nicht für fähig! ― Eine fahrlässige Tötung ist schließlich eine Sache, die selbst mir einmal passieren kann und darum wird mich aber immer noch niemand für einen berufsmäßigen Mörder halten!“ Der Chefinspektor nickte nachdenklich. ― „Ihnen würden daraus auch nicht derartige Folgen erwachsen, wie dem Chauffeur, der sich gestern vergeblich um eine Stellung bemühen mußte. Verurteilt werden Sie natürlich wie jeder andere auch, aber die gesellschaftlichen Folgen sind für Sie längst nicht so schwerwiegend, wie für jenen bis dahin gewiß unbescholtenen Menschen! ― Aber lassen wir das! ― Das gehört wohl eigentlich nicht hier― 31 ―
hin!“, schloß der Beamte mit einer vagen Handbewegung das Thema ab, als er ein leichtes Befremden auf dem Gesicht des reichem Fabrikanten bemerkte. ― Keiner aus dieser Gesellschaftsschicht würde es wohl so recht begreifen, was derartige Fehlschläge für einen entlassenen Strafgefangenen, der dadurch erst recht auf die schiefe Bahn kommt, bedeuten. ― Sie würden auch nicht begreifen, daß sie dem unermeßlich großen Heer der Asozialen auf diese Weise immer neue werdende Verbrecher zuführten und damit sich selbst und andere ins Fleisch schnitten. ― „Wissen Sie“ fuhr er darum jetzt mit veränderter Stimme fort, „vielleicht zufällig noch den Namen dieses Mannes oder seinen vorherigen Arbeitgeber?“ ― „Den Namen weiß ich nicht mehr, wohl aber die Firma und den Tag seiner Entlassung aus dem Gefängnis. ― Es handelt sich um die Firma Horace & Baxter. Er hatte ein Zeugnis aus dem Jahre 1939, das er wohl bei seiner Einberufung bekam. Es war sehr gut. ― Und entlassen wurde er, wie aus seinen Papieren hervorging, vor drei Tagen!“ ― „Das wäre also am Montag gewesen! ― Naja, damit läßt sich schon etwas anfangen! ― Jedenfalls werden wir den Mann mal unter die Lupe nehmen! ― Und nun entschuldigen Sie mich wohl, Mister Stoke?! ― Es bleibt natürlich bei unserer Abmachung! ― Good bye, Mister Stoke!“ Kurz darauf brachte Inspektor Webbs alle drei Briefe zur daktyloskopischen Abteilung. ― Chefinspektor Crawley ließ sich bei Sir Edward Mitchell, dem Leiter des Yard, melden. ― „Nun, Crawley, was gibt es Besonderes?“, empfing ihn dieser freundlich. Crawley war einer seiner besten Beamten ― 32 ―
und das Verhältnis zwischen den beiden Männern war beinahe freundschaftlich. „Ich habe Sorgen, Sir!“, seufzte; Crawley und quittierte die einladende Handbewegung seines Chefs mit einer Verneigung, um sich sodann in einem der Clubsessel niederzulassen. „Es begann mit dem Mord an Prescott. Eine etwas mysteriöse Angelegenheit. ― Er trug unter anderem einen Brief in der Tasche, in dem irgendjemand mit lakonischer Kürze in aufgeklebten Druckbuchstaben bekanntgab, daß er nur noch zwei Tage zu leben habe. ― Und an diesem Morgen waren inzwischen zwei andere Personen hier, die Briefe ähnlichen Inhalts bekommen hatten.“ ― Sir Edward sah interessiert auf. ― „Um wen handelt es sich denn da?“ Die Antwort schien ihn unangenehm zu überraschen. ― „Einmal Lady Eleanore Granstone und dann Mister Lionel Stoke!“ ― „Das ist mehr als bedenklich!“, äußerte er besorgt. „Ich glaube, daß es sich in diesem Falle empfehlen dürfte, Mister Hill um seine Unterstützung zu bitten.“ ― Bob Hill, der Chef der International Police-Section, war zur Zeit zufällig in London anwesend und da es sich hier um einen besonders delikaten Fall um zwei bekannte Persönlichkeiten handelte, stand es zu erwarten, daß er sich sofort zur Verfügung stellte. ― Als der Chefinspektor sein Amtszimmer wieder betrat, fand er auf seinem Schreibtisch einen Brief liegen. ― Er war von Sir David Burleigh, dem Recorder (Richter) des Londoner Zentral-Kriminalgerichtes „Old Bailey“. ― Der Inhalt bestand aus einem in Seidenpapier sorgfältig einge― 33 ―
schlagenen Brief und einem Anschreiben. Darin teilte Sir David dem Beamten mit, daß er inliegenden Brief heute früh in seinem Briefkasten gefunden habe. Was das zu bedeuten habe, resp. wer dahinter stecke, sei ihm völlig unklar. Immerhin aber habe er den „Wisch“ unter Berücksichtigung eventueller Fingerabdrücke beigelegt. „Da soll doch der Teufel dreinfahren!“, wetterte Crawley erbost, als er feststellen mußte, daß auch hier wieder der Mann am Werke gewesen war, der mit einem Teufelskopf zu unterzeichnen pflegte. ― „Aber wer wird denn am frühen Mittag so verärgert sein?“, ließ sich von der Türe her eine belustigte Stimme vernehmen. ― Der Chefinspektor fuhr mißtrauisch herum. „Ach Sie sind’s, Mister Hill!“, stellte er erleichtert fest. ― „Aber“, fuhr er verwundert fort, „wieso sind Sie denn schon hier? ― Hat Sir Edward angerufen?“ ― „Nein!“, sagte der Detektiv lächelnd und hing seinen Hut an einen Arm der Deckenbeleuchtung, um sich dann in einen der Sessel niederzulassen. „Ich komme aus eigener Initiative. Ich hatte so das unbestimmte Gefühl, als ob meine Anwesenheit im Laufe dieses Tages hier erwünscht werden könnte. Und wie es mir scheint, habe ich recht vermutet! ― Oder?“ ― „Sie haben! ― Ich stand nämlich eben im Begriff, Sie herzubitten, als ich hier noch einen Brief in der Sache fand, ― Es ist eine scheußliche Geschichte, die mir unter Umständen den blauen Brief einbringen kann!“ „Nun, wir wollen nicht gleich zu schwarz sehen!“, beruhigte Bob Hill. „Erzählen Sie mir zunächst einmal, um was ― 34 ―
es sich handelt. Ich vermute, daß die Geschichte mit Danny Prescott zusammenhängt!“ ― Der Chefinspektor nickte und berichtete die Vorfälle dieses Vormittages. Während sie noch das Für und Wider erwogen, kam Inspektor Webbs aus dem Labor zurück. ― Er begrüßte den bekannten Detektiv zunächst achtungsvoll, um sodann den Befund der Spezialisten klarzulegen. „Auf den Umschlägen der Briefe an Lady Granstone und Mister Stoke sind drei verschiedene Sorten von Fingerabdrücken festgestellt worden. ― Einmal die Ihren, Chef, dann die der Empfänger und die des Überbringers. ― Bei Lady Granstones Brief ist noch eine andere Spur vorgefunden worden, die wahrscheinlich der Butler, der das Schreiben mit der Post überbrachte, zurückließ. ― Das läßt sich ja feststellen. ― Zwei Sorten von Abdrücken kehren auf allen drei Briefen wieder und das sind die Ihren und eine fremde, die wohl auf den unbekannten Überbringer zurückzuführen ist. ― Bei Prescott fand sich lediglich die letztere und seine eigene. Auf dem Umschlag, sowohl wie auf der inliegenden Karte. ― Ihre eigenen, Chef, natürlich ebenfalls. ― Die Karten der Lady und Mister Stokes wiesen lediglich Ihre und deren Fingerabdrücke auf. ― Demnach müßte also der Schreiber, der wohl kaum mit dem Überbringer identisch sein wird, die bei solchen Gelegenheiten üblichen Gummihandschuhe getragen haben. ― Bei den Papillarlinien des Überbringers kommt es uns eventuell zugute, daß die Delten auf der Beere des rechten Ringfingers durch eine etwa 3 mm lange Schnittnarbe unterbrochen werden. ― Inspektor Bright ist bereits dabei, die Kartei daraufhin zu ― 35 ―
sichten. Falls es sich um einen bereits Vorbestraften handelt, dürften wir ihn wohl unter unseren ungefähr 900000 Registrierten finden.“ ― Der Detektiv hatte während des ganzen Vortrages anscheinend völlig unbeteiligt seine Zigarette geraucht. Als der junge Beamte geendet hatte, erkundigte er sich bei Crawley: „Was war da eigentlich mit Danny Prescott und dem Bankeinbruch? Es wurden doch Fingerabdrücke gefunden, die in Ihrer Kartei nicht auftauchten. Soviel ich aber weiß, ist jeder Vorbestrafte im Yard derart registriert. Und Danny war mehrfach vorbestraft.“ ― Der Chefinspektor nickte ein wenig verlegen. ― „Stimmt, was Sie da sagen! ― Aber die Sache mit den Abdrücken am Kassenschalter war ein Blödsinn. ― Danny hat bei dem Coup aus alter Gewohnheit Handschuhe getragen. Der Kassierer erinnerte sich später. ― Wir tappten ja beschämenderweise völlig im Dunkeln, bis wir heute früh den toten Prescott mit einem entsprechenden Hinweis des Mörders fanden. Das Geld hatte er fast noch restlos bei sich. Allem Anschein nach wollte er über irgendeine Grenze verschwinden. Wahrscheinlich lag ihm der Brief im Magen. Es ist mir nur nicht ganz klar, wieso er einige Stunden nach Erhalt des Briefes, in dem man ihm seinen Tod für zwei Tage später ansagte, umgelegt wurde. ― Im allgemeinen halten sich derartige Gangster doch an ihre Drohungen mit fast minutiöser Genauigkeit!“ ― „Das ist unter Umständen sehr einfach zu erklären!“, lächelte der Detektiv. „Es handelt sich, bei den drei anderen Empfängern durchweg um angesehene Persönlichkeiten, ― 36 ―
währenddem Prescott höchstwahrscheinlich der Gesellschaftsschicht des Briefschreibers angehören dürfte. ― Und was schließt man daraus?“ ― Der Chef Inspektor begann zu begreifen. ― „Sie meinen, daß Danny ein Komplice des Briefschreibers war, der vielleicht in irgendeiner Weise aus der Reihe tanzen wollte und darum sterben mußte!“ ― „Sehr richtig! Das läßt sich ja auch schon daraus erkennen, daß sein ganzer Brief nur aus drei Worten: „Noch zwei Tage!“ bestand. Was beweist, daß der Unbekannte seinem ehemaligen Partner bereits vorher einmal mit dem Tode gedroht hat. Daß er aber nun am gleichen Tage umgelegt wurde, ist wohl darauf zurückzuführen, daß der Mörder ihn beobachtete und seine Flucht bemerkte. ― Nur eines ist mir bei der ganzen Geschichte, noch unklar; Erstens: Was war in dem Depotfach Nr. 2712? Und zweitens: Was bezweckte Prescott damit, daß er in der Maske des „ruhigen Loch“ die Zentralbank aufsuchte? ― Ich glaube nämlich nicht, daß er es nur darum tat, um seine eigene Person zu decken! ― Aber wir werden ja sehen!“ „Sie werden also den Fall übernehmen, Mister Hill?“, erkundigte sich Crawley gespannt. ― „Sagen wir, ich werde Sie unterstützen oder Sie werden mich unterstützen! Das kann man von zwei Seiten betrachten! ― Jedenfalls aber kann ich auf die Mitwirkung der Wachmannschaften natürlich nicht verzichten!“ ― „Nun, das ist selbstverständlich!“ ― Der Chefinspektor schien erleichtert. Als sich der Detektiv soeben verabschieden wollte, klingelte das Telefon. ― 37 ―
Crawley nahm den Hörer. ― „Fahndungsabteilung?? ― Achso! ― Und was hat sich ergeben? ― Hm. ― Schön!“ ― Mißgelaunt legte er wieder auf. ― „Es ging um den Chauffeur, von dem ich ihnen vorhin sprach. ― Es handelt sich, wie wir inzwischen festgestellt haben, um einen Steve Benson, der am Dienstag aus dem Strafgefängnis entlassen wurde. In seiner Wohnung in der Middlestreet ist er nicht zu finden und auch nicht gewesen. ― Weiß der Teufel, was davon zu halten ist!“ ― „Ja, der wird’s wissen!“, nickte Hill ernsthaft. „Wie meinen Sie das? ― Ach, Sie dachten an den geheimnisvollen Briefschreiber?!“ „Eben an den!“, bestätigte der Detektiv. ― „Rufen Sie doch mal Ihren Inspektor Bright in der daktyloskopischen Abteilung an. Er kann sich weiteres Suchen sparen. Er braucht vielleicht nur noch Steve Bensons Karteikarte nachzusehen und er wird zum wenigsten erst einmal den Überbringer der Briefe haben!“ ― „Verdammt, daß wir nicht eher auf die Idee gekommen sind!“ ― Minuten später kam Bright triumphierend mit dem gesuchten Blatt und den Aufnahmen der Abdrücke auf den Briefen zurück. ― „Tatsächlich, er ist es. ― Hier, die bewußte Schnittnarbe!“ ― „Was meinen Sie, Mister Hill, ob wir einen Steckbrief loslassen sollen?“ „Nein, das würde ich heute noch nicht tun! Wir wollen die Leute nicht vorzeitig warnen. ― Setzen Sie die „Ges― 38 ―
pensterabteilung“ auf die Spur. Das ist weit unauffälliger und wirksamer!“ ― Als sich der Detektiv etwa zehn Minuten später verabschiedete, ließ er einen ziemlich beruhigten Crawley und im übrigen eine auffällige Betriebsamkeit in dessen Abteilung zurück. ― In der Tasche aber trug er ― die Karte mit dem handschriftlichen Vermerk, die man bei Prescott fand. * Bereits um 13.00 Uhr betrat Steve Benson das Büro der „Quick-Auskunftei“. Über das steife Gesicht des unbeweglichen Mister Samson huschte etwas, wie ein freundliches Grinsen, als er die mürrische Vollzugsmeldung vernahm. ― „Mister Atkins wird zufrieden sein!“, nickte er. ― „Haben Sie sonst noch was für mich?“, erkundigte sich der andere unbeeindruckt. ― „Yes!“, entgegnete Mister Samson und zog ein Schubfach auf. ― „Mister Atkins hinterließ noch einen Brief für Sie!“ ― Benson nahm ihn entgegen und schob ihn gleichgültig in die Tasche. Dann drehte er sich um Und war mit einem kurzen Gruß aus der Türe. Erst draußen öffnete er ihn. Eine Fahrkarte nach Leicester und eine zurück nach London fielen ihm entgegen. ― Verblüfft las er den beigelegten Zettel. „Fahren Sie sofort und warten Sie bis übermorgen mittag im „Markethouse“ auf mich. Zimmer reserviert und bezahlt. Sollte ich bis dahin nicht dort gewesen sein, fahren Sie zurück und melden sich bis 15.00 Uhr bei S. ― Atkins“ ― ― 39 ―
Kopfschüttelnd faltete er Brief und Umschlag zusammen und setzte sich zum Bahnhof in Bewegung. ― Eine halbe Stunde später hatte er London bereits hinter sich gelassen. ― Wenn er gewußt hätte, daß Scotland Yard knappe 15 Minuten später die „Gespensterabteilung“ auf seine Spur setzte, hätte er sich wahrscheinlich Verschiedenes gründlich überlegt. ― Für ihn war es ein Glück, daß er London zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte. ― Vielleicht aber wären zwei Menschen am Leben geblieben, wenn man ihn noch gefaßt hätte! ― * Zwei Tage später: Der Lebensmittelhändler Thomas Eimer musterte jeden der Kunden, die an diesem Morgen seinen Laden betraten, mit mißtrauischen, beinahe ängstlichen Blicken. ― Er schien irgendjemand zu erwarten, dessen Kommen ihm durchaus nicht angenehm war. ― Wenn das Geschäft leer war, sank er für einen Augenblick auf eine Kiste hinter der Theke und trocknete den Schweiß von der Stirn. ― Er wußte selbst, daß ihn nicht die Arbeit, das Bedienen der Kunden schwitzen ließ. Dieser Schweiß war nichts als Angstschweiß und die Ursache dazu trug er in der Tasche. ― Wieder einmal holte er diesen fürchterlichen Brief hervor und las ihn zum wiederholten Male. ― Aber der Inhalt blieb der gleiche: „In zwei Tagen bist Du eine Leiche!“ Darunter als Unterschrift ein Teufelskopf. ― Oh ja, Thomas Eimer wußte schon, wer dahinter steckte. Und trotzdem konnte er nicht zur Polizei gehen. „Er“ hatte das ― 40 ―
alles sehr genau überlegt. Schon immer tat er das. ― Eimer wußte, es würde ihm nichts weiter übrig bleiben, als seinen Tod abzuwarten. Er harte wohl gelesen, daß Danny Prescott versucht hatte, zu fliehen und dabei erschossen wurde. ― Aber er nahm sich vor, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Bei jedem Fremden, der sein Geschäft betrat, umklammerte seine Linke in Deckung der Theke die Pistole. ― Und immer wieder war es nichts. Das riß an den Nerven. ― Es war wohl ein Teil der Strafe, die „Er“ über ihn verhängte! „Er“ war ein Teufel, der seine Feinde bis aufs Letzte quälte, bevor er zuschlug. ― Der Morgen ging ohne Zwischenfall vorüber. ― Nachmittags gegen 15.00 Uhr kam der Briefträger und brachte einige Post. Unter anderem verschiedene Pakete der Lieferfirmen. ― Obwohl ihm jetzt durchaus nicht nach derlei Dingen zumute war, begann er sie auszupacken. Er mußte etwas tun, um sich von seinen Gedanken abzulenken. Kurz darauf betrat ein Mann den Laden, den er noch nie gesehen hatte und verlangte ein Paket Feigen. ― Dabei sah er ihn mit seltsam musternden Blicken an. ― Eimer wurde es irgendwie unbehaglich. Er ließ die Schußwaffe nicht aus der Hand. Dabei bediente er den Mann höflich und zuvorkommend wie immer. Nur bei genauerem Hinsehen konnte man ein leichtes Zittern um die Lippen des Lebensmittelhändlers bemerken. ― „Sind Sie krank?“, fragte der Fremde plötzlich und hatte dabei einen seltsam spöttischen Klang in der Stimme. ― „Krank? ― Wie kommen Sie darauf?“ ― Eimers Hände begannen zu zittern. ― In seinen Augen war das Erschrecken eines Fuchses, der sich in der Falle sieht. ― ― 41 ―
„Weil Sie so aussehen!“, entgegnete der Mann mit einem eigenartigen Blick. „Sie können die Waffe ruhig aus der Hand legen, Mister Eimer! Es würde Ihnen im Ernstfall doch nichts nützen!“ ― „Wer ― was ― wer sind Sie?“, stammelte Eimer fassungslos und in diesem Augenblick wäre er wirklich nicht in der Lage gewesen, einen Finger am Abzug krumm zu machen. ― Der Fremde stieß ein eigenartiges Lachen aus. ― „Sie können mich ebensogut Mister Atkins nennen, wie Mister Smith, wenn es Ihnen Spaß macht! Was hilft Ihnen mein Name?!“ ― „Kommen Sie von „Ihm“?“, forschte der andere weiter und bot in seiner bleichen Ängstlichkeit ein jämmerliches Bild. ― „Vielleicht!“, machte der Fremde unbestimmt und nahm wie spielerisch eines der auf der Theke liegenden Pakete auf. In diesem Augenblick betrat ein Vertreter den Laden. ― „Goodday, Gentleman! ― Ich komme von der Firma Wells!“, wandte er sich an Eimer. ― Der schien sichtlich erleichtert. ― „Sie bringen die neue Sendung?! ― Bitte legen Sie alles hier auf die Theke! ― Unterschreiben muß ich auch?! ― Bitte sehr!“ ― Der Fremde ging mit einem bedeutsamen Blick auf den Händler. ― Kurz darauf verabschiedete sich auch der Vertreter und Eimer war mit seinen Gedanken allein. ― Beruhigend waren sie durchaus nicht. ― Er stöhnte verzweifelt. Anscheinend wollte man ihn erst einmal „weichmachen“. ― 42 ―
Darin war „Er“ von jeher groß gewesen! ― Schließlich aber richtete er sich gewaltsam auf. Sie sollten ihn nicht klein sehen! ― Diese Genugtuung: wollte er ihnen nicht geben. ― Sich zur Ruhe zwingend, begann er die eben gelieferten Sachen auszupacken. ― Währenddem kam eine Kundin. ― Obwohl er sonst nicht gerade erbaut davon war, wenn die Hausfrauen, nachdem sie bedient waren, seinen Laden und seine Ohren als Ablageplatz für die Neuigkeiten der letzten Tage betrachteten, begrüßte er das Redebedürfnis der Mistress Snyders heute beinahe. ― Währenddem sie von allen möglichen Dingen berichtete, räumte er seine Ware ein und warf hin und wieder eine Bemerkung ein, ohne recht zu wissen, was er tatsächlich gesagt hatte. ― Er tat alles wie mechanisch. ― Die Nudeln im Paket setzte er zu den anderen in der Auslage, die Puddingbeutel auf die Theke, er öffnete den großen, dicht verschlossenen Blechbehälter mit den kleinen Teebeutelchen und indem Mistress Snyders äußerst zungenfertig das neugeborene „Malheur“ bei Millers kommentierte, sackte er plötzlich wie ein Bündel Lumpen in sich zusammen. Mit einem grausig-dumpfen Laut schlug sein massiger Schädel auf die Theke. ― Mistress Snyders schrie, wie nur eine Frau in derlei Situationen zu schreien vermag, mit dem Erfolg, daß zwei Minuten später der Laden voller Neugieriger stand. ― Schließlich bahnte sich ein Bobby einen Weg durch die Menge. ― „Was geht hier vor?“ ― Die Antworten überstürzten sich. ― Der Bobby hob ruhegebietend die Hand. „Wer war zuerst hier?“ ― ― 43 ―
Mistress Snyders wuchs im Vollgefühl ihrer Bedeutung um einige Millimeter. „Ich, Herr Oberinspektor!“ Der Bobby überging die Dienstrangerhöhung mit Stillschweigen und ließ sich genau berichten. ― Dann überlegte er eine Weile. ― Offensichtlich handelte es sich hier um einen ganz alltäglichen Herzschlag. ― Irgendetwas aber bewog ihn, bevor er einen Arzt rufen ließ, den Toten zu untersuchen. Dabei hütete er sich sorgfältig, etwas an der Lage der Leiche zu verändern. ― Das allein und seine Umsichtigkeit, mit der er den Laden räumen und die Mistress warten ließ, war es, was ihm einige Tage später seine Beförderung eintrug. ― Er fand nämlich den bewußten Brief und rief daraufhin sofort Chefinspektor Grawley an. ― „Jawohl, Chef! in der Brentfordstreet! Das Lebensmittelgeschäft von Thomas Eimer! ― Er trug einen Brief in der Tasche! ― Wie? ― Ja, die Buchstaben waren aus einer Zeitung ausgeschnitten und aufgeklebt! ― Jawohl, Chef! Alles schon geschehen. Ich warte!“ ― Der Bobby grinste ein wenig, als er seinen Posten im Geschäft des toten Eimer wieder einnahm. ― Jungejunge, konnte der Alte fluchen! ― Die Geschichte schien ihm ja mächtig quer zu gehen! ― Zehn Minuten später bekam er eine weitere, weitaus kräftigere Kostprobe dieser Art zu hören. Das war, als der mitgekommene Arzt feststellte, daß Eimer anscheinend tatsächlich an einem Herzschlag gestorben sei, denn es sei nichts Sonstiges festzustellen! ― Allerdings bliebe die Obduktion noch abzuwarten, setzte der Arzt mit einem ungewissen Achselzucken hinzu. Crawley machte den Eindruck eines gereizten Stieres, ― 44 ―
als er ans Telefon ging und Bob Hill von der neuen Sachlage orientierte. ― Der schien garnicht so sehr erstaunt, versprach aber, sofort zu kommen. ― Kurz darauf hielt sein kleiner Wagen vor der Türe. ― „Na, Mister Crawley! Die Sache sieht wohl hoffnungslos aus?“, sagte er und machte den Eindruck eines Menschen, der nichts anderes erwartete. ― „Ihre Ruhe möchte ich haben!“, schnaufte der Chefinspektor erregt. Der Detektiv lächelte ein wenig und betrachtete zunächst das kleine Warenlager auf der Theke. Der Tote selbst schien ihn weit weniger zu interessieren. ― „Der letzte Besucher waren wohl Sie, Mistress?“, wandte er sich plötzlich an die aufgeregt lauschende Mistress Snyders. ― „Jawohl, Herr Polizeirat!“, kam sie wichtig näher. Auf die Vergebung wohlklingender Titel schien sie sich spezialisiert zu haben. ― „Und sie haben nichts Auffälliges am Mister Eimer bemerkt?“ ― „Doch, Herr Polizeirat! Er war so aufgeregt! Garnicht so ruhig, wie; sonst. Nicht mal richtig zugehört hat er, wie ich ihm die Geschichte von Millers Evelyn erzählte, die gestern ein Kind von …“ ― „Was tat er, bevor er zusammenbrach? Welches von den Paketen hielt er in der Hand?“, unterbrach Hill! den Redestrom der mitteilungsbedürftigen Dame. ― Die zeigte ohne lange zu überlegen auf die Teebüchse. ― Der Detektiv nickte befriedigt, nahm einen Bogen Papier von der Rolle und wickelte den Behälter vorsichtig ein. ― ― 45 ―
Dann überreichte er alles samt dem lose dazugelegten Deckel dem Chefinspektor. ― „Bitte lassen Sie das doch einmal untersuchen. Vor allem die Teepäckchen. Vielleicht können Ihre Chemiker etwas feststellen!“ ― Crawley machte kein gerade sehr geistreiches Gesicht, als er das Paket übernahm. ― Der Detektiv begab sich schon wieder nach draußen. ― „Rufen Sie mich bitte sofort an, wenn das Resultat feststeht. Wenn ich gerade nicht da sein sollte, nimmt meine Wirtschafterin den Bescheid entgegen!“ Dann heulte draußen der Motor des kleinen Rennwagens auf und Chefinspektor Crawley blieb mit äußerst gemischten Gefühlen zurück. ― Das nennt der Mann nun eine Untersuchung vornehmen!, dachte er kopfschüttelnd. Er ließ sich die Adresse der Zeugin geben und beauftragte den Bobby, dafür Sorge zu tragen, daß sich niemand dem Tatort nähere, bis jemand mit den Siegeln dagewesen sei. ― Wie bei jedem Verbrechen mußte der Tatort gesichert, das heißt also versiegelt werden. ― Währenddem der Fotograf sein Blitzlicht aufflammen ließ, begab er sich mit dem Arzt nach draußen. ― Die Fahrt zum Yard verlief äußerst schweigsam. ― Crawley hing seinen Gedanken nach. ― Das war nun schon der Fünfte, der in die Sache verwickelt wurde und gleich der zweite Tote, dachte er und war mit sich und der Welt unzufrieden. ― *
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Unterdessen war Steve Benson mit seinem Koffer auf dem Wege zur Minsterstreet. ― Dort hatte er laut Kundenbuch der Firma Wells einen Mister Stoke aufzusuchen. Es schien der „Seifen-Stoke“ zu sein, denn er hatte ihm eine Blechpackung Lavendel-Soap als reklamiert zurückzubringen. Anscheinend hatte dieser Mister Atkins als Einkaufsleiter und zweiter Direktor der Firma Wells an der Ware einiges zu bemängeln. ― Nun, seine Sorge war das nicht. ― Er hatte nur weisungsgemäß abzuliefern und im übrigen auf die Firma zu verweisen, wenn irgendwelche Rückfragen kamen. ― Währenddem er in Richtung Coventgarden vorwärtsstrebte und diesen Mister Stoke und seine Vorliebe für Außenbezirke verwünschte, beschäftigten sich seine Gedanken immer noch mit der Fahrt nach Leicester. ― Was mochte die ganze Sache nur für einen Zweck gehabt haben? ― Er hatte auftragsgemäß bis 12.00 Uhr gewartet, sich bemüht, die für ihn bestellten und auch bezahlten Speisen und Getränke zu verzehren und war, als bis Mittag niemand kam, mit dem nächsten Zug wieder nach London gefahren. ― Daß ihm dann dieser Mister Samson keine Auskunft geben konnte oder wollte, das hatte er sich beinahe gedacht. ― Naja, was kümmerte es ihn!? ― Er hatte zwei Tage gut gegessen und seine Ruhe gehabt und ging eben jetzt, um das vereinbarte Gehalt tatsächlich zu verdienen, wie dieser Mister Atkins ihm durch Leslie Samson bestellen ließ, mit seinem Koffer und der Ware der Firma Wells bestimmte Adressen ab. ― Es ist kein allzuschweres Geldverdienen, dachte er und begann auf die Hausnummern zu achten. Er war bereits in der Minsterstreet. ― ― 47 ―
Nummer 28! ― Dann konnte die Villa mit der Hausnummer 32 nicht mehr weit sein, dachte er. ― Ein Herr kam auf ihn zu, als er gerade das Gartentor zu Mister Stokes Haus öffnen wollte. ― „Zu wem möchten Sie?“ ― Benson gab sich garkeine Mühe, seine Verwunderung zu verbergen. „Zu Mister Stoke! ― Aber was geht das Sie an?“ ― Der andere überhörte die Bemerkung und verlangte zu wissen, was er hier zu erledigen habe. ― „Jetzt wirds mir aber doch zu bunt!“, schimpfte Steve Benson aufgebracht. „Wer sind Sie denn eigentlich?“ ― Der andere klappte wortlos seinen Rockkragen um. Diese in allen Kulturländern gebräuchliche Geste der Kriminalpolizei war auch Benson nicht unbekannt. ― Da er sich aber keiner Schuld bewußt war, zog er wortlos seinen Paß und zugleich die Legitimation der Firma Wells aus der Tasche. ― „Ich komme von der Firma Wells und habe an Herrn Stoke eine Reklamation zu überbringen!“ ― Der Beamte blieb unvermindert höflich, als er den Vertreter in den nahegelegenen Pavillon zu einer flüchtigen Untersuchung bat. ― „Eine kleine Notwendigkeit!“ lächelte er dazu. „Auf Mister Stoke plant man ein Attentat und daher sind wir gezwungen, alle Leute, die zu ihm möchten, auf das genaueste zu untersuchen!“ ― Benson lachte breit und ging willig mit. ― Die eigentliche Untersuchung verlief schnell, aber gründlich. ― Man tastete ihn auf Waffen ab und warf schließlich auch einen Blick in seinen Koffer. Der Beamte machte einige Stich― 48 ―
proben und stellte fest, daß die Muster- und Warenpäckchen tatsächlich das enthielten, was daraufstand. ― „Es ist gut, Mister Benson!“, sagte er dann freundlich und begleitete ihn bis zur Türe. ― „Entschuldigen Sie den kleinen Aufenthalt!“ ― „Aber bitte! Sie müssen ja ihre Pflicht tun!“ ― Und dann begab sich Steve Benson, mit einem Passierschein des untersuchenden Inspektors versehen, in das Haus, um Mister Stoke, wie man ihm auftrug, die Reklamation
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persönlich zu übergeben. ― Anscheinend wollte man sichergehen, daß die Sache nicht von einem Angestellten, vertuscht würde. ― Bei Bob Hill ging das Telefon. ― Er nahm den Hörer. ― „Ja?“ ― „Crawley hier! ― Kommen Sie doch bitte mal gleich zu uns raus. Näheres kann ich Ihnen am Telefon nicht gut sagen!“ ― „Gut, ich komme sofort!“ ― Als er seinen vor dem Haus wartenden Wagen bestieg, stürzte aus dem nächsten Hauseingang ein Mann hervor. Er trug einen großen Schlapphut und eine massive Hornbrille. ― Ehe der Detektiv sich umwenden konnte, spürte er auch schon einen Schlag auf den Hinterkopf, daß ihm sofort die ― 49 ―
Sinne schwanden. ― Eine Falle!, war alles, was er denken konnte. Dann spürte er nichts mehr. ― Der Fremde setzte sich ans Steuer und fuhr den Wagen zielbewußt in die City, nachdem er den Detektiv sorgsam verschnürt und so plaziert hatte, daß man ihn von außen nicht entdecken kannte. ― Das alles geschah in wenigen Sekunden. ― Vor der Auskunftei des Mister Samson hielt der Wagen. ― Der geheimnisvolle Fremde blickte sich sichernd um, bevor er den Detektiv mit einigen schnellen Schritten ins Haus schaffte. Niemand hatte ihn beobachtet. ― Er ließ das Büro links liegen und schleppte seinen wehrlosen Gegner ohne Aufenthalt in den Keller. ― Erst dort kam der Detektiv wieder zu sich. ― Der Bebrillte setzte ihn in einem festen Kellerraum ab. ― Dann leerte er ihm sämtliche Taschen, steckte ihren Inhalt zu sich und behielt nur die Pistole in der Hand. ― „Es tut mir außerordentlich leid, Mister Hill, Ihnen einige Unannehmlichkeiten bereiten zu müssen!“, sagte er dann mit unangenehm spöttischem Tonfall. „Aber seien Sie versichert, daß Ihnen nichts geschehen wird! ― Es handelt sich nur noch um einige Stunden, dann sind Sie wieder frei. ― Sie waren mir im Wege. Sie wußten zuviel! ― Crawley kann mir in der nächsten Zeit nicht sonderlich gefährlich werden. Aber Sie hätten mir einen bösen Strich durch eine alte Rechnung machen können, die ich heute verschiedentlich präsentiere. Wenn die Angelegenheit erledigt ist, verschwinde ich von der Bildfläche. ― Die Flugkarten sind bereits bezahlt und in meinem Besitz! Es war Ihr Fehler, als Mister Atkins oder Smith den guten Thomas Eimer, ― 50 ―
Gott oder der Teufel hab ihn selig, aufzusuchen und ein bißchen zu spionieren. ― Ich stand immer neben der Verbindungstüre zum Flur und hörte jedes Wort. Daher war es für mich auch nicht sonderlich schwierig, festzustellen, daß Sie mehr wußten als die Herren vom Yard. ― Und darum mußte ich Sie ein wenig Ihrer Freiheit berauben. Da Sie aber mit meiner Sache nichts zu tun haben, halte ich es für verfehlt, Sie auszulöschen. Ich bin auch in solchen Dingen für Korrektheit!“ ― Bob Hill zeigte trotz seiner mißlichen Lage ein spöttisches Grinsen. ― „Seltsame Korrektheit, die Sie da an den Tag legen! ― Wie nennen Sie sich eigentlich?“ ― „Mein Kompliment!“, verneigte sich der andere ironisch. „Sie scheinen zu wissen, daß ich es vorziehe, unter anderem Namen zu erscheinen! ― Nennen Sie mich immerhin Atkins! Wir haben wohl im Bedarfsfalle eine Vorliebe für den gleichen Namen! ― Und nun muß ich Sie wohl oder übel Ihrem Schicksal überlassen! ― Good bye, Mister Hill!“ ― Damit verschwand der Bebrillte, ohne noch einen Blick auf den Detektiv zu verschwenden, nach draußen. ― Der Schlüssel drehte sich im Schloß und dann entfernten sich seine Schritte. ― „Ein Glück,“ knurrte Bob Hill vor sich hin, „daß der Keller nicht mit einem Riegel zu verschließen ist!“, und wälzte sich, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren, zu einem Stück Rohr, das er aus der Wand kommen sah. ― Währenddem er die Stricke, mit denen seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, unaufhörlich und mit zäher Geduld an dem scharfkantigen Rohrende rieb, kamen und ― 51 ―
gingen die Gedanken. Es war anzunehmen, daß dieser Atkins die Zeit seines Kelleraufenthaltes ausnutzen würde, um die noch fehlenden drei Opfer aufzusuchen und zu töten. Es durfte also jetzt keine Minute verloren werden. ― Er verdoppelte seine Anstrengungen. ― Minuten später hatte er die Hände frei. Die Fußfesseln waren kein Problem mehr. ― „So, mein lieber Atkins! Jetzt geht’s Dir an den Kragen!“, sagte er mit einem leisen Lachen und streifte das rechte Hosenbein in die Höhe, um einen Spezialdietrichbund, der am Sockenhalter befestigt war, abzunehmen. ― „Man sollte nie jemand zu oberflächlich untersuchen!“ ― Dieses Werkzeug, das in Verbrecherkreisen eine gewisse Beliebtheit erlangt hat, weil es in den ausweglosesten Situationen immer noch eine kleine Chance offen läßt, gehörte zu Bob Hills ständiger Ausrüstung und hatte sich bereits mehr als einmal bewährt. ― Bevor er aber nun von innen mit dem passenden Dietrich das Schloß öffnete, entnahm er dem anderen Sockenhalter eine jener kleinen Spielzeugpistolen, die trotz ihrer Winzigkeit eine gefährliche Waffe sind. ― Dann erst bearbeitete er das Schloß. ― Das war nun keine überragende Leistung mehr. Binnen weniger Sekunden stand er bereits auf dem Flur. ― Gerade wollte er die Richtung zur Treppe einschlagen, als ihn ein Geräusch stutzen ließ. ― Da stöhnte ein Mensch! ― Es kam aus der gegenüberliegenden Türe. ― Auch hier tat der Dietrich seine Schuldigkeit. ― Bob Hill war nicht wenig erstaunt, in dem gefesselten und halb bewußtlosen Menschen den Besitzer der „QuickAuskunftei“ zu erkennen. ― Man hatte ihm die Hände so gebunden, daß er gerade einen Krug mit Wasser und das in ― 52 ―
der Nähe liegende Brot zum Munde führen konnte. ― Er schien bewußtlos zu sein. Der Detektiv löste von seinem Dietrichbund ein kleines, scharfes Messer und durchschnitt die Stricke Samsons. Als er ihm dann den Wasserkrug an den Mund setzte, kam er wieder zu sich und betrachtete seinen Retter mit erstaunten Blicken. ― „Sie, Mister Hill?“, flüsterte er kraftlos. „Ja, ich bin’s! ― Beinahe wär’s mir genau so gegangen, wie Ihnen! ― Aber wir müssen eilen! Es sind Menschen in Gefahr! ― Können Sie gehen?“ ― Samson machte einen Versuch und brach sogleich wieder zusammen. ― „Ich sehe schon, es geht nicht! ― Kommen Sie, ich trage Sie!“ ― Die Türe zum Büro der Auskunftei war unverschlossen. ― Hill setzte den Geretteten vorsichtig draußen ab und spähte mit gezogener Pistole in den Raum. ― Nichts! ― Dann erst nahm er den Mann auf und brachte ihn nach drinnen. Crawley, der sich kurz darauf meldete, als der Detektiv seine Nummer gewählt hatte, fiel aus allen Wolken. „Mensch, Sie leben?! ― Ich dachte, man hätte Sie bereits irgendwo kaltgemacht! ― Wir riefen vor einigen Minuten, es mögen deren zehn gewesen sein, bei Ihrer Wirtin an und die sagte mir, daß Sie auf meinen Anruf hin sofort zum Yard gefahren wären. Und ich hatte doch garnicht angerufen. ― Da wußte ich natürlich, was los war. ― Die Radiostreifenwagen sind bereits angewiesen, nach Ihnen oder Ihrem Rennwagen zu fahnden. ― Den Wagen hat man inzwischen in der City gefunden.“ ― ― 53 ―
„Freut mich außerordentlich, lieber Crawley! Aber etwas anderes ist im Augenblick viel wichtiger: Erstens: Was ergab die Untersuchung besagter Teebüchse?“ „Ein neuartiges Gas. Geruchlos und sofort tödlich. Der Tee war in Leinenbeutelchen verpackt und das Gas hatte sich zwischen den kleinen Teeteilchen gehalten. Sonst wäre eine Analyse unmöglich gewesen! ― Und was war zweitens?“ ― „Geben Sie sofort an Ihre Leute und auch an die eigentlichen Bedrohten: Niemand ― ohne jede Ausnahme ― darf in die gefährdeten Häuser. Auf keinen Fall dürfen Sendungen und Pakete irgendeiner Art, die von draußen kommen oder bereits im Haus sind, geöffnet werden. ― Kapiert? ― Es ist allerhöchste Eile geboten! ― Und dann schicken Sie mir bitte schleunigst meinen Wagen her!“ Crawley hängte ohne ein weiteres Wort der Erwiderung ab. ― Er wußte, daß es „brannte“, wenn der Detektiv so kurz war! ― Leslie Samson hatte sich inzwischen schon wieder ein wenig erholt. Als ihn Bob Hill fragte, auf welche Weise er in seinem eigenen Keller gelangt war, konnte er ihm ausführliche Auskunft geben. ― „Das ist verdammt ein starkes Stück!“ ― Mitunter hielt Bob Hill Kraftausdrücke für unerläßlich. ― „Aber das habe ich mir gleich gedacht. ― Daß „Er“ dahintersteckte, fiel mir bereits auf, als ich die verschiedenen Personen, die von ihm einen Drohbrief bekamen, unter einen Hut zu bringen versuchte. Sie alle waren ihm in der gleichen Weise einmal in den Weg getreten. Bis auf Danny Prescott. Der wollte ihm sein Eigentum vorenthalten! ― Aber ich glaube, da kommt mein Wagen!“ ― ― 54 ―
Tatsächlich trat ein Beamter ein und meldete, daß der Wagen draußen stehe. „Ich denke, Sie sind wieder soweit, daß ich Sie sich selbst überlassen kann!“, wandte er sich an Samson und reichte ihm seine kleine Pistole. „Hier nehmen Sie für alle Fälle! ― Und Sie, Herr Kollege, borgen mir vielleicht einmal Ihren Dienstrevolver. Ich schätze, daß ich ihn in den nächsten Minuten brauchen kann!“ ― Der Beamte strahlte. Dem „Kollegen“ würde er sogar noch andere Dinge borgen. Mit einem freundlichen Gruß zu dem Auskunfteibesitzer ging er mit dem Detektiv nach draußen. ― Der schwang sich in seinen Wagen und fuhr mit freundlichem Winken in Richtung Croydon davon, währenddem der Beamte den nächsten Autobus zum Yard charterte, der soeben schwerfällig um die Ecke schwankte. Mister Samson aber brachte sein in Unordnung geratenes Haar in die gewohnte Fasson, fuhr sich glättend über die kleine Bürste auf der Oberlippe und rief telefonisch eine Taxe herbei. ― Etwa zehn Minuten später stieg er ein und befahl dem Chauffeur, ebenfalls in Richtung Croydon zu fahren. Steve Benson verließ das Haus in der Minsterstreet 32. Er hatte seine Empfangsquittung in der Tasche und das Weitere war ihm gleichgültig. Atkins hatte ihm ausdrücklich eingeschärft, nirgendwo die Empfangsquittungen zu vergessen. Fehlten sie, sei es Essig mit seiner Prämie, sagte er. ― Mister Stoke hatte sich die Sache ein wenig zerstreut angehört, genickt und unterschrieben. Dann war er mit der reklamierten Packung nach drinnen gegangen. Er wollte ― 55 ―
zwar sogleich nachsehen, was da wohl zu reklamieren sei, vergaß es aber für den Augenblick, als seine Tochter Kathleen, ein hübsches, blondhaariges Mädel von knapp 19 Jahren, von. draußen hereinkam und in ihrer frischen Art allerhand Neuigkeiten erzählte. ― Er hörte schmunzelnd zu und war wieder einmal stolz auf seine hübsche Tochter. ― „So, Daddy! Jetzt habe ich aber genug erzählt! Ich will mich schnell noch ein wenig umziehen. Ich habe Dorothy versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen!“ Damit wirbelte sie auch schon aus dem Zimmer und begab sich nach oben. ― Und da dachte Lionel Stoke wieder an die Reklamation der Firma Wells. Er nahm die Blechpackung zur Hand und betrachtete sie eine Weile sinnend. ― Eigentlich machte sie einen guten Eindruck und der Inhalt war das Beste, was er an Seife herstellte. ― Komisch, daß man daran etwas auszusetzen hatte! ― Währenddem er sich noch mühte, den Deckel zu öffnen, klopfte es. ― „Come in!“, rief er ein wenig ärgerlich. Die Schachtel klemmte anscheinend. Er nahm sie vor die Brust, um so besser fassen zu können. ― Derweile kam der Einlaßbegehrende herein. ― Es war der Inspektor, der die Untersuchung bei Benson veranlaßte. ― Als er sah, womit sich der Seifenfabrikant beschäftigte, rief er erschreckt: „Stop! ― Finger weg!“ ― In diesem Augenblick sprang der Deckel auf. ― Das sehen und einen wahren Panthersatz tuend, war für den geistesgegenwärtigen Beamten eins. ― Krampfhaft die Luft anhaltend, schlug er Stoke mit einem Schlag die Büchse aus der Hand, preßte mit zwei Fingern dessen Nase zu und währenddem er mit der linken Hand seinen Mund gegen ― 56 ―
jede Atemtätigkeit abschloß, zog er ihn blitzschnell aus dem Zimmer. Draußen taumelte er erschöpft gegen die Wand. ― Der Seifenfabrikant schnappte ohne etwas zu begreifen nach Luft. ― „Was ist denn los?“, brachte er schließlich noch immer atemlos hervor. ― „Nichts besonderes!“, entgegnete der Inspektor hüstelnd. „Sie sind nur eben gerade noch am schwarzen Tor vorbeigerutscht. ― Sorgen Sie bitte dafür, daß vorläufig niemand das Zimmer betritt. ― In der Seifenpackung befand sich ein völlig neuartiges Gas, das Sie mit dem ersten Atemzug, den Sie getan hätten, ins Jenseits befördert hätte! ― Soeben kam der Anruf vom Yard. Ich dachte mir schon, daß der Vertreter vorhin das Päckchen mitbrachte. War ja sonst niemand hier! ― Bleiben Sie aber jetzt bitte im Rauchzimmer, Mister Stoke! Ich nehme an, daß meine Kollegen diesen außergewöhnlichen Geschäftsmann bereite beim nächsten Opfer fassen konnten, Sie sind jedenfalls verständigt!“ Damit ging der Beamte und ließ einen ziemlich verstörten Mister Stoke zurück. * Als Steve Benson das Palais Sir David Burleighs in der Regentstreet erreicht hatte und eben die Klingel am Gartentor drücken wollte, fühlt er sich plötzlich von rückwärts angesprochen. ― „Kommen Sie vielleicht von der Firma Wells?“ ― Steve drehte sich erstaunt um und sah sich einem hoch― 57 ―
gewachsenen Mann mit einem ausgesprochenen Polizeigesicht gegenüber. ― Sowas gibt es sogar im Yard. „Allerdings!“, sagte er ein wenig unbehaglich. „Aber warum wollen Sie das wissen? ― Ist vielleicht auf Sir David Burleigh auch ein Attentat geplant, wie auf diesen Mister Stoke! ― Sie sind doch von der Polizei oder sollte ich mich da so täuschen?“ ― Der andere lachte trocken. ― „Ihr Scharfblick ist bemerkenswert! ― Gestatten Sie mir aber eine Gegenfrage! Sind Sie vielleicht Mister Steve Benson?“ ― „Ich kann’s nicht leugnen!“, entgegnete der nicht ohne Ironie. „Haben Sie was für mich?“ ― „Ja, ‘n Haftbefehl!“, bemerkte der andere und ließ flüchtig und drohend seinen Dienstrevolver sehen. ― „Machen Sie keine Haxen und kommen Sie gleich mit! ― Inspektor Crawley erwartet Sie schon!“ ― „Ich fürchte, die Geschichte könnte Ihnen ‘n bösen Ärger machen!“, warnte Benson. „Sie wissen ja: Freiheitsberaubung und so! ― Ich habe nichts getan!“ „Das wird sich ja zeigen, wenn wir im Yard sitzen und uns gemütlich über die Sache unterhalten! ― Und jetzt vorwärts!“ ― Damit schob er Benson in einen am Bordstein wartenden Wagen und hieß den Fahrer starten. ― „Also dann erzählen Sie mal, lieber Benson, was Sie sich da ausgedacht haben! ― Aber treiben Sie’s nicht zu toll! Da werd’ ich nämlich wild!“, sagte Chefinspektor Crawley grimmig zu dem ihm gegenübersitzenden Steve Benson. ― ― 58 ―
Der zuckte wegwerfend die Schultern. ― „Wenn Sie mir sowieso nichts glauben, kann ich ja überhaupt schweigen! ― Ich bin ja wohl als Vorbestrafter nicht mehr glaubwürdig!“ „Na, nun legen Sie mal nicht alles auf die Goldwaage und reden Sie frisch von der Leber weg! ― Aber unbedingte Offenheit bitte ich mir aus!“ ― Und da erzählte Benson alles, was ihm begegnet war. Von jenem Abend auf der London-Bridge bis zu dem heute nachmittag erhaltenen Auftrag, die im Kundenbuch bezeichneten Stellen aufzusuchen und überall das abzuliefern, was daneben stand. ― „Sie empfingen also Ihre Direktiven jeweils von Mister Leslie Samson von der „Quick-Auskunftei“? Wann waren Sie das letztemal bei ihm?“ ― „Heute nachmittag um 15.00 Uhr!“ „Und vorhin hat ihn Hill aus seinem eigenen Keller befreit, wie Smith mir sagte, der Hill den Wagen brachte!“, wandte er sich kopfschüttelnd an Webbs. „Da muß er also in der Zwischenzeit von diesem Mister Atkins überrumpelt worden sein! ― Das spricht ja wohl am sichersten dafür, daß Samson mit der ganzen Sache nichts zu tun haben kann, denn er war bereits im Keller, als Atkins Bob Hill erst nach unten schaffte! ― Na, wir werden ja sehen! ― Hill wollte anrufen, wenn er den Kerl gefaßt hatte! ― Machen wir’s uns derweile gemütlich!“ ― Er bot Webbs eine Zigarre an und vergaß auch den jetzt doch ein wenig bedrückten Benson nicht. ― Bob Hill ließ seinen Wagen am Bande des Flugplatzes in Croydon stehen und ließ sich mit einem Auto der Platz― 59 ―
kommandantur zum Startfeld der Personenflugzeuge fahren. ― Angekommen, blieb er eine ganze Weile sitzen und beobachtete, vorsichtig in die Polster zurückgelegt, die auf die gerade freigegebene Maschine zuströmenden Passagiere. ― Soeben kam noch eine Taxe in rascher Fahrt heran und hielt nicht weit von Hills Wagen. Ihr entstieg Mister Leslie Samson. ― Er sah sich suchend um. Der Detektiv schüttelte verblüfft den Kopf. ― Sowas! ― Als er aber bemerkte, daß der Auskunfteibesitzer plötzlich auf die Maschine zuging, sprang er hastig aus dem Wagen. ― Im Laufen entsicherte er seinen Revolver. ― Die umstehenden Menschen wichen erschreckt zur Seite. ― Samson setzte unbeirrt seinen Weg fort. ― Chefinspektor Crawley drückte soeben seine Zigarre aus, als plötzlich die Türe aufflog. ― „Darf ich bitten, verehrter Mister!“, ertönte die Stimme Bob Hills. ― Vor ihm betrat mit erhobenen Händen Mister Atkins den Raum. ― Auch jetzt trug er wieder den unvermeidlichen Schlapphut und die überdimensionale Hornbrille. ― Als er Steve Benson vor dem Schreibtisch sitzen sah, schoß er ihm einen Blick unsagbarer Wut zu. ― „Hast Du doch versagt, Du armseliger Narr mit dem zarten Gewissen?“ ― Der Chauffeur knirschte mit den Zähnen. ― „Verdammter Hund, heimtückischer! ― Mir was von Vertretung vorzureden und harmlosen Menschen den Tod bringen. Stückweise müßte man den Satan zerreißen! Und ich Esel hab’ das alles geglaubt!“ ― Er war drauf und dran, dem höhnisch grinsenden Gangster an die Kehle zu ― 60 ―
fahren. ― Crawley legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. ― „Immer ruhig Blut, junger Mann! ― Wir haben auch noch ‘n Wörtchen mitzureden! ― Webbs, legen Sie unserem Besuch die Manschetten an. Ist besser so!“ ― Der Inspektor tat wie ihm geheißen. ― „Ihr habt wohl Angst vor mir?“, höhnte Atkins und musterte die Beamten mit geringschätzigen Blicken. „Nun halt’ mal gefälligst die Luft an, „quiet Loon“!“, ließ sich da drohend Bob Hill vernehmen. „Sonst unterhalten wir uns auf andere Weise! ― Aber dafür nehme ich Dir solange die Manschetten wieder ab. ― Kennst ja meine Handschrift!“ Der Verbrecher warf dem Detektiv einen tückischen Blick zu, schwieg aber tatsächlich. ― Dazu mochte er wohl seinen Grund haben. ― Crawley bemühte sich, geistreich dreinzuschauen, als er fragte: „Was sagten Sie da, Mister Hill? ― „Quiet Loon“? Das wäre also demnach Loon Spencer, der erst vor einigen Tagen aus Dartmoor entlassen wurde!“ ― „Genau der!“, bestätigte HUI nickend. ― „Ja, wie sieht der Kerl denn aus? Den kennt man ja gar nicht wieder!“ „Ich glaube, es ist am besten, wenn ich ihnen die Sache von Anfang an erzähle! ― Spencer wurde, wie Sie alle wissen, Ende der vorigen Woche aus Dartmoor entlassen! ― Es läßt sich denken, daß ein Mensch nach 15 Jahren Zuchthaus allerhand von seinem früheren Fett verloren hat. ― So kam auch Spencer, wenn nicht gerade schlank wie eine Tanne, so doch ziemlich mager wieder ans Tageslicht. ― Das erste, was er tat, war ein Besuch bei Danny Pres― 61 ―
cott, der damals vor 15 Jahren von ihm einen versiegelten Briefumschlag bekam, den er bis zu seiner Freilassung aufbewahren sollte. ― Er enthielt ganze 50 000 Pfund vom letzten Ding her, daß Loon gedreht hatte und die Aufzeichnungen über ein neues Gas, das völlig geruchlos war. Loon hatte es anläßlich eines Einbruches in das Labor der Eastern Chemical-Corporation mitgehen heißen. Da es im Tresor lagerte, hielt er es in richtiger Überlegung für wertvoll genug, um später einmal Kapital daraus zu schlagen. ― Prescott aber war inzwischen neugierig geworden und hatte sich für den Inhalt besagten Kuverts interessiert. Die schönen Pfunde konnte er damals äußerst gut gebrauchen. Die Formeln allerdings wußte er für’s Erste nicht zu verwerten. ― Er beschloß also, dem ehemaligen Komplicen und Bandenchef nach seiner Entlassung bedauernd zu eröffnen, daß ihm der ganze Kram abhanden gekommen sei. ― Es war sein Pech, daß Loon ihm das nicht glaubte. ― Er kannte wohl seine Pappenheimer. ― Dummerweise hing Dannys Jacke, in deren Taschen er die Legitimation und den Schlüssel der City-Bank verwahrte, an der Türe und so konnte unser Freund Spencer, der in dieser Beziehung keine Hemmungen, wohl aber eine gute Nase hatte, alsbald feststellen, daß der frühere Kamerad ihn genasführt und sein Eigentum einige Tage vor seiner Entlassung in besagter City-Bank deponierte, um es vor zufälliger Auffindung zu schützen. ― Er nahm beides an sich und verschwand mit der finsteren Drohung, ihm bei nächster Gelegenheit für die Schofligkeit das Lebenslicht auszupusten. ― Dann ging er zu einem seiner vielen Depots, die er wie jeder Gangster für die Zeit nach seiner Haft eingerichtet hatte, ― 62 ―
und versah sich dort mit Geld, damit er die Pläne, die er inzwischen aus dem Fach in der City-Bank holte, praktisch verwerten konnte. ― Zur besseren Erreichung dieses Zieles ließ er sich seine pechschwarzen Haare ― die übrigens inzwischen ein wenig grau wurden ― restlos abschneiden und den Kopf sodann fein säuberlich rasieren. ― Dann noch eine große Hornbrille und Mr. Atkins, den niemand kennen konnte, war geboren. ― Danny Prescott sann inzwischen auf Rettung und da er Loon nur in der alten Gestalt wiedergesehen hatte, reifte in ihm der Plan, in seiner Maske einen Bankraub auszuführen, damit man ihn gleich wieder verhaften müsse. Das gelang alles ganz schön, hatte aber nur den Nachteil, daß ein Mann dieses Aussehens in ganz London nicht mehr zu finden war. Es gab nur noch einen Mr. Atkins und der war Behörden und Gangsterin unbekannt. ― Inzwischen ging dieser auf die Suche nach einer passenden Operationsbasis für die kleinen Scherze, die er mit gewissen Leuten vorhatte.“ ― „Das Tatmotiv war ganz einfach das: Loon Spencer hatte damals das Pech, gefaßt zu werden, als er mit seiner Bande ― unter anderem Prescott und Thomas Eimer, der sich im Laufe dieser 15 Jahre schnell zum Geschäftsmann entwickelt hatte ― die Howard-Bank mit seinem Besuch beehrte. Dieser Besuch kostete unvorhergesehenerweise dem Kassierer, der nicht schnell genug reagierte, das Leben. ― Sir David Burleigh im „Old Bailey“ kam daher aufgrund von Zeugenaussagen zu der Überzeugung, daß Loon wegen Mordes angeklagt werden müsse. ― Die Zeugen aber waren einmal Lady Granstone, die sich zur Zeit des Überfalles als Kundin vor dem Depositenschalter befand, dann Mister ― 63 ―
Lionel Stoke, der ebenfalls dort stand und schließlich Thomas Eimer, der sich auf diese Weise Straffreiheit verschaffen wollte. ― Trotz und alledem aber war Loon Spencer, der zudem einen sehr guten Rechtsanwalt hatte, ein vorsätzlicher Mord nicht nachzuweisen. Immerhin langte es zu einem Totschlag. Dies in Verbindung mit den anderen Kleinigkeiten, die man ihm zur Last legte, verschafften ihm dann die 15 Jahre Dartmoor. ― Während dieser Zeit ernährte sich Loon buchstäblich von Rachegedanken. Er wollte alle die Leute, die ihm seiner Ansicht nach 15 Jahre seines Lebens gestohlen hatten, nach seiner Freilassung zum Teufel schicken. ― Prescott, der ihn bestohlen hatte, ging dabei so nebenher mit. ― Um nun aber auf die besagte Operationsbasis zurückzukommen, muß gesagt werden, daß Loon oder jetzt Mister Atkins mit Leslie Samson Verbindung aufnahm, dem er sich unter der Maske des biederen Geschäftsmannes näherte. Er hatte es verstanden, sich eine Legitimation der Firma Wells zu verschaffen und trat daher als deren Bevollmächtigter auf. ― Beim ersten Besuch glaubte ihm Samson. Dann aber schöpfte er Verdacht und sagte ihm auf den Kopf zu, daß er irgendwelche lichtscheuen Dinge plane. ― Das war für Loon Spencer der Anlaß, den Besitzer der „Quick-Auskunftei“ kurzerhand in seinem eigenen Keller verschwinden zu lassen und vorübergehend seinen Platz und seine Person anzunehmen. Da beide ungefähr die gleiche Größe hatten, fiel das nicht schwer. Mit Perücken und Bärten wußte Loon von jeher gut umzugehen. ― Das weitere ergab sich dann beinahe von selbst. ― Da er selbst nicht in Erscheinung zu treten gedachte, ging er auf die Su― 64 ―
che nach einem passenden Mann und fand ihn schließlich per Zufall in Steve Benson auf der London-Bridge. ― Das Weitere wissen Sie von Benson, denke ich!“ ― Der Chefinspektor tat einen tiefen Seufzer. ― „Mister Hill, wie haben Sie das alles herausbekommen?“ ― Der Detektiv lächelte und es sah fast ein wenig grausam aus. ― „Ich wußte von Spencer selbst, daß er England mittels Flugzeug verlassen wollte, wenn sein Rachewerk vollendet war. Darum ließ ich mir, kaum daß ich aus Samsons Keller mitsamt dem Hausherrn wieder ans Tageslicht gekommen war, meinen Wagen kommen und fuhr nach London zum Flughafen. ― Ich stand einige Minuten am Startfeld und beobachtete die Passagiere, um gegebenenfalls Spencer nicht zu übersehen, als ich plötzlich eine Taxe neben mir halten sah, der Mister Samson entstieg. Auch er schien sich für die Passagiere zu interessieren. ― Als er aber dann plötzlich auf irgendjemand zuging, sprang ich schleunigst aus dem Wagen. Ich konnte mir schon denken, was er vorhatte. Und so wie ich es vermutete, so war es. Er ging schnurstracks auf unseren Freund Atkins zu, um ihn mit nichts als einem winzig kleinen Revolver, den er kurz zuvor nur für den äußersten Notfall von mir bekommen hatte, zu stellen. Das hätte böse ausgehen können. ― Er war denn auch drauf und dran, den von seiner mehrtägigen Haft ziemlich geschwächten Samson einfach unters Kinn zu schlagen, als ich ihm unversehens die Kanone unter die Nase halten konnte. Zwar wollte er ausreißen, aber ich habe ihn dann doch überredet, mitzukommen!“ ― ― 65 ―
„Ja, aber sagen Sie mir eines, Mister Hill!“, sagte Crawley und fuhr sich dabei in komischer Verzweiflung durch das Haar. „Wieso hatten Sie denn überhaupt eine Vermutung? Ich habe nicht einmal auch nur die Spur eines schwachen Verdachtes gehabt!“ „Auch das war eine ziemlich naheliegende Überlegung! ― Ich habe mir die vier Personen, die einen Drohbrief bekamen, daraufhin angesehen, wo und wann Sie wohl einmal mit einem Angehörigen der ehrsamen Gangsterzunft zusammengekommen sein konnten. Und bei Lady Granstone und Mister Stoke war das nur einmal geschehen und zwar bei dem Prozeß, den man Loon Spencer vor 15 Jahren machte. ― Das weitere war dann nicht allzuschwer festzustellen, ― Thomas Eimer, der sich wahrscheinlich durchaus nicht traute, mit seinem Drohbrief zur Polizei zu gehen, da er wieder einiges am Stecken hatte, fiel mir in diesem Zusammenhang ebenfalls in den Akten auf, die ich mir zu diesem Zweck von Sir David Burleigh erbeten hatte, und daher verwunderte es mich so wenig, als Sie mich anriefen und mir mitteilten, daß auch er hinübergegangen sei.“ ― „Und wie, Mister Hill, kamen Sie darauf, daß Eimer mit Gas ermordet wurde?“ „Per Zufall. Ich studierte die Zeitungen von vor 15 Jahren, um vielleicht noch einen Anhaltspunkt zu der ganzen Sache zu finden. Und ich fand! ― Bei der Eastern Chemical-Corporation hatte jemand den Tresor ausgeräumt und bei dieser Gelegenheit auch die Pläne zu einem neuen Gas mitgehen heißen. ― So ähnlich schrieb der Polizeibericht und stellte am Schluß fest, daß vom Täter jede Spur fehle. ― Ich dachte nach und stolperte immer wieder über das ― 66 ―
geheimnisvolle Depotfach Nr. 2712. ― Da im Verlaufe dieser ganzen Sache Loon Spencer, wenn auch nur seine Maske, in Erscheinung trat, trieb meine Phantasie wieder einmal reiche Blüten. ― Sie kennen das ja, Mister Crawley. ― Aber diesmal sollte ich tatsächlich recht behalten. Ich sagte das alles Loon Spencer auf den Kopf zu und nach einigem Hin und Her gestand er die ganze Sache ein und erzählte mir noch einiges dazu, was ich noch garnicht wußte. ― So, und nun, meine Herren, bitte ich, mich zu entschuldigen! ― Meine Haushälterin hat mir für heute abend mein Leibgericht versprochen und ich möchte es mit der Guten nicht verderben! ― Bye bye, Gentlemen!“ ― Als der Detektiv den Raum verließ, tat Loon Spencer einen lästerlichen Fluch. Er sah in diesem Augenblick einem Mephisto ähnlicher denn je. ― Ende
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Meisterdetektiv BOB HILL Jeder Band ein abgeschlossener Roman Bereits erschienen: Band 1 „ 2 „ 3 „ 4 „ 5 „ 6 „ 7
Geheimbund XP 3 Der Maskierte Der grüne Tod Männer ohne Gnade Fünf Minuten vor Zwölf Die tote Stadt Pakt mit dem Teufel
In Vorbereitung: Band 8 „ 9 „ 10 „ 11 „ 12 „ 13 „ 14 „ 15 „ 16 „ 17 „ 18 „ 19 „ 20
Mac Hunter blufft New York Kongreß der Taschendiebe Der Allwissende Die Gespensterabteilung Die Maske aus Menschenhaut Ein Toter mordet Der Maschinenmensch Dr. Hopkins schlägt Alarm Hotelratten am Werk RS 1 „Atlantis“ Lamare will sich rächen Die Bande vom Strick Der Diamantenkönig
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