Mustafa
Adak
Metöken als Wohltäter Athens Untersuchungen zum sozialen Austausch zwischen ortsansässigen Fremden und der Bürgergemeinde in klassischer und hellenis tischer Zeit (ca. 500-150 v. Chr.)
tuduv
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR ANTIKEN WELT Herausgeber: Prof. Dr. Peter Funke · Universität Münster Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke · Universität Freiburg Prof. Dr. Gustav Adolf Lehmann · Universität Göttingen Prof. Dr. Carola Reinsberg · Universität des Saarlandes Prof. Dr. v. steuben, langjähriger Mitherausgeber, ist im Januar 2002 aus Altersgründen aus dem Herausgebergremium ausgeschieden. Band 40 zugl.: Universität Freiburg (Breisgau), Diss., 1999 ISBN 3-88073-591-3 "D 25" Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
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Vorwort
Das vorliegende Buch ist eine streckenweise überarbeitete Fassung meiner Disserta tion, die im Wintersemester 1998/99 von der Philosophischen Fakultät der Universi tät Freiburg i. Br. angenommen wurde. Die seitdem erschienene Literatur habe ich so weit zu berücksichtigen versucht, wie sie mir von meiner neuen Wirkstätte Antalya aus zugänglich war. Zum Abschluß meiner "Metökenstudien" haben viele Kollegen und Freunde beigetragen, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Mein erster Dank gilt meinem Lehrer Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke, der die Arbeit angeregt und mit großem Interesse und förderlicher Kritik begleitet hat. Das Korreferat übernahm dankenswerter Weise Prof. Dr. Jochen Martin, der zudem die Arbeit durch wertvolle Hinweise förderte. Dr. Werner Ekschmitt, Dr. Johannes Niehoff-Panagiotis und Martin Her mann haben das Manuskript aufmerksam gelesen und mich vor manchen Tücken der lingua teutonica bewahrt. Freunde vom "Griechisch-Türkischen Akademischen Kreis" haben für die nötige Abwechslung von der Schreibtischarbeit gesorgt. Die Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg gewährte mir ein zweijähriges Promotionsstipendium. Allen genannten Personen und Instituten möchte ich von ganzem Herzen danken. Den Herren Professoren Funke, Gehrke, Lehmann und Frau Prof. Dr. Reinsberg fühle ich mich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Quellen und For schungen zur Antiken Welt" verpflichtet. Daß es so lange gedauert hat, bis die Arbeit in Druck gehen kann, hängt in er ster Linie mit meiner Übersiedlung in die Türkei zusammen. Die Neugründung eines Instituts an der Universität von Antalya, die hohe Unterrichtsbelastung und andere Beschäftigungen ließen kaum Zeit für die nötige Revision. Gewidmet ist dieses Buch einem Gelehrten, der sich wie kaum ein anderer für die Förderung der klassisch humanistischen Bildung in der Türkei eingesetzt hat und dessen mutiger Kampf ge gen die Pseudo- und Möchtegernwissenschaftler chauvinistischer Ausprägung im Westen kaum wahrgenommen worden ist.
Antalya, im September 2002
Mustafa Adak
INHALT
I. EINLEITUNG
11
Π, ZWISCHEN "QUASIBÜRGER" U N D "ANTI-CITIZEN": DAS METÖKENBILD IN D E R MODERNEN FORSCHUNG
29
HI. DER MENTALITÄTSGESCHICHTLICHE RAHMEN
41
1. Soziale Reziprozität als zentrales Regelungsinstrumentarium zwischen Politen und Metöken
41
2. Motive der Metöken, der Polis Wohltaten zu erweisen
54
IV. DIE WOHLTATEN DER METÖKEN 1. "Obligatorische" Wohltaten
65 67
a. Kriegsdienst
67
b. Eisphorai
72
c. Liturgien
77
2, Euergesien freiwilligen Charakters a. Finanzielle und materielle Hilfeleistungen 1. Geldschenkungen/Epidoseis
95 95 95
a. Epidoseis für Kriegszwecke
100
b. Geldspenden für Nahrungsmittelbeschaffung
117
c. Finanzielle Unterstützung öffentlicher Bauprojekte
127
2. Schenkungen von Kriegsschiffen und Spenden für deren Ausrü stung 133 3.
Schenkungen von Kriegsgerät
140
b. Verdienste in der Nahrungsmittelversorgung
143
c. Auslösung v o n Bürgern aus Kriegsgefangenschaft und Sklaverei
161
d. Verdienste im außenpolitischen Bereich (Gesandtentätigkeit u.a.)
167
e. Freiwillige Hilfsleistungen militärischer Natur
184
10
e
istellung mit den Athenern be2üglich der Eisphorai ische Gleichstellung mit den Athenern >is a
Ehrungen: Belobigung, Bekränzung, Bewirtung im Prytaneion, TURTEIL ÜBER DIE METOKENEUERGESIEN ΓΖ IN DER GESCHICHTE ATHENS
Register
UND
277
I. EINLEITUNG
In einem unlängst erschienen Artikel wird die Forschungssituation zu der in den grie chischen Poleis längerfristig oder dauerhaft ansässigen Fremdbevölkerung mit fol genden Worten beurteilt: "Grundsätzlich ist festzuhalten, daß sich nur wenige Ge lehrte mit der politischen, sozialen und ökonomischen Position der Fremden in den griechischen Staatstaaten beschäftigt haben. Selbst zu der größten und am besten be zeugten Gruppe von Polis-Fremden, den athenischen Metoiken, ist die For schungslage alles andere als befriedigend".1 Dieses Urteil wirkt im Hinblick auf die at tischen Metöken auf den ersten Blick überraschend, wenn man bedenkt, daß es an Untersuchungen zu dieser Gruppe, darunter die breit angelegten Monographien von M. Clerc (1893) und D. Whitehead (1977), nicht fehlt. Allerdings standen in der bis herigen Forschung hauptsächlich Fragen nach dem Rechtsstatus der Metöken im Vordergrund und die gelehrten Positionen richteten sich im wesentlichen nur in der Qualifizierung dieses Sachverhalts. Daß das Abwägen der rechtlichen Vorzüge und Nachteile, die die Metökie mit sich brachte, zum Verständnis dieses Komplexes un zureichend ist, zeigt sich bereits daran, daß die Metöken mal zu "Quasibürgem", mal zu "anti-citizen" erklärt wurden (s. Kap. IT). Kaum beachtet wurde aber, daß die Metöken über ihre rechtlich fixierten Ver pflichtungen hinaus auch in einem sozialen Austausch mit der attischen Bürger gemeinde standen. Diese Beziehung war auf dem Prinzip einer strikten Gegensei tigkeit aufgebaut. Aussagen zahlreicher attischer Autoren verdeutlichen, daß der Bür gerverband von den Metöken bereits für die Gewährung des Bleiberechts bestimmte "Gegenleistungen", etwa in Form eines Kriegseinsatzes, erwartete. Andererseits muß ten Leistungen der Metöken für die Polis, die über ihre Pflichten hinausgingen, nach geltenden Normen vergolten werden. Dieser auf verschiedenen Ebenen in Erschei nung tretende Erwiderungsmechanismus scheint mir einen geeigneten Zugang zum Verständnis des Verhältnisses zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen zu gewäh ren (Kap. III). Auf diese Weise wird deutlich werden, wie vielfaltig sich Metöken für ihre "Gastpolis" engagieren konnten und welche Nutzen daraus Athen zog. Die Metöken waren eine für Athen in verschiedener Hinsicht wichtige Perso nengruppe. Dieser Tatsache waren sich viele Athener bewußt.2 So gestand bereits im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts der Verfasser der pseudo-xenophontischen Schrift über den Staat der Athener ein, daß die Metöken für die Stadt unentbehrlich waren, weil sie im gesamten Bereich der handwerklichen Produktion und des Seewesens ge braucht wurden.3 Xenophon selbst schlug um 355 seinen Mitbürgern vor, den ansäs1
Rebenich, Fremdenfeindlichkeit in Sparta 356. Vgl. Austin/Vidal-Naquet, Wirtschaft und Gesellschaft 82; Bleicken, Demokratie 86ff. 3 [Xen.] Ath. pol. 1.12: διά τοϋτ' ούν ίσηγορίαν και τοϊς δούλοις προς τους ελευθέρους έποιήσαμεν, και τοις μετοίκοις προς τους αστούς, διότι δεϊται ή πόλις μετοίκων διά τε το πλήθος των τεχνών και διά το ναυτικον διά τούτο ούν και τοις μετοίκοις είκότως την ίσηγορίαν έποιήσαμεν. Eine Interpretation des Wortes ισηγορία bei Raaflaub, Entdeckung der Freiheit 279f. Zur Bedeutung des Ausdrucks το 2
12
I. Umleitung
sigen Fremden bestimmte Privilegien zukommen zu lassen, weil er der Auffassung war, daß diese aufgrund ihrer ωφελήματα eine der besten Einnahmequellen für die Polis darstellten.4 Dadurch versprach er sich nicht nur einen stärkeren Einsatz der Metöken für das Wohl der Stadt, sondern hoffte darauf, daß sich weitere Fremde da zu bereitfinden würden, sich in Athen niederzulassen. Xenophons Kalkül ist klar: Mit der Vermehrung der Metökenbevölkerung erhöhten sich auch die Einkünfte der Po lis.5 Athen zog nach den Perserkriegen eine große Zahl von Fremden aus allen Teilen der griechischen Welt und des östlichen Mittelmeeres an, die in der Wirtschaft Beschäftigung fanden. "Das blühende Wirtschaftsleben wurde zu einem beträchtli chen Teil von ihnen getragen, ja sie haben wohl für den Aufschwung im 5. Jahrhun dert überhaupt erst den Grund gelegt".6 Die Ursachen für den hohen Bedarf an Fremden liegen in erster Linie in den ökonomischen und politischen Strukturen der Stadt begründet. Die Expansionspolitik Athens und der demokratische Charakter seiner Verfassung brachten es mit sich, daß die Bürger für lange Zeit als Krieger bzw. Ruderer oder Politiker in Anspruch genommen wurden. Zudem zogen viele Bürger ihren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft, der städtische Wirtschaftsbereich hin gegen konnte durch sie nur partiell versehen werden. Aus diesen Gründen entstand hier eine Lücke für Arbeitskräfte, die nur mit Hilfe von Fremden (und Sklaven) ge schlossen werden konnte. Die überragende Bedeutung der Metöken im Wirtschaftsleben der Stadt, be sonders in den Zweigen Handwerk und Handel, ist gut bekannt, wenn auch eine tief greifende Untersuchung darüber noch aussteht.7 Da Athen im 5. Jahrhundert zudem zu einem blühenden kulturellen Zentrum avancierte, profitierte die Stadt auch von
ναυτικόν s.u. S.148. 4 Xen. vect. 2.1: εί δε προς τοις αύτοφυέσιν άγαθοΐς πρώτον μεν των μετοίκων επιμέλεια γένοιτο - αΰτη γαρ ή πρόσοδος των καλλίστων έ'μοιγε δοκεϊ είναι, έπείπερ αυτούς τρέφοντες και πολλά ώφελοϋντες την πόλιν ου λαμβάνουσι μισθόν, άλλα μετοίκιον προσφέρουσιν. Die einzelnen, im übrigen nicht verwirklichten Förderungsmaßnahmen lauten: Befreiung der Metöken vom lästigen Hoplitendienst; ehrenvolle Zulassung wohlhabender Metöken zur Reiterei; die Gewährung des Rechtes auf Grund- und Hausbesitz (Enktesis) an "würdige" Metöken. Zur Rolle der Metöken im Reformprogramm Xenophons s. Finley, Antike Wirtschaft 191 f. und Schütrumpf, Xenophons Vorschläge 3ff. mit Verweis auf frühere Darstellungen (Gauthier, Whitehead u.a.). 5 Xen. vect. 2.1 und 2.7. Zu den Einkünften s. Whitehead, Metic 126: 'Theproshodos here is surely not... metoikion only but metic revenues in the widest sense, arising from both metic-status itself (metoikiott, eisphorai, liturgies) and metics' economic activities (such as the xenika tele, and not least the harbour dues from a revitalised Piraeus)". Die Notwendigkeit, die Zahl der Metöken (und somit die Staatseinkünfte) zu erhöhen, hat ein Jahr vor der Abfassung der Poroi auch Isokrates (8.21) ausgesprochen: Mit dem Ende des Bundesgenossenkriegs οψόμεθα δε την πόλιν διπλασίας μεν ή νυν τάς προσόδους λαμβάνουσαν, μεστήν δέ γιγνομένην εμπόρων καί ξένων και μετοίκων, ων νυν έρημη καθέστηκεν. 6 Bleicken, Demokratie 88. 7 French, Athenian Economy 155f.; Ehrenberg, Aristophanes 169f. Die These von Hasebroek (Staat und Handel 2.29ff.; Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte 28), die Metöken seien die alleinigen Träger der Wirtschaft gewesen, ist allerdings überspitzt und falsch. Eine angemessenere Beurteilung bei Thompson, Athenian Entrepreneur 53ff.
I. Einleitung
13
den Leistungen der Metöken in den Wissenschaften und der Kunst. Dieser Punkt ist der Forschung ebenfalls nicht entgangen.8 Gegenüber der Polis waren die Metöken denselben Pflichten unterworfen wie die Bürger: Sie leisteten Kriegsdienst, zahlten die Eisphorai und übernahmen Liturgi en (s. Kap. IV). Auch aus diesen Pflichten der Metöken zog die Stadt Nutzen. Einem wesentlichen Aspekt, der ebenfalls unter die Kategorie "Nutzen für die Polisgemeinschaft" fallt, wurde in der bisherigen Forschung allerdings kaum die ver diente Aufmerksamkeit geschenkt. Gemeint sind die auf freiwilliger Basis erbrachten Wohltaten einzelner Metöken, die verschiedener Art sein konnten.9 Eine wenig typi sche Wohltat war, wenn z.B. ein angesehener Maler wie Polygnot, der in der kimonischen Ära mehrere Jahre in Athen lebte, unentgeltlich (προίκα) die Stoa Poikile mit den Großtaten der Athener ausschmückte.10 Viel häufiger kamen hingegen Geld- und Sachspenden für Kriegs- und Verteidigungszwecke oder zur Finanzierung öffentli cher Bauprojekte sowie Preisnachlässe für aus dem Ausland herbeigeschaffte Nah rungsmittel vor, weswegen man diese als typische Metökenwohltaten bezeichnen kann. Während diese finanziellen und materiellen Hilfeleistungen wohlhabenden Metöken vorbehalten waren, konnten sich auch ärmere Metöken durch einen freiwil ligen militärischen Einsatz als Wohltäter der Athener hervortun. Genannt seien etwa die sogenannten Phyle- und Piräuskämpfer, denen bei der Wiedererrichtung der Demokratie (404/3) eine entscheidende Rolle zufiel.11 Ein Blick auf ihre Berufe, die in dem für sie erlassenen Ehrendekret IG II 10+ (= Osbome, Naruralization I, D6) ihren Namen beigefügt sind, zeigt, daß die meisten dieser "Retter der Demokratie" eher aus ärmlichen Verhältnissen stammten.12
8
Allgemein: Gerhardt, Metoikie 19f.; Aymard, Etrangers 129; Whitehead, Metic 18. Soucek, Fremde Künsder lff. enthält eine kleine Prosopographie von fremden Gelehrten und Künstlern, die im 5. Jahrhundert in Athen wirkten. Seine Zusammenstellung besteht aus 90 Personen, wobei es sich nur um einen Bruchteil derjenigen handeln dürfte, die tatsächlich in Athen lebten. Die überwiegende Mehrzahl dieser Gelehrten und Künsder sind Griechen. Nichtgriechischer Herkunft waren der skythische Tragödiendichter Akestor (Nr. 19) und der syrische Physiognomist Zopyros (Nr. 65). 9 Eine knappe Würdigung bei Pecirka, Role of Foreigners 23ff.; s. auch Gauthier, Bienfaiteurs 183f. zur Beteiligung der Metöken an den Epidoseis. 10 Plut. Kimon 4.6f.: και γάρ ούδ' άλλως την Έλπινίκην εΰτακτόν τίνα λέγουσιν, άλλα και προς Πολύγνωτον εξαμαρτείν τον ζωγράφον και δια τουτό φασιν εν τη Πεισιανακτείω τότε καλούμενη Ποικίλη δε ηϋν στοά γράφοντα τάς Τρωάδας το της Λαοδίκης ποιήσαι πρόσωπον εν είκόνι της Ελπινίκης, ό δέ Πολύγνωτος ουκ ην των βάναυσων, ούδ* άπ' εργολαβίας έγραφε την στοάν προίκα, φιλοτιμούμενος προς την πόλιν κτλ.; Harpokr. s.v. Πολύγνωτος: Λυκούργος εν τω περί της ίερείας- περί Πολυγνώτου του ζωγράφου, Θασίου μεν το γένος, υίου δέ και μαθητού Άγλαοφώντος, τυχόντος δέ της 'Αθηναίων πολιτείας ήτοι έπει την Ποικίλην στοάν έγραψε προίκα κτλ.; ähnlich auch Suda, s.v. Πολύγνωτος; vgl. Osborne, Naturalization ΙΠ, 23ff. T2 und Soucek, Fremde Künstler Nr. 84. 11 S. etwa die Urteile von Krentz, Thirty 129: "In a curious way it was the foreigners that enabled Thrasybul to succeed. Men who did not have to vote fought to preserve Athenian democracv ..." und Whitehead, Thousand New Athenians 8: "It was thus non-citizens who bore the main bürden of the democtraric katodos, 3. fact which will call for some readjustment of our grasp of the significance of the episode". 12 Zitat Kolbe, Ehrendekret 242. Zur sozialen Zusammensetzung der Kämpfer s.u. S. 192 Anm. 832.
I. 'Einleitung
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Die Nichtbeachtung der Metökeneuergesien in der neueren Forschung über rascht insofern, als in den letzten 25 Jahren die Tendenz aufgekommen ist, die grie chische und römische Gesellschaft vom Phänomen der "politischen Schenkungen"13 an die Gesamtheit der Polisbürger (evergetisme) zu verstehen (P. Veyne, Ph. Gauthier, F. Quaß). Der Blick der Gelehrten, die sich mit dem Euergetismus beschäf tigen, richtet sich allerdings auf die staatstragenden Schichten und läßt die ansässigen Fremden beiseite, die an der Gestaltung der Politik keinen Anteil hatten.14 Eine Ursache dafür, weswegen Metökeneuergesien bislang nicht Gegenstand von Untersuchungen geworden sind, könnte darin liegen, daß man sie für unbedeu tend, ja geradezu für eine bloße Randerscheinung innerhalb der athenischen Ge schichte gehalten hat. Der Umstand jedoch, daß sich Isotelen, also Metöken mit pri vilegierter Rechtsstellung, zu der sie nur aufgrund gemeinnütziger Verdienste gelangt sein können, neben Grabinschriften, Ehrendekreten und literarischen Quellen auch in weniger typischen Dokumenten wie etwa in Baubeschlüssen, Epidosislisten, Pachturkunden, auf Hypothekenpfandsteinen (Horoi) oder in den sogenannten Phialai Exeleutherikai finden lassen (s. Tabelle auf S. 226f.), scheint auf das Gegenteil hin zudeuten. Nicht nur die Erwähnung von Isotelen in diesen recht lückenhaft überliefer ten Dokumenten, sondern auch der hohe Anteil der Metöken an der Gesamtbevölke rung gibt Anlaß zu der Annahme, daß ihre Euergesien in der athenischen Geschichte eine wichtige Rolle spielten. Bekanntlich lebten im Athen des ausgehenden 4. Jahr hunderts neben 21000 Bürgern 10000 Metöken im kriegsdienstfähigen Alter und es gibt Anzeichen dafür, daß die Zahl der Metöken im 5. Jahrhundert weitaus höher %15 Gewiß kann ein großer Bevölkerungsanteil noch kein Gradmesser für eine weite Verbreitung von Metökeneuergesien sein. Fremde gab es in ähnlichen Relatio nen zu verschiedenen Zeiten auch in anderen Staatswesen. Man denke etwa an die gerim im alten Israel, denen man im Alten Testament häufig begegnet, oder an die peregnni^ die in der Republik und der Kaiserzeit die Stadt Rom bewohnten.16 Auch haben einige westliche Industriestaaten einen hohen Ausländeranteil. Doch ist es in keinem der hier genannten Staatsgebilde zu nennenswerten Wohltaten einer fremden Bevöl kerungsgruppe gekommen. Euergesien ansässiger Fremder sind ein Spezifikum der 13
Veyne, Brot und Spiele 162. Vgl. Veyne, Brot und Spiele 163: "Schauplatz (sc. des Euergetismus) sind die unabhängigen oder autonomen griechischen Städte, und die Protagonisten sind deren Honoratioren". 15 Bevölkerungszahlen diskutiert bei: Clerc, Meteques 367ff.; Whitehead, Metic 97f.; DuncanJones, Metic Numbers 101 ff.; Hansen, Demography and Democracy 29ff.; Habicht, Athen 67f.; Bleicken, Demokratie 549. 16 Zu den gerim s. Bertholet, Stellung der Israeliten 27ff.; Hommel, Metoikoi 1456; Gaudemet/Fascher, Fremder 309ff.; C. van Houten, The Alien in Israelite Law, Sheffield 1991 (JSOT Suppl. 107), passim; C. Bultmann, Der Fremde im antiken Juda. Eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff "ger" und seiner Bedeutungswandlung in der alttestamentlichen Gesetzgebung, Göttingen 1992, passim. Die pengrini behandelt neuerdings D. Nov, Foreigners at Rome. Gtizens and Strangers, London 2000. 14
I. Einleitung
15
griechischen Poliswelt. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, am Beispiel Athens die verschiedenen Beweggründe der Metöken, der Polis Wohlta ten zu erweisen, herauszuarbeiten und die Bedeutung dieser Euergesien für den athe nischen Staat zu bestimmen. Es versteht sich von selbst, daß Athen hinsichtlich der hohen Metökenbevölkerung und des Umfangs ihrer Euergesien eine Sonderstellung einnimmt. Da sich jedoch dieselben Elemente der attischen Metökie wie auch Metökeneuergesien in anderen Poleis wiederfinden lassen, können die hier erzielten Er gebnisse mutatis mutandis auch auf diese übertragen werden. Bekanntlich gelang es den Griechen aufgrund der vorherrschenden partikularistischen Gesinnung nicht, eine über den Kleinstaat hinausreichende politische Ein heit zu schaffen.17 Daher wurde nicht nur der Nichtgrieche (βάρβαρος), sondern auch der Bürger einer anderen griechischen Polis als ξένος betrachtet. Ließ sich ein ξένος in Athen oder in einer anderen Polis nieder, wurde er nicht in den Bürgerverband auf genommen, sondern erhielt einen eigenen Rechtsstatus, der von verschiedenen atti schen Autoren als μετοχκία bezeichnet wird.18 Die Metökie ist eine eigenartige Institution, zu der es in der Geschichte keine wirklichen Parallelen gibt.19 Innerhalb einer von der Bürgerschaft geschaffenen ein heitlichen Rechtsordnung lebten über Jahrhunderte hinweg Menschen verschiedener Herkunft, Bildung, unterschiedlichen Berufs und Vermögens. Metöke wurde ipso iu re jeder Fremde, der über eine festgesetzte Zeit hinaus in Attika blieb.20 Dabei spielte es keine Rolle, ob er aus einer griechischen Nachbarpolis oder aus dem fernen Ägyp ten kam, ob er in seiner Heimat zur sozialen Oberschicht gehört hatte oder ein Un bemittelter war, ob er seine Heimat freiwillig verlassen hatte oder von dort gewaltsam vertrieben wurde, ob er nur für eine bestimmte Phase in Athen zu leben beabsichtigte oder einen auf Dauer angelegten Aufenthalt plante. (Die Metökenbevölkerung erhielt
17
Dieser Punkt ist deutlich herausgearbeitet bei Brandt, Panhellenismus 191 ff.; s. auch Gauthier, Generosite romaine 207ff., der die politische Integrationsfälligkeit der Römer der Unfähigkeit der Griechen gegenüberstellt, eine mit der civitas Romana vergleichbare politischen Einheit zu bilden. « Aischyl. Eum. 1018; Soph. Am. 890; Thuk. 1.2.6; Lys. 6.49; Plat. leg. 850c; Xen. vect. 2.7. Zur Metökie außerhalb Athens s. Whitehead, Immigrant Communities 47ff. 19 Manche spezifischen Charakteristika, wie etwa die Zahlung einer Kopfsteuer oder die wegen des Enktesis-Verbots erzwungene Beschäftigung auf dem Gebiet des Handels, Handwerks und Bankwesens haben E. Meyer (Kleines Schriften I, Halle 1910, 125), J. Hasebroek (Staat und Handel 43; Wirtschafts- u. Gesellschaftsgeschichte 269) u.a. bei flüchtiger Beobachtung eine Nähe der Met öken zu den europäischen Juden des Mittelalters und der Neuzeit vermuten lassen. Eine Gleichset zung mit den Juden erweist sich jedoch als Fehlschluß, u.a. auch deshalb, weil eine soziale Distanz zwischen den Metöken und den Bürgern nicht existierte. Anders als die Juden waren Metöken keine gesellschaftlichen Außenseiter (s.u.). Im Gegensatz zu den Metöken war bei den Juden zur Bewah rung der kulturellen Selbständigkeit die Neigung zur (räumlichen) Ghettosierung vorhanden; vgl. hierzu A. Classen in: P. Dinzelbacher (Hrsg.), Europäische Mentalitätsgescheschichte, Stuttgart 1993, 433 mit Verweis auf weiterführende Literatur. Auch der Vergleich mit den heutigen "Gastarbeitern", wie ihn Bleicken, Demokrade 88f. zieht, ist problematisch. D i e Unterschiede überwiegen die Gemeinsamkeiten. 20 Die Zeitspanne, nach deren Ablauf sich ein Fremder als Metöke registrieren lassen mußte, be trug wahrscheinlich 30 Tage; s. dazu Whitehead, Immigrant Communities 55f.
16
I. Einleitung
neben den Nachkommen der freien Einwanderer weiteren Zuwachs durch die Frei gelassenen). Der Bürgerverband grenzte sich von den Metöken ab, indem er sie von einer politischen Betätigung und vom Grund- und Landerwerb ausschloß und eine Vermi schung mit ihnen durch Ehegesetze verhinderte.21 Die dadurch entstandene politische Minderberechtigung der Metöken lief jedoch weder auf eine soziale oder ökonomi sche Inferiorität hinaus noch hatte sie eine gesellschaftliche Isolierung zur Folge. Wie P. Spahn bemerkt, wurden die Metöken in kein Ghetto verbannt. "Sie waren auch nicht an ihrer Tracht zu erkennen. Und am gesellschaftlichen Leben der Bürger, an Gemeindefesten und Kultfeiem waren sie durchaus beteiligt".22 Auf V. Ehrenberg geht die Beobachtung zurück, daß sich die soziale Stellung der Metöken von der der Politen kaum unterschied. Es gab unter beiden Bevölke rungsgruppen eine soziale und geistige Elite sowie eine soziale Mittel- und eine Un terschicht. Der gesellschaftliche Verkehr zwischen Bürgern und Metöken gehörte zum Alltag Athens. Dabei legten Bürger aus der Oberschicht größeren Wert auf ei nen Umgang mit Angehörigen der "Metökenaristokratie", mit denen sie viel Gemein sames hatten, als mit unbemittelten Politen. Andererseits arbeiteten Bürger und Met öken bei öffentlichen Bauprojekten Hand in Hand und empfingen für dieselbe Tätig keit den gleichen Lohn, wie etwa aus den Abrechnungsurkunden des Erechtheion (IG I 475f.) und des eleusinischen Demeterheiligtums (IG II 1672f.) hervorgeht. Es ist zudem häufig betont worden, daß zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen keine Berufskonkurrenz und kein sich daraus ergebender Neid herrschte.23 Auch über Ressentiments hört man erstaunlich wenig. In der Komödie hält sich der Witz über Fremde in Grenzen. Die in einigen Gerichtsreden anzutreffenden Vorurteile gegen Metöken haben den Zweck, den Prozeßgegner in ein schlechtes Licht zu stellen. Als Zeugnisse von echtem Fremdenhaß sollten sie jedoch nicht ver wertet werden.24 Selbst die Ansässigen nichtgriechischer Herkunft, deren Anteil an der gesamten Metökenbevölkerung unter Berücksichtigung der Freigelassenen im 5. und 4. Jahrhundert 10-20 % betragen haben dürfte, waren akzeptiert.25 Die Metöken erreichten einen hohen Grad an Assimilation und engagierten sich auf vielfältige
21 Ein historischer Überblick zur politischen Exklusivität des Bürgerverbands am Beispiel Athens nachgezeichnet bei Raaflaub, Entdeckung der Freiheit 62.309f. 22 Spahn, Fremde und Metöken 56. 23 Ehrenberg, Aristophanes 157ff.; Lauffer, Bedeutung des Standesunterschiedes 498f.; Scholl, Attische Bildfeldstelen 176 mit Anm. 1195. 24 Zu den Vorurteilen der Bürger gegenüber den Metöken s. etwa Clerc, Meteques 225ff.; Seager, Getreidehändler 242ff., bes. 256ff. 25 Von einer langjährigen, innigen Freundschaft zwischen einem Bürger und einem Metöken ägyptischer Herkunft berichtet Isaios (5.7f. u. 40; s. dazu die Bemerkungen von Ehrenberg, Ajistophanes 168). Ein anderer Ägypter, der aus der 3. Rede des Hypereides bekannte Parfümhändler Athenogenes, legte sich sogar einen griechischen Namen zu, was eine starke Assimilationsbereitschaft signalisiert. Auf der Grundlage der Grabinschriften schätzt Urdahl, Foreigners in Athens 26f.44ff. das Verhältnis der Metöken "barbarischer" Herkunft zu den Griechen im 4. Jahrhundert auf eins zu sieben.
L Einleitung
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Weise für die Belange der athenischen Polis, ohne in die Gemeinschaft voll integriert zu werden. Trot2 dieser sozialen Nähe zu den Bürgern waren sich die Metöken ihres infe rioren Rechtsstatus bewußt. Wer zu gemeinnützigen Wohtaten in der Lage war, konnte den Dank der Bürgerschaft gewinnen, der in der Verleihung rechtlicher Ver günstigungen und besonderer Ehrungen zum Ausdruck kam. Denn bei der die Wohl taten emfangenden Bürgerschaft entstand die Verpflichtung zur Erwiderung. Bei den Euergesien der Metöken war nicht nur der Wunsch nach Erlangung rechtlicher Ver günstigungen auschlaggebend. Als ein weiterer Beweggrund trat das Streben nach Ehre und Ansehen hinzu, das ein allgemein menschliches Bedürfnis ist, bei der stark kompetitiv geprägten griechischen Gesellschaft jedoch einen besonders hohen Stel lenwert hatte. Das Schlüsselwort hierzu ist die φιλοτιμία, die im 4. Jahrhundert zur meistgepriesenen Tugend wurde und die selbst in staatlichen Ehrendekreten ihren Niederschlag fand.26 "Diese φιλοτιμία ist ... keineswegs Tihrgeiz', sondern die Liebe zur Ehre, zur eigenen Ehre, eine Liebe, vermöge der jeder, um sich Ehre zu machen, das Beste tut und das Höchste leistet".27 Auf die Philotimie werde ich noch ausführ lich zu sprechen kommen (S. 59ff.). Eine Quellengattung, aus der sich Angaben über konkrete Wohltaten durch Metöken entnehmen lassen, sind Gerichtsreden. Um die Urteilsfallung der Richter zu ihren Gunsten zu beeinflussen, bedienten sich bei Prozeßreden Bürger wie Metöken des Mittels der Aufzählung eigener Verdienste um die Polis. Besonders aufschluß reich sind solche 'Leistungsberichte' im Falle der Metöken Lysias und Chrysippos. Von den Euergesien des Lysias erfährt man aus seinen in eigener Sache ver faßten Reden "Gegen Eratosthenes" und "Gegen Hippotherses". Als Erbe des Waf fenherrstellers Kephalos hatte er sich während des Peloponnesischen Krieges Ver dienste um die Polis erworben, indem er (jeweils zusammen mit seinem älteren Bru der Polemarch) nicht nur mehrere Choregien ausrüstete und mehrfach die Eisphora zahlte, sondern auch Geldsummen für die Auslösung von in Kriegsgefangenschaft geratenen Bürgern spendete.28 Als Wohltäter großen Stils erwies er sich im Bürger kriegsjahr 404/3, indem er den Kampf der Demokraten gegen das Regime der "Dreißig" in vielfältiger Weise unterstützte. Zu seinen Euergesien, die er für die Re stauration der Demokratie leistete, gehörten neben Beiträgen in Form von Waffen
26
Zur Philotimie s. etwa Whitehead, Competitive Outlay 55ff.; Lloyd-Jones, Ehre und Schande lff.; Gehrke, Rache 130ff. In einer Besprechung zu Kuenzi, Epidosis (1923) hielt H. Hommel, PhW 17, 1927, 495 fest: c<Eine Naturgeschichte des griechischen — oder was zunächst einfacher, aber daneben auch wohl für sich berechtigt wäre, des athenischen — Ehrbegriffs ist noch nicht geschrieben; jedenfalls könnte sie aus der ungeschminkten Hervorhebung der φιλοτιμία bei επιδόσεις manches gewinnen". Dieser Wunsch ist bis heute unerfüllt geblieben. 27 Wilhelm, Attische Urkunden V, 41 (= ders. Akademieschriften I, 677). 28 Lys. 12.20: άλλα πάσας τάς χορηγίας χορηγήσαντας, πολλάς δ' εισφοράς είσενεγκόντας, κοσμίους δ' ημάς αυτούς παρέχοντας και πάν το προσταττόμενον ποιούντας, έχθρόν δ' ούδένα κεκτημένους, πολλούς δ* Αθηναίων έκ των πολεμίων λυσαμένους. Mehr dazu s.u. S. 162f.
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I. Einleitung
und Bargeld auch seine Bemühungen um Anwerbung von bezahlten Kämpfern sowie eine Reise nach Elis, wo er weitere Geldmittel beschaffte.29 In der 34. Rede des Demosthenischen Corpus tritt uns mit Chrysippos ein Metöke entgegen, der in der lykurgischen Ära zur Lebensmittelversorgung der Stadt bevölkerung beitrug, indem er Getreide nach Athen importierte und Seedarlehen an andere Händler gab.30 Chrysippos reiht sich und seinen Bruder unter die χρήσιμοι τω δήμω ein, weil sie in Krisenzeiten mit Geldspenden und Getreidelieferungen nicht geknausert hatten. Zum Beweis ihrer Loyalität Athen gegenüber schenkten sie der Stadt im Jahre 335 ein Silbertalent für Verteidigungszwecke, als die Athener nach der Auslöschung Thebens durch Alexander einen Angriff der Makedonen auf ihre Stadt befürchteten.31 Während der Versorgungskrise des Jahres 330/29 führten sie 10000 Medimnen Weizen ein und verkauften der Stadt den Medimnos zu fünf Drachmen, während andere Importeure sechzehn Drachmen forderten. Als sich im Jahre 328/7 ein noch größerer Getreidemangel einstellte, spendeten sie der Stadt zur Beschaffung von Getreide nochmals ein Talent im Rahmen eines Epidosis-Aufrufes.32 Allerdings bleiben die ohnehin in geringer Zahl erhaltenen Gerichtsreden für unsere Fragestellung unbefriedigend, weil nur die wenigsten von ihnen für Metöken verfaßt wurden. Daher muß man eine andere Quellengattung, nämlich Ehrendekrete, heranziehen, um mehr Informationen über Metökeneuergesien zu gewinnen. Diese Quellengattung bringt aber eigene Probleme mit sich. So wird aus den Ehreninschrif ten nicht auf Anhieb klar, ob es sich bei den Geehrten um Metöken, nur für kurze Zeit in Athen verweilende Fremde (sog. ξένοι παρεπιδημοϋντες, mit Clercs Termino logie die "etrangers de passage")33 oder im Ausland lebende Fremde handelt. Denn es werden alle drei Personengruppen in derselben Weise (Name + Patronymikon + Ethnikon) aufgeführt. Es ist nicht leicht nachvollziehbar, weshalb die Athener einen über längere Zeit hinweg unter ihnen lebenden Fremden in dem für ihn gesetzten öffentlichen 29 Lys. Frg. L6,lf. Gernet/Bizos (= P. Oxy. XIII, Nr. 1606, Z. 165ff.); [Plut] vit. X orat. (mor.) 835F. ' 30 Mehr zu Chrysippos s. Seager, Getreidehändler 257ff. und Erxleben, Außenhandel 476. 482ff. Laut Erxleben "ist Chrysippos kein aktiver emporos^ sonden gehört als Metöke zur Klasse der Finanziers" (476). Aus [Demosth.] 34.38f. (s.u. Anm. 32) geht aber eindeutig hervor, daß er sich (neben Kreditgeber) auch als Emporos betätigte. In diesem Sinne Seager, Getreidehändler 262. 31 S.u. S. 105f. 32 [Demosth.] 34.38f.: Φορμίων τοίνυν τούτω χρώμενος κοινωνώ και μάρτυρι οϊεται δεΐν αποστέρησα! τα χρήμαθ' ημάς, οϊ γε σιτηγούντες διατετελέκαμεν εις τό ύμέτερον έμπόριον, και τριών ήδη καιρών κατειληφότων τήν πόλιν, εν οίς ύμεϊς τους χρησίμους τω δήμω έξητάζετε, ούδενός τούτων άπολελείμμεθα, αλλ' οτε μεν εις Θήβας "Αλέξανδρος παρήει, έπεδώκαμεν ύμϊν τάλαντον αργυρίου· οτε δ' ό σίτος έττετιμήθη τό πρότερον και έγένετο έκκαίδεκα δραχμών, είσαγαγόντες πλείους ή μυρίους μεδίμνους πυρών διεμετρήσαμεν ύμϊν της καθεστηκυίας τιμής, πέντε δραχμών τον μέδιμνον, και ταύτα πάντες ϊοτε εν τω πομπείω διαμετρούμενοι* πέρυσι δ' εις τήν σιτωνίαν τήν υπέρ του δήμου τάλαντον ύμϊν έπεδώκαμεν εγώ τε και ό αδελφός. Die beiden letztgenannten Wohltaten lassen sich unter Zuhilfenahme der Herakleides-Inschrift (IG II 360) und anderer fest datierter Dokumente zeitlich sicher bestimmen: s. Garnsey, Famine 154ff.; Marchetti, Revue Beige de Numismatique 122, 1976, 51ff. und SEG XXVI 79. 33 Clerc, Meteques 250.
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Ehrendenkmal nicht mit seinem der Realität entsprechenden Status als μέτοικος, son dern als Bürger seiner Heimatstadt bezeichneten.34 Denn durch die bloße Nennung des Ethnikon wurde die Tatsache verschleiert, daß die Geehrten als in Athen Ansäs sige ein Bestandteil der Polis waren, ohne freilich vollwertige Mitglieder des Ge meinwesens zu sein.35 Dies befremdet umso mehr, wenn man bedenkt, daß unter den privilegierten Metöken selbst viele sowohl im öffentlichen Leben als auch auf ihren Grabsteinen einen von den Athenern verliehenen Ehrentitel (Isoteles oder Proxenos) ihrem Ethnikon vorzogen.36 Unter Beachtung einiger Kriterien ist es dennoch möglich, die Metöken von den beiden anderen Gruppen zu scheiden. Im Motivkatalog einiger Ehrendekrete werden Fremde neben anderen Verdiensten auch für Zahlungen von Vermögens steuern (είσφοραί) und für die Leistung des Kriegsdienstes (στρατείαι) gelobt. Weil solche Pflichten nur Metöken auferlegt wurden, sind die Geehrten als solche zu iden tifizieren.37 Allerdings gingen die Athener erst relativ spät, nämlich im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts, dazu über, solche "obligatorischen" Verdienste in den Motivka talog der Ehrenbeschlüsse aufzunehmen. Zahlreiche Ehreninschriften erwähnen Geldschenkungen durch Fremde, die während eines Epidosis-Aufrufes geleistet wurden, wobei der Zweck der Epidosis mit εις τήν σωτηρίαν/φυλακήν της πόλεως, εις τήν σιτωνίαν o.a. stets angegeben ist. Zu solchen Spendenaktionen wurden üblicherweise nur Bürger und ansässige Fremde aufgefordert.38 Daher hat man davon auszugehen, daß es sich bei den EpidosisTeilnehmem um Metöken handelt (s.u. S. 98ff.) In einigen Dekreten werden fremden Händlern Privilegien verliehen, weil sie ihr nach Attika importiertes Getreide zu einem verbilligten Preis verkauften. Im See handel tätige Metöken hatten eine höhere Motivation als auswärts lebende, mit Athen ohnehin nur in einem lockeren Geschäftsverhältnis stehende Fremde, sich durch die Hinnahme eines beträchtlichen Gewinnverlustes als Wohltäter der Athener hervorzu tun. Denn die dadurch erzielten Statusverbesserungen brachten ihnen größere Vor teile als einem im Ausland lebenden Fremden, für den die verliehenen Privilegien und Ehren nur eine symbolische Bedeutung besaßen. 34 Anders verfuhren die Bürger von Kolophon, indem sie in einem um 334 erlassenen Ehrende kret (B.D. Meritt, Inscriptions from Colophon, AJPh 56, 1935, 377ff. Nr. 3, Z. lOf.) dem Namen und Ethnikon des Geehrten μέτοικων εν τηι πόλει hinzufügten. 35 Vgl. Whitehead, Metic 30: "... it is very clear that on this type of inscriptions the Athenians found a way of flattering individual metics by the use of a designation, their ethnikon, which represented them as non-residents, unconnected with the city in which they lived and which was doing them honour". 36 Ausführlich hierzu s.u. S. 221 f. 37 Whitehead, Metic 21 mit Belegen. 38 Vgl. Whitehead, Metic 29f.: "Epidoseis ... were also, I believe, contributed by residents only. Gifts, in cash or kind, migth be certainly sent to Athens by (non-resident) foreign rulers and others, but the one surviving rubric concerning epidoseis proper (IG ΙΓ 791, 247/4) invites contributions from τους βουλομενους τ[ών πολιτών και των άλ]λων των οικούντων έν τη πόλει (15-6), and Ι see no grounds for denying that this was standart practice"; bei der Behandlung der Epidosis-Institution (s.u. S. 98f.) führe ich weitere Gründe dafür auf, daß sich der Spenderkreis auf Bürger und in Attika ansässige Fremde beschränkte.
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L Umleitung
Manche dieser Inschriften erwähnen neben Preisnachlaß für Getreide auch Geldspenden, die die Geehrten während eines Epidosisaufrufes leisteten (z.B. IG II 283; 360; 499; 744). Es handelt sich also um dieselben Wohltaten, wie sie uns im oben erwähnten Fall des Chrysippos begegnet sind. Man fragt sich, was einen Fremden, der in seiner eigenen Heimat lebte und Athen nur zur Löschung seiner Schiffsladung aufsuchte, dazu bewegt haben sollte, eine mehrere tausend Drachmen betragende Geldschenkung an den attischen Staat vorzunehmen. Vielmehr wird man in diesen Personen Metöken erkennen müssen, die sich durch solche materiellen Opfer rechtli che Statusverbesserungen erhofften. Die Verleihung der Proxenie an solche Händler ist kein Grund, an ihrem Metökenstatus zu zweifeln, weil die Athener selbst keine Schwierigkeiten damit hatten, auch einen Metöken zum Proxenos zu ernennen (s.u. S. 201ff.). Einen zuverläsigen Indikator zur Identifizierung von Metöken bilden solche Dekrete, die mehrere, ψ unterschiedlichen Zeiten und in Athen erfolgte Verdienste verzeich nen.39 Im Motivkatalog der Ehreninschrift: IG II 374 wird die Bürgerrechtsverlei hung an Euenor aus dem akarnanischen Argos damit begründet, daß er als "Arzt frü her dem Demos ganze Wohlgesinnung bewies und sich gemäß seines Handwerkes al ler bedürftigen Bürger und der übrigen Bewohner der Stadt annahm und jetzt bereit willig für die Rüstung ein Silbertalent spendete".40 In einem anderen Dekret wird von dem Phaseliten Euxenides gesagt, daß er "im vorigen (sc. Lamischen) Krieg freiwillig zwölf Ruderer bereitstellte und jetzt (sc. im Vierjährigen Krieg) Sehnen für Katapulte spendete".41 In einem in zweifacher Abschrift vorliegenden Ehrenbeschluß aus dem Jahr 266/5 heißt es von Strombichos, daß dieser im Jahre 287/6 "dem Aufruf des Volkes zur Freiheit folgte und auf der Seite der Stadt kämpfte, da er der Ansicht war, man dürfe nicht dem Interesse der Stadt sich in den Weg stellen, sondern müsse mit beitragen zur Rettung, auch an der Belagerung des Museion teilnahm auf der Seite des Volks, und als die Stadt in diesen Angelegenheiten ihr Ziel erreicht hatte, er auch die sonstigen Dienste unermüdlich und vorbehaklos erwiesen hat, an seinem Wohl wollen für das Volk unverbrüchlich festgehalten hat", und zwei Jahrzehnte später, "als der Krieg ausbrach, sich verdient gemacht hat um das Volk und bei seinem Kampf für dessen Interesse alles tat, was angeordnet wurde vom Strategen".42 Die » Z.B.: IG I3 125; IG II2 1186; IG II2 283; IG Π2 351; IG II2 360; IG II2 374; Moretti, ISE Nr. 4; IG II2 421; IG II2 505; IG II2 554; IG Π 2 479 + 480; IG II2 499; IG II2 715; IG II2 740; IG II2 748; IG i f 835; IG II2 786; IG II2 903. 40 IG II 374 (= Osborne, Naturalization I, D50), Z. 4-10: επειδή Εύήνωρ ό ί]ατρός πρότερόν τε π||[άσαν ευνοιαν άποδέ]δεικται τώι δήμωι και | [χρήσιμον εαυτόν πα]ρέσχηκεν κατά τήν τεχ|[νην τοίς δεομένοις] τώμ πολιτών και των άλ|[λων τών οΐκούντων έ]ν τηι πόλει και νυν έπι|[δέδωκεν προθύμως ε]ΐς τήν παρασκευή ν τάλ||[αντον αργυρίου. 41 IG ΙΓ 554, Ζ. 6-16: έ[π]ειδή Εύξ|ενίδης διατελεί [ε]ύνους ων τ|ώι δήμωι τώι Άθην[α]ίων και... εν τώι πολέ[μ]|ωι τώι πρότερόν εθελοντής [ν]|αύτας δώδεκα ένεβίβασεν, κα||Ί νυν είς τους καταπάλτας ν[ε|υ]ράς έπέδωκεν. « IG II2 666, Ζ. 7-21 (vgl. IG II2 667, Ζ. 1-11; Osborne, Naturalization I, D78): επειδή 5ρόμβιχος στρατευόμενος πρότερο [ν] | παρά Δημητρίωι και καταλειφθεις έν τώι άστει μετά Σ[πι]|νθάρου, λαβόντος του δήμου τα όπλα υπέρ της έλευθ[ερ]||ίας και παρακαλουντος και τους στρατιώτας τίθεσθα[ι π]|ρός τήμ πόλιν ύπήκουσεν τώι δήμωι είς τήν έλευτερίαν [κ]|αί εθετο τά όπλα μετά της πόλεως
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Erwähnung von Verdiensten, die zu unterschiedlichen Zeitabschnitten in Athen ge leistet wurden, kann nur zu dem Schluß führen, daß diese Personen über mehrere Jahre hinweg in Athen als Metöken lebten. Solche Kriterien sind jedoch nur bei Ehrendekreten anwendbar, die nach ca. 340 erlassen wurden. Bei den früheren Beschlüssen steht man vor dem Problem, daß diese die konkreten Leistungen des Wohltäters überhaupt nicht oder nur in seltenen Ausnahmen nennen. Weil die übliche Formel, mit der dort die Verdienste der Geehr ten zum Ausdruck gebracht werden, "der zu Ehrende ist ein άνήρ αγαθός, der bereit war, ποιεΐν ο τι δύναται αγαθόν" lautet, geben sie über den Wohnsitz und somit den Status des Geehrten keine verläßliche Auskunft. Schaut man sich aber unter den we nigen Dekrete des 5. Jahrhunderts um, die handgreifliche Einzelverdienste enthalten, stellt man fest, daß einige von ihnen Metöken gelten, u.Z.: IG I 30; 98; 102; 125; 164; 174; 175; 182; 227; IG II2 10+. Ich werde diese Inschriften an passender Stelle erör tern. Eine spätarchaische Grabinschrift legt Zeugnis darüber ab, daß sich ansässige Fremde auch schon vor dem 5. Jahrhundert bereitfanden, der Polis Athen Wohltaten zu erweisen. Diese 1962 im Keramaikos gefundene Inschrift, die sich nur ungenau in die beiden letzten Jahrzehnte des 6. Jahrhunderts datieren läßt, aber wahrscheinlich erst nach den Kleisthenischen Reformen anzusetzen ist, ist in doppelter Hinsicht von Wichtigkeit: Zum einen läßt sich aus ihr entnehmen, daß sich die Metökie als selb ständiges Rechtsstatus bereits am Ende des 6. Jahrhunderts etabliert hatte, zum ande ren informiert sie über den ersten namentlich genannten Metökeneuergeten Athens. Dieses Grabepigramm stellt einen gewissen Anaxilas aus Naxos als einen um Athen vedienten Metöken (in archaischer Form als μετάοικος) vor. In der mittleren Partie des Epigramms ist zu lesen: "Unter den Naxiem haben die Athener in besonderem Maße den Metöken (sc. Anaxilas) für seine Besonnenheit (σωφροσύνη) und Tapferkeit (αρετή) geehrt".43 Obwohl die Verdienste des Anaxilas nicht konkretisiert werden, zieht K. Baba wegen der Verwendung des Wortes αρετή, das mehrere Bedeutungen haben kann, in jener Zeit jedoch meist kriegerische Leistungen kennzeichnet, in Er wägung, daß der Naxier den Athenern militärische Hilfe geleistet und sich dabei be sonders ausgezeichnet hatte.44 Die Wendung τίεσκον Άθεναϊοι (Ζ. 3) scheint m.E. dar-
οίόμενος δεϊν μη ένίσ[τ]|ασθαι τώι της πόλεως συμφέροντι αλλά συναίτιος γενέσ[θ]|αι τεί σωτηρίαι, συνεπολιόρκει δε και το Μουσεϊον μετά τ[ο]||ϋ δήμου και συντελεσθέντων τεϊ πόλει των πραγμάτω[ν κ]|αΐ τάς λοιπάς χρείας άπροφασίστως παρασχόμενος [διατ]|έλεκεν και διαμεμενηκεν εν τεϊ του δήμου εύν[ο]ί[αι, και] του πολέμου γενομένου νήρ αγαθός ην κ[ κ|αι άγ]ωνιζόμενος ύπη[ρέτηκεν άπαντα οσα παραγγέλλοι ό | στρατη]γός και εί[ς το λοιπόν επαγγέλλεται χρείας παρέξ|εσθαι τώι δήμωι τώι Αθηναίων (Übers.: Brodersen u.a., HGIÜ II, 125f. Nr. 324). 43 IG I31357: δακρυόεν πολυπενθές Άναχσίλα έδ' όλοφ|υδνόν λάινον έστεκα μνέμα καταφθιμέ|νο: Ναχσίο ον τίεσκον Άθεναϊοι μεταοικον έχ|σοχα σοφροσυνες ένεκεν έδ' αρετές: τοι μ' επί Τιμ|όμαχος γεγαρόν κτέρας οία θανόντι θεκεν ΆΙρίστονος παίδι χαριζόμενος 44 Baba, Formation 3 mit der Vermutung, daß die militärische Hilfe des Naxiers im Jahre 506 während des Feldzugs der Spartaner im Bund mit Böotien und Chalkis erfolgte. Arete als militärische Tugend wird auch im Epithaphios des Lysias im Zusammenhang mit den während der Restaurierung der Demokratie (403/2) gefallenen Metöken gebraucht (Lys. 2.66).
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auf hinzudeuten, daß Anaxilas durch einen öffentlichen Beschluß des Demos oder der Boule geehrt wurde.45 Weil aber die Aufzeichnung von Ehrendekreten auf Stein erst in der Mitte des 5. Jahrhunderts einsetzt, werden früher erlassene Dekrete wie das für Anaxilas in ver gänglichem Material festgehalten und archiviert worden sein. Dies könnte eine weite re Erklärung dafür bieten, weshalb wir über Metökeneuergesien vor dem Peloponne sischen Krieg kaum etwas wissen. Allerdings werden Wohltaten von Metöken in der Pentekontaetia zwischen den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg kaum besonders ins Gewicht gefallen sein. Denn in diesem Zeitabschnitt herrschten in Athen nicht nur recht stabi le politische Verhältnisse, sondern es war auch um die Staatseinkünfte außergewöhn lich gut bestellt. Gerade die Pboroi des Seebundes könnten eine hemmende Wirkung auf die Euergesiebereitschaft der Metöken gehabt haben. Wahrscheinlich lud die Bürgerschaft im Vertrauen auf ihre Finanzkraft die Wohlhabenden unter den Met öken nur selten zu Euergesien ein. Dieser Zustand änderte sich mit dem Peloponnesischen Krieg, als einerseits durch Kriegsführung bedingt - die Ausgaben des Staates stiegen, andererseits aber die Einkünfte der Athener sanken.46 Nicht zufällig fallen der erste bekannte Aufruf zu freiwilligen Spenden (Epidosis) und die Einführung einer Vermögenssteuer (Eisphora) in die Frühphase des Peloponnesischen Krieges.47 Die meisten Informationen über Metökeneuergesien stammen aus dem 4. Jahrhundert. Die starke Konzentration der Quellen auf die zweite Hälfte dieses Jahr hunderts läßt den Eindruck entstehen, daß gerade in dieser Zeit Wohltaten ansässiger Fremder für den athenischen Staat von eminenter Bedeutung waren. Im 3. Jahrhundert ging die Metökenbevölkerung stark zurück. Diese demo graphische Veränderung läßt sich anhand von Grabinschriften gut nachvollziehen. Im Bereich des Piräus etwa, von jeher einer der attraktivsten Wohnorte der Metöken, sind bislang 110 Grabinschriften von Fremden gefunden worden, die in das 4. Jahr hundert datiert werden. Im Vergleich dazu beträgt die Zahl für die gesamte hellenisti sche Epoche lediglich 34.48 Verschiedene Ursachen liegen diesem Bevölkerungsrück gang zugrunde. Als ein wichtiger Faktor kommt die schwere Wirtschaftskrise in Be tracht, von der Athen Ende des 4. Jahrhunderts heimgesucht wurde. Neuere Er kenntnisse über diese Wirtschaftskrise bringen siedlungsarchäologische Untersu chungen, die in den letzten Jahren von H. Lohmann durchgeführt wurden. Lohmann konstatiert eine Entsiedelung weiter Bereiche Attikas, die mit dem Übergang zum 3. Jahrhundert erfolgte.49 Er spricht von einem "allgemeinen wirtschaftlichen Nieder-
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Bereits der Erstherausgeber der Inschrift, Willemsen, Archaische Grabbasen 143, hat in Erwägung gezogen, daß dem Metöken Anaxilas bestimmte Privilegien verliehen wurden. 46 Vgl. Schmitz, Wirtschaftliche Prosperität 136. 47 Migeotte, Souscriptions pubüques lOf. 48 Garland, Piraeus 62ff.; vgl. auch Salta, Attische Grabstelen 188. 49 Lohmann, Atene 248ff., bes. 252f.
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gang", der "offenbar immer mehr Bürger in die Emigration" trieb.50 Auch Metöken werden unter den Auswanderern gewesen sein, die Attika zugunsten ökonomisch günstigerer Orte wie Delos, Rhodos oder Alexandria verließen oder noch weiter in den Osten zogen, um sich in den neugegründeten Städten der hellenistischen Monar chien niederzulassen. Nichtsdestotrotz hielt die Bereitschaft der Metöken, Athen wohltätige Dienste zu erweisen, auch im 3. Jahrhundert an. Allerdings stehen uns für diesen Zeitraum nicht mehr so viele Zeugnisse zur Verfügung wie für das 4. Jahrhundert. Einige Eh rendekrete bezeugen das Weiterbestehen von für Metöken typischen Euergesien wie Geldschenkungen, Getreidelieferungen und militärische Hilfeleistungen. Als eine neue Form tritt die Vergabe von zinslosen Darlehen an den Staat in Erscheinung.51 Dies scheint viel häufiger vorgekommen zu sein, als man aus dem ohnehin äußerst schmalen epigraphischen Befund erkennen kann. Die Vergabe von Darlehen wurde geradezu ein Merkmal reicher Metöken, das sogar anekdotisch ausgemünzt wurde. Eine solche Anekdote ist in das Lexikon des Patriarchen Photios und in die Suda eingegangen: In einer Sitzung der Ekklesie stellen die Athener zur Zeit der Diadochen fest, daß ihnen Geldmittel zur Finanzierung wichtiger Staatsausgaben fehlen. Ein Metöke, der während der Volksversammlung ebenfalls anwesend ist (sie!), erklärt sich in aller Eile bereit, die notwendige Geldsumme zu leihen.Weil er sich dabei aber sprachlich nicht korrekt ausdrückt (δια τον βαρβαρισμόν), wird sein großzügiges An gebot von den stolzen Athenern zurückgewiesen. Nachdem der Fremde sein Ange bot bei einem zweiten Versuch in fehlerfreiem Attisch vorträgt, nehmen ihn die Bür ger unter Beifall an.52 Im 3. Jahrhundert läßt sich femer in größerem Maße das Engagement von Metöken als Gesandte beobachten (s.u. S. 169ff.). Es sind meist Häupter der einzel nen Philosophenschulen, die der athenische Staat mit einer diplomatischen Mission betraute. Diese waren wegen ihrer rhetorischen Ausbildung und ihrem Ansehen, daß sie in der ganzen greichischen Welt genossen, sowie wegen ihren Kontakten zu ma kedonischen Herrschern für eine solche Aufgabe geradezu prädestiniert. Ich habe auch im 3. Jahrhundet von "Metöken" gesprochen, weil ich die weit verbreitete Ansicht, wonach in Athen die Institution der Metökie um 300 aufgegeben worden sei, nicht teile.53 Frühere Gelehrte wie U. v. Wilamowitz-Moellendorff, U. 50
Lohmann, Chora Athens 515. Zuerst bezeugt in IG II 480, Z. 14 (Dat. ca. 305; s. Migeotte, Emprunt public 27). Solche zinslosen Darlehen werden ferner in den Ehrendekreten für Apollas (IG II 835) und Aristokreon (IG . ΙΓ 786) erwähnt. Zu den Dekreten s. Migeotte, Emprunt public 32. 52 Phot. und Suda, s.v. θεριώ: τους Αθηναίους φασιν αθρόως εις έκκλησίαν συναθροισθέντας επί των διαδόχων, επειδή εις άπορίαν καθειστήκεσαν χρημάτων, έπειτα τις πλουσίων ύπισχνείτο άργύριον, οΰτω πως λέγων ότι εγώ ύμίν δανεΐω, θορυβεΐν και ούχ άνέχεσθαι λέγοντος δια τον βαρβαρισμόν και ουδέ λαβείν τό άργύριον έθέλειν έως αίσθανόμενος ό μέτοικος ή και ύποβαλόντος αύτω τινός, έφη· δανείσω ύμΐν τούτο τό άργύριον τότε δε έπαινέσαι καί λαβείν. Zur Anekdote s. auch Migeotte, Emprunt public 380 und Gauthier, Bienfaiteurs 184. 53 In dem Kapitel "The end of the metoikia" schreibt Whitehead, Metic 164f.: "... while foreigners were living in Attica in the third Century and beyond ... the metoikos, the man or woman obliged to register in a deme, pay metoikion^ and live a Kfe of tighdy regulated consessions and responsibilities, 51
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Kahrstedt und H. Hommel gingen davon aus, daß ein königlicher Erlaß durch Demetrios Poliorketes oder Antigonos Gonatas alle die Metökie betreffenden gesetzli chen Regelungen (Metoikion, Wahl eines Prostates, die obligatorische Demenregi strierung u.s.w.) aufhob und auf diese Weise der Unterschied zwischen den Bürgern und den Metöken zum Erliegen kam. M. Rostovtzeff dagegen glaubte, daß ehemals politisch stark engagierte Bürger in den Alexander dem Großen folgenden Genera tionen zunehmend ökonomische Interessen verfolgten und so mit den Metöken ver schmolzen. Das Verschwinden des Gegensatzes zwischen dem Bürger als homo politicus und dem Metöken als homo oeconomicus habe ganz von selbst das Ende des Statusunterschiedes bewirkt. D. Whitehead hat mit Verweis auf die in der hellenisti schen Epoche weiterhin aufrechterhaltene politische Exklusivität der Athener alle diese Thesen als unzutreffend zurückgewiesen.54 Er selbst erklärt das Ende der Met ökie mit dem Verzicht der Athener, an der in klassischer Zeit gültigen Unterschei dung zwischen den Metöken und den ξένοι παρετηδημοΰντες weiterhin festzuhalten. Die regulierenden Mechanismen der Metökie seien aufgehoben worden, was zur Fol ge hatte, daß die freie Bevölkerung Attikas sich nur noch aus xenoi und politai zusam mensetzte. Gründe für die Bereitschaft der Athener, diese Mechanismen zu beseiti gen, die auch ein Verzicht auf wichtige Einkünfte (Metoikion u.a.) zur Folge haben mußten, nennt er nicht. H.W. Pieket bietet in Auseinandersetzung mit Whitehead eine andere Deu tung für das Ende der Metökie: Einerseits sei die Exklusivität der Athener dahinge schwunden. Weil dadurch die Aufnahme in den Bürgerverband leichter wurde, konn ten Fremde sich das attische Bürgerrecht ohne großen Aufwand erkaufen. Anderer seits seien Fremde aus den unteren Schichten nicht mehr bereit gewesen, sich in Attika niederzulassen, wofür der Niedergang der wirtschaftlichen Prosperität Athens verantwortlich gemacht wird. Nach Athen kamen überwiegend nur noch "well-to-do metics (scholars (ephebes!), tourists, rieh merchants), who did not settle down but passed by since their social-economic position at home made it not at all attractive (semi-)permanendy to leave their patris". Durch das Zusammenwirken beider Fakto ren sei die Metökie "verwelkt".55 Eine solche Konstruktion erweist sich aus folgenden Gründen als unhisto risch: Der Metökenstatus war niemals von der Bevölkerungsdichte abhängig. Nicht nur Handelszentren wie Athen, Ägina, Rhodos und Byzantion, sondern auch kleine, vorwiegend agrarisch geprägte Poleis, in denen die Anzahl eingewanderter Fremden sehr gering gewesen sein dürfte, zogen im 5. und 4. Jahrhundert eine scharfe Tren nung zwischen μέτοικος und παρεπίδημος.56 Im Hellenismus hielten viele Poleis diese Unterscheidung weiterhin aufrecht (s.u.). Es erscheint daher als unwahrscheinlich,
disappeared about the turn of the fourth Century". 54 Whitehead, Metic 165. 55 H.W. Pieket, Rez. zu Whitehead, Metic, Mnemosyne 34, 1981, 192: "Those who really wanted to settle in Athens for cultural reasons, snob-value vel-sim.y could be naturalized via sale of citizenship; permanent poor settlers were hardly available, so that metoikia withered awav". 56 Z.B. Chaleion (IG IX 123, 717; Dat.: 475-450); Argos (IG IV 552 und 615; Dat.: 5. Jh.).
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daß die Athener trotz des nicht zu bezweifelnden Rückganges der Metökenbevölkerung die Metökie als Institution aufgaben und auf diese Weise auf nicht zu unter schätzende Einkünfte aus der Metökie verzichteten.57 Allein das metoikion brachte der athenischen Staatskasse in spätklassischer Zeit jährlich rund 20 Talente ein. Diese keineswegs geringe Summe reichte z.B. zur Deckung der gesamten Besoldung der 350 Magistrate oder der 500 Ratsmitglieder aus.58 Hinzu kommt, daß die Athener das Bürgerecht weiterhin als ein kostbares Gut empfanden und an ihrer Exklusivität festhielten. Alles, was der Metöke Apollas am Ende des 3. Jahrhunderts für seine über eine längere Periode erfolgten Euergesien, darunter mehrere Geldspenden und ein Darlehen, dem Bürgerverband abringen konnte, war die Proxenie und die Enktesis.59 Davon, daß sich die politeia gegen Bezah lung leicht erkaufen ließ, kann demnach im 3. Jahrhundert nicht die Rede sein. Eine liberale Bürgerrechtsverleihung setzte in Athen nach der eingehenden Analyse von MJ. Osbome erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts ein.60 Allerdings sollte man den freigiebigen Umgang der Athener mit ihrem Bürgerrecht nicht überschätzen. Anlaß zu solchen Hypothesen gab die völlige Absenz von als Metöken be zeichneten Personen in den attischen Quellen - man muß eigentlich sagen, der In schriften, weil literarische Zeugnisse aus Athen selbst so gut wie vollkommen fehlen - der hellenistischen Zeit. Darüber hinaus ließen sich die für das 5. und 4. Jahrhun dert typischen Merkmale der Metökie, wie die Metökensteuer, Demenregistrierung oder die Heranziehung ansässiger Fremder zum Militärdienst oder zu Liturgien, nicht mehr nachweisen.61 Jedoch warnen Analogien aus anderen griechischen Poleis vor einem argu mentum e silentio. Während der ganzen hellenistischen Periode sind in zahlreichen griechischen und hellenisierten Poleis Metöken als Terminus bezeugt.62 Verschiedent lich erwähnte Regelungen wie die Zahlung einer besonderen Steuer und die Wahl ei nes Prostates durch die Metöken legen eine Verwandtschaft zur klassischen attischen Metökie nahe.63 Zudem wurde an vielen Orten weiterhin zwischen länger ansässigen und vorübergehend verweilenden Fremden unterschieden und den Metöken Liturgi en, wie z.B. die Choregie, auferlegt.64 57
In diesem Sinne N.R.E. Fisher, How to Be an Alien. Rez. zu Whitehead, Melde, CR 93, 1979,
268. 58
Gerhardt, Metoikie 26f.; Jones, Economic Basis 6. IG II 2 835 = Maier, Mauerbauinschriften Nr. 16, 80ff. mit Kommentar. 60 Osborne, Naturalization III-TV, 204ff. bes. 207. 61 Whitehead, Metic 164f.; ders., Metic: Some Pendants 149ff. 62 Tegea (3. Jh.): IG V 2, 36; Ilion (3. Jh.): OGIS 218; Ivllion 25; Rhodos (1. Jh.): G. Jacopi, Clara Rhodos II, 1932, 177ff. Nr. 6, col. I, Z. 16-20. 31, col. II, Z. 21-39 und BCH 113, 1993, 347ff. col. 1.24.26.38.51. Weitere Belege aus Rhodos bei Fräser, Citizens 70ff.; Kyme (2. Jh.): IvKyme 13; Knidos (ohne Datierung): IvKnidos 409: Hippokume/Lykien: ΤΑΜ II 168, Ζ. 56f. 58f.; Patara/Lvkien: ΤΑΜ II 432; Kyzikos (1. Jh. n. Chr.): Syll/ 799, Z. 25. 63 Besteuerung der Metöken in einer Inschrift aus Koreseia auf Kos erwähnt (Syll. 958; Dat.: Anf. 3. Jh.); Zeugnisse für die Prostasie stammen ebenfalls aus Kos (Herondas, Mimiamb. II, V. 10ff.39f.), sowie aus Rhodos (1. Jh.: G. Jacobi, Clara Rhodos II, 1932, 177ff. Nr. 6, col. I, Z. 16-20. 31, col. II, Z. 21-39) und Xanthos (ΤΑΜ II 283; ohne Datierung). 64 Belegstellen bei Ph. Gauthier, Epigraphie et institutions grecques, AEHE (TV* sect.) 1978/79 59
26
I. Umleitung
Aber auch in Athen selbst gibt es Spuren für das Fortbestehen der Metökie. Isotelen werden in attischen Grabinschriften bis in das erste Jahrhundert v. Chr. hin ein genannt.65 Man kann sich schwer vorstellen, daß die Isotelie in hellenistischer Zeit zu einem inhaltslosen Titel herabgesunken war. Vielmehr müssen mit ihr nach wie vor bestimmte finanzielle Erleichterungen verbunden gewesen sein. Die Verleihung der Isotelie scheint nahezulegen, daß in Athen bis in die späthellenistische Zeit hinein eine Art Kopfsteuer (Metoikion?) für ansässige Fremde fortexistierte.66 Zu diesem bereits bekannten Material kommt die unlängst veröffentlichte Eh reninschrift für Archandros von Piräus hinzu, in der Metöken erwähnt werden. Als Paraliastratege verordnete Archandros im Archontat des Diomedon (? 244/3) u.a., daß auch die in Rhamnus ansässigen Fremden (μέτοικοι) Wachdienst leisteten.67 Somit ergibt sich, daß der Kriegsdienst der Metöken in der Mitte des 3. Jahrhunderts wei terhin fortbestand. Die früheste lexikalische Notiz über die Metökie stammt aus der Feder des Aristophanes von Byzanz (ca. 257-180 v. Chr.). Er definiert den Metöken a) dadurch, daß er diesen vom παρεπίδημος, dem sich nur vorübergehend aufhaltenden Fremden, unterscheidet und b) durch die Tatsache, daß der Metöke bestimmte Steuern abfüh ren muß, wovon der παρεπίδημος befreit ist.68 Bislang ließ man die Gültigkeit dieser Definition meist nur für die klassische Zeit gelten.69 Doch legen die Belege aus Athen und anderen griechischen Poleis den Schluß nahe, daß die Unterscheidung zwischen μέτοικος und παρεπίδημος in hellenistischer Zeit weiterhin fortbestand und Aristo phanes durchaus die Metökie seiner eigenen Zeit vor Augen hatte, als er um 200 v. Chr. seine Angaben niederschrieb. Das Fehlen aussagekräftiger Quellen macht es schwierig, das Ende der Met ökie in Athen exakt zu bestimmen. Meine Vermutung geht dahin, daß sie im Laufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. allmächlich aufgegeben wurde. Man könnte ihr Ver schwinden indirekt mit der römischen Herrschaft über Griechenland in Zusammen hang bringen. Seit dem 2. Jahrhundert ließen sich immer mehr Römer und Italiker in Attika nieder.70 Es erscheint als unwahrscheinlich, daß die Athener von den bei ihnen ansässigen Römern, die immerhin einer Nation angehörten, welche weite Teile der griechenschen Welt unter ihrer Abhängigkeit gebracht hatte, Steuern erhoben oder [1982], 324. Als Metöken bezeichnete Choregen sind aus Delphi (SGDI 2521, 2524 und Syll.3 437), Delos (IG XI.2 105ff.; Dat.: 3. Jh.), Rhodos (IG ΧΠ 1, 157; 383; 762) und der karischen Polis Iasos (Ivlasos 196; Dat.: Anf. 2. Jh.) bekannt. Vgl. Domingo Gvgax, Lvkische Gemeinwesen 52f. 65 2. Jh. v. Chr.: IG II 2 7862, IG II 2 7872, IG Π2 7876; 2./1. Jh. v. Chr.: IG II2 7867; 1. Jh. v. Chr.: IG II 2 7866, IG II 2 7878. 66 In diesem Sinne Gauthier, Epigraphie et institutions grecques 151. 67 B. Petrakos, Ό δήμος του 'Ραμνοϋντος Π, Athen 1999, Nr. 27; vgl. ders., CRAI 1997, 622; Ha bicht, Athen 346 Anm. 51; Dreyer, Athen 169f. und SEG XLVII Nr. 151. 68 Aristoph. Byzan. Λέξις Frg. 38 Nauck: μέτοικος δε οπόταν τις άπό ξένης έλθών ένοικη τη πόλει, τέλος τελών εις τεταγμένας τινάς χρείας της πόλεως· έως μεν ούν ποσών ήμερων παρεπίδημος καλείται και ατελής εστίν, εάν δε ύπερβή τον ώρισμένον χρόνον, μέτοικος ήδη γίνεται και υποτελής. 69 Gerhardt, Metoikie 9ff.; Whitehead, Metic 166. 70 Habicht, Athen 340ff.
I. Einleitung
27
sie durch Gesetz dazu bestimmten, sich unter den Athenern einen Prostates zu wäh len. Die Ausklammerung der Römer von der Metökie wird allmächlich dazu geführt haben, daß die Mechanismen der Metökie auch auf die griechischen und hellenisierten Fremden nicht mehr angewandt wurden. Dabei wird der im 2. Jahrhundert zu beobachtende mentale Wandel auf dem Gebiet der Ephebie und der Heiratspraktiken die Aufhebung der Metökie stark gefördert haben. Irgendwann zu Beginn des 2. Jahrhunderts erkannte der Staat die Ehe zwischen einem Athener und einer Fremden als legitim an.71 Diese Aufhebung des Bürgerrechtsgesetztes von 451 bewirkte eine aus den Grabinschriften deutlich erkennbare Zunahme von Eheschließungen zwi schen Bürgern und Fremden.72 Im letzten Viertel des 2. Jahrhunderts gewährte Athen den Söhnen wohlhabender Fremder den Eintritt in die Ephebie. O.W. Reinmuth und C. Habicht nehmen an, daß diese nach Absolvierung der Ephebie automatisch das athenische Bürgerrecht erwarben.73 Metökeneuergesien lassen sich über die Mitte des 2. Jahrhunderts hinaus nicht verfolgen. Ehreninschriften mit Bürgerrechts-, Proxenie- und Isotelieverleihungen, die im 3. Jahrhundert ohnehin spärlich flössen, brechen um 140 abrupt ab.74 Authen tische literarische Zeugnisse aus Athen selbst sind nicht vorhanden. Daher be schränkt sich unser Wissen über Metökeneuergesien in der 1. Hälfte des 2. Jahrhun derts auf die Beteiligung von Metöken an zwei Epidoseis und die berühmte Philoso phengesandtschaft nach Rom (156/55). 75
71
Belege bei Vatin, Mariage 125 f. Diese Tendenz läßt sich auch in der Epidosis-Urkunde IG II 2 2332, Z. 95-99 des Jahres 183/2 beobachten: Unter den Spendern befinden sich auch der Bürger Euangelos und seine Frau Soteris, die aus Akamanien stammte (s. Pope, Non-Athenians 28). 73 Epheben unter der Rubrik ξένοι zum ersten Mal in IG II 2 1008 aus dem Jahr 1 1 9 / 1 8 erwähnt (s. Reinmuth, Foreigners, passim; Pelekides, Ephebie 186ff.). Die Politie-Verleihung an ausländische Epheben begründet O.W. Reinmuth, Ephebate and Citizenship in Attica, TAPhA 79, 1948, 219ff. mit dem Verzicht auf eine Unterscheidung zwischen athenischen und ausländischen Epheben in den kaiserzeitlichen Epheben-Inschriften; Habicht, Athen 343 leitet den Erwerb des Bürgerrechts durch die Epheben u.a. aus der im 1. Jh. v. Chr. häufig bezeugten Ämtertätigkeit der Römer her. 74 Osborne, Naturalization IV, 144; Habicht, Athen 343. 75 Epidoseis: IG II 2 2332, IG II 2 2334; mehr bei Migeotte, Souscriptions publiques 39ff. Nr. 19, 20; Philosophengesandschaft: s.u. S. 180ff. 72
II. ZWISCHEN «QUASIBÜRGER" UND «ANTI-CITIZEN": DAS METÖKENBILD IN DER MODERNEN FORSCHUNG Von jeher galt es als das Hauptanliegen der Forscher, den Metökenstatus zu bestim men, den man hauptsächlich aus den rechtlichen Bedingungen, unter denen Fremde in Athen lebten, herzuleiten versuchte. Dabei hat man sich meist darauf beschränkt, nach den "positiven" und "negativen" Merkmalen der Metökie zu suchen und diese gegeneinander abzuwägen. Gewöhnlich werden Zugeständnisse wie das Bleiberecht, Rechtschutz, freie Berufsausübung und die religiöse Freiheit als positiv eingestuft, während das Fehlen politischer Rechte, Ausschluß vom Immobilienerwerb, Zahlung des Metoikion, Prostasiepflicht, Militärdienst und Benachteiligungen im Strafrecht die wichtigsten negativen Charakteristika bilden. Je nach Gewichtung der einzelnen Aspekte fallen die Meinungen über den Metökenstatus unterschiedlich aus: Während einige in den Metöken eine Personengruppe sehen, die eine bürgemahe Stellung ge noß und ihren rechtlichen Status als erwünscht betrachtete, werden die Metöken von anderen als eine unterpriviligierte Schicht aufgefaßt, die von den athenischen Bürgern als eine Minorität mit geringem Prestige empfunden wurde. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich die Erforschung der attischen Metökie vereinfacht in drei Phasen einteilen.76 Die erste Phase wird mit der 1785 vorgetrage nen und erst 1808 veröffentlichten Studie des Franzosen G. de Sainte-Croix eingelei tet.77 Er stellte die rechtlichen Nachteile in den Vordergrund, durch die die Metöken von den Bürgern geschieden wurden. Wegen der von einer engherzigen Bürgerschaft errichteten rigiden Statusbarriere seien die Bedingungen, unter denen die Metöken lebten, beklagenswert ("triste") gewesen. Weil der Metökenstatus eine "Last" war, habe es gegolten ihn nach Möglichkeit zu vermeiden.78 In der zweiten Phase, die 1880 mit H. Schenkls Untersuchung "De metoecis atticis" einsetzt, wird die Metökie als "Vorzug" betrachtet.79 Gerade in der deutsch sprachigen Altertumswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts richtete man sein Augenmerk auf die gastfreundliche Aufnahme von Fremden seitens der atheni76
Forschungsüberblick bei Clerc, Meteques lff.; Whitehead, Metic lff.; Bleicken, Demokratie 549f. Die Phaseneinteilung orientiert sich an Whitehead, Metic lf. 77 Memoire sur les meteques ou etrangers domicilies a Athenes, in: Memoires de Γ Academie des Inscriptions et Belles-Lettres 48, 1808,176-207. 78 G. de Sainte-Croix spricht von "distinctdons les plus injustes" (zitiert nach Clerc, Meteques 3). Sein Aufsatz ist die erste wissenschaftliche Abhandlung über die Metökie. Vor ihm haben etwa Samuell Petit (1635) und L.C. Valckenäer (1739) ebenfalls auf die Nachteile der Metökie hingewiesen. Vgl. Clerc, Meteques 2f. und 225. 79 Vgl. etwa Schenkl, De metoecis atticis 182: "Sed quanquam viri nonnulli prüdentes usuque periti probe intellexerunt metascos benigne tractandos atque omnibus modis adjuvandos esse, tarnen vulgus civium longe aliter sentiebat. Nam ad omnia atque invidias, quae ubique et omnibus temporibus in homines locupletiores gerere solent ii, qui ex infima et pauperrima plebe sunt orti, accessit Athenis licentia populi, ut in urbe δημοκρατουμένη, indomita atque effrenata inquilinorumque parum firma neque satis tuta condictio ...".
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17". Zwischen "Quasibürger"und "anti-än%en"
sehe Bürgerschaft und charakterisierte die rechtliche Stellung der Metöken als "be neidenswert".80 Als Vergleichsgröße zog man nicht mehr nur die attische Bürger schaft heran, sondern die kurz in Athen verweilenden Fremden (ξένοι παρεπιδημουντες), die nach der damaligen Auffassung einer größeren rechtlichen Benachteilung ausgesetzt waren als die Metöken, weil ihnen u.a. der staatliche Rechtschutz fehlte.81 Diese idealisierende Tendenz erreicht ihren Höhepunkt in dem "Quasibürger"-Modell, das U. v. Wilamowitz-Moellendorff in einem Artikel mit dem provokan ten Titel cT)emotika der Metoeken" (1887) entworfen hat. Dieses Modell beruht auf eine Reihe von teilweise voneinander abhängigen Annahmen, die sich bei einer ge naueren Betrachtung als Fehlschlüsse erweisen. Besonders auffallig an seinem stark juristisch ausgerichteten Konzept ist die Verharmlosung der rechtlichen, politischen und ökonomischen Barrieren, die zwischen den Metöken und dem historisch ge wachsenen Bürgerverband bestanden. Als Ausgangspunkt für Wilamowitz-Moellendorffs Überlegungen dient das von den Metöken in offiziellen Dokumenten geführte "Demotikon". Diese mit οίκων εν (+ Name des Demos) erscheinende Bezeichnung war zuvor von A. Böckh, B. Haussoullier und anderen für eine bloße Angabe des Wohnsitzes gehalten worden. Wilamowitz-Moellendorff gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden, sondern sah hinter dem 'T)emotikon" eine zentrale Bedeutung für die Rechtsstellung der Met öken. Darin komme ein "Rechstverhältnis" zwischen einem Metöken und einer athe nischen Demengemeinde zum Ausdruck, das sich in der Übertragung von Rechten und Pflichten an jenen manifestiert habe ,82 Durch die Heranziehung zu ähnlichen Leistungen, wie sie auch von den Demoten erfüllt wurden, und durch die Gewährung gewisser Rechte sei der Metöke Mitglied eines Demos geworden und habe dort - konsequenterweise — ein "Quasi bürgerrecht" besessen.83 Die Zugehörigkeit zu einem Demos äußere sich nicht zuletzt in dessen Teilnahmeberechtigung an den Kulten und Festen der Gemeinde. Als Be weis wird das um 460 erlassene Gesetz von Skambonidai (jetzt IG I 245) herangezo gen, das die Zulassung von Metöken zum Fest des Phylenheros Leos bezeugt.84 Diese sollen, in gleicher Weise wie die Skamboniden, Opferfleisch im Wert von 2 Obolen erhalten. Verallgemeinernd hält Wilamowitz-Moellendorff es für selbstverständlich, daß diese - ansonsten nicht bezeugte — Praxis der Zulassung zu den Kulten in allen Demen, in denen sich Metöken niedergelassen hatten, üblich war.85 Interessant, wenn auch verfehlt, ist die Theorie vom Erwerb der "Quasibür gerschaft" des Metöken. Sie sei mit der Aufnahme des Metöken in das Demenregister 80
Thumser, Attische Metöken 51. Kritik an der rechtlichen Besserstellung der Metöken gegenüber den ξένοι παρεπιδημοϋντες er hebt Whitehead, Metic 96f. 82 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 214. 83 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 213ff. 84 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 221: 4iDie Zugehörigkeit der Metoeken zur Einzelgemeinde ist also nicht blos aus den Demotika gefolgert, sondern sie ist in einem concreten Fall überliefert ...". 85 Eine solche Verallgemeinerung lehnt Whitehead, Metic 86f. vehement ab. 81
Das Metökenbild in der modernen Forschung
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vollzogen worden. Wurde der Athener erst durch die Eintragung seinen Namens in das Demenregister zum Demoten, so habe dies auch beim Metöken der Fall sein müssen.86 Mit diesem Rechtsakt habe er die Berechtigung zum dauernden Mitwohnen erworben. Voraussetzung hierfür sei der Verzicht auf das Bürgerrecht seiner früheren Heimatstadt gewesen. Man habe nicht Bürger einer anderen Polis sein und zugleich in Athen ein "Quasibürgerrecht" besitzen können.87 Hier zeigt sich, wie stark Wilamowitz-Moellendorff vom römischen Recht voreingenommen war. Sei der Metöke kraft Rechtsvertrag Mitglied eines Demos geworden, habe er auch einer Phyle angehört und zugleich "eine Art von athenischem Bürgerrecht" be sessen.88 Beweise hierfür lagen für Wilamowitz-Moellendorff auf der Hand: Der Met öke sei für den athenischen Staat in den Krieg gezogen. Er habe die Eisphorai abge führt und sei zu Liturgien herangezogen worden. Nicht nur solche Pflichten habe er mit den Bürgern geteilt, sondern auch deren Rechte. Verwiesen wird auf eine "Rechtsgleichheit auf allen privatrechtlichen Gebieten".89 Auf das Fehlen politischer Rechte der Metöken ging Wilamowitz-Moellendorff allerdings nicht ein. Darin zeigt sich die Schwäche seiner Vorgehensweise. Er beschränkt sich auf eine Herausarbei tung der Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Das Tren nende wird nicht gesucht oder bewußt übergangen. Eine besonders gewichtige Stütze für die bürgemahe Stellung der Metöken bildet deren Teilnahmeberechtigung an den staatlichen Kulten.90 Daraus schließt Wi lamowitz-Moellendorff, daß die Metöken als "Quasibürger" in die athenische Staats gemeinschaft voll integriert waren und keinen eigenen "Stand" bildeten, der sich etwa in einem Zusammenschluß zu einem gemeinsamen Kult geäußert hätte.91 Diesem Po86
Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 231; vgl. auch 228. Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 239. 88 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 215: "Antheil an der Sammtgemeinde ist die notwendige Folge des Gemeindebürgerrechts. Folglich haben die Metoeken eine Art von athenischem Bürgerrecht besessen, und müssen an den bürgerlichen Rechten und Pflichten in gewisser Weise Antheil gehabt haben"; s. auch 215: "Die Zugehörigkeit der Metoeken zu den Phylen folgt aus der Choregie ganz ebenso wie aus dem Dienst in der Infanterie". 89 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 248. Vgl. 227: "Der Metoeke geniesst die Testierfreiheit, das Weisenrecht, den Schützt der Erbtochter, das Recht der nächsten Verwandtschaft auf dieselbe, und was sonst für das attische Familienrecht bezeichnend ist". 90 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 219: "Allgemein ist bekannt, dass die Metoeken, Männer und Weiber, Jünglinge und Jungfrauen bei den Panathenaeen mit im Festzug gehen. Athena empfängt an ihrem Geburtstage die Huldigung ihres Volkes und in diesem Volke erscheinen die Metoeken, natürlich gesondert. Erichthonios, der Pflegling Athenas, ist ja nicht ihr Ahn; sie stehen dem Herzen der Göttin ferner. Aber sie nimmt doch auch von ihnen Gaben entgegen, sie spendet doch auch ihnen ihre Gnade. Kann es deutlicher ausgesprochen werden, dass die Metoeken Quasibürger sind?" 91 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 221 f.: "Die Götter Athens sind die Götter der Metoeken. Damit ist eigentlich alles gesagt. Hätten die Metoeken einen Stand für sich gebildet, so würde diese Stellung ihren Ausdruck in der Verehrung besonderer Götter gefunden haben, wie Phyle, Phratrie, Geschlecht, Gemeinde, jedes κοινόν überhaupt seinen besonderen Cult hat; oder die Metoeken würden sich wenigstens in den Schutz eines bestimmten Gottes, der dazu berufen schien, begeben haben, wie die Gilde der ναύκληροι in den des Ζευς σωτήρ, das Schützencorps in den des Apollon. Von all dem ist keine Spur vorhanden ... So lehrt das Fehlen gesonderter Culte, dass es eine gesonderte Organisation der Metoeken nicht gab". 87
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71 Zwischen 'Quasibürger"und "anti-ati%en"
stulat ist zweierlei entgegenzuhalten. Zuerst stellt sich unausweichlich die Frage, wie es zur Herausbildung eines Standesbewußseins und zur Organisation in einem ge meinsamen Gesamtkult hätte kommen sollen. Die Metökenbevölkerung war sehr in homogen, was nicht nur auf ethnische Differenzen (die Metöken kamen aus allen Teilen des Mittelmeeres und waren nicht durchwegs Hellenen), sondern auch auf Be sitz- und Bildungsunterschiede, durch die eine soziale Hierarchie geschaffen wurde, zurückzuführen ist. Aufgrund solcher Differenzen hat sich kein Gruppen- und Iden titätsbewußtsein entwickelt, was die notwendige Voraussetzung zu einem Zusam menschluß und für ein gemeinsames Agieren gewesen wäre.92 Einer Identitäsbildung stand zudem die bei vielen Metöken vorhandene Neigung im Wege, sich die Bürger zum Vorbild zu nehmen. Diese Neigung findet ihren Ausdruck in dem häufig zu beobachtenden Streben nach rechtlichen Privilegien, die sie in die Nähe der Bürger aufrücken ließen (s. Kap. III.2). Das von Wilamowitz-Moellendorff hoch bewertete Zugeständnis der Politen an die Metöken zur Teilnahme an den öffentlichen Kulten und Festen der Stadt und der Demen hatte seine Grenzen.93 Es sind nur wenige Feste bekannt, die die Anwe senheit von Metöken bezeugen. An den Panathenäen, dem wichtigsten Fest der Polis, waren Metöken zwar zugelassen und leisteten hierbei auch gesonderte Liturgien. Da gegen scheinen sie von den anschließenden Kulthandlungen und Opferschmaus aus geschlossen worden zu sein. Während den Kultfesten fiel den Metöken eine passive Rolle zu. Aktiv konnten sie nicht werden, weil ihren wichtige Rechte, darunter die ίερωσύνη, d.h. das Recht, ein Priesteramt zu bekleiden, fehlte.94 Aus den Angaben klassischer Autoren und späterer Lexikographen haben Ge lehrte vor Wilamowitz-Moellendorff erschlossen, daß jeder Metöke in einer auf Dau er angelegten Abhängigkeitsbeziehung zu einem als προστάτης fungierenden Athener stand. Aristoteles (pol. 1275a 7-14) gibt an, daß der Metöke ohne die Beihilfe seines Prostates nicht vor Gericht auftreten konnte. Harpokration und die Suda gehen sogar einen großen Schritt weiter und teilen mit, daß sich der Prostates um alle privaten und öffentlichen Angelegenheiten des Metöken gekümmert habe.95 Aus diesen Quel lenbelegen war klar, daß die Prostasie die Handlungsfreiheiten des Metöken - in wel chem Ausmaß auch immer — einschränkte. Der Widerspruch zum "Quasibürger"Modell stellte sich ein: Konnte ein Metöke "Client" einer Einzelperson und zugleich "Quasibürger" des athenischen Staates sein?96 92 Man fragt sich, ob bei Vorhandensein eines Standes- und Solidaritätsbewußtseins ein Lysias gegen die von der Hand in den Mund lebenden Metöken-Sitopolai eine mit rhetorischen Kniffen und Doppeldeutigkeiten versehene Gerichtsrede verfaßt hätte, die sie ans Messer lieferte. Zur rhetorischen Taktik der Rede s. überzeugend Seager, Getreidehändler 246ff. 93 Ausfuhrlich Clerc, Meteques 148ff.; Whitehead, Metic 86ff. 94 Demosth. 57.48. 95 Harpokr. s.v. άπροστασίου: ... τινά προστησόμενον περί πάντων των ιδίων και των κοινών; Suda, s.v. άπροστασίου δίκη: τον προστησόμενον αύτω περί πάντων των ιδίων και των κοινών; vgl. Anecd. 1.201,11 Bekker s.v. άπροστασίου: ... προστάτην, τον έπιμελησόμενον και τών ιδίων καί τών δημοσίων υπέρ αυτού, ώσπερ έγγυητην όντα. 96 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 214: 'T>er Metoeke kann nicht einerseits in Clientel zu einem Athener gestanden haben, andererseits in irgend einem Rechtsverhältnisse zu einer Gemeinde.
Das Metökenbild in der modernen Forschung
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Weil ein solches "CHentelverhältniss" mit seiner Vorstellung von der "Quasi bürgerschaft" nicht vereinbar war, hat Wilamowitz-Moellendorff viel Mühe darauf verwendet, die geläufige Ansicht vom Prostasiezwang zu widerlegen.97 Dies geschah auf zwei Wegen. In einem historischen Rückblick leitet er die Entstehung der Metökie aus der "privaten Clientel", "einem Treueverhältniss zwischen zwei Personen" (232) her Neben dem Gastrecht habe in homerischer und archaischer Zeit als ein weiteres "Rechtsverhältniss" auch die "Clientel" bestanden. Wer die angestammte Heimat verlassen und sich an einem anderen Ort niedergelassen habe, habe einen Be schützer gebraucht Für die Gewährung des Schutzes sei der Fremde seinem "Pa tron" Gehorsam und Dank schuldig gewesen. Dieses freiwillig gewählte und auf rechterhaltene Klientelverhältnis zwischen zwei Individuen sei mit der Poliswerdung Athens abgeschafft, der Metöke nun Klient des athenischen Staates worden.98 Weil die Nachricht des Isokrates (8.53), wonach der Metöke nach dem Ansehen seines Prostates beurteilt wurde, nicht ignoriert werden durfte, hat WilamowitzMoellendorff die Figur des Prostates doch nicht völlig beseitigen können. Seine Lö sung war: Ein Fremder brauchte für den Erwerb des Quasibürgerrechts einen Vermitder aus den Reihen der Bürger.99 Das kostbare Quasibürgerrecht habe ja nicht an jeden dahergelaufenen Fremden verliehen werden dürfen. Daher sei ein Prostates in der Funktion eines εγγυητής notwendig gewesen, der die Aufnahme des Fremden in das Demenregister überwachte. Mit diesem Akt habe die Tätigkeit des Prostates auf gehört und der zum Quasibürger gewordene Metöke sei in die Klientel des atheni schen Staates übergegangen. Dies sei allerdings nur in Athen geschehen. Andere Po leis hätten die Prostasie eines Bürgers über einen Metöken weiterhin aufrechtgehal ten. Nicht zuletzt damit begründete Wilamowitz-Moellendorff die günstige Rechts stellung der attischen Metöken gegenüber anderen Poleis.100 Ein solches Konstrukt war unumgänglich, gerade weil der stets verläßliche Aristoteles im dritten Buch der Politik festhält, daß die Metöken an vielen Orten nicht selbständig vor den Gerichten auftreten konnten, sondern der Beihilfe eines Prostates bedurften.101 Athen habe eben eine Ausnahme von der Regel dargestellt.
Denn im ersten Falle ist der Stand des Metoeken auf eine private Uebereinkunft gegründet, im anderen hat er Theil an einer staatlichen Gemeinschaft. Unter jener Annahme ist der Client dem Sklaven vergleichbar, unter dieser Annahme besitzt er ein Quasibürgerrecht". 97 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 223ff.232ff.236ff. 98 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 239. 99 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 232. 100 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 226f.: "... die Befreiung vom Patronatszwang ist eine Bevorzugung, und dass die Metoeken in Athen besser standen als irgendwo sonst, bezweifelt niemand. ... Wenn also der Metoeke in vielen anderen Staaten, ζ. Β. in Megara und Oropos, unter einem Pa tron stand, in Athen nicht, so wissen wir nun, worin der Vorzug des Metoekenrechts in Athen be stand ..." 101 Aristot. Pol. 1275a 7-14: ό δε πολίτης ού τω οίκεΐν που πολίτης εστίν και γαρ μέτοικοι και δούλοι κοινωνοοσι της οίκήσεως- ούδ' οι των δικαίων μετέχοντες ούτως ώστε καί δίκην ύπέχειν και δίκάζεσθαΓ τούτο γαρ υπάρχει και τοις από συμβόλων κοινωνούσιν, καί γαρ ταύτα τούτοις υπάρχει — πολλαχου μεν ούν ουδέ τούτων τελέως οί μέτοικοι μετεχουσιν, άλλα νεμειν ανάγκη προστατην, διό ατελώς πως μετέχουσι της τοιαύτης κοινωνίας κτλ.
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U. Zwischen 'Quanbiirger" und "anti-ati%en"
Mit der ihm eigenen Gewißheit hat Wilamowitz-Moellendorff auch gefordert, daß es im attischen Staatsgebiet neben den μέτοικοι und παρετπδημοϋντες eine dritte Kategorie von ξένοι gab. Diese ξένοι hätten über Jahre hinweg in Attika leben dürfen, ohne in die Metökie aufgenommen zu werden und ohne ihr eigenes Bürgerrecht auf zugeben.102 Zu dieser Kategorie gehörten nicht nur δημιουργοί (Ärzte, Rhapsoden u.a.), denen von Wilamowitz-Moellendorff eine ccbesondere internationale Rechsstellung" bescheinigt wird, und die ξένοι από συμβόλων.103 Auch Personen wie der liier Nikander und der Ephesier Polyzelos hätten ihr angehört, nur weil sie in ihrem Eh rendekret (IG II 505) mit ihren Ethnika sowie mit dem Kompositum κατοικοΰντες Άθήνησι gekennzeichnet sind, nicht aber als μέτοικοι oder mit dem "Demotikon" als οίκοϋντες εν τω δεΐνι δήμω aufgeführt werden.104 Dabei hatten Nikander und Polyzelos mehrfach Kriegsdienst geleistet und ein volles Viertel Jahrhundert lang Jahr für Jahr die Eisphorai abgeführt, also die von ihm aufgestellten Kriterien eines "Quasibür gers" bestens erfüllt. Weil sie aber das 'Ttemotikon" nicht fuhren, konnten sie und (muß man hinzufügen) mit ihnen alle jene, die in den Ehreninschriften mit ihrem Ethnikon aufgeführt werden, auf keinen Fall Metöken gewesen sein. Hier trägt der Philologe Wilamowitz-Moellendorff über den Historiker Wilamowitz-Moellendorff den Sieg davon.105 Als ein schwerwiegender Fehler ist auch die Auffassung zu bewerten, wonach Einschränkungen wie Ausschluß von einer politischen Teilnahme und das Verbot von Immobilienerwerb, die das attische Metökenrecht mit sich brachte, von den Met öken als geringfügig betrachtet und gerne hingenommen worden seien. WilamowitzMoellendorff argumentiert damit, daß alle Metöken von Hause aus unpolitisch waren und sich in Athen des materiellen Gewinns wegen niederließen.106 Dabei trägt er der Tatsache nicht Rechnung, daß sich unter den Metöken viele politische Flüchtlinge befanden, die in ihren Heimatstädten nicht selten eine wichtige politische Rolle ge-
102 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 233: icWir haben alle angenommen, dass zwischen einem Fremden und einem Metoeken kein bedeutender Unterschied wäre. Wer sich längere Zeit in Athen aufhalte, der werde eo ipso Metoeke, und demnach sei jede Person, der sich längere Zeit in Athen aufgehalten hat, ζ. Β. Anaxagoras, Aristoteles, Theophrastos ohne weiteres als Metoeke zu betrach ten. Das fällt hin, wenn erst die Aufnahme in das Demenregister zum Metoeken macht". 103 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 240 Anm. 1. 104 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 218 Anm. 4. 105 Seiner Ansicht, daß es in Athen diese dritte Kategorie von Fremden gab, haben sich auch Gelehrte wie Francotte, Condition des etrangers 216f.; W. Bannier, Zu griechischen Inschriften, RhM 70, 1915, 389-415, 402f. und Busolt, Staatskunde I, 292 Anm. 2f. angeschlossen. Selbst als Lipsius, Metökenrecht 9f. diesen Irrtum mit stichhaltigen Argumenten korrigiert hatte, hielt man lange danach am Postulat Wilamowitz-Moellendorffs fest, wie z.B. Hommel, Metoikoi 1415; Kahrstedt, Staatsgebiet 312. Vgl. Gauthier, Symbola 109. 106 Wilamowitz-Moellendorff, Demotika 248: "Die Gewährung des Quasibürgerrechts an die zuwandernden war eine Lockung, so lange draussen die Noth, in Athen Ordnung war. Der zuwandernden Bevölkerung war mit dem Besitze der Handelsfreiheit und der Rechtsgleichheit auf allen privatrechtlichen Gebieten, mit der Garantie ihres Familienstandes ziemlich dasselbe geboten, was sie zu Hause gehabt hatten. Die Lasten waren in gewöhnlichen Zeiten ganz gering. Politische Rechte hatten die Kaufleute und Handwerker %u Hause, auch wenn sie aus Demokratien kamen, kaum ausgeübt" (meine
Hervorhebung).
Das Metökenbild in der modernen Forschung
35
spielt hatten. Es war das von den Bürgern geschaffene Metökenrecht, das die ansässi gen Fremden vom politischen Leben ausschloß, nicht die Desinteresse der Metöken an der athenischen Politik. Fälle wie der Klazomenier Herakleides, der nach seiner Einbürgerung am Ende des 5. und zu Beginn des 4. Jahrhunderts zu einem der füh renden Politiker Athens aufstieg, neben der Strategie mehrere andere Staatsämter übernahm und für die Erhöhung des Ekklesiastensolds auf drei Obolen verantwort lich war (Aristot. Ath. pol. 41.3), müssen als Hinweis dafür genommen werden, daß sich nicht wenige Metöken an den politischen Aufgaben der Polis beteiligt hätten, wenn ihnen das μετέχειν κρίσεως και αρχής zugestanden worden wäre.107 Waren nun Metöken Angehörige eines Demos, einer Phyle und des atheni schen Staates? Sie waren es mit Sicherheit nicht. Die mit οίκων εν (+ Name des De mos) wiedergegebene Formel beweist nicht melir als die Registrierung eines Metöken in einem attischen Demos. Sie impliziert keineswegs eine volle Zugehörigkeit zum jeweiligen Demos. Der entscheidende Punkt ist, daß die dort lebenden Metöken an den politischen Rechten der Demenmitglieder keinen Anteil hatten. Sie können daher nicht als Demoten angesehen werden.108 Die Quasibürger-Theorie wurde bereits vier Jahre nach dem Erscheinen der "Demotika der Metoeken" tief erschüttert. Aus der neu entdeckten aristotelischen Athenaion Politeia ging eindeutig hervor, daß die Metöken keine Phylenmitglieder waren und somit auch keine Demoten und "Quasibürger" sein konnten. Dies zeigte die unterschiedliche Behandlung in der Rechtspflege: Bei Privatklagen, in die nur Bürger involviert waren, wandte sich der Ankläger direkt an die Phylenrichter des Prozeßgegners. Wenn es sich bei dem Angeklagten dagegen um einen Metöken han delte, konnte dieser Weg nicht beschritten werden. Man mußte den Polemarchen konsultieren, der den Fall nach dem System der Auslosung an die Phylenrichter überwies. Diese beauftragten dann ihrerseits die öffentlichen Schiedsmänner (Diaiteten) mit der Entscheidung;109 "und wenn es hier nicht zu einer Schlichtung kam, brachten die Phylenrichter den Fall vor die Heliaia, ein Gericht, das sich auf Ge schworene aus der Bürgerschaft stützte und bei dem sie den Vorsitzt hatten".110 Ich habe mich ausfuhrlich mit den Hypothesen von Wilamowitz-Moellendorff aufgehalten, weil er als eine Autorität auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften das Metökenbild nachfolgender Forscher stark beeinflußt hat. Dabei kam es mir nicht darauf an, alle seine Irrtümer Punkt für Punkt zu berichtigen. Dieser Aufgabe hat sich ja schon D. Whitehead mit großem Ernst gewidmet. Gewiß haben sich bereits zu Lebzeiten Wilamowitz-Moellendorffs kritische Stimmen gemeldet, die das Bild von der Quasibürgerschaft ablehnten.111 So reagierte 107
Zu Herakleides s. Funke, Homonoia und Arche 116; weitere Beispiele für politische Karrieren von eingebürgerten Fremden gibt Osborne, Naturalization IV, 139. 108 Whitehead, Metic 72ff. mit ausführlicher Begründung. 109 Arist. Ath. pol. 58.2. Vgl. J.H. Lipsius, Über das neugefundene Buch des Aristoteles vom Staat der Athener, Ber. d. sächs. Gesellsch. d. Wiss. Leipzig. Phil.-hist. Kl. 43, 1891, 55; Hitzig, Fremdenprozeß 219; Gauthier, Symbola 137 Anm. 101; Whitehead, Metic 73f. 110 Hopper, Handel und Industrie 130. 111 Z.B. Lipsius, Metökenrecht 5f.; Busolt, Staatskunde I, 295 Anm. 1.
IL Zwischen t(Quasibürger"und "ann-citi%en"
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bereits wenige Jahre nach dem Erscheinen des Artikels G. Gilbert mit den Worten: Aus der Formel οικών έν τω δεΐνι δήμω "kann man ein athenisches Quasibürgerrecht des Metöken mit demselben Rechte erschliessen, wie wenn man schliesst, dass ein Engländer, weil er als in Göttingen wohnhaft bezeichnet wird, ein deutscher Staats bürger sein müsse". An einer anderen Stelle fügte er die Bemerkung hinzu, daß Wilamowitz-Moellendorffs "Ausführungen durch die Sicherheit, mit welcher sie vorge tragen werden, keineswegs haltbarer werden".112 Trotz vereinzelter Ablehnung war dem Bild von der Quasibürgerschaft der Metöken über längere Zeit ein großer Erfolg beschieden.113 Whitehead spricht mit Recht davon, daß es den Rang einer "modern orthodoxy" einnahm.114 Selbst in einem vielgelobten Buch wie "Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland" (franz. Orginal 1972) von M. Austin und P. Vidal-Naquet, das sich ansonsten um eine be wußte Abgrenzung von modernistischen Konzepten bemüht, ist unter Berufung auf Wilamowitz-Moellendorff die Rede davon, daß "die Metöken des 5. Jahrhunderts fast schon Bürger gewesen seien".115 Die dritte Phase der Erforschung der attischen Metökie beginnt mit dem 1977 erschienen Buch "The Ideology of the Athenian Metic" von D . Whitehead. Auch dort steht die Analyse der rechtlichen Institution der Metökie im Vordergrund. Zwar ist sich Whitehead durchaus bewußt, daß man die athenische Gesellschaft auch auf die sozio-ökonomischen Faktoren hin untersuchen kann.116 Er streitet nicht ab, daß es unter Metöken wie unter Bürgern eine wohlhabende und eine ärmere Schicht gab. Die Ansicht, daß die Bürger in sozialer Hinsicht eine exklusive Gruppe gebildet hät ten, die von den Metöken streng getrennt wäre, wird in Anlehnung an V. Ehrenberg zurückgewiesen: "horizontal criteria" wie Besitz, Bildung und Beruf "were potent, and Plato has more in common with Cephalus than with many a Citizen banausos". Dennoch läßt Whitehead dem sozio-ökonomischen Status gegenüber dem rechtli chen Status eine stark untergeordnete Bedeutung zukommen, weil die von den Bür gern errichtete fundamentale politisch-rechtliche Barriere ("vertical demarcation") von keinem Metöken, nicht einmal von einer wohlhabenden und gebildeten Person wie Kephalos, überwunden werden konnte. Whitehead lehnt die Vorstellung vom privilegierten Status der Metöken ab, weil diese keines der wichtigen Merkmale eines Bürgers besässen hätten. Die ihnen fehlenden Rechte, an der Politik zu partizipieren, Grundbesitz zu erwerben und ein 112
Gilbert, Staatsaltertümer I, 195 Anm. 2; 196 Anm. 3. S. e.g. Kahrstedt, Staatsgebiet 278: "... die Metoikie ist ein Vorzug, sie wird verliehen und besteht nicht nur aus Pflichten und Lasten, von denen der ξένος frei bleibt. Diese Verleihungen sind als Ehre und eventuell direkt als Belohnung gedacht". 114 Whitehead, Metic, passim. 115 Austin/Vidal-Naquet, Wirtschaft und Gesellschaft 236. 116 Whitehead, Metic 19: "notably the economic criterion (i.e. economic activity and material prosperity itself) and the intellectual yardstick which above all confounds juristic Status. Witness the portrayal of Cephalus which opens Republic. It might be ironic, but I doubt it: Cephalus has simply reached the stage - economically, socially, intellectually - where Plato is oblivious of any connection between him and the metoikoi and xenoi, who in a democratic polis, tend (deplorably) to become assimilated to astoi (563A)!" 113
Das Metökenbild in der modernen Vorsehung
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öffentliches Priesteramt zu bekleiden, hätten eine "exclusion from the whole politicaL, social, economic and religious nucleus of Athenian life" zur Folge gehabt.117 Zuge ständnisse gleich welcher Art konnten diese fundamentale Abgrenzug nicht ausglei chen. Daher empfindet Whitehead den Gegenbegriff des "anti-citizen" als zutreffen der. 118 Auch die angebliche Besserstellung der Metöken gegenüber den vorüberge hend in Athen anwesenden Fremden hat Whitehead zu widerlegen versucht. Auf dem Gebiet der Rechtspflege sei der ξένος (παρεπίδημος) in der Theorie zwar rechts los gewesen, doch hätten ihm in der Praxis mehrere Wege offengestanden, sich durch den Zugang zu attischen Gerichten Recht zu verschaffen. Wenn er aus einer Polis ge stammt habe, mit der Athen Rechtshilfeverträge (συμβολαί) abgeschlossen hatte, sei er "rechtsfähig" gewesen. Als Kaufmann sei seit der Mitte des 4. Jahrhunderts jeder Fremde zu den Handelsklagen (δίκαι εμπορικού) zugelassen gewesen. Im 5. und der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts, d.h. vor der Einführung der δίκαι εμπορικού, habe sich die Fremdenbevölkerung in Athen fast ausschließlich aus Metöken, Angehörigen einer Polis mit einem Symbola-Vertrag und aus rechtlich priviligierten Personen wie etwa Proxenoi zusammengesetzt. Sollte es neben solchen doch eine kleine Minderheit von Fremden gegeben haben, die tatsächlich rechdos gewesen sei, habe diese bei Be darf gerichtlicher Hilfe die zur Aufnahme in die Metökie notwendige Zeit abwarten und als Metöke die Hilfe der Gerichte erwirken können.119 Die Aufnahme in die Metökie habe eine Reihe von Belastungen, darunter Zahlung einer Kopfsteuer, Heranziehung zur Eisphora und Liturgien sowie Kriegs dienstpflicht, mit sich gebracht, von denen der ξένος verschont geblieben sei. Daher habe dieser gegenüber einem Metöken erhebliche Vorteile genossen und habe es als Privileg betrachtet, nicht in die Metökie aufgenommen zu werden, um so den Ver pflichtungen zu entkommen.120 Whitehead hat in den Quellen eine Antwort darauf gesucht, welche Einstel lungen die Athener gegenüber dem Metökenstatus hatten: "In the literary testimony metoikos often suggest pathos, Submission and restriction".121 Zwar hätten die Athener die mannigfaltigen Vorteile erkannt, die sich durch die Anwesenheit der Metöken für die Polis ergaben und hätten diese ganz bewußt ausgenutzt, doch hätten sie selber keine Metöken sein wollen, weil sie einen solchen Status als unangenehm (distasteful) und entwürdigend (disgraceful) empfunden hätten.122 Die Metöken selbst seien auf ihren Status nicht stolz gewesen. Sie hätten ihn nicht auf ihre Grabsteine oder auf andere Denkmäler geschrieben, weil "at best me-
117
Whitehead, Metic 70. Whitehead, Metic 70. 119 Whitehead, Metic 97. ™ Whitehead, Metic 96. 121 Whitehead, Metic 57. 122 Whitehead, Metic 55. 118
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IL Zmschen "Quasibürger"und "anti-cin%en"
toikos was an unattractive piece of nomenclature and at worst a ready-made jibe, a reminder of exclusion and ineradicable gulfs".123 Die hier zusammengefaßten Ergebnisse Whiteheads haben eine breite Zu stimmung gefunden und wurden sogar im deutschsprachigen Raum, wo der Einfluß Wilamowitz-Moellendorffs länger fortlebt, übernommen.124 Es kommt Whitehead das Verdienst zu, das früher geläufige Bild der Metöken als eine privilegierte Perso nengruppe in entscheidenden Punkten korrigiert zu haben. Dennoch bleibt fraglich, ob die von ihm angewandte Methode der politischen Ausgrenzung ("status dissonance") von der Bürgergemeinschaft als Maßstab zur angemessenen Beurteilung der Me töken ausreichend ist. Der gesellschaftliche Rang wurde nicht ausschließlich durch politische Statusschranken bestimmt. Faktoren wie Vermögensstand, Bildung, Beruf und Herkunft haben im tatsächlichen Leben eine nicht zu unterschätzende Rolle ge spielt. Ein unbemittelter Bürger, der für das tägliche Überleben hart arbeiten mußte und an einer politischen Partizipation wenig interessiert war, hätte ohne Zögern sei nen rechtlichen Status mit einem Metöken wie Kephalos getauscht, wenn ihm als Gegenleistung von diesem sein Besitz überlassen worden wäre. Es muß künftigen Untersuchungen vorbehalten bleiben, durch die Berücksichtigung sowohl des recht lich-politischen als auch des sozio-ökonomischen Status zu einer differenzierteren Beurteilung der Metökenbevölkerung zu gelangen. Bei allen bisherigen Arbeiten zur Metökie fallt ein Mangel stark auf. Fremde, deren Aufenthalt eine gewisse Dauer überschritt, konnten nicht als Gäste und Besu cher behandelt werden. Es bedurfte der Schaffung gewisser Mechanismen, die das Zusammenleben zwischen den fremden "Mitwohnern" und Bürgern regelten. Für das Zustandekommen dieser Mechanismen waren nicht nur die politische Exklusivi tät der Bürger und deren auf Pragmatismus zurückzuführende Neigung, durch die Verpflichtung der Metöken zu Abgaben, Militärdienst und anderen materiellen und finanziellen Leistungen Profit zu erzielen, ausschlaggebend, auf denen letzlich White heads "anti-citizen^-These beruht. In besonders starkem Maße haben auch die sozia len Normvorstellungen und Mentalitäten, die in der Lebenswelt der Griechen ihren Sitz hatten und das Verhalten der Individuen und Gruppen in Athen leiteten, bei der Schaffung der der Metökie eigenen Mechanismen mitgewirkt. Auf diese Faktoren hat man bisher keine Rücksicht genommen. Daher sollen im folgenden Kapitel einige einsclilägige Belege zur Metökie unter diesem Gesichtspunkt diskutiert werden. Auf 123
Whitehead, Metic 57. S. die überaus positive Aufnahme seines Buches durch die Rezensenten N.R.E. Fisher, CR 93, 1979, 266ff.; M.M. Austin, Phoenix 33, 1979, 170ff.; M. Moggi, Gnomon 52, 1980, 340ff.; H.W. Pieket, Mnemosyne 34, 1981, 189ff. In der deutschsprachigen Wissenschaft ist sein Einfluß zu sehen etwa bei Bleicken, Demokratie 86ff.472f.; Brandt, Panhellenismus 192ff.; Spann, Fremde und Metöken 56; Weisenberger, Dokimasiereden des Lysias 168, wo etwas überspitzt sogar von der Erbärmlichkeit des Metöken-Status" gesprochen wird. Eine ablehnende Haltung hingegen bei Thür, Wo wohnen die Metöken 118: iCDie von David Whitehead ... polemisch aufgestellte These, die Metöken seien keine den Xenoi gegenüber privilegierte Schicht gewesen, sondern in der Mehrzahl eher ausgebeutete 'Gastarbeiter', ist nicht schlüssig erwiesen; die Abwägung der rechtlichen Vorzüge und Nachteile kann hierfür letztlich nicht den Ausschlag geben". 124
Das Metökenbild in der modernen Forschung
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diese Weise ist eine differenziertere Gesamtbeurteilung der Metökie als Phänomen möglich und es läßt sich m.E. ein besseres Verständnis der wechselseitigen Beziehung der beiden Bevölkerungsgruppen erreichen.
III. DER MENTALITÄTSGESCHICHTLICHE RAHMEN 1. Soziale Reziprozität als zentrales Regelungsinstrumentarium zwi schen Politen und Metöken Die früheste Literaturgattung, die Einblicke in die Metökie gewährt, ist die Tragödie. Daß dort unter dem Deckmantel eines mythischen Stoffes aktuelle Themen behan delt wurden, ist allgemein bekannt und inzwischen gut erforscht.125 Auch im Hinblick auf die Metöken hat die Tragödie einen hohen Aussagewert, weil die Tragiker in manchen Stücken allgemeine Einstellungen der Bürger zu den Metöken eingearbeitet haben. Dies haben bereits Ph. Gauthier und D. Whitehead erkannt und für ihre je weiligen Fragestellungen herangezogen.126 In den "Hiketiden" des Aischylos ist der Umgang mit Fremden und deren richtige Behandlung eines der zentralen Themen.127 Die Aufnahme der Danaiden in die Metökie (V. 605-614) ist als Spiegelbild für die Ansiedlung einer großen Zahl von Fremden im vorperikleischen Attika zu verstehen. Dies zeigt sich u.a. in der Erwäh nung von "einförmigen Häusern" (μονορρύθμοι δόμοι, V. 961), die mit den - im Zuge des Ausbaus des Piräus entstandenen - Typenhäusern gleichzusetzen sind.128 Mit der Aufforderung an die Danaiden, in diesen typisierten Reihenhäusern Wohnung zu be ziehen, reflektiert Aischylos über die Unterbringung von Metöken in einer für seine Zeit neuartigen Hausform. Im Zusammenhang mit der Aufnahme der Danaiden in die Metökie ist von 'Vereinbarungen' (εύξύμβολοι, V. 701) zwischen den Politen und den Metöken die Rede. Diese 'Vereinbarungen' legen beiden Bevölkerungsgruppen eine Reihe von Pflichten und Verhaltensregeln auf, die als Grundlage für eine friedliche Koexistenz dienen sollen. Einige Teilaspekte dieser 'Vereinbarungen' hat Aischylos im Stück ver arbeitet: So werden die Bürger dazu angehalten, den Metöken gewisse Rechte zu ge währen und diese nicht zu diskriminieren.129 Sie sollen die Metöken nicht nur mit den 12
s Easterling, Anachronism lff.; Meier, Politische Kunst 75f.99.110.238f.; Furley, Herakleidai 77f. Gauthier, Symbola 11 lff.; Whitehead 34. Anders Clerc, Meteques 225, der die Informationen der Tragiker als unverwertbare Fantasieprodukte abtat. Vgl. Vidal-Naquet, Foreigners in Athenian Tragedy 109ff. 127 Wichtige Bemerkungen hierzu bei Spahn, Fremde und Metöken 37ff. und Bakewell, Metoikia 209ff. 128 Auf einem Kolloquim in Konstanz (1987) wies P. Spahn darauf hin, daß es sich um eine Anspielung auf jene Typenhäuser handelt, die im Zuge der hippodamischen Bauplanung kurz nach den Perserkriegen im Piraus gebaut wurden. Seine Erklärung hat breite Zustimmung gefunden; s. Spahn, Fremde und Metöken 42f.; Rösler, Typenhäuser 109ff.; Thür, Wo wohnen die Metöken 117ff.; Meier, Politische Kunst 110; Bakewell, Metoikia 226. 129 Aischyl. Suppl. 701-703: ξένοισί τ εύξυμβόλους, / πριν έξοπλίζειν "Αρη, / δίκας άτερ τρημάτων διδοΐεν. ("Den Fremden soll man vereinbarungsgemäß, / eh man Ares Waffen anlegt, / ihre Rechte ohne Kränkung zugestehen"). Ein aktueller Bezug dieser Zeilen, hier Vereinbarungen mit Fremden, dort eine sich ankündigende militärische Auseinandersetzung, läßt sich nicht abstreiten, zumal sie unmittelbar nach der Lobpreisung der Volksherrschaft folgen. O b Aischylos mit πριν έξοπλίζειν Άρη an den 3. Messenischen Krieg, an dem sich Athen aufgrund der Bemühungen Kimons mit der Entsendung eines Hilfsheeres 126
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III. Ό er mentalitätsgeschichtliche 'Rahmen
Gesetzen ihrer Polis, sondern auch mit ihrer eigenen Person schützen, damit diese als die Schwächeren kein Unrecht erleiden. Bei Nichteinhaltung dieses Gebots droht ih nen das in der Volksversammlung verabschiedete Psephisma mit der Atimie.130 Weil dieser Volksbeschluß allen Bürgern die Pflicht auferlegt, eine Beschützerfunktion der Metöken zu übernehmen, kann Aisychlos an einer späteren Stelle (V. 963f.) von einer kollektiven Prostasie des Demos über die Metöken sprechen. Im Gegenzug wird von den Danaiden als künftigen Mitbewohnerinnen) ein "sittsames" Verhalten (σωφρόνων, V. 193; το σωφρονεΐν, V. 1013) verlangt.131 Hinter σωφρονεΐν steht wohl der von späteren Autoren wiederholt geäußerte Gedanke, daß sich der Fremde den Sitten und Bräuchen der Polis anpassen muß.132 Aischylos weist an einer anderen Stelle des Stückes darauf hin, daß die Danaiden als Fremde auf kei nen Fall dreist und frech auftreten dürfen, um bei den Bürgern nicht Mißgunst und Zorn zu erzeugen (V. 197-204). Den Kriegsdienst als eine Pflicht der Metöken hat Aisychlos in einem frühe ren Stück, "Sieben gegen Theben", thematisiert und ihm eine ethische Grundlage ge geben. Einer der sieben Helden, die gegen Theben zogen, war Parthenopaios. Dieser galt in der älteren Tradition als Argiver und war der Bruder des König Adrastos.153 Aischylos gestaltet Parthenopaios zu einem in Argos lebenden Metöken aus Arkadien um und gibt als Grund für dessen Teilnahme am Feldzug eine Art Erwiderungsprin zip an: Παρθενοπαΐος Αρκάς... άνήρ μέτοικος, Άργει δ' έκτίνων καλάς τροφάς.134
beteiligte, gedacht hat, oder aber, was wahrscheinlicher ist, an die sich anbahnenden innenpolitischen Auseinandersetzungen, die mit der Entmachtung des Areopags, dem Sturz Kimons und der Ermor dung des Ephialtes endeten, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Wichtiger ist die Frage, wer die ξένοι waren, und welcher Gedanke sich hinter dem Adjektiv εύσύμβολος, das in dieser Form in Kol lokation mit δίκαι sonst nicht vorkommt, verbirgt. Wilamowitz-Moellendorff, Aischylos-Interpretationen 40f., hat eine innere Abhängigkeit zwischen den Versen 702 und 701/703 vermutet und sie als einen Ratschlag des Aischylos an die Athener gedeutet, Konflikte mit anderen griechischen Staaten auf Grundlage der δίκαι άπό ξυμβόλων zu lösen anstatt auf militärischem Weg. Seitdem wird der Gleichsetzung der εύσύμβολοι δίκαι mit den δίκαι άπό ξυμβόλων generell zugestimmt (Lit. bei Friis Johansen/Whittle, Suppliants III 62f.). Zwei Gründe sprechen allerdings gegen diese Deutung. Zum einen war die Institution der δίκαι άπό συμβόλων zur zwischenstaatlichen Konfliktlösung denkbar ungeeignet, weil sie nur einzelne Privatpersonen berücksichtigt, denen sie während ihres kurzen Aufenthaltes in dem Staat, mit dem solche Verträge (συμβολαί) geschlossen wurden, bei Rechtstreitigkeiten prozeßrechtliche Vorteile verschafft (frühere Beispiele für solche Rechtshilfeverträge aus Athen bei Gauthier, Symbola 157ff.). Zum anderen verbietet der Gesamtzusammenhang, in der diese Zeilen stehen, die ξένοι mit den nur kurz in Athen verweilenden Fremden, nach der späteren Terminologie mit den ξένοι παρεπιδημουντες, gleichzusetzen; vielmehr muß Aischylos bei den ξένοι an Metöken gedacht haben, weil der Anlaß für deren Erwähnung die Aufnahme der Danaiden in die Metökie ist. 130 Aischvl. Suppl. 610ff. Die Stelle ist ausführlich behandelt bei E. Berneker, s.v. ξενίας γραφή, RE IX A2,1967,1457. 131 Aischylos verwendet το σωφρονεΐν als Synonym für σωφροσύνη, die sich für die Metrik nicht eignet; vgl. Friis Johansen/Whittle, Suppliants III, 303 mit Parallelstellen. 132 S. etwa Plat. leg. 850a-c. 133 Zum Überlieferungswandel s. Wilamowitz-Moellendorff, Aischylos-Interpretationen lOOf. und HJ. Rose, Art. Parthenopaios, in: The Oxford Classical Dictionarv ^1970), 785. 134 Aischyl. Sept. 547f.
/. Sociale Re%prO%'tät als ^zentrales Rßgelungnnstmmentarium Mit dieser lapidaren Formulierung wird zum Ausdruck gebracht, daß ein Metöke als "Gegenleistung" für die Gewährung des Wohnrechts und für die gute Be handlung durch die Politen am Krieg des Bürgerverbands teilnehmen muß. Ein mo demer Betrachter steht dieser Vorstellung fremd gegenüber, und damit mag es zu sammenhängen, daß Whitehead die Wendung έκτίνων καλάς τροφός als eine höhni sche Bemerkung des Dichters abtat.135 Allerdings enthält diese Vorstellung einen der wichtigsten Grundsätze der griechischen Mentalität, nämlich die Obligation der Er widerung. Auffälligerweise benutzt Aischylos mit τροφή einen Begriff, der in der Eltem-Kind-Beziehung einen wichtigen Stellenwert einahm. In den Quellen wird un zählige Male der Grundsatz ausgesprochen, daß sich Eltern aus pragmatischen Gründen um eine gute Erziehung ihrer Kinder bemühem müssen.136 War doch "das Verhältnis von Eltern und Kindern jenseits aller emotionalen Aspekte auch und nicht selten wohl primär ... ein sozusagen geschäftliches Verhältnis auf Gegenseitigkeit, do ut des: Ich erziehe dich, dafür bist du meine Altersversorgung und meine Bestattungs garantie".137 Durch die aischyleische Übertragung desselben Grundsatzes auf die Be ziehung Bürgerverband/Polis-Metöken werden beide Bevölkerungsteile demselben obligatorischen Erwiderungsmechanismus unterworfen. Man könnte den Einwand erheben, daß die von Aischylos gegebene Begrün dung des Kriegsdienstes der Metöken eine individuelle Meinung des Dichters war, der auf diese Weise eine harte, von einer tyrannischen Bürgerschaft verhängte Maß nahme rechtfertigen wollte. Allerdings operieren andere athenische Autoren mit ähn lichen Argumenten (s.u.), was zu der Annahme berechtigt, daß Aisychlos eine unter der athenischen Bevölkerung weit verbreitete Überzeugung aussprach. Weil unter den Athenern die Ansicht geläufig war, von den Metöken für das ihnen eingeräumte Privileg, in Athen unbefristet leben zu dürfen, auch eine militäri sche Unterstützung zu verlangen, hatte ein Komödiendichter wie Aristophanes auch keine Schwierigkeiten, diese Auffassung zu parodieren. Dies geschah durch die Über tragung dieses Grundsatzes in die Welt der Vögel: Nach ihrer Ankunft bei den Vö geln verkünden die beiden Protagonisten Peithetairos und Euelpides, daß sie sich bei ihnen niederzulassen beabsichtigen. Auf diesen Wunsch hin stellt der Chor der Vögel die Frage, wie die beiden Ankömmlinge ihnen den gewährten Aufenthalt zu belohnen gedenken und ob die Bereitschaft vorhanden ist, ihren Gastgebern in der Not ein Helfer zu sein und gemeinsam ihren Feinden zu schaden: opgt τι κέρδος ένθάδ' άξιον μονής, δτω πέποιθ' έμο\ ξυνών κρατεΐν αν ή τον έχθρόν ή φίλοισιν ώφελεΐν εχειν;138 135
In Anlehnung an T.G.Tucker, The Seven against Thebes of Aeschylos, London 1908, 110, hat Whitehead, Metic 35, die zentrale Aussage des Aischylos mißverstanden. Tucker glaubte in zweierlei Hinsicht einen verächtlichen Unterton festzustellen: "within the play (that an Arkas should dare to threaten Thebes) and to the Athenian audience (the reference to Argos)". Whitehead fügt dem hinzu: "Certainly even the 'fine upbringing' seems scornful, and the whole cameo unfavourably coloured". 136 Einige Belege hierzu gesammelt bei Bolkestein, Wohltätigkeit 79ff.ll8f. 137 Gehrke, Rache 148. 138 Aristoph. Av. 418-421: und zuletzt Beiträge für den Mauerbau unter dem Archontat des Koroibos (306/5). Da die Verdienste in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind, fand die Epidosis [ε]ίς [την παρασκευήν του π]ολέμου και την σωτηρία[ν] της π[όλεως], an der sich Nikander und Polyzelos mit jeweils 1000 Drachmen beteiligten, zwischen 322/1 und 306/5 statt. A. Kuenzi und L. Migeotte setzen sie in das Jahr 307/6. 424 Eine Datierung in das Jahr 318 ist eben falls denkbar. Aus dem ausgehenden 4. Jahrhundert liegen uns eine stattliche Zahl von Ehreninschriften vor, die für verdiente Metöken beschlossen wurden. Wie wir bereits am Beispiel des Iliers Nikander und des Ephesiers Polyzelos beobachten konnten, verzeichnen einige diese Dekrete (z.B. IG ΙΓ 505, IG ΙΓ 554, IG ΙΓ 715) auch frühe re Verdienste, die bereits vor und während des Lamischen Krieges geleistet worden waren. Das seit 307/6 wieder demokratische Athen verzichtete aber aus verständli chen Gründen darauf, Verdienste, die eventuell während der Regentschaft des Demetrios von Phaleron (318/7-307/6) erworben wurden, in den Motivbericht dieser Eh rendekrete aufzunehmen. Daher wissen wir nicht, ob auch Demetrios wohlhabende Metöken zu Geldschenkungen oder anderen Wohltaten aufforderte. Dies dürfte al lerdings kaum der Fall gewesen sein, zumal Demetrios laut Duris von Samos für die Verteidigung und Verwaltung Athens sehr wenig Geld ausgab und die Stadt unter seiner Herrschaft eine bis dahin nicht gekannte friedliche Phase erleben durfte.425 Gleichwohl ist bekannt, daß er befreundeten Metöken zu Privilegien verhalf. Aus ei ner von Demetrios selbst verfaßten Schrift geht hervor, daß sein Freund und Lehrer Theophrast, dem als Metöken das Recht auf Grundbesitz verwehrt war, durch seine Vermittlung ein Grundstück erwerben konnte.426 Nach der Absetzung des Phalereers und der Vertreibung der Truppen Kassanders aus dem Piräus (Juni 308/7) durch den makedonischen Prinzen Demetrios erlangte Athen im Juli 307 erneut seine demokratische Verfassung zurück, die sich jedoch alsbald mit der spürbaren Abhängigkeit von Demetrios als eine "halbfreie Demokratie" erweisen sollte.427 Bereits im ersten Jahr der Demokratie forderte Athen seine Bewohner mehr als einmal zu Geldspenden auf. Am deutlichsten läßt sich dies aus einem Dekret zu Ehren des Pyr[rias?] aus Herakleia am Pontos ablesen, das 305/4 oder bald danach beschlossen wurde. Dieser Beschluß liegt in zweifacher Ab schrift vor. Der in beiden Stelen unvollständig erhaltene Motivbericht zählt hinter einander eine ganze Reihe von Verdiensten des Herakleoten auf: zwei Geldschen kungen (500 und 4000 Drachmen), die mit der Festung Munychia in Verbindung ge bracht werden; ein Darlehen an den Staat, das für militärische Ausgaben verwendet worden zu sein scheint, da Strategen und Demetrios (er führt den Königstitel) ge424
Kuenzi, Epidosis 43; Migeotte, Souscriptions publiques 21 f. Habicht, Athen 68; Lehmann, Oligarchische Herrschaft 70f. 426 F. Wehrli, Die Schule von Aristoteles 4, Basel 21968, Frg. 5; Diog. Laert. 5.39; vgl. J. Christes, Bildung und Gesellschaft, Darmstadt 1975, 59 Anm. 160; Habicht, Athen 63; Scholz, Philosoph und Politik 19. 42 ? Habicht, Athen 76ff., bes. 85ff. 425
2. RuergenenfreiwilligenCharakters
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nannt werden; H e r a n z i e h u n g z u einer Trierarchie; i m Archontat des Anaxikrates
(307/6) eine Geldspende in Höhe von 3 Talenten, die wohl der Sitonika-Behörde ausgehändigt wurde; eine weitere Spende [εί]ς την σωτηρίαν του δήμ[ου]; zuletzt erneut eine Spende, die für Getreidebeschaffung bestimmt war und im Archontat des Euxenippos (305/4) geleistet wurde.428 Vier der fünf Geldspenden des Pyr[rias] gehören in das Jahr 307/6. Die bei den ersten hatten irgend etwas mit der Festung Munychia zu tun, die im Dekret drei Mal genannt ist. Man kann allerdings den Sinnzusammenhang aus den stark zerstör ten Zeilen nicht klar erschließen. Munychia fiel nach zweimonatiger Belagerung durch die Truppen Athens und des Demetrios erst im August 307/6. Die Festung war zuvor mit Wällen und Gräben eingeschlossen worden.429 Die Beträge des Herakleoten in Höhe von 500 und 4000 Drachmen dürften für die Belagerung der Mu nychia verwendet worden sein. Unklar bleibt, ob Pyr[rias] sich von einem in der Ekklesie beschlossenen Epidosisaufruf leiten ließ oder die Schenkungen aus eigenem Antrieb anbot. Die Spende von 3 Talenten für Getreidebeschaffung erfolgte mit hoher Wahr scheinlichkeit im Rahmen einer Epidosis. Dafür spricht, daß wir weitere Personen kennen, die im Jahre 307/6 Beiräge zum Aufkauf von Getreide gaben. In IG II 499 aus dem Jahr 302/1 wird ein Kaufmann geehrt, weil er eine Getreidelieferung aus Si zilien zu einem verbilligten Preis verkauft und sowohl in seinem als auch im Namen einer ihm nahestehenden Person zwei Geldbeträge εις τά σιτων[ικά] gespendet hatte, bevor er im Vierjährigen Krieg (και νυ]ν εν τώι πολέμ[ωι]) weitere (nicht erhaltene) Verdienste vollbrachte. Da der Krieg mit Kassanders Angriffen auf Attika 306 be gann, ist die zweifache Spende des Händlers in das Jahr 307/6 zu datieren und in die zeitliche Nähe der Spende des Pyr[rias] zu rücken.430 Die vierte, [εί]ς την σωτηρίαν του δήμ[ου] bestimmte Spende des Pyr[rias] dürfte ebenfalls nach einem Epidosisaufruf erfolgt sein. Sie paßt gut in das Rüstungspro gramm des Jahres 307/6. Die Inschrift IG II 1487, Z. 53-90 verzeichnet für das Ar chontat des Anaxikrates (307/6) die Lagerung von schweren Waffen (aufgezählt werden Katapulte, Steilfeuergeschützte für Steingeschosse und flachfeuernde Pfeilge schütze) mit dazugehöriger Munition auf der Akropolis. In Athen wurde bereits gleich nach der Wiederherstellung der Demokratie für den bevorstehenden Vierjähri gen Krieg (τετραετής πόλεμος) schwer gerüstet. Mit einem großangelegten Rüstungs und Mauerbauprogramm unternahm die Stadt alle Anstrengungen, um sich vor dem erneuten Verlust der Freiheit zu schützen. Man rechnete damit, daß sich Kassander mit dem Verlust seiner Positionen in Attika nicht abfinden und daher mit seinen Truppen bald angreifen werde. Bekanntlich ließ der Angriff nicht lange auf sich war428 I G Π2 479 und 480. Eine ergänzte Version des Dekrets bietet A. Wilhelm, Beschluß der Athener zu Ehren eines Herakleoten, AnzWien 1942, 67ff. (= Wilhelm, Akademieschriften III, 98ff.); vgl. auch Migeotte, Emprunt public 27f. 429 Plut. Demetr. 9 mit Habicht, Athen 75. 430 Diese Spenden werden auch von Kuenzi, Epidosis 42, in das Jahr 307/6 datiert und mit einer Epidosis in Zusammenhang gebracht.
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IV. Du Wohüaten der Metöken
ten, sondern erfolgte noch im selben Jahr.431 Es ist sehr gut möglich, daß die Rü stungskosten — zumindest teilweise — durch eine Epidosis finanziert wurden. In den Jahren 307/6-303/2 wurden die Befestigungen der Stadt einschließlich der Langen Mauern und der Piräusbefestdgungen verstärkt und durch neue Türme er setzt.432 Daneben ließ Athen an den Befestigungen neue Waffen aufstellen. Dieses Mauerbau- und Rüstungsprogramm wurde partiell durch Privatpersonen finanziert. Aus dem langen Ehrendekret für die Metöken Polyzelos und Nikander wissen wir, daß sie im Jahre 306/5 die vollen Baukosten für den Wiederaufbau eines Teils der Langen Mauern — der ihnen zugewiesene Bauabschnitt schloß mehrere Türme mit ein — zur Verfügung stellten. Sie waren zu dieser freiwilligen Leistung durch den Stra tegen Hegesias "eingeladen" worden.433 Trotz offizieller Aufforderung dürfte es sich bei diesem Mauerbaubeitrag um keine Epidosis im eigentlichen Sinne gehandelt ha ben. Wie F.G. Maier bemerkt, waren Türme "immer ein beliebtes Objekt solcher pri vater Baubeiträge; sich inschriftlich als Stifter an 'seinem' Turm verewigt zu sehen ... bot mehr Anreiz als die zu einem gewissen Grad anonyme einfache Geldspende".434 Ein ähnlicher Fall scheint in dem stark verstümmelten Ehrendekret IG II 740 (Dat.: Ende 4./ Anf. 3. Jh.) vorzuliegen, wo im Zusammenhang mit einem Turm und Kriegsereignissen eine Geldspende verzeichnet ist.435 Ein anderer Metöke, Euxenides aus Phaseiis, stiftete zu einem unbekannten Zeitpunkt des Vierjährigen Krieges Seile für Katapulte.436 Auch diese individuelle Schenkung sollte nicht mit einer Epidosis in Verbindung gebracht werden, zumal aus Athen keine Epidoseis in Form von Natura lien bekannt sind. Man kann jedoch mit einiger Gewißheit sagen, daß Athen während des Vier jährigen Krieges zur Deckung von Rüstungs- und Verteidigungsausgaben seine Be wohner mehrmals zu einer Geldumlage aufrief. Mindestens sechs Ehrendekrete aus dem ausgehenden 4. und dem Anfang des 3. Jahrhunderts erwähnen Geldschenkun gen εις την φυλακήν (bzw. σωτηρίαν) της πόλεως. Da in keinem der Dekrete der Zeit punkt der Spenden genannt wird, sind wir außer Stande, diese in die jeweiligen Pha sen des Krieges einzuordnen.437
431
Habicht, Athen 82 mit Belegen. Die Ausführung der einzelnen Mauerbauabschnitte wurde auf dem Wege der μίσθωσις privaten Bauunternehmern übertragen. Der Baubeschluß IG II 463 (= Maier, Mauerbauinschriften Nr. 11) Z. 123f. nennt auch zwei Isotelen, die als Bauunternehmer fungierten. Vgl. die Ausführungen von Maier, Mauerbauinschriften 56ff. 433 IG ΙΓ505, Z. 31-37 mit dem Kommentar von Maier, Mauerbauinschriften 72f. 434 Maier, Mauerbauinschriften 73. 43 5 Maier, Mauerbauinschriften 73f. Nr. 14 mit einer Neuedition und Kommentar. 4 * S.u. S. 137f. 437 IG II 2 489, Z. 24f. für -ykrates, Sohn des Sokrates aus dem Jahr 303/2); IG Π2 729, Z.2f. für einen Unbekannten aufgrund einer Spende von 1000 Dr. [εις την της πόλεως φυλα]κήν (Dat.: init. s. III.); IG II2 739, Ζ. 7 für einen weiteren Unbekannten (Dat.: init. s. III.); IG II 2 744, Z. 3ff. für einen Getreidehändler (?) aus Sikyon, der 10000 Dr. [εις τήν τη]ς [π]όλεως σω[τηρίαν und -00 Dr. an die Ge treidekasse (?) spendete (Dat.: init. s. ΙΠ); IG II 747 + Add. S. 666, Z. 6ff. für einen Unbekannten, der [γενομέ]νων επιδόσεων εις τήν τ[ειχοποιίαν έπέδωκε ικανά χρή]ματ[α] (Dat.: init. s. III). 432
2. Euergenenfreimlägen Charakters
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Während des Vierjährigen Krieges fiel Kassander mit seinen Truppen minde stens zwei Mal (307/6 und 304/3) in Attika ein. Zur Abwehr wurden auch Metöken eingesetzt, was wiederum nur aus Ehrendekreten zu erfahren ist. Nikander und Polyzelos dienten nach ihren Mauerbaubeiträgen (306/5) und vor ihrer Ehrung (302/1) μετά του δήμου in der Flotte und bei der Infanterie. Deren Heranziehung zum Mili tärdienst überrascht insofern, als sie damals das kriegsdienstfähige Alter von 60 Jah ren überschritten haben dürften. Sie waren bereits 347/6 volljährig, weil sie in jenem Jahr zum ersten Mal eine Eisphora gezahlt hatten. Auch der Phaselite Euxenides wurde zu den Waffen gerufen, u.Z. ebenfalls während des Vierjährigen Krieges, da sein Kriegsdienst im Motivbericht hinter der Schenkung der Katapultseile plaziert ist.438 Im ausgehenden 4. oder am Anfang des. 3. Jahrhunderts ehrte Athen mit Hermaios einen weiteren Metöken für seine langjährigen Verdienste. Der Leistungsbe richt nennt Kriegsdienst (στρατείαι), Eisphorazahlungen und eine Spende von 10 Mi nen, die nach der Ergänzung von A. Wilhelm für die Rettung der Stadt und den Schutz des Hinterlandes bestimmt war.439 Anders als bei den Ehrendekreten für Ni kander, Polyzelos und Euxenides ist dort der Kriegsdienst an erster Stelle genannt. Da wir nicht wissen, ob mit den Eisphorai jene Sondersteuem gemeint sind, die vor 323/2 in die Kasse der zehn Talente bezahlt wurden, bleibt unklar, wann Hermaios Kriegsdienst leistete. Da in seinem Dekret von στρατείαι im Plural die Rede ist, kann Hermaios sowohl vor als auch während des Vierjährigen Krieges an Kriegseinsätzen teilgenommen haben. Seine Spende von 10 Minen fällt auf jeden Fall in die Zeit kurz vor die Ehrung, also in die letzten Jahre des ausgehenden 4. Jahrhunderts, weil sie den unmittelbaren Anlaß für die Ehrung gab. Die Athener verliehen im Jahr 304/3 einem gewissen Neaios das Bürgerrecht, weil er während des Krieges mindestens zwei Geldschenkungen vorgenommen und sich an den Kämpfen, die nahe Eleusis stattfanden, in besonderer Weise ausgezeichnet hatte.440 Bei Neaios könnte es sich ebenfalls um einen in Athen ansässigen Metöken handeln, obzwar M. Osbome die Ansicht vertritt, daß er kein Metöke, sondern ein Vertrauensmann des Demetrios war.441 Wie oft Athen in seiner wechselvollen Geschichte des 3. Jahrhunderts für Verteidigungs- und Rüstungszwecke Zuflucht zu Epidoseis suchte, wird sich bei der dürftigen Quellenlage kaum ermitteln lassen. Die Zahl der Volksbeschlüsse geht stark 43Ä
IG II 2 554, Z. 16-19. IG Π 715 4- Add. S. 666, 2 . 9ff.: έπέδωκε δ||έ και δ]έκα μνάς ά[ργυρίου εις την σωτηρίαν | του δήμ]ου και τη [ν φυλακήν της χώρας 440 IG Π2 553 = Osbome, Naturalization Ι, D44. 441 Osbome, Naturalization Π, 117ff. rückt Neaios deshalb in die Nähe des Demetrios, weil er naturalisiert wurde, während Metöken wie Polyzelos, Nikander, Euxenides oder Hermaios für ihre Verdienste mit weniger hohen Privilegien (Isotelie, Enktesis u.a.) bedacht wurden. Man sollte allerdings bedenken, daß einige Jahre zuvor der Arzt Euenor, der eindeutig ein Metöke war, für eine hohe Geldspende (1 Talent) ebenfalls mit dem athenischen Bürgerrecht belohnt worden ist. Möglicherweise hat Neaios große Summen geschenkt und sich zudem während des Kampfeinsatzes nahe Eleusis durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet. Es ist zudem denkbar, daß Neaios einflußreiche athenische Politiker zu Freunden hatte, die sich für die Politieverleihung eingesetzt haben könnten. Demnach könnte Neaios sehr wohl ein Metöke gewesen sein. 439
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IV. Die Wohltaten derMetöken
zurück, wofür nicht zuletzt die lange Abhängigkeit der Stadt von den Antigoniden verantwortlich ist. Erhalten sind aus diesem Jahrhundert lediglich etwa 10 Ehrende krete für Metöken, die nach wie vor unsere Primärquelle für deren Euergesien bil den.442 Sie alle stammen aus den Phasen, in denen die Stadt ganz oder teilweise unab hängig war. In 8 Fällen gaben Geldschenkungen den Anlaß für die Ehrung, wobei unklar bleibt, wieviele dieser Spenden während einer Epidosis geleistet wurden. Um das Jahr 255 erhielt Phaidros von Sphettos für seine gesamte politische Tätigkeit von vierzig Jahren die hohen Ehren, die hochverdienten Politikern im Alter zuerkannt wurden. Im Beschluß, der diese Ehren verzeichnet, wird Phaidros neben seinen vielen anderen Verdiensten auch dafür gelobt, daß er sich an allen Epidoseis, die vom Volk ausgerufen worden waren, beteiligt hatte.443 Diese Notiz ist ein sicherer Beleg dafür, daß in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts mehrere Epidoseis stattfan den. Aus einem Ehrendekret für den Metöken Thibron und aus der Vita des Philo sophen Zenon sind wir über zwei solcher Epidoseis unterrichtet. Sie dienten aller dings nicht Rüstungszwecken, sondern dem Aufkauf von Getreide und der Reparatur einer Therme.444 Nur wenige Jahre nach der Ehrung des Phaidros von Sphettos rief Athen im Archontat des Antimachos zu einer Epidosis auf, die für die Verteidigung der Stadt bestimmt war. Diese Epidosis ist aus dem Dekret IG II 768+802 bekannt, das zu Ehren des in Athen ansässigen Pergameners [?Aisch]ias beschlossen wurde: έπ[ειδή Αΐσχίας ευ|νου]ς ών διατε[λεϊ τ]ώι δήμ[ωι τ]ώι [Αθηναίων καί νυ||ν γεν]ομένων έ[πιδό]σ[ε]ων ει[ς τά] δ[ημόσια έργα και ε|ίς την] της πό[λεω]ς [φ]υλακήν [έπέδ]ω[κε ίο }.. και άργυρ[ίου J.445 Der Pergamener wurde noch im selben Jahr für seinen Epidosisbeitrag, bei dem es sich um mehrere Minen oder ein Talent gehandelt haben muß, mit der Isotelie (?) und mit dem Recht der Enktesis belohnt.446 Das Jahr, in wel442 IG II 2 744; IG II 2 715 + Add. S. 666; (?) IG II 2 651; IG II 2 670; IG II 2 666+667; (?) Hesperia 3, 1934, 7f. Nr. 9 = Athenian Agora XVI, Nr. 191; IG II2 768+802; IG II 2 835; IG II 2 786; IG II2 857. Das bruchstückhaft erhaltene Ehrendekret IG II 748 (Dat.: init. s. III.) dürfte ebenfalls einem Metöken gegolten haben, da Eisphorazahlungen des Geehrten genannt werden und das Verb εύεργετεϊν (Ζ. 2) bei den Dekreten für verdiente Politen nicht gebraucht wird. Anlaß für die Ehrung des Metöken war anscheinend eine Geldspende, da in Z. 5 χρήμα[τα] genannt werden. An den Anfang des Jahrhunderts gehören die Dekrete IG II 744 für den Getreidehändler aus Sikyon und IG II 715 + add. p. 666 für Hermaios (die in beiden Beschlüssen genannten Geldschenkungen können sehr wohl auch in den letzten Jahren des 4. Jahrhunderts geleistet worden sein; s.o. S. 105 mit Anm. 438. *» IG ΙΓ 682, Z. 62f.: και οσαι επιδόσεις γεγόνασιν εν τώι δήμωι πα|σών μετέσχηκεν. Näheres zu hohen Ehrungen von athenischen Politikern s. Gauthier, Bienfaiteurs 77ff. und Habicht, Studien 124ff. 444 Thibron: IG Π 670, Ζ. 11; Zenon: Diog. Laert. 7.12. Dagegen scheint die von einem unbe kannten Spartaner während des Chremonideischen Krieges geleistete Spende εις την [ο]ίκο[δομίαν — - ]κοντα τάλαντα [ τη]ς [π]όλεως keine Epidoseis zu sein (B.D. Meritt, Hesperia 3, 1934, 7f. Nr. 9 = Athenian Agora XVI, 191, Z. 11-13); der Geehrte hat wohl auch die Flotte mit einem Beitrag unterstützt (Z. 15: εις τάς ν]αυς έπ[έ]δωκε[ν ). 445 Ζ. 8-12. Mit den von Wilhelm, Akademieschriften III, 398 ergänzten δημόσια έργα können Reparaturen an den Stadtbefestigungen gemeint sein. In diesem Sinne Migeotte, Souscriptions publiques 26f. Die Ergänzung des Namens Aischias stammt von Habicht, Studien 23. 446 IG II 2 768+802 (= Wilhelm, Akademieschriften I, 436), Z. 19-23: [έπαινέσαι Αίσ||χ]ίαν Άκροτ[ίμο]υ Περγαμη[νόν εύνοιας ένεκεν τ|ής] ττρός την β[ου]λήν καί τόν δ[ήμον τον 'Αθηναίων κ|αί]
2. Euergenen freiwilligen Charakters
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chem Antimachos das Archontat bekleidete, ist bislang noch nicht gesichert. In Frage kommen nur die Jahre 255/4-250/49. Während C. Habicht eine Datierung in die Mitte der 50er Jahre vorschlägt, hat sich M. Osbome für die Jahre 253/2-251/0 aus gesprochen.447 Weil die durch die Epidosis zusammengebrachten Gelder zur Dekkung von Verteidigungskosten verwendet wurden, muß Athen damals in kriegerische Handlungen verwickelt gewesen sein. Davon, daß Attika in der Mitte der 50er Jahre durch einen Krieg unmittelbar gefährdet war, ist bisher nichts bekannt. In den späten 50er Jahren hingegen war eine Bedrohung durch Alexander, den Neffen des Antigonos Gonatas, gegeben. Nach seinem Abfall von Antigonos bedrohte Alexander von seinen Stützpunkten Korinth und Euböa aus Attika. Zwei attische Inschriften bezeu gen, daß es zu Kämpfen mit Alexanders Truppen kam.448 Der Beschluß zu Ehren des argivischen Tyrannen Aristomachos (IG II 774) gibt zudem Auskunft darüber, daß durch dessen Vermittlung zwischen Athen und Alexander ein Frieden geschlossen wurde (ca. 249/8). Die Epidosis zur Verteidigung der Polis, an der sich der Pergamener beteiligte, scheint in die Zeit zu gehören, in der Alexanders Truppen in Attika einfielen. Demnach wäre das Archontat des Antimachos in die späten 50er Jahre zu datieren. Im Beschluß IG ΙΓ 798 zu Ehren eines Bürgers aus Kydathen, den C. Habicht in das dem Archontat des Antimachos folgende Jahr setzt, ist eine Epidosis εις την φυλακήν της χώρας genannt. Der Athener, dessen Name verloren ist, hatte επί άρχοντος Α - als Agonothet aus eigenen Mitteln zur Ausgestaltung der Dionysien bei gesteuert und zu einem späteren Zeitpunkt einen Epidosisbeitrag zum Schutz der Chora geleistet. Habicht hat den verstümmelten Archonnamen zu A[ntimachos] er gänzt (die Ergänzung A[thenodoros] ist ebenfalls möglich, von dem wir wissen, daß er in der zweiten Hälfte der 50er Jahre ebenfalls das Archontenamt bekleidete)449 und zudem angenommen, daß die Epidosis εις τήν φυλακήν της χώρας noch während des sen Archontat stattgefunden habe. Er geht noch einen Schritt weiter mit der Annah me, die in dem Ehrendekret des Pergameners genannte Epidosis ει [ς τα] δ[ημόσια έργα και εις την] της πό[λεω]ς [φ]υλακήν sei mit der Epidosis εις την φυλακήν της χώρας identisch. Gegen die Gleichsetzung beider Epidoseis spricht jedoch der voneinander abweichende Zweck beider Geldumlagen.450 Zudem ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß die Epidosis des Atheners aus Kydathen in dem Jahr geleistet worden ist,
δεδόσθαι [αύ]τώι και έγγ[όνοις ίσοτέλειαν κα|ί ε]νκτησι[ν οίκί]α[ς] πμήμα[τος XXX?] κτλ. 447 Habicht, Studien 23; MJ. Osbome, The Chronology of Athens in the Mid Third Century B.C., ZPE 78,1989, 234ff. 448 IG II 2 1225 und 774. Zum Inhalt der Inschriften s. Habicht, Athen 165. Dort ist auch ein Grabepigramm genannt (Moretti, ISE 24), in dem ein in Kämpfen um Salamis gefallener Athener für seine militärische Tapferkeit gepriesen wird. 449 Osbome, ZPE 78, 1989, 237 datiert das Archontat des Athenodoros in das Jahr 254/3 und das Archontat des Antimachos in das Jahr 252/1. Dort findet sich auf S. 235 eine Edition von IG II2 798 mit den neuen Fragmenten, die zuerst in Hesperia 4,1935, 583 veröffentlicht worden sind. 450 Habicht, Untersuchungen 129f.; s. auch die gegen Habicht vorgebrachten Einwände von Migeotte, Souscriptions publiques 27.
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IV. Die Wohltaten derMetöken
aus welchem auch das Dekret stammt, d.h. nach dem Archontat des Antimachos. Somit hätten wir aus den späten 50er Jahren zwei Epidoseis gesichert. Wußte man von den bisher behandelten Epidoseis nur aus Ehrendekreten und literarischen Quellen, gibt die beinahe vollständig erhaltene Urkunde IG II 791 aus dem Archontat des Diomedon sowohl vom Aufbau eines Epidosis-Beschlusses als auch über den genauen Ablauf einer solchen Umlage eine gute Vorstellung.451 Auf ei ne in größeren Buchstaben geschriebene Überschrift (Ταμίας στρατιω[τικών] | Ευκλείδης Μικίωνος [Κηφισιεύς]) folgt der eigentliche Beschluß (Z. 3-29). Ihm schlie ßen sich als zweiter Teil der Urkunde eine weitere Überschrift (οϊδε έπέδωκαν εις την σω[τ]ηρίαν της π[ό]|λεως και τήν φυλακήν της [χ]ώρας κατά τ[ό] | ψή[φ]ισμα του δήμου, Ζ. 30-32) und darunter, auf drei Kolumnen verteilt, die Namen der Spender an (Z. 33-81). Die Bürger sind durch das ihrem Namen hinzugefügte Demotikon erkennbar, während Fremde mit ihren Ethnika, nicht aber mit der Formel οίκων έν τω δεΐνι δήμω, wie zu erwarten wäre, gekennzeichnet sind.452 Abweichungen von dieser Regel stellen Sosibios, dessen Namen der Ehrentitel ίσοτέ(λης) hinzugefugt ist (col. II, Z. 52), und Lykon mit dem Zusatz φιλόσο(φος) dar. Bei Letzterem handelt es sich um den dama ligen Leiter des Peripatos, der aus Alexandria in der Troas stammte.453 Mit dem Beschluß werden alle Bewohner Afrikas aufgefordert, einen freiwilli gen Beitrag für die Rettung der Polis und zum Schutz des Umlandes zu leisten. Ge meldet werden soll die Spende innerhalb der beiden nächsten Monate in der Ekklesie, bei der Boule oder bei den Strategen. Als untere Grenze für die zu spendende Sum me werden 50 Drachmen und als Maximum 200 Drachmen festgesetzt. Eine solche Vorschrift im Hinblick auf die Höhe der zu spendenden Summe scheint es in den früheren Epidosis-Aufrufen nicht gegeben zu haben, denn sie haben zu Spenden ge führt, die mehrere tausend Drachmen oder gar mehrere Talente betrugen. Anders als in den Ehrendekreten wird der Zweck der Epidosis hier noch wei ter konkretisiert: Die in die Kasse des ταμίας των στρατιωτικών eingezahlten Beiträge sollen diesen (es war Eukleides von Kephisia, der spätere Freiheitsheld von 229) in die Lage versetzen, die zur Einbringung der Feldfrüchte (nicht Getreide, da nur von καρποί die Rede ist) notwendigen Ausgaben zu bestreiten. Man hat hier wohl vor nehmlich an die Besoldung der Truppen zu denken, die mit dem Schutz der Chora betraut wurden. Allem Anschein nach war es in den dem Beschluß vorausgegangenen Jahren zu Schwierigkeiten oder Gefahren bei der Einbringung der Ernte gekommen, denen man durch die Stationierung von Truppen in der Chora entgegentreten wollte. Auffallig ist, daß unter den Spendern die Metöken in geringer Zahl vertreten sind. Soweit erkennbar, enthält die Liste neben ca. 78 Bürgern nur 7 Fremde. Mögli451 IG II 2 791 mit der Publikation neuer Fragmente in Hesperia 11, 1942, 287ff. Nr. 56. Der gesamte Text findet sich neuerdings in SEG XXXII 118 und Athenian Agora XVI, Nr. 213. Ausführliche Kommentare zum Beschluß bei Habicht, Studien 26ff. und Migeotte, Souscriptdons publiques 28ff. 452 Bei den Fremden handelt es sich um pDiogenjes aus Makedonien (col. I, 48), [ZJophyros aus Syrakus (col. I, 59), Phi[I]okles aus Korinth (col. I, 65), Hekataios aus Mesembria (col. I, 73), den Philosophen Lykon und den Isotelen Sosibios, der für sich und seinen Sohn spendete. 453 Athenian Agora XVI, 213, co. I, Z. 71; vgl. Sonnabend, Freundschaften 272.
2. Euergenen freiwilligen Charakters
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cherweise war der Zweck der Epidosis für viele Metöken, die überwiegend in den städtischen Demen lebten und daher für die Belange des Umlandes wenig Interesse aufgebracht haben werden, nicht attraktiv genug. Bestätigen scheint sich dies durch Fergusons Beobachtung, wonach sich an der Epidosis auch sehr wenige Bürger aus den städtischen Demen beteiligt haben. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Spen der handelt es sich um Bürger, die in den Demen der Mesogaia lebten.434 Gerade die se wären im Falle der Vernichtung der Feldfrüchte die Hauptbetroffenen gewesen, was ihre starke Repräsentanz an der Spenden-Aktion erklären würde. Allerdings könnte sich in diesen Zahlen auch die Relation der Metöken zu den Bürgern wider spiegeln. Es ist jedenfalls sicher, daß im 3. Jahrhundert die Metökenbevölkerung stark abnahm.455 Diese Geldumlage aus dem Archontat des Diomedon wird von C Habicht in das Frühjahr 243 datiert. Er vermutet als Auslöser dieser Aktion einen von den Athenern befürchteten Angriff von selten der Achäer unter Arat. "Da Arat sich un verhofft ... einem größeren Ziel (sc: nämlich der Eroberung Akrokorinths) zuwandte, ist die Gefahr damals nicht akut geworden, sondern erst etwa neun Monate später, im zeitigen Frühjahr 242, beim ersten Einfall Arats nach Attika und Salamis".456 Die Achäer setzten in den 30er Jahren ihre Einfalle in Attika in regelmäßigen Abständen fort. Mit diesem gewaltsamen Mittel, das auch die Verwüstung der atti schen Chora mit einschloß, verfolgte Arat das Ziel, die Athener zum Eintritt in den Achäischen Bund zu zwingen. Er unternahm auch zum wiederholten Mal Versuche, den seit 295/4 von den Truppen der Antigoniden besetzten Piräus zu erobern.457 Dieser achäische Plünderungskrieg war mit Angriffen gekoppelt, die die Ätoler als Verbündete der Achäer von der See her auf Attika unternahmen.458 In das Klima die ser Jahre gehört die Epidosis εις την σωτηρίαν τώμ π[ολιτών], die im Proxeniedekret für den Metöken Apollas genannt ist. Auch für diese Geldumlage war ein Minimalund ein Maximalbeitrag festgesetzt, deren Höhe allerdings das Dekret verschweigt. Apollas zahlte den höchsten zulässigen Beitrag, u.z. gleich drei Mal (für sich und sei ne beiden Söhne).459 Daß diese Epidosis in das hier vorgeschlagene Jahrzehnt zu datieren ist, legen die beiden anderen im Motivkatalog aufgeführten Verdienste des Apollas nahe. Nach 454
Ferguson, Hellenistic Athens 204; Habicht, Studien 28f. S. o. S. 22f. Ganz ähnliche ist die Relation in einer weiteren Epidosisliste, die rund 60 Jahre später beschlossen wurde (IG II 2332; Dat.: P183/2). In dieser Liste, die die Überschrift οϊδε έπ[έδωκαν εις τ έπι Ερμογένους] | άρχ[οντος] trägt, waren ursprünglich etwa 400 Namen verzeichnet. Sicher zu erkennen sind 251 Bürger und 27 Fremde. Diese fremden Spender waren laut Migeotte, Souscriptions publiques 41, "sans doute des meteques". Zu ihren Herkunftsländern s. auch Pope, Non-Athenians 28. 456 Habicht, Studien 29f. Einwände gegen die Datierung s. Dreyer, Athen 191f. Anm. 332. 457 Plut Arat. 33. 458 Habicht, Athen 166f. 45 * IG II 2 835, Z. 1-5 (in der Herstellung von A. Wilhelm, Akademischriften II, 545): [....9...]v ό δήμος εξ έπιδόσε[ων ..5..|....9....]ν εις την σωτηρίαν τώμ ττ[ολιτών | εν πρώ]τοις [έ]πέδωκε και υπέρ έαυτο[ϋ και ύ|πέρ τώ]ν ύώ[ν] αμφοτέρων όσον πλείστον [ην έν||δεχό]με[νον]. Der verlorene Teil des Motivberichts führte früherere Verdienste des Apollas auf. 455
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IV. Die Wohltaten der Metoken
dieser Geldspende half Apollas der Stadt mit einem Darlehen in Höhe von 2000 Drachmen, das "für die Freiheit" Athens verwendet wurde (προδανεισμός χρημάτων εις την έλευθερίαν, Ζ. 6f.). Zuletzt trug er (im Jahr des Beschlusses) mit einer Spende zur Befestigung des Zea-Hafens bei.460 Da Athen erst wieder 230/29 durch die Wie dervereinigung mit dem Piräus in den Besitz des Zea-Hafens kam und das im Ehren dekret des Staatsmannes Eurykleides von Kephisia festgehaltene Programm zum Wiederaufbau der Mauern von Asty und Piräus kurz danach begonnen wurde, muß sich ελευθερία auf die mit dem Abzug der makedonischen Besatzungen aus Attika wiedergewonnene Freiheit Athens von 230/29 beziehen.461 Man kann auch eine pas sende Erklärung dafür finden, weshalb Athen damals zur Wiedererlangung seiner Freiheit den Weg zur Aufnahme von Anleihen beschritt. Nach dem Tod des Demetrios II. (230/29) erklärte sich der in Attika kommandierende Statthalter Diogenes bereit, gegen eine Ablösesumme von 150 Talente Piräus und andere besetzte Teile Atrikas zu räumen.462 Diese Summe brauchte er zur Abfindung der ihm unterstellten Truppen. Um sie möglichst bald zusammenzubringen, machte die Polis eine Anleihe bei wohlhabenden Bewohnern Attikas.463 Neben Apollas ist ein weiterer in Athen an sässiger Fremder bekannt, der der Aufforderung folgte und den Athenern zum Zweck der Auszahlung der makedonischen Garnison ein Darlehen gab. Es handelt sich dabei um Aristokreon aus Soloi, den Neffen des Stoikers Chrysippos.464 Bald nach Abzug der makedonischen Garnisonen begann das nunmehr freie Athen mit dem Wiederaufbau der Mauern von Asty und Piräus sowie mit der Befe stigung seiner Hafenanlagen. Im Ehrenbeschluß für Eukleides wird die Initiative für diese notwendige Maßnahme ihm und seinem Buder Mikion zugeschrieben.465 Wäh rend über die Finanzierung der Stadt- und Piräusmauem keine genauen Nachrichten vorliegen, machen mehrere Zeugnisse klar, daß die Neubefestigung der Häfen durch private Spenden ermöglicht wurde. Daß die zur Befestigung (όχύρωσις) des ZeaHafens erforderlichen Mittel durch eine Epidosisaktion aufgebracht wurden, geht aus 460
IG i f 835 (A. Wilhelm, Akademischriften Π, 545) Z. 5-15: [κατ]ά δε τόμ ττροδανεισ[μόν χρη|μά]των [ει]ς την έλευθερίαν [πάλιν εν πρώ|τοις] δισχιλίας προεισήνενκεν δραχμά[ς ούχ ύπό | του δήμ]ο[υ άξι]ωθείς, άλλα αυτός εκών [της του | δήμο]υ [χρ]ε[ί]ας στοχαζόμενος· και νυν [Αθηναίων || την όχύ]ρωσιν του εν Ζέαι λιμένο[ς ψηφισα|μενων] ού[δέ] ταύτης άπολέλευτται τ[ής έπιδό|σεως], άλλα τοίς πολίταις ένάμιλλο[ν παρασ|κευάζω]ν εαυτόν είσενήνοχεν οσο[νπερ ό δή|μος ην έ]φηφισμένος και υπέρ εαυτού κ[αί υπέρ || των ύ]ώ[ν Θ]αρρύνοντος και Αγαμή[δ]ου; s. dazu die Kommentare bei Maier, Mau erbauinschriften 81 f. und Migeotte, Souscriptions publiques 35ff. 461 So die einhellige Meinung: Maier, Mauerbauinschriften 82; Pecirka, Enktesis 114f.; Habicht, Studien 81; Migeotte, Souscriptions publiques 35ff.; Dreyer, Athen 192 Anm. 335. 462 Diogenes war wahrscheinlich athenischer Bürger und mit den Eteobutaden verschwägert. Nach der Räumung des Piräus stifteten die Athener ihm einen Kult, der sich bis in das 3. Jahrhundert, n. Chr. nachweisen läßt. Belege bei Maas, Prohedrie 92. Vgl. auch Ph. Gauthier, REG 99, 1986, 127. 463 Da diese hohe Summe möglichst schnell aufzubringen war, werden die Athener auch von befreundeten Staaten Darlehen aufgenommen haben. Arat soll damals laut Plut. (Arat. 35) 20 Talente beigesteuert haben. Vgl. Wilhelm, Akademischriften I, 477; Habicht, Studien 79ff.; ders., Athen 176f. «* IG Π 786, Ζ. 3-5 ; zur Person Aristokreons s. Sonnabend, Freundschaften 283ff. «* IG II 2 834, Z. 15ff.: και τους λιμένας ώχυρωσ[ε και τα τείχη του] | άστεως και του Πειραιέως έπισκεύα' [σε ματά Μικίωνος του] | αδελφού κτλ.
2. Buergenen freiwilligen Charakters
117
der Ehreninschrift für Apollas hervor. Der Metöke hat wie einige Jahre zuvor auch bei dieser Epidosis den höchsten zulässigen Beitrag drei Mal gezeichnet und so dafür gesorgt, daß auch die Namen seiner beiden Söhne in die (verlorene) Epidosisliste und in das (erhaltene) Ehrendekret mit aufgenommen wurden. Wohl etwa zur selben Zeit nahmen Aristokreon aus Soloi εις την χώσιν [των λιμένων] und ein Unbekannter [εις τάς προ]σχώσεις [των λ]ιμένων Geldschenkungen vor.466 C Habicht setzt diese Spen den mit der im Apollas-Dekret genannten έπίδοσις εις την όχύρωσιν του εν Ζέαι λιμένος gleich.467 Auch wenn diese Vermutung nicht unmöglich ist, könnte man ebenso an Geldspenden denken, die unabhängig von einer Epidosis geleistet wurden.468 Weitere Epidoseis für Rüstungs- und Verteidigunszwecke sind aus der späteren Geschichte Athens nicht belegt.
b. Geldspenden für Nahningsmittelbeschafiung Eines der größten Probleme, die das klassische und hellenistische Athen zu bewältigen hatte, war die Versorgung seiner Bevölkerung mit Getreide, das wichtigste Grundnahrungsmittel überhaupt, sicherzustellen.469 Dieses Problem stellte sich vor allem deswegen, weil die Eigenproduktion an Getreide nur einen Bruchteil (ca. ein Viertel bis ein Drittel) der tatsächlich verbrauchten Menge ausmachte. Eine weitaus größere Menge mußte daher aus dem Ausland importiert werden. Da die Lebensfähigkeit der Stadt von Getreidezufuhren abhing, wurden Fragen "der Getreideversorgung und der Landesverteidigung" von der Volksversammlung regelmäßig behandelt.470 Überhaupt gab es in klassischer Zeit keine vergleichbare Polis, die annähend soviel Getreide einfuhren mußte wie das bevölkerungsreiche Athen.471 Allerdings sind genaue Angaben über das jährliche Importvolumen an Getreide kaum möglich. Dies hat seinen Grund darin, daß quantitative Werte über den Umfang der Eigenproduktion und über die importierten Getreidemengen sowie über die Bevölkerungszahlen nur unzureichend überliefert sind. Der Mangel an zuverlässigen Angaben hat in der Forschung zu recht unterschiedlichen Schätzungen geführt.472 466
IG Π2 786, Z. 6; SEG XIV 67. Habicht, Studien 82 Anm. 18. 468 Auch IG II2 857, Z. 14 aus den Jahren 229-214 dürfte sich auf diese Epidosis beziehen; der darin Geehrte, ein Trapezit, hat wenigstens ein Talent gespendet; vgl. Habicht, Studien 82 Anm. 18. 469 Foxhall/Forbes, Sitometria 41 ff. veranschlagen den Anteil der Getreideprodukte an der Gesamternährung auf ca. 70-75%. Fleischprodukte wurden von der breiten Bevölkerung nur in geringen Mengen konsumiert, weil sie gemessen an Getreidepreisen zu teuer waren. Die Preise für das 4. Jahrhundert zusammengestellt bei Zimmermann, Freie Arbeit 102f. Zu den Mehl- und Getreidepreisen s. femer F. Heichelheim, Art. Σίτος, RE Suppl. VI, 1935, 887ff. 470 Xen. mem. 6.13; Aristot. rhet. 1360a; Aristot. Ath. pol. 43.3f. 471 Demosth. 20.31: πλείστω των ανθρώπων ήμεϊς έπεισάκτω σίτω χρώμεθα. Vgl auch Demosth. 18.87.241. 472 Grundlage jeder Diskussion über die Gesamthöhe eingeführten Getreides sind die Angaben von Demos thenes (20.31 f.): Aus dem Bosporanischen Reich Leukons bezog die Stadt i.J. 357 400000 Medimnen Getreide; diese Menge bildet laut Demosthenes die Hälfte des jährlich nach Athen im467
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IV. Die Wohltaten
derMetöken
Solange Athen im 5. Jahrhundert mit seiner Flotte neben der Ägäis auch die Zufahrtswege zum Pontos Euxeinos kontrollierte, war die Getreideversorgung seiner Bevölkerung sichergestellt.473 Mit dem Zusammenbruch der Arche setzte in der End phase des Peloponnesischen Krieges eine lange Periode ein, in der Getreideknappheit häufig auftrat/Die Kapitulation vor Sparta (404) wurde letzlich durch die Aushunge rung Athens herbeigeführt, nachdem Lysander durch eine Seeblockade die Kornzu fuhr in die Stadt unterbunden hatte.474 Im 4. Jahrhundert gab es keine Dekade, in der sich die athenische Bevölkerung nicht mindesten einmal mit Getreideengpässen kon frontiert sah.475 Auf die Ursachen der so oft bezeugten Getreideknappheit kann hier nur summarisch eingegangen werden.476 Ein großes Übel für Athen stellten die bevölkerungsreichen Städte des Pontos und der Propontis (Herakleia Pontike, Byzantion, Chalkedon und Kyzikos) dar, die Getreideschiffe auf der Rückfahrt nach Piräus kaperten, um mit dieser widerrechtli chen Maßnahme ihren eigenen Bedarf zu decken. Zeugnisse für solche "Raubritter methoden der Bosporusstädte" auf Kosten Athens liegen aus dem 4. Jahrhundert mehrfach vor.477 Auf die Lebensmittelversorgung Athens in starkem Maße störend portiertierten Getreidevolumens. Diese Angaben fanden in der Forschung (A. Böckh, KJ. Beloch, F. Heichelheim, IC Köster u.a.) weitgehend Akzeptanz, zumal Demosthenes auf Eingangslisten der Sitophylakes verweist und zu erwarten ist, daß er als Staatsmann über die wichtige Frage der Getreide versorgung gut unterrichtet war. Daher kommt dem jährlichen Importvolumen an Getreide für die Mitte des 4. Jahrhunderts mit ca. 1000000 Medimnen eine hohe Wahrscheinlichkeit zu. Wegen der größeren Bevölkerungsdichte dürfte der Getreideimport in der Zeit des Perikles sogar etwas höher gewesen sein. Eine Diskussion der älteren Literatur bei Köster, Lebensmittelversorgung 34ff.; Erxleben, Verhältnis 366. Vgl. auch Isager/Hansen, Athenian Society 11 ff.; Hopper, Handel und Industrie 83ff. bes. 105ff.; Will, Athen und Alexander 107ff. Laut Isager/Hansen, Athenian Society 62, "Ath ens required a minimum o f six hundred shiploads of grain to cover ist annual needs". Als überhöht abzulehnen sind die Zahlen von L. Gernet, L' approvisionnement d'Athenes en ble au V et au I V siecles, Paris 1909, 296ff.: 3,5-4 Millionen Medimnen eingeführtes und 600000 Me dimnen in Attika erwirtschaftetes Getreide bei einer Gesamtbevölkerung von 500000-600000 Men schen. Als verfehlt sind auch die Zahlen zu betrachten, die Garnsey, Grain for Athens 62ff. und ders., Famine 99ff. mit Tab. 6 auf S. 101 vorgelegt hat. Nach seinen Berechnungen war im 4. Jh. 5,4 % der Gesamtfläche Attikas für den Getreideanbau geeignet. Gamsey stützt sich dabei auf die in IG Π 1672 für das Jahr 3 2 9 / 8 genannten Aparchezahlungen an das Eleusinische Heiligtum. Damals erwirt schaftete Athen auf 12930 ha Anbaufläche 27062 Medimnen Weizen und 339925 Medimnen Gerste. Diese Menge habe zur Ernährung von 53000-58000 Menschen (bei einer geschätzten Gesamtbevöl kerung von 150000-200000) ausgereicht. In der (keineswegs gesicherten) Annahme, daß die Ernte von 329/8 unter dem Durchschnitt lag, kommt Gamsey, Famine 104, zu dem Ergebnis, daß die atti sche Eigenproduktion an Getreide (Weizen + Gerste) "under normal conditions" 120000-150000 Menschen, d.h. den Großteil der Bevölkerung, ernähren konnte und nur eine geringe Menge an aus wertigem Getreide benötigte. 473 S. die Ausführungen von Köster, Lebensmittelversorgung 24ff., der allerdings bereits für die 420er Jahre und für die Ausgangsphase des Peloponnesischen Krieges mehrere Getreideengpässe konstatiert. 474 Die einzelnen Etappen der Blockade vom Lebensmittelmangel bis zur schweren Hungersnot gut herausgearbeitet bei Kohns, Hungersnot und Hungerbewältigung llOff. 475 Beispiele aus dem 4. Jahrhundert bei Gamsey, Famine 17ff. und Pritchett, War V, 465ff. 476 Zu den Versorgungskrisen und ihren Ursachen allgemein s. die reichen Beobachtungen von Quaß, Honoratiorenschicht 230ff. 477 Zitat Köster, Lebensmittelversorgung 77 (dort 43f., bei Erxleben, Außenhandel 461 und
2. Euergesienfivimltigen
Charakters
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wirkten sich femer die florierende Piraterie und die unaufhörlichen kriegerischen Verwicklungen, insbesondere die durch das ganze 4. Jahrhundert andauernde unsi chere Lage in der Propontis, aus.478 Die Stadt versuchte bis in die Alexanderzeit mit wechselndem Erfolg, den Zugang zum Pontes unter ihre Kontrolle zu bringen.479 Zur Kriegsfuhrung der Gegner, Athen aus der Propontisregion zu verdrängen, gehörte auch der Zugriff auf athenische Getreideschiffe. So hat etwa Philipp im Jahre 340 bei Hieron am thrakischen Bosporus 230 größtenteils athenische Getreideschiffe abge fangen und die Ladung samt der Besatzung verkauft.480 Zur Unterbindung solcher Übergriffe durch fremde Städte, Herrscher und Piraten blieb der Stadt nichts anderes übrig, als den Getreideschiffen militärischen Schutz beizugeben.481 Eine weitere Ursa che für die Getreideknappheit können Dürreperioden gewesen sein, die laut J. McK. Camp im 4. Jahrhundert Attika mehrmals heimsuchten.482 Falls tatsächlich Dürre in Attika geherrscht hat, mußte sie Mißwachs und Emteausfalle herbeifuhren. Angesichts der im 4. Jahrhundert häufig auftretenden Versorgungskrisen war es eine Frage der Zeit, bis Athen zur Finanzierung des Getreideaufkaufs seine wohl habenden Bewohner zu Spenden aufforderte. Dies wurde umso dringlicher, da regu läre Staatseinnahmen nicht mehr in ausreichender Höhe zur Verfugung standen. Wann genau die Stadt zum ersten Mal zu dieser Maßnahme griff, läßt sich nicht aus machen. Vor der Schlacht bei Chaironeia sind weder Epidoseis noch von ihr unab hängige Geldschenkungen bezeugt, die zur Nahrungsmittelbeschaffung verwendet wurden. Solche Spendenaktionen setzten voraus, daß die Stadt den Einkauf von Ge treide selbst in die Hand nahm. Solange Getreide von den Emporoi und Naukleroi in genügendem Umfang nach Attika geschafft und von den Kapeloi an die Verbraucher weiterverkauft wurde, war die staatliche Organisation des Getreideaufkaufs und seine Kohns, Hungersnot und Hungerbewältigung 117 zahlreiche Beipiele). Hinzu kommen Demosth. 45.64; [Demosth.] 50.6,17 und die athenischen Proxeniedekrete IG ΙΓ 117 (Dat. 361/0) und IG II2 360 (Dat.: 330/29 bzw. 325/4) für die Händler Protomachos und Herakleides. Die Schiffe beider Händler wurden durch Herakleia Pontike beschlagnahmt. Die Athener erreichten die Freigabe der Schiffe durch diplomtische Mittel; vgl. Maximowa, Seeweg 117f. Pntchett, War V, 465 meint, "... protection of the grain route played such a great part in Athenian strategy, and capture of the grain fleet resulted in one of the largest figures for booty known to us ...". Dort 330ff. Belege für "Convoy of Grain Traid" durch athenische Trieren. 478 Andok. 1.138; Xen. hell. 2.1.30; 3.4.19; 4.8.35; 5.1.1; Isokr. 4.115; Diod. 16.5.3; Demosth. 7.3; Weitere Zeugnisse für Piraterie bei Pritchett, War V, 336ff. Allgemein s. Isager/Hansen, Athenian Society 55f. Vgl. Hopper, Handel und Industrie 99: "Der Getreidehandel im 4. Jahrhundert war also in Anbe tracht der langwierigen Kriege und der von Seeräubern heimgesuchten Meere zweifellos im höchsten Grad gefährdet". 479 Köster, Lebensmittelversorgung 29ff. 43. 400 S. dazu die Kommentare bei Wankel, Rede für Ktesiphon 437ff. (zu Demosth. 18.73) und Pritchett, War V, 202f. Angeblich soll Philipp dabei einen Gewinn von 700 Talenten erzielt haben. 481 Unter dem Stichwort "Convoy of Grain Traid" sind Maßnahmen zur Sicherung des Getreide imports mit Belegmaterial bei Pritchett, War V, 330ff. zusammengestellt. 482 McK. Camp, Drought and Famine 9ff. konstatiert aus literarischen, epigraphischen und ar chäologischen Zeugnissen eine längere Dürreperiode in Attika vor allem für die zweite Hälfte des 4. Jh.s. Seine These, Attika hätte zwischen ca. 330 und 325 regelmäßig Dürre erlebt, wird von Engels, Anmerkungen 118 Anm. 79 zurückgewiesen.
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IV. Die Wohltaten derMetöken
Distribution nicht notwendig, damit gab es auch keinen Grund für Epidoseis. Wir hören von Demostfienes (20.33), daß Athen während der Hungersnot des Jahres 357 vom bosporanischen Herrscher Leukon so viel Getreide bezog, daß ein Teil dessen noch an andere Not leidende Poleis mit Gewinn weiterverkauft werden konnte. Hier liegt ein Großaufkauf unter staatlicher Regie vor, der daduch bestätigt wird, daß der athenische Demos den Kallisthenes zum Verwalter der 15 Talente bestellte, die aus dem Weiterverkauf des Getreideüberschusses an andere Städte erwirtschaftet worden waren. Laut Demosthenes (20.40) hatte Leukon zudem ein Guthaben in Athen. Dies hat man wohl so zu verstehen, daß die Stadt die Schulden, die sich aus der Getreide lieferung des Jahres 357 ergaben, je nach ihrer Finanzlage auf das Konto Leukons (wahrscheinlich bei einem Trapeziten) einzahlen wollte.483 Aus dem Ehrendekret für die Söhne Leukons geht hervor, daß die Stadt ihre Schulden noch im Jahre 347/6 nicht in vollem Umfang zurückerstattet hatte. Athen beschloß damals, die Rückzah lung seiner Schulden an die Erben Leukons baldmöglichst vorzunehmen.484 E. Erxleben meint, daß der Ausgleich der seit zehn Jahren anstehenden Schulden nach einem Spendenaufruf an die Bevölkerung erfolgt sei. Auch wenn sich diese Vermutung nicht beweisen läßt, ist eine Epidosis für das Jahr 347/6 durchaus wahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß nach den Worten des Demosthenes (20.25) die Staatskassen fast leer waren.485 Der staatlich organisierte Getreideaufkauf (σιτωνία), der von einem gewählten Gremium von Beamten (σντώναι) durchgeführt wurde, tritt nochmals nach der Kata strophe von Chaironeia in Erscheinung. Bekanntlich übertrug die Volksversammlung diese schwierige Aufgabe im Jahre 338 keinem geringeren als Demosthenes.486 Sobald sich der staatlich organisierte Aufkauf von Getreide etabliert hatte, wurde es auch zur Regel, die dafür notwendigen Geldsummen durch Spendenaktionen zusammenzu bringen. Dieser Weg wurde allerdings nur dann beschritten, wenn okkasionelle, meist durch Kriege verursachte Notsituationen eintraten und man unverzüglich darauf rea gieren mußte. Epidoseis zur Getreidebeschaffung sind aus den 320er Jahren, wäh rend des Vierjährigen Krieges und aus den 280er Jahren bezeugt. Der Zufall der Überlieferung will es, daß sie in den meisten Fällen in Ehrendekreten für Metökenemporoi erwähnt werden, die sich um Athens Versorgung in einer anderen Weise, 483
S. dazu Ziebarth, Seeraub 65f. IG II 2 212, Z. 53ff. 485 Erxleben, Außenhandel 461. Ein Licht auf die schwache Finanzlage Athens in den 350er und 340er Jahren werfen auch die zahlreichen Schenkungen von Kriegsschiffen und Spenden für deren Ausrüstung, die von reichen Bürgern wie Demosthenes und Hypereides, möglicherwise aber auch durch Metöken vorgenommen wurden. Zu dem Belegen s. Pritchett, War V, 473ff. 486 Demosth. 18.248; vgl. Quaß, Honoratiorenschicht 238. Entgegen seiner Ansicht war es nicht die Regel, daß die Sitonai das Getreide im Ausland beschafften. Die Regel war, daß die Großhändler auf eigene Regie das Getreide nach Athen brachten und die Sitonai es ihnen abkauften. In diesem Sinne Ziebarth, Seeraub 66. Ein Getreideankauf der Sitonai ist aus [Demosth.] 34.39 belegt Die beiden Metöken Chrysippos und sein namentlich nicht genannter Bruder, beide Naukleroi und im Besitz mehrerer Schiffe, führten (im Jahre 330/29) 10Ö00 Medimnen Getreide ein und verkauften es der Getreidebehörde. Das Getreide wurde im Pompeion gewogen, das wahrscheinlich auch als Lager- und Distributionsstelle diente. 484
2. EuergesienfreiwilligenCharakters
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nämlich durch den Verkauf ihrer Schiffsladungen unter Preisnachlaß, verdient mach ten.487 Neben Epidoseis waren Anleihen bei Privatpersonen ein weiteres Mittel zur Finanzierung des Getreideaufkaufs. Dieser Weg scheint bereits in den 330er Jahren eingeschlagen worden zu sein.488 Als es durch das Zusammentreffen einer Reihe von Faktoren zwischen ca. 331 und 320 im gesamtgriechischen Mutterland zu schweren Versorgungskrisen kam, sah sich Athen gezwungen, zum Aufkauf von Getreide Privatpersonen zu Geldspenden aufzufordern.489 Eine Epidosis εις (την) σιτωνίαν ist durch das Proxeniedekret für den Getreidehändler Herakleides aus dem zyprischen Salamis für das Jahr 328/7 belegt.490 Zu den Teilnehmern gehörten neben Herakleides auch die Metöken Chrysippos und sein Bruder, die jeweils 3000 Drachmen spendeten, und Demosthenes mit einem Bei trag in doppelter Höhe.491 Ein fragmentarischer Ehrenbeschluß für fünf Rhodier, den 1980 M. Walbank publiziert hat, erwähnt irgendein Verdienst der Honoranden [εις την σι]τωνίαν (Ζ.II).492 Der Herausgeber hält die Rhodier für Händler, die den athenischen Sitonai (nach seiner Datierung zwischen 331 und 324) Getreide verkauften. Dies geht aus der Inschrift allerdings nicht hervor. Vielmehr scheint der Ausdruck [εις την σι] τω vi αν na hezulegen, daß die Rhodier Geld spendeten, das für den staatlichen Getreideankauf bestimmt war.493 Ob diese Geldzuwendungen um 328/7 anzusetzen sind, muß mit einem Fragezeichen versehen werden. Neuerdings wird diese Inschrift von St. Tracy aufgrund des Buchstabenduktus in die 280er Jahre datiert.494 In zwei Seeurkunden (IG II 2 1628, 366ff.; IG II21629, 886ff.) wird der Samier Meidon genannt, dessen Metökenstatus durch den Zusatz έμ Πειραεΐ οίκων gesichert ist. Beiden Stelen ist zu entnehmen, daß der Samier in die zum Aufkauf von Getreide eingerichtete Kasse (εις τα σιτωνικά) 1000 Drachmen eingezahlt hatte. Meidon ist ver schiedentlich für einen Trierarchen gehalten worden.495 Es kam zwar gelegentlich vor,
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S.u. S. 149ff. Sofern die Ergänzung von Kirchner und Wilhelm richtig ist, wird im Ehrenbeschluß IG II 2 423 aus den 330er Jahren ein Darlehen zur Beschaffung von Getreide genannt. Der dort geehrte Philomelos war kein Athener (s. dazu Veligianni-Terzi, Wertbegriffe 103 A170). Er dürfte ein Metöke gewesen sein. Nach dem Zeugnis von [Aristot] oec. 2.3 lieh sich der Demos von Byzantion bei wohlhabenden Metöken Geld, um Korn aufzukaufen. 489 Zu den verschiedenen Ursachen dieser Krise, von der neben Athen auch andere griechische Poleis betroffen waren, s. die ausführliche Diskussion bei Engels, Anmerkungen 112ff. 490 IG IT 360, Z. 10-12: και πάλιν Ι οτε αϊ επιδόσεις ήσαν έπέδωκε :ΧΧΧ: δραχμάς εί|ς σιτωνίαν. Der Zeitpukt der Epidosis geht aus den Zeilen 70f. desselben Dekrets hervor: και πάλιν έπ' Εύθυκρίτου άρχοντος έπέδωκεν τώι (δήμωι) εις σιτωνίαν XXX δ|ραχμάς. 491 Die Zeugnisse sind bei Garnsey, Famine 154ff. und Migeotte, Souscriptions publiques 20f. Nr. 8 zusammengestellt. 492 M.W. Walbank, Greek Inscriptions from the Athenian Agora, Hesperia 49, 1980, 252ff. Nr. 1. 493 Von (ortsansässigen) Fremden geleistete Geldspenden εις την σιτωνίαν sind in [Demosth.] 34.39, IG Π 2 360, Z. llf., 70, IG II2 479, 11 und IG II2 670, Z. 11 erwähnt. 494 Tracy, Letter Cutters 340-290, 35. 495 Etwa von Kahrstedt, Staatsgebiet 292 und Jordan, Athenian Navy 90. 488
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IV. Die Wohltaten der Metoken
daß Metöken mit der Ausrüstung einer Triere betraut wurden.496 Bei Meidon lag die Sache jedoch anders. Mit der Spende für den Getreidefond half er einem befreunde ten Athener namens Konon, daß dieser einen Teil der Summe erlassen bekam, die er als gewesener Trierarch dem Staat noch schuldig war. Beide Urkunden erwähnen nämlich den έτη Χρέμητος άρχοντος (326/5) v o m Volk angenommenen Antrag des Redners Demades, der darauf hinauslief, daß säumigen Trierarchen diejenigen Sum men abgezogen wurden, die sie oder ihre Freunde εις τά σιτωνικά abführten.497 Neben dem Samier entlasteten einige Bürger mit ihren in die Getreidekasse eingezahlten Bei trägen ihnen nahestehende Trierarchen von deren Schulden.498 Dieser in der atheni schen Geschichte sonst nicht bezeugte Fall zeigt, daß Athen in den 320er Jahren gro ße Summen zum Ankauf von Getreide benötigte. A. Kuenzi und P. Gamsey gehen davon aus, daß diese Beträge während der Epidosis des Jahres 328/7 eingezahlt wur den. Da der Antrag des Demades 326/5 angenommen wurde, ist es ebenfalls mög lich, daß die Spenden in den beiden der Epidosis nachfolgenden Jahren eingezahlt wurden.499 Die Versorgungskrise hielt jedenfalls bis 325/4 an. Laut P. Garnsey war die Epidosisaktion des Jahres 328/7 in der Geschichte Athens "the only instance where money was contributed for the purchase of food rather than, for example, to finance a public building project".500 Diese Behauptung ist nicht richtig. Ich möchte mich nicht bei der Frage aufhalten, ob die Beiträge εις τά σιτωνικά, die in den oben genannten Tabuhe Curatorum Navalium zu finden sind, wäh rend der Epidosis von 328/7 oder in den darauffolgenden Jahren geleistet wurden. Darüber ist ein sicheres Urteil kaum möglich. Fest steht hingegen, daß im ausgehen den 4. und zu Beginn des 3. Jahrhunderts in die Sitonika-Kasse mehrfach Epidoseis einflössen. Bei den uns bekannten Spendern handelt es sich ohne Ausnahme um Fremde. Im Archontat des Nikokles (302/1) ehrte die Bürgerschaft einen Getreide händler, der sich sowohl vor als auch während des Vierjährigen Krieges mehrfach um Adien verdient gemacht hatte (II 499). Die [και νϋ]ν εν τώι πολέμ[ωι] (Ζ. 20) erwiese nen Wohltaten sind verloren, da der Stein hier abgebrochen ist. Erhalten sind hinge gen zwei Leistungen, die vor dem Krieg mit Kassander, der 307/6 begann, erbracht worden waren. Der Geehrte hatte 5000 Medimnen Gerste, die wahrscheinlich aus Si zilien (Z.14) stammte, zu einem günstigen Preis verkauft. Bald darauf spendete er in seinem Namen und für einen anderen (es könnte sich um den Sohn oder einen nähe ren Verwandten des Geehrten handeln) eine Summe von wenigstens 1000 Drach men, die den Verwaltern des Getreidefonds (εις τά σιτωνι[κά], Ζ. 17) ausgehändigt
«* S.o. S. J8ff. 4
*7 IG II2 1628, 334ff.; IG II2 1629, 859ff. Der richtige Zusammenhang erstmals von Kuenzi, Epidosis 8, erkannt. Ihm haben sich Davies, APF 590 (C10) und Gamsey, Famine 155, angeschlossen. 498 Ihre Namen finden sich bei Garnsey, Famine 156 Tab. 8 zusammengestellt. 4 *> Davies APF 590 (C10) datiert den Beitrag des Meidon in das Jahr 326/5. 500 Gamsey, Famine 155. Vgl. auch S. 163: "This special subscription (epidosis) has no known parallel in Athenian history".
2. Euergesienjreimlägen Charakters
\2h
wurde.501 Trotz der Lücken im Stein ist klar, daß die doppelte Spende des Geehrten bei ein und derselben Gelegenheit geleistet wurde. Jenen Personen, die sich durch zwei- oder mehrfache Geldbeiträge besonders freigebig zeigen wollten, war die Mög lichkeit dazu eigentlich nur während einer Epidosisakrion gegeben. Wie man aus spä teren Epidosislisten sehen kann, wurde dann auf der Spenderliste neben dem Geber auch derjenige verzeichnet, in dessen Namen die Spende erfolgte. Daher ist die dop pelte Spende des Händlers mit einer Epidosis in Zusammenhang zu bringen. Da zum Zeitpunkt der Spende der Krieg gegen Kassander noch nicht begonnen hatte, kommt für die Epidosis das Jahr 307/6 in Betracht. Diese Datierung wird dadurch wahrscheinlich gemacht, daß damals auch der Metöke Pyr[rias] eine Summe spendete, die mit Getreidebeschaffung verbunden war. Denn das Ehrendekret für den Herakleoten erwähnt für das Archontat des Anaxikrates (307/6) einen außerge wöhnlich hohen Beitrag von 3 Talenten εις τα σ-. Auf der Grundlage von ΙΓ 499 könnte man die Lücke zu εις τά σ[ιτωνικά] ergänzen. Wenig wahrscheinlich ist hingegen die von A. Wilhelm vorgeschlagene Ergänzung εις τά[ς σιτομετρίας]. Einerseits kommt σιτομετρία in den attischen Inschriften des 4. Jahrhunderts kein einziges Mal vor. Andererseits steht für das Wort im Stein kein ausreichender Raum zur Verfügung, wie Wilhelm selbst erkannt hat.502 Die beiden Inschriften legen nahe, daß Athen im Jahre 307/6 zur Beschaffung von Getreide seine Bewohner zu einer Geldumlage aufforderte. Die Epidosis ging zeitlich dem ersten Angriff Kassanders auf Attika voraus, der damit den Vierjährigen Krieg einleitete. Weil der erste Angriff Kassanders noch im Archontat des Anaxikra tes (vermutlich im Frühjahr 306) erfolgte, muß die Epidosis in den dem Frühling vo rausgegangenen Monaten des Jahres 307/6 veranstaltet worden sein.503 Athen benö tigte damals größere Getreidemengen als in den vorausgegangenen Jahren unter De metrios von Phaleron. Neben der eigenen Bevölkerung mußten auch die zur Befrei ung der Stadt gekommenen Truppen des Antigonos Monophtalmos versorgt werden. Diese an sich plausible Erklärung wird durch das Ehrendekret des Pyr[rias] gestützt. Dort ist im Zusammenhang mit der Geldspende des Herakleoten εις τά σ[ιτωνικά] auch von τοις συμ- die Rede. Wilhelm hat die betreffenden Zeilen wie folgt herge stellt: [έπέδωκεγ (sc. Πυρ[ρίας]) δε] και τοκ συμ[μαχήσασι των Ελλήνων | έπι Άνα£ικράτ]ους άρχοντος εις τάς [σιτομετρί|ας άργυρίο] ιΤΤΤ:504 Bei den Symmachoi kann es sich nur um die Truppen des Antigonos gehandelt haben, die die Befreiung Athens herbeiführten. Plutarch gibt an, daß Demetrios (Poliorketes) gleich nach der Erstürrnung von Munychia (August 307/6) im Namen seines Vaters eine große Ge treidespende (150000 Medimnen) versprach. Diodor teilt ergänzend mit, daß nach
501
IG II2 499, Z.14-20: Σικελίας 13 ||....7... έ7τέδωκ]εν τώ[ι δ]ήμωι πεν[τακι|σχιλίους μεδί]μνους 7τυρών της κ[αλώς | έχούσης τιμή]ς και εις τά σιτων[ίκά ..| 12....]ι και αυτός και ...6...|....13....της χιλίας δρ[αχμάς ά||μφότεροι και νυ]ν εν τώι πολεμ[ωι ]. 502 Wilhelm, Akademieschriften ΠΙ, 101. 503 Zum Angriff s. Habicht, Athen 82 Anm. 22. 504 IG II2 479 (in der Wiederherstellung von Wilhelm, Akademieschriften III, 102), Z. 3-5. Die unterstrichenen Buchstaben sind im zweiten Exemplar des Dekrets (IG II 480, Z. 19f.) erhalten.
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IV. Die Wohltaten der Metoken
diesem Versprechen athenische Gesandte zu Antigonos geschickt wurden, um mit diesem die Einzelheiten der Getreidespende zu regeln.505 Die Lieferung des Antigo nos dürfte demnach erst etliche Monate nach der Verkündigung des Demetrios in Athen eingetroffen sein.506 Daher ist die Epidosis zum Ankauf von Getreide, an der Phyr[rias] und der unbekannte Getreidehändler teilnahmen, nicht nur dem ersten Angriff Kassanders, sondern auch dem Eintreffen der antigonidischen Getreidespen de zeitlich voranzustellen. Kassanders Truppen fielen während des τετραετής πόλεμος regelmäßig in Attika ein. Bei diesen Einfallen dürfte die einheimische Ernte systematisch vernichtet worden sein, obzwar diese Vermutung in den Quellen keine Bestätigung findet. Als Folge des Emteausfalls wird es mehrmals zu Engpässen in der Nahrungsmittelver sorgung gekommen sein. Daher war es für Athen nur natürlich, seine wohlhabenden Bewohner zu Geldopfem zum Ankauf von importiertem Getreide aufzufordern. Ei ne solche Aufforderung erhielt im Archontat des Euxenippos (305/4) der Herakleote Pyr[rias], der sich schon früher durch Geldspenden, Darlehen und der Übernahme einer Syntrierarchie als nützlicher Helfer in der Not erwiesen hatte. Obwohl die Hö he der Spende εις την σιτωνίαν verloren ist, dürfte es sich um eine ansehnliche Summe gehandelt haben, zumal die früheren Geldschenkungen (darunter 4 000 Drachmen und 3 Talente) respektabel waren. Nicht zu beantworten ist die Frage, ob die Spende im Rahmen einer Epidosis eingezahlt wurde, oder ob der Herakleote eine 'Sonderein ladung' erhielt. Das Dekret erwähnt hingegen das Gremium, das mit der Spendenbit te an den Metöken herantrat Es war der Areopag, der damals über bestimmte Son derbefugnisse verfügt zu haben scheint. Im Zusammenhang mit der Spende ist auch ein ταμίας genannt. Aus dem lückenhaften Text glaubte Wilhelm darauf schließen zu können, daß Pyr[rias] selbst "zum ταμίας der von ihm είς την σιτωνίαν gespendeten Summe gewählt wurde",507 Man kann sich jedoch schwerlich vorstellen, daß die Athener einen Metöken, so wohlhabend und kompetent er auch sein mochte, mit dem wichtigen Amt eines Kassenwarts für den Getreidefond betrauten. Paral lelbeispiele aus der athenischen Geschichte liegen nicht vor. Wahrscheinlich ist der ταμίας dort deswegen aufgeführt, weil er die Summe von Pyr[rias] ausgehändigt be kam. Es ist wohl ein Zufall der schlechten Überlieferung, daß wir außer Pyr[rias] keine weiteren Personen kennen, die während des Vierjährigen Krieges zum Aufkauf von Getreide Geldschenkungen vornahmen. Man erinnere sich daran, daß in diesen Jahren auch ein großangelegtes Mauerbau- und Rüstungsprogramm durchgeführt wurde. Selbst zur Finanzierung dieser Projekte standen keine ausreichenden staatli-
505
Plut. Demetr. 10; Diod. 20.46.4. Ferguson, Hellenistic Athens 112, vermutet, daß ein Teil der Lieferungen (neben Getreide auch Bauholz für 100 Trieren) bereits im Herbst 307/6 in Attika eintraf. Vgl. Habicht, Athen 78. 507 A. Wilhelm, Akademieschriften III, 103. Auf diese Vermutung hin stellt Wilhelm die Frage: "wird er (sc. Pyr[rias]) nicht Großkaufmann und Getreidehändler gewesen sein und sich für eine solche Wahl ebenso durch seine Opferwilligkeit wie durch seine Geschäftskenntnis empfohlen haben?" 506
2. Euergesien freiwilligen Charakters
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chen Mittel zur Verfügung, so daß ein Teil der nötigen Summen durch freigebige Pri vatpersonen aufgebracht werden mußte.508 Athen litt im Ausgang des 4. und zu Beginn des 3. Jahrhunderts unter akuten Versorgungsschwierigkeiten. Spätestens seit 301 hörten die Getreidelieferungen durch Demetrios auf, als die Stadt nach dem ungünstigen Ausgang der Schlacht bei Ipsos von ihrem einstigen Befreier abfiel. Lieferungen oder Spenden anderer Diadochen trafen nur unregelmäßig und in ungenügender Menge ein.509 Der rapide Rück gang von Ehrenbeschlüssen für Getreideimporteure könnte ein Anzeichen dafür sein, daß immer weniger Kaufleute ihre Schiffsladungen in den Piräus brachten. Es war eine von C. Habicht in das Jahr 300 datierte Hungersnot, die ein Söldnerfiihrer namens Lachares auszunutzen verstand, um sich zum Tyrannen über Athen zu erhe ben.510 Nur fünf Jahre später stellte sich eine weitere Hungersnot ein, ccwie Athen sie vermutlich noch nie erlebt hatte".511 Sie war das Ergebnis einer von Demetrios Poliorketes herbeigeführten Seeblockade, wodurch die Stadt von jeglicher Zufuhr abge schnitten wurde. Aufgrund dieser schweren Hungersnot sahen sich die Athener ge zwungen, vor Demetrios zu kapitulieren. Er hat durch Stationierung von Truppen auf dem Museionhügel, im Piräus und in den attischen Festungen sowie durch Ein griffe in die Verfassung den Handlungsfreiraum Athens stark beschnitten. Solange die Stadt unter seiner Abhängigkeit stand (295/4-287/6), dürfte Demetrios für die Getreideversorgung der athenischen Bevölkerung aufgekommen sein.512 Als die Stadt nach der Erstürmung des Museionhügels (287/6) ihre Freiheit wiedererlangte, mußte sie die Getreideversorgung ihrer Bevölkerung selbst in die Hand nehmen. Wir können aus dem epigraphischen Material vier Mittel aufgreifen, die in den folgenden Jahrzehnten zur Sicherung der Lebensmittelversorgung ange wandt wurden. Aus mehreren Ehrenbeschlüssen für verdiente Bürger, zumeist Stra tegen, ist zu entnehmen, daß die Stadt für den Schutz ihres Hinterlandes und der landwirtschaftlichen Produktion große Mühen aufwandte. "Es heißt in diesen Do kumenten, die Honoranden hätten für den Schutz (φυλακή) des Landes (χώρα) und für die Sicherheit der landarbeitenden Bevölkerung (γεωργουντες) gesorgt, sie hätten das Einbringen der Ernte, vor allem des Getreides, aber auch der Oliven und anderer Produkte (κάρποι) gesichert, die Weinstöcke vor Schaden bewahrt, bei der Rettung des Weideviehs geholfen usw. ... Offensichtlich spielten in dieser Zeit die landwirt schaftlichen Erzeugnisse Attikas für die Ernährung der Bevölkerung Attikas eine ent scheidende Rolle. Eine Beeinträchtigung oder gar eine Vernichtung der Ernte würde empfindliche Versorgungsschwierigkeiten verursacht haben".513 Die Bedeutung des attischen Territoriums sollte allerdings nicht überbewertet werden. Athen war im so» S.o. S. llOf. 509
Alle bekannten Getreidelieferungen- und spenden der Diadochen finden sich für den Zeitraum 322 bis ca. 280 zusammengestellt bei Marasco, Approwigionamento di cereali 286ff. «° Habicht, Athen 90. 511 Habicht, Athen 93. 512 Zur zweiten Herrschaftsphase des Demetrios über Athen s. Habicht, Athen 94ff.; Dreyer, Athen 114ff. 513 Quaß, Honoratiorenschicht 231 mit Belegen.
126
IV. Die Wohltaten derMetöken
dritten Jahrhundert nach wie vor auf importiertes Getreide angewiesen. Daher waren die Aufnahme und Intensivierung diplomatischer Beziehungen mit dem ägyptischen Königshof und mit anderen Herrschern gewiß ein wichtiges Mittel zur Getreidebe schaffung. Ptolemaios I. Soter und sein Nachfolger Ptolemaios II. Philadelphos hal fen auf Bitte der Athener der Stadt in den 280er Jahren durch Getreidesendungen. Dasselbe taten auch der bosporanische Herrscher Spartokos und Audoleon von Paionien.514 Daneben versuchte die Stadt nach dem bewährten Mittel, durch besonde re Auszeichnungen im Seehandel tätige Personen dazu zu bewegen, Getreide nach Athen zu importieren und unter Preisnachlaß zu verkaufen. Ein solcher Ehrenbe schluß liegt aus dem Archontat des Diokles (286/5) vor. Bei den Geehrten handelt es sich um den Nesioten Martias und um Habron, der ebenfalls ein Fremder war. Aus dem stark verstümmelten Verdienstkatalog läßt sich nicht eindeutig erkennen, ob die beiden Händler nur Getreide nach Athen lieferten, oder aber ihre Fracht zu einem günstigen Preis verkauften. Da Habron und Martias für ihre Wohltat mit hochkaräti gen Privilegien (Proxenie und Enktesisrecht für Land und ein Haus) sowie mit jeweils einem Goldkranz geehrt wurden, scheint es nahezuliegen, daß sie ihre Lieferung billi ger verkauften als andere Händler.515 Bester Beweis für die desolate Finanzlage Athens ist die Tatsache, daß Ptole maios I. kurz nach der Befreiung der Stadt neben σιτον auch χρήματα (IG II 682, Z. 30) zukommen ließ, was sein Sohn im Jahre 282 mit 50 Talenten wiederholte.516 Auch für den Getreideankauf reichten die staatlichen Mittel nicht aus. Wieder mußten rei che Bürger und Metöken um Geldspenden gebeten werden. Ein solcher Spendenauf ruf zur Beschaffung von Getreide findet sich für die zweite Hälfte der 280er Jahre in einem Ehrendekret für den Metöken Thibron.517 Thibrons Metökenstatus ist über je den Zweifel erhaben, weil das Dekret auf seinen Wohnsitz Bezug nimmt. Er ist dort unter die κατοικουντες Άθήνησι eingereiht (Ζ. 7). Mit demselben Kompositum waren auch Nikander und Polyzelos (IG II 505, Z. 12) sowie Hermaios (IG II 715, Z. 5) bezeichnet worden, die wir aufgrund ihrer Heranziehung zum Kriegsdienst und zu den Eisphorai als Metöken identifiziert haben.518
5 " Ptolemaios I.: IG Π 2 682, Z. 28ff.; IG IT 650, Z. 15ff.; Ptolemaios II.: Hesperia Suppl. 17, Nr. 3, Z. 47ff.; Spartokos von Bosporos: IG II 653, Z. 21 ff.; Audoleon von Paionien: IG Π 654, 25ff.; IG II 655, Z. 11 ff. Zum Umfang und zur Datierung der Getreidelieferungen s. Marasco, Approwigionamento di cereali 292ff. 515 IG II 2 651; zum Dekret s. Pecirka, Enktesis 92f. und Stelzer, Enktesis 90f. 516 Shear, Kallias of Sphettos 3, Z. 45ff.; vgl. Quaß, Honoratiorenschicht 102. 517 IG II 670, Z. 11 f.: [ εκ των ιδίων χρη]μάτων εις σι[τωνίαν προσεδαπάνησε και τ|ά άλλα δια τελεί πρό]ς τον δήμον εΰ[νους ων και φιλοτιμούμενος]. Die von Kirchner versuchsweise in das Jahr 284/3 gesetzte Inschrift gehört wahrscheinlich in das Jahr 280/79; s. dazu B.D. Meritt, Metonic Intercalations in Athens, Hesperia 38, 1969, 109f. Thibrons Beitrag für den Ankauf von Getreide bildet die letzte Wohltat in der Verdienstkette. Die früheren Verdienste, für die 5 Zeilen zur Verfugung stehen, sind wegen des stark fragmentarischen Zustandes der Inschrift nicht sicher zu ermitteln. Habicht, Athen 140 mit Anm. 47 hält Thibron für einen fremden Getreidehändler. Dies geht aber aus der Inschrift nicht hervor. Thibron wurde nicht für die Lieferung von Getreide, sondern für eine Geldspende zur Beschaffung von Getreide geehrt. sie S.o. S. 19f.
2. EuergesienfreiwilligenCharakters
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Diese Inschrift ist das einzige Zeugnis aus dem 3. Jahrhundert, die eine Spende für den Getreideankauf erwähnt 519 Man sollte sich aber durch sie nicht zu der Annahme leiten lassen, daß der Staat für die Beschaffung von Getreide von seinen Bewohnern keine Geldspenden mehr forderte. Athen war im 3. Jahrhundert mehrmals Kriegsschauplatz (Chremonideischer Krieg, Aufstand Alexanders, Einfälle Arats und der Ätoler in Attika). Die einheimische Ernte war wegen dieser auf der attischen χώρα ausgetragenen militärischen Konflikte sehr oft gefährdet. Daher mußte ausländisches Getreide importiert werden.520 Angesichts der schwachen Staatsfinanzen kann man sicher davon ausgehen, daß Spenden, sei es in Form von Epidoseis oder als individuelle Beiträge, viel häufiger vorkamen, als man in dem trümmerhaft überlieferten Quellenmaterial erkennen kann.
c. Finanzielle Unterstützung öffentlicher Bauprojekte Mit dem Übergang zur radikalen Demokratie, die durch die Entmachtung des Areopags eingeleitet wurde, kamen Finanzierungen öffentlicher Bauten durch Privatpersonen, wie sie Kimon noch vorgenommen hatte, zum Erliegen. Solche Leistungen für die Polis, die nicht in Form von Liturgien (und später der Eisphorai und der Epidoseis) erbracht wurden und somit auf eine potentiell unangemessene Herausstellung eines Einzelnen hinausliefen, waren bei den breiten Schichten der Bürger lange Zeit hindurch nicht erwünscht. Ein Volksbeschluß aus den 430er Jahren verzeichnet die Offerte des Perikles und seiner Erben, die Kosten für den Bau einer öffentlichen Wasserversorgungsanlage zu übernehmen. In der Ekklesie wurde dieses Angebot dankend abgelehnt. Der Demos gab der akzeptableren Alternative den Vorzug, das Bauwerk aus öffentlichen Mitteln, d.h. aus den Tributen der Bundesgenossen, zu finanzieren.521 Im 4. Jahrhundert wurden die Mittel für aufwendige Bauten, genannt seien der Wiederaufbau der Langen Mauern in den 390em sowie die Schiffshäuser und die Skeuothek, die unter Eubulos begonnen und von Lykurg zum Abschluß gebracht wurden, zu einem erheblichen Teil durch Eisphoraerhebungen zusammengebracht.522 519 Falls das Ehrendekret für die fünf Rhodier, wo Beiträge [εις τήν σι]τωνίαν genannt sind, eben falls in die 280er Jahre gehört, wie Tracy, Letter Cutters 340-290, 35 meint, hätten wir ein weiteres Zeugnis. 520 Die Abhängigkeit Athens von Getreideimporten wird durch die Ehreninschrift IG II 2 903 für das erste Viertel des 2. Jahrhunderts nahegelegt. Der Honorand, ein namentlich nicht genannter Händler, hatte i j . 176/5 während einer Ölknappheit eine Ölladung und im darauffolgenden Jahr Getreide nach Athen befördert und für beide Produkte Preissubventionen gewährt. Vgl. Köster, Lebensmittelversorgung 63. 521 IG I3 49, Z. 13f. = ATL Π, D19. Neben der dort angegebenen Literatur s. auch Nippel, Heim kehr der Argonauten 29. 522 Die von Isokrates (17.41) und Isaios (5.37) erwähnten Eisphorai für die Zeit um 395-392 beziehe ich auf die Finanzierung der Langen Mauern. Die Verwendung der Eisphorai für den Bau der Schiffshäuser und der Skeuothek geht aus dem Ehrendekret IG II 505, Z. 13ff. für die beiden Met-
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IV. Die Wohltaten derMetöken
Die Abneigung, Privatpersonen qua Geldschenkungen an den städtischen Bauprojek ten zu beteiligen, scheint sich bis zum Krisenjahr 338 gehalten zu haben. Offenbar fehlte bis dahin bei der Bürgerschaft der Wille und die Bereitschaft, auch von groß zügigen Metöken Spenden zur Finanzierung öffentlicher Bauten anzunehmen. Jeden falls liegen bis in die lykurgische Ära keinerlei Hinweise auf solche Spenden vor. Auffallig ist, daß die ersten Spenden zur Durchführung öffentlicher Baupro jekte von athenischen Amtsträgem geleistet wurden. Im Jahre 338 steuerte Demosthenes als τειχοποιός 100 Minen für die Reparaturarbeiten an den Mauerbefestigun gen bei.523 Neoptolemos aus Melite ließ in den späten 330em während der Ausübung seines Amtes als πολλών (δημοσίων) έργων επιστάτης den Apollonaltar auf der Agora aus eigenen Mitteln vergolden, wofür er auf Antrag Lykurgs mit einer Statue und ei nem Goldkranz geehrt wurde.524 Derselbe finanzierte zudem in seiner Heimatge meinde Melite den Wiederaufbau des einst von Themistokles gestifteten Tempels der Artemis Aristoboule.525 Aus dem 333/2 beschlossenen Ehrendekret für Phytheas aus Alopeke geht hervor, daß dieser während seiner Amtszeit als επιμελητής των κρηνών auf eigene Kosten im städtischen Ammonheiligtum einen Brunnen baute, die Quelle des Amphiareion zu Oropos instandsetzte und die dortigen Wasserleitungen ausbes serte.526 In der Kranzrede (18.114) spricht Demosthenes unter Nennung von Namen wie die des Neoptolemos die Selbstverständlichkeit aus, daß es einem Amtsträger zu komme, eigene Geldmittel für die Belange der Polis einzusetzen. Zum Zeitpunkt die ser Rede ist der Übergang zum Honoratiorenregime, das in der eigenartigen Verquikkung von öffentlicher Funktion und deren Bezahlung zum Ausdruck kommt und im Hellenismus geradezu charakteristisch wird, teilweise bereits vollzogen. Nunmehr übernahmen auch Inhaber von außerliturgischen Amtern die vollen oder partiellen Kosten für Aufgaben, die in ihren Amtbereich fielen. Eines der spezifischen Charakteristika der "Ära Lykurg" (338-322) war die re ge Baupolitik, die nicht nur militärischen und religiösen Bedürfnissen diente, sondern auch zur repräsentativen Selbstdarstellung der Stadt nach der Niederlage bei Chaironeia. Die Bauten in der Zeit Lykurgs waren nicht minder ambitioniert als die unter Perikles: Dionysostheater und Panathenäenstadion, der Umbau der Pnyx, aber auch die Neugestaltung der Agora, kurzum "ein Bauboom ohnegleichen", der "selbst die öken Polyzelos und Nikander hervor. Zu diesen Bauten s. neuerdings Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 14ff. Gemäß dem Baubeschluß IG II 2 244, Z. 12ff. aus dem Jahr 337/6 wurde ein Teil der Reparaturarbeiten an den Langen Mauern und den Piräusbefestigungen ebenfalls durch Eisphorai finanziert; s. dazu Maier, Mauerbauinschriften 42. 523 Aischin. 3.17.23; [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 846A; Demosth. 18.113 mit dem Kommentar von Wankel, Rede für Ktesiphon 608ff. zur Stelle. Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 115, nennt weitere Personen, die während ihrer Amtszeit Spenden vorgenommen haben. 524 Demosth. 18.14 mit Wankel, Rede für Ktesiphon 625f. und [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 843F844A. 525 Belegt durch die von J. Threpsiades und E. Vanderpool, Themistokles' Sanctuary of Artemis Aristoboule, ADelt 19, 1964, 31ff. Nr. 1 publizierten Inschrift. Einzelheiten bei Will, Athen und Alexander 85 und Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 50f. 526 IG II 2 338, Z. 13ff. = Schwenk, Laws and Decrees 146ff. Nr. 28. S. auch Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 55.
2. EuergesienfreimlligenCharakters
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Quantität öffentlicher Bauten des 5. Jhs. deutlich übertrifft".527 Im Gegensatz zum perikleischen Bauprogramm wurde ein erheblicher Teil der unter der Ägide Lykurgs entstandenen Bauwerke durch Mittel finanziert, die Privatpersonen aufbrachten. An der Verwirklichung des lykurgischen Bauprogramms hatten nicht nur athenische Amtsträger und andere Bürger Anteil, sondern auch Metöken. Hierbei hat man nicht so sehr an Personen wie Polyzelos, Nikander, Euxenides oder Hermaios zu denken, die durch Eisphorazahlungen den Bau der Schiffshäuser, der Skeuothek und der Maueranlagen mitfinanzierten, sondern an Metöken wie Eudemos, die freiwillige Op fer zur architektonischen Ausgestaltung der Stadt darbrachten. Zu den größeren öffentlichen Projekten dieser Zeit gehört das von Lykurg in itiierte Panathenäische Stadion, welches unter maßgeblicher materieller Hilfe des Platäers Eudemos im August 330/29 fertiggestellt wurde.528 Der Bau dieses Stadions war mit der Absicht verknüpft, während der Panathenäen einer größeren Zuschauermen ge die Teilnahme an den gymnischen Agonen zu ermöglichen. Die Agora, wo bislang die Laufwettbewerbe stattfanden, schien dieser Anforderung nicht mehr zu genü gen.529 Das abschüssige Tal, in dem das Stadion errichtet wurde, gehörte dem reichen Deineias. Lykurg konnte diesen dazu überreden, das Grundstück der Stadt zu über lassen.530 Dieses Grundstück ist wahrscheinlich südlich des Ilissos-Flusses und west lich des Ardettos-Hügels zu lokalisieren, wo heute das für die ersten neuzeitlichen Olympischen Spiele von 1896 gebaute Stadion liegt.531 Für die Durchfuhrung der eigentlichen Bauarbeiten fand sich der Platäer Eu demos bereit. Gemäß dem Wortlaut seines Ehrendekrets "stellte er für den Bau des Stadions und des Panathenäischen Theaters tausend Ochsenpaare zur Verfügung und stellte sie alle vor dem (nächsten) Panathenäenfest (zu diesem Zweck) ab, wie er ver sprochen hatte". Diese Wohltat des Eudemos steht mit einer früheren Ankündigung
527 Zitat Knell, Überlegungen 475; zum Bauprogramm Lykurgs s. jetzt Knell, Athen; HintzenBohlen, Kulturpolitik, passim. 528 Daß die Initiative für den Bau des Stadions von Lykurg ausging, wird sowohl aus seiner postumen Ehrenurkunde (IG II 457, Z. 5ff.) als auch aus seiner Vita ([Plut] Vit. X orat. (mor.) 841D) deutlich. 529 wüi ? Athen und Alexander 87: "Raummangel und der Wunsch, die Agone einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, nötigten Lykurg zu dieser Verlegung der Spiele von der Agora und damit zum Bau des Παναθηναϊκόν οτάδιον. Er verlieh damit dem Hauptfest des attischen Staates, zu dessen Programm die vermutlich penterische Feier der gymnischen Agone zählten, einen noch glanzvolleren Rahmen". 530 [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 841D: και τω σταδίω τω Παναβηναϊκω την κρηπΐδα περιέβηκεν, έξεργασάμενος τουτό τε και τήν χαράδραν όμαλήν ποιήσας, Δεινίου τινός, δς έκέκτητο τοϋτο το χωρίον, άνέντος τη πόλει, προείπαντος αύτω χαρίσασθαι Λυκούργου. 531 Dies ist opinio communis seit den Ausgrabungen von E. Ziller am römischen Stadion, das an der Stelle des lykurgischen Stadions errichtet worden zu sein scheint. Vgl. Ziller, Zeitschrift für Bauwesen 20, 1870, 485ff.; Judeich, Topographie von Athen 417ff.; Travlos, Bilderlexikon 498ff.; Will, Athen und Alexander 87; Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 38f.; Knell, Athen 167ff. Da vom lykurgischen Stadion bisher keine Übereste nachgewiesen worden sind, schlägt D.G. Romano, The Panathenaic Stadium and Theater of Lykourgos, AJA 89, 1985, 441 ff. eine Lokalisierung auf der Pnyx vor. Man fragt sich aber, ob es auf der Pnxy private Grundstücke gab. Seine Lokalisierung wird von G.R. Stanton und PJ. Bicknell, GRBS 28,1987, 88f. verworfen.
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IV. Die Wohltaten derMetöken
in Verbindung, im Falle eines Krieges der Stadt 4000 Drachmen zu spenden.532 Die ses Spendenversprechen erfolgte wahrscheinlich während des Agiskrieges (331/0), als ein Teil der athenischen Bürger daran dachte, den Spartanerkönig bei dessen Auf stand gegen die Makedonen zu unterstützen.533 Athen entschied sich jedoch für eine Neutralitätspolitik, so daß die Spende des Platäers hinfällig wurde. Lykurg, der nach der Ferstigstellung des Stadions die Ehrung des Eudemos beantragte, griff auf dieses Angebot zurück und übertrug dem Metöken die Aufgabe, am Bau des Stadions mit zuwirken, was viel ehrenvoller war als eine bloße Geldspende. In der Lykurgvita ist von Steinschwellen (κρηπίς), in der Ehrenurkunde für Eudemos sogar von einem θεάτρον die Rede, die das Stadion umfaßten. Demnach verfugte die Anlage über eine Zuschauertribüne, die wie die κρηπίς wahrscheinlich aus Steinblöcken gebaut war. Die von Eudemos bereitgestellten Zugtiere dürften ne ben der Planierung des abschüssigen Kampfplatzes auch Steinblöcke für die κρηπίς und das θεάτρον herbeigeschafft haben. Obwohl für diese Arbeiten eine große Zahl von Zugtieren zum Einsatz gekommen sein müssen, ist dennoch zu bezweifeln, ob die in der Inschrift angebenen tausend Ochsenpaare wörtlich zu nehmen sind. Keine Einzelperson wird in Attika 2000 Arbeitstiere im Besitz gehabt haben oder in der La ge gewesen sein, so viele Tiere zu mieten und deren Unterhalt während der ganzen Bauperiode zu bestreiten. Vielmehr hat man davon auszugehen, daß die Zahl eine reine Rechengröße bildete und die von Eudemos gestellten Gespanne in Wirklichkeit viel weniger waren. Wahrscheinlich ist Wilhelms Vermutung richtig, wonach die Zug tiere so lange eingesetzt wurden, bis die von ihnen geleistete Arbeit der Tagesarbeit von tausend Gespannen gleichkam.534 Obwohl gemeinhin angenommen wird, daß Eudemos ein athenischer Metöke war, ist bislang die Frage ausgeblieben, weshalb er ein öffentliches Projekt anstelle ei ner üblichen Geldspende mit der (kostenlosen) Bereitstellung von Zugtieren unter stützte.535 Der Demos kann von einem Metöken nicht verlangen, daß dieser für ein öffentliches Bauprojekt erst Zugtiere mieten muß, sondern hätte es vorgezogen, von ihm eine Geldspende zu erbitten und die eigentlichen Arbeiten einem Bauunterneh mer zu übertragen. Daher meine ich, daß Eudemos der Eigentümer dieser Tiere war und sich deshalb für die ihm übertragene Aufgabe eignete. Zwar fehlte ihm während der Bauarbeiten das Recht auf Landbesitz, das ihm erst nach der Fertigstellung des Stadions zusammen mit anderen Privilegien verliehen wurde (Z. 29); dennoch stand
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IG II 351 = Schwenk, Laws and Decrees 233f. Nr. 48, Z. 11-21: επειδή | [Εΰδη]μος πρότερόν τε έττη[γ]γ[εί|λατο τ]ώι δήμωι έπιδώσειν [εί]ς | [τον π]όλεμον ει τ[ι] δέ[οι]το [ΧΧΧ]Χ || [δ]ραχμάς και νυν [έ7τ]ι[δέδ]ωκεν | εις την ποίησιν του στσδ[ί]ου | και του θεάτρου του Παναθη[ναϊ]|κοϋ χίλια ζεύγη και ταύτα | πέπομφεν άπαντα ττ[ρό Π]αναθη||ναίων καθά ύπέσ[χετο, δ]εδόχθ[αι] | τώι δήμωι κτλ. 533 Engels, Hypereides 212f. s* Α. Wilhelm, Sitz.-Ber. Akad. Wien, phil.-hist. Kl. 1910, 49; vgl. auch A.M. Woodward, JHS 68, 1948,161; K. Clinton, EphArch 1971,105; Loomis, Wages HOf. 535 Metökenstatus: A.v. Velsen, AA 124, 1859, 74 (Beibl. zu AZ 18, 1959); WilamowitzMoellendorff, Demotika 245 Anm. 3; Pecirka, Enktesis 70; Stelzer, Enktesis 69; Whitehead, Metic 24 Anm. 74, 29f.; Gauthier, Bienfaiteurs 23; Prandi, Platea 143ff.; Hennig, Immobilienerwerb 312; Veligianni-Terzi, Wertebegriffe 92 Α 153; Osborne/Byme, Foreign Residents Nr. 6091.
2. Euergesien freiwlligen Charakters
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den Metöken der Weg offen, Land in Pacht zu nehmen (und dort Tiere zu halten), was inschriftlich mehrfach bezeugt ist. Wir finden unter den Metöken neben Päch tern auch Bauunternehmer, die von der Stadt mit öffentlichen Projekten betraut wurden.536 Es ist denkbar, daß auch Eudemos sich als Bauunternehmer betätigte und zu diesem Zweck Zugtiere hielt. Eudemos war nicht der einzige Fremde, der in der Ära Lykurgs zur architek tonischen Ausgestaltung Athens beitrug. Ein 1986 veröffentlichter Ehrenbeschluß bezeugt, daß mehrere namentlich nicht bekannte Metöken Mittel (δωρεαί) für den Bau einer σκηνή beisteuerten.537 Die beiden Herausgeber der fragmentarischen In schrift glauben, daß es sich bei der σκηνή um das Steinauditorium des Dionysosthea ters handelte.538 Der steinerne Ausbau des Dionysostheaters, das in seinem Endstadi um Platz für 17000 Besucher bot, gehörte zu den größeren Projekten Lykurgs.539 Die im Zusammenhang mit der lykurgischen Baupolitik getroffene Aussage von W. Will, Lykurg habe es verstanden, als "Garant stabiler Verhältnisse ... die begüterten Bürger Athens für die Belange der Stadt zu engagieren und sie zu materiellen und ideellen Opfern zu bewegen", muß dahingehend korrigiert werden, daß sich das auch auf manche Metöken bezieht.540 Ein größeres Bauprogramm nahm die Stadt erst wieder währed des Vierjähri gen Krieges gegen Kassander in Angriff. Dieses Programm trug allerdings nur einen rein militärischen Charakter und beschränkte sich auf den Mauer- und Festungsbau sowie auf die Kriegsrüstung. Ich habe bereits im Abschnitt über Epidoseis für Rü stungszwecke die Belege dafür zusammengestellt, daß dieses Bauprogramm durch Spenden zahlreicher Metöken mitfinanziert wurde.541 Wie andere Poleis ging Athen spätestens im ausgehenden 4. Jahrhundert dazu über, die Kosten für Bau und Reparatur von Tempelanlagen und öffentlichen Ge bäuden durch Epidoseis zusammenzubringen. Um 300 rief die Stadt auf Antrag eines gewissen Dioskurides zu einer Epidosis auf, aus deren Ertrag ein Heiligtum instand gesetzt wurde. Dieser Epidosisbeschluß trägt die Überschrift: [οϊδε έπέδωκαν εις τήν έπι]σκευήν του ίεροϋ και κατασκευ[ήν | κατά] το ψήφισμα ο Διοσκουρίδης | εΐπεν].542 Obwohl sich die Namen der Spender, die auf die Überschrift folgten, nicht 536
Pächter von öffentlichem Tempelland: M.B. Walbank, Hesperia 52, 1983, 132; Bauunternehmer Maier, Mauerbauinschriften Nr. 11, col. III, Z. 123 und 124. 537 AJ. Heisserer und R.A. Moysey, An Athenian Decree Honoring Foreigners, Hesperia 55, 1986, 177, Ζ. 4f.: [έπέδωκεν εις τή]ν σκην[ήν και τήν όρχήστραν του θεάτρου του Διονύσου δωρ]εάς. Ob es sich bei den δωρεαί um Geldmittel oder Spenden in Naturalien (Baumaterial o.a.) gehandelt hat, läßt sich nicht sagen. 538 Ebd. 181. Eine Datierung in die 330er bzw. 320er Jahre scheint durch einen Buchstabenvergleich mit fest datierten Inschriften und durch die Erwähnung des Wortes μετοίκιον (Ζ. 7), das nach 321/0 epigraphisch nicht mehr belegt ist, gesichert. Im 4. Jahrhundert ist nur noch der Bau einesTheaters in Munychia bezeugt. Da die vorliegende Urkunde ein Volksbeschluß, nicht aber ein Demenbeschluß ist, dürfte es sich in der Tat um die Skene des Dionysostheaters gehandelt haben. 539 Einzelheiten zum Dionysostheater bei Will, Athen und Alexander 80ff.; Hintzen-Bohlen, Kulturpolitik 21ff.; Knell, Athen 126ff. 540 Will, Athen und Alexander 86. 541 Vgl. auch Maier, Mauerbauinschriften Nr. 11-14 mit Kommentar. 542 IG II 2330, Z. lff.; vgl. auch Kuenzi, Epidosis 13 und Migeotte, Souscriptions publiques 24f.
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IV. Die Wohltaten derMetöken
erhalten haben, kann man mit einiger Gewißheit sagen, daß darunter auch Metöken waren, die sich bis dahin an jeder Geldumlage beteiligt hatten. Eine glaubwürdige Episode aus dem Leben des Philosophen Zenon, die Dio genes Laertius der Philosophengeschichte des Antigonos von Karystos (3. Jh. v. Chr.) entnahm, erzählt, daß auch Zenon mit einer Geldspende zur Ausbesserung eines Ba des beigetragen habe. Als der Begründer der Stoa in der veröffentlichten Spenderliste nur mit Ζήνων (ό) φιλόσο(φος) verzeichnet worden sei, habe der auf seine phönikische Herkunft stolze Gelehrte darauf bestanden, daß sein Ethnikon Κιτιεύς auf der Stele hinzugesetzt werde.543 In Athen scheinen auch während des Chremonideischen Krieges öffentliche Bauprojekte mit privaten Spenden finanziert worden zu sein. Eine vom Herausgeber B.D. Merkt in diese Zeit (267-62) datierte Urkunde für einen Spartaner verzeichnet eine Spende εις την [ο]ίκο[δομίαν (Ζ. 11), wobei aus dem lückenhaften Text nicht her vorgeht, um welche Art Bauwerk es sich handelte.544 Im Zusammenhang mit dieser Spende ist von -κοντά τάλαντα (Ζ. 12) die Rede. Da unwahrscheinlich ist, daß eine Einzelperson in der Lage war, der Stadt 20 oder mehr Talente zu schenken, könnte es sich um eine öffentliche Kasse handeln, in die der Beitrag eingezahlt wurde. Unter Eubulos und Lykurg hatte es die Kasse der 10 Talente (δέκα τάλαντα) gegeben, in die die Eisphorai zur Errichtung öffentlicher Militär- und Verteidigungsanlagen flös sen.545 Die -κοντά τάλαντα könnten nach diesem Vorbild eine ähnliche Kasse be zeichnen. In der Inschrift (Z. 10) lesen wir noch [εις τάς ν]αυς έπ[έ]δωκε[ν ]. Der Honorand hat also auch für den Bau von Schiffen oder zu deren Ausrüstung eine weitere Spende vorgenommen. Er könnte damals sehr wohl als Metöke in Athen ge lebt haben. Eine Epidosis zur Kostendeckung öffentlicher Bauprojekte ist aus dem Eh rendekret für den Metöken [?Aisch]ias für das Archontat des Antimachos belegt, das wahrscheinlich in die späten 250er Jahre fiel.546 Der Zweck der Epidosis lautet έπ[ειδή Άισχίας ... καί νυ|ν γεν]ομένων έ[τπδό]σ[ε]ων εί[ς τα] δ[ημόσια έργα και ε|ίς τήν] της πό[λεω]ς [φ]υλακήν [έπέδ]ω[κε ίο |-- και άργυρ[ίου ]. 547 Sofern Wilhelms Er gänzung richtig ist, kamen die eingegangenen Gelder sowohl τα δημόσια έργα als auch
Nr. 13. 543 Diog. Laert. 7.12: φησι δ' Αντίγονος ό Καρύοπος ουκ άρνεΐσθαι αυτόν είναι Κιτιέα. των γάρ εις έτπσκευήν του λουτρώνος συμβαλλομένων εις ων και αναγραφόμενος εν τη στήλη «Ζήνωνος του φιλοσόφου», ήξίωσε και το Κιτιεύς προοτεθηναι. Diese Spendenaktion wird von Migeotte, Souscriptions publiques 25f. zwischen 278 und 262 datiert; vgl. auch Sonnabend, Freundschaften 211.320. Daß die Philosophen in den athenischen Epidosislisten in der von Antigonos beschriebenen Wei se aufgezeichnet worden sind, sehen wir aus dem Spendenverzeichnis IG ΙΓ 791 (col. 1, Z. 29) des Jahres (?) 244/3 im Falle des Peripatetikers Lykon aus Alexandria/Troas. 544 B.D. Merkt, Hesperia 3,1934, 7f. Nr. 9 = Athenian Agora XVI, Nr. 191. 5*5 Genannt in IG II2 224, Z. 19 (= Maier, Mauerbauinschriften Nr. 10) und IG II2 505, Z. 16 (= Maier, Mauerbauinscririften Nr. 13). 546 S.o. S. 112f. ™ IG II2 768+802, Z. 8-12 (= Wilhelm, Akademieschriften I, 436).
2. EuergesienfreiwilligenCharakters
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der Bestreitung von Rüstungskosten zugute. Mit den δημόσια έργα können Ausbesserungen an den Stadtbefestigungen gemeint sein.548 Nach dem Abzug der makedonischen Garnison aus dem Piräus und anderen Teilen Attikas im Jahre 230/29 befestigte die Stadt die Hafenanlagen im Piräus neu. Aus den im Abschnitt über Epidoseis für Kriegs- und Verteidigungszwecke besprochenen Ehrendekreten für die Metöken Apollas und Aristokreon geht hervor, daß die Bauarbeiten an den Kriegshäfen durch einen Spendenaufruf ermöglicht wurden.*49 Eine im Piräus gefundene Spenderliste aus der Mitte des 2. Jahrhunderts ist insofern beachtenswert, da sie zeigt, daß neben der Bürgergemeinde auch einzelne Demen den Weg zu Epidoseis suchten, um Gelder für öffentliche Bauprojekte zusammenzubringen. Die Geldumlage aus dem Piräus diente der Errichtung eines Theaters. Auf der unvollständigen Stele sind unter der Überschrift οϊδε έπέδωκαν ει[ς την] κατασκευήν του θεά[τρου] die Namen von etwa 40 Spendem erhalten.550 Unter ihnen läßt sich nur ein ansässiger Fremder, Diokles aus Thespeia (Z. 59 ), ausfindig machen. Auch für diese Geldumlage waren Maximal- und Minimalwerte festgelegt, da sich die Spenden zwischen 5 und 100 Drachmen bewegen.
2. S c h e n k u n g e n v o n Kriegsschiffen u n d S p e n d e n für deren A u s r ü s t u n g Dem Staat ein Kriegsschiff zu schenken war eine Wohltat, die sich nur wenige Reiche leisten konnten. Hinweise auf eine solche kostspielige Schenkung sind jedoch nicht selten.551 Auch konnte die Anzahl der gespendeten Schiffe unter Umständen beträchtlich sein. So wurde im Jahre 341/0 ein Flottenkontingent von 40 Trieren gänzlich aus privaten Spenden aufgestellt und nach Euböa entsandt (s.u). W.K. Pritchett vermutet, daß die Zahl der für eine frühere Euböa-Expedition (357) gestifteten Schiffe sogar noch höher lag.552 Ganz anders als Gebäudestiftungen scheint der Demos Schiffsschenkungen bedenkenlos angenommen zu haben. Das schnelle Altem der Schiffe und die desolate Finanzlage des Staates seit dem Peloponnesischen Krieg boten neben wohlhabenden Bürgern auch Metöken eine willkommene Gelegenheit, durch die Schenkung von Schiffsrümpfen oder zumindest Geldspenden für deren Ausrüstung Wohlwollen zu erlangen. Die Bereitstellung einer Triere für den Krieg ist bereits im 5. Jahrhundert mehrfach belegt. In der Schlacht am Artemision (480) kämpfte Kleinias, Vater des Alkibiades, auf einem Schiff, das ihm gehörte und das er auf eigene Kosten ausgerüstet und bemannt hatte.553 Wir wissen nicht, ob das Schiff nach der Schlacht in seinem Besitz blieb, oder ob er es, wie später etwa Demosthenes und Hypereides, der 548 In diesem Sinne auch Mgeotte, Souscriptions publiques 26f. *»S.o.S. 116f. 550 IG Π 2334 mit einem ausführlichen Kommentar bei Migeotte, Souscriptions publiques 43ff. 551 Zum Folgenden s. Jordan, Athenian Navy 91ff. und Pritchett, War V, 473ff., bes. 478f. 552 Pritchett, War V, 478f. 553 Hdt. 8.17; PlutAlkib. 1.1.
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IV. Die Wohltaten der Metöken
Stadt vermachte. Eine Notiz in der Perüdes-Vita, in der von "seiner Triere" die Rede ist, deutet darauf hin, daß auch Perikles ein Schiff besaß, das er selbst kommandier te.554 Wenn man Diodor glauben darf, steuerten einige Privatleute für die große Sizilische Expedition Trieren bei, andere wiederum spendeten für die Ausrüstung der Flotte sowie für die Verpflegung und Besoldung der Schiffsmannschaften Geld.555 Diese Gelegenheit dürften neben Bürgern auch einige Metöken ergriffen und für das Gelingen der Unternehmung finanzielle Opfer dargebracht haben. Die beiden Schif fe, die Antiphon, der 404/3 den Dreißig Tyrannen zum Opfer fiel, έν τω πολεμώ ... παρείχετο (Xenoph. hell. 2.3.40), können durchaus in diesen Kontext gehören.556 Alkibiades segelte damals auf einer eigenen Triere nach Syrakus.557 Bei der Kapitulation vor Sparta (404) mußte Athen seine gesamte Flotte bis auf 12 Schiffe abliefern.558 In den nächsten Jahrzehnten wurde der Schiffsbestand durch Neubauten ständig erhöht, so daß die Stadt bei der Gründung des Zweiten At tischen Seebundes (378/7) mit 112 Trieren wieder über eine ansehnliche Flotte ver fügte.559 Angesichts der schwachen Staatsfinanzen war es nur natürlich, einen Teil der Schiffsbauten durch private Spendenmittel zu finanzieren. Von dem reichen Trapeziten Pasion ist bekannt, daß er — wohl zwischen 391 und 386, also während des Ko rinthischen Krieges, - fünf Schiffsrümpfe schenkte und sie anschließend auf eigene Kosten ausrüstete und bemannte. Sein Sohn Apollodor nennt Jahre nach dessen Tod als die größten und erinnerungswürdigsten Wohltaten des Trapeziten: ούμός ύμΐν πατήρ χιλίας έδωκεν ασπίδας, και πέντε τριήρεις εθελοντής έπιδούς και παρ' εαυτού πληρώσας έτριηράρχησε τριηραρχίας.560 Die Schilde wurden im άσπιδοπηγεΐον, das Pa sion gehörte (Demosth. 36.4 und 11), hergestellt und wahrscheinlich noch vor desses Einbürgerung gestiftet. Wie verhält es sich aber mit den Schiffsschenkungen und wie hat man sich den ganzen Vorgang vorzustellen? Zuallerst dürfte Pasion von sich aus angeboten haben, die Kosten für den Bau einiger Schiffsrümpfe zu übernehmen. Nachdem die Ekklesie auf diese Offerte einging, wird er den τριηροποιοί, die die Auf sicht über den Bau neuer Kriegsschiffe hatten, das hierfür nötige Geld ausgehändigt haben.561 Wahrscheinlich wurden die fünf Schiffe nicht auf einen Schlag gebaut, son dern über mehrere Jahre hinweg. Nach der Fertigstellung der Schiffsrümpfe wird die Stadt ihrerseits bei Pasion nachgefragt haben, ob er auch das Zubehör für "seine Schiffe" zu stellen gewillt war. Er stattete die Schiffe aus - in der Invertarliste einer Seeurkunde (IG II 1609, Z. 85f. und 87) werden von ihm gespendete Schiffstaue 554
Plut. Perikl. 35.2 mit Jordan, Athenian Navy 91. Diod. 13.2.2: των δε ιδιωτών οί ταϊς ούσίαις εύποροϋντες τη προθυμία του δήμου χαρίζεσθοα βουλόμενοι τινές μεν ιδίας τριήρεις κατεσκεύσαν, τινές δε χρήματα δώσειν εις τάς τροφάς της δυνάμεως έπηγγέλλοντο. 556 Zur Person Antiphons s. Davies, APF 327. 557 Thuk. 6.50.1; 6.61.6. 558 Xen. hell. 2.2.21. 559 Wilson, Military Finances 310. 560 Demosth. 45.85. 561 Zu den Aufgaben der τριηροποιοί s. Jordan, Athenian Navy 46ff. 555
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und Schiffsanker vermerkt - und bezahlte darüber hinaus den Sold der Ruderer. Apollodor sagt, daß sein Vater dies alles freiwillig (εθελοντής) ausführte, daß er also nicht zum regulären Trierarchen ernannt wurde. Pasion tat das, was man bei späteren Schiffsepidoseis beobachten kann: Dem Staat Schiffe zu schenken und anschließend auf jedem dieser Schiffe für ein Jahr als "Ehrentrierach" zu dienen. Aus der von Apollodor verfaßten und von Theomnestos, dem athenischen Schwiegersohn Pasions, gehaltenen Rede gegen Neaira erfahren wir, daß der Trapezit das Bürgerrecht aufgrund erwiesener Wohltaten erwarb.562 Wenn Pasion außer den Schilden und Schiffen andere nennenswerte Schenkungen vorgenommen hätte, wä ren diese von seinem Sohn gewiß nicht verschwiegen worden. Da eine Spende von tausend Schilden für die Verleihung des Bürgerrechts kaum ausgereicht haben wird, dürften auch die Schiffsschenkungen in einer Zeit erfolgt sein, als Pasion noch Metöke war.563 Mit der Begründung, daß die Trierarchie den Metöken versperrt blieb, setzt neuerdings J. Trevett die Schiffsspenden Pasions nach dessen Einbürgerung.564 Hierbei gilt zu bedenken, daß der Trapezit erst nach Fertigstellung der Schiffe und freiwillig die Trierarchie übernahm. Er kann eingebürgert worden sein, während die Schiffe noch gebaut wurden. Selbst dies ist nicht zwingend. Oben wurden sichere Zeugnisse dafür vorgelegt, daß auch Metöken zum Trierarchen bestellt wurden.565 Bei Pasion könnte derselbe Sachverhalt vorgelegen haben. Nur beiläufig sei bemerkt, daß der zum Trierarchen designierte Trapezit das Kommando über die Schiffe wahrscheinlich einem von ihm bezahlten Stellvertreter anvertraute, eine Praxis, die auch athenische Bürger wie Meidias (Demosth. 21.163) vorzogen. Die Stadt zeichnete nach Pasion weitere Trapeziten — bekannt sind Phormion, Konon und Epigenes — mit dem Bürgerrecht aus. Der eigentliche Anlaß für ihre Ein bürgerung ist nicht überliefert Man kann aber mit einiger Gewißheit sagen, daß sie nicht aufgrund von bloßen Geldspenden eingebürgert wurden. Aus dem 4. Jahrhun dert ist kein einziger Fremder bekannt, der allein aufgrund einer Geldschenkung, wie hoch sie auch sein mochte, das athenische Bürgerrecht erhielt.566 Dies wäre von vielen Athenern als ein Verkauf des wertvollen Bürgerrechts aufgefaßt worden, dem sich die stolzen Erechtheussöhne vehement widersetzten. Daher können die Spenden der drei Trapeziten analog zu denen Pasions militärischer Natur gewesen sein, auch wenn sich dies nicht beweisen läßt.
562 [Demosth.] 59.2: ψηφισαμένου γάρ του δήμου του 'Αθηναίων Αθήναιον είναι Πασίωνα και έκγόνους τους εκείνου διά τάς ευεργεσίας τάς είς την πόλιν κτλ. 563 In diesem Sinne Davies, APF 430. Er datiert die Schild- und Schiffspenden Pasions an den Anfang der 380er Jahre und bringt sie mit dessen Einbürgerung in Zusammenhang. Vgl. auch Osbome, Naturalization III, 48 T30 und Trevett, Apollodoros 21 ff. 564 Trevett, Apollodoros 22: "Although there is no reason to doubt that metics could donate triremes to the city, it is natural to assume that the gift of the triremes and the trierarchies belong together, and it appears that metics either did not (or could not) serve as trierarchs". 565 S.o. S. 78f. 566 Der Akamane Euenor stellt eine Ausnahme dar. Denn für dessen Naturalisierung war neben der ein Talent betragenden Geldspende seine jahrzehntelange medizinische Fürsorge als hochspezialisierter Arzt ausschlaggebend.
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TV. Die Wohltaten derMetöken
Phormions Einbürgerung fällt in das Jahr 361 /0. 567 Er übernahm nach Pasions Tod (370/69) für dessen unmündigen Sohn Pasikles die Leitung der Bank, scheint sich aber als Bankier bald selbständig gemacht zu haben.568 Pasions älterer Sohn ApoUodor wählte die Schildfabrik zu seinem Erbteil (Demosth. 36.11-13), so daß Phormion keine Schildspenden vorgenommen haben kann wie sein einstiger Besitzer Pasion. Gleichwohl ist bekannt, daß Phormoin neben seiner Bankierstätigkeit mehre re Schiffe erwarb, die für Handelszwecke in die Pontosregion führen.569 Er könnte demnach den Athenern auch Getreide gespendet haben. Die Bürgerrechtsverleihung an Konon und Epigenes wird erst in der im Jahre 323 gegen Demosthenes gehaltenen Rede des Deinarch erwähnt, kann aber etliche Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegen.570 Sucht man nach einer passenden Gelegen heit, kämen Schiffsepidoseis in Frage, zu denen die Ekklesie zwischen 357 und 340/39 mehrmals aufrief. Die beiden Trapeziten können während einer dieser Epidoseis Trieren geschenkt sowie Geldmittel für deren Ausrüstung und Bemannung be reitgestellt und auf diese Weise ihre Einbürgerung erwirkt haben. Für deren Aufnah me in die Reihen der Bürger setzte sich Demosthenes ein, von dem man weiß, daß er an mehreren Schiffsepidoseis teilnahm. Möglicherweise begründete er seinen Antrag damit, daß auch die beiden Trapeziten unter den Schiffsspendern waren. Über eine bloße Vermutung kommt man aber nicht hinaus. Aus den Ausführungen des Demosthenes gegen Meidias (21.161-163) wird er sichtlich, daß der Geschäftsgang bei den Schiffsepidoseis derselbe war wie bei ande ren Umlagen, mit dem Unterschied, daß die freiwilligen Beiträge nicht aus Geld, son dern aus Schiffen bestanden: Die Ekklesie rief zu einer Epidosis von Trieren auf, um ein Flottenkontingent zusammenzustellen, das zur Unterstützung eines bedrängten Staates ausgeschickt wurde. Die Quellen sprechen dabei einstimniig von τριήρη (bzw. ναυν) έπιδοΰναι. So heißt es etwa bei Demosthenes (21.165): αυτών έκαστος εκών έπιδούς τριήρη, und in dem von Demochares für Demosthenes postum beantragten Ehrengesuch: και έτπδόνπ (sc. Δημοσθένης) τάλαντα οκτώ και τριήρη, οτε ό δήμος ήλευθέρωσεν Ευβοιαν, και ετεραν, οτε εις Έλλήσποντον Κηφισόδωρος έξέπλευσε- και ετεραν, οτε Χάρης και Φωκίων στρατηγοί έξεπέμφθησαν εις Βυζάντιον υπό του δήμου.571 In der Forschung wird τριήρη έτηδουναι wörtlich genommen und als "eine Triere schenken" verstanden, wogegen ich keine Einwände erheben möchte.572 In den See567
[Demosth.] 46.13; vgl. Osbome, Naturalization ΙΠ, 55 T48. Davies, APF 435. 569 Demosth. 45.64: Phormions Schiffe wurden bei der Rückfahrt von der Stadt Byzantion aufgehalten; vgl. Davies, APF 436. 570 Dein. 1.43. Osborne, Naturalization ΙΠ, 78 T81 denkt daran, daß Konon und Epigenes "during the great com shortage of the early 320s" "donations or contributions of some kind to the State" erbrachten und dafür eingebürgert wurden. Dies erscheint mir jedoch wenig wahrscheinlich. Die Wohltat, die die beiden Trapeziten während einer Getreideknappheit erweisen konnten, wäre eine Geldspende für den staatlichen Aufkauf von Getreide gewesen. Aufgrund einer bloßen Geldspende war es jedoch nicht möglich, das Bürgerrecht zu erwerben (s.u. S. 158). 571 [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 850F-851A. 572 Böckh, Staatshaushaltung 657 Anm. d: "Τριήρη έπιδοΰναι bezieht sich auf das Schiff selber"; Kuenzi, Epidosis 20.24.36ff.; Jordan, Athenian Navy 92f.; Migeotte, Souscriptions atheniennes 568
2. Euergesien freiwilligen Charakters
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Urkunden det 330er Jahre sind ja einige gespendete Schiffe durch έπιδόσιμος τριήρης sicher als solche gekennzeichnet.573 Man fragt sich aber, weshalb die Stadt zwischen 357 und 340/39 mindestens fünf Flottenkontingente durch private Schiffsschenkun gen aufstellen ließ, obwohl sie doch selbst über einen genügenden Schiffsbestand ver fügte. Möglicherweise waren alle seetüchtigen Trieren im Einsatz, so daß für eine weitere, dringend erforderliche Expedition neue Schiffe gebraucht wurden. Der Fra ge, wie die Spender in einer kurzen Zeit zu ihren Schiffen kamen und ob diese in den Schiffswerften neu gebaut wurden, ist bisher niemand nachgegangen. Die Beteiligung von Metöken an den Schiffsepidoseis wird nirgends erwähnt, was aber bei der ohnehin spärlichen Quellenlage nicht überrascht. Demosthenes (21.161.165) nennt neben sich lediglich Meidias und drei weitere Athener (Nikeratos, Euktemon und Euthydemos), um darzulegen, daß diese sich als wahre Patrioten ver hielten, weil sie im Jahre 348 die von ihnen gespendeten Schiffe auch kommandier ten, während sein Kontrahent Meidias zuerst an seiner Stelle den ägyptischen Met öken Pamphilos ausschickte und danach doch selbst das Schiff bestieg, um nicht als hippeis dienen zu müssen. Neben diesen ist nur noch Hypereides bekannt, der für sich und seinen Sohn zwei der vierzig Trieren stiftete, die im Jahre 340 nach Euböa fuh ren.574 Jedoch spricht nichts dagegen, daß die Stadt ebenso von reichen Metöken eine Schiffsspende annahm. Auch die Tatsache, daß einige der Spender auf ihren Schiffen als "Ehrentrierarchen" dienten, oder wie Meidias, sich Stellvertreter wählten, kann diese Vermutung nicht widerlegen. Laut Demosthenes fanden im Zeitraum zwischen 357 und 348 drei Schiffs epidoseis statt.575 Die früheste dieser Epidoseis, die an den Beginn des Bundesgenos senkriegs fiel, soll die erste ihrer Art gewesen sein.576 Sie diente dazu, die Thebaner zum Abzug aus Euböa zu bewegen und einige Städte der Insel für den Seebund zu rückzugewinnen, was den Athenern auch tatsächlich gelang.577 Weil diese Expedition 139ff.; ders., Souscriptions publiques 15ff.; Pritchett, War V, 478f.; Quaß, Honoratiorenschicht 93 mit Anm. 60. «3 IG Π2 1628, Z. 439; IG II 2 1629, Z. 960; IG II2 1623, Z. 310f. 574 [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 849F: Φιλίππου δε πλεϊν έπ* Ευβοίας παρεσκευασμένου και των 'Αθηναίων εύλαβώς εχόντων, τεσσαράκοντα τριήρεις ήθροισεν έξ επιδόσεως και πρώτος υπέρ αύτου καί του παιδός έπέδωκε δύο τριήρεις. 575 Demosth. 21.161: έγένοντ' εις Εύβοιαν επιδόσεις παρ' ύμΐν πρώται* τούτων ουκ ην Μειδιάς, αλλ' εγώ, καί συντριήραρχος ην μοι Φιλϊνος ό Νικοστράτου. έτεραι δεύτεραι μετά ταύΥ είς Όλυνθον ουδέ τούτων ην Μειδιάς, καίτοι τόν γε φιλοτιμον πανταχού προσήκει έξετάζεσθαι. τρίται νυν αύται γεγόνασιν επιδόσεις· ένταυθ' έπέδωκε. 576 Jordan, Athenian Navy 92 erklärt die Wendung πρώται επιδόσεις so: "He (sc. Demosthenes) probably means to say that this was the first occasion on which an entire fleet had been financed from private donations". Vgl. auch Pritchett, War V, 477. Möglicherweise gehört die im Ehrengesuch für Demosthenes ([Plut.] Vit. X orat. 850F) genannte erste Triereschenkung des Redners, die dort mit der Befreiung Euböas in Verbindung gebracht wird, in das Jahr 357. Migeotte, Souscriptions atheniennes 142 mit Anm. 65 glaubt allerdings, daß sie während der dritten Euböa-Expedition im Jahr 341 erfolgte. Er ist S. 140f. zudem der Ansicht, daß 357 möglicherweise keine Schiffsepidoseis stattfanden, sondern einige Bürger lediglich als freiwillige Trierarchen dienten. Demosthenes spricht in der Mediana (21.161) jedoch ausdrücklich von einer Schiffsepidosis. 577 Zu den Hintergründen dieser Euböa-Expedition s. Wankel, Rede für Ktesiphon 538ff.
IV. Die Wohltaten derMetöken
138
in mehreren anderen Reden des Demosthenes, aber auch von Aischines und weiteren Autoren erwähnt wird, meint Pritchett, daß "the war in Euboia in 357 B.C. ... was a very populär one, and many had made voluntary donations. [...] It is easy to believe that the epidosis before the expedition recieved widespread and sizeable voluntary contrubitions, and the fact that Meidias did not contribute was used as a mark against him".578 Die δεύτεραι und τρίται επιδόσεις aus der Mediana fallen in die Jahre 349 und 348, als die Stadt nacheinander zwei Flottenexpeditionen nach Olynth und Euböa entsandte.579 Eine vierte Schiffsepidosis wurde 341 auf Antrag des Hypereides veranstaltet. Während dieser Epidosis wurden vierzig Schiffe geschenkt, zwei davon vom An tragsteller selbst. Dieser Epidosisaufruf war nach der Hypereides-Vita eine Reaktion auf das Ausgreifen Philipps IL auf Euböa.580 Mit dessen Hilfe hatten 343 oder 342 in Oreos und Eretria makedonenfreundliche Tyrannen die Macht an sich gerissen. Mit der durch Spenden aufgestellten Flotte unternahmen die Athener im Sommer und Herbst 341/0 zwei erfolgreiche Feldzüge nach Euböa. Im ersten unter der Leitung des Kephisophon wurde Philistides, der Tyrann von Oreos, getötet und im zweiten unter Phokion die Herrschaft des Kleitarch in Eretria beendet und dieser vertrie ben.581 Als Philipp im Herbst 340/39 180 Getreideschiffe kapern ließ, die sich bei Hieron im Bosporus zur Weiterfahrt nach Atrika gesammelt hatten, und anschließend Byzantion angriff, antwortete Athen auf Antrag des Demosthenes mit einer Kriegserklärung.582 Die Stadt faßte sogleich den Beschluß, Kriegsschiffe zu mobilisieren und dem belagerten Byzantion zu Hilfe zu kommen. Infolge des Beschlusses wurden zwei Geschwader nach Byzantion geschickt, von denen das erste Chares und das zweite Phokion unterstellt war.583 Aus dem Ehrengesuch für Demosthenes geht hervor, daß dieser eine Triere geschenkt hatte, οτε Χάρης και Φωκίων στρατηγοί έξεπέμφθησαν εις Βυξάντιον υπό του δήμου. Es hat den Anschein, daß Demosthenes zugleich bei der Kriegserklärung auch zu einer Schiffsepidosis aufforderte und, als diese bewilligt wurde, mit gutem Beispiel vorangehend ein Schiff spendete. Nach dem Zeugnis desselben Ehrengesuches hatte Demosthenes zuvor ein anderes Schiff geschenkt, οτε εις Έλλήσποντον Κηφισόδωρος (wohl Verschreibung für Κηφισοφών)584 έξέπλευσε.
57
8 Pritchett, W a r V , 4 7 7 mit Belegstellen; vgl. auch W a n k e l , R e d e für K t e s i p h o n 538ff.
579
Zur Chronologie der beiden Epidoseis s. Kuenzi, Epidosis 36f., H. Hommel, PhW 17, 1927, 498f., Migeotte, Souscriptions atheniennes 141 f.; ders., Souscriptions publiques 17. 580 [Plut], Vit. X orat (mor.) 849F: Φιλίππου δε πλεϊν έπ' Ευβοίας παρεσκευασμένου και των Αθηναίων εύλαβώς εχόντων, τεσσαράκοντα τριήρεις ήθροισεν εξ επιδόσεως και πρώτος υπέρ αύτοϋ και του παιδός έπέδωκε δύο τριήρεις *" Gehrke, Phokion 44ff.; Wankel, Rede für Ktesiphon 451 ff.; Engels, Hypereides 84f. 582 Gehrke, Phokion 46f.; Wankel, Rede für Ktesiphon 437ff., bes. 441.; Engels, Hypereides 92f. 5 *3 Gehrke, Phokion 47ff. und Wankel, Rede für Ktesiphon 456. 482ff. mit Einzelheiten. 584 Daß die Stelle verderbt und Kephisophon statt Kephisodoros zu lesen ist, gilt seit Schäfer, Demosthenes 454 als ausgemacht: Kuenzi, Epidosis 38; Migeotte, Souscriptions atheniennes 144; Quaß, Honoratiorenschicht 93.
2, Euergesienfreiwilligen Charakters
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Aus den Seeurkunden wissen wir, daß Kephisophon im Jahre 340/39 Stratege war und in der Propontis operierte.585 Kuenzi hat diese Informationen miteinander kombiniert und daraus erschlossen, daß die Athener zuerst Chares nach Byzantion entsandt hätten und, als er mit der kleinen Flotte nichts habe ausrichten können, Kephisophon und schließlich Phokion mit jeweils einer neuen Flotte in die Propontis gesegelt seien. Demosthenes soll die beiden Schiffe während ein und derselben Epidosis gespendet haben, von denen das eine im Geschwader Kephisophons und das andere kurz darauf unter der Obhut Phokions fuhr.586 Das Ehrengesuch trennt aber säuberlich zwischen einem Schiff, das unter Kephisophon in die Propontis segelte, und einem anderen, das unter Chares und Phokion nach Byzantion entsandt wurde. Demosthenes (18.80) sagt ausdrücklich, daß er mehrere Flottenexpeditionen veran laßt habe, "in deren Verlauf die Chersones gerettet wurde sowie Byzanz und alle Verbündeten dort". Es ist denkbar, daß die Stadt, noch bevor sie den Frieden mit Philipp aufkündigte, eine Hilfsflotte unter Führung Kephisophons an die Chersones entsandt hatte, die ebenfalls durch eine Epidosis aufgestellt worden war.587 Demnach könnten 340/39 gleich zwei Schiffsepidoseis, eine für die Chersones und eine andere für Byzantion, veranstaltet worden sein. Von Schiffsepidoseis hören wir in der weiteren Geschichte Athens nicht mehr. Es gab aber, solange Athen über eine Kriegsflotte verfügte, weniger aufwendi ge Formen der Unterstützung. Wir können sie am besten während des Lamischen Krieges fassen. Damals haben Metöken wie [Men]oit[e]s, Nikander und Polyzelos Geldmittel für die Ausstattung der Flotte aufgebracht, die beiden letztgenannten so gar gleich zwei Mal.588 Ich habe bei der Behandlung der Trierarchie erklärt, daß diese Leistungen wahrscheinlich nicht ganz freiwillig erfolgten, sondern die Metöken zur Ausrüstung jeweils eines Schiffes verpflichtet wurden (s.o. S. 83f.). In einem anderen tsoteliedekret wird allerdings die Freiwilligkeit einer anders gearteten Hilfeleistung für die Flotte hervorgehoben. Der Phaselite Euxenides, wie Nikander und Polyzelos langjähriger Eisphorazahler und Kriegsteilnehmer, trug für den Seekrieg gegen die Kleitosflotte mit der Bereitstellung von zwölf Ruderern bei: εν τώι πολέ[μ]|ωι τώι πρότερον εθελοντής [ν]|αύτας δώδεκα ένεβίβασεν.589 "Da in Athen Privatpersonen keine Söldner anwerben durften und der Terminus ναϋται als Oberbegriff auch unfreie Ru derer bezeichnete ..., ist anzunehmen, daß es sich hier um Sklaven des Euxenides handelte".590 Im nächsten Krieg gegen Kassander erhielt die Stadt von Euxenides Sehnen (νευραί) für Katapultgeschosse (IG II 554, Z. 15f.). Eine solche Spende ist untypisch und sonst nicht bezeugt. Das Übliche, womit Bürger und Metöken für die Rüstung und Verteidigung beitrugen, waren Geldmittel, was während des Vierjähri5« IG Π 2 1628, Z. 436ff.; IG II 2 1625, Z. 35ff.; vgl. Migeotte, Souscriprions atheniennes 144. 586 Kuenzi, Epidosis 38ff. 5S7 Vgl. Wankel, Rede für Ktesiphon 457. 588 I G II2 505, Z. 17ff.; I G II2 506, Z. 8ff. 589 I G II2 554, Z. 12-14. 590 Welwei, Unfreie I, 102f. So schon Kahrstedt, Staatsgebiet 322 Anm. 5: "Das müssen seine Sklaven sein, Anwerbung von Söldnern durch Privatpersonen kennt Athen nicht".
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IV. Die Wohltaten der Metöken
gen Krieges viele auch taten, keineswegs aber Sachspenden. D a eine Spende von Sehnen ungewöhnlich und sehr spezifisch ist, vermute ich in Euxenides den Besitzer eines Betriebs, in dem Taue, Seile und Sehnen hergestellt wurden. Die Sklaven, die der Phaselite der Stadt als Ruderer überließ, könnten deshalb mit der Seilproduktion beschäftigt gewesen sein. Man hat damit zu rechnen, daß während des Lamischen Krieges neben Euxenides weitere Sklavenbesitzer aufgefordert wurden, Personal für den Ruderdienst abzustellen. Der Stadt gelang es damals immerhin, 170 oder vielleicht sogar 184 Schiffe zu mobilisieren, während im Kriegspsephisma 240 vorgesehenen waren.591 Allein aus Bürgern und Metöken hätte solch eine große Flotte, für die etwa 30000 Ruderer benötigt wurden, nicht bemannt werden können, zumal ein Teil der Bürger und Metöken im Landheer diente.592 U. Kahrstedt meint, daß die Sklaven des Euxenides bei ihrer Abstellung als ναυται in das Eigentum des Staates übergingen.593 Er beruft sich dabei auf eine Analogie aus dem Jahr 406, als die für die Arginusenflotte rekrutierten Sklaven nach der Schlacht nicht ihren Besitzern zurückgegeben, sondern freigelassen wurden. Dies war nur möglich, weil die früheren Eigentümer auf Besitzrechte über ihre seediensttauglichen Sklaven verzichtet hatten. Die Massenemanzipation nach der Arginusenschlacht war jedoch ein Einzelfall, der sich nicht wiederholte. Der Staat dürfte die Sklaven des Euxenides nach getanem Ruderdienst wieder ihrem einstigen Besitzer zurückgegeben haben.
3· S c h e n k u n g e n v o n Kriegsgerät Unser Kenntnisstand über die kleinen und größeren Betriebe, die für das Heer und die Flotte Waffen und andere Gerätschaften herstellten, ist sehr spärlich. Wesentlich besser unterrichtet sind wir hingegen über den Bausektor, vor allem dank der Abrechnungsurkunden vom Erechtheion und der Eleusinischen Säulenhalle.594 Die mangelhafte Quellenlage zur "Rüstungsindustrie" ist u.a. damit zu begründen, daß der Staat die Beschaffung von Waffen den Hopliten selbst überließ. Auch werden in den Seeurkunden die Hersteller oder Lieferanten von für die Ausstattung der Kriegsschiffe notwendigen Geräten nicht verzeichnet. Dennoch muß dieser Wirtschaftssektor einen beachtlichen Umfang gehabt haben. Genaugenommen kennen wir aus Athen nur zwei Waffenbetriebe. Es handelt sich in beiden Fällen um Schildwerkstätten, von denen die eine von Kephalos und seinen Söhnen und die andere von Pasion betrieben wurde.595 Beide Betriebe fielen
591
Zu den Einzelheiten s. Schmitt, Lamischer Krieg 67f. Zu den Zahlen s. Schmitt, Lamischer Krieg 68 mit Anm. 114. 593 Kahrstedt, Staatsgebiet 322f., von Welwei, Unfreie 1,103 mit Recht angezweifelt. 594 S. dazu die Überblicksdarstellung bei Hopper, Handel und Industrie 148ff., bes. 165ff. 595 In der Messermanufaktur, die dem Vater des Demosthenes (27.9-11) gehörte und wo 33 Sklaven beschäftigt waren, können auch Kriegsgeräte (Schwerter und Schilde) hergestellt worden sein. Vgl. Hasebroek, Staat und Handel 76ff. und Davies, APF 128ff. 592
2, Euergesienfreimlägen Charakters
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hinsichtlich ihrer Größe aus dem üblichen Rahmen.596 In der Werkstatt, die Polemarch und Lysias von ihrem Vater übernommen hatten, waren bei der Machtergrei fung der Dreißig etwa 100 Sklaven beschäftigt.597 Die Zahl der Sklaven, die in der Schildmanufaktur Pasions arbeiteten, wird von E. Erxleben auf etwa 66 geschätzt.598 Die Tatsache, daß die Besitzer beider Schildmanufakturen keine gebürtigen Athener waren, ist gewiß kein ausreichendes Indiz dafür, daß die Herstellung von Kriegsgerät ein Zweig war, der überwiegend von Metöken beherrscht wurde. Es fällt aber auf, daß sich kein einziger Athener nachweisen läßt, der der Stadt Kriegsgerät aus der Eigenproduktion spendete,599 während Lysias, Pasion und andere Metöken solche Schenkungen vornahmen. Dies scheint darauf hinzudeuten, daß sich atheni sche Bürger aus der Rüstungsbranche weitgehend heraushielten. Zu den Wohltaten, die Lysias während des Bürgerkriegs 404/3 um der Wie derherstellung der Demokratie willen erbrachte, gehörte auch eine Spende von 200 Schilden.600 Lysias scheint es verstanden zu haben, vor seiner Flucht aus Athen einen Teil seines Vermögens, darunter neben Geld auch Schilde, nach Megara zu transfe rieren, als sich abzeichnete, daß die Dreißig den Besitz einiger mit deren Herrschaft unzufriedener Metöken einziehen würden. Die Spende von 1000 Schilden durch Pasion erfolgte wahrscheinlich Anfang der 380er Jahre, als der Korinthische Krieg noch andauerte.601 Im Todesjahr des Trapeziten (370/69) lagerten 778 dieser Schilde auf der Chalkothek, wie aus der Inven tarliste der Schatzmeister der Athena hervorgeht.602 J.C. Trevett ist der Ansicht, daß die Schildspende erst nach der Einbürgerung Pasions erfolgt sein müsse, weil der Trapezit als Metöke wegen des fehlenden Enktesisrechts keine Schildmanufaktur ha be erwerben können.603 Dem ist entgegenzuhalten, daß Metöken auch ohne Enktesis die Möglichkeit offenstand, Gebäude für gewerbliche Zwecke, aber auch Bergwerks596 Vgl etwa Hasebroek, Staat und Handel 75ff. 597 Lysias (12.19) gibt die Zahl der Sklaven, die von den Dreißig baschlagnahmt wurden, mit 120 an; vgl. auch Lys. 12.9. Bei einem Teil von ihnen dürfte es sich allerdings um Haussklaven gehandelt haben. Irrig erscheint mir die Ansicht von Ferckel, Lysias und Athen 16f., wonach Polemarch und Lysias die Schildmanufaktur nach ihrer Rückkehr aus Thurioi neu gegründet hätten. Vielmehr dürfte es sich um die Werkstatt ihres Vaters gehandelt haben, die sie für die Dauer ihres Aufenthalts in Thurioi verpachtet hatten. 598 Erxleben, Pasion 128ff. 599 In eine andere Kategorie fallen die Schildschenkungen, die Diotimos oder der eingebürgerte Charidemos während ihrer Strategie i.J. 338 vornahmen: Demosth. 18.114f.; IG II2 1496, Z. 22; s. dazu Lauffer, Attische Grubenpachtlisten 290; Wankel, Rede für Ktesiphon 623ff.; Pritchett, War V, 479. «» [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 835F. 601 Demosth. 45.85. Zur Datierung s. Davies, APF 430 und Trevett, Apollodor 22ff. 602 IG II2 1424a, S. 803. Z.128f. 139f.; s. dazu die Bemerkungen von A.M. Woodward, The Golden Nikai of Athene, EphArch 1937,169 und Trevett, Apollodor 23. 603 Trevett, Apollodor 22f.: "Nor is the gift of shilds unproblematic: diese were clearly produced by the slaves who worked in Pasion's shild-factory (Dem. 36.4 etc.), but Pasion could not have owned the factory until he was Citizen. It is clear that at time of his death he owned the Workshop (the references are always to the building {aspidopegeion) rather than to the slaves). It is of course possible that he owned the slaves (as a metic) before he bought the factory, but if he did not, then the gift of shilds must also be dated later than his acquisition of the citizenship".
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IV. Die WohUaten der Metöken
gruben oder Grundstücke zu pachten.604 Außerdem gilt es zu bedenken, daß Pasion δια τάς ευεργεσίας τάς εις την πόλιν das athenische Bürgerrecht erhielt und daß Apollodor außer den Schild- und Schiffsschenkungen keine nennenswerten Wohltaten seines Vaters aufzählt.605 Daher dürfte Pasion die Schilde auf jeden Fall vor seiner Einbürgerung geschenkt haben. Solange ihm die Enktesis verwehrt war, dürfte er das Ergasterion, in dem seine Sklaven die Schilde herstellten, gepachtet haben. Eine weitere Sachspende für Kriegszwecke, dieses Mal in Gestalt von Sehnen (νευραί) für Katapultgeschosse, wird in dem Ehrendekret für den Phaseliten Euxenides vermerkt (IG II 554, Z. 15f.). Diese Spende des Metöken gehört in die Zeit des Vierjährigen Krieges. Das Übliche, womit Bürger und Metöken für die Rüstung und Verteidigung beitrugen, waren Geldmittel, die viele während des Vierjährigen Krieges auch spendeten, keineswegs aber Sachspenden. Da eine Spende von Sehnen sehr spezifisch und sonst nicht bezeugt ist, vermute ich in Euxenides den Besitzer einen Betriebs, in dem Taue, Seile und Sehnen hergestellt wurden.606 Zuvor hatte Euxenides während des Lamischen Krieges zwölf seiner Sklaven für den Ruderdienst abgestellt Die Annahme ist naheliegend, daß diese Sklaven im Ergasterion des Metöken mit der Seilherstellung beschäftigt waren. Der Phaselite wurde bald nach der Sehnenspende u.a. mit der ένκτησις οικίας belohnt. Diese Beschränkung auf den Erwerb eines Hau ses allein ist sehr merkwürdig, da die Stadt ihren fremden Wohltätern gewöhnlich die Privilegien ενκτησις γης und ενκτησις οικίας zusammen verlieh.607 Man könnte daher vermuten, daß Euxenides bereits zu einem früheren Zeitpunkt für den Bau seines Ergasterions zur Seilherstellung mit dem Privileg der ενκτησις γης belohnt worden war. Angesichts der schlechten Quellenlage ist es anzunehmen, daß sich neben Lysias, Pasion und Euxenides weitere Metöken bereitfanden, in Kriegszeiten dem Staat Rüstungsgerät zu spenden, das in ihren Betrieben hergestellt worden war.
604
S. 79 Anm. 295; S. 131 Anm. 536; S. 235 Anm. 1013. «κ [Demosth.] 59.2. 606 Erxleben, Verhältnis 383 hat vielfältige Belege dafür zusammengetragen, daß Seile und Taue in Athen selbst hergestellt wurden. Dies kann nicht verwundern, da deren Bedarf für die Flotte, für Handelsschiffe, das Bauwesen und für allerlei private Zwecke sehr hoch war. 607 S. die epigraphischen Belege bei Henry, Honours 207ff.
143
b . Verdienste i n der N a h r u n g s m i t t e l v e r s o r g u n g In diesem Abschnitt geht es um den im Außenhandel tätigen Personenkreis, dem bei der Nahrungsmittelversorgung der athenischen Bevölkerung eine außerordentlich wichtige Rolle zufiel. Im Zentrum steht die oft behandelte Frage nach dem Anteil der Metöken unter den Emporoi und Naukleroi sowie den Seedarlehensgebem.608 In diesem Kontext soll eine Antwort darauf gesucht werden, ob unter den fremden Femhändlem, die für ihre Verdienste im Getreidesektor (zumeist mit der Verleihung der Proxenie) geehrt wurden, auch Metöken anzutreffen sind. Daß das klassische (und hellenistische) Athen "auf Gedeih und Verderb von überseeischem Getreide abhängig" war, ist ein altbekanntes Faktum, das auch nach der Unterschätzung des Getreideimportvolumens durch P. Gamsey bestehen bleibt.609 Die Ursachen dieser Abhängigkeit, die vor allem in der unzureichenden Eigenproduktion an Getreide lagen, sind bei der Behandlung der Geldspenden für Nahrungsmittelbeschaffung bereits angeschnitten worden. Vermögendere Athener aus den ersten Zensusklassen dürften ihre Nahrungsmittelbedürfnisse aus Eigenanbau gedeckt und überdies einen Teil ihrer Agrarprodukte auf den Lokalmärkten verkauft sowie Produkte wie Wein und Öl exportiert haben. Die Masse der Bürgerschaft und andere Einwohner mußten hingegen ihren Lebensmittelbedarf auf dem Markt kaufen. Der Hauptteil der verbrauchten Getreidemengen sowie Salzfisch, der ein weiteres Volksnahrungsmittel war, wurden aus dem Ausland importiert.610 Man erkennt die eminente Bedeutung der Naukleroi und Emporoi, in deren Hand die Durchführung der lebenswichtigen Importe lag, sowie ihrer Kreditgeber, wenn man sich klarmacht, wie rudimentär die Vorkehrungen waren, die der athenische Staat zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung seiner Bevölkerung und zur Förderung des Außenhandels traf. Für das 4. Jahrhundert kann man diese Maßnahmen stichwortartig wie folgt wiedergeben:611 Diplomatische Arrangements mit den Getreideexportländern, allen voran mit den Spartokiden des Bosporanischen Reiches, die für Athen tätigen Händlern Vorkaufsrechte einräumten und bisweilen auf Zolleinnahmen verzichteten; Geleitschutz für Getreideschiffe in der Propontis, der Ägäis und im Ionischen Meer durch athenische Kriegsschiffe; Einsatz der attischen Flotte zur Bekämpfung der Seeräuber; Handelsbeschränkungen für ortsansässige Händler (Bürger, Metöken), die nur nach Athen und nicht in andere Poleis liefern durften; eine entsprechende Beschränkung für die Darlehensvergabe, die ausschließ608
Unter den jüngeren Untersuchungen zum Thema seien hervorgehoben: Isager/Hansen, Athenian Society 64ff.; Erxleben, Außenhandel 460ff.; Hopper, Handel und Industrie 83ff.l27ff.; Nippel, Heimkehr der Argonauten 9ff.; Thompson, Athenian Entrepreneur 53ff.; Millett, Maritime Loans 36ff.; Mosse, Emporium 53ff.; Hansen, Athenian Trade 71 ff.; Montgomery, Citizens and Foreigners 43ff.; Engels, Anmerkungen 105ff. 609 Zitat Köster, Lebensmittelversorgung 85. Die These von Gamsey, Famine 104, lautet, daß die Getreideernte aus dem eigenen Territorium 120000 bis 150000 Menschen, also gut die Hälfte der attischen Bevölkerung ernähren konnte, wenn sie durchschnittlich ausfiel (s.o. S. 117 Anm. 472). 6io Vgl. Köster, Lebensmittelversorgung 14ff. 611 Wesentlich ausführlicher ist die Darstellung von Nippel, Heimkehr der Argonauten 12ff.
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IV. Du Wohltaten derMefoken
lieh dem Transport nach Athen dienen durfte; Schaffung von Handelsgerichten, die die Rechtsstreitigkeiten der Seehändler untereinander oder mit ihren Kreditgebern im Schnellverfahren regelten und in denen die Nichtbürger den Athenern privatrechtlich gleichgestellt waren; Kontrolle des Handels in der Stadt zur Vermeidung spekulativer Ankäufe und Preisabsprachen, Verbot unbegrenzter Aufkäufe durch die Lokalhänd ler (κάπηλοι), Gewinnbeschränkungen beim Getreide-, Mehl- und Brotverkauf, Überwachung der Maße durch die Metronomoi; in Versorgungsnotlagen Übertra gung des Getreideankaufs an staatliche Beamte, die zudem eine Abgabe zu her kömmlichen Preisen organisierten und der Versuch, fremde Händler durch die Aus sicht auf reale Privilegien und äußere Ehrungen (Proxenie, Enktesis, Goldkranz etc.) zu Getreidespenden oder wenigstens zu Preissubvensionen sowie zu weiteren Komlieferungen zu bewegen. Auf den letzten Punkt komme ich weiter unten ausfuhrlich zu sprechen. Eine weitere Maßnahme war schließlich die Gründung von Kleruchien als Ventil für den Bevölkerungsüberschuß.612 Doch "eine aktive Handelspolitik kann das alles nicht genannt werden" und "von einer Exportförderung attischer Erzeugnisse ist überhaupt nichts zu hören" re sümiert E. Erxleben in seiner Untersuchung über die im Außenhandels- und Seedar lehensgeschäft beteiligten Bevölkerungsgruppen.613 Von einem "administered trade", d.h. einer Lenkung des Getreidefemhandels unter staatlicher Regie durch Diktate zur Regulierung der Preise unter Ausschaltung der Marktmechanismen, die K. Polanyi für das klassische Athen konstatiert hat, kann daher nur bedingt die Rede sein.614 Mit den oben aufgezählten "Vorkehrungen zur Sicherung der Lebensmittelversorgung der Stadt ist damit wahrscheinlich annähernd das Höchstmaß an 'administrativen' Maßnahmen erreicht, das für einen Staat denkbar ist, der allein auf der Selbstorgani sation der Bürgerschaft beruht und ohne Verwaltungsstab auskommt".615 Der athenische Staat überließ die gesamte Durchführung des Seehandels Pri vatpersonen.616 Selbst wenn er das Getreide von den Exportländern direkt aufkaufte, wie etwa im Jahr 357, lag der eigentliche Transport immer noch in den Händen der 612
Jetzt grundlegend Cargill, Athenian Settlements. Zitate Erxleben, Außenhandel 499.501; vgl. auch ebd. 503f: reißig" ersetzt (ca. Juli/August 404/3). 790 Die Terrorherrschaft der Dreißig, der ca. 1500 Bürger und 1000 Fremde zum Opfer gefallen sein sollen, zwang viele Anhänger der Demokratie, Attika zu verlassen und im Ausland Zuflucht zu suchen.791 Mit der Besetzung der attischen Grenzfestung Phyle durch etwa 70 ver bannte Demokraten unter der Führung Thrasybuls von Steiria begann im Winter 404/3 ein Bürgerkrieg, der erst Herbst 403/2 mit der Wiederherstellung der Demo kratie seinen Abschluß fand.792 Nachdem diese demokratischen Rebellen einen ersten Angriff der Dreißig und ihrer Truppen erfolgreich abgewehrt hatten, wuchs ihre Zahl in Phyle bereits auf 700 Mann an,793 von denen lediglich etwa 100 bis max. 200 atti sche Bürger waren.794 Der Rest setzte sich aus Metöken, die sich freiwillig zu den Demokraten nach Phyle begeben hatten, und den 300 von Lysias angeworbenen Söldnern zusammen.795 Diese Truppenstärke reichte aus, um etwa im April in einem 790
Die von Lehmann, Machtergreifung der 4T)reißig" 201 ff., erstellte Chronologie der Ereignisse ist zuverlässiger als die von Krentz, Thirty 28ff. Dieser versucht 125ff., die Terrorherrschaft der Dreißig zu rehabilitieren. Vgl. dazu die berechtigten Einwände von Lehmann, Oligarchische Herrschaft 53f. Anm. 62. 791 Hinrichtungen unter den Dreißig: Schol. Aischin. 1.30 unter Berufung auf eine verlorene Lysias-Rede; Isokr. 20.11; 4.113; 7.67; Aischin. 3.235; Aristot. Ath. pol. 35.4; vgl. auch Lehmann, Oligarchische Herrschaft 52ff. In den acht Monaten seiner Herrschaft war das Regime der Dreißig bestrebt, eine antidemokratische Ordnung zu schaffen, die sich deutlich am Vorbild Sparta orientierte (s. dazu D. Whitehead, Sparta and the Thirty Tyrants, AS 13/14, 1982/83, 105-130). Unter diesem Blickwinkel ist auch die Politik gegenüber den Metöken zu verstehen, die durch die Konfiskation der Besitztümer einiger wohlhabender Metöken, deren Verfolgung und Hinrichtung sowie durch die Vertreibung ärmerer Metöken aus dem asty in die Vororte Athens und nach Piräus zum Ausdruck kam (Lys. 12.6ff.; Xen. hell. 2.3.21 ff. und 41 ff.; Diod. 14.5.6). Daß das brutale Vorgehen der Dreißig gegenüber den Metöken nicht einzig aus der schlechten Finanzlage Athens und der persönlichen Habgier der Oligarchen erklärbar ist, sondern daß vielmehr ideologische Komponenten ausschlaggebend waren, hat Whitehead bereits früher (Metic 154ff.) hervorgehoben. 792 Einnahme von Phyle: Xen. hell. 2.4.2; Aristot. Ath. pol. 37.1; Diod. 14.32.1; Justin 5.9.6; vgl. Krentz, Thirty 70 mit Anm. 4. 79 * Xen. hell. 2.4.5. 794 Nach der Restauration der Demokratie erhielten 100 aus Phyle zurückgekehrte Bürger auf Antrag des Archinos öffentliche Ehrengaben (je einen Olivenzweig und eine Spende in Höhe von 10 Drachmen für Weihe- und Opferzwecke): Dies geht sowohl aus Aischin. 3.187ff. als auch aus der ursprünglich im Metroon aufgestellten Inschrift hervor, deren Fragmente A.E. Raubitschek, The Heroes of Phyle, Hesperia 10, 1941, 284-295, ediert und kommentiert hat. Natürlich war die Zahl der Athener, die sich an der kathodos von Phyle an beteiligt hatten, höher, da einige in den darauffolgenden Kämpfen gegen die Dreißig fielen. 795 Versucht man die von Xenophon (hell. 2.4.5) gegebene Zahl 700 mit anderen Quellen in Übereins tirnmung zu bringen, muß folgende Berechnung angestellt werden. Zu den aus Phyle zurückgekehrten 100 Athenern müssen die 300 Söldner addiert werden, die Lysias auf Agina angeworben hatte (Lys. Frg. 1,6.1 Gernet/Bizos; Schol. Aischin. 3.195; [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 835F). Dazu kommen die Metöken, die in der Ehrenurkunde IG ΙΓ 10+ (Osborne, Naturalisation I, D6) aufgeli stet sind. Nach der Analyse der Inschrift durch Osborne (Naturalisation II, 42: "category" I) müssen die letzteren, die die kathodos von Phyle an mitgemacht und den Bürgerkrieg überlebt hatten, ca. 90
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IV. Die Wohltaten der Metoken
Überraschungsangriff das mit Peloponnesiem verstärkte Heer der Dreißig nördlich von Achamai zu besiegen.796 Als die Demokraten wenige Tage nach dieser Schlacht in Piräus einmarschierten, war ihre Stärke bereits auf etwa 1000 Mann angewach sen.797 Die Entscheidungsschlacht zwischen dem Heer Thrasybuls und den Dreißig fand im April oder Mai in Munychia in der Nähe des Artemis-Heiligtums statt, in de ren Verlauf wichtige Führer der Dreißig (u.a. Kritias und Hippomachos) fielen.798 Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit gingen hier die Demokraten als Sieger hervor, u.a. deswegen, weil sie von den dortigen Umwohnern Unterstützung erhielten, die im Kampf leichte Waffen und Steine einsetzten.799 Wie D.F. Middleton nachgewiesen hat, befanden sich unter diesen Helfern auch Thraker, die vom Tempel ihrer Gottheit Bendis oder aus ihren Behausungen in der näheren Umgebung des Heiligtums her beigeeilt waren, um am Kampfgeschehnis teilzunehmen.800 Die Demokraten rechneten nach dieser Schlacht mit weiteren Kämpfen gegen die Stadtpartei, die nach ihrer Niederlage die Dreißig abgesetzt und die Regierungs gewalt einem gewählten Zehnmännerkollegium übertragen hatte.801 Darum sahen sie sich zur Anwerbung weiterer Mitstreiter genötigt. Dies erreichten sie, indem sie allen für die Sache der Demokratie kampfbereiten Fremden Belohnungen versprachen. Xenophon teilt mit, daß die Anführer der Demokraten ummittelbar nach der Schlacht von Munychia πιστά δόντες, οϊτινες συμπολεμήσιαν, και ει ξένοι είεν, ίσοτέλειαν εσεσθαι.802 Aus der Athenaion Politeia des Aristoteles wissen wir, daß Thrasybul unmittelbar nach der Wiedereinführung der Demokratie eine Bürger rechtsverleihung an die Fremden beantragt hatte, um auf diese Weise seinem Ver sprechen nachzukommen.803 Eine größere Schlacht mit den astoi, die nicht nur Lysander, sondern auch den Spartanerkönig Pausanias, der mit drei Ephoren und einer peloponnesischen Truppe
Personen gewesen sein. Somit ergibt sich für die Phylekämper unabhängig von Xenophon die Zahl ca. 500. Doch ist hierbei die Verlustziffer unberücksichtigt. Da die Demokraten in mindestens drei Schlachten (Achamai, Munychia, Piräus) verwickelt waren, können wir, um auf die Zahl Xenophons zu gelangen, eine realistische Größe von 200 Gefallenen kalkulieren. Wird diese Verlustziffer proportional auf Bürger, Metöken und Söldner verteilt, kann man von den 700 Phylekämpfem etwa 150 als Metöken und eine gleiche Zahl als Athener betrachten. Anders Krentz, Thirty 84 Anm. 54, der — ohne die Verluste zu berücksichtigen - die Metöken mit 300 berechnet. Zur Zusammensetzung der 700 Mitstreiter s. auch Flaig, Amnestie und Amnesie 130 Anm. 3. 796 Xen. hell. 2.4.4-7; Diod. 14.33.1. 797 Xen. hell. 2.4.10; vgl. auch Com. Nepos, Thrasyb. 2.1 f. 798 Xen. hell. 2.4.10-22; Aristot. Ath. pol. 38.1; Diod. 14.33.2-4; Com. Nepos, Thrasyb. 2.5-7; Justin 5.9.1.4-10; Oros. 2.17.1 lf.; nähere Einzelheiten über die Schlacht bei Cloche, Restauration democratique 47ff. und Krentz, Thirtv 89ff. 799 Xen. hell. 2.4.12. 800 D.F. Middleton, Thrasyboulos' Thracian Support, CQ 32,1982, 298-303. Einige der in der Ehrenurkunde IG II 10+ (= Osborne, Naturalization I, D6) verzeichneten Namen sind thrakischen Urprungs: Garys, Blepon, Egersis, Epiktas, Dexios und Bendiphanes. soi Xen. hell. 2.4.24. 802 Xen. hell. 2.4.25. 803 Aristot. Ath. pol. 40.2.
2. Euergesien freiwilligen Charakters
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nach Anika herbeigeeilt war, zur Seite hatten, bleib aus.804 Vielmehr nahmen die Bür gerkriegsparteien unter maßgeblicher Beteiligung des Pausanias Verhandlungen auf und einigten sich auf eine Aussöhnung, die Anfang Oktober 403/2 zur Wiederverei nigung der Piräuspartei mit den astoi sowie zur Restauration der Demokratie führte.805 Bald nach der Wiedererrichtung der demokratischen Ordnung stellte Thrasy bul in der Ekklesie den Antrag, allen aus Piräus zurückgekehrten Mitstreitern nicht athenischer Provenienz das Bürgerrecht zu verleihen. Nach dem Zeugnis der Athenaion Politeia wurde der Antrag durch Archinos, der gegen Thrasybul eine γραφή παρανόμων erhob, zu Fall gebracht, angeblich deshalb, weil sich unter den Kandida ten auch Sklaven befanden.806 Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Antrag auch Skla ven berücksichtigt waren und daß deren Besitzer sie nicht freigeben wollten. Auch dürfte bei vielen Athenern der Wille und die Bereitschaft gefehlt haben, mit ehemali gen Sklaven das Bürgerrecht zu teilen. Die eigentliche Ursache für die Kassierung des Antrages dürfte aber viel tiefer liegen und muß in den Streitigkeiten zwischen Thra sybul und Archinos und ihrer Anhängerschaften im Hinblick auf die Neugestaltung der Demokratie gesucht werden. Während Thrasybul eine radikale Richtung vertrat und möglicherweise auf Vergeltung an den astoi, die die Terrorherrschaft der Dreißig geduldet und unterstützt hatten, spekulierte, strebte Archinos als gemäßigter Demo krat auf einen Ausgleich zwischen den Bürgerkriegsparteien, der durch die völlige Amnestie zum Ausdruck kam.807 Doch läßt sich dieser Dualismus wegen der mageren Quellenlage nicht zufriedenstellend verfolgen.808 Diesem Dualismus ist auch Lysias zum Opfer gefallen, dessen Bürgerrecht, das anscheinend unabhängig vom Antrag der Phyle- und Piräuskämpfer eingebracht worden war, bald nach der Verleihung wieder kassiert wurde.809 804 Zur Vermittlerrolle des Pausanias bei der Aussöhnung s. Lys. 12.58ff.; Xen. hell. 2.4. 28-36 mit P. Harding, King Pausanias and the Restrauration of Democracy at Athens, Hermes 116, 1988, 186ff. Zwischen den Peloponnesiern und den Demokraten kam es lediglich zu zwei Kampfhandlungen, in deren Verlauf die letzteren 30 Leichtbewaffnete (Xen. hell. 2.4.33) und 150 Hopliten (Xen. hell. 2.4.34f.) verloren. 805 Die wichtigsten Vereinbarungen des Versöhnungsvertrages (u.a. Sicherungs- und Rehabilitierungsgarantien für die astoi sowie Amnestiebestimmungen) erwähnt Aristot. Ath. pol. 39. S. dazu die detaillierte Untersuchung von T.C. Loening, The Reconcilation Agreement of 403/2 B.C. in Athens. Its Content and Application, Stuttgart 1987 (Historia Einzelschriften 53). 806 Aristot. Ath. pol. 40.2. 807 Aufschlußreich ist hierbei, daß Thrasybul seine Mitstreiter in der von Xenophon (hell. 2.4.13ff.) wiedergegebenen Rede vor der Schlacht von Munychia mit Appellen an die Rache und an den Willen zum bloßen Sieg anfeuert. Flaig, Amnestie und Amnesie 144 Anm. 76 bemerkt zu dieser Rede, daß sie "ein Paradestück des agonalen und rachefreudigen Ethos" ist. 808 S. dazu die Bemerkungen von Cloche, Restauration democratique 452ff. 809 [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 835F; Phot. Bibl. cod. 262. Pseudo-Plutarch gibt als Grund einen Formfehler an — der Antrag auf Einbürgerung des Lysias war ohne Zustimmung des damals noch nicht gebildeten Rates erfogt - , den Archinos zum Vorwand nahm, gegen Thrasybul, den Initiator. des Antrags, ins Feld zu ziehen. Es wäre allerdings zu einfach, wollte man die Aberkennung des Bürgerrechts von Lysias einzig auf einen Formfehler zurückfuhren, der zudem durch einen neuen Antrag hätte leicht ausgeglichen werden können! Der eigentliche Anlaß ist wiederum in den Streitigkeiten zwischen den führenden Politikern Archinos und Thrasybul zu suchen.
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IV. Die Wohltaten der Metoken
In einer entspannteren Atmosphäre haben Kreise um Thrasybul etwa zwei Jahre nach dessen gescheitertem Versuch bei der Ekklesie die Belohnung der Metökenkämpfer durchgebracht. Dies geht aus der 1884 auf der Akropolis gefundenen Inschrift IG II 10+ hervor, die zu den meistdiskutierten epigraphischen Funden aus Athen zählt, nicht zuletzt deshalb, weil ihr fragmentarischer Zustand im Hinblick auf die Art der Belohnung verschiedene Alternativen zuläßt. Die Interpretation dieser Urkunde hat in den letzten Jahren durch P. Krentz, MJ. Osbome und D. Whitehead neue Impulse erhalten. Als opinio communis haben sich unter diesen Gelehrten vier Punkte ergeben, an denen nicht mehr gerüttelt werden kann: 1) Der Beschluß wurde im Jahre 401/1 gefaßt, in dem [Ξεναίνετ]ος (Ζ. 2) das Archontenamt bekleidete.810 2) Die Anzahl der Fremden, die eine Belohnung erhielten, belief sich unter Berück sichtigung der von D . Hereward (New Fragments of IG II 2 10, BSA 47,1952,102ff.) veröffentlicheten Ägina-Fragmente, die ursprünglich auf der Rückseite der Stele an gebracht waren, auf 1000-1200.811 3) Diese wurden, eingeteilt in drei Gruppen, in die Liste der 10 attischen Phylen aufgenommen. Als Kriterium für die Einteilung in Gruppen diente der Zeitpunkt ihrer Beteiligung an der kathodos.^2 4) Der in Zeile 9 erwähnte Begriff έ]γγύεσις ist entgegen früherer Interpretationen nicht als Synonym zu έτπγαμία (legitime Ehe mit Athenerinnen, die ihren Nachkom men das athenische Bürgerrecht in Aussicht stellte) zu verstehen, sondern als das Versprechen auf eine rechtliche Vergünstigung, das Thrasybul 404/3 den fremden Mitstreitern zugesichert hatte.813 Umstritten bleibt wegen der Lücke im Stein die Kernfrage nach dem Grad der Belohnung. Erhielten die Metöken das Bürgerrecht, das laut Aristoteles der erste, ge scheiterte Antrag Thrasybuls 403/2 vorsah, oder die von Xenophon genannte Isotelie? Krentz spricht sich dafür aus, daß alle drei Gruppen mit der Isotelie belohnt wurden.814 Nach Osborne, der sich auf traditionellen Bahnen bewegt, wurde die erste Gruppe von 70-90 Metöken, die von Phyle an dabei gewesen war, eingebürgert, die übrigen Mitstreiter hingegen mit der Isotelie ausgezeichnet.815 Whitehead jedoch hat 810 Osborne, Naturalisation II, 29ff.; Whitehead, Thousand New Athenians 8; Krentz, Rewards 201 Anm. 1. 811 Krentz, Foreigners 305; ders., Rewards 203; Osborne, Naturalisation II, 35ff.; Whitehead, Thousand New Athenians 8. 812 Die Benennungen der drei Gruppen lauten im Dekret (zitiert nach der Rekonstruktion von Osborne, Naturaüzation I, D6): α) οϊδε συνκατηλθον άττό Φυλής (Α, Ζ. 4 [vollständig erhalten] und A, col. Ι, Ζ. 1 [ergänzt]); β) οϊδε συνεμάχησαν τήμ μάχη ν την Μονιχίασιν (Α, Ζ. 7 [erhalten], Α, col. Π [voll ständig ergänzt]); γ) οϊδε [ττ]αρέμ[ενον τώι] | έμ Περαιεϊ δ[ήμωι] (Β, col. II, Ζ. 27f.); vgl. Osborne, Natu raüzation II, 37; Whitehead, Thousand New Athenians 8f.; Krentz, Rewards 203f. 813 Osborne, Naturaüzation II, 35: "pledge"; Whitehead, Thousand New Athenians 8f.: "... the only sadisfactory Interpretation ... is to take egguesis in the general sense of a solemn undertaking or pledge, so that this group are being rewarded 'in accordance with the pledge given' (κατά την δοθεϊσαν έ]γγύεσιν, Osborne)"; Krentz, Rewards 202. 814 Krentz, Foreigners 304; ders., Thirty HOff. und ders., Rewards 201 ff. 815 Osborne, Naturaüzation II, 32ff. Die Zeilen 4-9 hat Osborne, Naturaüzation I, D6 wie folgt hergesteUt: όπως αν αξίας χάριτας κομίσωνται oi ξέν]οι όσοι συνκατηλθον από Φυλής ή τοις κατελ[θδσι
2. Euergesien freiwilligen Charakters
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stichhaltige Argumente dafür gebracht, daß alle drei Gruppen das attische Bürgerrecht erhielten.816 Die wichtigste Beobachtung Whiteheads, die für die Verleihung der Politie an alle 1000-1200 Mitstreiter spricht, ist der Umstand, daß sie alle in die zehn attischen Phylen aufgenommen wurden. Im Dekret sind ihre Namen unter den einzelnen Phylen aufgelistet. Dies kann nur bedeuten, daß sie in die Listen der Phylen eingetragen wurden, also athenische Bürger wurden. Aus der Athenaion Politeia des Aristoteles geht nämlich klar hervor, daß weder gewöhnliche Metöken noch Isotelen Angehörige einer Phyle waren: Eine Privatklage gegen athenische Bürger wurde bei den Phylenrichtern eingereicht.817 Wenn es sich bei den Angeklagten aber um Metöken, Isotelen oder Proxenoi handelte, mußte der Ankläger den Polemarchen konsultieren. Dieser gab den Fall nach dem System der Auslosung an die Phylenrichter weiter.818 Ein solcher komplizierter Rechtsweg wäre gemieden worden, wenn auch die ortsansässigen Fremden in den Listen der Phylen aufgeführt gewesen wären. Daß die Isotelen keiner Phyle angehörten, beweist auch eine 1983 von M. Walbank publizierte Abrechnungsurkunde der Poletai aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, die Whitehead nicht berücksichtigt hat. Dort ist der Isotele Apemon, der öffentliches Tempelland in Pacht genommen hatte, nicht mit dem Demorikon, sondern als "in Piräus wohnhaft" vermerkt.819 Dieser Beleg zeigt deutlich, daß Isotelen nicht in den Demen- und Phylenlisten eingeschrieben waren, sondern in einem zentralen Katalog, den der Polemarch führte. Es sei hinzugefügt, daß keiner der Isoteliedekrete die Bestimmung enthält, man solle die Honoranden einem Demos oder einer Phyle zuweisen. Die im Dekret IG Ι Γ 10+ vorgenommene Zuteilung der fremden Mitstreiter Thrasybuls in die Phylen ist einzigartig und deutet auf deren Einbürgerung hin. Beachtung verdient auch die Klausel νόμοις δέ τοις αύτοΐς περί αυτών τάς αρχάς χρ[ήσθαι οίς κ|αι περί τών άλλων 'Αθηναίων κτλ.] in den Zeilen 6-7, deren Ergänzung durch Osbome aufgrund von Parallelformeln in anderen Politiedekreten gesichert zu sein scheint. Eine solche Bestimmung ergibt aber nur einen Sinn, wenn sie eine Bürgerrechtsverleihung beinhaltet, worauf Osbome selbst hinwies.820 Einzige Grundlage für die Verfechter einer Isotelieverleihung ist die zentrale Stelle bei Xenophon, nach der Thrasybul und die übrigen Anfuhrer der Demokraten in Piräus πιστά δόντες, οϊτινες συμπολεμήσιαν, και ει ξένοι είεν, ίσοτελειαν εσεσθαι.821 Welche vielfältige Bedeutung ίσοτέλεια einnehmen kann, ersieht man aus einem andeσυνελάβ||οντο ες την κάθοδον την εις Περαιά, περί μεν τούτων] έψηφίσθαι 'Αθηναίος είναι αύτοΐς και έκγόν[οις πολιτεί|αν και νεμαι αυτός αύτίκα μόλα ες τάς φυλάς δέκαχα], νόμοις δέ τοις αύτοίς περί αυτών τάς αρχάς χρ[ήσθαι οΐς κ|αί περί τών άλλων Αθηναίων όσοι δέ ήλθον ύστερον], συνεμάχησαν δέ τημ μάχην τήμ Μονιχίασιν, τον δέ [Περαιά δ|ιέσωισαν, όσοι δέ παρέμενον τώι έμ Περαιεΐ δήμωι ο]τε αϊ διαλλαγαί εγενοντο, και εποιδν τά προστατ[τόμενα, τ|ότοις έναι ίσοτελειαν οίκοσι Άθήνησιν κατά την δοθεΐσαν έ]γγύεσιν καθάπε[ρ Ά]θηναίος τός δέ [ ]. 816 Whitehead, Thousand New Athenians 8ff. 817 Arist.Ath. pol. 53.8. 818 Arist. Ath. pol. 58.2 mit Whitehead, Thousand New Athenians 9f. 819 MB. Walbank, Hesperia 53, 1983, 108, Frg. c, Z. 2-4 (= Athenian Agora XIX, 183 Nr. L6, Z.133-135): Άπημων'Αδε[..|....ΐ3....] ίσοτ(ελής) έμ Πειραιεϊ ο|[ίκών. 820 Osbome, Naturalisation Π, 33 mit Parallelstellen. 821 Xen. hell. 2.4.25.
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IV. Die Wohltaten der Metoken
ren Passus Xenophons. 822 In den Poroi heißt es, der Staat habe auch den Metöken das Recht zugestanden, in den attischen Bergwerken Konzessionen zu erwerben: παρέχει γουν (sc. ή πόλις) επί ισοτελείςκ και των ξένων τω βουλομένω έργαζεσθαι εν τοις μετάλλοις.823 Wie bereits S. Lauffer gesehen hat, verwendet Xenophon ίσοτέλεια, um zum Ausdruck zu bringen, daß die Bedingungen, insbesondere die Pachtgebühren für den Erwerb einer Erzgrube, für Fremde wie Bürger επί ίσοτέλεια, d.h. dieselben wa ren.824 Auch in seinen Hellenika verwendet er ίσοτέλεια im metaphorischen Sinne: Die fremden Mitstreiter sollten gemäß Thrasybuls Versprechen in der neuen demokrati schen Ordnung, die nach einem Sieg über die Stadtpartei entstehen sollte, unter den gleichen Bedingungen wie die Bürger leben, also athenische Bürger werden.825 Daß Xenophon nichts anderes gemeint haben kann, wird auch aus der Notiz der Athenaion Politeia deutlich, nach der der erste Versuch Thrasybuls, mit dem Bürgerrechsantrag an die fremden "Retter der Demokratie" sein Versprechen zu erfüllen, am Wi derstand der Mehrheit des Demos gescheitert war. Nach einer solchen Deutung der zentralen Xenophonpassage ist allen, die in Anlehnung daran in der Urkunde IG II 10+ eine Isotelieverleihung ergänzt haben, jegliche Beweiskraft entzogen. Die Einbürgerung von 1000-1200 Fremden im Jahre 401/0, die keinen ge wöhnlichen Akt darstellte, hat auch in den schriftlichen Quellen ihren Niederschlag gefunden. Eigenartig ist nur, daß diese in der bisherigen Forschungsliteratur keine Berücksichtigung erfahren haben. In einer 399/8 gehaltenen Rede schmeichelt Andokides (2.23) den athenischen Richtern mit dem Argument, όρώ δε υμάς πολλάκις και δούλοις άνθρώποις και ξένοις παντοδατιοϊς πολιτείαν τε δίδοντας και εις χρήματα μεγάλας δωρείας, οι αν υμάς φαίνωνται ποιουντές τι αγαθόν, και ταύτα μέντοι ορθώς ύμεΐς φρονοϋντες δίδοτε* ούτω γαρ αν υπό πλείστων ανθρώπων ευ πάσχοιτε. Andokides dürfte bei den mit der Politie belohnten Fremden in erster Linie an die Ruderer, die bei den Arginusen zum Sieg über die spartanische Flotte beigetragen hatten, und an die Phyle- und Piräuskämpfer gedacht haben. Er hatte gute Gründe, die "großzügige" Einbürgerungspolitik der Athener gutzuheißen, weil er auf diese Weise seine Mitbür ger dazu bewegen wollte, die Atimie aufzuheben, die über ihn verhängt worden war. Isokrates hingegen gingen die Masseneinbürgerungen im ausgehenden 5. Jahrhundert eindeutig zu weit. In der 356 abgefaßten Rede über den Frieden wirft er den Athe nern nach Aufzählung der Verluste während des Peloponnesischen Krieges vor, sie hätten einerseits die öffentlichen Gräber mit Bürgern angefüllt, andererseits aber zahlreichen Fremden den Weg in die Phratrien und Demenlisten eröffnet, obwohl diese keinen Bezug zur Polis gehabt hätten: τελευτώντες δ* έλαθον σφάς αυτούς τους μεν τάφους τους δημοσίους των πολιτών έμπλήσαντες, τάς δε φρατρίας και τα γραμμα-
822 Zum vielfältigen Gebrauch des Wortes τέλος und seiner Komposita s. auch meine Bemerkun gen S. 224. 823 Xen.vect. 4.12. 824 Lauffer, Bergwerkssklaven 209 mit Anm. 2f.; weitere Literaturhinweise bei Schütrumpf, Xenophons Vorschläge 95 Anm. 19f. 825 In diesem Sinne auch Whitehead, Thousand New Athenians 9; vgl. auch ders., Isoteleia 22.
2. EuergesienfreiwilligenCharakters
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τεΐα τα ληξιαρχικά των ουδέν τη πόλει προσηκόντων.826 Aus dieser Stelle läßt sich soviel entnehmen, daß sich Isokrates' Beschwerde gegen Masseneinbürgerungen richtete, die in die letzten Jahre des 5. Jahrhunderts fielen. Auch wenn er keine genauen An haltspunkte über die Situationen gibt, in denen die Politieverleihungen erfolgt waren, hatte er m.E. auch die Phyle- und Piräuskämpfer vor Augen. Möglicherweise können wir in dem κήρυξ Eukles (PA 5732) einen der Freiheitskämpfer von 404/3 greifen, die 401/0 das Bürgerrecht erhielten. Um dies zu verdeutlichen, ist allerdings ein Umweg nötig. Eukles war bereits um 415 Herold des Rats und der Ekklesie und ist in dieser Funktion in der Rede des Andokides über die Mysterien genannt.827 Aus zwei — auf derselben Stele IG II 145 verzeichneten - Eh rendekreten für ihn und seinen Sohn wissen wir, daß er die kathodos mitgemacht hat te. Sein Name muß daher im ursprünglichen Gesamtverzeichnis IG II 10+ mit den übrigen 1000-1200 Kämpfern gestanden haben, fehlt aber in den erhaltenen Frag menten. Für seine Teilname an der kathodos wurde er unmittelbar nach der Wieder herstellung der Demokratie erneut zum Herold des Rats und der Ekklesie gewählt. Er erhielt damals auch Zugang (πρόσοδος) zum Rat; zudem wurde sein Gehalt (μισθοφορία) neu geregelt.828 Aus der Tatsache, daß der Demos ihm Proshodos ver lieh, wird ersichtlich, daß er zum Zeitpunkt seiner Ehrung noch kein athenischer Bürger war. Die Geschichte des Euklesgeschlechts läßt sich aus einer Fülle von In schriften bis in das 1. Jahrhundert v. Chr. nach verfolgen, weil auch seine Nachkom men als öffentliche Ausrufer tätig waren.829 In der Prytanenliste des Jahres 305/4 er scheint der gleichnamige Enkel (oder Urenkel) des Eukles nicht nur als Herold, son dern auch als athenischer Bürger, der im Demos Τρινεμεία eingeschrieben war.830 Zur Frage, in welchem Zeitraum zwischen 403/2 und 305/4 die Familie eingebürgert wurde, muß folgende Überlegung angestellt werden: Die Herolde Athens waren ent weder Staatssklaven oder Freigelassene und daher in der Regel nicht sehr vermö-
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Isokr. 8.88. m Andok. 1.112.115. 828 IG II 2 145, Z. 4-10: είναι 7τρόσοδ]ον Εύκλεΐ άνδραφαθίας || [ένεκα και προθυμίας], επειδή άνήρ αγαθός έγέ|[νετο περί τον δήμον τ]όν Αθηναίων και τήν κάθ|[οδον του δήμο του Άθην]αίων και τήν έλευθερί|[αν κηρυκεύεν δ' αυτόν τ]ήι βολήι και τώι δήμω[ι | τώι 'Αθηναίων, την δε μι]σθοφορίαν είναι αύτώ||[ι ]. Seine Beteiligung an der kathodos war ein Grund dafür, daß das Amt des Herolds auch auf seinen Sohn Philokles überging (Z. 14-16 desselben Dekrets: έπειδ[ή] άνήρ αγαθός || [έγένετο ό πατήρ το Φ]ιλοκλέους περί τ[ό]ν δήμο|[ν τον 'Αθηναίων και τ]ήγ κάθοδον του δήμο, έψηφ|[ισθαι] ... εϊναι τήγ κη|[ρυκείαν Φιλοκλεϊ καθάπ]ερ τωι πατρί αύτδ κτλ,). 829 Sie werden als Herolde erwähnt in den Inschriften (unvollständig): IG ΙΓ1673, Z. 60 (Dat.: ca. 327/6); Athenian Agora XV, Nr. 58, col. I, Z. 35 (Dat.: 305/4); IG II 2 678, Z.9 (Dat.: vor 276/5); IG II 2 848, Z. 44f. und Frg. b, Z. 20 (Dat.: ca. 209/8); IG II2 912, Z. 16f. (Dat.: um 200); IG II2 913, Z. 4f. u. 33 (Dat.: um 200); IGlf 914 (Dat.: um 200); IG II 2 915, Z. 23f. (Dat.: um 200); IG II2 952, Z. 14f. (Dat. ca. 161/0); IG II2 972, Z. 7 (Dat.: um 140); hinzu kommen eine Grabinschrift aus dem 1. Jahrhundert und weitere Belege, die Wilhelm, Beiträge 85f. ausgewertet hat; s. daneben auch die prosopographischen Bemerkungen bei Pope, Non-Athenians 50. 830 Athenian Agora XV, Nr. 58, col. I, Z. 35. Er dürfte mit dem in IG II21673, Z. 60 (Dat.: ca. 327/6) genannten Herold Eukles identisch sein. Auch seine Nachkommen führen in einigen der in der vorigen Anmerkung genannten Inschriften das Demotikon Τρινεμεεύς.
192
IV. Die Wohltaten der Metöken
gend.831 Auch der Vermögensstand des Eukles und seiner Nachkommen dürfte recht bescheiden gewesen sein. Daher können weder Eukles' Sohn Philokles noch sein Enkel (oder Urenkel) den Status eines Atheners — etwa durch Geldspenden an den Staat - erlangt haben. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Eukles selbst das Bürger recht in seine Familie einbrachte, u.z. im Jahre 401/0, als er zusammen mit den übri gen Phyle- und Piräuskämpfem geehrt wurde. Vermutlich waren alle 1000-1200 mit dem Bürgerrecht belohnten Freiheits kämpfer Metöken, obwohl laut Aristoteles der erste Antrag Thrasybuls angeblich daran gescheitert war, weil er auch zahlreiche Sklaven berücksichtigt hatte. Nun erscheinen auf der Rückseite der Inschrift IG II 10+ alle Honoranden mit ihren technitika**2· Ein solches Epitheteton war aber nur für Metöken und Freigelassene üblich, während Sklaven in den staatlichen Urkunden mit den Namen ihrer Besitzer aufge führt werden.833 Deshalb liegt es nahe, in den δούλοι des Aristoteles Freigelassene zu sehen, die zum Zeitpunkt der Kämpfe längst Metöken geworden waren.834 IG II 10+ ist das wichtigste Zeugnis dafür, daß der Freiheitskampf gegen die Dreißig Tyrannen zu einem erheblichen Teil von den ansässigen Fremden mitgetra gen wurde.835 Während die Bürgerschaft in zwei Kriegsparteien gespalten war, ent schieden sich die Metöken aus verständlichen Gründen für die Sache der Demokra tie. Die Terrorherrschaft der Dreißig, die auch vor Hinrichtungen an Metöken und der Beschlagnahme ihres Vermögens nicht haltmachte, hatte sie belehrt, daß eine friedliche Existenz mit den Bürgern nur in einer demokratischen Ordnung möglich war. Allein dieses "ideologische" Motiv wäre für viele Metöken ausreichend gewesen, für die Piräuspartei die Waffen zu ergreifen. Als kluger Politiker stellte Thrasybul sei nen fremden Mitstreitern zudem das Bürgerrecht in Aussicht, was deren besonders hohen Zulauf letztlich erklärt. M.E. sind die oben genannten Indizien ausreichend genug, um zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß die Athener nach 401/0 mit 1000-1200 Fremden alle Vorzüge und Nachteile eines Bürgers teilten.
»i S. z.B. IG II 2 120, Z. 12, wo ein Herold als Staatssklave (δημόσιος) bezeichnet wird. Sicher ergänzbar sind Berufsbezeichnungen von nur 69 Metöken, die alle in der zweiten und dritten Gruppierung aufgelistet sind: Zwei Emporoi, mehrere georgoi (nicht landbesitzende Bauern, wie Ehrenberg, Aristophanes 162, annahm, sondern Pächter), Handwerker (Maurer, Tischler, Schmiede, Sattler und Walker) und kapeloi sowie Personen mit noch "niedrigeren" Berufen (Tagelöhner, Maul- und Eseltreiber, Lastträger). Auch ist ihre ethnische Zusammensetzung vielfältig: neben in der Mehrzahl genuin griechischen Namen kommen ebenso thrakische und ägyptische Namen vor. Nähere Einzelheiten zu den Berufen bei Tod, Freedmen's Professions 18ff.; Gluskina, Sozialökonomische Verhältnisse 122; Jameson, Agriculture and Slavery 134f.; s. auch Spahn, Fremde und Metöken 51. 833 Als Beispiele seien genannt IG II2 1553-1578 (Listen der φιάλαι έξελευθερικαί); IG II2 1672f. (Bauabrechnungsurkunden aus Eleusis); IG IT 1631, Z. 513ff, und 1951, Z. 102f. (Seeurkundeh). Weitere Belege bei Diller, Race Mixture 161.178f.; Tod, Freedmen's Professions 22ff.; Gluskina, So zial-ökonomische Verhältnisse 119ff.; Whitehead, Metic 32 mit Anm. 36; Jameson, Agriculture and Slavery 132ff. 834 Ähnlich Whitehead, Metic 158. 835 S. dazu auch die Bemerkungen von Krentz, Thirty 129 und Whitehead, Thousand New Athenians 8. 832
2. EuergesienfreiwilligenCharakters
193
In der weiteren Geschichte Athens bot sich den Metöken keine weitere Gele genheit für freiwillige militärische Hilfeleistungen großen Ausmaßes. Allerdings be stand immer die Möglichkeit, während eines obligatorischen Kriegseinsatzes beson dere Tapferkeit an den Tag zu legen und so den Dank des Demos zu ernten, der zur Verleihung rechtlicher Vergünstigungen fuhren konnte. Die Triebkraft zu solchen tollkühnen Taten, die man in einigen Ehrendekreten greifen kann, war wahrschein lich in erster Linie die Aussicht auf eine Belohnung, was bei der stark geprägten dout-des-Mentälität nicht überrascht. Um 342/1 wurde der Metöke Asklepiodoros mit der Isotelie, einem Kranz und einem Gastmahl im Prytaneion geehrt, weil er sich während einer Seeschlacht auf dem Schiff des Chares von Aixone durch besondere Tapferkeit (άνδραφαθία) ausgezeichnet hatte: επειδή [Ασκ]λητη[όδω|ρος άνήρ] αγαθός έγένετο μ[αχό]μενος π[ρ|ός τους] πολεμίους π[λέω]ν έ[πί] της τριήρ|[ους της] Χάρητος του Αίξων[έω]ς, έπαινέ[σ||αι αύτό]ν και στεφανώσαι θα[λ]λοϋ σθεφ[ά|νωι άν]δραφαθίας ένεκα και καλέσαι έ[π|ί ξένι]α εις το πρυτανεΐον εις αυριον [ε|ΐν]αι δε αύτώι και ισοτέλειαν και έκγ[ό]|νοις οικοϋντι Άθήνησιν καθάπερ τοΐ[ς] || άλλοις ισοτελέσιν, όπως αν ει[δ]ώσιν π[ά]|ντες όσοι αν στρατεύωνται μετ' Άθηνα[ί]|ων ΟΉ τιμαι δ δήμος τους άνδρας τους [ά|γ]αθούς κτλ.836 Beachtung verdient das Bekenntnis des Demos in den Zeilen 16-18, er wisse jeden, der im Krieg hervorragende Taten zu vollbringen in der Lage ist, ge bührend zu belohnen. Dieser Appell richtet sich in erster Linie an Metöken, aus de ren Mitte der Geehrte stammte. Überdurchschnittliche militärische Leistungen wäh rend eines Krieges bezeugt auch das in zweifacher Abschrift (IG II2 666 und 667) vorliegende Ehrendekret für den im Kriegshandwerk erfahren Metöken Strombichos. Bevor er athenischer Metöke wurde, stand er im Dienst des Demetrios Poliorketes, wechselte aber während der Erhebung von 287/6 die Seiten und hat den athenischen Strategen Olypiodoros bei der erfolgreichen Erstürmung des Museionhügels unter stützt.837 Beim Ausbruch des Chremonideischen Krieges (268/7) ergriff Strombichos wieder die Waffen και αγωνιζόμενος ύπ[η|ρέτηκεν άπαντα οσα παραγγ]έλλι ό στρατηγός.838 Für sein militärisches Engagement in den Jahren 268/7-266/5 wurde er mit dem athenischen Bürgerrecht und einem Goldkranz ausgezeichnet.839 Das sind ganz besondere Ehren, so daß man annehmen muß, daß er hervorragende militäri sche Taten vollbracht hatte. Den anderen Metöken, die während des Chremonidei schen Krieges als Hopliten dienten, wurden solche Ehren nicht zuerkannt.
836
IG II 276, Z. 6-18 = Schwenk, Laws and Decrees, Nr. 12 mit ausführlichem Kommentar. Zur Datierung s. auch Veligianni-Terzi, Wertbegriffe 74 Anm. 231. Die Grabinschrift IG II2 7879 (Φίλων | Άσκλητποδώρου | ίσοτελής) dürfte seinem Sohn gegolten haben. Vgl. Whitehead, Metic 29. «7 I G II 2 666, Z. 7-17 (= Osborne, Naturalization I, D78 A). 838 IG II 2 667, Z. 8f. (mit der Wiederherstellung von Osborne, Naturalization I, D78 B). Zwischen 287/6 und dem Ausbruch des Chremonidischen Krieges (268/7) scheint Strombichos in Athen ein friedliches Leben geführt zu haben. Verdienste während dieser Zeit werden im ansonsten sehr ausfuhrlichen Dekret zumindest nicht vermerkt. Vgl. Osborne, Naturalization II, 164ff.; Habicht, Athen 152. «9 IG II 2 667, Z. 19-24 (= Osborne, Naturalization I, D78 B).
V· DIE "DANKBARKEIT" DER POLIS: VERGABE VON PRI VILEGIEN UND EHREN AN METÖKEN
Leistungen der Metöken, die über die von der Polis festgelegten Pflichten hinausgin gen, pflegten gewöhnlich kurze Zeit nach ihrer Erbringung honoriert zu werden. In den meisten Fällen erfolgte die Belohnung des Demos noch im Jahr der Wohltat. Daraufweist das im erweiterten Motivbericht vieler Ehrendekrete des 4. und S.Jahr hunderts anzutreffende Partikel και νυν hin, das als Trennglied zwischen den frühe ren, ehrenhalber aufgeführten Verdiensten des Geehrten und der letzten, den Be schluß veranlassenden Wohltat fungiert. Solche erweiterten Motivberichte ermögli chen darüber hinaus zu bestimmen, welche Leistungen einer Belohnung für wert be funden wurden. Dazu greife ich das lange Ehrendekret IG II 505 für Nikander und Polyzelos aus dem Jahr 302/1 heraus, das an Ausführlichkeit seiner Motivation alle anderen für Metöken erlassenen Beschlüsse übertrifft. Dort sind Präskript (Z. 1-8) und Privilegienkatalog (Z. 42-65) zusammengenommen kürzer als die 35 Zeilen um fassende Motivation (Z. 8-42), die mehrere Verdienste der beiden Freunde nennt. Um die Würde der Geehrten hervorzuheben, werden darin neben ihren freiwillig ge leisteten Wohltaten auch die ihnen von der Polis auferlegten Pflichten aufgezählt: Ni kander und Polyzelos hatten in ihrem langen Leben bei keinem Kriegseinsatz der Athener gefehlt, sondern leisteten sowohl in der Infanterie als auch in der Flotte Wehrdienst (Z. 37ff.). Der Leser erfährt in diesem Zusammenhang ausnahmsweise auch, daß die beiden Metöken ihre Kriegsausrüstung stets aus eigenen Mitteln bestrit ten und auf diese Weise der Polis keine Kosten verursacht hatten, was im Falle wohl habender Hopliten an für sich eine Selbstverständlichkeit war. Ferner führten sie in den Jahren 347/6 bis 323/2 regelmäßig die den Metöken auferlegte Eisphorai ab (Z. 13ff.). Solche Dienste wurden natürlich nicht belohnt, weil sie obligatorisch waren. Ihre erste freiwillige Wohltat erfolgte im Lamischen Krieg in Form von Geldspen den, die der Ausrüstung zweier Flottenunternehmungen zugute kamen (Z. 18ff.). Be vor die nächste Wohltat zur Sprache kommt, ist eine Information eingeschoben, die in den anderen Ehreninschriften meistens fehlt Nikander und Polyzelos erhielten für diese Spenden noch während des Lamischen Krieges Goldkränze im Wert von je weils 300 Drachmen (Z. 28). Aus dieser seltenen Nachricht kann man mehrere Fol gerungen ziehen. Der Demos honorierte "kleine" Wohltaten ebenfalls, u.z. sehr bald nach ihrer Darbringung, sei es auch nur mit einem Kranz. Solche unbedeutenden Euergesien wurden für sich allein genommen jedoch nicht auf Stein verewigt, weswe gen wir von ihnen selten hören, obwohl sie sehr oft vorgekommen sein dürften. Da für, daß die beiden Geldspenden des Nikander und Polyzelos mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Darbringung gleichsam als "Anhängsel" späterer Leistungen mitgenannt werden, ist der seit ca. 330 zu beobachtenden Formwandel verantwortlich, der darin
196
V. Die Dankbarkeit der Polis
zum Ausdruck kommt, daß die Motivation mancher Ehrendekrete "barockhaft" aus gedehnt wird.840 Ebenfalls als "Anhängsel" sind die Epidosisbeiträge von jeweils 1000 Drach men anzusehen, die Nikander und Polyzelos im Jahre 319/8 oder 307/6 [ε]ίς [τήν παρασκευήν του π]ολέμου και τήν σωτηρία[ν] της π[όλεως] abgeführt hatten (Ζ. 28ff.). Eine Spende von 1000 Drachmen war für den Demos anscheinend jedoch zu gering, um gleich vergolten zu werden. Andernfalls wäre deren Belohnung in der ansonsten ausführlichen Motivation nicht verschwiegen worden. Ihre größte (und letzte) Wohl tat erwiesen die beiden Metöken im Jahre 306/5, als sie auf eigene Kosten den Wie deraufbau eines Teils der südlichen Langen Mauer mit mehreren dazugehörigen Türmen finanzierten (Z. 31 ff.). Angesicht so vieler Wohltaten, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckten, könnte man meinen, daß hier nicht einzelne Verdienste honoriert wurden, sondern der gesamte Einsatz der beiden Metöken für die Polis. Auffallig an diesem Dekret ist ja auch, daß keinem der Verdienste eine besondere Bedeutung beigemessen wird, sondern alle Leistungen als gleichwertig gewichtet werden. Ich bin allerdings der Meinung, daß der mit großen finanziellen Belastungen verbundene Wiederaufbau der Langen Mauern der eigentliche Auslöser der großen Ehrungen (s.u.) war, die der Demos den beiden Metöken im Jahre 302/1 zukommen ließ, während die früheren Leistungen allenfalls auf den Grad der Belohnung einwirkten, diese aber nicht unmit telbar veranlaßten. Im Dekret wird ausdrücklich vermerkt, daß Nikander und Polyzelos um ihre Ehrungen selbst nachsuchten, u.z. erst vier Jahre nach ihrer finanziellen Unterstüt zung des großen Mauerbauprogramms (Z. 45ff.). Überhaupt scheint der Demos die Beantragung von Ehrungen selten selbst vorgenommen, sondern in der Regel seinen Wohltätern überlassen zu haben. Um zu seiner verdienten Belohnung zu kommen, reichte ein Wohltäter nach erbrachten Leistungen bei der Boule ein schriftliches Eh rengesuch (αίτησις) ein, das zum ersten Mal in den Poroi Xenophons (2.6) und in der Rede des Demosthenes gegen Leptines, ansonsten in einigen Ehrendekreten für ver diente Bürger und Metöken erwähnt wird.841 Ein solches Ehrengesuch umfaßte zum einen die konkreten Taten, die die Ehrung begründen sollten, zum anderen aber auch Angaben über die Art der Ehrungen, die man sich vom Demos erbat. Daß solche Bittschriften zum Teil sehr lang sein konnten, haben wir im Dekret für Nikander und Polyzelos gesehen. Das ist durchaus verständlich, weil man sich durch die Aufzäh lung aller für die Polis erbrachten Leistungen möglichst große Ehrungen erhoffte. Die Ekklesie behielt sich allerdings selbst vor, wieviele von diesen Leistungen in die Motivation des zur Veröffentlichung bestimmten Ehrenbeschlusses aufgenommen wurden. 840
Zum Formwandel der athenischen Ehrendekrete s. Rosen, Ehrendekrete 277ff. Zum Institut der αίτησις s. Gauthier, Bienfaiteurs 83ff.l84ff. sowie Zelnick-Abramovitz, Supplication and Request 554ff. mit dem Nachweis, daß diese Form des Ehrengesuches bereits im 5. Jahrhundert existierte; s. femer Quaß, Honoratiorenschicht 27 und Hennig, Immobilienerwerb 316f. mit Anm. 39. 841
Vergabe von Privilegien und'Ehrungenan Metöken
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Anders als ein Polite kann der Metöke sein Ehrengesuch schwerlich in eigener Person eingereicht haben, weil ihm der Zutritt (πρόσοδος) zum Rat (und zur Volks versammlung) verwehrt war. Vielmehr wurde dieses Recht einigen Metökeneuergeten durch Volksbeschluß erst nach dem Ehrengesuch zusammen mit den übrigen Ehren und Privilegien zugestanden, u.z. mit der Formel είναι αύτώι πρόσοδον προς την βουλήν και τον δήμον, όταν δέηται (so auch im Ehrendekret für Nikander und Polyzelos, Z. 59f.).842 Da dieses Recht zum Zeitpunkt des Ehrengesuchs den meisten Met öken fehlte, dürfte der Antrag beim Rat meist von einem befreundeten Athener ge stellt worden sein. Beim Antragsteller könnte man z.B. an den Prostates des Metöken denken, von dessen Aktivitäten man kaum etwas erfahrt. Nach der Einreichung des Ehrengesuchs beim Rat unterzogen die amtieren den Prytanen die darin genannten Leistungen und erbetenen Ehrungen einer sorgfäl tigen Prüfung und erstellten ein Gutachten (προβούλευμα) für die nächste Sitzung der Ekklesie. Das Gutachten enthielt, wie das Ehrengesuch auch, die Leistung des Wohl täters und dessen Belohnung, der sich einerseits aus zur Befriedigung der eigenen Philotimie gedachten Auszeichnungen, andererseits aber aus rechtlichen Vergünsti gungen zusammensetzte (merkwürdigerweise wurde zwischen realen Privilegien wie Politie, Enktesis oder Isotelie und profanen Auszeichnungen wie Kränze, Speisung im Prytaneion oder Prohedrie bei staatlichen Agonen begrifflich nicht unterschieden, son dern alles unter dem Ausdruck δωρεαί oder τιμαί subsumiert).843 Während die Diskus sion über die Gestalt der profanen Ehren, die ohne besonderen Aufwand zu bewerk stelligen waren, kaum Zeit in Anspruch genommen dürfte, muß den Prytanen als ei ner aus der gesamten Bürgerschaft ausgelosten und somit alle Schichten repräsentie renden Gruppe die Entscheidung darüber, welche der als sehr kostbar empfundenen bürgerlichen Rechte den Fremden gewährt werden sollten, große Schwierigkeiten be reitet haben. Weil es dem "über sein Bürgerrecht eifersüchtig wachenden Bürgerver band"844 nicht leicht fiel, rechtliche Vergünstigungen wie Enktesis oder gar das Bür gerrecht selbst an Fremde zu verleihen, galt es, die Leistungen genau zu prüfen, sie gleichsam wie in einer Waagschale abzumessen und ihren Gegenwert aus der breiten Latte der zur Verfügung stehenden Privilegien zu bestimmen.845 Anders ist die Fülle von Privilegien mit unterschiedlichem Inhalt, von denen viele bereits im 5. Jahrhun dert geschaffen und wohlüberlegt als Einzelprivileg oder in Kombination mit ande ren den fremden Wohltätern je nach Verdienst vergeben wurden, gar nicht zu erklä-
842
Zahlreiche Beispiele für Proshodos bei Henry, Honours 191ff. Die Ehrendekrete IG I 3 55, Z. 1-5 und IG I 165, Z. 18-22 enthalten auch Strafbestimmungen gegen die amtierenden Prytanen, wenn sie die Geehrten auf deren Wunsch hin nicht vor Boule und Demos führen. Vgl. Koch, Seebundangelegenheiten 443. 843 Kahrstedt, Staatsgebiet 328 Anm. 1: "Amtlich heißt δωρεά jede Bewilligung des Volkes an eine Einzelperson, in der Regel sogar des Bürgerrechts ..."; s. auch Bolkestein, Wohltätigkeit 164 mit zahlreichen Belegen. 844 Gehrke, Stasis 232. 845 In der Leptinea des Demosthenes (20.122f.) heißt es, der Demos müsse sich um eine proportio nale Belohnung seiner Wohltäter bemühen: δει τούνυν μεμερίσθαι και τα των δωρειών, V ής αν άξιος ων έκαστος φαίνεται, ταύτην παρά του δέμου λαμβάνη την δωρειάν.
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V. Die Dankbarkeit der Polis
ren. Wie vielfältig solche δωρεαί (rechtliche Privilegien + Ehren) im 4. Jahrhundert sein konnten, mag das Ehrendekret für die beiden Freunde Polyzelos und Nikander verdeutlichen: όπως αν ούν ίχπασιν ήι φανερόν οτι ή βουλή και ό | [δ]ήμος ό Αθηναίων έπίσταται χάριτας άποδιδόνα|[ι κ]αταξίας τοις φιλοτιμουμένοις ει[ς] έα[υτ]ό[ν, άγ|α]θήι τύχηι, δεδόχθαι τεΐ βουλεΐ τους προέδρους || [οι] αν λάχωσιν προεδρεύειν εν τώ[ι] δ[ήμωι] εις τή[ν π|ρώ]τ[η]ν έκκλησία[ν] χρηματίσαι περί αύ[τ]ώ[ν κ]αθά[πε|ρ αύτ]ο[ι δέ]ονται, γνώμην δε συμβάλλεσθαι [της βουλ|ής ε]ί[ς] τον δήμον οτι δοκεΐ τεΐ βουλεΐ, έπα[ινέσαι | Νίκα]νδρον Άντιφάνους Ίλιέα και Πολύ[ζηλ]ον [Απο||λλοφ]άνους ΤΕφέσιον και στεφανώσαι θαλλοϋ [στεφ]|άν[ω]ι έκάτερον αύτων είναι δε αύτοΐς κα[ι ί]σ[οτέλ|ειαν] παρά του δήμου και αύτοΐς και τοις έγγό[νοι|ς αύτ]ώ[ν] και γης και οικίας ενκτησιν και τά[ς εισφ|οράς] αυτούς εισφέρειν μετ' 'Αθηναίων και [τάς στρ||ατε]ίας στρατεύεσθαι δταν και Αθηναίοι [στρατε|ύων]τα[ι]· έπιμελεΐσθαι δε αύτ[ών] και [τήν β]ουλ[ήν τή|ν] αεί βουλεύουσαν και τους στρατηγούς, όπως αν | [μ]ηδ' ύφ' ενός άδικώνται* και είναι αύτοΐς πρόσοδο| [ν] προς τήν βουλήν και τον δήμον δταν δέωνται.846 Obwohl Nikander und Po lyzelos mit der uneingeschränkten Enktesis, Isotelie und der Gleichstellung mit den Bürgern im Militärdienst sowie bei der Bezahlung der Eisphorai an rechtlichen Privi legien das Höchste erhielten, was unterhalb der Bürgerrechtsverleihung vergeben wurde, umfaßt ihre langer Ehrenkatalog bei weitem nicht alle δωρεαί, die die Athener im 4. Jahrhundert für ihre Wohltäter bereithielten: Dort fehlen etwa an rechtlichen Vergünstigungen die verschiedenen Formen der Atelie, an Auszeichnungen die Er nennung zum Proxenos und Euergetes und an einfacheren Ehren Einladung zum Gastmal im Prytaneion (ξένια), Prohedrie u.a.847 Ich habe ausführlich aus dem Dekret für Nikander und Polyzelos zitiert, weil man aus den die Ehrungen einleitenden Zeilen 48f. entnehmen kann, daß die Volks versammlung die im Gutachten der Boule empfohlenen δωρεαί ohne Änderungen zum Beschluß erhob, was nicht immer der Fall war.*48 Die Volksversammlung war die über den Grad der Belohnung letztlich entscheidende Instanz, in der der vom Rat empfohlene Antrag in Rede und Gegenrede nochmals erörtert und die Würdigkeit des Wohltäters und dessen Verdienste einer erneuten Prüfung unterzogen wurden.849 Natürlich hatte die Ekklesie die Hoheit darüber, den vom Rat empfohlenen Antrag abzulehnen oder umzuändern. Dies konnte geschehen, wenn manche Bürger mit der Begründung der Ehrung oder mit den von den Prytanen vorgeschlagenen Ehrungen nicht einverstanden waren, weil diese als zu gering oder zu hoch empfunden wurden. Davon zeugen einige in der Ekklesie getroffene Bestimmungen, die als Ergänzungen zum Probouleuma in manche Ehrendekrete eingegangen sind. Ein schönes Beispiel hierfür bietet der Beschluß IG II 29 für den Parionier Phanokritos aus dem Jahr 387/6: Das vom Rat erstellte Gutachten sah die Ernennung des Phanokritos zum Euergetes Athens vor mit der Begründung, daß dieser die im Hellespont gegen Antalkidas operierenden athenischen Strategen über die feindliche Flottenbewegung beM« IG II 2 505, Z. 42-59. Zu den verschiedenen Ehren und Privilegien s. Kahrstedt, Staatsgebiet 327ff. 848 IG ΙΓ 505, Z. 47f.: γνώμην δε συμβάλλεσθαι [της βουλ|ής ε]ΐ[ς] τον δήμον οτι δοκεί τεΐ βουλεΐ κτλ. ™ Demosth. 20.139. 847
Vergabe von Pnvilegen und Ehrungen an Metöken
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nachrichtigt hatte. Die Ekklesie war mit dieser Begründung nicht einverstanden, son dern fügte auf Antrag eines gewissen Kephalos der Motivation ergänzend hinzu: Phanokritos "hat den Strategen den Anmarsch der Schiffe gemeldet, und wenn die Stra tegen auf ihn gehört hätten, wären die gegnerischen Trieren genommen worden" (Z. 11-15). Auch
die vom Rat vorgeschlagene Belohnung schien der Ekklesie als zu gering veran schlagt, weswegen Phanokritos zusätzlich zum Euergetes auch zum Proxenos er nannt wurde (hier zeigt sich einmal mehr, daß Proxenie kein Amt ist, sondern als Be lohnung für geleistete Dienste vergeben wird) und einen Teil der den Spartanern ab genommenen Beute zugesprochen bekam.850 Sofern Amendements der Ekklesie in das Ehrenkatalog einer Inschrift über haupt Eingang gefunden haben, beinhalten sie ausnahmslos δωρεαί, die zusätzlich zu jenen im Probouleuma vorgesehenen Ehrungen zugunsten des Konzepienten be schlossen wurden. Nicht aufgenommen wurden hingegen von der Ekklesie abgewiese Ehrungen. Das ist verständlich, denn der Demos hätte durch eine solche Zurschau stellung der verweigerten Ehren seine Euergeten erniedrigt, was der Absicht eines veröffentlichten Steindokuments widersprach. Auch nach dem Inkrafttreten des Volksbeschlusses konnte es dazu kommen, daß einem Wohltäter die verliehenen δωρεαί wieder entzogen wurden, weil jeder Athener daß Recht besaß, gegen den Beschluß eine gerichtliche Anklage zu erheben. Das prominenteste Opfer unter den Metöken war Lysias, dessen Bürgerrecht angeb lich eines Formfehlers wegen bald nach der Verleihung annuliert wurde.851 Jedoch kamen Kassierungen verliehener Ehren während der Volksherrschaft selbst selten vor, häufiger hingegen nach oligarchischen Umstürzen, wenn die herrschenden Krei se in dem von den Demokraten Geehrten einen Gegner der neuen Verfassung sahen. Allerdings wurden die Privilegien nach einer demokratischen Restauration gewöhn lich wieder erneuert und die umgestürzten Stelen neu abgefaßt.852
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IG ΙΓ 29, Z. 6-22: Κέφαλος είπε* τά μεν άλλα καθάπερ [τ]|ήι βόλεϊ, άναγράψαι δε Φανόκριτο[ν] | τον Παριανόν πρόξενον και εύεργ[έ]|την αυτόν και τός έκγόνος εν στήλ[η]||ι λιθίνει και στησαι εν άκροπόλε[ι | τ]όγ γραμματέα της βολής, επειδή π[α|ρ]ήγγελε τοις στρατηγοίς περί [των | ν]εών το παράπλο, και ει οί στρατ[ηγο|ι] έπίθοντο, έάλωσαν αν α[ί] τρ[ι]ήρε[ι]ς || αί πολέμιαι* αντί τούτων είναι [κ]αι τ|ήν προξενίαν και τήν εύεργεσί[αν κ]|αϊ καλέσαι αυτόν επί ξένια εις τ[ό π]|ρυτανεΐον εις αύριον μερίσαι δε τ|ό αργύριον το είρημενον τός άποδέ||κτας εκ των καταβαλλομένων χρημά|[τ]ων, έπειδάν τά έκ των νόμων μερ[ίσω|σι]. Zur historischen Einordnung des Dokuments s. Judeich, Kleinasiatische Studien 104f. mit Anm. 1 und Rosen, Ehrendekrete 281. Wahrscheinlich kehrte Phanokritos von einer Geschäftsreise von Pontos nach Athen zurück, als er irgendwo im Hellespont den Strategen die Kunde vom Herannahen der feindlichen Flotte brachte. Man könnte bei ihm an einen im Dienste Athens stehenden und dort ansässigen Naukleros denken, der die Stadt mit pontischem Getreide versorgte. Jedenfalls hielt er sich zum Zeitpunkt des Beschlusses in Athen auf, wo er für den darauffolgenden Tag zum Gastmahl ins Prytaneion eingeladen wurde. (Man fragt sich, wieviele Proxenos-Kandidaten überhaupt von ihren Heimatstädten nach Athen reisten, um zum Zeitpunkt ihrer Ernennung dort anwesend zu sein. Phanokritos hingegen konnte nicht einmal sicher sein, daß die Athener ihm überhaupt die Proxenie verleihen würden). 851 [Plut.] Vit. X orat. (mor.) 835F-836A mit Loening, Autobiographical Speeches 282ff. 852 Beispiele bieten IG I 3 227; IG II 2 6; IG II 2 9; IG II 2 66c; IG Π2 391; IG IT 448; vgl. Wilhelm, Akademieschriften I, 631 ff.
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V. Die Dankbarkeit derPo/is
Bereits seit den ersten Tagen der Demokratie erkannte Athen seinen fremden Wohltätern Privilegien und Ehren zu, sowohl solchen, die als Metöken in der Stadt lebten, als auch solchen, die ihren Wohnsitz im Ausland hatten. Allein die Verdienste zählten, nicht der Aufenthaltsort des Wohltäters. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Stadt - von seltenen Ausnahmen abgesehen - relativ spät dazu überging, auch den eigenen Bürgern Ehrungen zuzuerkennen. Erst gegen 340 kommt der Brauch auf, abtretende Beamten, Prytanen und Bouleuten zu ehren, wobei der Grad der Eh rung selten über Bekränzung und Belobigung hinausging. Höhere Ehrungen wie Sitesis, Prohedrie und Statuen wurden erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts vergeben, u.z. nicht für herausragende Einzelleistungen, sondern "in Würdigung einer jahrzehnte langen, ebenso verdienstvollen wie untadeligen politischen Tätigkeit".853 Daher muß ten athenische Politiker bis ins hohe Lebensalter warten, bis sie solche höheren Eh rungen für sich beanspruchen konnten.
853
Habicht, Studien 124. Vgl. ders., Untersuchungen 50f. und Quaß, Honoratiorenschicht 23f.
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1. Rechtliche Vergünstigungen a. Proxenie Wie bereits bei der Behandlung um Athens Lebensmittelversorgung verdienter Emporoi und Naukleroi berührt (S. 151 f.), wurden auch Metöken zu athenischen Proxe noi ernannt, u.Z. nicht erst seit dem 4., sondern bereits im 5. Jahrhundert. Die Verlei hung der Proxenie an ortsansässige Fremde erfolgte in einem viel größeren Umfang als es von der Forschung bislang wahrgenommen worden ist.854 Damit sich diese Be hauptung nicht als haidos erweist, seien zunächst einige dies belegende Zeugnisse vorgestellt, bevor wir uns der eigentlichen Frage nach dem Wesen der Proxenie zu wenden und auf das Bild der Proxenie in der Forschung eingehen. In den für wirtschaftliche und soziale Fragen höchst wichtigen Phialai Exeleutherikai aus den 320er Jahren finden wir neben fremden Emporoi und Isotelen auch mehrere Proxenoi verzeichnet, die ihre Sklaven freiließen.855 Als diese Manumissionslisten abgefaßt wurden, lebten diese Proxenoi in Athen. Dies gilt ebenso für den Proxenos Antiphilon, der auf einem Hypotekenpfandstein aus dem Jahr 267/6 er wähnt wird.856 Grabinschriften aus Attika sind weitere Zeugen dafür, daß manche Proxenoi ihren Wohnsitz in Athen hatten. Beispielsweise zeigt ein Epigramm aus der Mitte des 5. Jahrhunderts, daß der athenische Proxenos Pythagoras aus Selymbria in der Stadt starb und auf Staatskosten im Kerameikos bestattet wurde;857 oder. Als Gat tin und Tochter des Megarers Diogeitos irgendwann im 4. Jahrhundert in Athen ver starben, ließ dieser athenische Proxenos für sie eine Grabstele errichtete.858 Literari sche Quellen liefern weitere Beispiele dafür, daß athenische Proxenoi in der Stadt selbst lebten. So ist etwa im Geschichtswerk des Thukydides (8.92) für das Jahre 411 festgehalten, daß sich ein mit dem Historiker namensgleicher Pharsalite als Schlichter einschaltete, als zwischen den Vierhundert und dem gemäßigten Flügel der Oligarchen unter Theramenes wegen der Befestigung der Eetioneia ein heftiger Konflikt entstand. Der Geschichtsschreiber erwähnt ausdrücklich, daß sein Namensvetter aus Pharsalos damals seinen Wohnsitz als Proxenos in Athen hatte. Gelehrte wie H. Francotte,859 E. Erxleben,8^ M. Walbank861 und viele andere, die eine Proxenie854
Die früheren Ansichten über die Ernennung von Metöken zum Proxenos finden sich bei Whitehead, Metic 62 Anm. 10 knapp zusammengefaßt. Er schließt sich Wilhelms Meinung an, "that, exeptionally, 'honorific' proxenie might be given to resident foreigners ... Such men, together with any exiled proxenoi, formed a special category of residents with proxenos as their offical designation". 855 IG II21556, Z. 42 und 44; IG II 2 1561, Z. 33 sowie IG II2 1570, Z. 22. 85 * Athenian Agora XIX, S. 48 H117, Z..4f. (= Finley, Horos-Inscriptions 190, 164A). 857 IG I31154; weitere Editionen: Peek, GIV 45 = GG (1960) 55f. Nr. 20 und Walbank, Proxenies Nr. 9 (s. 79ff. mit älterer Lit.); vgl. Pope, Non-Athenians 75; F. Gschnitzer, Art. Proxenos, RE Suppl. XII, 1973, 714; Marek, Proxenie 387. 858 IG II 9304: Άριστομάχη | Διογείτου | Μεγαρέως | προξένου || γυνή Πολυκρατίς | Διογείτου | Μεγαρέως | προξένου || θυγάτηρ Zu zwei weiteren Grabinschriften von Proxenoi s. Salta, Attische Grabstelen 242. 859 De la condition des etrangers dans les cites grecques, in: ders., Melanges de droit public grec,
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V. Die Dankbarkeit der Po/is
Verleihung an Metöken von vornherein für unmöglich erklären, weil sie die Proxenie als ein fest definiertes "Amt" mit Pflichten und Aufgaben begreifen, die der Proxenos nur in seiner Heimatstadt erfüllen konnte, werden zum Argument greifen, daß al le oben genannten Proxenoi erst nach ihrer Ernennung nach Athen umsiedelten. Da her komme ich nicht umhin, noch nach aussagekräftigeren Belegen zu suchen. Eine zentrale und, soweit ich sehe, bislang gar nicht herangezogene Stelle, aus der die Vergabe der Proxenie an Metöken hervorgeht, ist die gegen Leptines gehalte ne Rede des Demosthenes (20.131-133). Leptines begründete seinen kühnen, 356 eingereichten Antrag, allen Fremden und Bürgern die Atelie abzuerkennen und dieses Privileg künftig nicht mehr zu verleihen, u.a. damit, daß einige in Athen lebende Pro xenoi sich unrechtmäßig als Inhaber der Atelie ausgegeben und sich so vor bestimm ten Leistungen wie der Übernahme einer Choregie gedrückt hatten.862 Demosthenes, der diesem Antrag energisch entgegentrat und verhinderte, daß er zum Beschluß er hoben wurde, gesteht zu, daß die Behauptung des Leptines der Wahrheit entsprach. Es sei richtig, daß die Atelie kein notwendiger Bestandteil der Proxenie war, sondern von ihr unabhängig nur Personen zuerkannt wurde, die sich durch besonders hervor ragende Leistungen um Athen verdient gemacht hatten. Daher sei es in der Tat eine Frechheit und unehrenhaft, wenn einige Proxenoi von der Atelie Gebrauch machten, obwohl ihnen der Demos dieses Privileg gar nicht verliehen habe. Erfreulicherweise nennt der Rhetor jene Proxenoi, die sich die Atelie angemaßt hatten: Leute aus Megara und Messene, laut Demosthenes "eine ganze Volksschar" (es waren wohl Flücht linge); neben diesen aber auch "eine Anzahl von Sklaven und Taugenichtse, wie Ly kidas und Dionysios und solches Gesindel mehr [...] Zur Proxenie freilich ist durch euere Politiker gar manchem diesen Schlags verholfen worden, und einer von diesen ist Lykidas".863 Diesen (in Athen lebenden) Lykidas bezeichnet Demosthenes als ei nen Sklaven des Strategen Chabrias.864 Dionysios und einige weitere Proxenoi von ih rem Schlage würden gleichfalls dem Sklavenstand angehören.865 Die Vedeihung irgendeines Privilegs an einen Sklaven ist jedoch undenkbar. Daher waren Lykidas, Dionysios und die anderen namenlich nicht genannten Proxenoi zum Zeitpukt ihrer Ernennung sicher bereits freigelassen, besaßen damals also den Rechtsstatus eines Metöken. Demosthenes macht einige bestochene Politiker dafür verantwortlich, das Volk dazu verführt zu haben, unwürdige Personen wie Lykidas und seinesgleichen mit der Proxenie auszuzeichnen.866 Auch diese Behauptung des Redners bedarf einer Lieges-Paris 1910, 216ff. 860 S.o. S. 151 Anm. 643. 861 MB.Walbank, Athens, Carthage and Tyre, ZPE 59, 1985,110. 862 Vgl. auch Demosth. 20.1 und 85. 863 Demosth. 20.131 f.: έτι τοίνυν ίσως επισύροντες ώς Μεγαρείς και Μεσσήνιοί τίνες είναι φάσκοντες, έπειτ' ατελείς είσιν αθρόοι, παμπληθεΐς άνδρωποι, καί τίνες άλλοι δούλοι και μαστιγίαι, Λυκίδας καί Διονύσιος, και τοιούτους τινάς έξειλενμενοι... πρόξενοι μέντοι πολλοί δια των πολιτευομεμων γεγόνασι παρ' ύμϊν τοιούτοι, ων εις έστιν ό Λυκίδας. ^Demosth. 20.133. «« Ebd. 866 Demosth. 20.132: αλλ' έτερον πρόξενόν έστ' είναι καί άτελειαν εύρήσθαι. μη δη παραγόντων ύμας, μηδ', οτι δούλος ων ό Λυκίδας καί Διονύσιος καί τις Ίσως άλλος δια τους μισθού τα τοιαύτα γράφοντας
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Korrektur: Diese ehemaligen Sklaven werden sich in irgendeiner Weise um das Wohl der Athener verdient gemacht haben, denn sonst wären sie - trotz einflußreicher Hel fer - nicht mit der Proxenie belohnt worden. Wenn es demnach die stolzen Bürger Athens über das Herz brachten, Freigelassene mit der Proxenie auszuzeichnen, wie sollten sie das bei den freigeborenen Griechen, die unter ihnen als Metöken lebten, nicht getan haben? Daß dem so war, belegen zahlreiche Inschriften mit Proxenieverleihungen. Ich kann natürlich nicht alle erhaltenen athenischen Proxeniedekrete, deren Anzahl wahr scheinlich 300 übersteigt, nach dem Status des Konzepienten hin untersuchen (was ohnehin nicht möglich wäre, weil in den meisten Dekreten konkrete Taten, die über den Aufenthaltsort und somit den Status des Geehrten Auskunft geben könnten, gar nicht oder nur unzureichend verzeichnet sind und zudem viele Stelen stark zerstört sind), sondern treffe eine Auswahl (IG I3 164; IG I3 182; IG I3 227; IG II2 242+373; IG II2 347; IG II2 835). In der ersten Phase des Peloponnesischen Krieges ernannte der Demos [Tijmanax, Sohn des As[klepios] oder As[klepiades] (sein Name deutet darauf hin, daß auch er ein Arzt war), und einen weiteren, namentlich unbekannten Arzt zu Pro xenoi und Euergetai. Der Zusatzantrag im Dekret IG I 164 begründet ihre Aus zeichnung mit ihrer Tätigkeit als Gemeindeärzte (δημόσιοι ιατροί).867 Wie verschie dentlich gedeutet wurde, haben die beiden in ihrer Funktion als öffenliche Ärzte wohl während der großen Seuche die hilfsbedürftigen Bewohner Athens medizinisch betreut ([δια το λοιμ]δ δεμοσιεύεν, Ζ. 12f.).868 Sie erhielten zusätzlich zu anderen Privi legien Befreiung von der Garnisonspflicht und wahrscheinlich vom Militärdienst.869 Solche Vergünstigungen sind speziell auf Metöken zugeschnitten und belegen wie die Arzttätigkeit der beiden Geehrten, daß diese zum Zeitpunkt des für sie abgefaßten Proxenie-Beschlusses in Athen lebten. In Piatons Ion (541cd) lobt Sokrates seine athenischen Mitbürger dafür, daß sie Apollodoros aus Kyzikos, Herakleides aus Klazomenai und Phanosthenes aus Andros zu ihren Strategen gewählt und ihnen andere wichtige Ämter übertragen ha ben, weil diese xenoi "gezeigt haben, daß sie bedeutende Männer sind". Im Falle des Phanosthenes (PA 14083) bestätigt Xenophon (hell. 1.5.18), daß dieser im Jahre 407/6 das Strategenamt bekleidete. Bevor der Andrier das Bürgerrecht erhielt (und έτοιμως πρόξενοι γεγόνασι, δια τοϋθ' έτερους άξιους και ελευθέρους και πολλών αγαθών αιτίους, άς έλαβον δικαίως παρ' υμών δωρειάς άφελέσθαι ζητούντων. 867 IG Ι 164, Ζ. 9-13 in der Ergänzung von Reiter, Proxenoi und Euergetai Nr. 38. Δεμοκλείδες [είπε· τά μεν άλλα καθ]||άπερ τέι βολε|Υ υπέρ δε το δέμο Τι]|μάνακτα τον Άσ[κλεπιδ διά το λοιμ]|ο δεμοσιεύεν [ ]. Dort 268ff. eine ausführliche Behandlung des Dekrets und eine Zusammenfassung der Forschungsliteratur. 868 Bereits A. Wilhelm, JÖAI 1, 1898, Beiblatt 44, hat evident erschlossen, daß die Honoranden als öffentliche Arzte tätig waren; s. auch Reiter, Proxenoi und Euergetai 268ff.272ff. mit einer genauen Begründung der Datierung. 869 IG I 3 164, Z. 28-30 in der Wiederherstellung von Wilhelm, Attische Urkunden IV, 33 (= Akademieschriften I, 554): [και μεφικίο άτέ]λειαν εϊν[αι αύτοϊν Άθέ|νεσι και φ]ροράς και [στρατείας]. Wil helms Ergänzung übernehmen auch Walbank, Proxenies Nr. 68 und Reiter, Proxenoi und Euergetai Nr. 38.
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V. Die Dankbarkeit der Po/is
Stratege werden konnte), wurde er zusammen mit einem gewissen Antiochides zum athenischen Proxenos ernannt. Als Grund für diese Auszeichnung gibt seine ge wöhnlich in die Zeit zwischen 410/9 und 407/6 datierte Proxenieurkunde IG I 182 die Herbeischaffung von Schiffsbauholz an.870 Wie A.E. Raubischek richtig vermutet hat, siedelte Phanosthenes spätestens im Jahre 411 (Zerstörung von Andros), mögli cherweise schon zu einem früheren Zeitpunkt, nach Athen über, wo er nacheinander die Proxenie und die Politie erhielt.871 Dort betätigte er sich als Importeur von — für die Stadt lebensnotwendigen — Schiffsbauholz, wie aus seinem Proxeniebeschluß ein deutig hervorgeht (viele, die in ihren Heimatstädten der Oberschicht angehörten, wandten sich im Ausland zeitweise dem Handel zu. Bestes Beispiel dafür ist der Athener Andokides [PA 828], ein Zeitgenosse des Phanosthenes). Phanosthenes bie tet demnach ein weiteres Beispiel dafür, daß der Demos in der Stadt ansässige Frem de zum Proxenos ernannte. Dies könnte bei dem von Sokrates im selben Atemzug mit Phanosthenes er wähnten Herakleides aus Klazomenai (PA 6489) ebenfalls der Fall sein. Bevor Hera kleides zu einem unbekannten Zeitpunkt des Peloponnesischen Krieges eingebürgert wurde und eine wichtige Rolle in der athenischen Innenpolitik zu spielen begann Aristototeles (Ath. poL 41.34) schreibt ihm die Erhöhung des Ekklesiastensolds von 2 auf 3 Obolen zu! —, war er wie Phanosthenes zum athenischen Proxenos ernannt worden.872 Gemäß seiner um 424/3 beschlossenen und ca. 399/8 neu abgefaßten Proxenieurkunde IG I 227 (die ursprüngliche Stele war wahrscheinlich zusammen mit dem Politiebeschluß von den Dreißig umgestürzt worden) hatte Herakleides sei ne Belohnung (neben Proxenie auch wertvolle Privilegien wie Atelie, uneingeschränk te Enktesis und strafrechtliche Gleichstellung mit den Athenern) sich damit verdient, daß er zwei athenische Gesandtschaften bei den Verhandlungen mit dem persischen Großkönig unterstützt hatte: Die Gesandten berichten in der Ekklesie, "daß Hera kleides mit ihnen eifrig zusammenwirkte beim Abschluß des Vertrags mit dem König und beim anderen, wozu sie ihn aufgefordert hätten".873 Leider wissen wir nicht, ob Herakleides sein Domizil bereits vor der Ernennung zum Proxenos in Athen hatte und den Gesandten deshalb als Beistand mitgegeben worden war, weil er über gute Kontakte zum Königshof verfugte, oder aber sich als Gefolgsmann des Großkönigs 870 IG I3 182, Z. 6ff. Zur Datierung des Dekrets s. Merkt, Hesperia 14, 1945, 129ff. (411/10407/6); B.R. MacDonald, The Phanosthenes Decree. Taxes and Timber in Late Fifth-Century, Hes peria 1981, 141ff. (410/9-407/6); Osborne, Naturalization III, 32f. (T9), Reiter, Proxenoi und Euergetai 296ff. (410/9-408/7). 871 Raubitschek, Art. Phanosthenes, RE XIX, 1938, 1786. Zum Fall von Andros i.J. 411 s. auch Th. Saucius, Andros, Wien 1914, 65ff. Alle Testimonien zu Phanosthenes sind gesammelt und disku tiert bei Osborne, Naturalization III, 31 ff. T9. 872 Funke, Homonoia und Arche lllff., bes. 116f. reiht ihn unter die führenden Politiker der 390er Jahre. 873 IG I 227, Z. 15-19: επειδή δε oi πρέσβες | oi π]αρά βασιλέως ηκ[οντες άγγέλλοσι Ή|ρακ]λείδην συμπράτ[τεν έαυτοΐς προθύ|μως] ες τε τάσπονδάς [τάς προς βασιλέα έ|ς τε ά]λλο ö π ε7ταγγέ[λειαν κτλ.]. Bei den Gesandtschaften dürfte es sich um die von 425/4 und 424/3 handeln, die zum Epilykosfrieden führten; s. dazu M.B. Walbank, Herakleides and the Great King, EMC 33, 1989, 347ff.; Reiter, Proxenoi und Euergetai 310f. und Veligianni-Terzi, Wertbegriffe 22f.
/. Rechtliche Vergünstigungen
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in dessen näherer Umgebung aufhielt. Daher habe ich ihn bei meinen obigen Aus führungen über die diplomatischen Hilfeleistungen von Metöken ausgeklammert. Von den nicht wenigen Proxenie-Dekreten, die im 4. Jahrhundert für Met öken beschlossen wurden, genügt es, wenn ich die Urkunden für den Arzt Euenor und den Komödiendichter Amphis näher erörtere.874 Der ιατρός Euenor aus dem akamanischen Argos ist aus drei Ehrendekreten bekannt, aus denen sich der Aufstieg eines Fremden vom einfachen Metöken zum Proxenos und anschließend zum athenischen Bürger rekonstruktieren läßt.875 Die Zusammensetzung von IG ΙΓ 242+373 durch M. Walbank hat unlängt bewiesen, daß die Proxenieverleihung an den Arzt in das Jahr 337/6 ([έ]πί Φρυνίχ[ο]υ α[ρχοντος, IG II 2 242, Ζ. 2) fällt.87* Wegen der zeitli chen Nähe zu der Schlacht von Chaironeia vermutet Walbank, daß Euenor sich seine Ernennung zum Proxenos und Euergetes durch seine medizinische Betreuung der in der Schlacht Verwundeten verdient hatte. Das in seine Proxenieurkunde eingegange ne προβούλευμα umschreibt seine Auszeichnung nur mit einer allgemeingehaltenen, über den Anlaß der Ernennung nichts aussagenden Formulierung: έ[πειδ]ή Εύή[νωρ] Άκαρνάν πρόθυμος έστι[ν] || περί τον δήμον τον Αθηναίων και ποεΐ οτ[ι] | δύναται αγαθόν, είναι {δε} αυτόν πρόξενο[ν] | και εύεργέτην του δήμου του 'Αθηναίων κα|ί αυτόν και έκγόνους (IG II 373, Ζ. 4-8). Die Begründung der Ekklesie, die dem Probouleuma vorangestellt war (IG II 242, Z. 8ff.), ist leider stark zerstört und läßt keine siche re Ergänzung zu. Allerdings nimmt das zweite, auf derselben Stele angebrachte Psephisma für Euenor aus dem Jahr 322/1 auf den früheren Proxeniebeschuß Bezug: [έπ]ειδή δε Εύήνωρ Εύηπίου δι* εύεργεσίαν πρόξεν|[ο]ς έγένετο του δήμου του 'Αθηναίων και άπαντα οσ||[α] προσέταξεν αύτώι ό δήμος ό 'Αθηναίων και ιδίαι | και κοινεΐ έτπμέλεται κτλ. (IG II 373, Ζ. 23-26). J.H. Lipsius hat άπαντα οσα προσέταξεν αύτώι ό δήμος ό 'Αθηναίων και ιδίαι και κοινεΐ έπιμέλεται so verstanden, daß der Akarnane von den Athenern zum Gemeindearzt ernannt worden war.877 Daher ist seine medizinische επιμέλεια für die bei Chaironeia verwundeten Athener und Metöken als Grund für seine Ernennung zum Proxenos sehr wahrscheinlich. Der Arzt hielt sich spätestens seit 338 permanent in Athen auf, wo er im Jahre 337/6 Proxenos und Euergetes wurde, im Jahre 322/1 die Enktesis und im Jahre 319/18 (oder 307/6) aufgrund sei ner langjährigen medizinischen Hilfe sowie einer Spende von einem Talent [ε]ίς τήν παρασκευήν das athenische Bürgerrecht erhielt.878 Walbank hält Euenor für einen Verbannten, der kurz vor seiner Ernennung zum Proxenos zusammen mit anderen akamanischen φυγάδες nach Athen kam.879 Diese Annahme erscheint mir wenig wahrscheinlich, weil den anderen akamanischen Flüchtlingen, die 338 in Athen aufgenommen wurden, noch im selben Jahr die Enk tesis gewährt wurde, während ihren Anführern Phormion und Karphinas das Bürger874
S. auch die oben S. 149ff. besprochenen Händler und das Gesamtverzeichnis S. 257ff. Schwenk, Laws and Decrees 440ff. Nr. 88 und Osborne, Naturalisation I, D50, II 129f. 876 Walbank, Proxenia for Euenor 199ff.; vgl. auch Veligianni-Ter2i, Wertebegriffe lOOf. 877 Lipsius, Metökenrecht 12. Euenor wird erst im Dekret IG IT 374, Z. 4, als [ί]ατρός bezeichnet. 878 Osborne, Naturalization II 129f. 879 Walbank, Proxenia for Euenor 201; vgl. auch Veligianni-Terzi, Wertbegriffe 101. 875
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V. Die Dankbarkeit der Po/is
recht aktualisisert wurde.880 Euenor hingegen erhielt die Enktesis nachweislich erst 322/1 (IG II 373, Z. 29f.). Daher dürfte er gar kein φυγάς gewesen sein und sich in Athen bereits vor 338 niedergelassen haben. Diese Überlegungen sind aber für unse re Fragestellung nicht von allzu großer Bedeutung. Viel wichtiger ist Walbanks Zuge ständnis, daß Euenor bereits in Athen lebte, als er zum Proxenos ernannt wurde.881 Diese richtige Erkenntnis dürfte ihm nicht leicht gefallen sein, denn sie widerspricht seiner wenige Jahre zuvor im Zusammenhang mit der Proxenieverleihung (IG II 342) an zwei Emporoi aus Tyros geäußerten These, daß die Athener "during the Period from 350-320" (und natürlich auch vorher) keinem die Proxenie verliehen hät ten, "who was not in a position to carry out the duties of a proxenos".882 Walbank sieht - wie viele andere vor und nach ihm — in der Proxenie ein konsularisches Amt383 mit fest umrissenen "duties": Weil nach der opinio communis ein Proxenos die ihm mit seiner Ernennung übertragenen Aufgaben nur in seiner Heimat erfüllen konnte, kamen seiner Ansicht nach Metöken als Empfanger der Proxenie gar nicht in Frage. Daher hat er an keiner einzigen Stelle seiner kommentierten Edition der athenischen Proxenie-Verleihungen des 5. Jahrhunderts die Möglichkeit der Ernennung eines in Athen ansässigen Fremden zum Proxenos in Betracht gezogen. Amphis aus Andros gehörte zu den hervorragenden Dichtem der Mittleren Komödie. Aus seinem cevre kennen wir 27 Titel und 50 Fragmente.884 Eine lange Pha se seines Lebens verbrachte er in Athen, weswegen er vom Verfasser der Suda trotz seines nichtattischen Namens für einen Athener gehalten wurde.885 Er schrieb bereits zu Lebzeiten Piatons, den er im Stück Amphikrates wegen dessen Auschauungen über das αγαθόν verspottet.886 Der Dichter ist erst im fortgeschrittenen Alter [έτη Ν]ικήτου άρχοντος (332/1) für seine langjährigen Verdienste um Athen zum Proxe nos ernannt worden: [έ]πειδή "Ανφις Δι...| ... Ά]νδριος διατελεί ε[πιε|ικής ώ]ν τώι δήμωι τώι Άθ[ηνα|ίων κα]ί νυν και εν τώι παρ[ελε||λυθό]τι χρόνωι, δεδόχθαι [τώι | δήμωι] έπαιγέσαι Άμφιν Δι[.| ] Άνδριον και σπεφ[ανώ|σαι κι]ττου [στε]φάνωι άρ[ετη|ς ένεκα και δικ]αιοσυν[ης· εΐ||ναι δε αυτόν πρ]όξενον [και ε|ύεργέτην του] δήμου τ[ου Άθη|ναίων και έκγό]νο[υς ]. 887 Da nur Dichter und Künsder mit Efeukränzen geehrt wurden 880 I G ΙΓ 237 + Add. S. 659 (= Schwenk, Laws and Decrees Nr. 1; Osborne, Naturalization I, D16); vgl. auch Gehrke, Stasis 18 und Hennig, Immobilienerwerb 313. 881 Walbank, Proxenia for Euenor 201. »κ M.B.Walbank, Athens, Carthage and Tyre, ZPE 59,1985, 110. 883 Der Begriff "Amt" als Definition der Proxenie u.a. benutzt von F. Gschnitzer, Art. Proxenos, RE Suppl. XII, 1973, 643.724. Vgl. Skard, Euergetes 9: "Die προξενιά ist ein Amt mit Pflichten und Funktionen; das Wort ist juristisch klar definierbar, wie es noch im Neugriechischen 'Konsul' bedeu tet". 8 3 Erstaunlich ist aber, daß wir in den umfangreichen zeitgenössischen Zeugnis sen zur Proxenie nirgends irgend etwas von solchen Pflichten eines Proxenos hören, worauf schon Chr. Marek hingewiesen hat.894 Wenn diese Pflichten wirklich bestan den hätten, wären sie in der literarischen Überlieferung und in den Proxeniedekreten, die sich aus dem gesamtgriechischen Raum zu tausenden erhalten haben, gewiß zur Sprache gekommen. Stattdessen geben die Quellen immer nur die Motive an, die eine Stadt dazu bewogen, jemandem zu ihrem Proxenos zu ernennen: Der Fremde hat sich seine Ernennung zum Proxenos durch Wohltaten verdient, die er der Stadt er wiesen hat. Bereits in den ersten erhaltenen athenischen Proxeniedekreten aus der Mitte des 5. Jahrhunderts tritt dies deutlich hervor: έπειδέ ευ ποεΐ Αθηναίος, άναγράφσαι (oder είναι) πρόξενον και εύεργέτην Αθηναίων o.a. lautet die Begründung.895 Nur einige wenige Urkunden des 5. Jahrhunderts nennen konkrete Einzelverdienste, die die Verleihung der Proxenie veranlaßt haben: Getreide- und Holzlieferungen (IG I 30; IG I3 174; IG I3 182; IG I3 98), medizinische Fürsorge (IG I3 164), diplomatische 3
3
3
Unterstützung (IG I 227) sowie gastliche Betreuung von Athenern (IG I 80; IG I 110). Manche dieser Wohltaten wurden gar nicht in der Heimatstadt des künftigen Proxenos erbracht, sondern in Athen selbst oder - wie im Falle des Herakleides aus
Kkzomenai - an einem anderen Ort. Dieser karge Befund zeigt bereits für das 5.
Jahrhundert, was man für die späteren Jahrhunderte besser fassen kann, nämlich, daß bei Ernennung eines Wohltäters zum Proxenos dessen Wohn- bzw. Aufenthaltsort keine wesentliche Rolle gespielt hat. Das bestätigt auch die literarische Überlieferung. Beispielsweise wurde bereits in kimonischer Zeit der Dichter Pindar zum athenischen Proxenos ernannt, weil er in einer Ode Athen als "Bollwerk von Hellas" (έρεισμα της 892
Bleicken, Demokratie 89; vgl. auch Reiter, Proxenoi und Euergetai 319. Weitere Studien, die diesen Mythos gefestigt haben, sind P. Schubert, De proxenia Attica, Diss. Leipzig 1881; P. Monceaux, Les proxenies grecques, Paris 1886; A. Schaube, Proxenie im Mit telalter. Ein Beitrag zur Geschichte des Konsularwesens, Bericht über das Schuljahr 1898/9, erstattet von Dr. Paetzold, Königliches Gymnasium zu Brieg. Einen Forschungsüberblick bietet Marek, Proxenie 2ff. und ders., Handel und Proxenie 67ff. 894 Marek, Proxenie lff.387ff. 893
895
S. 2.B. IG I 3 159, Z. 7-10.
7. Rechtliche Vergünstigungen
209
Ελλάδος) gepriesen hatte.896 Diese Nachricht des Isokrates (15.166) erscheint mir durchaus glaubwürdig,897 zumal einige Jahre später der Maler Polygnot für ein ähnli ches Verdienst (Darstellung athenischer Großtaten auf den Wänden der Stoa Poikile) sogar mit dem Bürgerrecht ausgezeichnet wurde.898 Hätten die Athener Wert darauf gelegt, daß der künftige Proxenos in seiner Heimatstadt leben und dort die Interessen Athens wahrnehmen soll, mußte ihnen Pindar für diese Aufgabe denkbar ungeeignet erscheinen: Der Dichter hielt sich zeitweise in Athen selbst auf, ansonsten aber in den Adels- und Tyrannenhöfen des gesamtgriechischen Raumes oder in den großen Kultzentren, selten jedoch in seiner böotischen Heimat. Noch etwas anderes muß einen stutzig machen: Dem Proxenos wird in der Regel gleichzeitig mit seiner Ernennung auch der Titel eines Euergetes verliehen. Wie verträgt es sich, jemand als Wohltäter zu ehren (den Euergetes-Titel durfte er bis zu seinem Tod führen und - wie die Proxenie, Isotelie und Politie auch - an seine Nachkommen weitervererben) und ihm im selben Moment die "oft drückenden Ver pflichtungen" eines Proxenos aufzubürden?899 Eine solche Kombination von Ehrung und Übertragung von Aufgaben ist mit den griechischen Vorstellungen unvereinbar. Die ehrende Stadt und erst recht der Geehrte hätten dies eher als Bestrafung denn als wirkliche Belohnung für geleistete Euergesien aufgefaßt, wenn solche "Aufgaben und Pflichten" die eigentliche zentrale Funktion der Proxenie gewesen wären. Daher sehe ich die Proxenie in erster Linie als eine Auszeichnung und Beloh nung für erbrachte Wohltaten. Diesen Charakter trägt sie schon im 5. Jahrhundert, wenn wir sie zum ersten Mal richtig fassen können. Die Proxenie war eine δωρεά wie die Politie und die Isotelie auch, die freilich jünger sind. Man wird der Proxenie am besten gerecht, wenn man sie als eine ritualisierte Freundschaft zwischen einer Bür gergemeinde und einem Fremden begreift. Diese φιλία kommt auffälliger Weise be reits im frühesten Zeugnis zur Proxenie, einem Grabepigramm aus Kerkyra für den Oiantheer Menekrates, klar zutage. In dieser um 600 eingemeißelten Inschrift wird Menekrates als πρόξεν/ος δάμου φίλος bezeichnet.900 Der erste athenischer Proxenos, den wir mit Namen kennen, war der Makedonenkönig Alexander I. Seine Ernennung zum Proxenos fällt an den Anfang des 5. Jahrhunderts. Herodot bezeichnet den Ma kedonenkönig bald als πρόξενος και ευεργέτης (8.136), bald als πρόξενος και φίλος (8.143) der Athener. Die Verbindung der eng zueinander gehörenden Begriffe πρόξενος—φίλος—εύερνέτη ς macht deutlich, daß sich der Makedonenkönig seine in der Proxenie zum Ausdruck gebrachte Freundschaft mit den Athenern durch eine oder mehrere Wohltaten (man könnte an Holzlieferungen aus den makedonischen Wäl dern für das Flottenbauprogramm des Themistokles denken) erworben hatte; einen 896
Pind. Frg. 64 Bowra (ap. Isokr. 15.166). Walbank, Proxenies 78, hält sie für "propandistic fktion". 898 S.o. S. 13 Anm. 10; vgl. auch Soucek, Fremde Künstler 2 Nr. 4 (Pindar) und 7 Nr. 84 (Polygnot). 899 Zitat Reiter, Proxenoi und Euergetai 329. 900 Meiggs/Lewis, GHI Nr. 4, Z. 3. Man beachte auch, daß sich das Grab des ersten namentlich überlieferten Proxenos nicht in seiner Heimat befunden hat, sondern in der Stadt, deren Proxenos er war! Vgl. Marek, Proxenie 387. 897
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V. Die Dankbarkeit der Polis
König als "Konsul" agieren zu sehen, der bei ihm verweilende Athener auch aus niederen Schichten gastlich aufnimmt und betreut, fallt mir schwer! Vorläufer der Proxenie waren die individuellen Gastfreundschaften zwischen zwei Adeligen, die durch Geschenke geschaffen und aufrechterhalten wurden. 901 Nach diesem Vorbild wählte sich seit dem 7. Jahrhundert auch der Demos einen Fremden zu seinem Freund. Geschenke dienten als konstitutives Element auch dieser ungleichen Freundschaft. Der Fremde mußte sich die Freundschaft des Demos durch ein "Geschenk" in Gestalt irgendeiner Wohltat verdienen. Der Demos erwiderte diese Wohltat seinerseits mit Geschenken, nämlich mit der Vergabe von rechtlichen Vergünstigungen und Ehren (s.u.). Dieser ritualisierte und auf einer komplizierteren Ebene stattfindende "Gabenaustausch" knüpfte ein moralisches Band zwischen den ungleichen φίλοι. Als δήμου φίλος fühlte sich der Proxenos moralisch dazu verpflichtet, dem Demos Gefälligkeiten zu erweisen. Daher war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, einem Angehörigen des Demos Hilfe zu leisten, wenn er darum gebeten wurde, wozu auch die gastliche Aufnahme in seiner Heimatstadt gehören konnte. Solches tat er aber als φίλος und nicht in irgendeiner Funktion als "Amtsträger". Darin scheint mir der wesentliche Unterschied zum modernen Konzept der Proxenie zu liegen. Erklärungsbedürftig ist auch der Name proxenos, den eine Polis ihrem φίλος gab. Dies geschah, um ihn vom fremden Gastfreund (ξένος) eines einzelnen Bürgers abzuheben. Vom Standpunkt der Polis kam der Freund (ξένος/φίλος) des Demos vor (προ) dem Gastfreund eines Einzelnen, er zählte mehr als dieser. Verfehlt hingegen scheint mir die übliche Ableitung zu sein, wonach der Proxenos "anstelle eines Gast freundes" (προ ξένου) fungiert habe.902 Auch die Deutung von Marek, der Proxenos sei jemand, "der sich (schützend und vermittelnd) vor den Fremden stellf\ scheint mir in eine falsche Richtung zu weisen.903 Die Proxenie war vom frühesten Stadium an nicht als ein fest umrissener Auftrag konzipiert, sondern als eine Auszeichnung, die zwischen einer Polis und einem Fremden eine starke, emotionale Bindung herstellte. Um es mit Mareks Worten auszudrücken: Proxenien sollten "Beziehungen schaffen und halten zu den für das Gemeimwohl wichtigen Fremden, gleichgültig, wo sie sich aufhielten".904 Da das Moment der Auszeichnung für geleistete Dienste schon immer im Vordergrund stand, bildeten im 5. Jahrhundert (möglicherweise auch schon im 6. Jahrhundert) die ortsansässigen Fremden eine neue Zielgruppe, wenn diese der Stadt von Nutzen waren. Den Athenern dürfte es — trotz gegenteiliger Meinungen — ganz und gar nicht schwer 901
Ein eindrucksvolles Bild von die Entstehung solcher Gastfreundschaften vermittelt Homer (Od. 11.13-35): Der junge Odysseus und Iphitos, einander gan2 unbekannt, begegnen sich im Haus eines Dritten, des Orsilochos in Messene. Bei dieser Begegnung schenkt Iphitos Odysseus einen Bogen, dieser erwidert das Geschenk mit einem Schwert und einer Lanze; dieser Gabenaustausch besiegelt "den Beginn einer vertrauten Gastfeunschaft"(αρχήν ξεινοσύνης προσκηδέος, Hom. Od. 11.18). Vgl. auch M. Finley, Die Welt des Odysseus, München 1979, 61ff.l02ff.; Murray, Griechenland 61ff. und Nippel, Heimkehr der Argonauten 10. 902 S. etwa F. Gschnitzer, Art. Proxenos, RE Suppl. XII, 1973, 632. 903 Marek, Proxenie 387. 904 Marek, Proxenie 390.
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gefallen sein, auch um die Polis hochverdiente Metöken mit der Proxenie auszu zeichnen, zumal es im 5. Jahrhundert so gut wie keine anderen Alternativen gab: Das kostbare Bürgerrecht verlieh man nicht gern (der Metöke hätte von den Rechten des Politen ohne Zweifel Gebrauch gemacht!), und die — der Proxenie nahe verwandte, jedoch keineswegs so angesehene — Isotelie (s.u. S. 218ff.) wurde erst gegen 400 ge schaffen. Unter den athenischen Metöken des 5. Jahrhunderts finden wir Händler, Ärzte und Dichter als Proxenoi, seit dem 4. Jahrhundert als eine neue Zielgruppe auch wohlhabende Metöken, die sich ihre Auszeichnung durch Geldzuwendungen an den Staat verdienten. Die Verleihung der Proxenie an Metöken ist einigen wenigen Gelehrten, dar unter A. Wilhelm und U. Kahrstedt, nicht entgangen. Sie haben aus diesem Sachver halt allerdings falsche Schlüsse gezogen, da auch sie die zentrale Funktion der Proxe nie an der gastlichen Aufnahme und Betreuung gemessen haben. Wilhelm verwies auf die Dekrete für Euenor und Apollas, meinte aber, daß Metöken nur "ausnahms weise" und "ehrenhalber" zu Proxenoi ernannt wurden, weil sie "nicht in die Lage kommen konnten, Angehörigen des verleihenden Staates in ihrer Heimat als Proxe noi Dienste zu leisten".905 Kahrstedt hingegen erklärte alle ortsansässigen Proxenoi schlichtweg für Exulanten (φυγάδες) und kündigte somit "die Theorie von der grund sätzlichen Unvereinbarkeit von Proxenie und Metoikie" als gelöst an.906 Eine gründli chere Quellenforschung hätte ihn vor einer solchen unsinnigen Lösung bewahrt. In welcher Heimat hätten die Freigelassesen Lykidas und Dionysios (s.o. S. 202f.) das Bürgerrecht besitzen sollen, aus der sie hätten verbannt werden können? Eine Auseinandersetzung mit der Proxenie würde unbefriedigend wirken, wenn man nicht die Frage nach den Rechten stellte, die dem künftigen Proxenos zu standen. Als ευεργέτης und δήμου φίλος mußte der Proxenos bei seiner Ernennung beschenkt werden, u.z. nicht nur mit Ehrungen wie Belobigung durch Ausrufung sei ner Verdienste und Bekränzung vor dem gesammelten Volk oder Einladung zum Gastmal in das Prytaneion für den auf seine Ernennung in der Ekklesie folgenden Tag (dies geschah regelmäßig), sondern mit regelrechten Privilegien. Die Proxeniedekrete des 5. Jahrhunderts enthalten eine Vielzahl rechtlicher Vergünstigungen: diverse Schutz- und Unverletzlichkeitsgaranrien für die Person, Familie und Besitz des Ge ehrten; Zugangsrecht zum Rat und zur Volksversammlung; Befreiung vom Heeres und Wachdienst; das Recht auf freie Ein- und Ausfuhr von Waren, Befreiung von Hafengebühren und andere Handelsprivilegien; Befreiung von der Metökensteuer; verschiedene Formen der Atelie; Enktesis. Im 4. Jahrhundert treten Privilegien wie militärische und steuerliche Gleichstellung mit den Bürgern hinzu, während manche der Privilegien des 5. Jahrhunderts nicht mehr aufgeführt werden. Welche der ge nannten Privilegien waren ein fester Bestandteil der Proxenie und welche wurden zu sätzlich, je nach Bedürfnissen des einzelnen Proxenos, gewährt? Dieses Problem ist
905 906
Wilhelm, Attische Urkunden V, 59 (= Akademieschriften I, 675). Kahrstedt, Staatsgebiet 289 mit Anm. 2
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V. Die Dankbarkeit derPolis
gar nicht einfach zu lösen, weil man in den Proxeniedekreten eine klare Einheitlich keit vermißt: in manchen fehlen diese, in anderen aber jene Privilegien.907 Obzwar nicht alle, so enthalten doch viele Proxeniedekrete die έπιμελεΐσθαι— Klausel, durch die athenische Magistrate angewiesen werden, mit allen Mitteln dafür Sorge zu tragen, daß dem Proxenos kein Unrecht zugefügt wird. Bei den Magistraten, die diese Schutzfunktion übernehmen, handelt es sich in der Regel um die Boule (manchmal ergeht die Anordnung auch direkt an die amtierenden Prytanen) sowie um die Strategen. Bisweilen werden neben diesen auch andere athenische Amtsträger als Adressaten dieser Pflicht genannt, so etwa im Proxeniedekret für Oiniades von Altskiathos der auf Skiathos amtierende athenische Archon.908 Aus einer solchen (al lerdings ganz selten anzutreffenden) Zusatzinformation geht eindeutig hervor, daß der Proxenos in seiner Heimatstadt lebt.909 In dem Ehrenbeschluß (Proxeniedekret?) für den Halikarnassier Leonides aus den 430er Jahren gilt der Schutz sogar im gesam ten attischen Herrschaftsbereich: "(ihm) Unrecht zu tun soll man weder in Athen zu lassen noch in (denjenigen Poleis), welche die Athener beherrschen. Dafür sorgen, daß ihm kein Unrecht geschieht, sollen in Athen die Prytaneis und die Boule, in den anderen Poleis diejenigen Athener, die in der Fremde Archonten sind, soweit es für einen jeden möglich ist".910 Die regelmäßige Wiederkehr der Formel έπιμέλεσθοα δε αύτου (bzw. αυτών) την βουλήν και τους στρατηγούς, όπως αν μη άδικήται in zahlreichen Proxenieurkunden des 5. und 4. Jahrhunderts macht deutlich, daß sich der athenische Demos verpflichtet fühlte, seinen Proxenos zu beschützen, und zwar nicht nur in Athen, sondern nach Möglichkeit auch in den unterworfenen Städten, auch wenn Letzteres selten ausge sprochen wird. Man geht daher nicht fehl, die Schutzgarantie als einen integralen Be standteil der Proxenie anzusehen. Wir stellen allerdings fest, daß die έπιμελεΐσθαι— Klausel nicht nur in Proxenieurkunden, sondern in derselben Weise auch in anderen Dekreten für verdiente Fremde anzutreffen ist.911 Ich erwähne nur die Metöken, die im Jahre 411/10 Thrasybul bei der Ermordung des Oligarchen Phrynichos Beistand geleistet haben (IG I3 102, Z. 32ff.) und die Isotelen Nikander und Polyzelos (S. 198). Dieser Befund zeigt, daß jeder fremde Wohltäter Anspruch auf einen besonderen Schutz durch athenische Magistrate hatte, also neben Proxenoi auch Isotelen und solche, die nur zu Euergetai ernannt wurden. Ein über die einfache έπιμελεΐσθαι-Klausel hinausgehendes Zugeständnis war die Asylie: Der Demos erklärte die Person und den Besitz des Proxenos für unver-
907
Zu den Privilegien des Proxenos allgemein s. F. Gschnitzer, Art. Proxenos, RE Suppl. ΧΠ, 1973, 710ff. mit Belegstellen. 908 IG I 3 110, Z. 16ff. mit Koch, Seebundangelegenheiten 441. 909 Ausnahmsweise wird im Falle des Oiniades auch durch die Motivierung des Dekrets bestätigt, daß er in seiner Heimatstadt lebt Er hat "den Athenern, die nach Skiathos kommen, Wohltaten" erwiesen und soll deswegen athenischer Proxenos sein. 910 IG Γ 156, Ζ. lff. in der Übersetzung von Koch, Seebundangelegenheiten 632 Anm. 31. 911 Henry, Honours 171 f., zählt (mit Belegstellen) auf, daß neben Proxenoi auch "euergetai, isoteleis, allies, exiles and naturalized foreigners" von der έτπμελεΐσθαι-Klausel mit erfaßt wurden.
/. Rechtliche Vergünstigungen
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letzlich (ασυλος). Allerdings ist die Asylie sehr rar.912 Ich kann in den attischen Dekre ten nur zwei Proxenoi finden, die der Asylie für würdig gefunden wurden: Pythopha nes im Jahre 4 1 1 / 1 0 (IG I 98; es handelt sich um eine Neuabfassung des Dekrets i. J. 399/8) und ein anonymer Wohltäter im 4. Jahrhundert (IG II2 286, Z. 6ff.; Kirch ner datiert die Inschrift "ante a. 336/5"). Die Asylie für Pythophanes aus [Kary]stos oder [Phaisjtos wird umschrieben mit: "An den χρήματα, die dem Pythophanes in Athen oder anderswo im athenischen Herrschaftsbereich gehören, und an dem be sagten Schiff und an seiner Fracht (χρήματα) soll sich niemand vergreifen; er und sei ne χρήματα sollen bei der Ein- und Ausreise ασυλος sein'5.913 Wegen der Erwähnung eines Schiffes könnte der Geehrte ein Naukleros gewesen sein.914 Durch welche Tat er seine Proxenie verdient hat und weshalb der Demos es für nötig hielt, ihn, sein Schiff und seinen gesamten Besitz für ασυλος zu erklären, bleibt im Dunkeln. Seine Tat wird mit der nichtssagenden Formel [ευ ποεΐ ο τι δύνατ]|αι τήν πόλιν τήν Άθ[ηναίων και την ? Καρυ]|στίων (Ζ. 10f.) wiedergegeben. Da ein starkes Gewicht darauf gelegt wird, das Schiff und die darin mitgeführte Ladung (diese Bedeutung tragen wohl die auf ναυς folgenden χρήματα) besonders zu schützen, könnte man daran denken, daß Pythophanes wichtige Güter (Getreide oder Bauholz für die Flotte?) nach Athen ein führte, die man wegen ihrer hohen Bedeutung für die Stadt durch eine religiöse Sank tion (diese Eigenschaft ist ja der Asylie eigen) für unantastbar erklären wollte. Mögli cherweise stand Pythophanes auch im Dienste der Götter (er könnte mit seinem Schiff Material für den Bau eines Tempels o.a. herbeigeschafft haben, was die sonst so gut wie nicht anzutreffende Asylie plausibel machen würde). Allerdings ist die hier gebotene Deutung unsicher. Pythophanes könnte sich auch durch eine politische Tat in seiner Heimatstadt (falls richtig ergänzt, werden in der Motivierung seine Lands leute neben den Athenern ebenfalls als Empfanger von Wohltaten erwähnt) als Par teigänger Athens verdient gemacht haben und wegen seiner dort gefährdeten Stellung für sakrosankt erklärt worden sein.915 Noch schwieriger ist es, die zweite bekannte Asylieverleihung aus Athen an mehrere Proxenoi des 4. Jahrhunderts zu erklären. Die Motivierung des Dekrets ist verloren. Im erhaltenen Teil des Beschlusses werden den namentlich unbekannten Geehrten Proxenie und Euergesie verliehen. Anschließend gewährt der Demos ihnen, ihren Nachkommen und ihrem Besitz die Asylie, die so wohl in Kriegs- wie auch in Friedenszeiten gelten soll, sowie das seltene Privileg der
912
F. Gschnitzer, Art. Proxenos, RE Suppl. XII, 1973, 714 nennt einige Asyüedekrete aus anderen Poleis. 913 IG I 98, Z. 15-21: τά δέ] | χρήματα, α έστιν Πυθοφά[νει Άθήνησιν] | ή άλλοθι πο ών 'Αθηναίοι κ[ρατσσιν, και] | περί της νεώς ά λέγει και [περί των χρη|μ]άτων, μή άδικεν μηδένα κ[αί άσυλίαν έ]||ναι αύτώι και τοίς χρήμα[σι αύτο και ά]|νιόντι και άπιόντι. 914 Veligianni-Terzi, Wertbegriffe 31 hält den Geehrten für einen Händler. Sie meint zudem: "Es mag sein, daß im Hintergrund des zweiten Dekrets für Pythophanes die Seehandelsprobleme Athens zu dieser Zeit stehen und das Streben Athens ersichtlich ist, einen Händler zum Nutzen der Stadt zu engagieren. Ebenfalls ist ungewiß, ob er aus Karystos oder Phaistos stammte und ob die Ehren von den Vierhundert oder eher von den Fünftausend erteilt wurden". 915 Die früheren Lösungsvorschläge sind bei Reiter, Proxenoi und Euergetai 141, zusammengefaßt.
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uneingeschränkten Atelie.916 Sowohl die Bewilligung der Asylie als auch der ατέλεια πάντων zeigt, daß die Geehrten in den Augen der Athener sehr wichtige Personen waren. Mehr gibt das Dekret jedoch nicht her. Es sei nur nebenbei bemerkt, daß die Athener (wohl während des Korinthischen Krieges) aus unbekanntem Anlaß auch einem Wohltäter aus Megara die Asylie gewährten, der jedoch nicht zum Proxenos, sondern lediglich zum Euergetes ernannt wurde.917 Die Tatsache, daß von den mehre ren hundert athenischen Proxenieurkunden nur zwei die Asylie enthalten und wir auch aus den literarischen Zeugnissen keine Proxenoi kennen, die für sakrosankt er klärt wurden, macht klar, daß die Asylie kein Bestandteil der Proxenie gewesen sein kann. Die mit dem Schutz der Proxenoi betrauten Magistrate Athens konnten nicht immer verhindern, daß manchen von ihnen bisweilen doch Unrecht zugefugt wurde. Einige wenige Proxeniedekrete des 5. Jahrhunderts lassen erkennen, daß die Athener bestimmte Mechanismen schufen, um ihrem Proxenos zu seinem Recht zu verhelfen oder, wenn dieser getötet wurde, an den Tätern Rache (τιμωρία) zu nehmen.918 Grundsätzlich stand dem Proxenos bei den attischen Jurisdiktionsträgern und Ge richten eine Vorzugsbehandlung zu, wenn er wegen einer an ihm begangenen βλάβη eine Privatklage in Athen einreichte. Der für die Dikai der Proxenoi zuständige Polemarch hatte die Pflicht, denjenigen, der dem Proxenos Unrecht zugefugt hatte, durch eine offizielle Ladung vor sich rufen zu lassen. cT)ie Ladung kann sich an Athener und Symmachoi gleichermaßen richten".919 Man hat anzunehmen, daß dieje nigen Angeklagten, die nicht in Attika, sondern im attischen Herrschaftsbereich leb ten, durch athenische Behörden nach Athen geführt wurden. Chr. Koch meint, daß der Polemarch innerhalb von fünf Tagen nach der Zustellung der Ladung920 an den Angeklagten den Prozeß einleiten mußte. Andernfalls drohte dem Amtsträger eine Geldstrafe sowie eine Popularklage.921 Er hat zudem wahrscheinlich gemacht, daß im 5. Jahrhundert die Pro2esse der Proxenoi in einem vom Polemarchen zusammenge rufenen und geleiteten Dikasterion entschieden wurden.922 Dieses Verfahren war zü giger und einfacher als das des 4. Jahrhunderts, bei dem der Polemarch die Dikai der Proxenoi nebst denen der Metöken und Isotelen an die Phylenrichter wies, u.z. nach dem Auslosungsverfahren; die Phylenrichter wiederum übertrugen den Fall zur ent gültigen Urteils fallung den Diaiteten bzw. an die Heliaia.923 Manche attische Proxe niedekrete des 5. Jahrhunderts sprechen die Proxenoi auch von Gerichtsgebühren 916
IG II 286, Z. 4-9: εινα[ι δε αύ||τοΐ]ς άτέλειαν πά[ντων | και] άσυλίαν και αύτοΐ|ς και χ]ρήμασιν κα[ί πολ|έμου ο]ντος και εί[ρήνη|ς -'■—];zu ατέλεια πάντων s.u. S. 228ff. 917 IG Π2 81, Ζ. 6f. mit Henry, Honours 255 Anm. 40. 918 Dazu s. neuerdings die detaillierten Ausfuhrungen von Koch, Seebundangelegenheiten 425ff. Auch ihm ist nicht aufgefallen, daß einige der attischen Proxenoi Metöken waren. 919 Koch, Seebundangelegenheiten 438 mit Verweis auf IG I 55, Z. 5. 920 Diese Frist war von dem Moment an gültig, in dem die Ladung dem Beklagten ausgehändigt wurde. 921 Koch, Seebundangelegenheiten 442ff. 922 Koch, Seebundangelegenheiten 434. 923 Aristot. Ath. pol. 53.1-3 und 58.2 mit PJ. Rhodes, Α Commentary on the Aristotelian Athenaion Politeia, Oxford 1981, 587ff.652ff.
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frei.924 Eine Vorzugsbehandlung der Proxenoi in der Rechtspflege ist auch für andere Poleis bezeugt. Beispielsweise stand dem Proxenos in Delphi, Pherai, Kyme oder Ilion das Recht der προδικία zu, d.h. sein Fall wurde vor allen anderen anstehenden Prozessen behandelt.925 Schwerwiegender waren die Sanktionen, die Athen zur Verhinderung der Er mordung eines Proxenos aussprach. In der Proxenieurkunde für den Metöken {Tijmanax und seinen Arztkollegen, die während der großen Seuche im öffentlichen Auftrag medizinische Hilfe geleistet hatten, aber auch in einigen anderen Proxeniebeschlüssen des 5. Jahrhunderts, lesen wir: "Wenn irgendwer welche von ihnen (bei den) eines gewaltsamen Todes sterben läßt oder fesselt oder abführt, dann soll die Timoria (dieselbe) sein, wie es für die Athener beschlossen ist".926 Dafür, daß die Athener diese Timoria sehr ernst nahmen und den Mord an einem ihrer Proxenoi ahndeten, gibt es durchaus Belege. So verurteilte die athenische Boule während des Zweiten Attischen Seebundes den Antipatros von Keos zum Tode, weil er "gegen die Beschlüsse des Volkes der Athener" einen athenischen Proxenos getötet hatte.927 Für den Mord eines Proxenos wurde nicht nur der Täter bestraft, sondern auch die Stadt, in der die Tat geschah, sofern sie dem attischen Seereich angehörte. Dies zeigen zwei Ehrendekrete (IG I3 19 und 161) aus der Zeit des Ersten Seebundes, bei denen aller dings nicht ganz sicher ist, ob sie Proxenieverleihungen enthielten. In dem früheren Ehrendekret aus der Mitte des 5. Jahrhunderts heißt es: 2>
traditionell als die treuesten Verbündete galten und für diese Treue nach der Zerstö rung ihrer Stadt im Jahre 427 mit dem attischen Bürgerrecht ausgezeichnet wurden, nicht in ihre eigenen Abteilungen auf, sondern ließen sie als eigenständige Einheit kämpfen.996 Man wird dies als Hinweis dafür nehmen dürfen, daß es sich bei den Metöken nicht anders verhielt. Gestützt wird die Existenz von separaten Metökeneinheiten durch die gele gentlich in die Diskussion gebrachten Verlustlisten aus dem 5. Jahrhundert, die aber letzlich doch keine Gewißheit darüber bringen.997 In diesen Listen sind die Namen der gefallenen Metöken nicht unter den nach Phylen angeordneten Athenern einge reiht, sondern von diesen getrennt unter der Rubrik χσένοι verzeichnet.998 Ganz ab wegig ist es, in den ξένοι Söldner oder mit Ph. Gauthier athenische Verbündete zu sehen.999 Denn bei den in den Verlustlisten verzeichneten Gefallenen der Symmachoi werden die Ethnika angegeben.1000 Die Gleichsetzung der in diesen Listen als ξένοι bezeichneten Personen mit Metöken findet eine Bestätigung im Schiffskatalog IG II 1951, in dem unter der Rubrik ξένοι auch solche Personen gefaßt sind, die sich durch die Hinzufügung ihres Wohnsitzes (mit der Formel οίκων έν + Name eines attischen Demos) eindeutig als Metöken erweisen.1001 Die getrennte Aufzeichnung der Metöken in den Verlustlisten legt die Annahme nahe, daß sie auch als seperate Abteilungen ge kämpft hatten. Sicher ist, daß die Metöken bei der Mobilmachung der Flotte gesondert aus gehoben wurden.1002 Nicht anders werden die Athener bei der Rekrutierung der Met öken zum Heeresdienst vorgegangen sein. Die separate Aushebung von Metöken zum Kriegsdienst beweist aber nicht entgültig, daß die Metöken in separate Kampfeinheiten gegliedert waren. Daß den Athenern dennoch die Bereitschaft und der Wille fehlte, alle kriegsdienstpflichtigen Metöken in ihre eigenen Abteilungen auf zunehmen, läßt sich daher nur durch allgemeine Erwägungen gewinnen. Eine Reihe
dass der Demarch der Skamboniden die έν Σκαμβωνιδών οίκοϋντες aushob" (217). Seine These, die Metöken hätten in den Bürgerabteilungen gekämpft, fand einzig Zustimmung bei Mosse, Democratie athenienne 168. 996 Thuk. 4.67; 7.57. Vgl. Diller, Race Mixture 109; Davies, Athenian Citizenship 107; Brandt, Panhellenismus 196; Alle Belege, die mit der Bürgerrechtsverleihung für die Platäer im Zusammenhang stehen, sind bei Osborne, Naturalization II, 11 ff. behandelt. 997 Clerc, Meteques 44ff.; G. Smith, Athenian Casualty Lists, CP 14, 1919, 358f.; Bradeen, Casualty Lists 150f.; Ph. Gauthier, Xenoi 60ff; Stupperich, Staatsbegräbnis 11; Clairmont, Patrios Nomos 50.145f. 998 IG I3 1180a, Z. 5; IG I31184, Z. 89; IG I31190, col. I, Z. 65. 999 Gauthier, Xenoi 60ff. Er widerlegt dort die Deutung der ξένοι als Söldner. 1000 E S w a r üblich, die Namen von gefallenen Verbündeten in separaten Stelen zu verzeichnen. Beispiele bei Bradeen, Casualty Lists 149f.; Stupperich, Staatsbegräbnis 10f.; Clairmont, Patrios Nomos J. 43.136ff. Eine Ausnahme stellt IG I 1144 dar, wo die gefallenen Madytier und Byzantier unter den Athenern aufgelistet sind. Auch wurden die Platäer, die an der Sizilischen Expedition als Hopliten teilnahmen, laut Paus. 1.29.12 auf derselben Stele unter den Athenern verzeichnet. looi I G II 2 1951, Z. 229 bzw. 451ff. So auch Bradeen, Casualty Lists 150 mit Anm. 12. Vgl. auch Burckhardt, Bürger und Soldaten 105f., mit Hinweis auf die neuere Forschung. 1002 o i e s geht sowohl aus Demosth. 4.36, als auch aus dem sog. 'Themisthokles-Dekret" (Meiggs/Lewis, GHI Nr. 23, Z. 27-31) hervor; s.o. S. 72.
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von Bestimmungen, durch die die Metöken gegenüber den Bürgern benachteiligt wa ren, wurden im Kapitel 3 damit erklärt, daß sie als Maßnahmen der Ausgrenzung ge schaffen worden waren. Weitere Bestimmungen wie die höhere Besteuerung oder die Auferlegung einer obligaten und sich von den Bürgern unterscheidenden Tracht wäh rend der Panathenäen müssen ebenfalls als Zeichen der Ausgrenzung gedeutet wer den. Nach diesen Überlegungen können wir uns der Frage zuwenden, worin der ei gentliche Wert des Priviles τάς οτρατείας οτρατεύεσθαι μετά Αθηναίων gelegen hat. Die Metöken waren nachweislich zur Ephebie nicht zugelassen.1003 Über irgendwel che militärischen Übungen von Metökenhopliten gibt es in den Quellen nicht den ge ringsten Hinweis, während Bürgerhopliten regelmäßig an Manövern teilnahmen-1004 Daraus ist zu folgern, daß die Metöken in ihrer Mehrheit über weniger Kampferfah rung verfügten als die Bürgerhopliten. Aufgrund mangelhafter Erfahrungen war eine Metökenabteilung in einem Schlachteinsatz, wo ein jeder Hoplitenkämpfer auf seinen rechten Nachbarn angewiesen war, der ihm mit seinem Schild Deckung gewährte, ge fährdeter als die erfahrenere Bürgerphalanx.1005 Somit bot das Privileg, in einer Schlachtreihe mit den Bürgern zu kämpfen, mehr Sicherheit.1006 Dieses Privileg ist von Gehrhardt anders gedeutet worden. Mit der allgemei nen Erschlaffung der traditionellen Gebundenheit an die Polis seien die Bürger im 4. Jahrhundert, für das dieses Privileg belegt ist, immer seltener in den Krieg gezogen. Die Metöken dagegen seien gezwungen worden, zusammen mit den Söldnern an al len Feldzügen Athens teilzunehmen. Der eigentliche Wert dieses Privilegs habe dem nach darin bestanden, daß dessen Inhaber nur dann zu einem Feldzug aufgeboten werden konnte, wenn gleichzeitig auch die Politen eingezogen wurden.1007 Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, daß die These vom Nachlassen des soldatischen En gagements und Enthusiasmus der Bürger im 4. Jahrhundert nicht der historischen Wirklichkeit entspricht. Vielmehr ist "klar, daß Athens Bürger ihrer Wehrpflicht im 4. Jahrhundert im allgemeinen getreu nachkamen".1008 Von den Inhabern wird das Zugeständnis der Athener, in ihren Abteilungen mit eingereiht zu werden, sicherlich nicht nur als eine Ehre, sondern auch als ein Pri vileg aufgefaßt worden sein, das Vorteile bot. Nicht zufällig erscheint dieses Privileg in den Dekreten stets in Begleitung mit dem Recht, die Eisphorai unter den gleichen ioo3 Whitehead, Melde 82. 1004 S. dazu Garlan, Mensch und Krieg 91. ioo5 £ur Hoplitenphalanx s. etwa Murray, Griechenland 159ff.; Gehrke, Jenseits von Athen und Sparta 39. 1006 Diese These geht auf P.E. Lengard, Strateuesthai meta Athenaion, REG 15, 1902, 144ff. und Francotte, Condition des etrangers 203f. zurück. Auch wenn in ihrem Kern richtig, sollte man die Überlegenheit der Bürgerphalanx nicht verabsolutieren. Viele Metöken ließen sich erst im Erwachsenenalter in Athen nieder, hatten demnach in ihren Heimatstädten bereits militärische Erfahrungen gesammelt. Zudem konnte ein Metöke, der den Hoplitenzensus erfüllte, seinem Sohn den Besuch eines privaten Gymnasiums ermöglichen, in dem dieser sich durch körperliches Training für einen Militäreinsatz vorbereiten konnte. 10 °7 Gehrhardt, Metoikie 73. ioo8 Burckhardt, Bürger und Soldaten 257.
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Bedingungen wie die Bürger zu zahlen.1009 Oben konnte gezeigt werden, daß die Gleichstellung der Metöken mit den Bürgern bei der Bezahlung der Sondersteuer diesen eine finanzielle Erleichterung brachte. In einigen Verlustlisten aus dem 5. Jahrhundert sind Fremde vereinzelt zwischen den Namen gefallener Bürger eingereiht. Man erkennt sie an den ihren Namen beigefügten Ethnika.1010 Wenn es sich bei der Anbringung dieser Namen zwischen gefallenen Athener nicht um ein Versehen des Schreibers handelt, kann man davon ausgehen, daß den Metöken das Privileg der Einreihung in die Abteilungen der Bürger bereits im 5. Jahrhundert verliehen worden ist.1011
f. Enktesis Einer der erheblichen Nachteile, die die Metökie mit sich brachte, war die Bestimmung, daß ein im Land ansässiger Fremder kein Grund- und Hausbesitz erwerben durfte. Dieser allgemeingültige Rechtsgrundsatz zwang die Metöken dazu, Gebäude oder Räume, die sie zu Wohn- und beruflichen Zwecken benötigten, zu mieten.1012 Zudem waren solche Metöken, die sich in der Landwirtschaft betätigen wollten, darauf angewiesen, Grundstücke zu pachten.1013 Dieser generelle Ausschluß vom Immobilienbesitz brachte den Metöken nicht nur soziale Nachteile, sondern schränkte auch deren geschäftliche Aktivitäten ein. Eine der sich daraus ergebenden Konsequenzen war, daß Metöken kein Kredit auf Ländereien und Gebäude als Sicherheit geben konnten, weil ihnen der Zugriff auf die Pfänder verwehrt war. Dies macht der immer wieder herangezogen Fall des Trapeziten Phormion besonders deutlich. Phormion nahm in den späten 370em die Bank Pasions, seines einstigen Besitzers, in Pacht. Pa10
°9 Henry, Decrees 251. Nur in zwei Fällen bezeuge 1) IG I 3 1150, Z. 13: Δηλόδοτος Κείο[ς]; 2) IG I 3 1190, Z.13f.: Κάλλιτπτος | Έρετριεύς. 1011 So Busolt, Staatskunde 297 Anm. 1: Das Privileg τάς στρατείας στρατεύεσθαι μετά Αθηναίων schützte "auch gegen willkürliche Aushebungen, aber die Hauptsache war doch die Einreihung in die Abteilungen der Bürger. Der Δηλόδοτος Κεΐος, der vereinzelt unter 32 Bürgern, deren Namen sich erhalten haben, in der Verlustliste IG I 434 (nunmehr IG Γ 1150, Ζ. 13) erscheint, war höchst wahr scheinlich ein Metoikos, der das Privilegium erhalten hatte". Pope, N o n Athenians 70 und Bradeen, Casualty Lists 149 Anm. 2, glauben, daß in IG Γ 1150, Ζ. 13 das Ethnikon Κεϊος von einer anderen Hand zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurde. Damit habe man ein Versehen des ersten Schreibers berichtigen wollen. In den Seeurkunden IG II2 1951, Z. 230-240 und IG II 2 1958, Z.15 sind aber die Keier von den athenischen Bürgern gesondert verzeichnet. 1012 D e r Vorschlag von Thür, Wo wohnen die Metöken 115ff., eine zentrale Funktion des Prosta tes habe darin bestanden, dem Metöken Wohnraum zur Verfügung zu stellen, entbehrt jede Grund lage. ioi3 Beispiele von Berufspächtern mit Metökenstatus bei Gluskina, Sozial-ökonomische Verhält nisse 118ff. Hinzu kommt eine von Walbank, Hesperia 52, 1983, lOOff. veröffentlichte Poletenliste aus der Mitte des 4. Jh.s mit dem Namensverzeichnis von Personen, die öffentliches Tempelland in Pacht nehmen. Unter den Pächtern befinden sich auch der Isotele Apemon sowie Phoryskos, "a metic who lived in Alopeke and rented a chorion in Salamis" (132). 1010
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sion jedoch hatte als naturalisierter Athener zahlreichen Bürgern insgesamt 11 Talen te auf deren Immobilien als Sicherheit ausgeliehen. Phormion wollte diese Hypothe ken nicht übernehmen mit der Begründung, ihm als Freigelassenen mit Metökenstatus fehle die Enktesis und daher der Zugriff auf die Pfänder. Das Problem wurde da durch gelöst, daß Pasion selbst gegenüber Phormion als nomineller Schuldner die Haftung für diese Außenstände übernahm.1014 M. Finley hat die geschilderte Episode so gedeutet, daß Metöken grundsätzlich vom Erwerb von Grundpfandrechten ausge schlossen waren, sofern sie nicht enktesisberechtigt waren.1015 Daher konnten atheni sche Bürger, wenn sie Geld benötigten, nicht ohne weiteres bei Metöken Darlehen auf Immobilien aufnehmen, es sei denn, man schaltete enktesisberechtigte Mittels männer ein, die, wie Pasion, Zugriff auf die Pfander hatten.1016 Diese Mauer zwischen Landbesitz und flüssigem Kapital hatte ohne Zweifel eine hemmende Wirkung auf die athenische Wirtschaft.1017 Was aber noch stärker hervorgehoben zu werden verdient, sind die sozialen Vorurteile, die sich aus dem Ausschluß vom Immobilienerwerb für die Metöken er gaben. Dadurch waren sie gezwungen Berufe auszuüben, die außerhalb der Landwirt schaft lagen und einen geringeren sozialen Status besaßen. Daher kam in einer Ge sellschaft, in der der Status eines Bürgers über den Besitz von Grund und Boden de finiert wurde, der Erlaubnis zum Grund- und Hausbesitz (εγκτησις γης και οικίας) an verdiente Metöken ein hoher Wert zu. Die Bedeutung dieses Privilegs kann kaum überbewertet werden, weil es aus einer Zeit stammt, in der der Boden für die Politen nicht nur eine Vermögensgrundlage bildete, sondern den sozialen Wert, der sozialen Rang bestimmte.1018 Die Gewährung der Enktesis an die Metöken erweiterte nicht nur die Mög lichkeiten ihrer ökonomischen Tätigkeit, sondern diente auch der Erhöhung ihres ge sellschaftlichen Prestiges. Gerade das letztere wird für viele Anlaß gegeben haben, von ihrem Recht Gebrauch zu machen. Allerdings war die Enktesisbewilligung einer Reihe von gesetzlichen Be schränkungen unterworfen, aus denen sich die Bemühungen der Bürgerschaft erken nen lassen, den Landerwerb durch Metöken (und andere Fremden, die im Falle ihrer Übersiedlung nach Attika auch von dem ihnen zugestandenen Recht auf Immobiliioi4 Demosth. 36.6. Einzelheiten des Falles bei Finley, Horos-Inscriptions 74ff. Vgl. auch Stelzer, Enktesis 178ff.; Millett, Lending and Borrowing 224ff. und Hennig, Immobilienerwerb 305 mit Verweis auf neuere Literaur. ioi5 Finley, Horos-Inscriptions 77. ioi6 N a c h Millett, Lending and Borrowing 22fff. war die Praxis, daß Metöken "trough Citizen agents" Kredit an Bürger gaben, weit verbreitet. Ion Μ Finley, Land, Dept and the Man of Property in Classical Athens, in: ders., Economy and Society in Ancient Greece, London 1981, 72f.; vgl. ders., The Ancient Economy, Berkeley u.a. 1984, 48: "Cephalus could own neither farmland nor a vineyard nor the house he lived in; he could not even lend money on land as security since he had no right of foreclosure. In tum, Athenian Citizens who required cash could not easily borrow from non-citizens, the main money-leaders. This wall between the land and liquid capital was an impediment in the economy, but, the product of a juridically defined and enforced social hierarchv, it was too ürmly based to be torn down". 101 * Vgl. Stelzer, Enktesis 1 lff.
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enerwerb Gebrauch machen konnten) in Grenzen zu halten. So berechtigte die Enktesis nach allgemeiner Anschauung nur zum einmaligen Erwerb eines Hauses bzw. Grundstücks und war damit verbraucht, sofern das Privileg die Nachkommen des Begünstigten nicht miterfaßte.1019 Interessant ist der Fall des Metöken Apollas, der um 228 für diverse Geldzuwendungen für sich und seine Nachkommen die Proxenie erhielt; die ihm zusätzlich bewilligte Enktesis schloß aber seine beiden Söhne Tharrynos und Agamedes vom Grunderwerb aus: είναι δε αυτόν πρόξενον [αυτόν και έκ|γόν]ους* ύπάρχειν δ* αύτώι και εγκ[τησιν οικίας έν|τός ταλά]ντου, γης δε δυεΐν ταλάντ[ων].1020 Was geschah mit dem Grundstück und dem Haus des Apollas nach seinem Ableben? Durfte er sie seinen beiden Söhnen Tharrynos und Agamedes wei tervererben? D . Hennig hat die Vermutung geäußert, daß "in allen Fällen, in denen die Enktesis auf die Person des Geehrten beschränkt blieb, der Fortbesitz der Erben nicht geschützt war, und diese äußerstenfalls sogar gezwungen sein konnten, die von ihren Vätern erworbenen Immobilien wieder zu veräußern".1021 Daß der Demos die Söhne eines um die Polis verdienten Mannes dazu zwingen konnte, den von diesem erworbenen Grundbesitz zu verkaufen, halte ich für ausgeschlossen. Sie konnten zwar keine weiteren Immobilien erwerben, weil sie nicht enktesisberechtigt waren, den Grundbesitz des Vaters aber als ihnen zustehendes Erbe behalten.1022 Gut die Hälfte der ca. 65 inschriftlich belegten Enktesisbewilligungen aus Athen enthält den Zusatz, daß auch die Nachkommen der Honoranden von der Enktesis Gebrauch machen sollen.1023 Diesen Klausel hat man wohl so aufzufassen, daß die Söhne und deren Nachkommen unabhängig von der einem Honoranden ver liehenen Enktesis in gesetzlich zulässigem Rahmen Grundbesitz erwerben konn ten.1024 In einigen Ehrendekreten des 4. und 3. Jahrhunderts wird ausdrücklich her vorgehoben, daß der Erwerb eines Grundstücks und Hauses κατά τον νόμον zu ge schehen hatte.1025 Hinter dieser Formel hat man allgemeingültige gesetzliche Regelun gen zu verstehen, die u.a. Höchstwerte für die zu erwerbenden Gründstücke oder Häuser festsetzten.1026 Im 3. Jahrhundert gingen die Athener schließlich dazu über, in den Ehrenbeschlüssen die Höchstwerte für die zu erwerbenden Objekte präzise an zugeben. Die Wertgrenzen betragen bei Grundstücken ein bis zwei Talente, bei Häu sern 500 bis 3000 (in IG II2 835 möglicherweise 6000) Drachmen.102? Man wird C. Mosse Recht geben, die die gesetzliche Festlegung von Wertgrenzen als eine Ab1019
Steher, Enktesis 242ff.; Hennig, Immobilienerwerb 317ff. 1020 I G Π2 835, Z. 25-27 (= Maier, Mauerbauinschriften, 80f. Nr. 16). 1021 Hennig, Immobilienerwerb 318. 1022 In diesem Sinne auch Pecirka, Enktesis 149 und Steher, Enktesis 242ff. 1023 Steher, Enktesis 242 mit Belegstellen. 1024 So Pecirka, Enktesis 149 und Steher, Enktesis 243.247. Vgl. aber Hennig, Immobilienerwerb 317: iCEs ist wenig wahrscheinlich, daß auch den Nachkommen zugestandene Enktesis jede Generation erneut zum Kauf von Immobilien berechtigte". 1025 Belege bei Steher, Enktesis 215 und Henry, Honours 214f. 1026 Pecirka, Enktesis 144; Steher, Enktesis 215ff und Henry, Honours 214f. mit der Zusammenfassung früherer Ansichten. 1027 S. die Tabelle bei Pecirka, Enktesis 147; zu der Größe der zu erwerbenden Grundstücke und Häuser s. Hennig, Immobilienerwerb 314f.
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wehrmaßnahme auffaßt, mit der der Ausverkauf wertvoller Ländereien und Gebäude an Nichtbürger in Schranken gehalten werden sollte.1028 In einigen Ehrendekreten des 3. und 2. Jahrhunderts erhalten die Thesmotheten die Aufforderung, nach Ablauf ei ner bestimmten Frist oder bei der nächsten Sitzung eines Geschworengerichtshofs eine δοκιμασία της δωρεάς einzuleiten.1029 Auffallig ist, daß diese gerichtliche Nachprü fung nur in den Dekreten erwähnt wird, in denen Wertgrenzen für Häuser und Grundstücke festgelegt sind. Daher ist es wahrscheinlich, daß lediglich die festgesetz ten Grenzwerte gerichtlich überprüft wurden, nicht aber die Rechtsmäßigkeit der Eh rung selbst.1030 Ob auch der bereits realisierte Erwerb eines Landstücks und Gebäudes durch einen Metöken eine Überprüfung nach sich zog, ist zwar nirgends belegt, aber sehr wahrscheinlich.1031 In einigen Fällen beschränkte sich die Gewährung der Enktesis nur auf ein Haus, so etwa bei den Metöken Euxenides aus Phaseüs (IG II 554) und [Aisch]ias aus Pergamon (IG II 768+802).1032 Zwar schloß dieses Recht das Grundstück wohl mit ein, auf dem das Gabäude errichtet war oder errichtet werden sollte; dennoch verdeutlicht eine solche Beschränkung, wie wohlüberlegt und sparsam die Athener mit diesem kostbaren Privileg umgingen. Von allen hier genannten Beschränkungen waren jene Fremde ausgenommen, die mit dem Bürgerrecht ausgezeichnet wurden. Die Bürgerrechtsverleihung erlaubte ihnen, von allen Rechten eines Atheners Gebrauch zu machen, wozu auch der unein geschränkte Erwerb von Grundeigentum zählte. Von dem Trapeziten Pasion wissen wir, daß er nach seiner Einbürgerung Immobilien (έγγειος ουσία) im Wert von 20 Ta lenten erwarb.1033 Eine über die Gewährung der Enktesis hinausgehende Form, besonders ver diente Metöken zu belohnen, war die Schenkung eines Grundstückes oder Hauses. So schenkte der athenische Demos um 410/9 Apollodoros aus Megara zum Dank für seine Beteiligung an der Ermordung des Oligarchen Phymichos das konfiszierte Grundstück eines gewissen Peisander. Der Metöke hat das Grundstück, das in einem bewohnten Gebiet lang, etwa fünf Jahre lang bebaut und kurz vor der Machtüber1028
C. Mosse, Meteques et etrangers a Athenes aux IVe-Iüe siecles avant notre ere, in: Symposion 1971. Vorträge zur griechischen und hellenistischen Rechtsgeschichte, hrsg. v. H J . Wolff, KölnWien 1975, 208f. 1029 Festgehalten in den Dekreten IG II2 706; 732 (?); 768+802; 801; 947 und 810. Vgl. Steher, Enktesis 263ff. und Henry, Honours 221 ff. 1030 In diesem Sinne Hennig, Immobilienerwerb 316. Stelzer, Enktesis 263, hingegen bezieht die Dokimasie auf die gesamte Ehrung: 4<Es kommt aber praktisch nur eine Prüfung dahin in Betracht, ob Voraussetzung, Form und Verfahren der Verleihung ordnungsgemäß waren". 1031 Laut Theophrast (ap. Ioannes Stobaios, Anthologion IV.2.20, ed. Hense) existierte in Athen ein Gesetz, nach dem der Verkauf von Immobilien binnen einer festgelegten Zeitfrist bei einer namentlich nicht genannten Behörde angezeigt werden mußte und darüber hinaus der Käufer ein Hundertstel der Kaufsumme als Grundwertsteuer abführen mußte. Man kann sich vorstellen, daß in diesem Zusammenhang — sofern es sich bei dem Käufer um einen enktesisberechtigten Metöken handelte — geprüft wurde, ob der Kauf gesetzlich zulässig war und die festgesetzten Maximalgrenzen gewährleistet waren. 1032 Weitere Belege bei Pecirka 147ff.; Stelzer, Enktesis 194 und Henry, Honours 205ff. 1033 Demosth. 36.5.36 mit Erxleben, Pasion 127f.
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nähme der Dreißig veräußert.1034 Allerdings dürften Landschenkungen an Fremde nicht sehr oft vorgekommen sein. Zumindest aus Athen sind keine weiteren Beispiele für eine solche Praxis belegt.1035
g. Politeia Nach den Worten Apollodors war die Verleihung des Bürgerrechts το κάλλιστον και το σεμνότατον δωρον, mit dem die Polis einen fremden Euergeten belohnte.1036 Als jemand, der durch die Verdienste seines Vater Pasion in den kostbaren Besitz der Politie gelangt war und sie in vollem Umfang zu gebrauchen verstand, wußte Apollodor, wovon er sprach. Daß Athen eine zurückhaltende Einbürgerungspolitik betrieb, ist bekannt, auch wenn anderer Poleis (z.B. Ägina, Megara oder Sparta) mit Politieverleihungen noch sparsamer umgingen.1037 Nur selten begegnet die Bürgerrechtsverlei hung an Metöken. Von den rund dreihundert aus Inschriften und literarischen Quel len bekannten Fällen attischer Politieverleihungen, die M. Osbome für den Zeitraum von 479 bis ca. 100 v. Chr. gesammelt hat, betreffen nicht mehr als dreißig die Met öken.1038 Den Athenern fiel es um etliches leichter, außerhalb Anikas lebende Euerge ten mit dem Bürgerecht auszuzeichnen, weil sie wußten, daß diese nicht (oder selten) nach Attika übersiedeln und die ihnen zustehenden Rechte in Anspruch nehmen würden. Ortsansässige Fremde hingegen belohnte der Demos vorzugsweise mit den geringeren Rechten eines Isotelen oder Proxenos, um die Zahl der Bürger möglichst gering zu halten. Moderne Gelehrte mit liberalen Einstellungen haben die geizige und selektive Einbürgerungspolitik der Athener häufig als Anlaß zur Kritik genommen, so etwa R. Flaceliere: "Selbst Athen, gewiß die freieste aller griechischen Städte, scheint uns oft eine selbstsüchtige, grausame und harte, ja um es geradeheraus zu sagen, eine wirklich 'totalitäre' Stadt. Mit welcher Sparsamkeit verlieh es namentlich das begehrte atheni sche Bürgerrecht!"1039 Ganz andere Töne gaben manche Athener von sich, die die Bürgerrechtsverleihung an Metöken mißbilligten. Die Worte des Isokrates, in Athen
1034
Lys. 7.4: ην μεν γαρ τούτο Πεισάνδρου το χωρίον, δημευθέντων δ' εκείνου των όντων Απολλόδωρος ό Μεγαρεύς δωρειαν παρά του δήμου λαβών τον μεν άλλον χρόνον έγεώργει, όλίγω δέ προ των τριάκοντα Άντικλής παρ' αύτου πριάμενος έξεμίσθωσεν. Daß das Grundstück im bewohnten Gebiet lag, geht aus § 28 derselben Rede hervor. Die Identifizierung des Apollodoros mit dem Mitattentäter Thrasybuls ergibt sich aus Lysias 13.71, wo er ebenfalls als Megarer bezeichnet wird, und IG V 102, Z. 40f. Vgl. Osborne, Naturalization II, 16ff. 1035 Bisweilen wurden auch athenische Bürger mit Staatsland beschenkt, wie z.B. Lysimachos, Sohn des Aristeides, der auf Antrag des Alkibiades zu Ehren seines Vaters Baumland auf Euböa erhielt (Demosth. 20.115; Plut. Arist. 27.1). Vgl. Stelzer, Enktesis 7. Einige außerathenische Bespiele für Landschenkungen bei Hennig, Immobilienerwerb 337f. «>* [Demosth.] 59.88f. 1037 Vgl. Szanto, Bürgerrecht 45. 1038 Osbome, Naturalization IV, 186ff., bes. 194ff. mit der Liste 210ff. 1039 Flaceliere, Griechenland 371.
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sei die Einbürgerung leichter als bei den Nvilden' Triballem, waren gewiß nicht als ein Kompliment an seine Mitbürger gedacht.1040 Aus einem anderen Passus des Isokrates, die Athener hätten, "ohne es zu merken, einerseits die öffentlichen Gräber mit Bür gern angefüllt, andererseits aber die Phratrien und die Demenlisten mit Menschen, die keine Beziehung zur Polis hatten", könnte der falsche Eindruck entstehen, es ha be in Athen von eingebürgerten Metöken nur so gewimmelt.1041 Andererseits hat es an wohlwollenden Stimmen nicht gemangelt, die wie Andokides, eine Einbürgerung von Metöken als Gegenleistung für große Verdienste guthießen.1042 Andokides ist m.W. auch der einzige, der ausdrücklich darauf hinweist, daß die Athener δι' άπορίαν ανδρών Einbürgerungen vornahmen.1043 Allerdings dürfte der Mangel an athenischen Bürgern bei so gut wie keiner Politieverleihung eine Rolle gespielt haben, nicht zu letzt deshalb, weil es eine genügende Zahl von Metöken gab, die auch ohne die Aus sicht auf eine Politieverleihung ihrem Kriegsdienst nachkamen. Eine kollektive For derung von Seiten ortsansässiger Fremder, nur im Falle ihrer Einbürgerung als Hopliten oder Ruderer in den Krieg zu ziehen, kennt die athenische Geschichte nicht. Da her sind Masseneinbürgerungen eine Seltenheit und wurden zudem nur durch Notsi tuationen erzwungen.1044 Eine solche Notsituation lag im Jahre 407/6 vor, als nach der Einschließung eines Großteils der attischen Flotte im Hafen von Mytilene die Athener sich gezwungen sahen, eine große Entsatzflotte von 110 Trieren nach Lesbos zu entsenden. Um die benötigten Mannschaften aufzubringen, holten sie in die ser verzweifelten Situation "alle auf die Schiffe, die im wehrfähigen Alter waren, gleich ob Sklaven oder Freie".1045 Denen, die sich zum Ruderdienst meldeten, wurde das attische Bürgerrecht versprochen. Der Demos hielt sein Wort und nahm nach dem siegreichen Ausgang der Seeschlacht bei den Arginusen eine Bürgerrechtsverlei hung en bloc an alle nichtathenischen Mitruderer vor.1046 Der Aspekt der απορία ανδρών diente auch für die Einbürgerung der ca. 1000 Phyle- und Piräuskämpfer in sofern als Motiv, weil es den Demokraten um Thrasybul darauf ankam, für den Kampf gegen die "Stadtpartei" genügend Mitstreiter zu gewinnen.1047 Hingegen stand weder hier noch bei der Masseneinbürgerung nach der Arginusenschlacht das Ziel im 1040
Isokr. 8.50. Isokr. 8.88 (s.o. S. 190f.). Auch die Klage des Demosthenes (23.199£f.), das athenische Bürgerrecht würde scharenweise verliehen werden, ist nicht richtig. Vgl. Osbome, Naturalization IV, 198 Anm. 85. 1042 Andok. 2.23 (s.o. S. 97 Anm. 387). 1043 Andok. 1.149. Vgl. hierzu Osbome, Naturalization IV, 145. 1044 Hier lasse ich die Politieverleihung an die Flüchtlingsgruppen aus Platäa i. J. 427 (Osbome, Naturalization I Dl) und aus Samos i. J. 405/4 und 403/2 (Osbome, Naturalization I D4 und D5) außer Betracht. Vgl. Osbome, Naturalization IV, 181 ff. 1045 Xen. hell. 1.6.24: oi δε Αθηναίοι τά γεγενημένα και τήν πολιορκίαν έπεί ήκουσαν, έψηφίσαντο βοηθεΐν ναυσίν εκατόν και δέκα, εΐσβιβάζοντες τους εν τη ηλικία οντάς απαντάς καί δούλους και ελευθέρους· καί πληρώσαντες τάς δέκα καί έκάτον εν τριάκοντα ήμέραις άπηραν. Eine detaillierte Darstel lung über die Hintergründe liefert Welwei, Unfreie I, 95ff. 1046 Osbome, Naturalization III, 33ff. T10, hat alle Testimonien zusammengestellt und ausgewertet. Nach seiner Ansicht umfaßte die Einbürgerung "both slave and foreign volunteer" (34). Welwei, Unfreie I, 100f., ist der Auffassung, daß die Sklaven lediglich freigelassen wurden. 1047 S.o. S. 186. 1041
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Vordergrund, die hohen Verluste der eigenen Bürger während des Peleponnesischen Krieges durch die Aufnahme neuer Bürger auszugleichen. Bürgerrechtsverleihungen an orstansässige Fremde en bloc kamen in der weiteren Geschichte der Stadt nicht vor. Die überwiegende Mehrzahl der Bürgerrechtsvedeihungen ist an Einzelperso nen und deren Nachkommen gerichtet. Bei diesen πολίται κατά ψήφισμα handelt es sich zumeist um vermögende Personen, die sich ihre Einbürgerung durch materielle Wohltaten um die Stadt erwirkten.1048 Hinweise auf ein politisches Engagement der Neubürger sind nicht selten, da ihnen — von unbedeutenden Einschränkungen wie dem Ausschluß vom Archontat und den Priesterämtern abgesehen - alle bürgerli chen Rechte zustanden.1049 Wie die politischen Karrieren von Menon aus Pharsalos, ApoUodoros aus Kyzikos, Phanosthenes aus Andros, Herakleides aus Klazomenai, Charidemos aus Oreos oder Telesias aus Troizen zeigen, lagen den Neubürgern hohe Amter, darunter auch die Strategie, durchaus im Rahmen des Erreichbaren.1050 Zu dem übernahmen viele dieser Neubürger, wie in anderen Gesellschaften auch, eine demonstrativ patriotische, eher konservativ angepaßte Einstellung, wie man am be sten am Beispiel des Pasion-Sohnes Apollodor sehen kann, "(who) entered fully into Äthenian public life - figuring ostentatiously in the ecclesia and the dikasteria^ and embarking upon (and constandy boasting of) numerous liturgies".1051
1048 in d e r " c heck list of naturalized Citizens" nennt Osbome, Naturalization IV, 210-221, auch die jeweiligen Anlässe für die Verleihung der Politie. 1049 Di e den Neubürgern auferlegten Einschränkungen behandelt Osbome, Naturalization IV, 173ff. 1050 Nähere Einzelheiten zu den genannten Personen bei Osbome, Naturalization IV, 139 und 206 mit Anm. 137. 1051 Zitat Osbome, Naturalization IV, 196. Zu Apollodor s.o. S. 159f. Anm. 677.
2. Äußere Ehrungen: Belobigung, Bekränzung, Bewirtung im Prytaneion, Prohedrie Da Ehre in den griechischen Gesellschaften viel zählte, belohnte der Demos seine fremden Wohltäter nicht nur mit realen Privilegien, sondern ließ ihnen darüber hinaus verschiedene äußere Ehren zukommen. In Athen war die einfachste und häufigste Form der Ehrung der έπαινος, also die feierliche Belobigung des Geehrten in der Ekklesie, die auf jeden Beschluß folgte.1052 Vor der versammelten Bürgerschaft rief der Herold zusammen mit dem Abstimmungsergebnis die Verdienste des Geehrten auf. Dieser Moment dürfte im Leben der meisten Euergeten ein großes Ereignis dargestellt haben, zumal sie im Anschluß an den έπαινος in der Regel auch bekränzt wurden. Die verdienten Metöken waren am Tag des für sie gefaßten Beschlusses ausnahmsweise in der Ekklesie auf der Pnyx gegenwärtig, um dort für ihre αρετή, άνδραγαθία, εύνοια, φιλοτιμία oder sonstige Tugenden, die die Wohltat veranlaßt hatten, den ihnen zustehenden Kranz in Empfang zu nehmen. 1053 Für überdurchschnittliche Leistungen konnte der Demos einen zweiten, κήρυγμα genannten έπαινος bewilligen, der an einem der städtischen Feste vor einem größeren Publikum erfolgte. Dieser Brauch begegnet zum ersten Mal in dem Bürgerrechtsdekret für den Metöken Thrasybul, der im Jahre 411/10 den Oligarchen Phrynichos erdolcht und mit dieser Tat den Anstoß für die Restaurierung der Demokratie gegeben hatte. Die Ekklesie trug dem Herold auf, bei der nächsten Dionysienfeier zu verkünden, aus welchem Anlaß Thrasybul bekränzt worden war.1054 Wie das nur fünf Jahre nach der Bürgerrechtsverleihung an Thrasybul beschlossene Euergesiedekret für Epikerdes zeigt, konnte sich der Demos bereits für eine größere Geldspende dazu entschließen, ein κήρυγμα im Theater anzuordnen.1055 Für diesen Entschluß (der Kyreneer hatte dem Staat ein Silbertalent geschenkt) dürfte die desolate Finanzlage Athens am Ausgang des Peloponnesischen Krieges verantwortlich gewesen sein.1056 Eine solche feierliche Belobigung vor einem großen Theaterpublikum, worunter sich neben Bürgern auch ortsansässige und aus dem Ausland angereiste Fremde befanden, gereichte ja nicht nur dem Wohltäter zur Ehre, sondern hatte auch einen beabsichtigten Nebeneffekt, nämlich weitere Personen dazu zu motivieren, nach dem Beispiel des Geehrten für die Belange der Polis materielle Opfer zu bringen. Bei der Bewilligung eines κήρυγμα dürfte im Falle des Epikerdes auch sein früheres Verdienst, eine Spende von 100 Minen zugunsten der in Sizilien in Gefangenschaft geratenen Athener, eine Rolle gespielt haben. Nach Meritts1057 Ergänzungen wurde es vor dem Fest1052 1053
Henry, Honours lff. mit zahlreichem epigraphischen Quellenmaterial. Aischin. 3.34.
1054 I G γ
10 2,
Z. 12ff.
w55 IG I 3 125, Z. 23ff. 1056 Rund fünfzig Jahre später stellt Demosthenes (20.41 ff.) den Epikerdes als Paradigma für einen großen Wohltäter hin, weil dieser in einer Zeit der größten Not sein bescheidenes Eigentum dem Demos zur Verfügung gestellt hatte. 1057 B.D. Meritt, Hesperia 39, 1970, lllff.
2. Äußere Ehrungen
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publikum mit ausgerufen. Nach dem Vorbild der städtischen Ekklesie ordneten auch die einzelnen Demen eine einmalige Ehrenverbündigung im Theater an, wie man z.B. aus dem eleusinischen Ehrenbeschluß für den Metöken Damasias sehen kann.1050 Um 300 kommt als eine gesteigerte Ehrung der Brauch auf, die Verkündigung gleich an zwei oder sogar drei Festen vornehmen zu lassen. So heißt es etwa im D e kret für den ortsansässigen Peripatetiker Prytanis aus Karystos, der im Jahre 226/5 auf Bitten der Athener diplomatische Verhandlungen mit Antigonos Doson geführt hatte, der Herold solle sowohl während der Schauspiele bei den Dionysien als auch bei den Panathenäen ausrufen, weshalb der Demos den Philosophen mit einem Goldkranz ausgezeichnet hatte.1059 Bereits in der Ära Lykurgs stellten sich Mißbräuche ein. Aischines (3.41 ff.) beklagt sich darüber, daß manche Bürger und Fremde durch einen angemieteten Herold ihre Ehrungen, die sie von der Polis und ihren Untereinheiten oder sogar einem auswärtigen Staat erhalten hatten, während der Schauspiele ausposaunten, ohne dazu durch einen Volksbeschluß befugt zu sein. Obwohl sich nach Aischines das Theaterpublikum, die Choregen und die Schauspieler belästigt fühlten, scheint der Staat diesen Mißbrauch geduldet zu haben. Nach Aischines' Empfehlung sollten Ehrenausrufungen nur noch mit der Genehmigung der Ekklesie zugelassen werden. O b er damit Erfolg hatte, ist ungewiß. Beachtung verdient, daß bei allen von der Ekklesie anberaumten κηρύγματα der Kranz im Mittelpunkt stand: Der Herold soll vor dem versammelten Theaterpu blikum bekanntmachen, aufgrund welcher Tugenden und daraus resultierenden Lei stungen der Geehrte einen Kranz empfangen hatte.1060 Bereits dieser Usus beweist zur Genüge, welche hohe Bedeutung der Verleihung eines Ehrenkranzes beigemessen wurde. M. Blech hat auf die Gemeinsamkeiten zwischen einem vom Staat verliehenen Ehrenkranz und einem bei einem Agon erworbenen Siegeskranz hingewiesen. Beiden Hegt die Vorstellung zugrunde, daß hervorragende Leistungen, hier Sieg in einem Wettkampf, dort eine Wohltat für die Polis, eine besondere Arete bezeugen und daher durch eine öffentliche Bekränzung ausgezeichnet werden müssen.1061 Wie kein anderer hat Aischines (3.189) klar zum Ausdruck gebracht, daß, so wie ein Olympiasieger bekränzt wird, auch ein um die Polis verdienter Mann einen Anspruch auf Bekränzug hat. Die Verleihung eines Kranzes fehlt in so gut wie keinem attischen Ehrendekret.1062 Daher macht es keinen Sinn, die Anlässe, die zur Verleihung eines Ehrenkranzes führten, hier zu sammeln.1063 In Athen bekam ein Wohltäter gewöhnlich
lose I G π 2 Π86, Z. 19f. (s.u. S. 249 Anm. 1097). 1059 Moretti, ISE Nr. 28, Z. 36ff. Weitere Beispiele bei Henry, Honours 32f. Eine periodische Be kränzung an allen wichtigen Festen und Agonen und die damit verbundene Ausrufung anderer Ehren, wie man sie aus vielen Orten der hellenistischen und römischen Zeit kennt (Beispiele bei Quaß, Honoratiorenschicht 37 mit Anm. 99), ist für Athen der von mir behandelten Zeit nicht bezeugt. 1060 Epigraphische Belege bei Henry, Honours 28ff. i06i Blech, Studien zum Kranz 153ff. und 162 mit Referenzen auf frühere Untersuchungen zum Ehrenkranz. 1062 S. die reiche Materialsammlung bei Henry, Honours 22-44. 1063 Einen guten Überblick darüber kann man sich bei Kahrstedt, Staatsgebiet 328ff., verschaffen.
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V. Die Dankbarkeit derPoHs
einen grünen Olivenkranz (στέφανος θαλλοϋ) überreicht.1064 Seit dem Peloponnesischen Krieg wurden für größere Leistungen auch Goldkränze verliehen, die einem Olivenzweig nachgebildet waren. Der früheste Beleg für einen goldenen Kranz ist das Dekret für den oben genannten Thrasybul, dem Mörder des Phrynichos. Dieser Kranz hat bereits den Wert von tausend Drachmen, der später zur Norm wird.1065 Der Händler Herakleides erhielt für eine Getreidesubvention und für einen Epidosisbeitrag von dreitausend Drachmen gleich zwei Goldkränze (330/29 und 325/4), die auf der Stele IG II 360 auch bildlich dargestellt wurden. Aufgrund von Geldspenden zur Ausrüstung der Flotte wurden Nikander und Polyzelos im Lamischen Krieg ebenfalls mit Goldkränzen belohnt (IG II 505). Diese Beispiele zeigen, daß in Kri sensituationen schon durchschnittliche Verdienste die Verleihung eines Goldkranzes nach sich ziehen konnten. Dennoch sind die Worte des Aischines (3.187), einst sei selbst der einfache Grünkranz in großer Ehre gehalten worden, in seiner eigenen Zeit aber sei sogar der Goldkranz wegen der häufigen Verleihung seiner Wertschätzung beraubt, sicherlich übertrieben. Er stellt die Bekränzung der Kämpfer von Phyle mit einem Olivenzweig dem für Demosthenes beantragten Goldkranz entgegen, wobei er natürlich unter Herabsetzung der Verdienste seines Gegners glauben machen möch te, daß dieser eines Goldkranzes nicht würdig war. Dichter, Künstler und Choregen, die im Dienste des Dionysos standen, erhielten Ehrenkränze aus Efeu.1066 Eleusis ver lieh Ehrenkränze aus Myrte.1067 Der Goldkranz, den der Thebaner Damasias um 350 von den Eleusiniem als Preis für die Ausstattung von zwei Chören erhielt, dürfte die Nachbildung eines Myrtenlaubes gewesen sein. Der Kranz diente in manchen Ehrendekreten auch als Motiv für eine bildliche Darstellung. So wird etwa auf dem Bildfeld eines Proxeniedekrets aus der Zeit um 430 der Geehrte, Apollophanes von Kolophon, von der Stadtgöttin Athena be kränzt.1068 Häufiger trifft man einfache Kranzdarstellungen an, die den Platz unter dem Text schmücken.1069 Kahrstedt meint, man habe erwartet, daß der Geehrte seinen vom Staat über reichten Kranz in einem Heiligtum weihte. In der Tat zeigen Tempelinventare und Weihinschriften, daß sich sowohl Bürger als auch Metöken und ξένοι dieser Sitte fug ten.1070 Eine Vorschrift zur Weihung des Kranzes an eine Gottheit hat es jedoch nicht gegeben.1071 Daher vermochte mancher, darunter auch der reiche Trapezit Pasion, 1064
Belege aus den Ehrendekreten bei Henry, Honours 38ff. Kahrstedt, Staatsgebiet 329 und Henry, Honours 24f. mit Wertangaben. 1066 Blech, Studien zum Kranz 208. 1067 Blech, Studien zum Kranz 253. 1068 I G I 3 65. Abbildungen bei Schöne, Griechische Reliefs Nr. 96 Taf. 22 und Walbank, Proxenies Nr. 39 Taf. 19; vgl. Blech, Studien zum Kranz 156 und 175. 1069 So etwa in den Inschriften für die Metöken Herakleides (IG II 360: Photo bei A. Lambrechts, Tekst en Uitzicht van de Atheense Proxeniedecreten tot 323 v.C, Brüssel 1958, Taf. 13) und Nikander/Polyzelos (IG II2 505: Photo bei Maier, Mauerbauinschriften I, Taf. 8 Abb. 19). 1070 Kahrstedt, Staatsgebiet 329f. mit Quellenverweis und Blech, Studien zum Kranz 160. Vgl auch das Ehrendekret für die Söhne des Leukon (IG II 212, Z. 54ff.): Diese weihen ihre von Athen verliehenen Goldkränze im Wert von jeweils 2000 Drachmen der Athena Poüas. 1071 Vgl. Aischin. 3.46. 1065
2. Äußere Ehrungen
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sich von seinem Kran2 doch nicht zu trennen, zumal dann nicht, wenn er aus Gold war. Apollodor verpfändete Jahre nach dem Tod seines Vaters den diesem vom Demos verliehenen Goldkranz, um seinem Freund Nikostratos, der in die Sklaverei verkauft worden war, die Lösesumme bereitzustellen.1072 Eine weitere Ehrung, die in den Decreta Honoraria Erwähnung findet, war die gastliche Bewirtung im Prytaneion (ξένια bzw. δεΐπνον).1073 Diese naturale Form der Ehrung ist ein Erbe aus früheren Zeiten. Sie ist schon Solon geläufig, dürfte aber noch älter sein.1074 Von den Fremden pflegten neben auswärtigen Gesandten auch Proxenoi, Euergetai, Isotelen sowie φυγάδες auf Staatskosten im Prytaneion bewirtet zu werden.1075 Unter den zum Gastmahl Eingeladenen sind einige als Metöken auszumachen.1076 Die übliche Formel, mit der die Einladung zum Ausdruck gebracht wurde, lautet καλέσαι δέ αυτούς έτη ξένια εις το πρυτανειον εις aiSpotv.1077 Es handelte sich also stets um eine einmalige Bewirtung, die am Tag nach der Ernennung zum Proxenos, Euergetes oder Isoteles erfolgte. Betraf die Bewirtung hingegen Bürger oder Eingebürgerte, wurde das Wort δεΐπνον benutzt In ganz seltenen Fällen wird allerdings für die Einladung von Fremden δεΐπνον (εις αιίροιν) anstelle des üblichen Wortes ξένια gebraucht, ohne daß ein Unterschied bei der Bewirtung erkennbar wäre.1078 Während die Stadt etwa den Metöken Asklepiodoros, der sich während eines Gefechts auf dem Kriegsschiff des Chares von Aixone durch besondere Tapferkeit (άνδραγαθία) ausgezeichnet hatte und dafür um 340 mit der Isotelie belohnt wurde, έπι ξένια einlud, wurde der ebenfalls in Athen lebende Philosoph Prytanis aus Karystos nach seiner diplomatischen Mission bei Antigonos Doson έπι δεΐπνον gerufen.1079 Diese terminologische Unterscheidung hat Anlaß zu manchen unnötigen Spekulationen gegeben, die darauf hinauslaufen zwischen δεΐπνον und ξένια einen graduellen Unterschied festzumachen. W. Larfeld meinte, δεΐπνον habe eine "erhöhte Auszeichnung für Auswärtige" dargestellt.1080 Eine in dieselbe Richtung gehende Erklärung bietet S.G. Miller an: £ T)eipnon would appear to have been the Tiigher' honour, either because of a better menu, or because of some religious ceremony closed to noncitizens".1081 MJ. O s b o m e hingegen vermutet, daß diejenigen Fremden, die zu einem 1072 [Demosth.] 53.9 mit Millett, Lending and Borrowing 53ff. und 77. 1073 Von den neueren Untersuchungen zum Thema seien hervorgehoben: S.G. Miller, The Pryta neion: Its Function and Architectual Form, Berkeley - Los Angeles - London 1978; MJ. Osbome, Entertainment in the Prytaneion at Athens, ZPE 41, 1981, 153-170; P.J. Rhodes, Ξένια and δεΐπνον in the Prytaneum, Z P E 5 7 , 1 9 8 4 , 193-199. 1074 p j u t Solon 24 und Athen. 6.137e mit Kahrstedt, Staatsgebiet 334. 1075 Eing u m Vollständigkeit bemühte Belegsammlung bei Miller, Prytaneion (Appendix Α, Α11267). Auf einige von Miller übersehene Fälle verweist Osborne, Entertainment 154 Anm. 4. 107 * So etwa in: IG I 3 106; IG II2 40, Z. 9f.; IG II 2 276 ( = Schwenk, Laws and Decrees Nr. 12), Z. 15f.; Moretti, ISE Nr. 28, Z. 44f. 1Q 77 Miller, Prytaneion 4 und Appendix A, passim; Henry, Honours 262ff. 1078 Diese Abweichungen zusammengestellt bei Miller, Prytaneion 6; Osborne, Entertainment 154ff.; Rhodes, Ξένια and δεΐπνον 193ff.; Henry, Honours 271 ff. 1079 Asklepiodoros: IG II 276, Z. 15f. (= Schwenk, Laws and Decrees, Nr. 12); Prytanis: Moretti, ISE Nr. 28, Z. 44f. 1080 w . Larfeld, Handbuch der griechischen Epigraphik II, Leipzig 1902, 811. 1081 Miller, Prytaneion 6.
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Κ Die Dankbarkeit derPolis
δεΐπνον eingeladen wurden, im cclub' der illustren Bürger speisten, welche ein Anrecht auf permanente Sitesis hatten; demnach hätten im Prytaneion die Gäste επί ξένια von denen έτη δεϊττνον räumlich getrennt gespeist. Möglicherweise sei ξένια aber auch eher ein einfacher 'Empfang' (reception) denn "a füll scale meal" gewesen.1082 Keiner die ser Lösungsvorschläge wirkt befriedigend. Man muß sich die Absicht dieser hohen Ehrung, die längst nicht allen fremden Wohltätern zuerkannt wurde, vergegenwärti gen: Der Demos wollte mit der öffentlichen Bewirtung jenen Fremden, die sich durch große Verdienste ausgezeichnet hatten, seinen Dank bekunden. Wären diese anders behandelt worden als die im Prytaneion speiseberechtigten Bürger, indem man ihnen eine kargere Mahlzeit vorsetzte oder es sogar bei einem bloßen Empfang beließ, wären sie mit Recht gekränkt worden. Bei einem έτη ξένια eingeladenen Proxenos handelte es sich immerhin um den φίλος des Demos.1083 Beim Gastmahl hörten die Statusschranken auf. Wenn die επί ξένια eingeladenen Fremden ein anderes Menü erhalten haben als die Bürger oder die ganz wenigen Fremden, die επί δεϊττνον gerufen wurden, woran ich nicht glaube, dann doch wohl ein besseres! Was die kultischen Ze remonien betrifft, die Miller in die Diskussion gebracht hat, so wurden diese doch wohl nur von Priestern ausgeführt, nicht aber von allen im Prytaneion anwesenden Bürgern. Nichts spricht dagegen, daß die Fremden in der gleichen Weise wie die Bür ger bei den Zeremonien passiv teilnahmen. Ein faktischer Unterschied zwischen επί ξένια und επί δεϊττνον dürfte demnach nicht existiert haben. Auffällig ist, daß es sich bei denjenigen ganz wenigen Nichtbürgern, die επί δεΐπνον eingeladen wurden, ent weder um Leute handelt, die die Politie oder Isopolitie erhielten, oder um solche, die, wie der Trierarch Antimachos aus Chios oder der Philosoph Prytanis, in staatlichem Auftrag bzw. als athenische Amtsträger fungierten.1084 Bei den wenigen epigraphischen Belegen, in denen dies nicht feststellbar ist, liegt wahrscheinlich eine Nachläs sigkeit des Grammateus oder des Steinmetzes vor. Soweit rekonstruierbar, enthält gut jedes dritte bis vierte athenische Proxeniedekret des 5. und 4. Jahrhunderts die Formel καλέσαι δέ αυτούς επί ξένια εις το πρυτανεΐον εις αυροιν.1085 Daraus wird ersichtlich, daß sehr viele Proxenoskandidaten, die ja mehrheitlich in ihren Heimatstädten lebten, zu ihrer Ernennung nach Athen reisten. Diese hohe Mobilität verwundert keineswegs, zumal, wie wir gesehen haben, die Ernennung mit einer Reihe von äußeren Ehren wie Belobigung und Bekränzug 1082 Osborne, Entertainment 155; Osbornes Vermutungen werden von Rhodes, Ξένια and δεΐπνον 196 mit vollem Recht als unbegründet zurückgewiesen. 1083 Proxenoi werden immer επί ξένια, niemals aber im δεΐπνον eingeladen! Einzige Ausnahme von der Regel stellt IG II 2 365 dar. 1084 Die Fälle diskutiert bei Osborne, Entertainment 154ff. und Rhodes, Ξένια and δεϊττνον 193ff. "»5 Ξένια in Proxenieurkunden: IG I 3 173, IG I 3 57, IG I 3 163, IG I 3 167. IG I 3 172, IG I 3 169, IG I 3 171, IG I 3 91, IG I 3 106, IG I 3 118, IG I 3 110, IG I 3 180, IG f 107, IG Γ 182 a, IG Π2 2, IG II 2 6, IG II 2 19, IG Π 2 51, IG II2 53, IG II 2 54, IG II2 29, IG Π2 69, IG II 2 95,1 Delos 88 I, ? IG II 2 146, IG II 2 132, IG II 2 133,? IG II 2 151, IG II 2 161, ? IG II 2 168, IG II 2 182, IG II 2 188, IG II 2 193, ? IG II 2 197, IG II 2 206, IG II 2 265, IG II 2 288, IG II2 290, ? IG II 2 302, ? IG H2 346, IG II 2 446, ? IG II 2 427, ? IG II 2 434, Hesperia 43, 1974, S. 323, IG Π2 365,? IG Π2 510, ?IG II 2 528, ? IG II 2 594; ξένια in Euergesiedekreten: IG Π2 48, IG II2 81, ? IG Π2 173; ξένια in Isoteliedekreten: IG II 2 276 (= Schwenk, Laws and Decrees Nr. 12).
2. Äußere Ehrungen
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verbunden war und für den Geehrten ein geradezu öffentliches Spektakel darstellte. Allerdings vermißt man die Einladung zu einem Gastmahl auch in solchen für Metöken beschlossenen Proxeniedekreten, so etwa bei dem Arzt Euenor, dem Dichter Amphis oder dem Händler Herakleides, die zum Zeitpunkt ihrer Auszeichnung si cher in Athen lebten. Auch in Beschlüssen, wo sie zu erwarten wäre, wie etwa in dem Politiedekret für Thrasybul, dem sein geglückter Anschlag auf Phrynichos von der breiten athenenischen Öffentlichkeit als eine große Tat angerechnet wurde, fehlt sie gänzlich. Soll man daraus ableiten, daß diese Personen keine Einladung zum Gast mahl erhielten, oder aber doch öffentlich bewirtet wurden, ohne daß dies in ihren Dekreten vermerkt wurde? Die Einladung zum Ehrengastmahl wurde gewöhnlich in der Ekklesie be schlossen. In ganz seltenen Fällen erfolgte sie auch durch die Boule, wie etwa im Fal le des Diokleides, der für seine Bereitschaft, Informationen über die Hermenfrevler zu liefern, von den Bouleuten spontan bekränzt und im Prytaneion bewirtet wur de.1086 Fremde sind so gut wie nie mit der lebenslänglichen und erblichen Bewirtung auf Staatskosten ausgezeichnet worden, während es unter den Bürgern eine kleine Gruppe von άείσιτοι gab.1087 Die fünf bekannten Verleihungen dieses Privilegs an Nichtbürger gehören der Zeit nach 314/13 an.1088 Die permanente Sitesis ist bei allen fünf Fällen mit der Verleihung des Bürgerrechts und der Prohedrie, manchmal auch mit einer Ehrenstatue, verknüpft. Die Geehrten lebten nicht oder nur vorübergehend in Athen, so daß sie von ihrem Recht kaum Gebrauch gemacht haben werden. In der Forschung ist man sich einig, daß Athen mit der Gewährung der Theaterprohedrie an einheimische wie fremde Wohltäter sehr sparsam verfuhr.1089 Vor der Zeit Lykurgs ist kein einziger Fremder namhaft zu machen, der für seine Verdienste 1086
Andok 1.45. Kahrstedt, Staatsgebiet 334ff.; Miller, Prytaneion 9; vgl. auch Henry, Honours 276ff. 1088 Diese sind IG II 2 450 = Osbome, Naturalization I, D42 (Dat.: 314/3) für den Makedonen Asandros, Satrap von Karien. IG II 2 385b = Osborne, Naturalization I, D49 (Dat.: ca. 307-303/2) für Aristonikos von Karystos. Der Geehrte war "a famous ball-player in the entourage of Alexander the Great" (Osbome, Naturalization II, 127). IG II 467 = Osborne, Naturalization I, D43 (Dat.: 306/5) für Timotheos von Karystos, der den Athenern im Kampf gegen Kassander militärischen Beistand geleistet hat. ? IG II 510 (Dat.: post a. 307/6) für einen Umbekannten. Verdienste und Herkunft des Geehrten sowie der Grad der Belohnung wegen des schlechten Erhaltungszustandes nicht erkennbar. IG Π2 646 = Osbome, Naturalization I, D68 (Dat.: ca. 295/4) für Herodoros, ein hoher Funktionär aus dem Kreis des Demetrios Poliorketes. Herodoros "helped the Athenian envoys in their negotiations for peace with Demetrios after the flight of Lachares and aided in the restauration of democracy" (Osbome, Naturalization II, 144). IG ΙΓ 937 = SIG 24.135 für Z/Menodoros (Dat.: ca. 180-170). Der Geehrte war τροφεύς Antiochos' IV. Vgl. Osbome, Naturalization ΠΙ, 98 T107. 1089 M.J. Osborne, Some Attic Inscriptions, ZPE 42,1981,174: "Grants of proedria in Athens are uncommon". Das epigraphische Material zur Prohedrie ist ebenda 174-177 und bei Henry, Honours 291ff. zusammengestellt. Henry ordnet die Belege nach "permanent front seats of honour" und "seats for a single festival". Zur Prohedrie allgemein s. Maas, Prohedrie 77ff. mit einem Quellen überblick1087
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V. Die Dankbarkeit der Polis
mit einem Ehrenplatz bei öffentlichen Spielen ausgezeichnet worden wäre.1090 Xenophon empfahl am Ausgang des Bundesgenossenkrieges, zur Ankurbelung der athenischen Wirtschaft und zur Vermehrung der Staatseinnahmen diejenigen Emporoi und Naukleroi mit der Prohedrie (und der öffentlichen Bewirtung) zu ehren, "von denen man glaubt, daß sie durch besonders gute Schiffe und Waren der Stadt Nutzen bringen. Denn die so Geehrten dürften nicht nur um des Gewinnes, sondern auch um der Ehrung willen wie zu Freunden herbeieilen".1091 Dieser gutgemeinte Ratschlag stieß bei den athenischen Staatsmännern anscheinend auf taube Ohren, denn in den gut ein Dutzend Ehrendekreten für Emporoi und Naukleroi aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts begegnet man der Prohedrie nur ein einziges Mal.1092 Der auf Antrag Lykurgs mit der Prohedrie geehrte Getreidelieferant, Sopatros aus Akragas, durfte beim nächsten Dionysienfest in den unteren Reihen der Cavea sitzen, während Metöken, Xenoi, Frauen und Sklaven die Schauspiele von den oberen Theaterrängen hinter den Bürgern verfolgten.1093 D e m Sopatros dürfte wahrscheinlich kein marmorner Prohedriethron in der Kerkis angeboten worden sein, der nur auserlesenen Personen (Priestern und hohen Beamten der Stadt) zustand, sondern ein Sitzplatz in den vordersten Steinsitzstufen der Cavea.1094 Überhaupt liegt in der Proxenieurkunde für Sopatros die erste Erwähnung der Prohedrie für einen Nichtathener vor, dem aufgrund einer Euergesie diese Ehre zuteil wurde (die ausländischen Gesandten, die nach überkommener Sitte ein Anrecht auf Prohedrie hatten,1095 gehen uns hier nichts an) .Von den Demen gewährte Prohedrie an Fremde ist hingegen schon früher bezeugt. So ehrte etwa Eleusis in der Mitte des 4. Jahrhunderts mehrere Metöken, darunter auch den bereits erwähnten Damasias, mit der Prohedrie.1096 Die Urkunde für Damasias enthält auch Einzelheiten über das Prohedrierecht, die in staatlichen Eh1090 B e i den v o n Maas, Prohedrie 81, als mögliche Prohedrie fälle angegebenen Inschriften IG I 33 (jetzt IG I3 20 = Walbank, Proxenies Nr. 10) und IG II 2 20a aus der Mitte des 5. und dem Anfang des 4. Jahrhunderts sind starke Zweifel angebracht. Nichts deutet bei diesen stark zerstörten Inschriften auf die Verleihung des Prohedrierechts hin. 1091 Xen. vect. 3.4 (Üb. E. Schütrumpf): αγαθόν δέ και καλόν και προεδρίαις τιμασθαι εμπόρους και ναυλκήρους, και επί ξένια γ' εστίν δτε καλεΐσθαι, οι αν δοκώσιν άξιολόγοις και πλοίοις και έμπορεύμασιν ώφελεΐν τήν πόλιν. ταύτα γάρ τιμώμενοι ου μόνον του κέρδους αλλά και της ένεκεν ώς προς φίλους έπισπεύδοιεν άν. In seiner fiktiven Idealpolis Magnesia fordert Piaton (leg. 881b) Prohedrie für Metöken und Fremde, die den von ihren Kindern mißhandelten Eltern zu Hilfe eilen. Bei Unterlassung einer Hilfeleistung sollen sie des Landes verwiesen werden. 1092 J. McK. Camp, Hesperia 43, 1974, 323, Ζ 28ff. 1093 Zur Zusammensetzung des Theaterpublikums s. Kolb, Theaterpublikum 345ff. mit dem wichtigen Hinweis, daß das griechische Theaterpublikum "relativ getreu die rechtlichen und sozialen Strukturen der Polis" repräsenrierte (347). 1094 Zum Kreis der Prohedrieberechtigten s. die Ausführungen von Maas, Prohedrie 82, 90ff. und Kolb, Theaterpublikum 347. 1095 Henry, Honours 292. 1096 Prohedrie in eleusinischen Ehrendekreten für Nicht-Athenen IG II 1185, Z. 4 für einen unbekannten Thebaner; IG ΙΓ 1186, Z. 24 für Damasias aus Theben; IG II 2 1192, Z. 7 für Pylasios; IG II 1193, Z. 24 für Smikythion aus Kephallenia; Myrrhinus: IG II 1182, Z. 2 für einen Unbekannten. Der Honorand dürfte kein Athener gewesen sein, da er als Euergetes bezeichnet wird; weitere Belege bei Maas, Prohedrie 82.
2. Außen Ehrungen
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rendekreten fehlen: Der Geehrte wird während der Dionysien durch den Demarchos, dem höchsten Beamten der Deme, zur Prohedrie im Theater geleitet. Nach der Zu weisung eines Prohedrieplatzes erfolgt die Ausrufung der Tugenden und der Bekrän zung des Metöken.1097 Hier ist eine starke Zusammengehörigkeit zwischen Ehrenaus rufung (κήρυγμα) und Prohedrie erkennbar. Ich möchte daher meinen, daß diejenigen mit einer κήρυγμα—Bewilligung durch die athenische Ekklesie ganz automatisch das Prohedrierecht hatten, d.h. während ihrer Belobigung im Theater an einem Ehrensitzplatz saßen, ohne das letzteres im Ehrenbeschluß vermerkt wurde. Dies würde die ganz seltene Erwähnung der Prohedrie in den athenischen Ehrendekreten der klassi schen und hellenistischen Zeit erklären. Es war nicht notwendig, nach der Erteilung eines κήρυγμα die Bewilligung der Prohedrie gesondert auf zufuhren, weil es sich von selbst verstand, daß dem Geehrten am Tag seiner Bolobigung ein Ehrensitzplatz im Theater angeboten werden würde.
1097 I G ii 1186, Z. 19-24: άνειπάτω δε αυτόν ό μετά Γναθιν δήμα||ρχος Διονυσίων των Έ[λ]ευσΐνι τοις τρ|αγοιδοΐς, οτι ό δήμος ό 'Ελευσίνιων στ|εφανοΐ Δαμασίαν Διονυσίου Θηβαϊον | σωφροσύνης ένεκα και ευ σέβειας της | προς τω θεώ' έστω δέ αύτώι προεδρία κτλ. Weitere Beispiele bei Maas, Prohedrie 87f.
VI. GESAMTURTEIL ÜBER DIE METÖKENEUERGESIEN UND IHREN PLATZ IN DER GESCHICHTE ATHENS
Im Bewußtsein der meisten Altertumswissenschafder ist die Vorstellung, nur atheni sche Bürger hätten sich für die Belange ihrer Polis eingesetzt, fest verankert. Dabei wird leicht übersehen, daß auch Metöken durch allerlei Aufopferungen für das Wohl ergehen ihres Gaststaates beitrugen. Ich möchte diese einseitige Betrachtungsweise anhand einiger willkürlich gewählter Beispiele verdeutlichen. Die Notwendigkeit, seit den 420er Jahren zur Finanzierung von Kriegen Epidoseis zu organisieren, wird von H. Hommel folgendermaßen erklärt: icDie früher so reichlich fließenden Einnahme quellen des athenischen Staates (besonders Bundestribute und Handelsüberschüsse) ebbten ab, der Staatsschatz und sogar mehr und mehr auch der größtenteils ungemünzte Schatz der Athene erschöpfte sich, die finanziellen Anforderungen des Krie ges wuchsen dagegen ständig; kein Wunder, daß man die Bürger sicher schon seit dem archidamischen Krieg in zunehmendem Maße heranziehen mußte, was in der für die Griechen nächstliegenden Form, nämlich durch agonistische Anspannung der Gebefreudigkeit und der φιλοπμία des Einzelnen geschah".1098 Die Antwort von O. Schmitt auf die Frage, wie Athen die Mittel für den Lamischen Krieg aufbrachte, lau tet "Über einen speziellen Fonds, der schon in Friedenszeiten für künftige militäri sche Auseinandersetzungen angelegt worden wäre, verfugten die Athener bei Kriegsausbruch nicht. Zur Deckung der unmittelbar anfallenden Kosten wurden vielmehr die beschlagnahmten Gelder des Harpalos verwendet. Sobald diese Gelder erschöpft waren, mußte Athen die Kosten vor allem durch finanzielle Leistungen der eigenen Bürger und durch etwaige Beiträge von Bundesgenossen finanzieren".1099 P. Veyne hält bezüglich den Liturgien lapidar fest "Jedes Jahr verteilte das Volk Athens Hunderte von Liturgien unter den wohlhabenden Bürgern" und "Trimitive' Großzü gigkeit und demokratische Liturgien — sie waren das Schicksal eines reichen Athe ners".1100 In diesen Zitaten, denen man zahlreiche andere hinzufugen könnte,1101 ist nur von athenischen Bürgern die Rede. Zur Richtigstellung solcher Äußerungen ist jedoch jeweils der Zusatz notwendig, daß auch Metöken zu Liturgien herangezogen wurden und — mit zum Teil bemerkenswert hohen Spendenbeiträgen — an den Epi doseis teilnahmen. Gegen Schmitt wäre zu sagen, daß neben Bürgern auch zahlreiche Metöken den Lamischen Krieg etwa durch die Bereitstellung von Flottengeldern und Ruderern mittrugen.1102 Ich habe im Kapitel IV der vorliegenden Untersuchung die Belege für die Wohltaten der Metöken zusammengestellt. Trotz der großen Lücken im Quellenma1098
H. Hommel, PhW 17, 1923, 494. Schmitt, Lamischer Krieg 71. noo Veyne, Brot und Spiele 170 und 164. 1101 Z.B. Will, Athen und Alexander 86 (s.o. S. 131); Garlan, Mensch und Krieg 89. 1102 IG II 2 505; IG II 2 506; IG II2 554 (s.o. S. 81 ff. und 139f.). 1099
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VI. Gesamturteil über die Metökeneuergesien
terial wage ich nun ein Gesamturteil. Die Bedeutung der Metökeneuergesien wird erst vor dem Hintergrund der Finanzlage Athens verständlich. Die wohl größte Anforde rung, der sich die attische Demokratie gegenübergestellt sah, war die ständige Frage nach der Aufbringung von Geldmitteln zur Deckung staatlicher Ausgaben. Die Kla gen über die Finanznöte des Staates durchziehen die gesamte attische Literatur des ausgehenden 5. und des 4. Jahrhunderts.1103 Mit den internen, ordentlichen Einkünf ten der Stadt konnte nur ein geringer Teil der Ausgaben bestritten werden, weswegen die Stadt auf andere Geldquellen angewiesen war.1104 Vor allem die Kosten für Heer und Flotte waren enorm, und zwar nicht nur im Krieg, sondern auch in Friedenszei ten.1105 Die Phoroi der Bundesgenossen wurden zum größten Teil von den Ausgaben für die Flotte und die Marineanlagen aufgesogen.1106 Die finanzielle Abhängigkeit der Stadt von den wohlhabenden Metöken setzte während des Peloponnesischen Krieges ein. Das hängt mit dem Zerfall der Attischen Arche zusammen. Denn der Ausfall der Bundesgenossentribute zwang Athen dazu, zur Deckung der Staatskosten immer mehr seine reichen Bewohner heranzuziehen, weshalb damals zu der traditionellen Vermögensauflage (λειτουργία) die allgemeine Vermögensabgabe (εισφορά) hinzutrat.1107 Die Eisphora war der Idee nach zwar eine außerordentliche Vermögensumlage, auf die nur bei Bedarf zurückgegriffen werden sollte, doch wurde sie recht bald zu einer regulären Einnahmequelle, weil sie häufig (im 4. Jahrhundert durchschnittlich jedes zweite Jahr) erhoben wurde.1108 Ebenfalls seit dem Peloponnesischen Krieg ging die Stadt dazu über, zunächst in Kriegszeiten, dann auch bei Getreideteuerung und anderen akuten Finanznöten, von den reichen Bürgern und Metöken Geldspenden zu fordern. Die Epidosis stellte neben der Eisphora ein wichtiges Mittel zur Behebung von Finanzierungslücken dar und ver dient daher mehr Beachtung, als man ihr bislang geschenkt hat. Ich weiß nicht, ob die Aussage von Andreades, die wohlhabenden Metöken hätten mit ihren Spenden "mehr als die Bürger zur Erleichterung von Fiskus und Volk" beigetragen,1109 zutref fend ist, da die Stadt im 5. und 4. Jahrhundert ihren Bürgern nur selten Ehrenin schriften aufgestellt hat und daher das epigraphische Material zugunsten der Metöken spricht. Wenn man allerdings bedenkt, daß die Metöken neben der Philotimie auch von der Aussicht auf rechtliche Vergünstigungen zu Spenden motiviert wurden, was 1103
Als die wichtigsten Stellen seien genannt: Lys. 19.11; 28.2-8.11 f. 17; 29.1f.4.9; 30.22; Xen. hell. 4.8.27-31; 5.4.66; 6.2.1; 6.2.11f.; 6.2.36f.; Xen. mem. 3.4.5; Isokr. 7.8f.; 15.108f.lllff.; Demosth. 2.28; 3.20; 4.24; 8.8f.l9.21-28.46f.; 18.114; 19.332; 20.25.60; 23.61.171.209; 24.96-101; [Demosth.] 12.3; 49.6-8.9-21; 50.7-18.23-25.35f.53.55f.; Aischin. 2.71; weitere Belege für "Athens' lack of State funds" finden sich bei Ste. Croix, Class Struggle 293 mit Anm. 37. 1104 Zu den öffentlichen Einkünften (Pacht- und Gerichtsgebühren, Handelszölle, Marktabgaben, Metoikion) s. etwa Böckh, Staatshaushalt I, 366ff.; Andreades, Staatswirtschaft 285ff.; Bleicken, Demokratie 249ff. 1105 Bleicken, Demokratie 252f. 1106 Jones, Economic Basis 5ff.; Bleicken, Demokratie 319f. 1107 Lauffer, Finanzpolitik 117 spricht von einer "planmäßig durchgeführten Methode der Lastenaufbringung", wodurch "die direkte Besteuereung der Besitzenden zum System gemacht (wurde)". iio8 Eine chronologische Übersicht bei Brun, Eisphora-S\Titaxis-Stratiotika 55. 1109 Andreades, Staatswirtschaft 298.
VI. Gesamturteil über die Metökeneuergesien
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bei den Bürgern nicht gegeben war, kommt der Vermutung von Andreades eine hohe Wahrscheinlichkeit zu. Aus den Ehrendekreten wird deutlich, daß die Bedeutung der Metöken und ihrer Wohltaten gerade in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und besonders in der Zeit Lykurgs ihren Höhepunkt erreichte,1110 was im übrigen sehr gut mit der Zu nahme der markanten und monumentalen Graber von Metöken aus demselben Zeit raum zusammenpaßt. Wahrscheinlich waren damals in so gut wie jeder Sitzung der Ekklesie auch einige Metöken anwesend, um dort auf der Pnyx für erbrachte Wohlta ten mit realen Privilegien und Ehrungen ausgezeichnet zu werden. Bisweilen wird den Athenern vorgeworfen, ihre Unfähigkeit, eine angemesse ne Finanzierungsgrundlage zu schaffen, habe in erster Linie den Untergang Athens als unabhängiger Stadt herbeigeführt.1111 Diese Behauptung ist insofern unzutreffend, weil die Stadt auch im 4. Jahrhundert ihre Finanzbedürfhisse - vor allem durch den starken Rückgriff auf das Vermögen der reichen Bürger und Metöken - ausreichend gelöst hat.1112 Im Zusammenhang mit den durch eine Eisphoraerhebung eingegange nen Geldern sagte Demosthenes im Jahre 354: "Geld ist dann da, wenn es gebraucht wird, vorher nicht".1113 Diese Worte sind sehr lehrreich, weil sie u.a. auch zeigen, daß die Besitzenden Geldmittel aufbrachten, wenn sich Finanzierungslücken einstellten, was häufig der Fall war. Erst vor diesem Hintergrund werden die Klagen einiger Rei cher verständlich, sie seien die δούλοι des Demos, der danach trachtete, sie durch die Auferlegung von Liturgien, Eisphorai oder Epidoseis zu ruinieren.1114 Es dürfte deutlich geworden sein, daß die Stadt angesichts eines unausrei chenden Staatsetats seit dem Beginn des Peloponnesischen Krieges zunehmend auf finanzielle Beiträge ihrer reichen Bürger, in einem starken Maße aber auch auf die der besitzenden Metöken angewiesen war. Man kann dabei ohne Übertreibung von einer regelrechten Abhängigkeit sprechen. Zu dieser Abhängigkeit trug bis zu einem gewis sen Grad auch die wirtschaftliche Mentalität der Bürger bei. Denn die Mehrheit der Bürger Athens bezog ihren Lebensunterhalt aus der Landwirtschaft und überließ die anderen Wirtschaftszweige den Fremden. Aufgrund der Monopolisierung von Grund und Boden durch die Bürger lebten die Metöken notwendigerweise von der Manu faktur, vom Handel und vom Geldverleih. Dies hatte zur Folge, daß ein Großteil des verfügbaren Geldes nicht bei den Bürgern, sondern in den Händen von Fremden lag. Unter Heranziehung der Grabdenkmäler könnte man meinen, daß die Zahl der rei chen Metöken zumindest im 4. Jahrhundert der der Bürger gleich war, sie mögli cherweise sogar überstieg. Eine in Kopenhagen vorgenommene Auswertung attischer 1110
In diesem Sinne auch Pecirka, Role of Foreigners 23ff. So etwa Lauffer, Finanzpolitik 115 und Brun, Eisphora-Syntaxis-Stratiotika 185. Vgl aber die berechtigten Einwände, die Bleicken, Demokratie 529, gegen Brun erhebt. 1112 Hierbei sollte auch nicht vergessen werden, daß sich die finanzielle Lage der Stadt durch die Schaffung großer Finanzämter unter Eubulos und Lykurg verbesserte. Zu diesem Aspekt s. neuerdings Leppin, Entwicklung 557ff. 1113 Demosth. 14.26: χρήματα μεν δη φημ' τότε, αν ώς άλητώς δέη, πρόρερον δ' ου. 1114 Xen. sympos. 4.32.45; [Xen.] Ath. pol. 1.13. Vgl. den Abschnitt "Le riche victime de la cite" bei Vannier, Finances publiques 169ff. 1111
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VI. Gesamturteil über die Metökeneuergesien
Grabinschriften hat ergeben, daß mehr Metöken für ihre Frauen Grabstelen aufstel len ließen als Bürger.1115 Zudem stammen viele der monumentalen Grabanlagen aus Attika gerade von Metöken.1116 Aus Ehrendekreten wird ersichtlich, daß viele wohl habende Metöken ihr aus den gewinnbringenden Wirtschaftszweigen erzieltes Ver mögen für das Wohl der Bürger ausgaben, um deren Sympathien zu gewinnen und um als Gegenleistung ihrerseits mit rechtlichen Privilegien belohnt zu werden. Die Stadt profitierte nicht nur von den Liturgien, Eisphorai und den Geld spenden der Metöken. Es gab eine Reihe anderer, berufsspezifisch bedingte Wohlta ten, die der Gemeinschaft zugute kamen. An erster Stelle seien die Naukleroi und Emporoi genannt, die Getreide nach Attika förderten und bei auftretenden Versor gungsschwierigkeiten ihre Ladungen nicht selten zu verbilligten Preisen verkauf ten.1117 Andere Metöken stifteten der Stadt bei Bedarf Kriegsgerät (Schilde, Sehnen für Katapulte u.a.), das in ihren Betrieben hergestellt worden war.1118 Bauunternehmer wie der Platäer Eudemos fanden sich zur kostenlosen Durchführung öffentlicher Bauprojekte bereit.1119 Die medizinische Versorgung der Bevölkerung war eine Do mäne der Metöken, weil Athener dem Arztberuf trotz seines hohen Ansehens in der Gesellschaft fernblieben.1120 Um ihren Bürgern eine kostenlose medizinische Behand lung zur Verfügung zu stellen, nahm die Stadt besonders kompetente Ärzte unter Vertrag, die aus den öffentlichen Fonds bezahlt wurden.1121 Einige dieser δημόσιοι ιατροί verzichteten zur finanziellen Entlastung der Stadt auf eine öffentliche Vergü tung.1122 Gelehrte und Künstler nichtathenischer Herkunft hatten auf dem Gebiet der παιδεία und der Musenkunst einen wichtigen Anteil und wurden daher häufig mit dem Bürgerrecht und anderen Privilegien ausgezeichnet.1123 Zudem wurden aus die sen Kreisen einige Schauspieler und Philosophen seit der Mitte des 4. Jahrhunderts
1115 Vestergaard/Hansen u.a., Typology of Women 178: "Of the Citizens recorded 34% (about 1500 persons) are women, of the metics and foreigners the percentage is even larger (41%). Vgl. auch Hansen, Athenian Democracy 93 und ders., Three Studies lOff. 1116 Scholl, Πολυτάλαντα μνημεία 252ff. 255f. reiht die literarisch belegten Grabbauten des Tragödiendirchters Theodektes aus Phaseiis und eines Rhodiers unter die besonders aufwändig gestalteten Grabdenkmäler Anikas ein. Zu den Grabnaiskoi der Metöken s. Bergemann, Demos und Thanatos 138ff. und Engels, Funerum sepulcrorumque magnifkentia 121 ff. Eine Abbildung des KallitheaMonuments, das einer reichen Metökenfamilie aus Histria gehörte, bei Garland, Piraeus 62f. mit Abb. 11. 1117 S.o. S. 149ff. 1118 S.o. S. 140ff. 1119 S.o. S. 129f. 1120 Zu dieser Folgerung berechtigt der Umstand, daß wir aus Athen nur fremde Ärzte kennen: Hdt. 3.131; Aristoph. Ach. 1030-1032. 1222; Aristoph. Vesp. 1432; IG I 3 164; IG Π2 242+373; IG II2 304+604 (= Schwenk, Laws and Decrees Nr. 14); IG II 483; IG II 2 772; IG Π2 946. Die Mehr zahl dieser Ehrendekrete sind an Gemeindeärzte adressiert. 1121 Die Gemeindeärzte wurden von der Volksversammlung gewählt (Plat. Gorg. 455b-456c; 514d-e). Zum Institut der Gemeindeärzte s. neben L. Cohn-Haft, The Public Physicians of Ancient Greece, Northampton/Mass. 1956 auch Bolkestein, Wohltätigkeit 274f. und Marek, Proxenie 371 f. 1122 Dies belegt der Ehrenbeschluß IG II2 483 für den Rhodier Pheidias aus dem Jahr 304/3. 1123 Isokr. epist. 8.4; Osbome, Naturalisation IV, 200ff.
VI. Gesamturteil über die Metökeneuergenen
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als Gesandte eingesetzt, weil sie über gute Kontakte zu den makedonischen Machthabern verfugten.1124 Die Stadt belohnte nach den Regeln der Reziprozität um sie verdiente Metöken mit rechtlichen Privilegien. Vergünstigungen wie Isotelie und Enktesis verrin gerten die rechtlichen Differenzen zu den Bürgern, ohne sie freilich aufzuheben, weil auch den priviligierten Metöken die politische Partizipation versagt blieb.1125 Zudem trugen diese Privilegien neben anderen Faktoren mit dazu bei, daß sich innerhalb der sehr inhomogenen Metökenbevölkerung kein eigenständig ausgeprägtes Standesbe wußtsein entwickeln konnte.1126 Ohne Zweifel mußte die Metökenbevölkerung aufgrund ihrer rechtlichen Zu rücksetzung etliche Benachteilungen hinnehmen. Trotz dieser Benachteiligungen soll te man sich nicht dazu verleiten lassen, sie als eine stigmatisierte Außenseitergruppe abzutun, auf die die Athener mit sozialer Geringschätzung herabgeschaut hätten, wie es in den letzten zwanzig Jahren häufig geschieht.1127 Die Behauptung von P. Scholz, athenische Bürger hätten in den Metöken "nicht mehr als heimadose Privatmänner" gesehen, "die für sich lebten", kann nicht richtig sein.1128 Viele Athener waren sich darüber bewußt, daß die Metöken auch für die Stadt lebten und ihr von großem Nut zen waren, weil sie als Ruderer und Hopliten dienten, Eisphorai abführten, Liturgien leisteten, vielfältige Wolhtaten erwiesen und nicht zuletzt, weil sie als Handwerker und Händler die Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen versorgten. Daher fielen ihre Urteile über die Metöken günstiger und zutreffender aus. So setzte etwa Aristophanes die Bürger mit Weizenkorn und die Metöken mit Kleie (άχυρα) gleich, um mit diesem Metapher zum Ausdruck zu bringen, daß beide Bevölkerungsgruppen für die Polis notwendig waren, wie Mehl und Kleie nötig sind, um Brot zu backen.1129 Aus dem Mund eines oligarchischen Gegners der Demokratie kam das Geständnis, daß die Athener ihre Metöken gut zu behandelt pflegten, weil der Demos "um der Menge der Gewerbe als auch des Seewesens willen" auf sie angewiesen war.1130 Die Metöken selbst waren sich um ihrer Bedeutung für den attischen Staat bewußt. Dies schlug sich auch auf die Selbstdarstellung dieser Bevölkerungsgruppe in den Grabdenkmä lern nieder. Mehrere Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß die Met öken nicht nur die artischen Grabformen übernahmen, sondern daß sie darüber hin aus zur Selbstdarstellung Bildmotive wählten, die den athenischen Bürgern eigen wa1124
S.o. S. 169ff. Davies, Athenian Citizenship 107 und Raaflaub, Entdeckung der Freiheit 19 mit Anm. 71, ziehen eine Parallele zwischen den Isotelen und den römischen cives sine suffragio. 1126 S.o. S. 31 sowie Spann, Fremde und Metöken 55f. 1127 Whitehead, Metic, passim; Mosse, Emporium 58ff.; Baslez, Etranger 23f.90f. 142.197.204; Weiler, Soziale Randgruppen 11 ff.; ders., Fremde als stigmatisierte Randgruppe 53ff. 1128 Scholz, Philosoph und Politik 54: 'T>en athenischen Bürgern galten die Zugereisten' Fremden als keine wirklich 'freien' Menschen; aus ihrem Blickwinkel waren sie nicht mehr als heimadose Privatmänner, die für sich lebten. Ruhm und Ehre, Identität und Selbstbewußtsein waren nach Meinung der Athener nur über die Zugehörigkeit zum Büxgerverband, also über die lebenslange Teilnahme an allen politischen Entscheidungen und städtischen Kulten, zu erlangen". 1129 Aristoph. Ach. 507f. Vgl. dazu Ehrenberg, Aristophanes 160 und Whitehead, Metic 39. "30 [Xen.] Ath. pol. 1.12 (s.o. S. 11 Anm. 3). 1125
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1/7. Gesamturteil über die Metökeneuergesien
ren.1131 Besonders aufschlußreich dabei ist die Selbstdarstellung der Metöken als Hopliten, Reiter oder Epheben, wodurch sie wohl auf mehr hinweisen wollten als auf ih ren militärischen Beitrag für ihre Gastpolis.1132 Indem die Bürgerschaft die Benutzung solcher Bildmotive durch die Metöken zuließ, bekannte sie sich gewissermaßen zu der Einsicht, daß auch sie sich über den vielfaltigen Nutzen dieser Bevölkerungs gruppe für die Stadt bewußt war.
1131
Scholl, Attische Bildfeldstelen 175; Bergemann, Demos und Thanatos 131ff., bes. 146ff.; Engels, Funerum sepulcrorumque magnificentia 122ff. Von den bürgerlichen Bildschemata wichen laut Bergemann, Demos und Thanatos 147f. nur etwa 10% der Metöken ab, indem sie auf ihre Grabstelen Hinweise auf ihren Beruf aufnahmen. Ein auffälliges Beispiel hierzu ist das sog. "Charonrelief', auf dem nach Scholl, Charonrelief 353ff. ein Metökenemporos aus dem skythischen Raum dargestellt ist. ii32 Bergemann, Demos und Thanatos 146.
Chronologisches Verzeichnis um Athen verdienter Metöken (Personen, deren Metokenstatus nicht eindeuting ist, sind mit einem -Φ* vor ihren Namen gekenn zeichnet; privilegierte Metöken, über deren Euergesien nichts bekannt ist, wurden nicht aufgenommen)
Abkürzungen: Α = nicht näher definierte Atelie AskP = Freistellung vom Kriegs- und Wachdienst EGkO=Enktesis ges kai oikias E m A = Gleichstellung mit den Athenern bezügl. den Eisphorai E O = Enktesis oikias E P = Epimeleia durch attische Magistrate EU=Euergesie G K = Goldkranz
1 Name (und Herkunft) Anaxilas (Naxos) ^Pindar (Theben) Polygnot (Thasos)
IS=Isotelie OK=OHvenkranz PH = Prohedrie P H D = Zugangsrecht zur Boule und zur Ekklesie PO = Politie PRO = Proxenie SmA = Militärische Gleichstellung mit den Athenern X = Bewirtung im Prytaneion
Verdienste
? Verdienste auf militärischem Gebiet Lobgedicht auf Athen Kostenlose Ausschmückung der Wände der Stoa Poikile mit Gemälden "Φ-Theramenes, Versorgung der Bevölkerung und des Heeres mit Ge Lakedaimonios treide -♦■Lykon (Achaia) ? Getreidelieferung [Ti]manax (?Kos) Medizinische Hilfe während der großen Seuche als Ge meindearzt N.N. Medizinische Hilfe während der großen Seuche als Gemeindeafzt -Φ*Herakleides (Klazomcnai) Diplomatische Hilfe beim Großkönig Einbürgerung aufgrund unbekannter Verdienste Lieferung von Schiffsbauholz Phanosthenes (Andros) Politie für nicht bekannte Dienste Lieferung von Schiffsbauholz ι Antiochides (? And tos) Spende von 100 Minen für Kriegsgefangene Epikerdes (Kyrene) Spende von 1 Talent (für Getreidebeschaffung?)
Ehren + Privilegien
Datierung
Quellennachweis
< <
? > PRO > POL
IG Ρ 1357 Isokr. 15.166 Harpokr./Suda, s.v. Polygnotos
PPRO
IG Ρ 30; Walbank, Prox. Nr. 16
<
EU; PRO > ASkP; EP; EU; PRO
IG Ρ 174 IG Ρ 164
ASkP; EP; EU; PRO
IG Ρ 164
< < < < < <
> > > > > >
A; EgkO; EP; PRO POL EU; PRO POL EU; PRO Α EgkO; EU; GK
IG Ρ 227; Osbome, Natur. III T27 IG Ρ 182 Osbome, Natur. IIIT29 IG Ρ 182 IG Ρ 125; Demosth. 20.41 ff.
'
> Asylie; EP; EU; PRO > EP; GK; POL > POL; Land Schenkung
-♦-Pythophanes ([Karylstos) ? Getreidelieferung Thrasybul (Kalydon) Attentat auf den Oligarchen Phrynichos Apollodor (Megara) Mithilfe bei der Ermordung des Phrynichos
< <
PISO > POL (kassiert)
Ruderer d. Arginusenflotte Phyle- u. Piräuskämpfer Eukles
Ruderdienst Milit. Unterstütz, der Demokraten im Bürgerkrieg Teilnahme an der katbodos
Kleonymos (Kreta) Pasion
Geldspende im Rahmen einer Epidosis Spende von 1000 Schilden und 5 Schiffen
< 407/6 406/5 > < 404/3 401/0 > < 404/3 404/3> 401/0> < 392/1 < um 380 >
Phomiion -Φ-Protomachos Damasias (Theben) Aristodemos (Metapont)
? Getreidespende Getreidelie ferung Besondere Aufwendungen als Chorege in Eleusis Verhandlungen mit Philipp IL zwecks Freilassung von Kriegsgefangenen Mitwirkung beim Philokrastesfrieden Gesandtschaft nach Thessalien und Magnesia Auszeichnung während eines Seegefechts Getreidelieferung aus dem Westen Getreidelieferung aus Ägypten Auslösung athenischer Gefangener in Sizilien Geldspende (1 Talent) είς την φυλακήν ? Salzfischspende ? Schiffsepidosis ? Schiffsepidosis Medizinische Hilfeleistungen u. andere Euergesien Tätigkeit als Gemeindearzt Rüstungsepidosis (1 Talent) Geldspende oder Darlehen zur ? Beschaffung von Ge treide
Asklepiodoros ^-Apses, Hieron (Tyros) Ph[iloit]ios (Salamis)
Chairephilos Epigenes Konon Euenor (Argos/Akaman.)
Philomelos
< 361/0 < 361/0 < ca. 350 < 348/7
> > >
< 350-320 > < ?um 340 P338/7 >