Mathilde Feldern-Rolf
OHEIM FLEDERMAUS Ê
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Oheim Fledermaus Ê (1843)
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Mathilde Feldern-Rolf
OHEIM FLEDERMAUS Ê
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Mathilde Feldern-Rolf
Oheim Fledermaus Ê (1843)
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littera scripta manet
. Ausgabe, März 2006 © eBOOK-Bibliothek 2006 für diese Ausgabe Textbearbeitung nach: „Sonntags-Blätter“, Zweiter Jahrgang, Ausgabe Nr. 2 vom 8. Januar 843, Seiten – 6 Titelbildmontage mit nachbearbeiteten Photographien von Marcell Marra, Brasilien & Davide Guglielmo, Italien
Es ist das Gedächtnis, wodurch wir uns längst gehabter Vorstellungen wieder erinnern und sie uns vergegenwärtigen, und die Einbildungskraft, die uns in den Stand setzen, uns abwesende Dinge vorzustellen und von bekannten Dingen uns eine noch nie gesehene Zusammensetzung zu bilden. Fr. v. Reilly
Wer denkt nicht oft und gerne zurück an die Kindheit, an jene entflohenen Stunden der Märchen- und Fabelwelt; an jene Puppen- und Nußknacker-Zeiten, St.-Nikolaus- und Christbaum-Abende, an die Tage des Leichtsinns und der Sorglosigkeit; an jene freudenspendenden Rekreationsstunden, an jene kummerfreien Jahre, die nur süße Lockspeisen eines später enttäuschenden Lebens sind, nur konkave Gläser, durch welche man das mit bunten Farben gemalte Panorama der Zukunft im trügerischen Glückseligkeitslicht sieht? Weit liegen jene Zeiten hinter mir, und nun sehe ich diese Tage durch die konvexen Gläser der Erinnerung. Wenn ich aber in die Vergangenheit zurückschaue, taucht jedesmal lebhaft vor meinen Blicken eine kleine, schwarze, krummbeinige, höckerige Gestalt auf, mit roten, triefenden Augen
und einer schwarzen, rundgestutzten Perücke. — Eine Gestalt, die abschreckend und doch mir so lieb, mit Zügen, die häßlich und doch so wohlwollend, Augen, die zwar klein und blinzelnd und doch so geistreich waren, — und diese winzige Kobold-Figur ist — mein Oheim Fledermaus. Sein längst verstorbener Vater war ein Irländer Namens O’ R . . . .y, der gänzlich den trübsinnigen, verschlossenen Charakter seiner Nation hatte, und von welchem man manche wunderliche und fabelhafte Geschichte erzählte. Ein Teil dieses mystischen Wesens war auf seinen Sohn übergegangen, wozu das Koboldartige seiner Erscheinung nicht wenig zur Erhöhung beitrug. Selbst seine Kleidung war seltsam, er ging stets schwarz, die breiten Rockschöße schlotterten ihm, wie hängende Rabenflügel, bis an den Absatz der hochbestiefelten Füße hinab; ein grellfarbiges um den Hals geschlungenes Tuch, ein spanisches Rohr mit einem Beinknopf, der einen Totenschädel vorstellte, ein breitkrempiger Hut, beinahe nach Quäker-Art, vollendete die Toilette. Er machte im Winder seine Besuche niemals zu einer anderen Stunde als in der Dämmerungszeit, und sein Eintreten war jedesmal das Signal, daß die Lichter vor einer Stunde nicht durften gebracht werden, oder waren sie schon im Zimmer, so mußten sie in die fernste Ecke getragen und mit einem Schirm verdeckt werden. Seine Kleidung, so wie diese Sonderbarkeit, und auch der Umstand, daß ich seinen Familiennamen nicht leicht aussprechen konnte, zogen ihm von mir aus die Benennung: Onkel
Fledermaus zu. Er schien keineswegs darüber entrüstet, im Gegenteil schien die Benennung seinem mystischen Wesen zu behagen, und er regalierte mich dafür stets mit einigen verbleichten, gerösteten Mandeln oder einem Stückchen steinharten Marzipan aus dem Täfelchen seiner mit Rosenknospen gestickten Seidenweste, und den Zärtlichkeitsnamen: Spitzmäuschen, Prinzessin Haselnuß. Beinahe hätte ich vergessen zu sagen, daß diesem kleinen verkrüppelten Männlein doch einmal ein treues Herz in schöner, edler Liebe entgegenschlug, es war das Herz eines jungen, stillen Mädchens, das nichts hatte, als blonde Goldlocken, ein freundliches Gesichtchen und ein sanftes Gemüt. Er wurde ihr Gatte und der Vater eines schönen blondlockigen Knaben, der den Geist des Vaters und die Schönheit der Mutter erbte. Doch, als wolle ihm das Glück heimtückisch nur seine Schätze kennenlernen, um spottend ihm dieselben wieder zu entziehen, so verlor er die zwei geliebten Wesen nach wenigen Jahren, und beide in kurzer Frist. Mißmutig, menschenscheu, argwöhnisch saß er nun den Tag über, lesend und schreibend, allein in seinem halbdunklen, hochgewölbten Zimmer, dessen Wände Bücherstellen, Landkarten und physikalische Instrumente ausfüllten, während ungestört die Spinnen ihre Netze und Fäden von der Decke herabhängen ließen und wahrscheinlich Mäuse ihre Mahlzeiten in den Winkeln unter den aufgeschichteten, vergilbten Manuskripten hielten. Kam aber die
Dämmerungszeit, so vertauschte er die Schlafhaube mit der Perücke, das alte Kamisol mit der Rosenknospenweste, einer Arbeit seiner seligen Katharina, fuhr in den Flügelrock, nahm Mantel, Hut und Stock, schloß seine Türe ab, verließ das altertümliche Haus und trat seine Wanderungen an. Ich erinnere mich lebhaft an einen Wintertag, an welchem der Schnee besonders dicht herabwirbelte, und es schon in dem Zimmer beinahe gänzlich finster war; ich war allein zu Hause, denn meine Eltern waren zu einem größeren Dinner geladen, bei welchem ich noch nicht erscheinen konnte; ich saß im Gesellschaftszimmer am Franklin und schürte mit der Zange in den Kohlen, und hatte in der oberen Nische einen kleinen Zinnteller stehen, auf welchem eine aus unappetitlich aussehendem Teig, von meinen Händen bereitete Pastete prangte. Da trat der Onkel Fledermaus ein. „Guten Abend Prinzessin Haselnuß, was machst Du da?!“ rief er mir entgegen und hielt die eine Hand vor die Augen, weil der Glutschein ihn blendete. „Ich koche, Onkelchen, sollst gleich davon bekommen, es wird eine prächtige Pastete!“ „Vielleicht die Pastete für den Zwerg, von dem ich Dir neulich erzählte?“ sprach er, nachdem er sich zu meinem Spielzeug herabgebeugt hatte. „Lasse jetzt Dein Backwerk, wir wollen zusammen schwätzen.“ Meine Wärterin schob ihm einen Armstuhl an den Franklin und entfernte sich, wahrscheinlich froh, mich versorgt zu wissen. Ich aber
holte mir eiligst der Mutter Schemel herbei, setzte mich zu des Onkels Füßen und rief: „Du willst mir etwas erzählen? das lasse ich mir gefallen, Onkel Fledermaus, aber es muß auch so was recht Hübsches sein, nur nicht wieder die Geschichte von dem armen Kind im Walde, das die Erdbeeren suchte, das hab ich schon viermal gehört, und muß dabei stets viel zu viel weinen, auch nicht vom Adler und seinen Jungen, ich will lieber lachen.“ „Lachen, hm! Hast recht, Spitzmäuschen, lache jetzt, die Zeit des Weinens kommt später. Willst vielleicht von der Prinzessin Blanchefleur oder vom Rübezahl hören?“ „Nein auch nicht, lieber von dem Mäusekönig oder so etwas derlei, weißt Du, wo’s recht schauerlich dabei zugeht, damit ich mich am Ende vor Dir selbst fürchte.“ „Vor mir fürchtest? und ich möchte geliebt sein!“ setzte er still wehmütig hinzu, er schwieg einen Augenblick, dann frug er mich rasch: „Weißt Du, wer Cäsar war?“ „O ja, Onkelchen, Dein kleiner Knabe, der früher starb, als ich noch mit ihm spielen konnte, und Tante Katharina war seine Mutter.“ „Katharina! Cäsar!“ seufzte er schmerzlich, erfaßte mein Haupt, drückte es auf seine Knie und zog seine knöchrigen Finger durch meine dichten blonden Locken. Nach wenigen Augenblicken hob ich den Kopf, sah den Onkel an, und da er schwieg, rüttelte ich ihn und bat: „Erzähle — bitte bitte!“ „Ja, doch bleibe hier auf dem Fußschemel, so, im Halbdunkel, ganz nahe bei mir sitzen.“ „Und was wirst Du mir
erzählen, Oheim?“ „Von der gekrönten Schlange“, sprach er, warf ein Holzstück in die Glut, lehnte sich zurück und begann. „Im alten Gemäuer, an Orten, wo es kühl und feucht ist, nisten gewöhnlich viele Schlangen, d’rum hüte Dich, Kind, in der Nähe von eingestürztem Gemäuer, Steingerölle oder Buschwerk zu spielen, denn gewöhnlich bergen sich darunter kleine und oft sehr giftige Nattern. Doch jetzt die Sage, merke wohl, die Sage spreche ich, daß in jedem alten Gebäude, welches längere Zeit von einer Familie bewohnt wird, eine Schlange hauset, eine unschädliche, goldgekrönte Natter. Manchmal, besonders des Nachts, hört man ein seltsames Rauschen an der Wand; obschon man weiß, daß die Mauer nicht hohl, so deucht es doch, als gleite etwas inzwischen hinab, das ist die Schlange und bedeutet Glück. Sie selbst zeigt sich nur selten, doch sollte es geschehen, so bedeutet es Unglück für den, der sie erblickt.“ „Und wie sieht sie aus, Onkel? sage, damit ich sie erkenne.“ „Hoffnungsgrün, schillernd, am ganzen Leibe mit silbernen Sternen besät, gleich schimmernden Schuppen, auf dem Haupte aber trägt sie eine goldene, fünfzackige Mauerkrone, und ihre Augen funkeln gleich Diamanten.“ „Ah, das muß wundervoll sein! Und hast Du die Schlange jemals gesehen, Oheim?“ „Oftmals, denn es bedeutet Unglück, doch nun höre eine Parabel: Ein Graf mit seinen beiden Töchtern bewohnte ein
schönes großes, aber altes Schloß, das hoch oben auf einem Berge und mitten in einem dunklen Forste stand. Viele Gäste, Ritter und Damen mit ihrem Gefolge zogen dahin, denn es herrschte Pracht, Glanz, Reichtum und Fröhlichkeit in der Burg. Die beiden Schwestern waren beinahe gleich an Jahren, doch nicht gleich an Gestalt und Sinn. Die eine, Idora genannt, war blühend und heiter, die andere, Hillea, war bleich und ernst. Idora sann stets auf Feste oder jagte auf einem flinken Zelter den ganzen Tag bei Hörnerklang durch Wald und Flur, über Berge und durch Täler. Hillea saß aber stets daheim über Bücher oder ging einsam hinaus unter die Bäume und horchte auf das Laubgeflüster, und die Geister der Waldblumen sprachen zu ihr. Des Abends, wenn beide Schwestern ihre Gemächer betraten, schlief stets die ermüdete Idora schnell ein, und rosige Träume umgaukelten sie, während Hillea, noch lange über Bücher brütend oder auf ihrer Harfe spielend, wach blieb. In einer stürmischen Gewitternacht saß Hillea einsam in später Stunde und ließ gedankenvoll ihre Finger durch die Saiten gleiten. Feurige Blitze zuckten aus dem schwarzen Gewölk herab und drohten die Wipfel der hundertjährigen Eiche zu spalten, der Donner rollte und alle Elemente schienen in Aufruhr. Hillea spielte seltsame, fremde Weisen, stolz hob sich ihr Haupt, begeistert glänzten ihre dunkeln Augen, bald langsam wie ferne verhallend, bald rasch und kräftig sich ineinander schlingend klangen die Töne. Da öffneten sich endlich des Mädchens Lippen, nur anfangs
leise Worte, dann ein begeisterter Gesang entströmte denselben. Und die schimmernde Schlange ringelte sich vor ihr empor, ließ spielend ihre Farben schillern, immer näher und näher kam sie heran, immer mehr und mehr, höher und höher hinan, bis endlich sie Hilleas Schläfe gleich einen Kranz umwand und sie ihr goldgekröntes Haupt gleich einem Diadem über des Mädchens Stirne schmiegte. Da griff Hillea wild in die Saiten, und sie drohten von den gewaltigen Griffen zu springen, und Bilder rollten sich vor ihren Augen auf, bunt und fabelhaft, und was sie sah in zauberhafter Täuschung, das sang sie mit begeisterten Worten, und als ihre Hand matt, die Bilder farbloser wurden, sank sie bleich zurück in den Lehnstuhl, langsam lösten sich die Ringeln von ihrem Haupte, es glitt hinab, und — war verschwunden. Und von diesem Tage an kam oft und oft die schöne Schlange, ringelte sich empor, schmiegte sich verlockend um Hilleas bleiche Stirne, zauberte ihr Bilder vor, und verschwand fabelhaft, wie sie gekommen war. Idora bemerkte das Treiben der Schwester und belächelte ihr träumerisches Hinbrüten, denn sie konnte und vermochte der Schwester rätselhaftes Wesen nicht begreifen, weil sie nur Lust an rauschenden Vergnügungen, Glanz und Pracht, schnell wechselndem Zeitvertreib und Verschwendung fühlte, sie wandelte mit offenen Augen, eine Blinde, gleichgültig an den Schätzen der Natur vorüber, und suchte das Glück in dem Treiben der Welt, im Genuß. Hillea aber lebte ein Leben der Träume, des Forschens, einsam und doch
so gestaltenreich, zaubervoll und doch so ernst, so überschwenglich, glücklich und doch so vernichtend, ahnungsund schmerzensvoll, ein Leben, reich an Wonne und Entsetzen. Das aber hatte die Schlange getan, denn in ihren Demant-Augen liegt die Zauberkraft, und wer sie geschaut, wen sie umschlungen, der ist ihrer Macht verfallen, dem trügenden Glück, das Schein für Wirklichkeit, Täuschung für Wahrheit, Träume für Leben spendet.“ — — Oheim Fledermaus schwieg, sein Haupt sank ihm auf die Brust und er tastete und fingerte seltsam mit seinen knöchrigen Händen zu beiden Seiten auf den Lehnen des Armstuhles auf und nieder. „Wie, nun ist die Geschichte schon zu Ende?“ frug ich den Oheim, „ei, die ist bei weitem viel weniger hübsch, als jene vom Adler und seinen Jungen oder den sieben Schwestern oder — hu hu! Onkel Fledermaus, hast Du es gehört? es hat neben dem Kamin in der Mauer gerauscht, das bedeutet Glück, denn es war gewiß die Hausnatter.“ „Schnee war’s, der oben im Schornstein sich auflöste und herabrieselte.“ „Ja es wäre ja möglich, daß es doch die gekrönte Schlange sei.“ „Es gibt keine Hausnatter, mein süßes Kind, ich erzähle Dir nur eine Parabel.“ „Ja aber“ — „Ahnet Dir nicht, mein Cäsar, was ich damit meinte?“ frug flüsternd Oheim Fledermaus, neigte sich zu mir herab und küßte mir die Stirne, ich aber fuhr entsetzt empor und rief: „Nicht doch, Oheim, ich bin ja nicht Cäsar, ich bin ja nicht tot!“
Da fuhr der Oheim auf, stieß mit seinem spanischen Rohr auf den Boden und rief kreischend: „Du bist ein albernes, läppisches Kind, Prinzessin Haselnuß, ich sage Dir aber, es gibt doch eine gekrönte Schlange, und hüte Dich davor, es ist ein listiges, glattes, schimmerndes Ungeheuer, das in geschmeidigen, gleißenden, glänzenden Ringeln sich windet, das funkelnde, gekrönte Haupt emporhebt, Dich umschlingt, mit Gifthauch betört, und Dich dann zermalmt, und diese gekrönte Schlange ist — die Phantasie!“ Er stieß mich beinahe samt dem Schemel um und rannte aus dem Zimmer. „Die Phantasie!“ wiederholte ich — „wer ist das? wahrscheinlich eine Fee“, dachte ich und saß noch nachdenkend, als meine Wärterin mit den Lichtern eintrat — doch mein Nachdenken hatte nichts gefruchtet, meine Pastete war darüber verbrannt, und die Geschichte von heute Abend wollte mir durchaus nicht gefallen, ich verstand sie nicht. — — Nun ist sie mir klar! Ruhe in Frieden, armer Oheim Fledermaus!