Nichts weiter als ein
Herz
Roman von Leni Behrendt
Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof r...
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Nichts weiter als ein
Herz
Roman von Leni Behrendt
Der Reiter, der auf seinem Trakehner gemächlich in den Gutshof ritt, horchte betroffen auf die zornige Stimme seines Onkels. Markig schallte sie durch die geöffneten Fenster der Rentmeisterei über den abendstillen Hof, und die Wortfetzen, die das Ohr des Lauschenden auffing, ließen vermuten, daß der Gutsherr mit einem seiner Untergebenen unbarmherzige Abrechnung hielt. Dann wandte der Blick des Reiters sich dem Burschen zu, der vom Stall her eilig auf ihn zukam. »Was ist denn los, Erwin? Wer wird da so erbärmlich heruntergepudelt?« »Ich glaube, es ist der Rentmeister, Herr Baron. Was mag der ausgefressen haben, daß unser Herr ihn so andonnert!« Damit nahm der Bursche das Pferd am Zügel und rannte mit ihm dem Stall zu. Der junge Mann sah ihm lachend nach und pirschte sich dann vorsichtig zum Fenster der Rentmeisterei. Drinnen stand der Gutsherr vor dem todblassen Rentmeister, auf dessen gebeugtes Haupt gerade die Schlußworte der Standpauke niederprasselten: »Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen, Sie Betrüger! Ich habe keine Lust, mich von einem ungetreuen Beamten an den Bettelstab bringen zu lassen. Und wenn nicht innerhalb drei Tagen das unterschlagene Geld auf meinem Tisch liegt, übergebe ich Sie rücksichtslos der Polizei -!« Damit wandte er sich zum Gehen. Gefolgt von seinem Neffen, der ein wenig abseits gestanden und den Zornesguß des Onkels mit Genugtuung angehört hatte. Jetzt sprang der Lauscher vom Fenster fort und verbarg sich hinter der Hausecke. Als die beiden Herren im Gutshaus verschwunden waren, betrat er die Rentmeisterei, wo der Rentmeister regungslos stand – ein Bild des Jammers! Er regte sich auch nicht, als der Eingetretene auf ihn zuging, ihn bei den Schultern packte und schüttelte.
»Menschenskind, Karbach, so kommen Sie doch zu sich!« Dann drückte er ihn in den nächsten Stuhl und betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Das scheint ja was Schönes zu sein, das Sie sich da eingebrockt haben, Sie Unglücksmensch.« Er schritt zu einem der großen Schränke, ergriff eine Kognakflasche nebst Glas und ging damit zu dem auf seinem Stuhl kauernden Mann zurück. »So, nun trinken Sie erst einmal.« Er hielt das gefüllte Gläschen hin, das in die zitternde Hand des Verstörten wanderte. Nachdem noch zwei weitere Schnäpse in die geengte Kehle gegossen waren, bekam das blasse Antlitz langsam Farbe. »Na also – «, nickte der junge Baron befriedigt, brachte die Flasche an ihren Platz zurück und setzte sich dem Rentmeister gegenüber. Karbach legte wie erschöpft den Kopf gegen die hohe Stuhllehne, und sein Gegenüber sah, wie sich dicke Tränen unter den Lidern hervorstahlen. »Herr Karbach, nun reißen Sie sich zusammen, ja!« sagte er energisch. »Sie sind doch sonst ein ganzer Kerl! Was also hat Sie so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht? Sprechen Sie – und ich will Ihnen zu helfen versuchen.« Ohne seine Stellung zu ändern, gab der Rentmeister Antwort – müde und gequält: »Mir ist nicht zu helfen, Herr Baron. Ihr Herr Onkel ist im Recht, wenn er mich mit Schimpf und Schande vom Hof jagt…« »Donnerwetter, Karbach, zum Rätselraten habe ich die Ruhe nicht! Nun mal raus mit der Sprache! Was hat es gegeben?« »Ich habe – hundert Mark – unterschlagen…« »Das ist allerdings fatal. In solchen Dingen versteht mein Onkel wenig Spaß. Sie sind doch sonst so ein korrekter Mensch. Was hat Sie zu diesem Fehlgriff bewogen?« Der Rentmeister richtete sich auf und fuhr sich hastig über die Augen.
»Was mich dazu zwang, war bittere Not. Wollen Sie mir das glauben, Herr Baron?« »Unbedingt.« »Ich danke Ihnen. Vor einer Woche starb nämlich der Bruder meiner Braut. Wie Sie wissen, muß sie sich ihr Brot durch armselige Schneiderei mühsam verdienen und damit nicht nur die kranke Mutter, sondern auch den kleinen Bruder unterhalten. Vor einigen Monaten wurde der Junge von einer tückischen Krankheit befallen. Da meine Braut sehr an dem kleinen Kerl hing, tat sie alles, um das geliebte Leben zu erhalten. Sie suchte mit dem Jungen berühmte Arzte auf, kaufte die teuersten Stärkungsmittel. Dabei gingen nicht nur ihre, sondern auch meine Spargroschen drauf. Und als das Kind trotz aller Mühe und Opfer starb, hatten wir nicht einmal mehr das Geld, es unter die Erde bringen zu können. Der Sarghändler wollte uns den Sarg nicht stunden, da der des Vaters meiner Braut, der auch vor kurzem heimging, noch immer nicht bezahlt war. Kurz und gut: Unsere Not war groß. Und da mir hier so viel Geld durch die Hände geht, griff ich in meiner Verzweiflung zu, zumal es zehn Tage vor dem Ersten geschah. Nach der Gehaltszahlung wollte ich den Schein wieder an Ort und Stelle tun – und niemand hätte von meiner vorübergehenden Veruntreuung gewußt. Allein – ausgerechnet heute, zwei Tage vor dem Ersten, revidierte Herr Busso die Bücher, vermißte das Geld – und da er kein Erbarmen kennt, berichtete er brühwarm dem Onkel von der Unstimmigkeit – na ja – und so ist denn alles gekommen.« Mit Teilnahme war der Zuhörer dieser Beichte gefolgt. Nun sah er den Mann mitleidig an. »Haben Sie meinem Onkel Ihre traurige Lage so geschildert wie mir?« »Dazu kam ich gar nicht; er ließ mich überhaupt nicht sprechen. Kanzelte mich ab, wie den gemeinsten Verbrecher. Und wenn ich das Geld nicht innerhalb drei
Tagen zurückzahlen kann, dann übergibt er mich der Polizei – und das wäre dann wohl das Ende für mich.« »Das glaube ich auch. Ein so nachsichtiger Gebieter mein Onkel sonst ist, in bezug auf Veruntreuung kennt er keine Gnade. Aber geschehen ist nun mal geschehen. Einen Vorwurf kann ich Ihnen jedoch nicht ersparen, Herr Karbach. Warum wandten Sie sich nicht an mich in Ihrer Not?« Ein schattenhaftes Lächeln huschte über das blasse Antlitz des Rentmeisters. »Was hätte das genützt, Herr Baron? Hier ging es doch um Geld – und das haben Sie ja auch nicht.« »Ich hätte aber versucht, von irgendwo Geld aufzutreiben. Schließlich handelt es sich ja nicht um eine riesige Summe. Soviel Kredit habe ich noch. Sie hätten mir nach Ihrer Gehaltszahlung die verauslagte Summe wiedergegeben, ich hätte sie meinem Gläubiger zurückgezahlt, somit wäre der gräßliche Klamauk vermieden worden, und Sie säßen nach wie vor auf Ihrem behaglichen Posten. Was werden Sie nun beginnen?« Der Rentmeister lachte hart auf. »Das Kopfzerbrechen kann ich getrost dem Gericht überlassen, da ich ja nicht in der Lage bin, innerhalb drei Tagen das Geld auf den Tisch zu legen. Werde also ins Kittchen wandern, womit ich denn für einige Zeit untergebracht wäre.« »Na – davor kann ich Sie wenigstens bewahren.« Damit zog der Baron seine Brieftasche und steckte dem Verblüfften einen Hunderter in die zitternde Hand. »Schicken Sie ihn sofort meinem Onkel, dann kann er Ihnen nicht mehr an den Kragen. Ferner schnüren Sie ihr Bündel, gehen Sie zu Ihrer Braut – und damit diese Sie fürs erste durchfüttern kann…« Noch so eine blaue Kostbarkeit wanderte zu der ersten – und dann lachte der großzügige Geber amüsiert auf. »Machen Sie den Mund zu, Karbach. Sonst sehen Sie gar zu dämlich aus.«
»Aber Herr Baron – ich beschwöre Sie – woher haben Sie zwei Tage vor dem Ersten das viele Geld!?« »Durch einen Glückszufall erworben. Danken wir dem lieben Gott, daß er mir den unverhofften Segen zur rechten Zeit beschert hat. Und nun Kopf hoch, Herr Karbach. Sehen Sie nicht zu schwarz. Ich will mich bemühen, einen neuen Posten für Sie zu finden. Aber ich bitte Sie: Gefälligst keine Dummheiten gemacht, mein Lieber! Hier haben Sie meine Hand, in die Sie mir versprechen müssen, voller Zuversicht abzuwarten.« »Herr Baron, meine Hand ist die eines – eines…« »Nanu man hoppla -!« unterbrach ihn dieser unwillig. »Wenn ich davon überzeugt wäre, daß Sie so einer sind, dann reichte ich Ihnen meine Hand wahrhaftig nicht.« Da ergriff der erschütterte Mann die dargebotene Rechte. Doch ehe er etwas erwidern konnte, hatte sein Wohltäter das Zimmer wieder verlassen. Edzard von Rittersreuth schlüpfte in den Schlafanzug und streckte sich mit einem wohligen Seufzer auf das Bett. Das war heute ein heißer Tag gewesen! Morgens die Standpauke des Onkels, der wieder einmal unzufrieden mit ihm war, nachmittags die aufregenden Stunden auf dem Rennplatz und abends die tragische Geschichte mit dem Rentmeister. Daß er beim Onkel doch immer Wieder anecken mußte! Zum Teufel, er tat doch genauso seine Pflicht wie sein Bruder Busso. Als acht- und zehnjährige Knaben waren die Brüder in das Haus des Onkels gekommen, nachdem ihr Vater, ein bekannter Herrenreiter, tödlich verunglückte. Die Mutter hatten sie schon einige Jahre früher verloren. Der Bruder des Verunglückten, der als Ältester auf dem Familiengut Reuth saß, nahm sie als Ersatz für seine beiden im Krieg gebliebenen Söhne und räumte ihnen das Recht leiblicher Kinder ein. Er ließ sie die besten Schulen besuchen, später Landwirtschaft studieren, sorgte für sie wie ein gewissenhafter Vater es nicht besser gekonnt – aber
er verlangte dafür auch den gebührenden Dank. Der wurde ihm von dem ältesten Neffen in reichem Maße zuteil. Der war folgsam und verständig, ein Musterschüler, ein strebsamer Student, während sein um zwei Jahre jüngerer Bruder, ein ungebärdiger Bengel und liebenswürdiger Tunichtgut, in der Schule mit knapper Not mitkam und als Student ein flottes, unbekümmertes Leben führte. Zwar bestand auch er Abitur und Hochschulexamen zur festgesetzten Zeit, aber nicht so glänzend wie Busso. Dann kamen die Brüder nach Reuth zurück, wo der Onkel ihnen in der Landwirtschaft einen festen Pflichtenkreis zuteilte. Und da war es wieder Busso, der sich glänzend bewährte, so daß er dem Gutsherrn unentbehrlich wurde, während Edzard nach wie vor sein Sorgenkind blieb. Wohl tat er auch seine Pflicht, aber an den Bruder reichte er nicht heran, der in den Augen des Onkels ein unübertrefflicher Landwirt war. Allerdings das Urteil aller andern, die auf Reuth lebten, war weniger schmeichelhaft. Da galt Busso als einer, der nach oben Speichel leckte und nach unten trat. Ein widerlicher Angeber und Denunziant, der über Leichen ging, wenn er sich dadurch Vorteile verschaffen konnte! Dagegen Edzard – das war nun mal ein ganzer Kerl! Der war ein Vorgesetzter, wie man ihn sich wünschen konnte. Wenn der in seinem Bereich auf eine Unstimmigkeit stieß, dann meldete er es nicht gleich dem Onkel, sondern pudelte den Schuldigen an Ort und Stelle ab und damit holla. Nahm so manches auf seine Kappe, um einen Untergebenen zu schützen. Aber wehe, wenn Busso hinter eine Unstimmigkeit kam! Die wurde dem Gutsherrn dann brühwarm berichtet und ganz gewiß noch aufgebauscht. Warum das alles so war, darüber war man sich allgemein klar. Ging es doch um Reuth, das der alte Baron nur dem Neffen vermachen würde, den er als Nachfolger für würdig erachtete. Und daß seine Wahl auf Busso fallen würde, darüber gab es wohl kaum einen Zweifel.
Aber wenn man jetzt auch schweigen mußte, weil man seine gutbezahlte und auch sonst angenehme Stellung nicht verlieren wollte, so würde man vereint hervortreten, wenn die Würfel endgültig gefallen waren. Dann wollte man dem Baron über den erbärmlichen Erbschleicher schon die Augen öffnen. Busso sollte sich nur nicht einbilden, daß seine so raffiniert getarnten Seitensprünge unentdeckt geblieben waren. Oh, man wußte genau Bescheid! Der Gutsherr sollte seinen Liebling noch erkennen, er sollte seinem unterschätzten und ständig zurückgesetzten Neffen Edzard noch so manche Ungerechtigkeit abbitten und ihn dahin setzen, wohin er gehörte – als Herr über Reuth. Von diesem aufsässigen Vorhaben der Gutsleute hatte Edzard keine Ahnung. Er machte sich um seine Zukunft viel weniger Sorgen, als sie es taten. Edzard wollte gerade die Nachttischlampe ausknipsen, als sich die Tür des Nebenzimmers öffnete und Busso eintrat. »Wünschest du etwas von mir?« fragte Edzard den Bruder. »Ja – eine Zigarette – « »Auf dem Tisch liegen welche, bediene dich. Und dann mach, daß du raus kommst, damit ich die paar Stunden schlafen kann.« Busso dachte nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Er steckte eine Zigarette in Brand und machte es sich auf dem Stuhl neben dem Bett des Bruders bequem. Die Brüder ähnelten einander. Beide hatten sie sehnige Reitergestalten. Nur daß die Edzards höher und breiter war, sein blondes Haar leuchtender, der Blick der blauen Augen freier, das Antlitz härter und kantiger. Außerdem gab die große schwarzumrandete Brille, die Busso wegen Kurzsichtigkeit trug, seinem Gesicht eine ganz andere Note. In Charakter und Gebaren aber waren die Brüder grundverschieden. Edzard von einer ungestümen kraftstrotzenden Männlichkeit, Busso gemessen und salbadrig. Edzard wußte sehr wohl, weshalb der Bruder ihn zu so
später Stunde noch aufsuchte. Denn daß er ihm mit einer Zigarette aushelfen sollte, war nur ein Vorwand. Und schon kam das, worauf er wartete. »Sag mal, was hältst du eigentlich von diesem Karbach?« begann Busso harmlos. »Dieser Diebstahl ist einfach ein Skandal. Der Mensch bezieht doch ein Gehalt, von dem er glänzend leben kann. Ob er Weibergeschichten hat?« »Was weiß ich – «, murmelte Edzard. »Die ganze Begebenheit ist doch unten bis zum Überdruß durchgehechelt worden. Laß mich jetzt damit in Frieden. Der Mann hat seine Strafe weg und damit holla.« »So wenig interessiert es dich, was auf unserm Eigentum geschieht?« »Unserm Eigentum? Werde bloß nicht größenwahnsinnig! Onkel ist erst Mitte fünfzig und verfügt über eine Bärengesundheit. Daß er seinen Besitz vor seinem Tod nicht aus den Händen gibt, darüber sind wir uns doch längst klar. Zerbrich dir also nicht den Kopf über ungelegte Eier, sondern sei froh, daß du so ein Herrendasein führen kannst.« »Herrendasein?« lachte Busso perfid. »Na, ich danke! Wir müssen uns doch wahrlich schinden und plagen, um den anspruchsvollen Gutsherrn zufriedenzustellen – mehr als die Inspektoren.« »Wer schindet sich denn? Ich wahrhaftig nicht! Ich tue das, was der Onkel von mir verlangt. Mir fällt es gar nicht ein, am Sonntagnachmittag die Bücher der Rentmeisterei zu revidieren. Wenn du das tust, ist es dein eigener Wille. Verlangt hat es der Onkel bestimmt nicht.« »Es schien mir nötig zu sein«, grinste Busso – und da stieg dem Bruder die Zornesröte ins Gesicht. »Du Schuft -!« stieß er hervor. »Mach bloß, daß du verschwindest! Wenn ich mir schon die Nacht um die Ohren schlagen will, dann tue ich es auf amüsantere Weise, als daß ich mir dein niederträchtiges Gewäsch anhöre.« Busso schien die Grobheit des Bruders absolut nicht zu stören. Gähnend streckte er sich.
»Hast recht, schlafen wir die paar Stunden. Um halb sechs ist ja sowieso die Nacht für uns vorbei. Ein Sklavenleben! Wann wird das einmal aufhören?« »Wahrscheinlich, wenn du Opa bist«, lachte Edzard schadenfroh. »Um das zu werden, dazu gehören Frau und Kind«, seufzte Busso. »Eigentlich ein Skandal, daß wir mit achtundzwanzig und dreißig Jahren noch unbeweibt sind.« »Es steht dir frei, dich zu beweiben.« »Du vergißt wohl, daß wir auch in der Beziehung von dem Alten abhängig sind. Dem dürfen wir als Schwiegernichte doch nur bringen, die nach seiner Nase ist.« »Mit deinem derzeitigen Nuckchen darfst du ihm allerdings nicht kommen – « »Und du vielleicht mit deiner Vera?« höhnte Busso dazwischen – und da fuhr Edzard aus seiner Gelassenheit auf. »Mensch, nimm diesen Namen nicht in den Mund – sonst…« »Na, was denn – sonst?« wurde mit niederträchtigem Lächeln dagegengefragt, worauf es in Edzards Augen gefährlich aufblitzte. »Sonst beklopfe ich dir dein Maul, daß es dir eine Woche lang zuschwillt. Und nun zum letzten Mal – rrauss…!« Zwei Tage später saß die Herrin von Reuth mit ihren beiden Neffen beim Frühstück. Mittelgroß und mollig, elegant und gepflegt bot die Dame einen erfreulichen Anblick. Das mittelblonde, tadellos frisierte Haar zeigte bei der Zweiundfünfzigjährigen noch keinen weißen Faden. Dabei hatte Frau Nataly es nicht leicht mit ihrem leicht aufbrausenden Gatten. Doch ihre kluge Besonnenheit, ihre unerschütterliche Ruhe boten stets einen guten Ausgleich. Somit war sie die denkbar beste Frau für den schwierigen Herrn. Er liebte sie auch von ganzem Herzen, stand mehr unter ihrem Einfluß, als er sich bewußt war. Nur was die Neffen betraf, da konnte sie mit ihrem Einfluß nichts ausrichten, so oft sie es auch versucht hatte. In
punkto Busso war er ihrer Ansicht nach total vernagelt und verbohrt, ließ sich von diesem Blender umschmeicheln und umgarnen. Wo da seine sonstige Scharfsichtigkeit blieb, konnte nur der liebe Herrgott wissen. Natürlich gab Busso sich alle Mühe, sich auch bei der Tante Liebkind zu machen. Aber da biß er auf Granit, weil sie diesen Heuchler durchschaut hatte von Anfang an. Sie war indes klug genug, ihre Abneigung gegen ihn geschickt zu verbergen. Tat es um des lieben Friedens willen und um Edzard nicht zu schaden. Ihr Mann war nämlich der Ansicht, daß seine Frau zu lieben hatte, was er liebte, daß sie zu hassen hatte, was er haßte. Und da Busso für ihn der Gott war, neben dem keine anderen Götter aufkommen durften, so hatte sie sich danach zu richten und ihm gleich zu tun – basta! Wehe also, wenn sie sich offen auf Edzards Seite gestellt, das hätte der arme Junge schwer büßen müssen. Oftmals war es allerdings sehr bitter für sie gewesen, mitanzusehen, wie empfindlich Edzard für seine harmlosen Knabenstreiche von dem Pflegevater gestraft wurde. Aber dagegen war sie nun einmal machtlos. Dafür hätschelte sie heimlich ihren geliebten Jungen, gab ihm Liebe in reichem Maße und besaß dafür auch sein ganzes, stürmisches Herz. Sie war für ihn das liebste Muttichen und später das Natchen, wie er sie als Erwachsener nannte. Auch jetzt sah er lachend zu ihr hin. »Natchen, dir schmeckt’s wieder einmal gut, wie?« neckte er. »Denke bloß an deine Taille, die schon beängstigend mollig ist.« »Eine komische Art hast du, mit unserm geliebten Pflegemütterchen zu sprechen«, salbaderte Busso, doch sie meinte trocken: »Mich stört es nicht zumal der Junge recht hat. Aber wer kann dafür, wenn es so gut schmeckt?« »Guten Morgen, Philipp«, begrüßte sie dann fröhlich den eintretenden Gatten. »Guten Morgen«, entgegnete er kurz. Nahm am Tisch Platz und aß schweigend.
Nachdem er die guten Bissen achtlos vertilgt hatte, zündete er die gewohnte Morgenzigarre an, legte sich in den Stuhl zurück und polterte los: »Was man sich von seinen Untergebenen so alles bieten lassen muß. Schickt mir heute der Karbach die unterschlagenen hundert Mark mit einem Begleitschreiben, das an Hohn nichts zu wünschen übrig läßt. Hört und staunt.« Dann las er laut: »Sehr geehrter Herr Baron, da sich ein Wohltäter gefunden hat, bin ich in der Lage, Ihnen das vorübergehend entwendete Geld zurückzuzahlen. Es gibt eben doch noch barmherzige Menschen, die nicht gleich jede Geldentwendung mit Unterschlagung und Diebstahl bezeichnen. Denn ich bin kein gemeiner Dieb, sondern ein Mensch, der in seiner Not nicht aus noch ein wußte. Das mußte ich Ihnen sagen, Herr Baron. Hochachtungsvoll Karbach.« »Was regt dich dabei eigentlich so auf?« fragte Nataly. »Der Mann will doch nur…« »… mich verhohnepiepeln«, unterbrach er hitzig. »Mir sagen, daß ich unbarmherzig bin, wie?« Busso legte seine Hand auf die trommelnden Finger. »Aber wie kannst du dich nur so aufregen, Onkel? Undank ist der Welt Lohn. Du behandelst deine Untergebenen viel zu gut, da müssen sie ja unbotmäßig werden. Statt daß der Mann dich um Entschuldigung bittet, setzt er sich aufs hohe Pferd. Er hat einen Denkzettel verdient. Du müßtest ihn, obgleich er die gestohlene Summe zurückerstattet hat, trotzdem belangen – « »Ach was -!« fuhr der Onkel ihm unwirsch in die Rede. »Das kann ich nicht. Habe ihm nur mit Anzeige gedroht, falls ich innerhalb drei Tagen nicht im Besitz meines Geldes bin. Möchte bloß wissen, woher er das Geld hat. Wer der barmherzige Mensch ist, der für Veruntreuung so viel Verständnis aufbringen kann. Falls er sich gar in meinem Betrieb findet, müßte man ihn ein wenig unter die Lupe nehmen. Aber ich glaube nicht, daß er so viel Mut hat, sich zu seiner Barmherzigkeit zu bekennen.«
»Doch, den hat er«, sagte Edzard nun gelassen. »Ich bin der Barmherzige, der Herrn Karbach das Geld gab.« Augenblicklang war es sehr still. Doch dann schlug die Faust des gereizten Mannes auf den Tisch, daß das Geschirr darauf beängstigend klirrte. »Also doch – also hat der Busso doch wieder recht gehabt«, verplapperte sich der Baron, und dann brüllte er los: »Das hast du gewagt -? Das hast du wirklich gewagt -? Mit meinem Geld hast du die Veruntreuung meines Beamten gedeckt?!« »Entschuldige, Onkel, nicht mit deinem Geld – « »Na, mit wessen denn sonst? Wer gibt dir denn das Geld, he-?!« »Du natürlich. Aber dafür arbeite ich auch – « »Nur mäßig, mein Sohn, nur mäßig. Zum Arbeiten bleibt dir nämlich wenig Zeit, da du dich ständig auf den Rennplätzen herumtreibst. Na was, das Geld fliegt dir ja so leicht zu. Wenn es nicht ausreicht, dann muß der Alte eben was draufgeben oder gar noch Schulden bezahlen. Und später erbt man sowieso den ganzen Krempel hier. Aber wenn du dich da nur nicht irrst! Ich will meine Hinterlassenschaft in guten Händen wissen, wenn ich einmal die Augen schließe. Du wirst dich also verdammt zusammenreißen müssen, wenn du Miterbe werden willst. Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder. An dem habe ich nur Freude gehabt, während du leichtsinniger Patron mich stets geärgert hast, von Anfang an. Ich verfluche die Stunde, da ich dich in mein Haus nahm…« »Philipp – «, mahnte die Gattin, blaß bis in die Lippen, und zeigte mit den Augen auf Edzard, dem jeder Blutstropfen aus dem Antlitz gewichen war. Darauf wollte der zornige Mann seine Verwünschung abschwächen, doch der Neffe erhob sich stumm, was den Onkel neu ergrimmte. »Du bleibst hier!« herrschte er ihn an. »Das könnte dir so passen, feige zu kneifen. Sei froh, daß ich dich nicht hinausjage und dich deinem Schicksal überlasse, damit du
vor die Hunde gehst… Hiergeblieben -!« brüllte er dem Neffen nach, der soeben durch die Tür ging. Und dann war Stille. Mit tiefem Unbehagen ging Philipps Blick zur Gattin hin, die blaß war wie eine Tote. »Verflixter Bengel – «, brummte er. »Man kann sich über ihn die Galle ins Blut ärgern. Und doch ist man immer wieder geneigt, ihn für besser zu halten, als er ist. Wollte es Busso zuerst gar nicht glauben, daß Edzard dem Karbach das Geld gegeben hat. Aber da er es in aller Seelenruhe bestätigte, muß ich es ja glauben.« »So, so – also von Busso stammt deine Weisheit – «, sagte Nataly jetzt ruhig. »Dem Jungen entgeht doch wirklich nichts. Nicht wahr, mein Sohn?« »Man tut, was man kann, geliebtes Tantchen«, wehrte er bescheiden. »Schließlich bin ich ja dazu da, meinen Posten voll auszufüllen und die Interessen meines Wohltäters wahrzunehmen. Anders wäre es ja eine himmelschreiende Undankbarkeit. Ich heiße doch nicht Edzard, sondern Busso.« »Und dieser Name verpflichtet natürlich«, nickte die Tante freundlich. »Aber laß es dich nicht verdrießen, ein schwarzes Schaf muß nun einmal in einer so vorbildlichen Familie sein, das ist direkt Tradition. Daß du es nicht bist, darüber sei unserm Herrgott dankbar.« Edzard sah der Tante entgegen, die sein Zimmer betrat. »Das sieht ja hier schön aus, mein Jungchen. Wie ich sehe, hast du bereits gepackt.« »Ja, aber nur einen Koffer mit dem Nötigsten. Alles andere kannst du mir nachschicken, wenn ich erst weiß, wohin ich mein Haupt betten werde.« »Ängstlich bist du gar nicht«, entgegnete sie trocken. »Wo willst du eigentlich hin?« »Das mögen die Götter wissen.« »Na, auf deren Weisheit würde ich mich nicht verlassen. Hast du Geld?« »Ein wenig schon.«
»Richtig, heute ist ja der Erste.« »Natchen, du nimmst doch nicht im Ernst an, daß ich nach dem, was heute war, mich noch weiter für meine so nachdrücklich betont mäßige Arbeit besolden lasse?« »Nein, das nehme ich nicht an. Ich habe Angst um dich, mein Junge.« »Wie töricht, Natchen. Ich werde bestimmt nicht vor die Hunde gehen, wie der Onkel es mir so liebevoll prophezeite. Schließlich kann ich ja arbeiten, wenn mir das von der gleichen Seite auch abgestritten wird.« »Du denkst dir das so einfach, Edzard! Aber Stellen, die für dich in Frage kommen, sind sehr knapp. Außerdem bist du hier rundum so bekannt, daß jeder sich scheuen würde, dich einzustellen, um es mit dem Onkel nicht zu verderben.« »Aber Natchen, der liebe Gott läßt doch nicht nur in dieser Ecke Korn wachsen. Da muß ich eben in die Ferne ziehen.« »Ach du großer Junge! Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so, um mich nicht zu beunruhigen? Zu deiner Ehre will ich annehmen, daß letzteres der Fall ist. Also wirst du dir wohl denken können, daß jeder Brotgeber genau wissen will, wen er in seinen Betrieb bekommt. Wird sich daher um Auskunft an den Onkel wenden, und wie die ausfallen würde, das kannst du dir wohl an den Fingern abzählen.« »Dann geht es mir genau wie Karbach. Und da habe ich noch großartig geprahlt, daß ich ihm zu einer Stelle verhelfen will.« »Was war das nun richtig mit Karbach? Ich kann mir nicht denken, daß sich alles so verhält, wie Onkel und Busso es schilderten. Gerade auf Karbach habe ich immer große Stücke gehalten. Weißt du etwas Bestimmtes über seine Entgleisung?« Edzard schilderte kurz dessen Notlage, und die Tante atmete befreit auf. »Armer Kerl. Und wie kam es, daß du Leichtfuß zwei Tage vor dem Ersten noch soviel Geld hattest, um aushelfen zu können?«
»Ich hatte am Sonntag auf dem Rennplatz beim Wetten Glück.« »Weshalb hast du dem Onkel das nicht gesagt?« »Er ließ mich ja nicht zu Wort kommen, nichts zu meiner Verteidigung sagen und dann – nachdem er die Stunde verfluchte, da er mich in sein Haus nahm… verlangst du da, daß ich um Gnade winseln sollte wie ein getretener Hund?« »Bei Gott nicht, mein Junge«, wehrte sie entschieden ab. »Dann wärest du kein Mann mit Ehrbegriff. Sobald der Ärger des Onkels verraucht ist, wird es ihm schon zum Bewußtsein kommen, wie weit er sich hat hinreißen lassen.« »Das könnte mir nichts mehr nützen. Die Würfel sind gefallen. Jetzt hat mein lieber Bruder endlich erreicht, worauf er zwanzig Jahre lang hinarbeitete: Darf sich nun stolz als Alleinerbe betrachten – « »Na, na – man immer vorsichtig, Jungchen«, unterbrach die Tante. »Sooo weit ist es noch lange nicht. Schließlich bin ich auch noch da und mit mir viele auf Reuth, die da gehörig quertreiben würden.« Jetzt huschte ein Lächeln über des Mannes Antlitz. »Natchen, renommiere nicht. So viele Intrigen traue ich dir bestimmt nicht zu.« »Wenn du dich nur nicht irrst, mein Sohn. Warum schwieg ich bei des Onkels Ungerechtigkeiten dir gegenüber, obgleich mir mehr als einmal die Galle zu platzen drohte? Um dir nicht zu schaden. Das hätte ich gewiß getan, wenn ich meiner Empörung Luft gemacht hätte. Doch da du nun vom Schuß kommst, werde ich langsam aber sicher dem Onkel die Augen öffnen.« Sie zog unter dem Gürtel ihres Kleides ein Päckchen Geldscheine hervor. Lachend sah sie in sein finsteres Gesicht: »Nun nimm schon, dummer Bengel!« rief sie. »Natchen, nach alledem, was vorgefallen ist, soll ich Geld nehmen?«
»Für wie geschmacklos hältst du mich eigentlich, hm? Das Geld stammt von dem Erbteil, das mein Bruder mir kürzlich auszahlte. Nimmst du es nun oder nicht, du verflixter Bengel?« Nun lachte der Mann befreit auf, indem er nach den Scheinen griff. »Wenn es so ist, mit tausend Freuden, mein Natemuttileinchen.« Er nahm sein Taschentuch und trocknete die Tränen, die über das traurige Frauenantlitz liefen. Fest schlossen sich seine Arme um die rundliche Gestalt. »Ich werde dir keine Schande machen, Natchen – du liebes, bestes! Für so gewissenlos darfst du deinen Jungen nicht halten.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, löste sie sich aus seinen Armen, schneuzte sich dann und lachte ihn an. »Wir werden dem verbohrten Onkel noch zeigen, wer wir sind. Und nun mach, daß du wegkommst. Wenn es schon einmal sein muß, was ich übrigens billige, dann möglichst kurz und schmerzlos.« Sie drehte sich um. »Ah, da ist ja auch der liebe Busso – «, begrüßte sie den Eintretenden. So sehr der sich auch sonst bemühte, in Gegenwart der Tante den Vortrefflichen zu spielen, so ließ ihn doch die Freude, die er angesichts des gepackten Koffers empfand, höchst unvorsichtig werden. »Also willst du doch feige kneifen, mein Lieber? Sieht dir ähnlich. Bist du dir auch dessen bewußt, daß du mit dieser undankbaren Handlung das Tischtuch zwischen Onkel und dir zerschneidest? Daß es dann kein Zurück mehr gibt? Daß du vor die Hunde gehen mußt?« Edzard gab sich Mühe, diese boshaften Worte zu ignorieren. Als er jedoch in die hohnlachende Visage sah, stieg der Grimm allgewaltig in ihm auf. Alles das, was dieser erbärmliche Denunziant ihm in zwanzig Jahren angetan, ließ einen gesunden Zorn in ihm hochsteigen. Die Zähne bissen aufeinander, in den Augen glitzerte es auf wie
Eiskörner. Zwei langsame Schritte – dann stand er vor ihm, der feige zurückwich. Doch schon hatte er ihn bei den Rockklappen gepackt, nahm ihm ruhig die Brille ab und dann schlug seine Faust zu. »Pfui Teufel – «, er wischte danach die Hand an seinem Taschentuch ab, und sah kaltlächelnd auf die Nase seines Gegenübers, aus der Blut floß. »So – nun ist mir leichter – «, atmete er befreit auf, packte die Gelenke der Hände, die auf ihn losfuhren, und drückte sie so hart, daß sein Angreifer stöhnend von ihm abließ. »Na, was denn, was denn, mein Bürschchen. Etwas muß der Mensch doch als Genugtuung haben für die Niedertrachten, mit denen du mich seit zwanzig Jahren beehrst. Wie nett deine Nase aussehen wird, wenn der Bruch wieder geheilt ist.« Noch einmal wollte Busso, dessen Gesicht zur Fratze verzerrt war, auf den Bruder los – und wieder spürten seine Gelenke den eisenharten Griff. »Laß meine Hände los – du – du Verbrecher!« schrie er in ohnmächtiger Wut. Und als Edzard sie freigab, trat er, die Fäuste schüttelnd, zurück. »Das sollst du mir büßen -!« brüllte er, daß seine Stimme überschnappte. »Diese Stunde vergesse ich dir nie! Werde schon dafür sorgen, daß der Onkel dich von der Tür jagt wie einen räudigen Hund, wenn du bettelnd davorstehst!« »Ich weiß, daß das Hebe Jungchen sich hinter dem Rock des Onkels verkriechen wird. Und das will nun mein Bruder sein. Die Eltern müssen sich ja noch im Grabe grämen, daß sie so was Erbärmliches in die Welt gesetzt haben. Mach, daß du mir aus den Augen kommst, bevor ich dich mit der Reitpeitsche aus dem Zimmer prügele.« Die drohende Haltung und die Augen, die wie bläuliches Eis glitzerten, kannte Busso nur zu gut. Und da er an dem einen Faustschlag genug hatte, hielt er es für ratsam, abzuziehen, obgleich er über die Niederlage, die er erlitten – und gar noch unter den Augen der Tante –, vor Wut
kochte und alles in ihm nach Rache schrie. Die Tür knallte hinter ihm zu – und dann war Ruhe, in die Nataly gemütlich hineinlachte. »Junge, wo du hinhaust, da wächst kein Gras mehr«, meinte sie anerkennend. »Diese Abrechnung war direkt ein Labsal für mein Herz. Aber nun verschwinde schleunigst, damit der Onkel dich nicht erwischt. Komm, gib mir einen Kuß, du Schlingel, halte die Ohren steif, bleib anständig und brav, damit ich stolz auf dich sein kann, und melde dich bald, hörst du…?« Edzard küßte die Tante stürmisch ab, biß dann die Zähne zusammen und verließ das Zimmer. Nataly wischte sich energisch die Tränen ab und begann die Kleidungsstücke fortzuräumen, die kunterbunt überall herumlagen. Und kaum waren zehn Minuten vergangen, da erschien auch schon Herr Philipp, gestachelt wie kaum jemals zuvor. Nataly tat, als merke sie sein Eintreten nicht. Erst als seine gedrungene Gestalt vor ihr stand, sah sie mit gespieltem Erstaunen auf. »Du, Philipp…?« »Jawohl – ich – «, polterte er los. »Wo ist der vertrackte Bengel?« »Wenn du Edzard damit meinst: wo der ist, weiß ich nicht.« »Das weißt du nicht? Nataly, mach mir keine Mätzchen vor! Busso hat doch gesehen, wie du Edzard Geld gabst.« »Oh, er hat gelauscht?« »Busso lauscht nicht, verstanden?« »I wo, er wird doch -!« nickte sie, seelenruhig einen Anzug über den Bügel hängend. »Bei dem vortrefflichen Herrn heiligt der Zweck alle Mittel.« »Laß das jetzt -!« verlangte er herrisch. »Wie kommst du überhaupt dazu, die Unordnung zu beseitigen, die der unverschämte Patron hinterlassen hat?« »Schön – «, meinte sie friedfertig, indem sie sich setzte und zusah, wie er mit langen Schritten das Zimmer durchmaß.
Doch als das kein Ende nehmen wollte, sagte sie kläglich: »Philipp, wenn ich nicht seekrank werden soll, dann höre mit dem Gerenne auf. Möchte wissen, was dich so in Harnisch gebracht hat.« »Das fragst du noch -?« lachte er grimmig, indem er sich in einen Sessel fallen ließ. »Da soll man nicht in Harnisch geraten, wenn die eigene Frau das Geld, das der Mann sauer verdienen muß, an einen Tunichtgut verschleudert, der wiederum sein Geld, das der Onkel ihm gegeben, an einen ungetreuen Beamten dieses Onkels verschleudert… Ich weiß nicht, was plötzlich hier los ist. Seid ihr alle verrückt geworden, oder bin ich es?« »Warum sollen wir wohl verrückt sein?« fragte sie trocken. »Verrückt ist höchstens dein Vergötterter Neffe Busso – und zwar vor Ehrgeiz, weil er am Sonntagnachmittag die Bücher in der Rentmeisterei prüft und wegen lumpiger hundert Mark so viel Trara macht. Hätte er nur ein wenig Verständnis für die Notlage des Rentmeisters gehabt, dann hätte es Edzard nicht nötig gehabt, die Stätte, die ihm bisher Heimat war, zu verlassen.« »Also nimmst du den Bösewicht noch in Schutz -!« schrie der Gutsherr. »Verschleudert mein Geld an einen Verschwender…« »Nicht dein Geld – sondern meines«, unterbrach sie ihn gelassen. »Das stammt nämlich von meinem Erbteil, damit du es weißt. Und das Geld, das Edzard dem Rentmeister gab, hatte er auf dem Rennplatz gewonnen.« »Warum hat er mir das nicht gesagt?« »Weil du ja in deiner Rage nie einen Menschen zu Wort kommen läßt. Anscheinend weißt du gar nicht, was du dem Jungen blindwütig an den Kopf geworfen hast. Darf ich dir die Beleidigungen wiederholen? Ich verfluche die Stunde, da ich dich in mein Haus nahm! Sei froh, daß ich dich nicht hinausjage und deinem Schicksal überlasse, damit du vor die Hunde gehst… Ja, sieh mich nur so erstaunt an, mein lieber Philipp. Leider ist es deine Art, die Worte nicht zu wägen, die du im Zorn
hinausschreist. Aber denjenigen, für den sie bestimmt sind, müssen sie treffen bis ins Mark. Also wundere dich nicht, daß Edzard nun fort ist – und, soweit ich ihn kenne, eher vor die Hunde gehen wird als daß er wiederkommt.« Diese ruhigen Worte hatten ihre Wirkung auf den Mann nicht verfehlt, was er natürlich nicht zugeben wollte. Er gehörte nämlich zu den Menschen, die es nicht vertragen konnten, wenn man ihnen ihre Handlungsweise gleich einem Spiegel vorhält, weil sie sich, sofern ihr Zorn verflogen ist, schämen und ihre Unbeherrschtheit bereuen. An seinem unsicheren Blick, den hastigen Bewegungen, mit denen er sich über Kopf und Bärtchen strich, merkte sie, daß er sich fast schon in dem Stadium befand, in dem man vernünftig mit ihm reden konnte. Als er nun sprach, grollte seine Stimme wohl immer noch, aber das klang schon mehr nach Gekränktsein: »Der kommt wieder, verlaß dich drauf. Der ist zu sehr an unser Brot gewöhnt. Schließlich darf ich, kraft meiner Vaterrechte, ihm doch mal meine Meinung sagen, oder etwa nicht?« »Gewiß, aber nicht seine Ehre angreifen, Philipp. Das darf selbst ein Vater bei seinem leiblichen Sohn nicht.« »Laß doch diese Redensarten. Wenn man so voll Grimm sitzt, wägt man seine Worte nicht. Edzard muß für seine Nichtsnutzereien ab und zu eine Standpauke kriegen, sonst nehmen sie überhand. Schon allein wie er Busso zugerichtet hat, ein Skandal. So ein roher Patron! Der soll mir nur kommen! Und du siehst dir in Seelenruhe mit an, wie er den armen Jungen zusammenschlägt? Schäme dich, Nataly!« »Ich soll mich schämen?« lachte sie amüsiert. »Na, das wäre! Warum hat Busso sich nicht gewehrt?« »Weil er zu vornehm dazu ist.« »Ach, sieh mal an. Ich habe zwar eine andere Bezeichnung dafür, doch die möchte ich lieber für mich behalten. Wo ist Busso jetzt?« »Zum Arzt gefahren. Ganz erbärmlich sah der Junge aus.
Was der schon alles unter seinem nichtsnutzigen Bruder
hat leiden müssen, geht auf keine Kuhhaut.«
Jetzt lachte Nataly hell auf, was ihr einen grimmigen Blick
eintrug. »Du bist manchmal albern wie ein Backfisch. Sage
mir lieber, wo Edzard ist.«
»Ich weiß es wirklich nicht, Philipp.«
»Hat er wenigstens genügend Geld?«
»Fürs erste ja.«
»Na, dann wird er schon sorgen, daß es recht bald unter die
Leute kommt. Womöglich kann ich noch seine Schulden
bezahlen. Wie verhält sich nun die Sache mit Karbach?
Edzard wird dir den Sachverhalt ja wohl genau erzählt
haben?«
Nataly sagte, was sie wußte und lachte in sich hinein, als
der Gatte verlegen brummte:
»So verhält sich die Geschichte – hm, hm. Statt daß der
Mensch zu mir kommt und um Vorschuß bittet, macht er
solche Dummheiten. Busso hat mir das alles ganz anders
geschildert – hm, hm – «
»Vielleicht ist es besser, wenn du dich auf Bussos Urteil
doch nicht so fest verläßt?«
»Wie meinst du das?«
»Och – jeder Mensch kann doch einmal irren.«
»Das tut er sonst eigentlich nie. Aber man muß ja auch…«
Die letzten Worte kamen schon von der Tür her, durch die
er brummend verschwand.
Nataly sah ihm aufatmend nach. Ach ja, ihr Philipp war
schon ein guter Kerl. Nur wenn es um Busso ging, schien er
ein Brett vor dem Kopf zu haben.
Der Sturm war vorüber, und es hätte alles gut sein können,
wenn Edzard noch hier wäre. Der arme Junge! Nun konnte
sich Busso immer tiefer ins weiche Nest kuscheln. Aber daß
dieses Nest härter und härter wurde, dafür wollte sie schon
sorgen. Ganz allmählich sollten die weichen Daunen
daraus verschwinden.
Edzard ritt auf seinem Trakehner dahin.
Ihm war weh ums Herz.
Wie glücklich hatte er sich auf Reuth gefühlt, trotz des Onkels Ungerechtigkeiten! Aber was der ihm heute ins Gesicht geschrien hatte, das war ehrverletzend und nicht mehr tragbar. Daher gab es für ihn keinen Weg mehr nach Reuth zurück. Seine ganze Hoffnung setzte er jetzt auf seinen Freund Hubert Syder, der auf Gut Harlerode saß und großes Ansehen genoß. Der mußte seinen Einfluß geltend machen und ihm eine Inspektorstelle verschaffen. Doch als er das Gut erreicht hatte, sagte ihm der Inspektor, daß der Herr mit seiner Gattin zur Stadt gefahren wäre. Sie würden um die Kaffeezeit in der bekannten Konditorei B. anzutreffen sein. Er müßte auch zur Stadt, ob der Herr Baron mitkommen wolle? »Mit dem größten Vergnügen, Herr Warrert. Wollen Sie dafür sorgen, daß mein Gaul in den Stall kommt? Den Koffer muß ich allerdings mitnehmen.« Zehn Minuten später fuhren die Herren davon. Edzard belegte in einem Hotel ein Zimmer und begann sich dort sorgfältig umzukleiden, weil er seine zukünftige Braut, Vera von Kardas, aufsuchen wollte. Wie würde sie seine Lebensänderung aufnehmen? Würde das verwöhnte Mädchen geneigt sein, die Frau eines Inspektors zu werden, und mit dem haushalten können, was er verdiente? Leicht war ihm nicht ums Herz, als er sein Ziel erreicht hatte. Er war gerade im Begriff, an der Korridortür der kleinen eleganten Wohnung, die Vera mit ihrer Mutter bewohnte, zu läuten, als das Hausmädchen zum Ausgehen heraustrat. »Guten Tag, Herr Baron«, grüßte es freundlich. »Treten Sie bitte ein. Herr Busso ist gerade bei dem gnädigen Fräulein.« Diese Eröffnung befremdete Edzard ungemein. Busso bei Vera? Wie kam er zu ihr, die er kaum kannte? »Ist gut, Gerda«, sagte er zerstreut. »Halten Sie sich bitte nicht auf. Ich finde den Weg schon allein.« Beunruhigt betrat er die kleine Diele und wollte an die Tür
klopfen, da bemerkte er, daß diese nur angelehnt war. Durch die obere Scheibe, die von innen mit einer duftigen Gardine verhängt war, konnte er bequem das Zimmer übersehen. Und was er da sah, ließ ihn regungslos verharren. Auf dem Sofa saßen Vera und Busso eng aneinandergeschmiegt. Edzard hatte das Gefühl, als wanke der Boden unter seinen Füßen. Haltsuchend umkrampften seine Hände den Türpfosten. Was nun? Er konnte doch unmöglich hier stehen bleiben und das mitansehen! Hin zu diesem heimtückischen Burschen, ihn niederschlagen! Abrechnung halten mit dem treulosen Mädchen! Doch damit schaffte er das Entsetzliche nicht aus der Welt. Also fort von hier, weit fort. Aber nein, noch nicht. Erst mußte er hören, was die beiden sich zu sagen hatten. Ganz deutlich konnte er jedes Wort verstehen: »Du glaubst also wirklich, daß dein Onkel ihn enterben wird?« fragte Vera und strich dabei liebkosend über die geschwollene Nase, die kreuz und quer mit Pflaster beklebt war. »Das ist nun so gewiß, wie das Amen in der Kirche, mein süßes Mädchen«, erfolgte die siegessichere Antwort. »Es ist dir ja bekannt, daß mein Onkel nie was von ihm gehalten hat. Aber nun ist er aus der Familie ausgestoßen. Reuth darf er nicht mehr betreten. Meine Tante hat ihn bereits als schwarzes Schaf erklärt. Soviel ich hörte, will er sich eine Inspektorstelle suchen. Aber erstens wird er nie eine solche bekommen, und zweitens wird er in fremden Diensten vollkommen versagen. Sei froh, daß du noch nicht seine Frau bist. Dann müßtest du jetzt sein Vagabundenleben teilen.« »Sollte mir einfallen -!« lachte sie auf. »So gut habe ich meine Komödie gespielt, daß er in dem Wahn lebt, von mir geliebt zu werden!«
»Na höre, Veraherz, manchmal sah es verdammt echt aus. Vor Eifersucht hätte ich bald die Karten aufgedeckt und dem Narren verraten, welch lächerliche Figur er in der Komödie spielte, die wir in Szene setzen mußten, damit mein Onkel auf dich aufmerksam wurde. Sollst mal sehen, mit welcher Freude er dich als Schwiegertochter begrüßen wird.« Lachend küßten sie sich. Edzard hatte genug gesehen und gehört. Ein Ekel würgte ihn vor sich selber, daß er in diesem Intrigenspiel so tölpelhaft mitgemacht hatte. Jetzt nur fort, bevor er sich doch noch vergaß und vor diese nichtswürdigen Kreaturen hintrat, um Abrechnung zu halten. Leise schlich er aus dem Korridor, zog die Tür hinter sich zu und stürzte dann die Treppe hinunter. Lange irrte er planlos durch die Straßen der Stadt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Erst als der Verstand sich langsam einzuschalten begann, ließ der bohrende Schmerz nach. Und der Verstand gab ihm dann auch allmählich ein klares Bild. Vera hatte sich beide Brüder Untertan gemacht, dabei abwartend, wer ihr am meisten zu bieten haben würde. Da sich nun entschieden hatte, daß Busso der Alleinerbe Reuths war, ergab sie sich ihm. Und er hatte dieses kaltberechnende Geschöpf für lieb und gut gehalten, für eine Frau mit Herz? Konnte er nun nicht froh sein, daß ein Zufall ihn über Veras wahren Charakter unterrichtet hatte? Daß er sie sehen durfte, wie sie in Wirklichkeit war: Arm an Herz, kaltberechnend und hinterhältig? O ja, natürlich war es gut – aber dennoch – so schnell läßt sich eine Liebe nicht aus dem Herzen reißen. Es waren schmerzliche Gedanken, die den langsam dahinschreitenden Mann gefangen nahmen. Doch dann regte sich der verletzte Mannesstolz. Wie mochten Vera und Busso noch immer über den armen Narren spotten, der auf ihre Hinterhältigkeit so tölpelhaft
hereingefallen war! Sicher würde das skrupellose Paar jetzt schleunigst dafür sorgen, daß diese amüsante Geschichte unter die Leute kam, die dann nach Herzenslust ihre Glossen reißen konnten. Der Gedanke ließ glühheiße Scham in ihm aufsteigen und gleichzeitig verbissene Rachegelüste. Der Kokotte beweisen, daß sie nicht mit ihm gespielt – sondern er mit ihr! Mit seiner Verlobung der ihren zuvorkommen und somit auch dem hinterlistigen Bruder beweisen, daß sein Schlag, mit dem er ihn ins Herz treffen wollte, absolut fehlgegangen war! Edzard warf energisch alle quälenden Gedanken von sich und schritt rasch aus. Wenige Minuten später betrat er die Konditorei. In einer Nische entdeckte er seinen Freund mit Gattin, die es sich bei Kaffee und Kuchen gut sein ließen. Sie sahen erfreut auf, als er so unerwartet vor ihnen stand. Hubert Syder war das, was man einen herzensguten Kerl nennt. Groß und breit von Gestalt, mit einem frischen Gesicht, strohblondem Haar und lachenden Blauaugen. Seine Frau, rassig und elegant, wirkte sehr interessant mit ihrem brünetten Typ. »Ei, sieh da, der Edzard«, lachte sie vergnügt, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte. »Was willst du während der Arbeitszeit an dieser Schlemmerstätte?« »Dasselbe, was du willst«, gab er zurück. Nachdem Edzard auch den Freund begrüßt hatte, nahm er Platz und bestellte ein Kännchen starken Kaffee. »Was ist los mit dir, mein Junge?« fragte Hubert. »Du siehst blaß und verärgert aus, um nicht zu sagen – verbittert. Hat es wieder einmal Krach mit deinem Onkel gegeben?« Edzard wartete mit der Antwort, bis der Ober den Kaffee auf den Tisch gestellt und sich wieder entfernt hatte. Dann trank er die erste Tasse in einem Zuge leer, steckte eine Zigarette in Brand und erzählte, was sich zwischen ihm und dem Onkel zugetragen, verschwieg auch die Begebenheit in Veras Wohnung nicht.
Das Ehepaar hörte gespannt zu, ohne ihn zu unterbrechen. Als er geendet, meinte Hubert ruhig: »Das alles habe ich schon längst kommen sehen, Edzard. Wenn man so einen gefährlichen Schleicher auf der Nase sitzen hat wie deinen Bruder Busso und sich in eine Liebe zu einer Vera verrennt, das kann kein gutes Ende nehmen. Sieh mich nicht an, als ob du mich fressen wolltest, sondern gib mir recht. Was wirst du nun beginnen?« »Mir eine Stelle als Inspektor suchen.« »Schwierige Angelegenheit, mein Lieber. Wenigstens in unserer Ecke hier, wo dein Onkel Respektsperson ist.« »Das weiß ich«, gab Edzard finster zurück. »Daher bin ich auch gekommen, um deine Hilfe zu erbitten.« »Ehrensache, mein Freund. Was ich für dich tun kann, soll geschehen. Am besten ist jetzt, wenn du an einen netten Ort weit vom Schuß fährst und dich erst wiederfindest. Denn die ganze Geschichte, eingeschlossen Veras Untreue, wird dir verdammt an die Nieren gegangen sein. In der Zeit werde ich hier segensreich für dich wirken. Hast du genügend Geld?« »Ja. Damit hat Natchen mich versorgt, mit ihrem eignen.« »Was sagt sie zu alledem?« »Sie macht sich Sorge um mich.« »Begreiflich! Eigentlich sonderbar, daß diese kluge Frau ihn nicht aus seiner Verblendung reißen kann. Wie ist deine Ansicht darüber, Susann?« »- daß gegen männliche Hirnverbranntheit nichts auszurichten ist«, gab sie lachend zurück. »Jedenfalls wird sie schon wissen, was sie tut, wird diesen Busso schon entlarven, wenn sie es an der Zeit hält. So ein Halunke! Der hat sich doch nur an diese Vera herangemacht, um sich an Edzard zu rächen. Solche Burschen pflegen sehr nachtragend zu sein. Diese Gemeinheit darfst du dir einfach nicht gefallen lassen, Edzard. Du mußt dieses einander so würdige Paar einfach düpieren!« »Mir ganz aus der Seele gesprochen, Susann. Ich weiß auch bereits, wie das geschehen kann.«
»Wie denn?« fragten die Gatten wie aus einem Munde.
»Indem ich mit meiner Verlobung der Veras zuvorkomme.
Dann hat es den Anschein, als hätte ich mit ihr gespielt,
nicht sie mit mir.«
»Herrlich -!« lachte die junge Frau. »Hast du die Braut
schon gefunden?«
»Noch nicht. Aber es gibt ja so viele heiratslustige
Mädchen.«
»Du Tollkopf kriegst es wahrhaftig fertig, dir aus purer
Rache irgendein weibliches Wesen auf den Hals zu laden«,
lachte Hubert amüsiert. »Na, vielleicht lachst du dir eine
an, die dir ein Gut in die Ehe bringt.«
»Gott soll mich bewahren! O nein, die Frau, die ich suche,
braucht nicht reich zu sein, nicht schön, auch nicht klug.
Sie muß nur ein Herz haben – nichts weiter als ein Herz.«
»Das nennst du womöglich noch anspruchslos, du
sonderbarer Heiliger? Nichts weiter als ein Herz – ganz
einfach nur das. Mein lieber Freund, laß dir gesagt sein,
daß reiche, schöne und kluge Frauen viel leichter zu finden
sind als solche, die ein Herz haben.«
»Warum? Du hast ja auch eine gefunden und Onkel
Philipp gleichfalls. Warum sollte es nicht auch mir
glücken?«
»Oh, diese Optimisten -!« Hubert schüttelte bekümmert
sein Haupt.
»Wie ich verstanden habe, willst du mit deiner Verlobung
der Bussos zuvorkommen. Da wirst du also rasch zugreifen
müssen. Und dann – und überhaupt ist es denn schon
ganz sicher, daß dein Onkel zu Bussos Verlobung die
Einwilligung geben wird? Soviel ich beobachten konnte,
scheint Vera ihm nicht besonders zu gefallen.«
»Hast du eine Ahnung -!« lachte Edzard bitter auf. »Den
bekommt Busso schon dahin, wohin er ihn haben will.
Höchstens, daß Natchen da ein wenig quertreiben würde.«
»Trotzdem wolltest du sie heiraten«, bemerkte der Freund
trocken. »Das hätte in der Ehe ein böses Erwachen für dich
gegeben, mein lieber Edzard. Denn das Herz, das du
verlangst, hat diese Vera bestimmt nicht.« »Komisch, daß du mir das jetzt erst sagst?« »Na, weißt du, mit Verliebten läßt sich ebensowenig reden wie mit Verrückten. Aber nun mach ein anderes Gesicht, Edzard. Daß du Reuth aufgeben mußt, ist gewiß schmerzlich für dich. Aber daß dir über Vera noch rechtzeitig die Augen aufgegangen sind, darüber kannst du nur froh sein. Natürlich kannst du mit der Enttäuschung nicht von heute auf morgen fertig werden. Wirst eine gewisse Zeit brauchen, bis du es geschafft hast. Darum rate ich ernstlich, dir Abwechslung zu suchen. Und die findest du am sichersten an einem amüsanten Ort. Am besten wäre das feudale Höhenlust für dich, falls das dein Geldbeutel verträgt.« »Ganz wie für mich geschaffen«, nickte Edzard ironisch. »Mein Lieber, es scheint dir noch nicht ganz klar zu sein, daß ich nun nicht mehr Erbe des Barons von Rittersreuth bin, sondern ein armer Schlucker, der sich glücklich schätzen wird, wenn er irgendwo als Inspektor unterkriechen kann. Viel mehr als das Sattessen werde ich meiner Frau nicht bieten können. Daher werde ich nicht nach Höhenlust gehen sondern nach Ridden.« »Nach dem langweiligen Nest? Da wirst du nur unter Fischermädchen wählen können.« »Warum nicht? Wenn ich unter ihnen ein liebes, braves Geschöpf finde, sollte es mir wohl recht sein. Du weißt ja, was ich verlange – nichts weiter als ein Herz.« »Hm. Und wie willst du das finden? Willst du etwa an jedes weibliche Wesen herantreten und höflich fragen: Mein Fräulein, haben Sie ein Herz? Oder soll es das in der Hand halten?« »Hör bloß auf, du Spötter -!« unterbrach Susann lachend. »Laß ihn nur machen, er wird schon seine herzliche Dame finden. Dann bringst du sie mir, Edzard, hörst du? Ich werde meine ganze Evaslist aufbieten, um herauszufinden, ob du die Richtige gefunden hast. Einverstanden?« »Einverstanden!«
»Und wenn jene Eva noch listiger ist und diese Eva hier zu überlisten versteht?« fragte Hubert schmunzelnd. »Wenn sie mit einem goldenen Herzen spiegelt und erst in der Ehe erkennen läßt, daß es nur Talmi ist, was dann?« »Dann lasse ich mich scheiden«, entgegnete Edzard gelassen. »Ganz kurz und schmerzlos. Die Hauptsache, daß ich noch vor Bussos Verlobung mit einer Braut aufwarten kann. Natürlich werde ich sie auch heiraten, um meine Rache ganz und voll zu haben. Gefällt mir meine Frau, dann lebe ich friedlich mit ihr zusammen und bleibe ihr treu. Ist sie nicht das, was ich von ihr erwarte, dann trenne ich mich in aller Güte von ihr.« »Und wenn sie sich nicht scheiden läßt?« »Das werde ich bei meiner Werbung zur Bedingung stellen.« Diese Eröffnung ließ Hubert verblüfft den Kopf schütteln. »Ja, Menschenskind – willst du denn dem Mädchen – oder der Frau – etwa sagen…« »Gewiß will ich das«, fiel Edzard ihm in die Rede. »Anders wäre es ein Betrug. Der käme über kurz oder lang doch heraus.« »Das ist allerhand, was du da verlangst«, sagte der Freund ernst. »Wenn sich tatsächlich ein weibliches Wesen finden sollte, das auf das alles eingeht, muß es allerdings ein großes, gütiges Herz haben. Gott gebe, daß du es findest. Ich sehe schwarz. Und du, Susann?« »Nicht unbedingt, Hubert«, gab sie versonnen zurück. »Es gibt bestimmt liebe, warmherzige Mädchen, die sich aus dem Beruf in eine eigene Häuslichkeit sehnen. Und wenn sie dann noch einen so schneidigen und anständigen Kerl wie Edzard als Mann bekommt, das wäre für sie der Himmel auf Erden. Also Edzard, ich wünsche dir alles Glück.« »Danke, Susann. Doch nun ist es höchste Zeit, daß ich mich verabschiede. Morgen früh also geht es nach Ridden. Und nun noch eine Bitte, Hubert: Gewähre meinem Pferd Unterkunft, bis ich zurückkomme. Ich habe es bereits nach
Harlerode gebracht.« »Eine Selbstverständlichkeit bedarf keiner Bitte, mein Lieber. Wenn du dort bist, gib deine Anschrift bekannt, damit ich dich jederzeit erreichen kann. Komm gesund und froh wieder, möglichst mit deiner herzlichen Angelegenheit am Arm.« Eine Woche später betrat Busso nach dem Mittagessen das Arbeitszimmer seines Onkels, der in einem Sessel saß. »Entschuldige, lieber Onkel, ich wollte dich um eine Unterredung bitten – « »Was ist los, du siehst ja ordentlich feierlich aus?« »Mir ist auch danach zumute«, gestand Busso. »Ich möchte nämlich heiraten.« »I der Dausend – «, schüttelte Philipp verblüfft den Kopf. »Davon habe ich ja noch gar nichts gemerkt. Ist dir der Einfall so plötzlich gekommen?« »O nein, schon lange, lieber Onkel. Aber offen gesagt, fürchtete ich mich, dir mit meinem Ansinnen zu kommen.« »Bin ich denn so ein Unmensch, he?« »Um Gott, Onkel, du bist der gütigste Mensch von der Welt! Ich habe jedoch immer das Gefühl gehabt, als würdest du meine Heirat nicht gern sehen. Aber schau mal, Onkelchen, ich bin immerhin schon dreißig Jahre, sehne mich daher nach Frau und Kind. Kannst du das begreifen?« »Warum nicht? Ich habe ja auch geheiratet. Daher werde ich es dir bestimmt nicht verbieten. Vorausgesetzt, daß die Frau, die du dir ausgesucht hast, hierher paßt. Wer ist die Auserwählte?« »Fräulein Vera von Kardas.« »Wer ist das? Kenne ich nicht.« »Aber Onkel, du bist mit der jungen Dame doch schon öfter auf Gesellschaften und öffentlichen Festen zusammengetroffen. Sie ist in ihrer Schönheit und mit ihrem Charme doch nicht zu übersehen.« »Schönheit und Charme – schon faul. Mir ist die Hauptsache, daß deine Zukünftige ihren wirtschaftlichen
Kram versteht, dir eine gute Frau und den späteren Kindern
eine gute Mutter ist. Alles andere ist Schnickschnack.«
»Die Voraussetzungen sind bestimmt vorhanden, lieber
Onkel. Aber Schönheit ist dabei noch eine beglückende
Zugabe, will ich meinen.«
»Na, wenn es Zugabe ist, habe ich nichts dagegen. Wie
steht es mit dem Geld? Das ist eine weitere gute Zugabe,
will ich nun wiederum meinen.«
»Davon ist allerdings so gut wie nichts vorhanden«, mußte
Busso bekennen. »Sie lebt mit ihrer Mutter von der
Pension, die diese alte Witwe eines höheren Beamten
erhält.«
»Einen Beruf hat sie demnach nicht, liegt also ihrer Mutter
auf der Tasche. Wie alt?«
»Neunundzwanzig.«
»Wenn sie nun so schön, charmant, wirtschaftlich und gut
ist, müßte sie schon längst einen Mann gefunden haben.
An solchen Weiblichkeiten pflegen die Männer nicht
achtlos vorüberzugehen. Wie kommt es also, daß sie noch
immer unbemannt ist?«
»Aber Onkel – wahrscheinlich ist sie dem Richtigen noch
nicht begegnet.«
»Somit bist du endlich der Richtige?«
»Ja – wir lieben uns von Herzen.«
Danach war es eine Weile still. Herr Philipp sah
gedankenvoll vor sich hin, dann sagte er kurz:
»Ist gut, Busso. Bringe mir das Fräulein. Ansehen kostet ja
nichts. Ich will die Dame auf Charakter und Herz prüfen…
Was ist übrigens mit deiner Nase – heilt sie gut?«
»Vorzüglich. Ich kann das Pflaster bald abnehmen.«
»Ein Glück, daß die Sache so harmlos verlaufen ist. Sonst
hätte dein Bruder sich auf etwas gefaßt machen können.
Hast du von ihm gehört?«
»Nein, Onkel. Du auch nicht?«
»Bewahre. Das Bürschchen wird sicherlich warten, bis Gras
über die Geschichte gewachsen ist. Aber da mag er sich nur
nicht täuschen – das Gras wächst nie!«
»Onkelchen, so nachtragend darf man nicht sein«,
bemerkte Busso. »Ich habe Edzard schon längst verziehen.
Er ist doch mein Bruder.«
»Bist ein guter Junge«, lobte Philipp. »Ich wünschte, daß
dein Bruder nur annähernd deinen Charakter hätte. Aber
leider! Wer weiß, wo er herum vagabundiert und Schulden
macht. Mit dem Geld, das Tante ihm gab, wird er schon
längst fertig sein. Man kommt aus der Sorge um diesen
Bengel nicht mehr heraus!«
»Er wird schon wiederkommen, Onkel. Und dann sei bitte
nicht so hart zu ihm.«
»Muß ich, mein Junge, muß ich. Sonst verlumpt er uns
noch ganz. Der braucht eine harte Faust, das sehe ich
immer mehr ein. Deshalb darfst auch du nicht so
nachsichtig mit ihm sein. Und nun geh, mein Junge. Bringe
uns das Fräulein, dann werden wir weiter sehen.«
»Ich danke dir, Onkel Philipp«, sprach Busso mit
schwankender Stimme. »Ich schulde dir so unendlichen
Dank, daß ich den nie im Leben abtragen kann. Wie ist es
mir doch schmerzlich, daß mein Bruder dir so viel
Kummer bereitet. Wirklich, Onkel, ich schäme mich für
ihn…«
»Na, na, na – «, winkte der ab. »Dafür kannst du ja nichts.
Vielleicht besinnt er sich doch noch einmal auf das, was er
mir schuldig ist.«
Damit ging er, und Philipp hielt nach der Gattin Umschau,
die er lesend in ihrem Wohnzimmer fand.
»Störe ich, Nataly?«
»Seit wann störst du mich jemals?« fragte sie verwundert.
»Nimm Platz und beichte. Denn daß du etwas auf dem
Herzen hast, das sehe ich dir an.«
»Kluge Frau. Also höre: Busso will heiraten.«
»Ach du meine Güte! Wen denn?«
»Ein Fräulein Kardas.«
»Aber die hatte Edzard doch aufs Korn genommen«,
forschte sie mißtrauisch. »Wie kommt der Busso denn zu
ihr?«
»Keine Ahnung. Ich kenne die Dame nicht. Und Edzard,
sagst du? Kein Wunder, der läuft ja jeder hübschen Schürze
nach. Sowie ein frisches Gesicht auftaucht, ist er Feuer und
Flamme…«
»… oder die Mädchen für ihn«, warf Nataly trocken ein.
»Kunststück, bei dem schneidigen Kerl!«
»Mir gefällt Busso besser.«
»Na, also, deshalb hat das Fräulein sich ja auch für ihn
entschieden«, meinte sie friedfertig.
»Kennst du die Dame, Nataly?«
»Natürlich – und du kennst sie auch. Entsinnst du dich der
hochblonden Mondänen mit dem seelenvollen
Augenaufschlag, die bei jeder Fete erwünscht oder
unerwünscht sang, um mit ihrer netten Stimme zu
brillieren?«
»Jetzt dämmert es bei mir. Also die ist es. Gefällt sie dir?«
»Nein!«
»Na, erlaube mal, Nataly…«
»Was heißt hier erlauben? Du hast gefragt, und ich habe
geantwortet.«
»Das Urteil klang aber verdammt abschließend.«
»Ist es auch. Ich hatte schon Angst, daß Edzard sie uns
eines Tages offerieren würde. Und nun kommt Busso mit
ihr an. Meinetwegen mag er mit ihr selig werden. Ich hab ja
gottlob nichts mit ihr zu tun.«
»Aber du mußt doch mit ihr unter einem Dach leben,
Nataly…«
»Das kommt nicht in Frage. Ich will mir nicht einen mir
unsympathischen Menschen auf die Nase setzen lassen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Genau so, wie es gemeint ist. Gib dem jungen Paar als
Wohnsitz ein Nebengut, auf dem es herrlich und in
Freuden leben kann. In Reuth will ich meine Ruhe haben.«
Langsam stieg Philipp die Zornesröte ins Gesicht. »Nataly,
was ist das für eine Sprache. Die kenne ich an dir noch gar
nicht!«
»Nein, Gott sei’s geklagt. Ich habe dir bisher noch nie in
die Angelegenheit deiner Neffen dreingeredet. Nun, da es jedoch um meine Behaglichkeit geht, werde ich mich wohl wehren müssen.« »So, so! Und wenn ich dir nun sage, daß Busso mit seiner Frau auf Reuth wohnen wird, was dann?« »Dann gehe ich.« »Das werden wir abwarten müssen-!« »Gut, warten wir ab. Daß du doch immer gleich den wilden Mann markieren mußt, Philipp. Ist es denn überhaupt schon spruchreif, daß die Dame Bussos Frau wird?« »Bis jetzt noch nicht. Ich will sie erst einmal kennenlernen.« »Na also – «, lachte sie gemütlich. »Hat Busso von dir die Erlaubnis, die Dame ins Haus zu bringen?« »Ja, ich kann dem Jungen doch nicht das Heiraten verbieten.« »Meinetwegen mag er des Teufels Großmutter heiraten, das schert mich nicht. Ich will mit dem Paar nur nicht in einer Hausgemeinschaft leben.« »Nataly, was ist bloß in dich gefahren. Von den wenigen Malen, die du mit der Dame zusammengekommen bist, kannst du dir doch unmöglich ein abschließendes Urteil bilden«, versuchte er ihr zuzureden. Doch das machte keinen Eindruck auf sie. »Wenn mir ein Mensch unsympathisch ist, dann ist er es eben«, blieb sie hartnäckig. »Das ist reinste Gefühlssache. Die Dame mag ja ein vortrefflicher Mensch sein – aber mir gefällt sie nun einmal nicht.« »Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen«, erwiderte er schroff. »Wenn sie mir gefällt und in ihren Verhältnissen alles stimmt, dann wird sie Bussos Frau, basta! Und wenn er sie herbringt, dann bitte ich mir aus, daß du sie als Gast höflich behandelst.« »Natürlich. Es ist nicht meine Art, unhöflich zu sein, zumal es sich um die zukünftige Frau deines Busso handelt, aber du siehst mir aus, als ob du noch etwas auf dem Herzen hättest. Also runter damit!«
»Nataly, es will mir fast scheinen, als machtest du dich über mich lustig – «, forschte er mißtrauisch, und sie machte ein ganz unschuldiges Gesicht. »Aber Philipp, wie könnte ich das wagen?« »Na, – trau, schau, wem«, brummte er. »Ich wollte dich nur fragen, ob du – na ja – ob du etwas von Edzard weißt…« »Nein, Philipp.« »Wo der widerspenstige Bengel sich nur herumtreiben mag! Paß auf, der macht Schulden über Schulden – « »Wäre das so schlimm?« »Na, erlaube mal! Ich habe mein Geld doch nicht, um es von einem leichtsinnigen Burschen vergeuden zu lassen. Er hat mich wahrlich schon genug gekostet.« »Mehr als Busso?« »Das natürlich nicht«, mußte der Mann widerwillig zugeben. »Na, siehst du. Wenn du Busso nun Heiratszulage bewilligen wirst und bei seiner Heirat sonst noch Unkosten hast, dann verbuche diese Summen auch fein säuberlich und schreibe dieselben auf Edzards Konto. Damit kannst du dann Schulden bezahlen, noch und noch. Denn du wirst doch einen Neffen vor dem andern nicht bevorzugen wollen? Das sähe dir so gar nicht ähnlich.« »Wozu das?« fragte er unbehaglich. »Weil es beide deines Bruders Söhne sind, die beide dasselbe von dir bekommen müssen.« »Als wenn das nicht immer der Fall gewesen wäre. Aber dafür ernte ich bei Busso Dank, bei Edzard Undank.« »Das bildest du dir ein, Philipp. Edzard hängt sehr an dir, wirklich, er kann es nur nicht so zeigen.« »Hat er bewiesen. Geht einfach davon und meldet sich nicht. Was habe ich ihm schon groß gesagt? Bestimmt nicht so viel, daß er davonlaufen mußte. Aber laß ihn mir nur kommen, dann kriegt er sogar noch eine Ohrfeige, jawohl…« Nun ging er hinaus, und Nataly sah ihm lächelnd nach. Er
schien an dem Jungen doch mehr zu hängen, als sie angenommen hatte. Am Sonntag brachte Busso seine Auserwählte nach Reuth, die auf den Herrn des Hauses einen günstigen Eindruck zu machen schien. Sie tat aber auch rührend bescheiden und sprach viel über Hauswirtschaft. Dazu der seelenvolle Augenaufschlag, das liebe Lächeln… Aber Nataly ließ sich nicht täuschen. Sie behandelte den Gast liebenswürdig und dachte sich ihr Teil. Als Busso mit dem Mädchen im Auto abgefahren war, um es zur Stadt zu bringen, fragte Philipp aufgeräumt: »Nun, Natchen, besteht deine Antipathie noch?« »Ja-«, kam die unerwartete Antwort. »Das glaubst du doch selbst nicht, Nataly. Du willst nur nicht zugeben, daß du dich geirrt hast.« »Meinetwegen. Die Hauptsache, daß sie dir gefällt.« »Gewiß gefällt sie mir. Es ist ein bescheidenes, vernünftig denkendes Mädchen, das zu Busso gut paßt. Es wäre ja auch sonderbar gewesen, wenn der sein Herz an einen Firlefanz gehängt haben sollte.« »Es freut mich, daß du mit Bussos Wahl zufrieden bist. Wann soll die Verlobung steigen?« »So weit ist es noch nicht«, wehrte er ab. »Da muß ich das Fräulein doch noch näher kennenlernen. Vor allen Dingen ihre Mutter. Auf keinen Fall wollen wir etwas überstürzen. Wollen mal erst die Ernte sicher haben, ehe wir ans Feiern denken. Oder bist du anderer Ansicht, Nataly?« . »O nein, ich bin sogar sehr einverstanden!« »Das freut mich, dann wären wir uns ja wieder einmal einig, liebste Frau.« Edzard war gut in Ridden angekommen. So sehr dem Naturfreund das romantisch gelegene Seebad gefiel, so konnte er sich dem Zauber doch nicht uneingeschränkt hingeben, weil die Sorge um seine Existenz ihm keine Ruhe ließ. Auch quälte ihn die Unrast, mit der er Ausschau nach einer passenden Frau hielt. Bisher war ihm noch kein weibliches Wesen, das sich seiner Ansicht nach dazu
geeignet hätte, begegnet. Dazu meinte es der Wettergott gar nicht gnädig. Es gab regnerische, kühle Tage. Er streifte trotzdem viel am Strand und im Wald herum, aber die Damen zogen es vor, sich lieber im wohlig durchwärmten Kurhotel zu vergnügen. So begrüßte es Edzard, als am zehnten Tage ihn ein Telegramm des Freundes nach Harlerode rief. Noch am selben Tage reiste er ab und erreichte am Abend sein Ziel. »Nanu, Edzard, so ganz solo?« begrüßte ihn der Freund. »Wo hast du denn deine Braut?« »Fehlanzeige.« Er zuckte resigniert die Achsel. »Es war verflixt wenig Auswahl.« »Habe ich dir das nicht gesagt?« triumphierte Hubert. »Um auf die Freite zu gehen, begibt man sich nicht nach Ridden. Da ist während der Saison nichts los und um diese Jahreszeit schon gar nichts. Nun haben wir umsonst den Sekt kaltgestellt.« »Der wird uns auch ohne Verlobung schmecken«, stellte sich Edzards frohe Laune ein. »Weise mir gütigst ein Zimmer an, Susann, damit ich meinen Reisestaub loswerde. Und dann möchte ich essen.« »Wird gemacht«, lachte sie vergnügt. »Ein Zimmer ist bereit und ein gutes Mahl ebenfalls.« Als Edzard eine Weile später tadellos gekleidet erschien, setzte man sich an den einladend gedeckten Tisch. Er mußte erzählen, was er auf der Reise erlebt hatte. Nach dem Essen zog man sich in ein lauschiges Zimmerchen zurück. Der Kamin verbreitete angenehme Wärme, die man an dem kühlen Tag gut vertragen konnte. Man gruppierte sich um ihn, griff nach den Zigaretten, und da fragte Edzard den Freund, warum er ihn telegrafisch zurückgerufen hatte. »Weil ich eine Stelle für dich habe…« Edzard ließ vor Überraschung die Zigarette sinken. »Hubert, das ist doch wohl nicht möglich – in der kurzen Zeit. Oder willst du mich zum Narren halten?« »I, wo werde ich«, wehrte der Freund. »Ich staune ja selbst
über deinen Dusel. Hör zu: Am Tage nach unserer Aussprache in der Konditorei steckte ich sofort meine Fühler aus. Es sah traurig damit aus, aber ich ließ den Mut nicht sinken. Bis ein Zufall mir zu Hilfe kam. Als ich nämlich vorgestern abend die landwirtschaftliche Zeitung studierte, fiel mein Auge auf ein Inserat. Fett gedruckt stand da, daß auf Ritters ein Inspektor gesucht wird. Kurz und gut: Gestern suchte ich den Oberinspektor in Ritters auf, schenkte ihm reinen Wein ein, den er ganz gemütlich schluckte. Kennst du Oberinspektor Bitterling?« »Nur flüchtig…« »Ich sage dir, das ist ein urgemütliches Haus, das seinen bitteren Namen wahrlich zu Unrecht trägt. Na, dann schicken Sie mir man diesen Ausreißer, schmunzelte er, nachdem ich die Beichte beendet hatte. Ich werde ihm schon die Hammelbeine langziehen, wenn er hier Kapriolen machen will. Daß er von dem landwirtschaftlichen Kram was versteht, ist für mich die Hauptsache. Seine Familienverhältnisse gehen mich nichts an. Was sagst du nun, Edzard?« »Ich kann es kaum fassen«, entgegnete er ganz benommen. »Ich so^ wirklich zur Vorstellung?« »Ganz und gar wahrhaftig!« lachte Hubert. »Und wenn er mich doch nicht einstellt?« »Dann würde er dich gar nicht erst hinbestellen, du Zweifler. Inspektor auf Ritters zu werden, ist bestimmt Dusel. Der moderne Betrieb dort, die großartige Wirtschaftsführung, dazu einen so prächtigen Vorgesetzten, besser konntest du es nicht treffen, Edzard. Und was dein Onkel erst für Augen machen wird, wenn er erfährt, daß sein verpönter Neffe auf Ritters schaltet und waltet. So – und nun wollen wir Sekt trinken, damit er nicht unnötig kalt gestellt wurde.« Also stieß man fröhlich an. Die Gatten gerieten dann auch bald in Stimmung, die der nachdenkliche Freund nicht unbedingt teilen konnte. Es schien ihm doch sehr als ein Wunder, daß er so schnell
eine Existenz haben sollte. Jedenfalls war er sehr skeptisch, was er sich jedoch nicht merken ließ, um den beiden nicht die Stimmung zu verderben. Dann fiel ihm etwas ein. »Sag mal, Hubert, ist der Besitzer von Ritters nicht vor einiger Zeit gestorben?« »Ja. Der alte Professor hat vor ungefähr einem Jahr das Zeitliche gesegnet.« »Und wer ist der Erbe?« »Ein Neffe; denn der alte Herr starb ja als Junggeselle.« »Und wenn der jetzige Besitzer ein Landwirt ist?« »Dann wird er sich freuen, ein so feudales Gut wie Ritters geerbt zu haben.« »Ja aber – wenn er dann – ich meine, falls der Besitzer Ritters nun selber bewirtschaften will, dann kann der Verwalter mich ohne seine Einwilligung doch nicht einstellen.« »Darüber laß dir keine grauen Haare wachsen. Der Mann wäre ja ein Narr, wenn er den Bitterling, der so segensreich auf Ritters wirkt, an die Seite schieben wollte. Außerdem wird der Professor in seinem Testament schon die Bedingung gestellt haben, daß Bitterling Verwalter auf Ritters bis zu seinem Tode bleibt. Auch glaube ich nicht, daß der Besitzer Landwirt ist. Dann hätte er sein Gut schon längst in Augenschein genommen. Das ist da so eine gelehrte Familie von lauter Professoren und Doktoren, die ganz andere Interessen haben. Na, wirst ja morgen mehr hören. Und nun Prosit! Übrigens hörte ich, daß dein Bruder Busso seine Vera nach Reuth gebracht haben soll, die von deinem Onkel sehr freundlich empfangen worden ist.« »Kunststück, wenn Busso sie offeriert«, sagte Edzard trocken. »Ach«, unterbrach er sich, »da fällt mir ein: Morgen steigt ein Maifest in der Stadthalle, wo wir unbedingt dabei sein müssen. Du hältst doch mit, Edzard?« »Ich weiß nicht recht…« »Sei kein Frosch! Morgen ist erst der Zwölfte. Am
Dreizehnten schläfst du dich aus, am Vierzehnten siedelst du nach Ritters über und am Fünfzehnten stürzt du dich löwenmutig in die Arbeit.« »Bitte, bitte, Edzard, komm doch mit«, bettelte Susann, und da war er besiegt. Am nächsten Vormittag machte sich Edzard auf den Weg nach Ritters. Sehr wohl war ihm dabei nicht zumute, als er auf seinem Gaul dahinritt. Was der Onkel denken würde, wenn er hörte, daß sein Neffe ausgerechnet Stellung auf Ritters gefunden hatte! Ritters und Reuth hatten seit erdenklichen Zeiten der Familie gleichen Namens gehört. Bis der Großvater Philipps in Schwierigkeiten geriet und den Familienbesitz auseinanderreißen mußte. Seitdem befand sich Ritters, das noch feudaler war als Reuth, in anderen Händen. Den Familienbesitz wieder zu verschmelzen, war nun Philipps größter Wunsch. Wohl war Reuth ein einbringlicher Besitz, der den Besitzer zum wohlhabenden Mann gemacht hatte. Aber so viel Geld hatte er noch lange nicht, um Ritters zurückkaufen zu können. Das wurmte Herrn Philipp gewaltig. Wie oft hatte er sich den Groll vom Herzen gepoltert, daß Menschen, die keine Landwirte waren, dieses herrliche Stückchen Erde ihr eigen nannten. An all das dachte Edzard, als er sich Ritters näherte. Und als er es erreicht hatte, sah er entzückt auf das stattliche Gut, auf dem eine vorbildliche Ordnung herrschte. Er übergab sein Pferd einem Stallburschen, ließ sich das Inspektorhaus zeigen und stand gleich darauf vor dem Verwalter, der ihn gutgelaunt empfing. »Da sind Sie ja, mein lieber Rittersreuth. Nehmen Sie Piatz, greifen Sie sich einen Glimmstengel und lassen Sie uns wie vernünftige Menschen reden.« Edzard kam der gemütlichen Aufforderung nach. Verstohlen betrachtete er den Mann, der ihm vom ersten Augenblick an sympathisch war. Aus dem hageren Gesicht sahen zwei tiefblaue Augen klug und abschätzend den Stellungsuchenden an. Dann blitzte es humorvoll darin
auf. »Mein lieber Baron, daß Ihnen nicht sehr wohl in Ihrer Haut ist, das kann ich mir denken. Denn so einfach kann es ja nicht sein, von des Onkels Fleischtöpfchen hinweg sich andere suchen zu müssen. Aber lassen Sie nur, auch aus denen hier wird es Ihnen ganz gut schmecken.« Da mußte Edzard lachen. »Mir ist nicht bange darum, Herr Verwalter.« »Na, diese Betitelung wollen wir von vornherein lassen. Benutzen Sie ruhig meinen bitteren Namen. Seinetwegen habe ich nämlich keine Frau bekommen. Aber nun zur Sache…« Kurz und sachlich machte er Edzard mit seinen Pflichten bekannt, nannte ihm ein annehmbares Gehalt und fragte dann: »Nun, wollen Sie zugreifen?« »Mit tausend Freuden, Herr Bitterling! Wenn Sie nur mit mir zufrieden sein werden. Ich habe in einem fremden Betrieb noch nie gearbeitet.« »Aber bei Ihrem Onkel, wo Sie tüchtig heranmüssen, wie mir bekannt ist. Mehr brauchen Sie hier auch nicht zu tun. Also, wann kann ich Sie erwarten? Geht es am Fünfzehnten?« »Selbstverständlich, Herr Bitterling.« »Das ist mir lieb. Denn gerade jetzt, wo für den Landwirt die Arbeit richtig anfängt, läßt mich der Inspektor im Stich, um eine Bauerntochter zu heiraten. Und nun wollen wir zum gemütlichen Teil übergehen.« Er holte eine Flasche Wein, füllte die Gläser und stieß mit Edzard an: »Auf gute Zusammenarbeit, lieber Baron. Es müßte mit dem Deubel zugehen, wenn wir beide uns nicht vertragen wollten. Aber Sie sehen mir so aus, als ob Sie noch etwas auf dem Herzen hätten.« »Ganz recht, Herr Bitterling. Ich möchte nämlich heiraten…« »So, heiraten wollen Sie«, schmunzelte Matthias Bitterling.
»Dann man zu. Ihr Deputat bekommen Sie, Gehalt auch, und der Kasten hier ist groß genug, um ein Frauchen mit zu beherbergen und ein halbes Dutzend Gören noch dazu.« Ach, wie wurde Edzard da froh ums Herz, wie konnte er herzlich lachen! Mit einem vorschriftsmäßigen Vertrag in der Tasche verabschiedete er sich von dem patenten Mann mit warmen Worten. Schwang sich auf sein Pferd und ritt in schlankem Trabe Harlerode zu, wo er bereits ungeduldig erwartet wurde. »Na, hat’s geklappt?« erkundigte sich Hubert. »Jawohl. Ihr seht den Inspektor von dem herrlichen Rittergut Ritters vor euch«, antwortete er übermütig. »Kinder, habt ihr eine Ahnung, welch ein Granitblock mir vom Herzen gepoltert ist!« Daß in der Stadthalle der naheliegenden Stadt das Maifest am zwölften Mai gefeiert wurde, war Tradition, ob nun ein Mailüfterl wehte oder ob es in Strömen regnete. Das tat es denn heute auch. Es regnete Bindfäden. Aber das tat der Freude der Vergnügungslustigen keinen Abbruch. Die Räume der Stadthalle waren maimäßig geschmückt. Maibowle gab es auch, zu tanzen gleichfalls, also würde man trotz des Regens schon auf seine Kosten kommen. Als die Syderschen Gatten mit Edzard den Gesellschaftsraum der Stadthalle betraten, war er schon voll besetzt. Wie gut, daß sie sich einen lisch hatten reservieren lassen, den der Ober ihnen in einer Nische anwies, in der noch ein anderer unbesetzter Tisch stand. Man nahm Platz und bestellte Maibowle, die es in sich hatte und bald zu einem niedlichen Schwips verhalf. Susann, entzückend anzuschaun in ihrem feuerroten Seidenkleid, sprudelte vor Übermut, der die Herren langsam mitriß. Auch an den andern Tischen war man recht vergnügt. Immer wieder klang Lachen auf. Aus dem danebenliegenden Saal tönte einschmeichelnde Tanzmusik.
»Edzard, wollen wir tanzen?« lachte Susann ihn an. »Hubert kann sich eine anlachen und uns folgen.« »Das sollte mir fehlen«, brummte er gemütlich. Lachend zog das Paar von dannen, von manchem bewundernden Blick gefolgt. Die entzückende Frau in ihrem aparten Kleid, der rassige, distinguierte Herr im Abendanzug, das war schon etwas, das man nicht alle Tage sah. Erhitzt vom Tanz und strahlend froh kehrte Susann am Arm ihres Tänzers zurück. Ließ sich in den Sessel fallen und fächelte sich Luft zu. »Puh, wie ist mir heiß – aber schön war’s doch. Edzard ist ein fabelhafter Tänzer-« Sie hielt inne und sah interessiert dem Paar entgegen, das auf die Nische zukam. Der Herr, gesetzten Alters, mit einem Bäuchlein und Glatze, die Dame… Wie gebannt schaute Susann auf die Erscheinung im raffiniert einfachen weißen Seidenkleide. Ein stolzes Antlitz, herb und süß zugleich, mit Augen gleich leuchtenden Saphiren. Wie eine Krone aus Gold umschmiegte die kunstvolle Abendfrisur den feinen Kopf. Und was gleißte und blitzte da auf der schimmernden Seide des Kleides wie Blut so rot-? Ein Herz – ein Herz aus funkelnden Rubinen, eingefaßt von herrlichen Brillanten! Dicht neben dem Herzen lag es, das in der Brust dieses schönen Menschenkindes schlug. Wie erstarrt saßen Susann und die beiden Herren da, keinen Blick von dieser Frau lassend, die stolz und formell das Haupt gegen die Fremden neigte, bevor sie mit ihrem Begleiter am Nebentisch Platz nahm. Der Herr bestellte Maibowle, der er fleißig zusprach, während die Dame nur daran nippte. Sie sprachen halblaut miteinander, so daß die am Nebentisch Sitzenden zu ihrem Leidwesen nichts verstehen konnten. Nun horchten alle auf; denn inmitten des Raumes wurde eine Stimme laut. Da stand ein Herr, der die Anwesenden mit humorvollen Worten bat, sich heute als eine große Familie zu betrachten und ganz zwanglos miteinander zu
tanzen. Ein freudiges Hallo entstand. Die Herren beeilten sich, die schon längst aufs Korn genommenen Damen zu engagieren. Auch der Herr am Nebentisch verbeugte sich vor seiner Dame und ging mit ihr zum Tanzsaal. Kaum, daß sie außer Hörweite waren, lachte Hubert laut auf. »Edzard, hast du gesehen, der hängt ja das Herz direkt zum Halse heraus! Na, offensichtlicher präsentieren kann sie es dir doch wirklich nicht.« »Und der Ring an ihrer Linken ist ebenfalls mit einem Rubinherz geschmückt-«, jubelte Susann. »O Edzard, ich glaube, dein Schicksal naht -!« »Na – «, zweifelte Hubert. »Die Schöne sieht mir verflixt distinguiert aus. Vielleicht ist der Herr sogar ihr Gemahl – « »Das glaube ich nicht-«, widersprach Susann. »Das wäre ja so, als hätte ein Kohlkopf eine Rose geehelicht. Sie trägt ja auch keinen Ehering.« »Das sagt nichts – «, meinte Hubert. »Wer wird den Ehering tragen, wenn er zum Fest geht? Wärest du nicht hier, dann steckte meiner bestimmt in der Westentasche.« »Untersteh dich -!« Sie machte eine allerliebste Faust, so daß der Herr, der auf sie zukam, unwillkürlich den Schritt verhielt. »Treten Sie ruhig näher, mein Herr«, ermunterte Hubert ihn gemütlich. »So böse, wie die Dame hier tut, ist sie nicht.« Da verbeugte der Herr sich lachend und führte sie zum Tanz. »Unser Susannchen wären wir somit glücklich los«, schmunzelte Hubert. »Wenn die Herren erst heraushaben, wie gut sie tanzt, wird sie bestimmt nicht als Mauerblümchen das Fest verbringen. Ergo: Suchen wir uns ein schönes Kind, das wir beglücken können. Schau her, da naht die Dame mit dem feurigen Herzen wieder. Nun verpasse den Anschluß nicht, Langer! Stürze dich, sobald der nächste Tanz beginnt, mutig auf sie und suche zu ergründen, ob ihr Herz, das sie in der Brust trägt, von
warmem Blut durchpulst ist oder kaltglitzernd darin liegt, wie das auf der schmiegsamen Seide ihres Kleides. Oder wagst du dich an so viel stolze Schönheit nicht heran?« »Das wäre – «, lachte Edzard und verfolgte mit Interesse, wie die Unbekannte am Nebentisch Platz nahm. Horchte bei der warmen, melodischen Stimme auf. »Nun stärken Sie sich zuerst einmal, Herr Wanger; so ein Tanz ist für manchen so eine anstrengende Angelegenheit.« »Du, ein Ehepaar ist das nicht«, flüsterte Hubert dem Freund zu. »Sie spricht ihn mit Sie an.« Der Tanz war beendet, und die Paare kamen an ihre Plätze zurück. Die Kapelle spielte fleißig; denn bald klang ein neuer Tanz auf. Und schon stand Edzard am Nebentisch und verbeugte sich vor der Unbekannten, die ihm lächelnd in den Saal folgte. Dort legte er seinen Arm um ihre Mitte und führte sie mit der Sicherheit eines eleganten Tänzers. Schweigend sah er eine Weile nieder auf das schimmernde Haupt, bis sie es hob und ihn fragend ansah. Da begann er mit der gewiß nicht alltäglichen Unterhaltung: »Wissen Sie auch, gnädiges Fräulein, daß ich Sie seit zwölf Tagen sehnsüchtig gesucht habe?« »Zwölf Tage nur?« lächelte sie, während es in ihren Augen humorvoll aufblitzte. »Das ist eine kurze Zeit. Manche brauchen Jahre, um das zu finden, was sie suchen. Aber darf ich fragen, warum Sie ausgerechnet mich suchten – und was Sie bei mir zu finden hoffen?« »Ihr Herz.« Nun lachte sie amüsiert auf. »Mein Herz also. Bescheiden scheinen Sie gerade nicht zu sein, Herr…?« »Rittersreuth. Edzard Rittersreuth.« »Danke. Und ich heiße Andrea Müller. Warum sehen Sie mich so seltsam an? Gefällt Ihnen mein Name nicht? Er ist zwar nicht so klangvoll wie der Ihre, aber bestimmt so alt…« »Und so häufig, daß er ein wunderbares Inkognito gibt.«
»Sollte mir einfallen.« Sie schnitt eine allerliebste Grimasse. »Ich bin weder eine hochstehende Persönlichkeit, noch habe ich etwas zu verbergen, daß ich mich eines Inkognitos bedienen müßte.« »Also – Andrea Müller – «, sprach er weich, fast zärtlich vor sich hin. »Wie schön!« »Sehen Sie, das finde ich auch. Aber da Sie mich nun neugierig gemacht haben, müssen Sie mir auch sagen, warum Sie bei Ihrer sonderbaren Herzsuche ausgerechnet auf mich verfallen sind. Was also bewirkte den Anlaß?« »Das da – «, zeigte er mit den Augen auf das Rubinherz auf ihrer Brust und an das an ihrer Hand. »Nanu, sind Sie etwa Schmucksammler? Dann will ich Ihnen sagen, daß beide Herzen unverkäuflich sind.« Er kam zu keiner Antwort, da die Musik schwieg, mußte sie auch schuldig bleiben, während er Andrea zu ihrem Tisch führte. Denn die Paare hinter ihnen sprachen so lebhaft, daß er hätte schreien müssen, um sich verständlich zu machen. Und das, was er ihr zu sagen hatte, war wahrlich nicht für die andern bestimmt. So lieferte er sie mit höflicher Verbeugung bei ihrem Begleiter ab, der von der vorzüglichen Bowle schon blanke Augen hatte, nahm dann an seinem Tisch Platz, auf den Susann und Hubert Arm in Arm lossteuerten. »Hast du etwa mit deiner Frau getanzt?« fragte Edzard lachend. »Nur den Pflichttanz«, kam es vergnügt zurück. »Fortan sind wir gewillt, uns auf eigne Faust zu amüsieren.« »Sehr richtig – «, lärmte Herr Wanger, sein Glas dabei hebend. »Prosit, meine Herrschaften!« »Prosit!« klang es dreistimmig auf, wobei dem fidelen Herrn eifrig Bescheid getan wurde. Dann meinte Hubert harmlos: »Ist es nötig, daß wir uns per Distanz zuprosten müssen? Wenn die Dame und der Herr sich einfachhalber zu uns setzen würden, wäre es dann nicht gemütlicher?« »Mir schon – «, erwiderte Herr Wanger zögernd. »Ich weiß
nur nicht recht, ob das gnädige Fräulein damit einverstanden ist.« »Warum nicht – «, lächelte sie. »Wir sind doch aufgefordert worden, uns heute als Familie zu betrachten.« Also ging die Übersiedlung vor sich. Die Vorstellung war bald erledigt. Und da die fünf Menschen sich untereinander recht sympathisch waren, fanden sie gleich die passenden Worte, um das Fremdsein zu überbrücken. Kaum daß die Musik erneut aufklang, verbeugte sich Edzard wieder vor Fräulein Müller, während Herr Wanger das vor Susann tat. Edzard tanzte mit seiner Partnerin an ihnen vorüber. Vergnügt nickte Wanger ihnen zu. Susann dachte darüber nach, wie sie es wohl anstellen könnte, ihren Tänzer über Andrea Müller auszuhorchen. Denn in seiner Weinseligkeit würde er sicherlich das Herz auf der Zunge tragen. Und schon kam er ihr zur Hilfe. »Dieses Fräulein Andrea ist doch ganz was Blitzsauberes«, begeisterte er sich. »Ich bin ordentlich verliebt in sie.« »Vielleicht erwidert sie das Gefühl?« neckte Susann. »Um Himmels willen, gnädige Frau, ich bin ein alter Eheknüppel mit vier heranwachsenden Kindern.« »Kennen Sie Fräulein Müller schon lange?« forschte sie vorsichtig. »Erst seit zwei Tagen. Da ist kennen wohl zuviel gesagt. Wir speisen im Hotel an einem Tisch, an dem auch der Chef des Fräuleins seinen Platz hat.« »Dann ist Fräulein Müller berufstätig?« »Ja. Sie ist Sekretärin. Sie muß bei ihrem Gebieter gut angeschrieben sein, denn er kommt ihr stets mit Achtung entgegen. Er wollte sie auch heute auf das Fest begleiten, mußte jedoch eine unvorhergesehene Reise antreten. An der Mittagstafel sprach er Fräulein Müller sein Bedauern darüber aus. Aber ohne Begleitung könne sie unmöglich auf das Fest. Da bot ich mich als solche an. Na ja – und nun bin ich hier und amüsiere mich. Und wie ich feststellen kann, tut Andrea das auch. Ich bin ordentlich
stolz auf meinen Schützling.« »Können Sie auch, Herr Wanger. Einen so entzückenden Schützling hat nicht jeder aufzuweisen. Was die Dame für einen wundervollen Schmuck trägt. So etwas Apartes sah ich noch nie.« »Der ist bestimmt nicht echt«, meinte er treuherzig. »Wenn ihr Gehalt auch ganz anständig sein wird, aber für solch echten Schmuck reicht es denn doch nicht. Schon die Imitation kann nicht billig sein.« Sehr befriedigt war Susann und hielt Ausschau nach Andrea, die im Arm ihres eleganten Tänzers dahinschwebte. Zu gern hätte sie gewußt, was die beiden miteinander sprachen. Die beiden führten das Gespräch fort, das sie nach dem ersten Tanz abbrechen mußten. Kaum hatte Edzard den Arm um seine Partnerin gelegt, da sagte er: »Nein, ein Schmuckhändler bin ich nicht, gnädiges Fräulein. Trotzdem suche ich ein Herz – nichts weiter als ein Herz.« »Dunkel ist Ihrer Rede Sinn, mein Herr«, lächelte sie zu ihm auf. »Damit machen Sie meine Neugierde immer größer. Wollen Sie diesen dunklen Sinn nicht entwirren?« »Nein, gnädiges Fräulein – nicht hier. Denn die Entwirrung ist nicht so einfach. Braucht längere Zeit und einen anderen Ort als den Tanzsaal. Würden Sie mir daher ein Wiedersehen schenken? Sagen Sie bitte nicht nein.« Augenblick lang zögerte sie. »Bitte, gnädiges Fräulein.« »Nun gut. Es ist zwar nicht meine Art, mich mit Tanzbekanntschaften zu verabreden, aber diesmal werde ich eine Ausnahme machen. Morgen ist Sonntag, da geht es auch sehr gut. Sagen wir am Nachmittag, Treffpunkt vor diesem Lokal.« »Könnte es nicht schon am Vormittag sein?« »So lange brauchen Sie, um Ihre dunkle Rede zu entwirren?« fragte sie amüsiert. »Schön, sollen Sie Ihren Willen haben. Dann um elf Uhr,
zufrieden?« »Herzlichen Dank, gnädiges Fräulein.« Er lachte froh. »Und nun, da alles so wundervoll geklärt ist, wollen wir uns unbeschwert dem Tanz hingeben. Hören Sie, was die Geige singt? Ganz wie für uns geschaffen – « »Ich brauche dein Herz, um glücklich zu sein«, sang er ihr leise ins Ohr und sah mit Entzücken, wie ihr langsam die Röte ins Antlitz stieg. Noch einige Drehungen, dann war der Tanz zu Ende, und Edzard führte seine Partnerin an den Tisch zurück, wo Susann und Hubert auch soeben angelangt waren. »Fräulein Müller, Herr Wanger läßt sich vielmals entschuldigen«, bestellte erstere. »Er hat einen alten Bekannten getroffen, mit dem er das Wiedersehen begießen will. Er meinte, Sie wären bei uns so gut aufgehoben, daß sie ihn bestimmt nicht vermissen werden. Stimmt das?« »Auffallend – «, nickte Andrea lachend. »Ich gönne dem Herrn von Herzen die feuchtfröhliche Wiedersehensfeier.« Die Stunden eilten dahin wie im Fluge. Man war froh, amüsierte sich und gab sich eifrig dem Tanz hin, an dem Hubert nun auch Gefallen gefunden hatte. Susann, die natürlich keinen Tanz ausließ, hatte für jeden einen andern Partner – nur Edzard blieb Andrea treu. Die Gatten bemerkten das mit Vergnügen. Susann freute sich schon auf den Augenblick, da sie Edzard berichten konnte, was sie von Herrn Wanger gehört hatte. Hoffentlich wußte er es nicht bereits von Fräulein Müller selbst, das hätte ihr den ganzen Spaß verdorben. Aber Edzard dachte gar nicht daran, seine Partnerin nach persönlichen Dingen zu fragen. Man gab sich dem Tanz hin, ohne viel dabei zu sprechen. Leider gehen die schönen Stunden immer viel zu schnell vorbei. So kam denn auch die Zeit, wo man an den Aufbruch denken mußte. Als Wanger sich einfand, bat Andrea ihn, Schluß zu machen. »Aber natürlich, Andreachen«, lärmte er fidel. Als sie zu den Garderoben schritten, fragte Edzard das
Mädchen:
»Werden Sie auch gut nach Hause kommen, gnädiges
Fräulein? Ihr Begleiter ist alles andere als taktfest.«
»Keine Angst«, gab sie lachend zurück. »Ich werde ihn gut
und sicher heimgeleiten. Wir wohnen gegenüber im
Hotel.«
Auch die Syders und Edzard von Rittersreuth begaben sich
nach Hause. Die kurze Strecke bis Harlerode war im Auto
bald zurückgelegt. Als Edzard sogleich nach seinem
Zimmer wollte, hielt Susann ihn zurück.
»Bleib noch ein Viertelstündchen. Ich plaudere nach einem
Fest immer noch so gern.«
»Na schön, aber wirklich nur ein Viertelstündchen«,
erklärte der Mann. Kaum daß sie Platz genommen hatten,
platzte Susann heraus:
»Ich weiß, wer die Dame mit dem leuchtendroten Herzen
ist, Edzard. Du nicht?«
»Eigentlich nein…«
»Schau nur, Hubert, was er für hungrige Augen hat«, lachte
sie hellauf. »Wollen wir ihn bis morgen zappeln lassen?«
»I bewahre«, protestierte er. »Ich bin selbst neugierig.«
Fast wörtlich gab Susann die Unterredung mit Herrn
Wanger wieder und amüsierte sich dann über die
verblüfften Gesichter der Herren.
»Sekretärin ist sie also«, grübelte Hubert. »Na schön, das
will ich glauben. Aber daß der Schmuck nicht echt sein soll
– nein Kinder, das will mir nicht in den Kopf. Was meinst du dazu, Edzard? Du hast sie ja nebst Schmuck an dein Herz gedrückt, ihn daher dicht vor Augen gehabt.« »Der Schmuck ist echt.« »Du, es gibt vorzügliche Imitationen, die einem Laien nicht auffallen und gewiß nicht ganz billig sind«, tat Susann ihre Weisheit kund, doch er winkte nachlässig ab. »Wenn schon. Was hat der Schmuck überhaupt mit dem Mädchen zu tun? Mir nur recht, wenn er unecht wäre. Daß Fräulein Müller ein Mädchen ist, das ihren Lebensunterhalt verdienen muß, macht mich direkt froh.
Da brauche ich keine Hemmungen zu haben, mit meinem Anliegen herauszurücken. Denn ein Leben, wie sie es jetzt führt, kann ich ihr auch bieten. Dabei hätte sie es bequemer. Brauchte nichts weiter zu tun, als ihren kleinen Haushalt in Ordnung zu halten, wozu ich ihr sogar eine junge Kraft zur Verfügung stellen werde.« »Du bist tatsächlich entschlossen, um sie zu werben?« fragte Hubert unbehaglich. »Ja! Hoffentlich mag sie mich.« Sekundenlang war es sehr still, bis Susann leise fragte: »Sag mal, Edzard, ist dir dies Mädchen nicht zu schade für das – Spiel?« »Was heißt hier Spiel? Ich denke nicht daran, ein Spiel mit ihr zu treiben. Sie wird die volle Wahrheit erfahren.« »Na, Edzard, da sehe ich schwarz.« Hubert kratzte sich den Kopf. »Die sieht mir nicht danach aus, daß sie gewillt sein könnte, einem fremden Mann als Rachewerkzeug zu dienen. Muß diese Rache überhaupt sein – immer noch?« Des Freundes Antlitz wurde hart, in die Augen trat ein kaltes Glitzern. »Ja – sie muß sein -!« klirrte seine Stimme auf. »Glaubst du etwa, ich ließe ein so frevles Spiel mit mir treiben, ohne mich zu wehren? Busso würde mich mit seinem Hohn verfolgen mein Leben lang, außerdem mit meiner Niederlage überall herumhausieren – womit er bestimmt schon begonnen hat – und mich zum Gespött meiner Mitmenschen machen. Könnt ihr denn nicht verstehen, daß ich mich dagegen wehren muß?« »Hast recht«, nickte der Freund ernst. »Es war unüberlegt, was ich sagte.« »Aber sehr«, bekräftigte Susann. »Mit seiner Liebe spielen lassen, muß entsetzlich herabwürdigend sein.« »Bist ein kluges Kind«, lobte Hubert. »Was du da sagtest, ist auch meine Ansicht. Na, da wird Vera schön springen, wenn du plötzlich mit einer Braut anrückst, Edzard. Sie weiß ja nicht, daß du ihr Geschnäbel mit Busso
mitangesehen hast.«
»Also«, nickte Edzard grimmig, »ich bin gezwungen, diese
Braut nicht im Unklaren zu lassen.«
»Na schön«, meinte Hubert friedfertig.
»Und wann soll nun die Probe aufs Exempel beginnen?«
»Heute vormittag. Ich bin verabredet.«
»Erstaunlich! Jedenfalls wünsche ich dir den besten Erfolg.
Wenn du sie fest hast, rufe an, damit wir hier zur
Verlobung alles vorbereiten können.«
Als Edzard bei der Stadthalle anlangte, lachte die Sonne
vom blauen Himmel hernieder. Also hatte das Wetter sich
ausgetobt und schickte sich an, dem Wonnemonat gerecht
zu werden.
Es war genau eine Minute vor elf, als er die Erwartete aus
dem Portal des gegenüberliegenden Hotels treten sah.
Dann stand sie vor ihm, mit ausgesuchter Eleganz
gekleidet. Unter dem geöffneten hellen Mantel ein
zartfarbenes Kleid, in dessen Spitzenfichu das Rubinherz
funkelte und gleißte. Die schlichte Frisur, heute in
ungekünstelten Locken zum Nacken niederfallend, gab
dem Gesicht ein ganz anderes Gepräge als gestern das
kleine Kunstwerk des Friseurs. Und da war auch das
bezaubernde Lächeln wieder, mit dem sie ihm die Hand
entgegenstreckte.
»Guten Tag, gnädiges Fräulein. So pünktlich?«
»Bin ich immer.«
»Seltene Eigenschaft bei einer Dame. Was wollen wir nun
beginnen? Uns ein Auto nehmen und in die Gegend
fahren? Das Wetter ist ja verlockend genug.«
»Ich möchte lieber eine gute Strecke langsam
dahinschlendern.«
»Das geschieht denn auch. Ich weiß ungefähr vier
Kilometer von hier ein romantisch gelegenes Waldhaus,
dicht an einem verträumten See. Was für Auge und Herz.
Für den Magen ein vorzügliches Essen. Haben Sie Lust,
dahin zu wandern?«
»Große sogar. Ich bin nämlich Naturschwärmerin, und gegen ein gutes Mahl habe ich nie etwas einzuwenden.« »Paßt ja großartig. Also dann – frischauf!« Während sie durch die belebten Straßen gingen, sprachen sie wenig und nur Nebensächliches. Erst als sie die lange Allee betraten, die rechts und links von Villen und ihren Vorgärten umsäumt war, erkundigte sich Edzard, ob sie mit ihrem nicht mehr taktfesten Begleiter das Hotel wohlbehalten erreicht hätte. Fröhlich lachte sie auf. »O ja, ich habe Herrn Wanger wohlbehalten an seiner Zimmertür abgeliefert. Ganz ohne weiteres ging das allerdings nicht vonstatten. Er machte mir eine glühende Liebeserklärung, wobei er mich in treuherzigster Weise ansang. Doch als ich heute den Frühstücksraum betrat, fand ich auf meinem Platz einige Rosen und ein Schreiben, in dem er mir mitteilte, daß er von seiner Firma telegraphisch abgerufen sei. Er bat um Entschuldigung für etwaige dumme Reden, deren er sich dunkel entsinnen könne.« Wieder lachte sie ihr herzhaftes Lachen, in das Edzard ergötzt einstimmte. Nach einer Weile lag vor ihnen ein Tal mit saftigen Wiesen, auf denen das Vieh friedlich graste. Mittendurch schlängelte sich ein Bach. Die roten Ziegeldächer der verstreuten Höfe leuchteten, die Fenster blinkten im Sonnenlicht. Weiter hinten zog sich herrlicher Mischwald hin. »Wollen wir den Wiesenpfad entlanggehen?« bat Andrea. »Ich weiß nicht, wo wir da hinkommen.« »Das ist doch ganz gleich. Bitte, Herr Rittersreuth.« Sie schlenderten vergnügt dahin, mitten durch die grüne Wiese. Es gab Drahtzäune zu durchkriegen. Gräben zu überspringen, was Andrea so erheiternd fand, daß sie immer wieder fröhlich lachte. Aber dann standen sie plötzlich vor dem See, der ihnen den Weg zum Walde abschnitt. Er war nicht sehr breit, aber dafür sehr langgestreckt.
»Ja, da müssen wir denn schon umkehren«, sagte Edzard
bedauernd. »Wären wir den geraden Weg gewandert, wäre
es uns besser ergangen.«
»Wie schade – « Andrea zog ein Mäulchen, das ihr
allerliebst stand. »Müssen wir wirklich umkehren, Herr
Rittersreuth? Es ist doch hier so schön.«
»Wenn wir den See nicht durchschwimmen wollen… Halt,
ich sehe einen Kahn.« Er zeigte nach dem Schilf, in dem ein
Boot schaukelte. »Sicherlich gehört er zu dem Gehöft dort,
von dem ein Mann auf uns zukommt. Den werde ich
fragen, ob er uns nicht über den See rudern möchte.«
Das tat er denn auch, als der Mann herangekommen war.
»Der Kahn gehört mir schon«, meinte er bedächtig. »Aber
mitkommen kann ich nicht. Vielleicht rudern die
Herrschaften allein rüber…«
»Natürlich – « Edzard war sofort einverstanden. »Nur, wie
kommt das Boot wieder hierher zurück?«
»Drüben am Waldrand wohnt mein Bruder, der sorgt
schon dafür, daß alles in Ordnung geht.«
»Das ist ja großartig. Ich mache den Kahn drüben fest und
sage Ihrem Bruder Bescheid.«
»Ist recht – «, nickte der Bauer, löste das Fahrzeug und
bedankte sich erfreut für den Schein, den Edzard ihm in die
Hand drückte. Der sprang ins Boot, half Andrea hinein,
ergriff die Ruder, und fort ging es vergnügt und guter
Dinge.
Andrea saß Edzard gegenüber, den Rücken lässig gegen den
Bug gelehnt. Ihre Augen strahlten.
»O wie schön! So unbeschwert, frei und froh wie jetzt habe
ich mich schon lange nicht gefühlt. Am liebsten möchte ich
jauchzen wie ein übermütiges Kind.«
»Tun Sie es«, lächelte Edzard. »Jedenfalls freue ich mich,
daß ich mit dem Bummel in die Natur das Richtige
getroffen habe. Wenn der Wettergott nicht so gnädig wäre,
müßten wir uns jetzt in einem Lokal herumtreiben.
Gräßlicher Gedanke!«
»Der alte Herr meint es eben gut mit uns«, lachte sie.
»Wahrscheinlich sind wir beide recht artig gewesen, und das wonnevolle Wetter soll unsere Belohnung sein.« Langsam näherte sich das Boot dem Ufer. Schilfinseln tauchten auf. »Schauen Sie nur diese wundervollen Seerosen -!« rief Andrea plötzlich entzückt und zeigte nach der Stelle, wo es schneeweiß aufleuchtete. Er fuhr an die Schilfinsel heran, pflückte drei Rosen mit geübtem Griff und warf sie Andrea zu. »Danke – «, lachte sie ihn an, legte eine Blüte auf den Handteller und vertiefte sich in ihren Anblick. Edzard konnte seinen Blick nicht wenden von dem zarten Mädchengesicht, das nun einen ungemein verträumten, zärtlichen Ausdruck hatte. Er bewegte die Ruder langsam, um die Träumerin nicht zu stören. Erst als sie aufsah, tat er einige kräftige Ruderschläge, und schon stieß das Boot auf Land. »Oh, wir sind schon da?« fragte sie, sich erstaunt umwendend. »Das ist aber schnell gegangen. Eigentlich tut es mir leid – die Fahrt war wunderschön.« Edzard sprang an Land, hob Andrea aus dem Boot und wandte sich dann an den Jungen, der wie hergezaubert vor ihnen stand. »Na, mein Sohn. Wo kommst du denn so plötzlich her?« »Ich sah Sie kommen und will den Kahn festmachen. Er gehört meinem Onkel. Ich muß aufpassen, daß er nicht geklaut wird.« »Sehr liebenswürdig«, lachte Edzard. »Also, walte deines Amtes.« Er warf dem Jungen ein Geldstück zu, das dieser geschickt auffing. Dann schob er seine Hand unter Andreas Arm, was sie sich ruhig gefallen ließ. Sie trug die Rosen behutsam in den Händen, die sie zu einer Schale geformt hatte, und sah immer noch verträumt darauf nieder. Ganz unerwartet verhielt der Mann den Schritt, hob ein Stück frische, biegsame Birkenrinde auf, schnitt sie mit dem Taschenmesser zurecht, formte
geschickt daraus ein Körbchen, dessen Ecken er mit
dünnen Reisern zusammen band. Dann rupfte er Moos
vom Waldboden, tat es in das Körbchen und überreichte es
Andrea, die dem allem mit großen Augen zugeschaut hatte.
»Das ist ja goldig – «, freute sie sich wie ein beschenktes
Kind. »Darin soll ich nun meine Rosen betten?«
»Ja, dann tragen sie sich bequemer.«
Die zarten Blüten wurden in ihr weiches Bettchen gelegt,
dann konnte der Weg fortgesetzt werden.
Doch schon in wenigen Minuten war das kleine Waldhaus
erreicht, wo ihnen ein Hund knurrend entgegenkam. Dann
ein Stutzen – und schon schoß er vor Freude jaulend auf
Edzard zu, der ihn tätschelte.
»Na siehst du, Max, bald hättest du mich nicht erkannt. Wo
ist denn dein Frauchen?«
»Hier – «, kam es lachend vom Gartentor, in dem eine
wohlgenährte Frau stand. »Guten Tag, Herr Baron, das ist
aber eine Freude. Und das ist wohl das Fräulein Braut?«
»Noch nicht – «, schmunzelte Edzard, während Andrea
heiß errötete. »Erst mal guten Tag, Muttchen Wallenbusch.«
Er reichte ihr die Hand hin. Auch Andrea begrüßte die
freundliche Frau mit Handschlag.
»O die schönen Rosen«, rief sie und zeigte auf das
Körbchen. »Und das Dingchen hat doch sicher der Herr
Baron gemacht. Mir brachte er auch einmal so eines mit
Walderdbeeren gefüllt…«
»Als Dank dafür, daß Sie mir meine Hosen flickten, die ich
im Wald zerrissen hatte«, ergänzte Edzard lachend. »Das
waren noch Zeiten, Muttchen Wallebusch, was?«
»O ja, Herr Baron. Da waren wir noch jung und knusprig.
Sind die Herrschaften übern See gekommen?«
»Ja – «
»Dann werden Sie schön hungrig sein. Da muß ich sehen,
daß ich etwas Extrafeines zusammenbringe.«
»Die Arbeit dürfen Sie sich am Sonntag nicht machen«,
wehrte Edzard. »Ist nicht noch etwas vom Mittag
übriggeblieben?«
»Das schon, aber ich kann doch den Herrschaften keine
Reste anbieten…«
»Warum nicht? Wenn sie gut sind. Was hat’s gegeben?«
»Kalbsbraten mit jungem Salat und Pudding. Am Sonntag
leben wir immer üppig.«
»Dann her damit, Muttchen Wallebusch! Wir suchen indes
meinen Stammplatz auf.«
Schon war sie fort, und Edzard sah ihr lächelnd nach.
»Immer noch die alte, immer noch so flink und beweglich,
wie ich sie vor zwanzig Jahren kennenlernte. Damals war
sie noch eine ganz junge Frau, aber schon urgemütlich und
fidel.«
»So lange kennen Sie die gute Frau schon?« fragte Andrea
interessiert.
»Ja. Sie war die mutige Verteidigerin all meiner
Knabenstreiche. Hat mich so manches liebe Mal
abgeschrubbt, um mir die Hiebe von Onkelhand zu
ersparen. Und auch manches liebe Mal habe ich mir an
den Leckerbissen, die sie für mich bereithielt, den Magen
verdorben.«
Während er das erzählte, hatte er Andrea in den kleinen
Garten geführt. An den Bäumen und Sträuchern prangten
die Fliederdolden, vom hellsten bis zum dunkelsten Lila.
Und in einer besonders schönen Fliederhecke standen ein
Tisch und zwei Korbsessel.
»Ist dieses Ihr Stammplatz?« fragte Andrea.
»Ja. Hier habe ich oft meine Schularbeiten gemacht,
verbotene Lektüre verschlungen, gespielt, geweint und
gelacht. Immer treu behütet von Muttchen Wallebusch.«
Gleich nachdem sie Platz genommen, kam ein junges
Mädchen herbei, das übers ganze Gesicht strahlte.
»Guten Tag, Tülle -!« rief Edzard ihr lachend entgegen.
»Wie geht’s? Immer noch das Leben frisch?«
»Guten Tag, Herr Baron. Natürlich ist das Leben frisch,
hauptsächlich bei dem schönen Mai wetter.«
»Was macht der Schatz?«
»Aber, Herr Baron, ich hab doch gar keinen.«
»Dann wird’s aber Zeit, Tullchen. Hübsch genug bist du,
um dir einen anzulachen.«
Währenddem hatte das Mädchen eine blütenzarte Decke
über den Tisch gebreitet und eine Vase mit Flieder darauf
gestellt. Dann eilte es leichtfüßig davon.
»Ein hübsches Mädchen ist die kleine Else geworden«, sagte
Edzard vergnügt. »Wie das alles so heranwächst, kaum zu
glauben. Als ich sie das erste Mal sah, lag sie noch in der
Wiege. Unsere Freundschaft begann damit, daß sie mir, als
ich mich zu ihr neigte, mit ihren flinken Fingerlein das
Gesicht zerkratzte.«
Andrea mußte hellauf lachen, und Muttchen Wallebusch,
das mit einem vollgepackten Tablett anrückte, lachte
herzlich mit.
»So – da habe ich hier schnell was geschmort, hoffentlich
wird es schmecken.«
Damit stellte sie wohlgefüllte Schüsseln mit Fleisch, Salat,
Kartoffeln, Soße, Pudding und zwei Flaschen Bier auf den
Tisch.
»Erbarmen Sie sich, Muttchen Wallebusch, das alles sollen
wir essen -?«
»Warum nicht? Ein junger Magen kann viel vertragen.
Hauptsächlich nach einer Kahnfahrt auf dem See. Wie geht
es auf Reuth, was macht die liebe Tante Natchen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Muttchen Wallebusch«,
entgegnete Edzard, indem er Andrea den Teller vollpackte
und sich dann selbst versorgte. »Ich bin nämlich seit zwei
Wochen von Reuth fort.« – »Ach, du liebe Güte, warum
denn?«
»Krach mit dem Onkel, der diesmal zum Bruch führte.
Übermorgen trete ich meine Inspektorstelle in Ritters an.«
Frau Wallebusch mußte sich auf einen Gartenstuhl setzen,
so sehr zitterten ihr die Beine. Nun legte sich ihr gutes
Vollmondgesicht in grimmige Falten.
»Ich lasse mich hängen, wenn da nicht wieder dieser
Schleicher Busso dahintersteckt!« erboste sie sich.
»Sie brauchen nicht nach dem Strick zu greifen«, lachte
Edzard. »Ihre Annahme stimmt.« »Na, so ein Scheusal! Aber lassen Sie man, Herr Baron, unser Herrgott sieht sich das nicht mehr lange mit an. Wenn Sie noch lachen können, dann hat sie das alles ja nicht so arg mitgenommen. Und nach Ritters gehen Sie? Gut so, das wird den Onkel wurmen! Aber nun werde ich gehen, damit die Herrschaften in Ruhe essen können. Gleich bringe ich die beiden Schaukelstühle her, dann wird ein Mittagsschläfchen gehalten unter dem blühenden Flieder. Nachher gibt’s Kaffee.« »Max, willst du wohl -!« wollte sie den Hund verscheuchen, der sich in den Garten geschlichen hatte und nun den Kopf zutraulich auf Andreas Schoß legte. »Lassen Sie ihn nur«, legte diese ein gutes Wort für ihn ein. »Er spürt, daß ich Hunde gern mag. Überhaupt alle Tiere.« »Dann sind Sie auch ein guter Mensch, Fräuleinchen«, nickte Frau Wallebusch zufrieden, ließ den Hund, wo er war, und eilte davon. »Das ist ja ein ganz goldiges Muttchen«, sagte Andrea entzückt. »Das könnte ich direkt liebhaben.« Unwillkürlich mußte Edzard daran denken, wie er einmal mit Vera hergekommen war und wie sie über das ganze Milieu hier die Nase gekraust, die freundlichen Menschen herablassend behandelt und den Hund aus Angst um ihre elegante Toilette verscheucht hatte. Sein Antlitz verfinsterte sich. Er aß schnell seinen Teller leer, bot Andrea, die sich gesättigt in den Sessel zurücklehnte, eine Zigarette an, reichte ihr Feuer und versorgte sich dann selbst. »Nanu, Baron, was hat Ihnen denn so plötzlich den Appetit verdorben?« fragte sie verwundert, und da lachte er bitter auf. »Unerquickliche Gedanken, gnädiges Fräulein. Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich mit dem, was mir Herz und Seele vergiftet, nicht fertig werden kann.« »Dafür muß es doch ein Gegenmittel geben.« »Das gibt es«, nickte er ihr da herzlich zu. »Und das sollen
Sie mir verabfolgen.« »Ich -? Was habe ich denn damit zu tun – « »Mehr als Sie ahnen…« Weiter konnte er nicht sprechen, weil Mutter und Tochter mit den Schaukelstühlen anrückten. Andrea belegte den ihren sofort mit Beschlag, sagte dann so recht aus Herzensgrund: »O Muttchen Wallebusch, wie schön ist es doch bei Ihnen!« Edzard lachte fröhlich auf. Das liebe Muttchen war so stolz, als hätte es einen Orden bekommen, und ging tief befriedigt davon. Edzard nahm nun auch seinen Schaukelstuhl ein. Sie wiegten sich hin und her, ließen ihre Blicke über die bunte Blütenpracht schweifen und genossen dieses Ruhestündchen aus vollem Herzen. Nach langen Minuten fragte der Mann leise: »Finden Sie die Menschen hier auch vulgär, gnädiges Fräulein?« Langsam wandte Andrea ihm den Kopf zu und sah ihn befremdet an. »Welch ein häßliches Wort, Baron, mitten in dieser herrlichen Umgebung. Wie kann man Menschen wie Muttchen Wallebusch als vulgär bezeichnen?« Da ergriff Edzard die zarte Hand und führte sie stumm an die Lippen. Dann schwiegen sie wieder. Horchten auf, als eine warme Männerstimme durch das geöffnete Fenster des Hauses zu ihnen drang. Sie sang ein altes, schlichtes Lied, nicht sentimental, sondern einfach und herzgewinnend. »Ich steh so gern vor deiner Hütte, im gold’nen Abendsonnenschein. Erblick in dunkler Waldesmitte dein rebumranktes Fensterlein. Sieh diese Pracht von Fliederbäumen, ich bring’ sie dir, du schönste der Frau’n, an deinem Herzen laß mich träumen, o gönne mir den Frühlingstraum…«
Dann war es still. Andrea lag regungslos, den offenen. Blick
zum Himmel gerichtet. Dann fielen die Lider darüber, der Kopf neigte sich zur Seite, tiefe Atemzüge verrieten, daß sie eingeschlafen war. Greifbar nahe war dem Mann das zarte Antlitz. Wie schön sie ist, dachte er bewegt. Von einer klaren, ungekünstelten Schönheit. Herb und süß zugleich. Hatte er das Recht, ein so bezauberndes Menschenkind aus Rachedurst an sich zu binden, ein frevles Spiel mit ihm zu treiben? Was wußte er überhaupt von dem Mädchen? Nichts weiter, als daß es Andrea Müller hieß, Sekretärin und bezaubernd schön war, außerdem stolz abweisend und herzfroh sein konnte. Das war alles. So grübelte er, den Blick auf Andrea gerichtet. Bei einer Bewegung glitt das Rubinherz von der Brust und zeigte nun die Rückseite aus schwerem Gold mit winziger Gravierung darin. Wie gebannt schaute er auf die blanke Fläche. Er schrak zusammen, als der Hund Max, der zusammengerollt zu seinen Füßen lag, plötzlich anschlug und so auch Andrea aus ihrem Schlummer riß. Noch traumumfangen setzte sie sich auf, lachte verlegen. »Da habe ich doch tatsächlich fest geschlafen. Daß ich so müde werden konnte, macht die halbdurchtanzte Nacht und der Aufenthalt in der herben Waldluft. Entschuldigen Sie, Baron.« »Da gibt es doch nichts zu entschuldigen, gnädiges Fräulein. Schauen Sie, da kommt Muttchen Wallebusch bereits mit dem Kaffeegeschirr.« »Kann ich mich hier irgendwo ein wenig frisch machen?« fragte Andrea. »Ich habe ein unbezwingliches Verlangen danach.« »Kommen Sie nach dem Fremdenstübchen, da können Sie planschen nach Herzenslust. Und der Herr Baron sollte ein Gleiches tun.« »Wird gemacht, Muttchen Wallebusch.« Edzard sprang auf. »Ich werde die Waschstube aufsuchen, in der Sie mich oft abgeschrubbt haben.«
Geschäftig führte sie Andrea in die kleine Oberstube, sorgte für Wasser nebst Handtuch und Seife und lachte das Mädchen freundlich an. »So, Fräuleinchen, jetzt können Sie sich frisch machen. Wissen Sie, mir lachte das Herz im Leibe, als ich Sie mit unserm Edzardchen ankommen sah. Sie gefielen mir gleich auf den ersten Blick«, gestand sie treuherzig. »Er scheint viel von Ihnen zu halten, weil er Sie hierher brachte. Mit seinen Liebschaften, die ein Mann vor der Ehe ja immer hat, hauptsächlich wenn er so aussieht wie der Edzard, dem die Mädchen förmlich nachlaufen – na ja, mit denen hat er sich nicht hergetraut. Bloß eine brachte er einmal mit, das soll ja aber auch so ein Stück Braut von ihm gewesen sein. Du meine Zeit, war das eine Prise! Tat sehr vornehm, rümpfte über alles hier die Nase. Und den Hund hat sie behandelt; daß Gott erbarm! Wer schon für Tierzeug nichts übrig hat, an dem ist nicht viel dran. Ich habe mir richtige Sorgen gemacht, daß unser Edzard die heiraten könnte. Aber jetzt hat sie ja den Busso, soviel ich hörte. Dem gönne ich sie. Das ist vielleicht ein Schubbejack, Fräuleinchen! Der kann sich beim Onkel so richtig Liebkind machen. Ewig gehetzt und gepetzt hat er über seinen Bruder. Der alte Baron glaubte ihm alles aufs Wort, hat den armen Edzard getriezt sein Leben lang. Und zwar, damit der Schubbejack alles erbt und der arme Jung’ hier leer ausgeht. Was der Busso für einer ist, will ich Ihnen erzählen. Dem steckte schon als Jung’ der Teufel im Leib, aber getan hat er wie ein Engel. Der Edzard sollte gar nicht hierher kommen, das wollte der alte Baron nicht haben, weil wir bloß eine Waldhüterfamilie aus seinem Wald sind. Aber der Jung’ kam doch, weil er hier Herzen fand. So oft der Busso ihn hier ertappte, ging die Petzerei beim Onkel los. Seitdem habe ich aufgepaßt wie ein Luchs. Aber einmal erwischte er ihn denn doch wieder und pöbelte ihn an. Das hörte meine Else, die damals drei Jahre alt war. Die wollte dem Edzardchen beistehen, dem sie so
gut ist. Und was tat der Busso? Der schlug ihr ins Gesicht, daß Blut aus der Nase kam. Aber da hätten Sie unsern Edzard sehen sollen. Der wurde weiß wie die gekalkte Wand, holte aus und gab dem Busso eins vor die Stirn, daß er gleich überkippte. So hat er meine Else verteidigt, obgleich er dafür von dem Onkel furchtbare Prügel bekam. Aber du liebe Zeit, nun verplappere ich mich hier, und unten wird der Kaffee kalt. Machen Sie sich man schön, Fräuleinchen, ich muß jetzt gehen.« Als Andrea in den Garten kam, wartete Edzard schon dort. Hinterher erschien dann auch die Hausfrau, die außer einem extraguten Kaffee einen hochgetürmten Teller mit goldgelben Waffeln brachte. Nachher plauderte sie noch mit den Gästen, bis es Zeit für diese würde, aufzubrechen. Edzard hatte dann noch einen Kampf mit der Betreuerin zu bestehen, die den Schein, den er ihr in die Schürzentasche steckte, durchaus nicht nehmen wollte. Erst als er ernstlich böse wurde, gab sie kleinlaut nach. Und als Andrea ihr mit ihrem bezaubernden Lächeln die Hand reichte, dabei beteuernd, wie köstlich alles geschmeckt und wie sie sich wohl gefühlt hätte, da strahlte das gute Vollmondgesicht. Sie wurde jedoch ernst, als Edzard sich nach Else erkundigte, von der er sich verabschieden wollte. »Die ist wieder bei ihrem Jäger«, seufzte sie bedrückt. »An dem hat sie nun mal ihren Narren gefressen, ebenso wie er an ihr. Er ist ja auch ein anständiger Mensch. Aber bis er ans Heiraten denken kann, sind die beiden alt und grau. Der Förster, bei dem er arbeitet, nutzt ihn so richtig aus. Der ist überhaupt nicht ehrlich, doch man kann ja nichts sagen, weil einem die Stelle hier lieb ist. Elses Schatz, der Barleit, versteht viel mehr als der Förster. Ihm fehlt bloß noch eine Prüfung, damit er selber Förster werden kann, und bestimmt ein guter. Dazu fehlt dem Jungen leider das Geld. Sein Vater ist Waldhüter mit sieben Kindern.« »Zu welchem Gut gehört die Försterei?« fragte Edzard. »Zu Ritters.«
»Da wundere ich mich, daß der Verwalter mit dem Förster zufrieden ist.« »Ist er bestimmt nicht, Herr Baron. Dem kann keiner so leicht was vormachen, der sieht dem Menschen durch die Kleider ins Herz. Der wartet bloß ab, bis er dem aalglatten Kerl was Bestimmtes nachweisen kann, dann macht er kurzen Prozeß. Aber davon hätte der Jung’ ja auch nichts«, schloß sie betrübt. Edzard streichelte ihr die Wange. »Lassen Sie man, Muttchen Wallebusch. Kommt Zeit, kommt Rat. Grüßen Sie die Tülle schön, sie soll ihr Köpfchen nicht hängen lassen.« Damit brachen die Gäste auf. Andrea hatte das Körbchen mit den Seerosen nicht vergessen und trug es vorsichtig in den Händen. Es war eine Wonne, durch den Wald zu schreiten, in dem die Laubbäume sich mit zarten Blättern und die Tannen mit zartgrünen Trieben frühlingsgemäß geschmückt hatten. Die beiden sprachen nur wenig, um die schöne Stimmung so recht genießen zu können. Edzard war jetzt niedergedrückt, was Andrea nicht entging. Immer wieder musterte sie sein Gesicht verstohlen, bis sie dann leise fragte: »Ist Ihnen nicht wohl, Baron? Wollen wir uns ein Weilchen auf diese Bank setzen?« »Ja – «, atmete er auf. Nachdem sie Platz genommen, schloß Edzard die Augen, lehnte sich gegen die Banklehne und verschränkte die Arme über der Brust. Still saß Andrea neben ihm und sah bang in das vornehme, rassige Männerantlitz, über das ab und zu ein nervöses Zucken lief. Die Sonne stand schon tief am Horizont, überflutete wie als letzten Gruß die Wipfel der hohen Bäume mit ihrem goldenen Schein. Die Vögel jubilierten nicht mehr so hell, ihre Stimmen klangen schon verträumt. Hin und wieder schrie bereits ein Käuzchen dazwischen. Von der Stadt her drang das Getöse deutlich bis zu dem stillen Plätzchen
hier.
Und plötzlich fing der Mann an zu sprechen, monoton –
als führe er ein Selbstgespräch. Mit dem Tage begann er, da
er in das Haus des Onkels gekommen.
Andrea bekam alles zu hören, restlos alles,
wahrheitsgemäß, klar und sachlich. Reglos saß sie da, die
Arme seitlich über die Banklehne gestreckt. Sie rührte sich
auch nicht, als Edzard den Kopf nach ihr wandte.
»Gnädiges Fräulein, haben Sie mir eigentlich zugehört?«
fragte er leise.
»Ganz genau, Baron – Wort für Wort.«
»Und auch alles begriffen?«
»Nur zu gut.«
»Dann will ich noch einmal wiederholen, was ich zu
meinem Freund sagte: Meine Frau braucht nicht schön zu
sein, nicht reich und nicht klug. Nur ein Herz muß sie
haben – nichts weiter als ein Herz.«
»Das ist sehr viel, Baron – eigentlich alles.«
»Dann verstehen Sie mich nicht – und nicht meinen
Wunsch nach Vergeltung?«
»Doch, Baron, weil ich mich in derselben Lage befinde wie
Sie.«
Nun fuhr er auf.
»Aber dann müssen wir uns doch zusammentun. Wollen
Sie das?«
»Nicht jetzt – «, erhob sie sich hastig.
»Ich muß erst mit mir ins reine kommen. Denn es ist ja
keine Kleinigkeit, die Sie von mir verlangen.«
»Wann werden Sie mir Ihren Entschluß mitteilen können,
gnädiges Fräulein?«
»Morgen früh, Baron. Mittags muß ich abreisen.«
Während sie nun rasch der Stadt zuschritten, wurde kein
Wort mehr gesprochen. Erst als Edzard sich im Vestibül des
Hotels über ihre Hand neigte, fragte er leise: »Wann darf
ich Sie morgen hier erwarten?«
»Morgen um neun Uhr.«
Damit ging sie die Treppe hinauf. Edzard bestellte beim
Portier ein Zimmer und rief dann Harlerode an, wo das Stubenmädchen das Gespräch in Empfang nahm. Sie sollte der Herrschaft bestellen, daß er im Hotel übernachten würde. Pünktlich um neun Uhr fand Andrea sich in der Hotelhalle ein, wo Edzard bereits auf sie wartete. Verstohlen ging sein Blick über sie hin. Nichts mehr erinnerte an das fröhliche, unbeschwerte Menschenkind, das sie gestern gewesen. Das zarte Antlitz hatte einen direkt hochmütigen Ausdruck. Ebenso hochmütig klang es, als sie sagte: »Hier kann man wohl kaum ungestört sprechen. Daher mache ich den Vorschlag, uns einen Platz woanders zu suchen.« »Das Wetter ist heute nicht so schön wie gestern, gnädiges Fräulein.« »Das macht nichts, ich habe mich danach angezogen.« Sie trug ein tadellos gearbeitetes Kostüm, welches das Vornehme ihrer Erscheinung so recht zur Geltung brachte. Und Edzard schoß es durch den Sinn, daß an der ausgesucht eleganten Kleidung gemessen, ihr Gehalt doch recht hoch sein müsse. Sie traten auf die Straße und schlugen den Weg ein, den sie gestern gegangen. So waren sie bald im Wald angelangt, der düster und geheimnisvoll vor ihnen lag. An der ersten Bank machten sie halt. »So, hier sind wir ungestört«, sagte Andrea und nahm Platz. Edzard setzte sich neben sie und wartete mit hartklopfendem Herzen der Dinge, die da kommen sollten. Und schon begann sie sachlich und kühl: »Wie ich Ihnen versprach, Baron, habe ich mir Ihr Anerbieten reiflich überlegt. Übrigens hätte ich es gestern schon kurzweg abgeschlagen, wenn Sie geheuchelt und mir Liebe auf den ersten Blick vorgetäuscht hätten. Ihr Mut zur Wahrheit hat mir jedoch Hochachtung abgenötigt. Wenn ich nun Ihr Anerbieten annehme, Baron… Halt -!« unterbrach sie sich, als er nach ihren Händen
greifen wollte. »Ich bin noch nicht zu Ende. Also, wenn ich Ihr Anerbieten annehme, dann trägt viel dazu bei, was ich gestern von Frau Wallebusch hörte. Es gibt mir die Gewähr, daß ich es mit einem Ehrenmann zu tun habe. Die Frau sprach in so warmen, rührenden Worten von Ihnen, die mich überzeugten, daß Sie ein guter Mensch sind. Dann sah ich Ihre herzliche Freundschaft mit Frau und Herrn Syder, die mir so gut gefallen. Daß diese Menschen Ihnen innig zugetan sind, spricht ebenfalls für Sie. Doch nun zuerst einmal die Frage: Wie denken Sie sich unsere – Ehe? Soll sie wirklich eine werden?« Edzard stieg das Blut in die Schläfen; abwehrend hob er die Hände. »Um Gott, gnädiges Fräulein – so gewissenlos bin ich nicht…« »Danke, das genügt mir. So offen wie Sie gestern zu mir waren, so offen will ich heute zu Ihnen sein. Es ist nicht einfach für mich, unter den vorliegenden Verhältnissen Ihre Frau zu werden – und sei es auch nur dem Namen nach. Dazu gehört wirklich ein großmütiges, verstehendes Herz. Ich kenne Ihre Verhältnisse nicht, Ihren Herrn Onkel und Ihren Bruder Busso gleichfalls nicht. Aber ich kann mir nicht denken, daß ersterer so sehr mit Blindheit geschlagen sein soll, daß er nicht doch eines Tages hinter den wahren Charakter seines Neffen Busso kommen sollte. Dann wird er Ihren Wert um so mehr erkennen, wird Ihnen unlösliche Rechte auf Reuth geben. Und dann – was wird dann aus mir? Dann wird der Groll, den Sie jetzt gegen Fräulein von Kardas haben, sich bestimmt legen. Sie werden zum Verzeihen bereit sein. Sie werden alles vergessen. Und ich? Ich kann die Worte zitieren: >Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehengrüne Ding< Ritters besaß, das nun einmal der wunde Punkt in seinem Leben war. Da er seinem Grimm über die Ungerechtigkeit des Schicksals nicht gut Luft machen konnte, schwieg er. Bussos Gefühle für die Besucherin waren recht gemischt, und Vera, die auch wieder in Reuth weilte, musterte das Fräulein Müller ziemlich ungeniert. Daß sie die Besitzerin von Ritters war, berührte sie nicht. Aber ihre Sicherheit, ihre Eleganz und der eigenartige Schmuck, das alles erregte ihren Neid. Frau Nataly hingegen betrachtete die Besucherin mit Wohlgefallen. Sie war es auch, die das Gespräch eröffnete. »Gedenken Sie in Ritters seßhaft zu werden, Fräulein Müller?« fragte sie freundlich. »Ja, Baronin! Ich liebe das Landleben und interessiere mich für die Landwirtschaft. Daher hat mein Onkel Ritters auch nicht verkauft, wie er anfänglich wollte, sondern es für mich verwalten lassen.« »Dann ist Ihnen Bitterling bekannt?« »Er war der beste Freund meines Onkels, Baronin. Ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr stets die Ferien in Ritters verlebt.« »Wie kommt es, daß Sie in der Umgegend so unbekannt bleiben konnten?« »Oh, ein Fräulein Müller übersieht man«, entgegnete Andrea mit ihrem bezaubernden Lächeln. Humorvoll meinte Frau Nataly: »Eine Persönlichkeit wie Sie dürfte sich schwer übersehen lassen. Sie müssen sehr zurückgezogen gelebt haben.« »Allerdings. Mein Onkel, der außer seinen Universitätsferien oft auch einmal das Wochenende auf Ritters verbrachte, wollte sich ausruhen und hat daher keine Geselligkeit gesucht. Und wenn ich in den Schulferien allein dort war, hielt ich es genau so. Doch nun gedenke ich den nachbarlichen Verkehr zu pflegen und
bitte die Damen und Herren, am 7. Juli bei einem zwanglosen Gartenfest meine Gäste zu sein.« »Wir kommen gern«, nahm Nataly die Einladung an, obgleich sie wußte, daß es nicht im Sinne ihres Gatten war. Sie lachte in sich hinein, als sein Gesicht sich vor Unwillen rötete. Nachdem sie noch einige belanglose Redensarten mit Andrea gewechselt hatte, verabschiedete diese sich. Und kaum, daß sie in Bussos Begleitung das Zimmer verließ, machte Philipp seinem Unwillen schon Luft: »Nataly, wie kommst du dazu, so eigenmächtig für uns alle die Einladung anzunehmen -?« »Ihr hättet sie ja ausschlagen können.« »Damit dieses Fräulein Müller uns für Menschen ohne Benehmen hält, wie? Ausgerechnet nach Ritters soll ich nun gehen. Sicherlich läuft einem da noch der Herr Inspektor über den Weg.« »Ich glaube nicht, daß Edzard das Fest mitmachen wird«, vermutete Busso, der wieder eintrat. »Er wird es nicht wagen, dir unter die Augen zu treten.« Doch Herr Philipp überhörte die Worte. Brummend verschwand er, um sich auf sein Roß zu schwingen und seinen Ärger auszutummeln. Andrea machte noch zwei Besuche und traf daher zu Hause verspätet zum Mittagessen ein. »Na endlich – «, empfing Matthias sie, der mit Edzard im Speisezimmer auf sie wartete. Bei Tisch konnte man des servierenden Dieners wegen nur über belanglose Dinge sprechen. Doch als man beim Mokka saß, fragte Bitterling, wie es ihr auf der Besuchstour gefallen hätte. »Nett war es«, erzählte sie vergnügt. »Um mit dir zu sprechen, >kippte man vor Überraschung fast aus den Schlorren