D R .M ED .R O B ER T G .JA C K S O N
N IE M EH R KRA N K S E IN D as G e h e im nis lange n Le be ns
Be arbe ite t u ...
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D R .M ED .R O B ER T G .JA C K S O N
N IE M EH R KRA N K S E IN D as G e h e im nis lange n Le be ns
Be arbe ite t u nd h e rau sge ge be n v on D r. Ralp h Birc e r,Züric 18. A u flage
A LBE RT M ÜLLE RV E RLA G – RÜS CH LIKO N ZÜRICH S TUTTG A RT – W IE N 1
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Be re c tigte Übe rse tzu ng au s d e m E nglisc e n, be sorgt v on Barbara v on S p re c h e r Tite ld e r in Kanad a e rsc ie ne ne n O riginalau sgabe :„H ow to be alw ays w e ll“ N ac d ru % v e rbote n – A lle Re c te v orbe h alte n A lbe rt M ülle r V e rlag,A G ,Rüsc likonZüric ,1968
A c ze h nte A u flage 123. bis 130. Tau se nd d e r d e u tsc sp rac ige n G e sam tau sgabe
Printe d in S w ize rland
S CA N N E D BY H A RD E N 2001
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Inhalt
Vorwort von Dr. Ralph Bircher
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1. Vom Wesen der Krankheit und der Lebenskraft
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2. Die Grundgesetze des Lebensprinzips
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3. Natur und Unnatur
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4. Unsere Nahrungsmittel
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5. Falsche Ernä hrungsgewohnheiten
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6. Die Haut und ihre vernachlä ssigten Funktionen
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7. Unterentwickelte Muskeln
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8. Dr. Jackson stellt sich um
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9. Die richtige Ernä hrung
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10. Gesunde Muskelentwicklung
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11. Die Pflege der Haut
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12. Geist, Gefühlsleben und Schlaf
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13. Schlußbetrachtungen
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Vorwort des Herausgebers Der Verfasser dieses Buches, einer der meistbekannten Ärzte Amerikas, hat eine hö chst bemerkenswerte Lebensgeschichte. Sie war in ihrem ersten Teil vor allem eine Krankengeschichte. Geboren von einer schwer herzkranken Mutter als ein schwä chliches Zwillingskind, machte er in Kindheit und Jugend fast alle Krankheiten durch, die ein heranwachsender Mensch bekommen kann, um dann aber, dank seiner Begabung und guten Erziehung, die Sorgen seiner Eltern zu belohnen, indem er ein Mediziner mit angesehener Praxis wurde. Seine Gesundheit hielt sich leidlich bis zum 32. Altersjahr, dann brach sie zusammen, als ob die geringe Lebenskraft, die ihm zugeteilt war, sich erschö pft hä tte. So wurde er in seinen besten Mannes – Jahren immer mehr ein „wandelndes Siechenhaus“ : der Magen war schwer entzündet, die Zä hne fielen aus ihrem Knochenbett heraus, der Dickdarm bildete Geschwüre und Fisteln, entsetzliche Kopfschmerzen kamen immer wieder und immer hä ufiger, Nervenentzündungen raubten den Schlaf, rheumatische Gelenkentzündungen hinderten die Bewegungen, und ein gefä hrliches Herzleiden, mit steigendem Blutdruck und nicht operierbarem Grünen .Star brachten ihn trotz allen Behandlungen und Kuren so weit, daßihm, nach dem Urteil der berühmtesten Ärzte seiner Zeit, hö chstens noch vier Monate Lebensmö glichkeit zuzubilligen waren. So stand es mit Dr. Jackson, als er 49 Jahre alt war: er hatte den sicheren Tod vor Augen. Da geschah in ihm eine Wandlung. Er wandte sich von den Auffassungen der medizinischen Autoritä ten ab und setzte sein ganzes Vertrauen in den in aller lebendigen Natur wirkenden Schö pfer, beobachtete seine Wege, die ewigen Ordnungen und Gesetze des Lebens, fügte sich diesen ein, vereinfachte und wandelte seine Lebensgewohnheiten und . . . genas. So sehr erstarkte und gesundete er im Laufe einiger Jahre, daßfortan keine Krankheit ihm mehr nahetrat, und daßer selbst noch als Achtzigjä hriger 12 bis 16 Stunden tä glich als Arzt, Berater und Vortragender tä tig sein und die sportlichen Leistungen eines etwa dreißigjä hrigen Mannes vollbringen konnte. Wie dies mö glich war, welche Beobachtungen, Erkenntnisse, Vereinfachungen und Gewohnheiten ihm, dem früheren Siechenhaus- und Todeskandidaten, diese herrliche Lebensfrische verschafften, kann man in diesem Buche lesen, und zwar so, daßes im einsichtigen Leser bei jedem Wort „ja“ sagt: „Ja, das will und kann ich auch!“ Kein Wunder, daß dieses Buch in Amerika berühmt ist und eine gewaltige Verbreitung gefunden hat. Wir leben in einer Zeit erstaunlicher Neuerungen, vor allem auch auf dem Gebiet der Krankheitsbekä mpfung. Cibazol, Penicillin, Streptomycin sind einige Marksteine auf dem Wege, der zu einem noch vor wenigen Jahren für unmö glich gehaltenen Aufstieg in der Bekä mpfung infektiö ser Erkrankungen führte. Begeisterung hat viele ob dieser Großtaten ergriffen, und manche Menschen haben heute das Gefühl, man dürfe jetzt eher eine Krankheit riskieren, weil das Heilen ja so leicht und bequem gemacht ist. Man nimmt an, daßbald für jede Krankheit ein Wundermittel gefunden sein wird. Bereits wird ein neuer Anstieg der Ansteckungen an Geschlechtskrankheiten gemeldet, weil sich auch in dieser Hinsicht Sorglosigkeit ausgebreitet hat. Wenige sehen, daß alle diese Triumphe auf einem kleinen Nebenkriegsschauplatz der Medizin, dem Kampf gegen die Erregerkrankheiten, erzielt worden sind, wä hrend auf dem Hauptkriegsschauplatz, dem Kampf gegen die Zivilisations- oder Degenerations- und Alterskrankheiten, also gerade gegen jene Leiden, die Dr. Jackson in seiner 5
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ersten Lebenshä lfte bedrä ngten, keine ä hnlichen Triumphe zu verzeichnen sind. Hier gibt es nicht einmal einen Stillstand, sondern nur einen schweren Abwehr- und Rückzugskampf, dessen Ausgang die Fachkundigen mit Sorgen betrachten. Da sind zum Beispiel die Zuckerkranken, deren Sterblichkeit seit 1930 in der Weltstadt New York um 65 % zugenommen hat, trotz modernsten Bekä mpfungsmethoden, trotz der so wertvollen Errungenschaft der Insulinbehandlung! Die Diphtheriegefahr hat man beinahe überwunden, aber an der Zuckerkrankheit sterben bei uns in der Schweiz 20mal mehr Menschen als an Diphtherie. — Da ist sodann die gewaltige Gruppe der Herz- und Nierenleiden, die gegenwä rtig rund 500mal mehr Todesfä lle verursacht als Scharlach oder Masern; dabei ist die Zahl der Opfer bestä ndig und anscheinend unaufhaltsam im Steigen begriffen. Die Sterblichkeitskurve der Herz- und Nierenkranken biegt sich immer rascher nach oben und wird, falls nicht eine Wendung kommt, in wenigen Jahren eine Verdoppelung der Todesfä lle gegenüber 1930 anzeigen. — Und was für eine Erleichterung bringt uns der Rückzug der Tuberkulose, der übrigens bereits wieder einem Vorstoßgewichen ist, wenn gleichzeitig die gewaltige Gruppe der rheumatischen Krankheiten, die 36mal mehr Krankheitsfä lle und 50mal mehr Invaliditä t verursachen als die Tuberkulose, in einem noch bedrohlicheren Tempo anschwillt. Denn nach den Erhebungen von Bruck hat sich beispielsweise beim Personal der Schweizerischen Bundesbahnen die rheumabedingte Invaliditä t in den zehn Jahren von 1926 bis 1935 verdreifacht! — Mit diesen Hinweisen haben wir aber erst einen Teil der Zivilisationskrankheiten erwä hnt und noch nichts von der Zunahme der Magen- und Darmkrankheiten, der Nervenleiden, des Krebses gesagt. Von alledem gibt sich die Ö ffentlichkeit nur wenig Rechenschaft; dazu steht sie viel zu sehr im Banne der „Penicillin-Begeisterung“ . Für alle jene Menschen aber, welche diesen Tatsachen, die über kurz oder lang ja doch zur Geltung kommen, ins Angesicht blicken, wird das Buch Dr. Jacksons, der in sich die Summe der Zivilisationskrankheiten überwand, ein herrliches, ein erlö sendes Buch sein. Die Lehren Dr. Jacksons decken sich in allen wesentlichen Punkten mit dem, was in Europa u. a. Dr. Bircher-Benner seit fünfzig Jahren lehrte. Die beiden Pioniere lernten sich erst kurz vor dem letzten Kriege kennen und in gegenseitiger Freundschaft und Verehrung schä tzen. Es war Dr. Jacksons ausdrücklicher Wunsch, daßkein anderer als Dr. Bircher-Benner sein Buch in Europa herausgeben sollte, und als dieser nach Erfüllung seines Lebenswerkes das Zeitliche segnete, schenkte der Verfasser dem Unterzeichneten das Vertrauen, diese Aufgabe in sinngetreuer Anpassung des Werkes an europä ische Verhä ltnisse zu Ende zu führen. Daßdie deutsche Ausgabe nun dank der vorzüglichen Mitwirkung der Ü bersetzerin, Frä ulein Barbara von Sprecher, und des Albert Müller Verlags erscheinen kann, wird, wie wir wissen, für viele ein freudiges Ereignis sein. Erlenbach am Zürichsee Dr. Ralph Bircher
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1. KAPITEL Vom Wesen der Krankheit und der Lebenskraft Unter allem, was die Schö pfung an Lieblichem und Wohlgefä lligem hervorgebracht bat, ist sicherlich nichts so schö n und beglückend wie der Anblick eines vollkommen gestalteten menschlichen Kö rpers. Nicht viele von uns wissen jedoch um diese Schö nheit; denn ein falsch gerichtetes und falsch angewandtes religiö ses Gefühl hat in uns eine kleinliche, unreine, unfromme Gesinnung erzeugt, die den Kö rper, den geweihten Tempel unserer Seele, verachtet. Diese Auffassung stammt aus der religiö sen Einstellung lä ngstvergangener Zeiten, als noch Menschen von engem Horizont, Mö nche und Frö mmler, anstatt geistig Erleuchteter die Weltanschauung bestimmten. Sie übersahen, daßein unrein gescholtener Kö rper von selbst unreine Gedanken erweckt. Wird der Kö rper durch die Bekleidung unseren Blicken entzogen, so ist das eine Herausforderung an sä mtliche Krä fte unserer Phantasie, die alles, was wir angeblich nicht sehen dürfen, nach Belieben vor unsere Augen zaubern und noch dazu in der unsauberen Form, die den Dingen durch das Verbot anhaftet. Betrachten wir unser wahres Selbst aber mit den Augen reifer Geistigkeit, so strahlt es uns entgegen als Funken des endlosen gö ttlichen Glanzes, enthüllt sich uns als Seele, die selber aus dem Staub der Erde den herrlichsten aller Tempel sich zu bauen vermag; dann befinden wir uns auch in der richtigen geistigen Verfassung, um die erstaunliche Schö nheit des menschlichen Kö rpers zu erkennen. Das will natürlich nicht heißen, daßjeder menschliche Kö rper tatsä chlich über alle Maßen schö n zu nennen ist — obwohl es sicherlich im Rahmen des Mö glichen liegt, daßein jeder es sein kö nnte; denn nur weil wir den Kö rper so sehr verachten und mißhandeln, zeigt er — mit wenigen und darum auffallenden Ausnahmen — eine unschö ne, unterentwickelte Gestalt. Die Zeit wird aber sicherlich einst kommen, da der biblische Ausdruck „zum Bilde Gottes“ etwas Konkretes und Greifbares darstellen wird. Er bedeutet, daßwir tatsä chlich zu Gottes Ebenbild geschaffen sind, weil wir in unserer auf hö here Entwicklung gerichteten Vernunft die schö pferischen Mö glichkeiten mitbekommen haben, uns innerhalb gewisser Grenzen der Naturgesetze zu unserem Frommen selber zu bedienen. Dann werden wir einsehen, daß niemand den Kö rper verachten kann, ohne gleichzeitig auch seinen Erbauer und Bewohner, den gö ttlichen Funken in uns, zu beleidigen. Dann werden wir auch aufhö ren, den menschlichen Kö rper moralisch zu werten; wir werden vielmehr in unseren Kö rpern Tempel erblicken, die unser innerstes Selbst dem Lebensfunken zur Wohnung baut, und werden durch geduldige Arbeit dem vor Zeiten durch die alten Griechen erreichten Ideal der Kö rperschö nheit nahekommen kö nnen, es vielleicht sogar zu übertreffen wissen. Es wird behauptet, daßdas alte Griechenland in intellektueller Beziehung den fortgeschrittensten modernen Staaten weit überlegen gewesen sei; sein Kulturdurchschnitt stand nach der Meinung mancher Sachverstä ndiger so weit über demjenigen heutiger Kulturlä nder, wie die heutigen Kulturnationen sich über primitive Rassen erhaben dünken. Dieser hohen Kulturstufe entspricht es durchaus, daß die Griechen mit all ihrer Bildung und intellektuellen Fortgeschrittenheit die Schö nheit als oberstes Ideal verehrten; sie priesen sie und verherrlichten sie. Aber ihrer hö chsten Auffassung von 7
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Schö nheit kam nichts so nahe wie der menschliche Kö rper. Sie schufen in Marmor nach, was in Fleisch und Blut um sie herum lebte und ihre im Geiste geschauten Idealbilder verkö rperte. Und weil sie den menschlichen Kö rper als vollkommene Erscheinung ansahen, füllten sich ihre Gedanken mit Bildern der Vollkommenheit, und ihre Lebensweise, die Nahrung, die kö rperliche Betä tigung, alles richtete sich auf das mit Innigkeit erstrebte Ziel der Vollkommenheit ein. So erreichten sie denn auch dieses Ziel, und wir kö nnten dasselbe tun. Die Griechen verachteten unschö ne Formen, weil sie nach ihrer Auffassung der Absicht der Natur widersprachen; der Besitzer eines unschö nen Kö rpers stand deshalb in geringem Ansehen, denn die Verantwortlichkeit für seine Gestalt wurde ihm auferlegt. Und das Leben der Griechen wurde daher nicht von Schlemmerei und Gier und nicht von niedriger Sinnlichkeit bestimmt wie unser modernes Dasein, sondern von einer ganz großen Liebe zur Keuschheit und zu gesunder Schö nheit. Nie wä re es jenen “ barbarischen“ Griechen in den Sinn gekommen, den menschlichen Kö rper als etwas Unreines, Unmoralisches zu betrachten oder ihn den menschlichen Blicken zu entziehen. Ihre Verehrung für das, was unsere prüde Gesinnung durch schmutzige Vorstellungen entwürdigt und entheiligt hat, ließ sie zu einer Grö ße der Auffassung, zu einer Reinheit ihrer Gedankenwelt gelangen, mit der sich unsere heutige Einstellung nicht entfernt messen kann. Unser Irrtum liegt darin, daßwir glauben, wir seien Kö rper, die eine Seele beherbergen; das Umgekehrte ist der Fall: wir sind Seelen, welche die Macht haben, sich eigene Wohnstä tten zu erbauen. Es gab eine Zeit, in der die Wissenschaftler die Nichtexistenz Gottes durch verblüffende Ergebnisse chemischer Experimente beweisen wollten. Statt dessen ergaben ihre Forschungen, daßsie ihr eigenes Dasein nicht erklä ren konnten, solange sie nicht das Dasein Gottes in ihre Berechnungen mit einbezogen. Man stellte die Elemente, aus denen sich die Kö rper zusammensetzten, ihre Zahl und ihre gegenseitigen Verhä ltnisse fest. Solche Elemente wurden in genauen Proportionen und unter den denkbar günstigsten Bedingungen für Lebensentfaltung wieder zusammengefügt, aber die Masse blieb kalt, unbewegt und tot; es fehlte ihr etwas, das keine Wissenschaft aus ihr herauszuholen, in sie hineinzulegen vermochte, etwas, das jenseits jeder sinnlichen Erkenntnis lag, jenseits aller menschlichen Einfühlung in Ü bernatürliches, jenseits jeder Ahnung, sogar jenseits jeden Phantasiebildes einer noch so kühnen Einbildungskraft. Darum verneint die Wissenschaft Gott jetzt nicht mehr. Sie steht heute in tiefster Ehrfurcht vor jedem verschlossenen Tor, das ins Unbekannte führt. Das Wunder des mit schö pferischer Intelligenz begabten Menschenkö rpers, dieses heiligen Rä tsels, erfüllt sie mit Staunen, und sie erkennt, daß hier, in ihrem eigenen Tempel eingeschlossen und behütet, die Seele des Menschen wohnt und wirkt, der Funke des unendlichen Lichtes, der Geist aus Gott. Vielleicht gebraucht die Wissenschaft das alte Wort „Gott“ nicht gerne und benützt lieber Ausdrücke wie „Kraft“ , „hö chste Vernunft“ oder andere Schlagwö rter modernen Geprä ges, um diese alles durchdringende, jedem Zugriff entweichende Macht anzudeuten. Aber wozu um Namen streiten, die nichts an den Tatsachen ä ndern ? Die Schö pfungsgeschichte berichtet allerdings, daßGott den Menschen aus einem Erdenkloß formte und ihm seinen Odem in die Nase blies; so sei der Mensch eine lebendige Seele geworden. Wie stimmt das, fragst du, mit der Wissenschaft überein? 8
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Und darauf antworte ich: Ü berraschend genau sogar. Behauptet doch die Wissenschaft, daßdie ersten Lebensformen unserer Erdkugel auf den von Ebbe und Flut überspülten Schlammufern der warmen Meere der Urzeiten erschienen. Diese ersten Lebewesen bestanden aus denselben chemischen Stoffen wie der warme feuchte Grund ihres morastigen Mutterstrandes. Jene früheste Lebensform bestand aus einer einzigen mikroskopisch kleinen Zelle; sie schloßeinen Lebensfunken in sich ein, der sie von allen zwar aus demselben Stoffe bereiteten, aber nicht lebendigen Dingen ihrer Umgebung unterschied. Sobald der Lebensfunken den kleinen einzelligen Kö rper wieder verließ, fiel dieser in den gleichen leblosen Zustand zurück wie die übrige Erdmaterie. Es ist daher einleuchtend, daßder Kö rper eines solchen Lebewesens für sein Dasein auf etwas anderem beruhen mußte als auf der Erdmaterie, aus der er sich gebildet hatte: auf der Lebensessenz, dem Lebensgeist, der in ihm wohnte und ihn lebendig erhielt. Die Lebensessenz hat die Fä higkeit, sich aus den Stoffen des Erdbodens einen Kö rper aufzubauen. Jedes lebendige Wesen hat diese Fä higkeit. Die Lebensessenz in pflanzlichen Lebewesen hat die Fä higkeit, diese Stoffe durch die Wurzeln unmittelbar aus dem Boden zu beziehen, und sie baut sich zur Behausung einen Pflanzenkö rper auf. Tierische Lebewesen führen sich die Erd- oder Mineralstoffe durch Verzehren der Pflanzenkö rper zu; sie verzehren aber damit nur wieder Erdenstaub in organischer Form, was sich durch die Tatsache beweisen lä ßt, daß sich tierische Kö rper rasch in Erdenstaub zersetzen, sobald der Lebensfunke sie verlassen hat. Was von der kleinen einzelligen Lebensform am flutgeträ nkten Meeresstrand vor vielen Millionen von Jahren wahr gewesen, das gilt aber auch heute noch, und zwar für jedes einzelne lebende Wesen, den Menschen inbegriffen. Schon vom Augenblick der Befruchtung an ist die Allkraft — die wir benennen kö nnen, wie wir wollen, ohne daß sich ihre Natur dadurch ä ndert — im Kö rper der werdenden Mutter am Werke; sie vermehrt durch Teilung die Zellen des befruchteten Eies und legt auf diese Weise den Grund zum kö rperlichen Wachstum. Nach einiger Zeit beginnt dieselbe Kraft die sich vermehrenden Zellen zu verä ndern und ihnen unterschiedliche Funktionen zuzuteilen; die einen sollen die Nieren bilden, die andern die Leber, andere wieder das Gehirn, die Nerven, das Herz, die Lungen usw., bis der ganze Kö rper geformt ist. Dieser Aufbau des kleinen Kö rpers durch Aufteilung und Vermehrung seiner Zellen geschieht buchstä blich „aus dem Staub der Erde“ ; seine Mutter führt durch ihr Blut dem wachsenden Gebilde Nahrung zu, die dem Erdboden entstammt. Die Zellen nehmen, in ihrer Auswahl durch den ihnen innewohnenden Aufbauwillen geleitet, alle notwendigen Bestandteile auf. So wird der menschliche Kö rper aus dem Staub der Erde geschaffen. Es ist darum wahr, was die Schö pfungsgeschichte berichtet: daßGott den Menschen nach seinem eigenen Bilde aus einem Erdenkloßformte, und er formt ihn immer noch weiter. Aber bis zur Stunde der Geburt hat dieser Kö rper noch kein unabhä ngiges eigenes Leben; erst nach Ablauf einer festgesetzten Zeit wird er aus dem mütterlichen Leib in die Welt hinausgeboren. Soll er leben, so mußder große Lebensstoff, der Sauerstoff, ihn wecken und durchdringen; daher regt sein Lebensfunke — Gott — das kleine leblose Bündel von Organen zu einer Lebensä ußerung an, die es in seinem ganzen bisherigen neunmonatigen Dasein der Zellenvermehrung noch nicht gekannt hat: es atmet. Ein Hauch strö mt durch die winzigen Nasenflügel ein, und unter unseren Augen vollzieht sich das lieblichste Schö pfungswunder; so wird es buchstä blich zur Wahr9
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heit: „Gott blies dem Menschen seinen Odem in die Nase, und er wurde eine lebendige Seele.“ Aber erst wenn wir die kosmische Bedeutung dieser Vorgä nge mit der ungeheuren, uns durch diesen Plan der Vorsehung auferlegten Verantwortung erfaßt haben, fangen wir an, wirklich zu begreifen. Das Lebensprinzip, der Lebensfunke in uns, unser wahres Selbst stammt aus der Unendlichkeit — aus Gott; und dieses wirkliche Selbst ist der Baumeister, der unsere Kö rper aus Erde aufbaut; wir sind der ewigen Quelle — Gott — verantwortlich für die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit des Baues. Wir haben also dafür zu sorgen, daß der Bau in gutem Zustand erhalten bleibt und gegen vorzeitigen Verfall geschützt wird. Was das bedeutet, will wohl überlegt sein. Kö nnte uns die unendliche Weisheit Gottes, die Quelle allen Lebens und der alleinige Ursprung aller Dinge, dort zur Verantwortung ziehen, wo wir diese Verantwortung zu tragen nicht fä hig wä ren, wo uns die nö tigen Voraussetzungen zur Erfüllung dieser Ansprüche fehlten? Unmö glich. Wenn daher unser Kö rper zu einem schö nen Tempel erbaut werden kann und soll, so muß uns die Mö glichkeit gegeben sein, einen entsprechenden Bauplan zu entwerfen und die nö tigen Baustoffe richtig zu wä hlen. Denn die Vorsehung stellt uns keine Aufgabe, zu deren Erfüllung sie uns nicht auch befä higt hat. Hier kommt uns nun die Gesundheitslehre zu Hilfe. Ihre Sache ist es, das einwandfreie Material zum Aufbau unseres Kö rpers herauszufinden und es uns anzuzeigen. Solange wir dieser Seite unseres Lebens keine Beachtung schenken, behandeln wir unseren Kö rper nicht viel besser als einen lebendigen Abfalleimer; wir mißachten ihn und denken an nichts andres als an die Befriedigung seiner Begierden; wir behä ngen ihn mit Flitterwerk, putzen ihn auf, bemalen und verschö nern ihn nach Mö glichkeit, um die Schä den zu verdecken, die unsere Nachlä ssigkeit und unsere sinnliche Haltlosigkeit verursachen. Im Notfall lassen wir durch den Fachmann, den Arzt, Ausbesserungen vornehmen; in den meisten Fä llen wird er, anstatt das Lottergebä ude neu aufzurichten, mit Flickwerk arbeiten, hier eine Lücke zustopfen, dort eine Schindel ersetzen, da ein gesprungenes Band zusammenlö ten oder eine ausgehä ngte Türe wieder in ihre Angeln heben. Wie anders die Griechen! Bestä ndig waren sie vom hö chsten Lebensgefühl durchdrungen, wie es uns vielleicht ausnahmsweise beim Anblick einer schö nen Landschaft, eines gewaltigen Gebä udes, eines erhebenden Schauspiels, eines ergreifenden Bildwerks oder beim Hö ren eines tiefgefühlten Tonstücks auch durchflutet. In der Regel aber verbinden die meisten von uns mit ihrem Kö rper nicht mehr Lebensgefühl, als eine Kartoffel oder ein Kohlkopf es allem Anschein nach tut. An Stelle dieses Lebensgefühls empfinden wir die Schmerzen, das Unbehagen selbstverschuldeter Ü belstä nde, die eine unvermeidliche Folge unserer sorglosen Inkonsequenz sind: Wahllos, oder vielmehr nur von den Ansprüchen unserer materiellen Sinne geleitet, nehmen wir die Nahrung, den Baustoff für den Tempel unserer Seele, in uns auf. Leider spreche ich hier nicht nur von der Menge der Laien. Wer über das Thema schon nachgedacht hat, besonders wenn er zu der Gedankenarbeit noch die Beobachtung hinzufügte, kann sich nicht genug darüber wundern, daßdie Ärzte mit wenigen Ausnahmen die im menschlichen Kö rper ruhenden Mö glichkeiten zu eigener gesunder Schö nheitsentwicklung gar nicht in Betracht ziehen; sie ahnen nicht entfernt, wie ungeheuer großdie Wirkung ausgleichender Nahrung und einer nach gewissen Gesichtspunkten geordneten Lebensweise auf das Aufblühen kö rperlicher Schö nheit sein kann. Bis vor kurzer Zeit pflegten die meisten Mediziner, mit Ausnahme sogenannter 10
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„0riginale“ oder gelegentlich eines ganz großen Erleuchteten, auf den Arzt, der dieser Denkungsart zuneigte, als auf einen verschrobenen Kauz herabzusehen. Aber diese Mediziner sind selbst nichts Besseres als Flickschuster, Ausbesserer. Freilich sind es gerade diese unerfreulichen Zustä nde, die unserer Ärztegilde ihr fortdauerndes Bestehen unter den bürgerlichen Einrichtungen gewä hrleisten. Jedoch welch schö ner Traum, sich auszudenken, wie es anders sein kö nnte: die gesamte heutige Krankenfürsorge müßte dann weiseren Institutionen den Platz rä umen; wie einst Moses die Israeliten aus Ägypten, so müßte eine neue Ärzteschaft die zivilisierte Menschheit in das gelobte Land der vollkommenen Kö rperentwicklung führen, gemä ß den wunderbaren Fortschritten unseres Zeitalters auf dem Gebiet der Hygiene und der sanitä ren Einrichtungen. Die alten Griechen, die wahrscheinlich nichts oder nur wenig von Hygiene und Sanitä t wußten, haben es sogar an ihrem eigenen, zu so vollendeter Schö nheit entwikkelten Kö rperbau bewiesen, daß es mö glich ist, die Lebensgrundsä tze aufzufinden, welche die Entwicklung einer gesunden, vollkommen proportionierten, vergeistigten und beseelten Rasse gewä hrleisten. Unter den heutigen Kulturvö lkern kennen wir keine solchen Rassen mehr. Aber primitive Rassen unserer Zeit beweisen uns immer noch, daß es Lebensgrundsä tze gibt, die den physischen Aufbau begünstigen und in hohem Maße von Krankheiten freihalten. Sogar unter uns Zivilisierten beginnt sich die Wahrheit bahnzubrechen; Tausende von Mä nnern und Frauen in allen zivilisierten Lä ndern haben nach nicht medizinischen Methoden ihren Kö rper mit grö ßerer Symmetrie, vollkommenerer Anmut und krä ftigerer Gesundheit ausgestattet, als ihre Mitmenschen es vermochten. Diese Mä nner und Frauen haben die Lebensmethoden der alten Griechen zum mindesten teilweise wieder für sich entdeckt, die uralten Methoden der Natur, die für jeden von uns ein offenes Buch sein sollten — und es nicht sind. Denn um eigenes Forschen und eigenes Arbeiten geht es hier. Mein Blick fä llt auf einen Fetzen altersfleckigen Papiers, der neben meinem Schreibblatt liegt. Darauf steht folgendes zu lesen: „Sydenham, der große Arzt, sagte: Wenn ich meinen allgemeinen Erfolg auf ein spezielles Rezept zurückführen sollte, so hieße dieses Rezept, daß ich stets meine eigene Autoritä t geblieben bin. Nicht, daßich immer meine wichtigeren Ideen selber gefunden hä tte. Oft siebte ich sie aus dem Gedankengut anderer heraus, hä ufig aus ganz versteckten Quellen; aber da ich mich nicht der Autoritä t oder den Traditionen der sogenannten Großen anschloß, blickte ich in das Inwendige der Dinge; ich las alles; das gab mir die Mö glichkeit und den Vorteil, ursprünglich zu sein, Tatsachen aus unbekannten, unerwarteten Quellen zusammenzutragen und auf diese Weise meiner Zeit einen Schritt voraus zu sein.“ Sydenham erlangte Grö ße, weil er in Dinge hineinblickte, an denen andere Menschen achtlos vorübergehen. Von einem andern Autor führe ich folgende Stelle an: „Sydenhams Platz in der Geschichte der Medizin ist ihm schon angewiesen worden. Scheinbar war er in der Wissenschaft hinter seiner Zeit zurück, aber tatsä chlich war er ihr in der Praxis voraus. In akuten Krankheiten erblickte er das Hervortreten jener Aktivitä t, durch welche die Natur sich selbst zum Recht zu verhelfen sucht — einer Aktivitä t, über der gewacht und die so viel als irgend mö glich unterstützt werden muß. Chronische Leiden betrachtete er ebenfalls mit dem Auge des Hippokrates und beurteilte sie als Folgen von Gewohnheiten oder Fehlern, für die wir in der Hauptsache selber verantwortlich sind; 11
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er begegnete ihnen durch Vorschriften für angemessene Verä nderung der Diä t und Lebensweise. Unter speziellen Beiträ gen für die Nosologie diagnostizierte er als erster das Scharlachfieber und klassifizierte den Veitstanz. Ein anderes Leiden, in dessen Behandlung er besondere Erkenntnisse gewann, war die Gicht.“ Sydenham lebte im siebzehnten Jahrhundert. Unter allen seinen Zeitgenossen, deren Namen uns überliefert worden sind, glä nzt sein Ruhm weitaus am hellsten. War dieser Stern unseres Berufsstandes ein Anhä nger des Herkö mmlichen? Nicht im mindesten! Fürchtete er selbstä ndiges Denken — oder übte er es furchtlos? Nein auf die erste, und ein entschiedenes Ja auf die zweite Frage. Um das, was die damaligen „Autoritä ten“ verkündeten — ihre eigenartigen, fast phantastischen Begriffe von Ursachenforschung und ihre Ü berschä tzung menschlicher Kunstgriffe in der Behandlung von Krankheiten — , kümmerte er sich nicht; er suchte sich seinen eigenen Weg durch den Irrgarten verwirrender Ideen und Ansprüche seiner Zeit und kam in bezug auf Krankheitsverursachung und Heilung zu dem überraschenden Schluß, daßalle Krankheit selbstverschuldet ist und daßihre Heilung nur auf dem Wege des ungehinderten Spieles der wiederherstellenden Naturkrä fte erfolgen kann, die im Kö rper selber und in seiner natürlichen Umgebung vorhanden sind. Die moderne Medizin scheint übrigens auf der Schwelle zu den gleichen Schlußfolgerungen zu stehen, besonders im Hinblick auf Krankheiten wie Tuberkulose, Rachitis, Skorbut, Beriberi und Pellagra, obgleich sie es selber noch nicht erkannt hat. Für jemanden, der dazu neigt, mit der Ansicht, daßMikroorganismen die Ursache unserer Krankheiten sind, in Konflikt zu geraten, ist es ermutigend, daßer sich in so guter Gesellschaft wie Hippokrates und Sydenham befindet, welche beide die Krankheit als einen weitgehend von Gewohnheiten verursachten Zustand des Kö rpers ansahen und nicht als ein unabhä ngiges Etwas, das von außen in den Kö rper eindringt. Ich bin sicher, daßdiese Anschauung der Krankheitsverursachung bald Allgemeingut würde, kö nnten wir uns vom Einfluß des Herkö mmlichen und Ü berlieferten befreien. Die durchschnittliche medizinische Auffassung ist nä mlich die, daß Krankheit etwas ist, das man „kriegt“ . Und doch hat man nie richtig verstanden, was wir denn eigentlich dabei „kriegen“ — das heißt, was bei einer Erkrankung im Grunde vor sich geht. Seit den Tagen, da Kranksein gleichviel bedeutete, wie von einem Teufel besessen sein, sind wir davon überzeugt, daßwir es kriegen oder daßes uns kriegt. Und als Pasteur daherkam und die innere Verbindung der Bakterien mit dem Krankheitsprozeß aufzeigte — wie natürlich schien es da, seine Behauptung zu unterstützen, daß die Bakterien die Ursache unserer Erkrankungen seien. Wir erwischen den Keim, und wir bekommen die Krankheit. Man sieht deutlich, wie leicht dieser Gedanke in unser konventionelles Denken paßt und in den uralten Glauben, daßKrankheiten durch ä ußere Ursachen veranlaßt werden. Die meisten Mediziner sind eben leider ausgesprochene Autoritä tsverehrer und konventionelle Denker und kö nnen deshalb schwer einsehen, daßes noch irgendeinen Weg außer dem ausgetretenen Pfad konventioneller Ü berlieferungen geben kö nnte. Aristoteles, der „Lehrer der Jahrhunderte“ , sagt einmal, daß„der Mann, der für sich selber beobachtet und denkt, weise ist; daßaber, wer außerdem noch die Beobachtungen und Gedanken anderer erwä gt und auch die Meinungen der Unbedeutenden nicht verschmä ht, ein Lehrer der Jahrhunderte ist“ . Die meisten Menschen, die in irgendeinem wesentlichen Maße der Welt ihren 12
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Stempel aufgedrückt haben, besaßen eben diese Achtung vor der „Meinung Unbedeutender“ ; sie hatten zu gleicher Zeit keine besondere Achtung vor den Meinungen der Maßgebenden. Hä tten sie Ansehen und Einflußbewundert, so wä ren sie notwendigerweise gedankengebunden gewesen, und niemals hä tte die Welt von ihnen vernommen. Vor allem wir Ärzte dürfen uns deshalb nicht blenden lassen. Wir müssen die Augen ö ffnen und beobachten, wir müssen auch hö ren und annehmen, was andere Menschen, selbst einfache Leute und sogenannte Ungebildete, beobachtet und erfahren haben. Nur auf diese Weise kö nnen wir dem gegen unseren Beruf gerichteten Spott entgehen, daßwir uns selber nicht gesund zu erhalten wissen und ebenso hilflos dahinsterben wie die Patienten, die um Rat und Hilfe zu uns kommen. Ich leugne natürlich keineswegs, daßdie Bakterien ihre Rolle im Ablauf der Krankheit spielen; aber daß Bakterien die primä re Ursache einer Krankheit sind, kann ich mich nicht zu glauben zwingen, ohne meinen Verstand zu vergewaltigen. Die innere, selbstgeschaffene, gewohnheitsverursachte Verfassung muß vorher vorhanden sein, denn ohne sie sind Bakterien machtlos, eine Krankheit hervorzurufen. Wä re es anders, so müßten wir alle ununterbrochen erkranken, weil wir alle ununterbrochen mit diesen „Krankheitserregern“ in Verbindung stehen. Wenn wir aber bestä ndig mit Bakterien in Berührung kommen und doch als Einzelwesen verhä ltnismä ßig selten erkranken — ist es dann nicht klar, daßhier noch ein stä rkerer Faktor als die Bakterien im Spiele sein muß, etwas, das die Bakterien erfolgreich bekä mpft und die Krankheit verhütet? Dieses Etwas muß ein kö rperlicher Zustand, eine kö rperliche Beschaffenheit sein. Und es ist in der Tat ein kö rperlicher Zustand. Sein Name lautet: lebendige Widerstandskraft. Schon das Kind wird mit dieser Widerstandskraft ins Leben hineingeboren, sonst würde es bei der Geburt nach der ersten Berührung mit den „Krankheit hervorrufenden Kleinlebewesen“ fast augenblicklich sterben. Ein jeder Mensch steht in tä glicher Berührung mit diesen Mikroorganismen; wenn wir alle trotzdem tagaus tagein weiterleben und uns im Durchschnitt eines guten Befindens erfreuen, so mußauch jeder von uns eine solche lebendige Widerstandskraft besitzen, die den Kontakt mit Krankheitskeimen zu einer harmlosen Begegnung macht. Man wird aber kaum mit der Annahme fehlgehen, daßdie wenigsten Menschen je daran denken, ihre Widerstandskraft gegen Krankheiten zu festigen und zu stä hlen. Und unsere allgemeinen Lebensgewohnheiten sind ohne Ausnahme dazu angetan, unsere Krä fte zu schwä chen. Trotzdem haben wir noch genug Vitalitä t, um dem Ansturm der Krankheiten zu widerstehen; ihr heimtükkisches Einnisten kö nnen wir freilich nicht verhindern. Für diese Vitalitä t sorgt die Natur bei einem jeden einzelnen von uns, wie sie es schon bei dem neugeborenen Sä ugling tut. Das heimtückische Einnisten der Krankheit — ein Thema, das viele Gedanken weckt. Wie entsteht Krankheit? Ein unheimlicher, anfangs kaum bemerkbarer Vorgang beeinträ chtigt allmä hlich die Lebenskraft, und eines Tages bricht plö tzlich mit akuter Heftigkeit ein Leiden aus; wir stehen wie vom Blitze gerührt! Aber machen wir es uns gleich klar: lange bevor die Explosion erfolgte, war die Mine gelegt. Durch irgendeine schließliche Ü berbeanspruchung wurde die Zündung bewirkt. Es mag nichts weiter gewesen sein als eine allzu üppige Mahlzeit oder eine übermä ßige kö rperliche Anstrengung oder eine heftige Gemütsbewegung. Ein voll lebenskrä ftiger Kö rper hä tte die Beanspruchung leicht und ohne Schaden ertragen. Vermag aber lebendige Widerstandskraft bei einem gesunden Menschen den Aus13
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bruch einer Krankheit zu verhindern, so ist offenbar ihr Fehlen und nicht die Wirkung der Bakterien die primä re Ursache der Krankheit; das heißt, erst wenn die lebendige Widerstandskraft versagt, kö nnen die Bakterien den Ablauf der Krankheit beeinflussen. In welche Richtung verweist diese Erkenntnis den Arzt, wo sieht sie seine wahre Aufgabe? Natürlich soll er die zerbrochene Puppe wieder flicken, den Gesundheitsschaden wieder gutmachen; doch niemals kann das sein hö chstes Ideal sein. Das hö chste Ideal, das wir anstreben müssen, ist die Erkenntnis, wie menschliche Kö rper so lebenstüchtig gemacht werden kö nnen, daß sie dem Ansturm der Krankheit immer erfolgreich widerstehen. Setzen wir diese Erkenntnis in die Tat um, so werden wir damit unseren Mitmenschen beweisen, daß auch sie von Krankheit und vorzeitigem Tode verschont bleiben kö nnen, sofern sie es nur wollen. Nach allem, was bisher gesagt wurde, versteht es sich von selbst, daßdiese lebendige Widerstandskraft im Kö rper nicht durch medizinische Mittel oder irgendwelche menschlichen Künste entwickelt werden kann. Aber woher soll man sie dann nehmen, wenn man sie verloren hat? Ich frage mich, ob je ein Arzt einen anderen Hort der Lebenskraft und Widerstandsfä higkeit entdecken konnte als die aus unerschö pflichem Reichtum spendende Natur; und dennoch, wie wenige Mediziner haben überhaupt nur erkannt, welche Rolle diese lebendige Widerstandskraft in der Verhütung von Krankheiten spielt! Deshalb suchen sie die Krankheit auf alle mö glichen künstlichen Arten zu bekä mpfen. Haben sie wohl noch nie überlegt, woher es kommen mag, daßein ä rztlicher Kunstgriff, eine Medizin beim einen Patienten hilft, beim andern nicht? Entgeht es ihrer Beobachtung wirklich, daßder Widerstand, den der Lebenswille einzelner Kranker ihren Ü beln entgegensetzt, diese Kranken rettet, wä hrend er bei den anderen zu gering ist, um die gleiche Bedrohung zu bannen? Was kann aber menschliche Geschicklichkeit dort noch ausrichten, wo die Würfel schon gefallen sind? Den lebendigen Widerstand, der allein unbezwinglich ist, kann sie jedenfalls nicht ersetzen, und dieser Widerstand ist im kritischen Augenblick vorhanden oder nicht vorhanden; dazwischen gibt es nichts. Wie viele Fragen, die einem denkenden Menschen zu tun geben, erheben sich da. Was kann die ä rztliche Kunst in den beiden Fä llen, dem guten und dem bö sen, ausrichten, wie weit reicht ihr Einfluß? Wie mö gen sich die einzelnen Zellen in beiden Fä llen verhalten? Und so vieles mehr. Aber werden moderne Ärzte sich je auf eine derartige Betrachtungsweise einlassen? Hand hoch! — alle, die sich schon die Mühe genommen haben, über solche Dinge nachzudenken! — Hm — genau wie ich mir's dachte. Gerade jene Mediziner aber, die sich noch niemals gründlich mit derartigen Problemen befaßt haben, sind unduldsam gegen die nicht herkö mmliche Denkweise und gegen das nicht konventionelle Verfahren. Sie gehö ren alle zu dem Typus, der auf solche Fragen gleich antwortet: „Um Himmels willen, mein Lieber, lassen wir die Gesprä che über Gesundheit!“ Allerdings ist auch keiner von ihnen ein Sydenham, und keiner von ihnen hat Aussicht, je ein Sydenham zu werden, noch ein Franklin, noch ein Faraday, ein Napoleon oder Aristoteles, denen der Nichtfachmann, der einfache Mann, der „gewö hnliche“ Mann neue Gedanken wie glitzernde Juwelen zutragen durfte. Nun — ich kann es nicht lä nger verheimlichen — ich besitze ein Rezept für die Erlangung lebendiger Widerstandskraft, das die kritischste Untersuchung nicht zu scheu14
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en braucht. Ich kann es in drei Wö rtern ausdrücken: „Folge der Natur!“ Besser noch mit vier Wö rtern: „Stö re die Natur nicht!“ Es ist ein Rezept. „Stö re den Gang der Natur nicht, vertritt ihr nicht den Weg.“ Gleichzeitig aber ist es auch ein Gedanke. Ü berlege, was er bedeutet. Bedenke, was er alles in sich schließt. Außerhalb des geistigen Gebiets ist er das hö chste dem Menschen erreichbare Ideal. Kein anderer Beruf als der des Gesundheitsforschers hä ngt so eng mit der Natur und ihrem Wesen zusammen. Wir Ärzte geben denn wohl auch in gelegentlichen Anwandlungen der Ehrlichkeit zu, daßdie Natur kuriert hat, wo immer eine Kur gelungen ist. Aber wie wenig erforschen wir in Wirklichkeit diese Natur und ihre Wege! Wie sind wir stets geneigt, unsere Behandlungen mit künstlichen Mitteln zu führen! Wie wenig Beachtung schenken wir den Naturgesetzen, deren Befolgung für uns, fü r uns selber, eine vollkommene Befreiung von Erkrankung bedeuten würde. Wie wenig beobachten wir den Willen der Natur in den Tieren! Diese Geschö pfe sind denselben Gesetzen von Leben und Tod unterworfen wie wir Menschen. Sie kö nnen erkranken, und sie erkranken, wenn ihre Lebensbedingungen ihnen von den Menschen aufgezwungen werden. Ganz besonders gilt das für verwö hnte und zu sorgsam gehegte Haustiere, die um so ö fter erkranken, je mehr wir sie verhä tscheln. Aber wenn sie krank sind, dann richten sie sich darnach ein, verweigern zum Beispiel einfach alle Nahrung — sofern sie sich selber überlassen werden — , verkriechen sich in die Einsamkeit und verhalten sich vollstä ndig passiv dem Einströ men der kosmischen Krä fte gegenüber; ohne Einmischung von außen her werden sie auch fast ausnahmslos wieder gesund, auf dem Wege der Natur. Kö nnen wir in all dem nicht einen Fingerzeig für uns selber entdecken? Wenn wir ernst machen mit dem Motto: „Stö re die Natur nicht“ , sicherlich. Denn die erste Lektion, die es zu lernen gilt, ist die, daßes im Wesen der Natur liegt, nie zu verweichlichen. Die Lebensbedingungen der Natur sind hart. Wir kö nnen zwar wünschen, sie wä ren es nicht, aber sie sind Widerstandskraft der Kö rperzellen sowohl einzeln als auch in ihrer Zugehö rigkeit zu den Organen und ebenso des ganzen Kö rpers entwikkelt. Und das kann nur geschehen, wenn der Kö rper systematisch Anstrengungen zu leisten hat, etwas überwinden, etwas aushalten lernt, Widerstand leisten muß. Da ich Diä tetiker bin, werden manche meiner Leser der Ansicht sein, daß ich eigentlich bloßüber Ernä hrung schreiben dürfte. Aber ich gehö re zu einer anderen Sorte von Diä tetikern. Lange genug habe ich diese Dinge studiert, um zu wissen, daß die beste Diä t nur ein bescheidener Teil der gesamten Diä tetik ist. Gerade weil die Diä tetik sich in den meisten Fä llen auf das Studium der Nahrung beschrä nkt hat und viel zu sehr auf die Bemühung, die Nahrungsmittel mö glichst leicht verdaulich zu machen, ist es ihr nicht gelungen, den Platz in unserem Beruf zu gewinnen, der ihr von Rechts wegen gebührt. Unter den gegenwä rtig herrschenden Verhä ltnissen sollte der Diä tetiker zum mindesten die ganze Lebensweise des Patienten leiten. Dann würde er überraschende Erfolge erzielen. Aber weder der Diä tetiker noch irgend jemand anders wird solche Erfolge erleben, der nicht die Natur mit einem offenen und unvoreingenommenen Verstand befragt. Selbst die beste Diä tetik der Welt kann ohne natürliche Stimulierung der Abwehrreflexe die Lebenskraft und die Widerstandsfä higkeit niemals genügend erhö hen und stä rken, um den Menschen vor Erkrankungsgefahr zu schützen. Oder glaubt jemand ernstlich, daßdas bloße Essen der wissenschaftlich vollkommensten Nahrung echte kö rperliche Tüchtigkeit und gesunde Widerstandskraft zu erzeugen 15
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vermag? Ich jedenfalls hä tte allein infolge der verbesserten Nahrung nicht gesunden kö nnen, obwohl ich im Folgenden nicht anstehe, die Verä nderung der Ernä hrungsweise als den ersten Schritt in der Umstellung auf gesunde Lebensgewohnheiten zu bezeichnen. Gehorcht der Mensch den Vorschriften der Natur auf ihren sä mtlichen Gebieten, dann kann er so frei von Krankheit werden und bleiben, wie es die primitiven Rassen sind und wie es unsere Ureltern in der grauen Vorzeit waren. Und das kann mir jedermann glauben: nichts gibt eine durchdringendere Befriedigung, ein stä rkeres Lustgefühl als das Bewußtsein vollkommener, unbezwingbarer Gesundheit.
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2. KAPITEL Die Grundgesetze des Lebensprinzips Merkwürdig, daßes primitiven Rassen — Menschen ohne die elementarsten Schulkenntnisse, Menschen, welche bloßim Buch der Natur zu lesen verstehen, die nichts wissen von Hygiene, Diä tetik, Psychologie, Wirtschaftslehre oder Kö rperkultur — gelingt, stark und krä ftig heranzuwachsen, von Krankheiten und Leiden fast gä nzlich verschont zu bleiben und im allgemeinen erst hochbetagt, meist an Altersschwä che, zu sterben, wenn nicht ein Unfall sie vor der Zeit hinwegrafft. Ein Gefühl des Neides beschleicht den Kulturmenschen, denn ihn haben die hö heren Mä chte nicht in demselben Maße geschützt und begünstigt. Und doch wä re es zwecklos, die Vorsehung ungerechter Bevorzugung der wild lebenden Geschö pfe anzuklagen. Ist es nicht vielmehr so, daßsie uns alle vor Krankheit und Leiden behüten mö chte? Sie will sicherlich eine gesunde Menschheit. Sie rüstet den einzelnen ja auch mit den entsprechenden Krä ftevorrä ten und Verteidigungsmitteln aus. Wenn es trotzdem unter den Kulturvö lkern eine so große Menge kranker Geschö pfe gibt, ist das zweifellos irgendeinem verderblichen Einfluß zuzuschreiben, der sich den wohlwollenden Absichten der Natur entgegenstellt. Diesen verderblichen Einflußmüssen wir für alles Leiden, das Krebs, Tuberkulose, Grippe, Typhus und tausend andere Ü bel über die so weise, kluge, tüchtige Kulturmenschheit bringen, verantwortlich machen. Und dieselbe bö se Macht hindert auch eine ganze Armee von Ärzten, Apothekern, Krankenschwestern an produktiver Arbeit. Sie alle verbrauchen ihre Zeit und ihre Krä fte zur Linderung von Leiden, die den Menschen gar nicht befallen sollten. Diesem Problem mö chte ich hier auf den Grund gehen. Wie kommt es nur, daß primitive, aller Kultur fern lebende wilde Rassen sich ihre Gesundheit ohne Mühe erhalten kö nnen, wä hrend bei uns Spitä ler und immer wieder Spitä ler "gebaut und bestä ndig mehr Krä fte zur Pflege der Kranken und Leidenden benö tigt werden? Wie ist das zu erklä ren? Die seltsame Frage drä ngt sich uns auf, ob Gott absichtlich die hö chste Blüte seiner Schö pfung, die Kulturmenschheit, mit so viel Unheil heimsuche. Für mein Gefühl ist ein solcher Gedanke eine Gotteslä sterung. Die meisten Menschen glauben an einen Schö pfer und denken sich ihn vollkommen. Aus Vollkommenheit kann aber nur Vollkommenes entstehen, und daher müssen alle Dinge, die von dem vollkommenen Schö pfer ausgehen, vollkommen sein. Der Gedanke an einen Schö pfer, der Unvollkommenes schafft oder sein Wohlgefallen an Not und Elend hat, widerstrebt der Intelligenz jedes denkenden Menschen. Dann muß aber auch die Menschheit, die Gott zu seinem Ebenbilde schuf, das hö chste Produkt seiner vollkommenen schö pferischen Kraft darstellen — und dann mußauch wieder unser gö ttlich hoher Vorsatz zurück zum Bilde Gottes streben. Der menschliche Kö rper als vollkommenster sichtbarer Ausdruck, als greifbare Manifestation der Schö pferkraft, hat die Bestimmung, die Vollkommenheit des Schö pfers widerzuspiegeln. War es aber des Schö pfers Wille, in unserem Kö rper gö ttliche Vollkommenheit zur Darstellung zu bringen, dann muß uns natürlich auch die Mö glichkeit, solche Vollkommenheit zu erlangen, mitgegeben worden sein. Und allen meinen Lesern mö chte ich es hier sagen: wir haben diese Möglichkeit. 17
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Eine nä here Betrachtung des Problems lehrt uns nä mlich, wie ich schon sagte, den Grund der Bevorzugung primitiver Geschö pfe darin erkennen, daßsolche unverdorbenen Wesen nach den . gö ttlichen Gesetzen leben, nach den Vorschriften der Natur. Wer sucht, der findet in der Natur auch tatsä chlich die Lebensprinzipien, welche den Weg zur vollstä ndigen Gesundheit anzeigen. Diese Auffassung wird unter anderem durch die Tatsache bewiesen, daßprimitive Rassen sehr wohl mit der Kultur in Verbindung treten und dennoch von Krankheiten verschont bleiben kö nnen, solange sie die Lebens-, insbesondere die Ernä hrungsgewohnheiten der zivilisierten Menschen nicht annehmen. Auch Tiere, die ihr Leben frei und im Einklang mit den Gesetzen ihres Schö pfers führen, kennen verminderte Gesundheitszustä nde nicht. Und wenn wir bei der zivilisierten Menschheit so viele Mä ngel entdecken, unter denen primitives Leben nicht leidet, dann müssen wir die Schuld daran wohl ohne Frage unseren Kultureinrichtungen, unseren Kulturgewohnheiten zur Last legen. Nie dürfte daher ein Kranker oder Leidender die Worte über seine Lippen gehen lassen: „Es ist Gottes Wille“ , oder gar: „Sein Wille geschehe“ ; er sollte sich im Gegenteil vorwerfen, Gottes Gesetzen bewußt oder unbewußt zum Trotz gelebt und die unausbleiblichen Folgen auf sich gezogen zu haben, also mehr oder weniger selber schuld an seinem Unglück zu sein. Die einfachsten Ü berlegungen müssen uns zu diesen Schlußfolgerungen hinführen, und die abstraktesten und tiefsten Spekulationen am Ende auch. Wir brauchen nur die Lebensgewohnheiten der zivilisierten Welt uns vor Augen zu halten, um diese Tatsache einzusehen. Dieses Buch ist aus dem heißen Wunsche heraus entstanden, allen denen zu helfen, die sich nach einem vollkommenen Kö rper sehnen. Jeder kann dieses große Ziel erreichen, die ganze Menschheit hat ein Anrecht darauf. Unser Kö rper soll ja Palast des Geistes, Tempel der Seele sein, eine Stä tte, die der gö ttliche Lebensfunke, der schwache Strahl und Abglanz des großen Lichtes, lange, lange, lange Zeit bewohnen mö chte. Man lese die folgenden Zeilen aufmerksam durch; man nehme die darin enthaltenen Lehren in sich auf und befolge sie nach dem Buchstaben und nach dem Geiste. Die Belohnung für verstä ndige und konsequente Durchführung der darin entwickelten Regeln wird ein junger, froher, kraftstrotzender Kö rper sein. Der medizinisch gebildete Leser mag im Verlaufe dieses Buches ö fters auf Behauptungen stoßen, die mit den heutigen physiologischen Anschauungen nicht in allem übereinstimmen. Er wird aber auch bemerken, daßmeine Ausführungen bloßvon Auffassungen und niemals von anerkannten physiologischen Tatsachen abweichen. Ich habe übrigens meine Einstellung erst unter dem Drucke zwingender Erfahrungen gewonnen und mich bemüht, die in meinem eigenen Falle und in vielen anderen Fä llen erhaltenen Ergebnisse befriedigend zu erklä ren. Das Buch ist aber auch und ebensosehr für Laien bestimmt. Es enthä lt daher weder technische Spitzfindigkeiten noch literarische Schnö rkel. Sein Zweck ist, aufzuklä ren und zu erziehen, und in dem Sinne, daßAufklä rung in sich selbst der reizvollste aller Reize ist, wird man ihm hoffentlich auch einen gewissen Reiz nicht absprechen kö nnen. Wo mir die medizinische Sprache über das allgemeine Verstä ndnis hinauszugehen schien, habe ich mich einer der Laieneinsicht angepaßten Ausdrucksweise beflissen. Oberflä chlich betrachtet, kö nnen solche Stellen freilich dazu führen, daßder Brufsmediziner Ideen aus ihnen herausliest, die ich gar nicht vertrete. Ich wußte nicht, wie ich 18
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das vermeiden sollte. Ernstlicher Schaden wird aber schwerlich daraus entstehen, denn einen anderen Erfolg kö nnen solche Stellen unmö glich haben, als daßdie Menschen endlich beginnen, die große Bedeutung einer richtigen Lebensweise einsehen zu lernen. ¯ Die folgenden Ausführungen kann ein Leser, den zu viele prinzipielle Betrachtungen langweilen, überspringen. Dann tä te er freilich besser, gar nicht mehr weiterzulesen. Zum Glück gibt es jedoch auch solche Menschen, die sich für Erklä rungen interessieren und die ein Resultat erst dann annehmen, wenn sie die demselben zugrundeliegenden Gesetze kennengelernt haben. Sie bilden die einzige Gattung Leser, für die zu schreiben es sich wirklich lohnt. Diese grundsä tzlichen Erö rterungen — überhaupt das ganze Buch — sind darum für sie und eigentlich nur für sie geschrieben. Denn nur Schlußfolgerungen, die auf dauerhafte Prinzipien gegründet sind, werden einleuchten. Wer meine Auseinandersetzungen heute als gegebene Tatsachen hinnimmt, kann mö glicherweise morgen entgegengesetzten Behauptungen ebenso willig Gehö r schenken. Die einen glauben, nachdem sie erst zweifelten, dann fragten, dann einsahen und schließlich wußten; die andern haben kurzerhand angenommen; sie kö nnen und werden aber niemals einsehen noch wissen. Bevor wir daher an die Besprechung der Art und Weise gehen, in welcher ein menschlicher Kö rper sich halten muß, um stä ndige Gesundheit zu erlangen und ein hohes Alter zu erreichen — wie Blä tter und Blumen erst sterben, wenn sie ihre volle Lebensspanne ausgelebt haben, und dann sanft zur Mutter Erde zurückkehren, um zu ruhen — mö chte ich einige der allerwichtigsten Grundsä tze hier anführen und erlä utern, nach welchen der menschliche Kö rper organisiert ist, damit der Leser den Bau der Maschine, die er zu lenken und zu bedienen hat, verstehen lernt. Der menschliche Kö rper ist das Ergebnis eines in der Materie und durch die Materie sich offenbarenden Lebensprinzips. Er wird durch die Ansammlung einer ungeheuren Menge von Einzelleben, Einzelkö rpern, die wir „Zellen“ nennen, gebildet. Diese unter der ordnenden Macht des Lebensprinzips stattfindende Zellenanhä ufung ist aus einer einzigen, ursprünglichen Zelle entstanden, und zwar durch Teilung. Die ursprüngliche Einzelzelle hat sich in zwei Zellen geteilt; diese beiden teilten sich wiederum und wurden zu vier, diese zu acht, und so ist es unter dem Einflußdes Lebensprinzips immer weitergegangen. Aber wä hrend die Zelle der Kontrolle des Lebensprinzips untersteht, geht die Tä tigkeit dieses Lebensprinzips selber auch wiederum nach gewissen vom Schö pfer des Kosmos bestimmten Gesetzen vor sich. Und jede Abweichung von diesen Gesetzen hat verheerende Folgen für den ganzen Kö rper. Die wichtigsten Gesetze für die Auswirkung des Lebensprinzips sind die folgenden: 1. Das Lebensprinzip muß den Kö rper in Ü bereinstimmung mit einer schon vorher festgesetzten ä ußeren und inneren Form aus dem Staub der Erde, das heißt, aus den der Erde zugehö renden Stoffen aufbauen. 2. Das Lebensprinzip kann den menschlichen Kö rper nicht unmittelbar aus Erdstoff aufbauen, sondern nur auf dem Wege über den vegetabilen Zustand der Erdmaterie. Es mußsich dieser organischen, erdentnommenen pflanzlichen Stoffe bemä chtigen, sie in 19
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ihre ursprünglichen Formen zurückverwandeln und aus diesen dann die Erdelemente in menschliche Kö rpersubstanz umbilden. (Die vegetabilen oder pflanzlichen Lebensformen mußten allen animalischen oder tierischen Lebensformen in der Schö pfungsordnung vorangehen, um diesen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Daher waren die ersten tierischen Lebensformen ursprünglich dazu eingerichtet, sich von Pflanzen zu ernä hren. Der Ausgangspunkt für die ganze Tierwelt mußdas pflanzenfressende Tier gewesen sein. Alle tierischen Lebensformen müssen aus unverä nderten Pflanzenformen aufgebaut worden sein oder aus der unverä nderten Kö rpersubstanz anderer Tierformen, die ihrerseits aus unverä nderten Pflanzenformen gebildet wurden. Daraus folgt, daßalle Tiergattungen eingehen und aussterben müßten, wenn keine Tiere mehr Pflanzen frä ßen.) 3. Alle tierischen Lebensformen und damit auch der menschliche Kö rper erreichten ihre anatomische und physiologische Vollkommenheit, unendlich lange bevor der Mensch durch Kochen und Raffinieren seine Nahrung „verbessern“ lernte. 4. Jahrtausende alte rassische Gewohnheiten setzen sich fest und erhalten die Macht von Naturgesetzen. Es ist für das Individuum wie für die Rasse gefä hrlich, sich ihnen entgegenzustellen. Die Grö ße der Gefahr entspricht der Grö ße der unternommenen Verä nderung in den Rassengewohnheiten. 5. Die Fä higkeit eines Wesens, sich einen vollkommenen Kö rper aus vö llig natürlicher Nahrung aufzubauen — aus Nahrung, wie sie unmittelbar aus den Hä nden der Natur kommt — , kann nichts anderes bedeuten, als daßvollkommene Tier- oder Menschenformen nicht von verä nderter oder unnatürlicher Nahrung leben kö nnen, und nur bei durchaus natürlicher Kost — wie die Natur sie liefert — gedeihen. Die kleinste Abweichung von diesem Gesetz bringt eine entsprechende Stö rung mit sich. 6. Kampf, Ü berwindung, Anstrengung, das ist das Gesetz allen Wachstums und aller Entwicklung. 7. Das Arbeitsvermö gen aller Kö rperzellen, Organe oder Kö rperteile wä chst mit der Ausübung einer bestimmten Funktion oder einer bestimmten Arbeit. Bis zu dem Punkte, wo Erschö pfung eintritt, niemals aber darüber hinaus, dürfen und müssen die Krä fte geübt werden. 8. Umgekehrt wird jede Zelle, jedes Organ, jeder Kö rperteil schwä cher und ungeeigneter zur Ausübung irgendeiner Funktion oder zur Bewä ltigung einer Arbeit, je weniger seine volle Funktionskraft geübt wird. 9. Jede Ersatzhandlung, welche an Stelle einer organischen Funktion tritt — die also einer Zelle, einem Organ oder einem Kö rperteil eine Arbeit abnimmt, welche diese selber auszuführen hä tten — , schwä cht die Zelle, das Organ, den Kö rperteil und verringert die ihnen innewohnende Kraft zur Ausübung ihrer Funktionen. 10. Die Natur strebt danach, die nicht benützten, die nur schwach arbeitenden und die gestö rten und gehemmten Funktionen der Zellen, Organe und Kö rperteile zu zerstö ren. 11. Alles, was sich einer Funktionsbetä tigung entgegensetzt oder eine Funktionstä tigkeit verzö gert, trä gt dazu bei, Funktions- oder Arbeitskraft zu zerstö ren. 12. Alles, was die Funktions- oder Arbeitskraft irgendeiner Kö rperzelle, eines Organs oder eines Kö rperteils vermindert, verringert damit durch die zirkulatorischen (Blut und Lymphe) und die nervlichen Beziehungen, welche zwischen allen Zellen, Organen und Teilen des Kö rpers auf dem Wege über das sympathische Nervensystem bestehen, von selbst auch die Funktionskraft jeder anderen Kö rperzelle, jedes anderen Kö rperorgans oder Kö rperteils. 20
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13. Alles, was die Funktionen oder die Arbeitskraft einer Zelle, eines Organs, eines Kö rperteils vermindert, setzt die lebendige Widerstandskraft des Kö rpers gegen den Angriff kö rperschä digender Prozesse (Krankheiten) herab. 14. Wenn alle wichtigen Zellen, Organe und Teile des Kö rpers einwandfrei funktionieren, kann der Kö rper vollkommen genannt werden. Ein vollkommener Kö rper ist immun gegen schä dliche und zersetzende Einflüsse. Er kann nicht krank sein und nicht krank werden. 15. Jede wesentliche Kö rperfunktion vollzieht sich unwillkürlich. Sie wird unabhä ngig vom Willen durch den Kö rpermechanismus, welchen wir das Reflex- oder sympathische Nervensystem nennen, ausgeführt. Dieser Mechanismus regiert alle Kö rperzellen, Organe und Kö rperteile und verbindet sie untereinander. Solche unwillkürliche Funktionen heißen „Reflexfunktionen“ . 16. Reflexfunktionen entstehen immer als Antwort auf Reize, welche die funktionierenden Zellen, Organe oder Kö rperteile von außen erreichen. Solche Reize werden der Zelle, dem Organ, dem Kö rperteil auf dem Wege der Nervenfasern zugeleitet. 17. Die Reflexe bilden die Basis aller Lebensä ußerungen. Wird der Reflexmechanismus des Kö rpers zerstö rt, so geht unweigerlich auch das Leben selber zugrunde. 18. Alle willkürliche Funktion im Kö rper hä ngt ursprünglich auch von Reflextä tigkeit ab. 19. Je ungehinderter und ungestö rter die Reflexfunktionen arbeiten kö nnen, desto vollkommener sind sie, und desto vollkommener sind auch die funktionierenden Zellen, Organe und Kö rperteile. Als ä ußeres Ergebnis werden auch die Tä tigkeiten des Kö rpers als Ganzes um so vollkommener ausgeübt; denn die Funktionskraft des Kö rpers als Ganzes steigt in demselben Maße, wie die den Kö rper bildenden Zellen und Organe und Teile gut arbeiten. Künstliche Eingriffe und Nachhilfen dort, wo die Natur ihren Anreiz auf die funktionierenden Organe selber ausüben sollte, sind schä dlich. Die Entwicklung und das Wachstum fordern auch hier, gemä ßdem schon angeführten Gesetz, Anstrengung und Arbeit. 20. Die grundlegenden Reflexreize sind diejenigen, die aus der Berührung mit der unmittelbaren Umgebung entstehen: Kö rperlicher Kontakt mit den Sonnenstrahlen, mit Wind, mit Regen, Nebel, Hitze, Kä lte, mit der Erde und mit den Gegenstä nden der Außenwelt. Gott schuf den Menschen zu einem Leben im Freien. Sein nackter Kö rper sollte bestä ndig der Berührung mit seiner Umwelt ausgesetzt sein und die Einflüsse seiner Umgebung direkt auf sich wirken lassen. Die Menschen sollten nicht in Hä usern wohnen. Sie sollten ihren Kö rper durch natürliche Ernä hrung aufbauen und instandhalten; die unverä nderten Nahrungsstoffe, die die Natur bietet, sollten selber natürliche Berührung mit der Umwelt bilden, denn Nahrung und Geträ nke gehö ren zu unserer Umwelt. In dieser Weise lebt die Menschheit wohl mindestens je tausend Jahre für jedes einzelne Jahr, das sie in Hä usern wohnt, den Kö rper mit Kleidern zudeckt und die natürlichen Nahrungsstoffe im anmaßenden Glauben, die von Gott bereitete Kost dadurch bedeutend zu verbessern, künstlich verä ndert. 21. Nur natürliche Reflexanreize rufen normale organische oder Zellenfunktionen hervor, also jene Art der Funktionstä tigkeit, die die organische Funktionskraft erhä lt und steigert und gleichzeitig die lebendige Widerstandskraft erhö ht. Mit anderen Worten: nur natürlich angeregte Organe funktionieren normal. 22. Das Umgekehrte gilt ebenfalls: künstliche oder unnatürliche Reflexreize setzen die organische Funktionsfä higkeit herab und vermindern den lebendigen Widerstand ge21
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gen Krankheiten. Das bedeutet, daß unnatürlich angeregte Organe oder Kö rperzellen nicht normal funktionieren und der Zerstö rung anheimfallen. 23. Da die ganze Kö rpertä tigkeit von natürlicher Reflextä tigkeit abhä ngt, stö rt alles, was diese stö rt, unfehlbar auch Funktionen. 24. Jede vollkommen funktionierende Zelle, jedes vollkommen funktionierende Organ, jeder vollkommen funktionierende Kö rperteil gibt einen wohltä tigen Einflußauf jede andere Zelle, jedes andere Organ, jeden anderen Kö rperteil aus. Und auch hier trifft das Umgekehrte zu. 25. Jeder Kö rperteil und jedes Organ dient besonderen Zwecken. Damit sie alle sich bei Gesundheit erhalten kö nnen und von Krankheiten und krankheitsä hnlichen Zustä nden frei bleiben, müssen sie die ihnen zugedachte Funktion ausüben. Je nä her sie der vollen Ausübung ihrer Funktion und der Betä tigung ihrer ganzen Leistungskraft kommen, um so vollkommener, um so gesunder und widerstandsfä higer gegen Krankheit sind sie. Denn jede Zelle, jedes Organ, jeder Kö rperteil nimmt nur durch Leistung an Leistungsfä higkeit zu. 26. Nur natürliche Lebensgewohnheiten kö nnen natürliches, also normales tierisches Wachstum hervorbringen. Nur natürliche Lebensgewohnheiten kö nnen daher einen normalen, einen gesunden animalischen Kö rper aufbauen. Menschliche Kö rper sind ja animalische Kö rper und denselben Gesetzen unterworfen, die alles animalische Wachstum und alle animalische Gesundheit regieren. 27. Im animalischen Kö rper gibt es fünf Systeme oder Ketten von Reflextä tigkeiten, deren jede aus einer eigenen, von den anderen getrennten Quelle herrührt. Kommt ein Kind zur Welt, so atmet es nicht sofort. Erst die Ansammlung von gasfö rmiger Kohlensä ure (CO²) im Blute und die Berührung der Haut mit der kühlen Luft regen den Atmungsreflex an, und das Kind tut seinen ersten Atemzug. Die eingeatmete Luft veranlaßt das Herz zu seinem ersten Schlage nach der Unterbrechung der Verbindung zwischen dem kindlichen Blutkreislauf und jenem der Mutter, und das Herz wiederum regt eine ganze Reihe anderer Funktionen zu ihrer ersten Tä tigkeit an. Jede neue Funktion wirkt auf irgendeine andere Funktion als Reflexreiz, bis der ganze Kreis der Kö rperfunktionen erreicht und angeregt ist. Der kleine Kö rper verdankt seine Belebung also jenem ersten ursprünglichen Reflexreiz der atmosphä rischen Luft, die seine Haut und damit die darin untergebrachten empfindlichen Enden des Reflexnervensystems berührt. Die zweite Betä tigung des Neugeborenen ist Schreien und Strampeln; das ist seine Art der Muskelbetä tigung. Diese Muskelbetä tigung lö st wiederum eine andere Reihe reflexbedingter Funktionen aus, ohne welche das Kind sich nicht normal entwickeln kö nnte. So wirkt sie auf die Herz- und Lungenfunktionen, auf Verdauung und Ausscheidung und viele andere lebenswichtige Kö rperfunktionen. Die dritte Betä tigung des gesunden, das heißt normalen neugeborenen Kindes ist der Schlaf. Der Schlaf stellt die Antwort auf den Reiz angesammelter Müdigkeitsgifte dar und dient in der Hauptsache dazu, diese Gifte in der Zeit, in welcher der Kö rper passiv daliegt und sich keine neuen Ermüdungsgifte bilden kö nnen, abzusondern; er lö st aber auch eine Kette neuer Funktionen aus, ordnet und regiert sie. Die vierte Reflexhandlung eines normalen neugeborenen Kindes ist die Aufnahme von natürlicher Nahrung. Auch diese Tä tigkeit lö st eine neue Kette von Reflexfunktionen aus, ohne welche das Kind nicht leben kö nnte. Die fünfte Kette der Reflexfunktionen ist dem Geiste zugeteilt. Die vorher bespro22
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chenen vier Reflexketten werden schon in den ersten Lebensstunden des Sä uglings zu ihrer Tä tigkeit angeregt. Aber erst spä ter entwickelt sich die fünfte, die geistige Gefühlskette. Der Geist hat große Macht über eine ganze Kette von kö rperlichen Funktionen; er lö st sie aus, ordnet sie, regiert sie. Er ist ein bedeutendes reflexerzeugendes Zentrum; in dieser Beziehung ä hnelt er den andern vier Ketten, jedoch unterscheidet er sich in ganz wichtigen Punkten von ihnen, besonders von den Ketten der Haut-, der Muskel- und der Nahrungsreflexe. Diese Unterschiede sollen spä ter klargemacht werden. Ich nenne daher die Haut, die Muskeln, den Schlaf, das Ernä hrungs- oder Verdauungssystem und den Geist die fünf ursprünglichen reflexerzeugenden Zentren; von einem jeden dieser Zentren gehen getrennte Ketten lebendiger, wesentlicher Reflexe aus. Jede dieser Ketten wird durch natürliche Anreize in Tä tigkeit gesetzt: die Haut durch die Berührung mit ihrer kö rperlichen Umwelt, die Muskeln durch Muskelzusammenziehungen, der Schlaf durch angehä ufte Ermüdungsgifte, die Verdauung durch das Einnehmen von natürlicher Nahrung, die geistige Reflexkette durch schö pferische und zuversichtliche Gedanken. Diese fünf Ketten bilden des Kö rpers Verteidigungsmechanismus. Wenn diese fünf Reflexketten, die alle kö rperlichen Funktionen regieren, sich in vollkommenem Zustande befinden, so sind die Funktionen, die sie zu ordnen und zu regieren haben, auch vollkommen. Und alle fünf Ketten werden in tadelloser Ordnung funktionieren, wenn ihnen der Kontakt mit ihren natürlichen Stimuli gestattet ist, wenn man sie so sehr als mö glich vor Berührung mit unnatürlichen Anregern behütet und sie nie über den Punkt hinaus anstrengt, wo Erschö pfung einsetzt. Funktionieren sie einwandfrei, dann ist der Kö rper vollkommen zu nennen. Ist aber der Kö rper wirklich vollkommen, dann ist er vollstä ndig immun gegen Krankheit, und das so lange Zeit, als er seine Vollkommenheit nicht wiederum durch irgendeine gesundheitsuntergrabende Gewohnheit, die den Gesetzen der Natur zuwiderlä uft, einbüßt. Diese Grundgesetze sollten verschiedene Male durchgelesen werden, ehe man zum Kommenden übergeht. Der Leser wird Vorteil davon haben, wenn er überdies im weiteren Verlauf des Buches von Zeit zu Zeit dazu zurückkehrt. Denn wenn die Grundgesetze nicht gut verstanden und dem Gedä chtnis nicht eingeprä gt sind, so kann die Gesundheitsphilosophie, die dieses Buch vertritt, nicht genügend eindrücklich aufgefaßt werden, und das bloße Lesen wä re vergebliche Mühe.
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3. KAPITEL Natur und Unnatur Vom Kö rper aus gesehen ist nach dem bisher Gesagten das recht, was natürlich ist; infolgedessen kann, was unnatürlich ist, nicht recht sein — es mußfalsch sein. In dem Maße, in dem eine Lebensgewohnheit dem Natürlichen sich nä hert, der Absicht, welche die Natur oder Gott für uns hegt — in eben diesem Maße sind unsere Lebensgewohnheiten richtig. In dem Maße aber, als sie unnatürlich sind, müssen sie verkehrt sein, denn sie sind dann gegen den Willen der Natur, gegen den Willen Gottes. Kann irgendein Unterschied bestehen zwischen der Verkehrtheit einer bloßkö rperlichen Gewohnheit und der Verkehrtheit einer unrichtigen seelischen oder geistigen Haltung gegenüber dem ewigen Prinzip des Rechten? Nach meiner Betrachtungsweise nicht. Eine Tat wird zum Unrecht, wenn sie dem entgegengesetzt ist, was Gott unter den gegebenen Verhä ltnissen beabsichtigte. Wenn Gott uns gebietet, unseren Mitmenschen zu lieben, so ist es eine Verkehrtheit, ein Unrecht, ihn nicht zu lieben, und es ist unrecht, weil es Gottes Absichten, seinen Willen, entgegengesetzt ist. Wenn Gott uns irgend etwas Kö rperliches gebietet, zum Beispiel spazierenzugehen, und wir weigern uns — widersetzen wir uns da nicht Gottes Willen, handeln wir da nicht entgegengesetzt seiner Absicht, ebenso entschieden, als wenn wir unseren Mitmenschen zu lieben uns weigerten? Sicherlich. Und ebenso gewiß kann Widersetzlichkeit gegen Gottes Willen sich nicht in verschiedenen Abstufungen unterscheiden. Entweder tun wir, was Gott von uns getan haben mö chte, und werden gesegnet, oder wir weigern uns, Gottes Willen zu tun, und bleiben ohne Segen, werden im Gegenteil unsere Weigerung entsprechend büßen müssen. Schon seit annä hernd zwei Generationen ist es sowohl der Wissenschaft wie auch dem interessierten Tierzüchter bekannt, wie eng Qualitä t, Sorte und Quantitä t des tierischen Futters mit der Qualitä t des Tieres selber zusammenhä ngen; in der Aufzucht der Tiere wird berücksichtigt, daßihre Qualitä t wie auch ihre Gesundheit neben den Einflüssen der Vererbung fast gä nzlich von der Art und Beschaffenheit ihres Futters und von tierhygienischen Maßnahmen abhä ngen. Um bei der Zucht eines Tieres das beste Ergebnis zu erzielen, mußes nach gewissen bekannten Regeln behandelt werden. Werden diese Regeln streng eingehalten, so folgen darauf von selbst positive Ergebnisse. Nicht von Menschen sind diese Regeln aufgestellt worden, sondern Gott hat sie uns gegeben. Wir nennen sie natürliche Regeln oder natürliche Gesetze. Aber diese natürlichen Gesetze sind da, um befolgt zu werden. Der Tierzüchter findet seinen Vorteil darin, ihnen zu gehorchen. Nichts erscheint uns selbstverstä ndlicher, solange Tiere in Frage kommen. Wie selten wenden wir jedoch diese natürlichen Gesetze auf uns selber an, und wie wenige sind bis jetzt überhaupt auch nur bis zu einer Erkenntnis des Tatbestandes durchgedrungen! Denn nicht bloßdie Geister der Unwissenden sind verschlossen. Auch viele gebildete Leute, Hochschulprofessoren, Ärzte, Juristen, Geistliche, haben die neuen Gedanken noch nicht aufgenommen. Sie glauben noch immer, daß die Gesetze der Natur, was menschliche Lebensgewohnheiten betrifft, nach Belieben gehandhabt werden kö nnten, ohne sich gegen ihren Ü bertreter zu kehren; sie ahnen nicht einmal, daßdie Tausende und aber Tausende von Jahren einfacher Lebensgewohnheiten unserer Urvorfahren vor der Kulturepoche den Einfluß einer ewigen Bindung an ä hnliche Ge24
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wohnheiten hatten. Und doch müßten so gelehrte Kö pfe wissen, daßlang anerzogene Rassengewohnheiten, wie wir schon feststellten, zu Gesetzen werden und alle Kraft echter Naturgesetze erhalten, und daß wir sie nicht außer acht lassen dürfen, ohne Individuum und Rasse zu gefä hrden. Der Typus des menschlichen Kö rpers ist so und nicht anders geworden, weil er sich der physischen Umgebung gemä ßentwickelt hat, in die er hineingestellt war. Das gilt ebensosehr für den gesamten Aufbau des menschlichen Kö rpers als auch für seine Endbestimmung. Die Stoffe, aus denen er in unausdenkbar langen Zeitstrecken aufgebaut worden ist, hat der Lebensgeist aus der physischen Umgebung des Menschen gezogen. Der Lebensgeist, das Lebensprinzip, ohne welches kein tierischer Kö rper lebendig wird noch lebendig bleibt, bestimmte und formte diesen Kö rper so, daßer in seine physische Umgebung passen sollte, und daß er sich auch weiterhin nicht anders als aus Stoffen, die dieser Umgebung natürlicherweise entstammen, aufbauen kann. Wenn wir uns also zum Beispiel von nicht natürlicher Kost nä hren, liefern wir unserm Kö rper Nahrung, die gegenüber dem Aufbaustoff, den unsere Ureltern verwendeten. uni unsere Art zu entwickeln, teilweise verä ndert ist — und damit brechen wir das Nahrungsgewohnheitsgesetz, das durch jahrtausendlange Anwendung von unsern Ahnen festgelegt wurde. Man beachte den Ausdruck „natürlich“ . In ihm liegt das Geheimnis der vollkommenen Gesundheit beschlossen. Natürlichkeit ist der einzige zuverlä ssige Führer zum Rechten in unseren physischen Lebensgewohnheiten. Dennoch scheint es fast, als ob wir zivilisierten Menschen uns nach Krä ften anstrengten, um so unnatürlich wie nur mö glich zu leben. In unseren Lebensgewohnheiten lassen wir uns ja bekannterweise viel lieber von Wünschen und Begierden leiten anstatt von „Müssen“ und „Sollen“ . Wunsch und Begierde haben aber keine natürliche Verwandtschaft mit dem Rechten; dagegen sind „Müssen“ und „Sollen“ vom Rechten, vom Richtigen, das geschehen muß, untrennbar, sei es auf moralischem oder auf physischem Gebiet. Wer sich durch seinen Wunsch oder seine Begierde regieren lä ßt, wird ziemlich sicher einen bitteren Tag der Abrechnung erleben. Wer jedoch seine Lebensgewohnheiten nach dem „Sollen“ und dem „Müssen“ einrichtet, darf einen tä glichen und immer wachsenden Lohn ernten. Wir pflegen den Kö rper als Hemmschuh für unsere Geistigkeit zu betrachten, wir vernachlä ssigen, verachten und mißhandeln ihn. In Wahrheit ist bloßder vernachlä ssigte Kö rper unserem Geist, seinem Streben und seiner Entwicklung ein Hindernis. Die Seele kann sich nicht aufschwingen, der Geist sich nicht erheben und sich nicht mit dem Allgeist verbinden, wenn er in einem siechen, giftverseuchten Kö rper haust, den die Folgen des Ungehorsams gegen das gö ttliche Gebot entstellen. Ein Kö rper, den Wünsche und Bedürfnisse leiten, wird, da ihn die Sinne regieren, selber sinnlich sein. Der Geist, der in solch sinnengebundenem Kö rper wohnt, ist erdverhaftet und unrein. Kein Mechanismus kann ersonnen werden, der von zwei verschiedenen Energiequellen in Betrieb gehalten wird. Energie kann zwar aus Holz, Kohle, Ö l, Wasser, Wind gezogen werden; aber der Mechanismus, durch den jede dieser Energiequellen ihre potentielle Energie liefert, ist anders. Sogar verschiedenen Arten von Kohle müssen die Heizkessel gut angepaßt werden, wann immer man Leistung und Wirtschaftlichkeit in Betracht zieht. Und jeder lebendige Kö rper ist ein solcher Mechanismus für Entwicklung, Aufspeicherung und Verwertung von Energien. Hunderte von Modellen 25
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Energie entwickelnder Mechanismen gibt es. Für den wirksamen Betrieb eines jeden Apparates ist es aber unerlä ßlich, daß er mit der Art Brennstoff, mit der Art Futter versehen wird, für welche ihn der Lebensgeist, der ihm seine Entwicklung schenkte, bestimmt hat. Ich wünschte, dieser Punkt setzte sich im Geiste des Lesers so fest, daß er unter keinen Umstä nden mehr übersehen würde. Man betrachte diese positive Tatsache nicht als rein abstraktes Prinzip, welches auf den Einzelnen keine Anwendung findet. Sie bezieht sich auf jedes menschliche Wesen als Individuum und kollektiv auch auf die Rasse als Ganzes; sie betrifft uns selber in ungeheuer direkter Weise und mußuns interessieren, wie nichts anderes Materielles uns interessieren und ergreifen kann. Die Nahrung ist aber noch mehr als bloßBrennstoff des lebenden Kö rpers. Sie ist auch das Konstruktionsmaterial für den Kö rper. Jedermann kennt die Grundsä tze architektonischer Bauten und weiß, daßein Gebä ude nicht vollkommener sein kann als das Material, welches zu seinem Aufbau Verwendung findet. Die Schwä che des ganzen Gebä udes liegt in der Schwä che einer einzigen, der schwä chsten Stelle, und diese schwä chste Stelle entscheidet über die Dauerhaftigkeit und Tragkraft des Ganzen — ebenso wie ein schwaches Glied in einer Kette das Maßfür die Haltbarkeit der Kette ist. Jedermann erkennt sofort die Richtigkeit dieses Prinzips, wenn es auf bekannte bauliche Verhä ltnisse angewendet wird. Dasselbe Prinzip gilt aber natürlich auch für lebendige Bauten, die unsere Kö rper ja sind. Die meisten Ärzte wissen jedoch nur in sehr akademischer Weise, daßmenschliche Kö rper aufgebaut sind, ebenso entschieden aufgebaut wie Wolkenkratzer oder große Kathedralen. Diese Tatsache sollten wir alle uns bestä ndig vergegenwä rtigen, und wir sollten unseren Geist auf die Betrachtung dieses Aufbaus einstellen. Dann erst würden wir verstehen, von welch wesentlicher Bedeutung die Kost ist, die wir essen, und wie unsere Nahrung sehr weitgehend die Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, die Widerstandskraft oder Widerstandslosigkeit unserer Kö rper bestimmt. Will man sich aber in diese Frage. die wohl die wichtigste unseres irdischen Daseins ist, vertiefen, so gilt es vor allem, sich darüber klar zu werden, was wir unter dem Ausdruck „Nahrung“ denn eigentlich verstehen. Als Nahrung bezeichnen wir jede Substanz, welche, nachdem der Kö rper sie aufgenommen hat, seine Gewebe erbaut, seine abgenutzten Zellen ersetzt, ihn mit Krä ften und mit tierischer Wä rme versieht und ihn belebt. Dieser letzte Punkt ist der wahre Eckstein der Definition. Die meisten Definitionen von Nahrung lassen ihn allerdings aus, womit gerade das Wichtigste vergessen bleibt. Denn wenn unsere Nahrung nicht Leben enthä lt und dieses auf uns zu übertragen imstande ist, kö nnen wir nur so lange frisch und gesund sein, überhaupt existieren, als unser ererbter Vorrat an Lebenskraft ausreicht. Ein zweites Haupterfordernis gesunder Nahrung ist, daß sie nicht sä ure-, sondern basenbildend sei. Warum diese Bedingung so unerlä ßlich ist, soll hier erlä utert werden. Es ist dabei notwendig, etwas ausführlicher zu werden, damit der Leser in die wirklichen Zusammenhä nge eingeführt wird. Das gesunde menschliche Blut ist alkalisch, also das genaue Gegenteil von sauer. Wird das Blut sauer, so liegt eine Erkrankung vor, welche die Ärzte als „Azidose“ bezeichnen. Damit ist freilich nicht gemeint, daßdas Blut effektiv sauer wird; es besteht in einem solchen Falle eine relative Azidose, was bedeutet, daß der Kö rper im Verhä ltnis zu seinen alkalischen Bestandteilen mehr saure Bestandteile enthä lt als in 26
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normalen Zeiten. Das Blut eines lebenden Geschö pfes kann nä mlich gar nicht ganz sauer werden, denn im gleichen Augenblick ginge der Kö rper an positiver Azidose zugrunde, weil die Zellen in einem sauren Medium nicht leben kö nnen. Aber auch relative Azidose ist an sich schon eine Krankheit, obwohl sie durch die Lehrbücher und die Autoritä ten noch nicht genügend als solche erkannt ist; und obendrein ist sie auch noch die erste Ursache der meisten unserer unbedeutenderen oder gewö hnlichen und vieler unserer schweren Krankheiten. Relative Azidose ist der Entkrä fter, der anderen anscheinend direkteren Ursachen erlaubt, ihre Wirkung zu entfalten, und ohne den sie keine Wirksamkeit erlangen kö nnten. Das normale Blut enthä lt mehr basische Elemente als saure; das ist notwendig, denn die Basen neutralisieren die Sä uren, indem sie sich in harmlose Salze verwandeln. Im menschlichen Kö rper besteht ein gewisses normales Verhä ltnis zwischen basischen und sauren Elementen, das die Gesundheit gewä hrleistet. Jede Zunahme der Sä uren über dieses normale Verhä ltnis hinaus wird dementsprechend die Gewebe reizen. Nicht aus diesem Grunde allein wird zum Beispiel bei der Brightschen Krankheit der Fleischgenuß untersagt, aber es ist ein Grund mehr für das Fleischverbot. Eine Zunahme der Basen ist selten und reizt nicht, weil die normale Kö rperreaktion basisch ist. Basen beruhigen im Gegenteil die Zellenstrukturen und die aus Zellen aufgebauten Organe und Gewebe. Woher stammen nun wohl die Sä uren, die in unserem Kö rper entstehen? Eine bedeutende Quelle für Kö rpersä uren ist die Zersetzung der Kö rpergewebe, insbesondere der Arbeit leistenden Gewebe. Auch die Fettgewebe liefern durch ihre Verbrennung und Abnützung Sä uren ins Blut. Eine dritte Quelle für Sä uren sind die Speisen, die wir essen. Natürlich kann hier eingewendet werden, daßalle diese drei Quellen im Grunde der Nahrung entstammen, und das ist richtig, da die Kö rpergewebe ja nichts anderes als umgebildete Nä hrstoffe sind. Aber wir erhalten einen klareren Ü berblick über die Ursachen der Azidose und ihre Beziehungen zur Gesundheit, wenn wir die Unterscheidung zwischen den aus der Ernä hrung direkt und den aus dem Kö rper fließenden Quellen machen. Denn die einen kö nnen nicht an ihrer Entstehung verhindert oder in ihrer Zu- oder Abnahme kontrolliert werden, wohl aber die andern. Sä uren, die durch die Abnutzung des Kö rpers entstehen, kö nnen in ihrer Bildung nicht beeinflußt werden, außer auf indirektem Wege, zum Beispiel durch tüchtige Kö rperbewegung im Freien, bei welcher die vermehrte Sä ttigung des Blutes mit Sauerstoff, die solchen Ü bungen folgt, in grö ßerem Maße die Ausscheidung der Zellenabfallstoffe begünstigt. Aber unter bewußte Kontrolle dürfen die Sä uren gar nicht gestellt werden, selbst wenn es eine Mö glichkeit dafür gä be. Sie sind physiologisch bedingt. Mit Sä urenahrung verhä lt es sich anders. Sä ure, die aus der Kost stammt, kann in ihrer Entstehung sehr wohl kontrolliert werden. Azidose ist auch nie eine Folge der Kö rperzellenabnützung. So oft Azidose auftritt, kann jedesmal konstatiert werden, daß sie von eingenommenen Sä uren herrührt und darum auf alle Fä lle hä tte vermieden werden kö nnen. Da Azidose also ein Zustand ist, den das Individuum selber für sich herbeiführt, sollte auch das Individuum selber die Verantwortung, das volle Lob oder den vollen Tadel dafür erhalten und annehmen. Wä re Azidose ein wohltuender Zustand, dann dürfte der Mensch, der sich in ihm befindet, frohlocken über diesen aus eigener Kraft herbeigeführten Segen; ist der Zustand aber ein verderblicher, dann ist für den, der Bescheid weiß, Anlaß zu zerknirschender Beschä mung vorhanden; vor allem ist dann die Verwunderung darüber, warum „Gott mich so heimsucht“ , durchaus 27
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unangebracht. Die Nahrungsstoffe lassen sich in „sä ureüberschüssige“ und „basenüberschüssige“ einteilen. Die „sä ureüberschüssigen“ sind Nä hrsubstanzen, die nach Zersetzung durch die Kö rpersä fte in ihre chemischen Elemente einen Ü berschuß an sauren Elementen gegenüber den basischen im Blut und in den Geweben zurücklassen. „Basenüberschüssige“ Nahrung ist solche, bei welcher nach Zersetzung im Kö rper ein Ü berschuß von basenbildenden Elementen gegenüber den sä urebildenden im Blut und in den Geweben zurückbleibt. Nach ihrer sä ure- oder basenbildenden Kraft kann man die beiden folgenden Gruppen von Nahrungsmitteln unterscheiden: Säurebildner Alle Fleischnahrung (Wildbret, Fisch usw. inbegriffen) Nüsse (außer Mandeln) Erdnüsse Bö hnchen, Trockenerbsen, Linsen Alle Kö rnerfrüchte, insbesondere weißes Mehl, verfeinerte Getreidespeisen und polierter Reis Zucker Tee, Kaffee, Kakao Alle Fette und Ö le (Butter ist bloß, wenn im Ü bermaßgenossen, sä urebildend; in mä ßigen Mengen ist sie neutral) Eiweiß Kä se Basenbildner Alle Früchte (süßoder sauer, frisch oder getrocknet) Alle Gemüse (frisch oder gedö rrt. Blattgemüse sind bessere Basenbildner als Wurzelgemüse) Mandeln Paranüsse Milch (in allen Formen) Die Nahrungsklassen, die relative Vermehrung der Sä uren oder der sauren Salze im Kö rper hervorrufen, sind den Diä tforschern und den Biochemikern genügend bekannt, ebenso diejenigen, welche eine Mehrung der alkalischen Salze in den Kö rpergeweben verursachen. Aber für den Laien und oft auch für den Arzt, der sich in Diä tfragen noch nicht eingearbeitet hat, ist es oft nicht ganz leicht, sich eine richtige Vorstellung von dem Unterschied zwischen Sä ure und sä urebildend und zwischen Basen und basenbildend zu machen. Wahrscheinlich wundert er sich darüber, daßFrüchte wie die Zitronen und die Tomaten, die für den Geschmack und bei der Lackmusprobe so ausgesprochen sauer sind, trotzdem so starke Alkalibildner sein kö nnen. Da diese Unter28
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scheidung überaus wichtig ist, werde ich versuchen, sie klarzulegen. Sä ure bezieht sich auf eine Substanz, welche im Kontakt mit einem chemischen Reagens eine Sä urereaktion zeigt. Zum Beispiel wird eine Sä urelö sung, gleichgültig welcher Farbe sie sei, blaues Lackmuspapier rot fä rben, ein Beweis für ihre Sä urehaltigkeit. Sä urebildend ist hingegen ein Nahrungsstoff, der unter dem Einflusse der Verdauungssä fte im Magen Sä uren bildet. Dasselbe, aber entgegengesetzt, gilt von den Alkalien. Betrachten wir beispielsweise die Zitrus – Früchte: Orangen- oder Zitronensaft zeigen beide, wenn man sie mit einem chemischen Reagens in Verbindung bringt, eine starke Sä urereaktion, und dennoch zä hlen sie beide zu. unseren besten Alkalibildnern. Die Erklä rung liegt darin, daßder saure Bestandteil nicht mineralisch ist und der alkalische oder basenbildende seiner Natur nach mineralisch. Die organische Sä ure wird rasch oxydiert und verschwindet als Kohlensä ure und Wasser, wä hrend das basische Mineral als Natrium, Kalium usw. zurückbleibt, um sich mit anderen Stoffen zu Salzen zu verbinden. Gewö hnlich bildet es mit Kohlenstoff Karbonate und Bikarbonate von Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Lithium usw., die Mineralsalze eben, welche den alkalischen Zustand des menschlichen Blutes aufrechterhalten. Die Sä ure, die sich in Zitrusfrüchten befindet, ist Zitronensä ure; aber sie ist nicht nur in freiem, sondern auch stets in gebundenem Zustande vorhanden und bildet in Verbindung mit Basen eine andere, gä nzlich verschiedene Substanz, ein lö sbares Salz. Die Stoffe, mit welchen die Zitronensä ure sich verbunden hat, sind die alkalischen Minerale: Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium usw. Wenn diese Salze in den Verdauungsweg aufgenommen sind, werden sie wieder in ihre Bestandteile zersetzt — freie Zitronensä ure einerseits und freie Minerale, Kalzium, Natrium, Kalium usw. andererseits. Das Sä ureelement, das frei geworden ist, vereinigt sich mit dem Sauerstoff der anderen Nahrung oder des Wassers; es wird oxydiert und scheidet sich im Schweiß, im Urin, im Atem aus, wie Wasser und Gas, und lä ßt die mineralischen Alkalien zurück. Aber diese bleiben nicht frei. Fast unverzüglich bilden sie neue Verbindungen, indem sie mit der Kohle aus der Stä rke, aus dem Zucker oder aus fetten Speisen sich zusammentun und wiederum lö sliche Salze bilden: Natrium-, Kalium-, Kalziumbikarbonate usw.; als solche werden sie ins Blut geführt, dessen normale, aus stark sauren Früchten gebildete Basen sie sind. Diese Früchte werden also zwar als sauer empfunden und sauer genannt, sind aber basenbildend, das heißt, sie verwandeln sich im Kö rper zu Basen, obwohl sie außerhalb des Kö rpers sauer sind. Der Arzt, der selber kein Diä tetiker ist, hat freilich die Gewohnheit, ihren Genußfür alle Sä ureerkrankungen des Kö rpers zu untersagen; aber in Wirklichkeit gehö ren diese Früchte zu den allerbesten Mitteln gegen Versä uerungszustä nde. Manche Spezialisten setzen Pflaumen, Zwetschgen, Rhabarber und Preiselbeeren auf die Liste der Sä urebildner, weil sie kleine Mengen von Oxalsä ure oder Hippursä ure enthalten, die nicht leicht oxydierbar sind und daher durch die Nieren als Salze dieser Sä uren ausgeschieden werden müssen; sie greifen deshalb die Nieren in gewissem Maße an. Aber ich kann das Bedenken gegen diese Früchte dennoch nicht teilen, es sei denn, daßes sich um einen Kö rper handelte, dessen Nieren ihre normale Leistungsfä higkeit bereits eingebüßt haben. Normale Nieren werden alle solchen Sä urereste leicht ausscheiden (wie sie übrigens bestä ndig aus anderen Quellen herrührende Reste auszuscheiden haben) und keinerlei Anhä ufungen im Kö rpersystem zulassen, welche Ursache für Azidoseerkrankung werden kö nnten. Alle diese Früchte enthalten 29
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außerdem noch andere Fruchtsä uren von großem kö rperaufbauendem und belebendem Werte. Wollte man allerdings hauptsä chlich von ihnen leben, so wä re die Situation eine andere, weil es denkbar wä re, daßsich dann Ansammlungen bildeten. Sie versä uern zwar den Urin, was gewö hnlich als Anzeichen dafür genommen wird, daßsie dem Blute Sä urereste zuführen; sie dürfen aber doch nicht als für das Blut sä urebildend angesehen werden, sondern sind das Gegenteil. Wä ren Zwetschgen sä urebildend, dann müßte ich schon lä ngst unter Versä uerung leiden, denn ich verzehre oft innert zwei oder drei Tagen an die zwei Pfund gewö hnliche Zwetschgen. Ich esse sie allerdings eingeweicht und nie gekocht oder gar mit Rohrzucker. Die Bekö mmlichkeit der sä ure- und basenbildenden Nahrungsmittel ist ein vielumstrittenes Problem. So viel ist jedoch sicher: ä ße man reichlich und genügend von Speisen, die von allen Forschern als einwandfrei basenbildend angesehen werden, so brä uchte man sich nicht davor zu fürchten, auch von solchen Speisen in vernünftigen Mengen zu essen, die von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet nicht ganz einwandfrei sind*. Nach der obigen Liste kann aus mindestens einem Dutzend Gemüsen und doppelt so vielen Früchten samt einem Dutzend Beerenarten, die alle Basenbildner sind, gewä hlt werden. Mit sechzig oder mehr kö stlichen Frucht- und Gemüsesorten und obendrein noch Milch in verschiedenartigster Beschaffenheit einerseits und mit der langen Liste sä urebildender Nahrungsmittel andererseits ist es jedem einzelnen anheimgestellt, sein Blut nach Belieben normal alkalisch oder anomal azidotisch zu halten, indem er seine Diä t auf basen- oder sä urebildende Kost einstellt. Aber wä hrend dies theoretisch gesprochen leicht sein müßte, ist es praktisch nicht ganz so einfach. Meine eigene Erfahrung lehrt mich, daßein durchschnittliches Verhä ltnis von etwa zwanzig Prozent Sä urebildnern gegen achtzig Prozent Basenbildner wenigstens annä hernd eingehalten werden sollte, um das richtige Gleichgewicht zwischen sä urebildenden und basenbildenden Nahrungsstoffen und auf diese Weise dem Blute einen nicht sauren, einen basischen Zustand zu sichern. Wenn nicht achtzig Prozent unserer Nahrungsmenge basenbildend sind, das heißt im Blute und in der Lymphe Basen bilden, dann stauen wir in unserem Blute und den Zellenzwischenrä umen Sä urerückstä nde auf Diese Sä urereste reizen die Zellen, stö ren früher oder spä ter ihre Tä tigkeit und leiten Krankheiten in den aus Zellen bestehenden Organen ein. Es ist nun aber eine feststehende Tatsache, daßwir an Hand der obigen Nahrungsmittelliste selber nachprüfen kö nnen, daß wohl mindestens achtundneunzig Prozent der Nahrung zivilisierter Menschen sä urebildend sind, und daßsich im Blut, in der * Hier wendet eine gewisse Schule ein, die versä uernde oder alkalisierende Eigenschaft der Nahrungszufuhr brauche nicht beachtet zu werden, denn der Organismus verfüge glücklicherweise über eine Regulation, die das Blut immer in bestimmtem Grade leicht alkalisch halte. Es ist tatsä chlich für den zivilisierten Menschen ein großes Glück, daßdiese Regulation unerhört leistungsfä hig ist, denn wenn sie aufhört, so hört bald auch das Leben selber auf, und bestünde sie nicht, so bestünde die seit einigen Generationen übersä uerte zivilisierte Menschheit lä ngst nicht mehr. Aber eben die stä ndige Belastung und Ü berlastung dieser Regulation führt zu ungenügender Alkalireserve und schließlich zum Zusammenbruch in Form einer Azidose und, durch Umschlagen ins Gegenteil, zur Alkalose. Gesundheitsstörungen und mangelnde Widerstandskraft durch Ü bersä uerung zeigen sich aber, selbst wenn das Saurebasengleichgewicht im Blut noch aufrechterhalten wird, schon lange vorher. Anm. des Herausgebers.
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Lymphe und in den festeren Geweben Sä urereste aufspeichern. Dieser Punkt darf nicht oberflä chlich erledigt werden. Er ist nicht nur wichtig — er ist wesentlich. Man versuche, sich ein Bild davon zu machen, was es heißt: zwanzig Prozent der tä glichen Nahrungsmenge gegen achtzig Prozent der tä glichen Nahrungsmenge. Wenn wir also unsere Kost für einen Tag in fünf Portionen von gleicher Grö ße teilen, so dürfte eine dieser Portionen sä urebildend und vier dieser Portionen müßten alkalibildend sein. Ein Teil und vier Teile. Ein Fünftel gegen vier Fünftel. Das bedeutet, daßnur ein Fünftel der Speisemenge, die man an einem Tage verzehrt, aus Fleisch, Eiern, Fisch, Wildbret, Geflügel, tierischen Bestandteilen überhaupt, Brot, Getreidespeisen und allem, was Mehl enthä lt, aus Fetten, Zuckerwaren, Zucker, Konserven, Gelees, Tafelsirupen, Honig, Sodawasser, Eiskremen, Tee, Kaffee, Kakao, Schokolade und alkoholischen Geträ nken bestehen darf. Wenn weißes Brot, raffinierte Getreidespeisen wie Getreideflocken, Weizenschleim, Stä rkemehl, des Keimes entledigtes Kornmehl, ausgewalzter Hafer und ä hnliches mehr in der Speisenzusammenstellung stark vertreten sind, so sollte noch weniger als ein Fünftel des Quantums aus saurer Kost bestehen, denn solche Nä hrstoffe werden durch den Verfeinerungsprozeßin der Mühle noch künstlich gesä uert. Vier Fünftel der tä glichen Nahrungsmenge müssen aus der Liste der Vegetabilien, der Früchte und der Milchprodukte, gewä hlt werden. Weitaus das beste in dieser Auswahl sind die Zitrusfrüchte, die Blattgemüse (vorzugsweise roh zu essen) und die Milch, welche man wenn mö glich nicht sterilisiert und nicht pasteurisiert trinken sollte. Ü berwacht man in dieser Weise die Aufnahme der sä ure- und der basenbildenden Speisen, so kann die relative Azidose leicht vermieden werden. Auf dieselbe Art kann man auch jeglicher Ü beranstrengung der Organe und der Zellen und allem übrigen, was den Kö rper befä llt, wenn die Organe überreizt und überlastet sind, vorbeugen. Wie verhä lt es sich nun mit der Diä t der zivilisierten Menschheit? Sie besteht zu einem großen Teil aus Fleisch, Eiern, Geflügel, Fetten, weißem Brot und unendlich vielen Getreideprodukten, aus Klö ßen, Eierkuchen und Waffeln bis zu Mürbekuchen und Pasteten; aus Getreideflocken, Getreideschleim und ä hnlichen verfeinerten Zerealien, aus geschä lten Kartoffeln, poliertem Reis, Pfannkuchen, Backwerk, Konserven, Sirupen, großen Mengen raffinierten weißen Zuckers. Dazu kommen noch Zuckerwaren. Eiscreme und so viele gefrorene Süßspeisen, süße Geträ nke, Sodawassergebrä ue. Ungezä hlte Tausende sind Gewohnheitstrinker, was Tee, Kaffee oder Kakao betrifft; unzä hlige sind Alkoholiker. Wer eigentlich nimmt Früchte, Gemüse, Milch und Molkereiprodukte in den tä glichen Nahrungsbestand auf? Und doch sind sie unsere krä ftigsten Alkalibildner. Wer betrachtet sie in Wirklichkeit als Bestandteile seiner tä glichen Nahrung, als die eigentlichen aufbauenden Speisen? Die Antwort lautet leider: überaus wenige. Millionen berühren kaum je ein einziges dieser Produkte. Millionen gegen jedes Dutzend Leute, welche einer weiseren Einsicht folgen und sie Bestandteil ihrer tä glichen Mahlzeiten sein lassen! Freilich, so wahr diese Behauptung auch leider im allgemeinen ist, so darf zum Glück doch zugegeben werden, daß sie langsam weniger richtig zu werden beginnt. Aber bis zum Ziele ist noch ein weiter Weg zu gehen. 0 ja, viele Kulturmenschen essen gewissermaßen Gemüse; aber sollen diese Gemüse nicht dazu dienen, das Fleisch, den Fisch oder die Eier zu begleiten, hervorzuheben, gewissermaßen einen Rahmen um sie zu bilden, vielleicht um alle drei zusammen? 31
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Und zudem: werden nicht die Gemüse in der großen Mehrheit der Fä lle gesotten, ausgesotten . . . und wird nicht das Wasser, in dem sie gekocht worden sind, den Schüttstein hinunterbefö rdert? Ja, auch das ist wahr. Und sind so widernatürlich zubereitete Gemüse nicht tatsä chlich für ihren Zweck, Basenbildner zu sein, verdorben? Ach ja, ach ja! Und werden die Früchte von den Leuten, die sie wirklich als Nahrung essen (es sind ihrer wenige), nicht geschä lt und dann gekocht und dann mit mehr oder weniger, gewö hnlich aber mit mehr, sä urebildendem weißem Zucker bestreut? Und zerstö rt nicht dieses Schä len, Kochen und Zuckern sä mtliche basenbildenden Wirkungen dieser Früchte? Gewiß! Was ist da zu sagen? Nichts — oder dann nur das eine, daß die Ernährungsweise der Mehrzahl der modernen Menschen azidosebildend ist. Hö rst du das gerne? Nein? Ich auch nicht. Aber noch immer hege ich den Verdacht, daßdieser oder jener meiner Leser mir zurufen kö nnte: „Pah, die zivilisierte Menschheit lebt schon seit vielen Jahrhunderten von dieser Kost und mit diesen Gewohnheiten! Was kann es schaden, wenn wir so weitermachen?“ Ja, lieber Leser, wo hast du denn deine Augen? Oder wirkt der Anblick des kö rperlichen Elends, das die zivilisierten Bewohner der fünf Kontinente überflutet, beruhigend auf dein Gemüt? Vielleicht, Leser, bist du selbst ein Opfer der Zivilisation; es dürfte sich dann lohnen, daß du Vorsicht übest. Wer Vorsicht übt, braucht nicht unter allen Umstä nden ein Opfer zu bleiben. Aber welche Kost ist denn nun eigentlich ideal? Welche Kost behütet vor Azidose? In welcher Nahrung finden wir die notwendigen lebenspendenden Elemente, und welche ist mineralreich und basenbildend, wie es der Kö rper benö tigt? Allein die natürliche! Natürliche Kost enthä lt unfehlbar die Eigenschaften, die wir zum Aufbau unseres Kö rpers und zu seiner Erhaltung einzig benö tigen; sie ist alkalibildend und mineralreich; sie ist vor allem selbst lebendig und daher lebenspendend. Ich mö chte dem Leser noch einen Gedanken in bezug auf basische Mineralien und hohen Blutdruck vermitteln. Unheilbarer hoher Blutdruck wird durch das Eindringen von Kalk in die Arterienwä nde verursacht, wodurch die sogenannten Pfeifenstielarterien entstehen, welche durch Druck von innen leicht zerrissen werden. Kalium ist ein Agens, das die festen Gewebe im Kö rper schmiegsam erhä lt und vor Verhä rtung und Versteifung bewahrt. Natrium hat in unserem Kö rper die Aufgabe, Blut und Lymphe in einem Zustande grö ßter Fliissigkeit zu erhalten und ihr Zä h- und Dickwerden zu verhindern. Enthä lt aber unsere Nahrung wenig Kalium, dann wird auch unser Kö rper arm an dieser Substanz sein, und die festen Gewebe, so auch die Arterienwä nde, müssen an Elastizitä t dementsprechend einbüßen und sich verhä rten. Dann passen sie sich nicht mehr so willig dem einströ menden Blute an, so oft die Herzkammern sich zusammenziehen und ihren Inhalt in die Arterien pumpen wollen. Der niedrige Natriumgehalt des Blutes macht dieses dick und zä h, und das Herz muß schwerer arbeiten, um es durch die steifen, nur teilweise mithelfenden Arterien zu pressen. Solches Blut kann nicht so leicht in die Kapillaren dringen; es staut sich davor und übt rückwä rts in die Arterien einen Druck aus, der den Blutdruck in den unelastischen Rö hren erhö ht. Je hö her der Druck in den Arterien ist, desto mehr verdicken sich die Arterienwä nde zum Schutze und Ausgleich; desto grö ßer ist aber auch die Anstrengung, welche vom Herzen verlangt wird. Und nun lä uft das Unheil ohne Unterbrechung im Kreis herum, wie es das 7. Kapitel („Unterentwickelte Muskeln“ ) nä her beschreibt. Ü berdies hat das Kalzium im Blute eine stä rkere Tendenz, sich wegen 32
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Mangels an Natrium in den Arterienwä nden zu kristallisieren, denn es ist eine der Aufgaben des Natriums, das Kalzium im Blute flüssig zu erhalten. Verfeinerte Kö rnernahrung und gekochte, verwä sserte Früchte- und Gemüsespeisen entbehren dieser hauptsä chlichsten Mineralien und ihrer belebenden Eigenschaften. Rohe Früchte und Gemüse und Vollmehl- und Vollkornspeisen spenden Mineralien und dementsprechend Energien aufs reichlichste*. Man sollte versuchen, all diese Dinge nicht als akademische Tatsachen anzusehen, sondern als Tatbestä nde, die unsere Lebensgewohnheiten betreffen und daher unser Leben und uns selber in ganz direkter Weise interessieren müssen; in einer Weise, in der uns nichts anderes Materielles interessieren und ergreifen kann. Sowohl durch unsere Abhä ngigkeit vom Gesetz der Volksgewohnheiten als auch durch die Entwicklung und Anpassung unserer Kö rpermechanik sind wir also zur Kontrolle unserer tä glichen Mahlzeiten gezwungen. Unsere tä gliche Diä t enthä lt aber im allgemeinen anstatt der notwendigen achtzig Prozent nicht mehr als etwa anderthalb bis zwei Prozent basenbildender, mineralreicher, lebendiger, natürlicher Nahrungsstoffe. Eine solche Diä t begünstigt die Aufspeicherung von Sä ureresten und Abfallstoffen im Blut und in den Kö rpergeweben, die die Zelleneinheiten, aus welchen unsere lebenswichtigen Organe sich zusammensetzen, reizen und überladen, die Funktionen dieser Organe stö ren und sie letzten Endes vernichten. Ist es da ein Wunder, daß Krankheit und frühzeitiges Sterben sich überall einschleichen? Sollten wir uns nicht vielmehr darüber verwundern, daßder menschliche Kö rper solchen Anstürmen jahrelang widerstehen kann? Das alles mußanders werden. Und dazu ist vor allem nö tig, daßwir lernen, natürliche Kost von unnatürlicher zu unterscheiden. Einen gewissen Verdacht gegen die Natürlichkeit unserer Kulturnahrungsmittel mag der Leser nach allem Gesagten nun schon von selber hegen. Mit dieser Einstellung wird er imstande sein, tiefer in die Frage der Natürlichkeit oder Unnatürlichkeit zivilisierter Kost einzudringen. * Nä heren Einblick gewä hren hier die Dr. Jackson anscheinend nicht bekannten Forschungen von Eppinger und Kaunitz von der Wiener Medizinischen Klinik (1938). Der entscheidende Vorgang im Verlauf der Ernä hrung spielt sich danach nicht im Darm, sondern beim Ü bergang der Nä hrflüssigkeit von den ä ußersten Verä stelungen des Blutadersystems, den Kapillaren, in die lebenden Zellen des Organismus ab, ein Vorgang, der sich gleichzeitig im ganzen Körper millionenfach vollzieht. Die Nä hrflüssigkeit mußdabei durch zwei feine Hä utchen und einem Zwischenraum treten. Dasselbe gilt in umgekehrter Richtung für die von den Zellen ans Blut abzugehenden Abfallstoffe. Dieses Hindurchtreten geschieht nicht, wie man früher glaubte, nach dem bekannten Naturgesetz, wonach sich beidseitig ein Ausgleich der Flüssigkeitszusammensetzung vollzieht, vielmehr wird gerade umgekehrt und im Gegensatz zu diesem Naturgesetz eine möglichst große Gegensatzspannung der Flüssigkeitszusammensetzung erstrebt. Das Blut soll z. B. Kochsalz enthalten, die Zelle aber nicht; die Zelle hingegen soll reich an Kalium sein, das Blut aber nicht. In der lebendigen Zelle, so mußangenommen werden, sitzt eine souverä ne Instanz, die das Kalium heranziehen und das Natrium wegstoßen kann, und die in gleicher Weise eine Auswahl (Selektion) unter den herangeführten Stoffen der Nä hrflüssigkeit vornimmt. Je gesünder die Zelle, desto krä ftiger kann sie diese Fä higkeit ausüben, je krä nker, desto mehr vollzieht sich ein Ausgleich; wenn die Zelle stirbt, erlischt alle Gegensatzspannung, und es tritt ein vollstä ndiger Ausgleich ein. Bei fast allen Wienern, welche von Eppinger und Kaunitz untersucht wurden, auch bei den Nichtkranken, war diese vitale Spannung stark herabgemindert und zugleich die Widerstandsfä higkeit gegenüber Krankheiten verringert. Versuche, die Selektionsfä higkeit der Zellen durch Zufuhr von Mineralstoffgemischen und verschiedene Diä tarten wiederherzustellen, ergaben, daßdieses Ziel einzig und allein durch vegetabile Rohdiä t (im Sinne BircherBenners) sicher und verhä ltnismä ßig rasch erreicht werden kann, und daßdadurch zugleich bei den Kranken eine intensive Heilungstendenz einsetzt. Anm. des Herausgebers. 33
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Aus der vorherrschenden Verwendung im tä glichen Speisezettel ergibt sich folgende Abstufung in bezug auf Hä ufigkeit des Gebrauchs: Getreidespeisen, Fleisch, Kartoffeln, Milch, Eier, Zucker, Konserven, Gemüse und Früchte. Bei einem großen Teil der Menschen jedoch, die für zivilisiert gelten wollen, nimmt Milch einen noch niedrigeren Platz als den ihr hier zugeteilten ein. Betrachten wir diese Liste, so sind wir merkwürdigerweise gezwungen zuzugeben, daßjeder einzelne Posten ein natürliches Nahrungsmittel darstellt, in dem Sinne, daß es kein künstlich zusammengestelltes Produkt ist. Wenn wir dabei stehenbleiben würden, müßten wir den Schlußziehen, daßdie Nahrung der Kulturmenschen in keinem wesentlichen Punkt für die überall herrschenden Krankheiten der Zivilisation verantwortlich gemacht werden darf. Aber bevor wir überhaupt ein Urteil fä llen, wollen wir uns fragen, welches die Zubereitungsmethoden dieser Nahrungsmittel sind. Greifen die Herstellungsverfahren in irgendeiner deutlichen Weise das Wesen der einzelnen Nahrungsmittel an, verä ndern sie ihre Qualitä t? Mit dieser Frage wird das Ernä hrungsproblem erst interessant, so interessant, daß wir diesen Punkt ausführlich betrachten müssen.
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4. KAPITEL Unsere Nahrungsmittel Wenn wir die Qualitä t unserer Nahrungsmittel betrachten, so lä ßt sich folgende Einteilung vornehmen: Getreidenahrung
Mehl und seine Produkte, Brot usw. Kuchen, Backwerk, Pudding usw. andere Getreidespeisen Reis
Fleischnahrung
Rind, Schwein, Schaf, Ziege, Wildbret, Geflügel, Fisch, Schalentiere usw.
Molkereiprodukte
Milch, Rahm, Buttermilch, Butter, Kä se, Quark usw.
Zucker
Rohrzucker, Melasse, Zuckersirup, Kornsirup
Früchtekonserven
in Zucker eingemachte Früchte in Essig eingemachte Früchte gedö rrte Früchte
Gemüsekonserven
durch Erhitzung konserviertes Büchsengemüse in Essig konserviertes Gemüse gedö rrtes Gemüse durch Kä lte konserviertes Gemüse
Frisches Gemüse Kartoffeln Honig Süße Früchte Frisches Obst Nüsse, Mandeln usw. In dieser Reihenfolge wollen wir die einzelnen Nahrungsmittel nunmehr betrachten. Mehl. Wenn man die Getreidekö rner durch Mahlen, Zerdrücken oder Zerstampfen pulverisiert, bis sie zu dem feinen Staub zerrieben sind, den wir Mehl nennen, verä ndern sich ihre Eigenschaften für Nahrungszwecke nicht wesentlich; sie bleiben Energie erzeugendes Brennmaterial und Aufbaustoff für den Kö rper. Solche Zerkleinerung tut mit den Kö rnern nur das, was in jedem Falle die Zä hne besorgen müssen, bevor die Speise geschluckt, verdaut und vom Kö rpermechanismus verwendet werden kann. — Aber es gibt Mehl und Mehl; es gibt nä mlich auch weißes, gebeuteltes Mehl. Das ist Mehl, aus dem die Kleie, der fettige Keim und das braune Mehl vermittelst Siebens durch Beutelseide entfernt worden sind. Die Beutelseide, ein sehr feinmaschiges Gewebe, lä ßt wenig anderes zwischen den Maschen hindurch als die Stä rke und den 35
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Kleber (das Gluten) der Getreidekö rner. Der Rückstand, der viele der besten Salze, Fette, Zellstoffe und Vitamine dieser Kö rner enthä lt, wird als Abfallprodukt und Viehfutter verkauft. Dieses bedeutet, daß das weiße Mehl keine Wachstumsvitamine enthä lt. Auch Kalzium, Phosphor, Magnesium und Fluor, aus denen sich die harte Substanz der Zä hne und des sie bedeckenden Schmelzes bildet, Kalzium und Phosphor, welche die Knochen aufbauen, Natrium und Kalium, Eisen, Schwefel und alle anderen wichtigen mineralischen Stoffe sind großenteils aus dem weißen Mehl entfernt worden, zu dem einzigen Zwecke, dasselbe weißzu machen, was die geschä ftliche Rentabilitä t verbessern soll. Durch diesen Raffinierungsprozeß entfernen die Müller so viele der wertvollsten kö rperbelebenden und kö rperaufbauenden Elemente, die als Erwecker der Lebenskraft und als Bildner des Kö rpers nö tig sind. Damit hat es jedoch nicht sein Bewenden, denn einige der auf diese Weise entfernten Bestandteile braucht der Kö rper dringend zur richtigen Verwertung der Stoffe, die nach der Verfeinerung noch im weißen Mehl zurückbleiben. Diese Stoffe kö nnen deshalb vom Kö rper auch nicht verarbeitet werden. Weißes Brot ist so naturwidrig, daßTiere, die man ausschließlich damit füttert, an mehrfacher Neuritis erkranken und bald eingehen, wenn diese einseitige Fütterung beibehalten wird. Fast ohne Ausnahme ist die "Weißbrotgewohnheit der zivilisierten Menschheit zudem auch eine Frischbrotgewohnheit. Die meisten Menschen sind der Ansicht, daßdas Brot am besten schmecke, wenn es erst wenige Stunden alt sei oder gerade aus dem Backofen komme; auf jeden Fall dürfe es nicht ä lter sein als vierundzwanzig Stunden. Es ist aber eine altbekannte Tatsache, daß solches Brot unverdaulich und daher als Nahrung unbrauchbar und ohne belebenden Einflußist. Es enthä lt nä mlich noch große Mengen von Hefegasen und kann sich in seinem teigigen Zustand unmö glich mit dem Speichel vermischen, ohne den im Magen überhaupt nichts verdaut wird. Jedermann weißdas, und dennoch ißt nahezu jedermann frisches Brot. Frisches weißes Brot wird zum grö ßten Teil durch Gä rung in Produkte aufgelö st, die den Kö rper vergiften, anstatt ihn zu ernä hren, die seine Gewebe nicht aufbauen und seine Zellen nicht beleben, sondern sie im Gegenteil zerstö ren — es sei denn, die Verdauung gehe in einem außerordentlich krä ftig arbeitenden System derart beschleunigt vor sich, daßnichts Nachteiliges sich ereignen kann. Aber nicht jeder, der an Verdauungsstö rungen leidet, hat das Glück, im Magen die entsprechenden Belä stigungen zu spüren. Nur Personen mit empfindlichem Magen merken die Warnung. Und oft sind sie die Bevorzugten, denn ihre Leiden lehren sie, den Magen, dieses feingebaute Organ, mit Rücksicht zu behandeln. Zum Thema des weißen Brotes gehö rt auch noch die Feststellung, daßfrisches Brot keineswegs an Verdaulichkeit und gesundheitsfö rderndem Wert gewinnt, wenn man Butter und Konfitüre in irgendeiner Form dick darauf streicht, um das Ganze mit wenigen heißhungrigen Bissen im Munde zu einer teigigen Masse zu zerkauen und es dann hinunterzuschlingen. Auch durch rasches Anrö sten einer dünnen braunen Schicht, die die zä he Teigmasse des Brotinnern bedeckt, wird frisches weißes Brot nicht bekö mmlicher, ebensowenig dadurch, daßdie gerö steten Brotschnitten mit Butter bestrichen werden, denn die schmelzende Butter durchdringt die Stä rkekö rnchen so ausgiebig mit Fett, daß die Verdauungsenzyme diese Kö rnchen unmö glich erreichen kö nnen. 36
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Natürlich gilt alles Gesagte in demselben, ja noch in verstä rktem Maße auch für heiße Teebiskuits, Backwerk, üppige Puddinge, reiche oder einfache Kuchen, die man aus weißem Mehl, Zucker, Eiern, Backpulver, mürbem Teig, Obstkonserven, Fruchtgelee, frischem oder gedö rrtem Obst, Gewürzen usw. bereitet. Alle diese Speisen sind so weit von Nahrungsnatürlichkeit entfernt wie der Osten vom Westen. Mag solches Essen auch scheinbar verdaut werden — es kann kein natürliches menschliches Fleisch bilden noch den lebendigen Kö rper aufbauen, und was es nicht kann, tut es auch nicht. Getreidespeisen. Auch sie üben grö ßte Belebungskraft aus, wenn sie nicht durch künstliche Prozesse ihrer Qualitä t als natürliche Nahrungsmittel beraubt werden. Man mußaber leider sagen, daßdie modernen Getreidenahrungsmittel — von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen — keineswegs als natürliche Kost gelten dürfen. Der Hersteller dieser Produkte weiß oft nicht, daß das allgemein übliche Entfernen des Lebenskeimes, der Kleie und des braunen Mehls, auch die Pflanzenfette, die reichen Mineralsalze, die Vitamine entfernt. Und in vielen Fä llen würde die Erkenntnis dieser Tatsache wenig ausrichten, weil sie mit der Rendite in Widerstreit gerä t; Berufszweck ist ja der Geschä ftsgewinn. Getreideprodukte, die noch Keimlinge und Kleie enthalten, verderben leichter. Sie sind energiehaltiger, und die instinktiv handelnden Insekten wissen das; darum suchen sie gerade solche Produkte auf, um ihre Eier darin abzulegen. Unbeirrbarer Instinkt lä ßt sie das Richtige finden. Wie steht es dagegen mit dem Instinkt der Menschenmütter, die ihre Kinder so reichlich mit Weißbrot nä hren? Es ist nachgewiesen worden, daßweiche, teigige Getreidenahrung die Speichelabsonderung nicht anregt, und doch hä ngt die Verdauung der Kö rnerfrüchte von der Speichelabsonderung ab, weil sie vorwiegend stä rkehaltig sind. Die Magensä fte kö nnen Stä rke überhaupt nicht verdauen. Sobald die Magensä fte sich durch die Magendrüsen in das Mageninnere ergießen, hö rt jede Stä rkeverdauung, die im Magen noch vor sich gehen kö nnte, nachdem die Speise beim Durchgang durch den Mund mit Speichel vermischt worden ist, augenblicklich auf. Denn die Stä rke kann im Magen durch den Speichel nur verdaut werden, solange er alkalisch bleibt, und da die saure Magensekretion den alkalischen Speichel neutralisiert, muß die Stä rkeverarbeitung aufhö ren, sobald die Magensä fte dazutreten. Daher ist es sehr wichtig, daßdie stä rkehaltigen Getreidespeisen gründlich mit Speichel vermengt werden, bevor sie in den Magen hinunter gelangen. Und aus dem gleichen Grunde ist es notwendig, Zerealien zu genießen, die die Speichelabsonderung anregen, weil es schwierig ist, die teigigen, weichen Bissen so lange im Mund zu behalten, bis der Speichel sie vollkommen durchdrungen hat. Getreidenahrung, die das Ganze des Kornes enthä lt, kann nicht pappig und weich werden; die kleiehaltige Zellulose und das braune Mehl verhindern das. Die ausgewalzten, geflockten und zerstampften Zerealien werden leicht teigig, dagegen die in den altmodischen Tuffstein- oder den modernen Stahlwalzenmühlen gemahlenen nicht. Solche Kö rnerfrüchte kö nnen nicht teigig werden, nicht einmal, wenn man sie stundenlang kocht. Ihr kö rniger Charakter regt von selbst den Flußdes Speichels im Munde an, und dies wird unterstützt durch die mechanische Anregung der kleiehaltigen Zellulose. Beide, die Zellulose und die Kö rner, erhö hen die Porositä t der Nahrungsmasse, so daßsie sich bequem mit dem Speichel, der ihre Stä rke verdau37
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en soll, vermischen kann. Aus diesen Gründen sind die kö rnigen Zerealien allen andern als Getreidenahrung vorzuziehen; sie sind die natü rlichen Zerealien. Es ist wichtig, die Getreidespeisen unmittelbar vor der Mahlzeit zu kochen; auch sollten sie schnell gekocht werden. Das Kochen ist die einzige unnatürliche Prozedur bei Vollkornnahrungsmitteln. Daher sind sie vö llig natürlicher Kost um so nä her, je kürzere Zeit sie gekocht und je rascher sie gegessen werden, nachdem sie sich leicht abgekühlt haben. Dagegen gehö ren die ausgewalzten und zerstoßenen Getreideprä parate und die in der Fabrik vorgekochten nicht zu den natürlichen Nahrungsmitteln, ebensowenig die ganz gekochten, die geflockten und klein geschnittenen, die zum Essen fertig gerichtet sind. Diese Art Nahrung kann die greifbare Substanz unseres Kö rpers wohl aufbauen helfen, aber den Kö rper niemals mit genügend Kraft und Widerstandsfä higkeit versehen. Ganze Getreidekö rner tragen, solange sie nicht gekocht worden sind, noch immer das lebensweckende Prinzip in ihrem Keime; unter entsprechenden Verhä ltnissen werden sie keimen, und aus ihnen wird sich eine neue Pflanze, ein neues Leben entwickeln. Aber wenn ein Samenkorn einmal durchgekocht ist, so ist es leblos, und kein neues Leben kann sich mehr daraus entfalten, gleichviel, ob es den Keim noch besitzt oder nicht, denn der Keim selber ist nun tot. Getreidekö rner, die in der Fabrik gekocht wurden und hernach im Handel auf den Verbrauch warten, kann man in bezug auf ihre belebenden Qualitä ten in dieselbe Klasse einreihen wie Fleischnahrung, die nicht unmittelbar nach dem Tö ten des Tieres verzehrt wird. Beide haben durch die lange Trennung von ihrem kraftspendenden Prinzip ihre anregende Lebenskraft verloren, und wer sich ausgiebig von ihnen ernä hrt, darf nicht auf Zufuhr von Vitalitä t oder auf die Ausbildung einer großen Widerstandsfä higkeit gegenüber den bedrohlichen Einflüssen des Lebens hoffen. Früher oder spä ter mußdieser zersetzende Prozeßzu kö rperlicher Krankheit führen. Wenn die Getreidenahrung aber in richtiger Weise, nicht pappig und weich, aus ganzen Kö rnern zubereitet wird, so daßdie kleiehaltige Zellulose den fettigen, mineralreichen Keim und das gut mineraldurchsetzte braune Mehl neben dem weißen aus dem Innern des Getreidekorns beibehä lt, darf man sie zu den natürlichsten aller menschlichen Nahrungsmitteln rechnen. Reis. Der Reis ist gleichfalls eine Kö rnerfrucht, die besonders in Asien weite Verbreitung gefunden hat. Die zivilisierten Rassen „verfeinern“ den Reis im allgemeinen auf ä hnliche Weise wie die Getreidekö rner. Die ä ußere Kleie- oder Zellstoffhülle wird dabei entfernt, und mit ihr der fettige Lebenskeim sowie ein großer Teil der mineralischen Salze und Vitamine. Nachdem ihm so sein Zellstoff, seine Mineralsalze und seine Vitamine entzogen worden sind, wird der „polierte“ oder „geschä lte“ Reis befeuchtet und mit Talk, dem Stoff, der im Handel als Talgpulver verkauft wird, überzogen, um die Kö rner noch weißer zu machen. Als natürliches Nahrungsmittel im Sinne der vorangegangenen Ausführungen kann nur der ungeschä lte Reis betrachtet werden. Fleischkost. Auch der Kö rper eines kurz zuvor getö teten Tieres, das sich im Augenblick seiner Tö tung in voller Gesundheit befand, kann einwandfreie menschliche Nahrung liefern, denn solch ein tierischer Kö rper enthä lt jeden aufbauenden Stoff in genau den Proportionen, die der menschliche Kö rper braucht (*1. Ich spreche freilich vom 38
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tierischen Körper und nicht von seinen Muskeln oder seinem Fett, den einzigen Teilen, die der zivilisierte Mensch gewö hnlich als Nahrung zu sich nimmt. Verteidiger der Fleischkost bringen immer wieder das Argument vor, daßfleischessende Stä mme wie die Eskimos bei fast ausschließlicher Fleischkost krä ftig und gesund sein kö nnen. Sie verschweigen aber, daß die Eskimos keineswegs nur Muskelfleisch und Speck essen. Sie würden das auch nicht zu behaupten wagen, denn es wä re gelogen. Eskimos und andere hauptsä chlich Fleisch essende Stä mme verzehren die Leber, das Herz, das Bauchfell und andere Organe, das Fett und manchmal auch die Muskeln; außerdem — und das ist die Hauptsache — trinken sie große Mengen tierischen Blutes; sie essen ihre Tiernahrung frisch geschlachtet und zu einem großen Teil roh. Wird das Fleisch so genossen, dann muß man es selbstverstä ndlich auch eine natürliche Nahrung nennen. Es ist dann wie jede natürliche Nahrung reich an Energiespendern, Salzen, Wachstums- und Ersatzvitaminen (*2. Aber essen die zivilisierten Vö lker das Fleisch je auf diese Art? Nicht daßich wüßte! Bei ihnen mußes gut ausgeblutet und gewö hnlich auch gelagert sein, damit es als genießbar gilt. DaßKnochen, Knorpel, Gehirn, innere Organe und vor allem Blut in frischem Zustande menschliche Nahrung sein kö nnten, das kommt den meisten Angehö rigen zivilisierter Vö lker gar nicht in den Sinn. Die Entziehung der lebendigen Kraft durch das Kochen des Fleisches lä ßt sich freilich zur Not als bloßpassives oder negatives Ü bel ansehen; weit gefä hrlicher und gesundheitsschä digender ist das Lagern des Fleisches, wodurch es zart und weich werden soll. In dem Augenblick, da das Leben aus dem Kö rper entweicht, beginnt die Verwesung. *1) Richtiger ist es, zu sagen: die der menschliche Körper fü r seinen Aufbau braucht. Da der Aufbaubedarf des menschlichen Körpers beim Erwachsenen aber nur 1/20 bis 1/25 seines Betriebsbedarfs ausmacht, entspricht solche Nahrung nicht dem Gesamtbedarf. Anm. des Herausgeben. *2) Die Dr. Jackson wohl noch nicht bekannten, sehr genauen Ergebnisse der dä nischen HöygaardExpedition., erzielt bei Untersuchungen an den Angmagsalik –Eskimos in Ostgrönland, bieten hier wertvolle Ergä nzung. Diese vom Welthandel abgeschlossenen Eskimos leben fast allein von dem, was sie erlegen und sammeln können, ein sehr mühsames und dürftiges Leben am Rande menschlicher Existenzund Anpassungsmöglichkeit. Ihre Nahrung ist immerhin sehr naturnah und ihre Gesundheit, wenigstens in jungen Jahren, besser als die der mit europä ischen Lebensmitteln versorgten Westgrönlä nder. Die Angmagsalik – Eskimos leben zu mehr als 9/10 von Fleisch und im übrigen von gesammelten Land- und Meerpflanzen. Ihr tä glicher Nä hrstoffverbrauch beträ gt durchschnittlich: 299 g Eiweiß, 169 g Fett, 122 g Kohlehydrate. Das Fleisch wird, trotz des kalten Klimas, zur Hauptsache unerhitzt und roh genossen, in erster Linie Blut und Fett, dann innere Organe und nur, wenn der Hunger großist, auch noch Muskelfleisch. Kochsalz wird verabscheut. Der Durst ist sehr groß. Bei solcher Nahrung, die zwar naturnah, aber sehr einseitig ist, haben diese Eskimos als junge Leute eine recht gute Gesundheit; aber schon mit 35 Jahren, also in der Mitte des Lebens, werden sie durch Arteriosklerose derart schwerfä llig, daßdie Mä nner bei ihrer lebenswichtigen Verrichtung, der Jagd, bald umkommen und kaum je über 50 Jahre alt werden (mittlere Lebensdauer: 27 ½ Jahre!). Es gibt wohl nichts, was besser als dies die Tatsache beleuchten würde, daßdie Natur den Menschen nicht als Fleischesser geschaffen hat, es sei denn der Umstand, daßjenes Volk, das fast ohne Fleisch, aber hauptsä chlich von ungekochter oder wenig erhitzter Nahrung, namentlich von Obst, Getreide und Grüngemüse, leben muß, nä mlich das Volk von Hunsa am Karakoram, nach den Untersuchungen von Sir Robert McCarrison nicht nur bemerkenswert frei von Krankheiten ist, sondern überdies sehr alt wird und dabei jugendliches Aussehen und große Beweglichkeit bewahrt (siehe Ralph Bircher, „ Hunsa — das Volk, das keine Krankheit kennt“ , Hans Huber Verlag, Bern). Anm. des Herausgebers. 39
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Je mehr Zeit verstreicht, um so grö ßer wird bei allen Nahrungsmitteln der Verlust an energischen Eigenschaften, und, um so grö ßer wird auch, besonders beim Fleisch, die Gefahr der Verwesungsgifte. Ob gefroren oder nicht, das Fleisch wimmelt wenige Stunden nach der Tö tung des Tieres von Fä ulnisbakterien. Diese Mikroorganismen kö nnen sich unmö glich vermehren, ohne jene Gifte zu erzeugen, die ihrem Lebensprozeßentstammen. Wenn man also Fleisch ißt, mußman auch die Verwesungsprodukte mitessen. So gleicht, das mußklargestellt werden, die Art des Fleischessens, wie sie in zivilisierten Lä ndern geübt wird, dem Fleischgenuß bei den Eskimos in ä hnlicher Weise, wie etwa Nektar und Ambrosia einer angebrannten Mehlsuppe gleichen mö gen. Wir dürfen nicht vergessen, daß Fleisch schlecht wird, lange bevor unser Geruchsinn es bemerkt, und wir dürfen auch nicht vergessen, daß es eben der Zerfall ist, der das gelagerte Fleisch „zart“ macht. Die meisten zivilisierten Menschen wollen ihre Fleischnahrung aber recht zart haben. Eingemachtes Fleisch, Pö kel- und Rauchfleisch, überhaupt alle Arten von konserviertem Fleisch, haben als Nahrungsmittel den Nachteil, daß sie ihrer Natürlichkeit gä nzlich beraubt sind. Erstens werden sie erst lange nach der Tö tung des Tieres verzehrt; das lebendige Prinzip fehlt ihnen also schon seit langem. Zweitens werden sie ausgiebig bei hohen Temperaturen gekocht; dadurch wird alles zerstö rt, was noch an Vitamin A und C in ihnen enthalten sein kö nnte. Drittens sind sie oft mit Salz oder anderen konservierenden Chemikalien durchsetzt, was wiederum die geringe Menge von Mineralsalzen, die sie enthalten, vermindert oder zerstö rt. Diese Behauptungen sind weder Theorie noch Phantastereien. Die Erfahrungen vieler Polarforscher haben bewiesen, daß Büchsenfleisch sowie alle nicht frischen Fleischarten auch in ungesalzenem Zustand nicht vor Skorbut schützen, wä hrend frisch geschlachtetes ungesalzenes Fleisch den Skorbut an der Weiterentwicklung hindert, ja, ihn noch in vorgeschrittenem Stadium heilen kann. Doch muß es frisch geschlachtetes, nicht ausgeblutetes, ganz (oder fast ganz) roh genossenes Fleisch sein, und mit ihm zusammen mußmö glichst viel von den inneren Organen wie Leber, Herz, Milz, Gehirn usw. verzehrt werden. Auf diese Weise genossen, ist Fleisch natürliche, energetische Nahrung; wie man es aber bei uns genießt, ist es eine denkbar unnatürliche Speise. Fleischbrühen, Fleischextrakte und Suppenwürfel, mö gen sie im Handel noch so hoch angepriesen werden, haben nicht den geringsten wahren Nä hrwert, und man kann sie unter keinen Umstä nden mehr als Energiespender bezeichnen. Die Hitze lö st das tierische Eiweißnicht auf, und alle Mineralsalze, die sich aus dem Fleisch in die Brühe auflö sen lassen, werden durch das lange Erhitzen, das bei der Zubereitung nö tig ist, zerstö rt. Ein berühmter englischer Arzt und Physiologe, Dr. Abernethy, antwortete auf die Frage nach dem Nä hrwert guter Fleischbrühe, sie sei ungefä hr auf dieselbe Stufe zu setzen wie guter Urin. Das ist durchaus wahr. Eine Analyse der Fleischbrühe ergibt einen ganz ä hnlichen Befund wie eine Harnanalyse — und warum sollte es anders sein? Urin ist eine wä sserige Lö sung der verbrauchten Mineralsalze und des Kö rpereiweißes aus Endprodukten der Verdauung, vor allem von Fleisch und anderer eiweißhaltiger Nahrung herrührend. Fleischbrühe ist die wä sserige Lö sung von Extraktivstoffen, welche zum großen Teil aus den Abfallprodukten des Eiweißstoffwechsels und verbrauchten Mineralsalzen bestehen, die das Tier vor seiner Tö tung noch nicht ausgeschieden hatte. Die „anregende“ Wirkung sagt nichts zugunsten der Fleischbrühe 40
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aus. Viele Gifte wie Alkohol und Kokain regen anfä nglich auch an; nachher entkrä ften sie; die Entkrä ftung tritt aber erst in spä teren Stadien oder gar erst im Endstadium ein. Die Reaktion auf alle künstlichen Reizmittel ist Depression. Meine feste Ü berzeugung ist, daß mancher Kranke, der durch Frucht- und Gemüsesä fte hä tte genesen kö nnen, durch den Genußvon Fleischbrühe und anderen schä dlichen Gaben sogenannter Krankendiä t so schwer geschä digt worden ist, daßder Fall hoffnungslos wurde. Eier. Eier, die mit oder ohne Schale leicht gekocht oder weich gesotten werden, sind natürliche Nahrungsmittel, denn durch sehr leichtes Kochen wird ihnen nichts entzogen, es wird nichts hinzugefügt und auch nichts Wesentliches verä ndert. Aber hartgesottene Eier sind durch das lange Kochen entkrä ftet, obwohl sie noch immer als Kö rperbaustoff gelten kö nnen. Rühreier, Eieromeletten und Spiegeleier sind ihrer Natürlichkeit beraubte Nahrungsmittel, genau so wie hartgesottene Eier, mit dem einzigen Unterschied, daßdie letztgenannten schwerer verdaulich sind. Alte oder eingetrocknete Eier sind ungesund, aus dem gleichen Grunde wie altes gelagertes Fleisch schlecht ist. Milch. Vor allem mußgesagt werden, daßdie Milch in den Stä dten nie ganz frisch ist; sie ist sogar oft abgestanden, und diese abgestandene Milch lassen viele Leute noch zu Hause herumstehen, manchmal gar bis zum nä chsten Tag. Wä hrend dieser Zeit schwinden und degenerieren die Gesundheit spendenden Eigenschaften der Milch viel rascher als die kö rperaufbauenden. — Ferner wird die in den Stä dten verbrauchte Milch vor dem Verkauf meistens noch pasteurisiert oder sterilisiert, was bekanntlich die Vitamine vermindert oder zerstö rt. Wie wahr das ist, sieht man an der Tatsache, daß die Ärzte Sä uglingen, die bei pasteurisierter Milch erkranken, zur Heilung rohe Milch verschreiben. — Man sucht die Pasteurisierung damit zu rechtfertigen, daßsie gewisse Krankheitskeime tö tet. Da aber nicht alle schä dlichen Keime getö tet werden, sondern gerade einige der bö sartigsten lebendig bleiben, wird der Wert des Verfahrens als Schutzmaßregel oft angezweifelt. Es mußauch zugegeben werden, daßrohe Milch besser krä ftigt und dem Kö rper grö ßere Widerstandskraft verleiht. Rohe Milch ist daher jeder prä parierten weit vorzuziehen, wenn man sie in sauberem Zustand erhalten kann. Die Erzeugnisse der Natur sind eben, wie wir zwar wissen sollten, aber leider immer noch nicht genügend wissen, in ihrer Art vollkommen, und wir dürfen uns keine Eingriffe unter dem Vorwand der Verbesserung an ihnen erlauben. Gerade die subtilen Energiestoffe des natürlichen Zustandes sind sehr leicht verä nderlich und zerstö rbar. Milch ist die vollkommene Nahrung für Kleinkinder. Für alle Stufen über dem Sä uglingsalter jedoch fehlen ihr Eisen, Kohlehydrate und Zellulose oder Rohfaserstoffe. Wollte ein Erwachsener ausschließlich von Milch leben, was er wohl tun kö nnte, so wä re er gezwungen, weit mehr zu sich zu nehmen, als für alle anderen Bedürfnisse seines Kö rpers notwendig ist, nur damit ihm genügend Eisen, Kohlehydrate und Ballaststoffe zugeführt werden. Das Ü bermaß an Eiweißstoffen und Salzen jedoch, das dem Kö rper auf diese Weise zugeführt wird, kann mit weit weniger Reizung und Anstrengung der Ausscheidungsorgane wieder weggeschafft werden als eine gleiche Ü bermenge dieser Substanzen aus irgendeiner anderen Nahrungsquelle, ganz besonders aus Fleischgerichten. Selbstverstä ndlich nimmt man bei dieser Feststellung an, daß die Milch natürlich, 41
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rein und frisch sei. Wenn ihre Natur dagegen durch irgendeinen Eingriff verä ndert wird, so ist die Behauptung, daß ein Erwachsener mit ihr ohne zusä tzliche Nahrung vö llig gesund leben kö nne, falsch. Unsere Milchversorgung ist aber oft schon von Anfang an unnatürlich, weil wir mit falscher Fütterung des Viehes beginnen. Die Kühe bekommen besonders rationell ausgedachtes Futter, das die Milchabsonderung mä chtig fö rdert. Dieses Futter besteht grö ßtenteils aus Abfä llen menschlicher Nahrungsmittel, die in Fabriken verarbeitet werden. Es sind dies diejenigen Teile unserer Nahrungsmittel, welche die „Sachverstä ndigen“ um der Verfeinerung willen entfernen ließen. Einige dieser Abfä lle stammen aus Getreidemühlen, andere aus Branntweinbrennereien und Brauereien, andere aus Rübenzuckerraffinerien und wieder andere, wie die Melassen, aus Rohrzuckerraffinerien. Es sind selbstverstä ndlich die billigsten Abfä lle, mit Salzen überladen. Sie stammen aus allen mö glichen Quellen, aber alle sind so unnatürlich wie unsere menschlichen Nahrungsmittel. Die Milch, die von so ernä hrten Kühen geliefert wird, mußunnatürlich sein und ist es auch; das gefütterte Vieh ist ebenso ungesund wie die Menschen, die es dazu zwingen, solches Futter zu fressen und daraus Milch zu produzieren. Alle Ärzte wissen heute, daß die Vitamine der Milch vermindert werden oder — vor allem das Vitamin C — ganz verschwinden, wenn die Kühe Trockenfutter statt Frischfutter bekommen; man kann sich daher leicht vorstellen, was für einen Einfluß gar jenes entartete Futter, das unsere Milchkühe erhalten, auf die Marktmilch haben muß. Aber das ist noch nicht alles. Vielfach bleiben die Milchkühe Tag und Nacht angebunden in ihren oft ganz ungelüfteten Stä llen, und oft lä ßt man den Kot sich anhä ufen, bis der Gestank so arg wird, daßein Mensch, der nicht daran gewö hnt ist, nicht mehr atmen zu kö nnen glaubt. Man bedenke doch: die Kühe sind von der Natur dazu bestimmt, frei zu weiden, reine Luft einzuatmen und sich von Nahrungsstoffen, wie sie Gott erschuf, zu ernä hren. Nun werden sie an Ketten gelegt und zum Teil mit Abfä llen gefüttert... Würde unser eigener Organismus seiner natürlichen Bestimmung gemä ß arbeiten, wenn er so behandelt würde? Gewißnicht; er tä te es nicht, weil er es nicht tun kö nnte. Doch da ist mir unversehens ein Irrtum aus der Feder geflossen. Leben denn nicht auch wir Menschen in Hä user eingesperrt, abgeschlossen von Gottes herrlicher freier Luft? Ist nicht unsere Haut eingepackt in so und so viele unnatürliche Hüllen? Ernä hren wir uns nicht großenteils von widernatürlicher Kost? Ja, freilich, und deshalb kann unser Organismus nicht funktionieren, wie Gott es haben mö chte. Und der Organismus einer Kuh kann unter solchen Umstä nden eben auch nicht funktionieren, wie er sollte. Aber das ist immer noch nicht alles. Wenn die Kühe gemolken werden, so geschieht das meistens in dunstigen Stä llen. Nach dem Melken scheidet man wohl auch die Milch, um hernach den Rahm und die entrahmte Milch wiederum in gewissen Proportionen von Milch und Butterfett zu hochwertiger Milch zu mischen, die eine vorgeschriebene Menge von Rahm enthalten muß. Dann wird die Milch zwanzig oder dreißig Minuten lang auf 65 bis 70° C erwä rmt, darauf rasch abgekühlt und bis zur Ablieferung an die Konsumenten kalt aufbewahrt. All dieses wird einem der empfindlichst organisierten Nahrungsstoffe angetan. Daß solche Manipulationen die lebenspendenden Eigentümlichkeiten dieses fein reagierenden Nä hrstoffes nicht beeinträ chtigen, kann im Ernst niemand glauben. 42
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Riesige Mengen solcher Milch werden verdunstet, kondensiert, pulverisiert. Allein die Vereinigten Staaten produzieren jä hrlich anderthalb bis zwei Millionen Pfund konservierter Milch. Ich verurteile diese Milchkonservierungsverfahren nicht. Bei unserer heutigen sozialen Organisation mö gen sie Vorteile bieten, vielleicht sogar notwendig sein. Aber wir sollen wissen, daßsolche Nahrungsmittel entwertet sind, und uns dadurch anspornen lassen, etwas in dieser Richtung zu tun. Rahm. Ohne Zweifel leben diejenigen, die sich den Luxus von viel „gutem, dickem Rahm“ gestatten, bei im übrigen gleichen Lebensbedingungen nicht so lange wie die, welche gezwungen sind, Vollmilch zu nehmen. — Tiere und wildlebende Menschen kennen keinen einzigen abgetrennten Teilnahrungsstoff, wie es unter anderem der Rahm ist. Die Natur hat wohl den Rahm als einen Bestandteil der Milch selber geschaffen; das ganze Gemisch gehö rt aber zusammen, und alle wildlebenden Geschö pfe, die sich von Milch ernä hren, konsumieren die ganze unverä nderte Milch. Nur der Kulturmensch in seinem unaufhö rlichen Bestreben, Gott und die Natur zu überbieten, ist auf den Gedanken gekommen, eine verfeinerte, konzentrierte Milch in Form von Rahm zu gebrauchen. Das soll freilich den Rahm als Nahrung nicht herabsetzen, wenn er durch genügend andere natürliche Kost ausgeglichen wird. Streng zu rügen ist aber jedenfalls die Gewohnheit, Rahm zu genießen. Buttermilch. In der Buttermilch fehlt ein sehr wichtiges Nahrungselement, das Butterfett; der natürliche Ausgleich ihrer Bestandteile ist daher verlorengegangen. Zwar hat die Milchsä ure, welche die Buttermilch sauer werden lä ßt, einen hemmenden Einflußauf die Entwicklung der Fä ulnisbakterien in den Eingeweiden und ihre Giftproduktion. Dieser Vorteil wird aber durch die oft große Zeitspanne, die vergeht, bis die dem lebenden Tiere abgenommene und von seinem Lebenskreislauf getrennte Milch zu Butter wird, zunichte gemacht. Wenn man jedoch genug frische, süße Milch in ihrem natürlichen Zustand zu sich nimmt, ist es unwahrscheinlich, daßder Genußvon Buttermilch in vernünftigen Mengen großen Schaden anrichten kann. Es kann sogar sein, daßsie für gewisse Personen, nä mlich für starke Konsumenten von „gut gelagertem Muskelfleisch“ , sehr bekö mmlich ist. Der Dickdarm solcher Menschen ist mit Fä ulnisbakterien fö rmlich durchsetzt, und die Milchsä urebazillen, welche die Buttermilch sauer machen, sind die natürlichen Feinde dieser Fä ulniserreger. Bloß dürfte Buttermilch nicht zu Fleischmahlzeiten genossen werden. Noch von einem andern Gesichtspunkte aus ist Buttermilch entwertete Nahrung und daher in gewissem Maße unbekö mmlich, und zwar in bezug auf die Salzmenge, die sie enthä lt. Da schon kleine Zugaben von Salz in der Buttermilch auf den menschlichen Kö rper nachteilig wirken, um wie viel schlimmer sind dann die Fä lle, in denen Leute, wie ich selber gesehen habe, halbe Teelö ffelvoll Salz in die ohnehin salzige Buttermilch schütten — dies übrigens ein neuer Beweis dafür, daß Kulturmenschen leben, wie sie wollen, nicht wie sie sollen. Butter. Dieselben Bemerkungen, die ich bereits über den Rahm machte, gelten auch für die Butter. Sie kann in gewissem Sinne als natürliches Produkt betrachtet werden; dennoch ist sie eine sehr unnatürliche Nahrung. Natürlich ist sie in dem Sinne, daßsie nicht auf künstlichem Wege hergestellt wird, aber unnatürlich insofern, als die Natur sie nicht in der Form, in welcher wir sie genießen, liefert. — Kein wilddiebendes We43
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sen nimmt irgendein ä hnlich einseitiges Nahrungsmittel zu sich. Nur die zivilisierten Menschen konnten auf den Gedanken der Lostrennung und selbstä ndigen Verwertung dieses Bestandteiles eines der wichtigsten Nahrungsmittel verfallen. Käse. Dieselbe Unnatürlichkeit zeichnet auch Kä se jeder Gattung aus. Kä se ist keine natürliche Kost, denn er ist von den anderen Bestandteilen der natürlichen Vollmilch abgesondert worden. Es ist zwar nicht zu bestreiten, daßdie kö rperaufbauenden Eigenschaften des Kä ses gut sind, aber ich habe schon mehrmals darauf hingewiesen, daßwir mehr als Kö rperaufbau brauchen; wir brauchen auch Widerstandsfä higkeit und Lebenskraft, und beide finden sich in den natürlichen Nahrungsstoffen nicht mehr. wenn unsere „Verbesserungskunst“ sich an ihnen versucht hat. Alle diese Milchprodukte, ich wiederhole es, lehne ich nicht ab; ich versuche nur aufzuzeigen, daß sie ihre Natürlichkeit verloren haben. Diese teilweise Entwertung sollte durch Konsumierung genügender Mengen von Nahrungsmitteln, welche die Mä ngel ausgleichen, aufgehoben werden. Zucker. Unter Zucker versteht man meistens das aus dein Saft des Zuckerrohrs oder der Zuckerrübe zubereitete Produkt, wie es im Handel vertrieben wird. In seinem braunen, unraffinierten, leicht feuchten Zustand ist dieser Zucker in gewissem Sinne ein natürliches Nahrungsmittel, das — mit aromatischen Eigenschaften ausgestattet — aus einem Saccharid- oder Süßstoff, Eiweißstoffen, gewissen Harzen, Gummi und Mineralsalzen besteht. In Wirklichkeit ist unser Zucker aber doch kein Naturprodukt! Natürlich ist nur der Saft, aus dem man ihn bereitet. doch wird dieser Saft bei der Zuckerfabrikation künstlich durch Hitze konzentriert, und dabei werden die natürlichen Verhä ltnisse zwischen den einzelnen Bestandteilen, aus denen er zusammengesetzt ist, zerstö rt. Ein ausgiebiger Gebrauch sogar des „natürlichen“ braunen Zuckers wird daher ohne Zweifel das Gleichgewicht jeder denkbaren Diä t beeinträ chtigen. Aber in seinem „natürlichen“ braunen Zustand wird der Zucker heutzutage selten benützt. An seine Stelle ist fast überall der weiße, raffinierte Zucker getreten. In solchem Zucker ist tatsä chlich von seiner Natur nichts übrig geblieben als der Süßstoff, das Saccharid. Nachdem der Zucker mittels Filterung durch gebrannten Knochenstaub oder Mehl gebleicht worden ist, behandelt man ihn mit Waschblau, um ein noch intensiveres Weißzu erzielen, nicht unä hnlich der Wä sche, die nach ihrer Reinigung auch „geblä ut“ wird. In welcher Menge auch immer man diesen weißen Zucker verzehrt, und gleichgültig, welche Speisenauswahl dies betrifft, stets wirkt er gleichgewichtsstö rend in der allgemeinen Zusammensetzung der kö rperaufbauenden Nä hrstoffe, denn weißer Zucker, das ist nicht schwer einzusehen, ist so weit entfernt von Natürlichkeit wie die Hö lle vom Himmel. Rohrzucker, brauner oder weißer, ist chemisch betrachtet ein Polysaccharid. Dies bedeutet unter anderem, daßer nicht direkt ins Blut aufgenommen werden kann. Bevor er als Nahrung wirken kann, mußer durch die Sä fte gewisser Zellen, die dem Verdauungskanal entlang angeordnet sind, in ein Monosaccharid verwandelt werden, eine einfachere Form von Zucker. Hierin liegt ein großer diä tischer Nachteil. Wird Rohrzucker allein gegessen, so geht diese Umwandlung ohne Schwierigkeit vor sich. Aber ohne Zugabe verzehrter Rohrzucker hat die unangenehme Eigenschaft, die Schleimhä ute des Magens zu stark zu reizen. Außerdem kann weißer Zucker niemals in irgendeinem Sinne auch nur als kö rperaufbauend angesehen werden, wä hrend brauner, 44
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roher Rohrzucker wenigstens einige kö rperbildende Stoffe in Form von mineralischen Salzen liefert; aber sogar brauner Zucker kann grö ßtenteils nur Kö rperwä rme produzieren, und weißer Zucker überhaupt nichts anderes. Trotz alledem stehen wir der rä tselhaften Tatsache gegenüber, daßan recht heißen Sommertagen die Leute gesüßte Geträ nke in großen Mengen hinunterstürzen und süße, kalte Cremes und Gefrorenes verschlucken, in der Einbildung, sich abzukühlen, obwohl es erwiesen ist, daßjeder Schluck dem Kö rper zusä tzliche Warme zuführt. Weißer Zucker versieht den Kö rper mit einer unglaublichen Menge von Kö rperwä rme. Erhä lt der Kö rper aber zuviel dieser Wä rme, was sehr leicht vorkommen kann, so werden zu große Anforderungen an den die Kö rperwä rme regelnden Mechanismus gestellt, denn der Kö rper ist weder anatomisch noch physiologisch darauf eingerichtet, so konzentrierte Wä rmezufuhr auszunützen. Es leuchtet daher ohne weiteres ein, daß es für den menschlichen Organismus physiologisch unmö glich ist, von solcher Nahrung ausgiebigen Gebrauch zu machen, ohne die Organe zu überanstrengen. Anderseits wird der Zucker, in grö ßeren Mengen mit anderen Speisen zusammen genossen, nur langsam aufgenommen, und wä hrend dieses Vorgangs kann, besonders in einem langsam arbeitenden Magen, eine Gä rung stattfinden, durch welche Kohlendioxyd (C02) und andere Sä uren erzeugt werden, unter Umstä nden auch etwas Alkohol. In Anbetracht der Menge anderer Wä rme zuführender Nahrungsmittel, der Fette und der Stä rken, die man zu gleicher Zeit zu sich nimmt, sollte selbstverstä ndlich die Zuckerration zuweilen noch doppelt vorsichtig bemessen werden. Eine Gefahr des Zuckers liegt auch in seiner unnatürlichen Konzentration. Die Natur erzeugt den Zucker im Zuckerrohr und in der Zuckerrübe, die ihn in mehr oder weniger starker Verdünnung enthalten. Tiere fressen diese Futtermittel in ihrem ganzen, unbeeinträ chtigten Zustande, und dies bekommt ihnen sehr gut dank der in diesem Zuckergehalt vorhandenen Kohlehydrate und der damit verbundenen Harze, Gummistoffe, Salze usw. Plantagenarbeiter sollen sehr zum Vorteil ihrer Gesundheit das rohe Zuckerrohr kauen; Arbeitstiere fressen es und gewinnen daraus die genannten Nahrungsqualitä ten in den von der Natur gewä hlten Verhä ltnissen und in vollkommener Zusammenstellung. Es ist ja auch nicht anders zu erwarten, als daßder Genußnatürlicher Nahrungsmittel letzten Endes alle Bedürfnisse besser befriedigt als der beste Ersatz. Man gebe der Natur die Mö glichkeit freier Verfügung, und sie wird stets (scheinbar) Wunder wirken. Das Unnatürliche dagegen verwüstet die Einrichtungen des menschlichen Kö rpers; und der Teufel der Unnatürlichkeit ist von der Zivilisation zum Gö tzen erhoben worden, der ihr Verderben bringt. Primitive Menschen und wilde Tiere wissen nichts von Zuckerkrankheit; sie kennen allerdings auch den raffinierten Zucker nicht. David Livingstone, so wird berichtet, fristete sein Leben in Afrika lange Zeit hindurch mit einer tä glichen Ration von wenigen Stücken Zuckerrohr. Er erfreute sich Jahr für Jahr bester Gesundheit, wohingegen keiner seiner weißen Begleiter das Klima der ä quatorischen Urwä lder lä nger als ein Jahr aushalten konnte, weil sie mit der komplizierten Kost, deren sie zu bedürfen glaubten, nicht zweckmä ßig ernä hrt waren. Weißer Zucker ist nun zwar der konzentrierteste Nahrungsstoff, den wir besitzen. In Nordamerika aber verbraucht jeder Mann, jede Frau, jedes Kind durchschnittlich hundert Pfund im Jahr, und das ist zuviel. Außerdem konsumieren die Amerikaner noch riesige Mengen der nä chstkonzentrierten Nä hrstoffe, des weißen Mehls und der verfeinerten Getreidespeisen, die ebenfalls bedeutende Wä rme erzeugende Wirkungen aus45
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üben. Dazu werden noch große Quantitä ten entwerteter, geschä lter und entwä sserter, gesalzener und zerstoßener oder zu Brei gerührter und gebackener Kartoffeln gegessen, gleich große Mengen konzentrierter Tafelsirupe, verfeinerte Erzeugnisse der Zukkerraffinerien geschluckt, Konfitüren, Marmeladen, Fruchtgelees, alle mit weißem Zucker hergestellt, verzehrt. Deshalb ist Nordamerika mit seiner Anzahl von Zuckerkranken führend in der Welt. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der Gebrauch von Zucker in seinem raffinierten Zustande für uns überhaupt bloßmö glich ist, weil die gute Natur ihre Gaben uns Sterblichen freigebig austeilt und uns einen Ü berschuß an Lebenskraft über unsere tä glichen Bedürfnisse hinaus zugesprochen hat, der uns befä higt, eine Zeitlang bedeutende Anstrengungen der Organe und der Zellen auszuhalten. Aber niemand kann wissen, wie lange es dauert, bis dieser Ü berschußbeim einzelnen erschö pft ist. Ahornzucker ist auch Rohrzucker und, solange er nicht raffiniert wird, ein natürliches Produkt. Aber in unserer zivilisierten Welt findet er zu selten Verwendung, um irgendeinen wirklichen Einfluß zu haben. Und in den jüngsten Jahren hat sich die Verfeinerungsleidenschaft auch auf ihn ausgedehnt, obwohl bis jetzt noch nicht sein ganzer Ahorncharakter aus ihm herausraffiniert werden konnte. Zuckersirup (Melasse). Das ist die nicht kristallisierbare „Mutterflüssigkeit“ , die aus dem kristallisierten braunen Zucker wä hrend der Zuckerbereitung aus Zuckerrohr abgezogen wird. In früheren Zeiten des Plantagenzuckers und sogar in den Anfä ngen des Raffinierens hatten die Melassen jede Eigenschaft des Rohrsaftes, weil bloß ein Teil der Süßstoffe als Zucker aus ihnen entfernt worden war. Aber die Melassen aus modernen Raffinerien sind etwas ganz anderes. Sozusagen alle Saccharose ist entfernt, und eine sehr stark schmeckende Flüssigkeit bleibt zurück, die im allgemeinen als zu reich an Salzen angesehen werden muß. Wä hrend weißer Zucker an Mineralsalzen arm ist, ja nahezu keine enthä lt, entdecken wir bei den Melassen den entgegengesetzten Fehler, weil die besonderen Salze, welche die Natur dem Zucker beigibt und die in ihm verbleiben sollten, fast gä nzlich in die Melasse übergehen. So sind die Melassen ebensoweit von der natürlichen Beschaffenheit des Zuckers entfernt wie der Zucker selber, nur in entgegengesetztem Sinne. Kornsirup (Glukose). In der Theorie wird der Kornsirup für eine zuträ gliche Nahrung gehalten, und wenn er chemisch rein wä re, sollte er so leicht verdaulich sein wie reiner Honig, denn auch Glukose ist ein Monosaccharid und kann direkt, das heißt, ohne Umsetzung, verdaut werden. Ü berdies ist Glukose gerade die Form, auf welche Zucker oder Kohlehydrate aller Gattungen durch die Zellentä tigkeit des Kö rpers zurückgeführt werden, bevor der Blutkreislauf sie aufnimmt. Reine Glukose würde daher eine große Energieersparnis für den Kö rper bedeuten, weil kein Kraftaufwand mehr benö tigt wird, um sie für die Aufnahme und die endliche Oxydierung in den Geweben zwecks Freimachung von Kö rperenergie und Wä rme vorzubereiten. Allerdings müßte die Glukose in kleinen Mengen gebraucht werden, damit Ü bermaßvermieden wird. In der Praxis lä ßt sich gegen Kornsirup einwenden, daßer ebenso konzentriert und dadurch ebenso naturfremd ist wie weißer Zucker, ebenso arm an mineralischen Salzen, Gummi, Harzen, aromatischen Eigenschaften, Zellulose und Vitaminen. Auch ist er selten chemisch rein, denn durch die Chemikalien, die bei seiner Erzeugung verwendet werden, wird er leicht verdorben, und der Konsument hat keine Mö glichkeit zu 46
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erkennen, ob die Ware rein ist oder nicht. In der Wahl zwischen unverdorbenem Kornsirup und raffiniertem weißem Zucker zu gleichen Teilen müßte der Vorzug jedoch immerhin dem Kornsirup gegeben werden, da er die Gefahr der Gä rung wä hrend des Verdauungsprozesses. nicht in sich trä gt. Er mußsich diesem Prozesse ja gar nicht unterziehen; wie er ist, kann er sofort absorbiert werden. Glukose in reinem Zustand mag sogar von vielen als gutes Nahrungsmittel angesehen werden; doch wer der Natur folgen will, wird sich seine eigene Meinung darüber bilden, die mit derjenigen der Glukosefabrikanten nicht ganz übereinstimmen kann. Konservierte Frü chte. Alle Arten süßeingemachter Früchte sind in weißem Zucker konserviert. Sogar in natürlichem braunem Zucker eingemacht, wä ren sie weit entfernt von einem natürlichen Nahrungsmittel; aber der unausgeglichene weiße Zucker verdirbt sie vollstä ndig. In Rohrzucker eingemachte Früchte erzeugen fast immer Gä rung, es sei denn, sie werden nur in bescheidenen Mengen genossen. Für die meisten Leute sind sie schwer verdaulich. In viel Zucker eingemachtes Obst ist immer schä dlich. In Essigsaucen eingemachte Früchte sind überhaupt keine Früchte mehr und besitzen auch keinen der den Früchten eigenen Nä hrwert. Ü ber ihre Unnatürlichkeit kann daher kein Zweifel herrschen. Dagegen stehen Früchte, welche durch Dö rren, das heißt Wasserentziehung, konserviert wurden, frischen Früchten nä her im Wert, wenn das Dö rren in der richtigen Art und Weise stattgefunden hat. In gedö rrten Früchten ist nicht bloßeine Ü berfülle an Mineralsalzen vorhanden, sondern auch ein großer Reichtum an Energie in dem überaus reichhaltigen Fruchtzuckervorrat. Dieser Fruchtzucker ist ein Monosaccharid und wird ohne Umsetzung durch die Sä fte des Verdauungskanals verarbeitet. Er wird unmittelbar absorbiert und dient daher dem Kö rper sofort als Quelle von Lebensenergie, ohne die Kö rperkrä fte zur Vorbereitung der Oxydation in Anspruch zu nehmen, ein Vorgang, durch den in vielen Fä llen potentielle Energie erst in verfügbare verwandelt werden muß. Früchte haben auch, ob in gedö rrtem oder in frischem Zustand genossen, darmregulierende Wirkung und verhindern auf diese Weise die Bildung von Fä ulnis und Verwesung im Verdauungskanal. Getrocknete Früchte kommen gleich nach den rohen Früchten. Die besten getrockneten Früchte sind die an der Sonne gedö rrten, denn sie erhalten durch die Aufnahme gewisser Energieschwingungen der Sonnenstrahlen den Impuls zur Belebung. Jedoch auch die in Dö rranlagen getrockneten Früchte haben ausgesprochenen Nä hrwert; ihnen ist bloßdas Wasser entzogen worden, und wenn natürliches rohes Obst nicht zu haben ist, kö nnen sie ausgezeichnete Dienste leisten. Werden aber die Früchte wä hrend der Trocknung geschwefelt oder mit andern Chemikalien behandelt, was so oft geschieht, damit sie ihre Farbe beibehalten, so verä ndern sie sich selbstverstä ndlich zu ganz unnatürlicher Nahrung. In Büchsen oder Flaschen mit wenig oder keinem Zucker eingemachtes Obst ist viel wertvoller als solches, das zu Marmelade, Gelee, Fruchtsaft usw. in stark zuckerigen Lö sungen verarbeitet wurde. Derartiges Obst büßt zwar durch das Schä len und das Erhitzen einen Teil seines Vollwertes ein, aber es wä re unwahr, zu behaupten, daßin der richtigen Weise eingemachte Früchte in irgendeiner Beziehung schä dlich seien. 47
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Der Genußwirkt weniger gesundheitsfö rdernd als der Genußder natürlichen Früchte; aber sie sind sehr viel wertvollere Kost als süß konserviertes Obst in allen Formen. Vor allem haben sie nicht den Nachteil der Verbindung mit einer Menge Rohrzucker. Wenn nun aber auch solche Früchte in Zeiten, wo natürliches Obst nicht zu haben ist, an dessen Stelle treten kö nnen, darf man doch nie vergessen, daßsie in Wirklichkeit kein vollwertiger Ersatz für natürliches Obst sind. Diese Feststellung gilt für alle Nahrungsmittel, die in irgendeiner Weise behandelt werden. Eingemachtes Gemü se. Beim Einmachen von Gemüsen wird meist die Einwirkung von Hitze zu Hilfe genommen. Der grö ßte Nachteil solcher Methoden ist, daß dabei die Vitamine leicht zerstö rt werden. Freilich besteht noch ein anderer Nachteil. Je rascher nä mlich eine Speise verzehrt wird, nachdem sie gekocht worden ist, desto gesünder ist ihre Wirkung; denn die Speisen verlieren nach dem Kochen ihre Lebenskraft spendende Wirkung bald. Alle Nahrungsmittel, die lange aufbewahrt werden, büßen, auch wenn sie nicht gekocht worden sind, an Kraftwirkung ein. Altes Obst und Gemüse, altes Fleisch und alte Eier sind weniger wertvolle Nahrung als die gleichen Lebensmittel im frischen Zustand. Ich will damit nicht sagen, daß sie die Fä higkeit, Knochen und Gewebe aufzubauen, verlieren; aber sie haben keine Kraft mehr, den Kö rper zu beleben, ihn mit Widerstandskraft auszustatten. Büchsengemüse erscheinen zwar ä ußerlich noch als natürliche Nahrungsmittel, enthalten aber dennoch keine Naturkraft mehr. Die unnatürlichste Art der Gemüsekonservierung ist das Einpö keln. Wie die Essigfrüchte keine Früchte mehr sind, so kann auch das eingepö kelte Gemüse nicht als wirkliches Gemüse angesehen werden, weil es im Kö rper nicht mehr als Gemüse wirkt. Beim Einpö keln tritt ja noch ein anderer Bestandteil zur Kochhitze hinzu: der Essig, durch den die Verdaulichkeit und der Nä hrwert schwer beeinträ chtigt werden. Frisches Gemü se. Dies wä re ein lohnendes Thema für ein ganzes Buch. Viele Kapitel kö nnte ich füllen mit der Beschreibung der Verfahren, durch welche die zivilisierte Menschheit dieses wertvollste aller Nahrungsmittel verdirbt. Leider kann ich nur allgemein auf diese Verkehrtheiten hinweisen. Ich hoffe jedoch, daß es mir gelingt, den Leser davon zu überzeugen, wie außerordentlich wichtig es ist, aufzuwachen und sich abzuwenden von den falschen Auffassungen und Methoden einer unwissenden Vergangenheit. Die Gemüse sind ganz bedeutende Energiespender, eine natürliche Quelle krä ftiger Belebung des menschlichen Kö rpers. Besonders vorteilhaft ist, daß sie auch beim Lagern verhä ltnismä ßig lange ihre lebenspendende Kraft beibehalten. Und doch bezieht der Kulturmensch nur geringe Lebensimpulse aus dieser großen natürlichen Quelle. Warum? Weil man die Gemüse bei der Zubereitung verdirbt. Es ist eine Tatsache, daß die meisten in unseren Küchen zubereiteten Gemüse zu stark gekocht — und gewö hnlich verkocht werden. „Gute Kö che“ und „gute Kö chinnen“ sind meistens überzeugt, daß Gemüse gekocht werden müssen, bis sie weich sind, und bei blä ttrigen Gemüsen bedeutet dies das Stadium, wo sie beinahe ihre ganze ursprüngliche Farbe verloren haben. Kluge Leute würden diese Dummheit nicht begehen, wenn sie wüßten, daßdie Gemüse desto lebensä rmer werden, je lä nger man sie kocht. Auch würde sie niemand so weich gekocht verzehren, wenn es allgemeiner bekannt wä re, wie wertvoll für die Verdauung und die Erhaltung der Zä hne das Kauen der weniger durchgekochten oder rohen Gemüse ist. Und davon abgesehen: wie sehr, 48
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wie vollstä ndig zerstö rt so langes Kochen den feinen Geschmack und das zarte, den Gemüsen eigene Aroma! So entwertend und daher tö richt das allgemein übliche lange Kochen der Gemüse aber auch ist, es stellt doch erst die letzte der Maßnahmen zur Nahrungsentwertung dar, deren sich „gute Kö che“ schuldig machen. „Gute Kö che“ waschen zuerst das Gemüse sehr gründlich. Das geschieht auch ganz zu Recht, vorausgesetzt, daßes bei einem bloßen Abwaschen bleibt. Aber oft lä ßt man die Gemüse lange Zeit im Wasser liegen und wä scht sie dann noch gründlich durch. Ich habe bereits erlä utert, welchen Wert die mineralischen Salze für die Ü bertragung der Lebenskraft auf den menschlichen Kö rper und daher für dessen Gesundheit haben. Wenn man nun die Gemüse in der oben beschriebenen Art einweicht, so wird ein beträ chtlicher Teil der wertvollsten Mineralsalze herausgeschwemmt, und ebenso ein Teil des zarten Aromas, das an diese Salze gebunden ist. Der „gute Koch“ geht aber noch weiter. Er — oder sie — gießt das Wasser, in dem das Gemüse gekocht worden ist, unfehlbar in den Schüttstein. Die „allerbesten Kö che“ tun sogar noch mehr: Sie kochen die Gemüse zweimal in Wasser und gießen nach jedem Kochen das Wasser sorgfä ltig ab. Und die „wirklich Sachverstä ndigen“ fügen dem Kochwasser stets ein wenig Salz und eine Messerspitze Soda bei. Wie viele mineralische Salze, Vitamine und andere energiespendende Stoffe enthalten die Gemüse nach all diesen Prozeduren der „Fachleute“ noch? Ich will es glatt heraussagen, für den Fall, daß jemand die Antwort nicht selber finden sollte: keine. Der Leser kö nnte seine Familie ebensogut mit Sä gemehl füttern. Eine weitere schlechte Angewohnheit der „guten Kö che“ besteht darin, fettes Fleisch mit gewissen Gemüsen wie Kohl, Rosenkohl usw. zusammen zu kochen. Auch den Brauch, die Wurzelgemüse wie Rüben, Karotten, Runkelrüben und andere dick zu schä len, darf ich nicht verschweigen. Das ist zwar schlechte Praktik; sie kann aber hingehen, wenn die Gemüse nicht allzu „gut“ durchgekocht werden; denn im Gegensatz zu den Kö rnerfrüchten sind Salze und Zellulose in den Wurzelgemüsen in der Regel gleichmä ßig durch die ganze Substanz der Wurzel verteilt, abgesehen von wenigen Ausnahmen, zu denen die Kartoffel gehö rt. Wie sollen denn aber Gemüse gekocht werden? Ich antworte, daßdie meisten aus den schon angegebenen Gründen überhaupt nicht gekocht werden sollten. Das Kochen zerstö rt ihre lebenspendenden Krä fte, wenn auch nicht immer die kö rperaufbauenden Eigenschaften. Gekochte Gemüse sind tote Gemüse. Ungekochte Gemüse sind Energieträ ger und Lebenspender, bis sie in Zersetzung übergehen. Diese lebenspendende Beschaffenheit wird man begreifen kö nnen, wenn man bedenkt, wie lange Zeit ungekochtes Gemüse sich „hä lt“ , wie rasch dagegen gekochtes verdirbt. Die Bakterien der Zersetzung kö nnen die lebende Gemüsepflanze nur schwer angreifen; die gekochte jedoch, aus der das Leben mit seiner Kraft entflohen ist, bietet dem Angriff der Gä rungs- und Fä ulnismikroben freies Feld. Bauen wir unseren Kö rper aus diesen entwerteten, vitaminarmen und naturwidrigen Nahrungsmitteln auf, aus gekochten Gemüsen, denen die Minerale, die Salze und die Lebenskrä fte entzogen wurden, die von Soda durchträ nkt und von Hitze zerstö rt sind, so bedeutet das geradezu eine Einladung an die Bakterien, uns zu überfallen. Leider wird wohl ein Menschenalter vergehen, bevor diese Wahrheiten über Lebenskraft spendende Nahrung in den Kö pfen der Kulturmenschen Eingang zu finden beginnen. Bis dahin werden die meisten von uns gekochtes, totes Gemüse essen. Welch trostreiche und erfreuliche Aussicht! 49
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Wenn das Gemüse aber schon gekocht sein muß, so sollte es wenigstens richtig gekocht werden — sofern man überhaupt bei einer verkehrten Handlung von einer richtigen Art der Ausführung sprechen kann. Es gibt freilich Gemüse, welche gekocht werden müssen — aber auch sie dürfen niemals stark gekocht werden. Die richtige Art des Kochens für alle Gemüse ist Backen oder Dünsten. Weder Butter noch Fett noch Salz noch Würze dürfen wä hrend des Kochens hinzugefügt werden. Kartoffeln. Der Kartoffel müssen wir als Hauptnä hrstoff nach den Kö rnerfrüchten einen besonderen Abschnitt einrä umen. Die Kartoffel besteht zum großen Teil aus Stä rke. Ihre durchschnittliche Zusammensetzung ist folgende: 2½ % Eiweißstoffe, ½ % Mineralstoffe, 20% Kohlehydrate (hauptsä chlich Stä rke) und 76 % Wasser. Aus dieser ungefä hren Analyse geht hervor, daß die Kartoffel eine ungewö hnlich große Menge Mineralstoffe enthä lt. Das allein schon ist von außerordentlicher Bedeutung; besonders wichtig ist jedoch, daßdiese Mineralstoffe in der Hauptsache aus Natrium, Kalium, Kalzium und Eisen bestehen, alles Alkalien oder Basen, und zwar — abgesehen vom Kalzium — die für die Erhaltung unserer Gesundheit wichtigsten Basen. Deshalb ist die Kartoffel das einzige stä rkereiche, von den zivilisierten Vö lkern benützte Nahrungsmittel, welches dem Blut und den Geweben einen Ü berschußan basischen Mineralstoffen gegenüber den Sä uremineralien liefert. Sie hat für ein so stä rkereiches Nahrungsmittel eine ungewö hnlich gute chemische Beziehung zum Blut und ist eine erstklassige Energiequelle. Sie ist auch eine der verhä ltnismä ßig seltenen Quellen für das Vitamin C, jenen wichtigen Wirkstoff, der Skorbut verhütet. Kartoffeln enthalten zum mindesten zwei Drittel mehr Eisen — Pfund gegen Pfund gewogen — als die teuerste Sorte Rosinen, und Rosinen werden ja ihres Eisengehalts wegen allgemein geschä tzt. Stellt man auch noch die Preise einander gegenüber, so müssen Kartoffeln als die weitaus billigste Quelle für das vom menschlichen Kö rper benö tigte Eisen gelten. Ihr Eiweißgehalt ist zwar relativ gering, jedoch von hö chster Qualitä t. Alle diese wertvollen Eigenschaften kö nnen sich aber nur entfalten, wenn die Kartoffel richtig zubereitet wird, das heißt, wenn man ihre natürlichen Sä fte zusammenhä lt, um sie mitverzehren zu kö nnen. Das ist bloßdann der Fall, wenn man die Kartoffeln in ihrer Schale rö stet, brä t oder kocht. Niemals dürfen sie wiederholt aufgewä rmt werden. Außerdem geht aus allem, was schon bei den anderen Nahrungsmitteln gesagt worden ist, klar hervor, daßdie Kartoffel ihre belebende und energiespendende Wirkung um so besser ausüben kann, je weniger sie über den frühesten Zustand der Schmackhaftigkeit hinaus gekocht wird. Was aber machen unsere Kö che und Kö chinnen aus diesem wertvollen Nä hrmittel? Fast immer werden die Kartoffeln geschä lt, und dann lä ßt man sie meist lä ngere Zeit, manchmal einen halben Tag lang, in Wasser liegen, gießt es aber ab, bevor die Kartoffeln aufs Feuer kommen. So gehen die wertvollen Mineralsalze verloren, denn sie lö sen sich im Wasser auf und werden mit ihm fortgegossen. Schließlich kocht man die Kartoffeln in Salzwasser, bis sie „mehlig“ sind, und gießt dann auch das Kochwasser ab. Was geht mit dem Wasser verloren? Nur Wasser? 0 nein: die Gesundheit lä uft sprudelnd und gurgelnd in Form von Vitamin C, Kalzium, Natrium, Eisen, etwas Chlor, Phosphor, Magnesium, Schwefel und anderem mehr durchs Schüttsteinloch hinunter. Auf diese Weise gekochte Kartoffeln befinden sich schon in einem denkbar unnatürlichen Zustand. Nun werden sie aber oft noch in heißem Fett gebraten und mit Pfef50
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fer und Salz schmackhaft gemacht, manchmal auch mit Butter vermischt und zu Brei gestoßen. Hä ufig schneidet man sie auch in Scheiben und Stä bchen und bä ckt sie im kochenden Fett als pommes frites, Nie wird ein guter Koch auf die Idee kommen, sie einfach in der Schale zu kochen oder zu backen, denn das wä re viel zu simpel. Was ein Beweis mehr für meine Behauptung ist, daß die zivilisierte Welt den richtigen Weg verlassen hat, um mö glichst unnatürlich zu leben. Selbstverstä ndlich wä re diese Tatsache von geringer Bedeutung, wenn unnatürlich leben (das heißt den Naturgesetzen zuwider leben) keine bö sen Folgen hä tte. Aber gibt es denn irgendeine noch so kleine, gegen die Absichten der Natur ausgeführte Handlung, die ohne schä dliche Folgen bleibt? Wer kann auch nur ein einziges solches Beispiel nennen? Die Frage beantwortet sich schon, indem man sie stellt, und kein vernünftiger Mensch wird sie überhaupt ernstlich stellen. Honig. Was braucht der Mensch künstlichen, raffinierten, konzentrierten Zucker, um sein Bedürfnis nach Süßigkeit zu befriedigen, wo wir doch im Honig einen durchaus natürlichen Süßstoff besitzen? Der Honig war seit den grauen Anfä ngen der uns bekannten Menschheitsgeschichte und wahrscheinlich schon unendliche Zeiten vorher der einzige Süßstoff; unsere Zuckergewohnheit ist erst 7 bis 12 Jahrzehnte alt. Seither genügt uns der Honig, dieser kö stlichste aller Süßstoffe, dieses edle Erzeugnis der Natur, nicht mehr; in lä cherlicher Gier verlangen wir nach unnatürlichem Sirup, nach naturwidrigen Zuckersä ften und gezuckerten Speisen. Die Insekten sind klüger als wir. Honig ist reich an Zuckereigenschaften, sehr reich (ungefä hr 25 %) an Mineralsalzen, reich an Gummistoffen, Harzen und aromatischen Eigenschaften. Er ist ein natürliches Monosaccharid. Kaum im Magen aufgenommen, ist er bereit, augenblicklich ins Blut überzugehen, ohne daß die Verdauungssä fte dabei chemische Umsetzungsarbeit zu leisten hä tten. Er reizt die Schleimhä ute eines normalen Magens nicht. Er wirkt leicht abführend. Er neigt nicht zur Gä rung und auch nicht dazu, Gä rung in anderen Nahrungsmitteln hervorzurufen, wie es der weiße Zucker tut. Freilich ist der Honig so wohlschmeckend, daßman leicht in Versuchung gerä t, zuviel davon zu verzehren. Sü ß e Frü chte. Eine weitere ausgiebige und kö stliche Quelle von Süßstoffen zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Zuckernahrung (dessen allgemeines Vorhandensein physiologisch begründet sein muß) bieten die von Natur süßen Früchte, die Datteln, Feigen, Rosinen usw., die alle viel natürlichen Zucker enthalten, ein Monosaccharid, das keiner Verdauung noch Umsetzung bedarf. Diese Früchte nä hren den Kö rper, wie sie ihn auch krä ftigen, und ihr Genußträ gt dazu bei, der Fä ulnis anderer Speisen im Darme vorzubeugen; zu gleicher Zeit helfen sie den Darm entleeren. Frisches Obst. Frisches Obst ist von allen Nahrungsmitteln, die wir kennen, der beste Basenbildner für Blut und Kö rperl-gewebe, gerade wie der raffinierte Zucker unter allen menschlichen Nahrungsstoffen zu den grö ßten Sä urebildnern gehö rt. Frische Früchte sind auch eine der besten Quellen des sehr unbestä ndigen Vitamins C, das dem Skorbut und einer ganzen Reihe von ä hnlichen, aber weniger leicht erkennbaren Beschwerden — wahrscheinlich frühen und langsam fortschreitenden Formen des Skorbuts — entgegenwirkt. Wenn wir uns überessen oder zwischen den Mahlzeiten essen, wenn wir ausgiebig Fleisch, Eier, Kä se, Fisch und andere stark eiweißhaltige Kost zu uns nehmen, ver51
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mehren sich die Fä ulnisbakterien unter dem im Verdauungskanal enthaltenen Nahrungsabfall außerordentlich rasch. Die von diesen Bakterien erzeugten Zersetzungsprodukte werden vom Blute übernommen und bilden die wichtigste Ursache für die Erscheinungen der Selbstvergiftung. Frische Früchte aber haben die Kraft, die Fä ulnisbakterien abzutö ten und auf diese Weise die Selbstvergiftung zu verhüten. Frische sä uerliche Früchte besitzen diese Kraft in hö herem Grade als süße oder als getrocknete, die sie jedoch auch in einem gewissen Maße aufweisen. Jeder Fleischesser sollte sich daher zum mindesten für einen Tag wö chentlich — besser noch mehrere Tage hintereinander — auf reine Obstdiä t setzen, um das Einnisten von Krankheiten hinauszuschieben. Aber welcher zivilisierte Mensch, außer etwa einem verschrobenen Sonderling, wird Obst in einer anderen Gestalt als den sä urebildenden Konserven zur menschlichen Nahrung rechnen? Und doch mußein Mensch, der lernen will, nie mehr krank zu sein, gerade das Gegenteil einsehen. Früchte kö nnen zarte Gaumenfreuden bereiten, aber das ist nicht ihre Bestimmung im Plane der Natur. Sie sollen nicht erst am Ende einer Mahlzeit genossen werden und den bereits überfüllten Magen noch weiter füllen, und man soll sie eigentlich auch nicht zwischen den Mahlzeiten essen. Die frischen Früchte gehö ren zu unseren wichtigsten und besten Nahrungsmitteln und müssen als wesentlicher Teil mancher ganzen Mahlzeit verwendet werden, eigentlich als ihr Hauptbestandteil. Wird aber je zwischen den Mahlzeiten gegessen, so sollen es doch Früchte sein; nur sollte man sie nicht eine Stunde vor oder zwei Stunden nach einem Mahl verzehren, besonders nicht, wenn die Mahlzeit stä rkehaltig war. Nü sse, Mandeln usw. Wer würde diese Früchte je als normalen Bestandteil einer Mahlzeit ansehen? 0 ja, gelegentlich als Nachtisch, wenn der Magen schon bis zur Sä ttigung gefüllt ist. Aber selbst dann werden sie nicht als Nä hrmittel angesehen; sie gelten hö chstens als netter kleiner Abschlußeiner Mahlzeit. Und doch gehö ren sie zu den vollkommensten Nahrungsstoffen der Natur. Warum verweigert der zivilisierte Mensch ihnen dann den Platz, der ihnen unter den kö rperaufbauenden Stoffen zukommt? Warum weist er ihnen eine kö rperzerstö rende Rolle zu, indem er sie nach allem übrigen Essen in den Magen stopft, wenn wenig Aussicht mehr besteht, daßsie überhaupt noch verdaut werden kö nnen?
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5. KAPITEL Falsche Ernährungsgewohnheiten Man kö nnte die Zivilisation freilich beglückwünschen, wenn die künstliche Zubereitung der natürlichen Nahrungsmittel die einzige Ü bertretung der Ernä hrungsgesetze bilden würde. Aber zu dieser Unnatürlichkeit gesellen sich betrüblicherweise noch andere ungemein tö richte Gewohnheiten, die an sich schon genügen, den menschlichen Kö rper schwer zu schä digen. Es ist zwar unmö glich, alle diese Unsitten im einzelnen zu betrachten; aber ich kann es mir nicht versagen, wenigstens einige davon, die auffallendsten, kurz zu besprechen. Da ist unter anderem das Würzen der Speisen! Sind Würzen zuträ gliche Nahrungsbestandteile? Sie haben mit Nahrung überhaupt nichts zu tun. Und ist es dem Menschen natürlich, seine Speisen zu würzen? Gib einem kleinen Kind oder sogar einem gesund entwickelten, grö ßeren Kinde irgendeine Würze zu kosten und beobachte, wie es sich dann verhä lt. Mehr noch: gib einem einfach lebenden Menschen, dessen Begriffe über die Ernä hrung nicht verfä lscht worden sind von dem Bedürfnis, die Geschenke der Natur fortwä hrend aus eigener Machtvollkommenheit zu „verbessern“ , irgendeine pikante Speisebeilage und beobachte sein Verhalten. Nach einigen solchen Versuchen wird niemand mehr behaupten wollen, daßgewürzte Speisen natürlich sind. Sie befriedigen kein natürliches physiologisches Bedürfnis. Der Wunsch nach Würze in den Speisen liegt nicht in unserer Natur; die Gewohnheit der gewürzten Speisen ist vielmehr eine erworbene Gewohnheit der zivilisierten Menschheit. Als solche muß sie eine unnatürliche Gewohnheit sein. Das wird durch die Tatsache bestä tigt, daß kein Tier dazu gebracht werden kann, scharf gewürztes Futter zu fressen. Einige dieser Würzen regen die motorischen Funktionen des Magens an und veranlassen ihn, sich rascher zu entleeren; aber sie verringern die Sekretionskraft der Magendrüsen. Andere Würzen beeinträ chtigen zu gleicher Zeit die Entleerungs- und die Sekretionsfunktionen des Magens. Alle Würzen erzeugen durch ihre Reizeigenschaften leicht Entzündungszustä nde der Magenschleimwä nde. Diesen Nachteilen der Würzen steht kein einziger Vorteil zum Ausgleich gegenüber. Fast alle Personen, die an Magengeschwüren und Magenkrebs leiden, sind Liebhaber pikanter Speisen. Sie sollten allerdings diesen Ausgang voraussehen, denn es ist bekannt, daßlokale und bestä ndige Reizung eine der Grundursachen der Entstehung von Krebsgeschwülsten ist. Es gibt ein Gesetz, das uns befä higt, zu verstehen. warum letzten Endes alle Würzen schä dlich sein müssen, das Gesetz der primä ren und der sekundä ren Wirkungen der Krä fte, der Wirkung und ihrer Gegenwirkung. Auf jede primä re Wirkung oder Kraftentfaltung folgt die sekundä re, der Rückschlag, die Gegenwirkung, und die Gegenwirkung ist lä nger ausgedehnt als die ursprüngliche Wirkung. Dieses Gesetz kann jeder selbst auf folgende, sehr einfache, aber wirksame Weise überprüfen: Nach einer endlos langen Wanderung erreicht man müde und jeder weiteren Anstrengung abgeneigt den Fuß eines hohen, steilen Hügels, vor dessen Anblick in diesem lahmen Zustande der Mut und die Krä fte versagen. Die natürliche Reaktion würde darin bestehen, daß man sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung anschickt, seine müden Glieder auszustrecken. In diesem Augenblick soll als Anreger der ermat53
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teten Nerven- und Muskelkrä fte ein hilfreicher „Freund“ erscheinen, der uns mit der Peitsche in einer Rekordzeit den ganzen Hügel hinauf bis zum Gipfel jagt. Dann ist man freilich oben; aber der Zauber des Atemschö pfens, das einen unten am Fußdes Hügels erfrischt und befä higt hä tte, die Anhö he ohne Ü beranstrengung zu erreichen, stellt sich jetzt nicht ein. Im Gegenteil, tagelang wird man die Ü bermüdung dieses erzwungenen, raschen Aufstieges noch spüren, was deutlich beweist, daßdie Gegenwirkung von lä nger anhaltender Dauer ist als die vorherige Wirkung. Das gleiche gilt für alle künstlichen Reizmittel; ihre Endwirkung ist herabdrückend und lä hmend. Auch die Umkehrung ist wahr. Künstliche Beruhigungsmittel wirken letzten Endes unweigerlich aufreizend, wenn sie lä ngere Zeit eingenommen werden. Ein lange mit Beruhigungsmitteln behandelter Patient wird meistens hoffnungslos nervö s. Wer das in den „Grundgesetzen“ (s. S. 31 ff.) erwä hnte. Gesetz begriffen hat, nach dem eine gestö rte Funktion allmä hlich ganz zerstö rt wird, kann nichts anderes erwarten. Gastrische oder Magensekretion ist eine normale Funktion. Wenn sie allein durch natürliche Anregungen, die freilich nur von natürlicher Nahrung ausgehen, zur Tä tigkeit gereizt wird, dann wird diese Tä tigkeit nie versagen. Das ist eine unbestreitbare Tatsache. Eine bekannte Autoritä t auf dem Gebiete der Ernä hrungskunde, Dr. Kellogg, sagt in bezug auf die Würzen: „Der Mensch ist das einzige animalische Wesen, das überlegten Selbstmord durch Selbstvergiftung verübt, indem er seine Nahrung verdirbt, bevor er sie einnimmt. Der durchschnittliche Mensch leidet unter chronischer Vergiftung. Er nimmt Gifte verschiedenster Herkunft zu sich, die in ihrer Anhä ufung pro Kopf eine Dosis von mehr als 3,25 Gramm alle vierundzwanzig Stunden für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in den Vereinigten Staaten ergeben. Er beginnt den Tag mit einer Dosis Gift in Form von Kaffee, um sich aufzuwecken. Nach dem Frühstück raucht er eine Zigarre, um Magen und Nerven zu beruhigen. Vor dem Mittagsmahl stürzt er einen Whisky oder einen Aperitif hinunter, um seinen Appetit anzuregen. Spä ter findet er eine Tasse Tee notwendig, die ihn aus der Benommenheit des frühen Nachmittags wecken soll, und am Abend braucht er ein Betä ubungsmittel, um einschlafen zu kö nnen, am Morgen darauf wohl noch ein abführendes Geträ nk. Zu all diesen Giften kommt noch die absichtliche Verfä lschung seiner Kost durch Beimischung toxischer Substanzen, Pflanzenabsonderungen, welche durch ihren scharfen, beißenden und brennenden Geschmack allein schon von der Natur als Giftpflanzen gekennzeichnet sind und dem Menschen nicht bekommen. Diese Produkte, die nur ihrer geschmackverbessernden Eigenschaft wegen benützt werden, haben keinen Nä hrwert und heißen Würzen.“ ¯ Noch viel schlimmer als die Würzen wirken aber die Geträ nke unseres modernen Lebens. Finden wir — vom Menschen abgesehen — in der ganzen Schö pfung auch nur ein einziges Wesen, das ein natürliches Produkt verä ndert, um daraus ein Geträ nk zu bereiten? Die Frage ist bald beantwortet. Das natürliche Geträ nk des Tieres ist Wasser. Milch kö nnte man vielleicht noch als natürliches Geträ nk ansehen, aber in Wirklichkeit ist Milch eine Nahrung. Das gleiche kann vom Blute gesagt werden. Es gibt gewisse fleischfressende Tiere, von denen man erzä hlt, daß sie ihr Opfer bloß 54
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tö ten, um sein Blut zu trinken. Aber bei nä herer Untersuchung finden wir heraus, daß dieser Trunk für das Tier eine Mahlzeit war. Es bleibt also wahr, daß für alle Tiere Wasser das einzige natürliche Geträ nk ist. Und was trinkt der Mensch, der zivilisierte Mensch? Ich glaube fast, es wä re leichter festzustellen, was wir nicht trinken. Die hauptsä chlichsten Geträ nke lassen sich jedoch immer hin aufzä hlen: Wasser, Tee, Kaffee, Kakao, Schokolade, Limonaden, Sodawassermischungen, Bier, Wein, Schnaps und Likö re. Suchen wir aus dieser Reihe die natürlichen Produkte heraus. Da steht zuerst Wasser, — ohne Zweifel eine natürliche Flüssigkeit. Damit ist's aber schon zu Ende — es folgt Tee. Tee ist ein Aufgußauf getrocknete Blä tter einer asiatischen Pflanze. Ist ein Aufgußein Naturprodukt? Nein! Dann ist also Tee auf keinen Fall ein natürliches Geträ nk. Menschliche Künstelei hat hier ein natürliches Produkt in ein Genußmittel umgewandelt. Ein Aufgußzieht niemals alle natürlichen Bestandteile und Sä fte aus der Substanz; überdies kö nnen einige der ausgezogenen Sä fte schä dlicher Natur sein. Beim Tee ist dies der Fall. Ü bergießt man Teeblä tter mit kochendem Wasser, so wird ein giftiges Alkaloid, das Tein (identisch mit Koffein) und eine zusammenziehende Substanz, das Tannin (Gerbsä ure), herausgezogen, und wer Tee genießt, trinkt damit 15 bis 23 Prozent einer Flüssigkeit, die herb und zusammenziehend auf die Drüsen der Magensekretion wirkt. Auch durch kurzes Ziehenlassen vermeidet man die Entstehung dieser schä dlichen Extrakte nicht, obwohl viele das glauben. Und der Kaffee! Ist Kaffee ein natürliches Geträ nk? Gerö stete und gemahlene Kaffeebohnen werden beliebig lange Zeit mit Wasser gekocht; hernach wird die so erhaltene Flüssigkeit gesiebt. Das Rö sten und Kochen kann aber der Natürlichkeit dieses Geträ nkes schwerlich dienen. Schon die rohen Bohnen enthalten Mengen (durchschnittlich 1½ %) des Alkaloids Koffein, das der medizinischen Wissenschaft als krä ftig wirkendes Gift bekannt ist. Außerdem enthä lt die Rohbohne bis zu 6 Prozent Tannin (Gerbsä ure), da sich durch das Rö sten in die Gerbstoffe Katechu und Pyrogallol verwandelt, die nach dem Ausspruch einer ä rztlichen Autoritä t für „giftiger als Karbolsä ure“ gelten müssen. Als Folge des Rö stens entstehen überdies noch mehrere andere Giftstoffe, die sogenannten Produkte unvollkommener Verbrennung, wie Kreosot, Pyridin usw. Aber das stä rkste Gift im Kaffee ist das Koffein. Die anderen Gifte lassen wir beiseite und sagen davon bloßso viel, daßsie, wä hrend eine Tasse Kaffee niemanden tö ten kann, doch eine kumulative (anhä ufende) Wirkung haben, welche sich früher oder spä ter unweigerlich bemerkbar macht. Das kann weder geleugnet noch vermieden werden. Das Koffein jedoch wartet nicht lange, um den Kaffeetrinker mit den Folgen seiner Unzuträ glichkeit zu beglücken. Der Kaffeetrinker fä llt bald der Kaffeegewohnheit anheim; er braucht den Kaffee. Er braucht eine Stä rkung, und der Kaffee ist eine solche. Er ist nervö s, er kann sich nicht konzentrieren, bis er nicht seine Ankurbelung in Form eines krä ftigen Kaffeetrunkes erhalten hat. Die Gewohnheit, sich durch Geträ nke künstlich anzuregen oder zu betä uben, erschö pft die Nervengewebe rasch teilweise und schließlich ganz. Wir wissen aber, daß nur natürlich angeregte Organe normal arbeiten kö nnen, wä hrend unnatürlich angeregte Funktionen, Organe oder Teile des Kö rpers nach und nach ausgeschaltet und zerstö rt werden. Welchen Unterschied macht es, ob man Koffein aus einem chemischen Laboratorium oder aus der tä glichen Kanne Kaffee bezieht und in sein Blut 55
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aufnimmt? Es ist dasselbe Reizgift. „Ja, aber ich merke doch, daßich diese Anregung brauche; ich bin ein ganz anderer Mensch, wenn ich eine Tasse Kaffee getrunken habe.“ Diese oft gehö rte Äußerung bildet den besten Beweis dafür, daß der Sprechende dem Kaffee verfallen ist. Wenn man eine Pfeife Tabak oder eine Zigarette oder einen Schluck Schnaps oder eine Morphiumspritze oder eine Tasse Tee oder Kaffee braucht, so ist man einem Rauschgift verfallen. Und dieses „Bedürfnis“ ist ein klares Symptom dafür, daß das Gift sein tö dliches Werk begonnen hat. Wer solche Anregungen „braucht“ , ist ein anomaler Mensch, und je mehr solche Menschen ihre Nerven mit künstlichen Reizmitteln weiterzwingen, desto anomaler werden sie. Reizgeträ nke dienen zur Aufpeitschung. Aber im gleichen Verhä ltnis wie die Nerven zu ihrer Betä tigung durch ein künstliches Reizmittel (z. B. das alkaloidisch stark anregend wirkende Koffein aus Tee und Kaffee) angetrieben werden, erschö pfen sie sich, und dann kö nnen sie auf einen natürlichen Anreiz nicht mehr reagieren. Diesen Erschö pfungszustand infolge künstlicher Anregung empfindet der Mensch als Unbehagen, Abneigung, Schwä che oder Unfä higkeit und Reizbarkeit, je nach dem Grade der Nervenerschlaffung. Die Unfä higkeit und die Reizbarkeit verschwinden auch nicht eher, als bis der Gewohnheitssünder einer neuen Aufmunterung in Form von Koffein, Kokain oder Morphium teilhaftig geworden ist. Es bedarf nicht vieler Worte, um nachzuweisen, daß diese unnatürlichen Reizgeträ nke in keiner Weise dem Aufbau des natürlichen, normalen, gesunden Menschenkö rpers zuträ glich sein kö nnen. Welches ist dann aber wohl ihr Einflußauf den sich entwickelnden Kö rper? Wer kann leugnen, daßdiese starken Gifte, die die modernen Menschen so allgemein und regelmä ßig zu sich nehmen, ihre große Rolle als Ursache der Krankheitszustä nde in der zivilisierten Welt spielen? Kakao ist mit Tee und Kaffee verwandt; sein alkaloidisches Gift ist Theobromin, das in Goulds medizinischem Wö rterbuch als „ein dem Koffein und dem Xanthin nahe verwandtes Alkaloid“ definiert wird. Dr. Kellogg gibt den Koffeingehalt verschiedener gebrä uchlicher Geträ nke in folgenden Prozentsä tzen an: Kakao Koka-Kola Kaffee (gerö steter) Kola Maté Schwarztee
1,00 % 1,00 bis 1,2 % 0,75 bis 2,05 % 2,00 % 1,115 % 1,35 bis 1,75%
Was ich über Tee und Kaffee gesagt habe, gilt auch für die übrigen oben aufgezä hlten gifthaltigen Geträ nke. Es ließe sich noch so vieles gegen ihren hä ufigen Gebrauch sagen, daßman aus reiner Bescheidenheit darauf verzichten muß, um den Leser nicht zu langweilen. Sind aber vielleicht Sodawassermischungen und Limonaden natürliche Geträ nke? Leider ebensowenig. Wenn man bis zu einem gewissen Grade von Unterschieden in der Unnatürlichkeit der unnatürlichen Dinge sprechen kann, dann sind Sodawassermischungen in der Regel noch unnatürlicher als Tee oder Kaffee. Und infolge ihrer allgemeinen Verbreitung und ihres Verbrauchs durch alt und jung greift ihre zerstö rende 56
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Wirkung noch weiter aus. Diese Behauptung klingt vielleicht manchem merkwürdig; das kommt aber bloß von der allgemeinen Verstä ndnislosigkeit gegenüber dem Gedanken, daßnur natürliche Reizmittel dem Kö rper die Anregung zu aufbauender Arbeit zu vermitteln vermö gen. Dieser Ausgangspunkt allen Fortschritts zum Verstä ndnis des Problems, wie der menschliche Kö rper aufzubauen ist, um gegen Krankheitseinflüsse durchaus geschützt zu sein, mußsich endlich einmal in den Kö pfen der Leute mit der Ü berzeugungskraft einer grundlegenden Wahrheit festsetzen; dann wird die oben aufgestellte Behauptung von selber erkannt werden. Die Limonaden und Sodawassermischungen sind zum Beispiel verantwortlich für eine starke Zunahme der Verwendung raffinierten Zuckers, unter dessen unmä ßigem Verbrauch die zivilisierte Welt ohnehin schon leidet. Außerdem werden diese Geträ nke fast immer eiskalt genossen, was nichts weniger als bekö mmlich ist. Sie enthalten Mischungen aller mö glichen, sich nicht miteinander vertragenden und dadurch unverdaulichen Substanzen. Sie werden zu allen Tages- und Nachtzeiten konsumiert, meistens zwischendurch, wenn der Magen ruhen und neue Krä fte für die nä chste Mahlzeit sammeln sollte. Sie verderben den Appetit für die natürlichen, kö rperaufbauenden Speisen und beeinträ chtigen die potentiellen Verdauungsfunktionen so sehr, daß die nä chste Mahlzeit, sogar wenn man sie richtig und natürlich zusammenstellt, als kö rperaufbauende Kost nahezu entwertet ist und dadurch mehr schadet als nützt. Der schlimmste Schaden kommt dem Kö rper aber von dem hohen Prozentsatz an Koffein, den der Mensch in den Sodawassergeträ nken oft ahnungslos zu sich nimmt, weil viele davon heute Koffeinhaltige Reizmittel wie Kola und Koka-Kola enthalten, die die Nerven noch schä dlicher beeinflussen als Kaffee. Und diese Geträ nke werden mit Vorliebe von Knaben und Mä dchen in ihren Entwicklungsjahren getrunken. In Amerika gibt es unendlich viele junge Mä nner und junge Frauen, die bekennen, daß sie ohne die Anregung eines solchen koffeinhaltigen Reizmittels nicht auskommen kö nnen. Und Europa ist auch in dieser Beziehung ein guter Schüler der Neuen Welt. Aufmerksamkeit muß man dem Koffeingehalt auch beim Maté schenken. Das ist ein Tee, der durch Aufgußvon heißem Wasser auf die getrockneten Blä tter südamerikanischer Stechpalmenarten hergestellt wird. Obwohl der Koffeingehalt nach der Tabelle auf S. 105 groß ist, wird der Maté von vielen Nahrungsreformgeschä ften als Koffeinfreies Geträ nk angepriesen und als Ersatz für Koffeinhaltigen Tee, Kaffee oder Kakao empfohlen. Die Verkä ufer sind dabei zweifellos guten Glaubens und von dem, was ihnen die Maté – Lieferanten erzä hlt haben, überzeugt. In Wirklichkeit steht der Maté, den man auch Yerba-Maté und Paraguaytee nennt, im Koffeingehalt den anderen Reizgeträ nken der zivilisierten Menschheit nicht nach. Koffein ist aber freilich nicht die einzige, den Lebensprozeßbedrohende und zerstö rende Substanz dieser Geträ nke. Sie enthalten alle noch verschiedene andere schä dliche Stoffe, von denen ich hier nur einen nennen will: die Harnsä ure. Tausenden ist heutzutage rotes Fleisch oder sogar Fleisch überhaupt vom Arzt verboten, und Tausende essen aus eigener Einsicht keines, weil es Harnsä ure (und die ä hnlich zusammengesetzten und wirkenden Purinstoffe) enthä lt. Diese Menschen leiden vielleicht an Nervenentzündungen, Gelenkentzündungen oder anderen durch die Harnsä ure verursachten Krankheiten und beschrä nken sich deshalb sehr einsichtsvoll im Genußharnsä urehaltigen Fleisches oder verzichten gä nzlich darauf. Aber dieselben Leute fahren arglos fort, sich an Tee, Kaffee oder Kakao, oft sogar recht unmä ßig, gütlich zu tun. Die hier folgende Liste zeigt deutlich, wie wenig konse57
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quent ein solches Verhalten ist. Harnsä ure und Purinstoffe Promille Suppe (mit Knochen zubereitet) . . . . . . . . . 0,08 Suppe (mit Fleisch zubereitet) . . . . . . . . . 0,24 Kraftbrühe für Kranke (acht Stunden gekocht) . . . 1,21 Beefsteak . . . . . . . . . . . . . . . . . 0,22 Lamm (Schlegel vom Rost, kalt) . . . . . . . . 0,26 Kalb (Kotelette) . . . . . . . . . . . . . . 0,60 Schafsleber . . . . . . . . . . . . . . . . . 1,12 Hering (frisch) . . . . . . . . . . . . . . . 0,03 Hering (gerä uchert) . . . . . . . . . . . . . 1,11 Bückling . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0,38 Fleischsaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 8,62 Kakao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10,24 Kaffee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12,15 Tee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30,38 Welche Dummheit, die Fleischspeisen aus dem Speisezettel wegzulassen und dafür Tee, Kaffee und Kakao weiterzutrinken, die ungefä hr 20- bis 170mal soviel Harnsä ure und ä hnlich zusammengesetzte und wirkende Purinstoffe enthalten. Aber so machen wir es in der Zivilisation. Lange Jahre habe auch ich es so tö richt getrieben; deshalb darf ich andere nicht verurteilen, die es ä hnlich machen. Ich mußte aber natürlich, bevor ich mich befreien konnte, den Weg ins Freie erst sehen, — und ich sah ihn damals noch nicht; ich versuchte nicht einmal, ihn zu sehen, bis meine Hä nde so stark zitterten, daß ich die Tasse mit harnsä urereichem, koffeingesä ttigtem Tee oder Kaffee kaum mehr zum Munde führen konnte und mein verkrüppeltes altes Herz bei jedem Schlage auszusetzen drohte. Nein, ich habe kein Recht, auf irgend jemanden Steine zu werfen! Und nun zu einer weiteren Torheit des modernen Speisesystems. Wie sinnlos ist doch die Zusammensetzung der einzelnen Mahlzeiten! Da kombiniert man zum Beispiel die tä glichen Speisezettel aus entwerteten, untereinander meist unvereinbaren Nahrungsmitteln, die ihre vö llige und normale Verdauung gegenseitig teils erschweren, teils überhaupt verhindern. Unvereinbar heißt in diesem Zusammenhang, daß solche Speisen entgegengesetzt gearteter Verdauungssä fte bedürfen, um verarbeitet zu werden. Es ist erwiesen, daß eine Speise, die bloß in einem Sä uremedium verdaut werden kann, nicht zu gleicher Zeit mit einer anderen Speise, welche nur basischer Beeinflussung zugä nglich ist, vom Verdauungsapparat bewä ltigt wird. Reagiert die eine Speise auf eine alkalische, die andere auf eine saure Verdauungsflüssigkeit, so wird die eine, die sich mit der vorhandenen Flüssigkeit nicht verträ gt, sich zersetzen, ungesunde Reize ausüben und allgemein vergiftend wirken, wä hrend die andere, durch die Anwesenheit der ersten gestö rt, auch nur unvollkommen verdaut werden kann und daher in Gä rung und Zerfall übergeht, außer in einem besonders krä ftigen Magen. Eiweißstoffe werden, soweit der Magen in Betracht kommt, vom Pepsin und der sauren Absonderung der Magendrüsen verdaut. Stä rkestoffe kö nnen durch diese sauren Magensä fte überhaupt nicht verdaut werden; sie müssen durch tüchtiges Kauen mit 58
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dem alkalischen Speichel, der durch die Speicheldrüsen im Mund ausgeschieden wird, gut vermengt werden; die Verdauung geschieht dann wä hrend des Kauens und wird bei geeigneten Nahrungsverhä ltnissen unter dem Einfluß des Speichelenzyms oder Ferments, Ptyalin genannt, mindestens zwei Stunden nach Ankunft im Magen fortgesetzt. Der Ausdruck „geeignete Nahrungsverhä ltnisse“ bedeutet hier aber unter anderem, daßStä rkenahrung nicht zu gleicher Zeit mit vorwiegend eiweißhaltigen Speisen genossen werden soll. Die Natur hat unsere Verdauungsorgane auf eine wunderbare Art diesem Tatbestand angepaßt. Befindet sich nä mlich nur stä rkehaltige Nahrung im Magen, so ist kein saurer Magensaft nö tig, um sie zu verdauen, und unser Verdauungssystem ist so eingerichtet, daßdann auch nur wenig Magensaft ausgeschieden wird. Der Speichel soll die Stä rke verdauen; aber in dem Augenblick, wo er mit der Sä ure des Magens in Berührung kommt, wird er unfä hig, diese Verdauungsarbeit zu leisten; darum hä lt die Natur so lange mit der Absonderung des Magensaftes zurück; sie geht darauf aus, die stä rkereiche Nahrung ganz verdauen zu lassen. Wenn nun aber eiweißreiche Kost wie mageres Fleisch, Fisch, Wildbret, Kä se oder Eier in den Magen gelangen, so ist zu deren Verdauung Magensä ure unbedingt nö tig. In einem solche Falle ist es für die Natur wichtiger, die eiweißreichen als die stä rkereichen Nahrungsmittel zu verdauen, denn wenn die eiweißreichen nicht verdaut werden, zersetzen sie sich rasch und verwandeln sich in Gifte. Deshalb wird im Magen beim Eintreffen eiweißreicher Nahrung sofort Magensä ure abgesondert, um die Eiweißverdauung zu beschleunigen, und die Stä rkeverdauung, die von dem hineingekauten Speichel besorgt wird, mußalsbald abgebrochen werden. In Gegenwart von Magensaft kann sie, wie gesagt, unmö glich weitergehen. Die zivilisierten Menschen essen nun aber bestä ndig sozusagen reine Stä rkenahrung mit sozusagen reiner Eiweißnahrung wä hrend ein und derselben Mahlzeit, sogar in ein und demselben Bissen. Die Fleischpasteten zum Beispiel sind eine solche Zusammenstellung von fast reinem Eiweißund reiner Stä rke. Die Kö rnchen dieser Stä rke werden beim Kauen ganz in Fett eingehüllt; Eiweiß- und Stä rkebestandteile werden im Munde ununterscheidbar miteinander vermengt. Was geschieht dann wohl damit? Werden beide Bestandteile vollkommen verdaut oder wenigstens einer davon? Die Frage ist so naiv, daßman nur darüber lä cheln kann. Ja, ich weiß es nur zu gut, Tausende von Kulturmenschen leben in dieser Weise jahraus, jahrein, Tag für Tag, Mahlzeit für Mahlzeit. Aber ich weiß auch, wie die Meute der Krankheiten und Seuchen hinter ihnen herjagt, Krankheiten, die einfachere oder wilde Vö lker nicht plagen, weil diese Vö lker sich anders ernä hren. Und ich weiß auch, daßalle diese Seuchen und Krankheiten nicht ohne Grund so blühen und gedeihen. Da gibt es zum Beispiel Sandwiches, belegt mit Schinken, Braten, Kä se, Eiern; es gibt weißes Brot und Fleisch oder Eier, Fisch oder Kä se; all dies wird in hundert Kombinationen bei jeder Mahlzeit verzehrt. In den gleichen Magen werden Kaffee, Tee, Milch, Kakao, Essigfrüchte, pikante Saucen, Würzen, Bratensä fte, Likö re, Kuchen, Puddinge, Pasteten, Nüsse, saure Früchte, eisgekühlte und mit Sodawasser vermischte Geträ nke gestopft und geschüttet. Man verstehe, daß ich nicht unbedingt alle diese Speisen verurteile. Ich betrachte augenblicklich bloßdie Unvereinbarkeit der meisten Speisefolgen, wie sie allgemein Brauch sind. Gibt es einen Mann, der sä mtliche Bestandteile einer sogenannten „guten, 59
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reichlichen Mahlzeit“ miteinander mischt (genau so, wie sie in einem durchschnittlichen Magen nach einer üppigen Mahlzeit sich vermengen), um dann dieses unmö gliche Durcheinander zu verzehren? Er müßte von Sinnen sein. Wenn aber solch ein Gemengsel nicht gegessen werden kann und deshalb niemand daran denkt, es außerhalb des Magens zu mischen und es uns als Speise vorzusetzen — was für Ü berlegungen und Betrachtungen führen uns dann dazu, diese selbe Vermengung innerhalb des Magens vorzunehmen? In diese Rubrik gehö rt auch die Gewohnheit, ausgesprochen saure Speisen zusammen mit Stä rkenahrung zu verzehren. Wer eine „gute Verdauung“ hat, kann diese Praktik zwar wohl eine Weile betreiben, ohne ö rtliche Beschwerden zu verspüren, aber gerade die Leute mit der berühmten „guten Verdauung“ leiden oft in spä teren Jahren an schwer oder gar nicht zu kurierenden Magenerkrankungen. Noch ö fters leiden sie dann aber an ganz anderen Krankheiten, die oberflä chlich betrachtet mit dem Verdauungssystem oder mit der Ernä hrungsweise in gar keinem Zusammenhang stehen, an chronischen Krankheiten, deren Ursachen in Geheimnis gehüllt scheinen, und die daher als „von Gott gesandt“ getragen werden müssen. Saure Grapefrüchte oder Orangen und stä rkehaltige Getreidespeisen oder weißes gerö stetes Brot werden sehr oft zusammen gegessen. Nach allem, was oben über die Stä rkeverdauung durch den Speichel gesagt worden ist, kann man leicht verstehen, daß stä rkehaltige Speisen, die mit sauren Früchten zusammen genossen werden, weder im Mund noch im Magen die notwendige sorgfä ltige Verdauung finden. Die Magensä fte kö nnen Stä rke eben nicht verarbeiten, und auch der Speichel kann es in Gegenwart von Sä uren nicht. Was wird auf diese Weise aus solcher unverdauten Stä rke? Ich habe es bereits erklä rt und brauche es nicht zu wiederholen. Aber welche Sinnlosigkeit, mit guten Nahrungsmitteln so zu verfahren! Denn Stä rkenahrung ist gute Nahrung. Unverdaute Stä rkenahrung ist dagegen natürlich nicht gute Nahrung. Wenn sie lange unassimiliert im Verdauungskanal bleibt, so wirkt sie wie Gift *. Wird sie hinuntergeschluckt, ohne zuvor gründlich durchgekaut und mit Speichel vermischt worden zu sein, wird sie zusammen mit stark eiweißhaltiger Kost genossen, wird sie zu gleicher Zeit mit stark saurer Nahrung aufgenommen, so mußsie den Magen fast gä nzlich unverdaut passieren, Stä rke, die mit anderer, ihre Verdauung hindernder Nahrung in den Magen kommt, verlä ßt ihn aber erst, wenn die anderen Nä hrstoffe durch die Magensä fte genügend aufgelö st sind, um aus dem Magen auszutreten. Das dauert gewö hnlich vier bis sechs, manchmal sogar acht Stunden. In solchen Fä llen geht die Stä rke leicht in Gä rung über, und es bilden sich Kohlensä ure, Alkohol und organische Sä uren. Allerdings zerfallen nicht alle Stä rkestoffe auf diese Weise, wenn der Magen krä ftig arbeitet und die Verdauung der andern Speisen, die durch seine Sä fte verarbeitet werden sollen, rasch vollendet. In solchen Fä llen gehen die Nä hrstoffe mit dem halbflüssigen Speisebrei weiter in den Darm und werden durch die Absonderungen der Bauchspeicheldrüse und der in den Schleimhä uten liegenden Zellen verdaut. *
Die Erfahrung der Bircher-Benner-Schule lehrt, daßdiese Unverträ glichkeiten, wie jene von sauren Früchten und Stä rke, nur bei denaturierter Nahrung und übermä ßiger Nahrungszufuhr eine Rolle spielen, aber bei naturnaher, ökonomischer Kost ihre Bedeutung verlieren, insbesondere wenn richtig gekaut wird. Anm. des Herausgebers. 60
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Aber in einem langsam verdauenden Magen — wie ihn die meisten Menschen heute haben — wird unter solchen Umstä nden nur wenig nicht in Gä rung übergegangene Stä rke mehr vorhanden sein. Nicht minder unverstä ndig und schä dlich ist das gedankenlose, nervö s gehetzte Hinunterschlingen der Speisen. Die meisten Menschen verschlucken, was sie essen, mit kaum grö ßerer Aufmerksamkeit, als ein Hund auf einen Bissen Fleisch verwendet, obwohl sie ihre Nahrung zum mindesten mit der gleichen Sorgfalt kauen sollten, die ein Hund einem Knochen zuwendet. Rein aus Stä rke bestehende oder auch nur stä rkereiche Nahrungsstoffe kö nnen, wie wir schon gesehen haben, durch die Magensä fte nicht verdaut werden, sondern nur durch das Ptyalinferment, das mit dem Speichel zusammen abgesondert wird; der Speichel aber kann sich mit der Stä rke nur vermischen, wenn er durch gründliches Kauen in die Speisen hineingedrückt wird. Gerade die stä rkehaltigen Speisen werden aber in den meisten Fä llen verschlungen, ohne daß sie mit dem Speichel überhaupt in Verbindung kommen, außer da und dort beim raschen Durchgang der Speisemasse durch den Mund. Man versuche, sich diese Stä rkemengen vorzustellen, wie sie ohne Speichelzusatz in den Magen gelangen und dort nicht verdaut werden kö nnen, worauf sie in der feuchten Wä rme des von Bakterien wimmelnden Magens vier bis sechs Stunden dem Einfluß des Sä uremediums ausgesetzt bleiben. Was wird aus ihnen? Kö nnen sie sich in hö chstgradige Kö rperenergie verwandeln? Unter keinen Umstä nden. Die Stä rke hat in solchen Fä llen die Neigung, zu gä ren und sich in Alkohol, organische Sä uren und Kohlensä ure zu zersetzen. Das sind nun aber just Stoffe, die in keiner Weise Nahrung darstellen, die vielmehr alle die empfindlichen Schleimhä ute des Magens reizen und depressive Wirkungen ausüben. Dabei ist dieses hastige Hinunterwürgen die Gewohnheit von vielleicht fünfundneunzig Prozent oder mehr der kultivierten Menschheit, besonders der Amerikaner und Kanadier, die so ungestüm dahinleben, daßsie den Genußeines beschaulichen Mahles kaum kennen. ¯ Zu allen diesen Verkehrtheiten kann sich dann noch die Gefahr der „Ü bermenge“ gesellen, der Schaden, der verursacht wird, wenn man mehr Speisen verzehrt, als der Kö rper braucht. Mancher wird fragen, was es einem Kö rper schaden kann, wenn er mehr Nahrung erhä lt, als er benö tigt? Kann der Kö rper nicht verwenden, was er braucht, und das übrige zurückweisen? Ja, das versucht er auch. Aber der Kö rper kann nicht Nahrung zurückweisen und es dabei bewenden lassen. Jede Nahrung, die in den Kö rper eingeht, mußentweder in ihm zum Aufbau verwendet werden, oder sie mußim Kö rper verbrannt oder, wenn sie nicht benö tigt wird, rasch ausgeschieden werden; sonst schä digt sie den Kö rper. Der Kö rper will und kann nicht mehr Aufbaustoffe gebrauchen, als zu seinem Wachstum und zur Instandhaltung seiner Gewebe notwendig sind. Er kann nicht mehr Nahrungsstoffe oxydieren oder verbrennen, als er zur Erhaltung seiner Wä rme und Energie benö tigt. Was über diese beiden Zwecke hinausgeht, ist die „Ü bermenge“ . Der Ü berschuß muß als Ballast in Form von Fett aufgespeichert oder als Abfall zum Kö rper hinausgeworfen werden. Das erfordert aber eine große Anstrengung von seiten der Organe und verbraucht daher eine Menge Kö rperenergie, denn die Ü bermenge muß, obwohl sie auf keinen Fall dem Kö rper zugute kommen und keinem nützlichen Zweck dienen kann, dennoch verdaut, absorbiert, in 61
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den Kreislauf geleitet, durch die inneren Organe erlesen werden; ihre Gifte müssen neutralisiert, ihre Kohlehydrate in Leberzucker verwandelt, all ihre Bestandteile durch vielfä ltige Prozesse hindurchgeführt werden, bis sie in die einfachen Elemente zerlegt sind, wie sie die Kö rperflüssigkeiten enthalten; hernach mußder Kö rper sie nochmals aus diesen Flüssigkeiten herausziehen und durch die Nieren, die Leber, die Haut, die Lungen und die in den Schleimhä uten des Darmes enthaltenen Zellen endlich ausscheiden. Dies alles mußgeschehen, um die Anhä ufung fremder Stoffe im Kö rper, die ihn schließlich tö ten würden, zu verhindern. Aber die Anstrengungen, die der Kö rper und seine Organe machen müssen, um diese Ü bermengen an Nahrung loszuwerden, nehmen dem Organismus oft mehr Krä fte fort, als ihm durch die Speisen, die er verdauen und assimilieren konnte, zugeführt worden sind. Und das ist noch nicht alles. Die besondere und anhaltende Anstrengung, die auf diese Weise den Organen des Kö rpers zugemutet wird, damit sie sich der überschüssigen Nahrung erwehren, überanstrengt sie, reizt sie und erschö pft sie. Der Leser mö ge selber urteilen, wohin solche Ü beranstrengungen, wenn lebenswichtige Organe sie bestä ndig leisten müssen, auf die Dauer führen werden. Insbesondere mö ge der Leser versuchen zu entscheiden, welchen Einflußdiese zusä tzliche Anstrengung auf Organe haben muß, die nicht genügend ernä hrt sind, weil ihnen dauernd naturwidrige Nahrung zugeführt wird. ¯
Ungemein wichtig ist sodann die Frage der Verdauung. Die Gewohnheit trä ger Verdauung hat man „die Mutter der meisten menschlichen Krankheiten“ genannt. Trä ges Verdauen ist aber im Grunde genommen gar keine Gewohnheit, sondern in Wirklichkeit eine Folge schlechter Gewohnheiten und daher ein Symptom. Daßträ ge Verdauung eine unnatürliche Erscheinung ist, beweist der Umstand, daß dieses Ü bel bei den primitiven Vö lkern durchaus unbekannt ist, ebenso bei den wilden, vom Menschen in keiner Weise beeinflußten Tieren. Wenn trotzdem Verdauungsbeschwerden bei den zivilisierten Menschen zur Gewohnheit geworden sind, so müssen dafür die verschiedensten Ursachen wie Unwissenheit, Nachlä ssigkeit, Herkommen und Sitte, Prüderie, der Glaube an abführende Drogen und Medizinen und anderes mehr verantwortlich gemacht werden. Unwissenheit besteht in sehr vielen Fä llen schon in bezug auf die Tatsache, daß der Darminhalt mindestens ebenso viele Male entleert werden muß, als Mahlzeiten eingenommen werden; geschieht das nicht, so beginnen die im Darm enthaltenen Abfä lle sich zu zersetzen, und die Produkte dieser Zersetzung gehen als Gifte ins Blut über. Aus dieser Unwissenheit entsteht die zweite Ursache der Verdauungsbeschwerden: Nachlä ssigkeit der Frage der Darmentleerung gegenüber. Viele Leute stellen sich die unteren Darmabschnitte als eine Art Reservoir für die nicht verdaubaren und nicht assimilierbaren Nahrungsreste vor, die hier gut aufgehoben sind und ruhig warten kö nnen, bis es der Bequemlichkeit oder der Laune des Besitzers paßt, sich dieser Ansammlungen zu entledigen. Auf diese Weise vernachlä ssigt man die Forderungen des Kö rpers und überhö rt sie mit der Zeit ganz und gar. In Wirklichkeit ist die Entleerung des Darmes eine sehr wichtige Kö rperfunktion, so wichtig und „wesentlich“ wie die Nahrungsaufnahme selber. Wie jede andere Kö rperfunktion verbessert sie sich in ihrer Leistungsfä higkeit durch regelmä ßige Ausübung. Wie jede andere Kö rperfunktion büßt sie an Prä zision und Zuverlä ssigkeit in dem 62
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Maße ein, in dem sie nicht ausgeübt wird; im Verhä ltnis der Stö rungen ihres Ablaufs bereitet sich ihre eigene Zerstö rung vor. Die Tatsache, daßder Darm den Versuch, sich zu entleeren, bald aufgibt, wenn sein Anreiz überhö rt oder ihm Widerstand geleistet wird, ist einer der alltä glichsten Beweise für ein solches Naturgesetz. Trä ge Verdauung ist daher bloßein Zeichen dafür, daßdie verhinderte, zurückgedrä ngte und nicht ausgeübte Funktion der Darmentleerung auf dem Wege ist, zerstö rt zu werden und zu verschwinden. Wenn die Nachlä ssigkeit, von der wir eben sprachen, die normale, spontane Funktion der Darmentleerung gestö rt und teilweise zum Verschwinden gebracht hat, nimmt der zivilisierte Mensch oft seine Zuflucht zu Abführmitteln und Medizinen. In diesen Fä llen bildet das Einnehmen von Mitteln eine mit der schon bestehenden Gewohnheit zusammenwirkende Ursache der Verdauungsbeschwerden; oft ist es aber auch selber die Grundursache. Die Menschen der Zivilisation überessen sich leicht und hä ufen dann, wie wir gesehen haben, zuviele Speisen und zu viele Arten von Speisen in ihren Verdauungsorganen an. Sogar wenn sie dem Entleerungsdrange stets folgen, verursacht dies Ü bermaßvon Nahrung Kopfweh oder andere Symptome unerfreulicher Art, und es ist eine allgemein verbreitete Unsitte, in solchen Fä llen zwecks Erleichterung zu Arzneimitteln zu greifen. Arzneimittel in der Gestalt von abführenden oder reinigenden Drogen tun für den Darm, was er selber zu tun ermä chtigt, ja verpflichtet werden sollte. Aber nur natürliche Anreize kö nnen normale Funktionen herbeiführen; unnatürlich angeregte Funktionen unterliegen einer unabwendbaren Zerstö rung. Daher folgt der Benutzung solcher abführenden Arzneien wiederum Verdauungsträ gheit, in manchen Fä llen bald, in anderen erst spä ter, aber in allen Fä llen letzten Endes. Viele Leute glauben, es gebe eine für die Entleerung besonders geeignete Tageszeit, sagen wir beispielsweise des Abends vor dem Schlafengehen oder im halben Vormittag oder in der Mitte des Nachmittags, und ihrer Meinung nach schickt sich kein anderer Augenblick des Tages dafür. Andere gibt es — prüde, anstä ndige Leute — , die von der Idee besessen zu sein scheinen, daßdas Entleeren des Darminhaltes eine Art entehrender Tä tigkeit ist, die in grö ßter Heimlichkeit vollbracht werden muß, weil anstä ndige Leute derartige Gewohnheiten eigentlich gar nicht haben dürfen. Solche Menschen leiden lieber, als daßsie sich von der Gesellschaft anderer zurückziehen, wenn dieser so wichtige Befehl der Natur an sie ergeht — besonders wenn Personen des anderen Geschlechts anwesend sind. Solche Einstellungen sind gefä hrlich, denn sie mißachten den Willen der Natur. Allerdings gibt es einen Zeitpunkt für die Entleerung des Darmes, der natürlicherweise der richtige ist; das ist der Augenblick, in welchem die Natur die Entleerung verlangt. Diesen Ruf zu überhö ren und die Erwiderung darauf zu verzö gern, heißt, der Ausübung der notwendigen Funktion ein Hindernis, den Willen, entgegensetzen. Eine Funktion zu erschweren oder ihr Widerstand zu leisten, bedeutet jedoch, sie zerstö ren helfen. Die Darmentleerung ist aber gewißeine kö rperliche Funktion, und welch wichtige noch dazu. Verdauungsbeschwerden sind sicher das Symptom einer Verminderung oder Herabsetzung dieser Funktion. Deshalb müssen sie nach dem nicht zu umgehenden und nicht einzuschrä nkenden Gesetz der Natur die Funktionsfä higkeit und Arbeitskraft eines jeden anderen Organs unseres Kö rpers vermindern. Neben diesem gewissermaßen passiven Aspekt der Verdauungsbeschwerden mußaber auch ihre aktive Ursache untersucht werden, die auf gewisse, im Verdauungssystem 63
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selber wirkende Einflüsse zurückzuführen ist. Diese Einflüsse werden fast immer und fast ganz durch unrichtige, das heißt naturwidrige Nahrung ausgelö st. Unsere Ureltern, deren anatomischer Aufbau — infolgedessen auch der Aufbau des Verdauungsapparates — sozusagen vollkommen war, lebten von roher, unverfeinerter, faseriger Pflanzennahrung. Zur Verarbeitung solcher Nahrung ist ein langer, muskulö ser Verdauungskanal erforderlich, denn die kö rperaufbauenden und kö rperbelebenden Stoffe sollen langsam durch die aus den Zellen des Verdauungskanals stammenden Enzyme verflüssigt, aus den faserigen Abfallstoffen ausgesogen und in die verzweigten Blutgefä ße der Darmwä nde aufgenommen werden. Natürlich gleitet die Nahrung nicht ohne Antrieb durch das Verdauungssystem, die Natur hat vielmehr für diesen Zweck einen erstaunlich kunstvollen Mechanismus geschaffen, die Muskulatur der Darmwä nde, welche die Nahrung langsam vorwä rtsschiebt. Die Bewegung beginnt am oberen Magenausgang, mit einer ringartigen Zusammenziehung der kreisfö rmigen Muskelfasern, die den Darmkanal bilden. Diese Zusammenziehung gleitet dann langsam den Kanal hinunter und wirkt dabei ä hnlich wie ein Ring, der von außen über einen gefüllten Schlauch gezogen und daran entlang hinabgeschoben wird. Auf diesem Wege schiebt der „Ring“ , wenn er enger ist als der Schlauch, natürlich eine gewisse Menge des Schlauchinhalts vor sich her. Beim Darmkanal wiederholt sich diese Bewegung innerhalb einer Minute mehrmals; infolgedessen wird im Ablauf weniger Stunden eine ganz beträ chtliche Nahrungsmenge vorangeschoben und schließlich bis zum Ausgang des Kanals, der etwa neun Meter vom Anfang entfernt liegt, gebracht. Diese ringfö rmige Zusammenziehung und die dadurch hervorgerufene kreisfö rmig wellenartige (peristaltische) Vorwä rtsbewegung erfolgt auf der Lä nge des Verdauungskanals ungezä hlte Male, und sie soll den Inhalt in ungefä hr neun Stunden von einem bis zum andern Ende befö rdern, wenn der Kanal in gesundem Zustand ist. Die vorwä rtstreibende Funktion des Darmkanals ist nicht im geringsten von unserem Willen abhä ngig; es ist eine Reflexfunktion. Wie alle Reflexfunktionen mußauch sie durch die Fühlungnahme natürlicher Anreize mit den empfindlichen Auslä ufern des Reflexnervensystems angeregt werden, bevor sie in Tä tigkeit treten kann. In den Darmwä nden liegen Nervenenden. Der natürliche Kontaktreiz wird durch die faserigen Abfallstoffe in der Nahrung gebildet. Der Verdauungsapparat unserer Voreltern hat sich in Anpassung an die zä he, faserige Nahrung ihres Lebensbedarfes entwickelt. Dieser Typus von Verdauungsapparat ist uns überliefert worden, was uns ein für allemal an das zä he, faserige Nahrungsmaterial unserer Voreltern bindet. Waren sie bei ihrer Ernä hrungsweise zur Entwicklung dieses Verdauungssystems gezwungen, so sind andererseits wir gezwungen, dem von ihnen übernommenen Verdauungssystem seine richtige Nahrung, dieselbe Art Ernä hrung, auf die hin es sich entwickelt hat, zuzuführen. Die beiden gehö ren zusammen; sie verdanken sich gegenseitig ihr Dasein. Wie steht es nun aber mit unserer modernen Nahrung? Wir haben bereits gesehen, daßunsere Zivilisation die menschliche Nahrung verfeinert, wo es irgend angeht, und daß aus ihr entweder durch Mahlen und Sieben oder durch Schä len und auf alle erdenklichen anderen Arten die Hauptmenge ihres faserigen Abfallmaterials entfernt wird. Auf diese Weise bleibt natürlich eine zartere, feinere Kost zurück. Aber ist zartere, feinere Kost ein Vorteil für die kö rperliche Gesundheit? Die Entfernung des faserigen Abfallmaterials beraubt unsere Nahrung der natürlichen Anregung zur Muskelbetä tigung der Darmwä nde, durch welche die Speisemenge vom Magenausgang zum 64
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Ausgang des Darmkanals geschoben wird. Auf diese Weise wird die Darmtä tigkeit verlangsamt, was zu einer Zersetzung der Eiweißstoffe und zu einer überstarken Gä rung der Kohlehydrate führt. Die Zersetzung begünstigt die Bildung depressiver Gifte, die Gä rung das Entstehen erregender Sä uren, die Entzündungen der Darmwand herbeiführen kö nnen. Solche Entzündungen der Wä nde des Verdauungskanals verzö gern aber die Fortbewegung der Speisemasse noch mehr und stö ren auch auf andere Weise ihre Verdauung. Die Innenwand des Kanals bedeckt sich dann nä mlich mit Schleim, welcher die Absonderung der Verdauungssä fte nachteilig beeinflußt. Die Verdauung erleidet auf diese Weise eine Behinderung, was zu einer weiteren übernormalen Gä rung und Zersetzung der Eiweißstoffe führt. Schließlich trocknet die Abfallmasse aus und kann nur mehr mit Schwierigkeit durch den Kanal geschoben werden, so daßdie Bewegung nochmals verlangsamt wird. Daraus folgt noch mehr Zersetzung, noch mehr Gä rung und noch mehr Flüssigkeitsentzug. Das ist eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt, ein Kreislauf ohne Ausgang, der zu einer chronischen Kö rpervergiftung führt; denn nicht nur veranlaßt die Verlangsamung Gä rung und Zersetzung, sondern sie gibt auch lä nger ausgedehnte Gelegenheit für die Ü berleitung der so erzeugten Giftstoffe in das Blut. Und das ist immer noch nicht alles. Es ist unmö glich, aus unserer Nahrung die faserigen Bestandteile zu entfernen, ohne ihr gleichzeitig gewisse physiologisch wertvolle Salze zu entziehen. Diese Mineralstoffe sind nicht nur sehr wichtig für das Wohlbefinden des ganzen Kö rpers, sie sind besonders wichtig für die lokale Struktur des Darmes, für die ihn auskleidenden Drüsen, die Muskeln, die seine Wä nde bilden, und die Nerven, die dieses Gefüge kontrollieren und regieren. Fehlen diese Salze, so vermehren sich die Fä ulnisbakterien in den viel zu langsam durch den Darmkanal geschobenen Speiseresten mit unglaublicher Geschwindigkeit. Die Fä ulnisbakterien erzeugen aber nicht nur Gifte, die ins Blut übergehen und die Ausscheidungsorgane belasten, sondern sie reizen auch ö rtlich und verursachen schließlich Entzündungszustä nde der Darmwä nde, die sogenannte Kolitis. Der arme Patient ist dann wirklich auf schlechtem -Wege. Denn wenn durch Verfeinerung der Kost die natürliche Anregung des Darmsystems wegfä llt, so erhalten die Muskeln nicht mehr den normalen Anreiz, ziehen sich nicht mehr normal zusammen und arbeiten daher nicht mehr normal. Als Endergebnis zieht die Nichtausübung der Darmfunktion den Verlust der Funktionsfä higkeit nach sich; die Muskeln werden immer schwä cher und geben schließlich ihre Tä tigkeit auf. Das sollte eigentlich genügen, um dem Leser auch in diesem Zusammenhang wieder deutlich zu machen, wie schwer die wichtige Funktion der Eingeweidemuskeln durch die unnatürliche Verfeinerung unserer Kost behindert wird. Um diese Tatsache kommt man nicht herum. Da die Kenntnis dieser Dinge von grö ßter Wichtigkeit für alle zivilisierten Menschen ist, sollten solche Warnungen durch die Radiosender verkündet werden. Wer kö nnte dann noch weiterhin die übliche verfeinerte Kost als Hauptnahrung beibehalten?
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6. KAPITEL Die Haut und ihre vernachlässigten Funktionen Hä tte uns die Natur für ein Leben in Kleidern und Hä usern eingerichtet, so hä tte sie uns ohne Zweifel mit geeigneten Schutzvorrichtungen in die Welt gesetzt, wie sie auch der Schnecke ihr Gehä use mitgibt. Denn wir kö nnen mit Sicherheit annehmen, daßdie Natur keine notwendige Vorsorge außer acht lä ßt und nichts den Launen des Zufalls preisgibt. Wenn die Natur uns nun einerseits nicht mit Hä usern und Kleidern versehen hat und daher wohl beabsichtigte, daßwir ohne diese Schutzvorrichtungen leben sollten, was wir — die menschliche Familie — ja auch ungezä hlte Jahrtausende getan haben, so hat sie uns andererseits doch auch nicht wehrlos dem wechselnden Schicksal überlassen, das uns aus unserer Umgebung erwä chst. Wir sind gewohnt, die Haut als schützende Hülle für den Kö rper zu betrachten, die gleichzeitig das Blut am Austritt aus dem Kö rper verhindern soll. Aber damit haben wir nicht tief genug unter der Oberflä che geforscht. Bei nä herer Betrachtung der menschlichen Haut finden wir, daßsie ein ä ußerst kompliziertes und wichtiges Organ ist. „0rgan“ — das hä tte der Leser wohl nicht vermutet. Und dennoch stimmt es! Die Haut ist unser Kleid und unser Haus — die Schutzvorrichtung gegen die plö tzlichen Verä nderungen in unserer Umwelt. In ihr hat unser Abwehrmechanismus seinen Sitz, und diese Vorrichtung ist unendlich viel vollkommener als alles, was wir uns als Bekleidung und Behausung ausdenken kö nnen. Wie sieht dieser Abwehrmechanismus aus? Vor allem ist die Haut eine isolierende Bedeckung. Unser Kö rper entwickelt seine eigene innere Wä rme. Die normale Haut hä lt diese Wä rme bei kaltem Wetter zusammen und stö ßt sie bei heißem Wetter aus. Die Haut verhütet auch, daßdie atmosphä rische Kä lte Zutritt zu den tiefer liegenden Teilen des Kö rpers erhä lt. Hä tten wir die Haut nicht, so würde der Kö rper im Winter erfrieren und in sommerlicher Hitze verschmachten. Die Haut atmet auch. Sie ist sozusagen eine zusä tzliche Lunge, die belebenden Sauerstoff aufnimmt und giftige Kohlensä ure sowie andere gasfö rmige Gifte und im Schweiße gelö ste Giftstoffe ausstö ßt. Die Haut enthä lt auch Talgdrüsen, deren Absonderung, eine ö lige Substanz, sich über ihre Oberflä che ausbreitet. um die Haut weich und geschmeidig zu erhalten und ihr Rauhwerden und Springen zu verhindern. Die bloße oberflä chliche Schö nheit des Kö rpers, seine ä ußere Erscheinung, wie sie hauptsä chlich im Antlitz zum Ausdruck kommt, ist zu einem großen Teil von dem Zustand der Hautfunktion des ganzen Kö rpers abhä ngig. Die Haut ist also eines der wichtigsten Organe unseres Kö rpers und hat eine ungeheure Bedeutung. Sie ist für unser Leben so wichtig. daß der Mensch rasch sterben müßte, wenn alle Hauttä tigkeit ausgeschaltet würde. Das ist keine Phantasie und auch keine bloße theoretische Behauptung. Anlä ßlich einer Papstwahl in Rom wurde ein schö nes, gesundes Kind mit Goldfarbe bestrichen, um einen Engel darzustellen. In ganz kurzer Zeit starb das Kind, weil die Haut nicht mehr arbeiten konnte, Dieses Beispiel ist bekannt, desgleichen die Tatsache, daßVerbrennungen, die grö ßere Teile der Haut zerstö ren, zur Selbstvergiftung und damit zum 66
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Tode führen, selbst wenn gar keine anderen Organe verletzt sind. Ist ein so wichtiges Organ nicht eingehender Betrachtung wert? Unbedingt. Anatomisch gesehen, besteht die Haut aus einer großen Menge übereinandergelagerter Zellen, die unregelmä ßig auf verschiedene Schichten verteilt sind. Die wenigen ä ußeren Zellenschichten bestehen aus einer hornigen Substanz und enthalten keine Blutgefä ße. Diese Schichten, die miteinander die Oberhaut oder Epidermis bilden, schützen die Oberflä che unseres Kö rpers vor leichten Beschä digungen durch Reibung und verhindern das Austreten des Blutes. Die tieferen Schichten wimmeln von kleinen, Kapillaren genannten Blutgefä ßen, die eine sehr wichtige Rolle beim Ausgleichen der Kö rpertemperatur spielen und sie unabhä ngig von der Außentemperatur konstant auf 36 bis 37 ° C erhalten. Diese Blutgefä ße stehen in naher Verbindung mit dem sympathischen oder Reflexnervensystem und werden ausschließlich von ihm kontrolliert. Organe, die unter der Kontrolle des Reflexnervensystems stehen, kö nnen von unserer Einsicht oder unserem Willen nicht beeinflußt werden; sie reagieren nur auf Anreize, die sie durch irgendeine außerhalb ihrer selbst liegende Quelle erhalten, sei es durch die Sekretion eines andern Organs oder einer Drüse des Kö rpers, sei es durch einen physikalischen Einfluß, wie Einwirkung von Hitze oder Kä lte. Und diese vom Reflexnervensystem her kontrollierten Organe funktionieren nur dann normal, wenn sie durch die Einwirkung ihrer natürlichen Reizquellen dazu angeregt werden. Miteinander bilden die Blutgefä ße, die so zahlreich in den tieferen Lagen der Haut und in den unmittelbar unter der Haut liegenden Geweben verteilt sind, ein riesiges, stark verzweigtes System winzig kleiner Rö hren mit elastischen Wä nden. Dieses System wird von zum Reflexnervensystem gehö renden Nervenfasern, deren hochempfindliche Enden als „Fühler“ in der Hautoberflä che eingebettet sind, kontrolliert. Stellen wir uns diese kleinen Rö hren vor, wie sie, um ihre Leistungsfä higkeit zu vergrö ßern, ihre dehnbaren Wä nde auseinanderziehen, wenn die empfindlichen Nervenenden der Hautoberflä che mit ä ußerer Hitze in Berührung kommen, wä hrend sie sich bei ä ußerer Kä lte zusammenziehen. Denken wir uns einen heißen Tag. Die erhitzte Atmosphä re tritt mit den Nervenenden der Haut in Berührung, was die Blutkapillaren veranlaßt, sich auf ihren doppelten Umfang auszudehnen. Dabei füllen sich die Kapillaren mit warmem rotem Blut vom Innern des Kö rpers her, und dessen Wä rme wird nun in den Raum gestrahlt, so lange, als die ä ußere Hitze das Blut zu den Hauptkapillaren zieht. Es geht dabei aber noch mehr vor sich. Ü ber die ganze Haut sind zwei Systeme kleiner, senkrecht zur Hautoberflä che stehender Drüsengebilde verteilt, die Fettdrüsen und die Schweißdrüsen, die innen in geschlossenen Sä ckchen enden. Ein Netz von Blutkapillaren umgibt diese geschlossenen Sä ckchen, besonders die der Schweißdrüsen. Wenn die ä ußere Temperatur so hoch steigt, daß sie die Kö rperwä rme über die normalen 37 ° C hinauftreibt, so dehnen sich diese Kapillaren aus und füllen sich mit warmem Blut aus dem Kö rperinnern; die Ausscheidungszellen, die die Innenwand der Schweißdrüsen bekleiden, ziehen dann große Mengen warmer Flüssigkeit in Form von Schweißaus dem Inhalt dieser ausgedehnten Blutgefä ße. Dieser warme Schweißbreitet sich in dünnem Ü berzug über die Oberflä che der Haut aus, so daßdie Wä rme rasch in den Raum ausstrahlt. Je hö her die ä ußere Hitze steigt, desto energischer setzt diese Wä rmestrahlung und Wä rmeentziehung durch Schweißabsonderung ein. Sowie aber die ä ußere Hitze sinkt, vermindert sich auch die Schweißabsonderung in demselben Maße. Dieser Ausgleich der Kö rperwä rme geschieht ganz unabhä ngig vom bewußten 67
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Wollen oder von der Erkenntnis, einzig und allein durch den Mechanismus der Reflexnerven und ihre empfindlichen, in der Haut liegenden Endfühler. Natürlich kann Schwitzen auch durch andere Mittel hervorgerufen werden als durch die Einwirkung ä ußerer Wä rme, zum Beispiel bei großen Muskelanstrengungen durch die innere Wä rme des Kö rpers. Tatsache ist aber jedenfalls, daß90 Prozent der Wä rmeausstrahlung des Kö rpers durch die Haut erfolgen. Weiter enthä lt die Haut noch den pigmentbildenden Mechanismus, eine Vorkehrung der Natur, durch die eine Schicht dunkler Farbstoffe (Pigmente) in den tieferen Lagen der Haut gebildet wird, wenn der nackte Kö rper lange Zeit den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Der Zweck dieser Einrichtung besteht darin, gewisse erhitzende, reizende und schä dliche Bestandteile der Sonnenstrahlen vom Innern des Kö rpers fernzuhalten. Besonders wichtig ist die Art und Weise, wie die Haut die Kö rperwä rme zurückhä lt und sie verhindert, in den Raum zu entweichen, wenn die atmosphä rische Kä lte die Kö rpertemperatur unter ihren normalen Stand herabzusetzen droht. Die ganze Oberflä che unseres Kö rpers ist mit feinen Hä rchen bedeckt, die teils sichtbar, teils unsichtbar sind. An den Wurzeln dieser Hä rchen (richtiger gesagt: am Grunde der kleinen Haarwurzelknollen) befinden sich kleine Muskeln, die „Haaraufrichter“ (Arrectores pilorum) genannt werden. Das eine Ende dieser Muskeln ist an den Haarwurzeln befestigt, das andere an der unteren Seite der Haut. Wenn starke Kä lte auf die Haut einwirkt und eine Herabsetzung der inneren Kö rperwä rme droht, ziehen sich diese kleinen Muskeln zusammen, und die feinen Hä rchen richten sich auf. Das ist die Erscheinung der „Gä nsehaut“ . Aber der Zweck dieser Zusammenziehung ist nicht, die Haare „zu Berge“ stehen zu lassen, vielmehr pressen sich dann die lose zusammenhä ngenden Zellen, die unsere Außenhaut bilden, gegeneinander, so daßsozusagen alle Zwischenrä ume geschlossen werden. Auf diese Weise wird der Kö rper gegen das Einströ men der ä ußeren Kä lte abgeriegelt; überdies wird dadurch die Abstrahlung der Kö rperwä rme nach außen verhindert. Zu gleicher Zeit werden die Schweißdrüsen veranlaßt, ihre Ö ffnungen in der Hautoberflä che zusammenzuziehen, und die Zellen, welche die Innenwä nde dieser Drüsen bekleiden, erhalten den Befehl, die Schweißausscheidung zu unterbrechen. So wird die unmerkliche Ausdünstung, die fast ununterbrochen über den ganzen Kö rper stattfindet, um die Kö rperwä rme auszustrahlen, abgeschnitten. Weiter werden die Blutgefä ße in der Haut und unmittelbar darunter angewiesen. sich zusammenzuziehen, wodurch das in ihnen enthaltene Blut in das warme Innere des Kö rpers zurückgedrä ngt wird; daher wird die Haut bei der ersten Fühlungnahme mit starker ä ußerer Kä lte stets etwas blasser. Der Kontakt der Kä lte mit der Haut wirkt aber als starker Anreiz auf die Atmungsorgane, und wä hrend die oben beschriebenen Vorgä nge stattfinden, hat der Kö rper bereits begonnen, tiefer zu atmen und mit jedem Atemzug große Mengen von Sauerstoff in das Blut überzuführen. Dieser Sauerstoff wirkt als Reizmittel auf das Herz, das seine Schlä ge beschleunigt und seine Tä tigkeit steigert; dadurch wird das Blut, mit Wä rme geladen, zur Hautoberflä che zurückgetrieben. Inzwischen ist an die Kapillaren in der Haut der Befehl ergangen, sich wieder auszudehnen, um diesen Rückstrom von warmem Blut zu ermö glichen, und wiederum gehorchen sie unverzüglich, was man selbst feststellen kann, weil die Haut im Kontakt mit der Kä lte nach einer kurzen Weile rot wird. Aber die Hautzellen sind jetzt zusammengepreßt, ihre Zwischenrä ume sind geschlossen und die Drüsengä nge desgleichen; daher kann das in die Oberflä chenkapillaren gedrä ngte warme Blut seine Wä rme nicht nach außen abgeben; sie strahlt vielmehr nach innen und verhindert so ebenfalls den 68
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Kä ltezutritt nach dem Kö rperinnern. Nun kommt aber noch etwas dazu. Als der Kontakt der Haut mit der Kä lte den Kö rper veranlaßte, tiefer zu atmen und auf diese Weise mehr Sauerstoff aufzunehmen, machte sich dieser Sauerstoff unverzüglich daran, die noch nicht verarbeiteten Kohlehydrate der letzten Mahlzeit zu verbrennen, um noch mehr Kö rperwä rme freizumachen. Sind keine solchen Kohlehydrate vorhanden, so verbrennt der Sauerstoff das Kö rperfett. Außerdem bewirkt er die beschleunigte Verbrennung der Zellenabfallstoffe im Kö rper und deren Ausscheidung als Gas oder Flüssigkeit oder in anderer Form. Dieser umfangreiche Verbrennungsprozeßentwickelt zusä tzliche Kö rperwä rme, die durch die Zusammenpressung der ä ußeren Hautzellen und die Schließung der Schweißdrüsen weitgehend im Kö rper zurückgehalten wird. So dient derselbe Verteidigungsmechanismus einem doppelten Zweck: in der Sommerhitze schützt er den Kö rper vor dem Verbrennen und im Winter vor dem Erfrieren. Die Art seiner Tä tigkeit hä ngt ganz von der Art der natürlichen Anreize ab, die auf die empfindlichen Nervenenden in der Hautoberflä che wirken. Die Berührung der Haut mit ihrer Umgebung hat aber noch andere Folgen. Wenn das Blut durch tiefes Atmen, das dem Kontakt der Haut mit der ä ußeren Kä lte folgt, reicher mit Sauerstoff geladen wird, muß auch das Herz mit grö ßerer Kraft und Schnelligkeit arbeiten. Dadurch wird das sauerstoffreiche Blut in alle Organe gepumpt. Da die Organe aus Stoffen aufgebaut sind, die ihnen durch das Blut zugeführt werden, haben sie auf diese Weise die Mö glichkeit, neue Aufbaustoffe aufzunehmen und dafür die alten, verbrauchten wieder an das Blut zurückzugeben. Gewisse Organe, wie zum Beispiel die Sekretionsdrüsen, haben dabei noch den Vorteil erhö hter Zufuhr von Rohstoffen zur Bildung der Absonderungen, die sie dem Kö rper liefern, um ihm auf diese Weise Wirkstoffe zuzuführen, ohne die bestimmte Organe oder Drüsen nicht arbeiten kö nnen. Andere Drüsen haben die Aufgabe, dem kreisenden Blute Giftstoffe zu entnehmen und sie so aus dem Kö rperhaushalt zu entfernen. Den ersten Vorgang nennen wir Sekretion, den zweiten Exkretion. Die gesteigerte Tä tigkeit des Herzens, der Blutgefä ße, der Lungen, der Drüsen im ganzen Kö rper, der Haut selber, und die gesteigerten rhythmischen Zusammenziehungen der Muskelfasern über den ganzen Kö rper erzeugen gleichfalls zusä tzliche Wä rme, die in den Blutstrom übertritt und von ihm ununterbrochen der Haut zugeführt wird; infolgedessen vermag die ä ußere Kä lte, mit der der Kö rper in Kontakt ist, nicht in ihn einzudringen. Wir sehen aus diesen Darlegungen, daßin unserem Kö rper als Folge der Kä lteeinwirkung auf unsere Haut eine ganze Kette von Reflextä tigkeiten stattfindet; diese Kette nenne ich die „Hautreflexkette“ . Ihre Funktionen kö nnen aber nur dann krä ftig angeregt werden, wenn die Haut dauernd ihre natürlichen Anreize aus ihrer Umgebung erhä lt. Mit anderen Worten: die Haut soll immer fä hig und bereit sein, den Kö rper gegen die Angriffe, die ihm aus seiner Umwelt erwachsen, zu verteidigen; die Kraft dazu erhä lt sie von selbst infolge der bestä ndigen Anstrengung, die Umwelt zu meistern. Allerdings gilt das nur für die normale, gesunde menschliche Haut. Und hier stoßen wir gleich auf eine Schwierigkeit. Wie viele Menschen unserer Zeit haben eine normale, gesunde Haut? Leider nur wenige! Pusteln, Ausschlag und alle Arten von ä hnlichen Entstellungen sind freilich Beweise nicht nur einer kranken Haut, sondern auch eines kranken Kö rpers. Die Haut kann 69
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nicht mit Ausschlag versehen oder anderswie gereizt sein, wenn der Kö rper ganz gesund ist. Diese Behauptung wird, das weiß ich, ungefä hr neunundneunzig Prozent meiner Leser verblüffen; das kommt, ich wiederhole es, von der Gewohnheit, nicht unter die Oberflä che der Dinge zu schauen. Es ist in diesem Rahmen unmö glich, alle Funktionen der Haut eingehend zu studieren. Wir wollen hier nur eine derselben, die Verteidigung gegen die Umwelt, herausgreifen und nä her betrachten; dasselbe Prinzip beherrscht auch ihre andern Funktionen. Betrachten wir einmal die Gewohnheit der zivilisierten Menschheit, den Kö rper in mehrere Schichten sozusagen luftdicht abschließender Kleidungsstücke einzuwickeln. Wie in aller Welt kann sein Abwehrmechanismus erstarken, wenn jedes erdenkliche Hindernis zwischen ihn und seine natürlichen Anreizquellen gelegt wird, ohne deren Einwirkung er gar nicht in normale Funktion treten kann? Es versteht sich von selbst, daß ein von so schwä chlicher Haut bedeckter Kö rper keine Freude an der Berührung mit kaltem Wasser hat; er schreckt davor zurück. Er schreckt vor Kä lteberührungen jeder Art zurück, und nichts beweist deutlicher, daß seiner Abwehrbedeckung die Lebenskraft entzogen ist, daß die Natur ein Sühnegeld für das übertretene Gesetz einfordert und das zu wenig benützte, in seinen Funktionen bestä ndig gestö rte Organ verkümmern lä ßt. Aber nicht allein die Abwehrfunktion der Haut wird zerstö rt und mußverkümmern, in jeder Zelle des Kö rpers wird eine ä hnliche Abwehreinrichtung vernichtet, denn die mit der Haut verbundenen Funktionen bilden ja, wie wir gesehen haben, eine ganze lange Kette. Die Haut ist das reflexerzeugende Zentrum, und wenn der Reflex aus mangelnder Anregung nicht mehr erzeugt wird, mußdie ganze Kette der Funktionen versagen. Kein Wunder, wenn Zugluft in den zarten und empfindlichen inneren Organen Erkä ltungen und Krankheiten hervorruft, die unnatürliche und daher durchaus unnö tige Erscheinungen sind. Und doch gibt es viele Menschen — darunter auch die nicht denkenden Ärzte — , die viele und schwere Kleider als gesund betrachten, weil sie den Kö rper „vor der Wut der Elemente zuverlä ssig beschützen“ . Solche Leute, seien sie Laien oder medizinische Fachleute, sind nie tiefer in diese Probleme eingedrungen, sondern stets an der Oberflä che geblieben. Hä tten sie tiefer geforscht, so hä tten sie sich vielleicht doch gefragt, wie es kommt, daß Hä nde und Gesicht in Berührung mit derselben Kä lte, die jeden anderen, gewö hnlich durch viele übereinanderliegende Kleidungsstücke beschützten Kö rperteil aufs empfindlichste und heftigste reizen würde, nicht im geringsten leiden. Und sie hä tten sich wohl auch um eine Erklä rung der allen Ärzten mit ausgedehnter Vorstadtpraxis in großen Industriestä dten bekannten Tatsache bemüht, daßunter dem oft nur halbbekleideten, zerlumpten, ungewaschenen Nachwuchs der untersten Bevö lkerungsklassen Erkä ltungen, Bronchialerkrankungen, Influenza, Lungenentzündung, usw. verhä ltnismä ßig selten vorkommen. Ich habe eine ziemliche Erfahrung auf diesem Gebiet und kann davon sprechen. Ich behaupte keineswegs, daß solche Krankheiten in ä rmlichen Verhä ltnissen nur vereinzelt auftreten, dennoch kann man ihr Vorkommen selten nennen, verglichen mit ihrem Wüten unter den wohlhabenden, gutgekleideten Bürgern derselben Stä dte, die oft in solchem Ausmaße darunter leiden, daßder Beobachter lä ngst aufgehö rt hat, sich darüber zu verwundern, ja, daßsie als Beigabe zu den natürlichen Lebensbedingungen angesehen werden, die jenseits menschlicher Verantwortung liegt. Diesen Zustand finden wir aber nur in der Zivilisation und nirgends in den unzivilisierten Lä ndern, 70
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nirgends bei natürlich lebenden Menschen, die weniger „gut gekleidet“ , weniger „gut genä hrt“ , weniger „gut untergebracht“ sind als wir. Das mahnt zum Aufsehen. Wer da glaubt, es sei wichtig, sich „gut zu kleiden“ , und dabei an dicke, schwere Kleidung denkt, findet auch keine Erklä rung für die merkwürdige Erscheinung jener Indianer an der Küste des Stillen Ozeans, die ich manchmal barfuß in wä sserigem, schmutzigem Schnee umherwaten sah, nur mit baumwollenen Hemden und zerschlissenen Hosen bekleidet oder auch bloß in einer Ärmelschürze als einziger Kö rperbedeckung, die aber in keiner Weise unter der Kä lte zu leiden, noch sie überhaupt zu empfinden schienen. Die Indianer selbst aber hatten eine Erklä rung. Einen Alten fragte ich, wie er es mache, um die Kä lte so gut auszuhalten und anscheinend nicht einmal zu fühlen. Er antwortete: „Bei mir alles Gesicht.“ Das ist die Erklä rung dieses Phä nomens in einer Nußschale. Wir lernen daraus nicht nur, daß die wirklich normale Haut den Kontakt mit ä ußerer Kä lte in jeder Form ertragen kann, sondern auch, daßeine solche natürliche Anregung für sie ein Bedürfnis und ein Genußist. So lä ßt sich auch begreifen, wie eine kleine Musikantentruppe von den Philippinen, die im Jahre 1904 eine Tournee in den Vereinigten Staaten machte, nachdem sie vorher an der Weltausstellung in St. Louis tä tig gewesen war, eines Tages lä chelnd durch die verschneiten Straßen von Philadelphia gewandert kam, ohne weitere Bekleidung als ihre Hosen; der klatschnasse Schnee drückte sich glucksend zwischen den Zehen hindurch, die Flocken lagen hell auf der nackten Haut und schmolzen dort; die Mä nner schienen die Kä lte gar nicht zu beachten. Ich sah dieselben Mä nner spä ter im Hö rsaal, wo ich mithalf, am Beispiel ihrer Füße einer Gruppe von Orthopä diestudenten den vollkommenen Fuß zu demonstrieren, und hatte Gelegenheit, mit verschiedenen von ihnen zu sprechen. Sie erzä hlten mir, in ihrer Heimat hä tten sie nie Schnee gesehen; aber sie empfanden die Kä lte nicht, und ich konnte ihnen dies glauben, denn ihre Haut fühlte sich durchaus warm an. Ich ließes mir angelegen sein, nachträ glich zu erfahren, ob sie sich auf diesem Marsch durch den Schnee erkä ltet hä tten; doch sie lachten über die Vermutung, daßsie sich hä tten erkä lten kö nnen. Diese Beobachtungen führen alle zu derselben Feststellung: daß die zivilisierten Menschen ihr normales Verhalten weitgehend verloren haben; es hat sich in ihnen die Vorstellung herausgebildet, das Endziel des Lebens sei nicht kö rperliche Ertüchtigung, sondern Bequemlichkeit und physisches Behagen. Man kann zwar nicht bestreiten, daß dies der Endzweck der Kultur ist, aber das Endziel des Lebens ist es keineswegs. Es gibt zwei Lebensauffassungen. Die eine zielt auf behagliches Wohlleben, die andere auf kö rperliche und seelische Tüchtigkeit, Lebendigkeit, Mä nnlichkeit. Die Grundidee der ersten Auffassung lä ßt sich in dem Bild einer Schlange darstellen, die soeben eine Beute verschlungen hat und sich nun an einem sonnigen Plä tzchen zusammenrollt, um ihr Verdauungsschlä fchen zu halten. Die Grundidee der zweiten Auffassung symbolisiert der Jagdhund, der an der Leine zerrt, das Rennpferd, das ungeduldig wiehernd mit seinen Hufen scharrt. Der bequeme Mensch scheut sich davor, sich kö rperlichen Beschwerden auszusetzen, und trachtet daher, jede Anstrengung zu vermeiden und sein Dasein in einer weichen, trä gen, schlä frigen Weise zu genießen. Der gesunde, tatenfreudige Mensch dagegen sucht Anstrengungen auf, setzt sich den Einwirkungen der Umwelt aus und trachtet so, die dem Kö rper innewohnende Verteidigungskraft durch Ü bung zu stä rken, wie man es mit seinen Muskeln oder seinem Gedä chtnis macht, wenn man sie zu entwickeln wünscht; das Endziel ist kö rperliche Tüchtigkeit, welche Lebenskraft und Widerstandsfä higkeit erzeugt. 71
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Die Anhä nger dieser lebendigen Lebensauffassung wissen, daß der Kö rper nur durch Ü berwinden von Schwierigkeiten lernen kann, Schwierigkeiten zu überwinden; nur durch Widerstandsleistung wird er widerstandsfä hig; nur durch Kraftentwicklung bis zur Grenze der Erschö pfung kann er sich krä ftigen. Und ob diese Leute nun von physiologischen oder natürlichen Gesetzen schon etwas gehö rt haben oder nicht, sie wissen jedenfalls, daß die Kö rperfunktionen nur durch immerwä hrendes, krä ftiges Funktionieren und durch bestä ndige Erfüllung der ihnen zugedachten Aufgaben zur vollen Ausübung ihrer Krä fte fä hig werden kö nnen. Jedermann, sogar der Anhä nger des schlaffen und weichen Lebens, der Genüsse und des üppigen Behagens, weiß, wie notwendig es ist, die willkürlichen Muskeln regelmä ßig und hart arbeiten zu lassen, um krä ftige Beweglichkeit zu erreichen. Er sieht aber in dieser Tatsache nicht das allgemeine Prinzip oder das natürliche Gesetz, das auf alle Organe und Funktionen anzuwenden ist. Verehrer der weichen Lebensart kö nnen dieses Prinzip auch gar nicht sehen, denn wir alle finden überall nur das, wonach wir suchen. Und die schlaffen Menschen suchen bloßAusreden für ihr Verhalten und immer neue Gelegenheiten, sich zu pflegen und zu verwö hnen. Nur von dem Menschen, der selber wünscht, kö rperlich tüchtig zu werden, also Tüchtigkeit sucht, kö nnen wir erwarten, daß er die Naturgesetze erkennt, die darauf hinzielen, solche kö rperliche Tüchtigkeit zu entwickeln. In unserer Zivilisation gibt es allerdings noch sehr wenige Anhä nger dieser Kö rperbereitschaft. Die meisten Kulturmenschen sind Anhä nger von Luxus und Verweichlichung. Sie sind nach und nach zu dem Glauben gelangt, daßes vorteilhafter sei, die natürlichen Abwehrkrä fte des menschlichen Kö rpers durch stellvertretende Einrichtungen menschlicher Erfindung zu ersetzen und durch sie den Kö rper beschützen zu lassen, anstatt seine natürlichen Abwehrkrä fte genügend zu verwerten, und künstlichen Schutz nur im Notfall in Anspruch zu nehmen.
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7. KAPITEL Unterentwickelte Muskeln Der Kulturmensch kann sich an Torheiten und Unnatürlichkeiten nicht genug tun. Er feiert auf allen Lebensgebieten wahre Orgien gedankenloser oder eigenwilliger Ü bertretungen der Naturgesetze. Selbst wenn ich fünfzig Bücher über naturwidrige Lebensgewohnheiten der Kulturmenschheit schreiben würde, kä me ich damit immer noch an kein Ende. Man kann ohne zu übertreiben behaupten, daßjede Gewohnheit, die den zivilisierten Menschen vom Wilden unterscheidet, unnatürlich ist. Diese Kritik rechtfertigt sich, wie auf allen andern, so auch auf dem Gebiete der Muskeltä tigkeit. Die Funktion der Muskeln besteht darin, zusammenzuziehen — Stä rke auszuüben. Und das heißt mehr, als bloßdie Kö rperteile in Bewegung zu setzen. In dieser Richtung liegt sogar ihre geringste Bedeutung, denn solche Aufgaben kö nnen auch von stellvertretenden Krä ften ausgeführt werden. Die Muskelfunktion liegt bei schä tzungsweise fünfundneunzig Prozent der zivilisierten Menschheit brach; sie wird jedenfalls nur schlecht geübt. Die Folgen bleiben denn auch nicht aus. Ist es wohl ein bloßer Zufall, daß unsere Muskeln so fest und großer Kraftentwicklung fä hig sind? Ich bin im Gegenteil davon überzeugt, daßihre Beschaffenheit Teil eines Planes ist. Der Plan aber deutet auf einen Geist, der ihn entworfen hat. Nehmen wir einen solchen Geist an, so schließen wir auf einen Zweck; dieser Zweck bezieht sich auf eine Funktion, die Funktion auf ein Bedürfnis, das Bedürfnis auf eine Notwendigkeit — und zwar die Notwendigkeit, das Organ so zu gebrauchen, wie es seiner Beschaffenheit nach zum Gebrauch bestimmt ist. Damit sind wir am Ende und zugleich wiederum am Ausgangspunkt des Kreises. Das bloße Vorhandensein unserer Muskeln verlangt Benützung. Wenn das wahr ist, so ist auch wieder wahr, daßihre Dicke, ihre Stä rke eine krä ftige Benützung verlangen. Die Natur macht keine Fehler. Sie versieht uns nicht mit Organen, die fä hig sind, eine große Funktionskraft auszuüben, ohne von uns auch diese Ausübung in weitestgehendem Maße zu verlangen. Und dieses Verlangen kö nnen wir nicht ungestraft überhö ren. Diese Wahrheit müssen wir uns sehr gut merken. Er ist der Fluch der Zivilisation, daßwir solche Wahrheiten rein theoretisch erfassen. Wir versuchen bestä ndig, die Natur zu hintergehen und uns ihr zu entziehen. Das Vorhandensein der krä ftigen Muskeln deutet auf die Notwendigkeit einer gewaltigen Verausgabung an Muskelkrä ften. Das ist nicht meine Folgerung, es ist die der Natur. Und hinter den Folgerungen und Forderungen der Natur steht die ganze Gewalt der Naturgesetze. Gehorche oder zahle, benütze oder verliere; das sind die Argumente der Natur. Gehorchen heißt: einfach und natürlich leben. Natürlich leben heißt: normal sein. Normal sein heißt: einen vollkommenen Kö rper besitzen. Einen vollkommenen Kö rper besitzen heißt: frei von Krankheit und ihr nicht unterworfen sein. Gewisse Gesetze für natürliches Leben, für einfaches Leben, die jedermann bei richtigem Willen gut verstehen und befolgen kann, sind als Richtschnur für unser persö nliches Leben aufgestellt, damit der Mensch in Ü bereinstimmung mit ihnen seinen vollen Erdenzyklus vollbringen und sich eines langen, kraftdurchpulsten Daseins erfreuen kann. Aber der einzelne nimmt sich nicht einmal die Mühe, zu untersuchen, welche Art Leben die Natur von ihm fordert; er bemüht sich bloßzu ergründen, wie er am liebsten lebt. Dieser Mangel an Achtung vor den natürlichen oder gö ttlichen Ge73
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setzen und die Einstellung auf das eigene Selbst werden zu ihrer Zeit ihren Preis gebieterisch fordern. Krankheit und meistens ein früher Tod — immer jedenfalls ein weit früherer Tod, als es in der Absicht der Natur lag, wie lange auch der einzelne Lebensablauf dauern mag — werden der zu zahlende Tribut sein. Es ist ja gar nicht zu vermeiden, daßdie zivilisierten Lebenseinrichtungen unnatürlich sind, solange die moderne Menschheit an der allgemein verbreiteten Ü berzeugung festhä lt, daßBehaglichkeit, Muße, Fernhalten jeder kö rperlichen, geistigen und moralischen Anstrengung, Ü bersä ttigung, leckere und verfeinerte Speisen, kurz, üppige Verweichlichung die wahren Ziele des Lebens sind. Ich stelle mir vor, daßsolche und ä hnliche Selbsttä uschungen auf folgende Art entstanden sein mö gen: Ein Mensch in mittlerem Lebensalter hä lt sich schon seit Jahren von kö rperlicher Betä tigung zurück, weil er sich schonen zu müssen glaubt. Eines Tages verlangen unerwartet eingetretene Umstä nde von ihm die Anstrengung seiner Krä fte bis an ihre ä ußerste Grenze. Er bricht zusammen und stirbt wohl gar in der Folge. Logische Schlußfolgerung: die Kö rperanstrengung hat ihn umgebracht. Aber dieser Schluß ist verkehrt — ganz und gar verkehrt. Er hatte sich so lange geweigert, den Befehl der Natur auszuführen und seine Muskeln in Ü bung zu erhalten, bis der Augenblick gekommen war, in dem er dafür zahlen mußte — und er hat gezahlt. Wir pflegen zu verallgemeinern, und als Basis für unsere Verallgemeinerungen dienen uns die tä glichen Beobachtungen; aber wä hrend wir beobachten, bleiben wir an der Oberflä che der Dinge und untersuchen sie nicht genügend tief. Weil Menschen manchmal nach geleisteten Anstrengungen zusammenbrechen, sagen wir, die Anstrengung habe sie umgeworfen. Wir überlegen nicht, warum diese bestimmte Anstrengung ihnen verhä ngnisvoll wurde. Müßten wir es oft erleben, daß Anstrengungen einen Menschen tö ten, dann hä tten wir einigen Grund zu solchen Behauptungen. Aber wir wissen doch schließlich auch, daßes eine Ausnahme ist, wenn Menschen nach einer Anstrengung zusammenbrechen oder gar sterben; daher sollte unsere richtige Folgerung die sein, daßwir die Schuld an der Katastrophe in Ereignissen oder Verhä ltnissen suchen, welche dieser Anstrengung vorausgingen. Physiologisch lassen sich so drastische Fä lle der Ü beranstrengung durch den Vergleich mit Gartenschlä uchen und Autoreifen verstä ndlich machen. Die Funktion eines Gartenschlauchs ist, Wasser zu fassen und weiterzuleiten, wä hrend die eines Autoreifens darin besteht, gepreßte Luft zu umschließen und Gewicht zu tragen. Beide Verwendungszwecke setzen Biegsamkeit und pralle Elastizitä t voraus, besonders wenn die Beanspruchung lä ngere Zeit dauert. Und jeder, der sich in diesen Dingen auskennt, weiß, daßdie beste Art — eigentlich die einzige — , die Geschmeidigkeit des Schlauches und des Reifens zu erhalten, darin besteht, beide mö glichst oft zu benutzen. Je mehr man Wasserschlä uche und Autoreifen benützt, je grö ßere Anforderungen man, ohne zu übertreiben, an sie stellt, desto lä nger behalten sie ihre wesentlichen Eigenschaften, die sie befä higen, der Beanspruchung zu genügen. Legt man sie zur Seite, ohne sie zu benützen, so sind sie nach wenigen Monaten hart und unbrauchbar geworden. Das alles gilt auch von unseren Blutgefä ßen und dem Herzen. Die Blutgefä ße sind elastische Rö hren, deren Wandung aus unwillkürlichen Muskelfasern und elastischen Geweben besteht und die vom Reflexnervensystem kontrolliert werden. Ihre Funktion ist, den verschiedenen Teilen des Kö rpers das Blut zuzuführen. Die dazu erforderliche Pumparbeit leistet das Herz, ein mit großen Kammern versehenes Muskelgebilde, das 74
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sich bestä ndig in raschem Wechsel zusammenzieht und wieder ausdehnt. Beim Ausdehnen des Herzmuskels füllen die Herzkammern sich mit Blut; zieht der Herzmuskel sich dann zusammen, so wird dieses Blut in bestimmte Blutgefä ße — die Arterien — gepreßt, Muskelschlä uche, deren elastische Wä nde sich ausdehnen, um das Einfließen zu erleichtern. Gleich darauf lä ßt aber das Herz in seiner Spannung nach, weil es sich ausdehnen muß, um seine Kammern neu zu füllen; infolgedessen schwindet der Druck, der das Blut in die Arterien getrieben hat. Wä hrend die Herzkammern sich ausdehnen, um sich wieder frisch zu füllen, schließt sich eine Klappe am Eingang der Arterien zum Herzen. Aber der Kreislauf des Blutes darf keinen Augenblick innehalten, wenngleich die Pumpkraft des Herzens wä hrend der Zeit seiner Wiederauffüllung von dem Blutstrom in den Arterien abgeschlossen ist. Deshalb ziehen sich die elastischen Wä nde der Arterien, die sich vorher ausgedehnt hatten, jetzt wieder zu ihrem Normalzustand zusammen und pressen dadurch das Blut erst in die Kapillaren, von dort in die Venen und dann zurück zu den Lungen und zum Herzen. Die Arterien haben sich aber kaum auf ihren gewö hnlichen Umfang reduziert, so pumpt ihnen das Herz eine neue Blutwelle zu, und sie müssen sich ungesä umt wieder ausdehnen, um das Blut aufzunehmen. Dieser Prozeßgeht, solange der Kö rper lebt, sechzig- bis hundertmal in der Minute vor sich. Er geht vor sich, ob die willkürlichen Muskeln genügend Arbeit haben oder nicht; aber wenn die willkürlichen Muskeln nicht aktiv arbeiten, so ist die Stä rke und die Hä ufigkeit der Herzschlä ge und die Menge des durch die Arterien getriebenen Blutes geringer als bei aktiver Muskelbetä tigung. Machen die willkürlichen Muskeln eine vom Willen diktierte aktive Anstrengung, so mußauch das Herz grö ßere Arbeit leisten, und dabei wird mehr Blut in die Arterien gepumpt, die dadurch zu noch stä rkerer Ausdehnung und hä ufigeren Zusammenziehungen gezwungen werden, weil sie nur dann den verstä rkten Blutkreislauf bewä ltigen kö nnen. Diese aktive Arbeitserhö hung der Arterienwä nde bedeutet also entsprechende Ü bung. Ruhen die Muskeln unseres Kö rpers, so befinden sie sich in latenter Spannung, jenem gä nzlich passiven Zustand, der einen nicht gelä hmten, ruhenden von einem gelä hmten Muskel unterscheidet. Dauert dieser tatenlose Zustand an, so greift die Natur mit ihrem Gesetz ein und zerstö rt die untä tigen Muskeln nach und nach; sie werden schlaff, schrumpfen zusammen und verlieren ihre Stä rke, ein Zustand, der Atrophie genannt wird, und der sich schon nach einer verhä ltnismä ßig kurzen Zeit der Ruhe und des Müßigseins bemerkbar macht. Die Muskeln beginnen alsbald steif und unelastisch zu werden. Gut durchgearbeitete Muskeln sind weich, nachgiebig und spannkrä ftig. Steife, aber schlaffe Muskeln zeigen dagegen zu geringe physiologische Tä tigkeit an. Aber Muskel ist Muskel, und was hier von den willkürlichen Muskeln gesagt wurde, gilt natürlich auch von den unwillkürlichen. Bleiben die willkürlichen Muskeln untä tig, so wird zum Beispiel auch vom Herzen eine mehr oder weniger nur passive Anstrengung verlangt. Bei lä ngerer Dauer der Passivitä t ist das Herz überhaupt nur noch zu solch passiven Anstrengungen fä hig; es verfä llt dann auch mit der Zeit der Atrophie infolge Nichtgebrauchs. Und weil Muskeln, die einige Zeit nicht aktiv benützt worden sind, nicht nur schlaff und schwach, sondern auch starr und steif werden, so fangen die Wä nde der Blutgefä ße an, steif und unelastisch zu werden, wenn der Kö rper aufhö rt, sich aktiv anzustrengen. Sind sie unelastisch, so dehnen sie sich nicht mehr normal aus, um das Blut, das aus den Herzkammern ausgestoßen wird, aufzunehmen; das Blut muß aber doch durch sie hin75
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durchgehen. Es wird daher immer schwieriger für das sich zusammenziehende Herz, das in seinen Kammern enthaltene Blut durch die Arterien zu treiben. Von Herz und Blutgefä ßen wird ein grö ßerer Kraftaufwand als der normale verlangt, und geringere Kraft als die normale steht zur Verfügung. Die Folge ist, daßdas Herz eine außergewö hnliche Anstrengung machen muß, um das Blut in die Arterien, die sich nicht ausdehnen wollen, zu pressen. Dadurch erhö ht sich der Druck des Blutes in den Arterien, und wir erleben das Phä nomen des gesteigerten Blutdrucks. Die Natur tut zwar bekanntermaßen alles ihr Mö gliche, um jeglichen organischen Gewebezerfall aufzuhalten oder auszugleichen. Wenn die Herzklappen undicht sind und einen Teil des Blutes bei der Zusammenziehung der Arterienwä nde zurückfließen lassen, so werden die Wä nde nach und nach dicker und dadurch stä rker, um so den Verlust an Arbeitsleistung auszugleichen. Dasselbe macht die Natur im Falle von Arterien, die durch Mangel an regelmä ßiger physiologischer Ü bung unelastisch geworden sind. Jede vergrö ßerte Anstrengung des Herzens, das Blut mit gesteigerter Kraft in die Arterien zu pressen, bedeutet für die Arterienwä nde eine vergrö ßerte Aufgabe. Die Natur kommt ihnen zu Hilfe und legt neue Gewebeschichten an die Arterienwä nde, um sie zu verdicken. Aber dieses Gewebe ist nicht elastisch und hat eher die Neigung, sich zusammenzuziehen, als sich zu strecken oder auszudehnen. Es macht zwar die Arterienwä nde stä rker, aber auch steifer und unelastischer, was wiederum vom Herzmuskel grö ßere Anstrengungen verlangt. Durch diese vermehrte Anstrengung des Herzens steigt die Spannung in den Arterien. Zunehmende Spannung birgt aber die Gefahr eines Gefä ßbruches in sich; darum verdickt und verstä rkt die Natur die Wä nde der Arterien aufs neue. Auf diese Weise werden sie noch steifer, und der dann nö tige neue Kraftaufwand des Herzens macht sie nur noch sprö der. Endlich beschließt die Natur, energisch einzugreifen, und beginnt, zwecks neuerlicher Verstä rkung, in den Arterienwä nden Kalk abzulagern. Das Ergebnis sind die sogenannten „verkalkten“ Arterien, die sprö de und brüchig wie Pfeifenstiele sind. Jetzt aber hat die Natur alles getan, was in ihrer Macht liegt; sie hat ihren letzten Trumpf ausgespielt. Ihre Maßnahmen haben das Leben um einige Jahre verlä ngert, aber nun mußder Kampf zwischen Herz und Arterien zu einer Entscheidung kommen. Die Arterien wollen sich einfach nicht mehr ausdehnen; das Herz besteht jedoch darauf. daßsie es tun sollen, und so streiten sie miteinander, und jeder Teil beharrt auf seinem Recht. Das Herz setzt seine ganze mä chtige Kraft dafür ein, das Blut in die Gewebe zu senden, die nach Blut und immer mehr Blut schreien. Die Arterien verweigern den vollen Dienst: „Wir kö nnen nur noch so und so viel Blut übernehmen und weiterleiten, aber nicht mehr, denn wir kö nnen uns nicht mehr wie früher ausdehnen und anpassen.“ Und sie versuchen, so viel Blut wie mö glich wieder zurück in die Herzkammern zu senden. Ist es so weit gekommen, dauert es nicht mehr lange, bis wir hö ren, daßHerr X oder Frau Y einem Herzleiden erlegen ist, einer Angina pectoris, einem Schlaganfall — das Herz oder die Blutgefä ße geben eben schließlich den aussichtslosen Kampf auf. Es kann aber auch ein anderes gefä ßreiches Organ eines Tages plö tzlich versagen. Wir wollen uns unter diesem Gesichtspunkt die Nieren etwas nä her ansehen. Die meisten Organe des Kö rpers sind in eine Decke unelastischen Fasergewebes eingehüllt. Das ist auch bei den Nieren der Fall. Innerhalb dieser Hülle besteht die Niere aus vielen Blutgefä ßen und ausscheidenden Zellen, die in der Hülle unausdenkbar eng zusammengedrä ngt sind. Wird durch das Wiederherstellungsverfahren der Natur neues Gewebe zur Nachhilfe oder zum Ersatz hinzugefügt, so entsteht innerhalb 76
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der Hülle ein der Menge der neu hinzugefügten Zellen entsprechender erhö hter Druck. Durch diesen Prozeßerhö ht sich aber auch der Druck des in den Nierengefä ßen zirkulierenden Blutes, und die Niere hat aus dieser doppelten Quelle einen bedeutenden Druck zu ertragen. Die unendlich vielen Blutgefä ße, die die Sekretionszellen mit Blut versorgen müssen, damit sie ihre Arbeit als Giftentferner ausführen kö nnen, lassen die Grö ße dieses Druckes vermuten. Schließlich beginnt dieser vergrö ßerte Druck auf die Sekretionszellen die Funktionen der Nieren zu stö ren; spä ter erzeugt er Entzündungszustä nde, welche die Ärzte als Nephritis, Brightsche Krankheit usw. diagnostizieren, Krankheiten, die den Kö rper dadurch umbringen, daßsie sein giftausscheidendes Filter, die Nieren, zerstö ren. In ä hnlicher Weise kann auch das Gehirn oder die Leber unter zunehmendem Blut und Gewebedruck den Zerfall des Kö rpers herbeiführen. Schließlich darf nicht übersehen werden, daßdas Herz, welches alle anderen Organe mit Blut versorgt, damit sie sich mit den ihnen durch das Blut zugeführten Stoffen immer wieder erholen und neu aufbauen kö nnen, auch sich selbst Blut zuführen muß, um leistungsfä hig zu bleiben. Das Herz hat deshalb seine eigenen Blutgefä ße, die sich leider nur allzu oft in der oben beschriebenen Weise verä ndern; findet eine solche Degeneration bei einem Menschen statt, so kann er mit keinem langen Leben mehr rechnen. Welches Organ als erstes klein beigeben muß, hä ngt von verschiedenen Umstä nden ab: von erblicher Belastung, von der vorgeburtlichen und nachgeburtlichen Pflege, von der Berufs- oder Beschä ftigungsart des Erwachsenen, von der Diä t und andern persö nlichen Gewohnheiten sowie von Eigenschaften und Anlagen, unter denen die Seelenund Gefühlsstä rke des Individuums nicht die geringste ist. Der plö tzliche Tod eines Freundes, des sportfeindlichen Lebemanns, den du durch die Zeitung erfä hrst, beeindruckt dich tief. Seine Angehö rigen verstehen diesen Schicksalsschlag nicht, denn nie schien der Verstorbene gesünder zu sein als unmittelbar vor der unbegreiflichen Katastrophe. Aber die Tragö die ist in Wirklichkeit nicht im geringsten unverstä ndlich, besonders nicht im Hinblick auf die Lebensgewohnheiten des Verstorbenen. Würden sich seine Nä chsten zu einer kleinen Denkarbeit über die Naturgesetze und ihre Unverletzlichkeit entschließen, so würden sie erkennen, daß der Gang der Dinge sich seit Jahren genau voraussehen ließ. Jeder klarblickende Mensch hä tte feststellen müssen, daßder tote Freund, der seine Muskeln nie ausbilden wollte, dafür aber um so mehr die Verdauungsfunktionen in Tä tigkeit hielt, einst den Preis kö rperlicher Degeneration zu zahlen haben würde, die in einem gewissen Stadium stets den Tod nach sich zieht. Wahrscheinlich war von den atrophierten Muskeln eine ungewö hnliche und plö tzliche Anstrengung gefordert worden. Sie taten ihr Bestes; aber dabei erzeugten sie eine viel grö ßere Menge von Kö rpergiften, als es bei normaler Entwicklung der Fall gewesen wä re, denn sie hatten außergewö hnlich viel zu leisten. Die Organe, deren Funktion die Ausscheidung dieser Kö rpergifte ist, litten natürlich gleichfalls an Schwund infolge Nichtgebrauchs. Da sie unter der Kontrolle des Reflexnervensystems stehen, konnten sie nicht vom Willen aufgepeitscht werden, unverzüglich in Aktion zu treten, wie die willkürlichen Muskeln. Infolgedessen hä uften sich die nicht ausgeschiedenen Kö rpergifte im Blute an. Dieses giftbeladene Blut sollte nun nicht bloß jede andere Zelle im Kö rper ernä hren und mit Energie versehen, sondern außerdem die atrophierten und schon etwas steifen Blutgefä ßwä nde und das auch schon mitgenommene Herz. Und das geschwä chte Herz und die unelastischen Blutge77
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fä ße sollten zur selben Zeit, da sie, statt mit frischem, mit giftgeträ nktem Blut versehen wurden, wegen der vergrö ßerten Anstrengung der willkürlichen Muskeln noch mehr Blut herbeischaffen und diesen plö tzlich aktiv arbeitenden Muskeln noch mehr Energie liefern, weil die der aktiven Tä tigkeit entwö hnten Muskeln auch wieder einer übernormalen Kraftzufuhr bedurften. Das schon bis zu einem gewissen Grade unfä hige Herz strengte sich an, der Anforderung zu genügen; es arbeitete rasch und ungestüm. Aber die starren Arterien verweigerten die Ausdehnung, die nö tig war, um mehr Blut durchziehen zu lassen. Dadurch wurden die Forderungen an das Herz ungeheuer vergrö ßert. Und die arbeitenden Muskeln riefen dringend nach mehr und immer mehr Energienachschub, wä hrend der Blutstrom durch die Produkte der Muskelanstrengung und das gleichzeitige Versagen der Ausscheidungsorgane immer mehr Gift aufzunehmen gezwungen war. Das Herz gab alles her, dessen es fä hig war, bis — die Katastrophe eintrat. Vielleicht hatte dein Freund ein schwaches Herz, das sich von der zunehmenden Unelastizitä t rascher überwä ltigen ließ; dann starb er an „Herzschwä che“ . Vielleicht waren seine Blutgefä ße von ererbter schwä chlicher Struktur; dann brauchte nur die Wand eines kleinen Äderchens in der Gehirnsubstanz zu platzen, und er starb an einem Bluterguß ins Hirn oder an einem Schlaganfall. Vielleicht brach irgendein anderes lebenswichtiges Organ zuerst zusammen. Sicher ist auf alle Fä lle, daßdeines Freundes Tod vom Mißbrauch seiner wesentlichen Organe herrührt und daßverweichlichende, allzu nachsichtige Lebensmethoden sein Ende beschleunigt haben. In Wirklichkeit starb er an den Irrtümern der Zivilisation — vor allem an den verhä ngnisvollen Folgen des Glaubens, daß kultureller Fortschritt und kö rperliches Wohlbehagen dasselbe seien, denn er wurde nicht durch die plö tzlich notwendig gewordene kö rperliche Anstrengung getö tet, sondern vielmehr durch die so lange Zeit andauernde Vermeidung jeder kö rperlichen Anstrengung, durch Bequemlichkeit, Verwö hntheit, Luxus — ein Leben, das unseren Wünschen gemä ßeingerichtet ist, anstatt nach den unverä nderlichen Grundsä tzen der Natur — , ein solcher Anschauungsunfug zeitigt bedenkliche Früchte! Jedoch auch hier reicht der Segen richtigen Verhaltens weiter als bloß bis zu den nä chsten Resultaten. Gerade im Falle der Muskeln sind die von ihnen ausgehenden Einflüsse auf die andern Kö rpergebiete interessant. Je strenger die Muskeln arbeiten, desto mehr verbrauchte Zellen werden abgebaut und desto mehr wä chst auch der Bedarf an Sauerstoff. Je grö ßer dieser Bedarf, desto tiefer geht der Atem, da die Lungenatmung neben der Aufnahme durch die Haut der einzige Weg ist, auf welchem Sauerstoff in den Kö rper gelangen kann. Je tiefer aber die Atmung, desto stä rker werden die Zwerchfell-, die Brust- und Bauchmuskeln beansprucht. Tiefe Atmung ist überhaupt die einzige Mö glichkeit, die Muskeln des Zwerchfells, der Brust und des Unterleibs in Ü bung zu erhalten. Außerdem ist die grö ßere Senkung und Hebung des Zwerchfells wä hrend eines tiefen Atemzuges von vorteilhaftester Wirkung auf Leber, Magen und Eingeweide. Jedermann, der einigermaßen zu beobachten versteht, mußerkennen, wie die Verdauungstä tigkeit durch eine krä ftige und systematische Ü bung der willkürlichen Muskeln im Freien angeregt wird. Wenn aber die Verdauungsfä higkeit durch Muskelarbeit vorteilhaft unterstützt wird, so trifft auch das Umgekehrte zu; daßdie Verdauungstä tigkeit durch Mangel an Muskelübung degeneriert. Etwas anderes kö nnen wir auch gar nicht erwarten, denn der nicht voll beanspruchte Kö rper braucht natürlich nicht die 78
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volle Nahrungsmenge; daher besteht eine geringe Verdauungsnotwendigkeit. Die Natur spart ihre Krä fte und pflegt nicht mehr Leistung zu produzieren, als zur Verdauung der Nahrung, die sie braucht, um die kö rperlichen Funktionen auszuführen, notwendig ist. So verringert sich die Verdauungsfä higkeit durch verminderte Ausübung der Verdauungsarbeit. Und keine einzige andere Funktion gibt es im menschlichen Kö rper, die nicht auf ä hnliche Weise gestö rt würde, wenn die willkürlichen Muskeln nicht voll, nicht regelmä ßig und nicht draußen im Freien arbeiten. Leider ist es nur zu wahr, daßdie Bewohner der zivilisierten Lä nder mehr und mehr eine sitzende Lebensweise führen. Die allgemeine Verbreitung des Automobils, des Personenaufzugs, der Autobusse, der Straßen- und der Eisenbahn wird über kurz oder lang dahin führen, daß die Mehrzahl der modernen Menschen verlernt, die Bewegungsmuskeln zu gebrauchen. Sogar die Landbevö lkerung fä hrt heutzutage, wo sie nur kann, anstatt wie früher zu Fußzu gehen. Und in vielen Berufen, die ursprünglich die Muskeln stark beanspruchten, übernehmen heute Maschinen einen bestä ndig wachsenden Teil der früher nö tigen Muskelarbeit. So üben in vielen Industriegebieten die in den Fabriken beschä ftigten Menschen zur Hauptsache nur noch die Aufsicht über mechanische Einrichtungen und Apparate aus, die ihrerseits die wirkliche Arbeit verrichten. Das alles wird von den meisten Leuten mit Stolz als „Fortschritt der Zivilisation“ gerühmt. Würden diese Erscheinungen in richtiger Weise kontrolliert, so kö nnten sie auch tatsä chlich Fortschritte für die Menschheit bedeuten. Aber die eigenwillige Art des Kulturmenschen, alle Lebensgewohnheiten seiner Laune und seinen stets wechselnden Wünschen und Begierden anzupassen, bildet eine stä ndig wachsende Gefahr für sein wirkliches Glück und Wohlergehen. ¯ Als Ergä nzung zum Thema „Die Muskeln und ihre Arbeit“ müssen wir noch das Problem der wahren und der falschen Muskelanstrengung und Muskelbeanspruchung untersuchen. Anspannung — Entspannung — Ruhe! das ist der Rhythmus sinnvoller Lebensführung, in den unsere Zivilisation Stö rung und Unordnung bringt. Die zivilisierten Menschen sind die einzigen Geschö pfe, deren Muskeln sich fast bestä ndig in Spannung befinden (bald mehr, bald weniger), wä hrend sie zu allen Zeiten vollkommen entspannt sein sollten, außer in den Augenblicken, da sie im Begriffe sind, eine ihnen aufgetragene Arbeit auszuführen; nur dann sollten die Muskeln oder Muskelgruppen arbeiten — und zwar nur die an dieser Tä tigkeit beteiligten; alle anderen sollten ihren Ruhestand beibehalten. Wenn wir einmal zu dieser Einsicht gelangt sind, müssen wir zugeben, daßfast die ganze moderne Menschheit ihre Muskelkrä fte in unnö tigen Zusammenziehungen und Ausdehnungen, die durch keine positive Aufgabe des tä glichen Lebens verlangt werden, gedankenlos vergeudet. Was bedeutet das? Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß keine einzige kö rperliche Tä tigkeit ohne einen Anreiz aus dem Nervensystem ausgeführt werden kann. Ununterbrochene Nervenanspannung aber heißt ununterbrochene Nervenverausgabung (und unaufhö rliche Muskelverausgabung desgleichen), für die dem Kö rper nichts zurückerstattet wird; und solche Verschleuderung der Nervenkrä fte führt unfehlbar am Ende zu nervö ser Erschö pfung. Beobachte die Menschen, mit denen du zu tun hast, wie sie, anstatt Ruhe suchend auf 79
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ihren Stuhl niedersinken und sich von ihm tragen zu lassen, ihn vielmehr in unbewußter Verkrampfung nach unten drücken; ihre Hä nde, Arme und Beine sind gestrafft, als sollten sie den Stuhl mühsam zusammenhalten. Oft sind außerdem die Brustmuskeln so steif angespannt, daßtiefes Atmen praktisch unmö glich wird. Andere Menschen — vielleicht du selbst — pressen die Zä hne zusammen; ihre Kehle ist verkrampft, die Nackenmuskeln sind steif. Und wie gespannt sind die Beinmuskeln jenes Mannes; seine Füße schlagen einen wütenden Takt, oder seine Finger trommeln zur Begleitung einer inneren Rastlosigkeit, die sich ein Auspuffventil sucht. Beobachte die Leute in der Eisenbahn, im Auto oder im Straßenbahnwagen; wie steif sitzen sie da, drücken sich an die Lehne oder halten sich unbequem auf dem vordersten Rand ihres Sitzes in Schwebe; Arm-, Bein-, Nacken- und Brustmuskeln sind in hä rtester Spannung; jeder Stoß, jede Erschütterung des Fahrzeugs schleudert sie mit gewaltsamem Ruck in eine andere Richtung, anstatt daß sie sich mit gelockerten Muskeln und losen Gelenken allen Schwankungen und Erschütterungen der Bewegung überlassen. Andere spazieren mit krampfhaften Schritten und versteiften Armen, die im Rhythmus ihrer harten Tritte eckig auf und ab schwingen, einher, und dabei spannen sie die Muskeln des Nackens und der Hä nde derart an, daßoft die Nä gel in den Handflä chen Eindrücke hinterlassen. Man gewö hnt sich an solche Spannungen so sehr, daß man damit schlafen geht und wieder aufsteht, und lö st sich inmitten des Schlafes die Spannung von selber, so kann man sogar dadurch erwachen. Da ruht eine Frau auf ihrem Liegestuhl. Ihr steifer Hals hä lt den Kopf in die Hö he gereckt, anstatt daßer sich zu sanfter Ruhe in die Kissen schmiegt; oder sie drückt ihn auf das Kopfkissen hinunter, als ob sie dieses mit Gewalt niederhalten müßte, anstatt daßdas Kissen den lose herabfallenden Kopf weich betten und stützen darf und jeder Muskel nachlä ßt und sich entspannt, wie es Kinder, Katzen und Hunde tun, wenn sie sich zum Schlaf legen. Will man den Arm jener Frau leicht in die Hö he heben, so ragt die Hand daran wahrscheinlich steif in die Luft hinaus, anstatt weich und gelö st vom Gelenk herabzuhä ngen. Entzieht man dann unbemerkt die Unterstützung und lä ßt den Arm ohne Halt, so bleibt er (statt schlaff und wie leblos herabzufallen) steif angespannt im Leeren ausgestreckt, weil seine Muskeln unbewußt angespannt worden sind; das aber ist vollstä ndig unnö tig, denn die Muskeln brauchen den Arm ja nicht hochzuhalten, solange eine andere Hand ihn unterstützt. Dort packt ein Mann seine Feder hastig, um in nervö sem Ruck seinen Namen zu schreiben, anstatt diese Prozedur mit derselben bedä chtigen Aufmerksamkeit zu vollziehen, mit der ein Sä ugling seine kleine Faust ins Mündchen steckt. Auf dem Bahnsteig steht ein Mann, der alle paar Minuten seine Uhr aus der Tasche zieht, obwohl er genau weiß, daßder Zug erst in einer Stunde abfahren wird. Und da ist eine Frau, die flach und kurz atmet und von Zeit zu Zeit einen tiefen Seufzer ausstö ßt, den ihr die Natur aufzwingt, um ihrem Kö rper den nö tigen Sauerstoff zu verschaffen, welchen ihr oberflä chliches, nervö ses Atmen ihr nicht zuführen kann. Und dort sitzen Frauen eckig und verkrampft zuvorderst auf ihren Stühlen, gestikulieren heftig und unruhig, halten sich straff aufrecht und schnattern mit schneidenden Stimmen aufeinander ein; ihre Gesichtsmuskeln sind hart angezogen, und ich mö chte wetten, sie sehen in wenigen Jahren alt und verwittert aus. Hier noch ein Mann und eine Frau, die Messer und Gabel und Lö ffel oder ein Stück Brot an sich reißen oder sich hastig von einer Platte bedienen, als ob sie eine Partie Schnipp-Schnapp spielten, anstatt anmutig ihre Hand nach dem Gewünschten auszustrecken, wie ein sehr kleines Kind es tun würde; ihr Fehler 80
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ist nicht der Mangel an guten Manieren, der Fehler ist, daßihre Nerven und Muskeln sich nicht zu benehmen wissen. Nur bestä ndig und auch bewußt gelockerte Muskeln und Gelenke kann man in anmutiger Gelassenheit zu den beabsichtigten Zwecken und mit der ä ußersten Genauigkeit in Raum- und Zeiteinteilung bewegen. Ein jeder beobachte sich nun selber einmal auf diese Dinge hin. Wahrscheinlich wird man dann viele Anzeichen kö rperlicher Spannungszustä nde bei sich selbst entdecken! Laßjemanden deinen Arm in die Hö he heben und gib acht, ob deine Hand lose vom Gelenk herunterhä ngt oder steif in die Luft hinaussteht. Wenn die unterstützende Hand sich unvermittelt zurückzieht — fä llt dann dein Arm hernieder, als ob er lahm wä re? Lege dich hin, laßjemanden deinen Kopf von einer Seite zur andern rollen und plö tzlich innehalten, und beobachte, ob dein Kopf augenblicklich aufhö rt, sich zu bewegen, und in der genauen Lage bleibt, in der er sich befand, als die Hand, die ihn bewegte, sich zurückzog, und ob diese Lage ungezwungen ist, oder ob der Kopf von selbst in eine andere Lage zurückrollt (wodurch die Anstrengung automatisch gelö st wird) und darin verharrt, wie der Kopf eines toten, schlaffen Kö rpers in der Lage verharren würde, in der er seinem Gewichte nach am günstigsten liegt. Oder bewegt sich dein Kopf in der Richtung, in welche die Hand ihn führte, weiter? In neunhundertneunundneunzig von tausend Fä llen wird er das tun. Bist du nicht zufä llig der tausendste Fall, so befindest du dich in einem Zustand chronischer Muskel- und Nervenspannung, die deine lebendige Nervenkraft bestä ndig abnutzt. Beobachte dich, wenn du deine Hand nach irgendeinem Gegenstand ausstreckst, und sieh, ob Hand und Arm, die du für diesen Zweck benützest, die einzigen Teile deines Kö rpers sind, die den Impuls zur Bewegung erhalten; prüfe, ob ihre Bewegung krampfhaft ist, ob die Hand sich heftig und unkontrolliert ausstreckt und zurückzieht (Fall 1) oder überlegt und vö llig sicher das gewünschte Ding aufhebt, ohne die geringste Hast im Wesen, in den Nerven und in den Muskeln, im Gegenteil, mit einem Gefühl vollstä ndiger Gelassenheit (Fall 2). Im ersten Fall verschwendest du deine Lebenskraft in Ü beranspruchung deiner Krä fte und untergrä bst deine Gesundheit zwecklos vorzeitig; im zweiten Fall bist du auserwä hlt, bei im übrigen gleichen Bedingungen viele Jahre lä nger als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft zu leben. Beobachte dich, wenn du spazieren gehst, ob dein ganzer Kö rper unbiegsam und starr im Takte deiner steifen, ruckweisen Schritte gestoßen wird. Dann erschö pfst du rasch deinen Vorrat an Lebenskrä ften — an den Krä ften, die die Natur dir zum Schutze gegen Krankheiten mitgegeben hat. Oder schwingst du deine Beine in freien, ausziehenden Schritten, folgt dein ganzer Kö rper rhythmisch ihren Bewegungen, und schwingen deine Arme dazu mehr oder weniger wie Dreschflegel in harmonischem Takt? Dann vermehrst du bestä ndig deinen Vorrat an Lebenskraft, indem du jeweilen nur die für die momentane Verrichtung notwendige Kraft ausgibst. In dieser Weise solltest du jede einzelne bewußte Tä tigkeit daraufhin untersuchen, ob deine Bewegungen wohl erwogen und überlegt und frei erfolgen und ob du nicht mehr Krä fte dafür ausgibst, als sie beanspruchen. Oder ob deine Bewegungen aufs geratewohl und übermä ßig heftig geschehen, wobei mehr oder weniger jeder andere Muskel des Kö rpers auch ins Spiel gezogen wird. Nur wenn du mit einer bewußten Anstrengung und unermüdlicher Selbstkontrolle die angeborenen schlechten Gewohnheiten abzulegen trachtest, kannst du dich von ihrer Sklaverei befreien und unnütze Kraftausgabe vermeiden. 81
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¯ Und nun mö chte ich den Leser bitten, eine halbe Stunde lang alles, was wir bis jetzt besprochen haben, in seinem Geiste zu erwä gen, insbesondere die Tatsache, daß der Mensch geschaffen worden ist, um im Freien, ohne Haus und Kö rperbedeckung zu leben und sich von der unverfä lschten Kost zu ernä hren, die die Natur ihm bietet, wie die Urvä ter der menschlichen Rasse es einst getan haben müssen, und wie die Primitiven unserer Epoche es immer noch tun. Des weiteren soll der Leser bedenken, daß „unheilbar kranke“ zivilisierte Menschen oft zu primitiven Lebensgewohnheiten zurückkehren und dann vollkommene Gesundheit wiedererlangen, trotz der „Hä rte“ einer solchen Lebensweise oder wohl gerade ihretwegen. Nachdem der Leser all dies reiflich erwogen hat, ist er sicherlich fä hig, seine Lage selber zu beurteilen. Das gilt vor allem für den kranken Leser, an den ich jetzt einige Fragen richten mö chte. Kranker Leser, ist es immer noch deine aufrichtige Ü berzeugung, daßGott in seinem unerforschlichen Ratschlußes für gut hielt, dich mit deiner Krankheit zu schlagen? Oder glaubst du jetzt, daß deine Krä nklichkeit eine Beleidigung Gottes ist, ein Zustand, den du selber mit deinem eigenen Ungehorsam und dem deiner Vorfahren über dich gebracht hast; ein Zustand, den du damit verschuldet hast, daßdu die gö ttlichen, gesundheitschützenden Gesetze verachtest und tust, was du wünschest, und nicht, was du sollst? Ist es dir jetzt mö glich, zu erkennen, daßGott ein guter Gott ist, und daßseine Absicht war, du solltest immer gesund und glücklich sein wie die meisten seiner ungezä hlten Geschö pfe? Daß er dich mit Abwehrkrä ften versehen hat, deren Mechanismus, wenn ihm die Mö glichkeit freien Funktionierens gegeben wird, dich automatisch gegen Krankheiten unempfä nglich macht, wenigstens im gleichen Grade, wie die primitiven Rassen es sind; daßer aber, wenn er auf Widerstand stö ßt, deinen Kö rper den unheimlichen, vernichtenden Gewalten ausliefert, die schließlich zu Krankheit und zu vorzeitigem Tode führen? Die Antwort auf diese Fragen ist wichtig. Wenn du nach reiflicher Ü berlegung immer noch nicht glaubst, daßdu durch deine Lebensweise selber die Schuld an deinen Krankheiten trä gst, dann lies nicht weiter, denn du wirst dich in diesem Falle für die Schlüsse, die ich im folgenden aus den früheren Betrachtungen ziehen will, ganz sicher nicht interessieren! Wer mir aber sein Verstä ndnis und seine Zustimmung bis hierher nicht versagt hat, der mö ge mir auch noch weiter folgen und mit mir den modus operandi erforschen, durch welchen eine verhä ltnismä ßige Unverletzlichkeit gegenüber Krankheitseinflüssen durch ausgleichende, natürliche Mittel erreicht werden kann. Ich stütze mich dabei auf die Erkenntnis, daß der Mensch vom Schö pfer als vollkommenes Wesen erschaffen worden ist — so vollkommen, daß er die Vollkommenheit seines Schö pfers widerspiegeln und darstellen sollte. Und ich vertrete die Ü berzeugung, daßder menschliche Kö rper seiner Natur nach der Krankheit nicht unterworfen ist, weil Gott den Menschen mit einem Mechanismus versehen hat, der ihm erlaubt, verderbliche Einflüsse von sich fernzuhalten: mit lebendiger Widerstandskraft. Darf dieser Mechanismus voll, krä ftig und unbehindert funktionieren, so bleibt der Mensch stets im Besitz seiner ungestö rten Lebensvollkommenheit; er ist bestä ndig widerstandsfä hig und — immer gesund.
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8. KAPITEL Dr. Jackson stellt sich um In diesem Kapitel will ich nicht theoretisieren; ich will von eigenen Erfahrungen erzä hlen. Wie ist es mir gesundheitlich ergangen? Wußte ich von vornherein besser Bescheid als meine Fachkollegen? Hatte ich tiefere Einsichten oder ein hö heres Wissen um die Wege zur Gesundheit als der einfachste meiner Nebenmenschen? Anfä nglich keineswegs! Was ich hier über mich in dieser Hinsicht zu sagen habe, ist kein stolzer Bericht, sondern eine Beichte. Auch ich war einst „kultiviert“ genug, um an den Wert eines „guten, nahrhaften Frühstücks“ als nö tige Unterlage für den arbeitsreichen Tag zu glauben. Viele Jahre lang aß ich früh morgens meinen großen Teller voll Porridge, darauf eine Schweinskotelette oder ein Beefsteak und Kartoffeln; oder Würste und Eierkuchen; oder Schinken und Eier; oder gebratenen Speck und Eier. Auf diese nahrhaften Speisen folgten Toast und Marmelade — natürlich dick mit Butter bestrichener Toast. Dazu nahm ich eine Tasse guten Kaffee oder Tee, oft auch mehrere Tassen. Ü ber meinen Porridge schüttete ich stets reichlich Zucker und Rahm, um mich zu krä ftigen. Denn verwandelt sich Zucker nicht in Kö rperwä rme und Energie, und wird nicht Butter noch ein wenig rascher in dieselbe so wünschenswerte Kö rperwä rme und -energie umgesetzt? Und sind nicht Schweinskoteletten, Beefsteaks, Würste, Schinken, Speck, Eier gewebebildende Nahrungsmittel, die die Muskeln, die Organe, die Verbindungsgewebe des menschlichen Kö rpers aufbauen und erneuern helfen? Selbstverstä ndlich! Und braucht der Kö rper nicht Wä rme und Energie, kö rperbildende und erneuernde Stoffe, um Tag für Tag weiterleben zu kö nnen? Natürlich! Dann sind also solche Mahlzeiten am Morgen vor Beginn der Arbeit das Beste, was man sich zur Krä ftigung und Stä rkung für sein Tagewerk ausdenken kann. So dachte ich einst wirklich selber auch. Und aus diesen und ä hnlichen Ü berlegungen heraus verzehrte ich zum Frühstück stets verschiedene so „nahrhafte“ Speisen. Allerdings lernte ich dieses üppige Essen erst langsam und allmä hlich. Doch unterstützte mich meine damalige Gesundheitsphilosophie darin aufs krä ftigste. Als Kind hatte man mich mit Porridge zum Frühstück aufgezogen. Als ich ä lter und verstä ndiger wurde, machte ich mir klar, daß Porridge allein für einen ausgewachsenen Mann schwerlich genügen kann, besonders wenn dieser Mann bestä ndig das Gefühl von Leere im Magen hat und lange vor der Mittagsmahlzeit schon wieder ganz schwach vor Hunger ist. Daher handelte ich nach meiner Logik und fügte meinem gewohnten Morgenimbiß einige krä ftigere Gä nge hinzu. Ich begann damit, zu meinem Teller Porridge noch ein Ei und etwas Toast zu essen. Bald wurden es zwei Eier; dann kamen Schinken und Speck hinzu. So ging es weiter — bis ich schließlich bis zum Platzen gefüllt vom Frühstückstisch aufstand. Aber schon lange vor dem Mittagessen hatte ich wieder das Gefühl eines leeren Magens. Darum mußte die Mittagsmahlzeit gleichfalls reichlich sein. Ich nahm Kartoffelbrei und Koteletten oder Beefsteak, dazu zartes, weißes Brot und Marmelade oder Pastete und Milch oder Kaffee. Abends kam dann die Hauptmahlzeit, das eigentliche Essen: Suppe, Braten, Kartoffeln, Brot, manchmal gekochtes Gemüse, dazu Pudding oder Pastete oder auch beides miteinander; und wieder Milch oder Kaffee. 83
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Ist es zu glauben? Trotz diesen „nahrhaften“ Mahlzeiten fühlte ich mich doch allemal bald wieder schwach und leer, bis ich neuerdings etwas zu essen bekam. Und je „nahrhafter“ die Mahlzeiten waren, desto stä rker war dieses Hungergefühl. Aber was sollte ich denn tun? Ich konnte bei den Mahlzeiten unmö glich mehr essen, und es gab auch keine noch nahrhafteren Speisen. Nur hä ufiger essen konnte ich, so oft dieses Hungergefühl sich meldete. Und das tat ich auch. Ich aßvier- und fünfmal des Tags. Trotzdem spürte ich am frühen Morgen dieselbe innere Schwä che. Und damit schien es immer schlimmer zu werden, je reichlicher ich aß. Oft war ich von dieser Beobachtung vö llig niedergedrückt, denn ich brachte diese Kraftlosigkeit immer mit Mangel an Nahrung in Zusammenhang. Es war lä cherlich. Eine andere Erscheinung erstaunte mich außerordentlich: das allmä hliche Auftreten regelmä ßiger Kopfschmerzen. Spä ter, als in meinem Symptomkomplex auch Verdauungsschwierigkeiten eine Rolle zu spielen begannen, hä tte ich mir diese Kopfschmerzen wohl erklä ren kö nnen. Aber in jenen Tagen, als ich die Anfangsgründe der Theorie des „guten, nahrhaften“ Essens studierte, schien meine Verdauung normal zu funktionieren — ich sage ausdrücklich: schien. Nichtsdestoweniger mußte ich am Ende jeder Woche ein Abführmittel nehmen, spä ter zweimal die Woche, um die Kopfschmerzen zu beseitigen. Es gab Zeiten, wo auch solche Mittel die Kopfschmerzen nicht zu unterdrücken vermochten. Dann nahm ich meine Zuflucht zu Kohle-Teer-Derivaten, meistens Azetanilid. Aber da Azetanilid das Herz angreift und mein Herz nicht stark war, fügte ich als Anregung für das Herz Koffein hinzu. Tatsache war und blieb, daß ich zwar bestä ndig große Mengen guten, nahrhaften Essens verzehrte, daßes aber offensichtlich mit mir abwä rts ging. Meine Verdauungsorgane wurden widerspenstig und wollten ihre Arbeit trotz der krä ftigenden Kost, die ich in sie hineinschüttete, nicht mehr verrichten. Indem ich dem konventionellen Glauben an „gute, nahrhafte Kost“ huldigte, brachte ich mich an den Rand des Grabes. Ich hä tte schon damals erkennen kö nnen, daßirgend etwas an meiner Auffassung dieses Problems nicht stimmte, denn sicherlich hä tte gute, reichliche Kost das Schwä chegefühl in mir besiegen mü ssen, wenn dessen Ursache mangelnde Ernä hrung war. Die Mehrnahrung schien aber gerade die gegenteilige Wirkung hervorzurufen. Statt auf Grund dieser Erfahrung die Stichhaltigkeit meiner Ernä hrungstheorien in Zweifel zu ziehen und der Stimme des gesunden Menschenverstandes Gehö r zu schenken, beharrte ich, ohne mich um Nä heres zu bekümmern, bei den konventionellen Ernä hrungsansichten der Vergangenheit, genau wie die übrigen neunundneunzig Prozent zivilisierter Nichtwisser, die nach dem Sprichwort „sich ihre frühen Grä ber selber mit den Zä hnen schaufeln“ . Zudem richtete ich meine übrigen Lebensgewohnheiten in Ü bereinstimmung mit meinen verkehrten Ernä hrungsideen ein. Weil „viel gute, nahrhafte Kost“ eine Notwendigkeit für mich war, beschloß ich, meine kö rperliche Betä tigung einzuschrä nken, damit die Energie meines Kö rpers sich vö llig der Aufnahme und Verarbeitung meiner Nahrung und damit dem Wiederaufbau meiner Krä fte zuwenden kö nne. Ich ging nicht mehr spazieren — ich gab meine Sportspiele auf — , ich verzichtete nahezu auf jede Bewegung und tat nichts mehr als essen und schlafen. Natürlich wußte ich, warum ich alle diese Leiden zu ertragen hatte, wie es meine medizinischen Kollegen auch wußten. Ich war eben krank. Aber warum war ich denn krank? So vorwitzig darf man nicht fragen; die Krankheit kommt über einen, ehe 84
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man's gedacht, und niemand weißden Grund dafür. Sie packt einen, nicht wahr? Wer hä tte das nicht schon selber erlebt! Das war meine Philosophie, und es ist noch heute weitgehend die Philosophie meiner Berufsgenossen. Ich war krank — niemand wußte, weshalb, und ich mußte mich durch den Genußguter, reichlicher Nahrung wieder erholen; dabei sollte meine Natur durch eine Unmenge von Trä nken und Mitteln, verdauungsfö rdernden, blutreinigenden, anregenden, beruhigenden, abführenden, schmerzstillenden Medizinen, „unterstützt“ werden. Mehr konnte man wahrhaftig nicht tun. Aber mein kranker Kö rper wollte trotz alledem nicht gesund werden. Im Gegenteil, es wurde nur immer schlimmer. Mein Blutdruck stieg auf 212; mein Herz schlug chaotisch und wild, und der große Sir William Osler, den ich als ä rztliche Autoritä t zu Rate zog, hatte bereits sein vernichtendes Urteil über mich ausgesprochen. Jedem Luftzug konnte ich zum Opfer fallen. Kein Wunder übrigens, daßich so krank war, bin ich doch einst — mehr als achtzig Jahre sind es schon her — von einer herzkranken Mutter weit draußen am Rande der Zivilisation als schwä chliches Zwillingskind geboren worden. Man ernä hrte mich mühsam, und ich gedieh unter den primitiven und unhygienischen Lebensverhä ltnissen jener Grenzgegend nur kümmerlich. Ich blieb schwach, krä nkelte meist und machte ungefä hr alle Kinderkrankheiten der Reihe nach durch. Zwar floßmein Leben bis zu meinem zweiunddreißigsten Altersjahr noch einigermaßen leidlich dahin. Dann aber kam es zu einem vollstä ndigen Zusammenbruch. Ich lag gleichzeitig mit fast allen Krankheiten der Verdauungsorgane außer dem Krebs darnieder, besaßkeine Kontrolle mehr über meine Muskeln und Nerven und hatte die verschiedenartigsten Halluzinationen. Ich verlor acht Zä hne durch hochgradige Paradentose, mußte wegen einer Fistel operiert werden, und zwar ohne Anä sthesie, weil ich dazu kö rperlich zu geschwä cht gewesen wä re. Ich verblutete beinahe an einem heftig entzündeten Geschwür im Dickdarm. Furchtbare Kopfschmerzen warfen mich immer wieder für zwei bis drei Tage hilflos ins Bett, und das ging jahrelang so weiter. Mit vierundvierzig Jahren war mein Kö rper durch Neuritis und Arthritis verkrüppelt. Mit fünfundvierzig Jahren geriet mein Herz in einen hoffnungslosen Zustand, der keine Aussicht auf Heilung mehr zuließ. Und dennoch mußte ich weiterleben. Mit neunundvierzig Jahren litt ich am Grünen Star, und man sagte mir voraus, ich würde in lä ngstens vier Jahren gä nzlich erblinden. Mit dem linken Auge konnte ich nicht mehr die Finger zä hlen. Ich verlor auch den Geruchsinn, den Geschmacksinn und das Gehö r im linken Ohr. Für den Grünen Star war eine Operation nach Ansicht eines Spezialisten die einzig richtige Behandlung, aber meine Schwä che ließkeine Operation zu. Um diese Zeit war meine schwere Herzkrankheit so weit vorgeschritten, daßich die drei Stufen zu meiner Erdgeschoßwohnung kaum mehr ersteigen konnte. Es schwamm mir dabei vor den Augen, ich verlor den Atem, hatte Schwindelanfä lle und mußte mich am Türpfosten festhalten, bis ich wieder sah. Man hä tte meine Herzschlä ge auf vier Schritt Entfernung hö ren und sozusagen durch die Weste hindurch sehen kö nnen. Düstere Aussichten — um so düsterer, als meine Ärzte zu ihrer trüben Prognose auf Grund meiner Familiengeschichte vollkommen berechtigt zu sein schienen. Denn mein Vater hatte elf Geschwister gehabt, die alle an Herzkrankheiten gestorben waren. Er selbst starb mit dreiundvierzig Jahren, und das war das hö chste Alter, das bis dahin in seiner Familie erreicht worden war. Schon sein eigener Vater war an einer Herzkrank85
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heit gestorben. Dasselbe Schicksal hat spä ter meinen Bruder und meine Schwester ereilt. Auch meine Mutter war, wie schon berichtet, herzkrank und wä hrend vierzehn Jahren fast ununterbrochen ans Bett gefesselt. Etwa in der Hä lfte dieser vierzehn Jahre brachte sie mich zur Welt. Ich frage: kann man sich eine belastendere Familiengeschichte vorstellen? Nein, ich selbst mußte durchaus der Prognose beistimmen. Ich war nach bestem ä rztlichem Wissen und Ermessen verloren. ¯ Aber ich sollte erfahren, daß es sogar für den hoffnungslos Abgelebten noch einen Weg zu dem schö nen Ziele der dauernden Gesundheit gibt, einen Weg, den die Kunst der Mediziner bisher noch nicht genügend in Betracht gezogen hat. Das ist der Weg der Natur! Als ich allen Mut und jede Hoffnung aufgegeben hatte, da ereignete sich. das Wunder, das mir Rettung bringen sollte. Es ereignete sich auf eine unscheinbare, unauffä llige Weise. Eines Tages, kaum drei Wochen nach dem vernichtenden Spruch des großen Sir William Osler, trat eine junge Mutter mir mit einer unerwarteten Frage in den Weg, ahnungslos, welche Bedeutung diese Frage für mich gewinnen sollte; sie zwang mich zum Nachdenken und in der Folge sogar dazu, meine ganzen Ansichten über Gesundheit und Krankheit von Grund auf zu ä ndern. Und damit rettete sie mir das Leben! Ich sah ein, daß der Grundfehler die Verblendung der Menschheit in der Anlage ihrer Lebensgewohnheiten war. Daraufhin habe ich mich kompromißlos umgestellt. Allerdings habe ich seither schwerlich noch ein Anrecht darauf, mich zivilisiert zu nennen, denn ich gestehe gerne ein, daßmeine Lebensgewohnheiten seither nicht mehr die der zivilisierten Menschen sind. Aber das ist es ja gerade: mein Lebensgefühl ist auch nicht mehr das der zivilisierten Menschheit. Ich bin nicht mehr krank — ich scheine in der Tat gegen alle Krankheitsübertragungen immun zu sein. Angst vor Ansteckungen und kö rperlichen Leiden kenne ich nicht mehr; denn dieselben Krankheiten, von denen ich vor Jahren heimgesucht wurde und die tä glich Hunderte von Menschen dahinraffen, lassen mich seit meiner Umstellung vollstä ndig in Ruhe. Doch mit diesen Feststellungen greife ich dem Gang der Dinge vor. Den Leser wird zunä chst die Frage interessieren, die mir das Leben gerettet hat. An meinem damaligen Wohnort hatte ich mir einen gewissen Ruf als Kinderarzt erworben. Die oben erwä hnte junge Mutter, schö n, munter und keck, erschien eines Tages in meiner Sprechstunde, begleitet von einer Wä rterin, die ein Kindchen trug, sicherlich das ä rmste, abgezehrteste Würmchen, das ich je gesehen hatte. Nach der Untersuchung sagte ich, im Bemühen, die junge Frau zu beruhigen, unter anderem, sie brauche sich nicht zu sorgen; wenn sie die Nahrung des Kindes seiner Verdauungs und Aufnahmefä higkeit anpasse, so daßauch die Ausscheidung der Abfallstoffe regelmä ßig vor sich gehen kö nne, und wenn dem Kinde die notwendige hygienische Sorgfalt zuteil werde, dann werde es wie Unkraut aufwachsen und gedeihen. Daraufhin schaute die junge Frau mich belustigt an und fragte mit einem spö ttischen Blick auf meine armselige, zusammengefallene Gestalt: „Herr Doktor, wann hö rt dieses Prinzip auf, im Leben eines Menschen wirksam zu sein?“ 86
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Selbstverstä ndlich konnte ich ihr nicht antworten; ich wich daher mit ein paar nichtssagenden Worten aus. Damit war die Angelegenheit, soweit sie meine Klientin betraf, erledigt; sie hatte ihren kleinen Spaßauf Kosten meiner verfallenen, elenden Kö rperlichkeit gehabt. Aber für mich war die Sache noch nicht abgetan. Der Mutter gegenüber hatte ich eine Antwort umgangen; in meinem Innern konnte ich dem durch ihre Frage aufgeworfenen Problem jedoch nicht aus dem Wege gehen. Ich wurde es nicht los, so sehr ich mich auch bemühte, es mir aus dem Kopf zu schlagen. Den ganzen Abend dachte ich an nichts anderes mehr. Wann, in der Tat, wann hö rte dieses Prinzip im Leben eines Menschen zu wirken auf? Eine eigentümliche Ü berlegung wurde in mir wach. Konnte es mö glich sein, daßdas Prinzip, welches ich meiner Klientin auseinandergesetzt hatte, auch für erwachsene Menschen galt — auch für mich selbst? Und daßich die vielen Jahre meines Leidens nur seiner Nichtanwendung zu verdanken hatte? War es dankbar, daßich die Wunderwirkungen der Natur noch nicht genügend kannte? Lag es überhaupt in der Absicht der Natur, den Menschen mit Leiden und Krankheit heimzusuchen? Wenn im zarten Sä uglingsalter der menschliche Kö rper durch bloße Anpassung der Nahrung an seine Aufnahme-, Verdauungs- und Ausscheidungsfä higkeit sowie durch vernünftige Sorgfalt und Hygiene immer gesund erhalten werden kann — wann begann dann der Lebensabschnitt, in dem diese Regel versagte? Und warum versagte sie auf einmal? Sonderbar, daßdie Frage sich mir nie zuvor gestellt hatte. Jedenfalls mußte ich die Antwort darauf finden; sonst würde ich nicht einschlafen kö nnen. In der Hauptsache gingen meine Gedanken wie gewö hnlich im Kreis; aber von Zeit zu Zeit wagten sie sich doch aus der konventionellen, ewig gleichen Linie in eine neue Richtung und spä hten irgendeinen unbekannten Weg entlang, der bisher — da ich als Arzt gewohnt war, die Pfade der Autoritä ten zu wandeln und nicht nach rechts noch nach links zu blicken — von mir gar nicht beachtet worden war. Genau so ergeht es den meisten meiner Berufskollegen noch heute; neue Gedanken bleiben ihnen verschlossen bis irgendeine Autoritä t sie anerkannt und bestä tigt hat. Wä hrend jener Nacht überlegte ich hin und her. Stets kehrten dabei die Worte wieder, die ich der jungen Frau zum Troste gesagt hatte: „Sorgen Sie dafür, daßdie Nahrung Ihres Kindes seiner Fä higkeit zu verdauen und auszuscheiden entspricht; lassen Sie ihm die nö tige hygienische Sorgfalt zuteil werden, und es wird wie Unkraut wachsen und gedeihen.“ Darauf folgte dann stets sogleich die Frage der jungen Frau: „Wann hö rt dieses Prinzip im Leben des einzelnen Menschen zu wirken auf?“ Diese beiden Sä tze wurden das „Sesam, ö ffne dich“ zu meiner Errettung. Immer wieder funkelten mich die schwarzen, mutwilligen Augen meiner Klientin an und prüften meine armselige Gestalt von Kopf bis Fuß; und nun begann ich mit einem Male mich dieser Gestalt zu schä men, die zuvor Gegenstand meines tiefsten Erbarmens gewesen war. Ich erinnerte mich plö tzlich, daßdie Natur mir in meinen jungen Jahren einen wohlgestalteten, wenn auch nicht sehr krä ftigen noch in irgendeiner Weise auffallenden Kö rper verliehen hatte. Zum ersten Male erkannte ich, daßich nie im Leben darüber nachgedacht hatte, wie dieser Kö rper behandelt werden sollte. Ich begriff jetzt, daß ich meinen Kö rper immer nur so behandelt hatte, wie es mir die augenblickliche Laune, der momentane Wunsch eingab; dabei waren diese Launen und Wünsche grö ßtenteils nicht aus mir selber aufgestiegen, sondern — echtes Kennzeichen der Gaben unserer Zivilisation — aus den Launen und Wünschen anderer entstanden. Das Ergebnis 87
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konnte gar nicht anders ausfallen. Denn Launen sind meistens gegen den Lauf der Natur gerichtet. Aber gegen die Natur gehen kann nur zu einem einzigen Ergebnis führen — und in meinem Falle war ich selber dieses Ergebnis. Versucht man, ein solches Ergebnis zu korrigieren, ohne die Launen, die es verursacht haben, auszuschalten und ohne das Leben wieder in die gleiche Richtung mit der Natur zu bringen — mit anderen Worten: wird das Ergebnis der unnatürlichen Gewohnheiten mit ä hnlichen unnatürlichen Mitteln korrigiert, dann gewinnt man zwangslä ufig neuerdings ein unnatürliches Resultat. In meinem Fall war dieses korrigierte Resultat wiederum ich. Nachdem ich mir diesen Tatbestand gründlich vergegenwä rtigt und klar erkannt hatte, daßich mit meiner damaligen Behandlung nirgends anders als im Grabe landen würde, hatte ich um so mehr Mut, etwas ganz Neues zu unternehmen. Neu war es wenigstens für meine eigene Erfahrung. Ich beschloß nä mlich, mich hinfort ebenso treu und bedingungslos auf die Natur zu verlassen wie bisher auf künstliche Mittel; dann mußte sich rasch erweisen, ob diese Natur wirklich mein Bestes wollte und mich zur Gesundheit führen konnte, und ob sie mich wirklich mit den dazu nö tigen Aufnahme- und Abwehrkrä ften versehen hatte. Mit einem Wort: die Einsicht, die ich in der langen Stille jener Nacht gewann, war die, daßmir nicht mehr zu helfen war, wenn nicht die Natur selber mir noch helfen konnte. Ohne Aufschub machte ich mich denn auch daran, im offenen Buch der Natur zu forschen und zu suchen. Dabei wurde mir eines sofort klar: Mit der konventionellen Arzneimittelbehandlung mußte ich endgültig Schluß machen. Aber wie gründlich mußte ich mein Denken und Handeln noch umstellen, um mich dem Willen der Natur auch nur einigermaßen anzupassen! Ja, eine vollstä ndige Umstellung meiner früheren Auffassung von Krankheitsverursachung und Heilungsmö glichkeiten vollzog sich in mir. Krankheit war für mich fortan nicht mehr ein Ü bel, das mich unvorbereitet ereilt oder das ich „bekommen“ konnte, sondern ein ursprünglich in meinem eigenen Kö rper durch meine eigenen Lebensgewohnheiten entwickelter Zustand. Es war merkwürdig, wie rasch ich von diesem Augenblick an das Groteske meiner früheren Einstellung erkannte. Ich schä mte mich meiner vollkommen unfä higen Intelligenz, die mich durch so viele Jahre, welche reich und wertvoll hä tten sein kö nnen, in der Sklaverei entkrä ftender und lebensuntergrabender Gewohnheiten gehalten hatte, Jahre des frühen Mannesalters, in denen meine Krä fte sich auf ihrem Hö hepunkt hä tten auswirken sollen, in Wirklichkeit aber brachlagen. Ich erkannte auch: erlaubte ich meinem Kö rper nicht, sich selber zu verteidigen und seine Krä fte zu üben, so konnte ich nie mehr hoffen, ihn zu natürlichem Lebenswiderstand, zur Entwicklung einer Schutzkraft gegen die in und außer ihm waltenden zerstö renden Einflüsse zu erziehen. Diese Entdeckung und das Wissen, daßwä hrend unendlicher Zeiträ ume unsere primitiven Vorfahren unbekleidet im Freien gelebt hatten, waren für mich ein Fingerzeig, wie ich vorgehen mußte. Das Naturgesetz, nach dem willkürliche Muskeln durch das einfache Verfahren, sie alle tä glich ein oder mehrere Male für kurze Zeit durchzuarbeiten, zu großer Vollkommenheit entwickelt werden kö nnen, mußte nach meinen Ü berzeugungen und Beobachtungen auch alle anderen Funktionen regieren. Es mußte mö glich sein, auch die volle Funktionsfä higkeit der Kette der Hauttä tigkeiten zu erreichen, die ein so wichtiger Teil des Abwehrmechanismus unseres Kö rpers sind, wie überhaupt die volle 88
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Funktionsfä higkeit aller fünf Reflexketten. Nun war es nur noch notwendig, einen Durchführungsplan zu entwerfen, welcher der Forderung nach direkter Fühlungnahme der Haut mit kaltem Wasser, kalter Luft, Sonne und Wind, nach Ü bung und Massage für Haut und Muskel, nach natürlicher Anregung des Verdauungssystems entsprach. Es gab da vieles zu berücksichtigen. Wie sinnlos war es doch, die Gesundheit durch große Mengen guten, nahrhaften Essens aufbauen zu wollen und dabei gar nicht auf die Zusammensetzung dieser Speisen zum Zwecke ihrer Verarbeitung im Verdauungskanal zu achten, gar nicht ihr Verhalten gegenüber den verschiedenen Sekretionen dieses Kanals zu berücksichtigen. Wie sinnlos war es auch, in keiner Weise zu überlegen, ob die verzehrten Nahrungsmittel nach Menge und Art mit den Absorptionskrä ften meines Verdauungsapparats in Einklang standen. Wie sinnlos endlich, ganz zu übersehen, welche verheerenden Wirkungen überreichliche Kost in meinem Kö rper hervorrufen mußte, wenn meine Verdauungswerkzeuge nicht genügten, alles gründlich zu verarbeiten. Meine Schlußfolgerung war daher die folgende: Ein mit Nahrung gefüllter Kö rper kann entweder ein Apparat zur Erzeugung von Gesundheit oder ein Mechanismus zur Erzeugung von Krankheit sein. Ist die genossene Nahrung natürlich und lebensvermittelnd — stellt man sie so zusammen, daß ihre Bestandteile sich gut miteinander vertragen — , werden genügende Mengen davon verzehrt, um den Kö rper aufzubauen, seine verbrauchten Stoffe zu ersetzen und ihn stets wieder frisch zu beleben, und werden dennoch im Hinblick auf Menge und Beschaffenheit der Nahrung die verdauenden, absorbierenden, assimilierenden und eliminierenden Krä fte nie über ihre Leistungsfä higkeit hinaus in Anspruch genommen — dann kann der Kö rper gar nichts anderes als Gesundheit zubereiten und aufbauen, soweit nur Nahrungseinflüsse in Betracht kommen. Besteht aber die tä gliche Kost aus einem Durcheinander verschiedener „gut und reichlich nä hrender“ Speisen, die wahllos (das heißt ohne die geringste Rücksicht auf die Frage gegenseitiger Verbindungsmö glichkeit) zusammengestellt werden oder den quantitativen Notwendigkeiten nicht entsprechen (sei es im Zuviel, sei es im Zuwenig) — ist die Nahrung bloß toter Baustoff statt lebendige und lebensspendende Substanz — , werden die Organe von ihr überlastet und haben sie nicht die Kraft, sich zu befreien — was kann dann der Kö rper mit allem Fleiße anderes als Schwä che und Krankheit aufbauen? Natürlich mußnicht unter allen Umstä nden nach einer kurzen Periode unvernünftiger Lebensweise sogleich auch Krankheit einsetzen; aber auf unsichtbare Art entwickelt sich doch ein Krankheitszustand, der bei lä ngerer Fortsetzung des unvernünftigen Lebens früher oder spä ter in Erscheinung tritt und das Leben des Verblendeten abkürzt. Das ist sogar dann wahr, wenn der unmä ßige, aber erblich vielleicht sehr gut ausgestattete und ausgiebig mit Lebenskraft versehene Mensch hundert Jahre lebt. Bei richtiger Lebensweise hä tte er mit seiner vortrefflichen Konstitution leicht hundertfünfundzwanzig oder sogar hundertfünfzig Jahre alt * werden, hä tte den Jüngeren viele Jahrzehnte lang ein Beispiel und Vorbild sein kö nnen. Im Lichte dieser Schlußfolgerung betrachtet, erschien es mir plö tzlich verwunderlich, daßich überhaupt noch am Leben war. Ich hatte bisher der Zusammenstellung * Auch wenn heute festzustehen scheint, daßder Mensch ein höheres Alter als 115 bis 120 Jahre nicht erreichen kann, so verliert die Betrachtungsweise des Verfassers dadurch nichts von ihrer Richtigkeit. Anm. des Herausgebers 89
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meiner Speisen niemals auch nur einen Gedanken gewidmet. Es war mir nie eingefallen, daßvon einer Speisenmischung, die zum Teil (Proteine) nur in einem Sä uremedium, zum andern Teil (Stä rken) nur unter dem Einfluß des Mundspeichels und daher nur in einem alkalischen Medium verarbeitet werden kann, der eine oder der andere Teil im Magen einfach nicht verdaut wird. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, daß der viele weiße Zucker, den ich unter meine Speisen mischte und der des Kö rpers Verlangen nach Wä rme und Energie rasch zu stillen scheint, die gleichzeitige Verdauung aller anderen Nahrungsstoffe unmö glich macht oder diese zum mindesten in Verbindungen und Bestandteile auflö st, die meine Kö rpergewebe vergiften und die Ausscheidungsorgane über Gebühr belasten mußten. Erst jetzt wurde mir klar, daß ich mich auf zwei Arten zugrunderichtete: erstens, weil ich die Nahrung zu mir nahm, die meinen Kö rper nicht beleben konnte; zweitens, weil meine Kost ein Ü bermaß(besonders an Eiweißstoffen) aufwies, das meinen Kö rper noch der wenigen Lebenskraft beraubte, die er aus den ihm zugefügten Nahrungsmischungen zu ziehen imstande war. Ich wußte nun, daßmein Kö rper an chronischer Vergiftung litt, fast wö rtlich abgenutzt war und schwer gegen die Ü berlastung mit zu reichlichem, nahrhaftem Essen kä mpfen mußte, denn ich aß damals Mengen, die drei hart arbeitenden Mä nnern genügt hä tten. Einige Zeit riet ich umsonst an dem Rä tsel meines stä ndigen Hungers herum, des Gefühls, das ich „Leere“ und „innere Schwä che“ nannte und das unfehlbar wenige Stunden nach dem Genuß einer Mahlzeit sich einstellte, auch wenn ich, wie ich damals bereits deutlich erkannte, viel zu viel gegessen hatte. Schließlich erinnerte ich mich, wie oft ich als junger Bursche im Wachstumsalter eine Mahlzeit übersprungen hatte, obwohl reichliche Nahrung in der Entwicklungsperiode besonders wichtig ist — aber ich durchstreifte damals Felder und Wä lder und spürte, sogar wenn ich hungrig war, niemals die haltlose Leere, die mich in meiner Krankheitszeit bestä ndig quä lte. Immer deutlicher erkannte ich, daß das Schwä chegefühl, welches mich überfiel, sobald ich einige Stunden ohne Nahrung gewesen war, eine gewisse Verwandtschaft mit der Depression und dem Verlangen des Gewohnheitstrinkers oder eines Rauschgiftsüchtigen aufwies; auch der Trinker oder der Morphinist erlebt diesen Zusammenfall, sobald die Wirkung des letzten Genusses sich verloren hat und die sekundä re Folgeerscheinung der Depression, Hilflosigkeit und Vergiftungsarbeit, einsetzt. Ich sah jetzt, warum die reichlichen Mahlzeiten und das hä ufige Essen in mir dies Schwä chegefühl und diese Empfindung von Leere hervorriefen, so daß ich immer begieriger nach mehr Nahrung verlangte. Es kam daher, daßich, je mehr ich aß, desto mehr Gifte durch den unverwendbaren Nahrungsüberschuß in mir anhä ufte. Um der niederdrückenden und schwä chenden Wirkung dieser Gifte zu begegnen, glaubte ich immer noch mehr essen zu müssen. So vergrö ßerten sich die Giftvorrä te bestä ndig, um die primä ren Anreize daraus zu gewinnen, die zur Bekä mpfung der sekundä ren Rückschlagswirkung des Giftes aus den eingenommenen Speisen dienen sollten. Ich brauche hier die lange Reihe von Gedanken und Ü berlegungen, die mich in den folgenden Wochen immer wieder beschä ftigten, nicht zu wiederholen. Der Leser, der mir bis jetzt aufmerksam gefolgt ist, wird auch diese Einzelheiten mit erleben kö nnen und sich vorzustellen vermö gen, was mir geschenkt wurde, als ich im Buch der Natur zu lesen begann. Ich erkannte plö tzlich, wie verschieden die Gewohnheiten aller natürlich lebenden Geschö pfe, auch des natürlichen oder primitiven Menschen, von den 90
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Gewohnheiten der zivilisierten Menschheit sind. Freilich, nachdem ich begreifen gelernt hatte, daßich vergiftet, chronisch vergiftet und etwas Ähnliches wie ein Gewohnheitstrinker war, wußte ich zunä chst kaum, was ich mit dieser Erkenntnis anfangen sollte. Doch eins wollte ich auf alle Fä lle sofort tun, nä mlich weniger Nahrung zu mir nehmen. Aber wieviel weniger? Und welche Nahrung weglassen? Mußte ich mein gewohntes, gutes, nahrhaftes Essen nur einschrä nken — oder brauchte ich eine ganz andere Art Kost? Wie konnte ich wissen, wieviel und was ich essen sollte? Wie konnte ich meinen Kö rper von den Giften der früheren Ü berernä hrung befreien? Diese und ä hnliche Fragen überlegte ich tagelang, und inzwischen bemühte ich mich, weniger zu essen, obwohl es noch immer reichliche, „nahrhafte“ Mahlzeiten waren. Reichliche Mahlzeiten, aber sie waren gegen früher schon genügend eingeschrä nkt, um mir die ganzen Qualen zu verursachen, die eine Entziehungskur dem Trinker oder dem Morphinisten bereitet, wenn er seinem Schnaps, seiner Spritze, seiner Pille entsagen muß. Um die lange Geschichte abzukürzen, sei gesagt, daßich endlich eine Zeitlang zu fasten beschloß. Ich begründete diesen Entschlußvor mir selber damit, daßsich, wenn ich nun keine Nahrung zu mir nehmen würde, auch keine Gifte mehr in mir bilden konnten, und daß die Oxydationsvorgä nge alle Kö rper- und Zellenabfallstoffe, alle Nahrungsrückstä nde und Fremdsubstanzen in meinem Kö rper, die den normalen Ablauf der Funktionen hinderten, verbrennen und ausscheiden müßten. Nie werde ich die Erschö pfung jener ersten drei Fasttage vergessen. Ich war der Trinker ohne seinen Stimulus. Wer je einen solch armen Wicht zu beobachten Gelegenheit hatte, wird begreifen, wie wenig Reiz das Leben damals für mich haben konnte. Aber am vierten Tage war alles verä ndert. Das Gefühl der Leere, das ich Hunger genannt hatte, war fort. Eine große Last schien von mir genommen. Frage: Wie kommt es, daßman sich bestä ndig hungrig fühlt, solange man zu viel ißt, und daßder Hunger aufhö rt, wenn man drei Tage lang nichts gegessen hat? Wer die Antwort nicht kennt, wird dieses Rä tsel kaum lö sen kö nnen. Deshalb will ich die Lö sung lieber gleich verraten. Zu viel Nahrung erzeugt eine Vergiftung, die zuerst das Nervensystem anregt und es dann niederdrückt. Diese Depression ist verbunden mit einer Reizung der Nerven – Enden in den Magenschleimhä uten durch die Zersetzungsprodukte, die bei einer Ü berlastung der Verdauungsorgane mit überschüssiger oder ungeeigneter Nahrung entstehen. Darin liegt die Ursache dieses „Hungers“ . Lä ßt man den Magen durch Fasten ausruhen, so daß die angesammelten Nahrungsgifte ausgeschieden werden kö nnen, dann verschwindet der sogenannte Hunger nach drei Tagen, weil die Ursache entfernt ist. Natürlich, wenn es bei mir wahrer Hunger gewesen wä re, so hä tte ich nach drei Tagen gä nzlicher Nahrungsenthaltung richtig vor Hunger gelitten; aber das war nicht der Fall. Ich fühlte mich nach dem Fasten wohler, schlief besser und konnte mit grö ßerer Klarheit denken; mein Herz schlug regelmä ßiger und meine Nerven waren ruhiger als seit vielen Jahren. Diese Besserung nahm noch wä hrend zwei ganzen Wochen zu. Am Ende dieser vierzehn Tage hatte ich eine Auseinandersetzung mit dem berüchtigten Sensenmann und warf ihn kurzweg zum Haus hinaus. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen und gedenke noch viele Jahre lang den Kontakt mit ihm nicht wieder aufzunehmen, es sei denn, daßmir ein Unfall zustö ßt. Wä hrend der ersten vierzehn Fastentage trank ich stündlich zwei Glä ser Wasser. In 91
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der dritten Woche fuhr ich mit Fasten fort, doch fügte ich den zwei Glä sern Wasser, die ich weiterhin stündlich trank, den Saft je einer Apfelsine bei. Nach diesen drei Fastenwochen war meine Zunge sauber, mein Geist klar, mein Schritt fest; nur die Füße waren ein bißchen schwer und die Knie schwach, besonders beim Treppensteigen. Doch ich konnte nun die sechs Stufen zu meiner Terrasse ohne Schwindel hinaufsteigen, und ich konnte laufen, beides Dinge, die ich am Anfang meiner Fastenzeit und viele Jahre vorher überhaupt nicht gewagt hä tte. Ich beendete mein Fasten in der folgenden Weise: Am ersten Tage der vierten Woche fügte ich dem Glas warmen Wassers, das ich alle zwei Stunden zu mir nahm, je zwei gestrichene Teelö ffel Malzmilch bei, am nä chsten Tag drei, am übernä chsten vier. Am vierten Tage nahm ich nach dem Frühstück die vier gestrichenen Teelö ffel Malzmilch in einem halben Glase frischer Milch, aufgefüllt mit kochendem Wasser. Am fünften und sechsten Tage dasselbe. Am siebenten Tage ergä nzte ich dieses Frühstück durch einen Teller ungezuckertes Apfelmus. Mittags nahm ich in kleinen Schlücken ein Glas warme Vollmilch und um sechs Uhr abends noch einmal ungezuckertes Apfelmus. Am achten Tage dasselbe wie am siebenten, mit dem Unterschied, daßich dem Apfelmus morgens und abends einen Teelö ffel Honig beifügte. Am neunten Tage dasselbe wie am achten, nur noch eine Tasse Milch morgens und abends zum Apfelmus mit dem Honig; Milch und Apfelmus kaute ich gut ineinander. Am zehnten wie am neunten Tage, bloßmittags die doppelte Menge Milch. Am elften wie am zehnten, doch fügte ich dem Mittagsmahl eine Tasse Vollkornporridge bei, die sogenannte „Rö merkost“ , einen aus Vollkö rnern verschiedener Getreidearten gemischten, regelrecht gekö rnten Grützebrei, mit Vollmilch, aber ohne Zucker zu essen. Dann ging ich allmä hlich zu meiner normalen Kost über, die ich spä ter noch beschreiben werde. Ich mußhier besonders betonen, daßes für den Enderfolg sehr wichtig ist, wie man vom Fasten zur Normalkost übergeht. Die Verdauungsfunktionen gehorchen dem nervö sen Reflexsystem; sie haben nichts zu tun mit unserem Verstand oder mit unserem Willen. Wenn die Verdauung des Fastens wegen ein paar Tage lang ausfä llt, so darf sie nur langsam zu ihrer vollen Tä tigkeit zurückgeführt werden. Wä hrend dieser Zeit darf man den Verdauungsorganen nur die leichteste Arbeit zumuten und die Nahrungsmenge nur allmä hlich vergrö ßern. Wird dieser Grundsatz streng eingehalten, so schadet das Fasten auf keinen Fall; im Gegenteil, es verjüngt und belebt den ganzen Kö rper. Von nun an hielten die „Rö merkost“ und die Früchte meinen Darm in normaler Tä tigkeit und ermö glichten dreimal tä glich eine vollstä ndige Entleerung. Dieses Ergebnis erhielt ich zwar erst nach einiger Zeit; aber meine erschlafften Darmmuskeln stä rkten sich zusehends unter dem Einflußder durch die Zellulose im Grützebrei gesteigerten Verdauungstä tigkeit, genau so wie meine Arm- und Beinmuskeln krä ftiger wurden, nachdem ich begonnen hatte, sie tä glich zu üben. Mit der Krä ftigung der Darmmuskeln verschwand dann auch jegliche Neigung zur Verstopfung. Freilich ging noch lange nicht alles glatt. Ich hatte vielmehr noch schwere Kä mpfe zu bestehen, bevor ich wirklich gesund war, denn ich erlebte zahlreiche Rückfä lle und Zusammenbrüche, die ich in der Hauptsache meiner Eile, gesund zu werden, zuschreiben muß. Ich sah damals noch nicht ein, daßein Kö rper, der so viele Jahre lang mißhandelt worden war, nicht in wenigen Wochen oder Monaten geheilt werden konnte; diese Weisheit wollte erst gelernt sein. Auch auf dem Gebiet der Haut- und der Muskelpflege entdeckte ich erst ganz allmä hlich, daß man nach jahrelanger Verzä rtelung 92
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seines Kö rpers nicht unvermittelt entgegengesetzte Maßnahmen ergreifen und sozusagen ins andere Extrem übergehen darf, ohne Gesundheit und Nervenkraft aufs schwerste zu gefä hrden. Die bisher unausgebildeten Funktionen kö nnen nur langsam und stufenweise zu erhö hter Leistungsfä higkeit gebracht werden, so wie die Natur selber ihre Geschö pfe gedeihen lä ßt. Mein tä gliches Bad begann ich mit lauen, dann kühlen, dann kalten Abwaschungen. Hernach stellte ich mich in die Wanne und wusch meinen ganzen Kö rper mit einem triefend nassen Waschlappen, erst lauwarm, spä ter kühl, noch spä ter kalt ab. Die dazu nö tigen Bewegungen führte ich immer sehr rasch aus, unter tiefem Atemholen, um eine schnelle Zirkulation und auf diese Weise genügend innere Wä rme zu erzeugen. Schließlich war meine Haut so abgehä rtet, daß ich die kalte Dusche oder die kalte Abwaschung mit Genuß über mich ergehen ließ, und jetzt kann ich meine Abwaschung so kalt nehmen, wie das Wasser mitten im Winter direkt aus dem Ontario-See kommt; dann steige ich aus der Wanne und stelle mich mit meinem nassen Kö rper vor ein offenes Fenster, auch wenn die Außentemperatur unter Null ist und der Nordwind voll auf meinen nassen Kö rper blä st, der unter meinem Massieren und Beklopfen langsam trocknet. Das ist ein herrliches Gefühl, aber nur der darf diesen Versuch wagen, dessen Abwehrmechanismus in vollkommener Ordnung ist und der durch langsame, vorsichtige Fortschritte bereits einen hohen Grad von Vollkommenheit seines Kö rpersystems erreicht hat. Auch diese Luftbä der habe ich nur allmä hlich in mein Tagesprogramm aufgenommen; ich begann damit, meine Haut zuerst ein paar Minuten lang kühler Luft auszusetzen und wä hrend dieser Zeit unablä ssig krä ftige Muskelbewegungen und rasche Massage zu machen, um mich nicht zu erkä lten. Nach und nach erst verlä ngerte ich die Prozedur. Und mit derselben Vorsicht setzte ich auch meine Haut erst allmä hlich und das Zeitmaß langsam steigernd im Freien der Sonnenbestrahlung aus; hier ist im Anfang ganz besondere Vorsicht geboten. Gewiß, es ist schwer, sich dem langsamen Tempo solcher Fortschritte anzupassen. Aber wir dürfen eines nie vergessen: daßdie Natur bedä chtig arbeitet und nichts überhastet. Sie hatte bei mir viele Jahre lang geduldig jede Mißhandlung meines Kö rpers ertragen, bevor sie begann, mich wirklich leiden zu lassen. Nun mußte ich, wä hrend sie mich langsam und sorgfä ltig wiederaufbaute, das Leiden in Kauf nehmen. Auf diese Weise blieben die Waagschalen im Gleichgewicht. Natürlich beging ich am Anfang meiner Diä tä nderungsversuche Fehler über Fehler. Ich erinnere mich unter anderem noch, wie ich zuerst meine Vollmehl- und Vollkornspeisen bestä ndig zu lange Zeit der Hitze aussetzte, nicht ahnend, daß diese falsche Behandlung das darin enthaltene Lebensprinzip zu einem großen Teil zerstö rt. Schließlich lernte ich, das Vollkorn nicht lä nger als drei bis fünf Minuten zu kochen und es dann zwanzig bis dreißig Minuten zugedeckt zur Seite zu stellen; damit blieb das ihm innewohnende, aller Krankheit und Zersetzung trotzende Lebensprinzip erhalten. Seither habe ich auch gelernt, es vollkommen ungekocht zu essen, damit mir nichts von dem gesundheitsaufbauenden Werte, den die Natur in die Getreidekö rner gelegt hat, entgeht. Niemand, der es nicht schon versucht hat, kann genügend ermessen, wie kö stlich auch dieses ungekochte Gericht schmeckt. Die anfä nglichen Niederlagen entmutigten mich nicht; ich gab nicht mehr nach; ich kä mpfte unverdrossen weiter. Auf diese Weise ergab sich nach und nach eine Tagesordnung, die ich hier rasch skizziere. Ich schlafe das ganze Jahr in einem ungeheizten Raume, die Fenster sind weit offen, 93
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das Bett vor Durchzug geschützt, und trage keine Nachtkleider, weder Pyjama noch Nachthemd, decke mich aber so gut zu, daßich mich im Bett behaglich warm fühle. Am frühen Morgen werfe ich die Decken über das Fußende des Bettes zurück und turne eine halbe Stunde lang nackt auf dem Bette liegend, stets bei offenem Fenster, ohne mich um die Kä lte zu kümmern. Ist die Temperatur unter Null, so ö ffne ich die Fenster natürlich nicht ganz so weit wie bei milderem Wetter; aber offen bleiben sie immer. Mit meiner Morgengymnastik verbrenne ich alles, was an nicht gebundener Nahrungsenergie und an Speiseresten noch in meinem Kö rper vorhanden ist; so verhindere ich die Anhä ufung von Abfallstoffen in meinem Kö rper, welche die Tä tigkeit meiner Gewebezellen beeinträ chtigen kö nnten. Nach diesem Bett – Turnen gehe ich ins Badezimmer, ö ffne das Fenster, wenn es nicht eingefroren ist, trinke drei Glas Wasser, heißoder kalt, wie es mir im Augenblick beliebt, besorge meine Morgentoilette, turne noch einmal stehend und arbeite dabei alle Muskeln des Kö rpers gut durch, namentlich die Lenden- und Unterleibsmuskeln. Dann folgt ein kurzes kaltes Bad, rasche, krä ftige Massage und aufs neue Muskel- und Atemübungen. Nach diesen Prozeduren fühle ich mich selbst bei großer Kä lte durch und durch warm und wunderbar angeregt. Ich kleide mich an (Sommer und Winter ohne Unterwä sche) und begebe mich auf einen acht Kilometer langen Marsch. Weste und Mantel lasse ich selbst bei kä ltestem Wetter zu Hause. Im Sommer ziehe ich so wenig Kleider an, als Anstand und Gesetz es zulassen. Auf dem langen, raschen, energischen Spaziergang beschleunige ich die Sauerstoffaufnahme durch tiefes Atmen und sichere damit die Verbrennung der Nahrungsreste. Wenn ich in meiner Ordination ankomme, prickelt es in allen Zellen und Nerven meines sauberen Kö rpers — ä ußerlich sauber durch das kalte Bad und die Massage und innerlich durch die Verbrennung der überflüssigen Energien und Abfallstoffe. Jede Zelle verlangt nun nach Nahrung. Ich nehme sie in ihrer lebenskrä ftigsten Form — lebendige Früchte. Der in diesen Früchten enthaltene Zucker mußnicht einmal umgewandelt werden; er tritt unmittelbar als Energie in Tä tigkeit. Auch das kö rperbelebende Prinzip der lebendigen Früchte wird unmittelbar wirksam. Zu dem Obst (bestehend aus den Früchten der Jahreszeit, Äpfeln, Orangen und Grapefruits oder — zumal im Winter — süßen Früchten wie Datteln, getrockneten Weintrauben, Feigen, Zwetschgen usw.) nehme ich Milch oder Getreidekaffee. Weil mein Kö rper innerlich und ä ußerlich sauber ist, ist auch mein Geist klar, und weil mein Frühstück aus lebendiger Nahrung besteht, besitze ich hernach physische Energien im Ü berfluß. Deshalb stürze ich mich auf die Arbeit des Tages, wie ein feuriges Pferd sich in Trab und Galopp setzt. Woher dieser Eifer kommt, wird der Leser leicht einsehen. Zum Mittagessen nehme ich Milch und eine große Schüssel kö rniger Vollmehlgrütze, deren Zubereitung ich selber ausgedacht habe; oder ich esse Vollkornbrot mit Butter, Honig (außer den süßen Früchten die einzige Süßigkeit, die ich mir erlaube) und Getreidekaffee; ferner einen großen, blä tterigen Salat mit Zwiebeln, Radieschen, Blumenkohl, Sellerie oder Tomaten, je nach der Jahreszeit. Das Nachtessen besteht fast immer aus einem großen Salat wie mittags, aus Kä se oder Quark, Nüssen oder Nußbutter. Im Winter kommt oft noch gedä mpftes Gemüse hinzu, mit Butter und Salz serviert. Im Sommer hingegen besteht das Nachtmahl oft auch nur aus Beeren und Milch. Hä ufig nehme ich auch im Winter abends nur süße 94
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Früchte und Milch oder Nüsse und getrocknete Weintrauben und eine Tasse Getreidekaffee. Gelegentlich lebe ich auch einen oder mehrere Tage lang ausschließlich von saftigen Früchten und „Halb-und-Halb“ (halb frische Milch und halb siedendes Wasser), damit die Verdauungsorgane und das Blut gereinigt werden, ausruhen kö nnen und die Darmflora sich verbessert. Durch die Vollgetreidespeisen, den Kä se, die Milch, die sich alle nur langsam zersetzen und die mich daher nicht (wie Fleisch oder Fisch) vergiften kö nnen, wird mein Kö rper ausgiebig mit Aufbau- und Ersatzstoffen versorgt. Die vielen Mineralstoffe in den Getreidespeisen, den blä ttrigen Gemüsen und Früchten wirken den Gä rungsprodukten krä ftig entgegen; das Früchtefasten tö tet die Fä ulnisbakterien oder bezwingt sie. Mein Blut bleibt bei dieser Nahrung normal basisch und rein, meine Gewebe sind sä urefrei und die Organe entlastet. Mein Kö rper ist geschmeidiger als die Kö rper junger Menschen, die sich von sä ureüberschüssiger Kost nä hren. Durch die sorgfä ltige Haut- und Muskelpflege erhalte ich ihn sozusagen unempfindlich gegen Schmerzen und Beschwerden und stets vollkommen leistungsfä hig. Ohne je einen Pausentag einzuschieben, marschiere ich tä glich etwa sechzehn Kilometer und bin trotz meinen achtzig Jahren überhaupt nie müde. Ich kann zwö lf bis fünfzehn Stunden tä glich hö chst angespannt arbeiten und betä tige mich auf verschiedenen geistigen und kö rperlichen Gebieten nebeneinander. Meine Denkkraft ist klarer, leichter und beweglicher als in irgendeiner früheren Lebensperiode. Dies ist zum Beispiel mein erstes Buch, und das Manuskript — nicht die Maschinenabschrift — wurde an den Samstagnachmittagen und -abenden von zehn Wochen, deren Tage mit anstrengender Arbeit ausgefüllt waren, niedergeschrieben. Ich halte mich nicht damit auf, nach rückwä rts zu schauen und nach einer vergangenen besten und schö nsten Zeit meines Lebens zurückzuschielen: jetzt ist die beste, jetzt ist die schö nste Zeit. Im Vorgefühl der immer grö ßeren Dinge, die noch für mich zu tun sein werden, und in der Gewißheit sicheren Erfolges blicke ich bestä ndig nach vorne in die Zukunft. Ich fühle mich trotz meinem hohen Alter durchaus jung, denn meine geistige Haltung ist die der Jugend. Ich bin so gesund, daßich seit fünfundzwanzig Jahren nicht einmal mehr erkä ltet war, obwohl ich früher fast jedem Luftzug zum Opfer fiel. Heute bin ich meiner Gesundheit sicher; jedenfalls ist meine Aussicht, hundertzwanzig Jahre alt zu werden, grö ßer als die Aussicht eines durchschnittlichen dreißigjä hrigen Mannes, der das allgemein übliche Leben führt, auf Erreichung des sechzigsten Lebensjahres. Ein Mensch ist alt, wenn seine Gesundheit untergraben und nicht mehr widerstandsfä hig ist, und ein Mensch ist jung, wenn sein Geist und sein Kö rper gesund sind. Kö nnte ich mit meiner früheren Lebenseinstellung alles leisten, was ich heute leiste? Kö nnte ich tä glich von halb sechs Uhr morgens bis halb elf Uhr nachts auf den Beinen sein und Jahr um Jahr so leben, ohne je Ferien zu machen? Keineswegs, denn ich habe es lange Zeit hindurch versucht und mich damit beinahe umgebracht. Jeder Mensch, sei er, wer er wolle, wird, wenn er so lebt, wie ich gelebt habe — und wie es fast alle zivilisierten Menschen tun — , trotz scheinbarer Gesundheit viele Jahre früher sterben, als sein natürliches Leben dauern kö nnte, selbst jener, der zufä llig eine so starke Konstitution geerbt hat, daß er dieses Leben hundert Jahre lang aushä lt; denn Menschen von so außerordentlich widerstandsfä higer Anlage kö nnten bei biologisch richtiger Lebensführung mit Leichtigkeit noch viel lä nger leben und bis zu ihrem Tode tatkrä ftige und nützliche Glieder der Gemeinschaft sein. 95
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Ich erzä hle meine Erfolge nicht zu meinem Ruhm. Ich erzä hle sie, um zu zeigen, was jeder erreichen kann, solange sein Kö rper sich noch durch natürliche Mittel erneuern lä ßt. Mir selbst blühten die Erfolge und ermutigenden Ergebnisse auf dem Wege der Gesundheitserneuerung schon recht bald. Bereits vier Jahre nachdem ich durch eifriges Nachdenken den Heilungsweg einer gesundheitsbringenden Lebensführung entdeckt hatte, kletterte ich als einziger unter zwö lfen, die an dem Versuch teilnahmen, die fünfzig Stockwerke des Washingtoner Monuments hinauf; die andern kamen nicht über das achtzehnte Stockwerk hinaus, obwohl der ä lteste von ihnen fünf Jahre jünger war als ich und zwei von den anderen weniger als dreißig Jahre alt waren. Ich stieg dann auch wieder zu Fußhinunter. Es war an einem jener heißen, feuchten Julitage, für die Washington berüchtigt ist. Solche Ergebnisse kö nnen gewißauch für Mutlose, denen die nö tige Änderung ihrer Lebensgewohnheiten schwer erscheint, Ansporn und begehrenswerte Belohnung sein. Und ich kann aus meiner reichen und freudigen Erfahrung heraus enthusiastisch bestä tigen: sie sind es in der Tat!
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9. KAPITEL Die richtige Ernährung Leider besitzen wir die hohen Instinktqualitä ten nicht mehr, die den Menschen der Urzeit befä higten, sich über das Tierreich hinaus zu entwickeln, und die seine Evolution aus jenem primitiven, instinktgeleiteten, noch rohen Wesen in das beobachtende, überlegende, denkende, urteilende Geschö pf, das der Mensch heute ist, begünstigten. Wie sollen wir unter diesen Umstä nden entscheiden, welche Nahrung wir essen müssen, um normale Kö rperreflexe zu schaffen und so die bestä ndige Gesundheit zu fö rdern? Dafür gibt es einen einzigen Weg, und das ist das Studium des großen, offenen Buches der Natur. Dieses Buch sagt uns alles, was wir wissen müssen. Befragen wir es im Geiste der unvoreingenommenen Wißbegierde, dann werden wir die Wahrheit ohne Schwierigkeit erfahren. Wir müssen dabei freilich jene geistige Einstellung vermeiden, die überall nur nach Unterstützung einer vorgefaßten Meinung Ausschau hä lt. Und welches ist die erste Lektion, die die Natur uns über Ernä hrung gibt? Sobald wir in ihrem Buche zu lesen beginnen, wird es uns auffallen, daßnirgends von verbesserter, verfeinerter, konservierter, eingemachter, eingepö kelter, gereinigter Kost die Rede ist, sondern allein von natürlicher Kost. Kein Tier wird unter natürlichen Bedingungen denaturierte Nahrung zu sich nehmen, wenn es natürliche bekommen kann. Und das normale Tier, das sich seine Nahrung aus der Natur holt, verzehrt diese Nahrung auch vollstä ndig. Die reinen Pflanzenfresser fressen die ganze Pflanze, die ganze Wurzel oder die ganze Frucht. Sie zerteilen, schä len, verwä ssern, kochen sie nicht. Sie gießen nicht ab, drücken nicht aus, kochen nicht wieder auf. Sie salzen und pfeffern nicht, sie mischen, vermusen und zerhacken sie nicht. Sie machen daraus keinen Mischmasch aller mö glichen Substanzen, die sich nicht miteinander vertragen und niemals vollstä ndig verarbeitet werden kö nnen. Der Instinkt sagt dem Tier, daßes von einer Pflanze alles ohne andere Zutaten braucht, damit sein Kö rper in Vollkommenheit aufgebaut und ergä nzt wird. Die ganze Pflanze, die ganze Wurzel, den ganzen Samen, die ganze Frucht zu fressen, ist für die pflanzenfressenden Tiere eine Artgewohnheit und als solche ein Gesetz geworden, von dem sich die Art oder das einzelne Tier nur unter Gefä hrdung des Lebens und des Artbestandes entfernen kann. Der Instinkt, den die Natur dem Tier gegeben hat, sorgt dafür, daßes sich von diesem Gesetze weder losreißen kann noch will. Dasselbe gilt für die fleischfressenden Tiere, die Karnivoren. Sie fressen aus ihrem unbeirrbaren Instinkt heraus das ganze Tier, das sie erbeutet haben. Tä ten sie es nicht, sie gingen aus Mangel an lebenswichtigen, aufbauenden und funktionskontrollierenden Nä hrfaktoren, an Mineralsalzen und Vitaminen zugrunde. Aber nicht nur Tiere üben die Praktik aus, den ganzen tierischen oder pflanzlichen Nahrungskö rper zu verzehren, auch bei den noch lebenden primitiven Menschenrassen gilt diese Gewohnheit. Das ist für uns interessant, denn diese Menschen gleichen ja in ihrer Wesensart unseren Urvorfahren, durch deren Generationenreihen unser Kö rper zu seiner heutigen anatomischen und physiologischen Vollkommenheit ausgebaut und ausgebildet wurde. Die Eskimos, die fast ausschließlich von Tierfleisch leben, essen nicht bloßdie zuvor gut ausgebluteten Muskeln wie die zivilisierten Vö lker, sondern sie essen das ganze Tier, Blut, Hirn, Magen, Eingeweide, Lungen, Nieren, Leber, 97
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Milz, Bauchspeicheldrüse, Knorpel und die weicheren Knochen; sie essen sozusagen alles außer den harten Knochen, den Hufen, Hö rnern und Haaren. Und alle diese eßbaren Teile verzehren sie vielfach roh. Die Tiere, die den Menschen (und den fleischfressenden Tieren) als Nahrung dienen, haben zu ihrer Lebenszeit ihren ganzen Kö rper durch Pflanzenkost aufgebaut. Sie haben auf diese Weise — durch das Medium der Pflanze — vom Boden, von der Sonne und dem Wasser die zum Aufbau ihrer Organe nö tigen Stoffe erhalten, welche die Pflanze direkt aus dem Boden, der Luft und dem Wasser beziehen und in ihre Struktur einbauen kann, wä hrend das dem Tiere nicht mö glich ist. Aber das Tier, welches die ganze Pflanze frißt, kann die verschiedenen Stoffe, die in den einzelnen Teilen der Pflanze enthalten sind, nicht gleichmä ßig in alle seine Kö rperteile aufnehmen. Kalk und Phosphorsalze z. B. werden zum grö ßten Teil in die Knochen und die Zä hne verarbeitet, Natriumsalze in die flüssigen Gewebe (das Blut, die Lymphe und die Galle), die Vitamine in die inneren Organe usw. Um alle diese wichtigen Bestandteile in sich aufnehmen zu kö nnen, mußdas nur fleischfressende Tier und mußauch der Mensch, der sich weitgehend von Fleisch nä hrt, den ganzen Tierkö rper verzehren. Das Tier, das von dieser Regel abweichen würde, müßte Zugrundegehen, und der Mensch auch. Ein Ausweg und eine Rettung lä ge in dem Verzehren der ganzen Substanz irgendwelcher Pflanzen — das kommt aber für nur fleischfressende Tiere nicht in Betracht. Natürlich kann ein Wesen, wenn es intelligent genug ist, gewisse Pflanzenteile zur Ausfüllung der Lücken in seiner Kost, die durch nur teilweises Verzehren des tierischen Kö rpers entstehen, verwenden. Aber solche Weisheit besitzen selbst unter den Menschen nur wenige und diese wenigen auch nur bis zu einem gewissen Grade. Allen anderen Kreaturen sind diese Dinge ein Buch mit sieben Siegeln, das ihnen wohl auch immer versiegelt bleiben wird. Eine andere Lehre, die uns die Natur erteilt, ist, daß die Nahrung genossen werden sollte, ohne vorher gewürzt zu werden. Kein wildes Tier frißt sein Futter gewürzt. Es muß allerdings zugegeben werden, daß manche Tiere eine große Vorliebe für Salz haben und weit herumstreifen, um Salzlecken zu finden. Aber dieses Salz bedeutet für die Tiere nicht Beigabe zu ihrer Kost oder Würze ihrer Nahrung, die mit dieser zusammen eingenommen die Absonderung der Verdauungssä fte stö ren und lokale Reizungen, Ü berfressen, Entzündungszustä nde und schlechte Verdauung hervorrufen kö nnte, sondern spezielles Bedürfnis. Die Eskimos lehnen alles Salz ab, und das gilt von vielen primitiven Vö lkern. Diese Vö lker wollen im allgemeinen auch von anderen Würzen und Nahrungsbeilagen nichts wissen. Das Verzehren von Salz ist also kein Bedürfnis, sondern eine Gewohnheit; wer einige Monate lang Verzicht leistet, wird kaum mehr Vergnügen daran finden. Was früher dem Geschmacke so angenehm war, dünkt ihn nun unnatürlich und scharf. Dasselbe gilt für alle anderen Würzen. Wir kö nnen daraus erkennen, daßdas Salzen und Würzen unserer Speisen tatsä chlich eine unnatürliche Gewohnheit ist. Kann aber eine unnatürliche Gewohnheit, eine gedankenlos anerzogene Gepflogenheit (denn sie mußerst anerzogen werden), eine Gewohnheit, die der Nahrung etwas beifügt, das in keiner Weise zu ihr gehö rt, eine Gewohnheit, gegen die zum Beispiel unverdorbene Kinder instinktiv eingestellt sind, irgendwelche Vorteile gegenüber den natürlichen Gewohnheiten bieten? Selbstverstä ndlich nicht. Die Natur ist so allmä chtig und allweise, weil sie gewissermaßen das Faktotum, die Vertrauensperson unseres Schö pfers ist. Sie macht keine Fehler. Sie hat alle eßbaren Dinge in ihrer natürlichen 98
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Gestalt lieblich und kö stlich geschaffen; nur der durch langewä hrende verkehrte Nahrungsgewohnheiten verbildete Geschmack wird die natürliche Kost nicht mehr ohne weiteres zu schä tzen wissen. Wenn wir im Buche der Natur weiterforschen, dann gewinnen wir noch eine andere unschä tzbare Erkenntnis über die Ernä hrung unseres Kö rpers. Tiere in ihrem Naturzustand, aber auch wilde (also natürlich lebende) Menschen, wä hlen für ihre Mahlzeit, wenn mö glich, eine einzige Nahrungsart, eine einzige Speise. Der Affe klettert auf einen Baum und frißt zur Stillung seines Hungers Nüsse. Oder er klettert auf einen anderen Baum und frißt dessen Früchte. Der Wilde klettert auf den Baum oder lagert sich darunter, um eine Mahlzeit von Nüssen oder von Früchten zu verzehren; vielleicht grä bt er auch Wurzeln aus oder sammelt Krä uter und lä ßt sich nieder, um sie zu essen; oder er tö tet ein Tier und verschlingt alles, was daran eßbar ist. Jedenfalls verliert er seine Zeit nicht mit dem Sammeln von Nüssen, Früchten, Blä ttern und Wurzeln, um sie dann mit dem Fleisch eines erlegten Tieres zu genießen; er ißt eine einzige Speise, und davon so viel, als sein Appetit verlangt. Dann ist er satt bis zu seiner nä chsten Mahlzeit, die er erst wieder einnimmt, wenn sein Hunger sich aufs neue regt und ihn zwingt, frische Nahrung, wie sie aus der Hand der Natur kommt, zu suchen. Ü berhaupt kennen die Primitiven eine solche Regelmä ßigkeit im Essen, wie sie bei uns herrscht, nicht. Sie müssen umherstreifen, um Nahrung zu finden, müssen sich krä ftig bewegen, bevor sie ihre Mahlzeit einnehmen. Wir ersehen daraus, daß Bewegung vor der Mahlzeit eine Rassengewohnheit und physiologisch dem Kö rper notwendig ist. Die Bewegung vor dem Essen schafft ein Bedürfnis der Kö rperzellen nach Nahrung. Und dieses natürliche Bedürfnis sichert die beste und rascheste Verwendung der eingenommenen Nahrung durch den Kö rper, sichert schnelle und vollstä ndige Verdauung, so daßin der verzehrten Kost keine unnatürliche Gä rung der Fä ulnis oder irgendein anderer ausartender Prozeßentstehen kann. Wenn wir uns nun sagen müssen, daßes vollkommen undenkbar ist, daßinstinktgeleitete Tiere von der Natur irregeführt und zu andern als einwandfreien Kö rperaufbaugewohnheiten angehalten werden, so gelangen wir auf dem Wege der Beobachtung zu der unbestreitbaren Schlußfolgerung, daß natürliche, ganze Nahrungsmittel und unkomplizierte Mahlzeiten die natürlichen Anreize des Magen-Darm-Reflexsystems darstellen. Und wir erkennen auch allmä hlich, welche Nahrungsmittel wir, wenn nicht ausschließlich, so doch in der Hauptsache bevorzugen sollen. Im folgenden habe ich verschiedene Listen unserer gebrä uchlichsten Nahrungsmittel zusammengestellt, nach denen jeder Leser leicht die richtige Auslese treffen kann, um auf diese Weise von Anfang an Mahlzeiten zu vermeiden, deren Bestandteile sich gegenseitig bekä mpfen und schä digend wirken.
LISTE 1 Stärkehaltige Gemü se und andere stärkehaltige Speisen 99
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(gekocht bzw. gebacken zu essen) Kartoffeln Bohnen Karotten rote Rüben weiße Rüben (alt) Pastinaken Artischocken Grünkern alle Kö rnernahrung
Reis Sago Tapioka Getreidespeisen Brot Spaghetti Nudeln Kuchen Puddinge
(Diese Speisen vertragen sich mit den Speisen in den Listen 2, 3 und 7; bei schwacher Verdauung sollen sie jedoch nicht mit Speisen der Liste 7 gemischt werden.) LISTE 2 Nicht stärkehaltige Gemü se (gewöhnlich gekocht zu essen) Kohl Blumenkohl Wirsingkohl Rosenkohl Kohlrüben Karotten rote Rüben weiße Rüben Pastinaken Artischocken Grünkern grüne Bohnen Zwiebeln
(jung)
Eierfrüchte (Aubergines, Melanzani) Kürbis Kardä tschen (Cardon) Lotos (eßbarer Judendorn, ä gyptische Bohnen) eßbarer Eibisch Spargel Spinat grüne Erbsen Sellerie Endivien Tomaten Lö wenzahnblä tter Lauchblä ttriger Bocksbart (Haferwurz)
Werden die Gemüse gekocht, so sollen sie nur mit Butter und sehr wenig Salz oder mit saurem Rahm angerichtet werden; der Rahm darf jedoch nie mit Getreidestä rke oder Mehl verdickt werden. (Diese Gemüse vertragen sich mit allen anderen Speisen.)
LISTE 3 Nicht stärkehaltige Gemü se (vorzugsweise roh zu essen) 100
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Großblä ttriger Salat Lattich Endivien Spinat Brunnenkresse Petersilie Kapuzinerkresse Kapuzinerblüten Karotten (jung) weiße Rüben (jung)
rote Rüben Pastinaken (jung) Radieschen Zwiebeln Sellerie Gurken Pfefferschoten Tomaten grüne Erbsen (jung) reife Oliven
(Diese Gemüse vertragen sich mit allen anderen Speisen.) LISTE 4 Eiweiß nahrung Alle Fleischnahrung (einschließlich Süß- und Salzwassertiere) Eier Kä se Quark Milch
Buttermilch Nüsse Hülsenfrüchte
(Diese Speisen vertragen sich mit den Speisen der Listen 2, 3, 7 und 8.) LISTE 5 Säureü berschü ssige Nahrung (Siehe auch die Liste der sä urebildenden Nahrungsmittel S. 52) Alle Fleischnahrung (das Fleisch aller Tiergattungen und alle Teile des einzelnen Tieres) Alle Kö rnernahrung (besonders weißes Mehl, verfeinerte Getreidespeisen und polierter Reis) Zucker Tee Nüsse (einschließlich Erdnüsse)
Kaffee Kakao alle Fette Eiweiß Kä se getrocknete Bohnen getrocknete Erbsen getrocknete Linsen
(Speisen aus dieser Liste sollen nur 1/5 der tä glichen Nahrungsmenge ausmachen.) LISTE 6
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Basenü berschü ssige und basenbildende Nahrung (Siehe auch die Liste der basenbildenden Nahrungsmittel S. 53) Alle Früchte (vor allem die Zitrusfrüchte) Alle Gemüse (besonders die nicht stä rkehaltigen Arten; vgl. die Listen 2 und 3) Kartoffeln Eidotter
Paranüsse Milch (einschließlich Buttermilch und Quark) Vollmehl- und Vollkornprodukte Mandeln
(Speisen aus dieser Liste sollen wenigstens vier Fünftel der tä glichen Nahrungsmittelmenge ausmachen.) LISTE 7 Sü ß e Frü chte Süße Äpfel
vollreife Bananen
Melonen milde, gut ausgereifte Birnen
reife Beeren Rosinen, Feigen und Datteln
milde, gut ausgereifte Pfirsiche
süße Trauben
(Süße Früchte vertragen sich mit allen anderen Speisen, außer wenn schwache Verdauung vorliegt; dann darf man solche Früchte nicht mit stä rkehaltiger Nahrung mischen.) LISTE 8 Säuerliche und saure Frü chte Äpfel Birnen Pfirsiche Zwetschgen Pflaumen Orangen
Grapefruits Zitronen Trauben Beeren Preiselbeeren Rhabarber
(Diese Früchte vertragen sich mit den Speisen in den Listen 2, 3 und 4.) Den am Anfang dieses Kapitels aufgestellten Grundsä tzen fügen wir nun noch aus den Kapiteln III, IV und V gewonnene Erkenntnisse bei, welche wir hier kurz rekapitulieren. Will man sich dauernd bei guter Gesundheit erhalten, so mußman sich immer vergegenwä rtigen, daßdie einzelnen Mahlzeiten mö glichst einfach sein sollen, sowohl in 102
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ihrer Zusammenstellung als auch in ihrer Zubereitung, und daß sie natürlicher Nahrung so nahe als nur mö glich kommen müssen. ¯ Für Menschen, die immer gesund bleiben wollen, mußdie Nahrung nicht nur vom Lebensprinzip durchdrungen sein, sondern auch das Lebensprinzip übermitteln. Totes Fleisch, verfeinerte und schon zum voraus zubereitete Mehl- und andere Kornprodukte, raffnierter Zucker und ä hnliche unlebendige Kost kann, wie wir einsehen lernten, niemals diese Forderung erfüllen. „Lebendige“ Nahrung müssen wir anderswo suchen. Wir finden sie im Vollkorn, das nur einem ganz kurzen Kochprozeßunmittelbar vor Einnahme der Mahlzeit unterworfen wird, ferner in nichtsterilisierter und nichtpasteurisierter (vorzugsweise roher) Milch, ganz leicht gekochten Eiern, Nüssen, rohen oder nur ganz leicht gekochten Gemüsen und Früchten, die immer roh verzehrt werden sollen. Wichtig ist weiter, daßman mindestens vier Fünftel der tä glichen Kost aus der Liste basenüberschüssiger Nahrungsmittel (Liste 6) wä hlt, wä hrend hö chstens ein Fünftel aus Liste 5 kommen darf, welche die sä ureüberschüssigen Nahrungsmittel aufzä hlt. Mit anderen Worten: vier Fünftel der tä glichen Nahrungsmenge müssen aus Vollmehlund Vollkornprodukten, Mandeln, Paranüssen, Eidottern, Milch, Gemüsen und Früchten bestehen, mit besonderer Bevorzugung der Früchte, blä tteriger Gemüse und Salate. Solch eine Speise - Zusammenstellung gewä hrleistet normale Basenzufuhr und birgt keinerlei Gefahren für organische Reizung oder Ü beranstrengung. Anhand dieser Weisungen sollte es für jeden mit durchschnittlicher Intelligenz begabten Menschen leicht sein, nach ein paar Minuten der Ü berlegung sich für jeden Tag einen Speisezettel zusammenzustellen, der den Anforderungen eines nach vollkommener Gesundheit strebenden Kö rpers genügt. Tä glich sind hö chstens drei Mahlzeiten zulä ssig, und diese müssen so einfach als mö glich sein. Eine soll aus Früchten oder aus Früchten und Milch oder aus Salat und Milch bestehen. Die zweite soll stä rkehaltig sein, das heißt ein Stä rkegericht aus Liste 1 aufweisen mit Beigabe von Salat (oder sä uerlichen Früchten in zweiter Wahl, jedoch nur bei guter Verdauung). Die dritte muß eine Eiweißmahlzeit sein mit einer Speise aus Liste 4 und einem Salat nebst zwei Gemüsen (oder mehreren, wenn man Verlangen danach empfindet). Beschrä nkt man sich auf zwei Mahlzeiten, so wird die hier an erster und die an dritter Stelle genannte Speisefolge abwechselnd ausgelassen. Die Obstmahlzeit ist zwar schnell zubereitet; einige Betrachtungen darüber sind aber dennoch wichtig. Im Sommer sollen die saftigen Früchte sauer oder sä uerlich sein; im Winter wä hlt man vorzugsweise süße, getrocknete Früchte, besonders wenn man leicht unter Kä ltegefühl leidet. Unter sauren Früchten verstehe ich solche, welche Milch schnell gerinnen machen. Sä uerlich sind sie, wenn die Milch langsam gerinnt und die Gerinnsel als feine Flokken erscheinen. Nicht sauer sind alle Früchte, die süße Milch überhaupt nicht gerinnen machen. Saure und sä uerliche Früchte, außer Zwetschgen, dürfen mit einem Stä rkegericht zusammen gegessen werden, jedoch nur, wenn die Verdauung gut ist und keine Gä rungen zu befürchten sind. 103
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Ich habe nie einsehen kö nnen, warum gewisse Leute getrocknete Früchte und saftige, frische Früchte bei einer Mahlzeit nicht miteinander essen wollen. Beide enthalten die gleichen Elemente und unterscheiden sich hauptsä chlich durch den hö heren oder geringeren Wasser- und Zuckergehalt. Aber alle Früchte, auch die getrockneten, enthalten Wasser und Zucker in gewissen Proportionen, und wenn die getrockneten und die saftigen wegen der Verschiedenheit dieser Proportionen nicht zusammen gegessen werden dürften, so sollten auch die verschiedenen Arten der saftigen Früchte nicht gemeinsam verzehrt werden, denn auch sie unterscheiden sich durch ihren Wasserund Zuckergehalt voneinander. Wird aber als Grund angeführt, daß ihre Verdauungszeit verschieden ist, so führt das natürlich zur Forderung von Einspeisemahlzeiten, ein Prinzip, das in der Theorie sehr richtig, in der Praxis jedoch kaum durchführbar ist, weil die Verdauungszeiten so ziemlich aller Nahrungsmittel voneinander abweichen. Auf alle Fä lle habe ich nie die geringste schlechte Erfahrung damit gemacht, daß ich Früchte aller Art ohne irgendwelche Beschrä nkung esse und sie auch in der Diä t meiner Patienten verwerte. Sogar dort, wo Gase sich zwar bilden, ebenso rasch aber wieder abgehen, verbiete ich die gemischten Früchte nicht, denn solche Gase haben auch günstige Wirkungen: sie setzen die Muskeln des Verdauungskanals in Bewegung und bieten ihnen daher Gelegenheit zur Ü bung. Nur in sogenannten „statischen“ Fä llen, wo die Gase keinen Abgang haben, die Darmwä nde auseinanderzerren und damit die Muskeln überanstrengen und schließlich lä hmen, verschreibe ich die einzelnen Fruchtsorten allein. Verdauungsmuskeln, die in guter Ü bung gehalten werden, kö nnen übrigens niemals zu trä ger Verdauung führen. Die einzige Unterscheidung, die ich im allgemeinen mache, ist diejenige, daß ich süße Früchte besonders anempfehle, wenn mehr Kö rperwä rme und Energie benö tigt wird, und saftige Früchte, wenn im Gegenteil Kühlung und Reinigung der Sä fte erforderlich ist. Beide Obstarten vertragen sich mit Milch, und sogar die sauersten Früchte bilden mit ihr geradezu ideale Kombinationen. Viele Leute, darunter auch viele Ärzte, fürchten diese Zusammenstellung in der gleichen Mahlzeit, weil die sauren Früchte die Milch gerinnen lassen. Diese Furcht ist aber ganz unbegründet; die Milch muß nä mlich gerinnen, bevor sie verdaut werden kann. Und gerade die Patienten, denen der gemeinsame Genußvon Milch und sauren Früchten von ihrem Arzt verboten wird, sind dieser Zusammenstellung gewö hnlich besonders bedürftig. Wenn Milch nä mlich in einen stark sä uredurchsetzten Magen gelangt (in die Art Magen, für die der Arzt sie womö glich überhaupt verbietet), dann gerinnt sie nicht sofort, sondern bildet zuerst einen zä hen Klumpen, wie es in Fä llen, wo der Magen sie wieder zurückgibt, beobachtet werden kann. Wä re dieselbe Milch vor dem Hinunterschlucken von Fruchtsä ften durchsä uert oder mit sauren Früchten zusammen gekaut worden, so wä re sie zu einem sehr feinen, zarten Quark geronnen, den die Magensä fte ohne weiteres hä tten verdauen kö nnen. Dies lä ßt sich beweisen, indem man einem Glase frischer Milch einen Suppenlö ffel voll Zitronensaft beifügt; es bildet sich unverzüglich ein weicher, feiner Quark. Rührt man ihn durcheinander, so sieht man ihn sich noch feiner brechen. Solche gesä uerte Milch, die einem Sä ugling gereicht werden kann, ist eines der besten Nahrungsmittel für einen übersä uerten Magen. Bei dieser Gelegenheit mag nochmals kategorisch darauf hingewiesen werden, daßMilch eine Nahrung ist und kein Geträ nk. Die Sä ure des Obstes beruht auf einem in ihm enthaltenen sauren Salz, das aus einer 104
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nichtmineralischen Sä ure (Zitronen- oder Apfelsä ure) und einer alkalischen Mineralsubstanz oder Base besteht. Fast unmittelbar nach dem Genuß einer sauren Frucht, eines sauren Fruchtsaftes oder einer fruchtdurchsä uerten Milchmischung wird der saure Bestandteil, indem er sich mit Sauerstoff verbindet und als Kohlendioxyd und Wasser ausscheidet, verbrannt. In diesem Prozeßwird Kö rperwä rme und Energie frei, und die basischen Mineralsubstanzen (Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium usw.) bleiben zurück, um die Sä ure des Magens zu verringern und sich mit dem Kohlendioxyd zu anderen Salzen zu verbinden: zu den basischen Karbonaten und Bikarbonaten von Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium usw., den normalen Basen des menschlichen Blutes. Nur bei Menschen, die eine Idiosynkrasie (krankhafte Abneigung) gegen Früchte haben, halte ich mit der Mischung saurer Früchte mit Milch zurück. Solche Leute sind aber meiner Erfahrung nach selten; nach ein- oder zweitä gigem Fasten, sobald sie wirklich hungrig sind, würden auch sie eine Fruchtmahlzeit ohne die geringsten Beschwerden ertragen kö nnen. Diese Tatsache beweist, daßvon einer wirklichen Idiosynkrasie gegen Obst bei den betreffenden Personen nicht die Rede sein kann. Schuld an ihrer scheinbaren Unfä higkeit, Obst zu essen, trä gt vielmehr der durch falsche oder zu reichliche Nahrung gereizte Zustand ihres Magens. Saftige Früchte oder süße Früchte kö nnen nach einer Eiweißmahlzeit als Nachtisch dienen. Der Schwerarbeiter sollte die süßen Früchte bevorzugen, der Geistesarbeiter die sauren. Der erste braucht energiespendende, der zweite blutreinigende Kost. Manche Diä tautoritä ten verurteilen jede Zusammenstellung von Früchten mit Stä rken; das scheint mir allgemein betrachtet auch ganz richtig zu sein. Ich habe aber dennoch beobachtet, daß eine Kombination von sä uerlichen Früchten mit Stä rken gelegentlich entschieden vorteilhaft wirken kann. Sogar wenn im Magen tatsä chlich Gä rung stattfindet, wird ein Apfel ihr fast augenblicklich Einhalt tun und auch eine nochmalige Gä rung in den unteren Teilen des Verdauungskanals verhüten. Solche Einzelheiten muß jedoch jedermann für seinen eigenen Fall selber herauszufinden trachten. Alle Melonen- und Kürbisarten kö nnen sowohl zu den Gemüsen als auch zu den Früchten gerechnet werden; aber bei schlechter Verdauung sollte man sie nur als leichte Einzelmahlzeit allein genießen und nichts anderes dazu essen, weil sie sich besonders schwer mit anderen Nä hrstoffen verbinden. Vor allem an heißen Tagen kann man sie ausgezeichnet allein als Mittagessen servieren. Gemüse sollte man, wenn sie überhaupt gekocht werden müssen, backen oder dünsten. Die blä tterigen Gemüse mußman gut waschen, die Wurzel – Gemüse mit einer Gemüsebürste gründlich abreiben, im Notfall sogar mit Seife, worauf man sie natürlich besonders sorgfä ltig abspülen muß. Dagegen darf man sie niemals abschaben oder abkratzen. Alle Wurzelgemüse, die in der Schale gebacken oder gedünstet werden, durchsticht man vor dem Kochen oder wä hrenddessen mit einer Gabel an verschiedenen Stellen. Kartoffeln schmecken zwar besser gebraten oder gebacken; aber durch diese Zubereitung verlieren sie viel von ihren besten Eigenschaften, denn die Schale verkohlt, bevor das Innere ganz durchgebacken ist, und das zerstö rt die wertvollen Eiweißstoffe und einige der wichtigsten Salze, die sich in der Schale und in einer Zellenschicht unmittelbar darunter befinden. Doch wenn man im übrigen nach einer gut zusammengestellten Diä t lebt, so mag der Genußgebratener oder gebackener Kartoffeln hingehen, das heißt, dieser Punkt braucht einen nicht zu bedrücken. Trotzdem mußich hier hervorheben, wie kö stlich die Kartoffel schmecken kann, wenn sie nicht 105
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ganz bis zu der bekannten mehligen Zartheit weichgekocht ist und wenn die Schale runzelig, aber noch nicht braun oder schwarz versengt ist. Eine kleine Zä higkeit oder Hä rte dürfen die Kartoffeln ruhig behalten; dadurch gewinnt ihr Nä hrwert und für den Liebhaber sogar ihr Wohlgeschmack. Werden Gemüse aus irgendeinem Grunde gekocht, so darf nicht mehr Wasser verwendet werden, als nö tig ist, um sie vor dem Anbrennen zu schützen. Das Wasser wird nicht abgeschüttet, sondern nach Geschmack gesalzen, Butter hinzugefügt und Trokkenmilch im Verhä ltnis von einem Fünftel Milch auf vier Fünftel Gemüsebrühe damit vermischt; heiß serviert gibt das eine hö chst schmackhafte Sauce. Man verliert auf diese Weise nichts von den Gemüsesalzen. Getreidestä rke- und Weißmehlzusatz zum Verdicken der Saucen sind zu vermeiden. Die einzigen Zutaten seien ein wenig Salz, Butter, Rahm (oder Trockenmilch). Magere Leute, die Fett gut vertragen, kö nnen auch Ö lsaucen genießen. Getrocknete Bohnen jeder Art, desgleichen getrocknete Erbsen, Linsen und Erdnüsse sind reich an Stä rken und Proteinen. Da nun aber Stä rken und Eiweißstoffe sich gegenseitig nicht vertragen, so sind die genannten Gemüsefrüchte schwer verdaulich und sollten mit nichts anderem zusammen genossen werden, weder mit anderen Stä rken noch mit anderen Eiweißprodukten. Nur Salate oder gekochte Gemüse darf man zu ihrer Ergä nzung herbeiziehen. Damit zusammen stellen sie aber auch eine vollstä ndige und genügende Mahlzeit dar. ¯ Wä hrend sich Obst- und Gemüsemahlzeiten rasch zubereiten lassen, mußdie Stärkemahlzeit sehr sorgsam ausgewä hlt werden. Aus Liste 1 wä hlen wir irgendeines der Stä rkegerichte, vielleicht Vollkornporridge oder Vollkornbrot. Dazu suchen wir uns aus der Liste 3 oder der Liste 7 (oder aus beiden Listen) so viel aus, wie wir wollen, und bereiten daraus einen Salat, den wir mit Mayonnaise oder Rahm anrichten kö nnen. Den Vorzug würde ich allerdings der Zubereitung ohne Zutaten geben. Jedenfalls darf die Salatsauce zu einer Stä rkemahlzeit nicht sauer sein oder gar Essig enthalten. Denjenigen, die Ö l gut vertragen und nicht zu Fettansatz neigen, steht es frei, den Salat mit Ö l ohne Sä uren anzumachen, an heißen Sommertagen mit Beschrä nkung, bei kaltem Wetter nach Belieben. Ist die Mahlzeit für einen kö rperlich arbeitenden Menschen bestimmt, so kann ihr Stä rkebestandteil reichlich bemessen werden; der Geistesarbeiter und der Mensch mit sitzender Arbeitsweise braucht weniger Stä rkenahrung. Der Muskelarbeiter darf auch unbedenklich als Nachtisch eine tüchtige Portion süßer Früchte oder eine rechte Menge Honig verzehren; der Mensch mit sitzender Lebensweise mußsich in dieser Hinsicht Beschrä nkungen auferlegen, es sei denn, er erhä lt seinen Kö rper in tä glicher krä ftiger und regelmä ßiger Ü bung. Der Muskelarbeiter kann auch ein Glas Milch dazunehmen oder sogar Milch und Rahm mischen, wä hrend sitzend Arbeitende nur halb Milch und halb heißes Wasser trinken sollen. Porridge oder Getreidebrei (natürlich Vollkorngetreidebrei) ist immer gut zu kauen. Wer nicht genügend Selbstüberwindung aufbringt, um Getreidebrei gut zu kauen, hat nicht viel Aussicht, das Ziel der bestä ndigen Gesundheit zu erreichen, denn Selbstdisziplin muß man üben, wenn man auch nur die geringsten Erfolge erzielen will. Der Besitz einer zuverlä ssigen Gesundheit hä ngt von einwandfrei funktionierenden Orga106
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nen ab, und diese wieder von vollkommen arbeitenden Nerven; eine unbeherrschte Lebensführung ist aber das gerade Gegenteil von vollkommen arbeitenden Nerven. Die Aufnahme ungeeigneter und unnatürlicher Nahrung ist eine der Hauptursachen für die Unbeherrschtheit der Nerven. Wer seine Nerven nicht in der Gewalt hat, braucht um so dringender natürliche, grobe Vollkornnahrung, schon um daran (z.B. gerade mit Kauen) die wahre Nervenbeherrschung zu erlernen. Man sollte nö tigenfalls mit gebackenen Vollkornspeisen beginnen, die leichter zu kauen sind. solange die Nerven einem noch nicht gehorchen. Was übrigens das Kochen der Getreidenahrung betrifft, so scheint die Zivilisation vollkommen falsch orientiert zu sein, und die Schuld daran trä gt zum großen Teile die Wissenschaft. Gelehrte haben die Darmausscheidungen untersucht und herausgefunden, daßnach langem Kochen eine grö ßere Menge Stä rke im menschlichen Verdauungsapparat absorbiert wird als nach kürzerer Kochzeit; sie schließen daraus, daß lä ngeres Kochen mehr Energie je Stä rkeeinheit freimacht. Indessen zerstö rt, wie wir wissen. langes Kochen und nachheriges Stehenlassen das lebendige Prinzip in der Kost. Der altmodische schottische Porridge, der aus Hafer so zubereitet wird, daßman bloß die ä ußeren Hüllen entfernt und ihn dann zwischen Steinen zermalmt, oder die Getreidespeisen primitiver Vö lker, die aus zwischen Steinen zermahlenen und nur wenige Minuten auf roheste Art aufgekochten Kö rnern bestehen, mö gen rauher und weniger appetitanregend sein als unser moderner Porridge; aber sie tragen in sich, was unsere modernen Getreidespeisen nicht mehr geben kö nnen: lebendige Energie, die sie dem Esser direkt mitteilen. Das Lebensprinzip wird ihnen nicht durch komplizierte Verfeinerungsvorgä nge oder Zubereitungskünste entzogen, und der Verzehrer solcher Speisen erhä lt durch sie, was der moderne Mensch sonst von nirgendsher beziehen kann, nä mlich lebendigen Widerstand gegen Krankheit. Granuliertes Vollkorn, das drei bis fünf Minuten in rascher Hitze gekocht wird, verliert seine belebende Wirkung nicht, wenn es binnen einer halben Stunde nach diesem kurzen Kochen gegessen wird. Aber lä ngere Hitzeeinwirkung raubt ihm seine lebenspendende Kraft; es kann dann noch Kö rpersubstanz bilden, aber keine Energie mehr schaffen. Natürlich wird roh zubereitete Kö rnernahrung nicht vollstä ndig verdaut, und das ist ein Energieverlust. Aber ein Ausgleich (und mehr als das) findet dadurch statt, daßdie Kö rner zum Teil unverdaut in den Darm gelangen, wo sie sich in Milchsä ure zersetzen (dieselbe Sä ure wie in dicker Milch), die der wirksamste Gegner der Fä ulniskeime im Darm ist. Dies ist der Grund dafür, daßich grobkö rnige Getreidespeisen den feingemahlenen vorziehe. Leicht verdauliche Speisen sind auch sonst keineswegs immer von Vorteil für unsere Verdauungsfä higkeit, die wie alle übrigen Funktionen schwach wird und sich mehr oder weniger verliert, wenn die an unsere Verdauungsorgane gestellten Anforderungen sie nicht in vollem Maße beschä ftigen. Es gibt Diä tetiker, die alle Kö rnernahrung verpö nen, sogar Vollkornspeisen. Solche Ernä hrungsforscher werden schwerlich imstande sein, eine befriedigende Antwort auf die Frage zu erteilen, warum die Bulgaren, welche seit Jahrhunderten von schwarzem Roggenbrot und saurer Milch mit Zusatz einiger Gemüse leben, die hö chstgewachsene und langlebigste Rasse der ganzen zivilisierten Menschheit sind. Jeder zweihundertfünfzigste Bulgare erreicht ein Alter von hundert Jahren, wä hrend die bestklassierten der andern zivilisierten Lä nder, wie die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich usw., nur einen Hundertjä hrigen auf zehntausend Einwohner 107
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aufweisen. Viele der bulgarischen Hundertjä hrigen vollenden außerdem noch mehr als ein Jahrzehnt über ihre hundert Jahre hinaus. Natürlich entspringt dieses einzigartige Ergebnis auch noch einem andern Prinzip, für das ich bestä ndig eintrete, nä mlich der Einfachheit und Natürlichkeit der Mahlzeiten: die Herstellung ihrer Speisen geschieht auf denkbar einfachste Weise, so daßdas lebendige Naturprinzip nicht verlorengeht. Um dieselbe Erkenntnis noch von anderer Seite zu stützen, betrachte man auch die Hochlandschotten, die zweitkrä ftigste und kö rperlich tüchtigste Gruppe aller zivilisierten Vö lker. Viele Jahrhunderte lang haben die Hochlandschotten hauptsä chlich von natürlicher, unverfeinerter Hafergrütze und Milch gelebt. Macaulay behauptet sogar, vor 1745 sei dem einkehrenden Wanderer in der Hütte eines schottischen Hochlä nders eine Kost vorgesetzt worden, die in keiner Weise feiner gewesen sei als das Futter für das Vieh. Doch was hat diese grobe, natürliche Nahrung aus dem Hochlä nder gemacht! Wir kommen nun zu der Protein- oder Eiweiß mahlzeit, die eine Speise aus Liste 4 — aber nicht mehr als eine — umfassen soll. Wer über fünfundzwanzig Jahre alt ist, sollte als allgemeine Regel kein Fleisch wä hlen, außer in sehr kleinen Mengen und mit genügend basenbildenden Früchten und Gemüsen als Gegengewicht. Es ist niemals von Vorteil, mehr als ein Viertelpfund mageres Fleisch pro Tag zu verzehren, ganz gleichgültig, welche Art Arbeit verrichtet wird. — Haben wir eine Eiweißspeise gewä hlt, so kö nnen wir aus den Listen 3, 7 und 8 aussuchen, was uns gefä llt, und alles in einen Salat mengen, den wir wiederum mit Ö l und Mayonnaise oder mit Rahm oder sogar mit Trockenmilch anmachen. Dann fügen wir aus Liste 2 zwei oder mehrere Gemüse bei, nach denen uns gelüstet, und dünsten sie, bis sie weich sind, aber nie so lange, bis sie zerfallen oder ihre natürliche Farbe verlieren. Vor allem Blattgemüse sollten nie verkocht werden; sie schmecken vortrefflich, lange bevor sie in diesen breiigen Zustand kommen; auch haben sie dann noch ihre vollen lebendigen Wirkungen, die sich bei zu langem Kochen verlieren. Diese gedünsteten Gemüse werden nur mit Butter und sehr wenig Salz angerichtet, niemals mit irgendeiner anderen Sauce. Der Schwerarbeiter kann zu den Gemüsen noch Kartoffeln nehmen, im Dampf gekocht oder gebacken, aber unter keinen Umstä nden geschä lt und auch nicht gebraten, und nie mit einer Sauce serviert, der noch Stä rkemehl beigemengt wurde. Besser ist es, die Kartoffeln mit Butter anzurichten oder mit der Sauce des Hauptgerichtes — gegebenenfalls der echten Fleischsauce, falls Fleisch serviert wird. Der kö rperlich Arbeitende kann auch seinem Salat nach Belieben Ö l beifügen, denn er braucht kraftbildende Nahrung, und Stä rken und Ö le sind kraftbildend. ¯ Die hier besprochenen Diä tvorschriften eignen sich im allgemeinen für jede Klasse von Arbeitern, denn sie versehen jeden Menschen, wenn die aus der Ü berernä hrung stammenden. Gifte schon ausgeschieden sind, mit genügender Energie. Sollten aber sehr beanspruchte Muskelarbeiter, die ihre Krä fte tä glich in ungewö hnlichem Maße ausgeben, noch intensivere Nahrungszufuhr brauchen, so mö gen sie der Obstmahlzeit, wenn die Früchte aus Liste 7 gewä hlt wurden, sehr trocken gerö stete Vollkornsemmeln oder gut durchgerö stetes Vollkornbrot hinzufügen. Die Scheiben müssen aber durch und durch gerö stet sein, das heißt, es dürfen unter der dünnen verkohlten ä ußeren Schicht keine weichen Stellen zurückbleiben. Das gerö stete Brot darf mit einer 108
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ausgiebigen Portion Butter gegessen werden; auch kann man ein wenig Honig darauf streichen, da von allen diesen Nahrungsmitteln sehr viel Energie ausgeht. Steigert man dann noch die Menge der süßen Früchte gegenüber den saftigen, so hat man eine Diä t, die wahre Strö me von Energie liefert und auch den sehr schwer Arbeitenden belebt und stä rkt. Der Mensch mit sitzender Lebensweise hingegen sollte zum mindesten eine Mahlzeit des Tages ganz aus Früchten und Milch oder Heißwassermilch bestehen lassen. ¯ Wir fassen das Gesagte nun nochmals kurz zusammen. Die Nä hrstoffe aus Liste 1 dürfen nie mit solchen aus Liste 4 vermengt werden, außer wenn die Verdauung sehr krä ftig und gesund ist; selbst dann ist Vorsicht und Maßhalten am Platze. Kartoffeln kö nnen von dieser Regel ausgenommen werden. doch darf man sie auch nicht bestä ndig mit den gegensä tzlichen Nahrungsstoffen zusammen genießen. Ist hingegen die Verdauung der schwache Punkt des Patienten, stellt sich also regelmä ßig Gä rung ein, dann wä re die Gewohnheit, Eiweißstoffe mit ihnen entgegengesetzten Nä hrstoffen, selbst Kartoffeln, zu vermischen, ein Verbrechen gegen die Gesundheit. Bei krä ftiger Verdauung wird eine kleine Menge Kartoffeln, die gut mit Speichel durchsetzt worden ist, in zehn oder fünfzehn Minuten verdaut sein, und dies lä ßt kaum Zeit für die Unterbrechung der Verdauung durch Sekretion der sauren Magensä fte. Diese Ausnahme ist bloßdeshalb mö glich, weil gut mit Speichel durchsetzte Kartoffeln von allen Stä rkespeisen am raschesten ausgenützt werden; überdies sind die Kartoffeln in sich selbst ausgesprochen basisch, im Hinblick auf ihren Reichtum an Natrium und Kalium. Die Speisen der Liste 8 dürfen ebenfalls nicht mit denen der Liste 1 vermischt werden. Wenn auch die Speisen der Liste 1 sich chemisch gegenseitig vertragen, ist es doch nicht ratsam, mehrere davon gemeinsam zu verzehren. Der Hauptgrund für diese Einschrä nkung liegt in ihrer zu großen Verschiedenheit, und wir haben gesehen, daßwir bei ein und derselben Mahlzeit nach mö glichster Einfachheit trachten müssen. Ü berdies sind die Verdauungszeiten der, in dieser Liste aufgezä hlten Nahrungsmittel meist sehr verschieden, und das vermehrt die dem Sekretionsmechanismus erwachsende Belastung. Schließlich besteht bei einer solchen Zusammenstellung mehrerer Speisen aus Liste 1 die Gefahr einer zu großen Stä rkemenge und überhaupt einer zu großen Nahrungszufuhr. Abwechslung in der Speisenfolge ist die Hauptursache von Ü berladung des Magens. Eine mit einer Speise aus Liste 4 zusammengestellte Mahlzeit kann man eine Protein- oder aufbauende Mahlzeit nennen. Dazu ist zu bemerken, daßnicht zwei der in Liste 4 enthaltenen Speisen zusammen gegessen werden dürfen; sonst entsteht ernstlich gefä hrdender Ü berschuß an Eiweißnahrung. Die meisten Leute führen sich zu viele Eiweißstoffe zu, sogar wenn sie sich auf eine einzige eiweißhaltige Speise beschrä nken; dadurch werden besonders die Nieren in Mitleidenschaft gezogen. Milch und Fleisch sollten niemals miteinander genossen werden, sonst werden das Blut und die Gewebe mit Eiweißund den giftigen Endprodukten des Eiweißstoffwechsels überladen. Dazu kommt, daßMilch und Fleisch sich zwar chemisch miteinander vertragen, daßaber die Milch zu ihrer raschen Verdauung eine milde, Fleisch hingegen 109
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eine scharfe Sä ure braucht; diese scharfe Sä ure wirkt auf das Milchprotein derart ein, daßes einen dichten Klumpen bildet, an Stelle eines feinen leichtverdaulichen Breies. Ich will nicht unterlassen, hier nochmals daran zu erinnern, daßdie Zellulose- oder holzartigen Abfallstoffe, die sich in jedem rohen Nahrungsmittel und in jeder nicht durch menschliche Kunst gä nzlich entarteten Kost finden, von grö ßter Wichtigkeit für die gesunde, natürliche Tä tigkeit der Verdauungsmuskeln und -drüsen sind. Zucker, Süßigkeiten, Sirup, Honig usw. sollten nicht zusammen mit Fleisch gegessen werden, denn Zucker verwandelt sich fast unmittelbar in Wä rme und Zellenenergie. Wenn aber der Zellenbedarf an Energie so rasch befriedigt wird, verlangsamt sich die Eiweißverdauung. Daher tritt als Folge solcher Vermischungen von Fleisch und Süßigkeiten sehr oft Zersetzung ein. Der Schwerarbeiter braucht nicht viel mehr Nahrung von Liste 4 als ein Mensch mit sitzendem Beruf. Aber der Schwerarbeiter braucht viel mehr Bestandteile der Liste 1, um die in seiner Muskelarbeit verausgabte Energie wieder zu ersetzen; er braucht auch mehr Nahrung aus den Listen 2 und 3, um die Sä uren zu neutralisieren, welche die Auflö sung so vielen Zellgewebes und so vieler krafterzeugender Nahrung gebildet hat. An dieser Stelle wird vielleicht bei manchen Lesern die Frage auftauchen, ob nicht bei intensiver Bekä mpfung des Sä ureüberschusses schließlich auch ein schä dlicher Basenüberschuß entstehen kö nne? Sei ohne Besorgnis, Leser! Es kö nnen sich niemals zu viele Basen bilden, weil unser Kö rper durch seine eigene Lebenstä tigkeit bestä ndig Sä uren erzeugt und die aus der Nahrung gewonnenen Basen uns das einzige Mittel liefern, diese Sä uren wieder aus dem Kö rper zu entfernen; auch die aus der Nahrung stammenden Sä uren müssen auf diese Weise wieder fortgeschafft werden. Im Hinblick auf diese doppelte Sä urequelle sind wir gezwungen, darauf zu achten, daßunsere Diä t zu vier Fünfteln aus basenbildenden Nahrungsstoffen besteht und nur zu einem Fünftel ihrer Menge aus Sä urebildnern. Ü brigens werden die Basen auch im Verdauungskanal selber noch benö tigt. Ich habe den Eindruck, jetzt alles gesagt zu haben, was ernsthaften Gesundheitssuchern die Zusammenstellung ihrer tä glichen Nahrung erleichtern kann, mußaber der Vollstä ndigkeit halber noch ein Wort über die Geträ nke beifügen, denn von meinen Patienten werde ich bestä ndig gefragt, ob man vor, wä hrend oder nach dem Essen trinken soll und was für Geträ nke empfehlenswert sind. Ich selbst trinke zehn oder fünfzehn Minuten vor den Mahlzeiten Wasser; aber wenn ich Lust habe, trinke ich auch wä hrend des Essens oder nach dem Essen. Nur vermeide ich es grundsä tzlich, Speise und Geträ nke zu gleicher Zeit zu genießen, das heißt, beide im Munde zu vereinigen. BloßMilch kaue ich gründlich mit den Früchten untereinander, bevor ich sie hinunterschlucke; aber ich betrachte Milch, wie ich schon mehrfach gesagt habe, nicht als ein Geträ nk, sondern als eine Speise. Gewö hnlich rate ich meinen Patienten, nach den Mahlzeiten zu trinken, um zu verhindern, daßsie ihre Nahrung mit dem Geträ nk hinunterspülen. Wer genügend Selbstbeherrschung hat, Speise und Geträ nk nicht gleichzeitig zu genießen, das heißt, die Speise erst gut durchzukauen und hinunterzuschlucken, bevor er trinkt, der mag ohne weiteres zwischen den einzelnen Bissen des Essens trinken. Das Geträ nk soll nicht zu heiß und nicht zu kalt sein. Leute, die ihre Speisebissen ohne Flüssigkeit nur schwer hinunterschlucken kö nnen, gestehen dadurch ein, daßsie den mit dem Munde zusammenhä ngenden Sekretionsdrüsen durch ihre Gewohnheit, wä hrend des Essens zu trinken, bereits Schaden zuge110
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fügt haben. Es ist von grö ßter Wichtigkeit, daßsie die Fä higkeit wieder erlangen, ihr Essen ohne die Beihilfe einer anderen Flüssigkeit als der des Speichels zu kauen und zu schlucken; die Speicheldrüsen müssen dadurch, daß man sie zwingt, zu arbeiten, wieder in ihre rechtmä ßigen Funktionen eingesetzt werden. Von allen Seiten fragt man mich nach der Bekö mmlichkeit des Getreidekaffees. Dieses Geträ nk ist selbstverstä ndlich bekö mmlich, wenn man es genießt, ohne es mit Zucker zu verderben. Für viele ist ein warmes (nicht heißes) Geträ nk unentbehrlich, aus langer Gewö hnung, schwacher Verdauungsfä higkeit und geringer Vitalitä t heraus. Aber Tee und Kaffee sind für solche Leute gefä hrlich; denn wenn sie auch als erste Wirkung die Lebensfunktion steigern, so erfolgt rasch darauf die depressive Gegenwirkung. Ich selbst trinke meinen Getreidekaffee uneingeschrä nkt von irgendwelchen Vorschriften. Versuchen wir es doch einmal ernstlich, unsere Lebensweise nach den ewig gültigen Gesetzen zu regeln, die ich hier erlä utert habe. Wir dürfen gewiß sein, daß die Natur nur unser Bestes will und uns zuverlä ssig hilft, wenn wir bestrebt sind, ihren Willen zu erfüllen. Und sollten wir bereits siebzig Jahre alt sein, wir kö nnen mit vö lliger Sicherheit auf viele weitere Jahre rüstiger und ersprießlicher Tä tigkeit rechnen, sobald wir uns vor dem Willen der Natur beugen; wir werden von immer klarerer Intelligenz getragen sein, und unsere Krä fte werden uns nicht mehr im Stiche lassen; alle unsere Plä ne werden wir noch ausführen dürfen. Denn ein Leben im Einklang mit den Gesetzen, die Gott deutlich in das offene Buch der Natur eingetragen hat, muß unweigerlich zum Erfolg führen *.
* Hier weicht unsere Auffassung von der des Verfassers ab. Es liegt nicht allein in der Hand des Menschen, ob der beschriebene Weg Hilfe bringt und in welchem Grade er die volle Gesundheit herstellt. Es ist stets auch eine Gnade dabei. und es wä re vermessen, aus der Einordnung in die Lebensgesetze, und wä re sie noch so vollkommen, ein Anrecht auf vollstä ndige Gesundung ableiten zu wollen. Der Menschenblick vermag niemals die ganze Situation zu übersehen, auch wenn die Krankheitserforschung, die Diagnostik, noch so verfeinert und vertieft, der Blick des Arztes noch so erfahren und geschult ist. Aber selbst dann, wenn es für eine eigentliche Genesung zu spä t war, ja in völlig verzweifelten Fä llen, vermag dieser Weg dennoch eine unwahrscheinlich große Hilfe zu bringen, und es wird keinen Fall geben, wo er sich nicht lohnt. Anm. des Herausgebers.
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10. KAPITEL Gesunde Muskelentwicklung Es gibt, wie ich schon dargelegt habe, zwei Arten von Muskelarbeit: die passive und die aktive. Bei den willkürlichen Muskeln kann man als passive Betä tigung die Anstrengung bezeichnen, die beispielsweise zum Sitzen zu Hause oder im Büro oder zu müßigem Herumlungern ohne Willensbetä tigung genügt. Aktive Muskelarbeit ist eine Anstrengung, die weiter geht, die durch den Willen gelenkt und unterstützt wird und bei lä ngerer Anspannung die willkürlichen Muskeln ermüdet. Bei den unwillkürlichen Muskeln versteht man unter passiver Arbeit den Kraftaufwand, der benö tigt wird, um den Kö rper am Leben zu erhalten. Auf das Herz und die Blutgefä ße angewendet, ist es das Maßvon Anstrengung, das diese Organe zu leisten haben, wenn der Kö rper in der oben beschriebenen Weise sich passiv verhä lt. Aktive Arbeit jedoch wird von diesen Organen geleistet, wenn die willkürlichen Muskeln über ihr passives Verhalten hinaus in Anspruch genommen werden. Der Leser erinnert sich, daß ich bereits gezeigt habe, daß aktive Arbeit der willkürlichen Muskeln auch die Leistungen aller unwillkürlichen Muskeln in genau entsprechendem Maße erhö ht. Die Bedeutung des einwandfreien Funktionierens der Muskelreflexkette geht aus dieser Feststellung klar hervor. In bezug auf die Stimulierung dieser ganzen Kette von Muskelfunktionen ist zu sagen, daß wie überall die natürliche Anregung die einzig normale ist. Und die natürliche Anregung liefern aktive, vom Willen und von der Intelligenz geleitete Muskelübungen. Deshalb müssen mit grö ßtmö glicher Konsequenz zu bestimmten Tageszeiten (oder mindestens zu einer bestimmten Zeit an jedem Tage) von allen unseren willkürlichen Muskeln gewisse Anstrengungen verlangt werden. Wie sollen wir bei solchen Ü bungen vorgehen? Wie bringen wir System hinein? Sollen wir uns irgendeiner Turngruppe anschließen oder in unserem Heim kostspielige Apparate installieren? Ist es nö tig, einen großen Teil unserer kostbaren Zeit für solche Leibesübungen zu opfern? Keineswegs. Es mag sein, daßes durch spezielle Methoden und mit besonderen Hilfsmitteln ausgezeichnet gelingt, sich Kö rperkraft und Beherrschung der Muskeln anzueignen, — ich weißaber darüber nichts auszusagen, denn ich habe mich mit dieser Frage nie beschä ftigt. Meine Entwicklung hat mir gezeigt, daß solche Methoden und Hilfsmittel nicht nö tig sind. Meine Muskeln sind, das darf ich wohl sagen, nahezu vollkommen durchtrainiert; dennoch habe ich niemals auch nur eine Minute lang eine Turnhalle oder ein Turngerä t benutzt oder meine Ü bungen mit irgendwelchen anderen Mitteln als mit einem Bett, einer Wand und einer Türe ausgeführt, und diese „Gerä te“ stehen ja jedem Menschen zur Verfügung. So einfach meine Methode aber auch ist, sie entwickelt doch jeden wichtigen willkürlichen Muskel des ganzen Kö rpers, und es ist klar, daß der Vorteil kö rperlicher Ü bungen um so grö ßer sein wird, je besser man sie organisiert und je systematischer man sie durchführt. Ich gebe im folgenden eine Zusammenstellung solcher Ü bungen, die so ziemlich jeden wichtigeren willkürlichen Muskel des Kö rpers berücksichtigt. Für weitere Ü bungen, die man übrigens mit der Zeit auch selber zusammenstellen lernt, braucht man bloßeines der vielen, überall erhä ltlichen, zum Teil trefflichen Gymnastikbücher 112
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zu befragen. Frauen müssen nicht befürchten, von solchen Ü bungen knotige, mä nnliche Muskeln zu bekommen. Sie kö nnten es gar nicht, selbst wenn sie es wollten, denn sie sind anders gebaut als die Mä nner. Gut durchgeübte weibliche Muskeln geben den Kö rper- und Gliederformen nur um so schö nere, vollkommenere Linien; viele Artistinnen. Turnerinnen, Schwimmerinnen usw. liefern den Beweis dafür. M u skelübu nge n 1. Lege dich im Bett flach auf den Rücken, so daßdie Hä nde unter dem Kopf auf dem Kissen ruhen. Hebe den ganzen Kö rper zwischen Kopf und Fersen vom Bett in die Hö he. Sinke wieder aufs Bett zurück und entspanne die Muskeln. Wiederhole diese Ü bung zuerst fünfmal, nach und nach ö fters, zum Schlußfünfzigmal. 2. Lege dich im Bett flach auf den Rücken. Kreuze die Arme über der Brust, so daßdie Hä nde die entgegengesetzten Ellbogen fassen. Hebe den Kö rper zu sitzender Stellung empor und ziehe zu gleicher Zeit stark an den Armen und Hä nden. Lasse den Kö rper wieder auf das Bett zurücksinken. Wiederhole zuerst fünfmal, nach und nach ö fters, zuletzt fünfzigmal. 3. Lege dich im Bett auf die rechte Seite, den Kopf aufs Kissen. Hebe den Kö rper in die Hö he, bis er nur auf der Seite des Kopfes, am ä ußersten Ende der Schulter und der Füße ruht. Lasse den Kö rper zurücksinken. Wiederhole fünf- bis fünfundzwanzigmal. Wiederhole dieselbe Ü bung auf der linken Seite liegend. 4. Lege dich im Bett auf die rechte Seite mit der rechten Hand auf der linken Seite knapp über der Hüfte. Hebe den Kö rper von den Hüften aufwä rts so weit als mö glich seitwä rts und schlage zu gleicher Zeit mit der geschlossenen linken Faust nach unten gegen die Füße. Falle zurück aufs Bett und ziehe die Faust zur Schulter zurück. Wiederhole die Bewegung und schlage bei jedem Heben des Kö rpers mit der geschlossenen Faust nach unten gegen die Füße. Fünf- bis fünfundzwanzigmal. Dieselbe Ü bung bei Linkslage mit geschlossener rechter Faust. 5. Lege dich im Bett auf die rechte Seite. Strecke den rechten Arm nach auswä rts und hinunter. Lege das linke Knie in die rechte Hand und halte die Hand durch den Druck des Knies zum Bette nieder, wä hrend die auf den rechten Arm ausgeübte Spannung den Oberkö rper vom Bett so weit als mö glich in die Hö he hebt. Lasse den Kö rper wieder zurücksinken und wiederhole die Ü bung fünf- bis fünfundzwanzigmal. Dieselbe Ü bung auf der linken Seite liegend. 6. Lege dich im Bett auf den Rücken. Fasse das Kopfende des Bettes oder der Obermatratze mit beiden Hä nden. Hebe die Beine nach oben und hinunter, bis die Zehen das Kopfende berühren. Mit zunehmender Kraft lege dich weiter unten auf die Matratze, bis du das Kopfende nur eben noch erreichen kannst. Wiederhole fünf- bis fünfundzwanzigmal. 7. Lege dich im Bett auf den Bauch. Hebe den Kö rper auf Ellbogen und Zehen, bis die Oberarme bei den Schultergelenken vollstä ndig ausgestreckt sind. Lasse den Kö rper zurücksinken. Wiederhole fünf- bis zwanzigmal. 8. Bauchlage im Bett. Ziehe das Gesicht hinunter, bis die Oberstirne auf dem Bett liegt. Falte die Hä nde mit verschrä nkten Fingern hinter der Hüfte. Hebe den Kö rper zwischen Stirne und Zehen vollstä ndig vom Bett auf, so daßnur Stirne und Zehen das 113
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Gewicht tragen. Laß dich wieder zurücksinken und wiederhole die Ü bung fünf- bis fünfundzwanzigmal, anfangs jedoch unter keinen Umstä nden mehr als fünfmal. 9. Behalte dieselbe Lage bei. Verschrä nke Hä nde und Finger unterhalb der Hüfte. Ziehe die Arme nach oben, daßes durch die Arme bis in die Schultern spürbar ist, und hebe die Beine und den Oberkö rper zu gleicher Zeit so viel als mö glich hinauf und nach rückwä rts; wä hrend der Kö rper sich aufhebt, werden die Schultern mö glichst nach rückwä rts gezogen. Fünfundzwanzig- bis fünfzigmal. 10. Bauchlage im Bett. Lege die Handflä chen auf der Hö he der Achselhö hlen aufs Bett. Halte Rückgrat und Beine steif und stoße den ganzen Kö rper eine volle Armlä nge weit hinauf, so daßer nur mehr auf den Hä nden und den Zehen ruht; Rückgrat ganz gerade. Zurück aufs Bett. Fünf- bis zwanzig- oder dreißigmal. 11. Stelle dich mit dem Rücken gegen einen Spiegel. Drehe den Kö rper, ohne die Füße auf dem Boden zu bewegen, und versuche, im Spiegel dir direkt ins Gesicht zu sehen. Nach rechts und nach links zu machen. Zwanzigmal. 12. Pantoffeln ausziehen. Leicht einwä rts stehen. Langsam auf die Fußspitzen heben und langsam hinuntersinken, bis die Absä tze wieder den Boden berühren. Fünfzigmal oder ö fter. 13. Gleiche Stellung. Vorderen Teil des linken Fußes so weit als mö glich nach oben heben, den Absatz auf dem Boden lassen; dasselbe rechts. Jeder Fußfünfundzwanzigbis fünfzigmal. 14. Stelle die Füße ungefä hr 25 cm auseinander, Hä nde über der Hüfte in die Seite gestützt. Weit nach vorn beugen bei gestreckten Beinen. Schwinge den Kö rper im Beugen nach rechts, dann weiter soviel als mö glich rückwä rts, dann weiter herum nach links bis wiederum nach vorne zum Ausgangspunkt. Dasselbe links herum. Jede Seite zehn- bis zwanzigmal. 15. Beuge den Kopf weit nach rechts und lege die rechte Hand oben auf den Kopf. Hebe den Kopf mit den Nackenmuskeln in die Hö he, wä hrend die rechte Hand Widerstand leistet. Dasselbe nach links. Fünf- bis zwanzigmal. 16. Beuge den Kopf vorwä rts, bis das Kinn das Brustbein berührt, und verschrä nke die Finger hinter dem Kopf. Hebe mit den Nackenmuskeln den Kopf wieder in die Hö he; leiste mit den ineinandergreifenden Hä nden Widerstand. Zehn- bis dreißigmal. 17. Lege den Kopf weit zurück und beide Handwurzeln unter das Kinn. Richte den Kopf mit den Nackenmuskeln wieder auf und leiste mit Hä nden und Armen Widerstand. Zehn- bis dreißigmal. 18. Stelle die Füße etwa 15 cm auseinander. Beuge dich rechts hinunter und berühre die ä ußere Seite des rechten Beines so tief unter dem Knie wie mö glich. Hebe gleichzeitig den linken Arm in die Hö he und über den Kopf. Dasselbe auf der linken Seite. Zwanzig- bis fünfzigmal. 19. Gleiche Stellung. Schließe die Hä nde fest zu Fä usten. Drehe die Arme nach auswä rts, bis die Daumen direkt rückwä rts weisen. Kehre dann die Bewegung um und drehe die Arme nach innen, auch wieder so weit, bis die Daumen rückwä rts gerichtet sind. Bei beiden Bewegungen müssen die Muskeln gegenseitigen Widerstand leisten. Zwanzig- bis fünfzigmal nach jeder Richtung. 20. Gleiche Stellung. Verschrä nke die Hä nde hinter den Hüften. Ziehe die Schultern tief abwä rts, dann rückwä rts, aufwä rts und vorwä rts bis zum Ausgangspunkt. Hernach dieselbe Ü bung in umgekehrter Rotation. In jeder Richtung zwanzigmal oder mehr. 21. Stehe auf den Fußballen, die Füße 25 bis 30 cm auseinander; die Absä tze dürfen 114
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den Boden nicht berühren. Gehe in die Kniebeuge, bis die Hüften die Absä tze berühren, hebe gleichzeitig die Arme auswä rts, bis sie in einem rechten Winkel in Schulterhö he vom Kö rper abstehen. Erhebe dich wieder, bis du aufrecht stehst und lasse die Arme zur Seite fallen. Fünf- bis fünfzigmal. 22. Stelle dich ungefä hr 75 bis 90 cm von einer Wand entfernt auf. Lege die Handflä chen etwa 50 cm voneinander entfernt an die Wand. Lasse den Kö rper nach vorne fallen, bis die Brust fast die Mauer berührt. Halte den Fall durch die Arme auf, strecke die Arme wieder gerade aus und stoße den Kö rper eine Armlä nge weit zurück. Zehnbis fünfzigmal. 23. Schwinge die Zimmertür halb auf. Stelle dich ungefä hr 30 cm von ihrer freien Kante auf. Gib ihr mit einer Hand einen raschen Stoß, als ob du sie zuschlagen wolltest; halte sie mit der anderen Hand in ihrem Schwung in Armeslä nge auf und schlage sie in die entgegengesetzte Richtung zurück. Fünfundzwanzig- bis einhundertmal. Sehr rasch und krä ftig. 24. Stehe gerade aufgerichtet (so gerade und in die Hö he gereckt wie mö glich) etwa 90 cm von einer Wand entfernt. Strecke die Arme aus und bemühe dich, die Wand zu erreichen (es ist unmö glich, aber strenge die Muskeln so krä ftig wie mö glich an, um sie zu stä rken). Ziehe die Arme zurück. Wiederhole fünfmal. Erhebe dich auf die Fußspitzen und strecke die Arme gerade abwä rts, als ob du den Fußboden erreichen wolltest. Ziehe die Arme zu den Schultern zurück und lasse die Absä tze wieder auf den Boden nieder. Fünfmal, sehr energisch. Erhebe dich auf die Fußspitzen. Strecke die Arme in Schulterhö he nach den beiden Seiten, als ob du die beiden entgegengesetzten Zimmerwä nde berühren wolltest. Ziehe die Arme zu den Schultern zurück, Absä tze wieder auf den Boden hinunter. Fünfmal, energisch. Erhebe dich auf die Fußspitzen. Strecke die Arme gerade in die Hö he, wie um die Decke zu erreichen; versuche es mit aller Anstrengung. Ziehe die Arme zurück und senke die Absä tze auf den Boden. Fünfmal. Mit dem Rücken etwa 60 cm von der Wand entfernt. Arme in die Hö he und rückwä rts strecken, wie in der Bemühung, die obere Tapetenleiste nach oben und rückwä rts zu erreichen. Arme wieder zurück und Kö rperhaltung wieder senkrecht. Fünfmal. 25. Stehe auf einem Fuße und strecke die Arme nach vorne so weit wie mö glich aus; strecke zugleich den freien Fußmö glichst weit nach hinten, mit rückwä rts gestreckten Zehen, als ob du die vor dir liegende Wand mit den Fingerspitzen und die entgegengesetzte Wand mit den Fußspitzen berühren wolltest. Ziehe die Arme und das Bein zurück, den Fuß gegen die Hüfte, und beuge gleichzeitig das Bein, auf dem du stehst, leicht. Dann wirf die Arme und das freie Bein wiederum in ihrer vollen Lä nge in die frühere Position und strecke das stehende Bein wiederum vollstä ndig. Fünfmal. Wiederhole auf dem anderen Bein. Die ersten zehn Ü bungen sind (vollzä hlig oder teilweise) gleich nach dem Erwachen (beim ersten Aufstehen) zu machen; daran schließt sich die Morgentoilette mit dem Bad. Dann folgen die Muskelübungen 11 bis 23. Die Ü bungen kö nnen eine Viertelstunde bis zu einer Stunde dauern, je nachdem, wie oft man jede einzelne wiederholt. Sicherlich kann jeder vernünftige Mensch tä glich fünfzehn Minuten für diese normalisierende Muskelarbeit erübrigen, bis die Muskeln so weit an Kraft und Geschmeidigkeit zugenommen haben, daßdie Ü bungen von 115
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selber weiter und weiter betrieben werden, aus reiner Freude an der ihnen folgenden Steigerung des Lebensgefühls. Wer durch alle diese Ü bungen hindurchgegangen ist, hat jeden einzelnen bedeutenderen willkürlichen Muskel geübt, und bei einiger Vorsicht hat sich auch jegliche Ü beranstrengung vermeiden lassen. Im Anfang darf vor allem nichts übertrieben werden. Wohl üben die einzelnen Bewegungen nicht alle Kö rpermuskeln, aber sie trainieren die wichtigsten Gruppen. Sie sollten unbekleidet in einem kühlen oder kalten oder zum mindesten gut gelüfteten Raum gemacht werden. Beginnt man damit im Winter und in einem nö rdlichen Klima, so kann man sie zuerst in einem geheizten Zimmer bei offenem Fenster machen; spä ter in einem Zimmer, das durch Offenlassen des Fensters zum voraus abgekühlt wurde. Hat aber das Fenster des Schlafzimmers die ganze Nacht offengestanden, wie es richtig ist, so dürfen die Ü bungen, wenn die Hautmuskeln, die Drüsenelemente und die Hautkapillaren begonnen haben, auf den Kä ltereiz zu reagieren, ohne Nachteil in einem kalten Raum stattfinden, das heißt, bei geö ffneten Fenstern und ohne Heizung im Zimmer; denn dann ist man bereits gegen Erkä ltungen gefeit. Wer im Sommer mit der Durchführung dieser Ü bungen beginnt, kann sie von Anfang an in einem Raum mit geö ffneten Fenstern machen. Kommt der Herbst, so bleiben die Fenster die ganze Nacht hindurch offen, zum mindesten spaltbreit. Folgt dann der Winter, so braucht das betreffende Zimmer in der Nacht nicht mehr geheizt zu werden, und auch die Ü bungen kö nnen den ganzen Winter hindurch in dem ungeheizten Raum bei offenem Fenster ausgeführt werden, selbst an kalten Tagen. Die Kä lte wirkt auf den vollbelebten Kö rper wie eine Herausforderung zum Kampf, zum Widerstand seiner Lebenskraft gegen ihren Angriff; der Sieg aber liegt immer auf seiten des lebendurchdrungenen Individuums, und die Kampfes- und Siegesfreude wird den Kö rper noch mehrere Stunden nach beendeter Ü bung durchströ men. Der Mensch mit gestä hlter Lebenskraft wird auch krä ftigen Geistes sein und alle Gelegenheiten aufsuchen, um seine Widerstandsfä higkeit an den harten Bedingungen der Umwelt zu erproben. Ist der Winter in der betreffenden Gegend sehr kalt, so kö nnen die Fenster ohne Nachteil geschlossen werden, obwohl der lebenskrafthungrige Mensch bald auf dem Punkte angelangt sein wird, wo er die schlimmste Kä lte nicht mehr fürchtet. Er wird je lä nger desto begieriger der Aufforderung zum Widerstand Folge leisten. Der Anfä nger mußnatürlich sehr vorsichtig sein und sich im Beginn vor Ü beranstrengungen hüten, denn ein Zuviel kann leicht Muskelentzündungen zur Folge haben, die in schlimmeren Fä llen die Ü bungen monatelang unterbrechen. In den ersten Wochen sollten die Ü bungen gerade oft genug ausgeführt werden, daßman die verschiedenen Bewegungen erlernt, außer man ist schon durch frühere Muskelbetä tigung an ä hnliche Anstrengungen gewö hnt. Das Erlernen dieser Bewegungen wird allmä hlich die Spannkraft vergrö ßern, und nach und nach kommt der Zeitpunkt, wo man die einzelnen Ü bungen immer ö fter wiederholen kann. Bei großer Kä lte müssen die Ü bungen natürlich immer mit genügendem Schneid und rascher Frische ausgeführt werden, damit die Zirkulation in Gang bleibt. Indirekt kö nnen wir, wie ich schon sagte, durch Betä tigung der willkürlichen Muskeln auch die unwillkürlichen Muskeln beeinflussen. Viele Leser werden wissen, daß der Arzt Verdauungskranken mit Vorliebe Kö rperübungen anrä t, und wer diesen Rat be116
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folgt, erkennt auch seine Zweckmä ßigkeit. Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der erhö hten Tä tigkeit der Drüsen und Muskeln in den Wä nden des Verdauungskanals. Wir wissen zwar, daßdie Ü bung der willkürlichen Muskeln keine direkte Beziehung zu den Muskeln des Verdauungsapparates hat, und kö nnten uns fragen, woher es dann eigentlich kommt, daßdie Tä tigkeit der einen auf den Zustand der anderen einwirken kann. Die Antwort lautet, daß das Reflexnervensystem die verschiedenen Kö rpergebiete miteinander verbindet und den auf die willkürlichen Muskeln ausgeübten Reizimpuls auf die unwillkürlichen überleitet. Diese gegenseitigen Beziehungen führen dazu, daßalles, was einer einzelnen Region des Kö rpers zustö ßt, gleichzeitig auch alle andern beeinflußt, es sei im Guten oder im Schlimmen. Erhö hte Verdauungstä tigkeit zum Beispiel ist einerseits eine Funktion der Muskelreflexkette; anderseits aber bildet diese selbe Verdauungstä tigkeit eine der Reflexfunktionen der Magenreflexkette, denn alle im Magen verarbeitete Nahrung sendet einen Reizimpuls in das Muskelsystem des Darmkanals. Es ist auch erwiesen, daßdie Wirkung gesunder Muskelbetä tigung ä hnlich wie die Wirkung direkter Sonnenbestrahlung des nackten Kö rpers das Blut fä higer zur Abwehr der Bakterien macht und vor allem einen tiefen und weitreichenden Einfluß auf die Drüsentä tigkeit ausübt. Dieser Einflußist die Folge natürlicher Anregungen der diese Funktionen regelnden Reflexe. Zahlreiche Kö rperorgane sind Drüsen. Drüsen bauen sich selber aus den im Blute treibenden Aufbaustoffen auf; daneben erzeugen sie besondere Wirkstoffe zur Verwendung in anderen Organen, und das ist ihre Funktion in unserem kö rperlichen Dasein. Oft sind die von manchen Drüsen hergestellten Wirkstoffe die natürlichen Anreger für richtiges Funktionieren anderer Drüsen, und ohne diesen Anreiz bliebe jede Tä tigkeit dieser anderen Drüsen aus. Je mehr solche Wirkstoffe ihnen geliefert werden, desto normaler vollzieht sich ihre Tä tigkeit und ihre eigene Sekretion. Diese Sekretion zweiten Grades, wenn man es so nennen will, ist ebenfalls ein natürlicher Anreiz für noch andere Drüsen, und so fort, bis der gesamte Kreis der Drüsenfunktion erfaßt und angeregt ist. Sogar die Wissenschaft erkennt dies jetzt an. Ich führe einen Ausspruch von Sir Almoth Wright an, der wohl als Autoritä t gelten darf, auch bei solchen, die andere Beweise ablehnen: „Erst vergangenes Jahr habe ich herausgefunden, daßdas Blut von Fußballspielern nach dem Spiel abwehrkrä ftiger gegenüber Bakterien ist als vorher. Ich nenne Fußball, das ich als Spiel übrigens nicht mag, bloßals ein Beispiel kö rperlicher Betä tigung. Nach jedem Spiele ist die Abwehrkraft und die Ausdauer gegenüber den Bakterien grö ßer.“ Wie kann man sich diese Zunahme an Widerstandsfä higkeit des Blutes gegen Bakterien anders erklä ren als durch die grö ßere Sä ttigung mit Sauerstoff und die vermehrte Drüsentä tigkeit, durch welche die Hormon- und Enzymproduktion gesteigert und Kohlendioxyd und die Gewebeschlacken zusammen mit den Nahrungsresten ausgeschieden werden? Wenn für meine Behauptung, daßdie Funktionsfä higkeit aller Organe und Kö rperteile mit normal angeregter Benützung wä chst und daßkeine Funktion normal angeregt werden kann, ohne daß die normalen Funktionen des ganzen übrigen Kö rpers auch mit angeregt werden, wenn für diese Behauptung eine physiologische Grundlage besteht, dann kann das Ergebnis gar kein anderes sein. Intensivere Muskelbenützung bedeutet tieferes und hä ufigeres Atmen. Schnelleres 117
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und tieferes Atmen vergrö ßert die Aneignung von Sauerstoff und die Ausscheidung von Kohlendioxyd. Schon für sich bedeutet das einen reineren Blutstrom, der sicherlich krä ftigere Abwehr gegen die Bakterien leistet als ein weniger reiner. Aber dieses reinere, sauerstoffreichere Blut wird auch noch rascher durch die Drüsen gepumpt, liefert mehr Rohstoffe für die Sekretion, welche die Drüsen verarbeiten müssen, und bringt ihnen zweifellos natürliche Anregungen zu grö ßerer Funktionsleistung in dem vermehrten Sauerstoff und in den von anderen Drüsen bereiteten Hormonen und Enzymen, besonders des endokrinen Typus'. Diese Hormone und Enzyme beeinflussen gegenseitig sich und andere Drüsen und bewirken infolgedessen Drüsensekretionen im ganzen Kö rper. Und da diese vermehrte Sekretion durch eine Kette von aufeinander wirkenden, natürlich angeregten Reflexen hervorgerufen wird, die in erster Linie durch die vermehrte Funktionsleistung einer Gruppe wichtiger Organe, der willkürlichen Muskeln, in Tä tigkeit versetzt werden, so ist es nicht nur vernünftig, anzunehmen, sondern wä re es sehr unvernünftig, nicht anzunehmen, daß diese vermehrten, im Blutstrom schwimmenden Drüsenprodukte ihre tiefe Wirkung auf das Blut haben müssen. Und weiter wä re es ebenso unvernünftig, sie nicht als dem Blute und damit dem Kö rper ä ußerst zuträ glich einzuschä tzen; denn ihre tiefe Wirkung ist das Ergebnis natürlicher Anreize. Alles aber, was dem Kö rper zuträ glich ist, mußihm — das versteht sich eigentlich von selbst — zum Schutze dienen, das heißt, zur Stützung seiner Abwehrfä higkeit. Dieser Schutz ist nun aber nicht irgendeine zugunsten des Kö rpers ausgeübte Leistung von außen, sondern er beruht auf einer dem Kö rper innewohnenden und in ihm selber entwickelten Eigenschaft. Wir sagen von solch einem Kö rper, daßer vitaler, lebendiger ist; daher mußer auch gegenüber den Gegensä tzen von Vitalitä t und Lebendigkeit — der Krankheit und dem Tode — widerstandsfä higer sein. Auch der noch in Vorurteilen befangene Denker muß zugeben, daßalles, was die bakterientö tende Kraft des Blutes erhö ht, krankheitsvorbeugend wirkt; es mußnä mlich im gleichen Maße des Kö rpers natürliche Unempfindlichkeit erhö hen. Doch wenn wir hierbei stehenbleiben würden, so hä tten wir erst die halbe Lektion gelernt. Wenn vermehrte kö rperliche Ü bung die Abwehrkrä fte im Kö rper gegen Krankheit verstä rkt, dann folgt daraus, daß, je anstrengender eine Ü bung ist, bis zu dem Punkt, wo die Erschö pfung einsetzt — aber niemals darüber hinaus — , desto widerstandsfä higer oder immuner der Kö rper werden muß. Und da die Umkehrung auch immer wahr bleibt, so weißman auch dieses: je mehr man es unterlä ßt, seinen Kö rper bis zur vollen Grenze seiner Leistungsfä higkeit in Ü bung zu erhalten, um so weniger widerstandsfä hig, um so weniger immun gegen Krankheit und Tod wird man. Da unsere Voreltern einer bestä ndig wechselnden Umgebung ausgesetzt waren und keine ä ußeren Mittel besaßen, sich gegen die Verä nderungen ihrer Umwelt zu verteidigen, wurde an ihren Abwehrmechanismus ununterbrochen der Anspruch gestellt, sich zu verteidigen und zu schützen. Der Mechanismus mußte bis zur Grenze seiner Leistungsfä higkeit arbeiten. Und wir wissen, daß eine solche bestä ndige Ü bung der eine und einzige Weg ist, auf welchem Organe und Funktionen ihre volle normale Leistungsfä higkeit gewinnen und sich erhalten kö nnen. Wir wissen auch, daßOrgane oder Funktionen, die ihre Tä tigkeit nicht ausüben, nach und nach zerstö rt werden. Diese Gesetze sind allgemein und immer gültig, und deshalb beziehen sie sich ebensogut heute auf uns wie vor Urzeiten auf unsere primitiven Vorfahren. 118
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Der Leser wird sicherlich, falls er nicht vö lliger Neurotiker ist, schon an sich selber die belebende Wirkung erfahren haben, die jeder Muskelübung folgt, das Blut durch den Kö rper jagt und ihm im Austausch gegen die Giftgase Sauerstoff zuführt, wenn die Ü bung so lange durchgehalten wird, als sie ohne zu große Ermüdung geleistet werden kann. Diese Belebung ist physiologisch. Sie entsteht durch die Ausübung der Muskelfunktionen, der Arbeit, die von der Natur den Muskeln zugedacht ist. Das Gefühl des Krä ftezuwachses ist die Belohnung für gut getane Arbeit. Aber die Verbesserung der Art, des Charakters eines gewö hnlichen Muskels überträ gt sich auf alle andern Teile des Kö rpers und damit natürlich auch auf das Herz und die Blutgefä ße. Diese übertragene Verbesserung erzeugt wiederum eine Verbesserung aller übrigen Kö rperfunktionen. Das geht in erster Linie so vor sich, daßdie allgemeine Muskelverbesserung den diese Muskeln beherrschenden Nervenzellen des Reflexnervensystems übermittelt wird. Die Nervenzellen fühlen, wie die Verbesserung in den durchgearbeiteten Muskeln sich ansammelt, und übertragen die verbesserte Note oder Qualitä t auf jede Zelle, jedes Organ und jeden Kö rperteil. Herz und Blutgefä ße und die Verdauungsorgane erhalten selbstverstä ndlich auch ihr Teil. Noch auf andere Weise hilft der verbesserte und verbessernde Tonus der Muskeln dem Herzen und den Blutgefä ßen. Unsere Vorstellung von dem durch Zusammenziehungen des Herzmuskels in alle Teile des Kö rpers gepumpten Blut ist gewißvollkommen richtig. Aber der Blutkreislauf ist noch durch einen andern wichtigen Faktor bedingt, der mit der Zusammenziehung der willkürlichen Muskeln zusammenhä ngt. Es ist schwierig, diesen Faktor verstä ndlich zu machen, ohne in recht trockene, anatomisch-physiologische Betrachtungen über das Herz und die Blutgefä ße zu geraten. Ich werde trachten, mich so kurz wie mö glich zu fassen und den Leser so wenig wie mö glich zu langweilen. Wenn das Blut in die Arterien gepreßt wird, dehnen sich die Arterienwä nde aus, und wenn das Herz seine Kammern wieder füllt, so schließt sich eine Klappe am Ausgang der Herzkammer, damit das Blut nicht wieder zurückfließen kann. Das Blut befindet sich nun aufgestaut in den Arterien, deren Wä nde einen Druck darauf ausüben. Zwischen den Arterien und den Venen befinden sich mikroskopisch kleine Gefä ße, die Blutkapillaren. Die weit ausgedehnten, elastischen Arterien trachten danach, wieder in ihre normale, unausgedehnte Lage zurückzukommen; dabei treiben sie das Blut in die Kapillaren und aus ihnen in die Venen. Die Arterien führen das Blut unter dem Impuls des Herzschlages vom Herzen weg; unmittelbar hinter der Blutsä ule schließen sie sich, worauf das Blut durch die Kraft des Herzschlages und die elastische Zusammenziehung der Arterienwä nde vorwä rtsgetrieben wird. Aber in den Venen fehlt die direkte Kraft des Herzschlages, die ihnen helfen würde, das Blut wieder ins Herz zurückzubefö rdern, was außerdem noch zum grö ßten Teil gegen die Schwerkraft geschehen muß. Die dazwischenliegenden Kapillaren halten die Stä rke des Impulses auf; auch haben die Venen keine dicken, elastischen Wä nde wie die Arterien. Die den Rückflußdes Blutes durch die Venen zum Herzen hauptsä chlich bewirkende Kraft ist die Zusammenziehung der willkürlichen Muskeln. In den Venen sind in bestimmten, mehr oder weniger regelmä ßigen Abstä nden Klappen angebracht, welche die Arterien nicht besitzen. Sind die Venen mit Blut gefüllt, so ziehen sich die willkürlichen Muskeln zusammen, drücken die Venen flach und drä ngen das Blut von den Kapillaren weg zum Herzen hin, wobei sein Zurückfließen durch die Klappen verhindert wird. Man beobachtet dabei, daß, je weniger die 119
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Muskeln benützt werden, desto grö ßer die Tendenz des Blutes zu Stockungen und Rückstauungen gegen die Kapillaren hin ist, was dem Herzen und den Arterien neue Aufgaben zuweist und ihre Tä tigkeit auf der anderen Seite der Kapillaren erschwert. Das ist aber noch nicht alles. Der ungeübte Muskel ist schlaff; er hat seine gute Qualitä t verloren. Das heißt, daßdie dünnen Wä nde der Venen nicht die normale Unterstützung eines gesunden, krä ftigen Muskels erhalten. Die Venenwä nde zeigen dann die Tendenz, nachzugeben und sich auszudehnen; infolgedessen schließen die Klappen nicht mehr recht und lassen Blut zurückfließen, was die Stockung und das Zurückstauen gegen die Kapillaren noch vergrö ßert; die ganze Last der Arbeit liegt dann auf dem Herzen und den Arterien. Daßin meinem eigenen Fall ursprünglich alle diese Zirkulationsstö rungen vorhanden waren, war aus den Anschwellungen und Krümmungen der Venen unter der Haut, aus meinen kalten, leicht blä ulichen Hä nden und Füßen, aus dem hä ufigen Gefühl des „Eingeschlafenseins“ der Glieder und aus dem Vorhandensein von Hä morrhoiden zu erkennen. Als ich begann, jeden Tag zu turnen, fing ich auch an, das venö se Blut gegen das Herz zurückzutreiben, indem ich meine Muskeln mehr oder weniger krä ftig anspannte; mit jeder derartigen Zusammenziehung zwang ich das venö se Blut in die Richtung zum Herzen zurück. Das verringerte vorübergehend die Anstauungen in der verkehrten Richtung und erleichterte in demselben Maße auch den Druck auf Herz und Blutgefä ße auf der anderen Seite der Kapillaren. Jede Vermehrung meiner Muskeltä tigkeit vergrö ßerte auch die Entlastung des Herzens und der Arterien. Und wie diese Muskeltä tigkeit in regelmä ßigen Fortschritten krä ftiger wurde, wuchs auch die Kraft der Muskeln, und damit ihre Fä higkeit, den Wä nden der Venen die normale Muskelunterstützung zu leihen und den Venenklappen zu einwandfreiem Funktionieren zu verhelfen. So verlor sich allmä hlich der Rückwä rtsdruck des sich aufstauenden venö sen Blutes, und Herz und Arterien wurden von ihrer Ü berlastung nach dieser Seite hin befreit. Aber ich mußhier innehalten. Die genaue und ausführliche Liste der Vorteile, die der menschliche Kö rper aus krä ftigen Freiluftübungen seiner willkürlichen Muskeln zieht, kann nicht zu Ende geführt werden, so lang ist sie. Zum Abschlußdieser Muskelbetrachtung sei aber noch eindringlich gesagt, daßdie Muskeln, um sich krä ftig und voll zu entwickeln, nicht ununterbrochen geübt werden müssen. Ununterbrochene oder auch nur übermä ßige Betä tigung wä re im Gegenteil ihr Verderben. Jedermann weißja, daßes zum Beispiel nicht nö tig ist, ununterbrochen zu laufen, um einen guten Atem zum Laufen zu bekommen. Notwendig ist nur, daßdie Muskeln systematisch und regelmä ßig geübt werden, das heißt, in genügend kurzen Zeitabstä nden, damit der Wert der vorhergehenden Ü bung nicht wieder verlorengeht, bevor die nä chste Ü bung einsetzt, denn die einander folgenden Ü bungen sollten sich unterstützen und ihre Wirkung soll sich anhä ufen (kumulieren). Ü bung und Erholung, Tä tigkeit und Ruhe: das ist das Gesetz. Dann werden allmä hlich die Muskeln an Umfang und Kraft wachsen, und die Geschicklichkeit, die ihr Gebrauch verlangt, wird sich nach und nach einstellen. Die Muskelfunktion wie auch die Zirkulationsfunktion, von welcher zum Beispiel die Fä higkeit des langen Atems weitgehend abhä ngt, werden durch die Benützung, gemä ßdem Gesetze der Verbesserung der Funktionsfä higkeit, immer tauglicher. Umgekehrt bilden sich Muskeln zurück, wenn sie nicht tä glich geübt werden. Ge120
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nau das gleiche gilt ja von jeder anderen Fä higkeit auch. Vernachlä ssige eine einzige deiner Anlagen und Begabungen, und die Organe oder Funktionen bilden sich zurück, sie schwinden. Der übermä ßige Gebrauch führt aber zur selben Folge; das darf man nie vergessen. In der Pathologie unterscheidet man zwei Arten von Atrophie oder Schwund der Kö rpergewebe: die Atrophie infolge Unterbenutzung und die Atrophie infolge Ü berbenutzung. Die überbenützten Muskeln erleiden ebensolche Verheerungen wie die unterbenützten. Auch solche Muskeln werden steif, antworten nicht mehr bereitwillig auf die Anreize der Nerven und kö nnen sich bei zu großer Ü berbürdung entzünden. Ein noch schlimmeres Stadium ist die Verä nderung der Muskelfibern zu Fibergewebe, wodurch die Fä higkeit des Sichausdehnens und Zusammenziehens und damit die Funktionsfä higkeit verschwindet. Vollstä ndige Zerstö rung — aber durch Ü berbenützung. Als Beispiel nenne ich das überarbeitete Herz, das unter der Anstrengung, sein Blut durch kranke, steif zusammengezogene Arterien zu treiben, zugrundegeht. Auch die Fä higkeiten eines überarbeiteten Hirns und überanstrengter Nerven gehen zurück und verkümmern. Welchen Kö rpervorgang man auch beobachtet, immer wieder findet man, daßjedes Organ bis zu seiner vollen Leistungsfä higkeit ausgenützt, dann aber einige Zeit außer Betrieb gesetzt werden muß, sozusagen zur Wiederherstellung und Instandsetzung. Sinnlose Verschwendung rä cht sich also auch auf diesem Gebiet, wie auf allen andern. Und zweifellos findet die grö ßte Vergeudung menschlicher Energie auf dem Gebiete der unbewußten Nerven- und Muskelanstrengungen durch willkürliche Muskelanspannung statt, durch die Unfä higkeit des Menschen, die Muskeln und die Nerven locker zu lassen, jede Spannung, jede Anstrengung und jede unnö tige Zusammenziehung zu vermeiden, kurz, immer gelö st und gelockert zu sein, außer wenn die Anspannung durch einen bestimmten Willensakt zu einem bestimmten Zwecke angeregt wird. Ü berflüssige Nerven- und Muskelanspannung ist der Fluch der Zivilisation. Der Wilde kennt keine Spannung; die primitiven Vö lker, die schon mehrere Grade über dem Lebensniveau eines Wilden stehen, kennen auch keine. Kleine Kinder kennen sie nicht, bevor sich nicht das Bewußtsein ihrer Individualitä t entwickelt hat, das bei den zivilisierten Vö lkern schon sehr früh hervortritt. Der Mensch mit angespannten Muskeln kann im Eisenbahnzug, im Dampfer, im Auto den Bewegungen und rhythmischen Schwingungen des Fahrzeuges nicht nachgeben; er wird ruckartig herumgeschleudert und leistet jedem Stoß mühevollen Widerstand. Auf hundert verschiedene Arten, deren man sich vö llig unbewußt bleibt, verrä t man in seinen Bewegungen solche gewaltsame Anspannungen und verschleudert seine Muskel- und Nervenkraft. Erst bei eingehender Selbstbeobachtung erkennt man diesen Verlust. Will man eine willkürliche Muskelanstrengung unternehmen, bei der man vielleicht bloßeinen Arm oder eine Hand zu bewegen braucht, so spannt man wahrscheinlich die Hals- und Gesichtsmuskeln gleichfalls an, vielleicht sogar die Muskeln der Brust und des Unterleibs noch dazu. Dann bewegt man den Arm oder die Hand mit unsanftem Ruck, ohne Genauigkeit in der Ausführung der Bewegung oder in der Zielrichtung, anstatt daß eine jede Bewegung mit Ü berlegung und ä ußerster Prä zision, ohne die geringste Spur von tastender Ungeschicklichkeit oder Unsicherheit der ausführenden Glieder, ausgeführt würde. Das allzu Heftige und Krampfhafte ist Gewohnheit der Zivilisation, und wer in der 121
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Zivilisation lebt, vielleicht aus einer schon seit mehreren Generationen zivilisierten Familie stammt und sich nicht bewußt aus dieser Gewohnheit der falschen Muskelund Nervenspannung heraustrainiert, der wird ihr ohne Rettung verfallen. Wer nicht bewußt solche Nerven- und Muskelüberanstrengungen in sich selber bekä mpft und besiegt, kann das Ziel der dauernden Gesundheit unmö glich erreichen. Der Stuhl, auf dem du sitzest, mußdich tragen, nicht du darfst ihn hinunterdrücken; du darfst auch nicht dich selber darauf in der Schwebe halten, dein Kö rper mußdarauf ruhen wie etwa ein Sack Mehl, den man darauf stellt. Wenn jemand deinen Arm berührt, so muß der Arm im Schultergelenk lose baumeln wie ein Dreschflegel oder ein Stück Holz, das mit einer Schnur an ein anderes gebunden ist. So gelö st und locker mußdeine Haltung sein, daßdein Kopf, wenn jemand ihn mit der Hand in die Hö he hebt und seine Hand gleich darauf zurückzieht, augenblicklich herunterfä llt, als ob er mit deinem Kö rper nicht zusammenhinge; jedenfalls darf er nicht steif in die Luft hinausstehen und erst langsam wieder in seine alte Stellung zurückkehren, von den verkrampften Halsmuskeln getragen und gezogen. Die Muskelfunktionen sind nicht in Ordnung, solange man die willkürlichen Muskeln nicht so beherrscht, daßjede Bewegung überlegt und gleitend (anstatt ruckweise) vor sich geht, wie rasch sie auch ausgeführt werden mag. Kraft und Anspannung dürfen nur in den beabsichtigten Handlungen willkürlicher Muskeln angewendet werden. Das alles bedeutet natürlich, daßzunä chst der Geist und die Nerven unter die Kontrolle des Bewußtseins genommen werden müssen. Durch sie erlangt man Gewalt über die Muskeln und damit die Mö glichkeit, im Laufe eines Tages mehr Krä fte zu ersparen, als für die Ausübung des hä rtesten Tagewerkes nö tig sind. Daß eine solche Ersparnis mö glich ist, habe ich an mir selbst erfahren. Wie man die wunderbare Maschine seines Kö rpers ganz unter seine Gewalt und Kontrolle bekommt, kann ich hier nur kurz erlä utern. Die Muskeln und Nerven vollstä ndig zu entspannen, so oft sie nicht direkt beansprucht werden, ist jedenfalls eine Kunst, die nicht viele Menschen beherrschen. Beobachte einmal die Katze, den Hund, ein schlafendes Kind, und sieh, wie bei ihnen jeder Kö rperteil sich durchaus von seiner Unterlage tragen lä ßt, vom Fußboden, vom Stuhl, vom Bett, auf dem er ruht. Wie wenig versteht der zivilisierte Mensch noch diese vollstä ndige Hingabe an die Ruhe! Um wieder dazu zu kommen, muß man sich zunä chst über die im eigenen Kö rper vorhandenen Muskelspannungen klar werden. Zu diesem Zweck legt man sich flach auf den Rücken, am besten auf dem harten Fußboden, und überlä ßt sich der tragenden Unterlage, als ob man ein bloßes Knochenbündel wä re und keinen eigenen Willen hä tte. Wenn man die Glieder nicht mehr anspannt, werden sie schwer herabfallen. Stelle sie dir nun vor, als ob sie kraftlos und unfä hig wä ren, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen oder etwas anderes zu leisten, als nutz- und zwecklos und schwer aufzuliegen. Stelle dir vor, dein Kopf wä re gä nzlich außerhalb deiner eigenen Kontrolle, wie wenn er nicht durch den Hals mit deinem Kö rper zusammenhinge, und die Nackenmuskeln wä ren nicht vorhanden. So oft du diese Entspannungsübung machst, wirst du jedesmal Spannungen in dir selber gewahren, die du am Anfang gar nicht auflockern kannst. Wä hrend du mit den Krampfempfindungen in den Armen oder im Nacken kä mpfst, wird dir vielleicht plö tzlich bewußt, wie starr deine Beinmuskeln oder die Unterleibs- oder die Brustmuskeln angezogen sind. Fortwä hrende Ü bung wird dich aber bald fö rdern. 122
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Wä hrend du auf einer Liegestatt ruhst und dich bemühst, jede Kontrolle und Willkür im Spiele deiner Muskeln auszuschalten, lasse jemanden deinen Arm oder dein Bein oder deinen Kopf in die Hö he heben. Bist du vollkommen entspannt, so wird der Arm oder das Bein in den Gelenken, der Kopf in den Halswirbeln ganz lose sein. Wenn die unterstützende Hand unter deinen Nacken greift, um dich von dort aus emporzuheben, so bleibt dein Kopf nach unten hä ngen wie der Kopf eines Ohnmä chtigen. Wird die Hand unerwartet zurückgezogen, dann fä llt das in die Hö he gehobene Glied plö tzlich dumpf auf das Lager zurück, als wä rest du besinnungslos. Beim Gehen lasse die Arme von den Schultern aus hin- und herschwingen (lasse sie schwingen, aber schwinge sie nicht selber!), als ob sie schwer an deinen Schultern befestigt herunterhingen, und als ob es nicht in deiner Macht stünde, sie aufzuhalten oder in Schwung zu setzen. Schleudere deine Beine nicht mit einem Ruck vorwä rts, sondern versuche dir vorzustellen, daßdein Kö rper bestä ndig nach vorne fä llt, worauf die Beine einfach rhythmisch nach vorne schwingen, um den Kö rper vor einem Fall zu bewahren. Sitze niemals auf dem Rand eines Stuhles, sondern voll auf dem ganzen Sitz. Drükke nie hart gegen die Rückenlehne, mit zusammengepreßten Hä nden und gespannten Nacken- und Beinmuskeln, sondern lehne dich in aller Ruhe und zwanglos an; laßalle Muskeln lose gehen: der Stuhl mußdich tragen. Mache abends vor dem Schlafengehen die auf Seite 213 f. unter Nr. 24 und 25 angegebenen Streckübungen; entspanne daraufhin den Kö rper, bis jeder Nerv und jeder Muskel bis ins kleinste gelö st ist. Laßdeinen Kopf schwer sein, das Kissen mußihn tragen; auch deine Arme sollen schwer sein, das Bett muß sie tragen. Dein ganzer Kö rper mußwillen- und kraftlos sein, unfä hig zu jeder Anstrengung. Auch der Geist soll sich lö sen; versuche dir vorzustellen, du seiest unfä hig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit solchen Ü bungen wirst du bald den ganzen Kö rper so weit beherrschen, daßdu ihn veranlassen kannst, sich im Schlafe willig zu entspannen. Wenn wir tagsüber alle unnö tigen Spannungen der Nerven und Muskeln zu vermeiden trachten und ihre Tä tigkeit allein auf die willkürlichen Bewegungen und notwendigen Anstrengungen beschrä nken, wenn wir den Kö rper lehren, im Schlafe nachzugeben, dann wird er endlich wieder in die glückliche Lage versetzt, die Ausstrahlungen der Muskelreflexe mit vollem Gewinn in sich wirken zu lassen. Denn es ist wahr: je besser die Muskeln bei unkontrollierten Nerven durch Ü bungen ausgebildet sind, desto schlimmer für den Kö rper; er ist dann wie eine mä chtige Maschine, deren mechanische Führung in schlechtem Zustande ist. Eine solche Maschine wird sich bald zugrunderichten; je krä ftiger sie arbeitet, desto rascher und gründlicher geht sie ihrer Zerstö rung entgegen. Aber eine gesunde Kontrolle der Nerven- und Muskelentspannungen kann nicht allein durch den Willen ausgeführt werden. So sehr der Wille zur Durchführung der Normalisierung der fünf Reflexketten notwendig ist, so sehr ist es außerdem auch nö tig, jede einzelne der fünf Reflexketten durch regelmä ßigen Kontakt mit ihren natürlichen Anregern zu entwickeln, um in der soeben beschriebenen Weise durch Ü bungen des Geistes und des Willens die Herrschaft über Nerven und Muskeln zu gewinnen. Werden alle fünf Ketten genügend trainiert, so wird es leicht sein, die Nerven und Muskeln zu einwandfreiem Funktionieren zu bringen, wie die Natur es von ihnen haben will. Dann wird auch keine Krankheit dir mehr etwas anhaben kö nnen, und dein Kö rper wird dann seiner Bestimmung gemä ß ein Palast für den Geist, ein 123
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Tempel der Seele, eine würdige Behausung für den dir innewohnenden Funken des unendlichen Lebens sein.
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11. KAPITEL Die Pflege der Haut Trotz der großen Bedeutung der Ernä hrungsfrage mußich hier eindringlich wiederholen, daß die beste Diä t der Welt unzulä nglich ist, wenn sie als einziges Mittel den menschlichen Kö rper gegen Krankheiten schützen soll. Sie wird ihn lä nger vor Verfall und endgültiger Zerstö rung bewahren als eine unrationelle Ernä hrungsweise, aber auf die Ausbildung der übrigen vier Reflexketten kö nnen wir unter keinen Umstä nden verzichten, wenn wir eine allgemeine Normalisierung anstreben. So ist es zum Beispiel selbstverstä ndlich, daßGifte ins Blut eindringen, wenn der Hauttä tigkeit nicht die nö tige Aufmerksamkeit geschenkt wird. Denn nach den Nieren ist die Haut das wichtigste Ausscheidungsorgan. Im Grunde genommen ist sie sogar wichtiger als die Nieren selber, denn wenn die Nieren zu arbeiten aufhö ren, kann der Kö rper noch tagelang weiterleben, wohingegen er binnen wenigen Minuten stirbt, sobald die Haut an ihrer Ausscheidung verhindert wird. Richtige Hautpflege bedeutet, wie wir schon wissen, die Haut regelmä ßig der direkten Berührung mit ihren natürlichen Anregern — Sonne, Luft und Wasser — auszusetzen; denn auch der Abwehrmechanismus der Haut ist für die Erhaltung seiner Vollkommenheit dem Gesetze unterworfen, daßnur natürlich stimulierte Kö rperteile, Organe und Zellen normal funktionieren kö nnen; ferner der Umkehrung dieses Gesetzes, nach welcher alle nicht auf natürliche Weise stimulierten Zellen, Organe und Funktionen einer allmä hlichen, langsamen Zerstö rung anheimfallen. Dieser Abwehrmechanismus kann unsern Kö rper außerdem nur dann wirksam gegen schä dliche Einflüsse verteidigen, wenn wir ihm gestatten, diese Verteidigung wirklich selbstä ndig durchzuführen. Entgegen dieser Notwendigkeit hat der zivilisierte Mensch sich besondere Schutzeinrichtungen ausgedacht, künstlich durchwä rmte Hä user, bequeme und warme Kleidung, Sonnen- und Regenschirme und viel anderes mehr. Sie sollen den natürlichen Abwehrmechanismus seiner Funktionen entheben und ihn entlasten. Und doch gehö rt der menschliche Kö rper in alle Naturvorgä nge, in Sturm und Wetter, Sonnenschein und Regen, wie Gras oder Blumen oder Bä ume hineingehö ren. Er wird zart und empfindlich, wenn ihm die direkte Beziehung zur Umwelt entzogen wird — falls es ihm überhaupt gelingt, auf die Dauer weiterzuleben. Eine Entlastung des Abwehrmechanismus der Haut zerstö rt also letzten Endes seine Krä fte und Fä higkeiten und mußlogischerweise die von der Natur gewollte Immunitä t des Kö rpers mit zerstö ren. Wollen wir diese Immunitä t wieder herstellen, so mußauch der sie beschützende Abwehrmechanismus in allen seinen Teilen frei arbeiten dürfen. Die hergebrachten Sitten und die Erfordernisse des Lebens in der Zivilisation machen es nun natürlich unmö glich, unseren nackten Kö rper regelmä ßig Wind und Wetter auszusetzen. Daher wird der Abwehrmechanismus der Haut immerzu behindert und bestä ndig zu wenig oder überhaupt nicht benützt. Infolgedessen wird die Natur ihn langsam, aber unerbittlich zerstö ren, wenn wir nicht etwas tun, um die Stö rungen, welche die Lebensgewohnheiten der Zivilisation mit sich bringen, auszugleichen. Geschieht das nicht, so mußunser Kö rper notwendigerweise seine Fä higkeit verlieren, sich der Angriffe von außen zu erwehren. Der erste plö tzliche Wechsel in der Temperatur, der erste beißende kalte Wind, das erste Durchregnetwerden, die erste Zugluft 125
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bringt ihm eine Erkä ltung. Anstatt bald zu verschwinden, nistet sich das Unwohlsein ein. Mö glicherweise entsteht daraus eine Influenza, dann eine Lungenentzündung, eine Rippen- oder Brustfellentzündung, schließlich Tuberkulose. Ein vollstä ndig lebenskrä ftiger Kö rper dagegen wird schon die Erkä ltung, aber auch jede Folgekrankheit abweisen, weil ein vollstä ndig lebenskrä ftiger Kö rper sich gegen Krankheiten erfolgreich zu wehren versteht. Wie gesagt, kö nnen wir modernen Menschen nicht bestä ndig unbekleidet umhergehen, aber wir vermö gen dafür etwas anderes zu tun, nä mlich die Bekleidung auf ein Mindestmaß zu verringern und mö glichst porö se Stoffe zu wä hlen, die der Luft und einigem Licht den Zutritt zur Haut gestatten. Im Sommer ist das leicht durchzuführen. Ich selber trage das ganze Jahr hindurch keine Unterkleider, und die leichten ä ußeren Kleider sind sogar im Winter so porö s, daßdie kühlen und kalten Winde überall hineinpfeifen kö nnen. Dann erst fühle ich mich ganz wohl. Der Anfä nger in der richtigen Hautpflege wird allerdings sogar im Sommer noch Unterkleider tragen wollen; sie sollte aber jedenfalls ganz leicht und lose gewoben sein. Nur dann kann es uns gelingen, die Hautatmung und die Hautabwehrfä higkeit zu beleben; dadurch wird in der ganzen Kette der Hautfunktionen die funktionelle Tä tigkeit angeregt. Kommt dann der Winter, so darf die Bekleidung keinesfalls geä ndert werden. Ich kann nur immer wiederholen: man trage so wenig Kleider, als Gesetz und Sitten es gestatten, und diese Kleider sollen offen, porö s, leicht und nicht anliegend sein, überdies mö glichst hell in der Farbe. Wenn man sich zu einer solchen Umstellung in seiner Bekleidung erst mitten im Winter entschließt, mußman natürlich mit grö ßter Vorsicht zu Werke gehen, und das um so mehr, je mehr die Haut bisher verweichlicht worden ist. Trä gt man schwere, undurchlä ssige Kleider, so muß man damit fortfahren, bis der Frühling wä rmeres Wetter bringt. Dagegen kann man dichte Unterkleidung gegen porö se von gleichem Gewicht austauschen, oder zwei dünne Schichten an Stelle einer dicken, dichten tragen. Dieser Wechsel wirkt nur günstig. Natürlich muß mein Rat, sich so leicht wie mö glich zu kleiden, richtig ausgelegt werden. Selbstverstä ndlich ist zum Beispiel, daßein Mann, der verhä ltnismä ßig bewegungslos auf seinem Fuhrwerk sitzt oder irgendeine andere Art Arbeit, bei der er sich nicht recht bewegen kann, im Freien verrichten muß, in unsern nö rdlichen Breiten im Winter niemals leichte Bekleidung tragen darf. Aber wer sein eigenes geschlossenes Auto führt oder in der Straßenbahn fä hrt, der braucht sich auch bei kaltem Wetter nicht nach der schlechten Gewohnheit zivilisierter Menschen einzuwickeln. Indessen müssen Menschen, deren Arbeit das Tragen schwerer, undurchlä ssiger Kleidung verlangt, ihre Haut ganz besonders pflegen und trainieren um die Nachteile der dicken Bedekkung aufzuheben. Denn es ist eben doch eine hochwichtige Tatsache, daß die Haut atmet. Wie die Lungen scheidet sie Kohlensä ure aus und nimmt dafür Sauerstoff auf. So sollte es wenigstens sein; aber wenn die Haut durch dicke Kleidung von der Außenluft abgeschnitten ist, dann mußsie die ausgeatmeten Giftstoffe, die sich in den sie umgebenden dichten Hüllen ansammeln, weil sie keinen Ausweg finden, wiederum in sich aufnehmen und dem Blute von neuem zuführen. Sogar die Schweißdrüsen, diese wichtigen Ausscheidungsorgane für die Gifte des Kö rpers (s. S. 125ff.), verlieren ihre Arbeitsfä higkeit, wenn der Kö rper bestä ndig dicht bekleidet ist. Ist die Unterkleidung aus Wolle, so wird der Schweißvon der Wolle aufgesogen und bleibt in bestä ndiger 126
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Berührung mit der Hautoberflä che; viele ausgeschiedene Giftstoffe werden auf diese Weise wieder in den Kö rper zurückgeführt und müssen hernach durch die Nieren entfernt werden, was für diese Organe eine ungeheure Mehrbelastung bedeutet. Ü berlegen wir uns nun, daßZurückhaltung der Kö rpergifte der Hauptfaktor für das Altern des Kö rpers ist und in ungünstigen Fä llen den Kö rper sogar tö ten kann, dann wird uns vielleicht endlich klar, von welch großer Bedeutung ein tadelloses Funktionieren der Hautatmung und -ausscheidung ist. Daßmeine Haut ihre Funktionen voll ausübt, ist übrigens auch der Grund dafür, daß ich sozusagen niemals müde bin; ich vermeide eben alle Prozesse, die die Ausscheidung der Kö rpergifte behindern kö nnen, und trachte im Gegenteil die Bildung neuer Gifte zu verringern. Das Tragen porö ser Kleidung ist aber im Grunde genommen nur eine passive Maßnahme; wir müssen für die Gesundheit der Haut auch aktiv arbeiten. Wie arbeiten wir aktiv an der Normalisierung der Haut? Die Antwort auf diese Frage lautet: durch Baden. Drei Arten von Bä dern müssen wir der Haut in regelmä ßigen Abstä nden zukommen lassen: Licht-, Luft- und Wasserbä der. Diese regelmä ßigen Abstä nde müssen allerdings kurz genug sein, um die Wirkungen der Bä der sich anhä ufen zu lassen; die Wirkungen dürfen nicht abklingen, bevor neue hinzukommen. Unsere Hygieniker (Gesundheitsforscher) empfehlen ihren Patienten allerdings gemeinhin nur eine einzige Art von Bä dern, die Wasserbä der, und begründen diese Vorschrift mit einer einzigen Notwendigkeit — gerade der geringsten — , nä mlich mit der Sauberkeit. Aber die ä ußere Reinhaltung des Kö rpers und seiner Kleidung und Umgebung allein macht die wahre kö rperliche Sauberkeit noch nicht aus; sie bewirkt nur, daßder Kö rper sauber aussieht. So wie auch Schmutz, der ä ußerlich an uns klebt, uns nicht im wirklichen Sinne des Wortes schmutzig macht, sondern nur bewirkt, daßwir schmutzig aussehen. Was uns in Wirklichkeit beschmutzt, das ist der Schmutz, den wir im Innern unseres Kö rpers mit uns herumtragen und nicht absondern. Der Verdauungskanal wird, solange er die Aufgabe erhä lt, nur jene Art von Nahrung, für die er eingerichtet ist, zu verarbeiten, normal und einwandfrei funktionieren und sich seiner Schlacken ganz von selbst entledigen; denn in seiner Kost findet er die natürliche Anregung zu jener vollkommenen Funktionsfä higkeit, wie sie durch die Ahnen der Menschenrasse in der endlosen Lä nge der Evolutionszeitalter gemä ßihren Umweltbedingungen entwickelt wurden. Ändert man jedoch diese Art der Ernä hrung, die die Rolle des Verdauungsanregers spielt, dann verschwindet die Ausgeglichenheit zwischen den Nahrungsstoffen und der Apparatur, welche sie anregen sollen, und damit verschwindet auch ihre natürliche gegenseitige Anpassung. Es verbleiben dann unverarbeitete Reste in den Verdauungswegen, welcher der Kö rper nicht mehr allein Herr wird. Dazu kommt aber noch, daßmit der fortschreitenden Zivilisation das Leben in rascherem Rhythmus ablä uft; das bedingt einen intensiveren Nahrungsverbrauch, so daßdie Abfallstoffe im Kö rper sich vermehren und anhä ufen. Was aber bedeutet Ansammlung der Abfallstoffe und geringere Ausscheidungskraft? Nur eins, nä mlich eine Anhä ufung von Schmutz, die dem Bedürfnis nach Sauberkeit ins Gesicht schlä gt. Wir sehen auch hier, wie verhä ngnisvoll es für den Menschen gewesen ist, daßer, der seinen Kö rper so nehmen muß, wie er ist, und ihn nicht nach Belieben der einen oder der anderen Lebensweise anpassen kann, eigenmä chtig seine Lebensbedingungen von den großen Naturgesetzen losgelö st hat. Sein Verdauungskanal, der für sehr einfa127
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che, rauhe, zellulosereiche, mineralreiche Kost eingerichtet ist, mußverfeinerte, mineralarme, konzentrierte und komplizierte Nahrung verarbeiten. Entsprechend der tö richten Gewohnheit des Kulturmenschen, viel zu viel und üppig zu essen, sind seine Eingeweide denn auch wahre Giftreservoire und Schmutzbehä lter, um so mehr, als sie in den meisten Fä llen weit davon entfernt sind, normal zu funktionieren und sich regelmä ßig zu entleeren. Und doch ist weiter nichts als ein klein wenig kluge, überlegte Besinnung nö tig, um die Entwicklung eines so widerlichen Kö rperzustandes zu verhindern. Die Erfordernisse sind nur diese: natürliche Nahrung, regelmä ßige Ausscheidung, Muskelübung, tä gliches tüchtiges Marschieren, Anregung der Hautreflexe durch Licht, Luft und kühles Baden, regelmä ßiger Schlaf und Beherrschung der Geistes- und Gefühlsregungen. Tatsache ist, daß die Zivilisation auch aus dem Bad ein weiteres Instrument zur Verringerung unserer Vitalitä t und lebendigen Widerstandskraft gemacht hat, weil sie im allgemeinen bloß die ä sthetische Notwendigkeit, die Notwendigkeit der Appetitlichkeit, Adrettheit und rein ä ußerlich gewerteten Ordentlichkeit als Begründung für unsere Badegewohnheiten billigt und weil die meisten Leute überhaupt nichts anderes kennen als das Wasserbad. Wie sollen wir denn baden? Vor allem eins: kö nnen die Bä der im Freien genommen werden, so ist das unbedingt ein großer Vorteil. Nicht umsonst betrachtet man Strandbä der als gesunde Einrichtung. In unseren nö rdlichen Klimaverhä ltnissen ist zwar diese Methode im Winter nicht durchführbar, so sehr es gerade dann notwendig wä re, den schä dlichen Wirkungen der vielen übereinandergelegten Kleiderschichten entgegenzuarbeiten. Aber wenn es einem nicht mö glich ist, das Beste zu tun, so ergreift die Weisheit das Zweitbeste und wendet es an. So müssen wir für den Winter das Baden in einem gutgelüfteten Raum anstreben; durch das offene Fenster sollte womö glich direktes Licht auf den Kö rper fallen, denn es ist jetzt allgemein bekannt, daßgewö hnliches Glas für die Heilstrahlen des Sonnenlichts, die ultravioletten Strahlen, nicht durchlä ssig ist, wä hrend bei geö ffnetem Fenster der nackte Kö rper wenigstens einigermaßen wie im Freien von ihnen durchstrahlt wird. In jedem Falle sollte der Kö rper im Lichtraum des offenen Fensters stehen, damit die bewegte Luft ihn umwehen kann. Und wä hrend er auf diese Weise in Luft badet, sollte man ihn krä ftig und unablä ssig massieren, um ihn dadurch bestä ndig zu tiefem Atmen und damit zur Aufnahme von Sauerstoff zu veranlassen. So bildet sich auch die nö tige Wä rme, die an die Oberflä che steigt und die ä ußere Kä lte am Eindringen verhindert. In dieser Art mußder Kö rper tä glich einige Minuten lang direkt der Luft ausgesetzt bleiben, und zwar lange genug, damit man ihn gleichzeitig mit den Hä nden von oben bis unten, inbegriffen die Kopfhaut und die Fußsohlen, massieren kann. Darauf folgen die gleichfalls vor dem offenen Fenster auszuführenden Muskelübungen, zu denen man sich entschlossen hat, und hernach kommt das kühle oder kalte Wasserbad. Kühl muß es zum mindesten sein, um eine nennenswerte Wirkung zu haben; sä mtliche Hautfunktionen werden ja durch kühle oder kalte Hautberührungen in viel hö herem Maße angeregt. Man versuche zur Nachprüfung dieser Behauptung einen unerwarteten Gußkalten Wassers auf irgendeine unbedeckte, für gewö hnlich beschützte Stelle der Haut, und beobachte, was mit dem Atmen geschieht. Tief? Das kann man wohl sagen. Das beweist, daßunsere Haut der Sitz von Reflexen ist, die uns, durch kalte Berührungen angeregt, zu tieferem Atmen zwingen. Das ist auch der Grund, warum der Arzt das 128
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neugeborene Kind mit Wasser bespritzt, wenn es nicht sofort atmet. An Stelle eines Bades genügt natürlich auch eine Dusche oder eine Abwaschung mit kaltem Wasser; die Temperatur des Wassers mußdann zum mindesten so tief sein wie die des Raumes, dessen Fenster geö ffnet ist. Wer noch nicht viel Widerstandskraft besitzt, mußsich im Anfang damit begnügen, sich lauwarm mit dem Schwamm abzuwaschen. Spä ter geht er dazu über, die Haut erst mit einem in lauwarmes Wasser getauchten Schwamm rasch abzureiben, dann den Schwamm in kühleres und immer kühleres Wasser zu tauchen, und so fort, bis vollkaltes Wasser benützt wird. Für empfindliche Anfä nger ist es auch ratsam, Schwamm oder Waschlappen gut auszuwinden, um jedes Spritzen zu vermeiden. Die nicht Ü berempfindlichen kö nnen sofort mit ganz kaltem Wasser beginnen; sie sollten bloß darauf achten, bei der ersten Abreibung Schwamm oder Waschlappen gut auszuwinden, bei jeder Wiederholung aber mehr Wasser darin zu lassen, bis zu vollkommen triefender Nä sse. Auch die empfindlichste Haut kann lernen, die kä lteste Abreibung schließlich als angenehm zu empfinden; es mag jedoch in manchen Fä llen nö tig sein, vor solchen Abreibungen durch ein paar krä ftige Ü bungen und tiefes Atmen die Zirkulation anzuregen. Nach dem Bade, der Dusche oder der Abwaschung wird die ganze Kö rperoberflä che gründlich mit den Fä usten abgeklopft und die Haut nochmals eingehend massiert, bis sich eine krä ftige Reaktion einstellt, die jedes Kä ltegefühl überwindet. Man drehe sodann das Handtuch zu einer festen Rolle, erfasse sie mit beiden dicht nebeneinanderliegenden Hä nden — Handflä chen nach unten — und mache rasch schlagartige Bewegungen vor- und rückwä rts in Schulterhö he, wä hrend der Kö rper im Takte vorund rückwä rts mitschwingt; diese Ü bung wiederholt man, sobald man ein wenig trainiert ist, hundertmal. Dann schleudere man die von den Schultern aus nach vorne gestreckten Arme sehr schnell von einer Seite auf die andere, auch hundertmal. Hernach reibe man sich mit dem Handtuch von oben bis unten ab, stelle sich so nahe wie mö glich beim Fenster auf und lasse seine Haut in der von außen hereinströ menden Luft trocknen, wä hrend man den Kö rper von der Kopfhaut bis zur Fußsohle mit den Fä usten bearbeitet und anschließend sehr rasch massiert. Der Vorgeschrittene wird ein Vergnügen darin finden, seinen Kö rper nicht mit einem Handtuch abzureiben, sondern ihn in der beschriebenen Weise einzig und allein an der Luft trocknen zu lassen, nach dem Beispiel unserer Voreltern, die keine Handtücher kannten und deren Haut daher nach der Berührung mit Regen, Nebel und Tau auf dieselbe Art trocknen mußte. Man kö nnte denken, daßdie erste Berührung der unbedeckten Haut mit der eiskalten Luft in einem die ganze Nacht offenen Raume bei Temperaturen von null Grad und darunter einen ziemlichen Schock für die Konstitution bedeutet. Das ist aber nicht der Fall, wenn die Arrectores pilorum (die kleinen Muskeln, die unsere Kö rperhaare aufrichten; s. S. 126 f.) die Hautkapillaren und die Hautdrüsen normal funktionieren gelernt haben, so daß sie auch auf diesen natürlichen Kontakt normal reagieren. Dann isolieren diese Einrichtungen unverzüglich den Kö rper gegen den Zudrang der Kä lte von außen und verhindern das Ausströ men der inneren Wä rme. Und da die erste Reflexwirkung der Kä lte auf die Haut vermehrte Sauerstoffzufuhr ins Blut auf dem Wege vertiefter Atmung ist, so steigt sofort auch die Kö rpertemperatur. Das alles gilt natürlich nur für die normalisierte Haut; von der nicht abgehä rteten Haut kann niemand erwarten, daßsie sich über kalte Luft oder kalte Bä der freut; sie darf sich daher erst nach und nach an diese Prozeduren heranwagen. Wer eine solche verweichlichte Konstitution hat, soll das Fenster zum Bett-Turnen nur ö ffnen, wenn 129
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das Zimmer geheizt ist; war jedoch das Fenster schon die Nacht über offen, dann schließt man es vor Beginn der Ü bungen und turnt in dem geschlossenen, aber ungeheizten Raume. Nach den Ü bungen wird das Fenster wieder geö ffnet, damit der nackte Kö rper, der durch das Turnen vollstä ndig durchwä rmt ist, ein paar Sekunden lang Licht und Luft genießen kann; vorsichtshalber mußdie Haut wä hrenddessen gründlich gerieben und geklopft werden. Geschieht das, so ist es fast unmö glich — falls man durch die Ü bungen wirklich warm geworden ist — , daß dieses Luft- und Lichtbad einem schadet. Bei Patienten mit niederer Vitalitä t, bei Kranken oder von schwerer Krankheit Genesenden muß man den Raum für die Ü bungen im Winter heizen, aber zuvor muß er unbedingt gründlich gelüftet werden; das Fenster wird bei den Ü bungen bloßan milderen Tagen geö ffnet. Wer aber nicht krank oder rekonvaleszent ist, der bleibe auch im Badezimmer nach seinem Bade so lange wie mö glich unbekleidet; am Anfang ö ffne er das Fenster erst nach dem Bade. Spä ter kann man damit beginnen, es wä hrend des Badens offenstehen zu lassen, und noch spä ter ö ffnet man es schon beim Betreten des Badezimmers, außer bei ungewö hnlich kalter Witterung. Die Haut wird verhä ltnismä ßig rasch so weit entwickelt sein, daßsie selbst die kä ltesten Kontakte als angenehm empfindet. Geht man in vorsichtigen Abstufungen zu Werke, so kann von einer Erkä ltungsgefahr nicht die Rede sein. Im Gegenteil: diese Gefahr wird sich tä glich verringern, denn durch das Klopfen, Massieren und Reiben wird die Haut heißund trokken, und führt man die Bewegungen genügend rasch aus, so werden nach und nach sä mtliche Abwehrkrä fte der Haut zu immer grö ßerer Stä rke entwickelt. Nach dieser Massage kleide man sich rasch an. Wir sollten uns nun aber doch einmal eingehend Rechenschaft darüber geben, was wir eigentlich tun, wenn wir uns in der oben beschriebenen Weise verhalten. Das stellt sich uns bei schä rferer Ü berlegung folgendermaßen dar: Wenn ich ein kaltes Bad nehme oder meinen unbekleideten Kö rper der frischen Luft und den Sonnenstrahlen aussetze, so tue ich für meine Haut und ihre empfindlichen Reflexendungen und anderen Nebenorgane das gleiche, was der direkte Einfluß von Sonne, Regen, Nebel und Kä lte für diesen Teil des Abwehrmechanismus unserer Vorfahren tat, die im Freien unbekleidet lebten. So gelingt es mir, unsern Fehler, die Haut nicht allen Einflüssen der Umwelt direkt auszusetzen, einigermaßen wieder auszugleichen. Aber ich rege auch gleichzeitig die ganze Kette aller anderen Reflextä tigkeiten an, wenn ich den Hautreflexmechanismus in Gang setze, und auf dem Wege der schon ö fters erwä hnten Zwischenverbindungen erreiche ich den ganzen Kö rper. Bei systematischer Durchführung dieser Vorschriften genügt schon eine kurze Zeit tä glich, um Erfolg zu verbürgen. Das Haupterfordernis ist Regelmä ßigkeit. Genau wie in der Entwicklung der Muskeln pünktlich wiederholte kurze Ü bungen heilsamer sind als anhaltende Anstrengungen, so ist auch in bezug auf die Hautpflege Regelmä ßigkeit durchaus die Hauptsache. Wie ich schon mehrfach betont habe, braucht der Anfä nger keineswegs gleich den vollen Anforderungen Rechnung zu tragen. Diese hö chsten Ansprüche darf sich erst der stellen, dessen kö rperliches Befinden so weit normalisiert ist, daß er plö tzliche Verä nderungen der Umwelteinflüsse als Belebung und Anregung seiner geistig und kö rperlich stets zunehmenden Krä fte empfindet. Ein solcher Mensch hat — auf anderen Wegen zwar — die zuverlä ssige Gesundheit des Primitiven erreicht, der sich bestä ndig frei den Elementen aussetzt und sich natürlich niemals erkä ltet; denn sein 130
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Abwehrmechanismus und seine Hautatmung arbeiten einwandfrei. Es erübrigt sich, dem Leser zu sagen, daßdiese Methode das genaue Gegenteil der Gemütlichkeits- und Bequemlichkeitsideen ist, auf welchen die modernen Lebensgewohnheiten fußen. Die Menschheit irrt, wenn sie Luxus und Behagen als wichtigstes Ziel ihres materiellen Daseins betrachtet; nein, Anstrengung und Mühe sind das Grundgesetz jeglicher Entwicklung und Vervollkommnung, und die Strafen für die Ü bertretung dieses Grundgesetzes sind Degeneration und Verfall. Wird uns aber für unsere Mühe auch ein einigermaßen entschä digender Gewinn zuteil? Das hä ngt von unserer Einsicht — oder besser gesagt, von unserem Charakter ab. Ich habe dieses Buch für die Verstä ndigen, die Klugen, die Interessierten, die Glä ubigen, die Lebensdurstigen und Hochgesinnten geschrieben, die Mühe und Arbeit nicht scheuen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Trä gen und Gemä chlichen werden ihm kein Interesse abgewinnen; ich gestehe offen, daß umgekehrt auch ich ihnen kein Interesse entgegenbringe. Mö gen sie in feiger Ruhe bei ihren Fleischtö pfen verharren und sich von stumpfen Genüssen unter kraftlosem Dahinträ umen den mannigfachen Leiden und Krankheiten entgegenführen lassen, die sie an irgendeinem Punkte ihres Lebens mit Sicherheit erwarten. Dem krä ftigen Charakter aber biete ich hier einen Rettungsplan an, der ihn, wenn er ihm genügend treu bleibt, den gleichen glanzvollen Lebensweg führen wird, den ich selber schon seit so vielen Jahren gehe und dem ich, wenn kein Unfall mich vorzeitig ereilt, noch lange Zeiten zu folgen hoffe. Denen, die die nö tigen Anstrengungen auf sich nehmen, verspreche ich wachsende Freuden und eine ungeahnte Steigerung aller ihrer Krä fte und Mö glichkeiten, bis alle Anstrengungen und Mühen ihnen überhaupt nur mehr als Belohnungen erscheinen werden, denn ihr Wesen hat dann andere Bedürfnisse und wird von anderen Genüssen angezogen. Ist das bloßes Gerede? Die Tatsache, daßich in lä ngst verflossenen Zeiten selten ohne eine Erkä ltung war, mich aber seither in zweiunddreißig Jahren nie mehr erkä ltet habe, spricht für sich selbst. Und welch unerhö rten Zuschußan Vitalitä t hat diese Entwicklung meinem Kö rper gebracht! Denn wenn ich am frühen Morgen nach den beschriebenen Ü bungen und dem Licht-, Luft- und Wasserbad zum Gang in meine Sprechstunde auf die Straße trete, dann übernimmt mich oft die Lust, wie ein Schulkind zu rennen, so gewaltig und unbezwingbar schä umt jugendliche Lebenskraft in mir auf und drä ngt nach außen. Im Winter dauert es dann noch etwa anderthalb Stunden bis zum Sonnenaufgang, und dennoch ist es mir allemal, als sprühte die Atmosphä re rings um mich noch von der Strahlenenergie des Vortages und durchdrä nge alles belebend meinen Kö rper. Man mag dieses Phä nomen erklä ren, wie man will — Tatsache bleibt, daß ich nach einem langen Morgenmarsch verjüngt und von Lebenskraft fö rmlich überströ mend in meinem Arbeitszimmer ankomme. Wenn ich dann nach einem belebenden Frühstück die Tagesarbeit aufnehme, bin ich mit meinen achtzig Jahren genau so vergnügt und unternehmungslustig wie ein Sechzehnjä hriger. Dann ist es oft mein erstes, daßich eine Tür an ihrer freien Kante packe und mit voller Wucht hundertmal hin und her schwinge. Den ganzen Tag brodeln die Krä fte; wenn ich es nicht mehr aushalten kann, springe ich über Stühle oder schaue, wie hoch ich stoßen oder schlagen kann; oder ich tanze den „Froschtanz“ (den hier so genannten ungarischen Tanz), eine Geschicklichkeitsprobe, die mir nur wenige Dreißigjä hrige nachmachen; oder ich beginne an Ort und Stelle zu rennen oder die Beine zu balancieren; oder ich mache 131
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Luftsprünge und klappe die Fersen zweimal zusammen, bevor ich wieder den Boden berühre; oder ich mache Stoßübungen gegen die Wand oder gegen den Fußboden. Ich mö chte ununterbrochen summen und singen vor Lust, und manchmal tue ich es auch, weil ich diesem Drang einfach nachgeben muß. Nach vollbrachtem Tagewerk erliege ich auf meinem Heimweg sehr oft der Versuchung, eine lange Strecke aus purer Lebenslust buchstä blich zu rennen, besonders in der Winterkä lte. Ü brigens marschiere ich im Monat zusammengerechnet mindestens dreihundert Kilometer und fühle mich nie, aber wirklich nie müde. Noch kürzlich lief ich eine Strecke von mehr als acht Kilometern in siebenundvierzig Minuten, obwohl ich in der vorangegangenen Nacht infolge eines Abendvortrags mit anschließender, lange dauernder Diskussion nur fünf Stunden geschlafen hatte. Immer noch bin ich sehr gut imstande, zehn bis zwö lf Stunden tä glich zu arbeiten, und das tue ich auch, die Sonn- und Feiertage eingeschlossen. Nur die Weihnachtsund Neujahrstage und manche Sonntagabende behalte ich für gesellige Verpflichtungen und Familienanlä sse frei. Natürlich mußzugegeben werden, daßes nicht notwendig ist, in dem Bestreben, die Hauttä tigkeit anzuregen, so weit zu gehen, wie ich es tue. Aber wer sich einmal dem Erlebnis der Wiedergesundung verschrieben hat, der fühlt die Begierde nach immer weiteren normalisierenden Maßnahmen; er genießt schließlich die Berührung mit dem kä ltesten Wasser, mit dem schä rfsten Wind. Ich bin — wie gesagt — jetzt bereits achtzig Jahre alt und erfreue mich des klarsten Verstandes; zu keiner früheren Zeit war er klarer. Ich fühle mich nie einen Augenblick unwohl. Ich fürchte mich vor keiner Krankheit und weiß, daßich Grund habe, mich nicht zu fürchten. Auf Jahre hinaus plane ich Arbeiten auf kö rperlichem und geistigem Gebiet und trä ume davon, nach und nach alles das noch nachzuholen, was ich in jenen Jahren, die man Jugend und mittleres Alter nennt, so gerne getan hä tte und meiner armseligen Gesundheit wegen nicht habe tun kö nnen. Immer noch besitze ich das ganze Feuer, die ganze Lebendigkeit der Jugend, und obendrein die Erfahrung eines — wie man es heute noch nennt — langen Lebens. Wer das hö rt, wird sicher nicht mehr fragen, ob die Belohnung der großen Anstrengungen wert ist. Und niemand wird meine überschwengliche Beschreibung dieser Belohnung als bloßes Gerede hinstellen. Ich erklä re feierlich, daßdieselbe Belohnung, die mich nun schon seit langer Zeit beglückt und in immer hö herem Maße auch in Zukunft beglücken wird, auch jedem andern Menschen zuteil werden kann, der sich ein krankheits- und leidensfreies Dasein sichern mö chte, vorausgesetzt, daßdie Gewebe seines Kö rpers nicht bereits der Zerstö rung so stark anheimgefallen sind, daß sich ein Versuch zu ihrer Wiederbelebung gar nicht mehr lohnt. Wer diese Einsicht in seine eigenen Mö glichkeiten nicht hat, dem habe ich nichts zu sagen. Er muß, soweit ich es übersehen kann, den Weg der Selbsttä uschung weiterwandern, der ihn von Gesundheit zu Krankheit, von Krankheit zu künstlichen Heilmitteln und schließlich zu vorzeitigem Altern und frühem Tode führen wird. Das Altern kommt immer zu früh, wie lange Jahre auch der Kö rper schon auf dieser Erde geweilt haben mag. Es ist das Brandmal der Zivilisation. Nein, Gott will, daßwir lange leben sollen auf der Erde, die er uns gegeben hat, lä nger, weit lä nger, als die Jahre, die wir heute noch fä lschlicherweise mit „Alter“ bezeichnen. Und er will auch, daßwir bis zum Ende warmblütig, hellsinnig und hoch132
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gemut bleiben sollen, um dann einst in den kühlen und stillen Stunden eines frühen Morgens leise unsere Augen zu schließen und aus diesem Leben hinaus in ein anderes Leben hinüberzugleiten, wie ein Samenkorn, das ein leichter Frühlingswind sanft in die Ferne weht, damit es an einem andern Orte niederfä llt, in anderes Erdreich eindringt und neues Leben zum Licht emporsendet.
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12. KAPITEL Geist, Gefü hlsleben und Schlaf Es ist eine wahre Glückseligkeit, seinen eigenen Kö rper als vollkommen zu empfinden, im Vergleich mit weniger disziplinierten Kö rpern seine Schö nheit und Tadellosigkeit zu erkennen und mit Bestimmtheit zu wissen, daß man nie wieder krank zu werden braucht. Die Frage der vollkommenen Gesundheit hat aber noch eine andere Seite. Der Mensch ist kein rein physisches Wesen; er ist ebensosehr auch Geist und Seele. Angenommen darum, ein primitives Leben kö nnte den erstrebten vollkommenen physischen Kö rper entwickeln, — was würde aus der geistigen und der seelischen Seite des Menschen, der zu solchem primitivem Leben zurückkehrte? Ohne Zweifel kö nnte er sich nur wenig über sein kö rperliches Dasein hinaus entwickeln; er würde Zu einem prachtvollen Tier, und das wä re hö chstwahrscheinlich alles. Aber ein herrliches Tier zu werden, ist schwerlich des Menschen Bestimmung; soll er doch nach den Offenbarungen der Lichtquellen des Geistes und der Seele streben und durch sie zum Bewußtsein seiner Beziehung zur Gottheit gelangen. Freilich, erst wenn die Dringlichkeit und Hä rte der Erfordernisse des primitiven Lebens nachgelassen haben und der Mensch seine Krä fte nicht mehr in der bloßen Anstrengung, sein Dasein zu fristen. verbraucht, erst dann kö nnen seine geistigen Anlagen Zeit und Gelegenheit finden, sich auszubilden. Es sieht demnach so aus, als ob es im Plane der Natur lä ge, die Strenge des absolut primitiven Lebens zu mildern, um der geistigen Entwicklung des Menschen diese Zeit und Gelegenheit zu verschaffen. Anderseits wissen wir aber und erfahren es tä glich aufs neue, daßdie Gemütsverfassung eines Menschen, sein geistiger und moralischer Zustand in hohem Maße von seiner physischen Beschaffenheit abhä ngen. Wer kö rperlich mitgenommen ist, kann sich nur unter bestä ndigem Kraftaufwand auf einer gewissen geistigen und moralischen Hö he erhalten; ein solcher Kampf droht die Kö rperkrä fte noch tiefer zu untergraben, denn jeder Kampf zehrt am vorhandenen Energiebestand. Dagegen tritt bei dem physisch vollkommenen Individuum geistige, moralische und Gemütsstä rke von selbst in Erscheinung. Den physisch Zugrundegerichteten zieht seine Schwä che auch moralisch nach unten: er muß hart kä mpfen, wenn er Widerstand leisten will. Der physisch Vollkommene jedoch muß sich Gewalt antun, um unrecht handeln zu kö nnen*. Wie kö nnte dies auch anders sein? Hat jemand kö rperliche Vollkommenheit erlangt, so dankt er diese Errungenschaft seiner eigenen strengen Disziplin, dem Gehorsam gegenüber dem „du sollst“ auf allen * Diese Zeilen können vielleicht mißverstanden werden. Dr. Jacksons weitere Ausführungen zeigen, daß auch nach seiner Auffassung ein vollgesunder Körper als Werkzeug und Tempel des Geistes sowohl dem Bösen wie dem Guten dienen kann. Ohne Zweifel ist aller Ungesundheit des Körpers an sehr viel mehr Bosheit, Gereiztheit, Hä rte, seelische Erkrankung, Angst und Unfrieden schuld. als die meisten Menschen auch nur ahnen. Wer den von Dr. Jackson beschriebenen Weg ging, hat viel Sühne dargebracbt und Gnade erlebt, er hat Ehrfurcht vor Schöpfer und Geschöpf gelernt, den Segen geduldiger und beharrlicher Einordnung, die Bedeutung der Angewöhnung heilsamer Gewohnheiten erfahren und tief in die Sümpfe und über die lichten Höhen des Lebens geblickt. Darin liegt eine große Chance, daßauch seine Seele gelä utert und sein Geist geklä rt wurde. Anm. des Herausgebers. 134
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Gebieten des Kö rpers, des Gemüts, des Geistes und der Moral. Er hat sich gute Gewohnheiten erworben, und gute Gewohnheiten haften dem Menschen ebenso zä h an wie schlechte. Es versteht sich von selbst, daßdas Umgekehrte ebenso wahr ist; Nachlä ssigkeit in der Ernä hrung und den übrigen Lebensgewohnheiten, die begieriges Wünschen an die Stelle des einfachen „du sollst“ setzt, entwickelt in uns bedenkliche Neigungen zur Disziplinlosigkeit. Oh, wollten alle Lehrer der Religion und der Ethik nur erfassen, daßunsere tä glichen Lebensgewohnheiten nach dem, was wir tun sollen, geordnet werden müssen, anstatt nach dem, was wir zufä llig wünschen! Welche Basis zur Aufrichtung moralischen und religiö sen Lebens — eines Lebens geistiger Erhebung an Stelle ritualistischer Formalitä t — kö nnte gelegt werden, wenn unsere Kinder von klein auf im Zusammenhang mit Nahrung, kö rperlicher Ü bung, Kleidung und anderem mehr nicht bestä ndig gefragt würden: „Magst du das?“ oder „magst du es nicht?“ , sondern wenn ihnen mit Liebe und Festigkeit gesagt würde, daßdiese und jene Ordnungen dem Gesetz der Natur, dem Gesetz Gottes entsprechen und infolgedessen eingehalten werden müssen! Wie würde eine solche Auffassung schon das junge Herz der Kleinen für den Gedanken der Pflicht gewinnen und jedem Ansturm der Begierde entgegenarbeiten! Was kö nnte eine solche Jugenderziehung in unserer alten Welt voller blinder, irregeführter Menschen bedeuten! Aber die Hüter der Religion und der moralischen Werte übersehen die Verbindung, die zwischen unseren tä glichen Lebensgewohnheiten und der geistigen Entwicklung besteht; sie sehen fä lschlicherweise den Kö rper als sündig an und bekä mpfen, verdammen und vernachlä ssigen seine Ansprüche als nebensä chlich und unwert. Damit schä digen sie das Gefä ß, das unser individuelles, persö nliches Ego, die Seele, birgt, die ein Funke der Allseele ist. Mit ein wenig Nachdenken hä tten die Menschen, die den Aufbau unserer religiö sen Gedankenwelt begründen halfen, erkennen mü ssen, daßdieser so wunderbare Kö rper uns nicht bloßzu dem Zwecke gegeben worden sein kann, ihn so lange mit Verachtung zu behandeln und ihn zu vernachlä ssigen, bis er in unserer Seele Neigungen hervorruft, die mit ihren besten Bestrebungen in Widerspruch stehen, um ihn dann als sündenbeladenes Objekt zu schmä hen und zu kreuzigen. Welche Gotteslä sterung! Ist nicht der Kö rper eine Schö pfung Gottes? Und darf ein von Gott geschaffenes Werk mißhandelt werden, darf es krank sein? Widersinniger, ehrfurchtsloser Gedanke! Man muß sich nicht wundern, daß die Idee der Gottheit die Phantasie der Menschenmassen nicht zu gewinnen vermag, solange Krankheit und kö rperliches Leiden als von Gott gewolltes Menschenlos angesehen werden. Aus diesem Grunde wird es auch schwierig sein, Leute zu finden, die ihren religiö sen Ü bungen ausdauernder und inniger obliegen, als ich meine Kö rperübungen durchführe. Mir scheint, die Seele kö nne sich nicht ganz ungehindert kundtun, solange sie einen zerrütteten, hä ßlichen, schwammiges. oder vielleicht auch nur einen gleichgültigen, noch nicht individuell geformten Kö rper bewohnen muß. Und anderseits: welch einfä ltiger Dünkel veranlaßt uns überhaupt, zu glauben, die Menschheit sei nicht denselben Lebens- und Gesundheitsgesetzen unterworfen wie alle anderen Lebewesen? Sind sie nicht alle Gottes Geschö pfe? Ihr Beispiel ermahnt uns im Gegenteil: Hö rt auf, euch zu verweichlichen; kehrt zu der ursprünglichen Einfachheit in euren Lebensgewohnheiten zurück, damit alle Funktionen eures Kö rpers 135
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auf natürliche Weise angeregt werden! Von anomalen kö rperlichen Bedingungen kann nur ein tö richter Mensch normale, optimistische, vorwä rts und aufwä rts weisende geistige Reaktionen erwarten. Kein einigermaßen einsichtsvoller Beurteiler wird annehmen, daß aus verkehrten Lebensverhä ltnissen heraus sich eine Lebensstimmung entwickelt, die den ganzen Menschen, Kö rper und Seele, auf die Hö hen eines veredelnden Glaubens und zu jener vollkommenen Zufriedenheit führt, die mit kö rperlicher Vollkommenheit und Gesundheit zusammengeht. Wirklicher Glaube ist eine strahlende, lebenspendende, begeisternde Kraft. Leider verwechseln wir nur zu leicht Resignation mit Glauben, obwohl beide einander entgegengesetzte Geistesverfassungen sind. Der Glaube ist positiv, er herrscht, er siegt, er überwindet alle Hindernisse. Die Resignation ist negativ, sie gibt nach, sie fügt sich. Mä nner und Frauen mit lebendigem Glauben brauchen nicht zu resignieren. Der alles besiegende Glaube an die ihnen verliehenen Krä fte und an ihre hohe Bestimmung als Kinder Gottes trä gt sie durch ihr ganzes, langes Leben hindurch, und da er von einer zuverlä ssigen physischen Gesundheit gestützt wird, kann er den religiö sen Glauben, den Glauben an Gott, nur vertiefen und befestigen. Eine Klarheit, Reinheit und Einsicht wird dem Geiste verliehen, wie sie der kö rperlich nicht vollwertige Mensch unmö glich erfahren kann. Wer anders denkt, verwechselt die bloße ererbte, in einem schweren, plumpen Kö rper wohnende brutale Stä rke mit Vitalitä t. Die beiden sind grundverschiedene Anlagen. Der niederstirnige Samson wird selten einen vergeistigten Glauben haben und ebenso selten wahre, überquellende Vitalitä t. Samson - Naturen sind selten langlebig und vollbringen auch selten große Dinge in dieser Welt. Wir müssen zu einer anderen Auffassung über Vitalitä t gelangen und sie nicht mit rein physischer Kraft verwechseln. Sie kann natürlich mit physischer Stä rke gepaart sein, aber sie ist ihr nicht verwandt und kann auch dort bestehen, wo grö ßere physische Kraft fehlt. Vitalitä t bedeutet Leben oder Kraft zum Leben — zum Widerstehen und zum Durchhalten. Wo diese Kraft stark entwickelt oder schon von Natur vorhanden ist, dort findet man immer hohen Glauben, Selbstvertrauen, moralischen und physischen Mut, die Fä higkeit, alle Schwierigkeiten zur Seite zu schieben oder sich ihnen entgegenzustemmen, unverzagt immer weiterzukä mpfen, bis der scheinbar unbezwingbare Widerstand endlich der Macht des Glaubens nachgibt und der Pfad zu weiterem Fortschritt und grö ßerem Erfolg offenliegt. Die Emanationen eines solchen harmonischen Gefühls- und Geisteslebens sind eine positive Macht, die mit der Fackel des Glaubens vorausleuchtet zum Siege über Umstä nde und Verhä ltnisse, welche den meisten gewö hnlichen Menschen als unübersteigbare Hindernisse erscheinen. Deshalb ist die Pflege der Reflexkette der Gefühle und Gedanken so wichtig, desgleichen die Pflege der Reflexkette des Schlafes, die in ä hnlichem Maße die allgemeine Lebensbereitschaft und -tüchtigkeit beeinflußt. Ich habe bisher der besseren Ü bersicht zuliebe die beiden Reflexketten des Schlafes und der Gefühle und Gedanken behandelt, als ob beide zum Kö rper in der gleichen Verbindung stünden wie die andern drei Ketten; das Verhä ltnis ist aber in den beiden Fä llen sehr verschieden. Die drei Ketten der Verdauungs-, der Haut- und der Muskelfunktionen gehö ren ausgesprochen jede einem besondern Organ an, das ihr primä res reflexerzeugendes Zentrum ist. Die geistigen oder Gefühlsreflexe jedoch haben keine abgegrenzten Beziehungen zu einzelnen Kö rperteilen oder Organen. Zwar weisen die 136
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Funktionen dieser Reflexkette eine bestimmte Verbindung mit dem Geiste auf — aber was ist der Geist? Er ist kein greifbares Organ. Ja, er steht nach allgemeiner Annahme wohl in Beziehung zum Gehirn; aber der Geist ist mit dem Gehirn nicht so eindeutig verbunden wie die andern Reflexketten mit der Haut, den Muskeln und dem Verdauungskanal. Wenn wir auch wissen, daßdas Gehirn auf irgendeine Art an der Entstehung von geistigen Eindrücken und Bewegungen beteiligt ist und daher eine wichtige Rolle auch im Gemütsleben spielt, so kann doch nicht bewiesen werden, daßes Gedanken oder Gefühle direkt erzeugt — wenigstens nicht mit derselben Eindeutigkeit, mit der wir zum Beispiel die Ergebnisse von Muskelarbeit erkennen kö nnen. Anderseits scheint es, als ob doch sozusagen jede Reflextä tigkeit des Kö rpers durch das geistige Wesen des Menschen beeinflußt würde. Dagegen kennen wir keine einzige Reflexbewegung oder kö rperliche Funktion, die vollstä ndig von Geistes- oder Gemütserscheinungen abhä ngt. Auch weiß man von keinen natürlichen physikalischen Anregern, mit denen irgendwelche Organe in Kontakt treten müßten, bevor die Gefühlsreflexe in Tä tigkeit gesetzt werden kö nnen. Da jedoch diese Reflexe so eng mit den geistigen Lebensä ußerungen verbunden sind, stehe ich, obwohl der Geist kein Organ ist, nicht an, sie dem Geiste zuzuschreiben, um die Darstellungsweise zu vereinfachen. Es ist natürlich von geringer praktischer Bedeutung, ob ich im Recht bin, wenn ich dem Geiste die Stellung eines primä ren reflexerzeugenden Zentrums anweise und die Kette der von Gemütsbewegungen veranlaßten Reflexe als geistige oder Gefühlsreflexkette bezeichne. Praktisch wichtig, ja wesentlich ist bloß, daßwir das Vorhandensein dieser Kette von Reflexen und ihre wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung bestä ndiger Gesundheit erkennen. Doch wo sollen wir, wenn, wie oben gesagt, ein physikalischer natürlicher Anreger nicht besteht, ihren natürlichen Anreger suchen? Ich sehe ihn, wenn ich es recht überlege, einzig im Gedanken selber. Ein Gesundheitsgedanke erweckt in jedem Kö rperorgan und in jeder Kö rperzelle durch die Vermittlung der Zwischenbeziehungen des Reflexnervenmechanismus Reflexe der Gesundung und Wiederherstellung. Unglücklicherweise kö nnen wir ebenso leicht auch einen Kreis schä digender, übler Einflüsse auslö sen, wenn wir negative und zerstö rerische Gedanken aufkommen lassen. Diese Beeinflussungsmö glichkeit vom Geist her ist denn auch der Grund, warum der Arzt sich so sehr bemüht, in seinen Patienten die richtige geistige Haltung gegenüber ihrer Krankheit oder ihrem Leiden anzuregen. Zwar denkt er dabei jedenfalls nicht an die Auswirkungen der Gefühlsreflexkette, die er vielleicht gar nicht kennt; aber er weiß, daßdie feste Entschlossenheit, koste es, was es wolle, wieder gesund zu werden, und die Zuversicht, daßdies geschehen wird, den denkbar günstigsten Einfluß auf den Ausgang jedes Krankheitszustandes hat. Weder der Anhä nger der Christlichen Wissenschaft noch der Geistheiler denkt an die Funktionen der Gefühlsreflexkette; aber die richtige geistige Haltung übt in allen Fä llen eine vorteilhafte therapeutische Wirkung aus. Fast jeder Mensch kennt Fä lle schwerer Krankheit, die von sorgfä ltigen und tüchtigen Ärzten schon als hoffnungslos aufgegeben worden waren und dann doch geheilt werden konnten, obwohl jeder einzelne physische Faktor ein unheilvolles Ende befürchten ließ. Solche unerwarteten Heilungen bringen die ä rztliche Kunst oft unverdient in Mißkredit. Der Arzt kann eben seine Schlüsse nur aus den physischen Symptomen ziehen. Die geistigen Faktoren kann er nicht mit der gleichen Sicherheit ab137
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schä tzen; er ist aber daher auch nicht imstande, die mö glichen Reflexwirkungen genau zu berechnen. Weniger bekannt ist unter Laien der umgekehrte Fall, den der Arzt gleichfalls oft erlebt. Es gibt Kranke, die vom rein kö rperlichen Standpunkt aus jeden Grund zur Gesundung haben, so daß der behandelnde Arzt sich vö llig zuversichtlich über den Ausgang ihres Leidens ausspricht. Trotzdem zeigt sich dann keine Besserung. Auch in solchen Fä llen ist es oft ungerecht, den Arzt zu beschuldigen. Der Arzt konnte nicht sehen, daß unterirdisch eine Reihe unvorteilhafter Reaktionen des Geistes oder des Gemüts am Werke waren und die günstigen physischen Reaktionen stö rten und endlich zerstö rten. Wenn nun Krankheitsgedanken der Krankheit Vorschub leisten und Gesundheitsgedanken die Wiederherstellung der Gesundheit fö rdern, so muß doch sicherlich Gesundheitsdenken auch dem gesunden Menschen helfen, seine Gesundheit zu erhalten. Gesundheitsdenken bildet den Grundstein zu dem Gebä ude der Gesundheit und damit zur Unempfä nglichkeit für Krankheiten. Man mußunbedingt zugeben, daß ungeheure aufbauende Krä fte im Gesundheitsdenken liegen, die ununterbrochen Ordnung im Chaos schaffen und zur Vervollkommnung der Lebensformen zwingen. Denn sie wirken unfehlbar und ohne zu irren. Was dabei vielleicht manchmal unser verwirrtes und zaghaftes Denken abschreckt, ist oft nur das Wegfegen von Hindernissen, damit das Feld für die freie Entfaltung dieser Krä fte gerä umt wird. Die Natur arbeitet in Vollkommenheit für die Vollkommenheit. Krankheit ist nicht Vollkommenheit und deshalb unnatürlich, das heißt, sie entspricht nicht der Tendenz der Natur. Alles Leiden ist ein Beispiel für den Ungehorsam des Menschen gegenüber den Gesetzen der Natur, und diese Widersetzlichkeit wird von der Natur rücksichtslos geahndet. Ich beginne damit, daß ich Gesundheitsgedanken in mir herumtrage — indem ich erkenne, daßmeine vollkommene Gesundheit der Wille der Natur ist. Dann überlege ich und überzeuge mich davon, daß die Natur, wenn sie mich vollkommen gesund haben will, mich auch für ihren Zweck ausgestattet haben muß. Auf diese Weise arbeiten gewisse Reflexe, die meine Kö rperzellen und Organe günstig beeinflussen. Diese günstigen Wirkungen erleichtern mir das klare Weiterdenken durch das Problem hindurch, wie ich gesund leben kann. Ich vergegenwä rtige mir so immer deutlicher, was die Natur von mir verlangt; denn was sie von mir verlangt, ist das, was ich hernach tun muß, wenn ich gesund sein und bleiben will. Nun ist es freilich gut denkbar, daßman die Haut durch den Kontakt mit ihrer Umgebung, die Muskeln durch energische Bewegung genügend zur Tä tigkeit anregt, daß man seine normale Zeit in einem gutgelüfteten Zimmer schlä ft und seine Innenwelt nach bestem Vermö gen mit optimistischen, bejahenden und aufbauenden Gedanken und Gefühlen füllt und dennoch durch das Verzehren unnatürlicher und entkrä ftender Nahrung alle Funktionen der Ernä hrungskette stö rt. Durch die gegenseitigen Beziehungen des Reflexnervensystems werden dann auch alle andern Kö rperfunktionen von dieser Stö rung berührt und beeinträ chtigt, der Schlaf und das Gemüts- und Geistesleben selbstverstä ndlich mit. Sowohl die Kette der Hautfunktionen als auch die der Muskelbetä tigung kö nnte hier an Stelle der genannten Ernä hrungskette unter den gleichen Verhä ltnissen eingesetzt werden, ohne daß die Schlußfolgerung im geringsten verä ndert würde. Aber für die Kette des Schlafes und der geistigen Bewegungen trifft dies nach meinem Dafürhalten nicht zu. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß eine ungünstige Kette der geistigen oder Gefühlsreaktionen entsteht, wenn alle drei primä ren reflexerzeugenden Zentren mit be138
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stimmter organischer Zugehö rigkeit normal funktionieren. Dies kommt daher, daßdas ganze Nervensystem und nicht bloßsein großer Mittelpunkt, das Gehirn, an den geistigen und gefühlsmä ßigen Reaktionen teilnimmt. Und wenn sä mtliche drei primä ren reflexerzeugenden Zentren, die mit der Haut, den Muskeln und dem Verdauungskanal zusammenhä ngen und überall mit den entsprechenden Nerven in Verbindung sind, normal funktionieren, so ist es ziemlich sicher, daß auch der Nervenmechanismus normal funktioniert, in welchem Falle keine unerwünschten Gefühlsreaktionen eintreten kö nnen. Das zeigt die Wichtigkeit der natürlichen Anregung von Haut, Muskeln und Verdauung für den Geist und das Gemütsleben. Nichtsdestoweniger ist es für Personen in scheinbar vollkommener Gesundheit mö glich, krank und sogar leidend zu werden; die erste vom Normalen abweichende Reflexreaktion erfolgte scheinbar durch eine heftige Gemütsbewegung, etwa durch den plö tzlichen tragischen Tod eines geliebten Menschen oder durch irgendein anderes erschütterndes Ereignis. Es ist eine altbekannte Tatsache, daß Furcht lä hmt und daß Schmerz, Angst, Zorn und Kummer, wenn sie groß genug sind, sogar tö ten kö nnen. Auch diese Gemütsbewegungen stehen in keiner direkten Verbindung mit irgendeinem Organ, sondern gehö ren dem Geiste an, und der Geist ist ihr Organ. Doch kö nnen sie die Kö rperorgane so stark beeinflussen, daß sie deren Funktionen lahmlegen und — wenn sie zum Beispiel das Herz betreffen — wirklich das Leben zu vernichten vermö gen. Diese lä hmende Wirkung auf die Organe geschieht nie direkt, sondern sie wird aus dem geistigen oder seelischen Gebiet durch die Beziehung des Reflexnervenmechanismus auf das kö rperliche oder organische Leben übertragen. Hier ist der Ort, als ungemein wichtigen Faktor in der Entwicklung einer bestä ndigen Gesundheit den Willen einzusetzen. Der Wille mußgeübt werden, um den Geist gegen schä digende, ungünstige Eindrücke verschlossen zu halten oder in Fä llen, wo dies nicht mö glich ist, ihn dagegen zu stä hlen. Nur positive, aufbauende Gedanken dürfen walten; alle niederdrückenden und darum zerstö renden Gedanken müssen zielsicher abgewiesen oder aufgelö st werden. In dieser Richtung kann man selber viel tun. Denn nicht nur Freud und Leid, die Dinge, die von außen her an uns herantreten, bewegen unser Gemüt. Nein, auch Mißtrauen, Gier, Neid, Eifersucht, Auflehnung, Trotz, Niedergeschlagenheit, Angst, Furcht, Sorge, Untreue, Grausamkeit, Zorn, Haß — ebenso aber auch Empfindungen der Güte, der Liebe, der Großmut und Barmherzigkeit, also Stimmungen, die weitgehend unserer eigenen Entscheidung unterliegen, kommen als zerstö rende oder aufbauende, negative oder positive, Leben und Krä fte entfaltende Faktoren in Betracht. Meiner Ü berzeugung nach kann ein vollstä ndig normal arbeitender Kö rper die fürchterlichsten Katastrophen aushalten. Es ist allerdings schwer, positiv darüber zu urteilen, denn bei welchen Menschen unserer modernen Zivilisation arbeitet der Kö rper vollstä ndig normal? Aber so viel ist sicher: je einwandfreier die Reflexketten funktionieren, desto zuverlä ssiger wird auch die aufbauende Empfindung des Glaubens an die gö ttliche Vorsehung jeden aufsteigenden zerstö rerischen Gedanken abweisen. Ähnlich wie mit der Reflexkette des Geistes verhä lt es sich mit dem Schlaf, bis zu dem Punkte, wo er freiwillig oder durch irgendeinen ungewö hnlichen Umstand unterbrochen oder verhindert wird. Dann wird er sehr rasch zu einem primä ren reflexerzeugenden Zentrum für die Aussendung von anomalen Funktionsanreizen über alle Reflexketten; zuerst wird davon die Kette der Gemüts- und Geistesbewegungen in Mitleidenschaft gezogen. Aber die Kette des Schlafes hat auch gewisse eigene Aspekte, 139
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die für sich betrachtet werden wollen. Die wahren Ursachen des Schlafes hat die Wissenschaft bisher noch nicht einwandfrei feststellen kö nnen. Ein Grund für das Schlafbedürfnis ist jedenfalls, daßder Kö rper, wä hrend er sich in vö lliger Ruhe befindet, die Mö glichkeit erhä lt, seine Müdigkeitsgifte gä nzlich auszuscheiden und auf diese Weise seine unter dem Einflußdieser Gifte sinkenden Krä fte zu erneuern. Wir unterscheiden allgemein gesprochen zwei Arten von Schlaf, welche auf zwei verschiedenen Voraussetzungen beruhen. Auf der einen Seite kennen wir den natürlichen und ruhespendenden Schlaf, auf der andern den toxischen und betä ubungsä hnlichen. Der natürliche Schlaf beruht auf Müdigkeit, der toxische Schlaf auf Mattigkeit. Müdigkeit entsteht durch geistige oder physische Anstrengung innerhalb der physiologischen Grenze — diesseits des Punktes, wo die Erschö pfung einsetzt oder vielmehr zu drohen beginnt. Mattigkeit kann verschiedene Ursachen haben — alles, was die Vermehrung und Anhä ufung giftiger (toxischer) Stoffe im Blute begünstigt und ihre Ausscheidung verhindert: Ü beranstrengung des Geistes oder des Kö rpers über die physiologische Grenze hinaus, Ü berernä hrung, zu rasches Verzehren der Nahrung, falsch zusammengestellte Mahlzeiten, übersä uerte Kost, der es an natürlichen Basen gebricht, ungenügendes oder ungeeignetes Baden, zu dicke Kleidung, falsche geistige Einstellung, verkehrter Gebrauch unserer geistigen und seelischen Fä higkeiten, indem wir dunklen, niederdrückenden oder gar zerstö renden Gedanken oder Gefühlen erlauben, unseren Geist zu erfüllen. besonders in den Augenblicken vor dem Einschlafen. Den natürlichen und ausruhenden Schlaf kennzeichnet ein leicht bereites Einschlafen zu sanftem, traumlosem Schlummer; steigen dennoch Trä ume auf, so sind sie glücklich und erfreulich. Aus solchem Schlafe wacht man hell auf und ist sofort wach, frö hlich und für die Aufgaben des kommenden Tages bereit, welcher Art immer sie sein mö gen. Keine geistige oder physische Trä gheit beschwert einen, kein Gä hnen, kein unausgeschlafenes Gefühl, sondern Kö rper und Geist sind durchdrungen von einem Empfinden des Erholtseins und ä ußerster Lebensbereitschaft. Der toxische und lethargische (dumpfe) Schlaf ist das genaue Gegenteil davon, außer in dem einzigen Punkte, daß er den Menschen gleichfalls rasch, doch zu rasch überfä llt. Sein Opfer schlä ft sozusagen schon, bevor sein Haupt das Kissen berührt. Trä ume kommen oft, und sie sind gewö hnlich unerfreulich oder gar schreckenserregend. Der Schlä fer erwacht nur schwer und mußgewö hnlich mehrere Male geweckt werden. Ist er endlich wach, so gä hnt er und streckt sich und bedauert die Notwendigkeit, auflehen zu müssen; seine Tagespflichten erscheinen ihm beschwerlich und gar nicht als Freuden. Oft ist er noch weit in den Tag hinein nicht vollwach, manchmal bis zum Nachmittag. Sein Geist bleibt in eine Wolke gehüllt, und seine Aufmerksamkeit heftet sich nicht willig an die Gegenstä nde. Geistige Arbeit quä lt solch einen Menschen, wenigstens wä hrend der ersten Tageshä lfte, oft sogar darüber hinaus. Seine Gedanken sind düster und fügen ihre Gedrücktheit noch zu der bereits so unseligen Verfassung, vermehren dadurch die Ermüdungsgifte in seinem Kö rper und vergrö ßern auf diese Weise wiederum die Neigung zu bleiernem Schlaf. Kennt man aber die Ursachen des bleiernen, toxischen Schlafes, dann kann man ihnen auch vorbeugen, insbesondere durch Normalisierung der Ernä hrungs-, Haut- und Muskelfunktionen. In diesem Zusammenhang mö chte ich darauf hinweisen, daß der Mensch um so weniger Schlaf zu benö tigen scheint, in je reinerem und basischerem Zustande das Blut und die Gewebe sich befinden. Um so rascher wird auch der Schlä 140
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fer zum hellen Wachsein aufwachen, wenn die Wolke des Schlafes sich verzogen hat. Es mußzugestanden werden, daßder entkrä ftete Kö rper durch die anomalen Empfindungen, welche in ihm entstehen, für negative und zerstö rerische Anträ ge an den Geist verantwortlich gemacht werden kann. Der Geist gibt diese Anregungen in Form von anomalen Anreizen der ganzen Kette der unter seiner Kontrolle stehenden Funktionen weiter, und diese übertragen sie auf die übrigen Reflexzentren. Auf diese Weise wird der ganze Kö rper zwar vom Geiste aus negativ, zerstö rerisch beeinflußt, aber dieser geistige Einflußist in seiner Entstehung auf den negativen kö rperlichen Zustand zurückzuführen und kö nnte daher in einem gewissen Sinne als Ausstrahlung einer der drei ersten Ketten aufgefaßt werden. Immerhin wird er, sobald er geweckt und von welcher Seite immer er in Bewegung gesetzt wird, so wirksam in der Kontrolle anderer Funktionen, daßich nicht umhin kann, ihn selber primä r zu nennen. Die praktisch einzunehmende Haltung ist demnach diese, daßSchlaf und Gedanke in ihrer Wirkung als primä re reflexerzeugende Zentren auftreten kö nnen, daßaber die Natur ihrer Reflextä tigkeit mehr oder weniger von der funktionellen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit der drei anderen Ketten abhä ngt. Vergegenwä rtigen wir uns dies nun aber, so sollten wir vor allem andern uns bemühen, die drei ersten Ketten stets durch die uns von der Natur zur Verfügung gestellten Mittel in funktioneller Vollkommenheit zu erhalten. Denn wenn der Kö rper durch unsere Weigerung, die Haut, die Muskeln und das Ernä hrungssystem so zu behandeln, wie die Natur es verlangt, seine Krä fte verliert und sich Gifte in ihm ansammeln, und wenn auf diese Weise in den drei ersten Ketten negative und zerstö rerische Reflexe auftreten, dann erhalten die beiden Ketten des Schlafes und des Geistes auch unnatürliche Anreize. Darum werden sie dann als primä re reflexerzeugende Zentren auch negative oder destruktive Anreize ins Werk setzen, und dadurch mußschließlich unsere kö rperliche Vitalitä t herabgemindert, muß auch die Widerstandsfä higkeit gegen Krankheitseinflüsse und alle den Kö rper schä digenden Prozesse geschwä cht werden. Die Kenntnis dieser Tatsache setzt uns in den Stand, die beiden letzten Reflexketten als eine Art Gesundheitsbarometer zu benützen. Denn wenn wir unsern Schlaf nicht mehr als erfrischend und belebend genießen, wenn wir nicht verjüngt und neugestä rkt, begierig nach der Aufgabe des Tages verlangend daraus erwachen, oder wenn unsere Stimmung verdüstert, bedrückt, verneinend ist, verdrießlich, überkritisch, Unheil voraussehend, anstatt positiv, erfreulich, aufrichtend oder gar begeisternd, dann erkennen wir daran, daßwir unsere ersten drei Reflexketten vernachlä ssigen, und daßwir früher oder spä ter diese Vernachlä ssigung mit verminderter Vitalitä t und mit dem Verluste unserer natürlichen Immunitä t gegen Krankheit bezahlen müssen. Seit ich die Auswahl und Bemessung meiner Nahrung mit Sorgfalt treffe, erlebe ich solche Stö rungen nur mehr hö chst selten. Wenn sie aber je wieder auftreten — sie künden sich vielleicht im Beginn bloß mit einem kaum spürbaren Schweregefühl in Beinen und Füßen oder mit verringerter Frische oder verminderter Lust zum Aufwachen und zur Muskelbetä tigung am frühen Morgen an — , so ergreife ich die Gelegenheit sofort beim Schopfe und faste oder genieße einen oder zwei Tage lang nichts als Früchte und Milch; dann dauert es nicht lange, so fühle ich mich wiederum zu allen Taten bereit, kann des Morgens zu jeder Stunde aufstehen, turnen und kalt baden, und sobald ich auf der Straße stehe, packt mich wieder diese unbä ndige Lust, einen kleinen Wettlauf mit mir selber zu veranstalten. Die Alkalisierung meines Blutes durch den Genußvon Früchten und Milch hat die Menge der in meinem Blute befindlichen Ab141
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fallstoffe wiederum herabgesetzt und die Müdigkeitsgifte ausgeschieden. hat meine Kö rperzellen wieder mit Lebenskraft gefüllt, und das ganze bewußte. Gefühl, das mich beherrscht, ist Leben, Vitalitä t, die sich in geistiger Frische und Klarheit und kaum zu bä ndigender Kö rperkraft ausdrücken. In dieser Verfassung kann ich nicht lä nger als fünf Stunden schlafen, und oft genügen vier Stunden. Aber die Zellen meines Kö rpers fühlen sich so erleichtert durch die Ausscheidung der Müdigkeitsgifte, daßich weitere drei oder vier Stunden vollstä ndig entspannt ruhen kann, was in seiner belebenden und giftbefreienden Wirkung einem gesunden Schlafe sehr nahe kommt. Eine andere Eigenart dieser Erfahrung ist, daßdie Tage, welche einem solchen vierstündigen Schlafe folgen, geistig und kö rperlich oft meine tä tigsten und erfolgreichsten sind. Die Abwesenheit der Ermüdungsgifte und die normale basische Blutbeschaffenheit erklä ren dies. So sehen wir wiederum, daßdie Wirkungen der normalisierten, organisch fundierten großen Reflexketten zusammenarbeiten, um dem primä ren reflexerzeugenden Zentrum, mit dem der Schlaf verbunden ist, einen Impuls zu geben. Wenn sie in- und auswendig den Kö rper sauber und das Blut basisch erhalten, dann ist der Einflußauf die Reflexkette des Schlafes wohltä tig, konstruktiv und belebend. Im umgekehrten Falle ist er zerstö rend, vermindert die Lebenskraft und führt zu Krankheit. All dies lä ßt sich mit gleicher Ü berzeugung auch von der Reflexkette der geistigen und seelischen Bewegungen sagen. Wie wichtig ist es daher, den Geist zu schulen, damit er lernt, jeden stö renden, unglückbergenden, verzweifelten Gedanken von sich zu weisen. Eine Geistesverfassung, die mit sich selber und der Welt nicht im Frieden ist, wirkt wie starkes Gift und darf von dem, der den Schlaf sucht, nicht geduldet werden. Das beste Mittel, das ich kenne, um den friedvollen geistigen Zustand herbeizuführen, der normalen gesunden Schlaf gewä hrleistet, ist, konstruktive Gedanken zur Hilfe herbeizuziehen und an die Stelle der destruktiven zu setzen. Meine persö nliche Methode besteht in einer Art Ritual, das ich vor dem Einschlafen im Geiste ausführe. Die letzten Gedanken des bewußten Geistes vor dem Einschlafen bleiben wä hrend der sä mtlichen Schlafstunden auf die Zellintelligenzen wirksam; auf diese Weise wird mein Geist im Zustand des Schlafes ein Laboratorium wirksamer positiver Krä fte an Stelle zerstö render Gifte. Mein Ritual enthä lt unter anderem folgendes Bekenntnis: „Gott, mein Vater, ist gut; er ist ganz Güte. Er will daher für mich nur das Beste. Er mußdarum für mich Jugend und Gesundheit beabsichtigen. Ich brauche bloßseinen Gesetzen zu gehorchen.“ Diese Gedanken bringe ich auf viele verschiedene Arten zum Ausdruck. Dann beginne ich ein anderes Thema: „Ich bin ein Geschö pf des vollkommenen Schö pfers. Als solches mußich vollkommen geschaffen sein. Ich mußdarum die Mö glichkeit und die Kraft besitzen, physisch vollkommen und damit immer gesund und immun gegen Krankheiten zu sein. Ich brauche nur seinen Gesetzen zu gehorchen.“ Auf diesen Gedankengang lasse ich eine Zusammenstellung ä hnlich aufbauender und erhebender Gefühle folgen und sage: „Ö ffne mir den Weg zum Verstä ndnis dafür, daß die Fehler und Mä ngel meiner Nebenmenschen von den meinigen sich nur durch ihre Art unterscheiden und daßich an ihrer Stelle genau so falsch gehandelt hä tte wie sie; ö ffne mir so den Weg dazu, daß ich weder Feindschaft noch bö sen Willen gegen sie hege.“ Ein viertes Beispiel: „Schenke mir die Weisheit, die Notwendigkeit einzusehen, daßmein Kö rper physisch vollkommen werden muß— ein Tempel für die Seele, die er beher142
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bergt — und daß er daher gegen jedes Ü bel immun werden muß, eine geeignete Wohnstä tte für den Funken aus dem Unendlichen, welcher mein wahres Wesen ist. Gib mir die Kraft des Willens, nach dieser Erkenntnis zu handeln, und gib mir den Glauben, der von meinen Handlungen auch die Ergebnisse zuversichtlich erwartet.“ Das ist der Weg zu geistiger Gesundheit und geistiger Sauberkeit, jener Sauberkeit, die so weit über die bloße, kö rperliche Sauberkeit hinausgeht und sich so viel hö her darüber erhebt, als der Geist oder die Seele über den physischen Kö rper erhaben ist. Es ist der Zustand des Geistes, der unablä ssig bemüht ist, aus dem Kö rper, dem materiellen Selbst, mö glichst viel zu machen. Niemand darf aus dieser Definition herauslesen, es handle sich um Bemühungen, mö glichst viel für den Kö rper und das Selbst zu erlangen; das wä re die Antithese zu geistiger Sauberkeit. Denn darin liegen ja gerade alle Wurzeln unserer Laster, unserer Unzulä nglichkeiten im kommerziellen, sozialen, hä uslichen und sexuellen Leben; es ist der geistige Zustand unserer modernen Welt, und seine Wirkungen bedeuten für die Gesundheit der zivilisierten Menschheit genau das gleiche wie die Anhä ufungen kö rperlichen Schmutzes. Der Geist ist uns auf keinen Fall dazu verliehen worden, damit wir mit seiner Hilfe viel für den Kö rper erreichen, sondern damit wir möglichst viel aus dem Körper machen. Es darf nicht sein, daß unsere Geistigkeit dazu dient, den Tempel der Seele, der unser Kö rper ist, mit den entarteten Gewohnheiten unserer Kultur zu entweihen und zu zerstö ren. Dieser Tempel ist durch das Lebensprinzip aufgebaut worden, jenen kleinen Funken aus der großen bildenden Kraft der Unendlichkeit. Und da jeder menschliche Geist ein kleiner Strahl des unendlichen Lichtes, der unendlichen Weisheit ist, so dürfen wir sicherlich annehmen, daß dieser Weisheitsstrahl dem kleinen Kraftfunken verliehen wurde, um ihn zu befä higen, seiner Aufgabe, aus dem Staub der Erde einen erhabenen Tempel der Seele zu schaffen, gerecht zu werden. Aber wenn der menschliche Kö rper nur auf gut Glück mit alten, unwerten Stoffen aufgerichtet worden ist und der Hütte eines Armenhä uslers ä hnlicher sieht als dem hohen Tempel, der er sein sollte, dann kann der Geist, der ihm angehö rt, auch keinen hö hern Ansprüchen Genüge leisten. Und in der Tat ist der Geist, der sich auf die Launen und Begierden des Fleisches einlä ßt, den grö ßten Gefahren des Entgleisens und Beschmutztwerdens ausgesetzt. Mit andern Worten: solch ein Geist, der sich bemüht, für den Kö rper mö glichst viel zu erreichen, anstatt durch den Kö rper mö glichst viel zu leisten, ist ein ungesunder, ein unsauberer Geist. Das heißt nicht unbedingt, daßer sich zu niederen Handlungen hinreißen lä ßt, aber auch schon der Widerstand gegen Versuchungen bringt die Harmonie in Unordnung und zerstö rt das Gleichgewicht. Wird der gleiche Kraftaufwand zu der Ü berlegung benützt, wie der Kö rper dem gö ttlichen Plane gemä ß aufgebaut und unterhalten werden kann, so wachsen die harmonischen, belebenden, bejahenden, konstruktiven Einflüsse. Es ist auffallend, daßder verhä tschelte Kö rper der Sinnlichkeit verfä llt; denn Sinnlichkeit hat ihren Sitz im Geistigen. Und als Gegenwirkung wird die Sorge für die Begehrlichkeiten des Fleisches (anstatt für die Bedürfnisse des Kö rpers als Tempel der Seele) auch wieder den Geist in Sinnlichkeit verstricken. Ein sinnlicher Geist ist ein unsauberer Geist, der nur zerstö renden, krankheitsfö rdernden Einflußauf den Kö rper haben kann. Wer vor Krankheit geschützt leben mö chte, mußdeshalb zuallererst lernen, wie dieser Kö rper in aller Vollkommenheit, die er nach dem vollkommenen Plane des Schö pfers hat, aufzubauen und zu pflegen ist; dieses Studium wird ihm helfen, Geist und 143
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Kö rper rein zu erhalten. Wenn aber geistige Sauberkeit von der Qualitä t des Denkens abhä ngt, von der überlegten Sorgfalt, die man der Entwicklung und Tä tigkeit des Kö rpers zuwendet, so besteht die Sauberkeit der Seele darin, nur die besten, die positivsten und hilfreichsten Gedanken in den Geist treten zu lassen. Mit dem Kö rper und seinen Zustä nden beschä ftigt sich die Seele überhaupt nicht. Konstruktive Gedanken kehren sich nach außen; sie haben keine andere Verbindung zum Selbst, als daßsie bestrebt sind, das freundliche, hö here, bessere Selbst zum Ausdruck zu bringen. Solche Gedanken befassen sich mit allem Menschlichen; ihr Bestreben ist nicht bloß, das Schlechte nicht zu tun, sondern auch, das Schlechte gar nicht zu denken. Sehen sie einen andern Bö ses tun, so suchen sie ihn zu verstehen und zu dekken, und fä nden sie auch keine andere Entschuldigung für ihn als die menschliche Unvollkommenheit. Solche Menschen, die sich von ihrer Seele führen lassen, nä hren keine Feindschaften, hegen keinen Groll und keine Erbitterung, sondern lassen sich von der allesbegreifenden Barmherzigkeit leiten, die der Sünden Menge (anderer Leute!) deckt. Einer hat vor vielen Jahrhunderten das Vorbild zu solcher Gesinnung gegeben, er, der aus seinen Todesqualen am Kreuze noch die Fürbitte zum Himmel rief: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Ich weiß, es gibt Menschen, und ich schä tze sie auf etwa neunzig Prozent meiner Leserschaft, denen das, was ich hier über die geistige und seelische Sauberkeit schreibe, nichts Persö nliches sagt. Es berührt sie nicht in ihrem Innersten. Es ist ihnen zu wenig real, zu unpraktisch, zu abstrakt. Stehen sie vielleicht auf einer Stufe, von der aus geistige und seelische Dinge noch gar nicht erkennbar sind? Dabei nennen sich gerade solche Leute gerne eifrige Christen, Jünger und Nachfolger Jesu, des Verkünders der Barmherzigkeit. Wie halten sie es allerdings mit dem Stein, den Jesus den zu werfen auffordert, der ohne Sünde ist? Dieser Stein eben beweist uns, daß seelische Sauberkeit doch keine so phantastische, so unreale Forderung ist, wie die meisten Menschen es glauben. Denn wie kö nnten wir irgendeinen anderen Ü beltä ter verdammen, wenn wir wissen, daß seine Sündhaftigkeit nur in der Qualitä t von der unsrigen verschieden ist? Etwa deshalb, weil wir in unseren eigenen Entgleisungen die Beweggründe und die Grö ße der Versuchungen kennen und in den seinen nicht? Das wä re wohl keine Veranlassung, den Stein zu werfen. Um daraus die praktische Folgerung zu ziehen, wollen wir hier konstatieren, daßes sich für den gesunden, „sauberen“ Menschen niemals um etwas anderes handeln kann als um die sogenannte idealistische Lebensauffassung, auch wenn Handlungen anderer in Frage kommen. Unter keinen Umstä nden dürfen wir uns das Recht herausnehmen, unsere eigenen Fehltritte Irrtümer zu nennen und die unserer Brüder oder Schwestern Sünden oder Verbrechen. Etwas mitempfindendes Denken sollte uns zeigen, daßwir, wenn wir gerecht sein wollen, die Geschichte des „Verbrechens“ kennen müssen, ja, daßwir, um sie in allen ihren Aspekten zu kennen, auch die ganze Lebensgeschichte des „Verbrechers“ oder „Sünders“ kennen sollten, sogar seine vorgeburtliche Geschichte. Nachdem wir dann alles erfahren haben, was mit dem in Frage stehenden Falle zusammenhä ngt, finden wir hö chstwahrscheinlich, überwä ltigt von Mitgefühl, keine Verdammung mehr mö glich. Man wird mich fragen, was diese Betrachtungen mit unserem Thema der bestä ndigen 144
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und zuverlä ssigen Gesundheit zu tun haben. Genug, um uns zu beschä ftigen. Die kritische „Besser-als-du“ -Haltung gegenüber unseren Mitmenschen ist stets das Zeichen einer ungesunden, unsauberen Seele; es ist zwar die Haltung der großen Mehrheit „gebildeter“ Menschen — aber was will das bedeuten? Sind es doch eben die Menschen, die sich durch Krankheit und Krankheitsfurcht auszeichnen, und sollte da keine Beziehung aufgedeckt werden kö nnen? Ich glaube, daßsie ohne weiteres sichtbar ist. Weil ein unsauberer Geist und eine unsaubere Seele gleich zersetzend auf den Kö rper wirken wie eine unsaubere Haut oder ein unsauberes Kö rperinneres, indem sie als Furcht, Ärger, Haß und verwandte Leidenschaften die sprudelnden Quellen unseres Lebens vergiften, müssen wir, wenn wir eine natürliche Unbesiegbarkeit vor den Angriffen der Krankheit erreichen wollen, in einer idealistischen Haltung auch die einzig praktische erkennen lernen. Sicherlich ist es jedem von uns mö glich, seine Beobachtungsgabe so weit zu entwickeln, daßes ihm gelingt, den Balken im eigenen Auge zu entdecken, den man doch herausziehen soll, ehe man daran geht, den Splitter aus des Bruders Auge zu entfernen. Um noch einmal zu der praktischen Seite der Frage zurückzukehren, sei hier noch erwä hnt, daß der große russische Gelehrte und Forscher Metschnikow nach Jahren eingehendster Untersuchungen dieser Zusammenhä nge festgestellt hat, daß wir ewig weiterleben kö nnten, wenn wir es nur verstünden, die Ansammlung von Giften in unserem Kö rper zu verhindern. Laßt uns daher den festen Entschlußfassen, unseren Kö rper inwendig und auswendig von Giften und Unsauberkeit frei und unsern Geist rein zu halten; laßt uns unsere besten Gedanken an die Frage wenden, wie unser Kö rper zu seiner Hö chstleistung veranlaßt werden kann. Unsere hö here, seelische Natur wollen wir gesund und sauber erhalten, indem wir nur solchen Gedanken Zutritt gewä hren, die die Taten unserer Nebenmenschen gerecht beurteilen, mit demselben Maße, das wir von unseren Brüdern und Schwestern unsern schlechtesten Taten gegenüber erhoffen. Fügen wir diese Regeln geistiger Ordnung zu den in diesem Buche so ausführlich behandelten Vorschriften für die kö rperliche Verhaltungsweise, so kö nnen wir sicher sein, daßuns nach Ablauf einer angemessenen Zeit das angehä ufte „Kapital“ die herrlichsten „Zinsen“ in Form von Kraft und Gesundheit abwerfen wird. Meine eigenen „Zinsen“ scheinen eine vollkommene Unempfindlichkeit gegenüber allen Arten von Krankheiten zu sein. Und wä re es auch nur im Hinblick auf die unendliche Erleichterung unseres tä glichen Lebens, wir fä nden die Belohnung den Kampf und die Anstrengung wert. Nun bleibt es aber gar nicht nur bei dem leichteren, sorgloseren Leben, denn die Ergebnisse unserer Mühe gehen weit darüber hinaus. Unser Leben wird nicht nur seiner Schwere und Mühseligkeit beraubt; es wird auch von Licht und Freude in einem bisher nie gekannten Maße durchströ mt; und unser Licht und unsere Freude werden auch in andere Leben hinüberstrahlen.
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14. KAPITEL Schluß betrachtungen Wenn Gott uns die Mö glichkeit gegeben hat, immer gesund zu sein, so sind wir auch für den Zustand unserer Gesundheit verantwortlich. Aus dieser Tatsache heraus wird Krankheit zur Sünde, oder sie ist die Folge einer Sünde gegen die Lebensgesetze des Kö rpers. Der Kö rper, der krank ist, hat gesündigt. Er hat den gö ttlichen Regeln und Gesetzen zur Erhaltung der Gesundheit entgegengehandelt; er hat darum Gottes Willen übertreten. Die zivilisierte Menschheit ist krankheitsempfä nglich geworden, weil sie sich von ihrer eigenen Ü berheblichkeit leiten ließund nicht durch ihren Verstand und ihre Beobachtung. Sie hat nicht erfaßt, daß Luxus und Behagen, Befreiung von kö rperlicher Anstrengung und Befriedigung aller materiellen Wünsche und Leidenschaften, die ihr als einzig begehrenswerte Lebensziele erscheinen, nicht das Wesentliche an unserer Kultur sind, sondern bloße Auswüchse, unnatürliche Schosse der Zivilisation. Die allereinfachste Beobachtung und Ü berlegung zeigt deutlich, daßdas Gesetz jedes Wachstums die Anstrengung ist; und der einzige Weg, um Widerstandskraft sowohl im physischen als auch im geistigen und seelischen Leben zu wecken und zu entwikkeln, ist bestä ndige Ü bung im Ü berwinden. Nachgiebigkeit gegen die Lockungen des Behagens, des weichen Lebens ist der sichere Weg zu kö rperlicher, psychischer, ethischer und geistiger Verweichlichung, Entkrä ftung, Krankheit und verfrühtem Tode. Es gibt keine Lobpreisung, deren Tö ne hoch genug gestimmt wä ren, um genügend wiederzugeben, was der empfindet, welcher aus einem krankheitsbedrohten Leben den Weg zur disziplinierten Lebensführung und damit zum beglückenden Bewußtsein einer bestä ndig wachsenden und zum Schlußvollkommenen Gesundheit gefunden hat. Solche Menschen kö nnen nicht mehr abtrünnig werden, sie werden hö chstens zeitenweise kleine Rückfä lle erleben. Die wirklichen Schwierigkeiten beginnen erst bei denen, die weniger vital, weniger überlegt, weniger strebsam und erfolgreich sind, als sie es ihren natürlichen kö rperlichen und geistigen Anlagen nach sein kö nnten, wenn sie ein physiologisch richtiges, natürliches Leben führen würden; sie empfinden das Bedürfnis nicht, ihre sich selber aufgebürdete, aus ihren verkehrten Lebensbedingungen entstandene Last abzuwerfen, weil ihnen ihr Zustand gar nicht als anormal erscheint. Der durchschnittliche Mensch ist eben ein seltsames Wesen, und merkwürdigerweise besitzt nicht jeder den berühmten gesunden Menschenverstand. Auf alle Fä lle trifft man nicht oft die Begabung und den Sinn für Gesundheitsfragen Wenn einer nicht wirklich in tiefer Not steckt, hä lt es schwer, ihn davon zu überzeugen, daßseine Lebensweise verkehrt ist. Und sogar wenn er sich davon überzeugen lä ßt, wird er meistens der Macht der Gewohnheit nachgeben und in seinen anerkanntermaßen verkehrten Lebensgewohnheiten verharren. Wahrscheinlich gilt das für neunundneunzig Prozent der ganzen Menschheit. Der Kranke mußinfolgedessen bis zu dem Punkte geführt werden, wo er zur Wiedererlangung einer normalen physischen und psychischen Vitalitä t und Gesundheit selber zu arbeiten beginnt; von diesem Augenblick an liegt es in seiner eigenen Hand, allmä hlich bis zu einem vibrierenden, lebendigen Glauben durchzudringen; ohne diese große Arbeit bleibt er bald am Wegrand liegen. Sollte ich nun aber von denen, die ihre selbstaufgeladene Last als beschwerlich erkannt haben, gefragt werden, wie sie es denn anstellen sollen, sich davon zu befreien, 146
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was zu tun und was zu lassen ist, und womit und wann man beginnen soll, so ist die einzige logische Antwort: Sofort! Sofort, aber allmä hlich! Der Neuling ist dabei zwei Gefahren ausgesetzt. Entweder nimmt er die Neuordnung seiner Lebensgewohnheiten mit solcher Vehemenz in Angriff und ä ndert von einem Tage zum andern seine Lebensweise so gründlich, daßsein entkrä fteter Kö rper infolge der Heftigkeit der Umstellung tiefgehende Stö rungen erleidet; oder er nimmt die Umstellung so zimperlich und matten Herzens und immer wieder abbrechend in Angriff, daß sein kraftloser Kö rper zwar keinen Schock, aber auch keinen Vorteil davon empfä ngt. Beide Methoden der Anpassung an die neuerkannten Grundsä tze sind natürlich vollkommen falsch. Wer seine Lebensgewohnheiten sinnvoll neugestalten will, sollte vor allem der Tatsache eingedenk bleiben, daßder Kö rper sich nicht radikalen Änderungen seiner Lebensgewohnheiten von einem Augenblick zum andern anpassen kann, auch wenn er dadurch zu der einzig richtigen Lebensweise gelangt. Die Umgestaltung von Gewohnheiten muß langsam, aber beharrlich durchgefü hrt werden. Eine Pflanze, welche in falschem Boden wä chst, an einer Stelle, zu der die Sonnenstrahlen keinen Zutritt haben, wird besser gedeihen, sobald man sie in andere Erde verpflanzt und sobald die Sonne sie bescheinen kann. Aber um diese Verpflanzung zu bewerkstelligen, darf man sie keinesfalls mit einem Ruck aus der Erde reißen und einfach in ein neues Loch im Boden stecken, auch wenn es der beste Nä hrboden der Welt ist; auch darf man sie nach der Verpflanzung nicht gleich unvermittelt und schutzlos den heißen Sonnenstrahlen aussetzen. Um ein gutes Ergebnis zu erhalten, mußsolch eine Umpflanzung vielmehr mit großer Sorgfalt und Zartheit geschehen. So darf aber auch die Menschenpflanze, die in einem ihr nicht zusagenden Erdreich falscher physischer und psychischer Lebensgewohnheiten nicht gedeihen kann, nur nach und nach in eine ihr besser entsprechende „Atmosphä re“ versetzt werden; sogar wenn ihre bisherigen Lebensgewohnheiten für sie verderblich waren, darf man diese Gewohnheiten nicht allzu plö tzlich ä ndern, weil gerade die verminderte Vitalitä t bei einer solchen Umstellung die grö ßte Vorsicht gebietet. Wird die Umstellung mit einem Schlage vorgenommen, dann sind ihre Wirkungen in jedem Fall gefä hrlich, in vielen Fä llen zerstö rend. Die Natur ist in ihren Anpassungen langsam. Sie wechselt nicht über Nacht, auch nicht von einer falschen Gewohnheit zu einer richtigen. Plö tzliche Verä nderungen stiften bei raschen Enthusiasten oft Unheil, so wohltuend die Wirkungen bei vorsichtiger, schrittweiser Anpassung sein kö nnen. Das gilt schon für Gesunde, trifft aber in noch hö herem Maße bei chronisch Kranken zu. Chronisch Kranke sind aber selten geduldig und ausdauernd. Und doch kann ihre Heilung nur langsam vor sich gehen, weil ihre Erkrankung auch nur ein langsamer Prozeßwar. Der Kö rper wird tä glich teilweise abgebrochen und teilweise wieder neu aufgebaut. Wenn die Lebensgewohnheiten nicht mehr im Einklang mit den Gesetzen der Natur stehen, werden die abgebrochenen Zellen bestä ndig durch Zellen geringeren Wertes ersetzt; auf diese Weise wird der Kö rper nach und nach chronisch krank. Ändert man aber die Lebensweise und paßt man die Gewohnheiten wiederum den gesunden Gesetzen der Natur an, so werden die sich tä glich verbrauchenden Zellen allmä hlich durch vollkommene Zellen ersetzt. Dieser Prozeß muß in langsamen Ü bergä ngen stattfinden, sonst führt er zum Zusammenbruch des ganzen Kö rpers. Mit der Zeit jedoch vermehren sich die vollkommenen Zellen im Verhä ltnis zum Ganzen, und mit ihrer Zunahme 147
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wä chst auch das Wohlbefinden und die Ü berzeugung wiederkehrender Gesundheit. Von diesem Zeitpunkt an wird die Genesung rascher vorwä rtsschreiten, weil sie erwartet wird. Die Natur lä ßt sich nicht hetzen und jagen. Unsere Aufgabe besteht darin, in ihre Art einzudringen und uns ihren Willen in kleinen, allmä hlichen Steigerungen zu eigen zu machen; man mußihr Zeit lassen, dann wird man die Wunder erleben, die sie im stillen vorbereitet. Nicht besser als dem Ü bereifrigen geht es dem ä ngstlichen, allzu vorsichtigen Experimentator, der heute irgendeine kleine Änderung in seiner Lebensweise vornimmt, morgen aber schon vergißt, sie zu wiederholen, und vielleicht auch noch an mehreren folgenden Tagen die kleine neuzuerwerbende Gewohnheit unterlä ßt. Hernach wird er sich vielleicht ihrer erinnern und sie wieder hervorholen, dann aber von neuem vernachlä ssigen und vergessen, und so endlos weiter. Ein solcher Mensch wird wahrscheinlich zu dem Schlusse gelangen, daßes „keinen Wert hat, sich umzustellen“ , weil die Umstellung, wie er sie betreibt, ihm ja tatsä chlich keine Besserung bringt. Die richtige Methode ist die, sich einen Verhaltungsplan auszudenken, einen Plan der allmä hlichen Hinüberleitung falscher Gewohnheiten in den Kanal der guten, zuverlä ssigen Lebensweise. Wichtig sind dabei vor allem Bestä ndigkeit und Regelmä ßigkeit, sodann schrittweises Vorgehen; denn es wä re ein Fehler, wenn jemand gleich zu Beginn schon jenen Punkt als nä chstes Ziel ins Auge fassen würde, auf dem zum Beispiel ich selbst mich jetzt nach mehr als dreißig langen Jahren der Erfahrung im Aufbau neuer Lebensgewohnheiten befinde; eine so verkehrte Zielsetzung hä tte nicht viel Aussicht auf wirklichen Erfolg. Man stelle sich im Gegenteil zum Beginn keine große Aufgabe; aber was man einmal zu verä ndern sich vorgenommen hat, das halte man eisern durch; alle paar Tage kann die Verä nderung dann um ein weniges erweitert und vertieft werden und an Ausführungskraft zunehmen, bis der gewünschte Punkt erreicht ist, wo die physiologische Grenze, die Erschö pfungsgrenze liegt, die nicht überschritten werden darf. Haut, Muskeln und Verdauungsapparat müssen geduldig und folgerichtig in die neuen Lebensgewohnheiten hineingeführt werden. Gleichzeitig ist auf die Stä rkung des Geistes- und Seelenlebens zu achten. Der Geist mußsich — oft in mühevoller Kleinarbeit — so weit emporarbeiten, bis er jeden in ihm aufsteigenden trüben, niederdrückenden Gedanken nach Erfordernis ausschalten kann, er muß sich bewußt auf Bilder und Gedanken richten, welche in den Farben der Hoffnung und des Glaubens glä nzen, und bestä ndig nur das Beste festhalten. Leider ist der durchschnittliche Mensch im allgemeinen nicht zielsicher und ausgeglichen genug, um ein solches Programm lä ngere Zeit hindurch in allen Punkten auszuführen. Entweder lä ßt er sich aufs Geratewohl von jeder Strö mung mit fortreißen, oder er bleibt ewig im Schwanken. Wir geben diese Schwä che indirekt zu, wenn wir das selbstsichere, scheinbar unfühlende Wesen primitiver Vö lker bewundern, deren Nervenkontrolle vollkommen ist. Unser Hauptaugenmerk mußdeshalb auf die Lage des durchschnittlichen, unausgeglichenen Menschen gerichtet bleiben. Die allerbeste Lö sung für ihn scheint darin zu liegen, daß er zuerst die Normalisierung einer einzelnen Kette unternimmt, mit der Zeit jedoch vorsichtig dazu übergeht, auch eine zweite und spä ter noch die dritte langsam, ausdauernd und steigernd zu bearbeiten. Hat er so die drei Reflexketten der Ernä hrung, der Muskeln und der Haut gewissenhaft zu ihrer grö ßtmö glichen Leistungsfä higkeit entwickelt, so werden die beiden übrigen Ketten von selbst zu normaler 148
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Tä tigkeit gebracht. Dieses Vorgehen führt nach meinen Erfahrungen am zuverlä ssigsten zu den sicheren und wachsenden Erfolgen, die die Grundlage für das neue Leben bilden sollen. Allerdings geschieht es leider nur zu hä ufig, daßder Mensch sich schon nach kurzem Bemühen mit dem Errungenen zufrieden gibt; seine Phantasie reicht oft nicht weit genug, um ihm die Vorteile weiterer Entwicklung auszumalen. Mit welcher Reflexkette sollen wir nun aber die Normalisierung unseres Kö rpers beginnen, wenn zu Anfang bloßeine einzige gewä hlt wird? Ich antworte ohne zu zö gern: mit der Magen – Darmkette, der Reflexkette der Ernä hrung. Natürlich kann auch diese Reflexkette, wie vollkommene Anregung man ihr auch zu bieten trachtet, nie in sich selber vollkommen werden, bevor nicht alle anderen Reflexketten vollkommen auf sie einwirken; denn sie bleibt ja den Einflüssen der andern Reflexketten ausgesetzt, und alle darin wirkenden unnatürlichen Reflexe werden durch das Nervensystem auf sie übertragen und ausgestrahlt und hindern sie dadurch an der endgültigen Vervollkommnung ihrer Funktionen. Aber auf alle Fä lle kann der Kö rper durch den Tausch von unnatürlicher, energiearmer Nahrung gegen natürliche, lebendige Kost zum mindesten neue Lebenskrä fte gewinnen. Immerhin ist auch hier noch Vorsicht am Platze. Denn der Diä t eine übermä ßige Beachtung zu schenken, heißt andererseits, ihr die Mö glichkeit eines normalisierenden Einflusses auf die Kö rperfunktion von vornherein zu nehmen. Man kann sich allerdings fragen, ob falsche Ernä hrungsgewohnheiten oder verkehrte Haut- und Muskelpflege den Menschen rascher zugrunderichten, ob also, wenn beispielsweise die Diä t einwandfrei ist und nur die Haut und die Muskeln vernachlä ssigt werden, dieselbe Person wä hrend lä ngerer Zeit gesund bleibt, als wenn sie etwa Diä t und Haut vernachlä ssigt, dafür aber die Muskeln entwickelt. Das muß dahingestellt bleiben. Langatmige theoretische Feststellungen haben in dieser Sache nicht den geringsten praktischen Wert. Aber wer durchdringen will, der benutze seinen gesunden Menschenverstand und die ihm vom Schö pfer verliehene Energie, um seine Lebensweise vorsichtig und allmä hlich umzustellen, dabei Exzesse zu vermeiden und trotz der damit verbundenen scheinbaren Unbequemlichkeiten durchzuhalten, bis alle Krankheiten und Leiden (und nach und nach jegliche Anlage dazu) in ihm verschwinden. Das muß ihm gelingen, wenn er es richtig anpackt, es sei denn, er beginne zu spä t damit. Der Mensch darf sogar bis zu einem gewissen Grade die innere Grenze der Naturvorschriften überschreiten, ohne sich zu schaden, nur mußer der ä ußeren Abgrenzung immer eingedenk bleiben und mußoft und regelmä ßig wieder zu den vollen Vorschriften zurückkehren. Denn die Natur hat uns mit einer Ü berfülle funktioneller Vitalitä t versehen, dank deren es mö glich ist, einen sozusagen vollkommenen kö rperlichen Zustand zu erreichen und aufrechtzuerhalten, auch wenn wir ihr bloßzur Hä lfte entgegenkommen. Sie spendet so überschwenglich, daßimmer wieder ein Spielraum zwischen dem hohen Ideal und dem, was der Mensch leistet, bestehen bleiben darf. Zum Gesetz der vorsichtigen Umstellung gehö rt aber noch eine andere Vorschrift, nä mlich die der zeitweiligen Unterbrechung: das Spiel der Aktion und der Reaktion. Arbeit und Rast, Beschä ftigung und Ruhe — das eine ist so notwendig und wichtig wie das andere und das eine wie das andere auf alle Funktionen des Kö rpers zu beziehen. Aus dem Bestehen dieses Naturgesetzes wird ersichtlich, daßzwar jede Kö rperfunktion ausgeführt werden muß, wenn der Kö rper bestä ndig gesund bleiben soll, daß aber in der Arbeitsanstrengung eines jeden funktionierenden Teiles die Unterbre149
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chungsperioden von ebenso großer Bedeutung sind. Der Mensch muß oft und regelmä ßig geistig und kö rperlich in seinen Anstrengungen nachlassen, mußdie Aufregungen zum Schweigen bringen und in der warmen Umarmung des Unendlichen ausruhend wissen, daß alles von einer hö heren Macht zu einem guten Ende geführt wird. Auch diese innere Haltung wird von den Gesetzen seines kö rperlichen Daseins gefordert. Alle verheerenden Ergebnisse sind natürlich kumulativ, das heißt, sie steigern sich langsam und machen sich keineswegs auch schon nach kurzer Vernachlä ssigung bemerkbar. Das wä re nicht der Weg der Natur. Bevor Symptome auftreten, die bereits Aufmerksamkeit erregen, sind ihre Ursachen schon lange, gewö hnlich schon viele Jahre hindurch, am Werk gewesen. Aus diesem Grunde zeigen sich die meisten Krankheitsanzeichen erst im mittleren Alter oder bald danach. Viel mehr Leute denn je in der Menschheitsgeschichte leben heutzutage „gut“ und machen sich zu wenig Bewegung. Darum sind die Herz- und Arterienkrankheiten, die Nieren-, Leber- und Gallenblasenleiden, die Erkrankungen des Hirns und des Nervensystems bestä ndig im Zunehmen begriffen, was am einleuchtendsten aus den Aufstellungen der Lebensversicherungsgesellschaften hervorgeht. Aus dem gleichen Grunde werden auch immer jüngere Leute von diesen Erkrankungen ergriffen, die eigentlich Krankheiten des vorgerückten Alters sind. Von gutunterrichteter Seite wird behauptet, daß allein in den Vereinigten Staaten jä hrlich 65 000 junge Menschen unter vierzig Jahren an diesen Alterskrankheiten sterben, die, wenn man sie überhaupt als allgemeines Menschenlos ansehen will, nicht vor dem siebzigsten — achtzigsten — neunzigsten — hundertsten Jahr oder noch spä ter zu erwarten sein sollten. Da es aber einen Weg zur Vermeidung dieser unnatürlichen und furchtbaren Erscheinungen gibt — welche Schande für uns Ärzte, die wir unser Leben der Erforschung der Frage kö rperlicher Gesundheit widmen, wenn unser eigener Kö rper unter Krankheiten leidet! Wir sollten mit uns selbst die heftigste Ungeduld empfinden, so oft wir an grö ßeren oder kleineren Beschwerden und Ü beln erkranken! Mattigkeit, Kopfschmerzen, Erkä ltungen, all das sind schreiende Anklagen gegen unsere Unwissenheit und Hilflosigkeit. Wir sind nicht, was wir sein sollten: Diener der Gesundheit. Wir geben freilich auch nicht vor, es zu sein. Wir geben vor, Krankenä rzte zu sein, und wir sind es. Wir behandeln Krankheiten und denken über Krankheiten nach. Wir handeln nicht für die Gesundheit, und unser Denken behandeln nicht die Gesundheit und sieht die Dinge nicht vom Standpunkt der Gesundheit aus. Und doch gibt es gewiß kaum einen unter uns, der nicht die krankheitbildende und gesundheitsfö rdernde Kraft des Gedankens an sich oder andern schon einmal erfahren hä tte. Das sind aber Dinge, die auch der Laie entdecken kann. Kä me er doch endlich zur Erkenntnis, daßdie Haltung der sogenannten „ä rztlichen Autoritä ten“ von Jahr zu Jahr wechselt — er gä be sicherlich seinen Autoritä tsglauben auf und begä nne endlich selber zu beobachten und nachzudenken. Sobald man selbst beobachtet und unnachsichtig und furchtlos alle vorgefaßten und übernommenen Ideen in den Schmelztiegel des eigenen scharfen Denkens wirft, gelangt man zwangslä ufig zu dem Schlusse, daßdie Natur uns alle gesund haben will; daraus kö nnen wir folgern — und die Beobachtung gibt uns recht — , daßsie uns auch mit allem Notwendigen ausgestattet hat, um uns diese Gesundheit zu erhalten und zu gewä hrleisten. Ihre Mitgift ist immer einfach! Kö nnen wir uns überhaupt eine einfachere Lebensregel denken als die Vorschrift, daß wir aufhö ren sollen zu tun, was uns im Augenblick beliebt, und dafür jederzeit tun, 150
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was uns zu tun verordnet ist; es sei denn, daßdas, was wir zu tun wünschen, sich mit dem deckt, was wir tun sollen. Der Leser mö ge mich recht verstehen; ich nehme nicht Stellung gegen den ä rztlichen Beruf. Die heutigen Ärzte sehen ihre Aufgabe darin, den kranken Kö rper und die gebrochenen Glieder wieder zu heilen und zu flicken, und die Arbeiter dieses Berufs erfüllen ihre Pflicht, so gut sie es kö nnen und unter Anwendung aller ihnen bekannten Kunstgriffe. Was ich hier sagen will, ist, daßdie Zeit kommen muß, und hoffentlich früher kommt, als wir es jetzt voraussehen kö nnen, da Ärzte dafür bezahlt werden, daß sie die Leute darüber belehren, wie sie durch Anwendung natürlicher Mittel gesund bleiben kö nnen. Aber diese Zeit kann freilich erst dann anbrechen, wenn die Menschen genügende Einsicht gewonnen haben, um nach einer solchen Leitung selber zu verlangen. Der Zweck dieses Buches ist, einer solchen Zeit den Weg zu bahnen. Wer die künstlichen, das heißt, unnatürlichen Methoden der heutigen Medizin anklagt, darf nicht vergessen, daßdie medizinische Praxis nicht weiter vorgeschritten sein kann, als das Publikum mitzumachen fä hig und gewillt ist; der Arzt, der allein die neuen Wege zu gehen sucht, mußgewö hnlich verhungern. Die Leute holen sich ja nicht Ratschlä ge darüber, wie sie leben sollten, um immer gesund zu bleiben. Sie wollen vielmehr der Eingebung ihrer lieben Wünsche folgen und die Ärzte dafür bezahlen, daß diese sie von den Folgen dieser Lebensweise befreien; die Ärzte dürfen ihnen aber nicht etwa Verhaltungsmaßregeln für ein vernünftigeres Leben geben, sondern müssen ihnen schnellwirkende Medizinen verschreiben, die ihnen erlauben, in Kürze ihre tö richten Gewohnheiten wieder aufzunehmen. Vor wenigen Jahren erlebte ich einen eindrucksvollen Beweis für diese Tatsache. Von einem andern Arzte war ein Geistlicher zu mir gesandt worden; er war über tausend Meilen weit gereist, um mich zu konsultieren. Da er mir ungewö hnlich intelligent schien, nahm ich an, daßich es wagen dürfte, ihm zu sagen, wie er sich in dauernde Gesundheit hineinleben kö nne. Obwohl mein Wartezimmer mit Patienten gefüllt war, nahm ich mir zwei Stunden Zeit, um ihm zu beschreiben, wie er sich von nun an verhalten müsse. Er hatte sich bereits verabschiedet und stand draußen im Gang, als er umkehrte und seinen Kopf noch einmal zur Türe hereinstreckte mit der Frage: „Ü brigens, Herr Doktor, bin ich Ihnen etwas schuldig?“ Ich bedeutete ihm, zurückzukommen, und sagte dann: „Setzen Sie sich noch einen Augenblick. Sagen Sie mir einmal, warum Sie eigentlich daran zweifeln, daß Sie mir etwas schuldig sind?“ Seine Antwort: „Ich weißes wirklich selber nicht; vielleicht weil , . . Sie mir nichts verschrieben haben.“ Darauf ich: „Hatte ich Ihre Zunge angeschaut, Ihren Puls gefühlt, Ihren Unterleib abgetastet, Sie einige Dinge gefragt und Ihnen ein lateinisches Rezept aufgeschrieben, so hä tten Sie mir dafür mit Vergnügen fünf oder zehn Dollar gezahlt, sogar wenn das Mittel, das ich Ihnen im Rezept verschrieb, noch weitere drei Dollar gekostet hä tte; stimmt das?“ — „Ja, ich glaube, Sie haben recht“ , antwortete er. — Ich erwiderte: „Aber wenn ich zwei Stunden meiner Zeit und der Zeit meiner Patienten hergebe und versuche, Ihnen zu erklä ren, wie Sie gesund werden und bleiben kö nnen, indem Sie einfach Gottes Medizin, die nichts kostet, einnehmen, so denken Sie, daßich kein Honorar dafür brauche?“ Worauf er meinte: „0h, von dieser Seite habe ich die Sache gar nicht angesehen.“ — Hieraus ist ersichtlich, gegen welche Einstellung der Arzt zu kä mpfen hat. Der durchschnittliche Patient wird, wenn sein Doktor ihm bloß gute Ratschlä ge erteilt, unverzüglich zu einem andern, einem „vernünftigen“ Arzt gehen, der ihm etwas zum Einnehmen verschreibt. Auf diesem Gebiet habe ich hö chst merk151
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würdige Erfahrungen gesammelt. Ich weiß, daßes vielerorts Ärzte gibt, die mit Natursinn begabt sind und sich mit den hier erö rterten Problemen beschä ftigen. Sie sind es satt, nichts weiter als Flickschuster einer nachlä ssigen Kundschaft zu sein, und ihre Ahnung zeigt ihnen ein hö heres Ideal, dem sie sich entgegensehnen. Wie gerne hülfe ich ihnen mit meiner Erfahrung, es zu erreichen! Und nun, Leser, noch ein letztes Wort. Hüte die kleine Flamme wohl, die dir zum Verstä ndnis des weisen Buches der Natur leuchten soll, und trachte, zum mindesten seine erste Lektion eingehend zu studieren, nä mlich die, daß du es deinem Kö rper schuldig bist, ihm die Sorgfalt und Pflege angedeihen zu lassen, die er zur Entwicklung seines vollkommenen Zustandes benö tigt. Du schuldest ihm diese Sorgfalt, weil du sie dem Schö pfer dieses vollkommenen Kö rpers schuldest. Du schuldest sie aber ebensosehr deiner Seele und deinem Geiste, denn für sie beide soll dein physischer Kö rper Behausung und Tempel sein. Es gilt den Weg zu finden, welcher zu der von Gott geplanten Vollkommenheit unseres Kö rpers führt und damit zugleich auch der Weg zu natürlicher Immunitä t gegen Krankheit ist. Aber jede durch menschliche Kunst ausgebaute Straße ist eine falsche Straße und führt nicht zum Ziel. Der einzige Weg, der direkt zum erstrebten Ziel der dauernden Gesundheit führt, ist der Weg der Natur. Leicht und mühelos ist er nicht. Aber die Anstrengung, die das Wandern auf diesem Wege dem Menschen auferlegt, ist die Erzeugerin eines Stromes, der uns in die Gewä sser der hö chsten Lebensharmonie trä gt. Sind wir doch nur ein Teil der mannigfaltigen Erscheinungswelt und folgen bloß den tiefsten Bedürfnissen unseres Wesens, wenn wir auf den Pfaden der Natur wandeln. Welches ist denn der Weg der Natur? Ich kö nnte erwidern, daßer alles ist, was die Zivilisation nicht ist *. Besser aber ist die Antwort: „Erforsche den Weg der Natur selber in ihrem allzeit offenen Buche.“ Ein Funken aus der Quelle aller Erleuchtung ist uns zu dieser Forschungsarbeit gegeben worden: unsere Intelligenz. Wir sollen in diesem Lichte den uns vorgezeichneten Weg suchen und finden und darauf unseren Kö rper zu der für ihn geplanten Vollkommenheit führen, um mö glichst viel aus ihm — nicht etwa für ihn — machen zu kö nnen. Niemand darf im Ernste glauben, daßKrankheit und Leiden eine hö here Gerechtigkeit hervorbringen; hö chstens mö gen sie in manchen Fä llen imstande sein, unsere Augen für die Verkehrtheit unserer Lebensgewohnheiten zu ö ffnen. Krankheit mag Resignation entwickeln, aber das ist der gerade Gegensatz zu Geistigkeit. Es wä re reine Lä sterung, dem Willen Gottes, dem wir uns selbstverstä ndlich unterordnen müssen, die Verantwortung für ein Leiden zuzuschreiben, das wir uns selber durch unsere willkürliche Lebensweise zugezogen haben. Resignation ist negativ; hö here Geistigkeit, das heißt Glaube, ist durchaus positiv und kann nur aus überquellender Gesundheit fließen. Für alle diejenigen, deren Gesundheit nicht jeder Probe standhä lt, ist Glaube ein Kampf; aber dem an Geist und Kö rper vollstä ndig Gesunden ist er selbstverstä ndliche Lebensä ußerung. Diesen erleuchteten, alles besiegenden Glauben müssen wir, wollen wir an die Stelle gotteslä sterlicher und negativer Resignation treten lassen, die alles selbstverschuldete Leiden Gott zur Last legen mö chte. Vergleiche das Nachwort des Herausgebers auf Seite 284 f. 152
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Nie mehr krank sein heißt zwar nicht, ewig leben. aber es heißt, sich immer wohl fühlen, solange man lebt, und es bedeutet, daßder Tod still und schmerzlos kommt, in hohem Alter, sanft und freundlich wie sein Bruder, der Schlaf. Es heißt auch, daßman viele und lange Jahre frei von geistigen oder kö rperlichen Unzulä nglichkeiten und Beschwerden verbringen darf und bis ins hö chste Alter mit der angesammelten Weisheit und dem erworbenen Scharfblick der Erfahrung der Menschheit dienen, die jüngeren Menschen inspirieren und leiten wird, für Familie, Freunde und Mitmenschen keine Last, sondern eine bestä ndig wachsende Wohltat ist. Also nochmals, lieber Leser — und damit nehme ich Abschied von dir — , hüte die kleine Flamme!
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Nachwort des Herausgebers Der Satz, daßNatur alles ist, was Zivilisation nicht ist (siehe Seite 282), stimmt ohne Zweifel, und wenn der heutige Mensch die Fä higkeit, aus erlebter und selbstdurchdachter Anschauung zu denken, nicht viel zu wenig entwickelt hä tte, wä re nicht zu befürchten, daßdie meisten daraus den „Kurzschluß“ ziehen werden, es sei nun alles zu verwerfen, was Zivilisation ist, und alles anzunehmen, was Natur ist. Wir sind in die Zivilisation hineingestellt und kö nnen sie nicht wegwerfen. Wir sollen auch nie und nimmer Natur-, sondern Kulturmenschen werden, doch daß wir dies noch nicht wirklich sind, dürfte dem, der das Buch Jacksons gelesen hat, nicht entgangen sein. Es ergibt sich daraus eine außerordentlich wichtige Aufgabe, die unserer Zeit gestellt ist, die aber nicht nur vom Arzte zu lö sen ist, sondern vom Pä dagogen, Soziologen, Wirtschaftskundigen, Techniker, Landwirt und Praktiker, nä mlich die Aufgabe, den Weg zu finden, auf welchem im Rahmen unserer modernen, ja modernsten Zivilisation praktisch den ewigen und unabdinglichen Gesetzen des Lebens genü gt werden kann. Das bedeutet nichts weniger, als Natur und Zivilisation, die beiden unversö hnlichen Antagonisten, zur Zusammenarbeit zu bringen, um das Ziel einer neuen Kultur zu verwirklichen. „Unmö glich!“ werden viele ausrufen. Hat man aber die Aufgabe schon einmal angepackt, ist sie auch nur ernstlich ins Auge gefaßt worden? Haben sich Forschung und Praxis, die ja bekanntlich meistens das finden und verwirklichen, was sie wirklich suchen und wollen, ihr schon einmal zugewandt? Ich kann diese Fragen beantworten, weil sie mich seit fünfzehn Jahren beschä ftigen: Nein, dieses an praktischer Bedeutung kaum erreichte Grundproblem unseres Zeitalters ist noch fast nicht gesehen und deshalb sehr vernachlä ssigt worden. Es ist hier wie auf so vielen andern Gebieten in unserem Zeitalter des Kulturumbruchs: man steht vor scheinbar unlö sbaren Gegensä tzen, und es bedarf nur eines neuen, übergeordneten Gesichtspunktes, damit diese Antagonismen sich nicht etwa versö hnen oder ausgleichen (das wä re unmö glich), sondern in wechselweisem Zusammenwirken die Synthese eines neuen hohen Wertes vollbringen, in diesem Falle die Synthese der Grundlage einer neuen, vielleicht der bevorstehenden Kultur. Es ist da eine Welt zu entdecken, denn auf allen diesen Gebieten, dem pä dagogischen, dem sozialen, technischen, volks- und landwirtschaftlichen wie auch dem physiologischen, liegen bereits Lö sungsmö glichkeiten, in der Regel als unwichtig beiseite gelassen, vor, die von dem neuen Gesichtspunkt aus eine teils beschrä nkte, teils umfassende, teils unabsehbare Bedeutung erhalten, welche nun endlich kritisch erwogen, geprüft, durchdacht, gesammelt und zu einem Ganzen vereinigt werden sollten. Als ich einst eine kleine Studie schreiben wollte über die Frage, wie der heutige Mensch als hochspezialisiertes Zivilisationswesen in seinem Dasein die Grundsä tze eines naturnahen, den Lebensgesetzen entsprechenden Lebens verwirklichen kö nne, wuchs diese Aufgabe unter der Hand an Umfang und Fruchtbarkeit ins Unabsehbare. Doch obwohl sie die Mö glichkeiten eines einzelnen zu übersteigen schien, suchte ich sie, so gut es ging, zu bewä ltigen. Das Ergebnis meiner bisherigen Bemühungen ist unter dem Titel „Lebenswerte Gegenwart — Doppelgesicht der Not“ (DeukalionVerlag) verö ffentlicht worden.
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Zweites Nachwort zur Beantwortung einiger Fragen, die ö fters an den Herausgeber gestellt werden Dr. Jacksons Gesundheitslehre ist geistig nicht in Amerika beheimatet, sondern in Europa. Im Grunde ist sie uralt; aber in Europa hat man in den letzten fünfzig Jahren eine grö ßere Durchdringung mit wissenschaftlichem Ernst erreicht und kann auf umfassender Erfahrungen greifen als irgendwo. Darum wä re es nicht schwer gewesen, die Darlegungen Dr. Jacksons an vielen Stellen durch wertvolle Beispiele, verfeinerte Begründungen und glä nzendere Beweise zu ergä nzen. Der Hauptwert seines Buches liegt aber in der Ü bereinstimmung von Wort und Tat: es findet seine glaubwürdige Bestä tigung in der Lebensführung des Verfassers selbst. Ü berdies ist es ausgezeichnet geschrieben. So konnte die Aufgabe des Herausgebers nur darin bestehen, es zu kondensieren, um es besser zur Geltung zu bringen. Vielleicht wä re da und dort, wie Fragen von Lesern zeigen, eine Anmerkung mehr anzubringen gewesen. Dies soll im folgenden nachgeholt werden. Einiges Ungemach bereiten vor allem die „Unverträ glichkeitstabellen“ auf Seiten 187 bis 190, wenn der Leser zur Anwendung schreitet. Um die Gesundheit nicht zu beeinträ chtigen, wird empfohlen, bestimmte Speisegruppen bei ein und derselben Mahlzeit nicht gemeinsam zu verwenden. Liest man aufmerksam, so findet man allerdings, daßDr. Jackson diese Tabellen mehr als Anregung aufführt, keine strikte Observanz verlangt und die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Wesentliche lenkt: die Nahrung sei mö glichst naturnah und schlicht zu wä hlen. Praktisch haben die Tabellen aber den Nachteil, daßsie die Durchführung der Diä t komplizieren und eben doch vom Wesentlichen ablenken. Wir kennen keine ausreichende Begründung für die von Dr. Jackson behauptete Unverträ glichkeit der Speisegruppen außer in verhä ltnismä ßig seltenen Fä llen von ausgeprä gten allergischen Stö rungen. Vielleicht war Dr. Jackson selbst in solchem Falle. Es wä re dann aber nicht gerechtfertigt, diese Selbstbeobachtungen auf die Allgemeinheit zu übertragen, und es wä re schade, wenn andere deswegen auf so natürliche und schö ne Geschmackszusammenklä nge wie Apfel und Brot, Habermus und Milch oder Kartoffeln und Quark oder Kä se verzichten müßten, die in alten Zeiten und bei gesündesten Vö lkern Grundkost waren. Es liegt dafür keine Notwendigkeit vor, wenn es auch eine ganz gute Idee ist, versuchsweise einmal von ganz ungemischter Kost zu leben und nach Pfahlbauersitte jede Speise für sich in den Mund zu nehmen und zu Ende zu kauen, damit der Gaumen wieder zum Werkzeug untrüglichen Instinktes werden kann. Wenn wir hier die sogenannten Unverträ glichkeiten nicht beobachten konnten, so liegt dies vor allem daran, daßwir von der einfachen Regel ausgingen: Jede Mahlzeit mit lebensfrischer Nahrung beginnen, im nü chternen Magen, bis zur Stillung des besten Appetits. Pflanzliche Rohnahrung enthä lt nä mlich in reichlichen Mengen zelleigene Enzyme, das sind Wirkstoffe, die sehr leicht zugrundegehen und darum lange für bedeutungslos gehalten wurden, weil man annahm, sie würden durch die Magensä fte ohnehin zerstö rt. Heute weißman aber, daßsie dank eigenartiger Schutzvorrichtungen unversehrt in den Darm gelangen und im Colon dadurch Bedeutung erhalten, daßsie intensiv den vorhandenen Sauerstoff an sich reißen. Sie stellen also eine anä robe Umwelt her, die nö tig. ist, um die verdauungsfö rdernde Bakterienflora gedeihen und die Fä ulniserreger und Darmgifterzeuger verkümmern zu lassen, und sie bewirken so auf 155
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eine wunderbar einfache Weise jene Umstimmung der Darmbakterienflora, die man mit so vielen künstlichen Mitteln zu erreichen versucht. Wie großdie Bedeutung einer solchen Umstimmung für die Gesundung ist, darüber ist heute kein Wort mehr zu verlieren. Unter nicht allzu ungünstigen Umstä nden scheint eine bescheidene Menge Rohnahrung zu genügen, um diesen Effekt zu erreichen, wenn sie zu Beginn der Mahlzeit in nü chternen Magen kommt. Wunderbarerweise scheint dies dem Nervensystem „bewußt“ zu sein, denn dann und nur dann, wenn zu Beginn der Mahlzeit eine gewisse Menge Rohnahrung die Geschmacksnerven passiert, unterbleibt das, was man die physiologische Verdauungsleukozytose nennt, d. h. ein Grenzschutzaufgebot der weißen Blutkö rperchen in die Darmwand. Eine solche „Grenzbesetzung“ ist ja dann tatsä chlich unnö tig, weil für ein sauerstofffreies Darmmilieu gesorgt ist, in welchem die giftproduzierenden Bakterien nicht gedeihen. Diese Zusammenhä nge sind erst in den letzten Jahren erforscht worden und waren Dr. Jackson noch nicht bekannt. Man befolge also die erwä hnte Regel, die von Dr. Bircher-Benner vor dreiundfünfzig Jahren auf Grund seiner Beobachtungen aufgestellt wurde; man erreicht damit eine erhebliche Vereinfachung und einen stä rkeren Auftrieb der Gesundungskrä fte. Es wird oft gefragt, wo „Rö merkost“ und „Malzmilch“ hierzulande erhä ltlich seien oder was man an deren Stellen nehmen kö nne. „Rö merkost“ („Roman meal“ ) ist einfach alte Schweizerkost, nä mlich Kornmus. Man beziehe von einem Reformhaus gewaschenen Ganzweizen und mahle ihn in der kleinen schwedischen Kornmühle (siehe Ackerbaustelle), mühsamer in der Kaffeemühle, fixer im Turmix, oder man lasse sich von einer Mühle (z. B. Mühle Tiefenbrunnen - Zürich) frischgemahlenen Vollweizen kommen, weiche über Nacht ein (4 Eßlö ffel Wasser auf 50 g Korn) und genieße das Mehl so, unerhitzt, in Milch oder mit Obst. Ansteckung mit dem Strahlenpilz ist nach neuerer Forschung (Lentze) bei Rohgetreidebrei nicht zu befürchten. Man kann den Brei aber auch kurz kochen und nachbrodeln lassen. Das schmeckt ausgezeichnet und gibt eine Sä ttigung, die sehr viel lä nger anhä lt als jene von Kaffee, Weggli, Butter und Konfitüre. Unsere schweizerische Mandelmilch (Nuxo oder Phag) ist der amerikanischen Malzmilch vorzuziehen. Viele fragen nach dem Befinden und der Adresse von Dr. Jackson. Nach Nachrichten aus Kanada ist der Verfasser dieses Buches vor einigen Jahren hoch in den Achtzigern an einem Schlittschuhunfall, bei dem er hilflos liegenblieb und sich eine Lungenentzündung holte, gestorben. Es ist außerordentlich zu bedauern, daß seine hohe, jugendliche Gestalt nicht mehr unter den Lebenden ist und durch ihr Beispiel bis zum natürlichen Lebensende für seine Lehre zeugen und wirken kann. Unfall und Lungenentzündung waren und sind neben Altersschwä che natürliche Todesursachen der Ganzgesunden.
Wir sind froh, wenn Sie dieses hilfreiche Buch weiterempfehlen, um ihm eine recht große Verbreitung zu verschaffen. Ihre Freunde und Bekannten werden Ihnen dafür dankbar sein.
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