In jeder Generation gibt es nur eine Jägerin... Nach einer wilden Schießerei ist Sunnydale wie gelähmt. Was könnte dies...
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In jeder Generation gibt es nur eine Jägerin... Nach einer wilden Schießerei ist Sunnydale wie gelähmt. Was könnte diese bestialische Tat ausgelöst haben? Buffy Summers kann es sich denken. Wenn die Jägerin ihren prophetischen Träumen Glauben schenken kann, dann handelt es sich dieses Mal um eine besonders hinterlistige dunkle Macht. Während die Polizei mal wieder falschen Fährten nachgeht, begeben sich Buffy und ihre Freunde selbst auf die Suche nach möglichen paranormalen Ursachen. Die Einwohner von Sunnydale reagieren immer unberechenbarer auf die wachsende Anspannung, der sie ausgesetzt sind. Die Jägerin entgeht bei ihren Nachforschungen knapp dem Anschlag durch einen äußerst gut trainierten Vampir, der bis jetzt jeden Jäger umgebracht hat, der sich ihm in den Weg stellte. Steckt diese uralte Kreatur hinter der neuesten Welle des Bösen? Oder gibt es da noch eine andere Quelle... ganz in Buffys Nähe?
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Nancy Holder
Der Pakt mit dem Bösen Aus dem Amerikanischen von Lynn Vetter
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Buffy – Im Bann der Dämonen. – Köln: vgs Der Pakt mit dem Bösen / Nancy Holder. Aus dem Amerikan. von Lynn Vetter. – 1. Aufl. – 2002 ISBN 3-8025-2852-2
Das Buch »Buffy – Im Bann der Dämonen. Der Pakt mit dem Bösen.« entstand nach der gleichnamigen Fernsehserie (Orig.: Buffy, The Vampire Slayer) von Joss Whedon, ausgestrahlt bei ProSieben. © des ProSieben-Titel-Logos mit freundlicher Genehmigung der ProSieben Televisions GmbH Erstveröffentlichung bei Pocket Books, eine Unternehmensgruppe von Simon & Schuster, New York 2000. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Buffy, The Vampire Slayer. The Evil that Men Do. ™ und © 2000 by Twentieth Century Fox Film Corporation. All Rights Reserved. 1. Auflage 2002 © der deutschsprachigen Ausgabe: Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: Sens, Köln Titelfoto: © Twentieth Century Fox Film Corporation 2000 Satz: Kalle Giese, Overath Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2852-2
Besuchen Sie unsere Homepage im WWW: http://www.vgs.de 4
Prolog Höllenfeuer... Der Friedhof ging in Flammen auf, während die Kreatur durch die Luft schnellte und ihren Fuß gegen Buffys Brustkorb schlug. Buffy wurde gegen eine Mauer geschleudert und schrie vor Schmerz auf. Für einen Augenblick dachte sie, ihr Herz würde explodieren. Sie bekam keine Luft mehr. Aber wenn sie überleben wollte, durfte sie dem Schmerz keine Beachtung schenken. Das Gesicht des Angreifers war unter einer Kapuze verborgen und er war entschlossen sie zu töten – dessen war sie sich ziemlich sicher. Die Jägerin kam nicht zum Luft holen, geschweige denn zum Nachdenken, weil sie instinktiv die Schläge abwehrte, die wie ein harter Regen auf sie niederprasselten. Zuerst zielten sie auf ihr Gesicht, dann auf ihren Oberkörper, ihre Hüften und sogar ihre Kniescheiben. Die Schläge und Tritte kamen schnell und hart. Buffy kämpfte mit jedem Trick aus dem Repertoire einer Jägerin – stieß sich von der Wand ab, wirbelte durch die Luft und landete einen erstklassigen Fußtritt, der den gesichtslosen Gegner an der Kehle erwischte. Sie trieb einen doppelten Fauststoß in den Solarplexus des Angreifers und rammte ihm die Finger zwischen die Rippen. Doch nichts davon schien ihren Gegner sonderlich zu beeindrucken. Denn schon griff er erneut an und stieß Buffy ohne Anstrengung die Faust in den Unterleib. Buffy überschlug sich, konnte jedoch noch einen ordentlichen Schlag auf den Kopf landen. So ging es etwa fünf Minuten hin und her – vielleicht waren es auch fünf Stunden.
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Buffy war zwar zu Tode erschöpft, begann sich aber an diesen merkwürdigen Kampfstil zu gewöhnen. Mit der offenen Hand wehrte sie einen Schlag ab, der auf ihren Kiefer zielte. Es gelang ihr, das Kinn ihres Gegners zu packen und mit der Faust nachzusetzen. Trotzdem konnte sie die Gesichtszüge ihres Gegenübers noch immer nicht erkennen. Die Kreatur landete noch immer zu viele Treffer. Der Schweiß lief Buffy über Gesicht und Arme, während sie die tödliche Bedrohung abzuwehren versuchte. Die brütende Hitze auf dem Friedhof raubte ihr jegliche Kraft. Bäume fingen Feuer, und der Boden zeigte Anzeichen von Schwelbrand. Aus den Grabmälern stieg Rauch, während sie zischend auseinander brachen. Es war die Hölle. Doch damit kannte sich Buffy aus. Während sie sich um die eigene Achse drehte und mit ihrer soliden Fußtechnik den Kopf des Angreifers erneut erwischte, kam plötzlich ein heftiger Wind auf. Zweige brachen und fielen Funken stiebend zu Boden. Augenblicklich stand der Umhang ihres Gegners in Flammen. Doch das schien ihn überhaupt nicht zu stören. Buffy nutzte den Augenblick, um sich auf den gesichtslosen Körper zu stürzen und ihn zu Boden zu werfen. Er wehrte sich nicht. Buffys Haut warf Blasen, während sie nach dem dunklen Stoff griff, der das Gesicht des Angreifers bedeckte. Sie riss ihm die Maske herunter. Dann war die Gestalt plötzlich verschwunden. »He!«, rief Buffy und wirbelte herum. Auf der anderen Seite des Friedhofs – der jetzt totenstill war und auch nicht mehr brannte – stand ihr Gegner, eingehüllt in das Licht einer surrealen, schwarzen Flamme. Langsam öffnete er den Umhang, der seine Brust bedeckt hatte. In einem Hohlraum darunter schlug ein menschliches Herz. »Hier lebt das Böse«, flüsterte die Gestalt. 6
Dann trat sie aus dem Flammenring und zeigte Buffy ihr Gesicht. Buffy hielt die Luft an. Ihr eigenes Gesicht starrte sie an. Die Augen waren zusammengekniffen, die Lippen schmal und grausam. Auch das Lachen klang wie ihres – denn lachend verschwand die Gestalt im Dunkeln. Ein heißer Sommerwind peitschte durch die Straßen von Sunnydale. Buffy Summers träumte. Sie stöhnte im Schlaf und hielt sich schützend den Arm vors Gesicht. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Die Pinien vor dem Haus ächzten unter der Macht des Sturms. Ihre Zweige schlugen gegen das offene Fenster. Vielleicht war es nicht klug für jemanden wie Buffy, der unzählige Feinde hatte, von denen einige fliegen, aber alle mit Sicherheit eine Leiter an das zweigeschossige Haus am Revelleo Drive stellen konnten, bei offenem Fenster zu schlafen. Doch Buffy vertraute ihren Instinkten. Sie war die Auserwählte, sie hatte den Kampf gegen Dämonen, Vampire und die Mächte der Finsternis aufgenommen. Ihr Wächter, Giles, trainierte sie für diese Aufgabe, als hinge ihr Leben davon ab. Und so war es ja auch. Die meisten Jägerinnen hatten ein verdammt kurzes Leben. Buffy selbst hatte eine gute Freundin begraben müssen, die ebenfalls Jägerin gewesen war: Kendra. Kendra war gerufen worden, weil es dem Meister, Buffys erstem Gegner, als sie in Sunnydale ankam, tatsächlich gelungen war, Buffy zu töten – zumindest für kurze Zeit. Der Tod war inzwischen ein wichtiger Teil ihres Leben – so wie das Böse.
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Und die Gestalt mit der Kapuze war das Böse, sehr real und sehr nah. Es spielte keine Rolle, dass sie nur in ihrem Traum aufgetaucht war. Denn die Träume der Jägerin waren keine Fantasien. Sie konnten die Zukunft zeigen, die Gegenwart enthüllen oder Vergangenes klären. Obwohl Buffy bemerkte, dass sie träumte, streckte sie die Fäuste in die Luft und brachte ihren Körper in Kampfposition, bereit sich zu verteidigen. Denn das, was in ihren Träumen passierte, konnte sie tatsächlich verletzen. Wie auch sie ihre Gegner tatsächlich verletzen konnte. Sie lauschte auf ungewöhnliche Geräusche in der Stille der Nacht. Der Wind blies heftig und es hörte sich an, als stünde sie mitten in einer Brandung. Buffys Herzschlag begann zu rasen. Hier lebt das Böse. Buffy zuckte zusammen. Was sollte das bedeuten? Dass jeder auch Böses in seinem Herzen trug? Das war nichts Neues. Selbst Buffy hatte ihre dunklen Geheimnisse, auf die sie nicht gerade stolz war. Man konnte nicht jede Nacht mit den Wölfen heulen, ohne dass sich etwas von ihrer Dunkelheit in die eigene Seele schlich. Das war der Preis, den sie zahlen musste. Es war der Preis dafür, überleben zu können. Sie schaute sich im Zimmer um. Ihr Blick streifte die Schirme, Schmetterlinge und die Plüschtiere, aber sie entdeckte nichts Ungewöhnliches. Dennoch blieb sie wachsam. Der Traum war so real gewesen. Obwohl Buffys Träume oft so waren – fast immer! Angespannt und wachsam wie sie war, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn und stand auf. Sie trug ein weißes Top mit Spagetti-Trägern und seidene Boxershorts, die ihre Mutter aus der Geschenk-Boutique der Galerie mitgebracht hatte. Sie zeigten schwarze und blaue Kreise, umgeben von gelben 8
Sternen. Das Design nannte sich Sternenklare Nacht und der wahnsinnige Designer hatte sich ein Ohr abgeschnitten. Manche Leute waren eben vielseitig. Wie Buffy. Sie lächelte zaghaft, während sie zur Tür hinüberschlich. Sie konnte kämpfen, und jetzt konnte sie sogar Salsa tanzen, dank Oz – ausgerechnet. Oz, mit seinen Bowling-Shirts und seiner coolen Band, der wie sie ein Geheimnis hatte. Schließlich war er ein Werwolf. Aber auch ein hervorragender Tänzer. Doch sie schweifte ab. Sie musste sich mit dem Traum beschäftigten. Giles wollte, dass sie ihre Träume niederschrieb, aber das würde zu lange dauern, und außerdem erinnerte sie sich immer genau an jedes Detail. Im Augenblick ging es vor allem darum herauszufinden, ob ein Buffy-Zwilling mit Kapuze und heraushängendem Herzen irgendwo hier im Haus herumschlich. Da! Am Ende des Korridors stand eine reglose Gestalt. Buffy stürzte sich auf sie, bereit sie niederzuschlagen, als sie auf halbem Wege begriff, dass es ihre Mutter war, die doch sehr verängstigt und sehr verschlafen wirkte. »Liebling?«, brachte sie mühsam hervor. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?« Buffy schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht schlafen.« »Oh.« Ihre Mutter sah immer noch verängstigt aus, aber schon weniger verschlafen. »Und deshalb wolltest du mich angreifen?« »Nicht dich«, platzte Buffy heraus, dann zuckte sie die Schultern und musste unwillkürlich lachen. »Es sind nur meine Dämonen.« Insider-Joke für Jägerinnen. »Was eigentlich«, fügte sie schnell hinzu, als ihre Mutter sie fragend anschaute, »nicht zum Lachen ist.« Joyce zuckte zusammen. »Haben wir einen Dämon im Haus, Buffy?«
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Einen Moment lang dachte Buffy schuldbewusst, sie meinte Angel. Dann sah sie, dass ihre Mutter lediglich verwirrt war, also schüttelte sie ernst den Kopf. »Nein, Mom. Es ist alles in Ordnung. Geh wieder ins Bett.« Joyce reckte den Hals. »Was machst du jetzt?« Buffy lächelte unschuldig. »Angriff. Das Opfer ist der Rest dieser Cherry-Garcia-Eiskrem.« »Nicht, wenn ich zuerst am Kühlschrank bin«, gab Joyce zurück. Sie schoss an Buffy vorbei und lief den Flur hinunter. »Mom!«, rief Buffy und rannte ihr nach. Sie war die Jägerin. Sie hätte ihre Mutter leicht überholen können. Es gab keinen Menschen, den sie nicht in einem Wettlauf besiegen konnte. Aber sie zögerte und keuchte auf dem ganzen Weg zur Küche, um ihrer Mutter den Vortritt zu lassen. Buffy erreichte die Küche, als Joyce zwei Schalen und Löffel aus dem Schrank holte, und den Preis natürlich – die halb volle Schachtel mit Cherry-Garcia-Eis. Buffy setzte sich an den Tisch und beobachtete, wie ihre Mutter das Eis in die Schalen füllte. Plötzlich wurde sie von dem Wunsch überwältigt, mehr von diesem normalen, einfachen Leben zu haben: Tochter und Mutter essen in der Küche Eis. »Ich habe nachgedacht, Buffy«, sagte ihre Mutter ernst. »Ja?«, krächzte Buffy und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Von jetzt an... kaufen wir«, sie drehte sich mit einer dramatischen Geste herum, »kaufen wir die großen Packungen. Die kleinen sind für Weicheier und wir sind keine Weicheier.« »Nein, das sind wir nicht.« Buffy reckte ihr Kinn. »In diesem Haus gibt es definitiv keine Weicheier.« »Und«, Joyce widmete sich wieder der Eiskrem. Ihr Gesicht war abgewandt, als sie unsicher fragte, »und du bist sicher, dass alles in Ordnung ist?« »Absolut«, antwortete Buffy. 10
Am Morgen würde sie Giles von ihrem Traum erzählen müssen. Denn leider hatte Buffy das dumme Gefühl, dass die Dinge absolut nicht in Ordnung waren. Aber damit würde sie ihre Mutter morgens um halb vier nicht belasten. Wenn überhaupt. Helen schlich mit einer Kerze in der Hand die dunklen Straßen hinunter. Julian wusste nicht, ob sie bemerkt hatte, dass er ihr folgte. Nichts verriet es ihm. Sie schlief kaum. Getrieben von dem Grauenvollen, das er ihr angetan hatte. Julian wünschte, er könnte mehr Bedauern empfinden für das, was er damals hatte tun müssen. Besessen davon, eine Jägerin nach der anderen zu töten, hatte Helen sie beide zur Zielscheibe gemacht. Denn es war die Aufgabe einer Jägerin, den Tod ihrer Vorgängerin zu rächen. Und das galt über Jahrhunderte hinweg. Der Wahnsinn, der daraufhin folgte, war... nun, unglücklich. Er wünschte sich ein Herz, das darüber hätte traurig sein können. Sie enthüllte einen langen, gefährlichen Dolch. Er wusste, was kommen würde. Sein eigener Durst nach Blut wuchs und verlangte, gestillt zu werden. Sie beide waren Kreaturen, die ein gewalttätiges und hemmungsloses Zeitalter hervorgebracht hatte – das Römische Imperium – und seine Vorliebe für die Gladiatorenspiele hatte ihn nie verlassen. Ein Geschöpf zu sehen, das sich vor Schmerzen wand, zu wissen, dass sein Leben an einem seidenen Faden hing, den er durchtrennen konnte... es gab kein größeres Vergnügen. Außer dem einen...
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»Jägerin«, zischte Helen. Der Dolch glitzerte im Licht der Kerze. Im Dunkeln hörte man jemanden leise wimmern. Helen lachte in sich hinein, das tiefe, harte Lachen der Wahnsinnigen und der Verdammten, und hielt die Klinge in die Flamme der Kerze. »Jägerin, ich komme, um dich herauszufordern.« »Ich... ich... Lady, ich bin keine Jägerin«, näselte die Stimme. Das kleine Mädchen würde ihr siebtes Opfer sein, seitdem sie beide diese Stadt betreten hatten. In zwei Wochen mussten es achtzehn sein. Sieben war eine magische Zahl, die erste Forderung, um mit der Verwandlung beginnen zu können. Dann folgte die Elf und zuletzt die Achtzehn, um in der entscheidenden Nacht – der Vollmond-Nacht – die Göttin Meter heraufzubeschwören. »Du bist die Jägerin und du wirst sterben für deinen Verrat«, flüsterte Helen. Sie näherte sich der Stimme. »Aber zuerst wirst du leiden. Furchtbar leiden.« Julian lächelte erwartungsvoll. »Diesen ersten Schnitt widme ich Angelus«, flüsterte sie. Zorn stieg in ihm auf. Obwohl er sich sagte, dass die Anwesenheit von Angelus in dieser Stadt, in der auch die Jägerin lebte, nur ein Zufall war. Dass es aber den Göttern gefallen hatte, die Urne des Caligula an diesen Ort zu bringen, war allerdings ein Umstand, den er und Helen nicht ignorieren konnten. Und dass die Sterne beim nächsten Vollmond in der richtigen Position stehen würden, war in der Tat ein Zeichen. Wenn sie die Riten korrekt ausführen würden, bekämen sie genügend Macht, um die Welt zu beherrschen. Was Angelus betraf... das war eine völlig andere Geschichte. Er wusste, dass Angelus sich verändert hatte, aber er wusste nicht, ob Helen von der Veränderung begeistert sein würde.
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Jedenfalls war er entschlossen, Angelus bei der nächsten Gelegenheit zu töten. Ein Schrei. Julian hatte hunderte von Helens Opfern schreien hören. Tausende. Darunter auch unzählige Jägerinnen. Jägerinnen waren ihre Leidenschaft. Sie war sehr erfinderisch gewesen und hatte sie auf verschiedene Weise getötet: Foltern, Verhungern und Erfrieren lassen oder Ertränken – um nur einige zu nennen. »Bitte um dein Leben, Auserwählte!«, rief Helen. »Auf die Knie!« »Bitte, Lady, bitte!« Julian ging zu Helen hinüber und legte seinen Arm um ihre Taille. Seine Geliebte war groß und stark. Ihr langes dichtes Haar floss den Rücken herab bis zur Hüfte. Sie trug eine Toga aus feinem Tuch, die sie hervorragend kleidete und nichts der Fantasie überließ. Nach all diesen Jahrhunderten begehrte er sie noch immer. Sie glich einer Göttin, die sie auch schon bald sein würde, wenn alles planmäßig verlief. »Meine Geliebte«, wisperte er. Das Mädchen in der Zelle hatte einmal sehr hübsch ausgesehen. Jetzt war ihre Nase gebrochen und ein paar Zähne fehlten. »Mister, helfen Sie mir«, weinte sie und kauerte sich in eine Ecke, als Helen den Dolch abermals ins Feuer hielt. »Ich hatte einen Traum, Julian«, sagte Helen und ließ dabei ihr Opfer nicht aus den Augen. »Ich sah sie vor mir, diese junge Jägerin, voller Kraft.« »Eine Jägerin ist ein besonderes Geschöpf, das vom Schicksal für eine besondere Aufgabe ausgewählt wurde. Eine Göttin auf Erden, zum Segen der Menschheit«, ergänzte Julian. »Eine Jägerin ist eine Lüge.« »Du hast Recht, mein Liebling.« Es würde nichts nützen, ihr zu erklären, dass dieses Kind keine Jägerin war.
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»Der erste Schnitt«, sagte sie, dann drehte sie sich lächelnd um. »Für dich.« Julian fühlte wieder den Zorn in sich aufsteigen, denn er wusste, sie hatte in diesem Augenblick an Angelus gedacht. Aber er verbarg seinen Ärger hinter einem freundlichen Lächeln. »Helen du hast ein großes Herz«, sagte er ernst. »Ein Herz in dem das Böse wohnt«, erwiderte sie und berührte dabei zart sein Gesicht. Dann warf sie dem Mädchen einen Blick zu. »Und schon bald werde ich mir ihr Herz nehmen. Das reine, heilige Herz einer Jägerin. Und unsere dunkle Mutter wird sich erheben, um uns in Götter zu verwandeln.« »Das ist wahr«, lautete seine Antwort.
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1 »Das Leben geht weiter«, dachte Buffy traurig, als Willow Rosenberg von ihrem Computer in der Schulbibliothek aufschaute und das Gesicht verzog. »Noch einer, Buffy«, stöhnte Willow unglücklich. Sie saßen im stickigen Halbdunkel des großen Raums. Die Bücher, die Giles so liebte, waren staubig, da niemand sie jemals auslieh. Nur wenige der Sunnydale-High-Schüler benutzten die Bibliothek, was sie zum idealen Hauptquartier der Jägerin machte. Mit den Jahren war es Buffys zweites Zuhause geworden, obwohl man nicht gerade sagen konnte, dass sie sich an diesem Ort geborgen fühlte. Schließlich hatte sie hier die schrecklichsten Prophezeiungen, Weltuntergangsvisionen und andere schlechte Nachrichten erhalten, die sie lieber aus ihrem Gedächtnis gestrichen hätte. Doch jetzt stand mehr auf dem Spiel. Vor einer Woche hatte Buffy den ersten dieser schrecklichen Träume gehabt. Seitdem träumte sie jede Nacht, und sie fühlte sich entsprechend. Aber das Schlimmste war, dass die Todesrate in Sunnydale in dieser Woche einen deutlichen Anstieg zeigte und die Morde an Brutalität kaum zu übertreffen waren. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie sie dem ein Ende bereiten sollte. Oz, der hinter Willow stand, legte die Hand auf ihre Schulter. Beide starrten auf den Bildschirm, als könnten sie dort die Lösung finden. »Vielleicht möchtest du dieses Fenster lieber nicht öffnen«, sagte Oz und wendete sich Buffy zu. »Hier steht Autopsiefotos.« Willow ließ sich nicht beirren und klickte die Bilder an. Doch dann wurde sie bleich. »Nicht, wenn du dein Frühstück behalten willst.« 15
Sie suchte Oz’ Hand, der sie durch eine sanfte Berührung zu beschwichtigen versuchte. »Buffy, vergiss es!« »Nein. Ich muss es wissen.« Sie stand auf, streckte ihren Körper und machte vorsichtshalber ein paar vertraute Abwehrübungen. »Ich muss wissen, womit ich es zu tun habe.« »Es wird dir gar nichts nützen«, meinte Oz. »Verlass dich auf mich.« Doch als Buffy ihn skeptisch anschaute, machte er Platz. Sie starrte auf den Monitor und versuchte das Würgen zu unterdrücken, aber es schien unmöglich. Ihr Mageninhalt suchte einen Ausgang. Halb bewusstlos tastete sie sich zurück zu ihrem Stuhl. In diesem Augenblick rief Xander ein fröhliches »Wer geht mit zum Lunch?«. Rupert Giles steckte den Kopf aus dem Büro, schaute zu Buffy hinüber und schlug Willow und Oz vor: »Ihr geht am besten schon mal!« Willow antwortete für sie beide. »Wir sind nicht hungrig.« »Trotzdem«, murmelte Oz und nahm sie bei der Hand. Willow schaute ihn verwirrt an. Dann fiel ihr Blick auf Giles und sie begriff. »Ach so. Wir sind schon weg.« Die beiden verschwanden und ließen Buffy mit ihrem Wächter zurück. Der setzte sich auf die Tischkante, faltete die Hände und schaute sie besorgt an. Sie verschränkte abwehrend die Arme über der Brust. »Sie wollen also wieder behaupten, dass ich nicht für diese Morde verantwortlich bin?« »Ja. Und zwar so lange, bis du es glaubst.« Er nickte bestätigend. »Buffy, ich bin wirklich überzeugt, dass diese letzten Verbrechen das Werk eines Verrückten sind. Ein ganz normaler, sterblicher Wahnsinniger. Die Polizei sollte damit fertig werden, meinst du nicht?«
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Als Buffy bitter auflachte, zuckte er die Schultern und begann bedächtig, seine Brille zu polieren. »Giles, das Böse ist das Böse. Es ist mein Job, mich damit zu beschäftigen. Haben Sie diese Bilder gesehen?« »Ja.« Er betrachtete sie. »Du siehst erschöpft aus, Buffy. Es ist gefährlich, sich auf Dinge einzulassen, denen man nicht gewachsen ist. Der Himmel weiß, dass du wirklich genug Verantwortung trägst. Ich möchte, dass du dich da raushältst.« Sie fuhr ihn an: »Giles, wie können Sie nur behaupten, das sei etwas Normales? Das ist unmöglich.« »Trotzdem«, antwortete er. Dann klingelte das Telefon. Als er in sein Büro ging, um den Anruf entgegenzunehmen, beschloss Buffy spontan, sich aus dem Staub zu machen. »Ich bin bei den anderen«, rief sie zu ihm hinüber. Dann war sie schon draußen. Oz und Willow hielten Händchen, und Xander schlenderte hinter ihnen her. Alle freuten sich, sie zu sehen und Buffy entspannte sich etwas. »Willst du reden?«, fragt Willow. Aber Buffy schüttelte den Kopf. »Nein, schon in Ordnung.« Sie schaute jeden einzeln an. »Wirklich.« Die drei schienen nicht überzeugt zu sein. »Okay«, sagte Willow, aber es klang ein wenig verletzt. Die Schule war zu Ende und sie war frei. Sie war erst acht Jahre alt, und sie hatte nicht vor, ihr neues Rad weiter zu bewegen als zum Eingang des Reservoirs. Aber es schien, als sei das glänzende, lavendel- und pinkfarbene Fahrrad so etwas wie ein magisches Pony, das sie überall hinbringen könnte – und sie wollte zum Wasser. Auf einem Metallschildchen vorne am Fahrrad stand Lindsey in erdbeerfarbenen Buchstaben. Die weißen Plastikschlangen wehten im Fahrtwind, während das Mädchen aufgeregt in die Pedale trat. Sie raste am Tor vorbei und winkte Mr. Bitterman 17
zu, dem Mann, der dort arbeitete. Er und seine Frau kannten Mama und Papa von der Kirche. Ihr Vater meinte, sie würden nicht besonders gut miteinander auskommen. »Hallo Lindsey, hast du ein neues Rad?«, fragte er. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Yep!« Sie schleuderte leicht bei dem Versuch zu bremsen, konnte das Rad gerade noch mit dem Fuß halten, damit es nicht hinfiel. Dann klappte sie sachgemäß den Ständer herunter und stellte das Rad ab. Als sie sich dem kleinen Gebäude näherte, in dem die Toiletten waren, kam der Mann hastig zu ihr herüber und sagte: »Die Toiletten sind heute geschlossen. Es gab eine Reparatur.« »Oh«, machte sie nur. Bitterman lachte in sich hinein und verschränkte die Arme vor der Brust, während er beobachtete, wie sie zum Wasser hinunter schlenderte und über Steine und Schilfgras stieg. »Es wird dunkel«, sagte er. »Du solltest nach Hause gehen.« »Ich bleibe nicht lange«, erwiderte sie, aber schließlich war er ein Erwachsener und sie konnte nicht einfach ignorieren, was er sagte. »Nun mach schon, Kleine.« Er lächelte ihr zu und ging hinüber zu den Toiletten. Sie wollte gerade gehen, als sich vor ihr im Wasser etwas in der Nachmittagssonne spiegelte. Sie bückte sich und entdeckte eine hübsche, kleine, funkelnde Flasche, die sie mühelos aus dem seichten Wasser zog. Lindsey inspizierte sie. Sie war nicht ganz leer. Irgendeine blaue Flüssigkeit war darin. Vielleicht ist es Parfüm. Sie öffnete den Verschluss. Beeil dich, die Sonne geht unter. Jordan Smyth hatte alles unter Kontrolle. Es war das perfekte Timing. Dieser neue Gig war cool. Alles easy. Jordan kratzte 18
sich an seinem rasierten Schädel, während er Willy in den Keller des Alibi – der Loser Bar in Sunnydale – folgte. Jordan trug einen Siegelring. Es war Brian Dellasandros Anzahlung für das Zeug, das er ihm verkauft hatte. Es machte nichts, dass die Initialen M.D. eingraviert waren. Jordan nahm an, dass Brian den Ring seinem kleinen Bruder Mark abgenommen hatte. Er pfiff vor sich hin, während er mit Willy durch den Tunnel ging, unterwegs zu den geheimen Räumen, die man wie Höhlen in den Stein gehauen hatte. Da waren sie wieder, der blonde Engländer mit dem steifen Mantel und seine schöne, schwarze Lady – die Königin. Sie hatten ein paar Kerzen aufgebaut. Alles sah ziemlich krass und irrsinnig nach Gothic aus. Jordan musste fast lachen. Es roch nach Drama. Der Engländer drehte sich herum und begrüßte die Besucher. »Guten Abend.« »He«, antwortete Willy. »Ich... äh... habe Kunden da oben.« Willy hatte Angst vor seinen neuen Mietern. Er bedauerte inzwischen, dass sie eingezogen waren. Aber Jordan wusste es besser. Das waren besonders feine Leute. Und sie konnten sehr nützlich sein. »Gut, lass uns allein«, sagte der Blonde und schickte den Barmann weg. Willy verschwand augenblicklich. Jordan bemerkte den Ausdruck von Zufriedenheit in den Gesichtern seiner Gastgeber. Der Mann betrachtete Jordan aufmerksam. »Es war richtig von Willy, dich zu uns zu bringen.« Jordan hatte ein paar illegale Sachen für Willy gemacht: Stoff gekauft oder gebunkert. Von den meisten Sachen wusste Jordan nicht einmal genau, was es war. Willy hatte vorgeschlagen, er solle für die Fremden arbeiten, und Jordan wurde in diesem Moment klar, dass Willy das nur 19
getan hatte, damit er ihnen so weit wie möglich aus dem Weg gehen konnte. Das war dumm von ihm. Diese Leute hatten viel Geld. Die Königin berührte ihn an der Stirn und fuhr mit ihrem langen Fingernagel durch sein Gesicht, bis sie an seinem Mundwinkel hängen blieb. Die Diamanten an ihrer Hand glitzerten im Kerzenlicht. »Du hast die Wahnsinns-Droge unserem Kontaktmann gegeben?«, fragte die Frau. Jordan nickte und musste innerlich grinsen über diese Bezeichnung: Drogen waren Drogen, egal wie man sie nannte. Er war cool. Er war ein Dealer, Mann. Was er nicht erwähnte, war, dass er einen Teil des Stoffes an einen seiner Kunden vertickt hatte: Brian Dellasandro. Dafür hatte er von Brian den Ring bekommen. Aber die beiden mussten nichts von diesem kleinen Nebengeschäft wissen. Der Mann schien sehr zufrieden. Und das sollte auch so bleiben. »Nun wird man Sunnydale bald schreien hören.« Jordan war nicht sicher, was damit gemeint war, verzichtete aber darauf nachzufragen. Dafür lächelte der Engländer ihn wieder an. »Es gibt eine Kunstgalerie in der Stadt. Sie hat etwas, das uns gehört. Etwas, das uns vor langer Zeit gestohlen wurde.« Jordan brachte seine Schultern zur Geltung und befingerte die Ohrringe an seinem linken Ohr. Es war eine alte Gewohnheit von ihm und er dachte nicht daran, sie abzulegen. Genau genommen hatte er eine Menge Gewohnheiten – einige davon waren teuer. »Ich habe Zeit für einen Einbruch«, sagte er bestimmt. Das Lächeln des Typen wurde breiter. »Ich weiß.« Die Königin führte das Gespräch weiter: »Wir sind wie eine Familie, verstehst du? Einer der Gründe, warum wir hierher kamen, war, nach Leuten zu schauen, die in diese Familie hineinpassen.« 20
Als sie ihre Hand auf seine Brust legte, hielt er den Atem an. Ihre Finger waren eiskalt. »Wir brauchen Leute wie dich«, fuhr sie fort. Ihre Stimme war ruhig und sexy. Sanft wie ein Seidenschal legte sie sich um Jordan. »Ich habe schon eine Familie. Ich bin auf der Straße zu Hause«, erwiderte er und hob das Kinn. Er war Jordan Smyth – mit Y – und er brauchte niemanden. Das war etwas für Verlierer. Der blonde Typ schnippte mit den Fingern und eine bizarre Erscheinung tauchte aus der Dunkelheit auf. Der Kerl hielt zwei Becher in seinen Händen, die mit etwas gefüllt waren, das ziemlich übel roch. Einen davon überreichte er Jordan. Dieser betrachtete den dickflüssigen, rötlichen Inhalt des Bechers und spürte, wie sich sein Magen umdrehte. Es sah aus wie Blut. »Also, ihr beide seid irgendwie... zusammen?«, fragte Jordan verächtlich, um seine Angst zu verbergen. »Eins wirst du in unserer Familie schnell lernen«, antwortete der Blonde. »In unseren Herzen gibt es viel Platz. Für viele Menschen und viele Arten von Beziehungen.« Die Königin ließ ihren Fingernagel an seinem Körper hinabgleiten bis zum Magen. Jordan zog sich innerlich zurück. Er war ein gut aussehender Junge. Vielleicht hatte er bisher nicht allzu viel Glück gehabt. Seit er von der Sunnydale High geflogen war, hing er immer noch hier herum. Nicht, dass irgendjemand etwas mit ihm zu tun haben wollte. Sie waren alle so beschäftigt. Keiner von ihnen merkte, dass das Einzige, was sie erreichen konnten, ein trostloses Leben in einer trostlosen Stadt war. Das war nichts für ihn. Er suchte das Abenteuer. »Wirst du für uns in die Galerie einbrechen?«, fragte der Mann. Jordan zuckte die Schultern. »Klar.«
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Die Waffe war in einem Schrank in der Garage. Zeig es ihnen. Er lud sie. Torkelte durch den Flur. Öffnete die Schlafzimmertür und richtete die Waffe auf einen der schlafenden Körper. Sein Finger spannte den Abzug. Töte sie. Das Zeug flog um ihn herum. Seine Mutter schreckte aus dem Schlaf hoch, sah, was er getan hatte, und fing an hysterisch zu schreien. Nichts davon nahm er war. Brian erkannte weder seine Mutter noch seinen Vater. Er schoss noch einmal, und als ihr Körper vom Druck gegen die Wand geschleudert wurde, schoss er wieder und wieder. Das bescheidene Haus der Dellasandros lag in einem schäbigen Außenbezirk der Stadt namens Sunnydale Estates. Aus irgendeinem Grund wollte hier niemand wohnen. Die wenigen Häuser standen weit voneinander entfernt. Manchmal hingen Kids in der Nähe herum und tranken, bis Brians Vater sie davonjagte oder die Polizei vorbeikam und sie vertrieb. Um 2.30 Uhr an diesem Freitagmorgen hörte niemand im schlafenden Sunnydale die Schüsse. Und niemand bemerkte Brian, dessen Körper die Straße Richtung Stadt entlangstolperte. Sein einziger Gedanke war Hass, sein einziges Gefühl blinde Wut. Er wischte sich über den Mund, ohne zu wissen, dass er einen Mund besaß. Sein Hellboy T-Shirt und seine blauen Trainingshosen waren über und über mit Blut verschmiert, aber er bemerkte es nicht. Er war barfuß, aber auch das warme Straßenpflaster spürte er nicht.
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Er presste das Gewehr gegen den Bauch und bewegte sich wie in Trance vorwärts. Vielleicht spürte er den heißen Wind, denn plötzlich legte er den Kopf zurück und heulte wie ein Wolf in die Nacht. Dann stieß er ein wildes, nervenzerreißendes Lachen aus, das nichts zu tun hatte mit dem liebenswürdigen Lächeln des Brian Dellasandro, dem beliebten Jungen, dem hervorragenden Schüler. Reste vom Gehirn seiner Mutter hingen in seinem kastanienbraunen Haar. Es war ein langer Weg zur Schule, aber da es erst 2.45 Uhr war, würde er sehr pünktlich sein. »Mach sie alle«, flüsterte er vor sich hin. Seine Finger umschlossen den Abzug und zitterten vor Verlangen zu töten, als eine Katze vor ihm die Straße überquerte. An der nächsten Ecke schnitten die scharfen Lavasteine aus Ms. Gibsons Garten ihm tief in die Fußsohlen. Auch als er strauchelte und auf eine zerbrochene Bierflasche trat, war seine einzige Reaktion darauf ein irritiertes Blinzeln. Eine Blutspur folgte ihm, während er davonstolperte. Es war ein heißer Wind zu spüren und die Sterne am Himmel schienen zu brennen. Als Brian hinaufschaute, zitterten sie nervös und befahlen ihm, alles zu töten, was sich bewegte. »Du hast mit Giles über deine Träume gesprochen«, vermutete Joyce. Sie und Buffy saßen mitten in der Nacht zusammen in der Küche. Buffy wollte eigentlich nicht darüber sprechen. »Ja.« Schweigend löffelten sie ihre Eisbecher. Joyce schlug vor, Popcorn in der Mikrowelle zu machen. »Wird da was draus?«, fragte Buffy und lächelte, als ihre Mutter schließlich die letzte Packung fettarme Butter hervorzog.
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»Schau mal, wir haben die Vanillewaffeln ganz vergessen«, sagte Joyce und spielte mit der Schachtel, als wollte sie dafür Werbung machen. »Sollen wir das Popcorn eintüten und Zucker darüber streuen?« Buffy zuckte mit den Schultern. »Klar.« Während ihre Mutter die Kiste öffnete, schaute sie auf die Uhr und unterdrückte ein Gähnen. Es war schon fast vier. Aber sie hatte keine Lust ins Bett zurückzugehen. Bett bedeutete Schlafen und Schlafen bedeutete Albträume. Das hatte keinen Sinn. »Verdammt, es ist schon jetzt so warm«, bemerkte Joyce. »Das wird bestimmt wieder ein brütend heißer Tag heute. Erinnerst du dich noch, wenn in L.A....« Buffy hörte nicht zu. Jemand schlich an ihrem Haus vorbei. Jemand, der sich viel zu schnell bewegte und dabei schwankte. Ein Betrunkener vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. »Mom, bleib bitte hier, okay? Bleib in der Küche«, sagte Buffy, während sie sich bereit machte. »Buffy?« Joyce wollte fragen, was los sei, verkniff es sich aber und tat, was Buffy verlangt hatte, während ihre Tochter die Küchentür aufschloss und in den Garten hinausging. Es war ein Kind, ein Mädchen im Nachthemd. Buffy sprang über einen Busch auf die Straße. »Hallo«, sagte sie freundlich. »Schlafwandlerin?« Ein Knurren kam aus der Kehle des Mädchens, als es sich Buffy entgegenwarf. Buffy packte es an den Händen und rief: »Huhu, spring zurück, kleiner Frosch! Wach auf!« Das Mädchen kämpfte und tobte. Es fletschte die Zähne, als wollte es Buffys Gesicht zerreißen. Doch es sah nicht aus wie 24
ein Vampir. Die Haut war rosa und die Zähne waren die eines Menschen. Aber man konnte nie wissen. Buffy sah sich blitzschnell nach einer Waffe um und riss einen Ast aus dem Busch, über den sie gesprungen war. Er war nicht besonders stabil, aber die Jägerin konnte einen Vampir selbst mit einem Bleistift in Staub verwandeln. »Hör auf, okay?«, fragte Buffy. »Ich möchte dich nicht verletzen.« Das Mädchen ritzte mit ihren Fingernägeln Buffys Wange auf. Die Jägerin schnappte nach ihrer Hand und warf sie zu Boden. Sie setzte sich auf den kleinen Körper und hielt den Ast kampfbereit hoch, während sie mit der Hand nach der Arterie am Hals des Mädchens tastete. Sie fühlte einen Puls. Es war also keine Vampirin. Aber vielleicht... Dann rief ihre Mutter von der Tür herüber: »Buffy, hör auf! Das ist Lindsey Acuff!« Buffy ließ den Ast nicht los, aber sie hatte nicht vor, das Mädchen aufzuspießen. Die Kleine wehrte sich und kämpfte. Buffy befürchtete, sie niederschlagen zu müssen. »Was ist nur über sie gekommen?« Joyce tauchte neben ihr auf. »Wir bringen sie am besten rein.« »Gute Idee.« Buffy behielt Lindsey im Auge. »Halte die Tür auf, ich trage sie...« »Aua!« Joyce schrie auf. »Mom?« Buffy riss ihren Kopf herum, um zu sehen, was passiert war. Sie war nur einen Augenblick unachtsam gewesen, aber der hatte Lindsey genügt, um sie zur Seite zu stoßen und mit einem wilden Schrei Joyce in die Schulter zu beißen. Dann warf sie
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sich herum und rannte die Straße hinunter, als sei der Teufel hinter ihr her. »He!« Buffy schrie ihr nach, aber schließlich musste sie zugeben, dass es ihr wichtiger war, sich um ihre Mutter zu kümmern, als das Mädchen anzufangen. Joyce hielt sich die Wunde. Als Buffy sich über sie beugte, tropfte Blut zwischen Joyces Fingern hervor, und ihr Gesicht machte einen ziemlich erschöpften Eindruck. »Es tut mir Leid, dass ich dich abgelenkt habe«, flüsterte sie. »Ich bin auf einen Rasensprenger getreten.« »Es ist schon okay, Mom!«, sagte Buffy. Sie half ihrer Mutter auf und legte Joyces Arm um ihre Schultern. »Ich hab’s versaut. Ich hätte besser aufpassen sollen.« »Oh mein Gott.« Die Stimme von Joyce klang atemlos, als stünde sie unter Schock. »Es ist nur eine ganz normale Nacht am Höllenschlund«, bemerkte Buffy grimmig, während sie ihre Mutter langsam zur offenen Küchentür geleitete. Aber es stimmte nicht ganz. Nicht, wenn ihre Mutter in die Sache verwickelt war. Sie hasste diesen Ort. Sie hatte sich nicht gerade darum gerissen, in diese Stadt zu ziehen, nachdem man sie aus ihrer alten Schule, Hermery High, rausgeworfen hatte. Aber sie hatte immerhin die Turnhalle niedergebrannt. Und ihre Mutter hatte die Chance bekommen, in der städtischen Kunstgalerie arbeiten zu können. Sie mussten schließlich irgendwo leben. Wie hätten sie denn auch wissen sollen, dass es der Auserwählten bestimmt war, in einem Dorf namens Boca del Infierno zu landen, benannt nach den spanischen Entdeckern, die sich dort angesiedelt hatten. Der Höllenschlund war eine mystische Erscheinung, die Dämonen sowohl anzog als auch ausspie – dasselbe galt für alle möglichen anderen Arten von bösen Jungs. 26
Dieser Umstand führte dazu, dass die Jägerin ihre kostbare Zeit nicht mit Nebensächlichkeiten wie etwa einem regelmäßigen Schulbesuch verschwenden durfte. Sie konnte auch keine Verabredungen mit Leuten treffen, die es merkwürdig fanden, wenn ihre Freundin mitten aus der KinoVorstellung von Shakespeare in Love ohne Erklärung plötzlich verschwand. Auch hatte sie keine Zeit, um shoppen zu gehen oder die anderen Dinge zu tun, die sie in L.A. geliebt hatte: Partys feiern oder Cheerleading – eben oberflächlich, verwöhnt und jung zu sein. »Lauf ihr nach, Liebes«, drängte Joyce. »Kommt nicht in Frage«, antwortete Buffy. »Ich kann mich bremsen.« Buffy schwieg. Mehr als ein Mal hatte sie die Sicherheit ihrer Mutter über alles andere gestellt. Obwohl sie nicht darüber sprachen, war Buffy doch oft gezwungen gewesen, sich so zu entscheiden. Buffy zweifelte daran, dass es richtig gewesen war, ihre Mutter einzuweihen. Aber sie konnte nicht anders – damals. So vieles war in so kurzer Zeit geschehen. Dennoch war es schwieriger für Buffy als zu der Zeit, in der ihre Mutter geglaubt hatte, sie gehöre zu einer Gang gewalttätiger Schläger und komme deshalb regelmäßig blutbefleckt nach Hause. In der Küche zog Buffy mit dem Fuß einen Stuhl heran und ihre Mutter ließ sich langsam darauf nieder. Joyce war wacklig auf den Beinen und zitterte. Buffy stürzte zum Telefon. »Ich rufe den Notarzt.« Joyce schüttelte den Kopf. »Nein, Liebes.« Sie deutete mit ihrer lahmen Hand zum Küchenschrank. »Ich habe den Erste-Hilfe-Kasten wieder aufgefüllt. Hol einfach etwas zum Verbinden.« Buffy zog den Bademantel ihrer Mutter zur Seite. Selbst durch das Nachthemd konnte sie die Zahnabdrücke erkennen. Sie verzog das Gesicht. 27
»Ich weiß nicht. Das sollte genäht werden!« »Es ist nicht fair, weißt du«, sagte Joyce und zuckte zusammen, als Buffy die Wunde untersuchte. Sie berührte vorsichtig die Kratzer auf Buffys Wange. »Ich behalte Narben und du nicht. Und wenn wir schon dabei sind: Ich bekomme Falten, du nicht!« »Werde ich, wenn ich lange genug lebe«, gab Buffy den Scherz zurück. Aber ihr war nicht nach Lachen zu Mute. Vielleicht würde sie wirklich nicht lange genug leben. »Wie auch immer, ich finde, wir sollten das untersuchen lassen.« »Ach Buffy.« Joyce seufzte. »Können wir nicht einfach Popcorn machen?« Es dauerte einen Augenblick, bis Buffy begriff, dass ihre Mutter das völlig ernst meinte. »Immerhin ist es beruhigend zu wissen, dass dein Appetit nicht von einer Nah-Tod-Erfahrung in Mitleidenschaft gezogen wird«, erwiderte Buffy schlagfertig und machte sich auf die Suche nach dem Erste-Hilfe-Kasten. Aber ihre Mutter hörte gar nicht zu. Sie blickte gedankenverloren aus dem Küchenfenster. »Was ist nur in sie gefahren?« Joyce verzog das Gesicht und hielt ihre Schulter. »Was auch immer es war, ich hoffe, es ist nicht in dich gefahren.« Oder in mich. Lindsey hatte ihre Nägel ziemlich tief in Buffys Fleisch gegraben. »Ich werde Giles danach fragen.« Joyce nickte, während sie sich aus ihrem Bademantel pellte und ihre Schulter entblößte. »Gute Idee, Liebes.« Sie atmete scharf aus. »Sobald ich dich versorgt habe, werde ich mich um sie kümmern«, versprach Buffy. »Oh nein«, protestierte Joyce, aber Buffy wusste, ihre Mutter meinte das nicht so. Sie wollte, dass sie nach dem kleinen 28
Mädchen sah, sonst würde sie sich für den Rest der Nacht Sorgen machen. Sie wusste auch, dass ihre Mutter nicht glücklich darüber war, Buffy da draußen im Dunkeln zu wissen, wo sie all die hässlichen Dinge bekämpfen musste. Aber wie ihr alter Freund, der britische Hexer Ethan Rayne, sagen würde: Wenn alle Wünsche Pferde wären, würden selbst die Bettler reiten. Seit sie die Jägerin war, hatte sie einige ziemlich wilde Pferde geritten – sogar schwarze, Feuer speiende Hengste. Als Buffy das Desinfektionsmittel auftrug, hielt Joyce den Atem an. Buffys Magen zog sich zusammen, denn das alles erinnerte sie plötzlich an eine andere Nacht... Es war die erste Nacht, in der sie Angel zu sich nach Hause eingeladen hatte. Sie wusste nicht, dass er ein Vampir war, sie kannte nur den gut aussehenden, geheimnisvollen Typen, dem sie den Spitznamen Danger Man gegeben hatte, und der aus dem Nichts heraus auftauchen konnte, um sie zu warnen, bevor irgendetwas Fürchterliches geschah. Er hatte ihr auch das silberne Kreuz gegeben, das sie immer bei sich trug. Damals war er verletzt worden, weil er ihr geholfen hatte, einen Angriff abzuwehren. Also hatte sie ihn zu sich nach Hause gebracht, um seine Wunde zu versorgen. Dann allerdings hatte sie die Tätowierung gesehen, das Zeichen, das ihn als Angelus brandmarkte, als den blutrünstigsten Vampir, der jemals gelebt hatte. Aber für Buffy war er Angel, der einzige Vampir, der seine Seele zurückbekommen hatte, der einzige Vampir, der mit menschlichem Mitgefühl ebenso rang wie mit dämonischer Leidenschaft. Und sie hatte sich in ihn verliebt, mit der ganzen Verzweiflung einer jungen Frau, die wusste, dass jeder ihrer Tage der letzte sein konnte. Und dann war alles schief gelaufen... »Kann ich etwas Wasser haben, Buffy?« Die Worte von Joyce klangen undeutlich an ihr Ohr. Buffy füllte ein Glas und gab es ihrer Mutter. Dann blieb sie neben 29
ihr stehen, während Joyce das Wasser schluckweise trank, und betrachtete sie prüfend. »Mom, ich denke immer noch an Dr. Green. Erinnerst du dich, der Notarzt?« Buffy nahm ihr das leere Glas aus der Hand. »Mehr?« »Nein, danke. Ich möchte jetzt nur ein wenig ausruhen.« Joyce bestand darauf. Sie sah schon besser aus, als sie sich erhob. »Sie stellen dort so viele Fragen. Erinnerst du dich daran als ich sagte, ich sei in eine Barbecue-Gabel gefallen?« Wie sollte Buffy das vergessen? Darla, die Schöpferin Angels, hatte sie gebissen und fast getötet. »Sie stellen Fragen«, sagte Buffy hart, »aber sie suchen nicht wirklich nach Antworten.« Joyce streckte die Hand aus und fuhr sanft über Buffys Haar. »Mach dir keine Sorgen um mich, Buffy, ich werde wieder gesund. Ich möchte nicht ins Krankenhaus. In Ordnung?« »Nicht in Ordnung«, erwiderte Buffy grinsend. »Ich glaube, ich weiß, woher ich meine sture Ader habe.« »Ich auch. Von deinem Vater.« Joyce legte beschützend den Arm um ihre Tochter und drängte sie aus der Küche. »Ich habe die Tür verschlossen«, sagte Buffy. »Danke, Liebes.« Sie stiegen die Treppen hinauf. Buffy beobachtete unentschlossen, wie ihre Mutter die Schlafzimmertür öffnete und ihr mit einem Winken bedeutete, dass alles so weit in Ordnung sei. »Träum was Schönes, Mom«, sagte Buffy. »Geh nicht raus«, sagte Joyce plötzlich. Sie zitterte. »Ich habe so ein komisches Gefühl. Bleib zu Hause. Man wird sie sicher finden.« Buffy lächelte angespannt. »Es tut mir Leid, aber als Jägerin habe ich einen Eid abgelegt. Es ist langweilig und öde.« Sie
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zuckte die Schultern. »Weißt du, Mom, mir bleibt gar nichts anderes übrig.« Joyce küsste sie auf die Wange und hielt sie einen Augenblick fest. »Komm sicher zu mir zurück.« Buffy wartete, bis ihre Mutter im Zimmer verschwunden war und die Tür geschlossen hatte. Dann ging sie in ihr Zimmer und öffnete die Schublade, in der sie ihre Hilfsmittel aufbewahrte. Was soll ich mitnehmen, dachte sie. Weihwasser? Klar. Ein paar gute, scharfe Holzpflöcke? Warum nicht? Fingerschlagringe? Zu auffällig. Sie packte alles ein, schaute zum Fenster hinüber und schloss es trotz der großen Hitze. Jägerinnen hatten sehr gute Instinkte. Und gelegentlich sehr schlechte Träume. »Guten Morgen, Lemminge«, schrie Xander Harris hinüber zu einer Gruppe schnatternder Mädchen, Cordelias modebewussten Freundinnen, die ihr Bestes taten, um ihn zu ignorieren. »Ein schöner Tag für einen Massenselbstmord, was?« Er schlug seinen Schrank zu und stolzierte auf der Suche nach Buffy durch die Halle von Sunnydale High. Willow und Cordelia kamen meistens zusammen zur Schule, irgend so ein Verbindungsding zwischen ihnen, vermutete er. Das Geschwätz der beiden konnte ihm ziemlich auf den Wecker gehen. Doch er musste zugeben, dass sie viele unangenehme Erinnerungen mit sich herumschleppten, und er nahm an, dass man am besten damit klarkam, wenn man mit jemandem darüber redete. Aber die Mädchen hatten ihn nicht in ihre Morgenpläne eingeweiht, also hing er hier rum, nahm die Snobs und die Streber hoch und erntete keinerlei Anerkennung dafür. Er stürzte aus dem Gebäude hinaus auf den Hof. 31
Es war heiß wie in einer Sauna. Schon bald würde aus dem Springbrunnen nur noch Wasserdampf kommen. »Guten Morgen, Guten Morgen, Guten Morgen«, sagte er freundlich zu Typen, die seinen Kopf in der Neunten in die Toilette gesteckt hatten. Die ihn in der Vierten wegen seines Taschengeldes verprügelt und im Kindergarten drei Wochen lang über ihn gelacht hatten, weil er während der Ruhezeiten tatsächlich schlief. Mit unverhohlener Schadenfreude hatten sie gegackert, als Cordy gestern nach einer angeblichen Beleidigung davongerannt war. Gut, es war tatsächlich eine Beleidigung gewesen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sie verstehen würde – und dann hatte sie ihm auch noch gesagt, er sei ein Verlierer und würde es immer bleiben. Ah, Sunnydale. Man musste einfach die Beständigkeit des Alltags lieben. Die Glocke läutete. Noch zehn Minuten bis zur ersten Stunde. Möge der Tag beginnen. Er lief über den Hof, ohne auf eine Baumwurzel zu achten, die vor ihm aus dem Boden ragte, und stolperte darüber. Er verlor die Balance, fiel auf die Knie und erwartete bereits einen Schlag von oben. Aus Gewohnheit – denn diese Dinge machten ihm wirklich kaum noch etwas aus. Stattdessen hörte er eine Reihe seltsamer Geräusche. Ein Knallen. Es dauerte einen Moment, bis er es als das identifizierte, was es war: nämlich Gewehrschüsse. Draußen auf dem Hof. In der Schule. Innerhalb einer Sekunde hatte er sich geduckt und verharrte bewegungslos. Einige der anderen Schüler reagierten ebenfalls, aber die meisten standen unschlüssig herum, als handle es sich um das Geräusch eines defekten Auspuffs, und unterhielten sich weiter. 32
Zehn Jahre als Helfer bei Buffys Jagdaktivitäten brachten Xander schnell auf Hochtouren. Er richtete sich auf und schrie: »Haut ab hier! Jemand hat ein Gewehr!« »Harris, du bist so daneben.« Brad Thurman, einer der großen hirnlosen Fußballidioten, schlenderte an ihm vorbei und schlug nach ihm. »Thurman, nur ein Mal –«, schrie Xander ihm nach. Plötzlich lag Thurman schreiend am Boden. Das Blut sprudelte aus seinem Oberschenkel durch seine Jeans hindurch. Arterie, dachte Xander. Er riss sich das Hemd herunter, während er zu ihm hinüberlief, ohne darauf zu achten, wohin die Kugeln flogen. Sofort fiel er auf die Knie und fing an, den Stoff um Thurmans Bein zu wickeln. Der Typ hatte echte Probleme, das Blut war kaum zu stoppen. Xander schnappte sich das Hosenbein von einem, der gerade vorbeilief, er gehörte zu Thurmans Mannschaft. »Setz dich hin und halte deine Hand da drauf. Ich hole Hilfe!« Der andere, ein aufgeblasener Typ, schüttelte den Kopf, als habe er sich verhört. »Du spinnst wohl. Irgend so ein Ausgeflippter schießt auf uns, und ich soll mich hier hinsetzen!« »Das ist dein Freund, und wenn du mir nicht hilfst, wird er sterben«, gab Xander zurück. »Also, setz dich.« Der Typ schüttelte den Kopf. Xander kniff die Augen zusammen und schaute ihm nach, während er feige davonlief. »Harris«, keuchte Thurman. Sein Mund bewegte sich, aber er konnte nicht mehr sprechen. »Ist in Ordnung, Brad«, erwiderte Xander und befestigte den Verband. An einem Halloween-Tag war er mal auf magische Weise in einen Soldaten verwandelt worden, und er erinnerte sich immer 33
noch an seinen Erste-Hilfe-Einsatz. Außerdem hatte er gelegentlich dabei geholfen, Buffy nach einem besonders brutalen Kampf zusammenzuflicken. »Aber erinnere dich daran, wenn du aus dem Krankenhaus zurückkommst, ja?«, fügte er hinzu und bemühte sich, cool zu bleiben, als er sah, wie Thurmans Augen glasig wurden. »Du schuldest mir was.« Thurman atmete schwer. Er schloss die Augen und fiel zur Seite. Für einen schrecklichen Augenblick bestand die Welt nur aus Xander und diesem Typen, der normalerweise eine furchtbare Nervensäge war und nun einfach aussah wie ein ganz normaler Siebzehnjähriger, der sein ganzes Leben noch vor sich haben sollte. Er war zwar noch nicht tot, doch ließ sich der Rest seines Lebens vermutlich in Sekunden messen. Xander wusste, wie ein Sterbender aussah. »Hey, Brad, hau nicht ab«, sagte er zu Thurman, was ziemlich merkwürdig klang, angesichts der Schüsse und Schreie ringsum. Er gab dem Bein des Jungen einen sanften Schubs, während er seine Hand weiterhin auf die stark blutende Wunde presste. »Ich möchte noch was davon haben, dass ich dir das Leben gerettet habe.« Thurmans Augen waren halb geschlossen. Er starrte ausdruckslos auf das Gras, auf dem sein Blut eine Lache bildete. »Verdammt«, Xander biss die Zähne zusammen. Um sie herum schrien alle und stießen bei dem Versuch, den Schüssen auszuweichen, voller Panik zusammen. Ein Stück des Springbrunnens brach ab und fiel ins Wasser. Xander hörte, wie ein Fenster zerbarst. Er wollte Brad Thurman nicht verlassen. Aber wenn er etwas gelernt hatte, seitdem Buffy in Sunnydale war, dann war es die Erkenntnis, dass man nicht immer gewinnen konnte. Es gab nichts, was er 34
für den Typen noch tun konnte. Er würde keine Lorbeeren ernten, wenn er bei ihm blieb. Es machte noch nicht einmal Sinn, außer vielleicht, dass der Minister sagen würde, er sei als Held gestorben, wenn sie seinen Sarg auf dem übervollen Friedhof in die Erde hinablassen würden. Der Hof glich einem Schlachtfeld. Rechts und links von ihm fielen die Leute um. Mr. Carey, der neue Sozialkundelehrer, steckte seinen Kopf aus dem Klassenzimmer im zweiten Stock und rief: »Kinder! Hierher!« Dann schrie er auf, fasste nach seinem Arm und ging in die Knie. Xander wirbelte herum und versuchte herauszufinden, woher der Schuss gekommen war. Jemand musste diesen Wahnsinnigen stoppen, und es sah nicht so aus, als sei Buffy in der Nähe. Also musste er Riker finden – oder war es Worf? Wie auch immer. Offenbar war er der einzige Helfer der Jägerin, der im Augenblick für diesen Job in Frage kam. Mann, war er froh, dass Willow und Cordy zusammen waren, und er hoffte inständig, dass sie die Schule noch nicht erreicht hatten. Vorsichtig rannte er zum Brunnen hinüber und versteckte sich dahinter. Inzwischen waren etliche Stücke herausgebrochen und das Wasser strömte aus dem zerstörten Brunnenbecken auf das Gras. Plötzlich tauchte dieser Junge neben ihm auf, wie einer, der ein halbes Dutzend Klassen übersprungen hatte. Sein Gesicht war sehr weiß und seine Augen waren unglaublich. »Steve, hau ab um Himmels willen«, sagte Xander. Steve schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn gesehen.« Er zeigte auf das dritte Klassenzimmer von rechts im zweiten Stock. »Es ist Brian Dellasandro.«
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»Hau ab«, sagte Xander. »Brian? Hat man dich angeschossen, oder was? Das ist unmöglich!« Kugeln zischten um sie herum. »He, was zum Teufel –«, wollte Xander gerade anfangen, als er staunend zusah, wie Steve sich streckte und gleichzeitig aufrichtete. »Was tust du da?«, schrie er den Jungen an. Etwas traf Steve. Es ging so schnell, dass Xander noch nicht einmal sah, was es war. Stevie ging zu Boden, stumm und in Zeitlupe, wie eine absurde Figur in einem Ballett. »Xander, hierher!« Es war Giles. Er stand im hinteren Teil des Hauptgebäudes und versuchte, die Schüler dort hinein zu dirigieren. Giles lief über den Rasen, bis er Xander erreicht hatte. »Ihn hat es erwischt«, sagte Giles, während er Stevies Wunde untersuchte. »Versuchen wir ihn ins Hauptgebäude zu bringen.« »Ja, Sie haben Recht«, sagte Xander und packte Stevies Füße. Der Junge stöhnte. Sie beeilten sich und trugen Stevie hinter die Treppe. Die Gewehrschüsse kamen in schneller Folge. Leute schrien und fielen übereinander. Mehr als ein Mal rempelte jemand Xander an, sodass er fast zu Boden fiel. »Die Polizei kommt«, sagte Giles. Auf seiner Brille war Blut. »Ja, ja, das sagen Sie immer.« Etwas schoss an seinem Ohr vorbei. Er hätte beinahe Stevies Bein losgelassen, als er ausweichen wollte. Sie schafften es ins Gebäude. Die Halle war voller Menschen, die zum Eingang drängten. Xander konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal so ein Chaos erlebt zu haben. Vielleicht ein Mal, als er und Willow bei einem Rave
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gewesen waren, aber das erschien ihm angesichts dieser Situation nicht halb so schlimm. Jemand rannte in Xander hinein, was ihn aus der Balance brachte. Diesmal musste er Stevies Bein loslassen, und der Junge fiel hart zu Boden. Xander bemühte sich, ihn wieder aufzuheben, als ein anderer Giles umrannte. »Lass uns in die Bibliothek gehen«, schlug dieser vor. Xander nickte. Sie erreichten die Doppeltüren der Bibliothek. Giles öffnete sie und stürzte hinein. Der Ort war menschenleer. »Das muss deprimierend für Sie sein«, sagte Xander. »Die Leute werden erschossen, und selbst jetzt denken sie nicht daran, hierher zu kommen.« Giles zog ein Gesicht. »Deine Witze sind ebenso dumm wie gut, vor allem in so einer Situation. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass ich das sage.« »Das stimmt, aber bisher hielt ich es immer für ein Kompliment«, gab Xander zurück. Sie trugen Stevie hinüber zum Lesetisch. Giles beugte sich über ihn und schob seine blutbefleckte Brille mit ebenso blutbefleckten Händen nach oben. »Ich rufe den Rettungswagen. Oder vielleicht besser ein Dutzend.« Xander lief in Giles’ Büro. »Gute Idee, obwohl ich sicher bin, dass sie bereits unterwegs sind«, erwiderte Giles. Fast unhörbar fügte er hinzu: »Oder wir werden hier eine Menge toter Studenten haben. Jedenfalls mehr als an einem normalen Freitag üblich sind.« »Stevie sagte, Brian Dellasandro sei der Übergeschnappte«, bemerkte Xander über seine Schulter hinweg. »Das ist absurd«, erwiderte Giles. 37
»Um ehrlich zu sein, ich halte es für einen ziemlich guten Tipp«, sagte Xander langsam. »Sogar einen verdammt guten Tipp.« In einem blutbespritzten Hellboy T-Shirt und ausgefransten Sporthosen stand Brian Dellasandro mitten in Giles’ Büro und richtete sein halbautomatisches Gewehr direkt auf Xander. »Mach sie alle fertig«, flüsterte Brian. Er hob die Waffe.
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2 Hier lebt das Böse. Während sie um ihr Leben kämpfte, hörte sie Jubel um sich herum. Tausende von Menschen saßen in den Rängen über ihr, winkten und bewarfen sie mit Blumen. Rosen. Die Blütenblätter lösten sich auf, während sie zu Boden fielen, und umgaben sie mit ihrem betörenden, überwältigenden Duft. Sie tauchte ein in ein Meer von Blut. Der Sand unter ihren Füßen dampfte. Sie rutschte aus und fiel. Die Axt in der Hand ihres Widersachers fuhr herab, und Angels Kopf rollte auf sie zu... »Nein!« Buffy schreckte hoch und versuchte, sich zu orientieren. Sie blinzelte und hob ihren Kopf von der Couch in Angels Wohnzimmer. Jemand hatte ein Kissen unter ihren Kopf gelegt und sie mit einer Steppdecke zugedeckt. Natürlich wusste sie, wer das getan hatte. Gestern Nacht hatte sie versucht sich einzureden, dass sie die beruhigende Anwesenheit eines Freundes brauche. Lindsey Acuff war nirgends zu finden gewesen. Sie war zum Haus der Acuffs gerannt, nur um festzustellen, dass ein Polizeiwagen in der Einfahrt stand, Scheinwerfer das Gelände absuchten und Lindseys Eltern völlig bekleidet und ziemlich fertig in der Küche standen und mit einem von Sunnydales Ordnungshütern sprachen. Lindseys Mutter war in Tränen aufgelöst. Ihr Vater hatte die Arme um seine Frau gelegt und starrte ausdruckslos ins Leere. Es war ein Bild des Leidens, das Buffy unglücklicherweise nicht zum ersten Male sah.
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Als Jägerin kannte sie das Schicksal von vielen Toten und wusste auch, wo sie begraben waren. Zum Beispiel die vermissten Kinder, von denen man dachte, dass sie davongelaufen seien. Buffy hatte viele Informationen, mit denen man diese Fälle hätte abschließen können. Es hätte den Eltern vielleicht nicht den Frieden gebracht, aber wenigstens wären die Ungewissheit und das bange Hoffen verschwunden. Manchmal war es das Beste, was man kriegen konnte. Denn in diesen Fällen war Hoffnung die grausamste Sache der Welt. Auch die Geschichte, dass sie angeblich zu Angel gekommen war, um einen Freund um sich zu haben, war eine verdammte Lüge. Sie musste sich damit abfinden, dass ein kleiner Teil von ihr immer noch hoffte, mit Angel irgendwie zusammen sein zu können. Das war verrückt. Sie wusste das und hatte oft genug beschlossen, den Gedanken aufzugeben. Aber es gab Kämpfe, die auch eine Jägerin nicht gewinnen konnte. Immer wieder rief sie es sich ins Gedächtnis zurück. Doch die Hoffnung hob gerade dann ihr hässliches Haupt, wenn sie am wenigsten damit rechnete. Sie hatte alles verdorben, indem sie zu Angel gegangen war. Natürlich fühlte sie sich nicht besser. Um ehrlich zu sein, sie fühlte sich miserabel. Sie hatte nicht nur ihre eigenen Vorsätze verraten, sondern wahrscheinlich auch dafür gesorgt, dass ihre Mutter noch immer auf sie wartete und Angst um sie hatte. Also war das Erste, was sie tat, zum Telefon hinüber zu gehen und zu Hause anzurufen. Beim ersten Klingeln wurde der Hörer abgehoben. Buffy schloss unwillkürlich die Augen vor Scham. »Hallo?« Sie hörte die angespannte Stimme ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung. »Hallo, Mom, ich bin es. Ich konnte Lindsey nicht finden und bin eingeschlafen bei... einem Freund.« Sie war kurz davor 40
zu sagen bei Willow, aber dann hielt sie sich zurück. Warum sollte sie lügen? Ihre Mutter hatte bestimmt schon bei den Rosenbergs angerufen. »Ja, Willow hat mir schon Bescheid gesagt. Du warst wohl schon eingeschlafen, bevor sie telefonieren konnte. Aber es war lieb von dir, dass du sie gebeten hast, mir Bescheid zu sagen.« »Oh«, sagte Buffy unbestimmt. Sie musste sich bei Willow bedanken, obwohl es ihr Leid tat, dass die Freundin ihretwegen geschwindelt hatte. Willow log nicht gerne. Und außerdem war sie meistens nicht besonders gut darin. »Ich muss mich beeilen, um zur Schule zu kommen. Ich bin schon spät dran.« Es entstand eine Pause. Dann fragte Joyce: »Soll ich die Polizei rufen und ihnen sagen, was wir gesehen haben, Buffy? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Acuffs müssen ja durchdrehen.« »Ich weiß.« Buffy seufzte. »Mom, vertraue mir. Ruf lieber nicht an. Es würde alles nur noch schlimmer machen.« »Wahrscheinlich hast du Recht.« Ihre Mutter schien frustriert. »Ich weiß, dass du Recht hast. Aber es ist schrecklich zu wissen, dass sie irgendwo da draußen ist... in dieser Verfassung.« »Nun, ich hoffe, Giles kann etwas für sie tun«, antwortete Buffy, während sie sich im Zimmer nach ihrer Tasche und ihrem Sweatshirt umsah. Beides lag neben dem Kamin, das Sweatshirt sorgfältig zusammengelegt auf der Tasche. »Wenn du das, was passiert ist, jemandem erklären willst, der nichts davon versteht, würde er uns möglicherweise nur aufhalten. Weißt du, was ich meine?« »Ja.« Wieder entstand eine Pause. »Wir haben das alles schon oft besprochen, Liebes, es ist nur so schwer, herumzusitzen und nichts tun zu können.« 41
Buffy musste unwillkürlich lächeln. Ihre Mutter hätte selbst eine ziemlich gute Jägerin abgegeben. »Was auch immer mit Lindsey nicht stimmte, vielleicht war es nur vorübergehend«, versuchte Buffy sie zu beruhigen. »Vielleicht ist sie schon wieder die Alte, ist eingeschlafen und wird irgendwann aufwachen und nach Hause gehen.« Und nicht auf einem dieser grässlichen Autopsiefotos enden. »Du bist so ein gutes Kind, Buffy«, sagte ihre Mutter. Buffys Augen weiteten sich. »Wie bitte?« »Ja, du machst mir Hoffnung. Du bist so lieb. Und jetzt sieh zu, dass du zur Schule kommst.« So viel zu diesem Telefonat. Buffy nahm ihre Tasche und ging nach unten zum Badezimmer. Neben der Dusche stand eine Tasse mit frischem Kaffee. Auch eine Notiz von Angel: Ich bin wach, wenn du reden willst. Als sie in die Dusche trat, hüllte der heiße Dampf sie völlig ein. Ihr gefiel der Gedanke, dass Angel die Dusche hören würde. Sie schloss die Augen, hob den Kopf und überließ sich dem Wasser. Nein, natürlich würde er niemals hereinplatzen. Eine frische Seife lag griffbereit, ebenso eine halbvolle Flasche Shampoo und Conditioner. Als sie begann, sich die Haare zu waschen, kam die Erinnerung an ihren Albtraum zurück und sie begann, trotz der Hitze zu frieren. Als sie den Schaum aus den Haaren spülte, stellte sie plötzlich fest, dass sie nicht daran gedacht hatte, sich ein Handtuch zu besorgen. Aber da hing ja eins frisch gewaschen, extra für sie. Er dachte eben an alles. Sie zog ihre alten Kleider wieder an und wünschte sich, sie hätte auch frische Sachen zum Anziehen. Dann schlich sie zurück in den Flur, blieb stehen, holte tief Luft und sagte sich tapfer, sie müsse weitergehen. Stattdessen rief sie leise: »Angel?« 42
Keine Antwort. Sie spürte Erleichterung und war gleichzeitig enttäuscht, als sie zum Wohnzimmer hinüberging. Dann nahm sie ihr Sweatshirt und verließ die Wohnung. Angel lag wach in seinem Zimmer und starrte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Niemals würde Buffy wissen, wie sehr er sich danach gesehnt hatte sie hereinzubitten, als sie seinen Namen rief. Aber schon als er ihr diese Nachricht geschrieben hatte, wusste er, dass es nicht darum ging, ob sie reden mochte. Er hatte ihr mitgeteilt, was er wollte. Und das war etwas, worauf er für immer verzichten musste. Also verhielt er sich still und ließ sie in dem Glauben, er schlafe. Niemals hat ein Vampir größere Liebe empfunden, dachte er zynisch. Und obwohl er bis auf die Knochen erschöpft war, wusste er, dass er den ganzen Tag keine Ruhe finden würde. »So, jetzt kennst du mein tiefstes, dunkelstes Geheimnis«, sagte Cordelia zu Willow, während sie in einem wilden Tempo die Straße hinunterfuhr. Mariah Carey hipp-hoppte auf dem CD-Player herum und sie hatten kurz angehalten, um in der Espressobar eine Milch zu trinken. Für Willow war das alles ein bisschen viel, vor allem viel zu früh am Morgen. »Oh je«, seufzte Willow. »Ich muss zugeben, ich bin schockiert. Ich hätte nie geahnt, dass du überhaupt weißt, wo Sears ist, geschweige denn, dass du dir tatsächlich ein Paar Schuhe dort gekauft hast.« »Nun, wir haben alle irgendwie so ein Ding. Ich bin sicher, selbst bei dir gibt es so was. Ich meine, irgendein Ding, dass du eben als Ding bezeichnest, abgesehen von dem, was sowieso dein Ding ist.«
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Cordelia wandte den Blick von der Straße ab und kniff die Augen zusammen. Bei ihrem Fahrstil ist es sowieso egal, wohin sie schaut, dachte Willow. Jetzt bloß nicht panisch werden. »Ich habe dir was gestanden«, sagte Cordelia, »jetzt bist du dran.« Willow biss sich auf die Unterlippe. »Abgesehen davon, dass ich meine Eltern andauernd belüge, na ja, eben so ein Zeug...« Sie wusste, dass es unter Freundinnen üblich war, Geheimnisse zu teilen, aber sie hatte keine Lust dazu. Bei den meisten ihrer Geheimnisse handelte es sich um Dinge, die Cordelia sowieso schon wusste. Zum Beispiel das »Ding« mit Xander. Und außerdem wollte sie darüber nicht reden. Plötzlich zerrissen Sirenen die Stille, direkt hinter ihnen. Willow drehte sich ruckartig um und entdeckte gleich mehrere Polizeieinsatzwagen. Sie waren so nah, dass einer von ihnen fast Cordelias Stoßstange berührte. Cordelia seufzte und schaute in den Rückspiegel. »Was jetzt?«, fragte sie gereizt. »Ich schwöre, ich werde immer völlig grundlos angehalten.« »Von einer ganzen Armada?«, fragte Willow schrill zurück. »Was auch immer.« Das bedeutete, Cordelia wusste nicht, was eine Armada war. Sie lenkte das Auto an den Rand und versuchte dabei, einem anderen Wagen auszuweichen, der etwas unglücklich geparkt hatte. Die Polizeiautos rasten heulend vorbei, gefolgt von zwei Notarztwagen und einem Feuerwehrauto. »Wow«, entfuhr es Cordelia. »Was glaubst du, was da los ist?« Willow hielt den Atem an. »Cordelia, was ist, wenn sie zur Schule wollen?« Sie schauten sich an. 44
»Das wäre gut möglich«, sagte Cordelia. Willow nickte. Wortlos gab Cordelia Gas. Das Einzige, was Willow herausbrachte, war: »Schneller.« Xander. Obwohl sie eher sterben würde, als es zuzugeben, war dies Cordelias erster und einziger Gedanke, als sie mit quietschenden Reifen vor der Polizeibarrikade an der Kreuzung vor der Schule anhielt. Überall standen Polizeiwagen, sogar auf dem Rasen. Blaue und rote Lichter drehten sich auf den Dächern der Autos, deren Türen weit geöffnet waren. Ein großer, schwarzer LKW stand neben der Schultreppe, und ein Typ in einer dunkelgrauen Rüstung kam heraus. Er trug ein Gewehr. Als er sich umdrehte und auf den Haupteingang zulief, konnte Cordelia auf seinem Rücken in gelben Buchstaben SWAT lesen. Cordelia drehte die Fensterscheibe herunter und rief zu einem der Polizisten: »Was ist hier los?« »Wir bitten alle Schüler, die nichts mit dieser Sache zu tun haben, nach Hause zu gehen«, sagte der Typ. Er hatte einen ziemlich üblen Sonnenbrand – fast wie ein Ausschlag. »Nun, ich fürchte, wir haben ziemlich viel damit zu tun«, erwiderte Cordelia scharf und versuchte an ihm vorbeizuschauen. Willow beugte sich herüber und fragte: »Gibt es Ärger?« Mhm, dachte Cordelia, aber sie wartete auf die Antwort des Polizisten. »Wir haben alles unter Kontrolle«, erwiderte der Typ. Cordelia holte dieses Lächeln hervor, mit dem sie einen Quarterback auf fünfzig Meter Entfernung außer Gefecht setzen konnte.
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»Ich hoffe, sie haben heute Morgen Schutzcreme aufgetragen. Das sieht aus wie ein ziemlich übler Sonnenbrand.« Er blinzelte Cordelia an und fuhr sich über das Gesicht. Die Art, wie sie ihn anstrahlte, ließ ihn dahinschmelzen wie Butter in der Sonne. Ja, dachte sie und wartete. Manchmal war es so einfach. »Einer der Kids ist durchgedreht«, gab der Polizist zu und senkte die Stimme. »Hat sich welche vom Schulpersonal geschnappt. Und ein paar von den Studenten. Er ist in der Bibliothek.« Devon schlug die Tür von Oz’ Van zu und sagte: »Okay, Mann.« Er lächelte nicht und versuchte auch nicht, so zu tun, als sei alles in Ordnung zwischen ihnen. Stattdessen schaute er Oz erwartungsvoll an und zuckte die Schultern. »Ja.« Oz startete den Van, fuhr aus der Parklücke und ließ Devon zu seinem eigenen Wagen laufen, der auf dem Parkplatz des Chiropraktikers stand. Als er auf die 17. Straße einbog, warf er den CD-Player an: Eric Clapton. Ein echter Musiker, der genug von der dunklen Seite des Lebens gesehen hatte. Oz fuhr mit der Hand durch sein rotes Haar und befestigte den Sicherheitsgurt über seinem grün-braunen Bowling-TShirt. Er war nicht gerade der glücklichste Camper in den Vereinigten Staaten von Amerika. Gestern hatten er und Devon vereinbart, ein Stück durchzuspielen, das Oz für die Dingoes geschrieben hatte, und das für die Probe heute Abend vorgesehen war. Dann hatte Devon ihn am späten Abend angerufen und gefragt, ob sie den 46
Durchlauf vor der Schule machen könnten. Oz war zwar nicht unbedingt ein Morgenmensch, aber er hatte sich darauf eingelassen. Er war auch damit einverstanden gewesen, Devon zur Praxis des Chiropraktikers zu fahren, wo seine Mutter arbeitete, sodass er ihr Auto für den Rest des Tages haben konnte. Er fand sich damit ab, dass das alles viel länger gedauert hatte als erwartet und er viel zu spät zur Schule kam. Angesichts des zweifelhaften Ruhms, der Schüler mit den meisten Strafpunkten zu sein, der jemals die Oberstufe wiederholt hatte, war es nicht gerade in seinem Interesse, noch mehr Schulstunden zu versäumen. Aber er hatte Haltung bewahrt. Devon hatte das Stück ziemlich krass abgebügelt, mit einigen bissigen Kommentaren zur zweiten Strophe und immer noch hatte Oz sich zusammen genommen. Es gab einen Unterschied, ob jemand ihn persönlich angriff oder seine Arbeit kritisierte. Er verstand das. Aber dann hatte Devon damit angefangen, alles auf Willow zu schieben, vor allem sein unzuverlässiges Erscheinen bei Proben und gelegentlichen Auftritten. Das war also der wahre Grund für das Treffen. Oz war ziemlich angepisst. Er fühlte sich überfahren, weil er auf diese Konfrontation so gar nicht vorbereitet war. Auch nicht auf die Tatsache, dass die ganze Band wütend auf ihn war und stattdessen alle so getan hatten, als würden sie auf seiner Seite stehen – bis zu diesem Morgen. Er dachte, er hätte das in den letzten sechs Monaten mit der vagen Erklärung, an einem Programm teilzunehmen, ganz gut hingekriegt. Devon war so verständnisvoll und einfühlsam gewesen. Aber nun sah es so aus, als sei Devon der Meinung, ein halbes Jahr Ausreden sei genug.
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»Du musst sehen, dass du das auf die Reihe kriegst, Mann«, hatte Devon an diesem Morgen erklärt. »Oder du musst aussteigen.« Das Problem war, Oz hatte nicht einfach beschlossen, eines Tages ein Werwolf zu werden. Sein Cousin hatte ihn gebissen, ihn mit Lycanthropie infiziert, und so war er eben auch ein Werwolf geworden. Das bedeutete, dass er an drei Nächten im Monat in einem Käfig in der Schulbibliothek angekettet wurde, um nicht zu riskieren, jemanden zu töten oder selbst getötet zu werden. Aber davon durfte niemand etwas erfahren. Wie Buffy, so hatte auch er eine geheime Identität, nur dass seine nichts mit Heldentum zu tun hatte, sondern eher mit dem Ruf der dunklen Kräfte. Es war sehr unangenehm und sorgte für ausreichend Probleme. Okay, so war das Leben. Aber, dass Devon ihn tatsächlich angelogen hatte wegen dieser Probe... Er schaute auf die Uhr. Mit diesem Tempo schaffte er es vielleicht noch zur dritten Stunde. Möglicherweise musste Buffy auch nachsitzen. Er lächelte unwillkürlich. Es wäre nett, mit ihr zu plaudern, nur sie beide, hören wie es bei ihr so lief. Sie gehörte zu den erfreulichen Erscheinungen in Sunnydale, und sie war außerdem eine wirklich gute Salsa-Tänzerin. Er fasste nach unten, um auf der CD das Stück San Francisco Bay Blues zu suchen. Leider fuhr er dabei um eine Kurve. Sein Finger drückte aus Versehen auf die Pausentaste, sodass er einen Augenblick vom Fahren abgelenkt wurde. Eine Sekunde zu spät sah er das umgestürzte Auto, das die Straße blockierte. Buffy kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie die Notarztwagen zum Krankenhaus aufbrachen. Cordelia überfuhr sie beinahe, hielt dann aber mit quietschenden Reifen neben ihr, sodass sie sich gerade noch auf den Beifahrersitz werfen konnte. 48
»Was ist passiert?«, schrie Buffy. »Was geht hier ab?« »Nun, heldenhafte Jägerin, Sie waren nicht da, also hat Willow die Heldin gespielt, ging in die Bibliothek und hat einen Schuss abbekommen«, schleuderte Cordelia ihr entgegen. »Und Giles hat eine Gehirnerschütterung und Xander –« »Sie wurde erschossen?« Buffy starrte sie an. »Wovon redest du?« Cordelia murmelte: »Sei still, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren, diese Krankenwagenfahrer haben’s echt drauf.« »Cordelia«, warnte Buffy. »Okay. Brian Dellasandro ist ausgerastet, hat in der Schule rumgeballert und dabei die Hälfte der Leute erwischt. Wir warteten darauf, dass du auftauchen würdest, aber er hörte nicht damit auf, alle möglichen Leute umzubringen. Also versuchte Willow, ihm mithilfe von Zauberei vorzumachen, sie sei seine Cousine Natalia. Dann ging sie in die Bibliothek und wollte ihm die ganze Sache ausreden. Leider funktionierte das nicht. Er schoss auf sie und schlug Giles und Xander nieder. Und dann schossen die SWAT-Leute auf Brian.« Sie blickte hinüber zu Buffy. »Willow lebt, aber es geht ihr nicht besonders gut. Das heißt, sie lebt vielleicht nicht mehr lange.« Und ich war nicht da, dachte Buffy unglücklich. Weil ich bei Angel eingeschlafen bin. Im Krankenhaus fanden sie Willows Eltern, die wie erstarrt im Wartezimmer saßen. Sie hielten sich an den Händen und schauten kaum auf, als Buffy und Cordelia vorübergingen. Niemand würde ihnen etwas sagen. In solchen Augenblicken war es wirklich etwas wert, ein Verwandter zu sein oder wenigstens ein Erwachsener. Jugendlichen sagte man meistens, sie sollten warten, ansonsten ignorierte man sie. Es war nicht so wie in der Fernsehserie 90.210, wo praktisch jeder 49
Sechzehnjährige ein eigenes Unternehmen leitete, ohne dass sich jemand einmischte. Nach einer Million Jahren tauchte Buffys Mutter auf, erblickte ihre Tochter und nahm sie spontan in die Arme. »Gott sei Dank«, sagte sie. »Gott sei Dank ist dir nichts passiert.« »Jeder, außer Willow, ist ziemlich in Ordnung«, erwiderte Cordelia. »Gehirnerschütterungen. Einer hat Streifschüsse abbekommen, aber er wird es überleben.« Für einen Augenblick ließ Buffy sich gegen ihre Mutter sinken. Das ist alles nur meine Schuld. Ich könnte auch selbst geschossen haben. Ich bin vielleicht Schuld am Tod meiner besten Freundin. »Mom, kannst du etwas über Willows Zustand herausfinden?«, flüsterte Buffy. Joyce streifte beruhigend über Buffys Wange und machte sich auf den Weg zum Zimmer der Krankenschwestern. »Ich habe es schon mal gesagt und ich wiederhole es gerne«, murmelte Cordelia bewundernd. »Deine Mutter weiß wirklich, wie man jemanden zu Tränen rührt.« Buffy beobachtete still, wie ihre Mutter mit einer blonden Frau in einem weißen Kittel sprach. Krankenschwester, Ärztin, Maniküre, Buffy war es ganz egal, wenn sie nur etwas über Willow erfuhr. Die Frau redete mit Joyce, die ihrerseits tapfer zu Buffy herüberlächelte. Buffy hielt das für eine gute Nachricht, bis ihre Mutter wiederkam und sagte: »Sie wird noch immer operiert.« Buffy ging hinüber zu den Rosenbergs, die zusammensaßen wie Leo und Kate auf den Trümmern der Titanic im Atlantischen Ozean.
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Sie wartete ab, bis die beiden auf sie aufmerksam wurden, räusperte sich und sagte heiser: »Ich weiß nicht, ob man es Ihnen gesagt hat, aber Willow hat heute etwas sehr Heldenhaftes getan. Sie ging in die Bibliothek, um mit Brian zu sprechen, obwohl niemand es von ihr verlangt hatte. Sie hat versucht, Mr. Giles und Xander das Leben zu retten.« Willows Vater, Ira Rosenberg, der weiter die Hand seiner Frau hielt, sagte: »Wenn das eine anständige Schule wäre, dann würde hier kein Junge mit einem Gewehr herumlaufen.« »Ira«, unterbrach ihn seine Frau, doch sie wurde von Tränen überwältigt. Buffy musste schlucken. Wie oft hatte Willow dafür gesorgt, dass sie nicht durchdrehte unter dem Druck, den es bedeutete, eine Jägerin zu sein. Und dann gab es andere Zeiten, in denen Willow einfach nur eine ganz normale Freundin war, mit der sie über ihren Freund sprechen konnte oder darüber, dass sie keinen hatte. »Ihre Tochter...«, sie wollte etwas sagen, doch dann senkte sie den Kopf. Sie war es nicht gewohnt, mit Erwachsenen über ihre Gefühle zu sprechen. »Sie ist meine beste Freundin.« Buffy wusste, das war nicht genug, aber es war alles, was sie unter diesen Umständen hervorbrachte. Sie setzte sich zu ihrer Mutter, die immer wieder vor sich hin murmelte: »Gott sei Dank ist dir nichts passiert.« Buffy fühlte sich krank. Ich war nicht da, dachte sie. Ich habe es nicht verhindert. Die Stunden schlichen dahin. Schließlich kam ein Arzt heraus und redete mit den Rosenbergs, die daraufhin durch die Doppeltür der Notaufnahme verschwanden. Buffys Herz setzte fast aus, während sie darauf wartete, dass sie zurückkamen. Immerhin dauerte es fast zwanzig Minuten. Dann kam Frau Rosenberg zu ihr und sagte: »Willow möchte mit dir sprechen.« 51
Buffy nickte und folgte der Krankenschwester durch die Tür. Willow sah klein und hilflos aus, wie sie da im Bett lag. Ihr rotes Haar stand in grellem Kontrast zu ihrer weißen Haut und den fast blutleeren Lippen. Die Krankenschwester flüsterte ihr zu: »Sie hat viel Blut verloren. Bleib nicht zu lange, sie ist sehr müde.« Buffy nickte erneut und ging zum Bett hinüber. So ruhig wie möglich sagte sie: »Will?« Willows Augen öffneten sich langsam. Sie weinte still. »Buffy, ich konnte es nicht tun«, murmelte sie. »Ich habe alles verdorben.« »Nein, du hast es großartig gemacht.« Eine Träne lief über ihre Wange. »Es tut wirklich sehr weh.« »Ich sage der Schwester Bescheid.« »Danke. Ein toller Tag, den du dir ausgesucht hast, um dich zu verspäten.« Es war als Scherz gedacht, aber es traf genau Buffys wunden Punkt. »Oh, es tut mir so Leid, Willow. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie Leid es mir tut.« Aber Willow war schon wieder eingeschlafen. Die Schwester kam herein und sagte: »Du solltest jetzt wirklich gehen. Es ist nicht gut, wenn sie so viele Besucher hat.« »Willow hat gesagt, dass sie Schmerzen hat«, informierte Buffy die Schwester. »Sie bekommt Morphium über den Tropf. Ich werde den Arzt bitten, die Dosis zu erhöhen«, bot die Schwester an. Dann ging sie zum Bett, um nachzusehen. Buffy fühlte sich hilflos – schlimmer noch, nutzlos. Sie verließ das Zimmer. Anstatt zurück zum Wartezimmer zu gehen, schaute sie in den anderen Räumen nach Giles und Xander. Überall roch es nach Blut, Erbrochenem und Desinfektionsmitteln. 52
Buffy war mit diesen Gerüchen vertraut. Als die Auserwählte verbrachte sie einen guten Teil ihrer Zeit in Krankenhäusern – und Beerdigungsinstituten. Im dritten Zimmer machte sie eine besondere Entdeckung: Brian Dellasandro lag dort bewusstlos in einem Krankenbett. Eine erstaunliche Anzahl von Maschinen hielt ihn offenbar am Leben. Er sah sehr schlecht aus. Buffy fiel auf, dass niemand in dem ganzen Chaos sich gefragt hatte, was wohl mit ihm geschehen war. Als Buffy den Raum betrat, sprang Mark auf. Er war ein gewöhnlicher, magerer Junge mit einer großen Brille, der aussah wie einer dieser Jungbullen, denen man eins auf die Nase gegeben hatte. Er war vierzehn, wirkte aber wie elf. Er empfing sie mit den Worten: »Bist du Ärztin?« Sie musste in sich hineinlächeln. »Hallo. Ich bin Buffy. Ich gehe in die gleiche Schule wie du und dein Bruder«, sagte sie. Sein Gesicht war tränenüberströmt. »Er hat unsere Eltern umgebracht«, sagte er. Buffy blieb vor Schreck der Mund offen. »Ich war nicht da. Ich konnte nichts tun. Ich war nicht da«, stieß er hervor. Er bedeutete ihr, sie solle gehen, dann sank er zurück in den Stuhl und heulte vor Schmerz auf. Buffys Herz raste, ein Echo seiner Worte. Ich war nicht da.
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3 »Xander, warum schließen wir nicht Frieden?«, fragte Buffy lächelnd und öffnete die Beifahrertür von Cordelias Wagen. Ein ziemlich süßer Typ mit blauen Haaren, der zum Sunnydale Hospital gehörte, half Xander aus dem Rollstuhl. »Frieden. Das heilige Wort. Sprich es nicht aus«, brummelte Xander vor sich hin, während er aus dem Rollstuhl aufstand und ins Auto kletterte. Buffy fiel nicht auf, dass es ein Pop-Zitat war, aber es machte nichts, da sie sowieso schon lächelte. Sie war froh, dass Xander wieder der Alte war, in seinen typischen, viel zu weiten Hosen und dem übergroßen T-Shirt, auch wenn sie einen Teil seines Kopfes rasiert hatten, um sich seine Schädelverletzung genauer anzuschauen. Um ehrlich zu sein, der halb rasierte Schädel sah sogar irgendwie cool aus. Es war wunderbar. Einfach deshalb, weil er es überstanden hatte. Er hatte Glück gehabt, genau wie Giles. Nur Willow, die sie im Krankenhaus behalten hatten, war leider nicht so gut dran. Sie war deprimiert und außerdem ziemlich wütend. Immer noch behauptete sie, es habe nichts damit zu tun, dass Buffy zu spät gekommen sei. Aber Buffy glaubte ihr nicht. Vielleicht, weil sie selbst so wütend auf sich war. Am Nachmittag der Schießerei war der Van von Oz mit eingedrückter Vorderseite in einer Kurve der 17. Straße gefunden worden. In den Beulen fanden sie Spuren von schwarzer Farbe, ein Zeichen dafür, dass ein anderes Fahrzeug ihn gerammt hatte, oder umgekehrt. Aber es war kein anderer Wagen zu sehen gewesen. Nur der Van, mit offener Fahrertür. Von Oz keine Spur.
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Schon seit drei Tagen wurde er vermisst. Buffy begann, nach ihrem Salsapartner zu suchen. Was sie herausfand, war, dass die meisten Leute Oz mochten. Gleichzeitig war er ihnen ein Rätsel. Das überraschte sie nicht. Wenn du ein tiefes, dunkles Geheimnis in dir trägst, entfernt dich das automatisch von denen, die dich lieben. Sie sprach mit den Mitgliedern der Band und schnaufte ärgerlich, als Devon ihr berichtete, dass er Oz vorgeschlagen hatte, sich zusammenzureißen oder die Band zu verlassen. Armer Oz. Sie konnte ihn noch nicht einmal verteidigen, aber immerhin sagte sie ein paar allgemeine Worte darüber, dass es nicht in Ordnung sei, auf einen Freund solchen Druck auszuüben. Buffy bemühte sich, höflich zu bleiben – im Interesse von Oz. Später ließ sie ihre Enttäuschung an ein paar Mülltonnen aus. »Das ist Vandalismus.« Angel lehnte an einem verlassenen Gebäude auf der anderen Seite der Straße und ließ die Worte langsam zu ihr hinübergleiten. »Ich weiß auch nicht, warum das seit einer Woche überhand nimmt.« »Das ist mein erster Mülltonnenanfall seit irrsinnig langer Zeit.« Buffy gab der nächsten Mülltonne einen Tritt, sodass sie herumwirbelte. Dann versetzte sie ihr einen unbarmherzigen Stoß, der es in sich hatte. »Und du würdest auf keinen Fall Graffiti sprühen«, erwiderte Angel. »Wovon man in letzter Zeit auch mehr sieht als je zuvor.« »Angel, bitte!« Sie unterbrach ihre Mülltonnenattacke, warf ihr Haar zurück und versuchte sich zu beruhigen. Er zuckte die Schultern. »Irgendjemand hat die Autobahnen und Nebenstraßen verschönert. Seine Rechtschreibung ist grauenvoll. Ich dachte, du kommst vielleicht mit und wir schnappen ihn.«
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»Wir brauchen unbedingt ein Jugendzentrum in dieser Stadt«, antwortete Buffy. »Sorry, das stimmt natürlich nicht. Wir haben ja das Bronze. Das wunderbare, tolle Bronze. Was ich übrigens richtig schreiben kann – nebenbei bemerkt.« »Keine Nachricht von Oz?« Angel ging nicht auf den Scherz ein. Buffy schwieg. Sie befanden sich in dem üblen Bezirk der Stadt, der einen halben Block von dem guten Viertel entfernt lag. Die Schatten der Straßenbeleuchtung veränderten Angels Gesicht. Seine Augen verschwanden in den Höhlen, und seine Wangen wirkten eingefallen. Sie fröstelte, weil das Bild sie an den ersten ihrer bösartigen Albträume erinnerte, und sie musste sich ins Gedächtnis rufen, wie dumm dieser Traum war. Das Monster besitzt dein eigenes Gesicht. Viele billige Filme verkauften dieses Klischee als großen Schocker! »Ich geh rüber zum Alibi. Noch mal. Ich kann nicht glauben, dass Willy so ahnungslos ist, wie er tut.« Angel nickte. »Ich komme mit.« Wie immer erregten sie einiges Aufsehen, als sie zusammen das Alibi betraten. Ein paar Stammgäste zogen sich diskret zurück. Willy war auch nicht gerade überglücklich, sie zu sehen. Aber er hörte deshalb nicht etwa mit dem Zapfen auf. »Hallo«, begrüßte Buffy ihn heiter. »Gibt’s irgendwas Neues seit gestern?« Der dreckige kleine Widerling runzelte die Stirn und machte ein Riesending daraus, Buffy ein Glas Cola-Light einzuschenken, als wollte er sich bei ihr einschleimen. Er schaute fragend zu Angel herüber, aber der schüttelte nur den Kopf. Heute Abend war ihm nicht danach, aus Höflichkeit etwas zu trinken. Er wollte Antworten. 56
Angel schaute sich in dem schäbigen Laden um, in dem die Nichtmenschen von Sunnydale verkehrten. Keine Vampire heute Nacht. Keine Dämonen – keine Gespenster, wie Xander sie nannte. Nur ein paar Menschen mit traurigen Gesichtern, die zur Abwechslung ein paar positive Nachrichten hätten gebrauchen können – oder vielleicht auch nur eine ordentliche Portion Schlaf. Oder Methadon. Die übliche Mischung für eine Bar wie diese. Er legte die Beine übereinander und beugte sich freundlich über den Tresen, als wollte er sich nur ein wenig unterhalten. Seine Bürste zeichnete sich an der Hüfte ab, sodass es aussah, als trage er dort eine Knarre. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er vielleicht zu seinem Schutz eine Waffe getragen, aber die Jägerin und er brauchten solche kleinen Hilfsmittel nicht. »Es ist dir vielleicht aufgefallen, dass wir neuerdings eine Menge mehr Ärger hier haben als sonst. Leute rotten sich zusammen, werfen Mülltonnen um, solchen Blödsinn eben. Weißt du irgendwas darüber? Irgendjemand neu in der Stadt? Vielleicht eine Gang?« Willy brach in wildes Gelächter aus. »Klar. Eine Bande von Klopfgeistern. Die stehen auf die harte Tour. Alles Puristen.« »Oh«, machte Angel, während er sich aufrichtete. »Du versuchst hier, den Clown zu spielen. Das finde ich gar nicht lustig«. »Vor allem, weil es auch eine Menge Mordfälle gegeben hat in letzter Zeit«, ergänzte Buffy. Willys Augen bewegten sich unruhig von einer Seite zur anderen. »Es ist niemand neu in der Stadt«, murmelte er schuldbewusst vor sich hin. Dabei war es schwer zu beurteilen, ob er vielleicht doch etwas verschwieg. Er hörte sich immer so an. Außerdem hatte ein Typ wie Willy jede Menge zu verbergen, und man wusste
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nie, ob es was mit dem zu tun hatte, was im Augenblick anstand. »Du weißt, es wäre in deinem eigenen Interesse, uns davon zu erzählen«, fuhr Angel fort. »Wirklich?« Willys Augen glänzten. Angel musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Der Typ dachte doch tatsächlich, sie würden ihm Geld anbieten. »Wirklich. Was mein Freund hier sagen will, ist, wenn du uns nicht dein Innerstes öffnest«, mischte Buffy sich liebenswürdig ein, »dann werden wir das für dich tun und dir die Eingeweide herausreißen.« »Meine Freundin hat es auf den Punkt gebracht.« Angel schlug mit der Hand auf die Bar, sodass Willy unwillkürlich zurücksprang. »Also Willy, möchtest du nicht vielleicht doch ein wenig mit uns plaudern?« »Ich habe gar nichts zu sagen.« Sein Adamsapfel hüpfte nervös auf und ab. Angel beobachtete absichtslos eine Vene an seinem Hals, die sich heftig bewegte, und stellte fest, dass er hungrig war. Aber so hungrig auch wieder nicht. Er würde nie wieder so hungrig sein. »Wirklich, gar nichts«, blubberte Willy munter weiter. »Und nichts ist für jemanden wie dich schon viel«, sagte Buffy und schaute Angel an, als wollte sie sagen: Was machen wir jetzt? »Wenn wir herausfinden, dass du uns angelogen hast«, drohte Angel, während er sein Gesicht nur ein wenig veränderte, gerade so viel, dass Willy es bemerkte, »dann werde ich dich dafür büßen lassen, dass ich deinetwegen fast getötet wurde.« Damit hatte er Willy gepackt. »Ich habe dich nur an Spike verraten, weil diese Jägerin aus Jamaica mich bedroht hat«, wimmerte dieser. 58
»Fang bloß nicht damit an, Willy. Das bringt ihn schlecht drauf«, sagte Buffy freundlich. »Und ich schwöre dir, du hast Angel noch nie erlebt, wenn er so richtig schlecht drauf war.« »Oh doch, das habe ich«, versicherte Willy ihr. »Nicht wirklich«, sagte Angel. Er ballte die Faust und schlug sie auf die Bar – sehr vorsichtig. »Wenn du was hörst, könnte das seine Laune verbessern«, schloss Buffy. »Oh, und danke für die Cola.« Sobald die Jägerin und der Vampir verschwunden waren, wischte Willy sich die Hände ab und verschwand in Richtung Herrentoilette. Noch bevor er sie erreicht hatte, wurde er aufgehalten. Er hielt die Luft an und ging ein paar Schritte zurück. »Ich habe ihnen nichts gesagt«, stieß er hervor. »Ich habe ihnen nichts erzählt.« Die dunkelhaarige Schönheit starrte ihn an. Der Blonde fragte: »War das die Jägerin?« Er warf der Frau einen Blick zu. »Mit Angelus?« Sie sog die Luft ein. »Wir nennen ihn Angel«, erwiderte Willy. Das Gesicht des Blonden veränderte sich. Er war der grauenhafteste Vampir, den Willy je gesehen hatte – und er hatte schon eine Menge gesehen. Der Mann fasste hinüber zur Tür der Herrentoilette, zog am Griff und riss sie mühelos aus der Verankerung. Die dunkle Schöne zuckte zusammen und biss sich auf die Unterlippe. »Lass uns allein«, sagte der Vampir, während seine Begleiterin so aussah, als würde sie sich gleich in die Hosen machen. »Kein Problem.« Willy schoss zurück in die Bar und goss sich auf der Stelle ein Glas Gin ein. Er stürzte es hinunter und goss nach. Wahrscheinlich würde er noch ein paar davon brauchen, bis das Zittern aufhörte. 59
Buffy lief niedergeschlagen die Straße hinunter. »Was meinst du?«, fragte sie. Ihre Stimme versagte. »Dass du dir bessere Informanten suchen musst.« Er zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Ich wundere mich, dass ihn noch keiner hochgenommen hat.« Buffy seufzte und versetzte der nächstbesten Mülltonne einen Tritt. »Die Nacht hat gerade erst angefangen«, bemerkte Angel leichthin. »Warst du schon auf dem Restfield-Friedhof?« »Gestern Nacht, heute noch nicht.« »Dann los, lass uns gehen.« »Danke«, war alles, was Buffy hervorbrachte. »Es tut mir Leid, dass er von Kendra angefangen hat«, fuhr Angel fort. »Es ist in Ordnung, ich komme schon damit klar«, antwortete sie knapp. »Ich weiß.« Außerhalb der Stadt, im Haus der Dellasandros, war alles dunkel. Nachdem man die Leichen weggebracht und die Spurensicherung abgeschlossen hatte, war der Eingang von der Polizei entsprechend versiegelt worden. Die Kids versammelten sich schon wieder in den Drecklöchern um das Haus herum und verbreiteten das Gerücht über Wesen, die sich angeblich im Haus herumtrieben und stöhnten. Wenn man genau hinhörte – und vor allem, wenn man ein paar Bier zu viel getrunken hatte, konnte man vielleicht einen Pistolenschuss hören. Und danach einen Schrei. Brian hatte allerdings gar keine Pistole benutzt, sondern ein Gewehr.
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Sie machten eine Mutprobe daraus, zur Tür zu rennen und die Versiegelung zu berühren. Das Nächste war, über die Mauer zu klettern, und in die Fenster zu schauen. Als die Polizei noch darüber nachdachte, ob sie einen Wachposten aufstellen sollte, waren ein paar betrunkene Fußballer gerade dabei, brennendes Holz aufs Dach zu werfen. Und trotz aller Bemühungen der örtlichen Feuerwehr, brannte das Haus in kürzester Zeit bis auf die Grundmauern ab. Weil es ein böses Haus war, flüsterten die Leute sich zu. Dann fand man Romeo Kitty, die weiße Katze, die ein paar Blocks entfernt lebte – verstümmelt. Und auch der Pudel Juwel, der weiter unten in der gleichen Straße wohnte, wurde vermisst. Seine Besitzerin, eine extrem fette Person namens Gibson, die sonst immer Zielscheibe übelster Scherze war – vor allem weil sie gerne die Bullen rief, wenn eine Party stieg – war so fertig mit den Nerven, dass sie versuchte, sich mit Pillen das Leben zu nehmen. Und niemand, nicht einmal die größten Idioten, machten sich je wieder über sie lustig. Juwel wurde eine Woche nach Ms. Gibsons Selbstmordversuch in einem Graben gefunden, der an ihren Garten grenzte. Kein schöner Anblick – und kein natürlicher Tod. Das waren nicht die Koyoten, hieß es offiziell. Ms. Gibson zog um. Einige behaupteten, sie sei nach Philadelphia zu ihrer Schwester gezogen. Andere meinten, sie sei in eine Nervenklinik gebracht worden und habe bis zum Schluss nach Juwel gerufen. Ihr leer stehendes Haus wurde jedenfalls zu einer beliebten Zielscheibe von Gerüchten, und schon bald hörte man, dass jemand sich dort nachts im Haus oder auf dem Grundstück herumtreiben sollte.
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Die Kids behaupteten, es seien böse Geister. Andere murmelten etwas von Mark Dellasandro. Wo es einen Verrückten in der Familie gab, konnte es auch zwei geben. Am Mittwoch wurde Willow aus dem Krankenhaus entlassen und Buffy wollte sie besuchen. Oz wurde seit fünf Tagen vermisst und es blieben nur noch drei Tage bis zu seiner Verwandlung. Willow sah wirklich nicht gut aus: Das fettige Haar hatte sie provisorisch nach hinten gesteckt, sie trug kein Make-up, und ihr Pullover hatte auch schon mal bessere Tage gesehen. »Es tut mir Leid, dass ich dir keine guten Neuigkeiten bringen kann«, sagte Buffy. »Du suchst eben nicht richtig.« Willow schaute nicht einmal von ihrem Monitor auf. Sie hackte auf der Tastatur herum, ging die Polizeiberichte aus Sunnydale durch und alle Informationen aus den Kliniken in der Umgebung, zu denen sie Zugang hatte. Das versetzte Buffy einen Stich. »Also weißt du, ich bin jede Nacht ein paar Extrastunden auf Patrouille, um ihn zu finden und –« »Das ist Blödsinn«, unterbrach Willow sie verzweifelt. »Es ist nicht so, als würde er sich in einen Wolf verwandeln und du könntest ihn einfangen.« Sie fasste sich an die Stirn. »Du musst deinen Kopf benutzen, verstehst du? Ich bin nicht sicher, ob dir ein so unglaublicher Gedanke jemals gekommen ist.« Willow hat Angst, versuchte Buffy sich zu beruhigen. Trotzdem fand sie es nicht okay, dass sie so mit ihr sprach. Aber ich habe es verdient, sagte sie zu sich selbst. Ich habe es sogar mehr als verdient.
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»Übrigens, Ms. Gibsons Haus wurde weit unter Marktwert von einem gewissen H. Ombra gekauft«, fuhr Willow fort. »Falls es dich interessiert.« »Mir ist aufgefallen, dass das Schild »Zu verkaufen« verschwunden ist.« Buffys Stimme zitterte. Es war ein Versuch, Willow zu besänftigen. »Ich bin dort vorbeigegangen gestern Nacht, als ich auf Streife war. Zusätzlich.« »Wenn du so stolz auf diese zusätzlichen Streifengänge bist, wie kommt es dann, dass du die kleine Acuff auch noch nicht gefunden hast?« »Hey.« Buffy runzelte die Stirn. »Ich weiß, dir geht es nicht gut, und es tut mir wirklich alles sehr Leid, Willow. Ich...« »Du bist die Jägerin, du kannst es vertragen«, schoss Willow zurück und hob ihr Kinn. Buffy richtete sich auf. »Bist du in Ordnung? Ich meine...« Willow verzog den Mund. »Wovon redest du? Mit mir ist alles in Ordnung. Du bist es doch, die völlig durch den Wind ist.« »Willow.« Buffy ließ die Hände sinken. »Bitte.« Willow warf ihr einen wütenden Blick zu. »Jeder, der mit dir zu tun hat, stirbt irgendwann. Ist dir das schon aufgefallen? Früher oder später. Ich fürchte, jetzt war Oz eben dran.« Kaltblütig drehte sie Buffy den Rücken zu und beschäftigte sich demonstrativ mit dem Computer. Keine von beiden sagte ein Wort, während sie den Cursor bewegte, Windows aufrief und wieder schloss und andere sinnlose Aktionen mit der Kiste durchführte. Buffy war verletzt. Sie beschloss zu gehen, ließ sich jedoch Zeit, ihre Sachen zusammenzupacken. Willow – die Willow, die sie kannte – würde sie nicht so gehen lassen. Aber Willow raunte nur: »Schließ die Tür, wenn du rausgehst.«
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Buffy schluckte und verließ das Zimmer so würdevoll, wie es ihr unter diesen Umständen möglich war. Leise schloss sie die Tür und lehnte sich von außen dagegen. Sie lauschte und betete, Willow würde ihre Meinung ändern und sie zurückrufen. Aber sie hörte nichts als das Klicken der Maus und das Klappern der Tastatur. Am nächsten Morgen versuchte Buffy sich aufzumuntern. Sie putzte die Küche für ihre Mutter, die völlig außer sich war und alles in sich hineinstopfte, was sie an Essbarem fand. Joyce wollte irgendwas über die Galerie loswerden. Es ging um ein zerbrochenes Fenster oder Schloss oder so ähnlich. Buffy schaffte es sogar, rechtzeitig für eine Trainingsstunde mit Giles in der Schule zu sein. Sie hatte eine CD dabei, die ihm gefallen würde. Sie war fest entschlossen, diese Musik für ihr Training zu benutzen und nicht dieses Zeug, von dem er immer sagte, dass es ihm das Gehirn aus den Ohren trieb. Four Star Mary, eine tödliche Band. Aber zu den Bay City Rollers würden seine Beine sich von selbst bewegen. »Hey«, rief Buffy gut gelaunt, als sie die Bibliothek betrat, »schauen Sie mal, was ich hier habe –« Sie wurde von einem Geräusch aus Giles’ Büro unterbrochen – hingefallenes Glas vielleicht – und rannte ohne zu zögern hinüber. Doch als sie gerade die Tür öffnen wollte, kam er ihr entgegen. »Hallo, Buffy«, sagte er kurz angebunden und schien nicht gerade erfreut, sie zu sehen. »Hallo. Was ist passiert?«, fragte sie ihn und reckte ihren Hals, um einen Blick über seinen Kopf hinweg in den Raum zu werfen. »Ist Ihnen etwas runtergefallen?« »Nur eine Tasse. Ich kümmere mich schon darum.« Er hob die Augenbrauen. »Was kann ich für dich tun?«
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Sie verzog das Gesicht. »Giles, ich glaube wirklich, Sie werden langsam alt.« Sie machte ein paar Trainingsschritte. »Das übliche Fitnessprogramm, erinnern Sie sich?« Er seufzte: »Tut mir Leid. Dafür habe ich heute Morgen keine Zeit.« Ohne ein weiteres Wort ging er zurück in sein Büro, schloss die Tür und ließ eine verblüffte Buffy zurück, die ihm nachstarrte. »Ich habe die Bay City Rollers mitgebracht«, rief sie ihm hinterher, in der Hoffnung, das würde ihn umstimmen. »Und ich habe Shaun Cassidy und die Partridge Familiy bestellt. Giles?« »Ja«, sagte er und zunächst dachte sie, er spreche mit ihr. Aber dann hörte sie, wie er fortfuhr. »Ja, ich bleibe dran.« Sie zögerte. »David?«, murmelte er. Vielleicht sollte ich nicht lauschen, ermahnte sie sich, aber sie konnte der Versuchung nicht widerstehen. Erst hatte sich Willow völlig verändert, und jetzt gab Giles ihr Rätsel auf. Vielleicht enthielt dieses Telefongespräch den Schlüssel für ihr merkwürdiges Verhalten. »Ach, du lieber Gott, es tut mir so schrecklich Leid«, hörte sie Giles sagen. »Gibt es... haben Sie große Schmerzen? Vergessen Sie es. Nein, ich kann nicht. Ich muss diesen dummen, unfähigen Trampel von einem Teenager betreuen. Nein, nein, ich bin mehr eine Art Aufpasser. Ja, sie hat auch eine Mutter, aber die kriegt gar nichts auf die Reihe. Was kann man hier in Kalifornien auch anderes erwarten?« Buffy traute ihren Ohren nicht. Sie redete sich ein, dass er diesem David etwas vormachte. Vielleicht ging es nur darum, ihm ein bestimmtes Bild zu vermitteln. Wer weiß, wer er war und wofür es gut sein konnte.
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Aber sie fand, dass er sich etwas zu gut verstellte. Seine Schauspielerei war geradezu preisverdächtig. »Eine Transplantation?«, fragte Giles. »Um Himmels willen!« Sie entfernte sich. Das war keine Verstellung. Sie war ein unfähiger, dummer Trampel und ihre Mutter kriegte nichts auf die Reihe. Buffy kochte innerlich, als sie die Bibliothek verließ. Sie fühlte sich gedemütigt. War sie auf einem anderen Planeten gelandet, ohne es zu merken? Als sie die Tür der Bibliothek gerade hinter sich schließen wollte, hörte sie wieder dieses Geräusch, als sei etwas zerbrochen. »Alarmstufe Rot«, murmelte sie. »Giles leidet unter PMS.« »Aber es war viel schlimmer«, sagte Buffy zu Cordelia, mit der sie sich zum Mittagessen getroffen hatte. Buffy hatte Burger und Fritten gekauft, und Cordelia fand, der Burger rieche wie Hundefutter. Sie war kurz davor, sich zu übergeben. »Er sagte, ich sei ein dummer unfähiger Trampel.« Cordelia rieb sich die Schläfen. In ihrem Kopf hämmerte es so stark, dass sie sich kaum auf das konzentrieren konnte, was Buffy sagte. Um ehrlich zu sein, sie konnte sich überhaupt nicht konzentrieren. Die Welt löste sich auf, und sie sah alles verschwommen, wie in einem Kaleidoskop. Was immer Buffys Problem war, es konnte nicht schlimmer sein als das. Es ist Migräne, dachte sie erschrocken. Ihre Mutter wurde oft davon gequält. Cordelia hatte gehofft, dass sie dafür nicht anfällig sei. Wie Krampfadern und Falten. Der Gedanke, dass sie damit schon im reifen Alter von siebzehn gestraft sein würde, verbesserte nicht gerade ihre Laune. »Und er sagte, meine Mutter bekäme gar nichts auf die Reihe.«
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»Vielleicht hat er versucht, jemanden zu beeindrucken«, gab Cordelia zu bedenken, aber im Grunde hatte sie keine Ahnung, was sie davon halten sollte. »Sorry?«, sagte Buffy. »Wen zum Beispiel, die Britische Gesellschaft zur Förderung der allgemeinen Bösartigkeit?« »Was?« Cordelia hielt sich die Stirn und stöhnte. »Ich fühle mich furchtbar. Ich kann jetzt nicht mit dir darüber sprechen.« Sie deutet auf ihren Joghurt und den Apfel, der vor ihr lag. »Ich kann noch nicht mal was essen. Ich fühle mich, als hätte ich eine Salmonellenvergiftung.« Nach einer Pause fragte Buffy: »Glaubst du, dass du besessen bist?« Cordelia ließ ihre Hand kraftlos auf den Schoß fallen. »Ich schwöre, Buffy, du redest völligen Blödsinn.« Sie versuchte, sich auf die Beine zu stellen. Dabei sah sie nicht besonders elegant aus in ihrem kurzen Kleid. In ihrem Schädel hämmerte es mörderisch, aber irgendwie schaffte sie es aufzustehen. »Kannst du mich nach Hause fahren? Nein, natürlich kannst du nicht. Du könntest ja noch nicht mal die Führerscheinprüfung bestehen.« »Hey«, sagte Buffy wütend. »Du weißt genau, dass ich es bis jetzt noch gar nicht versucht habe. Was ist bloß los mit euch allen?« Cordelia schielte zu ihr herüber. Der Schmerz wurde unerträglich. Und ich soll unsensibel sein? Sie stöhnte erneut auf und begann, über den Hof zu torkeln. Vielleicht konnte die Krankenschwester ihr etwas geben. Wahrscheinlich nicht, denn die Medizin, die sie brauchte, war verschreibungspflichtig und die Schule würde nicht wollen, dass man sie deswegen verklagte. Denn auf die Sunnydale High kamen eine Menge Klagen zu, soviel war sicher. Und was waren schon ihre Kopfschmerzen gegen drei tote Schüler und
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eine Menge ernsthaft verletzter Menschen? »Danke für diesen wunderbaren Augenblick«, rief Buffy ihr nach. Von der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete Jordan die Sunnydale-Kunstgalerie. Er war wütend. Wer konnte auch wissen, dass sie ein perfektes Alarmsystem hatten? Er hatte gewartet, bis es dunkel war, dann hatte er die Scheibe eingeschlagen und – zzzzzzing! Das Ding war losgegangen wie eine Höllenmaschine. Die Königin und ihr Freund – er nannte sich Julian – wurden langsam ungeduldig. Sie sprachen nicht mehr davon, ihn in die Familie aufzunehmen. Aber sie machten immer noch diese verrückten Dinge: Perlen in Wein auflösen, zum Beispiel, und ihn dann trinken. Die Leute waren seine Chance, aus Sunnydale endlich rauszukommen. Plötzlich fühlte Jordan, dass jemand ihn beobachtete. Wenn man sich lange genug außerhalb der Legalität bewegte, bekam man für so etwas einen sechsten Sinn. Er wirbelte herum und erahnte ein schmales Gesicht, das ihn aus einer dunklen Gasse heraus anstarrte. Nachdem er aber nichts weiter erkennen konnte, glaubte er, unter Verfolgungswahn zu leiden. Schließlich wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Galerie zu, traf eine Entscheidung und überquerte die Straße. Er stieß die Tür auf. Eine kleine Glocke läutete und eine adrett wirkende Vierzigerin mit blonden Locken schaute von ihrer Arbeit auf und lächelte ihn an. Sie war gerade dabei, eine Kiste mit Tongefäßen auszupacken. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie. »Haben Sie Urnen?«, fragte er zurück. Es war Nachmittag und die Sonne begann, lange Schatten zu werfen. Xander wusste nicht, wie er es geschafft hatte, sich über den Tag zu retten. Er war schlecht drauf und seine Laune 68
besserte sich nicht gerade dadurch, dass er Cordelia in der Mittagspause nach Hause fahren musste. Sie hatte die ganze Zeit geredet – irgendwas über einen Gehirntumor. Er hatte keine Ahnung, was sie damit sagen wollte, oder warum sie ihn dazu auserkoren hatte, ihren Fahrer zu spielen. Und was war der Dank? »War mir ein Vergnügen, Queen Cordelia«, rief er ihr nach, als er sie zu Hause abgeliefert hatte und nichts als ein verständnisloses »Hä?« zurückbekam. Nun saß Xander Buffy gegenüber im Unterricht. Sie sah auch nicht gerade glücklich aus. Willow und Cordy waren krank, Oz vermisst. Anscheinend spornte das ihre Lehrerin Ms. Broadman an, den Unterricht noch langweiliger zu gestalten als sonst. Der Rest der Klasse würde es sich morgen zweimal überlegen, zum Unterricht zu erscheinen. Es machte Xander verrückt und erst nach mehrmaligem Räuspern von Buffy hörte er auf, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Dann, nach einer halben Ewigkeit, näherte sich die Stunde endlich dem Ende, und sie konnten hier abhauen. »Jetzt zu den Ergebnissen eurer Klassenarbeiten«, begann Ms. Broadman. »Ich habe einige Anmerkungen dazu und möchte folgende Schüler nach dem Unterricht zu mir bitten.« Sie blickte auf einen Zettel. »Grace Wilcox, Sarah Beck, Mallory Morel, Buffy Summers und Xander Harris.« Die Glocke läutete und der Rest der Klasse stürzte augenblicklich nach draußen. Mallory und Sarah, die normalerweise nebeneinander in der letzten Reihe saßen und sich ununterbrochen gegenseitig Zettelchen schrieben, beugten sich nervös über ihre Bücher. Xander drehte sich zu Buffy herum und schaute sie fragend an.
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»Da ich zu der auserwählten Truppe gehöre«, erklärte Buffy, »kann das nur eins bedeuten: Wir sind die überflüssigen Drohnen im Bienenstock und sie ist die Königin, die auf uns verzichten kann.« »Das würde bedeuten, dass ich in Zukunft meine kostbare Zeit nicht mehr mit sinnlosem Unterricht vergeuden muss«, erwiderte Xander grinsend, obwohl er sich in Wahrheit ziemlich verarscht fühlte. Mein Gott, ich muss ein Idiot sein, dachte er. »Ich habe diese Kapitel so oft gelesen, ich habe sie praktisch auswendig gelernt. Und trotzdem.« »Und trotzdem«, sagte Buffy und seufzte. »Ich dagegen habe mich überhaupt nicht vorbereitet. Ich habe stattdessen nach Oz gesucht. Und meiner Mutter zugehört, die sich über irgendwas in der Galerie beschwerte.« Xander hob den Kopf. »Gehen die Geschäfte schlecht, sind die Statuen nicht wertvoll genug?« Buffy zuckte die Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich habe nur halb zugehört. Schließlich ging es nicht darum, jemanden zu retten oder zu verfolgen. Ich habe quasi nur die Essenz aufgenommen. Auf den Punkt gebracht: Sie war ziemlich sauer, aber nicht meinetwegen.« Sie flüsterte bedeutungsvoll. »Mehr muss eine Jägerin und heranwachsende Tochter nicht wissen.« »Ganz richtig«, gab Xander verständnisvoll zurück. Dabei fing er wieder an, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Sollte die Broadman ihn ruhig böse anschauen. Der Unterricht war schließlich vorbei und er verbrachte seine kostbare Freizeit damit, hier herumzustehen. Nach etwa einer Minute, die einer halben Ewigkeit glich, zückte Ms. Broadman einen dünnen Stift und bewegte sich langsam um den Tisch herum auf sie zu. Irgendwie tat sie Xander Leid. Man sagte ja, dass die Dicken meistens ein schönes Gesicht haben. Schöne Augen hatte sie, 70
ja. Und ihre Haare waren auch nicht schlecht. Aber da waren diese grauenhaft abgekauten Fingernägel, eingebettet in eine blutige Nagelhaut. Es war eine neue Angewohnheit von ihr, die Xander unerträglich fand. Cordelia ging es genauso. Sie beide waren zu dem Schluss gekommen, dass jemand, der sich selbst so verstümmelte, im Grunde Hilfe brauchte. Dann dachte er an Cordelias Kopfschmerzen. Vielleicht musste sie selbst auch alles ein bisschen langsamer angehen. Klack, klack, klack, machten seine Finger. Vielleicht sollte ich mich bei den Dingoes als Drummer bewerben. »Gut, dann sehen wir mal.« Wie ein Arzt, der den Krankenbericht studiert, blickte Ms. Broadman auf den vor ihr liegenden Stapel von Klausuren. Xander blinzelte. Er kannte seine eigene Handschrift, und er erkannte auch eine dicke, rote Eins, wenn er eine sah. Verblüfft schaute er zu Buffy hinüber, die ihn angrinste und siegessicher den Daumen hob. »Auf keinen Fall«, platzte es aus ihm heraus. »Oh doch, Xand.« Buffy zeigte ihm, dass sie stolz auf ihn war. »Mr. Harris, ich möchte Ihnen Ihre Arbeit zeigen«, sagte Ms. Broadman und wendete sich ihm zu. Sie überreichte ihm einen Stapel Papier. Tatsächlich, da war eine Eins, es war keine Fata Morgana. »Wow«, Xander blinzelte. »Das ist Wahnsinn.« Ms. Broadman neigte den Kopf etwas. »Das dachte ich auch. Ich war angenehm berührt. Bis ich die Arbeit von Juli Masterson las.« Das war offenbar die nächste auf dem Stapel, die sie mit großer Geste herunternahm und Xander ebenfalls überreichte. Julie hatte, wie er auch, eine Eins bekommen. Xander schaute abwechselnd auf die eine, dann auf die andere Arbeit. 71
Er wartete. Buffy wartete auch. Die drei Mädchen im Hintergrund verhielten sich still. »Schau dir den ersten Abschnitt deiner Arbeit an«, schlug Ms. Broadman vor. Es handelte sich um ein Multiple-Choice-Verfahren. »Lies deine Antworten.« »Hhmm, A, B, A, A, B, C, D.« Ups, C und D waren beide als falsch markiert. »Und jetzt lies bitte Ms. Mastersons Antworten.« Er schaute sich ihre Ergebnisse an. Ja, es waren genau die gleichen Antworten. Xander zuckte die Schultern. »Ein Zufall.« »Nun lies bitte die Ausführungen zur ersten Frage.« »In Ordnung.« Er schaute sich auch das an. Dann hob er die Augenbrauen, während Ms. Broadman auf eine Antwort wartete. »Es ist praktisch der genaue Wortlaut, wie er im Buch steht.« »Nein, das ist er nicht«, sagte Ms. Broadman. »Zunächst dachte ich das auch, aber dann habe ich mir die Mühe gemacht, Ihren Text mit dem des Buches zu vergleichen. Tatsache ist, die Ähnlichkeit zu Ms. Mastersons Antwort ist erheblich größer.« Sie verzog ihre Nase, als stinke die Sache schlimmer als der verrottende Kadaver einer Zombie-Katze. »Nun möchte ich ihre Aufmerksamkeit auf die fünfte Frage lenken.« Sie verlangte von ihm, die ganze Prozedur zu wiederholen. Seine Arbeit, Julies Arbeit. »Nein«, Xander bestand darauf. »Es ist das, was im Buch steht.« »Das glaube ich nicht«, sagte sie spitz, nahm ihm die Papiere ab, ging langsam um den Tisch herum und baute sich vor ihm auf. Sie nahm einen roten Stift, kniff die Augen zusammen und 72
zog mit großer Befriedigung einen Strich durch die Eins. Dann schrieb sie etwas daneben. Sie hielt es ihm hin, sodass er sehen konnte, was es war: eine Sechs. »Das ist angemessener, meinst du nicht?« »Ich habe nicht von ihr abgeschrieben.« Xander bestand darauf und versuchte ruhig zu bleiben, obwohl sein Magen sich zusammenzog. »Ich kenne sie noch nicht einmal.« Dann, als ihm bewusst wurde, wie sich das anhören musste, fügte er hinzu: »Ich habe nicht einmal versucht, Sie bei dieser Arbeit zu täuschen. Ich betrüge nicht im Unterricht.« »Nein. Nur außerhalb.« Sie zeigte auf Willows leeren Stuhl. »Wie Ihre fehlenden Freunde.« »Willow hat niemanden getäuscht«, sagte Xander, während er fühlte, wie das Blut ihm in den Kopf schoss. Ihm war heiß und er fühlte sich krank. »Sie hat mir beim Lernen geholfen, das war alles.« Ms. Broadman beugte sich zu ihm herüber. »Und hat deine Hausaufgaben für dich gemacht.« »Und sie ist nicht hier, um sich oder Xander zu verteidigen«, fügte Buffy hinzu. Xander warf Buffy einen dankbaren Blick zu. »Ja genau«, sagte er. »Die Sechs bleibt«, war alles, was Ms. Broadman erwiderte. Xander fiel die Kinnlade runter. Er konnte es nicht glauben. Ein Mal hatte er wirklich sein Bestes gegeben. Ein Mal hatte er es geschafft und war besser gewesen, als er sich jemals hatte träumen lassen. Diese Ungerechtigkeit war einfach zu viel für ihn. Er sprang wütend auf und wollte sich die Arbeit schnappen. Ms. Broadman kam ihm zuvor und schwenkte sie siegessicher über ihrem Kopf, wobei dieses seltsame Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.
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»Das ist mein Eigentum«, protestierte Xander. Jetzt begann er zu begreifen: Das Ganze bereitete ihr ein teuflisches Vergnügen. »Sie...« Das Wort lag ihm auf der Zunge. Und es war nicht gerade ein Kompliment. »Xander, bleib cool«, flüsterte Buffy ihm zu. Er wirbelte herum. »Lass mich in Ruhe, Buffy«, raunzte er sie an. Buffy schwieg verblüfft. Dann wendete er sich wieder Ms. Broadman zu und kniff die Augen zusammen. »Geben Sie mir jetzt sofort die Arbeit, oder ich...« Die Lehrerin riss die Arbeit vor seinen Augen in Stücke. Ungläubig starrte er auf das Papier. Xander hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, brachte aber keinen Ton heraus. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals in seinem Leben so wütend gewesen zu sein. Die Fäuste geballt schaute er sie an, als wollte er sagen: Versuch es! Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, rannte er aus dem Klassenzimmer und schlug die Tür so fest er konnte hinter sich zu. Dafür wird sie bezahlen. Oh ja. So viel ist sicher. Sie wird bezahlen.
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4 In der letzten Unterrichtsstunde bekam Buffy eine Nachricht von Giles. Die Nachricht war offiziell und er bat sie darin, gleich nach der Schule zu ihm in die Bibliothek zu kommen. Lehrer und andere Angehörige der Fakultät konnten so etwas tun, ohne Verdacht zu erregen. Ein Gespräch mit Giles stand im Augenblick nicht gerade ganz oben auf ihrer Liste der Lieblingsbeschäftigungen. Also ließ sie sich Zeit, machte einen Umweg über die Toilette und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Sie trank aus dem Wasserspender und schaute sich nach Xander um. Buffy fragte sich, was das alles zu bedeuten hatte, und machte sich Sorgen um ihren Freund. Es war gut, jemanden wie Xander zu haben. Freunde waren in diesen Tagen nicht so zahlreich, wie sie geglaubt hatte. Buffy stieß die Tür zur Bibliothek schwungvoll auf und fand Giles hinter seinem Schreibtisch. Er beschäftigte sich nicht, wie sie gehofft hatte, mit einem Stapel Bücher zum Thema »Besessenheit«, sondern hatte nur eine einfache Arbeitsmappe vor sich liegen. Außerdem schaute er noch nicht einmal auf, als sie näher kam, obwohl das Klacken ihrer Schuhe unüberhörbar war. »Ja und«, sagte sie kühl. »Gut.« Seine Stimme klang distanziert. Buffy war verletzt. Sie hatte vermutet – okay gehofft –, er wolle sich bei ihr entschuldigen. Jetzt wartete sie ab und machte keinen Hehl daraus, wie wütend sie war. Aber als er weiter vor sich hinschrieb, legte sie ihre Hand auf den Tisch und sagte: »Sie wollten mich sehen – Sie haben mich gesehen. War’s das?«
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»Verzeihung.« Er schaute zerstreut auf, schob seine Brille nach oben, wie nur Giles es tat, rieb seine Nase, wie nur Giles es tat, und doch... fast hätte sie geweint. Der Mann, der vor ihr saß, sah aus wie Giles und redete wie Giles, aber konnte es unmöglich sein. Der Giles, den sie kannte, hätte sie niemals als einen unfähigen, dummen Trampel beschimpft. »Tut mir sehr Leid«, wiederholte er. Dann nahm er seine Hand von der Arbeitsmappe und sagte: »Ich möchte dir etwas zeigen.« Er zögerte und sprach mit gedämpfter Stimme weiter. »Vielleicht möchtest du dich lieber setzen.« »Ich glaube nicht«, gab sie schnippisch zurück. Ihr war klar, dass sie sich kindisch benahm, aber sie konnte nicht anders. Nachdem sie jedoch die Mappe geöffnet hatte, ließ sie sich augenblicklich in den nächsten Stuhl fallen. Buffy hatte schon eine Menge Autopsiefotos gesehen, seit sie die Jägerin war. Sie hatte auch schon eine Menge Leichen gesehen. Verstümmelte, sich zersetzende Körper, verweste Leichen, Überreste von Dämonen, so abscheulich, dass sie sich nicht gerne daran erinnern mochte. Aber was sie jetzt sah, war das Fürchterlichste von allem. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Sie suchen Mark Dellasandro.« »Warum?«, brachte sie mühsam hervor. »Er kann das unmöglich getan haben.« Kein menschliches Wesen konnte so etwas getan haben. »Weil ein Ring von ihm gefunden wurde, in...« Er zeigte es ihr. Sie konnte das Metall unter der Haut schimmern sehen. Giles blätterte zum nächsten Foto. Es zeigte das Gesicht: Lindsey Acuff. Das Zimmer drehte sich. Giles neigte sich zu ihr hinüber. »Es tut mir sehr Leid, Buffy. Ich weiß, du hast alles versucht, um sie zu finden.« 76
Die Sanftheit in seiner Stimme erschreckte sie. Es erfüllte sie aber auch mit neuer Hoffnung. Vielleicht gab es ja einen Grund, einen merkwürdigen, unverständlichen Grund für die abfälligen Worte, mit denen er über sie und ihre Mutter gesprochen hatte. Sie blickte ihn von der Seite an. Er verzog den Mund, während er den Stapel Fotos beiseite legte und nach etwas griff, was aussah wie ein Polizeibericht. »Ich möchte, dass Willow sich an den Computer setzt und versucht herauszukriegen, ob irgendetwas an diesem Autopsiebericht fehlt«, sagte er. »Wie es so oft der Fall ist.« »Okay«, antwortete Buffy. »Giles, hören Sie zu, jeder hier ist in letzter Zeit sehr... eigenartig gewesen. Einschließlich, ähm, Sie.« Buffy wurde rot, als er sie fragend anschaute, aber sie hatte jetzt keine Lust auf einen Streit mit ihm. Der eigentliche Kampf fand woanders statt, das bewiesen die Morde. Sie drehte sich mit dem Stuhl zum Bücherregal, wo Giles die wirklich interessanten Bücher aufbewahrte – in Leder gebundene Nachschlagewerke über Dämonen und Monster. Hier hatten sie auch die Wahrheit über Oz herausgefunden – seine Verwandlung zum Werwolf. »Ich fange an zu glauben, dass es sich um Besessenheit handelt.« Sie zog den Kopf ein. »Diese Träume, ich sehe meine Doppelgängerin in der dunklen Welt... das klingt doch wie Besessenheit, oder? So steht es zumindest in den Büchern.« Immerhin hörte er ihr zu. »Natürlich müssen wir uns auch um den Autopsiebericht kümmern. Aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie Willow Bescheid sagen. Sie ist im Augenblick nicht besonders gut auf mich zu sprechen. Und wir könnten Xand-« »Wie bitte?«, sagte er schließlich. »Habe ich richtig verstanden? Du denkst, ich sei besessen?« 77
Er kniff die Augen zusammen und seine Züge nahmen einen harten Ausdruck an. Oh je. »Giles, bitte denken Sie doch mal nach«, sagte sie und wand sich in Gedanken. »Sie, ähm, Sie haben zu Ihrem Freund David gesagt, ich –« »– du hast ein privates Telefongespräch von mir belauscht?« »Sehen Sie?«, unterbrach sie ihn. »Sie sind total sauer auf mich und – na ja, Sie haben ja auch oft Grund dazu – aber darum geht es jetzt nicht, Giles.« »Ich kann es einfach nicht fassen.« Er nahm seine Brille ab und starrte sie an. »Ich weiß ja, dass du keine Manieren hast, und ich habe oft genug versucht, Entschuldigungen dafür zu finden. Immerhin hast du es nicht leicht gehabt, dein Zuhause gibt dir nicht genug Sicherheit und du hast mehr Zeit damit verbracht zu lernen, wie man einen Dämon auseinander nimmt, statt zu lernen, wie man einen Lachs filetiert. Aber das geht wirklich zu weit, Buffy. Das ist der Gipfel.« »Nein. Hören Sie zu. Hören Sie sich doch mal selbst zu.« Sie sprang aus dem Stuhl. »Giles, Leute werden ermordet, überall in Sunnydale. Eltern, Schüler und jetzt dieses kleine Mädchen. Das ist wichtig und nicht, ob ich unhöflich war oder... was auch immer.« Buffy war außer sich. »Es tut mir sehr Leid, dass ich Sie belauscht habe – wirklich sehr, sehr Leid«, fügte sie hinzu. »Aber wir müssen uns auf das wirklich Wichtige konzentrieren.« Er schaute sie verständnislos an. »Was fällt dir ein, mir zu sagen, was ich zu tun habe.« Er wendete sich ab. »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst.«
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»Aber Giles, Ihr Verhalten ist völlig absurd.« Sie blieb dabei. »Unter normalen Umständen würde Ihnen das selbst auffallen.« Für einen Augenblick herrschte Schweigen. »Auch gut.« Buffy warf die Arme in die Luft als Zeichen ihrer Hilflosigkeit. »Wunderbar.« Sie stapfte aus der Bibliothek hinaus und machte sich auf den Weg nach Hause. Ungefähr auf halber Strecke, dort wo der Waverly Park beginnt, holte Xander sie ein. »He Buffy«, sagte er und rempelte sie freundschaftlich an. »Was macht das Leben mit dir, Partyqueen? Du siehst aus, wie ich mich fühle.« »Xander.« Sie blieb stehen und funkelte ihn an. Dann blickte sie in seine Augen und stellte fest: »Du siehst aus, als ginge es dir gut.« »Entspann dich.« Er verzog das Gesicht. »Das ist nur vorübergehend.« Dann richtete er sich auf und schaute sie fragend an. »Was ist los mit dir? Du siehst nämlich nicht gut aus.« »Es ist nur...« Sie dachte einen Augenblick nach. »Lass nur, es ist nichts.« Sie lächelte und entspannte sich. »Sieh mal, es geht mir schon besser.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Oh, ich verstehe, du bist eine multiple Persönlichkeit und versuchst jetzt jedem Teil von dir die Möglichkeit zu geben, was aus seinem Leben zu machen?« Er schloss die Augen. »Ich möchte gern mit der Person sprechen, die ein bisschen, sagen wir, weniger gut gelaunt ist. Ihr Name ist Buffy.« »Buffy meldet sich zur Stelle«, sagte sie, so aufgekratzt, wie es eben ging. 79
»Okay.« Er schaute ihr tief in die Augen. »Sag mir, was zur Hölle hier los ist, denn ich glaube, dass du etwas darüber weißt, Buffy, und ich möchte dir helfen.« Sie dachte nach. Xander war zwar im Unterricht ein bisschen ausgerastet, aber es schien, als sei er immer noch Xander. Sie beschloss, ihn einzuweihen. »Also gut. Ich glaube, die Leute sind besessen«, platzte sie heraus. »Alle benehmen sich, als seien sie... nicht sie selbst.« Xander stieg aus dem Spiel aus. Seine Schultern schrumpften ein wenig, er schien gealtert. Plötzlich fiel Buffy auf, dass er am Nachmittag aussah, als müsse er sich schon wieder rasieren. Wie ein Erwachsener. Mit den Jahren war Xander langsam zu einem Mann geworden. »Ja, ich glaube du hast Recht.« Na bitte! »Also ist es dir auch aufgefallen?« Er hakte sich unter und sie gingen ein Stück Arm in Arm. »Aber klar, besessen vom Terror. Du redest davon, dass jeder sich benähme, als sei er ein anderer. Buffy, denk nach. Irgendein Typ bläst seine Eltern um, dann schießt er auf die Hälfte aller Schüler im Hof. Wenn das nicht für eine Gruppenpsychose reicht. Die Leute sind alle nervös – mindestens. Und wir sind vielleicht auch einfach ein bisschen sehr angespannt.« »Angespannt?« »Erinnere dich an meine Definition: Stress ist, wenn du schreiend aufwachst und feststellst, dass du gar nicht geschlafen hast. Manche Leute reagieren sehr empfindlich auf diese Mordfälle, weißt du? Sie schnappen einfach über.« Buffy nickte langsam. »Giles hat mir gerade ein paar ziemlich krasse Autopsiefotos gezeigt. Noch ein wirklich übler Mordfall.« »In Sunnydale. Erzähl mir was Neues«, sagte Xander. »Und wer ist der Gewinner?« 80
Sie holte tief Luft. »Dieses Mädchen, nach dem ich gesucht habe. Lindsey Acuff.« Xander war schockiert. »Mein Gott. Sie war ein Kind.« »Sie sah schrecklich aus. Es ist, als sei Jack the Ripper zu Besuch in der Stadt.« »Ich hoffe nur, er findet Broadman. Und ich hoffe, er findet Gefallen an ihrer Leber«, murmelte Xander. Buffy schüttelte den Kopf. »Xander, wenn du diese Bilder gesehen hättest, dann würdest du nicht so reden.« Als er widersprechen wollte, kam sie ihm zuvor. »Ich weiß, sie war sehr unfair zu dir. Und sie hat es genossen, dich zu provozieren. Ich denke, du solltest es vor den Schulausschuss bringen. Denn Snyder wird dir bestimmt nicht helfen. Dieser kleine, rattenköpfige Zwerg«, fügte sie bitter hinzu. »Oh, ich werde das mit ihr alleine regeln.« Sein Mund veränderte sich. »Und ich meine es sehr ernst, Buffy. Ich wünschte, jemand würde sich mit ihr beschäftigen, und zwar auf diese spezielle Art...« »Xander!« Sie liefen noch ein paar Schritte und dabei verging ihnen auch der Rest ihrer guten Laune. Xander sah aus, als wollte er am liebsten jede verfügbare Mülltonne ermorden. »Es ist nur, du bist auch etwas... angespannt«, sagte sie ruhig. »Alles, was ich sagen will, ist, sie sollte gut auf sich aufpassen.« Xanders Armmuskeln waren angespannt, wölbten sich kampfbereit unter dem T-Shirt. »Bleib cool, ja?«, bat sie ihn. »Tu es mir zuliebe.« Xander drückte ihre Hand. »Für dich tu ich doch alles, Süße. Ich hol dir sogar den Mond vom Himmel.«
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Der Mond. Oz hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Er schaute hinauf zum Himmel, obwohl er nicht das Geringste erkennen konnte. Er war in einem Käfig eingesperrt, der mit einer Kette verschlossen war. Sein Gefängnis stand in einem kalten, feuchten Raum, der nach Moder und Alkohol roch. Eine eigenartige Mischung, die er nicht zuordnen konnte. Oz wusste nichts über seine Entführer, auch nichts darüber, wo sie ihn hingebracht hatten oder was sie von ihm wollten. Er wusste nur, dass irgendjemand einen Autounfall vorgetäuscht hatte. Sein Sicherheitsgurt hatte zwar das Schlimmste verhindert, aber nicht, dass er bewusstlos geworden war und damit jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Als er in einem anderen Fahrzeug wieder zu sich kam, trug er eine Augenbinde. Sein überdurchschnittlich entwickelter Geruchssinn nahm ein schweres Parfüm wahr und während er danach schnüffelte, hörte Oz, wie eine Frau dicht neben seinem Ohr zu lachen begann. Dann spürte er scharfe Fingernägel, die seinen Hals entlang über sein Schlüsselbein fuhren. Ein Geruch von Blut – seinem Blut – lag in der Luft. »Also. Bist du endlich aufgewacht«, hatte die Frau geflüstert. »Wir werden viel Spaß miteinander haben.« »Oh, ich muss Ihnen sagen, dass ich fest mit jemandem gehe. Ich bin also nicht besonders an Verabredungen interessiert.« Andere Anwesende hatten über diesen Scherz gelacht. Ihre Stimmen waren voll grausamer Erwartung und Oz wünschte, er hätte besser auf die Straße geachtet, anstatt sich über Devon Gedanken zu machen. Und ich will gar nicht daran denken, was der Unfall für die Versicherungsbeiträge bedeutet. »Mondkind, wann ist es Zeit für deine Verwandlung?«, fragte sie ihn. 82
»Wie bitte?« Er versuchte zu bluffen. Der harte Schlag gegen seinen Brustkorb sagte ihm, dass sie bereits alles über sein Doppelleben wussten. Also hatte es keinen Sinn, ihnen etwas vorzumachen. »Sag mir, wann ist es so weit?«, befahl sie ihm. Würden sie ihn vorher töten? Während der Verwandlung? Danach? Er befürchtete das Schlimmste. »Wann ist es so weit?«, frage sie abermals und beugte sich diesmal direkt zu seinem Ohr hinunter. »Entschuldigen Sie, ich bin etwas durcheinander. Welchen Tag haben wir heute?« »Freitag.« »Es sind noch acht Tage.« »Oh, gut, dann können wir dich abrichten.« Sie küsste ihn, fuhr mit ihrer Zunge an seinem Gesicht entlang und blies ihm ihren heißen, feuchten Atem direkt ins Ohr. Oz hoffte, sie würde nicht beleidigt sein, dass es ihn nicht besonders erregte. Mit verbundenen Augen unter Lebensgefahr in einem Auto zu sitzen, nahm ihm den ganzen Spaß und war nicht gerade das, was ihn antörnte. »Abrichten?«, wiederholte Oz. »Ja. Wir müssen deinen Willen brechen«, sagte ein Mann in perfektem, sehr kultiviertem, britischem Englisch. Und das war alles, was man die Güte hatte, ihm mitzuteilen. Der Metallkäfig, in dem er eingesperrt war, glich ein bisschen dem in der Schulbibliothek. Oz nahm an, dass er in einem Kellergewölbe war. Es war nasskalt und roch nach Erde. Seine Entführer hatten etwas mit ihm vor und waren eifrig darum bemüht, ihre Pläne in die Tat umzusetzen.
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Eine merkwürdige Routine hatte sich eingeschlichen. Der Dämmerzustand, in dem er sich befand, wurde nur durch das Essen unterbrochen. Oz bekam Pillen, die er zunächst versteckte, bis jemand eine Taschenlampe auf sein Gesicht richtete und sagte: »Es sind nur Vitamine, du kannst sie ruhig nehmen.« Dann hatten sie gewartet, bis er sie in den Mund steckte. Angestrengt hatte er versucht, die Person hinter der Lampe zu erkennen, aber nach Stunden oder sogar Tagen in der Dunkelheit machte der Lichtschein ihn blind. Die Identität seines Wärters blieb verborgen, das Einzige, was er sagen konnte, war, dass er eine junge Stimme hatte, vielleicht war es jemand in seinem Alter? Es war schwierig, die Pillen hinter den Lippen zu verstecken, während er aß, aber es gelang ihm. Nachdem der Typ gegangen war, spuckte Oz die Pillen in seine Hand und kroch im Käfig herum auf der Suche nach einer Stelle, wo er sie verbergen konnte. Endlich entdeckte er ein kleines Loch und vergrub sie unter dem Dreck. Aber nun kam jemand. Er erkannte die Frau an ihrem Parfüm. Als er das Quietschen der Tür hörte, drehte er sich herum in der Hoffnung, wenigstens einen kleinen Lichtstrahl zu erhaschen. Kein Glück. Sie trug Schuhe mit harten Sohlen. Dem Geräusch nach zu urteilen, wahrscheinlich hohe Absätze. Während sie näher kam, zog er sich unwillkürlich zusammen. »Oz«, flüsterte sie. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Sie kannte seinen Namen. Was für eine Überraschung. Natürlich kannte sie seinen Namen. Sie wusste, dass er ein Werwolf war. Und hatte gewusst, dass er um eine bestimmte Zeit die 17. Straße runterfahren würde.
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Was zweifellos bedeutete, dass sie ebenfalls wusste, dass er mit Buffy befreundet war – Buffy, der Jägerin. »Oz, spiel nicht den Schüchternen«, fuhr sie fort und ihre Stimme war ein wenig schärfer als vorher. »Ich weiß, dass du wach bist.« Dann lachte sie und Oz hatte dieses Gefühl, als laufe eiskaltes Wasser seinen Rücken herunter. Es war das Lachen einer Verrückten. Die Parfum-Lady hatte offenbar nicht alle Tassen im Schrank. Das waren keine besonders guten Nachrichten für jemanden in seiner Position. Er wollte gerade etwas sagen, als er wieder Geräusche hörte, die darauf hinwiesen, dass sich noch andere der Parfum-Lady angeschlossen hatten. »Vielleicht ist er schon tot«, murmelte eine Stimme. Es war wieder der Typ von vorhin. Oz runzelte die Stirn und versuchte herauszufinden, ob er ihn von irgendwoher kannte. »Rede kein dummes Zeug, Jordan. Warum sollte er denn sterben?«, wandte die Parfum-Lady ärgerlich ein. »Wir füttern ihn und geben ihm regelmäßig Wasser. Obwohl... wir baden ihn offensichtlich nicht genug.« In ihrer Stimme schwang Verachtung. »Zu meiner Zeit wurde der Vorrat natürlich besser behandelt.« Der Vorrat? Lebender Vorrat? Oz behagte es gar nicht, zu irgendeinem Vorrat zu gehören. »Vielleicht leidet er unter der Gefangenschaft«, hörte er die andere Stimme sagen. Jordan? Jordan und weiter? »Wie ein Tier aus der Wildnis?« »Grrr«, machte die Parfum-Lady, dann lachte sie wieder. Oz war nicht gerade begeistert. Als er das Klappern von Schlüsseln hörte, das kratzende Geräusch von Metall auf Metall, wurde ihm klar, dass sie dabei waren, seinen Käfig zu öffnen. 85
Sein Herz raste. Das war vielleicht die einzige Chance, die er hatte, ihnen zu entkommen. Er zweifelte daran, dass sie ihn töten würden. Nicht bevor sie getan hatten, was immer sie planten. Vielleicht war es aber auch besser, vorher zu sterben. So leise er konnte, richtete er sich auf. Trotz seiner Dienste in der »Armee der Jägerin« war es ihm bisher noch nicht gelungen, viel über das Thema »Ausbrüche« zu lernen. Er war so angespannt, dass er Mühe hatte, klar zu denken. Es galt, eine Schwachstelle in ihrer Gruppe zu finden, die feindliche Linie zu durchbrechen, hinauszurennen und sie gleich hinter sich einzusperren. Oh ja, und vielleicht wäre es das Beste, sie vorher bewusstlos zu schlagen. Seine Lieblingsgitarre, eine für ihn unerschwingliche Stratocaster, wäre ein hervorragendes Werkzeug dafür gewesen. »Mach das Licht an«, sagte die Parfum-Lady zu ihrem Begleiter. Jetzt, dachte Oz und sprang lautlos auf die Füße. Für den Bruchteil einer Sekunde erblickte Oz die Lampe, sprang hinüber zu dem Typ, der sie hielt, schlug sie ihm aus der Hand und zog sie ihm übers Gesicht. Dann wirbelte er herum und zuckte bei der Berührung mit etwas, das er als das Gesicht der Parfum-Lady identifizierte, zurück. Jemand versuchte, nach ihm zu greifen. Er duckte sich, stürzte durch die offene Käfigtür und nahm sich die Zeit, sie sorgfältig hinter sich zu verschließen. Ein offenes Vorhängeschloss baumelte herab. Dafür musste der Schlüssel gewesen sein. Kopflos rannte er davon. Er bemerkte, dass er sich tatsächlich unter der Erde befand. Pappkartons und Holzkisten waren an den Wänden gestapelt. Geduckt rannte er vorwärts, tastete sich von einem Stein zum nächsten.
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Nun erkannte er, dass das Herumsitzen im Käfig ihn geschwächt hatte. Das nächste Mal, wenn man mich kidnappt – wenn es ein nächstes Mal geben sollte –, mache ich es wie alle Sträflinge: Trainieren, um in Form zu bleiben. »Da ist er!« Natürlich war es die Parfum-Lady und sie war dicht hinter ihm. Es würde nichts nützen, wenn er sich nach ihr umdrehte, es sei denn, er würde die Lampe nach ihr werfen. Aber er fürchtete, dies würde sie nicht von dem abhalten, was sie gerade taten. Der sich windende Tunnel hatte nur zwei Richtungen: vorwärts und rückwärts. Wenn er rückwärts ginge, würde er ihr direkt in die Arme laufen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter vorwärts zu rennen, auch wenn er damit riskierte, erschossen zu werden. Er lief stolpernd weiter und bemerkte, dass der Boden unter ihm leicht abfiel. Als er die Taschenlampe nach unten richtete, schimmerte ein kleiner See vor ihm auf. Es dauerte nur Sekunden, bis er im Wasser war. Mit einem Aufschrei glitt er hinein, erst bis zur Hüfte, dann fast bis zur Brust. Zwar hatte er geistesgegenwärtig die Taschenlampe über den Kopf gehalten, aber damit auch der Parfum-Lady verraten, wo er war. Er machte das Licht aus und begann durch den unterirdischen Teich zu schwimmen. Das kalte Wasser ließ ihn erstarren und seine durchnässten Cordhosen hingen schwer wie Blei an ihm herab. Dann stieß er auf etwas, zuckte zurück und wäre fast der Versuchung erlegen, die Taschenlampe wieder anzumachen, aber stattdessen schwamm er schneller. »Okay, zieh ihn raus«, rief die Frau. Bevor Oz auch nur daran denken konnte, etwas dagegen zu tun, merkte er, wie er aus dem Wasser gehoben wurde. Sie hatten ihn wie einen Fisch mit einem Netz gefangen. Auf Pfosten installierte Lichter blitzten auf. 87
Während er um sich schlug und kämpfte, hörte er das grausame Lachen der Frau. »Nicht schlecht für die erste Stunde«, bemerkte sie. Oz blinzelte, um sie zu sehen und wiederholte: »Meine erste Stunde?« »Deiner Ausbildung.« Dann erblickte er sie, den muskulösen, schmalen Körper und ihr dunkles Haar, das in Locken über ihre Schultern fiel. Die schwarze Robe, die sie trug, glitzerte, als sie die Hände hob, um zu applaudieren. Sie berührte ihr Kinn mit einer großen, dramatischen Geste. Er konnte ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen, aber ihre Stimme zeugte von echtem Vergnügen. »Okay, bring ihn zurück in seinen Käfig.« Sie drehte sich auf dem Absatz um. Die Robe folgte ihrer Bewegung. Zitternd hing Oz im Netz, während er langsam zu Boden gelassen wurde. Plötzlich trat ein Mann in Oz’ Blickfeld. Er war kahlköpfig. Große Narben zogen sich über seinen Schädel. Er trug eine ärmellose Lederjacke, schwarze Lederhosen, Boots und Handschuhe. Als das Netz in seiner Augenhöhe war, zog er ein Messer und begann, es aufzuschneiden. »Ich bin Antonius«, sagte er barsch. »Ich bin dein Lehrer.« »Und ich dachte an den persönlichen Lehrer von Mike Tyson oder an die Muskeltrainer von Madonna.« Antonius grunzte. »Du hast Courage, Kid. Courage ist gut. Sie wird dir helfen, noch ein Weilchen zu überleben.« Noch ein Weilchen? Oz mochte das nicht, dieses »noch ein Weilchen«. Es erinnerte ihn daran, dass es bald vorbei sein konnte.
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»Ich vermute, du lebst schon ein ganzes Weilchen«, setzte Oz das Gespräch fort. »Vielleicht.« Er zuckte die Schultern. »Ein paar Jahrhunderte.« Antonius verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, während er weiter an dem Netz herumsägte. Dann steckte er plötzlich, wie beleidigt, das Messer weg, griff nach einer Fackel und hielt sie über das Netz. Oz spürte, wie es direkt neben seinem Körper zischte und rauchte. Als er davor zurückzuckte, verbrannte er sich an dem Dampf, der aus seinen Kleidern hervorquoll. Er schrie auf, schlug um sich und das Netz zerriss. Mit einem Aufschrei sprang Oz zurück in den Teich und tauchte sofort unter. Fieberhaft suchte er die Seiten ab. Dieses Wasser musste schließlich irgendwie hier hereingekommen sein. Vielleicht fand er eine Öffnung, durch die er flüchten konnte. Mit was er auch immer vorhin zusammengestoßen war, jetzt glitt es an seinem Bein entlang. Es wand es sich um seinen Körper wie eine Schlinge, die sich langsam zusammenzog. Oz konnte nicht weiterschwimmen. Er drehte sich und griff nach der Kreatur. Seine Hände berührten den glatten, gewundenen Körper einer Schlange. Einer Schlange mit großen, scharfen Zähnen. Sie gruben sich in Oz’ Handrücken und rissen an seiner Hand. Der Schmerz überwältigte ihn so sehr, dass er vor Schreck Wasser schluckte. Sein Körper verkrampfte sich, er musste husten und bekam keine Luft mehr. Als das Ding ihn zum zweiten Male biss, reagierte er nicht mehr darauf. Während er das Bewusstsein verlor, dachte er noch, soviel zum Thema »Überleben«.
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Die Spannung in der Luft von Sunnydale war fast greifbar. Wie ein Monster, das auf Beutezug ging und seine Netze um die Opfer legte. Diese Hysterie widersetzte sich jeder Logik. Einem Grollen gleich, das ein Erdbeben begleitet, kündete es von einer Gewalt, der sie alle ausgeliefert waren. Es konnte einem Menschen die Seele aus dem Leib reißen. Die Anspannung wuchs, vervielfachte und teilte sich. Sie mutierte. Sie verbreitete sich. Sie tötete. Willow saß im Lichtschein ihres Computerbildschirms. Sie musste einhändig tippen. Obwohl sie seitlich und am linken Oberarm getroffen worden war, kam sie klar. Aber ihr Kopf tat weh. Ihr Herz schmerzte ebenfalls. Sie fragte sich, ob sie nur einen schlechten Traum gehabt hatte, oder ob sie tatsächlich so abscheulich zu Buffy gewesen war. Die Erinnerung an die Worte ließ sie nicht mehr los. Willow griff nach ihrem Kamillentee und nippte daran. Dann löste sie sich unvermittelt von ihrem Computer und stand auf. Sie streckte sich und stöhnte, weil die Stiche ihr wehtaten. Draußen roch sie den frischen Duft, den der Jasmin in ihrem Garten ausströmte. Die Winde aus Santa Ana hatten sich allmählich gelegt. Als sie die Straße überquerte und zum Bürgersteig hinüberging, fröstelte sie ein wenig in ihrem kurzen Overall. Die Wunden schmerzten immer noch sehr und eigentlich hätte sie noch nicht hier draußen sein dürfen. Auf halbem Weg zum Hammersmith Park bemerkte sie, dass sie sich Buffys Haus näherte. Sie wollte zu Buffy, um sich zu entschuldigen. Sie lächelte unwillkürlich und ging schneller, obwohl sie eigentlich schon müde war. 90
Es ist nicht gerade eine tolle Idee, nachts allein in Sunnydale herumzuspazieren. Vor allem nicht, wenn man gerade angeschossen wurde. Der Mond war hinter den Wolken verborgen. In zwei Tagen war Vollmond, und Oz würde sich verwandeln. Sie kämpfte hart gegen ihre Angst, während sie die Straße überquerte. Als sie in Buffys Zimmer schaute, sah sie die Silhouette von Buffy und Angel. Buffy hatte ihren Kopf an Angels Schulter gelehnt. Er drehte sie zu sich herum und küsste sie. Der Kuss wurde sehr leidenschaftlich. Willow ballte die Fäuste. Oz wurde vermisst, war wahrscheinlich schon tot, und sie knutschte hier mit ihrem Vampirfreund herum! Sie war so wütend, dass sie zu zittern begann, auf dem Absatz kehrtmachte und nach Hause lief. Während sie die Außentür zu ihrem Zimmer schloss, klopfte ihre Mutter an die Innentür. »Willow? Brauchst du irgendwas?« »Geh zur Hölle«, raunte Willow. »Was ist los, Liebling? Ich kann dich nicht verstehen?« Willow saß im Dunkeln und schäumte vor Wut. »Was ist los mit dir, Buffy«, sagte Angel. »Du bist dabei, dich zu verlieren.« »Ich?« Sie fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Alle meine Freunde benehmen sich wie komplette Idioten, aber ich bin dabei, mich zu verlieren?« Er nickte. Sie seufzte. »Ich...« Ich habe sie im Stich gelassen, weil ich mit dir zusammen war, dachte sie. »Ich habe nicht...« Sie schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut.« Er schaute sie durchdringend an. 91
»Wirklich.« Angel konnte sie nicht belügen. Helen trat aus dem Schatten. Sie ballte die Fäuste, bis ihre Knöchel rot anliefen. Heute war eine besondere Nacht. Sie hatten der schwarzen Göttin das elfte Opfer dargebracht. Blieben sieben weitere. Dieses denkwürdige Ereignis wollte sie mit einem privaten Blutbad feiern. Eine tödliche Tour, nur sie alleine und ein Opfer. Und nun hatte der Zufall sie hierher geführt, nur um das zu sehen. Ein Jahrhundert lang hatte sie sich nach Angelus gesehnt, hatte von ihm geträumt und alles versucht, um zu ihm zu gelangen, und jetzt hatte sie ihn gefunden, in den Armen einer Jägerin. Sie biss sich auf die Unterlippe. Schmeckte ihr eigenes Blut. Ihr ganzer Körper zitterte. Wie konnte ich von ihm etwas anderes erwarten? Sie starrte zu den beiden hinüber, ihre Augenlider bebten in der Erinnerung an seine Zärtlichkeit. Noch drei Nächte, dann werden wir die Jägerin töten. Die schwarze Göttin wird uns für immer beschützen und uns zu ihren Stellvertretern hier auf Erden machen. Und dann werden wir beide gemeinsam jagen, so wie wir es früher getan haben. So stand sie da und beobachtete die beiden. Sie fühlte sich elend, gleichzeitig bebte sie vor Wut. In einiger Entfernung stand, hinter einem Baum verborgen, Julian, grub seine Finger in die Rinde und riss große Stücke heraus, während er Helen beobachtete. Ein zweites Mal wird sie mich nicht betrügen. Eher wird sie sterben.
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5 In der Höhle des Löwen. Jordan saß auf seinem Beobachtungsposten hinter einem großen Stein, als ihn plötzlich ein nervöses Schwindelgefühl erfasste. Willy hatte ihn losgeschickt, um nachzuschauen, was seine neuen Mieter so anstellten, aber wie sollte er das, was er hier beobachtete, jemand anderem begreiflich machen. Helen saß, von Kopf bis Fuß in eine schwarze Robe gehüllt, vor einem Frisiertisch aus Marmor. Der Tisch war mit Schädeln bedeckt, auf denen große, rote Kerzen brannten. Das schmelzende Wachs war, wenn es die Knochen herunterlief, von Blut kaum zu unterscheiden. Von irgendwoher hörte man Wasser tropfen, und aus der Ferne drang gedämpfter Baulärm herüber, der die Stille durchbrach. Sie starrte in den Spiegel und schminkte sich. »Wie schön bin ich heute?«, flüsterte sie dem Spiegel zu und drehte an einem Lippenstift. Sie zog ihn mit einer sinnlichen Geste über ihre Lippen, presste sie gegeneinander und lehnte sich nach vorne. Jordan konnte dort, wo er saß, ihr Spiegelbild nicht erkennen. Das war in Ordnung. Wenn er sie nicht sah, sah sie ihn auch nicht. »Grace, wie schön bin ich?«, fragte sie, während ihre Hand nach einem der Schädel griff. Sie hielt ihn vor den Spiegel, als solle der Schädel ihr Bild beurteilen. »Er liebt mich immer noch. Ich weiß es.« Sie drehte den Schädel zu sich herum, nahm etwas, das wie ein mit Juwelen besetzter Eispickel aussah und stocherte damit in den leeren Augenhöhlen herum. »Er hat zugesehen, wie ich dich tötete«, flüsterte sie. 93
»Es war... überirdisch.« Sie führte den grinsenden Totenschädel an ihre Lippen und küsste ihn. Dann legte sie ihn zurück. »Wie ich dich langsam tötete«, gurrte sie. »Es dauerte fast eine ganze Woche.« Lachend riss sie die Kerze von einem anderen Schädel, drehte ihn um und hielt sie in den Hohlraum, sodass die Flamme jeden Millimeter des Knochens berührte. »Jägerinnen sind so zäh.« Sie schien das Interesse an dem Schädel zu verlieren, denn er landete auf ihrem Schoß, während sie sich weiter mit der Form ihrer Lippen beschäftigte. Sie warf eben noch einen kritischen Blick in den Spiegel, als ihre Hand auch schon nach einem weiteren Schädel griff, den sie liebevoll über ihren Kopf hielt. »Demetrius«, flüsterte sie. »Ich habe niemals aufgehört, dich zu lieben.« Dann nahm Helen einen anderen und ließ die beiden miteinander sprechen. »Mein Liebling«, seufzte sie. »Oh Diana...« Ihr Seufzen klang tief und qualvoll. Es ließ Jordan das Blut in den Adern gefrieren. Eine ziemlich abgefahrene Tussi. Das Seufzen wurde zu einem Klageschrei, als sie die beiden Schädel an ihre Brust nahm und sie zu wiegen begann. »Angelus, Angelus«, stieß sie scharf hervor. »Angelus, komm zu mir. Schenk mir deine Liebe.« Jordan hörte Schritte aus dem Dunkeln und wollte sich ängstlich zurückziehen, doch die Neugierde war größer. Er streckte sich nach vorne, um zu sehen, wer wohl kommen würde. Es war Julian, der blonde Engländer. Er trug ein langes Gewand, eine Art Rechteck in violetter Farbe. Im Haar hatte er ein Kopfband aus goldenen Blättern.
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In seinen Händen hielt er dieselben beiden Pokale, die Jordan schon vom ersten Treffen mit ihm kannte. »Julian«, rief Helen, als sie mit den Schädeln in der Hand herumwirbelte. »Schließ mich nicht ein! Tu es nicht!« Sie begann zu zittern. Der Blonde ging auf sie zu und stellte sie wortlos auf die Füße, sodass der Schädel auf ihrem Schoß mit einem klappernden Geräusch zu Boden fiel. »Aber Helen, warum sollte ich das tun?«, fragte er mit einem sanften Singsang in der Stimme. »Hast du etwas Böses getan?« »Nein, nein«, erwiderte sie hastig. Sie bebte förmlich. Soviel zum Thema »Schuldgefühle«. »Der Rat der Wächter hat dich vergessen«, fuhr Julian fort. »Niemand sucht dich. Wenn sie merken, was vor sich geht, werden wir schon zu den Göttern gehören und sie können uns nichts mehr anhaben.« »Wir brauchen die Asche«, stieß Helen hervor. »Es bleibt nur noch wenig Zeit.« »Wir haben schon elf von ihnen getötet«, bemerkte Julian zufrieden und nahm einen Schluck aus einem der Becher. »Wir brauchen noch sieben weitere.« Er überreichte ihr den anderen Kelch. »Die Jägerin hat sechs Helfer. Den Wächter mitgerechnet.« »Ah.« Sie starrte auf den Becher, offensichtlich fürchtete sie sich, daraus zu trinken. »Durch ihre Helfer werden wir sie schnappen und dann nehmen wir uns ihr Herz. Es muss noch schlagen, wenn wir es ihr aus dem Leib reißen.« Er hob den Kelch, dann leerte er seinen Inhalt auf den Boden. Wieder war es diese Flüssigkeit, die aussah wie Blut. Dann wurde der Raum unvermittelt von einem gleißenden Licht erfüllt. Jordan duckte sich hinter einem Stein. Sein Herz hämmerte wie wild.
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»Oh Meter, schwarze Göttin, Mutter des Todes, Beschützerin«, rief Julian. Seine Stimme war stockend und verhallte langsam. Jordan fand, er hörte sich an, als sei er stoned. »Mutter des Todes, Mutter der schwarzen Götter«, fügte er hinzu. Jordan veränderte seine Position so, dass er das Geschehen im Spiegel mitverfolgen konnte. Er sah die beiden Gestalten nicht, dafür aber die riesige Statue einer Frau, die auf einem steinernen Altar stand. Ihre Gesichtszüge waren verzerrt. Ihre Augen standen dicht zusammen und schauten bedrohlich. Mit einer wilden Grimasse hielt sie den Mund geöffnet und zeigte ihre scharfen Zähne. Vor ihr erhob sich ein Hügel aus Knochen und Schädeln. »Wir werden dir die Asche deines Sohnes bringen«, flüsterte Julian, »und das Herz von Gottes Kriegerin auf Erden.« »Das schwören wir«, ergänzte Helen. Jordan hob die Schultern. Ich kann sie nicht sehen, wo zur Hölle sind sie? Er kroch um den Stein herum. Er musste es tun, obwohl er wusste, dass es grober Leichtsinn war. Muss an den selbstzerstörerischen Tendenzen liegen, von denen die Sozialarbeiter immer reden. Julian schnitt Helen mit einem ziemlich abartig aussehenden Messer in den Arm. Es blutete stark, als er einen der Kelche darunter hielt, um das Blut aufzufangen. Sie keuchte, ging aber völlig in der Sache auf. Wow, stark. »Für unsere Mutter, die über die Götter der Dunkelheit herrscht.« Julian stieg auf den Hügel aus Knochen, um den Kelch in den steinernen Schlund der Statue zu leeren. Ihre Augen schienen sich vor Entzücken zu weiten.
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»Deine Opfer haben gelitten«, versicherte der Engländer seiner Göttin. »Wir haben schon viele getötet und es werden andere folgen. In deiner Nacht werden wir dir das Herz einer Jägerin bringen. Und die Asche deines Sohnes Caligula. Und du wirst wieder auf Erden wandeln und uns zu dir erheben.« »Zu dir erheben«, wiederholte die Königin. »Und wir werden selbst wie die Götter sein, niemand wird uns aufhalten können.« Aus seinem Versteck heraus beobachtete Jordan sie und dachte: Bei allen Heiligen, die Reichen sind wirklich übergeschnappt! Acht Tage war Oz nun schon vermisst und heute Nacht begann seine Verwandlung. Buffy hatte versagt. Sie war mit Xander um acht im Bronze verabredet und hatte Angel gebeten, auch dorthin zu kommen in der Hoffnung, dass ihnen zu dritt vielleicht etwas einfallen würde. Sie zog sich gerade an, als das Telefon klingelte. Giles sagte mit seiner bekannten Giles-Stimme: »Buffy, es gibt etwas Neues. Eine Gruppe von aufgebrachten Leuten ist hinter Mark Dellasandro her. Anscheinend wurde er in der Nähe des Wasserreservoirs gesehen.« Buffy war halb angezogen. Sie trug einen langen grauen Rock und ein Top. Es fehlten bloß noch die Schuhe, die sie in der Hand hielt. »Ich meine, du solltest hingehen. Beschütze ihn. Sie wollen sein Blut sehen.« Sie ließ einen der Schuhe fallen. »Giles«, sagte sie kläglich, »es gibt eine Polizei in Sunnydale und ich bin im Bronze verabredet.« Am anderen Ende der Leitung war es still. Dann sagte Giles mit unbewegter Stimme: »Oh Verzeihung, ich wusste nicht, dass es dir wichtiger ist, Spaß zu haben, als 97
einen Jungen zu retten, der wie ein Tier gejagt wird. Meine Empfehlung an Angel, wenn du ihn beim Tanzen triffst.« »Hey«, schrie sie. »Das ist nicht fair!« »Wirklich? Ich entschuldige mich, Buffy. Dafür, dass ich jemals gedacht habe, du seist etwas anderes als ein Trampel.« »Giles!« Sie schrie in den schweigenden Hörer, dann hörte sie den Besetzt-Ton. Fieberhaft wählte sie seine Nummer, warf aber augenblicklich das schnurlose Telefon auf das Bett. Sie zog ein paar Klamotten an, die sich besser für die Jagd eigneten, und nahm ihre Tasche. Es war erst neun Uhr abends, aber im Bronze war der Teufel los. Jede Menge Leute standen herum und redeten miteinander, während die Dead Buttercups spielten – eine Band, deren bisher größter Schritt zum Weltruhm darin bestand, dass sie mittwochsabends im Bronze spielten. Mitten in der Woche – eben mittwochs – irgendwo aufzutreten, war nicht gerade das Höchste, was man erreichen konnte, aber es war immerhin besser als montags oder dienstags. Es war so, wie irgendwo in den Charts gelandet zu sein. Die Band war okay, aber nichts Besonderes. Die Espressomaschine rauchte, sie war praktisch nonstop im Einsatz. Diejenigen, die Alkohol trinken durften, holten sich Cocktails oder teures importiertes Bier. Claire Bellamy und Nick Daniels, die Managerin des Bronze und ihr Assistent, hätten wirklich zufrieden sein können. Stattdessen zickten sie herum und spielten sich auf. Sie schickten einige der Kids völlig grundlos nach Hause, nur weil ihnen gerade danach war. Im Bronze ging es genauso zu wie im Rest von Sunnydale. Hochspannung hieß die Krankheit und sie war ansteckend. 98
»Eine Massenhysterie wie zu der Zeit, als die Leute noch dachten, die Spice Girls wären tatsächlich cool«, bemerkte Xander. »Nur ich blieb von dieser Seuche verschont.« »Oh«, mischte Willow sich ein. Sie trug ihren bandagierten Arm noch immer in der Schlinge. »Ich erinnere mich noch daran, dass du das CD-Cover mit in die Badewanne genommen hast.« »Will, hör bloß damit auf«, beschwerte sich Xander und merkte, wie er rot wurde. »Natürlich stimmt das nicht.« Xander ließ seinen Blick zum Eingang des Bronze wandern. Wenn Willow gewusst hätte, dass er sie nur deshalb eingeladen hatte, damit sie und Buffy sich wieder versöhnten, hätte sie ihm, so wie sie gerade drauf war, wahrscheinlich das Kreuz gebrochen. Aber um ehrlich zu sein, ging es ihm ähnlich. Er hätte am liebsten jemanden verprügelt – irgendjemanden – , egal wen. Natürlich am liebsten Broadman, die sich seit einer Woche weigerte, mit ihm zu reden, ihm den Zugang zu ihrem Klassenzimmer verweigerte und fleißig daran arbeitete, ihn abzusägen. Xander hatte heute versucht, mit dem stellvertretenden Direktor, Mr. Osborn, zu sprechen. Aber der SD hatte vorgeschlagen, sich an Snyder zu wenden. Also war er an der ganzen Sache nicht interessiert gewesen. Am Nachmittag ging Xander noch einmal zu Broadman, die ihm aber keinen Millimeter entgegenkam. »Du musst lernen, die Konsequenzen deines Verhaltens zu tragen«, hatte sie zu ihm gesagt. Worauf Xander erwiderte: »Sie aber auch.« Broadman hob ihre Augenbrauen, was einigermaßen bizarr aussah, angesichts des ganzen Make-ups, das sie auf ihrem Gesicht verteilt hatte, und sagte höhnisch: »Mr. Harris, wollen Sie mir vielleicht drohen?«
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»Ich könnte Ihnen dieselbe Frage stellen. Warum tun Sie mir das an? Was haben Sie denn davon?« »Ich konnte dich noch nie ausstehen«, sagte sie ungerührt. »Dein Bruder war ein Versager und du bist genau wie er. Soweit ich das beurteilen kann, ist es das Beste für unser Schulsystem, wenn ihr beide so schnell wie möglich von hier verschwindet.« »Oh verstehe, und sie wollen das Ganze ein bisschen beschleunigen.« Xander ging einen Schritt auf sie zu, aber sie lächelte überlegen. »Ich sollte Sie warnen, ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.« »Das glaube ich Ihnen sofort. Schauen Sie sich doch an. Wer würde sich auch sonst darum scheren, was mit Ihnen passiert.« In selben Moment tat es Xander Leid, dass er das gesagt hatte. Es war dumm und pubertär, und sicher würde es in irgendeinen ihrer Berichte einfließen – als Überschrift beispielsweise: WARNUNG: BEWAFFNETER SCHÜLER – GEFÄHRLICH – SOFORT ERSCHIESSEN! Das kam dann zu den anderen Aufzeichnungen über ihn hinzu: Chronischer Versager – hält sich für einen Spaßmacher – schwänzt regelmäßig die Schule – meistens verspätet. Und so weiter... Er erwartete eine arrogante Antwort, aber stattdessen schlug Ms. Broadman mit der Faust auf den Tisch. Sie traf einen Bleistift, der in hohem Bogen davonflog und genau auf dem Boden des Korridors landete. Und genau dort stand, was für ein Zufall, der stellvertretende Direktor, Mr. Osborne, der die ganze Szene beobachtet hatte. »Wissen Sie was, Harris«, sagte er zu Xander, »eigentlich bin ich gekommen, um bei Ms. Broadman ein gutes Wort für Sie einzulegen, damit sie Ihnen noch einmal eine zweite Chance gibt. Aber jetzt würde ich Ihnen gerne in den Hintern treten, Sie schmieriger, kleiner Bastard.« 100
»Was?« Xander starrte den Mann an, von dem er gedacht hatte, er gehöre zu den zivilisierteren Menschen. Er kleidete sich doch immer so adrett, trug Dockers und Pullover. Einer, der daran geglaubt hatte, dass die Schule wichtig wäre für die Entwicklung der Persönlichkeit, aber von seinen hyänenartigen Schülern eines Besseren belehrt worden war. Vielleicht hing das ja alles irgendwie miteinander zusammen. »Halt«, platzte Xander förmlich heraus. »Wir stehen alle unter dem Einfluss von irgendetwas.« »Wirklich.« Ms. Broadman bewegte ihre Lippen und zauberte ein Lächeln hervor, das Albträume verhieß. »Das muss ich unbedingt in meinem Bericht erwähnen. Was genau, Xander, ist die Droge, unter deren Einfluss du stehst?« »Nein, so war das nicht gemeint«, sagte Xander ängstlich. Aber dann war ihm sofort klar, dass Gerechtigkeit – wie üblich – auf Sunnydale High ein Fremdwort war. Er fühlte sich wie ein Jäger, nur dass gerade keine Monster und Dämonen beteiligt waren. Und er sich mit der menschlichen Sorte leider nicht so gut auskannte. »Ich stehe unter gar keinem Einfluss von irgendwas.« Er schaute zu dem SD. »Und mir ist überhaupt nicht danach, jemanden in den Hintern zu treten oder von jemandem getreten zu werden.« Er zeigte auf seine Lehrerin. Seine Hand zitterte dabei. »Was sie mit mir macht, ist nicht okay.« »Oh, ich denke, sie ist auf dem richtigen Weg«, sagte der Mann, während er sich Xander näherte. Dann ging alles ganz schnell. Ms. Broadman drehte seinen Arm auf den Rücken, als der SD die Faust hob. »Hey!« Xander schrie auf, denn er begriff plötzlich, was die beiden vorhatten. Er versuchte es mit einer Technik der
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Jägerin. Er ließ sich auf die Knie fallen und rollte sich zusammen wie ein Ball. Ms. Broadman flog dabei über seine Schultern und stieß mit Osborn zusammen, der gerade zu einem Schlag in Xanders Magengrube angesetzt hatte. Xander befreite sich aus dem Gedränge, schoss an den Lehrern vorbei und schlug die Tür heftig hinter sich zu. Während er den Flur hinunterrannte, gingen ihm all die schrecklichen Dinge durch den Kopf, die er jetzt gerne mit den beiden angestellt hätte. Tatsache war, dass seine Fantasien ziemlich krasse Formen annahmen. Ihnen die Eingeweide rauszureißen, war das Mindeste. Oh je, Buffy hat Recht, dachte er, als er das Gleichgewicht verlor und auf seinen Hintern fiel. Wir sind alle besessen. Dann hatte ihm irgendein rothaariger Typ zugerufen, er solle verschwinden. Xander gab ihm eine bissige Antwort und malte sich aus, wie er dem Rothaarigen die Kehle aufschlitzte oder ihn langsam zu Tode quälte. Buffy hatte so Recht. Er wusste nicht, von wem oder was er besessen war, aber er wusste, dass diese Gedanken nicht seine eigenen waren. Er war völlig neben der Spur. Jetzt, vier Stunden später, als Xander neben Willow im Bronze stand, musste er sich zusammenreißen, um seiner besten und ältesten Freundin zuzuhören. »Sie war immer total egoistisch«, murmelte sie vor sich hin. »Natürlich tut sie so, als sei alles sehr tragisch. Aber damit will sie nur unser Mitgefühl rühren. In Wirklichkeit ist es ihr doch völlig egal, was mit uns passiert. Sie hat uns dazu gebracht, sie zu mögen, nur damit wir ihr helfen. Sie hat kein Problem damit, wenn wir sterben.« Xander schaute sie verblüfft an. »Willow?« Willow runzelte die Stirn. 102
»Sie hat überhaupt nicht nach Oz gesucht. Sie treibt sich nur mit Angel rum. Sie riskiert, dass wir alle zur Hölle fahren, damit sie mit ihm zusammen sein kann. Alles andere ist ihr doch egal.« »Willow hör mir zu, ich hab’s«, sagte Xander plötzlich, denn er begriff in diesem Augenblick, was Buffy gemeint hatte. »Irgendetwas Böses hat von uns Besitz ergriffen und macht uns alle, na ja, wenigstens bösartig.« »Ich bin überhaupt nicht bösartig«, fuhr Willow ihn an. »Ich bin völlig okay.« »Nein Rosenberg«, Xander blieb dabei. »Das bist du auf keinen Fall.« »Was hast du denn überhaupt für eine Ahnung?«, gab sie zurück. Dann holte sie aus und versetzte ihm einen Stoß. »Du warst mit der miesesten Schlampe im ganzen Westen zusammen.« »Willow.« Sie machte ihn ganz schön wütend. »Willow, halt dich zurück.« Seine Hand formte sich zur Faust. Sie sah es und machte sich über ihn lustig. »Du würdest mich niemals schlagen. Du hast nicht genug Mumm.« Xander fühlte, wie sein Ärger anschwoll. »Willow, ich habe dir gesagt, du sollst aufhören. Hör einfach auf damit, okay?« Sie kniff ihre Augen zusammen. »Schwächling. Verlierer.« Das war zu viel. Bevor ihm klar wurde, was passierte, hatte er sie schon geohrfeigt. »Ach du liebe Güte«, flüsterte er, während er sich verblüfft umschaute. »Willow, es tut mir Leid. Will-« »Das wirst du mir büßen«, stieß sie hervor und drehte ihm den Rücken zu. »Hey! Wer möchte sich 20 Dollar verdienen? Ich brauche jemanden, der Xander Harris in den Hintern tritt.« 103
Angel stand im Haupteingang des Bronze und schüttelte den Kopf. Dieser Ort war ein Dampfkessel. Schon während er den Gang hinunterlief, hatte er nicht weniger als drei Raufereien beendet. Nicht etwa, weil er so ein toller Typ war, sondern weil er sonst nicht weitergekommen wäre – der Gang war ziemlich eng. In der Ecke, gleich neben der Espressomaschine, beschimpften sich zwei Frauen. Der Lärm, den die Band produzierte, verhinderte, dass man sie verstand, aber wenn Blicke töten könnten... Links von Angel war auf der Tanzfläche eine Schlägerei ausgebrochen und der Assistant Manager sah aus, als würde er lieber mitmachen, statt sie zu beenden. Irgendwas ging hier vor, und es war definitiv mehr als nur die schlechte Laune von ein paar jungen Leuten. Jemand musste das Feuer finden und löschen. Restlos. »Hallo, toter Mann.« Xander schlug ihm auf die Schulter. »Xander«, sagte Angel müde. Xander wusste, dass dieser Spitzname Angel ziemlich zu schaffen machte und benutzte ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es gefiel ihm einfach, Leute mit seiner scharfen Zunge zu provozieren. Damit wollte er sich und den anderen beweisen, was eigentlich jedem klar sein musste: nämlich wie intelligent Xander Harris im Grunde war. Doch was Angel anging, lagen die Dinge etwas anders. Xander hatte seine völlig kindische Eifersucht an ihm ausgelassen, als Buffy sich in den Vampir verliebt hatte. Er hatte Angel auch nicht ins Leben zurückholen wollen, nachdem der Vampir seine Seele verloren und versucht hatte, sie alle umzubringen.
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»Wo ist deine Liebste, dein Babe, deine Süße?«, fragte Xander mit schneidender Stimme. »Sorry?«, fragte Angel zurück und runzelte die Stirn. Xander war völlig daneben. Auf seiner Stirn stand der kalte Schweiß, er war bleich und zitterte am ganzen Leib. Seine Augen bewegten sich schnell nach allen Seiten und seine Pupillen hatten die Größe von Wagenrädern. »Xander, was hast du eingeworfen?« Xander schlug sich mit der Faust in die linke Handfläche. »Warum bildet sich jeder ein, mich das fragen zu müssen? Mann, wie mir das auf die Nerven geht.« »Ganz ruhig«, sagte Angel und wehrte ihn mit den Händen ab. »Es scheint, du bist ein bisschen... mit den Nerven runter.« Xander biss die Zähne zusammen. »Vielleicht liegt es daran, dass deine Freundin, die kleine Schlampe, uns eigentlich schon vor einer Stunde hier treffen wollte.« »Sie hat uns beide versetzt. Willow hat Recht.« Er deutete mit dem Kopf nach hinten. Willow saß auf einem Stuhl und hatte einen Haufen zerrupfter Styroporbecher vor sich. Angel beobachte, wie sie die Becher systematisch auseinander riss. »Ist Willow in Ordnung?« »Ja. Buffy ist es doch egal, was mit uns los ist. Wir sind nur ein paar dumme Groupies, die die Jägerin um sich herum versammelt hat, falls es mal wieder ernst wird. Wir sind doch nur Schachfiguren, die geopfert werden, wenn ihr Leben bedroht ist.« »Xander, das ist nicht wahr und das weißt du genau.« Angel richtete sich auf, um den Typ genauer zu betrachten, der schon so oft sein Leben für Buffy riskiert hatte. Und für den Buffy mehr als ein Mal fast gestorben wäre. »Ihr beide. Ihr alle bedeutet ihr sehr viel.« 105
»Mhm, richtig.« Xander rammte seine Faust erneut in die Handfläche der anderen Hand. »Es bedeutet ihr alles so viel, dass sie sogar dich mit reinzieht, obwohl sie genau weiß, dass du deine Seele riskierst. Mach dir doch nichts vor, Angel. Sie benutzt dich, genauso wie uns.« Der Hass in Xanders Stimme war so groß, dass Angel zurückschreckte. Er wusste, sie alle hatten immer noch ein Problem mit ihm, besonders Xander, der Buffy ebenso liebte wie er selbst. Angel hatte eine schwere Vergangenheit hinter sich – milde ausgedrückt. Er war ein irischer Nichtsnutz gewesen, als er 1753 von Darla, seiner Herrin, in einen Vampir verwandelt wurde. Das war die Geburt von Angelus, dem Vampir mit dem Engelsgesicht, der ganz Europa terrorisierte. Er tötete seine Familie. Er trieb Drusilla in den Wahnsinn. Jeden, den die wunderschöne, unschuldige junge Frau liebte, hatte er getötet und als sie in ein Kloster geflüchtet war, machte er sie zur Vampirin. Doch dann begegnete er dem Zigeunermädchen. Als er sie umbrachte, beschwor er die Rache ihres Clans herauf. Sie gaben ihm seine Seele zurück und mit einem Mal erinnerte er sich wieder an alle Grausamkeiten, die er als Angelus verübt hatte – an all die Vampire, die er erschaffen und auf die Welt losgelassen hatte. Und dann, ohne die vollständige Wirkung des Zigeunerzaubers zu kennen, verliebte er sich in Buffy. In der Nacht vor ihrem siebzehnten Geburtstag wollte sie sich ihm voller Liebe hingegeben. Es war ein Augenblick süßer Glückseligkeit und ein Augenblick ohne Leiden, in dem er das erste Mal wieder Liebe verspürte. Und wegen dieses Augenblicks hatte er seine Seele aufs Neue verloren.
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Dennoch würde er es wieder tun – für dieses Glück seine Seele noch einmal opfern. »Xander«, sagte er ruhig. »Hast du sie zu Hause angerufen?« »Keiner da. Hab eine Nachricht hinterlassen.« »Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass Buffy nicht aufgetaucht ist, weil sie in Schwierigkeiten steckt?« »Ja, glaubst du?«, bemerkte Xander und tat so, als denke er nach. Er griff sich ans Kinn. »Ne. Ich glaube, sie hat uns einfach vergessen.« »Xander.« Angel seufzte. »Hörst du dir eigentlich selber zu? Irgendwas geht hier vor.« »Was willst du denn hier?«, fragte Willow, während sie auf die beiden zukam. »Willow.« Angel schaute von ihr zu Xander und wieder zurück. Ihre Züge waren hart und verschlossen. Sie sah richtig böse aus. Wüsste er es nicht besser, er müsste vermuten, sie sei verzaubert worden, ihrer Seele beraubt und von einem Dämon besessen. Andererseits – was wusste er schon. Wortlos drehte er sich um. »Hey, toter Mann, wo gehst du hin?«, rief Xander ihm nach. »Bleib doch und trink ein Glas von diesem wunderbaren OSaft mit uns. Wir sind so unglaublich scharf darauf, mit dir zusammen abzufeiern.« Angel ging hinüber zu dem Telefon. »Hey, ich rede mit dir!«, brüllte Xander. »Dreh dich gefälligst um, wenn ich mit dir rede.« Er steht völlig neben sich, dachte Angel. Er riss sich zusammen, während er Buffys Nummer wählte. Keine Antwort. Angel legte auf, schaute sich um und war nicht gerade glücklich über das, was er sah.
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Wie schon einmal schlug Jordan gegen das untere linke Fenster der Kunstgalerie und wie zuvor blieb er erfolglos. Also wickelte er seine Jacke um den Arm und half nach. Dieses Mal ging der Alarm nicht an. Er nickte. Das hatte Willy gut gemacht. Er hatte jemanden gefunden, dem das Alarmsystem bekannt war und der es ausschalten konnte. Jordan tat es nur Leid, dass ihnen das nicht früher eingefallen war. So hatte er wertvolle Zeit verloren. Außerdem machte er sich Sorgen darüber, dass er vergesslich wurde. Um genau zu sein, er hatte regelrechte Black-outs. Stunden – viele Stunden – fehlten in seinem Gedächtnis. Dann wachte er auf und steckte in schmutzigen Kleidern. Okay, blutig waren sie auch. Der Ring, den Brian Dellasandro ihm als Bezahlung für die Droge gegeben hatte, war ebenfalls verschwunden. Jetzt, da er wusste, dass seine ziemlich durchgeknallten und ziemlich gefährlichen neuen Freunde mit allen möglichen Drogen experimentierten, nahm er an, dass sie ihm irgendwas gegeben hatten. Jordan vermutete, dass er bis zum Hals im Schlamassel steckte. Das Einzige, was er tun konnte, war durchzuhalten und sich nichts anmerken zu lassen, bis sich eine Gelegenheit bot, abzuhauen. Er kroch durch das zerbrochene Fenster in die Galerie und ging sofort zu der griechisch-römischen Urne, die ihm die nette Blondine gezeigt hatte. Da es sowieso die einzige Urne war, nahm er an, dass es diejenige war, die seine Freunde haben wollten. Das Gefäß sah einer Chiantiflasche ziemlich ähnlich, nur dass es aus braun-rotem Ton geformt war und seitlich zwei geschwungene Griffe hatte, in die schwarze Figuren eingearbeitet waren. Es waren Kampfszenen: Dämonen, die 108
gerade töteten, oder wilde Tiere, die sich gegenseitig verschlangen. Genau das, was Julian und Helen anmachen würde, dachte er. Der Verschluss bestand aus einer Art Scheibe, die mit etwas bedeckt war, das wie Wachs aussah. Helen hatte gesagt, sie befürchteten, die Urne könne zerbrechen, wenn man sie öffnete. Deshalb solle er auf jeden Fall dafür sorgen, dass sie verschlossen bliebe. Null Problemo. Jordan hatte nicht vor, sich unbeliebt zu machen. Dann nahm er ein paar goldene Halsketten mit und warf einige Gegenstände auf den Boden, damit man gleich erkannte, worum es dem Dieb gegangen war. Mit einem kurzen Blick schaute er sich um, ob es sich lohnte noch etwas mitzunehmen. Dann ging er auf Zehenspitzen zum Fenster zurück und stieg hinaus. Jordan war gerade dabei, unauffällig zu seinem Wagen hinüberzuschlendern, als Mark Dellasandro ihn über den Haufen rannte. »Das ist für Brian!«, rief der Junge. Dann schlug er ihn mit einer Brechstange nieder. Jordan Smyth – mit Y – ging bereits in der ersten Runde zu Boden. Der Werwolf legte seinen Kopf zurück und heulte. Die Wasserschlange hatte ihm ziemlich zugesetzt. Julian untersuchte die verletzte Pfote und wieder einmal erwiesen sich seine medizinischen Kenntnisse als ausgesprochen hilfreich. »Ist er in der Lage zu kämpfen?«, fragte Helen. »Oder sollen wir ihn gleich töten?« »Er wird kämpfen«, erwiderte Julian. »Und er wird eines ruhmreichen Todes sterben.« 109
6 Jordan dachte, er müsse sich vor Angst übergeben. Willy, der direkt neben ihm saß, erging es genauso. Sie befanden sich in den Höhlen unterhalb des Alibi – und hier ging wirklich der Punk ab. Helen und Julian waren extrem sauer. Auf Jordan. Etwas, was er sehr gerne vermieden hätte. Nachdem er von Mark überfallen worden war, wollte er so schnell wie möglich aus Sunnydale verschwinden. Aber dann hatte plötzlich ein schwarzer Van angehalten und ein paar komische Gestalten forderten ihn auf, die Urne herauszugeben. Als er ihnen erzählte, was passiert war, packten sie ihn in den Van und fuhren ihn hierher. Während der Fahrt hatte Jordan ein Sunnydale gesehen, das er nicht wiedererkannte. Draußen tobte der Mob. Die Leute lieferten sich grauenhafte Straßenschlachten. Es musste irgendwas mit diesen Typen und ihrer schwarzen Göttin zu tun haben, dachte er. »Du hast zugelassen, dass jemand Caligulas Urne stiehlt«, zischte Julian ihn an. »Es war ein Junge namens Mark Dellasandro«, erwiderte Jordan unsicher. »Ich habe ihn gesehen.« »Und warum würde er so etwas tun?« Julian griff nach Jordans Haaren und bog seinen Kopf zurück, sodass sein Hals frei vor ihm lag. Dann verwandelte er sich in etwas, das Jordans Blut in den Adern gefrieren ließ – einen Dämon mit goldenen Augen und langen, scharfen Zähnen. Er zischte, als er sich Jordans Hals mit seinen Krallen näherte. Schließlich stach er zu. Jordan war unfähig zu schreien.
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»Was hast du dir bloß dabei gedacht?«, sagte die Kreatur. Seine Stimme klang tief und gefährlich. »Nichts«, sagte Jordan. »Ehrlich.« »Finde sie. Bring sie zurück.« Das Ungeheuer ließ ihn los, ging wie zufällig hinüber zu einem schmutzigen Betttuch und zog es zurück. Dort lag der Körper eines jungen Mädchens. Gefesselt und geknebelt. »Wenn es dir nicht gelingt, wird mit dir dasselbe geschehen«, sagte Julian sanft. So betrachtet, fand Jordan, sei er sehr wohl in der Lage zu schreien – aber, ob er jemals wieder würde aufhören können? Dort, wo in Sunnydale heute der Staudamm und das Wasserreservoir liegt, gab es früher mal einen See. Er war entstanden, nachdem der Vulkan, der sich ursprünglich dort befand, eingebrochen war. Die spanischen Eroberer nannten ihn Lago del Infierno, See der Hölle. Sie schworen, dass die Oberfläche des Sees gebrannt habe. Flammen, so sagten sie, die zehntausende von Meilen in den Himmel hinaufragten, als wollten sie die Flügel der Engel selbst verbrennen. In den vergangenen Jahrhunderten wurde regelmäßig Sunny dort gesehen, das Seeungeheuer, das angeblich dort leben sollte. Giles glaubte, dass es an dieser Stelle eine Höllenpforte gegeben hatte, die geschlossen und deaktiviert worden war, bevor eine neue sich geöffnet hatte. Er verbrachte viel Zeit damit, mehr über den Lago del Infierno herauszufinden, in der Hoffnung, irgendwann auch den aktiven Höllenschlund schließen zu können. Im Tal, das unterhalb des Sees lag, wuchsen Mandarinen und Avocados, es war ein gutes Weideland für Kühe und Schafe. Die Bauern beschwerten sich darüber, dass der Damm, den
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man auf der Südseite des Sees gebaut hatte, nicht sicher genug sei. Tatsächlich hatte man in den Fünfzigern einige Risse nur notdürftig verschlossen. Das konnte man heute schon von der 17. Straße aus sehen – und das war ziemlich weit entfernt. Aber trotz ihrer Beschwerden passierte nichts. Der Damm hielt. Niemand schien jedoch zu wissen, dass er wirklich undicht war. Das Wasser quoll heraus durch ein ziemlich großes Loch unterhalb des Staudamms. Man hätte es bemerken müssen. Man hatte es vielleicht sogar schon bemerkt, aber die Behörden taten nichts dagegen. Sicher waren ein paar Leute gekauft worden... Mark Dellasandro kauerte in den Manzanita-Büschen, die am Fuß des Dammes wuchsen, dort wo das Wasser herauslief, und dachte darüber nach, dass er jemanden von den undichten Stellen erzählen müsste. Sie waren ziemlich groß. Wenn der Damm brach, dann würde das Tal überflutet werden. Es würden viele Menschen sterben. Aber er konnte es niemandem erzählen. Überall um den Stausee herum riefen Leute seinen Namen und drohten, ihn für die Morde, die er nicht begangen hatte, büßen zu lassen. Tränen rannen ihm über die Wangen. Er war völlig auf sich alleine gestellt, ohne Freunde. Brian hatte sich immer um ihn gekümmert. Er hatte Glück, einen Bruder wie Brian zu haben. Aber jetzt lag Brian im Koma und ihre Eltern waren beide tot! Oh Gott, bitte lass es ein Albtraum gewesen sein. Doch das hier ist leider die Wirklichkeit, sagte er sich. Und niemand wird dich hier rausholen. Diese Leute wollen dich umbringen. Vielleicht sollten sie dich umbringen. Vielleicht hast du es verdient...
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»Ich glaube, ich hab ihn gesehen!«, rief jemand und Mark zog sich augenblicklich noch mehr zusammen, um sich unter den dornigen Sträuchern zu verbergen. »Brian, hilf mir«, flüsterte er. »Irgendjemand soll mir bitte helfen.« Plötzlich öffnete sich der Himmel und es goss in Strömen. Der Mond wurde von Wolken verdeckt und hüllte Mark in schützende Dunkelheit. Der Regen war undurchdringlich und kalt. Mark konnte nicht einmal mehr seine Hände sehen, die seine Knie fest umschlossen hielten. Er erlaubte sich einen tiefen Seufzer. Für den Augenblick war er sicher. Dann zog er die kleine Tonflasche heraus und untersuchte sie. Buffy kam am Staudamm an, als es gerade zu regnen anfing. Überall liefen eine Menge Leute herum. So viele große Jungs, um einen kleinen zu fangen. Mark tat Buffy Leid. Es sei denn, er hätte tatsächlich das getan, was man ihm vorwarf. Dann würde sie seine Seele bedauern. Sie wusste, wie es in der Hölle aussah. »He, du da, Mädchen!«, schrie einer zu ihr herüber. Das fahle Licht einer Taschenlampe wurde auf sie gerichtet und ein schäbiger Typ, Bitterman, der unter einem Regenmantel verborgen war, sagte: »Regenschutz und Waffen werden in der Hütte ausgegeben.« Waffen? Buffy sagte nur: »Danke, wo ist die Hütte?« »Da, wo du hergekommen bist«, sagte die Stimme. Daran zweifelte sie. Denn sie war wie Rambo den Berg hinuntergerast. Sie nickte dem Mann zu, der Bitterman hieß und tat so, als ginge sie zu der Hütte.
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Stattdessen lief sie so schnell sie konnte zu einem nahe gelegenen Gebäude hinüber, um in Ruhe darüber nachzudenken, was sie als Nächstes tun konnte. Unter dem Waschbecken auf dem Boden der Toilette waren ein paar Spritzer. Im Dämmerlicht sahen sie aus wie braune Farbe. Oder getrocknetes Blut, dachte Buffy und bückte sich. »Hier! Da ist er!«, schrie irgendjemand. Oh je. Buffy richtete sich augenblicklich auf und stürzte nach draußen. Die Menge bewegte sich schnell auf den Damm zu. Buffy geriet mitten hinein. Es waren mindestens zweihundert Leute. Sie wollen Blut sehen, sagte sich Buffy. Sie konnte es von ihren Augen ablesen. Sie hatte Ähnliches schon oft in den Gesichtern von Dämonen und Vampiren gesehen. Wenn dieser Hunger nach Blut einmal geweckt worden war, taten sie alles, um ihn zu stillen. Ein Mann rempelte sie von der Seite an. »Ich habe einen Strick. Wenn wir den Kerl finden, ist er tot.« »Wir sollten die Polizei rufen«, forderte Buffy. Er grinste sie an. »Süße, ich bin die Polizei. Ich bin Detective des Sunnydale Police Departments. Wir sind alle hier.« Die ganze Stadt ist verrückt geworden, dachte Buffy. Es ist tatsächlich so. Und ich kann überhaupt nichts dagegen tun. »Dann wissen Sie ja, dass der Angeklagte unschuldig ist, bis das Gegenteil bewiesen wird«, beharrte Buffy. Er winkte ab. »Das ist was für dicke Bücher.« Wenn Angel der Uhr an der Wand über dem Billardtisch im Bronze trauen konnte, dann war es fast 22.00 Uhr. »Ich gehe los und suche Buffy«, sagte er. 114
Als er zum Ausgang ging, hörte er, wie Nick Daniels, der Assistent zu seiner Chefin Claire Bellamy sagte: »Jack hat eben angerufen. Sie haben Mark Dellasandro am Staudamm gesehen. Sie wollen ihn lynchen.« Angel lächelte grimmig. Jetzt wusste er genau, wo Buffy zu finden war. Er eilte hinaus in die Nacht, sein schwarzer Mantel blähte sich hinter ihm auf wie die Flügel einer riesigen Fledermaus. »Wow!« Cordelia holte tief Luft, als sie das Bronze betrat. Sie stand im Eingang und was sie sah, versetzte ihr einen Schock. Auf der Bühne waren die Bandmitglieder gerade dabei, ihre Instrumente zu zerstören. Es waren mindestens ein halbes Dutzend Schlägereien im Gange, das Geräusch berstender Gläser durchdrang den Raum. Der Boden war übersät mit Kaffeetassen – und Blut. Ungefähr drei Meter von ihr entfernt lag ein Typ auf dem Boden. Ein anderer bedrohte ihn mit erhobenen Fäusten. Es war Xander. Sie griff nach seinen Arm und hielt ihn fest. »Was machst du da?«, herrschte sie ihn an und warf einen Blick auf den Typen am Boden. Es war Luke Engstrom, der Schläger von den Razorbacks. »Ach du liebe Güte, Xander, du darfst ihn nicht verletzen. Wir brauchen ihn, um die Spiele zu gewinnen.« Xander wirbelte herum und schrie sie an: »Hey, lass mich sofort los.« Sein Gesicht hatte einen harten, hasserfüllten, grausamen Ausdruck. »Ich zeige dir, was es heißt, jemanden aus meiner Mannschaft anzugreifen«, schrie ein anderer und hechtete auf Xander zu. Es war Chess Wiater, einer der Läufer aus der
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Mannschaft der Sunnydale High. Wiater lief direkt in Cordelia hinein und streckte sie zu Boden. Für einen Augenblick sah sie rote Punkte, dann Sterne. »Hey«, protestierte Xander, als die Schatten um ihn herum sich zu bewegen begannen. Der Raum drehte sich und im gleichen Maß legte sich auch seine Wut – als sei ihr plötzlich der Saft entzogen worden. Etwas roch würzig. Blumig. »Entspann dich, ich bin eine Krankenschwester außer Dienst«, sagte die tiefe, kehlige Stimme einer Frau neben seinem Ohr. »Ich werde mich um dich kümmern. Du brauchst dringend medizinische Hilfe. Atme noch einmal tief ein.« »Cordelia«, brachte er hervor, als der Geruch abermals in seine Nase stieg. »Ihr geht es gut«, versicherte sie ihm. Die Leute hatten nicht geplant, sich hier zu treffen. Willow war sich noch nicht einmal sicher, ob irgendjemand wusste, was er hier tat. Sie alle waren vom Wahnsinn getrieben. Aber Willow hatte nicht vor, sich von dieser Situation unterkriegen zu lassen. Die schwitzenden Körper um sie herum machten sie nervös, also schlug sie sich einen Weg frei und gab jedem, der ihr nicht schnell genug ausweichen konnte, einen heftigen Stoß. Plötzlich rannte sie gegen eine harte Männerbrust und merkte, wie irgendetwas über sie ausgeschüttet wurde – eine rote Flüssigkeit, die wie ein ganzer Garten roch. »Hey«, knurrte sie, während sie aufschaute. Der Besitzer dieser interessanten, grünen Augen, in die sie blickte, war der unglaublichste Typ, den sie je gesehen hatte. Er war mindestens so alt wie Angel – nun wie Angel in Menschenjahren, nicht in Vampirjahren –, doch im Gegensatz zu Angel, der ein großer, dunkler, gut aussehender Typ war, 116
war dieser Mann hellblond – strahlend – mit einem perfekt gestutzten Ziegenbärtchen. Ein freundliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Ich bitte um Verzeihung«, sagte er. Sein Akzent war britisch wie der von Giles. Er trug ein Jacket aus schwarzem Leder, außerdem Lederhosen und ein weißes T-Shirt. »Hey«, sagte sie abermals nervös, aber während sie dastand und zwischen ihm und den roten Flecken auf ihrem Pullover hin und her schaute, verschwand mit einem Mal ihre schlechte Laune. Sie blinzelte und fühlte sich plötzlich erfrischt, als sei sie von einem Nachmittagsschläfchen aufgewacht. »Es sieht so aus, als sei dein Freund verletzt worden«, sagte der Fremde und ging zur Seite. Hinter ihm lag Xander am Boden. Seine Augen waren geschlossen. »Xander!«, rief Willow und rannte sofort zu ihm hin. »Ich bin ausgebildeter Mediziner«, bot der Mann an. »Ich werde mich um ihn kümmern.« Willow schüttelte den Kopf. »Sorry, aber, nun ja, Xander ist kein Unbekannter im Krankenhaus.« Mit einer hilflosen Geste schaute sie sich nach einem vertrauten Gesicht um. »Ich kann ihn behandeln, keine Sorge.« »Nein«, antwortete Willow bestimmt. Ihr Gesichtsausdruck duldete keinen Widerspruch. Der Mann hob seine Augenbrauen. »Du bist ein widerspenstiges kleines Ding, nicht wahr? Ich bin beeindruckt. Du wirst dich gut machen.« »Stimmt irgendetwas nicht?« Nick Daniels stand unvermittelt neben Willow und betrachtete den Unbekannten. »Ich versuche nur zu helfen. Die beiden Jungs hier sind aufeinander losgegangen.« Er zeigte auf Chess Wiater, der mit überkreuzten Beinen auf dem Boden saß und vor sich hin jammerte. 117
»Ja, diese verdammten Kids«, murmelte Nick. Zu Willow sagte er: »Geh und sag Claire, sie soll die Polizei rufen. Ich kümmere mich um die Jungs.« Willow zögerte. Sie wollte Xander nicht alleine lassen, aber sie hatte auch nichts dagegen, dass Nick sich der Situation annahm. Das konnte nur gut für Xander sein, der sich gerade in diesem Augenblick durch ein Stöhnen wieder in Erinnerung brachte und sich zu ihnen herumdrehte. »Will«, er atmete tief ein, »du riechst wirklich eigenartig.« »Oh, danke.« Sie legte prüfend die Hand auf seine Stirn. »Bist du in Ordnung?« »Abgesehen davon, dass ich die Vögel loswerden muss, die um meinen Kopf herumfliegen und Lärm machen – ja.« »Komm, ich helfe dir beim Aufstehen.« Sie stützte ihn unter dem Arm. »Ooh.« Xander hielt sich den Kopf. »Hey, glaubst du, wenn ich Wiater besiege, habe ich genug Geld fürs College?« Er schaute sich um. »Wo ist Cordelia geblieben?« Willow blinzelte. »Sie war hier?« »Oh, ja. Sie kam gerade herein.« Er schaute hinüber zu den Kids, die sich, jetzt nachdem alles vorbei war, einer nach dem anderen davonmachten. »Hat einer von euch Cordelia gesehen?« »Sie ist mit diesen Leuten weggegangen.« Ein Mädchen mit Hosenträgern und einem langen schwarzen Zopf zeigte zum Ausgang. »Diese Leute?«, wiederholte Xander und schaute in die Richtung. »Der blonde Mann und die schwarzhaarige Frau«, erklärte das Mädchen. Xander schaute Willow an. Sie spitzte die Lippen. »Der Engländer. Er sagte, er sei Arzt.« Sie runzelte die Stirn. »Nein warte, er sagte, er sei ein ausgebildeter Mediziner.« 118
»Wir gehen«, kündigte Xander an, und nahm ihre Hand. Sie kaute an ihrer Unterlippe, während sie es zuließ, dass Xander sie nach draußen führte. »Und er sagte, ich würde mich gut machen.« Sie rannten hinaus, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein schwarzer Van im Dunkeln verschwand. »Hey!«, schrie Xander ihnen nach und winkte. Er packte den Arm eines kleinen, untersetzten Typs, den er vom Nachsitzen kannte. »Hast du ein Mädchen gesehen, sie ist sehr attraktiv –« »Pass auf, wen du anfasst, Idiot!«, schrie der Kleine zurück und versetzte Xander einen harten Schlag in den Magen. Xander ging sofort zu Boden. Willow versuchte ihm aufzuhelfen, während sie dem Wagen nachstarrte, um sich das Kennzeichen zu merken. Aber es gab kein Kennzeichen. »Buffy«, stieß Xander hervor. »Wir müssen so schnell wie möglich Buffy finden.« Alles um Cordelia roch nach Blumen. Ein Teil von ihr erinnerte sich verwirrt an Bruchstücke eines Traums. Blumen, Kerzenlicht. Und Stroh. Nasses, stinkendes Stroh. Dann wurde ihr bewusst, dass sie die Augen geöffnet hatte. Sie starrte auf lange weiße Kerzen, die in einem alten, silbernen Leuchter steckten. Cordelia lag ausgestreckt auf dem Bauch, um sie herum schmutziges, feuchtes Stroh. Als ein Schatten in ihr Gesichtsfeld trat, musste sie blinzeln. Sie wandte ihren Blick nach oben. Es war eine Vampirin. Eine Frau, ganz in schwarz gekleidet, mit ebenso schwarzem, langem Haar. »Ah, du bist zurück.«
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»Zurück«, wiederholte Cordelia verwirrt. In ihrem Kopf war ein hämmernder Schmerz und ihr Mund war völlig ausgetrocknet. »Zurück unter den Lebenden. Fürs Erste«, wurde sie belehrt. Die Frau hatte ein volles Lachen und roch nach einem schweren, würzigen Parfüm. »Was willst du von mir? Wo bin ich?« Sie versuchte sich aufzurichten, aber ihr Kopf schmerzte zu stark. »Du bist in unserem Gerichtshof«, erklärte die Vampirin. Dann machte sie eine einladende Geste und ging einen Schritt zur Seite. Cordelia blieb der Mund offen stehen. Sie befand sich in einer Art Arena, die von einer hüfthohen Holzmauer umgeben war, über und über verziert mit Schnitzereien. Aber Cordelia fand nicht, dass es der rechte Augenblick sei, sich das genauer zu betrachten. Denn hinter der Wand saßen die Zuschauer: Dämonen und Vampire. Einige waren angezogen, als seien sie auf einer Togaparty, andere trugen Kleider aus Samt und Spitze, sogar ein paar abgefahrene Disco-Outfits waren darunter. Dann gab es Ungeheuer, die völlig nackt waren, und obwohl sie glaubte, schon eine Menge fetter Gestalten erlebt zu haben, stellten die meisten der hier Anwesenden alles bisher Gesehene in den Schatten. Es mussten mindestens fünfzig sein, die ihr zujohlten, als sie zu ihnen hinübersah. »Ich habe gewonnen«, rief einer. »Zwei Stunden und zwölf Minuten!« Die anderen grölten. Einige zogen Geldbeutel heraus und begannen Banknoten zu zählen. Geld wurde herumgereicht. Cordelia war wie vom Blitz getroffen.
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»Sie haben gewettet, wie lange du bewusstlos bleiben würdest«, sagte die Vampirin. »Sie wetten auf alles, es vertreibt ihnen die Zeit.« Sie lachte in sich hinein. »Sie langweilen sich so schnell. Und möchten am liebsten ständig unterhalten werden. Es hält sie davon ab, sich Schlimmeres auszudenken. Das haben sie im alten Rom gelernt.« Oberhalb der Zuschauerbänke stand ein ausnehmend attraktiver blonder Mann. Er trug ein schwarzes Lederjacket, schwarze Hosen und ein weißes T-Shirt. »Der war im Bronze«, murmelte Cordelia vor sich hin. »Ja, wir waren beide dort«, sagte die Vampirin. Sie lehnte sich hinunter zu Cordelia und fuhr mit ihren scharfen Fingernägeln ihren Hals entlang. »Wie schade. Du bist so bezaubernd.« »Fass mich nicht an«, fauchte Cordelia, doch innerlich zitterte sie. Schade? Warum ist was schade? »Wo ist Xander?«, fragte sie fordernd. »Er ist entkommen«, erklärte die Vampirin sorgenvoll. Dann lächelte sie. »Aber mach dir keine Gedanken. Wir werden ihn finden und herbringen.« Ihr Blick traf den blonden Mann. »Nicht wahr, Julian?« »Aber selbstverständlich«, erwiderte er. Cordelia schaute ebenfalls zu ihm hinüber und hielt die Luft an. Er zeigte sein Vampirgesicht. Und das bedeutete, dass er hungrig war. Das würde auch erklären, warum es schade ist, dass ich so zauberhaft bin. »Hört mal zu, Leute, es ist besser, wenn ihr mich gehen lasst«, sagte Cordelia, während sie versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Ich bin mit der Jägerin befreundet und ihr wisst doch, was eine Jägerin ist?«
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Eine Kreatur, mit gelben Schuppen und einem rot-braunen Panzer, hielt sich eine der Klauen vor das breite Maul und lachte derb. Einige der anderen Dämonen und Vampire hörten auf, Geld auszutauschen und stimmten in das Lachen ein. Einer applaudierte. Etwas, das aussah wie Würmer, die man aneinander gebunden hatte, drehte sich herum und schaute zu dem Vampir hinüber, den sie Julian nannten. »Oh ja, wir wissen sehr gut, was eine Jägerin ist«, antwortete dieser. »Und wir sind hocherfreut, dass eine weitere Freundin von ihr uns mit ihrer Anwesenheit beehrt.« »Eine weitere«, wiederholte Cordelia bedrückt. Julian klatschte in die Hände, als rufe er nach einem Diener. Rechts hinter ihm hörte man ein dumpfes Geräusch, dann ein Heulen. Cordelia zuckte zurück, bedeckte den Mund mit dem Handrücken und schaute mit aufgerissenen Augen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Die anderen reckten die Hälse, um herauszufinden, was los war. Dann ging eine Metalltür auf und ein Werwolf stakste hochbeinig in die Arena.
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7 Es gelang Buffy, sich einen Weg durch die Menschmenge zu bahnen. Sie war schmutzig und nass. Ihr war kalt. Als sie zur Südseite des Dammes hinüberrutschte, war sie ziemlich schlechter Laune. Während sie sich an einigen ManzanitaBüschen festhielt, entdeckte sie im Schein ihrer Taschenlampe Fußspuren, die weiter nach unten führten. Sie folgte ihnen, bis sie auf ein Tor stieß, an dem ein Vorhängeschloss angebracht war. Kurzerhand öffnete sie es und ging hindurch. Dann drehte sie sich um und schloss es wieder. Keiner aus der Menge schien diese Abkürzung bisher gefunden zu haben. Für einen Moment war Buffy in die Dunkelheit sicher eingehüllt, doch schon der nächste Strahl ihrer Taschenlampe konnte sie verraten. Sie wusste nicht, ob Mark Dellasandro tatsächlich hier unten war, aber sie wusste, dass sie ihn finden musste, oder er war ein toter Mann. Ein toter Junge, korrigierte sie sich. Er war ja noch ein Kind. Buffy erreichte das Ende der Stufen. Um zum Fundament des Dammes zu kommen, gab es nur noch eine Möglichkeit: Sie musste springen. Buffy stieß sich ab und landete hart. Ohne sich um ihre Verletzungen zu kümmern, kroch sie weiter. Als Wasser auf ihren Kopf tropfte, streckte sie die Hand aus und merkte, dass es nicht der Regen war. Das Wasser musste aus einer anderen Quelle kommen. Sie suchte nach ihrer Taschenlampe, doch sie fand sie nicht. Buffy musste sie beim Sprung verloren haben. Doch der Schein des Mondes genügte, um die Risse im Damm gut erkennen zu können. Buffy hielt den Atem an, als sie sah, wie groß sie waren. Vorsichtig begann sie, Marks Namen zu rufen.
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»Mark?«, rief sie leise, »ich bin eine Freundin. Bitte vertrau mir. Ich bin gekommen, um dir zu helfen.« Sie glaubte, ein Geräusch in den Büschen zu hören, aber durch das Geschrei der aufgebrachten Menschenmenge konnte sie nicht sicher sein. »Kommt hier herüber, ich habe Stufen gefunden«, rief jemand. Buffy seufzte. Nicht lange, und sie würden alle hier sein. »Mark«, flüsterte sie verzweifelt. »Bitte zeig dich. Es ist deine einzige Chance.« Sie hörte ein Wimmern, das aus den Büschen zu ihr drang. Buffy kroch hinein. Die Zweige zerkratzen ihr das Gesicht und die Hände. Als sie unvermittelt die Haut eines Menschen berührte, griff sie zu. Mark durfte sich nicht aus dem Staub machen. »Nein«, stieß er voller Angst hervor. »Ich bin Buffy«, versuchte sie ihn zu beruhigen, während sie näher kam. »Buffy Summers. Ich werde dir helfen.« Inzwischen war auch Angel am Staudamm angekommen. Er versuchte, so schnell es ging ins Tal zu gelangen und dabei der aufgebrachten Menschenmenge auszuweichen. Halte durch, Buffy, dachte er voller Sorge, als er über den Schlamm rutschte. Aber sie würde durchhalten, das wusste er. Sie war die Jägerin. Willow und Xander saßen dicht gedrängt im Führerhaus des Trucks, während der Fahrer ihnen in aller Ausführlichkeit die ganze Geschichte seiner Reise erzählte. Dann kam die Tour nach Bishop dran und schließlich die von Bishop nach Sunnydale.
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Sie hatten von dem Menschenauflauf am Staudamm gehört und wussten sofort, dass sie Buffy dort finden würden. Also waren sie per Anhalter gefahren. Als der Truck anhielt, hatten sie zwar beide gezögert, aber die Situation erlaubte ihnen nicht, wählerisch zu sein. Der Fahrer redete ununterbrochen, während die beiden so taten, als würden sie zuhören. Doch stattdessen beobachteten sie die Umgebung und versuchten, trotz des starken Regens irgendetwas zu erkennen. »Gefährliche Gegend, dieses Sunnydale. Habt ihr jemals eine Fata Morgana gesehen? Es gibt viele davon in Sunnydale. Und unheimliche Begegnungen.« Er schaute Xander durchdringend an. »Du weißt, wovon ich spreche, Sohn?« Xander schluckte und hoffte, dass es sich hierbei nicht um einen geheimen Knastcode handelte, der irgendwas zu bedeuten hatte. Vorsichtig antwortet er: »Sie meinen, wie bei Scully und Mulder? Akte X?« Der Mann nickte. Er nahm noch ein Kaugummi und quetschte es zu der enormen Masse, die er bereits in seinem Mund herumschob. Es mussten mindestens fünf sein, dachte Xander. »Ich bin einmal quer durch ganz Amerika gefahren und ich sage euch, es gibt keinen unheimlicheren Ort als Sunnydale.« Er griff nach vorne. »Kaugummi?« »Danke«, sagte Willow und nahm sich ein Stück. Sie bot Xander ebenfalls davon an. »Ich versuche es mir abzugewöhnen«, sagte er. Er legte die Hand auf Willows Arm und flüsterte: »Merkst du, was ich merke? Obwohl wir echte Probleme haben, sind wir nicht so neben der Spur wie im Bronze.« »Stimmt. Aber auch in einer anderen Situation.«
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Die Lichter des Armaturenbrettes spiegelten sich in ihrem roten Haar. Will, seine Will. Wie hatte er jemals so grausam zu ihr sein können? »Ich glaube immer mehr, dass Buffy Recht hatte. Wir waren besessen«, fügte Xander hinzu. »Und irgendwie sind wir es wieder losgeworden.« Er legte seine Hand auf die ihre. »Es tut mir Leid, Willow.« Sie drückte seine Hand. »Mir auch, Xander.« »Okay, wir sind wieder Freunde.« Oder was auch immer. »Da wir gerade von unheimlichen Dingen reden«, sagte Xander und sprach lauter, um den Truck-Fahrer in die Unterhaltung mit einzubeziehen. »Gibt es irgendwas Besonderes, das Ihnen in letzter Zeit aufgefallen ist? Ich meine hier, in Sunnydale?« Er kratzte sich am Kopf. »Wie zum Beispiel schwarze Vans ohne Kennzeichen? Oder –« Plötzlich unterbrach ein Pfeifen das Gespräch. Der Fahrer setzte sich einen Kopfhörer auf, ausgestattet mit einem integrierten Mikro. Damit wirkte er wie ein Rock-Star. »Yeah, großer J, was gibt’s?«, sagte er. Er streckte sich. »Das ist ein großes Zehn-Vierer.« Nach einem kurzen Wortwechsel beendete der Fahrer das Gespräch. Zu Xander und Willow sagte er: »Hattet ihr vielleicht einige Mordfälle in letzter Zeit?« »Wir haben hier immer irgendwelche Mordfälle«, platzte Willow heraus. Dann korrigierte sie sich. »Ja. Ein Junge hat vor kurzem seine Eltern umgebracht und ein paar tote Schüler hat man auch gefunden...« »Wir wollen den armen Mann doch nicht langweilen«, unterbrach Xander sie. 126
»Ihr wollt also zum Staudamm, um euch diesen Leuten anzuschließen?« »Mhm, kann schon sein«, sagte Xander vorsichtig. »Und Sie?« Der Mann biss die Zähne zusammen und schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich habe ein Gewehr dahinten drin, davon könnte ich schon Gebrauch machen. Aber ich muss meinen Zeitplan einhalten. Ich transportiere Fleisch, und zwar gefroren. Na ja, und da ist ein Stempel drauf, mit Datum. Sechs Tage noch bis Sonntag.« »Fleisch«, murmelte Willow und wurde blass. »Rindfleisch, um genau zu sein.« Er verzog das Gesicht. »Ich sag euch was. Ich bin schon fast zum Vegetarier geworden, seitdem ich sehe, wie die aufgeladen werden.« Er bekam tatsächlich eine Gänsehaut, während er das erzählte. »Diese ganzen toten Rinderhälften, die sich bewegen und herumfliegen, als würden sie Hula-Hopp tanzen.« Er wischte sich den Mund ab. »Wollt ihr wissen, was sie mit den Köpfen machen?«, fügte er hinzu. »Nein«, sagten Willow und Xander wie aus einem Mund. »Der Staudamm«, stieß Xander hervor und hoffte damit das Thema zu wechseln. Der Trucker gab Xander und Willow noch einen Rat. »Kids wie ihr sollten sich da raushalten. Wenn ich mich an meine Militärzeit erinnere, kann ich nur sagen, da oben wird’s ganz schön heiß hergehen.« »Oh, wir sind daran gewöhnt, dass es heiß hergeht«, versicherte ihm Xander. Dann schluckte er und ergänzte: »Mmh, mit vielen Leuten und so.« Er wurde rot. Ganz sicher hörte sich das in den Ohren dieses Knackis an wie: Wir treffen uns in der Dusche.
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Sie fuhren noch ungefähr eine Minute weiter, bis der Fahrer den Wagen abrupt auf die Seite zog. Willow wurde gegen Xander geschleudert. Er hielt sie fest, damit sie sich nicht verletzte. Aber er konnte nicht verhindern, dass romantische Gefühle in ihr hochkamen. Willow versuchte, ihre Befangenheit zu überspielen. Schließlich war das Xander und nicht Oz. Oz. Heute war die erste Nacht seiner Verwandlung. Sie schlug sich mit der Hand auf die Beine. Sehr wahrscheinlich hielten die gleichen Leute, die Cordelia geschnappt hatten, auch Oz gefangen. Zumindest hoffte sie das. Immerhin konnte sie Giles eine Beschreibung des Engländers geben – oder der Polizei, falls das irgendetwas nützen sollte. Und den schwarzen Van hatte sie auch gesehen, auch wenn das nicht gerade viel brachte. Oz half das im Augenblick jedenfalls gar nichts. Leider. Und die Zeit raste. »Tut mir Leid«, sagte der Fahrer, als der Truck zum Stehen gekommen war. »Ich habe fast die Abzweigung verpasst.« Er beugte sich über das Lenkrad und zeigte durch die Windschutzscheibe auf die Straße. »Hier geht’s rauf zum Staudamm. Ich kann euch da hochbringen.« »Oh, danke«, schnaufte Willow. »Das ist wirklich nett von Ihnen.« Der Mann drehte die Fensterscheibe herunter und spuckte die Kaugummimasse aus. Als er sich wieder umdrehte, hatte sein Gesicht die verzerrten Züge eines Dämons angenommen und leuchtete rot. Hörner ragten aus seinem Kopf. Seine Augen glühten in einem überirdischen Purpur. Als er seine Lippen zu einem Grinsen verzog, sah Willow die längsten Zähne diesseits der Hölle. Er spie Feuer, während er nach ihr griff. »Mach dir nichts draus«, sagte er. Willow kreischte. 128
Xander riss sie zur Seite, gerade rechtzeitig, um zu verhindern, dass der Dämon seine Klauen in ihren Arm stieß. »Ihr seid doch die beiden, die man Willow und Xander nennt«, sagte er, während er mit seiner abartig langen Zunge über seine Zähne fuhr. »Ihr seid Freunde der Jägerin, die am Staudamm gesehen wurde. Julian hat mich beauftragt, euch lebend abzuliefern. Aber er hat nicht gesagt, dass ihr unbeschädigt sein müsst.« »Nein, nein!«, schrie Xander und schlug auf das Monster ein, das versuchte, sich über Willows Arm herzumachen. »Halt!« Plötzlich öffnete sich die Fahrertür und das Ungeheuer wurde durch sein eigenes Gewicht aus dem Auto herausgerissen. Es zog Willow hinter sich her, bis sie schließlich halb aus dem Wagen hing. Im Lichtschein des nächsten Blitzes sah sie die Silhouette einer weiteren Person. Es war Buffy. Xander war gerade dabei, Willow in die Kabine zurückzuziehen, als sie ihn aufhielt. »Xander, schau mal!« Xander sah zwei Gestalten durch den Sturm davonjagen: die Jägerin und ihren Angreifer. »Oh danke, danke, Buffy«, flüsterte Xander. Dann half er Willow sich aufzurichten und sagte: »Ich gehe raus, um ihr zu helfen. Versuch das Ding hier in Gang zu setzen. Wir brauchen es – zum Beispiel, um damit abzuhauen.« »Wie bitte? Aber ich...« Sie starrte auf die Gangschaltung und die Pedale. Sie war viel zu klein, um sie zu bedienen. »Xander, ich werde ihr helfen. Es ist besser, wenn du fährst.« Aber ihr Freund war schon draußen und hörte sie nicht mehr. Sie musste ihr Glück versuchen. Willow gab Gas. Der Truck röhrte, dann war es still. 129
»Gut«, sagte sie, »ich muss es anders versuchen.« In diesem Augenblick öffnete sich die Fahrertür, und sie schrie vor Schreck auf. Da stand ein Schlammungeheuer! Das Monster aus dem Staudamm! Doch es war nur ein Junge. »Ich heiße Mark«, sagte er und an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit hätte es wohl sehr komisch gewirkt, wie er so dastand und blinzelte, über und über mit Schlamm bedeckt, aber in diesem Moment... »Buffy sagte, ich soll mich hier verstecken.« »Okay«, antwortete Willow. Sie atmete tief durch und fragte hoffnungsvoll: »Sag mal, verstehst du was von Trucks?« Zu ihrer freudigen Überraschung nickte er. »Ich und Brian... unser Onkel handelt damit. Ich weiß alles über diese großen Dinger.« Er bedeutete ihr, dass sie Platz machen sollte. »Lass mich hinter das Steuer. Wenn du willst, dann fahre ich dich bis nach Mexiko.« Buffy sah, wie Xander um den Truck herumschlich und sich auf sie zu bewegte. Sie wusste, er würde einen Überraschungsangriff versuchen, aber sie wusste auch, dass es klüger wäre, auf Distanz zu bleiben. »Xander, halt!«, schrie sie hinüber. »Ich habe hier alles im Griff.« Leider war sie dadurch einen Moment lang unaufmerksam und das genügte dem Ungeheuer, sie wieder anzugreifen. Sein Feueratem traf sie mit aller Kraft, sodass sie heftig durch die Luft geschleudert wurde und hart auf dem Boden aufschlug. »Komm hierher«, versuchte Xander den Dämon abzulenken.
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Er winkte, sprang auf und ab und drohte mit den Fäusten. Das Ungeheuer drehte sich langsam, Feuer speiend, zu ihm herum. »Komm schon, Rotnase, verschluck mich und spuck mich wieder aus. Ich werd’s dir zeigen.« Buffy schloss verzweifelt, angesichts dieser hilflosen, idiotischen Demonstration von Todesmut, die Augen, aber sie fühlte auch so etwas wie Dankbarkeit in sich aufsteigen. Dann rappelte sie sich wieder auf. Immerhin hatte Xanders kleine Showeinlage gerade ihr Leben gerettet. »Komm schon, Kleiner, zeig mir, wie heiß du bist.« Xander ließ nicht locker. »Komm schon, Baby.« »Genug!«, brüllte der Dämon und würgte Flammen hervor, die er in Xanders Richtung spie. Xander wich geschickt aus und machte sich für den Rückzug bereit. Dann wendete sich Rotnase wieder der Jägerin zu und blies noch mehr Feuer hinter ihr her. Fast berührten die Flammen ihre Haut. Sie kamen so nah an sie heran, dass sie fühlen konnte, wie sich Blasen auf ihrer Haut bildeten. Sie floh und versuchte, ihm nicht den Rücken zuzudrehen. Ohne Zweifel wollte sie ihre schöne Rückseite nicht verletzen. Sie dachte darüber nach, was sie tun konnte. Es war eine ziemlich verfahrene Situation. Es musste ein besonderes Glück gewesen sein oder vielleicht ein Wunder, dass sie und Mark von allen Auffahrten und Highways, die durch dieses verdammte kleine Nest führten, ausgerechnet diese gewählt hatten. Sie hatten geglaubt, gerade einem dieser schwarzen Vans entkommen zu sein, als sie sahen, wie der Truck abrupt stoppte.
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Jetzt war Buffy klar, dass der Dämon sie gar nicht gesehen hatte. Er war sowieso zu sehr damit beschäftigt gewesen, Willows Arm wie einen gerösteten Maiskolben zu behandeln. Der Van musste weggefahren sein. Unbewaffnet wie sie war, drehte sie sich zu dem Flammenwerfer auf zwei Beinen um und hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie tun sollte. Xander beobachtete hilflos, wie der Dämon sich Buffy näherte. Es musste doch etwas geben, was er tun konnte. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, war er nicht bereit, die beste Jägerin aller Zeiten an dieses Feuer speiende Ungeheuer, das Massen von Kaugummi verschlang, zu verlieren. Aber bisher, das musste er zugeben, hatte er nicht viel erreicht. »Halte durch, Buffy«, sagte er zu sich selbst. Während ich hier herumlaufe wie ein Affe im Nachthemd auf Stöckelschuhen, dachte er grimmig. Er war nicht gerade der Held der Stunde. Doch plötzlich hatte Xander eine Idee. Hatte der Dämon nicht gesagt, er habe ein Gewehr dabei? Ob das stimmte? Es gab eine Möglichkeit, das herauszufinden. »Ich bin zurüüüück«, rief er Willow zu, während er durch eine kleine Öffnung in den Truck kletterte. Er war erstaunt, dass sie auf dem Beifahrersitz saß. Noch mehr überraschte ihn, einen verschreckten Jungen hinter dem Steuer zu finden. »Er weiß, wie man das Ding fährt«, sagte Willow hastig. Xander nickte dem Jungen zu, ohne zu wissen, wen er vor sich hatte. Es kümmerte ihn auch nicht. Erst recht nicht, wenn er tatsächlich fahren konnte und nicht nur versuchte, Willow zu beeindrucken. Er kroch in den Raum hinter den Sitzen, fand dort nicht viel, bis auf ein paar – oh Gott – Knochen. 132
Dann aber... »Ein Gewehr«, rief Xander triumphierend. Er beeilte sich, wieder herauszukommen und fragte Willow: »Ihr wisst also, wie man das Ding in Bewegung setzt?« Willows Haar wippte in freudiger Erregung. »Ja, wissen wir. Wir können dieses Baby bewegen, wann immer du willst.« »Okay. Ich werde unserem Feuermonster Dampf machen.« Er schaute Willow an. »Ich versuche, ihn zu verwunden, aber was immer auch passiert, ich möchte, dass ihr ihn mit dem Truck überrollt.« Er blickte den Jungen auffordernd an. »Meinst du, du schaffst das?« Der Kleine fragte mit aufgerissenen Augen zurück: »Was geht hier ab? Was ist das für ein Ding?« »Das schafft er«, versprach Willow und legte ihre Hand auf die des Jungen. »Ich bin weg«, erklärte Xander und sprang aus dem Truck. Er rannte so schnell er konnte, um Buffy zu helfen. Die Situation war brenzlig. Der Dämon saß auf ihr, während sie verzweifelt versuchte, seinen Feuerattacken auszuweichen. Xander sorgte dafür, dass er einen festen Stand hatte, dann zielte er und feuerte. Zu seiner Begeisterung traf er den Kopf des Ungeheuers. Das Monster wirbelte herum und attackierte Xander mit seinen Flammen. Xander wich keinen Schritt zurück. Als die Flammen nur wenige Zentimeter neben ihm auftrafen, schoss er erneut. Noch einen Treffer. Das Ungeheuer taumelte zurück. Dann sprang Buffy hoch und landete einen gezielten doppelten Fußtritt auf den Brustkorb des Dämons. Als er nach hinten fiel, wurde er von einer Kugel getroffen. Die Kreatur breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis. 133
Buffy ging in die Knie, schlug gegen die Beine des Gegners und hoffte, ihn dadurch zu Fall zu bringen. Aber sie hatte sich verschätzt und dem Dämon gelang es, sich zu ihr hinunterbeugen und sie nach oben zu ziehen. Glücklicherweise konnte sie sich befreien und trat noch einmal kräftig zu. Xander machte Willow ein Zeichen loszufahren, während er auf das Monster zulief. In seinem Hinterkopf tauchten all die Dinge auf, die er an diesem Abend über Buffy gesagt und die er zu diesem Zeitpunkt auch geglaubt hatte. Doch jetzt, in diesem Augenblick, würde er für sie sterben. »Du hässliches, fettes Ding!«, rief er dem Dämon zu. Irgendetwas zog die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich. Seine Augen weiteten sich vor Schreck und Xander überlegte, was es sein konnte, das ihn so ausflippen ließ: Der Truck, das Gewehr oder der Junge, der auf ihn losging. Xander rannte los und fragte sich, wie die Schauspieler im Fernsehen stundenlang herumrennen konnten, ohne auch nur einmal stehen zu bleiben, um Luft zu holen. »Du ekelst mich an!«, schrie Xander. Zu seinem Erstaunen beugte der Dämon sich nach vorne, als habe er Angst oder wolle sich entschuldigen. Xander lief weiter. Der Truck hupte so laut, dass ihm fast die Ohren platzten. Er sprang, schaute nach hinten und rollte aus dem Weg. Der Truck fuhr genau auf den Dämon zu. »Nein! Meine Königin!«, schrie dieser. Dann öffnete er sein Maul, um den Truck mit seinem Flammenregen aufzuhalten. Xander musste voller Panik zusehen, wie der Wagen, als er den Dämon überrollte, Feuer fing. Der brennende Wagen schoss in Richtung Highway. Xander rannte so schnell er konnte hinterher und warf dabei das Gewehr weg. Die Fahrertür öffnete sich und jemand fiel heraus. 134
Einer. Nur einer. Dann explodierte der Truck. Die Erschütterung ließ den Boden erzittern, als das riesige Fahrzeug sich aufrichtete und auseinander brach. Große Teile halb geschmolzenen Metalls flogen durch die Luft und stürzten wie Bomben mit ohrenbetäubendem Krachen zu Boden. »Willow!«, schrie Xander. »Buffy!« »Hallo Jägerin«, sagte die Gestalt in Schwarz, die unvermittelt aus der Explosion auftauchte. Sie hatte oben auf dem Truck gestanden, als das Fahrzeug den Dämon überrollte. Nachdem das Ungeheuer den Wagen angezündet hatte, war sie zum hinteren Ende gesprungen, um dann leichtfüßig und voller Anmut auf dem Boden zu landen. Sie trug eine Robe mit einer Kapuze. Es war die Gestalt aus ihren Träumen. »Warte einen Moment, okay?«, sagte Buffy und hob ihre Hand, während sie auf das Feuer zuraste, um nachzuschauen, ob alle aus dem Truck entkommen waren. Der Gestank von brennendem Gummi und der Geruch – oh Gott – von verbranntem Fleisch lag in der Luft. Die Gestalt bewegte sich vorwärts und zog ihre Kapuze zurück. Es war eine Vampirin – nur eine Vampirin. Buffy war enttäuscht. Nach all diesem Theater, all diesen Alpträumen, hätte sie etwas Dramatischeres erwartet. Vampire erledigte sie im Schlaf. Na gut, mit geschlossenen Augen. Mit einer Hand auf dem Rücken. Buffy winkte. »Fünf Sekunden, okay? Bleib, wo du bist. Wir werden kämpfen. Ich muss nur eben etwas nachsehen.« »Oz«, sagte der Vampir. »Er lebt.« Sie öffnete ihre Robe und ließ sie zu Boden fallen.
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Sie war muskulös und voll gestylt, sie trug eine beeindruckende Rüstung, die fast ihren ganzen Körper bedeckte. »Wow. Wo hast du das auf getrieben?«, fragte Buffy voller Bewunderung, obwohl es ihre ganze Konzentration erforderte, nicht zum Truck zu laufen. Einer der Vorteile ihres Trainings mit Giles war es, genau diese Konzentration zu entwickeln. Unglücklicherweise war sie noch nicht perfekt genug ausgebildet. »Nehmen die Kreditkarten?« Die Vampirin bewegte sich unaufhaltsam in ihre Richtung und stellte sich in Kampfposition. Sie sah Respekt einflößend aus. »Mach dich ruhig über mich lustig.« »Tu ich gar nicht«, versicherte Buffy. »Ganz ehrlich. Ich bin beeindruckt. Schau, ich besitze keine Verkleidungen. Noch nicht einmal einen Umhang. Ich sollte mich wirklich mal neu einkleiden.« »Das werden wir für dich erledigen – zu deiner Beerdigung.« Ihre Augen wurden kleiner. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viele Jägerinnen ich getötet habe?« Buffy zuckte die Schultern. »Hast du eine Ahnung, wie viele Vampire ich getötet habe? Ich nicht. Ich habe aufgehört sie zu zählen. Es müssen Billionen gewesen sein. Mehr als Mac Donalds Hamburger verkauft.« Die Vampirin hob eine Augenbraue. »Findest du es nicht unfein herumzuprahlen?« »Dasselbe könnte man von Leuten behaupten, die anderen in den Hals beißen und ihnen das Blut aussaugen«, gab Buffy zurück. »Aber das scheint euch ja nicht davon abzuhalten.« »Mich hat es jedenfalls nicht davon abgehalten«, sagte die Vampirin und verwandelte sich vor Buffys Augen in ihre wahre Gestalt. »Stattdessen beflügelt es mich. Ich werde mit dir um das Leben deiner Freunde kämpfen.« »Eine glänzende Idee«, erwiderte die Jägerin.
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»Doch das ist nicht die Umgebung, die ich angemessen finde.« »Ganz schön wählerisch«, sagte Buffy. »Ich habe nichts daran auszusetzen.« Dann ging sie in die Offensive und rannte auf die Vampirin zu. Sie tastete nach ihrem Holzpflock. Ups. Den musste sie verloren haben. Das war gar nicht gut. Was für ein blödsinniges Missgeschick. Dumm gelaufen, jetzt konnte sie nichts weiter tun, als sich auf die Vampirin zu stürzen und dem Schlag auszuweichen, der sie sonst mitten im Sprung getroffen hätte. Als die Vampirin nach links wegglitt, traf Buffy sie mit der rechten Ferse an der Hüfte und schlug mit voller Kraft ihre linke Hand in die Rippen der Gegnerin. Grunzend fiel die Vampirin auf den Rücken. Bevor sie aufstehen konnte, war Buffy über ihr und hielt sie in Schach. Gleichzeitig suchten ihre Augen fieberhaft nach etwas, das ihr als Pfahl dienen konnte, aber es gab nichts. Das Gewehr, das Xander benutzt hatte, fiel ihr ein, wo mochte es wohl liegen? Es ist tatsächlich wie in meinem Traum, dachte sie, während sie mit den Fäusten auf ihre Gegnerin einschlug. Das Feuer, das in der Nähe loderte, und die Gestalt unter ihr, die sie mit aller Kraft zu besiegen versuchte. Sie fühlte, wie diese Erkenntnis ihr neue Kraft gab. Ein Vampir war schließlich nur ein Vampir und Buffy hatte wirklich schon viele von ihnen zur Hölle geschickt. Dann hörte sie jemanden rufen: »Buffy!« Verwirrt stellte sie fest, dass es Angels Stimme war. Sie schaute auf. Die Vampirin nutzte ihre Unachtsamkeit und versetzte ihr einen Hieb unter das Kinn. Ihr Kopf fiel nach hinten. Jedem anderen hätte die Vampirin damit vermutlich das Genick gebrochen. 137
Es war Buffys Glück – und Unglück –, dass sie die Jägerin war. Abgesehen von einem rasch aufblitzenden Schmerz und einem leichten Schwindelgefühl, hatte sie sich schnell wieder gefasst und versetzte der Gegnerin einen gezielten Schlag ins Gesicht. »Angel?«, rief sie. Unter ihr schrie die Vampirin: »Töte ihn nicht!« Buffy runzelte die Stirn. Töte ihn nicht? Die Vampirlady hielt Buffys Faust mit beiden Händen fest und schleuderte sie nach rechts, sodass sie frei war und Buffy im Schlamm lag. Die Jägerin stand auf und versuchte, auf der nassen Erde Halt zu finden, während die Vampirin ihr auswich und geradewegs hinüber zum Truck lief. Buffy keuchte. Vor dem brennenden Fahrzeug standen mindestens sechs Vampire, die Angel festhielten, während er sich zu befreien versuchte. In der Zeit, die Buffy brauchte, um auf dem rutschigen Untergrund wieder Fuß zu fassen, hatte er schon einen von ihnen abgeschüttelt und hielt einen anderen im Würgegriff. Dann rannte eine schlanke Gestalt auf ihn zu, gefolgt von der größeren, massigeren Version eines Humanoiden: Willow und Xander. Sie lebten. Xander trug etwas, das so aussah wie ein Pfahl und während Buffy noch so schnell sie konnte auf die Gruppe zulief, hatte er ihn schon in den Rücken eines Angreifers gerammt. Der Vampir explodierte, aber schon riss ein anderer Xander den Stock aus der Hand. Im nächsten Moment wurde er herumgeschleudert und fiel zusammen mit Willow zu Boden. Einer der Vampire sprang hinzu.
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Die Frau, die eben noch mit Buffy gekämpft hatte, rannte zu dem Schauplatz und schrie den Kämpfenden irgendetwas zu. Buffy verstand es nicht, weil ihr die Sprache unbekannt war. Augenblicklich zog der Vampir, der ihre Freunde bedroht hatte, sich zurück. Die Vampirlady bewegte sich mit einem beängstigenden, theatralischen Gang auf Angel zu, gleichzeitig nahm sie einem der umstehenden Vampire den Pflock aus der Hand. Im Schein des Feuers konnte Buffy sehen, dass Angel von drei anderen Vampiren festgehalten wurde. Die Vampirin richtete den Pfahl direkt auf Angels Herz. »Nein!«, schrie Buffy und rannte. Sie musste die beiden rechtzeitig erreichen.
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8 Der Regen prasselte auf das Dach des Appartementhauses, in dem Giles wohnte. Jedes Stück Porzellan, das er besaß, lag zerstört am Boden. Jedes Glas war zerbrochen. Eine halb volle Flasche Whiskey lag offen herum und über allem wehte der Geruch von kaltem Rauch. Gott sei Dank war er wieder zu sich gekommen, bevor er seine Schallplattensammlung erreicht hatte. Giles konnte sich an viele Situationen in seinem Leben erinnern, in denen er die Geduld verloren hatte. Auch an einige, in denen er den Verstand verloren hatte. Aber was hier geschehen war, lag auf einer anderen Ebene. Er hatte niemals eine so hemmungslose Zerstörungswut empfunden und wusste absolut nicht, wie sie über ihn gekommen war. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war, dass er von Davids Tod erfahren hatte. Und dass er die Gelegenheit verpasst hatte, sich von einem alten Freund zu verabschieden. Noch nicht einmal zu seiner Beerdigung konnte er fahren. Das hatte ihm den Rest gegeben. Voller Abscheu dachte er über sein Verhalten in den letzten Tagen nach. Was hatte er sich dabei gedacht? Hatte er allen Ernstes zu Buffy gesagt, sie sei ein Trampel? Wovon in aller Welt war er besessen gewesen? »Besessenheit. Ja, das ist es«, murmelte er vor sich hin. Er rieb sich das Kinn. Müde und verlegen wie er war, glitt sein Blick durch die Küche. Sie sah aus wie ein Schlachtfeld und verlangte dringend nach einer energischen Aufräumaktion. Aber anstatt damit anzufangen, ging Giles geradewegs zu seinen Bücherregalen und suchte alle Titel heraus, in denen das Wort »Besessenheit« vorkam. Es gab eine ganze Menge davon in seiner Privatbibliothek, und er war sich sicher, in der Schulbibliothek noch mehr zu finden. 140
Giles stapelte die Bücher auf dem Tisch vor dem Sofa und begann mit der Arbeit. Nach einer Weile wurde ihm klar, dass es einige tausend Theorien darüber gab, wodurch der Zustand der Besessenheit ausgelöst werden konnte. Von bösen Geistern bis zu schlechtem Peyote fand er alles beschrieben. Unterdessen plätscherte der Regen weiter aufs Dach. Giles hatte ungefähr den halben Stapel durchgearbeitet, als er aufgab. Er fand nicht genug brauchbare Hinweise und gab sich selbst die Schuld dafür. Buffy hatte oft genug versucht mit ihm über dieses Thema zu sprechen, aber er hatte sie nicht ernst genommen. Vielleicht konnte ein normaler Zeitgenosse sich damit rausreden, aber nicht er – nicht Giles der Wächter. Für ihn galten andere Regeln. Er musste die Jägerin beschützen. Seufzend nahm er das Telefon, um Buffy anzurufen. Es war Zeit für eine Entschuldigung. Außerdem war es höchste Zeit, sich zusammenzusetzen und nachzudenken, was zu tun war. Er hatte seine Pflichten sträflich vernachlässigt und betete, dass so etwas nie wieder passieren möge. Bereits nach dem ersten Klingeln wurde das Telefon abgehoben. »Ja.« Die Stimme klang hart und verärgert. Es war Buffys Mutter. »Joyce. Äh, Ms. Summers«, ergänzte Giles, nachdem sie auf den Vornamen nicht reagierte, »ich bin es, Giles. Ist Buffy –« »Sie ist nicht hier. Und wenn Sie sie finden, sagen Sie ihr, ich bedanke mich sehr dafür, dass sie mir eine Nachricht hinterlassen hat. Wieder mal. Was glaubt sie, was das hier ist? Eine Tankstelle?« »Es tut mir sehr Leid.« Er richtete sich auf. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« »Hier? Oh, alles ist ganz wunderbar.«
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Sie stieß jedes einzelne Wort hervor. »Irgendein Idiot ist in die Galerie eingebrochen und hat ein sehr wertvolles römisches Kunstwerk gestohlen. Wofür wir haftbar sind, wie gerade festgestellt wurde. Und natürlich war es unterversichert.« »Ach, das tut mir wirklich außerordentlich Leid. Wenn ich irgendetwas für sie tun kann –« »Nein danke«, unterbrach sie ihn barsch. »Aber wenn Sie meine Tochter treffen, dann sagen Sie ihr, sie soll gefälligst nach Hause kommen. Ich habe genug davon, auf sie zu warten und mir Sorgen zu machen. Sie könnte wenigstens anrufen.« »Ja, natürlich werde ich das tun. Und wenn ich etwas vorschlagen darf –« Joyce legte auf. Giles nahm das nicht persönlich, denn er wusste, dass sie nicht bei Sinnen war. Er hoffte nur, sie würde nicht ihre Küche demolieren. Oder, wenn sie es doch täte, ausreichend versichert sein. Und dass sie hoffentlich bald von diesem grässlichen Zustand befreit würde – in Buffys Interesse. Also, zurück zu den Büchern. Nach etwa einer halben Stunde sah er unvermittelt auf und dachte: Ein altes römisches Kunstwerk? Während sie durch den Matsch rutschte, schrie Buffy aus Leibeskräften: »Nein!« Zu ihrer völligen Überraschung und Erleichterung hielt die Vampirin inne. Statt Angel den Pflock in den Körper zu stoßen, lächelte sie Buffy an. Der Regen lief ihr über das bleiche Gesicht und sammelte sich in einer Lache zu ihren Füßen. »Warum sollte ich aufhören, Jägerin?«, fragte sie. Jetzt bemerkte Buffy den fremdartigen ausländischen Akzent, mit dem sie sprach. Sie kannte ihn nicht, wusste aber, dass es nicht transsilvanisch war – oder das, was im Kino dafür
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durchgehen mochte. Auf keinen Fall war es kalifornisch oder britisch. »Er ist ein Vampir.« »Das ist mein Territorium«, stieß Buffy hervor. »Das wäre nicht gut für meinen Ruf!« Die Vampirin lächelte. »Hier hast du deinen Besitz zurück. Deinen Liebhaber.« Sie zeigte mit einer Kopfbewegung auf Angel, hielt den Pfahl jedoch weiterhin an seine Brust gepresst. »Ist es nicht so, Angelus? Du hast dich von uns abgewandt für eine von ihnen?« »Jetzt gehst du mir wirklich auf die Nerven«, sagte Buffy und rieb sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Du hörst dich an wie Darla.« »Seine Herrin«, ergänzte die Vampirin. Buffy war zunächst erstaunt, dass sie Darla kannte. Aber es war gut möglich, denn Angel war unter Vampiren eine Berühmtheit. »Sag Angel, wie geht es ihr?« »Sie ist tot«, erwiderte Angel. »Ich habe sie umgebracht.« Die schöne Vampirlady war schockiert. Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich wieder zu fassen. Das genügte Buffy, um erneut anzugreifen. Die Vampire, die Angel fest hielten, wollten der Vampirin zu Hilfe eilen. Das war Angels Chance. Er befreite sich und war mit einem Sprung an Buffys Seite. Mit einem gezielten Hieb nach rechts schlug er einen seiner Widersacher zu Boden, während er gleichzeitig einem anderen Vampir den Pfahl aus der Hand riss und dafür sorgte, dass dieser sich kurz darauf in Staub verwandelte. Die Vampire wirbelten so schnell durch die Luft, dass Buffy kaum etwas erkennen konnte.
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Sie konzentrierte sich auf die Vampirin, die sie mit ein paar gezielten Schlägen und Fußtritten außer Gefecht setzen wollte. Die meisten davon schienen allerdings wenig Schaden anzurichten. Dasselbe galt auch umgekehrt. Der Kampf blieb unentschieden. »Wir sind gleich stark«, verkündete die Vampirlady keuchend. Ihre Augen schimmerten golden in der feuchten Nacht. »Das ist aufregend.« »Ja, aufregend«, knurrte Buffy, als die Vampirin gerade wieder einen Schlag landete. »Ich bin hin und weg.« Zu ihrer Linken hörte sie das charakteristische Geräusch eines Vampirtodes, dicht gefolgt von Xanders und Willows Siegesschrei. Buffy lächelte tapfer, sie konnte auf ihre durchnässten, aber gut trainierten Helfer stolz sein. Aber ein Blick in die Runde sagte ihr, dass sie noch immer zahlenmäßig unterlegen waren – und das war nicht gut. Also lenkte sie ihre volle Aufmerksamkeit noch ein Mal auf ihre Gegnerin. Die Jägerin hoffte, dass sie mit den Drohnen ein leichteres Spiel haben würde, wenn erst die Bienenkönigin geschlagen war. Es blitzte und donnerte heftig. Von irgendwoher hörte sie das Geräusch eines Motors, gefolgt von dem Quietschen der Bremsen, das plötzlich direkt hinter ihr war. Buffy hielt die Vampirin fest im Griff und rollte mit ihr nach links, als das Vorderteil des schwarzen Vans, vor dem sie und Mark vor kurzem noch geflüchtet waren, ihren Kopf nur um Haaresbreite verpasste. Dann trat ihr jemand heftig in den Rücken. »Hey«, knurrte sie, löste sich mit einer Hand von der Vampirin und griff gleichzeitig nach dem Fuß des zweiten Angreifers.
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»Danke, Buffy«, hörte sie Angel sagen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie der Vampir, dessen Fuß sie sich geschnappt hatte, unter Angels Pfahl explodierte. »Ein anderes Mal, Jägerin«, erklärte die dunkle Vampirin, während sie sich aus Buffys Griff befreite. Sie sprang auf die Füße und lief hinüber zum Van. Die Windschutzscheibe des Wagens war getönt, sodass Buffy den Fahrer nicht erkennen konnte. Die Beifahrertür stand bereits offen und die Vampirin sprang schnell hinein. Quietschend fuhr das Fahrzeug, unter dem Protest der zurückbleibenden Vampire, davon. In weniger als einer Minute waren zwei erledigt. Der Dritte war ein bläuliches, gummiartiges Ding, bedeckt mit einer übel riechenden Schicht, die sich wie Fett anfühlte. Es war schwierig, ihn zu halten, aber Buffy gelang es, seine Arme zu packen und auf den Rücken zu drehen, während Angel ihn mit einem glühenden Chromteil, das er unter dem brennenden Truck hervorgezogen hatte, bedrohte. Xander und Willow schauten betroffen, denn die Szene erinnerte sie daran, was Angel mit denjenigen machte, denen er Informationen zu entreißen hoffte – wie damals Giles. »Warum ist sie hier?«, fragte er den Dämon. »Was will sie?« »Sie wird mich umbringen, wenn ich es dir sage«, murmelte die Kreatur. »Oh, das ist so billig«, sagte Xander. »Als Nächstes wirst du behaupten, ihr seid vom CIA.« »Angel, ich glaube, die Frage des Tages ist eher, wer sie ist«, schlug Buffy vor und erneuerte ihren Griff, da der Dämon sich zu befreien versuchte. Angel starrte Buffy an. »Ich weiß, wer sie ist.« »Oh.« Wie wär’s, wenn du damit rausrückst, wollte Buffy gerade fragen, aber sie entschied sich, damit zu warten, bis die
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Angelegenheit mit diesem Fettkloß erledigt war. Schließlich musste der Feind nicht mehr wissen als nötig. »Okay. Lass uns anfangen. Warum seid ihr Typen in einer Nacht wie dieser hier unterwegs?« Buffy schüttelte das Monster heftig. Willow schluckte und griff nach Xanders Arm. Der Dämon grunzte. Seine mandelförmigen Augen starrten auf das glänzende Metall. Dann stammelte er zögernd: »Sie hat uns gesagt, sie sei hinter dir her, Jägerin.« Buffy seufzte. Und Cordelia behauptet, ich sei nicht beliebt. »Weißt du, wo unsere Freunde sind?«, meldete sich Willow. »Dunkelhaariges Mädchen, ziemlich süßer Junge.« Sie schaute hinauf zum Mond. »Ups. Kein Junge.« »Und das Mädchen ist ziemlich attraktiv«, fügte Xander treuherzig hinzu. »Wahrscheinlich auch ziemlich widerspenstig.« Der Dämon zuckte die Schultern. »Ich nicht wissen.« »Du nicht wissen? Kannst du unsere Sprache nicht verstehen?« Buffy drehte sich zu Angel. »Töte ihn.« »Nein!«, kreischte der Dämon, als Angel mit dem glühenden Chromteil wedelte. »Schau mal, Crisco, wir haben ein paar Fragen. Und wir brauchen Antworten. Du hast heute Nacht einen unschuldigen Jungen getötet.« Buffy trauerte für einen Moment um Mark Dellasandro, obwohl sie keineswegs bedauerte, dass Willow diejenige war, die lebend aus dem Truck entkommen konnte. »Ich bin sicher, es ist nicht der erste unschuldige Junge, den er getötet hat«, sagte Angel, während er seine Vampirgestalt annahm. Er presste das Metall auf den Arm des Dämons. Sein Schrei klang grauenvoll. Sein ganzer Körper begann zu dampfen und zu zittern. Dann löste sich der Arm auf und schmolz dahin. Ein 146
Stück davon fiel mit einem zischenden Geräusch in den Schlamm. »Urgh«, ließ Buffy vernehmen und schnitt eine Grimasse. »Möchte vielleicht einer von euch diesen Typen zur Abwechslung mal festhalten?« Sie lächelte Xander an. »Du fühlst dich sicher ausgeschlossen?« »Ne, kein Bedarf.« Willow, die neben ihm stand, schüttelte nur schwach den Kopf. »Sag’s uns jetzt – los«, befahl Buffy. »Ich fürchte, wenn Angel das nächste Mal dieses Chromteil gebraucht, wird jemand dich in einer Kiste wegbringen müssen.« »Ich kann nichts sagen. Er wird mich sonst töten.« Xander hob die Hand. »Moment mal Freund. Soweit ich das beurteilen kann, wird Angel das übernehmen.« »Nein.« Der Dämon zog seinen Kopf zurück. »Mein Körper nicht wichtig. Julian wird meine Seele töten und sie an Meter verfüttern.« »Du hast eine Seele?« Buffy zog die Stirn kraus und schaute Angel fragend an, der ebenso verwirrt zurückblickte und mit den Schultern zuckte. »Ich hab keine Ahnung, wie das funktioniert, und wer hier eine Seele hat und wer nicht.« Der Dämon öffnete sein Maul, dessen unterer Teil bereits fehlte. »Sie haben große Macht, sie und ihr König.« Angel sagte: »Ich dachte, Helen sei Julian entkommen.« Buffy warf ihm einen Blick zu. Helen? Julian? Entkommen? Jetzt war der Dämon völlig verwirrt. »Aber sie betet ihn doch an.« »Ich kenne eine andere Version«, beharrte Angel.
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Buffy fühlte einen Anflug des Gefühls, das bei einem normalen Mädchen ihres Alters wohl als Eifersucht bezeichnet würde. Normale Mädchen mit normalen Freunden – natürlich. Sie jedoch entschied sich dafür, es »außergewöhnliche Neugierde« zu nennen. »Dann hat jemand dir Märchen erzählt, Vampir.« Der Rest vom Maul des Dämons glitt aus seinem Gesicht. Ein Auge folgte, dann das zweite. »Ziemlich am Ende«, murmelte Xander bedauernd. Willow stieß einen Laut des Ekels aus und wandte sich ab. Xander hielt sie an den Schultern fest und redete beruhigend auf sie ein. »Ist schon gut, Will.« Buffy ließ das, was vom Dämon noch übrig war, los und sah zu, wie es sich allmählich im Schlamm auflöste. Dann sagte sie zu Angel: »Wenn du jetzt rülpst, rülpse ich auch.« Dann runzelte sie die Stirn. »Kannst du überhaupt rülpsen?« »Es gibt ein paar Dinge, die ein Mann lieber für sich behalten möchte«, gab Angel lächelnd zurück. »Ja, wie zum Beispiel seine Vorliebe für Pornofilme«, sagte Xander, während er sich ihnen wieder zuwendete. Als Buffy und Angel ihn gleichermaßen ungläubig anstarrten, zuckte er die Schultern. »Nicht, dass ich mich groß dafür interessieren würde. Wer hat das nötig, wenn die Ex-Freundin eine heiße Nummer ist?« Willow schaute ihn missmutig an. »Das wäre nur lustig, wenn sie hier wäre, Xander. So hört es sich einfach nur... gemein an.« Er hob die Brauen. »Gemein? Ich? Wann wäre ich je... ach, du meine Güte«, unterbrach er sich selbst, sein Blick glitt von Buffy hinüber zu dem zerstörten Truck. »Buffy.«
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Er zeigte auf etwas. Im Schein des Feuers stolperte eine zierliche Gestalt auf sie zu. Das konnte nur Mark Dellasandro sein. Buffy lief ihm sofort entgegen und die anderen folgten ihr. Als er sie sah, streckte er die Arme nach ihnen aus, dann fielen sie kraftlos herunter und er sank völlig erschöpft auf die Knie. Er schluchzte unaufhörlich. Buffy umarmte ihn. Es schnürte ihr die Kehle zu, wie er sich wimmernd an sie klammerte. Ihr war dieser Schmerz nicht unbekannt und sie wusste, sie würde ihn noch öfter erleben. Aber diesem Jungen schnitten Schmerz und Trauer tief ins Herz. Er hatte so viel durchgemacht. Und es war noch lange nicht zu Ende. Nach ein paar Minuten löste sich Buffy vorsichtig von ihm und versuchte, ihn anzusprechen. »Es ist alles gut, du bist in Sicherheit«, beschwor sie ihn. Dann musste sie allerdings hinzufügen: »Jedenfalls im Augenblick.« »Sie werden mich umbringen«, flüsterte Mark. »Alle sind völlig durchgedreht, genau wie mein... mein... Bru...« Er schloss die Augen. Sein Gesicht war tränenüberströmt. »Er hat Recht, Buffy«, sagte Xander. »Alle benehmen sich, als seien sie durchgedreht.« Er räusperte sich. »Willow und ich haben es geschafft, uns auszuklinken. Aber vielleicht werden wir auch wieder verrückt.« Er zuckte die Schultern als Zeichen seiner Hilflosigkeit und streckte Angel die Hand entgegen. »Hey, du weißt, ich bin nicht gerade dein größter Fan, aber was ich heute Abend gesagt habe...« »Schon vergessen«, erwiderte Angel schnell. Die beiden wechselten einen Blick, und Buffy wusste, er hatte nichts vergessen.
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Willow war die ganze Zeit still, was Buffy beunruhigte. Sie richtete sich auf. »Okay, bleiben wir bei Vampy. Wer ist die Tussi? Was geht hier ab? Wer ist Helen?« »Das ist eine lange Geschichte. Und eine, die ich nicht gerne zwei Mal erzähle. Ich glaube, Giles sollte sie auf jeden Fall auch hören.« Er zeigte auf den Jungen. »Außerdem könnten wir Giles vielleicht bitten, ihn zu verstecken?« »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, gab Buffy zu. »Giles gehört auch zu denen, die übergeschnappt sind.« »Besessen«, übersetzte Willow. »Molto besessen«, sagte Buffy. »Er hat zu mir gesagt, ich sei ein...« Sie spitzte die Lippen. Warum sollte sie es ihnen erzählen. »Nun, es gibt Dinge, die auch ein Mädchen gerne für sich behalten möchte.« Sie schaute seufzend an sich herunter. »Lasst uns die Daumen raushalten. Ich bin sicher, jemand ist ganz scharf darauf, fünf Leute mitzunehmen, die von oben bis unten mit Schlamm bedeckt sind.« Als Giles die Tür öffnete, lächelte er Buffy an und sagte hastig: »Dem Himmel sei Dank, dir ist nichts passiert. Bitte ruf sofort deine Mutter an.« »Schon verstanden.« Sie lief hinüber zum Telefon. Ihre Nummer war einprogrammiert. Sie drückte die Eins und wartete, dass ihre Mutter den Hörer abnahm. »Mom?«, sagte sie heiter. »Hallo, es tut mir Leid –« Dann weiteten sich ihre Augen. Ihr Gesicht wurde grau, sie blickte hinüber zu Xander und rollte mit den Augen. Buffy tat Xander Leid. Es war hart genug, ein Helfer der Jägerin zu sein, aber nicht zu vergleichen mit der Situation
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einer Jägerin – zumindest, was die Schwierigkeiten mit den Eltern betraf. Xander hatte wie die anderen gehofft, dass Mrs. Summers mehr Verständnis haben würde, nachdem sie von Buffys besonderem Auftrag erfahren hatte. Dass sie aufhören würde, Buffy wie einen normalen Teenager zu behandeln. Aber leider tat sie es nicht. Dabei war Buffys Leben schon schwierig genug und sie brauchte jede Unterstützung, die sie bekommen konnte. Xander versuchte, nicht ungerecht zu sein, aber er war traurig darüber, dass Buffys Mutter in dieser Situation offenbar nur noch mehr Schwierigkeiten bereitete. »Das ist Mark Dellasandro«, sagte Willow zu Giles. »Hallo Mark.« Giles Züge blieben unbewegt, aber Xander kannte ihn lange genug, um seine Körpersprache lesen zu können. Es war richtig gewesen, den Jungen hierher zu bringen. »Möchtest du vielleicht etwas Tee?« »Ja, bitte«, sagte Mark kleinlaut. Er zitterte. Alle waren von den Ereignissen der letzten Stunden gezeichnet, aber für ihn war es am schlimmsten gewesen. Er hatte viele Stunden draußen in der Kälte ausgeharrt. »Und eine Dusche«, rief Willow Giles zu. »Und vielleicht auch was zu essen. Ich helfe Ihnen.« »Oh, das geht schon in Ordnung«, sagte Giles. Aber Willow ging es nicht allein darum, ihm zu helfen. Sie beobachtete Giles, der mitten in seiner demolierten Küche stand. »Ich bin jetzt wieder in Ordnung, Willow«, beruhigte er sie und stieg über den Scherbenhaufen. Dann öffnete er den Schrank neben dem Herd und holte eine dunkelblaue Tasse heraus, auf der ein ägyptischer Ankh abgebildet war. Sie schloss die Augen und murmelte ihren Schutzzauber, den sie jeden Morgen aufsagte. 151
»Beim Licht im Herzen der Erde, verbanne ich alles Böse aus meiner Ruhestätte; Ich verbanne es aus meinem Haus und Heim; Ich halte es fern von meinem Körper und meiner Seele. Ich verbiete euch, ihr Geister des Bösen, in meinen Geist und meine Gedanken einzudringen; Euch auch nicht meiner Kraft oder meiner Ängste zu bemächtigen; Bis ihr nicht jeden einzelnen Hügel erklommen, jedes einzelne Tal bewandert habt; Jeden Strom und Fluss bewältigt; Jedes einzelne Sandkorn an jedem Strand gezählt habt; Und jeden Stern am Himmel. Ich banne euch.« Dann schaute sie Giles an und fragte: »Haben Sie vielleicht noch ein paar Teetassen, die nicht zerbrochen sind? Und vielleicht auch frischen Tee?« Er nickte bejahend. »Würdest du bitte den Wasserkocher anstellen?«, bat er sie. Dann ging er ins Wohnzimmer zurück. »Xander, würdest du Mark bitte zeigen, wo er die Dusche findet?« »Danke«, sagte Xander. »Wir finden uns schon zurecht. Aber ich denke, wir duschen besser nacheinander.« Er gab Mark einen Klaps auf die Schulter. »Komm mit.« Die beiden verschwanden nach oben. Während Giles den Tee vorbereitete, drehte Willow den Wasserhahn auf. »Nimm lieber das Wasser aus der Flasche«, forderte Giles sie auf, dann griff er sich an die Stirn. »Oh, ich habe vergessen, welches aus dem Supermarkt mitzubringen. Ich habe die ganze
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Woche dieses Leitungswasser getrunken. Es schmeckt fürchterlich.« »Ist es in England besser?«, fragte Willow. »Nicht wirklich.« Er lächelte sie an. Als die Jungs auf der Treppe nach oben verschwunden waren, senkte Giles seine Stimme und fragte Willow: »Wie viel weiß Mark?« »Nicht viel. Er weiß noch nicht einmal, dass Buffy die Jägerin ist.« Sie schluckte. »Er hat auch nicht gesehen, wie der Dämon sich im Schlamm auflöste. Aber er hat miterlebt, wie der Trucker sich in ein Feuer speiendes Monster verwandelte.« »Um Gottes willen. Ihr hattet mit Dämonen zu tun?« »Und mit dieser aufgeblasenen Vampirlady. Ihr Name ist Helen. Sie kennt Angel.« Giles starrte sie an. Sein Gesichtsausdruck ließ ihr die Haare zu Berge stehen. Giles war völlig außer sich. »Helen?«, sagte er mit tonloser Stimme und wirkte, als habe er sich eben in einen Geist verwandelt. Hinter ihm sagte Angel: »Die Betrogene.« Sie drehten sich um. Angel stand in der Tür, sein T-Shirt war voller Schlamm. Auf seinem Brustkorb glänzte ein Blutfleck, direkt über seinem Herzen. Dort, wo die Vampirin den Pfahl angesetzt hatte. Ein bisschen weiter nach unten und er hätte sich in Staub verwandelt. »Helen. Oh mein Gott.« Giles fuhr sich nervös mit beiden Händen durchs Haar. »Wir dachten, sie sei tot.« Angel bemerkte tonlos: »Das dachte ich auch.« Eine beängstigende Stille folgte. Willow brach schließlich das Schweigen mit einer Frage, die sie brennend interessierte: »Wer ist die Betrogene?« »Meine Mutter ist immer noch im Zustand der Besessenheit«, rief Buffy vom Wohnzimmer herüber. Sie 153
stellte das Telefon zurück ins Ladegerät. »Oder sie ist in den Wechseljahren. Wisst ihr, manchmal wäre es einfach nett, wenn die ersten Worte aus ihrem Mund nicht ›Warum hast du nicht angerufen?‹ lauten würden. Sie weiß doch, wie meine Nächte ablaufen. Vielleicht sollte ich ihr ein polizeiliches Suchgerät kaufen. Oder sollte ich vielleicht eine Kamera mit mir herumtragen?« Giles blickte von Willow und Angel zu Buffy hinüber. Er sah betroffen aus. Gedankenverloren bat er Willow, den Tee zu bereiten und ging hinüber ins Wohnzimmer. Er erinnerte sich an die Nacht, in der Jenny gestorben war. Er war in dieses Zimmer gekommen – natürlich durch die Vordertür –, hatte den Wein gefunden, von dem er angenommen hatte, sie habe ihn mitgebracht. Dann hatte er die weißen Kerzen gesehen, eine auf jeder Stufe der Treppe, die zu seinem Schlafzimmer führte. Auf dem Weg nach oben hatte er seine Krawatte gelöst. Sein Herz war erfüllt gewesen von den süßen Opernklängen, die sie, wie er glaubte, ausgesucht hatte für diesen Augenblick. Das war die Nacht, in der ihre Wünsche und Sehnsüchte sich erfüllen sollten. Die Nacht, in der das Begehren auf dem Höhepunkt angelangt war. Glückseligkeit. Crescendo. Stattdessen lag eine tote Frau auf seinem Bett mit einem Ausdruck in den Augen, der sagte: Warum hast du ihn nicht aufgehalten? Warum hast du mich nicht gerettet? »Oh du lieber Gott, Buffy«, brachte er mühsam hervor, während er sich setzte. Er faltete seine Hände zwischen den Knien und beugte den Kopf. Nein, er wollte nicht vom Tod sprechen. Er hatte genug davon. »Giles, was ist los? Was soll das alles bedeuten?« Sie ist noch so jung. Sie hat das ganze Leben noch vor sich. Warum hört das Universum nicht auf, ständig neue Ungeheuer zu gebären? 154
»Buffy, ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll«, sagte er aufrichtig. »Es geht um die Vampirin, der du begegnet bist. Helen.« »Ja, ziemlich runtergekommen, die Kleine«, sagte Buffy. »Nicht gerade meine Fall.« »Buffy, bitte setz dich.« Er deutete auf die Couch. »Giles, ich bin voller Schlamm«, protestierte sie. »Ich bleibe lieber stehen.« »Bitte, Buffy«, drängte Giles. »Hör mir gut zu. Helen gehört zu den übelsten und vor allem gefährlichsten Kreaturen, die je diesen Planeten betreten haben. Vor Jahrhunderten hat das Konzil der Wächter alle Hinweise auf sie aus dem Handbuch der Jäger entfernt. Es war ein sträflicher Versuch, ihren Namen auszulöschen. Und jeder, der einem Jäger von ihr erzählte, wurde auf der Stelle ausgeschlossen und für den Rest seines Lebens verbannt.« »Wow, seid ihr Wächter oder die Spanische Inquisition?«, wollte Buffy wissen. »Sie glaubten, dass jeder Jäger, der von ihrer Existenz erführe, automatisch Angst bekäme und aufgäbe. Du musst verstehen, Helen hat es zu ihrer besonderen Aufgabe gemacht, Jäger zu töten.« Er räusperte sich. »Einen nach dem anderen.« »Wirklich, Giles, was man Ihnen auch erzählt hat, es stimmt nicht. Ich bin mit ihr fertig geworden.« Buffy sah unzufrieden drein. »Stimmt’s, Angel?« »Buffy, hör ihm zu«, sagte Angel, während er langsam das Wohnzimmer betrat. »Als ich sie kennen lernte, damals in England, gab es eine Jägerin mit Namen Grace. Helen hatte kein Erbarmen. Sie jagte das Mädchen wie ein Bluthund einen Fuchs und riss sie in Stücke.« Sein Gesicht war unbewegt,
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seine Augen dunkel überschattet. »Es war wirklich so. Und sie hat jeden Augenblick genossen. Sie ergötzte sich daran.« Er zögerte. »Da waren auch noch andere.« »Und du warst dabei?«, fragte Buffy sanft. »Ja, das war ich.« »Gut.« Sie versuchte sich zu fassen und Giles ließ sie gewähren. Er dankte Angel für seine Unterstützung. Buffy musste davon überzeugt werden, dass Helen eine schreckliche Bedrohung darstellte. Dennoch dachte er kurz darüber nach, dass damals, als die junge Jägerin ihr Leben lassen musste, der Dämon Angelus vermutlich sehr zufrieden war. »Dann hörte man lange Zeit nichts mehr von ihr«, fuhr Giles fort. »Sie schien damit aufgehört zu haben, Jäger... herauszufordern. Also war das Konzil überzeugt davon, sie sei tot.« »Na und«, mischte Buffy sich ein, sie hatte sich schon wieder im Griff. »Tut mir Leid um die große, böse Helen, aber ihr braucht euch keine Gedanken mehr um sie zu machen. Sie hat mit den Jahren nachgelassen.« Angel hob die Hände. »Du hast sie nicht geschlagen, Buffy. Sie hat das Feld geräumt.« »Sie ist abgehauen, ja, aber...« Buffy blitzte den Vampir an. »Sie hat sich aus der Affäre gezogen, warum ein Geheimnis daraus machen? Wie auch immer, sie ist fällig.« Der Wasserkessel pfiff, und Giles zuckte zusammen. »Tut mir Leid«, rief Willow aus der Küche und begann Lärm zu machen. »Wir müssen herausfinden, was dahinter steckt«, sagte Giles zu Angel, der zustimmend nickte. »Buffys Mutter hat etwas von einem antiken römischen Kunstobjekt erzählt. Vielleicht hat Helen einen Weg gefunden, Leute zu verfluchen oder ihre Aggressivität anzustacheln.«
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»Ethan Rayne betet zu Janus«, erinnerte Angel. »Dem Gott mit den zwei Gesichtern.« »Ja«, erwiderte Giles. »Ich versuche das zu überprüfen.« Er schlug sich mit den Händen auf die Knie. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.« »Wartet mal einen Augenblick«, protestierte Buffy. »Ich kann euch nicht folgen. Nichts von dem, was ihr gesagt habt, hat mich besonders beeindruckt. Ich meine, warum diese Panik, nur weil eine Vampirin auftaucht, die Büstenhalter aus rostfreiem Stahl trägt? Wie wäre es mit ein bisschen mehr Hintergrundinformation?« Giles betrachtete sie aufmerksam. Er sah Buffy Summers, seine Jägerin. Eine junge Frau, mit der er befreundet war. Er wehrte sich innerlich, ihr zu sagen, was sie wissen musste. Und wieso? Er fand es doch albern, wenn das Konzil der Wächter ihn dafür rügte, dass er sein Schicksal zu sehr mit dem ihren verknüpfte. Die Widerstände gegen die Art, wie er sich um Buffy sorgte, waren völlig abwegig. Die Jägerin hatte die Aufgabe, gegen das Böse zu kämpfen und ihr Leben zu riskieren. Wie sollte er sich nicht um sie sorgen? »Giles«, unterbrach Buffy seine Gedanken. »Buffy an Erde, Wächter Giles, bitte kommen! Können wir weitermachen?« Er atmete tief durch. »Es ist ganz einfach, Buffy. Helen ist mindestens 1970 Jahre alt. Von 41 bis 1901 hat sie jeden Jäger, dem sie begegnete, getötet.« »Dutzende, Buffy«, schloss Giles den kleinen Vortrag. »Hunderte«, korrigierte Angel. Buffys Lächeln verschwand. Sie versuchte in den Gesichtern der beiden zu lesen. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen, schluckte und richtete sich schließlich auf. »Vielleicht habt ihr Recht«, sagte sie. »Aber jetzt wird sie mich kennen lernen.« Bravo, dachte Giles bewegt und brachte immerhin ein schiefes Lächeln zu Stande. 157
»Ich denke genauso, Buffy. Deshalb müssen wir uns sofort an die Arbeit machen.« Er stand auf und wandte sich ab, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Was er ihr nicht erzählt hatte, war, dass jeder Jäger, der unter Helens Händen gestorben war, einen grausamen, brutalen Tod erlebt hatte. Die Vampirkönigin war durch und durch böse und sadistisch, wie die Epoche, in der sie geboren wurde – die Zeit des Ungeheuers Caligula, Kaiser des römischen Reiches. Der Name dieses Mannes war gleichbedeutend mit Grausamkeit, Folter und Wahnsinn. Helen hatte viel von ihm gelernt. Viel zu viel. Giles räusperte sich und sagte, so gefasst wie möglich: »Willow, brauchst du Hilfe mit dem Tee?« »Oh nein, danke, wirklich nicht«, erwiderte Willow heiter. Dann sah sie in sein Gesicht und stammelte: »Äh, ich meine, natürlich brauche ich Hilfe, ich brauche sogar sehr viel Hilfe.« Giles setzte seine Brille auf und ging in die Küche. Seine Hände zitterten. Ich darf sie nicht im Stich lassen, dachte er. Ich muss sie mit allem ausrüsten, was ich habe. Diesen Kampf wird sie vielleicht verlieren und ich darf das nicht zulassen. Helen saß an ihrem Schminktisch. Auf einem Sockel vor dem Spiegel lag ein Schädel, der auf bizarre Weise bemalt war – scharlachrot die Wangen und der Mund, blau und schwarz die Augenhöhlen. Tränen liefen der Vampirin übers Gesicht. Sie murmelte vor sich hin, während sie damit beschäftigt war, die Droge anzurühren. »Ich werde sie foltern. Wenn es sein muss, ein ganzes Jahrhundert lang. Mein Geliebter. Meine einzige, wahre, große Liebe.« Sie starrte auf den Schädel. »Angelus. Mein Angelus. Diese Schlampe... diese Jägerin!« 158
Dann hörte sie Schritte und erkannte, dass es Julian sein musste. Befangen schaute sie in den Spiegel. Natürlich konnte sie nicht sein Spiegelbild sehen – so wenig wie ihr eigenes. »Was tust du, meine Geliebte?« »Ich bereite die Droge für die Arena vor«, antwortete sie ruhig. Aber natürlich ist sie für dich, Julian. Wenn ich erst die Jägerin getötet habe, wird Angelus wieder zu mir zurückkehren. Er wird sich an die erinnern, die er wirklich geliebt hat. Doch vorher muss ich dich loswerden. »Warum weinst du?« »Ich habe die Jägerin nicht getötet, wenn es uns nicht gelingt...« »Es wird alles gut gehen. Sei nicht so ungeduldig.« Während sie die Augen schloss, dachte sie an all die vielen Jahre, in denen er sie gefangen gehalten hatte. An die Qualen, an die Einsamkeit. Er hatte gesagt, es sei zu ihrem Besten. Alle sollten sie vergessen und aufhören, sie zu verfolgen. »Nur für kurze Zeit, Geliebte«, hatte er gesagt. Aber Julian hatte es genossen, Helen für sich allein zu haben. Es war wie damals gewesen, als er sie in ihrer Zelle besuchen kam. »Ja, du hast Recht, ich bin ungeduldig«, sagte die Vampirin unvermittelt. Er küsste sie. Dann beugte er sich über sie und küsste den bemalten Schädel. »Gute Nacht, Diana, meine Liebe.« Dann berührte er zart Helens Schulter. »Komm ins Bett, Liebste.« »Noch eine Minute, Julian, mein Liebster.« Sie liebkoste seine Wange. Als er den Raum verlassen hatte, nahm sie entschlossen den Schädel in die Hand und drehte ihn herum. Eilig zog sie eine Flasche hervor. Vorsichtig darauf bedacht, nicht selbst mit der
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Flüssigkeit in Berührung zu kommen, schüttete sie den Inhalt ohne zu zögern in die Droge. Alles war gut. Sie hatte es getan. Was auch immer am nächsten Tag geschehen würde, es lag nun in den Händen der schwarzen Göttin.
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9 Römisches Imperium im Jahre 39 Weit entfernt von den sieben Hügeln der Stadt Rom versteckte sich Helen, ein dunkelhaariges fünfzehnjähriges Mädchen, hinter einem Regal und biss sich selbst in die Hand, um nicht laut aufzuschreien. Während sie zwischen den Weinkrügen stand, musste sie mit ansehen, wie ihre beste Freundin, ihre Herzensfreundin Diana, von einer seltsamen Kreatur bedroht wurde. Das Wesen sah aus wie ein Teufel aus einem Alptraum. Es hatte lange scharfe Zähne und lodernde Augen. »Endlich, Jägerin, endlich habe ich dich gefunden«, sagte der Dämon. »Mein Herr wird überaus erfreut sein, wenn ich ihm deinen Kopf bringe.« »Glaubst du wirklich?«, fragte sie und warf, während sie sich nach hinten bewegte, ihr langes blondes Haar über die Schulter. »Und wenn du mit leeren Händen zurückkommst, wird er dann mit deinem Kopf zufrieden sein?« »Eine überflüssige Frage«, knurrte der Teufel. »Diana«, flüsterte Helen, zu verängstigt, um sich bewegen zu können. Sie hatte noch nie zuvor ein solches Wesen gesehen und hätte nie gedacht, dass es solche Kreaturen geben könnte – obwohl sie natürlich die Gerüchte vom dämonischen Treiben des Kaisers im fernen Rom gehört hatte. »Mach dich bereit, Jägerin«, setzte das Monster seine Ansprache fort. »Heute Nacht wirst du sterben.« Helen musste hilflos zuschauen, wie das Ungeheuer Diana angriff. Sie hielt den Atem an, als Diana ihn zielsicher mit beiden Fäusten mitten ins Gesicht schlug. Er heulte auf und versuchte sie zu fassen. Aber die Jägerin rollte wie ein Ball nach hinten, stieß sich vom Boden ab und sprang wie eine minoische Tänzerin in die sichere Entfernung. Dann fasste sie 161
den überhängenden Zweig eines Olivenbaums und stieß beide Beine in die Brust ihres Gegners. Er versuchte ihre Füße zu fassen, doch sie zog die Beine an und schwang sich auf den Baum. Helen hielt es nicht aus und schrie: »Diana!« Zu ihrer Überraschung starrten beide, Diana und ihr nichtmenschlicher Gegner, sie mit dem gleichen Ausdruck von Erstaunen und Bestürzung an. Beinahe schuldbewusst, wie Liebende, die man überrascht hatte. Der Teufel zerrte an dem Ast. »Komm herunter, oder ich reiße ihr Herz heraus.« »Das werde ich nicht zulassen.« Der Ast brach ab und Diana fiel zu Boden. Sie sprang auf die Füße und knickte ein. Offenbar war sie verletzt. »Helen, lauf weg!«, schrie Diana. Dann torkelte sie zur Seite, um Halt zu suchen. Das Ungeheuer zögerte nicht und rannte auf Helen zu. Sie sprang auf und wusste im selben Augenblick, dass sie sich selbst verraten hatte. Atemlos und gelähmt vor Angst konnte sie dennoch den Blick nicht abwenden von dieser Kreatur. In wenigen Sekunden würde sie sterben. »Oh Minerva, gnädige Göttin«, flüsterte sie zitternd, als sie das Ungeheuer auf sich zukommen sah. »Nimm mich zu dir in den Himmel, Minerva, oder verwandle mich auf der Stelle in einen Baum, oder einen Felsen.« Sie roch das Monster, noch bevor es bei ihr war. Sein Modergeruch stank, wie das Grab, aus dem es kam. Seine Augen glühten bedrohlich und seine Krallen blitzten im Licht wie scharfe Klingen. Seine Nägel gruben sich in ihre Schulter und bogen sie nach unten. Breitbeinig beugte es sich über sie und öffnete das Maul. Seine Krallen berührten ihren Hals und drangen in die Haut ein.
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Ein fremdartiges, übles Kreischen erfüllte plötzlich ihre Ohren. Dann starrte sie in eine Staubwolke, die langsam auf sie niederrieselte. Hinter dem Staub stand Diana mit einem Pfahl aus Olivenholz in den Händen. »Geht es dir gut?«, fragte sie, während sie sich zu ihr hinunterbeugte und die Hand nach ihr ausstreckte. Helen zuckte unwillkürlich zurück. Dann vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen und sagte: »Göttliche, ich bin es nicht wert, zu dir aufzuschauen.« Diana ließ die Stille antworten. Schließlich sah Helen auf und schaute direkt in ihre Augen. »Du hast mehr gesehen, als gut für dich war«, sagte Diana schließlich. »Das tut mir sehr Leid.« Helen schluckte. »Und jetzt musst du... musst du mich töten?« Diana schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Aber ich muss dir das Versprechen abnehmen, niemals mit jemandem darüber zu reden.« »Natürlich.« Helen griff endlich Dianas dargebotene Hand und stand auf. Dennoch fürchtete sie, dass Gottes Blitz sie jeden Augenblick treffen würde, weil sie eine Unsterbliche berührt hatte. »Lass uns zum Weinberg rübergehen«, schlug Diana vor. Sie humpelte immer noch und benutzte deshalb den Olivenzweig als Gehhilfe. Es war mühsam und schließlich gab sie es auf. Nach einer Weile begann Diana das Gespräch. »Im Grunde bin ich erleichtert, dass du jetzt Bescheid weißt.« Helen fragte unglücklich zurück: »Aber werden die Götter mich nicht dafür töten?« Diana blinzelte. »Warum sollten sie das tun?« »Weil ich weiß, dass einer von ihnen unter uns ist.«
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»Oh.« Diana schloss die Augen und lächelte kaum merklich, fast traurig. »Natürlich. Das muss dir so erscheinen. Ich bin vielleicht anders, Helen, aber ich bin ein Mensch, wie du.« Sie holte Luft. »Ich bin eine Jägerin.« »Eine Dämonenjägerin?«, fragte Helen ungläubig. »Genau.« Sie klopfte gedankenverloren mit dem Zweig auf einen Hügel und zog mit ihrem Fuß kleine Kreise im Gras. Dann schnitt sie eine Grimasse, was Helen schließlich davon überzeugte, dass sie tatsächlich nicht völlig göttlich sein konnte. »Ich wurde dafür geboren«, fuhr Diana fort. »Es war vom Schicksal vorherbestimmt. Ich weiß nicht, wie oder warum. Wirklich nicht. Ich weiß nur, dass ich die heilige Verpflichtung habe, das Böse zu bekämpfen.« Diana sah sehr blass aus in diesem Moment und auch sehr jung. Sie war nur ein Jahr älter als Helen. Doch dieses Jahr war entscheidend. Denn einige ihrer Freundinnen waren bereits verheiratet und auch Diana war mit Demetrius, dem Sohn eines Weinbauern aus dem Westen, verlobt. »Wie hast du davon erfahren?«, wollte Helen wissen. »Hat das Orakel zu dir gesprochen?« »Nein.« Sie spielte noch immer mit dem Gras. »Ich weiß nicht, ob ich dir noch mehr erzählen soll.« Helen war verlegen. Sie hatte gedacht, Freundinnen würden alle Geheimnisse miteinander teilen. Als ob sie ihre Gedanken lesen könnte, legte Diana ihre Hand auf Helens Schulter und sagte: »Gerade erst habe ich davon erfahren. Wirklich. Und die erste Frage an meinen Wächter, nachdem ich mich vom ersten Schock erholt hatte, war, ob ich es dir erzählen dürfte.« Helen brach in Tränen aus. »Und der Dämon? Wo kam er her? Was wollte er?«
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Als Diana sich ein wenig von ihr zurückzog, weinte sie noch lauter. »Es hat mich fast umgebracht. Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, was hier vor sich geht.« Diana ließ den Stock baumeln und schaute ins Gras, als verberge sich dort ein Teich, in dem sie sich betrachten könne. »Man nennt diese Kreaturen Vampire. Es sind Dämonen im Körper toter Menschen.« »Er stank wie ein Toter.« Diana kicherte leise. »Ja, das tun sie für gewöhnlich.« Sie schaute ihre Freundin aufmerksam an. »Vampire und andere dämonische Kreaturen können spüren, wenn eine Jägerin in der Nähe ist. Sie finden mich, ich habe keine Ahnung, wie sie das machen. Wir sind Feinde bis zum Tod, und ich muss sie bekämpfen, solange ich lebe.« Helen war überwältigt. »Wie viele davon gibt es?« »Legionen«, erwiderte Diana müde und traurig. »Es gab sie schon auf der Erde, als die Giganten sie noch bevölkerten. Die Wahrheit, liebe Freundin, ist, dass sie mich überleben werden.« Als Helen protestierte, hob Diana die Hand. »Vielleicht können die Götter mein Schicksal verändern. Ich weiß es nicht. Doch mein Wächter sagt, es sei noch nie vorgekommen.« Helen versuchte mühsam, das alles zu verarbeiten. Es war ein bisschen viel auf einmal. Sie verstand nichts davon. Und vor allem weigerte sie sich, es zu glauben. »Was ist ein Jäger?«, fragte Mark Dellasandro auf der Treppe stehend. Angel, Buffy und Giles schauten angespannt zu ihm hinauf. Der Junge versank in Giles’ grauen Trainingshosen und dem alten, fast antiken, blauen Oxford-Sweatshirt. Hinter Mark stand Xander, der für diese Störung eine Geste der Entschuldigung machte. »Nichts, was dir Sorgen bereiten sollte«, sagte Giles höflich. »Du musst furchtbar hungrig sein. Willow hat Tee vorbereitet, 165
und ich bin sicher, es muss etwas da sein, woraus man Sandwiches machen kann.« Er schaute durch den Nebenraum in die Küche, in der Willow wie angewurzelt dastand und seinen Ausführungen über Helen gelauscht hatte. Jetzt blinzelte sie und stammelte: »Ach ja, Sachen. Sandwiches, Sachen, ja.« Sie ging hinüber zum Kühlschrank und öffnete ihn. Buffy murmelte: »Whistler sagt, der Kühlschrank eines Briten ist wie eine Nonne.« »Ich bitte um Verzeihung?«, fragte Giles. Aber gerade in diesem Augenblick kam der Junge die Treppe herunter ins Wohnzimmer. »Was ist mit den beiden Mädchen passiert?«, wollte er wissen. »Oh, es ist nur ein Theaterstück, das wir für die Schule vorbereiten«, stieß Buffy hastig hervor. »Diana und Helen. Große griechische Tragödie, das ganze Programm, stimmt’s Xander? Er, Willow und ich haben eine Szene aus König Oedipus einstudiert – wie für die Talentshow im letzten Jahr.« Sie schaute zu den anderen herüber, die so unauffällig wie möglich Zeichen machten, damit aufzuhören. »Es ist eine lange Geschichte.« Der Junge runzelte die Stirn, sagte aber nichts. »Setz dich«, forderte Giles ihn freundlich auf. »Ich hole dir eine Tasse Tee.« Der Wächter ging in die Küche. Willow war mit den Überbleibseln verschiedener Restaurantmenüs beschäftigt und Giles glaubte zu bemerken, wie sie daran schnüffelte. »Willow?«, fragte er ruhig. Sie schaute vom Kühlschrank zu ihm herüber. Ihr Gesicht war gerötet und ihre Augen geschwollen. Sie wischte sich mit
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dem Pulloverärmel über die Augen und fand, ihre Suche nach Zutaten für die Sandwiches sei beendet. »Ich bin immer noch wütend auf sie«, flüsterte sie schlecht gelaunt. »Ich dachte, wenn das mit der Besessenheit vorbei ist, dann hört das auch auf. Aber sie hat Oz noch nicht gefunden.« Sie biss an ihren Fingernägeln herum. »Ich denke immer noch, sie hat es nicht wirklich versucht. Und was sagt das über mich aus?« »Dass du dir große Sorgen um ihn machst«, antwortete Giles mitfühlend. »Dass Menschen viel komplexere Wesen sind, als es zunächst scheinen mag. Wie könnten wir sonst jemanden zur gleichen Zeit lieben und hassen?« Sie dachte darüber nach. »Aber ich weiß, dass sie nach ihm gesucht hat. Ich weiß, sie hat es versucht.« »Dein Verstand weiß es«, wandte er ein. »Dein Herz sagt etwas anderes.« Für einen Moment fühlte er den Schmerz seines eigenen Verlustes. Jenny, geliebte Jenny. Ja, er musste es zugeben, auch er hatte Buffy mal gehasst. Schließlich hatte die ungeheure Liebe der beiden Angel wieder in einen Dämon verwandelt. Und natürlich hatte Buffy ihn nicht töten können... und so war das Unglück passiert. Jenny! Jemanden so zu vermissen, sich so nach ihm zu sehnen... ihn zu lieben und niemals mehr in den Armen zu halten... Manchmal war es zu viel für ihn. Er verstand sehr gut, was in Willow vorging, vielleicht besser als sie selbst. »Glaub mir, ich verstehe dich gut.« Er lächelte ironisch. »Wie oft hast du erlebt, dass ich mich über sie geärgert habe. Aber du weißt, ich höre nie auf, mich um sie zu sorgen. Und gelegentlich wird meine Fürsorge für sie von meiner Zuneigung übertroffen.« Das tat Willow gut. Sie verzog den Mund, als sie eine Hand auf den Kühlschrank legte. 167
»Sachen für Sandwiches«, sagte sie tapfer. »Das Abenteuer ist noch nicht zu Ende.« Er lächelte zu ihr hinüber. »Lass mal sehen, was wir da haben. Es muss doch noch Butter da sein. Und Gurken.« Sie blinzelte ihm zu. »Und?« Er spitzte die Lippen. »Daraus kann man doch ein Sandwich machen.« »In England, vielleicht. Hier, naja, ich hatte eher an Roastbeef gedacht, oder Schweizer Käse.« »Verstehe. Nun, davon haben wir nichts in der Vorratssammlung.« »Oh.« Sie blinzelte. »Na ja, Gurken. Sie sind... gesund... und grün«, gab sie zu. Plötzlich hatte Giles Heimweh nach England. Er verließ die Küche, ging hinüber zum Wohnzimmer und griff nach dem Telefon. Er wählte eine Nummer, die er auswendig wusste, hielt die Muschel an sein Ohr und wartete. »Sunnydale Pizza«, sagte eine Stimme am anderen Ende. »Ja, Hallo. Ich möchte, dass sie mir zwei große Pizzen bringen«, begann er. »Mr. Giles«, sagte die Stimme. »He, wie geht es Ihnen? Das Übliche?« Xander zog das James-Dean-Denim-Jacket von Giles an. Wow, wo er das wohl her hatte? Carnaby Street? Auf keinen Fall aus irgendeinem Herrenmoden-Geschäft! Dann ging er hinaus auf die Straße. Draußen war es ein bisschen zu laut für diese Tageszeit. Es waren auch viel zu viele Leute unterwegs. Die Menschen lungerten auf den Bürgersteigen herum. Als ein Wagen vorbeifuhr, der etwas zu schnell war, kläfften einige Männer nach ihm wie tollwütige Hunde. Xander war ziemlich genervt, aber er versuchte es zu verbergen. Er hatte vorgehabt, sich zu beruhigen, um ein wenig 168
optimistischer den vielen unbeantworteten Fragen gegenübertreten zu können: zum Beispiel, wo Cordy war und ob es ihr gut ging. Ein Anruf bei ihr zu Hause hatte nur bestätigt, dass ihre Eltern keine Ahnung hatten. Immerhin hatte er es vermieden, sich als ihr früherer Freund zu outen. Jemand warf eine Bierflasche gegen eine Mauer. Aus einiger Entfernung hörte er das Geräusch quietschender Reifen. An der nächsten Ecke stritten zwei Männer miteinander. Der größere von beiden schlug den kleineren und im Bruchteil einer Sekunde waren sie von einer Menschenmenge umzingelt. Dann hörte er, wie jemand sagte: »Ich habe den kleinen Bastard mit meinen eigenen Augen gesehen. Er ist mit ein paar Kids in dem Wohnblock da drüben verschwunden.« Jemand anderer sagte: »Ich habe ein Schießeisen.« Der Erste erwiderte: »Gut, wenn es sein muss, klappern wir ein Haus nach dem anderen ab. Auf jeden Fall wird Mark Dellasandro vor Sonnenaufgang sterben.« So unauffällig wie möglich kehrte Xander um und ging langsam zurück zu Giles’ Haus. »Da ist einer von ihnen!«, schrie einer der Männer. »Der Typ mit den dunklen Haaren. Hey, Junge!« »Ups«, murmelte Xander. Er fing an zu laufen. Cordelia schaute vom Boden ihrer Zelle auf und blickte direkt in das Gesicht der Vampirin. »Bist du verrückt?« Die dunkle Vampirkönigin hielt einen Speer und einen Schild in den Händen. Ein ziemlich schmutziger Speer und ein ebenso verkrusteter Schild, wie man sie vielleicht im Sunnydale-Museum gefunden hätte, wo zerbrochene Töpfe und halb kaputte Körbe ihr Dasein fristeten.
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Sie zuckte die Schultern und sagte: »Wenn du deinem Freund waffenlos gegenübertreten willst – mir soll’s recht sein.« Sie legte Speer und Schild auf den Boden und wendete sich zum Gehen. Cordelia hob die Hand. »Warte!«, schrie sie. Die Vampirin drehte sich um und schaute sie skeptisch an. »Bitte«, keuchte Cordelia. »Bitte, warte.« Die Vampirin lächelte. »Das ist schon besser. Siehst du? Wir können dich also doch ausbilden. Ich hatte tatsächlich angefangen, daran zu zweifeln.« Cordelia blickte wortlos auf die blauen Flecken an ihrer Schulter und zählte bis zehn. Jetzt, da die schrecklichen Kopfschmerzen vorüber waren, konnte sie klarer denken. Natürlich hatte sie Angst, aber sie war auch Queen Cordelia. Es kostete sie viel, dieser Schlampe nicht detailliert zu sagen, was genau sie von ihr dachte. Aber das gehörte zum Überleben. »Was willst du?«, fragte die Vampirin, verschränkte die Arme und lehnte sich lässig gegen das Metallgitter des Käfigs. »Ich möchte wissen, warum ihr das tut«, sagte Cordelia geradeheraus. »Denn es ist ein bisschen, sagen wir, übergeschnappt? Wahnsinnig?« Die Vampirin lehnte sich zurück und brach in schallendes Gelächter aus. »Julian!«, rief sie. »Hast du das gehört?« »In der Tat.« Julian, der gefährliche, aber attraktive blonde Vampir, trat zwei Schritte aus dem Schatten heraus. Ein schmaler Typ war bei ihm. Cordelia schrie auf, als sie Willy, den Besitzer des Alibi, erkannte. »Willy«, sagte sie, »du, du... erbärmlicher Widerling.« »He.« Er zuckte die Schultern. »Der Preis hat gestimmt.« »War nicht zufällig dein Leben?«, fragte Cordelia.
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Er machte eine Geste, als wollte er sagen: Es blieb mir nichts anderes übrig. »Wir zahlen Miete für dieses nette Etablissement«, erklärte Julian. »Diese geheimen Räume liegen unter seiner Bar, wusstest du das, mein liebes Mädchen? Es gab eine Epoche in eurer Vergangenheit, in der Alkohol illegal war.« »Tatsächlich?«, antwortete Cordelia überrascht. »Ich dachte, das Gesetz verbietet nur Marihuana.« »Oh mein Gott, die amerikanische Bildung«, seufzte Julian. »Man nannte das Prohibition und das Ganze ereignete sich in den Dreißigern. Von hier aus wurde damals der illegale Schnaps nach Sunnydale geschmuggelt. Denn diese kleine Stadt war berühmt für ihren Mondschein.« Er lachte. »So wie heute. Eine Mondnacht. Ein Spiel. Wie du siehst, trägt dein Freund die Kleider von Romulus.« Cordelia setzte sich auf dem Boden auf. »Wisst ihr, ich verstehe von all dem nichts«, sagte sie verwirrt. »Und ich habe Bravo abonniert und Schöner Wohnen, aber ich habe noch nie von einem Designer namens Romulus gelesen.« Julian überschlug sich fast, als er das hörte. Er lachte, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Dann wendete er sich an die Vampirin und sagte: »Helen, ich muss sie bekehren. Sie ist zu köstlich, um sie einfach nur zu trinken.« »Mach sie zu einer von uns, und ich jage euch beiden einen Pfahl in den Leib«, sagte seine dunkelhaarige Begleiterin böse. Julian blickte auf Cordelia und schürzte die Lippen. »Schade«, sagte er bedauernd. Seine Züge verhärteten sich und er wurde vor ihren Augen zu dem Dämon, der er war – trotz seines Brad-Pitt-Aussehens. Was im Übrigen völlig out war. Das wusste doch jeder! »Nimm den Speer und den Schild«, sagte er mit glühenden Augen, »oder ich trinke dich jetzt.« 171
»Julian, sag Bitte. Wir müssen doch ein gutes Beispiel geben.« »Ihr könnt alle beide zur Hölle gehen«, murmelte Cordelia leise vor sich in. Sie sah keinen Ausweg. Sie nahm den Speer und den Schild in die Hand. Natürlich würde sie lernen, damit umzugehen. Und zwar so schnell wie möglich. Aber vielleicht habe ich andere Pläne. Sie verbarg ihr Gesicht. Okay, sie war nicht die Jägerin, aber sie war eine Freundin der Jägerin. Sie hatte Buffy in vielen Kämpfen zugeschaut. Es waren vielleicht dreihundert gewesen. Und sie wusste, was sie zu tun hatte. Ich schlage die beiden nieder und dann werde ich zusammen mit Oz, Werwolf oder nicht, fliehen. »Weinst du, meine Liebe?«, fragte Julian sanft. »Hhm, ich? Auf keinen Fall«, sagte Cordelia, während sie sich mit der Hand das Gesicht wischte, die den Speer hielt. Dann drehte sie sich um und blickte genau auf Jordan Smyth, dem sie früher einmal geholfen hatte, nicht von der Schule zu fliegen. Jordan, der ihr einmal gestanden hatte, wie sehr er auf sie abgefahren sei. »Cordelia«, murmelte er schockiert.
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10 Xander rannte so schnell er konnte zu Giles’ Appartement zurück und schlug die Tür hinter sich zu. Alle Köpfe wirbelten herum. Angel, der mittlerweile eine saubere Jeans und ein Oxford-T-Shirt trug, blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen. »Sie haben mich erkannt«, sagte Xander und schnappte nach Luft. Buffy, die wie Mark in viel zu großen Sweatshirt-Klamotten steckte, fragte mit trockenem Humor: »Wer? Autogrammjäger?« »Sie haben gesehen, wie wir Mark hier hereingebracht haben«, erklärte Xander. »Ich kann nicht mit Namen oder astrologischen Daten dienen, aber eines weiß ich sicher, sie sind auf dem Weg hierher.« »Wir müssen hier weg«, sagte Giles sofort. »Am Besten, wir nehmen meinen Wagen.« Buffy nahm Mark bei der Hand. Es war eine kleine, schwache Hand, sein Gesicht war blass und er sah sehr bedrückt aus. »Wir bringen dich woanders hin, okay? An einen sicheren Ort.« »Sie werden mich früher oder später finden«, sagte er müde. »Nein. Das werden sie nicht.« Sie schüttelte ihn. »Komm schon. Du musst jetzt stark sein. Tu es für mich. Ich meine, ich werde dich beschützen, aber du darfst nicht aufgeben.« Sie warf Willow und Xander einen Blick zu. Sie musste doch auch Oz und Cordy finden. Sie fühlte sich so schuldig. Ich lasse sie alle im Stich. Dann sagte sie: »Hör zu Mark. Ich brauche deine Hilfe. Das ist mein voller Ernst.« 173
Der Junge schien nicht begeistert. Buffy legte die Hände auf seine Schultern und beugte sich zu ihm hinunter. Er war klein für sein Alter. Buffy fragte sich, ob die anderen Jungs in der Schule sich wohl über ihn lustig machten. Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Buffy hatte Mitleid mit ihm. Er war nur ein Junge. Aber jetzt kam es darauf an, das Richtige zu tun. Sie musste zunächst dafür sorgen, dass er hier rauskam. Entschieden nahm sie seine Hände und fing an, ihn nach draußen zu ziehen, während sie zu den anderen hinüberschaute. »Giles, an deiner Stelle würde ich alles mitnehmen, was wertvoll ist. Wenn sie Mark nicht finden, dann werden sie ihre Frustration an dem auslassen, was sie hier in die Finger bekommen.« Giles schaute sich um und nickte. »Du hast völlig Recht.« »Oh, Mann«, beschwerte sich Willow, »wir werden keine Zeit mehr haben, Oz zu retten.« »Oder etwas zu essen«, fügte Xander hinzu, dann korrigierte er sich. »Oder um Cordy zu retten, meinte ich. Oberste Priorität: Oz! Essen käme an, sagen wir, an dritter Stelle.« Er schaute Willow schuldbewusst an. »Nicht dass ich meine, Cordelia sei wichtiger als Oz. Auf gar keinen Fall. Ich meine...« Buffy beobachtete Giles, der die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinaufging. Sie sagte auffordernd zu Xander und Willow: »Seid ihr fertig zum Abflug?« »Klar«, erwiderte Willow. Buffy schaute ihre beste Freundin Willow an und war nicht besonders überrascht zu sehen, dass ihre Augen geschwollen und ihr Gesicht aufgedunsen war. Sie hatte offensichtlich in der Küche geweint.
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Als Willow ihren Blick bemerkte, zog sie sich zurück. »Lass mich einfach nur in Ruhe, Buffy, okay? Ich weiß, du musst dich um alles Mögliche kümmern.« »Will«, sagte Buffy verletzt. »Was ist los?« »Oh, gar nichts. Es ist nur, dass du jede Menge Zeit hast, um mit Angel zusammen zu sein und ihn stundenlang zu küssen, aber du hast nicht genug Zeit, um meinen Freund zu suchen. Also vielen Dank dafür.« Buffy wurde von Scham überwältigt. Willow konnte nicht einmal ahnen, dass sie mit Angel zusammen gewesen war, als man sie angeschossen hatte. Wenn sie das erführe... Sie hörten Schritte auf dem Fußweg. Dann ließ ein donnerndes Klopfen die Tür erzittern. »Macht auf oder wir schlagen die Tür ein«, kreischte eine Männerstimme. »Plan B«, sagte Buffy kurz und nickte Angel und den anderen zu. Mark steckte die Hände in die großen Taschen seiner Hose. Willow bewaffnete sich mit einem Schirm und Xander ging in Kampfstellung. »Oh«, stöhnte Giles. »Ich werde euch sicher hier herausbringen«, sagte Buffy. Etwas wurde gegen die Tür gerammt. Buffy gab jedem ein Zeichen, dann stellte sich vor die anderen und sagte: »Cool bleiben, es wird schon alles gut gehen.« Vor der Tür hatten sich sechs Männer versammelt. Ganz vorne stand ein großer, sehr behaarter Typ mit einer BaseballKappe, auf der »Wählt Wilkins« stand. Er trug ein blaues, abgetragenes Jacket und eine sehr weite, kakifarbene Hose. »Geh mir aus dem Weg«, brüllte er Buffy an. »Wir wollen nur den Jungen.«
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Buffy reagierte sofort, griff nach der Hand des Mannes und warf ihn mit einer gekonnten Verteidigungstechnik über ihre Schulter. Zu seinem Glück landete er auf Giles’ Couch. »Noch was?«, fragte sie fordernd. Der nächste Angreifer zog eine Pistole und richtete sie direkt auf Buffy. »Wo ist der kleine Bastard?«, fragte er und ließ keinen Zweifel daran, dass er sein Schießeisen auch benutzen würde. Buffy drehte sich um. Von Giles und Mark keine Spur zu sehen. Gut. »Ich warne dich, ich werde schießen«, drohte der Mann. Buffy warf Angel einen Blick zu. Angel konnte den Typen übernehmen, da war sie ziemlich sicher. Kugeln konnten einen Vampir nicht töten, nur lahmlegen. Zumindest für eine Weile. Der Mann richtete den Lauf der Pistole direkt auf ihr Gesicht. Seine Züge verzerrten sich zu einer wilden, brutalen Grimasse, während er die Waffe mit beiden Händen festhielt. »Mörder! Mörder! Mörder!« Seine Stimme wurde lauter, bis sie brach und völlig außer Kontrolle geriet. »Mörder«, murmelte auch ein rothaariger Typ hinter ihm. »Mörder«, flüsterte ein anderer bedrohlich. »Die Phaser stehen auf overload«, rief Xander herüber. Buffy antwortete: »Verstanden.« Dann schlugen sie zu, der Vampir, die Jägerin, Willow und Xander. Angel schlug dem Mann die Waffe aus der Hand und Xander sorgte dafür, dass er auf dem Boden landete und auch dort liegen blieb. Als er fiel, löste sich ein Schuss aus der Pistole. Die Kugel blieb in der Decke stecken, ohne Schaden anzurichten. Der Mann hatte keine Chance, einen zweiten Schuss abzufeuern, denn Buffy riss die Waffe an sich und steckte sie in ihren Gürtel. 176
Sie mochte keine Waffen. Sie brauchte keine Waffen. Dann drängte der Rest der Gruppe nach. Aber es waren nicht vier Männer, wie sie erwartet hatte, sondern mehr als ein Dutzend. Sie strömten von draußen herein. »Die Show beginnt«, rief Buffy, als mindestens fünf Männer sie gleichzeitig bedrängten. Sie sprang in die Luft und erwischte den ersten von ihnen mit einem seitlichen Fußtritt. Er stolperte nach hinten und fiel auf die anderen, die dadurch das Gleichgewicht verloren. Buffy wirbelte herum. Der Typ auf dem Sofa hatte sich inzwischen erholt und war gerade dabei, sich wieder einzumischen. Während sie sich langsam rückwärts bewegte, hielt sie Ausschau nach Angel. Er kämpfte mit vier Männern gleichzeitig. Einer davon schwang einen Baseballschläger direkt über seinem Kopf. Angel schnappte ihn, riss ihn dem Mann aus der Hand und schlug zu. Der Getroffene heulte auf und zog sich zurück. Einer von den anderen besaß eine gute Karate-Technik, wirbelte im klassischen Stil der Kickboxer herum und landete schließlich einen Schlag auf Buffys Kinn. Ihr Kopf flog nach hinten. Die Jägerin sammelte sich kurz und schlug dann, gestützt auf die Sofalehne, dem Mann auf der Couch erneut ins Gesicht, der nun zum dritten Mal in Folge wimmernd zu Boden ging. Tja, bei anderer Gelegenheit hätte sie das vielleicht lustig gefunden, aber jetzt war sie mitten im Kampf. »Denk darüber nach«, rief Willow, während sie einem der Männer die Spitze des Schirms in den Leib rammte. »Denk darüber nach, was du hier tust.« Aber sie waren alle nicht bei Verstand. Ihre Gesichter hatten sich in verzerrte Masken verwandelt. Sie sahen aus wie Tiere. Oder Dämonen, dachte sie. Jedenfalls nicht wie Menschen. »Macht, dass ihr herauskommt!«, rief Buffy Willow zu. Angel duckte sich, als zwei seiner Angreifer nach ihm schlugen und so trafen sie sich selbst. 177
Es war Zeit, ihm ein Lächeln zu schenken, fand Buffy, bevor die beiden merkten, was sie getan hatten und ausrasteten. Sie klammerten sich brutal aneinander, stachen sich in die Augen, bissen und zerrten wie tollwütige Hunde. Angel landete einen gezielten Schlag auf den Hinterkopf und sah zu, wie einer der Männer zusammensackte. Als der andere sich Angel bedrohlich zuwandte, entzog sich dieser mit einem großen Schritt rückwärts und brachte auch diesen Gegner mit einem Schlag zur Strecke. Dann zerbrach etwas. Buffy zog eine Grimasse und landete einen harten Tritt gegen den Anführer der Menge. »Was ihr kaputt macht, werdet ihr auch bezahlen!«, rief sie. »Und ich schwöre euch, das kann teuer werden!« Etwas flog mit ohrenbetäubendem Lärm von der oberen Etage herunter, verfehlte nur knapp Buffys Kopf und landete auf dem Boden. Es war der Mondglobus, den Giles erst kürzlich erstanden hatte, um Oz bei seinem Werwolfproblem helfen zu können. Der zerbrochene Globus lag in Scherben auf dem Fußboden. Sie knirschten wie gebratener Schinken, als Buffys Gegner darüber stieg. »Okay, das reicht«, sagte Buffy. Sie nahm die Waffe aus ihrem Gürtel, hob sie über ihren Kopf und drückte ab. »Jetzt ist es genug!«, schrie sie über die Köpfe hinweg. Niemand hörte auf sie. Niemand schien den Schuss auch nur bemerkt zu haben. Also gut, Runde zweiundzwanzig. Ungefähr zehn Minuten später blickten Buffy und Angel auf das Chaos um sie herum. Die Männer lagen auf dem Boden verstreut, begraben unter Büchern oder umgestürzten Möbelstücken. »Ich habe doch niemanden getötet, oder doch?«, fragte sie ängstlich, während sie ihre Hand auf eine schmerzvolle Körperstelle presste und ein paar Mal tief Luft holte. 178
»Nein.« Angel stieß mit dem Fuß nach dem Körper eines Mannes, der mit dem Gesicht nach unten am Boden lag. »Sie atmen alle noch.« »Willow?«, rief sie. »Giles?« Sie bekam keine Antwort. »Es muss ihnen gelungen sein, davonzukommen«, sagte Angel. »Gut.« Sie nickte zustimmend. »Weißt du, was mich wundert? Dass die Polizei nicht aufgetaucht ist.« Angel dachte nach. »Vielleicht wird sie woanders gebraucht?« »Oder die sind auch übergeschnappt.« Sie fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Es muss mit deiner Freundin zusammenhängen«, sagte sie. Ihre Wangen erröteten leicht, angesichts der dezent mitschwingenden Eifersucht in ihrer Stimme. Aber Angel achtete nicht darauf. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem Tongefäß beansprucht, das er unter einem Stapel Bücher hervorzog. Es war ein Gefäß mit zwei Griffen. Auf der Oberfläche konnte man tanzende Dämonen erkennen und es war verschlossen mit etwas, das wie Wachs aussah. »Es stammt aus ihrer Zeit«, sagte er. »Das gehört Helen.« Sie schauten sich an, Buffy hielt das Gefäß fest in der Hand. Sie sagte: »Endlich ein paar Antworten.« Gemeinsam verließen sie den Kampfplatz. Am Rande von Rom, im Jahre 39 Demetrius war groß und stattlich wie der Gott Apollo. Seine schwarzen Locken fielen bis in den Nacken herab. Sein Brustkorb war breit, seine Hüften schlank. Wie er so dasaß und an einem Glas Wein nippte, wünschte Helen sich nichts sehnlicher, als diesen Mann zu besitzen. Er war ihr wichtiger als alles Andere auf der Welt, ausgenommen die Freundschaft mit Diana, seiner Verlobten. 179
»Ich verstehe sie nicht«, sagte er und sah betrübt aus. »Ich weiß, dass Diana mich liebt, aber warum verbirgt sie soviel vor mir. Er blickte zur Seite. Ich habe mich schon gefragt, ob sie vielleicht einen anderen liebt.« Ihr Herz raste und der Schweiß tropfte an ihrem Körper herab. Es war ein wunderbarer, sonniger Tag, erfüllt vom Duft des Weins und des Honigs. Während sie auf dem Hügel unter dem Olivenbaum saßen, begehrte Helen ihn so sehr, dass sie glaubte, sie würde verbrennen. »Diana liebt dich mehr als das Leben«, wiederholte sie. Er nahm ihre Hand und hielt sie, nicht wie ein Liebender, sondern wie ein Freund aus Kindertagen. »Aber warum verschließt sie ihr Herz vor mir?« »Sie hat... eine große Verantwortung«, sagte Helen unbehaglich, während sie auf ihre ineinander verschlungenen Hände starrte. Das warme Braun seiner Haut wurde durch das Licht der Sonne unterstrichen. Helen versank in dem Anblick seiner Muskeln, die sich unter der Haut abzeichneten. »Oh, Demetrius«, sagte sie hastig und wendete sich ab. Und wenn es ihr Leben kosten würde, diese Hand zu ihren Lippen zu führen und zu küssen... »Helen?«, flüsterte er, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen und ihr Mund sanft die Innenfläche seiner Hand berührte. Er war völlig überrascht und offenbar schockiert. Römische Frauen wurden als ein Teil des Haushalts betrachtet, dem sie angehörten wie Möbelstücke, Besteck und Töpfe. Aber Helen besaß eine Seele. Und sie hatte ein Herz. Und sie war frei, ihn zu lieben. Anders als Diana. »Demetrius, ich liebe dich«, sagte sie verzagt. Er hielt die Luft an. »Ich bin verlobt.« Wie grausam sich das anhörte. Mit welcher Härte er das sagte. Helen verging vor Scham. Sie stand auf, entzog ihm ihre 180
Hand und kletterte von dem Felsen, auf dem sie gemeinsam gesessen hatten, herunter. Er sprang auf, um ihr zu helfen, packte mit einer Hand ihre Taille und mit der anderen ihre Hüften. Sie wollte sich an ihn lehnen, aber stattdessen drehte sie sich weg, denn sie fühlte sich schrecklich gedemütigt. »Es tut mir so Leid«, murmelte sie. »Bitte sag Diana nichts davon.« »Helen, bitte sag mir doch, warum erlaubt sie sich nicht, mir ihre Liebe frei zu zeigen?« »Sie...« Sie schloss erneut die Augen, um ihre Gefühle beherrschen zu können. War ihr das Ausmaß ihres Verrates bewusst? Als die Sonne unterging und der Mond die Hügel in sanftes Licht tauchte, saß er immer noch schweigend da und lauschte der Geschichte, von der sie geschworen hatte, kein Wort würde je über ihre Lippen kommen. Und es fiel ihr nicht einmal schwer, das Versprechen zu brechen. »Ich kann dir gar nicht genug danken«, flüsterte er schließlich, als sie geendet hatte. Er nahm ihre beiden Hände und küsste sie leidenschaftlich. »Du erscheinst mir wie die Göttin Juno, so gnädig und schön.« Helen litt Quallen – immerhin hatte sie gerade ihre beste Freundin verraten. Und sie hatte einen Weg zum Herzen des Mannes gefunden, den sie anbetete. Demetrius sagte: »Ich brauche Zeit, um über all das nachzudenken.« Dann lächelte er sie auf eine fremdartige, verschlagene Weise an. »Ein Verlöbnis aufzulösen ist keine einfache Angelegenheit.« »Du hast Recht«, sagte sie unglücklich. Alles fühlte sich taub an. Sie hatte es getan. 181
Er brach auf. Sie zog die Knie unter ihr Kinn. Ihr erster Impuls war, zu Diana zu laufen. Aber das war unmöglich. Sie hatte etwas getan, das ihre Freundschaft für immer zerstört hatte. Nein. Diana hat es getan, erinnerte sie sich. Diana war es, die alles verändert hatte. Ihr Herz wurde traurig, sie konnte sich nicht vergeben. In Rom besuchte der erhabene Kaiser Caligula gerade die Folterkeller, unterhalb der Wettkampfarena. Zwischen all den Schreien der Gefolterten fühlte er sich wohl. Er trug wie üblich kostbare, mit Juwelen geschmückte Gewänder. Ein Gladiator war vor ihm an einen Altar gefesselt. Hinter ihm ragte eine beeindruckende Statue der Meter auf, der dunklen Göttin, die Caligula anbetete. Ihre Augen sprühten Feuer und aus ihrem Mund tropfte das Gift, das Caligula heimlich anrührte, um es seinen Opfern einzuflößen. Wenn die Sterne günstig standen, würde er Meter ins Leben zurückholen. Mit seinem goldenen Stock bohrte er in den Eingeweiden des noch Lebenden herum. Als der Sterbende vor Schmerzen aufschrie, runzelte er die Stirn. »Oh, bitte«, murmelte der Kaiser vor sich hin, zog jedoch den Stock aus der dampfenden Masse heraus. »Julian, kannst du irgendwas erkennen?« Der Vampir beugte sich über das gefesselte Opfer, während Caligula atemlos wartete. Es war damals üblich, aus den Eingeweiden von Tieren die Zukunft zu lesen. Nur am Hofe des Kaisers war man so erbarmungslos, das Schicksal im Fleisch eines noch lebenden Menschen finden zu wollen. Feuer, die man für die Folter angezündet hatte, erhitzten die Gewölbe. Der Geruch des Todes lag in der Luft und die Schreie der Opfer störten Julians Konzentration. Er zuckte die Schultern und gähnte. Es war kurz vor Sonnenaufgang und er war müde. 182
»Es ist ein gutes Omen, Herr«, berichtete Julian dem Kaiser. Caligula sah nicht zufrieden aus. »Das sagst du immer«, meckerte er. »Es ist ein gutes Omen. Was zur Hölle soll das heißen?« Julian wusste, der Kaiser war begierig nach Bestätigung, er wollte Komplimente hören. »Dass ihr gesegnet seid, und die Göttin des Glücks an eurer Seite wandelt«, behauptete der Vampir. »Bah.« Caligula bewegte die Masse seines Körpers. »Ist es denn nicht so?«, fragte Julian. In Wahrheit war Julian Caligulas Verrücktheiten überdrüssig. Er hatte seine kindischen, grenzenlosen Forderungen nach Bestätigung satt. Es machte ihn krank, dass der Kaiser immer wieder hören musste, dass er und nur er allein der größte Herrscher sei. Julian hätte sich leicht seines Halses bemächtigen können. Man hatte ihm schon eine Menge versprochen für den Fall, dass er die Tat ernsthaft in Erwägung ziehen sollte... »Mein Herr«, sagte eine Wache, sichtlich außer Atem. In seiner Begleitung war ein junger Mann mit schwarzen, glänzenden Locken. Julian musste grinsen. Vielleicht brauchte der Kaiser diesen Jungen, aber Julian verabscheute ihn, wegen seiner Schönheit, die Demetrius im Überfluss besaß. Demetrius fiel auf die Knie und sagte hastig: »Großer Kaiser, ich grüße Dich.« Dann verbeugte er sich. »Edler Julian, ich bringe Euch beiden ausgezeichnete Neuigkeiten. Ich weiß es aus sicherer Quelle. Meine Verlobte, Diana, ist die Jägerin.« »Ah.« Caligula fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Also waren all die Bemühungen, sie zu bezaubern, nicht umsonst.«
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Demetrius nickte. »Nicht gerade die unangenehmste Aufgabe, möchte ich hinzufügen. Sie ist so stark wie leidenschaftlich.« »Wer hat dir gesagt, dass sie die Jägerin ist?«, fragte Julian misstrauisch. »Ihre beste Freundin, Helen.« Er zögerte. »Sie liebt mich.« Julian lächelte. Wie heißt es doch, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. »Das hast du gut gemacht«, sagte Julian. »Was willst du als Belohnung?« Demetrius schaute ihn mit unverhohlener Gier an. »Das wisst Ihr bereits, mein Herr. Ich möchte werden wie ihr.« Julians Augen trafen die Caligulas, der den Kopf schüttelte. Der Vampir brannte vor Zorn. Jemand wie Demetrius wäre eine große Bereicherung für seinen dämonischen Hofstaat gewesen. Caligula verschwendete so viel kostbares Material. »Also dann«, sagte Julian und lächelte dem Kaiser zu. Er versenkte seine Zähne in den Hals des jungen Mannes und trank. Das Blut war frisch, das Herz jung und stark. Als er fertig war, ließ er den leblosen Körper auf den mit Mosaiken verzierten Boden des Gewölbes sinken. »Er wird sich nicht wieder erheben«, war sein Kommentar, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte. Hinter ihm klagte und stöhnte voller Angst und Schmerz der immer noch lebende Gefangene am Altar. Der Kaiser beugte sich eifrig zu ihm hinüber. »Sag mir, Sklave«, fragte er mit sanfter, freundlicher Stimme, »wie fühlt man sich, wenn einem die Därme herausgerissen werden? Sag es mir, oder er wird dasselbe mit dir tun.« »Bitte«, schluchzte der Mann. »Tötet mich jetzt.« Weil er das Interesse verlor – und weil er nicht den Eindruck erwecken wollte, jemand könnte über ihn bestimmen wie über 184
einen abgerichteten Hund, wendete Julian sich mit wehendem Mantel ab. »Wohin gehst du?«, fragte Caligula in befehlendem Ton. »Ich ruhe mich aus. Und danach werde ich aufbrechen, um die Jägerin zu fangen«, erwiderte Julian ruhig. Das Geräusch seiner Füße hallte in dem Gewölbe nach. Sein Schatten wanderte über die mit Blut getränkten Wände. Julian hatte die Fäuste geballt. Seine Augen glühten. Aber du wirst sie nicht bekommen, dachte er voller Zorn.
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11 Jordan rannte. Nachdem er Cordelia dort unten in den geheimen Räumen gesehen hatte, wo diese Psychos aus der Hölle ständig davon redeten, Leute aufzuschlitzen, hatte er schließlich die Nerven verloren. Er hatte vorgegeben, mit Willy reden zu müssen, und war nach oben verschwunden. Dann hatte er so schnell wie möglich das Weite gesucht. Er hatte ein Motorrad gestohlen und fuhr nun wie ein Irrer durch die Gegend, ohne zu wissen, wo er sich verstecken sollte. Schon nach kurzer Zeit war ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Die einzige Hoffnung, sich zu retten, bestand darin, die Urne wiederzufinden. Aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wo Mark Dellasandro sie versteckt haben könnte. Dann sah er den schwarzen Van. Sie waren hinter ihm her. Sie verfolgten ihn und sie hatten ihn gefunden. Blinde Panik überkam ihn. Er versuchte, ihnen zu entkommen. Auf die Straße achtete er nicht mehr. Ich werde sterben, sterben, sterben – das war sein einziger Gedanke. Er sprang während der Fahrt vom Motorrad, Sekunden bevor sie es rammten, rollte ab und kam schließlich auf die Füße. Humpelnd schleppte er sich vorwärts, wobei er den rechten Fuß hinter sich herzog. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er vor Ms. Gibsons Haus stand. Er saß in der Falle. »Hilfe!«, schrie er kopflos. Der pure Wille zum Überleben übernahm das Kommando. Sein Herz raste wie wild und sein Bein schmerzte, als würde es ihm abgerissen. Er rannte hinter das Haus in die Küche. Dort stank es fürchterlich. Seine Magen rebellierte, er fiel auf die Knie und übergab sich auf dem Linoleum.
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Dann rannte er ins Wohnzimmer und schaute durch die venetianischen Vorhänge. Da war der Wagen, ungefähr sechs Mann stiegen aus., »Oh Gott«, flüsterte er kläglich. »Jordan«, sagte eine Frauenstimme hinter ihm. Sie erschien mit ihrem Vampirgesicht. Das Mondlicht ließ ihr Haar mitternachtsblau leuchten. Ihre Augen glühten golden. »Ich bin fertig«, sagte er. Seine Stimme zitterte. »Völlig. Ich bin draußen.« Sie lachte in sich hinein. Es hörte sich grausam an. »Julian hat um das Leben von zehn Männern gewettet, dass du uns schließlich doch enttäuschen würdest.« Sie bewegte sich bedrohlich auf ihn zu. Ihr langes, schwarzes Kleid raschelte wie Laub. In ihrem offen herabfallenden Haar trug sie einen goldenen Schmuck – ineinander geflochtene Fledermäuse. Sie klatschte in die Hände. Zwei dunkle Dämonen, an deren Köpfen etwas hervorstand, das sich drehte, traten aus dem Schatten, gefolgt von dem blonden Vampir, dem Geliebten der Königin. »Nehmt ihn euch.« Der blonde Vampir legte seinen Arm um die Taille der schwarzen Königin und fuhr mit seiner Zunge über ihre Wange. Sie drehten sich beide zu Jordan herum und lachten. Als er weggebracht wurde, unternahm Jordan einen letzten verzweifelten Versuch. »Bitte, tut mir das nicht an. Ihr dürft mir das nicht antun!« Sie hob eine Augenbraue. »Doch.« Cordelia kreischte, als der mit schwarzen und blauen Flecken übersäte Körper von Jordan Smyth in ihren Käfig geworfen wurde. Dann schlug jemand die Tür wieder zu und verriegelte sie. 187
Cordelia rannte zu ihm hinüber und drehte ihn um. Man hatte ihm die meisten seiner Zähne ausgeschlagen. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Jordan.« Seine Haut war eiskalt. Sie dachte schon, er sei tot. Doch plötzlich öffnete er die Augen und stöhnte. »Cordelia. Es tut mir Leid.« Sie fühlte seine Stirn. Sein Kopf blutete aus mehreren Wunden. »Worum geht es hier eigentlich? Warum tun sie das alles? Was ist hier los?« »Nicht jetzt«, murmelte er. »Sie werden uns umbringen«, drängte sie ihn. »Du musst mir jetzt sagen, was hier los ist.« In diesem Moment traten ungefähr sechs Vampire in ihr Blickfeld. Sie hatten Fackeln dabei und lachten über irgendetwas. Einer von ihnen, ein bulliger Typ mit Narben im Gesicht, kam zum Käfig. »Eure anderen Freunde werden uns nicht entkommen«, sagte er zu Cordelia. »Warum?«, fragte sie. Er lachte und lief zurück zu der Gruppe der anderen. »Warum?«, rief sie ihnen nach. »Sorry«, flüsterte Jordan erneut. »Hör auf damit, das nützt mir jetzt auch nichts!« Trotz seiner Verletzungen packte sie ihn am Kragen und schüttelte ihn. »Jordan, sie werden uns alle töten – mich auch!« Er seufzte tief, als sei er zu müde, um auch nur daran zu denken. »Hör zu«, setzte sie an, »wenn du glaubst, ich –« »Schlüssel. In meiner Tasche.« Ihre Augen weiteten sich. »Was sagst du da?« »Sie haben sie vergessen. Es sind Schlüssel zu diesem Käfig.« Sie schaute sich in ihrem Gefängnis um. 188
»Ein Schlüssel für dieses Gefängnis? Und du hattest vor, hier herumzuliegen und vor dich hin zu stöhnen?« Sie untersuchte seine Taschen. Ihre Hand ertastete einen Schlüssel an einem seidenen Band. Triumphierend zog sie ihn aus der Tasche und ließ ihn vor seinem Gesicht hin und her baumeln. Er nickte schweigend. Cordelia schlich hinüber zur Tür. Niemand beobachtete sie. Wahrscheinlich waren sie überzeugt davon, dass es nicht nötig sei. Hah, dachte Cordelia, als sie den Schlüssel behutsam ins Schloss steckte und es öffnete. Sie gab der Tür einen Stoß. »Okay«, flüsterte sie. »Komm schon, Jordan.« Er schüttelte den Kopf. »Mit mir wirst du es nicht schaffen. Geh allein.« »Sei kein verdammter Idiot«, sagte sie barsch und sah sich vorsichtig um. Als er keine Anstalten machte, sich zu bewegen, packte sie seinen Arm. »Verdammt noch mal, beweg dich!« Stöhnend richtete er sich auf. Cordelia packte ihn mit beiden Armen unter den Schultern und versuchte ihn nach oben zu ziehen. Zunächst sah es so aus, als bewegte er sich nicht, aber schließlich stand er doch aus eigener Kraft auf. »Gut.« Cordelia machte ein Zeichen, dass er ihr folgen solle und kroch nach draußen. Bloß raus hier, dachte sie, als sie einen Speer sah, der neben einer brennenden Fackel an der Wand lehnte. Ihr Herz raste, während sie hinüberrannte und ihn ergriff. Jordan war ihr langsam gefolgt. »Okay. Wo geht’s nach draußen?«, flüsterte sie. Er zeigte nach links.
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Cordelia nickte und drehte sich in die Richtung. Dann dachte sie nach. War es besser, blind weiterzugehen, oder die Fackel zu holen und zu riskieren, dass man sie entdeckte? Sie entschied sich dafür, im Schutz der Dunkelheit weiterzugehen. Cordelia gab Jordan ein Zeichen, sich zu beeilen. Er starrte sie an. Sie runzelte die Stirn und ermutigte ihn: »Nun mach schon.« Dann hörte sie dieses Lachen. Ein bemerkenswertes In-sichhinein-Lachen. Sie drehte sich um und plötzlich stand Julian vor ihr. Bevor sie zum Nachdenken kam, ging sie in Kampfposition und schleuderte den Speer gegen ihn. Er schaute ein wenig überrascht und wich elegant aus. Mit einem kräftigen Schrei ging sie in die Offensive, warf sich gegen ihn und schlug auf ihn ein. Sie erwischte ihn am rechten Unterarm. Julian heulte auf und zeigte seine wahre Natur. Seine Linke griff nach dem Speer. Er zerbrach ihn wie einen Bleistift und warf die Einzelteile fauchend und grollend durch das ganze Gewölbe. Dann kam er auf sie zu und verwandelte sich wieder in den attraktiven Julian. Cordelia stöhnte auf und stolperte rückwärts. Hinter ihr sagte Jordan: »Ich habe getan, was Sie wollten. Jetzt müssen sie mich gehen lassen.« Julian lächelte Cordelia an. »Netter Versuch. Hat mir gefallen.« Seine Augen blickten voller Verachtung auf Jordan. »Ich muss überhaupt nichts tun«, erwiderte er kalt. »Wenn ich es nicht will.« Ganz Sunnydale war komplett verrückt geworden. Im ganzen Business District wurden Fensterscheiben zerstört und die
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Läden geplündert. Die Menschen rannten schreiend auf der Straße herum und beschimpften sich gegenseitig. Gewehrschüsse hallten durch die Nacht. Willow saß auf dem Beifahrersitz neben Giles und murmelte ununterbrochen Abwehr-Zaubersprüche. Sie tat, was sie konnte, um den Mob von Giles’ Wagen fern zu halten, während sie einen sicheren Ort für Mark Dellasandro suchten. Es schien hoffnungslos. Vieles kam auf gar keinen Fall in Frage. Xanders, Willows und Buffys Zuhause schieden aus den gleichen Gründen aus, aus denen sie nicht zurück in Giles’ Appartement konnten: Die selbsternannten Ordnungshüter suchten nach dem vermeintlichen Mörder Mark Dellasandro. »Wir müssen unbedingt herausfinden, wie man sie aufhalten kann«, sagte Willow. »Bin dabei«, antwortete Xander. Dann drehte er sich zu Mark und fragte: »Bist du okay?« Giles hatte dem Jungen empfohlen, sich unter den Rücksitz auf den Boden zu legen. Er hatte Angst davor, was passieren würde, wenn jemand Mark entdeckte. Man würde sie womöglich alle aus dem Auto herausziehen und in Einzelteile zerlegen. »Göttin Hekate, höre mich«, murmelte Willow und wühlte gleichzeitig in ihrer Tasche herum. Dann zog sie etwas unter den Sitzen hervor. Es war ein Reservezauberbeutel, den sie in Giles’ Wagen aufbewahrte. »Denk einfach, es ist so was wie ein Ersatzreifen«, hatte sie zu ihm gesagt. »Für Notfälle, wenn ich meine normale Tasche nicht dabei habe.« Eine große warme Hand legte sich ihr auf die Schulter. Sie schloss die Augen. Xander. Sie waren schon so lange die besten Freunde, dass sie seine Gedanken lesen konnte. »Wir werden sie finden«, sagte Willow und drückte Xanders Hand. »Ich habe mein entschlossenes Gesicht aufgesetzt und du weißt, was das bedeutet.« 191
»Ja, das weiß ich, Will«, sagte Xander einfühlsam. Dann warf jemand etwas gegen den Wagen, das wie eine Bierflasche aussah. Aber es musste ein Molotow-Cocktail gewesen sein, denn die Flasche explodierte und versprühte Flammen in alle Richtungen. Giles versuchte einem Mann auszuweichen, der in heruntergekommener Kleidung auf der Straße stand und eine Waffe auf sie richtete. »Was ist passiert?«, schrie Mark vom Fußboden. »Ich fürchte, sie haben uns entdeckt«, antwortete Giles. Willow bemerkte, dass Xander kreidebleich im Gesicht wurde. Er lehnte sich nach vorne und sagte so sanft wie möglich: »Will, wenn sie den Jungen finden, werden sie ihn umbringen.« Sein Blick fügte hinzu: Und uns! Dann wurde wieder etwas gegen die Windschutzscheibe geschleudert, sodass sie nun endgültig zerbrach. Giles kämpfte um die Kontrolle, während die Flammen sich ausbreiteten. »Wenn das hier eine Fernsehserie wäre, müsste jetzt jeden Moment Buffy auftauchen«, sagte Xander. »Okay, Buffy. Jede Sekunde zählt. Wir sind alle gefangen und ohnmächtig, so wie du es liebst. Also komm schon, Buffy, Chica, Liebes, meine einzige...« Willow verschwand kurz aus seinem Blickfeld, weil sie auf dem Boden nach etwas kramte. Als sie wieder hervorkam, hatte sie zwei große Flaschen in der Hand. »Weihwasser«, erklärte sie und versuchte die Flammen damit zu bekämpfen. Aber leider konnte sie nicht viel damit ausrichten. »Ich werde anhalten«, kündigte Giles an. »Nein!«, schrie Mark und hob alarmiert den Kopf. Aber Giles erwiderte bestimmt: »Nur für einen Augenblick.«
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Xander schaute aus dem Fenster. Der zornige Mob lief ihnen zwar hinterher, aber sie mussten noch eine beträchtliche Entfernung zurücklegen. Mark lag auf dem Boden und weinte. Xander versuchte ihn zu trösten. »Wir kriegen das schon hin, Kleiner.« Giles konnte durch die zerbrochene Windschutzscheibe kaum etwas erkennen. Sie hatten die Stadtgrenze erreicht. Aber dieser Umstand hatte nicht die geringste Bedeutung, dachte Xander. Das Böse schert sich nicht um Straßenschilder. Oder um die Verkehrssicherheit. Es beachtet im Allgemeinen auch nicht die Vorfahrt. »Gute, ausgiebige Nachforschungen, das ist es, was uns fehlt«, riss ihn Giles aus seinen Gedanken. »Ja, um zum Beispiel die Frage zu beantworten: Wo können wir Mark verstecken? Komm, mein Freund, ich glaube, du kannst dich jetzt genauso gut hinsetzen«, sagte Xander und streckte ihm die Hand entgegen. Der Junge blieb auf dem Boden. »Nein«, sagte er tonlos. Er klang sehr verzweifelt. Xander hatte schon ähnliche Situationen erlebt. Ihnen allen war es schon mal so gegangen – während der Streifzüge vor Sonnenaufgang. Manchmal konnte man das, was man erlebte, einfach nicht ertragen, und dann sehnte man sich nach einem wirkungsvollen Zauberspruch, der einen von allem befreite. »Wo verstecken wir Mark?«, wiederholte Giles, während sie weiterfuhren. Der Nachtwind blies durch die zerbrochene Windschutzscheibe und strich Willows Haar aus dem Gesicht. Xander dachte, sie sieht aus wie eine wunderbare Galionsfigur. Aber auch, wie das kleine Mädchen, dem er früher einmal die Barbiepuppe weggenommen hatte. Willow zögerte, doch dann hob sie halb die Hand, so als sei sie im Unterricht. »Was ist mit Angels Wohnung?« 193
Giles schaute sie ungläubig an und Xander dachte, er höre nicht richtig. »Sag mal, bist du völlig übergeschnappt?«, schrie Xander. Giles wendete ein: »Willow, es wäre eine gute Idee, wenn wir sicher sein könnten, dass Angel nicht ebenso wie wir in diesen Zustand geraten kann.« »Wir haben ja alle schon erlebt, was Angel so anstellt, wenn er besessen ist«, bemerkte Xander bitter. »Es ist nicht besonders schön.« Sie drehte den Kopf. »Es war ja nur eine Idee. Vielleicht können wir Angel bitten, woanders unterzukommen.« Sie zuckte die Schultern. »Aber er weiß dann natürlich, wo er Mark erwischen kann. Vielleicht doch keine so gute Idee.« Sie hob die Brauen. »Was ist mit der Bibliothek?« »Daran habe ich auch schon gedacht«, sagte Giles. »Aber es ist riskant. Denk bitte an die schwierigen Situationen, in die wir geraten, seitdem wir Oz dort regelmäßig verstecken. Trotzdem, wir können es im Kopf behalten.« Willow schwieg für den Augenblick. Xander legte erneut seine Hand auf ihre Schulter und drückte sie. Sie nickte zum Zeichen, dass alles in Ordnung war. »Was ist mit dem Haus von Ms. Gibson?«, fragte Willow. »Nur für kurze Zeit. Es ist verkauft worden, aber der neue Eigentümer ist dort noch nicht aufgetaucht. Man hat es irgendwie vergessen. Die Kids treiben sich dort auch nicht mehr herum.« Mark hob den Kopf. »Ich kenne das Haus. Es ist verhext. Ich habe gesehen, wie sich da drinnen etwas bewegt hat.« »Ja, ich weiß«, sagte Xander einfühlsam. »Wir alle sehen nachts manchmal Dinge, die sich bewegen.« »Warte mal, wenn wir nachts etwas sehen, was sich bewegt, dann, weil es sich wirklich bewegt.«
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Ihre Augen wurden größer, wie immer, wenn ihr Gehirn irgendwelche minderwertigen Informationen zu süßen, cremegefüllten Fakten verarbeitete. »Dieses Haus wurde an einen gewissen H. Ombra verkauft. Hast du nicht gesagt, der Name der Betrogenen sei Helen?« »Ja, das habe ich in der Tat.« Giles warf ihr einen Blick zu. »Ombra ist eine Variation des lateinischen Wortes für Schatten.« »Und du hast etwas gesehen?«, fragte Xander Mark erneut. Mark nickte. »Ja, das habe ich wirklich«, versicherte er Xander. »Ich habe Umrisse gesehen, und eine Frau, die gelacht hat.« Giles schaute Xander im Rückspiegel an. Xander blinzelte und fragte: »Will? Wie viele Pflöcke hast du bei dir?« »Nur ein paar«, antwortet Willow und holte tief Luft, »aber wenn wir Buffy finden könnten und –« »Oh, verdammte Hölle«, zischte Giles. Im Spiegel tauchten die Lichter eines Polizeiwagens auf. Sie wurden aufgefordert, am Straßenrand zu halten. »Giles, Sie sind zu schnell gefahren. Da hinten war offensichtlich eine Geschwindigkeitskontrolle. Und du bist mindestens Siebzig gefahren.« »Wir können nur hoffen, dass die Polizisten nicht auch besessen sind«, murmelte Giles. »Willow, bitte öffne das Handschuhfach. Ich brauche die Zulassung und die Versicherungspapiere.« »Was Sie brauchen«, murmelte Xander auf der Rückbank, »ist ein Gewehr.« »Oh, und hast du vielleicht gerade eins griffbereit?«, fragte Giles zurück. Xander zuckte die Schultern. »Nein, heute leider gerade nicht.« Xander blickte nach unten, als Mark ihn am Hosenbein zog. 195
Mark sagte leise: »Ich hab eine Waffe.« Schuldbewusst fügte er hinzu: »Ich habe sie aus Giles’ Wohnung mitgenommen.« »Das sind definitiv gute und schlechte Nachrichten«, bemerkte Giles. »Wenn wir eine Waffe haben, dann müssen wir darauf vorbereitet sein, sie auch zu benutzen.« Während er das Fenster herunterkurbelte, fügte er leise hinzu: »Bitte, gib sie nach vorne, Mark.« Xander streckte seine Hand aus, aber im gleichen Moment griff Mark nach Xanders T-Shirt, hielt ihn fest und zielte mit der Waffe genau auf sein Gesicht. Xander starrte in die Mündung und sein Herz war kurz davor, aus seiner Brust zu springen. »Was ist los? Mark, gib mir sofort die Pistole«, sagte Giles. In diesen Augenblick rief eine Stimme. »Guten Abend.« »Es ist der Bulle«, sagte Xander zu Mark. »Also, wie sieht der Rest deines Planes aus?« Mark flüsterte: »Hier lebend rauszukommen.« Er hielt die Waffe weiter auf Xander gerichtet und war fest entschlossen. »Egal wie.«
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12 Joyce Summers war zu Hause, als Angel und Buffy eintraten. Sie war in der Küche, schüttete Wasser in sich hinein, als sei sie kurz vor dem Verdursten, und rieb sich mit zitternder Hand die Stirn. »Die ganze Stadt ist in Aufruhr«, sagte sie und füllte ihr Glas erneut mit Wasser. »Buffy, möchtest du etwas trinken?« Und zu Angel: »Ich vermute, du trinkst kein Wasser?« »Doch, das kann ich«, erwiderte Angel. »Ich meine, ich tue es manchmal«, korrigierte er sich. Joyce wendete sich an Buffy und wurde bleich, als sie sah, in welchem Zustand ihre Tochter sich befand. Sie reichte ihr die Hand. »Oh, mein Gott«, schrie sie auf. »Was ist mit dir passiert?« Dann musste sie Giles’ altes Sweatshirt unter Angels schmutzigem Mantel entdeckt haben. Es war von der rechten Schulter quer über die Brust bis zur Hüfte aufgerissen. Darunter waren tiefe Fleischwunden zu sehen. »Wie du schon gesagt hast«, erwiderte Buffy schulterzuckend. »Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Wir mussten uns den ganzen Weg von Giles’ Appartement bis hierher freikämpfen.« »Ich hole den Erste-Hilfe-Kasten«, sagte Joyce und atmete tief durch. »Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Buffy. »Mit Angel ebenfalls. Setz dich, Mom, du siehst selbst nicht besonders gut aus.« Joyce ließ sich zitternd auf einen Stuhl sinken. »Mom, wir suchen Giles. Ist er hier bei dir gewesen?« Tränen liefen Joyce über die Wangen. »Ich weiß es nicht. Sehe ich vielleicht aus wie deine Sekretärin?« Buffy blinzelte. »Mom?« 197
Joyce schlug mit der Faust in die Luft. »Ich kann mich nicht beherrschen. Es ist alles so... alles läuft schief. Die Versicherungsgesellschaft rief an, um die Details des Diebstahls zu besprechen. Die gestohlenen Sachen waren überhaupt nicht versichert! Da war diese... Urne, ich glaube eine... Töpferarbeit, die noch aus der Zeit Caligulas stammte. Sie ist über sechzehnhundert Jahre alt. Und damit praktisch unersetzbar.« Buffy und Angel schauten sich an. Langsam zog Buffy die Urne aus ihrer Tasche. »Ist sie das, Mom?« »Oh«, Joyce blinzelte. »Oh mein Gott! Buffy, wo hast du sie gefunden?« Buffy erwiderte: »In Giles’ Appartement.« Sie gab Joyce die Urne. »Ja, das ist sie.« »Wir müssen sie noch behalten«, sagte Buffy. »Wir müssen sie Giles zeigen.« Joyce war nicht einverstanden. »Das Teil ist Beweisstück in einer polizeilichen Untersuchung.« »Mom, ich war auch Beweisstuck in einer polizeilichen Ermittlung«, erwiderte Buffy ungeduldig. »Bitte, du kennst doch die Situation. Es geht hier wirklich um mehr.« Joyce nickte stumm. »Natürlich. Du hast Recht, Kind. Aber wenn ihr sie nicht mehr braucht, gebt sie bitte sofort zurück. Wir sind nicht in der Lage, sie zu ersetzen. Wenn wir sie verlieren,... wird das das Ende der Galerie sein.« Buffy tätschelte beruhigend ihren Arm. »Erinnerst du dich an die rohen Eier, die wir für den Gesundheitsunterricht in der Schule brauchten? Ich werde noch besser auf die Urne aufpassen.« »Okay.« Joyce brachte ein Lächeln zu Stande. Dann runzelte sie die Stirn. »Aber hast du nicht gesagt, diese Eier hätten uns alle zu Zombies gemacht?« 198
Buffy hielt die Urne hoch. »Und ich frage mich jetzt, ob dieses Ding vielleicht dafür verantwortlich ist, dass wir alle wie Verrückte aufeinander losgehen.« Sie steckte die Urne wieder zurück in ihre Tasche und begann, den Anrufbeantworter abzuhören. Angel und Joyce blieben alleine zurück. Sie schauten einander an. Joyces Blutdruck stieg augenblicklich. Sie fühlte sich nicht wohl in der Gesellschaft dieses Vampirs. Angel neigte den Kopf. »Geht es Ihnen gut, Mrs. Summers?« »Du lässt sie in Ruhe!« Das war keine Frage, das war ein Befehl. Angels Blick war undurchdringlich, sein Gesicht zeigte keine Regung. »Ja, natürlich.« Er war höflich, das musste sie ihm lassen. Wenn er nicht gerade besessen war. Wenn er nicht gerade damit prahlte, dass er mit ihrer siebzehnjährigen Tochter im Bett gewesen war. Wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, sie alle umzubringen. Hasserfüllt dachte sie plötzlich, verdammt soll er sein. Verdammt für alles, was er ihnen angetan hatte. Er hätte sterben sollen, vor über hundert Jahren schon, wie jeder andere normale Mann. Er hätte sterben sollen, als Buffy ihn umbrachte. Und sie dachte: Jetzt sollte er sterben. »Mrs. Summers, ich...«, begann Angel, wendete sich jedoch unvermittelt ab und heftete seinen Blick an die Zimmerdecke. Joyce trat zurück und tastete nach den Steakmessern mit den Holzgriffen. Sind vielleicht nicht lang genug, dachte sie. Der Besen ist besser. Ganz unauffällig versuchte sie, sich dem Besenschrank zu nähern. Mach ihn fertig. Töte ihn. 199
Sie öffnete die Schranktür. »Mrs. Summers«, fuhr er fort. »Ich weiß, dass Sie es nicht mögen, wenn ich –« »Mom, wusstest du, dass ein Anruf von der Polizei auf der Maschine war?«, fragte Buffy, als sie zurück in die Küche kam. »Sie haben in der Galerie Fingerabdrücke gefunden und wollen dich dringend sprechen.« Joyce klammerte sich an den Besen und starrte sie an. Sie zitterte am ganzen Leib. Buffy machte einen Schritt auf sie zu. »Mom?« Ihr Zorn übertrug sich auf sie. Du verdammtes Kind. Du hast mein Leben ruiniert. Ja, ruiniert. Wenn sie nur verschwunden wäre... wenn sie verschwinden würde... ja... »Buffy«, flüsterte Joyce plötzlich, »verschwinde.« »Mom?« Buffy beeilte sich, ihrer Mutter zu helfen. »Mom, was ist los mit dir?« »Ich... ich...« Joyce legte ihre Hände auf Buffys Kopf. »Buffy, du musst weg von hier... von mir!« Buffy legte ihre Hände in die ihrer Mutter und zwang sie, ihr direkt in die Augen zu sehen. Joyce versuchte ihrem Blick auszuweichen. Buffy sollte diesen Hass in ihren Augen nicht sehen. Den Abscheu. Du bist schuld daran, dass mein Leben ein Albtraum ist. »Ich... ich wünschte, du wärst tot«, krächzte Joyce. Tränen schossen Buffy aus den Augen. »Nein, Mom, ich weiß, dass du mich liebst. Ich weiß es. Es ist die...« Buffy unterbrach sich. »Du musst es bekämpfen.« »Nein. Ich hasse dich.« Joyces Augen verengten sich. Ihre Lippen zitterten. »Wenn ich dich töten könnte, würde ich es tun.« Angel verabscheute es, Zeuge dieser Szene zu sein. Die Erinnerung an jene Zeit, als er selbst all diese schrecklichen 200
Dinge zu Buffy gesagt hatte, war zu schmerzlich. Joyce liebte ihre Tochter über alles, und er konnte nur beten, dass Buffy ihre Worte nicht für eine Wahrheit hielt, die hinter einer Fassade aus alltäglichen Lügen verborgen war. »Mom, lass es gut sein«, sagte Buffy. Angel konnte es an ihrer Stimme hören, wie verletzt sie war. Er ballte ohnmächtig die Fäuste, denn es gab nichts, was er tun konnte. So versuchte er einfach nur da zu sein, für den Fall, dass sie später seinen Trost suchen würde. Buffy schaute über die Schulter zu Angel. »Wir müssen Giles finden, oder Helen, oder beide. Wir müssen etwas tun, Angel. Das geht so nicht weiter.« Er nickte. »Dann lass uns gehen. Wir müssen zuerst Giles finden«, sagte er. Buffy schaute ihn durchdringend an. »Oder Helen!« Er antwortete nicht, ging stattdessen schweigend hinaus, um sie ein paar Minuten mit ihrer Mutter alleine zu lassen. Er war nicht sicher, ob es das Richtige war, aber im Augenblick fiel ihm nichts Besseres ein. Nach ein paar Minuten kam Buffy mit der Tasche über der Schulter zu ihm heraus. Es tat ihm weh, ihren Schmerz zu sehen. »Willst du dich waschen, bevor wir gehen?«, fragte sie. »Ich glaube, in meiner Kommode ist noch ein altes CollegeSweatshirt von meinem Vater. Es müsste dir sogar passen.« »Wie ist es gelaufen?«, fragte Angel. Sie sah unglücklich aus und wirkte plötzlich sehr, sehr müde. Er wollte ihren Kopf an seine Schultern lehnen und ihr sagen, alles würde in Ordnung kommen. Er wollte es für sie in Ordnung bringen. »Ich hatte Angst, sie allein zu lassen. Also, äh...« Sie ballte die Faust. Er schaute sie erstaunt an. »Du hast sie niedergeschlagen?« Buffy zwinkerte ihm zu. »Meine eigene Mutter? Bloß nicht.« 201
Sie tat so, als kippte sie einen Drink. »Ich habe sie dazu gebracht, ein ganzes Glas Wodka zu trinken.« Aus der Küche hörte er Joyce kichern und rufen: »Okay, Barkeeper, ich will noch einen.« »Ich habe sie auch mit Handschellen am Stuhl angekettet.« Buffy schien darauf nicht besonders stolz zu sein. »Meine Mutter lachte und machte eine Bemerkung über Giles, die ich nicht verstanden habe, und die ich auch gar nicht verstehen will.« »Oh, ich weiß nicht Buffy. Unter den richtigen Umständen können Handschellen auch Spaß machen«, sagte Angel, ohne nachzudenken. Dann zog er ein Gesicht. »Ich kann nicht fassen, was ich gerade gesagt habe.« »Wenn du nur ein bisschen Stil hättest, dann würdest du jetzt mindestens rot werden«, sagte sie. »Wenn ich kein Vampir wäre, sicher«, erwiderte er. »Hey! Ich hab gesagt, ich will noch ’ne Runde!«, rief Joyce aus der Küche. »Wenigstens ist sie glücklich.« Buffys trauriger Blick blieb an der Küchentür hängen. Angel konnte nicht anders. Er legte seinen Arm um ihre Schultern. »Sie hat es nicht so gemeint, Buffy. Genauso wenig wie Brian Dellasandro diese Leute töten wollte.« Angel starrte hinaus in die Nacht. Der Mond schien hell. Über den Baumwipfeln sahen sie rote Lichter, die wie Suchscheinwerfer den dunklen Nachthimmel erleuchteten. »Sunnydale brennt«, sagte Buffy. »Sozusagen. Wäre es nicht nett, wenn es bis auf die Mauern niederbrennen würde?« »Es würde die Dinge nur für kurze Zeit verändern.« Buffy nickte. »Der Höllenschlund wäre immer noch offen. Er würde immer noch existieren.« Sie machten sich auf den Weg. 202
Der Polizist schüttelte ungläubig den Kopf, während Giles erklärte, warum er ein demoliertes, rauchendes Auto fuhr. Natürlich dachte Giles daran, dass er bereits zu den Leuten gezählt wurde, die mit Mark Dellasandro unter einer Decke steckten. »Ganz Sunnydale ist übergeschnappt. Es ist wie damals in L.A., nach all den Unruhen und den Morden. Die Leute sind total aufgebracht.« »Das ist richtig. Wenn ›aufgebracht‹ die korrekte Bezeichnung dafür ist«, sagte Giles. Xander räusperte sich. Giles tat es ihm nach. »Ich muss diese jungen Leute nach Hause bringen. Wie Sie sich vorstellen können, sind ihre Eltern in großer Sorge um sie.« »Ja, das kann ich mir vorstellen«, sagte der Polizist. Er tätschelte den Wagen. »Ich hoffe, Sie haben eine gute Versicherung. Mein Bruder ist Vertreter bei der Sunnydale –« »Nein«, rief Xander. Giles traute seinen Ohren nicht, als er hinter sich die typischen Geräusche eines Handgemenges hörte. Dann schrie Mark: »Keine Bewegung.« »Oh nein!« Giles tat einen tiefen Atemzug und schloss die Augen. Er griff nach dem Lenkrad. »Nehmen Sie die Pistole aus dem Halfter«, sagte Mark. »Jetzt aber mal langsam, Junge«, erwiderte der Cop und hielt seine unbewaffneten Hände hoch. »Ich weiß, es war eine harte Nacht, aber...« »Mark«, sagte Giles. »Nein!«, krächzte der Junge. »Geben Sie Ihre Waffe her. Ich kenne euch. Ihr habt meinen Bruder umgebracht.« Der Polizist blinzelte. »Oh Gott«, sagte er langsam. »Du bist Mark Dellasandro.«
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Giles hörte, wie Mark die Luft einsog. Ihm war soeben klar geworden, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sie wären fast davongekommen. Aber jetzt, nach seinem Auftritt, steckten sie tief im Schlamassel. »Gib mir die Pistole, Mark«, sagte der Polizist freundlich. »Es wird leichter für dich.« »Geben Sie mir Ihre Waffe, oder ich bringe Sie um«, antwortete Mark unsicher. »Nein Junge, ich glaube nicht, dass du das tun wirst«, erwiderte der Cop. »Wirklich, das glaube ich nicht.« »Ich werde es aber tun.« Mark gab einen Warnschuss ab. Er ging daneben, pfiff jedoch dicht genug am Kopf des Officers vorbei, um diesen davon zu überzeugen, sein Halfter zu öffnen. »Nein, warten Sie«, sagte Mark. »Mr. Giles, nehmen Sie ihm die Waffe ab.« Giles sagte nur: »Mark...« »Wenn Sie es nicht tun, erschieße ich ihn.« Giles schaute den Cop an, der ihm einen bösen Blick zuwarf. »Ein klarer Fall von Beihilfe.« »Ich habe sie als Geiseln genommen«, behauptete Mark. »Ich habe ihnen gesagt, ich töte diesen Jungen, wenn sie mich nicht nach Mexiko bringen.« Es war genau das, was sich ein vierzehnjähriger Junge ausdachte, wenn er zu viel ferngesehen hatte. Giles tat der Junge Leid, denn er wusste, das alles geschah nur aus Angst. Der Junge fürchtete um sein Leben. Das war alles. Aber der Polizist wusste nichts davon. Niemand wusste es. Giles sagte zu Mark: »Ich steige aus, in Ordnung? Bleib ganz ruhig, ich werde ihm die Waffe abnehmen.« »Meine Pistole ist auf Xanders Kopf gerichtet«, sagte Mark. Giles hörte, wie Xander murmelte: »Oh danke, dass du mich mit Namen angeredet hast.« 204
»Nehmen Sie die Pistole aus dem Halfter und halten Sie sie mit Daumen und Zeigefinger«, instruierte er Giles. Giles versuchte, fieberhaft nachzudenken, was er jetzt tun könnte. Mark die Pistole geben? Sie dem Polizisten überlassen? Xanders Leben riskieren? Er glaubte nicht, dass Mark Xander erschießen würde. Nicht, wenn er bei Sinnen wäre. Aber konnte er sich darauf verlassen? Und der Cop – konnte er ihm trauen? Was würde mit Mark passieren, wenn der Mann plötzlich aggressiv würde, während Mark unter seiner Aufsicht stand. Oder jemand anderer an seiner Stelle Amok lief? Er nahm die Waffe und hielt sie so, wie es ihm befohlen wurde. »Nehmen Sie seine Handschellen«, sagte Mark. Wieder schaute Giles den Cop an. Der Mann schluckte. »Ich habe eine Familie.« Giles wagte einen Blick über die Schulter. »Mark, ich werde nicht zulassen, dass diesem Mann etwas geschieht.« »Ich will niemanden verletzen«, sagte Mark mit gebrochener Stimme. Entschlossener fügte er hinzu. »Aber ich werde es tun, wenn ich dazu gezwungen bin. Also, nehmen Sie jetzt seine Handschellen.« So, dass nur der Polizist es hören konnte, sagte Giles: »Das letzte Mal, als ich so etwas getan habe, hatte ich vorher ziemlich viel Schokolade gegessen.« Als er den verwirrten Blick des Bullen sah, fügte er hinzu: »Es tut mir wirklich furchtbar Leid.« »Sorgen Sie einfach dafür, dass er mir nichts tut, Mr. Giles.« Giles legte ihm hastig die Handschellen an. »Setzen Sie ihn in sein Auto«, befahl der Junge. Giles zögerte. Das war vielleicht nicht gerade die beste Idee. Der Mann wäre vielleicht in der Lage, das Funkgerät zu erreichen, mit dem Mund oder so, wer konnte das wissen. Trotzdem tat er, was Mark gesagt hatte. 205
Der Mann ließ sich willig abführen, schlüpfte ins Auto und flüsterte Giles zu: »Da ist ein zweiter Schlüssel, direkt unter dem Armaturenbrett.« Der Wächter schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, ich kann das Risiko nicht eingehen.« Der Mann zuckte die Schultern. »Irgendjemand wird schon vorbeikommen.« »Sie haben Recht.« Giles atmete tief durch. »Es tut mir wirklich sehr Leid.« »Sie hören sich an, als seien Sie für das Ganze verantwortlich.« Er war misstrauisch geworden. »Mr. Giles, nun machen Sie schon«, rief Mark. Der Polizist reckte den Kopf. »Der hat die Tür hinter sich zugemacht. Er wird im Gefängnis sitzen, noch bevor die Sonne aufgeht.« »Er ist erst vierzehn«, sagte Giles. Die Züge des Polizisten erstarrten. »Er ist ein kaltblütiger Killer. Wenn ich vorher bemerkt hätte, dass er in Ihrem Auto ist, hätte ich ihn gleich abgeknallt. Damit hätte ich dem Steuerzahler eine Menge Geld gespart.« Giles lief es eiskalt über den Rücken. Er richtete sich auf und ging zurück zu seinem Wagen, ließ den Motor an und fuhr los. Sobald sie außer Sichtweite waren, gab Xander Giles die Waffe. »Wann hat er aufgehört, sie auf deinen Kopf zu richten?«, fragte Giles. »In dem Moment, als Sie nicht mehr zu sehen waren«, erwiderte Xander. »Nun, ich denke du hast das Richtige getan«, sagte Giles kurz angebunden. Buffy und Angel suchten überall in Sunnydale nach ihren Freunden.
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Die Straßen waren voll mit Verrückten. Ungefähr ein Viertel des gesamten Business Districts stand in Flammen. Eine Gruppe von Männern beschoss die Feuerwehrleute, die mit ihrem großen, roten Truck die Flucht ergriffen. Auf halbem Weg zum Depot wurde der Fahrer wahnsinnig und rammte einen Stadtbus. »Wo sind denn die ganzen Ordnungshüter?«, sagte Buffy, als sie mit Angel Seite an Seite die brennende Straße hinunterlief. »Wahrscheinlich arbeiten sie gerade auf den Bahamas an ihrer Hautfarbe.« »Zum Glück findest du ja daran kein Vergnügen«, bemerkte sie ernsthaft. »Nein, aber das finde ich interessant«, sagte Angel und deutete geradeaus. »Wow.« Buffy suchte sofort Deckung hinter einer Reihe Mülltonnen. Angel war sofort neben ihr. Am anderen Ende der Straße standen drei Vampire lachend zusammen im Schein des Feuers und schlugen auf etwas ein, das am Boden lag. Es war Xanders Schicksalsgöttin, Ms. Broadman, die laut aufschrie und in ihrer Verzweiflung um sich schlug. Die Vampire trugen römische Togas, genau wie Buffy, Willow und Xander sie in dem Theaterstück während der Talentshow getragen hatten. Aber Buffy und ihre Freunde hatten schwarze Trikots darunter angezogen. Diese Typen hier waren halbnackt und ihre Togas sahen sehr viel älter, schmutziger und blutiger aus. »Nichts übrig lassen«, sagte Buffy und zog einen Pflock aus ihrer Tasche. »Auch nicht für die Bösen.« Die Jägerin steckte sich einen zweiten Holzpfahl an ihren Gürtel. Zielstrebig bewegten sie sich im Dunkeln auf die Vampire zu. Um sie herum heulten Polizeisirenen und Krankenwagen. Obwohl Buffy ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Gegner 207
richtete, nahm sie aus den Augenwinkeln war, dass ein Mann mit einer riesigen, klaffenden Stirnwunde die Straße hinuntertaumelte. Auf der anderen Seite der Straße brannte ein Baum am Straßenrand. Sie machte Angel ein Zeichen, dass er den Vampir, der links stand, übernehmen sollte. Das war der Größte. Sie selbst würde die beiden Kleineren ausschalten. Er nickte. Während sie näher heranschlichen, schlug ihr Herz plötzlich höher. Eine der Gestalten war eine dunkelhaarige Frau. Helen? Nein. Zu klein, dachte Buffy enttäuscht. »Helft mir«, stöhnte Ms. Broadman. Buffy nahm das als Zeichen zum Angriff. Sie machte sich locker und hielt dabei den Stock direkt vor ihrer Brust. Sie wusste, die Vampire würden auf ihre Geräusche aufmerksam werden und sich umdrehen. Genau das passierte, während einer der beiden Kleineren Ms. Broadman weiterhin festhielt. »Halt, oder sie stirbt«, knurrte er. Buffy sagte: »Dann stirbt sie eben. Sie hat meinen Freund beschuldigt, bei einem Test betrogen zu haben und ihn aus dem Unterricht entfernt.« Ms. Broadmans Augen weiteten sich. Der Vampir blickte ein wenig verwirrt drein. Buffy nutzte ihre Chance und warf sich gegen die Vampirin, noch ehe diese wusste, was geschehen war. Innerhalb von zwei Sekunden war sie zu Staub geworden. »Dafür wirst du bezahlen.« Der Vampir, der Ms. Broadman festgehalten hatte, ließ sie los. Mission erfolgreich erfüllt, dachte Buffy triumphierend und wendete sich dem anderen zu. Inzwischen stand Angel kampfbereit dem größeren Vampir gegenüber und taxierte ihn. Sie hörte Worte einer fremdartigen Sprache, von der sie lediglich sicher war, dass es sich nicht um Französisch handelte. 208
Oder ich bin schlechter im Französischen, als ich dachte. »Ms. Broadman, laufen Sie«, sagte Buffy. »Und lassen sie Xander zurück in den Unterricht, okay?« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verschwand die Frau. Der Vampir zeigte Buffy seine Krallen und richtete sich auf einen längeren Kampf ein. »Könnte es sein, dass ich ein Date mit der Jägerin habe?«, fragte er voller Freude. Sie ging in Kampfposition. Er wollte kämpfen? Das sollte er haben. »Du möchtest ein Date? Aber wir kennen uns doch kaum. Und zu meiner unendlichen Freude werden wir uns auch nicht kennen lernen.« Sie hielt ihm den Pfahl entgegen wie ein Schwert – Giles hatte es besonders mit dem Fechten im Augenblick. Der Vampir blockte das Holz mit dem Unterarm ab und versuchte es ihr aus der Hand zu reißen. Aber die Jägerin wich schnell nach hinten aus und stieß dann zwei Mal nach. »Du kämpfst auf eine mir fremdartige Weise«, sagte der Vampir. »Fremdartig? Das sagst du? Schau doch mal deine Klamotten an«, erwiderte sie. Dann ging sie richtig auf ihn los, schlug und trat nach ihm. Ihre Beinarbeit war wirklich exzellent. Der Vampir wehrte sich so gut er konnte, indem er seine überaus kräftigen Arme und Fäuste benutzte. Er war aus Stahl – okay, nicht wirklich aus Stahl –, aber er hatte überaus kräftige Muskeln am ganzen Körper. Und er konnte sie benutzen. Natürlich nicht für den Mr.-AmerikaWettbewerb. Nachdem der Vampir Buffy auf die Nase geschlagen hatte, lief ihr das Blut übers Gesicht. Sie zuckte zusammen, blieb jedoch voll konzentriert. Bei einem Gegner wie diesem durfte sie in ihrer Wachsamkeit keinen Augenblick nachlassen.
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»Angel, wie sieht es bei dir aus?«, fragte sie, während sie dem Vampir mit beiden Fäusten hart ins Gesicht schlug. Auge um Auge und so weiter. »Wir beschimpfen uns gegenseitig auf Lateinisch«, antwortete ihr Freund. Die Jägerin traf den Vampir direkt am Kopf. Der stöhnte und stolperte nach hinten auf die Straße. Sie folgte ihm und schlug wieder zu. Jetzt war er auf dem Bürgersteig. »Möchtest du mir deinen Rang verraten?« Sie versetzte dem Vampir, der mit dem Gleichgewicht kämpfte, einen Stoß. Er versuchte sich an einem Briefkasten festzuhalten, griff aber daneben und stolperte weiter. Angel rief zu ihr herüber: »Hey, sag ein anderes Wort für ›Opfer des Todes‹.« »Ich kam, sah und machte sie zu Staub«, schlug Buffy vor. Sie landete einen doppelten Fußstoß und gab ihrem Gegner mit einem gezielten, heftigen Rundumschlag den Rest. Der Vampir fiel genau in dem Augenblick auf die Straße, als ein Auto vorbeifuhr. Der Wagen erfasste ihn und schleuderte ihn in die Luft. Wie ein Fan bei einem Spiel der Dodgers lief Buffy hinterher. Als der Körper mit einem dumpfen Schlag zu Boden fiel, war sie schon über ihm, den Pfahl bereit für eine gute, klassische Entleibungsnummer. Der Vampir explodierte, umgeben von einer Staubwolke. Sie schaute sich um und stellte fest, dass der Wagen verschwunden war. Niemand war stehen geblieben, niemand hatte das Geschehen beobachtet. Als sie zurückrannte, fand sie Angel alleine vor – mit einer ähnlichen Staubwolke zu seinen Füßen. Während Angel sein Sweatshirt in Ordnung brachte, strich Buffy ihr Haar aus dem Gesicht. »Vielleicht hätten wir einen aufheben und zum Sprechen bringen sollen«, überlegte sie. »Der hier hat gesprochen«, versicherte Angel. 210
Sie schaute ihn erwartungsvoll an. »Nun erzähl schon, was hat er gesagt?« »Helen und ihr Liebhaber – das ist Julian –« »– nicht du«, unterbrach sie ihn, halb im Scherz. »Sie wollen Sunnydale übernehmen.« Buffy gähnte. »Wie originell.« »Sie stecken auch hinter der Sache mit der Besessenheit. Wahrscheinlich benutzen sie irgendeine Art Droge.« Ihre Augen weiteten sich. »Eine Droge?« Er deutete auf ihre Tasche. »Die Vampire haben Sunnydale unter Drogen gesetzt.« »Und dabei machen sie immer die Kids für alles verantwortlich«, erwiderte sie. Die Arena war fertig. Der Kampfplatz war vom Scheinwerferlicht erhellt. Die Stuhlreihen verschwanden im Dunkeln. Julian stand am Rande der Arena im Licht der Fackeln und beobachtete Helen. Sie lehnte sich eifrig nach vorne, als Cordelia von zwei Vampirinnen hereingebracht wurde. Die beiden Frauen trugen die Kleider der Bacchantinnen, der Priesterinnen des Weingottes Bacchus. Cordelias schlanker Körper wurde von dem traditionellen Panzer der Gladiatoren fast erdrückt. Trotz ihrer gefesselten Hände trug sie ein Schwert – ein kleines allerdings. Nun ja, sie war eben schwach, nicht trainiert, ein Kind ihrer Epoche. Man hatte Kompromisse eingehen müssen und einen einfachen Gegner für sie ausgewählt: Einen ausgehungerten Hund. Um ehrlich zu sein, war er noch nicht einmal besonders groß – und an einem Pfahl festgebunden. Als man das Mädchen an ihm vorbeiführte, legte er die Ohren an und jaulte.
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»Wie bitte?« Cordelia schrie auf, als ihr klar wurde, was auf sie zukam. »Ich soll einen Hund umbringen? Habt ihr noch nie was vom Internationalen Tierschutz gehört?« Eine der Bacchantinnen löste Cordelias Fesseln. Sie warf ihnen einen verärgerten Blick zu und sah auf das Schwert. Julian lächelte zufrieden. Sie hatte Format, die Kleine. Was für ein Feuer in den Augen. Was für ein Geist. Sie war einfach hinreißend. Zumindest entsprach sie seinem Verständnis von »Wertvoll genug, um gerissen zu werden«. Die Bacchantinnen stellten sich am Pfosten auf und warteten auf Helens Kommando, um das Tier loszubinden. Cordelia starrte auf den Hund. »Na, mein Kleiner«, versuchte sie ihn anzusprechen und streckte ihre Hand nach ihm aus. Er schnappte mit den Zähnen nach ihr. Das Mädchen zuckte zurück. Der Hund sprang auf und bellte mit ganzer Kraft. »Ich werde das nicht tun«, rief Cordelia in die Dunkelheit hinein. »Dann wirst du sterben«, sagte Helen. »Nicht so schnell«, murmelte Julian und kam herüber. Er ging hinunter zu Helens Thron, legte seine Hand auf ihre Schulter und ließ sie tiefer gleiten. Im fernen Licht der Strahler verwandelte sich ihr Gesicht und zischte vor Erregung. Dann nahm sie wieder menschliche Züge an und sagte entschieden: »Wenn sie nicht gegen das Tier kämpfen will, muss sie sterben.« »Nein. Lass sie am Leben, Liebste«, erwiderte er. »Sie ist ein wertvoller Leckerbissen für die Jägerin. Und als Unterhaltung für die Spiele, die morgen Abend stattfinden werden.« Helen versuchte nicht, ihr Missfallen zu verbergen. »Aber ich will jetzt sehen, wie sie stirbt.« Julian blieb ruhig, doch Helens Blutrünstigkeit machte ihn nervös. Sie verlangte nach immer ausgefalleneren Todesarten, und immer mehr Opfer waren nötig, um sie zufrieden zu
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stellen. Für andere mochte das anziehend sein, nicht jedoch für ihn. Er hatte Größeres vor. Er hatte einen Ruf zu verteidigen. »Nein!«, rief Cordelia entschieden, während die Bacchantinnen noch immer auf Helens Signal warteten. »Komm schon, das ist deiner unwürdig«, versuchte Julian zu erklären. »Ich will, dass sie stirbt.« Helen bestand darauf. »Oh, das wird sie, mein Liebling. Nur nicht heute Nacht.« Julian beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie. Sie atmete scharf aus. Wie ein Kind, dem man den Willen verweigert hatte. Julian schlenderte die Treppen hinunter in die Arena. Gelassen stieg er über die Mauer, nahm dem Mädchen die Waffe weg, ging hinüber zu dem Hund und stieß das Schwert mitten in sein Herz. Das Tier gab keinen Ton von sich, nicht einmal ein Wimmern. Es fiel nach vorne und war tot. Das Mädchen fing an zu zittern. Als er sich herumdrehte, versuchte sie, sich zusammenzureißen. Und als er auf sie zukam, drehte sie den Kopf weg und schloss die Augen. Er tätschelte ihre Wange und murmelte: »War das denn so schlimm?« Cordelias Mund bewegte sich, doch ihr Magen zog sich zusammen. Sie kämpfte gegen den Brechreiz an. Julian ließ ihr Zeit. Schließlich schaute sie ihn unvermittelt an. »Lasst ihr mich in Ruhe, wenn ich einen Stock ausspucke?«, warf sie ihm entgegen. Er legte den Kopf zurück und lachte aus vollem Halse. »Du Füchsin.« Sie richtete sich auf und erklärte voller Abscheu: »So haben mich schon viele genannt.« Nun musste auch Helen lachen. 213
Ihr Gelächter hallte in der Arena wider. Außerhalb von Rom im Jahre 39 Aulus, ein Mann in den besten Jahren, hob seinen Schild, als Diana mit dem Speer nach ihm warf. Zu seinem Schutz trug er außerdem einen Brustpanzer unter der langen Robe. »Du bist schon wieder nicht bei der Sache«, beschwerte er sich. »Was ist los mit dir?« Sie schüttelte unwillig den Kopf und schwieg. Es würde ihm gefallen zu erfahren, dass ihr Verlobter vermisst wurde, denn er war in jedem Fall gegen diese Verbindung. Aber es würde ihm nicht gefallen, wie Helen sich benahm: zurückhaltend und wachsam. Und wie Diana, so würde auch er wissen wollen, was dahinter steckte. »Lass uns für heute aufhören.« Er streckte die Hand nach dem Speer aus. »Geh, nimm ein heißes Bad und sieh zu, dass du wieder einen klaren Kopf bekommst.« Sie fühlte sich unwohl. Seit fast einem Jahr hatten sie nun zusammengearbeitet, als Wächter und Jägerin, aber ihre Beziehung war nicht warmherziger geworden. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie ihm nicht fehlen würde, wenn sie starb. Er würde er es nicht bedauern. Wie er es angeordnet hatte, ging sie hinüber zum Badehaus der Frauen, um ihre Sorgen für eine Weile zu vergessen. Dort fand sie ihr Vater, um ihr zu sagen, dass Aulus und Helen von Soldaten weggebracht worden waren. Und dass man den Kopf von Demetrius in einem Sack auf das Grundstück seiner Familie geworfen hatte.
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13 Während der Wagen von Giles die Straße hinunterschoss, öffnete sich plötzlich der Himmel und es regnete in Strömen. Innerhalb von zehn Sekunden war Willow bis auf die Haut durchnässt. Sie hatte die ganze Zeit einen Zauber aufgesagt, der sie gegen die Elemente schützen sollte. Aber wie jeder wusste, erreichte Willow nur ein »Befriedigend«, wenn es um das Anwenden von Zaubersprüchen ging. »Oh mein Gott«, sagte Giles, als er sah, wie das Wasser sich über sie ergoss. Er setzte den rechten Blinker. »Ich habe eine Plane im Kofferraum. Damit werden wir das Loch in der Windschutzscheibe abdecken.« »Oder Willow kommt zu uns nach hinten«, warf Xander ein. »Jemand muss die Plane halten«, erwiderte Willow. Aber in Wirklichkeit hatte sie Angst vor Mark. Regen oder nicht, sie hatte keine große Lust, mit ihm den Rücksitz zu teilen. Auch nicht auf dem Fußboden. Der Wagen hielt an. Giles sagte: »Ich bin sofort zurück.« Er lief nach hinten und öffnete den Kofferraum. Willow nahm die Gelegenheit wahr und rutschte rüber auf den trockenen Sitz der Fahrerseite. Sie waren jetzt ganz in der Nähe, wo Oz gekidnappt wurde und Willow fühlte, wie sie sich anspannte. Hinter jeder Kurve hatte sie erwartet, dass der Wagen angehalten und sie gewaltsam herausgezogen würden. Als es blitzte, schien jeder Manzanita-Busch, jedes wuchernde Unkraut und jeder weißlich glänzende Salbei am Straßenrand bereit, auf die Kühlerhaube zu springen... »Ich muss mal«, kündigte Mark an. »Es gießt in Strömen«, protestierte Xander. »Ich muss aber.« 215
»Du wirst bis auf die Knochen nass werden.« »Ich muss jetzt, sofort.« »Warte einen Moment«, sagte Xander verzweifelt. Willow betrachtete das Mondlicht auf dem Hügel. Sie waren nahe der Ausfahrt, wo der Dämonentrucker sie angegriffen hatte. Kein Wunder, dass ich das Gefühl habe, wir drehen uns im Kreis. Genau das war nämlich der Fall. Die Zeit lief ihnen davon und sie wusste, was das hieß: Je länger vermisste Personen nicht gefunden wurden, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, sie jemals wieder zu sehen. »Okay, gut, dann komme ich mit dir«, sagte Xander, als Mark die Tür zur Straßenseite auf stieß und nach draußen kletterte. »Zu deiner Sicherheit«, fügte er hinzu. Mark schnaubte und erwiderte barsch: »Ich brauche kein Publikum.« »Ich muss auch mal«, beharrte Xander. Mark blieb beim Wagen, während ein Lastwagen vorbeifuhr. Dann begann er die Straße zu überqueren, gefolgt von Xander. Auf dieser Seite der Straße gab es viel Gebüsch. Vielleicht wollte er ihnen etwas beweisen. Vielleicht auch nicht. Die Heizung lief. Im Auto wurde es ungefähr ein Grad wärmer. Willow wünschte sich einen schnuckligen Fernsehabend oder ein gemütliches Date mit heißer Schokolade und einer guten Website. Sie legte sich zurück und schloss die Augen – sie war so müde... Wir sind besessen und wissen es nicht einmal, dachte sie. So wie Oz, der von seiner Verwandlung auch nichts in Erinnerung behält. Und wir machen niemanden, der verrückt spielt, für das
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verantwortlich, was er tut. Und warum fühle ich mich dann Buffy gegenüber so miserabel? Die Heizung und der Motor sorgten für ein beachtliches Hintergrundgeräusch. Wenn mir nur ein bisschen warm würde, dachte sie, zitternd vor Kälte. Die Heizung zischte. Der Motor hörte sich an wie entfernter Donner. Sie fiel nach vorne, ihre Augenlider wurden schwer. Ihr Körper wog einen Zentner. Sie befand sich auf einer Lichtung. Sie war barfuß und trug ein durchsichtiges Kleid aus weißer Seide, mit einer rosa und blau eingefassten Weste und eine Krone gleichfarbiger Blüten im Haar. Schmetterlinge streiften sie wie Schneeflocken, während sie in die Hände klatschte und mit sanfter Stimme rief: »Wo bist du, mein Biest?« Hasen schlugen Haken durch das Unterholz und flohen voller Panik, gefolgt von einem weißen Hirsch und einem Schwarm Vögel. Das ganze Gebüsch bewegte sich. Der Wald heulte. Und dann schleppte es sich aus dem Unterholz, Blut tropfte aus seinem Maul. Das Biest. Es kam grunzend auf sie zu. Seine Augen glühten scharlachrot. Sie trat einen Schritt zurück, dann öffnete sie die Arme und stand regungslos da. »Komm zu mir, Biest«, drängte sie. Die Kreatur starrte ihr blind entgegen. »Komm zu mir.« In seinem Gesicht geschah eine Veränderung. Er ging auf sie zu. Ihre Augenlider bewegten sich, aber sie blieb, wo sie war. Dann kniete er vor ihr nieder, umarmte ihre Taille mit seinen großen, haarigen Armen.
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Sie sank zu Boden und nahm seinen Kopf sanft in ihren Schoß. In diesem Augenblick begann er, sich zu verändern... Sie kam langsam zu sich, als Giles wieder ins Auto stieg. Tränen liefen ihr über die Wangen, sie fühlte es. Er schlug die Tür zu. Dann fuhr er mit quietschenden Reifen los. »Warte«, sagte sie und öffnete langsam die Augen. Es war Mark, nicht Giles, der neben ihr saß und den Wagen fuhr. »Warte!«, schrie sie auf. »Wo ist Xander?« Sie blickte sich um. »Und Giles?« Er jagte die Straße hinunter. »Bitte versteck mich«, bettelte er verzweifelt. »Jetzt sofort.« Xander stöhnte und rieb sich die Beule am Kopf, während er aufstand. Er war von der Stirn bis zu den Schuhspitzen mit Schlamm bedeckt. »Ich glaube das nicht«, schrie er. »Dieser hinterhältige kleine... kleine Bastard.« Er sprang auf die Füße und rutschte aus. Dann lief er im Dunkeln zur Straße zurück. Ein aufblitzendes Licht machte ihm klar, dass der Wagen weg war. Überraschung! Auf dem Boden vor ihm lag irgendeine Masse. Xanders Magen zog sich zusammen, also startete er durch und lief, bis er drüben war. Ein Minivan, der mit hoher Geschwindigkeit vorüberfuhr, nahm ihn fast auf die Stoßstange, verlangsamte dann aber seine Fahrt und setzte zurück. Er hielt neben ihm und die Scheibe wurde herunter gedreht. »Xander?«
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Im spärlichen Licht erkannte Xander Willows Mutter. Automatisch rieb er sich das nasse Haar aus den Augen und stopfte sein T-Shirt in die Hose. Dann wurde ihm bewusst, was er tat, und er sagte schnell: »Hi Mrs. Rosenberg, haben sie vielleicht einen Augenblick Zeit?« »Xander, was um alles in der Welt machst du hier draußen?« »Bitte, Mrs. Rosenberg, kommen sie hier herüber.« Er deutete auf die andere Straßenseite und rannte hinüber. Auf diese Weise war er zuerst bei dem zusammengerollten Körper und drehte ihn um. Es war Giles. Langsam öffnete er die Augen und setzte sich auf. »Mark?«, fragte Giles. »Mark«, bestätigte Xander. »Er muss etwas sehr Nützliches unter dem Sitz gefunden haben. So etwas wie einen Baseballschläger.« Er runzelte die Stirn. »Nicht, dass mir einer aufgefallen wäre.« »Ah.« Giles verzog das Gesicht. »Ich habe eine ganze Menge Waffen hinter den Rücksitz gepackt, erst kürzlich. Ich vermute, es muss etwas auf dem Boden nach vorne gerollt sein.« »Na toll.« Xander half ihm beim Aufstehen. »Nur um das Bild abzurunden, wo ist eigentlich Willow?« Giles schaute sich um und stellte fest, dass weder sein Auto noch Willow in der Nähe waren. Dann sahen sie das Scheinwerferlicht von Mrs. Rosenbergs Minivan. Sie hatte gewendet und war auf die andere Straßenseite gefahren. Nun stieg sie aus dem Wagen und rannte zu ihnen herüber. »Mr. Giles, was ist passiert?« Giles bemerkte trocken: »Offenbar wurde mein Auto gestohlen.« Er zögerte. Xander sprach es aus. »Von Mark Dellasandro.« »Ach du meine Güte.« Mrs. Rosenberg befürchtete das Schlimmste. »Und Willow. War sie bei Ihnen?« 219
Giles ließ den Kopf hängen. »Ich fürchte, ja. Es tut mir Leid.« Einen Augenblick dachte Xander, sie würde schreien. Doch dann beruhigte sie sich, schloss die Augen und atmete tief durch. »In den Wagen«, sagte sie. »Wir gehen auf der Stelle zur Polizei.« Xander seufzte frustriert, blickte zu Giles und formte lautlos das Wort »Bibliothek«. Als Mrs. Rosenberg auf die Fahrerseite hinüberging, sprach er es aus: »Bibliothek«. Giles öffnete die Beifahrertür. »Das können wir nicht machen. Wir sind Zeugen, Opfer. Wir müssen der Polizei Bericht erstatten, oder es wird sehr böse ausgehen.« Xander ballte die Fäuste und wünschte, er hätte etwas zum Draufschlagen. Giles legte die Hand auf seine Schulter. Dann stiegen sie schweigend ein, Giles auf den Beifahrersitz und Xander auf den Rücksitz. Noch bevor sie sich angeschnallt hatten, schoss Mrs. Rosenberg im Turbotempo davon. Buffy kämpfte mit ihrer Enttäuschung, als sie und Angel zu ihr nach Hause zurückkehrten. Sie hatten Stunden mit nutzloser Sucherei vergeudet. Es war fast Morgen und Angel würde bis zum Sonnenuntergang zu Hause bleiben müssen. Das bedeutete, sie würde völlig auf sich gestellt sein, solange sie die anderen nicht fand. Mmmh, ein kurzes Nickerchen würde mir selbst gut tun, dachte sie wehmütig. Sie liefen zur hinteren Küchentür. Angel trat beiseite, während Buffy hastig hineinging. Sie legte ihre Tasche ab und kniete sich neben ihre Mutter. Joyce schlief oder war ohnmächtig geworden, jedenfalls lag sie mit dem Kopf auf dem Tisch. Ihre Handgelenke sahen geschwollen aus. 220
»Vielleicht habe ich die Handschellen zu fest gemacht«, murmelte Buffy und suchte in ihrer Hosentasche nach dem Schlüssel. Angel untersuchte Joyces Handgelenke, während Buffy hastig die Handschellen öffnete. »Nein, es sieht aus, als sei alles in Ordnung«, sagt er bestimmt. »Okay, wir bringen sie ins Bett.« Buffy versuchte, ihre Mutter über die Schulter zu hieven, aber Angel sagte: »Warte, ich bin größer, für mich wird es leichter sein.« »Macho«, erwiderte Buffy. Trotzdem war sie froh über seine Hilfe. Sie war so müde und das Schlafzimmer war im oberen Stockwerk. Buffy strich ihrer Mutter übers Haar und hoffte, sie würde keinen Kater bekommen. Joyce vertrug nicht viel Alkohol. Auf dem Weg durchs Wohnzimmer warf Buffy einen Blick auf den Anrufbeantworter, Keine Nachrichten. Verdammt. Sie fing langsam an, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Buffy stieß die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter auf und half Angel dabei, sie so sanft wie möglich aufs Bett zu legen. Sie zog ihr die Schuhe aus, deckte sie zu und küsste sie auf die Wange. »Mhm«, murmelte Joyce und schlief weiter. Angel und Buffy gingen auf Zehenspitzen nach draußen. Buffy schloss die Tür und sie steuerten beide auf ihr Zimmer zu. Ihr Blick traf fast im selben Moment das Bett. Dann ging Angel zum Fenster hinüber und spähte durch die Vorhänge. »Ich kann nicht mehr lange bleiben.« Buffy streckte sich. Sie fühlte sich ausgelaugt. »Erzähl mir mehr von Helen«, sagte die Jägerin. »Erzähl mir alles, sodass ich vorbereitet bin, wenn ich ihr begegne.«
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Angel nickte ernst. »Wir müssen sie aufhalten, natürlich. Aber vielleicht ist sie jemand, den du nicht aufhalten kannst.« Buffy schluckte. »Soll das heißen, sie wird mich töten?« »Ich würde das niemals zulassen«, sagte er hastig. Sie versuchte sein misslungenes Lächeln nachzuahmen, aber er schaute sie nur an und fragte: »Hast du Schmerzen?« »Ich bin in Ordnung.« Buffy fand, es sei eine gute Idee, vom Bett aufzustehen. Sie setzte sich auf den Stuhl und sagte: »Helen. Also los.« »Helen«, wiederholte er. Rom im Jahre 39 Julian hatte für das Treffen mit der Jägerin und ihrem Wächter die volle Rüstung eines Generals der Truppen des Römischen Imperiums angelegt. Auch wenn Diana für die Seinen ein tödliches Schicksal darstellte, so war sie doch auch eine Persönlichkeit, die seinen Respekt verdiente. Von seinen Leibwächtern begleitet, stieg er in die tiefsten Gewölbe hinab, vorbei an schreienden Gefangenen und langweiligen Christen, die in großen Gruppen in ihren Zellen knieten und beteten. Julian bedeckte Mund und Nase mit einem Zipfel seines Umhangs, denn der Gestank von Tod und Sterben drang unvermittelt zu ihm herüber. Das Feuer unter den Kesseln mit kochendem Öl warf mächtige, verzerrte Schatten an die steinernen Wände. Das Geräusch der herannahenden Soldaten ließ alle aufhorchen, Gefangene wie Wächter. Und da war sie. Auf den Knien, die Hände fest über ihrem Kopf zusammengebunden, ihr Gesicht voller Schlamm. Sie hatte Stroh im Haar und ihr Kleid war zerrissen. Als sie Julian und seine Begleiter sah, stieß sie einen ohrenbetäubenden Schrei aus.
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Julian trat einen Schritt zurück. Er war nicht darauf vorbereitet, dass die Jägerin sich so verhalten würde. Ein bisschen enttäuscht war er schon. Er hatte sich ihr Zusammentreffen anders vorgestellt. »Ich grüße dich im Namen des Kaisers, des großen Gaius, bekannt unter dem Namen Caligula«, sagte er und salutierte mit der rechten Faust auf der Brust, dort, wo eigentlich sein Herz hätte schlagen müssen. Dann öffnete er die Hand und streckte sie nach vorne aus. »Was?« Ihre Augen starrten ihn blicklos an. »Bitte, lasst mich frei!« Es ging ein Raunen durch die Reihen von Julians Begleitern. Er kreuzte die Arme vor der Brust. »Diana.« »Ich bin nicht Diana!«, schrie sie. »Ich bin Helen! Ich bin nicht Diana!« Julian lief sofort hinüber zur Zelle des Wächters. Dieser war ein stolzer Mann und für sein Alter sehr gut trainiert. Er hob den Kopf, als Julian an die Gitterstäbe klopfte und eine Erklärung forderte. »Warum habt ihr meinen Soldaten gesagt, dieses Mädchen sei die Jägerin?« Der Wächter lächelte grimmig. »Was glaubst du?« Julian fluchte. Man hatte ihn überrumpelt. Er nahm seine wahre Gestalt an und warf dem Mann einen drohenden Blick zu. »Dafür wirst du bezahlen. Aber vorher wirst du mir noch verraten, wo sie ist.« Irgendetwas in den Augen des Mannes sagte Julian, dass der Mann leicht zu brechen war. Doch der Vampir hatte sich zum zweiten Mal getäuscht. »Sie folterten den Wächter«, sagte Angel. »Tagelang. Schließlich erzählte er ihnen von einem vorbereiteten Versteck in einer Höhle, die der Göttin Diana, Herrin des Waldes, geweiht war. Sie schickten Truppen dorthin, fanden jedoch niemanden.« 223
»Also behielten sie Helen als Geisel.« Angel nickte. Das Telefon klingelte. Buffy stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und nahm den Hörer ab. »Hier ist Giles, Buffy.« »Gott sei Dank! Wir haben überall nach Ihnen gesucht. Also, wir haben diese Urne und denken, dass da vielleicht etwas drin ist. Deshalb sollten wir uns so schnell wie möglich treffen –« Giles unterbrach sie. »Mark hat Xander und mich niedergeschlagen und mein Auto gestohlen.« Sie riss die Augen auf. »Willow. Was ist mit ihr?« »Willow«, bestätigte Giles. »Sie saß im Auto, als er damit abgehauen ist.« Buffy schloss die Augen. »Giles, wo ist sie? Hat Mark sich inzwischen bei Ihnen gemeldet?« »Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er ihr etwas antun wird«, sagte Giles besänftigend. »Mark ist einfach panisch vor Angst. Er weiß nicht, wem er vertrauen kann.« Alles sträubte sich in Buffy. »Wissen Sie, wie ich mich fühle, wenn Sie das sagen.« »Wir sind auf dem Polizeirevier. Schon seit Stunden. Mrs. Rosenberg ist nun bei den Beamten. Das ist unsere erste Gelegenheit, ein Telefon zu benutzen.« Er räusperte sich. »Ms. Broadman war vorhin auch hier. Anscheinend wurde sie von drei Individuen in HalloweenKostümen überfallen.« »Ja, Vampire in Togas.« Sie seufzte. »Übrigens, Angel hat ein paar Lücken in Helens Biografie gefüllt.« »Wir werden jetzt freigelassen. Xander hat mir versichert, dass man ihn nicht vermisst. Das passt zwar im Augenblick gut zu unseren Plänen, ist aber gleichzeitig ein trauriges Bild für den Zustand seiner Familie.« »Giles.«
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»Wir treffen uns in der Bibliothek.« Er seufzte. »Ich hatte darauf gehofft, dass Willow uns am Computer helfen könnte.« »Rechnen Sie nicht mit mir«, sagte sie. »In Ordnung. Wir treffen uns so bald wie möglich.« »Okay.« Sie beendete das Gespräch und warf das Telefon auf ihr Bett. Dann bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen. »Willow«, flüsterte sie. »Wir werden sie finden. Wir werden sie alle finden.« Sie nickte mutlos. Ich kann sie nicht noch einmal im Stich lassen, dachte sie verzweifelt. Ich werde es mir niemals verzeihen, wenn ihr etwas zustößt. Angel blickte zum Fenster hinaus. »Buffy, du weißt, wie schwer mir das fällt, aber ich muss dich jetzt alleine lassen. Es sei denn, ich kann hier bleiben.« »Nein, das ist keine gute Idee. Du wärst den ganzen Tag im Haus eingeschlossen. Meine Mutter würde dich zwingen, mit ihr Kuchen zu backen.« Dann fragte sie: »Wird die Zeit reichen, um zurück zu deinem Appartement zu kommen?« »Wenn ich jetzt sofort gehe, ja.« »Ach, Angel!«, platzte sie heraus. »Buffy, Willow hat bewiesen, dass sie stark ist und mit schwierigen Situationen umzugehen weiß«, erinnerte sie Angel. »Es ist nicht das erste Mal, dass sie auf sich alleine gestellt ist.« Buffy flüsterte: »Ich war nicht bei ihr, als man sie angeschossen hat. Weil... ich war...« Sie schaute betroffen zu ihm auf. »Wenn ich an all die furchtbaren Dinge denke, die ich getan habe, nachdem ich ein Vampir wurde«, sagte Angel sanft, »dann ist das fast mehr, als ich verkraften kann. Aber weißt du, was schlimmer ist? Die Jahre danach, als meine Seele wieder auferstanden war und ich nichts tat. Ich wusste doch Bescheid über all das Böse, das es in der Welt gibt und ergab mich trotzdem dem Luxus meiner Schuldgefühle.« 225
»Luxus«, wiederholte Buffy bitter. »Du kannst es dir nicht leisten, Buffy.« Er lächelte auf diese besondere Weise. »Wenn du dich damit aufhalten willst, über jede Situation Buch zu führen, in der du nicht perfekt warst, wirst du nur noch daran denken. Aber niemand außer dir interessiert sich dafür.« »Ist schon in Ordnung.« Sie wollte das Gespräch beenden. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt und nicht der richtige Ort für eine solche Diskussion. Sie war zu angespannt und der Tag brach herein. »Okay!« Er machte sich bereit. »Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt. Du weißt ja, ich habe einen leichten Schlaf.« »Ja, ich weiß«, sagte sie errötend. »Oh, ich habe es nicht so gemeint, wie es sich anhörte.« Er antwortete: »Es hörte sich nicht so an, wie es sich anhören könnte.« Dann verließ er das Zimmer. Ohne zurückzuschauen. Angel ging aus dem Haus und lief eilig die Straße hinunter. Er konnte den Sonnenaufgang schon riechen. Seine Unfähigkeit, sich von ihr zu lösen, würde eines Tages sein Ende bedeuten. Er hatte es oft zu lange hinausgezögert. Der unglückliche Ausdruck in Buffys Gesicht ließ ihn nicht los. Was warf sie sich vor? Dass sie kein Roboter war? Nicht immer im Dienst zu sein, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche? Dann sah er Helen plötzlich an der Ecke stehen, strahlend in all ihrer Schönheit – und ihrem Wahn. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, kam er auf sie zu. Sie streckte die Arme aus und glitt ihm geschmeidig entgegen. Ihre zarte, bleiche Haut war wunderschön, ihre großen Augen leuchteten. 226
»Angelus«, sagte sie heiser und schmiegte ihren Körper an ihn. »Angel, mein Geliebter.« Er reagierte nicht auf diese Einladung. Sie zog sich schmollend zurück und hob das Kinn. »Bist du nicht froh, mich zu sehen?« Er versuchte sich an die Zeit zu erinnern, als er noch Angelus war. Nein, es gab keinen verborgenen Angel, der sie begehrt hätte. Doch damals... »Du weißt, was ich jetzt bin.« Sie lachte. »Ein Vampir mit einer Seele.« Sie runzelte die Stirn. »Was für eine absurde Vorstellung.« »Und doch ist es so.« Sie fuhr sich mit den Händen durch das Haar und ließ es in Kaskaden über ihre Schultern fallen. »Du warst wild und leidenschaftlich, damals in England, als wir uns liebten«, flüsterte sie mit sanfter Stimme. »Und ich dich liebte wie keinen anderen. Ich war so wild und leidenschaftlich wie du, nicht war?« Er neigte den Kopf. »Ja.« »Aber du hast mich verlassen.« Sie klang verletzt. »So wie alle mich verlassen haben. Mich zurückgelassen haben.« »Ich habe meine Seele zurückbekommen.« »Ah.« Sie blinzelte. »Das erklärt natürlich alles. Wenn ich dir glauben würde...« Sie legte ihre Hand auf seine Brust. »Wie konntest du mir widerstehen? Wie kannst du es jetzt? Ich kann dir eine Liebesdroge geben.« »Viagra?« Sie legte den Kopf zurück und lachte herzlich. »Angelus, ich habe deinen Humor schon immer geliebt.« Sie küsste ihn auf den Hals. »Komm mit mir, Geliebter. Komm an meinen Hof. Wir töten Julian und ich mache dich zu meinem König.«
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»Ich erinnere mich dunkel, dass wir schon einmal davon gesprochen haben, Julian zu töten«, sagte Angel vorsichtig. »Damals erzähltest du mir, du seist seine Gefangene.« »Wir werden diesen Ort in unsere Gewalt bekommen«, flüsterte sie, »und wir werden den Glanz des alten Rom wieder auferstehen lassen.« »Im Glanz von Sunnydale«, fügte Angel trocken hinzu. »Wir werden Meter anrufen«, kündigte sie an. »Mit ihrer Macht werden wir alles beherrschen.« Sie wand sich um ihn herum. »Alles, was wir dazu noch brauchen, ist das blutige, noch schlagende Herz der Jägerin und die Asche von Caligula.« Angel blinzelte überrascht. »Ihr habt seine Asche?« »Wir werden eins sein mit der Macht der dunklen Götter.« Sie liebkoste Angels Gesicht. »Ich könnte es nicht ertragen, wenn du mit den anderen auf der Seite des Guten vernichtet würdest.« Sie küsste ihn auf den Mund. »Der Tag ist schon nah, mein schöner Angelus. Es wird Zeit auszuruhen. Denk nach über das, was ich gesagt habe, während du schlummerst.« Sie wendete sich ab und verschwand im Dunkeln. Tief besorgt setzte Angel seinen Weg fort. Im Moor nahe Yorkshire, 1897 Es war eine wunderbare Nacht, um zu töten. Dichter Nebel lag über dem Land, erhob sich und formte Gestalten, die wie Geister dahinglitten. Die einsame Kutsche, die bei diesem stürmischen Wetter auf der Straße war, quietschte und holperte, während der Kutscher auf die Pferde einschlug. Angelus gab seinem Tier die Sporen und galoppierte in einem schwarzen Mantel hinter ihr her. Obwohl er noch den Geschmack warmen, menschlichen Blutes im Mund hatte, verlangte es ihn nach mehr. Er betrachtete den Mond, dessen Strahlen durch den dichten Nebel fielen, als plötzlich ein 228
weißer Schatten vor ihm stand. Er hätte ihn beinahe umgerissen, wenn sein Pferd sich nicht aufgebäumt und ihn aus dem Sattel geworfen hätte. Der Schatten grollte und stürzte sich auf ihn, wild fauchend und nach seinem Halse greifend. Er hielt ihn jedoch mit Leichtigkeit auf, wehrte ihn ab und sorgte dafür, dass er in mindestens drei Meter Entfernung auf dem Boden landete. Zu seiner Überraschung hörte er ein Wimmern, das bald in lautes Lachen überging. Er stand auf und näherte sich dem Wesen vorsichtig. In diesem Augenblick sah er Helen zum ersten Mal. Ihre Augen blickten ihn durchdringend an, als sie ihn fragte: »Oh, bitte, sag mir, gibt es noch immer Vampire auf der Erde?« Er war augenblicklich von ihrer Schönheit überwältigt. Sie war beeindruckend, schwarze Haare, schwarze Augen, in ebenholzfarbenen Taft und scharlachrote Spitze gekleidet, mit Rosen im Haar. »Warum willst du das wissen?«, antwortete er und schaute sie misstrauisch an. »Ich war gefangen.« Sie war vor Aufregung etwas außer Atem. »Ich habe jahrhundertelang kein anderes... Wesen... gesehen, dank meines Gefängniswärters.« Er wartete. »Er begrub mich lebendig hinter dicken Mauern. Jagte jede Nacht und zwang mich, von ihm zu trinken«, fuhr sie fort. »Ich habe mir den Arm gebrochen, bei dem Versuch zu fliehen. Ich habe festgestellt, dass die Steine an einer Stelle locker waren und habe so lange gegraben, bis sie nachgaben.« Ihr rechter Arm hing an der Seite herab, würde sich aber schon bald regenerieren. Mit der linken Hand griff sie nach der seinen. »Bitte, hilf mir. Ich werde dir von ganzem Herzen dankbar sein.« Ihr eiskaltes, böses Herz.
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Buffy saß einen Augenblick auf dem Bett und tat ein paar tiefe Atemzüge. Sie war fertig. Völlig überdreht. Wie oft hatte Cordelia gesagt, dass die Freundschaft mit Buffy einem unterzeichneten Todesurteil glich? Sogar Willow hatte das gesagt. Aber Willow war nicht bei Sinnen, als sie das sagte, erinnerte sich Buffy. In diesem Zustand füllte sie ihre Jagdtasche auf, warf einen sehnsuchtsvollen Blick nach der Dusche und verließ das Haus. Es war immer noch dunkel, aber die Vögel begrüßten schon zwitschernd den herannahenden Tag. »Jägerin«, zischte eine Stimme hinter ihr. Augenblicklich blieb sie stehen. »Jägerin.« Da war es wieder. Sie wirbelte herum, jeder Muskel ihres Körpers war bereit zum Kampf. Aber niemand war zu sehen. Da. Auf der anderen Straßenseite. Ein schwarzer Van mit getönten Scheiben fuhr langsam die Straße hinunter. Buffy rannte mit aller Kraft auf den Van zu. Als er die Geschwindigkeit erhöhte, musste sie aufgeben. Es war reine Zeitverschwendung. Sie starrte auf das fehlende Kennzeichen, suchte nach besonderen Merkmalen. Und fand etwas: Sunnydale Gebrauchtwagenmarkt. Immerhin. Da hatten sie ihn also gekauft. Ein weiterer Wagen fuhr vorüber. Der Fahrer reckte den Kopf aus dem Fenster und beobachtete, wie sie auf der Straße stand. Ein ganz normaler Tag in Sunnydale. Dann sah sie im Schein einer Straßenlaterne, dass die Tür des Vans sich öffnete und das grüne, gummiartige Gesicht eines Dämons ihr zuzwinkerte. Die Geste, die sie zurückgab, war nicht ganz so freundlich. Dann wurde etwas aus dem Wagen herausgeworfen. Es sah aus wie ein menschlicher Körper. 230
»Oh Gott, nein.« Sie rannte. Es kam ihr vor wie die längste Strecke ihres Lebens, obwohl es nicht mehr als vielleicht hundert Meter waren. Das Bündel war ein Mensch. »Willow, nein.« Sie fiel auf die Knie, noch bevor ihr klar wurde, dass es sich um den Körper eines Jungen handelte. »Willow, Willow«, stöhnte sie und drehte den Körper herum. Das zerschundene, graue Gesicht des stadtbekannten Drogendealers starrte sie an. Es war Jordan Smyth.
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14 Als Oz in Cordelias Zelle geworfen wurde, erkannte sie ihn zunächst nicht. Er war schmutzig, mit blauen Flecken übersät und kaum bei Bewusstsein. »Oz!«, schrie sie auf. Er öffnete mühsam die Augen. »He.« Dann schloss er sie wieder. »Oz, mein Gott!« Sie beugte sich über ihn, fürchtete sich jedoch, ihn zu berühren. Dann hob sie den Kopf und schrie in die Dunkelheit hinein: »Was habt ihr mit ihm gemacht?« Oz setzte sich stöhnend auf. »Sie lassen die Hunde mit mir spielen. Wolfskämpfe. War eine ziemlich große Sache im alten Rom.« Cordelia hielt sich die Hand vor den Mund. »Aber das wird doch verheilen, oder? Das geht doch normalerweise sehr schnell.« »Julian sorgt schon dafür«, antwortete er ihr. »Was meinst du damit? Was wird Julian tun?« »Er hat diese ganzen Salben.« Oz streckte seine Hand aus. »Ich hätte fast meine Hand verloren... er hat es in Ordnung gebracht.« »Mein Gott.« Cordelia schaute sich um. »Warum tun sie das? Warum halten sie uns gefangen?« »Wenn ich es richtig verstehe, sind wir in erster Linie Köder. Für Buffy. In zweiter Linie sind wir Opfer für ihre Gottheit. Und drittens sind wir Teil der Show.« Als sie ihn verständnislos anstarrte, erläuterte er: »Wir werden in der Arena gegen Buffy kämpfen.« »Ich nicht.« Cordelia verschränkte die Arme. Oz zögerte. »Sie werden dir etwas geben. Eine Droge. Und du wirst nicht mehr du selbst sein. Nicht mehr wissen, was du tust.« 232
»Wie damals, als ich mit Xander zusammen war.« »Genau.« »Wir müssen hier raus«, drängte Cordelia. »Daran hatte ich auch schon gedacht.« Oz zeigte auf seinen zerschundenen Körper. »Ich habe schon eine ganze Menge unternommen, um hier herauszukommen. Ich glaube, deshalb werfen sie mich den Hunden als Spielzeug vor.« »Dann muss Buffy uns retten.« Sie schnaubte. »Besser früher als später.« »Gute Idee«, bemerkte Oz. Es war sein völliger Ernst. Buffy kam kurz vor Sonnenaufgang in die Bibliothek. Sie hatte einen großen Bogen um verschiedene Gruppen herumstreunender Leute gemacht. An dem Rauch, der zum Himmel aufstieg, konnte man erkennen, dass der Regen mehrere Feuer gelöscht hatte. Es war einfach gewesen, das Schulgelände zu betreten, und sie musste an Brian Dellasandro und seinen kürzlichen Ausflug denken. Vermutlich sein letzter Ausflug überhaupt. Aber ihre Vorstellungskraft reichte nicht aus, um zu überlegen, was mit ihm nach einer solchen Tat geschehen würde. Sie ging leise vorwärts. Durch die Fenster der Bibliothekstür sah sie Giles und Xander nebeneinander am Tisch sitzen. Um sie herum stapelten sich eine Menge Bücher. Während Giles telefonierte, konzentrierte sich Xander auf den Bildschirm des Computers. Buffy stieß die Tür auf. Die beiden schauten gleichzeitig auf. Und lächelten. »Hast du Donuts mitgebracht?«, fragte Xander. Buffy wurde plötzlich bewusst, dass sie etwas hätte essen sollen. Ihr Magen knurrte fürchterlich. Eine hungrige Jägerin war nicht nur schlecht gelaunt, sie war auch langsam. Und Buffy konnte es sich nicht leisten, langsam zu sein. 233
Aber so war sie nun mal, sie hatte an alles andere gedacht, nur nicht ans Essen. »Nein«, erwiderte sie. »Das macht überhaupt nichts, ich habe nämlich welche mitgebracht. Ich bin sozusagen der Donut-Boy«, bemerkte Xander grinsend und holte eine große rosafarbene Schachtel hinter einem Berg staubiger Bücher hervor. Mit großer Geste öffnete er die Schachtel und enthüllte mindestens zwei Dutzend Donuts. »Giles mag es, wenn sie bestreut sind, wusstest du das?«, fragte er. »Er hat schon zwei gegessen.« Buffy entschied sich für einen Donut mit Ahornsirup und biss hungrig hinein. »Tee?«, fragte Giles. Etwas Warmes war bestimmt nicht verkehrt. »Sicher, das wäre toll.« »Oder vielleicht einen italienischen Kaffe?«, fragte Xander charmant und hielt einen ebenso bekannten wie beliebten Papierbecher mit dampfendem Espresso hoch. »Oh, Xander, lass uns heiraten und Kinder haben«, witzelte Buffy und streckte die Hand nach dem Becher aus. »Du bist wie ein Fass ohne Boden, voller Wünsche und Bedürfnisse«, gab er scherzhaft zurück und hielt dabei ein rosafarbenes Päckchen hoch. »Süßstoff?« »Nein. Ich nehme ihn so.« Sie trank durch den kleinen Schlitz im Deckel und schloss die Augen. Eine warme Welle durchfuhr sie, und sie dankte dem Entdecker des Koffeins, wer immer es auch gewesen sein mochte. »Ein Dämon hat Jordan Smyth aus einem dieser schwarzen Vans geworfen«, berichtete sie und nahm damit das Tagesgeschäft wieder auf. »Ziemlich tot.« »Das traurige Ende eines traurigen Lebens«, bemerkte Giles. »Sie haben den Wagen im Gebrauchtwagencenter von Sunnydale gekauft. Kein Kennzeichen.«
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»Das ist etwas, aber nicht viel«, sagte Giles. »Was hast du mit der Leiche gemacht?« Sie zuckte die Schultern. »Ich habe sie dort gelassen. Die Sonne ging schon fast auf. Ich wollte nicht damit geschnappt werden. Du weißt ja, ich habe sowieso keinen guten Ruf.« Sie legten für Jordan eine Schweigeminute ein, so als wollten sie ihm zum Abschied den Respekt zollen, den er in seinem Leben gesucht, aber nicht gefunden hatte. Dann setzte Giles das Gespräch fort. »Also, was hat dir Angel gegeben?« »Nur die Informationen, bitte«, sagte Xander hastig. »Alles andere interessiert mich nicht.« »Was anderes gibt es auch nicht. Es darf nichts anderes geben zwischen uns. Nichts. Okay?« Buffy verzog unwirsch das Gesicht, obwohl ihr klar war, dass sie gleichzeitig knallrot anlief. Sie wendete sich an Giles. »Was hast du noch mal gefragt?« »Was hat Angel dir über Helen erzählt?« Buffy nickte. »Ich weiß jetzt ein bisschen mehr. Nicht alles. Er musste gehen, wegen der Sonne.« »Manche Typen haben die blödesten Ausreden«, sagte Xander. Buffy ignorierte ihn. »Da war dieser Vampir. Julian.« »Ja, ich habe von ihm gehört, natürlich. Er war Helens heimlicher Geliebter.« »Oh.« Buffy nippte an ihrem Kaffee und kaute nachdenklich an ihrem Donut. »Heimlicher Geliebter. So weit sind wir noch nicht gekommen.« Sie schluckte und nahm einen weiteren Bissen. »Ich habe nur erfahren, dass die römischen Soldaten sie anstelle der Jägerin gefangen genommen hatten, Dianas Wächter aber den Schwindel gestand. Eine Enttäuschung der Mann.« 235
»Helen war an Dianas Stelle?«, fragte Xander. Buffy nahm sich einen zweiten Donut und betrachtete ihn misstrauisch. Dann legte sie ihn zurück. »Vielleicht ist es ja der ganze Zucker, der die Bevölkerung von Sunnydale verrückt macht? Willows Mutter hat einen Artikel darüber geschrieben. Ein Typ in San Francisco hat sogar versucht, einer Verurteilung wegen Mordes zu entgehen, indem er sagte, der Zucker habe ihn verrückt gemacht.« »Man nannte es die Raffinierte Verteidigung«, bestätigte Xander. »Glaubt mir, ich habe es selbst gelesen.« »Und ich bin beeindruckt«, gab Buffy zu. Sie fuhr fort. »Der Wächter erzählte also den Soldaten, Helen sei Diana, und sie glaubten ihm. Ich denke, Helen muss darüber ziemlich wütend gewesen sein.« »Autsch«, machte Xander. »Wenn du je so etwas machen solltest, Giles, kaufe ich nie wieder Donuts mit Zuckerguss für dich.« »Es ist schwer zu glauben, dass Diana einem solchen Plan zugestimmt hätte«, bemerkte Giles nachdenklich. »Jemand anderen an ihrer Stelle auszuliefern?« »Vielleicht wusste sie nichts davon«, sagte Buffy. »Wir kennen ihre Version der Geschichte nicht, oder?« Sie stutzte, schaute hinüber zu dem Bücherstapel. »Keine Aufzeichnungen? Tagebücher vielleicht?« »Wir haben zum Vatikan gefaxt«, sagte Xander wichtig. »Wow.« Buffy war schon wieder beeindruckt. »Nicht genau an den Vatikan, aber an jemanden, der... in Rom arbeitet«, gab Giles zu. »Ein verdeckt ermittelnder Wächterspion?«, fragte Buffy, noch mehr beeindruckt. »Nein«, erwiderte Giles hastig und schob seine Brille nach oben. »Nun ja, etwas in der Art.«
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»Das wäre was für mich«, sagte Xander. »Ihr glaubt gar nicht, wie cool ich in meinem Wächtertrenchcoat aussehe, mit Federhut.« Buffy nickte Giles zu. »Dieser italienische Nicht-Spion, was hat der gesagt?« Sie wusste, dass Giles es genießen würde, diese Frage zu beantworten. Und sie wartete gespannt darauf, auch noch, als er sich auf einer Ecke des Studiertisches niederließ und die Arme verschränkte. »Also, zu seiner Zeit war der römische Kaiser Caligula völlig verdorben. Total wahnsinnig... er war so grausam, dass seine Regentschaft nur vier Jahre dauerte, bis er ermordet wurde. Aber in dieser Zeit beging er mehr Morde, als jeder andere Herrscher – vor ihm oder nach ihm.« »Oder seitdem«, fügte Xander hinzu. »Da Rom nicht mehr von Kaisern beherrscht wird«, sagte Giles müde, »unterschätzen wir vielleicht ihren Einfluss auf die Gegenwart.« »Oder auch nicht«, sagte Buffy. Sie zog die Urne aus ihrer Tasche. »Dieses Ding hier wurde aus der Kunstgalerie gestohlen.« Giles verstummte. Dann sagte er mit gebrochener Stimme: »Die Urne Caligulas. Ich wusste nicht, dass sie tatsächlich existiert.« Buffy schaute zu Xander hinüber. Ihr war klar, dass Giles, ungeachtet der Dringlichkeit ihrer Situation, weiterreden würde. Auf der Suche nach der Wahrheit, versteht sich. Xander begann mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln. Sie machte ihm ein Zeichen. Er grinste und faltete die Hände, ohne zu bemerken, dass er Giles imitierte, den er erwartungsvoll anschaute. »Das ist wirklich bemerkenswert«, fuhr Giles fort. Während er das Gefäß an sich nahm, tastete er über verschiedene Buchrücken. Dann zog er einen schweren Wälzer heraus und 237
begann, darin zu blättern. »Man sagt, dass Caligula selbst ein niederer Dämon gewesen sei. Man erzählt auch, dass er die Unsterblichkeit erlangte, ohne dabei selbst zum Vampir zu werden. Er war der Begründer des Meterkults. Die Göttin Meter war die Mutter der Dunkelheit und Caligula erklärte sich zu ihrem Sohn. Um ihr immer wieder neue Opfer darreichen zu können, führte er Gladiatorenspiele ein, bei denen unvorstellbar viele Menschen zu Tode kamen. Es gab Massenhinrichtungen – Christen wurden den Löwen vorgeworfen, und so weiter.« »Und da regen sich die Leute über Gewalt im Fernsehen auf«, witzelte Xander. »Was ist in der Urne?«, wollte Buffy wissen. »Wenn die Legende stimmt, dann befindet sich darin Caligulas Asche.« Er legte seine Hand auf den Verschluss. »Er wurde ermordet und sein Leichnam verbrannt. Die Geschichte sagt weiterhin, dass während des Vollmondes der Göttin Meter diejenigen an die Macht kommen, die wissen, wie man sie zum Leben erweckt. Aber diese Nacht ereignet sich nur ein Mal alle sechshundertsechsundsechzig Jahre.« »Wir könnten also die Göttin zum Leben erwecken«, schlussfolgerte Buffy. »Wir haben schließlich den Hauptgewinn.« »Vielleicht«, sagte Giles bedächtig. »Aber wir müssen noch ein paar Nachforschungen anstellen. Es ist gefährlich, diese dämonischen Kräfte einzusetzen.« Buffy seufzte. »Wir brauchen Willow.« »Wir brauchen Willow«, wiederholte Giles und wendete sich ab. »Währenddessen...«, begann er und legte seinen Fuß auf einer Stuhllehne ab. Dabei fiel die Urne um. Augenblicklich stieg Rauch auf. Giles zog den Kopf zurück und ging im Halbkreis um Buffy herum. 238
Sie schaute ihm in die Augen und beobachtete, wie sein Gesicht einen dämonischen Ausdruck annahm. »Du kleine...«, zischte Giles. »Tag und Nacht passe ich auf dich auf. Ich habe kein eigenes Leben mehr. Mein Freund ist gestorben, und ich konnte noch nicht einmal hinfahren.« »Xander«, sagte Buffy ängstlich, und beobachtete Giles, wie man einen tollwütigen Hund im Auge behält. »Nicht einatmen.« »Ich bekomme nie Unterstützung von dir«, sagte Xander hinter ihr. »Du lässt es zu, dass sie mich aus dem Unterricht werfen. Du hast nicht verhindert, dass sie Cordy schnappen und jetzt Willow.« Sie umkreisten sie beide. Uh. Oh. »Jungs?«, sagte sie besorgt. »Denkt darüber nach. Das seid nicht ihr.« »Wir wären alle besser dran, wenn du nie hierher gekommen wärst.« Xander ballte seine Fäuste. Buffy zuckte zurück. »Xander, beruhige dich, ich möchte dich nicht verletzen.« »Jeder, der in deiner Nähe ist, stirbt.« »Nein«, sagte sie und blinzelte. Als Xander sich auf sie stürzen wollte, packte sie die Urne und sah, dass der Deckel verrutscht war. Hastig setzte sie ihn wieder an die richtige Stelle und verschloss das Gefäß. Dann wehrte sie Xanders Schlag ab. »Hör auf damit!«, rief sie. Als er erneut zum Schlag ausholte, versetzte sie ihm einen leichten Hieb in die Magengegend. Nicht hart genug, um ihn zu verletzen, aber kräftig genug, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er fiel gegen einen Stuhl und schlug mit dem Kopf auf die Tischkante. Blut quoll aus der Wunde. Dann traf ihre Faust Giles’ Kiefer.
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»Buffy«, murmelte Giles, taumelte und hielt sich die Hand vor dem Mund. »Was...«, er zeigte auf die Urne. »Wir haben es nur eingeatmet.« »Und was ist mit mir?«, fragte sie, während sie sich über Xander beugte. »Ich habe es doch auch eingeatmet.« »Was... was...« Xander war verwirrt, aber bei Bewusstsein. »Vielleicht bist du als Jägerin immun dagegen.« Giles räusperte sich. »Es tut mir wirklich aufrichtig Leid, Buffy. Du weißt, dass ich keinen Augenblick so denke.« Er blickte zu Xander hinab. »Ich hole den Erste-HilfeKasten«, sagte er und verschwand in seinem Büro. Xander blutete ziemlich übel. Noch ein Grund mehr für Schuldgefühle. Oh, komm schon, Summers, zieh dir nicht den ganzen Mist rein, versuchte sie sich aufzumuntern – mit wenig Erfolg. »Hier.« Giles brachte die klassische weiße Plastik-Box mit und eine Teetasse mit Wasser. Beides stellte er ab und kniete sich neben sie und Xander. Dann machte er ein Papiertuch nass und betupfte damit Xanders Wunde. »Aauuutsch!«, stöhnte Xander. »Was ist passiert?« Giles dippte das Papier erneut ins Wasser. Es gab ein hörbares Zischen. Buffy und Giles schauten einander an. Im Wasser schwamm ein Bluttropfen, in dessen Zentrum ein kleiner schwarzer Kreis zu sehen war. Giles sagte: »Hier«, und drückte Xander gedankenverloren in Buffys Arme. Dann betrachtete er die Tasse eingehend unter der Schreibtischlampe. »Das ist faszinierend.« »Und was bedeutet es?«, fragte Buffy. Giles lief zurück in sein Büro und kam wieder mit einer zweiten Tasse voll Wasser und einem kleinen, scharfen Messer. In der schummrigen Beleuchtung der Bibliothek schimmerte das Metall bedrohlich.
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Buffy beobachtete, wie Giles sich in den Finger schnitt und das Blut in die Tasse tropfen ließ. Sie beugten sich beide nach vorne, Buffy hielt Xander noch immer fest. Sobald die Blutstropfen das Wasser berührten, zischten sie. Im Zentrum jedes Blutstropfens bildete sich ein schwarzer Punkt. Giles nickte. »Das heißt, dass ich möglicherweise immer noch infiziert bin.« Buffy hielt ihm ihren Finger hin. Giles gab ihr das Messer. »Ich hole schnell die Tasse, die ich für Gäste immer bereithalte.« Während er in seinem Büro rumorte, stöhnte Xander und kuschelte sich an Buffy. Er murmelte etwas Unverständliches. »Xand?«, flüsterte sie. »Bist du wach?« »Ich hoffe es zumindest«, flüsterte er zurück und öffnete die Augen. Sie grinste ihn vorwurfsvoll an und gab ihm einen Stoß. »Idiot.« »Gut. Das hätten wir also«, verkündete Giles, als er zurück ins Zimmer kam. Er lächelte Xander an. »Schön, dich wieder wach und wohlauf zu sehen.« »Oh ja, ich bin wach«, sagte Xander sanft. »Mann, bin ich wach.« »Hier.« Giles gab Buffy eine geklebte Chinatasse, die mindestens an drei Stellen gebrochen war. Sogar der Griff war angeklebt. »Wenn das für die Gäste ist, dann möchte ich nicht wissen, was unangemeldeter Besuch bekommt.« Giles wurde rot. »Sie, äh, ist mir heruntergefallen.« Sie haben sie auf den Boden geworfen, wollte sie ihn korrigieren. Aber warum in alten Wunden bohren? Wo wir gerade von offenen Wunden sprechen... Sie schnitt sich mit einer kleinen, schwungvollen Bewegung in den Finger. 241
»Autsch«, sagte Xander. »Werden wir jetzt Blutsbrüder?« Buffy hielt ihren Finger über die Teetasse. Giles schaute zu, wie sie versuchte drei, vier, fünf Tropfen herauszupressen. Das Blut zischte erneut, als es in die Tasse fiel. Giles und Buffy starrten auf das Wasser. Die Punkte formten sich. »Also habe ich es auch«, sagte Buffy und hockte sich auf die Fersen. »Was?«, fragte Xander. »Die Pest?« »Vielleicht überträgst du es nur«, vermutete Giles. »Gut, denn es wäre ziemlich übel, eine Jägerin auf Psycho zu haben«, sagte Buffy. »Bitte, bitte, sagt mir doch, was hier los ist«, bat Xander, »und lasst am Besten die miserablen Neuigkeiten gleich weg.« Buffy dachte einen Augenblick nach. Dann sagte sie: »Du wirst es überleben, denke ich.« Als das Telefon klingelte, stand Giles auf, um es zu holen. »Angel«, sagte er. »Was gibt’s?« Das Moor von Yorkshire, 1897 Helens Lachen rollte durch die private Suite im Raven Inn. Sie warf den Kopf zurück, während Angelus ihren Arm nahm, ihn mit dem seinen verschränkte und sie Becher voll mit frischem, warmem Blut tranken. Helen räkelte sich auf einer Chaiselongue, einer, wie sie sie im alten Rom besessen hatte, und Angelus lag an ihrer Seite neben dem Kamin. Sie trugen Abendgarderobe, um Helens Mord zu feiern. Denn der Tod einer Jägerin war ein besonderes Ereignis. »Auf Grace«, sagte Angelus. »Auf Grace.« Sie stieß mit ihrem Glas an das seine und trank. »Ah. Jung. Lebendig. Das Blut einer Jägerin ist das Beste.« Seine Augen glühten, als er sie über den Rand des Glases hinweg betrachtete. 242
»Es war ein gemeiner Mord.« »Nicht mein gemeinster, allerdings.« Sie legte sich zurück. »Sag mir ehrlich, hast du wirklich nie etwas von mir gehört?« »Ich bin ein junger Vampir«, erwiderte er. »Erst hundertfünfzig Jahre alt. Ich muss noch so viel lernen.« Er küsste sie fordernd. »Bleib heute Nacht bei mir. Die ganze Nacht.« Sie ließ den Kopf erneut zurückfallen, während er ihren Hals mit Küssen bedeckte und seine Lippen zu ihren Schultern hinabglitten. »Mein Wärter ist jetzt auf der Jagd. Aber wenn ich bei seiner Rückkehr nicht da bin...« »Wir werden ihn umbringen«, sagte Angelus. »Dann fliehen wir und jagen in ganz Europa.« Sie atmete schwer, als die Leidenschaft sie übermannte. »Wir brauchen einen Plan.« Giles’ Wagen gab den Geist auf, als sie ungefähr eine halbe Meile von der Kreuzung der Boundary Street entfernt waren. Es war die Stelle, wo Ms. Gibsons geliebtes Haustier tot aufgefunden worden war. Mark drängte Willow, ihm dabei zu helfen, das Auto von der Straße zu schieben. Willow redete sich ein, es sei ein lausiges Versteck und irgendjemand müsse das Auto sofort finden, aber nachdem Mark ein paar Zweige auf die Haube gelegt hatte, war der Wagen nicht mehr zu erkennen. Im rosafarbenen Schein des Morgenlichtes drängte Mark Willow vor sich her und schob sie auf Ms. Gibsons Haus zu. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte Willow. »Es kann sein, dass da, uhm, schlechte Menschen sind.« »Drogenhändler«, sagte Mark. »Ich habe eine Pistole, ich weiß, wie man sie benutzt.« Willow sträubten sich die Nackenhaare. »Mark, bitte, versteh das jetzt nicht falsch, aber du bist noch ein Kind. Und ich bin, 243
okay, vielleicht ein bisschen älter als du, aber ganz bestimmt kein gleichwertiges Gegenüber für das, was wir dort finden werden.« Sie schaute zum Himmel. Die Sonne war gerade aufgegangen, aber das bedeutete nichts. Auch Angel konnte sich am Tag frei in seiner Unterkunft bewegen, sofern er das Sonnenlicht mied. Also konnten andere Vampire in anderen Häusern das auch. In diesem Haus – zum Beispiel. »Ich blase sie weg.« »Mark, im richtigen Leben gewinnen nicht immer die Guten«, lenkte sie freundlich ein. »Manchmal werden sie auch getötet.« Für einen Moment war er unschlüssig. Sie sah seine Unsicherheit und verkreuzte die Finger hinter ihrem Rücken. »Also lass uns zurückgehen und Giles und Xander holen«, schlug sie hoffnungsvoll vor. »Wir verstecken dich. Wir bringen dich in Sicherheit.« Es war das Dümmste, was sie sagen konnte. Sein Gesicht wurde hart. Er deutete ihr wortlos an, weiterzugehen. Sie liefen zur hinteren Seite des Hauses. Jemand wird uns doch sehen, dachte Willow voller Zuversicht. Aber es gab nur sehr wenige Gebäude in diesem Teil der Stadt. Sunnydale Estates war ein ausgeträumter Traum. Wie so vieles in Sunnydale. Mark versuchte es an der Hintertür. Willow war überzeugt, sie würde verschlossen sein, aber sie gab seinem Rütteln nach. Mark wirkte ebenso überrascht wie sie. Er murmelte: »Ich möchte dich nicht vorschicken, aber du könntest abhauen.« »Was willst du von mir?«, flüsterte sie. »Ich will nicht, dass du ihnen sagst, wo ich bin.« Sie nickte nur und warf einen Blick in das Haus.
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Es stank nach verfaultem Müll. Der Geruch war so penetrant, dass sie ihn fast schon schmecken konnte. Sie zuckte zurück, stolperte und stieß aus Versehen gegen Marks Pistole. Als das Metall sich gegen ihren Rücken drückte, schrie sie beinahe auf. In letzter Sekunde gelang es ihr, sich zusammenzureißen. »Mach keinen Blödsinn«, murmelte er. »Okay?« »Okay, okay.« Willow hörte, wie ihre Stimme hysterischer wurde. Irgendwas Totes ist hier drin und niemand weiß, wo wir sind. Nicht einmal Buffy. Sie dachte an ihre Freundin und musste einsehen, wie ungerecht sie gewesen war. Buffy war die Auserwählte, aber sie konnte nicht in die Zukunft sehen. Okay, es gab Träume und Vorahnungen, aber ohne Zusammenhang. Buffy hatte wirklich ganz Sunnydale nach Oz und Cordy abgesucht. Und wenn sie und Angel sich manchmal verstohlen küssten, nachdem sie sich das Herz aus dem Leib gerannt hatte, dann war das auch in Ordnung. Immerhin war das alles, was sie miteinander teilen konnten. Zwischen ihr und Oz würde es eines Tages mehr geben, das wusste sie. Außer natürlich, wenn er seine Werwolfstage hatte. Oder Mark vorher ausrastet und mich umbringt. Oder Oz schon längst... Willow unterdrückte einen Seufzer. »Tot«, sagte Mark, während er aus der Küche durch einen Torbogen ins Wohnzimmer hinüberging. Willow sprang auf. »Was?« »Da liegt eine tote Ratte rechts von uns«, warnte Mark sie. »Schau nicht hin.« Abgesehen von der Tatsache, dass er eine geladene Pistole auf ihren Rücken richtete, schien er rührend besorgt um sie zu sein. »Danke.« »Jemand hat hier gewohnt«, sagte er. 245
Willow vermied vorsichtig die Stelle, wo sich die Ratte befinden musste. Ungefähr anderthalb Meter vor ihnen lag eine Matratze mit unvorstellbar schmutzigen Laken. Eine ungeöffnete Dose mit Wurst und ein Leib Weißbrot. Alles lag oben auf einer Pappschachtel mit einem Stapel Zeitschriften. Mark nahm ein paar der Zeitschriften in die Hand. »Jordan hat diesen Mist gelesen«, sagte er und warf sie voller Abscheu zurück. »Der war’s, Jordan Smyth.« »Der war’s«, wiederholte Willow. »Du meinst, er wohnte hier?« »Er hat es meinem Bruder verkauft.« Er nahm die Dose in die Hand, untersuchte sie und setzte sie wieder ab. »Die Droge.« Willow starrte ihn fragend an. »Die Droge, die ihn dazu gebracht hat«, schloss er. Willow schnauzte ihn an. »Eine Droge hat ihn dazu gebracht, Amok zu laufen? Und du hast das alles gewusst? Warum hast du nichts davon gesagt?« Marks Gesicht lief rot an. »Weil ich mir nicht sicher war.« Und er war sich immer noch nicht sicher. Wie jeder, der von einer Tragödie berührt oder aus der Bahn geworfen wurde, suchte Mark nach einer Erklärung. »War es PCP?«, fragte sie ihn. »Angel Dust?« Er seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung von Drogen. Ich habe auf ihn eingeredet, dass er damit aufhören soll. Ich... ich...« »Es ist schon okay.« Willow schluckte. Dieses Kind war kurz davor, zusammenzubrechen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie das verhindern konnte. Und nur eine sehr ungefähre Vorstellung von dem, was sie nicht tun durfte, um es zu forcieren. Willow machte einen Schritt vorwärts. Ihr Schuh berührte etwas kleines und hartes. Ohne ihren Kopf zu bewegen, stieß sie es mit dem Fuß an und blickte unauffällig nach unten. 246
Es war ein Handy. Sie hielt die Luft an und versuchte so gut es ging, das Handy hinter ihrem Fuß zu verbergen. Es war früher Morgen und Helen schlief. Sie schlief unruhig. Hunderte von Jahren schlief sie schon nicht mehr gut. Ebenso wie Julian. Er erinnerte sich daran, wie verzweifelt sie gewesen war. Rom im Jahre 40 Ein halbes Jahr war vergangen, seitdem man Helen gefangen und den Wächter getötet hatte. Im Land herrschte Aufruhr. Die Dämonen und Ungeheuer, die Caligulas teuflischem Hofstaat angehörten, suchten das ganze Land ab, wendeten alle Arten schwarzer Magie an und befreiten selbst die erbärmlichsten Kreaturen, die in der Erdkruste hausten, um sie zur Jagd auf die Jägerin zu versammeln. Das ganze Imperium geriet außer Kontrolle. Väter ermordeten ihre Töchter, Söhne trieben ihre Mütter in den Selbstmord. Fremde schlossen sich zu wilden, vagabundierenden Truppen zusammen und überwältigten unschuldige Menschen, die ihnen nichts getan hatten. Sie brannten alles nieder und schlitzten die Kehle von jedem auf, der sich ihnen entgegenstellte – Männer, Frauen und Kinder. Der Bestand an Lebenden sank rapide und die Leichen faulten vor sich hin. Caligula wurde immer wahnsinniger. Er ordnete Massenhinrichtungen auf großer Bühne an und brachte die Jungfrauen aus dem Vestalinnentempel in die Arena – eine Tat, die ganz Rom schockierte.
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Die Jungfrauen waren Priesterschülerinnen im Tempel und als solche heilig. Sie waren keine Gefangenen oder Sklaven, die man opfern durfte. Caligula baute Meter einen Tempel und wies Priester an, Tag und Nacht ihrem Abbild zu huldigen. Caligulas plötzliche Ergebenheit ihr gegenüber machte Julian misstrauisch. Es schien ihm, als suche der Kaiser nach einem anderen Weg, die Unsterblichkeit zu erlangen – unabhängig von ihm. Inzwischen wurde Helen, die Freundin der Jägerin, von schierer Verzweiflung erfasst. Ihre geliebte Freundin aus Kindertagen konnte nirgends gefunden werden, und sie hatte auch keinen Versuch unternommen, Helen zu retten. Caligula war überzeugt davon, dass die Jägerin tot sei. Das erfüllte ihn mit ohnmächtiger Wut, machte ihn brutaler als je zuvor. Julian wusste es besser. Er kannte Berichte von ihren Aktivitäten. Sie hatte auf dem Land Vampire getötet. Es waren die Wildesten, die sich weit hinaus wagten, getrieben von ihrer Blutgier und ihrer Mordlust. Am Anfang besuchte Julian Helen ein oder zwei Mal im Monat, denn er genoss den Schmerz und die Panik, die sein Anblick bei ihr auslöste. Dann, als sie sich an ihn zu gewöhnen begann, blieb er manchmal etwas länger. Für eine Frau der damaligen Zeit war sie sehr gebildet. Was man römischen Frauen damals im Allgemeinen beibrachte, beschränkte sich in der Regel auf das Anfertigen von Kleidung und das Organisieren des Haushalts. Helen jedoch wusste mehr von der Welt und hatte eine eigene Meinung. Also saß er manchen Abend bei ihr und trank mit ihr zusammen ein Glas Wein. Am Anfang lehnte sie ab, da sie glaubte, dass er sie vergiften wollte, aber mit der Zeit bestand sie darauf zu behaupten, dass es ihr gleichgültig sei, ob sie lebe oder sterbe. Deshalb begann er, sie zu verhöhnen. Schließlich lag sie in seinen Armen. Aber vielleicht wollte er sie doch lieber weinen sehen. 248
Am Anfang war es so einfach gewesen. »Man hat sie gesehen, deine Diana«, sagte er, während er es sich bequem machte. »Sie versuchte, eine dieser streunenden Gruppen davon abzuhalten, ein Dorf zu zerstören. Sie hat einige meiner besten Leute getötet.« »Sie ist eine Göttin«, fauchte Helen ihn an, aber es klang nicht mehr überzeugend. »Warum taucht sie dann nicht auf und rettet dich?« Er beobachtete sie über den Rand seines Glases hinweg. Er konnte sehen, dass er ihr Feuer entfacht hatte und er goss Öl hinein. »Wenn du ihre beste Freundin bist, warum wendet sie sich von dir ab?« Helen hob den Kopf, aber ihr Ausdruck sprach von großem Schmerz. Auch sie stellte sich immer wieder die gleichen Fragen. »Sie weiß ja noch nicht einmal, dass ich hier bin.« »Das weiß sie sehr wohl. Wir haben dafür gesorgt, dass sie es weiß. Es wurde im ganzen Imperium verkündet. Selbst in England kennt man deinen Namen.« Sie wendete sich von ihm ab, niedergeschlagen und voll des Jammers. Das Feuer war verbraucht. Aber morgen Nacht würde er es wieder entfachen. Bevor er sie verließ, betrachtete Julian sie im Schein der Fackel. Selbst in der schrecklichen Verfassung, in der er sie vorfand, war sie unbeschreiblich schön. Sie starrte ihn an. Er begehrte sie. Und er schwor, er würde sie besitzen. Jetzt, hier in Sunnydale, wo er seinen Armen dalag, schaute er sehr ineinander gekrallt, dass herausquoll. Ihr Wahnsinn war
mit der schlafenden Helen in auf ihre Hände. Sie waren so Blut aus ihrem Handinnern stärker geworden, genau wie
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seine Liebe zu ihr. Aber er wusste, dass ihre Sinne getrübt waren – für immer. Julian traute ihr alles zu, auch, dass sie ihn töten würde. Er wollte nicht daran denken, aber es ging nicht anders. Julian dachte zuallererst an sein Leben – und dann an seine Liebe. Er ließ seinen Geist zu dieser auserlesenen Schönheit wandern: Cordelia. Ein wunderbarer Name. Und ein ausgezeichneter Kampfgeist. Es wäre viel zu schade, sie in der Arena sterben zu lassen. Doch der Hofstaat war ruhelos. Sie genossen die Verwüstungen und den Aufruhr in Sunnydale, aber sie wollten an der Zerstörung dieser Stadt beteiligt sein. Sie wollten dabei sein. Immerhin hatte Nero auch musiziert, während Rom brannte. Und Nero war einer von ihnen gewesen. Er schaute hinab auf die schlafende Helen und fragte sich, was sie wohl träumen mochte. Plötzlich flüsterte sie: »Angelus.« Buffy wehrte ein Ungeheuer ab, das mit roten Flecken übersät war und gespaltene Hufe besaß. Sie landete trotz ihrer leichten Sandalen einen gezielten und wirkungsvollen Fußtritt auf seiner Brust. Während sie ihren Dreizack an seinen Hals hielt, hob sie ihren Kopf. Die Menge schrie: »Schneid ihm die Kehle durch!« Sie trieb den Dreizack durch seinen Hals. Das Ungeheuer stöhnte und flüsterte: »Buffy.« Voller Panik musste sie zuschauen, wie das Ungeheuer sich vor ihren Augen in Angel verwandelte. Die Menge verlangte seinen Tod. Und bevor sie noch wusste, wie ihr geschah, hatte sie den Dreizack umgedreht und stieß den hölzernen Griff durch seine Brust. Augenblicklich wurde er zu Staub. 250
Buffy setzte sich auf und schrie: »Nein!« »He, Buffy, alles in Ordnung? Du hast geträumt«, sagte Xander. Unter ihrem Kopf war ein Kissen und jemand hatte eine Decke über sie gebreitet. Sie schob ihr Haar zurück und fragte: »Wie spät ist es?« »Genau halb vier«, antwortete Xander. »Giles hat das Schild »Kammerjäger im Einsatz« nach draußen gehängt. Du weißt schon, das wir vor ein paar Jahren im Bronze gestohlen haben, um lästige Ordnungshüter aus diesem mit Steuergeldern finanzierten Heiligtum fern zu halten.« »Ihr hättet mich wecken sollen.« Sie gähnte und stand auf. »Aber es hat mir echt gut getan. Danke.« Xander deutete mit dem Kopf auf einen riesigen Stapel Bücher. »Inzwischen haben Giles und ich versucht, etwas mit den Informationen von Angel anzufangen.« »Und?« Er zeigte ihr ein altes, in Leder gebundenes Buch, Der Kult der Meter und die orphischen Mysterien: Eine vergleichende Analyse. »Glück gehabt?« Sie zog die Worte in die Länge. »Habt ihr etwas gefunden?« »Noch nicht. Ich hänge immer noch knietief in den Fußnoten fest.« Er schaute sie an. »Du hast im Schlaf gestöhnt.« »Ich habe geträumt«, erzählte sie. »Ich war eine Gladiatorin und kämpfte in der Arena. Ich habe einen Dämonen getötet.« Sie zögerte. »Er hatte Angels Gesicht.« Xander hob die Hände. »Ich will ja keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber nach Angels Bericht hat man aus Helen eine Gladiatorin gemacht, weil es Caligula Leid wurde, auf Dianas Befreiungsversuch zu warten. Helen wurde in den Wettkampf geschickt und musste gegen ein Menge von gefährlichen Ungeheuern kämpfen. Tag für Tag. Oder besser Nacht für Nacht.«
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»Bis sie zu einer richtigen Killermaschine geworden war«, schlussfolgerte Buffy sofort. »So in der Art, ja«, verkündete Giles, schob dabei seine Brille hoch und verließ hastig sein Büro. »Wir haben gerade ein Fax bekommen.« »Aus Rom?«, fragte Xander. »Ja«, fuhr Giles fort und räusperte sich. »Er glaubt, wir haben es hier mit einer psychoaktiven Droge zu tun, die auf das Gehirn wirkt.« Er schaute die beiden triumphierend an. »Und wie heißt diese Droge?« »Nun, das weiß er nicht genau«, gab Giles zu. »Er glaubt auch, dass der dämonische Geist Caligulas frei wird, wenn man die Urne öffnet, und dass man nur die entsprechenden Rituale mit ihr durchführen muss, um Meter zum Leben zu erwecken. Es geht also um die Urne.« »Werden die bösen Jungs wissen, dass die Urne geöffnet wurde?« Giles runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Helen hat Angel den ganzen Plan enthüllt...« »Helen?«, fragte Buffy unsicher. Sie wusste nicht, dass Angel mit ihr gesprochen hatte. »Sie hat ihn vor Sonnenaufgang besucht.« Bei mir in der Nähe, dachte Buffy. Sie war möglicherweise sogar in dem Van, als sie Jordan Smyths Leiche auf die Straße geworfen haben. »Weil es mir gerade einfällt, wir brauchen die Informationen, bevor die Sonne untergeht«, fasste Buffy zusammen. »Denn alles deutet darauf hin, dass heute Nacht die große Party steigen wird.« Giles seufzte und lächelte grimmig. »Zwei Punkte für die Jägerin.« »Verdammt, wir brauchen Willow«, murmelte Xander. Schon wieder läutete das Telefon.
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15 Willows Herz klopfte, als sie die Hörertaste auf dem Handy drückte. Sie versuchte den Piepton mit einem Hüsteln zu überdecken. Es war ihr gelungen, sich zu bücken und das Handy aufzuheben, während Mark die staubigen Vorhänge zurückgezogen und durch das schmutzige Wohnzimmerfenster nach draußen geschaut hatte. Ihm war nichts aufgefallen. Willow hatte keine Ahnung, ob der Plan mit dem Telefon zu etwas führen würde. Und wie lange die Batterie noch durchhielt. Dennoch versteckte sie das Teil in einer Seitentasche ihre Overalls und hoffte, dass die Verbindung zur Bibliothek wenigstens hergestellt worden war. Sie fing einfach an zu reden. »He, Mark«, sagte sie laut, »bleiben wir noch lange hier? Sie sagen, Ms. Gibson würde in ihrem Haus spuken. Ich habe keine Lust herauszufinden, ob das stimmt. Was ist mit dir?« Er schaute sie skeptisch an. »Deine Freunde waren so sicher, dass die ›Vampire‹ hierher kommen würden.« »Es ist jetzt Tag«, wendete sie hoffnungsvoll ein. »Vampire können tagsüber nicht einfach rumlaufen.« »Aha.« Er schnitt eine Grimasse. »Das hast du aus dem Fernsehen.« »Nein, es stimmt.« Sie zuckte die Schultern und fragte sich, warum sie mit ihm herumstritt. Vielleicht war es gut, wenn sie hier blieben. Wenn Giles sie hören konnte, würde bald Hilfe kommen. Giles schaute Buffy an. »Willow ist mit Mark zusammen in Ms. Gibsons Haus. Ich wurde unterbrochen, sehr abrupt. Es könnte eine Störung sein, oder –« Buffy war schon verschwunden. 253
Xander rief hinterher: »Kann ich mitkommen?« Während die Türen hinter ihr zusammenschlugen, rief sie zurück: »Dieses Mal nicht. Du würdest mich nur aufhalten.« Xander warf Giles einen bedeutungsvollen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Sie war auf der Cordelia-Chase-Schule für Charme und Taktgefühl.« Giles lächelte. »Nimm es nicht persönlich. Mit mir redet sie genauso.« Er nahm die Urne hoch. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es fast Mittag war. »Das Chemielabor müsste frei sein...« Er warf Xander einen Blick zu. »Was ist das Schlimmste, das mir passieren kann?«, fragte Xander. »Kann ich noch mal rausgeworfen werden?« »Wir halten unsere Augen offen, damit wir Snyder nicht über den Weg laufen«, sagte Giles und sammelte dabei ein paar Bücher ein, die er in seinem abgewetzten Koffer verstaute. Sie verließen gemeinsam die Bibliothek und bewegten sich so unauffällig wie möglich durch das Schulgebäude. Giles sagte bedauernd: »Willows Zaubersprüche wären jetzt von großem Nutzen für uns. Nicht zu vergessen ihre Kräuter und Tinkturen. Unglücklicherweise ist auch noch ihre Ausrüstung in meinem Wagen.« Xander schnippte mit den Fingern. »Keine Angst, sie hat ein neues Schloss an ihrem Schrank und ich kenne natürlich die Zahlenkombination.« Giles lächelte ihn erleichtert an. »Ausgezeichnet, Xander.« »Danke, danke«, erwiderte Xander und schlug den Weg zu den Schränken ein. Rom im Jahre 40 Die Sonne ging unter, als Helens letzter Gegner klirrend in die Arena marschierte. Die Rüstung und die gebogenen Panzer an Ellbogen und Knien blitzten auf. Die Gestalt war mehr als zwei Meter groß und gut bewaffnet. 254
Dagegen war Helen nur mit einem Brustpanzer geschützt und trug lediglich einen Speer und einen Schild mit sich. Die Kreatur kam auf sie zu. Sie wusste, es war kein Mensch. In den letzten sechs Monaten war sie nur einem einzigen Menschen begegnet, und der war so schnell gestorben, dass das Publikum gelangweilt protestiert hatte. Inzwischen wurden nur die gefährlichsten Dämonen auf sie losgelassen. Sie kamen von überall her. Verließen ihre Höhlen, sogar ihre unterirdischen Grotten und eisigen Gletscher, um nach Rom zu kommen. Alle waren gierig nach dem Reichtum und den Ehren, mit denen Caligula jenen überhäufen würde, der Helen tötete. Wenn keiner von ihnen sie herausforderte, dann holte Caligula die Gegner aus den Tiefen der Folterkammern oder versprach den Totengeweihten ein neues Leben, wenn sie mit ihr kämpfen würden. Jedem gab er die Wahnsinnsdroge und jeder verlor den Verstand – besessen von dem Gedanken zu töten, blutrünstig und ohne Gnade. Es war kein Ende abzusehen. Nacht für Nacht kämpfte Helen um ihr Leben gegen Kreaturen, die vorsätzlich mit der Lust am Töten infiziert worden waren. Doch die Menge betete sie an, weil sie überlebt hatte. Sie verhöhnten ihre Gegner. Sie wusste, man hatte schon riesige Mengen Geld auf ihr Leben gesetzt. Sicher würde dieses Monster sie töten. Oder das Nächste. Oder ein anderes. Während sie der Kreatur im Helm gegenübertrat, schmerzte ihr ganzer Körper. Sie vermutete, dass einige Rippen gebrochen waren. Als er auf sie zustürmte, machte sie eine Rolle rückwärts und stöhnte laut auf. Caligula saß auf der Galerie und schaute nicht einmal herüber. Er amüsierte sich mit einem hübschen Ding, das auf 255
seinem Schoß saß und ihm Wein in den Mund goss. Blöde Kuh. Noch vor Sonnenaufgang würde das Mädchen tot sein, ein Opfer seiner Lust und seiner Verkommenheit. »Du musst angreifen«, rief Helens Trainer von der Seite herüber. Er trug eine lederne Kappe und eine lederne Schürze über den kurzen Hosen. Sein ganzer Körper war mit Narben bedeckt. Er war einer von den glücklichen Gladiatoren, die überlebt hatten und jetzt die neuen Opfer für die Spiele trainierten. Hinter ihm tauchte der Vampir auf, Julian, dieses Ungeheuer, das behauptete, sie zu lieben. Er war mit seinem menschlichen Gesicht erschienen, aber seine Augen schimmerten golden im Schein der Fackeln. Die Kreatur in der Arena warf einen Eisenspeer nach ihr und sie wich mit einer weiteren Rolle aus. Jammernd vor Schmerzen warf sie einen Blick in die Menge und träumte davon, dass Diana kommen und sie retten würde. Es war nie geschehen, sie wusste selbst nicht, warum sie immer noch daran glaubte. Der Gedanke beflügelte sie. Von neuer Kraft erfüllt, sprang sie auf. Die Menge bemerkte die Veränderung und feuerte sie an. Sie war die Favoritin. Dass sie so lange überlebt hatte, war einfach überwältigend. Sie hieb und schlug auf das Monster ein und erwischte es mit dem Schwert in der Kniekehle. Da saß die Schwachstelle. Dann stach sie zu. Das Schwert glitt in den Muskel und ockerfarbenes Blut quoll aus der Wunde. Das Ungeheuer schrie auf. Als sie noch einmal zustieß, fiel es vornüber. Helen riss ihm den Helm herunter, und schlug ihm den dürren, ledernen Kopf ab. Seine Augen standen hervor, dicht beieinander, wie bei einer Schlange. Die Lider flatterten und schlossen sich, als das Ungeheuer seinen letzten Atemzug tat. Die Menge tobte. 256
Helen hob den Kopf ihres Gegners auf und salutierte vor Caligula, der schließlich den Blick von dem jungen Mädchen abwendete, und Helen freundlich zuwinkte. »Gut gemacht, Gladiatorin«, brüllte er herüber. Das war alles. Sie stolperte aus der Arena, während die Löwen losgelassen wurden. Das große Finale des Abends. Ihr Trainer wartete nicht auf sie, aber Julian. »Fass mich nicht an«, stieß sie hervor. Aber als er sie in die Arme nahm und zu ihrer Zelle trug, war sie zu müde und zu erschöpft, um zu protestieren. Ihr Kopf rollte auf seine Brust, sie verlor fast das Bewusstsein, aber sie kämpfte darum, die Kontrolle zu behalten. Ihre Zelle lag im Quartier der Gladiatoren. Als sie angekommen waren, legte er sie behutsam auf die seidenen Decken – ein Luxus, den er ihr gestattet hatte – und öffnete ein Jadegefäß. »Ich habe eine neue Salbe. Sag mir, wo es wehtut«, forderte er sie auf. Sie knirschte mit den Zähnen. »Ich werde nicht mehr kämpfen«, kündigte sie an. »Töte mich, wenn du willst, aber ich bin fertig.« Julian beugte sich über sie. Auch wenn sie diesen Mann hasste, so musste sie zugeben, dass er sehr schön war. Stattlicher noch als Demetrius, dessen Tod sie nicht mehr betrauerte. Seit fast einem Jahr hielt man sie nun gefangen und dieses Jahr hatte sie hart gemacht. »Dein Blut gerät in Wallung, wenn du kämpfst«, sagte Julian. »Verleugne es nicht. Ich kann es in deinen Augen sehen. Du bist zur Kriegerin geboren. Es ist ein Geschenk der Dunkelheit, dass du hier bist.« Sie schwieg. Er lachte in sich hinein. »Verleugne es nicht. Was hättest du denn für ein Leben gehabt, da draußen auf dem Land? Eine 257
römische Frau, an ihr Haus gebunden, die langsam ihre Schönheit verliert und bei der Geburt eines Kindes stirbt. Aber hier bist du etwas Besonderes.« Er begann damit, die Paste in ihre verspannten Muskeln einzureihen, zog ihr den Brustpanzer aus und untersuchte ihre Rippen. Nachdem er begonnen hatte, sich um sie zu kümmern, war sie erstaunt gewesen, dass eine so grausame Kreatur wie Julian so feinfühlig sein konnte. Seine Heilsalben und Tinkturen hatten ihr viele Male geholfen. Als er mit der Massage fortfuhr, konnte sie nicht verhindern, dass ihr Atem stockte. »Du bist müde und du möchtest aufhören«, murmelte er. »Ich kann dafür sorgen.« Sie schloss die Augen, als es ihren ganzen Körper durchfuhr. »Indem ich werde wie du.« »Ja.« Er berührte sanft die Vene an ihrem Hals. Als sie zurückfuhr, lachte er leise in sich hinein. »Ich habe nie von dir getrunken, obwohl ich oft versucht war, es zu tun. Aber ich werde warten, bis du mir die Erlaubnis erteilst.« »Es liegt nicht an mir. Caligula erlaubt es nicht«, warf sie ihm entgegen. Genauso, wie er es ihr nicht erlaubte, die Droge zu nehmen. Er wollte sie rein. Er genoss ihre Angst. »Der Kaiser wird nicht immer hier sein«, sagte Julian ruhig. Helen dachte nach. Vielleicht plante wieder eine neue Gruppe von Verschwörern die Ermordung des Kaisers. Jede Woche gab es neue Attentäter. Alle hatten versagt und waren eines schrecklichen Todes gestorben. »Ich auch nicht«, sagte sie knapp. »Sie hat dich im Stich gelassen, Helen«, flüsterte Julian und berührte zart ihren Arm. »Sie hat dich in dieser Hölle zurückgelassen. Sie weiß, dass du hier bist. Jeder weiß, dass du hier bist.« 258
Helen sagte kein Wort. »Sie hat dafür gesorgt, dass die Soldaten dich mitnahmen.« Es stimmte. Aulus hatte laut gerufen: »Diana, nein!«, und hatte sie, Helen, dabei angeschaut. War das Dianas Rache dafür gewesen, dass sie Demetrius ihr Geheimnis verraten hatte? Der Preis für seinen Tod? »Ich kann dafür sorgen, dass es ein Ende hat, sofort«, murmelte Julian. »Es würde sehr schnell gehen. Und wenn ich Kaiser bin, wirst du an meiner Seite regieren.« »Über Dämonen und Ungeheuer.« »Nicht anders als jetzt«, wendete er ein. Dann hauchte er in ihr Ohr. »All das wäre vorüber, meine geliebte Helen. Der Schmerz, die Kämpfe, Nacht für Nacht. Unser Leben – es wäre glanzvoll.« Sie presste die Lippen aufeinander und schaute zur Seite, um ihre Tränen zu verbergen. »Spürt er, das ich in Versuchung gerate?«, fragte sie sich. Buffy war ein wenig außer Atem, als sie schließlich den verlassenen Block erreichte, in dem Ms. Gibson Haus lag. Sie bog nach links zu einem Parkplatz und stutzte, als sie ein Auto entdeckte, das sorgfältig unter Büschen versteckt worden war. Sie fegte ein paar Zweige von der Kühlerhaube und lächelte grimmig. Das arme Auto gehörte Giles. Vielleicht würde er jetzt endgültig ein neues kaufen müssen. Sie öffnete die Tür und fand Willows Hexentasche, die Pflöcke und Weihwasser enthielt. Sie warf sie sich über die Schulter und bedeckte das Fahrzeug wieder mit den Zweigen. Dann drehte sie sich um. »Halte durch, Willow«, murmelte sie. »Bitte!«
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Buffy lief so schnell sie konnte unter einem Fenster an der rechten Seite des Hauses vorbei. Sie ging in die Hocke, hielt den Atem an und lauschte, ob Geräusche zu hören waren. Aber alles blieb still. Als sie den Boden untersuchte, fand sie ein paar frische Fußspuren im feuchten Gras. »Willow, oh bitte, hoffentlich ist alles in Ordnung mit dir«, betete die Jägerin und griff den Türknauf. Sie öffnete und schlüpfte hinein. Mark hob den Kopf. Willows Augen bewegten sich nach rechts und entdeckten die Überreste der toten Ratte. Ihr Magen revoltierte. Sie war krank vor Angst. »Ich dachte, ich hätte etwas gehört«, sagte er. Willow schluckte. Es könnten gute oder böse Jungs sein. Ich möchte wirklich nicht so enden wie diese Ratte. Mark richtete die Waffe auf sie. Willows Augen weiteten sich. »Du wirst mir doch nichts tun?« »Ich möchte niemanden verletzen«, gab er zu. »Aber jeder in der Stadt ist hinter mir und meinem Bruder her.« Nervös leckte er seine Lippen und entsicherte die Pistole. »Du bist meine Geisel. Wenn sie Brian nicht freilassen, werde ich dich umbringen.« »Das könntest du nicht tun«, sagte Willow, aber ihr Mund war völlig ausgetrocknet. »Du bist ein guter Junge.« Seine Lippen zitterten. »Das war ich.« »Du hörst einfach auf damit und wir sehen zu, dass wir hier herauskommen...« Sie zögerte. »Mark, wenn du glaubst, dass dein Bruder durchgedreht ist, weil er eine Droge genommen hat, was ist dann mit uns anderen? Wir dachten, es sei eine Form von Besessenheit oder so.« Mark murmelte etwas, dass sie nicht verstehen konnte. 260
Sie ging einen Schritt auf ihn zu. »Komm nicht näher.« Er hielt die Waffe mit beiden Händen fest. Sie streckte ihm vorsichtig ihre Hand entgegen. »Was hast du gesagt?« Er schaute sie skeptisch an. Die Pistole zitterte in seiner Faust. »Du hast schon verstanden. Du willst nur, dass ich es wiederhole.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ehrlich. Ich habe es wirklich nicht verstanden. Aber –« »Ich habe es ins Wasser geschüttet!«, rief er laut aus. »Das Wasser? Aber ich –« »Ich habe die Droge ins Reservoir geschüttet.« »Oh mein Gott«, Willow bekam vor lauter Schreck keine Luft mehr. Jeder in der Stadt hatte Wasser getrunken. Gute Jungs. Böse Jungs. Der Tee, den Giles so oft trank. Die Cappuccinos und Milchkaffees im Bronze. Sogar ihre Mutter, die irgendwo gelesen hatte, wie wichtig es war, mindestens zwei Liter Wasser pro Tag zu trinken. »Oh... Mark.« »Deshalb ist er verrückt geworden. Ich bin schuld daran, dass er durchgedreht ist.« Er brach in Tränen aus. »Ich bin schuld daran, dass meine Eltern tot sind.« »Nein –« »Doch! Er wusste ja nicht, was er tat.« Er schluchzte heftig und voller Qual. Willow kam zaghaft noch einen Schritt näher. Und noch einen. Sie hatte das Gefühl, auf einem Seil zu balancieren, das zwischen zwei Hochhäusern gespannt war. Wenn sie nach unten schaute, würde sie stürzen. Der einzige Weg zu überleben, war weiterzugehen. »Nicht«, warnte er sie. Aber sie spürte, wie er schwach wurde. 261
Sie legte ihre Hand auf seine Schulter und nahm ihm die Waffe weg, die er nur noch kraftlos in der Hand hielt. Dann legte sie die Arme um ihn. Er schluchzte an ihrer Brust. Mit jedem Schluchzen wurde der Schmerz stärker, und plötzlich bekam sie Angst. Sie hatte noch nie einen solchen Schmerz empfunden. Aber sie würde genauso empfinden, wenn Oz tot war. »Ich habe das nicht mit Absicht getan, wirklich«, klagte er. »Ich weiß.« Sie klopfte ihm beruhigend auf den Rücken und atmetet tief durch. Wenn er uns das nur gleich gesagt hätte, dachte sie, dann würden jetzt ein paar Leute noch leben. »Bitte, Mark«, sagte sie freundlich, »weißt du, wo sie meine Freunde hingebracht haben?« »Was? Von wem redest du überhaupt?« »Die Leute, die deinem Bruder die Droge besorgt haben. Sie haben meine Freunde gekidnappt.« Sie schloss unvermittelt die Augen, denn plötzlich passte alles zusammen. Die Vampire hatten das alles getan. Das war die Bedeutung von Buffys Traum. Sie haben uns Drogen verabreicht und so unsere Herzen für das Böse geöffnet. »Jordan«, sagte er. Jordan hat es ihm gebracht. Er hat meinen Ring als Bezahlung mitgenommen. Willow erschrak. Buffy hatte ihr von den Autopsiefotos erzählt, die Marks Ring zeigten – und das hieß, wenn Jordan den Ring hatte... dann hatte er auch Lindsey Acuff getötet. Sie holte tief Luft. »Gut. Lass uns zu Giles gehen. Er muss dringend mit dir reden.« »Nein.« Er befreite sich aus ihrer Umarmung. »Auf gar keinen Fall!« »Auf jeden Fall«, sagte Buffy und trat aus dem Schatten ins Zimmer. Sie warf Willow einen Blick zu. »Bist du okay?« Willow nickte zaghaft. Beim Anblick der Freundin waren ihre Knie weich geworden vor lauter Erleichterung. 262
»Wie lange bist du schon hier?« »Lange genug, um die Geschichte vom Reservoir zu hören.« Sie streckte die Hand aus. »Mark, du musst mit uns kommen. Du musst uns helfen, das in Ordnung zu bringen.« »Ich möchte einfach nur weglaufen«, erwiderte er kläglich. Buffy nickte. »Ich kenne das Gefühl. Glaube mir, ich kenne es gut, Mark. Aber so funktioniert es nicht. Es ist, als läge die Welt auf einem großen Fließband, das dich immer wieder einholt, egal wie schnell du läufst.« »Nicht, wenn ich nach Mexiko gehe.« Er wurde rot, als wisse er selbst, wie verrückt sich das anhörte. Willow hob die Hand. Sie griff in ihre Tasche und holte das Handy heraus. Mark bekam große Augen, sagte aber nichts. Willow wählte die Nummer der Bibliothek, aber die Batterie war leer. Sie schaute Buffy an. »Ich hoffte, sie könnten uns abholen.« »Ich befürchte, das Telefon hier im Haus wird auch nicht funktionieren«, stellte Buffy nüchtern fest. »Ich habe gar keins gesehen.« Buffy drehte sich um. »Ich laufe schnell durchs Haus und sehe nach.« »Da liegt irgendwo eine tote Ratte«, warnte Willow. Kleine Fische. Buffy lächelte. »Danke, Will.« Sie schaute zu Mark hinüber, der sich auf die Matratze fallen ließ und Arme und Beine verschränkte. »Ich bin tot«, stöhnte er. »Nein. Wir bringen das wieder in Ordnung«, sagte Willow, aber sie war sich nicht so sicher. Man konnte nicht immer alles in Ordnung bringen. Manchmal siegten die dunklen Kräfte und Menschen starben. Jeder von ihnen hatte jemanden verloren, der ihm viel bedeutete.
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Buffy und Giles hatten beide mehr Leid erfahren, als Willow sich jemals hätte vorstellen können... Und auch Jägerinnen konnten sterben. Buffy hatte schon länger überlebt, als viele vor ihr. Plötzlich durchlief Willow ein Angstschauer. »Buffy«, rief sie unsicher. Buffy erschien in der Zimmertür. Sie war bleich. »Geht nirgends hin. Folgt mir einfach, und zwar direkt durch die Küchentür nach draußen.« Willow sah zu Mark hinüber. Seine Augen blickten verängstigt aus seinem kleinen Gesicht. »Warum? Was ist denn hier?«, fragte er. »Ich bin sicher, du willst es nicht wissen.« Buffy drehte ihnen den Rücken zu und erwartete, dass sie beide folgen würden. Und das taten sie auch. Rom im Jahre 40 Julian beendete seine Mahlzeit und ließ den Körper zu Boden fallen. Dann wusch er sich über einem Bassin, das von einer Sklavin gehalten wurde, das Blut aus dem Gesicht. Er verließ den Raum und ging lächelnd hinüber zum Tempel der Meter, wo Caligula die Vereinigung mit seiner Göttin zelebrieren wollte. Julian gab der Tür einen Stoß. Sie war verschlossen. Er stieß fester zu, brach das Schloss auf und ging lässig hinein. Caligula lag vor der Statue auf den Knien. Das Antlitz der Göttin war zu einem grausamen Grinsen erstarrt. Aus den leeren Augenhöhlen flackerten brennende Feuer und verstärkten den dämonischen Ausdruck der Statue. Mindestens ein Dutzend Leichen lagen neben dem Steinaltar. Aus ihren Gesichtern sprach Angst und Schmerz. Ihre Herzen waren auf dem Altar geopfert worden. Das war ein gewöhnlicher Anblick. Julian trat näher in Erwartung einer freundlichen Begrüßung. 264
Caligula erhob sich, nahm eines der Herzen vom Altar und steckte es der Göttin ins Maul. Zu Julians Entsetzen bewegte die Göttin ihre steinernen Fangzähne. Gierig verschlang sie das noch schlagende Herz. Das ist neu, dachte er betroffen. Wie hat der Kaiser das nur gemacht? Hat er vielleicht Priestern befohlen, die Statue mit Seilen zu bewegen? »Ich grüße dich, mein Sohn.« Die Stimme kam nicht aus der Statue – sie war körperlos. Julian zog sich in den Schatten zurück. »Mutter«, erwiderte Caligula unterwürfig. »Ist es nun genug? Ich habe die Droge in das Trinkwasser von Rom geschüttet und die Stadt liegt in Trümmern zu deinen Füßen. Tausende sind in deinem Namen gestorben. Wirst du dich nun aus der Dunkelheit erheben und mir meinen Wunsch erfüllen?« »Nein, es ist noch nicht genug«, ließ die Stimme vernehmen. »Ich kann nicht auferstehen ohne das Herz der Jägerin. Und erst dann wirst du ewig leben.« »Was ist mit meinem Rivalen?« forderte er. »Wirst du Julian vernichten?« »Wer mich ruft, beherrscht mich«, versprach die Stimme verführerisch. »Dann rufe ich dich, Meter!«, rief Caligula laut aus. Aus dem Maul der Statue quoll Blut hervor. Es rauchte, knisterte und verwandelte sich schließlich in ein strahlendes Blau. Es sprudelte über Caligula wie ein Wasserfall. Es war, als würde er darin baden. Als der Strom abbrach, hob er den Kopf und schrie triumphierend auf: »Du bist mit mir, schwarze Göttin! Deine Grausamkeit lebt in mir.« Er streckte seine Hand aus und Feuer zuckte aus seinen Fingern. »Dein Fleisch ist mein Fleisch«, stimmte sie zu. »Deine Knochen werden das Gefäß meiner Essenz sein. So lange, bis 265
alle Bedingungen für meine Rückkehr erfüllt sind – in einer Vollmondnacht.« »Aber nur«, fügte die Stimme hinzu, »wenn ich das Herz der Jägerin verschlingen kann.« Caligula senkte den Kopf. »Das soll geschehen.« Julian kochte innerlich. Und er hatte einen Plan. Giles stand über einen Becher gebeugt, der über einem Bunsenbrenner hing und gab ein paar Tropfen der violetten Flüssigkeit hinein. Wie Giles es angeordnet hatte, trug Xander eine Gasmaske und eine Schutzbrille. Sie wollten nicht riskieren, dass sie zwischen Säureflaschen und Gasflammen Amok liefen. Um das zu verhindern, trug Giles ebenfalls Gasmaske und Schutzbrille. Er hatte ein paar besonders alte Bücher mitgebracht, die Xander hoffnungsfroh ansah. Giles bat Xander, die Seiten umzublättern. Die Bücher waren dick und fühlten sich seltsam an. Nicht wie Papier. Ich möchte auch gar nicht wissen, woraus sie gemacht sind. »Kommen wir voran?«, fragte Xander. »Ja«, erwiderte Giles und beobachtete die Flüssigkeit. »Ich habe die Blutproben destilliert. Und ich glaube, es ist mir gelungen, die Bestandteile von Caligulas Droge zu isolieren.« »Oh Wahnsinn«, Xander zog eine Grimasse. »Jetzt werden sie uns in Akte X aufnehmen.« »Caligula hatte sie ursprünglich für die Spiele entwickelt. Er wollte, dass die Gladiatoren dem Publikum etwas Außergewöhnliches boten. Also verfuhr er nach dem einfachen Prinzip, indem er ihre niedrigsten Instinkte stimulierte und sie dadurch in Killermaschinen verwandelte. Er schickte sie sozusagen auf einen schlechten Trip.« »Giles, du redest wie ein Hippie«, bemerkte Xander.
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Leicht errötend ignorierte Giles die Bemerkung. »Das römische Imperium ging unter, weil die Menschen außer Kontrolle gerieten. Man vermutet, dass die Wahnsinnsdroge irgendwie unter der Bevölkerung verteilt wurde.« Sie schauten sich an. »Genau wie hier in Sunnydale«, sagte Xander langsam. »Genau wie hier in Sunnydale«, wiederholte Giles nachdenklich. »Also ist die ganze Stadt auf einem schlechten Trip.« »Auf einem sehr schlechten sogar.« Sie blickten beide erwartungsvoll auf den Becher, der noch immer auf dem Bunsenbrenner stand. »Ja!«, rief Julian erfreut aus, als Cordelia den Speer direkt ins Zentrum der Zielscheibe warf, die er vor seinen Körper hielt. »Wunderbar!« »Aber wie wird sie sich gegen einen echten Gegner machen?« Es war die dunkle Vampirkönigin, die wie aus dem Nichts auftauchte. Helen zog den Speer aus der Zielscheibe und richtete ihn auf Cordelia. Cordelia unterdrückte mühsam einen Schrei. Diese Hexe will, dass ich vor Angst um Gnade winsele. Sie ist die Königin des Bösen und ich könnte sicher ein paar Dinge von ihr lernen... »Cool bleiben«, murmelte Oz, der von Dämonen eingekreist am Rand stand und einen Speer in der Hand hielt. Helen nahm ihre Vampirgestalt an, holte mit dem Speer aus und zeigte auf Cordy. Cordelias Herz sprang fast aus der Brust, aber sie ließ sich nichts anmerken, sondern zog sich langsam Stück für Stück zurück.
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Plötzlich richtete die Angreiferin sich auf, warf den Kopf hoch und lachte. Dann drehte sie sich zu Julian um und warf den Speer in seine Richtung. »Sie hat Biss. Kein Wunder, dass du sie bevorzugst«, stellte sie fest. Dann wendete sie sich lachend ab und verschwand. In ihren wehenden Röcken sah sie aus wie Morticia Addams, die an dem Ball der Schattenwesen teilnehmen wollte. Julian blickte ihr nach. Während Cordelia noch mit einem leichten Schwindelgefühl kämpfte, zerbrach Julian den Speer wie einen Bleistift in zwei Teile. Dann schenkte er Cordelia ein Lächeln, das ihr Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war kein freundliches Lächeln. Es war gerissen und eiskalt. Sie vermutete, dass »bevorzugen« in diesem Zusammenhang keineswegs ein Synonym für »mögen« war. »Glaub nicht, dass ich dich retten werde«, sagte er und klatschte in die Hände. Cordys bulliger Trainer, ein Mann, der von der Glatze abwärts bis zu seiner fehlenden Taille mit Narben bedeckt war, kam vom Seiteneingang der Arena herüber und verbeugte sich. »Bring das Mädchen und den Werwolf zurück in ihre Zellen«, befahl Julian ihm. »Und bereite sie für die abendlichen Festlichkeiten vor.« »Festlichkeiten?«, wiederholte Cordelia schrill, als der Dämon sie und Oz aus der Arena brachte. Julian verwandelte sich in den Vampir, der er war und lächelte abermals. »Wenn alles bereit ist, werden die Spiele beginnen.« Buffy steckte die Münzen in den öffentlichen Fernsprecher, während Mark sich ängstlich hinter Willow verbarg. Auf der anderen Straßenseite brannte eine Tankstelle. 268
Nicht gerade der sicherste Platz zum Telefonieren, dachte Buffy. Während die Sonne unterging, wurde die Stadt lebendig. In einiger Entfernung hörte man Explosionen und der Boden vibrierte, als würden Bomben detonieren. Buffy hatte keine Ahnung, was da vor sich ging, und sie wusste auch nicht, wie sie es aufhalten sollte, aber im Augenblick versuchte sie sich nur darauf zu konzentrieren, diesen kleinen Jungen zu retten. »Giles«, sagte sie sofort, als an der anderen Seite der Hörer abgenommen wurde. »Buffy. Dem Himmel sei Dank. Ist Willow –« »Bei mir. Mark ebenfalls. Ich bringe sie zu euch. Es wäre gut, wenn wir einen Wagen hätten. Deiner ist total ausgefallen. Ungefähr sechs Blocks entfernt, es ist kein schöner Anblick.« »Ausgefallen?«, fragte er unsicher. »Wo seid ihr? Ich schicke euch Xander. Wir besorgen ein anderes Auto.« Sie blickte sich um. »Wahrscheinlich könnten wir auch laufen.« »Nein. Das ist zu gefährlich mit dem Jungen. Ich habe im Radio die Lokalnachrichten gehört, die Leute suchen überall nach ihm.« Buffy schnaubte. »Mann, damit werde ich schon fertig. Wenn wir hier auf Xander warten, sitzen wir auf dem Präsentierteller.« »Ich weiß, dass du erstaunliche Dinge tun kannst, Buffy, aber du kannst nicht gegen eine ganze Stadt kämpfen.« Willow hob zaghaft ihre Hand und formte lautlos das Wort »Reservoir«. »Bevor ich es vergesse, Mark hat die Droge ins Trinkwasser geschüttet«, sagte sie. »Deshalb rasten alle aus.« Giles schwieg einen Augenblick. Dann murmelte er: »Oh mein Gott.« Buffy fragte skeptisch: »Was?« 269
»Ich bin nicht ganz sicher. Bleibt einfach dort und wartet.« »Quak, quak«, erwiderte sie. »Ende der Durchsage.« Sie hängte den Hörer zurück und schaute Willow an. »Giles will, dass wir hier bleiben und auf Xander warten.« »Xander?«, fragte Willow. »Auf Rädern.« Sie zuckte die Schultern. »Das ist alles, was ich sagen kann. Selbst unter Folter.« Willow hob die Augenbrauen. »Aber wenn wir uns verstecken und außerdem nicht wissen, was für ein Auto es ist, wie wird er uns finden?« Buffy zuckte die Schultern. »Im Grunde müssen wir nur dafür sorgen, dass Mark nicht entdeckt wird. Nicht jeder weiß, dass er zuletzt mit uns zusammen war.« »Nein, nur die gesamte Polizei«, sagte Willow und zuckte zusammen, als ein Wagen die Straße entlangrollte. Sie zog Mark noch tiefer in den Schatten der Büsche. »Ihr werdet noch dafür sorgen, dass sie mich umbringen«, murmelte er. Buffy schwieg. Sie blickte nachdenklich in den Sonnenuntergang. Rom im Jahre 40 »Ich habe sie gefunden«, triumphierte Julian, während er Helens Zelle betrat. Sie starrte ihn an, ihr Gesicht war blutbefleckt. Ihre Lippen waren taub und ihre Wangen glühten. Fast wäre sie auf dem Stroh ausgerutscht, das den Boden bedeckte. Er ging hinüber zu dem bequemen Sessel, den er ihr gebracht hatte, und ließ sich darauf nieder – jeder Zoll ein römischer Patrizier. Jeder Zoll ein grausamer Mörder. »Hier ist mein letztes Angebot«, sagte er. »Ich werde den Kaiser in Kürze töten. Ich liefere mich dir aus, indem ich dir das sage. Aber die Welt wird im Chaos versinken, wenn das 270
geschieht, und wenn du nicht auf meiner Seite stehst, dann werde ich keine Möglichkeit mehr haben, dich zu schützen.« »Diana«, stieß sie mühsam hervor. »Wir hätten sie beinahe getötet.« Er streckte sich und sank tiefer in den Sessel. »Aber es ist nicht einfach, eine Jägerin zu töten.« »Sie ist eine Göttin.« Helens Kehle war wie zugeschnürt. Sie war kaum fähig zu sprechen. »Vielleicht. Aber es ist eine Tatsache, dass sie sterben wird, nicht ich. Und ich weiß, wo sie ist.« Er beugte sich nach vorne. »Ich werde sie hierher bringen. Ich kann sie heilen. Du weißt, dass ich es kann. Schließlich habe ich alle deine Wunden verarztet.« Sie schloss die Augen und wartete auf das, was er nun sagen würde. »Du kennst meinen Preis«, flüsterte er. Sie öffnete die Augen wieder und blickte ihm mit unverhohlenem Hass entgegen. »Ich möchte niemals so werden wie du. Es ist mir egal, wenn sie stirbt. Sie hat niemals versucht, mich zu retten.« »Oh, das stimmt nicht.« In seiner Stimme schwang ein wenig Freundlichkeit mit. »Sie hat es viele Male versucht. Ich fürchte, ich habe vergessen, das zu erwähnen.« Wut stieg in ihr auf. Gequält schrie sie: »Du lügst!« »Das tue ich nicht.« Sie warf sich auf ihn, unfähig, sich zu kontrollieren. Jetzt war sie eine Gladiatorin. Er wehrte sie ab, Schlag für Schlag, bis er zuletzt nach ihren Haaren griff und ihren Kopf nach hinten zog. Sie keuchte. »Ah, meine Löwin.« Er beugte sich über ihren Hals. »Großer Julian«, sagte jemand hinter ihm und er ließ sie los. Helens Herz raste in panischer Angst.
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Zwei Soldaten brachten einen Körper auf einer Bahre in die Zelle, während Julian ihnen die Tür aufhielt. Als sie die Bahre absetzten, kam Helen zaghaft näher. Dianas blondes Haar hüllte ein Gesicht ein, dass vom Tod gezeichnet war. Man hatte eine schwere Wolldecke über sie gelegt. Das Blut aus ihren Wunden hatte ein Muster auf dem hellen Gewebe hinterlassen. »Oh Diana, Diana«, sagte Helen hastig. Sie fühlte Julians Blicke. »Sie hat niemals versucht, mich zu retten.« »Dann lass sie sterben.« Er erhob sich. »Ich lege ihr Leben in deine Hand. Es liegt ganz allein bei dir. Wenn du dich dafür entscheidest, mir zu folgen, gehört sie dir, und du kannst mit ihr verfahren, wie du möchtest. Ich werde sie heilen, wenn du willst. Ich werde ihr sogar die Freiheit schenken, wenn du es wünschst.« Er verbeugte sich. »Ich verlasse dich nun. Du brauchst Zeit zum Nachdenken. Aber denk nicht zu lange nach, süße Helen. Die Zeit der Jägerin ist abgelaufen.« Helen hob das Kinn. »Ich werde sie sterben lassen.« Julian wendete sich ab und verließ die Zelle. Helen schrie ihm hinterher: »Ich werde sie sterben lassen!« Xander schlich im Schutz des Schattens aus der Bibliothek hinüber zum Fakultätsgebäude. Er hatte keine Ahnung, wie Giles an Ms. Broadmans Autoschlüssel gekommen war und er wünschte sich, er müsste nicht ihr Auto benutzen – bis er herausfand, dass die Herrin über sein Schicksal einen Superschlitten fuhr, nämlich einen schwarzen Jaguar XKE. »Sag mir, dass ich tot bin und der Himmel sich aufgetan hat.« Xander klapperte mit den Schlüsseln und holte tief Luft. 272
»Gut«, sagte Angel, als er sich aus dem Schatten löste und unvermittelt vor Xander stand. »Wenn es dich glücklich macht.« »Toter Mann«, murmelte Xander, um seine Überraschung und seine Furcht zu verbergen. »Was zur Hölle – entschuldige den Ausdruck, ich weiß, das ist dein wunder Punkt – machst du hier?« Angel trug all die Klamotten, die jeden neben ihm zum Teenager werden ließen – einen langen, schwarzen Mantel, schwarze Lederhosen und Boots. Das Ganze passte viel zu gut zu seinem geheimnisvollen Aussehen – und seinen hohen Wangenknochen. Nicht, dass Xander diese Wangenknochen in irgendeinem anderen Zusammenhang aufgefallen wären. Es war nur eine kritische, männliche Bemerkung. »Ich war zu Hause bei Buffy. Sie war nicht da. Das Telefon von Giles war besetzt. Also...« Angel sah Xander fragend an. »Ich bin gerade auf dem Weg, sie abzuholen«, antwortete Xander. Angel sah so glücklich aus, wie es in seiner Lage möglich war. »Ich komme mit.« Xander wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte oder alarmiert. Denn wenn Angel durchdrehte, würde das seinen sicheren Tod bedeuten. Andererseits war es gut, jemanden wie Angel in der Nähe zu wissen, wenn es brenzlig würde. »Steig ein«, sagte Xander. Angel schaute ihn skeptisch an. »Weißt du, wie man so ein Ding fährt?« »Klar.« Xander war verstimmt. Er glitt auf den Fahrersitz, zögerte und suchte nach dem Zündschloss. »Ich, äh, habe nur ein paar Dinge vergessen.« »Lass mich fahren.« Angel öffnete die Beifahrertür, bereit zu wechseln. 273
Xander rammte den Schlüssel ins Zündschloss, löste die Bremsen und setzte mit quietschenden Reifen zurück. »Die Erinnerung kommt zurück.«
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16 Die Hunde umkreisten den Werwolf, kampfbereit bellten und schnappten sie nach ihm. Helen hielt sie fest, während das eingesperrte Tier unruhig im Käfig auf- und ablief und sie anheulte. Es war hungrig und es war zornig. Julian bemerkte, dass es – so alt er auch sein mochte – noch immer Dinge auf dieser Welt gab, die ihn in diesen besonderen Erregungszustand versetzen konnten. Mögen die Spiele beginnen, dachte er. Einen seiner besten Sklaven hatte er zu einer wichtigen Missionen ausgesandt. Der Diener sollte Angelus finden und mit ihm verhandeln, bevor er Julians Königreich betreten würde. Julian vertraute darauf, dass dies seinem treu ergebenen Sklaven gelingen würde. Sie mussten die Urne rechtzeitig finden. 666 Jahre waren eine zu lange Zeit, um auf den nächsten vollkommenen Augenblick zu warten. Einer der Hunde stieß mit seiner Schnauze zwischen die Gitterstäbe. Der Wolf sprang hoch. Das panische Jaulen des Hundes hätte das Herz jeder lebenden Kreatur berührt. Julian dankte den Göttern dafür, dass das seine tot war. Doch als er zu Helen hinüber schaute, die ihren Kopf nach hinten warf und laut auflachte, hätte er schwören können, dass es schlug. Gemeinsam betraten sie die heilige Kammer, die von einer einzigen Kerze erleuchtet wurde. Hier würden sie einen grandiosen Tempel für die Göttin errichten, wie Caligula es einst getan hatte. Dann würden sie ihr alle Bewohner Sunnydales opfern und danach die der umliegenden Dörfer und
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Städte. Und schließlich jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten. Julian bebte erwartungsvoll, als er sich vor der Statue verbeugte. Helen tat es ihm nach. Julian zeigte auf die Menschenherzen, die am Opferaltar lagen. Sie hatten sie aus den Körpern herausgeschnitten und die Leichen in dem Haus, das sie gemietet hatten, verrotteten lassen. »Geliebte Meter«, begann er, »heute Nacht werden wir dir die letzten Opfer für deine Auferstehung darreichen.« Die Statue bewegte sich. Ihre Augen brannten. Eines der Herzen auf dem Opferaltar begann zu schlagen, und die Erde bebte. Julian war überwältigt. Das war noch nie zuvor geschehen. Zwei Mal schon hatten sie versucht, Meter zum Leben zu erwecken, und zwei Mal hatten sie versagt. »Meine Essenz wurde der Welt zurückgegeben«, sprach die körperlose Stimme. »Hier bin ich.« »Dann erhebe dich, dunkle Mutter!«, rief Julian. »Nimm gemeinsam mit uns deinen Platz ein.« Die Erde zitterte erneut, diesmal stärker als zuvor. »Ich kann nicht. Es fehlt die Asche, die meine Essenz enthält«, hallte es durch den Raum. »Aber du hast doch gerade gesagt, deine Essenz sei –«, begann Helen, schwieg jedoch, als Julian sie mit dem Ellbogen in die Seite stieß. »Wer auch immer die Urne hat, muss sie geöffnet haben«, murmelte er. »Wir haben das Herz einer Jägerin für dich«, versprach Julian. »Heute Nacht ist deine Nacht. Wird das ausreichen?« »Die Asche«, drängte die Stimme. »Aber auch das Herz.« Die Erde bebte stärker. Es ist Meter, die sich erheben will, dachte Julian. »So soll es geschehen«, sagte er. 276
Buffy ging auf und ab, während sie gemeinsam mit Willow und Mark auf Xander wartete. Der Rauch ließ ihre Augen tränen und der Gestank des brennenden Öls machte sich in ihrer Nase breit. Es war unmöglich, mehr als dreißig Zentimeter in irgendeine Richtung zu sehen und sie fragte sich ernsthaft, wie Xander sie finden sollte. Es kann sogar sein, dass er schon an uns vorbeigefahren ist, dachte Buffy. Wie aufs Stichwort tauchte der große Schatten eines Wagens auf. Langsam rollte er heran, die Scheinwerfer waren kaum zu sehen im aufsteigenden Rauch des Feuers. Buffy glaubte, das Geräusch einer sich öffnenden Tür gehört zu haben. Mark rief laut: »Hier!« »Wer ist da?«, fragte eine tiefe, männliche Stimme. Es war auf keinen Fall Xander. Und auch sonst niemand, den sie kannte. »Pst«, warnte sie. »Du antwortest besser«, sagte der Fremde. »Wir sind Cops.« Mark schrie: »Ihr kriegt mich nicht, ihr Wahnsinnigen!« »Es ist der Dellasandro-Junge«, rief die Stimme. Wie in einem schlechten Film tauchten plötzlich noch mehr Autos auf. Sie kamen von überall her und ihre Scheinwerfer durchdrangen langsam den beißenden Rauch. Türen wurden geschlagen und man sah das Licht ihrer Taschenlampen näher kommen. »Willow, bring ihn hier weg«, sagte Buffy, als gerade jemand von hinten gegen sie stieß. »He. Weg da!« Sie wirbelte herum. Doch anstelle der erwarteten Masse traf sie nur eine Hand, die sich um ihren Knöchel schloss. Dann sprang der Angreifer vorwärts, fing sie auf und verhinderte somit, dass sie zu Boden fiel. 277
»Ich bin es.« Er ließ sie los. »Angel.« Sie versuchte irgendetwas in diesem Rauch zu erkennen. »Was –« »Und ich«, sagte Xander. »Komm schon, der Jaguar steht an der Ecke. Wo immer die Ecke auch ist.« Eine Faust traf Buffys Hinterkopf. Sie stolperte und wäre fast über Angel gefallen. Doch schon im nächsten Moment war sie bereit. Wie zwei Tai-Chi-Meister gingen Angel und Buffy gemeinsam nach vorne – einen Arm mit geballter Faust ausgestreckt, den anderen zur Abwehr vor der Brust verschränkt. Als Buffys Faust ihr Ziel fand, schlug sie zwei Mal zu. Sie bearbeitete etwas, das sie für ein Gesicht hielt. Der Körper geriet aus der Balance und sie hörte das charakteristische Geräusch eines menschlichen Körpers, der zu Boden fiel. Einer fällt aus, aber wie viele sind wohl noch übrig? »Xander, wie sieht es bei dir aus?«, schrie sie. »Keine Ahnung«, rief er zurück. »Oh! He, autsch! Mhm, ganz gut.« »Willow?«, rief Buffy. Sie bekam keine Antwort. Buffy hoffte, dass sie mit Mark entkommen war. Dann sah sie plötzlich Wesen um sich, die der Klang ihrer Stimme angezogen haben mochte. Sie fühlte eine kalte Hand auf ihrer Schulter. »Angel?«, sagte sie. Die Hand drückte zu. »Buffy!«, rief Angel. »Was?«, fragte sie blind. Und da war es auch schon – das typische Geräusch eines Vampirtodes. Der unmenschliche Schrei eines gepfählten Vampirs, der gleich darauf explodierte. 278
Buffy erstarrte. Ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus. Jemand schlug auf sie ein, sie nahm es kaum wahr, während sie schwankte. »Angel«, flüsterte sie. Dann rief sie: »Angel?... Angel!« Es war ein Schrei voller Angst. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht auf diese Weise. »Hängt ihn auf!« »Buffy?« Es war Xander. »Buffy, Hilfe!« Plötzlich kam ein starker Wind auf, der den Rauch wie einen Teppich aufrollte. Der Nebel lichtete sich und Buffy lauschte, während sie gleichzeitig versuchte, etwas von Angel und Xander zu erkennen. Dann blickte sie auf. Xander hatte ein Seil um den Hals. Buffy sah, wie einige Männer auf eine Straßenlaterne geklettert waren und das andere Ende des Seils über die Metallverstrebung geworfen hatten. Als sie das Seil anzogen, traten Xanders Augen hervor, und sein Gesicht lief scharlachrot an. Er rang nach Luft. Wortlos begann Buffy, sich den Weg durch die Menge freizukämpfen. Sie stieß und schlug wild um sich, schob starke Männer zur Seite, als wären es Papierpuppen. Keiner beachtete sie, denn alle konzentrierten sich jetzt auf Xander. Er war die Trophäe. »Xander!«, schrie sie. »Es ist der Junge. Tötet ihn. Hängt ihn auf!«, kreischte eine alte, grauhaarige Frau und wedelte dabei mit einem alten, schwarzen Taschenbuch herum. Buffy hatte es zum Fuß der Straßenlaterne geschafft. Ein großer, dunkler Typ stieß mit einem Baseballschläger nach ihr, aber sie duckte sich, und der Schläger flog über sie hinweg. Sie machte sich seine Überraschung zu Nutze und rammte ihren Ellbogen in seine Rippen. Dann drehte sie sich im Halbkreis 279
und schrie, als der Angreifer zu Boden fiel. Sie packte einen Fuß, der einem der beiden Männer gehörte, die auf der Laterne saßen, und zog ihn nach unten. Während der Mann fiel, kletterte sie hinauf und griff den zweiten an, der sich oben an dem Laternenbogen festgeklammert hatte. Nach einem kurzen Handgemenge verlor er die Balance und stürzte hinunter. Der Strick um Xanders Hals löste sich. Dann begann die Meute zu schreien und nach ihm zu greifen. Wenn sie ihn zu fassen kriegten, würden sie ihn womöglich in Stücke reißen, befürchtete Buffy. Aber sie rief sich auch in Erinnerung, dass sie unter dem Einfluss der Droge standen. Es war furchtbar, sie, die Menschen so zu sehen. Wie bösartige Ungeheuer! »Tut mir Leid, Xand«, sagte sie und streckte ihre Hand nach ihm aus, um ihn zu sich hinaufzuziehen. Es gelang ihr schließlich, Xander unter die Arme zu fassen und so weit hochzuziehen, bis er die Laterne selbst greifen konnte. Er zuckte zusammen. »Aua, meine Genickmuskeln.« Dann schaute er nach unten. »Haben sie Mark erwischt?« »Ich weiß es nicht. Ich hoffe, Willow konnte ihn herausbringen.« Buffy warf einen Blick auf die Umgebung. Jetzt, da der Rauch sich verzogen hatte, war ungefähr drei Meter entfernt ein Gebäude zu sehen. Dort hing ein langer Stab am Dachfirst, ein Flaggenmast oder etwas Ähnliches. Das Haus brannte zwar, aber abgesehen davon war es perfekt. Als Xander endlich neben ihr saß, sagte sie: »Gib mir den Strick.« »Er gehört dir für alle Zeiten«, antwortete er ihr. Zusammen schafften sie es, den Knoten an seinem Hals zu lösen. »Wir brauchen so etwas wie einen Anker. Etwas, das sich drüben verhaken kann.« Sie streckte ihre Hand aus. »Gib mir deinen Schuh.« »Meinen Schuh?« Er runzelte die Stirn. »Warum mein Schuh? Warum nicht deiner?« 280
Sie schaute ihn an. »Okay, okay«, sagte er. Wortlos zog er seinen Schuh aus. Buffy verknotete ihn mit dem Strick und warf ihn hinüber zu dem vorstehenden Flaggenmast – oder was es auch immer war. Der Strick hielt beim ersten Versuch. »Und jetzt...«, fragte Xander unsicher. Sie zog fest an dem Steil und prüfte, ob es hielt. Den anderen Teil des Stricks wickelte sie um die Laterne und verknotete ihn. »Wir hangeln uns hinüber.« »Und wir werden nicht fallen, weil...?« Buffy zuckte die Schultern. »Wir werden nicht fallen.« »Ich wusste es.« »Ich gehe zuerst«, sagte sie. »Testfall.« »Okay.« Sie holte tief Luft. Dann schwang sie sich hinauf und hangelte sich Hand für Hand an der improvisierten Hängebrücke entlang. Die Menge unter ihnen grölte. Kaum war Buffy angekommen, lehnte sie sich an die Häuserwand, um das Seil zu entlasten. Dann machte sie Xander ein Zeichen. Er brauchte länger als sie, aber nicht so lange, wie sie geglaubt hatte. Augenblicklich stand er neben ihr. Er musste sich ducken, als die Flammen ihnen durch ein zerbrochenes Fenster entgegenzüngelten. »Aua.« Er zuckte zurück und zog die Ellbogen eng an den Körper. Schweiß lief ihm übers Gesicht. »Was jetzt?« »Wir könnten springen.« Er starrte sie an. »Hah, hah, du machst Witze.« »Wir könnten auch verbrennen.« »Ich lache mich lieber tot.« Seine Stimme klang verängstigt. »Schau mal.« Sie zeigte auf einen Teil des Daches, das noch nicht Feuer gefangen hatte. »Lass uns versuchen da
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raufzuklettern und von dort aus einen Weg nach unten zu finden.« »Klingt wie ein guter Plan. Oder auch nicht«, sagte Xander risikofreudig. Willow kämpfte sich langsam vorwärts. Sie war müde und ihr tat alles weh. Er wird sterben, und ich werde daran schuld sein, dachte sie verzweifelt. Sie waren weit von der Schule entfernt und wie sehr auch die Zeit drängte, sie mussten eine Pause einlegen. »Wohin gehen wir?«, fragte Mark. »Wir hätten bei Buffy bleiben sollen.« »Es geht schon in Ordnung«, erwiderte Willow müde. Dann hielt ein Wagen mit quietschenden Reifen direkt hinter ihnen. Willow sprang zur Seite und versuchte Mark zu decken. »Will!« Es war Xander. Und Buffy. Im Jaguar. Schneller als sie zu hoffen gewagt hatte, waren sie in der Schule angekommen. Die Vier liefen geradewegs ins Hauptgebäude und rasten die Korridore hinunter zur Bibliothek. Buffy betrat die Bibliothek als Erste, die anderen stolperten hinter ihr her. Aber hier war niemand. Bücherstapel lagen herum und der Computer machte ein penetrantes Geräusch – doch abgesehen davon herrschte Grabesstille. Dann öffnete sich die Flügeltür, und Giles kam mit einem gewaltigen Buch auf dem Arm herein. Er murmelte etwas in Lateinisch – wenn Buffy richtig verstand. »Hey«, sagte sie und trat aus dem Schatten. Die anderen folgten ihr.
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»Buffy, Willow.« Er nickte Xander und Mark zu, wendete sich dann an Willow. »Deine Eltern sind krank vor Sorge.« Willow griff nach dem Telefon und zögerte. »Meine Mutter wird mir nie wieder erlauben, auch nur das Haus zu verlassen.« Giles seufzte. »Und um ehrlich zu sein, wir brauchen dich hier dringend. Aber es ist deine Entscheidung.« »Ich kann unmöglich anrufen«, sagte sie bedrückt. »Ich kann nicht zulassen, dass sie uns aufhalten.« »Unglücklicherweise stimme ich dir zu«, sagte Giles. »Es steht zu viel auf dem Spiel.« Er betrachtete die Gruppe. »Wo ist Angel?« »Ja«, sagte Xander. »Wo ist der tote Mann?« Buffy schluckte, aber sie schwieg. Giles zuckte die Schultern. »Ich bin sicher, er wird jeden Augenblick auftauchen.« Mark machte einen Schritt. »Es tut mir so leid, Mr. Giles, dass ich Sie niedergeschlagen und Ihr Auto gestohlen habe.« »Danke. Ich akzeptiere die Entschuldigung.« Der Junge ließ den Kopf hängen. »Ich habe das... Zeug ins Reservoir geschüttet.« »Ja«, sagte Giles in einem scharfen Ton. »Das hat Buffy mir erzählt. Aber wo hattest du es her?« Mark erwiderte leise: »Ich war wütend auf Brian. Er hat mir meinen Ring weggenommen, um irgendwelche Drogen damit zu bezahlen. Er sagte, Jordan hätte behauptet, sie würden ihm helfen, sich besser zu konzentrieren. Ich war ziemlich sauer. Dann habe ich diese kleine Flasche in seinem Zimmer gefunden und mitgenommen. Danach bin ich mit ein paar Freunden zum Stausee gefahren. Wir wollten warten, bis sie schließen, um dann draußen zu zelten.« Er sah verlegen aus. »Wir versuchten Sunny ausfindig zu machen. Um Fotos zu machen und berühmt zu werden. Ich habe die Flasche ins Wasser geworfen. Ich habe sie nicht geöffnet oder so, aber irgendwie muss sie aufgegangen sein.« 283
Dann fügte er niedergeschlagen hinzu. »Es war kaum etwas drin.« »Offenbar war es genug«, warf Xander ein. »Xander«, Willow wies ihn zurecht. Mark begann zu weinen. »Ich habe sie umgebracht.« Giles fragte: »Sprichst du von dem Opfer?« Mark suchte die Nähe von Willow, die beschützend ihren Arm um ihn legte. »Wovon reden Sie?« »Um die Wahnsinnsdroge zu aktivieren – das ist die Droge, die Mark ins Reservoir geschüttet hat, muss man ein Blutopfer bringen«, erklärte Giles. »Ein Menschenopfer.« Buffy, Willow und Xander starrten schockiert auf den Jungen, dessen Gesicht kalkweiß wurde. Er schwankte ein bisschen und sagte: »Im Reservoir?« Giles beobachtete ihn genau. »Ja.« »Ich habe nichts dergleichen getan.« Er sah aus, als wolle er am liebsten verschwinden. Giles’ Blick wanderte zu Willow, die dem Jungen einen aufmunternden Klaps gab. Der Junge nickte. »Ich würde niemals... ich habe niemanden umgebracht, so wie mein Bruder –« Er schluckte die Worte hinunter und starrte stattdessen auf seine Hände. »Gut also«, sagte Giles. »Willow, bitte sieh die Polizeiakten durch. Ich bin sicher, es gibt einen ungelösten Mordfall oder einen Unfall, der an diesem Tag in der Nähe des Reservoirs stattgefunden hat.« »Von dem aus vielleicht eine Spur zu dem Opfer führt«, sagte Buffy langsam. »Das kann eine Weile dauern«, sagte Willow und zog sich einen Stuhl heran. »Ich muss alle Mordfälle der letzten Tage durchsehen, um etwas Derartiges zu finden.« Sie begann mit der Arbeit. 284
»Was ist mit vermissten Personen?« »Wie heißt sie?«, fragte Buffy. »Ida Bitterman.« »Ich habe ihren Mann da oben gesehen«, sagte Buffy nachdenklich und erinnerte sich an den Kerl, der ihr empfohlen hatte, sich einen Regenmantel und eine Waffe zu besorgen. »Halte das fest«, sagte Giles. Rom im Jahre 40 Sie waren alleine. Helen saß neben Diana und beobachtete ihren immer schwächer werdenden Atem. Die Fackeln erhellten das bleiche Gesicht. Dianas Wangen waren eingefallen und ihre Augen tief in die Höhlen zurückgesunken. Der Tod hatte begonnen, sie zu umarmen. Helen konnte seine Anwesenheit spüren. Sie fror und schlug die Arme um sich. Diana stöhnte leise. Ihre Brust hob sich. Helen hielt unbewusst mit ihr gemeinsam den Atem an. Ihr wurde schwindelig, aber Dianas Brust senkte sich noch immer nicht. Sie legte ihre Hand auf Dianas Brust und begann sanft, sie nach unten zu pressen, worauf Diana mit einem Seufzer ausatmete. Helen ließ ihre Hand auf Dianas Brust, die feucht und voller Blut war, und wartete geduldig auf den nächsten Atemzug. Als nichts geschah, beugte sie sich über Diana und flüsterte: »Atme, verdammt noch mal.« »Sie ist tot, du hast zu lange gewartet«, sagte Julian hinter ihr. »Nein«, es war ein Klagelaut, den Helen schaudernd hervorstieß. Julian schloss die Zelle auf und trat ein. Er ließ sich auf der anderen Seite der Jägerin nieder und legte seine Finger an ihren Hals. Diana bewegte sich unruhig und tat einen tiefen Atemzug. Julian nahm Helens Hand und liebkoste sie zart mit den Fingerspitzen. Seine Berührung war unglaublich sanft. Das 285
hatte sie nicht erwartet. Er fuhr langsam ihren Arm hinauf, zart wie Seide, aber sie blickte zur Seite. In all dem Schmerz, in all ihrem Zorn würde sie es nicht zulassen, dass seine Berührung ein Gefühl in ihr auslöste. »Sprich das Zauberwort, Helen, sie ist schon so gut wie tot. Ich werde der leidenschaftlichste Liebhaber sein, den du dir vorstellen kannst. Und ich werde dir für ewig treu sein. Kannst du das von einem Sterblichen erwarten? Wirst du überhaupt jemals die Liebe entdecken oder hier wie ein Tier sterben? Ich kann dir die Welt zu Füßen legen. Du wirst ihre Königin sein.« Sie hob das Kinn und sagte zu ihrer Verteidigung: »Ich habe die Liebe bereits kennen gelernt.« »Demetrius? Aber, kleine Helen, er war es, der Diana verraten hat.« Wie betäubt erwiderte sie: »Das kann nicht wahr sein.« »Aber es stimmt. Er handelte im Auftrag des Kaisers. Und du hast gesehen, wie er belohnt wurde.« Plötzlich stöhnte Diana und flüsterte: »Helen.« »Selbst im Sterben denkt sie noch an dich«, sagte Julian. »Ich schenke ihr das Leben, wenn du willst.« Er nahm Helens Hände in seine und richtete sie auf. Dann ging er langsam um Dianas Körper herum und wendete sich ihr direkt zu. »Es wird Zeit«, flüsterte er. Sie schloss die Augen. Diana, Schutzgöttin der Jäger, betete sie. Auch wenn ich die Form des Dämons annehme, rette meine Seele. Rette meine Unschuld. Aber sie war nicht unschuldig. Sie hatte Demetrius das gesagt, was er hören wollte. Und die Götter hatten sie dafür bestraft. Die Soldaten hatten sie anstelle von Diana mitgenommen. Julian knurrte wie ein wildes Tier. Die Augen noch immer geschlossen, flüsterte Helen: »Nein.« Scharfe Zähne durchstießen die Haut an ihrem Hals. 286
Keuchend wachte Helen auf und zuckte zusammen. Julian stand über sie gebeugt, eine Fackel in der Hand. Sie blickte in sein wahres Gesicht. Sein schönes Gesicht. »Oh«, sagte sie und streckte die Hand nach ihm aus. Er half ihr beim Aufstehen. Er liebkoste ihr Haar, ihre Schultern, ihr Gesicht. Schwach, wie sie war, ließ sie den Kopf zurücksinken. »Wie geht es dir, meine Geliebte?«, fragte er sie. »Ich bin hungrig.« Sie hatte Heißhunger. Sie öffnete ihren Mund, um ihn zu beißen, aber er lachte nur und drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Dein erstes Blut muss von einem Lebenden stammen«, sagte er. Er zeigte auf den Körper am Boden. »Ich habe dir ihr Leben geschenkt, als Gegenleistung für deine Verwandlung«, erinnerte er sie. Helen lachte und fiel neben der Jägerin auf die Knie. »Dann werde ich ihr das Leben wieder nehmen«, sagte sie strahlend. Ihr Ausdruck veränderte sich. Sie trank. Hemmungslos. »Wenn wir der Legende glauben können, dann wurde der Tod der Jägerin geheim gehalten«, sagte Giles. »Ebenso wie Helens Verwandlung.« Willow hatte keinen einzigen Mordfall, der in der Nähe des Reservoirs passiert war, gefunden, und sie hatte die Unterlagen des ganzen letzten Jahres durchsucht, nicht nur die der letzten Wochen. Mr. Bittermans Frau war allerdings auch nicht gefunden worden.
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»Versuch es weiter«, drängte Giles, während Mark, Buffy und Xander ihm ins Chemielabor folgten. Mark beobachtete ehrfürchtig, wie Giles die Chemikalien vermischte. »Am nächsten Abend arrangierte Julian ein Bankett. Er kündigte an, dass Helen zur Unterhaltung gegen einen neuen Angreifer kämpfen würde.« Giles hob das Gefäß, schob seine Brille nach oben und versuchte aus der Farbe der Flüssigkeit, die ein sehr helles Blau angenommen hatte, seine Schlüsse zu ziehen. »Es war eine Falle. Der Dämon, den sie bekämpfen sollte, gehörte zu Julians Leuten. Nach einem vorher vereinbarten Zeichen verwandelte sich Helen, und beide zusammen griffen den Kaiser an. Zunächst gelang es ihm zu entkommen, aber sie holten ihn ein und ertränkten ihn in einem römischen Aquädukt. Julian befahl, seinen Leichnam zu verbrennen, denn er hatte vor, die Asche aufzubewahren, da er glaubte, sie besitze magische Kräfte. Was ja offenbar auch stimmte. Julian wollte damit Meter zum Leben erwecken und die Herrschaft über das dämonische Reich an sich reißen.« »Aber er hat es nicht geschafft«, sagte Buffy. »Er wusste damals noch nicht, dass nach dem Tod einer Jägerin eine neue ihren Platz einnimmt und sofort angreift.« Er räusperte sich und blickte zu Buffy hinüber. »In der allgemeinen Verwirrung ging die Asche verloren. Ich kann nur vermuten, dass Julian und Helen deshalb hier sind, weil die Urne Caligulas ebenfalls hier ist. Vielleicht ist Willow in der Lage, etwas mehr über die Sache in Erfahrung zu bringen.« »Das könnte uns wirklich helfen«, sagte Xander. »Ich gehe und sage ihr Bescheid.« »Gute Idee«, bemerkte Giles. »Nimm Mark mit.« »Nein«, protestierte der Junge. »Ich möchte hier bleiben und zuschauen.« 288
»Es kann gefährlich werden. Ich bin nicht sicher, ob ich das Richtige tue«, sagte Giles. Die beiden verließen das Labor. Giles schaute Buffy an und sagte: »Ich weiß, du machst dir Sorgen wegen Angel.« »Keine Zeit dafür«, murmelte sie. »Rede weiter. Erzähl mir alles, was du weißt.« Er betrachtete sie einen Augenblick, dann wendete er sich wieder der Mixtur zu und fuhr in seinem Bericht fort. »Fast über Nacht verschwand das Chaos, das Rom regiert hatte. Der neue Kaiser, Claudius, rottete Vampire und Dämonen aus. Bis auf einige wenige wurden alle vernichtet.« »Das Chaos verschwand, aber wie?« »Eine sehr gute Frage und eine, auf die wir noch keine Antwort wissen.« Giles schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er fort: »Meine Quellen berichten, dass es zweier Komponenten bedarf, um die Wirkung der Wahnsinnsdroge aufzuheben. Die eine ist ein effektives Gegenmittel, das ich gerade herzustellen versuche.« »Und die andere?«, stieß Buffy ungeduldig hervor. Giles schaute zu Boden. Dann holte er tief Luft. »Die Ermordung des Kaisers in der Wasserleitung könnte ein Opfer dargestellt haben, das die Götter besänftigte und die Wirkung aufhob.« Buffy starrte ihn an. »Heißt das, jemand muss sterben?« Eine lange Pause entstand. »Ja. Um genau zu sein, die Person, die den Fluch ausgelöst hat.« »Das heißt, wer auch immer die Droge ins Reservoir geschüttet hat«, flüsterte Buffy. Sie starrten einander an.
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17 In der Bibliothek sagte Willow zu Xander: »Es gibt keine Geheimnisse um die Urne. Sie wurde bei einer archäologischen Ausgrabung entdeckt. Ein italienischer Experte fand, sie habe keinerlei historischen Wert. Also beschloss man, sie auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung zu versteigern. Irgendjemand hat sie für hundert Dollar erstanden. Erst später entschied ein anderer Experte, dass sie unbezahlbar sei.« Xander schnaubte. »Experten. Man muss sie einfach lieben.« Willow fuhr fort, vom Monitor abzulesen: »Die Urne wurde Teil einer Reiseausstellung, frei zum Verkauf und zur Auslieferung. So kam sie nach Sunnydale.« »Helen und Julian müssen ausgeflippt sein, als sie davon hörten«, bemerkte Xander. »Schließlich verhilft dieser Fund ihnen zu ihrem Glück.« Willow nickte. Dann schaute sie sich um. »He, wo ist Mark?« Buffy fragte Giles: »Also haben wir jetzt das Gegenmittel?« Sie zeigte auf das Glasgefäß. »Hübsches Blau.« Giles griff nach dem Glas. »Kamille. Ob du es glaubst oder nicht.« »Wie der Tee?« Sie runzelte die Stirn. Er berührte vorsichtig das Glas. »Diese Droge ist kein Gift im eigentlichen Sinne. Es ist eine Mischung aus verschiedenen Kräutern und Ölen, die den Geisteszustand des Menschen beeinflussen.« Er dachte einen Moment nach. »Zufällig scheinen wir über einige dieser Zutaten gestolpert zu sein. Ich hatte Kamillentee zu Hause. Ebenso die Rosenessenz, die in kleiner Menge in der Mischung enthalten ist. Je nach Dosierung kann uns das in den Zustand des Wahns versetzen oder uns beruhigen.« 290
Buffy nahm eine Gasmaske und deutete auf die Urne. »Ich hätte gerne einen Beweis dafür, dass dieses Zeug die Leute heilt.« Buffy hatte die Maske aufgesetzt. Dann öffnete Giles die Urne und verwandelte sich augenblicklich. Sofort griff Buffy zum Laborgefäß und hielt es ihm unter die Nase. Giles trank einen Schluck und wurde wieder ruhig. Trotzdem war er immer noch infiziert. Sein Blut, das sie sofort untersuchten, wies immer noch die geheimnisvollen schwarzen Punkte auf. »Das beweist, dass wir es hier mit einem Fluch zu tun haben«, erklärte Giles. »Es ist nicht einfach nur eine biochemische Reaktion.« Buffy verstand, was er meinte. Er und Willow benutzten ständig Flüche und Zauber, um die physische Manifestation des Übernatürlichen zu bekämpfen. Aber an die Ursache selbst kamen sie nicht heran. Was uns wieder zu dem Thema »Opfer« zurückführt, dachte Buffy. »Ich kann unmöglich einen kleinen Jungen umbringen. Das kann keiner.« Die Tür des Labors ging auf und Xander und Willow stürzten herein. »Mark ist weg«, sagte Willow. »Wir können ihn nirgends finden. Er muss davongelaufen sein.« »Und damit wäre unsere Diskussion hinfällig«, murmelte Giles. Xander fragte angesichts all der Ingredienzen und der Ausrüstung, die auf dem Labortisch stand: »Irgendwelche Fortschritte?« »Ja«, erwiderte Buffy vorsichtig. »Giles hat ein Gegenmittel gefunden.«
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»Sehr gut!« Xander imitierte Giles’ Akzent. »Also werden sie mehr von diesem Zeug herstellen, oder sollen wir es lieber mit einer Hand voll Mausefallen versuchen?« »Ich bin wirklich erstaunt, dass eine so kleine Menge der Droge einen so ungeheuerlichen Effekt hervorrufen konnte«, kommentierte Giles Xanders Showeinlage. »Wir werden das Gegenmittel zum Reservoir bringen und ins Wasser schütten. Das wird unsere Lage verbessern.« »Heißt das, wir können dafür sorgen, dass die Leute wieder normal werden?«, wollte Xander wissen. »Genau das«, murmelte Giles. »Ich wusste es.« Xander rieb sich die Hände. »Okay, Dr. Frank N. Furter. Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll.« Buffy saß zusammengesunken auf einem Laborstuhl und beobachtete Giles, der damit beschäftigt war, das Gegenmittel herzustellen. Angel war noch nicht aufgetaucht. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zurück zu jenem Geräusch, das ihr normalerweise ein Lächeln entlockte. Sie erinnerte sich an die kalte Hand auf ihrer Schulter. Der Klang seiner Stimme, so nah an ihrem Ohr. »Gut«, sagte Giles schließlich. »Ich glaube, wir haben jetzt genug. Wir müssen zum Staudamm fahren. Am besten nehmen wir auch die Urne mit.« »Aber wenn wir angegriffen werden, können Julian und Helen sie uns wegnehmen«, wendete Buffy ein. »Wir wissen nicht, wie viel Macht sie noch besitzen. Sie werden wahrscheinlich schon wissen, dass wir sie haben.« Sie dachte nach. »Andererseits können Vampire auch ohne Einladung die Schule betreten, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
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»Also nehmen wir die Urne mit«, fasste Xander zusammen. Er hob einen Finger. »Neuer Tagesordnungspunkt: Fortbewegung. Der Jaguar –« »Buffys Mutter hat ihren Wagen vorbeigebracht«, unterbrach ihn Giles. »Sie ist jetzt bei den Rosenbergs.« »Oh.« Willow zog ein Gesicht. »Wir sind fertig hier. Wir müssen los«, sagte Buffy. Sie verließen das Gebäude. Draußen entdeckte Buffy plötzlich einen Schatten an der Mauer. Mark? Ihr Herz machte einen Sprung. Angel? »Der Jaguar ist weg«, sagte Xander. Dann fügte er schuldbewusst hinzu: »Ich fürchte, ich habe die Schlüssel stecken lassen.« »Vielleicht ist Mark damit weggefahren«, sagte Willow. »Nun, ich hoffe, er kann damit umgehen. Es ist ein Auto für große Jungs.« Er wurde rot, als Buffy und Willow ihm gleichzeitig einen Blick zuwarfen. »Menschen. Es ist ein Auto für große Menschen, ich meine, Menschen die wirklich Auto fahren können, äh...« Hastig stiegen sie alle zusammen in Joyces Auto. Während Giles sich hinters Lenkrad setzte, tasteten Buffys Sinne die Umgebung ab. »Irgendwas Außergewöhnliches?«, fragte Giles. »Ich glaube, es ist alles okay«, antwortete sie. »Ich dachte, ich hätte einen Schatten gesehen. Aber soweit ich es beurteilen kann, werden wir nicht verfolgt.« Sie verließen den Parkplatz der Fakultät und fuhren in Richtung Reservoir. Was würde sie dort erwarten? Xander trommelte nervös mit den Fingern auf der Armlehne, während Buffy die Umgebung wachsam im Auge behielt.
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Noch immer waren die Einwohner Sunnydales unter dem Einfluss der Droge. Plündernd und johlend zogen sie durch die Straßen. Dann bog der Van in die 17. Straße ein. Während sie gegen die Erschöpfung kämpfte, dachte Buffy an die vielen Nächte, in denen ihre Mutter auf sie gewartet hatte, ohne zu wissen, wo ihre Tochter war. Die Rosenbergs taten ihr Leid. Sobald sie mit dieser Sache fertig waren, würden sie Willow zu Hause absetzen. Buffy schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an den Sitz, um sich einen Moment auszuruhen. Doch als sie die Polizeisirenen hörte, zuckte sie zusammen und war auf der Stelle hellwach. Sie schaute in den Rückspiegel. Mindestens ein Dutzend Polizeiwagen war hinter ihnen her. Außerdem eine Schlange von ungefähr zwanzig Privatfahrzeugen. Sie alle hatten ein Ziel. »Wir sind entdeckt worden«, sagte Giles. »Wie wär’s mit Fliegen«, schlug Xander vor. »Tu ich praktisch schon.« Giles warf einen Blick in den Rückspiegel. »Verdammt.« Er schaute hinüber zu Buffy. »Wenn irgendetwas passiert...«, fing er an. »Das Reservoir, ich verstehe.« Sie tätschelte den Koffer, der die beiden Flaschen mit dem Gegenmittel enthielt. Die Sirenen kamen näher. Ein Wagen holte auf und fuhr neben ihnen her. Eine Lautsprecherstimme krächzte: »Fahren Sie an die Seite. Wir sind bewaffnet.« Willow dämpfte ihre Stimme und begann zu singen. Giles biss die Zähne zusammen und fuhr weiter, während Buffy den Polizisten scharf beobachtete. Bis jetzt hatte er noch keine Waffe gezogen. »Und wie sieht Plan B aus?«, fragte Buffy unbehaglich.
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»Ich fahre langsamer, du springst aus dem Wagen, nimmst den Koffer mit und versuchst so schnell wie möglich zum Stausee zu laufen«, antwortete Giles. »Dann schüttest du das Gegenmittel ins Wasser und versteckst die Urne.« Sie wartete. Als er nicht weiter sprach, sagte sie: »Und was ist mit dem anderen Teil? Das Opfer und der Fluch?« »Fahrt augenblicklich an die Seite«, brüllte der Polizist. Jetzt hatte er seine Waffe gezogen. Buffy blickt zu Giles, der nickte und sagte: »Plan B.« »Jetzt«, rief Willow. »Gib meinem Zauber eine Chance.« »Ich werde schießen«, sagte der Cop und zielte auf den Vorderreifen. Willows Stimme wurde lauter. Wieder Latein, vermutete Buffy. Es schien, als seien alle guten Zaubersprüche – außer dem für die Wiederherstellung der Seele – in Lateinisch. Sie drückte Willow die Daumen, dachte kurz nach und löste die Finger wieder, für den Fall, dass diese Geste vielleicht Unglück bringen könnte. Plötzlich wurde der Wagen von einem dichten Nebel eingehüllt, der wie eine riesige Welle über das Auto schwappte. Buffy machte sich bereit für den Fall, dass jemand sie aus dem Nebel heraus angreifen würde. Während Giles weiterfuhr, wiederholte Willow ihren Zauberspruch. »Weiter so, Chica«, drängte Xander sie. Der Nebel hüllte sie und ihre Verfolger ein. Giles machte die Scheinwerfer aus und murmelte: »Das hätte ich gleich zu Anfang machen sollen.« Dann erhöhte er die Geschwindigkeit. »Giles, ich glaube Plan B ist immer noch unser stärkster Trumpf«, beharrte Buffy. »Sie werden dich zwingen anzuhalten.«
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Sie presste den Koffer an ihren Körper und öffnete die Beifahrertür. Der Nebel kroch feucht und eisig herein. Giles war von der Straße auf einen unwegsamen Acker abgebogen. Buffy stolperte aus dem Wagen. Einen Moment lang war ihr schwindelig. Dann entfernte sie sich von den anderen, rollte über die Schulter ab und verschwand im Dunkeln. Giles kehrte nicht auf die Hauptstraße zurück. Stattdessen fuhr er rückwärts in den Nebel. Sirenen heulten hinter ihnen auf. Giles machte den Motor aus. »Umpf«, kommentierte Willow, aber Xander fand, es sei genau das Richtige. »Das nennt man stille Flucht, Will«, klärte er sie auf, während er nach ihrer Hand tastete. Er hielt sie fest und drückte sie. »Zumindest machen es so die U-Boote im Kino. Sie können uns nicht orten, wenn sie uns nicht hören. Wir unterlaufen praktisch ihren Radar.« »Nur, dass ich diesen Zauber nicht mehr lange aufrecht erhalten kann«, erwiderte sie kläglich. »Oh«, Giles schien überrascht. »In diesem Fall –« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Es gab einen furchtbaren Ruck, ein Knirschen, und kurz darauf hörten sie ohrenbetäubendes Geschrei. Als Nächstes wurde Xanders Tür aufgerissen. Große, klobige Hände griffen nach ihm und zogen ihn aus dem Wagen. »Willow!«, rief er. »Lauf weg!« »Halt das Mädchen fest!«, befahl eine tiefe Stimme. »He!«, protestierte Xander. »Das könnt ihr nicht mit uns machen – wir sind Amerikaner!« »Wir aber nicht!«, erwiderte die Stimme. Dann fühlte Xander nur noch, wie ein feuchter Lappen ihm über Nase und Mund gedrückt wurde. Bevor er das 296
Bewusstsein verlor, registrierte er, dass seine Stimme wie ein Echo klang. Dann rollten seine Augen nach innen. Buffy rannte den steilen Weg zum Stausee hinauf. Der Nebel war verflogen. Von oben sah sie unzählige Rücklichter. Es waren Autos, die die Stadt verließen, und sie fragte sich, ob Giles und die anderen es wohl geschafft hatten, dem Mob zu entkommen. Die beiden Fläschchen und die Urne waren im Koffer verstaut und hatten ihren Sprung aus dem Auto unbeschadet überstanden. Das war immerhin etwas. Nasse Zweige schlugen ihr ins Gesicht, als erneut der Wind aufkam. Sie schob sie zur Seite, duckte sich jedoch schnell wieder, um in Deckung zu bleiben. Jetzt war es nicht mehr weit. Sie zog sich an Büschen über den nassen, schlüpfrigen Boden und empfand einen leichten Triumph, als sie endlich die Treppe entdeckte, die nach oben auf den eigentlichen Damm führte. Sie erhöhte ihr Lauftempo und hechtete über Treppenstufen – immer zwei auf einmal. Das Tor war noch immer unverschlossen. Es quietschte laut, als sie es öffnete und hastig hindurchschritt. Dann war es so weit. Vorsichtig ließ Buffy den Deckel des Koffers aufschnappen und nahm eine der beiden Flaschen heraus. Sie zog den Korken ab. »Lass es bitte wirken«, flüsterte sie. Ihr eigener Zauberspruch. Oder war es eher ein Gebet? Vielleicht beides! In diesem Augenblick tauchte eine Silhouette aus der Dunkelheit auf und näherte sich ihr. Buffy setzte die Flasche ab, richtete sich auf. Sie machte eine Drehung um hundertachtzig Grad und stieß ihren Fuß in den Körper eines ledernen Dämons. Nur knapp verfehlten sie seine Klauen. Mit ein paar gezielten Schlägen auf den Kopf konnte die Jägerin ihn schließlich außer Gefecht setzen. Als sie sich umblickte, sah sie, dass sich inzwischen eine Reihe von 297
anderen Vampiren um sie herum versammelt hatten. Sie taxierte jeden Einzelnen von ihnen und entschied sich dafür, mit dem größten zu beginnen: Ein Glatzkopf, der rechts von ihr stand. Nachdem sie auch seine Nachbarn erledigt hatte, blieben noch drei übrig. Sie ließ sich auf die Knie fallen und zwei von den dreien prallten bei dem Versuch, Buffy zu erwischen, aufeinander. Es sah ziemlich komisch aus, aber sie hatte keine Zeit zum Lachen. Mit einem langen Ast von einem Manzanita-Busch stürzte sie sich auf den dritten Vampir. In weniger als einer Sekunde war der Angriff mit einer Explosion und etwas Staub zu Ende. Buffy sprang auf die Füße, bereit für den nächsten Gegner, als ein blonder Vampir aus dem Schatten trat und sagte: »Jägerin, warte.« Er hatte einen britischen Akzent. »Was, wollt ihr Typen etwa jetzt schon Pause machen?«, fragte sie und schätzte kühl ihre Chancen ab. Immer mehr Vampire traten aus dem Schatten heraus. Es schien kein Ende zu nehmen. »Nein, aber er braucht eine Pause.« Der Vampir zeigte hinüber zum See. Buffy riskierte einen Blick. Etwa sechs Meter vom Ufer entfernt schlug eine kleine Gestalt im Wasser die Hände hoch. »Buffy!«, rief Mark. »Buffy, lauf weg!« Sie ballte die Fäuste und hielt sie dem Vampir entgegen. »Dafür sind wir nicht verantwortlich. Aber wenn du uns bereitwillig folgst, erlauben wir dir, ihn zu retten. Wir können aber auch mit dem Kampf fortfahren, während er ertrinkt.« Sie glaubte ihm kein Wort. Aber sie musste Mark retten. Dann konnte sie weitersehen. »In Ordnung«, antwortete sie und kämpfte sich ihren Weg frei. Sie hatte die erste Flasche mit dem Gegengift aus den Augen verloren, aber der Koffer, der die zweite Flasche und die Urne enthielt, lag direkt am Ufer. Einen Meter vom Wasser 298
entfernt. Sie nahm einen tiefen Atemzug und zog langsam ihre Jacke aus. Dabei ließ sie das Kleidungsstück so unauffällig wie möglich über den Koffer fallen. Dann schob sie ihn mit dem Fuß ins Wasser und sprang direkt hinterher. Wie sie es erwartet hatte, war es am Rand des Stausees nicht tief. Sie griff nach dem Koffer und zog ihn unter Wasser hinter sich her. Dann begann sie zu schwimmen. Nach kurzer Zeit tastete Buffy nach der Flasche, entkorkte sie und ließ den Inhalt ins Wasser fließen. Sie hoffte inständig, dass es ausreichen würde. Immer noch den Koffer hinter sich her ziehend, schwamm sie so schnell sie konnte zu Mark hinüber. Er schlug wild um sich. Buffy packte ihn und versuchte, ihn zu besänftigen. »Ganz ruhig, ich habe alles im Griff.« Aber er wollte ihr entkommen. »Lass mich los. Ich muss sterben. Ich habe es in den See geschüttet.« Buffy war mulmig. Sie hätte wissen sollen, dass er Giles und sie belauscht hatte. Sie hielt ihn fest und schüttelte ihn sanft. »Nein, nein. Niemand wird sterben.« Während er noch mit ihr rang, kam er mit dem Gesicht unter Wasser. Spuckend und hustend tauchte er wieder auf. »Jägerin, wir warten.« Der blonde Vampir beobachtete sie vom Ufer aus. Buffy schätzte die Situation ab. Alleine hätte sie vielleicht versuchen können, weiter hinauszuschwimmen, um das andere Ufer zu erreichen, aber mit Mark zusammen hatte sie keine Chance. »Buffy, bitte lass mich los«, bettelte der Junge. »Wenn ich hier sterbe, kann ich viele Menschen retten.« »Nein, du wirst nicht sterben.« Sie zuckte innerlich zusammen und hoffte, sie würde Recht behalten. Regel Nummer 217 des Jäger-Handbuchs: Vertraue nicht darauf, dass ein Vampir sein Wort hält. Vampire haben kein Ehrgefühl.
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Aber manchmal konnte das Leben seltsame Überraschungen bereithalten. Buffy erreichte das seichte Wasser und versteckte den Koffer so gut es ging hinter einem Gebüsch am Ufer. Dann half sie Mark. Als der blonde Vampir eine Hand ausstreckte, ignorierte Buffy sie und stieg ohne Hilfe aus dem Wasser. Mark blieb dicht hinter ihr. »Warum habt ihr zugelassen, dass ich ihn rette?«, fragte sie den Vampir. »Du hättest sonst noch mehr von meinen Untergebenen verwundet«, erwiderte er ruhig. »Wie konntest du wissen, dass ich zurückkomme?« Er zuckte die Schultern. »Das tat ich nicht. Aber ich hätte dich zurückgeholt.« Er zeigte auf den Dämon mit den Flügeln und klatschte in die Hände. »Legt sie in Ketten.« »Oh bitte.« Buffy verzog das Gesicht, als zwei der Vampire mit mächtigen Handschellen auf sie zu kamen. »Herkules selbst könnte sie nicht durchbrechen«, sagte der Vampir. »Aber du bist eine Jägerin, das ist etwas anderes.« Auf sein Zeichen hin befestigten die Vampire die Handschellen an ihren Gelenken. Dann kam jemand von hinten und drückte ihr einen übel riechenden Lappen auf die Nase. »Tut ihr nichts!«, schrie Mark. Unglücklicherweise kämpfte Buffy dagegen an. So ging die Sache nicht ganz schmerzlos ab. Die Jägerin erwachte in einem Metallkäfig. Ihre Hände lagen in Ketten, die rechts und links von ihr am Boden befestigt waren. Nicht gerade die neueste Erfahrung für die Auserwählte, aber auch nicht gerade das, was sie bevorzugte. Egal, was Angel über Handschellen sagte. Angel...
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Vor dem Käfig stand Helen. Sie trug ein metallenes Korsett, ein Kettenhemd und – oh, natürlich, ihr Vampirgesicht. Ihre Augen glühten und Buffy erkannte sofort den Wahnsinn, dem sie ausgeliefert war. »Jägerin«, zischte sie. »Ich sollte dich auf der Stelle töten.« »Dieses Vergnügen ist schon vergeben«, sagte Julian, der hinter ihr vortrat und seine Hand auf ihre Schulter legte. Helen erstarrte. »Es ist mein Recht und mein Privileg.« »Ich habe mir etwas für sie ausgedacht. Etwas, das dich über alle Maßen erregen wird.« Ihr Gesicht zeigte großen Zorn. Er sah es nicht, aber Buffy. »Oh?«, sagte sie scheinbar überrascht. Er lächelte in sich hinein. »Ja.« Als er ging, schaute er sich um, ob sie kommen würde, aber die Vampirin blieb bei Buffy. Julian zuckte die Schultern und verschwand im Dunkeln. Helen schaute zufrieden auf ihre Gefangene und ließ ihre Finger über das Kettenschloss gleiten. »Ich werde dich töten«, sagte sie entschlossen. »Es ist mir egal, was Julian vorhat. Ich werde mein Recht bekommen.« »Wer machte dich zur Mörderin der Jäger?«, fuhr Buffy sie an und riss an ihren Ketten. Sie hielten. Echt professionell. »Es geschah, als Diana starb.« Helen beugte sich zu ihr, als spräche sie mit einem Kind. »Hör mir gut zu. Im Kampf zwischen Gut und Böse muss das Gute unweigerlich verlieren, weil es nur auf das Böse reagiert. Das Böse ist immer einen Schritt voraus.« »Nein«, gab Buffy ruhig zurück. »Das glaube ich nicht.« »Du wirst sterben, bei dem Versuch, das Böse zu vernichten. Das kannst du mir glauben«, fuhr Helen fort und presste ihr Gesicht so fest zwischen die Gitterstäbe, dass das Blut hervorquoll. Doch sie zeigte kein Anzeichen von Schmerz.
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»Und das Böse wird dich überleben. Deine Nachfolgerin wird ebenfalls sterben – wie die anderen auch...« Sie richtete sich auf und starrte Buffy bedrohlich von oben herab an. Im dämmrigen Licht sah sie aus wie eine griechische Statue, kalt und hochmütig, hart und unerbittlich. Und alle sagen, ich sei wahnsinnig? »Das Böse kann nichts erschaffen«, konterte Buffy. »Es kann nur zerstören.« Buffy versuchte ihre Hände zu befreien, aber die Ketten hielten. »Du bist aus Verzweiflung so geworden, wie du bist. Du dachtest, man hätte dich verlassen.« Helen kräuselte ihre Lippen. »Ich wurde verlassen.« »Aber Jägerinnen funktionieren nicht so.« Buffy zog an den Ketten. »Sie riskieren alles, um Menschenleben zu retten.« »Verausgabe dich nicht. Du wirst deine Kräfte für die Arena brauchen.« Helen wandte sich ab und verschwand. »Diana hat dich nicht verlassen!«, rief Buffy ihr nach. »Sie ist für dich gestorben!« Helen antwortete nicht. Doch dann blieb sie stehen und drehte sich um. »Du vergisst, dass ich sie getötet habe.« Buffy schaute sie durchdringend an. »Ich bin sicher, sie hat das verstanden. Und sie hat dir vergeben.« Helen schnaubte verächtlich. »Du redest wie ein Kind.« Sie zögerte. »Angelus«, sagte sie sanft. »Hast du ihn gesehen?« Sie weiß nichts davon, dachte Buffy und schwieg. Verstimmt zog Helen sich in die Dunkelheit zurück. Nachdem sie die Jägerin verlassen hatte, ging Helen zu Cordelias Käfig. Sie hatten den, den man Oz nannte, aus ihrer Zelle entfernt, bevor es dunkel war. Das Mädchen machte Liegestütze. »Hallo, schwarze Schönheit«, begrüßte Helen sie. 302
Cordelia nahm keine Notiz von ihr. »Du weißt, dass wir vorhaben, dich in der Arena kämpfen zu lassen, und du weißt, dass du sterben wirst.« »Schlag mich«, sagte Cordelia, während sie mit den Liegestützen fortfuhr. »Nur zu.« »Wenn du die Jägerin jetzt tötest, würde ich dich verschonen. Und ich werde dir Julian vom Hals halten. Sie ist angekettet, es wäre eine leichte Sache.« Cordelia gab einen Grunzlaut von sich. Dann setzte sie sich auf und sagte: »Ich wünschte, ich hätte die Kraft, dir ins Gesicht zu lachen.« Als Nächsten besuchte Helen den kleinen Rotschopf. Sie lächelte sanft zur Begrüßung. »Sei gegrüßt. Wirst du gut behandelt?« »Für jemanden, der gegen seinen Willen von Vampiren festgehalten wird, denke ich schon«, erwiderte Willow nervös. »Wo ist Buffy?« »Sie ist der Gegenstand unserer Unterhaltung.« Sie lächelte wieder. »Ich möchte dir einen Handel anbieten. Dein Leben für das ihre.« Dabei holte sie ein Ritualmesser hervor. »Alles, was du tun musst, ist, ihr das Herz herauszuschneiden. Sie ist erschöpft. Sie kann sich nicht mehr wehren.« Willow starrte sie an. Helen wartete. »Nun. Es wird keine zweite Chance für dich geben.« Der Rotschopf schwieg und Helen entfernte sich. »Sei gegrüßt, mein Hübscher«, flötete Helen an Xanders Käfigtür. Xander schluckte. Warum denken diese Monstertussis immer, dass ich sie scharf fände? 303
»Du verstehst doch, dass man dich hierher gebracht hat, um zu sterben?« »Nun, bis jetzt war mir das nicht so klar. Danke für die Info.« Xander schaute sie böse an. Sie lachte in sich hinein. »Ich kann das verhindern und ich werde es verhindern.« Er hörte nicht auf, sie zu beobachten. »Das macht mich überglücklich.« »Wenn du die Jägerin auf der Stelle tötest. Sie ist völlig hilflos.« Xander blickte sie fassungslos an. Dann sagte er schließlich: »Bist du verrückt geworden?« Sie zuckte die Schultern und war im nächsten Moment verschwunden. »Wächter«, sagte sie zu Giles. »Ich habe einige Wächter gekannt. Die meisten sind unter der Folter zusammengebrochen. Sie haben mir alles erzählt, was ich über Jäger und Jägerinnen wissen wollte – Gewohnheiten, Verstecke, Schwächen, Vorlieben. Danach war es leicht, sie zu fangen.« Giles’ Augen waren mit den ihren auf gleicher Höhe. »Ich hoffe von Herzen, dass du lügst.« Sie lächelte, bedächtig wie eine Kreatur, die weiß, dass sie ewig leben wird und alle Zeit der Welt hat – im Gegensatz zu ihrem Gefangenen. »Wir haben dich als Opfer für Meter vorgesehen«, sagte sie. »Wir werden dich langsam foltern. Dein Tod wird außergewöhnlich sein und der Schmerz unerträglich. Ich werde dir das ersparen, wenn du die Jägerin tötest. Jetzt sofort. Sie kann sich nicht wehren.« »Angel hatte Recht«, erwiderte er zögernd. »Du bist tatsächlich wahnsinnig.«
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Im Allerheiligsten kniete Julian vor einem schlagenden Herzen am Altar und rief: »Meter.« »Ich lebe«, erwiderte die Stimme. »Aber ich habe keine Form. Die Asche ist am See. Hol sie und ich werde auferstehen.« »Der Stausee«, sagte Helen und klatschte vor Freude in die Hände. »Wen sollen wir schicken?« Jemand schien zu kommen. Xander nahm einen tiefen Atemzug und schlug die Arme um sich. Er hatte dem Tod schon oft ins Auge gesehen und, ja, es machte ihm noch immer schreckliche Angst. Doch manchmal – an einem guten Tag – war er in der Lage, ruhig zu bleiben. Der Strahl einer Taschenlampe leuchtete ihm direkt in die Augen. »Harris, ich bin es, Willy.« »Warum überrascht es mich nicht, dich hier zu sehen?« Xander zog die Worte in die Länge, während er den schmierigen Barkeeper betrachtete. »Hör zu. Ich werde dich hier herauslassen. Ich habe einen Schlüssel. Du haust ab und gehst auf der Stelle zum Staudamm. Da liegt irgendwo Asche rum, die magisch ist oder so.« »Die Urne von Caligula?«, fragte Xander. »Ja, was auch immer.« Willy sah völlig verängstigt aus. »Sieh zu, dass du sie loswirst.« »Wie soll ich sie loswerden?« Willy zog einen Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete das Schloss seines Käfigs. »Geh jetzt. Du musst selbst rausfinden, wie du das machst.« Er gab Xander noch einen Schlüssel. »Der ist für meinen Wagen. Der Pontiac steht auf der anderen Seite der Straße. Er hat eine Beule.« Xander nahm die Schlüssel an sich. »Wie kann ich wissen, dass du auf unserer Seite bist?« 305
»Harris, hast du diese Vampire gesehen? Das sind keine guten Leute«, sagte er ernsthaft. Xander schaute ihn einen Moment ungläubig an. Dann schüttelte er den Kopf und rannte los so schnell er konnte.
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18 Buffy war bereit, als sie kamen, um sie zu holen. Julian und Helen waren von Vampiren und Dämonen umgeben, die sich alle für den Anlass herausgeputzt hatten: Sie trugen Togas, weite Ballkleider und viktorianische Hüte. Sie lachten und plauderten. So wie sie vor ihrer Zelle auf- und abmarschierten, erschienen sie ihr wie eine Karnevalstruppe. Der letzte Abschaum. Nur mit einer Armee von Leibwächtern trauten sie sich, Buffy rauszulassen. »Jägerin«, sagte Julian, der angezogen war, als wolle er Pontius Pilatus in einer Schulaufführung spielen. Er streckte ihr seine geöffnete Hand entgegen. »Ich grüße dich.« »Den Tag muss ich im Kalender anstreichen«, erwiderte Buffy trocken. »Zieh diese Rüstung an.« Er zeigte ihr einen gebogenen, glänzenden Brustpanzer. »Am Ende sehe ich noch aus wie eine echte Superheldin«, schnaubte sie verächtlich und begutachtete kurz die Rüstung. »Alles dran.« Die Vampirtruppe unterdrückte ein Lachen, und Julian musste grinsen. Helen sah mehr als unzufrieden aus. »Hör mir gut zu«, sagte er, immer noch lächelnd. »Wenn du versuchst zu fliehen, werden wir alle deine Freunde töten.« Sie begriff sofort und nickte. Es überraschte sie nicht. Sie versuchten es immer wieder. Deshalb hatten Jägerinnen, das wusste sie nur zu gut, auch kaum irgendwelche Freunde. Auf ein Zeichen hin trat ein riesiger blauer Dämon, ähnlich dem, den sie gemeinsam mit Angel gegrillt hatte, auf ihren
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Käfig zu und öffnete ihn. Ein anderer löste ihre Ketten vom Boden. Beide warteten darauf, sie nach draußen zu begleiten. »Auf in die Arena«, sagte Julian erfreut. »Kann ich vielleicht vorher duschen?«, grummelte Buffy vor sich hin, während sie den Brustpanzer überzog. Ein Wunsch, der dein Herz gebrochen hat, lässt dich aufschreien... Buffys Albträume hatten sich erfüllt. Die Arena war ein ausgedehntes, unterirdisches Amphitheater, das erst kürzlich erbaut worden war, wenn man nach dem untadeligen Zustand der Steinarbeiten und der Sitzreihen urteilte. Zwischen den Sitzreihen verliefen rote Stege, von der letzten Reihe ganz oben bis hinunter zu der Mauer. Hier und da standen ein paar weiße Statuen herum, nackt und vorwiegend im schmerzvollen Todeskampf dargestellt. Zahllose Schädel – möglicherweise echt – und übergroße Steinvasen, die mit Rosen und anderen Blumen gefüllt waren, standen herum. Nicht unbedingt die geschmackvollste Ausstattung. Die Decke der Höhle war nicht zu sehen. Die brennenden Fackeln erleuchteten die Gesichter der dämonischen Zuschauer, von denen Buffy einige wieder erkannte. Sie aßen und tranken, schnippten mit den Fingern nach nervös dreinschauenden Togaträgern, die herumflitzten wie Hot-Dog-Verkäufer bei einem Baseballspiel. Buffy stand unter einer kleinen Plattform in der Mitte der Arena. Sie war mit einer wirklich beeindruckenden Rüstung geschmückt. Es gab dem Wort »Auftritt« eine neue Dimension. Sie hatten ihr auch ein Hemd angezogen, das aus Lederstreifen
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bestand und bis zur Hüfte ging. Dazu passende Lederstiefel bis zu den Knien. Wenn ich das hier überlebe, dachte sie, muss ich diese Dinger unbedingt beim nächsten Halloween tragen. »Freunde, Vampire, Landsleute!«, begann Julian. Er schritt durch eine Seitentür und schlenderte ins Zentrum der Arena. Er trug eine Art kurze Toga und darüber ein rotes Gewand, das den Boden berührte. Während er sich bewegte, schimmerte ein Kranz aus goldenen Blättern in seinem blonden Haar. Buffy überlegte kurz ihn anzugreifen, aber seine Wachen hielten sie von weiteren Überlegungen ab. Helen saß auf einer Plattform rechts am Rand der Arena auf einem reich verzierten goldenen Stuhl. Der Stuhl neben ihr war leer. Sie trug ihre Calisto-Kleider und eine schwere, goldene Krone. Julian fuhr fort mit seiner Eröffnungsrede. »Heute Nacht werden wir die Auferstehung unserer schwarzen Mutter feiern. Nach Jahrhunderten des Opferns werden wir sie zum Leben erwecken durch das Herz einer Jägerin!« Die Menge tobte. »Heil, Julian!«, rief jemand. Eine andere Stimme schloss sich an, bis das Geschrei zum Gesang anschwoll. Julian warf den Kopf zurück, als sie seinen Namen skandierten. Was für eine Verschwendung, dachte Buffy. Er ist so süß. »Was hältst du davon, Jägerin?«, fragte er. Sie zuckte die Schultern. »Ich finde, ich sollte einen Teil der Einnahmen bekommen, außerdem auch was vom T-ShirtVerkauf.« »Ich kann deinen Schmerz fühlen«, erwiderte er. Sie packte das Schwert, das sie ihr gegeben hatten.
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Das ist eine Waffe. Scharf. Ein bisschen zu schwer vielleicht. Ich hätte ihn erledigen sollen, als ich die Chance dafür hatte. Aber natürlich hätte ich dann auch einen Pflock gebraucht. Sie schaute sich unauffällig um, ob irgendetwas in ihrer Nähe aus Holz war. »Nachdem ihr alle tot seid, könnte man aus dem hier ein hübsches Theaterrestaurant machen«, sagte Buffy ungerührt. »›Die Schöne und das Biest‹ kommt immer gut an.« Julian hob einen goldenen Kelch. »Auf die Letzten, die Aufrechten, die Edlen«, rief er. »Sprechen wir vom Schmerz. Ich biete dir einen Trank an, der deinen Körper gefühllos machen wird. Du wirst keinerlei Schmerzen spüren.« »Danke. Aber ich glaube, da sag ich lieber Nein.« Buffy fasste nach dem Schwert. »Und ich hoffe sehr, dass dein Tod voll von süßem Schmerz sein wird.« »Wenn du statt Helen in Rom gekämpft hättest, dann würden wir schon jetzt diese Welt regieren«, sagte er leise, sodass nur sie es hören konnte. Er kam näher. »Ich bin ein unvergesslicher Liebhaber, Buffy Summers. Und ein wunderbarer Gefährte. Sag das Zauberwort, und ich werde dich hier und jetzt zu meiner Königin machen.« »Immer noch ›Nein‹«, erwiderte sie. »Aber wenn du nicht durch und durch böse und widerlich wärst, dann...« »Um ehrlich zu sein, ich würde immer noch ›Nein‹ sagen«, schloss sie. »Sehr gut.« Er klatschte in die Hände und streckte seine Arme aus. »Wir wollen unsere Mutter anbeten!« Man hörte Flötenmusik erschallen, während Frauen in filmreifen Roben, mit Trauben im Haar, die Treppe herunter stolzierten. Dann erhob sich die Menge. Es wurde eine Plattform hereingebracht, auf der die monströse Statue einer Dämonin stand. Vielleicht ist das Meter, dachte Buffy. Oder vielleicht die Göttin des PMS. 310
»Die Jägerin wird so lange kämpfen, bis ihre Kräfte sie verlassen. Diejenigen, die sie herausfordern möchten, sollen sich nun melden. Aber es ist ihnen nicht erlaubt, sie zu töten. Wir werden ihr das schlagende Herz herausschneiden und es mit der Asche unseres Ahnen Caligula vermischen. Dann wird Meter dieses köstliche Mahl zu sich nehmen und auferstehen.« Asche?, Buffy war alarmiert. Haben die etwa die Urne? »Ungeheuer, Dämonen und Vampirgladiatoren, sie alle erwarten den glorreichen Kampf der Jägerin. Lasst das Schauspiel beginnen!« Der ganze Ort begann, unter den Rufen zu beben, als Buffy von zwei gut ausgerüsteten Kreaturen auf die linke Seite der Arena geführt wurde. Mehrere Holztore – Tore aus Holz – bewegten sich und knarrten, während etwas dahinter versuchte, sich zu befreien. Buffy drehte ihren Kopf leicht zur Seite und straffte in Erwartung ihres ersten Gegners die Schultern. Dann kam ihr ein Gedanke: Wenn die wirklich die Asche haben, dann darf ich auf keinen Fall sterben. So viel zum Thema »Druck«. Xander hatte den Pontiac mühelos gefunden und war in Rekordzeit zum Staudamm gerast. Für ihn war es ein Rekord, denn er war zum ersten Mal in seinem Leben dorthin gefahren. Als er zum Tor kam und sah, dass es nicht verschlossen war, gab er Gas. Dann fuhr er den Wagen so nah wie möglich an den See heran. Er stieg aus und stapfte durch den vom Regen nassen und schlammigen Untergrund. Er hatte keine Ahnung, wo er suchen sollte. Die Urne konnte überall sein. In diesem Augenblick trat ein schäbig gekleideter Mann aus dem Gebäude. Er hatte eine Taschenlampe bei sich und leuchtete Xander damit ins Gesicht. Auf seiner Jacke stand der Name Jake Bitterman. 311
Das erinnert mich doch an was, dachte Xander aufgeregt. Irgendwas hat Willow über ihn gesagt. Oder über seine Frau? »Abend«, sagte der Mann. »Kann ich Ihnen helfen?« »Oh.« Xander setzte ein großes, falsches Lächeln auf. »Ja, äh, ein Freund von mir hat so einen Tontopf hier irgendwo liegen lassen. Eine kleine Vase, ungefähr so groß?« Er gestikulierte und beobachtete den Mann gleichzeitig aufmerksam. »Hmm, wo ungefähr?«, fragte Bitterman, aber er schien nicht sonderlich interessiert. Xander bleib jedoch weiterhin wachsam. »Ich bin nicht sicher.« »Nun, der See ist groß. Weißt du ungefähr, wo sie ihn fallen lassen hat?« Sie? Ich habe nichts von einer Freundin gesagt. Xander blieb bei der freundlichen Masche. »Keine Ahnung, am besten ich rufe sie an und frag sie noch mal«, sagte Xander. Der Mann griff in seine Jackentasche und zog einen Revolver heraus. »Du bleibst da stehen«, befahl er Xander. Verdammt, ich hasse es, wenn meine Instinkte so gut funktionieren, dachte Xander, während sein Herz anfing zu rasen. Der Mann drehte sich um und winkte. Die Tür ging auf. Mark Dellasandro kam zuerst heraus. Mindestens sechs Vampire waren direkt hinter ihm. So unschuldig wie möglich fragte Xander: »Was ist denn hier los?« »Willy hat angerufen«, berichtete Bitterman. »Irgendwie hatte er das Gefühl, ihr wüsstet, wo die Urne ist. Fehlanzeige, wie üblich. Wir hatten ein paar Dutzend Jungs hier oben, die konnten sie auch nicht finden.« Er klang angewidert.
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Mark rannte zu Xander hinüber. Xander drückte ihn und nahm ihn schützend zur Seite. Dann fragte er Bittermann: »Wie hoch ist Ihr Anteil?« Bitterman feixte. »Wie der von Willy. Ich arbeite für die neuen Besitzer«, erklärte er. »Sie haben mich vor kurzem gebeten, etwas ins Wasser zu tun.« Xander starrte ihn an. Dann sagte er langsam. »Ihre Frau wird vermisst.« »Ja, ja.« Er rieb sich die Hände. Dann wendete er sich den Vampiren zu. »Wollte mich abzocken, wenn ich mich von ihr scheiden lasse, also...« Er zuckte gleichgültig die Schultern. »Julian erklärte, dass ich ein Opfer bringen müsse, um die Wahnsinnsdroge zu aktivieren. Das war die beste Nachricht, seitdem die Schlampe die Scheidungspapiere unterzeichnet hat.« Mark blickte Xander an und flüsterte: »Aber ich habe die Droge doch ins Reservoir geschüttet.« »Wir werden uns verteilen«, ordnete Bitterman an. »Wenn wir die Urne nicht in den nächsten, sagen wir, zehn Minuten finden, dann müssen wir Verstärkung anfordern.« »Die Spiele haben schon begonnen, und wenn das Herz der Jägerin aufhört zu schlagen, bevor wir die Asche abgeliefert haben, dann wird sich die Hölle für uns auftun.« Während man sie zum See trieb, flüsterte Xander Mark zu: »Giles konnte sich nicht erklären, wie eine so kleine Menge von diesem Zeug diesen ganzen Hokuspokus verursacht haben konnte. Sieht so aus, als sei Bitterman der Anfang der Geschichte. Verstehst du, was ich damit sagen will?« Er berührte seine Schulter. »Es ist nicht deine Schuld.« »Also wäre der Fluch gar nicht aufgehoben worden, wenn ich ertrunken wäre«, sagte Mark. Er brach in Tränen aus und stolperte weiter, gedrängt von einem der Vampire, der hinter ihm ging.
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»Sieht so aus«, murmelte Xander. »Und es sieht auch so aus, als gäbe es einen neuen Kandidaten für das Opfer.« Die Begeisterung war auf dem Höhepunkt angelangt, als Buffy ihren dritten Gegner traf: Ein Gigant, rundum bewaffnet und gepanzert bis an die Kiemen, die zwischen seinen Augen saßen. Das Publikum begann Wetten abzuschließen. Schon bald lag der Kopf des Giganten zu ihren Füßen und die Menge tobte, applaudierte und pfiff. Buffys beschädigtes Schwert war durch ein neues ersetzt worden. Blut in verschiedenen Farben bedeckte das Leder auf ihrem Schild. Andere Gegner traten vor, zum Teil einzeln, manchmal auch paarweise. Während sie sich einen nach dem anderen vornahm, begann Buffy langsam müde zu werden. Nach etwa einer weiteren Stunde machte Helen Buffy ein Zeichen. »Siehst du, was ich erdulden musste, Nacht für Nacht, mehr als ein Jahr lang?« »Das ist der Dauerzustand einer Jägerin?«, gab Buffy zurück. Helen sah sie irritiert an. Julian tätschelte ihre Hand, aber sie entzog sie ihm. »Mach dir keine Sorgen, meine Geliebte«, sagte er. »Heute Nacht wird alles vollkommen sein. Wir werden ein neues, goldenes Zeitalter beginnen.« »Wenn wir die Asche bekommen«, erwiderte sie scharf. Hörst du das? Sie haben die Asche nicht gefunden. Buffy hätte die ganze Nacht tanzen können... vielleicht auch nur dreißig Sekunden. Julian lachte in sich hinein. »Wir werden sie bekommen. Willy hat mir versichert, dass unser Hühnchen gerade in diesem Augenblick auf die Stange geflogen ist. Der Junge weiß, wo sie ist.« Willy? Buffy war verblüfft. Junge? Welcher Junge? Mark? 314
»Wir wollen das Ganze ein wenig interessanter gestalten«, fuhr Julian fort. Er klatschte in die Hände. »Bringt die Gefangenen herein.« Buffys Lippen zitterten, als Willow und Giles durch das Amphitheater geführt wurden. Beide waren in Ketten. Beide zeigten Spuren von heftigen Schlägen. Willow sah Buffy mit weit aufgerissenen, ängstlichen Augen an. »Wo ist Cordelia? Habt ihr Xander gesehen?«, rief Buffy Giles zu. Giles schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Julian grinste. »Der Junge macht einen Botengang«, informierte er sie. Also ist Xander der Junge. Eine Frage beantwortet. Und nur noch etwa eine Million anderer offen. Cordelia wurde hereingebracht. Sie trug Kampfkleidung, wie Buffy, und wurde von einem narbigen Mann, der ganz in Leder gekleidet war, zum Podium geleitet. Julian beugte sich nach vorne und strich ihr vertraulich über das Kinn. »Möchtest du nicht gegen die Jägerin kämpfen, meine Schöne?«, fragt er mit betörender Stimme. Cordelia warf den Kopf zornig zurück. »Klar doch!« »Nun, du wirst auf jeden Fall gegen sie kämpfen«, sagte Julian. Er lächelte Helen zu. »Ich nehme an, du hast für heute Abend eine ganz besondere Droge gemischt?« Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. »Eine Extraportion für jeden von ihnen.« Ein hübsches Mädchen, ganz in Seide gehüllt, brachte eine goldene Schale herein, in der vier Glasphiolen lagen, die mit Diamanten verziert waren. »Die Wahnsinnsdroge des großen Caligula«, verkündete Julian. »Veredelt für den heutigen, besonderen Abend durch unsere Königin.« 315
Die Zuschauer brachen in Begeisterungsrufe aus, als Julian die Schale hochhob und herumzeigte. Dann gab er sie zurück und das Mädchen trug sie hinüber zu dem Narbenmann, wählte eine der Phiolen aus, brach sie auf und überreichte sie ihm. Er nahm sie, packte Cordelias Kopf und hielt ihn fest. Dann flößte er ihr die Flüssigkeit ein. Als sie begann, sich zu wehren, hielt er ihr die Nase zu und zwang sie so, die Droge zu schlucken. Die Verwandlung fand sofort statt. Ihre Augen zogen sich zusammen und ihre Lippen kräuselten sich. Als der Narbenmann ihr ein Schwert gab, ging sie, ohne zu zögern, direkt auf Buffy los. Buffy zögerte. Sie wollte Cordelia auf keinen Fall verletzen und duckte sich. Dennoch wurde Buffy von ihr am Brustpanzer getroffen. Sie war schockiert. Ohne Rüstung hätte Cordelia sie ernsthaft verletzen können. Wieder ging Cordelia auf sie los – wie von Sinnen, angetrieben von der Droge, die sie im Hass versinken ließ. Buffy versuchte sie zu stoppen, aber sie wusste nicht, wie. Während vier der Vampirwachen sich ebenfalls eine Phiole schnappten und sich auf Giles und Willow stürzten, wurde Oz hereingeführt, umgeben von einer Phalanx aus Dämonen und Vampiren. Er hatte seine Werwolfsgestalt angenommen und war an Armen und Beinen gefesselt. Um seinen Hals trug er ein schweres Band, das an einer dicken Kette befestigt war, ein weiteres war um seine Brust gebunden. Er warf den Kopf zurück und heulte. Er versuchte sich freizukämpfen. »Oz!«, schrie Willow. Buffy wusste, dass Oz sie nicht verstand. Er erkannte weder Willow noch ihre Stimme. Unter dem Einfluss des Mondes war er ein wildes, gefährliches Tier, nicht mehr und nicht weniger. Auf ein Zeichen von Julian befreiten die Vampire Oz vorsichtig von seinen Ketten. Brüllend sprang er auf Buffy zu. 316
Sie rannte rückwärts und warf sich auf den Boden, sodass er über sie hinwegflog. Voller Zorn drehte er sich um und griff sie wieder an. Das Ausweichmanöver würde vielleicht noch ein oder zwei Mal funktionieren, aber danach müsste sie tatsächlich mit ihm kämpfen. Dann zwangen die Vampire Willow und Giles, die Droge zu trinken. Ich stecke knietief in der – Hoppla... In den Augen von Willow, Giles und Cordelia stand nichts als der pure Wahnsinn. Sie griffen gleichzeitig an – wenn auch planlos. Der Einfluss der Droge brachte eben nur blinden Hass hervor. Giles kam auf sie zu und schlug mit den Fäusten nach ihr. Buffy hielt ihr Schwert schützend vor sich, vermied aber, es zu benutzen. Auf ein Zeichen von Julian gab einer der Vampire dem Wächter einen Speer in die Hand. Als er damit nach Buffy zielte, bleckte er die Zähne. Sein verzerrtes Gesicht war dem eines Vampirs verblüffend ähnlich. Währenddessen griff Oz sie von hinten an. Buffy wusste, dass sie nicht mehr tun musste, als sich fallen zu lassen, und Oz würde direkt in Giles’ Speer laufen und sich selbst töten. Das kann ich nicht zulassen, sagte sie sich. Sie blieb, wo sie war – in der Mitte. Am Staudamm stritt Willy mit Bitterman. »Du hast gesagt, keine Mordopfer mehr. Das hast du verdammt noch mal gesagt.« Willy brachte die Verstärkung. Eine Horde mieser Kreaturen – die auf Willys Planeten »Freunde« genannt wurden – hatte sich um den See herum verteilt und suchte mit Taschenlampen nach der Urne. Bitterman zuckte nur die Schultern und richtete ungerührt sein Gewehr auf Xander. »Und du lügst wohl nie.« 317
»Die Kids... na ja, dieser Junge ist so was wie mein Freund«, sagte Willy entschlossen. He, wir haben nie vermutet, dass du dir was aus uns machst, dachte Xander überrascht. All diese verpassten Gelegenheiten, heimlich Geschenke auszutauschen. »Du hast nur Angst vor der Jägerin«, sagte Bitterman zu Willy. »Mach dir nichts draus. Heute Nacht wird sie sterben.« »Siehst du? Genau das meine ich«, sagte Willy. »Noch mehr Tod und Sterben.« Er drehte sich zu Xander um. »Sie haben mir gesagt, dass sie dein Leben verschonen werden, wenn ich mit ihnen zusammenarbeite.« Er wurde rot. »Ehrlich. Also sag ihnen, wo die Urne ist, okay? Spiel nicht den Helden.« Xander sagte: »Warum glaubt ihr, dass ich es weiß?« »Nun, du hast gesagt...« Willy runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. Bitterman verzog das Gesicht. »Wenn die rausfinden, wie du die ganze Sache versaut hast, werden sie dir bei lebendigem Leib die Lunge rausreißen.« Willy blickte vorsichtig zu Xander herüber, als wolle er sagen: Lass uns dafür sorgen, dass sie es nicht herausfinden. Xanders Herz schlug heftig. Er blinzelte. Willy gab ihm ein unmissverständliches Zeichen. Mark presste sein Gesicht in Xanders Seite. Er zitterte. »Wenn ihr es also tun wollt, dann bringt es hinter euch.« Xanders Stimme war gefährlich ruhig. Dann wurde er vom Zorn überwältigt. Hass durchflutete ihn. Töte den Bastard. Bring ihn um. Mit einem Aufschrei stürzte er sich auf Bitterman, gerade als Willy rief: »Heh, warte mal!« Bitterman schrie. Das Gewehr flog zur Seite. Mark stolperte zu Boden. »Wir haben sie gefunden!«, brüllte jemand triumphierend.
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In der Arena fiel Giles keuchend der Länge nach hin. Willow lag auf dem Rücken und Cordelia wimmerte. Grollend griff Oz mit seinen Vorderklauen nach Buffy. Aber sie hatte seinen Hinterläufen eine böse Wunde beigebracht und er hinkte bedenklich. Als seine Vorderpfoten sie streiften, wich sie nach hinten aus. »Du greifst am besten einfach an«, rief Julian herüber zu ihr. »Du kannst nur gewinnen, wenn du ihn herausforderst.« Er hatte Recht. Halbherzig versuchte sie einen Schlag auf seiner Brust zu landen. Oz richtete sich auf, jaulte und fiel mit dem Gesicht nach vorne auf den Boden. »Tod!«, forderte die Menge, während erneut Bargeld den Besitzer wechselte. Ihre Daumen zeigten nach unten. »Schlag ihnen den Kopf ab!« Helen schaute Buffy erwartungsvoll an. »Warum sollte sie? Es gibt keinen Grund dafür«, sagte Julian. »Solange sie weiß, dass sie sowieso sterben muss.« Hinter ihnen fing die Statue von Meter an, sich zu bewegen. Das Maul öffnete sich und eine fremdartige, dumpfe Stimme sagte: »Ich habe Durst.« Der Boden bebte unter Buffys Füßen. Sie nahm sich einen Augenblick, um nach unten zu schauen. Das Publikum keuchte. Einige murmelten: »Komm zeige dich, Meter.« Helen sagte zu Julian: »Wo ist die Asche? Wir können die Jägerin nicht töten, bevor wir sie nicht haben.« Julian rief nach dem hübschen Mädchen in dem seidenen Kleid und fragte sie wütend: »Ist irgendjemand zu Willy durchgedrungen?« »Er geht nicht an sein Handy«, sagte sie. Buffy musste ein Lachen unterdrücken. Julians Augen wurden schmal, als er sagte: »Keine voreiligen Schlüsse, Jägerin.«
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In diesem Augenblick erschien ein schäbiger Mann in einem Jacket ganz oben zwischen zwei Zuschauerreihen. »Ich habe sie«, verkündete er. »Ausgezeichnet, Bitterman«, sagte Julian. »Zeig her.« Buffy verfolgte aufmerksam, wie der Mann nach unten kam. Er hielt die Urne des Caligula mit beiden Händen fest. Buffy musste sich zusammenreißen. Das ist der verdammte Pokal. Mit einer unbeholfenen Geste überreichte Bitterman Julian die Urne. Julian nahm sie entgegen und bemerkte: »Sie ist in der Tat geöffnet worden.« Er ging hinüber zu der Statue. »Meter, dunkelste Mutter, ist es das, wonach es dich verlangt?« Die Augen der Statue glühten in einem unwirklichen, blauen Licht. Plötzlich entzündeten sich hell brennende Feuer darin. »Jaaaaaa. Und das Herz der Jägerin.« Noch schlagend, dachte Buffy schaudernd. Helen erhob sich von ihrem Stuhl und zeigte auf Bitterman. »Tötet ihn«, befahl sie den Wächtern. »Nein. Halt!«, rief Julian. Er schaute Helen skeptisch an. »Meine Liebe, er hat die Droge im See aktiviert. Wenn er stirbt, wird die Wirkung aufhören.« Er schaute Buffy durchdringend an. »Das kann mit einem Gegenmittel allein nicht erreicht werden, wie du weißt.« Buffys Gesicht blieb unbeweglich. »So wie auch die Droge wirkungslos würde, die wir heute Abend eingesetzt haben, wenn du stürbest, meine Königin«, fügte Julian hinzu. »Da du sie angemischt hast.« Sie wurde bleich. Julian lächelte. »Ich weiß, dass du zu den Freunden der Jägerin gegangen bist, um ihnen die Freiheit zu versprechen, falls sie sie in ihren Ketten töten würden.«
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»Nein.« Helen wollte etwas sagen, aber er befahl ihr mit einer Handbewegung zu schweigen. »Du hast ihre Loyalität unterschätzt. Diese Menschen würden für die Jägerin sterben.« »Wahnsinn«, fauchte Helen. »Vielleicht. Aber ich habe mir eine interessante Möglichkeit ausgedacht, Loyalität und Freundschaft auf die Probe zu stellen«, sagte Julian. Er klatschte in die Hände. »Bringt den Vampir herein.« Als Angel in die Arena gebracht wurde, war er bis zur Taille nackt. Das einzige, was er an seinem Oberkörper trug, war ein Lederhandschuh, der über die Schulter reichte. Helen schrie: »Nein!« und sprang auf die Füße. Julian legte seine Hand auf ihren Arm und hielt sie fest. »Wenn du ihn tötest, lasse ich alle deine Freunde frei, Jägerin. Wenn nicht, werden sie eines grausamen Todes sterben.« »Nein«, sagte Helen. »Das werde ich nicht erlauben.« »Du wirst zuschauen«, befahl Julian. »Oder ich werde dich wieder einsperren, Helen. Glaub nicht, ich tue das nicht.« Auf sein Zeichen hin wurde die Plattform von Dämonen und Vampiren umstellt. Das Amphitheater war ein Hexenkessel. Von den Zuschauern kamen Rufe der Begeisterung, aber auch des Missfallens, als Reaktion auf diese Szene. In dem ganzen Aufruhr starrte Buffy Angel an. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass er lebte. Sie lief hinüber zu ihm, legte ihre Arme um ihn und hielt ihn fest. »Ich dachte, du wärst tot. Ich habe gehört, wie du gepfählt wurdest.« »Ich hatte einen von Julians Vampiren erwischt«, erwiderte er leise. »Dann haben sie mich niedergeschlagen und weggeschleppt.«
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Sie legte ihren Kopf auf seine Brust. »Wir werden nicht kämpfen.« »Buffy, wenn du mich töten musst, tue es.« »Auseinander«, befahl Julian mit schneidender Stimme. Zwei Vampire trennten die beiden. Angel warf Buffy über den Kopf der Kreatur hinweg einen unmissverständlichen Blick zu. Dann ergriff er sein Schwert.
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19 Währenddessen versuchte Jake Bitterman die Gelegenheit zu nutzen, um hier zu verschwinden. Er sprang in sein Auto, fest entschlossen, Sunnydale so schnell wie möglich zu verlassen und niemals zurückzukommen. Das alles war bedeutend mehr, als sie ausgemacht hatten. Er fuhr in Richtung der 17. Straße. Er wollte den Staudamm, sein vergangenes Leben und die Leiche seiner Frau, die auf dem Grund des Sees lag – einfach alles –, hinter sich lassen. Angel und Buffy umkreisten einander und überlegten dabei fieberhaft, wie sie vorgehen sollten. Sie wussten, sie kämpften auf derselben Seite. Das ist die modernste griechische Tragödie, in der ich je aufgetreten bin, dachte Buffy und erinnerte sich wieder an die längst vergangene Talentshow, in die sie damals aus Versehen hineingeraten war. »Bitte beende das«, bat Helen Julian ängstlich. »Du treulose Hündin«, schmetterte der Vampir ihr entgegen. »Ich weiß, dass du ihn aufgesucht hast. Ich weiß auch, dass du ihm versprochen hast, er werde meine Stelle einnehmen. Ich habe überall Augen und Ohren.« »Nein«, sagte Helen, aber sie sah dabei nicht gerade unschuldig aus. Das ist meine Chance, dachte Buffy. Sie fixierte Angel. Ihr Gesicht wurde hart. »Du warst mit ihr zusammen?« Angel brachte ein tiefes Lachen zu Stande und verwandelte sich in einen Vampir. »Buffy, du bist nur eine Jägerin. Helen ist eine Königin.« »Angelus«, keuchte Helen. »Ich dachte –« 323
»Du Bastard!«, schrie Buffy und machte eine echte Show daraus. »Dafür werde ich dich töten!« Sie ging in die Offensive. Ohne zu zögern – für den Fall, dass Julian überzeugt werden musste – stieß sie ihre Faust in Angels Gesicht. Als sie mit dem Schwert nach seiner Brust schlug, parierte er den Schlag, mit Mühe zwar, aber es gelang ihm. Er streifte sogar ihren Hals. »Hey«, protestierte sie leise. »Wir machen das nicht zum ersten Mal«, erwiderte er ebenso leise. »Und ich habe bisher immer gewonnen«, gab sie frech zurück. Dann hielt sie das Schwert hoch, forderte ihn heraus und stieß die Waffe mit voller Kraft in ihn hinein. Er schrie auf, fasste nach der Wunde und ging in die Knie. »Ein Pflock«, schrie Buffy und streckte ihre Hand ins Leere. Julian war dabei, ihr einen scharfen Holzspeer zuzuwerfen. »Nein!«, rief Helen. Sie ergriff den Speer und sprang über die Plattform. »Jägerin, ich wusste, dass es so kommen würde«, sagte sie, während sie ihr Vampirgesicht zeigte. »Ich sagte dir, ich würde dich töten.« Der Boden zitterte. »Beeile dich«, drängte die körperlose Stimme der Meter. »Die Zeit wird knapp.« Während die Vampire sich noch am Reservoir herumtrieben, trugen Xander und Willy den blutigen Körper von Mark Dellasandro zurück zum Pontiac und versuchten so schnell wie möglich abzuhauen. »Ruf den Krankenwagen«, befahl Xander. Willy setzte sich auf den Rücksitz und hielt Mark fest. »Mein Handy funktioniert nicht. Wahrscheinlich habe ich vergessen, es zu laden.« 324
»Dann fahre ich zum Krankenhaus«, schlug Xander vor. »Hast du gehört, was der Vampir gesagt hat? Du sollst heute Nacht geopfert werden. Vielleicht geht alles glatt, wenn du einfach nicht auftauchst?« Xander schaute ihn an. »Weißt du, ich würde natürlich gern irgendwelche ruhmreichen Taten vollbringen, aber, he, ich bin der Donut-Junge. Ich bin sicher, wenn ich nicht auftauche, werden sie einfach jemand anderen opfern.« Willy zuckte die Schultern. »Ja, vermutlich hast du Recht.« »Jedenfalls ist Bitterman abgehauen«, fügte Xander hinzu, während der Wagen in einer Kurve schlingerte und auf die 17. Straße zuraste. »Wahrscheinlich ist Sunnydale jetzt für alle Zeiten verflucht.« »Also haben sie gewonnen«, sagte Willy nervös. »Wir werden sehen.« Xander fuhr unbeirrt weiter. Buffy schlug mit dem Schwert nach Helen, die mühelos parierte. Die Zuschauer kochten, einige baten Julian, den Kampf abzubrechen, andere feuerten die Kämpferinnen an. Buffy hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie schon kämpfte, aber keiner von beiden schien es zu gelingen, die andere zu besiegen. »Wird das nicht allmählich langweilig?«, sagte Buffy. »Willst du es vielleicht mit Knobeln versuchen?« Helen grunzte. Sie hieb und stach erneut nach ihr und griff sie immer wieder an. Beide hatten blutverschmierte Gesichter. Im Sand waren Blutspuren zu sehen und Buffy fühlte sich zum ersten Mal wirklich erschöpft. Okay, vielleicht war ich ein bisschen zu schnell mit meinem Urteil, dachte sie. Es wird Zeit, dass wir das Ganze auf den Punkt bringen.
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Die Feuer in Meters Augen flackerten auf, als die Statue sich zu bewegen begann. Der Boden unter ihren Füßen bebte und alle gerieten plötzlich in Panik. Buffy entdeckte Angel, der sich erholt hatte, und ihr einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Er fixierte die Urne des Caligula, die neben Julian stand, um kurz darauf wieder Helen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Buffy nickte unmerklich. Angel sprang auf die Plattform und ergriff die Urne, bevor Julian es verhindern konnte. »Buffy!«, rief er und warf sie ihr zu. Sie fing sie auf. »Fang mich!«, rief sie Helen zu. Helen schrie auf. In die Defensive getrieben, zog Buffy sich zurück, bis Helen ängstlich rief: »Nicht das Feuer!« Buffy blinzelte. Sie schaute zu Angel hinüber. Dann lächelte sie Helen an und ging Schritt für Schritt rückwärts auf die Statue zu. Ihr Maul öffnete sich und ihre Fangzähne wurden sichtbar. Buffy duckte sich und murmelte: »Oh, was hast du für schöne, große Zähne.« Dann kletterte sie auf die Statue und hielt die Urne direkt vor das Feuer, das im rechten Auge der Figur brannte. Julian und Helen stockte der Atem. Buffy schaute Angel an, der mit den Schultern zuckte. »Tu es«, sagte er. Buffy warf die Urne mitten ins Auge der Statue. Augenblicklich bebte das ganze Amphitheater. Die Statue schwankte und rief: »Wer wagt es?« Voller Hass griff Helen Buffy an, ohne Plan und ohne Gnade. Dann wirbelte sie herum zu Angel und warf den Speer nach ihm.
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»Bleib zurück, Mörder«, rief sie ihm zu. »Dieser Kampf findet nur zwischen mir und der Jägerin statt.« »Es macht keinen Unterschied mehr, ob du sie tötest oder nicht«, sagte Julian zu Helen, glühend vor Zorn. »Also tu es.« Helen geriet in Raserei. Sie hackte und schlug auf Buffy ein und verlor dabei den Überblick über das, was sie tat. Buffy pfiff durch die Zähne. »Und du warst die Schlimmste von allen? Schwer zu glauben.« Aber dann lag sie plötzlich am Boden und wusste nicht, wie ihr geschah. Helen war über ihr und es sah aus, als würde sie jetzt sterben. »Ich habe bessere Jägerinnen als dich getötet«, zischte Helen. »Aufrichtigere. Hingebungsvollere.« Buffy hätte sich nichts daraus machen sollen, aber die Worte trafen sie hart. Als der Hauch des Todes sie erfasste, dachte sie nur: Verdammt, jetzt tötet sie mich vielleicht doch. Ein scharfer, heißer Wind pfiff plötzlich durch die Arena. Buffy roch etwas Süßes, oh, es roch sehr gut. Ihre Gedanken verloren sich für den Bruchteil einer Sekunde, und alles erschien in einem goldenen Licht. Dann fühlte sie neue Kraft in ihren Muskeln. Energie strömte durch sie hindurch. Sie wusste nicht, was sie tat, und konnte nichts sehen und nichts hören. Sie wusste plötzlich nicht mehr, wo sie sich befand. Dann hörte sie, wie Helen, scheinbar aus weiter Ferne, rief: »Diana!« Buffys Arme zuckten. Da war das Geräusch eines sterbenden Vampirs. Als sie blinzelte, lag ein Haufen Staub auf der Erde und Helen war verschwunden. Julian zeigte sein Vampirgesicht. Er kam zu Buffy herüber. Mit der Stimme von Meter sagte er: »Du bist die Zerstörerin. Du musst sterben.« In der Arena wurde es still. 327
Dann kamen sie auf sie zu. Wie ein einziger Körper standen alle in der Arena auf und bewegten sich auf sie zu. Die Arena wurde lebendig. Der Fluch von Helens Droge hatte aufgehört zu wirken und Willow wusste wieder, wer sie war. Sie versuchte sich zu konzentrieren und in sich einen Ort der Stille zu finden. Dann flüsterte sie: »Beim Licht im Herzen der Erde, verbanne ich alles Böse aus meiner Ruhestätte; Ich verbanne es aus meinem Haus und Heim; Ich halte es fern von meinem Körper und meiner Seele. Ich verbiete euch, ihr Geister des Bösen, in meinen Geist und in meine Gedanken einzudringen; Euch auch nicht meiner Kraft oder meiner Ängste zu bemächtigen; Bis ihr nicht jeden einzelnen Hügel erklommen, jedes einzelne Tal bewandert habt; Jeden Strom und Fluss bewältigt; Jedes einzelne Sandkorn an jedem Strand gezählt habt; Und jeden Stern am Himmel. Ich banne euch.« Dann gebot eine Stimme ihr zu schweigen. Es dröhnte durch die Arena: »Wer wagt es, Meter herauszufordern?« Willow hielt den Atem an. Sie versenkte sich noch tiefer und wiederholte den Bannspruch. »Genug! Schweig oder ich werde dich zerstören.« Willow holte tief Luft und tauchte hinab in die Tiefen ihrer Seele. Der Boden unter ihren Füßen zitterte gewaltig.
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Willow fand Worte in sich, die sie nie zuvor gehört hatte. In einer Sprache, die sie nicht kannte. Es waren Waffen aus Licht. Sie drangen zu ihr durch, jenseits aller Begrenzungen von Raum und Zeit, aus Dimensionen, von denen sie nicht einmal etwas ahnte. Aber während Willow sich von dem Chaos und der Verwirrung um sie herum innerlich befreite, erlaubte sie dem Zauber dieser Worte zu wirken. Das Böse wurde gebannt. Die Erde bebte. Die Stimme Meters rief: »Schweig, oder du stirbst!« Überall in Sunnydale bebte die Erde. An Erdstöße gewöhnt, öffneten die Leute ihre Häuser, stellten sich unter die Torbögen und sahen zu, wie die Lampen wackelten, die Bilder von den Wänden fielen und die Scheiben zersprangen. Und der Staudamm von Sunnydale bekam weitere Risse. Willow wusste genau, was los war. Und sie hörte nicht auf, ihren Zauber immer wieder aufzusagen. Sie wusste, Buffy kämpfte gegen eine Horde von Dämonen und Vampiren, während die anderen versuchten, sich von ihren Ketten zu befreien. Sie wusste, dass Oz ernsthaft verletzt war. Aber sie öffnete sich weiter für die Worte des Lichts. Ich banne dich. Ich banne dich. Ich banne dich. Etwas lauschte. Etwas braute sich zusammen. Es wuchs. Es nahm ihr die Kraft. Die Arena brach auseinander. Während Xander weiterfuhr, rumorte die Erde und bewegte sich, wie die Wellen eines Ozeans. Große Brocken Erde 329
wurden in die Luft geschleudert. Dann brach etwas donnernd auseinander und das Wasser, das von allen Seiten den Berg herablief, glitzerte im Mondlicht. »Der Damm ist gebrochen!«, schrie Willy. Das Wasser stürzte ins Tal. Es nahm Avocadostauden mit und Zitronenbäume, Hunderte von Rindern – einige Vampire. Dann strömte es in die 17. Straße und riss Jake Bitterman mit sich. Das notwendige Opfer, um Sunnydales Albtraum zu beenden, war gebracht. Das Wasser strömte über den Highway, verursachte zahlreiche Unfälle und überflutete dann eine Versorgungsstation. Ein Drittel der Energie von Sunnydale wurde lahmgelegt. Xander verlor in den Fluten die Kontrolle über den Wagen. Sein Kopf schlug hart gegen das Lenkrad und während er das Bewusstsein verlor, dachte er noch: Es ist wie in einem Film über die Teilung des Roten Meeres. Buffy schrie: »Willow, wach auf! Beweg dich!« Willow öffnete die Augen und schaute sich um. Es sah aus wie eine Szene aus einem Horrorfilm. Während das Amphitheater auseinander brach, fand ein Kampf statt, in den alle verwickelt waren. Überall um Willow herum explodierten Vampire oder verbluteten Dämonen. Sie sah einen langen, sehnigen Arm vor sich auf dem Boden liegen, dessen Finger noch immer zuckten. Cordelia, die wieder zu sich gekommen war, kämpfte an Giles’ Seite. Beide waren mit Pflöcken bewaffnet und zögerten nicht, sie auch zu benutzen. Oz lag blutend in einer Ecke, aber Angel achtete darauf, dass niemand ihn angriff. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Dämonen und Vampire sie überwältigen würden.
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Buffy kämpfte gegen Julian. Es sah so aus, als wären sie ebenbürtige Gegner, aber Buffy zeigte Spuren von Mattigkeit. Mit einem Sprung war Willow bei ihr, um ihr zu helfen. Dann hörte sie Cordelias Schrei. Der Vampir, gegen den sie kämpfte, hatte sie auf den Rücken geworfen und hielt das Schwert über dem Kopf, bereit, sofort zuzuschlagen. Willow schlich sich hinter ihn und erledigte ihn mit ihrem Pflock. Er zerfiel zu Staub. Cordelia sagte: »Danke«, und stand wieder auf. Ein weiterer Vampir griff sie an. Gemeinsam erledigten sie ihn. Dann sah Willow, dass ein gigantischer Dämon mit ledernen Flügeln sich Giles bemächtigt hatte und seine Krallen tief in seine Brust schlug. Willow blickte auf das Häuflein Staub am Boden, griff nach dem Schwert, das dort lag, und kam Giles zu Hilfe. Sie schlug nach dem Ungeheuer und verpasste ihm eine tiefe Wunde am Arm. »Willow!«, schrie Cordelia. Ein bulliges, abscheuliches Monster griff Oz an. Einem Vampir war es gelungen, Angel auszuschalten. Und Julian hatte es geschafft, Buffy am Arm zu verletzen, sodass sie beinahe ihr Schwert fallen ließ. Zu viele, dachte Willow. Welchem soll ich zuerst helfen? »Willow«, brüllte Buffy. »Beweg deinen Hintern hierher!« Das tat sie. Sie hörte auf zu denken und stürzte sich in den Kampf. Nun tat ihr Körper das, was vorher ihr Geist getan hatte. Willow suchte das Licht und fand es. Mit innerer Entschlossenheit kämpfte sie weiter. Es kam nicht darauf an, wie viele es waren. Das Einzige, was zählte, war der Gegner, dem sie gegenüberstand – einem nach dem anderen. Riesige Steinbrocken fielen wie Bomben von oben auf sie herab. Willow blickte besorgt zu Oz hinüber, der immer noch 331
regungslos dalag. Sie wollte ihn beschützen, aber ihr war auch klar, dass er in jedem Fall sterben würde, wenn sie und die anderen jetzt nachließen. Der Boden tat sich auf. »Spring!«, rief Buffy. Willow sprang über den Spalt. Dann rief sie: »Oz!« und sprang wieder zurück, um Angel und Giles zu helfen, die Oz zu einem sich vergrößernden Spalt trugen. »Geh zurück, Willow«, drängte Angel. »Wir machen das schon.« »Cordelia!«, schrie Willow. »Komm schon!« Cordelia, die gerade versuchte, einer haarigen, weißen Gestalt zu entkommen, warf ihr Schwert weg und lief Willow entgegen. Zusammen sprangen sie über eine Kluft, die gerade in dem Moment weiter aufriss, als sie sicher auf der anderen Seite landeten. Nur Julian und ein paar seiner Vampire waren auf ihrer Seite, die anderen bösen Jungs mussten drüben bleiben. Bevor Willow reagieren konnte, hatten Giles und Angel schon zwei der Vampire in Staub verwandelt. Buffy und Julian standen sich gegenüber. Sein Gesicht war unglaublich, es übertraf alles, was sie je gesehen hatte. Seine Augen glühten golden wie die Lichter in den schwarzen Augenhöhlen der Statue. Seine Hände waren zu Klauen deformiert, seine Haut war bleich und hing in Streifen an ihm herunter. Dunkle Adern durchzogen sein Gesicht wie marmoriertes Papier. Die Kreatur, die einmal Julian gewesen war, umkreiste sie. Dann erblickte das Monster die goldene Schale auf dem Boden und nahm eine der Phiolen mit der Droge heraus. Es verharrte einen Augenblick still und sagte dann: »Ja, ein Opfer.« Ohne Vorwarnung wirbelte der Vampir zu einem der Leibwächter herum und stach ihm die Krallen in seine Augen. 332
Während dieser vor Schmerz aufheulte, rannte Julian zu den Holztoren hinüber und öffnete sie mit einem Stoß. Große Geister kommen auf die gleichen Ideen, dachte Buffy. Jetzt ist das Holz schön angespitzt, genauso, wie wir Jäger es gerne haben. Julian pfählte den schreienden Vampir. »Ich habe mein Opfer dargebracht«, verkündete er. »Ich habe den Fluch der Meter wieder aktiviert. Jetzt werdet ihr unter meinem rasenden Schwert sterben.« Er trank. Seine Augen glänzten. Und dann explodierte er zu Staub. Buffy starrte in die Luft. »He, das war eine Art Antihöhepunkt«, sagte sie enttäuscht. Dann brach auf der anderen Seite des Grabens das Dach der Arena zusammen. Tonnen von Stein kamen herunter und begruben unter sich den Rest des dämonischen Hofstaates. Buffy und ihre Freunde mussten in Deckung gehen. Dann, als wäre es nicht genug, brach auch noch der Boden des Alibi durch und fiel in all seinen Einzelteilen hinunter. Ungläubig starrte Buffy auf die Ruinen. »Das kann doch nicht wahr sein.«
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Epilog Drei Tage waren vergangen. Sunnydale begann, sich zu beruhigen. Die Kosten der Wasserschäden lagen in astronomischer Höhe. Die Toten wurden betrauert. Und Xander war wieder im Krankenhaus. Buffy stand zusammen mit Giles, Willow und Oz um sein Krankenbett herum und er schnitt mal wieder Grimassen. »Ich möchte wissen, was mit dir los ist, Harris. Hast du es auf eine der Krankenschwestern abgesehen, oder was?« »Ich mag das Essen«, antwortete Xander ungerührt und zeigte auf den Mischmasch, der sein Abendessen darstellte. »Also«, fragte Giles. »Was ist die offizielle Erklärung dafür, dass die ganze Stadt durchgedreht ist?« Er hielt die Hand hoch und stöhnte. »Lasst mich raten.« Giles neigte den Kopf. »Ja, du hast Recht. Es ist PCP.« Xander rollte die Augen. »So unorginell. Was ist mit Julian, wie passt er da rein?« Giles wurde munter. »Soweit wir uns das zusammenreimen können, hatte Helen Weihwasser in die Drogenmischung getan. Wir wissen nicht genau, was sie plante, aber es bedeutete in jedem Fall, dass sie mindestens einen der Vampire in der Arena loswerden wollte.« »Exakt«, sagte Oz. Er lächelte Willow an, die ihm strahlend, aber behutsam die Hand drückte. Obwohl die Wunden von Werwölfen schnell heilten, musste sie noch vorsichtig sein. Eine Krankenschwester betrat das Zimmer und warf einen skeptischen Blick auf die Gruppe. »Die Besuchszeit ist vorbei«, verkündete sie kühl. »Und das nächste Mal gehen bitte immer nur zwei Personen gleichzeitig rein.«
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»Jawohl, mein Fräulein«, sagte Xander spitz, doch nicht ohne Humor. Dann flüsterte er Buffy zu: »Das ist die, hinter der ich her bin. Ich steh auf Frauen, die den Boss spielen.« Die Schwester stand neben der Tür und sah sie unmissverständlich an. Buffy schaute Xander an. »Das hast du echt gut gemacht da oben. Als ich das Blut in der Toilette am Stausee gesehen habe, hätte ich mir denken können, dass etwas nicht stimmt. Wenn ich gewusst hätte, dass Bittermans Frau ein Ritualopfer war, wäre vielleicht manches anders gelaufen.« Er winkte ab. »Ich hab es in meinen Lebenslauf aufgenommen. Bestimmt bekomme ich damit den Job bei Happy Burger.« »Wir müssen gehen«, bemerkte Willow. »Ich will Oz helfen. Er hat für die Dingoes einen neuen Song geschrieben.« Oz lächelte zufrieden. »Sie haben mich vermisst.« »Hey, danke, dass ihr alle vorbeigekommen seid«, sagte Xander. »Jetzt bleibt mir nur noch der indische Fernsehkanal, wenn ich die Programme hier im Krankenhaus richtig einschätze.« Buffy wendete sich ab und verließ das Zimmer zusammen mit den anderen. Sie hatten den halben Flur schon hinter sich, als sie plötzlich ein Stöhnen aus einem der angrenzenden Räume hörten. Buffy warf den anderen einen Blick zu, schlich lautlos hinüber zu der Tür und schlüpfte hinein. Da saß Brian Dellasandro auf einem Krankenbett und schluchzte herzzerreißend in den Armen seines Bruders. Mark weinte ebenso sehr. Eine Frau, die den beiden ähnlich sah, saß mit am Bett und blickte hilflos zu Buffy hinüber. »Es ist ihre Tante«, sagte Willow, die plötzlich neben ihr auftauchte. »Wie soll er nur damit fertig werden?«, murmelte Buffy, als sie wieder hinausging. »Er hat seine Eltern umgebracht.« 335
»Sie werden mit einem Therapeuten sprechen«, antwortete Willow. »Aber ich glaube, es wird lange dauern, bis Brian sich selbst verzeihen kann. Auch wenn er auf Drogen war.« »Aber es war auch ein Fluch«, sagte Oz. »Warum war eigentlich nicht jeder davon betroffen? Warum du nicht, Buffy?« Buffy sah Giles an. »Für Gewalt nicht prädestiniert?«, fragte Oz. »Ich habe Julians Geschichte studiert«, antwortete Giles. »In seinem Leben war er ein großer Mann. Ein Gönner, der die Menschen liebte. Er war gegen den Besitz von Sklaven. Eine Schande, dass er sich so sehr in das Gegenteil verwandelte.« Gedankenverloren murmelte Giles: »›Die üblen Taten der Menschen haben über ihren Tod hinaus Bestand. Das Gute wird oft mit ihren Gebeinen begraben.‹ Julius Caesar. Shakespeare.« »Der Freund von Gwyneth Paltrow«, ergänzte Buffy schnell, aber ihre Stimme wollte nicht so recht mitmachen. Sie ging zur Seite und entfernte sich schnell von den anderen. Willow holte sie ein. Sie schaute die Jägerin unsicher an. »He«, sagte Buffy. »He.« Willow holte tief Luft. »Wie lange wirst du brauchen, um mir zu verzeihen? Mann, ich war gemein zu dir, selbst als ich nicht auf Drogen war.« »Willow«, sagte Buffy, ihr Widerstand brach. »Will, es ist meine Schuld, dass du beinahe gestorben wärst. Ich – ich war mit...« Sie hielt den Atem an und drehte das Gesicht zur Seite. »Ich habe dich verpasst.« »Buffy, du bist nicht perfekt«, sagte Willow. Sie wurde rot. »Ich glaube, ich habe das tatsächlich von dir erwartet und das war nicht fair.« »Ich...« Buffy strich mit den Händen durch ihr Haar. »Das ist egal, Will. Das hat nichts mit fair zu tun. Ich bin die Jägerin.« 336
»Ich weiß, es ist schwierig, sich für etwas zu vergeben, das man nicht getan hat. Die Vorwürfe hören nie auf.« Sie zog ein Gesicht. »Aber man muss daran arbeiten.« »Ich glaube, das gehört zu den Sachen, die ich noch vor mir habe«, erwiderte Buffy. Die Jägerin schloss die Augen. »Es ist nur... jedes Mal, wenn jemand getötet wird, fühle ich mich dafür verantwortlich. Ich meine, wie kann ich im Bronze rumhängen und ins Kino gehen, wenn ich doch weiß, dass wir am Höllenschlund leben?« »Weil du nicht der liebe Gott bist«, sagte Willow. »Jägerin, ja – aber auch ein Mensch.« Hinter ihnen sagte Oz leise: »Irren ist menschlich, Vergeben ist göttlich.« »Aber wenn ich Fehler mache, dann sterben Menschen«, murmelte Buffy. »Dafür rettest du eine Menge andere«, sagte Willow. »Erinnerst du dich an den Kampf in der Arena? Ich war völlig überfordert. Dann wurde mir klar, wenn ich jetzt durchdrehe, dann nützt das niemandem. Ich war verletzt und müde und ich hatte Angst. Besonders gut habe ich nicht gekämpft.« »Aber wir haben gewonnen«, sagte Buffy. »Das stimmt, wir sind die Sieger.« Ach, Buffy, dachte Willow, hoffentlich wird das Gute, das du tust, dich überleben. »Möchtest du reden?«, fragte Willow kleinlaut. »Vielleicht bei einem Kaffee? Oz wird warten.« »Kaffee«, antwortete Buffy gerührt. Schnell entfernten sich die beiden Freundinnen von den anderen.
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