Günter Dönges
Mylady läßt sich nicht erpressen Das Mißverständnis war durchaus zu verstehen, wie sich später herausste...
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Günter Dönges
Mylady läßt sich nicht erpressen Das Mißverständnis war durchaus zu verstehen, wie sich später herausstellte. Butler Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Wagens und wartete in korrekter Haltung auf die Rückkehr von Lady Agatha Simpson. Sie hielt sich zur Zeit noch in einem nahen Antiquitätengeschäft auf und suchte dort nach ein paar netten Kleinigkeiten für ihre Londoner Stadtwohnung. Parker langweilte sich, wenngleich er sich das auch nicht anmerken ließ. Aus reichlicher Erfahrung wußte er, daß Mylady sich in solchen Fällen immer sehr viel Zeit nahm. Viel weniger Zeit hingegen hatte der kleine Mann, der auf den Butler wie eine graue Maus wirkte. Dieser Passant trug eine überraschend elegante Ledertasche, die prall gefüllt war. Sie paßte überhaupt nicht zu seiner ganzen Erscheinung, denn der kleine Mann schien die vergangenen Nächte in seinem zerbeulten Anzug geschlafen zu haben. Lady Agatha kam inzwischen aus dem Antiquitätengeschäft und schritt energisch auf Parkers Wagen zu. Die große, imposant aussehende Frau erinnerte an eine Hochdramatische, die sich auf Wagner-Opern spezialisiert hat. Sie paßte ohne weiteres in die Rolle einer stämmigen Walküre.
Die Hauptpersonen: Les Symon, ein nervöser Gauner, der nicht lange lebt. Paul Ramsey, ein Gangster, der für Windhundrennen schwärmt. Nick Battie kassiert gern. Ben Logan und Burt Greely arbeiten mit Rasiermessern. Molly Seilers, Massage-Spezialistin, die Messer haßt. Kathy Porter, eine Sekretärin mit Nerven. Lady Agatha Simpson, eine Dame, die zustechen kann. Josuah Parker fährt als Butler Slalom.
Der kleine Mann hastete ebenfalls auf Parkers Wagen zu. Er mußte dieses Gefährt für ein reguläres Taxi halten, denn Parkers fahrbarer Untersatz war in früheren Jahren tatsächlich mal ein Taxi gewesen. Inzwischen war es nach den Plänen und Vorstellungen des Butlers gründlich umgebaut worden. Von der Technik her konnte man es als eine durchaus geglückte Kreuzung zwischen Panzerwagen und Tourenauto bezeichnen. Doch der kleine Mann übersah das fehlende Taxischild oben auf dem Wagendach und vermißte keineswegs die fehlende Taxiuhr. Er steuerte von rechts an Parkers Wagen heran und riß die hintere Tür auf. Genau in diesem Moment öffnete Lady Agatha die andere Tür und wollte sich in den Fond schieben. Sie stutzte sichtlich, als sie auf der gegenüberliegenden Seite den kleinen Mann sah. »Was erlauben Sie sich?« fuhr sie den Mann mit baritonal gefärbter Stimme an, mit der auch ein Feldwebel der Armee Ihrer Majestät zufrieden gewesen wäre. »Ziehen Sie sich augenblicklich zurück, Sie Flegel!« Der kleine Mann bekam vor Aufregung oder Ärger einen dunkelroten Kopf. »Ich war zuerst da«, sagte er dann mit heller Fistelstimme. »Hau ab, bevor ich wütend werde!« »Sie ausgemachter Lümmel«, donnerte Lady Agatha den hartnäckigen Fahrgast an und schob sich auf den Hintersitz. »Wissen Sie nicht, wie man sich einer Dame gegenüber benimmt? « Josuah Parker, der gerade aussteigen wollte, um seine Dienste als Schlichter anzubieten, blieb sitzen. Er hörte deutlich das Schrillen von etwas heiser wirkenden Alarmklingeln. Sie mußten von dem nahen Windhund-Rennplatz kommen und wirkten elektrisierend auf ihn. »Hinaus!« schnaufte Agatha Simpson den kleinen Mann an, der sich neben die Lady schob. Sie drückte ihren recht ansehnlichen Körper gegen den Hartnäckigen und preßte ihre Konkurrenz in die Wagenecke.
»Ich möchte in aller Form darauf aufmerksam machen, daß es sich um einen Privatwagen handelt«, sagte Parker durch die Bordsprechanlage, mit der sein Wagen wegen der Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fond ausgestattet war. »Fahr los, Junge«, fistelte der Mann durch die geöffnete Trennscheibe nach vorn. »Drück auf die Tube, sonst spiel' ich verrückt!« Josuah Parker wunderte sich ehrlich, warum seine Herrin jetzt schwieg. Normalerweise hätte Lady Agatha diesem Mann ihren Standpunkt sehr nachhaltig klargemacht. Doch sie tat es nicht und schien sich fügen zu wollen. Was auch wirklich den Tatsachen entsprach. Agatha Simpson hatte inzwischen die Schußwaffe in der Hand des Mannes entdeckt. Da die Mündung dieser Waffe auf ihren Leib gerichtet war, verzichtete Lady Agatha auf weitere Argumente. »Worauf warten Sie noch?« rief sie Parker zu, »bitte, zurück in die City!« »Wo's langgeht, wird sich noch rausstellen.« Der Mitfahrer wußte, daß er gesiegt hatte. Er hatte nichts dagegen, daß Mylady neben ihm im Wagen blieb. Josuah Parker war hellhörig geworden. Er blickte in den Rückspiegel, um Einzelheiten erkennen zu können, doch die Waffe vermochte er nicht zu sehen. Er kam der Aufforderung Myladys also nach und startete den Wagen. Er fuhr langsam durch die schmale Straße und kam automatisch auf den Vorplatz der Windhund-Rennbahn. Hier tat sich einiges. Zwei Streifenwagen der Polizei waren gerade eingetroffen, deren Insassen sich förmlich aus dem Innern zwängten und auf die dichte Menschenmenge zuliefen. Das Chaos war perfekt. Während Alarmglocken irgendwo schrillten und lärmten, rannten und schoben weitere Menschen sich wie wild durcheinander. In einem Ameisenhaufen hätte es nicht turbulenter zugehen können. *** »Sie deuteten eben an, verrückt spielen zu wollen«, ließ Parker sich in seiner üblichen vornehmen Art vom Steuer her vernehmen. »Sollten Sie es vielleicht bereits getan haben?« »Brech dir bloß keine Verzierung ab«, fistelte der Mitfahrer ihn an. »Drück auf die Tube und scher' dich in die nächste Querstraße.« Josuah Parker kam zu dem Schluß, es nicht nur mit einem Mann zu tun zu haben, dessen Erziehung erhebliche Mängel aufwiesen, sondern der auch Mylady offensichtlich bedrohte. »Schließen Mylady sich den Plänen dieses Herrn an?« erkundigte er sich aber sicherheitshalber. »Fahren Sie, Mister Parker«, gab Lady Simpson mit leicht gepreßter, aber dennoch beherrschter Stimme zurück. »Der Mann hat eine Waffe.«
»Und wird sie auch gebrauchen«, sagte der Mitfahrer erregt. Agatha Simpson hatte ihn richtig eingeschätzt. Die graue Maus mit der Waffe in der Hand befand sich in höchster Panik und war daher zu allem entschlossen. Mit einer normalen, überlegten Reaktion war bei diesem Mann nicht zu rechnen. Er preßte die Mündung der Waffe tief in die Weichteile Myladys und schielte dabei angestrengt hinüber zum Eingangsgebäude. Daher entging ihm die Autosperre, die zwei weitere Streifenwagen auf der Straße durch Querstellen ihrer Wagen errichten wollten. »Nun mach' endlich«, schrie der Mann den Butler an, »schlaf bloß nicht ein!« Erst jetzt bemerkte der ungeladene Mitfahrer die beiden Wagen, die sich querstellten. Er beugte sich zur heruntergelassenen Trennscheibe vor. »Ich mach' das alte Mädchen kalt, wenn du's nicht schaffst.« Parker, der seine Herrin auf keinen Fall gefährden wollte, fügte sich notgedrungen der Anordnung und verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in einen rasanten Slalomfahrer. Er kitzelte das Gaspedal mehr als sonst und ließ den hochbeinigen Wagen vorschießen, als sei er wie eine Weltraumrakete von der Rampe abgefeuert worden. Er hielt stur auf den rechten Wagen zu, wirbelte dann das Steuer herum, ließ das Heck ausschwenken und wischte durch die Sperre, bevor sie sich schloß. Dann trat er noch etwas intensiver auf das Gaspedal, mißachtete somit das Limit der Höchstgeschwindigkeit und jagte davon. Was die zuständigen Beamten natürlich ein wenig in Harnisch brachte. Artistik dieser Art waren sie nicht gerade gewöhnt. Sie kamen zu dem Schluß, daß eine Verfolgung des Taxi sich eigentlich lohnen müßte, entsperrten die Straße, verständigten sich untereinander durch Sprechfunk und begannen eine wilde Hatz, die Josuah Parker natürlich einkalkuliert hatte. »Darf ich den Herrn unterwegs absetzen?« erkundigte er sich vorsorglich. »Schnauze! Fahr weiter!« Der Beifahrer drehte sich um und beobachtete die verfolgenden Streifenwagen. »Rein in die nächste Seitenstraße! Wenn sie uns erwischen, ist die Alte reif...« Womit er Lady Simpson meinte, die zwar annähernd sechzig war, es aber nicht gern hörte, daß man sie »alt« nannte.. »Sie taktloses Individuum«, raunzte sie. »Schlagen Sie einen anderen Ton an, sonst vergesse ich mich!« »Wetten, daß nicht?« Die graue Maus verstärkte den Druck der Waffe und schielte wieder nach hinten. »Die Bullen holen auf. Mann, laß dir was einfallen, wenn du nicht 'ne Leiche transportieren willst!« »Wie der Herr wünschen.« Parker ließ sich keineswegs aus der Ruhe bringen. Er kannte sich und seinen Wagen und wußte, was er beiden zutrauen konnte. Er spielte mit den verfolgenden Wagen Katz' und Maus, wobei ihm natürlich klar war, daß er der Polizei auf die Dauer nicht entwischte. Sprechfunk war schließlich schneller als jeder Wagen. Mit
der Alarmierurig weiterer Verfolger war fest zu rechnen. Die Chancen, der Polizei zu entkommen, waren nur sehr gering. Der Butler überlegte, ob er die technischen Spezialeinrichtungen seines Wagens einsetzen durfte. Durch eine Dosis Schlafgas konnte er den Mann einschläfern, dazu gehörte nur der Druck auf einen der vielen Knöpfe auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett. Daß damit auch Mylady einschlief, war in diesem Fall belanglos. Doch durfte er das riskieren? Der Mann war übernervös und hatte Angst. Sobald er auch nur den geringsten Verdacht schöpfte, würde er in seiner Panik wild um sich schießen. Die Dinge standen auf des Messers Schneide. Parker hatte den Sprechfunk und die Funkleitzentrale der Polizei übrigens vollkommen richtig eingeschätzt, wie sich leider zeigte. Er stieß mit dem Wagen gerade aus der schmalen Seitenstraße und erreichte einen der vielen Londoner Plätze, in deren Mitte eine Art viktorianischer Triumphbogen stand, der mit Eisenketten und Blumenbeeten garniert war. Ein hübscher Platz, der seine Schönheit leider nicht mehr lange behalten sollte ... *** In dem wimmelnden Ameisenhaufen standen zwei Männer, die durchschnittlich und harmlos aussahen. Sie hießen Paul Ramsey und Nick Battie, trugen sportliche Anzüge und sahen nicht nach viel Geld aus, obwohl sie seit etwa zehn Minuten mehr als wohlhabend waren. Sie hatten die Wettkasse der Windhund-Rennbahn unerlaubterweise an sich gebracht und schätzten, daß es sich dabei um gut und gern 15 000 Pfund handelte. Sie hatten genau den richtigen Tag für ihr Unternehmen ausgesucht: An einem Freitag waren die Umsätze hier auf der Bahn immer erfreulich. Die Wettleidenschaft ihrer Landsleute trug gerade auf den Rennplätzen des »kleinen Mannes« sehr viel Geld zusammen. Sie hingegen hatten nicht gewettet, sondern bisher nur gewonnen. Und dabei sollte es auch bleiben. Ihr Plan war sehr einfach. Sie hatten viele Wochen lang studiert, wie man in die privaten Räume der Verwaltung eindrang. Unter dem Schutz von Gesichtsmasken hatten sie die beiden Geldboten nach dem Verlassen dieser Räume in einem stillen Durchgang gestellt, niedergeschlagen und beraubt. Das Geld, das sich in einem Aktenkoffer befand, hatten sie dann blitzschnell an ihren dritten Mann weitergereicht, der als Transporteur der Beute bereitstand. Dieser Mann - er hieß Les Symon und erinnerte an eine graue Maus - war blitzschnell in der Menge verschwunden und sollte die Beute zum vereinbarten Treffpunkt schaffen. Ramsey und Battie waren absichtlich am Tatort zurückgeblieben. Das hatte einen ganz besonderen Grund.
Sie waren der Polizei bereits bekannt und wollten zur Tatzeit aus Gründen ihres Alibis absichtlich auf dem Rennplatz sein. Sie sorgten jetzt dafür, daß sie früher oder später von einem der ermittelnden Polizeidetektive gesehen wurden. Sie hielten diesen Trick für einfach und daher auch für gut. »Hoffentlich dreht er nicht durch«, sagte Paul Ramsey, der Kopf des Unternehmens. »Wieso denn?« Nick Battie gab sich optimistisch. »Les sitzt längst in einem Taxi und läßt sich in aller Ruhe durch die Gegend schaukeln. Wer achtet schon auf ein Taxi?« *** Und wie man auf ein ganz bestimmtes Taxi achtete! Parkers hochbeiniges Monstrum fädelte sich in den Kreisverkehr ein und sah sich plötzlich einem Polizeistreifenwagen gegenüber, der echte Anstalten machte, sein Gefährt zu rammen. Damit war der Butler aber nicht einverstanden, zumal er um das Leben von Mylady fürchtete. Parker wedelte mit seinem hochbeinigen Monstrum herum, als befände er sich auf einer Skipiste und ... hielt auf die dicke Eisenkette zu, die den Triumphbogen einschloß. Er hatte zwischen zwei Ketten eine schmale Durchfahrt entdeckt, die er für seine Zwecke nutzen wollte. Der Beifahrer im Fond des Wagens stöhnte, als Parker genau auf diese Durchfahrt zuhielt, ohne das Tempo auch nur im geringsten zu mindern. Während der Polizeiwagen einen Austin ziemlich nachhaltig lädierte, wischte Parkers Renner durch die schmale Durchfahrt und wühlte sich schlingernd über ein Blumenbeet. Ein zweiter Streifenwagen, der von links kam und sich an Parkers Rückseite klemmte, erlebte daraufhin eine geradezu märchenhafte, hochzeitliche Dekoration. Die Hinterräder von Parkers Wagen wirbelten Blumen verschiedener Farben hoch, untermischt mit satter, schwarzer Erde. Auf der Windschutzscheibe des Streifenwagens erschienen einige Rosen, dann Nelken und schließlich Geranien. Sie verteilten sich auf dem Glas und nahmen sich auch wirklich recht hübsch aus, nur stahlen sie dem Fahrer leider die Sicht, zumal die Blumenerde sich als ein dichter Belag erwies. Der Streifenwagen gab die weitere Verfolgung auf. Nicht etwa, weil der Fahrer aus ästhetischen Gründen nicht mehr mitmachen wollte, sondern weil sein Kühler sich um einen Sandsteinpfosten legte, der die soliden Eisenketten hielt. Parkers Wagen rollte inzwischen über festen Untergrund. Der Platz um den Triumphbogen herum war gepflastert und erlaubte ein leichtes Steigern der Geschwindigkeit. Parker wählte den direkten Weg und steuerte seinen Wagen durch den Triumphbogen.
Wie ein dritter Streifenwagen, der allerdings leider aus der anderen Richtung kam. Dieser Wagen hatte die offizielle Auffahrt zum Triumphbogen gewählt und befand sich Parker gegenüber eindeutig im Vorteil. Der Butler ließ steh jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er wedelte auf eine steinerne Jungfrau zu, deren Gesicht einen angestrengten Ausdruck hatte. Was wohl mit dem Lorbeerkranz zusammenhing, der sie seit Jahren schon hoch in die Luft streckte. Parker wischte unter diesem Siegeskranz hindurch, während das dritte Polizeifahrzeug sich mit dem mächtigen Steinlöwen anlegte. Der Löwe war stärker. Der Wagen knallte gegen die zuschlagende Pranke und mußte Parker passieren lassen. Der Butler kurvte um eine Nymphe herum, zeigte einem Faun das Heck seines Wagens und war dann schon wieder auf der Straße. Da der Verkehr inzwischen ruhte, fand er leicht den richtigen Weg, um in einer Seitenstraße zu verschwinden. »Ich werd' verrückt«, fistelte der Beifahrer. »Das war einsame Spitze, Mann!« Er hätte den Ausdruck »Spitze« besser nicht getan. Mylady besann sich nämlich auf ihre Lorgnette, jene Stielbrille, die an einer feinen Silberkette um den Hals hing. Diese Brille war mehr als nur ein optisches Hilfsmittel, sie war zudem noch eine Waffe, die in der Hand der streitbaren Dame höchst gefährlich war. Mylady riß diskret an der Silberkette, deren Verschluß sofort nachgab. Sie wirkte majestätisch, als sie sich umdrehte, um nach weiteren Verfolgern Ausschau zu halten. Dabei zog' sie unbemerkt den Stiel der Lorgnette aus dem schmuckverzierten Griff und rammte dem Beifahrer die Spitze des Stiletts gnadenlos in den linken Oberschenkel. Gleichzeitig schlug sie ihm die Waffe aus der Hand. Was schon nicht mehr besonders risikoreich war, denn der Mann brüllte wie am Spieß und rieb sich seinen Schenkel. Parker bremste den Wagen scharf ab, was Mylady mißverstand. Sie hatte den Eindruck, ihr Butler sei daran interessiert, den lästigen Mitfahrer loszuwerden. Der Beifahrer wollte sich nach der Waffe bücken, die auf dem Boden lag. Dabei stützte er sich auf die Klinke, die der Butler bisher noch nicht elektrisch verriegelt hatte. Parker hatte nämlich gehofft, der Mann würde unterwegs freiwillig aussteigen. Nun stieg er unfreiwillig aus!. Die Tür klinkte auf, und der Mann geriet aus dem Gleichgewicht. Agatha Simpson nutzte ihre Chance, wobei sie sich, was diskret gesagt werden sollte, recht undamenhaft verhielt. Sie rammte dem Beifahrer die Spitze des Stiletts auch noch in die rechte Gesäßhälfte, wonach der Mann entsetzt aufbrüllte und sich nach draußen warf. Er rollte ein Stück über den nahen Gehweg, rappelte sich auf, hielt sich den Unterschenkel und die Gesäßhälfte und humpelte dann hastig auf einen Torbogen zu, hinter dem das Gewirr einiger Hinterhöfe zu erkennen war.
»Was ist denn, Mr. Parker?« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Worauf warten Sie denn noch? Holen Sie diesen ausgemachten Flegel zurück!« »Ich möchte nicht unbedingt widersprechen, Mylady«, erwiderte Parker gemessen, »aber vielleicht sollte man das suchen, was man gemeinhin das Weite nennt. Ich könnte mir vorstellen, daß wir uns den Unwillen der Polizei zugezogen haben,«. *** Chiefinspektor Sounders glich einem treuherzigen Bernhardiner, den nichts aus der Ruhe bringt. Er lächelte Parker freundlich-müde zu, als ihm die Tür geöffnet wurde. »Oh, Sir, welch eine Freude«, sagte Parker und trat zur Seite, damit der Chiefinspektor eintreten konnte. »Mylady wird Ihren Besuch sicher begrüßen.« »Das möchte ich hoffen«, gab Sounders zurück, der Agatha Simpson recht gut kannte. »Nein, lassen Sie, ich behalte den Mantel an, Parker. Ich komme ja nur zufällig auf einen Sprung vorbei.« »Natürlich, Sir, völlig unvorbereitet.« Parker meldete den Chiefinspektor an und führte ihn dann in den großen Salon der Stadtwohnung von Mylady. Dieses alte Haus in Shepherd's Market, einem idyllischen Stadtteil zwischen Hyde Park und dem Picadilly, war das Hauptquartier der Detektivin, falls sie sich in London aufhielt. Das Haus, zum Teil noch in Fachwerk gehalten und Tradition ausstrahlend, war mit kostbaren Möbeln ausgestattet und mit technischem Raffinement, das auf Parkers Konto ging. Mylady und ihr Butler hatten sich in der Vergangenheit in gewissen Kreisen recht unbeliebt gemacht und daher etwas für ihre innere Sicherheit tun müssen. Chiefinspektor Sounders allerdings war ein Freund des Hauses, der in den Genuß eines alten, trockenen Sherry kam, den Parker servierte. Lady Simpson sah ihn erwartungsvoll an. »Haben Sie schon die Abendnachrichten gehört?« erkundigte sich Sounders, nachdem er am Sherry genippt und verzückt die Augen verdreht hatte. »Hätte ich es tun sollen?« fragte Agatha Simpson zurück. Josuah Parker blieb dienstbereit in der Nähe, wie es sich für einen Butler geziemte. »Die Wettkasse einer Windhundrennbahn ist geraubt worden.« »Und ich dachte schon, Marsmenschen wären gelandet«, freute sich die ältere Dame. »Sie haben mich für einen Moment richtig nervös gemacht, Chiefinspektor.« »Fünfzehntausend Pfund wurden gestohlen.« »Wie gierig doch manche Menschen sind!« »Der oder die Täter flüchteten in einem Taxi«, redete Sounders unbeirrt weiter und kostete erneut den Sherry. »Der Fahrer dieses Taxi muß ein Helldriver gewesen sein, ein Artist.« »Was Sie nicht sagen, Sounders.«
»Trotz einer umfassenden Hetzjagd auf den Wagen entwischte er uns.« »Sie sollten Ihre Fahrer besser trainieren«, schlug die Detektivin vor. »Gegen diesen Fahrer ist wohl kaum anzukommen«, sagte Sounders und warf Parker einen kurzen Blick zu. »Er schaffte es, drei Streifenwagen außer Gefecht zu setzen.« »Ein begabter Mensch«, räumte Lady Simpson ein. »Konnte er später wenigstens gestellt werden?« »Er wischte durch einen Triumphbogen und ist jetzt wie vom Erdboden verschwunden.« »Welch tiefere Bedeutung!« Agatha Simpson nickte anerkennend. »Der Triumphbogen brachte ihm also Glück!« »Jetzt frage ich mich, warum Sie und Ihr Butler diese Jagd veranstaltet haben«, meinte Sounders und sah Mylady treuherzig an. »Aber Sounders!« Mylady reagierte entrüstet. »Sie wollen doch damit nicht sagen, daß Parker und ich unterwegs waren?« »Doch, natürlich!« Sounders nickte wie selbstverständlich. »Dieser Fahrstil ist nicht zu kopieren. Als ich die Berichte erhielt, dachte ich sofort an Sie und Ihren Butler, Lady Simpson.« »Was meinen Sie, Parker, soll ich jetzt in aller Form protestieren?« erkundigte sich Agatha Simpson bei Parker. »Möglicherweise hat Mister Sounders noch weitere Details anzubieten, Mylady.« »Okay, hätte ich doch beinahe vergessen.« Sounders lächelte müde. »Der Wettgeldraub war der vierte innerhalb von anderthalb Monaten. Wir müssen es mit einer organisierten Bande zu tun haben.« »Waren bisher Menschenleben zu beklagen?« fragte Parker und dachte an den übernervösen Mitfahrer. »Das gerade nicht, aber es gab böse Verletzungen. Die Täter - es handelte sich immer um zwei maskierte Männer - schlugen gnadenlos mit Bleirohren zu. Doch beim nächsten Überfall kann es bereits zu einem Mord kommen.« »Und Sie haben keinen Verdacht?« »Nur vage Vermutungen, Mylady.« Sounders erhob sich. »In dem Taxi, von dem ich gerade sprach, sollen drei Personen gewesen sein.« »Ungewöhnlich«, spöttelte Agatha Simpson. »Einige Augenzeugen behaupten sogar, sie hätten Sie, Mister Parker, am Steuer des Wagens erkannt.« »Augenzeugen«, entrüstete sich die Detektivin barsch. »Zehn davon liefern zehn verschiedene Aussagen. Muß ich Ihnen das sagen, Sounders?« Bevor der Chiefinspektor sich mit diesem Hinweis auseinandersetzen konnte, peitschte ein Schuß auf, der die Scheibe eines Fensters auseinanderbersten ließ. Das Geschoß landete klatschend in der Wand, der Verputz stäubte hoch. »Man scheint den Nutzen einer Klingel nicht überall zu kennen«, ließ der Butler sich ungerührt vernehmen.
»Manieren sind das wieder«, raunzte Lady Simpson kopfschüttelnd. »Gute Erziehung scheint zur Mangelware zu werden.« »Ihre Nerven möchte ich haben«, schnaufte Chiefinspektor Sounders und kam hinter der Sessellehne hoch, hinter der er unwillkürlich Deckung genommen hatte. Er sah fassungslos auf die ältere Dame und ihren Butler, die beherrscht wirkten, als sei überhaupt nichts passiert. »Es ist geschossen worden«, erinnerte er und zeigte auf den Einschuß in der Wand. »Lassen Sie das bei Gelegenheit wieder richten, Mister Parker«, bat Lady Simpson und sah flüchtig zur Wand hinüber. »So was scheint bei Ihnen öfter vorzukommen?« Sounders schluckte noch ein wenig. »Es ist nicht gerade die Regel, Sir«, antwortete der Butler würdevoll, »wenngleich ich nicht verschweigen möchte, daß ein Tapezierer in der Nähe sein gutes Auskommen mit den jeweiligen Ausbesserungen der Wand haben dürfte.« Chiefinspektor Sounders fühlte sich ein wenig auf den Arm genommen. »Ich möchte Ihren Wagen sehen«, wechselte er das Thema. »Er befindet sich zur Zeit in der Waschanlage«, gab Parker zurück. »Mylady rügte meine bescheidene Wenigkeit und war der Ansicht, das Auto bedürfte einer neuen Politur.« »Irgendwann werden Sie's noch mal bereuen, auf eine Zusammenarbeit mit der Polizei zu verzichten«, beendete Sounders das Gespräch. »Irgendwann werden Sie mal auf Gangster stoßen, denen Sie nicht gewachsen sind!« »Dann werden wir Sie sofort anrufen, Sounders«, schaltete Agatha Simpson sich ein. »Bisher haben Sie sich doch noch nicht beklagen können, oder?« »Natürlich nicht.« Sounders dachte an die vielen Fälle, die von Lady Simpson und Butler Parker geklärt worden waren, Fälle, die man ihm fertig gelöst auf den Tisch gelegt hatte, doch er ärgerte sich wieder mal darüber, daß man ihn aussperrte. Wie auch jetzt in diesem Fall. Natürlich wußte er, daß das seltsame Zweigespann wieder mal seine eigene Suppe kochte. *** Les Symon lag verständlicherweise auf dem Bauch. Er litt sichtlich und faßte immer wieder verstohlen nach seiner schmerzenden Gesäßhälfte. Lady Simpson hatte mit ihrem Stilett sehr herzhaft zugestochen. Les Symon hatte die ältere Dame bereits ausgiebig verflucht. Im Moment fielen ihm keine neuen Schimpfworte mehr ein. Nach der Panne im falschen Taxi hatte er sich nur sehr mühsam absetzen können, hatte später ein echtes Taxi erwischt und sich zurück in seine kleine Wohnung im Osten der Stadt bringen lassen. Hier bewohnte er eine Art Apartment, das nichts anderes war als eine Waschgelegenheit mit Schlafeinrichtung.
Les Symon haderte mit seinem Schicksal. Bei der hastigen Flucht aus dem falschen Taxi hatte er leider die Beute zurückgelassen. Und darüber wieder hatten sich seine beiden Partner Ramsey und Battie fast schwarz geärgert. Persönlichen Kontakt hatten sie aus Gründen der Sicherheit noch nicht aufgenommen, sich aber bereits per Telefon verständigt. Es war inzwischen dunkel geworden. Les Symon starrte auf den eingeschalteten Fernsehapparat und verfolgte noch mal aus nächster Nähe das Durcheinander vor dem Wettgebäude der Hunderennbahn. Die kühle, etwas nasale Stimme des Kommentators sprach gerade von der Höhe der Beute und von den Verletzungen der beiden Rennbahnangestellten. Les zog ein schiefes Gesicht, als er hörte, daß es einem der Überfallenen nicht gut ging. Er hatte einen Schädelbasisbruch davongetragen und schwebte in Lebensgefahr. Das elektrisierte Symon. Er konnte nur hoffen, daß der Mann durchkam, denn mit einem Mord wollte er nichts zu tun haben. Wahrscheinlich ging dieser Schädelbruch auf Batties Konto. Nick schlug ja immer viel zu hart zu, was völlig unnötig war. Der Kommentator sprach inzwischen von den nun vier Raubüberfällen innerhalb von sechs Wochen und ließ sich breit über die leider mißglückte Verfolgungsjagd der Polizei nach dem Fluchtwagen aus. Während er sprach, wurde der Triumphbogen eingeblendet. Die drei Polizeiwagen waren zu sehen, die die Jagd nicht überstanden hatten. Les Symon mußte unwillkürlich lächeln. Voller Hochachtung dachte er an diesen komischen Butler, der wie ein irrer Teufel gefahren war. So etwas hatte er dem Mann niemals zugetraut. Dann aber dachte er voller Wut an die alte Dame, die ihn so zugerichtet hatte, daß er jetzt nur noch auf dem Bauch liegen konnte. Er wußte immer noch nicht, wie sie das geschafft hatte und konnte sich nicht erklären, woher sie diese teuflische Waffe gezaubert hatte. Die Nachrichten wechselten. Les Symon schob sich vorsichtig auf die Kopfkante der Liege und schaltete das Gerät ab. Genau in diesem Moment hörte er ein leises, gespieltes Hüsteln. Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Während er ferngesehen hatte, mußte irgend jemand sein kleines Apartment betreten haben. Langsam drehte er sich um und sah sich zwei Männern gegenüber, die leider nicht mit seinen Partnern Ramsey und Battie identisch waren. Die beiden waren schlank, mittelgroß und recht gut gekleidet. Polizei dachte Symon sofort und schaltete innerlich auf Lüge und Abwehr um. »Wie sind Sie denn reingekommen?« fragte er nervös, weil er genau wußte, daß er abgeschlossen hatte.
»Hast du keine anderen Sorgen?« gab der kleinere der beiden Männer ausdruckslos zurück. »Sie werden verdammten Ärger mit meinem Anwalt bekommen«, drohte Symon lustlos, denn er spürte bereits, daß er es leider nicht mit der Polizei zu tun hatte. Detektive wären ihm lieber gewesen, denn sie wären schließlich an gewisse Spielregeln gebunden. Diese beiden Männer mit den ausdruckslosen Gesichtern und kalten Augen hingegen schienen überhaupt nicht zu wissen, was Spielregeln waren. »Wo sind die fünfzehntausend Piepen?« fragte der Kleinere. »Fünfzehntausendsechshundert«, korrigierte der Größere. »Wir wollen doch genau sein.« ,»Wer, zum Teufel, seid ihr?« Symon dächte an Ramsey und Battie, die wieder mal aus dem Schneider waren und keinen Ärger hatten. »Zugereiste«, sagte der größere der beiden Männer. »Völlig neu hier in London«, fügte der ältere Mann hinzu. »Du kannst mich Miller nennen«, sagte der erste Mann nun wieder, der einen halben Kopf größer als sein Partner war. »Ungewöhnlicher Name, wie?« »Und ich heiß' Smith«, flachste der zweite Mann. »Auch noch nie gehört, oder? « Les Symon wußte nicht, was er von diesem Besuch halten sollte. Er hatte eine panische Angst und konnte sich nicht erklären, wie sie seine Wohnung gefunden hatten. Woher wußten sie, daß er etwas mit dem Raub der Wettgelder zu tun hatte? »Komm schon, Symon, sei ein netter Junge«, bat Miller. »Sag endlich, wo die Piepen sind!« »Fünfzehntausendsechshundert«, fügte Smith hinzu und lächelte kalt. »Ich begreif das nicht.« Symon faßte sich an den Kopf. »Woher kennt ihr mich?« »Das ist schnell erklärt«, erwiderte Miller ruhig. »Wir sind schon seit Wochen hinter euch her. Ihr habt's nur nicht gemerkt.« »Wir lassen nämlich gern andere für uns arbeiten«, fügte Smith hinzu. Les Symon schüttelte ratlos den Kopf. Zeit gewinnen, darauf kam es jetzt an. Vielleicht erschienen Ramsey und Battie auf der Bildfläche. Wunder sollte es ja schließlich immer noch geben... »Nach dem zweiten Überfall waren wir hinter euch her«, erklärte Smith ruhig, »aber wir wollten euch weiter abkassieren lassen. Inzwischen müßt ihr runde neunzigtausend Eier eingesammelt haben.« »Neunzigtausendvierhundert«, korrigierte wieder Miller, der.es mit Zahlen sehr genau zu nehmen schien. »Und die würden wir nun gern abholen.« »Und heute? Ihr wart während der ganzen Verfolgung hinter uns her?« »Warum denn?« fragte Smith, »wir wissen ja, wo du wohnst.« »Dann wißt ihr nicht alles«, log Les Symon aus dem Moment heraus, »dann kennt ihr den Boß nicht.« »Boß?« Miller war irritiert. »Ihr seid mehr als drei?« wunderte sich der angebliche Smith.
»Der Boß heißt Lady Simpson«, log Symon weiter, denn er fühlte, daß es um Kopf und Kragen ging. Er konnte zu dieser Zeit nicht ahnen, daß er mit dieser Behauptung ein Durcheinander auslöste, das sich noch durch eine besonders wilde Turbulenz auszeichnen sollte. *** Paul Ramsey und Nick Battie, Les Symons Partner, hatten sich nach dem Schuß auf und in das Haus der Lady Simpson schleunigst abgesetzt und stiegen aus ihrem Vauxhall. Sie verschwanden in einer Teestube und sprachen ihre Absichten durch. Noch fühlten sie sich überlegen. »Damit dürfte die alte Schachtel vor Angst nur so flattern«, behauptete Ramsey in völliger Verkennung der Lage. »Ich werd' sie gleich anrufen, damit sie uns das Geld rausstellt«, erklärte Battie und nickte nachdrücklich. »Und wenn sie die Bullen alarmiert hat?« »Hat sie nicht, sonst wär' ja schon was in den Abendnachrichten gekommen«, beruhigte Ramsey seinen Freund. »Sie kann die Scheinchen ja raus zu den IndiaDocks bringen. Wir fangen sie dann unterwegs ab.« »Ohne diesen Trottel Symon wär' das alles nicht notwendig«, ärgerte sich Battie. »Der Trottel war aber schlau genug, sich das Wagenkennzeichen zu merken«, schränkte Ramsey ein. »Dadurch wissen wir wenigstens, wo unser Geld steckt.« Für die beiden Gangster war der Fall einfach. Komplikationen waren bestimmt nicht zu erwarten. Sie wunderten sich nur ein wenig darüber, daß diese Lady das Geld zurückbehalten hatte. »Hör' mir bloß auf mit dem Adel«, sagte Ramsey abfällig, »die Leute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.« »Nennen sich Mylady und klauen«, meinte Battie kopfschüttelnd und fast vorwurfsvoll. »Gutes, altes England, wohin bist du gekommen?« »Vielleicht spielt sie nur die Lady?« tippte Ramsey an, »und der Butler is' ihr Liebhaber ...« »Was is' unmöglich?« gab Battie zustimmend zurück und stand auf. »Ich werde die alte Schachtel jetzt mal hochscheuchen und in Stimmung bringen. In ein paar Stunden können wir unser Konto wieder auffrischen.« Während er zur Telefonbox ging, sah er sich in der Teestube unauffällig, aber sehr wachsam um. Er konnte sich leicht vorstellen, daß die Polizei ihnen Detektive auf den Hals hetzte, was ihn nicht sonderlich nervös machte. Er und Ramsey boten sich ja als angebliche Täter an, während Les Symon bisher total abgeschirmt worden war. Das war ja der Trick, den sie sich ausgedacht hätten. Ablenkung war alles. Die wenigen Gäste in der Teestube schienen sauber zu sein.
Der alte Tattergreis in der Ecke nahm gerade mit zitternder Hand die Tasse hoch. Nein, das war kein Detektiv! Auch nicht die kleine Nutte an der Tür. Sie warf sich in die mehr als volle Brust, als sich ihre Blicke begegneten. Und der Penner dort am Tisch, der brüchige Kekse knabberte, kam als Beschatter ebenfalls nicht in Betracht. Nein, die Luft war sauber ... Battie suchte im Telefonbuch die Nummer von Myladys Anschluß und wählte dann durch. *** «Bei Lady Simpson«, sagte der Butler, nachdem er den Hörer abgehoben hatte. »Hör zu, alter Knabe«, sagte eine lässige, selbstsichere Stimme. »Wir wissen, daß ihr die Moneten vom Rennplatz habt. Trennt euch von den Scheinchen, wenn ihr noch lange gesund bleiben wollt! Klar? Packt das Zeug zurück in den Koffer und bringt ihn raus zu den East India Docks! Punkt zehn Uhr, Pier 43! Wir machen uns schon bemerkbar. Halt, noch etwas! Der nächste Schuß is'n Treffer, Blattschuß. Hab' ich mich klar genug ausgedrückt?« Bevor Josuah Parker seiner Entrüstung über den rüden Ton Ausdruck verleihen konnte, wurde auf der Gegenseite bereits wieder aufgelegt. »Das waren doch wohl hoffentlich diese Lümmel, oder ?« »In der Tat, Mylady, wie erwartet.« »Dann kommen die Dinge ja endlich in Schwung, Mister Parker«, freute sich die streitbare, ältere Dame. »Ich könnte jetzt einen Kreislaufbeschleuniger brauchen.« Josuah Parker wußte, was gemeint war. Er servierte Mylady stilvoll einen Kognak, den sie zuerst kennerisch prüfte, dann aber äußerst gekonnt und energisch hinunterkippte. Parker schloß in diesem Moment ergeben und zugleich auch schmerzvoll die Augen. Kognak, das war seine feste Weltanschauung, durfte nicht gekippt werden. Mylady hatte seiner bescheidenen Ansicht nach manchmal das recht ungezwungene Benehmen eines mittelalterlichen Fuhrknechts. Agatha Simpson baute sich vor dem Tisch auf, wo der geöffnete Aktenkoffer stand. Parker hatte die Scheine durchgezählt und war auf die Summe von fünfzehntausendsechshundert Pfund gekommen. Butler Parker teilte seiner Herrin die Wünsche der Gangster mit und nannte die Details. »Zehn Uhr also«, faßte die Detektivin zusammen. »Wir werden natürlich dorthin fahren, Parker.« »Darf ich mir erlauben, Mylady, den Begriff >Polizei< zu erwähnen?« »Das ist doch nichts für Sounders«, entschied Agatha Simpson energisch. »Sobald er mit seiner Armee auftaucht, werden die Gangster sich nicht blicken
lassen. Man kennt das doch. Nein, wir werden Sounders eine Freude machen und ihm den fertigen Fall servieren.« »Es wurde immerhin geschossen, Mylady.« »Gut, daß Sie mich daran erinnern.« Sie sah ihren Butler grimmig an. »Die Wand ist schon wieder ruiniert, das verlangt eine nachdrückliche Bestrafung. Lassen Sie sich etwas einfallen, Mister Parker! Ich wünsche, daß wir erfolgreich sind.« »Wie Mylady befehlen.« »Ich werde mich jetzt zurückziehen«, entschied Agatha Simpson. »Wecken Sie mich rechtzeitig, falls ich einschlafen sollte!« Sie rauschte majestätisch aus dem großen Wohnsalon und dann über die Treppe hinauf ins Obergeschoß. Über Einzelheiten wünschte sie nicht weiter zu sprechen. Dafür war ihr Butler zuständig. Parker sah Lady Simpson nach und war mal wieder durchaus zufrieden damit, in ihren Diensten zu stehen. Lady Agatha Simpson, eine sehr skurrile und unternehmungslustige Dame, mit dem Hoch- und Geldadel intim verschwägert und verschwistert, war immens vermögend und konnte sich gewisse Extravaganzen leisten. Es war ihr erklärtes Steckenpferd, Kriminalfälle aufzuspüren und sie zu lösen. Dank Parker war sie auf diesem Gebiet bisher mehr als erfolgreich gewesen. Sie hatte schon zusammen mit ihm und ihrer Gesellschafterin Kathy Porter für gewisse Regierungsstellen gearbeitet. Kathy Porter, Myladys junge Gesellschafterin, wurde innerhalb der nächsten halben Stunde zurückerwartet. Das attraktive Mädchen, scheu wie ein Reh wirkend, gehörte als fester Bestandteil zu diesem seltsamen Trio und zeichnete sich durch spezielle Begabungen aus, über die noch zu reden sein wird. Josuah Parker genoß in stiller Freude einen Kognak und plante dabei die Übergabe des Geldes und die gleichzeitige Festnahme der Wettgeld-Gangster. Die Dinge schienen einen recht einfachen Verlauf zu nehmen. Parker horchte in sich hinein und wartete auf das Anschlagen seiner inneren Alarmanlage, auf die er sich stets verlassen konnte, aber sie schwieg. *** Paul Ramsey wurde schlecht, als er neben der Liege stand. Nick Battie schluckte und mußte sich zusammenreißen. Er war bestimmt ein harter Bursche, der keine Rücksicht kannte, aber so etwas hatte er für unmöglich gehalten. Les Symon war tot! Doch man hatte ihn nicht einfach umgebracht, man hatte ihn vorher noch ausgiebig gequält. Symon sah scheußlich aus. »Diese Schweine«, sagte er heiser und riß einen Vorhang vom Fenster. Er breitete ihn aus und deckte ihn über den Partner. Ramsey lief zum Waschbecken und trank hastig Wasser aus der hohlen Hand. »Wer kann das getan haben?« fragte er dann, vorsichtig zur Liege hinübersehend.
»Ich versteh's nicht«, sagte Battie, »das waren schon keine Profis mehr, sondern reine Sadisten. Sie müssen was aus ihm rausgepreßt haben.« »Was?« »Dreimal darfst du raten, Paul. Es geht um das Wettgeld.« »Aber wer?« »Müssen wir schleunigst rausfinden, sonst sind wir selbst reif.« Sie riskierten es nicht, sich lange in dem kleinen Apartment aufzuhalten. Da war einmal die Polizei, von der sie sich beschattet fühlten, aber vor allen Dingen die Mörder ihres Freundes Symon. Ein Täter allein konnte diese Scheußlichkeiten nicht begangen haben. Sie durchsuchten das kleine Apartment mit dem wenigen Mobiliar nach Spuren, die auf das Verbrechen hätten hinweisen können. Bei aller Vorsicht, die Les Symon so an sich gehabt hatte, hätte er vielleicht gewisse Hinweise auf ihre gemeinsame Täterschaft hinterlassen können. Was aber nicht der Fall war ... Les Symon, jetzt tot, hatte sich an ihre Abmachungen und Spielregeln gehalten und sich nach außen hin als armer Teufel gezeigt. Vorsichtig stahlen sie sich aus dem Apartment, dann aus dem grauen Haus, und gingen hinüber zu ihrem alten Vauxhall. Sie zwangen sich dazu, langsam und unauffällig zu gehen. Man sollte sich später nicht an sie erinnern. Dabei übersahen sie einen alten Penner, wie es in der Ganoven- und einschlägigen Fachsprache heißt. Der alte Mann, wahrscheinlich ein Trinker, lungerte vor einem Pub herum und kratzte sich ausgiebig den Rücken. Er trug einen knielangen, schäbigen Mantel und ausgetretene Schuhe, war unrasiert und hatte im Gegensatz zu seinem ganzen Aussehen scharfe, intelligente Augen. Als der Vauxhall sich in Bewegung setzte und losfuhr, schlurfte der Penner auf eine nahe Telefonzelle zu, tätigte einen Anruf und beobachtete von der Telefonzelle aus einen VW, der aus einer schmalen Seitenstraße kam und sich in den Verkehr der Hauptstraße einfädelte. Leider achtete der Penner nicht weiter auf diesen Wagen, in dem zwei Männer' saßen. Detektivsergeant Morrison, wie der Penner hieß, hatte keine Ahnung, daß er gerade zwei sadistische Mörder im Visier hatte. *** »Zurück in unseren Bau? Du bist wohl wahnsinnig?« Ramsey, der den Vauxhall steuerte, schüttelte energisch den Kopf, als Battie ihm diesen Vorschlag machte. »Eben nicht«, erwiderte Battie, »ich will die Schweine fassen, die Les umgebracht haben. Und sie werden todsicher bei uns aufkreuzen. Vielleicht warten sie schon auf uns.«
»Jetzt kapiere ich.« Ramsey, der sich wieder in Ordnung fühlte, lächelte dünn und böse. »Les hat gesagt, was er wußte«, faßte Battie zusammen, »er hat nichts unterschlagen. Ich hätt's auch nicht anders gekonnt, ich hätt' restlos gesungen, in allen Tonarten. Du weißt hoffentlich noch, wie er ausgesehen hat.« »Hör' bloß auf!« Ramsey erinnerte sich noch sehr deutlich. »Also werden seine Mörder sich jetzt mit uns befassen wollen«, redete Battie weiter. »Les hat nicht gewußt, wo wir das Geld versteckt halten. Das haben sie ihm abgenommen. Also werden sie jetzt uns fragen wollen.« »Diese Dreckskerle! Woher wissen die überhaupt, daß wir die Rennplätze abkassiert haben? « »Wenn's soweit ist, werden wir sie fragen. Und nicht weniger hart, verlaß' dich drauf!« »Also, was machen wir jetzt? Kassieren wir erst die alte Schachtel ab, oder. befassen wir uns mit Les' Mördern?« »Zuerst sind diese Schweine dran. Les war immer ein anständiger Bursche.« »Und wie ziehen wir die Sache auf?« »Wir locken sie in 'ne Falle, Paul, in 'ne todsichere Falle.« Battie schien bereits genaue Vorstellungen zu haben. »Die zerquetschen wir wie stinkende Wanzen.« » Zerquetschen ? « »Du kennst doch Arnies Schrottplatz, ja? Gut, dort fangen wir sie ab und jagen sie durch die Schrottpresse. Ich will sie schreien hören, Paul, schreien wie am Spieß. Und dabei werd' ich an Les denken.« Paul Ramsey wunderte sich. Das Verhältnis zwischen Nick Batties und Les Symon war eigentlich immer nur auf Frotzeleien beschränkt gewesen, wobei Les stets eingesteckt hatte. Nick Battie schien, wie sich zeigte, Les dennoch gemocht zu haben, sonst hätte er nicht auf solch einen Racheplan verfallen können. Ramsey, der Mann, der die bisherigen Raubüberfälle geplant hatte und der Kopf des Trios gewesen war, hatte inzwischen zu seiner alten, inneren Kühle zurückgefunden. Der erste Schock, als man Les gefunden hatte, war nun überwunden. Es stimmte schon, Les hatte nicht verraten können, wo die Beute versteckt war. Les war ein netter Kerl gewesen, der als dritter Mann den Transporteur gemacht hatte. Da Les aber nach einigen Gläsern Bier bereits reichlich viel geredet hatte, war ihm das Versteck nicht mitgeteilt worden. Damit hatte Les sich ohne weiteres abgefunden. Er hatte sich mit einem wöchentlichen Taschengeld zufriedengegeben und darauf vertraut, daß die Gesamtbeute eines Tages ehrlich aufgeteilt wurde. »Vielleicht sind sie schon hinter uns her? « sagte er plötzlich und sah in den Rückspiegel des Vauxhall. »Sie könnten ja schon vor Les' Apartment auf uns gelauert haben.« »Mann, daran habe ich nicht gedacht«, ärgerte sich Nick Battie. »Kannst du was entdecken?«
»Bei dem Verkehr? Ausgeschlossen! Dazu müssen wir erst raus auf 'ne Ausfallstraße, dann wird das klar.« »Dann tu's!« Nick Battie deutete auf ein Straßenhinweisschild. »Nimm die Commercial Road, dann haben wir's später nicht so weit bis zum Schrottplatz.« Sie konnten den sie verfolgenden VW nicht ausmachen, dazu war der Verkehr in der City einfach zu dicht. Deshalb ahnten sie nicht, daß ihnen die Mörder bereits dicht auf der Spur waren. *** »O Sir«, sagte Parker, nachdem er die Tür geöffnet hatte, »darf ich meiner Freude erneut Ausdruck darüber verleihen, Sie hier zu sehen?« Chiefinspektor Sounders nickte nur knapp und zeigte ein ernstes Gesicht. »Ich muß Lady Simpson sprechen«, sagte er, während Parker hinter ihm die Tür schloß. »Ich werde Mylady sofort verständigen, Sir, wenn Sie bitte im Salon Platz nehmen wollen.« Bevor Parker jedoch zur Tür gehen konnte, hörte er oben von der kleinen Galerie her ein bellendes Husten und Räuspern: Mylady war auf den stämmigen Beinen und schritt herunter. Dabei nickte sie dem Chiefinspektor hoheitsvoll zu. »Sie bringen schlechte Nachrichten, Sounders?« fragte sie und verzichtete auf das Mister, denn sie kannte ihn schon seit vielen Jahren und gestattete sich diese Vertraulichkeit. »Ich fürchte, Mylady. Ihr Mitfahrer ist ermordet worden«, erwiderte Sounders ohne jede Umschweife. Er überging dabei diskret die Tatsache, daß er während seines ersten Besuchs angeschwindelt worden war. »Sind Sie sicher?« Auch Agatha Simpson überging mit ihrer Antwort diesen heiklen Punkt. Man verstand sich wieder einmal. »Es handelt sich um einen gewissen Les Symon«, berichtete Sounders, sich nun auch an Parker wendend. »Ein kleiner Gauner, an sich immer harmlos gewesen, aber er scheint mit den Wettgeld-Gangstern dennoch zusammengearbeitet zu haben.« »Woher haben Sie das, Sounders?« Die Frau mit der detektivischen Ader ging in den großen Wohnsalon und ließ sich in einen Sessel vor dem Kamin fallen. »Wir haben zwei echte Gangster seit einiger Zeit in Verdacht, die Wettgeldräuber zu sein. Sie standen und stehen unter ständiger Beobachtung.« »Darf man höflicherweise erfahren, wie diese beiden Herren heißen?« schaltete der Butler sich ein. »Da wir ab sofort wohl zusammenarbeiten, Mister Parker, sollen Sie die Namen bekommen. Es sind Paul Ramsey und Nick Battie. Sie wohnen im East End, in der Nähe der Victoria Docks über einer Garage, die einem Arnie Barking gehört.«
»Zur Sache«, ließ Lady Simpson sich grollend vernehmen. »Diese beiden Gangster stehen also unter Beobachtung. Und was weiter?« »Ramsey und Battie waren vor etwa einer Stunde bei Les Symon, von dessen Mitarbeit für Ramsey und Battie wir bisher nichts wußten.« »Wieder mal typisch für die Polizei«, raunzte Agatha Simpson anzüglich. »Einer meiner Leute wartete, bis Ramsey und Battie diesen Symon wieder verließen. Was er vorfand, muß schrecklich gewesen sein.« »Einzelheiten«, forderte die Detektivin. »Les Symon war gefoltert worden. Auf Einzelheiten verzichte ich besser, Mylady. Sie müssen etwas aus ihm herausgepreßt haben. Ich vermute, es ging um das Wettgeld. Ich muß nun wissen, ob dieser Les Symon Ihr Mitfahrer im Taxi gewesen ist.« »Wie sieht er aus, Sounders?« »Klein, unscheinbar, mehr läßt sich nicht sagen. Die Mörder haben mit Messern gearbeitet.« »Könnten es nicht diese beiden Gangster gewesen sein, diese ...?« » ... Ramsey und Battie, Mylady«, half Parker aus, als Mylady nach den Namen suchte. »Ausgeschlossen!« Sounders war sich seiner Sache sicher. »Dazu hätte ihre Zeit nicht ausgereicht. Sie haben den ermordeten Symon gesehen, sind etwa fünf Minuten geblieben und dann wieder aus dem Haus gekommen.« »Mister Parker wird Ihnen hoffentlich zur Identifikation genügen, nicht wahr?« »Natürlich, Ihnen möchte ich diesen Anblick wirklich ersparen, Lady Simpson.« »Papperlapapp, ich bin kein heuriges Häschen mehr«, raunzte die streitbare Detektivin. »Wollen Sie die fünfzehntausendsechshundert Pfund Beute gleich mitnehmen, Sounders?« »Ich hätte nichts dagegen, Mylady.« »Die Presse wird Ihnen gratulieren, Sounders.« »Und ich werde Ihren Namen aus der ganzen Geschichte heraushalten«, versprach der Chiefinspektor arglos. »Sie werden sogar verschweigen müssen, daß Sie die geraubten Wettgelder aufgetrieben haben«, herrschte Agatha Simpson den Chiefinspektor an, »falls Sie natürlich Ramsey und Battie erwischen wollen.« »Ich verstehe.« »Hoffentlich, Sounders, aber den Eindruck machen Sie nicht gerade auf mich. Einer der beiden Gangster hat sich bereits telefonisch gemeldet.« »Durch den Schuß ja auch«, erinnerte Sounders lächelnd. »Auch dadurch. Wir sind verabredet. Sie erwarten die Herausgabe der Beute.« »Eine gute Gelegenheit, sie zu erwischen, Mylady.« »Das finden Mister Parker und ich auch«, pflichtete sie ihm bei, »aber keine gute Gelegenheit für Sie und Ihre Leute, Sounders. Sie würden die beiden Gangster nur vergraulen. Überlassen Sie das Leuten, die davon etwas verstehen!«
Sounders war echt verlegen. Mylady drückte sich mal wieder sehr ungezwungen und deutlich aus. »Mister Parker und ich werden Ihnen die beiden Gangster verschnürt und verpackt abliefern«, stellte Mylady nachdrücklich fest. »Aber wagen Sie es nicht, unsere Kreise zu stören, sonst werde ich ärgerlich.« »Ich glaube, ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie gerade gesprochen haben«, erklärte Sounders schnell. »Und ich habe auch überhaupt nichts zur Sache gesagt«, meinte Lady Simpson lächelnd. »Wir haben uns also wieder mal verstanden, Sounders.« »Nicht ganz«, wandte der Butler ein. »Mister Parker, wieso nicht?« Lady Simpson sah ihren Butler irritiert und fragend an. »Mylady haben den oder die Mörder vergessen, die den erwähnten Les Symon gefoltert und umgebracht haben«, ließ Parker sich gemessen vernehmen. »Die Existenz dieser Mörder, um bei der Mehrzahl zu bleiben, läßt Komplikationen erwarten.« *** Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, wie sein Wagen gern genannt wurde, und fuhr zunächst in die City. Er hatte Les Symon als den Mitfahrer identifiziert und stand noch unter dem Eindruck der sinnlosen Brutalität und des Sadismus der Mörder dieses kleinen Mannes. Mit dem Tod von Les Symon waren die Dinge in ein völlig neues Stadium getreten. Nun hatten Mylady und Parker es nicht mehr mit den Wettgeldräubern allein zu tun, die laut Chiefinspektor Sounders Vermutung mit Ramsey und Battie identisch waren. Hier war eine völlig neue Gruppe auf der Bildfläche erschienen, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckte. Wahrscheinlich handelte es sich um sogenannte Abstauber, Spezialisten der Unterwelt, die ihre Zunftgenossen unter Druck setzten und ihrerseits beraubten. In diesem Fall waren es zusätzlich noch Mörder, was in der Unterwelt sehr ungewöhnlich war. Parker konnte sich nicht erinnern, von solchen Methoden in den vergangenen Jahren je gehört zu haben. Plötzlich durchfuhr es den Butler siedend heiß. Diese Abstauber und Mörder hatten Les Symon gefoltert und Aussagen aus ihm herausgepreßt. Dann mußten Symons Mörder jetzt wissen, daß Symon die Beute vom Rennplatz in einem ganz bestimmten Wagen zurückgelassen hatte. Damit mußte auch der Name und die Adresse von Mylady genannt worden sein. Parker schalt sich einen Narren, daran nicht früher gedacht zu haben. Ganz automatisch drückte er das Gaspedal seines Wagens hinunter und mißachtete das Geschwindigkeitslimit.
Er sorgte sich um seine Herrin, die allein in ihrer Stadtwohnung zurückgeblieben war. Er wußte, daß er so schnell wie möglich nach Shepherd's Market jagen mußte, mochte es auch Strafmandate nur so hageln. Während sein hochbeiniges Monstrum einen weiten Satz nach vorn tat, horchte Parker in sich hinein. Seine innere Alarmklingel meldete sich genau in diesem Moment unüberhörbar. *** Kathy Porter, die junge Sekretärin und Gesellschafterin von Agatha Simpson, konnte sich durchaus mit einem Titelblattmodell messen und brauchte keine Vergleiche zu befürchten. Sie war groß, schlank und langbeinig, besaß aber auch all jene Rundungen und Linien, die ein Männerauge in helle Begeisterung versetzen konnten. Sie hatte wunderschönes, kupferrotes Haar, das bis auf ihre Schultern fiel, und grün-graue Augen, die ein wenig mandelförmig geschnitten waren. Die junge Dame schien sich ihrer Ausstrahlung jedoch nicht bewußt zu sein, wirkte stets ein wenig scheu und zurückhaltend. Was sie auch tatsächlich war, solange man sie in Ruhe ließ. Wurde sie hingegen angegriffen, was seit ihrem Zusammenleben mit Lady Agatha häufiger geschah, dann konnte sie sich in eine fauchende Wildkatze verwandeln, die es in sich hatte. Kathy Porter war geschult in Judo und Karate. Sie hatte es in beiden Disziplinen zu beachtlichen Meisterwürden gebracht, über die sie aber fast nie sprach. Sie war eine gute Sportlerin und Schützin. Darüber hinaus aber verfügte sie über ein reiches Arsenal unscheinbar aussehender aber sehr gefährlicher Waffen. Auf diesem Gebiet war Josuah Parker ihr Lehrmeister gewesen, der sie auch mit den entsprechenden Geräten ausgestattet hatte. Parker schätzte Kathy Porter sehr, er war ihr in einer Art halbväterlicher Zuneigung zugetan. Und damit ihr nichts passierte, hatte er sich in seiner Bastelstube einige Dinge einfallen lassen, die geeignet waren, Kathys Leben selbst in scheinbar ausweglosen Situationen zu schützen. Diese Kathy Porter nun, die von Mylady fast wie eine Tochter gehalten wurde, stieg vor dem Stadthaus Agatha Simpsons aus ihrem kleinen Austin und war ehrlich ahnungslos. Sie hatte den Nachmittag in der Stadt verbracht und persönliche Einkäufe erledigt. Sie belud sich mit den Paketen und achtete nicht weiter auf den VW, der ebenfalls vor dem Haus parkte. Bevor sie die Tür öffnen konnte, wurde sie von innen aufgezogen. Ein schlanker Mann, gut angezogen, durchaus nicht abstoßend aussehend, aber mit kalten Augen, nickte ihr zu. »Gut, daß Sie kommen«, sagte er, »ich bin Doc Agnew. Mylady fühlt sich nicht wohl.«
In ihrer ersten und echten Bestürzung kam Kathy gar nicht auf den Gedanken, es könne sich um einen Schwindel handeln. Als dann aber ihr Verstand einsetzte, war es bereits zu spät. Sie sah in die Mündung einer Waffe. »Komm rein, Puppe«, sagte der angebliche Arzt. »Mach die Tür zu und spiel nicht verrückt! Klar?« Kathy nickte. Sie wurde sofort zum ängstlichen, scheuen Reh, eine Rolle, die sich in solchen Situationen stets auszahlte. Sie überlegte, ob sie den falschen Arzt schon jetzt und hier angreifen sollte. Die Pakete auf dem Arm waren bestens geeignet, den Mann zu verwirren. Doch sie verwarf diesen Gedanken. Das Risiko war einfach zu groß, schließlich wußte sie ja nicht, ob nicht noch ein zweiter Eindringling sich im Haus aufhielt. Sie hatte es mit dem Mörder Miller zu tun, doch das wußte sie nicht. »Was hat denn das zu bedeuten?« fragte sie ängstlich, während sie die Tür mit dem Schuhabsatz ins Schloß drückte. »So was Ähnliches bin ich heute schon mal gefragt worden«, gab Miller zurück. »Halt die Klappe und geh voraus! Hoffentlich weißt du, was'n Schalldämpfer ist?« Um es ihr zu demonstrieren, ließ er sie noch mal ausgiebig die Waffe sehen. Kathy Porter schluckte, tat weiter wie ein scheues Reh und sorgte sich ehrlich um Lady Simpson. Schließlich wußte sie nur zu gut, wie streitbar und oft spontan und unüberlegt Mylady zu handeln pflegte. Hoffentlich hatte sie sich nicht in Schwierigkeiten gebracht. Miller dirigierte Kathy in den großen Wohnsalon. Auf der Türschwelle blieb die junge Dame abrupt stehen und sah auf den altehrwürdigen Ledersessel, in dem Lady Simpson saß. Sie war an Händen und Füßen gefesselt und hatte ein breites Klebepflaster über dem sonst zu losen Mund. Es schien ihr soweit gut zu gehn. Doch ihre sonst so unternehmungslustig funkelnden Augen waren glanzlos und sahen müde aus. *** »Schmeiß das Zeug weg«, sagte Miller zu Myladys Sekretärin. »Stell dich vor die Wand und heb' ganz brav die Hände hoch!« Kathy Porter wußte noch immer nicht, ob sie es mit einem einzigen Besucher zu tun hatte. Sie gehorchte also, zumal Lady Simpson ihr vorsichtig zunickte. Kathy entnahm dieser Geste, daß sie erst mal mitspielen sollte. Sie mußte sich vor der holzvertäfelten Wand neben dem Kamin wie ein Gangster aufstellen, der von der Polizei auf Waffen durchsucht wird. Was Miller auch wirklich tat. Und zwar sehr gründlich.
Er machte sich einen genüßlichen Spaß daraus, das junge Mädchen abzutasten und ließ sich viel Zeit dabei. Ihre straffe, volle Brust hatte es ihm angetan. Hier schien er ein Geheimversteck zu wittern. Kathy schüttelte sich innerlich. Sie war keineswegs prüde, aber diese gierigen Hände und Finger ekelten sie geradezu ah. »Prima gepolstert«, sagte Miller, nachdem Kathy sich wieder umwenden durfte. Er ließ die Schußwaffe im Gürtel seiner Hose verschwinden, hatte dafür aber plötzlich ein Rasiermesser in der Hand, -dessen breite Klinge er aufklappte. »Du hast 'ne echte Chance, Süße, 'n heiles Gesicht zu behalten«, sagte Miller, »aber ich will ganz schnell wissen, wo ein gewisser Aktenkoffer mit fünfzehntausend Pfund ist.« Kathy starrte ihn aus großen Augen an und war nur noch ein total verängstigtes Tier. »In 'ner Minute will ich was hören«, sagte Miller und deutete mit dem Kopf zu Lady Agatha hinüber. »Die alte Mammy da ist pampig geworden, ihr Glück, daß du gerade angerauscht kamst!« »Aktenkoffer?« Kathy schluchzte gekonnt auf. »Mädchen, hast du'n prima Gehör«, gab der Mörder ironisch zurück. »Aktenkoffer mit Scheinen.« »Ach so!« Kathy verstand zu überzeugen. Sie nickte erleichtert und war sicher, es nur mit einem Gegner zu tun zu haben. Zudem wußte sie jetzt, wie sie diesen Mann außer Gefecht setzen konnte. »Wir werden ihn zusammen holen«, sagte Miller, der sich bei allem Mißtrauen täuschen ließ. »Er steht in der Wäschekammer«, gab Kathy wie selbstverständlich Auskunft, »oben im Dachgeschoß.« »Worauf wartest du noch, Süße?« Sie mußte natürlich wieder vorausgehen, und er unterließ es, seine Schußwaffe zu ziehen. Er glaubte sie hinreichend genug eingeschüchtert zu haben. Zudem-war sein Blick leicht getrübt. Ihre Attraktivität hatte es ihm angetan. Solch eine Frau hatte er bisher nur aus der Ferne oder auf Titelblättern von Zeitungen gesehen. Und jetzt befand sie sich in seiner Gewalt. Sie hatte Angst, und er konnte alles mit ihr tun, was immer er nur wollte. Kathy Porter trug ein leichtes Nachmittagskleid, kurz um die Hüften wippend. Von diesen Hüften und dem Wippen wurden seine Blicke magnetisch angezogen, als sie die Treppe hinaufwanderten. Er war jetzt nachträglich heilfroh, daß er seinen Partner hinter den beiden miesen Wettgeldräubern hergeschickt hatte. Das hier hatte er nicht erwartet, das war eine Beigabe, ganz nach seinem Geschmack. Kathy zuckte zusammen, als er nach ihr griff.
Sie spürte seine Hand auf ihrem Oberschenkel und hätte am liebsten nach hinten ausgekeilt wie ein Pferd, doch sie bezwang sich. Noch war ihr Moment nicht gekommen. »Ich glaube, ich habe was für dich übrig, Puppe«, sagte Miller. »Kann schon sein, daß du heute deinen Glückstag hast.« Sie hatten inzwischen die obere Galerie betreten, von der aus die verschiedenen Schlaf- und Gästezimmer des Hauses zu erreichen waren, und kamen an Kathys kleinem Apartment vorüber, dessen Tür geöffnet war. Der Blick war frei in die beiden durchgehenden Zimmer bis auf das Bett im hinteren Raum. »Erwartet ihr Besuch?« fragte er und drückte sie mit der Hand gegen die Wand. Kathy schüttelte den Kopf. »Und wo steckt euer Butler?« Kathy interessierte es nicht zu erfahren, woher er von Butler Parker wußte. Sie suchte und fand eine passende Ausrede. »Er hat heute Ausgang«, sagte sie. »Dann- werden wir mal 'ne kleine Pause einlegen, Süße.« Miller schob Kathy in das Apartment und griff nach ihrem hinteren Kleiderausschnitt. Ruckartig fetzte er ihr das Kleid von den Schultern. *** Josuah Parker hatte Pech an diesem Nachmittag. In seinem Bestreben, so schnell wie möglich zurück in Myladys Haus zu kommen, hatte er einen kleinen Umweg gewählt, der normalerweise ein schnelles Umfahren einer Hauptstraße gestattete. Er befand sich mit seinem hochbeinigen Wagen in dieser Seitenstraße und sah sich zu seiner grenzenlosen Überraschung einem großen Möbelwagen gegenüber der gerade rückwärts in eine äußerst schmale Toreinfahrt bugsiert wurde. Der Fahrer nahm sich verständlicherweise viel Zeit, um seinen Wagen nicht zu beschädigen. Parker, normalerweise ein sehr beherrschter und kontrollierter Mensch, gestattete sich einige halblaut gemurmelte Bemerkungen, die irgendwie an Schimpfworte erinnerten. Er hütete sich jedoch, auf die Hupe zu drücken. Erwiesenermaßen gewann er nichts dabei, denn der Fahrer hätte sich daraufhin wohl noch mehr Zeit genommen. In Ruhe wartete Parker auf das Verschwinden des Möbelwagens und die Freigabe der Straße. Und es schien wirklich bereits geschafft zu sein, denn Parker schob sich mit seinem Wagen vorsichtig an das verschwindende Hindernis heran. In diesem Moment kam der Möbelwagen wieder aus der Toreinfahrt hervor. Er schien die richtige Linie noch nicht gefunden zu haben. Parker horchte in sich hinein. Seine innere Alarmklingel läutete inzwischen Sturm.
Irgend etwas Schreckliches braute sich im Haus der Lady Simpson zusammen. ,Er mußte so schnell wie möglich dorthin. Er schätzte seine Chance ab. Kam er zu Fuß schneller voran? Oder sollte er noch eine Minute hier im Wagen warten? Der Fahrer des Möbelwagens schien gespürt zu haben, daß er jetzt endlich die Straße räumen mußte. Er stieß wieder zurück und - schrammte mit dem Wagenheck die Ziegel der Toreinfahrt. Daraufhin stieg er aus dem Wagen und begutachtete fluchend den Schaden, den er angerichtet hatte. Damit war für Parker die Entscheidung gefallen. Selbst wenn er sprintete wie ein trainierter Sportler, war der Weg nach Shepherd’s Market zu weit. Parker stieg dennoch aus dem Wagen und näherte sich dem Verkehrsbehinderer, der sich gerade anschickte, wieder ins Fahrerhaus zu klettern und einen dritten Anlauf zu versuchen. »Wenn Sie gestatten, werde ich mir erlauben, den Wagen in die Toreinfahrt zu bringen«, sagte Parker höflich, aber erstaunt bestimmt. Er wartete die Zustimmung des verdutzten Fahrers erst gar nicht ab, sondern kletterte rasch in die Fahrerkabine. Der stämmige Mann sah dem Butler entgeistert nach. Er war derart perplex, daß er, das Fluchen vergaß. So etwas war ihm in seiner ganzen Laufbahn noch nicht vorgekommen. Da setzte sich ein arroganter Bursche ans Steuer seines Wagens, ein feiner Pinkel mit Melone und Regenschirm und... Parker klappte die Wagentür zu und fuhr nach vorn, um den langen und breiten Möbelwagen in die richtige Ideallinie zu bringen. Dann schaltete er den Rückwärtsgang ein, schaute in den Seitenspiegel und gab - Vollgas. Der Fahrer schrie auf und hielt sich entsetzt die Augen zu. Er hörte das Aufrauschen des Motors und wartete auf das Reißen und Kreischen von Blech. Sein Wagen mußte in der Toreinfahrt zerschellen, anders war das überhaupt nicht möglich. Doch plötzlich herrschte Stille. Der Motor war abgestellt worden. Der Mann nahm zögernd die Hände vom Gesicht, öffnete langsam die Augen und - verstand die Welt nicht mehr. Sein großer Möbelwagen war verschwunden! Fahrerflucht? Hatte sich der Wagen in Luft aufgelöst? Nein, er stand im Hinterhof, wohin er gehörte. Und dieser feine Pinkel schritt schnell, aber nicht ohne Verzicht auf Würde auf ihn zu, lüftete grüßend die schwarze Melone und bestieg dann seinen Wagen, als sei überhaupt nichts vorgefallen. »Das darf doch nicht wahr sein«, murmelte der Fahrer und kratze sich ausgiebig den Hinterkopf. Er sah dem davonpreschenden Wagen nach, der so eindeutig einem Londoner Taxi glich und weigerte sich zu glauben, was er allerdings auch nicht gesehen hatte... ***
Miller drängte Kathy Porter in den hinteren Raum des Apartments und drehte sie dann zu sich herum. Kathy war eine vollendete Schauspielerin. Vor Angst und Scham hatte sie die Hände vor ihr Gesicht genommen und ließ willig mit sich geschehen, was der erregte Verbrecher tat. Da ihn das Rasiermesser jetzt doch etwas behinderte, warf er es auf die Fensterbank und griff nach Kathy. Das dünne Kleid, ohnehin nur noch durch schmale Stoffstreifen zusammengehalten, bot kaum noch Schutz. Miller drängte sie an das breite Bett und versetzte ihr einen Stoß. Kathy Porter schrie leise, um ihn restlos zu täuschen, ließ sich fallen und stieß die beiden angewinkelten Beine dann blitzschnell vor. Miller brüllte auf, als er voll getroffen wurde. Er segelte durchs Schlafzimmer und landete an der Wand. Er war natürlich hart im Nehmen, raffte sich auf und wollte sich auf die Gegnerin stürzen. Kathy war bereits auf den Beinen. Es war ihr völlig gleichgültig, ob ihr Kleid vorn auseinanderklaffte. Das spielte jetzt keine Rolle. Sie sprang den Verbrecher an wie eine Wildkatze und ließ ihre Handkanten wirbeln. Miller wimmerte und heulte. Kathy drosch ihn mit schmerzhaften Hieben zusammen, bis er nur noch ein Häufchen Elend war, das auf dem Boden kauerte. Sie nahm das Rasiermesser und zog dem Mann die Schußwaffe aus dem Hosengürtel. Miller merkte kaum etwas davon. Einige bewußt geführte Schläge hatten seine Muskeln paralysiert, er war überhaupt nicht in der Lage, irgendwelchen Widerstand zu leisten. Kathy lief hastig nach unten, um sich um Lady Simpson zu kümmern. Ihre dunklen Augen funkelten sie erwartungsfroh an. Natürlich hätte Lady Agatha mitbekommen, was sich oben im Haus abgespielt hatte. Kathy riß ihr ruckartig das Pflaster vom Mund. , »Was haben Sie denn da oben solange getrieben?« grollte Lady Simpson sofort in ihrer gewohnten Art. »Wie fühlen Sie sich, Mylady?« »Schrecklich«, gab sie zurück und wurde plötzlich ruhiger. »Ich glaube, dieses Subjekt ist ein Sadist.« »Hat er Sie bedroht?« »Er wollte mich in Streifen schneiden«, berichtete Agatha Simpson, die jetzt wieder Fassung gewann. Sie sah zur Zimmerdecke hoch. »Gehen wir, Kindchen. Jetzt bin ich an der Reihe. Dieser Bursche soll mich kennenlernen.« Die Lady mußte noch einen Moment warten, bis Kathy ihr die Stricke an Händen und Füßen gelöst hatte. Als die beiden Frauen dann ins Treppenhaus gingen, tauchte oben Miller auf. Er sah Kathy und ging sofort zurück in Deckung. »Geben Sie mir die Waffe«, verlangte die Detektivin.
»Bitte, Lady Agatha, wir haben die Wand gerade erst herrichten lassen«, stieß Kathy abwehrend hervor. Sie spielte auf Lady Simpsons Dauerfeuer an, das Mylady vor einigen Wochen im Treppenhaus veranstaltete,' als sich ungebetener Besuch eingestellt hatte. »Papperlapapp«, raunzte Lady Simpson ihre junge Sekretärin an. »Geben Sie sie schon her!« Erfreulicherweise kam die streitbare Dame nicht mehr dazu, Miller zu beschießen. Er hatte es vorgezogen, das Haus auf eine etwas irreguläre Art und Weise zu verlassen. Man hörte das Aufreißen eines Fensters und Sekunden später einen weichen Aufprall unten im Vorgarten. Doch die Resolute gab nicht auf. Sie wollte ihr Opfer haben. Erstaunlich leichtfüßig rannte die Detektivin zu Haustür, riß sie auf und sah gerade noch, wie Miller in einem benachbarten Vorgarten verschwand. Selbst eine Agatha Simpson konnte sich unter diesen Umständen kein Feuergefecht mehr leisten. Grollend warf sie die Tür ins Schloß und wandte sich an ihre Gesellschafterin. »Sie bringen mich auch um jede Freude, Kindchen«, meinte sie dann mit ihrer dunkel gefärbten, baritonalen Stimme. »Und wie Sie wieder aussehen!« »Ich werde mich sofort umziehen, Mylady.« Kathy lächelte. »Übrigens kann selbst ich verstehen, warum dieser Gimpel auf Sie reinfiel«, fügte Lady Simpson hinzu und zwinkerte. »Ich hätte das wohl kaum geschafft.« »Wer war dieser Mann, Mylady?« »Keine Ahnung, Kindchen. Er nannte sich Miller, doch das war sicher nur eine Tarnbezeichnung.« »Und was wollte er, Mylady?« »Hat er Ihnen doch gesagt, Kindchen, den Aktenkoffer mit dem Geld.« »Ich verstehe kein Wort, Mylady.« »Können Sie auch nicht, Kathy. Sie haben nämlich die Vorgeschichte nicht miterlebt. Aber freuen Sie sich, wir stecken mitten in einem neuen Kriminalfall, der es in sich hat. Es hat sogar schon einen Toten gegeben.« »Oh!« Mehr wagte Kathy Porter nicht zu sagen. Sie wußte, daß abwechslungsreiche Stunden zu erwarten waren. »Schön, nicht wahr?« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich mich eigentlich sehr angeregt fühle.« *** »Was ist denn mit dir los?« erkundigte sich Smith, als er zu Miller in den VW stieg. »Pleite auf der ganzen Linie«, erwiderte Miller mühsam, da sein Hals und seine Kehle ungemein schmerzten. Er sah tatsächlich recht erbarmungswürdig aus und schien einen Reißwolf passiert zu haben.
Er hatte sich nach seiner peinlichen Niederlage im Haus der Lady Simpson nach gut einer halben Stunde den VW geholt und dabei vor Nervosität gezittert, noch mal überrascht zu werden. Dann war er hinaus zum verabredeten Treffpunkt gefahren. Sein Partner saß neben ihm und musterte ihn neugierig, kopfschüttelnd und irritiert. »Wieso Pleite?« wollte Smith wissen als Miller wieder anfuhr. »Dieser Symon hat nicht gelogen«, gab Miller zurück. »Die alte Schachtel ist tatsächlich so was wie'n Bandenboß.« »Und die Moneten?« »Können wir vorerst in 'n Kamin schreiben. Die habe ich nicht geschafft. « »Geschafft scheint man dich zu haben.« Smith grinste ironisch. »Die Kleine war wie 'ne Pantherkatze«, sagte Miller und hatte Mühe, das Steuer des VW zu bewegen. »So was habe ich noch nie erlebt.« »Viel, Partner, scheinst du aber bei ihr nicht erreicht zu haben. Von welcher Kleinen sprichst du eigentlich?« Miller kam zur Sache und berichtete von seiner Niederlage. »Das Weib muß ich sehen«, sagte Smith versonnen. »Ich seh' sie mir auch noch mal an«, gab Miller zurück, »aber mit 'ner Hundepeitsche in der Hand. Die legt mich nicht noch mal rein. Wie ist es bei dir gelaufen?« »Die beiden Typen waren verdammt mißtrauisch«, erzählte Smith. »Sie fuhren an ihrer Wohnung vorbei und raus aufs flache Land. Sie wollten wohl feststellen, ob sie verfolgt wurden. Aber ich hab' denen was gehustet, als ich merkte, wo's langlief. Ich hab' abgedreht und bin zurück zur Wohnung, aber sie, habeniljj^h nicht blicken lassen.« »Werden die überhaupt noch mal zurückkommen?« »Werden sie, früher oder später. Solche Typen brauchen ihre Umgebung, das kennt man ja, aber die sind im Moment überhaupt nicht wichtig. Du bist sicher, daß die alte Schachtel der Bandenboß ist?« »Vollkommen, Symon hat nicht gelogen.« »Dann laß uns mal zusammenzählen.« Smith zündete sich eine Zigarette an. »Da sind zuerst mal Ramsey und Battie, dann der Butler und diese angebliche Sekretärin.« »Und der Bandenboß.« »Die alte Schachtel.« Smith nickte zustimmend. »Fünf Personen also. Damit müßte man fertig werden, oder? « »Die Nüsse knacken wir nacheinander«, schwor Miller, »und die Kleine bleibt für mich reserviert. Bevor ich die kille, dressiere ich sie mir, bis sie aus der Hand frißt.« »Wie wär's denn mit 'ner kleinen Beteiligung?« »Einverstanden.« Miller ' lächelte dünn. »Die heben wir uns zum Nachtisch auf.« »Und du glaubst, daß die Moneten bei der Alten im Haus sind?«
»Bestimmt. In irgendeinem Versteck, aber das werden sie uns schon rechtzeitig nennen.« »Was ist mit diesem Butler, von dem du gesprochen hast?« »Den hab' ich beobachtet, als er ins Haus ging. Das ist der Bursche, von dem Symon erzählt hat. Die drei Figuren wohnen in Shepherd's Market und mimen auf vornehm. Ramsey und Battie würden in solch 'ner Umgebung ja doch nur auffallen.« Die beiden Männer fuhren langsam durch die Stadt und legten alle Einzelheiten für ihr weiteres Vorgehen fest. Millers Mißerfolg stand schon nicht mehr zur Debatte. So etwas ließ sich jederzeit ausbügeln. »Also gut«, schlug Smith schließlich vor. »Lassen wir das Trio erst mal in Ruhe. Tun wir so, als hätten wir Leine gezogen. Aber wir werden sie beobachten und uns dann Ramsey und Battie vorknöpfen. Die müssen von der Bildfläche verschwinden. Wir brauchen das Trio in Shepherd's Market nur zu isolieren, dann wird's schon weich in den Knien.« »So, und jetzt muß ich erst mal meine Fassade aufpolieren«, meinte Miller, dessen Muskeln sich von Minute zu Minute immer mehr versteiften und schmerzten. »Legen wir 'ne Pause ein.« »Auf diese Puppe bin ich richtig gespannt«, sagte Smith versonnen. »Die muß ja 'ne Wucht sein.« Sie fuhren das kleine Hotel an, in dem sie als Vertreter abgestiegen waren. Das kleine, graue Haus mit den nur wenigen Zimmern war der ideale Unterschlupf für sie, nicht zu teuer, nicht zu billig. Sie galten in diesem Haus als sehr gut erzogene, nette Herren, wie man sie sich als Hotelgäste besser nicht wünschen konnte. *** »Darf ich Ihnen erneut versichern, daß Mylady sich über Ihren Besuch freuen wird?« Josuah Parker, wieder in der Stadtwohnung, hatte die Tür geöffnet und deutete Chiefinspektor Sounders gegenüber eine knappe Verbeugung an. »Wenn man die Polizei mal braucht, ist sie nicht da«, kam die grollende Stimme von Mylady aus dem Wohnsalon. Dann rauschte sie selbst heran und nahm Sounders in Empfang. Daß sie ihre kleine verbale Spitze nicht besonders ernst meinte, war ihren vergnügt dreinblickenden Augen zu entnehmen. Mylady wirkte sehr aufgekratzt. »Hat sich denn inzwischen etwas getan?« Sounders nickte erfreut, als Parker wenig später Kognak servierte. »Etwas getan? Hier war die Hölle los!« Agatha Simpson nickte bekräftigend. »Einer dieser Mörder war hier, Sounders, ein unangenehmes Subjekt.« »Einer der beiden Symon-Mörder?« Sounders spitzte die Ohren. »Er nannte sich Miller, aber darüber sollten wir weiter kein Wort verlieren.«
»Sie heißen Logan und Greeley«, antwortete Sounders, »und wegen dieser beiden Killer bin ich hier.« »Logan und Greeley? Noch nie von ihnen gehört.« »Wir haben unseren Computer eingesetzt und herausgefunden, daß diese beiden Männer bereits in der Vergangenheit einige grausame Morde ausgeführt haben, Mylady. Sie haben ihre Technik nicht um eine einzige Nuance geändert. Kennzeichen und Merkmale lassen sich registrieren, daher sind wir auf Logan und Greeley gestoßen.« »Wie schön für Sie, Sounders.« Agatha Simpson nippte an ihrem Kreislaufbeschleuniger. »Und welche Merkmale hat Ihr Computer herausgelesen?« »Logan und Greeley werden bei uns als die Messer-Zwillinge geführt.« »Wie albern.« Lady Simpson verzog spöttisch ihr Gesicht. , »Nehmen Sie sie nur nicht auf die leichte Schulter«, warnte Sounders ernst. »Spitznamen verniedlichen. Logan und Greeley sind echte Killer mit sadistischer Neigung. Wer von den beiden nun wirklich schlimmer ist, wissen wir nicht, spielt aber auch nur eine untergeordnete Rolle.« »Darf man etwas über die Vergangenheit dieser beiden Mörder hören, Sir?« schaltete sich Parker ein. »Sie gehörten vor Jahren hier in London einer Bande an, überwarfen sich' dann aber mit ihrem Boß und scheinen ihn sogar umgebracht zu haben, dieser Boß verschwand nämlich für immer von der Bildfläche. Dann tauchten die beiden Killer in Liverpool und Glasgow auf, hinterließen dort eine deutliche Mordspur und müssen dann für einige Zeit außer Landes gewesen sein. Wenn wir richtig liegen, waren sie für ein paar Jahre drüben in den Staaten. Unterlagen darüber werden wir noch bekommen.« »Und nun scheinen diese Mörder sich erneut hier in London etablieren zu wollen, Sir?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos, doch was er hörte, ließ ihn nachdenklich werden. »Sieht danach aus, Mister Parker. Sie müssen sich auf die Spur von Ramsey und Battie gesetzt haben, die sie wohl von früher her kennen. Daß sie dann Symon ausquetschten, ist ja bekannt.« »Jetzt habe ich Ihnen eine Neuigkeit anzubieten«, erklärte Lady Simpson grimmig. »Sie sehen sich einer Frau gegenüber, die der Boß einer Bande ist!« »Sie übertreiben, Mylady«, meinte Sounders und schmunzelte. »Ich würde Miß Porter und Mister Parker niemals als Bandenmitglieder bezeichnen.« »Sparen Sie sich Ihre Witze«, raunzte sie ihn mit ihrer Feldwebelstimme an. »Ich bin der Boß der Wettgeldbande!« »Ach nee!« Sounders war verblüfft. »Und wer behauptet das?» »Das geht auf das Konto dieses armen Symon«, redete Lady Simpson weiter. »In seiner Todesangst scheint er den beiden Mördern wilde Märchen erzählt zu haben.« »Das klingt aber sehr gefährlich. Dann werden Logan und Greeley hier erscheinen, Mylady. Sie sind, ja schließlich hinter dem Wettgeld her.«
»Sie waren bereits so frei, Sir.« Parker umschrieb gewisse Tatsachen wieder mal äußerst höflich. »Logan und Greeley?« Sounders schnappte nach Luft. »Oder Smith und Miller«, fügte Agatha Simpson hinzu, »ganz wie Sie wollen.« »Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Mylady, sollte man sich auf die tatsächlichen Namen der beiden Mörder einigen.« »Gut, also Logan und Greeley«, gab Mylady energisch zurück. »Sie haben ihre Visitenkarte bereits abgegeben.« »Nur einer der beiden«, ließ Kathy Porter sich vernehmen. »Wer von den beiden?« »Wie soll ich das wissen, Sounders? » Bin ich Hellseherin?« Lady Simpson war in ihrem Element. »Dieses Subjekt spielte auf jeden Fall sehr respektlos mit einem Rasiermesser herum und wollte Miß Porter ins Bett schleppen.« »Und, Miß Porter?« »Ich war damit nicht ganz einverstanden«, antwortete Kathy höflich und ein wenig scheu. »Ich mußte den Kerl außer Gefecht setzen.« »Und ließen ihn dann entwischen?« Sounders schnappte erneut hörbar nach Luft. »Myladys Gesundheit schien mir wichtiger zu sein als die Festnahme dieses Scheusals.« »War ja nur eine Frage.« Sounders winkte beruhigend ab. »Dann wissen Sie aber, was Sie alles noch erwartet. Logan und Greeley werden zurückkommen.« »Hoffentlich«, erwiderte Lady Simpson grimmig. »Darauf freue ich mich schon jetzt, Sounders.« »Mylady!« Sounders Gesicht wurde sehr ernst. »Sie haben es mit sadistischen Mördern zu tun, nicht mit kleinen Ganoven. Es wäre vielleicht doch besser gewesen, sich Symon anzusehen. Diese Killer scheuen vor keiner Gemeinheit zurück.« »Ich ebenfalls nicht.« Mylady erhob sich und glich jetzt wieder erstaunlich einer majestätischen Heroine vor ihrer Wagner-Arie. In der Hand fehlte nur noch der urige Speer. »Konnten Sie diesen Killer nicht schnappen?« Sounders wandte sich an Parker. »Ein Möbelwagen hinderte meine bescheidene Wenigkeit daran, gewisse Pläne in der Art auszuführen, wie ich sie mir gewünscht hätte«, antwortete der Butler würdevoll. »Ich traf leider mit erheblicher Verspätung hier im Haus ein.« »Auch wenn man Mister Parker mal braucht, ist er nicht da«, grollte Lady Simpson. »Ich verstehe zwar kein Wort«, bekannte Sounders, »aber ich möchte noch mal warnen. Logan und Greeley sind wie Bluthunde. Wo sie Beute wittern oder eine Rechnung zu begleichen haben, sind sie nicht von der Fährte zu bringen.« »Das läßt mich hoffen.« Agatha Simpson sah sehr angeregt aus. »Und nun zur Geldübergabe an Ramsey und Battie«, wechselte Sounders das Thema. »Sie wollen nach wie vor allein bleiben?«
»Diese beiden Lümmel sind bereits so gut wie geschnappt«, versicherte die streitbare Dame. »Vergessen Sie nicht Logan und Greeley«, warnte der Chiefinspektor, »wahrscheinlich haben sie sich auch hinter diese beiden Geldräuber geklemmt. Unter Umständen müssen Sie mit schrecklichen Überraschungen rechnen.« »Hoffentlich, Sounders, hoffentlich!« Die Detektivin schleuderte ihren imaginären Speer aus der Hand. »Diese Monster werden eine Lady Simpson noch kennenlernen.« *** Ramsey und Battie waren unsicher. Nachdem sie festgestellt hatten, daß sie wirklich nicht verfolgt wurden, befanden sie sich wieder im East End, und zwar ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Der Schock saß ihnen noch in den Knochen. Sie mußten immer wieder an die Ermordung ihres Partners Les Symon denken. Die beiden Wettgeldräuber konnten von ihrem Versteck aus Arnie Barkings Garagen und Schrottplatz übersehen. Sie hatten Quartier bei einer gewissen Molly Seilers bezogen, einer Straßenschwalbe, die rund und recht nett aussah. Molly war ein gutmütiges Mädchen, das seine Dienste als Masseuse anbot und sich über einen Kundenkreis nicht beklagen konnte. Molly hatte ihr Geschäft nach außen hin regulär aufgezogen und besaß sogar ein Diplom als Krankengymnastin, das sie in jungen Jahren mal erworben hatte. Sie verfügte hier im East End in der Nähe der Victoria Docks über einige Geschäfts- und Behandlungsräume. Es gab zwei Massagekabinen, Wannen für medizinische Bäder und im Keller des Hauses sogar eine kleine Sauna. Bei Molly Seilers war alles blitzblank. Kontrollen der Gesundheitspolizei brauchte sie nicht zu befürchten. Für Eingeweihte bot sie allerdings mehr an als nur Gesundheitspflege im üblichen Sinn. Sie ließ sich dafür sehr gut bezahlen. Als Ramsey und Battie bei ihr auftauchten, war sie nicht besonders glücklich gewesen. Aber was sollte sie machen? Früher mal mit Ramsey befreundet gewesen, hatte sie an beide Ganoven noch eine Menge Kredit zurückzuzahlen. Sie hatte die beiden Männer in ihrer Wohnung über dem Institut untergebracht und hoffte, daß sie recht bald wieder verschwanden. Mit dem feinen Sinn für Ärger und Gefahr, wie ihn Mädchen ihrer Branche nun mal hatten, witterte sie Komplikationen, zumal Ramsey und Battie ihr nicht gesagt hatten, warum sie für ein paar Tage bei ihr wohnen wollten. »Wie ist das nun mit dem Geld?« fragte Battie. Er stand am Fenster und beobachtete die Straße mit ihrer regulären Wohnung. »Natürlich holen wir die Moneten ab«, erwiderte Ramsey. »Oder willst du auf das Geld verzichten?« »Und wenn die Bullen uns 'ne Falle stellen?«
»Die Bullen? Wir haben's mit dieser alten Fregatte zu tun«, erklärte Ramsey. »Wieso unterschlägt 'ne Lady das geklaute Geld?« fragte sich Battie erneut. Dieser Punkt ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. »Warum? Weil sie Moneten braucht«, lautete Rarnseys etwas pauschale Antwort. »Nach außen hin spielt sie die große Dame von Welt, aber wahrscheinlich weiß sie vor Schulden nicht ein noch aus, so was kennt man doch. Ist mir auch egal. Hauptsache, sie rückt das Geld raus.« »Kann auch alles nur'n Trick sein, um uns die Polente auf den Hals zu hetzen.« »Das muß ich von dir schon mal gehört haben«, frotzelte Ramsey, »aber nun zur Sache! Sobald wir die fünfzehn Mille haben, setzen wir uns ab, dann können Les' Mörder hier in London rumsuchen, solange sie wollen.« »Ich bin nicht gerade 'n Feigling«, schickte Battie voraus, »aber warum pfeifen wir nicht auf diese Moneten und hauen sofort ab?« »Bist du noch zu retten? Und Les? Hast du vergessen, wie sie ihn fertiggemacht haben? Willst du nicht auch, daß wir diese dreckigen Kerle zu Schrott verarbeiten?« Die beiden Wettgeldräuber ließen sich über das Thema Rache länger aus und diskutierten es ausgiebig durch. Dabei ergab sich, daß ihre Angst vor einer etwaigen Polizeifalle immer kleiner wurde, doch ihre Angst vor den Mördern ihres Partners Les Symon steigerte sich. Sie erinnerten sich, daß vor vielen Jahren in London ein Duo tätig gewesen war, das sich durch Grausamkeit ausgezeichnet hatte, doch sie bekamen die Zusammenhänge nicht mehr in den Griff. Sie einigten sich schließlich darauf, Lady Simpsons Geldübergabe wie geplant durchzuführen. Dann allerdings wollten sie das restliche Beutegeld aus dem Versteck holen und sich in Richtung Kontinent absetzen. Frankreich schwebte ihnen vor, Paris, vielleicht aber auch die Mittelmeerküste. Nach all den Aufregungen wollten sie endlich etwas vom Leben haben. Sie waren sich noch immer nicht klar darüber, mit welchen Gegnern sie es zu tun hatten. *** Molly Seilers hatte keine Bedenken, den Kunden zu empfangen. Adrett aussehend, etwas rundlich, aber ohne dick zu sein, lächelte sie den schlanken, mittelgroßen Mann an und zupfte dabei ein wenig am Ausschnitt ihres weißen Kittels, um ihn noch ein wenig offenherziger zu gestalten. »Sie sind aber nicht angemeldet«, sagte sie neckisch und ahnungslos. »Hätte ich das tun müssen?« fragte Logan, der mit Miller identisch war. Er bemühte sich seinerseits um Freundlichkeit. »Mein nächster Termin ist erst in gut einer halben Stunde«, antwortete Molly. »Haben Sie besondere Beschwerden, Sir?«
»Sieht nett bei Ihnen aus«, stellte Logan fest und schaute sich im Vorraum des Instituts um, der als Warte -und Empfangszimmer diente. Er wirkte nicht gerade intim mit seinen hellen Möbeln, aber auch nicht zu sachlich. »Arbeiten Sie allein?« »Das wird Ihnen hoffentlich reichen«, meinte Molly noch etwas neckischer und auch ein wenig zweideutig. »Angestellte sind meist unzuverlässig.« »Wem sagen Sie das!« Logan nickte verständnisvoll. »Woher haben Sie meine Adresse?« wollte sie nun sicherheitshalber wissen. , »Im Club erfahren«, wich Logan aus. »Wollen wir? Denken Sie an Ihren nächsten Kunden!« Sie ging voraus, öffnete die Tür zu den Behandlungsräumen und schrie dann unterdrückt auf. Er hatte sie an sich gerissen und setzte ihr das Blatt eines Rasiermessers an die Kehle. »Dir passiert überhaupt nichts«, sagte Logan. »Nicht durchdrehen, Mädchen! Zeig mir alles, was du so hast!« Zuerst mißverstand sie ihn und wollte sich vorsichtig den weißen Kittel aufknöpfen. Doch sein spöttisches Auflachen machte sie unsicher. »Ich mein' natürlich deinen Laden«, sagte Logan und ließ sich dann die Behandlungsräume, die Kabinen und die Badeeinrichtungen zeigen. Er zeigte auf die Wendeltreppe, die hinunter in den Keller führte. »Da ist die Sauna und ein kleines Schwimmbecken«, sagte Molly ängstlich. »Prächtig«, stellte Logan fest. »Wie sieht's denn hier mit ein paar Lederriemen oder Stricken aus? Ich wette, so was hast du für ganz spezielle Kunden, oder?« Molly konnte auch damit dienen. Sie öffnete die Tür, die hinüber in ihr eigentliches Behandlungszimmer führte. Hinter dieser Tür herrschte eine schwüle Atmosphäre, die völlig auf Sinnlichkeit getrimmt war. Das breite französische Bett, der große Spiegel unter der Decke, die Fellteppiche auf dem Boden und die weiche Stoffbespannung an den Wänden, das alles diente dazu, die wirklichen Kunden in Stimmung zu bringen und zu halten. Molly, immer noch das Messer an der Kehle, öffnete eine Tapetentür und schluckte vor Angst und Aufregung. Hinter dieser schmalen Tür, die in einen Wandschrank führte, befanden sich die Dinge, die ihr Besucher gemeint hatte. Logan nahm ein paar breite Lederriemen vom Haken und einen derben Strick. Dann schob er Molly zurück in die Vorräume und zwang sie, sich auf eines der Massagebetten zu legen. Molly Seilers leistete keinen Widerstand, sondern schielte nur entsetzt auf die Klinge des Rasiermessers. Sie ließ sich binden und auf der Liege festschnüren. Dann ging der Mann. Molly wagte nicht zu rufen, obwohl sie doch wußte, daß Ramsey und Battie oben in ihrer Wohnung waren. Sie fragte sich, was das wohl für ein Mensch war. Ein Sadist mit ausgefallenen erotischen Wünschen?
Bevor sie sich darauf eine Antwort geben konnte, kam der Besucher zurück und zwar in Begleitung eines zweiten Mannes. Auch dieser sah im Grund nicht dämonisch und furchterregend aus, wenngleich seine Augen an die einer Eidechse erinnerten. Die beiden Männer bauten sich neben der Liege auf. »Wo ist Ramsey?« fragte Logan. »Wo steckt Battie?« wollte Greeley wissen, der sich bisher als -Smith ausgegeben hatte. »Wir haben nämlich rausbekommen, daß du noch mit ihnen in Verbindung stehst«, fügte Logan hinzu. »Mädchen, sag's möglichst schnell! Wir sind so schrecklich ungeduldig.« »Ich verlier' dann jedes Mal die Nerven und muß einfach was zerschneiden.« Greeley hatte plötzlich auch ein Rasiermesser in der Hand. »Sie... Sie sind oben. In meiner Wohnung.« Molly konnte vor Angst und Grauen nicht schnell genug antworten. »Brav, Mädchen«, lobte Logan, »und wie bekommst du die beiden Typen runter, ohne daß sie nervös werden?« »Ich ... Ich könnte anrufen.« »Is' sie nicht intelligent? « freute sich Logan und sah Greeley an. »Sagenhaft«, bestätigte der zweite Killer. »Ob sie's auch schafft?« »Bestimmt.« Logan nickte ernsthaft. »So was sieht man doch auf den ersten Blick.« Sie schnallten sie los und trugen sie zum Telefon, das eine hauseigene Leitung nach oben zur Wohnung hatte. »Nun zeig mal, wie clever du bist«, meinte Logan, »ruf sie runter, laß dir was einfallen!« *** Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und ließ die City von London bereits hinter sich. Im Fond des Wagens befanden sich Agatha Simpson und Kathy Porter, die auf ihrem Schoß einen Aktenkoffer hielt, der mit wertlosen Zeitungsschnipseln gefüllt war. Zur besseren Tarnung und Ablenkung der beiden Wettgeldräuber bestand die obere Lage allerdings aus echten Pfundnoten. Die beiden Damen befanden sich erstaunlicherweise mit Parkers Billigung im Wagen. Er hatte sie nicht allein in der Stadtwohnung zurücklassen wollen. Der Butler machte sich keine Illusionen. Über die Wettgeldräuber hinaus hatte man es jetzt noch mit zwei Killern zu tun, die vor nichts zurückschreckten. Unter diesen Vorzeichen wollte er doch lieber in der Nähe der Damen bleiben. Ramsey und Battie hatten sich nach ihrem ersten Anruf nicht mehr gemeldet, worüber sich Parker insgeheim sehr wunderte.
Gewiß, die genaue Zeit und der ungefähre Ort der Geldübergabe waren vereinbart worden, doch es gehörte eigentlich zu den Spielregeln von Gangstern und Ganoven, daß sie sich wiederholt meldeten, um ihre Opfer in Dauerspannung zu halten. Warum also hatten sie sich nicht mehr gemeldet und erneut gedroht? »Paßt Ihnen etwas nicht?« fragte Agatha Simpson in ihrer ungenierten Art. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker, »die Geldempfänger schweigen sich für mein Gefühl etwas zu sehr aus.« »Vielleicht sitzen ihnen schon Symons Mörder im Nacken.« »Dies, sind auch meine Gedanken, Mylady.« »Dann würden jetzt also die Mörder auf uns warten?« Ihre Stimme nahm einen hoffnungsfrohen Unterton an. »Damit sollte man durchaus rechnen, Mylady.« »Ich habe nichts dagegen«, klang ihre Feldwebelstimme erfreut. »Sind wir für solch einen Fall gerüstet, Mister Parker?« »Mylady können sich sicher fühlen.« Lady Simpson prüfte den Glücksbringer in ihrem Pompadour, jenes Hufeisen, mit dem sie sehr nachdrücklich zuzuschlagen verstand. Sie prüfte aber auch ihre Lorgnette, die Stielbrille, die im Grund auch ein Stilett war. »Wenn Mylady erlauben, sollte man vielleicht einen kleinen Umweg über die Victoria Docks machen«, ließ Parker sich vernehmen. »Wo Ramsey und Battie wohnen?« »Genauer gesagt, Mister Arnie Barkings Schrottplatz, Mylady.« »Lassen Sie sich nicht aufhalten, Mister Parker. Hauptsache, wir verpassen nicht den Anschluß.« Nun, dieser kleine Umweg sollte sich noch auszahlen. Als Parker durch die Straße fuhr, an der der große Schrottplatz lag, mußte er hinter einer Kurve bremsen. Polizeifahrzeuge standen am Rand, vor dem Eingang zum Schrottplatz hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Im trüben Licht der Straßenlaternen und des aufkommenden Nebels war nicht viel zu erkennen. »Falls Mylady keine Einwände erheben, würde ich mich gern hinüber zum Schrottplatz begeben«, sagte Parker und hielt am Straßenrand. »Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand!« Agatha Simpson hatte bereits verstanden. Parker stieg aus dem Wagen, setzte sich die schwarze Melone zurecht, legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm und schritt dann gemessen hinüber zu der Menschenmenge. Er kam nach knapp fünf Minuten wieder zurück zum Wagen und nahm hinter dem Steuerrad Platz. »Brauchen Sie eine schriftliche Aufforderung?« fuhr Lady Simpson ihren Butler bissig an. »Sagen Sie schon, was Sie gehört haben!« »Und gesehen, Mylady.« »Also, dann Einzelheiten, wenn ich bitten darf.«
»Sie sind schrecklich genug, Mylady.« »Bringen Sie mich nicht auf die Palme«, raunzte Lady Simpson. »Reden Sie schon endlich!« »Der Besitzer des Schrottplatzes, ein Mister Arnie Barking, hörte vor knapp einer Stunde, daß seine Autopresse in Bewegung gesetzt wurde, obwohl seine Angestellten bereits Schichtschluß hatten, Mylady.« »Wer hat wen zusammengepreßt?« Lady Simpson ahnte, worauf ihr Butler hinaus wollte. »Man vermutete, daß sich in dem von der Schrottpresse zu einem Würfel zusammengepreßten Wagen eine Leiche befindet, Mylady. Wer dafür allerdings verantwortlich ist, läßt sich nur vermuten.« »Diese Mörder!« Agatha Simpsons Stimme klang nun doch ein wenig belegt. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, redete der Butler weiter, »die Messer-Zwillinge scheinen aktiv gewesen zu sein, wobei nicht mit letzter Genauigkeit zu sagen ist, ob es sich in dem Schrottpaket nur um eine Leiche allein handelt.« »Logan und Greeley sind hinter Ramsey und Battie her«, faßte Lady Simpson zusammen. »Sie scheinen sie aufgespürt zu haben.« »Und nutzen die Urgewalt der Schrottpresse«, fügte der Butler hinzu. »Ein Mordverfahren, das man durchaus als äußerst effektiv bezeichnen muß.« »Wie Sie das sagen, Mister Parker, klingt das aber sehr makaber«, entrüstete sich die streitbare, ältere Dame. »Mir ging es um die Präzision des sprachlichen Ausdrucks, Mylady.« »Und mir geht es durch Mark und Bein«, gestand die Detektivin. »Diese Kerle schrecken ja vor nichts zurück.« »Wäre es möglich, Mylady, daß sie jetzt wissen, daß Sie, Mylady, nicht ein Bandenboß sind?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Wieso denn das? Enttäuschen Sie mich nur nicht, Kindchen!« »Die beiden Mörder werden wieder gefoltert und Aussagen erpreßt haben, Mylady. Dann müßten sie doch jetzt die Wahrheit kennen.« »Das wäre ja schrecklich, Kathy.« Josuah Parker war zwar erheblich anderer Meinung, doch er hütete sich, dieses Thema zu vertiefen. Innerlich hoffte auch er, daß die beiden Mörder Logan und Greeley nun endlich wußten, daß Mylady mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Im Gegensatz zu Agatha Simpson war Parker nach wie vor der Ansicht, daß sie sich in Lebensgefahr befanden. Die beiden Mörder waren nicht mit dem üblichen Maß zu messen. Er hatte seinen hochbeinigen Wagen wieder in Bewegung gesetzt und fuhr in Richtung der East India Docks, wo auf dem Pier 43 die von Ramsey und Battie verlangte Geldübergabe stattfinden sollte. Weder Parker noch die beiden Damen im Fond des Wagens ahnten, daß sie bereits verfolgt wurden. Die Mörder waren ihnen auf den Fersen…
*** Paul Ramsey war mit den Nerven völlig am Ende. Er begriff noch immer nicht, was passiert war, wollte es einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Er saß in der hintersten Ecke einer kleinen Seemannskneipe in der Nähe der Docks und trank einen Whisky nach dem anderen, ohne aber betrunken zu werden. Er sah noch alles genau vor sich. Molly hatte ihn und Battie heruntergebeten. Angeblich hatte es Schwierigkeiten mit einem Kunden gegeben. Sie waren ahnungslos nach unten ins Massage-Institut gegangen und hier von den beiden Mördern überrascht worden. Battie, der vorausgegangen war, hatte keine Chance gehabt, sich noch schnell abzusetzen. Das war nur ihm, Ramsey gelungen. Er hatte blitzschnell geschaltet, war zurück nach oben gerannt und hatte dabei zwei schallgedämpfte Schüsse überstanden, die die beiden Mörder ihm nachschickten. Dann war er geflüchtet. In wilder Panik hatte er sich durch ein Wohnungsfenster geschwungen, auf ein benachbartes Dach hinuntergelassen und war dann durch das Gewirr der Hinterhöfe weggelaufen. Später erst hatte er sich wieder in die Nähe von Mollys Institut getraut und war Augenzeuge geworden, als die beiden Mörder seinen Partner Battie hinüber zum nahen Schrottplatz brachten. Zuerst hatte Ramsey sich dabei nichts gedacht, aber zehn Minuten später, wäre er beinahe zusammengebrochen. Er hatte das Quietschen, Stampfen und Schaben der in Bewegung gesetzten Schrottpresse gehört, dann das Reißen, von Blech und das Splittern von Glas. Da hatte er begriffen, daß sein Partner Battie ermordet wurde. Die beiden Täter hatten unbewußt das getan, was Nick und er mit ihnen vorgehabt hatten. »Ist was?« fragte der Barkeeper, der ihm den nächsten Whisky zuschob. Ramsey, zuckte zusammen. Seine Hand zitterte, als er nach dem Glas griff. »Wieso?« fragte ,er dann heiser und kippte den Whisky hinunter. »Mann, Sie heulen ja«, sagte der Barkeeper. »Ärger mit der Frau?« Jetzt erst merkte Ramsey, daß ihm Tränen in den Augen standen. Er nickte und wußte schon nicht mehr, was ihn der Mann gefragt hatte. Dann bestellte er den nächsten Drink. »Warum nehmen Sie nicht gleich 'ne ganze Flasche?« fragte der Barkeeper. »In Ordnung«, gab Ramsey zurück. Er stierte auf den Tisch und wußte nicht, was er machen sollte. Er hatte nur grenzenlose Angst. ***
»Die East India Docks, Mylady, Pier 43, 22 Uhr.« Parkers Stimme klang höflich und beherrscht wie immer. Sie hatten den vereinbarten Treffpunkt erreicht, wobei allerdings gesagt werden muß, daß diese Docks in ihren Ausmaßen nicht zu übersehen waren. Ein scheinbar sinnloses Labyrinth von Lagerschuppen, Kaianlagen, Verladebrücken, Krananlagen und Gleisen tat sich vor ihnen auf. Die Sichtverhältnisse waren äußerst schlecht, denn von der Themse her wehten dichte Nebelschleier. Nur wenige Lichter blitzten durch die trübe Suppe. Vom Fluß war das klagende Tuten von Schleppern und Frachtern zu hören. Es war kalt und ungemütlich, unheimlich ohnehin. Natürlich war Parkers Wagen nicht allein an den Docks. Laster kamen entgegen wie riesige Tiere der Urzeit und schoben sich an dem hochbeinigen Wagen vorbei. Lastkarren und Gabelstapler waren unterwegs, und dennoch herrschte hier eine Verlassenheit, die den Wunsch auslöste, schleunigst zurück in die hell erleuchtete City zu fahren. »Was gedenken Sie zu tun, Mr. Parker?« verlangte Agatha Simpson zu wissen. »Ich fürchte, Mylady, man wird auf ein Zeichen der Wettgeldräuber warten müssen«, gab Parker gemessen zurück und überprüfte diskret die elektrische Verriegelung der Wagentüren, die zentral vorgenommen werden konnte. Er hatte nämlich nicht die Absicht, sich von aufdringlichen Leuten überraschen zu lassen, wie zum Beispiel von den Mördern Logan und Greeley. Parker vergewisserte sich ferner, daß sein starkes Blitzlichtgerät in greifbarer Nähe neben ihm lag. Er hatte dieses Gerät samt dem dazugehörenden Fotoapparat nicht ohne Grund mitgenommen. Er war an guten, gestochen scharfen Fotos immer interessiert. Agatha Simpson hatte sich aufgesetzt und beobachtete die nähere Umgebung des Wagens. Parker hatte ihn so abgestellt, daß nach allen Seiten hin freies Sichtfeld existierte. Er glaubte eigentlich nicht mehr an das Erscheinen der eigentlichen Wettgeldräuber Ramsey und Battie. Seiner Ansicht nach waren sie bereits von den beiden Killern hingerichtet worden. Der Anblick des Schrottwürfels war nicht so leicht zu vergessen. Entweder hatten Ramsey und Battie noch vor ihrem Tod unter Zwang und Todesangst das Versteck ihrer bisherigen Beute verraten. Dann dürften die beiden Killer nicht mehr erscheinen, oder aber sie versteiften sich darauf, auch noch die fünfzehntausendsechshundert Pfund mitzunehmen. Dann mußten sie früher oder später auftreten. »Ich möchte Ihren Schlaf ja nicht unbedingt stören, Mister Parker«, raunzte Lady Simpson, »aber Sie sollten sich das Licht dort drüben neben dem abgestellten Lastwagen mal ansehen. « Mylady hatte scharfe Augen. Zudem war sie in höchster, innerer Spannung. Sie hatte das Einschalten der Taschenlampe sofort bemerkt. Der Lichtpunkt wurde jetzt krapförmig herumgeschwenkt, ein deutliches Zeichen, näher heranzukommen.
Parker ließ den Motor an und fuhr langsam auf den besagten Lichtpunkt zu. Nein, Angst hatte er nicht, auch wenn es sich um die beiden Mörder handelte, die laut Chiefinspektor Sounders mit den >Messer-Zwillingen< identisch sein sollten. Er kannte die technischen Vorzüge seines Wagens und wußte jederzeit mit einigen Überraschungen aufzuwarten. Das Licht der Taschenlampe wurde deutlicher und erlosch jetzt. Parker, der den Lastwagen fast erreicht hatte, stoppte, ließ den Motor aber laufen. Und dann waren sie plötzlich da! Sie mußten sich hinter einem niedrigen Bretterstapel rechts vom Laster versteckt haben, oder wenigstens einer von ihnen. Eine mittelgroße, schlanke Gestalt stand plötzlich vor der hinteren Wagentür, wollte sie aufreißen und sich mit der dort sitzenden Lady Simpson befassen. Der Mann erlebte eine Überraschung! Die Tür ließ sich nämlich nicht öffnen. Um seiner Forderung nach Aufsperrung Nachdruck zu verleihen, hielt er Mylady die Mündung einer Schußwaffe entgegen, auf deren Lauf ein langer Schalldämpfer aufgeschraubt war. Worauf Lady Simpson wirklich nur milde lächeln konnte, wußte sie doch zu ihrer Beruhigung, daß die Scheibe aus schußsicherem Panzerglas bestand. Falls der Mann schoß, vergeudete er nur unnötig seine Munition. Inzwischen hatte sich ein zweiter Mann vor Parkers Fahrertür aufgebaut. Er ging ähnlich wie sein Partner vor und wedelte nachdrücklich mit einer schallgedämpften Waffe. Noch ahnten beide Männer nicht, was sie erwartete. Nun, eine Sekunde später wußten sie jedoch sehr gut Bescheid. Parker blitzte sie intensiv an und lichtete ab. Die beiden Männer waren total geblendet und schossen. Gewiß, das Panzerglas wies später deutliche Schußspuren auf, doch die Geschosse prallten ab und pfiffen als Abrutscher oder Querschläger wirkungslos durch die Gegend. Wie Parker zuerst annahm, denn er hatte keineswegs die Absicht, sich nur als Lichtbildner zu betätigen. Es war seine feste Absicht, die beiden Männer zu stellen. Er wußte nicht, um wen es sich handelte, um Ramsey und Battie, oder um Logan und Greeley. Die letzte Sicherheit in dieser Frage sollte ja gerade festgestellt werden. Die beiden geblitzten Gestalten hatten sofort erkannt, daß hier mit Schußwaffen nichts auszurichten war. Sie drehten ab und ergriffen die Flucht, wobei sie recht unsicher in ihren Bewegungen waren. Sie hatten ohne jede Vorwarnung in das grelle Blitzlicht gesehen und. mußten noch immer sehbehindert sein. In diesem Moment geschah dann leider das, womit Parker nicht gerechnet hatte. Bevor er die Wagentür entriegeln und aussteigen konnte, war einer der beiden Querschläger dummerweise in einer Fensterscheibe gelandet, die ihrerseits zu einem Büro gehörte, das elektrisch gesichert war.
Da die Scheibe zu Bruch ging, reagierte das Relais der Sicherung und löste eine überlaute Alarmklingel aus. Damit war die bisherige Intimität der Situation leider aufgehoben. Die Reaktion derer, die auf den Docks arbeiteten, war erstaunlich schnell und positiv. Scheinwerfer von einigen Autos durchschnitten den Nebel, Hupen ertönten, ein Gabelstapler ratterte heran, und ein Wagen stand plötzlich zwischen Parkers Gefährt und den beiden flüchtenden Männern. »Eine wahre Meisterleistung«, stellte Agatha Simpson grimmig fest, die ebenfalls aussteigen wollte. »Blasen wir die Jagd ab, Mister Parker, die beiden Monstren sehen wir so bald nicht wieder!« »Mylady werden gestatten, daß ich widerspreche«, erwiderte der Butler, blieb aber im Wagen. »Die beiden Herren werden sich noch als ganz besonders hartnäckig erweisen.« *** »Je später der Abend, desto lieber die Gäste«, sagte Parker würdevoll, nachdem er Chiefinspektor Sounders geöffnet hatte. »Ich erlaube mir, Sir, eine alte Spruchweisheit zu zitieren. Mylady erwartete übrigens Ihren Besuch.« »Ich bin heilfroh, Sie munter zu sehen«, gab Sounders zurück. »Draußen an den Docks alles gut verlaufen?« »Es gab da einige unvorhergesehene Zwischenfälle, Sir.« Während Parker antwortete, führte er den Chiefinspektor in den großen Wohnsalon von Myladys Stadtwohnung. »Wagen Sie es nicht, mich auf den Arm zu nehmen«, sagte sie und schaute Sounders grimmig an. »Das würde ich mir nie erlauben, Mylady.« »Wir können Ihnen diese Subjekte nicht verschnürt liefern«, redete Agatha Simpson weiter. »Mister Parker, ein Glas für meinen Gast!« »Es gab Ärger, Mylady?« »Ich mag gar nicht davon reden, Mister Parker soll das tun.« Sie vergrub sich tief im Sessel und schaute in ihr Kognakglas, während Parker den Bericht lieferte. »Vielleicht hätte Mister Parker die Türen doch nicht verriegeln, sollen«, sagte die Detektivin schließlich, als Parker geendet hatte. »Wir haben diesen Individuen ja überhaupt keine Chance gelassen.« »Was Ihr Glück ist, Mylady«, tröstete Sounders sie lächelnd, »sonst könnten wir uns wahrscheinlich jetzt nicht mehr miteinander unterhalten. Und das wissen Sie sehr genau!« »Schon gut, schon gut«, wehrte sie ab. »Das war ja auch nur so ein flüchtiger Gedanke.« »Ich war so frei, Sir, Mylady darauf zu verweisen, daß die beiden Herren mit Sicherheit erneut erscheinen werden«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Damit würde ich an Ihrer Stelle auch rechnen«, warnte Sounders in Richtung Mylady. »Ich würde Ihr Haus am liebsten ununterbrochen unter Polizeischutz stellen.« »Wagen Sie es nicht!« Agatha Simpson richtete sich majestätisch auf und blitzte Sounders an. »Damit würden Sie diese Monster doch nur vertreiben. Und ich will sie haben!« »Konnte der Tote im Schrottwürfel bereits identifiziert werden?« fragte Parker. »Ausgeschlossen! Das wird sehr schwierig' sein. Warum, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären. Vielleicht wird das überhaupt nie möglich sein.« »Sagten Sie nicht, daß Ihre Leute Ramsey und Battie überwachen?« erkundigte sich Agatha Simpson mit spitzer Zunge und sah den Chiefinspektor anzüglich an. »Ich sag's lieber gleich und rundheraus«, antwortete Sounders. »Meine Leute sind sehr geschickt abgehängt worden.« »Befinden sich in diesem Schrottwürfel nun eine oder zwei Leichen?« Lady Simpson wollte es wieder mal genau wissen. »Auch das läßt sich zur Stunde nicht feststellen«, bedauerte der Chiefinspektor. »Wir wären ein gutes Stück weiter, wüßten wir, wer sich im Schrottpaket befindet.« »Warum fragen Sie nicht Mister Parker?« Agatha Simpson genoß ihren Triumph. »Wieso?« | . »Zeigen Sie ihm die Bilder, Mister Parker! Ich möchte einen Chiefinspektor staunen sehen.« Parker hielt sich korrekt an die Regeln eines hochherrschaftlichen Butlers. Er verließ für kurze Zeit den Wohnsalon und kam mit einem kleinen Silbertablett zurück, das er mit seinen weißbehandschuhten Händen Sounders' darbot. Sounders griff nach den beiden Fotos und hüstelte nervös. Mit dieser wirklich sensationellen Überraschung hatte er nicht gerechnet. Ein kurzer Blick genügte ihm bereits. »Logan und Greeley«, sagte er, »kein Zweifel, das sind die >Messer-Zwillingeja< gesagt.« »Gutes Mädchen«, lobte Logan sie. »Wir haben Kundschaft für dich mitgebracht.« »Kundschaft?« Molly Seilers sah Kathy Porter an. Kathy lächelte andeutungsweise und überlegte erneut, ob sie jetzt eine Chance hatte, die beiden Männer auszutricksen. Es wäre mehr als schwer gewesen. Greeley stand an der Tür und hielt sein Rasiermesser in der Hand. Logan tätschelte Molly wie eine liebe alte Freundin, um sie dann plötzlich zu ohrfeigen. »Los, Kundschaft«, sagte er dann zu Molly. »Jetzt zeig' mal, was du so auf dem Kasten hast, Süße!« »Ich weiß nicht, was ...« »Bring' sie in eine Massagekabine und schnall' sie fest«, erläuterte Greeley und kam auf Kathy Porter zu, um sie mit dem Messer in Richtung eines Behandlungszimmers zu dirigieren. Kathy spürte, daß es ernst wurde. Was die beiden Sadisten mit ihr vorhatten, wußte sie nicht. Wahrscheinlich sollte sie jetzt gefoltert werden, um jede Information, die sie besaß, aus ihr herauszuholen. Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Doch was sollte sie machen? Mit Judo und Karate war hier nichts auszurichten. Sie kannte die Wirkung von Rasiermessern in der Hand' von Könnern. Die Klingen zerschnitten im wahrsten Sinn des Wortes jeden Angriffsversuch.
Dennoch wollte sie sich nicht wie ein williges Lamm zur Schlachtbank führen lassen. Vorsichtig spannte sie ihre Muskeln und wurde eine knappe Sekunde später weich und schlaff in den Armen von Logan. Er war blitzschnell hinter ihr gewesen. Hatte er etwas gemerkt? Er drückte ihr das Messer gegen die Kehle und führte Kathy in eine der Massagekabinen. »Leg' dich flach«, sagte er, »laß' dir das nicht entgehen, du wirst gleich vor Vergnügen schreien!« Sie gehorchte jedem winzigen Druck des Messers und legte sich vorsichtig auf die Massagebank. Kathy sah Logan aus großen, aber erstaunlich beherrschten Augen an. Sie fühlte instinktiv, daß er nur darauf wartete, daß sie Angst zeigte. Er brauchte diese hündische Angst seiner Opfer, um erst richtig in Fahrt zu kommen. Diese Angst beflügelte ihn und machte ihn erst richtig high. Greeley erschien erneut und schaute sich nach Molly Seilers um. Sie kam mit langen, breiten Lederriemen und benahm sich genauso, wie die beiden Sadisten es wünschten. Sie hatte ehrliche Angst, zitterte und bebte am ganzen Körper. Willig und gehorsam schnallte sie Kathys Beine an dem Stahlrohrrahmen der Liege fest. Sie konnte es nicht schnell genug und präziser machen. Logan hatte sich seitlich neben der Liege aufgebaut und beobachtete Kathys Gesicht. Mit der freien Hand knüpfte er den Gürtel ihres Bademantels auf und schlug die Seiten auseinander. Sie trug nur einen Slip und einen leichten, durchsichtigen Büstenhalter. Selbst Molly war beeindruckt. Solch einen schönen Körper hatte sie sich immer gewünscht. Er war makellos. Logan wollte die Angst in ihren Augen sehen. Mit der Klinge hieb er blitzschnell hinunter zu ihren Brüsten. Kathy Porter gelang es im letzten Moment, sich zusammenzunehmen. Sie zuckte mit keiner Wimper. Die Klinge trennte den BH auf, die beiden Halbschalen fielen zur Seite und gaben ihre Brüste frei. Logan, der sich von diesem Effekt etwas versprach, sah Kathy Porter fassungslos an. Sie lachte auf. Nicht hysterisch vor Angst, sondern leise und spöttisch. *** Paul Ramsey war hellwach. Die Frau neben ihm im Bett schnarchte leise. Er hatte sie nicht angerührt, sondern unter Alkohol gesetzt und wartete nur darauf, daß sie sich auf die Seite wälzte. Er lehnte mit dem Körper gegen die Wand und dachte nach.
Der Alkohol in seinem Körper war in Mengen vorhanden, doch er konnte seine Glieder wieder koordinieren. Sein Kopf war klar, vielleicht noch klarer als vorher. Er dachte über seine Situation nach. Nick lebte nicht mehr und befand sich in einem undefinierbaren Schrottwürfel. Er hatte es überstanden. Auch er, Ramsey, wollte es endlich überstanden wissen. Dazu mußte er die beiden Killer erledigen. So schnell wie möglich. Die Frage war nur, wo sie steckten. Es gab für ihn zwei Möglichkeiten. Entweder hielten sie sich nach wie vor in der Nähe der alten Wohnung auf, oder aber sie hatten sich bei Molly einquartiert. Er hatte mit seiner früheren Freundin telefoniert. Ihre Antwort, ob sie allein war, war ziemlich gequält ausgefallen. Hatten die beiden Killer sich bei ihr eingenistet? Hatten sie vielleicht sogar die Gesamtbeute gefunden? Nein, das war so gut wie ausgeschlossen. Das Versteck war zu gut und zu raffiniert ausgesucht worden. Sie konnten nicht darauf kommen, daß das Geld in der Doppelwandung der Sauna war. Er kam zu dem Schluß, Molly zu besuchen. Noch in dieser Nacht. Schließlich kannte er sich in dieser Wohngegend wie in seiner Westentasche aus, konnte sich also vorsichtig an das Haus heranpirschen, ohne dabei selbst gesehen zu werden. Stieß er dann auf die beiden Killer, wollte er sie erschießen. War Molly allein, dann gab es ohnehin keine Schwierigkeiten mehr. Dann brauchte er sich nur die Beute zu holen und konnte sich absetzen. Er stand vorsichtig auf und prüfte die Aktionsfähigkeit seiner Arme und Beine. Gewiß, sie wiesen noch einen beachtlichen Unsicherheitsgrad auf, zitterten und kamen seinen Befehlen nicht unmittelbar nach, doch das würde sich draußen in der kalten Nachtluft schon wieder geben. Hauptsache, sein Kopf funktionierte wieder! Paul Ramsey warf sich den Sakko über und band sich vor dem Wandspiegel sorgfältig die Krawatte. Dabei trainierte er das Spiel seiner trägen Finger. Er legte Wert darauf, nicht wie ein Penner auszusehen, er wollte nicht von irgendeiner nächtlichen Polizeistreife angehalten und befragt werden. Ein paar Pfund besaß er noch. Auf Zehenspitzen verließ er das Zimmer der Bordsteinschwalbe und stieg über die Treppe des Stundenhotels nach unten auf die Straße, ohne von dem schlafenden Nachtportier bemerkt zu werden. Er hatte Glück. Schon an der nächsten Ecke konnte er ein Taxi abwinken, dessen Fahrer ihn nur kurz musterte und dann einsteigen ließ. Der Mann war froh, eine Fahrt in Richtung East End zu haben, das brachte Geld. »Ich sag' schon früh genug, wo ich wieder raus will«, gab Ramsey an und ließ sich in die Polster fallen. ***
Kathy Porter bäumte sich in den breiten Lederriemen auf, Schweiß stand auf ihrer Stirn. Sie lachte aus vollem Hals, aber jetzt nicht mehr spöttisch und überlegen, sondern verzweifelt. Molly lachte ebenfalls, angesteckt durch Kathy. Sie hielt die grellrote Gänsefeder eines Kugelschreibers in der Hand, der als mittelalterlicher Federkiel aufgemacht war. Ein Geschenkartikel, wie man ihn immer wieder in einschlägigen Geschäften kaufen kann. Logan und Greeley lehnten an der' Wand der schmalen Massagekabine und schauten zu. Sie lachten nicht. Ihre Gesichter waren maskenhaft starr, die kalten Eidechsenaugen der beiden Männer verrieten Mordlust. Sie hatten Molly gezwungen, Kathy zu quälen. Nicht auf die normale Art, damit gaben sie sich nicht zufrieden. Sie hatten sich eine raffinierte Methode ausgedacht, um diese attraktive Frau weich zu kriegen. Sie sollte vor ihnen noch auf dem Boden kriechen und ihre Schuhe lecken. Mit Angst schien man bei ihr nichts auszurichten, nun, es gab andere Mittel den Stolz zu brechen. Und solch ein Mittel mußte Molly Seilers jetzt anwenden. Sie war eine gute Masseuse und wußte die Spitze der Gänsefeder wirkungsvoll zu führen. Sie hatte sich zuerst auf den Hals von Kathy konzentriert,, dann auf die Achseln, den Körper und bearbeitete jetzt die Fußsohlen. Molly war eifrig bei der Sache und froh, nicht schlagen zu müssen, denn darüber hatten sich die beiden Killer zuerst fast zerstritten. Logan war für die Peitsche gewesen, doch Greeley hatte sich dann mit seinem Vorschlag durchgesetzt. Kathy bäumte sich auf, lachte wider Willen und brüllte bis zur Heiserkeit. Sie kam gegen dieses Lachen nicht mehr an, riß an den breiten Lederriemen, und ihr schlanker Körper war schweißgebadet. »Na?« fragte Greeley und sah seinen Partner zufrieden an. »Sagenhaft«, gab Logan zurück. »Damit bekommen wir sie tatsächlich hin, hätt' ich nicht gedacht.« »Mach' mal Pause«, rief Greeley der Masseuse zu. Sie gehorchte augenblicklich und sah die beiden Männer ergeben an. Logan beugte sich über Kathy, deren Brust sich hob und senkte. Ihr Blick hatte einen verzweifelten Ausdruck angenommen. »Bitte«, keuchte sie, »aufhören ... Aufhören!« »Ich seh' Menschen so gern lachen«, drehte er sich zu Greeley um. »Stimmt doch, oder?« »Er is' eben 'ne Frohnatur«, erwiderte Greeley, »wie wär's denn jetzt mit ein paar Auskünften, Mädchen?«
»Fragen Sie!« Kathy hoffte, die Qual abkürzen zu können. »Nur nichts überstürzen«, schaltete sich Logan ein, dem Kathys Stimme noch zu kontrolliert klang. Er winkte Molly zu sich heran. Wie eine gehorsame Sklavin lief sie zu ihm hinüber. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und tätschelte dann ihre nackte Schulter. Molly nickte eifrig, um den neuen Befehl auszuführen. . »Was steht denn jetzt auf dem Programm?« fragte Greeley, der sich eine Zigarette anzündete. »Sie ist doch 'ne Masseuse«, erwiderte Logan, »behauptet sie wenigstens. Jetzt kann sie's beweisen.« Molly sah schnell zur Seite, als sich ihr Blick mit dem von Kathy traf. Dann streifte sie Kathy den Slip ab. *** »Auf ein Wort, Sir.« Parker hatte sich an Chiefinspektor Sounders gewandt und sah ihn ruhig und gelassen an. Lady Simpson war hellhörig geworden. Sie hoffte, daß ihr Butler endlich die richtige Eingebung hatte. »Sind Sie auf was gestoßen, was wir übersehen haben?« fragte Sounders. »Ihre Mitarbeiter, Sir, haben die beiden Herren Ramsey und Battie seit einiger Zeit beobachtet, wenn ich nicht sehr irre?« »Fast ununterbrochen, seitdem wir vermuteten, daß sie die Wettgeldräuber sind.« »Nun, Sir, versuchen Sie sich zu erinnern, was in den diversen Berichten steht. Entwickelten Ramsey und Battie irgendwelche besonderen Neigungen? Hatten sie bestimmte Gewohnheiten? Besondere Freunde oder Freundinnen?« »Lassen Sie mich nachdenken. Man sollte vielleicht die Akten herschaffen lassen, dann haben wir es ganz genau.« »Dazu, Sir, fürchte ich, wird die Zeit kaum reichen«, widersprach der Butler höflich. »Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sounders«, grollte die ältere Dame den Chiefinspektor an. »Oder sind Sie bereits völlig verkalkt?« Sounders hörte schon nicht mehr hin. Er ging in Gedanken die Berichte durch und versuchte sich an die geforderten Einzelheiten zu erinnern. »Cherchez la femme«, zitierte Mylady nachdrücklich. »Suche nach der Frau, und du wirst den Mann finden.« »Moment mal, da war doch etwas!« Sounders hatte genau das richtige Stichwort erhalten. Irgendeine Schublade in seinem Kopf bewegte sich und brauchte nur noch aufgezogen zu werden. »Was war das?« Lady Simpsons Stimme klang ungeduldig und wütend. Sie verging fast vor Sorge um Kathy.
»Mylady sollten die Erinnerungsarbeit Mister Sounders vielleicht nicht unnötig stören oder ablenken«, sagte Parker leise zu seiner Herrin. Sie wollte ihm scharf antworten, doch dann sah sie seine kühlen, grauen Augen und hielt es für angebracht, schnell die Lippen zu schließen. »Ich hab's!« Sounders schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ramsey ist mit einer Masseuse befreundet. Den Namen kenn' ich im Moment zwar nicht, aber ich weiß, wo ihr Institut liegt. Donnerwetter!« Er schien sich an zusätzliche Dinge zu erinnern. »Sir?« Parker bat fast milde um weitere Auskunft. »Ihr Geschäft befindet sich in der Nähe von Barkings Schrottplatz, das paßt eigentlich recht gut zusammen.« »Worauf wollen Sie hinaus?« Lady Simpson war ehrlich enttäuscht. Sie hatte wichtigere Auskünfte erwartet. »Wenn Mylady gestatten, werde ich mir erlauben, Mylady während der Fahrt nach East End ins Bild zu setzen«, sagte Parker, »aber man sollte jetzt keine Zeit mehr verlieren.« »Wir fahren?« Agatha Simpson stand unternehmungslustig auf, obwohl sie wirklich noch immer nicht wußte, um was es ging. »Und zwar so schnell wie möglich, wenn Chiefinspektor Sounders damit einverstanden sein sollte«, erwiderte Parker würdevoll. »Von mir aus können Sie sämtliche Verkehrsregeln vergessen«, gab Sounders zurück. »Hauptsache, wir sind schnell!« *** Ramsey hatte das Taxi weit von Mollys Institut verlassen und war bereits in einer schmalen Seitengasse verschwunden. Er stieg durch eine ihm bekannte Lücke des vor ihm in der Dunkelheit aufwachsenden Bretterzauns und betrat den Schrottplatz von Arnie Barking. Er kannte sich hier im Gewirr der ausgeschlachteten Autos und Wrackteile gut aus und fand seinen Weg mit absoluter Sicherheit. Er wollte nicht zu Arnie, der übrigens nur tagsüber hier war, sondern zu einem Versteck, um sich mit einer Waffe auszurüsten. Dieses Versteck lag in der Nähe der einfachen Büro- und Umkleidebaracke rechts vom regulären Eingang zum Schrottplatz. Ramsey ließ sich hinter dieser Baracke auf dem Boden nieder und rückte einen stehenden, verrosteten Waschzuber zur Seite. Er fegte verrottete Bretter aus dem Weg und griff dann in die Höhlung. Eingewickelt in Wachspapier und zusätzlich gesichert durch eine Plastiktüte hatte er dann seine Waffe in der Hand, die für den Notfall gedacht war: ein US-Marine-Colt, Kaliber neun Millimeter, fast schon eine Kanone, was ihre Durchschlagkraft anbelangt. Er hatte es eilig, lief zurück über den dunklen Schrottplatz, schlüpfte wieder durch den Zaun und pirschte sich dann an Mollys Institut heran.
Das war eine Kleinigkeit. Da waren die Hinterhöfe, in denen er als Kind gespielt hatte, da waren die Durchschlüpfe und Abkürzungen, die nur der Eingeweihte kannte. Es dauerte daher nur knapp zehn Minuten, bis er die Rückseite des Hauses erreichte, in dem Molly sich eingerichtet hatte. Er konnte zwar kein Licht sehen, doch das irritierte ihn nicht. Molly hatte sämtliche Fenster licht- und schalldicht verblenden, lassen. Ein Institut, wie sie es betrieb, mußte auf strenge Diskretion achten. Ramsey hätte oben im Haus einsteigen können. Da war der Fluchtweg, den er erst vor Stunden beim Auftauchen der beiden Killer gewählt hatte. Er entschied sich jedoch für einen anderen Weg, den die beiden Sadisten bestimmt nicht kannten. Ramsey stieg hinunter zum Kellergeschoß, wo sich die Sauna und das kleine Schwimmbecken befanden. Er ging an der Außentür vorbei, die vom Keller nach draußen in den Hinterhof führte. Er hob das Gitter rechts davon aus seiner Umfassung und ließ sich in den engen, mannstiefen Schacht gleiten. Es roch penetrant nach Öl. Hier befanden sich die beiden Stutzen zum Einfüllen des Brennstoffs und die Entlüftung der Tanks. Er zwängte sich die anderthalb Meter durch den engen Schacht und stand dann in dem niedrigen Keller mit den ovalen Öltanks. Die Manntür, die zum eigentlichen Heizkessel führte, war ungesichert, wie er wußte. Dennoch kribbelte seine Haut, als er diese Tür aufstieß. Wurde er vielleicht erwartet? Er hielt den Navy-Colt schußbereit in der rechten Hand. Der Heizungskeller war leer, der Brenner hatte sich gerade automatisch eingeschaltet und heizte den Ofen auf. Dieses Geräusch nutzend, stahl Ramsey sich in den Korridor. Von hier aus war es bis zur Sauna und zum kleinen Schwimmbecken nicht mehr weit. Bis zu seiner gut versteckten Beute gab es nur noch eine Tür. Als er sie vorsichtig öffnete, hörte er einen unterdrückten Schrei, der von oben aus dem Institut kam. Er dachte sofort an Molly. Die beiden Sadisten waren also doch im Haus, und wahrscheinlich befaßten sie sich mit seiner früheren Freundin. Ramsey, der sich von Molly zwar innerlich längst losgelöst hatte, dachte sofort an seinen Partner Nick Battie und an dessen Schicksal. Unkontrollierter Haß schlug in ihm hoch. Die Beute hatte Zeit. Jedenfalls mußte erst abgerechnet werden. *** Fest angeschnallt auf der Liege, hatte Kathy Porter keine Chance zur Gegenwehr. Ihr unterdrückter Aufschrei hing nicht mit irgendeiner Folter zusammen. Logan und Greeley standen nebeneinander an der Wand der schmalen Kabine und sahen
Molly Seilers Arbeit zu. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, nur ihre normalerweise kalten Echsenaugen glänzten ein wenig. Molly war dabei, devot und gehorsam den Befehl auszuführen, den man ihr gegeben hatte. Sie beugte sich über den nackten, schweißglänzenden Körper von Kathy und verteilte Massageöl. Dann begann sie mit flinken Händen mit der Massage. »Sie scheint heute ihren schlechten Tag zu haben«, ließ Logan sich vernehmen, ohne sich zu Greeley umzuwenden. »Sie kapiert nicht«, stellte Greeley fest und Stieß Molly an. »Spiel uns bloß nichts vor, Mädchen, tu' genau das, wofür du normalerweise bezahlt wirst!« Molly hatte einen Moment lang gezögert, dann aber begriffen. Und Kathy ebenfalls. Sie spannte sich in den breiten Lederriemen, als Mollys erfahrene Hände zu ihren Oberschenkeln glitten. Und sie hatte unterdrückt aufgeschrien, als Mollys Finger intim werden wollten. Kathy hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Art von Massage. Die beiden Kerle an der Wand der schmalen Kabine wollten sie demütigen und willenlos machen, sie zu einem Objekt der Lust abstempeln. Gegenwehr war unmöglich. »Ihr Schweine«, sagte in diesem Augenblick eine Stimme, die kalt vor Wut war. Die beiden Männer wurden völlig überrascht und fuhren herum. Sie starrten auf Ramsey und dessen Navy-Colt. »Molly, zurück«, kommandierte Ramsey, was sie auch sofort tat. Doch damit begab sie sich ungewollt in das Schußfeld ihres ehemaligen Freundes. Die beiden Killer nutzten sofort ihre Chance. Logan warf sich gegen Molly, die wie von einem Katapult geschleudert nach vorn geworfen wurde. Ramsey hatte bereits den ersten Schuß gelöst. Molly schrie auf und fiel gegen seine Beine. Ramsey verlor das Gleichgewicht und kam nicht mehr dazu, einen zweiten Schuß abzufeuern. Greeley war über die Liege geflankt und warf sich auf ihn. Ramsey brüllte auf, als er von der Klinge des Rasiermessers erwischt wurde. Seine Finger lösten sich und ließen den Navy-Colt fallen. »Stop«, brüllte Logan, als Greeley mit der Klinge erneut zuhacken wollte. »Den brauchen wir noch.« Greeley vermied es im letzten Moment, Ramsey zu erledigen. Er hatte ein fast schneeweißes Gesicht, als er sich aufrichtete. Er beherrschte sich nur mühsam. Die beiden Killer kümmerten sich nicht um Molly. Sie war an der Hüfte verletzt und hatte einen Streifschuß davongetragen, der gefährlicher aussah, als er wirklich war. Die beiden Killer kümmerten sich ausschließlich um Ramsey, der wie hypnotisiert auf seine rechte Hand schaute, in die die Klinge sich eingegraben hatte. Die Wunde sah schrecklich aus und blutete. Logan hatte inzwischen den Navy-Colt aufgehoben und nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. Er war ärgerlich, aber er triumphierte auch. Schade, dachte er,
daß diese Massage unterbrochen worden war. Er hatte sich davon eine Menge versprochen, aber nun mußte erst mal umdisponiert werden. Alles hübsch der Reihe nach, Hauptsache, der krachende Schuß hatte nicht die Nachbarschaft alarmiert. »Bring die beiden runter in die Sauna«, sagte er zu Greeley und deutete auf Molly und Kathy. »Jetzt werden wir uns erst mal Ramsey vorknöpfen.« Greeley schnallte Kathy los, er hatte jetzt an ihr jedes Interesse verloren und glaubte wohl auch nicht, daß sie ihnen noch gefährlich wurde. Zuerst schien es wirklich so. Kathy blieb wie erstarrt liegen, als sich die beiden Lederriemen lösten. Das wilde Lachen, das sie minutenlang durchgeschüttelt hatte, erschöpfte sie völlig. Sie fühlte sich wie kraftlos und total ausgelaugt. Molly hatte sich aufgerichtet und preßte ein Handtuch gegen die Streifschußwunde an der Hüfte. Sie war verwirrt und wußte nicht, was sie tun sollte. Ramsey starrte nach wie vor auf seine Wunde und merkte nicht, daß er mit seinem eigenen Navy-Colt in Schach gehalten wurde. Er war wie gelähmt. Logan stieß ihn auf die Liege. Jetzt kam Ramsey zu sich, sah die Mündung des Colts, gab nach und fügte sich. Innerhalb von Sekunden war er angeschnallt und wehrlos den Sadisten ausgeliefert. »Bring sie runter«, rief Logan Greeley zu und deutete auf die beiden Frauen. Molly war überhaupt kein Problem. Sie gehorchte, nicht fähig zu einer Gegenwehr. Kathy aber hatte inzwischen ihren Schock abgeschüttelt. Doch sie ließ sich nichts anmerken, tat gehorsam und hilflos und ging zusammen mit Molly zur Tür der schmalen Kabine, paßte aber auf, wer den Navy-Colt hielt. Er blieb bei Logan, der sich neben Ramsey aufgebaut hatte. Greeley begnügte sich' mit seinem Messer. Er konnte sich wohl nicht vorstellen, daß die beiden Frauen Schwierigkeiten machten. *** »Paßt Ihnen etwas nicht, Sounders?« fragte Lady Simpson gereizt und funkelte den Chiefinspektor an, der neben ihr im Fond von Parkers Wagen saß. »Mir paßt das Gewehr nicht«, sagte Sounders und blickte mißtrauisch auf den Doppelläufer, der quer über Agatha Simpsons Knie lag. »Aber mir«, gab sie raunzend zurück. »Zudem handelt es sich um eine Bockdoppelflinte, System FN, speziell ausgerüstet für Skeetschießen.« »Aha...!« »Tontaubenschießen«, erläuterte Mylady, »aber davon scheinen Sie mal wieder keine Ahnung zu haben.« »Sie schießen nach Tontauben?« fragte Sounders höflich und skeptisch zugleich.
»Mylady sind auf diesem Gebiet eine wahre Meisterin«, ließ der Butler sich vom Steuer her vernehmen, worauf Sounders noch immer nicht wußte, was er von Myladys Ausstattung halten sollte. Waren Parkers Worte reine Ironie gewesen? Oder verstand es Lady Simpson tatsächlich, mit solch einem Doppelläufer umzugehen? Er konnte diese Frage nicht weiter vertiefen, denn er war jetzt vollauf damit beschäftigt, sich im Wagen einen festen Halt zu verschaffen, und seine Angst niederzukämpfen. Parkers Fahrstil übertraf alles, was er je erlebt hatte. Der Butler richtete sich nach der Empfehlung des Chiefinspektors und negierte sämtliche Verkehrsregeln. Ihm kam es einzig und allein auf Tempo an. Der Wagen zeigte, was unter seiner eckigen Motorhaube an Pferdestärken steckte. Parker schien sich allein auf einer breiten Rennstrecke zu befinden. Der Motor lief auf hohen Touren und schnellte das hochbeinige Gefährt in wildem Slalom durch die nächtliche Stadt. Sounders, der oft genug in Polizeifahrzeugen gesessen hatte, schwitzte Blut und Wasser. Parker übertraf die schneidigsten Fahrer des Yard. Er fegte durch die Straßen, stellte seinen hochbeinigen Wagen nach Bedarf auf zwei Räder, wieselte um Hindernisse herum, benutzte die erfreulicherweise leeren Gehwege als Ausweichbahn, nahm verwegene Abkürzungen über Halteinseln und ließ hinter sich eine Kolonne von völlig frustrierten, fluchenden oder leicht schluchzenden Privatfahrern, die an eine Erscheinung aus verrückten Träumen glaubten. Agatha Simpson, die Parkers Fahrstil nur zu gut kannte und auch oft genug kopieren wollte, war nicht weniger beeindruckt als Chiefinspektor Sounders. Sie hatte schon viel erlebt, doch jetzt schien ihr Butler sich mal so richtig auszutoben. Er slalomte gerade um einen Lastwagen herum, der aus einer rechten Hauptstraße kam und schien einen Streifenwagen der Polizei auf die Hörner nehmen zu wollen, glitt jedoch elegant im letzten Moment an ihm vorbei und donnerte die Straße hinunter. Der Streifenwagenfahrer, ebenfalls ein Könner am Steuer, trat hart aufs Bremspedal und stierte fassungslos vor sich hin. Sein Partner neben ihm schnappte hörbar nach Luft. Sie brauchten einige Sekunden, bis sie das Gefühl hatten, eigentlich eine Verfolgung des Wahnsinnsfahrers aufnehmen zu müssen. Doch der hochbeinige Wagen war , längst hinter einem Platz verschwunden. Josuah Parker saß während dieser Rennfahrt durch das nächtliche London stocksteif am Steuer, als habe er einen Ladestock verschluckt. Er schien überhaupt nicht zu merken, daß er selbst für seine Begriffe ein wenig zu schnell fuhr. Parker dachte nämlich nur an Kathy Porter. ***
Sie gingen über die schmale Wendeltreppe hinunter in den ausgebauten Keller des Massage-Instituts und machten keine Schwierigkeiten. Molly schritt voraus und war froh, endlich in Ruhe gelassen zu werden. Kathy war dicht hinter ihr. Obwohl nackt, bewegte sie sich völlig ungezwungen. Nacktheit war für sie die selbstverständlichste Sache der Welt, die mit Sinnlichkeit oder Schwüle nichts zu tun hatte. Zudem hatte sie nun auch wirklich nichts zu verbergen. Sie wußte, daß sie sich sehen lassen konnte. Selbst jetzt und hier. Dichtauf folgte Greeley. Sie brachten die enge Wendeltreppe hinter sich und schritten an dem kleinen Schwimmbecken vorbei, das nicht mehr war als eine übergroße Badewanne, die in den Kellerboden eingelassen war. Nach der Sauna konnte man hier seinen überhitzten Körper im eiskalten Wasser abschrecken und den Kreislauf auf Trab bringen. Nun, auf Trab gebracht wurde in den nächsten Sekunden ein gewisser Greeley. Kathy Porter dachte nicht im Traum daran, sich weiter den perversen Wünschen der beiden Burschen zu fügen. Sie bückte sich plötzlich und warf sich gleichzeitig zu Greeley herum. Der Killer wurde völlig überrascht. Bevor er mit der Klinge seines Rasiermessers reagieren konnte, schlug Kathy ihre linke Handkante in seine Leiste, worauf Greeley brüllte. Bis Wasser seinen Mund füllte. Kathy hatte ihm nämlich einen Stoß versetzt und den Mann ins Schwimmbecken befördert. Das Wasser war kalt und schreckte Greeley ab. Er gurgelte, spuckte Wasser, planschte ein wenig ungeschickt herum und geriet seinerseits in Panik, was wohl mit dem Rasiermesser zusammenhing, das er verloren hatte. Es lag auf dem gekachelten Rand des Beckens und wurde von Kathy aufgehoben. »Sie werden uns umbringen«, stöhnte Molly, die bereits einschlägige und grausame Erfahrungen mit Logan und Greeley hinter' sich hatte. Sie sah sich wie ein ängstliches, gehetztes Tier um und deutete dann auf Greeley, der das Bad gerade verlassen wollte. Kathy war dagegen. Sie stellte ihre nackte Fußsohle auf seinen Kopf und trat den Mann zurück ins Becken. Greeley nahm erneut eine gehörige Portion Wasser, hustete, verschluckte sich und bekam einen krebsroten Kopf. Er stieß sich mit den Füßen ab und wollte auf der anderen, entgegengesetzten Seite wieder hinauf auf die rettenden Bodenfliesen. Doch da stand bereits Kathy. Sie war keineswegs grausam, sondern nur daran interessiert, daß der Killer sich abkühlte.
Sie legte ihre Fußsohle auf seine Nase und trat vielleicht unbewußt ein wenig zu kräftig zu. Greeley heulte, sank wieder unter und füllte sich den Magen erneut mit Wasser. »Wie kommen wir hier heraus?« fragte Kathy ihre Begleiterin. Sie wirkte nicht nur völlig ruhig und beherrscht, sondern war es auch. »Die Sauna«, schlug Molly ängstlich vor. »Das wäre eine Falle! Und wo geht es dorthin?« Kathy deutete auf die Tür, die in den kleinen Korridor führte, den Ramsey erst vor wenigen Minuten benutzt hatte. Molly sagte hastig, was sich hinter der Tür an weiteren Räumen befand. Kathy nickte. Das war genau das, was sie brauchte. Wahrscheinlich war das auch der Weg gewesen, auf dem Ramsey sich ins Haus geschlichen hatte. Zwischendurch mußte sie erneut ihre Fußsohle betätigen. Greeley tauchte wieder unter und bekam einen Wasserbauch, soviel hatte er inzwischen geschluckt. Seine Bewegungen wurden bereits deutlich langsamer. Er litt offensichtlich unter gewissen Konditionsschwierigkeiten. Nicht dagegen Logan. Er mußte das muntere Plätschern unten im Saunakeller inzwischen gehört haben, erschien auf der Wendeltreppe und beging den Fehler, aus einer an sich unmöglichen Situation auf die beiden Frauen zu schießen. Worauf Kathy und Molly schleunigst zur Tür rannten, sie aufrissen, in den Korridor schlüpften und dann den Heizungskeller ansteuerten. Molly hatte Angst und wollte nicht weiter. Sie blieb stehen und weigerte sich, die Flucht fortzusetzen. Kathy verabreichte ihr eine recht derbe Ohrfeige und zerrte sie mit sich. Weinend ließ Molly das nun mit sich geschehen. Die beiden Frauen schlugen gerade die Tür des Heizungskellers hinter sich zu, als der nächste Schuß abgefeuert wurde. Das Geschoß schrammte gegen die mit Blechplatten gesicherte Tür und wirkte wie ein dröhnender Paukenschlag. »Aus!« Molly schrie vor Angst. »Wieso denn?« fragte Kathy ruhig zurück. »Gleich sind wir gerettet.« Es handelte sich um eine reine Behauptung von ihr, um Molly zu beruhigen. *** »Ein Schuß«, stellte Chiefinspektor Sounders fest. Er, Mylady und Butler Parker standen vor dem Eingang zum Massage-Institut. Sie hatten den dumpfen Schuß gehört, der irgendwo in der Tiefe des Hauses abgefeuert worden sein mußte. »Wenn Mylady gestatten, werde ich mir erlauben, das Türschloß zu öffnen«, sagte Parker und griff nach seinem kleinen Spezialbesteck. »Papperlapapp«, fauchte die streitbare Detektivin gereizt. »Ich habe da meine eigene Methode.« Sounders verdrehte die Augen, als Mylady den Doppellauf der Flinte ansetzte.
Was er hier miterlebte, widersprach allen Regeln seiner Dienstvorschriften. Mylady feuerte aus der -Hüfte beide Läufe ab. Der Krach war geeignet, sämtliche Bewohner der umliegenden Häuser aufzuschrecken. Eine Mine schien gezündet worden zu sein. Als der Rauch sich etwas verzog, glich die Tür einem wilden Trümmerhaufen. Nur einzelne Bestandteile hingen noch windschief in den Angeln. Mylady hatte sich mit Munition reichlich versorgt. Während sie zum Sturm ansetzte und nachlud, stürmte Sounders an ihr vorbei und stürzte sich in das Institut. Selbst Parker, der eigentlich stets auf Würde und Gemessenheit achtete, hatte es diesmal eilig. Er bewegte sich etwas schneller als sonst, wurde aber von Mylady überspurtet, die ihn auf eine fast heimtückisch zu nennende Art und Weise zur Seite drückte. Sie wollte sich von Sounders nicht den besten Brocken dieses Kampfes wegschnappen lassen. Wenige Minuten später war sie sehr enttäuscht. »Das kommt davon, Mister Parker«, herrschte sie ihren Butler an, »das kommt davon, wenn man zu langsam ist. Sie hätten ruhig etwas schneller fahren können.« Parker antwortete nicht. Er stand in der Massagekabine, sah Blutspuren und versuchte in Gedanken nachzuvollziehen, was sich hier wohl abgespielt hatte. Dabei dachte er an Kathy Porter. Sounders kam aus dem Saunakeller. »Da unten muß es ganz schon turbulent zugegangen sein«, sagte er. »Sieht nach 'ner Wasserschlacht aus.« »Und die Monster?« wollte Mylady wissen. »Sind abgehauen«, erwiderte Sounders achselzuckend. »Durch den Heizungskeller und dann durch einen Schacht hinauf in den Hinterhof.« »Dann haben sie Kathy mitgenommen«, stellte Mylady fest. Ihre Stimme klang besorgt. *** Kathy fror aus doppeltem Grund. Einmal, weil ihr jede Kleidung am Leib fehlte, zum anderen weil es neblig, trüb, dunkel und kalt war. Irgendwo in der Nähe blinzelte eine Straßenlaterne und mühte sich ab, ihr Licht durch den trüben Dienst zu schicken. Kathy war nicht allein. Neben ihr stand Molly.. Die Masseuse hatte auch nicht viel an, nur den leichten Kittel, der zudem an der Schulter noch weit aufgerissen war. Die beiden Frauen sahen den drei Männern nach, die gerade ihr Versteck passiert hatten. Es handelte sich um Logan, Greeley und Ramsey, der nicht gerade gern
mitzugehen schien. Kathy und Molly war es gelungen, genau den Fluchtweg zu finden, den Ramsey beim Einschleichen ins Haus benutzt hatte. Ihr Vorsprung vor den beiden Killern und ihrem Gefangenen war nicht sehr groß. Molly rutschte inzwischen vor Erschöpfung und Erleichterung in sich zusammen. Kathy nahm sich nicht die Zeit, sich um ihre Begleiterin zu kümmern, wußte sie doch, daß Mollys Verletzung nicht lebensgefährlich war. Wichtiger erschien es ihr, den beiden Killern und Ramsey auf der Spur zu bleiben. Wenn es ihnen jetzt gelang, die Flucht fortzusetzen, dann war der Anschluß verpaßt, dann hatten Logan und Greeley jede Möglichkeit, irgendwo in der Stadt wieder unterzutauchen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß sie sich Ramsey in aller Ruhe vornehmen konnten. Ihr wurde überhaupt nicht bewußt, daß sie den schützenden Hausflur verließ und ohne Waffe war. Sie lief in die Dunkelheit hinein und hörte vor sich die Stimmen der beiden Killer, die sich ziemlich aufgeregt miteinander unterhielten. Dann sah sie die Kerle. Sie hatten Ramsey zwischen sich und beschäftigten sich gerade mit einem Wagen, der am Straßenrand stand. Wenn Kathy nicht alles täuschte, dann lag neben dem hinteren linken Kotflügel eine Gestalt am Boden. Ramsey? Hatten sie ihn gerade niedergeschlagen oder getötet? Nein, Ramsey erschien wieder zwischen den beiden Killern und wurde gerade nach hinten in den Wagen geschoben. Die Gestalt am Boden rührte sich nicht. Kathy lief auf nackten Füßen näher an das Fahrzeug heran, hielt sich im zusätzlichen Schatten der rußgeschwärzten Hausfassaden und wollte um keinen Preis gesehen werden. In diesem Moment befanden sich alle drei Männer im Auto, der Anlasser röhrte, dann sprang der Motor an. Mit durchdrehenden Pneus rauschte der Wagen los, ohne Licht einzuschalten. Er verschwand kurz danach im Dunst und bog aller Wahrscheinlichkeit nach links in eine Straße ab. Kathy hatte die am Boden liegende Gestalt erreicht. Es handelte sich um einen Mann, der leise stöhnte und sich aufrichtete. In dem Augenblick riß er weit die Augen auf und verstand überhaupt nichts mehr. Eben erst hatte man ihn niedergeschlagen, als er in seinen Wagen steigen wollte, und jetzt sah er sich einer nackten Frau gegenüber. Das überstieg sein Begriffsvermögen. »Ich werde verrückt«, sagte er. »Später«, sagte Kathy. »Haben Sie mitbekommen, wohin die Männer fahren wollen? Haben Sie irgend etwas gehört?« »Sandwich«, murmelte der Mann und faßte gleichzeitig an seinen Kopf, der scheußlich schmerzte. »Werde ich Ihnen gleich besorgen«, versprach Kathy, die an ein belegtes Brot dachte. »Aber erinnern Sie sich! Wohin wollen die drei Männer?«
»Sandwich«, gab der Mann erneut von sich. Er hatte endlich begriffen, was da vor ihm hockte und richtete sich auf. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Sagen Sie mal, laufen Sie immer so rum?« »Nur um diese Zeit«, gab Kathy zurück. »Erinnern Sie sich doch endlich! Haben Sie gehört, wohin die drei Männer wollen?« »Sandwich«, murmelte der Mann und schloß wieder seine Augen. Er weigerte sich zu glauben, was er da gerade gesehen hatte. ' *** Vor dem Massage-Institut standen Streifenwagen der Polizei. Uniformierte Beamte drängten die neugierige Menge zurück. Man hatte natürlich die beiden Schüsse aus Agatha Simpsons Flinte gehört und war allgemein aufgeschreckt worden. Die Menge, die gerade noch das Haus intensiv angestarrt hatte, wurde plötzlich abgelenkt. Was zu verstehen war, wie sich zeigte. Kathy Porter und Molly Seilers erschienen nämlich auf der Bildfläche. Zwischen sich hatten sie den Besitzer des gestohlenen Wagens. Das Trio sah seltsam genug aus. Kathy hatte die reichlich kurze Jacke des Mannes übergeworfen. Der untere Rand des Sakkos reichte gerade knapp bis zu den Oberschenkeln. Kathy sah ungemein langbeinig und attraktiv aus. Molly im Grunde ebenfalls. Und der Mann schwankte und schien angesäuselt zu sein ... Die Menge bildete eine Gasse und ließ das Trio durchgehen. Zwei Beamte waren aufmerksam geworden und starrten auf die Näherkommenden. »Da sind Sie ja, Kindchen«, grollte in diesem Moment eine Frauenstimme mit einer Kraft und Energie, die einem Armeefeldwebel zur Ehre gereicht hätte. Lady Simpson stand in der zerschossenen Tür des Hauses und ging auf ihren stämmigen Beinen Kathy entgegen. Sie breitete weit die Arme aus und riß ihre Sekretärin und Gesellschafterin erleichtert an sich. Dabei verschob sich verständlicherweise das improvisierte Kleidungsstück der jungen Dame und gab hinreißend aussehende Körperpartien frei, was die Menge mit zuerst leisen, dann aber begeisterten Hochrufen quittierte. Es fehlte allerdings auch nicht an kritischen Bemerkungen und anzüglichen Zurufen. Agatha Simpson merkte, was sie angerichtet hatte. Sie gab Kathy frei und wandte sich der Menge zu. »Pfui, und nochmals Pfui«, raunzte sie. »Lüsterner Pöbel!« Dann zog sie die beiden jungen Frauen an sich und führte sie ins Haus, wobei Kathy nicht vergaß, den Mann mit der Kopfbeule mitzunehmen. Vielleicht war der Mann inzwischen wieder so weit in Ordnung, daß er seinen unverständlichen Wunsch nach einem Sandwich endlich vergaß.
»Sandwich ist ein kleiner Badeort an der Atlantikküste«, präzisierte Josuah Parker, »zwischen Ramsgate und Dover gelegen.« »Sage ich doch«, erwiderte der Mann, »kann ich jetzt endlich mal erfahren, was eigentlich los ist?« Während Parker den Mann ins Bild setzte und sich bei dieser Gelegenheit nach Wagentyp und Kennzeichen des gestohlenen Autos erkundigte, verhörte Lady Simpson ihre Sekretärin. Chiefinspektor Sounders hörte schweigend zu, geriet dann aber in Bewegung und wollte sich hinaus zu einem der Streifenwagen stürzen. »Was haben Sie vor?« donnerte Lady Simpson den Chiefinspektor an. »Großfahndung«, erwiderte Sounders. »Die beiden Killer werden nicht weit kommen. Ich lasse sämtliche Straßen in Richtung Ostküste sperren.« »Konsequenter werden Sie Ramsey nicht töten können«, meinte die passionierte Detektivin. Sounders zögerte und nickte dann langsam. . »Die Verfolgung werden selbstverständlich wir allein erledigen«, ordnete die Resolute in einem Ton an, der keinen Widerspruch duldete. »Ein Vorschlag, den man nur wärmstens unterstützen kann«, ließ der Butler sich vernehmen. »Die beiden Damen könnten ja in der Obhut der Polizei bleiben.« »Ich auf keinen Fall«, entschied Kathy Porter energisch und gar nicht scheu wie üblich. »Ich werde mitkommen.« »Gut gesprochen, Kindchen!« Agatha Simpson war voll und ganz einverstanden. Sie wandte sich energisch an Molly. »Besorgen Sie meiner Sekretärin etwas Passendes zum Überziehen! Aber ich bitte mir Schnelligkeit und Geschmack aus!« Während die beiden jungen Frauen verschwanden, kontrollierte Lady Simpson ihre doppelläufige Flinte und ihren Munitionsvorrat. Sie war völlig bei der Sache und wieder mal freudig entschlossen, in die Schlacht zu ziehen. *** Ben Logan saß am Steuer des gestohlenen Ford und befand sich auf der Straße nach Rochester. Hinter ihm saß Burt Greeley, der immer noch Ärger mit seiner Nase und dem Wasser im Magen hatte. Greeley bewachte Paul Ramsey, der aber gar nicht in der Lage war, Ärger zu machen. Er befaßte sich nämlich mit der Wunde an seiner rechten Hand, um die er ein Taschentuch gebunden hatte. Sie blutete noch immer stark. Das Rasiermesser hatte einen tiefen Einschnitt hinterlassen. »Müssen wir unbedingt hier auf der Straße bleiben?« fragte Greeley, der einen nervösen Eindruck machte. »Denk mal an Straßensperren!« »Und woher sollen die kommen?« »Der Bursche kann was gehört haben.«
»Den habe ich so fertiggemacht, daß er nichts gehört hat«, gab Logan zurück, um sich dann halb zu Ramsey umzuwenden. »Hoffentlich hast du nicht gelogen, Ramsey, sonst zerschneiden wir dich in Stücke!« »Ich habe nicht gelogen«, erwiderte Ramsey, der es dennoch getan hatte. Sie hatten ihn sehr eindringlich nach dem Versteck der Gesamtbeute befragt, und er hatte sich für das Städtchen Sandwich entschieden. Dieser Name war ihm einfach so eingefallen. Ihm ging es doch nur darum, Zeit zu gewinnen. Gab er das Versteck der Beute zu schnell preis, würden die beiden Killer ihn erledigen. Das stand für ihn einwandfrei fest. So aber hatte er noch eine relativ lange Fahrt vor sich. Und damit Zeit, sich vielleicht zu befreien. Die Beute war jetzt nicht mehr so wichtig, es ging um sein Leben. Er wollte nicht wie sein Partner Battie in einem Schrottwürfel enden. Während der vergangenen Minuten, als die beiden Killer noch mit sich selbst beschäftigt waren, hatte er sich fuchsschlau eine passende Geschichte zurechtgelegt. Sie brauchte von den Killern nur abgerufen zu werden.' Er konnte sie jederzeit liefern. »Also«, sagte Logan, »wo endet die Fahrt in Sandwich, Ramsey?« »In Lady Simpsons Landhaus«, schwindelte der Wettgeldräuber. »Sie hat da an der Küste einen Bungalow.« »Wo genau?« »Direkt oberhalb der Küste, südlich von Sandwich, Holland-Manor heißt der Bau. Überhaupt nicht zu verfehlen.« »Seit wann leitet sie eigentlich die Bande?« wollte Burt Greeley wissen. »Seit gut einem Jahr.« »Nun mach' schon endlich den Mund auf! Einzelheiten!« »Ihr Butler riß uns auf«, log Ramsey weiter, stets darauf bedacht, Lady Simpson, wie die beiden Killer es ja glaubten, als Bandenboß hinzustellen. »Er traf uns auf 'nem Rennplatz, wir kamen ins Gespräch und dachten zuerst, er allein wollte da was aufziehen. Als Butler, dachten wir, wäre das 'ne prima neue Masche. Und dann lernten wir Mylady kennen.« »Ist sie tatsächlich 'ne Lady?« warf Logan ein. »Und ob! Verarmter Adel«, schwindelte Ramsey überzeugend. »Sie lud Nick Battie und mich ein. Na, alles Weitere war dann schnell klar. Fünfzig Prozent für sie, den Rest für Battie und mich.« »Aber geteilt hat sie die Mäuse noch nicht, oder?« Greeley war an diesem Punkt interessiert. »Das sollte im nächsten Monat über die Bühne gehen«, versicherte Ramsey, »draußen in Sandwich.« »Wo hat sie da das Geld versteckt?« »Genau weiß ich das natürlich nicht«, schränkte Ramsey vorsichtig ein, damit die Sache nicht zu eindeutig wurde. »Aber ich weiß, daß es im Haus ist. Ich habe auch schon 'ne gewisse Vermutung.« »Und die wäre?«
»Das Versteck muß in der Küche sein«, redete Ramsey drauflos und ließ seine Phantasie spielen. »Ich habe die Alte mal beobachtet. Sie stand auf 'nem Stuhl und fummelte oben am Rauchabzug rum. Ich seh's noch genau vor mir.« »Kann Zufall gewesen sein«, meinte Logan. »Aber ein paar Minuten später hatten Battie und ich unser Geld. Und das für Symon!« Die beiden Killer ließen nicht erkennen, ob sie ihm glaubten. Doch wahrscheinlich entsprach Ramseys Geschichte ihrer eigenen, höllischen Phantasie. »Und was wolltest du bei dieser Molly?« fragte Greeley nach einer längeren Pause. »Euch reinlegen«, erwiderte Ramsey schnell, der früher oder später diese Frage erwartet hatte. »Wer teilt schon gern? Ich wollte euch abservieren.« »Verständlich«, sagte Greeley, der mit der Logik dieser Antwort offensichtlich zufrieden war. »Hört mal«, setzte Ramsey nach, der eine gewisse Atmosphäre des Vertrauens schaffen wollte, um den Argwohn der beiden Killer einzuschläfern. »Kann man nicht bei euch einsteigen?« »Darüber läßt sich reden«, sagte Logan, »an sich brauchten wir 'nen tüchtigen dritten Mann.« Damit war das Gespräch erst mal erschöpft. Logan lenkte den Ford im Tempo über die Schnellstraße in Richtung Küste. Greeley fingerte an seiner Nase herum, und Ramsey hoffte auf ein Wunder. »Du willst doch bei uns einsteigen, oder?« fragte Greeley nach einer Weile. »Sofort.« Ramsey nickte eifrig. »Dann sorg dafür, daß die Kleine eingefangen wird«, redete Greeley weiter. »Molly?« »Diese Langbeinige.« Greeley faßte nach seiner Nase und war sich sicher, daß das Nasenbein zumindest angebrochen war. »Mit der will ich mich noch mal in aller Ruhe unterhalten:« »Die schaff ich ran«, versprach Ramsey, glücklich darüber, sich unentbehrlich machen zu können. *** Im Gegensatz zu den Killern, die sich mit ihrem gestohlenen Ford auf der Schnellstraße in Richtung Küste befanden, nutzte der Butler die alte Straße Nr. 2 über Sittingbourne und Vaersham, wo beide Straßen sich wieder trafen. Er wollte nämlich vor den Killern Canterbury passieren, um früher in Sandwich zu sein als sie. Es zeigte sich wieder mal, was sein hochbeiniges Monstrum leistete. Obwohl die Sichtverhältnisse nicht besonders gut waren, fegte der Butler mit Rennfahrergeschwindigkeit
durch das Land, wobei Sounders mehr als einmal einem mittelschweren Herzinfarkt nahe war. Agatha Simpson . hingegen ging es nicht schnell genug. Sie kannte inzwischen alle Einzelheiten der Folter und wollte es den beiden Sadisten heimzahlen. Kathy Porter, die das alles bereits innerlich kompensiert hatte, trug einen etwas knapp sitzenden Hosenanzug von Molly und hoffte, daß Logan und Greeley nicht entwischten. Auch sie hatte noch eine gewisse Rechnung zu präsentieren. Canterbury umfuhren sie auf einer Umgehungsstraße, um nicht von Frühaufstehern gesehen zu werden, falls Logan oder Greeley später Erkundigungen einholten. Daß sie schneller waren als die beiden Killer, nun, daran zweifelte keiner im Wagen. Schon gar nicht Chiefinspektor Sounders, der den Eindruck nicht los wurde, sich in einem Jet zu befinden, der im Tiefflug über das Gelände brauste. Es war hell geworden, als der kleine Seeort Sandwich in Sicht kam. Parker brauchte keine Anweisung, was er tun sollte. In solchen Situationen verzichtete selbst Lady Simpson darauf, mit ihm zu diskutieren. Sie verließ sich da ganz auf seine Erfahrungen. Sounders war mit dem einverstanden, was Parker tat. Der Butler steuerte sein hochbeiniges Monstrum vor der Stadt in einen Seitenweg, holte sich seinen Feldstecher aus dem Handschuhfach und verließ den Wagen. Dann bezog er Position hinter einer hohen Windhecke und beobachtete die Straße. Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis er gemessen zurück zum Wagen kam und sich ans Steuer setzte. »Ein Ford«, meldete er dazu, »der Geschwindigkeit nach zu urteilen, muß der Fahrer sich in höchster Eile befinden. Es scheint sich nach der Lage der Dinge um die Gesuchten zu handeln.« *** Ben Logan trat hart aufs Gaspedal, als das hochbeinige Monstrum aus dem Seitenweg schoß und ihm den Weg verlegte. Ein Rammen versuchte der Killer erst gar nicht. Er wirbelte das Steuerrad herum und schwenkte den Ford nach rechts von der Straße herunter. »Die Lady!« schrie Ramsey erleichtert, doch es klang in den Ohren der beiden Killer wie Angst. Ben Logan sah ein weites, freies Feld vor sich, fast eben. Er drückte auf das Gaspedal und beschleunigte. Dabei schaute er in den Rückspiegel und ... erschrak. Das hochbeinige Taxi, wie Parkers Wagen nun mal aussah, schien über den Boden förmlich zu schweben und näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Der verfolgende Wagen wurde im Rückspiegel immer größer. , »Schieß doch«, brüllte
er Greeley zu, der den Navy-Colt besaß. Doch bevor Greeley reagieren konnte, war Parkers Monstrum bereits heran und versetzte dem Ford den ersten Rammstoß. Dieser fiel sehr hart und nachdrücklich aus. Logan verlor für Bruchteile von Sekunden die Kontrolle über den Ford, wirbelte ihn zur Seite und .hätte das besser nicht getan, denn schon erfolgte der zweite Rammstoß. Der Ford kam völlig aus dem Kurs, schlingerte und hinterließ eine hohe Staubwolke. Und aus dieser heraus erfolgte der dritte Ramming. Der Ford war nicht mehr zu halten, Logan trat scharf auf das Gaspedal, wurde erneut von der starken, vorderen Stoßstange des Parker-Wagens erfaßt und um die Achse gewirbelt. Ramsey nutzte seine Chance, riß die Wagentür auf und ließ sich hinausfallen. Greeley folgte, ohne es eigentlich zu wollen, da dem Ford ein neuer Stoß versetzt wurde. Logan sprang vom Fahrersitz, der schief in den Federn hing und rannte weg. Greeley blieb ihm dicht auf den Fersen. Sie hielten auf einige Ferienhäuser hart an der Küste zu. Ramsey blieb erschöpft liegen, heulte wie ein Kind und war grenzenlos erleichtert. Gerettet! »Nun haben Sie sich nicht so«, grollte ihn eine baritonal gefärbte Stimme an. »Stehen Sie auf, Ramsey, und benehmen Sie sich wie ein Mann!« Ramsey gehorchte wie unter fremdem Zwang und sah sich Agatha Simpson gegenüber. Sie hielt eine doppelläufige Flinte in der Hand und nickte Sounders beruhigend zu. »Keine Sorge«, sagte sie. »Ich war in jungen Jahren mal Meisterin im Tontaubenschießen, Sounders, ich kann es unmöglich verlernt haben.« »Warum schießen Sie nicht?« Sounders war sehr aufgeregt und hatte Angst, die beiden Killer könnten es vielleicht noch schaffen. »Ich bin doch keine Mörderin«, protestierte Agatha Simpson. »Ich brauche Abstand, damit die Schrotkörner nicht zuviel Unheil anrichten. So, ich denke, jetzt könnte man es versuchen.« Es war schon faszinierend, mit welcher Selbstverständlichkeit sie die Flinte hob, visierte und dann in unmittelbarer Folge die beiden Läufe leerte. Der Erfolg war frappierend! Die Detektivin hatte genau die richtige Entfernung gewählt. Logan und Greeley wurden voll erwischt. Sie warfen ihre Arme hoch in die Luft, absolvierten mächtige Sprünge und rutschten anschließend mit ihren Hosenböden über die Erde. Die Schrotladungen hatten ihre Kehrseiten perforiert und schienen auch etwas zu schmerzen. ***
»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Mylady meine Bewunderung auszudrücken«, ließ Parker sich in seiner höflichen Art vernehmen. »Diese beiden Schüsse könnte man als echte Meisterleistungen bezeichnen.« »Könnte?« Sie sah ihn streng an. »Sind, Mister Parker, sind! Wir wollen doch keine unnötigen Einschränkungen machen, oder?« »Ich möchte nicht versäumen, Sir, meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, Sie hier zu sehen.« Parker hatte die Haustür der Stadtwohnung geöffnet und ließ den Chiefinspektor eintreten. Sounders machte einen aufgekratzten Eindruck und ließ sich von Parker in den großen Salon führen. »Na, endlich«, raunzte Mylady ihren Besucher an. »Wo haben Sie solange gesteckt?« »Die Verhöre nahmen einige Zeit in Anspruch«, entschuldigte sich Sounders, »aber sie haben sich gelohnt. Logan und Greeley haben volle Geständnisse geliefert.« »Ich möchte endlich wissen, wo das Geld der Rennbahnräuber gewesen ist?« Sounders lieferte Details. »In der Sauna also«, wiederholte Mylady und nickte. »Warum ist Ihnen das nicht schon früher eingefallen, Sounders? So etwas habe ich eigentlich immer geahnt.« »Natürlich, Mylady.« »Setzen Sie sich«, raunzte sie. »Sie glauben mir nicht?« »Das würde ich nie wagen, Mylady.« »Ich würde es Ihnen auch nicht raten, Sounders.« Sie sah ihn etwas versöhnlicher an. »Damit ist der Fall also beendet.« »Bis in alle Einzelheiten geklärt, Details am Rande brauche ich wohl nicht zu erwähnen.« »Verschonen Sie mich bloß mit banalen Einzelheiten«, gab sie zurück und deutete in Richtung Parker. »Mister Parker, eine kleine Erfrischung für unseren Gast.« Parker konnte umgehend servieren. Er hatte bereits die erforderlichen Vorbereitungen getroffen. Er reichte Kognak. »Nun?« fragte Mylady, sich an Sounders wendend, »und weiter?« »Mylady?« Sounders verstand nicht, worauf Agatha Simpson hinaus wollte. »Ich hoffe, Sie liefern uns den nächsten Fall«, sagte sie streng. »Sie wollen doch nicht, daß ich mich langweile, oder?«. »Ich habe keinen neuen Fall«, gestand Sounders. »Ich bin froh darüber.« »Mister Parker«, wandte sie sich an ihren Butler, »dann setze ich meine ganze Hoffnung auf Sie. Lassen Sie sich etwas einfallen! Dieses öde Herumsitzen bekommt meiner Gesundheit nicht.« »Ich werde mich umgehend bemühen, Mylady«, versprach der Butler. »Darf ich mich vorher aber nach Myladys speziellen Wünschen erkundigen? Das würde unter Umständen die Qual der Wahl erheblich erleichtern.«
ENDE
Nächste Woche erscheint Butler Parker AUSLESE Band 137
Günter Dönges
PARKER und die Rocker von Blackpool
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Butler Parker Auslese erscheint wöchentlich im Zauberkreis Verlag, Abteilung der Erich Pabel Verlag GmbH, 7550 Rastatt, Telefon (07222) 13-1. Redaktion, Druck und Vertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH. Anzeigenleitung: Verlagsgruppe Pabel-Moewig, Pabelhaus, 7550 Rastatt. Anzeigenleiter und verantwortlich: Rolf Meibeicker. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 11. Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden; der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300, A-5081 Anif. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Genehmigung des Verlages. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Dezember 1986 Einzelheft-Nachbestellungen sind zu richten an: PV Buchversand, Postfach 510331, 7500 Karlsruhe 51. Lieferung erfolgt bei Vorauskasse zzgl. DM 3,50 Porto- und Verpackungskostenanteil auf Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 85234-751 oder per Nachnahme zum Verkaufspreis zzgl. Porto- und Verpackungskostenanteil. Ab DM 40,- Bestellwert erfolgt Lieferung porto- und verpackungskostenfrei. Abonnement-Bestellungen sind zu richten an: Pabel Verlag GmbH, Postfach 1780, 7550 Rastatt. Lieferung erfolgt zum Verkaufspreis plus ortsüblicher Zustellgebühr.