Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 633 Anti‐ES ‐ Bars‐2‐Bars
Mjailam, der Hüne von Horst Hoffmann
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 633 Anti‐ES ‐ Bars‐2‐Bars
Mjailam, der Hüne von Horst Hoffmann
Er erscheint aus dem Nichts
Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher‐Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden‐X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer Spur, die in die Galaxis Xiinx‐Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Anti‐ES und Anti‐Homunk auf der einen und Atlan und den Solanern auf der anderen Seite in einem solchen Maß, daß die SOL den Sturz ins Nichts wagt und dabei nach Bars‐2‐Bars gelangt, in die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Die Verhältnisse dort sind mehr als verwirrend, wie die Solaner bald erkennen müssen. Doch während für das Generationenschiff auf dem Planeten der Anterferranter eine Liegezeit wegen notwendiger Reparaturen anbricht, versucht Atlan, zwischen den verfeindeten Völkern von Bars‐2‐Bars Frieden zu stiften. Diese Mission wird jedoch in Frage gestellt, als ein seltsames Wesen auftaucht – MJAILAM, DER HÜNE …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Der Arkonide kämpft für den Frieden. Mjailam ‐ Ein Unheimlicher taucht auf. Konink ‐ Unterhändler der Prezzarerhalter. Schabacker ‐ Ein Beneterloge. Tyari ‐ Sie begegnet ihrem Gegenstück. Narrm ‐ Regierungschef der Anterferranter.
1. Ruhe vor dem Sturm »Ich traue den Beneterlogen nicht, und den Prezzarerhaltern schon gar nicht«, sagte Tyari hartnäckig. »Ich halte Verhandlungen zu diesem Zeitpunkt für falsch!« »Und wann wäre deiner Meinung nach der richtige?« fragte Bjo Breiskoll. »Wenn wir den Farynt‐Völkern unsere Bedingungen diktieren können.« Sie sah Atlan an und fand Ablehnung in seinem Blick. Tyari, die Arkonidin und Bjo saßen in der Zentrale der SOL‐Zelle‐ 1. Von den Stabsspezialisten war nur Wajsto Kölsch bei ihnen. Fast alle anderen befanden sich an den Stellen in der SOL, wo noch Reparaturarbeiten liefen. Allmählich breitete sich etwas wie ein Fieber unter den Solanern aus – eine Aufbruchstimmung, wie Atlan sie selten erlebt hatte. Es ging ihnen nicht darum, Anterf unbedingt zu verlassen. Vielmehr sehnten sie sich nach dem Augenblick, in dem das Schiff nach drei Wochen endlich wieder voll manövrierfähig sein würde. Die Anterferranter taten inzwischen fast alles, um ihren Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Das Verhältnis zur Führungsschicht unter dem vorläufigen Regierungschef Narrm war entspannt. Der Großteil der Bevölkerung setzte seine ganzen Hoffnungen auf die angestrebten Verhandlungen mit den Beneterlogen und Prezzarerhaltern.
Dennoch gab es vielerorts Mißtrauen, stellenweise auch ganz klare Ablehnung. Man wollte den Frieden. Die Vorstellungen des Arkoniden nach seiner Rückkehr vom Prezzar‐Mydonium, daß sich die dominierenden Völker der Teilgalaxien Bars und Farynt gemeinsam um eine Lösung ihrer Probleme bemühten, waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Doch zu lange war alles, was von Farynt kam, als feindlich und verderbenbringend angesehen worden. Die Mentalität eines Volkes ließ sich nicht von einem Tag. auf den anderen grundlegend ändern. Tyari war wie die Verkörperung der Opposition. Sie wollte eine radikalere Lösung zugunsten der Bars‐Völker. Die Anterferranter verehrten sie als die »Wissende«, auf deren Erscheinen sie lange gewartet hatten. Zwar profitierte auch Atlan als ihr »Pendant« von diesem Kult, doch wogen Tyaris Worte im Zweifelsfall schwerer. »Gerade du solltest es besser wissen«, sagte der Arkonide zu ihr. »Die Farynt‐Völker sind nicht schuld daran, daß ihre Galaxis in Bars eindrang. Im Gegenteil wollen sie genau wie ihr den früheren Zustand wiederherstellen, also die Verzahnung lösen. Sie könnten sich auf den gleichen Standpunkt stellen, denn wie ihr sie, machen sie euch für die jetzigen Verhältnisse verantwortlich. Die Prezzarerhalter haben den ersten Schritt getan. Sie versprachen, auf ein Einstellen aller Kämpfe hinzuwirken und die Solaner als unparteiische Mittler anzuerkennen. Der zweite Schritt ist nun an euch.« »Uns?« Sie lachte trocken. »Weshalb sagst du, an uns? Ich bin keine Anterferranterin.« Atlan nickte. »Nein, Tyari. Du bist viel mehr. Du bist viel mehr. Du bist von Tyar geschaffen worden, um Hilfe für die niedergehenden Völker zu holen, nachdem Tyar als befruchtender Geist dieser Galaxis in eine Lähmung verfallen ist. Und Tyar schickte dich nicht aus, um noch mehr unschuldiges Blut vergossen zu sehen.« Sie wollte auffahren, schwieg dann aber betroffen.
Es war kein Tabu mehr, über Tyaris Wesen und ihre Mission zu sprechen. Sie selbst machte daraus ja auch keinen Hehl mehr. Unklar blieb für den Arkoniden nur, was aus ihr einmal werden würde, sobald diese Mission erfüllt war. Er wollte sie – nach Iray – nicht auch noch verlieren. Tyari behauptete zwar, daß sie real wie ein ganz normal geborenes Wesen sei. Aber wußte sie das, oder versuchte sie sich und anderen etwas vorzumachen? »Vielleicht sehe ich die Dinge etwas distanzierter«, sagte Kölsch. »Es ist doch ganz einfach so, daß die Probleme in Bars‐2‐Bars nur durch die Kooperation aller Betroffenen gelöst werden können – falls überhaupt.« Tyari schwieg weiter. Atlan konnte sie nicht überzeugen. Sie hatten oft und lange geredet. Doch schließlich hatte sie ihm versprochen, nichts gegen seine Bemühungen zu unternehmen. Und das alles betraf nur die galakto‐politische Lage in Bars‐2‐Bars, aber noch nicht Atlans ureigenes Problem. Er brauchte den Frieden zwischen den Sternenvölkern der Teilgalaxien, um einen Weg in die Namenlose Zone zu finden, zu Anti‐Es und zu den Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst. Er hoffte dabei auch auf die Hilfe der Prezzarerhalter. Auf ihrer Suche nach Prezzar waren sie auf eine vielversprechende Spur gestoßen. Sie hatten die Existenz der Namenlose Zone entdeckt, ohne jedoch viel über diesen Raum zwischen den Materiequellen und dem Normaluniversum zu wissen. Doch immerhin vermochten sie Teile daraus zu beobachten. Dies war die augenblickliche Situation. An Bord der SOL schrieb man den 22. Januar 3808. Am 18. Dezember des Vorjahrs war die SOL aus Xiinx‐Markant verschwunden. Atlan fragte sich, was aus dem Beiboot BANANE, deren Besatzung unter Mata St. Felix und aus Twoxl geworden war, die auf Cpt zurückgeblieben waren. Mehr als einmal hatte er mit dem Gedanken gespielt, eine Expedition in
die Nachbargalaxis zu entsenden, um die Freunde zu holen. Atlan mußte diese Überlegungen abermals in den Hintergrund stellen. Als der Interkommelder summte, ahnte er, daß Narrm und seine Mitarbeiter zu einer Entscheidung gelangt waren. Der Anterferranter befand sich mit einer kleinen Delegation schon in der Hauptzentrale des Schiffes. Atlan stand auf und nickte den Gefährten zu. »Gehen wir.« Er zweifelte kaum an einer positiven Entscheidung des Regierungschefs. Daß er dennoch ein ungutes Gefühl hatte, schrieb er der oft gemachten Erfahrung zu, daß sich immer dann irgendwo ein unbekanntes Unheil zusammenbraute, wenn vordergründig alles nach Wunsch verlief. Er irrte sich auch diesmal nicht. * Dennep Hysten gehörte zu einer Technikergruppe, die in Hayesʹ Auftrag sogenannte »flankierende Instandsetzungsarbeiten« ausführte. Diese hatten nichts mit den wichtigen Reparaturen zu tun, sondern stellten eher eine Art Beschäftigungsprogramm für Solaner dar, die nicht andernorts benötigt wurden. Denneps Aufgabe bestand darin, mit einigen anderen die Sanitäranlagen im 37. Deck des SOL‐Mittelteils zu modernisieren. Gegen 12.45 Uhr Bordzeit saß Dennep an einem kleinen Tisch am Ende der Toilettenflucht und nahm eine Stärkung zu sich. Durch die Dampfschwaden des heißen Kaffees sah er die Arbeitsroboter, die die fertigen Kabinen von innen und außen mit neuem Lack besprühten. Vormals gelb, erstrahlten sie nun in einem satten Olivgrün. Dennep gefiel die Farbe nicht. Als er sich gerade überlegte, ob er nicht eine entsprechende Änderung vorschlagen sollte, tauchte der Fremde auf.
Er kam nicht durch eine Tür. Er schien überhaupt nirgendwoher gekommen zu sein. Dennep verschluckte sich und hustete, bis ihm die Tränen in den Augen standen. Als er wieder klar sehen konnte, war der Fremde immer noch da. Er stand einfach vor ihm und starrte ihn an. Dennep hatte das Gefühl, jemand hätte ihm Eiswürfel in den Kragen geschüttet. Er sprang auf, stieß die Kanne um und brachte nichts als ein Krächzen heraus. Der Fremde war zwei Meter groß, ungemein stämmig und muskulös. Sein ganzer Körper war von tiefbraunem bis schwarzem Fell bedeckt – oder unglaublich dicht behaart. Vielleicht das letztere, denn von der Gestalt her war er einwandfrei ein Mensch. Auch der Kopf glich dem eines Menschen. Nur die Stirn war flacher, das Kinn wuchtiger. Die unerforschbar dunklen Augen lagen unter dick hervortretenden Wülsten, und die Backenknochen unterstrichen den eckigen Eindruck. Der Fremde trug keinerlei Kleidung oder Ausrüstung. »Du … äh … hast dich bestimmt verlaufen«, war alles, was Dennep einfiel. »Ich meine, wenn du … äh … es nötig hast, mußt du auf eine andere Toilette ge … ge …« Dennep hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Er wich bis zur Wand zurück. Der Fremde rührte sich immer noch nicht, aber seine Blicke schienen den Techniker zu röntgen. Dabei wirkte er nicht einmal drohend. Dennep wußte nicht, was ihm einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagte, warum er sich so furchtbar klein vorkam. Er hatte die Tage der SOLAG‐Herrschaft noch gut in Erinnerung. Ein Monster! durchfuhr es ihn. Er kann nur ein übriggebliebener Bordmutant sein! »Wer … wer bist du?« hörte der Techniker sich krächzen. Er bekam keine Antwort. Der Interkom‐Anschluß! Dennep schielte zu dem kleinen Bildschirm hinüber, der sich drei Meter rechts von ihm in der Wand befand. Warum war auch kein anderer aus seiner
Gruppe jetzt hier! Und die Roboter kümmerten sich nicht um den Hünen. Hilfe holen! Die nächste Nebenzentrale benachrichtigen! Vorsichtig versuchte Dennep, den Anschluß zu erreichen. Als seine Finger schon nach dem Knopf tasteten, entrang sich der Kehle des Fremden ein dumpfes Grollen. Mit einem wuchtigen Schritt war er bei ihm. Eine schwere Hand schlug den Arm des Solaners herunter. * Der Anblick von Anterferrantern mit ihrem dünnen und in allen Farben leuchtenden Fell, dem Haarstreifen auf dem Rücken, dem Stummelschwanz und den menschenähnlichen Gesichtern in der Hauptzentrale der SOL war fast schon nichts Ungewöhnliches mehr. Narrm und einige Mitglieder seines Beraterstabs hatten ungehinderten Zugang zum Schiff. Man hatte ihnen Identitätskarten gegeben, die verhinderten, daß sich möglicherweise Mitglieder der immer noch existierenden Fanatikergruppen an Bord schlichen. Breckcrown Hayes und einige anwesenden Stabsspezialisten hielten sich vollkommen zurück. Für Narrm waren Atlan und Tyari die Autoritäten, mit denen er es zu tun hatte, »Wir sind bereit zu verhandeln«, machte Narrm es kurz. »Sagt dies den Prezzarerhaltern. Wenn sie den Frieden und die Zusammenarbeit wirklich ernsthaft wollen, soll es an uns nicht scheitern. Die Botschaft, die du uns ausrichtetest, Atlan, klingt gut in unseren Ohren. Doch ein letztes Wort kann erst dann gesprochen werden, wenn wir uns selbst ein Bild von der anderen Seite gemacht haben.« Narrm betonte auffällig die Worte »wirklich ernsthaft«. »Ich verstehe eure Vorsicht«, gab der Arkonide zu. »Und du sprichst für das ganze Volk, Narrm?« »Für die Mehrheit des Volkes und der Regierungsmitglieder.
Selbst mir fiel die Entscheidung nicht leicht. Doch ich habe eingesehen, daß zum Frieden das Vertrauen gehört. Um Vertrauen wachsen zu lassen, bedarf es der Begegnung und des Abbaus von Vorurteilen. Sobald diese erste Stufe erreicht ist und die Völker von Farynt ihren guten Willen gezeigt haben, können die Zweifler auf Anterf auch überzeugt werden. Aber nicht vorher.« Atlan nickte. Narrm blickte Tyari erwartungsvoll an. Sie verzog keine Miene und schwieg. »Ich danke euch«, sagte der Arkonide. »Um ihre guten Absichten zu beweisen, sind die Prezzarerhalter bereit, zuerst einen Unterhändler nach Anterf zu entsenden. Er wird mit euch gemeinsam den endgültigen Verhandlungsort bestimmen.« »Er soll uns als Gast willkommen sein«, sagte Shorrn, Narrms Sicherheitschef. Atlan konnte förmlich spüren, wie schwer ihm diese Worte über die Lippen kamen. Noch vor Tagen wäre ein solcher Satz aus dem Mund eines Anterferranters undenkbar gewesen. Atlan ging zu Curie van Herling und bat sie um eine Verbindung zum Prezzar‐Mydonium. Die Hyperfunkstrecke stand seit der Rückkehr des Atlan‐Teams. Ein Symbol zeigte die jederzeitige Empfangsbereitschaft der Prezzarerhalter an. Curies Anruf wurde schon nach fünf Sekunden beantwortet. Auf dem Bildschirm erschien das uralte Gesicht eines Beneterlogen. Es gehörte zu keinem geringeren als Oirstel – dem obersten Prezzarerhalter. Aus den Augenwinkeln heraus sah Atlan, wie die Anterferranter außerhalb der Bilderfassung enger zusammenrückten. Doch sie blieben in der Zentrale. Dieser Moment, dachte der Arkonide, wird in ihre Geschichte eingehen. Er konnte nur hoffen, daß dieser Tag kein schwarzer für die Völker von Bars‐2‐Bars werden würde. »Ich grüße dich, Oirstel«, sagte der Arkonide bedächtig. »Und ich habe dir eine Botschaft des Volkes von Anterf auszurichten …«
* Ztyrrh, neben Shorrn und dem Wissenschaftssenator Myrrhn einer der wichtigsten Berater des Regierungschefs, war in seinen Gedanken auf der SOL. Vom Fenster seines Büros am Stadtrand von Karn‐Ant aus konnte er den Raumschiffriesen fast in der ganzen Ausdehnung übersehen. Als Chef der planetaren Verteidigung hatte Ztyrrh ein vitales Interesse daran, was nun dort geschah. Er war der einzige, der bei der entscheidenden Abstimmung nicht dafür gewesen war, Atlan und Tyari bei der Vorbereitung der Friedensverhandlungen völlig freie Hand zu geben – was auch die Erlaubnis an die Prezzarerhalter miteinschloß, auf Anterf zu landen. Er mißtraute Tyari und den Solanern nicht. Er glaubte daran, daß sie das Beste für Bars und sein Volk im Sinn hatten. Doch den Beneterlogen traute er jede Hinterlist zu. Er war verantwortlich für diese Welt, die einstmals den Kern eines kleinen Sternenimperiums gebildet hatte. Er würde wie jeder andere zum Frieden beitragen, sollten sich seine Befürchtungen als unbegründet erweisen. Bis dahin aber sah er es als seine Aufgabe an, unermüdlich nach Hinweisen auf eine Tücke der Gegenseite zu suchen. Und ausgerechnet vor diesem Mann erschien der Fremde. Ztyrrh hörte zunächst nur ein leises Geräusch. Er konnte es nicht einordnen, denn er wußte, daß eigentlich niemand außer ihm im Raum sein konnte. Keine Tür war gegangen. Aber jemand war da. Er bemühte sich krampfhaft, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Er starrte weiterhin aus dem Fenster, während sich unter der mächtigen Platte seines Arbeitstisches die rechte Hand dem Alarmknopf näherte. Er hörte es wieder. Jemand atmete tief – aber nicht wie ein Anterferranter oder Solaner. Eher wie ein … Tier! Er konnte es nicht. Seine Hand zitterte. Er konnte nicht starr sitzenbleibend darauf warten, daß der andere die Initiative ergriff,
falls er dies nicht schon getan hatte. Er konnte sich nicht daran hindern, auf seinem Stuhl herumzufahren und … Der Fremde sah ihn an. Er stand hochaufgerichtet vor ihm, die langen Arme herabhängend und vor dem Körper baumelnd. Sie waren so dunkel und dich behaart wie die ganze Gestalt. Der Blick der dunklen Augen im Schatten der dick vorgewölbten Brauenwülste nahm den Anterferranter gefangen. Unbeschreibliche Wildheit sprach aus ihnen, etwas Ungezähmtes, Freies, Fragendes. Bevor sich Ztyrrh wieder fassen konnte, hob sich ein Arm des Hünen. Der ebenfalls vorgewölbte Mund öffnete sich. Ztyrrh sah das kräftige Gebiß und hörte dumpfe und grollende Laute, die ihm durch Mark und Bein gingen. Der Fremde wartete. Er kam einen Schritt näher und sprach wieder. »Ich … ich verstehe dich nicht!« hörte der Anterferranter sich stammeln. »Was willst du von mir!« Das Überraschungsmoment war überwunden. Ztyrrh tastete wieder nach dem Alarmknopf, fand und drückte ihn. Irgendwo am Ende eines Korridors würden nun zehn Wachen aufspringen, sich bewaffnen und losstürmen. Der Fremde wiederholte die Lautfolge, ungeduldiger nun. Und plötzlich glaubte der Verteidigungschef, bekannte Elemente aus ihnen herauszuhören. »Warte!« Er mußte ihn hinhalten, bis die Wachen da waren. »Ich verstehe jetzt etwas, aber nicht alles. Sag es noch einmal.« Das zottige Wesen gab einen knurrenden Laut von sich, drehte sich halb zur Tür um und ballte eine Faust. Als es so aussah, als wollte er sich auf Ztyrrh stürzen, ließ sich der Anterierranter geistesgegenwärtig hinter den Arbeitstisch fallen. Es war totenstill im Raum. Ztyrrh kam vorsichtig wieder in die Höhe, lugte über die Tischkante und sah nichts mehr außer den Wänden und dem Mobiliar.
Er stand kaum, als die Tür aufgestoßen wurde, die Wachen hereinstürmten und ihre Waffen in Anschlag brachten. »Ihr könnt wieder gehen«, sagte Ztyrrh schwitzend. »Es … Ich bin versehentlich an den Alarmknopf gekommen. Es war nichts.« Verwundert zogen sie sich zurück. Was sie über den Zwischenfall dachten, war dem Verteidigungschef ziemlich egal. Nur wenn er ihnen die Wahrheit gesagt hätte, hätten sie ihn unter sich vermutlich für verrückt erklärt. Die langen schwarzen Haare aber, die Ztyrrh dort auf dem Boden fand, waren Beweis genug dafür, daß er keiner Halluzination zum Opfer gefallen war. Ein Satz, dem Tonfall nach eine Frage. Ztyrrh hatte jetzt keinen Zweifel mehr. Auch wenn er nur Bruchstücke verstanden hatte – der Fremde bediente sich der Sprache der Beneterlogen. Zugegeben, es klang seltsam und ungeübt. Aber als Verantwortlicher für die Abwehr des faryntischen Hauptvolks kannte Ztyrrh die Sprache. Für ihn war das rätselhafte Auftauchen und das ebenso mysteriöse Wiederverschwinden des Fremden die Bestätigung aller seiner Befürchtungen. Der Feind wartete nicht erst darauf, als angeblicher Friedensbringer das Verderben nach Anterf zu bringen. Er schickte schon jetzt die Vorboten des Chaos. Ztyrrh verwarf den Gedanken, Narrm an Bord der SOL anzurufen. Er mußte warten, bis Narrm und die anderen zurück waren. Vielleicht gab es bis dahin Meldungen über ein erneutes Auftauchen des Geheimnisvollen. * Atlan hatte keine Zweifel daran gehabt, das Oirstel sein Wort halten würde, einen Unterhändler seiner Wahl nach Anterf zu entsenden. Und so dankte ihm der uralte Prezzarerhalter auch für seine Vermittlung und versicherte nochmals seinen Willen, die sinnlosen
Kämpfe unter den Völkern zu beenden. Selbst die Anterferranter schienen plötzlich von der Ausstrahlung Oirstels beeindruckt zu sein. Anders war nicht zu erklären, daß Narrm unerwartet vor die Aufnahmeoptik trat und laut sagte: »Ich grüße dich als das Wort der Bewohner von Anterf, Oirstel. Schicke den Unterhändler, er soll unser Gast sein. Und sollten die Gespräche zufriedenstellend verlaufen, so werden wir auch dich eines Tages auf unserer Welt willkommen heißen.« »Ich bedanke mich, Regierender«, erwiderte der Prezzarerhalter. »Noch in dieser Stunde wird Konink, den wir den Weisen nennen, sich auf den Weg machen. Mögen sich unser Geist Prezzar und dein Geist Tyar zusammenfinden und sodann gemeinsam versuchen, die unheilvolle Verknüpfung zu entwirren.« Damit war alles gesagt. Man kannte den Namen des Gesandten und konnte sich seine Ankunftszeit ausrechnen. Atlan wußte, das Oirstels Worte im Grunde nur eine Floskel waren, denn Prezzar und Tyar waren nicht mehr imstande, irgend etwas zu beeinflussen. Atlan drehte sich zu Narrm um, als der Bildschirm erlosch und dann wieder das Symbol des Prezzar‐Mydoniums zeigte. »Das hatte ich nicht von dir erwarten können«, gab er zu. Narrm nickte. »Es war ein Impuls. Ich hatte einfach das Gefühl, es tun zu müssen.« Er sah nach so vielen Jahren des Krieges und des Niedergangs den goldenen Schimmer der Hoffnung am Horizont. Atlan fühlte sich seltsam berührt, bis er in Tyaris Gesicht blickte. Es war noch verschlossener als vorher. »Wir werden Koninks Empfang vorbereiten«, sagte Narrm. Er winkte seinen Begleitern. Atlan sah ihnen nach, bis sie aus der Hauptzentrale verschwunden waren. Hayes legte die Stirn in Falten. »Weißt du, was Arkonide? Das Ganze läuft mir zu glatt ab.« »Sie meinen es ehrlich«, sagte Sternfeuer aus dem Hintergrund.
»Die Anterferranter und auch Oirstel. Ihn kann ich wie alle Prezzarerhalter zwar nicht espern, selbst wenn ich außerhalb des Mydoniums sind, aber ich fühle es einfach.« »Etwas paßt nicht hinein!« sagte Tyari nach ihrem langen Schweigen. »Sagt, was ihr wollt. Irgend etwas stört. Ich spüre es.« Hayes seufzte. »Sie spürt, und Sternfeuer fühlt. Ich bin froh, diesmal nicht im Mittelpunkt zu stehen, Atlan. Und ich halte mich weiterhin aus allem heraus, solange unsere SOL nicht in die Klemme gerät.« Diese Hoffnung hatte genau zwanzig Minuten Bestand. Dann lief die Meldung aus dem 37. Deck Mittelteil ein, daß ein vollkommen verstörter Techniker ein Gespenst mit langen schwarzen Haaren gesehen haben wollte. Darauf gab man zwar noch nichts, aber in der gleichen Minute jedoch wurde das Schiff von Karn‐Ant aus angefunkt. Narrm berichtete erregt von drei Erscheinungen eines dunkelbehaarten Hünen, der in der Sprache der Beneterlogen Fragen gestellt hatte. »Und zwar wissen wir jetzt«, sagte der Regierungschef, »daß die Frage lautete: ›Seid ihr Diener der wahren Kraft?‹« Er überspielte die grollende Laute, die ein Beamter der Sicherheitsabteilung geistesgegenwärtig aufgenommen hatte. Atlan wartete kurz auf das Ergebnis aus den Translatoren. Der übersetzte Wortlaut stimmte. »Ein Phantom, das in der Sprache der Beneterlogen redet!« empörte sich Narrm. »Was hat das zu bedeuten, Atlan?« Der Arkonide vermied es, Tyari anzusehen. »Bitte, unternehmt nichts Unbedachtes, Narrm«, appellierte er an den Regierungschef. »Es wird sich klären. Die Beneterlogen können keine Agenten nach Anterf geschickt haben. Eure Raumüberwachung hätte es festgestellt.« Narrm blendete sich ohne Antwort aus. Atlan hatte das Gefühl, auf einem Tuch zu stehen, das ganz langsam unter seinen Füßen weggezogen wurde.
Und um das Maß voll zu machen, meldete Curie van Herling einen Anruf der Prezzarerhalter. »Kann es sein, Atlan«, fragte Oirstel gefährlich ruhig, »daß du und die Anterferranter etwas von einem hünenhaften Wesen mit dunklem Pelz wißt, das aus dem Nichts auftaucht und seltsame Fragen stellt?« Die Freundlichkeit war aus dem uralten Gesicht verschwunden. Sie war der Sorge und den Zweifeln gewichen – neuem Mißtrauen und Verärgerung. »Was hat das Wesen gefragt?« erkundigte Atlan sich vorsichtig. Fast hätte er schon bejaht, als ihm gerade noch rechtzeitig klar wurde, was Oirstels Anruf tatsächlich bedeuten konnte. »Es wollte wissen, ob wir Diener der wahren Kraft seien.« Wir! dachte Atlan betroffen. Sein Verdacht hatte sich also bewahrheitet. Der geheimnisvolle Fremde war also auch im Prezzar‐ Mydonium gewesen – Tausende von Lichtjahren entfernt! Oder sollte es mehrere dieser Geschöpfe geben? »Der Fremde war auch hier«, antwortete Atlan endlich. »Und er stellte die gleiche Frage. Wir wissen noch nicht, wer er ist und ob wir es tatsächlich nur mit ein und demselben Wesen zu tun haben, Oirstel. Auf jeden Fall haben die Anterferranter ihn nicht zu euch geschickt.« »Sagte ich, daß wir das glauben?« Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Du brauchst es nicht zu sagen, Oirstel. Es ist logisch, daß ihr das gleiche denkt wie die Anterferranter. Und sie sind offenbar der Ansicht, ihr hättet ihnen den Fremden geschickt. Ich verspreche, daß wir alles tun werden, um das Rätsel aufzuklären. Konink wird doch kommen?« Sekunden vergingen, bis der Prezzarerhalter nickte. »Er ist bereits unterwegs, allerdings mit einigen neuen Anweisungen.« Oirstel unterbrach die Verbindung so abrupt wie vorhin Narm.
»Das war ein deutliches Signal«, sagte Hayes. »Die Prezzarerhalter tragen zwar noch keine Beschuldigungen vor, aber die Friedenshoffnungen sind um einiges abgekühlt worden.« Natürlich hatte er recht. Aber nichts konnte die erhofften Gespräche mehr belasten als Unoffenheit. »Beide Seiten sollen wissen, woran sie sind, Breck«, sagte der Arkonide leise. »Die Frage für uns ist, wer ein Interesse daran haben kann, die Verhandlungen zu sabotieren.« Die Antwort lag auf der Hand. Irgend jemand im Hintergrund sagte: »Anti‐ES.« 2. Mjailam Um 19.32 Uhr Bordzeit erreichte die SOL der knappe Hyperfunkanruf des benetischen Kugelraumschiffs LOGE‐1. Konink kündigte an, in einer halben Stunde im Barsanter‐Sonnensystem zu materialisieren und bat offiziell um Landeerlaubnis und Einweisung. In den vergangenen sechseinhalb Stunden hatte es fast ununterbrochen Gespräche zwischen der SOL und Narrms Regierungsstab gegeben. Getreu seiner Absicht, wiedererwachendes Mißtrauen im Keim zu ersticken, berichtete Atlan von Oirstels Anruf und beschwor Narrm immer wieder, sich nicht von etwas irritieren zu lassen, dessen Herkunft völlig im dunkeln lag. Dabei wurde klar, daß vor allem Ztyrrh dafür plädierte, keinen Beneterlogen auf Anterf landen zu lassen, bevor das Phantom nicht gestellt war und über seine Auftraggeber geredet hatte. Noch stand Narrm zu seinem Wort. Beide Seiten vertrauten Atlan auch weiterhin – aber eben nur ihm. Zwischen den Worten, die Narrm und Oirstel gewechselt hatten, und der jetzigen Stimmung schienen bereits wieder Welten zu hegen. »Du könntest mir ruhig etwas mehr unter die Arme greifen«, sagte
der Arkonide auf dem Weg in ein Medo‐Center zu Tyari. »Was erwartest du? Du kennst meine Einstellung.« »Aber die Lage ist anders geworden. Ein neuer Faktor ist aufgetaucht. Du solltest dich dafür interessieren, wer hier eingreift. Immerhin richten sich die Aktivitäten des Unbekannten auch gegen Bars. Wenn es stimmt, was wir nur vermuten können, und Anti‐ES ihn geschickt hat, kann es ihm nur darum gehen, den Status quo aufrechtzuerhalten – und damit die Verzahnung der beiden Galaxien.« »Du ziehst einen Umkehrschluß, mein Lieber. Du meinst, weil Anti‐ES das Gebilde Bars‐2‐Bars braucht, will es die Gespräche verhindern. Deshalb könne nur Anti‐ES hinter dem Auftauchen des Phantoms stecken. Du solltest jetzt nicht die Reihenfolge von Motivation und Aktion durcheinanderbringen.« Es war sinnlos. Atlan stand allein. Seine Laune war entsprechend, als er das Medo‐Center erreichte und vor dem Mediker stand, der sich geweigert hatte, seinen einzigen Patienten zu entlassen. Hallan Manoma war als Quertreiber bekannt. Seine ärztliche Fürsorge hatte schon etwas von einer Besessenheit. »Der Techniker steht noch unter den Nachwirkungen des Schocks«, verteidigte Manoma sich. »Ich kann es nicht verantworten, daß er von euch in die Mangel genommen wird.« Atlan stieß ihn beiseite und betrat die Kabine, in der Hoysten lag. Manoma protestierte so laut gegen die »unverschämte Behandlung«, daß der Techniker sich auf dem Lager steil aufrichtete und beide Hände gegen die Ohren preßte. »Hol mich hier heraus, Atlan«, flehte er, als Tyari die Tür schloß und von innen verriegelte. »Dieser Wahnsinnige macht mich wirklich krank. Mir fehlt doch nichts!« Atlan setzte sich zu ihm. »Du kannst mit uns gehen, wenn du ganz genau sagst, was du gesehen und gehört hast.«
»Du … du glaubst mir also?« fragte Dennep verwundert. »Ich meine, bevor mich dieser Medizinmann hier in Quarantäne legte, nannten mich alle einen Phantasten. Ich …« »Vergiß das jetzt. Der Fremde ist auch anderen Leuten erschienen. Wie sah er genau aus? Und vor allem – hat er dich etwas gefragt?« Dennep berichtete zögernd. Er sagte aus, daß er vor Angst fast gestorben wäre, als der Hüne ihm die Hand herunterschlug. Aber der erwartete Angriff blieb aus. Und ja, er hatte grunzende Laute von sich gegeben, die wie eine Frage klangen. »Aber es waren keine Worte in einer Sprache, die ich kenne, Atlan.« Der Arkonide holte ein kleines Aufzeichnungs‐ und Wiedergabegerät aus einer Kombinationstasche. Es war mit einem Translator gekoppelt, der auf das Benetische programmiert war. Auf Tastendruck ertönten die Laute, die die Anterferranter gehört hatten. »Hat es sich so angehört?« Dennep nickte langsam. »Ich bin mir nicht hunderprozentig sicher, aber … Doch, ja. Aber er sagte oder fragte noch etwas anderes. Ich hatte den Eindruck, er wußte überhaupt nicht, wo er war. Er wirkte irgendwie verloren – und vor allem wie ein Tier, das sucht.« Atlan wurde an Janvrin erinnert, den achtbeinigen schwarzen Panther, mit dem der Reigen der Manifeste seinen Anfang genommen hatte. Sie und alles, was Anti‐ES an Gefahren für die SOL heraufbeschworen hatte, waren perfekt gewesen. Wie sollte nun ein Wesen in dieses Bild passen, das sich vielleicht erst selbst finden mußte? Atlan sprach Fragen in das Gerät. Der Translator übersetzte sie. Eine Einstellung des Lautsprechers sorgte dafür, daß sie dumpf und grollend herauskamen. Zweimal nickte Dennep. Das war auf die Fragen »Wo bin ich hier?« und »Komme ich noch zur rechten Zeit?«
* Das Phantom tauchte nicht mehr auf, weder auf Anterf noch in der SOL. Atlans stille Hoffnung, es so lange hinhalten zu können, bis er ihm persönlich gegenüberstand, erfüllte sich nicht. Er war sogar schon bereit zu glauben, der Spuk sei vorbei, daß es sich tatsächlich um einen Verirrten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gehandelt habe, der vielleicht gar nichts mit Bars‐2‐Bars zu tun hatte. Koninks Landung lenkte ihm darüber hinaus von den Gedanken an den Fremden ab. Dem Prezzarerhalter war ein Platz fast unmittelbar neben der SOL angewiesen worden. Atlan verfolgte von der Hauptzentrale aus, wie sich der Kugelraumer langsam herabsenkte. Mit nur 120 Metern Durchmesser stellte er die kleinste Einheit dar, die bei Schiffen der Beneterlogen bisher beobachtet worden war. Die Benennung LOGE‐ 1 hatte Symbolwert. Sie sollte nichts anderes aussagen, als daß hier der Botschafter der Sonne Loge kam – und damit eines ganzen Sternenreichs. Als das Schiff stand, sprach in der SOL niemand ein Wort. Jeder wartete gebannt darauf, daß eine Schleuse sich öffnen und der Gesandte sich zeigen würde. Konink verzichtete auf jede Art von Energieschirmen, eine weitere Geste guten Willens. Aber wo blieben die Anterferranter? Hatte Narrm die Absicht, den Unterhändler hier schmoren zu lassen? Sie kamen, aber nicht mit Bodenfahrzeugen, sondern mit Jägerstaffeln. »Was soll denn dieser Unsinn!« empörte sich Hayes. »Das kann doch nur eine Idee von Ztyrrh sein, aber mit seiner Militärparade imponieren sie Konink ganz bestimmt nicht! Und damit beginnt man auch keine Friedensgespräche!« Atlan ballte die Fäuste. Die Jäger zogen im Tiefflug über das
Raumschiff hinweg. Konink zeigte gute Nerven, indem er auch jetzt nicht mit einem Hochschalten der Energieschirme auf die offene Provokation antwortete. »Eine Verbindung, Curie!« rief der Arkonide. »Bitte schnell! Ich will wissen, was Narrm vorhat!« »Er antwortet nicht. Soll ich es bei Ztyrrh versuchen?« »Ja, falls er noch Zeit für uns hat.« Die Staffel kehrte in seiner Schleife zurück und donnerte noch tiefer über die LOGE‐1. »Ztyrrh hört!« rief Curie. Atlan lief zum Bildschirm. Der Anterferranter blickte ihm schweigend entgegen. »Aufhören damit!« schrie der Arkonide ihn an. »Geschieht das auf Narrms Befehl?« »Das verantworte ich allein«, erklärte der Verteidigungschef ruhig. »Die Flugzeuge kehren ja schon in ihre Basen zurück. Der Beneterloge soll nur wissen, daß ihm ein falsches Spiel schlecht bekäme.« Atlan mußte an sich halten, um Ztyrrh nicht wissen zu lassen, wofür er ihn hielt. Er drehte sich um und sah nun, wie eine Fahrzeugkolonne von der Stadt her anrollte. Die Jäger verschwanden am Horizont. Ganz vorne im ersten offenen Wagen stand Narrm hochaufgerichtet. Die Kolonne hielt in hundert Meter Entfernung von der LOGE‐1. »Daß Friedens‐ und Abrüstungsverhandlungen immer damit beginnen müssen, daß man sich gegenseitig beweist, wie gut man bewaffnet ist«, schimpfte Sternfeuer. »Jetzt öffnet sich drüben eine Luke«, sagte Hayes. Sie war oval. Eine breite Rampe wurde ausgefahren. Als sie den Boden erreichte, erschien Konink oben in der Öffnung. Eine Vergrößerung zeigte ihn als uralt, mit einem knielangen weißen Bart und übergroßen Augen. In der rechten Hand hielt der Prezzarerhalter seinen Fetisch. Das halbintelligente, rosafarbene und
nur fünf Zentimeter große Kugelgeschöpf war in keinen Behälter mehr eingesperrt. Atlan wertete es als Zeichen dafür, daß nach den jüngsten Ereignissen im Masilan‐System und dem Prezzar‐ Mydonium die Fetische nun freiwillig mit ihren Herren zusammenarbeiteten. Konink sah sich um. Als er dann begann, die Rampe hinabzuschreiten, verließ auf der anderen Seite Narrm sein Fahrzeug und setzte sich auf ihn zu in Bewegung. Atlan mußte den Prezzarerhalter für seine Ruhe bewundern. Er begann zu verstehen, warum man ihn den Weisen nannte – und warum Oirstel ihn mit der delikaten Aufgabe betraut hatte, den ersten vorsichtigen Kontakt zu knüpfen. Doch dann geschah etwas, das alle neuen Hoffnungen mit einem Schlag wieder zunichte zu machen schien. Konink hatte etwa die Hälfte der Rampe hinter sich gebracht, als in der Schleusenöffnung seines Schiffes der dunkelbehaarte Hüne auftauchte. Hayes stieß laut die Luft aus. Andere hielten den Atem an. Narrm sah den Fremden aus dem Raumschiff des Beneterlogen kommen und blieb wie angewurzelt stehen. Konink sah, wie der Blick des Anterferranters an ihm vorbeiging, machte ebenfalls halt und drehte sich langsam um. Atlan sah, wie er zusammenzuckte. Er hatte keine Ahnung davon, daß der andere an Bord war! durchfuhr es den Arkoniden. Und was macht Narrm nun? Es war grotesk: Konink und der Anterferranter hoben gleichzeitig einen Arm und beschuldigten sich gegenseitig, falsches Spiel getrieben zu haben. Als Bewaffnete aus den geschlossenen hinteren Fahrzeugen der Kolonne sprangen und ihre Gewehre auf den Beneterlogen richteten, platzte Atlan der Kragen. »Projiziert jeweils eine Energieglocke über die LOGE‐1 mit Konink und über die Anterferranter, Breck!« rief er, schon im Laufen. »Bjo, Hage, Insider, ihr kommt mit mir. Ab jetzt nehmen wir die Dinge in
unsere Hand, und wenn die da draußen nicht von selbst vernünftig werden, dann müssen wir sie eben dazu zwingen!« Zu seiner Überraschung schloß sich auch Tyari an. Ein letzter Blick über die Schulter zeigte dem Arkoniden, daß der Fremde verschwunden war. Er hatte es fast erwartet. Was ihn aber schockierte, war etwas anderes. Hoysten hatte ihn als ein Tier beschrieben. Der Techniker gehörte zu einer Menschengeneration, die kaum noch wußte, was ein Neandertaler war. Und genau wie ein solcher sah das Phantom aus. * Konink hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Nach den Informationen und Zusatzinstruktionen, die er kurz nach seinem Aufbruch von Oirstel erhalten hatte, mußte er mit Anschuldigungen der Anterferranter rechnen. Ob sie nun echt waren oder nur gespielt, blieb vorerst dahingestellt. Möglicherweise waren sie nur eine Art Vorwärtsverteidigung, weil die Anterferranter selbst für das Auftauchen des Geheimnisvollen im Prezzar‐Mydonium verantwortlich waren. Oirstel und seine beiden Stellvertreter Karsnyt und Alysta hatte ihrem Gesandten noch nicht verraten, was sie wirklich glaubten. Für Konink gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder war der Schwarzbehaarte ein Wesen, das sich auf irgendeinem Planeten Farynts oder in Bars entwickelt hatte und die Gabe der Sich‐selbst‐ Versetzung besaß. Dann war sein Auftauchen wohl tatsächlich nur Zufall. Oder aber es handelte sich um einen Spion und Unruhestifter der Gegenseite. Dafür sprachen das klägliche Benetisch und seine stupiden Fragen, eine Fassade der Armseligkeit, hinter der sich eine noch unabschätzbare Gefahr verbergen mochte.
Und wenn dies zutraf, bedeutete es nichts anderes, als daß die Anterferranter den Frieden nicht wirklich wollten. Alles war undurchschaubar. So hatte Konink auf dem Weg beschlossen, die Fragen um den Fremden zunächst in den Hintergrund zu stellen. Die Lage war mit einem Schlag vollkommen verändert. Daß der Fremde an Bord der LOGE‐1 gewesen war, konnte einen Auftrag bedeuten, den er für die Anterferranter auszuführen hatte. Jetzt, quasi daheim, durfte er sich zeigen. Und die gut gespielte Bestürzung des Regierungschefs paßte in dieses Bild. Konink mußte damit rechnen, daß sein Schiff nicht mehr manövrierfähig war, daß der Geheimnisvolle unmittelbar nach der Landung wichtige Systeme beschädigt hatte. Er sah den Aufmarsch der Bewaffneten vor der beeindruckenden Hantel der SOL. Er wollte nichts provozieren, bevor er den endgültigen Beweis für eine Kriegslist der Anterferranter hatte. Das war jetzt seine eigentliche Aufgabe geworden. Der Gegner konnte ihn gefangennehmen oder gar töten. Vorher jedoch würde er Oirstel über seinen Fetisch benachrichtigen können. Eine Hinterlist konnte für den Planeten Anterf und seine Bewohner Folgen haben, die sie sich nicht vorzustellen vermochten. Die Prezzarerhalter hatten sich von Atlans Argumenten überzeugen lassen. Sie wollten den Frieden und die Zusammenarbeit, um den desolaten Zustand der Galaxien gemeinsam zu ändern. War dieser Friede aber nicht machbar, mußte ein Waffenstillstand auf andere Weise herbeigeführt werden. Konink konnte sich vorstellen, daß dies gleichbedeutend mit dem Ende Anterfs war. Viel Blut würde noch fließen, und zumindest er wollte dies nicht. Er erschrak nur ganz kurz, als sich die Energieglocke über ihm und der LOGE‐1 aufbaute und der Fremde im gleichen Moment verschwand. Eine zweite Glocke hüllte die Anterferranter ein. Konink mußte lächeln. Atlan war es ernst mit dem Frieden, und jetzt
sah er sich zum Eingreifen gezwungen. Der Beneterloge hob Bauwan an seinen Mund. Leise sagte er zu dem Fetisch: »Übermittle deinem kleinen Freund, der zu Oirstel gehört, was du gesehen hast. Teile ihm mit, daß wir auf die erwarteten Schwierigkeiten gestoßen sind und der Fremde in meinem Raumschiff war. Oirstel soll jedoch abwarten. Atlan schaltet sich in das Geschehen ein.« Bauwan verwandelte die Worte seines Meisters und seine eigenen Beobachtungen augenblicklich in Gedankenimpulse, die sein Pendant im Prezzar‐Mydonium ohne Zeitverlust erreichten. Ich werde gar nichts tun, dachte der Beneterloge. Ich werde abwarten und mir anhören, was Atlan und die Anterferranter zu sagen haben. Entweder überführen sie sich selbst – oder wir irren uns. Im Unterteil einer der beiden SOL‐Kugeln bildete sich eine Öffnung. Ein Panzerfahrzeug hob sich daraus hervor und senkte sich genau dort auf den Boden, wo die beiden Energieglocken sich fast berührten. * Sternfeuer sah auf den Schirmen, wie der Shift zwischen den beiden Parteien landete. Konink stand vollkommen ruhig noch auf seiner Rampe, während Narrm tobte. Die Telepathin konnte sich nicht vorstellen, wie die Situation noch zu retten war. Sie drehte den Kopf und sah in die bleichen Gesichter von Hayes und den Stabsspezialisten. Plötzlich war es ihr, als riefe jemand nach ihr. Sie stand in Kontakt mit Bjo. Irgendeine fremde Stimme mischte sich in ihr stummes Zwiegespräch. Sternfeuer fragte den Katzer. Er merkte nichts.
Auch Federspiel, der neben ihr stand, schien nichts wahrzunehmen. Die Sache wurde ihr unheimlich. Wieder hörte sie die lautlose Stimme in ihrem Bewußtsein. Sie konnte die telepathische Spur nicht zurückverfolgen und den Sender erkennen. Sie war lediglich in der Lage, ihn einigermaßen gut einzupeilen. Er befand sich innerhalb der SOL. »Federspiel, du hältst für mich den Kontakt mit Bjo, ja? Ich … mir ist nicht gut.« Hayes zog eine Braue in die Höhe, als sie sich abwandte und die Zentrale verließ. Niemand stellte jedoch Fragen. Die Anwesenden mochten denken, daß sie zuviel Anteil an der Entwicklung nahm, um den neuerlichen Rückschlag ohne weiteres zu überwinden. Auf dem Ringkorridor blieb sie stehen und schloß die Augen. Sie versuchte, Bjos und Federspiels Ausstrahlungen abzuschirmen und sich nur auf den anderen Sender zu konzentrieren. Da war er wieder. Sie vernahm ein stummes Rufen in alle Richtungen. Es galt nicht gezielt ihr, doch anscheinend verfügte sie von allen Telepathen an Bord über eine besondere Sensibilität. Und plötzlich wußte sie, wer hinter dem Flehen steckte. Sie begriff es, als sie die völlig instinktmäßige Unsicherheit einer Wesenheit spürte, die nicht wußte, wohin und woher. Langsam setzte sie sich auf die Mentalquelle zu in Bewegung. Sollte sie Atlan über Bjo alarmieren? Oder Hayes über Federspiel? Irgend etwas in ihr wollte es nicht. Irgend etwas sagte ihr, daß eine große Aktion gegen den Fremden mehr Unheil als Gewinn bringen würde. Und er tat ihr leid. Sie fühlte tief in ihrem Innern, daß sie es mit einem im Grunde hilflosen Wesen zu tun hatte. Sie benutzte einen Transmitter, peilte abermals und ließ sich von Laufbändern weitertragen. Nun war sie ganz nahe. Eine Kabinenflucht vor ihr. Sie war verlassen, hier wohnten die Techniker, die noch an der SOL arbeiteten. Sternfeuer holte tief Luft, als sie vor der Tür stand, hinter der sie
den Fremden wußte. Ihre Hand berührte den Kontakt. Die Tür glitt seitlich in die Wand. Er stand in der Mitte des Raumes und blickte sie aus seinen dunklen Augen an. Für einen Moment war sie unsicher. Sie sah die hünenhafte Gestalt, zottig behaart und nackt. Den Begriff Neandertaler kannte sie zwar, konnte sich aber nichts darunter vorstellen. Er wirkte drohend, wild, ungezähmt. Doch was aus ihm heraus auf sie einströmte, war das genaue Gegenteil. Immer noch konnte sie seine Gedanken nicht lesen. Er waren nur Gefühlsbilder. Er war schrecklich allein. Die Mutantin trug den Translator an einer Kette lose um den Hals, der jedem Mitglied des Atlan‐Teams zum unentbehrlichen Requisit geworden war, derzeit auf die Sprachen der Anterferranter und Beneterlogen programmiert. Sie stellte ihn ein und hob ihn vorsichtig an den Mund. »Bitte bleib«, sagte sie. »Ich weiß, daß du durch die Kraft deines Willens von einem Ort zum anderen wechseln kannst. Du suchst. Du willst wissen, ob wir die Diener der wahren Kraft sind. Du willst wissen, wo du bist und ob du zur rechten Zeit gekommen bist. Sage mir, was die wahre Kraft ist, an welchen Ort du gehen mußt und zu welcher Zeit – und warum. Vielleicht können wir uns dann gegenseitig helfen.« Er zögerte. Sie trat näher. Er machte zwei Schritte zurück und wirkte wie ein verängstigtes Tier. Tier! Er war alles andere. Er war etwas, das … Sternfeuer fand keine Antwort darauf. Sie bemühte sich, es aus ihm herauszuforschen, als er schwieg. Etwas, das noch im Entstehen begriffen war? Etwas, das durch Umstände oder das Wirken einer unbekannten Macht in ein Universum geschleudert worden war, das es nicht verstand? Die Spekulationen fielen ihr wieder ein, die sich um ein Werkzeug von Anti‐ES rankten. Sie glaubte nicht daran. Ebensowenig konnte
sie noch glauben, daß es mehrere Wesen von dieser Art gab. Der Hüne war etwas Einzigartiges. »Sage mir, wer du bist«, bat sie. Endlich reagierte er. Doch statt einer Antwort hörte sie die Frage: »Ist dies noch die rechte Zeit? Ist die Entwicklung schon so weit vorangeschritten, daß nichts mehr zu ändern ist?« »Welche Entwicklung meinst du?« Einen Schritt weiter auf ihn zu. Seine Hand nehmen, ihm Vertrauen einflößen. Alles, was Sternfeuer über den Fremden gehört hatte, schien falsch zu sein. Er war ganz zweifellos intelligent und nahm an irgend etwas Anteil. An dem, was jetzt draußen vor der SOL geschah? »Was weißt du? Sage es mir! Du trägst weder das Siegel von Farynt noch das von Bars. Begreifen die Völker das Verhängnis? Handeln sie danach?« Es klang noch verzweifelter. Sternfeuer griff nach der Hand des Zottigen. Blitzschnell zog er sie vor ihr zurück, und sie spürte, wie sich etwas in ihm veränderte. »Bleib!« rief sie. »Sage mir wenigstens deinen Namen!« »Ich bin Mjailam. Und als Mjailam muß ich …« Er sah sie durchdringend an, verblüfft und scheu. Offenbar hatte er ihr schon zuviel gesagt und suchte nun nach einem Weg, dies rückgängig zu machen. Für einen Augenblick dachte Sternfeuer, jetzt könnte er sie umbringen. Er verschwand jedoch wie ein Teleporter. Aber auch das war er nicht. Die Telepathin hätte den kurzen Psi‐Impuls gespürt, der der Entstofflichung vorausgegangen wäre. Doch da war gar nichts gewesen. Handelte es sich bei ihm vielleicht nur um eine Projektion? Sternfeuer! empfing sie den mentalen Ruf ihres Zwillingsbruders. Wenn du kannst, dann komm wieder in die Zentrale. Unten vor dem Beneterlogenschiff tut sich jetzt etwas. Atlan hat Konink und Narrm offenbar dazu bringen können, daß sie sich wenigstens gegenseitig
anhören! Ich bin gleich da, antwortete sie. Sie starrte dorthin, wo eben noch Mjailam gestanden hatte. Mjailam … Er hatte gesagt, er müsse etwas als Mjailam tun. War dies dann nur ein Name oder ein Begriff mit einer Aussage? Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Translator. Das Gerät war in der Lage, Namen als solche zu erkennen. Sie wurden nicht übersetzt. »Gibt es einen Begriff, ein Wort oder eine Wortzusammensetzung in der Sprache der Beneterlogen, die Mjailam lautet?« wollte Sternfeuer wissen. »Es dürfte sich um ein Kunstwort handeln«, kam nach einer Sekunde die Antwort, »zusammengesetzt aus drei Wortfragmenten. Mjailam heißt dann soviel wie der letzte Versuch.« 3. Angriff aus dem Dunkel Atlan hatte auf lange Floskeln verzichtet und Narrm sehr deutlich klargemacht, daß er seine Mittlerrolle von nun an mit allen Konsequenzen spielen würde. Dazu gehörte die Gewährleistung von Koninks Sicherheit. Erst ein eindringlicher Appell an Narrms Ehre und Glaubwürdigkeit vermochte die Empörung des Anterferranters zu zügeln. Der Hinweis auf Ztyrrhs Kunstfliegereinlagen tat ein übriges. Schließlich war der Regierungschef dazu bereit, dem Arkoniden an Bord der SOL zu folgen. Konink machte weit weniger Schwierigkeiten. Er erklärte sich sofort damit einverstanden, sich Atlans Schutz anzuvertrauen. Er machte keine Vorwürfe mehr und reagierte nicht im geringsten auf Narrms stechende Blicke. Beide stiegen in den Shift. Der Flugpanzer kehrte in die SOL
zurück. Atlan befürchtete im stillen eine neue Aktion von Ztyrrh. Es kam nicht dazu. Er führte Konink und Narrm in den Konferenzraum von SOL‐City. Hayes wurde gebeten, die Energieglocke über den Anterferrantern zurückzunehmen. Nur die LOGE‐1 blieb auch weiterhin geschützt. Sternfeuer, Blödel und die Brick‐Zwillinge erschienen und setzten sich zu den schon anwesenden Mitgliedern des Teams. Die Telepathin wirkte erregt, sagte jedoch noch nichts. Narrm und Konink saßen sich gegenüber. Der Anterferranter vermied es nun, den Prezzarerhalter auch nur anzublicken. Konink dagegen erschien gelöst. Atlans stille Bewunderung für diesen Mann wuchs. »Bevor wir beginnen, Narrm«, sagte der Arkonide, »möchte ich, daß du mit Ztyrrh sprichst und auch mit Shorrn. Alle Soldaten müssen aus der Nähe des Landeplatzes zurückgezogen werden. Ich will keinen Bewaffneten und keine Jagdflieger mehr sehen.« »Bist du der Herrscher von Anterf?« fuhr der Regierungschef auf. »Ich bin der, dem du dein Wort gegeben hast, Konink Gastfreundschaft zu gewähren!« entgegnete Atlan ebenso heftig. »Und bei meinem Volk bedeutet Gastfreundschaft nicht, daß man die Gäste mit Waffen empfängt!« »Gäste bringen auch keine … keine Geheimwaffe mit!« Narrm fuhr sich mit einer Hand durch das Stirnfell zwischen den beiden katzenartigen Ohren. Er schloß die Augen. Schließlich nickte er. »Ich möchte hören, was die Wissende dazu sagt.« Atlan hielt den Atem an, als sich alle Blicke auf Tyari richteten. Sie schien mit sich zu ringen. Bitte! dachte der Arkonide. »Ich bin Atlans Meinung, Narrm«, sagte sie. Narrm stand auf. Bjo Breiskoll brachte ihn zum Interkom. Über die Zentrale wurde die Verbindung nach Karn‐Ant geschaltet. Atlan warf der Gesandten Tyars einen dankbaren und erleichterten Blick zu. Narrm sprach zuerst mit Ztyrrh, dann mit einer Reihe anderer
Anterferranter. Welche Überwindung mußte es für ihn bedeuten, dies vor den kritischen Augen des Prezzarerhalters zu tun. Sternfeuer nutzte die Gelegenheit, um dem Arkoniden ins Ohr zu flüstern, wie sie Mjailam gefunden und was sie mit ihm erlebt hatte. Bjo, Federspiel und Tyari waren bereits telepathisch informiert. »Er stellt immer nur Fragen«, sagte sie noch, als Narrm zurück an den Tisch kam. »Atlan, er weiß so wenig wie ein neugeborenes Kind. Aber ich bin jetzt felsenfest davon überzeugt, daß er weder von den Beneterlogen, noch von den Anterferrantern und schon gar nicht von Anti‐ES kommt.« Er nickte und zeigte nicht, ob er beeindruckt war. Was vor ihm lag, erforderte wieder seine ganze Konzentration. »Ich danke dir, Narrm«, sagte er. »Dann können wir uns nun hoffentlich den Modalitäten der Friedensgespräche zuwenden. Ich schlage …« Narrm hob eine Hand. »Noch nicht. Vorher muß geklärt werden, wie der Fremde auf das Raumschiff der Prezzarerhalter kam. Bevor wir über Verhandlungen reden, verlange ich eine Stellungnahme von Konink dazu.« »Ich war allein«, sagte der uralte Beneterloge. »Während des ganzen Fluges hierher befand sich außer mir niemand in der LOGE‐ 1. Ansonsten hätte er einen Alarm ausgelöst. Der Fremde kam erst kurz vor der Landung oder erst kurz nach ihr, als die entsprechenden Systeme schon ausgeschaltet waren.« »Gib uns einen Beweis dafür«, forderte Narrm. »Beweise du mir, daß er keinen Sabotageauftrag hatte.« Narrm sprang auf. »Es hat keinen Sinn, Atlan, da hörst du es! Er beschuldigt uns, ihm das Wesen geschickt zu haben, das er selbst …« Atlans Faust knallte auf den Tisch und brachte ihn zum Schweigen. »Also schön! Konink, du kannst in deinem Schiff feststellen, ob
irgend etwas nicht so ist, wie es sein sollte?« Der Prezzarerhalter nickte. »Mein Denker kann es mir mitteilen. Sein Plasma ist mit allen Systemen verkabelt.« Die Beneterlogen verwendeten keine Positroniken, sondern ein informationsspeicherndes Nur‐Plasma, das sie »Denker« nannten. Es steuerte alle wichtigen Vorgänge. »Dann überzeuge dich bitte. Bjo und Insider, begleitet ihn. Inzwischen kann sich auch Narrm Gedanken über den Fremden machen, der mittlerweile einen Namen hat.« Er faßte kurz zusammen, was er von Sternfeuer erfahren hatte. »Und da auch ich ihre Ansicht nun teile, übernehme ich die Verantwortung für ihn und für alles, was durch ihn noch geschehen mag.« Es war riskant, doch der einzige Weg, dieses Thema endgültig von den Gesprächen auszuklammern. Konink wurde von Bjo und Insider hinausgeführt. Narrm blieb sitzen. In seinem Gesicht arbeitete es. * Eine knappe Stunde später war Konink zurück und erklärte, daß sein Verdacht unbegründet gewesen sei. Mehr noch. Für alle Unterstellungen, die Narrm aus seinen Worten herausgelesen haben konnte, entschuldigte er sich. Narrm nahm die Entschuldigung an. Alles wirkte knöchern und steif. Jedes Wort mußte zehnmal überlegt sein, um nicht wieder zu Verstimmungen zu führen. Atlan ging dem aus dem Weg, indem er gezielt zur Sache kam. »Es geht also darum, wo die Verhandlungen stattfinden sollen. Ich gehe davon aus, daß die gegenseitige Bereitschaft wiederhergestellt ist. Konink?« »Ich spreche für Oirstel und schlage das Prezzar‐Mydonium vor.
Ic
h garantiere dafür, daß das Mydonium für die Zeit der Verhandlungen ein neutraler Ort sein wird. Dieser Status muß sowohl von den Anterferrantern als auch von den regulären Beneterlogen anerkannt werden.« Die Unterscheidung war wichtig. Die Prezzarerhalter, ebenfalls Beneterlogen, würden keine Partei für die »Regulären« ergreifen dürfen. »Ich bin für die SOL«, sagte Narrm dagegen. »Die SOL kann noch nicht starten«, erinnerte Atlan ihn. »Im Augenblick wäre sie als Begegnungsstätte gleichbedeutend mit Anterf. Dies käme einem Vorschlag von Konink gleich, die Verhandlungen auf der Hauptwelt der Beneterlogen stattfinden zu lassen.« »Aber die Prezzarerhalter sind Beneterlogen, auch wenn sie sich für neutral erklären. In ihren Herzen stehen sie auf der Seite des Gesamtvolks.« Atlan beugte sich zu dem Anterferranter hinüber. »Narrm, schließen wir einen Kompromiß. Die anterferrantische Kommission wird mit meinen beiden Schiffen zum Prezzar‐ Mydonium gebracht. Die CHYBRAIN und die FARTULOON garantieren zusätzlich für ein Gleichgewicht.« »Einverstanden«, sagte Narrm nach kurzem Schweigen. »Einverstanden«, kam es auch von Konink. Atlan atmete auf. »Dann steht der Tagungsort fest. Bestimme nun die kompetenten Anterferranter, die die Delegation bilden werden, Narrm. Wirst du selbst mitfliegen?« »Das erlaubt mir die innenpolitische Situation auf Anterf leider kaum. Ich habe an Shorrn gedacht, und an …« Er zählte eine Reihe von Namen auf. Atlan lehnte sich zufrieden zurück. Das Gespräch ging flüssig weiter. Es war, als sei der Knoten endgültig geplatzt. Nach den Planungen des Arkoniden konnten die beiden Kreuzer schon morgen aufbrechen.
Doch dieses Spiel besaß offenbar seine eigenen Regeln. Sie waren einfach. Sie sagten, daß auf jeden Erfolg ein immer größerer Rückschlag folgte. Der Alarm heulte in dem Augenblick durch SOL‐City, als sich Narrm und Konink zögernd die Hand reichten. * Die CHYBRAIN und die FARTULOON hatten, ihrer Bedeutung gemäß, ihren eigenen Hangar. Er konnte direkt von SOL‐City aus kontrolliert werden, eine autonome Zelle im Gesamtgefüge der SOL. Die Schiffe wurden in der Regel von den Bricks gewartet. Nur wenn die Piloten anderenorts gebraucht wurden, übernahmen Techniker deren Arbeit. Diese Handvoll Männer und Frauen unterstanden offiziell zwar dem High Sideryt, fühlten sich innerlich jedoch mehr als Randfiguren des Altan‐Teams. Als Vorlan und Uster Brick sich entschlossen hatten, an den Gesprächen zwischen Narrm und dem Prezzarerhalter teilzunehmen, was dies automatisch das Zeichen für die Techniker. Die Schiffe mußten auf den vermutlich bevorstehenden Einsatz optimal vorbereitet sein. Die Kontrollen und Kleinreparaturen waren Routine. Das meiste wurde von Robotern getan. Nur speziellere Aufgaben und die Überwachung oblagen den Solanern. Jennifer Hoyle hatte nur noch zwei Männer bei sich. Holm Öland, der Halbbuhrlo, war mit ihr in der Zentrale der CHYBRAIN. Lenne Masen, Sohn eines Strahlungsgeschädigten ehemaligen Ferraten‐ Pärchens, kam seine körperliche Mißbildung nun zugute. Früher hatte er sich wegen der sieben langen Finger an der linken Hand vor den Monsterjägern der SOLAG verstecken müssen. Heute mochte er die beiden zusätzlichen Gliedmaßen nicht mehr missen. Er überprüfte die Umwälzanlagen der FARTULOON. »Ich würde zu gerne einmal mitfliegen«, sagte Öland, während die
Zustandsberichte der Positronik über die einzelnen Kraftstationen vor ihm über ein Bildschirmdisplay liefen. »Ich meine, wir sorgen dafür, daß die Prachtkähne nicht rosten, aber fliegen tun sie immer nur Atlans Leute.« Jennifer lachte. »Ich wäre an deiner Stelle nicht so verdammt scharf darauf, in Teufels Küche zu geraten. Denn du kannst dich darauf verlassen, daß die Bricks immer haargenau dahin finden, wo gerade ein Oberteufel im Schwefelkessel herumrührt.« »Aber jetzt soll es doch um etwas Ruhiges gehen.« »Bist du so sicher? Ich sage dir, Atlan lockt die Gefahr wie ein Magnet an. Und das Verrückte ist, daß er es immer wieder schafft, mit heiler Haut zur SOL zurückzukehren.« Was bedeutete das rote Lämpchen neben ihr auf dem Kontrollpult? »Trotzdem«, sagte Öland. »Ich würde zu gerne sehen, wie sie …« Jennifer hob eine Hand. »Sei mal still! Ich habe hier etwas, das ich nicht verstehe. Positronik? Was bedeutet das Warnlicht für den Triebwerkssektor?« »Ich registriere eine schwache Hitzeentwicklung im Bereich Grün/31. Der Temperaturanstieg beträgt 0,07 Grad. Die kritische Grenze, bei der ein Alarm ausgelöst werden muß, liegt bei einem Grad plus.« »Das kann eine natürliche Ursache haben«, meinte Öland. »Lenne war dort, bevor er in die FARTULOON ging, und du weißt, daß er einer von denen ist, die immer noch diesem uralten Laster frönen.« Er verzog den Mund. »Rauchen! Sicher hat er eine Zigarettenkippe weggeworfen, die noch glimmt.« »Du spinnst wohl.« »Es sollte ja auch nur ein Scherz sein und dir zeigen, wie schnell ohne große Ursache ein Temperaturanstieg dieser Größenordnung hervorgerufen werden kann.« Er forderte weiter seine Daten an und las sie ab. Jennifer ließ das
Warnlicht keine Ruhe. Natürlich brauchte nichts Sensationelles dahinterzustecken. Und doch. Jennifer gehörte zu denjenigen Menschen, die immer alles genau wissen wollten. »Mach du hier weiter, Holm. Ich sehe mich in Grün/31 um.« Dabei wäre die Arbeit in wenigen Minuten getan gewesen. Die anderen fünf Techniker hatte Jennifer schon vor einer Stunde in ihre Quartiere geschickt. Sie fand nichts Verdächtiges, als sie die runde Halle betrat, in deren Mitte der mächtige Konus des Impulstriebwerks durch die Decke stieß. Der Boden zwischen den Generatorenblöcken war blitzsauber und … Aber irgend etwas zischte. Es war kaum wahrnehmbar. Jennifer tastete sich an die Quelle des Geräusches heran und blieb wie angewurzelt stehen. Etwas fraß sich wie eine Lunte auf eine Generatorverkleidung zu. Die Technikerin ging näher heran. Es roch ätzend, säuerlich. Ein nur millimetertiefer Einschnitt im Boden reichte bis auf einen halben Meter an die Verkleidung heran. An seiner »Spitze« brannte sich leise zischend ein fingergroßer Wurm durch den Terkonitstahl voran. Dabei entstanden die ätzenden Dämpfe. Und wenn der Wurm so weitermachte … Jennifer lief es eiskalt den Rücken herunter. Sie wußte nicht, was dies hier zu bedeuten hatte, aber in der CHYBRAIN und in der ganzen SOL gab es keine Würmer, die Terkonit auflösen konnten! Sie rannte zum nächsten Interkom‐Anschluß und gab Alarm. Als die Sirenen heulten, wußte sie, daß das gleiche nun in SOL‐City und in der Hauptzentrale gehört wurde. Aber bis zum Eintreffen von Atlans Leuten wollte sie nicht warten. Sie nahm einen Teil der Verkleidung dort ab, wohin es den Wurm offenbar zog. Sie wagte es nicht, ihn anzufassen oder nur fortzutreten. Hinter der Platte waren normalerweise siebzig Zentimeter »Luft« bis zu dem Generator. Jetzt lag dort ein metallisches, eiförmiges Objekt von einem
Viertelmeter Länge. Jennifer wurde von einer furchtbaren Ahnung beschlichen. Vielleicht irrte sie sich und tat jetzt etwas Falsches. Aber feststand, daß das Ei nicht hierher gehörte. Sie streckte vorsichtig die Hände danach aus, hob es noch vorsichtiger auf und wagte kaum noch zu atmen, als sie es in Brusthöhe hielt. Es war schwer und hatte keine Markierungen. »Jenny!« Sie zuckte so heftig zusammen, daß ihr das Ei fast entglitt. Öland stand hinter ihr. Sie fluchte und zeigte ihm ihren Fund. Der Wurm fraß sich unterdessen unaufhaltsam weiter. »Was ist das?« wollte der Techniker wissen. »Wo hast du das …?« Er sah endlich den Wurm. »Frag nicht lange, Holm. Das Ding muß aus dem Schiff und aus dem Hangar! Renne in die Zentrale, unterrichte Atlan! Aber vorher öffnest du mir das Schott!« Er tat es tatsächlich. Jennifer hatte weiche Knie, als sie ihm folgte. In den Antigravschacht. Aus der CHYBRAIN. Es schien Ewigkeiten zu dauern. Das Hangarschott fuhr auf, gerade als Atlan und die beiden Bricks außer Atem erschienen. Sie nahm sich jetzt keine Zeit für Erklärungen, ignorierte Atlans Rufe und legte das Ei in die Mulde einer Antigravplatte. Mit einem Fesselfeld sorgte sie dafür, daß es nicht herabrutschte. Zitternde Finger nahmen die Programmierung der Scheibe vor. Ein letzter Tastendruck, und die Scheibe schwebte mitsamt ihrem Ballast aus der SOL und stieg steil in den Himmel. Jennifers Knie gaben nach. Sie ließ sich hinfallen und merkte erst jetzt, daß sie schweißüberströmt war. »Würdest du mir vielleicht erklären, was das zu bedeuten hat!« fragte Atlan wütend. »Du hast den Alarm ausgelöst? Was hattest du da in den Händen?« Sie hatte schon zuviel riskiert. Auf einen möglichen Fehler mehr oder weniger kam es nicht an.
Anstelle einer Antwort nahm sie noch einmal alle Kraft zusammen, richtete sich auf, nahm einen schweren Impulsstrahler mit Zieloptik von der Wand und legte ihn an. Atlan war dermaßen verblüfft, daß er zu spät nach der Waffe griff. Sie erfaßte das Metallei, das vom bloßen Auge schon nicht mehr gesehen werden konnte, und löste den Schuß aus. Der nadeldünne Strahl fuhr in gut dreihundert Metern Höhe in die Bombe und brachte sie zur Explosion. * »Und genau das wäre in der CHYBRAIN geschehen, wenn die empfindlichen Meßsysteme des Schiffes nicht den lächerlichen Temperaturanstieg von 0,07 Grad Celsius registriert und gemeldet hätten«, sagte Jennifer, nachdem sie ihre Entdeckung vor Hayes, Atlan, den Stabsspezialisten und Mitgliedern des Atlan‐Teams, schließlich vor Narrm und vor Konink geschildert hatte. »Die Auswertung liegt vor. Die Sprengmasse hätte gereicht, um beide Schiffe zu zerfetzen. Jetzt reißt mir den Kopf ab oder laßt mich in Ruhe.« Atlan schwieg betroffen. Die Blicke, die gewechselt wurden, sprachen für sich. Nur Narrm sah starr geradeaus, und der Prezzarerhalter gab sich, als sei er überhaupt nicht anwesend. Gleich werden sie wieder übereinander herfallen! dachte der Arkonide bitter. Aber diesmal ging es auch gegen uns! »Dieser Wurm«, sagte er zu Narrm, ohne sich umzudrehen. »Er starb, als er die Stelle erreichte, an der die Bombe gelegen hatte. Narrm, wir haben ihn nicht mitgebracht. Kennst du solche Tiere?« »Wir nennen sie Eisenfresser«, antwortete der Regierungschef mit belegter Stimme. »Oder auch Todsuchtkriecher. Es gibt sie in bestimmten Gegenden dieses Kontinents. In früheren Zeiten verwüsteten sie ganze Siedlungen. Sie haben eine besondere
Eigenart. Wenn sie dem Duftstoff einer bestimmten Eidechsenart folgen, geraten sie in einen Rausch. Sie geben dabei soviel Säuresekret ab, daß sie regelrecht austrocknen, bis sie das Ende der Spur erreicht haben. Aber sie kriechen immer bis zum Ende. Der Rausch gibt ihnen noch Kraft. Dann aber sterben sie innerhalb von Sekunden. Wir machten uns diese Erkenntnis zunutze, um die Plage zu bannen.« »Ihr stelltet den Duftstoff künstlich her?« »Das wird immer noch getan, wo Eisenfresser sich wieder ausbreiten. Wir sammeln den Stoff auch von den Eidechsen.« »Und jeder Anterferranter weiß das? Jeder kann sich den Stoff besorgen, wo und wann er will?« »Ja, aber …« Narrm ballte die Fäuste. Er drehte sich zu Konink um, dann zu Atlan. »Aber kein Anterferranter außer mir und meiner Delegation war an Bord der SOL! Und schon gar nicht in der Nähe der CHYBRAIN! Darauf willst du doch hinaus, oder? In der CHYBRAIN waren nur eure eigenen Leute!« Atlan legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe nichts gesagt, Narrm. Ich weiß, daß du nichts mit dem versuchten Anschlag zu tun hast. Und bei allen Planeten, jetzt behaltet die Nerven und kommt nicht wieder mit Beschuldigungen. Jemand hat den Säurewurm in die CHYBRAIN gebracht. Dieser Jemand deponierte mit Sicherheit auch die Bombe. Er strich Duftstoff auf den Boden. Er muß auch die Bombe damit behandelt haben. Der Wurm sollte sich durch die Verkleidung fressen und die Bombe zur Explosion bringen. Einen raffinierteren Zeitzünder habe ich selten kennengelernt. Also, wer war der Jemand?« »Kein Anterferranter!« wiederholte Narrm. Atlan nickte der Technikerin zu, die den Kopf in die Hände gelegt hatte. »Du hast vollkommen richtig gehandelt, Jennifer. Wer war außer dir und Öland noch in der CHYBRAIN?« Sie nannte Masena Namen und die von fünf anderen Solanern. Sie
versicherte, daß sie für jeden einzelnen die Hand ins Feuer legen würde. Hayes veranlaßte, daß die sechs Personen zur Zentrale gebracht werden sollten. Fünf kamen. Der sechste leistete Widerstand und schoß blindwütig um sich, bis er selbst in Notwehr getötet wurde. »Karg!« flüsterte Jennifer entsetzt, als die Nachricht einlief. »Ausgerechnet er! Er ist – er war der friedfertigste Mensch, den ich kannte!« Die Bildübertragung vom Schauplatz des kurzen Kampfes zeigte, daß der Karg Silberhahn, der dort mit verbrannter Plastikmaske lag, kein Mensch gewesen war. »Ein … Anterferranter!« entfuhr es Hayes. »Aber wo ist dann der echte Silberhahn!« Narrm schrie wie unter unerträglichen Schmerzen auf. »Unter diesen Umständen kann ich nicht weiterverhandeln. Ich verlange, daß man mich in die Stadt bringt!« * Silberhahns Spur zurückzuverfolgen, war so gut wie unmöglich. Er hatte auch an den Reparaturarbeiten im Freien mitgeholfen und wie viele Solaner Karn‐Ant besucht. Irgendwann mußte er dabei überwältigt und verschleppt worden sein. Die Wahrscheinlichkeit, daß er noch lebte, war mehr als gering. Ein Planetarier war in seine Maske geschlüpft, und dazu bedurfte es umfangreicher Vorbereitungen. Dazu hatten Pläne gemacht werden müssen, und ein Mann allein konnte die perfekte Plastikmaske nicht anfertigen. »Es steckt eine ganze Gruppe dahinter«, sagte Hage Nockemann. Die meisten Mitglieder des Atlan‐Teams befanden sich noch in der Hauptzentrale. Atlan hockte vornübergebeugt in einem Kontursessel neben Cara Doz. Sein Gesicht drückte seine ganze Niedergeschlagenheit aus. Manchmal sah er zu Konink hinüber, der
sich im Hintergrund hielt. Er glaubte, die Gedanken des Prezzarerhalters lesen können. Konink registrierte und zog seine Schlüsse. War es nicht nur natürlich, daß er Oirstel nun dringend davon abraten mußte, die Anterferranter ins Prezzar‐Mydonium zu lassen? »Eine radikale Gruppe«, fuhr Nockemann fort: »Narrm war mehr als schockiert. Und selbst Ztyrrh traue ich den Anschlag nicht zu. Er hat seine eigenen Vorstellungen davon, wie man mit der anderen Seite umgehen sollte. Aber er würde nichts gegen die SOL und uns unternehmen.« »Also ein Widerstandsnest?« fragte Hayes. »Anterferranter, die aus dem Untergrund gegen die Verständigung arbeiten und genau wissen, wo wir am empfindlichsten zu treffen sind?« Er nickte. »Ohne Atlan und Tyari keine Verhandlungen.« Der Arkonide fluchte und stand auf. »Deine Meinung dazu, Konink?« »Ich glaube, daß Narrm ein aufrichtiger Mann ist. Dafür spricht, daß er nach seinem überstürzten Aufbruch die Leiche des Attentäters abholen ließ, um sie zu identifizieren. Ich glaube auch daran, daß die Mehrheit der Anterferranter tatsächlich einen ehrlichen Frieden mit den Völkern von Farynt will.« »Aber?« »Was taugt ein Friede, wenn schon ein einziger Radikaler genügt hätte, um deine Schiffe in die Luft zu sprengen, Atlan? Wie sollen die Völker jemals zusammenfinden, wenn von Anterf aus der Terror auf die Beneterlogen‐Welten getragen werden kann?« »Die Prezzarerhalter werden sich also nicht mit den Anterferrantern an einen Tisch setzen?« »Es tut mir aufrichtig leid, Atlan. Nicht, solange diese Gefahr nicht beseitigt ist.« Was das heißt, wußte der Arkonide nur zu gut. Aufrührer hatten schon ganze Planeten ins Chaos gestürzt – ganze Sternenimperien. Selbst falls es gelang, einige zu fassen, sie waren wie eine Hydra, der
immer neue Köpfe wuchsen. Nur eines schien festzustehen: Mjailam hatte nichts mit dem Anschlag zu tun. Von ihm redete plötzlich niemand mehr. »Wir wußten alle, daß es ein harter Kampf werden würde«, sagte Atlan verdrossen. »Ich gebe nicht auf. Wir müssen die führenden Köpfe der Gruppe finden und uns anhören, was sie zu sagen haben.« Die Blicke der Gefährten sprachen für sich. In der SOL breitete sich bereits Unruhe aus. Die Nachricht von dem Zwischenfall hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Viele Solaner sprachen sich schon offen dafür aus, die Anterferranter Anterferranter sein zu lassen und nach dem Abschluß der Reparaturarbeiten diese Welt zu verlassen. Einige plädierten leidenschaftlich dafür, überhaupt einen neuen Kurs einzuschlagen, ein neues Ziel zu suchen. Die kosmischen Zusammenhänge, die sie nach Bars‐2‐Bars geführt hatten, wollten sie nicht mehr begreifen. Sie waren Atlan dankbar für alles, was er für sie getan hatte. Doch auch das konnte sich einmal erschöpfen. Sicher, noch waren es relativ wenige. Hayes vermochte sie noch zu beschwichtigen. Doch was dachte er im geheimen? Was geht uns Anti‐ES an, wurde in den Messen geflüstert. Gavro Yaal wußte davon zu berichten, daß Männer und Frauen sich an ihn wandten, denen seine Rolle vor der Übergabe des Schiffes an die Solaner durch historische Info‐Spulen bekannt war. Es sollte nicht noch einmal eine Odyssee beginnen, an deren Ende ein sinnlos gewordenes Dasein stand. Er konnte die Unzufriedenen verstehen, seine Argumente überzeugten sie auch. Doch als Folge kam nun der Wunsch auf, die Milchstraße zu suchen und zur Erde zurückzukehren. Fast schien es manchmal, als stünde eine Wiedergeburt der Terra‐Idealisten bevor. Hinter vorgehaltener Hand wurde der Name Perry Rhodans fast ehrfurchtsvoll geflüstert. Unter Chart Deccon verteufelt, wurde der Terraner zum Synonym für Ziele, die zwar auch gefährlich gewesen
waren, aber überschaubar. Hayes hatte das noch unter Kontrolle. Die große Mehrheit der Solaner war durch die bestandenen Abenteuer seit der Befreiung vom Joch der SOLAG zusammengeschweißt worden. Sie vertrauten einander, vertrauten ihrem High Sideryt und Atlan. Der Arkonide verscheuchte die Gedanken daran. Ein Erfolgserlebnis würde die Unzufriedenen umstimmen. Und niemand wünschte sich ein Ende des Irrwegs und eine Zukunft ohne Auseinandersetzungen mehr als er. Deshalb mußte er die Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst wiederbekommen. Deshalb die Verhandlungen zwischen den Völkern von Bars und Farynt. Und danach Varnhagher‐Gghynnst, das Anbordnehmen der Ladung, die für die Kosmokraten so wichtig war. Danach das Abliefern dieser geheimnisvollen Ladung und vielleicht der Weg zurück in die Milchstraße. Niemand mußte den Arkoniden an Rhodan und all die anderen alten Freunde erinnern. Er fieberte mehr als jeder Solaner danach zu erfahren, was aus ihnen geworden war! Und zum Teufel, dachte er, deshalb werde ich diesen Verschwörern auf die Schliche kommen! . Er sah, wie Konink seinen Fetisch aus einer Tasche holte und an sein Ohr setzte. Das konnte nur bedeuten, er erhielt eine Nachricht aus dem Prezzar‐Mydonium. Fast im gleichen Moment schrie Sternfeuer auf. Die Bildschirme, die Karn‐Ant zeigten, erstrahlten unter der plötzlichen Helligkeit. Dann auch jene, auf denen die LOGE‐1 zu sehen war. Alles kam auf einmal zusammen. Sternfeuer rief, daß sie panikerfüllte Gedanken der Anterferranter empfing. Die Schirme klärten sich, als die Filter sich automatisch vorschalteten. Über Karn‐ Ant stand ein Explosionspilz. Der Energieschirm über der LOGE‐1 flammte noch unter der atomaren Glut der Raketensprengköpfe, die in ihn geschlagen waren. Atlan krampfte sich der Magen zusammen. Er konnte es nicht fassen. Waren die Wahnsinnigen so
weit jenseits aller Skrupel, daß sie eine Atombombe in der zweitgrößten Stadt ihres Planeten zündeten? Die Schirme der SOL hatten sich im Augenblick der Detonationen selbsttätig aufgebaut. Hayes schrie Befehle. Seine Stimme überschlug sich. Überall rannten Männer und Frauen in die Gefechtsstationen. Mit einem Schlag war der schwelende Konflikt zu einem nie für möglich gehaltenen Ausmaß eskaliert. Noch bevor Atlan seine Fassung wiedergewann, senkte Konink die Hand mit dem Fetisch. »Es ist an drei verschiedenen Stellen im Prezzar‐Mydonium zu verheerenden Explosionen gekommen«, sagte er tonlos. » Ich möchte daran glauben, daß eine noch unbekannte Macht die Verantwortung dafür trägt, die nichts mit den Anterferrantern zu tun hat, weil ich mit meinen eigenen Augen sehe, was hier geschieht. Ich …« »Was kümmert uns jetzt dein Mydonium!« fuhr Wajsto Kölsch unbeherrscht auf. »Du siehst es, na also! Und mir reicht es!« Er bewaffnete sich und stürmte aus der Zentrale, als befände der Feind sich in der SOL. »Ich habe Oirstel schon Bericht erstattet«, fuhr Konink mit einer Ruhe fort, die selbst Atlan in diesem Moment wie eine Provokation vorkam. »Er will, daß ich auf der Stelle zurückkehre, denn überall dort, wo sich die Explosionen ereigneten, wurde vorher der Fremde gesehe‐ Mjailam.« Das ist Wahnsinn! durchfuhr es den Arkoniden. »Versuche, Narrm zu erreichen, Curie!« Ein anderer schien für ihn zu sprechen. Falls Narrm und seine Berater noch leben! »Und eine Hyperfunkverbindung zum Prezzar‐Mydonium!« Beides kam nicht zustande. 4. Die Anti‐Gruppe
Zwei Stunden waren vergangen. Es war Nacht auf dieser Hälfte von Anterf. Die SOL lag wie ein riesiges Leuchtinsekt, das aus unzähligen Facetten glänzte. Die Energieglocke über die LOGE‐1 schimmerte fahl im Halbdunkel. Über Karn‐Ant bewegten sich die glitzernden Punkte von Rettungsflugzeugen, die Tote abtransportierten und Verletzte in die Hospitäler brachten. Narrm lebte. Sein Sicherheitschef Shorrn hatte endlich die Anrufe von der SOL beantwortet. Narrm ließ sich nicht sprechen, aber immerhin wußte Atlan jetzt, daß die Gigatonnenbombe nicht nuklear gewesen war. Die Zahl der umgekommenen Anterferranter ging in die Hunderte, aber es gab keine radioaktive Verseuchung. Die Atomsprengköpfe auf die LOGE‐1 waren durch die Schutzglocke weitgehend neutralisiert worden. Radioaktive Wolken konnten mittels Schirmfeldern von der Stadt abgedrängt und hoch über die Atmosphäre geleitet werden. Konink war aus Gründen, die er für sich behielt, gegen Oirstels Befehl noch nicht abgereist. Sein Schiff war unversehrt. Er hätte es also jederzeit tun können. Er hatte sich in eine Kabine in SOL‐City zurückgezogen und bat darum, nicht gestört zu werden. Atlan respektierte das. Er respektierte Narrms Schweigen. Er respektierte so vieles – aber das brachte ihn keinen Schritt voran. In Absprache mit Hayes und den Stabsspezialisten hatte er den Telepathen seiner Gruppe die Erlaubnis erteilt, nach jedem Solaner zu espern, der sich in die Nähe der Zentralen und vor allem der beiden Spezialkreuzer begab. Sonst galt das ungeschriebene Gesetz, daß Sternfeuer, Federspiel und Bjo nicht in den Gedanken der Besatzung herumzuspionieren hatten. Jetzt aber konnten nur sie entdecken, ob es weitere Silberhahns an Bord gab. Bisher waren sie nicht fündig geworden. Atlan war nicht im Versammlungsraum. Mit Tyari hatte er sich in seine Kabine zurückgezogen. Was die drei anderen Mutanten auffingen, registrierte auch sie. Und er hatte das Bedürfnis, mit ihr allein zu sein, mit ihr zu reden und sich gegen die Außenwelt
abzuschotten. Auf Hayes und sein Team konnte er sich verlassen – und sie konnten für eine Stunde oder zwei auch einmal ohne ihn auskommen. Er war kein Gott, sondern ein Mensch wie sie alle. Auch er mußte einmal erst wieder zu sich kommen. »Was haben wir falsch gemacht, Tyari?« Sie schmiegte sich an ihn. In ihren Armen konnte er einiges von dem vergessen, was ihm auf der Seele brannte. Ihre Küsse bewiesen, daß das Band zwischen ihnen stärker war als alle Meinungsverschiedenheiten. »Nichts«, sagte sie sanft. »Wenn du dich meinst. Du hast alles getan, um dein Ziel, das nicht meines war, zu erreichen.« Er sah ihr überrascht in die Augen. »War?« »Ich will nicht sagen, daß ich meine Meinung geändert habe, jedenfalls nicht grundlegend. Aber ich habe Zweifel bekommen. Deine Worte über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit gehen mir nicht aus dem Sinn, seitdem ich erkennen mußte, welche jämmerliche Rolle das dominierende Volk von Bars in diesem Mosaik spielt.« Sie richtete sich auf und legte die Arme um die Knie. »Mir imponiert einfach dieser Prezzarerhalter. Er geht ein großes Risiko ein, und warum? Gegen ihn kommen die verantwortlichen Anterferranter mir wie … Kinder vor. Soll dies wirklich Tyars Volk sein?« Atlan antwortete nicht darauf. Sie hatte sich bislang immer als eine von Tyar zu dem Zweck Geschaffene gesehen, das »Krebsgeschwür Farynt« zu bekämpfen – es wieder von Bars zu lösen und zu entfernen. Jetzt begann sie offenbar endlich einzusehen, daß weder die Anterferranter noch sonst eine Kraft in Bars dies jemals vermochte. Ebenso wenig waren die Farynter dazu in der Lage. Sterbliche konnten keine Galaxien auseinandertreiben, jede von ihnen mit Milliarden und aber Milliarden Sternen. Doch irgendwo schlummerten Tyar und Prezzar. Vielleicht konnten die Völker, die im Gefüge von Bars‐2‐Bars gefangen waren, gemeinsam einen Weg
finden, etwas zu bewirken. Was nun in Tyari vorzugehen schien, hieß nichts anderes, als daß sie anscheinend zum ersten Mal Prezzar selbst in ihr Kalkül einbezog. Atlan traute dieser Entwicklung noch nicht. Sie war zu revolutionär für die Gesandte Tyars. Sie wollte noch etwas sagen. Ihre Lippen waren bereits halb geöffnet, als sie sich plötzlich versteifte. »Was hast du?« fragte der Arkonide, innerlich alarmiert. »Da ist etwas. Sternfeuer und die beiden anderen spüren es auch. Jemand nähert sich dem Hangar unserer Schiffe. Nein, es sind … mehrere.« »Du kannst ihre Gedanken lesen?« »Eben nicht. Aber andere Solaner haben sie gesehen. Sie sahen … drei Männer und zwei Frauen, die für mich aber nicht da sind.« »Du willst sagen, sie schirmen sich geistig ab?« Atlan war schon auf und in voller Montur. »Das können nur unsere Mutanten und Mentalstabilisierte.« Wenn es sich um Menschen handelte. Und auch Anterferranter waren psionisch ausspähbar. Wer also bewegte sich auf die Spezialkreuzer zu? »Sie sind am Hangar vorbeigegangen«, sagte Tyari. »Warte. Zwei Posten sehen sie in diesem Moment in einem Wartungsraum verschwinden. Sie tun unauffällig und schließen die Tür hinter sich. Der Raum liegt direkt neben einem Lüftungsschacht, der … in den Hangar führt!« »Haben die Wachen Verdacht geschöpft?« »Nein.« »Dann fangen wir sie ab. Wir werden im Hangar sein, wenn sie aus dem Schacht kommen! Kein Wort an Hayes oder sonst irgend jemand. Nur Sternfeuer, Bjo und Federspiel dürfen Bescheid wissen! Wir fünf gehen allein!« Von Gehen konnte kaum die Rede sein. Vor Tyari stürmte er aus der Kabine. Draußen kamen schon die Telepathen entgegen. Jeder
trug eine Kombiwaffe. Und jeder wußte, was von dieser unverhofften Chance abhing. * Die Raumfahrer standen eng an die Landestützen der CHYBRAIN gedrückt, und zwar so, daß sie von der Schachtöffnung aus nicht zu sehen waren. Atlan hatte das Hangarinnenschott von Hand geöffnet. Nach allem menschlichen Dafürhalten konnten die Attentäter nicht vorzeitig gewarnt worden sein. Dann kamen sie. Atlan konnte Tyari sehen und nickte ihr leicht zu. Er hörte, wie die Vergitterung des Schachtes herausgehoben wurde. Jemand kam leise auf die Füße. Die Öffnung lag zwei Meter über dem Boden. Als sich der letzte der fünf heruntergelassen hatte, gab der Arkonide ein Zeichen. Die Gefährten sprangen aus ihrer Deckung, gingen in die Hocke und feuerten mit Paralysestrahlen. Die Eindringlinge brachen völlig überrascht zusammen und blieben reglos neben‐ und übereinander liegen. Atlan hatte es sich nicht so einfach vorgestellt. Fast glaubte er, daß diese fünf Unausspähbaren nur als Ablenkung von einer anderen Gefahr geschickt worden waren. Tyari war als erste bei ihnen, bückte sich und zog an den Haaren eines der drei Männer. Mit der Perücke löste sich die Gesichtsmaske. Der Kopf eines Anterferranters kam zum Vorschein. »Bei allen Planeten!« entfuhr es Bjo. »Wie viele sind denn bei uns eingesickert!« Er machte sich an dem zweiten falschen Solaner zu schaffen. Wieder ein Anterferranter. Tyari hatte inzwischen auch die Körpermaske gelöst. Mehr oder weniger dicke Polster sorgten dafür, daß die körperlichen Unterschiede zu den Menschen ausgeglichen wurden. Der Stummelschwanz war mit Klammern im Beinfell
festgemacht. Die Klauen waren abgeschliffen, ebenfalls die rudimentären Reißzähne. Kleintranslatoren, wie sie die Solaner in Karn‐Ant trugen, hatte man unter der Gesichtsmaske dort befestigt, wo unter der scharf vorspringenden Nase Platz war. Etwas, das wie ein Maulkorb aussah, sorgte dafür, daß die ausgestoßene Luft, die die Laute transportierte, in sie hineingeleitet wurde. Wie besessen mußten Wesen sein, die diesen Aufwand trieben und zweifellos Schmerzen auf sich nahmen, um ihr Ziel zu erreichen! Federspiel legte den dritten Anterferranter frei. Atlan zog an der Perücke einer der Frauen – und glaubte Gespenster zu sehen. »Aber das … ist doch nicht möglich!« Natürlich hatte er auch einen Anterferranter erwartet. Statt dessen blickten ihm die starren Augen eines Beneterlogen entgegen. Auch der letzte der fünf war ein Farynter. »Das ändert alles«, brachte der Arkonide noch fassungslos hervor. »Anterferranter und Beneterlogen, die gemeinsame Sache machen! Die telepathisch nicht erfaßbar sind! Hier geht viel mehr vor, als wir uns jemals träumen ließen. Eine gemischte Anti‐Gruppe aus Wesen, die sich normalerweise spinnefeind sind!« Das Wort war geprägt: Anti‐Gruppe. Was es mit dieser Gruppe jedoch auf sich hatte – außer daß sie die Friedensverhandlungen sabotieren wollte – war jetzt unklarer denn je. »Die SOL wird dicht gemacht«, sagte Atlan hart. »Keiner kommt mehr heraus und keiner herein, bevor das Schiff nicht die größte Röntgenreihenuntersuchung seiner Geschichte hinter sich hat!« * Hayes schwitzte Wasser und Blut. Von so ziemlich allen Abteilungen der SOL kamen Proteste und Meldungen über Unruhe in der Besatzung. Wo es nur möglich war, waren alle verfügbaren Röntgenschirme aufgestellt worden. In langen Schlangen passierten
die Männer und Frauen die Untersuchung. Und nicht einmal diejenigen, die sie durchführten, wußten warum. Atlan hatte nur den High Sideryt und die Stabsspezialisten eingeweiht. Vorsicht war mehr geboten denn je. Wenn etwas von den gefaßten Beneterlogen nach Anterf durchsickerte, mußte dies der Funke sein, der die aufgestauten Emotionen zur Explosion brachte. Auch hier gab es zwei Ausnahmen. Narrm und Shorrn waren auf Atlans heftiges Drängen noch einmal an Bord der SOL gekommen. Sie hatten sich erst dazu bereiterklärt, als der Arkonide vorsichtig verkündete, er habe jetzt den Beweis, daß die Anterferranter keine Schuld an den Anschlägen auf die CHYBRAIN, die LOGE‐1 und die Stadt trügen. Abermals saßen sich Narrm und Konink am Gesprächstisch gegenüber. Atlan hatte nicht damit rechnen können, daß sie ihm seine Geschichte auf Anhieb glaubten. Sie waren erst überzeugt, als er ihnen die noch paralysierten drei Anterferranter und zwei Beneterlogen präsentierte. Sie befanden sich in einer Kabine von SOL‐City in einem Energiekäfig. Hinter den Projektoren standen Insider und Sternfeuer. Die Mutantin sollte melden, wann sie sich wieder rührten. Zurück im Konferenzraum, faßte der Arkonide zusammen: »Diese Anti‐Gruppe will alle Verhandlungen verhindern. SENECA hat eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent dafür ausgerechnet, daß sie für alle Anschläge verantwortlich ist, die bisher stattgefunden haben.« Er blickte Konink an. »Und das heißt, auch für jene im Prezzar‐Mydonium. Wie Beneterlogen unbemerkt nach Anterf gelangen konnten und umgekehrt vielleicht auch Anterferranter ins Prezzar‐Mydonium, wissen wir nicht.« »Er könnte sie mitgebracht haben«, sagte Narrm. »Auf seinem Raumschiff.« Konink reagierte nicht. Atlan antwortete für ihn: »Du weißt, daß das unmöglich ist. Was jetzt geschieht, hat Tage
oder gar Wochen an Vorbereitungen erfordert. Konink kam aber erst gestern, außerdem liegt sein Schiff unter einer Energieglocke.« »Das mag sein«, gab der Regierungschef zu. »Aber du hast gesagt, daß keine Anterferranter für die Überfälle …« »Keine normalen Anterferranter«, unterbrach Tyari ihn. »Körperlich sind sie Anterferranter und die Beneterlogen Beneterlogen. Doch das ist schon alles. Ich meine damit, daß sie keinen eigenen Willen mehr besitzen und von einer fremden Kraft gelenkt werden. Sie sind im Grunde nicht verantwortlich für ihr Tun. Und noch viel weniger kann jetzt noch jemand deinem Volk oder den Beneterlogen eine Verantwortung zuweisen.« Danke! dachte Atlan erleichtert, als ihre Worte die gewohnte Wirkung auf Narrm und Shorrli zeigten. »Das heißt, die verhandlungsbereiten Parteien tragen keine Schuld. Sobald die Untersuchungen an Bord der SOL abgeschlossen sind, werden wir wissen, ob sich weitere Fremde eingeschlichen haben. Narrm und Konink, ich appelliere an euch beide, dann nicht mehr länger zu zögern. Ist die SOL sauber, dann werden keine Attentäter mit der CHYBRAIN und der FARTULOON ins Prezzar‐ Mydonium gelangen können. Dort jedoch bewegen sie sich noch unerkannt und können jederzeit neues Unheil anrichten. Vermutlich können sie nur durch unsere Telepathen entlarvt werden. Deshalb sollten wir nun aufbrechen. Wenn meine Vermutung stimmt, umfaßt die Anti‐Gruppe nur wenige Individuen. Die Furcht vor galaxisweiten Terroraktionen einer anterferrantischen Untergrundbewegung ist also unbegründet.« »Und was vermutest du?« erkundigte sich der Prezzarerhalter. »Daß die Gruppe von der einen Macht gelenkt wird, die ein zwingendes Interesse an der Aufrechterhaltung des Zustands Bars‐ 2‐Bars hat.« Das sagte dem Beneterlogen nichts. Knapp klärte Atlan ihn – und damit auch nochmals Narrm und Shorrn – über den Komplex Anti‐ES auf. »Ich weiß, daß es viel verlangt ist, dies zu verstehen und zu glauben. Ich kann euch nur bitten, mir und
meinem Team zu vertrauen.« Tyari nickte zustimmend. Für Narrm gab dies den Ausschlag. »Konink?« Der alte Mann nickte bedächtig. »Ich habe mir in der Zwischenzeit meine Gedanken machen können. Ich habe Vertrauen und werde Oirstel berichten, was ich gesehen und gehört habe.« »Das wäre ein Fehler«, sagte Atlan. »Die Mitglieder der Anti‐ Gruppe können sich hinter jeder Maske verbergen – selbst hinter Oirstel. Sie dürfen auf keinen Fall vorzeitig erfahren, daß wir von ihrer Existenz wissen.« »Du könntest auch dazugehören«, erwiderte der Prezzarerhalter. »Ich bin sofort bereit, mich vor einen Röntgenschirm zu stellen, Konink. Das werden wir auch tun, wir alle. Wenn du von unserer Echtheit überzeugt bist, bitte Oirstel um die Erlaubnis, mit der anterferrantischen Delegation ins Prezzar‐Mydonium zu kommen. Aber sage nicht mehr. Wird ihm dein Wort reichen?« »Wir sind schon so gut wie dort. Aber ob Oirstel und seine Stellvertreter durch einige vage Erklärungen ihr Mißtrauen verlieren, ist eine ganz andere Sache.« »Soviel verlange ich gar nicht.« »Dann gestatte mir, mich zurückzuziehen und über Bauwan …« Tyari sprang auf. »Sternfeuer!« rief sie aus. »Sie kann nichts mehr tun! Die fünf Attentäter sind gleichzeitig aus der Paralyse erwacht, und ihre erste Bewegung bestand darin, daß sie etwas hinunterschluckten – es kann nur eine im Gaumen verborgene Giftkapsel gewesen sein, denn sie sind alle tot!« Und damit gab es keine Hoffnung mehr, von ihnen etwas zu erfahren. Der Anterferranter, der in die Maske von Karg Silberhahn geschlüpft war, hatte von Shorrns Mitarbeitern inzwischen identifiziert werden können. Er war ein loyaler Anhänger von Narrms Politik gewesen und nie durch irgend etwas Verdächtiges
aufgefallen. Zwei Stunden später stand fest, daß es keinen einzigen falschen Solaner mehr an Bord des Fernraumschiffs gab. Narrm kehrte in seine Residenzstadt zurück, um drei Anterferranter zu bestimmen, die Shorrn bei seiner Mission begleiten sollten. Konink erstattete dem Prezzar‐Mydonium Bericht. Oirstel antwortete sowohl ihm über den Fetisch, als auch Atlan über die Hyperfunkstrecke. Sein Gesicht auf dem Bildschirm war verschlossen, als er trotz aller Zweifel seinen Friedenswillen bekräftigte. Diese erste Hürde, dachte der Arkonide, ist allen Widernissen zum Trotz endlich genommen. Er dachte es auch noch, als er sich mit Shorrn in der startbereiten CHYBRAIN befand. Die drei weiteren Mitglieder der anterferrantischen Delegation hießen Ptarrh, Daynnth und Lokhr. Daynnth war das einzige weibliche Wesen. Es war der 23. Januar 3808, später Nachmittag. Fast 24 Stunden war es her, daß Konink mit der LOGE‐1 landete. Nun befand er sich wieder an Bord des Kugelraumers. Die Energieglocke stand nicht mehr. Es hatte keine neuen Anschläge gegeben. Atlan wagte daraus zu folgern, daß sich auf Anterf keine Mitglieder der Anti‐Gruppe mehr befanden. Die letzten Sekunden des Countdown. Das Hangartor war weit offen. Atlan fragte sich, wo Mjailam sich in diesen Augenblicken befand. »Konink startet«, sagte Uster Brick. »Dann wollen wir mal!« 5. Das Prezzar‐Mydonium Konink fühlte sich wie immer seltsam berührt, als die gelbweiße Sonne Mydon auf den Bildschirmen auftauchte. Je älter er wurde, desto mehr empfand er es als ein Glück, wieder einmal dorthin
zurückkehren zu dürfen, wo er zu Hause war. Das Prezzar‐Mydonium befand sich zwischen den Bahnen des zweiten und dritten von insgesamt 18 Planeten, die ausnahmslos ohne Leben waren. Dort klaffte im Planetengefüge eine Lücke, in der sich ein dichter Planetoidenring um die Sonne zog. Zwei dieser kosmischen Trümmer waren von den Prezzarerhaltern zu ihrer Zentrale gemacht worden. Einer von ihnen bildete den sogenannten Wohnsektor, der andere den Maschinensektor. Sie waren beide 320 Meter hoch und bis zu 240 Meter dick. Zwischen ihnen spannte sich ein 520 mal 420 Meter großes Netzgebilde, das die verschiedensten Funktionen erfüllte. Durch besondere Energieschirme geschützt, konnte er darüber hinaus mit Hilfe eines Hyperdeflektors unsichtbar gemacht werden. Der Hauptträger in der Mittelachse diente als Transportröhre auf Antigravbasis zwischen den beiden Planetoiden. Jetzt, als so oder so eine neue Ära anzubrechen schien, verlor auch das Mydonium vieles von seinem Geheimnis. Die Prezzarerhalter konnten nicht länger die heimlich agierende Gruppe von Beneterlogen sein, deren Wissen und Macht mit der Entdeckung der Schjepper ihren Anfang genommen hatte. Sie würden sich nach mindestens einer Seite hin öffnen müssen – und falls das Wunder geschah und die Verständigung stattfand, ihr Wissen in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Aber es war ein weiter Weg bis dahin, und vielleicht führte er in die Irre. Was er, Konink, zum Frieden beitragen konnte, das wollte er gerne tun. In einer letzten kleinen Überlichtetappe erreichte die LOGE‐1 das Prezzar‐Mydonium. Die große Netzkonstruktion schimmerte erhaben in ihren Energiefeldern. Als Gigantantenne fing sie Hyperfunksprüche auf. Daneben sammelte sie das Licht der Sonne und speicherte es, leitete es in die Energietransformer des Maschinensektors. Ihre wichtigste Funktion aber war bis zu Prezzars Verstummen das Auffangen von dessen Instinktimpulsen
gewesen. Konink ortete mit Hilfe des Denkers die solanischen Schiffe, als sie sich langsam und respektvoll näherten. Er holte Bauwan aus seiner Tasche und ließ ihn die Bitte um Einlaß an Oirstels Fetisch übermitteln. Oirstel mochte ihm wegen der Nichtbefolgung seines Rückkehrbefehls zürnen. Indes verbot ihm der Respekt vor dem Alter einen offenen Vorwurf. Wie oft schon hatte er Konink um Rat gefragt – doch diesmal ging es um so wichtige Dinge, daß nur Oirstel selbst und seine Stellvertreter, im Einvernehmen mit allen Prezzarerhaltern, eine letzte Entscheidung treffen konnten. Konink konnte seine Meinung sagen, und das würde er tun. Zumindest von Karsnyt wußte er, daß er sich ihm anschließen würde. Wieder durchfluteten ihn warme Gefühle bei dem Gedanken, in wenigen Minuten zu Hause zu sein und Karsnyt wiederzusehen. Der Wohnverwalter, zuständig für den gesamten Wohnsektor und Oirstels rechte Hand, war ihm von allen Schülern der liebste. Er war wie ein Sohn für ihn. Bevor er starb, sollte Karsnyt sein ganzes Wissen erhalten. Weisheit war nicht durch das Sammeln von Informationen und die Fähigkeit zu erlangen, diese auszuwerten und in Sinnzusammenhänge zu bringen. Weisheit bedeutete, andere zu verstehen und sich selbst immer wieder in Zweifel zu stellen. Karsnyt besaß die Veranlagung dazu, einmal ein wirklicher Weiser zu werden. Wer ihn nicht wie Konink kannte, mochte sich durch sein Gebaren täuschen lassen. Helles Licht fiel aus einer sich öffnenden Schleuse im oberen Teil des Wohnsektors. Konink erfuhr, daß die Verhandlungsdelegation der Beneterlogen bereits eingetroffen war. Der Name ihres Leiters, Schabacker, sagte dem alten Prezzarerhalter nichts. Bevor Konink dem Denker befahl, die LOGE‐1 an dem Planetoiden energetisch zu verankern, belauschte er die Funksprüche, die zwischen Oirstel und den Solaner‐Schiffen gewechselt wurden. Atlan sollte mit den Anterferrantern in
Raumanzügen zur offenen Schleuse schweben. Für seine Schiffe war im Mydonium natürlich ebenso wenig Platz wie für die LOGE‐1. Wie viele Begleiter er sonst noch mitnahm, wurde ihm freigestellt. Konink glaubte schon zu wissen, auf wen seine Wahl fallen würde. Er legte sich selbst einen Schutzanzug an, sorgte dafür, daß der organische Denker hinreichend Nahrung bekam, stieg aus einem Mannluk und versiegelte seinen Raumer. Atlan, Tyari und die Anterferranter näherten sich gleichzeitig mit ihm als winzige Lichtpunkte vor dem Hintergrund der Sterne der Schleuse. * Atlan erkannte einen Teil der Einrichtungen wieder, an denen er vorbeigekommen war. Der eigentliche Lebensbereich der Prezzarerhalter mit den Wohn‐ und Versammlungsräumen lag im oberen Drittel des Planetoiden. Für die Dauer des Aufenthalts waren den Gästen Quartiere angewiesen worden. Die Prezzarerhalter begegneten ihnen höflich, aber zurückhaltend. Jeder versuchte, möglichst alles zu vermeiden, was die Stimmung jetzt schon verdorben hätte. Karsnyt kümmerte sich persönlich um die anterferrantische Delegation. Er saß nun auch als deren »Betreuer« bei ihnen am runden Verhandlungstisch, während die insgesamt fünf Beneterlogen von der »Maschinenverwalterin« Alysta betreut wurden. Atlan kamen die beiden Prezzarerhalter eher wie Sekundanten vor. Oirstel saß mit einigen Protokollführern in der Mitte zwischen beiden Parteien und Atlan und Tyari genau gegenüber. Er war es, der die Konferenz eröffnete. Er ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, daß er völlige Neutralität üben wollte. Und das gleiche galt für alle Prezzarerhalter. Shorrns direkter Verhandlungspartner war
also Schabacker. Seine Begleiter hießen Cronoyer, Dissazon, Laergel und Anoscha. Die beiden letzten waren Frauen. Schabacker behagte dem Arkoniden auf Anhieb nicht. Er gefiel sich zu sehr in seiner Rolle als Delegationsführer, wirkte arrogant und hitzköpfig. Shorrn würde keinen leichten Stand haben. Atlan durfte ihm keine offene Hilfeleistung geben. Er und Tyari hatten sich wie Oirstel unparteiisch zu verhalten. Oirstel eröffnete die Konferenz, forderte Sachlichkeit und machte klar, daß er keine Übergriffe eines einzelnen dulden würde. Dann bat er Atlan, vor allen Versammelten noch einmal einen umfassenden Bericht über die Ereignisse auf Anterf zu geben. Tyari versuchte er zu ignorieren, ohne sie zu verletzen. Welche Mühe mußte es Oirstel kosten, der genau wußte, wer sie in Wirklichkeit war. Für ihn mußte sie doch die leibhaftige Verkörperung von Bars sein – all dessen, was die Farynter aus tiefster Seele verabscheut hatten. Sie war wie Dynamit in dieser Umgebung. Vielleicht hatte Atlan sie gerade deshalb mitgenommen – um schon jetzt festzustellen, wie belastbar das zarte Gespinst der Verständigung war. Er erhob sich und faßte das jüngste Geschehen zusammen. Er sprach von einer geheimnisvollen Gruppe, die die Anschläge verübt hatte. Was er über sie herausgefunden hatte, verschwieg er tunlichst. »Und ich versichere, daß der Regierungschef Narrm alles tun wird, um die Ordnung vollkommen wiederherzustellen. Die Bevölkerung von Anterf will den Frieden.« Er setzte sich wieder. Schabacker lehnte sich vor und richtete den langen Zeigefinger auf ihn. »Und ich sage euch, es gibt keine solche Gruppe. Wir wissen doch alle, wer die Verwüstungen hier im Prezzar‐Mydonium anrichtete. Du hast viele schöne Worte gemacht, Atlan. Aber kein einziges fiel über den Fremden, der aus dem Nichts auftaucht!«
Nicht nur Schabacker, sondern alle Beneterlogen und Prezzarerhalter glaubten noch an eine Schuld Mjailams. Aber Mjailam entlasten, hieße die Informationen über die Anti‐Gruppe preisgeben, die Atlan noch für sich behalten wollte. Bis Tyari ihm sagen konnte, wer hier telepathisch nicht zu fassen war. »Er kam zu uns und stellte nur Fragen«, sagte er. »Und als die Anschläge erfolgten, war er schon längere Zeit nicht gesehen worden.« »Natürlich nicht!« Schabacker lächelte kalt. »Weil er hier gewesen ist!« Atlan beherrschte sich. Es war das beste, Schabackers verbale Attacken gar nicht zu beachten. »Wollen wir jetzt über die Modalitäten eines Friedensvertrages reden oder über ein Phantom, Oirstel?« Der alte Prezzarerhalter nickte. »Ich bitte die Anterferranter, uns ihre Vorstellungen dazu vorzutragen.« Shorrn tat es. Er bot die Einstellung aller kriegerischen Handlungen seines Volkes an und verlangte das gleiche von den Beneterlogen. Er schlug die Bildung von Kommissionen zur Erforschung der Verzahnungsursachen vor und bat die Prezzarerhalter um die Preisgabe ihres geheimen Wissens. Schließlich gab er seiner Hoffnung Ausdruck, durch eine harmonische Zusammenarbeit der Völker könnten in absehbarer Zeit Tyar und Prezzar aus ihrer Lähmung erwachen und den unheilvollen Zustand Bars‐2‐Bars auflösen, beziehungsweise beenden. Dann sprach Schabacker. Er forderte die totale Entmilitarisierung Anterfs als Vorleistung für einen entsprechenden Schritt der Beneterlogen. Eine gemischte Kommission sollte darüber wachen, daß nicht heimlich wieder aufgerüstet wurde. Alle Kampfschiffe sollten unter Aufsicht der
Prezzarerhalter in eine Sonne gelenkt werden. Das war unannehmbar. Selbst falls Beneterlogen und Anterferranter Frieden schlossen, gab es sowohl in Bars als auch in Farynt noch kleinere Gruppen und Völker genug, die sich möglicherweise erst mit der Zeit dem Abkommen anschließen würden – falls überhaupt. Was Schabacker wollte, bedeutete für Anterf, daß jedes kleine Sternenvolk den Planeten mit nur einem oder zwei Schiffen angreifen und vernichten konnte. »Und außerdem«, schloß der Beneterloge, »muß uns der Fremde ausgeliefert werden!« Das war unter die Gürtellinie gezielt. Atlan hielt den Atem an und wartete gebannt auf Shorrns Entgegnung. Schabacker schien alles andere als eine Verständigung zu wollen. War er einer der gesuchten Verschwörer? Tyari schüttelte unmerklich den Kopf, als er sie kurz anblickte. Aber irgend etwas in ihrer Miene verriet, daß sie etwas gefunden hatte. Als Shorrn sich die Antwort noch überlegte und Schabacker sich triumphierend zurücklehnte, geschah es. Die Bombe explodierte in der Verschalung einer Wand. Stichflammen und Metallsplitter schossen durch den Raum. Atlan fühlte einen höllischen Schmerz im linken Oberarm. Alle schrien panikerfüllt durcheinander, sprangen auf und ließen sich hinfallen. Die Druckwelle und die Feuerglut einer zweiten Explosion fegte über sie hinweg und riß den Tisch aus der Verankerung. Es war ein kleiner Weltuntergang. Durch eingedrückte Türen stürmten Prezzarerhalter herein. Sie fanden ein Chaos vor – Trümmer, Verletzte und Tote. Atlan hatte sich schützend über Tyari geworfen. Für Sekunden war er von der gleißenden Helligkeit geblendet gewesen. Jetzt sah er vor sich am Boden die gebrochenen Augen von Ptarrh, Shorrns Begleiter. Und das, durchfuhr es ihn, ist das Ende!
Erst als er sich und Tyari aufrichtete, sah er das ganze Ausmaß der Katastrophe. Langsam verstummten die Schreie. In den abziehenden Rauchschwaden erblickte der Arkonide die verstümmelten Leichname weiterer Verhandlungsteilnehmer. Zwei Beneterlogen, ein weiterer Anterferranter. Verletzte krümmten sich unter, Schmerzen. Die eigene Verwundung war fast völlig vergessen. Nur Schabacker stand aufrecht wie ein Rachegott, die Haare zum Teil versengt. Er deutete anklagend auf Shorrn, der sich von Daynnth gerade aufhelfen ließ. »Das«, schrie er, »wird nicht ohne Folgen bleiben! Ihr habt uns hierhergelockt, um uns zu töten!« Shorrn war so überrascht, daß er keine Worte fand. Daynnth antwortete für ihn: »Überlege dir deine Worte besser, Beneterloge! Wenn hier jemandem eine Falle gestellt wurde, dann uns! Du redest von Mjailam? Ich sage dir, es ist euer Werkzeug!« Sie wußten nicht mehr, was sie sagten. Atlan fühlte sich angewidert. Ringsum stöhnten und klagten die Verletzten. Zusammen mit Tyari kümmerte er sich um jene, die es am schlimmsten getroffen hatte, bis endlich Prezzarerhalter mit Antigravbahren kamen. »Ich werde auf der Stelle abreisen und mein Volk verständigen!« verkündete Schabacker. »Ihr habt vor, den Frieden zu wollen, Anterferranter! Ihr habt den Krieg noch nicht kennengelernt!« »Niemand verläßt das Mydonium«, sagte da Oirstel. Wie durch ein Wunder waren weder er noch seine beiden Stellvertreter verwundet worden. »Nicht, bis die Schuldigen an diesem unglaublichen Attentat gefunden und bestraft sind!« *
Tyari wartete vor der Medostation, in der Atlan der Metallsplitter aus dem Arm entfernt worden war. Beide sagten nichts, als er herauskam. Auch auf dem ganzen Weg zu ihrem Quartier schwiegen sie betreten. Inzwischen stand fest, daß es außer den vier auf der Stelle Toten ein weiteres Opfer gegeben hatte. Ein Beneterloge war seinen Verletzungen erlegen. Damit gab es nun nur noch zwei Anterferranter und zwei Beneterlogen im Prezzar‐ Mydonium. Alle übrigen Verwundeten befanden sich auf dem Weg der Besserung. Die Prezzarerhalter besaßen hervorragende Ärzte. Sie zeigten eine Toleranz, die angesichts der neuerlichen Verwüstungen ihrer Zentrale schon fast nicht mehr zu verstehen war. Welchen Zorn sie tief in sich wirklich spürten, das stand auf einem anderen Blatt. Immerhin bestand kein Zweifel daran, daß Oirstel es mit seiner Ankündigung ernst meinte. Er mochte seine Zustimmung verfluchen, das Mydonium als Verhandlungsstätte zur Verfügung gestellt zu haben. Und nun wollte er restlose Aufklärung – und einen Krieg von unvorstellbaren Ausmaßen verhindern. Der Prezzarerhalter, der Atlan und Tyari zu ihrer Unterkunft geführt hatte, blieb auf dem Korridor stehen und hielt Wache. Endlich wieder allein, platzte es aus Atlan heraus: »Sie sind wie die Kinder! Vor allem dieser Schabacker! Selbst das Grauen nehmen sie zum Anlaß, sofort wieder übereinander herzufallen!« Tyari setzte sich. »Ich kenne jetzt einen der Verschwörer. Ich erkannte ihn schon in dem Augenblick, in dem er uns als angeblicher Betreuer zugeteilt wurde.« Atlan starrte sie an. »Du meinst Karsnyt? Oirstels Stellvertreter?« Sie nickte ernst. »Es hätte keinen Sinn gehabt, dich vorhin schon darauf aufmerksam zu machen. Möglicherweise hättest du dich durch eine spontane Reaktion verraten, und er hätte Bescheid gewußt. Karsnyt
ist als einziger von allen Prezzarerhaltern nicht telepathisch erfaßbar, die sich in diesem Bereich des Mydoniums aufhalten.« »Und du irrst dich bestimmt nicht?« »Im Gegensatz zu Bjo, Sternfeuer und Federspiel kann ich die Prezzarerhalter espern, Atlan. Außerdem sah ich, wie der Wohnverwalter sich Sekundenbruchteile vor dem Zeitpunkt der Explosion hinter den Tisch fallen ließ. In dem allgemeinen Chaos konnte das nur jemandem auffallen, der ihn die ganze Zeit schon gezielt beobachtete.« Der Arkonide schloß die Augen und ballte die Fäuste. »Natürlich dürfen wir das Oirstel noch nicht sagen«, fuhr die Gesandte Tyars fort. »Noch keinem, nicht einmal Konink oder Shorrn. Oirstel würde bei aller Offenheit nicht daran glauben – und vor allem dann nicht, wenn er hört, wer Karsnyt beschuldigt.« »Und wenn ich ihn unterrichte?« »Er wird Beweise verlangen, und damit wären wir wieder bei mir.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Atlan. Wir müssen alle Verräter auf einen Schlag treffen. Karsnyt kann nicht so leichtsinnig gewesen sein, die Bomben allein zu zünden. Er hat Helfer – Prezzarerhalter oder solche, die wie Prezzarerhalter aussehen. In diesem Bereich des Mydoniums gibt es keine Mitglieder der Anti‐Gruppe außer ihm. Aber das Mydonium ist riesig. Der Schutzgürtel gegen die Energieortung über den Kraftstationen im Planetoidenzentrum läßt keine Psi‐Impulse durch. Von den vielleicht Hunderten von Männern und Frauen, die dort arbeiten, kann jeder zur Anti‐Gruppe gehören. Das gleiche gilt für den gesamten Maschinensektor. Auch das Auffangnetz zwischen ihm und uns bildet eine Barriere für mich.« »Aber wie kommen wir sonst an die Besessenen heran?« »Wir können nur darauf warten, das Karsnyt sich verrät. Deshalb darf er nichts ahnen. Wir können ihn nicht einmal auf eigene Faust überraschen.« Und das hieß, sie mußten ihn weiter gewähren lassen und so tun, als sei er für sie noch der distanziert‐zuvorkommende Betreuer.
Er war zum Verrücktwerden. Wie länge wirkte Karsnyt schon unerkannt gegen seine eigenen Leute? Wie hatte Anti‐ES ihn und die Anterferranter, die noch vor kurzem harmlose Bürger gewesen waren, für sich aus der Namenlosen Zone heraus rekrutieren können? Falls Anti‐ES tatsächlich verantwortlich ist! dachte der Arkonide. Wir glauben es, weil es ein Motiv hätte. Aber gibt es nicht doch noch ganz andere Möglichkeiten? Was wissen wir denn überhaupt schon von Bars‐2‐ Bars! »Einen werde ich ins Vertrauen ziehen, Tyari«, sagte Atlan. »Und zwar Konink. Wenn irgendeiner, dann muß er Hilfe leisen können.« »Vielleicht«, meinte sie. »Ich unterrichte auf jeden Fall Sternfeuer und Bjo an Bord unserer Schiffe.« Funkverkehr war dem Arkoniden natürlich gestattet. Ein Telepathiekontakt war ihm jedoch lieber. Oirstel sollte nicht den Eindruck bekommen, er träfe mit seinen Gefährten Geheimabsprachen. »Ich gehe zu Konink.« Er war noch nicht bei der Tür, als Tyaris überraschter Ausruf ihn herumwirbeln Heß. Sie war aufgesprungen. »Ich komme nicht mehr durch! Ich erreiche die Schiffe nicht!« »Versuche es noch einmal.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Was glaubst du, was ich die ganze Zeit über tue? Ich finde keinen Kontakt. Es ist, als gäbe es die Schiffe nicht mehr!« Atlan nahm kurzentschlossen ihre Hand. Sie folgte im eilig aus dem Quartier. Atlan bat den Wache stehenden Prezzarerhalter, sie zur Ortungs‐ und Steuerungszentrale zu führen. Der Mann tat, was von ihm verlangt wurde. Dabei zog er jedoch seinen Fetisch aus der Tasche und sprach leise zu ihm. Die Zentrale lag unmittelbar über den Wohndecks und unter der oberen Polschleuse des Prezzar‐Mydoniums. Schon als der
Arkonide den Antigravschacht verließ, ahnte er, daß sich seine schlimmsten Befürchtungen erfüllt hatten. Die hier tätigen Prezzarerhalter liefen durcheinander wie Ameisen, deren Bau zerstört worden war. Jeder redete auf den anderen ein oder zu seinem Fetisch. Atlan kannte sich hier von seinem ersten Aufenthalt her aus. Er lief zu den Funkanlagen, über denen ganze Galerien von Bildschirmen dunkel geworden waren. Von hier aus lauschten die Prezzarerhalter in die Doppelgalaxis hinaus. Was ihre Operationen in Bars und Farynt anging, war dies ihr Nervenzentrum. Er bekam keine Verbindung. Selbst die Orterschirme zeigten nichts mehr. Allein die optischen Systeme gaben ein Bild von den im Weltraum wartenden Kreuzern. »Du brauchst dir keine Mühe mehr zu geben.« Atlan drehte sich langsam um. Vor ihm stand Oirstel. »Was hat das zu bedeuten!« Der Prezzarerhalter verzog keine Miene. Seine Stimme war ohne jeden Klang, als er antwortete: »Es hat den Anschein, als sei das Prezzar‐Mydonium funk‐ und ortungstechnisch von der Außenwelt abgeschnitten. Ich erhielt die ersten Meldungen vor fünf Minuten. Um das Ausmaß unserer Isolierung kennenzulernen, habe ich das Ausschleusen von zwei kleinen Sonden veranlaßt. Sie senden Peilzeichen.« Oirstels Erscheinen schien die Prezzarerhalter einigermaßen zur Ruhe gebracht zu haben. Sie begaben sich wieder zu ihren Plätzen. In der eingetretenen Stille waren die Piepstöne der Sonden in der Zentrale zu hören. Auf den Optikschirmen sah Atlan sie nun als winzige Lichter, die sich langsam entfernten. Das dauerte genau drei Sekunden. Die Sonden kamen abrupt zum Stillstand. Oirstels blaues Gesicht nahm eine graue Tönung an. Um seine Mundwinkel zuckte es. »Sie kommen nicht weiter!« sagte Atlan erregt. »Oirstel, du hast
angekündigt, daß niemand das Mydonium verlassen dürfe. Ist das deine Maßnahme? Willst du eine Flucht verhindern, indem du ein … ein Isolierfeld aufbaust?« Er biß sich auf die Zunge. Was redete er! Oirstel war über solche Mätzchen erhaben. Der oberste Prezzarerhalter sagte etwas zu seinem Fetisch. Fast gleichzeitig schossen zwei Raketen aus dem Planetoiden auf die Sonden zu. Sie explodierten bei ihnen. Die freiwerdenden Energien verwehten nicht im Weltraum, sondern wurden auf das Mydonium zurückgeworfen. Teilweise schossen sie wie ultrahelle Feuerzungen in alle Richtungen davon, so daß für Sekunden die Wölbung einer unsichtbaren Schale erkennbar wurde, die sich um das gesamte Mydonium spannte. »Das wollte ich noch wissen«, sagte Oirstel leise. »Jemand hat uns mit einem – wie sagtest du? – Isolierfeld umgeben. Es verhindert jegliche Durchdringung durch materielle Dinge und Energien.« Und das heißt, erkannte Atlan, wir sind alle abgeschnitten! Er zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, während sich seine Überlegungen jagten. »Oirstel«, kam es über seine Lippen. »Sind die Prezzarerhalter in der Lage, ein solches Feld zu errichten?« Karsnyt war nicht in der Zentrale. Tyari gab durch ein Nicken bekannt, daß keine neuen Prezzarerhalter in der Zwischenzeit aus den unausforschbaren Bereichen gekommen waren. »Wir sind es nicht.« »Dann weißt du, daß es schon gar nicht von Anterferrantern oder von Beneterlogen erzeugt worden ist. Ein nach Antworten suchender Mjailam scheidet ganz aus. Glaubst du mir jetzt, Oirstel, daß eine solche Maßnahme nur von einer Wesenheit ergriffen werden kann, die über Mittel verfügt, die sich unsere Völker kaum vorstellen können?« Alle Zweifel waren hinweggewischt. Jetzt wußte er, daß Anti‐ES seine Macht ausspielte. »Hier wird aus der Namenlosen Zone heraus gegen uns agiert. Nach außen hin sollen
wir abgeschnitten sein, während im Innern des Isolierfelds die Rekruten von Anti‐ES dafür sorgen, daß aus Friedenswillen Haß wird. Sie bilden die von mir erwähnte Anti‐Gruppe, und sie sind …« Fast hätte er zuviel gesagt. Oirstel nickte. »Wir werden uns darauf einstellen, Atlan.« * »Was hat er jetzt wieder damit gemeint?« fragte der Arkonide auf dem Weg zu Konink. »Darauf einstellen! Hast du etwas aus ihm herauslesen können, Tyari?« Sie unterhielten sich leise. Ihr Leibwächter folgte ihnen in gebührendem Abstand. »Nicht viel. Es ist, als würden drei Personen durcheinander denken. Der Begriff Namenlose Zone sagt ihm natürlich etwas. Das ist ja die Spur, die die Prezzarerhalter verfolgen. Er kennt durch dich auch die Zusammenhänge. Auf jeden Fall glaubt er nicht an eine Aktion, die von Anterf oder Beneter aus gesteuert ist. Er macht sich Gedanken über die Anti‐Gruppe, hat aber noch keinen konkreten Verdacht. Und welche Maßnahmen er zu treffen gedenkt …« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. »Da kann ich dir beim besten Willen nichts sagen.« Sie erreichten Koninks Wohnraum. Der Uralte war allein, wie erwartet. Er erhob sich von einem Hocker und wartete, bis sich die Tür hinter Atlan und Tyari schloß. »Ich bin informiert«, erklärte er. »Und? Welche Schlüsse zieht ihr nun?« »Anti‐ES«, sagte Atlan. »Die negative Superintelligenz will anscheinend ganz auf Nummer Sicher gehen. Ich hoffe nur, daß man auf unseren Schiffen jetzt keine Dummheit macht und glaubt, uns hier heraushauen zu müssen. Kein Kontakt, Konink, nicht
einmal durch Telepathie. Anti‐ES genügt es also nicht mehr, seine Werkzeuge gegen uns und die Friedensbestrebungen einzusetzen. Es will, daß wir alle, Anterferranter, Beneterlogen, Prezzarerhalter, Tyari und ich uns gegenseitig mißtrauisch belauern und letztlich zerfleischen. Jeder wird jedem die Schuld in die Schuhe schieben. Es kann sogar soweit kommen, daß die Verschwörer das ganze Mydonium in die Luft sprengen und Bars‐2‐Bars damit des einzigen Faktors berauben, der die Verhältnisse möglicherweise noch stabilisieren kann.« »Das wäre wahrhaftig das Ende aller Hoffnungen«, sagte Konink erschüttert. »Und von allem, was die Prezzarerhalter in Jahrhunderten aufgebaut haben.« »Es muß nicht soweit kommen. Konink, wir waren von Anfang an offen zueinander. Tyari hat etwas erfahren, und du bist der einzige, mit dem wir darüber reden können – bis wir die allerletzte Gewißheit haben.« Der Prezzarerhalter nickte. »Aber überschätzt meinen Einfluß nicht. Oirstel ist weiser als ich. Er tut niemals etwas Unüberlegtes. Ihr wollt ihn also noch nicht ins Vertrauen ziehen, sonst wäret ihr jetzt bei ihm und nicht bei mir. Er entscheidet nach seinem Gutdünken. Beeinflussen kann ihn höchstens Karsnyt, der mein gelehrigster Schüler ist.« Atlan war wie vor den Kopf geschlagen. »Karsnyt«, redete Konink weiter. »Er nahm immer alles auf, was ich ihn lehren konnte. Mehr noch. Er gab mir viele Denkanstöße. Es mag am Alter liegen, daß man sich eher dem Transzendentalen als dem sogenannten Realen widmet. Es war Karsnyt, der mir die Augen öffnete, wenn ich die Wirklichkeit fast vergaß. Er wird mein Wissen erben, wenn ich das Nahen des Todes spüre. Ich hatte keinen Einfluß darauf, wer den Anterferrantern als Betreuer zugeteilt wurde. Ich habe ebenfalls großen Respekt vor Alysta, doch sie hätten kein glücklicheres Los ziehen können.« Sein Blick war in die Ferne gerichtet, der Mund zu einem stillen Lächeln verzogen.
Konink kam wieder in die Realität zurück. Das Lächeln wich tiefer Sorge. »Was also habt ihr herausfinden können. Tyari?« »Daß die Urheber des Bombenanschlags sich im Maschinensektor befinden«, griff der Arkonide schnell zu einer Notlüge. Um glaubwürdig zu wirken, fügte er noch hinzu: »Konink, gibt es eine Möglichkeit, die dort beschäftigten Prezzarerhalter hierher zu locken? Oder jene, die sich als Prezzarerhalter getarnt haben wie auf Anterf als Solaner? Im Rahmen eines Krisenprogramms?« »Es tut mir leid«, erwiderte Konink. »Im Gegenteil müssen sie jetzt dort wachsamer als jemals zuvor sein. Auf Oirstels Anweisung hin sollen sie Möglichkeiten finden, das Isolierfeld außer Kraft zu setzen.« »Dann müssen sie es schaffen. Können wir vielleicht helfen?« Der Prezzarerhalter schüttelte den Kopf. »Also warten wir ab.« Atlan blies zum Rückzug. Schon halb im Korridor, stellte er eine letzte Frage: »Du stehst nicht mit allen anderen Prezzarerhaltern in Fetischkontakt, Konink?« »Mit einigen. Wenn einer von uns mit einer Aufgabe außerhalb des Mydoniums betraut wird, wie ich in eurem Fall, gilt der Kontakt über den Fetisch. Hier im Mydonium jedoch suchen wir uns gegenseitig auf, wenn es möglich ist. Der Respekt voreinander gebietet es, sich im Gespräch in die Augen zu sehen.« Für Konink und Karsnyt mochte dies allemal gelten. Die Ansicht des alten Weisen erschien nur auf den ersten Blick, verschroben, mußte jedoch heimliche Anerkennung finden. Auch unter den Prezzarerhaltern gab es eine Rangabstufung. Die einfachen Wächter wie jener, der Atlan und Tyari nun wieder in seine Obhut nahm, erstatteten ihren Bericht routinemäßig an Oirstel oder einen seiner Stellvertreter über den Fetisch. Hinter dem Solaner und der Gesandten schloß sich die Tür. Konink blieb sehr nachdenklich zurück. Atlans Frage ließ ihn nicht
los. Er hatte von dem Arkoniden erfahren, daß die Mitglieder der Anti‐Gruppe durch telepathische Ausforschung zu überführen waren. Für die Werkzeuge von Anti‐ES bedeutete dies, daß sie telepathische »Schatten« waren. Telepathie war der Grundstock für die Macht der Prezzarerhalter. Sie übten sie nicht selbst aus, ihre Fetische taten das für sie. Diese übernatürliche Kraft eines Geistes jedoch war bekannt. Und wenn wir sie selbst nicht besitzen, dachte Konink, müssen wir unsere Fetische befragen. Nur das konnte Atlan gemeint hahen, als er fragte. Konink holte Bauwan aus seiner Tasche hervor. Er streichelte ihn. Für ihn war das kleine Kugelwesen nie nur ein bloßes Werkzeug gewesen, sondern ein Freund. »Forsche für mich, Bauwan«, sagte er. »Setze dich mit den anderen Fetischen in Verbindung und frage sie, ob sie bei ihren Meistern etwas Verdächtiges bemerkt haben.« Die Fetische waren nur halbintelligent. Wie alle Geschöpfe in diesem Entwicklungsstadium besaßen sie dafür einen um so ausgeprägteren Instinkt. Er mochte nun mehr nützen als alles andere. Telepathiekontakt aus dem Mydonium heraus war auch für sie unmöglich geworden. Doch innerhalb des Isolierfelds mußte er zustande zu bringen sein. 6. Jeder gegen jeden »Und wenn ich jetzt sage, ich habe es die ganze Zeit über geahnt«, knurrte Uster Brick, »hält mich natürlich jeder für verrückt. Aber ich wußte es. Ich wußte, daß es Schwierigkeiten geben würde. Das alles war ein abgekartetes Spiel!« »Wir machen alles wirklich schlimm«, hielt Sternfeuer ihm entgegen, »wenn wir jetzt nicht die Nerven behalten. Das Prezzar‐ Mydonium ist auf den Optikschirmen zu sehen, aber sonst wie aus
unserem Universum geschnitten. Das heißt, es existiert noch. Und das heißt weiter, daß Atlan und …« Sie verstummte schlagartig, als Mjailam aus dem Nichts heraus in der Zentrale der CHYBRAIN materialisierte. Der Unheimliche sah sich um. Er ignorierte die Solaner, bis sein Blick Sternfeuer fand. Ganz ruhig! signalisierte die Mutantin den anderen mit einer Handbewegung. Macht keine Dummheiten! »Wer seid ihr?« stellte er seine ewig gleiche Frage. »Wem dient ihr?« Sternfeuer überlegte sich die Antwort gut. Mjailam durfte nicht wieder verscheucht werden. Vielleicht wußte er etwas über das Isolierfeld, möglicherweise sogar über das, was jetzt im Prezzar‐ Mydonium vorging. »Wir dienen einer Kraft, die das Universum zusammenhält«, sagte sie endlich. »Sie wirkt überall im Kosmos gegen die Mächte, die die Zerstörung wollen. Ist dies die wahre Kraft, von der du sprichst, Mjailam?« Wieder sah er sich um. Er musterte jeden einzelnen der Anwesenden. Sternfeuer glaubte Enttäuschung in seinem groben Gesicht zu sehen. »Ihr tragt nicht das Siegel. Doch es gab ein Wesen unter euch, das damit versehen war. Wo ist es jetzt?« »Du meinst – Tyari?« Sternfeuer folgte einer Eingebung. Tyari als Geschöpf Tyars. War sie am Ende der eigentliche Grund für Mjailams Erscheinen? »Tyari«, murmelte er. Dabei schien er sich in sich selbst zurückzuziehen. Sternfeuer konnte seine Erregung spüren. Alle Versuche, weiter in ihn einzudringen, blieben so erfolglos wie zuvor. »Wo ist Tyari?« fragte er. »Dort.« Die Mutantin zeigte auf die Optikschirme. »Im Prezzar‐ Mydonium.«
Mjailam verschwand im gleichen Augenblick. Sternfeuers Ruf »Warte!« hörten nur die Gefährten. Niedergeschlagen setzte sie sich. »Wir kommen einfach nicht an ihn heran! Er fragt und fragt, aber wenn wir hoffen, einmal eine Antwort zu bekommen …« Sie winkte ab. »Warum sucht er Tyari?« wollte Nockemann wissen. »Ist er vielleicht auch ein von Tyar Erschaffener?« »Dann müßte er anders auftreten«, sagte Sternfeuer. »Ich weiß jetzt nur eines. Er ist im Prezzar‐Mydonium.« Brick lachte. »Was keine Telepathie gestattet, das läßt ihn so ganz einfach durch? Wo Telepathen am Ende ihres Lateins sind, müssen auch einem Teleporter Schranken gesetzt sein.« »Es ist kein Teleporter, Uster. Und er ist im Mydonium. Ich weiß es genau.« »Ich bin zwar nicht so allwissend wie du«, kam es von Nockemann, »aber wenn das stimmt, was ich kaum zu vermuten wage, können wir für Tyari nur beten.« Er sagte nicht, was er dachte. Alle Fragen prallten wirkungslos an ihm ab. »Also vergessen wir ihn vorerst«, sagte Brock. »Aber was sollen wir tun?« »Warten, Uster. Wir können nichts ausrichten, und sollte jemand an den Einsatz von Waffen denken – damit schon gar nicht.« Sternfeuer breitete hilflos die Arme aus. »Ich schlage vor, daß wir zur SOL zurückkehren, wenn das Isolierfeld in einer Stunde nicht zusammengebrochen ist. Hayes muß das Schiff in Bewegung setzen, ob es nun schon voll einsatzbereit ist oder nicht.« »Was soll die SOL mehr als unsere Kreuzer ausrichten?« fragte Nockemann zweifelnd. »Vermutlich nichts, Hage. Aber sie sollte hier sein. Wir sollten alle hier sein, wenn … irgend etwas geschieht!«
* »Konink kann uns nicht helfen«, sagte Atlan. »Zum Glück begann er von Karsnyt zu schwärmen, bevor ich ihm sagen konnte, was wir wissen. Er würde uns von allen Prezzarerhaltern am wenigsten glauben.« »Also was unternehmen wir?« fragte Tyari. »Wir werden jedenfalls nicht abwarten, bis die nächsten Opfer zu beklagen sind. Shornn und Daynnth sind weit genug von Schabacker und Anoscha weg untergebracht. Oirstels Leute sorgen dafür, daß sie sich nicht sehen und vielleicht handgreiflich werden. Aber wenn wir die Dinge richtig deuten, brauchen sie das auch gar nicht. Um das wirkliche Chaos zu schaffen, müssen die Mitglieder der Anti‐Gruppe wieder und wieder zuschlagen. Danach wird auch Oirstl es schwer haben, den Frieden innerhalb des Mydoniums noch zu bewahren. »Was können wir tun, um das zu verhindern?« Atlan schlug sich mit der rechten Faust in die linke Innenhandfläche. »Die Delegationsführer wieder zu sammenbringen. Shorrn und Schabacker zwingen, sich mit uns und Oirstel an einen Tisch zu setzen und einen Burgfrieden zu schließen. Und ihnen die Zusicherung abverlangen, daß sie sich absolut still verhalten, ganz gleich, was geschieht.« Tyari lachte trocken. »Hör auf! Wir drehen uns nur weiter im Kreis. Du hast ihnen klar genug gesagt, daß eine gesteuerte Gruppe gegen sie wirkt. Und sie werden dir auch jetzt nicht glauben, es sei denn, wir könnten ihnen einen Beweis erbringen.« »Wir müssen nur durchhalten. Wir wissen, daß Anti‐ES nicht zeitlich unbeschränkt aus der Namenlosen Zone heraus agieren
kann. Wenn seine Aktivitätsphase vorbei ist, muß das Isolierfeld wieder verschwinden. Für diese Zeit brauchen wir einen Waffenstillstand. Wenn dann das Feld tatsächlich aufhört zu existieren, kommen die Parteien gar nicht mehr an der Erkenntnis vorbei, daß sie es mit keiner Sabotage der jeweils anderen Seite zu tun haben.« »Gesetzt den Fall, sie hören auf dich – dann suchen wir in der Zwischenzeit weiter?« »Ich werde Oirstel bitten, uns in die Energiestation und den Maschinensektor gehen zu lassen. Wir werden einen Vorwand erfinden, um die Attentäter nicht mißtrauisch zu machen. Geht Oirstel darauf ein, dann finden wir sie – und können sie spätestens dann präsentieren, wenn der Kontakt zur Außenwelt wieder besteht.« »Du willst ihm dieses Versprechen geben?« »Ich muß es, ja.« Bevor sie sich selbst auf den Weg machen konnten, wurden sie von Oirstel gerufen. Er hatte seine Ruhe verloren und bat sie, sofort in einen kleineren Versammlungsraum zu kommen. Schabacker und Shorrn waren mit ihren überlebenden Begleitern bei ihm. Sie standen sich wie Kampfhähne gegenüber. Als Shorrn den Arkoniden und Tyari erblickte, schrie er: »Gut, daß du endlich kommst, Atlan! Oirstel gehört zu den Beneterlogen! Er macht mit Schabacker gemeinsame Sache. Er ließ uns umquartieren, und prompt erfolgte nur kurz darauf in unserer vorherigen Unterkunft eine Explosion, die uns beide getötet hätte! Also wußte der Prezzarerhalter davon!« »Das ist eine Lüge!« fuhr Schabacker ihn an. »Er hält zu euch und verrät sein eigenes Volk! Er ließ uns auch umquartieren, und die Bombe zerfetzte die alte Unterkunft! Daß er auch bei euch eine zündete, sollte nur ablenken!« Oirstel stand zwischen den Streithähnen, verloren, mit hängenden Schultern. Er, der bisher so souverän gewirkt hatte, schien am Ende
seiner psychischen Kraft zu sein. »Ihr setzt euch jetzt alle hin!« befahl Atlan. Die Zeit für Höflichkeiten und Samthandschuhe war jetzt endgültig vorbei. »Setzen, habe ich gesagt! Auch du, Shorrn! Oirstel ist über jeden Verdacht erhaben und noch dazu viel zu geduldig! Er hätte euch von Anfang an so behandeln sollen, wie man uneinsichtige Kinder behandelt! Daß neue Anschläge bevorstanden, war jedem klar, der seine Sinne beisammen hat. Wo sie erfolgen würden, war ebenfalls leicht zu erraten. Ich an seiner Stelle hätte die Umquartierung auch veranlaßt!« In der jetzigen Situation wirkten einige laute und klare Worte mehr als jedes vernünftige Argument. Atlan ging an den Tisch und stützte sich schwer auf. Schabacker wollte etwas sagen, schwieg aber, als er in Atlans Augen sah. Der Arkonide sah sich gezwungen, Tyaris Entdeckung wenigstens zum Teil preiszugeben. »Also schön, wir wollten noch warten, bis wir alle Verschwörer gefunden haben. Ihr zwingt uns dazu, euch zu sagen, daß wir einen bereits kennen. Ich werde seinen Namen nicht nennen. Aber er gehört weder zu den Anterferrantern noch zu den Beneterlogen. Er gehört auch nicht mehr zu den Prezzarerhaltern, sondern zu Anti‐ ES. Und jetzt hört alle genau zu!« Er sagte ihnen, was er mit Tyari besprochen hatte. Oirstel ließ ihn reden, dankbar und erschüttert zugleich. Atlan gab sein Versprechen, die Attentäter auszuliefern, sobald das Isolierfeld zusammenbrach. Als er endete, herrschte für eine Weile betretene Stille. Shorrn schielte verstohlen zu Schabacker herüber, und dessen Gesicht war wie versteinert. »Ich glaube dir kein Wort«, sagte der Beneterloge. »Sobald der Isolierschirm verschwindet, geschieht nur eines. Ich werde dafür sorgen, daß eine Kriegsflotte der Beneterlogen hier erscheint und dieses Verbrechernest aushebt!«
»Schluß!« brüllte der Arkonide. »Ich …« Tyari stieß ihn mit dem Ellbogen an. Sie flüsterte ihm ins Ohr, daß sie die Gedanken der Prezzarerhalter in der Ortungszentrale empfangen hatte. Aus ihnen ging hervor, daß sich die CHYBRAIN und die FARTULOON aus dem Mydon‐System heraus in Bewegung gesetzt hatten. Atlan ahnte, was das bedeutete. Und es lieferte ihm sein Stichwort. »Du willst eine Flotte rufen, Schabacker? Dann tue es. Ihr habt die SOL kennengelernt, als sie noch kaum operationsfähig gewesen war. Ich schwöre, sie wird vollkommen überholt hier auf eure Schiffe warten.« Mehr zu sagen, war nicht mehr nötig. Schabacker wurde bleich. »Ich erwarte eure Entscheidung. Entweder entschließt ihr euch, Frieden zu halten, bis wir die Werkzeuge von Anti‐ES bis auf den letzten Mann entlarvt haben, oder die SOL wird jedes Schiff vernichten, das es wagen sollte, sich dem Prezzar‐Mydonium zu nähern. Und wer mir das nicht glaubt, kann sich selbst davon überzeugen, daß meine Schiffe gestartet sind, um die SOL zu holen!« Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, bis Shorrn endlich einwilligte. »Ich beuge mich der Gewalt«, verkündete Schabacker, »aber so gewinnt ihr uns nicht für einen Frieden, Atlan. Und du kannst nicht bis in alle Zukunft das Mydonium bewachen.« Wenn wir versagen, dachte der Arkonide, wird hier kein Friede geschlossen, sondern ein galaktischer Krieg vorbereitet. Oirstel gab seine Zustimmung zum Betreten der Energieanlagen und des Maschinensektors. Da erschien Mjailam. *
K
onink warf seinen Fetisch von sich, als hätte er eine Bombe in den Händen gehalten. Bauwan landete unsanft in einer Ecke des Wohnraumes, richtete sich schnell auf die acht Füßchen auf und huschte unter die Liege. Seine Mitteilung war nur kurz gewesen, doch für den uralten Prezzarerhalter bedeutete sie den Zusammenbruch einer Welt. Karsnyt! Ausgerechnet sein liebster Schüler sollte einer der Attentäter sein! Nein, dachte Konink, als er zitternd dastand und eine Wand anstarrte. Es kann einfach nicht sein! Und was bedeutet das schon, was Bauwan entdeckt hatte. Es ging nicht um die Fetische, sondern um ihre Träger. Wie Konink eben noch gehofft hatte, war die Telepathie der Fetische von der der Solaner verschieden. Im Gegensatz zu Tyari, die das offensichtlich nicht konnte – weshalb sonst sollten die Prezzarerhalter aus dem Maschinensektor hierhergelockt werden? –, vermochte Bauwan seine Artgenossen überall im Mydonium zu erreichen. Er hatte dabei feststellen müssen, daß vier von ihnen nicht »ansprechbar« waren. Er konnte sie nicht andenken, weil sie »anders« geworden seien, sagte er. Aber doch nur die Fetische. Auch wenn die Parallele auf der Hand lag, sträubte sich Konink, daran zu glauben, daß zu einem nicht mehr erfaßbaren Fetisch auch ein nicht erfaßbarer Meister gehörte. Und hätte Atlan es nicht gesagt, wenn Tyari Karsnyt als ein Mitglied der Anti‐Gruppe ausfindig gemacht hätte? Karsnyts Fetisch. Und die Fetische von Solvan, Krabohl und Tola. Die drei letzteren befanden sich im Maschinensektor. Konink gewann langsam seine Fassung zurück. Er bückte sich vor der Liege und hielt die Hand nach Bauwan aus. »Entschuldige, mein Kleiner. Ich wollte dir nicht weh tun. Komm zurück.« Bauwan kroch auf seine Finger. Konink verstaute ihn wieder in
der Tasche, ohne ihm noch einmal Fragen zu stellen. Der Prezzarerhalter ging unruhig auf und ab. Karsnyt. Und wenn nun doch mit ihm etwas nicht stimmte? Es mußte ja nicht so sein, daß er von Anti‐ES zum Werkzeug gemacht worden war. Vielleicht sollte es mit ihm geschehen, und er befand sich in großer Gefahr. Er mußte gewarnt werden! Je länger er darüber nachdachte, desto mehr versteifte sich Konink auf diese fixe Idee. Seine Gefühle für Karsnyt waren so stark, daß der alte Mann den größten Fehler beging, den er jetzt machen konnte. Er suchte Karsnyt in dessen Wohneinheit auf. Er glaubte noch an ein Glück, als er seinen Schüler auch tatsächlich dort vorfand, und nicht in der Nähe der Anterferranter oder bei Oirstel. Er drückte die Tür hinter sich zu. Karsnyt blickte ihn überrascht an. »Konink!« rief er scheinbar erfreut aus. »Wie schön ist es, dich zu sehen. Wir hatten ja kaum Gelegenheit, mehr als zwei Worte miteinander zu reden:« Sprach denn so jemand, der nicht mehr er selbst war? »Ich wäre lieber unter anderen Umständen gekommen, Karsnyt«, sagte der Uralte. »Es ist …« Er fand die Worte nicht, die er sich auf dem Weg schon zurechtgelegt hatte. Karsnyt kam zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du siehst schlecht aus. Etwas bedrückt dich doch? Sage es mir.« Es mußte heraus! Jetzt sofort, damit er es schnell hinter sich hatte. »Es ist wegen der Anschläge, Karsnyt.« Konink beichtete, daß er den Frevel begangen hatte, Bauwan alle anderen Fetische ausfragen zu lassen. »Und … und dann stellte er fest, daß dein Fetisch nicht auf seine telepathischen Fragen anspricht. Er kann ihn nicht mehr andenken. Karsnyt, weißt du davon? Ist dir etwas an ihm aufgefallen? Falls ja, dann bist du in Gefahr und …« »Und?« Karsnyts Hand krampfte sich plötzlich schmerzhaft in die Schulter seines Lehrmeisters.
Konink versuchte, sich loszureißen. Karsnyts Griff wurde noch fester. Der uralte Mann gab den Widerstand auf. Die furchtbare Erkenntnis seines Selbstbetrugs und dessen, was aus Karsnyt geworden war, erfüllte ihn mit Grauen und Panik. Karsnyt stand steif vor ihm, in der linken Hand plötzlich eine Waffe. Er, mit dem Konink alles geteilt hatte, was ihm etwas bedeutete! Mit dem er so viele Stunden zusammengesessen und über das Universum diskutiert hatte! Der immer offen für jede neue Idee und jede Theorie gewesen war! »Und?« wiederholte Karsnyt seine Frage. »Und was? Du hast doch einen ganz bestimmten Grund dafür gehabt, Bauwan herumspionieren zu lassen. Wer hat dich darauf gebracht?« Er schüttelte mitleidslos den Weisen. »Wer weiß etwas?« Sein Gesicht war wie eine Maske, er selbst wie ein Roboter. Etwas in Konink starb lautlos. »Laß mich dir helfen, Karsnyt«, hörte er sich sagen. Ein letzter Versuch, nur noch mit halber Kraft vorgetragen. »Du hast immer einen scharfen Verstand gezeigt. Erkenne jetzt, daß du nicht Herr deines Willens bist. Laß mich dir helfen, dich zu befreien und …« Die Worte prallten wirkungslos ab. »Du wirst mir helfen«, sagte Karsnyt ohne Betonung, so als lauschte er einer unhörbaren Stimme. »Indem du mir sagst, wer was entdeckt hat. War es Atlan? Tyari? Sicher, nur einer von ihnen kann es gewesen sein!« »Von mir erfährst du nichts mehr, Verräter!« Liebe wurde zu Haß. Konink fiel schlagartig seine Verantwortung Oirstels und den Prezzarerhaltern gegenüber wieder ein. Sie mußten gewarnt werden! Er holte tief Luft und versuchte, zum Ausgang zu kommen. Er schaffte es auch, sich Karsnyts Griff zu entreißen. Er kam aber noch keine zwei Schritte weit, dann traf ihn der Kolben der Waffe im Genick. Karsnyt stand gefühllos über seinen Lehrer gebeugt und schickte
sich an, ihm den Fetisch abzunehmen, als ihn die Botschaft mit voller Stärke erreichte. Er richtete sich wieder auf, den Blick in die Ferne gerichtet. Sein Fetisch Toccart sprach zu ihm, ob mit Worten oder direkt ins Bewußtsein, konnte der Prezzarerhalter nicht sagen. Es spielte auch keine Rolle. Toccart nahm das klar und deutlich auf, was Karsnyt aus unbekannten Fernen und Räumen diktiert bekam. Er selbst wirkte dabei nur als Verstärker: Die Gezeiten beginnen, sich gegen uns zu wenden! Sollten die Maßnahmen, die deine Helfer und du zu treffen hattet, noch nicht zum erhofften Erfolg geführt haben, Wohnverwalter, so zögere nun nicht mehr, zum letzten Mittel zu greifen! Die Zeit des Isolierfelds wird bald enden! Geh nun und zünde die Selbstvernichtungsanlage des Prezzar‐ Mydoniums! Wie eine Puppe drehte sich Karsnyt um neunzig Grad und schritt zur Tür. 7. Kampf um das Mydonium Schabacker und Shorrn wichen mit einem Aufschrei vor dem Unheimlichen zurück. Oirstel kam langsam in die Höhe, blieb aber an seinem Platz. Atlan sah Mjailam zum erstenmal selbst aus unmittelbarer Nähe. Er spürte auf Anhieb die fast animalische Ausstrahlung des Wesens, die ihn jedoch nicht abstieß oder verunsicherte, sondern seltsam beeindruckte. Mjailam stand groß und dunkel vor ihm, die unergründlichen Augen zuerst auf ihn gerichtet, dann auf Tyari. Auf ihr blieben sie ruhen. Atlan machte hinter seinem Rücken Zeichen, daß Oirstel, Shorrn und Schabacker jetzt nicht die Nerven verlieren sollten. Tyari wich zwei Schritte zurück, als Mjailam einen Arm hob und auf sie richtete.
Sie, die so selten einmal unsicher war, zeigte plötzlich alle Anzeichen von Furcht und Entsetzen! Etwas warnte Atlan davor, ihr zu Hilfe zu kommen. Und welcher Gefahr war sie auch schon ausgesetzt? Mjailam stand noch an Ort und Stelle und fragte nun im gebrochenen Idiom der Beneterlogen: »Du bist Tyari genannt. Du trägst das Siegel von Bars und den Namen des Galaxien‐Geistes. Bist du das Geschöpf Tyars?« Sie nickte langsam, sah sich dabei nach den Seiten hin um, als suchte sie nach einer Waffe. Erst als sie nichts fand, drehte sie sich mit einem Ruck wieder um, blickte dem dunklen Hünen in die Augen und preßte hervor: »Ja, das bin ich!« »Welche Ziele verfolgst du dann?« Ein kurzer Blick an Mjailam vorbei auf Atlan. Er nickte ihr ermunternd zu. Es war, als breitete sich eine Lähmung über den Besprechungsraum aus, als hörte die Zeit auf zu fließen. Tyari und Mjailam. Die Kämpferische und das Neandertal‐Wesen. Zwei Geheimnisvolle Auge in Auge. Mjailam trat von einem Fuß auf den anderen, was in krassem Gegensatz zu seinem sonst so ruhigen und gelassenen Auftreten stand. War er, der sich wie Rauch verflüchtigen konnte, etwa nervös? Oder beeindruckt? Alles an ihm wirkte wie noch nicht fertig. Wenn er sprach, hörte es sich so an, als müßte er die Worte erst suchen und in einen Sinnzusammenhang bringen. Sie kamen zwar flüssig über seine rauhen und breiten Lippen, aber das täuschte. Er suchte sich wie Steine aus einem Mosaik zusammen. Atlan fühlte es immer deutlicher. Mjailam gehörte nicht in diese Welt, war wie ein Geschöpf, das in sie hineingeworfen worden war und nun rein instinktiv einen Schritt nach dem anderen tat. Instinktiv! Der Arkonide fühlte, wie sich seine Glieder versteiften. Das war es, was Sternfeuer auf dem Weg zum Prezzar‐Mydonium immer
wieder vor allen anderen Eindrücken hervorgehoben hatte, die sie gehabt hatte, als sie ihm gegenüberstand. Instinktiv! Instinkt! Atlan weigerte sich noch, an den Verdacht zu glauben, der sich ihm in diesen Augenblicken so vehement aufdrängte. Tyaris Stimme kam wie aus sehr weiter Ferne. Die Gesandte bemühte sich um einen festen Klang. »Ich bin Tyars Geschöpf. Mein Ziel und das meiner Freunde ist die Trennung von Bars‐2‐Bars wieder in Bars und Farynt mit friedlichen Mitteln – und dadurch die Befreiung von Tyar aus seiner Starre.« Mjailam nickte langsam. Diese verstehende Geste paßte ebensowenig zu ihm wie seine gezielten Fragen zu einem »Urmenschen«, wie seine nun noch deutlicher erkennbare Nervosität zu einem Wesen, das eine Art absolute Bewegung zu beherrschen schien. Er war weder Mensch noch Urmensch. Er war so wenig Mensch wie Tyari. Allans ungeheuerliche Vermutung nahm weiter Gestalt an. Er wartete gebannt auf Mjailams nächste Frage und hoffte inbrünstig, daß Oirstel, Shorrn und Schabacker ihn nicht durch eine Dummheit verscheuchten. Selbst er wagte nicht einzugreifen. Dies ging Tyari an. »Du willst Tyar befreien«, sagte Mjailam. »Nur ihn?« »Tyar!« rief Tyari aus. »Und damit Bars und auch Farynt. Die Völker der beiden Galaxien und …« Sie verstummte. Wieder sah sie Atlan an, und dieser wußte, daß sie wie er jetzt begriffen hatte. Sie mußte es vom ersten Moment an schon dumpf gespürt haben. Deshalb war sie zurückgewichen. »Du bist …«, begann sie. Mjailam aber schien genug gehört zu haben um die Antwort der Gesandten selbst vervollständigen zu können. Er drehte sich abrupt um und sagte zu Atlan: »Ihr wollt leben. Sie will die Trennung von Bars und Farynt
erreichen. Um überhaupt noch etwas zu bewirken, müßt ihr die Isolierung beseitigen, die von einem Raum aus erzeugt wird, den ich nicht kenne. Ich weiß nur den Namen dieses Bereichs.« »Die Namenlose Zone«, flüsterte der Arkonide. »Namenlos«, sagte Mjailam vieldeutig. »Ihr seid auf einem Weg, der vielleicht einmal Erfolg haben wird. Doch seht euch vor, denn die Kräfte, die gegen euch sind, bereiten den Untergang vor. Ein Werkzeug dessen, was aus der Namenlosen Zone wirkt, hat sich bereits auf den Weg gemacht, um das Chaos zu vollenden.« »Wer?« Oirstel fand seine Sprache wieder. Er kam zögernd näher, während Shorrn und Schabacker sich in seltener Einmütigkeit an die Wand drückten. »Wer sind diese Werkzeuge? Sage uns ihre Namen!« »Ich habe schon zuviel gesagt.« Atlan ahnte, was kommen würde. Er wußte, daß es sinnlos war, als er sich auf Mjailam warf, um ihn zurückzuhalten. Der Unheimliche löste sich zwischen seinen Armen auf. Tyari kam auf den Gefährten zu. Sie schien den Halt zu verlieren. Er fing sie auf, als ihre Knie nachgaben. »Es ergibt keinen Sinn«, flüsterte sie. »Aber wenn das zutrifft, dann waren wir blind. Und es … es kann nicht so sein!« Es war so. Mjailam war mehr als ein Suchender, mehr als ein Wesen, das an jedem Ort erscheinen konnte, das Isolierfeld ganz offensichtlich zu durchdringen vermochte und in der Lage war, Entwicklungen auszuforschen, die sich den Blicken anderer noch verschlossen hielten. Sein Verstand ragte in Zusammenhänge hinein, die er über den reinen Instinkt hinaus zu erkennen und analysieren vermochte. »Genug des Schauspiels!« schrie Schabacker. Jetzt, als Mjailam verschwunden war, kehrte sein Mut wieder. Er stürzte zum Tisch zurück, stützte sich mit der linken Hand auf und richtete anklagend die rechte auf Tyari. »Wir haben genug gesehen und gehört! Mjailam ist also einer von euch! Ihr Solaner wart mir von Anfang an
unheimlich, weil es unter euch anscheinend einige gibt, die über dämonische Gaben verfügen! Mjailam, den ihr uns für einen Fremden verkauftet, gehört dazu! Das ganze Theater diente nur dazu, den Anterferrantern einen psychologischen Vorteil zu verschaffen!« Atlan konnte Schabacker in seiner Erregung verstehen. Oder sollte er von dem Beneterlogen verlangen, daß er auf Anhieb begriff, was ihm selbst erst jetzt aufgegangen war? »Mjailam steht euch näher als uns«, sagte er mit erzwungener Ruhe. »Und viel näher als den Anterferrantern. Ich ahnte es, als ich ihn Tyari gegenüberstehen sah. Was sie für Bars ist, das ist er für Farynt. Tyari ist das Geschöpf des Geistes, der Bars einmal beseelte und nun ruht.« Er sah Oirstel an und erkannte, daß der oberste Prezzarerhalter um die unglaubliche Wahrheit wußte. Er nickte. »Und was sie für Bars ist, Schabacker, das ist Mjailam für Farynt – der körpergewordene Instinkt, von Prezzar erschaffen.« Schabacker wurde grau im Gesicht. Die Dinge hatten sich innerhalb von Minuten grundlegend geändert. Shorrn. fing den bisherigen Rivalen auf und half ihm in seinen Sitz, als Schabacker zusammenbrach. Atlan war selbst nach Hinsetzen zumute. Tyari, die Gesandte Tyars! Mjailam, ein Gesandter Prezzars! Es war fast zuviel auf einmal. Und dann die Warnung. Atlan drängte sie in dieser Sekunde in den Hintergrund. Zwei Wesen, die jeweils eine ganze Galaxis verkörperten! Atlan fühlte Tyaris Hand auf seiner Waage. Natürlich. Jetzt war anderes vordringlich. Das Werkzeug von Anti‐ES. Sein Vorhaben. Der Weg, um das Chaos zu vollenden. Atlan hatte es Konink gegenüber angedeutet, ohne selbst daran zu glauben. Es konnte nur die Selbstvernichtung bedeuten! »Oirstel«, sagte er, nachdem er sich über die Augen gewischt hatte und sich wieder einigermaßen klar im Kopf fühlte. »Ich muß dir etwas sagen, und ich bitte dich, mir jetzt einfach zu glauben. Davon
wird es abhängen, ob das Prezzar‐Mydonium weiterbesteht.« * Bauwan lief über seinen toten Meister, von den Füßen bis zum Kopf mit den ungläubig aufgerissenen Augen. Wieder zurück zu den Beinen. Der Schjepper gab klagende Laute von sich, blieb immer wieder stehen und stieß Konink mit seinen Beinchen an. Er holte ihn nicht wieder ins Leben zurück. Irgendwann blieb der halbintelligente Fetisch auf der Stirn des Toten hocken, als wollte er ihn dort für immer bewachen. Das leicht schimmernde gelbe Sekret, das aus seinen Poren austrat, mochte die Entsprechung zu menschlichen Tränen sein. Bauwan weinte und trauerte lautlos. So vergingen Minuten der Lähmung und des Schmerzes. Bauwan wollte nie einem anderen Prezzarerhalter dienen. Er wollte am liebsten hier bei seinem toten Meister bleiben und auch sterben. Aber hätte Konink das gewollt? Bauwan hatte alles miterlebt, hatte die Worte des Meisters und die von Karsnyt gehört. Der Fetisch war nicht in der Lage, große Zusammenhänge zu durchschauen. Noch viel weniger konnte er eigene Entscheidungen treffen. Er war immer nur Mittler gewesen. Was also konnte er noch für den Meister tun? Was hätte Konink getan, lebte er jetzt noch? Warnen! Wovor genau, wußte der Schjepper nicht. Was war dem Meister wichtig gewesen? Zu erfahren, welche Fetische nicht andenkbar waren. Zu wissen, ob Karsnyt in Gefahr war oder eine Gefahr darstellte. Der Mörder! Das konnte Bauwan noch tun. Allen anderen andenkbaren Fetischen von Koninks Tod berichten. Ihnen das mitteilen, was
Konink sonst bestimmt selbst gesagt hätte. Es wurde zu einer bitteren Anklage. Bauwan schrie es stumm in die Bewußtseine der anderen Schjepper: Mein Meister ist tot! Gestorben durch die Hand seines Schülers Karsnyt! Sagt das euren Herren! Und sagt ihnen auch, daß Toccart nicht mehr so ist wie wir – Toccart und Kaytatl, Rouwyn und Sestron! Er wiederholte es, immer und immer wieder, bis er völlig erschöpft von der Stirn seines toten Meisters fiel. * »Karsnyt!« Oirstel bezichtigte den Arkoniden zwar nicht der Lüge. Er reagierte so, wie Atlan es erwartet und befürchtet hatte: er war nicht in der Lage, an eine Schuld seines Stellvertreters zu glauben. »Es ist so«, sagte Atlan. »Richte über uns, falls sich herausstellen sollte, daß wir uns irren. Doch jetzt dürfen wir keine Zeit verlieren. Mjailams Warnung kann nur bedeuten, daß Karsnyt sich auf den Weg zur Selbstvernichtungsanlage des Prezzar‐Mydoniums gemacht hat, vielleicht mit Helfern. Das heißt weiterhin, daß der Zusammenbruch des Isolierfelds früher erfolgt, als wir annahmen. Anti‐ES hat sein Ziel, daß wir uns gegenseitig bekämpfen, nicht erreicht. Jetzt greift es zum letzten Mittel. Oirstel, hat Karsnyt ungehinderten Zugang zur Selbstvernichtungsanlage?« »Ja«, gab der oberste Prezzarerhalter widerstrebend zu. »Er, Alysta und ich sind dazu berechtigt, jederzeit jeden Ort im Mydonium aufzusuchen. Aber …« Sein Fetisch rührte sich in der Tasche. Oirstel griff geistesabwesend hinein und zog ihn heraus. »Wo befindet sich die Anlage?« drängte Atlan weiter. »Welches ist der schnellste Weg dorthin?«
Der Fetisch lief blitzschnell an Oirstels Arm hinauf und krallte sich in seine Schultern. Er flüsterte nur. Oirstel schloß die Augen. »Was hat er dir gesagt?« fragte Schabacker, der völlig verwandelt war. Mjailams Auftritt hatte ein Wunder bewirkt. So wie der Beneterloge sich jetzt gab, schien er bereit zu sein, sich bedingungslos unterzuordnen. Und auch Shorrns Augen waren gebannt auf den Prezzarerhalter gerichtet. »Karsnyt hat Konink getötet«, kam es leise über die Lippen des Alten. »Alle Fetische, die noch andenkbar sind, wissen es jetzt.« »Was heißt das, noch andenkbar?« Atlan konnte sich in diesem Moment bei aller Erschütterung kein Mitleid mit Oirstel erlauben. Der Prezzarerhalter berichtete stockend von dem, was er vom Fetisch erfahren hatte, und nannte die Namen derjenigen, zu denen die schweigenden Schjepper gehörten. »Dann kann es schon zu spät sein!« Atlan winkte Tyari. »Der Weg zur Selbstvernichtungsanlage, Oirstel!« »Ich führe euch!« Oirstel lief an dem Arkoniden vorbei aus dem Raum. Wut, ohnmächtiger Zorn und das Wissen um die Gefahr machten in ihm Kräfte frei, die Atlan nicht mehr für möglich gehalten hatte. Er schloß sich ihm an und hörte, wie der Prezzarerhalter allen im Maschinensektor Tätigen den Befehl gab, Solvan, Krabohl und Tola festzunehmen. Nur am Rand nahm der Arkonide wahr, daß auch Schabacker und Shorrn sich spontan anschlossen. * Es gab zwei Zündvorrichtungen, eine im Wohn‐, die andere im Maschinensektor. Mit jeder konnte jedoch auch die jeweils andere aktiviert werden. Während sie im zentralen Antigravschacht des Wohnsektors viel zu langsam abwärts glitten, fragte sich Atlan, ob
Karsnyt noch genug Selbsterhaltungswillen besaß, um eine Zeitprogrammierung vorzunehmen. So konnte er sich die Möglichkeit schaffen, noch rechtzeitig vor der alles vernichtenden Explosion aus dem Mydonium zu fliehen. Nur dann hatten sie überhaupt eine Chance. Er mußte die Selbstvernichtungsanlage schon längst erreicht haben. »Alysta hat die Zündvorrichtung im Maschinensektor abriegeln lassen«, verkündete Oirstel. Er stand mit ihr in Fetischkontakt. »Krabohl ist gestellt worden. Solvan und Tola konnten entkommen und werden gejagt!« »Kann sie die Anlage im Wohnbereich von drüben blockieren?« »Nein.« Endlich das Ende des Schachtes. Bis hierher kannte der Arkonide sich aus. Er erreichte als erster die Schleuse, die gleichzeitig eine Strukturlücke im Ortungsschutzgürtel entstehen lassen konnte. Oirstel nahm die entsprechenden Schaltungen vor. Das ovale Schott öffnete sich. In der dahinterliegenden Kammer brach Tyari fast unter den Gedankenimpulsen der Prezzarerhalter zusammen, die von Oirstel ebenfalls informiert worden waren. Sie suchten den gesamten Bereich nach Karsnyt ab, fanden aber nur die Leichen von drei Prezzarerhaltern. »Jetzt riegeln sie wie bei Alysta die Anlage ab!« rief Tyari. »Karsnyt ist also noch drinnen.« »Ich habe es ihnen befohlen«, sagte Oirstel. »Es gibt keine Möglichkeit, ihnen den Weg hinein zu öffnen?« fragte Atlan, als sich das nächste Schott vor ihm auftat. Dahinter ein kleinerer Schacht. Er warf sich hinein. »Alysta, Karsnyt und ich können die Anlage nur betreten, wenn wir die Sperren an Ort und Stelle durch ein Kodewort lösen! Es geht nicht von einem Kontrollraum aus!« Eine Sicherheitsmaßnahme, die sicher einmal berechtigt gewesen war. Jetzt jedoch hatte sie sich auf verhängnisvolle Weise ins Gegenteil verkehrt.
Korridore liefen sternförmig auf das Zentrum der Energiesektion zu. Die Selbstvernichtungsanlage befand sich hinter undurchbringbaren Wänden im genauen Mittelpunkt des Planetoiden. Atlan durfte nicht daran denken, daß jeder Schritt sein letzter sein konnte. Warum zögerte Karsnyt noch, wenn er sich nun in der Falle sah? Endlich war die Zelle erreicht. Oirstel wehrte die Fragen der Prezzarerhalter ab, die ihn voller Panik bestürmten. Von einem Sperrgürtel um die Vernichtungsanlage konnte nicht mehr die Rede sein. Oirstel sprach das Kodewort in ein verborgenes Mikrofon. Ein Teil der Wand fuhr auf. Dahinter lag eine Schleuse und noch einmal Stahl. »Laß mich allein gehen«, forderte Atlan. Er nahm eine Strahlwaffe aus der Hand eines Mannes. Oirstel schüttelte entschlossen den Kopf. Jetzt war er wieder der große alte Beneterloge, der sich bemühte, sich selbst und die Lage unter Kontrolle zu bringen. Auch Tyari, Schabacker und Shorrn drängten nach. Atlan nickte grimmig. Versuchen wir es also gemeinsam! Und sollten wir die nächsten Minuten hier überleben, dann hast du verloren, Anti‐ES! Du wolltest den Keil weiter zwischen die Anterferranter und Beneterlogen treiben! Jetzt kämpfen sie Seite an Seite gegen dein Werkzeug! Oirstel mußte das Kodewort ein zweites Mal aufsagen. Die innere Wand um die Zelle öffnete sich. Atlan hechtete in den runden Raum, dessen Bodendurchmesser gute zwanzig Meter betragen mochte. Genau in der Mitte ragte eine zwei Meter dicke Säule in die Höhe. Sie stieß bis in die gewölbte Decke. Im weißen Licht aus verborgenen Quellen war auf halber Höhe eine Kreisplattform zu sehen, zu der eine Wendeltreppe hinaufführte. Und dort stand Karsnyt, das Gesicht zu einer Fratze verzogen. Er
zitterte am ganzen Leib. Seine linke Hand hielt einen Hebel umklammert, in der rechten hatte er seinen Strahler. Atlan versuchte, den Überraschungsmoment auszunutzen. Er hob blitzschnell die Waffe, zielte – und sprang zurück, als Karsnyt schoß. Die grelle Energiebahn fraß sich zwischen seinen Füßen in den Boden. »Kommt nicht näher!« schrie der Prezzarerhalter. »Geht alle wieder! Er rüttelte an dem Hebel und lachte irr. »Ein Ruck, und das gesamte Mydonium verwandelt sich in eine kleine Sonne! Und ich … tue es! Ich habe alle Sperrvorrichtungen beseitigt! Ihr … kommt zu spät!« Wieder das wahnsinnige Gelächter. Atlan hielt Tyari und Schabacker, die an ihm vorbei wollten, mit ausgebreiteten Armen zurück. »Er hat den Verstand verloren«, flüsterte er. »Das kann unsere Rettung sein, oder der endgültige Untergang. Wenn auch nur einer von euch hustet, kann er durchdrehen.« »Und was tun wir?« fragte Tyari leise, während Karsnyt wild mit der Waffe fuchtelte. »Wir brauchen Zeit, Oirstel, rede mit ihm. Versuche, ihn noch für Sekunden hinzuhalten. Können die Impulsleiter unterbrochen werden, die von hier zu den Sprengladungen gehen?« »Es würde die Explosion auslösen«, flüsterte der oberste Prezzarerhalter. »Dann rede jetzt. Irgendwie muß ich an ihn herankommen.« Er hatte schon eine Vorstellung. Und die Chance, die Verzweiflungsaktion zu überleben, stand eins zu hundert. * Karsnyt schwitzte. Ihm war fürchterlich heiß. Das Blut pochte in seinen Ohren. Er spürte seinen Körper nur noch als etwas Schweres,
Schmerzendes. Alles Gefühl konzentrierte sich auf seine beiden Hände. Sie waren also gekommen, aber verhindern konnten sie nichts mehr. »Ich … zünde jetzt!« schrie er heiser. Jedes Wort war eine Qual. Selbst beim Atemholen erhielt er Stiche in das Gehirn. Und beim Lachen glaubte er, jemand entzünde ein Feuer in seinem Schädel. Aber er tat es. Er lachte, bis die Qualen nicht mehr auszuhalten waren. Irgendwann brachte es ihn um. Dann fiel er und riß den Hebel mit sich. »Verschwindet!« Oirstel trat vorsichtig näher, bis Karsnyts Schuß die Bodenplatten vor ihm zum Verdampfen brachten. Der Alte begann zu reden, sanft, verständnisvoll. Er sagte etwas davon, daß Karsnyt nicht für sein Tun verantwortlich zu machen sei und straffrei ausgehen würde, wenn er jetzt aufgäbe. Er redet wie Konink! Karsnyt schrie auf. Der Hebel bog sich ein Stück nach unten. Nur noch wenige Zentimeter, bis der Zündkontakt hergestellt war. »… und du nicht mehr du selbst bist! Kehre um, Karsnyt! Du kannst es noch! Erkenne, daß du von einem fremden Willen …« Wie Konink! Halte den Mund, du bist tot, Lehrmeister! Ich habe dich selbst sterben gesehen! Ich habe selbst …!« Da stand Konink. Genau da, wo eben noch Oirstel gewesen war. Wohin war der Alte verschwunden? Und die anderen, die mit ihm kamen. Da lauerten sie auf ihn, vier Gestalten mit Totenschädeln! »Du bist tot!«, schrie Karsnyt. »Ich war dabei, als er dir das Genick zerschmetterte!« Er? Warum habe ich es nicht verhindert! Konink, mein Lehrer und Vater! Warum habe ich zugesehen und nichts …? Aber ja! Der Auftrag. Ich muß es jetzt tun! Ich bin … der Diener! Die Hand drückte den Hebel. Noch ein Stück, und …
Sei still, Konink! Ich werde dich rächen, wenn ich den Auftrag ausgeführt habe! »Karsnyt!« Geh doch weg! Es kann gefährlich werden. Und was wollen die Totenköpfe von dir! Siehst du nicht, wie sie jetzt golden zu strahlen beginnen? Ihre schwarzen Augen, ihr dämonisches Grinsen! Flieh! »Karsnyt, bei Prezzar und allem, was dir jemals etwas bedeutet hat! Werde wieder du! Stoße den Hebel nach oben zurück!« Wo ist Karsnyt? »Karsnyt ist tot!« schrie er. »Mit Konink gestorben, als er ihm helfen wollte! Wir sind alle tot! Niemand lebt mehr im Prezzar‐ Mydonium! Und deshalb … muß es … jetzt auch sterben!« Er sah, wie eine der Totenschädelgestalten auf die Wendeltreppe zusprang, und schoß sofort. Der Dämon stürzte und verschwand in den Rauchschwaden des verdampfenden Metallbodens. »Da seht ihr es!« kreischte Karsnyt. »So schnell ist der Tod! Karsnyt hätte das alles nicht zugelassen, wenn er noch lebte.« Er lachte und fuhr unter den Wogen des Schmerzes zusammen. Er schüttelte sich, und der Hebel bewegte sich mit ihm. »Höre, du!« kam es von dem, der so aussah wie Konink. »Ich bin Karsnyt! Ich! Vollstrecke das Todesurteil an mir, aber vorher gib mir meinen Fetisch zurück. Du hast mir Toccart gestohlen!« Er ist Karsnyt? Irgend jemand muß mir helfen! schrie es in dem Wahnsinnigen. Wer bin dann ich! Was sind das für Bilder, die mich angreifen! Bilder von mir und Konink! Der Fetisch. Gut, er sollte ihn haben. Karsnyt wollte in seine Tasche greifen. Aber mit welcher Hand? Die eine hielt den Hebel, die andere den Strahler. »Oh nein! Ihr wollt, daß ich loslasse! Ihr lügt alle! Und darum mache ich jetzt Schluß!« Seine Armmuskeln spannten sich an. Er holte Luft und drückte.
* Atlan biß die Zähne so fest zusammen, daß ihm die Augen noch mehr tränten. Er versuchte so gut es ging, die grausamen Schmerzen in der linken Hüfte zu ignorieren. Einer von Karsnyts Schüssen hatte ihn gestreift. Genausogut hätte er ihm durch die Brust fahren können. Es war fast unmöglich, die Schußbahn anhand eines kurzen Blickes auf die Waffe des Gegners zu berechnen. Atlan hatte sich instinktiv zur Seite geworfen und einfach nur Glück gehabt. Nun zählten die Zehntelsekunden. Oirstel sprach weiter. Er hatte begriffen, in welchem seelischen Zustand sich Karsnyt befand, und versuchte gezielter, ihn zu Antworten zu provozieren. Solange das anhielt, stand das Mydonium. Sich wie tot hinwerfen und warten, bis die Rauchschwaden dicht genug waren. Nicht atmen. Keine giftigen Dämpfe inhalieren. Dann schnell wieder aufspringen und hin zur Treppe. Als Atlan die ersten Stufen erreicht hatte, wußte er, daß ihn der Besessene von oben nicht mehr sehen konnte. Er zog sich die Stiefel aus und hastete um die Säule herum auf die Kreisplattform zu. »… aber vorher gib mir meinen Fetisch zurück!« rief Oirstel. »Du hast mir Toccart gestohlen!« Raffiniert, dachte der Arkonide. Läßt Karsnyt den Hebel los, kann er paralysiert werden. Solange er ihn hielt, war das nicht möglich. Er würde ihn im Fallen herabreißen. Mit Impulsstrahlen zu schießen, schied auch aus. Atlan hatte ganz kurz daran gedacht, den Hebel zu durchtrennen. Der Strahl wäre in die Anlage gefahren und hätte das gleiche bewirkt wie der Druck des Hebels nach unten. Die letzten zehn Stufen, acht, fünf. Atlan duckte sich unter dem Durchlaß in der Plattform. Jetzt blitzschnell springen, Karsnyt
überwältigen, ehe der merkte, was ihm geschah. »Oh nein! Ihr wollt, daß ich loslasse! Ihr lügt alle! Und darum mache ich jetzt Schluß!« Atlan schauderte. Das war endgültig. Ihm blieb keine Zeit für den Angriff. Er schob den Oberkörper durch die Öffnung, sah, wie Karsnyt den Arm durchstreckte und der Hebel nach unten ruckte. Sein Impulsstrahl durchtrennte ihn kurz hinter Karsnyts Hand. Aus diesem Winkel konnte er endlich schießen. Er wartete auf die Explosion, die Stichflammen, den Weltuntergang. Er erfolgte nicht. Karsnyt sah ihn, brüllte auf und schleuderte das Hebelstück in seiner Faust nach ihm. Atlan wich aus, sprang und war über dem Wahnsinnigen, bevor dieser sich auf den Stumpf werfen konnte. Karsnyt machte noch einmal unglaubliche Kräfte frei. Atlan kam nicht dazu, ihn mit einem schnellen Schlag gegen die Schläfe zu betäuben. Sie wälzten sich über die Plattform. Unten stürmten jetzt Tyari, Schabacker und Shorrn auf die Wendeltreppe zu. Atlan bekam Karsnyts Handgelenke zu fassen, drehte sie noch einmal mit ihm bis an den Plattformrand und war dann endlich über ihm. Er drückte ihm die Knie in die Schultergelenke, die Hand mit der Waffe zur Seite. »Gib auf!« sagte er, schwer atmend. »Du hast verloren. Du kannst dein Selbst nur zurückgewinnen, wenn du dich jetzt von dem löst, was dich beherrscht!« Karsnyt lachte und verzog das Gesicht unter Qualen. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Stimme nur mehr ein heiseres Krächzen: »Verloren? Mich beherrscht nichts und niemand, Toter! Ich diene ihm, der euch alle dafür bestrafen wird, Konink und Karsnyt getötet zu haben!« Er fügte noch einen Namen hinzu – den Namen desjenigen, von dem er seine Anweisungen erhalten hatte. Atlan war für einen Moment so vor den Kopf geschlagen, daß er
den Griff um Karsnyts Handgelenke vernachlässigte. Der triumphierend ausgestoßene Name traf ihn härter als alles, was man ihm sonst jetzt hätte zufügen können. Er wollte es nicht wahrhaben. Das nicht! Doch konnte ein Wesen wie Karsnyt jetzt überhaupt noch lügen? Und woher sonst sollte er diesen Namen gekannt haben, wenn nicht von … Der Prezzarerhalter lachte ein letztes Mal. Er befreite seine rechte Hand, setzte sich die Waffe an den Kopf und löste sie aus. Tyari und die anderen kamen zu spät. * Das Isolierfeld brach genau 27 Stunden, 32 Minuten und elf Sekunden nach seinem Entstehen zusammen. Atlan, Tyari, Oirstel und Alysta standen in der Ortungs‐ und Steuerungszentrale des Prezzar‐Mydoniums. Bei ihnen waren auch Shorrn und Schabacker mit ihren Begleitern Daynnth und Anoscha. Über getrennte Kanäle riefen die Delegationsleiter ihre Heimatwelten an. Der Hyperfunkkontakt kam ohne weitere Schwierigkeiten zustande. Shorrn berichtete das gleiche nach Anterf wie Schabacker nach Beneter. Den nur kurzen Text, von dem nur die unmittelbar Beteiligten wußten, welcher Opfer es zu seinem Zustandekommen bedurft hatte, hatten sie gemeinsam in einer letzten Sitzung verfaßt: »Die Verhandlungsdelegationen der Anterferranter und Beneterlogen, hier stellvertretend für alle Völker der Galaxien Bars und Farynt, haben sich vom guten Willen der jeweils anderen Seite überzeugen lassen. Dies ist der Wille zum Frieden und zur Zusammenarbeit mit dem letztendlichen Ziel, die Verzahnung der Sterneninseln rückgängig zu machen. Gemäß der uns erteilten Befugnisse erklären wir bindend für unsere Völker und deren
Abkömmlinge, daß von dieser Stunde an Friede herrscht zwischen Bars und Farynt!« Shorrn nickte bekräftigend. Schabacker reichte ihm vor den Augen der aber Millionen Beneterlogen und Anterferranter, die die Sendung an ihren Bildschirmen verfolgen konnten, die Hand. Er ergriff sie. »Ich hatte nicht mehr daran geglaubt«, flüsterte Tyari Atlan zu. »Und im Grunde ist es nur durch das Wirken von Anti‐ES möglich geworden. Und durch Mjailams Auftritt. Als Schabacker erkennen mußte, wer Mjailam ist, zeigte er sein wahres Gesicht. Vorher hielt ich ihn für einen Kriegstreiber.« Atlan gab keine Antwort. Tyari fragte nicht, sie sah ihn nur voller Sorge an. Er hatte seit Karsnyts Tod nicht mehr gesagt, als unbedingt nötig war. Sein Gesicht war wie versteinert und von tiefen Falten durchzogen. Sein Schweigen konnte nicht an der Schußverletzung liegen. Das verbrannte Gewebe war durch die Wirkung des Zellaktivators fast schon wieder verheilt. Neue Zellen hatten sich gebildet. Oirstels Ärzte hatten überdies noch einmal ihre Heilkunst bewiesen. Nun trat Oirstel vor. »Als oberster Prezzarerhalter bestätige ich die Worte der beiden Parteien. Aus der Sicht der Prezzarerhalter gibt es keine Bedenken gegen den Beschluß, in Frieden und Freundschaft nun gemeinsam das Übel an der Wurzel zu packen. Auf den einhelligen Wunsch der Parteien wird die Organisation der Prezzarerhalter den Friedensbeschluß auch unter denjenigen Völkern verbreiten, die nicht an das galaxienweite Kommunikationsnetz angeschlossen sind und ein Weltraumnomadendasein führen. Wir werden den Frieden auch überwachen und alle Verstöße ahnden. Lange genug haben wir gegeneinander gekämpft. Nun laßt uns füreinander wirken – und für eine Zukunft, in der es nur wieder Bars und Farynt geben soll! Ich danke unseren solanischen Freunden, die uns nur Prezzar und Tyar selbst geschickt haben können!«
Er blickte sich nach Atlan um. Der Arkonide winkte ab. Er wollte sich nicht der Öffentlichkeit stellen. Er hätte jetzt nicht ein einziges passendes Wort gefunden. Für ihn war es eine Erlösung, als die Ausstrahlung endlich beendet war. Eine weitere Detailbesprechung im wieder hergerichteten großen Konferenzraum war angesagt, sowie eine Feier. Atlan wartete, bis nur noch Tyari, Alysta und Oirstel in der Zentrale waren, und bat dann Tyari, ihn vorerst zu vertreten. Sie stellte keine Fragen und machte den Prezzarerhaltern ein Zeichen. Auf dem Ringkorridor angelangt, fragte Alysta: »Aber was hat er? Er sollte glücklich sein, denn ihm verdanken wir nicht nur unser Leben, sondern noch viel, viel mehr.« »Er muß etwas Schreckliches von Karsnyt erfahren haben«, sagte die Gesandte. * Atlan erschien zu dem Fest. Er zwang sich dazu, einige Worte zu sagen und nicht die Stimmung zu verderben. Tyari erfuhr, daß er mit Hayes gesprochen hatte und gerade noch im letzten Moment verhindern konnte, daß die SOL sich in Richtung Prezzar‐ Mydonium in Bewegung setzte. Dafür jedoch waren die CHYBRAIN und die FARTULOON unterwegs, um ihn und die Gefährten abzuholen – selbstverständlich auch die beiden Anterferranter. Er trank nichts von dem reichlich angebotenen Wein, der für ihn einen bitteren Geschmack gehabt hätte. Schabacker sprach ihm reichlich zu, entschuldigte sich bei Oirstel und Shorrn immer wieder für sein Mißtrauen und die harten Worte, die er eigentlich nie so gemeint haben wollte. Und er schwärmte von Mjailam, dem gestaltgewordenen Instinkt Prezzars, mit dem der geheimnisvolle
EGEN einverstanden zu sein schien. Etwas beschämt ging Oirstel auf die Verdächtigungen ein, was Mjailams Erscheinen im Mydonium jeweils vor Explosionen anbetraf. Jetzt wußte er, daß der Hüne die Gefahr »gewittert« und versucht hatte, die Katastrophen zu verhindern. Nur hatte er zu wenig von der Technik der raumfahrenden Völker gewußt, um helfend eingreifen zu können. Mjailam als Inkarnation des Instinktes Prezzar – das erklärte auch, weshalb er an jedem Ort auftauchen konnte, zumindest überall in Farynt und in den angrenzenden Gebieten von Bars, zu denen auch das Barsanter‐System mit Anterf noch gehörte. Was wie Teleportation aussah, war in Wirklichkeit so: Mjailam war ein »Teil« der Farynt‐Galaxis und konnte sich überall dort körperlich manifestieren, wohin ihn sein Instinkt führte. Atlan war Oirstel dankbar für die Bereitschaft, über den neuen und noch anfälligen Frieden in Bars‐2‐Bars zu wachen. Oirstel hingegen bat ihn, über Mjailam und die SOL den eigentlichen Feind zu finden und damit das Ziel fortzusetzen, die Auflösung von Bars‐ 2‐Bars zu erreichen. Da diese Aufgabe nur zu Anti‐ES führen konnte, und damit zu den Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst, fiel es dem Arkoniden nicht schwer, seine Einwilligung zu geben. Aber wer war das nun, der eigentliche Gegner? Natürlich Anti‐ES, aber wie es nun schien, erst am Ende einer grausamen Kette von … Zwischenstationen? Solvan und Tola, beide Anterferranter in der Maske von Prezzarerhaltern, hatten sich der Festnahme durch Selbstmord entzogen. Somit gab es niemanden mehr, der Karsnyts letzte Worte zu widerlegen vermochte. Das Rätsel, wie Anterferranter unbemerkt in das Mydonium hatten eindringen können, schien für immer ungelöst bleiben zu müssen. Atlan hielt nicht bis zum Ende der Friedensfeier durch. Unter dem Vorwand, mit seinen Gedanken hinsichtlich Bars‐2‐Bars allein sein zu müssen, zog er sich in sein Quartier zurück. Tyari folgte ihm.
* »Mjailam«, sagte der Arkonide. »Er ist nicht wieder aufgetaucht, vielleicht deshalb nicht, weil er seine Aufgabe als erfüllt ansieht. Er kam als Suchender und gab uns entscheidende Hinweise. Er wollte helfen, er kann also nicht bösartig sein. Dann gilt für Prezzar das gleiche. Prezzar muß in seiner Lähmung erfaßt haben, daß Tyar dich schuf. Offenbar gelang es ihm in einer letzten Kraftanstrengung, etwas Ebenbürtiges zu formen. Er ist nicht dein Gegenspieler, Tyari. Tyar und Prezzar mögen handlungsfähig sein, aber sie verfolgen die Auflösung von Bars‐2‐Bars nicht mit den kriegerischen Mitteln wie die Völker, die sich auf sie berufen. Du und Mjailam, ihr seid der Beweis dafür.« Sie nickte. »Ich habe ihn erst erkannt, als er mir gegenüberstand. Ich kann ihn nicht hassen, Atlan. Vielleicht hätte er früher erscheinen müssen. Es ist wie Magie. Plötzlich ist das Mißtrauen zwischen den Sternenvölkern ausgebaut. Ich kann kaum noch begreifen, wie fanatisch ich in meiner Ablehnung war, das das Farynt‐Siegel trägt. Ein Friede breitet sich aus. Nur kann ich noch nicht an ihn glauben. Tyar und Prezzar, das sind nicht die absoluten Gegensätze, die ich in ihnen sah. Sie würden einander verstehen, so wie ich mich mit Mjailam verstehen könnte, tauchte er noch einmal auf.« Das Mißtrauen abgebaut … Bis es wirklich soweit war, würde noch viel Zeit vergehen. Die Basis jedoch war geschaffen, ein wichtiger Schritt in der Normalisierung von Bars‐2‐Bars getan – jedenfalls, was die »unteren Ebenen« anging. Der wirkliche Gegner aber war nach wie vor unantastbar, sicher in seiner Verbannung in der Namenlosen Zone. Und zwischen ihm und uns? Atlan schwitzte. Seine Augen tränten vor Erregung. Was war alles
Erreichte, gegen das, was nun unausweichlich auf ihn zuzukommen schien! Wenn Freunde zu Feinden werden! Tyari küßte ihn. Sie fuhr mit ihren Händen durch sein silberweißes Haar und flüsterte Worte, die er niemals mehr missen mochte. Hier der Unsterbliche, dort die betörende Frau, die von Tyar für die Ewigkeit geschaffen schien. Er klammerte sich an sie, wollte sie nie mehr verlieren. Chrysalgyra, Barleona, selbst Mirona Thetin an die er sich vor anderthalb Jahrtausenden fast verloren hätte – was waren sie alle gegen sie! Tyari fühlte seine Empfindungen. »Willst du mir nicht endlich sagen, was dich so bedrückt?« fragte sie leise. Er rang mit sich. Er sah sich wieder über Karsnyt gebückt, als er ungläubig in dessen erlöschenden Augen starrte. Karsnyt war nicht mehr mit seiner Schuld fertig geworden. Daß es die Schuld eines anderen war, zählte nicht mehr. Er hatte die Selbstvernichtung nicht herbeigeführt, weil Anti‐ESʹ Einfluß auf ihn mit dem nahenden Ende der Aktivitätsphase schwächer geworden war. Das hatte ihn in die Schizophrenie getrieben. Er erkannte, was er getan hatte. Seine Liebe zu Konink war so groß gewesen, daß er sein Selbst am Ende verleugnete und die Person des Karsnyt auf eine imaginäre andere projizierte. Atlan hatte nur Mitleid mit ihm. Er verglich ihn mit sich, als er noch jung war, und Konink mit seinem eigenen Lehrmeister Fartuloon. »Atlan!« Tyari richtete sich auf und rüttelte ihn wach. Er nickte. Der Einfluß von Anti‐ES auf Karsynt. Das war zumindest zum Teil falsch. Aber wie schwer fiel es, die Wahrheit auch nur in Gedanken zu akzeptieren! »Wir scheinen einen neuen Gegner bekommen zu haben, Tyari.«
»Wen? Hier im Mydonium? In der SOL?Auf Anterf?« Dorthin würden die Kreuzer sie in wenigen Stunden zurückbringen. Atlan sah der Gefährtin nur in die Augen. Sie zuckte unter seinem Blick leicht zusammen. »Karsnyt nannte mir vor seinem Selbstmord den Namen seines oder seiner Auftraggeber.« »Oder seiner?« fragte die Gesandte. »Es sind eigentlich zwei Namen.« Atlan holte noch einmal tief Luft. Dann schleuderte er es heraus: »Sanny und Kik! Sannykik!« ENDE Die ersten Friedensverhandlungen zwischen den verfeindeten Völkern von Bars‐2‐Bars scheinen Früchte zu tragen. Jedenfalls hat sich die Situation genügend entspannt, so daß Atlan darangehen kann, die Spur von Anti‐ES, dem eigentlichen Feind des Friedens, zu verfolgen. Auf dieser Suche stößt die SOL auf DIE SCHATTENWESEN … DIE SCHATTENWESEN – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan‐Band. Der Roman wurde von Hans Kneifel geschrieben.