KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARL WILLIAM HEISS
NEW YORK STADT...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KARL WILLIAM HEISS
NEW YORK STADT DER WOLKENKRATZER
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÖNCHEN . INNSBRUCK • BASEL
Gebirge aus Stahl, Beton, Glas / \ H e Vorstellungen, die der Reisende mitbringt, verblassen vor der Wirklichkeit, sobald das Ozeanschiff in die Upper-Bay einfährt und im Gesichtsfeld die größte Stadt der Welt wie ein ungeheures Gebirge aufwächst, ein Gebirge, dessen Gipfel in heller Sonne stehen, dessen Niederungen aber in Dunst, Ranchschwaden und Nebelbänken versteckt liegen. Zwanzig Kilometer weit erstreckt sich die „sky-line" — die Himmelslinie — dieses Gebirgszuges aus Stahl, Beton und Glas. Schon hier, von der Wasserseite aus, beginnt man zu verstehen, daß New York nicht nur ein Superlativ für Amerika, sondern für die ganze Welt ist. Noch phantastischer ist der Eindruck vom Flugzeug aus, wenn man auf den gigantischen Steinbaukasten hinabsieht, in die tiefen Straßenschluchten, die wie scharfkantige Canons das Häusermeer durchziehen, auf die riesigen Brücken, die Manhattan — das Herz von New York — mit den anderen Stadtteilen verbinden, auf die großzügig angelegten Hafenbecken und die Hunderte von Schiffen, die durch das Dunkelwasser des Hudson und East River blitzende Furchen schneiden. Die Acht-Millionen-Stadt — Lebenszentrum für fünfzehn Millionen Menschen — ist ein modernes Babylon, in dem alle Sprachen der Welt gesprochen werden, in dem der lärmende Rhythmus der Arbeit nie abreißt, eine Metropole mit nimmermüder Hast, die die Nacht durch eine verschwenderische Lichtfülle verdrängt, die nie dunkel wird und nie schlafen geht. Kühn und umfassend stellt diese Eingangspforte der Vereinigten Staaten die Spitzenleistungen der Technik der Neuen Welt dem Ankommenden vor Augen. Drei Jahrhunderte brauchte die Stadt, um sieb zu ihrer heutigen Ausdehnung zu entfalten. Wie ein Magnet zog dieses Wunder unglaublichen Wachstums die Menschen aus allen Ländern an. Sie bauten in die Höhe, sie bauten in die Tiefe, sie hetzten ihre Züge tief unter den Wolkenkratzern durch enge Tunnels, sdiossen ihre Post kilometerweit durch Rohre, ließen sich selbst als „menschliche Rohrpost" hundert Stockwerke hochschleudern. Sie überfluteten die 2
Umgebung der Insel Manhattan, griffen aufs Festland und auf die Naehbarinsel über, bauten, da die Brücken und Fähren nicht ausreichten, Autostraßen in riesigen Durchfahrten unter dem Wasser, lernten eine gemeinsame Sprache und wuchsen in dieser fiebernden, dröhnenden, auf Hochtouren laufenden Stadt zu einer geschlossenen Einheit. „Eine Rhapsodie der Technik" nannten die Ingenieure diese Stadt, als ein „Epos auf den Fortschritt" bezeichneten sie die Dichter, als „Hauptstadt der Welt" manche Politiker. — New York ist aber mehr: ein Ereignis, für das es keinen Namen gibt. . .
Von der Pelzhandelsstation zur Weltstadt Vor den Buchten, Inseln und Landzungen, die heute den Stadtplan von New York so stark zergliedern, tauchte im Jahre 1609, von den schreckerfüllten Indianern angstvoll beobachtet, die „Half Moon" auf, ein holländischer Segler, der von Kapitän Henry Hudson geführt wurde. Die „Halbmond" fuhr im Auftrag einer Handelsgesellschaft, die an sich in diesen Küstenbreiten gar nichts zu suchen hatte. Die nordamerikanische Küste war von den Engländern entdeckt worden, und sie beanspruchten das alleinige Recht, hier herumzusegeln und Handel zu treiben. Die Handelsgesellschaft, die Henry Hudson in die Neue Welt entsandt hatte, war die Niederländisch-Ostindische Compagnie, die den Handel rings um den Indischen Ozean beherrschte. Den Handelsherren in Amsterdam war es mit der Zeit zu mühsam und zu gefährlich geworden, auf dem Weg zu den Niederlassungen im Fernen Osten — nach Batavia, Sumatra, Ceylon und Vorderindien — Kurs um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen. Hudson sollte Ausschau halten, ob es nicht in westlicher Richtung einen kürzeren Weg zu den indischen und indonesischen Gewürzländerii gebe, irgendeine Durchfahrt durch die Mauer der nordamerikanischen Festlandmasse. Hudson hatte Bucht um Bucht der langen Küste abgesucht, und so war er auch in die tiefeingeschnittene Bay gelangt, in der das heutige New York liegt. Bei dieser Gelegenheit sichtete er am 2. September 1609 den Stromlauf, der nach ihm
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Hudson genannt wurde. Als er auf einer zweiten Reise in die Neue Welt und bei einer erneuten Suche nach der Nordwest-Passage den Hudson hinauffuhr, soweit er konnte, und dabei in den Winter geriet, setzte seine Mannschaft nach einer Meuterei ihn und seinen Sohn und einige kranke Seeleute in eisiger Kälte in einem Ruderboot aus. Man hörte nie wieder etwas von ihm und seinen Schicksalsgefährten. Hudson hatte nach seiner ersten Reise soviel Erstaunliches über den Pelzreichtum des Hudsongebietes in seine Heimat berichtet, daß die Ostindische Compagnie schon bald neue Schiffe über den Ozean sandte. Ende 1613 ging der holländische Kapitän Block mit einem Großsegler vor dem heutigen Stadtkern New Yorks, der Insel Manhattan, vor Anker und schlug dort das erste Lager auf. Weitere Schiffe folgten, Blockhäuser wurden errichtet, man nahm den Handel mit den Indianern auf und gab der neuen Niederlassung den Namen „Neu-Amsterdam". Die Aufgaben, die die Niederländisch-Ostindische Compagnie im Fernen Osten wahrgenommen hatte, sollte in Nord-, Mittel- und Südamerika die Niederländisch-Westindische Compagnie übernehmen. Holland, das über die größte und tüchtigste Flotte dieser Zeit verfügte, hielt sich für stark genug, seine Handelsmacht gegen die spanische und englische Konkurrenz in beiden Welthälften auszubauen und zu behaupten. Für die Pelzhändlerstation an der Spitze der Insel Manhattan und für das Hinterland, die beide zusammen „Neu-Holland" genannt wurden, hatte die Gesellschaft indes bald kein besonderes Interesse mehr. So konnte einer ihrer Angestellten eines der glänzendsten Geschäfte machen, die je zustandegekommen sind. Er tauschte die zwanzig Kilometer lange und vier Kilometer breite Insel Manhattan zwischen dem Hudson und dem East River gegen Glasperlen, Kupferknöpfe und anderen Tand im Werte von sechzig holländischen Gulden — das sind vierundzwanzig Dollar der heutigen Währung — von den Indianern ein. Auch sonst waren die Herren nicht kleinlich, verschafften sich Riesengüter und erhoben Gebühren von stromauf fahrenden Schiffen. Da man aber zu den Indianern kein gutes Verhältnis fand, war das Leben in Neu-Amsterdam und NeuHolland nicht eben gemütlich. 4
Die „sky-linc" von New York im Jahre 1773 Am schlimmsten unter den Herren der Kolonie trieb es Peter Stuyvesant. Die kleine Seemannsstadt Neu-Amsterdam, Sitz des Pelz- und des Tabakhandels, wurde ein Herd der Korruption. Als dann noch die Westindische Compagnie ihren Bankerott erklären mußte und die Engländer immer kräftiger auf ihr Recht an der gesamten Küste pochten, konnte es geschehen, daß Neu-Amsterdam und die Kolonie am 18. August 1664 vor einer kleinen englischen Flotte ohne Schwertstreich kapitulierten. Die Kolonie zählte zum Zeitpunkt der Übergabe 7000 und Neu-Amsterdam 1500 Einwohner. Mit Genehmigung des englischen Parlaments schenkte König Karl II. das ganze Küstengebiet seinem Bruder, dem Herzog von York, und Neu-Amsterdam wurde in New York umgetauft. Auch in der Folgezeit blieb New York Hauptausfuhrhafen für Pelze, die seine Pelzjäger und handeltreibenden Waldläufer aus dem indianischen Binnenland herbeischafften. Es gab jedoch vielerlei Zwist im Leben der Stadt zwischen den Händlern und Groß5
grundbesitzern, zwischen den in großer Zahl einwandernden englischen Neusiedlern und den holländischen Altsiedlern, zwischen den Reichen und den Pächtern, kleinen Farmern, Handwerkern und Arbeitern. Am stärksten entzweite sich die Stadt, als die verschiedenen britischen Kolonien Nordamerikas sich gegen die drückenden Zwangsgesetze des Mutterlandes auflehnten und immer deutlicher wurde, daß die Kolonien nach Unabhängigkeit von der britischen Krone strebten. Ein großer Teil der New Yorker war königlich-britisch gesinnt. Die Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 wurde deshalb in New York nicht mit der gleichen Begeisterung aufgenommen wie in den anderen Städten; als England die Rückeroberung seiner Kolonien begann, stellten die New Yorker dem Britenkönig mehr Soldaten zur Verfügung als dem Vorkämpfer der Unabhängigkeit, George Washington. Während des Unabhängigkeitskrieges mußte Washington New York aufgeben, das während des ganzen Krieges eine der stärksten britischen Stützpunkte blieb, von dem aus viele entscheidende Aktionen gegen die Freiheitskämpfer ausgegangen sind. Audi nadi dem Friedensschluß, in dem am 13. September 1783 die Unabhängigkeit der dreizehn ehemaligen britischen Kolonien von England anerkannt wurde, trauerten nodi viele New Yorker dem König nach. Aber insgesamt wurden sie doch gute amerikanische Bürger, die sich am 26. Juli 1788 zu der gemeinsamen Verfassung der Vereinigten Staaten bekannten. Im folgenden Jahre, am 30. April 1789, leistete der erste Präsident George Washington an der Wallstreet in New York den Eid auf die Verfassung. Ein Jahr lang übernahm New York die Rolle der Bundeshauptstadt. Sie zählte um das Jahr 1790 dreiunddreißigtausend Einwohner. Die Stadt glidi einer englischen Provinzhauptstadt mit ihren Ziegelhäusern inmitten von Gärten und Baumanlagen, mit ihren sauberen Gasthöfen, den Werkstätten und Läden, den Gotteshäusern mit ihren graziösen Türmen, der Markthalle mit den Bogengängen und den Verkaufsständen und der Unzahl schlichter Holzhäuser für die ärmere Bevölkerung. Um die Jahrhundertwende begann dann New York das große Einfallstor vom Atlantik her zu werden und sich baulich völlig zu verändern, um der zunehmenden Bevölkerung Wohnraum zu beschaffen. Als der Bürgerkrieg im Jahre 6
1865 zu Ende ging, war die Stadt mit achthunderttausend Einwohnern weit über sich hinausgewachsen.
Dreimal New York Heute bedeckt die fünfgeteilte Riesenstadt New York, die neunundzwanzig Kilometer vom Atlantik entfernt auf mehreren Inseln und dem Festland liegt, eine Fläche von rund achthundert Quadratkilometern. Sie liegt weiter südlich, als man glaubt; ihre Lage entspricht etwa der von Neapel. Von Norden nach Süden dehnt sich New York sechsundfünfzig Kilometer und von Osten nach Westen dreißig Kilometer aus. Obwohl die Insel Manhattan mit siebenundfünfzig Quadratkilometern der kleinste Borough ist — so nennt man die fünf Stadteile New Yorks —, ist sie doch die Urzelle der Weltstadt geblieben. Wenn man von New York spricht, meint man gewöhnlich Manhattan; auf dieser Insel erhebt sich das Massiv der Wolkenkratzer, dieser Stadtteil ist die Hochburg des Handels und der Verwaltung, hier pulsiert das Leben der Weltmetropole wie in keinem anderen Borough. Durch ganz Manhattan führt als Hauptschlagader des Verkehrs der dreißig Kilometer lange Broadway. Zahlreiche gewaltige Brükken verbinden die Insel mit dem etwa doppelt so großen „Bronx", dem einzigen auf dem Festland liegenden Stadtteil, und mit den Boroughs „Queens" und „Brooklyn" auf der Insel Long Island. Mehrere Tunnels unterqueren den East River und Hudson und ergänzen neben den Brücken und Fährschiffen die Verkehrswege herüber und hinüber. Nur der fünfte Borough „Richmond", der sich über die dem Hafen vorgelagerte Insel Staten Island erstreckt, ist allein durch Fährschiffe von der Südspitze Manhattans oder von Brooklyn aus zu erreichen. Außer der Stadt New York — New York City — mit ihren acht Millionen Einwohnern, spricht man auch noch von zwei anderen „New Yorks". Da gibt es den Staat New York, der mit 14,3 Millionen die größte Einwohnerzahl aller Staaten der USA besitzt, obwohl er flächenmäßig von anderen Staaten übertroffen wird. Trotz
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seiner Größe ist New York nicht die Hauptstadt des Staates New York. Diese Würde kommt der Halbmillionenstadt Albany im Hudsontal zu, wo der Großschiffahrtsweg endet und von wo Kanäle zum Erie- und zum Champlainsee abzweigen. Als drittes New York gilt der Raum von „Groß-New York", das über die Stadt und den Staat New York hinausreicht und zum Teil noch die Staaten New Jersey und Connecticut umfaßt. Groß-New York schließt ein Gebiet weiterer sieben Millionen Menschen ein, die nicht in der Stadt New York wohnen, aber wirtschaftlich zu ihr gehören; ein großer Teil der Erwerbstätigen unter diesen sieben Millionen fährt Tag für Tag in die Weltstadt zur Arbeit. Sie wohnen in nahezu fünfhundert Gemeinden, die in den drei Staaten New York, New Jersey und Connecticut liegen und verwaltungsmäßig selbständige Gemeinwesen sind. Fünfundsiebzig Kilometer ist der äußere Kreis dieses Wohngebietes, das sich um New York herumzieht, von der Innenstadt entfernt. Die Stadtverwaltung der Riesenstadt bemüht sich, die fünfhundert Orte einzugemeinden, da sie mit der Steuerkraft ihrer ansässigen Einwohner für die öffentlichen Bedürfnisse der Millionen zur Arbeit fahrenden „Groß-New Yorker" aufkommen muß — für Verkehrsmittel, Straßenunterhaltung, die Anlage von Parkplätzen, Kanalisation, Polizei, Feuerwehr, Wasserversorgung, Grünanlagen, Sportplätze und kulturelle Einrichtungen. Obwohl die Gemeinden zunächst noch hartnäckig ihre verwaltungsmäßige Selbständigkeit verteidigen, wird sie das Stadtungeheuer New York, das polypengleich seine Fangarme in alle Richtungen des Festlandes ausstreckt, in absehbarer Zeit in sich einverleiben. Dann wird die Weltstadt fünfzehn Millionen Einwohner zählen und — weiterwachsen: in die Breite, Höhe und Tiefe . . .
Der Völkerschmelztiegel Zu Recht wird New York als der größte Völkerschmelztiegel der Welt bezeichnet. Ganze Viertel in dieser Stadt werden von einzelnen Nationen geprägt. Es gibt wohl keine Sprache, die in dieser
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Der Broadway mit dem Ratbaus um das Jahr 1797 Metropole nicht gesprochen wird. Eine Flut von Einwanderern wurde von allen Enden der Welt hier angespült. Ihrer Nationalität entsprechend gründeten sie eigene „Kolonien", zogen Verwandte und Bekannte nach, bis mancher dieser Stadtteile überfloß, wie zum Beispiel das Italienerviertel, das an der Brooklyn-Brücke, unweit der berühmten Wallstreet, beginnt. Hier hängen genau wie in Neapel die Salamiwürste reihenweise in den Kolonialwarenläden, hier herrscht der gleiche Frohsinn in den Trattorien wie in denen von Palermo, hier kann man seinen Espresso und eine italienische Zeitung lesen wie in Rom, während auf der Straße die Fliegenden Händler -mit obstbeladenen Karren singend ihre Ware ausrufen. 9
Etwas weiter entfernt liegt das China-Town, die Chinesenstadt, in der man am chinesischen Neujahrsfest Zeuge von Maskenzügen mit wandelnden Drachen und Schwerttänzern werden kann, Volksfesten, die sich in nichts von denen in den Straßen Pekings oder Schanghais unterscheiden. Überall liest man chinesische Schriftzeichen, an den Teestuben, Geschäften und Restaurants, in denen man Haifischflossen und Bambusspitzen genau so serviert bekommt wie kandierte Steingarnelen und eßbare Vogelnester. Die Juden haben sich hauptsächlich in der Bronx nördlich von Manhattan und im Westen von New York, an der Riverside, niedergelassen; ihre Betriebe und Unternehmungen beherrschen die 7. Avenue — das Zentrum der Bekleidungsindustrie. Oberhalb des Central-Parks liegt das Negerviertel Harlem, mit sechshunderttausend Einwohnern die größte „Gemeinde" von Schwarzen auf der Welt. Weitere zweihunderttausend Neger sind über das ganze Stadtgebiet von New York verstreut. Harlem hat nur eine Fläche von zwei Quadratkilometern. Seine schwarzen Bürger teilen sich, unglaublich eng zusammengepfercht, in diesen knappen Raum. Viele schlafen im Sommer auf der Straße, da es in den überbelegten Räumen zu heiß und stickig ist. Es gibt aber auch unter den Negern Zehntausende, die in angesehenen Berufen tätig sind, und zahlreiche Millionäre, die prunkvolle Villen bewohnen. Rund fünfhunderttausend Deutsche leben in New-York, und zwar vorwiegend im Stadtgebiet „Yorkville", das man auch „KleinDeutschland" nennt. Neben einem „Klein-Rumänien" gibt es Stadtteile und Straßenzüge, wo vornehmlich Griechen, Russen, Polen, Tschechen, insgesamt Völkerschaften von einundfünfzig -Nationen, zu Hause sind; sie gehören achtzig Konfessionen an. Für alle ist in New York gesorgt; da gibt es chinesische und arabische Kinos, da laufen französische und italienische Filme, da halten armenische, brasilianische, holländische, mexikanische Speiselokale ihre Pforten offen, da bieten die Speisekarten die ungewöhnlichsten und exotischsten Gerichte, da bekommt man türkische Leckerbissen in orientalischer Umgebung serviert, da wird man in das Zauberreich der syrischen Küchenkunst eingeführt, da kann man bei den Klängen eines Balalaika-Orchesters russisch essen oder sich in einem japanischen Restaurant am Tisch ein Huhn-Sukiyaki zubereiten lassen.
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Die jüngste Kolonie ist die der Einwanderer von Puerto Rico, jener westindischen Insel, die zu den USA gehört; deshalb ist der Einwanderung seiner anspruchslosen Menschen keine Schranke gesetzt. Ein ganzes Stadtviertel — „Spanisch-Harlem" — ist schon puertoricanisch geworden. Unter schlechtesten Transportbedingungen kommen die Puertorieaner nach New York, der Stadt, von der sie sich ein besseres Leben versprechen. Eine kleine Fluglinie verfrachtet sie in alten Militärflugzeugen, in denen ein Teil der Fluggäste stehen muß, von Puerto Rico zum Hudson, soweit sie es nicht vorziehen, als Zwischendeckpassagiere billiger Schiffe die Weltstadt zu erreichen. Kein Wunder, daß man in den letzten Jahren sehr viele puertoricanisch-spanische Laute in Manhattan hört. Menschen aller Erdteile, Rassen, Hautfarben und Sprachen können hier friedlich nebeneinander und miteinander auskommen, da sie sich schon bald, trotz aller Unterschiede der Nationalität, als New Yorker und Amerikaner fühlen.
Die Wolkenkratzer Wer an New York denkt, denkt immer zuerst an die Wolkenkratzer, die diese Stadt so eigentümlich machen. Aber die wenigsten wissen, daß der Bau dieser Hochhäuser erst durch die Erfindung des Fahrstuhls im vorigen Jahrhundert möglich geworden ist. Im Jahre 1870 richtete eine große Versicherungsgesellschaft Fahrstühle in ihrem Bürohaus ein; sie bewährten sich und wurden bald auch in andere Hochbauten eingeplant. Im Jahre 1875 baute man schon fünfundsiebzig Meter hoch; hier sahen die Architekten die äußerste Grenze, da mit zunehmender Höhe der Gebäude die belasteten Außenmauern ebenfalls an Stärke zunehmen mußten und dadurch für den Untergrund zu schwer wurden. Eine neue Erfindung machte den Weg in noch größere Höhen frei: Das Stahlskelett übernahm die Aufgabe der lastentragenden Außenmauern, die nunmehr durch leichtes Mauerwerk oder durch Glas — wie bei dem UN-Gebäude — ersetzt werden konnten. Man baute hundertfünfzig, hundertachtzig, zweihundert Meter hoch und erreichte noch vor dem ersten Weltkrieg eine Bauhöhe 11
von zweihundertfünfundsechzig Metern. Unentwegt ging es dann weiter, bis man mit dem Empire-State-Building einen BauhöhehRekord aufstellte, der bis heute nicht überboten worden ist. Am 1. Oktober 1929 begann man zwischen der 33. und 34. Straße an der 5. Avenue mit dem Abbruch des alten Waldorf-AstoriaHotels, um Platz für das Empire-State-Building zu schaffen. Da man keinen Lagerplatz für die Baumaterialien hatte, mußten die Werkstoffe nach einem sorgfältig ausgearbeiteten Zeitplan auf die Minute genau angeliefert und von den Tranportwagen aus sofort verarbeitet werden. Der Materialfluß durfte nicht ins Stocken geraten, wenn man den Verkehr in der 5. Avenue nicht blockieren wollte. So wuchsen in jeder Woche vier bis fünf Stockwerke — einmal sogar vierzehn Stockwerke in zehn Tagen — empor, bis zum Stockwerk „102". Schon neunzehn Monate nach dem Abbruch des Waldorf-Astoria-Hotels konnten die ersten Mieter in das dreihunderteinundachtzig Meter hohe Gebäude einziehen, dem viele während seiner Bauzeit den baldigen Einsturz prophezeit hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhöhte man den Wolkenkratzer um einen siebenundsechzig Meter hohen Fernsehturm, in dem außer den Einrichtungen für sieben Fernsehsender acht Radarstationen mit einer Reichweite von siebzehnhundert Kilometern untergebracht sind. Dreiundsiebzig Fahrstühle, darunter eine Anzahl Expreß-Lifts, halten den Verkehr und Schnellverkehr in dem Riesenbau auf einer Strecke von insgesamt elf Kilometern im wahrsten Sinne des Wortes „aufrecht". In einer Minute kann man sich mit einem Expreß'Lift zum 80. Stockwerk hinaufbefördern lassen. Fünfundzwanzigtausend Menschen haben in dem Turmhaus ihre Arbeitsstätte, und Hunderttausende kommen als Besucher, um von den Aussichtsterrassen im 86. und 102. Stockwerk weit über New York und sein Hinterland schauen zu können. Allein diese Terrassen bringen im Jahre eineinhalb Millionen Dollar ein. Bei Stürmen schwankt die Turmspitze bis zu zehn Zentimeter, Blitze schlagen ein und werden unschädlich gemacht; der Wolkenkratzer ist der beste Blitzableiter für seine Umgebung. Seine gewaltige Höhe kann jedoch Menschen und Tieren zum Verhängnis werden; vor einigen Jahren raste ein Flugzeug gegen das Gebäude und zerschellte, manchmal prallen Schwärme von Vögeln bei schlechter 12
Das Hochgebirge der Wolkenkratzer bei einem Gewitter Sicht gegen die Hochwände und stürzen tot oder verletzt herunter. Dann nehmen sich Arzte und Tierfreunde der Überlebenden an und transportieren sie in gecharterten Schnellwagen zu den Tierhilfsstellen der Stadt. Über fünfeinhalbtausend Kilometer Telefondrähte und fünfundsiebzig Kilometer Wasserrohre sind im Empire-State-Building verlegt. Sechzigtausend Tonnen Stahl und Kalkstein bilden die „Hülle" dieses Riesen, während sein Inneres mit Marmor verkleidet ist, der in Italien, Deutschland und Frankreich gebrochen wurde. Fast zweitausend Stufen führen außer den Lifts nach oben. Würde man den Wolkenkratzer zu Fuß besteigen, so brauchte man fast zwei Stunden dazu. Acht Männer reinigen seine sechseinhaibtausend Fenster. Wenn sie unten angelangt sind, müssen sie oben schon wieder mit ihrer Putzarbeit beginnen. 13
Fahrstühle zum Himmel Das zweithöchste Gebäude der Welt ist das Chrysler Building, das 1929 erbaut wurde und mit seinen siebenundsiebzig Stockwerken dreihundertneunzehn Meter hoch hinaufragt. Ein anderer bemerkenswerter Wolkenkratzer ist das sechzig Stockwerke hohe Woolworth Building am Broadway, das bereits 1913 entstand und siebzehn Jahre lang, bis zum Bau des Chrysler Building und des EmpireState-Building, das höchste Gebäude New Yorks war. Da es sich in seiner äußeren Form etwas an den gotischen Baustil anlehnt, hat man es „Kathedrale des Handels" genannt. Ein wohldurchdachtes System von zweiunddreißig Fahrstühlen dient der senkrechten Bewegung in diesem zweihundertvierundsechzig Meter hohen Gebäude. Die „Lokalzüge" — wie die langsameren Aufzüge genannt werden — fahren bis zum vierten Stock durch und halten dann bis zum zehnten Stock auf Wunsch in jeder Etage; anschließend gleiten sie wieder nach unten. Andere Lifts gehen gleich bis zum zehnten Stock durch und halten von da ab bis zum 18. Stock nur nach Bedarf. Wieder andere Aufzüge heben ihre Fahrgäste in einem Zug bis zum 18. „Floor", um dann Etage für Etage bis zum 27. Stock zu pendeln. Mit einem „Expreß" kann man bis zum 27. Stockwerk rasen und diesen dann langsamer werdenden Lift beliebig bis zur 40. Etage halten lassen. Und endlich gibt es den „Rapid", der in einer Minute in seinem zweihundertdreißig Meter hohen Schacht bis zum 54. Stockwerk schießt, falls zwischen dem 40. und 54. Stock niemand aussteigen will. Von der Halle im 54. Stock kann man sich dann mit einem weiteren Lift bis zur Turmspitze — die oft weit über die Wolken hinausschallt — emportragen lassen. Zweihundertzehn Meter hoch ragen die beiden Türme des neuen, 1931 errichteten Waldorf-Astoria-Hotels in den New Yorker Himmel. Der Bau dieses siebenundvierzig Stockwerk hohen Riesenhotels, das die Tradition des berühmten alten Waldorf-AstoriaHotels fortsetzt und einen ganzen Block zwischen der 49. und 50. Straße einnimmt, kostete vierzig Millionen Dollar. Der Aufwand hat sich gelohnt, da die über zweitausend Zimmer dieses prominentesten Hotels der USA fast ständig belegt sind und in jedem Jahr 14
durchschnittlich eine Einnahme von zwölf Millionen Dollar erbringen. Könige und Fürsten, Präsidenten und Generale, Politiker und Künstler steigen dort ab, die Geldaristokratie veranstaltet in diesem Hotelbau ihre Feste. Als eines Tages ein Besucher „den König sprechen" wollte, mußte ihn der Portier erst fragen, welchen König er meine, da man mehrere zu Gast habe. Diese kleine Begebenheit ist bezeichnend für dieses „Gasthaus", das Luxus-Hotel der Millionäre der Welt. Ein eigener Schienenanschluß verbindet den Wolkenkratzer mit dem Grand-Central-Bahnhof der Stadt; man kann innerhalb des Hauses ins Kino gehen oder ins Hospital, und sich dort einer Operation unterziehen lassen, man findet Kindergärten, eine zahnärztliche Praxis, eine Bank, eine Schneiderwerkstatt und Modistinnen-Salons. Unter den zweitausend Bediensteten sind die fünfzig Hoteldetektive am wenigsten bekannt. Das alte Sprichwort, daß viele Köche den Brei verderben, hat im Waldorf-Astoria keine Gültigkeit, da nicht weniger als zweihundert Köche mit den erlesensten Speisen aufwarten. Als ein großer Staatsmann einmal in diesem Hotel eine Festtafel für dreitausend Gäste veranstaltete, mußten die Eingeladenen wegen der Kürze der Zeit innerhalb von dreißig Minuten bewirtet werden. Die achthundert Mann Personal, die bei dem Festmahl beschäftigt waren, hatten allein vierhundertzwanzigtausend Stück silberne Bestecke, sechsunddreißigtausend Teile Porzellan und zwölftausend Gläser abzuservieren. Die Preise sind natürlich entsprechend hoch. Es gibt Dauergäste in dem Hotel, die fünfundsiebzigtausend Mark Jahresmiete zahlen.
„Werkstatt des Weltfriedens" Einer unter den Wolkenkratzern, die scharfe Rechtecke in den Himmel New Yorks schneiden, hat sozusagen geschichtliche Bedeutung. Es ist