EDGAR HENNECKE
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Neutestamentliche ApokTyphen in deutscher Ubersetzung
3., völlig neubearbeitete Auflage herausgegeb...
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EDGAR HENNECKE
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Neutestamentliche ApokTyphen in deutscher Ubersetzung
3., völlig neubearbeitete Auflage herausgegeben von
WILHELM SCHNEEMELCHER
H. Band
APO STOLISCHE S APOKALYPSEN UND VERWANDTES
1964
J. C. B. MOHR (PAUL SIEBECK) TÜBINGEN
© Wilhelm Schneemelcher J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1964 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das lluch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen Printed in Germany Satz und Druck: H.Laupp jr, Tübingen Einband: Heinr.Koch, Großbuchbinderei, Tübingen
VORWORT Der H. Band der Neubearbeitung der Neutestamentlichen Apokryphen, der jetzt endlich vorgelegt werden kann, hat länger auf sich warten lassen, als den Mitarbeitern, dem Herausgeber und dem Verlag lieb war. Die Gründe für diese unliebsame Verzögerung liegen teils in der starken Belastung des Herausgebers durch mancherlei Verpflichtungen, teils in der Schwierigkeit, die hier zu bietende Materie sinnvoll einzugrenzen und richtig auszuwählen und anzuordnen, teils in der - leider nicht erfüllten - Erwartung, aus dem großen koptisch-gnostischen Fund in Nag Hammadi neue Texte, die in unseren Zusammenhang gehören, in diese Sammlung aufnehmen zu können. Da die Publikation dieser Texte nur langsam vorankommt, mußte schließlich doch auf eine Berücksichtigung der in Nag Hammadi gefundenen "Apokalypsen" und "Apostelgeschichten" verzichtet werden, wenn wir nicht noch mindestens 5 Jahre warten wollten. Es sei hier aber bemerkt, daß die in den bisher erschienenen Mitteilungen über die Funde von Nag Hammadi gebrauchten Titel, die zumeist ja den koptischen Titeln entsprechen, nicht ohne weiteres für die formgeschichtliche Einordnung der betreffenden Schriften zu benutzen sind, daß man vielmehr die Edition abwarten muß, ehe man sagen kann, ob nun die "koptisch-gnostischen Apokalypsen" Apokalypsen in dem Sinne sind, wie man diese Bezeichnung bisher gebraucht hat. Dasselbe gilt für die "Taten des Petrus und der zwölf Apostel" in Codex VI. Vgl. die Übersicht bei Martin Krause, Der koptische Handschriftenfund bei Nag Hammadi, Umfang und Inhalt: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abt. Kairo, 18, 1962, S. 121-132. Dort auch weitere Literatur, die nach dem Beitrag von Puech Bd. I, S. 158ff. erschienen ist, sowie eine Konkordanz der Numerierung der Codices bei Puech, Doresse und Krause-Labib. Diese letztere ist jetzt wohl als maßgeblich anzusehen. Wichtig sind die vier bisher publizierten Textbände : 1. Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex H von Nag Hammadi im Koptischen Museum zu Alt-Kairo. Herausgegeben, übersetzt und bearbeitet von Alexander Böhlig und Pahor Labib, Berlin 1962 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Orientforschung, Veröffentlichung Nr. 58). 2. Koptisch-gnostische Apokalypsen aus Codex V von Nag Hammadi im Koptischen Museum zu Alt-Kairo. Herausgegeben, übersetzt und bearbeitet von Alexander Böhlig und Pahor Labib, Halle-Wittenberg 1963 (= Sonderband der wissenschaftlichen Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) (mir bisher nicht zugänglich). 3. Die drei Versionen der Apokryphen des J ohannes im Koptischen Museum zu AltKairo. Herausgegeben von Martin Krause und Pahor Labib, Wiesbaden 1962 (= Abhandlungen desDeutschenArchäologischen Instituts in Kairo, Koptische Reihe Bd. I). 4. Das Evangelium nach Philippos. Herausgeben und übersetzt von Walter C. Till, Berlin 1963 (Patristische Texte und Studien, Bd. 2).
IV
Vorwort
Man kann nur wünschen und hoffen, daß die Publikation der Texte, die 1945/46 gefunden worden sind, etwas zügiger vorangeht als bisher, damit die Auswertung dieses Materials in Angriff genommen werden kann. Dabei werden gerade für das Gebiet der neutestamentlichen Apokryphen die formgeschichtlichen Fragen gegenüber den religionsgeschichtlichen nicht ungebührlich zurücktreten dürfen. Erst dann aber wird es auch möglich sein, zu entscheiden, ob und inwieweit diese Texte überhaupt zu den neutestamentlichen Apokryphen zu rechnen sind. Der vorliegende II. Band ist erheblich umfangreicher geworden als der I. Vor allem die vollständigen Übersetzungen der fünf großen Apostelgeschichten haben ihn anschwellen lassen. Daß damit auch die Aufnahme der Apostolischen Väter, die von manchen Rezensenten des I. Bandes gewünscht worden ist, unmöglich wurde, ist wohl verständlich. Ob man diese Texte überhaupt mit den neutestamentlichen Apokryphen zusammenbringen soll, erscheint mir fraglich. Der I. Band hat im allgemeinen eine freundliche Aufnahme gefunden. Viele Rezensenten haben allerdings beanstandet, daß in dem Beitrag von H. Oh. Puech nicht der vollständige Text des Thomasevangeliums und des Philippusevangeliums geboten worden sei. Nun habe ich schon im Vorwort zum I. Band auf die erheblichen juristischen Schwierigkeiten, mit denen wir zu tun hatten, hingewiesen. Es sei nur noch hinzugefügt, daß H. eh. Puech sich in loyaler Weise an gewisse Vereinbarungen gehalten hat, die für andere offensichtlich nicht galten. Inzwischen liegen die beiden genannten Texte mehrfach in deutscher Übersetzung vor (vgl. Krause a.a.O.). Die englische Übersetzung von Bd. I bietet das Thomasevangelium als Anhang (E. Hennecke, New Testament Apokrypha, ed. by W. Schneemelcher, English Translation ed. by R. Mc. L. Wilson, Vol. I., 1963, S. 51lff.). Ein Nachtragsband erscheint mir zur Zeit nicht angebracht. Dagegen wird eine spätere Neubearbeitung des Werkes, die aber vorläufig nicht möglich ist, den ganzen Fund von Nag Hammadi zu berücksichtigen haben und mehr Texte bringen, als wir es bisher können. Für den Fortgang der wissenschaftlichen Arbeit an den neutestamentlichen Apokryphen sei der geneigte Leser auf die jährlich erscheinende Bibliographia Patristica (Bd. 1/1956, 1959ff., Herausgeber W. Schneemelcher) verwiesen. Auch für Band II habe ich vielen Helfern und Freunden zu danken. Vor allem müssen die Mitarbeiter genannt werden, die ihre Arbeit zur Verfügung gestellt und oft viel Geduld bewiesen haben. Aus ihrem Kreise sind Walter Bauer und Hugo Duensing inzwischen abberufen worden. Beide waren mit unserem ·Werk besonders eng verbunden. Wir werden ihr Andenken dankbar in Ehren halten. A. Kurfess war durch schwere Krankheit daran gehindert, seine Manuskripte druckfertig zu machen und die Korrekturen zu überwachen. Diese Arbeiten mußten vom Herausgeber mit übernommen werden. Dabei und auch sonst haben Knut Schäferdiek, Siegfried Helmer, Jürgen Regul und Ohristoph Bizer unermüdlich geholfen, das Werk zu einem guten Abschluß zu bringen. Auch für diesen Band habe ich meinem Freund P. Vielhauer für vielfachen Rat zu danken. Schließlich sei noch dem Verleger, Herrn H. G. Siebeck, für alle Geduld und alles Verständnis herzlich gedankt. Bonn, den 10. September 1963
W. Schneemelcher
INHALTSVERZEICHNIS B. Apostolisches. Außerbiblisches über die Apostel
1
Einleitung (Schneemelcher) . . . . . . . . 1. Apostel und apostolisch. . . . . . . . 2. Zur Entstehung pseudapostolischer Literatur
3 3 8
XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Überlieferung.
11
1. Nachrichten (Bauer) . . . . . . . . . . . . 2. Die Apostel als Träger der Überlieferung (Hornschuh)
XII. Apostolische Pseudepigraphen . . . . . . Einleitung (Schneemelcher) . . . . . . . 1. Das Kerygma Petrou (Schneemelcher) 2. Die Kerygmata Petrou (Strecker) . . 3. Der Laodicenerbrief (Schneemelcher) . 4. Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus (Kurfess) . 5. Der Pseudo-Titus-Brief (de Santos Otero)
11 41 53 53 58 63 80 84 90
XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
110
Einleitung (Schneemelcher und Schäferdiek) . 1. Johannesakten (Schäferdiek) . 2. Petrusakten (Schneemelcher) 3. Paulusakten (Schneemelcher) 4. Andreasakten (Hornschuh) 5. Thomasakten (Bornkamm) .
110 125 177 221 270 297
XIV. Die Pseudo-Clementinen (Irmscher) . XV. Jüngere Apostelakten (Schneemelcher und de Santos) .
373 399
A. Fortbildung der alten Apostelakten
400
B. Spätere Akten anderer Apostel
404
C. Apokalypsen und Verwandtes
405
Einleitung (Vielhauer) 1. Die Apokalyptik . 2. Die Sibyllistik 3. Die Prophetie . .
407 408 422 422
VI
Inhaltsverzeichnis
428 XVI. Apokalyptik des Urchristentums . . . . . . 428 1. Einleitung (Vielhauer) 454 2. Die Himmelfahrt des Jesaja (Flemming-Duensing) . 3. Offenbarung des Petrus (Maurer; Übersetzung des äthiopischen Textes durch Duensing) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 XVII. Apokalyptische Prophetie der frühen Kirche . Einleitung (Schneemelcher) . . . . . . . . 1. Das fünfte und sechste Buch Esra (Duensing) 2. Christliche Sibyllinen (Kurfess) 3. Das Buch des Elchasai (Irmscher) XVIII. Spätere Apokalypsen . . . . . . . . Einleitung (Schneemelcher) . . . . . 1. Apokalypse des Paulus (Duensing) 2. Thomasapokalypse (de Santos Otero) Anhang: Dichtungen
1. Der Naassenerpsalm (Bauer) . 2. Die Oden Salomos (Bauer)
484 484 488 498 529
533 533 536 568 573 575 576
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AA Aa
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ABA
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AG AGG AJ Altaner AP Apa Apokr. 1 Apokr. 2 APt AR ATh AThANT Bardenhewer, Lit.gesch. Bauer
=
=
Acta Andreae (Andreasakten) Acta Apostolorum Apocrypha I, ed. R. A. Lipsius, 1891; II, 1 u. 2, ed. M. Bonnet, 1898 (Nachdruck 1959) Abhandlungen der Berliner Akademie der Wissenschaften, Phil.·hist. Klasse kanonische Apostelgeschichte apokryphe Apostelakten Acta Johannis (Johannesakten) Berthold Altaner, Patrologie, '1958 Acta Pauli (Paulusakten) Apocalypses Apocryphae, ed. C. Tischendorf, 1866 Neutestamentliche Apokryphen, hrsg. von E. Hennecke, '1904 Neutestamentliche Apokryphen, hrsg. von E. Hennecke, 21924 Acta Petri (die alten Petrusakten) Archiv für Religionswissenschaft Acta Thomae (Thomasakten) Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments Otto Bardenhewer, Geschichte der altkirchlichen Literatur I, 21913; II, 21914; III, 21923; IV, 1+21924; V, 1932 (Nachdruck 1962) Walter Bauer, Das Leben Jesu im Zeitalter der neutestamentlichen Apokryphen, 1909 E. Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, 3. Auf!. hrsg. von W. Schneemelcher, I, 1959 Bibliotheca Hagiographica Graeca, 31957 Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche Corpus Christianorum. Series latina Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum A Dictionary of the Bible, ed. J. Hastings, 5 Bde., 1898-1904 Evangelia Apocrypha, ed. C. Tischendorf, 21876 Fragmenta Historicorum Graecorum, 5 Bde., 1841-1870 Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Die griechisch-christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte Göttingische Gelehrte Anzeigen Handbuch zu den neutestamentlichen Apokryphen, hrsg. von E. Hennecke, 1904 Adolf Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur, 21958
= = =
Handschrift(en) The Harvard Theological Review The Apocryphal New Testament, ed. M. R. James 1924 (Neudruck 1955)
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Bd. I
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BHG BZAW BZNW
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CCh CSCO CSEL DB Ea FHG FRLANT GCS GGA Handb.
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Harnack, Lit.gesch. Hs(s). HTR James
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VIII JBL JThSt KlT Lipsius
Abkürzungsverzeichnis = = = =
LThK
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LXX
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Michaelis NGA NkZ OrChr OrientLZ PA PG PL PO Quasten RAC RE RevBen RevBibl RGG RHE RQS Santos SBA
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Journal of Biblical Literature Journal of Theological Studies Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen, hrsg. von H. Lietzmann R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, 2 Bde., 1883f.; Ergänzungsheft, 1890 Lexikon für Theologie und Kirche, 11930-1938; "1957ff. Septuaginta Die Apokryphen Schriften zum Neuen Testament, übers. und erl. von W. Michaelis, "1958 Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen Neue Kirchliche Zeitschrift Oriens Christianus Orientalistische Literaturzeitung Patrum Apostolicorum opera, ed. O. v. Gebhardt, A. Harnack, Th. Zahn I, "1876f.; H, 1876; IH, 1877 Migne, Patrologia Graeca Migne, Patrologia Latina Patrologia Orientalis, ed. Graffin-Nau Johannes Quasten, Patrology I, 1950; H, 1953; IH, 1960 Reallexikon für Antike und Christentum, 1941ff. Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 31896-1913 Revue Benedictine Revue Biblique Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 81957-1962 Revue d'Histoire Ecclesiastique Römische Quartalschrift Los Evangelios Ap6crifos, ed. A. de Santos Otero, 1956; "1963 Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3 Bde. u. Registerbd., '1901-1911 Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.hist. Klasse Theologisches Literaturblatt Theologische Literaturzeitung Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 1933ff. Texts and Studies. Contributions to Biblical and Patristic Literature Vigiliae Christianae Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons und der altkirchlichen Literatur, hrsg. von Th. Zahn, 1881-1929 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift für katholische Theologie Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde von der älteren Kirche Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte Zeitschrift für Theologie und Kirche Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie
KORREKTUREN ZU BAND I
s.
4, Anm. 4, 1. Zeile ist statt "gibt es nicht" zu lesen: "bietet C.A. Credner, Zur Geschichte des Canons, Halle 1847, S. 316-412" S. 5, 7. Zeile ist zu lesen: m S. 5,21. Zeile ist statt "Suidas II 199,25 Diels" zu lesen: "Suidas IV 713,16 Adler" S. 13, 2. Zeile ist statt "den J ohannesbriefen" zu lesen: "dem 1. J ohannesbrief" S.25, 6.-9. Zeile ist statt "Weg" jeweils zu lesen: "Wanderung" S. 28, 4. Zeile von unten bis S. 29, 1. Zeile ist "und zahlreiche ... gelten" zu ersetzen durch: "und zahlreiche andere haben wir gelesen, damit es nicht den Anschein hat, wir wüßten etwas nicht, wegen jener, die sich einbilden etwas zu wissen, wenn sie diese (Evangelienschriften) kennen" S.29, 7. Zeile von unten ist nach "Thomas" einzufügen: "und des Mathias" S. 30, 9. Zeile ist zu lesen: "der sieben sogenannten katholischen Briefe" S. 36, 8.-6. Zeile von unten ist der spanische Titel wie folgt zu berichtigen: "Los Evangelios Apocrifos, Coleccion de textos griegos y latinos, version critica, estudios introductorios, comentarios e ilustraciones" S. 37, 14. Zeile von unten ist zu lesen: "A. S. Lewis" S.37, 13. Zeile von unten ist zu lesen: "Baumstark" S. 37, 11. Zeile von unten ist statt "O.H.E. Burmester" zu lesen: "W. Grossouw" S. 52, 1. Zeile des Textes ist ,,1." vor "Einleitung" zu tilgen S.54 ist unter Nr. 5 zu lesen: "Epiphanium" S.54 muß unter Nr. 7 der Text lauten: "Erbittet euch das Große, so wird Gott euch das Kleine hinzutun. " Entsprechend ist in der Erläuterung zu lesen: "so wird euch das Kleine hinzugetan werden" S. 55,7. Zeile von unten ist statt ,,3f." zu lesen: ,,3f" S. 57, letzte Zeile ist zu lesen: "bis 49; 86f." S. 62, 3. Zeile ist zu lesen: "Deißmann" S. 62, 16./17. Zeile; S. 77,4. Zeile; S. 94,14. Zeile; S. 111, Anm. 1; S. 115, Anm. 1: die an diesen Stellen gegebenen Hinweise auf J.Jeremias, Unbekannte Jesusworte, "1951, treffen für die 3. Auf!. dieses Werkes, 1962, nicht mehr zu. S. 66, Abschnitt "b) Oxyrhynchos-Papyrus 1",12. Zeile ist statt "Z. 22" zu lesen: "Z. 23" S. 81, 14. Zeile ist zu lesen: "KG III 27,4" S. 86, 17. Zeile von unten ist statt "formiert" zu lesen: "firmiert" S.87 müssen die 6.-3. Zeile von unten lauten: ,,7. Die sog. "EvANGELlENAUSG.A1lE ZION". In den Subscriptiones von 36 Evangelienhandschriften des 9. bis 13.Jhs. findet sich der Hinweis auf ein als TO ' Iovt5ar"ov bezeichnetes Evangelium, und zwei dieser Handschriften (die Codices 566 und 899) notieren als Randbemerkungen Lesarten des Judaikon zu Mt. Der Codex 1424, der die Subscriptiones nicht hat, bringt die meisten, nämlich 10 der 13 Judaikon-Lesarten zu Mt., und zwar 8 als alleiniger Zeuge. Die Subscriptiones verweisen auf das Musterexemplar auf dem "heiligen Berge", dem Zion in J erusalem. Schmidtke (1-32) hat diese Gruppe untersucht ... " S. 89, 8. Zeile ist zu lesen: "Wilmart" S. 90, Abschnitt ,,1. Das Nazaräerevangelium", 4. Zeile ist zu lesen "Mt. 2,15.23" S. 94, 17. Zeile ist in der Klammer als letzte Zahl statt ,,4" zu lesen: ,,24"
x
Korrekturen zu Band I
S. 98, Nr. 24,4. Zeile ist zu lesen: ,,53,12" S. 98, Nr. 27, 3. Zeile und S. 99, Nr. 30, 3. Zeile ist statt "Olem." zu lesen: "Olm." S. 98, Anm. 5 ist zu lesen: "Vgl. Lk. 23, 34" S. 107, 5. Zeile von unten ist zu lesen: "heiligen" S. 107, Anm. 6 ist statt "Mk. 1,7" zu lesen: "Mk. 1,11" S. 108, Nr. 6, 1. Zeile ist statt "Nazaräner" zu lesen: "Nazaräer" S. 111, Abschnitt i), 1. Zeile ist statt "Herr" zu lesen: "Heiland" S. 112, Abschnitt 1), 5. Zeile ist zu lesen: "Epiph. haer. 62,2" S. 112, vorletzte Zeile ist zu lesen: "Clemensbriefes" S. 113, 23. Zeile ist statt "NEG" zu lesen: "NE 6" S. 115, 2. Zeile ist statt "alle in" zu lesen: "allein" S. 120, 6. Zeile von unten sind die Klammern bei "BZAW" zu tilgen S. 121, Abschnitt "Bruchstück", 11. Zeile ist zu lesen: "Broten6 , ihrem" S. 127, Abschnitt ,,4. Literatur", 5. Zeile ist vor "ZNW" einzufügen: "H. Lietzmann," S. 135, 3. Zeile von unten, rechte Spalte ist zu lesen: "Von hier an" S. 151,23. Zeile, linke Spalte ist statt "sei" zu lesen: "sie" S. 167,4. Zeile von unten ist zu lesen: "anouaÄv'Pllw,;" S. 201, 16. Zeile von unten ist nach ,,(1. Mose 28,7)" ein Semikolon zu setzen S. 201,8. Zeile von unten ist das Komma hinter "Mensch" zu tilgen S. 203, vorletzte Zeile ist zu lesen: "der alte Mensch" S. 206, Anm. 1 ist statt "W. Bauer, Bd. 11; XI" zu lesen: "W. Bauer, Bd. 11, S. 30" S. 216,5. Zeile von unten ist statt "lp." zu lesen: "pl." S. 247, 3. Zeile von unten ist nach "anfülle)." ein Anführungszeichen zu setzen S. 258, 5. Zeile von unten ist zu lesen: "Semlers" S. 267, 6.-12. Zeile ist die Übersetzung des Zitates aus al-Bärüni entnommen aus: A.1\dam, Texte zum Manichäismus (KlT 175), 1954, S. 1. S. 276,25. Zeile ist nach "Die Apokryphen" zu ergänzen: "Schriften" S. 291, vorletzte Zeile ist statt "Paris" zu lesen: "Athen" S. 304, 22. Zeile von unten ist zu lesen: "Rendel" S. 327, 4./3. Zeile von unten ist zu lesen: "gesandt" S. 330, vorletzte Zeile ist statt "Thinees" zu lesen: "Phinees" S. 332, Anm. 1, 4. Zeile ist zu lesen: "Jaroslav" S. 360, Abschnitt "Die Fragen des Bartholomäus", 4. Zeile ist statt ,,(L)" zu lesen: ,,(R)"
B. APOSTOLISCHES
AUSSERBIBLISCHES üBER DIE APOSTEL
EINLEITUNG
(w. Schneemelcher ) 1. APOSTEL UND APOSTOLISCH
LITERATUR (nur Auswahl aus neuerer Literatur): O. Linton, Das Problem der Urkirche in der neueren Forschung, 1932; K.H. Rengstorf, Art. d1l6OTOÄO~, ThWtb I, S.406-448; W.Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934; E. Käsemann, Die Legitimität des Apostels, ZNW 41, 1942, S. 33-71; W. G. Kümmel, Kirchenbegriff und Geschichtsbewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, 1943; H. von Campenhausen, Der urchristliche Apostelbegriff, Studia Theol. 1,1948, S. 96-130; J. Munck, Paul, the Apostles and the Twelve, Studia Theol. 3,1950, S. 96-110; R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 1953 (81958); H. von Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, 1953; A. Ehrhardt, The Apostolic Succession in the first two centuries of the Church, 1953; E. Lohse, Ursprung und Prägung des christlichen Apostolates, Theol. Zeitschr. 9, 1953, S. 259-275; E.M. Kredel, Der Apostelbegriff in der neueren Exegese, Zeitschr. f. kath. Theologie 78, 1956, S. 169-193 und 257-305; G. Klein, Die zwölf Apostel, Ursprung und Gehalt einer Idee, 1961; E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 18 1961; W. Schmithals, Das kirchliche Apostelamt, Eine historische Untersuchung, 1961.
"Die Frage nach Ursprung und Begriff des Apostolats gehört gegenwärtig zu den verwickeltsten und schwierigsten der neutestamentlichen Wissenschaft." So hat schon E. Haupt 1896 (Zum Verständnis des Apostolats im NT, S. 1) geurteilt, und dieses Urteil gilt heute eigentlich noch unverändert. "Die Debatte über unser Problem ist freilich auch noch nicht annähernd abgeschlossen ... Alle Quellen sind in der umfangreichen Literatur zu unserem Thema von allen Seiten untersucht worden; die vorgebrachten Gesichtspunkte wiederholen sich ständig, ohne daß ein Ende der Diskussion abzusehen ist. Weiterführen könnten nur neue Quellen, die aber kaum zu erwarten sind, oder wesentlich neue Gedanken." So urteilt W. Schmithals 1961 (Das kirchliche Apostelamt, S. 12). Man muß allerdings hinzufügen, daß vielleicht auch "wesentlich neue Gedanken" nicht der richtige Weg zu einer befriedigenden und anerkannten Lösung sind (von den dogmatischen Vorurteilen einmal abgesehen, die gerade bei diesem Problem ein schweres Hindernis für die historische Erfassung des Phänomens sind). Jedenfalls verlocken die zum Teil abenteuerlichen Hypothesen in dem geistreichen Buch von Schmithals nicht gerade dazu, den Weg der "wesentlich neuen Gedanken" einzuschlagen. Es kann selbstverständlich nicht Aufgabe dieser notwendigerweise knappgehaltenen Einleitung zu den mit dem Namen von Aposteln verbundenen Apokryphen sein, das Problem der Entstehung und des Wesens des urchristlichen Apostolats umfassend zu erörtern. Wir müssen uns mit ein paar Bemerkungen, die zu der Literatur, die in diesem Band vereinigt ist, und ihren Problemen hinführen, begnügen. 1*
4
Einleitung
Es ist auch nicht möglich, eine durch eine Wolke von Zeugen für und wider belegte und untermauerte Auseinandersetzung mit allen in den vergangenen Jahrzehnten vorgetragenen Thesen zu bieten. Sondern wir wollen nur versuchen, durch eine kurze Skizze die Probleme soweit anzudeuten, wie sie für unsere Literatur wichtig sind. Es wird dabei vor allem zu fragen sein, ob die in der pseudapostolischen Literatur und auch in den Werken, die sich mit Leben und Werk eines oder mehrerer Apostel befassen, zutage tretende Tendenz einer bestimmten Wertung der Apostel sich bereits in der Frühzeit beobachten läßt und seit wann und in welchem Umfang das der Fall ist!. a) Das Wort anoO'ToAo;- begegnet in der Profangräzität in verschiedener Bedeutung. Es kann, wie alleneueren Wörterbücher und Spezialuntersuchungen aufzeigen, 'die Flottenexpedition, der Führer eines solchen Unternehmens' bedeuten. Ob die neutrische Form TO anoO'ToAOY in der Bedeutung' das abfahrtbereite oder ausgesandte Schiff' älter ist als die maskulinische, wird sich nur schwer entscheiden lassen. In den Papyri tauchtanoC1'ToAo;- auf als 'Lieferschein', einmal auch als 'Reisepaß' . Neben diesem, in den Bereich der Schiffahrt gehörigen Sprachgebrauch treffen wir schon seit Herodot vereinzelt auf die Bedeutung 'Abgesandter, Bote' 2. Dieser allgemeine Sinn ist auch an einigen neutestamentlichen Stellen anzunehmen: J oh. 13, 16; Phil. 2, 25; 2. Kor. 8, 23. Daneben wären noch die neutestamentlichen Stellen zu erwähnen (Lk. 11,49; Hebr 3,1), an denen ebenfalls der Begriff nicht in dem spezifischen Sinn einer besonderen Gruppe von 'Aposteln' benutzt wird. Die Frage, ob von diesem allgemeinen Sprachgebrauch her der besondere Gebrauch zu erklären ist, wird man verneinen müssen. Im griechischen Sprachbereich kannte man das Wort, verband aber nicht die ausgeprägte Bedeutung damit, die anoO'ToAo;- nun an den meisten neutestamentlichen Stellen hat. Eine wirkliche Kontinuität von dem allgemeinen zum besonderen Wortsinn im Bereich des Griechentums läßt sich nicht aufzeigen. Man hat nun gemeint, daß es für den neutestamentlichen Apostolat ein jüdisches Vorbild gibt, das Schaliach-Institut, das man übernommen und mit dem bekannten griechischen Wort anoO'TOAo;- bezeichnet hat (vgl. zu dieser These u.a. Rengstorf). Aber gegen diese Hypothese sind gerade in neuerer Zeit erhebliche Einwände erhoben (Munck, Ehrhardt, Klein, Schmithals u.a.). Diese sollen hier nicht wiederholt werden. Entscheidend ist einerseits, daß die jüdische Einrichtung des 'Gesandten' in den für diese Frage nun einmal wichtigen Einzelheiten des Institutes nur recht spät belegt ist, und andererseits, daß gerade bei Paulus, der für uns ja ein wesentlicher und vor allem der früheste Zeuge für den urchristlichen Apostolat ist, nichts vom jüdischen Rechtsinstitut des Schaliach zu finden ist. Jedenfalls läßt sich die sprachliche Ableitung und die historische Erklärung des neutestamentlichen Apostolats aus dem jüdischen Schaliach-Institut nicht halten. "Damit ist die Frage nach 1 Daß man dabei nicht mit den apokryphen Apostelakten des 2. und 3. Jahrhunderts arbeiten darf, brauchte kaum gesagt zu werden, wenn man nicht bei Schmithals den erstaunlichen Satz läse: "Erhalten geblieben ist der Aposteltitel innerhalb der gnostischen Literatur verständlicherweise in den Apostelakten, da diese sich durchweg mit Gestalten aus dem Kreis der Zwölf befassen, obschon ihr Apostelbegriff der gnostische ist" (S. 180). Abgesehen von der Unklarheit, die in diesem Satz herrscht, muß betont werden, daß von einem einheitlichen Apostelbegriff der Apostelakten gar nicht die Rede sein kann und daß zumindest die ältesten apokryphen Apostelakten (APt und AP) mit Gnosis nichts oder nur sehr wenig zu tun haben. • Belege bei Bauer, Wörterbuch zum NT s. v. und in der genannten Literatur.
1. Apostel und Apostolisch
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den möglichen Ursprüngen des Apostolats in der Umwelt des NT, die seit Rengstorf endgültig erledigt schien, aufs neue zum Problem geworden" (Klein, a.a.O., S. 27). b) Nun ist das Problem der Entstehung des Apostolats noch dadurch kompliziert, daß es bis heute keine einhellige Meinung darüber gibt, wann denn im christlichen Bereich erstmalig von Aposteln - im spezifischen Sinn -die Rede sein kann. Zunächst wird die Frage noch einzuengen sein: wurzelt dieses Phänomen im Leben J esu? Allerdings ist die Antwort auf diese Frage dadurch erschwert, daß mit dem Problem der 'Apostel' zu Lebzeiten Jesu das andere der 'Zwölf' und ihrer Berufung durch Jesus eng verbunden ist. Aber beides muß auseinandergehalten werden. Es wird nicht zu bestreiten sein, daß Jesus durch seine Predigt einen Kreis von Anhängern gesammelt hat. In den synoptischen Evangelien wird davon berichtet, wie er von seinen Jüngern begleitet und umgeben war. Dabei fällt auf, daß diese Notizen manchmal so stereotyp und schematisch klingen, daß man sie der späteren Redaktion der Evangelisten zuschreiben darf!. Aber die Tatsache, daß in den Synoptikern oft die Jünger in eine ältere Tradition eingetragen sind, die ursprünglich nur von Jesus allein handelte, ändert natürlich nichts daran, daß es einen Kreis von Jesus-Anhängern gegeben hat, der nun allerdings schwer zu fassen oder zu umschreiben ist. Denn die Tradition über diesen Kreis ist erst in der nachösterlichen Gemeinde in feste Formen gefaßt worden, d. h. zu einer Zeit, in der dieser Kreis schon eine ganz bestimmte Position in der Gemeinde oder aber sich zerstreut hatte. So ist die Zusammenstellung der 'Zwölf Apostel' (z. B. Mt. 10, 2; Lk. 6, 13) spätere Formulierung. Denn die alte Formell. Kor. 15, 3f. trennt noch die Zwölf von den Aposteln. Schon Wellhausen (Einleitung in die drei ersten Evangelien, 2. Auf!. 1901, S.138ff.) hat auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich einer Annahme, die Zwölf gehörten in die Lebzeiten Jesu, entgegenstellen; Vielhauer hat m.E. den schlüssigen Beweis erbracht, daß die Zwölf eine Erscheinung der nachösterlichen Gemeinde sind, die allerdings bald wieder verschwunden ist (P. Vielhauer, Gottesreich und Menschensohn, Dehn-Festschrift 1957, S. 62ff.; vgl. auch Klein, a. a. 0., S.34ff.). Die Argumente brauchen hier nicht im einzelnen wiederholt zu werden. Entscheidend erscheint mir 1. Kor. 15, 3-5, da hier von den Zwölfen die Rede ist, obwohl nach den Evangelien ja nur von 11 Jüngern gesprochen werden dürfte. Wenn nun aber die Zwölf nicht in die Lebzeiten J esu zurückreichen, so bleibt noch die andere Frage, ob Jesus eine Gruppe seiner Anhänger als Apostel bezeichnet hat. Daß das Schaliach-Institut, das man hier gern bemüht, nichts austrägt, wurde schon gesagt. Aber auch andere angebliche Beweise versagen hier (vgl. Klein, a.a. 0., S. 28ff.), so daß man also sagen muß: Apostelinstitut und Apostelbegriff wurzeln nicht in der historia J esu. c) Wie steht es nun mit den Zwölf und den Aposteln in der Urgemeinde, d.h. in dem ersten Kreis von Christusgläubigen nach den Osterereignissen? Dieser Kreis, der durch den Glauben an den Auferstandenen zusammengeführt und zusammengehalten wurde, hat sich als eschatologisches Gottesvolk, als Gemeinde der Endzeit verstanden (das besagt doch der Begriff euuÄrJC1ta). Nach 1. Kor. 15, 5 sind die ersten Erscheinungen des Auferstandenen dem Petrus und den Zwölf zuteil geworden. 1 Vgl. dazu Bultmann, Geschichte der synopt. Tradition, 3 S. 368f., wo auch darauf aufmerksam gemacht wird, wie sich die Vorstellung von der ständigen Begleitung Jesu durch die Jünger zu der dogmatischen Vorstellung von den Zwölf als den autorita.tiven Zeugen des Evangeliums steigert.
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Viele andere Indizien sprechen dafür, daß Petrus tatsächlich der erste Auferstehungszeuge war und daß er, der schon zu Lebzeiten J esu dem Herrn folgte, dadurch eine führende Position in der entstehenden Gemeinschaft einnahm. Man wird vermuten dürfen, daß er zunächst das Haupt der Zwölf gewesen ist. Diese Zwölf waren eine Institution, die mit der apokalyptischen Vorstellungswelt der Urgemeinde eng zusammenhing (vgl. Mt. 19, 28), die aber nicht von langer Dauer war; die Autorität des Petrus hat ihn allerdings überdauert. Paulus kennt die Zwölf nicht mehr als feste Institution, die in seiner Zeit wirkt. Bei seinem ersten Besuch in J erusalem, so berichtet er Gal. 1, 18f., hat er 14 Tage mit Petrus zusammen verbracht, "einen anderen der Apostel" aber nicht gesehen, außer Jakobus. Zur Zeit dieses Besuches war also die Gruppe der Zwölf bereits abgelöst von der der Apostel, unter denen nun Petrus wieder führend war. Daneben scheint schon in dieser Zeit Jakobus, der Bruder J esu, eine gewisse Rolle in der Gemeinde zu spielen, ohne allerdings zu den Aposteln zu gehöreni. Ob außer Petrus noch ein anderes Glied des Zwölferkreises den Anschluß an die Gruppe der Apostel gefunden hat, wissen wir nicht. Es ist aber unwahrscheinlich, da die Apostel in einen anderen Zusammenhang gehören. Auch wenn wir nicht sicher sagen können, wie es zu dieser Institution gekommen ist, so scheint doch klar, daß die Apostel nicht zu den apokalyptisch bestimmten Christusgläubigen (wahrscheinlich doch jüdischer Herkunft) gehört haben. Eher wird man sie, die I. Kor. 15,7 nach Jakobus als Auferstehungszeugen genannt werden, zu dem Kreis der Hellenisten (AG 6) rechnen. Jedenfalls scheint mir das die Möglichkeit der Erklärung zu sein, die am nächsten liegt. Diese Hellenisten sind ja nach den fragmentarischen Nachrichten, die aus der AG noch zu erheben sind, diejenigen gewesen, die sich zuerst der Mission zugewandt haben. Man kann von dem Begriff an6a-roÄo~ her vermuten, daß dieser Titel in diesem Kreis aufgekommen ist und daß damit zunächst einfach eine bestimmte Gruppe von Missionaren bezeichnet worden ist 2. Jedenfalls hat das Apostelamt vor Paulus bestanden (vgl. Ga1.1, 17). Er kennt, wie bereits gesagt, die Zwölf nicht mehr als Autorität, wohl aber die Apostel (und dazu dann die a-rvÄOt, über die aber hier nicht gehandelt zu werden braucht), die nun außerhalb Jerusalems das Amt der Verkündigung ausüben. d) Von der Tätigkeit dieser Apostel können wir nur andeutungsweise uns ein Bild machen. Sie ist vor allem missionarischer Art gewesen (vgl. z.B.l. Kor. 9, 3ff.; noch Didache 11 wird diese Funktion der Apostel deutlich). Paulus hat sicher in vieler Beziehung genauso gearbeitet wie die anderen Apostel, hat aber dem Amt eine ausgeprägte theologische Begründung und ein großes theologisches Gewicht gegeben. Darauf kann hier nicht eingegangen werden (vgl. z. B. Schmithals, a. a.O., S.13ff.; dort auch weitere Literatur). Nur das sei herausgestellt: Der Apostel ist nach Paulus direkt von Christus berufen (bei ihm selbst ist das vor Damaskus erfolgt) und hat nun dieser Berufung gemäß das Wort zu verkünden. Er ist aber - und 1 Es ist klar, daß die sehr schwierigen Probleme von Gal. 1, 15ff. hier nicht erörtert werden können. S Fraglich bleibt dabei das Verhältnis zu den Sieben, von denen AG 6 die Rede ist. Diese Sieben waren offensichtlich keine Apostel. Auch die chronologischen Fragen sind schwierig: nach 1. Kor. 15,7 sind die Apostel Auferstehungszeugen vor Paulus. Die 'Hellenisten' müßten daher, wenn die Apostel aus ihren Kreisen stammten, sehr früh sich als besondere Gruppe herausgebildet haben. Nun ist das durchaus möglich, da ja schon zu Lebzeiten Jesu die Anhängerschaft nicht nur aus Juden bestand (vgl. W. Bauer, Jesus der Galiläer, Festgabe für A. Jülicher, 1927, S. 16-34).
1. A P08tel und A p08toli8Ch
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das ist für unseren Zusammenhang wichtig - nicht deshalb Apostel, weil er Augenzeuge des Lebens und der Taten Jesu war. Diese Bedingung stellt Lukas in der Erzählung von der Nachwahl des Matthias (AG 1, 21-22). Dabei wird nun diese Forderung, daß der Kandidat für das Apostelkollegium mit dem irdischen Jesus von der Taufe durch J ohannes bis zur Himmelfahrt zusammengewesen sein soll, verbunden mit der Idee des Zwölferapostolatsi. G. Klein hat versucht nachzuweisen, daß Lukas derjenige gewesen sei, der die Kombination 'Zwölf Apostel' erfunden hätte. Dagegen spricht aber unter anderem, wie Haenchen (Die Apostelgeschichte, S. 679) zeigt, daß es diese Kombination der Zwölf mit den Aposteln schon in der Logienquelle (Q; vgl. Mt. 19, 28 und Lk. 22, 50) gegeben hat. Wie dem nun auch sei, die Differenzen zwischen Paulus und Lukas in der Auffassung vom Amt des Apostels sind offensichtlich, und es bleibt trotz der Arbeit Kleins eine offene Frage, wann es zu dieser folgenschweren Verengung des Apostelbegriffs auf die Zwölf gekommen ist. Denn daß hier eine Veränderung vor sich gegangen ist, wird man nicht leugnen können. Zugespitzt kann man formulieren: Paulus sieht in den Aposteln die Boten des Evangeliums, Lukas sieht in ihnen die Zeugen der historia J esu und damit die Garanten für die Wahrheit der kirchlichen Predigt. Gewiß kann man darüber streiten, ob nicht schon zur Zeit des Paulus die Zwölf und die Apostel in engere Beziehung zueinander gesetzt waren (vgl. Haenchen, S. 680). Aber die theologische Wertung des Apostelamtes ist bei Lukas ganz sicher eine andere als bei Paulus. Dabei darf nun allerdings nicht übersehen werden, daß die Meinung, der Apostel solle Zeuge der Auferstehung sein (AG 1,22), wohl damit zusammenhängt, daß dieses Amt von Anfang an mit Christophanien verbunden war. Der Apostel ist durch den auferstandenen Herrn berufen; daher nennt Paulus sich als den letzten in der Aufzählung 1. Kor. 15, 8. Es ist durchaus möglich, daß in dieser Tatsache der Ansatzpunkt für die Entwicklung zu der lukanischen Apostelidee gegeben war. Weiter liegt hierin wohl auch der Grund dafür, daß zwar alle Apostel Missionare, aber nicht alle Missionare Apostel waren, wie ja auch andererseits nicht alle diejenigen, denen eine Christophanie zuteil geworden war, nun Apostel wurden. e) Es ist auffallend, daß in der AG zwar den Zwölf Aposteln eine erhebliche Dignität zugeteilt wird, daß aber das Adjektiv anocnoJ"tu6!;" nicht vorkommt. 'Apostolisch' als Bezeichnung für eine bestimmte Lehre oder für die Kirche begegnet im ganzem NT nicht. Hier ist von den Aposteln nur als Personen die Rede. Wenn Paulus oder Lukas von Aposteln reden, so ist der Hintergrund dafür niemals irgendeine abstrakte 'Apostolizität'; vielmehr liegt der Maßstab für dieses Amt bei Paulus in dem Ereignis der Berufung durch den Auferstandenen, für Lukas in der persönlichen Bindung an die historia Jesu. Es ist fraglich, ob Lukas noch Apostel gekannt hat; die Didache kennt unter diesem Titel wandernde Missionare. Es wäre möglich, daß Lukas solchen wandernden Predigern diesen Titel aberkennen will, da unter ihnen wohl auch mancher merkwürdige Prophet gewesen sein mag, und daß von daher seine Konzeption des Apostelbegriffs zu erklären ist. Aber das ändert nichts daran, daß das' Apostolische' auch bei Lukas noch unter dem Gesichtspunkt der Person verstanden wird. Allerdings sehen wir nun in der AG die Ansätze zu der Entwicklung, die dann zu der dogmatischen Abstraktion geführt hat, bei der das 'Apostolische' 1 Die AG 1, 21 f. aufgestellte Forderung würde übrigens, wenn man den Evangelien folgen würde, kein Jünger erfüllt haben.
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die Garantie der echten Tradition wird. Das Auftauchen des Adjektivs a:nocn:oÄt,,6, bei Ignatius und in dem Martyrium Polykarps 1 ist ein Zeichen für die nun schon fest gewurzelte Anschauung von dem besonderen Wert des 'Apostolischen' in verschiedener Hinsicht, speziell im Blick auf die Lehre. Die Mahnungen der Pastoralbriefe zum Festhalten an der 'gesunden Lehre' (vgl. 1. Tim. 1, 10; dazu M. Dibelius, Exkurs zur Stelle im Handbuch zum NT) sind weitere Beispiele für diese Entwicklung, die dann in die im Kampf gegen die Gnosis ausgebildete Vorstellung von den Aposteln als den Trägern der überlieferung einmündet (dazu vgl. Hornschuh, u. S. 41 ff.). 2. ZUR ENTSTEHUNG PSEUDAPOSTOLISCHER LITERATUR
Die im folgenden zusammengestellte Literatur ist zwar in Form und Inhalt sehr unterschiedlich, wird aber durch die Beziehung auf die Apostel zusammengehalten, sei es, daß es sich um apostolische Pseudepigraphen handelt, sei es, daß einzelne Apostel und ihre Schicksale Gegenstand der Darstellung sind. Die Entstehung dieser Literatur ist nicht mit einem Satz zu erklären, sondern hat recht verschiedene Ursachen und Motive. Das wird im einzelnen noch deutlich gemacht. Hier soll vorweg nur auf zwei allgemeine Gesichtspunkte aufmerksam gemacht werden: a) Die kurze Skizze von der Entwicklung des Apostelinstituts und des Apostelbegriffs hat schon etwas sichtbar werden lassen von den entscheidenden Voraussetzungen der Entstehung der pseudapostolischen Literatur. Nur weil es zu der These gekommen war, daß die Apostel die Garanten der wahren und reinen Überlieferung seien, konnte es nun auch zu pseudapostolischen Schriften kommen. Erst als das 'Apostolische' Maßstab geworden war - gewiß in recht verschiedener Weise -, war es sinnvoll, im Namen von Aposteln Schriftstücke zu verfassen oder in Umlauf zu setzen. Das"älteste Beispiel ist wohl die Zwölf-Apostel-Lehre, die Didache, deren Titel wahrscheinlich lautete: 'Lehre des Herrn für die Heiden durch die Zwölf Apostel'. Es ist charakteristisch, daß gerade ein Traktat, der vor allem kirchen ordnende Funktion hat, als pseudapostolische Schrift geschrieben ist. Er hat in der kirchenrechtlichen Literatur der Alten Kirche manche Nachfolge gefunden. Auch die Pastoralbriefe, die in denselben Zusammenhang der frühen pseudapostolischen literatur gehören, haben eine betont rechtliche Intention. Weiter hat man dann, wie die apokryphen Apostelbriefe zeigen, auch den Kampf gegen die Ketzer durch solche Machwerke intensivieren und vor allem legitimieren wollen. Die Autorität der Apostel ist dogmatisch so gefestigt, daß in der 'apostolischen' Kirche Werke entstehen, die diese Autorität für die Tagesfragen ausnutzen. Andererseits aber hat nun diese Bedeutung des 'Apostolischen' in der Kirche weiter zur Folge, daß man über die Gestalten der Apostel gern mehr erfahren möchte, als im Neuen Testament steht. Schon Lukas hat in der AG manche Legenden benutzt, die das Merkmal frommer Neugier am Leben und Wirken der Apostel zeigen (vgl.AG5, 15: der Schatten des Petrus; AG 19, Hf.: die Taschentücher des Paulus). Die Apostel werden dabei leicht zu Wundermännern, wie sie auch das Heidentum kannte. "Wir sehen hier die Gefahr, von der die volkstümliche überlieferung über die apostolischen Wunder bedroht war: sie verwandelt den /-lae-r:v, '/'YJO'ov Xetcn:ov in lIgnatius, Trall. Praescr., grüßt die Gemeinde in apostolischer Weise (tv a:n;oOToÄ.'Uqi
xaemn'iie'); Mart. Pol. 16,2 wird Polycarp bezeichnet als der 'apostolische und prophetische Lehrer'.
2. Zur Ent8tehung pseudapostolischer L!:teratur
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einen Menschen, der bis in seinen Schatten hinein von der Wunderkraft erfüllt ist und durch diese Fülle die göttliche Vollmacht unmittelbar konstatierbar macht" (Haenchen, Apostelgeschichte, S. 202). Das widerspricht natürlich völlig dem Bild des Apostels, das Paulus gezeichnet hat (vgl. E. Käsemann, ZNW 41,1942, S. 33ff.). Lukas folgt hier ohne Zweifel volkstümlicher Tradition. Man wird aber sagen dürfen, daß diese Volkslegenden für ihn nicht die Hauptsache waren, sondern nur den erbaulichen Charakter seines theologisch bestimmten Werkes unterstreichen sollten. Im Laufe des 2. Jahrhunderts treten die legendarischen Züge immer stärker in den Vordergrund. Die Stabilisierung der Kirche als einer 'apostolischen' Institution, der Kampf gegen die Gnostiker, die sich für ihre Geheimlehren auf Apostel beriefen, die stärkere Verbreitung des Christentums, das Aufkommen der Märtyrerverehrung und manche andere Motive führen dazu, daß man sich eingehender mit Leben und Werken der Apostel beschäftigt und dabei das Bild immer farbiger gestaltet. Literarische Vorbilder für die Erzählungen vom Leben der Apostel gab es in der Umwelt in mannigfacher Art, und dieses Vorbild mag in verschiedener Weise auf die mündliche Tradition wie auf die schriftliche Fixierung in den apokryphen Apostelakten eingewirkt haben. Aber der Vorgang, mit dem wir es hier zu tun haben, darf nicht zu einseitig von der Literaturgeschichte her verstanden werden. Die Apostelakten sind zwar literarische Dokumente, sind aber vor allem volkstümliche Erzählungen, in denen die Stil- und Gattungsfragen sicher nicht im Vordergrund standen (vgl. u. S.110ff.). Auch bei der pseudapostolischen Literatur ist das Verhältnis zum kanonischen Schrifttum zu beachten. Es gibt auch bei diesen Schriften wie bei den apokryphen Evangelien Werke, die zu einer Zeit entstanden sind, in der der Kanon noch nicht abgeschlossen war bzw. sich noch nicht in vollem Umfang durchgesetzt hatte. Allerdings ist die Zahl der pseudapostolischen Apokryphen, die hierher zu rechnen sind, sehr gering. Bei den meisten der Werke, die hier zu behandeln sind, muß man einen späteren Zeitpunkt der Entstehung annehmen als für die kanonischen Schriften und auch als für die Kanonsbildung. Das bedeutet, daß die Frage, ob die apokryphen Apostelschriften die kanonischen Schriften ersetzen oder ergänzen wollten, nicht so einfach zu beantworten ist wie bei den apokryphen Evangelien. Bei den meisten der Texte, mit denen wir es zu tun haben, wird man annehmen dürfen, daß die Verfasser damit den Kanon bzw. einzelne in Ansehen und Geltung stehende Dokumente ergänzen wollten. Die Anknüpfung an die im Neuen Testament vorliegenden Gattungen und Formen ist bei einem Teil offenkundig. Ein Brief wie der apokryphe Laodicenerbrief, der faktisch nur ein Sammelsurium von Stellen aus den Briefen des PauIus ist, hat sich nach dem VorbiId der Briefe des Apostels gerichtet. Dagegen ist es fraglich, ob und inwieweit für die apokryphen Apostelakten das lukanische Vorbild maßgebend war (vgl. dazu u. S. 111 ff.). Sehr viel bedeutsamer ist hier das Einströmen von vor- und außerchristlichen Literaturformen und Gattungen gewesen. Für diesen Vorgang gilt das in der Haupteinleitung (Bd. I, S. 34f.) bereits Gesagte: es handelt sich nicht um ein rein formales Problem der Literaturgeschichte. Sondern dieser Vorgang steht im Zusammenhang mit der gesamten kirchengeschichtlichen Entwicklung, deren Vielfalt in den apokryphen Schriften, die mit den Aposteln zusammenhängen, ebenso zum Ausdruck kommt wie in den apokryphen Evangelien. Daß die späteren Apostelgeschichten in ganz besonderer Weise Tendenzliteratur sind, bei der das kanonische Vorbild überhaupt keine Rolle spielt, sei wenigstens vermerkt.
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b) Schon bei den apokryphen Evangelien kann man kaum von einer einheitlichen Literaturgattung sprechen. Wir haben in Bd. I, S. 48ff. versucht, drei verschiedene Typen von apokryphen Evangelien zu unterscheiden, wobei das Verhältnis zu den kanonischen Evangelien für die Differenzierung von Bedeutung war. Viel schwieriger ist es nun, den Stoff, mit dem wir es bei den apostolischen Apokryphen zu tun haben, gattungsmäßig klar zu gliedern. Gewiß heben sich bestimmte Gruppen heraus, wie die pseudapostolischen Briefe oder die apokryphen Apostelakten, für die wir auch Vorbilder oder Ähnlichkeiten in den Gattungen und Formen des Neuen Testaments haben. Aber daneben gibt es Werke, die sich einer klaren Eingliederung entziehen oder die einer Gattung angehören, die mit denim Neuen Testament vorkommenden Gattungen nichts zu tun haben (z. B. Kerygma Petrou). Der Grund dafür, daß wir es hier mit einer sehr viel bunteren Materie zu tun haben, liegt wohl darin, daß der Begriff des 'Apostolischen' eine so bedeutsame Rolle spielte. Man hat daher die verschiedensten Dinge mit den Namen und Gestalten der Apostel verbunden. Dogmatische, polemische und apologetische Intentionen wurden ebenso mit den Aposteln in Verbindung gebracht wie kirchenrechtliche Absichten oder erbauliche und unterhaltende Ziele. Jeweils nach dem Zweck richtete sich dann das literarische Genus, dessen man sich bediente. Es ist charakteristisch, daß der apokryphe Briefwechsel zwischen der korinthischen Gemeinde und Paulus (lU Kor, vgl. u. S. 257 ff.), der ein Teil der Paulusakten ist, die Abwehr der gnostischen Irrlehrer, d. h. also ein dogmatisches Thema zum Inhalt hat, während die übrigen Paulusakten von einer solchen Polemik wenig erkennen lassen, vielmehr erbaulich und unterhaltend wirken wollen. Für solche erbaulichen Absichten war aber die Form der romanhaften oder legendären Volks erzählung geeigneter als die Briefform. Natürlich lassen sich bei unserer Literatur, deren Herkunft aus Kreisen, die nicht als geistige Führungsschicht anzusprechen sind, klar ist, die Gattungen und Formen nicht rein herausarbeiten. Aber im großen und ganzen wird man die eben skizzierte Unterscheidung wohl anwenden dürfen. Es wird so noch einmal deutlich, daß die Fragen der Gattungs- oder Formgeschichte niemals rein formale Probleme darstellen, sondern daß Form und Inhalt eng zusammengehören. Das gilt sicher auch für die Erzählungsstoffe, die bereits vor der schriftlichen Fixierung bzw. vor der Zusammenarbeit durch einen Redaktor mündlich tradiert wurden. Andererseits ist es bedeutsam, daß gerade in den Reden der Apostelakten, die wohl das Werk der Redaktoren bzw. Verfasser der Apostelgeschichten sind, die eigentlichen Intentionen dieser Verfasser am besten zum Ausdruck kommen. Alle diese Beobachtungen laufen darauf hinaus, daß die gattungs- und formgeschichtliche Methode, die sich bei der Evangelienforschung so bewährt hat, auch auf die pseudapostolische Literatur angewandt werden kann und muß. Mit ihrer Hilfe können diese Dokumente erst richtig als Quellen für die Geschichte des Christentums im 2. und 3. Jahrhundert erschlossen werden. Hierliegen Aufgaben, die in Zukunft in Angriff genommen werden müssen.
XI. DAS APOSTELBILD IN DER ALTCHRISTLICHEN ÜBERLIEFERUNG 1. NACHRICHTEN*
(W. Bauer) 1. ZAHL; ApOSTELLISTEN. Daß Jesus sich aus der Schar seiner Anhänger zwölf Männer ausgewählt habe, die ihm besonders vertraut waren, Helfer und Fortsetzer seines Wirkens, ist alte evangelische Kunde. Ob ihre Einsetzung wirklich auf den historischen Jesus zurückgeht! oder ob die Zwölf eine Institution der nachösterlichen Gemeinde sind 2, ist eine umstrittene Frage. Die Zwölfzahl steht jedenfalls von Anfang an so fest, daß außerordentlich häufig von zwölf Jüngern geredet wird, wo es eigentlich nur elf heißen dürfte 3 , z.B. Evang. Petr. 59; Himmelfahrt Jes. 3, 17; 4,3; 11,22 (s.u. S. 454ff.); Kerygma Petrou (s.u. S. 58ff.)4. Es ist eben der geschlossene Kreis, der seinen Namen behält, auch wenn es Ausfälle gibt, so wie Xenophon (Hell. 2, 4, 23) von den Dreißig redet, obgleich Kritias und Hippomachus schon getötet sind (2, 4, 19). Wie wenig an der Zahl zu rütteln ist, zeigt die Gewohnheit von Vergleichungen und Spekulationen, für welche die Zwölf das Bezeichnende ist: so in der Offb. (21,14); bei Justin; Tertullian; Irenäus; Excerpta ex Theodoto bei Clemens Alexandrinus; Hippolyt 6. Um so merkwürdiger ist demgegenüber die * Der nachstehende Abschnitt ist noch von W. Bauer t durchgesehen worden, mußte dann aber noch erheblich von M. Hornschuh überarbeitet werden. Trotz der Bemühungen Hornschuhs (und auch K. Schäferdieks und J. Reguls) ist die Literatur keineswegs überall auf den neuesten Stand gebracht. Gleichwohl wollte ich auf diesen Beitrag, der schon durch die Fülle des gebotenen Materials bedeutsam ist, nicht verzichten. W. Sch. I So u.a. Rengstorf, Art. (jw&;l(a, ThWtb II, 1935, S. 325ff.; Oepke, Das neue Gottesvolk, 1950, S. 165ff.; v. Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, 1953, S. 15; G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, 1956, S. 138. 2 So u.a. im Anschluß an Schleiermacher und Wellhausen Bultmann, Theologie des NT, 31958, § 6,1; vgl. auch Geschichte der synoptischen Tradition, 31957, S. 368f.; Vielhauer, Festschr. für G. Dehn, hrsg. v. W. Schneemelcher, 1957, S. 62f.; umfassend: G. Klein, Die zwölf Apostel. Ursprung und Gehalt einer Idee (Forsch. z. Rel. und Lit. des A. u. N.T., NF 59), 1961. 3 So richtig Mt. 28, 16; Mk. 16, 14; Lk. 24, 9. 33; AG 1, 26. • Vgl. noch Aristides, Apol. 2 (Hennecke, TU 4, 3, 1893); Justin, Apol. I, 39. i Justin, dial. c. Tryph.42. - Tertullian, adv. Marc. IV 13,3 (Corpus Christianorum, ser.lat. 1,1954, S. 572). - Irenäus, adv. haer. 13,2; 18, 4; II 21, 1; IV 21,3. - Clem. Alex., Exc. ex Theod. 25, H. (GCS 17, Stählin, S. 115, 10-14); Hippolyt, Erklärung der Segnungen des Moses zu den 12 Stämmen, XV 6 (G. N. Bonwetsch, Drei georgisch erhaltene Schriften des Hippolyt, TU 26, 1, 1904, S. 67f.).
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Überliejentn(J
Unsicherheit der Gegner des Christentums: Celsus: zehn oder elf (bei Origenes, c. Cels. I 62), auch nur zehn (II 46); der babylonische Tahnud spricht von fünf Schülern Jesu mit den Namen Matthai, Naqai, Nezer, Buni, Thoda (Sanhedrin 43a; vgl. Handb., S. 62); Hierokles nennt die Zahl 900 (Lactantius, div. inst. V 3, 4). Steht die Zahl fest, so stimmen schon in den neutestamentlichen Apostellisten die Namen keineswegs vollständig überein, wie auch ihre Reihenfolge Abweichungen aufweist. Die schwerstwiegende Verschiedenheit besteht darin, daß ein Glied des Apostelkollegiums bei Mt. (10, 2-4) Lebbäus, bei Mk. (3,16-19) Thaddäus, bei Lk. (6,16; AG 1,13) Judas Jacobi heißt!. Act. Thom. 1 wiederholen im wesentlichen den Katalog der kanonischen Apostelgeschichte. Dagegen verfügt die älteste Zeit noch über einen vollständigen Katalog, der erheblich anders gestaltet ist als die biblischen Listen. Sowohl die Apostolische Kirchenordnung 2 als auch die Epistula Apostolorum (2 (13); s. Bd. I, S. 128) enthalten eine Aufzählung von elf Apostelnamen, deren gemeinsame Eigentümlichkeiten die engste Zusammengehörigkeit beweisen unbeschadet der Differenz in einem Namen (Apostolische Kirchenordnung: Simon; Epistula Apostolorum: Judas Zelotes) und Änderungen in der Reihenfolge. In beiden tritt Johannes an den Anfang und erscheinen Nathanael und Kephas -letzterer neben Petrus-als Apostel.Während Baumstark (ZNW 14, 1913, S.232ff.) eine gemeinsame Quelle annimmt, höchstwahrscheinlich das Ägypterevangelium, und darin die Zustimmung von F. Haase gefunden hat (ZNW 16, 1915, S. 106), erklärt C. Schmidt 3 die zweifellos vorhandenen Beziehungen mit Hilfe der Annahme einer Abhängigkeit der Apostolischen Kirchenordnung von dem Sendschreiben4 • Neben den alle zwölf oder elf Einheiten umfassenden Listen stehen andere, die nur einen Teil der Namen aufweisen. Es ist dabei weniger an Joh. 21, 2 gedacht oder an den abgebrochenen Schluß des Petrusevangeliums (s. Bd. I, S. 124) als an Papias (s. u. S. 45) und an das Ebionäerevangeli um (s. Bd. I, S. 102), wo Jesus, nachdem er acht Namen, unter denen Johannes wiederum voransteht, genannt hat, fortfährt: Von euch will ich, daß ihr zwölf Apostel seid, zum Zeugnis für Israel. Es spricht viel dafür, daß die Verkürzung der Liste nicht dem apokryphen Evangelium zur Last fällt, sondern dem Epiphanius oder einem seiner Abschreiber. Papias andererseits faßt bei seiner Aufzählung, die gewiß ein Beispiel dafür ist, daß die Reihenfolge nicht immer tiefere Bedeutung zu haben braucht, den Rest der Apostel in einer allgemeinen Wendung zusammen. Ähnlich ist der Satz im 1. Buch des Jeu (c. 3; s. Bd. I, S. 185) zu beurteilen: Es antworteten alle Apostel einstimmig, Matthäus und Johannes, Philippus und Bartholomäus und Jakobus, indem sie sagten ... C. Schmidt bemerkt dazu mit Recht 5 : "Es werden also nur fünf Namen erwähnt 1 Über die bis auf Tatian (Hjelt, Die altsyrische Evangelienübersetzung und Tatians Diatessaron, 1901, S. 34; 124f.) zurückverfolgbaren Versuche, das Auseinanderstrebende zusammenzuhalten, s. Th. Zahn, Das Evangelium des Matthäus, 31910, S.390---392. 2 ed. Hilgenfeld, Novum Testamentum extra canonum receptum, 4. Teil, 21884, S.111; A. Harnack, Die Lehre der zwölf Apostel (TU 2,1-2),1884, S. 225. 3 Gespräche Jesu mit seinen Jüngern nach der Auferstehung, TU 43, 1919, S. 244. 4 Vgl. hierzu Th. Schermann, Die allgemeine Kirchenordnung, frühchristliche Liturgien und kirchliche Überlieferung (Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 3) 3, 1916, S. 601ff. 6 Gnostische Schriften in koptischer Sprache, TU 8, 1/2, 1892, S. 451.
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und sie doch als die Gesamtheit der Apostel hingestellt; aber wir sind keineswegs berechtigt, daraus den Schluß zu ziehen, daß der Verfasser die anderen nicht gekannt oder gelesen habe, er hebt vielmehr nur die bedeutendsten unter ihnen hervor, wie wir es häufig bei den Kirchenvätern finden; auch hatten Namen wie Jakobus Alphaei Sohn, Lebbäus, Judas Iscariot oder Matthias gar kein Interesse; dieselben treten in der nachapostolischen Zeit fast ganz in den Hintergrund." In der als Buch IV der Pistis Sophia herausgegebenen Schrift (GOS 45, S. 232) werden Thomas, Andreas, Jakobus, Simon "der Kananiter", Philippus und Bartholomäus namhaft gemacht und sodann summarisch die übrigen Jünger und Jüngerinnen erwähnt. Zwei nicht ganz übereinstimmende Kataloge von je elf Namen aus dem Zwölferkreis finden wir im Manichäischen Psalmbuch1 . Der eine (S. 192, 5-20) macht aus dem Alphäussohn Jakobus einen gehorsamen Jünger Alphäus, läßt den Thaddäus (Lebbäus, Judas Jacobi) ganz fort, gewinnt dann aber die Zwölfzahl zurück durch Zufügung des Apostels Paulus. Der andere (S.194, 7-17) verzichtet auf diesen, hat gleichfalls keinen Thaddäus, auch nicht Matthäus, den Zöllner, wohl aber einen Levi ohne Berufsbezeichnung (s. u. S. 33 f.). Als eine Art Apostelliste kann auch die Aufzählung der zwölf Apostel gelten, die bei Pseudo-Olemens, Rec. I 55-62, im jerusalemischen Tempel mit Juden und Samaritern disputieren. Hier haben wir die nachstehende Reihenfolge: 1. Matthäus (55), 2. Andreas (56), 3. und 4. Jakobus und Johannes (57), 5. Philippus (58), 6. Bartholomäus, 7. Jakobus, der Alphäussohn (59), 8. Lebbäus (59), 9.0ananäus Simon (60),10. Barnabas, der auch Matthias heißt (60),11. Thomas (61), 12. Petrus (62). Daß der redende Petrus sich zuletzt nennt, hat nichts Befremdliches. über Apostelverzeichnisse aus späterer Zeit s. R.A.Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden 1,1883, S. 22-25,192-206,210-215; II, 2, S. 416ff.; Ergänzungsheft S. 2-4, 14f., 16f., 19; Th. Schermann, Propheten- und Apostellegenden nebst Jüngerkatalogen, TU 31,3, 1907, S. 198ff. 2. DIE ApOSTEL IM GEFOLGE JESU werden vorwiegend im Anschluß oder doch in Anknüpfung an die neutestamentlichen Angaben geschildert. Doch geben z.B. die Johannesakten von der Berufung eine Darstellung, die im Dienste ihrer eigentümlichen Auffassung von der Person J esu steht (c. 88f., vgl. 113; s. u. S. 151 und 175). Die erwählten Apostel sind die echten Zeugen der evangelischen Geschichte. Sie sind stets beim Herrn gewesen und wissen alles, was er getan und gesagt hat: Irenäus, adv. haer. II 22, 5; Origenes, c. Oels. VI 8; Paulus an die Korinther in den Paulusakten (s. u. S. 259); Pseudo-Clemens, homo XVII 7; Syrische Didaskalia (S.67, J. Flemming TU 25,2,1904). Schon die lukanische Apostelgeschichte formuliert 1, 2lf. die Grundbedingung für den Eintritt ins Zwölfapostelkollegium dahin, daß der Anwärter Zeuge der gesamten öffentlichen Wirksamkeit Jesu gewesen sein müsse von der Taufe an. Daß das Ebionäerevangelium dementsprechend die Berufung der Jünger der Taufe des Herrn vorausgehen läßt, ist wahrscheinlich, jedoch durchaus nicht sicher (vgl. Vielhauer in Bd. I, S. 101). Sind nun aber die Apostel selbst getauft gewesen? Das Neue Testament gibt keine eindeutige Auskunft. Es berichtet nicht von einer Taufe der Jünger. Andererseits betonen die Evangelien die Unentbehrlichkeit der Taufe zum Heil (Job. 3, 5; Mt. 28, 19; Mk. 16, 16), erwähnen auch, daß die Apostel ihrerseits getauft haben 1 A Manichaean Psalmbook, edit. by C. R. C. Allberry, Stuttgart 1938 (= Manichaean Manuscripts in the Chester Beatty Collection, Vol. II).
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(Joh. 4, 2) und wenigstens teilweise ursprünglich zu den Anhängern des Täufers gehört hätten (Joh. 1, 35. 40). Vielleicht sollte auch Joh. 13 dem tiefer Blickenden Aufschluß geben. Tertullian bekämpft Leute, wohl Markioniten, die aus der Annahme, daß die Apostel die christliche Taufe nicht empfangen hätten, den Schluß ziehen, sie gingen des Heils verlustig, aber die Voraussetzung teilt er (de bapt. 12); denn Jesus hat nicht getauft und eine christliche Taufe gibt es überhaupt erst seit der Auferstehung Jesu (c. 11). Dagegen sind Hermas (sim. IX 16, 5) und PseudoCyprian (de rebapt. 6) der überzeugung, daß die Apostel auf den Namen des Herrn getauft worden seien. Etwas Näheres erfahren wir an beiden Stellen nicht. Ephraem aber erklärt im Kommentar zum Diatessaron 1, J esus habe die von J ohannes Getauften wiedergetauft. Sein Evangelientext mag ihm einigermaßen ein Recht dazu gegeben haben, wenigstens, wenn die harmonisierende Lesart von syr. sin. zu J oh. 4, 2 nicht unser Herr allein taufte, sondern auch seine Jünger auf Tatian zurückgeht. Sie gleicht diese Stelle mit J oh. 3, 22. 26; 4, 1 aus und entzieht dadurch die Tauftätigkeit jedem Zweifel. Auch in der Pistis Sophia (c. 122, GCS 45, S. 202) erscheint der taufende J esus. Damit ist die Voraussetzung gegeben für die Mitteilung, die J ohannes Moschus aus dem V. Buche der Hypotyposen des Clemens Alexandrinus (GCS 17, S.196) entnimmt, daß die Apostel getauft sind: Petrus von Jesus, Andreas von Petrus, Jakobus und Johannes von Andreas, während die Zebedaiden die Taufe an die übrigen weitergeben 2. Daß die Jünger jüdischer Herkunft sind, ist so selbstverständlich, daß es nur nebenbei erwähnt wird, z. B. Syrische Didaskalia (Flemming S. 133). Manchmal werden sie noch spezieller samt und sonders als Galiläer bezeichnet: AG 2, 7; Act. Petr. et Andr. 8 (Aa 2,1, S. 121); Ephraem, Kommentar zum Diatessaron (S. 57; S. 42, 22). Nur von Matthäus wird gelegentlich behauptet, er habe zu den Unbeschnittenen gehört (Altercatio Simonis et Theophili 20, Harnack TU 1, 3, S. 26f. 47.53), und das scheint schon die Meinung Markions gewesen zu sein (Tertullian, adv. Marc. IV 11, Corp. Christ. 1, S. 565). Gegenüber den Feinden des Christentums, die sich nicht genugtun können in Geringschätzung der sozialen Schicht, der die Jünger angehören (Celsus bei Origenes I 62.63; II 46; Julian c. Christianos 199. 200. 226 Neumann), betont man wohl, daß die Apostel keineswegs ganz unbemittelten Kreisen entstammen. Ja, der Zöllner Matthäus kann "reich" heißen (Clemens Alexandrinus, quis div. salv. 13), und im 1. Buche des Jeu 2 (GCS 45, S. 258) sprechen die Apostel: Wir ... haben Vater und Mutter verlassen, ... haben Güter verlassen, haben die Herrlichkeit des Königs verlassen und sind dir gefolgt 3. Doch läßt andererseits Pseudo-Clemens, homo XII 6, Petrus und Andreas als Waisen in Armut und Dürftigkeit aufwachsen. Äußerungen über Beruf und Bildung der Apostel knüpfen durchaus an das 1 Edidit L. Leloir, CSCO 137, 1953, armenischer Text; 145, 1954, lateinische Übersetzung. Im folgenden wird, wo nicht anders vermerkt, nur nach dieser Ausgabe zitiert. Dabei bezieht sich die erste Seitenangabe auf den armenischen Textband, die zweite auf die lateinische Übersetzung. • Vgl. Th. Zahn, Forschungen zur Geschichte des neutestamentlichen Kanons III, S. 69f.; später wird diese Angabe öfters wiederholt und noch weiter ausgesponnen, vgl. A. Berendts, Studien über Zacharias-Apokryphen 1895, S.104, Anm.l; F. Diekamp, Hippolytos von Theben, 1898, S. 27. 120f. 3 Vgl. auch 2. Buch des J e11 44, S. 306.
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Neue Testament an: Fischer und Zöllner, andererseits ungelehrt und laienhaft (AG 4, 13). Daß ihnen selbst die Anfangsgründe des Wissens abgehen, ist ein Gedanke, bei dem die Gegner mit Behagen verweilen (Celsus bei Origenes, c. Cels. I 62; Porphyrius bei Pseudo-Hieronymus, brev. in psalt. zu Ps. 81; Hierocles bei Eusebius, c. Hierool. 2, PG 22,800 B). Die Christen geben es angesiohts des Neuen Testamentes zu, besonders bereitwillig Origenes (c. Cels. I 62; VI 7; VIII 47; de princ. II 6, 1; homo I 13 in Gen.), dooh vor ihm sohon Justin (apol. 139) und OIemens Alexandrinus (strom. I 45, H.). Daß man das Gewerbe der Mehrzahl der Jünger nicht kenne, gesteht Origenes (0. Cels. I 62) offen ein. Nur gelegentlich erfährt man einmal, etwa von Thomas, daß er Zimmermann gewesen sei (Act. Thom.2). Die hohe Schätzung, die das naohgeborene Geschlecht den Aposteln darbringt, sprioht sioh natürlich auoh aus in der Art, wie man von ihrem Leben redet. Vgl. die Charakterisierung im Munde des Herrn im Kerygma Petrou (Fragment bei OIemens Alexandrinus, strom. VI 48, H.; s.u. S. 63). Jesus rühmt in cod. D zu Lk. 22, 28 den Jüngern naoh: Ihr seid in meinem Dienste gewachsen wie der Dienende.
Ja, unter Einfluß von Eph. 1, 4 kommt das Logion zustande (Ephraem, Kommentar zum Diatessaron 1) : Ich habe euch erwählt vor dem Werden der Welt.
Daß die Apostel alle Gnadenga ben besessen haben, steht dem Clemens Alexandrinus fest (strom. IV 133, 3). Vor allem sind hier die in koptisoher Spraohe erhaltenen gnostischen Schriften zu nennen. Im 4. Buoh der Pistis Sophia und in den Büchern des Jeu empfangen die Jünger Jesu, seine "Brüder und Geliebten", hohes Lob. Sie haben sämtliche Gebote des Meisters gehalten (Pistis Sophia c. 138, GCS 45, S. 235f.; c. 142, S. 243ff.; 2. Buch des Jeu c. 43, S. 30H.; c. 44, S.306). Sie heißen würdig aller Erkenntnis und Mysterien (Pistis Sophia o. 138, S. 235f.; 2. Buoh des Jeu c.43f., S. 304ff.). Jesus fordert sie zur Freude darüber auf, daß ihnen alle Sünde vergeben ist und sie zum Reiohe des Vaters gehören (Pistis Sophia 0.142, S. 243ff.). Mensohlich an ihnen ist nur nooh, daß sie ein Sohuldbewußtsein besitzen und danaoh verlangen, durch den Erlöser von ihren fleisohlichen Gebrechen befreit zu werden (Pistis Sophia c.136, S. 232ff.; c.141, S. 241ff.; c.142, S. 243ff.; l.Buch des Jeu c. Iff., S. 257ff.; 2. Buoh des Jeu, c. 45ff., S. 308ff.). Unendlioh viel höher noch liegen die Äußerungen der anderen drei Bücher der Pistis Sophia, die in der Tat "das Höohste und Ausschweifendste in bezug auf die Bedeutung der Zwölfapostel" darstellen 2. Die Jünger sind vollkommen (c.96, S.144ff.), haben den Geist Jesu (c. 46, S. 49ff.; c. 49, S. 55ff.), entstammen dem Erlöser selbst (c. 110, S. 180f.). Ja Jesus erklärt, daß die Seelen seiner Apostel in der Höhe präexistiert haben, weshalb sie nicht von dieser Welt sind (c. 7 und 8, S. 6ff.). Vgl. hierzu Karpokrates bei Irenäus, adv. haer. 125,2. Vielleioht, daß es Gnostiker sind, die Origenes im Auge hat, wenn er gegen die Auffassung polemisiert, daß die Apostel sohon vor dem Leiden J esu vollkommen gewesen wären (in Mt. tom. XII 40; GCS 40 Klostermann, S. 158). Dooh kam man nicht überall so sehr von der Geschiohte los, um die VollkommenS. 57; S. 42, 22. A. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten 1', S. 360, Anm. 5. 1 I
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heit, ja Überweltlichkeit der Apostel preisen zu können. Zu zahlreich waren die Fälle, in denen die Evangelien sie schwach, verständnislos, sündig zeigten. Auch entsann man sich, daß Jesus doch gekommen sei, die Sünder zu rufen. So erklärt der Barnabasbrief, Jesus habe sich seine Jünger aus den allerverdorbensten Existenzen ausgewählt (5, 9). Das war Wasser auf die Mühle der Gegner des Christentums (Celsus bei Origenes, c. Cels. I 62f.; II 46). Doch wagt Origenes keinen ernstlichen Widerspruch, meint nur, die Jünger hätten sich dann unter Jesu Einfluß zu einem tugendhaften Wandel bekehrt (c. Cels. I 63.64; homo I 13 in Gen.), freilich nicht ohne mancherlei Rückfälle, wie Z. B. die Verleugnung und Worte wie Mt. 16,22; 17,4 lehren (comm. in Mt. tom. XII 40f.). Die Angriffe des Christenfeindes und die Aufgabe, das Evangelium im Zusammenhang auszulegen, ließen dem Origenes keine Wahl. Wo man solcher Notlage nicht unterstand, zog man es vor, an den evangelischen Stellen, die Ungünstiges über die Jünger berichteten, vorbeizugehen (Apostolische Väter, Irenäus, Clemens Alexandrinus, Tertullian). Das empfahl sich um so mehr, als die Häretiker den Aposteln vielfach eine gewisse Mißachtung zeigten: Gnostiker Markus (Irenäus, adv. haer. I 13, 6), die Karpokratianer (ebd. 125), die "Gnostiker" des IrenäuB (ebd. 130,13). Der Magier Simon läßt Jesus selbst sein Verhältnis zu den Aposteln durch die Worte illustrieren: "die mit mir sind, haben mich nicht verstanden" (Act. Petr. C. Sim. 10). Markion kann in den Uraposteln nur Leute sehen, die in ihrem Unverstand die Lehre J esu durch Judaismus verfälscht haben (Irenäus, adv. haer. III 2,2; 12,12; 13,1; Tertullian, adv. Marc. 120; IV, 3;V, 3; de praescr. haer. 23). In anderer Weise war Montanus von der Unzulänglichkeit der Apostel überzeugt. Im Gegensatz zu diesen Ketzern gelten den Männern der Kirche die Apostel als Garanten und Träger der echten Offenbarung. Sie sind von Jesus in einzigartiger Weise belehrt worden. Und hierin treffen die Rechtgläubigen mit den Häretikern zusammen, die für ihre eigentümlichen Anschauungen auf geheimnisvolle Art über die Apostel oder doch einzelne Jünger hinweg den Anschluß an Jesus suchen (dazu S.U., S.46ff.). Gegenüber der bei manchen Häretikern, aber auch bei Clemens Alexandrinus (strom. 111,3; Hypotyp. 7, bei Eusebius, h. e. II 1, 4) und Origenes (c. Cels. II 64; IV 16; VI 77; comm. in Mt. tom. XII 36f.; 41) begegnenden Tendenz, gewisse Persönlichkeiten aus dem Kreise der Apostel herauszuheben, herrschte in kirchlichen Kreisen die Neigung vor, die Apostel als einheitliche Größe gleicher Beschaffenheit aufzufassen (Polykarp. Phil. 9, 1). Nur die Aussagen der Schrift führen gelegentlich zur Wirklichkeit zurück. Man redet ihnen das Beste nach und entschuldigt ihre Fehltritte so gut man kann. Justin schon meint, die Jünger hätten nach der Auferstehung Buße dafür getan, daß sie sich bei der Kreuzigung von ihrem Herrn losgesagt haben (dial. C. Tryph. 106). Und wo man dieses heikle Thema nicht lieber ganz unberührt ließ, hat man später allerlei geltend zu machen gewußt, was das Versagen der Jünger bei bestimmten Veranlassungen in einem milderen Lichte erscheinen lassen konnte. Doch müssen sich die Apostel auch im Interesse der Apologetik gefallen lassen, daß gelegentlich Schatten auf ihren Charakter geworfen werden. Alles, was das NT in dieser Richtung sagt, wird weit überboten durch die Hartnäckigkeit, mit der die Jünger in Epist. Apost. 10 (21); 11 (22) (s. Bd. I, S. 131) der Botschaft von der Auferstehung des Herrn den Glauben verweigern. 3. DIE ApOSTEL NACH DER HIMMELFAHRT. Auch von dem Ergehen und der Tätigkeit der Apostel nach der Himmelfahrt hören wir mancherlei, wobei der Inhalt
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der apokryphen Apostelakten im wesentlichen auf sich beruhen bleiben mag. Daß alle die gleiche Lehre verkünden, ist seit der Apostelgeschichte der Kirche im Grunde so selbstverständlich, daß sich Belege fast erübrigeni. Clemens Alexandrinus, der davon überzeugt ist, daß den Jüngern keine Gnadengabe abging (strom. IV 133,3), läßt sie besonders auch als Propheten wirken (V 38,5). Über die Beteiligung der Zwölf bei der Bekehrung des Paulus s. u. zu Paulus (S. 39f.). Auf ihren Reisen haben sie ihre Ehefrauen nicht als Gattinnen, sondern als Mitarbeiterinnen bei sich (strom.III 53,3; über das Weib des Petrus: Strom. VII 63,3; vgl. u. zu Petrus S.19 ff.). Tertullian allerdings will nichts davon wissen, daß irgendein Apostel außer Petrus verheiratet gewesen sei (de monog. 8, 4, Corp. Christ. 2, S.1239). Als Autorität treten die Apostel auch in gewissen Schriften auf, als deren Verfasser sie gelten. Die Didache erhebt wohl noch nicht den Anspruch, von den Aposteln geschrieben zu sein; und wie es in dieser Hinsicht mit den verschiedenen unter der Bezeichnung "Evangelium der zwölf Apostel" umlaufenden apokryphen Schriften steht, ist nur noch in einem Falle sicher festzustellen: Das von den Manichäern stammende Evangelium dieses Titels beansprucht, von den zwölf Aposteln geschrieben zu sein (vgl. Bd. I, S. 190f.). Die Epistula Apostolorum, die Syrische Didaskalia und die Apostolische Kirchenordnung bezeichnen die zwölf Jünger als ihre Autoren. Und auch in dem Evangelienfragment des Strass burger koptischen Papyrus (s. Bd. I, S.155ff.) sind die Apostel die Redner oder Schreiber. Über schriftstellerische Tätigkeit einzelner Apostel s. u. S.19ff. Was den Tod der Jünger angeht, so weiß Herakleon (Kom. zu Lk.; bei Clemens Alexandrinus, strom. IV 71,3) von vier Jüngern, daß sie keine Märtyrer geworden sind, während das Manichäische Psalmbuch (S. 142, 18ff., Allberry) nur fünf bzw. sechs apostolische Blutzeugen zu nennen weiß. Nach ihrem Tode haben die Apostel den Hades aufgesucht, um dort solchen, die das Evangelium noch nicht vernommen hatten, zu predigen und Gerechte zu taufen (Hermas, sim. IX 16,5-7; im Anschluß hieran, aber weitergehend, Clemens Alexandrinus, strom. II 43, 5-44, 4; VI 48, 3). Auf Erden zeigt man bald mit Stolz die Kirchen vor, in denen die Lehrstühle der Apostel gestanden haben und in denen die Urschriften ihrer Sendschreiben noch verlesen werden (Tertullian, de praescr. haer. 36,1, Corp. Christ. 1, S. 216), in einigen Städten auch die Grä ber der Apostel: in Rom auf dem Vatikan das des Petrus und an der Straße nach Ostia das des Paulus (Gaius bei Eusebius, h. e. II 25,7) bzw. beider Apostel an der Via Appia 2, in Ephesus das des Lieblingsjüngers J ohannes (Polykrates bei Eusebius, h. e. V 24, 2-7; vgl. III 39, 6), in Hierapolis das des Philippus und seiner Töchter (Polykrates, a.a. 0.). 4. AUSZUG ZUR MISSION. Das Wichtigste, was die Apostel nach dem Scheiden des Meisters vornahmen, war ihr Auszug zur Mission. Auch hier ergab das NT Anknüpfungsmöglichkeiten. Kennt es doch Missionsbefehle (Mt. 28, 19f.; Mk. 16, 16; Vgl. C. Schmidt, Gespräche Jesu, TU 43, 1919, S. 190.255. Zusammenstellung der Zeugnisse und Denkmäler der römischen Aposteltradition bei Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom (Arbeiten z. Kirchengeschichte 1)2,1927. Zum Verhältnis der Heiligtümer am Vatikan und der Via Ostia einerseits und an der Via Appia andererseits (keine Translation) s. Th. Klauser, Die römische Petrustradition im Lichte der neuen Ausgrabungen unter der Peterskirche (Arbeitsgemeinsch. d. Landes NordrheinWestf., Geisteswissensch., Heft 24, 1956). Weitere Literatur bei E. Dinkler, Die Petrus-RomFrage, Theol. Rundschau NF 25, 1959, S. 189-230; 289-335. 1
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2 Henneoke, Apokryphen Bd. 2
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Lk. 24, 47f.; AG 1, 8; 10,42), denen wir in den Äußerungen der Missionskirche immer aufs neue begegnen, sei es daß sie wiederholt werden, sei es daß man auf sie anspielt, oder sonstwie ihr Einfluß zu spüren ist. Die Forderung irgendwelcher nationaler Beschränkung wird dabei in der Regel nicht erhoben. Die Syrische Didaskalia (übersetzung von J. Flemming, TU 25,2, 1904, S. 77) stellt ausdrücklich den Universalismus des Missionsbefehls fest: "Jesus Christus hat uns, die Zwölf, ausgesandt, das (auserwählte) Volk und die Heidenvölker zu lehren." Ebenso das Kerygma Petrou 1 und Epistula Apostolorum 30 (41) (Bd. I, S. 143): Gehet und predigt den zwölf Stämmen Israels und den Heiden ... Doch im Grunde schon nicht anders der kurze Mk.-Schluß, das Diatessaron, 1. Clemens 42, 3, Aristides, Justin, Irenäus, Himmelfahrt des Jesaja, Apostolische Kirchenordnung, Fragment eines apokryphen Evangelienschlusses im 1. Band der koptisch-gnostischen Schriften, Pistis Sophia 2 • Eusebius (h. e. III, 1) teilt eine Tradition mit, wonach Thomas Parthien, Andreas Skythien und Johannes Kleinasien als Missionsgebiete durch das Los zugefallen seien. Es handelt sich um ein Fragment eines Verteilungsplanes der Erde an die zwölf Apostel 3 • Neben der universalistischen Auffassung steht freilich auch die Meinung, daß die zwölf Apostel, wie sie überhaupt in Beziehung zu den zwölf Stämmen stehen (Mt. 19,28 = Lk. 22, 30; Barn. 8, 3), so auch als Missionare nur für sie bestimmt sind (vgl. Mt. 10,5). Das war offenbar die Meinung der Judenchristen, des Ebionäerevangeliums (s. Bd. I, S. 102), doch nicht minder die der Anhänger des Gnostikers Markus (Irenäus, adv. haer. I 20, 2) und der Naassener (Hippolyt, ref. V 8). Eine gegenteilige Ansicht will die Apostel mehr oder weniger deutlich auf die Heiden beschränken: Pseudo-Clemens (hom. XVII 7, VIII 22, rec. II 33, IV 35) ; Acta J oh. 112; Evangelium der Maria (s. Bd. I, S. 252); auch Justin (dial. 53). Ganz bestimmt werden die Juden von der Berücksichtigung durch die Apostel ausgeschlossen in der pseudo-cyprianischen Schrift Adv. Judaeos (5), und zwar durch Jesus selbst, der den Ungehorsam Israels konstatiert und die Jünger deshalb ans Ende der Erde senden zu wollen erklärt, um endlich alle Heiden ohne Ausnahme zum Hochzeitsmahle zu laden. Das Kerygma Petrou (s. u. S. 58 ff.) hat die Verpflichtung der Apostel so unter Juden und Heiden verteilt, daß sie während der ersten zwölf Jahre auf das Verlangen nach Buße und Sündenvergebung in Israel hören, dann aber sich der "Welt" zuwenden sollen. So lautete der Auftrag des Herrn an die Jünger. Diese zwölf Jahre, während deren die Jünger in Jerusalem weilen, bevor sie in die Welt hinausziehen, spielen in der christlichen Überlieferung auch sonst eine Rolle: Apollonius (bei Eusebius, h. e. V 18,14); Acta Petri, c. 5 (s. u. S. 194); Acta Johannis des Prochorus Nach Clemens Alexandrinus, strom VI 48,1.; s. u. S. 63. Diatessaron: Ephraem, Kommentar zu Diatessaron, S. 276; S. 198, 22f.; auch S. 350; S. 248, 24-26; H. HilI, A dissertation on the Gospel Commentary of S. Ephrem, 1896, S. 118; Aphraates, homo ed. Wright 12. - Aristides, Apol. 2 (S.10, Hennecke TU 4, 3, 1893). - Justin, apol. I 31. 39. 45. 50; dial. 53. - Iren., Fragment XXXI (S. 843 Stieren); Epideixis 41. - Himmelf. d. Jes. 3, 17f.; 11,22. - Apostol. Kirchenordnung 1. - Kopt.gnost. Evangelienfragm., GCS 45, S.254. - Pistis Sophia, Buch I-lU (GCS 45, c.l11, s. 181ff.; c. 106, S. 174f.; c. 100, S. 158ff.; c. 125, S. 205ff.). 3 Vgl. A. v. Harnack, Der kirchengeschichtlicbe Ertrag der exegetischen Arbeiten des Origenes I (TU 42, 3), 1918, S. 16: "Auf alle Fälle lag hier ein vollständiges Verzeichnis der l\'Iissionsgebiete zugrunde." 1
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(ed. Zahn 1880, S. 3f.). Gewiß nicht, weil sie historisch sind, wie Harnack 1 will. Dazu paßt die Zahl der Jahre - Pseudo-Clemens (rec. I 43; IX 29) zieht übrigens die Siebenzahl vor, während ein sahidisches Bruchstück (Fragm. IV 26, F. Robinson, Texts and Studies IV 2, 1896, S. 28) fünfzehn hat _. zu gut zu der der Apostel. Gewisse Gnostiker lassen übrigens die zwölf Jahre hindurch Jesus bei seinen Jüngern weilen vor seiner endgültigen Heimkehr (Pistis Sophia 1, GCS 45, S. 1; 2. Buch des Jeu 44, ebd. S. 305ff.)2. Andere Gnostiker bemaßen die Zeit, die der Auferstandene bei seinen Jüngern blieb, auf achtzehn Monate: Valentinianer (Irenäus, adv. haer. I 3,2), die "Gnostiker" des Irenäus (ebda. I 30,14), ähnlich Himmelfahrt des Jesaja 9,16: 545 Tage (18 X 30 = 540) und das Apocryphon Jacobi (dazu s. Bd. I, S. 247f.). Vielfach verbindet sich mit dem Auszug der Apostel die Vorstellung, daß sie die ganze Welt in zwölf Teile geteilt haben, von denen jeder einen in Arbeit nehmen soll: Acta Thomae 1; Syrische Didaskalia (S. 120 Flemming), wohl schon Origenes (Eusebius, h. e. III 1). Spätere in Handb. S. 564 und bei Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden I, 1883, S. 11 bis 16 u.ö. 5. DIE EINZELNEN ApOSTEL. Petrus und den Ze bedaiden wird schon in den kanonischen Evangelien eine Vorzugsstellung zugeschrieben (Mk. 9, 2 Parr.; 14,33 Parr.). Daran knüpft an, was Eusebius (h. e. II 1, 3) aus Buch VI der Hypotyposen des Clemens Alexandrinus mitzuteilen hat, "daß Petrus und Jakobus und Johannes nach der Himmelfahrt des Erlösers nicht auf Ehrung Anspruch erhoben hätten, da sie ja auch von dem Erlöser vorher geehrt worden wären, sondern sie hätten Jakobus den Gerechten zum Bischof von Jerusalem gewählt". Eine Sonderstellung haben diese drei Jünger auch als Empfänger und Tradenten esoterischer Offenbarung bei Clemens Alexandrinus (dazu u. S. 46ft.); dieselbe Stellung haben Jakobus und Petrus im Apocryphon Jacobi (s. Bd. I, S.247f.). Petrus gilt im Anschluß an das NT überwiegend als der erste der Apostel, vor allem den Judenchristen; vgl. Pseudo-Clemens (hom. Ep. Clem. adJac.l, homo I 15). Schahrastani (Religionsparteien, ed. Haarbrücker I 261) nach judenchristlichen Quellen: Simon Kephas war sein (Jesu) Stellvertreter, und er war der vorzüglichste der Apostel, was Wissen, Frömmigkeit und Bildung anbetrifft. Ebenso ist er hier der einzige Empfänger einer Offenbarung des Auferstandenen: Aber nachdem er getötet und gekreuzigt war, kam er herab und es sah ihn Simon Kephas und er sprach mit ihm und übertrug ihm die Gewalt, dann verließ er die Welt und fuhr gen Himmel. Doch war sein Ansehen keineswegs auf Judenchristen beschränkt. Dem Bartholomäusevangelium gilt Petrus als Oberster der Apostel (II, 7. 14; Bd. I, S. 364. 365) und als stärkste Säule (II, 7; Bd. I, S. 364). Bartholomäus, sein Mitapostel, gebraucht die Anrede Vater Petrus (II, 3; Bd. I, S. 364.) Wie der Held der pseudo-clementinischen Romane (vgl. u. S. 373 ff.), so ist er auch der einer verzweigten Literatur von Petrusakten (vgl. u. S.I77 ff.). Nicht nur die beiden kanonischen Petrusbriefe, sondern desgleichen das Petrusevangelium (vgl. Bd. I, S. 118ff.), die Petrusapokalypse (vgl. u. S.468fL) und wohl auch das Kerygma Petrou (vgl. u. S. 58ff.) geben sich als von ihm verfaßt. über sein Verhältnis zum Markusevangelium s. u. zu Markus. Er hat seine Stelle im Mariaevangelium (s. Bd. I, S.252, 253f.), in der Epistula Apostolorum (11 [22], s. Bd. I, S. 131,) in dem Fragment von Fajjum (vgl. Bd. I, 1 2
2*
Gesch. d. altchristl. Lit. II I, S. 244. Dazu: Gnostische Schriften in koptischer Sprache (TU 8, 1/2), 1892, S.493f.
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S. 74), in den Gesprächen Jesu im 2. Clemensbrief (5, 2-4), im Apocryphon Jacobi (vgl. Bd. I, S. 247), bei Ignatius (Smyrn. 3, lf., vgl. Bd. I, S. 83f.) und kommt auch in den Acta Johannis vor (88.90.91). 1. Clemens (5) und Ignatius (Röm. 4, 3) nennen ihn neben Paulus in hohen Ehren, und selbst die Himmelfahrt des Jesaja (4,3) scheint auf ihn anzuspielen (s. u. S. 458). Die allgemeine Stimmung ist die, der Clemens Alexandrinus (quis div. salv. 21) Ausdruck gibt, wenn er von dem seligen Petrus redet, dem auserwählten, vorzüglichen, dem ersten der Jünger, für den allein der Herr außer für sich selbst die Steuer erlegte. Immerhin genießt Petrus vereinzelt auch geringeres Ansehen. Nicht nur bei Markion und denen, die den Apostelkatalog mit Johannes beginnen ließen (s. oben S.12). In den beiden Büchern des Jeu wird er überhaupt nicht genannt, und im 4. Buch der Pistis Sophia (c. 136, S. 232, GCS 45 Till) verschwindet er, nachdem Thomas, Andreas, Jakobus, Simon der Kananiter, Philippus und Bartholomäus namentlich aufgeführt sind, unter den übrigen Jüngern. Schon das 4. Evangelium hatte Petrus hinter den Lieblingsjünger zurückgestellt. Petrus verließ, als der Herr ihn rief, außer seinem Beruf auch Weib und Kind (Origenes, comm. in Matth. tom. XV 21 GCS 40, S. 411 Klostermann). Er war verheiratet (vgl. Mk. 1, 29-31 Par.; 1. Kor. 9, 5) und besaß Kinder (vgl. Mk. 10, 29 Par.; 1. Petr. 5, 13). Von der Frau des Petrus reden Pseudo-Clemens (hom. XIII 1.11; rec. VII 25. 36; IX 38) und Clemens Alexandrinus (strom. VII 63, 3; s. u.), letzterer auch von Kindern (III 52, 5), von einer Tochter speziell die Petrusakten (C. Schmidt, Die alten Petrusakten, TU 24, 11903, S. 3-10, vgl. u. S. 188 ff.), die Philippusakten (c.142, Aa 2, 2 S. 81) sowie die Akten des Nereus und Achilleus (c.15 ed. Achelis TU 11, 2, 1893, S. 1M.). Die aus 1. Petr. 5, 13 erschlossene Auffassung, Markus sei der leibliche Sohn des Petrus gewesen, findet sich wohl erst später, noch nicht bei Clemens Alexandrinus 1 • Die Philippusakten berichten a.a. O. weiter noch, Petrus habe jeden Ort geflohen, der eine Frau barg, eingedenk Mt. 5, 28; vgl. auch Pseudo-Clemens, Brief an die Jungfrauen II 15 (Funk, S. 26). Als" Weiberfeind" anderer Art erscheint Petrus in der gnostischen Literatur. In der Pistis Sophia tritt er dem als unzulässig empfundenen Sichvordrängen der Frauen aus dem Anhang Jesu entgegen (c. 72, S. 104). Auch das gnostische Mariaevangelium weiß von einer Differenz zwischen Petrus und Andreas einerseits und der Maria andererseits, der Levi zur Seite tritt (s. Bd. I, S. 254; vgl. Thomas-Ev., Spr.114)2. Der Zurückhaltung der Frau gegenüber entspricht die Einfachheit der Le bensführung des Petrus (Pseudo-Clemens, homo XII 6; rec. VII 6; Gregor von N azianz, omt. 14,4). Über des Petrus' Herkunft, Beruf und Bildung s.o. S. IH. Was wir über sein Leben im Gefolge J esu etwa über das NT hinaus erfahren, gehört in der Hauptsache der Geschichte der Auslegung des Bibeltextes an, was Z. B. über sein Bekenntnis zu J esus, seine Stellung als Felsengrund der Kirche, die ihm übertragene Schlüsselgewalt, seine Verleugnung und dergleichen mehr berichtet wird. Als selbständige Überlieferung kommt nur vielleicht in Betracht die auf judenchristliche Quellen zurückgehende Erzählung Schahrastanis (I 261 Haarbrücker), die den Auferstandenen nur dem Petrus erscheinen läßt: Aber nachdem er gekreuzigt war, kam 1 So Zahn, Neue kirchl. Zeitschr. 1901, S. 745; dagegen K. Heussi, Zeitschr. f. wissensch. Theol. 1902, S.48Iff. 2 Vgl. A. Harnack, Über das gnostische Buch Pistis Sophia 1891, S. 16f.; C. Schmidt, Gnostische Schriften in koptischer Sprache (TU 8, 1/2) 1892, S. 455; L. Zscharnack, Der Dienst der Frau in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche 1902, S. 161.
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er herab, und es sah ihn Simon Kephas, und er sprach mit ihm und übertrug ihm alle Gewalt; dann verließ er die Welt und stieg gen Himmel. Nach der Abreise aus Jerusalem (s.o. S.17 fI.) läßt eine alte Tradition den Petrus in Pontus, Galatien, Bithynien, Kappadokien und Asien den Diasporajuden das Evangelium verkünden (Eusebius, h. e. III 1, 2, wohl nach Origenes, s. ebd. III 1, 3). Der Einfluß von l. Petr. 1, 1 ist ganz deutlich (vgl. ebd. III 4, 2). Nach Origenes (hom. 6 in Luc.) hat er das antiochenische Bistum begründet (Eusebius, h. e. III 36, 2; vgl. Pseudo-Clemens, rec. X 69-72). Über die gemeinsame Wirksamkeit mit Paulus in Korinth und Rom vgl. Dionysius von Korinth (bei Eusebius, h. e. IV 23,3; vgl. Eusebius, h. e. II 25,8; III 4,10). Frühere Zeugnisse für einen römischen Aufenthalt des Petrus sind nicht absolut eindeutig (s. l. Clemens 5, 4; Ignatius, Röm. 4). In späterer Zeit dagegen mehren sich die Belege: Irenäus, adv. haer. III 1; Tertullian, de praescr. haer. 36, 3 (Corp. Christ. 1, S. 216); Clemens Alexandrinus, Hypotyposen VI (nach Eusebius, h. e. II 25, 8 und VI 14, 5-7, Überlieferung der "Presbyter"); Gaius (ebd. II 25,7). Auch daran, daß sich hinter BabyIon in l. Petr. 5, 13 Rom versteckt, kann man kaum zweifeln (so schon Clemens Alexandrinus und Papias bei Eusebius, h. e. II 15, 2). Den Märtyrertod des Petrus bezeugen l. Clemens 5, 4; 2. Petr. 1,14(1); Dionysius von Korinth (bei Eusebius, h. e. II 25, 8); Canon Muratori 37 (s. Bd. I, S. 19) und überhaupt vom Ende des 2. Jahrhunderts an viele, doch auch schon Joh. 21, 18f., dessen Worte bereits Tertullian (scorp. 15, 3, Corp. Christ. 2, S. 1097) richtig als Weissagung der Kreuzigung deutet. Daß diese mit dem Kopf nach unten erfolgt sei, sagt nach dem Vorgang der Petrusakten (s. u. S. 219f.) zuerst Origenes (bei Eusebius, h. e. III 1,2), es auf den ausdrücklichen Wunsch des Apostels zurückführend; ebenso das Manichäische Psalmbuch (S. 142, 18f. Allberry). - Während Clemens Romanus, Ignatius und Clemens Alexandrinus in bezug auf das Verhältnis des Petrus zur Gemeinde von Rom keine bestimmten Angaben machen, bezeichnen Dionysius (bei Eusebius, h. e. II 25, 8), Irenäus (adv. haer. III 1,1) und Gaius (bei Eusebius, h. e. II 25,7) Petrus als Missionsprediger, der im Verein mit Paulus die römische Kirche gegründet habe; vgl. Epiphanius (haer. 37, 6) und die Petrus-Paulus-Akten. Auch Tertullian (de praescr. haer. 36) stellt dem Petrus, wenn er auch den Clemens nur von ihm ordiniert werden läßt (c. 32), doch in Hinsicht der Gründung der römischen Kirche den Paulus zur Seite. Jedoch deutet er de pudic. 21 an, daß der römische Bischof Calixt sich als Inhaber des Bischofsstuhles des Petrus bezeichnet habe!. In der Mitte des 3. Jahrhunderts ist die Vorstellung vom römischen Bischofssitz als der cathedra Petri deutlich bezeugt: Cyprian (epist. 55, 8; 59,14), auch Firmilian (ebd.75, 17); Pseudo-Cyprian (de aleat.) 1; Pseudo-Clemens, homo (Brief des Clemens an Jakobus 2. 6)2. Von einer bestimmten jahrzehntelangen Dauer der Amtsführung des Petrus als Bischof von Rom weiß erst Eusebius in der Chronik. Deren Abhängigkeit von der 220 abgeschlossenen Chronik des Sextus Julius Mricanus steht freilich fesV. Inwieweit jedoch die dem Petrus geltenden Angaben von dorther entnommen sind, entzieht sich genauer Ermittlung. Immerhin hat sicher schon er, und zwar nicht als der erste (vgl. Acta Petri 41), den Tod des Petrus unter Nero 1 Vgl. G. Esser, TertulIian de pudic. 21 und der Primat des römischen Bischofs, Katholik, 3. Folge 26, 1902, S. 193-220. 2 Vgl. H. Koch, Kathedra Petri, BZNW 11, 1930. 3 Harnack, Gesch. d. altchristl. Lit. II 1, S. 123ff., 201, 704ff.; E. Schwartz, Eusebius, Die Kirchengeschichte III (GOS 9, 3) 1909, S. OOXXI ff.
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XI. Das Apo8telbild in der altchristlichen Uberliejerung
angesetzt!, den als Urheber des petrinischen Martyriums auch Tertullian (scorp. 15), Lactantius (div. inst. IV 21) und die jüngeren Petrusakten mit Namen nennen, und eine langjährige römische Wirksamkeit des Apostels angenommen. Dieser letzteren aber widersprechen nicht nur die Äußerungen des NT, sondern auch der Christenfeind bei Macarius Magnes (um 400), apocrit. 111 22 (Porphyriusn: Es wird erzählt, daß Petrus gekreuzigt worden sei, nachdem er nur wenige Monate die Schäflein geweidet. Ebenso die Petrusakten (vgl. u. S.193ff.). Die Überlieferung von einem Aufenthalt des Petrus in Rom ist von den verschiedensten Seiten aus bestritten worden, z.B. durch Neander, F. Chr. Baur, Mangold, Zeller, Lipsius; ferner von P. W. Schmiedel (Art. Simon Peter in der Encyclopaedia Biblica, ed. Chayne und Black 4, 4559ff.), K. Erbes (Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben,ZKG 22, 1901, S.lff., 161ff.), C. Guignebert (La primaute de Pierre et la venue de Pierre a Rome 1909), A. Bauer (Die Legende von dem Martyrium des Petrus und Paulus in Rom, Wiener Studien 38, 1916, S. 270ff.), H. Dannenbauer (Die römische Petruslegende, Historische Zeitschrift 146, 1932, S. 239ff.; 159, 1938, S. 81 ff.), besonders energisch von K. Heussi (War Petrus in Rom? 1936; War Petrus wirklich römischer Märtyrer? 1937; Neues zur Petrusfrage 1939; Die römische Petrustradition in kritischer Sicht 1955. Weitere Arbeiten von Heussi zu diesem Thema s. ThLZ 86, 1961, Sp.545f.). Dagegen pflichten der Tradition bei u.a. Bleek, Credner, H. Ewald, Hilgenfeld, Renan, Lightfoot, Harnack, Clemen, C. Schmidt, F. Sieffert (RE 15, S.199ff.), Th. Zahn (Ein!. in das NT, 31906, 2, S. 22ff.), F.H. Chase (Art. Peter (Simon) in Dictionary of the Bible 3, 1909, p.765ff.), H. Lietzmann, Petrus und Paulus in Rom, 21927); unter den neueren Arbeiten O. Cullmann (Petrus. Jünger, Apostel, Märtyrer, 1952, 21960), K. Aland (Histor. Ztschr. 183, 1957, S. 497f.) und von katholischen Forschern H. Schmutz (Petrus war dennoch in Rom, Benediktinische Monatssehr. 22, 1946, S.128ff.), Th. Klauser (Die römische Petrustradition im Lichte der neuen Ausgrabungen unter der Peterskirche, 1956) und E. Kirschbaum (Die Gräber der Apostelfürsten, 1957). Zum Ganzen vgl. den Forschungsbericht von E. Dinkler, Die Petrus-Rom-Frage; Theol. Rdsch. NF 25, 1959, S. 189-230; 289 bis 335. Als "Dolmetscher" des Petrus gilt seit Papias, der sich dabei auf den "Presbyter" beruft, Markus (s. Eusebius, h. e. 111 39,15). Bemerkenswerterweise behauptet Basilides, einen Dolmetscher des Petrus zum Lehrer gehabt zu haben, der den Namen Glaukias führte (Clemens Alexandrinus, strom. VII 106,4). Einen Vorfall aus dem späteren Leben des Petrus berichtet Clemens Alexandr. (Strom. VII 63, 3, GCS 17, S.46): Als der selige Petrus ansehen mußte, wie sein eigenes Weib den Weg zum Tode abgeführt wurde, freute er sich, weil sie der Berufung und der Rückkehr nach Hause teilhaftig würde, rief ihr aber, um sie recht zu ermuntern und zu trösten, den Namen (des Herrn) zu und sagte zu ihr: Denke, du Liebe, an den Herrn! Zu den Traditionen über Petrus würde diese Geschichte auch dann gehören, wenn ein Schreibfehler aus seinem Gang zum Martyrium den letzten Gang seiner Frau gemacht hätte 2. 1 2
Harnack, ebd. S. 201. Vgl. Hort and Mayor, element of Alexandria (Miscellanies Book 7) 1902, S. 293,27.
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Andreas tritt gelegentlich in Verbindung mit seinem Bruder auf: Ebionäerevangelium (s. Bd. I, S. 102, Nr. 1), Petrusevangelium (s. Bd. I, S. 124), Mariaevangelium (s. Bd. I, S.253f.), Epistula Apost. 2 (13) (s. Bd. I, S.128), Pistis Sophia (mehrfach), Papias, der ihn vor Petrus nennt (bei Eusebius, h. e. III 39, 3f., s. u. S. 45), Acta Johannis 88, Pseudo-Clemens, homo XII 6. Nach Canon Muratori 14 (s. Bd. I, S. 19) erhielt Andreas die göttliche Offenbarung, die zur Abfassung des J ohannesevangeliums den entscheidenden Anstoß gab (s. hierzu unter J ohannes). Origenes (bei Eusebius, h. e. III 1, 1) weiß, daß ihm bei der Teilung der Welt Skythien als Missionsgebiet zugefallen ist. Aus der Missionstätigkeit des Apostels berichtet die sog. Epistola Titi discipuli Folgendes: Als Andreas schließlich auf eine Hochzeit kam, da schied er, um die Herrlichkeit Gottes zu erweisen, die füreinander bestimmten Gatten, Männer und Frauen, voneinander und lehrte sie, im Ledigenstande heilig zu bleiben (s. u. S. 104).
Die Zugehörigkeit dieses Stückes zu den Andreasakten ist nicht gesichert. In Paträ in Achaja stirbt Andreas den Kreuzestod (s. u. S. 291 ff.). Ebenso im Manichäischen Psalmbuch (Allberry, S. 142, 20f.), wo seine Schüler sein Schicksal teilen. Wenn Andreas ebendort dann weiterhin (S. 194, 8) das erste heilige Standbild heißt, so muß sich das auf die von Epiphanius Monachus (9. Jahrh.) mitgeteilte Geschichte beziehen, wonach noch in seiner Gegenwart ein Bethaus bei Sinope mit der Marmorstatue des Andreas aus dessen Lebenszeit vorhanden istl. Das im Decretum Gelasianum erwähnte Andreasevangelium (s. Bd. I, S. 22) hat es wohl niemals gegeben 3. J ohannes wird in einem Fragment des Nazaräerevangeliums erwähnt, in dem es heißt: Er hatte, da er der Sohn des armen Fischers Zebedäus war, oft Fische in den Palast des Hohenpriesters Annas und Kaiphas gebracht (Fragm. 33, Vielhauer, Bd. I, S.99f.).
Von ihm ist ferner im Ebionäerevangelium und bei Papias die Rede 3 , auch in einem anonymen Prolog zum Johannesevangelium 4. Er ist der Offenbarungsempfänger im Apokryphon des Johannes (s. Bd. I, S. 235ff.) und der bevorzugte Jünger in den Johannesakten wie in der Pistis Sophia (c. 96, GCS 45, S.148, 25f.): Maria Magdalena und Johannes, der Jungfräuliche, werden überragen alle meine Jünger. 1 Epiphanius Monachus, ed. Dressel S. 47. 24. 50,23. Vgl. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten I, 1883, S. 570. 576. S. ferner oben, S.12f. und Th. Zahn, Forschungen VI, S. 220f. S Vgl. E. v. Dobschütz, Das Decretum Gelasianum, TU 38, 4,1912, S. 293. - Zur Rolle des Andreas in den Andreas-Matthias-Akten s.u. zu Matthias. - Vgl. auch P.M.Peterson, Andrew, Brother of Simon Peter, His History and his Legends, 1958; F. Dvornik, The Idea of Apostolicity in Byzantium and the Legend of the Apostle Andrew (Dumbarton Oaks Studies IV) Cambridge (Mass.), 1958. Zu Peterson und Dvornik s. auch M. Hornschuh, ZKG 71, 1960, S. 138ft'. 8 Ebionäerevangelium, Frgm. 1, Vielhauer, Bd. I, S.102. - Papias in der Vorrede zu den "ve,a"iiiv 8~'f/y1jae,,: bei Euseb. h. e. III 39,4 (GCS 9,1, S. 286, 16-20); ferner in einem Fragment aus dem zweiten Buch desselben Werkes bei Philippus von Side, Kirchengeschichte(?) (de Boor, TU 5, 2, 1888, S. 170; Funk-Bihlmeyer, Die apostolischen Väter, 21956, S. 138). 4 Patrum apostol. opera, ed. O. v. Gebhardt, A. v. Harnack, Th. Zahn, ed. minor, 61920, S. 77; Funk-Bihlmeyer', S. 139f.
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Vberlieferung
Dieselbe Rolle spielt Johannes in der griechischen Gestalt des Heimgangs der Jungfrau Maria (s. Bd. I, S. 319) 1. Die christlichen Schriftsteller seit dem Ende des 2. Jhs. wissen noch dies und das von seiner Person und seinem Leben zu berichten. Nach Act. Joh. 113 (s. u. S. 175) hat ihn der Herr als jungen Mann berufen. Immer aufs neue wird seine Jungfräulichkeit betont, von Tertullian und Methodius von Olympus, in den Fragen des Bartholomäus, im sog. monarchianischen Prolog zum Johannesevangelium, in dem pseudoclementinischen Schreiben Ad Virgines, von dem Manichäer Faustus, im Manichäischen Psalmbuch, in der Pistis Sophia und besonders in den Act. Joh. Epiphanius dehnt die Enthaltsamkeit auf das ganze Gebiet des Lebens aus 2. In der Apostolischen-Kirchenordnung (c. 26, Schermann, S. 32) ist es J ohannes, der daran erinnert, wie der Herr Maria und Martha beim letzten Mahl von der eucharistischen Handlung ausgeschlossen habe 3 • Daß der Zebedaide Johannes in Ephesus gewirkt habe, ist seit der zweiten Hälfte des 2. Jhs. oft wiederholte Meinung 4• Bei Clemens (Quis div. salv. 42, 2, GCS 17, S.188, 3-7) erscheint er als höchste Autorität des ganzen zu Ephesus gehörigen Gebietes, die Gemeinden organisiert, den Klerus nach Bedarf vervollständigt und Bischöfe einsetzt; ähnlich Canon Muratori 10 (s. Bd. I, S.19}, der in bezug auf Johannes von seinen Bischöfen redet 6 • Für noch ältere Zeit vermögen weder Polykarp noch die "Presbyter" des Irenäus diese Auffassung sicherzustellen 6. Die oben erwähnten Zeugnisse des Clemens Alexandrinus und des Hieronymus stimmen in der Ansicht überein, Johannes habe ein sehr hohes Alter erreicht. So auch die Johannesakten und Irenäus, der ihn bis zur Regierungszeit Trajans leben läßt (adv. haer. II 22, 5; III 3,4)1. Auch Tertullian (de anima 50, Corp. Christ. 2, S. 856) teilt die Meinung, daß Johannes uralt geworden, wenn er berichtet, man habe von Johannes geglaubt, er würde die Parusie erleben. Die irdische Laufbahn des Apostels ist nach der überwiegend geteilten Auffassung durch einen friedlichen Tod beschlossen worden: so offenbar Irenäus (adv. haer. II 22,5; III 3,4), Polykrates (bei Eusebius, h. e. III 31,3 = V 24,2), Tertullian (a.a.O.), die Act. Joh. Vgl. ferner die Apostelverzeichnisse, (s.o. S. 12). Tertullian, De monog. 17, 1 (Corp. Christ. 2, S. 1252). - Methodius v. Olymp., De resurrect. I 59,6 (GCS 27, S.323, 16f.). - Fragen des Bartholom. II 14 (Bd. I, S. 365). Monarchian. Prolog zu Joh. (Lietzmann, Kleine Texte 1, S.13, 13-15). - Ps.-Clemens, Epist. de virg. I 6,3 (Funk, Patres Apostolici II, 1901, S. 5, 11-14). - Faustus, bei August., Contr. Faust. XXX 4 (CSEL 25, S. 175, 26f.). - Manich. Psalmb. (Allberry, S.142, 23; 192,7). - Pistis Sophia 41 und 96 (GCS 45, S. 42, 27 und 148, 25f.). - Act. Joh. 113 (s. u. S. 175). - Epiphanius, haer. 78,13,1-4 (GCS 37, S. 463, 26-464, 7). 3 Vgl. A. Harnack, Die Quellen der sog. Apostolischen Kirchenordnung, TU 2,5,1886, S. 28ft'. - L. Zscharnack, Der Dienst der Frau in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche, 1902, S. 161. 4 Act.Joh. (passim, s.u. S.125ft'.). - Irenäus (adv.haer.IIIl, 1). - Polykrates von Ephesus, Brief an ViktorvonRom (bei Eusebius, h. e. III 31, 3 = V 24,3). -CIemensAiexandr., Quis div. salv.42 (GCS 17, S. 187f.). & Vgl. auch den sog. monarchianischen Prolog zum Johannesevangelium (KlT 1, S. 14), Apollonius (bei Eusebius, h. e. V 18, 14), Tertullian (de praescr. 32,2, Corp. Christ. 1, S. 213) und Hieronymus (Kommentar zu Gal. 6, 10, PL 26, Sp. 462 BC). Dazu Th. Zahn, Forsch. VI, S. 207 . 6 W. Bauer, Das Johannesevangelium, Handb. z. NT 6, 31933, S. 242f. 7 Weiteres bei Th. Zahn, Acta Joannis, 1880, S. CXXXII f. 1 I
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(115) und, von ihnen abhängig, der sog. monarchianische Prolog zum Johannesevangelium (KIT. 1, S. 14). Die Akten vertreten als erste die Vorstellung, daß Johannes vor den Toren von Ephesus ein Grab ausheben ließ, sich hineinlegte und den Geist aufgab l . Diese Anschauung von dem unblutigen Sterben braucht nicht unbedingt eine andere auszuschließen, die von einem Martyrium des Johannes spricht. Denn der Wunsch, die Voraussage Jesu Mk. 10,39 = Mt. 20, 23, die schon das Altertum auf ein in Aussicht stehendes Martyrium gedeutet hat, mit der Tradition vom lange lebenden und nicht gewaltsam getöteten Apostel auszugleichen, hat dazu geführt, aus seiner Betätigung als Zeuge nicht die äußersten Folgerungen zu ziehen. Origenes (comm. in Mt., tom. XVI 6) spricht von einer Überlieferung, die in der Verbannung nach Patmos die Erfüllung jener Weissagung des Herrn erblickt. Schon sein Lehrer Clemens Alexandrinus hat vom Patmosexil, das zweifellos aus Offb.l, 9 stammt, geredet (Quis div. salv. 42, 2, GCS 17, S.188). Tertullian verbindet mit der Verbannung auf die Insel eine Tradition, wonach J ohannes zuvor, ohne Schaden zu nehmen, in brennendes Öl getaucht worden sei, und zwar in Rom (de praescr. 36, 3, Corp. Christ. 1, S. 216/17). In Rom scheint Johannes auch nach Hippolyt (de antiehr. 36) gewesen zu sein, um dort das Verbannungsurteil zu empfangen. Wird von den genannten Männern das Mitgeteilte nicht chronologisch festgelegt - denn daß das Ölmartyrium unter Nero stattgefunden habe, liest Hieronymus (adv. lovin. 126, PL 23, Sp. 259 B) erst in Tertullian hinein; auch Eusebius vertritt die N erotradition in demonstr. evang. III 5, 65 -, so beginnen mit Victorinus von Pettau (zu OfIb. 10, 11, Haußleiter, CSEL 49, 1916, S. 92) und Eusebius in der Kirchengeschichte (III 17; 18; 20, 8. 9.; 23, 1; ebenso in der Chronik) die Aussagen, die das Exil unter Domitian ansetzen. Eine ganz abweichende Überlieferung finden wir bei Papias (bei Philippus von Side, hist. eccl.[?], Funk-Bihlmeyer, Die Apostolischen Väter, 2. Aufl. 1956, S.138). Mit seiner Angabe ist eine wirkliche Blutzeugenschaft gegeben, und zwar soll als ihr Schauplatz gewiß Jerusalem-Palästina gedacht sein. Indirekt bestätigt das Martyrium Herakleon, indem er ausdrücklich nur von Matthäus, Philippus, Thomas und Levi behauptet, sie seien eines natürlichen Todes gestorben (Kommentar zu Lk. 12, 8ff. nach Clemens Alexandrinus, strom. IV 71, 3). Diesem sekundiert in der uns betreffenden Sache Aphraates 417,10 (ed. Bert, TU 3,3/4, S. 347f.), indem er bemerkt, neben Stephanus, Petrus und Paulus gebe es nur zwei apostolische Märtyrer, nämlich Jakobus und Johannes. Entsprechend nennt das syrische Martyrologium von 411 (Lietzmann KIT 2, S. 9) zum 27. Dezember (ähnlich das armenische zum 28. Dezember) Johannes und Jakobus, die Apostel in Jerusalem. An gewaltsamen Tod muß auch das Manichäische Psalmbuch denken, wenn es 142, 18-29 in der Mitte der Märtyrerapostel den J ohannes nennt und die heilige Fünfheit Petrus, Andreas, Johannes, Jakobus, Thomas durch Jesus einrahmt. Eigenartig ist, daß Johannes dabei im Kerker verhungert sein so1l2. Johannes gilt dem Irenäus im Brief an Florinus (Eusebius, h. e. V 20,6) als Lehrer des Polykarp, den er nach Tertullian, de praescr. haer. 32, auch zum Bischof von Smyrna bestellt hat. Papias soll den Zebedaiden gleichfalls gehört haben: 1 Der sog. monarchianische Prolog zum Johannesevangelium folgt den Johannesakten auch in diesem Punkt. 2 Doch zu mutmaßlicher Herkunft und Verständnis dieser Überlieferung s. u. Schäferdiek, Act. Joh., S. 133.
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Uberliejerung
Irenäus, adv. haer. V 33, 4. Doch bestreitet das Eusebius (h. e. III 39, 2) unter Berufung auf die eigenen Worte des Papias. Die kirchliche Überlieferung bezeichnet den Johannes als Verfasser von fünf der neutestamentlichen Schriften: 1. Als Autor des 4. Evangeliums gilt er dem Papias, wenn dem anonymen Prolog (s. Th. Zahn, a.a. 0., S.127, u. Funk-Bihlmeyer, S.139) zu trauen ist: das Johannesevangelium wurde veröffentlicht und den Kirchen gegeben von J ohannes bei Leibesleben.
Sicher ist das im letzten Drittel des 2. Jhs. verbreitete Auffassung: Irenäus, adv. haer. III 1,1; 11,1; Clemens Alexandrinus, Hypotyposen 6 (bei Eusebius, h. e. VI 14, 7), Canon Muratori 9-34 (s. Bd. I, S. 19); Theophilus, ad Autol. II 22. Die römische Kirche übte allerdings zunächst Zurückhaltung gegenüber einem Evangelium, das in ihrem Bereich bei den Ketzern Ptolemäus, Herakleon und Tatian in hoher Gunst stand. Hier schwieg man entweder wie Justin oder gestattete einem Presbyter Gaius, dessen ketzerfeindliche Orthodoxie außer Zweifel stand, nicht nur die Offenbarung, sondern auch das 4. Evangelium als Fälschungen des Gnostikers Kerinth abzulehnen. Erst zu Beginn des 3. Jhs. schwindet der Widerstand; noch Hippolyt meint freilich, Gaius und seine Gesinnungsgenossen, die Epiphanius, haer. 51, dann als Aloger zusammenfaßt, ausdrücklich widerlegen zu sollen 1. Doch hat sich die Anschauung von der johanneisch-apostolischen Verfasserschaft des 4. Evangeliums, an der schon der Canon Muratori nicht zweifelte (9-16), seit Tertullian (de praescr. haer. 22, 5, Corp. Christ. 1, S. 203; adv. Marc. IV 2, 2, ebd. S. 547) in der Kirche durchgesetzt. Fast ebenso weit wie die Behauptung der johanneisch-apostolischen Verfasserschaft des 4. Evangeliums läßt sich die Überlieferung zurückverfolgen, daß es sich um das jüngste der kanonischen Evangelien handele: Irenäus, adv. haer. III 1, 1; Clemens Alexandrinus, Hypotyposen 6 (bei Eusebius, h. e. VI 14, 7) und die Überlieferung bei Origenes (nach Eusebius, h. e. VI 25, 3-6). Mit Ephesus als der Heimat des Evangelisten ist auch für das Evangelium der Ort der Herkunft gegeben. Er wird als Asien oder Ephesus ausdrücklich bezeichnet bei Irenäus (ebd.) und im sog. monarchianischen Prolog zum 4. Evangelium; nach letzterem wäre die Niederschrift des Evangeliums erst erfolgt, nachdem J ohannes auf der Insel Patmos die Offenbarung verlaßt hatte. Nach einem Fragment des Ephraem hat Johannes sein Evangelium griechisch in Antiochia geschrieben 2. Als Zweck des Evangelisten bei seiner Arbeit gibt Irenäus (adv. haer. III 11, 1) die Bekämpfung des Kerinth und der Nikolaiten an, Victorinus von Pettau (zu Offb. 11, 1, S. 94. 96 Haußleiter) die des Valentin, Kerinth und Ebion. Victorinus fügt hinzu, J ohannes sei durch die dringenden Wünsche der von den fernsten Gegenden herbeigekommenen Bischöfe S. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934, S. 208-2U. • [Bauer folgt hier der lateinischen Übersetzung, die J. Aucher von der armenischen Ausgabe der Mechitaristischen Väter (Venedig 1836) angefertigt und G. Moesinger revidiert und herausgegeben hat (Venedig 1876). Aucher-Moesinger übersetzen . .. liucas (sc. scripsit) graece, Joannes etiam graece scripsit Antiochiae ... und bemerken, daß die Worte etiam graece Antiochiae sich nur in einer der heiden armenischen Handschriften finden (S. 276). Diese Übersetzung legen auch Harnack (ZKG 4, 1881, S. 497) und Conybeare (ZNW 3, 1902, S. 193) für ihre Untersuchungen zugrunde. Hingegen zieht neuerdings Leloir in seiner Übersetzung Antiochiae zu liucas (CSCO 145, S. 248, 9), wohl auf Grund der seit Eusebius (h. e. !Ir 4, 6) immer wiederholten Angabe, Lukas stamme aus Antiochia.] (Regul). 1
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zu seinem Unternehmen angeregt worden. Die ermunternden Bischöfe finden sich auch im Canon Muratori 10 (s. Bd. I, S. 19). Eine andere alte Erzählung über die Entstehung des Johannesevangeliums teilt Clemens Alexandrinus in seinen Hypotyposen mit (bei Eusebius, h. e. VI 14, 7): Zuletzt habe Johannes in der Erkenntnis, daß die menschliche Natur in den Evangelien (bereits) behandelt sei, auf Veranlassung seiner Schüler und vom Geiste inspiriert ein geistiges Evangelium verfaßt.
2. Die Offenbarung wird von Justin (dial. c. Tryph. 81) als ein Buch des Apostels Johannes zitiert. Das ist seit Irenäus, der das Zeugnis der "Presbyter" anruft (adv. haer. V 30, 1. 3), Tertullian 1 und dem Canon Muratori 48f. 71 (s. Bd. I, S. 20) die Meinung der Abendländer: Hippolyt2, Cyprian 3 , Victorinus (de fabrica mundi 10, S. 9 Haußleiter), wie der Morgenländer: Clemens Alexandrinus (s. Zahn Forsch. I, S. 205), Origenes (s. Bousset Offb., S. 22), Methodius (s. Bousset a.a. 0., S. 19. 28 Anm. 1). Der Gebrauch der Apokalypse und ihre hohe Schätzung bei anderen alten Christen wie Papias, Melito von Sardes, Theophilus von Antiochia, Apollonius beweist nicht unbedingt den Glauben an apostolische Herkunft und kann daher hier samt jenen übrigen zahlreichen Zeugnissen, die ein frühes Vorhandensein der Offenbarung mehr oder weniger sicher dartun, auf sich beruhen. Doch muß kurz erwähnt werden, daß sich auch Widerspruch gegen die Gleichsetzung des J ohannes der Offenbarung mit dem Apostel erhoben hat, und zwar von seiten der schon oben erwähnten Aloger (über deren Stellung zum Apostel Ausführlicheres bei Bousset a.a.O., S. 22-25), des römischen Presbyters Gaius (bei Eusebius, h. e. 111 28,2) und des Dionysius von Alexandria (bei Eusebius, h. e. VII 25). Bezüglich der Entstehungszeit der Offenbarung vertritt der Canon Muratori 48ff. (s. Bd. I, S. 20) den merkwürdigen Gedanken, daß Johannes vor Paulus geschrieben habe. Noch Seltsameres bei Epiphanius, haer. 51, 12. 33. Dagegen lassen Irenäus (adv. haer. V30, 3), Hippolyt4 und Victorinus (S.118 Haußleiter) die Offenbarung unter Domitian (81-96) abgefaßt sein, letzterer auf Patmos. Hippolyt (c. Noet. 15) stellt sie zeitlich hinter das Evangelium, der sog. monarchianische Prolog zum 4. Evangelium (KIT 1, S.13) davor. Tertullian (de fuga 9; scorp.12) setzt voraus, daß sie vor dem 1. J ohannesbrief geschrieben sei. In seiner Eigenschaft als Apokalyptiker heißt Johannes gern Prophet: Clemens Alexandrinus (strom. 111 106, 1~); Origenes (comm. in Joh. tom.1I 5). - Zwei Spätapokalypsen unter dem Namen des Johannes s. bei James, S. 504f. 3. Von den johanneischen Briefen gelten die beiden ersten gegen 200 sicher als apostolisch: Irenäus (adv. haer. 111 16, 5.8), Clemens Alexandrinus (strom. 11 66,4 und adumbrationes, GCS 17 Stählin S. 209-215), Canon Muratori, 27-34. 68f. (s. Bd. I, S. 19. 20); Tertullian, der zwar nur den großen Brief anführt (scorp. 12, de pud. 2.19, de anima 17, de idol. 2), ihn aber die prior epistula nennt (de pud. 19)5. Origenes (bei Eusebius, h. e. VI 25, 10) berichtet über Zweifel an der johanneischStellen bei Zahn, Forsch. I, S. 203f. Vgl. W. Bousset, Die Offenbarung Johannis (Krit.-exeget. Komm., begr. von H.A. W. Meyer, 16'), 1906, S. 25. 30. 50f. a S. Lücke, Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung des Johannes zll, 1852, S. 597. • Vgl. Th. Zahn, Einleitung in das NT, § 64,14. 5 [Bauer folgt hier der Lesart in priore quidem epistola. Besser scheint die Lesart in primore quidem epistola zu sein.] 1
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apostolischen Herkunft der beiden kleinen Johannesbriefe; ebenso Eusebius, h.e. III 24, 17; 25, 3. Aber im 3. Jh. wird auch für diese die Stimmung immer günstiger!. Jakobus, der andere Zebedäussohn, kommt außerhalb des NT in ältester Zeit vor im Ebionäerevangelium (s. Bd. I, S.102), dem Apokryphon des Johannes (s. Bd. I, S. 235), den Acta Johannis (c. 88. 89. 91) und den Koptisch-gnostischen Schriften (GCS 45 Till passim). Ob der in Codex II der gnostischen Bibliothek von Nag Hamadi enthaltene Brief des Jakobus (dazu s. Bd. I, S. 245ff.) von dem Zebedaiden oder vom Herrenbruder verfaßt sein will, bleibt fraglich; doch hält es H.-Ch. Puech für wahrscheinlicher, daß an den Herrenbruder gedacht ist (s. Bd. I, S. 247). Zu den beiden als Apokalypsen des Jakobus charakterisierten Schriften des Codex VII von Nag Hamadi vgl. Puech in Bd. I, S. 246. - Den Zebedaiden Jakobus erwähnt auch Papias in der Vorrede zu uV(!lwdiw e;rIY'Yj(},sl~ (bei Eusebius, h. e. III 39,4, und in dem oben erwähnten, bei Philippus von Side erhaltenen Fragment, wo von seinem blutigen Tod durch Judenhand die Rede ist, vgl. AG 12, lf.). Nach Eusebius (h. e. II 9, 2f.) erzählte Clemens Alexandrinus im 7. Buch seiner Hypotyposen als Überlieferung seiner Vorgänger über Jakobus, daß (der Soldat), der ihn in den Gerichtshof geführt hatte, von seinem standhaften Bekenntnis betroffen, sich selbst als Christen bekannte. Es wurden nun beide zusammen abgeführt, erzählte er, und auf dem Wege bat er, es möchte(n) ihm von Jakobus (die Sünden) vergeben werden. Nach kurzer Überlegung sagte er: Friede sei mit dir! und küßte ihn. Und so wurden beide zugleich enthauptet. Das Manichäische Psalmbuch (S. 142, 25f.; 192, 9 Allberry) will dagegen von einer Steinigung des Jakobus wissen. Philippus wird erwähnt bei Papias (in der erwähnten Vorrede zu uvewuwv e~r;Y17(}'Sl~), in der Sophia J esu Christi (s. Bd. I, S. 171) und ausführlich in der Pistis Sophia (dazu s. Bd. I, S. 194), wo er die Rolle eines Schreibers aller Reden, die Jesus sprach, und alles dessen, was er tat (cap. 42, GCS 45, S. 44, 2lf.) erhält. Dementsprechend galt Philippus als Verfasser von Evangelien, die in gnostischen Kreisen in Ansehen standen. Die Existenz eines Philippus-Evangeliums wird uns von Epiphanius bezeugt, der uns ein Bruchstück aus demselben mitteilt (haer. 26, 13, 2-3, s. dazu Bd. I, S. 194ff.). Ein Philippus-Evangelium fand sich auch unter den Schriften der gnostischen Bibliothek von Nag Hamaru 2. Die jungen Philippusakten (Aa II, 2, S.lff.) charakterisieren den Philippus als jähzornig und rachsüchtig und bezeichnen ihn hartnäckig als Donnersohn 3 • Während Tertullian (de bapt. 12,9, Corp. Chr. 1, S. 288) den Mann, der von Jesus den Befehl erhält, ihm nachzufolgen, statt seinen Vater zu begraben (Mt. 8, 2lf., Lk. 9, 59f.), als einen Apostel bezeichnet, setzt ihn Clemens Alexandrinus (strom. III 25, 3) genauer mit dem Apostel Philippus gleich. Daß die Markioniten bereits dasselbe getan hätten, ergibt sich aus den Worten des Clemens nicht mit Sicherheit 4 • Während sich in dem von Epiphanius zitierten Bruchstück aus dem Philippus-Evangelium (s. Bd. I, S. 195) enkratitische Tendenz verrät, ist Philippus bei Clemens (strom. III 52, 5 = Eusebius, h. e. III 30, 1) im Besitze von Kindern und gestattet seinen Töchtern die Ehe. Als verheiratet und 1 Zum johanneischen Problem vgl. auch noch F. M. Braun, Jean le Theologien et son Evangile dans l'Eglise ancienne, Etudes bibliques, 1959. 2 S. dazu RCh. Puech in Bd. I, S. 197ff.; H.M. Schenke, ThLZ 84,1959, Sp. 1ff. 3 Th. Zahn, Forsch. VI, S. 24-27. 4 Th. Zahn, a. a. 0., S. 26, Anm. 2; ders., Geschichte d. ntl. Kanons II 2, S. 766, Anm. 1; Harnack, Marcion (TU 45),21924, S. 254*, Anm. 1.
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als Vater von Töchtern scheint der Apostel Philippus schon dem Papias gegolten zu haben, der nach Eusebius (h. e. III 39, 9) behauptet hat, er habe von den Töchtern des Philippus eine wunderbare Geschichte erfahren. Er erzählt nämlich von der Auferstehung eines Toten, die damals geschehen sei. Wahrscheinlich will Papias auch das von Justus Barsabbas mitgeteilte Wunder (s. u. S. 36) von den Töchtern des Philippus erfahren haben (Eusebius, h. e. IIl39, 9). Polykrates von Ephesus spricht in seinem Brief an Viktor von Rom (bei Eusebius, h. e. IIl31, 3) von Philippus, einem der zwölf Apostel, der in Hierapolis ruht, mit seinen beiden bejahrten, im jungfräulichen Stande gebliebenen Töchtern, während eine andere Tochter, die im heiligen Geiste wandelte, in Ephesus entschlafen ist.
Die Töchter des Apostels Philippus stammen ohne Zweifel aus AG 21, 8f., wo sie freilich den Evangelisten Philippus (6,5; 8, 5ff.) zum Vater haben l . Die gleiche Vertauschung liegt auch im Martyrium des Andreas vor (Aa Il, 1, S.47), wo der Apostel Philippus zum Missionar Samariens gemacht wird. Auch Johannes von Asien scheint durch Verwechslung mit dem Zebedaiden zur Apostelwürde gekommen zu sein (Papias bei Eusebius, h. e. IIl39, 4, dazu Eusebius, ebd. 39, 1-7). Nach der ältesten Überlieferung ist Philippus kein Märtyrer geworden (Herakleon zu Lk. 12, 8ff., bei Clemens Alexandrinus, strom. IV 71, 3). Über sein Grab s. o. S. 17. An weiterer Literatur vgl. man: P. W. Schmiedel, Philip the Apostle and Philip the Evangelist, Encyclopaedia Biblica 3697-3701; Th. Zahn, Forsch. VI, S. 369 b; Paul Corssen, Die Töchter des Philippus, ZNW 2, 1901, S. 289ff.; H. Waitz, Die Quellen der Philippusgeschichten in der AG 8,5-40, ZNW 7, 1906, S. 340ff.; E. Schwartz, Zur Chronologie des Paulus, Nachr. d. kön. Gesellsch. derWissensch. zu Göttingen, phil.-histor. Kl. 1907, S. 263ff., bes. 279ff.; dagegen H. Waitz, ZKG 55, 1936, S.260, A. 40; Joh. Jeremias, Das Evangelium des Diakonen Philippus, 1933; E. Barnikol, Die drei Phasen der Formgeschichte der Petrus-Philippus-Quelle um 75-135 n.Chr., Theol. Jahrbücher, hrsg. von E. Barnikol, Halle 1957;W.C. van Unnik, Der Befehl an Philippus, ZNW 47, 1956, S.181-191. Bartholomäus gilt in der Sophia Jesu Christi als einer der Empfänger der esoterischen Offenbarung (s. Bd. I, S. 171). Eusebius (h. e. V 10, 3) berichtet von einer alten Überlieferung, wonach Pantänus bei seiner Reise nach Indien dort Christengemeinden angetroffen habe, deren Stifter Bartholomäus gewesen sein soll. Diesem verdankten jene Christen angeblich auch das hebräische Matthäusevangelium 2. Eine Reihe von späten apokryphen Texten wird mit dem Apostel Bartholomäus in Zusammenhang gebracht 3 • Im Bartholomäusevangelium gilt Bartholomäus als vom Zollhause durch Jesus berufen (cap. 49; s. Bd. I, S. 369; dazu Anm.4) , er ist der Wortführer der Jünger beim Empfang der Offenbarung nach der Auferstehung und spielt die Rolle eines Ausfragers des Herrn (s. Bd. I, S.361ff.). Thomas wird von Papias in der Vorrede zu XV(!WXWV e~'I'}Y1}(J8t~, in Epist. Apost. 2 (13); 11 (22) (s. Bd. I, S.128. 131) und in der SophiaJesu Christi (s. Bd. I, S.I71) namhaft gemacht. Er ist in der Pistis Sophia (cap. 42f., s. Bd. I, S. 194) mit Philippus und Matthäus dazu bestimmt, alle Reden des Lichtreiches zu schreiben und dafür zu zeugen. Er scheint als Gewährsmann und Autor der Thomasapokalypse Vgl. Th. Zahn, Forschungen zur Geschichte d. ntl. KanonsVI, S. 158ff. • Zur Frage des hebräischen Matthäusevangeliums vgl. Ph. Vielhauer, Bd. I, S. 75ff. • S. dazu W. Schneemelcher, Bd. I, S. 359f.; 372f.
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gegolten zu habenl . Die Thomasakten führen ihn als Verfasser ein (s. u. S. 297ft.); vgl. ferner über das Thomasevangelium Bd. I, S.199f. Ein auf Irenäus zurückgehendes Bruchstück (bei de Lagarde, Catenae in evang. aegyptiacae 1886, p. 220) erzählt, wie Thomas bei der Kreuzigung Jesu nicht dabei gewesen sei, das durch den Lanzenstich herbeigeführte Wunder aber seinen Mit jüngern ohne weiteres geglaubt habe. Ihre Behauptung jedoch, daß Jesus auferstanden sei, sei auf seinen Unglauben gestoßen 2 • Nach den Thomasakten hat sich der Apostel stets von der Frau ferngehalten (cap.144). Die ältere Überlieferung (Origenes bei Eusebius, h. e. Irr 1,1; Pseudo-Clemens, rec. IX 29) bezeichnet Thomas als den Apostel Parthiens. Über seinen Beruf s.o. S. 14f., über seinen natürlichen Tod Herakleon zu Lk. 12, 8ff. (nach Clemens Alexandrinus, strom. IV 71, 3). Doch wird er .im Manichäischen Psalmbuch (S. 142, 28f., Allberry) ganz wie in den Thomasakten (cap. 164. 168) von vier Soldaten mit der Lanze durchbohrt. Bei den Syrern führt Thomas auch den Namen Judas. Sie haben neben dem Verräter noch zwei Jünger seines Namens: Judas Thomas und Judas Jacobi 3 • Das in Codex Irr von Nag-Hamadi enthaltene Thomas-Evangelium nennt ihn Didymus Judas Thomas (s. Bd. I, S. 205); auch die Thomasakten verleihen ihrem Helden den Zunamen Didymus (s. Bd. I, S. 206, und unten S. 297 ff.), der indessen nichts weiter ist als das griechische Äquivalent für das aramäische taumii, toma = Zwilling. Weitere Bezeichnungen des Thomas in den Thomasakten s. Bd. I, S.206. Thomas kommt auch in der Abgarsage vor, wo er nach der Himmelfahrt den Thaddäus nach Edessa entsendet (Eusebius, h. e. I 13,4: 11; rr 1, 6), ebenso bei Ephraem (Burkitt, Evangelium da-Mepharresche 2, S. 146f.) und sonst'. Ephraem unterscheidet Judas Thomas wie von Judas Jacobi so auch vom Herrenbruder Judas; denn die beiden letzteren sind für ihn ein und dieselbe Person5 • Dagegen betrachten die Thomasakten den Judas Thomas als Bruder des Herrn, und zwar als Zwillingsbruder (so ganz deutlich c. 31. 39). Offenbar sind Thomas und Jesus beide Söhne des Zimmermanns Joseph (c. 2). Das Motiv zu der Auffassung des Apostels als eines Zwillingsbruders liegt offensichtlich in der oben angedeuteten Bedeutung seines Namens. Hat man ihm doch noch andere Zwillingsgeschwister zu verschaffen gesucht; so z. B. Pseudo-Clemens, homo rr 1 einen Bruder Elieser. Matthäus findet sich im Ebionäerevangelium (Fragm.l, Bd. I, S. 102), in der Sophia Jesu Christi (s. Bd. I, S. 171), in der Pistis Sophia (s. Bd. I, S. 180), den Büchern des Jeu (s. Bd. I, S. 184. 185) und bei Papias in der Vorrede zu ')(,v(2Lwdiw 8~rnn7aeu;; (bei Eusebius, h. e. Irr 39, 4) und an anderer Stelle desselben Werkes (bei Eusebius, h. e. Irr 39, 16). Über seinen Reichtum s. o. S.14, ebd. über die Ansicht, er habe zu den Unbeschnittenen gehört. In der Regel gilt er wie die anderen 1 S. Decretum Gelasiauum, Bd. I, S. 23, Z. 4; James, S. 555 ff.(dort weitere Literatur); de Sautos, U. S. 568. 9 Vgl. Mauucci, Ein unbeachtetes Irenäusfragment, Theologie und Glaube 1, 1909, S. 291; Vogels, BibI. Zeitschr. 10, 1913, S. 404. 3 Vgl. syr. cur. zu Joh. 14,2. Thomas neben Judas Jacobi in den syrischen Apostellisten: Tatian bei Isho'dadh von Merw, Hjelt, Altsyrische Evangelienübersetzungen, S. 34; syr. sin. zu Mt. 10,2-4 und Lk. 6, 15f.; Acta Thom. 1. • Vgl. A. Merx, Die vier kauonischen Evaugelien nach ihrem ältesten bekannten Texte. Übersetzung und Erläuterung der syrischen im Sinaikloster gefundenen Palimpsesthaudschrift. TI 1, 1902, S. 173. 5 S. J.R. Harris, Four lectures on the Western Text, 1894, S. 37.
1. Nachrichten
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Apostel als Jude, vgl. den sog. monarchianischen Prolog zum Evangelium des Matthäus (KIT 1, S. 12); daran zweifelt auch Eusebius nicht, wenn er in der Nachfolge des Julius Mricanus den Matthäus einen syrischen Mann, Zöllner von Beruf und der Sprache nach einen Hebräer nennt (quaest. ad Steph., bei A. Mai, Nova Patr. BibI. IV 1, S. 270). In dem Zöllner Matthäus sieht man gern den besonders groben Sünder: Origenes (hom. I 13 in Gen.), Syrische Didaskalia (S. 54 Flemming). Die Meinung, daß er strenger Vegetarier gewesen sei (Clemens Alexandrinus, paed. II 1, 16), hat ihren Grund wohl in einer Verwechslung mit dem Apostel Matthias, dessen enkratitische Gesinnung Clemens Alexandrinus (strom. III 26, 4) hervorhebt. über seinen friedlichen Tod s. Herakleon (ebd. IV 71,3). Erst eine spätere Zeit hat ihm alle möglichen Martyrien angedichtet. Als Missionar soll Matthäus zunächst bei den Hebräern gearbeitet haben und dann fortgezogen sein (Eusebius, h. e. III 24, 6). Die Wirksamkeit unter den Hebräern steht in Beziehung zu der Überzeugung, daß Matthäus das Evangelium, das ihm seit alters, ohne daß sich je Widerspruch erhöbe, zugewiesen wird, in hebräischer Sprache abgefaßt habe; so zuerst Papias (bei Eusebius, h. e. III 39, 16) und danach Irenäus (adv. haer. III 1,1, mit genauer Zeitangabe). Dieser verbindet damit die Anschauung, daß Matthäus als erster der Evangelisten geschrieben habe, eine Auffassung, die sich sehr bald in der Kirche durchsetzt; vgL unten zu Markus. Pantänus soll das hebräische Matthäusevangelium bei den Indern gefunden haben (s.o. S. 29; Bd. I, S.79). Zur Frage des hebräischen Urmatthäus; vgL Vielhauer in Bd. I, S. 75ff. - Mit der Eigenschaft des Matthäus als Evangelienverfasser hängt es gewiß zusammen, wenn der Apostelkatalog der Apostolischen Kirchenordnung dem Matthäus die zweite Stelle - nach Johannes und vor Petrus - einräumt (vgL A.JÜlicher, RE 12, S.428ff.). Nach dem Buch von Thomas dem Athleten hat Matthäus die dem Thomas ge offenbarten Worte des Herrn gehört und aufgeschrieben (s. Bd. I, S. 223). Jakobus, Sohn des Alphäus fehlt in der Apostelliste der Apostolischen Kirchenordnung und der Epistula Apostolorum. Zahlreiche Zeugen zu Mk. 2, 14, wie z.B. der Cod.D, bestimmte Vetus-Latina-Handschriften (s.A.JÜlicher- W.Matzkow, Itala, Das NT in altlateinischer überlieferung II, 1940, S. 14), Minuskeln, der angebliche Markuskommentar des Viktor von Antiochien I 34 (ed. Chr. F. Matthäi, Moskau 1775, oder I. A. Cramer, Catenae in Evang. Mti. et Mci., Oxford 1840, vgL Altaner, S. 479) haben den von Jesus gewonnenen Zöllner, der ja auch ein Sohn des Alphäus war, mit unserem Jako bus gleichgesetzt und den Namen Levi entsprechend geändert. Schon Tatian hat den Zöllner, dessen Bekehrung seine Evangelienharmonie berichtet, Jakobus genannt!. In seinem Katalog jedoch hat er dem Jakob dem Lebbäer, welcher Sohn des Alphäus heißt (Ischo'dadh bei Hjelt, S. 34; 124f.), den Zöllnertitel zugunsten des Matthäus vorenthalten. Jakobus der Gerechte ist früh mit dem Alphäussohn zusammengefallen 2. Simon. Die Apostelkataloge führen in der Regel noch einen zweiten Simon, der bei Matthäus und Markus, auch Act. Thom. 1 der Kananäer, von einigen Zeugen zu Mt. 10,4; Mk. 3, 18 und dem Manichäischen Psalmbuch (S. 192, 14; 194,15 Allberry) der Kananiter, dagegen im Lukasevangelium, in der Apostelgeschichte und im Ebionäerevangelium (Fragm. 1, Bd. I, S. 102) der Zelot heißt. Bezüglich Ephraem, Komm. z. Diatessaron, S. 67; S. 50, 1. Vgl. H. Holtzmann, Jakobus der Gerechte und seine Namensbrüder, Zeitsehr. f. wissenschaftl. Theol. 23, 1880, S. 198-221. 1 2
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der Apostelgeschichte kann man eigentlich von keinem zweiten Simon reden, da sie den ersten lediglich Petrus nennt. Die Epistula Apostolorum hat neben Petrus einen Judas Zelotes (2 (13), Bd. I, S. 128). Ob hier der ausgesprochene Gegensatz zum Ketzer Simon - ohne unterscheidenden Beinamen (1 (12), ebd. S. 127) - dazu geführt hat, daß der Name Simon ganz aus der Apostelliste verschwand, indem Simon Zelotes und Judas Jacobi zusammenwuchsen~ übrigens findet sich Judas der Zelot ebenso in alten Vetus-Latina-Handschriften zu Mt. 10, 3 an Stelle von Lebbäus (s. Jülicher-Matzkow, Itala I, 1938, S. 56). Der Name Judas J aco bi ist im NT eine Eigenart des Autors an Theophilus, kommt aber auch in der Liste der Thomasakten (cap. 1) vor und ist wohl mit dem Apostel Judas (Joh. 14, 22) gleichzusetzen. Schon Origenes (comm. in ep. ad Rom. praef. VI 8 Lommatzsch) war der Meinung, daß der Apostel Judas Jacobi zugleich auch die Namen Thaddäus und Lebbäus geführt habe. Die Grundlage für seine Ansicht war die Tatsache, daß der Name Judas Jacobi in den Listen des Matthäus und des Markus fehlt und dafür dieser einen Thaddäus, jener einen Lebbäus habe. Thaddä us wird im Ebionäerevangelium (Frg. 1; Bd. I, S. 102) unter den Zwölfen aufgeführt. Dagegen kennt die Abgarsage einen Thaddäus, den sie zu den siebzig Jüngern rechnet (Eusebius, h. e. I 13, 4. 11, auch I 12, 3). Das hat dann später zur Unterscheidung zweier Jünger gleichen Namens geführt, von denen der eine dem engeren, der andere dem weiteren Kreise angehören sollte (Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten 1,1883, S. 20). Thaddäus ist der Held griechischer Akten, deren Inhalt an die edessenische Abgarsage anknüpft; dazu J ames, S. 471. Lebbäus ist bei Pseudo-Clemens, rec. 159, ein Glied des Zwölferkollegiums (s. o. S. 13). Judas Ischarioth nimmt in den Katalogen der kanonischen Evangelien die letzte Stelle ein. Auch das Ebionäerevangelium (Frg. 1; Bd. I, S. 102) zählt ihn neben anderen Aposteln auf; ebenso das Manichäische Psalmbuch (Allberry, S. 192, 18; 194,17). Was man über ihn, seine Person, seine Tat, seine Beweggründe, sein Geschick zu wissen meint, knüpft vielfach an die neutestamentlichen Angaben an: Habsucht als Triebfeder (Origenes, c. Cels. II, 11; comm. in Mt. sero 75. 78; Acta Thom. 84). Jesus kennt die Schwäche seines Schülers von Anfang an (Origenes, in Cant. Cant. IV) und weiß auch, welche Folgen sie haben wird (Origenes, comm. in Mt. sero 80; Tertullian, de pat. 3, 7, Corp. Christ. 1, S.30l). Trotzdem duldet er ihn um sich (Syrische Didaskalia, S. 21 Flemming), ja er macht ihn zum Schatzmeister (Tertullian, de anima 11, 5, Corp. Christ. 2, S. 797). Er wollte ihn eben bessern, was durchaus im Bereich der Möglichkeit lag, da Judas zu seinem Verbrechen nicht prädestiniert war (Origenes, in Cant. Cant. IV). Er brauchte kein übeltäter zu werden, konnte vielmehr dem Petrus gleich sein (Origenes, ex tom. III in Gen. 6. 7). Mußte doch auch der Umgang mit Jesus von Einfluß auf ihn sein und hat verhindert, daß er ganz verkam (Origenes, c. Cels. II, 11; comm. in Mt. sero 117; comm. in Joh. XXXII 19 (12), GCS 10, S.458). Die Darstellung der schwarzen Tat des Judas finden wir in der Syrischen Didaskalia (S. 110f. Flemming) über den kanonischen Stoff hinaus weiter ausgeführt. Hier wird der Verrat in die Nacht auf Mittwoch verlegt. Seinen Lohn hatte Judas bereits am Montag, den 10. Nisan erhalten. Die Christenheit hat in Judas früh die Verkörperung aller widergöttlichen Instinkte im Menschen gesehen und ihm Fehler aufgebürdet, von denen das Neue Testament noch nichts weiß. So teilt uns Irenäus (adv. haer. V 33, 3f.) aus der Schrift des Papias ein Stück mit, dessen Hauptinhalt ein Herrenwort über
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die ungeheure Fruchtbarkeit im neuen Reiche bildet, aber daran schließt er die Bemerkung, bei Judas wäre Jesus auf Unglauben gestoßen, und der Herr deutet ihm an, daß er das Himmelreich nicht sehen werde. Die gleiche Geschichte erzählt uns kürzer und etwas abweichend Hippolyt, Danielkommentar IV 60 (GCS 1,1 Bonwetsch S. 338): Judas wird zu den Unwürdigen gerechnet!. Die schon im NT ausgesprochene Auffassung, der Satan hätte dem Schlechten in Judas zum Siege verholfen, ist in altchristlicher Zeit überaus oft wiederholt worden: Act. Petr.8; Act. Thom. 32; Tertullian, de anima 11; adv. Marc. III 7; Origenes, comm. in Mt. sero 75; de princ. III 2, 1. Da der Antichrist Dan, die Schlange am Wege (1. Mose 49,17), zum Vorvater hat (Hippolyt, de antichr.14, GCS 1, 2 Bonwetsch S.l1), muß auch sein Verwandter Judas diesem Stamme zugehören (Hippolyt, frg. in Gen. Nr. XXX f., ebd. S. 64f.). Immerhin hat es auch Christen gegeben, die in das allgemeine Verwerfungsurteil nicht eingestimmt haben, weil sie den Charakter und die Handlungsweise des Judas anders bewerteten. Irenäus (adv. haer. I 31, 1) berichtet von den Kainiten, die in Judas ein Werkzeug der Sophia und deshalb einen Gegenstand des Hasses für den Demiurgen erblickten. Nur er habe die Wahrheit erkannt und das Geheimnis des Verrates geübt. Was es damit auf sich hat, zeigt uns Hippolyts Syntagma, soweit wir seinen diesbezüglichen Inhalt aus Pseudo-Tertullian (adv. omn. haer.2) und Epiphanius (haer. 38, 3) wiederherzustellen vermögen. Danach zerfallen die Kainiten in zwei Gruppen, die zwar in der Bezeichnung des Judas als bewundernswert und groß übereinstimmen, sich jedoch über die Bedeutung J esu nicht einigen können. Die einen erklären ihn für minderwertig und sehen das Verdienst des Judas vor allem darin, daß er, als Christus die Wahrheit zerstören wollte, ihn verriet und so seinem verderblichen Tun ein Ziel setzte. Die anderen sehen den Beweggrund des Judas nicht in der Schlechtigkeit J esu. Vielmehr meinen sie, die Mächte dieser Welt hätten mit allen Kräften danach gestrebt, die Katastrophe im Leben des Heilandes hintanzuhalten, um die Menschheit um das Heil zu bringen. Deshalb habe Judas den Verrat geübt und so für die Menschen den Besitz der Seligkeit erzwungen. Bei solcher Schätzung wundern wir uns nicht, ein Evangelium auf Judas zurückgeführt zu sehen (vgl. dazu Bd. I, S.228f.). Schon früh hat die Christenheit die Geschichte des Verräters in einer mit Grauen gemischten Teilnahme verfolgt. Zwei verschiedene Berichte über den Tod des Judas enthält schon das NT (Mt. 27, 3-10; AG 1, 16-26).Wiederum anders wurde von Papias im IV. Buch seines Werkes (erhalten bei Apollinaris von Laodicea in Cramers Catene, Oxford 1838 und 1840, zu Mt. 27 und AG 1; deutsch in Apokr. 2, S. 130) über das Ende des Judas erzählt. Dort heißt es, daß Judas so ungeheuerlich anschwoll, daß er nicht einmal mehr da hindurchkam, wo einWagen leicht hindurchfahren konnte. Schließlich barst sein Bauch auseinander und seine Eingeweide wurden zerstreut 2 • Levi. Während in Mt. 9, 9 ein Zöllner Matthäus berufen wird und der Apostel Matthäus in diesem Evangelium ausdrücklich Zöllner heißt (10,3), haben Markus 1 Über das Verhältnis Hippolyts zu Irenäus und Papias S. Zahn, Forsch. VI, S. 128, Anm.2. 2 Vgl. F. Overbeck, Zeitschr. f. wissenschaftl. Theol. 10, 1867, S. 39ff.; A. Hilgenfeld, ebd. 15, 1872, S. 262ff.; Th. Zahn, Theol. Studien und Kritiken, 39, 1866, S. 680ff.; ders., Forsch. VI, S. 153ff.; 126, Anm. 2; W. Wrede, Vorträge und Studien 1907, S. 140ff. - Zu Iskariot vgl. F. Schultheß, ZNW 21, 1922, S. 250ff.; Ch. C. Torrey, HTR 36, 1943, S. 51 ff.; B. Gärtner, Die rätselhaften Termini Nazoräer und Iskariot, Lund 1957; C. Colpe, Rezension von Gärtner, ThLZ 86, 1961, Sp.31-34.
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und Lukas in ihren Katalogen zwar gleichfalls einen Matthäus, nennen aber den Zöllner, dessen Gewinnung auch sie erzählen, Levi (Mk. 2, 14ff.; Lk. 5, 27ff.). So nahe es für die alte Christenheit liegen mußte, Matthäus und Levi zu identifizieren, was vielleicht auch im Manichäischen Psalmbuch (194,7-17 Allberry) geschah, so finden wir doch schon früh beide nebeneinander , nämlich bei Herakleon (bei Clemens Alexandrinus, strom. IV 71, 3) und Evang. Petr. 60 (Bd. I, S. 124), wo mit Simon Petrus und Andreas ein Levi, Sohn des Alphäus, geht. Die Syrische Didaskalia (S. 107 Flemming) erzählt, wie der Auferstandene am frühen Morgen des Ostersonntages bei Levi eingetreten sei. Übrigens ist der Name Levi offenbar auch schon früh in Apostelkataloge eingedrungen. Wenigstens berichtet Origenes, der den Zöllner Levi nicht mit Matthäus identifizierte, sondern aus dem Kollegium der Zwölfe ausschloß, daß einige Exemplare des Markusevangeliums den Levi zu den Zwölfen rechneten (c. Cels. I 62). Sichtlich meint er Handschriften, in denen Mk. 3, 18 für Jakobus, Sohn des Alphäus, ein Levi, Sohn des Alphäus, aus Mk. 2, 14 eingesetzt worden war. Rechnet ja auch offenbar das Petrusevangelium (s. Bd. I, S. 124) den Levi, Sohn des Alphäus, zu den Intimsten. Kephas. Die Apostelverzeichnisse der Epistula Apostolorum und der Apostolischen Kirchenordnung führen einen von Petrus unterschiedenen Kephas und den Nathanael auf. Jene Unterscheidung begegnet auch bei Clemens Alexandrinus. Er berichtet nach Eusebius (h. e. I 12, 2) in Buch V der Hypotyposen, daß Kephas, über den Paulus sagt ... (Gal. 2, 11), einer der 70 Jünger gewesen sei, der den gleichen Namen wie der Apostel Petrus getragen habe. Im Galaterbrief ist also der oder doch ein Beweggrund für dieses Nebeneinander von Petrus und Kephas gegebenl . Na thanael scheint im Diatessaron als Schriftgelehrter bezeichnet worden zu sein 2, eine Tradition, die sich in den Auslegungen des Johannesevangeliums von Chrysostomus (horn. 20) und Augustin (tract. VII, 17) wiederfindet. Epiphanius (haer. 23, 6, 5) setzt als allgemein bekannt voraus, daß Nathanael der unbekannte Emmausjünger gewesen sei 3. In dem apokryphen Evangelienfragment des Berliner Papyrus 11710 (nicht älter als 6. Jh.), das H. Lietzmann ZNW 22, 1923, S.153f. mitgeteilt hat, wird in einer Wechselrede zwischen Nathanael und dem Rabbi (Jesus) Joh. 1,49 und 29 verbunden und die Mahnung an Nathanael hinzugefügt: Wandere in der Sonne! (etwa im Gegensatz zu dem beschriebenen Sitzen im Schatten des Feigenbaumes V. 48. 5m). über Nathanael im Apostelkatalog s.o. S.12. Ma tthias. Zu den Zwölfen kann man endlich noch den Ersatzmann Matthias rechnen. Origenes (c. Cels. II 65) erklärt sich so die Zwälfzahl der Jünger 1. Kor. 15,5. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß Matthias in einer früheren Zeit seines Lebens zu den 70 gehärt haben kann (Überlieferung bei Eusebius, h. e. I 12, 3). Th. Zahn (Forschungen II, S. 759) vermutet unter dem berechtigten Widerspruch von A. Harnack (Gesch. der altchristl. Lit. bis Eusebius II, 1, S. 597f.), daß der in der Pistis Sophia wiederholt erwähnte Matthäus (s. Bd. I, S. 180) durch Verwechs1 Vgl. dazu F.Overbeck, Über die Auffassung des Streites des Paulus mit Petrus in Antiochien (Ga!. 2, llff.) bei den Kirchenvätern, Baseler Programm 1877; G. Krüger, ZNW 7, 1906, S. 190; weitere Literatur bei W. Bauer, Griech.-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des NT, 1958, s. v. Petrus. • Ephraem, Kommentar zum Diatessaron, S. 58; S. 43, 7f.; H. HilI, A Dissertation on the Gospel Commentary of St. Ephraem the Syr., 1896, S. 81; Th. Zahn, Forsch. I, S.126f. 3 Dazu s. auch Scholien zu Lk. 24,18 bei Tischendorf, Nov Test. Graece, editio octava crit. maior, I, 1896, S. 726; Th. Zahn, Forsch. VI, S. 350, Anm. 1.
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lung mit Matthias entstanden sei. Eher könnte der Vegetarianer Matthias, dessen enkratitische Gesinnung Clemens Alexandrinus (strom. III 26, 3) hervorhebt, hinter der Vorliebe für Pftanzenkost stehen, die Clemens dem Matthäus nachsagt (paed. II 1, 16). Clemens führt auch an, daß sich der Vorgang um den Zöllner Zakchäus Lk.I9 nach anderen vielmehr auf Matthias bezöge. Dazu paßt es gut, wenn uns in einem koptischen Bartholomäus-Text Matthias vorgestellt wird als einer, der reich war und alles verließ, um Jesus nachzufolgen (James, S. 185). Auch in einem anderen koptischen Fragment spielt Matthias eine Rolle (s. Bd. I, S. 373). Nach den AndreasMatthias-Akten (Aa II, 1, S. 65:ff.) fiel dem Matthias bei der Aufteilung der Welt das Land der Menschenfresser als Missionsgebiet zu. Bei seiner Ankunft in diesem Lande wird Matthias geblendet und ins Gefängnis geworfen. Doch wird er, nachdem sein Augenlicht von Gott wiederhergestellt wurde, durch Andreas auf wunderbare Weise aus der Gefangenschaft befreit. - Zur Rolle des Matthias als Gewährsmann des Basilides und der Seinen sowie zur Frage des Matthias-Evangeliums s. Bd. I, S. 224:ff. Die sie bzig Jünger. Mancherseits waren von den bisher Genannten Thaddäus, Kephas (s.o.) und Matthias zu den 70 Jüngern gerechnet worden. Im NT kennt nur Lk. 10, 1 diesen weiteren Jüngerkreis, dem die Textzeugen bald 70 (NAC und die Mehrzahl der Unzialen, die Altlateiner abc elf q, Irenäus, Tertullian, Hippolyt, Origenes, Eusebius, Ulfilas, Peschitta und die jüngeren Syrer), bald auch 72 (B D Diatessaron, Syr. sin. cur., Mehrzahl der Vetus-Latina-Handschriften (vgl. Jülicher, Itala III, 1954, S. 116), Vulgata, Pseudo-Clemens rec. I, 40, Origenes (lat.), Adamantius, Hieronymus, Augustin, Epiphanius) Glieder geben. Nach Hippolyt (Arabische Fragmente zum Pentateuch XVII, GCS I, 2, S. 105 Achelis) hat Jesus diese Männer als Sendboten zu den Heiden gesandt, um 40 Tage später (die Zeitangabe stammt aus 4. Mose 13, 25) nach ihrer Rückkehr zu ihm ihren Bericht zu empfangen. über ihre Einführung in die Erkenntnis s. u. S.46. Origenes (c. Cels. II 65) sieht in ihnen alle Apostel, die nach 1. Kor. 15, 7 den Auferstandenen geschaut haben. Eine Liste, welche die Namen sämtlicher diesen Kreis bildenden Persönlichkeiten umfaßte, hat Eusebius noch nicht gekannt (h. e. I 12, 1). Aber er weiß von dieser und jener Größe der ersten Zeit, daß man sie jenem Kollegium zugerechnet habe. Er beginnt a. a. O. seine Ausführungen über die 70 Jünger mit der Bemerkung, Barnabas und Sosthenes (1. Kor. 1, 1) hätten zu ihnen gehört. Daß er sein Wissen den gleich darauf zitierten Hypotyposen des Clemens Alexandrinus verdankt, ist, obwohl es nicht deutlich aus seinen Worten hervorgeht, doch überwiegend wahrscheinlich (vgl. Zahn, Forschungen III, S. 68. I48f.). Jedenfalls steht es bezüglich des Barnabas fest, daß Clemens ihn zu den 70 gerechnet hat. Er tat das nicht nur in den Hypotyposen (VII), sondern gleicherweise in den Stromateis (II 116, 3). Ebenso zählte er einen von Petrus unterschiedenen Kephas zu dem weiteren Jüngerkreis (s. o. zu Kephas) und, wenn einem unbekannten Lateiner zu trauen wäre, was freilich trotz Th. Zahn (ebd. S. 70. 148f.) seine Bedenken hat (Th. Schermann, Propheten- und Apostellegenden, TU 31,3, 1907, S. 296f.), den Eunuchen der Königin Kandake (AG 8, 26-40). Sicher nicht von dem Alexandriner stammt, was Eusebius (h. e. I 12, 3) weiter über den Kreis der 70 Jünger zu erzählen weiß. Aber die allgemein gehaltene Wendung es geht eine Rede zeigt doch, daß, was er mitteilt, älter ist als er. Danach haben Matthias und Joseph Barsabbas, sein Konkurrent, den 70 zugehört; ebenso - mit es heißt eingeführt - Thaddäus (s.o.). Origenes (comm. in Rom. X 21) möchte die Röm. 16,7 von Paulus in Ehren genannten Andronikus und Junias 3*
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für Mitglieder des Kollegiums der 70 (bzw. 72) ansehen. Im Dialog des Adamantius verficht dieser gegen den Widerspruch des Megethius (I, 5 GCS 4, S. 8 ff. van de Sande Bakhuyzen) die These: Markus und Lukas gehören zu den 72 Jüngern (10,14). Man hat selbstverständlich noch sehr viele andere Größen der christlichen Urperiode dieser Gruppe zugeteilt, aber m. W. nachweisbar erst in einer späteren Zeit. Denn ob Papias den in der Vorrede zu UVetauw')J i~rn!11(jStl; (bei Eusebius, h. e. 111 39, 4) erwähnten Aristion und den "Presbyter" Johannes, indem er sie Jünger des Herrn nennt, den 70 einreihen will, bleibt fraglich. Einer späteren Epoche gehören auch die vollständigen Verzeichnisse an, die man entworfen hat (s. darüber Th. Schermann a. a. 0., S. 292ff.). Über einige der namhaft gemachten Glieder ist im folgenden noch etwas zu sagen. Barnabas, den Clemens Alexandrinus wie schon AG 14, 14 (vgL auch V. 4) Apostel nennt (strom. 11 31,2, vgL 116,3), ist bei Pseudo-Clemens, homo I 9-16; 11 4, ein persönlicher Jünger Jesu, ein strenger Gesetzesdiener, Palästinenser von Geburt, doch in Alexandria sich aufhaltend, wo er den Clemens kennenlernt, um ihm bald darauf nach J udäa voranzureisen und dort seine Bekanntschaft mit Petrus zu vermitteln. Die Rekognitionen, die den Barnabas übrigens mit Matthias identifizieren (160; vgL Th. Zahn, Forschungen 11, S. 562) und damit als den Ersatzmann für den Verräter der Schar der Zwölf einreihen, lassen das Zusammentreffen zwischen Clemens und Barnabas in Rom stattfinden, wohin dieser bereits zu J esu Lebzeiten das Evangelium gebracht hatte (I 6f.). Von einem Aufenthalt des Barnabas in Rom wissen auch die Petrusakten (c. 4). Dem Tertullian (de pud. 20, 2, Corp. Christ. 2, S. 1324) und den Tractatus Origenis (PL SuppL I, 417) gilt der Hebräerbrief als ein Werk des Barnabas. Und auch der sog. Barnabasbrief wird, seit er überhaupt zitiert wird, d.h. seit Clemens Alexandrinus (strom. 11 31,2; 35,5 u.ö.), gleichfalls auf unseren Barnabas zurückgeführt. Im Decretum Gelasianum (s. Bd. I, S. 22) sowie in der Liste der 60 Bücher (s. Bd. I, S. 26) taucht ein Barnabasevangelium auf, das von uns nicht zu fassen ist. J oseph Barsabbas, gen. Justus, wird von Papias erwähnt (bei Eusebius, h. e. 111 39, 9). Papias erzählt, wie Eusebius berichtet, von einem Wunder, das sich an Justus Barsabbas ereignete, der tödliches Gift getrunken habe, ohne Schaden davon zu nehmen (vgL Mk. 16,18). Philippus Sidetes bringt aus Papias dieselbe Nachricht (Funk-Bihlmeyer, Die Apostolischen Väter, 21956, S. 139). In den Acta Pauli (Martyrium des Paulus 11; Aa I, S.108) erscheint ein Barsabbas Justus unter den Großen Neros. Markus war nach dem sog. monarchianischen Prolog zum Markusevangelium (KIT 1, S. 15) ein Levit - offenbar als Vetter des Leviten Barnabas (AG 4,36) - und von Petrus bekehrt und getauft worden - ohne Zweifel wegen 1. Petr. 5, 13, später Bischof von Alexandria. Letzteres hat auch in der Chronographie des Julius Mricanus gestanden (A. Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius 11,1 S. 123f.); vgL Eusebius, h. e. 11 16, 1; 11 24. Für die von Hippolyt (Ref. VII 30) als allgemein verbreitet behandelte Bezeichnung des Markus als stummeljingerig gibt der sog. antimarcionitische Markusprolog 1 die Erklärung: weil er im Verhältnis zu der sonstigen Schlankheit seines Körpers zu kleine Finger hatte 2. Die Prologe ver1 Text bei de Bruyne, Rev. Ben. 40, 1928, S. 193ff.; Huck·Lietzmann, Synopse der drei ersten Evangelien, 10 1950, S. VIII. 2 Vgl. dazu A. Harnack, ZNW 3,1902, S.165, Anm. 1; E Nestle, ebd.4, 1903, S.347.
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treten außerdem die bereits im NT vorliegende Auffassung (vgI. Phlm. 24; KoI. 4, 10; 2. Tim. 4, 11; 1. Petr. 5, 13, s.o. S.22), daß Markus in Rom gewesen sei: er schrieb sein Evangelium in Italien. Als das von Markus verfaßte Evangelium gilt der Tradition niemals ein anderes als unser zweites. Ebenso einstimmig behauptet die überlieferung einen indirekten Anteil des Petrus an dem Werke. Markus ist ja nichts anderes als der Dolmetscher des Petrus (so schon Papias bei Eusebius, h. e. III 39,15). Bei Tertullian (adv. Marc. IV 5, 3f., Corp. Christ. 1, S. 551) lesen wir: (Das Evangelium), das Markus herausgab, kann als das des Petrus angesehen werden, dessen Dolmetscher Markus war ... Es geht wohl an, den Lehrern zuzuschreiben, was die Schüler veröffentlicht haben. über den Grad der Beteiligung des Petrus ist man verschiedener Meinung. Das Wachstum der Legende vollzieht sich in einer Richtung, die das Verhältnis zwischen Petrus und dem Markusevangelium immer enger gestaltet. An der Spitze der Entwicklung, soweit wir sie noch zu verfolgen vermögen, steht Papias (s.o.)1. Es folgt Irenäus (adv. haer. III 1, 1). Weiter als Irenäus braucht auch Origenes nicht gegangen zu sein, nur daß er die Reihe Matthäus, Markus, Lukas, J ohannes ganz deutlich chronologisch nimmt (Eusebius, h. e. VI 25,4-6), ebenso wie wohl schon der Canon Muratori (s. Bd. I, S. 18f.) und sicher die sog. monarchianischen Prologe. Nach Clemens Alexandrinus, Hypotyp. VI (bei Eusebius, h. e. VI 14, 5-7), ist das Evangelium des Markus aus folgendem Anlaß entstanden: Nachdem Petrus öffentlich in Rom das Wort verkündigt und das Evangelium im Geiste gepredigt hatte, sollen die zahlreichen anwesenden (Zuhörer) den Markus gebeten haben, er möge, da er Petrus schon seit langem begleitet und seine Worte im Gedächtnis habe, seine Predigten niederschreiben. Markus habe das getan und den Bittstellern das Evan· gelium übergeben. Als Petrus davon erfuhr, habe er ihn weder durch ein mahnendes Wort gehindert noch ermuntert. Einen eigenen Bericht bietet Eusebius in hist. eccl. II 15. Er enthält für Eusebius und seine Zeit charakteristische Zutaten zu dem Bericht des Clemens Alexandrinus: Petrus habe durch den Heiligen Geist von der Sache erfahren, sich über den Eifer der Römer gefreut und das Evangelium für die Gemeinden autorisiert (s. auch Eusebius, demonstr. evang. III 5,89-95, und vgI. Justin, diaI. c. Tryph. 106; Act. Petr. 20; Victorinus von Pettau, Komm. zur Offb. 4, 4, S.50 Haußleiter). Über Markus als leiblichen Sohn des Petrus s. o. S. 20. Lukas hat nach dem Canon Muratori Z. 6f. (s. Bd. I, S. 19) den Herrn nicht nach dem Fleische gesehen. In dem Dialog des Adamantius, De recta in Deum fide (GCS 4, 1901 van de Sande Bakhuyzen S. 8ff.) behauptet dagegen Megethius, Lukas sei zwar kein Jünger des Herrn (im engeren Sinne) gewesen, habe aber zu den 72 Jüngern gehört. KoI. 4, 14 bezeichnet Lukas als Arzt, was die Folgezeit häufig wiederholt (Canon Muratori Z. 3, Bd. I, S. 19; sog. monarchianischer Prolog zum Lukasevangelium, KIT 1, S. 14; Irenäus, adv. haer.III 14,1; Eusebius, h. e. III 4,6), Markion freilich samt dem Beiwort geliebt getilgt hat 2 • Der Canon Muratori berichtet auch, was den Paulus veranlaßt hätte, ihn mit sich zu nehmen (Z. M.; Bd. I ebd.). Die Enge des Verhältnisses zu dem Apostel stellt Irenäus (adv. haer. III 1 Zur Entstehung dieser Tradition vgl. auch E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (Krit.exeget. Kommentar zum NT, begr. von H.A.W.Meyer) 121959, S. 414, Anm. 2. Vgl. ebd. S. 8, Anm. 3 zum Problem der sog. antimarcionitischen Prologe. 2 S. Zahn, Forsch. I, S. 647; II, S. 528; Harnack, Marcion, S. 50; 124*.
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14,1) übertreibend so dar, daß Lukas unzertrennlich von Paulus und dessen Mitarbeiter am Evangelium gewesen sei. Ebenso müssen auch diejenigen sich die Beziehungen beider vorgestellt haben, die den Lukas in der AG nur Selbsterlebtes berichten lassen wollen (Canon Muratori Z. 35ff., Bd. I ebd.; Eusebius, h. e. III4,6). Das hindert nicht, daß Lukas gelegentlich als Schüler einer Mehrheit von Aposteln erscheint (Irenäus, adv. haer. III 10, 1; 14, 2, und sog. monarchianischer Prolog zum Lukasevangelium). Handelt er doch in seinem zweiten Buche außer von Paulus auch über andere Apostel. Den Paulushelfer Lukas hat man schon vor Origenes (hom. I in Luc.) in dem Bruder 2. Kor. 8, 18 wiedergefunden, und viele haben das auch später noch nachgesprochen. Manche hielten zur rühmenden Hervorhebung seiner Leistungen im Dienste des Evangeliums selbst den Titel Apostel nicht für zu hoch gegriffen (Hippolyt, de antichr. 56; vgL Th. Zahn, Forsch. VI, S. 7 Anm. 2). Die sog. monarchianischen Prologe und Eusebius (h. e. III 4,6) bezeichnen Lukas als Syrer, speziell Antiochener, und das war vielleicht auch die Meinung des Julius Mricanus (bei Eusebius, quaest. evang. ad Stephanum bei Mai, Nova patr. bibI. 4,1 p. 270)1. Gewiß zeugt für das Bestehen dieser Auffassung auch die Lesart, die schon AG 11, 28 erstmalig den Wir-Bericht einsetzen läßt (Cod. D und Altlateiner, unter denen Augustin 2). Wie Lukas, so wird auch Theophilus, dem er sein zweibändiges Werk widmet, früh in Antiochia ansässig gedacht (Pseudo-Clemens, rec. X 71). Weitere Einzelheiten aus dem Leben des Lukas berichtet der sog. monarchianische Prolog zum Lukasevangelium (Klo T. 1, S. 14). Das Martyrium Pauli (s. u. S.265) nennt eine Reise des Lukas nach Gallien, ebenso spricht Epiphanius von einer Predigt des Lukas daselbst (haer. 51, 11). Dies hat allerdings die Lesart raÄ)Jav statt des besser bezeugten ra'Aa-dav in 2. Tim. 4, 10 zur Voraussetzung, die von den Codd. ~ C, Minuskeln, einzelnen Vulgatahandschriften geboten wird und schon Eusebius (h. e. III 4, 8) bekannt war. Lukas wird vom christlichen Altertum einstimmig als Verfasser des 3. Evangeliums (schon von Markion~, doch s. Harnack, Marcion, S.40f., 124*, 249*f.) und der Apostelgeschichte (Canon Muratori 35f.; sog. monarchianischer Prolog; Irenäus, adv. haer. III 13, 3; 15, 1; Clemens Alexandrinus, strom. V 82, 4) bezeichnet, aber ähnlich wie Markus von Petrus (s. o. S. 37) in immer steigendem Maße bei seiner literarischen Arbeit von Paulus abhängig gemacht (Irenäus, adv. haer. III 1,1; Tertullian, adv. Marc .. IV 5,3). Clemens Alexandrinus vertritt nach Eusebius (h. e. VI 14, 4) in seinen Adumbrationen (zu 1. Petr. 5, 13, GCS 17, S. 206) die Auffassung, Lukas habe den von Paulus hebräisch abgefaßten Hebräerbrieffür die Griechen übersetzt, während Origenes (bei Eusebius, h. e. VI 25, 14) sogar eine Überlieferung erwähnt, die Lukas als Autor des genannten Briefes ansieht 3 • Emma usj ünger. In späterer Zeit wurde Lukas gelegentlich mit dem unbenannten Emmausjünger identifiziert (Zahn, Forsch. VI, S.351, Anm. 1) und teilte so das Geschick des Nathanael (s.o. S. 34). Weit älter als diese Gleichsetzungen ist eine andere. Origenes nennt (c. Cels. II 62.68; homo XX in Jerem., GCS 6 Klostermann, S. 191, 12-15; S.192, 12f.; Johanneskommentar I 5, 8, GCS 10 Preuschen, Vgl. dazu u.a. Spitta, Der Brief des Julius Africanus an Aristides, 1877, S. 70-73; 111. Vgl. Haenchen, Die Apostelgeschichte, z. St. 3 Weitere Lk-Nachrichten bei R.A.Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, II 2, 1884, S. 354ff.; zum Problem der Lk-Nachrichten s. auch Haenchen, Die Apostelgeschichte, 121959, S. Iff. 1
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S.10, 16 f.; S. 13f.) ohne das mindeste Schwanken die beiden Emmausjünger Kleopas und Simon. Dasselbe tut eine Randnote von Cod. S zu Lk. 24, 18 (s. Tischendorf z. St.), doch so, daß Simon - Origenes läßt das offen - ausdrücklich von Petrus unterschieden wird. Auch Ambrosius ist Zeuge für diese überlieferung, wenn er die beiden Wanderer wiederholt Amaon oder Ammaon und Kleopas nennt; der Name Simon war offenbar dem Einfluß der Ortsbezeichnung Emmaus unterstanden (vgl. Zahn, Forsch. IV, S. 313; VI, S.351, Anm.; A.Loisy, Les Evangiles synopt.2, S. 764, Anm. 4). Pa ul us hat in der alten Christenheit eine zwiespältige Beurteilung erfahren, und entsprechend war die Auffassung, die man von seiner Person und seinem Leben gehabt hat. Die Judenchristen lehnten den Heidenapostel ab (Irenäus, adv. haer. I 26, 2; III 15, 1; Origenes, c. Cels. V 65; homo XIX 12 in J erem.; Eusebius, h. e. III 27,4; s. auch Kerinth bei Filastrius von Brescia, de haer.36 (nach Hippolyt, Syntagma1); Epiphanius, haer. 38,5). Wie sie in manchen Einzelheiten über ihn gedacht haben, zeigen uns vor allem die pseudo-clementinischen Schriften. In ihnen wird Paulus bald als ein gewisser feindlicher Mann (rec. I 70. 73; Epist. Petr. ad Jac.2, s. u. S. 69) in den Hintergrund geschoben - doch die Bemerkung, dieser Mann sei als Gesandter des Kaiphas nach Damaskus gekommen, um die Christen zu verfolgen (rec. I 71), leidet keinen Zweifel daran, wer gemeint ist -, bald als Simon Magus verlästert. Auch diese Maske ist durchsichtig: rec. III 49 Simon als auserwähltes Gefäß (AG 9, 15) des Bösen; IV 34f. Petrus rät den Tripolitanern, keinem Lehrer zu trauen, der nicht vom Herrenbruder Jakobus beglaubigt ist. Außer den Zwölfen gibt es keinen echten Propheten und Apostel. Vgl. homo XI 35; XVII 19: Petrus streitet dem Simon = Paulus ab, den Herrn wirklich gesehen zu haben. Sonst hätte er sich dem, den Jesus den festen Felsengrund der Kirche genannt, nicht entgegengestellt und ihn gar als einen Verurteilten (Gal. 2, 11) beschimpft. Wie stark solche Gegnerschaft auf die Anschauung von Paulus und seinem Leben einzuwirken vermag, lehren die judenchristlichen Aufstiege des Jakobus (Epiphanius, haer. 30, 16): Paulus sei ein Tarser gewesen und zwar Hellene (= Heide) von einer hellenischen Mutter und einem hellenischen Vater, sodann nach Jerusalem hinaufgegangen und dort eine Zeitlang geblieben, habe eine Tochter des (Hohen)priesters zu heiraten begehrt und sich deshalb als Proselyt zur Beschneidung bequemt . .Als er trotzdem das Mädchen nicht erhielt, sei er wütend geworden und habe begonnen, gegen Beschneidung, Sabbat und Gesetzgebung zu schreiben. (Vgl. auch ebd. 30,25) 1.
Um so höherer Schätzung erfreut sich Paulus bei den Heidenchristen. Er ist nicht nur für Markion der Apostel schlechthin, auch 1. Clem. (5, 5ff.; 47,1); Ignatius (Eph. 12,2; Röm. 4,3); Polykarp (ad Phil. 3,2; 9, 1; 11, 2f.) nennen ihn mit größter Achtung als den Apostel von Korinth, Ephesus und Philippi. Die Petrus- und vor allem die Paulusakten sind Dokumente einer aufs äußerste gesteigerten Verehrung. Clemens Alexandrinus (strom. I 94, 4; V 5,1 u.ö.) und andere reden von dem göttlichen Heidenapostel. Später dringt er in die Apostellisten ein, ja belegt den Platz direkt neben Petrus (Th. Schermann, Propheten- und Apostellegenden TU 31,1, 1907, S. 212. 209. 227). Auch auf diesem Boden verändert sich das Leben des Paulus durch Züge, die nur losen oder gar keinen Anhalt am NT haben. Nach einer über1 Zum Paulusbild der Ps-Clementinen vgl. auch G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen, TU 70,1958, S. 187ff.
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen tJberlieterung
lieferung, die freilich nur von Hieronymus (de vir. ill. 5; in ep. ad Philem. 23) bezeugt ist, wurde Paulus in dem galiläischen Städtchen Gischala geboren und siedelte erst im JünglingsaIter mit seinen Eltern nach Tarsus über. Eine (nicht völlig erfundene1) Beschreibung des erwachsenen Apostels enthalten die Paulusakten (c.3; s. u. S. 243). In der Epistula Apostolorum (31 (42); 33 (44), s. Bd. I, S. 144. 145) teilt der Auferstandene seinen Jüngern mit, welche Rolle Paulus in der Urgeschichte seiner Gemeinde spielen werde. Und zwar sollen die Zwölfej die auch als die Stifter der christlichen Gemeinde von Damaskus gelten (33 (44), Bd. I, S. 145), bei seiner Bekehrung maßgebend beteiligt sein. Sie geben ihm durch das Kreuzeszeichen das Augenlicht wieder, taufen ihn und weihen ihn in die Lehren ein, die sie vom Herrn empfangen haben. Darin spricht sich die schon in der AG angebahnte kirchliche Überzeugung aus, daß die Apostel allesamt das gleiche Evangelium vertreten (Irenäus, adv. haer. III 13; Tertullian, de praescr. haer. 23, Corp. Christ. 1, S. 204 ff.) ; freilich daneben die andere, daß die einzigen sicheren Stützen der christlichen Lehre die Zwölfe als die persönlichen Schüler des Herrn sind 1. Für Clemens Alexandrinus (strom. III 53,1) war Paulus verheiratet - wegen Phil. 4, 3 -, führte aber seine Frau nicht auf seinen Reisen mit sich - wegen 1. Kor. 9, 5. Pierius läßt den verheirateten Apostel sich von seiner Frau trennen und sie dem Dienst der Kirche weilten (s. C. de Boor, Neue Fragmente des Papias, Hegesippus und Pierius TU 5,2 1888, S. 170. 180). Spätere Christen wissen auch von einigen Schülern, Freunden und Begleitern des Paulus, die das NT nicht kennt, wie von Theodas, dem Lehrer Valentins (Clemens Alexandrinus, strom. VII 106,4). Das Leben des christlichen Sendboten Paulus, wie wir es aus dem NT kennen, wird vor allem in den Dichtungen und Fabeleien der Paulusakten aus- und umgestaltet. Hierher gehört vielleicht auch, was die vita Polycarpi per Pionium H. aus alten Handschriften über einen Besuch des Paulus bei den Christen in Smyrna wissen will. Jedenfalls - wie man auch über diesen Pionius urteilen mag - muß der Paulus, der über die rechte Osterfeier spricht, dem Ende des 2. Jhs. angehören 2 • Am Ende des 1. und im Verlauf des 2. Jhs. ist gelegentlich die Auffassung ausgesprochen und vorausgesetzt, daß die am Schlusse der AG erzählte Gefangenschaft des Paulus mit seiner Freilassung geendet und daß er noch eine Reise nach Spanien gemacht habe (1. Clem. 5, 7; Act. Petr. 1. 6; Canon Muratori 38f., Bd. I, S. 19). Andere Autoren schweigen teils über diese Vorgänge, teils lassen sie dieselben durch iltre Darstellung als ausgeschlossen erscheinen (der Verfasser der Paulusakten; Origenes bei Eusebius, h. e. III 1, 3; s. Handb., S.368). Der Märtyrertod des Paulus in Rom fällt in die Regierungszeit des Nero, ohne daß der Apostel deutlich als ein Opfer der neronischen Verfolgung bezeichnet wurde: Act. Petr.I; Mart. Pauli; Clemens Alexandrinus, strom. VII 106,3; Tertullian, scorp. 15, 3 (Corp. Christ. 2, S. 1097); Origenes (bei Eusebius, h. e. III 1, 3); Lactantius, div. inst. IV 21; de mort. pers. 2; Eusebius, h. e. II 25, 5. Wo über die Art seines Todes gesprochen wird, heißt es, daß Paulus enthauptet worden sei: Mart. Pauli (s.u. S.265ft.); Tertullian, de praescr. haer. 36,3 (Corp. Christ. 1, S.216); Eusebius, h. e. II 25, 5; demonstr. evang. III 5, 65. Seit Ende des 1. Jhs. finden wir 1 S. dazu W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934, S. 89; 117; 235; G. Klein, Die zwölf Apostel, passim. Dort weitere Literatur. 2 Doch vgl. zu der Pioniusfrage Altaner, S. 89, und J. Quasten, Patrology I, 1950, S. 79.
2. Die Apostel als Träger der Überlieferung
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Petrus und Paulus oftmals zusammengestellt und ihre Tätigkeit wie ihr Geschick eng verbunden: 1. Clem. 5; Ign., Röm. 4, 3; Dionysius von Korinth (bei Eusebius, h. e. rr 25, 8); Irenäus, adv. haer. Irr 1, 1; 3, 2; Act. Petr. 23; Tertullian, adv. Mare. IV 5; de praescr. haer. 36; Hippolyt (Arabische Fragmente zum Pentateuch 17); Pauluspredigt bei Pseudo-Cyprian, de rebaptismate 17. Doch hat das nicht gehindert, daß gegen Ende des 2. Jhs. "jene folgenreiche Umbildung der Überlieferung in Rom stattgefunden hat, kraft welcher Paulus in Beziehung auf das römische Bistum eliminiert und das Amt an Petrus geheftet worden ist"l. Der Canon Muratori (64, s. Bd. I, S. 20) nennt einen Laodizenerbrief und einen Alexandrinerbrief, die man fälschlich dem Paulus zugeschrieben habe. Markion hat den Epheserbrief als Laodizenerbrief geführt. Andererseits gibt es seit spätestens dem 4. Jh. einen apokryphen Paulusbrief nach Laodizea 2 • Die Paulusakten überliefern einen Briefwechsel zwischen dem Heidenapostel und den Korinthern (s. u. S. 257ft.). Einer späteren Zeit erst gehört der Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca an (s. u. S. 84 ft .). Dagegen scheint Polykarp (PhiI. 3,2) zu meinen, daß der Heidenapostel mehrfach an die Gemeinde von Philippi geschrieben hätte. Im 2. oder 3. Jh. haben Gnostiker ein Buch unter dem Titel Himmelfahrt des Paulus (nach 2. Kor. 12, 4) geschätzt; in der Folge entstand eine Paulusapokalypse (0. Bardenhewer, Gesch. d. altkirchlichen Literatur I, 1913, S. 615-620; s. u. S.536ft.). über eine Pauluspredigt s. u. S.56f. 2. DIE APOSTEL ALS TRÄGER DER ÜBERLIEFERUNG (M. Hornschuh)
LITERATUR. K.H. Rengstorf, dnoUTOAo" ThWtb I, 1933, S. 406ff.; A. Friedrichsen, The Apostle and his Message, 1947; H. Frhr. v. Campenhausen, Der urchristliche Apostelbegriff, Studia theologica 1, 1948, S. 96ff.; J. Munck, Paul, the Apostles and the Twelve, Studia theologica 3, 1950, S. 96ff.; E. Lohse, Ursprung und Prägung des christlichen Apostolats, Theol. Zeitschrift 9, 1953, S. 259ff.; H. Frhr. v. Campenhausen, Kirchliches .Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, 1953, S. 13ff.; R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, "1958, §§ 52, 3; 55,5; H. Riesenfeld, Art. "Apostel", RGG" 1,1957, Sp. 497ff.; G. Klein, Die zwölf Apostel. Ursprung und Gehalt einer Idee (Forsch. z. Rel. und Lit. des A. u. N.T., NF 59), 1961; W. Schmithals, Das Kirchliche Apostelamt (Forsch. z. Rel. und Lit. des A. u. N.T., NF 61), 1961.
1. IM FRÜHKATHOLIZISMUS. Angesichts der bestehenden Lehrdifferenzen, der Vielzahl von Richtungen und Meinungen sowie der anwachsenden gnostischen Gefahr schien der Rekurs auf die Anfänge des christlichen Glaubens die einzig sichere Gewähr der Wahrheitserkenntnis zu geben. Die Voraussetzung dieses Gedankens war die Annahme, daß das Christentum eine dogmatisch einheitliche Urgestalt gehabt habe. Am Anfang stand die Einheit; in der Folge entwickelte sich die Viellieit als eine Depravation des historisch Ursprünglichen. Die Wiedergewinnung und volle 1 Harnack, Gesch. der altchristI. Literatur bis Eusebius, II 1, S. 703. Vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, S. 116ff. Eine Zusammenstellung von Paulusnachrichten bei R.A.Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten, II 1, 1887, S.llff. • Text bei Harnack, KlT 12, 1931. Zur ganzen Frage s. u. S. 80 ff.
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XI. Da8 Apostelbild in der altchri8tlichen Überlieferung
Durchsetzung der Einheit konnte darum nur durch den Rückgang auf das Alte erfolgen, d.h. auf dem Wege einer getreuen Repristination der Urgestalt, also des christlichen Glaubens in der Form, wie er vom Herrn geoffenbart worden war. Die Frage nach der Urgestalt war identisch mit der Frage nach der zuverlässigen Überlieferung. Hier schien indes volle Gewißheit nicht erreichbar zu sein, ohne daß man gleichzeitig die Frage nach der die Zuverlässigkeit der überlieferung verbürgenden Autorität stellte. Als Träger und Bürgen der Überlieferung kamen allein die Apostel in Frage. Als Überlieferung ist nun das zu verstehen, was die Apostel von Christus - sei es vor oder nach der Auferstehung - empfangen, dann aber nicht aufgeschrieben, sondern mündlich weitergegeben haben. War der Begriff des Apostels als des vom auferstandenen Christus entsandten Verkündigers ursprünglich primär durch den Gedanken der Autorisierung besti=t - der Apostel ist danach der Christusrepräsentant, dessen Wort vom Herrn legitimiert ist -, so gewinnt in der zweiten und dritten Generation der Gedanke der Tradition allmählich das übergewicht. Der Traditionsgedanke wird zum bestimmenden Moment des ApostelbegriffesI. Bezugnahmen auf die mündliche apostolische überlieferung finden sich bereits in AG 2, 42; 2. Petr. 3, 2; Jud. 17; Ign. Mag. 13,1; Ign. Trall. 7,1; vgl. Pol. Phil. 6,3; 1. Kl. 42,1. Es handelt sich in jedem Falle um die Lehre des als einheitliche Größe von gleicher Beschaffenheit vorgestellten Zwölfapostelkreises, bei welchem individuelle Verschiedenheiten nicht in Betracht kommen 2 • Hauptmerkmale der apostolischen Überlieferung sind ihre Katholizität, d.h. ihre universale, für die gesamte Kirche bestimmte Gültigkeit, ihre definitive Abgeschlossenheit und ihre schlechthinnige Suffizienz. Vgl. Irenäus, Adv. haer. III 4,1: (In die Kirche) haben die Apostel wie in eine reiche Schatzkammer auf das Vollständigste alles hineingetragen, was zur Wahrheit gehört, so daß jeder, der will, aus ihr den Trank des Lebens schöpfen kann.
Auf der Grundlage des gekennzeichneten Traditionsbegriffes erwuchs im zweiten Jahrhundert die Lehre von der apostolischen Sukzession der Bischöfe. Man unternahm es, das Band der Tradition für die einzelnen Hauptorte durch Aufstellung von Bischofsreihen nach rückwärts zu knüpfen und so die Gegenwart mit den Anfängen zu verbinden. Irenäus und Tertullian sehen in den vorhandenen Bischofsreihen die Garantie für einen wirklichen Lehrzusammenhang mit den Aposteln; sie erbringen den Beweis, daß die Kirche der Ort ist, wo die ursprüngliche Wahrheit gelehrt wird. Zur Frage der apostolischen Sukzession der Bischöfe müssen die hier gegebenen Andeutungen genügen; vgl. zur Entstehung und Entwicklung des frühkatholischen Sukzessionsprinzips die Darlegungen von H. Frh. von Campenhausen, Kirchliches Amt, S. 178ff. 3 • 2. IN DER GNOSIS. Nicht nur die "Rechtgläubigen", sondern auch die Gnostiker beriefen sich auf apostolische Tradition 4 , nämlich auf esoterische Offenbarungen, als deren Träger entweder ebenfalls die Gesamtheit der Apostel oder aber - so Vgl. Bultmann, a.a.O. Vgl. Bultmann, a.a.O., § 55, 5; Bauer oben S. 11 ff. 3 Zur Struktur des frühkatholischen Traditionsbegriffes vgl. auch G. Ebeling, Die Geschichtlichkeit der Kirche und ihrer Verkündigung als theologisches Problem, 1954, S.31ff. 4 Vgl. Origenes, Hom. in Ezech. H, 5. 1
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2. Die Apostel als Träger der Überlieferung
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weitaus häufiger - nur einzelne, vom Herrn besonders ausgezeichnete Apostel in Frage kamen. So heißt es bei Irenäus (adv. haer. II 27,2) von den Gnostikern, sie behaupteten, "der Heiland habe eben dies im Verborgenen nicht alle gelehrt, sondern nur einige seiner Schüler, die es begreifen konnten und die zu verstehen vermochten, was von ihm durch vorgeführte Szenen, Rätsel und Parabeln angedeutet wurde". Auch Tertullian (de praescr. 25) stellt fest, die Apostel hätten nach Meinung der Gnostiker "nicht allen alles geoffenbart. Einiges hätten sie nämlich öffentlich allen, einiges aber insgeheim wenigen anvertraut ... " Nach Exc. ex Theod. 66 "lehrte der Heiland die Apostel erstlich typisch und mystisch, sodann parabolisch und rätselhaft, drittens klar und unverhüllt allein"l. Die Vorstellung von der geheimen mündlichen Überlieferung erfuhr ihre Ausbildung im Zusammenhang mit der Lehre, daß nur eine zahlenmäßig geringe religiöse Elite dank ihrer pneumatischen Qualität zur Annahme der "Gnosis" imstande sei. Eine einheitliche Bewertung der großkirchlichen Lehrüberlieferung hat sich aus diesem Standpunkt nicht ergeben. Entweder verfiel sie radikaler Verwerfung - in diesem Falle sollte die Gnosis die kirchliche überlieferung verdrängen und ersetzen - oder man zollte ihr bedingte Anerkennungin diesem Falle wurde die Gnosis als ein hinzukommendes Komplement verstanden. Der Anspruch der kirchlichen Tradition, in der vorliegenden Form von schlechthinniger Suffizienz und definitiver Abgeschlossenheit zu sein, wird durch die gnostische Geheimüberlieferung in jedem Falle, d.h. auch dann, wenn sie nicht eigentlich im Gegensatz zur kirchlichen Tradition stehen will, zurückgewiesen. Zu 1. Den frühkatholischen Begriff der Tradition als der durch das gesamte Apostelkollegium vermittelten und mit absoluter und universaler Gültigkeit ausgestatteten überlieferung setzen die alten kirchenrechtlichen Sammlungen voraus 2. Die Didache ("Lehre des Herrn durch die zwölf Apostel für die Heiden"), die Kirchenordnung des Hippolyt ("Apostolische Überlieferung"), die Syrische Didaskalia ("Lehre der Apostel") und die Apostolischen Konstitutionen ("Anordnungen der Apostel durch Clemens (Romanus)")3. Mit Vorliebe berief man sich in großkirchlichen Kreisen auf die Apostel als die Träger und Bürgen der Überlieferung, wenn es um die Rechtfertigung oder Durchsetzung einer bestimmten kirchlichen Praxis ging!, also in strittigen Fragen des Kultes, der Sittlichkeit und des kirchlichen Rechtes 5 . 1 S. ferner Irenäus, Adv. haer. 125,5 (Karpokratianer), I 30,14 (sog. "Gnostiker"); Bartholomäusevangelium 66-68 (Bd. I, S. 371); Testamentum Domini (ed. J. Cooper u. A.J. Maclean, The Testament of our Lord, Edinburgh 1902); vgl. Liechtenhan, Die Offenbarung im Gnostizismus, 1901, S. 70; C. Barth, Die Interpretation des NT in der valentinianischen Gnosis, TU 37, 3; 1911, S. 52ff. • Vgl. dazu A. Walls, A Note on the Apostolic Claim in the Church Order Literature, Studia. Patristica II, TU 64, 1957, S. 83-92. • Auch die regula fidei wurde als apostolische Tradition verstanden. Sie kann ebensowenig wie die erwähnten Kirchenordnungen in diesem Zusammenhange erörtert werden, da sie nicht unter das Verdikt "apokryph" gehört. t So hat Origenes den Brauch der Kindertaufe als apostolische Tradition bezeichnet: Ecclesia ab apostolis traditionem suscepit, etiam parvulis baptismum dare (Comm in Rom. V, 9). 5 Basilius behauptet (de Spiritu Sancto 27, PG XXXII, Sp. 188f.), daß von den in der Kirche geltenden Dogmen und Bräuchen "das eine auf Grund von geschriebener Lehre" überkommen sei, wogegen wir "das andere auf Grund der Überlieferung der Apostel
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Überlieferung
Die Berufung auf die apostolische Überlieferung spielte eine bedeutende Rolle, als es im zweiten Jahrhundert wegen der Bestimmung des Ostertermins zum Streit zwischen dem römischen Bischof und den Kleinasiaten kam. Die Palästinenser, die für den römischen Standpunkt Partei ergriffen, machten gegen die Kleinasiaten die "auf Grund der Nachfolge (owooxn) der Apostel zu ihnen gelangten Überlieferung (naeaooO'l(;) über das Passafest" geltend (Eusebius, h. e. V 25). Seinerseits legte Polykrates von Ephesus in einem Schreiben an die römische Gemeinde "die auf ihn gekommene Überlieferung (naeaooO'l(;)" dar (Eusebius, h. e. V 34,1). In dem von Eusebius überlieferten Brief des Polykrates (hist. eccl. V 24,2-7) unternimmt es der Bischof, die bestehende quartadezimanische Passapraxis mit dem Hinweis auf die große Anzahl von Aposteln, Heiligen und Märtyrern, deren Gräber sich in Kleinasien befinden, zu verteidigen. So kann der Bischof von Ephesus auf Phili ppus, einen der zwölf Apostel, der mit seinen Töchtern in Kleinasien geweilt hat und in Hierapolis begraben liegt, und schließlich auch auf J ohannes, den Jünger, "der an des Herrn Brust lag", den "Zeugen und Lehrer", der jetzt in Ephesus ruht, hinweisen 1. Zweifellos spricht Polykrates nicht von irgendwelchen speziellen Philippus- und J ohannestraditionen, denn die erwähnten Apostel kommen ja für ihn als Repräsentanten des ganzen Zwölferkreises und als Zeugen der von allen Aposteln vertretenen einen Wahrheit in Betracht. Nicht anders will Irenä us verstanden werden, der in Adv. haer. III 3, 4 ausführt: Johannes blieb bei ihnen (den Ephesinern) bis in die Zeit des Trajan; er ist ein wahrhaftiger Zeuge der Überlieferung der Apostel.
Auf die Apostel berief man sich auch, wenn es galt, in der Auseinandersetzung mit den Häretikern bestimmte theologische Positionen zu beziehen. Ein Beispiel dafür bietet die Epistula Apostolorum 2, deren Verfasser Wahrheit und Gültigkeit nur dem zuerkennen will, was sich direkt auf die Instanz des Apostelkreises und über diesen auf den Herrn selbst zurückführen läßt. Es gibt keinen anderen empfangen haben, indem es uns im Geheimen (iv ftva7:7JI2(CP) übergeben wurde". Durch diese Überlieferung wurden der Kirche u. a. folgende Bräuche vermittelt: Die Gebetsrichtung nach Osten (vgl. dazu F.J. Dölger, Sol Salutis, S. 170f.), die Signierung durch das Kreuzeszeichen, die Formel der Epiklese im eucharistischen Gottesdienst, sodann verschiedene Taufbräuche: die Ölsalbung, die Segnung des Taufwassers, des Salböls und des Täuflings selbst, das dreimalige Untertauchen desselben und die Abrenuntiation des Teufels und seiner Engel. Diese großkirchliche Geheimüberlieferung bezieht sich vornehmlich auf 7:WV ftva7:7Jl2twv 7:0 aeftv6v, welches die Väter "durch Schweigen zu bewahren" wußten. Die gnostische Terminologie, mit der diese als Gtwnwftsv'Y} uat ftvanuij nal2aooGt~ deklarierte Überlieferung gekennzeichnet wird, deutet nur auf das mysterienhafte Verständnis der Sakramente und ist von der kirchlichen Arkandisziplin her zu verstehen. Die apostolische Geheimüberlieferung, von der Basilius spricht, ist nicht nur dem kleinen Kreise einer geistigen Elite unter prinzipieller Ausschaltung der "Hyliker" und "Psychiker" bzw. "Pistiker" zugänglich, sondern allen durch die Taufe als Vollchristen in die Kirche Aufgenommenen im Unterschied sowohl zu den Katechumenen als auch zu den Ungläubigen. Die Überlieferungen wurden von den Aposteln aus Furcht vor der Profanierung nicht den heiligen Schriften anvertraut. 1 Daß die Quartadezimaner ihren Brauch direkt auf den Apostel Johannes zurückfülll'ten, behauptet Socrates, hist. eccl. V, 22. Entsprechend hätten sich die Römer auf Petrus und Paulus berufen. • Vgl. Bd. I, S. 126ff.
2. Die Apostel als Träger der Überlieferung
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legitimen Zugang zu Christus und seiner Offenbarung als über die Urapostel. Paulus wird ihnen konsequent untergeordnet. Um dogmatische Fragen ging es offenbar auch in dem antimontanistischen Dialog mit Proklos des römischen Christen Gaius (Fragment bei Eusebius, hist. eccl. II 25, 7). Gaius macht geltend, daß sich in Rom die Gräber der Apostel befänden, "welche diese (die römische) Kirche gegründet haben", also des Petrus und des Paulusl, der hier als gleichwertiger Apostel gilt. Der Bischof Papias von Hierapolis sagt in einem bei Eusebius (h. e. III 39,4) erhaltenen Fragment seiner x,veWx,Q)'JJ Ü;'YJY~(J8ts, in welchem er von seinen Bemühungen spricht, über die Worte des Herrn zuverlässige Auskunft zu erhalten: Wenn jemand kam, der ein Schüler der Alten (n(!eußv-re(!ot) gewesen war, so forschte icb (bei ihnen) nach den Worten der Alten (n(!eUßVU(!OL): was Andreas oder was Petrus oder Philippus oder Thomas oder Jakobus oder Johannes oder Matthäus oder irgendein anderer der Jünger des Herrn gesagt habe und was Aristion und der Alte (n(!eUßVTe(!Or;) Johannes, die Jünger des Herrn, sagen. Aristion und der Presbyter Johannes sind die zur Zeit des Papias noch lebenden Vertreter der zweiten Generation der Traditionsträger. Papias fährt fort: Ich meinte nämlich nicht, daß das aus Bücbern Entnommene mir so viel nützen würde wie das, was aus mündlicher und bleibender Rede stammt. Papias kennt mithin eine mündliche apostolische Überlieferung, die er allen schriftlichen Dokumenten der evangelischen Tradition vorzieht. Er behauptet, "die Worte der Apostel von denen, die sich ihnen (als Schüler) angeschlossen hatten, empfangen zu haben; er sagt, daß er des Aristion und des Alten (neeaßvueos) Johannes Schüler gewesen sei" (Eusebius, h. e. III 39,7). Unter dem, was "als aus mündlicher Überlieferung stammend zu ihm gelangt war", befanden sich u.a. "einige fremde Gleichnisse des Herrn und Lehren von ihm" (Eusebius, III 39,11), schließlich auch eschatologische Aussagen, deren Chiliasmus von Eusebius als "mythisch" gerügt wird. Das eschatologische Thema wird auch in einem größeren Fragment verhandelt, das uns Irenäus, adv. haer. V 33, 2 mitteilt. Es handelt sich nach des Irenäus Auskunft um eine Lehre des Herrn selbst ("wie der Herr selbst über jene Zeiten gelehrt und gesprochen hat", V 33,1), die von Johannes überliefert, von den "Alten" weitergegeben und auch von Papias im vierten Buch seines Werkes 2 erwähnt wurde: Es werden Tage kommen, da Weinstöcke wacbsen werden, von denen jeder einzelne zehnmal tausend Äste haben wird, und an jedem Ast werden zehn mal tausend Zweige und an jedem Zweig zehn mal tausend Ranken sein, und an jeder Ranke werden zehn mal tausend Trauben wacbsen und an jeder Traube zehn mal tausend Weinbeeren, und jede einzelne Weinbeere wird ausgepreßt fünfundzwanzig Fässer Wein ergeben. Und wenn einer der Heiligen nach einer Traube greifen wird, dann wird eine andere Traube ausrufen: Ich bin besser, nimm mich, durch mich preise den Herrn. Desgleichen wird ein Weizenkorn zehn mal tausend Ähren hervorbringen, und jede Ähre wird zehn mal tausend Körner haben und jedes Korn wird zehn Pfund hellen feinen Weizenmehles enthalten. Genauso wie diese werden aber auch alle anderen (Pflanzen) Früchte, Saat und Halm hervorbringen. Und die Tiere alle, die sich (nur) von dem ernäbren, was sie von der Erde empfangen, werden friedfertig und in Einigkeit miteinander leben, den Menschen in vollkommenem Gehorsam untergeben. Zur Petrus-Rom-Frage s. oben S. 21 f. • Nach lrenäus, Adv. haer. V 33, 4.
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XI. Das Apostelbild in der altchristlichen Überlieferung
Zu 2. Das gnostische Traditionsprinzip begegnet uns bei Clemens von Alexandrien, der in strom. I 11, 3; VI 61, 3; VI 131, 5 und Hypotyposen, Buch 7 (nach Eusebius, h. e. II 1, 4) die von ihm gelehrte "Gnosis" unter den Schutz der apostolischen Autorität stellt. Wie er in strom. 111 betont, wollen seine "Teppiche" nichts anderes sein als ein kunstlos gefertigtes "Abbild und Schattenbild" der Lehrvorträge (.A.OYOl) jener seligen und bedeutenden Männer, die zu hören er gewürdigt wurde, und welche die wahre, unmittelbar von den heiligen Aposteln Petrus, Jakobus, Johannes 1 und Paulus stammende "Überlieferung der seligen Lehre", welche sie "wie ein Sohn vom Vater" empfangen hatten, festhielten. "Und sie reichten durch Gottes Gnade bis in unsere Zeit herein, um jene von den Vätern ererbten und apostolischen Samenkörner in uns zu säen" (ebd.). Nach Eusebius (h. e. II 1, 4) schrieb Clemens in Buch VII seiner Hypotyposen: Jakobus dem Gerechten und Johannes und Petrus übergab der Herr nach seiner Auferstehung die Gnosis, diese übergaben sie den übrigen Aposteln, die übrigen Apostel aber gaben sie den Siebzig, von denen Barnabas einer war. Die "Schau" (f}c;we[a), die das höchste Ziel des Weisen ist, kann man nach strom. VI 61, 2 nur erlangen, wenn man durch Unterrichtung erfährt, wie sich "die Gegenwart, die Zukunft und die Vergangenheit" verhalten. Clemens fügt hinzu: Diese Erkenntnis (yvwat. Die Vermutung von Hennecke (Apokr. 2, S. 174, Anm. 1): Ta r56uuvu am-wv (= ihr Untergestell) ist schwerlich vertretbar; Ta r56uuvu ist ein spezifischer Kult-
gegenstand des spartanischen Dioskurenkultes. 2 UUTeeXOI1,SvOV TOV IJ7:v",6vor;. Schimmelpfeng (Handb., S.507) liest: IJ7:ByOVr;; der Vorschlag von Hennecke (Apokr. 2, S. 174, Anm. 1): Tijr; GTu",lvTJr; (eigentlich Schiffsrippe) befriedigt auch nicht.
1. J ohannesalcten
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(Es ist nur) ein Gott, der sich unser erbarmt, denn du allein bist Gott! Jetzt haben wir uns bekehrt, da wir deine Wundertaten sehen. Erbarme dich unser, Gott, wie du (es ja) willst, und aus der großen Verirrung rette uns!" Und einige von ihnen lagen auf dem Gesicht ünd flehten, andere beugten ihre Knie und beteten, einige hatten ihre Kleider zerrissen und weinten und andere versuchten zu fliehen. 43 Johannes aber streckte seine Hände aus und sprach erhobenen Herzens zum Herrn: "Ehre sei dir, mein J esus, einziger Gott der Wahrheit, weil du deine Knechte mit mannigfachen Mitteln gewinnst." Und als er das gesagt hatte, sprach er zum Volk: "Steht vom Boden auf, Männer von Ephesus, und betet zu meinem Gott und erkennt seine unsichtbare Macht, die öffentlich sichtbar wird, und die wunderbaren Werke, die vor euren Augen geschehen! Artemis hätte *sich selbst* helfen müssen. Ihr Knecht hätte von ihr Hilfe erfahren sollen und nicht sterben dürfen. Wo ist die Macht des Dämonen (= der Göttin)? Wo sind die Opfer? Wo die Stiftungsfeste? Wo die Feiern? Wo die Kränze? Wo ist die große Zauberkunst und die ihr verschwisterte Tränkebrauerei ?" 44 Da stand das Volk vom Boden auf, lief eilends hin und riß den Rest des Götzentempels nieder, indem es schrie: "Den Gott des J ohannes allein kennen wir; ihn beten wir auch künftig an, da wir von ihm Erbarmen erfahren haben." Und als Johannes von dort hinabstieg, ergriff ihn eine große Menge, und sie sagten: "Hilf uns, J ohannes! Stehe uns bei, die wir sinnlos zugrunde gehen! Du siehst unseren Vorsatz. Du siehst die Menge, die dir folgt und sich an die Hoffnung auf deinen Gott hängt. Wir haben den Weg, auf dem wir in die Irre gingen, (als Irrweg) erkannt, da wir (ihn) verloren haben. Wir haben erkannt, daß unsere Götter vergebens *aufgestellt sind*. Wir haben das große und schimpfliche Hohngelächter über sie wahrgenommen. Doch gewähre uns - wir bitten dich -, daß uns, wenn wir zu (deinem) Haus kommen, ungehindert Hilfe widerfährt. Nimm uns an, die wir in Angst geraten sind!" 45 Da sagte Johannes zu ihnen: "Männer, glaubt, daß ich euretwegen in der Stadt der Epheser geblieben bin, obwohl es mich nach Smyrna und zu den übrigen Städten gedrängt hat, damit auch die dortigen Knechte Christi sich zu ihm bekehren. Aber da *ich zum Aufbruch veranlaßt wurde*, ohne schon völlig über euch beruhigt zu sein 0), bin ich geblieben und habe zu meinem Gott gebetet und ihn gebeten, (erst) dann aus Ephesus fortgehen (zu müssen), wenn ich euch gestärkt hätte. Und da ich sehe, daß dies *geschehen ist* und noch mehr *geschieht*, werde ich mich nicht von euch trennen, bis ich (euch) wie Kinder von der Ammenmilch entwöhnt und auf einen festen Felsen gestellt habe." Auferweckung des Artemispriesters 46 Also blieb Johannes bei ihnen und empfing sie (*) im Hause des Andronikus. Und einer der dort Versammelten hatte den toten Priester der Artemis, dessen Verwandter er war, vor dem Tor [HS fälschlich des Tempels] niedergelegt und war geschwind mit den übrigen hineingegangen, ohne jemanden etwas zu sagen. Daher sprach J ohannes nach der Predigt an die Brüder und dem Gebet und der Danksagung (Eucharistie), und als er die Handauflegung auf jeden der Versammelten vollzogen hatte, im Geist: "Unter den (Leuten) hier *ist einer*, der getrieben ist vom Glauben an Gott; (der) ist, nachdem er den Priester der Artemis vor dem Tor niedergelegt hat, hereingekommen (und) hat, da er im Verlangen seiner Seele
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seine *vornehmliche* Sorge (die) für sich selbst sein läßt, folgendes bei sich erwogen: 'Es ist besser, ich kümmere mich um den Lebenden als um meinen toten Verwandten. Ich weiß ja: wenn ich mich zum Herrn bekehrt und meine Seele gerettet habe, wird Johannes nicht dagegen eintreten, auch den Toten wieder aufstehen zu lassen'." Und Johannes erhob sich von (seinem) Platz und ging dorthin, wo der Verwandte des Priesters, der dies erwogen hatte, hingegangen war; und er nahm ihn bei der Hand und sprach: "Hast du dies erwogen, als du zu mir gekommen bist, Kind1" Da sagte *der*, von Beben und Schaudern gepackt: "Ja, Herr", und warf sich ihm zu Füßen. Und Johannes (sagte): "Unser Herr ist Jesus Christus, der seine Macht an deinem toten Verwandten erweisen wird, (*) indem er ihn wieder aufstehen läßt." 47 Und er richtete den jungen Mann auf, nahm ihn bei der Hand und sagte: "Es ist nichts *Großes* für einen Mann, der über große Geheimnisse *Gewalt hat*, sich noch mit den kleinen Dingen abzumühen. Oder was Großes ist es, daß (*) leibliche Krankheiten entschwinden1" Und während er immer noch den jungen Mann bei der Hand hielt, sprach er: "Ich sage dir, Kind, gehe hin und erwecke selbst den Verstorbenen, indem du nichts sagst als nur dies: 'Es sagt dir der Knecht Gottes, J ohannes: Steh auf!'" Der junge Mann ging hin zu seinem Verwandten und sagte nur dies, während eine große Volksmenge bei ihm war, und dann ging er mit ihm, dem (nun wieder) Lebendigen, hinein zu Johannes. Als aber Johannes den Auferweckten sah, sagte er: "Jetzt, da du aufgestanden bist, lebst du (dennoch) nicht wirklich und (bist) (dennoch) nicht Teilhaber und Erbe des wahrhaftigen Lebens. Willst du zu dem gehören, durch dessen Namen und Macht du aufgestanden bist1 So glaube nun, und du wirst leben in alle Ewigkeit." Der aber glaubte auf der Stelle an den Herrn Jesns und hielt sich fortan an Johannes. Begegnung mit einem Vatermörder
48 Tags darauf, als Johannes im Traum gesehen hatte, daß er drei Meilen außerhalb der Tore einherginge, blieb er nicht lässig, sondern stand frühmorgens auf und machte sich mit den Brüdern auf den Weg. Und (es war da) ein Landmann, der wurde von seinem Vater gemahnt, sich nicht die Frau seines Arbeitskameraden zu nehmen, während jener drohte, *ihn* [oder: *sich*] zu töten; der junge Mann (aber) ertrug die Mahnung des Vaters nicht, (sondern) schlug ihn und machte ihn stumm [nach dem Parallbericht des Ood. Q: streckte ihn plötzlich tot zu Boden]. Als aber Johannes sah, was sich zugetragen hatte, sprach er zum Herrn: "Herr, deswegen hast du mir aufgetragen, heute hierher zu kommen1" 49 Als aber der junge Mann den jähen Tod sah, da befürchtete er, ergriffen zu werden, riß die Sichel heraus, die in seinem Gürtel stak und stürzte hastig zu seiner Behausung. Doch J ohannes trat ihm entgegen und sagte: "Bleib stehen, du ruchloser Dämon, und sage mir, wohin du stürmst mit der blutgierigen Sichel!" Da ließ der junge Mann verwirrt das Eisen auf die Erde fallen und sagte ihm: "Etwas Nichtswürdiges und Unmenschliches habe ich vollführt, und ich weiß (das) und habe beschlossen, mir selbst ein noch gewaltsameres und grausameres Übel anzutun, ein für alle Male zu sterben. Denn während mich mein Vater stets ermahnte, ein keusches und ehrbares Leben zu führen, habe ich nicht ertragen, daß er mich zurechtwies, und ihn geschlagen und getötet. Und als ich sah, was geschehen war,
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wollte ich zu der Frau eilen, derentwegen ich zum Vatermörder geworden bin, darauf aus, sie zu töten und ihren Mann und als letzten vor allem auch mich selbst. Denn ich ertrage es nicht, den Blicken des Mannes d(ies)er Frau ausgesetzt zu sein, wenn ich die Todesstrafe erleide." 50 Da sagte Johannes zu ihm: "Damit ich nicht dem, der dich verlachen und verspotten will, Raum gebe, indem ich mich zurückziehe und darüber hinwegsehe, daß ihr in Gefahr seid -: Komm mit mir und zeige mir deinen Vater, wo er liegt. Und wenn ich ihn dir auferwecke, werde ich (dich) (dann auch) noch von der Frau abbringen, die dir (so) gefährlich geworden ist1" Da sagte der junge Mann: "Wenn du ihn, meinen Vater, mir lebendig aufstehen läßt und ich ihn ganz im Leben *weilen* sehe, will ich von dem Übrigen ablassen!" 51 Als er dies sagte, traten sie im Gespräch an die Stelle, wo der alte Mann tot dalag, und zahlreiche des Wegs Kommende standen an der Stelle. Da sagte J ohannes zu dem jungen Menschen: ".Armseliger, nicht einmal *das hohe Alter* deines Vaters hast du geschonM" Der aber weinte, raufte sich (das Haar) und sagte, er empfinde Reue darüber. Da sprach der Knecht des Herrn, Johannes: "Der du mir heute bedeutet hast, an diesen Ort zu kommen, der du weißt, daß dies geschehen sollte, dem *nichts* von den Taten im Leben verborgen bleiben kann, *der du mir jegliche* Heilung und Rettung gewährst, gewähre auch jetzt, daß der alte Mann (wieder) lebt, da du siehst, daß *der Mörder* sein eigener Richter geworden ist. Und schone ihn, du einziger Herr, (ihn), *der* seinen Vater *nicht schonte*, «nur) weil) der ihn zum Besten beriet." 52 Und als er dies gesagt hatte, trat er an den Greis heran und sprach: "Mein Herr wird nicht zu kraftlos sein, auch bis zu dir sein gütiges Erbarmen und nicht überhebliches Mitleid sich erstrecken zu lassen. So steh nun auf und gib Gott die Ehre an dem *faßbar* (1) gewordenen Werk!" Und der Greis sagte: "Ich stehe auf, Herr!" Und er stand auf. Als er sich (aber) aufgerichtet hatte, sagte er: "Mich, der ich frei geworden war von einem ganz schrecklichen Leben, der ich meines Sohnes furchtbare und zahlreiche Freveltaten und seine *Lieblosigkeit* *ertragen habe*, (mich) hast du zurückgerufen, Mann des lebendigen Gottes - wozu1" (Johannes aber erwiderte ihm: "Wenn) du eben dazu aufstehst, wäre es besser, du seiest tot. Doch zu Besserem erhebe dich!" Und er nahm ihn mit sich, führte ihn zur Stadt und verkündigte ihm die Gnade Gottes, so daß der Alte, bevor er ins Tor eintrat, glaubte. 53 Als aber der junge Mann die unerwartete Auferstehung seines Vaters sah und seine eigene Rettung, nahm er (die) Sichel, beseitigte seine Genitalien, lief zum Hause, in dem er die Ehebrecherin hatte, warf (sie) ihr ins Gesicht und sagte: "Deinetwegen wurde ich zum Mörder an meinem Vater und an euch beiden und an mir selbst. Da hast du das, was gleichermaßen *daran* schuld ist! Meiner hat sich Gott erbarmt, daß ich seine Macht erkenne." 54 Und er ging hin und berichtete dem Johannes angesichts der Brüder, was er getan hatte. Johannes aber sagte zu ihm: "Der dir, junger Mann, eingegeben hat, deinen Vater zu töten und Liebhaber der Frau eines anderen zu werden, der hat dir auch als gerechtes Werk hingestellt, die lästigen (Glieder) zu beseitigen. Du hättest aber nicht den (leiblichen) Sitz (des Übels) zunichte machen sollen, sondern die Gesinnung, die sich durch jene Glieder als böse erwies; denn nicht die Werkzeuge sind den Menschen schädlich, sondern die geheimen Quellen, durch die jede schädliche Regung angeregt wird und in Erscheinung tritt. Wenn du daher, mein Kind, Reue 11*
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empfindest und des Satans Listen erkannt hast, hast du Gott als deinen Helfer bei allem, was deiner Seele *nötig ist*." Und der junge Mann verhielt sich still , in Reue über seine früheren Sünden, auf daß er Vergebung erlangte von der Güte Gottes, und er trennte sich nicht von Johannes. Ruf nach Smyrna 55 Während er dies nun in der Stadt der Epheser vollbrachte, schickten die Smyrnäer Gesandte zu ihm, die sagten: "Wir hören, daß der Gott, den du verkündigst, nicht mißgünstig ist und dir aufgetragen hat, dich nicht mit Vorliebe an einem Ort nur aufzuhalten. Da du nun eines solchen Gottes Verkündiger bist, komm nach Smyrna und in die übrigen Städte, damit wir deinen Gott erkennen und, wenn wir ihn erkannt haben, in ihm Hoffnung besitzen!"
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Eine beträchtliche Lücke ist zwischen Kap. 55 und 58 anzunehmen. In Kap. 55 trifft den Apostel der Ruf "nach Smyrna und in die übrigen Städte", in Kap. 58 tritt er die Rückreise nach Ephesus an, wie die in Cod. M erhaltene Überschrift besagt, und zwar von Laodicea aus. Es muß demnach ein Reisebericbt ausgefallen sein, der von Ephesus über Smyrna und weitere Städte nach Laodicea geführt hat. Auf Grund dieser Namen und ihrer Reihenfolge hat Zahn (Neue kirchI. Ztschr. 10,1899, S. 198; Forschungen zur Gesch. d. nt!. KanonsVI, 1900, S. 197ff.) vermutet, daß es sich um eine Reise durch die sieben kleinasiatischen Städte von Offbg. 1, 11 gehandelt habe, dem Verfasser der Act. Joh. also die Apokalypse bekannt gewesen sei. Eine solche Verwertung der Apokalypse braucht allerdings nicht zu bedeuten, daß der Verfasser der Akten sie als Ganzes anerkannt und in seiner Erzählung ihre Abfassung durch J ohannes samt dem Patmosexil berichtet haben muß (vgI. Schmidt, S. 122f.); allem Anschein nach haben die AJ einen solchen Bericht nicht gehabt (s.o., S. 130f. und S. 144). Mag nun der ausgefallene Reisebericht in seinem Rahmen auf Offbg. 1, 11 beruhen oder nicht - auf jeden Fall wird er bei der langatmigen Erzählweise des Leucius einigen Umfang besessen haben. Möglicherweise hat ihm auch die nicht sicher einzuordnende Episode von Johannes und dem Rebhuhn angehört (s.o., S. 131 f.).
J ohannes und das Rebhuhn 56* Eines Tages nun, als Johannes (so) dasaß, flog ein Rebhuhn daher und kam herbei und badete sich im Staub vor ihm; und Johannes staunte, als er das sah. Es kam aber ein Priester, einer seiner Hörer, ging hin zu Johannes und sah das Rebhuhn vor ihm im Staub baden. Da nahm er Anstoß und sprach bei sich selbst: "Ein derartiger Mann in solchem Alter findet Freude an einem Rebhuhn, *das im Staub badet*~" Johannes aber erkannte im Geiste seinen Gedanken und sprach zu ihm: "Es wäre besser, auch du, mein Freund, sähest einem im Staub badenden Rebhuhn zu und beschmutztest dich nicht mit schändlichen und ruchlosen Taten. Der nämlich, der aller Bekehrung und Buße erwartet, hat dich deshalb hierher geführt. Habe ich doch ein Rebhuhn, das im Staube badet, nicht nötig; denn das Rebhuhn ist deine Seele." 57* Als der Alte das hörte und sah, daß er nicht unentdeckt geblieben war, sondern daß der Apostel Christi ihm alles, was in seinem Herzen war, gesagt hatte, da fiel er auf sein Gesicht zu Boden und rief: "Nun weiß ich, daß Gott in dir wohnt,
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seliger Johannes! Und selig ist, wer nicht Gott in dir versucht hat; denn wer dich versucht, versucht den Unversuchbaren." Er bat ihn aber, für ihn zu beten. Und (Johannes) unterwies ihn, gab ihm Regeln und entließ ihn in sein Haus, indem er Gott pries, der über allem (waltet).
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Aufbruch von Laodicea nach Ephesus Überschrift des Cod. M: Von Laodicea zum zweiten Mal nach Ephesus 58 Es war eine geraume Zeit vergangen, und keiner der Brüder war jemals von Johannes betrübt worden; dann (aber) wurden sie betrübt, weil er gesagt hatte: "Brüder, es ist nunmehr Zeit, daß ich nach Ephesus komme, - denn so bin ich mit denen, die dort weilen, übereingekommen -, damit sie nicht leichtfertig werden, weil sie lange Zeit keinen Menschen haben, der sie stärkt. Ihr alle aber richtet euren Sinn auf Gott, der uns nicht im Stich läßt." Als die Brüder das von ihm hörten, waren sie betrübt, da sie von ihm getrennt wurden. Aber Johannes sagte: "Wenn ich auch von euch scheide, so ist doch Christus immer mit euch. Wenn ihr ihn lauter liebt, werdet ihr die von ihm (herrührende) Gemeinschaft unverlierbar besitzen; denn er kommt, wenn er geliebt wird, denen, die ihn lieben, zuvor."! 59 Und als er das gesagt, ihnen Anweisungen gegeben [Ood. R: sich von ihnen verabschiedet] und den Brüdern viel Geld zur Verteilung zurückgelassen hatte, ging er davon nach Ephesus, während alle Brüder betrübt waren und jammerten. Es waren aber mit ihm aus Ephesus gekommen Andronikus und Drusiana sowie Lykomedes und Kleobius und deren Leute. Es folgte ihm auch Aristobula, die erfahren hatte, daß ihr Mann Tertullus unterwegs gestorben war, und Aristippus zusammen mit Xenophon, die sittsame Dirne und mehrere andere, die er immer wieder auf den Herrn wies und die sich nicht mehr von ihm trennen wollten. Die gehorsamen Wanzen
60 Als wir aber am ersten Tag in einer verlassenen Herberge anlangten und wegen eines Bettes für Johannes in Verlegenheit waren, erlebten wir einen lustigen Vorfall. Es stand dort irgendein Bett ohne Decken, darauf breiteten wir die Mäntel, die wir bei uns hatten, und forderten ihn auf, sich darauf zu legen und auszuruhen, während wir übrigen alle auf dem Boden schliefen. Als er sich nun niedergelegt hatte, wurde er von den Wanzen belästigt; und als sie ihm immer lästiger wurden und es schon Mitternacht geworden war, sagte er zu ihnen, während wir alle es hörten: "Ich sage euch, ihr Wanzen, seid allesamt einsichtig, verlaßt für diese Nacht eure Heimstatt, verhaltet euch ruhig an einem Ort und bleibt fern von den Knechten Gottes!" Und während wir lachten und uns noch länger unterhielten, ergab sich Johannes dem Schlaf. Wir aber sprachen nur noch leise und blieben dank seiner unbelästigt. 61 Als aber der Tag *heraufdämmerte*, stand ich schon als erster auf und mit mir Verus und Andronikus; und da sahen wir an der Tür des Raumes, den wir belegt hatten, eine Menge Wanzen sich aufhalten. Als wir hinausgetreten waren, um sie ganz in Augenschein zu nehmen, und auch alle Brüder sich ihretwegen er1
Vgl. 1. Joh. 4,19.
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hoben hatten, schlief Johannes (noch). Und als er erwacht war, zeigten wir *ihm*, was wir sahen. Er aber richtete sich (im) Bett auf, sah sie und sprach: "Da ihr einsichtig wart und euch vor meiner Strafe gehütet habt, (so) geht (nun wieder) an euren Platz." Und als er das gesagt hatte und vom Bett aufgestanden war, eilten die Wanzen behende von der Tür zum Bett, stiegen an dessen Beinen empor und verschwanden in den Ritzen. Und J ohannes sagte wiederum: "Dieses Getier hörte die Stimme eines Menschen und hielt sich still für sich, ohne (den Befehl) zu übertreten. Wir aber hören die Stimme Gottes und sind seinen Geboten ungehorsam und leichtfertig - und wie lange1" Zweiter Aufenthalt in Ephesus (Kap. 62-115) Ankunft in Ephesus
62 Danach kamen wir nach Ephesus, und als die dortigen Brüder gewahr geworden waren, daß Johannes nach hinlänglicher Zeit zurückgekehrt war, liefen sie im Anwesen des Andronikus, wo auch er einkehrte, zusammen, berührten seine Füße und legten sich seine Hände aufs Gesicht und küßten sie. [Ps-Abdias: Viele wurden auch durch das Berühren seiner Kleidung froh gemacht und, weil sie den Mantel des heiligen Apostels berührt hatten, geheilt]. Drusiana und Kallimachus 63 Während große Liebe und grenzenlose Freude bei den Brüdern herrschten, verliebte sich einer, ein Abgesandter des Satans, in Drusiana, obwohl er sah und wußte, daß diese die Frau des Andronikus war. Die meisten sagten ihm: "Es ist unmöglich, daß du diese Frau gewinnst, hat sie sich doch schon lange ihrer Gottesfurcht halber von ihrem Mann getrennt. Weißt du allein nicht, daß Andronikus, der zuvor nicht das war, was er jetzt ist, ein gottesfürchtiger Mann, sie in eine Grabkammer eingeschlossen und gesagt hatte: 'Entweder kann ich dich als die Frau besitzen, als die ich (dich) früher hatte, oder du sollst tot sein!' Und sie zog es eher vor zu sterben als jenes Ekelhafte zu vollführen. Wenn sie nun aus Gottesfurcht ihrem Gebieter und Mann nicht die Zustimmung zum Umgang gegeben hat, sondern diesen dazu bewegte, die gleiche Gesinnung zu hegen, soll sie da mit dir übereinkommen, der du *mit ihr* zum Ehebrecher werden willst1 Laß ab von dem Wahn, der keine Ruhe in dir hat! Laß ab von dem Unterfangen, das du nicht zum Ziele führen kannst!" 64 Aber seine vertrauten Freunde überzeugten ihn mit diesen Worten nicht; vielmehr besaß er die *Unverschämtheit*, ihr Botschaft zuzusenden. Als *sie* die Kränkungen und Zuchtlosigkeiten *seinerseits* *gewahr wurde*, verbrachte sie *ihr* Leben in Verzagtheit; nach zwei Tagen aber legte sich Drusiana hin, bekam vor Verzagtheit Fieber und sprach: "Wäre ich doch nicht in meine Vaterstadt gekommen, die ich einem Mann zum Ärgernis geworden bin, der mit der Gottesfurcht nicht vertraut ist. Denn wäre einer von (Gottes) *Wort erfüllt*, *er wäre* nicht in solche Raserei *verfallen*. Doch nun, Herr, da ich mitschuldig geworden bin an dem Schlag für eine unwissende Seele, erlöse mich von dieser Fessel und versetze mich alsbald zu dir!" Und in Gegenwart des J ohannes, ohne daß überhaupt jemand die (näheren) Umstände gewahr geworden war, schied Drusiana aus dem
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Leben, durchaus nicht freudig, sondern betrübt ob der seelischen Zerrüttung jenes (Menschen). 65 Andronikus aber, betrübt von heimlichem Leid, trauerte in seiner Seele, weinte aber auch öffentlich, so daß J ohannes (ihn) oft zum Schweigen brachte und ihm sagte: "Zu einer besseren Hoffnung ist Drusiana hinübergegangen aus diesem ungerechten Leben." Und Andronikus antwortete ihm: "Ich bin auch (davon) überzeugt und zweifele durchaus nicht an dem Glauben an meinen Gott. Aber vor allem halte ich daran fest, daß sie rein aus dem Leben geschieden ist." 66 Als sie aber bestattet war, nahm sich Johannes des Andronikus an, und als er den Grund (für das, was vorgefallen war,) erfahren hatte, trauerte er (noch) mehr als Andronikus. Und er schwieg, da er die Bosheit des Feindes erblickte, und saß für eine kleine Weile da. Dann, als sich die Brüder versammelt hatten, um zu hören, welche Worte er im Bezug auf die Abgeschiedene sprach, begann er zu reden: 67 "Wenn der Steuermann, der zusammen mit der Schiffsmannschaft und dem Schiff selbst zur See fährt, in einen stillen und sturmfreien Hafen einläuft, dann erst soll er sagen, er sei gerettet. Und der Bauer, der der Erde die Saat anheimgegeben und sich mit ihrer Pflege und Bewahrung viel Mühe gemacht hat, *soll* dann erst Ruhe von seinen Mühen *haben*, wenn er die vielfach vermehrte Saat im Vorratshaus aufgespeichert hat. Wer in der Rennbahn einen Lauf auf sich genommen, soll sich dann erst freuen, wenn er den Kampfpreis erlangt hat. Wer sich (zum) Faustkampf hat eintragen lassen, soll sich dann erst rühmen, wenn er die Kränze empfangen hat. Und (desgleichen können als erfolgreich gelten) der Reihe nach alle Wettkämpfe und Fertigkeiten jeweils (erst) dann, wenn sie am Ende nicht leer sind, sondern sich *so* erweisen, *wie* sie angekündigt worden sind (?)." 68 "Ebenso ist es, meine ich, auch mit dem Glauben, den ein jeder von uns übt. Dann entscheidet es sich, ob er wirklich wahr ist, wenn er bis über das Leben hinaus gleich geblieben ist. Denn viele Hindernisse kommen der menschlichen Überlegung in die Quere und bereiten ihr Verwirrung: Sorge, Kinder, Eltern, Glanz, Armut, Schmeichelei, Jugendkraft, Schönheit, Prahlerei, Begierde, Reichtum [oder: Begierde *nach Reichtum*O)J, Zorn, Überhebung, Leichtfertigkeit, Neid, *Leidenschaft*, Eifersucht, Gleichgültigkeit, Zuchtlosigkeit, Sinnlichkeit, Trug [oder mit Ps-Abdias: *Sklaven*J, Geld, Ausflucht und anderes, was in diesem Leben hinderlich ist, wie sich auch dem Steuermann, der in ruhiger Fahrt dahingleitet, der Ansturm widriger Winde, ein schwerer Sturm und hoher Seegang aus ruhiger See entgegenstellt und dem Bauer ein vorzeitiger Winter und Meltau und Gewürm, das aus der Erde zum Vorschein kommt, und den Wettkämpfern das 'um ein Haar' (1) und denen, die Fertigkeiten ausüben, die daraus (entspringenden Hemmnisse)." 69 "Es muß aber vor allen anderen der gläubige Mensch vorausschauen auf den Ausgang und erforschen, welcher Art (er ist, wenn) er herankommt - ob kraftvoll und nüchtern und ohne etwas Hinderliches, oder (ob) verwirrt und dem, was in der Welt ist, schmeichelnd und umstrickt von Begierden. So kann man auch einen Leib (nur dann) als wohlgestaltet loben, wenn er sich ganz enthüllt hat, und einen Feldherrn (nur dann) als groß, wenn er das angekündigte Kriegsziel ganz ins Werk gesetzt hat, und als tüchtigsten Arzt (nur) den, der bei jeder Heilung Erfolg hat, und eine Seele (nur dann) als (voll) des Glaubens und Gottes *würdig*, wenn sie das vollführt hat, was dem (von ihr) Versprochenen angemessen ist; (aber man kann als solche) weder (diejenige Seele preisen), die zwar (gut) begonnen hat, aber (dann) *abgeglitten ist* in all die Dinge d(ies)es Lebens und zuschanden geworden
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ist, noch die erlahmte, die (zunächst) heftig bemüht war, zu den Besseren zu gehören, dann aber zum Vergänglichen hinabgerissen wurde, noch die, die mehr nach dem Zeitlichen als nach dem Ewigen verlangt hat, noch die, die sich (das Bleibende für) das nicht Bleibende eingetauscht hat, noch die, die in Ehren gehalten hat, was keiner Ehre wert ist, (noch die, die)1 Freveltaten (liebgewonnen hat)!, noch die, die Handgeld vom Satan angenommen hat, noch die, die in ihrem Haus die Schlange aufgenommen hat, noch die Gottes wegen geschmähte, die sich dann (dessen) (*) schämt, noch die, die zwar mit dem Munde Ja sagt, aber durch die Tat *sich* nicht (entsprechend) *erweist*. (Zu rühmen ist) vielmehr die (Seele), die es auf sich genommen hat, nicht von schmutziger Lust *zu entbrennen*, der Leichtfertigkeit nicht zu erliegen, sich von der Geldgier nicht verlocken zu lassen, sich von der Vollkraft des Leibes und dem Zorn nicht verraten zu lassen." 70 Und während Johannes noch mehr Worte an die Brüder richtete, daß diese um (der ewigen Dinge) die vergänglichen verachteten, bestach der Liebhaber der Drusiana, erfaßt von schrecklichster Begierde und dem Wirken des vielgestaltigen Satans, mit einer erklecklichen Summe den geldgierigen Verwalter des Andronikus. Der öffnete die Grabkammer der Drusiana und gewährte (es ihm), das Versagte an dem toten Leib zu vollführen. Da er sie, als sie (noch) lebte, nicht *gewonnen hatte*, ließ er nach ihrem Tod nicht ab von ihrem Leib und sprach: "Wenn du auch als Lebende nicht mit mir verkehren *wolltest*, so will ich dich doch nach dem Tode als Leichnam schänden." Das hatte er im Sinn, und nachdem er sich (den Weg für) seine gottlose Tat vermittelst des ruchlosen Verwalters bereitgemacht hatte, stürmte er zusammen mit diesem zum Grab. Und als sie die Tür geöffnet hatten, begannen sie, dem Leichnam die Totengewänder auszuziehen, indem sie sagten: "Was hat es dir genützt, unglückliche Drusiana? Hättest du nicht, als du noch lebtest, dieses tun können, was dich schwerlich betrübt hätte, hättest du es freiwillig getan?" 71 Und als sie dieses sagten und (ihr) nur noch das gewohnte *Hemd* auf ihrem Leib blieb, bot sich ein ungewöhnliches Schauspiel, welches Leute, die *solches* tun, zu erleben verdienen. Von irgendwoher erschien eine Schlange, versetzte dem Verwalter einen einzigen Biß (und) tötete ihn (so) auch. Jenen jungen Mann jedoch biß sie nicht; vielmehr wand sie sich schrecklich zischend um seine Füße, und als er hinfiel, begab sich die Schlange hinauf (auf ihn) und ließ sich auf ihm nieder. 72 Tags darauf begab sich J ohannes zusammen mit Andronikus und den Brüdern am frühen Morgen zum Grab - denn Drusiana war (jetzt) den dritten Tag (tot) -, auf daß wir dort das Brot brächen. Und (gleich) zuerst, als wir aufbrachen, waren die Schlüssel nicht zu finden, als man sie suchte. Da sagte J ohannes zu Andronikus: "Aus gutem Grund sind sie verloren gegangen; Drusiana ist nämlich nicht in der Grabkammer. Aber laßt uns dennoch hingehen, damit du nicht leichtfertig seiest, und die Türen werden sich von selbst öffnen, wie uns der Herr ja auch vieles andere gewährt hat." 73 Als wir an die Stelle kamen, öffneten sich die Türen auf Befehl des Meisters, und *wir sahen* beim Grab der Drusiana einen schönen Jüngling, der lächelte. Als Johannes den sah, schrie er und sprach: "Auch hier kommst du uns zuvor, Schöner? Weshalb denn?" Und er hörte eine Stimme, die zu ihm sagte: "Drusianas wegen, die du auferwecken sollst - fast *hätte ich* sie *geschändet* *gefunden* und wegen *dessen*, der nahe bei ihrer Grabstätte *seinen Geist ausgehaucht 1
Ergänzungen nach Ps-Abdias.
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hat*." Und als der Schöne das zu Johannes gesagt hatte, stieg er hinauf zum Himmel, während wir alle es sahen. Als Johannes sich aber zur anderen Seite der Grabkammer wandte, sah er einen jungen Mann, einen (der) Vornehmsten der Epheser, den Kallimachus - *so* hieß er nämlich - und eine riesige Schlange auf ihm schlafen, sowie den Verwalter des Andronikus, Fortunatus genannt, (und zwar) tot. Und als er die beiden sah, stand er ratlos da und sagte zu den Brüdern: "Was bedeutet dieses Schauspiel? Oder weswegen hat mir der Herr nicht offenbar gemacht, was hier vor sich gegangen ist, wo er mich doch noch nie außer acht gelassen hat1" 74 Und als Andronikus jene Toten sah, sprang er auf und ging zur Grabstätte der Drusiana. Und als er sie nur im Hemd sah, sagte er zu Johannes: "Ich habe erkannt, was geschehen ist, seliger Knecht Gottes J ohannes! Dieser Kallimachus war verliebt in meine Schwester. Und da er sie nicht gewann, obwohl er das oftmals versuchte, hat er diesen meinen fluchwürdigen Verwalter mit einer erklecklichen Summe bestochen, da er sich jedenfalls vorgenommen hatte, wie es ja jetzt zu erkennen ist, das Trauerspiel seiner Hinterlist durch ihn zu *vollführen*; denn Kallimachus hat vielen dies eingestanden: 'Und wenn sie lebend nicht mit mir übereinkommen will, soll sie als Tote geschändet werden!' (Das) hat wohl, Meister, der Schöne erkannt und nicht zugelassen, daß ihr (sterblicher) Rest geschändet werde, und darum sind diese, die das gewagt haben, gestorben. Hat nicht die Stimme, die zu dir gesagt hat: 'Erwecke die Drusiana!' dieses vorweg offenbart1 Ist sie doch in Kummer aus diesem Leben geschieden. Ich glaube aber dem, der gesagt hat, daß dieser zu den irregeleiteten Menschen gehört. Denn du hast ja den Befehl erhalten, ihn aufstehen zu lassen. Von dem anderen freilich weiß ich, daß er die Rettung nicht verdient. Doch um dieses eine bitte ich dich: Erwecke zuerst den Kallimachus auf, und dieser soll uns bekennen, was geschehen ist!" 75 Johannes blickte auf den Leichnam und sprach zu dem giftigen Reptil: "Laß ab von dem, der Jesus Christus dienen soll!" Dann stand er auf und betete folgendermaßen: "Gott, dessen Name von uns geziemend gepriesen wird; Gott, der du jegliche schädliche Kraft bezwingst, Gott, dessen Wille in Erfüllung geht, der du uns allzeit *erhörst*, auch jetzt komme deine Gabe zur Vollendung an diesem jungen Mann hier. Und wenn durch ihn irgend eine Heilsfügung vor sich gehen soll, (dann) zeige uns diese an, wenn er auferweckt ist." Und sogleich stand der junge Mann auf und verhielt sich eine Stunde lang still. 76 Als er aber zur Besinnung gelangt war, fragte ihn Johannes nach seinem Eindringen in die Grabkammer, was es bedeutete. Und als er von ihm erfahren hatte, was auch Andronikus gesagt hatte, daß er nämlich in Drusiana verliebt gewesen sei, da fragte ihn Johannes wiederum, ob er *zum Ziele* gekommen sei mit dem unsauberen (Vorhaben), (den) von Ehrbarkeit erfüllten (sterblichen) *Rest* zu schänden. Er aber antwortete ihm: "Wie hätte ich das denn ausführen können, da dieses schreckliche Tier den Fortunatus vor meinen Augen mit einem einzigen Biß niederwarf - und zwar zu Recht, denn er ermutigte diesen meinen Wahnwitz, als ich schon von jenem unschicklichen und schrecklichen Wahn abgelassen hatte -, mich aber vor Furcht (still)stehen ließ und in einen solchen Zustand versetzte, wie ihr es gesehen habt, *bevor* ich aufstand. Aber noch etwas anderes, Wunderbareres will ich dir berichten, was mich noch mehr zunichte gemacht und fast getötet hat. Als meine Seele *dem Wahnsinn Raum gegeben hatte* und die nicht zu bändigende Krankheit mich aufwühlte und ich schon die Totengewänder,
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mit denen sie bekleidet war, geraubt hatte und mich dann von der Grabstätte entfernt und sie hingelegt hatte, wie du siehst, kehrte ich zurück zu meinem abscheulichen Werk, und da sah ich einen schönen Jüngling, der sie mit seinem Mantel bedeckte. Von seinem Antlitz gingen Lichtstrahlen aus zu ihrem Antlitz. Der richtete das Wort auch an mich und sagte: 'Kallimachus, stirb, auf daß du lebst!' Wer es nun war, wußte ich nicht, Knecht Gottes. Da du aber hier erschienen bist, erkenne ich sehr wohl, daß er ein Engel Gottes ist. Das aber weiß ich wahrhaftig, daß der wahre Gott von dir verkündigt wird, und davon bin ich überzeugt. Aber ich bitte dich, versäume es nicht, mich von solchem Unglück und schrecklichem Frevelmut zu befreien und mich zu deinem Gott zu bringen als einen Menschen, der in die Irre geführt ist durch schändliche und abscheuliche Verführung. Da ich also der Hilfe von dir bedarf, berühre ich deine Füße. Ich will einer von den Leuten werden, die auf Christus hoffen, damit die Stimme wahr sei, die hier zu mir gesagt hat: 'Stirb, auf daß du lebst!' Sie hat auch ihre Wirkung sich schon erfüllen lassen. Denn jener ist gestorben, der Ungläubige, der Zuchtlose, der Gottlose; ich aber bin von dir auferweckt worden, der ich gläubig, gottesfürchtig (sein) will, der ich die *Wahrheit* erkenne, *von der* ich erbitte, *daß sie* mir durch dich kundgetan wird." 77 Und J ohannes, von großer Freude ergriffen und in Betrachtung des ganzen Schauspiels der Rettung des Menschen (versunken) sprach: "Ach, wie mächtig du bist, Herr Jesus Christus, weiß ich nicht, der ich ratlos bin ob deiner großen Barmherzigkeit und unendlichen Langmut. 0, welche Größe, die in die Knechtschaft herabgestiegen ist! 0, unaussprechliche Freiheit, die von uns geknechtet ward! 0, unbegreifliche Herrlichkeit für uns! Der du auch die entseelte Hülle ungeschändet bewahrt hast, (du) der Erlöser (auch) des Menschen, der sich mit Blut befleckt hat, und der du (die Seele) dessen, der vergängliche Leiber (schändete), zur Besinnung gebracht hast; (du) der Vater, der Erbarmen und Mitleid gehabt hat mit den unbekümmerten Menschen. Wir preisen dich und rühmen dich und loben dich und sagen dir Dank für deine große Güte und Langmut, heiliger J esus; denn du bist allein Gott und kein anderer, dessen Macht allen Anschlägen enthoben ist, jetzt und in alle Ewigkeit. Amen." 78 Und als Johannes das gesagt hatte, nahm er den Kallimachus, küßte ihn und sprach: "Ehre sei Gott, mein Kind, der sich deiner erbarmt hat und dich gewürdigt hat, seine Kraft zu preisen, und auch dich für wert gehalten hat, auf (zielstrebig) geplantem Wege von deinem *derzeitigen*l Wahn und Rausch freizukommen, und dich zu deiner Ruhe und zur Erneuerung des Lebens gerufen hat." 79 Als Andronikus sah, daß der tote Kallimachus auferweckt war, bat er zusammen mit den Brüdern den Johannes, auch die Drusiana aufzuerwecken, und sagte: "Drusiana soll aufstehen und glücklich die kurze Zeit (des Lebens) vollbringen, die sie aufgegeben hatte aus Kummer des Kallimachus wegen, da sie glaubte, sie sei *ihm* Anstoß geworden. Und dann, wenn der Herr will, wird er sie zu sich nehmen." Und Johannes zögerte nicht, trat an ihr Grab, ergriff ihre Hand und sprach: "Der du allein Gott bist, dich rufe ich an, den Übergroßen, den Unaussprechlichen, den Unbegreiflichen, dem jegliche archontische Macht unterworfen ist, dem sich jegliche Herrschaft *beugt*, vor dem jegliche Eitelkeit nieder1 Cod. R: Tijc; naea aoii e~etvTJt; aov paviat; (Cod. M verkürzt den ganzen Satz); Emendation von Rostalski, S. 21: Tijt; naea~BtpivTJt; aov paviat;.
1. Johannesakten
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fällt und Ruhe gibt, von dem die Dämonen mit Schaudern hören 1, ob dessen Betrachtung die ganze Schöpfung Maß hält - gepriesen werde dein Name von uns; so erwecke denn die Drusiana auf, damit Kallimachus (noch) mehr (in dir) bestärkt werde, der du fügst, was für Menschen zwar ausweglos und unmöglich ist, (nämlich) Heil und Auferstehung, was dir allein aber möglich ist, und damit Drusiana *nunmehr* beruhigt (aus dem Grab) *hervorgehe*, da sie ja, weil der junge Mann sich bekehrt hat, nicht das kleinste Hindernis mit sich trägt *in ihrem Sehnen* nach dir." 80 Als Johannes das gesagt hatte, sprach er zu Drusiana: "Drusiana, steh auf!" Sie aber stand auf und ging aus dem Grab hervor. Und als sie *sich* nur im Hemd sah, war sie im Unklaren über das Geschehen; und als sie alles von Andronikus erfahren hatte, während Johannes auf seinem Antlitz lag und Kallimachus mit (erhobener) Stimme und Tränen Gott pries, da jubelte auch sie und pries (Gott) gleichermaßen. 81 Als sie sich aber angezogen hatte, da wandte sie sich um und sah den Fortunatus liegen. Da sprach sie zu Johannes: "Vater, auch dieser soll aufstehen, wenn er auch noch so sehr zum Verräter an mir zu werden versucht hat." Als aber Kallimachus sie das sagen hörte, sprach er : "Nein, ich bitte dich, Drusiana; denn die Stimme, die ich gehört habe, hat seiner nicht gedacht, sondern nur über dich verkündet, und da ich gesehen habe, bin ich gläubig geworden. Wäre er nämlich gut, so hätte sich wohl auch Gott seiner erbarmt und ihn durch den seligen Johannes auferweckt. Er wußte (?) also, daß der Mann einen schlimmen Tod gefunden hatte [Ps-Abdias: Er erachtete den des Todes wert, den er nicht für der Auferstehung würdig erklärte]." Da sagte ihm Johannes: "Wir haben nicht gelernt, mein Kind, Böses mit Bösem zu vergelten 2. Denn auch Gott hat, obwohl *wir* viel Böses und nicht Gutes ihm gegenüber getan haben, uns dafür nicht Vergeltung, sondern (Gelegenheit zur) Buße gegeben; und obwohl wir seinen Namen nicht kannten, hat er uns nicht vergessen, sondern sich erbarmt; und obwohl wir gelästert haben, hat er uns nicht gestraft, sondern Mitleid gehabt; und obwohl wir ungläubig waren, hat er uns nicht gegrollt; und obwohl wir seine Brüder verfolgt haben, hat er uns nicht vergolten, sondern hat uns Buße eingegeben und Enthaltung vom Bösen und hat uns zu sich gerufen, wie er auch dich, mein Kind Kallimachus, ohne ob des Früheren zu grollen, zu seinem Knecht *gemacht hat* durch sein *abwartendes* Erbarmen. Wenn du daher (mir) nicht zugestehst, den Fortunatus *aufstehen zu lassen*, so ist es Sache der Drusiana." 82 Sie aber zögerte nicht und ging im Jubel ihrer Seele und ihres Geistes zum Leichnam des Fortunatus und sagte: "Gott der Äonen, Jesus Christus, Gott der Wahrheit, der du mir Wunder und Zeichen zu sehen gewährt hast, der du mir die Gnade erwiesen hast, deines Namens teilhaftig zu werden, der du dich mir selbst *offenbar gemacht*3 hast mit deinem vielgestaltigen Antlitz und dich auf mannigfache Weise erbarmt hast, der du mich, als ich von meinem vormaligen Ehemann Andronikus Gewalt litt, mit deiner großen Güte beschützt hast, der du mir (dann) deinen Knecht Andronikus als meinen Bruder gegeben hast, der du mich, deine Vgl. Jak. 2, 19. Vgl. Röm. 12, 17; 1. Thess. 5, 15; 1. Petr. 3, 9. a Die von Zahn (Neue kirchl. Ztschr.10, 1899, S.201, Arun.1) vorgeschlagene Konjektur EP,ffJa'Vtaa, dürfte dem Ep,ffJVaijaa, (= der du eingehaucht hast) des Cod. R vorzuziehen sein und wird auch von Hennecke (Handb., S. 518) befürwortet. 1
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Magd, bis jetzt rein bewahrt hast, der du mich, da ich *gestorben war*, durch Johannes, deinen Diener, hast aufstehen lassen, der du *mir* auch, als *ich auferweckt war*, den, der (an mir) Anstoß genommen hatte, frei von Anstoß gezeigt hast, der du mir bei dir vollkommene Ruhe gegeben hast und mich erleichtert hast von dem verborgenen Wahn, (der), den ich zutiefst liebgewonnen habe - ich bitte dich, Christus, du wollest deine Drusiana nicht abweisen, wenn sie dich darum angeht, den Fortunatus *aufstehen zu lassen*, wenn er auch noch so sehr versucht hat, zum Verräter an mir zu werden." 83 Und sie ergriff die Hand des Toten und sprach: "Steh auf, Fortunatus, im Namen unseres Herrn Jesus Christus!" Fortunatus aber stand auf und sah Johannes in der Grabkammer und Andronikus und Drusiana, die von den Toten auferweckt war, und Kallimachus *als Gläubigen* und die übrigen Brüder, wie sie Gott priesen; da sagte er: "Ach, bis wohin ist die Macht dieser furchtbaren Menschen vorgedrungen! Ich wollte, ich wäre nicht auferweckt, sondern lieber tot, damit ich sie nicht sähe!" Und als er das gesagt hatte, ergriff er die Flucht und lief hinaus aus der Grabkammer. 84 Und als J ohannes die unwandelbare Seele des Fortunatus erkannte, sprach er: "Ach, Natur, die *sich* nicht zum Besseren *wendet*, ach, Quelle einer Seele, die im Schmutz verharrt, ach, Wesen des Verderbens voll von Finsternis, ach Tod, der du unter den Deinen tanzt, ach Baum ohne Frucht voll von Feuer, ach Holz, das als Frucht Kohle *trägt*, ach Materie, mit dem Wahn der Materie zusammengehörig und dem Unglauben benachbart1! Du hast dargetan, wer du bist, und du wirst stets überführt mit deinen Kindern; und das Vermögen, das Bessere zu preisen, kennst du nicht, denn du hast es nicht; so ist denn wie dein Weg [oder: deine *Frucht* (1)] auch die Wurzel und Natur. Sei fern von denen, die auf den Herrn hoffen, von ihren Gedanken, von ihrer Vernunft, von ihren Seelen, von ihren Leibern, von ihrem Tun, von ihrem Leben, von ihrem Wandel, von ihrer Beschäftigung, von ihrer Tätigkeit, von ihrem Rat, von ihrer Auferstehung zu Gott, von ihrem Wohlgeruch, an dem du Anteil haben willst, von ihrem Fasten, von ihren Gebeten, von ihrem heiligen Bad, von ihrer Eucharistie, von ihrer fleischlichen Nahrung, von ihrem Trank, von ihrer Kleidung, von ihrem Liebesmahl (ayan'Y)) , von ihrer *Bestattung*, von ihrer Enthaltsamkeit, von ihrer Gerechtigkeit; von alle diesem wird dich, verruchtester Satan, Jesus Christus entfernen, unser Gott und (Richter> derer, die dir gleichen und deine Art haben." 85 Als Johannes das gesagt hatte, nahm er Brot, brachte es in die Grabkammer, um es zu brechen, und sprach: "Wir preisen deinen Namen, der du uns aus der Verirrung und erbarmungslosen Betörung bekehrt hast; wir preisen dich, der du uns vor Augen gezeigt hast, was wir gesehen haben. Wir legen Zeugnis ab für deine Güte, *die auf mannigfache Weise in Erscheinung tritt*; wir loben deinen guten Namen, Herr; (wir danken dir>, der du die von dir Überführten dargetan hast; wir danken *dir*, Herr J esus Christus, daß wir Vertrauen setzen (in deine Gnade>, 1 w iJA'f} VAop,avtar; aVVOt~e ~ai amrntar; 'Yei'l:ov. Schimmelpfeng (Apokr. 1, S. 450,13f.) übersetzt: ,,0 Wald mit Bäumen voll ungesunder Schößlinge, Nachbar des Unglaubens!" Obwohl VAop,avta lexikalisch nur als "geiles Hervortreiben von Schößlingen" belegt ist (Stephanus, Thesaurus s. v.), wird man iJA'f} in diesem Zusammenhang besser als "Materie" verstehen; BO auch James (S. 249): ,,0 matter, that dwellest with the madness of matter and neighbour of unbelief. "
1. J ohannesakten
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die unveränderlich ist; wir danken *dir*, der du Bedürfnis gehabt hast (*) nach der (menschlichen) Natur, die da gerettet wird; wir danken dir, der du uns diesen unabdinglichen (Glauben) gegeben hast, daß du allein (Gott) bist jetzt und immerdar; wir, deine Knechte, die wir mit (gutem) Grund zusammengekommen und gesammelt (1) sind, danken dir, Heiliger." 86 Und als er gebetet und (Gott) gepriesen hatte, ging er hinaus aus der Grabkammer, nachdem er allen Brüdern an der Eucharistie des Herrn teilgegeben hatte. Und als er in das Anwesen des Andronikus gekommen war, sagte er zu den Brüdern: "Brüder, ein Geist in mir hat geweissagt, daß Fortunatus durch die Schwärze (= Vergiftung) infolge des Schlangenbisses gestorben sein *muß*. Doch es soll jemand schnell hingehen und nachforschen, ob es sich auch so verhält." Da lief einer von den jungen Leuten und *fand* dann auch, daß er gestorben war und die Schwärze sich ausgebreitet und sein Herz erfaßt hatte. Und er ging hin und meldete dem Johannes, daß er (schon) drei Stunden tot sei. Und Johannes sprach: ,,(Da) *hast du* dein Kind, Teufel!" [Kap. 87-105 der Zählung Bonnets s.o., S. 150ff.]
Metastasis (Kap. 106-115) Letzter Gottesdienst des J ohannes
106 Es war also Johannes mit den Brüdern zusammen und freute sich im Herrn. Am folgenden Tag aber, als es Sonntag war, begann er, als alle Brüder versammelt waren, zu ihnen zu reden: "Brüder, Mitknechte, Miterben und Mitgenossen am Reich des Herrn, ihr kennt den Herrn, wie viele Machttaten er durch mich gewährt hat, wie viele Wunder, wie viele Heilungen, wie viele Zeichen, welche Gnadengaben, Lehren, Leitungen, Erquickungen, Dienste, Erkenntnisse, Herrlichkeiten, Gnade, Geschenke, Glauben(sbeweise), Gemeinschaft(sbeziehungen), alles, was euch, wie ihr vor Augen gesehen habt, von ihm gegeben ist, was mit diesen Augen nicht gesehen noch mit diesen Ohren gehört wird. Werdet daher fest in ihm, indem ihr seiner gedenkt in all eurem Tun, da ihr wißt, weswegen der Herr das für (die) Menschen geschehene Mysterium der Heilsfügung vollführt hat. Er bittet euch durch mich, Brüder, und fordert euch auf, da er ohne Trübsal bleiben will, ohne Frevel, Nachstellung und Qual zu erfahren. Er kennt ja auch Frevel von eurer Seite, er kennt auch Unehre, er kennt auch Nachstellung, er kennt auch Qual von Seiten derer, die seinen Geboten nicht gehorchen." 107 "Darum soll unser guter Gott nicht betrübt werden, der Barmherzige, der Mitleidige, der Heilige, der Reine, der Unbefleckte, der Immaterielle, der Einzige, der Eine, der Unveränderliche, der Hehre, der Truglose, der Zornfreie, unser Gott Jesus Christus, der höher und erhabener ist als jede von uns ausgesprochene oder gedachte Prädikation. Er soll sich mit uns freuen, wenn wir einen guten Lebenswandel führen; er soll seine Freude haben, wenn wir rein leben; er soll sich erquicken, wenn wir ehrbar wandeln; er soll unbesorgt sein, wenn wir enthaltsam leben; er soll sich erfreuen, wenn wir Gemeinschaft halten; er soll lächeln, wenn wir mäßig sind; er soll sich ergötzen, wenn wir ihn lieben. Das, Brüder, predige ich euch jetzt, da ich zu dem mir vorgesetzten Werk eile, das vom Herrn schon vollendet wird. Was hätte ich denn anderes zu euch zu sagen1 Ihr habt die Unterpfänder unseres Gottes; ihr habt die Angelder seiner Güte; ihr habt seine unausweichliche Gegen-
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
wart. Wenn ihr nun nicht mehr sündigt, vergibt er euch, was ihr in Unkenntnis getan habt. Wenn ihr aber, da ihr ihn erkannt habt und von ihm Erba=en erfahren habt, wieder in dergleichen wandelt, wird euch auch das Frühere angerechnet werden und ihr werdet keinen Teil und kein Erbarmen vor ihm haben." 108 Und als er das zu ihnen gesagt hatte, betete er folgendermaßen: "Der du diesen Kranz durch dein Flechten geflochten hast, Jesus, der du diese vielen Blüten in die unverwelkliche Blüte deines Antlitzes eingefügt hast, der du (mir) U) diese Worte (ins Herz) gesät hast, der (du) allein Beschützer deiner Knechte (bist) und Arzt, der umsonst heilt, der (du) allein Wohltäter (bist) und nicht überheblich, der (du) allein barmherzig (bist) und die Menschen liebst, der (du) allein Heiland (bist) und gerecht, der du immer die Angelegenheiten aller siehst und in allen [oder: allem] bist und überall da bist und alles umfaßt und alles erfüllst, Christus, J esus, Gott, Herr, der du mit deinen Gaben und deinem Erbarmen beschirmst, die auf dich hoffen, der du genau alle Listen und Boshaftigkeiten dessen, der allenthalben unser Widersacher ist, kennst, die er gegen uns im Schilde führt - du allein, Herr, hilf mit deiner Fürsorge deinen Knechten! Ja, Herr!" 109 Und nachdem er Brot erbeten hatte, sprach er folgendes Dankgebet: "Welches Lob und was für ein Opfer und welchen Dank sollen wir nennen, da wir dieses Brot brechen, als dich allein, Herr Jesus~ Wir preisen deinen vom Vater ausgesprochenen Namen. Wir preisen deinen durch den Sohn ausgesprochenen Namen [oder: Wir preisen deinen von (dir) ausgesprochenen Vaternamen. Wir preisen deinen durch (dich) ausgesprochenen SohnesnamenJ. Wir preisen deinen Eingang zur Tür 1 • Wir preisen deine uns durch dich gezeigte Auferstehung 2. Wir preisen deinen Weg 3. Wir preisen deinen Samen4, dein Wort 5 , deine Gnade, deinen Glauben, dein Salz 6, deine unaussprechliche Perle 7, deinen Schatz 8, deinen Pflug 9 , dein Netz 10, deine Größe, dein Diadem, den unseretwegen Menschensohn Genannten, den, der uns geschenkt hat die Wahrheit, die Ruhe, die Erkenntnis, die Macht, das Gebet, die Freudigkeit, die Hoffnung, die Liebe, die Freiheit, die Zuflucht zu dir. Denn du bist allein, Herr, die Wurzel der Unsterblichkeit und die Quelle der Unvergänglichkeit und der Sitz der Äonen, der du als dieses alles jetzt um unseretwegen bezeichnet worden bist, damit wir, wenn wir dich damit benennen, deine Größe erkennen, die uns gegenwärtig nicht erschaubar ist, den Reinen aber erschaubar nur abgebildet allein in deinem Menschen." 110 Und er brach das Brot und gab es uns allen, indem er für jeden der Brüder betete, er möchte der Gnade des Herrn und der heiligsten Eucharistie würdig sein. Er genoß selbst gleichermaßen (davon) und sprach: "Auch mir sei mein Teil mit euch," und: "Friede sei mit euch, Geliebte!" Tod des J ohannes
111 Danach sagte er zu Verus: "Nimm einige Männer mit dir mit zwei Körben und Spaten und folge mir!"Verus zögerte nicht und führte aus, was von dem Knecht Vgl. Joh. 10,9. Vgl. Joh. 14,6. 5 Vgl. Joh. 1, 1. 7 Vgl. Mt. 13,46. • Vgl. Lk. 9, 62. 1
3
2 Vgl. Joh. 11,25. 4 Vgl. Mk. 4, 26 paIT. 6 Vgl. Mt. 5, 13. S Vgl. Mt. 13,44. 10 Vgl. Mt. 13.47.
1. J ohannesakten
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Gottes angeordnet war. Darauf ging der selige Johannes aus dem Haus und schritt vor die Tore, nachdem er den meisten gesagt hatte, sie möchten ihn verlassen. Und als er zum Grab eines Bruders von uns gekommen war, sagte er zu den jungen Leuten: "Grabt, Kinder!" Und sie gruben. Er aber setzte ihnen mehr zu und sagte: "Tiefer soll die Grube sein!" Und während sie gruben, predigte er ihnen das Wort Gottes und ermahnte die, die mit ihm aus dem Haus gekommen waren, indem er sie erbaute und zurüstete auf die Größe Gottes und für jeden von uns betete. Als aber die jungen Leute die Grube vollendet hatten, wie er es wollte, da zog er, während wir nichts (von seinem Vorhaben) wußten, die Überkleider, die er anhatte, aus und warf sie wie (für) eine Lagerstatt in die Tiefe der Grube und streckte, nur im Untergewand dastehend, die Hände empor und betete folgendermaßen: 112 "Der du uns zum Apostelamt unter den Heiden 1 auserwählt hast, Gott, der du uns in den Erdkreis gesandt hast, der du dich durch das Gesetz und die Propheten erwiesen hast, der du niemals in Ruhe verharrtest, sondern immer von Grundlegung der Welt an die rettest, die gerettet werden können, der du dich durch jegliche Natur selbst kundgemacht hast, der du dich bis hin zu den Tieren selbst verkündigt hast, der du die verlassene und verwilderte Seele sanft und ruhig gemacht hast, der du dich der nach deinen Worten dürstenden selbst gegeben hast, der du dich der erstorbenen eiligst hast sehen lassen, der du der in Gesetzlosigkeit verfallenen als Gesetz erschienen bist, der du dich der vom Satan besiegten gezeigt hast, der du ihren Widersacher besiegt hast, da sie zu dir floh, der du ihr deine Hand gegeben und sie auferweckt hast aus den Umtrieben des Hades, der du sie nicht hast im Leibe wandeln lassen, der du ihr den eigenen Feind gezeigt hast, der du die reine Erkenntnis über dich herbeigeführt hast, Gott Jesus, (du) der Vater der Überhimmlischen, (du,) der Gebieter der Himmlischen, (du,) das Gesetz der Ätherwesen und der Lauf der Luftwesen, (du,) der Wächter der Irdischen und Schrecken der Unterirdischen und Gnade für die (dir) Eigenen - nimm auch die Seele deines Johannes auf, die vielleicht von dir wertgehalten wird." 113 "Der du auch mich bis zu dieser Stunde rein bewahrt hast für dich selbst und unberührt von der Verbindung mit einer Frau, der du mir, da ich in der Jugend heiraten wollte, erschienen bist und zu mir gesagt hast: 'Ich bedarf deiner, J ohannes', der du mir auch zuvor körperliche Schwäche bereitet hast, der du mich drittens, als ich heiraten wollte, sofort gehindert hast und darauf zur dritten Stunde des Tages auf dem Meer zu mir gesagt hast: 'Johannes, wärest du nicht mein, hätte ich dich heiraten lassen', der du mich zwei Jahre lang geblendet hast, daß ich trauerte und nach dir verlangte, der du mir im dritten Jahr die Augen des Verstandes geöffnet und mir die sichtbaren Augen (wieder)geschenkt hast, der du, da ich (nun wieder) sah, mir auch das genaue Betrachten einer Frau als etwas Widerliches ausgemalt hast, der du mich befreit hast von der zeitlichen Erscheinung und mich zu dem immer bleibenden (Leben) geführt hast, der du mich von dem schmutzigen im Fleisch (wohnenden) Wahn geschieden hast, der du mich dem bitteren Tode entrissen und mich allein zu dir gebracht hast, der du die geheime Krankheit meiner Seele zum Schweigen gebracht und die offenbare Tat vernichtet hast, der du den Aufrührer in mir bedrängt und verbannt hast, der du meine Liebe zu dir unbefleckt gemacht hast, der du meinen Gang zu dir ungebrochen zugerichtet hast, der du
1
Vgl. Röm. 1,5.
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XIII. Apo8telgeschichten de8 2. und 3. Jahrhunderts
mir einen vom Zweifel ungetrübten Glauben an dich verliehen hast, der du mir eine reine Gesinnung gegen dich vorgeschrieben hast, der du jedem den seinen Werken angemessenen Lohn erstattest, der du in meine Seele (das Verlangen) gelegt hast, keinen Besitz zu haben außer dir allein - denn was ist kostbarer als du1-, nun also, Herr, da ich das Verwalteramt, mit dem ich von dir betraut worden bin!, erfüllt habe, würdige mich deiner Ruhe und verleihe mir das Ende in dir, welches das unsagbare und unaussprechliche Heil ist!" 114 "Und wenn ich zu dir komme, soll das Feuer weichen, die Finsternis besiegt werden, das Chaos seine Kraft verlieren, der Glutofen ausgehen, die Hölle erlöschen, sollen Engel folgen, Dämonen in Furcht geraten, Machthaber zerschmettert werden, Mächte dahinfallen, die Orte zur Rechten feststehen, die zur Linken nicht bleiben, soll der Teufel verstummen, der Satan verlacht werden, seine Wut verglühen, sein Rasen beigelegt werden, seine Rache Schimpf erleiden, sein Ansturm Schmerz erfahren, seine Kinder sollen erschlagen und seine ganze Wurzel *ausgerottet* werden. Und verleihe mir, den Weg zu dir ohne Mißhandlung und Kränkung zu vollenden, indem ich das empfange, was du denen versprochen hast, die rein leben und nur dich lieben." 115 Und als er sich stehend ganz versiegelt und gesagt hatte: "Du (seiest) mit mir, Herr J esus Christus", legte er sich nieder in der Grube, dort, wo er seine Kleider ausgebreitet hatte, und sagte zu uns: "Friede (sei) mit euch, Brüder", und gab mit Freuden den Geist auf. Die Metastasis hat spätere Ausweitungen erfahren. Nach Cod. R und V (desgleichen nach Ps·Prochorus: Zahn, S.164, 12f.) ist der Leib des Apostels am nächsten Tag (R) bzw. nach drei Tagen (V; bei Ps-Prochorus offenbar schon am gleichen Tag) nicht mehr aufzufinden, "denn" - so fügt R hinzu - "er ist entrückt worden durch die Macht unseres Herrn Jesu Christi". Ausführlicher ist die Erweiterung in rund U: der Apostel entläßt die Brüder, und als sie Tags darauf zurückkommen, finden sie nur noch seine Sandalen vor und sehen die Erde aufsprudeln, worauf sie eingedenk der Worte Jesu Joh. 21, 22 lobpreisend umkehren. Dieser auch bei Ephraim von Antiochien (s.o., S. 128) vorausgesetzte Schluß vereint zwei miteinander konkurrierende Traditionen, die beide aus Joh. 21,22 geflossen sind; die eine besagt, daß Johannes nicht gestorben, sondern entrückt sei, und nach der anderen, die ausführlich von Augustin referiert wird (in J oh. tract.I24, 2: Willems, CCh 26, S. 68lf. Z. 28-37), liegt er zwar im Grabe, aber nicht als Toter, sondern als Schlafender, und durch seinen Atem wird die Erde bewegt, und dabei quillt Staub auf. Die lateinische Version des Ps-Abdias läßt die leere Grabstätte Manna hervorbringen, und auch für Ephraim von Antiochien ist der aufquellende Staub eine heilige Substanz z• Vgl. 1. Kor. 9, 17. Zum Fortleben der Metastasis-Legende s. M. Jugie: La mort et l'assomption de la sainte Vierge (Studi e Testi 114), 1944, S. 710ff. (= Excursus D: La mort et l'assomption de saint Jean l'Evangeliste). - Zum Bericht von der Selbstbestattung des Johannes vgl. auch die Notiz über die Selbstbestattung des Simon Magus bei Hippolyt, Elench. VI 20, 3 (Wendland, GCS 26, S. 148, 14-18). 1 I
2. Petrusakten
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2. PETRUSAKTEN
(w. Schneemelcher) EINLEITUNG. - VORBEMERKUNG: Es kann nicht Aufgabe dieser Einleitung zu den alten Petrusakten sein, die gesamte Petrusliteratur der Alten Kirche und ihre Zusammenhänge zu erörtern. Vielmehr muß man sich hier auf die Probleme dieses einen speziellen Werkes, eben der alten IIea.;etr; IIheov, beschränken. Daher ist hier auch nicht noch einmal auf die Pseudoklementinen einzugehen (vgl. dazu u. S. 373ff.). 1. LITERATUR: Texte: Lipsius Aa I, S. 45-103; L. Vouaux, Lex Actes de Pierre. Intro· duction, Textes, Traduction et Commentaire, Paris 1922; C. Schmidt, Die alten Petrusak· ten (TU 24, 1) 1903, S. 3-7 (kopt. Text); zu den orientalischen Versionen des Martyriums vgl. Vouaux, a.a.O., S. 19-22. Übersetzungen: Deutsch von G. Ficker, Apokr. 1, S. 383 bis 423; Apokr. 2, S. 226-249; W. Michaelis, S. 317-379; Französisch bei Vouaux, S. 221ff.; Englisch bei James, S. 300-336.
Untersuchungen: Ältere Literatur bei Lipsius, Apostelgeschichten II, 1 (1887) und Erg.heft (1890), sowie bei Harnack, Gesch. der altchristI. Lit. I, 1 S. 131-136. - G. Ficker in Handb., S. 395-491; C. Schmidt, Die alten Petrusakten (s.o.), 1903; G. Ficker, Die Petrus· akten. Beiträge zu ihrem Verständnis, 1903; Th. Nissen, Die Petrusakten und ein bardesa· nitischer Dialog in der Aberkiosvita, ZNW 9,1908, S. 190-203; J. Flamion, Les Actes apo· cryphes de Pierre, RHE IX, 1908, S. 233-254; S. 465-490; X, 1909, S. 5-29; S. 215-277; XI,1910,S.5-28; S.223-256;S.447-470;S.675-692;XII,1911,S.209-230;S.437-450; C. Schmidt, Studien zu den alten Petrusakten, ZKG 43, 1924, S. 321-348 (= Studien I); ZKG 45, 1927, S. 481-513 (= Studien II); C. Schmidt, Zur Datierung der alten Petrusak· ten, ZNW29, 1930, S.150-155; C.H. Turner, The LatinActs ofPeter,JThSt XXXII, 1931, S. H9-133; C. L. Sturhahn, Die Christologie der ältesten apokryphen Apostelakten (Theol. Diss. Heidelberg 1951, maschinenschriftlich). 2. BEZEUGUNG: Das älteste sichere direkte Zeugnis von der Existenz der Petrusakten ist die Erwähnung bei Euseb (h.e. III 3,2; Text siehe Bd. I, S. 30). Euseb spricht von den emUeUATJI1,6Vat aVTOV (sc. IIheov) IIea.;str;, d.h. er kennt ein Werk mit dem Titel IIea.;etr; IIheov und lehnt dieses Werk als unkanonisch ab, genauso wie er auch das Petrusevange. lium, das Kerygma des Petrus und die Petrusapokalypse verwirft. Über Umfang und Inhalt der Petrusakten erfahren wir allerdings bei Euseb nichts. Nun hat man sich schon vielfach bemüht, ältere Zeugen für die APt zu gewinnen. Im CanonMuratori (Text: Bd. I, S. 18ff.) werden die Petrusakten zwar nicht aufgezählt, aber eine Stelle soll nach Ansicht mancher Forscher (z.B. Schmidt, Petrusakten, S. 105; vgl. auch Vouaux, S. HOff.) auf die APt hin· weisen: "Lukas faßt für den 'besten Theophilus' zusammen, was in seiner Gegenwart im einzelnen geschehen ist, wie er das auch durch Fortlassen des Leidens des Petrus einsichtig klarmacht, ebenso durch (das Weglassen) der Reise des Paulus, der sich von der Stadt (Rom) nach Spanien begab". Darin soll, so meint Schmidt (Petrusakten, S. 105; vgl. auch Studien II, S. 495), zum Ausdruck kommen, daß der Verfasser dieses Kanonsverzeichnisses die in der lukanischen Apostelgeschichte nicht berichteten Ereignisse, den Tod des Petrus und die Spanienreise des Paulus, "als wirkliche Geschehnisse kennt, und zwar nicht auf Grund einer mündlichen Überlieferung, sondern einer von ihm mit Interesse gelesenen Schrift". Aber eine solche Deutung liest doch wohl zu viel aus dieser knappen Notiz. Der Verfasser des Can. Mur. deutet mit keinem Wort an, daß er irgendeine Schrift über den Tod Petri oder die Spanieureise des Paulus vor Augen hat. Man kann aus seinen Worten vielmehr nur entneh· men, daß er die zwei Tatsachen zwar kennt, sie aber in der Apostelgeschichte des Lukas nicht gefunden hat, weil- wie er meint - Lukas nicht Augenzeuge dieser Tatsachen war. Woher er seine Kenntnisse hat, läßt sich aus seiner Notiz nicht entnehmen. Damit entfällt die Mög· 12 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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lichkeit, den Can. Mur. als Zeugnis für die .APt oder gar für deren Datierung zu benutzen. Ob und welche gemeinsamen Traditionen für Can. Mur. und APt anzunehmen sind, läßt sich angesichts der Kürze der Angaben im Can. Mur. nicht sagen. Bei Clemens von Alexandrien begegnen zwei Stellen, die zu den APt in Beziehung gesetzt worden sind. In Strom. III 6, 52 berichtet Clemens, daß Petrus und Philippus Kinder gezeugt hätten - eine Nachricht, die für die Frage der.APt überhaupt nichts austrägt. In Strom. VII 11, 63 wird von Petrus erzählt, er habe seine Frau auf dem Weg zum Martyrium ermuntert. Auch diese Notiz hat nichts mit den APt zu tun, gehört vielmehr zu den mündlichen Traditionen, die Clemens gekannt hat. Ähnlich ist eine Stelle bei Hippolyt zu beurteilen. In Ref. VI 20 sagt er über das Auftreten des Simon in Rom: "Dieser Simon wurde, als er viele in Samarien durch Zauberei irreführte, von den Aposteln überführt, und nachdem er verflucht war, wie in den Taten (der Apostel, d.h. in der AG) geschrieben ist, hat er später in seiner Verzweiflung dasselbe unternommen; und als er bis nach Rom gelangt war, geriet er mit den Aposteln (erneut) in Streit; ibm, der durch Zauberei viele verführte, leistete Petrus kräftig Widerstand. Als nun sein Ende< ..... ) herannahte, saß er unter einer Platane und lehrte. Und als nun schließlich seine Widerlegung nahe bevorstand, da sagte er, um die Sache zu verzögern, daß er, wenn er lebendig begraben würde, am dritten Tage wieder auferstehen werde. Er ließ nun durch seine Schüler ein Grab ausheben und befahl, ihn zu begraben. Die nun taten, was ihnen aufgetragen war, er aber blieb bis heute (im Grab). Denn er war nicht der Christus" (Hipp. Ref. VI 20, 2f.; Wendland GCS 26, S. 148, 8-18). C. Schmidt bemerkt zu dieser Stelle: "Die Nachricht des Hippolyt hat also bereits diese Darstellung der Petrusakten zur Voraussetzung" (Petrusakten, S. 104). Aber diese Behauptung entbebrt jeder Grundlage. Hippolyt knüpft zunächst an den Bericht der kanonischen AG und bietet dann eine Tradition von dem Tod Simons, die nichts mit dem Bericht in den erhaltenen APt zu tun hat (vgl. Act. Verc. c. 32 = Mart. Petr. c. 3). Hippolyt ist also kein Zeuge für die APt. Im 3. Buch seines Genesiskommentars habe Origenes - so berichtet Euseb h.e. III 1, 2 - erzählt, daß Petrus gegen Ende seines Lebens in Rom gewesen sei: "er wurde mit dem Kopf nach unten gekreuzigt, so wie er selbst gefordert hatte zu leiden". Diese Notiz stimmt inhaltlich mit der Angabe der erhaltenen Petrusakten (Act. Verc. c. 37 = Mart. Petri c. 8) überein, ohne aber wirtliches Zitat zu sein. Man kann also nur vermuten, daß Origenes, der ja einen Teil der apokrypben Literatur gekannt bat, auch die APt gelesen hat, aber sicher behaupten läßt sicb das nicht. Vor allem ergibt sich aus dieser Notiz gar nichts über die Art und den Umfang der APt, die Origenes vielleicht kannte. Sollte er sie vor Augen gehabt haben, dann wäre damit der terminus ad quem gewonnen, da der Genesiskommentar vor 231 verfaßt ist (Euseb h. e. VI 24, 2). Großes Gewicht hat man oft auf einige Zeilen aus dem Carmen apol. des Commodian gelegt, in denen der zu Simon sprechende Hund (v. 626 = Act. Verc. c. 9. 11. 12) und der redende Säugling (v. 629 f. = Act. Verc. c. 15) erwähnt werden. Aber selbst wenn die Datierung des Commodian sicher wäre (vgl. zu dieser Frage zuletzt K. Thraede, Beiträge zur Datierung Commodians, Jahrb. f. Antike und Christentum 2, 1959, S. 90-114: Mitte des 3. Jh.), so würden diese Zeilen auch nicbt viel mehr besagen, als daß Commodian die Legenden von den sprechenden Tieren, wie sie in APt und AP vorkommen, gekannt hat. Die Kenntnis der gesamten APt ist damit aber nicht gesichert und genauere Rückschlüsse über die Verbreitung der APt im Westen im 3. Jh. lassen sich daraus kaum zieben. Dagegen scheint der Verfasser der Didascalia (wohl erste Hälfte des 3. Jh.) die APt wirklich benutzt zu haben. Er kommt in VI 7-9 auf die Entstehung der Haeresie zu spreeben und legt dem Petrus einen Bericht über sein Zusammentreffen mit Simon in Jerusalem und Rom in den Mund. C. Schmidt hat (Petrusakten, S. 147; vgl. auch Vouaux, S. 119f. und Schmidt, Studien II, S. 507) die verschiedenen Punkte zusammengestellt, die darauf hinweisen, daß die APt die Vorlage für die Dida.scalia waren. Wichtig ist. dabei vor allpm die Tatsache, daß die erste Begegnung des Simon mit den Aposteln - anders als AG 8, 14ff. - in Jerusalem stattfindet. Man wird nicht in allen Punkten die Sicherheit aufbringen kön-
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nen, die C. Schmidt an den Tag legt 1. Aber es spricht doch sehr viel dafür, daß die These, der Verf. der Didascalia benutze die APt, richtig ist. In Anknüpfung an Harnack hat C. Schmidt nun weiter nachzuweisen versucht, daß Porphyrius die Petrusakten gekannt habe (Schmidt, Petrusakten, S. 167ff.). An zwei Stellen, die bei Macarius Magnes (I! 22 und IV 4) 2 erhalten sind, soll diese Kenntnis sichtbar werden. Dabei geht es vor allem darum, daß Petrus nach Porphyrius - entgegen der offiziellen römischen Tradition - nur kurze Zeit in Rom gewesen sei, bevor er dort den Kreuzestod erlitten hat. Aber es ist kaum möglich, einen zwingenden Beweis dafür zu erbringen, daß Porphyrius diese Aussage aus den APt entnommen hat. Es bleibt also von den vielen angeblichen Zeugnissen für die APt aus der Zeit vor Euseb nicht viel übrig. Nur Origenes und die Didascalia können als Zeugen für die Existenz der APt benutzt werden, ohne daß aber damit sichere Angaben über Umfang und Inhalt dieses Werkes gegeben wären. Dabei sind nun allerdings sowohl die Pseudo-Clementinen wie die Johannesakten und die Paulusakten unberücksichtigt geblieben. In der 2. Auflage dieses Buches hat H. Waitz in dem Abschnitt 'Petrusakten' Auszüge aus den Pseudo-Clementinen geboten (Apokr. 2, S. 212-226). Waitz ging dabei von seinen quellenkritischen Hypothesen aus, die er als "gesichertes Ergebnis" deklarierte, und versuchte nun, die von ihm angenommenen IIe6J;su; IIereov aus den ps .. elem. Homilien und Recognitionen zu rekonstruieren. Das Verhältnis dieser IIII zu den übrigen Petrusakten (d.h. Act. Verc. und koptisches Fragment) bestimmte Waitz dahingehend, daß beide "aus einer gemeinsamen Überlieferung geflossen sind, die sich in ihrer ursprünglichen Gestalt in den ps.-elem. IIII erhalten hat" (Apokr. 2, S. 213). Dieser Beitrag von Waitz hat C. Schmidt veranlaßt, sich eingehend mit den Pseudo-Clementinen zu beschäftigen und dabei auch das Verhältnis dieser Schriften bzw. ihrer Grundschrift zu den Petrusakten eingehend zu erörtern (C. Schmidt, Studien zu den Ps.-Clementinen, TU 46,1,1929, vor allem S.1-46). Mit Recht kritisiert Schmidt, daß Waitz sich nicht genügend um das Problem der apokryphen Apostelakten gekümmert und daher manchen Fehler gemacht habe. Schmidt selbst möchte nachweisen, daß der Verfasser der Grundschrift der Ps.-Clementinen die alten Petrusakten benutzt hat. Da die Grundschrift und die Didascalia, die ja sicher die APt benutzt hat (s.o.), in denselben zeitlichen und örtlichen Bereich gehören, ist diese These Schmidts nicht unwahrscheinlich. Nun ist hier nicht die weitere Arbeit an den Ps.-Clementinen darzustellen (vgl. den Forschungsbericht bei G. Strecker, Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen, TU 70, 1958, S. 1-34; dazu Strecker, o. S. 63 ff. und Irmscher, u. S. 373 ff.). Es sei nur vermerkt, daß die Frage des Verhältnisses zu den APt in der Arbeit an den Ps.-Clementinen weitgehend hinter anderen Problemen zurückgetreten ist 3. Mit Recht hat Strecker (a. a. 0., S. 255) betont, daß man Schmidt nicht ohne weiteres zustimmen könne, "wenn er die IIII-Stücke der Grundschrift unmittelbar aus den alten Petrusakten ableitet". Vor allem erscheint es mir zweifelhaft, ob man die Differenzen in den Örtlichkeiten, an denen sich die Begegnungen zwischen Simon und Petrus in der Grundschrift der Ps.-Clem. und in den APt abspielen, so einfach erklären kann, wie Schmidt es tut (a.a.O., S. 31ff.). Man wird also die Beziehungen zwischen den APt und Ps.-Clem. vorläufig als ungeklärt ansehen müssen. Es steht nur fest, 1 Schmidt stützt sich dabei vor allem auf das koptische Fragment, dessen Handlung er nach Jerusalem verlegt. Der Ort wird zwar im Text nicht genannt, kann aber vermutet werden. Nur kann man wohl im Blick auf die Didascalia nicht sagen: "Das stammt aber einzig und allein aus den Petrusakten" (Schmidt, Petrusakten, S. 147). • Zu der Frage der Benutzung des Porphyrius durch Macarius vgl. Quasten II!, S. 486 bis 488; dort weitere Literatur. 3 Die Frage angeblich ebionitischer Apostelakten, die H.J. Schoeps eingehend erörtert hat, kann und braucht hier nicht näher behandelt zu werden; vgl. H.J. Schoeps, Theologie und Geschichte des Judenchristentums, 1949, S. 381-456; dazu W. Schneemelcher, Das Problem des Judenchristentums: Verkündigung und Forschung 1951/52, S. 229ff.
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daß die Grundschrift der Ps.-Clem., die Strecker mit guten Gründen auf die Zeit um 260 datiert, jünger ist als die APt (zu deren Datierung s. u. S. 187), und daß weiter manches für die Vermutung spricht, der Verf. der Grundschrift habe zumindest den Stoff, der in den APt verarbeitet ist, gekannt. In welcher Gestalt ihm dieser Stoff vorlag, ob in der der uns nur z. T. erhaltenen APt oder in einer anderen Form, läßt sich nicht sagen. Sehr schwierig und undurchsichtig ist die Frage des Verhältnisses der APt zu den J oh annesakten. Hatte Tb. Zahn (z.B. Gesch. d. ntl. Kanons II, S. 860) die Identität des Verfassers der AJ mit dem der APt behauptet, so hat sich C. Schmidt bemüht nachzuweisen, daß der Verfasser der APt aus denAJ geschöpft habe (Petrusakten, S. 77-79). Auch Vouaux rechnet die AJ zu den Quellen, die der Verfasser der APt verarbeitet hat (S. 49-52). Dabei ist immer vorausgesetzt, daß die AJ tatsächlich die ältesten apokryphen Apostelakten sind. "Dem Leucius gebührt vielmehr die Ehre, den ersten Apostelroman verfaßt zu haben; er hat damit, wohl wider sein eigenes Erwarten, die Bahn für eine ganz neue altchristliche Literaturgattung gebrochen, denn seinem Beispiel ist bald der Verfasser der Paulusakten, ebenfalls ein Kleinasiat, gefolgt, und auf beider Schultern stehend hat der Pseudo-Petrus seinen Roman geschrieben" (C. Schmidt, Petrusakten, S. 99). Dieses chronologische Schema beruhte vor allem auf der Beobachtung bestimmter Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten in christologischen Vorstellungen, zum Teil aber auch auf anderen Voraussetzungen, die dann für die Erklärung dieser Ähnlichkeiten die Basis abgaben. Nun ist für die Paulusakten inzwischen von C. Schmidt selbst die Haltlosigkeit dieses Schemas erwiesen (s. u. S. 240f.). Für die Johannesakten hat Schäferdiek o. S. 126ff. gezeigt, daß die Bezeugung der AJ vor Euseb so unsicher ist, daß man den Frühansatz kaum noch halten kann. Aber und desha.lb muß nun auf dieses Problem hier näher eingegangen werden - sind dann die Ähnlichkeiten und übereinstimmungen vielleicht so zu erklären, daß die APt für die AJ die Vorlage bildeten? In der 'Evangeliumsverkündigung' (AJ c. 87ff.) kommt Johannes auch auf Christi irdische Erscheinung zu sprechen und schildert zu Beginn, wie er und sein Bruder Jakobus von J esus berufen wurden. Dabei sah Jakobus den Herrn als Knaben, während J ohannes ihn als wohlgestalteten, schönen Mann dastehen sah (c. 88f.). Weiter wird die Verklärungsgeschichte in merkwürdiger Umformung erzählt (c. 90; vgl. zur Interpretation Sturhahn, S. 32f.) und auch dabei spielt das Motiv der verschiedenen Gestalten des Erlösers eine wichtige Rolle. Ähnlich spricht nun Petrus in APt c. 20 zu der um das Evangelium versammelten Gemeinde davon, daß Christus von den Jüngern so gesehen wurde, wie jeder einzelne es fassen konnte. Auch hier wird die Verklärungsgeschichte als Beispiel angeführt, aber der Verf. bleibt ohne Zweifel näher an der biblischen Erzählung. Auch der Bericht der Witwen in c. 21, denen das Augeulicht wieder geschenkt worden ist und die nun berichten sollen, was sie gesehen haben, ist von dem Motiv der Polymorphie bestimmt: die einen haben ihn als älteren Mann, die anderen als Jüngling gesehen UBW. Das Kapitel schließt mit den Worten des Petrus: "Sicherlich ist Gott größer als unsere Gedanken, wie wir es von den alten Witwen erfahren haben, wie sie in verschiedener Gestalt den Herrn gesehen haben." Dieser interpretierende Schlußsatz zeigt, daß der Verf. der APt den Gedanken der Polymorphie aus anderen Motiven heraus aufgenommen hat als der Verf. der AJ. Aber auch abgesehen von der Intention, die sich in dieser Interpretation zeigt, muß doch wohl festgestellt werden, daß zwischen den beiden Abschnitten nur eine Ähnlichkeit in einer auch sonst uns begegnenden Vorstellung aufzuzeigen ist, aber von einer literarischen Abhängigkeit kaum die Rede sein kann (vgl. Sturhahn, S. 30ff. und S. 184ff.). Die gleiche Zurückhaltung ist auch bei den anderen Stellen, die man zum Beweis der Abhängigkeit herangezogen hat, angebracht. So werden in AJ c. 98 verschiedene Bezeichnungen für das Lichtkreuz aufgezählt, d.h. es werden eine Reihe christologischer Prädikate zusammengestellt. Auch APt 20 begegnet eine solche Aufzählung von Bezeichnungen für Jesus: Log08, Vernunft (vov,), Jesus, Christus, Tür, Weg, Brot, Samen, Auferstehung, Sohn, Vater, Geist, Lehen, Wahrheit, Glaube, Gnade (AJ) - Tür, Licht, Weg, Brot, Wasser, Leben, Aufer8tehung, Trost, Perle, Schatz, Samen, Sättigung, Senfkorn, Weinstock, Pflug, Gnade, Glauben, Wort (APt).
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Liegt hier literarische Abhängigkeit vor? Wieder muß man von den mit diesen Aufzählungen verbundenen Intentionen absehen (vgl. dazu Sturhahn, S. 33f. und S. 190f.). Eine gewisse Verwandtschaft besteht ohne Zweifel, aber sie beschränkt sich auf einzelne Begriffe, die ohnehin aus der allgemeinen christlichen Tradition als christologische Prädikate geläufig waren. Dazu kommt, daß solche Listen keine nur diesen beiden apokryphen Apostelakten eigene Form darstellen. Wie Justin (Dial. 100,4) und Diognetbrief (9,6) zeigen, gibt es solche Aufzählungen auch in anderen Zusammenhängen. Also auch hier ist bei der Frage der literarischen Abhängigkeit größte Zurückhaltung angebracht. Schließlich hat C. Schmidt auch in APt c. 39 (10) eine Anleihe bei den AJ c. 99ff. feststellen wollen (Petrusakten, S. 97ff). Aber auch an dieser Stelle kann eine Abhängigkeit nicht zwingend bewiesen werden (vgl. Sturhahns Interpretation, S. 157ff.; dort auch Hinweis auf Parallelen in den ATh). Zusammenfassend kann also gesagt werden: Die angeblichen Abhängigkeiten der APt von den AJ, die bei einer Änderung der Chronologie ja als Abhängigkeiten der AJ von den APt angesehen werden könnten oder sogar müßten, sind keineswegs beweisbare literarische Entlehnungen. Sie lassen sich zumeist durch die gleiche religionsgeschichtliche Herkunft der Vorstellungen - trotz der sehr verschiedenen theologischen Ausrichtung und Anwendung in den A GG - erklären 1. Die AJ müssen also, soweit wir heute sehen können, bei den Fragen der Bezeugung, der Datierung und der Quellen der APt aus dem Spiel bleiben. Anders steht es mit den Pa u 1usa k t e n. Hier können wir uns kürzer fassen, da C. Schmidt wohl das Nötige dazu gesagt hat. Während Schmidt früher energisch für die Abhängigkeit der APt eintrat, wurde er durch den Fund des Hamburger Papyrus der AP (vgl. dazu u. S. 237 f.) von dieser Meinung abgebracht. In diesem Papyrus findet sich eine Abwandlung der berühmten Quo-vadis-Szene (APt c. 35 = Mart. c. 6), aber ohne richtige Pointe. Daraus, wie auch aus anderen Abschnitten (vor allem aus der Theongeschichte APt c. 5) hat Schmidt mit Recht geschlossen, daß der Verf. der AP die APt benutzt und ausgeschrieben hat 2. Was das für die Datierung der APt zu bedeuten hat, wird unten zu erörtern sein (vgl. S. 187). Hier ist nur festzustellen, daß die AP zu den wenigen Zeugen für die Existenz der APt aus der Zeit vor Euseb gehören. Mit dem 4. Jahrhundert fließen die Quellen, in denen von den APt die Rede ist, etwas reichlicher. Das ist in der einschlägigen Literatur (besonders von C. Schmidt, Vouaux und Flamion) oft genug dargelegt worden und braucht hier nicht wiederholt zu werden. Wichtig ist zweierlei: 1. Im manichäischen Psalmbuch sind neben anderen apokryphen Akten offensichtlich auch
die APt benutzt worden (vgl. o. S. 118). 2. Der Kampf gegen die apokryphen Apostelakten, wie er uns vor allem aus mannigfachen Stellen bei Augustin deutlich wird, hat dazu geführt, daß diese Akten, also auch die APt beinahe ganz untergegangen sind 3. '
1 Für diese Probleme ist vor allem die Arbeit Sturhahns wichtig, auch wenn man der Interpretation nicht immer folgen kann. Für die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge sei verwiesen auf H. Schlier, Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen, Beih. zur ZNW 8, 1929. Schlier verwertet auch die AJ und APt. 2 Vgl. vor allem C. Schmidt, IIPAEEIL: IIAYAOY, Acta Pauli, 1936, S. 127ff. Gegen die Auffassung Schmidts hat sich W. Michaelis, S. 377ff. gewandt. Insbesondere die Worte des Herrn in der Quo-vadis-Szene (:n:ciJl.w uraveOV/l-W in APt, iJ.yw{}sy /l-iJl.Jl.w uraveovuf}w in AP) weisen nach Michaelis auf die Abhängigkeit der APt von den AP, oder von einer entsprechenden Überlieferung. Aber ich glaube, daß man doch Schmidt folgen muß: das Wort des Herrn paßt nicht in den Zusammenhang der AP. wohl aber in den der APt. • Nebenbei sei bemerkt, daß diese Kontroverse mit ihren Folgen die Forscher im 19.Jh., vor allem Lipsius, auf die sicher falsche Spur von 'gnostischen' AGG im Unterschied zu
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Unter den Belegen bei Augustin ist einer besonders wichtig, weil damit die Zugehörigkeit des koptischen Fragments (s. u. S. 184) zu den APt bewiesen wird. Augustin polemisiert in seiner Schrift contra Adimantum gegen die Ablehnung der AG durch die Manichäer, die sich vor allem auf AG 5, 1 ff. stützen, und sagt: "Das tadeln jene in großer Blindheit, da sie doch in den Apokryphen auch jenes als ein großes Werk lesen, was ich vom Apostel Thomas berichtet habe, und von der auf Bitten des Vaters paralytisch gewordenen Tochter des Petrus selbst und von der Tochter des Gärtners, die auf Bitten desselben Petrus gestorben ist; sie antworten, daß dieses ihnen nützte, daß diese durch Lähmung geschwächt, jene aber gestorben sei; dennoch leugnen sie nicht, daß das auf Bitten des Apostels geschehen sei" (Augustin, c. Adimantum Man. disco XVTI; ed. Zycha, CSEL XXV 1, S. 170,6-16). Auch wenn Augustin die APt nicht direkt nennt, so ist doch klar, daß er eine apokryphe Schrift - und zwar in lateinischer Übersetzung - kennt, in der die Geschichte der Petrustochter stand. Das können aber eigentlich nur die APt gewesen sein, zu denen das koptische Fragment gehört hat. Es sei schließlich noch darauf verwiesen, daß die spärliche Bezeugung der APt auch in der Zeit nach Euseb (bis hin zu Photius, cod. 114; vgl. dazu Schäferdiek, O. S. 117 ff.) ergänzt wird durch die Benutzung der APt in späteren Apostelakten. Unter den Texten, die hier zu nennen sind, sind auch einige, die für die Textüberlieferung wichtig sind. In der Vita Abercii (4. Jh.; ed. Th. Nissen, 1912) sind folgende Stellen wörtlich aus denAPt übernommen: Act. Verc. C. 2 (Lipsius p. 46, 31-47,11) Act. Verc. C. 20 (p. 67, 3-8) Act. Verc. C. 20 (p. 67,26-68,15) Act. Verc. C. 7 (p. 53, 20-29) Act. Verc. C. 21 (p. 68,17-69,2)
Vit. Ab. C. 13 (Nissen p. 11, 12-12, 9) Vit. Ab. C. 15 (p. 13, 7-11) = Vit. Ab. C. 15 (p. 13, 16-15,2) = Vit. Ab. C. 24 (p. 19, 9-20, 2) = Vit. Ab. C. 26 (p. 20, 11-23, 1). = =
Die Stellen, die in der unten gebotenen Übersetzung ausgewertet werden, sind deshalb so interessant, weil sie uns in die Lage versetzen, die lateinische Übersetzung der APt in der Handschrift von Vercelli zu kontrollieren. Der lateinische Übersetzer hat sich offensichtlich nahezu wörtlich an den griechischen Text gehalten. Weiter ist aufschlußreich, daß es sich bei den übernommenen Abschnitten nur um Redestücke handelt; offensichtlich hat die Phantasie des Verfassers der Vita Abercü für solche eingelegten Reden nicht ganz gereicht und er hat daher Anleihen bei den APt gemacht. Weniger in die Augen fallend ist der Gebrauch, den die Philippusakten (Ende des 4./ Anfang des 5. Jh.; vgl. U. S. 404) von den APt gemacht haben. Nach C. Schmidt (Studien I, S. 329ff.) sind es drei Stellen der Acta Philippi, die die Kenntnis und Benutzung der APt zeigen: Act. Phi!. 142 (Bonnet p. 81) = kopt. Fragment (Tochter des Petrus) Act. Phi!. 140 (p. 74) = Act. Verf. 38 (Mart. C. 9) Act. Phil. C. 80-85 (p. 32f.) = Act. Verc. 28. Es läßt sich zwar nicht stringent beweisen, daß der Verf. der Acta Phi!. wirklich die APt ausgeschrieben hat. Aber die Übereinstimmungen sind so stark, daß man eine literarische Abhängigkeit vermuten darf. Auch die Acta Xanthippae et Polyxenae (ed. M.R. James, Apocrypha anecdota, Text and Studies II 3, 1893, S. 43-85) scheinen Gebrauch von denAPt gemacht zu haben. So kann man mit C. Schmidt (Studien II, S. 494f.) in C. 24 ein 'katholischen' AGG geführt hat. Es ist ein Verdienst von C. Schmidt, diese Dinge einigermaßen zurechtgerückt zu ha.ben, wobei er nun allerdings oft auch zu einseitig von 'vulgärkatholisch' redet. Aus der Arbeit von Sturhahn geht hervor, daß man gerade bei den AGG mit einer Mischung verschiedener Elemente zu rechnen hat; vgl. auch U. S. 186.
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Exzerpt des Anfangs der Act. Verc. sehen. Weitere Einzelheiten, vor allem der Name Xanthippa, weisen auf literarischen Zusammenhang, wie ja der Verfasser dieser späten Akten (wohl 6. Jh.) überhaupt manche Anleihe bei apokryphen AGG gemacht zu haben scheint 1. Von den Acta SS. Nerei et Achillei (5.(6. Jh.; hrsg. von H. Achelis, TU XI 2,1893) ist zumindest cap. 15 kaum denkbar ohne die Vorlage der APt, und zwar, was wichtig ist, der koptis()hen Erzählung von der To()hter des Petrus. Gewiß sind mafi()herlei Weiterbildungen festzustellen, aber die Vorlage ist do()h deutlich sichtbar (vgl. Schmidt, Studien I, S. 342f.; vgl. auch Vouaux, S. 155ff.) Schließlich sei noch erwähnt, daß die späteren Petrustexte (sog. Linus- und Marcellustexte) von den alten APt abhängig sind (vgl. Vouaux, S. 129ff.; 160ff.; Lipsius, Apostelgescbichten II; weiteres s. u., S. 400), allerdings wohl nicht direkt von den erhaltenen lateinischen Act. Verc. Diese spätere Benutzung der APt zeigt, wie vor allem C. Schmidt immer wieder betont hat, daß die APt in katholischen Kreisen noch lange benutzt worden sind. Sie sind "in kirchlichen Kreisen entstanden und ursprünglich als großkirchliche Produkte mit hoher Achtung gelesen", in nachnicänis()her Zeit dann in Verruf geraten, aber trotzdem "noch auf lange Zeit hinaus eine beliebte Lektüre in gut katholischen Kreisen gewesen, bis man für sie durch angeblich orthodoxe Bearbeitungen einen Ersatz geschaffen hatte" (Schmidt, Petrusakten, S. 151). Die Geschichte der APt in der Alten Kirche läßt diese Tatsachen noch erkennen, wenn auch vieles dunkel bleibt. Sie spiegelt aber auch die Geschichte und den Wandel kirchlicher Lehre und kirchlicher Frömlnigkeit wider. 3. ÜBERLIEFERTER BESTAND: Von den alten Petrusakten sind folgende Stücke erhalten: a) Die sogenannten Actus Vercellenses, so genannt nach der einzigen lateinischen Handschrift, in der der Text überliefert ist, einem Codex in Vercelli (cod. Verc. CL VIII, 6./7. Jh.). Die hier überlieferte Übersetzung stammt nach Turner (JThSt XXXII, 1931, S. 119f.) bereits aus dem 3. oder 4. Jh. Ihr Inhalt wird durch den von Lipsius erschlossenen Titel 'Actus Petri cum Simone' (vgl. Aa I, S. 45) nicht ganz richtig wiedergegeben. Besser wird man mit C. Schmidt (Studien II, S. 510) annehmen, daß der Titel gelautet hat: actus Petri apostoli = IIea!;etr; IIBrQov .oi! dnoa.6A.ov, und das wäre dann auch der dem Inhalt angemessene Titel. Nach einem kurzen Bericht über die Abreise des Paulus nach Spanien (c. 1-3) wird von der Ankunft des Simon in Rom und der auf göttliche Weisung erfolgten Reise des Petrus erzählt (c. 4-6). Es folgen die Berichte über die Wiederherstellung der römiscben Gemeinde durch Petrus, die Auseinandersetzungen des Petrus mit Simon, die ihren Höhepunkt in dem Kampf auf dem Forum finden (c. 7-29), und schließlich das Martyrium des Petrus (c. 30-41), von dem nun auch 2 griechische Handschriften existieren (cod. Patm. 48, 9. Jh. = P; cod. Vatopedi 79, 10./11. Jh. = A). Daß das Martyrium des Petrus von Anfang an zu den APt gehört hat, geht daraus hervor, daß die beiden griechischen Handschriften verschieden einsetzen: A beginnt mit Act. Verc. c. 30, bietet also vor dem eigentlichen Martyrium noch die Erzählung von der Chryse usw., während P erst mit Act. Verc. c. 33 einsetzt. Zu den beiden griechischen Handschriften des Martyriums kommt als Zeuge des griechischen Originaltextes der APt für c. 25 (Ende) und c. 26 (Anfang) noch ein Papyrusfragment: Pap. Oxyrhynchos 849 (ed. Grenfell-Hunt, Ox. Pap. VI, 1908, S. 6-12; Text auch bei Vouaux, S. 374ff. im Apparat). Schließlich muß hier noch einmal auf die oben (S. 182) bereits aufgeführten Stellen aus der Vita Abercii verwiesen werden, die zwar eine leichte Überarbeitung darstellen, die aber doch wie die beiden griechischen Handschriften des Martyriums und wie der Papyrus zeigen, daß die lateinische Übersetzung in dem cod. Verc. "im allgemeinen zuverlässig ist, wenn es auch an Mißverständnissen, Wi11kürlichkeiten und Ungenauigkeiten nicht fehlt. Auch die Beobachtung wird bestätigt, daß der lateinische Übersetzer wohl mit1 Vgl. die Zusammenstellung bei James, a.a. 0., S.47ff.; für die APt ist auch heranzuziehen der Kommentar von Vouaux (vgl. Register bei Vouaux, B. v. Actes de Xanthippe).
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unter den Sinn durch Zusatz einiger Worte verdeutlichen will, aber doch mehr das Bestreben zeigt, zu kürzen als zu erweitern" (Ficker, Apokr. 2, S. 226f.). Das Martyrium des Petrus hat sich, wie schon die griechischen Handschriften bezeugen, früh von den APt getrennt. Die orientalischen Versionen zeigen, wie weit verbreitet dieses Stück war. Wir haben koptische, syrische, armenische, arabische, aethiopische und slavische Texte des Martyriums (zum Teil erst mit cap. 4 des Mart. = Act. Verc. c. 33 beginnend). Eine Übersicht über diese Zeugen, die von Lipsius in seiner Ausgabe noch nicht vollständig benutzt worden sind, bietet Vouaux, S. 19-22. Daß die Act. Verc. nicht den vollständigen Text der APt darstellen, geht auch daraus hervor, daß nach der Stichometrie des Nicephorus (vgl. Bd. I, S. 24f.) die APt einen Umfang von 2750 Stichen gehabt haben, also etwas mehr als das Lukasevangelium (2600 Stichen). Schon Zahn hat danach berechnet (Gesch. d. ntl. Kanons 11, S. 841, Anm. 3), daß etwa ein Drittel der APt fehlt. Von diesen fehlenden Stücken ist bisher nur wenig entdeckt. b} Die Erzählung von der Tochter des Petrus, erhalten im koptischen Papyrus Berlin 8502 1 • Dieser von C. Schmidt entdeckte und herausgegebene Papyrus (Petrusakten, 1903) enthält auf den Seiten 12S-132 und 135-141 diese Erzählung, deren Zugehörigkeit zu den APt von Schmidt behauptet, von Ficker bestritten und später dann von C. Schmidt endgültig erwiesen ist (vgl. vor allem Schmidt, Studien I). Die von Schmidt aufgeführten Gründe sind zwar von unterschiedlichem Gewicht, insgesamt aber so überzeugend, daß man nicht mehr daran zweifeln kann, hier ein Fragment des sonst nicht erhaltenen ersten Teiles der APt vor sich zu haben. Inhaltlich ist die Erzählung von keiner besonderen Bedeutung. Petrus demonstriert an seiner Tochter, daß angebliches Leiden eine Gottesgabe sein kann, wenn es dazu dient, die Jungfräulichkeit zu bewahren. Es ist also eine von enkratitischer Tendenz bestimmte Wundergeschichte, wie wir sie mehrfach in den Act. Verc. antreffen. Es wird nicht direkt gesagt, wo die Erzählung spielt. Aber da davon die Rede ist, daß Petrus in sein Haus ging, und da auch die Tochter des Petrus bei dem Vater wohnt, wird man den Wohnort des Petrus als Schauplatz anzunehmen haben. Dieser ist aber nach Act. Verc. c. 5 in Jerusalem zu suchen. Da diese Erzählung doch zu dem ersten, verlorengegangenen Teil der APt gehört haben muß, wird man also für diesen Teil Jerusalem als Ort der Ereignisse ansehen dürfen. Daß in diesem ersten Teil auch von dem Kampf des Petrus mit Simon bereits die Rede war, kann vermutet werden. Denn die Tatsache, daß Petrus in Rom mehrfach von diesem ersten Kampf mit dem Zauberer berichtet, ist kein Gegenargument (vgl. die verschiedenen Berichte über die Bekehrung des Paulus AG 9; 22; 26). Über den Umfang und den weiteren Inhalt dieses ersten Teiles läßt sich sonst kaum etwas sagen. Nur eine andere Erzählung, die dazu gehört haben wird, ist uns bekannt. c} In dem apokryphen Titusbrief (s. o. S. 90 ff.) begegnet eine Erzählung von der To ch te r eines Gärtners, die auf das Gebet des Petrus hin tot umfällt, dann auf Bitten des Vaters wieder erweckt wird, wenige Tage danach aber verführt und entführt wird. Diese Geschichte, die von dem Verfasser des Ps.-Titusbriefes gar nicht so falsch interpretiert wird, hat dieselbe Tendenz wie die Erzählung von der Tochter des Petrus (s.o.): Es ist dem Menschen besser, tot zu sein, als durch Geschlechtsverkehr befleckt zu werden. Die Zugehörigkeit dieser von Ps.-Titus aufgenommenen Erzählung zu den APt geht aus der Notiz des Augustin (c. Adimant. XVII, s. o. S. 182) hervor, wo beide Ereignisse nebeneinander gestellt, also doch wohl nach derselben apokryphen Schrift zitiert werden. Ohne Zweifel handelt es sich dabei nun um Parallelerzählungen. Aber a.uch in den Act. Verc. und in anderen AGG begegnen uns solche Parallelerzählungen, die auf den modernen Leser leicht ermüdend wirken. Fraglich ist, ob das von de Bruyne herausgegebene Fragment aus einer Rede des Petrus zu den APt gehört hat (de Bruyne in Revue Benedictine X, 1908, S. 152f.; es handelt sich 1 Eine Beschreibung der Handschrift bei W. Till, Die gnostischen Schriften des kopt. Papyrus Berol. 8502, TU 60, 1955, S. 6-8.
2. Petrusakten
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um ein Fragment aus einer Bibelkonkordanz, Cod. Cambrai 254,13. Jh.). C. Schmidt setzt diese Worte mit der Erzählung von der Tochter des Gärtners in Verbindung: "Wir besitzen höchstwahrscheinlich die Worte des Apostels, die er zu dem leidenschaftlich erregten Vater gesprochen hat" (Studien I, S. 336). Aber damit ist wohl mehr gesagt, als bewiesen werden kann. Mehr als eine Möglichkeit läßt sich nicht feststellen. 4. KOMPOSITION, .ABSICHT UND THEOLOGISCHE TENDENZ DER ÄPT: Nach dieser "Öbersicht über die erhaltenen Stücke der APt ist zu der Frage der Komposition dieser apokryphen Apostelgeschichte nicht mehr viel zu sagen. Wie schon erwähnt, läßt sich aus den Act. Verc. erschließen, daß der erste Teil, der mit Ausnahme weniger Reste verlorengegangen ist, in Jerusalem gespielt hat (vgl. Schmidt, Studien II, S. 497ff.). Hier hat sich offensichtlich auch der erste Zusammenstoß zwischen Petrus und Simon ereignet, hier haben auch die Ereignisse stattgefunden, von denen wir in dem koptischen Bericht über die Tochter des Petrus und in dem Fragment des Ps.-Titus hören. Zu beachten ist, daß der Verf. der APt die Verlegung der ersten Kontroverse zwischen Petrus und Simon nach Jerusalem offenbar deshalb vorgenommen hat, weil er durch die Tradition von dem 12 jährigen Aufenthalt des Petrus in Jerusalem gebunden war (vgl. Act. Verc. c 5; zu den 12 Jahren vgl. W. Bauer, o. S. 18 f.). Andererseits wußte er von der Wirksamkeit des Paulus in Rom, von dem Martyrium des Petrus in Rom und hatte wohl auch irgendwelche Nachrichten über eine Tätigkeit des Simon in Rom. Ob er den Bericht des Justin (Apol. 26, 2) über die Statue des Simon in Rom kannte (vgl. Act. Verc. c. 10: Marcellus berichtet, daß Simon ihn dazu überredet hätte, ihm eine Statue zu errichten), ist nicht zu sa·gen. Diese dem Verf. der APt überkommenen Traditionen haben die Komposition des Werkes bestimmt. Zunächst waren die beiden Schauplätze, Jerusalem und Rom, festgelegt. Weiter mußte erläutert werden, wie die römische Gemeinde vor der Ankunft des Petrus entstehen konnte. Dazu hat der Verf. in Act. Verc. c. 1-3 die Paulusepisode eingefügt. Wir können nicht sicher sagen, ob und in welcher Weise im ersten Teil der APt von Paulus die Rede war. Aber es ist nach dem Bericht des Petrus in Act. Verc. 23 anzunehmen, daß bei dem ersten Zusammentreffen mit Simon Paulus dabei war. Denn Petrus erzählt ja, wie Simon nicht ihn und Johannes (vgl. AG 9, 18ff.), sondern ihn und Paulus überreden wollte, ihm die Kraft Wunder zu tun (d. h. den ffig. Geist) zu verkaufen. Es ist wahrscheinlich, daß diese Tatsache, die Petrus in c. 23 erwähnt, bereits im ersten Teil ausführlicher berichtet worden ist und daß damit die Wirksamkeit des Paulus in Rom vorbereitet wurde. Die Zerstörung der römischen Gemeinde durch Simon konnte andererseits nur in Abwesenheit eines Apostels vonstatten gehen; daher mußte Paulus von Rom nach Spanien reisen. Diese Spanienreise des Paulus hat der Verf. wohl wie manche Namen dem Römerbrief des Apostels entnommen. In die Zeit, da Paulus bereits in Rom wirkt, Petrus aber durch den Befehl des Herrn noch an Jerusalem gebunden ist, fällt die Eubula-Geschichte, auf die Petrus dann später mehrmals zurückkommt (vgl. Schmidt, Studien II, S. 502ff.). Diese Erzählung muß für den Verf. bedeutsam gewesen sein, weil er auf sie so oft zurückgreift. Sie ist für ihn in der Tat wichtig, weil Simon durch dieses Ereignis als Zauberer und Bösewicht entlarvt ist und Petrus sich auf diese Entlarvung berufen kann. Der Kampf mit Simon, der ja auch in der Eubula-Geschichte das eigentliche Motiv darstellt, ist nun überhaupt ein besonders wichtiges Element der ganzen Komposition. Das wird an den Act. Verc. ja noch sehr deutlich: die Auseinandersetzung mit dem Zauberer Simon ist gewissermaßen das Leitmotiv, an das sich die anderen Erzählungen und auch das Martyrium anschließen und das sie ergänzen. Dabei ist das Martyrium sicher nach bestimmten, dem Verf. bereits bekannten Vorbildern gestaltet (vgl. u. a. H. von Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche, 1936, besonders S. 144ff.). Aber er hat die Erzählung vom Ende des Petrus mit dem Kampf gegen Simon eng verknüpft. Die öffentlich auf dem Forum ausgefochtene Kontroverse zwischen den beiden geht zwar zugunsten des Petrus aus, hat aber kein richtiges Ende. Die Schilderung des Endes Simons hat sich der Verf. aufbewahrt, um sie als Einleitung zu dem Martyrium des Petrus zu bringen (Act. Verc. c. 30
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
bis 32): Simon versucht gen Himmel aufzusteigen, stürzt aber, bricht sich die Beine und kommt elend um. Das ist der Beginn des Martyriumsberichtes, der dann allerdings keinerlei Bezug zu der Simonsgeschichte mehr aufweist. Wahrscheinlich hat der Verf. hier bestimmte vorgefundene Traditionen verarbeitet. Auch wenn der Kampf mit Simon ein wesentliches Motiv der APt ist, so ist damit nicht gesagt, daß das Werk als eine polemische Schrift gegen die simonianische Gnosis geschrieben worden ist. Es fällt ja schon bei einem flüchtigen Lesen auf, wie wenig der Verf. von der Lehre des Simon zu berichten weiß. Und auch über das Leben dieser Gestalt erfährt der Leser recht wenig. "Im allgemeinen ist die Dürftigkeit bemerkenswert, mit der die Person Simons in den Actus geschildert ist" (Sturhahn, S. 168). Alles Gewicht der Schilderung liegt auf der ständig betonten Tatsache, daß Simon nichts anderes ist als ein Magier und übler Goet. Da.rin kommt aber zum Ausdruck, daß er ein "Exponent des Satans" (Sturhahn S. 170), der äyyeA.o~ TOV l'haß6Äov (M3.rt. c. 3) ist. Die APt wollen offensichtlich keine Ketzerbestreitung betreiben, sondern ihre Absicht ist, an Simon und seinem immer siegreichen Gegenspieler aufzuzeigen, daß Gott stärker ist als der Satan, in dessen Dienst Simon steht. Daher kann Petrus diesem Kampf beinahe heilsgeschichtliche Bedeutung zuschreiben (Act. Verc. c. 6). Es geht also nicht um die simonianisch -gnostische Lehre, sondern um den Kampf zwischen Gott und dem Teufel. Es ist das Verdienst der Arbeit von Sturhahn (vgl. vor allem S. 168ff.), diese Fragen geklärt zu haben, auch wenn dabei m.E. der literarische Charakter und die Absicht der APt zu wenig berücksichtigt worden sind. Denn die Erörterung des Simonbildes in den APt kann nicht absehen von dem Ziel des Werkes. Die APt gehören zu den apokryphen AGG. Daher gilt für sie das, was bereits allgemein zu dieser Literatur gesagt worden ist (vgl. o. S. 111 ff.): Die AGG wollen unterhalten, belehren und erbauen. Sie sind keine einfache Übertragung der Literaturform des griechischen Romans und auch keine Weiterführung der antiken Aretalogien; das Vorbild der lukanischen AG ist ebenfalls nicht maßgebend. Die literarische Tätigkeit der Verfasser der AGG ist vor allem ein Sammeln und Ordnen von mannigfachen mündlich überlieferten Traditionen gewesen. Auf die APt übertragen bedeutet das nun: Auch dieses Werk ist von der Absicht bestimmt, erbaulich, belehrend und zugleich unterhaltend zu wirken. An dem Simonbild der APt wird der Unterschied zu der ketzerbekämpfenden Literatur deutlich. Die Lehre dieses Erzketzers tritt zurück, dafür aber werden antichristliche Vorwürfe allgemeiner Art ihm in den Mund gelegt!. Die Widerlegung dieser Vorwürfe durch Petrus bedient sich zwar des Schriftbeweises (Act. Verc. c. 24), erfolgt aber in entscheidender Weise durch die Taten bzw. dadurch, daß die Taten des Simon, deren Realität der Verfasser gar nicht leugnet, durch Petrus zunichte gemacht oder übertroffen werden. Auch daran zeigt sich der volkstümliche Charakter der APt (wie aller AGG), daß nicht lange theologische Erörterungen im Mittelpunkt stehen, sondern Taten: Wunder aller Art, Totenerweckungen, Erscheinungen usw. Eine gewisse Ausnahme bilden die Reden des Petrus in Mart. c. 8-10, die auch in ihrer theologischen Ausrichtung eine Sonderstellung einnehmen (vgl. Sturhahn, S. 153ff.). Aber hier wird sich der Verf. wohl einer älteren Vorlage homiletischer Art bedient haben. An dem Gesamturteil über den Charakter des Werkes ändert sich dadurch nichts. Nur wird dadurch deutlich, daß die Einheit der APt nicht in einem ausgeführten theologischen Programm besteht, soudern in dem erbaulichen und unterhaltenden Zweck und damit auch in gewissen praktischen Tendenzen. Es ist sicher schwierig und würde auch den Rahmen dieser Einleitung sprengen, wenn nun im einzelnen aufgezeigt werden sollte, inwieweit der Verf. mancherlei mündlich tradiertes Legendenmaterial benützt hat. Es gibt einige Stellen, an denen dieses Zusammenfügen der Traditionen noch deutlich wird. Es sei nur a.n das Martyrium erinnert, aber auch die
1 z.B. Act. Verc. 23: "Ihr Römer, wird ein Gott geboren? wird er gekreuzigt? Wer einen Herrn hat, der ist kein Gott!" Vgl. dazu Sturhahn, S. 176ff., dort auch weitere Belege a.us frühchristlicher Literatur.
2. Petrusakten
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Simonlegende ist sicher schon vor der Fixierung in den APt in einzelnen Legenden tradiert worden. Vor allem sind die Wundergeschichten, die ja meist typische Legenden sind, nicht von vornherein mit den Simon-Legenden verbunden gewesen, sondern gesondert entstanden und weitergegeben. Der Verf. der APt hat das Material zusammengetragen und ein verhältnismäßig geschlossenes Ganzes daraus gemacht. War er dabei bemüht, die AG fortzusetzen oder sollte sein Werk ein Parallelbericht zur AG sein? Die Frage ist nicht ganz richtig gestellt. Selbstverständlich hat die kurze Erzählung AG 8, 9ff. den Anstoß zur Legendenbildung um die Gestalt des Simon gegeben. Aber es wird ja in den APt sehr deutlich, wie dieser Bericht der AG völlig umgestaltet wird. Vor allem sind aber die theologische Intention wie auch das verarbeitete Material in den APt anderer Art als in der AG. Man kann also nicht von Parallelerzählung und auch nicht von Fortsetzung sprechen, sondern kann die APt eher als eine Ergänzung der AG im Blick auf die Person des Petrus bezeichnen. Es ist auch hier wie in den anderen AGG so, daß das Interesse an einzelnen Personen, von denen die AG nicht viel berichtete (für Petrus trifft das auf seine späteren SchicksaJe zu), den Anstoß für diese Literatur gegeben hat. Es bleibt noch die Frage, ob man von einer einheitlichen theologischen Grundanschauung sprechen kann. Die frühere Alternative gnostisch-katholisch ist schon oben als fragwürdig gekennzeichnet worden (s. o. S. 181, Anm. 3). Selbstverständlich sind die APt kein gnostisches Werk. Ebenso klar ist aber auch, daß einzelne Stücke (vor allem Mart. c. 8-10) stark mit gnostischen Elementen durchsetzt sind. In manchen Teilen der APt läßt sich weiter ein gewisser Doketismus nicht übersehen (z. B. Act. Verc. c. 20), ohne daß aber mit dem Schlagwort Doketismus nun die Theologie der APt hinreichend beschrieben wäre. "Es ergibt sich ... der ... Tatbestand, daß eine vulgärchristliche Schrift, deren ungnostischer Charakter aus anderen Gründen als erwiesen gelten kann, sich genötigt sieht, die Frage, wie der Eintritt des Erlösers in diese Welt zu verstehen sei, im doketischen Sinne zu lösen und daß sie sich dabei mit Traditionen berührt, die ihrer Struktur nach dem gnostischen ErlöserMythos nicht fernstehen ... während zugleich das Kerygma von der Jungfrauengeburt der doketischen Lösung den Schein der Legitimität verleiht" (Sturhahn, S. 182f.). In dieser Charakteristik wird deutlich, daß es nicht leicht ist, die Theologie der APt auf eine einfache Formel zu bringen. Sturhahn hat versucht, den dogmengeschichtlichen Ort der APt als volkstümlichen modalistischen Monarchianismus zu umschreiben, ohne allerdings diese Auffassung wirklich beweisen zu können. Man wird sich hier bescheiden müssen: neben doketischen Elementen begegnen tatsächlich monarchianische Aussagen (vgl. schon C. Schmidt, Petrusakten, S. 24). Die APt sind aber kein theologischer Traktat, sondern Volksliteratur, der es mehr auf erbauliche und praktische Wirkung ankommt als auf theologische Klarheit. Zu der praktischen Ausrichtung gehört nun ohne Zweifel auch eine gewisse enkra.titische Tendenz. In Act. Verc. c. 2 wird diese Tendenz an der Eucharistie mit Brot und Wasser bereits sichtbar. Wichtiger ist die starke Betonung der geschlechtlichen Enthaltsamkeit als einer Bedingung des Heils (vgl. Mart. c. 4f.). In dem koptischen Fragment wie in der späteren Predigt des Petrus in Rom spielt dieses Motiv eine beherrschende Rolle. Man darfwohl sagen, daß die Kreise, aus denen die APt stammen, gerade an diesem Punkt besonders interessiert waren. Daß enkratitische Ethik und doketische Christologie oft zusammengehören, ist bekannt. Aber die Verbindung von doketischen Aussagen und enkratitischen Tendenzen beweisen noch nicht den gnostischen Charakter der APt. Vielmehr ist es die Volksfrömmigkeit des 2. und 3. Jh., die sich hier zu Worte meldet. In ihr haben, wie zu allen Zeiten, manche Elemente nebeneinander Platz, die die Theologen gern säuberlich trennen. 5. ZEIT UND ORT DER ABFASSUNG: Die ursprünglich griechisch verfaßten APt sind, wie oben S. 181 dargelegt, von dem Verf. der Paulusakten benutzt worden. Nun ist dessen Werk durch eine Tertullianstelle auf das Ende des 2. Jahrhunderts datiert (vgl. dazu u. S. 241). Dadurch haben wir für die APt einen Anhaltspunkt: sie müssen vor ca. 190 entstanden sein, vermutungsweise in dem Jahrzehnt 180--190. Dazu paßt auch Inhalt und theologische Tendenz.
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XIII. Apostelge8chichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Der Ort, an dem das Werk entstanden ist, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Man hat an Rom oder an Kleinasien gedacht. Für Kleinasien spricht die Beziehung zu den AP, die nach dem Zeugnis des Tertullian dort entstanden sind. .Aber über Vermutungen kommt man hier nicht hinaus.
DIE .AKTEN DES PETRUS *
I. FRAGMENTE DES ERSTEN TEILES
a) Die Tochter des Petrus (Kopt. Pap. Berlin 8502, p. 128-132 und 135-141; ed. C. Schmidt S. 3-7) (p. 128) Am ersten Wochentage aber, welches ist der Herrentag, versammelte sich eine Menge, und man brachte viele Kranke zu Petrus, damit er sie heile 1. Einer aus der Menge aber wagte es, zu Petrus zu sagen: "Petrus, siehe, vor unseren Augen hast du bewirkt, (daß) viele Blinde sehen und die Tauben hören und die Lahmen gehen und hast den Schwachen geholfen und ihnen Kraft gegeben 2. Warum hast du deiner jungfräulichen, schön aufgewachsenen Tochter, die (p. 129) an den Namen Gottes geglaubt hat, nicht geholfen? Denn siehe ihre eine Seite ist ganz gelähmt und sie liegt hingestreckt dort im Winkel behindert. Man sieht die von dir Geheilten; um. deine eigene Tochter hast du dich nicht gekümmert." Petrus aber lächelte und sprach zu ihm: "Mein Sohn, Gott allein ist es offenbar, warum ihr Körper nicht gesund ist. Wisse nun, daß Gott nicht schwach oder machtlos ist, seine Gabe meiner Tochter zu gewähren. Damit aber deine Seele überzeugt werde und die Anwesenden noch mehr glauben" - (p. 130) er blickte nun seine Tochter an und sprach zu ihr: "Erhebe dich von deinem Platze, ohne daß jemand dir hilft außer Jesus allein, und wandle gesund vor diesen allen und komme zu mir." Sie aber erhob sich und ging hin zu ihm; die Menge jubelte über das, was geschehen war 3 • Es sprach Petrus zu ihnen: "Siehe, euer Herz ist überzeugt, daß Gott in allen Dingen, um. die wir ihn bitten, nicht machtlos ist." Da freuten sie sich noch mehr
* Bei der Übersetzung sind die bisherigen .Arbeiten von C. Schmidt, Ficker, Vouaux und Michaelis benutzt. Im Nachlaß Hennecke fanden sich Notizen zur Übersetzung von E. Hennecke und .A. Kurfess, die berücksichtigt wurden. Konjekturen in dem lateinischen Text des Cod. Verc. von Lipsius und Turner (JThSt XXXII, 1931, S. 119ff.) wurden teils notiert, teils stillschweigend verwertet. Die Überschriften der einzelnen .Abschnitte, außer vor dem Martyrium, sind nicht überliefert. Bibelzitate und Anspielungen auf Bibelstellen sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, verzeichnet. Vor allem die Petrusreden sind mit biblischem Sprach- und Gedankengut durchsetzt. Weitere Hinweise dazu bei Ficker, Vouaux und Michaelis. V.A = Vita .Abercii (s. o. S. 182); PapOx = Papyrus Oxyrhynchos 849 (s. o. S. 183); ( ) = erklärende Zusätze des Übersetzers; < ) = Ergänzungen. 1 Vgl. Mk. 6, 55; Mt. 4, 24;.AG 5,16 u. a. a Vgl. Mt. 11,5. 3 Vgl. zu der ganzen Szene Mk. 2, 1-12 Par.
2. Petrusakten
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und priesen Gott. Es sprach (p. 131) Petrus zu seiner Tochter: "Gehe an deinen Ort, setze dich und sei von neuem in deiner Krankheit, denn dieses ist dir und mir nützlieh." Wiederum ging das Mädchen fort, setzte sich an seinen Platz und wurde wiederum (in den alten Zustand versetzt). Die ganze Menge weinte und bat Petrus, daß er es gesund mache. Petrus sprach zu ihnen: "So wahr der Herr lebt, dieses ist ihr und mir dienlich. Denn an dem Tage, an dem sie mir geboren wurde, sah ich ein Gesicht, und der Herr sagte zu mir: 'Petrus, dir ist heute eine große (p. 132) Prüfung geboren; diese (sc. Tochter) wird nämlich viele Seelen schädigen, wenn ihr Körper gesund bleiben wird'. Ich dagegen dachte, daß das Gesicht mich verspottete. Als das Mädchen zehn Jahre alt geworden war, da wurde es vielen zu einer Anfechtung. Und ein reicher Mann, mit Namen Ptolemäus, als er das Mädchen mit seiner Mutter (sc. des Mädchens) baden gesehen hatte, schickte nach ihm, um es zu seiner Frau zu nehmen; seine Mutter (aber) war nicht zu überreden. Er schickte oft nach ihm, nicht konnte er erwarten ... (p. 133 und 134 fehlen) (die Leute des) (p. 135) Ptolemäus brachten das Mädchen, legten es vor der Tür des Hauses nieder und gingen fort. Als ich und seine Mutter (es) aber bemerkten, gingen wir nach unten und fanden das Mädchen, dessen eine ganze Seite seines Körpers von seinen Zehen bis zu seinem Kopfe gelähmt und verdorrt war. Wir trugen es fort, indem wir den Herrn priesen, der seine Dienerin vor Befleckung und Schändung und .•. bewahrt hat. Dies ist der Grund dafür, daß das Mädchen in diesem Zustand (sich befindet) bis zum heutigen Tage. Jetzt nun sollt ihr (auch) wissen die Schicksale des (p. 136) Ptolemäus. Er ging in sich und trauerte Nacht und Tag über das, was ihm geschehen war; und infolge vieler Tränen, die er vergoß, wurde er blind, und er gedachte aufzustehen und sich zu erhängen. Und siehe um die neunte Stunde jenes Tages, da er sich aber allein in seinem Schlafgemach befand, sah er ein großes Licht, das das ganze Haus erleuchtete, und er hörte eine Stimme, die zu ihm sagte: (p. 137) 'Ptolemäus, die Gefäße hat Gott nicht gegeben zum Verderben und zur Schändung; dir selbst geziemt es nicht, wie du an mich geglaubt hast, meine Jungfrau zu beflecken, welche du als deine Schwester erkennen wirst, als ob ich euch beiden ein Geist geworden sei; sondern erhebe dich und gehe schnell zum Hause des Apostels Petrus und du wirst meine Herrlichkeit schauen. Er wird dir die Sache erklären'. Ptolemäus aber zögerte nicht und befahl seinen Leuten, (p. 138) ihm den Weg zu zeigen und ihn zu mir zu führen. Als er aber zu mir gekommen war, sagte er alles, was ihm geschehen war in der Kraft Jesu Christi, unseres Herrn. Da sah er mit den Augen seines Fleisches und mit den Augen seiner Seele, und eine Menge hoffte auf Christus. Er tat ihnen Gutes und schenkte ihnen die Gabe Gottes. Danach starb Ptolemäus, er ging aus dem Leben und ging hin zu seinem Herrn. (p. 139) (Als er) aber sein Testament (aufstellte), vermachte er ein Stück Acker auf den Namen meiner Tochter, weil er durch sie an Gott geglaubt hatte und gesund geworden war. Ich (aber), dem die Verwaltung übertragen war, habe sie mit Sorgfalt geführt. Ich habe den Acker verkauft, und Gott allein weiß es - weder ich noch meine Tochter (haben den Preis für sich behalten) 1 - ich habe den Acker verkauft und nicht habe ich etwas von dem Erlös des Ackers unterschlagen, sondern das ganze Geld habe ich für die Elenden verwandt 2. 1
So ergänzt J ames.
2
Vgl. AG 5, 1-11.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Wisse nun, 0 Diener Christi Jesu, daß Gott (p. 140) für die Seinigen sorgt und einem jeden das Gute bereitet, wir aber denken, daß Gott uns vergessen hat. Jetzt nun, Brüder, laßt uns trauern, wachsam sein und beten, und die Güte Gottes wird auf uns blicken, und wir warten auf sie". Und noch andere Reden hielt Petrus vor ihnen allen, und preisend den Namen (p. 141) des Herrn Christi gab er ihnen allen von dem Brot; als er es ausgeteilt hatte, stand er auf und ging in sein Haus. Die Tat des Petrus. b) Die Tochter des Gärtners (Ps. Titus, De dispositione sanctimonii, Z. 83:ff.) Betrachte und merke dir das Geschehnis, worüber folgender Bericht unterrichtet: Ein Gärtner hatte ein Mädchen, das Jungfrau war. Das war auch seine einzige Tochter, und deshalb bat er Petrus, für sie ein Gebet zu verrichten. Nachdem er gebetet hatte, sagte er dem Vater, der Herr würde ihr schenken, was für ihre Seele angebracht sein sollte. Das Mädchen fiel alsbald tot um. o würdiger und gottgefälliger Gewinn, der Unverschämtheit des Fleisches zu entfliehen und den Stolz des Blutes zu brechen! Aber dieser mißtrauische Greis, da er den Wert der himmlischen Gnade, d. h. die göttlichen Wohltaten verkannte, bat wiederum, daß seine einzige Tochter auferweckt würde. Und einige Tage später, nachdem sie auferstanden war, kam jemand, der sich als Gläubigen ausgab, in das Haus des Greises, um bei ihm zu wohnen. Und anschließend verführte er das Mädchen und beide erschienen nicht mehr wieder. c) Fragment einer Rede des Petrus (Cod. Cambrai 254, ed. de Bruyne, Rev. Benedictine X, 1908, S.153) Petrus, der zu einem (Mann), der ungeduldig über den Tod seiner Tochter klagte, sprach, sagte: "So vielen Angriffen des Teufels, so vielen Kämpfen des Körpers, so vielen Niederlagen der Welt ist sie entgangen, und du vergießest Tränen, als wenn du nicht wüßtest, was du selbst (damit) erlitten hast (sc. welches Gut dir zuteil geworden ist)".
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2. Pet'TU8akten
II. ACTUS VERCELLENSES
(Der Handel des Petrus mit Simon) (Aa 1, p. 45-103)
1. (Die Abreise des Paulus von Rom) 1 Als Paulus sich eine Zeitlang in Rom aufhielt und viele im Glauben stärkte, geschah es auch, daß eine Frau mit Namen Candida, die Gattin des Quartus, eines Angehörigen der Wachmannschaft, den Paulus hörte und seiner Rede aufmerksam anhing und gläubig wurde. Und als sie nun ihrerseits ihren Gemahl unterrichtet hatte und er zum Glauben gekommen war, stellte es Quartus 1 dem Paulus frei 2, aus der Hauptstadt wegzugehen, wohin er wolle. Paulus aber sagte ihm: "Wenn es Gottes Wille ist, wird er selbst es mir offenbaren." Und Paulus fastete drei Tage lang und erbat vom Herrn das, was für ihn geeignet sei, und hatte daraufhin eine Erscheinung, in der der Herr zu ihm sprach: "Paulus, stehe auf und sei den Menschen 3 in Spanien ein Arzt!" So berichtete er den Brüdern, was Gott (ihm) aufgetragen habe, und ohne jedes Bedenken stand er schon im Begriffe, die Hauptstadt zu verlassen. Als Paulus aber im Begriff war, wegzugehen, ward ein großes Weinen in der ganzen Bruderschaft deswegen, weil sie glaubten, sie würden Paulus nicht mehr (wieder) sehen 4, so daß sie sogar ihre Kleider zerrissen; außerdem hielten sie sich vor Augen, daß Paulus öfter mit den Lehrern der Juden zusammengeraten war und sie widerlegt hatte (mit folgenden Argumenten): "Der, an den eure Väter die Hand gelegt haben, ist der Christus 6. Er (sc. Christus) schaffte ihren Sabbat ab und ihr Fasten und ihre Feiertage und ihre Beschneidung und hat die Menschenlehre (p. 46) und die übrigen überlieferungen aufgelöst." 6 Es bedrängten 7 aber die Brüder Paulus bei der Ankunft unseres Herrn Jesu Christi, er möchte nicht länger als ein Jahr wegbleiben, indem sie sagten: "Wir kennen deine Liebe zu deinen Brüdern; vergiß uns nicht, wenn du (nach Spanien) gekommen bist, und laß uns nicht allein wie Kinder ohne Mutter." Und als sie ihn lange unter Tränen anflehten, erscholl ein Ton vom Himmel und eine sehr laute Stimme sprach: "Paulus, der Diener Gottes, ist erwählt zum Dienst für die Zeit seines Lebens; in den Händen N eros, des gottlosen und schlechten Menschen wird er vor euren Augen vollendet werden." Es befiel aber die Brüder große Furcht noch mehr wegen der Stimme, die vom Himmel gekommen war, und viel mehr wurden sie (im Glauben) gestärkt. 2 Sie reichten aber dem Paulus Brot und Wasser 8 zum Opfer, damit er nach dem Gebet jedem austeile. Unter ihnen war auch eine Frau mit Namen Rufina, die durchaus 9 auch ihrerseits die Eucharistie aus den Händen des Paulus empfangen wollte. VgI. Rm. 16,23. 2 Turner: permisit. Vgl. AG 20,25.38. 6 Turner: Christum esse eum. 6 Vgl. KoI. 2, 8. 16.22. 7 Lipsius: urgebant. 8 Zur Eucharistie mit Brot und Wasser vgl. AP, u, S. 256. 8 Turner: utique. 1 4
8
Turner: constituti.
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Als sie herantrat, sagte Paulus vom Geiste Gottes erfüllt zu ihr: "Rufina, nicht als eine Würdige trittst du an den Altar Gottes, da du dich von der Seite nicht eines Ehemannes, sondern eines Ehebrechers erhoben hast, und nun versuchst, die Eucharistie Gottes zu empfangen. Denn siehe, der Satan wird deinen Körper 1 zerschlagen und dich vor den Augen aller, die an den Herrn glauben, niederwerfen, damit sie sehen und glauben und wissen, daß sie an den lebendigen Gott, den Erforscher der Herzen 2, geglaubt haben. Wenn du aber deine Tat bereust, ist er treu 3, der deine Sünden tilgen (und dich) von dieser Sünde befreien kann. Wenn du aber nicht bereust, solange du noch im Leibe bist, so wird dich das verzehrende Feuer und die äußere Finsternis 4 aufnehmen in alle Ewigkeit." Und sofort brach Rufina zusammen, gelähmt auf der linken Seite vom Kopf bis zu den Zehen der Füße. Auch reden konnte sie nicht mehr, denn ihre Zunge war gebunden 5. Als dies aber die (schon länger) Gläubigen und die Neubekehrten sahen, schlugen sie an ihre Brust, indem sie ihrer früheren Sünden gedachten, klagten und sagten: "Wir wissen nicht, ob Gott uns die früheren Sünden, die wir begangen haben, vergibt." Da gebot Paulus Schweigen und sagte: "Ihr Brüder, die ihr jetzt an Christus zu glauben begonnen habt 6, wenn ihr nicht in (p. 47) eurem früheren Wandel und in euren väterlichen überlieferungen bleibt und euch enthaltet von allem Betrug und Jähzorn, von aller Grausamkeit und Ehebruch und Befleckung und von Hochmut und Eifersucht, Hoffart und Feindseligkeit, so wird euch Jesus, der lebendige Gott, nachlassen, was ihr in Unwissenheit getan habt 7. Deswegen, ihr Knechte Gottes, wappnet euch, ein jeder an seinem inwendigen Menschen, mit Frieden, Gleichmut, Milde, Glaube, Liebe, Erkenntnis,' Weisheit, Bruderliebe, Gastfreundschaft, Barmherzigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit, Güte, Gerechtigkeit! Dann werdet ihr in Ewigkeit den Erstgeborenen der gesamten SchöpfungS zu eurem Führer haben und Tugend in Frieden mit unserm Herrn. 9" Als sie dieses aber von Paulus gehört hatten, baten sie ihn, er möge für sie beten. Paulus aber erhob seine Stimme und sprach: "Ewiger Gott, Gott der Himmel, Gott von unaussprechlicher Majestät, der du alles durch dein Wort befestigt hast, der du (die dem Menschen) angebundene Fessel (zerbrochen hast, der du das Licht) 10 deiner Gnade aller Welt hast zuteil werden lassen, Vater deines heiligen Sohnes Jesu Christi, wir bitten dich miteinander durch deinen Sohn Jesus Christus, die Seelen zu stärken, die einst ungläubig waren, jetzt aber gläubig sind. Einst war ich ein Lästerer 11, jetzt aber werde ich gelästert; damals war ich ein Verfolger, jetzt aber leide ich Verfolgung von anderen; damals war ich ein Feind Christi, jetzt bete ich, Turner: corpore. • Vgl. AG 1, 24; 15,8. Vgl. 1. Joh. 1,9. • Vgl. Mt. 25, 30. 5 Die Rufina-Geschichte wird auch bei Ps.-Titus erwähnt, s. o. S. 92. 6 VA: Ihr Männer, die ihr nun gläubig geworden seid und für Christus Kriegsdienst leisten wollt. 7 VA: so wird euch der Gott aller Dinge durch seinen heiligen Sohn, an den ihr jetzt glaubt, das, was ihr in Unwissenheit, da ihr ihn nicht kanntet, getan habt, vergeben. - Vgl. AG 3,17; 17,30. S Vgl. KoI. 1, 15. 9 VA: Dann werdet ihr gnädig und versöhnlich haben den menschenfreundlichen Gott und unseren Anführer, den Erstgeborenen aller Schöpfung und Macht, unseren Herrn Jesus Christus. 10 Turner: qui vinculum inligatum (homini confregisti, qui lumen) omni saeculo. 11 Vgl. 1. Tim. 1, 13. 1
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ein Freund sein zu dürfen. Denn ich vertraue auf seine Verheißung und Barmherzigkeit; denn ich meine, daß ich gläubig bin und Vergebung für meine früheren Sünden erhalten habe. Deshalb ermahne ich auch euch, Brüder, an den Herrn, den allmächtigen Vater zu glauben und alle eure Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus, seinen Sohn zu setzen. Wenn ihr an ihn glaubt, wird auch niemand euch aus seiner Verheißung reißen können. In gleicher Weise beuget eure Knie und empfehlet mich dem Herrn, der ich im Begriff stehe, zu einem anderen Volk zu reisen, daß seine Gnade vor mir hergehe und meine Reise gut ordne, damit sie (sc. die Gnade) seine heiligen Gefäße und die Gläubigen aufnehmen könne und sie (sc. die Gläubigen) voller Dank gegen mich, der ich das Wort des Herrn verkünde, wohl gegründet werden können." Die Brüder aber weinten lange und flehten zu Gott mit Paulus und sagten: "Du, 0 Herr Jesus Christus, sei mit Paulus und führe ihn uns unversehrt zurück, denn wir kennen unsere Schwachheit, die in uns bis jetzt noch ist!" 3 Flehentlich aber bat ein großer Haufe von Frauen kniefällig (p. 48) den seligen Paulus, und sie küssten sein e Füße und führten ihn hinab zum Hafen, darunter auch 1 Dionysius und Balbus aus Asien, römische Ritter, vornehme Männer. Und ein Senator mit Namen Demetrius wich nicht von der rechten Seite des Paulus und sagte: "Paulus, ich möchte aus dieser Stadt fliehen, wenn ich nicht Beamter wäre, um dich nicht verlassen zu müssen." Ebenso (sagten) vom Hause des Kaisers 2 Kleobius und Iphitus und Lysimachus und Aristeus und zwei Matronen Berenike und Philostrate mit dem Presbyter Narcissus, nachdem sie ihn zum Hafen geleitet hatten. Da aber ein Sturm vom Meere drohte, schickte er (sc. Paulus) die Brüder nach Rom zurück, damit, wer wolle, herabkomme und Paulus höre, bis er abfahre. Als die Brüder das (nämlich diesen Auftrag des Paulus) hörten, stiegen sie zur Stadt hinauf. Sie teilten es den Brüdern, die in der Stadt geblieben waren, mit und sogleich verbreitete sich das Gerücht. Und da kamen die einen mit Fuhrwerk, andere zu Fuß, andere auf dem Tiber zum Hafen binab und wurden durch (seinen) Glauben sehr gestärkt drei Tage lang und am vierten Tag bis zur fünften Stunde. Sie beteten abwechselnd mit Paulus, brachten (ihm) Gaben und legten alles, was nötig war, in das Schiff und übergaben ihm zwei gläubige Jünglinge, daß sie mit ihm führen, und nahmen im Herrn Abschied von ihm. 2.
(Die Ankunft Simons in Rom und seine ersten Erfolge; Reise des Petrus nach Rom) 4 Nach wenigen Tagen aber entstand in der Gemeinde eine große Unruhe, da (einige) sagten, sie hätten wunderbare Dinge durch einen Menschen mit Namen Simon gesehen, und er sei in Aricia. Sie fügten hinzu 3: "Er sagt, er sei die große Kraft Gottes 4 und ohne Gott tue er nichts. Ist er etwa Christus selbst1 Aber wir glauben an den, den uns Paulus verkündigt hat. Denn durch ihn haben wir Tote auferweckt und (manche) von mannigfachen Krankheiten befreit gesehen. Was das aber für ein Turner: sed (et). 2 Vgl. Phil. 4, 22. Lipsius schlägt vor: adiecerunt quia. Da quia Übersetzung von Sn sein könnte, würde damit die direkte Rede beginnen. 4 Vgl. AG 8, 10 und Haenchen, Apostelgeschichte 13 1961, S.250ff. 1
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13 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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Kampf ist, wissen wir nicht!. Denn die Erregung, die uns befallen hat, ist nicht gering. Vielleicht wird er jetzt schon Rom betreten. Denn am gestrigen Tage wurde er mit lauten Zurufen (darum) gebeten, indem man ihm sagte: 'Du bist in Italien Gott, du der Heiland der Römer, eile so schnell wie möglich nach Rom" Jener aber sprach die Volksrnassen an und sagte mit zarter Stimme: 'Ihr werdet mich am morgigen Tage etwa um die siebte Stunde über das Tor der Stadt fliegen sehen, in derselben Erscheinung, in der ihr mich jetzt mit euch sprechen seht'. Darum, ihr Brüder, wenn es euch recht ist, wollen wir gehen (p. 49) und mit allem Fleiß den Ausgang der Sache erwarten." So liefen sie alle miteinander hin und kamen an das Tor. Als aber die siebte Stunde kam, siehe da erschien plötzlich eine Staubwolke am Himmel in der Ferne, wie Rauch, der durch (Feuer-) Strahlen von fern aufleuchtet. Und nachdem sie (sc. die Wolke) an das Tor gekommen war, verschwand sie plötzlich. Und darauf erschien er (sc. Simon) mitten im Volk stehend, und sie verehrten ihn alle und erkannten, daß er es sei, der tags zuvor von ihnen gesehen worden war. Und in höchstem Maße wurden die Brüder untereinander angefochten, insbesondere da Paulus nicht in Rom war, und auch nicht Timotheus und Barnabas, da sie von Paulus nach Makedonien geschickt worden waren 2, und da keiner vorhanden war, der uns stärken konnte, zumal diejenigen, die erst kürzlich (im Glauben) unterwiesen worden waren. Und Simons Ansehen hob sich immer mehr bei denen, unter denen er wirkte, und einige von ihnen nannten in (ihren) täglichen Gesprächen den Paulus einen Zauberer, andere einen Gaukler; so wurden von der großen Menge, die im Glauben fest begründet war, alle abspenstig gemacht, außer dem Presbyter Narcissus und zwei Frauen in der Herberge der Bithynier und vier anderen, welche das Haus nicht mehr verlassen konnten; und sie widmeten sich, eingeschlossen, Tag und Nacht dem Gebet und baten den Herrn, daß Paulus so schnell wie möglich zurückgeführt würde, oder irgendein anderer käme, der seine Knechte besuche, da der Teufel sie durch seine Schlechtigkeit abtrünnig gemacht hatte. 5 Während sie aber trauerten und fasteten, bereitete Gott den Petrus schon auf die Zukunft vor, nachdem die zwölf Jahre in Jerusalem, die der Herr Christus ihm vorgeschrieben hatte 3, vollendet waren 4; er zeigte ihm folgendes Gesicht und sprach zu ihm: "Petrus' Der, den du aus Judaea vertrieben hast, nachdem du ihn als Zauberer erwiesen hast, Simon ist euch wieder zuvorgekommen (und zwar) in Rom. Und in Kürze sollst du wissen: alle nämlich, die an mich geglaubt haben, hat Satan durch seine Hinterlist und Macht abtrünnig gemacht, dessen Kraft zu sein er (damit) erweist. Aber verweile nicht (länger). Am morgigen Tage reise (nach Caesarea), und dort wirst du ein Schiff bereit finden, das nach Italien fährt. Und in wenigen Tagen will ich dir meine Gnade zeigen, die keine Anfeindung 5 kennen soll." Petrus aber, durch dieses Gesicht gemahnt, berichtete es unverzüglich den Brüdern und sagte: "Ich muß nach Rom hinaufziehen, um den Feind und Gegner des Herrn und (p. 50) unserer Brüder niederzuringen." Und er stieg hinab nach Caesarea und sogleich bestieg er das Schiff, von dem die (Lande-) Treppe bereits weggezogen war, und ohne 1 Cod. Verc.: Diese (oder hic, also: dieser?) aber sucht Streit, das wissen wir. So auch Michaelis. Die Übersetzung oben beruht auf der Konjektur von Bonnet: quae sit dimicatio nescimuB. 2 Vgl. AG 19, 22; Phil. 2, 19:ff. 8 Vgl. Kerygma Petri, Fragm. 3, s. o. S. 62 und W. Bauer o. S. 18 f. 4 Interpunktion nach Turner. 6 Vgl. Weish. Sal. 7,13.
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daß noch (für ihn) Lebensmittel an Bord genommen waren. Der Kapitän aber, mit Namen Theon, sah Petrus an und sagte: "Alles, was wir haben, gehört dir. Welcher Dank aber wird uns zuteil, wenn wir einen Menschen, der uns gleicht, in unsicherer Lage (zwar) aufnähmen, aber nicht alles, was wir haben, mit dir teilten1 Mögen wir aber nun eine glückliche Fahrt haben!" Petrus aber dankte für sein Anerbieten; er fastete aber im Schiff, betrübten Geistes, wiederum aber sich aufrichtend, weil Gott ihn für würdig erachtet habe, Diener in seinem Dienst zu sein. Nach wenigen Tagen aber stand der Kapitän zur Stunde seines Frühstücks auf. Er bat den Petrus, mit ihm zu speisen und sagte zu ihm: ,,0, wer du auch sein magst, ich kenne dich zu wenig, ob du ein Gott oder ein Mensch bist. Aber ich meine - soweit ich es verstehe -, daß du ein Diener Gottes bist. Denn während mitten in der Nacht mein Schiff von mir gesteuert wurde und ich eingeschlafen war, da schien es mir, als ob eine menschliche Stimme vom Himmel her zu mir sagte: 'Theon, Theon!' Zweimal rief sie mich bei meinem Namen und sagte zu mir: 'Unter allen, die mit dir fahren, sei dir Petrus derjenige, der höchster Verehrung wert ist. Durch ihn werdet ihr, du und die übrigen, aus unverhoffter Situation 1 heraus ohne jeden Schaden heil hervorgehen.''' Petrus aber glaubte, daß Gott denen, die auf dem Schiff waren, auf dem Meere seine Vorsehung zeigen wollte. Daraufhin begann Petrus dem Theon die großen Taten Gottes 2 darzulegen und wie Gott ihn unter den Aposteln erwählt habe und welchen Zweck seine Reise nach Italien habe. Täglich aber teilte er ihm das Wort Gottes mit. Und er betrachtete ihn und erkannte durch den Verkehr mit ihm, daß er gleichgesinnt im Glauben sei und würdig des Dienstes 3. Als aber das Schiff auf der Adria in eine Windstille geriet, wies Theon den Petrus auf die Windstille hin und sagte: "Wenn du mich für würdig halten willst, in das Zeichen des Herrn einzutauchen, so hast du (jetzt) Gelegenheit (dazu)." Denn alle, die auf dem Schiff waren, schliefen betrunken. Petrus ließ sich an einem Tau herab und taufte den Theon im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Jener aber stieg fröhlich und in großer Freude aus dem Wasser empor, auch Petrus war froher geworden, weil Gott den Theon seines Namens für würdig gehalten hatte. Es geschah aber (p. 51), daß an derselben Stelle, an der Theon getauft worden war, ein Jüngling erschien, strahlend vor Glanz, und zu ihnen sprach: "Friede (sei) mit euch!" 4 Und sofort stiegen Petrus und Theon hinauf und gingen in die Kajüte hinein, und Petrus nahm Brot und dankte dem Herrn, der ihn seines heiligen Dienstes gewürdigt hatte, und (dafür,) daß ihnen der Jüngling erschienen wäre, der 'Friede (sei) mit euch' sagte. (Petrus sprach:) "Bester und allein Heiliger! Denn du bist uns doch erschienen, Gott Jesus Christus, in deinem Namen ist er (Theon) eben getauft 5 und mit deinem heiligen Zeichen ist er gezeichnet worden. Daher teile ich auch in deinem Namen ihm deine Eucharistie mit, damit er dein vollkommener Diener sei ohne Tadel für immer." Als sie aber aßen und sich im Herrn freuten, (erhob sich) plötzlich am Vorderteil des Schiffes ein Wind, nicht sehr heftig, eher mäßig, und flaute nicht ab sechs Tage und ebensoviele Nächte lang, bis sie nach Puteoli gelangten. 6 Als sie nun in Puteoli angelegt hatten, sprang Theon aus dem Schiff und begab sich in das Quartier, in dem er gewöhnlich einkehrte, um (dort) die Aufnahme des Petrus vorzubereiten. Der Mann aber, bei dem er einkehrte, hieß Ariston. Dieser 1 3
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Turner: ex insperato casu. Turner: diaconii. Interpunktion nach James. Vgl. Joh. 20, 19. 21. 26.
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Vgl. AG 2, H.
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Lipsius: lotus.
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fürchtete (schon) immer den Herrn und Theon schloß sich ihm an um des Namens (Christi) willen. Und als er in das Quartier gekommen war und den Ariston gesehen hatte, sagte Theon zu ihm: "Der Gott, der dich gewürdigt hat, ihm zu dienen, hat auch mir an seiner Gnade Anteil gegeben durch seinen heiligen Knecht Petrus, der jetzt mit mir von Judaea her gefahren ist, da, er von unserem Herrn den Befehl erhalten hat, nach Italien zu kommen." Als aber Ariston das hörte, fiel er dem Theon um den Hals, umarmte ihn und bat ihn, ihn zum Schiff zu führen und ihm den Petrus zu zeigen. Ariston sagte nämlich, seit Paulus nach Spanien abgereist sei, hätte es keinen unter den Brüdern gegeben, bei dem er sich hätte stärken können. Außerdem sei ein Jude, mit Namen Simon, in die Stadt eingedrungen. "Dieser (so fuhr er fort) hat durch Zauberspruch und durch seine Schlechtigkeit von Grund auf die ganze Bruderschaft abtrünnig gemacht, sodaß auch ich aus Rom floh in der Hoffnung, Petrus werde kommen. Denn Paulus hat von ihm berichtet, und ich habe vieles in einem Gesicht gesehen. Jetzt glaube ich daher an meinen Herrn, daß er seinen Dienst wieder aufrichtet, damit alle Verführung von seinen Knechten genommen werde. Denn treu ist unser Herr Jesus Christus, der unsere Sinne wieder erneuern kann." (p. 52) Als aber Theon dieses von dem weinenden Ariston hörte, da wuchs ihm der Mut noch mehr und er wurde noch mehr bestärkt, da er erkannte, daß er an den lebendigen Gott gläubig geworden war. Als sie aber zusammen an das Schiff kamen, erblickte Petrus sie und, vom Geist erfiUlt, lächelte er, so daß Ariston auf sein Angesicht Petrus zu Füßen fiel und folgendes sagte: "Bruder und Herr, der du an den heiligen Geheimnissen teilhast und den rechten Weg zeig,~t, der in dem Herrn Jesus Christus, unserem Gott, ist. Er hat uns deine Ankunft offen gezeigt 1. Wir haben nämlich alle, die uns Paulus übergeben hatte, durch die Kraft Satans verloren. Aber jetzt hoffe ich auf den Herrn, der dir durch seinen gesandten Boten zu uns zu eilen befohlen hat, da er uns gewürdigt hat, uns durch dich seine großen und wunderbaren Taten sehen zu lassen. Ich bitte dich daher: eile in die Stadt! Denn ich habe die Brüder, die ein Ärgernis gaben (und) die ich in der Versuchung des Teufels habe fallen sehen, verlassen und bin hierher geflohen, indem ich ihnen sagte: 'Brüder, stehet im Glauben! 2 Denn notwendigerweise wird innerhalb der nächsten zwei Monate das Erbarmen des Herrn euch seinen Diener zuführen'. Denn ich hatte eine Erscheinung gesehen, den Paulus, der zu mir sagte: 'Ariston, fliehe aus der Stadt!' Als ich das gehört hatte, glaubte ich ohne Zögern, ging im Herrn aus der Stadt, wenn ich auch sehr schwaches Fleisch trage, und so bin ich hierher gelangt, stand täglich am Ufer und fragte die Seeleute: 'Ist etwa Petrus mit euch gefahren?' Jetzt aber, da die Gnade des Herrn (uns) reichlich widerfährt, bitte ich, wir möchten ohne jede Verzögerung nach Rom hinaufsteigen, damit nicht die Lehre des verbrecherischen Menschen noch weiter um sich greift." Als Ariston dies unter Tränen sagte, gab ihm Petrus die Hand und hob ihn von der Erde auf, und Petrus selbst sprach unter Tränen und Seufzen: "Es ist uns zuvorgekommen der, welcher den Erdkreis durch seine Engel versucht 3 • Aber auslöschen wird (Gott) seine Verführungen (sc. Satans) und unter die Füße derer legen 4 , die an Christus, den wir verkündigen, geglaubt haben, (er), der die Gewalt hat, seine Knechte aus aller Versuchung zu reißen." Und als sie zum Tore eintraten, bat Theon den Petrus und sagte: "An keinem Tage (bei) der so langen Meerfahrt hast du auf dem Schiff dich erquickt. Jetzt aber willst du direkt vom Schiff aus den 1 3
Turner: qui aperte adventum tuum. Vgl. Offbg. 12, 9.
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1. Kor. 16, 13. Vgl. Rm. 16,20.
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Weg auf einer so beschwerlichen Straße antreten? (p. 53) Bleibe doch und erquicke dich, und dann magst du reisen. Denn von hier bis Rom ist gepflasterte Straße, und ich fürchte, du könntest von der Erschütterung einen Schaden davontragen." Es antwortete aber Petrus und sprach zu ihnen: "Wenn es aber geschähe, daß mir zusammen mit dem Feind unseres Herrn ein Mühlstein umgehängt würde, wie mein Herr zu uns sagte, wenn einer (einem) von den Brüdern Ärgernis gegeben hätte, und wir in die Tiefe versenkt würden I? Es würde aber nicht nur geschehen, daß ein Mühlstein (um den Hals gehängt würde), sondern, was schlimmer ist, es würde fern von denen die an den Herrn Jesus Christus geglaubt haben, der Gegner dieses Verfolgers seiner Knechte sein Ende finden." 2 Auf keine Weise aber konnte Theon ihn überreden, auch nur einen Tag dort zu bleiben. Theon aber übergab nun seinerseits alles, was im Schiff war, denen, die als Interessenten kamen, und folgte dem Petrus nach Rom, wobei Ariston (sie) zur Wohnung des Presbyters Narcissus 3 hinführte.
3. (Die erste Predigt des Petrus in Rom) 7 Das Gerücht ging im Fluge durch die Stadt zu den zerstreuten Brüdern: Petrus sei auf Geheiß des Herrn 4 gekommen Simons wegen, um zu zeigen, daß dieser ein Verführer und Verfolger des Guten sei. Es lief darum die ganze Menge zusammen, um den Apostel des Herrn zu sehen, wie er (die Gemeinde) auf Christus grÜDde. Am ersten Tage der Woche aber kam die Menge zusammen, um den Petrus zu sehen. Daher begann Petrus mit sehr lauter Stimme zu reden: "Ihr hier versammelten Männer, die ihr auf Christus hofft, ihr, die ihr eine kleine Weile Versuchung erlitten habt, merket auf! Warum hat Gott seinen Sohn in die Welt gesandt 5 oder warum hat er (ihn) durch die Jungfrau Maria hervorgebracht 6, wenn er nicht irgendeine Gnade und einen Heilsweg 7 schaffen wollte? Denn er wollte beseitigen 8 alles Ärgernis und alle Unwissenheit und alle Macht des Teufels, (seine) Anschläge und Kräfte unwirksam machen, durch welche er einst die Oberhand hatte, bevor unser Gott in der Welt als Licht erstrahlte 9. Weil sie (die Menschen) mit ihren vielen und mannigfaltigen Schwachheiten durch Unwissenheit in den Tod stürzten 10, hat der allmächtige Gott, von Mitleid bewegt, seinen Sohn in die Welt gesandt, wo bei ich zugegen gewesen bin. Und ich bin über die Wasser gewandelt 11, wofür ich selbst Zeuge bleibe 12 ; ich bekenne, daß ich dabei gewesen bin, als er damals in der Welt (p. 54) durchZeiVgl. Mk. 9, 42 Par. Der Text ist verdorben. Der Sinn: Petrus darf nicht wie SimonÄrgernis geben, er darf aber auch nicht fern von der Gemeinde (d.h. doch wohl: ehe er Simon widerlegt hat) umkommen. 3 Vgl. Rm. 16, 11. 4 Turner: discentem domini (?). • Vgl. Joh. 3, 17. 6 VA: Ihr Männer, die ihr aufOhristus eure Hoffnung gesetzt habt, erkennt, weshalb Gott seinen Sohn durch die heilige Jungfrau Maria hervorgebracht und in die Welt geschickt hat. 7 Vouaux: procuratio = oluo'Voflta. 8 Turner: volens (tollere). 9 VA: bevor unser Herr J esus in seiner Welt aufleuchtete. 10 VA läßt aus: Weil sie - stürzten. 11 Turner: ambulavi ist richtig und nicht mit Lipsius in ambulavit zu ändern. 12 Vgl. Mt. 14, 22ff. 1
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chen und alle Wunder, die er getan hat, gewirkt hat. Teuerste Brüder, ich habe unsern Herrn J esus Christus verleugnet, und nicht nur einmal sondern dreimal!. Es waren nämlich die, die mich umringt hatten, schlechte Hunde, wie der Prophet des Herrn sagt 2. Aber der Herr hat es mir nicht angerechnet. Er wandte sich zu mir und erbarmte sich der Schwachheit meines Fleisches, so daß ich nachher bitterlich weinte, und ich war betrübt über meinen so schwachen Glauben, da ich von dem Teufel um den Verstand gebracht war und das Wort meines Herrn nicht im Sinn hatte. Und jetzt sage ich euch, ihr Brüder, die ihr im Namen Jesu Christi zusammengekommen seid: auch auf euch richtet der Betrüger Satan seine Pfeile, damit ihr vom Wege abweicht. Aber werdet nicht abtrünnig, Brüder, und fallt nicht im Geist, sondern seid stark und stehet fest und zweifelt nicht! Denn wenn mich, den der Herr in so hoher Ehre hielt, Satan in Anfechtung gebracht hat, so daß ich das Licht meiner Hoffnung verleugnete, wenn er mich niederwarf und überredete, ich solle fliehen, als ob ich an einen Menschen glaubte, was glaubt ihr wohl, die ihr Neubekehrte seid? Meintet ihr, daß er euch nicht aus der Bahn werfen würde, um euch zu Feinden des Reiches Gottes zu machen und durch den schlimmsten Irrtum euch ins Verderben zu stürzen? Denn jeder, den er von der Hoffnung auf unseren Herrn J esus Christus abdrängt, der ist ein Kind des Verderbens 3 in alle Ewigkeit. Bekehrt euch also, vom Herrn erwählte Brüder, und seid stark in dem allmächtigen Herrn, dem Vater unseres Herrn J esu Christi, den niemand je gesehen hat noch sehen kann außer dem, der an ihn glaubt 4. Erkennet aber, woher euch die Versuchung gekommen ist. Denn nicht nur deswegen, um euch mit Worten zu überzeugen, dieser, den ich verkündige, sei Christus, sondern auch durch Taten und großartige Kräfte mahne ich euch durch den Glauben an Christus Jesus, daß keiner von euch einen anderen erwartet (sc. als Heiland) als den Verachteten und von den Juden Geschmähten, diesen gekreuzigten Nazarener, der starb und am dritten Tage auferstand."
4.
(Marcellus. Wiederaufbau der Gemeinde in Rom) 8 Voll Reue aber baten die Brüder den Petrus, den Simon zu überwinden, der von sich behauptete, er sei die Kraft Gottes - er hielt sich im Hause des Senators Marcellus auf, der von seinen Zaubersprüchen beschwatzt war -, und sie sprachen: "Glaube uns, Bruder Petrus, niemand war so weise (p. 55) unter den Menschen wie dieser Marcellus. Alle Witwen. die auf Christus hofften, fanden bei ihm Zuflucht; alle Waisen wurden von ihm ernährt. Was weiter, Bruder? Marcellus nannten alle Armen ihren Schutzherren, sein Haus trug den Namen (Herberge) der Pilger und Armen. Zu ihm sprach der Kaiser: 'Von jedem Amt halte dich fern, damit du nicht die Provinzen ausplünderst und den Christen (die Erträge) zukommen läßt'. Ihm erwiderte Marcellus: 'Und alles, was mein ist, gehört dir'. Ihm entgegnete der Kaiser: 'Es wäre mein, wenn du es für mich bewahren würdest; jetzt aber ist es nicht mein, weil du es Vgl. Mk. 14, 66ff. Par. • Turner: sicut ait prophetes; vgl. Ps. 21, 17 (LXX). 3 Vgl.Joh. 17, 12; 2. Thess. 2, 3. • Vgl. J oh. 1, 18; 6, 46; aber dort ist es der Sohn, hier sind es die Gläubigen, die Gott schauen können. 1
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schenkst, wem du willst!, und ich weiß nicht welchen niedrigen Leuten'. Das also, Bruder Petrus, haben wir vor Augen, und berichten dir, wie sich die große Barmherzigkeit des Mannes in Gotteslästerung verwandelt hat. Wenn nämlich jener sich nicht gewandelt hätte, dann hätten auch wir uns nicht entfernt von dem heiligen Glauben an Gott, unseren Herrn. Dieser Marcellus ist jetzt wütend und bereut sein Wohltun, indem er spricht: 'Ein so großes Vermögen habe ich so lange Zeit verwendet in dem vergeblichen Glauben, ich verausgabte es zur Erkenntnis Gottes'. Soweit (geht er in seiner Wut), daß, wenn einer von den Fremden zu ihm an die Tür seines Hauses kommt, er ihn mit dem Stock schlägt und hinauswerfen läßt und sagt: '0 hätte ich doch für jene Betrüger nicht soviel Geld ausgegeben!' Aber er sagt noch mehr Gotteslästerungen. Wenn aber in dir noch etwas von dem Erbarmen unseres Herrn oder von der Güte seiner Vorschriften verblieben ist, so hilf seinem Irrtum auf; er hat doch in so großer Zahl den Dienern Gottes Almosen gegeben." Als aber Petrus dies sah, wurde er von großem Schmerz ergriffen und schalt 2: ,,0 mannigfaltige Künste und Versuchungen des Teufels! 0 Listen und Erfindungen von Bösem! Der für sich auf den Tag des Zorns 3 das große Feuer nährt, Verwüstung einfältiger Menschen, ein reißender Wolf4, ein Verschlinger und Zerstreuer des ewigen Lebens! Du hast den ersten Menschen in böse Lust verstrickt und hast ihn durch deine frühere Schlechtigkeit und ein körperliches Band (an dich) gefesselt. Du bist die Frucht des Baumes der Bitterkeit, die ganz bitter ist, der du mannigfaltige Lüste einflößest. Du hast meinen Mitschüler und Mitapostel Judas gezwungen, gottlos zu handeln, daß er verriet unsern Herrn Jesus Christus, der dich (p. 56) dafür notwendigerweise strafen muß. Du hast das Herz des Herodes verstockt und den Pharao entflammt und ihn gezwungen zu kämpfen gegen den heiligen Diener Gottes, Moses; du hast dem Kaiphas die Kühnheit beigebracht, daß er der feindlichen Menge unsern Herrn Jesus Christus übergab 5; und auch jetzt noch schießest du mit deinen giftigen Pfeilen auf unschuldige Seelen. Du gottloser Feind aller, als ein Fluch wirst du von der Kirche 6 des Sohnes des heiligen allmächtigen Gottes (getrennt) und wie ein vom Herd geworfener Feuerbrand von den Dienern unseres Herrn Jesu Christi ausgelöscht werden. Gegen dich möge sich kehren deine Schwärze und gegen deine Söhne, den schlechtesten Samen, gegen dich mögen sich kehren deine Schlechtigkeiten und gegen dich deine Drohungen und gegen dich deine Versuchungen und gegen deine Engel, du Anfang der Schlechtigkeit, Abgrund der Finsternis! Deine Finsternis, die du hast, sei mit dir und mit deinen Gefäßen, die du besitzest. Weiche darum von denen, die Gott glauben wollen, weiche von den Dienern Christi und denen, die für ihn Kriegsdienste leisten wollen! Behalte du für dich deine Tore 7 der Finsternis; vergeblich klopfest du an fremde Türen, die nicht dir gehören, sondern Christus Jesus, der sie bewacht. Denn du, reißender Wolf, willst die Schafe rauben 8, die nicht dir, sondern Jesus Christus gehören, der sie eifrig mit dem höchsten Eifer bewacht". 9 Während Petrus dies unter großem Schmerz seiner Seele sprach, wurden weit mehr, die an den Herrn glaubten, hinzugetan 9. Die Brüder aber baten den Petrus, er Turner (im .Anschluß an Lipsius): non sunt mea, quia cui vis ea donas. • Turner: maledixit = Wveti5UJeV. 3 Vgl. u. a. Rm. 2, 5. • Vgl. Mt. 7, 15; AG 20,29. • Vgl. Mt. 27, 2 u. a.; dabei ist die sachliche Änderung zu beachten: J esus wird nicht dem Pilatus, sondern der Menge, d.h. den Juden Übergeben. 8 Turner: eris ab ecclesia. 7 Turner: ianuas (statt tunicas). 8 Vgl. Joh. 10, 12. 9 Vgl. AG 2, 47. 1
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möge sich mit Simon in einen Kampf einlassen und nicht zugeben, daß er noch länger das Volk aufhetze. Unverzüglich verließ Petrus die Versammlung und ging zum Hause des Marcellus, wo Simon wohnte. Es folgten ihm aber große Volkshaufen. Als er aber zur Tür kam, rief er den Türhüter und sprach zu ihm: "Geh, sag dem Simon: Petrus, dessentwegen du aus Judäa geflohen bist, erwartet dich an der Tür!" Der Türhüter antwortete dem Petrus: "Ob du Petrus bist, weiß ich nicht, Herr. Ich habe aber einen Befehl: Er (sc. Simon) erfuhr nämlich, daß du gestern die Stadt betreten hast; da sagte er mir: 'Ob bei Tag, ob bei Nacht, und zu welcher l Stunde er auch kommen sollte, sag, daß ich nicht zu Hause bin!'" Petrus aber sagte zu dem Jüngling: "Du hast recht geantwortet, daß du das vermeldet hast, von ihm (dazu) gezwungen." Und Petrus wandte sich zum Volk, das ihm folgte, und sprach: "Ihr werdet gleich ein großes und wunderbares Zeichen schauen." Und Petrus sah hinter sich einen großen Hund, (p. 57) der an einer großen Kette gebunden war, ging auf ihn zu und band ihn los. Als aber der Hund losgebunden war, nahm er menschliche Stimme an und sprach zu Petrus: "Was befiehlst du mir zu tun, du Diener des unaussprechlichen, lebendigen Gottes?" Petrus sprach zu ihm: "Geh hinein und sag dem Simon inmitten seiner Gesellschaft: 'Petrus läßt dir sagen: Komm hervor in die Öffentlichkeit; deinetwegen bin ich nach Rom gekommen, du Gottloser und Aufwiegler einfältiger Seelen!' " Und auf der Stelle 2 rannte der Hund los und ging hinein, stürmte mitten hinein in die Gesellschaft, die um Simon versammelt war, erhob seine Vorderfüße und rief mit lauter Stimme: "Du Simon, Petrus, der Diener Christi, der an der Tür steht, läßt dir sagen: 'Komm hervor an die Öffentlichkeit; denn deinetwegen bin ich nach Rom gekommen, du Gottlosester und Verführer einfältiger Seelen'!" Als Simon das hörte und die unglaubliche Erscheinung sah, verschlug es ihm die Rede, mit der er die Umstehenden verführt hatte; alle (anderen) aber staunten. 10 Als aber Marcellus dies sah, lief er hinaus zum Tor, warf sich dem Petrus zu Füßen und sprach: "Petrus, ich umfasse deine Füße, du heiliger Knecht des heiligen Gottes; ich habe viel gesündigt! Strafe nicht meine Sünden, wenn etwas von dem wahren Glauben an Christus in dir ist, den du predigst, wenn du seiner Gebote eingedenk bist, niemanden zu hassen, gegen niemanden böse zu sein a, wie ich von deinem Mitapostel Paulus gelernt habe. Rechne mir nicht meine Sünden an, sondern bitte für mich den Herrn, den heiligen Sohn Gottes, den ich zum Zorn verleitet habe, weil ich seine Knechte verfolgt habe. Bitte also für mich als guter Anwalt bei Gott, daß ich nicht mit den Sünden Simons dem ewigen Feuer übergeben werde, der mich sogar überredet hat, ihm ein Standbild zu errichten, mit der Inschrift: 'Dem Simon, dem jugendlichen Gott' 4. Wenn ich wüßte, Petrus, daß du durch Geld gewonnen werden könntest, würde ich mein ganzes Vermögen geben; ich würde es verachtet und dir gegeben haben, um meine Seele zu gewinnen 5. Wenn ich Söhne hätte, würde ich sie für nichts geachtet haben; nur an den lebendigen Herrn würde ich glauben. Ich gestehe aber, daß er mich dadurch verführt hat, daß er behauptete, er sei die Kraft Gottes. Und doch will ich dir berichten, lieber Petrus: nicht war ich würdig, dich zu hören, du Knecht Gottes, noch war ich befestigt im Glauben an Gott, der in Christus beruht. Deshalb bin ich gestrauchelt. Darum bitte ich dich, nimm mir nicht übel, was ich sagen werde. Christus (p. 58), unser Herr, den du in Wahrheit verkündigst, sagte zu deinen Mitaposteln in deiner Gegenwart: 'Wenn ihr Glauben habt wie ein Turner: quacumque. • Vgl. Justin, Apol. 26, 2.
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• Turner: ilico. 5
Vgl. Mk. 8, 36 Par.
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Vgl. Mt. 5, 44.
2. Petrusakten
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Senfkorn, so werdet ihr zu diesem Berge sagen: hebe dich weg, und sogleich wird er sich wegheben.' 1 Dich aber, Petrus, hat dieser Simon einen Ungläubigen genannt, weil du auf den Wassern gezweifelt hast 2. Ich hörte nämlich, daß er auch gesagt hat: 'Die mit mir sind, haben mich nicht verstanden' 3. Darum wenn ihr, denen er sogar die Hände aufgelegt und die er selbst erwählt hat, mit denen er auch Wunder gewirkt hat, in Zweifel geraten seid, so habe ich also dieses Zeugnis und werde von Reue ergriffen, und ich nehme zu deinen Gebeten Zuflucht. Nimm dich doch meiner Seele an, der ich von unserem Herrn und seiner Verheißung abgefallen bin. Aber ich glaube, daß er sich meiner erbarmen wird, wenn ich Buße tue. Denn treu ist der Allmächtige, mir die Sünde zu vergeben." Petrus aber sagte mit lauter Stimme: "Dir, unser Herr, (sei) Ruhm und Preis, allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesu Christi. Dir sei Lob und Ruhm und Ehre in alle Ewigkeit, Amen. Da du auch uns jetzt voll gestärkt und auf dich fest gegründet hast vor den Augen aller, die es sehen, heiliger Herr, so befestige den Marcellus und sende heute deinen Frieden in ihn und sein Haus; alles aber, was verlorengegangen ist oder in die Irre geht, du allein kannst es zum Rechten wenden 4. Dich flehen wir alle an, 0 Herr, du Hirt der einst zerstreuten Schafe, jetzt aber werden sie durch dich wieder vereinigt werden 6. So nimm auch den Marcellus (wieder) auf wie eines von deinen Schäflein und dulde nicht, daß er noch länger in Irrtum oder Unwissenheit umherschweift; sondern nimm ihn auf in die Zahl deiner Schafe. Ja, Herr, nimm ihn auf, ihn, der mit Schmerzen und Tränen dich bittet." 11 So sprach Petrus und umarmte den Marcellus. Petrus wandte sich der Menge zu, die bei ihm stand, und sah in der Menge einen lächeln; in dem war ein sehr bösartiger Dämon. Zu ihm sprach Petrus: "Wer du auch bist, der du gelacht hast, zeige dich offen allen Umstehenden!" Als der Jüngling dieses gehört hatte 6, stürzte er in die Vorhalle des Hauses und rief mit lauter Stimme, warf sich gegen die Wand und sagte: "Petrus, es herrscht ein gewaltiger Streit zwischen (p. 59) Simon und dem Hund, den du geschickt hast. Denn Simon sagt zu dem Hund: 'Sag, ich sei nicht hier!' Zu ihm aber spricht der Hund noch mehr, als du ihm aufgetragen hast. Und wenn er die geheimnisvolle Sache, die du ihm befohlen hast, erledigt haben wird, dann wird er vor deinen Füßen sterben." Petrus aber sprach: "Und du nun, was du auch immer für ein Dämon bist, im Namen unseres Herrn Jesu Christi fahre aus dem Jüngling heraus, ohne ihm zu schaden; zeige dich allen Umstehenden!" Als der Jüngling das gehört hatte, fuhr er aus; dabei ergriff er eine große Marmorstatue, die in der Vorhalle des Hauses stand, und zertrümmerte sie mit Fußtritten. Es war nämlich (aber) eine Kaiserstatue. Als Marcellus das sah, schlug er sich an die Stirn und sprach zu Petrus: "Ein großes Verbrechen ist geschehen; wenn nämlich das der Kaiser durch einen der Spitzel erfährt, wird er uns schwer bestrafen." Petrus aber sprach zu ihm: "Ich sehe, daß du nicht so bist, wie kurz zuvor; du sagtest nämlich, du seiest bereit, dein ganzes Vermögen hergeben zu wollen, um deine Seele zu retten. Aber wenn du wirklich Buße tust und aus ganzem Herzen an Christus glaubst, so fange das herabspringende Wasser mit deinen Händen auf, bete zum Herrn und sprenge es in seinem Namen über die Trümmer der Statue und sie wird unversehrt sein, wie vorher." Marcellus aber zweüelte nicht, sondern glaubte aus ganzem HerVgl. Mt. 17,20. 2 Vgl. Mt. 14, 30f. 3 Vgl. Bd. I, S. 115. Interpunktionen nach Turner. 6 Vgl. Joh. 10, IHr. e Turner; hoc audito iuveni expulit se; Subjekt ist der Dämon.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
zen und sprach, bevor er das Wasser mit seinen Händen auffing, den Blick gen Himmel gerichtet: "Ich glaube an dich, Herr Jesus Christus. Denn von deinem Apostel Petrus werde ich bezichtigt, daß ich nicht recht an deinen heiligen Namen glaube. Darum nehme ich das Wasser in meine Hände und in deinem Namen besprenge ich diese Steine, damit die Statue wieder unversehrt werde, wie sie vorher war. Herr, wenn es also dein Wille ist, daß ich in meinem Körper bleibe und ich nicht irgendetwas vom Kaiser erleiden soll, so soll dieser Stein wieder heil werden, wie er vorher war!" Und er sprengte Wasser über die Steine, und die Statue wurde wieder heiP. Petrus war stolz, daß ihm keine Zweifel gekommen waren beim Gebet an den Herrn. Aber auch Marcellus wurde im Geiste erhoben, daß dieses erste Wunder unter seinen Händen geschehen war. Er glaubte daher aus seinem ganzen Herzen an den Namen Jesu Christi, des Sohnes Gottes, durch den alles Unmögliche möglich ist 2.
5. (Wunder des Petrus und erste Angriffe auf Simon) 12 Aber Simon sprach drinnen zu dem Hund folgendes: "Sag dem Petrus, ich sei nicht drinnen!" Der Hund sprach zu ihm vor Marcellus (p. 60): "Du Gottlosester und Schamloser, du Feind aller Lebewesen und derer, die an Christus Jesus glauben, zu dir ist ein stummes Tier gesandt worden, das menschliche Stimme annahm 3, um dich als platten Betrüger zu erweisen und zu bestätigen. Soviel Stunden hast du nachdenken müssen, um zu sagen: 'Sag, daß ich nicht hier bin!'? Du hast dich nicht geschämt, deine kraftlose und unnütze Stimme zu erheben gegen Petrus, den Diener und Apostel Christi, als ob du vor dem verborgen bleiben könntest, der mir befohlen hat, dir ins Angesicht zu sprechen. Und das geschieht nicht deinetwegen, sondern um deretwillen, die du verführtest und ins Verderben schicktest. Darum wirst du verflucht sein, du Feind und Verderber des Weges zur Wahrheit Christi, der deine Bosheiten, die du getan hast, im ewigen Feuer prüfen wird, und du wirst in der äußeren Finsternis sein. 4 " Und als der Hund diese Worte gesprochen hatte, lief er weg. Es folgte ihm nun die Menge; Simon aber blieb allein zurück. Der Hund kam zu Petrus, der unter der Menge saß, (die versammelt war), um das Antlitz des Petrus zu sehen; und der Hund berichtete, was er mit Simon verhandelt hatte. Folgendes aber sprach der Hund: "Bote und Apostel des wahren Gottes, Petrus S, einen schweren Kampf wirst du haben gegen Simon, den Feind Christi und seiner Anhänger, aber viele, die von ihm verführt wurden, wirst du zum Glauben bekehren. Darum wirst du von Gott deinen Lohn für dein Werk empfangen." Nach diesen Worten fiel der Hund vor den Füßen des Apostels Petrus hin und gab seinen Geist auf. Als aber die Menge mit großem Staunen den sprechenden Hund sah, begannen die einen daraufhin sich dem Petrus zu Füßen zu werfen, andere aber sagten: "Zeige uns noch ein anderes Zeichen, damit wir dir als dem Diener des lebendigen Gottes glauben; auch Simon hat viele Wunder in unserer Gegenwart gewirkt, und darum sind wir ihm gefolgt." 13 Petrus aber wandte sich um, sah einen geräucherten Thunfisch an einem Fen1
a 5
Vgl. Philostrat, Vita Apoll. IV, 20. 2 Vgl. Mk. 10,27 Par. Vgl. 2. Petr. 2,16. • Vgl. Mt. 8, 12. Interpunktion nach Turner, der liest: angele et apostole dei veri, Petre.
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2. Petrusakten
ster hängen, ergriff ihn und sagte zum Volle "Wenn ihr jetzt diesen im Wasser wie einen Fisch schwimmen seht, werdet ihr dann an den glauben können, den ich predige1" Jene aber sagten einmütig: "Wahrlich, wir werden dir glauben!" Da ein Fischteich dabeilag, so sagte er nun: "In deinem Namen, Jesus Christus, an den bis jetzt (noch) nicht geglaubt wird, (und er wandte sich zu dem Thunfisch und sprach): werde vor allen diesen hier lebendig und schwimme wie ein Fisch!" Und er warf (p. 61) den Thunfisch in den Teich und er lebte und er begann zu schwimmen. Als aber die Menge den Fisch schwimmen sah, ließ er ihn, damit es nicht heiße, es sei ein Phantasiegebilde, nicht nur gerade eine Stunde, sondern noch länger schwimmen, sodaß er von allen Seiten Scharen herbeilockte und zeigte, daß der Thunfisoh ein riohtiger Fisch geworden sei; und (es kam) soweit, daß manoher aus dem Volk ihm Brot zuwarf, und alles fraß er auf!. Als sie das sahen, folgten ihm sehr viele und glaubten an den Herrn, und sie kamen Tag und Naoht im Hause des Presbyters Narcissus zusammen. Petrus erklärte ihnen die prophetisohen Sohriften und was unser Herr Jesus Christus vollbracht hatte in Wort und Taten. 14 Marcellus aber wurde täglioh (mehr im Glauben) gefestigt duroh die Zeiohen, die er durch Petrus geschehen sah duroh die Gnade Jesu Christi, die er ihm hatte zuteil werden lassen. Maroellus aber fiel in seinem Haus über Simon her, der im Speisezimmer saß. Er schmähte ihn mit den Worten: "Du feindseligster und verkommenster unter den Menschen, du Verderber meiner Seele und meines Hauses, der du mioh abtrünnig maohen wolltest von Christus, meinem Herrn und Erlöser!" Und er legte Hand an ihn und ließ ihn aus seinem Hause hinauswerfen. Als aber die Sklaven über ihn Maoht bekommen hatten, überhäuften sie ihn so mit Sohmähungen: die einen gaben ihm Sohläge ins Gesioht, andere aber (sohlugen ihn) mit einem Knüppel, andere (warfen) einen Stein, wieder andere gossen Gefäße voll Unrats über seinen Kopf; denn sie hatten seinetwegen ihren Herren beleidigt 2 und waren lange Zeit gebunden gewesen; und andere Mitsklaven, über die er zu ihrem Herrn Schleohtes gesprochen hatte, besohimpften ihn und spraohen: "Jetzt erstatten wir dir den würdigen Lohn naoh Gottes Willen, der sich unser und unseres Herrn erbarmt hat." Simon aber wurde übel zugerichtet aus dem Hause geworfen und eilte zu dem Hause, wo Petrus wohnte. Am Haus des Presbyters Narcissus stellte er sioh an die Tür und rief: "Hier bin ioh, Simon; komm aber herab, Petrus, und ioh werde dir beweisen, daß du nur an einen jüdisohen Mann und den Sohn eines Zimmermanns 3 geglaubt hast." 15 Es wurde aber dem Petrus gemeldet, daß Simon dieses gesagt hätte. Petrus schickte zu ihm eine Frau mit einem Säugling und sagte zu ihr: "Geh sohneIl hinab, und du wirst einen sehen, der mich suoht. Du bist es zwar nicht, die ihm antworten soll. Vielmehr bleibe stumm und höre, was der Säugling, den du (auf dem Arm) hältst, zu ihm spricht." Die Frau ging also hinab; der Säugling aber war sieben Monate alt. Und er bekam eine männliohe Stimme und sprach zu Simon (p. 62): ,,0 du Soheusal vor Gott und den Mensohen, du Vernichter der Wahrheit und der Verderbnis schlimmster Same, du unfruohtbare Fruoht der Natur! Aber nur eine ganz kurze Zeit sollst du dioh (nooh) zeigen können, und dann harrt deiner ewige Strafe. Von einem schamlosen Vater stammst du, der du niemals in dem Guten, sondern nur in Gift Wurzeln treibst, ungläubige Kreatur, von jeglicher Hoffnung Verlassener! Daß ein Hund dioh widerlegte, hat dich nioht ersohüttert; nun werde ioh, ein Kind, von Gott gezwungen, zu reden, und du errötest auch jetzt nooh nioht vor Soham! Doch 1
Turner: totum comedebat.
a Turner: offenderant.
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Vgl. Mt. 13, 55.
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XIII. Apo8telge8chichten des 2. und 3. Jahrhunderts
gegen deinen Willen wird am kommenden Sabbat ein anderer dich auf das Julische Forum bringen 1, damit bewiesen wird, was in dir ist. Verlaß also die Tür, an der die Spuren der Heiligen haften. Denn nicht mehr wirst du unschuldige Seelen verderben, die du (bisher) zugrunde richtetest und irre gemacht hast an Christus. Darum wird sich deine grundschlechte Natur (offen) zeigen und dein Ränkespiel wird zunichte werden. Jetzt aber sage ich dir das letzte Wort: Jesus Christus läßt dir sagen: 'Verstumme unter dem Zwang meines Namens und verlasse Rom bis zum kommenden Sabbat"" Sofort aber verstummte er, und gezwungen verließ er Rom bis zum Sabbat und blieb in einem Stall. Die Frau kehrte mit ihrem Säugling zu Petrus zurück und berichtete ihm und den übrigen Brüdern, was das Kind zu Simon gesprochen hatte. Aber jene priesen den Herrn, der dieses den Menschen gezeigt hatte.
6. (Vision des Petrus und Bericht über Simon)
16 Als aber die Nacht kam, sah Petrus Jesus, angetan mit einem leuchtenden Gewand, lächelnd; Petrus war noch wach, und er (sc. Christus) sagte zu ihm: "Schon ist der größte Teil der Brüder durch dich und durch die Zeichen, die du getan hast in meinem Namen, zu mir! zurückgekehrt. Du wirst aber einen Glaubenskampfhaben am kommenden Sabbat, und es werden sich (noch) viel mehr von den Heiden und von den Juden in meinem Namen zu mir, dem Geschmähten, Verspotteten, Angespieenen bekehren. Denn ich will mich dir zeigen, wenn du um Zeichen und Wunder bittest, und du wirst viele bekehren, aber du wirst einen Widersacher an Simon haben infolge der Werke seines Vaters 3. Aber all sein Tun wird als Zauberspruch und magischer Trug an den Tag kommen. Jetzt aber zögere nicht, und du wirst alle, die ich dir zuschicken werde, auf meinen Namen gründen." Als es nun hell geworden war, erzählte er den Brüdern, daß ihm der Herr erschienen wäre und was er ihm aufgetragen hätte 4. 17 "Glaubt mir aber, 0 ihr Brüder, ich habe diesen Simon (p. 63) aus Judäa vertrieben; er tat viel Böses durch seinen Zauberspruch; er hielt sich in Judäa bei einer Frau mit Namen Eubola auf, die sehr geachtet war in dieser Welt und eine Menge Gold und Perlen von nicht geringem Wert besaß. Mit zwei ihm ähnlichen (Spießgesellen) schlich sich Simon hier ein, jene zwei sah niemand aus dem Hause, nur den Simon allein (sah man). Unter Anwendung von Zauberei trugen sie alles Gold der Frau weg und verschwanden. Nachdem Eubola aber dieses erfahren hatte, begann sie illre Dienerschaft foltern zu lassen und sagte: 'Unter Ausnutzung der Gelegenheit (des Besuches) dieses göttlichen Menschen habt ihr mich beraubt, weil illr ihn zu mir hineingehen saht, um eine einfache Frau zu ehren; sein Name aber ist 'Kraft des Herrn' 6. Ich fastete drei Tage und betete, daß dieses Ereignis offenbar werden möge. Da sah ich in einer Vision Italicus und Antulus, die ich unterwiesen hatte im Namen des Herrn, und einen unbekleideten Knaben, der gefesselt war, mir ein Weizenbrot gab und zu mir sprach: 'Petrus, halte noch zwei Tage aus und du wirst die großen Vgl. Joh. 21, 18 (?) • Turner: reversa est per te ad me et per quae signa. Vgl. Joh. 8,44. 4 Zwischen c. 16 und 17 ist keine Lücke anzunehmen (gegen Ficker). • Turner: cui nomen est autem 'numen domini' (= t5vvap', ihoii). 1
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2. Petrusakten
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Taten Gottes 1 sehen. Denn das, was aus dem Hause der Eubola abhanden gekommen ist, hat Simon mittels magischer Kunst und durch eine vorgespiegelte Täuschung mit zwei anderen gestohlen. Diese wirst du am dritten Tage in der neunten Stunde an dem Tor, das nach Neapolis führt, sehen, wenn sie einem Goldschmied mit Namen Agrippinus einen goldenen Satyriscus von zwei Pfund Gewicht, der in sich einen kostbaren Stein trägt, verkaufen wollen. Du aber sollst ihn nicht berühren, damit du nicht dich befleckst; aber es sollen einige Sklaven der Frau bei dir sein. Du aber sollst (ihnen) den Laden des Goldschmiedes zeigen und dann von ihnen weggehen. Denn wegen dieses Geschehens werden viele an den Namen des Herrn glauben. Denn was jene in ihrer Gerissenheit und Schlechtigkeit oft geraubt haben, soll an das Tageslicht gebracht werden'. Als ich dieses hörte, ging ich zu Eubola und fand sie mit zerrissenem Kleid und aufgelöstem Haar trauernd dasitzen. Ich sagte zu ihr: 'Eubola, steh auf vom Lager 2 und bringe dein Gesicht wieder in Ordnung, stecke deine Haare auf und nimm ein Kleid, das zu dir paßt; und bete zu dem Herrn J esus Christus, der jeden Menschen richtet. Er ist nämlich der Sohn des unsichtbaren Gottes (und) in ihm mußt du gerettet werden, wenn du nur von ganzem Herzen für deine früheren Sünden Buße tust; und empfange Kraft von ihm. Denn siehe, durch mich sagt dir der Herr: 'Alles, was du verloren hast, (p. 64) wirst du finden'. Und nachdem du es wiederbekommen haben wirst, sorge dafür, daß du (den Weg) finden mögest 3. dieser gegenwärtigen Welt abschwören und ewigen Trost finden zu können. Darum höre folgendes: einige deiner Leute mögen an dem Tore, das nach N ea polis führt, aufpassen. Übermorgen, ungefähr in der neunten Stunde werden sie zwei junge Männer sehen, die einen goldenen, zwei Pfund schweren, in Steine eingeschlossenen Satyriscus haben - so hat es mir eine Vision gezeigt -, den sie einem gewissen Agrippinus, einem Freunde der Frömmigkeit und des Glaubens an den Herrn Jesus Christus, zum Kauf anbieten wollen. Durch ihn (sc. Christus) wird dir gezeigt, daß du dem lebendigen Gott glauben sollst und nicht dem Magier Simon, dem unbeständigen Dämon, der wollte, daß du in Trauer bliebest und deine unschuldige Dienerschaft gefoltert werde, der dich mit schmeichelnder Rede, mit (leeren) Worten verführte und nur mit dem Munde von der Frömmigkeit zu Gott sprach, während er voll von Gottlosigkeit ist. Denn als du meintest, einen frohen Tag feiern zu können und ein Götzenbild aufstelltest und schmücktest und allen Schmuck auf einem Prunktisch ausgestellt hast, da (kam) jener, führte zwei Jünglinge mit herein, die niemand von euch sah, sprach einen Zauberspruch und, nachdem deine Schmucksachen geraubt waren, verschwanden sie. Aber seine List hatte keinen Bestand. Denn mein Gott hat (es) mir offenbart, damit du nicht getäuscht werdest und auch nicht in der Hölle verdirbst, was auch immer Gottloses und Gottfeindliches du getan hast gegen (den) Gott, der voll von aller Wahrheit und ein gerechter Richter der Lebenden und der Toten ist. Und es gibt keine andere Hoffnung auf Leben für die Menschen außer in dem, durch den dir das, was du verloren hast, gerettet worden ist. Und jetzt rette du deine Seele" Aber jene warf sich mir vor die Füße und sprach: '0 Mensch, wer du bist, weiß ich nicht. Jenen hatte ich zwar wie einen Diener Gottes aufgenommen, und vieles, was auch immer er von mir für die Fürsorge an den Armen erbat, habe ich durch seine Hand gegeben und habe ihm außerdem noch vieles geschenkt. Welchen Schaden hat er von mir erlitten, daß er meinem Hause so großen Verdruß zugefügt hat1' Zu ihr sagte Petrus: 'Nicht den Worten dürfen wir Glauben 1
Vgl. AG 2,11.
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Turner: lecto.
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Turner: invenias.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3 Jahrhunderts
schenken, sondern den Werken und Taten. Darum muß man fortfahren, wie man begonnen hat'. Daher verließ ich sie und ging mit zwei Angestellten der Eubola und komme zu Agrippinus und sage zu ihm: 'Siehe, daß du diese erkennst. Denn morgen werden zu dir zwei junge Männer kommen, die dir einen goldenen Satyriscus, in Steine eingeschlossen, der ihrer Herrin gehört, verkaufen wollen. Du aber wirst sie aufnehmen, (p. 65) als wolltest du die Arbeit des Künstlers prüfen und loben. Wenn nun diese (beiden) dazukommen, dann wird Gott das übrige zum Beweis herbeiführen'. Am anderen Tage aber kamen die Angestellten der Frau ungefähr um die neunte Stunde, und jene jungen Männer wollten dem Aggrippinus den goldenen Satyriscus verkaufen. Nachdem sie sogleich festgenommen waren, wurde (die Sache) der Frau gemeldet. Jene aber kam völlig verwirrt zu dem Statthalter und berichtete mit lauter Stimme, was sich mit ihr zugetragen hätte. Als der Statthalter Pompeius sie, die niemals in die Öffentlichkeit gekommen war, so völlig verwirrt sah, erhob er sich sofort von dem Tribunal und ging in das Prätorium; er befahl, daß sie (sc. die jungen Männer) vorgeführt und peinlich verhört würden. Als jene aber gefoltert wurden, gestanden sie, im Dienste des Simon zu stehen, 'der uns (so sagten sie) mit Geld dazu gebracht hat'. Und nach weiterem Verhör gestanden sie, daß alles, was der Eubola abhanden gekommen war, in einer unterirdischen Höhle jenseits des Tores niedergelegt sei und anderes mehr. Als Pompeius das hörte, erhob er sich, um zu dem Tor zu gehen, nachdem jene beiden mit doppelten Ketten gefesselt waren. Und siehe Simon kam an das Tor, um nach jenen zu sehen, weil sie (so) langsam machten; und er sieht eine große Menge kommen und jene mit Ketten gefesselt. Sogleich erkannte er (die Situation) und ergriff die Flucht und ward in Judäa bis auf diese Zeit nicht mehr gesehen. Eubola aber, nachdem sie ihr ganzes Eigentum wieder erhalten hatte, schenkte es zum Dienst an den Armen; sie glaubte an den Herrn Jesus Christus und wurde (im Glauben) gestärkt, verachtete und sagte dieser Welt ab, gab (Almosen) an Witwen und Waisen, kleidete die Armen und nach 1 längerer Zeit erlangte sie die ewige Ruhe. Dieses also, geliebteste Brüder, ist in Judäa geschehen; dadurch ist der, der Engel des Satans 2 genannt wurde, von dort vertrieben worden. 18 Teuerste und geliebteste Brüder, wir wollen miteinander fasten und zum Herrn beten! Der, welcher ihn von dort vertrieben hat, ist auch mächtig, ihn von hier auszutreiben. Und er möge uns die Kraft geben, ihm und seinen Zaubersprüchen zu widerstehen und ihn als den Engel des Satans zu entlarven. Am Sabbat nämlich wird ihn. auch 3 wenn er gar nicht will, unser Herr auf das Julisehe Forum führen. Daher wollen wir unsere Knie vor Christus beugen, der uns erhört, auch wenn wir nicht gerufen haben. Er ist es, der uns sieht, auch wenn er nicht mit diesen Augen gesehen wird; aber er ist unter uns. Wenn wir wollen (p. 66), wird er nicht von uns weichen. Darum laßt uns unsere Seelen reinigen von jeder schändlichen Versuchung, dann wird Gott nicht von uns weichen; und wenn wir nur mit den Augen zuwinken, so ist er bei uns." 7. (Wunder des Petrus)
19 Kaum aber hatte Petrus dies gesagt, da kam auch Marcellus hinzu und sagte: "Petrus, ich habe mein ganzes Haus für dich von den Spuren des Simon gereinigt 1
Gundermann: post (statt per).
• Vgl.. 2. Kor. 12,7.
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Turner: et quidem.
2. Petrusakten
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und (jeden Rest) seines schändlichen Staubes beseitigt. Denn ich habe Wasser genommen und unter Anrufung des heiligen Namens Jesu Christi habe ich mit meinen übrigen Dienern, die ihm anhingen, mein ganzes Haus und alle Speisezimmer und j eden Säulengang bis hinaus vor die Tür besprengt und habe (da bei) gesprochen: 'Ich weiß, daß du, Herr Jesus Christus, rein und von aller Unreinheit unberührt bist, so daß mein Feind und Gegner vor deinem Anblick die Flucht ergreift.' Und jetzt, Seligster, habe ich befohlen, daß Witwen und Alte in mein gereinigtes Haus zu dir kommen, damit sie mit uns beten. Sie sollen aber um des Dienstes willen je ein Goldstück erhalten, damit sie wirklich Christi Diener genannt werden können. Im übrigen ist alles zum Dienst vorbereitet. Ich bitte dich daher, seligster Petrus, ihre Bitten zu besiegeln, damit auch du ihre Gebete für mich verschönst. So wollen wir gehen, wollen auch den Narcissus und alle hier befindlichen Brüder mitnehmen." Da Petrus nun seiner Einfalt zustimmte, ging er, um auch ihm den Willen zu tun, mit ihm und den übrigen Brüdern. 20 Petrus aber trat ein und sah eine von den alten Frauen, eine Witwe, die ohne Augenlicht war, und ihre Tochter, die ihr die Hand gab und sie in das Haus des Marcellus führte. Und Petrus sprach zu ihr: "Komm herzu, Mutter; dir gibt, J esus von heute ab seine Rechte, er, durch den wir ein unzugängliches Licht! haben, das die Finsternis nicht verdeckt. Er spricht durch mich zu dir: 'Öffne die Augen und sei sehend und gehe allein!'" Und sofort sah die Witwe, wie Petrus ihr die Hand auflegte. Petrus aber ging in das Speisezimmer und sah, daß das Evangelium gelesen wurde. Er rollte es zusammen und sagte: "Ihr Männer, die ihr an Christus glaubt und (p. 67) hofft, ihr sollt erfahren, wie die heilige Schrift unseres Herrn verkündet werden muß. Was wir nach seiner Gnade, soweit wir es verstanden haben, niedergeschrieben haben, erscheint euch zwar bisher noch schwach; dennoch (haben wir es geschrieben) gemäß unseren Kräften, soweit es erträglich ist 2 , es in menschliches Fleisch zu bringen 3.Wir müssen also zuerst Gottes Willen oder (seine) Güte 4 kennenlernen, da ja einst der Betrug weit verbreitet war und viele Tausende von Menschen in das Verderben stürzten, und (darum) der Herr in seiner Barmherzigkeit veranlaßt war, sich in anderer Gestalt zu zeigen und im Bilde eines Menschen zu erscheinen, bezüglich dessen weder die Juden noch wir in der Lage sind, würdig erleuchtet zu werden. Denn jeder von uns sah (ihn), wie er es zu fassen vermochte, je nachdem er es konnte. Jetzt aber will ich euch erklären, was euch gerade vorgelesen worden ist. Unser Herr wollte mich seine Herrlichkeit auf heiligem Berge sehen lassen 5; als ich aber mit den Söhnen des Zebedäus den Glanz seines Lichtes sah, fiel ich wie tot nieder und schloß meine Augen und hörte seine Stimme so, wie ich es nicht beschreiben kann; ich glaubte, daß ich von seinem Glanze erblindet sei. Und als ich ein wenig aufatmete, sprach ich zu mir: 'Vielleicht hat mein Herr mich hierher führen wollen, um mich des Augenlichts zu berauben'. Und ich sagte: 'Und wenn das dein Wille ist, Herr, dann widerspreche ich nicht'. Und er gab mir die Hand und richtete mich auf. Und als ich aufstand, sah ich ihn wiederum so, wie ich ihn fassen konnte. So also, geliebteste Brüder, hat der barmherzige Gott unsere Schwachheiten getraVgl. 1. Tim. 6, 16. Vgl. Isidor. Pelus. II, 99 (PG 78, 544): ä exwef}aap,sv eyeG.1J!ap,BV. 3 Vouaux: inferri. • VA: Gottes Mitleid und Menschenfreundlichkeit. 5 Vgl. Mk. 9, 2ft". Par.; 2. Petr. 1, 18. 1 t
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XIII Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
gen und unsere Sünden auf sich genommen, wie der Prophet sagt: 'Er trägt unsere Sünden und für uns leidet er Schmerzen; wir aber glaubten, daß er in Schmerzen sei und von Wunden geplagt würde' 1. Denn 'er ist ja im Vater und der Vater in ihm' 2; er selbst ist auch die Fülle aller Herrlichkeit, der uns alle seine Güte gezeigt hat. Er hat gegessen und getrunken unsertwegen, obwohl er weder hungrig noch durstig war, er hat ertragen und Beschimpfungen erduldet unsertwegen, er ist gestorben und auferstanden um unsertwillen. Er, der auch mich, als ich sündigte, verteidigt (p. 68) und gestärkt hat in seiner Größe 3, wird auch euch trösten, auf daß ihr ihn liebt, diesen Großen und ganz Kleinen, den Schönen und Häßlichen, Jüngling und Greis, in der Zeit erscheinend und (doch) in Ewigkeit gänzlich unsichtbar, den eine menschliche Hand nicht gehalten hat und der von seinen Dienern gehalten wird, den das Fleisch nicht gesehen hat und der jetzt gesehen wird 4, der kein Gehör gefunden hat, der aber jetzt bekannt und das gehörte Wort geworden ist; dem die Leiden fremd waren und der jetzt gleichsam wie wir 5 gezüchtigt ist, er, der niemals gezüchtigt war, ist jetzt gezüchtigt; der vor der Welt ist und in der Zeit wahrgenommen wurde, aller Herrschaft großer Anfang und (doch) den Fürsten ausgeliefert; schön, aber unter uns niedrig und hässlich erschienen, aber voller Fürsorge: Diesen Jesus habt ihr, Brüder, die Tür 6 , das Licht, den Weg, das Brot, das Wasser, das Lebendige, die Auferstehung 7, der Trost, die Perle, den Schatz, den Samen, die Sättigung, das Senfkorn, den Weinstock, den Pflug, die Gnade, den Glauben, das Worts: Dieser ist alles, und es ist kein anderer größer als er. Ihm sei Lob in alle Ewigkeit, Amen." 21 Und als die neunte Stunde abgelaufen war, erhoben sie sich, um zu beten. Und siehe, plötzlich riefen einige der alten blinden Witwen, die da saßen ohne Wissen des Petrus und nicht aufgestanden 9 waren, und sprachen zuPetrus: "Wir sitzen hier zusammen, Petrus, hoffen auf Christus Jesus und glauben (an ihn). Wie du nun eine von uns sehend gemacht hast, so bitten wir, Herr Petrus, gib auch uns Anteil an Jes. 53,4. 2 Joh. 10, 38. VA: Er hat gegessen und getrunken unsertwegen, unsertwegen hat er, der menschenfreundlich und gut ist, alles ertragen, er, der mich, der ich seiner in allen Dingen bedarf und brauche, zu seiner Größe und zur Erkenntnis stärkt. 4 Turner: videtur. 5 Turner: passionum exterum et nunc est tamquam nos. 6 VA (anschließend an 'zur Erkenntnis stärkt' s.o., Anm. 3): So tröstet er auch euch, damit ihr ihn erkennt und liebt und fürchtet, ihn, der klein ist für die Unwissenden, groß aber für die, die ihn erkennen, der schöngestaltet ist für die Verstehenden, mißgestaltet für die Unwissenden, den Alten und Jungen, der in der Zeit erscheint und immer ist, der überall ist und in keinem ist, der seiner unwürdig ist, den eine menschliche Hand nicht gehalten hat, der aber selbst das All hält, den Fleisch bis jetzt nicht gesehen hat, der aber mit den Augen der Seele von denen, die seiner würdig sind, gesehen wird, das von den Propheten verkündete und jetzt erschienene Wort, der von Sünden nicht ergriffen ist und der (doch) den Mächten und Gewalten übergeben ist, der für uns und alle die ihn lieben, immer Fürsorge trifft. Diesen Jesus nennen wir Tür usw. 7 VA (statt: die Auferstehung - Amen): diesen nennen wir auch die Ruhe (ava:navau;), den Weinstock, die Gnade, das Wort (Logos) des Vaters: Dieser hat zwar viele Namen, einer aber ist der eingeborene Sohn Gottes. B Zu den einzelnen Bezeichnungen vgl. Joh. 10,7.9; 3,19; 8,12; 14,6; 6,35; 4,10; 7,38; 14,6; 11,25; Mt. 11,28; 13,46.44.24; 13,31; Joh. 15, 1; Lk. 9, 62; Joh. 1, 1. 14. 9 Turner: surgentes (statt credentes). 1
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2. Petrusakten
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seiner Barmherzigkeit und Liebe!!" Petrus aber sprach zu ihnen: "Wenn in euch Glauben an Christus ist, wenn er in euch befestigt ist, so sehet mit dem Geiste, was ihr mit den Augen nicht sehet; und eure Ohren sind verschlossen, aber in eurem Geiste innen mögen sie offen sein. Diese Augen werden wiederum geschlossen werden, die nichts anderes sehen als Menschen, Rinder und stumme Tiere, Steine und Holz; aber Jesus Christus sehen (nur) die inneren 2 Augen 3. Aber jetzt, 0 Herr, möge dein süßer und heiliger Name jenen zu Hilfe kommen; berühre ihre Augen, denn du hast die Macht, daß sie mit ihren Augen sehen können." Als aber von allen das Gebet gesprochen worden war, da erstrahlte das Zimmer, in dem sie waren, als wenn es blitzt, (und zwar so) wie es in den Wolken zu sein pflegt. Aber es war nicht solch ein Licht, wie es (p.69) am Tage (sichtbar) ist, unbeschreiblich, unsichtbar, wie es kein Mensch beschreiben kann, ein solches Licht, das uns so blendete, daß wir von Sinnen kamen, zu dem Herrn riefen und sprachen: "Erbarme dich über uns, deine Knechte, o Herr ! Was wir ertragen können, 0 Herr, das teile uns zu; denn dies können wir weder sehen noch ertragen." Als wir aber so dalagen, standen nur jene Witwen aufrecht, sie waren ja ohne Augenlicht. Das helle Licht aber, das uns erschien, drang in ihre Augen und machte sie sehend. Zu ihnen sprach Petrus: "Berichtet, was ihr gesehen habt." Sie sagten: "Wir haben einen älteren Mann gesehen, der solches Aussehen hatte, wie wir es dir nicht erzählen können." Andere aber (sagten): "Wir haben einen heranwachsenden Jüngling gesehen." Andere aber sagten: "Wir haben einen Knaben gesehen, der unsere Augen zart berührte, so sind uns die Augen geöffnet worden."4 Petrus nun pries den Herrn und sprach: "Du allein bist Gott der Herr, dem Lob darzubringen ist. Wieviele Lippen haben wir nötig, damit wir dir gemäß deiner Barmherzigkeit Dank sagen können? So (ist es), liebe Brüder, wie ich kurz vorher berichtet habe: sicherlich größer ist 5 Gott als unsere Gedanken, wie wir es von den alten Witwen erfahren haben, wie sie in verschiedener Gestalt den Herrn gesehen haben." 22 Und er ermahnte alle, den Herrn aus ganzem Herzen zu erkennen; dann begann er mit Marcellus und anderen Brüdern den Jungfrauen des Herrn zu dienen und bis zum Morgen auszuruhen. Zu ihnen (sc. den Jungfrauen) sprach Marcellus: "Ihr heiligen und unversehrten Jungfrauen des Herrn, hört: Ihr habt, wo ihr wohnen könnt. Denn was als mein Eigentum gilt, wem sollte es sonst gehören als euch? Geht nicht fort von hier, sondern erholt euch; denn am morgigen Sabbattage, der kommen wird, hat Simon einen Kampf mit Petrus, dem Heiligen Gottes. Wie nun der Herr immer mit ihm gewesen ist, so möge auch jetzt Christus der Herr ihm als seinem Apostel beistehen! Petrus nämlich verharrt (im Gebet) und nimmt nichts zu 1 VA: so bitten auch wir unseren Herrscher und Herrn J esus Christus, daß er durch dich seine Güte auch an uns erzeige. • Turner: interiores (statt non omnes). 3 VA: Wenn euer Glaube an ihn, wie ihr sagt, fest ist, so seht ihr ihn mit den Augen des Herzens, und wenn diese eure leiblichen Augen erfüllt werden, so werden die Augen eurer Seele geöffnet werden. Und wenn nun diese eure Augen geöffnet werden, so werden sie wieder geschlossen werden und werden, sehend geworden, nichts anderes erblicken als sinnlich Wahrnehmbares, das heißt Menschen und Rinder und andere Tiere und Steine und Hölzer; Jesum aber, der Gott ist, zu sehen - dafür sind diese Augen nicht geschaffen. • In VA berichtet jeweils nur eine Witwe; die Antworten entsprechen aber weitgehend dem Text der Act. Verc. 5 Turner: constat.
14 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
sich, sondern fastet, um den bösen Feind und den Verfolger der Wahrheit des Herrn zu besiegen. Denn seht, da sind meine jungen Leute gekommen und berichten, sie hätten gesehen, wie auf dem Forum stufenförmige Gerüste aufgebaut würden, und die Menge sage (dazu): 'Hier haben morgen (p. 70) nach Tagesanbruch zwei Juden einen Streit auszufechten wegen der Anrufung Gottes.' 1 Darum laßt uns jetzt bis zum Morgen wachbleiben und beten und unseren Herrn Jesus Christus bitten, er möge unsere Gebete für Petrus erhören." Marcellus aber schlief für kurze Zeit ein, und als er aufgewacht war, sprach er zu Petrus: "Petrus, Apostel Christi, mutig wollen wir an unser Vorhaben gehen. Als ich nämlich jetzt für kurze Zeit eingeschlafen war, sah ich dich auf einem erhöhten Platz sitzen und vor dir eine große Menschenmenge; und ein sehr hässliches Weib, ihrem Aussehen nach eine Äthiopierin, keine Ägypterin, sondern eine ganz schwarze, in schmutzige Lumpen gehüllte (Person), (sah ich) tanzen, eine eiserne Kette um den Hals und Ketten an Händen und Füßen. Als du sie sahst, sagtest du mit lauter Stimme zu mir: 'Marcellus, alle Kraft Simons und seines Gottes ist die, die da tanzt: enthaupte sie!' Und ich sagte zu dir: 'Bruder Petrus, ich bin ein Senator von vornehmer Herkunft, und niemals habe ich meine Hände befleckt, und ich habe nicht einmal einen Sperling getötet'. Und als du das gehört hattest, fingst du an, noch lauter zu rufen: 'Komm, unser wahres Schwert, Jesus Christus, und haue diesem Dämon nicht nur den Kopf ab, sondern zerschlage ihm auch alle seine Glieder, in Gegenwart aller jener, die ich in deinem Kriegsdienst erprobt habe'. Und sofort nahm einer, der dir glich, das Schwert und hieb sie ganz zusammen, so daß ich mein Augenmerk auf euch beide richtete, auf die, die dir und jenem, der jenen Dämon zusammenhieb, so ähnlich waren, zu meiner großen Verwunderung. Nachdem ich erwacht bin, berichte ich dir diese Zeichen Christi." Als Petrus dies gehört hatte, wurde er noch mehr ermutigt, weil Marcellus dies gesehen hatte; denn der Herr sorgt überall für die Seinen. Beglückt also und erquickt durch diese Worte, erhob er sich, um zum Forum zu gehen.
8. (Der Kampf mit Simon auf dem Forum)
23 Es kamen aber die Brüder und alle, die in Rom waren, zusammen und nahmen ihren Platz für je ein Goldstück ein. Es kamen aber auch Senatoren, Präfekten und Beamte zusammen. Als aber Petrus ankam, stellte er sich in die Mitte. Alle (aber) riefen: "Zeige uns, Petrus, wer dein Gott ist oder welche Macht es ist, die dir Vertrauen (p. 71) gegeben hat. Sei den Römern nicht mißgünstig, sie sind Liebhaber der Götter. Wir haben aber die Proben Simons, wir wollen (nun) auch die deinen haben; beweiset uns also beide, wem wir in Wahrheit glauben müssen." Und als sie dies sagten, kam auch Simon dazu. Verwirrt trat er an die Seite des Petrus und schaute besonders auf ihn. Nach längerem Schweigen sagte Petrus: "Ihr Römer, ihr sollt uns wahre Richter sein. Ich behaupte nämlich, daß ich an den lebendigen und wahren Gott gläubig geworden bin, von dem ich euch die Proben vorzuführen verspreche, soweit sie mir bereits bekannt sind, wie auch unter euch (schon) viele dafür Zeugnis ablegen (können). Ihr seht nämlich, daß dieser nur schweigt, da er überführt worden ist und ich ihn aus Judäa vertrieben habe wegen der Betrügereien, die er 1
Vouaux: conlocatio dei = neoa'f}yoeia 1}eov.
2. Pet'I'U8akten
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an Eubola, einer ehrenwerten und einfältigen Frau durch seine Zauberkunst verübt hat. Von dort durch mich vertrieben kam er hierher, in dem Glauben, er könne sich unter euch verbergen; und siehe, nun steht er persönlich da. Sage, Simon, bist du nicht in J erusalem mir und dem Paulus zu Füßen gefallen 1, als du die Heilungen, die durch unsere Hände geschahen, sahest, und sagtest: 'Ich bitte euch, nehmt Bezahlung von mir, soviel ihr wollt, damit ich die Hand auflegen und solche Taten tun kann'. Als wir aber das von dir hörten, haben wir dich verflucht: 'Glaubst du, du könntest uns in Versuchung führen, weil wir Geld besitzen wollen1' Und jetzt fürchtest du nichts1 Mein Name ist Petrus, weil der Herr Christus mich gewürdigt hat zu nennen 'bereit zu allen Dingen' 2. Denn ich glaube an den lebendigen Gott, durch den ich deine Zauberei zerstören werde. Jetzt möge er (sc. Simon) die wunderbaren Dinge, der er getan hat, auch in eurer Gegenwart tun. Und was ich euch eben über ihn erzählt habe, wollt ihr es mir nicht glauben1" Simon aber sagte: "Du hast die Frechheit von dem Nazarener Jesus zu sprechen, der der Sohn eines Zimmermanns und selbst ein Zimmermann (war) 3, dessen Familie aus Judaea stammt. Höre, Petrus, die Römer haben Verstand, sie sind keine Toren." Und er wandte sich zu dem Volk und sprach: "Ihr Römer, wird ein Gott geboren 1 wird er gekreuzigt1 Wer einen Herrn hat, ist kein Gott!" Als er aber dies sagte, sprachen viele: "Du hast recht Simon!" 24 Petrus aber sagte: "Fluch deinen Worten gegen Christus! Du hast die Frechheit gehabt, so zu reden, obwohl doch der Prophet über ihn sagt: 'Sein Geschlecht, wer wird es erzählen l' 4 Und ein anderer Prophet sagt: 'Und wir sahen (p. 72) ihn, und er hat keine Gestalt und Schönheit' 5. Und: 'In den letzten Zeiten wird ein Knabe vom Heiligen Geiste geboren; seine Mutter kennt keinen Mann, und keiner sagt, daß er sein Vater sei' 6. Und wiederum sagt er: 'Sie hat geboren und hat nicht geboren' 7. Und wiederum: 'Ist es euch ein kleines Ding, einen Kampf zu bieten ... 81' (Und wiederum:) 'Siehe im Leibe wird eine Jungfrau empfangen' 9. Und ein anderer Prophet sagt, um den Vater zu ehren: 'Wir haben weder ihre Stimme gehört, noch ist eine Hebamme dazugekommen' 10. Ein anderer Prophet sagt: 'Er ist nicht aus der Gebärmutter eines Weibes geboren, sondern von einem himmlischen Orte herabgestiegen' 11; und: 'Ein Stein ist losgehauen worden ohne Hände und hat alle Reiche zertrÜmIDert'12; und: 'Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein gemacht worden' 13, und er nennt ihn den 'auserwählten, kostbaren' Stein 14. Und wiederum sagt der Prophet über ihn: 'Und siehe, ich habe ihn auf einer Wolke kommen sehen wie einen Menschensohn'15. Und was noch weiter1 0 ihr Römer! Wenn ihr die prophetischen Schriften kennen würdet, könnte ich euch alles erklären. Durch sie mußte im Geheimnis (geredet werden) und das Reich Gottes vollendet werden. Aber dies wird euch später offen erklärt werden. Nun zu dir, Simon: Tue doch irgend etwas von den Dingen, durch die du sie vorher verführt hast, und ich will es durch meinen Herrn J esus Christus zunichte machen." Simon raffte sich frech auf und sprach: "Wenn der Praefekt es erlaubt." 3 Vgl. Mk. 6, 3 Par. Vgl. AG 8, 18ff. I Vgl. Mt. 16, 17-19 (1). 6 Jes. 53, 2. S Unbekanntes Zitat. 'Jes. 53, 8. 7 Vgl. Apokr. 2, S. 388. B Turner: ein Teil des Jesaias-Zitates (7, 13) ist ausgefallen. 9 Jes. 7, 14. 10 Ase. Jes. 11,13f. 11 Unbekannt; vgl. Vouaux, S. 369. 12 Dan. 2,34. 13 Ps. 118,22; vgl. Mk.12, 10 Par. 14 Jes. 28,16. 15 Dan. 7, 13; vgl. Mk. 13,26 Par.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
25 Der Praefekt aber wollte ihnen beiden Unparteilichkeit zeigen, um ja nicht den Anschein zu erwecken, ungerecht zu handeln. Es führte aber der Präfekt einen seiner jungen Leute vor und sagte zu Simon: "Nimm diesen, übergib ihn dem Tode!" Zu Petrus sprach er: "Du aber erwecke ihn wieder!" Und zum Volke sprach der Präfekt: "Eure Aufgabe ist es, jetzt zu entscheiden, wer von jenen Gott wohlgefällig ist, der tötet oder der lebendig macht." Und sofort sagte Simon dem Knaben (etwas) ins Ohr und machte ihn stumm und er starb. Während aber ein Murmeln im Volk begann, rief eine von (p. 73) den Witwen, die bei Marcellus zur Erholung weilte, hinter der Volksmenge stehend: "Petrus, Diener Gottes, mein Sohn ist gestorben, der einzige, den ich hatte." 1 Das Volk aber macht ihr Platz und sie führten sie zu Petrus. Sie aber warf sich ihm zu Füßen und sprach: "Einen einzigen Sohn hatte ich; dieser verschaffte mir mit seinen Händen (Schultern) den Lebensunterhalt, er hob mich, er trug mich. Wer wird mir, da er nun tot ist, die Hand reichen?" Ihr erwiderte Petrus: "Vor diesen Zeugen, gehe hinweg 2 und schaffe deinen Sohn herbei, damit diese, wenn sie (es) sehen, glauben können, daß er durch Gottes Kraft auferstanden ist." Jene aber, als sie das hörte 3, fiel nieder. Petrus aber sprach zu den Jünglingen: "Hier brauchen wir junge Männer, außerdem solche, die glauben wollen." Und sofort erhoben sich dreißig Jünglinge, die bereit waren, sie zu tragen oder ihren toten Sohn herbeizuschaffen. Kaum aber war jene Witwe wieder zu sich gekommen, da hoben sie die Jünglinge auf. Aber jene rief mit lauter Stimme: "Siehe, mein Sohn, der Diener Christi hat zu dir geschickt." Und dabei (raufte sie sich) die Haare und zerfleischte sich das Gesicht. Die Jünglinge aber, die kamen, betrachteten die Nase des Knaben, ob 4 er wirklich tot sei. Als sie aber sahen, daß er tot sei, trösteten sie seine Mutter 5 und sprachen: "Wenn du wirklich an den Gott des Petrus glaubst 6, so heben wir ihn auf und bringen ihn zu Petrus, damit er ihn auferwecke und dir wiedergebe." 26 So sprachen die Jünglinge. Der Präfekt aber auf dem Forum sah den Petrus an und sprach: "Was sagst du, Petrus? Siehe der Knabe liegt tot da 7, den auch der Kaiser gern hatte, und ich habe ihn nicht geschont. Gewiß hatte ich auch eine Anzahl anderer Jünglinge; aber weil ich auf dich vertraute und deinen Herrn, den du verkündigst, wenn ihr wirklich zuverlässig und wahrhaftig seid 8, darum wollte ich, daß dieser sterbe." Petrus aber sprach: "Gott läßt sich nicht versuchen oder gering achten. Aber der, welcher von seinen Geliebten 9 aus (vollem) Herzen verehrt werden muß, wird die erhören, die es wert sind 10. Aber da nun einmal jetzt unter euch Gott und mein Herr Jesus Christus versucht wird, so tut er auch solche Zeichen und Wunder durch mich zur Bekehrung seiner Sünder. Und nun vor aller Augen, 0 Vgl. Lk.7, IIff. • Vouaux: duc te = {fnaye. • Turner: illa autem hoc audiens. 4 PapOx: untersuchten die Nase des Knaben, um zu sehen ob. o PapOx: die alte Frau (statt: seine Mutter). 6 PapOx: Wenn du nun willst, Mutter, und dem Gott des Petrus vertraust. 7 PapOx: So sprachen sie; der Praefekt sah Petrus an ( ..... Lücke): Siehe mein Knabe liegt tot da. S PapOx: aber ich wollte dich und den durch dich (verkündeten) Gott prüfen, ob ihr wohl wahrhaftig seid. 9 Turner: sed dilectis suis. 10 PapOx: Gott ist nicht versucht oder geprüft worden, .Agrippa . .Aber der Geliebte und .Angerufene erhört die Würdigen. 1
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2. Petrusakten
Herr, erwecke du den, den Simon durch Berührung getötet hat, durch meine Stimme mit deiner Kraft!" Und es sprach Petrus zu dem Herrn des Knaben: "Komm her, halte seine Rechte und du wirst ihn lebend haben, so daß er mit dir gehen kann." Aber der Präfekt Agrippa lief hinzu und kam zu dem Knaben, und indem er seine Rechte hielt, erweckte er ihn. Als aber die Volksmasse das sah, riefen sie alle: "Es gibt nur einen Gott, nur den einen Gott des Petrus!" 27 (p. 74) Inzwischen wird auch der Sohn der Witwe auf einer Tragbahre von den Jünglingen herangetragen; das Volk machte ihnen Platz und sie brachten ihn zu Petrus. Petrus aber erhob seine Augen zum Himmel, streckte seine Hände aus und sprach: "Heiliger Vater 1 deines Sohnes Jesu Christi, der du uns deine Kraft verliehen hast, daß wir durch dich bitten und erlangen und alles, was in dieser Welt ist, verachten, und dir allein folgen, der du von wenigen gesehen wirst und von vielen erkannt werden willst: umstrahle, Herr, erleuchte, erscheine, erwecke den Sohn der greisen Witwe, die sich ohne Sohn nicht helfen kann! Und ich nehme das Wort meines Herrn Christus und sage dir: Jüngling, stehe auf und wandle 2 mit deiner Mutter, so lange du ihr nützlich bist! Nachher aber wirst du dich mir in einem höheren Dienst widmen, im Amt des Diakons und Bischofs." Und sofort erhob sich der Tote, und es sahen (dies) die Massen voller Verwunderung und das Volk rief: "Du Gott Heiland des Petrus, unsichtbarer Gott und Heiland." Und sie sprachen untereinander und bewunderten die Kraft eines Menschen, der mit seinem Worte seinen Herrn anrief, und nahmen (es) auf zu ihrer Heiligung. 28 Während nun das Gerücht die ganze Stadt durcheilte, kam die Mutter eines Senators hinzu, drängte sich mitten durch die Menge und fiel dem Petrus zu Füßen und sprach: "Ich habe von meinen Leuten erfahren, daß du ein Diener des barmherzigen Gottes bist und allen, die dieses Licht verlangen, seine Gnade mitteilst. Teile also auch (meinem) Sohn das Licht mit; denn ich habe erfahren, daß du niemandem mißgünstig bist; wenn dich (auch nur) eine Frau bittet, so wende dich nicht ab!" Petrus sprach zu ihr: " Glaubst du an meinen Gott, durch den dein Sohn auferstehen wird?" Die Mutter aber rief unter Tränen mit lauter Stimme: "Ich glaube Petrus, ich glaube". Alles Volk rief: "Schenke der Mutter den Sohn!" Petrus aber sprach: "Er soll hierher gebracht werden vor diesen allen!" Und zum Volke gewandt sprach Petrus: "Römer, da auch ich einer von euch bin, der menschliches Fleisch trägt, und ein sündhafter Mensch, aber Mitleid (p. 75) erlangt habe: darum richtet euer Augenmerk nicht auf mich, als ob ich durch eigene Kraft täte, was ich tue 3, sondern (es geschieht durch die Kraft) meines Herrn J esus Christus, der Richter ist über die Lebenden und die Toten. Im Glauben an diesen, von ihm gesandt, wage ich es, ihn anzurufen, Tote zu erwecken. Gehe also auch du hin, Weib, und laß deinen Sohn hierher bringen und auferwecken!" Die Frau drängte sich wieder mitten durch die Menge und trat hinaus auf die Straße, mit großer Freude dahineilend, und von Herzen glaubend kam sie zu Hause an, ließ durch ihre jungen Leute ihn (den Toten) hinbringen und kam zum Forum. Sie sagte aber den Jünglingen, sie sollten ihre Mützen auf den Kopf setzen und vor der Bahre gehen, und was sie für den Leichnam (d.h. für die Bestattung) ihres Sohnes aufwenden wollte, (ließ sie) vor der Bahre hertragen, auf daß Petrus, wenn er das sähe, Mitleid mit dem Toten und mit ihr hätte. Unter allgemeiner Totenklage gelangte man zu der Menge; es folgte aber eine Schar von Senatoren und vornehmen Frauen, um die Wundertaten Gottes zu sehen. Ni1
Vgl. Joh. 17, 11.
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Lk. 7, 14.
3
Vgl. AG 3, 12.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
costratus, der gestorben war, war aber sehr angesehen und beliebt im Senat. Den brachten sie an und setzten ihn vor Petrus nieder. Petrus aber gebot Stillschweigen und sprach mit lauter Stimme: "Römer, jetzt soll eine gerechte Entscheidung gefällt werden zwischen mir und Simon, und achtet darauf, wer von uns dem lebendigen Gott glaubt, dieser oder ich! Aber diesen hier liegenden Leichnam möge dieser auferwecken, und (dann) glaubt ihm als einem Engel Gottes. Wenn er es aber nicht vermag, so werde ich meinen Gott anrufen: ich werde der Mutter ihren Sohn lebend zurückgeben, und (dann) glaubt, daß dieser ein Zauberer und Verführer ist, der bei euch Gastfreundschaft genießt!" Alle aber hörten dies, und es schien ihnen recht, was Petrus gesagt hatte. Sie ermahnten den Simon mit den Worten: "Jetzt zeige offen, wenn etwas in dir ist: gib ihn dem Spott preis oder du wirst dem Spott preisgegeben. Was stehst du noch da~ Wohlan, fang an!" Als Simon aber sah, daß alle in ihn drangen, stand er schweigend da. Als er sah, daß das Volk verstummt war und sich ihm zuwandte, erhob Simon seine Stimme und sprach: "Römer, wenn ihr sehen werdet, daß ich den Toten auferweckt habe, werft ihr dann den Petrus aus der StadM" Und das ganze Volk rief: "Wir werfen ihn nicht nur hinaus, sondern zur selben Stunde werden wir ihn im Feuer verbrennen." Da trat Simon zu dem Kopf des Toten, neigte sich dreimal und richtete sich dreimal auf (p. 76) und zeigte dem Volke, daß er (der Tote) den Kopf erhoben habe und sich bewege, indem er die Augen aufschlug und sich zu Simon neigte. 1 Sofort begannen sie Holz und Brennmaterial zusammen zu suchen, um den Petrus zu verbrennen. Petrus aber empfing die Kraft Christi, erhob seine Stimme und sagte zu denen, die gegen ihn anbrüllten: "Jetzt sehe ich, Volk von Rom, daß ich euch nicht albern und eitel nennen darf, solange eure Augen, eure Ohren und euer Herz verblendet sind. Solange euer Sinn umnachtet ist, seht ihr nicht, daß ihr verzaubert seid, da ihr glaubt, der Tote sei auferstanden, der sich gar nicht erhoben hat. Mir genügte es, ihr Römer, zu schweigen und stumm zu sterben und euch dem Blendwerk dieser Welt zu überlassen. Aber ich habe die Strafe des unauslöschlichen Feuers 2 vor Augen. Wenn es euch also richtig erscheint, so soll der Tote sprechen, sich erheben, wenn er lebt, sein festgebundenes Kinn mit seinen Händen (von den Binden) lösen, seine Mutter rufen und euch Lärmenden sagen: 'Was lärmt ihr~' und euch mit seiner Hand zuwinken. Wollt ihr also sehen, daß er noch tot ist, und daß ihr durch Zauberei gebunden seid, so möge dieser sich von der Bahre entfernen, der euch überredet hat, von Christus wegzugehen, und ihr werdet jenen so sehen, wie ihr ihn habt herbringen sehen." Aber der Präfekt Agrippa konnte nicht mehr an sich halten, erhob sich und schlug den Simon mit seinen Händen. Und so lag der Tote wieder da, wie er vorher war. Das Volk aber wandte sich voller Wut von der Zauberei des Simon ab und begann zu schreien: "Höre, Caesar, wenn nun der Tote sich nicht erhebt, so soll Simon für Petrus verbrannt werden. Denn er hat uns wirklich verblendet." Petrus aber streckte seine Hand aus und sprach: "Ihr Römer, habt noch Geduld! Ich sage euch nicht, daß nach der Auferweckung des Knaben Simon verbrannt werden soll; wenn ich es nämlich sagen würde, werdet ihr es tun." Da rief das Volk: "Auch wenn du es nicht willst, Petrus. werden wir es tun". Petrus sprach zu ihnen: "Wenn ihr darauf 1 Turner: inclinans se ter, ter erigens ostendit .... aperientem et inclinantem se Simonem illi (?). Die Stelle bleibt unklar. Wichtig ist nur, daß Simon allerlei Praktiken anwenden muß, während Petrus solche Taten mit einem Wort erledigt (vgl. Vouaux, S. 3S6f., Anm. 3). 2 Vgl. Mk. 9,43.
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2. Petrusakten
beharrt, wird der Knabe sioh nioht erheben. Denn Böses mit Bösem zu vergelten 1, haben wir nioht gelernt; vielmehr (p. 77) haben wir gelernt, unsere Feinde zu lieben und für unsere Verfolger zu beten 2. Denn wenn auoh dieser nooh Buße tun könnte, wäre es besser. Gott wird nämlioh nioht des Bösen gedenken. Er möge also zu dem Lioht Christi gelangen. Wenn er es aber nioht kann, dann möge er das (Erb)teil seines Vaters, des Teufels besitzen. Aber eure Hände sollen nioht befleokt werden." Und als er das zu dem Volk gesagt hatte, trat er zu dem Knaben, und bevor er ihn erweokte, spraoh er zu seiner Mutter: "Sollen diese Jünglinge, welohe du zur Ehre deines Sohnes freigelassen hast, als Freie weiter ihrem lebenden Herrn Dienst leisten1 loh weiß nämlioh, daß manohe sioh gekränkt fühlen werden, wenn sie deinen Sohn erstehen sehen und sie dann wieder seine Sklaven sein sollen. Aber sie sollen alle frei bleiben und zu essen bekommen, wie sie früher bekamen; denn dein Sohn wird auferstehen, und sie sollen mit ihm zusammen sein." Und Petrus betraohtete sie längere Zeit, was sie wohl denke. Und die Mutter des Knaben sagte: "Was könnte ioh anderes tun 1 Darum will ioh vor dem Präfekten erklären: alles was ioh für die Bestattung meines Sohnes aufwenden wollte, das sollen sie besitzen." Petrus spraoh zu ihr: "Das übrige soll an Witwen verteilt werden." Aber Petrus freute sioh von Herzen und spraoh: "Herr, der du barmherzig bist, J esus Christus, ersoheine deinem Petrus, der dioh anruft, wie du immer Barmherzigkeit und Güte geübt hast: in Gegenwart aller dieser, die die Freiheit erlangt haben, damit sie dienen können, soll jetzt Nioostratus auferstehen!" Und Petrus berührte die Seite des Knaben und spraoh: "Steh aufI" Und der Knabe stand auf, hob seine Kleider hooh, setzte sioh, löste sein Kinn, bat um andere Kleider, stieg von der Bahre und spraoh zu Petrus: "loh bitte dioh, Mensoh, wir wollen zu unserm Herrn J esus Christus gehen, den ioh mit dir spreohen sah und der dir sagte. indem er mioh dir zeigte: 'Bring ihn mir hierher, denn er ist mein.''' Als Petrus dies von dem Knaben hörte, wurde er nooh mehr im Herzen befestigt duroh den Beistand des Herrn, und Petrus spraoh zum Volk "Ihr Römer, so werden die Toten erweokt, so spreohen sie miteinander, so gehen sie einher, wenn sie auferstehen, und leben so lange, wie Gott will. Jetzt nun ihr, die ihr zum Sohauspiel zusammengekommen seid, wenn (p. 78) ihr euoh jetzt 3 bekehrt von allen euren bösen Taten und von allen euren Götzen und von jeglioher Unreinheit und Begierde, so werdet ihr die Gemeinsohaft Christi duroh den Glauben empfangen, damit ihr das ewige Leben erlangt." 29 Von dieser Stunde ab verehrten sie ihn wie einen Gott; die Kranken aber, die sie in den Häusern hatten, legten sie ihm zu Füßen, damit er sie heile. Der Präfekt aber, als er sah, daß eine so große Menge (p.79) sioh zu Petrus hielt,befahl dem Petrus wegzugehen. Petrus aber sagte dem Volk, sie sollten in das Haus des Maroellus kommen. Die Mutter des Knaben aber bat den Petrus, er möge seinen Fuß in ihr Haus setzen 4. Petrus aber hatte bestimmt, am Sonntag zu Maroellus zu gehen 5, daß er die Witwen sähe, wie Maroellus versproohen hatte, damit sie von seiner eigenen Hand bedient würden. Der Knabe nun, der auferstanden war, sagte: "loh gehe von Petrus nioht weg." Die Mutter aber kam fröhlioh und heiter in ihr Haus. Und am anderen Tage naoh dem Sabbat kam sie in das Haus des Maroellus, braohte dem Petrus zweitausend Goldstüoke und sagte zu Petrus: "Verteile diese an die Jungfrauen Christi, die ihm dienen." Als aber der Knabe, der von den Toten auferstan1 4
Rm. 12, 17; 1. Thess. 5, 15. Vgl. AG 16, 15.
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Vgl. Mt. 5, 44.
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Turner: ire ad.
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Turner: nune.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
den war, gesehen hatte, daß er niemandem (etwas) geschenkt hatte, lief er nach Hause, öffnete einen Schrank und brachte selbst viertausend Goldstücke und sagte zu Petrus: "Siehe auch ich, der ich auferweckt bin, bringe eine doppelte Gabe dar und mich selbst als sprechendes Opfer 1 für Gott vom heutigen Tag an."
9. Martyrium des heiligen Apostel Petrus 30 (1) Als es Sonntag war, predigte Petrus den Brüdern und ermahnte 2 zum Glauben an Christus. Es waren (aber auch) viele Senatoren dabei und mehrere Ritter und reiche Frauen (und) Matronen, und sie wurden im Glauben gestärkt. Auch eine sehr reiche Frau war darunter, die den Beinamen Chryse hatte, weil alle ihre Gefäße von Gold waren, - sie hatte nämlich seit ihrer Geburt weder ein silbernes noch ein gläsernes Gefäß benutzt, sondern nur goldene; diese sagte zu Petrus: "Petrus, Diener Gottes, im Traum trat der zu mir, den du Gott nennst, und hat zu mir gesagt: 'Chryse, bringe meinem Diener Petrus (p. 80) 10000 Goldstücke; denn du schuldest sie ihm'. Ich habe sie nun gebracht aus Furcht, mir möchte etwas Schlimmes widerfahren von dem, den ich gesehen habe und der gen Himmel auffuhr. " Und als sie das gesagt und das Geld niedergelegt hatte, entfernte sie sich. Petrus aber sah es und pries den Herrn, weil die Bedrückten nun erquickt werden sollten. Einige von den Anwesenden sagten daraufhin zu ihm: "Petrus, es ist nicht gut, daß du dieses Geld von ihr angenommen hast. Sie ist nämlich in ganz Rom wegen Hurerei im Gerede, und (es wird behauptet), daß sie sich nicht an einen Mann (nur) hält, ja sogar mit ihren eigenen Sklaven läßt sie sich ein. Du solltest daher keine Gemeinschaft mit dem goldenen Tisch (dem Tisch der Chryse) haben, sondern es werde zu ihr zurückgeschickt, was von ihr kam." Petrus hörte dies und lachte und sprach zu den Brüdern: "Was diese ihrem sonstigen Lebenswandel nach ist, weiß ich nicht; aber wenn ich dieses Geld empfangen habe, so habe ich es nicht ohne Grund empfangen; sie hat es mir nämlich als eine Schuldnerin Christi dargebracht und gibt es den Dienern Christi. Denn er selbst hat für sie gesorgt." 31 (2) Sie brachten aber auch die Leidenden am Sabbat zu ihm und baten, sie möchten von ihren Krankheiten geheilt werden. Und es wurden viele Gelähmte und von der Gicht Geplagte und solche, die halbdrei- und viertägiges Fieber hatten, geheilt, und von aller körperlichen Krankheit wurden geheilt, die an den Namen Jesu Christi glaubten, und sehr viele wurden an jedem Tage zu der Gnade des Herrn hinzugetan 3. Simon der Zauberer aber versprach nach Ablauf einiger Tage dem Volk, den Petrus zu überführen, daß er nicht an den wahren, sondern an einen trügerischen Gott glaube. Da er nun viele Gaukelstücke tat, verlachten ihn diejenigen Jünger, die fest (im Glauben) waren. In den Speisezimmern ließ er nämlich einige Geister zu ihnen hereinkommen, die nur Scheinwesen, aber ohne Wirklichkeit waren. Und was ist noch weiter zu sagen? Nachdem er mit vielen Worten über die Zauberkunst geredet hatte, da ließ er auch Lahme gesund erscheinen auf kurze Zeit und Blinde in gleicher Weise, und Tote, so schien es, machte er einmal viele lebendig und ließ sie sich bewegen, wie auch den Nicostratus. In all diesem aber folgte ihm Petrus und 1
Vgl. Rm. 12, 1.
• Turner: hortante.
3
Vgl. AG 2, 47.
2. PetrU8akten
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widerlegte ihn bei denen, die es sahen. Und als er nun immer eine schlechte Figur spielte und von dem Volk der Römer verlacht wurde, und man ihm kein Vertrauen schenkte, weil er etwas zu tun versprach und nicht tun konnte, da kam es schließlich dahin, daß er zu ihnen sagte: "Ihr Römer, ihr glaubt jetzt, daß Petrus mir überlegen sei, als wäre er mächtiger (als ich), und ihr haltet euch mehr zu ihm. Ihr täuscht euch. Denn morgen werde ich euch Gottlose und Unfromme verlassen und werde hinauffliegen zu Gott, dessen Kraft ich bin, wenn auch schwach geworden. Wenn ihr nun gefallen seid, siehe ich bin der Stehende 1. Und ich gehe hinauf (p. 82) zum Vater 2 und werde ihm sagen: Auch mich, deinen stehenden Sohn wollten sie zu Fall bringen; aber ich habe mich mit ihnen nicht eingelassen, sondern bin zu mir selbst zurückgekehrt. " 32 (3) Und schon am folgenden Tage lief ein größerer Volkshaufe nach der Via Sacra zusammen, um ihn fliegen zu sehen. Petrus aber, der ein Gesicht gesehen hatte, kam auch zu dem Ort, damit er ihn auch darin widerlege. Denn als er (sc. Simon) in Rom einzog, verwirrte er das Volk durch seinen Flug. Aber (damals) war Petrus, der ihn überführte, noch nicht in Rom anwesend, wo er (Simom) (das Volk) irre führte und täuschte, so daß einige durch ihn um ihren Verstand gebracht wurden. Dieser (Simon) stand nun an einem hohen Ort und als er Petrus erblickt hatte, begann er zu reden: "Petrus, jetzt vor allem, da ich vor diesen allen, die es sehen, emporsteige, sage ich dir: Wenn dein Gott mächtig ist, er, den die Juden getötet haben - sie haben ja auch euch, seine Auserwählten, mit Steinen beworfen 3 -, so möge er zeigen, daß sein Glaube von Gott kommt; möge sich dabei zeigen, ob er Gottes würdig ist. Denn ich steige empor und will mich diesem ganzen Volke erweisen, wer ich bin." Und siehe, er wurde in die Höhe gehoben, und alle sahen ihn sich über ganz Rom und über seine Tempel und seine Hügel erheben. Die Gläubigen (aber) blickten auf Petrus. Und Petrus sah das Unglaubliche des Schauspiels und schrie zu dem HerrnJesus Christus: "Wenn du diesen tun läßt, was er unternommen hat, so werden jetzt alle, die an dich gläubig geworden sind, angefochten werden, und es werden die Zeichen und Wunder, die du ihnen durch mich gegeben hast, unglaubwürdig sein. Erzeige, Herr, schnell deine Gnade und (bewirke), daß er von oben herabfällt, aber nicht sterbe, sondern unschädlich gemacht werde und den Schenkel an drei Stellen breche!" Und er fiel von oben herab und brach den Schenkel an drei Stellen, Da warfen sie St,eine auf ihn und gingen jeder nach Hause, schenkten-im übrigen alle dem Petrus ihr Vertrauen. Einer aber von den Freunden Simons, mit Namen Gemellus,.von dem Simon viel erhalten hatte - er hatte eine griechische Frau gehabt -, kam kurz darauf des Weges und sah ihn mit zerbrochenem Schenkel und sagte: (p. 84) .,Simon, wenn die 'Kraft Gottes' zerbrochen wird, wird dann nicht auch der Gott selbst, dessen Kraft du bist, sich als Blendwerk erweisen?" Es lief nun auch Gemellus davon und folgte dem Petrus und sagte zu ihm: "Auch ich wünsche, einer von den an Christus Glaubenden zu sein." Petrus aber sagte: "Was soll hier noch (irgendwelche) Mißgunst, mein Bruder? Komm und bleibe bei uns." Simon aber, (so) ins Unglück gekommen, fand einige, die ihn des Nachts auf einer Tragbahre von Rom nach Aricia brachten. Und dort blieb er und wurde zu einem Mann (mit Namen) Kastor gebracht, der aus Rom wegen seiner Zauberei nach Terracina verbannt worden war. Und dort wurde er operiert und (so) fand der Engel des Teufels " Simon, sein Lebensende. 1 3
Vgl. ClemenB Alex., Strom. II 11,52; Hippolyt, Ref. VI 17. • Vgl. Joh. 20, 17. Vgl. Mt. 23, 37; Joh. 8, 59; AG 14, 19. ' Vgl. 2. Kor. 12,7.
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XIII. ApostBlgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
33 (4) Petrus aber weilte in Rom und freute sich mit den Brüdern in dem Herrn und dankte Tag und Nacht für die Menge, die täglich zu dem heiligen Namen durch die Gnade des Herrn hinzugeführt wurden 1. Es kamen aber auch die vier Konkubinen des Praefekten Agrippa zu Petrus, Agrippina, Nikaria, Euphemia und Doris. Als diese die Predigt von der Keuschheit hörten und alle Worte des Herrn, wurden sie in ihrer Seele getroffen; sie verabredeten untereinander, keusch zu bleiben (und sich) vom Lager des Agrippa (fernzuhalten), wurden aber von diesem bedrängt. Agrippa war nun in Verlegenheit und war ungehalten über sie - denn er liebte sie sehr; darum ließ er sie beobachten und schickte (Leute, um festzustellen), wohin sie gingen und erfährt, daß sie zu Petrus (gingen). Als sie nun (wieder zurück) kamen, sagte er zu ihnen: "Jener Christ hat euch gelehrt, nicht mit mir zusammenzukommen; wisset, ich werde auch euch vernichten und jenen lebendig verbrennen." Diese nun nahmen es auf sich, alle übel von Agrippa zu ertragen, (sie wollten aber) sich nur nicht mehr von heftiger Leidenschaft hinreißen lassen, gestärkt durch die Kraft Jesu. 34 (5) (p.86) Eine Frau aber, die von besonderer Schönheit war, die Gattin des Albinus, eines Freundes des Kaisers, Xantippe mit Namen, kam zusammen mit den anderen Matronen zu Petrus und versagte sich dem Albinus. Jener nun, voller Wut und von Liebe zu Xantippe entbrannt, wunderte sich, daß sie nicht mehr mit ihm zusammen auf demselben Lager schlafen wolle, und er wurde wild wie ein Tier und wollte des Petrus habhaft werden; denn er erkannte, daß er (Petrus) schuld sei an der Trennung (der Frau) vom Bett. Aber auch viele andere Frauen wurden von der Predigt über die Keuschheit ergriffen und trennten sich von ihren Männern, und (manche) Männer trennten ihr Lager von dem der eigenen Frauen, weil sie rein und unberührt Gott dienen wollten. Es entstand nun in Rom ein gewaltiger Aufruhr und Albinus berichtete seine Erlebnisse dem Agrippa, indem er zu ihm sprach: "Entweder schaffe du mir Recht von Petrus, der meine Frau von mir getrennt hat. oder ich werde mir selber Recht schaffen." Und Agrippa erklärte, er habe dasselbe von ihm erlitten, da er die Konkubinen (von ihm) getrennt habe. Und Albinus sprach zu ihm: "Worauf wartest du noch, Agrippa? Wir wollen ihn fangen und als unnützen Menschen töten, damit wir unsere Frauen wiederbekommen und damit wir auch jenen Recht schaffen, die ihn nicht töten können, deren Frauen er auch abspenstig gemacht hat." 35 (6) Während sie so überlegten, chickte Xantippe, die die Beratung ihres Mannes mit Agrippa in Erfahrung gebracht hatte, und ließ dem Petrus sagen, er solle Rom verlassen. Und die übrigen Brüder forderten ihn gemeinsam mit Marcellus auf, wegzugehen. Petrus aber (p. 88) sagte zu ihnen: "Sollen wir entlaufen, Brüder?" Sie aber sagten zu ihm: "Nein, sondern da du noch dem Herrn dienen kannst, (sollst du weggehen)". Er ließ sich aber von den Brüdern überreden und verließ allein (die Stadt) und sagte dabei: "Keiner von euch soll mit mir hinweggehen, sondern ich will allein weggehen, nachdem ich mein Aussehen verändert habe". Als er aber zum Tore hinausging, sah er den Herrn nach Rom hineinkommen. Und er sah ihn und sprach: "Herr, wohin (gehst) du hier?" 2 Und der Herr sagte zu ihm: "Ich gehe nach Rom hinein, um gekreuzigt zu werden." Und Petrus sprach zu ihm: "Herr, wiederum wirst du gekreuzigt?" Er sagte zu ihm: "Ja, Petrus, wiederum werde ich gekreuzigt". Da kam Petrus zu sich und sah den Herrn in den Himmel
1
Vgl. AG 2,47.
• Vgl. Joh. 13,36.
2. Petrusakten
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fahren; er kehrte nach Rom zurück, freute sich und pries den Herrn, weil er selbst gesagt hatte: "Ich werde gekreuzigt." Das sollte an Petrus geschehen. 36 (7) Er ging nun wieder zu den Brüdern hinauf und erzählte ihnen, was ihm erschienen war. Sie aber trauerten in ihrer Seele, weinten und sagten: "Wir beschwören dich Petrus; denke an uns, die Jüngeren!" Und Petrus sagte zu ihnen: "Wenn es der Wille des Herrn ist, so geschieht es, auch wenn wir nicht wollen. Euch aber vermag der Herr im Glauben an ihn zu stärken, und er wird (euch) auf ihn gründen und in ihm ausbreiten, (euch), die er selbst gepflanzt hat, damit auch ihr andere durch ihn pflanzt. Ich aber widerstehe nicht, solange mich der Herr am Leben lassen will; und wiederum, wenn er mich hinwegnehmen will, jauchze ich und freue mich." Während Petrus so redete und (p. 90) die Brüder alle weinten, siehe, da ergriffen ihn vier Soldaten und führten ihn vor Agrippa. Und dieser befahl in seiner Krankheit, ihn wegen Gottlosigkeit zu kreuzigen. Es lief nun die ganze Menge der Brüder zusammen, Reiche und Arme, Waisen und Witwen, Niedrige und Mächtige; sie wollten Petrus sehen und ihn hinwegreißen. Das Volk aber schrie unbändig und einstimmig: "Was hat Petrus Unrechtes getan, Agrippa? Was hat er Böses getan? Sage es den Römern!" Und andere sagten: ,,(Es ist zu fürchten,) daß der Herr auch uns verderbe, wenn dieser stirbt." Und als Petrus an den Ort (der Hinrichtung) gekommen war, beruhigte er die Menge und sagte: "Ihr Männer, die ihr für Christus Kriegsdienst 1 leistet, ihr Männer, die ihr auf Christus hofft, gedenket der Zeichen und Wunder, die ihr durch mich (geschehen) gesehen habt; denket an Gottes Mitleid, wie viele Heilungen er euretwegen vollbracht hat. Erwartet ihn, der kommen wird und jedem nach seinen Taten vergilt 2. Und nun zürnet Agrippa nicht; denn er ist ein Diener der Kraft seines Vaters. Und dieses geschieht jedenfalls, da mir der Herr offenbart hat, was geschehen soll. Aber was zögere ich und gehe nicht an das Kreuz?" 37 (8) Als er aber hinzukam und bei dem Kreuze stand, begann er zu sprechen: ,,0 Name des Kreuzes, verborgenes Geheimnis; so unaussprechliche Gnade, (p. 92), die mit dem Namen des Kreuzes ausgesprochen ist; 0 Natur des Menschen, die von Gott nicht getrennt werden kann; 0 unsagbare und unzertrennbare Liebe, die von unreinen Lippen nicht bekannt werden kann; ich erfasse dich jetzt am Ende, da ich mich von hier löse. Ich will dich bekannt machen, wie du bist. Ich will das meiner Seele einst verschlossene und verborgene Geheimnis des Kreuzes nicht verschweigen. Das Kreuz sei euch, die ihr auf Christus hofft, nicht das, was sichtbar erscheint; denn etwas anderes als das Sichtbare ist dieses (Leiden) gemäß dem Leiden Christi. Und jetzt vor allem, da ihr, die ihr zu hören vermögt, (es hören) könnt von mir, der ich in der letzten Stunde und am Ende meines Lebens stehe, höret: von allem sinnlich Wahrnehmbaren haltet eure Seelen fern, von allem sichtbar Erscheinenden, das doch nicht wirklich ist. Verschließet diese eure Augen, verschließet diese eure Ohren, (haltet euch fern) von den Dingen, die sichtbar erscheinen! Und ihr werdet das, was Christus betrifft und das ganze Geheimnis eures Heils erkennen. Und dies sei euch, die ihr es hört, gesagt, als wäre es nicht gesagt. Die Stunde aber (ist da) für dich, Petrus, deinen Leib denen, die ihn nehmen wollen, hinzugeben. Nehmt ihr also hin, deren Beruf es ist. Ich fordere nun von euch, den Scharfrichtern, kreuzigt mich so, mit dem Kopf nach unten und nicht anders! Und warum, das werde ich den Hörenden sagen." 1
Vgl. 2. Tim. 2, 4.
2
Vgl. Mt. 16,27.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
38 (9) (p. 94) Als sie ihn nun in der .Art, wie er es gefordert hatte, aufgehängt hatten, begann er wieder zu reden: "Ihr Männer, die ihr zum Hören berufen seid, vernehmt, was ich gerade jetzt, während ich (am Kreuz) hänge, euch verkündigen werde! Erkennet das Geheimnis der ganzen Schöpfung und den Anfang aller Dinge, wie er war. Denn der erste Mensch, dessen.Art ich in (meiner) Gestalt trage, mit dem Kopf nach unten gestürzt, zeigte eine Entstehungsart, die ehemals nicht so war; denn sie war tot, da sie keine Bewegung hatte. Als er nun herabgezogen wurde, er, der auch seinen Ursprung auf die Erde warf, hat er das Ganze der .Anordnung festgestellt, aufgehängt nach .Art der Berufung, bei der er das Rechte als Linkes und das Linke als Rechtes gezeigt hat, und hat alle Zeichen der Natur geändert, (nämlich) das Nichtschöne als schön zu betrachten und das wirklich Schlechte als Gutes. Darüber sagt der Herr im Geheimnis: 'Wenn ihr nicht das Rechte macht wie das Linke und das Linke wie das Rechte und das Obere wie das Untere und das Hintere wie das Vordere, so werdet ihr das Reich (Gottes) nicht erkennen.' 1 Dieses (p. 96) Verständnis nun habe ich zu euch gebracht, und die .Art, in der ihr mich hängen seht, ist die Abbildung jenes Menschen, der zuerst zur Entstehung kam. Ihr nun, meine Geliebten, die ihr es jetzt hört und die ihr hören werdet, müßt ablassen von dem ersten Irrtum und wieder zurückkehren. Denn es sollte sich geziemen, an das Kreuz Christi zu kommen, der da ist einzig und allein das ausgebreitete Wort, von dem der Geist sagt: 'Denn was ist Christus anders als das Wort, der Schall Gottes?' 2 damit Wort sei dieses aufrechtstehende Holz, an dem ich gekreuzigt bin; der Schall aber ist der Querbalken, (nämlich die) Natur des Menschen; der Nagel aber, der an dem geraden Holz den Querbalken in der Mitte festhält, ist die Bekehrung und Buße des Menschen. 39 (10) Da du mir nun dieses kundgetan und offenbart hast, 0 Wort des Lebens, wie von mir jetzt das Holz genannt worden ist, so danke ich dir, nicht mit diesen Lippen, die angenagelt sind, auch nicht mit der Zunge, durch die Wahrheit und Lüge hervorgeht, auch nicht mit diesem Worte, das von der Kunst irdischer Natur hervorgebracht wird, sondern mit jener Stimme danke ich dir, 0 König, die durch Schweigen vernommen wird, die nicht im Offenbaren gehört wird, die nicht durch die Organe des Körpers hervorgeht, die nicht in fleischliche Ohren eingeht, die nicht vom vergänglichen Wesen gehört wird, die nicht in der Welt ist und auf der Erde ertönt, auch nicht in Büchern geschrieben wird, auch nicht dem einen gehört, dem anderen nicht, sondern mit dieser (Stimme), Jesus Christus, (p. 98) danke ich dir: Mit dem Schweigen der Stimme, der der Geist in mir, der dich liebt und mit dir spricht und dich sieht, begegnet. Du bist nur dem Geist erkennbar. Du bist mir Vater, du mir Mutter, du mir Bruder, du Freund, du Diener, du Haushalter. Du (bist) das All, und das All (ist) in dir; und du (bist) das Sein, und es gibt nichts anderes, was ist, außer dir allein. Zu ihm fliehet nun auch ihr, Brüder, und lernt, daß ihr euer Wesen in ihm habt, und ihr werdet dann das erlangen, von dem er zu euch sagt: 'Was weder ein Auge gesehen hat, noch ein Ohr gehört hat, noch in ein Menschenherz gekommen ist.' 3 Wir bitten nun um das, was du uns zu geben versprochen hast, unbefleckter Jesus; wir loben dich, wir danken dir und bekennen dich, indem wirnoch schwache Menschen - dich preisen. Denn du allein bist Gott und kein anderer, dem der Ruhm sei jetzt und in alle Ewigkeiten Amen." 1 3
Vgl. Bd. I, S.115. 2 Unbekanntes Zitat; vgl. Vouaux, S.449f. Vgl. 1. Kor. 2, 9; Thomasevgl. Logion 17; s. Bd. I, S. 217.
3. Paulusakten
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40 (11) Als aber die herumstehende Menge mit lautem Schall das Amen rief, da übergab zugleich mit diesem Amen Petrus dem Herrn den Geist. Als aber Marcellus sah, daß der selige Petrus seinen Geist aufgegeben hatte, nahm er, ohne jemanden um Rat zu fragen, was auch nicht angegangen wäre, ihn mit eigenen Händen (p. 100) vom Kreuze herab und badete ihn in Milch und Wein 1. Und er zerrieb sieben Pfund Mastix und weitere fünfzig Pfund Myrrhe und Aloe und Gewürz und salbte seinen Leichnam und füllte einen sehr teuren steinernen Trog mit attischem Honig und setzte ihn in seinem eigenen Grabmal bei 2. Petrus aber trat zu Marcellus bei Nacht und sagte: "Marcellus, hast du den Herrn sagen hören: 'Laßt die Toten von den eigenen Toten begraben werden'? 3" Als aber Marcellus (das) bejaht hatte, sagte Petrus zu ihm: "Das nun, was du an den Toten gewandt hast, hast du verloren. Denn du hast, obgleich du lebendig bist, wie ein Toter für einen Toten gesorgt." Marcellus aber, aus dem Schlaf erwacht, erzählte die Erscheinung des Petrus den Brüdern und war zusammen mit denen, die von Petrus im Glauben an Christus gestärkt worden waren, wodurch er auch selbst noch viel mehr Stärkung fand bis zur Wiederkunft des Paulus in Rom. 41 (12) Als aber Nero später erfuhr, daß Petrus aus dem Leben geschieden war, tadelte er den Praefekten Agrippa, daß er getötet worden sei, ohne daß seine Meinung eingeholt worden wäre. Denn er hatte gewünscht, ihn mit kräftiger Strafe und härter zu züchtigen. Petrus hatte nämlich auch einige von seinen Dienern zu Jüngern und ihm abspenstig gemacht. Darum war er sehr zornig und redete einige Zeit nicht mit Agrippa. Er suchte nämlich alle Brüder, die von Petrus zu Jüngern gemacht worden waren, (p. 102) zu vernichten. Und eines Nachts sieht er einen, der ihn schlägt und (zu ihm) sagt: "Nero, du kannst jetzt nicht die Diener Christi verfolgen oder verderben. Laß darum deine Hände von ihnen!" Und darum geriet Nero infolge eines solchen Gesichtes in große Furcht und ließ ab von den Jüngern in jener Zeit, in der auch Petrus aus dem Leben geschieden war. Und es waren im übrigen die Brüder einmütig beisammen, freuten sich und jauchzten in dem Herrn 4 und priesen den Gott und Heiland unseres Herrn J esu Christi mit dem Heiligen Geiste, dem die Ehre (sei) in alle Ewigkeiten. Amen.
3. PAULUSAKTEN*
(w. Schneemelcher) EINLEITUNG. -1. LITERATUR. Texte: Lipsius, Aa 1, S.235-272. 104-117; W. Wright, Apocryphal Acts of the Apostles, 1871, I, S. 128-169. II, S. 116-145 (syrisch und englisch); F. Nau, La version syriaque des martyres de S. Pierre, S. Paul et S. Luc, Revue de ]'Orient chretien III, 1898, S. 39-57; E.J. GDodspeed, The book of Thekla, The American Journal of Semitic Languages and Literatures XVII, 1901, S. 65f. (aethiopisch); O. von Vgl. Mk. 15, 42ff. Par. 2 vgl. zu ds. Stelle Cullmann, Petrus 2 , S. 176. Vgl. Mt. 8, 22. • Vgl. AG 2, 46. * Bei der Arbeit an den Paulusakten habe ich die freundliche Hilfe von M. Testuz und R. Kasser in besonderer Weise erfahren dürfen. Beiden genannten Herren sei auch an dieser Stelle herzlichst gedankt. Ab kürzungen: AP = Acta Pauli (Paulusakten); AThe = Acta Pauli et Theclae (Paulus- und Theklaakten); MP = Martyrium des Paulus; III Kor = Korrespondenz des Pau1
3
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Gebhardt, Die lateinischen Übersetzungen der Acta Pauli et Theclae (TU NF VII, 2) 1902. - Carl Schmidt, Acta Pauli aus der Heidelberger koptischen Papyrushandschrift Nr.l hrsg., 1904 (2. erw. Aufl. 1905; abgekürzt: Schmidt, AP); L. Vouaux, Les Actes de Paul et ses lettres apocryphes, 1913. - Carl Schmidt, IIeageu; IIavAov, Acta Pauli nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek unter Mitarbeit von W. Schubart hrsg., 1936 (abgekürzt: Schmidt, IIII). - Kleine Fragmente: W. E. Crum, Bulletin ofthe John Ryland's Library V, 1920, S. 497f.; H.A. Sanders, Harvard Theol. Review XXXI, 1938, S.70 bis 90; G.D. Kilpatrick u. C.H. Roberts, Journal of Theol. Studies XLVII, 1946, S.196 bis 199 (dazu: W. D. Mc Hardy, The Expository Times 58, 1947, S. 279); C.H. Roberts, The Antinoopolis Papyri I, 1950,. S.26-28. Übersetzungen: Deutsch von E. Rolffs, Apokr. 1, S. 357-383; Apokr. 2, S. 192-212; W. Michaelis, S. 268-317. - Französisch von Vouaux, S. 143ff. - Englisch von James, S. 270-299. Untersuchungen: .Ältere Literatur bei Lipsius, Apostelgeschichten II, 1; Literaturverzeichnis bis 1913 bei Vouaux, S. 135-140. - Rolffs, Handb. S. 358-395. - Grundlegend sind die Abhandlungen von C. Schmidt, AP und IIII. - K. Pink, Die pseudopaulinischen Briefe I, Biblica VI, 1925, S. 68-91; F. Loofs, Theophilus von Antiochien adv. Marcionem und die anderen theologischen Quellen bei Irenaeus (TU 46,2),1930, S. 148-157; F.J. Dölger, Der heidnische Glaube an die Kraft des Fürbittgebetes für die vorzeitig Gestorbenen nach den Theklaakten, Antike und Christentum 2, 1930, S. 13-16; W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, 1934, S. 45-48 u. ö.; A. Kurfess, Zu dem Hamburger Papyrus der IIeaget, IIavAov, ZNW 38,1939, S. 164-170; E. Peterson, Die Acta. Xanthippae et Polyxenae und die Paulusakten, Anal. Bollandiana 65,1947, S. 57-60; ders., Einige Bemerkungen zum Hamburger Papyrusfragment der Acta Pauli, VigiJiae Christ. 3, 1949, S. 142-162 (jetzt auch in: Frühkirche, Judentum und Gnosis, 1959, S. 183-208); P. Devos, Actes de Thomas et Actes de Paul, Anal. Boll. 69, 1951, S. 119-130 (gegen Peterson); R. Kasser, Acta Pauli 1959, Revue d'histoire et philos. rel. 40, 1960, S. 45-57. 2. BEZEUGUNG. Die AP sind in der Kirche früh und gut bezeugt. Tertullian schreibt in De baptismo 17 (Datierung unsicher, Quasten II, S. 280: ca. 198-200): "Wenn nun diejenigen, welche die fälschlich den Namen des Paulus tragenden Schriften lesen, das Beispiel der Thekla für die Erlaubnis der Frauen zu lehren und zu taufen verteidigen, so mägen sie wissen, daß der Presbyter in Asien, der diese Schrift hergestellt hat, als könne er dem Ansehen des Paulus von seinem etwas hinzutun, aus seinem Amt entfernt worden ist, nachdem er überführt war und gestanden hatte, daß er das aus Liebe zu Paulus getan habe" (CSEL XX, S. 215). Tertullian hat hier offensichtlich die Theklageschichte, die ja als Teil der AP erwiesen ist, vor Augen. Er hat sie aber wohl noch nicht als selbständiges, d.h. von den AP losgelöstes Werk gekannt. Denn auf die AThe allein würde die Aussage des Tertullian kaum passen (mit ihnen würde dem Ansehen des Paulus nur wenig hinzugetan !). Dagegen paßt die Aussage zu den AP im ganzen. Auch auf die Frage des Titels fällt dabei ein gewisses Licht. Im koptischen PHeid wird das Werk in der Subscriptio bezeichnet als "Die neaget, des Paulus (gemäß) dem Apostel" (Schmidt, AP, S. 50* und S. 90). Nun ist von dem ,,(ara) = (gemäß) nur ein Buchstabe erhalten, aber die Ergänzung wird richtig sein und erhellt dann die Aussage des Tertullian: Der Verf. der AP hat sein Werk nicht nur als ,Taten des Paulus' bezeichnet, sondern es wohl auch als apostolisches Pseudepigraphon in die Welt geschickt. Während Tertullian die AP aus theologischen Gründen (Ablehnung der Mitwirkung der Frauen in Lehre und Sakramentsverwaltung) verwirft, die Schrift aber nicht als häretisch bekämpft, benutzt sein Zeitgenosse Hippolyt das Werk offenbar ohne Bedenken. In lus mit den Korinthern; PH = Hamburger Papyrus; PB = Pap. Berlin 13893 und Pap. Michigan 1317; PO = Pap. Oxyrhynchos 1602 (= Pap. Gent 62); PM = Papyrus Michigan 3788; PA = Pap. Antinoopolis; PHeid = kopt. Papyrus Heidelberg; Ry = Fragment in der John Rylands Librery; PG = unpublizierter kopt. Papyrus der Ephesus-Episode. Nähere Angaben zu diesen Zeugen s. u. S. 224 f. Die Handschriften der AThe und des MP sind wie bei Lipsius abgekürzt, die des III Kor wie bei Testuz.
3. Paulusakten
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seinem Danielkommentar, verfaßt wohl ca. 204, schreibt er: "Wenn wir glauben, daß der auf den zum Tierkampf verurteilten Paulus gehetzte Löwe sich zu seinen Füßen legte und ihn beleckte, warum sollen wir nicht das, was mit Daniel geschehen ist, (auch) glauben?" (III 29; Sources Chret. 14, 1947, S. 254). Diese Stelle könnte sich auf AThe c. 28 und c. 33 beziehen, wird aber doch nur dann richtig verständlich, wenn Hippolyt auch die Szene des Tierkampfes des Paulus gelesen hat. Man darf also vermuten, daß Hippolyt die ganzen AP kannte und sie nicht ablehnte, auch wenn er die Quelle für seine Aussage nicht nennt. Dagegen erwähnt Origenes zweimal die AP. In seinem Werk De principiis zitiert er ein Wort aus den ,Acta Pauli' (so in der lat. Übersetzung des Rufin): "Dieser ist das Wort, ein lebendiges Wesen" (De princ. I 2, 3; Koetschau S. 30). Nun geht aus dem Zusammenhang eindeutig hervor, daß Origenes hier ein Werk unter dem Titel Acta Pauli (IIea!;Sls IIavAov) zitiert; denn er vergleicht die zitierte Aussage mit dem Prolog des Johannesevangeliums. Aber bisher ist das Zitat in keinem der bekannten Texte der AP aufgetaucht. C. Schmidt hat (IIII, S. 128) vermutet, daß der Verf. der AP dieses Wort ebenso wie die Quo-VBdis·Szene aus den APt entlehnt habe und zwar aus dem Kreuzgebet des Petrus (APt c. 38, vgl. o. S. 220; dazu Rolffs, Handb. S. 366f.). Aber das bleibt reine Vermutung. Dagegen können wir jetzt da,s andere Zitat bei Origenes aus den AP verifizieren. Im Johanneskommentar heißt es: "Wenn es jemandem beliebt, das anzunehmen, was in den, Taten des Paulus' aufgeschrieben ist, wo der Herr sagt: 'Ich bin im Begriff, von neuem gekreuzigt zu werden', der ... " (Joh. Komm. XX, 12; Preuschen S. 342). Das ist, wie PH S. 7, 39 zeigt, wörtliches Zitat aus den AP. Origenes hat also dieses Werk gekannt und auch wohl geschätzt, zumindest hat er es nicht als häretisch abgelehnt. Die Erwähnung des zum Volk sprechenden Löwen bei Commodian (Carmen apol.,v. 627f.) trägt nicht viel aus (vgl. dazu o. S. 178). Dagegen sehen wir nun bei Euseb, wie sich die Einstellung zu den AP verändert hat, ohne daß die Schrift aber schon gänzlich verworfen wäre. In der Erörterung der Schriften des Petrus und des Paulus stellt Euseb fest,daß die IIea!;ets (IIavAov) nicht zu den unbestrittenen Werken gehören (h. e. III 3, 5; Übers. s. Bd. I, S. 30). In der Zusammenfassung der Darlegung über den Kanon rechnet Euseb die AP zu den unechten Schriften und stellt sie auf eine Linie mit dem Hirten des Hermas, der Petrusapokalypse u. a. (h. e. III 25; Übers. s. Bd. I, S. 29). Auch hier ist deutlich, daß die AP zwar keine kanonische Dignität besitzen, daß sie aber von den häretischen Machwerken unterschieden werden. Dieselbe Einstellung scheint aus dem Verzeichnis des Codex CIaromontanus (4. Jb.; Übers. s. Bd. I, S. 21) hervorzugehen, wo dieAP zwischen dem Hermasbuch und der Petrusapokalypse stehen. Die Angabe der Stichen, d.h. des Umfangs, zeigt, daß die AP dem Verf. noch als Teil (als Anhang?) einer Bibelhandschrift vorlagen. Dagegen rechnet Hieronymus die "llSe{O()Ot Pauli et Theclae und die ganze Fabel des getauften Löwen" zu den apokryphen Schriften und zitiert dazu Tertullian (de vir. ill. 7). Da aber bei TertuIIian von einem getauften Löwen nicht die Rede ist, wird man annehmen dürfen, daß Hieronymus die AP gekannt hat und sie als apokryph verwirft. Die Folgezeit zeigt, daß sich die Kirche nach und nach zu demselben Urteil wie Hieronymus entschlossen hat, auch wenn noch im 14. Jb. Nikephoros KaIlistos in seiner Kirchengeschichte ein langes Referat über die ephesinische Episode der AP bringt (h.e. II 25; MPG 145, Sp. 822). Zeugnisse für die weitere Geschichte der AP in der Kirche bei Vouaux, S. 24-69; Schmidt, AP, S. 108-116 und an anderen Stellen dieses Werkes. Daß die AP dann durch ihre Rezeption bei den Manichäern in der Kirche völlig in Verruf gerieten, ist nicht überraschend (zu der Benutzung der AP durch die Manichäer vgl. Manich. Psalmbook II, ed. AIlberry, S. 143, 4ff.). So werden sie im Decretum Gelasianum (dort zweimal: 1. Alle Bücher, welche Leucius, der Schüler des Teufels gemacht hat; 2. Buch, das genannt wird Akten der Thekla und des Paulus), in der Stichometrie des Nikephorus und in dem Verzeichnis der 60 kanonischen Bücher als apokryph verworfen (vgl. die Texte in Bd. I, S.21-26). 3. ERHALTENER BESTAND. In den letzten 60 Jahren ist unsere Kenntnis der vielfach be-
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
zeugten, als ganzes aber verlorengegangenen AP ständig gewachsen. Vor allem der Fund des koptischen PHeid im Jahre 1894 hat das Wissen um dieses Apokryphon erheblich vermehrt, weil dadurch die Acta Pauli et Theclae, das Martyrium des Paulus und der apokryphe Briefwechsel der Korinther mit Paulus als Teile der alten AP erwiesen wurden. Seitdem sind manche andere Funde, vor allem der große Hamburger Papyrus (PH) dazugekommen. Wir müssen uns hier mit einer kurzen Aufzählung des Materials begnügen. Als Zeugen der ganzen AP, leider aber alle nur fragmentarisch erhalten, sind anzusehen: a) Der griechische Papyrus der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek (PH), 10 Blätter eines Papyrusbuches aus der Zeit um 300 (Beschreibung der Handschrift bei Schmidt-Schubart, IIII, S. 4--14). Diese Handschrift enthält einen großen Teil der Ephesusepisode (S. 1-5,) den korinthischen Aufenthalt des Paulus (S. 6-7), die Fahrt von Korinth nach Italien (S. 7-8) und einen Teil des MP (S. 9-11). Sie wird ergänzt durch verschiedene Fragmente: Papyrus Berlin 13893 und Papyrus Michigan 1317 gehören zusammen (PB) und bieten den Text, der in PH S. 8, 3-26. 30-36 erhalten ist und ein paar Zeilen mehr (Text und Kommentar bei H. A. Sanders, Harvard Theol. Rev. 31, 1938, S. 70-90). Papyrus Oxyrhynchos 1602 (= Pap. Gent 62), kein Papyrusblatt, sondern ein Blatt aus einem Pergamentkodex des 4./5. Jh. (PO), enthält den Text PH S. 8,17-26 (abgedruckt bei Sanders, a. a. 0.). Papyrus Michigan 3788 (PM) bietet den Text PH S. 8, 23-29, auf der Rückseite wahrscheinlich noch einen weiteren Teil der Pauluspredigt in Puteoli (vgl. u. S. 264f.; Text bei Kilpatrick und Roberts, JThSt XLVII, 1946, S. 196-199). b) Der koptischePapyrusNr. lin Heidelberg(PHeid) enthält umfangreiche Fragmente der ganzen AP (Beschreibung der wahrscheinlich im 6. Jh. geschriebenen Handschrift bei Schmidt, AP, S. 3-20). Das bisher noch nicht publizierte Fragment eines koptischen Pergaments des 4. Jh. in der John Rylands Library Suppl. 44 (Ry) bietet einige Zeilen aus dem Anfang der AP (vgl. Schmidt, IIII, S. 117f.). Zu dem ebenfalls bisher nicht publizierten koptischen Papyrus, der die Ephesusepisode vollständig enthält (PG), vgl. R. Kasser, u. S. 268 ff. Die drei frühzeitig aus den AP herausgelösten Teile haben je für sich eine besondere Überlieferung, die die oben genannten Zeugen der ganzen AP ergänzt, zugleich aber auch teilweise eine gegenseitige Kontrolle ermöglicht. c) Die Acta Pauli et Theclae sind von Lipsius (Aa 1, S. 235-269) auf Grund von 11 griechischen Handschriften sowie lateinischer, syrischer, slawischer und arabischer Versionen ediert (vgl. seine Einleitung Aa 1, S. XCIV-CVI). Dazu kommt noch ein kleines griechisches Fragment Oxyrh. Pap. Nr. 6 (Grenfell-Hunt I, S. 9f.) und ein anderes Fragment aus Antinoopolis (Roberts Nr. 13, S. 26-28). Wichtig sind die lateinischen Übersetzungen, von denen es nach O. von Gebhardt (TU NF 7, 2,1902) mindestens vier voneinander unabhängige gegeben hat. Weiteres zur Überlieferung bei Vouaux S. 12-19. - Das Verhältnis der Zeugen zueinander und der Wert der einzelnen Versionen bedarf wohl einer erneuten Untersuchung. Der Text von Lispius ist vielfach verbesserungsbedürftig. Dabei kommt der koptischen Fassung (s. o. unter b) sicher eine besondere, wenn auch nicht allein maßgebliche Bedeutung zu. d) Der Briefwechsel zwischen den Korinthern und Paulus (III Kor) ist durch den PHeid als Teil der AP erwiesen. Schon vor der Entdeckung des Heidelberger Papyrus war er durch seine Zugehörigkeit zur armenischen Bibel und durch den Kommentar Ephraems bekannt. Außerdem sind bis jetzt fünf, zum Teil allerdings sehr fragmentarische lateinische Handschriften aufgetaucht, in denen er enthalten ist: Cod. Ambros. E 53 info saec. X (M); Cod. Laon 45 saec. XIII (L); Cod. Paris. lat. 5288 saec. X/XI (P); Cod. Zürich Car. C 14 saec. X (Z); Cod. Berlin Ham. 84 saec. XIII (B). Schließlich ist vor wenigen Jahren in Papyrus Bodmer X (3. Jh.) erstmalig ein Zeuge für den griechischen Text von III Kor an das Tageslicht getreten.
3. Paulusakten
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Die Texte in den verschiedenen Zeugen differieren sehr, so daß eine Textkonstitution äußerst schwierig, wenn auch nicht unmöglich ist. Nähere Angaben bei Testuz, Papyrus Bodmer X-XII, 1959. e) Das Martyrium Pauli hat Lipsius nach zwei griechischen Handschriften (Ood. Patmiacus 48,9. Jh. = P; Ood. Athous Vatoped. 79, 10./11. Jh. = A), sowie einer koptischen, einer slawischen und einer äthiopischen Version ediert. Beigefügt ist die fragmentarisch erhaltene lateinische Fassung nach drei Münchener Handschriften (Lipsius, Aa 1, S. 104-117; vgl. S. LII-LVII). Dazu kommen dann noch eine syrische Version, die Lipsius noch nicht berücksichtigt hat, und vor allem PH S. 9-11. Der Text von Lipsius muß an vielen Stellen a.uf Grund von PH und PHeid verbessert werden. 4. REKONSTRUKTION UND KOMPOSITION; VERHÄLTNIS ZUR LUKANISCHEN .A:l'OSTELGESCfiCRTE.
1. Von Damaskus nach Jerusalem. - Der Anfang der AP ist nicht erhalten. C. Schmidt hat aber aus einigen Fragmenten die erste Episode erschlossen. Ein kleines koptisches Fragment (Ry) enthält einige Zeilen einer Erzählung aus dem Leben des Paulus. Offenbar war vorher von der Ohristuserscheinung vor Damaskus berichtet worden. In dem erhaltenen Text wird dem Paulus der Befehl erteilt, nach Damaskus und von dort nach Jerusalem zu gehen, Paulus kommt nach Damaskus in die dort versammelte (und fastende! 1) Gemeinde. Er scheint dann eine Predigt vor den Juden gehalten zu haben 2. Vermutlich ist dann im Anschluß an AG 9,26 berichtet worden, daß Paulus von Damaskus nach Jerusalem gezogen ist. Nun spricht Paulus in einem späteren Abschnitt der AP selbst über seinen Weg vom Ohristenverfolger zum Ohristusprediger (vgl. u. S. 269). In dieser Ansprache in Ephesus berichtet er davon, daß er in die Gemeinde von Damaskus gekommen sei (Judas, der Bruder des Herrn spielt dabei eine Rolle), daß er dort im christlichen Glauben unterrichtet sei und dann selbst für würdig befunden worden wäre, das Evangelium zu predigen. Die Technik der Verf. der AGG läßt es als möglich erscheinen, daß dieser kurze indirekte Bericht sich auf eine vorhergehende längere Erzählung bezieht (vgl. z. B. diE' Eubula-Geschichte in den APt; dazu o. S. 185). Man wird also annehmen dürfen, daß tatsächlich im Zusammenhang des Aufenthalts des Paulus in Damaskus auch eine Predigt wiedergE'geben worden ist. Paulus erzählt in Ephesus weiter, daß er von Damaskus wegging - Gründe werden nicht genannt, aber der Aufbruch erfolgt nachts, vgl. AG 9, 25 - und in Richtung Jericho marschierte. Er hat sich also wohl der Anordnung des Herrn entsprechend (vgl. Ry) auf den Weg nach Jerusalem gemacht. Auf diesem Weg spielt sich nach der späteren Rede des Apostels die Taufe des Löwen ab (s. u. S. 269), die vermutlich ebenfalls an dieser Stelle ausführlich erzählt sein wird. Für Jerusalem haben wir keine weiteren Nachrichten. O. Schmidt hat aber 2 Blätter des PHeid als Teil dieser Episode angesehen. Es handelt sich um die Seiten 60/59 und 61/62, die allerdings so stark zerstört sind, daß man kaum mehr als eine Vermutung über ihre Stellung im Ganzen der AP aussprechen kann. Wenn auf S. 61 gesagt wird: "Du befindest dich im Angesicht von Jerusalem", so ist das kein sicheres Indiz dafür, daß die Szene in Jerusalem spielt. Die Erwähnung des Petrus auf S. 59 besagt auch nicht viel, vor allem da man nicht weiß, wer S. 59 Zeile 8 ff eigentlich redet. Man kann also keineswegs so sicher über diese Seiten urteilen, wie es O. Schmidt (I/TI, S. 118) getan hat. Es bleibt aber trotzdem wahrscheinlich, daß dem Aufenthalt des Paulus in Jerusalem ein gewisser Raum in den AP eingeräumt war. 2. Paulus in Antiochien. - Durch PHeid S. 1-6 haben wir Reste der Schilderung der 1 Das Fasten ist dem Verf. offensichtlich besonders wichtig, jedenfalls begegnet es dauernd in den AP. 2 Die Aussage in den Titusakten c. 3 (HaIkin S. 245), daß Paulus "das Wort Ohristi zuerst in Damaskus verkündete", braucht nicht auf die AP zurückzugehen, auch wenn der folgende Satz daher stammt. Zu den Titusakten vgl. u. S. 226.
15 Henneeka, Apokryphen Bd. 2
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Tätigkeit des Paulus in Antiochien erhalten. Allerdings sind auch diese Seiten so lückenhaft, daß man nur ungefähr den Gang der Handlung rekonstruieren kann. Vor allem ist nicht klar, wie der Weg des Paulus von Jerusalem nach Antiochien in den AP geschildert worden ist. Es geht auch nicht aus den erhaltenen Fragmenten hervor, ob der Verf. der AP sich an die Reiseroute der AG gehalten hat 1 . Weiter ist unklar, welches Antiochien in PHeid S. 1-6 eigentlich gemeint ist, das syrische oder das pisidische. Da auf S. 6 von der Flucht des Paulus von Antiochien nach Ikonium die Rede ist, hat man angenommen, es handle sich um das pisidische Antiochien (vgl. die Angaben bei C. Schmidt, IlIl, S. 115ff.). Andererseits aber wird in AThe c. 26 berichtet, daß Paulus mit Thekla nach Antiochien kommt und Thekla dort von einem Mann, Alexander, auf offener Straße umarmt wird (s. u. S.248). Dieser Alexander wird nun im größeren Teil der griechischen Handschriften als Syrer gekennzeichnet' während eine Handschrift, der Tischendorf und Lipsius gefolgt sind, ihn als av(!uigXnr; charakterisiert. Selbst wenn diese Lesart richtig wäre 2, was aber kaum der Fall sein dürfte, wird man nicht vermuten dürfen, daß hier das syrische Antiochien gemeint sein soll, vielmehr das pisidische annehmen müssen. Nun hat C. Schmidt immer wieder betont, daß "die AP, soweit das Erhaltene urteilen läßt, den Paulus an ein und demselben Orte niemals zweimal auftreten lassen" (IlIl, S. 118). Aber dagegen muß zu bedenken gegeben werden, daß unser Material zu bruchstückhaft ist, um eine so weitreichende Behauptung aufstellen zu können; beweisen läßt sie sich ohnehin vorläufig nicht 3. Dazu kommen noch zwei Gesichtspunkte, die hier zu berücksichtigen sind: a) In den griechischen Titusakten 4 sind ohne Zweifel die AP benutzt. Nun heißt es dort in c. 4 (Halkin S. 246): "Als sie aber Antiochien erreichten, fanden sie Barnabas, den Sohn des Panchares, den Paulus auferweckt hatte ... Danach zogen sie nach Seleucia und Cypern, Salamis und Paphos, und von dort nach Perge in Pamphylien und wiederum nach Antiochien in Pisidien und nach Ikonium in das Haus des Onesiphorus, dem Titus das, was Paulus betraf, vorher erzählt hatte." Ein Teil dieser Angaben geht wohl auf die AG zurück. Aber über die AG hinaus führt der Name Panchares, der Vater des Barnabas. Dieser Name und die erwähnte Totenerweckung erscheinen PHeid S. 1-6, ohne daß dort allerdings der Sohn mit dem Namen Barnabas benannt wird 6. Damit ist doch wohl klar, daß der Verfasser der Titusakten aus den AP geschöpft hat. Auch der Onesiphorus in Ikonium und die Rolle des Titus stammen aus den AP (vgl. AThe c. 2) 6. Nun heißt es in den Titusakten, daß Paulus wiederum (:n:dÄtv) nach Antiochien in Pisidien gezogen sei. Das läßt sich doch nur so verstehen, daß der Verfasser der Titusakten annahm, die Auferweckung des Barnabas hahe im pisidischen Antiochien stattgefunden und Paulus sei dann, nach seiner Tätigkeit aufCypern, über Perge dorthin zurückgekehrt und von dort nach Ikonium gekommen. Es bleibt aber ungeklärt, ob sich der Verf. der Titusakten bei dieser Interpretation des Antiochien in der Pancharesepisode als des pisidischen wirklich auf die AP berufen konnte oder ob er genau so geraten hat wie die modernen Gelehrten. 1 AG 9,30: Jerusalem- Tarsos; 11, 25f. Tarsus-syrisches Antiochien; 11, 27ff.: Reise des Paulus mit Barnabas nach J erusalem; 12, 24 f. Rückkehr; 13: Antiochien -Seleukia-CypernPerge. pisidisches Antiochien· Ikonium. 2 Vgl. die Varianten dieser Stelle bei Lipsius, Aa 1, S. 253 und bei Gebhardt, Die lateinischen Übersetzungen, S. XCVIII. 3 Michaelis bezweifelt ebenfalls die These von Schmidt, aber aus Gründen, die nicht überzeugend sind, vgl. u. S.237. 4 Hrsg. von M.R. James, JThSt VI, 1905, S. 549-556; vgl. dazu Schmidt, IIII, S. 113ff. Die Ausgabe von James ist überholt durch F. Halkin, La legende cretoise de saint Tite, Anal. Boll. 79, 1961, S. 241-256; ich zitiere hier nach Halkin. 6 Der Name Panchares wird im Koptischen mit Anchares wiedergegeben, d. h. der koptische Übersetzer hat das P am Anfang als Artikel angesehen; vgl. Schmidt, IlII, S. 115. 6 nl uara rov Il avÄov, in den Titusakten ist wohl eine Zusammenfassung von :n:0'z:a:n:6r; eartv rfj elMq. 6 IIavÄor; in AThe.
3. Paulusakten
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b) Es muß nun weiter beachtet werden, daß man dem Verf. der AP wohl einen etwas zu hohen geistigen Rang zuerkennt, wenn man von ihm verlangt, daß er alle Einzelheiten seines Werkes konsequent ausgefeilt und miteinander abgestimmt und dabei dann auch noch mög" lichst engen Anschluß an die AG gesucht haben soll. Vielmehr ist der Verf. dieses apokryphen Werkes in starkem Maß Kompilator. Er hat umlaufende Legenden schriftlich fixiert und in eine größere Komposition eingefügt, manchen Abschnitt wohl auch selbst erfunden. Dabei sind dann Unklarheiten, Sprünge und Widersprüche stehengeblieben. Weiter ist zu betonen, daß weder das geographische noch das historische Interesse die Darstellung der AP bestimmt haben. Die Absicht des Verf. dieses Werkes ist Erbauung und Unterhaltung der Gemeinde, vielleicht noch die Propagierung eines bestimmten Paulusbildes. Daher kann man vermuten, daß er auch nicht besonderes Gewicht auf die Unterscheidung der beiden Antiochien gelegt hat. Natürlich hat er eine bestimmte Reiseroute des Apostels vor Augen und diese auch darzustellen versucht. Und ebenso mag in gewisser Weise das Vorbild der AG auf ihn und sein Werk gewirkt haben. Aber wie stark dieses Vorbild gewesen ist und ob es die Reiseroute bestimmt hat, wissen wir nicht. Das Material ist zu bruchstückhaft, um sicher entscheiden zu können, ob Paulus wirklich nur einmal an jedem Ort aufgetreten ist (problematisch ist das für Korinth, s. u. S. 236). So läßt sich also die Frage, welches Antiochien denn nun hier gemeint sei, nicht genau beantworten. Die Titusakten sprechen für das pisidische Antiochien als den Schauplatz aller EreignisseI. Dagegen spricht, daß in PHeid nur 8 Seiten Text vorangegangen sein können, wenn die Rekonstruktion von Schmidt richtig ist. Auf diesen 8 Seiten müßten dann die Ereignisse in Damaskus, Jerusalem und Antiochien (Syrien) untergebracht gewesen sein, was nur schwer möglich ist. Aber wie dem auch sei: selbst wenn die Pancharesepisode im pisidischen Antiochien spielen sollte, so ist damit nicht gesagt, daß in den AP vom syrischen Antiochien überhaupt nicht die Rede gewesen ist. Vor allem können wir nicht mit Sicherheit behaupten, daß PHeid den vollständigen Text der AP enthalten habe. Es spricht zwar sehr viel dafür, aber beweisen können wir es nicht 2. Es wäre durchaus möglich, daß die Lücke vor der Pancharesepisode (im pisidischen Antiochien?) größer war als man auf Grund der koptischen Handschrift annimmt. Aber auch das bleibt Vermutung. Aus den fragmentarisch erhaltenen Seiten PHeid 1-6 läßt sich wenigstens in Umrissen erschließen, was Paulus in Antiochien getan hat (s. u. S. 242f.). 3. Taten des Paulus und der Thekla (Ikonium, Antiochien, Myra, Ikonium, Seleukia). - Die nächste Episode ist dadurch, daß sie als selbständiges Stück überliefert ist (s. o. S. 224) besonders gut bekannt. Sie schließt in PHeid direkt an die Ereignisse in Antiochien an, ist also durch diese Handschrift als Teil der AP gesichert. Auch der Aufenthalt des Paulus in Myra und die Begegnung der Thekla mit ihm dort (AThe c. 40) verbinden die AThe mit den AP. Da der Inhalt des Stückes durch eine breite Textüberlieferung gesichert ist, bietet die Rekonstruktion keine Probleme. Auch die Komposition der Erzählung ist klar: Paulus kommt nach Ikonium, predigt dort (die Predigt wird in der Form von Seligpreisungen zusammengefaßt, c. 5f.) und bekehrt durch diese seine Predigt die Thekla. Die Folgen entsprechen dem auch in anderen A GG begegnenden Schema: der durch die Enthaltsamkeit der Frau um sie betrogene Ehemann - hier ist es der Verlobte - hetzt die Bevölkerung oder die Behörden gegen den Apostel auf. Hier nun wird Paulus verhaftet. Thekla besucht ihn nachts, was aber entdeckt wird, und wird daraufhin, nachdem Paulus aus der Stadt vertrieben ist, zum Feuertod verurteilt. Wasser und Hagel verhindern aber die Hinrichtung, und Thekla, die wieder freigekommen ist, kann dem Paulus, der sich inzwischen mit Onesiphorus und 1 Kasser, a. a. 0., S. 48f. nimmt an, daß zuerst vom pisidischen und dann vom syrischen Antiochien die Rede ist. 2 Es sei nur daran erinnert, daß zwischen PH S. 5 und S. 6 offensichtlich eine ganze Episode ausgelassen ist, vgl. u. S. 234. PH trägt aber in der Unterschrift die Bezeichnung IIe6.!;8t~ IIavAov, will also doch wohl kein Auszug sein.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
dessen Familie in einem Grabgewölbe an der Straße nach Daphne aufhält, nachgehen. Trotz starker Bedenken nimmt Paulus die Thekla mit nach Antiochien (welches?), wo dann auch gleich neues Unglück über sie kommt. Ein Syrer Alexander (vgl. dazu o. S. 226) verliebt sich in Thekla, wird aber natürlich abgewiesen und rächt sich dadurch, daß er sie durch den Statthalter zum Tierkampf verurteilen läßt. Eine Frau, namens Tryphäna, die später als Königin und Verwandte des Kaisers bezeichnet wird, nimmt sie in ihre Obhut. Diese Tryphäna hat ihre Tochter Falconilla verloren und bittet die Thekla um Fürbitte für die Verstorbene. Es kommt nun zum Tierkampf, in dessen Verlauf Thekla sich selbst tauft. Als viele Tiere auf sie losgelassen werden, stürzt sie sich in eine große Grube voll Wasser. Die darin befindlichen Robben werden wie von einem Blitz getötet. Da auch die anderen Tiere der Thekla nichts tun, Tryphäna aber in Ohnmacht fällt und man ihren Tod befürchtet, wird Thekla freigelassen. Es ist für die ganzen AP charakteristisch, daß die ausführliche Darstellung des Tierkampfes, der infolge der Hilfe einer Löwin und einiger wunderbarer Ereignisse nicht zum Tode der Thekla führt, mit der Bekehrung der Tryphäna und eines Teiles ihrer Dienerschaft abschließt: "Jetzt glaube ich, daß die Toten erwachen! Jetzt glaube ich, daß mein Kind lebt!" (c. 39). Die Wunder sind hier wie immer der Beweis für die Wahrheit der christlichen Verkündigung. Nachdem Thekla sich acht Tage lang im Hause der Tryphäna ausgeruht und dort das Wort Gottes verkündet hat, sehnt sie sich nach Paulus. Sie erfährt, daß er in Myra sei und reist ihm nach. Nach kurzem Zusammensein geht sie zurück nach Ikonium mit dem Auftrag, das Wort Gottes zu lehren, findet ihren Verlobten nicht mehr am Leben, versucht ihre Mutter zu bekehren (von einem Erfolg wird nichts berichtet) und begibt sich dann nach Seleukia. Dort erleuchtet sie viele durch das Wort Gottes und entschläft eines sanften Tades ' . Diese kurze Inhaltsangabe zeigt, daß es sich um eine geschlossene Komposition handelt. Es bleiben aber einige Fragen, die im Blick auf die Gesamtkomposition der AP wichtig sind. In dem ganzen Abschnitt steht nicht so sehr Paulus als vielmehr Thekla im Vordergrund. Gewiß wird auch von Paulus berichtet: seine Predigt in Ikonium, seine Verantwortung vor dem Statthalter, seine Begegnungen mit Thekla außerhalb von Ikonium und in Myra. Aber das ändert nichts daran, daß es sich hier mehr um 'Theklaakten' als um 'Paulusakten' handelt. So fällt auf, daß Paulus, der doch der eigentliche Schuldige ist, nach c. 21 aus Ikonium herausgeworfen wird, Thekla aber den Feuertod erleiden soll. Der Apostel wird zwar c. 26 von Alexander gebeten, ihm zu helfen, Thekla zu gewinnen, verschwindet aber aus der weiteren Erzählung. Als Thekla den Tierkampf glücklich überstanden hat, muß sie Paulus erst suchen; er scheint also, ohne Nachricht zu hinterlassen, von Antiochien nach Myra gezogen zu sein. All das deutet doch darauf hin, daß der Verf. der AP hier selbständige Theklatraditionen in sein Werk aufgenommen und verarbeitet hat'. Es wird schwer sein, diese Traditionen, die wohl mit der Verehrung der Thekla in Seleukia (bzw. Ikonium) zusammenhängen, herauszuarbeiten, da die sprachliche Gestaltung des heute vorliegenden Textes das Werk des Verf. der AP ist 3. Das heißt doch, daß der Verf. den ihm überkommenen Traditionsstoff selbständig gestaltet hat. Ob dazu auch die auffallende doppelte Erzählung von Theklas Errettung in Ikonium und Antiochien gehört oder ob hier zwei verschiedene, unter Umständen konkurrierende Traditionen verwertet sind, ist kaum zu entscheiden. Immerhin kann man die allgemeine Beobachtung hier anwenden, daß die Verf. der AGG Wiederholungen von ihnen besonders wertvollen Motiven und Szenen lieben - auch hierin ein getreues Spiegelbild volkstümlicher Überlieferung. Damit ist nun aber meines Erach1 In späteren Legenden ist dieser Schluß stark verändert bzw. ausgebaut; vgl. z.B. Lipsius, Aa 1, S. 27lf.; weiteres in Bibliotheca hagiographica graeca 3, II, S. 267f. 2 Kasser, a. a. 0., S. 57 stellt die Hypothese zur Diskussion, ob nicht solche Teile wie die AThe ursprünglich selbständig publiziert und erst später mit anderen Stücken zu den AP zusammengefügt worden seien. Das ist aber unwahrscheinlich, vgl. dazu u. S. 239. 3 Vgl. die Nachweise von Schubart, IIII, S. 120ff.
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tens auch eine weitere Frage, die in früheren Zeiten eifrig debattiert worden ist, geklärt, nämlich das Problem der historischen Reminiszenzen in der Theklalegende. Vor allem M. Ramsay (The Church in the Roman Empire, 1893, S. 375ff.) hat eine Urgestalt der AP (verfaßt ca. 50--70, also bald nach der Wirksamkeit des Paulus) herausarbeiten wollen, die einen historisch zuverlässigen Kern enthielt. Die Straßenkenntnisse des Verf. und die 'Königin' Tryphäna spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die These von einer Urgestalt der AP wird heute wohl von niemandem mehr vertreten (vgl. schon Harnack, Lit. gesch. II 1, S.503ff. und Rolffs, Apokr. 2, S. 194). Auch die von Rolffs zitierte Homilie des Ps. Chrysostomus (Übers. in Handb., S. 376f.) spricht kaum dafür, daß hier eine ältere Überlieferung als die in den AThe schriftlich fixierte Legende vorliegt!. Die Lokal- und Straßenkenntnisse des Verf. sind olmehin - trotz Ramsay - nicht über jeden Zweifel erhaben; außerdem besagen sie nichts, da man solche Kenntnisse sich auch später leicht erwerben konnte. Und die 'Königin' Tryphäna, die es ja wirklich gegeben hat (vgl. Rolffs, Handb., S. 377f.; dort auch ein Stammbaum), beweist auch nichts. Sie mag schon früh in der Lokallegende mit der 'Protomärtyrerin und Apostelgleichen' Thekla zusammengebracht worden sein. Daß schließlich die Personalbeschreibung des Paulus in c. 3 keinen Anspruch auf historische Zuverlässigkeit erheben kann, braucht kaum gesagt zu werden. "Es handelt sich eher um das typische, allerdings der Hoheit des Apostels angepaßte Bild eines Juden" (Michaelis, S. 313). So wird man auch heute noch Harnacks Urteil weithin zustimmen können: "Die Annahme genügt durchweg, daß der Verfasser nicht Alles frei erfunden hat, vielmehr auf einer mündlichen Überlieferung fußt, die sich ein Jahrhundert hindurch fortgesponnen und auch einige kleine Züge bewahrt hat. Wie weit die wirklichen Begebenheiten, wie weit die sagenhaften Überlieferungen, die der Verfasser vorfand, wie weit endlich seine eigenen Zuthaten reichen, das zu entscheiden fehlen uns alle Mittel" (Lit.. gesch. II 1, S. 505). Vielleicht sollte man bezüglich der wirklichen Begebenheiten noch skeptischer sein. Daß die Legendenbildung in ganz entscheidender Weise durch den Lokalkult der hlg. Thekla, der sich ja sehr schnell von Seleukia aus in Ost und West verbreitet hat, beeinflußt ist, scheint mir festzustehen". 4. Paulus in Myra. - Schon in c. 40 der AThe war berichtet, daß Paulus sich in Myra (an der Südküste von Lykien) befand. Nun schließt sich in PHeid auf S. 28 direkt an den Schluß der AThe ein neuer Abschnitt an, dessen Überschrift Schmidt (AP, S. 52) rekonstruiert hat: ,,(Als er herausgegangen war aus) Antiochia (und er lehrte in My)rrha". Diese Ergänzung der erhaltenen 7 Buchstaben mag richtig sein. Jedenfalls spielt die folgende Szene in Myra. Leider hat der koptische Papyrus manche Lücken, vor allem fehlt mindestens ein Blatt des Textes (vgl. Schmidt, AP, S. 9). Trotzdem ist der Gedankengang klar zu erkennen. Paulus heilt während seiner Tätigkeit in Myra einen WasserBüchtigen mit Namen Hermokrates. Der Sohn dieses Mannes, Hermippus, ist wenig erfreut von dieser Heilung, weil er schon mit der Erbschaft gerechnet hatte, während ein anderer Sohn, Dion, den Paulus "gern hört". Leider ist der folgende Text nicht sehr klar. Dion scheint durch einen Sturz ums Leben gekommen zu sein. Der Vater klagt zwar zunächst, vergißt aber über der Predigt des Paulus sein Leid, während die Mutter mit zerrissenen Kleidern, also als Trauernde zu Paulus kommt, der nun Jünglinge schickt, um den toten Dion holen zu lassen - doch wohl in der Absicht, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Leider bricht der Text hier ab; es fehlt ein Blatt, auf dem wohl von der Auferweckung des Dion die Rede war. Weiter wird 1 Kasser, a.a.O., S.49 Anm. 44 vermutet, daß der Schluß der Erzählung bei PseudoChrysostomus die ursprüngliche Fassung der Legende widerspiegelt. Aber das ist natürlich kaum zu beweisen. • Über den Theklakult ist hier nicht zu handeln. Vgl. schon Peregrinatio Aetheriae 22f. (CSEL 39, S. 69f.); BibI. hagiogr. graec. 3 , II, S.267-269 (verzeichnet alle in Betracht kommenden Texte). Weitere Literatur: Leclerq, Dict. d'ArcMol. et Lit. chret. XV 2, Sp. 2225ff.; Rolffs, Handb., S. 370ff.; C. Holzhey, Lexikon für Theol. und Kirche X, 1938,28 bis 30 (Literatur).
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von den Vorbereitungen des Hermippus für die Rache an Paulus berichtet worden sein. Jedenfalls setzt S. 31 mit einem Traumgesicht des Paulus ein, in dem er vor großer Gefahr gewarnt wird. Hermippus kommt mit einer Schar mit Schwert und Stöcken auf Paulus zu, der sich diesem Angriff so stellt wie Christus im Garten Gethsemane. .Als Hermippus zum Angriff auf Paulus übergeht, erblindet er und bereut nun nicht nur seine Feindschaft gegen Paulus, sondern erkennt auch die Nichtigkeit von Hab und Gut dieser Welt. Paulus ist über die Erhörung seines Gebets und die Erniedrigung des stolzen Hermippus erschüttert, scheint aber nicht die Absicht zu haben, dem Blinden zu helfen. Wenn zwischen S. 32 und 33 kein Blatt fehlt, so ist der Fortgang so zu denken, daß Paulus in das Haus des Hermokrates geht, die Jünglinge aber den Hermippus ihm vor die Haustür legen. Das ist aber kein sehr sinnvoller Zusammenhang, da nach dem vorhergehenden Text die Aktion der Jünglinge eigentlich überflüssig ist. Es scheint näherzuliegen, eine längere Lücke, wohl ein ganzes Blatt, anzunehmen. Auf dem folgenden Blatt wird berichtet, wie Hermippus vor der Tür liegt und andererseits seine Eltern zunächst Geld und Getreide verteilen, dann aber bestürzt sind über ihren blinden Sohn. Sie· beten zusammen mit Paulus und Hermippus wird wieder sehend. Er berichtet, daß Paulus ihm die Hand aufgelegt habe, was aber nach der Erzählung gar nicht möglich gewesen sein kann; der Herr selbst hat ihn in der Gestalt des Paulus geheilt. Der Schluß der Geschichte ist nicht mehr zu rekonstruieren, da nicht nur auf den erhaltenen Blättern Lücken sind, sondern auch zwischen S. 34 und 35 wahrscheinlich ein Blatt fehlt. Man kann also wenigstens in Umrissen ein großes Stück dieser Station des Weges des Paulus nachzeichnen. Ob sich allerdings der Verf. der AP mit einer Totenerweckung und einer Blindenheilung begnügt hat oder ob nicht auch eine längere Pauluspredigt hier gestanden hat, läßt sich nicht sagen. Unser vorliegendes Material reicht nur dazu aus, mancherlei für die AP und die übrigen AGG typischen Motive und Szenen festzustellen. Dabei fehlt allerdings diesem Abschnitt ein ausführlicher Bezug auf die sonst so sehr betonte Enthaltsamkeit; man könnte höchstens die Absage des Hermippus an die Güter dieser Welt oder die Verteilung von Geld und Getreide an die Witwen durch die Eltern in diesem Zusammenhang nennen. Aber das, was in den anderen Teilen der AP eine so große Rolle spielt, nämlich die geschlechtliche Enthaltsamkeit, fehlt in den erhaltenen Stücken dieser Episode. Das könnte in den verlorenen Teilen irgendwie zur Geltung gekommen sein. Man kann aber auch annehmen, daß der Verf. in diesem Fall die andere Seite der Predigt des Paulus, die Auferstehung, an einem Beispiel aufzeigen wollte. Aber auch das wird keineswegs deutlich gesagt. Nun, wie dem auch sei: diese Überlegungen leiten doch zu dem Schluß, daß der Verf. auch hier eine ihm überkommene Tradition in seine Komposition hineingearbeitet hat. Dabei ist der Vergleich mit der AG interessant. Nach AG 27, 5f., hat Paulus in Myra auf der Fahrt nach Rom nur das Schiff gewechselt. In den AP wirkte er dort als Missionar, wie immer nicht nur durch das Wort, sondern auch durch die Tat. Man darf vermuten, daß irgendwelche Lokallegenden dem Verf. Anregung und Vorbild für diesen Abschnitt gewesen sind. 5. Paulus in Sidon. -An die Tätigkeit des Paulus inMyra schließt sich in PHeid S. 35 bis 39 nach der Rekonstruktion von C. Schmidt der leider sehr fragmentarische Bericht über den Aufenthalt in Sidon. Allerdings ist diese Rekonstruktion nur zum Teil sicher. Zunächst ist es wohl richtig, daß Sidon aufMyra folgt, auch wenn das Lemma auf S. 35 nicht vollständig erhalten ist: "Als er herausgegangen war aus Myra und (er) hinauf(gehen wollte nach Sidon)." Aber was nun folgt, ist weithin höchst unsicher von Schmidt ergänzt bzw. interpretiert worden (vgl. die Inhaltsangabe, AP, S. 95ff.). Auf S. 35/36 ist zunächst von der Reise des Paulus nach Sidon die Rede. Paulus wird von einer Reihe von Brüdern aus Perge begleitet. Unterwegs scheint es an einem heidnischen .Altar zu einer Diskussion mit einem alten Mann gekommen zu sein, der Beispiele für die Strafe der Götter an denen, die von ihnen abfallen, anführt . .Allerdings bleibt schon hier manches unklar. Es folgt eine Lücke von mindestens 2 Blättern. Diese Zahl ist von C. Schmidt geraten, "da wir auf S. 37 mitten bei der Erzählung über die Ereignisse in Sidon stehen". Bei dieser Begründung kön-
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nen es natürlich auch 4 Blätter gewesen sein. Was auf diesen Blättern gestanden hat, wissen wir nicht. Auf S. 37 steht zunächst der Schluß einer Rede des Paulus (man darf wohl annehmen, daß er es ist, der hier redet), in der er die Zuhörer durch den Hinweis auf Sodom und Gomorra von irgendwelchen Taten abhalten will. Der Erfolg ist aber, daß Paulus mit den Brüdern Thrasymachus und Kleon (vgl. S. 38,5) in den Apollotempel geworfen wird, wo man sie erstaunlicherweise mit guten Speisen mästen will (als Vorbereitung zum Opfer?). Paulus fastet und betet, und auf dieses Gebet hin fällt die Hälfte des Tempels (doch wohl der Teil, in dem sich die Gefangenen nicht befanden) ein. Das erregt erhebliche Unruhe und auf Drängen des Volkes werden Paulus und seine Begleiter in das Theater geführt. Hier bricht der Text wieder ab. Ob auch hier nur 2 Blätter oder mehr fehlen, läßt sich nicht sagen. Auf S. 39 finden wir den Schluß der Sidonepisode, von dem leider nur wenig Zusammenhängendes erhalten ist. Man erkennt, daß Paulus eine Rede gehalten hat, die möglicherweise das Volk umgestimmt hat. Ein gewisser Theudas scheint die Taufe erbeten zu haben. Die Seite schließt mit der Abreise von Sidon nach Tyrus. Es ist also kaum möglich, eine richtige Inhaltsangabe dieses Abschnittes zu geben. Es bleiben mancherlei Lücken, Unklarheiten und Unsicherheiten. Die kurze Notiz in Titusakten c. 3 hilft uns nicht weiter. Nachdem dort kurz berichtet ist, daß Paulus in Damaskus zuerst das Wort Christi verkündigt hat (das kann aus AG 9, 22 stammen), fährt der Verf. fort: "Und die Apphia, die Frau des Chrysippus, die von einem Dämon besessen war, heilte Paulus; und nachdem er sieben Tage gefastet hatte, hat er das Götzenbild des Apollo überwältigt." Nun tauchen in PHeid S. 40 (Tyrus, s. u. S. 254) die Namen Amphion und Chrysippus auf. Schmidt (lIII, S. 114) hat daraus geschlossen, daß der Verf. der Titusakten die Tyrusepisode kurz zusammengefaßt hat, wobei der Name Amphion im Koptischen nur eine Korruption der Apphia seP. Die Notiz von der Überwältigung des Apollobildes in den Titusakten ginge auf den Sidonabschnitt der AP zurück. Nun kann man dagegen kaum einwenden, daß die Reihenfolge der AP Sidon-Tyrus in den Titusakten umgedreht sei; das läßt sich bei einer so verkürzenden Aussage noch verstehen. Schwieriger ist es, die Überwältigung des Götzenbildes mit dem Einsturz des Tempels (nach der Rekonstruktion Schmidts, S. 98) in Einklang zu bringen. Aber auch das wäre möglich, nur müßte dann wohl angenommen werden, daß in der Erzählung auch davon die Rede war und nicht nur vom Einsturz des Tempels. Dafür spricht, daß es S. 38, 19f. heißt: "Der Gott der Sidonier, der Apollo ist gefallen und die Hälfte seines Tempels." All das zeigt aber, daß wir hier nur mit vorsichtigen Vermutungen arbeiten können. Es sei noch darauf hingewiesen, daß die offenbar recht ausführliche Schilderung der Erlebnisse des Paulus in Sidon nur schlecht zu der kurzen Erwähnung dieses Ortes in AG 27, 3 paßt. Paulus wird nach der AG von Caesarea nach Sidon gebracht und darf dort mit Erlaubnis des "menschenfreundlichen" Centurio Julius "seine Freunde", d.h. doch wohl die von Lukas vermutete oder ihm bekannte Christengemeinde in Sidon besuchen. Daß die Erzählung der AP nicht aus dieser Notiz entstanden sein kann, braucht nicht weiter bewiesen zu werden. Auch die Reiseroute stimmt ja nicht mit der AG überein. Ob nun dieser Teil der AP auf eine Lokallegende der Gemeinde von Sidon zurückgeht, läßt sich bei der trümmerhaften Überlieferung nicht sagen. 6. Paulus in Tyrus. - Noch schwieriger wird die Rekonstruktion des Teiles der AP, in dem der Aufenthalt des Paulus in Tyrus geschildert wird. Das Lemma auf S. 39 des PHeid ist gut überliefert: "Als er herausgegangen war aus Sidon und hinaufgehen wollte nach Tyrus." Damit ist gesichert, daß entgegen den Angaben der AG Paulus von Sidon nach Tyrus gefahren ist. Dort hat er es nach PHeid S. 40 mit Juden zu tun. Die aus den Titusakten bekannten Apphia und Chrysippus (vgl. 0.) tauchen auf und schließlich scheint Paulus sich als Dämonenaustreiber zu betätigen. Schmidt hat nun aus dem PHeid versuchsweise einige Fragmente hier angeschlossen. Aber es bleibt doch fraglich, ob diese (S. 64, 63, 70, 69, 1 Kasser, a. a. 0., S. 54 Anm. 87 fragt, ob nicht die Apphia mit der Ammia in PG zusammengehängt. Aber das ist mir unwahrscheinlich.
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68, 67, 66, 65) etwas mit der Tyrusepisode zu tun haben oder ob sie einer anderen Station angehören. Es mag richtig sein, daß ein Teil dieser Stücke aus einer Paulusrede oder einer Disputation stammen, aber Näheres können wir dazu nicht sagen'. Zu den S. 60/59 und 61/62, die Schmidt ursprünglich hier auch unterbringen wollte, vgl. o. S. 225. Man wird sich also damit begnügen müssen, daß nur PHeid S. 40 zu der Tyrusepisode gehört und daß damit der Faden der Erzählung abbricht. Das ist um so bedauerlicher, als die Lücke, die hier klafft, sehr groß ist und sich durch keinerlei Vermutungen erheben läßt, was wohl in dieser Lücke gestanden haben mag. Deshalb muß auch die Behauptung Schmidts (nil, S.119), Jerusalem konnte hier nicht mehr erscheinen, da der Verf. der .AP ja vermutlich zu Beginn seines Werkes (nach Damaskus) über den Aufenthalt des Paulus dort berichtet habe, zurückgewiesen werden. Diese Behauptung, die auf der Hypothese beruht, Paulus sei nach den AP niemals an ein und demselben Ort zweimal aufgetreten, ist unbeweisbar, sie ist sogar, wenn das stimmt, was o. S. 225 ft". zu Antiochien gesagt wurde, falsch. Ob Paulus also von Tyrus nach Caesarea • oder Jerusalem oder Kreta oder Cypern gegangen ist (Schmidt IlIl, S. 119), bleibt bis zum Auffinden neuen Materials unbekannt. Daß Ephesus nicht die einzige Wirkungsstätte in Kleinasien war, hat schon Schmidt (a. a. 0.) vermutet. Aber es handelt sich dabei, wie wir jetzt sehen, nicht um Milet, sondern um Smyrna. Das ergibt sich aus dem Anfang des bisher noch unpublizierten PG (vgl. Kasser, RHPhR 40, 1960, S. 45-57 und Kasser, u. S. 268). Aber was Paulus in Smyrna getan hat und welche Stationen vor Smyrna. lagen, bleibt ungewiß. 7. Paulus in ~phesus. - Für den ephesinischenAufenthalt desPaulus haben wir außer dem noch nicht publizierten PG (s. u. S. 268 ft".) den Hamburger Papyrus, der auf S. 1-5 diese Episode bietet. Damit ist es möglich, den Aufbau des ganzen Abschnittes zu überschauen. Paulus kommt von Smyrna nach Ephesus und kehrt dort im Rause von Aquila und Priszilla ein. Na.ch einer Vision mit Leidensankündigung hält Paulus eine Predigt, in deren Verlauf er auch von seiner Bekehrung und der Taufe des Löwen berichtet. Die Predigt hat den üblichen Erfolg: Paulus wird vor den Prokonsul Hieronymus (PR S. 1,30) geführt und soll dort Rechenschaft ablegen (hier setzt PH S. 1 ein). Die Rede, mit der Paulus das tut, ist stark von apologetischen Motiven durchzogen. Das ist um so auffallender, als vorher nicht wie C. Schmidt noch vermutete (IlIl, S. 87) - ausführlich von einem Angriff des Paulus auf die Artemis-Statuetten die Rede war. Nur mit einem Satz wird die Kritik am Götzendienst angedeutet. Man kann fragen, ob nicht der Verf. der AP eine Dublette zu AG 19, 23ft". möglichst vermeiden wollte. Ganz hat er auf Anspielungen nicht verzichtet: PR 1, 28 tauchen die xevO'ox6ot, die Goldgießer als die Scharfmacher auf, die Paulus verurteilt sehen wollen. Der Prokonsul findet die Rede des Paulus gar nicht übel, beugt sich aber der Entscheidung des Volkes, das den Tierkampf fordert. Nach 6 Tagen erfolgt der Umzug der Tiere, bei dem ein Löwe besonders auffällt. Sein Gebrüll erschreckt sogar den Paulus, der in seinem Kerker im Gebet versunken ist. Hier wird nun eine Erzählung von Bekehrung und Taufe der Artemilla, der Frau des Hieronymus eingeschoben. Artemilla ist durch Eubula, die Frau des 1 Interessant ist das Fragment S. 68 c, Schmidt, .AP S. 65: "daß der Mensch (nicht gerechtfertigt) werde (durch das Gesetz), sondern daß er gerechtfertigt werde (durch die) Werke der Gerechtigkeit". Daran wird deutlich, wie weit der Verf. der.AP von dem historischen Paulus entfernt ist. S Zu Caesarea vgl. Kasser, a.a.O., S. 50 Anm. 46 und S. 51 Anm. 61. Für diese Frage spielt der äthiopisch erhaltene "Brief der Pelagia" eine gewisse Rolle, auf den ich aber hier nicht eingehen kann. Es sei nur vermerkt, daß dieses leider nicht datierbare oder lokalisierbare Apokryphon die .AP benutzt hat. Wenn darin die Begegnung zwischen Paulus und dem Löwen in die Gegend von Caesarea verlegt wird, so geht das wohl auf den Kompilator zurück; Rückschlüsse auf den Aufbau der AP sind daraus nicht zu ziehen. Vgl. E. J. Goodspeed, American Journal of Semitic Languages and Literatures XX, 1904, S. 95ft".; englische Übersetzung auch bei Schmidt, .AP, 2 Aufl., S. XXI-XXV; G. Krüger, ZNW 1904, S. 261ft".; Schmidt, IlIl, S.87ft".
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Diophantes, eines Freigelassenen des Prokonsuls, von der Predigt und Wirksamkeit des Paulus unterrichtet und will den Apostel selbst kennenlernen. Eine kurze Ansprache des Paulus, in der zur Weltflucht und Weltverachtung aufgefordert wird, bewirkt ihren Wunsch nach der Taufe, die unter allerlei wunderbaren BegleituInständen und unter Mithilfe Christi selbst vor sich geht. Memilla kehrt nach der Feier der Eucharistie mit Brot und Wasser in ihr Haus und Paulus im Gefängnis zu seinem Gebet zurück ' . Eubula spielt in der ganzen Erzählung keine Rolle weiter. Es ist eine Bekehrungslegende, in der eine vornehme Dame zum christlichen Glauben kommt. Schwierigkeiten machen dabei nur die Sätze PH S. 3, 1-4, nach denen Diophantes den Prokonsul unterrichtet, daß die Frauen Tag und Nacht bei Paulus sitzen. Hieronymus unterbricht daraufhin seine Mahlzeit, um den Tierkampf zu beschleunigen. Diese Sätze unterbrechen nicht nur den Zusammenhang, sondern sie passen überhaupt nicht zu dem Vorhergehenden. Die ga.nze Erzählung spielt in einer Nacht (Sonnabend/Sonntag), während in diesen Sätzen von beiden Frauen gesagt wird, daß sie längere Zeit bei Paulus verweilen. Man kann also diese Zeilen für einen sekundären Einschub halten, wird aber besser annehmen, daß dieser Widerspruch dadurch entstanden ist, daß der Verf. hier zwei verschiedene Traditionen zusammengearbeitet ha.t, was ihm aber nicht ganz gelungen ist. Einerseits lag ihm vielleicht im Rahmen der Ephesusepisode eine Erzählung über den Anlaß zur Verfolgung des Apostels vor, d.h. über die Eifersucht des Diophantes (ein beliebtes Motiv in allen AGG), andererseits mag er eine Bekehrmigslegende, die mit dem Namen der Memilla verbunden war, vorgefunde:r;t haben. Jedenfalls sehe ich hier wieder einen Hinweis auf die Arbeitsweise des Verf., der sich bei seiner Komposition älterer Traditionen bedient hat. Das wird durch einige Beobachtungen am folgenden Text in gewisser Weise bestätigt. Am nächsten Morgen kommt es zum Tierkampf. Dabei begegnet Paulus dem von ihm getauften Löwen. Da dieser nichts gegen den Apostel tut, werden andere Tiere losgelassen. Aber ein gewaltiges Hagelwetter macht alle Bemühungen, den Paulus ums Leben zu bringen, zunichte. Paulus nimmt Abschied vom Löwen, der sich in das Gebirge zurückbegibt, während der Apostel sich unter die aus Angst vor dem Untergang der Stadt Flüchtenden mischt und ein Schiff nach Macedonien besteigt. Nun sind in diese Erzählung Notizen über Hieronymus und Diophantes bzw. über Artemilla und Eubula eingestreut (PH S. 4, 8-11; 4, 14-18), und nach der Abreise des Paulus wird davon berichtet, wie Memilla und Eubula in Sorge und Trauer um Paulus sind, aber von einem Engel getröstet werden (PH S. 5, 19ff.). Leider ist der Schluß von PH S. 5 sehr schlecht überliefert. Aber es scheint dort geschildert zu sein, wie Hieronymus den Gott des Paulus um Hilfe für sein bei dem Hagelwetter verletztes Ohr anruft und das Ohr dann auch geheilt wird. Schmidt hat diese letzten Notizen als einen kurzen "Epilog, der sich mit den anderen Hauptpersonen der Ephesusgeschichte beschäftigt" (lIII, S. 94) bezeichnet. Das ist sicher richtig, wenn man auf die Gesamtkomposition sieht. Es bleibt aber die Frage, ob der Verf. der AP dabei nicht ebenfalls auf eine Tradition zurückgegriffen hat, die erst von ihm mit dem Tierkampf in Ephesus in Verbindung gebracht worden ist. Jedenfalls hat diese Vermutung viel für sich. So wird also der Aufbau dieses Abschnittes deutlich, wird aber auch das Problem der Tradition in ihrer Verarbeitung sichtba·r. Der Anstoß zu der Bildung dieses Berichtes von dem Tierkampf des Paulus mag in verschiedenen neutestamentlichen Stellen gesucht werden: 1. Kor. 15,32; 2. Tim. 4,17 und vor allem AG 19, 23ff. Aber in diesen Stellen kann nicht mehr als die Anregung zu dieser Episode gesehen werden. Entscheidend waren sicher andere Motive. Es sei noch vermerkt, daß gerade diese Erzählung offenbar besonderen Eindruck gemacht hat. Der getaufte Löwe hat sich besonderer Beliebtheit erfreut, hat aber auch besonderen Anstoß erregt B. 1 Unklar bleibt dabei PH S. 4, 2ff.: Artemilla geht in das Haus (welches? ihr Haus oder das Gefängnis?). Die Eucharistie findet doch wohl im Gefängnis statt. B Hippolyt, Dan. 111, 29 (Bonwetsch S. 176f.); Commodian, Carmen apo!. 627f.; Hieronymus, vir. ill. 7; Acta Titi c.6; Brief der Pelagia; Nikephoros Kallistos, h.e. 11 25 {PG
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8. Paulus in Philippi. - Von Ephesus ist Paulus mit dem Schiff nach Macedonien, d.h. doch wohl nach Philippi aufgebrochen (PH S. 5, 15ff.). Merkwürdigerweise erfahren wir aber in PH über diesen Abschnitt nichts. Vielmehr schließt auf PH S. 6, also auf der Rückseite von S. 5 die nächste Episode direkt an: "Von Philippi nach Karinth". Es ist also in der Handschrift eine ganze Episode ausgelassen. Man kann diesen Tatbestand verschieden erklären. Entweder hat der Schreiber von PH (bzw. seine Vorlage) nur einen Auszug aus den AP herstellen wollen, wobei unter Umständen recht äußerliche Gründe (Umfang des Buches z.B.) maßgebend gewesen sein können. Oder das ausgelassene Stück war bereits vor Herstellung der Handschrift (bzw. ihrer Vorlage) als selbständiges Stück aus den AP herausgelöst und deshalb dann vom Schreiber nicht mehr abgeschrieben worden. Oder aber man hat an bestimmten Anschauungen oder Aussagen in dem ausgelassenen Stück Anstoß genommen. Für diese letzte Möglichkeit spricht die Tatsache, daß nach PHeid in diesem Abschnitt der apokryphe Briefwechsel des Paulus mit den Korinthern (III Kor) gestanden hat. Zwar ist am Anfang der Episode in PHeid der Name, auf den es ankommt, nicht erhalten (PHeid S. 44); aber aus III Kor 2, 1 geht eindeutig hervor, daß der Brief aus Karinth dem Paulus nachPhilippi gebracht worden ist. Leider ist nicht ersichtlich, was sich in Philippi vorher ereignet hat. Der Anfang von PHeid S. 45 ist so fragmentarisch, daß sich jegliche Rückschlüsse verbieten. Wir erfahren aus dem Einführungsbericht nur, daß man in Karinth um Paulus in großer Sorge war, auch wenn durch eine besondere Offenbarung die Rettung des Paulus angezeigt worden ist, und daß man den Apostel andererseits dringend braucht, um sich gegen gnostische Irrlehrer zur Wehr zu setzen. Deshalb schreibt man an Paulus, und der Briefwird durch Threptus und Eutychus nach Philippi gebracht, wo Paulus gefangen ist "wegen Stratonike, des Weibes des Apollophanes" (III Kor 2, 2). Offensichtlich ist es also auch in Philippi so gelaufen, wie an vielen anderen Orten: die Predigt von der Enthaltsamkeit hat bei den Frauen Erfolg gehabt, hat aber die Männer gegen den Apostel aufgebracht. Nach PH S. 6, 5 berichtet Paulus in Karinth, was ihm in Philippi im seyaareov widerfahren ist; er war also wohl zu Zwangsarbeit verurteilt worden. Paulus antwortet nun den Korinthern und versucht, die Irrlehre zu widerlegen, allerdings reichlich summarisch und apodiktisch, nur in der Beweisführung zu der Frage der Auferstehung etwas einsichtiger und lebendiger. Mit dem Ende des III Kor bricht bedauerlicherweise die Überlieferung wieder ab, so daß wir nichts von der Überbringung des Briefes und seinem Erfolg hören. Wohl aber ist der Schluß der Philippiepisode erhalten: PHeid S. 41/42 und 44. Allerdings sind die Seiten auch nicht vollständig erhalten, aber der Ablauf der Ereignisse scheint folgender zu sein. Paulus arbeitet in einem Metallbergwerk (?). Er hat aber wohl daneben noch Zeit gefunden zu predigen. Jedenfalls ist von einer Phrontina die Rede, die zusammen mit Paulus von ihrem Vater Longinus ums Leben gebracht werden soll, vermutlich doch, weil sie sich von der Predigt des Paulus hat bekehren lassen. Es kommt dann zur Exekution, der aber Paulus irgendwie entgeht, während Phrontina stirbt. Auf das Gebet des Paulus (und der Mutter, Phirmilla?) hin wird Phrontina wieder lebendig, was großes Entsetzen bei der Bevölkerung hervorruft. Paulus führt die Phrontina in das väterliche Haus, während die Menge akklamiert. Im Hause des Longinus scheint dann eine Eucharistiefeier stattgefunden zu haben, und danach reist Paulus nach Karinth ab. Man kann also in Analogie zu den anderen Episoden der AP diesen Abschnitt einigermaßen rekonstruieren, muß aber dabei betonen, daß die Einzelheiten weitgehend unbekannt bleiben. Nun bietet aber der Philippiabschnitt durch den III Kor noch eine besondere Schwierigkeit. Wie bereits dargelegt (s. o. S. 224f.), ist dieses Apokryphon auch als Einzelstück überliefert, ja es hat sogar zeitweise zum Kanon der (syrischen und) armenischen Kirche gehört. Von den Zeugen, die diesen Brief einzeln überliefert haben, bietet nur ein Teil den Zwischenbericht; die Einleitung ist nur in PHeid erhalten. Daraus und aus anderen In145,822). Vgl. auch die Zusammenstellung bei Schmidt, IIII, S. 85ff. - Bruce M. Metzger, St. Paul and the baptized lion, The Princeton Seminary Bulletin XXXIX, 1945, S.1l-21.
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dizien hat Testuz geschlossen, daß In Kor selbständig und zwar vor den AP entstanden sei (Testuz, a. a. 0., S. 23-25). Der Verf. der AP habe In Kor dann durch einige Sätze mit seinem Werk verbunden. Trotz dieser Übernahme in die AP sei In Kor auch weiterhin gesondert überliefert, wie - nach Testuz - PBodm und die Handschriften M, L, P, B sowie die Aufnahme in den syrischen und armenischen Kanon zeigen. Dagegen sei die Handschrift Z ein Fragment der AP. Nun kann hier nicht ausführlich über die Problematik des In Kor gehandelt werden 1. Man kann doch wohl mit der Tatsache, daß in PBodm der In Kor nach dem Protevangelium J acobi erscheint, nicht beweisen, daß er als eigenständiges Stück entstanden und dann später in die AP eingearbeitet sei. Die lateinische Überlieferung in Bibelhandschriften (außer Z?) ist doch so zu erklären, daß man dieses Apokryphon aus Syrien importiert und an irgend welchen Orten als Vorlesungsstück erhalten hat". Vor allem aber legt die Überlieferung in PHeid nahe, die AP als den ursprünglichen Ort von In Kor anzunehmen. Dafür sprechen nun auch die Übereinstimmungen in Begrifflichkeit und Anschauungen, auf die schon Harnackhingewiesen hat". Zwei Gründe sind m.E. ausschlaggebend: a) Die Briefe sind durch zwei starke Klammern mit den AP verbunden, nämlich durch die Einleitung in dem koptischen Text, die auf In Kor 1 Bezug nimmt, und durch den histori-" sehen Zwischenbericht, der auch in Z, E und A erscheint. Das bedeutet, daß die syrische Kirche das Stück aus den AP genommen hat, und daß bei der Übersetzung ins Koptische diese Korrespondenz noch ein Teil der AP war. PBodm hat den Zwischenbericht nicht, stellt daher doch eine spätere Stufe der Überlieferung dar, die auch durch die anderen lateinischen Zeugen repräsentiert wird. b) Die Verwandtschaft in Geist und Tendenz zwischen Briefen und sonstigen Teilen der AP ist nicht zu übersehen; sowohl In Kor wie die anderen Abschnitte sind ausgesprochen antignostisch, was vor allem im Realismus des Auferstehungsglaubens zum Ausdruck kommt. Diese Argumente werden auch nicht dadurch entkräftet, daß Testuz asketische Tendenzen, die für die AP ohne Zweifel charakteristisch sind, in In Kor vermißt. Einerseits fehlen sie gar nicht völlig (vgl. nI Kor 3, llff.) und andererseits ist es ja auch nicht so, daß der Verf. der AP nicht über ein gewisses Variationsvermögen verfügte (vgl. z. B. auch das Fehlen der asketischen Tendenz in der Myra-Episode, o. S.230). Man wird also daran festhalten müssen, da,ß In Kor ein ursprünglicher Bestandteil der AP war, und zwar des Teiles, der von dem Aufenthalt des Paulus in Philippi berichtete. Was sich vorher in Philippi ereignet hat, bleibt uns unbekannt. Auch die Frage, ob Paulus schon früher in Korinth gewesen sei, läßt sich von diesem Textabschnitt her nicht beantworten. Nach In Kor 1, 4 ("Denn niemals haben wir solche Worte weder von dir noch von den anderen Aposteln gehört") muß man doch wohl annehmen, daß ein solcher Besuch des Paulus in Korinth irgendwann schon berichtet worden ist. Aber ob, wann und wo davon in den AP die Rede war, läßt sich nicht sagen. Die Frage ist deshalb so wichtig, weil hiermit die andere verbunden ist, ob der Verf. die AG ergänzen oder ersetzen wollte. Darauf wird noch eingegangen werden müssen, wenn die korinthische Episode behandelt ist. 9. Paulus in Korinth. - Nach PHeid S. 44 schließt sich an die Philippiepisode der 1 Die These von Testuz beruht wohl nicht zuletzt auf einer Überschätzung des PBodm, die sich übrigens auch in der Beurteilung von Textfragen bemerkbar macht. Natürlich ist PBodm ein besonders wichtiger Fund, der einzige griechische Zeuge für In Kor, der durch sein hohes Alter (3./4. Jh.) Anspruch auf ernsthafte Berücksichtigung erheben kann. Aber dieser Zeuge ist nicht unfehlbar, sondern es gibt Stellen, an denen die lateinischen Handschriften des 10.-13. Jh. den richtigen Text gegen PBodm erhalten haben. - Während der Drucklegung erschien: A.F.J. Klijn, The Apocryphal Correspondence between Paul and the Corinthians, Vig. Christ. XVII, 1963, S. 2-23. • Ein Teil der lateinischen Handschriften stammt wohl aus Oberitalien. 3 A. Harnack, Untersuchungen über den apokryphen Briefwechsel der Korinther und des Apostels Paulus, Sitzungsber. Pr. Akademie 1905, I, S. 3-35; vgl. auch Schubart, IIII, S.122f.
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Aufenthalt des Paulus in Korinth an. Daß das richtig ist, geht aus der Überschrift in PH S. 6 hervor: "Von Philippi nach Korinth". Der Text des Abschnittes ist, wenn auch lückenhaft, so erhalten, daß der Gang der Ereignisse deutlich wird: Paulus kommt in Korinth in das Haus des Epiphanius, predigt dort und rüstet sich dann zum Aufbruch nach Rom. Die Gemeinde ist über die Aussicht der Romreise betrübt, wird aber durch eine geistgewirkte Ansprache eines Kleobius getröstet. Bei einer Eucharistiefeier ereignet sich irgend etwas, was durch eine gewisse Myrte gedeutet wird 1. Danach nimmt das Mahl seinen Fortgang. Am Rüsttag bricht Paulus auf und zwar - im Gegensatz zur AG - als freier Mann. Dieser Abschnitt fällt zunächst durch seine Kürze und auch durch das Fehlen jeglicher Wundertaten des Paulus auf. Obwohl der Apostel 40 Tage bei den Brüdern verweilt, wird nur von seinen Predigten berichtet, die merkwürdigerweise gar nicht auf die Schwierigkeiten mit den gnostischen Irrlehrern, von denen in III Kor die Rede war, eingegangen zu sein scheinen, sondern vor allem den Erlebnissen des Pa,ulus und dem göttlichen Wohlwollen, das sich in diesen Erlebnissen gezeigt hat, gewidmet sind. "Das Thema seiner Verkündigung ist die Standhaftigkeit (vnoltO'v~)" (Schmidt, llrr, S. 101), aber darüber hinaus auch die Fürsorge Gottes, der seine olxoyoflta, d.h. seinen Heilsplan (PH S. 6, 26; schon PH S. 5, 27) durchführt. Der Grund für die Kürze und auch für die Besonderheit dieses Abschnittes ist nur zu vermuten: Der Verf. setzt doch wohl die AG und die Paulusbriefe als bekannt voraus. Nun ist nach AG 18, 11 Paulus anderthalb Jahre in Korinth gewesen; AG 20, 2 spricht von einer weiteren Reise nach Griechenland, wobei doch wohl Korinth mit gemeint ist; die beiden Korintherbriefe zeigen, welche enge Beziehung Paulus gerade zu dieser Gemeinde hatte. All das mag den Verf. der AP bewogen haben, von diesem Abschnitt nicht zu viel zu berichten. Außerdem hat er für diese Station vielleicht keinen brauchbaren Legendenstoff zur Verfügung, den er verwerten konnte. Da das Werk ja in Kleinasien entstanden ist, war in dieser Hinsicht die Lage im Blick auf die Gemeinden außerhalb seiner Heimat für den Verf. ohnehin schwieriger. Schließlich muß berücksichtigt werden, daß der Verf. in dieser Episode offensichtlich nur eine Überleitung zu dem Abschluß seines Werkes, dem Martyrium in Rom sieht. Der ganze korinthische Teil der AP ist schon von diesem Martyrium her geprägt. Was nun auch immer der Grund für die Eigenart der korinthischen Episode gewesen sein mag, das eine scheint mir deutlich zu sein: Der Verf.läßt an dieser Stelle seines Werkes den Paulus nicht zum ersten Male nach Korinth kommen. Ob er allerdings dabei die neutestamentlichen Nachrichten einfach voraussetzt oder ob er selbst in einem früheren Abschnitt einen ersten Besuch des Paulus in Korinth geschildert hat, ist nicht zu sagen. Man ist geneigt, die erste Deutung anzunehmen. Dann aber darf man weiter folgern, daß der Verf. sich nicht an die Stationen der AG gehalten hat, sondern völlig selbständig seinen Stoff angeordnet hat. Weiter ergibt sich daraus m.E., daß die Komposition nicht von dem Bemühen bestimmt ist, die AG zu ersetzen oder sie in dem Sinn zu ergänzen, daß die fehlenden Stationen nachgetragen werden. Von Ergänzung der AG könnte man höchstens in dem Sinne sprechen, daß dem Verf. die Gestalt des Apostels in der AG nicht so heraustrat, wie er es in der Situation seiner Zeit für richtig hielt. Aber das entscheidende Motiv für seine Arbeit hat der Verf. nicht von der AG her bezogen, sondern er wollte erbauen, unterhalten und die kirchliche Frömmigkeit seiner Zeit dadurch festigen, daß er Paulus zu ihrem Herold machte. Darum kann er so selbständig vorgehen und von der AG weithin absehen. 10. Von Korinth nach Italien. - Die Reise von Korinth nach Italien ist in PH S. 7-8 erhalten. Dazu kommen einige Fragmente in PHeid S. 72-74. Mit einem Schiff, dessen Kapitän Artemon von Petrus getauft worden ist, fährt Paulus nach Italien. Unterwegs erscheint ihm der Herr, dessen düsteres Aussehen dem Paulus auffällt. Auf seine Frage nach dem Grund dieses Ausdrucks antwortet der Herr: "Ich bin im Begriff, von neuem gekreuzigt zu 1 Kasser, a.a. 0., S. 52 Anm. 68: une prophetie est exprimee par un rameau de myrte. Das scheint aber nicht richtig zu sein.
3. Paulusakten
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werden" (lIvwf}ev /-1I3A},W a-cav/!ovaf}at). Ohne auf den Protest des Paulus einzugehen, gibt Christus dem Apostel die Weisung, die Brüder zu ermahnen, und geleitet das Schiff nach Italien. Der Ort der Landung wird nicht angegeben, vermutlich hat der Verf. ihn selbst nicht gewußt oder er hat Puteoli als selbstverständlich angenommen (vgl. AG 28,13). Bei der Landung wird Artemon von einem Mann namens Claudius erwartet, stellt diesem den Paulus vor und beide tragen das Gepäck des Apostels an Land. Im Hause des Claudius lehrt Paulus das "Wort der Wahrheit". Die Predigt, die hier geboten wird, enthält zunächst einen alttestamentlichen Teil, in dem das Handeln Gottes an Israel als Beispiel für die Treue Gottes geschildert wird, während dann im zweiten Teil von Christus die Rede ist. Leider bricht der Text in PH mitten in der Predigt ab. In PB folgen noch 23 fragmentarische Zeilen, die aber kaum sinnvoll zu ergänzen sind. Auf der Rückseite von PM sind einige Zeilen zu lesen, die sich nach kurzer Lücke wohl an PB anschließen. Wie Me Hardy" (Exp. Times 58,1947, S. 279) erkannt hat, gehören diese fragmentarischen Zeilen zu dem Text, den Schmidt als Bruchstück eines apokryphen Evangeliums deklariert hat (AP, S. 236ff.). Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, daß in diesem Stück Jesus selbst als Sprecher auftritt und daß weiter Petrus und Philippus als Gesprächspartner Jesu direkt reden. Aber diese Bedenken gegen eine Zuordnung der beiden Seiten sind nicht unüberwindlich. Denn schon PH S. 8, 31 ff. läßt der Verf. Jesus direkt reden. Das überrascht nicht, wenn man die Erzählungstechnik der AGG beachtet. Auch das Auftreten des Petrus und des Philippus ist kein zwingender Grund gegen die Annahme der Zugehörigkeit dieser Seiten zu der Rede des Paulus in Puteoli. Der Verf. könnte hier Erzählungsteile aus anderem Zusammenhang übernommen haben. Diese Erklärung legt sich auch deshalb nahe, weil der Verf. in diesem Teil sein Werk ohnehin mit fremden Federn geschmückt hat (s. u.). Jedenfalls schließt der Text von PM bzw. PHeid S. 79/80 an PH S. 8 sachlich gut an. Wenn nun aber dieses Stück ein Teil der AP, und zwar der Rede des Paulus in Puteoli ist, dann wäre die Berechnung, die Kilpatrick und Roberts (JThSt XL VII, 1946, S. 196-199) vorgenommen haben, erneut zu prüfen. Denn die dort festgestellte Lücke von 2-2 Y2 Seiten zwischen dem Ende von PM und dem Beginn des Martyriums wird zum größten Teil schon von dem Redestück ausgefüllt, so daß für weitereBerichte kein Platz mehr wäre. Es ist aber durchaus möglich, daß der Verf., bevor er zum eigentlichen Martyrium überging, eine umfassende Rede des Paulus als krönenden Abschluß und zugleich als Überleitung zum Ende eingebaut und auf weiteres Material verzichtet hat. Die Abschiedsrede des Paulus in Milet AG 20, 17-38 könnte Anstoß und Vorbild für diese Komposition gewesen sein. Allerdings hat Michaelis (S. 273f.) bestritten, daß die Voraussetzung dieser Rechnung, nämlich die Annahme, es fehlten zwischen PH S. 8 und S. 9 nur 4 Seiten, richtig sei. Aber seine Argumentation ist von Hypothesen über den Lebenslauf des Paulus (2. Gefangenschaft, Echtheit der Pastoralbriefe u. a.) bestimmt, die falsch sind. Man wird also eher dazu neigen, den Darlegungen von C. Schmidt, Kilpatrick und Roberts zu folgen: die Rede des Paulus leitet über zu seinem Weg von dem Hafen nach Rom; eine weitere Wirksamkeit vor dem Einzug in Rom wird nicht berichtet worden sein. Der kurze Bericht von der Reise des Paulus nach Italien bietet nun dadurch noch ein besonderes Problem, daß hier eine Dublette zu der berühmten Quo-vadis-Szene der Petrusakten geboten wird (Mart. Petr. c. 6). Es soll hier über diese Szene nicht ausführlich gehandelt werden. Aber im Blick auf das Problem der Komposition muß folgendes festgehalten werden: Die Schilderung der AP zeigt eindeutig, daß sie"gegenüber den APt sekundär ist. Vor allem ist der Hinweis auf die Kreuzigung in den APt wohl am Pla.tz, denn auch Petrus wird ja gekreuzigt, in den AP aber nicht, da Paulus enthauptet wird. Dazu kommt, daß diese Szene in die APt sich gut einfügt, während sie in den AP ein Fremdkörper zu sein scheint. Man sollte dagegen nicht, wie Michaelis es tut (S. 327ff.), damit argumentieren, daß in den APt naAtV steht, während die AP avwf}ev bieten '. Jedenfalls hat der Verf. der AP 1
s. v.
Zu der Wortbedeutung von avwf}ev (oft gleich naAtV) vgl. z.B. W. Bauer, Wörterbuch
238
XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
bei den APt eine Anleihe gemacht. Es ist daher auch nicht unwahrscheinlich, daß die Vermutung von Schmidt richtig ist, der Kapitän Artemon sei der Theon der APt (Schmidt, nn, S. 128f.). 11. Das Martyrium des Paulus. - Dieser Teil der AP ist wohl schon früh von dem ganzen Werk abgetrennt worden, weil er für die Verlesung an dem Gedenktag des Apostels benutzt wurde. Die Überlieferung und auch die weitere Benutzung und Verarbeitung (vgl. z. B. Schmidt, AP, S. 118 ff.; nII, S. 124f.) zeigen die Verselbständigung des Martyriums. Die frühe Verwilderung des Textes erschwert eine sichere Textkonstituierung. Durch PHeid und PH ist die ursprüngliche Zugehörigkeit zu den AP gesichert, auch wenn der Anfang in beiden Zeugen leider fehlt und so der Übergang von Puteoli (?) nach Rom nicht erhalten ist. In Rom wird Paulus von Lukas und Titus erwartet (in den Titusakten c. 6, wo wieder die AP benutzt sind, wird Timotheus noch genannt). Paulus mietet eine Scheune und lehrt dort das "Wort der Wahrheit" mit großem Erfolg. Diese Einleitungsnotiz ist wohl in Anlehnung an AG 28, 30f. gestaltet. Es schließt sich nun die Erzählung vom Tod des Patroklus, eines kaiserlichen Mundschenkes, und seiner Auferweckung an. Da Patroklus vor Nero sein Christentum bekennt, kommt es zur Verfolgung, in deren Verlauf auch Paulus vorgeführt und als Rädelsführer zum Tod durch das Schwert verurteilt wird, während die anderen Christen den Feuertod erleiden sollen. Das ist nicht ganz logisch, da doch der Tod durch Enthaupten als weniger schlimm galt. Aber dem Verf. war als Tradition vorgegeben, daß Paulus enthauptet worden war. Dem Wüten des Nero gegen die Christen wird durch den Einspruch der Bevölkerung Einhalt geboten, aber das Urteil gegen Paulus bleibt bestehen. Im Gefängnis predigt Paulus noch dem Präfekten Longus und dem Centurio Cestus (vor allem von der Auferstehung) und verspricht ihnen, daß sie an seinem Grabe die Taufe empfangen werden. Nach langem Gebet des Paulus erfolgt seine Hinrichtung, bei der Milch auf die Kleider des Soldaten spritzt. Bald darauf erscheint Paulus dem Nero, der voller Bestürzung die Gefangenen freiläßt. Die Erzählung schließt mit der Szene am Grabe des Paulus: Longus und Cestus gehen dorthin und treffen Titus und Lukas, die davonlaufen wollen, aber beruhigt werden und den beiden die Taufe erteilen. Im großen und ganzen macht das MP den Eindruck einer einheitlichen, in sich geschlossenen Komposition. Allerdings sind einige Stellen der Darstellung recht ungeschickt und man könnte vermuten, daß verschiedene Traditionen, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten, zusammengearbeitet wurden (Patroklusgeschichte, Bekehrung des Longus und des Cestus, Märtyrertod des Paulus). Aber ob das durch den Verf. der AP oder bereits vor ihm geschehen ist, läßt sich nicht sagen. Die Komposition der ganzen Szene wird wohl vom Verf. der AP stammen (vgl. Schubart, nn, S. 123), der allerdings hier, am Schluß seines Werkes keine Meisterleistung mehr vollbracht hat. Die Frage, wie~eit er sich auf stadtrömische Überlieferung hat stützen können, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Wie der Verf. der APt in dem Bericht über das Ende des Petrus (vgl. o. S. 185), so hat auch der Verf. der AP sich bei dem MP an gewisse Vorbilder halten können (Polykarpmartyrium, Petrusmartyrium). Nur hat er das Ende seines Helden nicht so eng mit einem anderen Motiv verbunden, wie es in den APt geschehen ist. Auch daran zeigt sich, wie sehr der Verf. der AP dem volkstümlichen Erzählungsst.il, bei dem das Gewicht auf den Einzelepisoden liegt, verpflichtet war. Zusammenfassend sei auf 5 Punkte hingewiesen, die sieh aus der ausführlichen Erörterung der Komposition und aus dem Versuch der Rekonstruktion ergeben: 1. Unsere Kenntnis von der Gesamtkomposition der AP ist trotz aller Funde noch recht mangelhaft. Wir können bestimmte Abschnitte rekonstruieren, auch mehrere Stationen miteinander verbinden, aber daneben bleiben große Lücken 1. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die AP wohl schon in alter Zeit gekürzt worden sind (PH I), so daß also auch bei 1 Kasser, a. a. 0., S. 48 Anm. 29 warnt mit Recht davor, voreilig aus dem Auftauchen von Namen oder neutestamentlichen Anspielungen Rückschlüsse auf die Stellung von Fragmenten im Ganzen der AP zu ziehen.
3. Paulusakten
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anscheinend klaren Zusammenhängen unter Umständen größere Lücken anzunehmen sind. Wieviel eigentlich verlorengegangen ist, läßt sich kaum sagen. Nach der Stichometrie des Nicephorus hatte dieses Werk einen Umfang von 3600 Stichen, die AG dagegen nur 2800 Stichen. Das heißt aber, daß uns noch ein beträchtlicher Teil fehlt. 2. Nach dem vorliegenden Material sieht die Reiseroute des Paulus folgendermaßen aus: Damaskus·Jerusalem-Antiochien-Ikonium-Antiochien-Myra- Sidon-Tyrus. Hier klafft nun eine große Lücke. Es folgen Smyrna-Ephesus.Philippi-Korinth.Italien-Rom. Interessant ist nun, daß sich der Verf. bei dieser Route offensichtlich bemüht hat, abweichend von der AG eine große Reise des Paulus darzustellen. Jedenfalls läßt der bisher bekannte Befund nicht erkennen, daß Paulus irgendeine feste Ausgangsbasis für seine Arbeit hatte (in der AG zeitweise Antiochien), zu der er immer wieder zurückkehrt. Vielmehr reist Paulus nach seiner Bekehrung von Ort zu Ort und missioniert dort nach einem festen Schema, wird vertrieben und zieht weiter 1. Darin kommt ohne Zweifel eine Eigenart der apokryphen Apostelakten zum Ausdruck, deren Interesse an der Einzelerzählung haftet und bei denen bestimmte Tendenzen dann diese Einzelabschnitte zusammenhalten. 3. Es liegt sehr nahe, die AP mit dem Werk des Lukas zu vergleichen und solche Vergleiche finden sich auch immer wieder in der Literatur. Nun ist schon auf den ersten Blick deutlich, daß ein solcher Vergleich nur sehr magere Ergebnisse ergibt, wenn man etwa nach der Übereinstimmung im Itinerar oder in anderen Einzelheiten fragt. Der Verf. der AP hat sich weder in der Reiseroute noch in anderen Fakten an die AG gehalten. Er hat seinen Stoff selbständig gesammelt und angeordnet. Dabei ist er sicher weithin einer umlaufenden Legendentradition gefolgt, hat aber die vorgefundenen Bausteine so bearbeitet, daß die Scheidung von Tradition und Komposition nicht einfach ist. Die Sprache des Verf. ist einheitlich, sie ist weitgehend die Sprache des NT. Vor allem Pastoralbriefe und AG sind benutzt, daneben die Evangelien und die Paulusbriefe. Aber es handelt sich dabei kaum um richtige Zitate, sondern um sprachliche und begriffliche Übereinstimmung auf Grund der Kenntnis der neutestamentlichen Literatur". 4. Die Tatsache, daß der Verf. die neutestamentlich geprägte Erbauungssprache benutzt, deutet daraufhin, daß er mit seinem Werk erbaulich-unterhaltend wirken will. Gewiß hat er auch theologische Intentionen (s. u.). Aber diese treten hinter dem eigentlichen Zweck zurück. Von da aus ist dann aber auch die Frage, ob die AP die AG ersetzen oder ergänzen wollen, zu beantworten: An einen Ersatz der AG hat der Verf. kaum gedacht. Vielmehr hat er "aus Liebe zu Paulus" die Gemeinde seiner Zeit mit seinem Werk erbauen wollen, und insofern kann man von der Absicht einer gewissen Ergänzung sprechen. 5. Wenn aber die Komposition der AP so einheitlich gewesen ist und wenn die Absicht des Verf. es war, dem Paulusbild seiner Zeit in der Form einer erbaulichen Darstellung des Missionsweges des Apostels Ausdruck zu verleihen, dann ist es unwahrscheinlich, daß die AP stückweise, gewissermaßen als Fortsetzungsroman publiziert worden sind. Diese Hypothese Kassers (a. a. 0., S. 57) kann zwar durch die Sonderüberlieferung einzelner Teile (AThe, MP, IH Kor) scheinbar gestützt werden, hat aber gegen sich, daß diese Einzelstücke fest im Gesamtbau des Werkes verankert sind. Daß die Gestaltungskraft des Verf. gegen Schluß seiner Arbeit geringer geworden ist, braucht kein Beweis für ein zeitliches Nacheinander der einzelnen Stücke zu sein. Vielmehr scheint doch das ganze Werk aus einem Guß, wobei der Verf. sicher mancherlei ältere Traditionen in seine Darstellung eingebaut hat und es ihm dabei nicht immer gelungen ist, die Nähte zu verdecken. 1 Mit Recht hat Kasser, a. a. 0., S. 48 Anm. 31 auf eine gewisse Schematik hingewiesen: Reise-Predigt-Verfolgung-Wunder. Aber ob damit die andere Annahme zu verbinden ist, Paulus sei niemals an den gleichen Ort zurückgekehrt, bleibt fraglich. "Vgl. C. Schlau, Die Akten des Paulus und der Thecla, 1877, S. 79ff.; Harnack, Lit.gesch. H, 1, S. 498f. - Schmidt, AP S. 199ff. hat eingehend über die Personen in den AP gehandelt. Sein Ergebnis: die 65 auftretenden Personen haben nichts mit neutestamentlichen Personen zu tun.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
5. THEOLOGISCHE TENDENZ. Die.AP sind kein theologischer Traktat, sondern eine Erbauungsschrift, mit der der Verf. sicher auch bestimmte kirchlich.theologische Absichten verbindet, die auch auf einer gewissen theologischen Bildung beruht, die aber in erster Linie zur Erbauung und Unterhaltung der Gemeinde bestimmt war und nicht für die theologische Diskussion. Das bedeutet, daß man dem Verf. Unrecht tut und falsche Fragen an ihn stellt, wenn man aus seinem Werk ein theologisches System herausarbeiten möchte. So ist denn auch der Versuch von Fr. Loofs, in seinem posthumen Werk (Theophilus von Antiochien adversus Marcionem, 1930) auch die AP als Quelle für die von ihm postulierte Geistchristologie zu reklamieren, höchst fragwürdig. Denn vieles, was Loofs aus den AP anführt, kann auch anders gedeutet werden, wenn man davon absieht, die Aussagen dieses Werkes so stark zu systematisieren, wie Loofs es tut, obwohl er selbst das Nebeneinander verschiedener Vorstellungen feststellt. Neben der Aussage, daß Gott der eine und alleinige Gott sei (AThe 9), steht die andere, daß Christus der Herr und Gott sei (AThe 31). Aber das überrascht doch nur, wenn man das literarische Genus der AP verkennt. Die Kategorien, mit denen Loofs den Text befragt, sind - abgesehen von ihrer sonstigen Fragwürdigkeit - gegenüber einem volkstümlichen Erbauungsbuch unangemessen. Auch der Versuch von E. Peterson, den theologiegeschichtlichen Ort der AP zu bestimmen, scheint mir verfehlt (Einige Bemerkungen ... in: Frühkirche, Judentum und Gnosis, 1959, S. 183-208). Peterson meint, die AP gehören ebenso wie die anderen AGG in den Bereich des Enkratismus, der mit dem Namen Tatians verbunden ist. Dabei hat er nun aber nicht nur - wie Devos überzeugend dargelegt hat (Anal. Boll. 69,1951, S. 119-130) -methodische Fehler gemacht, sondern auch den .AP ein viel zu starkes theologisches Gewicht beigelegt. Viele Züge, die von Peterson als geheimer' Symbolismus' gedeutet werden, lassen sich sehr viel einfacher erklären, nämlich als anschaulicher, volkstümlicher Erzählungsstil (z.B. der Kleiderwechsel der Artemilla, PH S. 2, 16; dazu Peterson, a. a. 0., S. 183f.). Daß weiter diejenigen Häretiker, die der Verf. der AP im Auge hatte, nicht Judenchristen oder Enkratiten waren, scheint mir aus III Kor und anderen Stellen eindeutig hervorzugehen. Man muß also der literarischen Eigenart der .AP entsprechend darauf verzichten, unerlaubte Systematisierungen vorzunehmen, und sich damit begnügen, gewisse theologische Tendenzen aufzuzeigen, die manchmal sogar sich zu widersprechen scheinen (viel Material hat Schmidt, AP, S. 183ff. zusammengestellt). Die christliche Verkündigung ist für den Verf. der AP Predigt von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung (AThe 5). In beinahe allen Episoden spielt das Motiv der geschlechtlichen Enthaltsamkeit eine beherrschende Rolle. Die Aufforderung dazu und der Erfolg des Apostels mit dieser Predigt sind denn auch oft der Anlaß zur Verfolgung. Dabei ist die Basis dieser Haltung die Überzeugung, daß die Güter dieser Welt nichts wert und nutzlos seien, daß das Heil im Jenseits liegt und alles darauf ankommt, dieses jenseitige Heil (das zum Teil als Fortleben der unsterblichen Seele vorgestellt zu sein scheint) zu sichern. An den Seligpreisungen AThe c. 5f. wird deutlich, wie sich mit der Mahnung zur sittlichen Reinheit die Hoffnung auf die Herrlichkeit bei Gott verbindet. Die Auferstehung wird denen als Ziel und Lohn verheißen, die sich rein bewahren und ihre Hoffnung auf Gott und Christus setzen. Man kann hier natürlich durch einen Vergleich mit dem echten Paulus zeigen, wie weit sich dieses Christentum des endenden 2. Jahrhunderts von dem Apostel entfernt hat. Aber das wäre doch kein legitimes Unternehmen, da dabei vorausgesetzt wäre, daß diese Gemeinden, aus denen die AP stammen, ursprünglich rein paulinisch gedacht haben, was aber vielleicht gar nicht der Fall war. Viel wichtiger ist, daß man sieht, wie der Verf. den Apostel zum Herold eines sehr schlichten und auf ein paar Formeln reduzierbaren Gemeindeglaubens macht, der nun sehr klare Positionen gegen gnostische Spekulation, Ablehnung des AT, Leugnung der Auferstehung und Erweichung der Ethik bezogen hat. Wie dabei der Doketismus klar abgewiesen wird, zeigt nicht nur III Kor, sondern auch die Rede des Paulus in PH S. 8, 9ff., in der ja nun auch deutlich wird, daß der 'historische Jesus' gar nicht so verschwunden ist, wie man manchmal gemeint hat.
3. Paulusakten
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Die Christologie der AP wird man kaum eindeutig im Sinn der späteren dogmatischen Entscheidungen festlegen können. Die wichtigste Aussage ist für den Verf., daß Christus der Herr ist, nicht nur der Herr seiner Gemeinde, sondern der Welt, des Lebens und des Todes. Wenn dabei manchmal die christologischen Aussagen mit dem Monotheismus in Konflikt zu geraten scheinen, so ist das keine Eigenart der AP, sondern gehört zur Problematik der gesamten frühkirchlichen Christologie. Von einer ausgeprägten Logoschristologie findet man in den AP kaum eine Spur. Mit Recht hat C. Scbmidt (lIII, S.104ff.) darauf hingewiesen, daß die Reden des Paulus in den AP von besonderer Bedeutung sind. In ihnen, die sachlich sebr unterschiedlich sind, während Sprache und Stil ihre Zusammengehörigkeit erweisen, bringt der Verf. seine Intentionen am stärksten zur Geltung. Eine genaue Interpretation dieser Reden, die doch wohl in Anlehnung an die Predigt der Zeit des Verf. geschaffen sind, zeigt, wie das Christentum des 2. Jahrhunderts von Gott und Christus, von Sünde und Gnade, von Heil und Gericht geglaubt und geredet hat. Gegen die spekulative Gnosis hat man sich auf einen im AT wurzelnden Moralismus und auf die überwältigende Hoffnung auf das zukünftige Heil zurückgezogen (zur antignostischen Haltung der AP vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei, Register s. v.). Dabei sind viele Seiten der urcbristlichen, speziell der paulinischen Verkündigung sicher nicht mehr wirksam. Aber mit diesem sehr reduzierten und wenig differenzierten Rüstzeug haben die Gemeinden des 2. Jahrhunderts den Kampf gegen die Gnosis bestanden. 6. VERFASSER, ZEIT UND ORT. Nach dem Zeugnis Tertullians (s. o. S. 222) war der Verfasser der AP ein kleinasiatischer Presbyter, der allerdings mit seinem Werk sich die Absetzung von seinem Amt, aber offenbar nicht den Ausschluß aus der Kirche erwarb. Das ist verständlich, wenn man sich die theologische Tendenz vor Augen hält - sie ist wirklich nicht häretisch -, wenn man aber andererseits sieht, welchen Anstoß einzelne Züge der AP bei einer strengeren Prüfung erregen mußten. Es sei nur an die Selbsttaufe der Thekla, an den getauften Löwen und an III Kor erinnert. Vor allem III Kor war doch eine 'Fälschung', die von der Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit den Ketzern peinlich empfunden werden mußte (vgl. Rolffs, Apokr, 2. S. 196). Dazu kommt, daß sich wohl schon bald der Vergleich mit der kanonischen AG nahelegte und die AP dann schlecht abschneiden mußten. Gewiß hat der Verf. in gutem Glauben gehandelt, als er "aus Liebe zu Paulus" das zusammenstellte, was an Legenden in den Gemeinden umlief, es ordnete und sicher auch bearbeitete und erweiterte. Denn er wollte damit seiner Kirche im Kampf gegen die Ketzer helfen und die Gemeinden im wahren Christentum stärken. Mehr läßt sich über die Person des Verf. nicht sagen. Seine Heimat ist Kleinasien gewesen. Das sagt nicht nur Tertullian, sondern das geht auch aus dem Werk selbst hervor. Denn die klein asiatischen Stationen sind doch, soweit wir sehen können, diejenigen, von denen der Verf. am meisten zu berichten weiß, während er für Korinth weniger zu bieten hat und sich daher teilweise an die APt hält. Eine nähere Lokalisierung ist kaum möglich, auch wenn man geneigt sein mag, mit Rolffs an Ikonium oder Seleukia zu denken. Aber das bleibt Vermutung. Die Z ei t läßt sich ebenfalls nicht genau bestimmen. Man kann nur sagen, daß die AP vor 200, der ungefähren Abfassungszeit von Tertullian De baptismo, geschrieben sein müssen. Da sie andererseits von den APt abhängig sind, wird man den Zeitraum 185-195 als möglichen Ansatz annehmen dürfen.
16 Henneoke, Apokryphen Bd. 2
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
DIE TATEN DES PAULUS *
1.
(Von Damaskus nach Jerusalem) [Ry; PHeid S. 60/59 und 61/62; vgl. PG, u. S.269] Nach seiner Bekehrung vor Damaskus erhält Paulus den Befehl (von wem?) nach Damaskus und später nach Jerusalem zu gehen. 'Mit großer Freude' geht er nach Damaskus hinein und findet die Gemeinde in der (Feier?) des Fastens. Daran schloß sich wohl eine Predigt vor den Juden. Auf dem Weg des Paulus von Damaskus nach Jericho (d.h. doch wohl nach Jerusalem) hat sich nach dem späteren Bericht des Paulus in Ephesus die Taufe des Löwen ereignet. Ob die Fragmente PHeid S. 60/59 und 61/62 Reste der Schilderung des Aufenthalts und der Tätigkeit des Paulus in Jerusalem enthalten, bleibt unsicher.
2. (Paulus in Antiochien) [PHeid S. 1-6] In Antiochien (syrisches oder pisidisches?) erweckt Paulus einen Toten. Der Sohn des Anchares (griech. Titusakten: Panchares) und der Phila ist gestorben, und Paulus hat sich offenbar zu dem Haus der Eltern begeben, um zu helfen, wird aber von der Frau daran gehindert (so Schmidt, AP S. 92). Anchares fastet und betet, bis die Menge kommt, um den Sohn (nach den Titusakten heißt er Barnabas) herauszutragen. Da kommt Paulus hinzu und - das folgende ist leider verloren - scheint den Knaben erweckt zu haben. Wie es weitergegangen ist, läßt sich nicht sagen. Möglicherweise hat es um das Wunder Auseinandersetzungen gegeben. Wenn es aufPHeid. S.4-, 19f. heißt:
,,(Wir) glauben, Anchares ... , aber rette die Stadt" so deutet das auf irgendwelche Ereignisse, die das Volk in Schrecken versetzen. Vielleicht hat Paulus die Stadt schon verlassen und soll nun zurückgeholt werden. Jedenfalls ist es nach PHeid S. 5 wohl zu einem Bekenntnis des Anchares gekommen, das nun zu der Verfolgung des Paulus durch die Juden führt:
"und (auch) ich (glaube), (daß), meine (Brüder), kein anderer Gott ist, (wenn) nicht (Jesus) Christus, der Sohn (des) Gepriesenen, welchem ist die Ehre (bis in Ewigkeit). Amen." Als sie aber (merkten), daß er sich nicht zu ihnen wenden würde, verfolgten sie Paulus, ergriffen ihn, brachten ihn zurück (in) die Stadt, indem sie ihn mißhandelten (und) sie warfen Steine gegen ihn (und) stießen ihn aus ihrer
m,
* Die "Übersetzung der Texte kann kein Ersatz für eine kritische Ausgabe sein. Daher konnten Varianten nicht vollständig berücksichtigt oder notiert werden. Auch die Lücken in den durch Papyri überlieferten Teilen sind nicht ganz genau angegeben. Anspielungen auf neutestamentliche Stellen oder Begriffe sind nur in Auswahl geboten. Die Sprache der AP ist völlig vom NT her geprägt, ist aber weithin formelhafte Erbauungssprache. Das war im einzelnen in den Anmerkungen hier nicht nachzuweisen. Zu den Abkürzungen siehe oben S. 221, Anm. *.
243
3. PaulUBakten
Stadt und aus ihrem Gebiete 1. Anchares aber vermochte nicht Böses mit Bösem zu vergelten 2. Das folgende ist so fragmentarisch, daß über den Inhalt kaum etwas gesagt werden kann. Nur das steht fest, daß sich an diese Szene unmittelbar der Teil der AP anschließt, der als Acta Pauli et Theclae auch eine Sonderüberlieferung hat.
3. Taten des Paulus und der Thekla 3 [Aa I, p. 235-269; PHeid S. 6-28] 1 Als Paulus nach der Flucht aus Antiochien nach Ikonium hinaufzog, wurden Demas und Hermogenes, der Kupferschmied 4, seine Reisegefährten, voll Verstellung, und hängten sich an Paulus, als ob sie ihn liebten. Paulus aber, der einzig und allein die Güte Christi im Auge hatte, tat ihnen nichts Schlechtes 5, sondern liebte (p. 236) sie sehr, so daß er ihnen alle Worte des Herrn, der Lehre und der Auslegung des Evangeliums sowohl von der Geburt wie von der Auferstehung des Geliebten süß zu machen suchte und die großen Taten Christi 6 ihnen, wie sie ihm selbst offenbart worden waren, Wort für Wort erzählte. 2 Und ein Mann namens Onesiphorus 7, der gehört hatte, daß Paulus nach 8 Ikonium käme, ging mit seinen Kindern Simmias und Zeno und seinem Weibe Lektra 9 dem Paulus entgegen, (p, 237) um ihn bei sich aufzunehmen. Titus hatte ihm nämlich erzählt, welches Aussehen Paulus hätte. Denn er hatte ihn (bisher) nicht im Fleisch gesehen, sondern nur im Geist. 3 Und er ging an die königliche Straße, die nach Lystra führt, stellte sich dort auf, um ihn zu erwarten, und sah sich (alle), die vorbeikamen, auf die Beschreibung des Titus hin an. Er sah aber Paulus kommen, einen Mann klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen, in edler Haltung mit zusammengewachsenen Augenbrauen und ein klein wenig hervortretender Nase, voller Freundlichkeit; denn bald erschien er wie ein Mensch, bald hatte er eines Engels Angesicht 10. (p. 238) 4 Und als Paulus den Onesiphorus sah, lächelte er; und Onesiphorus sagte: "Sei gegrüßt, Diener des hochgelobten Gottes!" Und jener erwiderte: "Die Gnade sei mit dir und deinem Hause!" Demas aber und He;rmogenes wurden eifersüchtig und gingen noch weiter in ihrer Verstellung; Demas aber sprach: "Sind wir denn nicht des Hochgelobten (Diener), daß du uns nicht so grüßt?" Onesiphorus aber sprach: "Ich sehe an euch keine Frucht der Gerechtigkeit; wenn ihr aber etwas seid, so kommt auch ihr in mein Haus und ruht euch aus!" 5 Und als Paulus im Hause des Onesiphorus eingekehrt war, herrschte (dort) große Freude; die Knie wurden gebeugt, das Brot gebrochen und das Wort Gottes von der Enthaltsamkeit und der Auferstehung (verkündet), indem Paulus sprach: 1 S
Vgl. AG 14, 19. • Vgl. Rm. 12,17. In anderen Handschriften: Martyrium der heiligen Protomärtyrerin Thekla (oder ähn-
lich). 4 Vgl. 2. Tim. 4,10; I, 15; 4, I4(?). 5 Lat.: Versah sich von ihnen nichts Böses. 7 Vgl. 2. Tim. I, 16; 4, 19. B Zu den folgenden Zeilen vgl. Pap. Antinoopolis (PA). • PA: mit seinen Kindern und Zenon und seinem Weibe. 16*
6
Vgl. AG 2, 11.
10
Vgl. AG 6, 15.
244
XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
"Selig sind, die reines Herzens sind. denn sie werden Gott schauen 1. Selig sind, die ihr Fleisch rein bewahrt haben, denn sie werden ein Tempel Gottes werden z. Selig sind die Enthaltsamen, denn Gott wird zu ihnen reden. Selig sind, die dieser Welt entsagt haben, denn sie werden Gott wohlgefallen. Selig sind, die Frauen haben als (p. 239) hätten sie nicht, denn sie werden Gott beerben 3. Selig sind, die Gottesfurcht haben, denn sie werden Engel Gottes werden. 6 Selig sind, die vor den Worten Gottes zittern, denn sie werden getröstet werden 4. Selig sind, die die Weisheit Jesu Christi ergriffen haben, denn sie werden Söhne des Höchsten heißen 6. Selig sind, die die Taufe bewahrt haben 6, denn sie werden bei dem Vater und dem Sohn ausruhen. Selig sind, die das Verständnis J esu Christi erfaßt haben, denn sie werden im Lichte sem. Selig sind, die um der Liebe Gottes willen das weltliche Wesen verlassen haben, denn sie werden Engel richten 7 und zur Rechten des Vaters gesegnet werden. Selig sind die Barmherzigen, denn (p. 240) sie werden Barmherzigkeit erlangen 8, und den bitteren Tag des Gerichts werden sie nicht sehen. Selig sind die Leiber der Jungfrauen, denn sie werden Gott wohlgefallen, und sie werden den Lohn ihrer Keuschheit nicht verlieren 9. Denn das Wort des Vaters wird ihnen zum Werk der Rettung auf den Tag des Sohnes werden, und sie werden Ruhe finden 10 in alle Ewigkeit." 7 Und während Paulus so sprach in der Gemeinde im Hause des Onesiphorus, saß eine Jungfrau (namens) Thekla - ihre Mutter war Theoklia -, die mit einem Mann (namens) Thamyris verlobt war, an einem benachbarten Fenster und hörte Tag und Nacht das Wort vom jungfräulichen Leben, wie es von Paulus verkündet wurde. Und sie neigte sich nicht (p. 241) vom Fenster fort, sondern drängte sich im Glauben in unaussprechlicher Freude herzu. Da sie a ber auch noch viele Frauen und J ungfrauen zu Paulus hineingehen sah, hatte sie das Verlangen, auch sie möchte gewürdigt werden, vor dem Angesicht des Paulus zu stehen 11 und das Wort Christi zu hören. Denn sie hatte Paulus von Angesicht noch nicht gesehen, sondörD hörte nur sein Wort. 8 Da sie aber nicht vom Fenster wich, schickte ihre Mutter zu Thamyris. Der aber kam höchst erfreut, als sollte er sie schon zur Hochzeit nehmen. Thamyris sprach nun zu Theoklia: "Wo ist meine Thekla, daß ich sie sehe IZ?" Und 13 Theoklia antwortete: "Eine neue Geschichte habe ich dir zu berichten, Thamyris! Drei Tage und drei Nächte nämlich ist Thekla nicht vom Fenster aufgestanden, weder zum Essen noch zum Trinken, sondern als ob sie sich einer großen Freude zugewandt hat, so hängt sie an einem fremden Mann, der trügerische und schillernde Worte lehrt, so daß ich mich wundere, wie eine Jungfrau, die von so großer Schüchternheit ist wie sie, sich so peinlich belästigen läßt. (p. 242) 9 Thamyris, dieser Mensch bringt Mt. 5, 8. Vgl. 1. Kor. 7,29; Rm. 8, 17. 6 Vgl. 2. Clem. 6, 9. aMt. 5, 7; dieser MakarismuB fehlt in PHeid. 10 Vgl. Mt. 11, 29. 12 In griech. Hss. fehlt: daß ich sie sehe. 1
3
Vgl. Vgl. , Vgl. • Vgl. 2
4
11 13
2. elem. 8, 6; 2. Kor. 6, 16. Mt. 5, 4. 5 Vgl. Mt. 5, 9. 1. Kor. 6, 3. Mt. 10, 42.
So die griechischen Hss. Die folgenden Zeilen in Pap. Ox. 6.
3. Pa.ulusakten
245
die Stadt der Ikonier in Aufruhr und deine Thekla noch dazu. Denn alle Frauen und jungen Leute gehen zu ihm hinein und lassen sich von ihm belehren. 'Man muß', sagt er, 'einen einzigen Gott allein fürchten und enthaltsam leben'. Es wird aber auch noch meine Tochter, die wie eine Spinne am Fenster klebt, durch seine Worte (bewegt und) von einer nie gekannten Begierde und unheimlichen Leidenschaft ergriffen. Ist doch das Mädchen ganz auf seine Rede ausgerichtet und läßt sich davon gefangen nehmen. Aber gehe du zu ihr und sprich mit ihr ; denn dir ist sie ja verlobt! " 10 Und Thamyris ging hin, zugleich in sie verliebt und doch voller Furcht vor ihrer Verwirrung und sprach: "Thekla, meine Braut, was ist mitdir~ Was für eine Leidenschaft hält dich in dieser Verwirrung~ Kehre zurück zu deinem Thamyris und schäme dich!" Aber auch ihre Mutter sagte ihr noch dasselbe: "Kind, was sitzest du hier so (p. 243) und blickst nach unten, antwortest nichts und bist gänzlich verstört~" Und die im Hause waren, weinten sehr, Thamyris um den Verlust der Frau, Theoklia um den der Tochter, die Dienerinnen um den der Herrin. Ein großes Durcheinander und Wehklagen herrschte im Hause. Und obwohl das (alles um sie herum) geschah, wandte sich Thekla nicht ab, sondern war ganz dem Wort des Paulus zugewandt. 11 Thamyris aber sprang auf, ging auf die Straße und beobachtete alle, die bei Paulus ein- und ausgingen. Und er sah zwei Männer, die heftig miteinander stritten, und sprach zu ihnen: "Ihr Männer, wer seid ihr, sagt es mir, und wer ist der bei euch da drinnen, der Irrlehrer, der die Seelen der Jünglinge und Jungfrauen betrügt, daß sie nicht heiraten, sondern so bleiben sollen? Ich verspreche nun, euch viel Geld zu geben, wenn ihr mir über ihn berichtet; denn ich bin der erste in der Stadt". 12 (p. 244) Und Demas und Hermogenes sagten zu ihm: "Wer dieser ist, wissen wir nicht. Er macht aber Jünglingen die Frauen und Jungfrauen die Männer abspenstig, indem er sagt: 'Auf andere Weise gibt es für euch keine Auferstehung, es sei denn, daß ihr rein bleibt und das Fleisch nicht befleckt 1, sondern es keusch bewahrt.'" 13 Thamyris sprach aber zu ihnen: "Kommt in mein Haus, ihr Männer, und ruht euch bei mir aus!" Und sie gingen zu einer üppigen Mahlzeit, mit viel Wein, großem Reichtum und glänzender Tafel. Und Thamyris gab ihnen zu trinken, da er Thekla liebte und sie zur Frau haben wollte. Und während der Mahlzeit sprach Thamyris: "Ihr Männer, sagt mir, was ist seine Lehre, damit auch ich sie kennen lerne; denn ich bin in großer Sorge um Thekla, weil sie den Fremden so liebt und ich um die Heirat komme." (p. 245) 14 Demas und Hermogenes sagten aber: ,.Führe ihn vor den Statthalter Castellius, weil er die Menge überrede zu der neuen Lehre der Christen, und daraufhin wird er ihn hinrichten (lassen); und du wirst Thekla als deine Frau erhalten. Und wir werden dich über die Auferstehung belehren, von der dieser sagt, daß sie geschehe, nämlich daß sie schon in den Kindern geschehen ist 2, die wir haben, und wir auferstanden sind, indem wir den wahren Gott erkannt haben." 3 15 Als Thamyris dies von ihnen gehört hatte, stand er am frühen Morgen voll Eifersucht und Zorn auf und ging zu dem Haus des Onesiphorus mit Beamten und Polizisten und einer beträchtlichen Menge Volks mit Knüppeln und sprach zu Paulus: "Du hast die Stadt der Ikonier verdorben und meine Verlobte, daß sie mich nicht will. Auf, wir wollen zum Statthalter Castellius!" Und der ganze Haufen rief: "Weg mit dem Zauberer! Denn er hat uns alle unsere Frauen verdorben!" Und die Massen ließen sich mit aufwiegeln. (p. 246) 16 Und Thamyris trat vor den Richt1
Vgl. Offbg. 14,4.
S
So mit PHeid gegen Lipsius als ursprünglich anzusehen.
2
Vgl. 2. Tim. 2, 18.
246
XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
stuhl und sprach mit lautem Geschrei: "Prokonsul, dieser Mensch - wir wissen nicht, woher er ist -, der die jungen Mädchen nicht heiraten lassen will, soll vor dir darlegen, weshalb er dies lehrt." Demas aber und Hermogenes sagten zu Thamyris: "Sag, daß er ein Christ ist, und so wirst du ihn verderben." Der Statthalter aber ging mit sich zu Rate und rief Paulus und sprach zu ihm: "Wer bist du und was lehrst du? Verklagen sie dich doch nicht geringfügig." 117 Und Paulus erhob seine Stimme und sprach: " Wenn ich heute verhört werde, was ich lehre, so höre, Prokonsul: Der lebendige Gott 2, der Gott der Rache 3, der eifrige Gott 4, der Gott, der kein Bedürfnis kennt, der hat, weil er das Heil der Menschen will, mich gesandt, daß ich sie der Vergänglichkeit und der Unreinigkeit entreiße und aller Lust und dem Tode, damit sie nicht mehr sündigen. Darum hat Gott seinen Sohn gesandt, den ich als die frohe Botschaft verkünde und lehre, daß in ihm die Menschen (p. 247) Hoffnung haben, er, der allein Mitleid hatte mit der verirrten Welt, damit die Menschen nicht mehr unter dem Gericht seien, sondern Glauben hätten und Gottesfurcht und Erkenntnis der Ehrbarkeit und Liebe zur Wahrheit. Wenn ich nun lehre, was mir von Gott offenbart ist, was tue ich dann für ein Unrecht, Prokonsul?" Als der Statthalter das gehört hatte, gab er Befehl, Paulus zu binden und in das Gefängnis abzuführen, bis er Muße finden werde, ihn gründlicher zu verhören. 5 18 Thekla aber gab in der Nacht ihr Armband, das sie sich abgenommen hatte, dem Türhüter, und als ihr die Tür aufgetan war, ging sie fort in das Gefängnis. Dem Gefängniswärter schenkte sie einen silbernen Spiegel und ging nun zu Paulus hinein, und sie setzte sich ihm zu Füßen und hörte (ihn) die großen Taten Gottes (verkünden) 6. Und Paulus fürchtete nichts, sondern wandelte voller Zuversicht zu Gott. Und ihr Glaube nahm zu, und sie küßte auch seine Fesseln. (p. 248) 19 Als aber Thekla von den Ihrigen und Thamyris vermißt wurde, lief man durch alle Straßen nach ihr, als sei sie verloren gegangen, und einer der Mitsklaven des Türhüters verriet, daß sie nachts hinausgegangen sei. Und sie fragten den Türhüter aus, und er sagte ihnen: "Sie ist zu dem fremden Manne in das Gefängnis gegangen." Und sie gingen hin, wie er ihnen gesagt hatte, und fanden sie, sozusagen mitgefesselt durch ihre Liebe. Und sie gingen von dort hinaus, rissen die Volkshaufen mit sich fort und berichteten dem Statthalter, was geschehen war 7. 20 Und er ließ Paulus vor den Richtstuhl führen. Thekla aber wälzte sich auf der Stelle, wo Paulus lehrte, als er im Gefängnis saß. Der Statthalter ließ auch sie vor den Richtstuhl führen; sie aber ging voller Freude und mit Frohlocken. (p. 249) Als Paulus aber wieder vorgeführt wurde, schrie die Menge noch mehr: "Er ist ein Zauberer, weg mit ihm! 8" Der Statthalter aber hörte den Paulus gern über die heiligen Werke Christi. Und nachdem er beraten hatte, rief er Thekla und sprach: "Warum heiratest du nicht den Thamyris nach dem Gesetz der Ikonier?" Sie aber stand da und schaute unverwandt auf Paulus. Als sie nun nicht antwortete, da schrie Theoklia, ihre Mutter, und rief: "Verbrenne die Gesetzlose, verbrenne die Unglücksbraut mitten im Theater, damit alle Frauen, die sich von diesem haben belehren lassen, .Angst bekommen!" 21 Und der Statthalter hatte viel auszustehen und ließ den Paulus geißeln und zur Stadt hinauswerfen 9, Thekla aber verurteilte er zum Verbranntwerden. Vgl. Mk. 15, 4. • Vgl. 2. MOB. 20, 5. 7 So E F G Lat. Syr. PHeid.
1
2 5 8
Vgl. AG 14, 15 u.a. Vgl. AG 24, 25. Vgl. Lk. 23, 18.
3 6
9
Vgl. Ps. 94, 1. Vgl. Lk.lO, 39; AG2, 11. Vgl. AG 13,50; 14, 19.
3. Paulusakten
247
Und sofort stand der Statthalter auf und ging in das Theater. Und der ganze Volkshaufen zog hinaus zu dem unabwendbaren Schauspiel. Thekla aber suchte, wie ein Lamm in der Wüste nach dem Hirten umherschaut, (p. 250) nach Paulus. Und als sie über die Volksmenge hinwegblickte, sah sie den Herrn in der Gestalt des Paulus sitzen und sagte: "Als ob ich nicht standhaft wäre, ist Paulus gekommen, um nach mir zu sehen." Und sie schaute auf ihn unverwandt; er aber entschwand in den Himmel. 22 Die Jünglinge und Jungfrauen aber brachten Holz und Stroh herzu, damit Thekla verbrannt würde. Wie sie nun nackt hereingeführt wurde, weinte der Statthalter und bewunderte die Kraft, die in ihr war. Die Henkersknechte aber schichteten das Holz auf und befahlen ihr. den Scheiterhaufen zu besteigen. Sie aber stieg auf das Holz, indem sie die Gestalt des Kreuzes machte (d.h. die Arme ausbreitete). Sie aber legten von unten Feuer an. Und obwohl ein mächtiges Feuer aufleuchtete 1, berührte das Feuer sie nicht. Denn Gott hatte Erbarmen und ließ ein unterirdisches Grollen eintreten und von obenher überschattete eine Wolke voll Wasser und Hagel (das Theater) und ihr ganzer (p. 251) Inhalt ergoB sich, so daß viele in Gefahr gerieten und starben und das Feuer ausgelöscht, Thekla aber gerettet wurde. 23 Paulus aber weilte fastend mit Onesiphorus, seiner Frau und seinen Kindern in einer offenen Grabanlage an dem Wege, auf dem man von Ikonium nach Daphne gelangt. Nachdem aber viele Tage vergangen waren, während sie fasteten, sprachen die Kinder zu Paulus: "Wir haben Hunger". Und sie hatten nichts, wovon sie Brote hätten einkaufen können; denn Onesiphorus hatte die weltlichen Dinge verlassen und war dem Paulus mit seiner ganzen Familie gefolgt. Paulus aber zog sein Obergewand aus und sprach: "Gehe hin, mein Kind, (verkaufe dies und) 2 kaufe mehrere Brote und bringe sie her!" Als der Knabe aber beim Einkaufen war, sah er seine Nachbarin Thekla und erschrak und sagte: "Thekla, wohin gehst du ~" Sie antwortete: "Ich bin hinter Paulus her, nachdem ich aus dem Feuer gerettet bin." Und der (p. 252) Knabe sprach: "Komm, ich führe dichzu ihm; denn er seufzt um dich und betet und fastet schon sechs Tage." 24 Als sie aber zu dem Grabe trat, hatte Paulus die Knie gebeugt und betete: "Vater Christi, möge das Feuer Thekla nicht anrühren, sondern stehe du ihr bei, denn sie ist dein!" Sie aber rief hinter ihm stehend: "Vater, der du den Himmel und die Erde gemacht hast 3, du, der Vater deines geliebten Sohnes (Jesus Christus) 4, ich preise dich, daß du mich aus dem Feuer gerettet hast, damit ich Paulus sehe!" Und als Paulus aufstand, sah er sie und sprach: "Gott, du Herzenskundiger 5, Vater unseres Herrn Jesu Christi, ich preise dich, daß du das, worum ich (dich) bat, so schnell (getan hast) und hast mich erhört." 25 Und drinnen in der Grabanlage herrschte große Liebe; und Paulus (p. 253) und Onesiphorus und alle jubelten. Sie hatten aber fünf Brote und Gemüse und Wasser, und sie waren fröhlich über die heiligen Werke Christi. Und Thekla sprach zu Paulus: "Ich will mich rundherum scheren und dir folgen, wohin du (auch) gehst 6." Er aber sprach: "Die Zeit ist böse und du bist schön von Gestalt. Daß nur nicht eine andere Versuchung über dich komme, schlimmer als die erste, und du nicht aushältst und feige wirst!" Und Thekla sagte: "Gib mir nur das Siegel in Christo, und keine Versuchung wird mich ergreifen." Und Paulus antwortete: "Thekla, habe Geduld, und du wirst das Wasser empfangen." 1 3 5
Vgl. Mart. Polyc. 15, 1. Vgl. AG 4, 24; 14, 15. Vgl. AG 1, 24; 15,8.
• Nur in einem Teil der Überlieferung. Nur in einem Teil der Überlieferung; fehlt in PHeid. 6 Vgl. Mt. 8, 19. 4
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
26 Und Paulus entließ den Onesiphorus mit seiner ganzen Familie, nahm Thekla darauf zu sich und kam nach Antiochien. Gleich bei ihrer Ankunft aber wurde ein Syrer 1 mit Namen Alexander, einer der ersten der Antiochener, als er Thekla erblickte, von Liebe zu ihr ergriffen, und suchte Paulus durch Geld und Geschenke zu erbitten. Paulus aber sagte: "Ich kenne die Frau nicht, (p. 254) von der du sprichst; sie ist auch nicht mein." Er aber, der ja ein mächtiger Mann war, umarmte sie einfach auf offener Straße. Sie aber hielt nicht still, sondern sah sich nach Paulus um. Und heftig schrie sie auf: "Tue einer Fremden nicht Gewalt an, tue nicht der Magd Gottes Gewalt an ! Unter den Ikoniern bin ich eine der Ersten, und weil ich den Thamyris nicht heiraten wollte, bin ich aus der Stadt vertrieben." Und sie ergriff Alexander und zerriß ihm das Obergewand, riß ihm den Kranz vom Kopf und machte ihn zum Gespött. 27 Er aber, teils voll Liebe zu ihr, teils voll Scham über das, was ihm geschehen war, führte sie vor den Statthalter, und da sie gestand, daß sie das getan habe, verurteilte er sie zum Tierkampf (, da Alexander Spiele veranstaltete) 2. Die Weiber aber gerieten außer sich und schrieen vor dem Richtstuhl: "Ein übles (p. 255) Gericht! Ein gottloses Gericht!" Thekla aber bat den Statthalter, daß sie unberührt bliebe, bis sie mit den Tieren kämpfen müsse. Und eine reiche Frau, namens Tryphäna, deren Tochter gestorben war, nahm sie in ihre Obhut und fand an ihr Trost. 28 Als nun der Umzug der Tiere stattfand, band man sie an eine wilde Löwin, und die Königin Tryphäna folgte ihr. Und die Löwin leckte, während Thekla oben drauf saß, ihr die Füße, und die ganze Volksmenge geriet außer sich. Ihre Schuld aber lautete in der überschrift 3: 'Tempelräuberin' . Die Frauen aber schrien mit den Kindern VOn oben her und riefen: ,,0 Gott, ein gottloses Gericht 4 geschieht in dieser Stadt!" Und nach dem Umzug nahm Tryphäna sie wieder zu sich. (p. 256) Ihre Tochter o nämlich, die gestorben war, hatte im Traum zu ihr gesprochen: "Mutter, die Fremde, die verlassene Thekla, sollst du an meiner Stelle annehmen, damit sie für mich bete und ich an den Ort der Gerechten versetzt werde." 6 29 Als nun nach dem Umzug Tryphäna sie zu sich nahm, war sie einerseits traurig, weil sie am folgenden Tag mit den Tieren kämpfen sollte, andererseits aber liebte sie sie wie ihre Tochter Falconilla; und sie sprach: "Mein zweites Kind, Thekla, komm bete für mein Kind, daß es lebe; denn das habe ich im Traum geschaut." Sie aber erhob, ohne zu zögern, ihre Stimme und sprach: "Du Gott der Himmel, Sohn des Höchsten 7, verleihe ihr nach ihrem Willen, daß ihre Tochter Falconilla leben möge in (p. 257) Ewigkeit!" Und als Thekla so sprach, trauerte Tryphäna 8, da sie daran dachte, daß solche Schönheit vor die Tiere geworfen werden sollte. 30 Als es Morgen geworden war, kam Alexander, um sie abzuholen, - er selbst nämlich veranstaltete die Tierkämpfe - und sagte: "Der Statthalter hat seinen Platz eingenommen und die Volksmenge ruft lärmend nach uns; gib (sie) heraus, ich will die Tierkämpferin abführen." Try1 Vgl. Gebhardt, S. XCVIII; PHeid: Ein Syrer mit dem Namen Alexander, (der) der Große von Antiochien war, indem er vieles in der Stadt tat unter allen Oberen. Vgl. zu dieser Stelle o. S. 226. 2 In der griechischen Überlieferung ausgefallen, vgl. Gebhardt, S. XCIXf. und PHeid. 3 Vgl. Mk. 15, 26. 4 'Gericht' vielleicht sekundär, vgl. Gebhardt, S. Cf. S Lipsius mit Hs. A: Tochter Falconilla. • Vgl. dagegen 2. Clem. 8, 3. 7 So nach Gebhardt, S. Clf. 8 Gebhardt, S. CI möchte als ursprünglich annehmen: Und als Tryphäna das hörte, trauerte sie.
3. Paulusakten
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phäna aber schrie auf, so daß er floh, indem sie ausrief: "Die Trauer um meine Falconilla kommt zum zweiten Male über mein Haus, und keiner ist, der hilft; weder ein Kind, denn es ist tot, noch ein Verwandter, denn ich bin eine Witwe. Gott Theklas, meines Kindes, stehe der Thekla bei!" 31 Und der Statthalter schickte Soldaten, um Thekla herbeiführen zu lassen. Tryphäna aber trat nicht zur Seite, sondern ergriff sie selbst bei der Hand und geleitete sie mit den Worten: "Meine Tochter Falconilla habe ich (p. 258) zu Grabe geleitet; dich aber, Thekla, geleite ich zum tierkampf." Und Thekla weinte bitterlich und seufzte zum Herrn und sprach: "Herr Gott, dem ich vertraue, zu dem ich meine Zuflucht genommen habe, der mich aus dem Feuer errettet hat, belohne Tryphäna, die mit deiner Magd Mitleid hatte, daß sie mich rein bewahrt hat." 32 Es entstand nun Lärm! und Gebrüll der Tiere und Geschrei des Volkes und der Frauen, die mit dabei saßen, indem die einen riefen: "Führe die Tempelräuberin herein!" - die anderen: "Daß doch die Stadt unterginge wegen dieses Frevels, töte uns alle, Statthalter; klägliches Schauspiel, schändliches Gericht!" 33 Thekla aber wurde den Händen der Tryphäna entrissen und entkleidet und (p. 259) empfing einen Schurz und wurde in die Rennbahn gestoßen. Und Löwen und Bären wurden auf sie losgelassen, und eine wilde Löwin lief auf sie zu und legte sich ihr zu Füßen. Der Haufen der Frauen aber erhob ein großes Geschrei. Und es ging eine Bärin auf sie los; die Löwin aber lief ihr entgegen und zerriß die Bärin. Und wiederum ging ein Löwe auf sie los, der auf Menschen abgerichtet war und Alexander gehörte. Und die Löwin verbiß sich mit dem Löwen und kam mit ihm um. (p. 260) Lauter aber klagten die Frauen, weil auch die Löwin, die ihr beistand, tot war. 34 Da ließen sie viele Tiere herein, während sie dastand und die Hände ausgebreitet hatte und betete. Als sie aber ihr Gebet beendet hatte, wandte sie sich um und sah eine große Grube voll Wasser und sprach : "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mich zu waschen." Und sie stürzte sich selbst hinein mit den Worten: "Im Namen Jesu Christi taufe ich mich am letzten Tage!" Als das die Frauen und das ganze Volk sahen, weinten sie und riefen: "Stürze dich nicht selbst ins Wasser!" Sogar der Statthalter vergaß Tränen, weil soviel Schönheit von den Robben gefressen werden sollte. Sie also stürzte sich (p. 261) ins Wasser im Namen Jesu Christi; die Robben aber sahen den Glanz eines Blitzes und schwammen tot an der Oberfläche. Und um sie herum war eine Wolke von Feuer, so daß weder die Tiere sie anrühren konnten noch sie in ihrer Nacktheit gesehen werden konnte. 35 Als aber andere schreckliche Tiere losgelassen wurden, klagten die Frauen, und die einen warfen Grünes, die anderen Narde, andere Zimt und andere Amomum hinab, so daß eine Menge Spezereien dort waren. Alle losgelassenen Tiere aber waren wie vom Schlaf befangen und rührten sie nicht an. Daher sagte Alexander zum Statthalter: "Ich habe sehr wilde Tiere, an die wollen wir die Tierkämpferin binden." Verdrießlich gestattete es (p. 262) der Statthalter und sagte: "Tue, was du willst." Und man band sie mit den Füßen mitten zwischen die Stiere und legte unter deren Geschlechtsteile glühend gemachte Eisen, damit sie noch mehr gereizt (würden und) sie töten sollten. Die nun sprangen zwar; aber die ringsum lodernde Flamme brannte die Stricke durch, und sie war, als ob sie nicht gebunden wäre. 36 Tryphäna aber fiel in Ohnmacht, während sie bei der Arena stand, so daß die Dienerinnen sagten: "Die Königin Tryphäna ist gestorben." Und der Statthalter merkte auf und die ganze Stadt wurde bange. Und Alexander fiel dem Statthalter zu Füßen und rief: (p. 263) "Habe Erbarmen 1
Vgl. Mart. Polye. 8, 3.
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mit mir und mit der Stadt und laß die Tierkämpferin frei, damit nicht auch die Stadt mit zugrunde gehe! Denn wenn der Kaiser dies hört, wird er wahrscheinlich mit uns auch die Stadt verderben, weil seine Verwandte Tryphäna 1 am Zirkustor gestorben ist." 37 Und der Statthalter ließ Thekla mitten aus den Tieren heraus rufen und sprach zu ihr: "Wer bist du und was hat es mit diraufsich, daß auch nicht eines von den Tieren dich anrührte~" Sie antwortete: "Ich bin eine Dienerin des lebendigen Gottes; was es aber mit mir auf sich hat: Ich habe an den geglaubt, an dem Gott Wohlgefallen hatte, an seinen Sohn. a Um seinetwillen hat mich keines von den Tieren angerührt. Denn er (p. 264) allein ist das Ziel der Rettung und die Grundlage unsterblichen Lebens. Ist er doch für die, die vom Sturm geplagt sind, eine Zuflucht, für Bedrängte Erquickung 3, für Verzweifelte Schutz, mit einem Wort: wer nicht an ihn glaubt, wird nicht leben, sondern tot sein in Ewigkeit." 38 Als der Statthalter das hörte, ließ er Kleider herbeibringen und sprach: "Ziehe die Kleider an!" Sie aber antwortete: "Der mich bekleidet hat, als ich nackt unter den Tieren war, der wird mich am Tage des Gerichts mit Heil bekleiden." Und sie nahm die Kleider und zog SIe an. Und sogleich gab der Statthalter eine Verfügung heraus des Inhalts: "Thekla, die fromme Dienerin Gottes gebe ich euch los." Die Frauen aber schrien alle mit lauter Stimme und lobten Gott wie aus einem Munde und sprachen: "Einer ist Gott, der Thekla gerettet hat", sodaß von dem Schreien die ganze Stadt erbebte (p. 265) 39 und Tryphäna, als sie die frohe Botschaft vernahm, mit der Volksmenge ihr entgegenkam und Thekla umarmte und sprach: "Jetzt glaube ich, daß die Toten erweckt werden! Jetzt glaube ich, daß mein Kind lebt! Komm herein, und alles, was mein ist, will ich dir vermachen." Thekla ging nun mit ihr hinein und ruhte sich in ihrem Hause acht Tage aus und unterrichtete sie im Worte Gottes, so daß auch von den Dienerinnen mehrere zum Glauben kamen und in dem Hause große Freude herrschte. (p. 266) 40 Thekla aber sehnte sich nach Paulus und suchte ihn, indem sie überall herumschickte. Und es wurde ihr mitgeteilt, er sei in Myra. Da nahm sie Diener und Dienerinnen, gürtete sich und nähte ihr Gewand zu einem Oberkleid nach Männerart, und sie kam in Myra an und fand Paulus, wie er das Wort Gottes verkündete, und trat zu ihm. Er aber erschrak, als er sie sah, und die Menge bei ihr, da er daran dachte, ob ihr nicht eine andere Versuchung nahe sei. Sie aber bemerkte es und sprach zu ihm: "Ich habe das Bad genommen, Paulus; denn der mit dir zusammen gewirkt hat für das Evangelium, hat auch mit mir zusammen gewirkt, (mich) zu waschen." (p. 267) 41 Und Paulus ergriff sie bei der Hand und führte sie in das Haus des~Hermias und hörte von ihr alles (, was sich ereignet hatte), sodaß Paulus sich sehr wunderte und die Hörer gestärkt wurden und für Tryphäna beteten. Und Thekla stand auf und sprach zu Paulus: "Ich gehe nach Ikonium." Paulus aber antwortete: "Gehe hin und lehre das Wort Gottes!" Tryphäna nun sandte ihr viele Gewänder und Gold, so daß sie (davon) Paulus zurücklassen konnte für den Dienst an den Armen. (p. 268) 42 Sie selbst aber zog nach Ikonium und trat in das Haus des Onesiphorus und warf sich auf den Boden, wo Paulus gesessen und die Worte Gottes gelehrt hatte, und sie weinte und sprach: "Mein Gott ~d Gott dieses Hauses, wo 1
S
Lipsius: Tryphäna, die Königin. Aber wohl sekundärer Zusatz, vgl. Gebhardt, S. CIV. Vgl. Mk. 1, 11 Par. 3 Vgl. 2. ThesB. 1,7.
3. Paulusakten
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mir das Licht aufleuchtete, Christus Jesus, Gottes Sohn, mein Helfer im Gefängnis, Helfer vor Statthaltern, Helfer im Feuer, Helfer unter den Tieren, du selbst bist Gott und dir sei Ehre in Ewigkeit, Amen." (p. 269) 43 Und sie fand Thamyris gestorben, ihre Mutter aber noch am Leben; und sie rief ihre Mutter und sprach zu ihr: "Theoklia, meine Mutter, kannst du glauben, daß ein Herr im Himmel lebt? Denn ob du nach Geld und Gut verlangst, der Herr wird es dir durch mich geben, oder nach deinem Kinde, siehe, ich stehe an deiner Seite." Und als sie solches Zeugnis abgelegt hatte, ging sie fort nach Seleukia; und nachdem sie viele durch das Wort Gottes erleuchtet hatte, entschlief sie eines sanften Todes.
4. (Paulus in Myra) [PHeid S. 28-35]
(Als er herausgegangen war aus) Antiochia (und er lehrte in) Myrrha (s. 28) Als Paulus (lehrte) in Myra das Wort Gottes, da (war) ein Mann mit Namen Hermokrates, der wassersüchtig war. Der stellte sich vor aller Augen hin und sagte zu Paulus: "Nichts ist unmöglich bei Gott 1, besonders aber (bei) dem, den du verkündigst; als er nämlich gekommen ist, hat er, dessen Diener du bist, viele geheilt 2 • Siehe, ich und meine Frau (und) meine Kinder, (S. 29), wir werfen uns (dir) zu Füßen, ( ...... ), damit auch ich gläubig werde, (wie) du gläubig geworden bist an den lebendigen Gott 3 ." (Paulus) sprach zu ihm: "Ich werde dir geben ( ...... ) ohne Lohn, sondern (durch den) Namen Jesu Christi wirst du werden (gesund im Angesicht) von allen diesen. 4" Die nächsten Sätze sind schlecht erhalten. Es wird wohl die Heilung beschrieben. Der Mann verliert viel Wasser und fällt wie tot um .
. . . sodaß einige sagten: ,,(Es ist) nützlich für ihn, daß er stirbt, damit (er nicht) in Schmerzen sei." Als Paulus aber die Menge beruhigt hatte, (ergriff) er seine Hand, richtete ihn auf und befragte ihn, (indem er) zu ihm sagte: "Hermokrates ( ...... ), was du willst". Er aber sprach: "Ich will essen." 5 (Und) er nahm ein Brot und gab (es) ihm, damit er (es) äße. Er wurde gesund in jener Stunde und empfing die Gnade des Siegels im Herrn, er mit seiner Frau. Hermippus aber, sein Sohn, war zornig (auf) Paulus und suchte nach einer festgesetzten Zeit (guten Gelegenheit?), daß er mit seinen Altersgenossen sich aufmache, um ihn zugrunde zu richten. Denn er wünschte nicht, daß sein Vater geheilt würde, sondern (S. 30) (daß) er sterbe, damit (er) schnell über sein Vermögen Herr würde .. Dion, aber, sein jüngerer (Sohn) hörte den Paulus gern. Das Folgende ist schlecht erhalten. Inhalt ist wohl: Die Freunde des Hermippus beratschlagen, wie sie Paulus umbringen können. Dion fällt herunter und stirbt. Hermokrates klagt sehr, vergißt aber über der Predigt des Paulus, daß Dion gestorben ist. Vgl. Mk. 10,27 Par. Vgl. 1. Thess. 1, 9; AG 14,15 u.a. • Vgl. AG 3, 6.
1
2
V gl. z. B. Mt. 15, 29-31.
6
Vgl. Mk. 5,43.
3
252
XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhundert8
Deshalb, weil Dion gestorben war, zerriß seine Mutter Nympha . 2 Vgl. 2. Tim. 2, 18. 4 PBodm: von den anderen gehört; aber doch wohl sekundäre Kürzung. 5 Vgl. 1. Kor. 11,2. 6 PBodm läßt aus: solches. Vgl. Phi!. 1,24. 7 und 8 zeigen in der Überlieferung viele Varianten. 16 Vgl. 2. Tim. 4, 9. 2 3 Vgl. Phil. 1,23; 2,27.
259
3. Paulusakten
müssen, wie) die Geräte (Machenschaften?) des Bösen voranlaufen!" schrieb Paulus unter Leiden den (folgenden) Brief.
5
Und so
(Brief des Paulus an die Korinther)
3 1 Paulus, der Gefangene J esu Ohristi, an die Brüder in Korinth - Gruß! 2 Während ich in vielen Bedrängnissen bin, wundere ich Inich nicht, wenn so schnell die Meinungen des Bösen Boden gewinnen. 3 Denn (mein) Herr Jesus Ohristus wird schnell kommen, da er verworfen wird von denen, die seine Worte verfälschen. 4 Ich habe euch ja im Anfang überliefert, was ich von den Aposteln vor mir empfangen habe, die allezeit Init dem Herrn Jesus Ohristus zusammengewesen waren, 5 nämlich daß unser Herr Jesus Ohristus von Maria aus dem Samen Davids geboren ist, indem der heilige Geist aus dem Himmel vom Vater in sie herabgesandt war, 6 daInit er in die Welt käme und alles Fleisch durch sein eigenes Fleisch erlöse und daInit er uns Fleischliche von den Toten auferwecke, wie er selbst sich als Urbild erwiesen hat. 7 Und weil der Mensch von seinem Vater geschaffen ist, 8 deswegen wurde er auch, als er verloren gegangen war, gesucht, auf daß er lebendig gemacht würde durch die Annahme zur Kindschaft. 9 Denn der allmächtige Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, sandte zuerst die Propheten den Juden, daß sie ihren Sünden entrissen würden; 10 er hatte nämlich beschlossen, das Haus Israel zu retten, deshalb sandte er einen Teil vom Geiste Ohristi in die Propheten, welche die irrtumslose Gottesverehrung verkündeten zu vielen Zeiten. 11 Aber da der Fürst, der ungerecht war, selbst Gott sein wollte, legte er Hand an sie und tötete sie, und so fesselte er alles Fleisch der Menschen an die Begierden (an seinen Willen, und die Vollendung der Welt trieb dem Gericht entgegen). 12 Aber Gott, der Allmächtige, der gerecht ist und sein eigenes Geschöpf nicht verstoßen wollte, 13 sandte den (heiligen) Geist (durch Feuer) in Maria, die Galiläerin, 14 die von ganzem Herzen glaubte, und sie empfing im Leibe den heiligen Geist, daInit in die Welt Jesus einträte, 15 damit der Böse, durch dasselbe Fleisch, durch das er sein Wesen trieb, besiegt, überführt wurde, daß er nicht Gott sei. 16 Denn durch seinen eigenen Leib hat Jesus Ohristus alles Fleisch gerettet (und zum ewigen Leben geführt durch den Glauben), 17 indem er den Tempel der Gerechtigkeit darstellte in seinem Leibe, 18 durch den wir erlöst sind. 19 Sie sind also nicht Kinder der Gerechtigkeit, sondern Kinder des Zorns, die sie die Vorsehung Gottes zurückstoßen, indem sie (fern vom Glauben) behaupten, Himmel und Erde und alles, was in ihnen ist, seien nicht Werke des Vaters. 20 Sie selbst sind also Kinder des Zorns, denn sie haben den verfluchten Glauben der Schlange. 21 Von 5 Vgl. 2. Kor. 2, 4. 1 Vgl. Eph. 3, 1; Philm. 9. 2 Vgl. 2. Kor. 2, 4. Gal. 1,6. 3 PBodm. läßt aus: mein. 4 Vgl. 1. Kor. 15,3; Gall, 17; Ag 1,2lf. 5 Vgl. Rm. 1,3. 6 Vgl. 1. Tim. 1, 15. 8 Vgl. Rm. 8, 15.23; 9,4; Gal. 4, 5; Eph. 1,5. - Nach v. 8 in Mund P längerer Zusatz, der mit v. 15/16 übereinstimmt. 11 Vgl. 2. Thess. 2, 4. - Der Schluß des Verses ist sekundärer Zusatz in MB P A. 13 M P A: heiligen, aber wohl sekundärer Zusatz. PBodm: durch Feuer. 14 Vgl. Luk. 1,45. V. 14 nur in M P B A. 16 Schluß ist Zusatz in PA, ähnlich in B. 19 Vgl. Eph. 2, 3. - M: fern vom Glauben. 3
17*
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
denen wendet euch ab und vor ihrer Lehre fliehet! (22 Denn ihr seid nicht Söhne des Ungehorsams, sondern der geliebtesten Kirche. 23 Deswegen ist die Zeit der Auferstehung gepredigt worden). 24 Die euch aber sagen, es gäbe keine Auferstehung des Fleisches, für die wird es keine Auferstehung geben, 25 die nicht an den so Auferstandenen glauben. 26 Denn, ihr Korinther, nicht wissen sie Bescheid über das Säen von Weizen oder anderen Samen, daß sie nackt in die Erde geworfen werden und wenn sie vergangen sind, stehen sie wieder auf nach dem Willen Gottes als ein Leib und bekleidet. 27 Und nicht allein wird der Leib, der (in die Erde) geworfen ist, auferweckt, sondern (auch) vielfältig gesegnet. 28 Und wenn man nicht nur von den Samenkörnern das Gleichnis hernehmen darf, (sondern von edleren Leibern), 29 so wißt ihr ja, daß Jona, des Amathios Sohn, da er den Niniviten nicht predigen wollte, (sondern geflohen war,) von einem Walfisch verschlungen wurde, 30 und nach drei Tagen und drei Nächten hat Gott das Gebet des J ona aus der tiefsten Hölle erhört und nichts von ihm wurde verdorben, weder ein Haar noch ein Augenlid. 31 Um wieviel mehr wird er euch, ihr Kleingläubigen, die ihr an Christus geglaubt habt, auferwecken, wie er selbst auferstanden ist. 32 Und wenn ein auf die Gebeine des toten Propheten Elisa von den Kindern Israels geworfener Körper eines Menschen auferstand, so werdet auch ihr, die ihr auf den Körper und die Gebeine und den Geist des Herrn geworfen seid, an jenem Tage auferstehen mit unversehrtem Leibe. 34 Wenn ihr nun etwas anderes aufnehmt, so fallt mir nicht zur Last; 35 denn ich habe diese Fesseln an mir, daß ich Christus gewinne, und seine Wundmale an meinem Leibe, daß ich gelange zur Auferstehung von den Toten. 36 Und wer immer in dieser Regel, die er durch die seligen Propheten und das heilige Evangelium empfangen hat, bleibt, wird Lohn empfangen, (und wenn er von den Toten aufersteht, das ewige Leben erlangen). 37 Wer aber hiervon abweicht, - Feuer gibt es für ihn und für die, welche darin vorangegangen sind, 38 die da sind Menschen ohne Gott, Otterngezücht; 39 von denen wendet euch ab in der Kraft des Herrn, 40 und Friede, (Gnade und Liebe) wird mit euch sein. Amen. Zwischen dem III Kor und dem Abschluß der Philippi-Episode ist eine Lücke, deren Länge nicht zu bestimmen ist. Auf PHeid S. 41 sind von den ersten Zeilen nur die Namen Longinus und Paulus zu lesen. Offenbar redet Longinus, der Vater der Phrontina.
(S. 41) ... nicht ist irgend etwas Gutes (geschehen) meinem Hause". (Und) er beriet sich, daß ( ... ), die herab(werfen sollte) Phrontina, (seine) Tochter, (auch) den Paulus (mit) ihr lebendig herabwerfe. Paulus aber wußte um die (Sache), aber 22 Vgl. Eph. 2,2. - V. 22/23 nur in M P B A. 26 Vgl. 1. Kor. 15, 37; J oh. 12, 24f. 27 nach PBodm übersetzt. 28 Schluß in M P B A. 29 M P: sondern geflohen war. - V. 29/30 vgl. Mt. 12,40 Par. 31 Vgl. Mt. 6, 30 Par.; Rm. 6,4. 32 Vgl. 2. Kön. 13, 21ff. - Nach v. 32 in M P A längerer Zusatz (= v. 33). 34 Vgl. Gal. 6, 1135 Vgl. Phil. 3, 8; Gal. 6, 17; Phil. 3, 11. 36 Vgl. Gal. 6, 16; 1. Kor. 3, 14. - Schluß des Verses Zusatz in M P B A_ 38 Vgl. Mt. 3, 7 u.a. 40 M P: Gnade und Liebe.
3. Paulusakten
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er arbeitete und fastete in großer Freudigkeit zwei , Vielheit" und Bewegung 4 sind, und die Realisierung des eigentlichen Seins in der Hinkehr zum Einen, zu Gott. Diese Gedanken entsprechen genau der Zielsetzung des mittleren Platonismus, dem der Verfasser von allen philosophischen Richtungen der Zeit am nächsten steht. Von den Voraussetzungen dieser Philosophie her ist auch die enkratitische Tendenz der AA zu verstehen. Philosophie ist, wie der Schulplatoniker Alb in 0 s definiert, Ävate; "ai neetaywyij 1pvxfje; ano aWflaTOe; (didasc. 1, ed. Hermann, Plat. dial. VI, S. 152). Von der platonischen Schulphilosophie her fällt auch Licht auf die eigenartigen Spekulationen über das Kreuz (Mart. 1,14). Die Vorstellung vom Kreuz als Symbol des Logos geht letztlich auf die platonische Vorstellung vom Chi der Weltseele zurück 5; vgl. Platon (Tim. VIII, S. 36b): TaVTt}V o-&v TijV ~vaTaaw nrlaav i5mÄfjv "aTa flfj"Oe; axlaae; (sc. der Demiurg) flea'f}v neoe; flea'f}v i"aTeeav aÄÄ'ljÄate; oiov Xi neoaßaMw "ad"afl'lpeV. Dem Kreuz, das in den AA den 'himmlischen Logos' symbolisiert (Laud., S. 346,19), wird die Funktion eines den ganzen Kosmos umfassenden einheitgebenden Prinzips zugeschrieben. Es erstreckt sich durch den ganzen Kosmos, um "das Unstete zu befestigen" (S. 54, 23f., Bonnet); es "bringt den Kosmos zusammen" (S. 55, 2) und "bindet den Kosmos in seinem Umfang" (S. 55, 7f.). Das sind Gedanken, die aus der stoischen Lehre vom Logos stammen, dem Verfasser aber, wie wir annehmen dürfen, durch die Vermittlung der Platoniker bekannt wurden, die die Züge des stoischen Logos auf die Weltseele übertrugen. Vgl. die Ausführungen des Albinos, didasc. 14 (Hermann, S. 170): Tfje; i5e 1pvxfje; Ta{}ela'f}e; e" TOV fleaov eni Ta neeaTa, avveß'f} aVTijv TO aWfla TOV ,,6afl0tJ "v"Äcp i5ta nanoe; neetiXew "ai neet"aÄv1pat, maTe iJÄcp Ti[> ,,6aflcp aVTijv naee"Teivat "ai TOVTCP Ti[> Te6ncp aVTOv avvi5eiv Te "ai avveXeW. Ähnlich äußert sich Attikos nach Euseb, praep. ev. XV, 12, 3 (Mras, GCS 43, 2, S. 375, 18) über die Weltseele: Sie ist i5t'lj"ovaa i5ta TOV nanoe; "ai navTa avvi50vaa "ai avvexovaa. Die hier zutage tretende, für den mittleren Platonismus charakteristische Verbindung platonischer und stoischer Gedanken ist gleichfalls für die AA kennzeichnend. 1 S. 41, 25; 42,23; 43,25; 45,2.17.22 (Bonnet). Der Begriff stammt aus der Philosophie. Er bezeichnet in der Stoa alles dem Logos Entgegengesetzte und nicht Gemäße, m. 3.. W. alles Feindliche und Fremde, dem der Mensch ausgesetzt sein kann. • Von den Menschen wird gesagt, daß sie ev "a"oie; Toie; neoa"aleote; i5tayovat, Teen6fleVOt "wie; emßÄaßeaw aVTwv rpav-raalate; (S. 44, 7f.). Daß das Unheil in den falschen Vorstellungen (rpanaalat) wurzele, ist auch die Überzeugung der Stoiker; vgl. z.B. bei Diog. Laert. (Stoic. veto frag. 11, 130 Arnim): maTe ele; a"oafllav "ai el"at6T'f}Ta Teenea{}at TOVe; ayvflvaaTOVe; exovTae; Tae; rpav-raalae;. 3 S. 38, 16: .a noÄÄa aneaTeaflfle{}a. Die Christen sind TOV iv6e;. Das Begriffspaar Ta noÄÄa - TO Ilv stammt aus der Sprache der Philosophie. Der Vielheit und Mannigfaltigkeit der sinnlichen Welt wurde seit Parmenides die Einheit und Einzigartigkeit des wahren Seins gegenübergestellt. 4 Die Bekehrten können nunmehr bekennen: ov" eaflev "w'ljaewe; TeXV'f} (S. 38, 8f.). Die Welt bietet dagegen das Bild eines unablässigen Werdens und Vergehens. Sie ist auch nach geläufiger philosophischer Weltbetrachtung dem Wechsel und der Bewegung unterworfen. Das Wesen des wahren Seins ist dagegen die Beharrung. S Vgl. W. Bousset, PlatonsWeltseele und das Kreuz Christi, ZNW 14,1913, S.280f. 18 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Daß der Dualismus der AA. nicht gnostisch verstanden werden darf, ergibt sich mit aller wünschenswerten Sicherheit aus dem Zitat bei Augustin, De Actis cum Felice manichaeo H, 6 (CSEL 25, 2 Zycha, S. 833, 13-17) 1: "Etenim speciosa figmenta et ostentatio simulata et coactio visibilium nec quidem ex propria natura procedunt, sed ex eo homine, qui per se ipsum deterior efjectu8 est, per seductionem" 2. E. Peterson hat auf die engen Berührungen mit der Theologie Tatians aufmerksam gemacht 3. Die Näbe der AA zu Tatian zeigt sich inder Wendung TO TOV A6yov tpwq; i/JsiX{}I]4, ferner in der Epiphanie des Christus als puerulus 8pecio8us s. Das Motiv von dem als Kind bzw. Jüngling und als Lichtglanz 6 epiphan werdenden Christus, das die AA. mit den Paulusund Thomasakten gemeinsam haben, findet, wie E. Peterson gezeigt hat (a.a.O., passim), seine Erklärung durch einen Vergleich mit verwandten Gedanken Tatians. Wenn Jesus als Kind erscheint, so erscheint er als der in vollkommener Unschuld und Reinheit lebende Adam vor dem Fall im Paradies 7. Die Erlösung besteht mithin in der Restitution des durch den Sündenfall verlorenen paradiesischen Zustandes. Um dasselbe Thema - um die Wiederherstellung des Zustandes vor dem Fall- geht es Tatian in der Oratio ad Graecos 8 • Der Sündenfall ist für Tatian 9 wie für die AA. ein Ereignis, das der Schöpfung folgt und ohne kosmologische Bedeutung ist. Für beide vollzieht sich die Erlösung als Selbsterkenntnis 10, als Absage an die Materiell und als Kampf gegen die Dämonen 12. Beide vertreten einen rigorosen Enkratismus, der nicht aus gnostischen Voraussetzungen abgeleitet ist 13 • Der religiöse und theologische Charakter der AA. ist trotz gewisser Berührungen mit gnostischen Ausdrucksformen nicht durch die Gnosis, sondern entscheidend durch Gedan1 Das Stück, das Augustin "in actibus scriptis a Leucio" fand uud das auch Evodius mit geringen Abweichungen zitiert (De Fide contra Manichaeos c. 5), ist den AA. mit großer Wahrscheinlichkeit zuzurechnen. 2 Ähnlich der seit jeher als Gnostiker mißverstandene Tatian; vgl. Oratio ad Graec.ll, 6 (ed. Schwartz, TU 4, 1, S. 12, 15f.): OVOBV tpav AOV -Uno TOV {hov nSnOi'l]Ta!, TnV nOV'I]l2iav ijpeiq; dvc/Jsi~aftev. 3 Frühkirche, Judentum und Gnosis, 1959, S.202ff. (in dem Aufsatz "Bemerkungen zum Hamburger Papyrus.Fragment der Acta Pauli", S.183ff.). Die Beobachtung Petersons betrifft sämtliche fünf Hauptakten, interessiert uns aber in diesem Zusammenhang nur im Blick auf die AA. 4 S. 45,15 (Bonnet); vgl. E. Peterson, a.a.O., S. 206, Anm. 86. In der Dunkelheit der Seele wirkt der A6yoq; nach Tatian (Or. ad Grac. 13,3 (Schwartz, S.14, 20)) als TO TOV {}sov
tpw~.
Nach Evodius, De Fide 38 (Zycha, S. 969, 1). Specio8u8 dürfte die Bedeutung glänzend haben. Dem puerulus speciosus der AA. entspricht der veavia1eoq; • • • q:aivwv der Acta Pauli nach dem Hamburger Fragment (C. Schmidt, n(!a~ctq; navAov, Acta Pauli. Nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, 1936, S. 34, 28). Zu Jesus als Lichtglanz vgl. E. Peterson, a. a. 0., S.193ff. 7 Vgl. E. Peterson, S. 195f. B Vgl. M. Elze, Die Theologie Tatians, 1960 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengesch. 9), S. 85. 9 Vgl. Elze, S. 85. 10 Für die AA. vgl. S. 42, 3; 44, 15f. (Bonnet); zu Tatian vgl. Elze, S. 96. 11 Für die AA. vgl. S. 43, 30f. (Bonnet); zu Tatian vgl. Elze a.a.O. 12 Für die AA. konzentriert sich die Macht des Dämonischen, gegen die die Gläubigen einen immerwährenden Kampf zu führen haben, in der Gestalt des Teufels; darüber vgl. Flamion, S. 150ff.; zu Tatian vgl. Elze a.a.O. 13 Die oben erwähnte Untersuchung von Elze hat ergeben, daß die Theologie Tatians in ihrer Grundkonzeption auf der Anwendung mittelplatonischer AnschaLungen auf das Christentum beruht. 6
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4. Andreasakten
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ken hellenistischer Philosophie geprägt!. Besonders eng sind die Berührungen mit der Theologie Tatians. 4. HEIMAT UND ENTSTEHUNGSZEIT. Übereinstimmung ist in der Datierungsfrage noch nicht erzielt worden. J. Flamion (S.268) sieht auf Grund der von ihm aufgewiesenen vermeintlichen Berührungen mit dem Neuplatonismus in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts die Entstehungszeit der Akten. Während James (S.337) und Dvornik 2 dieser These zustimmen, will Quispel - sicherlich mit Recht - die AA vor 200 datieren 3. Erik Peterson setzt für die Andreas-, Johannes- und Thomasakten ein gemeinsames enkratitisches Milieu voraus' und meint, daß sie "in der Zeit entstanden sind, da die Sekte der Enkratiten entstand oder bekannt wurde, d.h. unter Hadrian 117-138"5. Jedenfalls lassen es die gegenseitige Übereinstimmung in der religiösen Symbolik, die zum Teil sehr weitgehende Ähnlichkeit der Ideen und des sprachlichen Ausdrucks und gewisse auffallende Analogien der Umstände und Situationen·, die auf enge Beziehungen zu den anderen Akten schließen lassen, untunlich erscheinen, die AA von diesen in der Datierung allzu weit abzurücken. Sich auf die Zeit Hadrians festzulegen, wäre indes zu gewagt. Eher dürfte man in dieser Zeit den ungefähren terminus a quo der Abfassung sehen. Als terminus ad quem kann man wohl die Entstehungszeit der Acta Pauli ansehen, - vorausgesetzt, daß die von Quispel (S. 145ff.) aufgewiesenen engen Berührungen zwischen den Andreasund Paulusakten als Abhängigkeit dieser von jenen zu deuten sind. Daß der Verfasser der Paulusakten ältere Apostelgeschichten benutzt hat, ist für die Petrusakten von C. Schmidt' gezeigt und für die Thomasakten von E. Peterson (a.a.O., S. 199f.) zumindest als sehr wahrscheinlich erwiesen worden. So ist es jedenfalls das Sicherste, wenn wir auch die Berührungen zwischen den AA und den Paulusakten auf eine Benutzung der ersteren durch den Verfasser der letzteren zurückführen. Die Abfassung der Paulusakten wird von C. Schmidt (a.a.O., S. 107) auf 190-200 datiert. Dieser Zeitraum bildet also den - freilich ungenauen - terminus ad quem der Abfassung unserer Akten, welche nach alledem in der Zeit zwischen ca. 120 und ca. 200 entstanden sein müssen. Dabei ist es sicherlich ratsam, die Abfassung nicht allzu früh innerhalb dieses Zeitraumes anzusetzen, zumal wir kaum berechtigt sind, die AA von den Acta Petri, die von C. Schmidt um 180-190 datiert werden (a.a. 0., S. 130), um mehrere Dekaden abzurücken. Die engen sachlichen und stilistischen Beziehungen zwischen den AA und den Acta Petri verlangen es vielmehr, die Entstehung der AA in die zweite Jahrhunderthälfte zu datieren, wobei wir wohl nicht über 190 hinausgehen dürfen. 1 Vgl. Flamion, S. 157: "Ce qui apparait d'une fa90n evidente, c'est la profonde influence qu'elle (scil. die Lehre der AA) a subie de la philosophie regnante du commencement de l'empire. " 2 S. 193. Dvornik macht S. 212ff. zugunsten dieser Datierung geltend, daß Achaea nach der Auskunft des monarchianischen Prologs zum Lukasevangelium das Missionsgebiet des Lukas war. Diese Nachricht wird von Hieronymus (Migne PL 26, Sp. 18) bestätigt. In der ältesten Achaea betreffenden Tradition ist von Andreas keine Rede. Diese Tatsache beweist nach Dvornik, daß die AA, die das Aufkommen der neuen Tradition über Andreas' Wirksamkeit in Achaea verursacht haben, erst nach Origenes, der diese Tradition noch nicht kannte, und zwar gegen Ende des dritten Jahrhunderts habe entstehen können. - Der Beweis ist schwerlich gelungen. 3 S.142. 4 Epiphanius, Pan. haer. 47, 1,5 (Holl II, GCS 31, S. 216) teilt uns mit, daß diese drei Akten bei den Enkratiten in Gebrauch waren. (; A.a.O., S.211 (in dem Aufsatz "Beobachtungen zu den Anfängen der christlichen Askese", S.209-220). • Dazu vgl. E. Petersons oben erwähnter Aufsatz "Bemerkungen zum Hamburger Papyrus-Fragment der Acta Pauli", S. 183ff. , C. Schmidt, II(!a~Bt, IIavAov, Acta Pauli, S. 127-130.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Der Ort der Abfassung ist nach Flamion (S.266f.) Achaea. Dafür spräche die fast ausschließliche Verwendung griechischer Namen durch den Verfasser. Doch braucht daraus nicht auf Griechenland als Entstehungsort geschlossen zu werden. Die Frage nach der Heimat des Verfassers scheint mir einstweilen unbeantwortbar zu sein 1. 5. UMFANG UND INHALT. Die AA - in ihrer Originalfassung sicher die umfangreichsten im Verhältnis zu den anderen Hauptakten - bestanden aus zwei Hauptteilen: dem Reisebericht" und dem Martyrium". Daß die "Akten des Andreas und Matthias" sowie die "Akten des Petrus und Andreas" nicht zu den AA gehört haben, sondern jüngeren Datums sind, ist seit Flamion unbestritten (S. 310ff.). Für die Wiederherstellung des Erzählungsfadens maß Flamion dem Liber de Miraculis Beati Andreae Apostoli des Gregor von Tours größten Wert bei. Als Vorlage diente Gregor, wie er in seiner Einleitung mitteilt, ein Buch De virtutibus S. Andreae, das von vielen auf Grund seiner Weitschweifigkeit als apokryph betrachtet wurde'. Das Buch des Gregor ist eine Epitome, die er unter Ausscheidung aller häretischen Elemente und unter Beschränkung auf eine Auswahl von Wundern 5 hergestellt hat. Ab c. 3 berichtet Gregor von einer Reise des Apostels von Pontus nach Achaea. Diese Reise, die dem Apostel Gelegenheit zur Vollbringung vieler Wunder gibt, führt durch die Städte Amasea, Sinope, Nicaea und Nicomedia über Byzanz und durch Thrakien nach Perinthus (an der thrakischen Küste), weiter nach Macedonien (Philippi und Thessalonich) und schließlich nach Patrae in Achaea, dem Reiseziel. Daß es tatsächlich die alten AA waren, die dem gallischen Bischof - sei es in einer Bearbeitung, sei es in ihrer ursprünglichen Fassung - als Vorlage gedient haben, ist nicht zu bezweifeln, denn Philastrius (s. 0.) bestätigt uns ja, daß die Wunder, die A. auf der Reise von Pontus nach Griechenland vollbracht habe, den Inhalt der AA bildeten. Wir gewinnen freilich mit der Epitome des Gregor von Tours zunächst nichts weiter als ein Gerippe. Würden wir sie in dieser Form als Bestandteil der alten AA ansprechen, so ergäbe sich ein falsches Bild; jedenfalls ist "für den eigentümlichen Tenor der alten Akten, den wir aus dem Stücke Cod. Vatic. 808 kennen ... , aus den mageren Wunderberichten des gallischen Bischofs nicht viel gewonnen" 6. Die aus dem erwähnten Text 1 Auch über die Person des Verfassers läßt sich nichts sagen. Über die Leucius·Frage vgl. Schäferdiek, o. S. 121 ff. Innozenz 1. (402-417) erwähnt in einem Brief an den Bischof von Toulouse die "sub nomine Andreae" verfaßten Akten, "quae a Xenocharide et Leonida philosophis ... " (bei H. Wurm, Apollinaris 12, 1939, S. 77). Die Angabe ist ohne Wert, vgl. R. A. Lipsius 2, 2, S. 430; Handb., S. 546; Flamion, S. 163, Anm. I; Dvornik, S. 188, Anm.24. Dvornik hält es für möglich, daß es sich um die Namen zweier in der ursprünglichen Fassung der Akten erwähnter Personen handelt, die zu den von Andreas bekehrten Heiden gehörten und später in bestimmten Kreisen als die Verfasser der Akten angesehen wurden. • Blumenthais Versuch, S. 46f., Notizen aus der Lebenszeit Jesu in Narratio und Laudatio den AA zuzuweisen, scheitert an Gregor, dessen Vorlage mit dem Aufbruch von Pontus nach Griechenland begann. " Der Gang des Martyriums wird von Gregor nur eben angedeutet (c. 36f.). Er verweist dabei ausdrücklich auf eine Passio, die in Gallien zu seiner Zeit zirkuliert haben muß und sicherlich mit dem Martyrium Conversante et docente identisch ist (vgl. Flamion, S. 44, 53f.; James, S.349; Dvornik, S. 192f.). Vgl. c.36, S.845: " ... quos lectio passionis eius plenissime declarat"; c.37, S.846: "Passionis quoque eius ita ordinem prosecuti non sumus, quia valde utiliter et eleganter a quodam repperimus fuisse conscriptum." Weil mit diesem Text bereits ein lateinischer Passionsbericht im Umlauf war, konnte Gregor sich auf den Reisebericht beschränken (vgl. Dvornik, S. 192f.). • "quia propter nimiam verbositatem a nonnullis apocrifus dicebatur" (p.827). 5 "retractis (retractatis?) enucleatisque tantum virtutibus, praetermissis his quae fastidium generabant" (ebd.). 6 E. Hennecke, ThLZ 38, 1913, Sp. 74.
4. Andreasakten
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sowie aus Pap. Copt. Utrecht 1 uns bekannten enkratitischen Anschauungen der AA werden bei Gregor nicht nur verleugnet, sondern in ihr Gegenteil verkehrt, wenn es heißt, daß die Apostel nicht die Ehe verböten, daß der Ehestand vielmehr eine göttliche Einrichtung sei 1. Damit zeigt sich, daß Gregor den Stoff einer erheblichen Umgestaltung unterzogen hat. 2 Mit völliger Sicherheit kann man den AA nur den äußeren Rahmen zuschreiben, weiteres Material dagegen nur insoweit, als es sich durch Parallelen in östlichen Texten als Inhalt der AA verifizieren läßt oder durch neue Funde als echt bestätigt wird. Ein Vergleich des Fragmentes Pap. Copt. Utrecht 1 lnit der parallelen Episode bei Gregor von Tours (c. 18) mahnt uns nur zur Vorsicht gegenüber Gregor, ergibt er doch nur, wie stark Inhalt und Tendenz der AA bei Gregor verändert wurden·. Daß wir von einer Wiedergabe der Epitome in vollem Wortlaut absehen müssen, ergibt sich daraus lnit Selbstverständlichkeit. Die von Gregor c. 12 berichtete Brandstiftungsepisode scheint - zumindest in ihrem Kern - Bestandteil der alten Akten gewesen zu sein. Auch das Manichäische Psalmbuch nimmt auf diesen Vorgang Bezug (S. 142,20): Andreas der Apostel- in Brand steckten sie das Haus unter ihm. Die von Gregor berichtete Geschichte verlief folgendermaßen: Zu Andreas, der sich in Philippi aufhält, kommt ein Jüngling namens Exuos aus Thessalonich. Der aus einer vornehmen und begüterten Falnilie stammende und ohne Wissen seiner Eltern gekommene junge Mann bittet den Apostel um Unterweisung im Christentum. Er wird von A. belehrt und bekehrt und bleibt bei ihm, ohne sich weiter um den weltlichen Reichtum zu kümmern. Seine EItern kommen ihm nach und versuchen vergeblich, ihn zur Trennung von A. zu bewegen. Umgekehrt bleiben auch seine und des Apostels Bemühungen, die EItern für das Christentum zu gewinnen, ohne Erfolg. Diese sammeln eine Bande und setzen das Haus, in dem sich der Apostel mit Exuos befindet, in Brand 4. Unter Anrufung des Namens Jesu Christi löscht Exuos den Brand lnit Wasser aus einer Flasche. Ob die Geschichte lnit allen Einzelheiten so, wie sie Gregor erzählt, in den AA gestanden hat, ist nicht mehr zu entscheiden. - Mit Sicherheit läßt sich die Episode von der Geisteraustreibung in Nicaea. (c. 6; S. 830) den AA zuweisen, wobei wir auch in diesem Falle nicht imstande sind, den Bericht nach seinem Wortlaut zu rekonstruieren. Daß die Geschichte in irgendeiner Form Bestandteil der Akten war, ersehen wir daraus, daß sie auch von zwei östlichen Texten, der Narratio (c. 4; S. 356) und der Laudatio (c. 18; S. 325f.) gebracht wird. Sie wird von den drei Quellen in stark voneinander abweichenden Formen erzählt. Gregor: Sieben Dämonen hausen zwischen den Gräbern in der Nähe einer Straße, bewerfen die Passanten lnit Steinen und haben schon viele getötet. Dem sich nahenden Apostel zieht die ganze Bevölkerung zum Empfang entgegen, Olivenzweige schwenkend und ausrufend: "Unsere Rettung steht in deiner Hand, Mensch Gottes" (Apantesis und Akklamation). Den Einwohnern, die von der Situation berichten, antwortet A. im Sinne der späteren kirchlichen Dogmatik, daß der Glaube "an den Herrn Jesus Christus, den Sohn des allmächtigen Gottes, der lnit dem Heiligen Geist ein Gott ist", die Voraussetzung der Hilfe sei. A. gebietet den Dämonen, vor der ganzen Einwohnerschaft, die zur Annahme des Glaubens bereit ist, zu erscheinen. Nach einem öffentlichen Christusbekenntnis der Menge vertreibt A. die als Hunde erschienenen Dämonen, die sich in wüste und menschenleere Gegenden 1 "Non nos nuptias aut avertimus aut vitamus, cum ab initio Deus masculum iungi praecipisset et feminam, sed potius incesta damnamus" (c. 11, p. 832). 2 Vgl. Quispel, S. 137-141,148. 3 Vgl. Quispela.a.O. 4 A. hat nach Gregor im dritten Stock gewohnt, vgl. p. 832, 39: "apostolus descendit de tristicio"; vgl. p. 832, 9. Durch diese Bemerkung, die wohl den AA entnommen sein dürfte, wird die Angabe des manichäischen Psallnisten verständlich, daß man das Haus "unter ihm" (karai) in Brand gesetzt habe.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
zurückziehen. Die Einwohner werden getauft und erhalten einen Bischof. - Laudatio: Eine große Menge von Dämonen haust auf einem Felsen, auf dem ein Artemisbild steht. Die Geister, die nach Opfern verlangen, machen den vorbeiführenden Weg zu bestimmten Tageszeiten und in der Nacht unbegehbar. Während niemand mehr wagt, sich der Stelle zu nähern, vertreibt A. die Geister durch seine bloße Gegenwart. Sie fliehen in der Gestalt von Raben und mit dem Schrei: ,,0 Gewalt von dir, Jesus, Galiläer, Nazarener, denn deine Jünger verfolgen uns aIlenthaJben." A. reinigt den Ort, indem er das Standbild umwirft und statt dessen das Kreuz aufrichtet. - Narratio: Das Osttor der Stadt ist der Sitz böser Geister. Darüber informiert, geht A. hin und vertreibt die Dämonen "unter Anrufung Christi, unseres Gottes". So reinigt A. den Ort und macht das Tor wieder passierbar. Mit Sicherheit läßt sich nur das den AA zuweisen, was alle drei Quellen gemeinsam haben. Danach hat A. in Nicaea eine durch Dämonen unpassierbar gewordene Stelle' durch eine exorzistische Handlung wieder begehbar gemacht. Wahrscheinlich hat vor der Tat ein Gespräch des Apostels mit den Stadtbewohnern stattgefunden (c. 21 f.; S. 838). Wahrscheinlich ist auch, daß die Akten einen Dialog zwischen Andreas und den Dämonen erzählt haben. Wenn es sich so verhält, dann hätten Gregor und die Laudatio die Erinnerung daran bewahrt, ohne daß wir jedoch noch in der Lage wären, wörtliche Elemente dieses Gespräches zu eruieren. Durch einen Vergleich von Gregor und Laudatio lassen sich auch die Vorgänge in Patrae, die den in Vatic. 808 geschilderten Ereignissen voraufgehen, in groben Umrissen rekonstruieren. In den Einzelheiten weichen die beiden Quellen z. T. erheblich voneinander ab, und wir können nirgends, wo sie Verschiedenheiten aufweisen, mit Sicherheit entscheiden, welche der ursprünglichen Fassung am nächsten steht. Ober die ersten Ereignisse in der Stadt berichten Gregor (c. 21 f.; S. 838) und die Laudatio (c. 33f.; S. 335) übereinstimmend: Lesbius, der Prokonsul, verhält sich anfangs gegenüber A. feindlich, wird jedoch durch eine übernatürliche Macht gezüchtigt, läßt A. herbeirufen und bekehrt sich. Darauf predigt A. in der Stadt mit großem Erfolg. Gregor: A. begibt sich zunächst in eine Herberge. Lesbius hat schon vor seiner Ankunft von seiner Tätigkeit gehört und in seiner Ablehnung einen (freilich gescheiterten) Versuch unternommen, sich der Person des A. in Macedonien zu bemächtigen. Dem Prokonsul, der seine feindselige Einstellung nicht aufgibt, erscheinen des Nachts zwei "Äthiopier" (Dämonen), die in der Absicht, vor ihrer Vertreibung ein letztes MaI ihre Macht zu demonstrieren, dem Prokonsul schwere Geißelschläge versetzen. Durch eine Vision veranlaßt, läßt Lesbius den Apostel zu sich rufen. Dieser findet den Prokonsul in schwerkrankem Zustande vor und heilt ihn. Darauf predigt A. mit großem Erfolg in der Stadt. - Lau da ti 0 : A. heilt sogleich nach der Ankunft zwei Kranke. Die Kunde verbreitet sich in der Stadt, doch Lesbius hält - von der e).).T}vt:XTJ nM.vT} erfüllt - den Apostel für einen Magier, will sich seiner bemächtigen und ihn töten. In der Nacht erscheint ein Engel, der ihn zurechtweist und züchtigt. Nachdem er mehrere Stunden in hilflosem Zustande verbracht hat, läßt er - wieder zu sich kommend - A. rufen, bekehrt sich und wird durch ein Gebet geheilt. Weitere Heilungen folgen; die ganze Stadt nimmt das Christentum an. - Im weiteren Bericht ist von der Ablösung des Lesbius durch Aegeates die Rede gewesen. Durch diesen Wechsel, der während einer vorübergehenden Abwesenheit des Apostels von Patrae erfolgt sein muß, entsteht eine neue Situation. Nach seiner Rückkehr kommt A. mit dem neuen Prokonsul alsbald in Berührung. Maximilla, die erkrankte Gattin des Aegeates, läßt, wie 1 Mit Recht meint Blumenthal, S. 45, daß das Artemisbild wohl auf Rechnung des Laudators zu setzen sei, "nicht nur, weil die spätere Zeit gern Dämonen und Götzenbilder miteinander verbindet, sondern weil sie an der Zertrümmerung solcher Bilder besonderes Interesse hat". Der Felsen hingegen, meint Blumenthal, wird ursprünglich sein, weil der Laudator gar kein Interesse an ihm gehabt haben konnte. - Man könnte mit demselben Recht fragen, welches Interesse Gregor an den Gräbern und welches Interesse der Narrator an dem Stadttor gehabt haben könne.
4. Andreaaakten
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beide Zeugen übereinstimmend berichten, den Apostel durch Iphidamia 1 zu sich bitten. Aegeates steht, wie ebenfalls beide berichten, mit gezogenem Schwert neben dem Lager seiner Frau, um sich im Falle ihres Todes das Leben zu nehmen. Aus den Worten, mit denen A. den Prokonsul anredet, haben die Zeugen nur die Aufforderung gemeinsam: "Stecke dein Schwert an seinen Ort." A. heilt Maximilla z, weist jedoch eine von Aegeates angebotene Belohnung zurück. 3 Die folgende Episode (Gregor c. 31, S. 844; Laud. c. 40, S. 339) wird bei beiden Zeugen durch entsprechende Wendungen mit dem Vorhergehenden verknüpft'. Nachdem A. das Haus des Aegeates verlassen hat, sieht er einen Gelähmten im Schmutz liegen. Er heilt ihn durch seine wunderkräftige Änrede 5 • Beide Zeugen berichten, daß sich der Geheilte "sofort" erhob und Gott lobte. Ein weiteres Wunder schließt sich bei beiden Zeugen daran an (Gregor c. 32, S.844; Laud. c. 40, S.339). Es ereignet sich, wie beide betonen, an einem anderen Ort. Dort findet A. einen Blinden vor. Bei ihm sind seine Frau und sein Sohn, beide ebenfalls blind. Über den Heilungsvorgang wird verschieden berichtet 6 • Gemeinsam wird bezeugt, daß die Geheilten dem Apostel die Füße küßten. Wahrscheinlich ist, daß die .A.A auch von Worten des Dankes oder des Bekenntnisses der Geheilten erzählt haben? Auch die folgende Heilungsgeschichte wird von Gregor (c. 33, S. 844) und der Laudatio (c. 41, S. 349f.) im wesentlichen übereinstimmend erzählt. A. wird gebeten, an das Meeresufer" zu kommen; dort würde er einen Aussätzigen • vorfinden, den Sohn eines Seemanns 10. Kein .Arzt habe ihm helfen können. Auf diesen Bericht hin begibt sich A. zu der bezeichneten Stelle. Dort findet nach dem Zeugnis beider Quellen ein Dialog zwischen A. und dem Kranken statt. Es ist darum wahrscheinlich, daß in der ursprünglichen Form der .Akten an dieser Stelle ebenfalls ein Dialog gestanden hat. Nur vermögen wir über seinen Inhalt nichts mehr zu sagen, da er von Gregor und dem Laudator in völlig verschiedenen Fassungen überliefert wurde. Nach dem Befehl des Apostels, aufzustehen, erhebt sich der Kranke, tut die faulen und ekelerregenden Lumpen ab und begibt sich mit dem Apostel zum Meer, wo die Heilung durch Untertauchen erfolgt. Die Wirkung des Heilungswunders ist vollkommen; keine Spur des Leidens ist zurückgeblieben. Der Geheilte ist von so großer Freude erfüllt, daß er vergißt, sich zu bekleiden, und nackt durch die Straßen laufend Gott preist. .Alle staunen über das Geschehene. 1 Laud. c. 38, S. 338, 4lf.; Gregor c. 30, S. 844, 5. Iphidamia, vom Laudator als die Vertraute der Maximilla bezeichnet, nach dem Manichäischen Psalmbuch S. 192, 27 aber ihre Schwester, wurde nach Gregor von einem gewissen Sosias, einem Jünger des A., bekehrt. Über die Bekehrung der Iphidamia verliert der Laudator kein Wort; er berichtet indes, daß Iphidamia - von Maximilla gesandt - dem Apostel persönlich zugehört habe. Dieser lehrte im Hause eines gewissen Sossios, eines seiner Jünger. Welche Rolle die Person des Sosias bzw. Sossios in den.A.A wirklich gespielt hat, ist nicht mehr feststellbar. Z Nach Gregor durch Ergreifen der Hand, nach der Laudatio durch Handauflegung. Übereinstimmungen in weiteren unbedeutenden Einzelheiten werden übergangen. 8 Gregor: 100 Silberstücke; Laud.: 1000 Goldstücke. • Gregor: Inde discedens ... (S.844, 18); Laud.: 'E",sWsv oe "'a-t:SA{}WV ..• (Cod. Coisl.: e~sA{}Wv). 5 Gregor: "Im Namen Jesu Christi, steh gesund auf!" Laud.: "Steh auf! Es heilt dich durch mich Jesus, der Christus ... " 8 Gregor: Heilung durch Auflegung der Hände. Laud.:DurchBerührung der Augen. Bei Gregor geht eine längere wunderkräftige Erklärung voraus. 7 Während die Laudatio nur weiß, daß die Geheilten "dankbare Worte zu Gott emporsandten", finden wir bei Gregor ein wörtliches Bekenntnis zu dem Gott, dessen Diener A. ist. " Laudatio: Hafen. • So Laudatio. Gregor spricht von Geschwüren und Würmern, die freilich auch vom Laudator erwähnt werden (vgl. 340, 12), und läßt den Kranken außerdem gelähmt sein. 10 Nach Laudatio der Sohn eines berühmten Schiffsbefehlshabers.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Das bei Gregor sich anschließende Stück (c. 34, S. 845) findet seine Entsprechung erst in Laudatio c. 43, S. 342ff. Beide Quellen berichten von der Ankunft des Stratokles, eines Bruders des Prokonsuls, aus Italien. Stratokles hat einen Sklaven, den er überaus schätzt. Alkman, der Sklave, ist von einem Dämon besessen und liegt schäumend am Boden. Aus großer Trauer wird Stratokles durch Maximilla und Iphidamia befreit, die ihn auf A. hinweisen. Auf Aufforderung erscheint der Apostel im Hause und heilt den Sklaven 1. Stratokles bekehrt sich und ist forthin ständig beim Apostel, um das Wort Gottes zu hören. Auch Maximilla läßt keine Gelegenheit ungenutzt, den Apostel aufzusuchen, um das Wort Gottes zu hören (Gregor c.35, S.845). Hierher gehört das Stück aus Evodius von Uzala, De Fide contra Manichaeos c.38 (Zycha, S. 968, 24-31): "Achtet in den Akten des Leucius, die er unter dem Namen der Apostel abfaßte, darauf, welcher Art die Dinge sind, die ihr bezüglich der Maximilla, der Frau des Egetes, hinnehmet: als diese sich weigerte, ihrem Gatten die schuldige Pflicht zu erweisen ... , da unterschob sie ihrem Gatten ihre Magd Euklia, indem sie sie, wie dort geschrieben steht, mit Lockungsmitteln und Schminke versah und sie in der Nacht als Ersatz für sich selbst unterschob, so daß jener unwissend bei ihr schlief, als sei es seine Frau." An derselben Stelle kommen die AA noch einmal zu Worte (Zycha, S. 968, 31-969, 6): "Hier steht ebenfalls geschrieben, daß, als Maximilla und Iphidamia zusammen fortgingen, um den Apostel Andreas zu hören, ein wohlgestalteter kleiner Knabe, den Leucius entweder als Gott oder doch wenigstens als einen Engel verstanden wissen wollte", sie dem Apostel Andreas übergab 3 : und er machte sich auf zum Prätorium des Egetes, begab sich in ihr Schlafzimmer und ahmte eine weibliche Stimme nach, so als ob Maximilla (etwas) murmelte über das Leiden des weiblichen Geschlechtes und Iphidamia ihr antwortete. Als Egetes dieses Gespräch hörte, glaubte er, daß sie drinnen seien, und entfernte sich." 4 Die hartnäckige Weigerung der Maximilla, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen, veranlaßt den Prokonsul, A. ins Gefängnis zu werfen (Gregor c.36, S.845; Laud. c.44, S.344). Wie die Zeugen berichten (Laud. c.45, S. 345f.; Narr. c. 11ff., S. 359ff.; Conversante c. 2f., S. 374f. usw.), vermag A. seine Tätigkeit aus dem Gefängnis fortzusetzen, vor dem sich eine große Volksmenge einfindet, darunter Maximilla und Stratokles. Diese Situation setzt das große Fragment Vatic. 808 voraus. 1 Alkman "erhob sich", indem A. ihn bei der Hand ergriff. - In dem sehr weitschweifigen Bericht der Laudatio ist u. a. von den Zauberern, Quacksalbern usw. die Rede, die dabeistehen und nicht helfen können, weil sie die avyyeve'i, des Dämon sind (S. 343, 15.20). Auch dies scheint in den AA gestanden zu haben, für die ja die häufige Verwendung des Begriffs avyyev~, charakteristisch ist. Ursprünglich wird in dem Bericht der Laudatio auch die Bemerkung über den zum asketischen Leben bekehrten Stratokles sein: smpeAe'iaf}al Te 1jJvxi'j, W, df}avaTov, awpaTo, 6s uaTarpeOve'iv w, rpf}e{eeaf}at PSAAOVTO" syueaTBveaf}a{ TB uai ayvevelv (344, 5-7). Hier meldet sich die dualistische und asketische Tendenz der AA zu Worte. 2 Der puerulus speciosu8 ist Christus, s. o. 3 Commendare = :n:aea6t66vat; s. Act. Thom. c. 155 (Bonnet, S. 264, 6. 11), vgl. E. Peterson 11..11..0., S. 194, Anm. 48. 4 Vgl. James, S. 350: "We do not wonder that such narratives as that which Evodius quotes have been expunged, either by Gregory or his source, from the text." Dasselbe gilt natürlich von den griechischen Andreas-Martyrien.
4. Andreasakten
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TEXTE A. PAP. COPT. UTRECHT 1
(Übersetzung des noch unediertenkoptischen Textes von G. Quispel und J.Zander)
S.9. den Apostel. Aber als Andreas, der Apostel Christi, hörte, daß sie die aus der Stadt um seinetwillen festgenommen hatten, da erhob er sich und trat mitten 5 auf die Straße und sagte zu den Brüdern, daß es keinen Grund gebe, etwas vorzutäuschen (vnoxelVBW). Und während der Apostel diese Worte noch sprach, war da ein junger Mann, (einer) von den vier Soldaten, in 10 dessen Leib ein Dämon verborgen war. Als jener junge Mann in die Nähe des Apostels gekommen war, schrie der Dämon und sagte: ,,0 Varianus, was habe ich dir getan, daß du (mich) sendest 15 zu diesem gottesfürchtigen Menschen?" Als der junge Mann dies gesagt hatte, warf ihn der Dämon nieder und bewirkte, daß er schäumte. Seine Genossen ergriffen ihn jedoch und blieben (damit beschäftigt), 20 ihn aufrecht zu halten. Aber Andreas bemitleidete den jungen Mann und sagte zu seinen Waffengefährten : "Schämt ihr euch vor (mir), weil ihr seht, daß euch eure Natur (qn5O't~) überführt? Warum 25 nehmt ihr den Preis hinweg, so daß er nicht an seinen König appellieren kann, damit er Hilfe erlangt und kämpfen kann gegen den Dämon, der verborgen ist in seinen Gliedern? Nicht nur, daß er hierum appel30 liert, sondern er spricht in der Sprache des Palastes, so daß sein König bald auf ihn hören wird. Denn ich höre ihn sagen: [0] Varianus, was [habe ich dir getan] 35 daß du [mich sendest zu diesem gottes-] fürchtigen [Mann ............... An-] dreas [ ................................ ]
S.lO. gegen mich. Denn die Sache, die ich getan habe, habe ich nicht von mir selbst getan, sondern ich
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XIII. Apoatelge8cMchten de8 2. und 3. Jahrhundert&
wurde (dazu) gezwungen. loh will dir nun die ganze Bedeutung d(ies)er Angelegenheit erzählen. Dieser 5 junge Mann, der an seinem Leibe gequält wird, hat eine jungfräuliohe Schwester, die eine große Kämpferin und Streiterin ist. Wahrlich, ich sage, sie ist Gott nahe wegen 10 ihrer Reinheit und ihrer Gebete und ihrer Almosen. Nun, um es kurz zu erzählen, da gab es einen in der Nähe ihres Hauses, welcher ein großer Magier war, und so geschah es 15 eines Tages folgendermaßen: Zur Abendzeit stieg die Jungfrau nach oben auf ihr Dach, um zu beten; der junge Magier sah sie beten, Semmath fuhr in ihn, um 20 gegen diese große Streiterin zu kämpfen. Der junge Magier sprach bei -sich selbst: "Habe ich nun zwanzig Jahre zugebracht unter der Leitung meines Lehrmeisters, bis daß ich gelehrt war in dieser Kunst, siehe (dann) 25 ist dies nun der Anfang meiner Kunst; sollte ich nicht stärker sein als diese Jungfrau, dann werde ich zu gar keinem Werk fähig sein." Und der junge Magier rief große Mächte aus der Höhe herbei, um die Jungfrau zu beschwören so und sandte sie gegen sie. Und als die Dämonen kamen, um sie zu versuchen oder um sie zu überreden, da spielten sie die Rolle ihres Bruders und klopften an die Tür. Sie erhob sich und ging nach unten, S5 um die Tür zu öffnen, in der Meinung, daß es ihr Bruder war. Aber zuvor betete sie inständig, so daß die Dämonen wurden wie [Feuerflammen? oder: wie die ... und fielen]? .......................... und davonflohen. 40 ••••••••••••••••• , ••••••••••••••• kleine
S.13.
5
Die Jungfrau weinte bei Erucia. Erucia jedoch sagte zu der Jungfrau: "Warum weinst du? Ich wußte nicht, daß du hierher kommen würdest, noch [..............] weinen [..•••. J [..........................] jetzt verfolgen dich diese Mächte.
4. Andreasakten
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um dich zu prüfen (? oder: um dich zu nehmen?) [.......... ] du weinst, während die Traurigkeit [ .....................] 10 Nun jedoch, wenn du über deinen Bruder weinst, weil ein Gott (?) [. . . . . . . . . . . . . . . . . ......... ] mit ihm, werde ich ihn morgen senden zu dem Apostel Andreas, damit er ihn heile. Jedoch nicht nur, daß ich ihn 15 heilen werde, sondern ich will es zuwegebringen, daß er in den (Militär-)Dienst eintritt (wörtlich: daß er sich gürtet) beim Palast". Als der Dämon dies gesagt hatte, da sagte der Apostel zu ihm: "Wie erhieltest du Kenntnis über die verborgenen Mysterien 20 der Höhe? Wenn ein Soldat aus dem Palast geworfen wird, dann ist es ihm durchaus nicht gestattet, die Geheimnisse des Palastes zu erfahren; und wie wird er die verborgenen Mysterien 25 der Höhe erfahren?" Der Dämon sagte zu ihm: [ ......................... ] stieg herab in dieser Nacht [ ....................] dieser junge Mann, während eine Macht aus der Höhe hineinging in [.................. ] 30 [ • • • • • • • • . . • • . • • • • • • • • • . • . • • . ] Jungfrau in ihn aus [ ..................] geht, während sie ausziehen wird [....................] diese ihre Freundin [. . . . . . . . . . . . . ....... ] sagte [ ....................... ] Traurigkeit (?) 35 trifft mich [. . . . . . . . . . ....... ] die große Macht kam aus der Höhe in dieser Nacht [ ............... ] [ ....................................]
S.14. "Warum solltest du nicht zittern, da du ja die Geheimnisse der Höhe nennst? Ich zittere vollständig an allen meinen Gliedern und ich verherrliche den Empfänger (na(!aÄ.~pnTW(!J, 5 welcher kommt für die Seelen der Heiligen. 0 tugendsame Kämpfer, nicht vergeblich habt ihr gekämpft. Seht, der Schiedsrichter bereitet für euch den unverwelklichen Kranz vor. 10 0 Krieger, nicht vergeblich habt ihr euch Waffen angelegt und Schilde und nicht vergeblich habt ihr Kriege ertragen.
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XIII. .AposteZgeschichten de8 2. und 3. Jahrhunderts
Der König hat für euch den Palast bereitet. 0 Jungfrauen, nicht umsonst habt ihr die Reinheit bewahrt und nicht vergeblich habt ihr ausgeharrt in Gebeten, 20 während eure Lampen brannten um Mitternacht, bis daß diese Stimme euch erreichte: "Stehet auf, gehet hinaus, dem Bräutigam entgegen." Als der Apostel 25 dies gesagt hatte, wandte er sich dem Dämon zu und sagte [zu ihm]: "Es ist nun wohl an der Zeit, daß du ausfährst aus diesem jungen Mann, damit er in den (Militär-)Dienst eintritt (wörtl. : sich gürtet) beim 30 himmlischen Palast." Der Dämon sagte zum Apostel: "Wahrlich, 0 Mann Gottes, niemals habe ich ein Glied von ihm zugrunde gerichtet wegen der heiligen Hände 35 seiner Schwester. Aber jetzt werde ich ausfahren aus diesem jungen Mann, während ich ihm nicht den geringsten Schaden habe angetan an seinen Gliedern." Nachdem der Dämon jedoch dies gesagt hatte, 40 fuhr er aus von [dem jungen Mann] Nachdem er [von .............. ] [dem] jungen [Mann ausgefahren war] [legte er seine Uniform ab] 15
S.15. des Soldatentums und er [warf es weg] vor den Augen des Apostels und sagte: ,,0 Mann Gottes, ich habe 5 zwanzig Geldstücke ausgegeben, um dieses zeitliche Gewand für mich zu erwerben; aber jetzt will ich alles ausgeben, was ich habe, damit ich mir erwerbe dieses Kleid 10 eures Gottes." Seine Waffengefährten sagten zu ihm: "Elender Jüngling, wenn du das Kleid des Königs verleugnest, wirst du bestraft werden." 15 Der junge Mann sagte zu ihnen: "Ich bin tatsächlich ein Elender wegen meiner früheren Sünden. Möge es doch sein,
4. Andreasakten
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daß meine Bestrafung nur deswegen (wörtlich: diese) wäre, weil ich das Kleid des Königs verleugnet habe, und daß ich nicht gestraft werde, weil ich das Kleid des unsterblichen Königs der Weltzeiten verachtet habe. Ihr Unwissenden, sehet ihr nicht, was für ein Mann dieser ist? Denn in seiner Hand ist kein Schwert noch Kriegsgerät und (doch) werden diese großen Wundertaten durch ihn verrichtet." Die Tat des Andreas
B. CODEX VATICANUS 808
" ... ist denn in euch nur Kraftlosigkeit? Werdet ihr noch nicht von euch selbst überführt, daß ihr seine Güte noch nicht traget? Laßt uns ehrfürchtig miteinander uns der so reichen Gemeinschaft freuen, die wir mit ihm haben. Laßt uns zueinander sprechen: Selig ist unser Geschlecht, von wem ist es geliebt? Selig ist unser Dasein, wessen Erbarmen ward ihm zuteil? Wir sind nicht zu Boden gestreckt, die wir von einer solchen Höhe erkannt sind. Wir gehören nicht der Zeit an, um dann von der Zeit aufgelöst zu werden. Wir sind kein Produkt (Kunstwerk) der Bewegung, das wiederum von ihr selbst vernichtet wird, (wir sind) nicht von (irdischer) Geburt, um daraufhin (wieder) zu sterben. Sind wir doch solche, die der Größe nachjagen. Wir gehören (ihr) und dem, der sich unser erbarmt. Wir gehören dem Besseren. Darum fliehen wir vor dem Schlechteren. Wir gehören dem Edlen, durch den wir das Gemeine von uns stoßen, dem Gerechten, durch den wir das Ungerechte verwerfen, dem Barmherzigen, durch den wir den Unbarmherzigen ausstoßen, dem Retter, durch den wir den Verderber erkannt haben, dem Licht, durch das wir die Finsternis verbannt haben, dem Einen, durch den wir das Viele von uns abwandten, dem Himmlischen, durch den wir das Irdische erkannten, dem Bleibenden, durch den wir das Vergängliche erblickten. Wenn wir uns vornehmen, dem Gott, der sich unser erbarmt hat, würdig zu danken oder ihm unsere freudige Zuversicht zu bekennen oder ihm einen Lobgesang darzubringen oder ihn zu rühmen, (so tun wir es aus keinem anderen Grunde,) als daß wir von ihm erkannt worden sind." 2 Als er solches zu den Brüdern geredet hatte, entließ er sie, jeden in sein Haus, und sprach zu ihnen: "Weder werdet ihr jemals von mir verlassen, ihr, die ihr Sklaven Christi seid wegen der Liebe, die in ihm ist, noch auch werde ich wiederum von euch verlassen werden wegen seiner Mittlerschaft. " Und jeder ging von dannen in sein Haus. Und so herrschte Freude unter ihnen viele Tage, in denen Aegeates nicht daran dachte, das gegen den Apostel gerichtete Anklageverfahren weiter zu verfolgen. So wurde nun ein jeder damals in der Hoffnung auf den Herrn gefestigt. Und sie versammelten sich furchtlos mit Maximilla, Iphidamia und den anderen im Gefängnis, beschirmt durch den Schutz und die Gnade des Herrn. 3 Als Aegeates eines Tages zu Gericht saß, da kam ihm die Angelegenheit des Andreas wieder in den Sinn. Und wie von der Raserei ergriffen ließ er den Prozeß-
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
fall, mit dem er sich gerade befaßte, stehen und liegen, erhob sich vom Richtstuhl und begab sich im Laufschritt zum Prätorium, umarmte Maximilla und schmeichelte ihr. Maximilla hatte, vom Gefängnis kommend, das Haus eher betreten als er. Und als er eingetreten war, sprach er zu ihr: 4 "Deine Eltern, Maximilla, hielten mich der Ehe mit dir für würdig und sie gaben dich mir zu Frau, wobei sie weder auf Reichtum noch auf das Geschlecht noch auf Ruhm sahen, sondern doch wohl (allein) auf die gute Verfassung meiner Seele. Und in der Absicht, vieles, was ich dir zum Vorwurf vorbringen wollte, zu übergehen, nämlich das, was mir von deinen Eltern (Gutes) zuteil wurde, und auch das, was dir während unseres ganzen (gemeinsamen) Lebens von mir (Gutes) zuteil wurde, bin ich vom Gerichtshaus gekommen, um allein dies eine von dir zu erfahren; gib mir also verständige Antwort: Wenn du jene wärest, die du vormals warst, und mit mir zusammen lebtest in der Weise, die wir kennen, mit mir schliefest, mit mir ehelichen Umgang pflegtest, mit mir Kinder zeugtest, dann würde ich in jeder Beziehung gut an dir handeln; ja ich würde sogar den Fremden, den ich da im Gefängnis habe, freilassen. Doch wenn du nicht willst, dann würde ich zwar dir nichts Schlimmes antun, denn das kann ich nicht, - jenen aber, den du mehr liebst als mich, werde ich um so mehr quälen. Überlege nun, Maximilla, welche von beiden Möglichkeiten du vorziehst, und gib mir morgen Antwort. Ich nämlich bin dazu vollkommen gerüstet." 5 Als er dies gesagt hatte, ging er hinaus. Maximilla aber begab sich wiederum zur gewohnten Stunde gemeinsam mit Iphidamia zu Andreas. Und sie legte seine Hände in ihr Antlitz, küßte sie und begann, ihm das Ansinnen des Aegeates ganz zu berichten. Und Andreas antwortete ihr: "Ich weiß, Maximilla, mein Kind, daß du dich gedrungen weißt, der ganzen Lockung des geschlechtlichen Umgangs zu widerstehen und daß du dich von der abscheulichen und schmutzigen Lebensweise trennen willst. Und eben dies (diese Einstellung) beherrscht meine Gesinnung längst. Nunmehr will ich meine Einstellung auch bezeugen. Ich beschwöre (dich), Maximilla: Tu es nicht; gib den Drohungen des Aegeates nicht nach; sieh zu, daß du nicht durch das Zusammensein mit ihm wieder zum Unterliegen kommst; fürchte dich nicht vor seinen schändlichen Plänen; falle nicht seinen geschickten Schmeicheleien zum Opfer; halte den Wunsch von dir fern, dich seinen schmutzigen Zauberkünsten auszuliefern. Ertrage vielmehr alle seine Quälereien, indem du für eine kurze Zeit auf uns blickst. Und du wirst sehen, wie ihn völlige Lähmung überkommt und wie er allmählich dahinschwindet und dich und die, die dir (wesens-)verwandt sind, verläßt. Das, was ich dir ganz besonders notwendig mitzuteilen hatte - ich ruhe ja nicht im Vollbringen des durch dich zu sehenden und durch dich geschehenden Werkes -, ist mir (bis jetzt) entgangen: Ja, mit Recht sehe ich in dir die Eva Buße tun und in mir den Adam sich bekehren. Was nämlich jene unwissend erlitt, das bringst du jetzt zu einem glücklichen Ende, indem du dich bekehrst. Und was der Geist, der mit jener herabgeführt sich selbst entfremdet ward, erlitt, das bringe ich jetzt wieder in Ordnung mit dir, die du erkennst, daß du emporgezogen wirst. Denn woran jene krankte, das hast du, die du nicht das gleiche erlittest, geheilt. Und seine Unvollkommenheit habe ich zur Vollkommenheit geführt, indem ich meine Zuflucht zu Gott nahm. Und worin jene ungehorsam war, darin warst du gehorsam; und worin jener einwilligte, das fliehe ich. Und worin jene sich täuschen ließen, das haben wir erkannt. Denn es ist bestimmt, daß ein jeder seinen eigenen Fall wieder gut mache.
4. Andreasakten
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6 So habe ioh denn gesprochen, wie ioh gesproohen habe. loh könnte aber auoh folgendes sagen: Wohl dir, Natur, die du trotz deiner Sohwäohe, und ohne daß du dioh verborgen hättest, errettet wirst. Wohl dir, Seele, die du laut ausrufst, was du erlittest und zu dir selbst zurüokkehrst. Wohl dir, Mensoh, der du erkennst, was nioht sein ist, und nach dem Deinen dioh sehnst. Wohl dir, der du auf die verkündigten Worte hörst. Denn ioh erkenne, daß du gewaltiger bist als die, die dich zu vergewaltigen sohienen, daß du herrlioher bist als die, die dich in Schande stürzten, als die, die dich in Gefangensohaft abführten. Wenn du, Mensch, dies alles in dir wahrnimmst, nämlioh daß du unstofflioh bist, heilig, Licht, dem Ungezeugten verwandt, vernünftig, himmlisoh, durchsiohtig, rein, dem Fleisoh überlegen, der Welt überlegen, den Gewalten überlegen, über denen du wirklioh stehst, wenn du dioh in deiner Besohaffenheit sammelst, so nimm die Erkenntnis mit, worin du überlegen bist. Und da du dein Antlitz in deinem Wesen erblickst, allenthalben Fesseln sprengend - ich rede nicht allein von denen, die mit der Entstehung zusammenhängen, sondern auoh von denen, die über die Entstehung hinaus liegen, für die wir dir übergroße Benennungen aufgestellt haben -, so sehne dich danach, jenen zu schauen, der sioh dir offenbart hat, den du bald allein getrost erkennen wirst. 7 Dies habe ioh im Blick auf dioh gesprochen, Maximilla, denn ihrer Bedeutung nach betreffen die Worte dioh. Wie Adam in Eva auf Grund seiner Übereinstimmung im Umgang mit ihr starb, so lebe ioh jetzt in dir, die du das Gebot des Herrn befolgst und dioh in den Stand (die Würde) deines (eigentliohen) Seins hinüberbegibst. Des Aegeates Drohungen aber, Maximilla, veraohte, denn du weißt ja, daß wir den, der sich unser erbarmt, als Gott haben. Und sein leeres Geschwätz möge dich nicht bewegen, sondern bleibe keusch! Mag er sioh nicht nur durch die Fesselqualen an mir räohen, sondern mag er mich auoh den Tieren vorwerfen oder dem Feuertod ausliefern oder von einem Abhang hinabstürzen, - was tut es1 Er möge mit diesem Leibe, der ja einer ist, nach seinem Willen verfahren; er ist ihm ja (wesens-)verwandt. 8 Nooh einmal richte ich an dioh das Wort, Maximilla. Ich sage dir: gib dioh dem Aegeates nicht preis. Widerstehe seinen Nachstellungen, Maximilla, besonders da ioh ja (in einer Vision) den Herrn gesehen habe, der zu mir sprach: 'Andreas, dioh wird der Teufel, des Aegeates Vater, aus diesem Gefängnis befreien'. An dir ist es künftig, dioh keusoh und rein, heilig, unbefleckt, lauter, züohtig, unwillig zum Umgang mit dem, der dir fremd ist, ungebeugt, ungebroohen, tränenlos, unverletzt, von Stürmen unbewegt, ungeteilt, frei von Anstößen und ohne Sympathie für die Werke des Kain 1 zu bewahren. Wenn du, Maximilla, dioh nicht preisgibst an das, was alledem entgegengesetzt ist, dann werde ich selbst zur Ruhe gelangen, nämlioh gerade dadurch, daß ich gezwungen bin, dieses Leben für dioh, das heißt ja: für mioh, aufzugeben. Wenn nun ioh, der ioh vielleioht auch anderen dir verwandten (Seelen) durch dich helfen kann, von hier hinausgedrängt werde, wenn du dioh aber durch den Umgang mit Aegeates und durch die Schmeioheleien seines Vaters, der Sohlange, (wieder) gewinnen lässest, so daß du dioh (wieder) deinen 1
Vgl. 1. Joh. 3, 12.
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XIII. Apostelge8chichten des 2. und 3. Jahrhunderts
vormaligen Werken zukehrst, dann wisse, daß ich um deinetwillen werde gezüchtigt werden, bis daß du selber erkennst, daß ich das Leben um einer Seele willen von mir geworfen habe, die es nicht wert war. 9 Ich bitte nun dich, den klugen Mann (sie I), daß dein wohlgestalteter Geist beharre. Ich bitte dich, den unsichtbaren Geist, daß du dich bewahren lässest. Ich ermahne dich, Jesus zu lieben und dich nicht dem Schlechteren zu unterwerfen. Hilf auch mir, du, den ich als Menschen zu Hilfe rufe, damit ich vollkommen werde. Hilf auch mir, damit du deine wahre Natur erkennst. Leide mit meinem Leiden, damit du erkennst, was ich erleide, und du wirst dem Leiden entfliehen. Schaue, was ich schaue, und was du schaust, wird dich blenden. Schaue das, was notwendig ist, und was nicht notwendig ist, sollst du nicht schauen. Höre, was ich sage, und was du nicht gehört hast, verwirf. 10 Dies habe ich zu dir gesprochen und zu jedem, der hört, wenn er hören will. Du aber, Stratokles", so sagte er, indem er zu ihm hinblickte, "warum quälst du dich mit vielen Tränen und warum seufzest du so vernehmlich? Warum deine Mutlosigkeit? Warum dein großer Schmerz und deine große Betrübnis? Du erkennst das Gesagte. Wie kommt es denn, daß ich dich bitte, als (mein) Kind über dich verfügen zu lassen? Verstehst du, an welche (Personen) das Gesagte gerichtet ist? Hat jedes Einzelne (von dem Gesagten) deinen Geist ergriffen? Hat es dich in deinem geistigen Teil berührt? Habe ich dich als meinen Hörer? Habe ich in dir mich selbst? Gibt es in dir einen, der da redet, den ich als mir zugehörig erblicke? Liebt er den, der in mir redet und will er an ihm teilhaben? Will er mit ihm vereinigt werden? Findet er in ihm irgendwelche Ruhe? Hat er, wo er sein Haupt hinlegen kann? 1 Gibt es dort irgend etwas, was sich ihm entgegenstellt, was sich abweisend verhält, was sich widersetzt, was sich ihm feindlich zeigt, was (vor ihm) flieht, was wild ist, was sich zurückzieht, was sich abgewandt hat, was forteilt, was beschwert ist, was kämpft, was mit anderen Verkehr pflegt, von anderen sich schmeicheln läßt, mit anderen sich vereint? Gibt es etwa noch andere Dinge, die ihn belästigen? Ist etwa einer in mir, der mir selbst fremd ist? Ein Widersacher? Ein Verderber? Ein Feind? Ein Betrüger? Ein Zauberer? Ein Verkehrter? Ein Verderbter? Ein Hinterlistiger? Ein Menschenfeind? Ein Feind des Wortes? Einer, der Tyrannen gleicht? Ein Prahler? Ein Hochmütiger? Ein Wahnsinniger? Ein Verwandter der Schlange? Eine Waffe des Teufels? Ein Anwalt des Feuers? Ein Angehöriger der Finsternis? Gibt es in dir einen, der es nicht ertragen wird, wenn ich solche Worte an dich, Stratokles, richte? Wer ist es denn? Antworte mir: Rede ich etwa vergeblich? Habe ich etwa umsonst gesprochen? Nein, sagt der Mensch, der in dir, Stratokles, jetzt wiederum weint." 11 Und Andreas ergriff Stratokles' Hände und sprach: "Ich habe den, den ich liebte. Ich werde ruhen in dem, auf den ich wartete. Daß du noch mehr seufzest und unaufhörlich weinst, ist mir zum Zeichen geworden, daß mir die Ruhe schon zuteil geworden ist, denn ich habe diese Worte, die mir wesensverwandt sind, nicht vergeblich gesprochen." 12 Und Stratokles antwortete ihm: "Glaube nicht, seligster Andreas, daß es irgend etwas anderes gibt, das mich beschwert, als dich. Die Worte, die von dir ausgehen, gleichen, wie sie in mich eindringen, einem Feuer, und ein jedes von ihnen faßt mich und setzt mich wahrhaft in Flammen. Jener Teil meiner Seele, 1
Vgl. Matth. 8, 20.
4. Andreasakten
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der den Verkündigungen zuneigt, wird in der Ahnung des nun nahen Kummers gezüchtigt. Denn du scheidest, und ich weiß wohl, daß du es in der rechten Weise tust. Wenn ich aber danach deine Fürsorge und Liebe suche, wo soll ich sie finden und bei wem? Die Samenkörner der Heilsworte habe ich empfangen, da du der Sämann warst. Daß sie aber hervorsprossen und emporwachsen, dazu bedarf es keines anderen als deiner, glückseligster Andreas. Was hätte ich dir wohl anders zu sagen als dies? Großes Erbarmen brauche ich und die Hilfe, die von dir ausgeht, damit ich des von dir empfangenen Samens würdig zu werden vermag, der nur dann ständig und ins Sichtbare hervorkommend wächst, wenn du es willst und für ihn und für mein ganzes Ich betest." 13 Und Andreas antwortete ihm und sprach: "Das, mein Sohn, war es, was auch ich in dir sah. Und ich preise meinen Herrn, daß meine Meinung über dich nicht fehlging, sondern (vielmehr) weiß, was sie sagt. Damit ihr es aber wisset: Morgen wird mich Aegeates dem Kreuzestod ausliefern. Denn Maximilla, die Magd des Herrn, wird den Feind, der in ihm ist und dem er angehört, dadurch, daß sie in Bezug auf die Dinge, die ihr (d.h. ihrer wahren Natur) wesensfremd sind, mit ihm keine gemeinsame Sache macht, in höchste Empörung versetzen. Und er wird meinen, daß er sich Trost verschaffen würde, wenn er sich gegen mich wendet." 14 Während der Apostel diese Worte sprach, war Maximilla abwesend. Denn nachdem sie diese Worte vernommen hatte, mit denen er ihr geantwortet hatte, und da sie von ihnen gewissermaßen beeindruckt war, ja weil sie das, was die Worte darstellten, selbst geworden war, hatte sie sich entschiedenen und festen Sinnes in das Prätorium begeben. Dem ganzen Leben samt dem Fleische hatte sie Lebewohl gesagt, und als Aegeates an sie wieder das (alte) Verlangen herantrug, das er ihr zu bedenken gegeben hatte, nämlich ob sie mit ihm den ehelichen Umgang pflegen wolle, da lehnte sie ab. Von da an sann er auf die Ermordung des Andreas und überlegte, welcher Todesart er ihn aussetzen wolle. Und als ihm (schließlich) der Kreuzestod vor allen anderen der Vorzug zu gebühren schien, da ging er davon, um mit seinen Freunden eine Mahlzeit zu halten. Maximilla aber begab sich, indem ihr der Herr in der Gestalt des Andreas voranging, mit Iphidamia wieder ins Gefängnis. Und da eine größere Menge von Brüdern innen versammelt war, traf sie ihn, wie er gerade folgendermaßen redete: 15 "Ich wurde, liebe Brüder, vom Herrn als Apostel in diese Gegenden, deren mich der Herr für wert hielt, ausgesandt, zwar niemanden zu belehren, wohl aber jeden Menschen, der den Worten wesensverwandt ist, daran zu erinnern, daß sie (die Menschen) in vergänglichen Übeln dahinleben, indem sie sich ihrer schädlichen Einbildungen erfreuen. Diese zu fliehen, habe ich euch aufgefordert, und dem Bleibenden zuzueilen und die Flucht aus all dem Vergänglichen (Fließenden) anzutreten, habe ich euch ermahnt. Ihr seht ja, daß niemand von euch feststeht und daß alle Dinge bis hin zu den gewohnten menschlichen Denk- und Handlungsweisen veränderlich sind. Dies aber ist der Fall, weil die Seele unerzogen ist und sich in die "Natur" verirrt hat und ihrem Irrtum entsprechende Pfänder behält. Für selig halte ich darum die, welche Hörer der verkündigten Worte geworden sind und durch sie wie in einem Spiegel die Geheimnisse der eigenen Natur schauen, wegen derer das All erbaut wurde. 16 Darum gebiete ich euch, geliebte Kinder, fest auf den Grund zu bauen 1, der 1
Vgl. Eph. 2, 20.
19 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
für euch gelegt ist, der unbeweglich steht und für jeden Bösen unangreifbar ist. Auf diesem Grunde fasset Wurzel. Lasset euch stärken durch die Erinnerung an das, was (ihr gesehen habt?) und all das, was geschehen ist, als ich mit euch allen wandelte. Ihr habt durch mich Werke geschehen sehen, denen ihr den Glauben nicht versagen könnt, geschehene Zeichen von der Art, daß wohl selbst die stumme Natur darüber schreien würde l . Ich habe euch Worte mitgeteilt, die - darum bitte ich - von euch so aufgenommen werden mögen, wie die Worte selbst es wollen. Festigt euch, Geliebte, auf Grund alles dessen, was ihr sahet, was ihr hörtet und woran ihr teilhattet. Und Gott, an den ihr glaubtet, wird sich euer erbarmen und euch mit Wohlgefallen vor sich stellen als die, die da ruhen in alle Ewigkeit. 17 Was mir aber widerfahren wird, das braucht euch nicht wirklich zu erschüttern, als sei es etwas Befremdliches und Verwunderliches, daß der Sklave Gottes, dem Gott selbst durch Werke und Worte so vieles erwiesen hat, mit Gewalt von einem bösen Menschen aus diesem irdischen Leben getrieben wird. Denn nicht allein mir wird solches widerfahren, sondern auch all denen, die ihn lieben und an ihn glauben und ihn bekennen. Der ganz und gar unverschämte Teufel wird seine eigenen Kinder gegen sie bewaffnen, damit sie seine Anhänger werden. Aber er wird nicht erreichen, was er wünscht. Und weswegen er dies unternimmt, das will ich sagen: Vom Anfang aller Dinge an und, wenn man es so sagen darf, seitdem der Anfanglose hinabgestiegen war, um der unter ihm stehenden "Herrschaft" untergeben zu sein, treibt der Feind, der ein Widersacher des Friedens ist, den, der ihm nicht angehört, sondern nur einer der Schwächeren ist und noch nicht zu völliger Klarheit gelangt ist und noch nicht erkannt werden konnte, (von Gott) hinweg. Und weil er auch ihn (den Teufel) nicht kannte, deswegen mußte er von ihm bekämpft werden. Da er ihn zu besitzen und für immer zu beherrschen meinte, stellte er sich so sehr gegen ihn, daß er ihre Feindschaft zu einer Art Freundschaft gestaltete. Denn oftmals entwarf er Bilder seines eigenen der Sinnenlust ergebenen und trügerischen Wesens, um es (ihm) zu unterlegen, und er meinte, ihn dadurch gänzlich zu beherrschen. Äußerlich zeigte er sich nicht als Feind, sondern er heuchelte eine Freundschaft, die seiner würdig war. 18 Und dieses sein Werk betrieb er so lange, daß jener vergaß, es zu erkennen, während er (der Teufel) darum wußte, das heißt: dieser (wurde) wegen seiner Gaben (nicht als Feind angesehen) 2. Doch als das Geheimnis der Gnade aufleuchtete und der Ratschluß der (ewigen) Ruhe offenbar ward und das Licht des Wortes zum Vorschein kam und sich herausstellte, daß das errettete Geschlecht mit vielen Lüsten zu kämpfen hatte, der Feind selbst aber in Verachtung geriet und wegen der Güte des Erbarmers um seiner Gaben willen, durch die er über ihn (den Menschen) zu triumphieren schien, verlacht wurde, da begann er, mit Haß und Feindschaft und Überhebung Gegenpläne zu schmieden. Und dies betreibt er: nicht von uns abzulassen, bis daß er uns (von Gott) zu trennen meint. Damals nämlich war unser Widersacher sorglos. Und er gab vor, eine Freundschaft, die seiner würdig war, mit uns zu halten. Er hatte auch keine Furcht, daß wir, die wir von ihm irregeführt waren, abfallen könnten. Der Besitz des Heilsplanes aber, der uns aufstrahlte (wie ein Licht), hat (seine Feindschaft) ich sage nicht stärker (gemacht, Vgl. Luk. 19,40. Text verstümmelt. In Übereinstimmung mit E. Hennecke, Apokr. 2, S. 254 ergänzt. Entsprechend James, S. 356. 1
2
4. Andreasakten
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aber deutlicher kundgetan> 1. Den verborgenen Teil seiner Natur und das, was versteckt schien, das hat er ans Licht gebracht und zum Bekenntnis dessen kommen lassen, was es (wirklich) ist. Daher laßt uns denn, liebe Brüder, da wir das Zukünftige erkennen, aus dem Schlafe erwachen, ohne unwillig zu sein, ohne daß wir uns ein (besonderes) Ansehen geben, ohne daß wir seine Merkmale, die ja nicht unsere eigenen sind, an unseren Seelen tragen, sondern wir wollen alle völlig in dem Wort aufgehen und uns erheben und alle freudig das Ende erwarten und vor jenem die Flucht ergreifen, damit auch er forthin als derjenige offenbar werde, der unsere Natur gegen das Unsrige ... "
C. REKONSTRUIERTER TEXT DES MARTYRillMS Narr. 22.
Nachdem er die ganze Nacht hindurch so zu den Brüdern geredet und mit ihnen gebetet und sie dem Herrn anvertraut hatte, ließ Aegeates, der Prokonsul, den Apostel Andreas frühmorgens aus dem Gefängnis zu sich bringen. Er sagte zu ihm: Mart. II, 1.
"Das Ende des dich betreffenden Anklageverfahrens ist herangerückt, du Fremder, du Gegner des zeitlichen Lebens, du Feind meines ganzen Hauses. Weshalb hast du es für gut befunden, in Orte einzudringen, die dich nichts angehen, und meine Frau, die mir vorher gefällig war, zu verderben1 Weshalb hast du mir und ganz Achaea dies angetan1 Darum empfange von mir eine Gegengabe für das, was du mir angetan hast." Und er befahl, ihn mit sieben Geißeln zu schlagen. Dann befahl er, ihn zu kreuzigen. Und er gebot den Scharfrichtern, seine Beine ungebrochen zu lassen, um ihn dadurch, wie er meinte, noch mehr zu strafen. Narr. 23; Mart. II, 1.
In ganz Patrae verbreitete sich jetzt die Kunde, daß der Fremde, der Gerechte, der Sklave Christi, den Aegeates gefangen hielt, gekreuzigt werde, obwohl er nichts Unrechtes getan hatte; und einmütig strömten alle zu dem Schauspiel zusammen, außer sich über den Prokonsul wegen des frevelhaften Urteils. Narr. 23; Mart. II, 2.
Und als die Henker ihn an die Stätte führten und das Befohlene ausführen wollten, da kam Stratokles, der vernommen hatte, was sich zutrug, herbeigelaufen und sah, wie der selige Andreas von den Henkern wie ein Verbrecher davongeschleppt wurde. Und er schonte sie nicht, sondern versetzte jedem von ihnen Schläge, zerriß ihre Gewänder von oben bis unten und riß den Andreas von ihnen mit den Worten: "Danket es diesem seligen Manne, daß er mich erzogen und gelehrt hat, des Zornes Menge zurückzuhalten. Sonst hätte ich euch gezeigt, was Stratokles und was der verruchte Aegeates vermag. Denn wir haben zu erdulden gelernt, was andere uns zufügen." Und er nahm den Apostel bei der Hand und ging mit ihm zu der Stätte am Meer, wo er gekreuzigt werden sollte. 1
19*
Konj. Bonnet.
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XIII. Apoatelge8chichten de8 2. und 3. Jahrhundert8
Narr. 24; Mari. II, 3.
Aber die Soldaten, denen er vom Prokonsul übergeben worden war, ließen den Apostel bei Stratokles, kehrten um und berichteten dem Aegeates: "Als wir mit Andreas dahergingen, sprang Stratokles dazwischen, zerriß unsere Kleider, riß ihn von uns und nahm ihn mit sich; und nun sind wir hier, wie du siehst." Und Aegeates antwortete ihnen: "Nehmt andere Kleider und gehet hin und tuet und führet aus, was ich euch bezüglich des verurteilten Andreas befohlen habe. Von Stratokles lasset euch überhaupt nicht erblicken und widersprechet ihm nicht, wenn er überhaupt etwas von euch fordert. Ich kenne nämlich sein voreiliges Wesen. Er würde nicht einmal mich schonen, wenn er zum Zorn gereizt wird." Mart. II, 3.
Und sie taten, wie ihnen Aegeates gesagt hatte. Stratokles aber kam mit dem Apostel zu der vorbestimmten Richtstätte. Da er (Andreas) nun bemerkte, daß er (Stratokles) auf Aegeates erbittert war und leise auf ihn schalt, da sprach er zu ihm: "Mein Sohn Stratokles, ich wünschte, daß du künftig einen unbewegbaren Geist besäßest und etwas Derartiges von dir wiesest, daß du dich weder innerlich auf die verderblichen Meinungen (der Menschen) einstelltest noch äußerlich entflammen ließest. Denn es geziemt sich, daß Jesu Sklave Jesu würdig sei. Und noch etwas anderes will ich dir und den mit mir wandelnden Brüdern sagen: Wenn der Feind etwas wagt und niemanden findet, der ihm zustimmt, dann wird er geschlagen und gestoßen und ganz zu Tode gebracht, weil er nicht vollbracht hat, was er sich vorgenommen hatte. Wir wollen ihn darum, liebe Kinder, immer vor Augen behalten, damit wir nicht einschlafen und der Widersacher uns umbringe." Narr. 26; Mut. II, 4.
Dies und anderes mehr sprach er zu Stratokles und den anderen, die bei ihm auf dem Wege waren. Da erreichte er die Stätte, da er gekreuzigt werden sollte. Und als er am Ufer über dem Meeressande das Kreuz errichtet sah, da ließ er alle zurück, trat auf das Kreuz zu und redete es, als wäre es ein lebendiges Wesen, mit mächtiger Stimme an: Land. 46; Mari. I, 14; Ep. Gr. 10.
"Sei mir gegrüßt, 0 Kreuz! Denn du darfst dich wirklich. freuen. Wohl weiß ich, daß auch du künftig ausruhst, da du seit langer Zeit müde bist und aufgerichtet auf mich wartest. Ich bin gekommen zu dir, das ich als mein eigen kenne; ich bin gekommen zu dir, dem nach mir sich Sehnenden. Ich kenne dein Geheimnis, um dessenwillen du auch errichtet bist. Du bist nämlich im Kosmos aufgerichtet, um das Unstete zu befestigen. Und ein Teil von dir erstreckt sich bis zum Himmel, damit du so den himmlischen Logosl, das Haupt aller Dinge, anzeigest. Ein anderer Teil von dir wurde zur Rechten und zur Linken ausgebreitet, damit du die furchtbare feindliche Macht in die Flucht jagest und den Kosmos zusammenbringest. Ein anderer Teil von dir ist in der Erde befestigt, in der Tiefe gegründet, damit du, was in der Erde und unter der Erde sich befindet, mit dem, was im Himmel ist, verknüpfest. 0 Kreuz, Heilswerkzeug des Höchsten! 0 Kreuz, Zeichen des Sieges Christi über die Feinde! 0 Kreuz, auf Erden gepflanzt und im Himmel Frucht 1
Mart. I, 14, S. 54, 25 cj. Bonnet: den oberen Logos.
4. Andreasakten
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tragend! 0 Kreuzesname, der du voll aller Dinge bist! Wohl dir, 0 Kreuz, daß du die Welt in ihrem Umfang gebunden hast. Wohl dir, Gestalt voller Einsicht, die du deine Gestaltlosigkeit gestaltet hast. Wohl dir, unsichtbare Züchtigung, die du das Wesen der Vielgötterlehre schwer züchtigst und ihren Erfinder aus der Menschheit verjagst. Wohl dir, 0 Kreuz, daß du den Herrn angezogen, den Räuber als Frucht hervorgebracht, den Apostel zur Buße gerufen l+lld uns aufzunehmen nicht für unter deiner Würde gehalten hast! Aber wie lange rede ich noch und lasse mich nicht vom Kreuz umfangen, um in dem Kreuz zum Leben erweckt zu werden und durch das Kreuz in den (allen) gemeinsamen Tod aus diesem Leben hinwegzugehen ~ Kommet heran, Diener meiner Freude und Schergen des Aegeates, und erfüllet unser beider Wunsch und bindet das Lamm an das Leiden, den Menschen an den Schöpfer, die Seele an den Heiland." Narr. 28; Ep. Gr. 10.
So sprach der selige Andreas, auf der Erde stehend und unverwandt auf das Kreuz blickend. Dann bat er die Brüder, daß die Henker kommen und ausrichten möchten, was ihnen aufgetragen war. Denn sie standen von ferne. Laud. 47; Mart. I, 15; Ep. Gr. 10; Narr. 28.
Und sie kamen und banden seine Hände und Füße und nagelten ihn nicht an; diesen Auftrag hatten sie nämlich von Aegeates. Er wollte nämlich den Gehängten dadurch quälen, daß er ihn von Hunden lebendig verschlingen ließ. Und sie ließen ihn hängen und entfernten sich von ihm. Narr. 29; Ep. Gr. 11; Mart. II, 5.
Als die dabeistehenden Mengen, die von ihm in Christo zu Jüngern gemacht worden waren, sahen, daß man ihm nichts von dem, was man den Gekreuzigten zuzufügen pflegt, angetan hatte, da hofften sie, noch einmal etwas von ihm zu hören. Denn als er da hing, bewegte er sein Haupt und lächelte. Und Stratokles fragte ihn: "Was lächelst du, Sklave Gottes? Dein Lachen macht uns trauern und weinen, weil wir deiner beraubt werden." Und der selige Andreas antwortete ihm: "Mein Sohn Stratokles, soll ich nicht lachen über den eitlen Anschlag des Aegeates, durch den er sich an uns zu rächen meint~ Wir haben mit ihm und seinen Plänen nichts zu tun. Er ist nicht imstande zu hören. Wäre er dazu imstande, so hätte er gehört, daß ein Mensch, der J esu eigen ist, weil er von ihm erkannt ist, künftig gegen alle Rache gefeit ist." Ep. Gr. 11; Mart. II, 6; Narr. 30.
Danach richtete er das Wort an alle insgesamt - es waren (nämlich) auch Heiden zusammengelaufen, außer sich über das ungerechte Urteil des Aegeates -: "Ihr Männer, die ihr bei mir steht, Frauen, Kinder und Greise, Sklaven und Freie und alle, die ihr hören wollt, gebet nicht acht auf den eitlen Wahn des zeitlichen Lebens. Gebet vielmehr acht auf uns, die wir um des Herrn willen (hier) hängen und diesen Leib bald verlassen, und saget allen weltlichen Begierden ab und verachtet (wörtl. : speiet auf) allen Kult der abscheulichen Götter und strömet herbei zu dem wahrhaftigen Gottesdienst unseres Gottes, der nicht lügt, und machet euch zum heiligen Tempel und bereitet euch zu zum Empfang des Wortes."
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
Ep. Gr. 12; Narr. 31; Mart. II, 6; Conv. 5. Und die Menge, die sein Wort hörte, wich nicht von der Stelle, und Andreas fuhr fort und redete noch mehr zu ihnen, einen Tag und eine Nacht lang. Und als sie am folgenden Tage seine Ausdauer und die Standhaftigkeit seiner Seele, die Weisheit seines Geistes und die Festigkeit seines Sinnes sahen, da gerieten sie in Erregung, eilten einmütig zum Tribunal zu Aegeates und riefen aus: "Was soll dieser dein Urteilsspruch, 0 Prokonsul? Schlecht hast du geurteilt! Ungerecht hast du gerichtet! Was für ein Unrecht hat dieser Mensch getan? Was für ein Verbrechen hat er begangen? Die Stadt ist in Aufruhr! Uns alle beleidigst du! Richte des Kaisers Stadt nicht zugrunde! Überlasse uns den Gerechten! Gib uns den Heiligen heraus! Töte doch nicht den Mann, den Gott liebt! Vernichte doch nicht einen (so) sanften und frommen Menschen! Zwei Tage hängt er schon da, und doch lebt er noch. Er hat nichts gegessen, aber uns alle mit seinen Worten gesättigt. Und siehe, wir glauben dem Gott, den er verkündigt. Nimm den Gerechten herab, und wir alle wollen Philosophen werden. Gib den Asketen (wörtlich: den Züchtigen) los, und alle Patraeer werden Frieden haben. Entlasse den Weisen und ganz Achaea wird durch ihn zur Freiheit gelangen." Ep. Gr. 13; Narr. 32; Mart. II, 7; Conv. 5. Als Aegeates sie zuerst nicht hören wollte und der Menge durch Zeichen mit der Hand gebot, sich zurückzuziehen, da waren sie von Zorn erfüllt, entschlossen, etwas gegen ihn zu unternehmen. Sie waren etwa 2000 Menschen 1. Als der Prokonsul sah, daß sie sich in einer Art Raserei befanden, und da er fürchtete, er könne etwas Schreckliches erleiden, da erhob er sich von seinem Richterstuhl, ging mit ihnen und versprach, Andreas freizugeben. Einige liefen voraus und erzählten dem Apostel und dem übrigen Volk, das bei ihm stand, aus welchem Grunde der Prokonsul käme. Und die Menge der Jünger jubelte, unter ihnen auch Maximilla, Iphidamia und Stratokles. Narr.33. Als Andreas davon hörte, begann er zu reden:· ,,0 Trägheit und Unglaube und Einfalt derer, die von mir unterrichtet wurden! Wieviel haben wir bis jetzt geredet, und wir haben (dennoch) die Unsrigen noch nicht bewegt, die Liebe zu den irdischen Dingen zu fliehen. Sondern sie sind noch an sie gebunden und verharren in ihnen und wollen sich nicht von ihnen lösen. Was soll denn eine derartige Freundschaft und Liebe und Gewöhnung an das Fleisch? Wie lange gebt ihr euch mit den weltlichen und zeitlichen Dingen ab? Wie lange wollt ihr das, was höher ist als wir, nicht erkennen und euch nicht beeilen, das, was dort ist, zu ergreifen? Lasset mich nunmehr in der Weise, wie ihr es vor Augen habt, sterben, und auf keinen Fall soll mich jemand von diesen Banden lösen. So ist es mir nämlich bestimmt: aus dem Leibe zu scheiden, um beim Herrn daheim zu sein, mit dem ich auch gekreuzigt werde. Dies soll denn auch geschehen." Narr. 34; Laud. 48; Ep. Gr. 13. Und er wandte sich Aegeates zu und redete ihn an: "Weswegen kommst du, Aegeates, zu dem, der dir (wesens-)fremd ist? Was willst du dir wiederum heraus1
So Narr.; dagegen Ep. Gr. u. Mart. II: 20000.
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nehmen, was bewerkstelligen, was holen? Was willst du (uns) sagen? Daß du bereut hast und gekommen bist, uns zu lösen? Nicht einmal, wenn du wirklich bereutest, Aegeates, würde ich mich mit dir einigen. Nicht einmal, wenn du mir dein ganzes Vermögen versprächst, würde ich mich von mir selbst abwenden. Nicht einmal, wenn du dich meinen Jünger nennen würdest, würde ich dir vertrauen. Lösest du, Prokonsul, etwa den Gebundenen? (Oder) lösest du (nicht vielmehr) den Freigelassenen? Lösest du (nicht) den, der erkannt wurde von dem, der ihm (d.h. Gott) (wesens-)verwandt ist? Den, der seine Barmherzigkeit erlangt hat und von ihm geliebt wird? Den, der dir (wesens-)fremd ist, mit dem du nichts zu tun hast? Den, der nur dir erschien? Ich habe den, bei dem ich für immer sein werde. Ich habe den, mit dem ich durch ungezählte Äonen hindurch wandeln werde. Zu ihm gehe ich hin. Zu ihm hin eile ich, der mich auch dich erkennen ließ, indem er zu mir sagte: 'Lerne den Aegeates und seine Gaben kennen. Dich soll der Schreckliche nicht erschrecken noch soll er meinen, daß er über dich, der du mir gehörst, Gewalt habe. Er ist dein Feind: ein Verderber, Verführer, Schänder, Wahnsinniger, Zauberer, Schwindler, Mörder, Jähzorniger, ein Mensch ohne Mitgefühl.' Weiche also nun von mir, du Übeltäter. Ich nämlich und die, die mir (wesens-)verwandt sind, wir eilen dem Unsrigen zu und lassen dich das sein, was du warst, ohne daß du weißt, daß du es bist." Sprachlos und sozusagen außer sich stand der Prokonsul da. Als nun die ganze Stadt lärmend verlangte, daß er Andreas befreite, und er an das Kreuz herantrat, um ihn loszubinden und herabzunehmen, da rief Andreas mit lauter Stimme: "Laß nicht zu, Herr, daß der an dein Kreuz gebundene Andreas wieder losgebunden werde. Gib nicht mich, der ich an deinem Mysterium bin (Narr.: an deinem Mysterium hänge) 1, dem schamlosen Teufel preis. Jesus Christus, laß deinen Widersacher mich, der ich an deiner Gnade hänge, nicht loslösen. Vater, laß diesen Kleinen den, der deine Größe erkannt hat, nicht länger mehr erniedrigen. Jesus Christus, nimm mich, der ich dich gesehen habe, der ich dich besitze, der ich dich liebe, der ich bei dir bin und sein werde, in Frieden auf in deine ewigen Hütten 2 , damit durch meinen Ausgang der Eingang der vielen, die mir (wesens-)verwandt sind, zu dir erfolgen kann, indem sie Ruhe finden in deiner Größe." Und als er so gesprochen und den Herrn noch mehr gepriesen hatte, da gab er seinen Geist auf, während alle weinten und über sein Scheiden traurig waren. Narr. 36; Mart. II, 10; Ep. Gr. 15.
Und nach dem Verscheiden des seligen Andreas trat Maximilla mit Stratokles heran, ohne sich um die, die dabeistanden, zu kümmern, und nahm den Leichnam des Andreas herab. Und als es Abend geworden war, da bestattete sie ihn, nachdem die übliche Sorgfalt hatte angedeihen lassen. Und sie lebte getrennt von sie Aegeates wegen seiner tierischen Seele und seines zügellosen Wandels, erwählte ein heiliges und zurückgezogenes Leben, das sie, erfüllt von der Liebe Christi, unter den Brüdern verbrachte. Aegeates drang mit vielen Bitten in sie und versprach ihr, daß sie Herrin über seine Angelegenheit werden solle, doch er vermochte sie nicht zu überreden. Da stand er des Nachts in unzeitiger Frühe auf und stürzte sich - unbemerkt von seinen Leuten - von einer großen Höhe herab und starb.
wm
1
Mysterium = Kreuz; ebenso Gnade im folgenden Satz.
2
Vgl. Lk. 16,9 (1).
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XIII. Apostelgeschichten de8 2. und 3. Jahrhunderts
Narr. 37; Conv. 7; Mart. 11, 10. Aber Stratokles, sein Bruder dem Fleische nach, wollte nichts von der Habe des Aegeates anrühren - der Nichtswürdige war nämlich kinderlos gestorben -, sondern sagte: "Dein Besitz, Aegeates, möge mit dir dahinfahren. Mir genügt nämlich der Herr Jesus, den ich erkannt habe durch seinen Knecht Andreas." Und so kam der Volksaufruhr zur Ruhe, da sich alle über den ungeheuerlichen, frühzeitigen und plötzlichen Fall des gottlosen und gesetzlosen Aegeates freuten. D. EIN KOPTISCHES FRAGMENT J. Barns hat in JThSt. N. S. 11, 1960 (A Coptic Apocryphal Fragment in the Bodleian Library, S.70-76) einen bisher unveröffentlichten koptischen Text mit Übersetzung und Kommentar vorgelegt, der möglicherweise den AA zuzuschreiben ist. Das schlecht erhaltene, z.T. völlig unleserliche Pergamentblatt Bodleian MS. Copt. f.103 (P) gibt einen Ausschnitt aus einem - wahrscheinlich längeren - Gespräch zwischen Andreas und dem Erlöser wieder. Daß der Text Teil eines alten Apokryphons ist, ist sicher. Die Rolle, die A. in ihm spielt, läßt den Herausgeber vermuten, daß es sich um ein Bruchstück der AA handele. Wenn der Apostel sich auf den Umstand beruft, daß er nicht allein seine Eltern, sondern auch seine Frau und seine Kinder verlassen habe (11 recto Uf.), so paßt das nach Meinung des Herausgebers gut zu dem enkratitischen Charakter der AA. Freilich ist dazu zu sagen, daß sich eine enkratitische Tendenz in diesen Worten kaum nachweisen läßt. Soweit der fragmentarische Zustand des Textes ein Urteil überhaupt zuläßt, ist es als das Wahrscheinlichste anzusprechen, daß es sich um nichts weiter als eine sachliche Parallele zu dem Gedanken von Mk. 10, 24 parr. handelt 1. Der erste Eindruck des unbefangenen Lesers ist der, daß es sich um eine Episode aus dem Leben Jesu handelt. Jedoch darf man auch die Möglichkeit nicht ausschließen, daß wir einen Ausschnitt aus einer Jüngerbelehrung zwischen Ostern und Himmelfahrt im Stil des apokryphen Jakobusbriefes (vgI. Bd. I, S. 245ff.) und der Epistula Apostolorum (vgI. ebd., S. 126ff.) vor uns haben. In beiden Fällen wäre es jedoch nicht erlaubt, das Stück den AA zuzuschreiben, deren Handlung ja erst mit dem Aufbruch des Apostels von Pontus beginnt. Freilich ist auch eine dritte Möglichkeit gegeben, nämlich die, daß der Dialog zwischen Jesus und A. eine Erscheinung des Herrn voraussetzt, die dem Apostel irgendwann während seiner Reise zuteil geworden ist. Weil diese Möglichkeit nicht von vornherein abgewiesen werden kann und die Zuweisung des Fragments zu den AA darum immerhin erwägenswert ist, legen wir eine Übersetzung des Textes vor, ohne uns damit auf die These des Herausgebers festlegen zu wollen. Text des koptischen Fragments
I recto
5
... Mensch .•. um mich zu sehen 2 dann ("ro-r8) sagte J esus zu Andreas: "Komm hinein zu mir, Andreas, dein Name ist das Feuer. Gesegnet bist du (?) unter den Menschen." Es antwortete
1 Auch die Erwägungen, die Barns zum Erweis des enkratitischen Charakters des Textes an 11 verso 5lf. anknüpft, sind nicht überzeugend. Der fragmentarische Zustand des Textes gebietet uns, die Frage des Enkratismus offenzulassen. 2 Zusatz von zweiter Hand: in • •• Glied (P8).OI;), das i8t • ••
5. Thomasakten
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[Es antwortete] 1 Andreas und sprach zum Heiland (aw7:1}(!) (1): "Erlaube mir, daß ich rede." 10 Dann (7:67:8) sagte er (?) zu ihm (?): "Rede, Andreas, du festgegründete Säule (0'7:VAO~) (1)". Andreas antwortete und sagte: "So wahr Gott (1) lebt, 15 der dein Vater (?) ist (?): 1 verso ich bin (?) herausgekommen aus (1) dem Hause meines Vaters und meiner Mutter; und so wahr meine Seele lebt (?): ich bin nicht (?) 20 wieder hinein gegegangen und habe nicht (?) gesehen (1) das Antlitz (1) meines (1) Vaters (?) und meiner Mutter noch (ovCJs) (?) habe (?) ich (?) gesehen das Antlitz (?) meiner (?) Kin25 der (?) und meiner Frau (?), aber (aAAa) ich trug mein Kreuz 2 , täglich dir nachfolgend von morgens bis abends, und ich habe es nicht niedergelegt." 3 BO Und Jesus antwortete und sagte: "Ich weiß, Andreas ... " 11 verso ... einer, der geringer ist (?) als einer von (1) 50 uns (1), die wir (1) deinen Namen (?) tragen (1) 4. Zwei (?) Röcke (?) habe ich nicht für mich (?) begehrt (btd}v/ls'ijJ); dieser andere Rock (?), den ich trage . . ." 5 5. THOMASAKTEN
(G. Bornkamm) EINLEITUNG. - 1. LITERATUR·. Von der älteren Literatur sind besonders zu nennen: C. Thilo, Acta S. Thomae Apostoli, 1823 (eine veraltete Textausgabe, die sich aber durch einen auch heute noch wertvollen scharfsinnigen Kommentar auszeichnet). R. A. Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, 1883, I S. 225ff. W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis, FRLANT 10, 1907. Ders., Manichäisches in den ThomasDittographie. 2 Wahrscheinlich mit Barns zu lesen: eneifi 'mpastauros. Wahrscheinlich mit Barns zu lesen: e'mpikaaf epeset. , Wörtlich: "die wir unter deinem Namen sind", falls richtig zu lesen ist: anon etha pekran. • Wörtlich: "der auf mir ist ... " 6 Im folgenden bedeutet ATh = Thomasakten, und Th. Ev. = Thomasevangelium. 1 3
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
akten, ZNW 18, 1917/18, S.30ff. R. Reitzenstein, Das iranische Erlösungsmysterium, 1921. Ders., Die hellenistischen Mysterienreligionen, 31927. Weitere reichhaltige Angaben über die ältere Literatur samt eigenen Einführungen und Erläuterungen zu den ATh in der ersteri (S. 473ff.; Handb. S. 562ff.; R. Raabe und E. Preuschen) und in der zweiten (S.256ff.; W. Bauer) Auflage dieses Buches. - R. Söder, Die apokryphen Apostelgeschichten und die romanhafte Literatur der Antike, Würzburger Studien zur Altertumswissenschaft, 3, 1932. G. Bornkamm, Mythos und Legende in den apokryphen Thomasakten. Beiträge zur Geschichte der Gnosis und zur Vorgeschichte des Manichäismus, FRLANT NF 31,1933. Ders., Artk. Thomas, in: A. Pauly-G.Wissowa, Realenc. d. Klass. Altertumsw. 2. R. Bd. VI, Sp. 316ff. G. Widengren, The Great Vohu Manah and the Apostle of God. Studies in Iranian and Manichaean Religion, Upps. Univ. Arsskr., 5,1945. Ders., Mesopotamian Elements in Manichaeism, ebd., 3, 1946. Ders., The Ascension ofthe Apostle and the Heaverily Book, ebd., 7, 1950. Ders., Der iranische Hintergrund der Gnosis, Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgesch., 4, 1952, S. 97ff. Ders., Stand und Aufgabe der iranischen Religionsgeschichte, Numen I, 1954, S. 16ff., II, 1955, S. I ff. Ders., Muhammed, the Apostle of God, and His Ascension, Upps. Univ. Arsskr., I, 1955. H. C. Puech, Le manicMisme, son fondateur, sa doctrine, 1949. H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, I, Die mythologische Gnosis, FRLANT NF 33, "1954. A. Adam, Die Psalmen des Thomas und das Perlerilied als Zeugnisse vorchristlicher Gnosis, BZNW, 24, 1959. Vgl. auch H. C. Puech im 1. Bd. dieses Buches S. 199ff. u. S.223f. Zu den Textausgaben der gesamten ATh s. S.299. Übersetzungen des Textes der ATh außer in der 1. und 2. Auflage dieses Buches noch bei W.Wright, Apocryphal Acta of the Apostles, II (eng!. Übers. nach dem syr. Text) 1871; M.R. James, The Apocryphal New Testament, 61955; A.F.J. Klijn, The Acts of Thomas. Introduction-Text-Commentary, 1962; W. Michaelis, Die apokryphen Schriften zum NT 21958 (Auswahl, mit Erläuterungen)!. Zur bes. Überlieferung des Perleriliedes und zu seinen Übersetzungen s. S. 303, Anm. 1. 2. DER APOSTEL THOMAS, vgl. Bd. I, S. 206f., bei den Syrern und so auch in den apokryphen ThomasaktenJudas Thomas (auch' Iovtiar; oder @wf.tiir;,'Iovtiar;6ual @wf.tiir;oder 'Iovtiar; @wf.tiir; 6 ual L1ltivf.tor;) genannt, gilt in den ATh als Zwillingsbruder Jesu, diesem im Aussehen (c. 11), aber auch im Schicksal und Werk des Erlösers gleichend (c. 31. 39). Wie in anderer gnostischer Literatur (Epist. Apost. 42f.; Pistis Sophia 42f.; Einleitung und Logion 13 des neugefundenen Thomas-Evangeliums, s. Puech Bd. I, S. 206f.) erscheint Thomas auch in den ATh als Empfänger und Vermittler besonderer Geheimoffenbarungen (c. 39: 6 tittivf.tor; TOV X(]urrov, 6 d:n;oaToÄOr; TOV v1plGTOV ual avf.tf.tVGTTJr; TOV ÄOyov TOV X(]trnov TOV d:n;o,,(]vcpov, 6 tiexof.tB'llor; amov Td d:n;ou(]vcpa Ä6yta), doch ist die Ausdeutung des Namens Zwilling im Sinne gnostischer Verschmelzung von Erlöser und Apostel erst in den ATh vollzogen (vgl. c. 10.47.78 u. ö.). Im Thomas-Evangelium hat der Apostel noch keineswegs selbst die Funktion des Erlösers. Gleichwohl dürfte die Heimat des Th. Ev. ebenso wie die der ATh Syrien sein (vgl. W. C. van Unnik, Evangelien aus dem Nilsand, 1960, S.60). Auch andere inhaltliche Berührungen zwischen beiden Schriften fehlen nicht völlig. Doch betreffen sie Einzelmotive (vgl. Bd. I, S. 207), die in den ATh in jedem Fall im Sinne gnostischer Anschauungen reichlicher ausgestaltet sind, aber eine literarische Abhängigkeit nicht sicher beweisen (vgl. Logion 2 und ATh c. 136; Logion 13 und ATh c. 37. 39. 47. 147; Logion 22 und ATh c. 92.147; Logion 37 und ATh c. 14). Die katholische Abgarlegende (über ihren historischen Wert zuletzt W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei, 1934, S. 6ff.) führt auf ThoIDas die Missionierung Edessas zurück, wo seit dem 4.Jahrh. seine Gebeine aufbewahrt werden. Eine schon von Origenes (bei Euseb, h. e. rrr I, I) und in den Ps. Clementinen (R. IX, 29) vertretene Tradition bezeichnet Thomas als den Apostel Parthiens. Als Apostel Indiens erscheint er erstmalig in den ATh, in einer legendären Tradition, die zwar geschickt historische Gestalten wie den parthisch-indischen König 1 Im folgenden Text ist die vollständige Raabesche Übersetzung und die gekürzte von W. Bauer zugrunde gelegt, durchgeprüft und z.T. korrigiert.
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Gundafor (seine Regierungszeit fällt nach Ausweis gefundener Münzen in das erste nachchristI. Jahrh., vgl. v. Gutschmid, Kl. Schriften II, S. 332ff.) und die lebhaften kulturellen und kommerziellen Beziehungen zwischen Nordindien und Syrien für das Kolorit der Erzählung verwendet, aber keinen Anspruch auf Geschichtlichkeit hat. Die Akten sind auch das älteste Zeugnis der Legende vom Märtyrertod des Thomas und der Überführung seiner Gebeine nach Edessa. 3. ÜBERLIEFERUNG DER THOMAS-AKTEN. Die ATh gehören zu der Sammlung apokrypher Apostelgeschichten, als deren Verfasser seit dem 5. Jahrh. Leucius Charinus gilt, eine Tradition, die manichäischen Ursprungs zu sein scheint, und zwar nicht für die Abfassung, aber die Sammlung der Apostelgeschichten zutreffen mag (vgI. oben S. 121 ff.). Den Gebrauch der ATh in gnostischen Sekten bezeugen Epiphanius (haer. 47, 1; 61,1); bei den Manichäern Augustinus (c. Faust. 22, 79; c. Adimant. 17,2,5; de sermone domini in monte 1,20,65); Turribius v. Astorga (Epist. ad Idac. et Ceston. 5, Manichäer und Priscillianisten). Doch haben sie sich auch in rechtgläubigen Kreisen als christliche Erbauungs- und Unterhaltungsliteratur großer Beliebtheit erfreut, wie ihre vielgestaltige Textgeschichte, insbesondere die in ihr erkennbare Tendenz zur Ausmerzung gnostischer Züge und zur Angleichung an die katholische Lehre beweist (spätere Bearbeitungen auch in lateinischer, äthiopischer und armenischer Sprache). Die ATh sind in griechischer und syrischer Sprache erhalten, der griechische Text (G) auf Grund von 21 Hssl herausg. von Bonnet, Acta Apostolorum Apocrypha II, 2 (1903), p. 99-288; der syrische Text (S) auf Grund einer Londoner Hs herausg. und übers. von W. Wright, Apocryphal Acts of the Apostles (1871) I, p.l71ff. (syr.), II, p.146ff. (engl.). Geringfügige Abweichungen des syrischen Textes (auf Grund einer Berliner Hs) in einer Neuausgabe durch Bedjan, Acta martyrum et sanctorum III (1892), p. 3ff. Ältere Fragmente bei A. S. Lewis, Mythological Acts of the Apostles (Horae Semiticae IV, 1904); vgI. auch Burkitt in Studia Sinaitica IX (1900) app. VII, p. 23ff. Wie heute kaum noch bestritten, waren die ATh ursprünglich syrisch abgefaßt. Doch ist dem griechischen Text vor dem uns heute vorliegenden syrischen Text S (s.o.) aufs Ganze gesehen der Vorzug zu geben, da dieser zahlreiche katholisierende Überarbeitungen aufweist. Das schließt nicht aus, daß S an zahlreichen Einzelstellen sicher Älteres bewahrt hat. G und S dürften also auf einen gemeinsamen verlorenen syrischen Text zurückgehen 2. 4. DER LITERABISCHE CHARAKTER DER ATH. Die ATh vertreten eine christlich-gnostische Spielart der hellenistisch-orientalischen Romanliteratur. Die in dieser Literatur reichlich verwendeten Elemente und Motive: die Reise eines Helden in ein fremdes Wunderland, die Verknüpfung seiner Geschichte mit der Geschichte historischer Figuren, die Schilderung phantastischer Krafttaten des Helden und staunenerregender Naturwunder, die Vorliebe für erotische Szenen und die ausgebildete Neigung zum Tendenziösen, dazu die Stilmittel novellistischer und romanhafter Erzählungskunst (vgl. R. Söder, a.a.O., u. R. Helm, Der antike Roman, 1948, S. 53-56, u. o. S. 115ff.) lassen sich in den ATh, wenn auch vielfach in volkstümlich-vergröberter Form, sämtlich wiedererkennen. Ebenso deutlich ist in den Akten freilich die Anlehnung an biblische Stoffe und Erzählungsmotive. Sie erzählen in 13 Praxeis, deren Mittelpunkt der Apostel Thomas ist, seine Wundertaten, die Bekehrungsgeschichte zahlreicher einzelner Personen, endlich die Leiden des Apostels bis zu seinem Martyrium. Die einzelnen Erzählungen sind in der ersten bis sechsten Praxis locker aneinandergereiht, im zweiten Teil (7.-13. Praxis) dagegen, unter Zurücktreten der Wundermotive und stärkerem Hervortreten des Motivs der Bekehrung, kunstvoller komponiert. Die Gestalten werden hier individueller gezeichnet, die Szenen sorgfältig mit1 Besonders wichtig sind ein römischer Codex (Vallicellanus B 35) aus dem 11. Jahrh., bei Bonnet unter dem Siglum U, die vollständigste Handschrift der ATh, und ein Pariser Codex (B. N. graec. 1510) aus dem 11. oder 12. Jahrh., bei Bonnet unter dem Siglum P. 2 Zu der besonderen Überlieferung des Perlenliedes vgl. S. 303, zu der des Martyriums vgl. den Text.
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einander verknüpft. Der einheitliche Schauplatz im zweiten Teil ist der Hof des Königs Misdai, während von den Schauplätzen, Gestalten und Begebenheiten des ersten Teiles hier keine Rede mehr ist. Trotz dieser Unterschiede in beiden Teilen sind die Akten einheitlichen Charakters. Alle Erzählungen sind durchsetzt mit zahlreichen liturgischen Stükken, Predigten, Kultgebeten und Hymnen, die zwar von dem Verfasser sinngemäß eingefügt sind, aber doch vielfach nur im lockeren Zusammenhang zu den Einzelerzählungen stehen und schon damit oft die Selbständigkeit ihres Ursprungs verraten. Hierzu gehören vor allem auch die beiden berühmten Lieder, das Brautlied in der 1. und das Perlenlied in der 9. Praxis. Die Reden, Gebete und Lieder in den Akten lassen unmißverständlich erkennen, wie auch die Erzählungen vom Verfasser gemeint sind: als legendäre Einkleidungen des Mysteriums der Erlösung. Sie sind also durchgängig gekennzeichnet durch eine Doppelsinnigkeit, über die die Akten selbst sich z. B. c. 36 u. c. 78 unmißverständlich aussprechen. 5. DER GNOSTISCHE CHARAKTER DER PRAXEIS. Die Erlösungsanschauung, die den Akten zugrunde liegt, ist die der Gnosis. Das wird sofort deutlich, wenn man sich die wichtigsten Einzelzüge des gnostischen Erlösungsmythos, die über die Akten im ganzen verstreut sind, zu einem einheitlichen Bilde zusammenstellt: Der vom Himmel ausgesandte Erlöser legt die himmlische Herrlichkeit ab; verkleidet in irdisch-menschliche Gestalt erscheint er den Mächten, die ihn nicht erkennen und nur seine Stimme hören, verfolgt, bekämpft und besiegt sie (c. 10.45.48.80. 122. 152. 156 u. a.). Die Gläubigen, fremd auf der Erde, aber dem himmlischen Erlöser bzw. seinem Doppelgänger, dem Apostel, vertraut (c. 32. 34. 39. 48.61. 81 u. a.), werden von dem Erlöser aus dem Hades, d.h. zugleich ans dem Bereich des Körperlich-Materiellen, befreit (c. 10.21. 67. 156 u. a.). Der Erlöser ist ihr Wegbereiter und Geleiter (c. 10.80.156. u. a.), Arzt, Lebenbringer, Lichtgestalt, Pflanzer (c. 10.15.25. 34 u. a.), Ernährer der Gläubigen (c. 19.37.39 u. ö.), Hirte (c. 25. 39), Sprudel und Quelle (c. 39), Zuflucht, Hafen, Ruhe der Seinen (c. 10.27. 37 u. a.). Er offenbart den Gläubigen die himmlischen Mysterien (c. 10.47, vgl. dazu c. 27. 50), gibt sich ihnen zu erkennen und lehrt sie damit sich selbst erkennen (c. 15. 34. 112. 144). So verhilft er ihnen zu einer ungehinderten Himmelfahrt durch das Reich der Mächte (c. 142. 144ff. 167). Alle diese aus der Gnosis bekannten, leicht noch zu vermehrenden Motive, die mit den gnostischen Anschauungen der Lieder (c. 6ff. 108) u. Weihegebete (c. 27. 50) zusammenstimmen, wollen als Leitfaden auch für die Deutung der einzelnen Erzählungen verstanden sein. Schon in dem Verkauf des Apostels als Sklaven, den die 1. Praxis erzählt, zeichnet sich ab, daß er wie der Erlöser erniedrigt ist (c. 19, vgl. c. 145. 167), wie auch die Aufzählung seiner handwerklichen Fähigkeiten vor dem Kaufmann Abban und dem König Gundafor (c. 3. 17) nicht ohne mystische Nebenbedeutung ist. Dem entspricht das Motiv der 2. Praxis, der Bau eines himmlischen Palastes aus den Almosen, für die der Apostel das ihm vom König übersandte Geld verwendet. (Das Motiv ist auch in der Legende von Barlaam und Josaphat, als Märchenmotiv lustig in der deutschen Eulenspiegelsage und tiefsinnig in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern abgewandelt.) In den Dienst der gnostischen Erlösungslehre sind auch die mehrfachen Dämonengeschichten der ATh gestellt, so in der 3. Praxis die Erweckung eines schönen Jünglings, den ein Drache getötet hat; ausdrücklich stellt dieser sich als Repräsentant der den Kosmos beherrschenden Satansmacht vor (c.32 mit z. T. dunklen Anspielungen an gnostische Spekulationen). Deutlich spiegelt die Geschichte den mythischen Kampf zwischen Ormuzd und Ahriman wider und zeigt durch ihren liturgischen Abschluß, daß sie eine legendäre Einkleidung des Erlösungsmysteriums sein will. Die entsprechende Feststellung gilt für die langatmigen Dämonengeschichten der 5., 7. und 8. Praxis. Wenn hier in der 5. eine schöne Frau, in der 7. u. 8. die Gattin und Tochter eines Obersten des Königs Misdai aus der Gewalt lüsterner Dämonen befreit und dem himmlischen Erlöser zugeführt werden, so bezeugen auch hier Reden, Beschwörungsformeln, Gebete und Kulthandlungen, daß die Dämonen die Macht der Finsternis darstellen, zu deren Besiegung der Erlöser herabgekommen ist, um der Finsternis die geraubten Lichtseelen zu entreißen und die definitive
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Scheidung der Licht- u. Finsternis-"Natur" (c. 43. 75. 76) schon jetzt zu vollführen. Unschwer erkennt man in den Legenden den bekannten gnostischen Mythos von der Sophia, die das Begehren der Weltarchonten erregt hat und von ihnen am Aufstieg in das Lichtreich gehindert wird. Unsere Erzählungen sind damit zugleich legendäre Abwandlungen der Simon·Helena-Geschichte, die auch in die Manichäerlegende Eingang gefunden hat (vgl. F. Chr. Baur, Das manichäische Religionssystem, S. 467ff.). Deutliche Spuren davon finden sich besonders auch in der Einleitung der 6. Praxis. Der 4. und 8. Praxis liegt das gnostische Motiv von der Himmelsreise der Seele zugrunde. Das zeigt die wieder von Reden und Gebeten durchzogene Geschichte (c. 69ff.) von dem redenden Eselsfüllen, das sich dem Apostel als Reittier anbietet 'und ihn zur (himmlischen) "Ruhe" trägt, aber vor den Toren der Stadt tot zusammenbricht, ein mystisch gemeinter Vorgang, der zuerst das verbreitete Motiv des Himmelrittes, zuletzt sogar das Reittier noch als ein Sinnbild für den Leib verwendet; dieser ist Träger der Seele, aber kann nicht mit ihr erlöst werden und wird darum von dem Apostel nicht wieder aus dem Tode erweckt (c. 41; vgl. dazu c. 147; beachte den Gegensatz zur christlichen Lehre von der Auferstehung des Leibes). Eine ähnliche Funktion wie das Eselsfüllen haben die 4 Wildesel (c. 70ff.), die sich vor den Reisewagen des Apostels spannen und ihn und den ihn begleitenden Kriegsobersten zur Stadt bringen. Auch hier erinnert die Rede (c. 68) ausdrücklich an die Himmelsreise. Die Vierzahl der Tiere, deren eines dann selbst als Exorzist und Mystagoge in Aktion tritt (c. 73 ff.), dürfte mit der Vierzahl der himmlischen Lichtwesen zusammenhängen, die schon in c. 32 die schwer erklärbare Erwähnung der "vier stehenden Brüder" nennt. Das aus der griechischen Orphik, Mysterientexten und vor allem aus der Petrus-Apokalypse (vgl. u. S. 468ff.) bekannte Motiv der Höllenfahrt der Seele mit den Schilderungen der Straforte bietet in breiter Ausgestaltung die 6. Praxis - darum von besonderem Interesse, weil die Schilderung der Höllensphären deutlich diefünfmanichäischen Elemente der finsteren Welt wiedergibt. Wieder endet auch diese Praxis mit der ganz im Mysterienstil gehaltenen Erlösung des Mädchens, das unter Führung eines himmlischen Begleiters die Höllenfahrt vollbracht hat (c. 57. 59ff.). So wird die Höllenfahrt zugleich zur Himmelfahrt und die ganze Schilderung zur Darstellung eines Mysteriums, wie es u. a. die Isisweihe in Apuleius, Metamorphosen XI 23, aber ebenso gnostische und manichäische Texte bieten. Ein mythologischer Hintergrund läßt sich auch für die scherzhafte Szene c. 9lf. nachweisen, wo Charis, ein Verwandter des Königs Misdai, seiner Frau Mygdonia, die der Apostel bereits zur geschlechtlichen Enthaltsamkeit bekehrt hat, einen nächtlichen Traum von einem beim königlichen Mahl herniedergefahrenen Adler erzählt, der zwei Rebhühner, eine Taube und eine Turteltaube geraubt habe und mit seiner Beute unversehrt davongeflogen sei, obwohl ihn der Pfeil des Königs getroffen hatte. Die symbolische Bedeutung des Traumes geht aus dem Kontext hervor: die geraubten Tiere sind die beiden Frauen Mygdonia und Tertia, der junge Prinz Vazan und sein junges Weib, die durch den Apostel für Christus und für ein enthaltsames Leben gewonnen sind. Das Bild des Adlers wird in der Gnosis häufig für den Erlöser gebraucht, die ganze Szene aber ist darüber hinaus eine genaue Nachbildung des indischen Mythos von dem Raub der Unsterblichkeitsspeise durch den Himmelsadler Garuda, den heiligen Vogel Vischnus. Auch hier schießt Indra nach ihm, trifft ihn, aber kann ihn nicht verletzen. In den Akten verbindet sich mit dem nächtlichen Traum noch das Mißgeschick des Charis am folgenden Morgen, der beim Aufstehen den linken mit dem rechten Schuh vertauscht, was alsbald wieder im Sinne einer auch in der Gnosis geläufigen Orientationsvorstellung als Verwandlung des Bösen in das Gute gedeutet wird. Das Endziel der Erlösung ist die Befreiung der Seele aus der Verstrickung in irdische Begierde und die Vereinigung mit dem himmlischen Erlöser. Sie wird wie in der Gnosis häufig so auch in den ATh unter dem Bilde der "heiligen Hochzeit" dargestellt. Das zeigt gleich die erste Praxis, die Erzählung von der Hochzeit der Königstochter in Andrapolis,
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in zweifacher legendärer Einkleidung. Die Szene der irdischen Hochzeit ist für den unter asketischem Verzicht auf irdische Speise und Trank mitfeiernden Apostel der .Anlaß, ein Lied von der himmlischen Hochzeit zu singen, das nur die hebräische Flötenspielerin versteht, die wie er eine Fremde, ihm stammverwandt ist. Zwischen beiden, dem in der Ekstase verwandelten, zum Mystagogen gewordenen Apostel und der Flötenspielerin, die ihn versteht, ihn liebt und ihn unverwandt "ansieht" (dieses Anschauen des Göttlichen in der Gnosis häufiger terminus für die Vollendung der Weihe), ereignet sich bereits das Mysterium des hieros gamos mit dem Erlöser, der durch seinen "Zwillingsbruder" repräsentiert wird. Was hier geheimnisvoll angedeutet wird, ist dann alsbald der offenkundige Sinn der folgenden Szene im Brautgemach: Bräutigam und Braut verzichten a·uf den ehelichen Verkehr und verbinden sich zu einer geistlichen Ehe (dasselbe asketische Ideal auch in der Einleitung der 6. Praxis); die von Schande und Schrecken zu einer "anderen Ehe", zur Liebe des "wahrhaftigen Mannes" erlösten Seelen sind in Freude und Ruhe des Unvergänglichen teilhaftig geworden und haben in ihm ihren Ursprung, ihren Fall und ihre Bestimmung erkannt (c. 14f.). Dieselben Gedanken beherrschen im zweiten Teil der .Akten die breitausgemalten Bekehrungsgeschichten der Mygdonia (9. u. 10. Pr.), der Königin Tertia (11. Pr.) und des Prinzen Vazan und seiner Frau. Vgl. besonders die Reden c. 88.93. 98. 117. 135 und als wichtigste Stelle c. 124, wo in langer Antithesenreihe die irdische und die himmlische Hochzeit gegenübergestellt werden. 6. DIE LIEDER IN DEN THOMAs-AKTEN. Zum wertvollsten Gut der .Akten gehören zwei gnostische Lieder, die in den Gang der Erzählungen sinnvoll eingefügt sind. a) Das erste ist das Hochzeitslied der ersten Praxis (c.6f.). Es besingt in üppigen Bildern die Hochzeit der Licht jungfrau mit dem himmlischen Bräutigam: die Herrlichkeit der Braut, das lichte, von Wohlgerüchen duftende Brautgemach und das mitfeiernde Brautgeleit. Die Bilder schieben sich seltsam ineinander. Der "König" und die "Tochter des Lichtes" verhalten sich zueinander wie Haupt und Glieder. Der Bräutigam ruht "auf ihrem Haupt", und der Leib der Braut mit seinen Gliedern faßt das Pleroma der Äonen in sich zusammen. Mit dem Bild des Leibes verbindet sich die Vorstellung von Himmelsbau und Himmelsstadt, und die Hochzeit wird zu einem Fest, bei dem die Gläubigen sich mit dem königlichen Bräutigam vereinen und von ihm Licht und Unsterblichkeitsspeise empfangen. So treten die 7 Brautführer und Brautführerinnen und die 12 Dienerinnen alsbald an die Stelle der Licht jungfrau, zu der sie gehören (vgl. c. 12 Ende: "und werdet als Brautführer mit hineingehen in jenes Brautgemach, das voll von Unsterblichkeit und Licht ist"). Deutlich ist, daß hier unter dem Bilde der heiligen Hochzeit wie in der valentinianischen, markosischen und ophitischen Gnosis die Erlösung der Sophia dargestellt ist, an der die "Erwählten", die "Vornehmen" Anteil haben. Die nächsten Parallelen zu unserm Hochzeitslied liefern hymnische Fragmente der bardesanisehen Gnosis, die Ephraem (Gegen die Irrlehren, Hymnus 55, 5. 7) erhalten hat: "Wann endlich schaun wir dein Gastmahl, sehn wir das Mädchen, die Tochter, die auf deine Knie du gesetzt hast und einlullst?" ,,0 Ursprung der Wonne, des Tore auf Befehl vor der Mutter sich öffnen" (übersetzt von A. Rücker, Bibliothek der Kirchenväter 61, München 1928, S. 186f.). Häufig begegnet das Motiv des himmlischen Brautgemaches in manichäischen Gebeten an Christus, den Erlöser: "Ich möchte wohnen in deinen Äonen, dem Brautgemach des Lichtes." (MPsB II 197, 5'; weitere Belege bei G. Widengren, Mesopotamian Elements, S. 109ff.) Auch die Bezeichnung der Mitfeiernden als "Megistanen" (Fürsten) ist in den manichäischen Psalmen geläufig (vgl. Index). Der syrische Text des Hochzeitsliedes verrät eine durchgehende Katholisierung (statt 1 Die manichäischen Texte werden zitiert nach: Manichäische Handschriften der Sammlung A. Chester Beatty, Band I Manichäische Homilien (hrsg. von H.J.Polotsky), 1934 (= MH); Band II A Manichaean Psalm-Book (ed. by C. R. C. .Allberry), 1938 (= MPsB); Manichäische Handschriften der Staatlichen Museen Berlin, Band I, Kephalaia, 1. Hälfte 1940 (= Keph.).
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"das Mädchen" "meine Kirche"; statt der 32 lobpreisenden die 12 und die 72 Apostel; die doppelte Siebenzahl des Brautgeleites ist getilgt). Das Hochzeitslied, bardesanischer wie manichäischer Richtung verwandt, vielleicht sogar aus der ersteren stammend, schließt mit einem Lobpreis, der, wie Bousset erkannte (Manichäisches, S. 10f.; 22f.), manichäischer Zusatz ist. Er nennt die drei Gottheiten des Vaters der Wahrheit, der Mutter der Weisheit und des lebendigen Geistes (in S abgewandelt in eine christliche Trinitätsformel). b) Das Perlenlied gehört zu den schönsten Dokumenten der Gnosis, die uns erhalten sind 1. Eingekleidet in eine märchenhafte Erzählung läuft in der Dichtung in seltener Reinheit und Vollständigkeit, unverwirrt durch kosmische Spekulationen, der gnostische Erlösungsmythos ab; nichts deutet dabei auf christlichen Ursprung. Wir stellen die wich· tigsten Motive zusammen und fügen die nötigsten Erklärungen hinzu, ohne hier die reich· lichen Parallelen im einzelnen anführen zu können: Die Aussendung des Königssohnes als kleines Kind (des himmlischen Gesandten), das Ausziehen des Lichtgewandes, der Auftrag, die Perle zu holen (Perle = Urseele, Ägypten häufig für Welt oder Leib, Meer und Drache für das Reich der Finsternis und seinen Herrscher); die Ausstattung mit Wegzehrung und Reisegeld (ersteres häufig für die "Gnosis" oder die sakramentale Speise, die die Seele für ihre Himmelsreise braucht, letzteres als Wege. oder Brückengeld zu denken, das an dem Wachthaus der Archonten entrichtet werden muß); sodann der Auszug mit zwei Begleitern (im Syrischen noch der iranische, auch in mandäischen und mani· chäischen Texten sich findende terminus parwankin), das Fremdsein und die Verkleidung der Gesandten, seine Überlistung durch die Zauberspeise der bösen Mächte, sein Schlaf und das Vergessen von Herkunft und Auftrag. Dann der Rat der Himmlischen, die Aus· sendung des Himmelsbriefes, der als Adler herabfliegt (Adler ursprünglich der Sonnen· vogel, im Mandäischen und Christlichen häufig für den Erlöser), als "Ruf" die Erlösungs. botschaft überbringt, den Schlafenden zum Erwachen und Aufstehen, zur Erkenntnis seiner Herkunft und seines gegenwärtigen Elends ruft und ihn an den versäumten Auftrag, an sein Himmelsgewand und die Herrschaft, die ihn erwarten, erinnert. Endlich die Über· windung der Mächte, der Raub der Perle, das Ablegen des schmutzigen Erdengewandes, die Heimfahrt unter Führung des "Briefes", der selbst zum Lichtboten geworden ist, das Zusammentreffen mit dem ihm entgegengesandten, von zwei Schatzmeistern überbrachten 1 Die neuere Forschung ist sich einig, daß im Unterschied zum Hochzeitslied hier der syrischen Fassung der Vorzug zu geben ist; sie liegt auch der nachfolgenden Übersetzung zugrunde, während die von R. Raabe in der 1. und 2. Auflage den nur in der Handschrift U (und einer Paraphrase des Niketas von Thessalonich) erhaltenen griechischen Text (mit gelegentlichen Hinweisen auf den syrischen) wiedergab. Für vielfache Beratung in Einzel· heiten habe ich Prof. Gustav Hölscher (t) zu danken. Der in mehreren Handschriften überlieferte, leider oft verderbte syrische Text ist außer beiWright abgedruckt beiP. Bedjan, Acta Martyrum et Sanctorum III, 1892, S. 110-115 (vokalisiert); A.A. Bevan, The Hymn of the Soul, contained in the Syriac Acts of St. Thomas, reedited with an English transla· tion, Texts and Studies V 3, 1897; G. Hoffmann, Zwei Hymnen der Thomasakten, ZNW 4, 1903, S. 293f. (für die Rekonstruktion des Textes besonders wichtig); E. Preuschen, Zwei gnostische Hymnen, 1904; J. Halevy, Cantique syriaque sur Saint Thomas, Revue semiti· que 16, 1908, S.85-94; 168-175 (unter durchgängiger Benutzung der HoffInannschen Rekonstruktion) . Über neuere Übersetzungen in engI., franz. und deutscher Sprache vgl. A.Adam, Die Psalmen des Thomas und das Perlenlied, S. 49. A.Adam gibt eine eigene Übersetzung und wichtige Beiträge zu Versabteilung, Stropheneinteilung, Konjekturen und Erläuterungen zu EinzelsteIlen, von denen einige nach kritischer Überprüfung berücksichtigt wurden. Von anderen Übersetzungen sind außer der von G. Hoffmann vor allem die von M. R. J ames, The Apocryphal New Testament, S. 411ff., zu Rate gezogen worden. Vgl. zum Problem des Perlenliedes noch: A.F.J.Klijn, The so·called Hymn of the Pearl (Acts of Thomas ch. 108-113), VigChr 14, 1960, S. 154-164.
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Lichtgewand (die Bewegungen der Gnosis zucken auf ihm, das Bild des Königs der Könige ist ihm aufgestickt), in dem der Königssohn als in einem Spiegel sein himmlisches Bild erkennt, das Einswerden mit dem Abbild und zum Schluß die Heimkehr in den väterlichen Palast. Die Dichtung läßt sich mit gleichem Recht als Lied von der Erlösung des Erlösers wie als Lied von der Rettung der Seele bezeichnen. Daß beide, Erlöser und Seele, eines Ursprungs, Schicksals und Wesens sind, gehört zu den Grundgedanken gnostischer Lehre. Sie findet in dem Lied verschiedenartigen Ausdruck: in der Doppelung des Geschehens (Erweckung und Heimkehr des Königssohnes, Heimbringung der Perle) und in dem Verwandtschafts- und Zwillingsmotiv, in der Vereinigung des Erlösten mit seinem himmlischen Abbild. Trotz der märchenhaften Züge ist der religiöse Charakter des Liedes nicht zweifelhaft. Für die Gesamtanschauung des Liedes ebenso wie die SymbolgestaIten, Bilder und Vorstellungen im einzelnen liefern vor allem mandäische Texte Parallelen in solcher Fülle, daß man die durch sie vertretene vormanichäische Gnosis Ostsyriens und des Zweistromlandes mit Sicherheit auch als religionsgeschichtlichen Ursprungsort unserer Dichtung bezeichnen kann. Im Mandäischen wird der jugendliche Knabe Hibil-Ziwa, der zweite Sohn, aus dem Hause des Lebens entsandt. Auch hier dieselben Bilder von der "Reisezehrung" (= Gnosis), den "Geleitern" der Seele (sogar mit demselben persischen Wort parwanqua bezeichnet), den "Schatzmeistern" als Hütern des himmlischen Gewandes, die die Seele bei ihrem Aufstieg bekleiden, der Seele als "reine Perle", "Ägypten" als Land der Finsteruis, vom "Himmelsbrief" und der Rückkehr der Seele in ihre Urheimat usw. (vgI. R. Reitzenstein, Iranisches Erlösungsmysterium, S. 70ff.; G. Widengren, The Great Vohu Mana, S. 76ff.; ders., Mesopotamian Elements, S. 52ff., 74ff.; A. Adam, Die Psalmen des Thomas, S.68f.). Der vormanichäischen, frühmandäischen Gnosis dürften auch die Thomaspsalmen entstammen, die dem manichäischen Psalmbuch anhangsweise eingefügt sind. Auch sie bieten zum Perlenlied zahlreiche Parallelen bis ins einzelne. VgI. W. E. Crum, Coptic Analeeta, JThSt 44, 1943, S. 181, Anm. 9 und A. Adam, a.a.O., der aber in der Frühdatierung der Thomaspsalmen (Ps. 1 soll aus dem 1. vorchristlichen Jahrh. stammen!) wie des Perlenliedes (1. nachchristliches Jahrh.!) erheblich zu weit gehen dürfte. Herkunft und Entstehungszeit des Perlenliedes lassen sich, wie G. Widengren ZRGG 4, 1952, S. 97 bis 114 gezeigt hat, auf Grund geographischer, politischer, kulturgeschichtlicher und philologischer Indizien genauer bestimmen. Schon der geographische Horizont (Parthien, das Bergland von Warkan = Hyrkanien, Garzak, Indien, Kusan, Mesene), ferner die arsakidisehe Königstitulatur (der Vater heißt "König der Könige"), die Erwähnung der Großen des Reiches, die den auf chinesischer Seide mit rotem Schwefel geschriebenen Brief mitunterzeichnet haben, sodann die Beschreibung der nach Adelsklassen unterschiedenen Edelleute, der königlichen Diener als "Gegürtete", der Gefolgsmänner des Prinzen als "parwanqe" und des mit Edelsteinen verzierten und mit dem Bilde des Großkönigs geschmückten Gewandes, das dem Königssohn entgegeneilt, endlich auch die Verwendung iranischer Wörter im syrischen Text - all das läßt darauf schließen, daß die Dichtung noch vor dem Sturz der parthisehen Dynastie und dem Aufkommen der Sassaniden (226 n. Chr.), also in arsakidischer Zeit entstanden ist (Mani ist 217 geboren). Daß die Manichäer das Perlenlied kannten (gegen A. Adam, a. a. 0., S. 70), scheinen mir einige Texte der neu gefundenen koptischen Manichaica zu beweisen, vor allem das Fragment eines ChristusPsalms (MPsB 11, S. 116, 24ff.): "Christ führe mich; mein Erlöser vergiß mein nicht ... Ich bin ein Prinz (megistanos), eine Krone tragend mit den Königen. Ich wußte nicht, wie ich kämpfen sollte, denn ich stamme aus der Stadt der Götter ... Ich verließ meine Eltern, Ich zog hin, Ich gab mich in den Tod für sie." (Es folgt die Schilderung der Bewaffnung, des Auftrags, die bösen Mächte zu besiegen, und die Verheißung des Siegeskranzes, das Vergessen der göttlichen Herkunft, das Trinken des Zaubertrankes und die Überwältigung durch die Mächte.) An anderer Stelle heißt es: "Er holte den Urmenschen aus dem Kampf herauf wie eine Perle, die aus dem Meer herauf-(geholt) wird" (Keph. S. 85, 24f.). Lehrreich sind auch die stark zerstörten Texte, in denen die Rolle des Erlösers auf Mani,
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den großen Gesandten des großen BabyIon (MH S.54, 12ff.) übertragen ist: " ... der .Apostel des Lichts ... die Lichtperle, die ... aus den unruhigen Meeren ... " (ebd. S. 55, 17 ff.). Die engen Berührungen des Perlenliedes mit den neuen manichäischen Texten helfen m. E. zur Klärung einer bisher umstrittenen Frage, die durch die geographischen .Angaben des Liedes gestellt ist . .Auf Grund dieser vertraten schon .A. Hilgenfeld (Berliner philolog. Wochenschr. 1898, S. 13) und W. Bousset (ZNW 18,1917/18, S. 23ff.) die These, daß der Königssohn Mani sei. Dafür scheint zu sprechen, daß Mani aus parthischem Hochadel stammte, Mesene wohl sein Geburtsland und BabyIon sicher das Land seiner Wirksamkeit war, wo er auch den Märtyrertod starb . .Auch das dreimal im syrischen Text erwähnte, schwer zu identifizierende Sarbüg, das im Griechischen mit Aaßv(!tv'{}o, wiedergegeben ist, dürfte nach einleuchtender Vermutung von W. E. Crum (JThSt 44,1943, S. 123; 181), der an das arabische vVort sarbuka = Labyrinth erinnert, wohl die Innenstadt BabyIon bezeichnen sollen (vgl. .A . .Adam, a. a. 0., S. 64). Da jedoch aus den oben genannten Gründen das Lied nicht ursprünglich schon auf Mani hin konzipiert sein kann, auch Mesene von der geraden Route nach Ägypten abliegt und BabyIon (Sarbüg?) als die Stadt der Dämonen mit Ägypten konkurriert, wird man annehmen dürfen, daß das vorher entstandene Perlenlied bald auf Mani übertragen und mit Einzelzügen seiner Vita ausgestattet wurde. Dazu paßt, daß er selbst sich als Lichtgesandten verstand und zur Erlösergestalt wurde (auch in den Turfanfragmenten nennt er sich das "Herrscherkind", "das zum Fremdling geworden ist aus der Großherrlichkeit" ; vgl. F. W. K. Müller, Handschriftenreste aus Turfan H, .Abh. d. Berl. .Akad. 1904, 20, S. 29. 108). Möglicherweise erklärt sich so auch der überraschende Schluß der Dichtung, der nach der .Ankunft des Heimgekehrten im Vaterhaus noch das Erscheinen des Königssohnes mit seinem Vater zusammen vor dem "König der Könige" ankündigt, obwohl c. llO der Vater des Prinzen selbst schon diesen aus der parthischen Königstitulatur stammenden Titel trägt . .Auch diese Unstimmigkeit wird sich aus der nachträglich dem Ganzen aufgeprägten, auf Mani gemünzten biographischen Fiktion erklären. Daß der Mythos von dem Gesandten, der in die Fremde zieht, unterwegs die Nachstellungen der Feinde bestehen muß, sich vor ihnen als Fremdling ausgibt und dann die Heimkehr vergißt, in die manichäische Missionslegende Eingang gefunden hat, läßt sich noch aus der antimanichäischen Ketzergeschichte der .Acta .Archelai c. 4 erkennen (vgl. G. Bornkamm, Mythos und Legende, S. ll9f.). Ist die .Annahme, daß die genannten Einzelzüge Mani als den Königssohn erweisen sollen, richtig, so wird man annehmen dürfen, daß sein Konflikt mit den Machthabern in BabyIon und sein Tod hier bereits vorausgesetzt sind . .An der Beliebtheit, deren sich der Erlösungsmythos des Perlenliedes gerade bei den Manichäern erfreute, ist jedenfalls kein Zweifel. Er hat Dichtung und Lehre des Manichäismus auch weiterhin beschäftigt (H. Söderberg, La Religion des Cathares, 1949, passim). Die Möglichkeit später Nachwirkungen des im Perlenlied der .ATh erzählten Mythos auf die Dichtung des Mittelalters ist nicht ausgeschlossen und gelegentlich behauptet worden, hat sich aber bisher nicht sicher beweisen lassen. 7. SAKRAMENTE UND WEmEGEBETE. Mit wenigen .Ausnahmen schließen alle Bekehrungsgeschichten der .ATh mit einer Initiationshandlung, deren Ritual sich aus mehreren sakramentalen ritualen .Akten zusammensetzt (vgl. c. 26f. 49f. 121. 133. 157). Deutlich ist überall die Verbindung der Versiegelung der Neubekehrten mit Öl und einer daran anschließenden Eucharistie. Beide Sakramente werden von dem .Apostel als Mystagogen gespendet. Die Siegelung wird 1. durch .Ausgießen konsekrierten Öls über dem Haupt des Neophyten und 2. durch Salbung des Entkleideten vollzogen (c. 27. 157); der Versiegelte wird dadurch als Sklave oder Magd des Gottes bezeichnet, der Kraft der Gottheit teilhaftig und Glied ihrer Herde. Nicht ganz deutlich ist das Verhältnis des Ölsakramentes zur Wassertaufe. Daß die Siegelung nicht ein bloßer Bestandteil der Wassertaufe ist, erhellt schon aus der Tatsache, daß die letztere an einigen Stellen (c. 120f. 132. 157) ausdrücklich hinzugefügt wird und ihr Ritus ein anderer ist. Da c. 26f. und 49f. die Wassertaufe in dem geschilderten Ritual keinen Platz hat und ihre kurze und nur gelegentliche Erwähnung sich merklich von der 20
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ausführlichen Schilderung des Ölsakramentes und den ihm zugeordneten Gebeten abhebt, wird man als wahrscheinlich ansehen müssen, daß die Wassertaufe erst durch katholische Interpretation in den Text hineingekommen ist (die Tendenz, die Siegelung als Taufe zu verstehen oder den Taufakt ausdrücklich zu erwähnen, ist in dem katholisierenden Syrer jedenfalls ganz deutlich). Die liturgischen Stücke weisen also offenkundig auf eine gnostische Sekte, die die Ölung allein als Initiationssakrament kannte (Bousset, Hauptprobleme, S. 300; Manichäisches, S. 16). Eine entsprechende Ablehnung der christlichen Wassertaufe findet sich ebenso in gnostischen Sekten wie im Manichäismus, während vor allem bei den Mandäern Wassertaufe und Ölung zusammengehören, beide wie in den ATh engstens mit der sakramentalen Speisung verbunden. Die Eucharistie, die in den ATh gefeiert wird, ist eine reine Brotkommunion (c. 27. 29. 49f. 133), der dazugehörige Kelch ein Wasserkelch (c. 120). Nur c. 49 und 158 ist in den angefügten Gebeten vom Genießen des Leibt>s und Blutes Christi die Rede, aber auch sie heben sich als katholische Interpolation deutlich ab, wie auch der Syrer konsequent die Spuren der Wassereucharistie getilgt hat und den Wein einfügt (Bousset, Hauptprobleme, S. 307; H. Lietzmann, Messe und Herrenmahl, S. 243ff.). Wieder hat auch diese Form der Eucharistie gerade in gnostischen Mysterien sonst ihre Parallele. Öl, Wasser und Brot werden c. 152 von dem König Misdai als die Zaubermittel des Apostels bezeichnet. Der Charakter der Sakramentsfeier als Mysterienhandlung erhellt besonders aus c. 26f., wo die Neubekehrten zu Beginn der Siegelung nur die Stimme Jesu vernebmen, danach aber ihn selbst in Gestalt eines Jünglings mit brennender Fackel schauen. Auf diese nächtliche Feier folgt nach c. 27 die Eucharistie am folgenden Morgen. Unverkennbar gnostisch sind die beiden Epiklesen an die "Mutter", deren erste (c.27) der Ölsiegelung und deren zweite (c.50) der Kommunion zugeordnet ist, letztere im Unterschied zur ersten Epiklese ohne die Spuren der Verchristlichung, durch die die himmlische "Mutter des Lebens" (über ihre Herkunft aus der altorientalischen Religion s. Widengren, Mesopot. Elem., S. 16ff.) in der christlichen Gnosis mit dem Namen Christi und dem heiligen Geist (im Semitischen weiblich) gleichgesetzt wurde. Ihre Beinamen als "Mutter", als "vollkommene Barmherzigkeit", als "Ruhe", als "Offenbarerin der verborgenen Geheimnisse" lassen in ihr die Meter, die Chari8, die Sige, die Aletneia, die himmlische Sophia erkennen, ohne freilich die Abfolge der himmlischen .Äonen, über die die Gnosis sonst spekuliert, wiederzugeben. "Gefährtin (?) des Männlichen" heißt sie wohl als Genossin des himmlischen Urvaters (andere Prädikationen wie "heilige Taube, die du die Zwillingsjungen gebierst" sind nicht mit Sicherheit zu erklären). Deutlich ist auf alle Fälle, daß ebensowenig wie die mit der "Mutter" zweifellos identische Lichtjungfrau des Hochzeitsliedes (s.o.) die angeredete Göttin nicht die gefallene Sophia zahlreicher gnostischer Systeme ist, wohl aber ist sie die Mutter und himmlische "Kampfgefährtin" des Erlösers auf Erden und so selbst Offenbarerin und Erlöserin der Seelen. Zu den einzelnen Prädikationen der beiden Epiklesen bieten sich Parallelen aus den verschiedensten Bereichen der Gnosis. Am nächsten kommen wieder die Fragmente der bardesanischen Gnosis, in der die "Mutt.er" zum himmlischen Pleroma gehört, sodann die Charisepiklesen und Kultformeln der Markosier, die Irenäus 113 und 21 überliefert: auch hier erscheinen der Vater und die Wahrheit, die Mutter aller Dinge, als die höchsten Gottheiten des Himmels (121,3), letztere identisch mit der Achamoth (Sophia), Beisitzerin Gottes und der geheimnisvollen ewigen Sige (113,6), in ATh der "Name", den Jesus bei der Taufe annahm. Auf ihren Namen wird das markosische Sakrament der Apolytrosis vollzogen, ebenso wie in den ATh eine Ölsalbung, die, wie Irenäus bemerkt, von einigen als Vollendungssakrament außer der Wassertaufe vollzogen wurde, um den Geweihten die ungehinderte Auffahrt ins Lichtreich zu sichern. Denselben Sinn hat auch die Ölsiegelung in den ATh; vgJ. das Gebet über dem Öl c. 157. Bedenkt man die ganz entsprechende mystagogische Rolle des Markos und des Thomas beim Vollzug des Sakraments und das für die Markosier wie für die ATh charakteristische Verständnis der Weihe als Mysterium des "Brautgemaches", so ist der Zusammenhang offenkundig, wie ja auch der Gebrauch syrischer Weiheformeln bei den
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Markosiern diese Gnosis demselben geographischen Raum zuweist. Das schließt nicht aus, daß auch andere gnostische Sekten beiden verwandt sind. Die hier sichtbar gewordene Gnosis ist aber zugleich die unmittelbare religionsgeschichtliche Vorform des Manichäismus, in dem ebenfalls die "Mutter des Lebens" als Erlösergottheit eine besonders wichtige Rolle spielt, wie auch die Salbung des Hauptes mit Öl zur Stärkung des Glaubens (vollzogen an den Electi) bei ihnen üblich ist (Acta Archelai 16, 10ff.); wohl auch eine sakramentale Mahlzeit (letzteres umstritten, vgl. C. R. C. .Allberry, Das manichäische Bema-Fest, ZNW 37, 1938, S. 6ff.). Auch die Epiklesen waren für Manichäer also durchaus verständlich und brauchbar. Ja, die Anrufung: "Komm, Gesandter der 5 Glieder, des Verstandes, des Gedankens, der Einsicht, der Überlegung, des Urteils" (in S nur: "Gesandter der Versöhnung") wird Bousset (Manichäisches, S. Iff.) richtig als manichäischen Zusatz erkannt haben; sie gilt dem dritten Gesandten, der in sich die Elemente der Lichtwelt zusammenfaßt. Stellt man endlich noch die Frage, wie für eine christliche Gemeinde die gnostischen Epiklesen erträglich bleiben konnten (der Syrer hat zwar auch hier im einzelnen katholisiert, aber noch genug Gnostisches stehen lassen), so wird man antworten müssen, daß einerseits die stark gnostisierte Geistvorstellung der erst spät katholisierten syrischen Kirche, andererseits aber wohl auch ihre nicht minder für gnostische Motive anfällige Mariologie dazu die Möglichkeit bot. Diese hat, wie es scheint, auch der Manichäismus übernommen, wie die zahlreichen Hymnen des neugefundenen Psalmbuches beweisen, die stereotyp mit einem Lobpreis der "Seele der seligen Maria" (schwerlich Name einer Märtyrerin) enden. 8. DIE RELIGIONSGESCmCHTLICHE STELLUNG DER ATH ist, wie die Analyse gezeigt hat, mit einiger Sicherheit zu fixieren. Sie repräsentieren das gnostische Christentum Syriens im dritten Jahrhundert, das in der Gegend des Zweistromlandes (etwa zwischen Edessa und Mesene) beheimatet war und erst relativ spät (im vierten und fünften Jahrh.) im Sinne der Orthodoxie katholisiert wurde (vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei, S.6ff.). Enge Berührungen mit der bardesanischen Gnosis zeigten sich in dem Hochzeitslied der Sophia und in den Mutter-Epiklesen, darüber hinaus aber findet sich ein längeres, freies Zitat aus dem bardesanischen "Buch der Gesetze der Länder" in der Rede c. 91 (G. Bornkamm, Mythos und Legende, S. 85ff.). Daß die Bardesaniten apokryphe Apostelgeschichten verfaßt und ihre Lehren den Aposteln in den Mund gelegt haben, sagt überdies ausdrücklich Ephraem der Syrer (vgl. Bauer, a. a. 0., S. 46f.). Gleichwohl machen die ATh einen vulgärgnostischen Eindruck (Lipsius I 345) und unterscheiden sich von Bardesanes selbst (nicht von seiner Schule, vgl. H. H. Schaeder, Bardesanes von Edessa, ZKG 51, 1932, S.21ff.) durch ihren radikalen Dualismus und ihre streng enkratitische Tendenz. Letzteres verbindet sie um so intensiver mit dem Manichäismus, der selbst an die bardesanische Gnosis anknüpfte und in ihrem Wirkungsbereich im Jahrhundert der Entstehung der ATh seinen Anfang nahm. Das zeigt auch der Kanon der asketischen Ethik, den die ATh an mehreren Stellen ausdrücklich formulieren (c. 28. 126) - die Verwerfung von Gaumenlust, Habgier und geschlechtlichem Verkehr - und der von den Manichäern in ihre Vorschriften für die Electi (tria signacula) aufgenommen wurde. Dieser asketische Kanon ist freilich vormanichäisch. Das gleiche gilt für zahlreiche Einzelbegriffe und -vorstellungen, die zwar im Manichäismus ihre genauen Parallelen haben, aber schon der älteren Gnosis entstammen. Man versteht von daher die Verbreitung und Schätzung der Akten bei den Manichäern und die Tatsache, daß sich in der Doxologie des Hochzeitsliedes (c. 7), in der Epiklese (c. 27) und im Perlenlied wohl sicher Spuren manichäischer Überarbeitung finden. Die Akten im ganzen aber erweisen sich als Verbindungsglied zwischen der älteren Gnosis und dem Manichäismus. Sie lassen eine vormanichäische syrische Gnosis erkennen, aus deren Elementen Mani selbst seine Lehre bildete. Gerade die Figur des Syrerapostels Thomas hat möglicherweise, wie Schaeder vermutet hat (Gnomon, 1933, S. 35lf.), für Mani eine höchst wichtige Rolle gespielt. Nach dem arabischen Fihrist ist er durch einen Engel at-taum berufen worden. Dieser Engelname ist nur die Umsetzung des aramäischen tama, das zugleich den Eigen20'
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namen und "Zwilling" bedeutet. Diese Berufung wird jetzt bestätigt durch Manis eigenen Bericht (Keph. 14f.), wo an Stelle jenes Engels der "lebendige Paraklet" begegnet, den Mani mit jenem gleichgesetzt haben muß. Die genaue Entsprechung zu dem "Zwilling" der ATh bildet der in den koptischen Texten häufige Terminus "Paargenosse" (Widengren, The Great Vohu, S. 25ff.). Auch zeigen die neuen manichäischen Texte, daß die Thomaslegende, wie sie die ATh bieten, im Manichäismus bekannt war. Thomas ist der Apostel Indiens (MPsB 194, 13 u. a.), der seinen Tod durch vier Soldaten fand, die ihn mit ihren Lanzen durchbohrten (ebd. 142, 17ff.; vgl. ATh 165. 168). Die gnostisch gedeutete Gestalt des Apostels Thomas dürfte für das Selbstverständnis Manis also von erheblicher Bedeutung gewesen sein. Sie vermittelte ihm den apostolischen Anschluß an Jesus und erschien ihm selbst als sein alter ego, wie ja auch der Missionsweg Manis nach Indien vor seinem Auftreten in BabyIon dem des Apostels entspricht. Die in den ATh dokumentierte Gnosis hat offenbar dem bald danach systematisch ausgebildeten Manichäismus einen beträchtlichen Bestandteil seines mythologischen Stoffs, dem vulgären wahrscheinlich den wesentlichen Inhalt gegeben. Daß die Akten auch in katholischen Volkskreisen weithin unbefangen gelesen und geschätzt werden konnten, ist nicht verwunderlich, da die Übersetzung der gnostischen Mythen in Legenden für kritiklose Leser das häretische Gift weithin unwirksam gemacht zu haben schien. Die Entstehungszeit der ATh ist durch ihren religionsgeschichtlichen Platz zwischen Bardesanes und Mani festgelegt; sie werden in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts verfaßt sein. [Korrekturnachtrag : Erst nach Drucklegung des Manuskripts erschien ein ausführlicher Kommentar zu den ATh von A.F.J. Klijn, The Acts of Thomas, Suppl. Nov. Test. V, 1962. Anders als in dem unten abgedruckten Text hat der Verf. seiner in Anlehnung an W. Wright gegebenen englischen Übersetzung die erhaltene syrische Version zugrunde gelegt. Doch gibt der Verf. selbst zu, daß der griechische Text dem verlorenen syrischen Text und seiner Tradition näher steht als der an vielen Stellen stark puristische erhaltene syrische Text, der eine zunehmende Orthodoxie erkennen läßt. Sicher hat der Verf. darin recht, daß sich in den ATh das äußerst komplexe Bild des syrischen Christentums zu Beginn des 3. Jahrhunderts widerspiegelt. Die ausgebreitete Sammlung von Parallelen ist der eigentliche Vorzug der Klijnschen Arbeit. Aber es lassen sich die verschiedenen Strömungen dieses frühen syrischen Christentums präziser kennzeichnen, als es bei K. erscheint, und seine Bestreitung des gnostischen Charakters der Akten ist nicht gerechtfertigt. Der gnostische Grundzug wird auch durch die enge Beziehung der ATh zum Manichäismus bestätigt. Wie W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei, 1934 (bei K. kaum beachtet) nachgewiesen hat, steht die Orthodoxie in Syrien am Ende, nachdem anfangs starke gnostische Strömungen in Syrien Einfluß hatten. Diesen Prozeß zeigen gerade die ATh aufs deutlichste in ihrer unbefangenen Aufnahme gnostischer Mythen und Gedankengutes in Liedern, liturgischen Stücken und Erzählungen, der Verkleidung von Mythen und Legenden, aber auch ihrer Überarbeitung im Sinne einer Orthodoxie, in der die später als häretisch geltenden Stellen geändert oder ausgemerzt wurden (Textgeschichte). Diesen Vorgang vermag nur eine Analyse aufzuzeigen, die anders als es bei K. geschieht, weiter gespannte religionsgeschichtliche, literarische und formgeschichtliche Untersuchungen vereint und mit der Textgeschichte verbindet (Dieter Georgi)].
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DIE TATEN DES HEILIGEN APOSTELS THOMAS (Aa II 2, p. 99-287) (Erste Tat des Apostels Judas Thomas Wie der Herr ihn an den Kaufmann Abban verkaufte, daß er hinabginge und Indien bekehrte S)* 1 Zu jener Zeit waren wir AposteF alle in Jerusalem, Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder, Jakobus, des Zebedäus Sohn, und Johannes, sein Bruder, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, (des Alphäus Sohn), und Simon, der Kananäer (p. 100), und Judas, (des Jakobus Bruder); und wir verteilten die Gegenden der Erde, daß ein jeder von uns in die Gegend, die durchs Los auf ihn käme, und zu dem Volke, zu welchem der Herr ihn schickte, reisen solle. Nach dem Lose kam nun Indien an Judas Thomas, der auch Zwilling heißt. Er wollte aber nicht hingehen und sagte, er könne wegen der Schwachheit des Fleisches nicht reisen, und: Wie kann ich, der ich ein Hebräer bin, reisen und den Indern die Wahrheit predigen? Und als er dies erwog und sagte, erschien ihm der Heiland während der Nacht 2 und sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Thomas, geh nach Indien und predige dort das Wort, denn meine Gnade ist mit dir. Er aber gehorchte nicht (p. 101) und sprach: Wohin du mich senden willst, sende mich, (aber) anderswohin! Denn zu den Indern gehe ich nicht. 2 Und als er dies sagte und erwog, traf es sich, daß ein Kaufmann, der von Indien gekommen war, namens Abban, dort anwesend war, der vom König Gundafor abgesandt war und von ihm den Befehl erhalten hatte, einen Zimmermann zu kaufen und ihm zuzuführen. Der Herr aber sah ihn sich um die Mittagszeit auf dem Markte ergehen und sprach zu ihm: Du willst einen Zimmermann kaufen? Er sprach zu ihm: Ja. Und der Herr sprach zu ihm: Ich habe einen Sklaven, der Zimmermann ist, und will ihn verkaufen. Und als er dies gesagt hatte, zeigte er ihm von ferne Thomas, verabredete (p. 102) mit ihm ein Kaufgeld von drei Pfunden ungeprägten (Silbers) und schrieb einen Kauf(brief S) folgenden Inhalts: Ich, Jesus, der Sohn des Zimmermanns Joseph, bestätige, einen Sklaven von mir, namens Judas, an dich, Abban, einen Kaufmann Gundafors, des Königs der Inder, verkauft zu haben. Als aber der Kauf(brief S) fertiggestellt worden war, nahm der Heiland Judas, der auch Thomas heißt, und führte ihn zum Kaufmann Abban. Und als Abban ihn sah, sprach er zu ihm: Ist dieser dein Meister? Der Apostel antwortete und sprach: Ja, er ist mein Herr. Er aber sprach: Ich habe dich von ihm gekauft. Und der Apostel schwieg. 3 Am folgenden Morgen aber betete der Apostel, bat den Herrn und sprach:
* Im Folgenden bedeuten: ( ) verdeutlichende Zusätze des Übersetzers, ( ) Konjektur oder Emendation, ( S) Verbesserung oder Ergänzung auf Grund des syrischen Textes, ( G) Verbesserung oder Ergänzung auf Grund des griechischen Textes (im Perlenlied), ( ..... ) Streichung. Die eingeklammerten Seitenzahlen verweisen auf die Ausgabe von Bonnet. 1 Vgl. Mk. 3, 16-19; Mt. 10,2-4; Lk. 6, 14-16; AG 1,13. a Vgl. AG 18, 9; 23, 11.
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Ich reise, wohin du willst, Herr Jesus; (p. 103) dein Wille geschehe 1 ! Er ging aber zum Kaufmann Abban hin, nichts weiter bei sich tragend als seinen Kaufpreis. Denn der Herr hatte ihn ihm gegeben, indem er sprach: Möge zugleich mit meiner Gnade auch dein Preis (Ehre) mit dir sein, wohin du auch gehen magst! Der Apostel aber traf Abban(.) dabei, daß er sein Gepäck auf das Schiff trug. Er fing nun auch seinerseits an, mit ihm hinaufzutragen. Als sie aber in das Schiff eingestiegen waren und sich gesetzt hatten, forschte Abban den Apostel aus, indem er sprach: Was für ein Handwerk verstehst du? Der aber sprach: Aus Holz Pflüge und Joche und Waagen (Treiberstachel) und Schiffe und Ruder für Schiffe und Mastbäume und kleine Räder (Rollen zu Winden), aus Steinen aber (Grab-) Säulen und Tempel und königliche (p. 104) Paläste (zu machen). Der Kaufmann Abban sprach aber zu ihm: (Es ist gut), denn einen solchen Künstler haben wir auch nötig. Sie begannen nun hinabzufahren. Sie hatten aber günstigen Wind und fuhren wohlgemut, bis sie nach Andrapolis, einer königlichen Stadt, hinabkamen. 4 Als sie aber das Schiff verlassen hatten, gingen sie in die Stadt hinein. Und siehe, da umtönten sie Klänge von (Flöten) und Wasserorgeln und Trompeten. Der Apostel forschte aber und sprach : Welches Fest ist dies, das in dieser Stadt gefeiert wird? Da sprachen die dortigen Einwohner zu ihm: (p. 105) Auch dich haben die Götter geführt, um in dieser Stadt zu feiern. Der König hat nämlich eine einzige Tochter, und jetzt gibt er sie einem Manne zur Ehe. Der Hochzeit nun gilt die Freude und diese Versammlung heute zu dem Feste, welches du gesehen hast. Der König aber hat Herolde ausgesandt, um überall zu verkündigen, daß alle zur Hochzeit kommen sollen 2, Reiche und Arme, Sklaven und Freie, Fremde und Einheimische; wenn aber jemand es ablehnt und nicht zur Hochzeit kommt, so soll er dem Könige verantwortlich sein. Abban aber sprach, als er es hörte, zum Apostel: Laß also auch uns gehen, damit wir beim Könige nicht Anstoß erregen, besonders da wir Fremde sind. Der aber sprach: Gehen wir! Und nachdem sie in der Fremdenherberge eingekehrt waren und ein wenig geruht hatten, gingen sie zur Hochzeit. (p. 106) Und da der Apostel sah, daß sich alle gelagert hatten, legte auch er sich in ihrer Mitte nieder; es blickten aber alle auf ihn wie auf einen Fremden und wie auf einen, der aus einem fremden Lande gekommen war. Der Kaufmann Abban aber legte sich, wie als Herr, an einem andern Orte nieder. 5 Während sie aber aßen und tranken, genoß der Apostel nichts. Deshalb fragten, die um ihn herum waren: Weshalb bist du hierher gekommen, da du doch weder ißt noch trinkst? Er antwortete und sprach zu ihnen: Wegen einer größeren Sache, als Speise oder auch Trank ist, bin ich hierhergekommen, (wegen der Ruhe des Königs S) und um den Willen des Königs zu vollbringen. Denn die Herolde verkünden die Befehle des Königs, und (p. 107) wer nicht auf die Herolde hört, soll dem Gericht des Königs verantwortlich sein. Als sie nun aßen und tranken und Kränze und wohlriechende Salben herbeigebracht wurden, nahm jeder Salbe, und der eine salbte sein Gesicht, ein anderer das Kinn (den Bart), noch ein anderer auch andere Stellen seines Körpers. Der Apostel aber salbte den Scheitel seines Hauptes, strich ein wenig auf seine Nasenlöcher, träufelte auch in seine Ohren, berührte auch damit seine Zähne, und die Gegend um sein Herz salbte er sorgfältig ein, den Kranz aber, der ihm gebracht worden war, aus Myrte und anderen Blumen geflochten, nahm er und legte ihn auf sein Haupt, nahm einen Rohrzweig (p. 108) in seine Hand und hielt ihn. 1
Mt. 6, 10; Lk. 22, 42.
2
Vgl. Mt. 22, 3-14.
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Die Flötenspielerin aber ging, die Flöten in ihrer Hand, bei allen umher und flötete. Als sie aber zu dem Orte kam, an welchem der Apostel war, blieb sie über ihm stehen, indem sie zu seinen Häupten lange Zeit vorspielte. Die Flötenspielerin aber war ihrer Abstammung nach eine Hebräerin. 6 Während aber der Apostel zur Erde hinsah, streckte einer der Weinschenken seine Hand aus und gab ihm einen Backenstreich. Der Apostel aber hob seine Augen auf, richtete sie auf den, der ihn geschlagen hatte, und sprach: Mein Gott wird dir in der zukünftigen Welt dies Unrecht vergeben, in dieser Welt aber wird er seine Wunder zeigen, und ich werde gleich jetzt sehen, wie die Hand, die mich geschlagen hat, von Hunden fortgeschleppt wird. Und als er dies gesagt hatte, begann er folgendes Lied zu singen und zu sagen: (p. 109) Das Mädchen ist des Lichtes Tochter, Es steht und ruht auf ihr der Könige hehrer Glanz, Ergötzend ist ihr Anblick, In strahlender Schönheit erglänzt sie. Ihre Gewänder gleichen Frühlingsblumen, Lieblicher Wohlgeruch entströmt ihnen. Auf ihrem Scheitel sitzt der König Und nährt, die (unter) ihm sitzen, mit seiner Götterspeise. Wahrheit ruht auf ihrem Haupte, Freude erzeigt sie durch ihre(r) Füße (Bewegung). Ihr Mund ist geöffnet und gar schicklich, (Da sie lauter Loblieder (mit ihm) spricht. S) Zweiunddreißig sind es, die sie preisen. Ihre Zunge gleicht dem Türvorhang, Der für die Eintretenden zurückgeschlagen wird. (Gleich Stufen steigt ihr Nacken auf S), (Ihn) schuf der erste Weltbaumeister. Ihre beiden Hände deuten und zeigen verkündend auf den Chor der glücklichen Äonen, Ihre Finger (öffnen S) die Tore der Stadt. Ihr Brautgemach ist licht, Von Balsam duftend und jeglichem Wohlgeruch, (p. 110) Strömt süßen Geruch von Myrrhe und Würzkraut aus. Drinnen sind Myrtenzweige und (allerlei süßduftende Blüten) gestreut, Die (Eingänge) mit Rohr geschmückt. 7 Umschlossen halten sie ihre (Brautführer), sieben an der Zahl, Die sie selbst erwählt hat; Ihrer Brautführerinnen sind sieben, Die vor ihr Reigen tanzen. Zwölf sind es an der Zahl, die vor ihr dienen Und ihr unterstellt sind. Ihren Blick richten sie gespannt auf den Bräutigam, Damit sie durch seinen Anblick erleuchtet werden Und ewig bei ihm seien zu jener ewigen Freude Und bei jener Hochzeit seien, Zu der sich die Vornehmen versammeln,
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Und bei dem Mahle weilen, Dessen die Ewigen gewürdigt werden, Und königliche Gewänder anziehen, Und glänzende Kleider anlegen Und beide in Freude und Jauchzen seien Und den Vater des Alls preisen, Dessen stolzes Licht sie empfingen Und erleuchtet wurden im Anblick ihres Herrn, Dessen Götterspeise sie entgegennahmen, Die unvermindert in ihnen bleibt, Auch tranken von seinem Wein, Der ihnen nicht Durst noch Begehren erregt, Lobten und priesen mit dem lebendigen Geiste Den Vater der Wahrheit und die Mutter der Weisheit. 8 (p. 111) Und als er gepriesen und diesen Gesang beendet hatte, blickten alle dort Anwesenden auf ihn. Und er war still. Sie sahen aber auch sein Aussehen verändert, seine Worte jedoch verstanden sie nicht, da er ja ein Hebräer war und seine Worte in hebräischer Sprache gesagt hatte. Die Flötenspielerin allein verstand alles, denn sie war von Abstammung eine Hebräerin, und von ihm wegtretend, flötete sie den andern, auf ihn aber blickte und sah sie vielmals hin. Denn sie liebte ihn sehr als ihren Landsmann; er war aber auch von Ansehen jugendlich schön, mehr als alle dort Anwesenden. Und als die Flötenspielerin (ihr Spiel ganz) beendet hatte, setzte sie sich ihm gegenüber und blickte unverwandt auf ihn. Er aber sah auf niemand und beachtete keinen, sondern richtete seine Augen nur auf die Erde, indem er abwartete, wann er von dort auf- (p. 112) brechen könnte. Der Mundschenk aber, der ihm den Backenstreich gegeben hatte, ging zur Quelle hinab, Wasser zu schöpfen. Und es traf sich, daß ein Löwe dort war, der tötete ihn und ließ ihn an dem Orte liegen, nachdem er seine Glieder zerfleischt hatte. Hunde aber nahmen sogleich seine Glieder, und unter ihnen packte auch ein schwarzer Hund mit der Schnauze seine rechte Hand und trug sie an den Ort, an welchem das Gelage stattfand. 9 Als sie es aber sahen, entsetzten sich alle und forschten, wer der wäre, der sich aus ihrer Mitte entfernt hätte. Als es aber offenbar wurde, daß es die Hand des Mundschenken wäre, der den Apostel geschlagen hatte, (p. 113) zerbrach die Flötenspielerin ihre Flöten und warf sie hin, ging zu den Füßen des Apostels,. setzte sich und sprach: Dieser Mensch ist entweder ein Gott oder ein Apostel Gottes. Denn ich hörte ihn auf Hebräisch zum Mundschenken sagen: Ich werde gleich jetzt sehen, wie die Hand, die mich geschlagen hat, von Hunden fortgeschleppt wird - was auch ihr jetzt gesehen habt. Denn wie er sagte, so geschah es. Einige glaubten ihr nun, einige aber nicht. Der König aber kam, als er dies hörte, herzu und sprach zum Apostel: Steh auf und komm mit mir und bete für meine Tochter! Denn sie ist das einzige Kind, das ich habe, und heute verheirate ich sie. Der Apostel wollte aber nicht (p. 114) mit ihm gehen, denn der Herr war ihm dort noch nicht geoffenbart. Der König aber führte ihn wider seinen Willen in das Brautgemach fort, damit er für sie (die Neuvermählten) betete. 10 Und der Apostel trat hin, begann zu beten und so zu sprechen: Mein Herr und mein Gott l , Begleiter 1
Joh. 20, 28.
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seiner Knechte, Wegweiser und Führer derer, die an ihn glauben, Zuflucht und Ruhe der Bedrückten, Hoffnung der Armen und Befreier der Gefangenen, Arzt der an Krankheit darniederliegenden Seelen und Heiland jeder Kreatur, der du die Welt lebendig machst und die Seelen stärkst, du weißt das Zukünftige, der du es auch durch uns vollbringst; du, Herr, der du verborgene Geheimnisse offenbarst und geheime Worte bekannt machst, du bist, 0 Herr, der Pflanzer des guten Baumes, und durch deine Hände werden alle guten Werke hervorgebracht; du bist, 0 Herr, der, welcher in allem ist und durch alles hindurchgeht und allen deinen Werken einwohnst und durch die Tätigkeit aller geoffenbart wirst*; Jesus Christus, Sohn des Erbarmens und (p. 115) vollkommener Heiland; Christus, Sohn des lebendigen Gottes 1, unerschrockene Macht, die den Feind niedergeworfen hat, und Stimme, die von den Fürsten gehört wurde, die alle ihre Gewalten in Bewegung gesetzt hat; Bote, der von der Höhe gesandt wurde und bis in den Hades hinabkam, der du auch die Türen geöffnet und von dort die hinaufgeführt hast, welche in langen Zeiten in der Schatzkammer der Finsternis eingeschlossen waren, und ihnen den zur Höhe führenden Aufstieg gezeigt hast - ich bitte dich, Herr J esus, indem ich dir flehentliches Gebet für diese jungen Leute darbringe, daß du ihnen tust, was ihnen hilft, nützt und frommt. Und nachdem er ihnen seine Hände aufgelegt und gesagt hatte: Der Herr sei lnit euch! ließ er sie an dem Orte und entfernte sich. 11 Der König verlangte aber von den Brautführern, das Brautgemach zu verlassen. Als aber alle hinausgegangen und die Türen geschlossen waren, hob der Bräutigam den Vorhang des Brautgemachs empor, (p. 116) um die Braut zu sich zu führen. Und er sah den Herrn Jesus im Aussehen des Apostels Judas Thomas, der vor kurzem sie gesegnet hatte und dann von ihnen gegangen war, lnit der Braut reden und sprach zu ihm: Bist du nicht vor allen hinausgegangen? Wie geschah es, daß du jetzt hier bist? Der Herr aber sprach zu ihm: Ich bin nicht Judas mit dem Zunamen Thomas, ich bin sein Bruder. Und der Herr setzte sich auf das Bett, ihnen aber befahl er, sich auf die Sessel zu setzen, und fing an zu ihnen zu sagen: 12 Gedenket, meine Kinder, an das, was mein Bruder lnit euch geredet und wem er euch befohlen hat, und erkennet, daß ihr, wenn ihr (p. 117) euch von diesem schmutzigen Verkehr befreit, heilige Tempel, rein und solche werdet, die von Leiden und Schmerzen, offenbaren und nicht offenbaren, befreit sind; und ihr werdet euch nicht Sorgen für Leben und Kinder auflegen, deren Ende Verderben 2 ist. Wenn ihr euch aber
* Hier hat der Syrer: Du bist der Anfang und hast den ersten Menschen angezogen. Du bist die Kraft und Weisheit, Verstand, Wille und Ruhe deines Vaters, durch den du verborgen bist in Herrlichkeit und durch den du geoffenbart bist durch dein Tun. Und ihr seid einer in zwei Namen. Und du erschienst wie ein Schwacher, und die dich sahen, glaubten von dir, daß du ein Mensch seiest, der der Hilfe bedürfe, und du hast die Herrlichkeit deiner Gottheit durch die Langmut deines Geistes mit unserer Menschheit gezeigt, indem du den Bösen von seiner Macht herabgestürzt und mit deiner Stimme die Toten gerufen hast, daß sie lebten, und denen, welche leben und auf dich hoffen, ein Erbe in deinem Reich verheißen hast. Du bist ein Gesandter geworden und wurdest von den oberen Höhen gesandt, weil du den lebendigen und vollkommenen Willen dessen tun kannst, der dich gesandt hat. Gepriesen bist du, Herr, in deiner Kraft, und deine Regierung wirkt erneuernd in allen deinen Geschöpfen und in allen Werken, die deine Gottheit erworben hat, und kein anderer kann den Willen deiner Majestät unwirksam machen und gegen das Wesen deiner Erhabenheit aufstehen, wie du bist. Du bist zur Hölle ... 1 Mt. 16, 16. 2 Vgl. Phil. 3, 19.
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XIII. Apostelgeschichten des 2. und 3. Jahrhunderts
viele Kinder anschafft, so werdet ihr um ihretwillen Räuber und Habsüchtige, die Waisen schinden und Witwen übervorteilen, und indem ihr dies tut, unterwerft ihr euch sehr schlimmen Strafen. Denn die meisten Kinder werden unnütz, von bösen Geistern besessen, die einen offenbar, die andern auch unsichtbar. Denn sie werden entweder mondsüchtig oder halb dürr (abgezehrt) oder gebrechlich oder taub oder sprachlos oder gelähmt oder dumm. Wenn sie aber auch gesund sind, werden sie wiederum untauglich sein, indem sie unnütze (p. 118) und abscheuliche Werke ausrichten. Denn sie werden entweder auf Ehebruch oder auf Mord oder auf Diebstahl oder auf Unkeuschheit betroffen, und durch dies alles werdet ihr in Betrübnis versetzt werden. Wenn ihr aber gehorcht und eure Seelen Gott rein bewahrt, werden euch lebendige Kinder werden, die von diesen Schäden unberührt bleiben, und werdet ohne Sorge sein, indem ihr ein unbeschwertes Leben ohne Schmerz und Sorge verlebt und jene unvergängliche und wahrhaftige Hochzeit (als euch gebührend) erwartet zu empfangen, und werdet bei ihr als Brautführer mit hineingehen in jenes Brautgemach, (das voll von) Unsterblichkeit und Licht ist. 13 Als aber die jungen Leute dies hörten, glaubten sie dem Herrn und übergaben sich ihm und enthielten sich der (p. 119) schmutzigen Begierde und brachten so an dem Orte die Nacht hin. Der Herr aber ging von ihnen weg, nachdem er zu ihnen gesprochen hatte: Die Gnade des Herrn sei mit euch l ! Als aber die Frühe herangekommen war, kam der König hin, und nachdem er den Tisch angefüllt hatte, brachte er ihn vor den Bräutigam und die Braut. Er fand sie aber einander gegenübersitzend, das Gesicht der Braut aber fand er unverhüllt, und der Bräutigam war sehr heiter. Die Mutter aber kam herzu und sprach zu der Braut: Warum sitzest du so, Kind, und schämst dich nicht, sondern benimmst dich so, als hättest du schon lange Zeit mit dem eigenen Manne zusammengelebt? Und ihr Vater sprach: Aus großer Liebe zu deinem Manne verhüllst du dich nicht einmal? 14 Die Braut aber antwortete und sprach: In Wahrheit, Vater, stehe ich in großer Liebe und bete zu meinem Herrn, daß die Liebe (p. 120) bei mir bleibe, die ich in dieser Nacht empfunden habe, und daß ich den Mann gewinne, den ich heute wahrgenommen habe. (Daß ich mich aber nicht verhülle S), (geschieht darum), weil der Spiegel (Hülle S) der Schande von mir genommen worden ist 2 ; und ich schäme oder scheue mich nicht mehr, da das Werk der Scham und der Scheu sich weit von mir entfernt hat. Und daß ich nicht erschrecke, (geschieht darum), weil der Schrecken nicht bei mir geblieben ist. Und daß ich in Heiterkeit und Freude bin, (geschieht), weil der Tag der Freude nicht beunruhigt wurde. Und daß ich diesen Mann und diese an meinen Augen vorübergehende Hochzeit gering geschätzt habe, (geschah), weil ich eine andere Ehe eingegangen bin. Und daß ich nicht mit einem vergänglichen Manne ehelichen Verkehr hatte, dessen Ende (Reue und Bitterkeit) der Seele ist, (geschah), weil ich (dem) wahrhaftigen Manne vermählt. wurde. 15 Und während die Braut noch mehr als dieses sagte, hob der Bräutigam an und sprach: Ich danke dir, Herr, der du durch den (p. 121) fremden Mann verkündigt und in uns gefunden wurdest; der du mich vom Verderben entfernt und in mir das Leben gesät hast; der du mich von dieser schwer heilbaren, schwer zu behandelnden und in Ewigkeit bleibenden Krankheit befreit und vernünftige Gesundheit in mich gelegt hast; der du dich mir gezeigt und meinen ganzen Zustand, in dem ich mich befinde, mir geoffenbart hast; der du mich vom Fall erlöst, 1
1. Kor. 16,23.
2
Vgl. Th. Ev. Logion 37, Bd. I, S. 215.
5. ThO'flW,sakten
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zum Bessern hingeleitet und vom Zeitlichen befreit, aber des Unsterblichen und Immerwährenden gewürdigt hast; der du dich bis zu mir und meiner Armseligkeit erniedrigt hast, um mich neben deine Größe zu stellen und mit dir zu vereinigen; der du dein Erbarmen nicht von mir Verlorenem zurückgehalten, sondern mir gezeigt hast, mich selbst zu suchen und zu erkennen, wer ich war und wer und wie ich jetzt bin, damit ich wieder würde, was ich war; den ich nicht kannte, du selbst aber suchtest mich auf; von dem ich nicht wußte, du selbst aber standest mir bei; den ich wahrgenommen habe und jetzt nicht (p. 122) vergessen kann; dessen Liebe in mir braust und von dem ich nicht reden kann, wie es nötig ist; was ich aber über ihn zu sagen vermag, ist kurz und sehr wenig und entspricht nicht seinem Ruhm; er klagt mich aber nicht an, wenn ich mich erkühne, auch das zu ihm zu sagen, was ich nicht weiß; denn aus Liebe zu ihm sage ich auch dieses. 16 Als aber der König dies vom Bräutigam und von der Braut gehört hatte, zerriß er sein Kleid und sprach zu den in seiner Nähe Stehenden: Geht schnell hinaus und geht in der ganzen Stadt herum und ergreift und bringt mir jenen Mann, den Zauberer, der zum Unglück in dieser Stadt eingetroffen ist. Denn ich habe ihn mit eigenen Händen in mein Haus geführt und ich sagte ihm, daß er für meine ganz unglückliche Tochter beten solle. Wer ihn aber findet und zu mir führt, dem gebe ich alles, (was er nur von mir verlangen mag). (p. 123) Sie entfernten sich nun und gingen umher, indem sie ihn suchten; und sie fanden ihn nicht; denn er war zu Schiffe abgereist. Sie gingen nun auch in die Herberge, wo er eingekehrt war, und fanden dort die Flötenspielerin weinend und betrübt, weil er sie nicht mit sich genommen hatte. Als sie ihr aber erzählten, was an den jungen Leuten geschehen war, freute sie sich sehr, da sie es hörte, legte die Trauer ab und sprach: Jetzt habe auch ich hier Ruhe gefunden! Und stand auf, ging zu ihnen und lebte geraume Zeit mit ihnen, bis sie auch den König lehrten. Es kamen aber auch viele von den Brüdern dort zusammen, bis sie über den Apostel (p. 124) das Gerücht hörten, daß er in den Städten Indiens gelandet sei und daselbst lehre. Und sie gingen fort und vereinigten sich mit ihm. Des Apostels Thomas zweite Tat Über sein Auftreten vor dem Könige Gundafor
17 Als aber der Apostel mit dem Kaufmann Abban in die Städte Indiens gekommen war, ging Abban zur Begrüßung des Königs Gundafor fort und erstattete ihm Bericht über den Zimmermann, den er mit sich brachte. Der König freute sich aber und befahl, er solle vor ihn kommen. Als er (p. 125) nun eingetreten war, sprach der König zu ihm: Was für eine Kunst verstehst du~ Der Apostel spricht zu ihm: Die des Zimmermanns und des Baumeisters. Spricht der König zu ihm: Was verstehst du nun aus Hölzern und was aus Steinen zu verfertigen? Der Apostel spricht: Aus Holz Pflüge, Joche, Waagen, Winden und Schiffe und Ruder und Mastbäume, aus Steinen aber (Grab-)säulen, Tempel und königliche Paläste. Und der König sprach: Baust du mir einen Palast~ Er aber antwortete: Ja, ich baue und vollende. Denn dazu bin ich gekommen, zu bauen und zu zimmern. 18 Und der König übernahm ihn, ging mit ihm aus den Toren der Stadt hinaus und fing an, sich mit ihm unterwegs (p. 126) über den Bau des Palastes und darüber, wie die Fundamente gelegt werden sollten, zu unterreden, bis sie zu dem Orte kamen, an
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welchem er den Bau ausgeführt haben wollte. Und er sprach: Hier will ich, daß der Bau vor sich gehe. Und der Apostel spricht: Ja, denn dieser Platz ist für den Bau geeignet. Es war aber der Ort hainartig, und viel Wasser war daselbst. Spricht nun der König: Fang an auszuführen! Er aber sprach: Jetzt zu dieser Zeit kann ich nicht mit der Ausführung beginnen. Der König spricht: Wann kannst du? Er aber sprach: Ich beginne mit dem November und endige (p. 127) im April. Der König aber wunderte sich und sprach: Ein jeder Bau wird im Sommer gebaut, du aber kannst gerade im Winter einen Palast bauen und ausführen? Und der Apostel sprach: So muß es geschehen, und anders ist es nicht möglich. Und der König sprach: Wenn du also dies beschlossen hast, so zeichne mir auf, wie das Werk werden soll, da ich (erst) nach geraumer Zeit hierher komme. Und der Apostel nahm Rohr und zeichnete damit auf, indem er den Platz vermaß; und die Türen ordnete er nach Osten an, nach dem Licht hin zu liegen, die Fenster aber nach Westen, nach den Winden, das Backhaus ließ er nach Süden liegen und die für den Dienst erforderliche Wasserleitung nach Norden. Als der König dies sah, sprach er zum Apostel: Du bist wirklich ein Künstler, und es ziemt sich (p. 128) für dich, Königen zu dienen. Und nachdem er ihm vieles hinterlassen hatte, ging er von ihm. 19 Und zur bestimmten Zeit pflegte er ihm gemünztes Silber und die Notdurft für sein und der Arbeiter Leben zu schicken. Der aber übernahm alles und verteilte es, indem er in den Städten und umliegenden Dörfern umherging und den Armen und Bedrängten davon zuteilte und Almosen gewährte, und er verschaffte ihnen Erholung, indem er sprach: Der König weiß königlichen Ersatz zu erlangen, Arme aber müssen, wie es die Lage erfordert, erquickt werden. Danach schickte der König an (p. 129) den Apostel einen Gesandten, indem er ihm folgendes schrieb: Zeige mir an, was du gemacht hast oder was ich dir senden soll oder wessen du bedarfst. Da läßt ihm der Apostel sagen: Der Palast ist gebaut, es bleibt nur das Dach übrig. Der König aber schickte, als er das hörte, wiederum Gold und ungemünztes Silber, indem er ihm schrieb: Der Palast soll, wenn anders er gebaut ist, gedeckt werden! Der Apostel aber sprach zum Herrn: Ich danke dir, Herr, in jeder Hinsicht, daß du für kurze Zeit gestorben bist, damit ich ewig in dir lebe, und daß du mich verkauft hast, um viele durch mich zu befreien. Und er hörte nicht auf zu lehren und den Bedrängten Erholung zu verschaffen, (p. 130) indem er sprach: Der Herr hat euch dies zugeteilt, und er gewährt einem jeglichen die Nahrung. Denn er ist der Ernährer der Waisen und Versorger der Witwen, und allen Bedrängten wird er Erholung und Ruhe. 20 Als aber der König in die Stadt kam, forschte er seine Freunde über den Palast aus, den ihm Judas mit dem Zunamen Thomas gebaut hatte. Sie sagten ihm aber: Weder hat er einen Palast gebaut noch etwas anderes von dem getan, was er zu tun versprach, sondern er geht in den Städten und Dörfern umher, und wenn er etwas hat, gibt er alles den Armen und lehrt einen neuen Gott (.) und pflegt (p. 131) Kranke und treibt Dämonen aus und tut viele andere Wunder. Und wir glauben, daß er ein Magier ist. Aber seine Taten der Barmherzigkeit und die Heilungen, die von seiner Seite unentgeltlich geschehen, außerdem sein einfaches und freundliches Wesen und das, was seinen Glauben ausmacht, zeigen, daß er gerecht ist oder ein Apostel des neuen Gottes, den er selbst verkündigt. Denn unausgesetzt fastet und betet er und ißt nur Brot mit Salz, und sein Trank ist Wasser, und er trägt ein Kleid, sei es bei heiterem Wetter, sei es im Unwetter (Winter), und nimmt von niemand etwas an, und was er hat, gibt er andern. Als der König (p. 132) dies gehört hatte, schlug er mit seinen Händen
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sein Gesicht und schüttelte lange Zeit seinen Kopf. 21 Und er ließ den Kaufmann kommen, der ihn gebracht hatte, und den Apostel und sprach zu ihm: Hast du mir den Palast gebaut? Der aber sprach: Ja, ich habe ihn gebaut. Der König sprach: 'Vann gehen wir nun, ihn zu besichtigen? Der aber hob an und sprach: Jetzt kannst du ihn nicht sehen, sondern du siehst ihn erst, wenn du aus diesem Leben geschieden bist. Der König aber ward sehr zornig und befahl, (p. 133) sowohl der Kaufmann als auch Judas mit dem Zunamen Thomas sollten gefesselt und ins Gefängnis geworfen werden, bis er durch eine Untersuchung erführe, wem das Gut des Königs gegeben worden wäre, und so ihn samt dem Kaufmann vernichtete. Der Apostel aber ging fröhlich ins Gefängnis und sagte zu dem Kaufmann: Fürchte nichts, sondern glaube nur 1 an den Gott, der durch mich gepredigt wird, so wirst du von dieser Welt befreit werden, von der zukünftigen Welt aber das Leben empfangen. Der König aber erwog lange, durch welche Todesart er sie (p. 134) vernichten sollte. Als er aber beschlossen hatte, ihnen die Haut abziehen und dann sie verbrennen zu lassen, erging es in derselben Nacht Gad, dem Bruder des Königs, übel, und er ward wegen des Schmerzes und der Täuschung, die der König zu erleiden gehabt hatte, sehr beschwert. Und er ließ den König kommen und sprach zu ihm: Bruder König, mein Haus und meine Kinder befehle ich dir. Denn ich wurde durch die dir widerfahrene Bosheit in Schmerz versetzt, und siehe, ich sterbe, und wenn du nicht mit Strafe gegen das Leben jenes Magiers vorgehst, wirst du meine Seele nicht im Hades zur Ruhe bringen. Der König sprach aber zu seinem Bruder: Die ganze Nacht hindurch erwog ich, auf welche Art ich ihn töten solle. Das aber habe ich beschlossen: ihm die Haut abziehen und dann ihn im Feuer verbrennen zu lassen, ihn und mit ihm den Kaufmann, der ihn herbeigebracht hat. (p. 135) 22 Und als sie sich besprachen, schied die Seele seines Bruders Gad. Der König aber betrauerte Gad sehr, denn er hatte ihn sehr lieb, und befahl, ihm zum Begräbnis ein königliches und sehr wertvolles Kleid anzulegen. Während dies aber geschah, übernahmen Engel die Seele Gads, des Bruders des Königs, und führten sie in den Himmel hinauf, zeigten ihm die dortigen Orte und Wohnungen und fragten ihn: An was für einem Orte willst du wohnen? Als sie sich aber dem Bau des Apostels Thomas näherten, den er dem König erbaut hatte, sprach Gad bei seinem Anblick zu den Engeln: Ich bitte euch, meine Herren, gestattet mir, in einem dieser unteren Gemächer zu wohnen. Die aber sprachen zu ihm: (p. 136) In diesem Bau kannst du nicht wohnen. Er aber sprach: Weshalb nicht? Sie sprachen zu ihm: Dieser Palast ist der, welchen jener Christ deinem Bruder gebaut hat. Er aber sprach: Ich bitte euch, meine Herren, gestattet mir, zu meinem Bruder zu gehen, um diesen Palast von ihm zu kaufen. Denn mein Bruder weiß nicht, von welcher Art er ist, und verkauft ihn mir. 23 Darauf entließen die Engel die Seele Gads. Und während man ihm das Sterbekleid anzog, trat seine Seele in ihn ein. Und er sprach zu denen, die um ihn standen: Ruft mir meinen Bruder, damit ich ihm eine Bitte vortrage. Sogleich nun brachten sie ihrem Könige die frohe Botschaft, (p. 137) indem sie sprachen: Dein Bruder ist wieder aufgelebt! Der König aber sprang auf und kam mit einer großen Menge zu seinem Bruder; und als er hineingegangen war, trat er an sein Bett, wie betäubt, ohne mit ihm reden zu können. Sein Bruder sprach aber: Ich weiß und bin überzeugt, Bruder, wenn jemand dich um die Hälfte deines Königreichs gebeten hätte, du hättest sie für 1
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mich gegeben. Deshalb ersuche ich dich, mir eine Gnade zu erweisen, um deren Gewährung ich dich bitte, daß du mir (nämlich) das verkaufst, worum ich dich bitte. Der König aber hob an und sprach: Und was ist's, das du mich dir zu verkaufen bittest? Der aber sprach: Bekräftige es mir durch einen Eid, daß du es mir gewährst. Und der König schwur ihm: <Was immer von meinem Besitz du dir erbittest), (p. 138) das gebe ich dir. Und er spricht zu ihm: Verkaufe mir den Palast, den du im Himmel hast. Und der König sprach: Ein Palast im Himmel - woher kommt der mir? Er aber sprach: (Es ist) der, den dir jener Christ gebaut hat, der jetzt im Gefängnis sitzt, den dir der Kaufmann zugeführt hat, nachdem er ihn von einem gewissen Jesus gekauft hatte. Den hebräischen Sklaven meine ich, welchen du bestrafen wolltest als den, von dem du eine Täuschung erfahren hast, über die auch ich in Trauer versetzt ward und starb, und jetzt bin ich wieder zum Leben gekommen. 24 Da kam der König zur Einsicht und verstand (seine Worte) von den für ihn wesentlichen und zukünftigen, ewigen Gütern und sprach: Den Palast kann ich dir nicht verkaufen, ich bete aber, daß ich hineingehen und darin wohnen darf und gewürdigt werde, zu seinen Bewohnern . 3 Gr: drei. Vgl. Hebr. 11, 37; .Ascensio Jsaiae 1, 7; 5, 1 ff. s. o. S. 459 f. 5 Vgl. die spanische Bibel von S. Pere de Roda (XI. Jh.). • Diesen Satz in eckigen Klammern habe ich in runden Klammern als .Anfang in den folgenden Satz versetzt. 1
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XVIII. Spätere Apokalypsen
sagte ich zu ihm: Du bist Lot, der in Sodom als gerecht befunden wurde1 Und er sagte: Ich habe die Engel als Fremde in meinem Hause aufgenommen, und als die aus der Stadt sie vergewaltigen wollten, habe ich ihnen meine beiden jungfräulichen Töchter, die noch keinen Mannesumgang kennengelernt hatten, angetragen und ihnen gegeben sagend: Gebraucht sie, wie ihr wollt, nur diesen Männern tut nichts schändlicherweise ; deshalb sind sie unter das Dach meines Hauses eingetreten 1. Deshalb müssen wir also Vertrauen haben und wissen, daß, wenn ein jeder etwas getan hat, Gott ihnen vielfältig vergilt, wenn sie zu ihm gekommen sind. Selig bist du, Paulus, und selig das Volk, das deinem Wort geglaubt haben wird. Als er nun aufgehört hatte, zu mir zu sprechen, sah ich einen andern von weither kommen, sehr schön von Angesicht, lächelnd und seine Engel Hymnen singend, und ich sagte zu dem Engel, der bei mir war: Es hat also ein jeder der Gerechten einen Engel als Genossen 1 Und er sagte zu mir: Ein jeder der Heiligen hat einen eigenen, der ihm beisteht und einen Hymnus singt, und einer weicht nicht vom andern. Und ich sagte: Wer ist dieser, Herr1 Und er sagte: Dieser ist Hiob. Und herantretend begrüßte er mich und sagte: Bruder Paulus, du hast großes Lob bei Gott und den Menschen. Ich aber bin Hiob, der ich eine Zeit von dreißig Jahren infolge des Serums des Schlages viel gelitten habe. Und anfangs waren die Wunden, die aus meinem Körper hervorkamen, wie Weizenkörner, die Würmer aber, welche herabfielen, hatten eine Länge von vier Fingern. Und der Teufel erschien mir zum dritten Male und sagte zu mir: Sag ein Wort gegen den Herrn und stirb 2 ! Ich sagte zu ihm: Wenn es so der Wille Gottes ist, daß ich in dem Schlage die ganze Zeit meines Lebens bleibe, bis ich sterbe, werde ich nicht aufhören, den Herrn Gott zu preisen und werde mehr Lohn empfangen. Ich weiß nämlich, daß die Mühsale dieser Welt nichts sind gegen die Erquickung, die später ist 3 • Deshalb bist du selig, Paulus, und selig ist das Volk, das durch dich zum Glauben gekommen ist. 50. Während er noch redete, kam ein anderer von weither rufend und sagend: Selig bist du, Paulus, und ich bin selig, weil ich dich, den von dem Herrn Geliebten, gesehen habe. Und ich fragte den Engel: Wer ist dieser, Herd Und antwortend sagte er zu mir: Dies ist Noah zur Zeit der Sintflut. Und sogleich begrüßten wir uns 4 einander. Sich sehr freuend sagte er zu mir: Du bist Paulus, der Hochgeliebte Gottes. Und ich fragte ihn: Wer bist du1 Und er sagte: Ich bin Noah, der zur Zeit der Sintflut war. Ich sage dir aber, Paulus, daß ich hundert Jahre mit der Herstellung der Arche zugebracht habe 5, indem ich das Gewand, mit dem ich bekleidet war, nicht auszog und das Haar meines Hauptes nicht schor. Dazu beeiferte ich mich der Enthaltsamkeit, indem ich mich meinem eigenen Weibe nicht näherte; in jenen hundert Jahren wuchs das Haar meines Hauptes nicht in die Größe, und meine Kleider wurden nicht beschmutzt. Und ich bat die Menschen zu jener Zeit sagend: Tut Buße! Es wird nämlich eine Wasserflut über euch kommen. Sie verlachten mich aber und verhöhnten meine Worte. Und wiederum sagten sie zu mir: Diese Zeit ist vielmehr für die, welche spielen können und nach Belieben sündigen wollen 6, für den, wem es möglich ist, nicht wenig zu huren; denn Gott sieht dies nicht und beachtet nicht, was von uns allen gehandelt wird, und eine Sintflut von Wasser Vgl. 1. Mos. 19, 1ff. a Vgl. Röm. 8,18. s Vgl. 1. Mos. 6,14ff. 1
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Vgl. Hiob 2, 9f. Lies nos statt vos. Vgl. Mt. 24,38 par.
1. Apokalypse des Paulus
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wird ganz und gar nicht in diese Welt kommen. Und sie ließen ihre Sünden nicht, bis Gott alles Fleisch, welches Lebensgeist in sich hatte, vernichtete. Erkenne aber, daß Gott einen Gerechten mehr liebt als ein ganzes Jahrhundert von Gottlosen. Deshalb: selig bist du, Paulus, und selig ist das Volk, das durch dich gläubig geworden ist. 51. Und mich wendend sah ich andere Gerechte von weither kommend, und ich fragte den Engel: Wer sind diese, Herr1 Und er antwortete mir: Das sind Elias und Elisa. Und sie begrüßten mich. Und ich sagte zu ihnen: Wer seid ihr1 Und es antwortete einer von ihnen: Ich bin Elias, der Prophet Gottes. Ich bin Elias, der gebetet hat, und wegen meines Wortes regnete der Himmel nicht in drei Jahren und sechs Monaten wegen der Ungerechtigkeiten der Menschen l . Gerecht ist Gott und wahrhaftig, der den Willen seiner Diener tut. Denn oft haben die Engel den Herrn gebeten um den Regen, und er hat gesagt: Bezeigt Geduld, bis mein Diener Elias betet und dieserhalb bittet, so werde ich Regen auf die Erde senden ... 2• Die Leiden, welche ein jeder erduldet um Gottes willen, wird Gott ihm vergelten zwiefach. Selig bist du, Paulus, und selig das Volk, das durch dich glauben wird. Wie dieser redete, kam nämlich ein anderer, Henoch, grüßte mich und sagte zu mir: Die Leiden, welche der Mensch um Gottes willen erträgt, Gott betrübt ihn nicht, wenn er aus der Welt geht. Wie dieser mit mir redete, siehe! da kamen zwei andere miteinander, und ein anderer ging hinter ihnen her, indem er ihnen zurief: Wartet auf mich, daß ich komme, damit ich den Geliebten Gottes, Paulus, sehe; es wird Befreiung für uns sein(1), wenn wir ihn sehen werden, während er noch im Leibe ist. Ich sagte zum Engel: Mein Herr, wer sind diese1 Er sagte zu mir: Dieser ist Zacharias und Johannes, sein Sohn 3. Ich sagte zum Engel: Der andere denn, der hinter ihnen läuft1 Er sagte: Dieser ist Abel, den Kain getötet hat"'. Sie grüßten mich und sagten zu mir: Selig bist du, Paulus, der du gerecht in allen deinen Werken bist. Es sagte Johannes: Ich bin der, dessen Haupt sie im Gefängnis wegnahmen um eines Weibes willen, das bei einem Mahle tanzte 5• Es sagte Zacharias: Ich bin es, den sie töteten, indem ich Gott ein Opfer darbrachte; und als die Engel zum Opfer kamen, brachten sie meinen Leib zu Gott empor, und kein Mensch fand meinen Leib, wohin er genommen war 6 • Abel sagte: Ich bin der, den Kain getötet hat, indem ich Gott ein Opfer darbrachte"'. Die Leiden, die wir um Gottes willen erduldet haben, sind nichtige Dinge; was wir um Gottes willen getan haben, haben wir vergessen. Und die Gerechten und alle Engel umgaben mich; sie freuten sich mit mir, [weil] sie mich im Fleisch gesehen hatten. Ich blickte und sah einen andern, der sie alle übertraf. Und ich sagte zu dem Engel: Wer ist dieser, mein Herr1 Er sagte zu mir: Dieser ist Adam, der Vater von euch allen. Während er zu mir gelangte, begrüßte er mich mit Freude. Er sagte zu mir: Mutig, Paulus, Geliebter Gottes, der du eine Menge hast zum Glauben an Vgl. 1. Kön. 17, 1ff. Hier bricht die gemeinsame Grundlage von L, Sund Gr plötzlich ab. Das Folgende ist die Fortsetzung, welche der Kopte bietet. Wie der Syrer an dieser Bruchstelle nach den Worten Und oft haben die Engel gebeten, daß er ihnen Regen gäbe fortfährt, siehe am Schluß. 3 Vgl. Lk. 1,5ff. 4 Vgl. 1. MOB. 4, 8. 5 Vgl. Mk. 6,24.25 Par. 6 Vgl. Protevangelium Jacobi 24, 3 (Bd. 1,290). 1
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XVIII. Spätere Apokalypsen
Gott gebracht und zur Reue, wie ich selbst bereut habe und genommen habe meinen Preis von dem Barmherzigen und Mitleidigen. James hält es für möglich, daß die Apokalypse hier endete. Andererseits vermißt man einen wirklichen Schluß. Wenn in C jetzt ein neuer Besuch im (dritten) Himmel erfolgt mit mehrfachen Dubletten, so wird das sekundär sein. Vielleicht aber enthält der Schluß von C mit der Rückkehr des Apostels in den Kreis der Mitapostel auf den Ölberg das Ursprüngliche und würde voraussetzen, daß die Entrückung auch vom Ölberg aus erfolgt ist. Im folgenden wird eine Inhaltsangabe von C gegeben, der Schluß aber in wörtlicher Übersetzung. Paulus wird in einer Wolke in den dritten Himmel entrückt. Dort empfängt er den Befehl, die Dinge, welche er sehen wird, keinem Menschen zu offenbaren. Nichtsdestoweniger erzählt er von einem Siegel und einem Altar mit sieben Engeln des Lichtes zur Rechten und zur Linken. VieItausend Engel singen dem Vater. Den niedergefallenen Apostel richtet der begleitende Engel wieder auf und verspricht ihm, ihm seinen Platz zu zeigen. Er wird nun ins Paradies mit seinen leuchtenden Bewohnern und glänzenden Thronen gebracht. Auf seine Bitte wird ihm sein Thron in einem Zelt von Licht gezeigt, vor dem zwei singende Engel sich befinden, welche als Uriel und Suriel vorgestellt werden. Er wird begrüßt von Bewohnern, welche der Engel als die Pfl.a.nzen erklärt, die Paulus in der Welt gepflanzt habe. Nach erneuter Ankündigung des Engels sieht er das Paradies. Drei Mauern umgeben es konzentrisch, zwei silberne und zwischen beiden in der Mitte eine goldene. In der Beschreibung des Paradieses ist der Zug bemerkenswert, daß die Bäume des Paradieses dreimal täglich Gott preisen, nämlich morgens, mittags und abends. Das Bedenken des Paulus, er möchte nicht würdig sein, im Paradiese zu wohnen, redet der Engel ihm aus: er würde in der Unterwelt (Amente) den Sieg über den Ankläger davontragen. Auch würde er bei Rück. kehr in die Welt sehr große Ehre haben. Und wenn das ganze Menschengeschlecht die Worte dieser Apokalypse hören werde, würden viele Buße tun und leben. PaulUB bekommt dann auf Thronen die Kleider und Kronen seiner Mitapostel zu sehen, auch begegnet er noch einmal dem singenden David mit seiner Harfe. Sodann sieht er den Platz der Märtyrer.
Der Engel des Herrn hob mich empor und brachte mich auf den Ölberg. Dort fand ich, Paulus, die Apostel versammelt zusammen. Ich begrüßte sie und verkündigte ihnen jedes Ding, welches mir begegnet war, und das, was ich gesehen hatte, und die Ehre, welche den Gerechten widerfahren wird, und den Untergang und das Niederreißen, welches den Gottlosen widerfahren wird. Da freuten sich die Apostel und frohlockten und segneten Gott, und sie befahlen uns zusammen: mir, Markus und Timotheus, dem Schüler des heiligen Paulus(!), dem Lehrer der Kirche, in Schrift zu fassen diese heilige Apokalypse zum Frommen und zum Nutzen derer, die sie hören werden. Als die Apostel mit uns redeten, offenbarte sich uns der Heiland Christus aus dem Wagen der Cherubim und sagte zu uns: Seid gegrüßt, meine heiligen Jünger, welche ich erwählt habe aus der Welt! Sei gegrüßt, Petrus, Krone der Apostel! Sei gegrüßt, J ohannes, mein Geliebter! Seid gegrüßt, (ihr) Apostel alle! Der Friede meines guten Vaters sei mit euch! Dann wandte er sich zu unserm Vater und sagte zu ihm: Sei gegrüßt, Paulus, geehrter Briefschreiber!l Sei gegrüßt, Paulus, Mittler des Bundes! Sei gegrüßt, Paulus, Dach und Fundament der Kirche! Hast du dich überzeugt von den Dingen, die du gesehen hast1 Bist du voll überzeugt von den Dingen, die du gehört hast1 Paulus antwortete: Ja, mein Herr. Deine Gnade und deine Liebe haben mir Großes, was gut ist, erwiesen. Der Heiland antwortete und sagte: 0 Geliebter des Vaters, Amen, Amen, ich sage euch, daß die Worte dieser Apokalypse in der ganzen Welt gepredigt 1
Wörtlich Briefträger
1. Apokalypse des PaulU8
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werden zum Nutzen derer, die sie hören werden. Amen, Amen, ich sage dir, Paulus, daß der, welcher sorgen wird für diese Apokalypse, sie schreiben wird und niederlegen als ein Zeugnis für die kommenden Geschlechter, dem werde ich nicht zeigen die Unterwelt mit dem bittern Weinen bis zum zweiten Geschlecht seines Samens. Und den, welcher sie liest im Glauben, werde ich segnen und sein Haus. Wer verspottet die Worte dieser Apokalypse, den werde ich bestrafen 1. Und nicht soll man lesen darin außer an den heiligen Tagen, weil ich das ganze Geheimnis meiner Gottheit euch offenbart habe, 0 meine heiligen Glieder. Siehe! ich habe euch jedes Ding bereits verkündigt. Geht nun und geht hinaus und predigt das Evangelium von meiner Herrschaft, da sich genähert hat nämlich euer Lauf und euer heiliger Kampf. Du selbst aber, mein Erwählter, Paulus, du wirst vollenden deinen Lauf, du und mein Geliebter, Petrus, am fünften Tag des Monats Epep 2. Du wirst in meinem Reich in Ewigkeit sein. Meine Kraft wird mit euch sein. - Und sogleich befahl er der Wolke, aufzunehmen die Jünger und sie zu führen in das Land, welches er ihnen zugewiesen hatte. Und sie sollten predigen an jedem Ort das Evangelium vom Himmelreich in Ewigkeit wegen der Gnade und Menschenliebe unsers Herrn Jesu Christi, unseres Heilandes, welchem Ruhm ist und seinem gütigen Vater und dem heiligen Geist bis in alle Ewigkeit. Amen." Der Syrer f'ährt an der Bruchstelle in Kap. 51 nach den Worten: Und oft haben die Engel gebeten, daß er ihnen Regen gäbe, fort:
bis ich ihn von neuem anrief, und dann gab er ihnen. Aber selig bist du, Paulus, daß dein Geschlecht und deine Schülerschaft alle Kinder des Reiches sind. Und wisse, Paulus, daß jeder, der durch dich glaubt, selig ist und Seligkeit ihm aufbewahrt ist. - Dann schied er von mir. Und als er von mir geschieden war, führte mich der Engel, der mit mir war, hinaus und sagte in großem Ernste: Paulus, dir ist das Geheimnis dieser Offenbarung gegeben; wie du willst, tue es kund und offenbare es den Menschen. - Ich, Paulus, aber kam zu mir und erkannte und wußte alles, was ich gesehen hatte, und schrieb es in eine Rolle. Und solange ich im Leben war, hatte ich keine Ruhe, dies Geheimnis zu offenbaren, sondern ich schrieb es (auf) und legte es unter die Mauer eines Hauses jenes gläubigen Mannes, bei dem ich in Tarsus, einer Stadt Ciliciens, war. Als ich aber aus diesem zeitlichen Leben entlassen war (und) vor meinem Herrn (stand), da sagte er so zu mir: Paulus, habe ich dir dies alles gezeigt, daß du es unter die Hausmauer legest1 Vielmehr schicke und offenbare seinethalben, damit die Menschen es lesen und sich wenden auf den Weg der Wahrheit, damit sie nicht in diese bittern Qualen kommen. Und so wurde diese Offenbarung gefunden. Hier folgt die Auffindungsgeschichte.
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Vgl. Offbg. 22, 18f. = der 11. koptische Monat (Beginn: 25. Juni).
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XVIII. Spätere Apokalypsen
2. THOMASAPOKALYPSE (A. de Santos Otero)
Jahrhunderte lang war die Apokalypse des Thomas nur durch den Hinweis des Decretum Gelasianum (unter Nr. 27, vgl. Bd. I. S.23) bekannt. 1908 machte C. Frick (ZNW 9, 1908, 172) auf einen anderen Hinweis aufmerksam, der in der Hieronymuschronik des Codex Philippsianus Nr. 1829 von Berlin enthalten ist. Dabei heißt es zum 18. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius: in libro quodam apocrypho qui dicitur Tho'l1lae apostoli scriptum est dominum iesum ad eum dixisse ab ascensu suo ad celum uEque in secundum adventum eius novem iobeleus contineri. Heute liegen zwei Fassungen der Thomasapokalypse vor. Die längere ist vertreten durch: a) Cod. Clm 4585 fol. 66 v -67 v (IX.Jh.) aus Benediktbeuern. Dieser Text ist von Fr. Wilhelm in seinem Werk: Deutsche Legenden und Legendare, 1907, herausgegeben worden; b) Eine Handschrift aus der Kapitelbibliothek von Verona (VIII.Jh.), die vonM.R.James inJThSt 11,1910, S.288-290 veröffentlicht wurde; c) Cod. Vatic. Palat. Nr. 220, von E. v. Dobsch ütz entdeckt und von Bihlmeyer in seiner Ausgabe des Cod. Clm 4563 benutzt. Eine altenglische Version dieser Fassung befindet sich im 15. Sermon der berühmten angelsächsischen Handschrift von Vercelli (IX.Jh.). Vgl. M.R. James, The Apoer. NT, S. 556ff. Diese Fassung besteht aus zwei verschiedenen Teilen. Der erste befaßt sich mit den Begebenheiten und Zeichen, die dem Jüngsten Gericht vorausgehen sollen. Dabei verrät er starke Anlehnung an ähnliche Schilderungen anderer Apokryphen apokalyptischen Charakters, z.B. die der Assumptio Mosis, der Ascensio Isaiae und der Libri Sibyllini. Dieser Teil ist als eine Interpolation anzusehen, deren Entstehung man aufgrund mancher historischen Hinweise des Textes (z. B. auf den Kaiser Theodosius und seine zwei Söhne Arcadius und Honorius) in der ersten oder zweiten Hälfte des V.Jahrhunderts datieren kann. Vgl. Bihlmeyer in Rev. Bened. 28, 1911, S. 277. Der zweite Teil stimmt im Umfang und Inhalt mit der kürzeren Fassung der Thomasapokalypse überein. Diese Fassung ist vertreten durch: a) Cod. Vindob. Palatinus 16 (einst Bobbiensis) fol. 60 r -60 v aus dem V.Jahrhundert. Dieser Text wurde zunächst von J. Bick (SWA 159, 1908, 90-100) entdeckt und von E. Hauler (Wiener Studien 30, 1908, 308-340) als Fragment der Thomasapokalypse identifiziert. Er ist der älteste Zeuge unserer Apokalypse überhaupt; b) Cod. Clm 4563 fol. 40 r -40 v (XI/XII. Jh.) aus Benediktbeuern, von Bihlmeyer entdeckt und ediert (Rev. Bened. 28, 1911, 272-276). Dieser Text stimmt mit Vindob. Palat. 16 grundsätzlich überein, ist vollständig erhalten und weist keine Interpolation auf. Die kürzere Fassung ist für uns der älteste Zeuge der ursprünglichen Thomasapokalypse, die im Laufe der Zeit verschiedenen orthodoxen und ketzerischen Bearbeitungen unterzogen gewesen sein soll. Diese Entwicklung muß man vor allem in Verbindung mit manichäischen und priszillianischen Strömungen setzen. Dafür spricht nicht nur die Erwähnung der Thomasapokalypse im Decretum Gelasianum, sondern auch manche Parallelstelle in priszillianischen Schriften. Vgl. dazu De Bruyne (Rev. Bem§d. 24,1907,318-335) und Bihlmeyer (ebd. 28. 1911, S. 279). Manche typisch manichäischen Begriffe, z.B. der des Lichtes, tauchen in unserer Apokalypse immer wieder auf. In diesem Zusammenhang verweist Bihlmeyer (ebd. S. 282) auch auf den Namen Thomas, den einer der drei größten Schüler des Mani nach den Acta Archelai des Hegemonius getragen haben soll. Sowohl die längere wie die kürzere Fassung (der Cod. Vindob. Palat. 16 stammt aus dem V. Jh.!) legen die Vermutung nahe, daß die Thomasapokalypse vor dem V. Jh. entstanden ist. In starker Anlehnung an die kanonische Apokalypse des Johannes ist sie die einzige apokryphe Apokalypse, die die Begebenheiten der Jüngsten Tage auf sieben Tage verteilt. Das erinnert eindeutig an die sieben Siegel, die sieben Posaunen und die sieben Schalen der Apo-
2. ThomaaapokalYp8e
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kalypse Johannis (Offbg. 5-8, 2; 8,2-11; 16). Die zahlreichen Varianten der lateinischen Codices deuten auf verschiedene Versionen eines ursprünglich griechischen Textes hin. Unserer Übersetzung liegt der lateinische Text vom Cod. Clm 4563 zugrunde nach der Ausgabe von Bihlmeyer (Rev. Bened. 28, 1911, 272-276), bei der er die Varianten der anderen Codices herangezogen hat. Eine vollständige englische Übersetzung beider Fassungen bei M. R. James.
Thomasapokalypse Höre Thomas 1 , denn ich bin der Sohn Gottes des Vaters 2 und ich bin der Vater aller Geister! 3 Höre von mir die Zeichen, die sich beim Untergang dieser Welt ereignen werden, wenn das Ende derWelt vollbracht wird, bevor meine Auserwählten aus der Welt scheiden. Ich teile dir offen mit, was nun den Menschen geschehen soll'. Wann dies aber stattfinden wird, das wissen die Fürsten der Engel nichtS, denn es ist vor ihnen verborgen. Dann werden sich die Könige die Welt untereinander teilen 6: großer Hunger, Seuchen und vielfache Not werden auf der Erde herrschen 7. Die Menschenkinder werden in allen Nationen zu Sklaven werden und durch das Schwert umkommen8 • Ein großer Aufruhr wird in der Welt ausbrechen. Daraufhin, wenn die Stunde des Endes näherrückt, werden große Zeichen am Himmel sieben Tage lang erscheinen, und die Kräfte des Himmels werden sich in Bewegung setzen 9. Dann am ersten Tage, zu Beginn der dritten Stunde, wird eine mächtige und laute Stimme am Firmament des Himmels erschallen. Eine Wolke aus Blut lO wird von Norden her aufgehen, ihr werden große Donner und mächtige Blitze folgen, und sie wird den ganzen Himmel bedecken. Dann wird ein Blutregen auf die Erde niedergehen. Dies sind die Zeichen des ersten Tages. Und am zweiten Tage wird eine mächtige Stimme am Firmament des Himmels ertönen. Die Erde wird von einer Erschütterung heimgesucht werden l l• Die Pforten des Himmels werden sich am Himmelsfirmament von Osten her öffnen. Durch sie 1 Fast alle Vertreter der längeren Fassung leiten dieses Schriftstück ein mit den Worten: ineipit epistula domini ad Thomam. Danach folgt eine lange Beschreibung der Dinge, die in den letzten Tagen stattfinden sollen. Diese Beschreibung, die den ersten Teil der Fassung ausmacht und die als eine Interpolation anzusehen ist, wird mit einer Reihe von Anathemen und Vae Rufen abgeschlossen. Anschließend hebt die Beschreibung der letzten sieben Tage an. Sie verläuft mit wenigen Abweichungen wie bei der kürzeren Fassung. 2 An der hervorragenden Stellung, die die Person Dei Patris im Laufe des ganzen Schriftstücks einnimmt, hat Bihlmeyer (a.a.O. S. 280) Spuren monarchianischen Einflusses gesehen. 3 Vgl. Priszillian, Tract. 11.: tu animarum pater ... tu operatio spirituum, tu prineipum arehangelorum, tu angelorum opus (ed. Schepss OSEL 18, 104). 4 An dieser Stelle scheint der Text korrupt zu sein. Die..längere Fassung bietet keine Parallele. 5 Ood. Vindob. Palat. Nr. 16: prineipes angelorum. Ood. Olm 4563: prineipes, angeli. Vgl. Mk 13,:32 par. 6 Ood. Olm 4563: Tune erunt partieipationes in saeeulo inter regem et regem. Die Stelle kann als eine Anspielung auf die Kämpfe und Fehden um die Weltherrschaft in Anlehnung an Mk. 13, 8 aufgefaßt werden. 7 Vgl. Lk. 21, 11; Mt. 24,9. 8 Vgl. Lk. 21, 24. e Vgl. Lk. 21, 11. 26; Mt. 24, 29; Mk. 13,24f. 10 Vgl. Offbg. 6,12; Joe12, 30. 11 Vgl. Offbg. 6, 12ff.•
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XVIII. Spätere Apokalypsen
wird der Rauoh eines großen Brandes l hinausgespien werden, von dem der ganze Himmel bis zum Westen hin bedeokt sein wird. Ein großes Bangen und Angst wird an diesem Tage in der Welt herrsohen 2. Dies sind die Zeiohen des zweiten Tages. Und am dritten Tage, gegen die dritte Stunde, wird eine mäohtige Stimme im Himmel ersohallen, und die Abgründe der Erde werden von den vier Eoken der Welt aus brüllen 3. Die Zinnen des Himmels:lirmaments werden aufplatzen, und die ganze Atmosphäre wird voll Rauohsäulen sein. Ein übler Geruoh naoh Sohwefel wird bis zur zehnten Stunde anhalten'. Die Mensohen werden sagen: das Ende der Welt ist über uns hereingebroohen, wir gehen zugrunde. Dies sind die Zeiohen des dritten Tages. Und am vierten Tage, zur ersten Stunde, wird der Abgrund von Osten her sohmelzen und brüllen. Die ganze Erde wird vor der Wuoht der Ersohütterung beben. An diesem Tage werden die Götzenbilder der Heiden 6 sowie alle Gebäude der Erde vor der Wuoht des Erdbebens einstürzen. Dies sind die Zeiohen des vierten Tages. Und am fünften Tage, zur seohsten Stunde, werden plötzlioh mäohtige Donner im Himmel dröhnen, und die Kräfte des Liohtes werden zuoken, und der Sonnenball wird aufplatzen 8 , und eine diohte Finsternis wird sioh der (ganzen) Welt bis zum Abendland bemäohtigen 7 • Das All wird ohne Sonne und Mond traurig sein. Die Sterne werden aufhören, ihren Dienst zu tun. An diesem Tage werden alle Nationen so sehen, als (ob sie) in einem Saok (eingesperrt wären). Sie werden das Leben dieser Welt veraohten 8 • Dies sind die Zeiohen des fünften Tages. Und am seohsten Tage, zur vierten Stunde, wird eine mäohtige Stimme im Himmel erschallen. Das Firmament des Himmels wird sioh vom Osten her bis zum Westen öffnen 9, und die Engel werden duroh die Klüfte des Himmels auf die Erde hinausblioken, und alle auf der Erde wohnenden Mensohen werden die vom Himmel herabsohauende Engelsohar sehen können. Und alle Mensohen werden dann in die Gräber fliehen lo , um sioh vor den gereohten Engeln zu versteoken, indem sie sagen: Möge sioh die Erde öffnen und uns versohlingen. Es werden nämlioh Dinge passieren, die nooh nie seit der Entstehung dieser Welt vorgefallen sind ll. Dann werden sie mioh sehen, indem ioh im Liohte meines Vaters mit der Kraft und der Ehre der Vgl. Offbg. 9,2. 2 Vgl. Lk. 21,26. Vgl. Offbg. 7,1; Ezech. 7,2; 37, 9; Mt. 24, 31; Lk. 21,25; 4. Esra 5, 7. 4 Vgl. Offbg. 9,17. 6 Das adornamenta des Ood. Olm 4563 wird bei Ood. Olm 4585 durch idola8 und bei Vatic. PaIa.t. Nr. 220 durch monumenta ersetzt. Der Sinn ist ohnehin klar. Vgl. Jes. 2,18; PseudoMatthäus 22, 2. 23 (De Santos, S. 234-235); Ev. Infantiae Arab. 10 (Übers. ebda. S. 333). 6 Bei Olm 4563 heißt es et rota 8oli8 aperietur. Bihlmeyer (a. a. O. schlägt vor operietur anstatt aperietur. 7 VgI. Mt. 24,29; Apok. 6, 12. 8 Bei Olm 4563 heißt es: In iUa die omne8 gentea ita videbunt, velut in 8acculo. James (The Apocr. NT, S. 560) ersetzt das BaCCUlo durch 8peculo und übersetzt: in thaJ; day 8hall all nation8 behold aB in a mirror, ohne die Möglichkeit des 8acculo auszuschließen. Die Handschriften bieten keinen Anhaltspunkt zum Verständnis dieser dunklen Stelle. S Vgl. Kopt. Eliasapokalypse (ed. Steindorff S. 154) und Johannesapokalypse Kap. 17 (ed. Tischendorf, Apa.. S.85). 10 Bei Vat. Pa.lat. Nr. 220 heißt es: SpelUnca8 montium anstatt monumenti8 wie bei Olm 4563. Vgl. Offbg. 6, 15. 11 Vgl. Mt. 24,21; Mk. 13,19; Offbg. 16,18; Dan. 12,1. 1
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2. Thomasapokalypse
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heiligen Engel von oben herabkomme 1. Bei meiner Ankunft wird dann die Feuerumfriedung des Paradieses aufgebrochen werden, denn das Paradies ist mit Feuer umzäunt 2. Das ist aber das ewige Feuer, das den Erdkreis und alle Bestandteile der Welt verzehrt 3. Dann werden die Geister und die Seelen der Heiligen das Paradies verlassen und auf die Erde kommen, jeder in seinem eigenen Leib, wo dieser auch immer begraben ist. Und jeder wird sagen: hier liegt mein Leib begraben. Und wenn die mächtige Stimme jener Geister vernommen wird, dann werden sich überall Erderschütterungen ereignen, und die Wucht dieses Erdbebens wird gegen die Gebirge einsetzen, und die Steine werden sich durch und durch spalten. Dann wird die Seele eines jeden in ihr Gefäß zurückkehren 4, und die Leiber der entschlafenen Heiligen werden aufstehen 5 • Dann werden sich ihre Leiber in die Ähnlichkeit und das Abbild und die Ehre der heiligen Engel und in die Kraft des Bildes meines heiligen Vaters verwandeln 6. Dann werden sie das Kleid des ewigen Lebens anziehen 7 : das Kleid aus der Wolke des Lichtes 8, die auf dieser Welt noch nie zu sehen war. Denn diese Wolke kommt vom oberen Himmelsreich von der Macht meines Vaters herab. Sie wird alle Seelen, die an mich geglaubt haben, mit ihrem Glanz umhüllen. Dann werden sie angezogen und durch die Hände meiner heiligen Engel, wie gesagt, getragen werden 9. Dann werden sie ins All auf einer Wolke aus Licht entrückt werden 10. Froh werden sie mit mir zusammen in den Himmel kommen und im Lichte und in der Ehre meines Vaters bleiben. In der Gegenwart meines Vaters und meiner heiligen Engel werden sie tiefste Freude empfinden. Dies sind die Zeichen des sechsten Tages. Und am siebenten Tage, zur achten Stunde, werden Stimmen in den vier Ecken 11 des Hintmels erschallen. Das All wird sich in Bewegung setzen und von heiligen Engeln wimmeln. Diese werden den ganzen Tag hindurch gegeneinander kämpfen l2 • An jenem Tage werden die Auserwählten durch die heiligen Engel vom Weltuntergang errettet werden 13. Dann werden alle Menschen einsehen, daß die Stunde ihres Verderbens geschlagen hat. Dies sind die Zeichen des siebenten Tages. 1 Vgl. Mt. 24, 30; Mk. 13, 27 f.; Lk. 21, 27; Dan. 7, 13. Auf die Anwesenheit der Engel bei der Parusie verweisen auch Mt. 25,31; Lk. 9, 26; 1. Thess. 3,13. Vgl. Dan. 7, 10. 2 Ob hier eine Anspielung auf die Vertreibung Adams aus dem Paradies (1. Mos. 3, 24) vorliegt oder eher auf die Vorstellung, wonach der Thron Gottes vom Feuer umgeben ist (vgl. Dan. 7,9; Ezech. 1, 4; Offbg. 4,5), ist nicht klar. Von "Feuermauern" spricht auch ein priszillianisches Apokryphon (Rev. Bened. 24, 1907, S. 323). Dort sollen sie allerdings die "Hölle" umgeben. 3 Vgl. 2. Petr. 3,7. • Vgl. 1. Thess. 4, 4. 5 Vgl. Mt. 27, 52. • Vgl.1. Mos. 1,26; 1. Kor. 15,49; 2. Kor. 3, 18. 7 Vgl. Ascensio Isaiae 9, 2 (Übers. s. o. S.464). 8 Vgl. Acta Thomae Kap. 108-114, s.o. S. 349ff. Die große Rolle, die in unserer Apokalypse das Licht spielt, läßt an manichäische und gnostische Kreise denken, bei denen das Thema des Lichtes bekanntlich sehr beliebt war. Vgl. Bihlmeyer, S. 281. 9 Vgl. Apok. Moses, Kap. 37 (ed. Tischendorf, Apa, S.20); Geschichte Josephs des Zimmermanns 23, 2 (S. Morenz, TU 56, 1951). 10 Vgl.1. Thess. 4, 17. 11 Vgl. Offbg. 7, 1. 12 Vgl. Offbg. 12, 7. 13 Bei Palat. Vatic. 220 heißt es querent electi de toto animo ut libenntur de perditione. Vgl. Offbg. 7, 3; Mt. 24, 31; Mk. 13,27.
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XVIII. Spätere Apokalypsen
Und wenn die sieben Tage vorüber sind, am achten Tage zur sechsten Stunde wird sich eine zarte und leise Stimme von Osten her melden. Dann wird jener Engel in Erscheinung treten, der über die heiligen Engel Gewalt hat. Mit ihm werden alle Engel zusammen ausziehen, auf denWolkenwagen meines heiligen Vaters sitzend, frohlockend, in der Luft unter dem Himmel umherschweifend, um meine Auserwählten, die an mich geglaubt haben, zu retten; froh schließlich darüber, daß der Untergang der Welt hereingebrochen ist. So weit die Worte des Heilandes an Thomas über das Ende dieser Welt.
ANHANG: DICHTUNGEN
1. DER N.AASSENERPSALM (W. Bauer) EINLEITUNG. In seiner Widerlegung der gnostischen Naassener teilt Hippolyt (V 6ff.) die sog. Naassenerpredigt mit (V 7, 3ff., ed. Wendland (GCS 26) 1916, S. 79ff.), nach Reitzensteins Nachweisen l eine ursprünglich heidnische Rede oder vielleicht richtiger ein synkretistisches Gebilde, dessen heidnischer Hauptinhalt von Anfang an durch einige jüdische Beigaben bereichert gewesen ist. Die christlichen Zutaten zu diesem Kern sind jedenfalls leicht abzuscheiden. Und was zurückbleibt, ist eine in allem Wesentlichen heidnische Predigt, eine allegorisierende Umdeutung des am Schlusse gegebenen Kultliedes auf Attis (V 9, 8f.), das - zunächst zum Vortrag im Theater bestimmt - sich an archaische Formen anlehnt (J. Kroll, Die christliche Hymnodik bis zu Klemens von .Alexandreia, 1921, S. 93). Ob die christlichen Naassener es gleichfalls zu gottesdienstlichen Zwecken verwandt haben oder nur zur Stütze ihrer Spekulationen, läßt sich nicht mehr feststellen. Viel glaubhafter erscheint der kultische Gebrauch bei einer zweiteiligen Hymne, die Hippolyt im Anschluß an die Predigt als Psalm der Naassener mitteilt (V 10, Iff., ed. Wendland, S. 102ff.). Mit Ausnahme der ersten Zeilen, die ein erweitertes Metrum haben, ergeht sich dieses Lied in Anapästen, dem geläufigsten Versmaß der Kaiserzeit. Seine poetiBche Form hat zahlreiche Philologen angezogen (vgl. J. Kroll, a. a. 0., S. 96, Note, und die hier namhaft gemachte Literatur). Der Psalm ist eigentlich ganz heidnisch. Nur an einer Stelle ist er durch Einsetzung des Namens Jesus für eine ursprünglich dort genannte Gottheit deutlich christianisiert. Zum Inhalt vgl. J.Kroll, a.a.O., S. 94-97.
DER N.AASSENERPSALM (Hippol., Eleneh. V 10, 2fI.) Urprinzipium aller Dinge, erster Grund des Seins und Lebens ist der Geist; zweites Wesen, ausgegossen von dem ersten Sohn des Geistes, ist das Chaos; und das Dritte, das (von beiden Sein und Bildung) hat empfangen, ist die Seele. Und sie gleicht dem scheuen Wilde 2, das gehetzt wird auf der Erde von dem Tod, der seine Kräfte unentwegt an ihr erprobet. Ist sie heut' im Reich des Lichtes, morgen ist sie schon im Elend, 1 Poimandres, 1904, S. 82ff.; Studien zum antiken Synkretismus 1926, S. 104ff.; 161 bis 173. 2 So nach dem überlieferten Text: TOVTO lD.acpov fl-O(!CPfJv ns(!t"stfl-E'T}v. H.Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, I, 1954, S. 343 möchte konjizieren: ... eAacp«(! )ov .•• Diese Konjektur hat viel für sich. Jonas übersetzt: "Darum umhüllt von geringer Gestalt / Quält sie sich mühvoll in Todes Gewalt."
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Anhang
tief versenkt in Schmerz und Tränen. Der Freude folgt die Träne 1, der Träne folgt der Richter, dem Richter folgt der Tod. Und im LabJI'inthe irrend, sucht vergebens sie den Ausweg. Da sprach Jesus: Schau', 0 Vater, auf dies heimgesuchte Wesen, wie es fern von deinem Hauche kummervoll auf Erden irret, will entflieh'n dem bitt'ren Chaos, aber weiß nicht, wo der Aufstieg. Ihm zum Heile sende, Vater, mich, daß ich herniedersteige mit den Siegeln in den Händen, die Äonen all durchschreite, die Mysterien alle öffne, Götterwesen ihm entschlei're und des heil'gen Wegs Geheimnis - Gnosis nenn' ich's - ihm verkünde. Die Übersetzung nach A. v.Harnack (Lehrbuch der Dogmengeschichte 1,5. Aufl., 1931, S. 257; Apokr. 2, S.436).
2. DIE ODEN SALOMOS
(W. Bauer) EINLEITUNG UND LITERATUR. Die Oden Salomos waren früher nur bekannt aus zwei alten Kanonsverzeichnissen, die den Namen nannten, aus einem Zitat des Lactantiu8 (Inst. IV 12, 3: Ode 19, 6f.) sowie durch den Umstand, daß die koptisch erhaltene gnostische Schrift Pistis Sophia fÜllf Oden (1; 5; 6; 22; 25) aufgenommen hat. 1909 entdeckte J.RendeI Harris in einem etwa 400 Jahre alten syrischen Manuskript die Sammlung selbst, die von den Psalmen Salomos gefolgt war, und schenkte uns im gleichen Jahr die editio princeps. Auf seiner Handschrift (Sigl. H) beruht noch heute in erster Linie unsere Kenntnis der Oden. Einen zweiten syrischen Kodex fand F.C.Burkitt 1912. Er setzt freilich erst bei Ode 17, 7 ein, gehört dafür aber möglicherweise noch in das 10. Jahrhundert (Sigl. B). Übrigens ist auch H unvollständig, da er erst innerhalb der dritten Ode beginnt. Hier tritt, wenigstens was die Ode 1 anlangt, die Pistis Sophia hilfreich ein. Kap. 59 lautet es: "Es antwortete aber ((je) 2 Maria, die Mutter Jesu, und sprach: 'Mein Herr, deine Lichtkraft hat einst betreff dieser Worte durch Salomo in der 19. Ode (cp(jrj) prophezeit (neoCf!'TJTSVetv) und gesagt'." Es folgt ein fünfgliedriges Lied. Daß es unsere Ode ist, erweist die Zahl 19, die sich daraus erklärt, daß sich in der Vorlage offenbar die 'Oden' an die 18 'Psalmen' Salomos angeschlossen hatten mit weiterlaufender Bezifferung. Der koptische Text der Pistis Sophia ist abschließend herausgegeben von C. Schmidt, Coptica 11, 1925. Von ihm stammt auch die deutsche Übersetzung in GCS 13, 1905. Auch 1 2
mit.
Der Text ist in dieser und den beiden folgenden Zeilen verdorben. Die eingeklammerten Vokabeln führt der koptische Text als griechische Fremdwörter
2. Die Oden Salomos
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die Oden Salomos haben eine gediegene Edition gefunden: R.Harris and A.Mingana, The Odes and Psalms of Salomon, I. II, 1916. 1920. Auf dem hier zusammengetragenen und bearbeiteten Material beruht: Die Oden Salomos, herausgegeben von W.Bauer, KlT 64, 1933, die Grundlage unserer Behandlung des Gegenstandes. Diese legt bei der Übersetzung nur auf Genauigkeit Gewicht und hat, wo irgend angängig, die Wortstellung bewahrt. Retouchen zur Erzielung eines durchsichtigeren oder gar ästhetisch befriedigenderen Wortlautes sind absichtsvoll vermieden worden. Neuerdings ist nun auch der griechische Text wenigstens einer Ode bekannt geworden: Papyrus Bodmer X-XII. X: Correspondance apocryphe des Corinthiens et de l'apötre Paul; XI: Onzieme Ode de Salomon; XII: Fragment d'un hymne liturgique; manuscrit du IIIe siec1e, publie par M. Testuz, Cologny-Geneve (BibI. Bodmeriana) 1959. Die Grundsprache der Oden ist wohl sicher das Griechische 1 , doch haben sich von Anfang an namhafte Forscher für ein syrisches Original eingesetzt 2• Der Gedanke, die Oden hätten ihre Gestalt durch die Bearbeitung eines Grundstocks seitens einer anders gerichteten Persönlichkeit gewonnen, hat sich nicht durchzusetzen vermocht (G.Kittel, Die Oden Salomos: überarbeitet oder einheitlich? Beitr. z. Wissenschaft vom AT und NT 16, 1914). Ebensowenig die meisten der Vorschläge, die gleich nach dem Auftauchen des neuen Fundes seine religionsgeschichtliche Stelle zu bestimmen suchten (die Literatur bis 1920 bei Harris-Mingana II, 455ff. Später ließ die Produktion erheblich nach). Harris vermutete judenchristliche Entstehung noch im 1. Jh. A.v.Harnack (Ein jüdisch-christliches Psalmbuch aus dem 1. Jh., TU 35,4,1910) und ähnlich F. Spitta (ZNW 11, 1910, S. 193-203. 259-290) nahmen jüdischen Ursprung mit christlicher Überarbeitung an. Th.Zahn (Neue kirchl. Zeitschr. 1910, S. 667-701. 747-777) dachte an einen Christen um 120-150, J.Labourt und P.Batiffol (Les Odes de Salomon, 1911) bestimmten diesen genauer als Heidenchristen. Franken berg (a. a. 0.) nahm Beziehungen zur alexandrinischen Theologie wahr. J.H.Bernard (The Odes of Salomon, 1912) glaubte die Lieder für den Unterricht vor der Taufe bestimmt. Auch die Montanisten erscheinen: F.C.Conybeare (ZNW 12,1911, S. 70-75), S.A.Fries (ebd., S.108-125). Doch mehr und mehr festigte sich die Auffassung, daß wir es mit einem gnostischen Hymnenbuch aus dem 2. Jh. zu tun haben: H. Gunkel (ZNW 11, 1910, S. 291-328; RGG2, V, 1931, Sp. 87-90), W. Stölten (ZNW 13, 1912, S.29-58), H. Gressmann (Apokr. 2, S. 437), J.Kroll (Die christliche Hymnodik, Verzeichnis der Vorlesungen an der Akademie Braunsberg 1921/22, S.70ff.), R.Abramowski (ZNW 35, 1936, S. 44-69). Gnostisch ist dabei in einem weiten Sinne zu fassen. Die genaue Bestimmung des Dichters ist unmöglich. Weder für Bardesanes (W.R. Newbold, JBL 30, 1911, S. 161-204) noch gar für Valentin (E.Preuschen, ZNW 11, 1910, S.328, 3) sprechen durchschlagende Gründe. Und auch die Annahme von Edessa (J. de Zwaan, The Edessene Origin of the Odes of Salomon, Quantulacumque, Festschr. K.Lake, 1937, S. 285--302; R.M. Grant, The Odes of Salomon and the Church of Antioch, JBL 63,1944, S. 363-377) oder Antiochien (Harris-Mingana u.a.) als Heimat der Oden bleibt Vermutung, die erstere gebunden an die Annahme einer syrischen Urgestalt. Hier sichere Erkenntnisse zu gewinnen ist auch deshalb so schwierig, weil einmal semitische Dichtkunst, vor allem durch Vermittlung des griechischen ATs, auch auf Menschen griechischer Zunge eingewirkt hat. J.Wellhausen (GGAI91O, S.642) beobachtet in den Oden wohl ~iblizismen, aber keine Semitismen. Andererseits sind Syrer vom Schlag des Bardesanes 1 F.Schulthess, ZNW 11,1910, S. 25lf., und überhaupt die Mehrzahl. Versuche einer Wiedergewinnung des griechischen (Ur· )Textes bei W. Fr anken b er g, Das Verständnis der Oden Salomos (BZAW 21) 1911. Vgl. auch die Übersicht über das pro und contra und bes. über die Arbeiten von Connolly bei A.Adam, Die ursprüngliche Sprache der SalomoOden, ZNW 52, 1961, S. 141-156. 2 So hat sich jüngst erst wieder A.Adam für ein semitisches Original ausgesprochen (ZNW 52, S. 141ff.), freilich für ein Aramäisch, "das dem edessenischen Syrisch nahesteht" (S.156).
117 Hennecke, Apokryphen Bd. 2
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Anhang
bei ihren poetischen Bestrebungen von griechischem Einfluß bestimmt worden (J.Kroll, Die christliche Hymnodik bis zu Klemens von Alexandreia, 1912, unter Hinweis auf die Kirchengeschichte des Sozomenus, der solches von Harmonius, dem Sohne des Bardesanes aussagt (III 16), und auf Grund eigener Beobachtungen). Weitere Literatur: H.J.E. W.Holstijn, Oden van Salomo (Zangen van Rust in den Heere), Zutphen 1942; A.Omodeo, Le Odi di Salomone, Parola deI Passato 1, 1946, S. 84 bis 118; M.MarJ osip, Oldest Christian hymnbook, Temple (Tex.) 1948; B. Steidle, 15. Ode Salomos, Benedikt. Monatsschr. 24, 1948, S. 24lf.; C.Charlier, in Esprit et Vie (Paris) 1, 1948, S. 239-44 (Ode 1; 11; 12; 17; 35; 42 keltisch); H.E.del Medico, La Lamelle Virolleand., IIay",deneta, Melanges H. Gregoire (Annuaire de l'Inst. de Philol. et d'Hist. Orientales et Slaves 9, Bruxelles 1949) S. 179-192; O.Casel, in Archiv für Liturgiewissenschaft 1, 1950, S.297ff. (Literaturbericht); W.Baumgartner, Das trennende Schwert in den Oden Salomons 28, 4, Festschr. Bertholet, 1950, S. 50-57; A.Vööbus, Celibacy, a Requirement for Admission to Baptism in the Early Syrian Church (Papers of the Esthonian Theol. Society in Exile, 1) Stockholm 1951; A. Ehr h ard t, The Birth of the Synagogue and R.Akiba, Studia Theologica IX, 2, 1955, S. 88f. (die Oden jüdischen Ursprungs. Verwandtschaft mit den Psalmen vom Toten Meer); J.Danielou, Odes de Salomon, Dict. de la Bible, Suppl. 32, Sp. 677-84; F.M.Braun, L'enigme des Odes de Salomon, Rev. Thomiste 57, 1957, S. 597-625; E.Fab bri, EI tema de Cristo vivificante en las Odas de Salom6n, Ciencia y Fe (Buenos Ayres) 14, 1958, S. 483-98; R.M.Schenke, Die Herkunft des sog. Evangelium Veritatis, 1959 (die Oden Salomos und Ev. Veritatis gehören inhaltlich zusammen; beide nicht valentinianisch); F.M.Braun, in Jean le tMologien et son Evangile dans rEglise ancienne (Etudes bibliques) 1959, S. 224-251.
DIE ODEN Auf die Überschrift folgt jeweils die Darlegung von Inhalt und Gedankengang. Daran schließt sich die Übersetzung. Das Ende bilden Noten, die der Einzelerklärung dienen wollen. Ode 1 ist die einzige, die nur koptisch vorhanden ist. In allen anderen Fällen liegt die syrische Gestalt der Übersetzung zugrunde.
ODE 1 Der Herr ist mein Kranz Auf dem Haupte des Erwählten ruht Gott als der Kranz der Wahrheit, dessen unverwelkliche Zweige die vollkommenen Früchte des Heils hervorsprossen lassen.
1 Der Herr ist auf meinem Haupte wie ein Kranz, und ich werde mich nicht von ihm trennen. 2 Man hat mir den Kranz der Wahrheit (UA1j#SW) geflochten, und er hat deine Zweige (UA&OO~) aufsprossen lassen in mir. 3 Denn er gleicht nicht einem Kranze, der vertrocknet ist, so daß er niemals aufsproßt; 4 sondern (UAAa) du bist lebendig auf meinem Haupte und bist aufgesproßt auf mir. 5 Deine Früchte (uaen6~) sind voll und sind vollkommen, indem sie voll sind von deinem Heil.
2. Die Oden Salomo8
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Zum Bild von Gott als dem Kranz (auch Ode 5,12) vgl. Jes. 28, 5; Herm., sim. VIII 2, 1 mit der Erklärung von M.Dibelius im Handb. zum NT. Der Mithrasmyste rühmt: "Mithras ist mein Kranz" (Tertullian, de corona 15). Häufig in den Mandäischen Schriften, z.B. Ginza (S.344, 23f. Lidzb.): "Eine Krone gleich der reinen Krone bist du auf unserem Haupte." Die Unverwelklichkeit des Kranzes erwähnt S. 9, 6f. - K.Baus, Der Kranz in Antike und Christentum 1940. ODE 2 (fehlt) ODE 3 Des Geliebten Vermählung mit dem liebenden Herrn Von der Liebe des Herrn getroffen brennt der Erwählte seinerseits für ihn und gehört ihm ganz in innigster Vereinigung zu unsterblichem Leben. Vom Sohn geliebt wird er selbst zum Sohn. . . • 1 bekleide ich. 2 Und meine 2 Glieder sind bei ihm, und an ihnen hange ich 3, und er glüht für mich. 3 Denn nicht verstünde ich den Herrn zu lieben, wenn er mich nicht liebte 4 • 4 Wer ist's, der die Liebe zu begreifen vermag, außer dem, der geliebt wird? 5 Ich glühe für den Geliebten, und es liebt ihn meine Seele, und wo sein Ruhelager ist, bin auch ich 5 • 6 Und ich werde kein Fremdling 6 sein, weil es keine Mißgunst 7 gibt bei dem Herrn, dem höchsten und liebevollen. 7 Ich bin vermählt, weil der Liebende den Geliebten fand 8, weil ich ilin, den Sohn, lieben sollte, daß ich (selbst) Sohn sein möchte 9. 1 Der Anfang fehlt. Die Zählung des ersten vollständigen Verses als 2. bedeutet aber nicht, daß nur ganz wenige Worte verlorengegangen sein könnten. Die Größe der Einbuße vermögen wir nicht mehr zu bestimmen. 2 Hier hat es ursprünglich geheißen "seine Glieder", aber der Schreiber selbst hat es in "meine GI." verbessert. "Seine" paßt zu dem folgenden "bei ihm" schlecht, um so besser zu dem "an ihnen" der nachfolgenden Zeile. Der Verlust des Anfangs erschwert Änderungsvorschläge. Das Bequemste wäre der Ersatz von "an ihnen" durch "an ihm". S vgl. Gen. 2,24; Mt. 19,5 Par. 4 vgl. 1. Joh. 4, 19; Homilie des Gnostikers Valentin "Über Freunde" (bei Clemens Alex. Strom. 6, 52, 4): "Dies ist das Volk des Geliebten, das geliebt wird und ihn liebt." Ii Thomasakten 35: "Wenn du Untertan dessen sein wirst, nach dem du jetzt infolge deiner glühenden Liebe verlangst, so wirst du ihn sehen und in Ewigkeit mit ihm sein und an seiner Ruhestätte ausruhen und in seiner Freude sein." Vgl. auch Joh. 14,3. 6 vgl. Eph. 2, 19. 7 Daß der Herr ohne Mißgunst ist, wird immer wieder betont: 7, 3; H, 6; 15, 6; 17, 12; 20,7; 23, 4; dazu Johannesakten 55: "Wir hören, daß der Gott, den du verkündest, ein neidloser Gott ist." Ein solcher Gott spendet "reichlich" entsprechend dem griechischen a'ly{}ovor;, arp{}ov{a. 8 vgl. Hohel. 3, 4. • vgl. Gal. 4, 5.
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Anhang
8 Denn, wer mit dem verbunden ist, der unsterblich ist, wird auch unsterblich sein 1. 9 Und wer am Leben Wohlgefallen hat, wird lebendig sein. 10 Das ist der Geist des Herrn, der ohne Trug 2, der die Menschen lehrt, daß sie seine Wege kennen. 11 Seid weise und habt Erkenntnis und seid wachsam 3! Hallelujah! V. 10 und 11, möglicherweise ein Nachtrag, machen das Lied des einzelnen Frommen zum Gemeindelied. Zum Mysterium des Brautgemaches oder dem Sakrament der mystischen Hochzeit bei den Gnostikern vgl. A. Dieterich, Eine Mithrasliturgie, 31923, S. 128 ff.; W. Bousset, Hauptprobleme der Gnosis, 1907, S. 315-18. ODE 4 Der Gläubige vor Ewigkeit erwählt, für immer begnadet Gott hat in seinen Gläubigen Wohnung genommen, so daß sie sein Tempel sind. Wie dieses vor aller Zeit vorgesehene Heiligtum keinem anderen weicht, so gelten auch Gottes Verheißungen ewig, können seine Gaben nicht zurückgenommen werden: Gnade, Gemeinschaft, himmlisches Siegel.
1 Niemand verändert deinen heiligen Ort 4 , mein Gott, und keiner ist, der ihn verändern und an einen anderen Ort stellen könnte. 2 Denn keine Herrschaft gibt es über ihn; hast du doch dein Heiligtum bedacht, bevor du die Orte machen wolltest. 3 Der ältere soll keine Veränderung erfahren von seiten derer, die geringer sind als er. Du gabst dein Herz, 0 Herr, deinen Gläubigen 5 • 4 Niemals wirst du nachlassen, noch wirst du ohne Früchte sein. 5 Denn eine Stunde des Glaubens an dich ist mehr wert als alle Tage und Jahre 6. 6 Denn wer bekleidete sich wohl mit deiner Güte und fiele in Ungnade1 7 Ist doch dein Siegel' bekannt, und gekennzeichnet sind damit deine Geschöpfe; vgl. Joh. 14, 19. • Zum "truglosen Gott' s. Wörterbuch zum NT, 51958 d!pevel1j