Otto Altendorfer · Ludwig Hilmer (Hrsg.) Medienmanagement
Otto Altendorfer Ludwig Hilmer (Hrsg.)
Medienmanagement Band 1: Methodik – Journalistik und Publizistik – Medienrecht
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1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Barbara Emig-Roller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Stephan Schwindke und Cornell Wilk, Mittweida Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-13892-3
Inhalt Vorwort ...................................................................................................... 19
1 Einführung Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild ............................... 23 Ludwig Hilmer 1
Einführung .............................................................................................................23 1.1 (Medien-) Manager in Medien (-Unternehmen) ...............................................24
2
Medienmanagement-Modelle am Beispiel der integrierten Projektproduktion 26 2.1 Modell-Komponenten .......................................................................................27 2.1.1 „Mittweidaer Modell“ - Project- and Functional Manager ........................28 2.1.2 Manager und interner Koordinator ............................................................29 2.1.3 Top-Manager im Hierarchie-Modell ..........................................................30 2.1.4 Prozessbegleiter und externer Berater .......................................................31 2.1.5 Synergetisches Modell ...............................................................................32
2 Methodik Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens .................................. 35 Michaela Wied Einleitung .......................................................................................................................35 1
Rahmenbedingungen .............................................................................................35 1.1 Organisatorisches ..............................................................................................35 1.2 Eigene Erwartungen/persönliche Voraussetzungen ..........................................36 1.3 Anforderungen des betreuenden Professors .....................................................37
2
Wissenschaftlichkeit ..............................................................................................37 2.1 Der Begriff „Wissenschaftlichkeit“ ..................................................................37 2.2 Ansprüche an wissenschaftliches Arbeiten .......................................................38 2.3 Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens ....................................................39
3
Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit ......................................................41
4
Quellen wissenschaftlichen Arbeitens ..................................................................47 4.1 Formen wissenschaftlicher Literatur ................................................................47 4.2 Beschaffungswege ............................................................................................50
6
Inhalt 4.3 Bibliothekskataloge ..........................................................................................51 4.3.1 Lokaler OPAC ............................................................................................51 4.3.2 Bibliotheksverbünde/Bibliotheken im Internet ..........................................51 4.3.3 Karlsruher Virtueller Katalog ....................................................................52 4.3.4 Dokumentenlieferdienste ...........................................................................53 4.4 Informationssuche und Recherchieren im Internet ...........................................53 4.4.1 Fachportale .................................................................................................53 4.4.2 Datenbanken ..............................................................................................54 4.4.3 Webverzeichnisse .......................................................................................54 4.4.4 Suchmaschinen ..........................................................................................55 4.4.5 Nachschlagewerke .....................................................................................55 4.4.6 Buchhandelsverzeichnisse/Verlagsprogramme ..........................................55 5
Themenfindung ......................................................................................................56
6
Zeitplanung ............................................................................................................57
7
Recherche ...............................................................................................................59 7.1 Material sichten und auswählen ........................................................................59 7.2 Dokumentation der Suche ................................................................................59 7.3 Material ordnen und archivieren .......................................................................60
8
Bearbeitung ............................................................................................................60 8.1 Material aufarbeiten ..........................................................................................60 8.2 Gliederung ........................................................................................................61 8.3 Schreiben ..........................................................................................................61 8.4 Korrekturlesen/Schlusslayout ...........................................................................61
9
Zitierrichtlinien ......................................................................................................62 9.1 Grundsätzliches zur Übernahme fremden Gedankenguts .................................62 9.2 Umgang mit Quellen ........................................................................................62 9.3 Umgang mit Zitaten ..........................................................................................62 9.4 Platzierung von Quellenverweisen ...................................................................63 9.5 Gestaltung des Literaturverzeichnisses .............................................................65 9.5.1 Selbstständige Bücher und Schriften .........................................................66 9.5.2 Nicht-selbstständig erschienene Quellen ...................................................67 9.5.3 Juristische Veröffentlichungen ...................................................................68 9.5.4 Internetquellen ...........................................................................................69 9.5.5 Unveröffentlichte Quellen .........................................................................71 9.5.6 Fremdsprachige Quellen ............................................................................72 9.5.7 Fehlende Quellen .......................................................................................73
10 Formatierungsrichtlinien ......................................................................................73 10.1 Äußere Form .....................................................................................................73 10.2 Fließtext ............................................................................................................74
Inhalt
7
10.3 10.4
Seitenzählung ....................................................................................................75 Grafiken ............................................................................................................76
3 Journalistik und Publizistik Schreiben um zu informieren – Journalistische Darstellungsformen im Überblick .............................................................................................. 83 Andreas Wrobel-Leipold 1
Die Nachrichten-Springflut ...................................................................................83
2
Leser finden, Leser binden: Die Themenauswahl ...............................................84 2.1 Zeit-Nah ............................................................................................................85 2.2 Gesundheit, Sex und Geld ................................................................................86 2.3 Räumliche Nähe ...............................................................................................87 2.4 Emotionale Nähe ..............................................................................................87 2.5 Nähe zum Objekt ..............................................................................................87 2.6 Nahe ist ... was die Kollegen schon gebracht haben .........................................89
3
Auf den Punkt gebracht: Informierende Darstellungsformen ..........................89 3.1 Die Meldung .....................................................................................................90 3.2 Der Bericht .......................................................................................................93 3.3 Das Interview ....................................................................................................97 3.3.1 Die Basics: Grundform des Interviews ......................................................98 3.3.2 Wo will ich hin? Das Interviewziel ............................................................99 3.3.3 Fragenkatalog formulieren .........................................................................99 3.3.4 Interview-Typen .......................................................................................100 3.3.4.1 Mensch im Vordergrund: Das Personen-Interview ...........................100 3.3.4.2 Wissen macht interessant: Das Sachinterview ..................................100 3.3.4.3 Meinungsinterview: Wie man Elefanten bremst ...............................101 3.3.5 Ausloten, was geht: Das Vorgespräch ......................................................102 3.3.6 Ablauf ......................................................................................................103 3.3.6.1 Fragetypen und Fragetaktik ..............................................................104 3.3.7 Autorisierung ...........................................................................................105 3.4 Die Reportage .................................................................................................106 3.4.1 Vorgehen ..................................................................................................106 3.4.2 Der Einstieg .............................................................................................107 3.4.3 Vom Detail zum Gesamtbild: Die Erzählperspektive wechseln ..............109 3.4.4 Stilmittel wechseln ...................................................................................110 3.4.5 Bilder im Kopf erzeugen ..........................................................................110 3.4.6 Schluss ..................................................................................................... 111 3.5 Überschriften .................................................................................................. 111
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Inhalt
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor ........................................... 115 Joachim Böskens 1
Marktorientierung als Grundlage für das Redaktionsmanagement .............. 115 1.1 Ziel ist der Einklang von Qualität und Erfolg ................................................116
2
Redaktionsmanagement und operatives Geschäft ........................................... 117 2.1 Redaktionsmanagement in der Praxis .............................................................118
3
Medien- und Marktforschung als Erfolgsfaktor .............................................. 118
4
Redaktionelles Controlling ................................................................................. 118 4.1 Konferenzen: So viele wie nötig – so wenig wie möglich .............................119 4.2 Themensteuerung durch Checklisten ..............................................................120 4.3 Redaktionsfibel, Stylebook, Programmbuch ..................................................120 4.4 Der Etat bestimmt die Qualität des Produkts ..................................................120 4.5 Controlling der Ressourcen ............................................................................121
5
Redaktionsorganisation im Umbruch ................................................................121
6
„management by …“ ...........................................................................................123
7
Mitarbeiterführung als Steuerungsinstrument ................................................124
8
Zielorientiertes Management der Zukunft .......................................................125
Medienforschung und Statistik .............................................................. 127 Silke Waber 1
Medienforschung .................................................................................................127 1.1 Begriff, Teildisziplinen, Relevanz ..................................................................127 1.2 Zugang zu Ergebnissen der Medienforschung ...............................................129 1.3 Angewandte Medienforschung: Erhebungsverfahren ....................................132 1.3.1 Die Befragung ..........................................................................................133 1.3.2 Die Inhaltsanalyse ....................................................................................138 1.3.3 Die Beobachtung ......................................................................................143 1.3.4 Das Experiment ........................................................................................145
2
Statistik .................................................................................................................146 2.1 Begriff und Teildisziplinen .............................................................................146 2.2 Statistische Grundbegriffe: Grundgesamtheit, Merkmalsträger, Merkmal .....147 2.3 Statistische Auswahlverfahren ........................................................................148 2.4 Statistische Darstellung von Daten .................................................................150 2.4.1 Prüfung der Daten auf Vollständigkeit und Richtigkeit ...........................153 2.4.2 Auswertung der Daten: Häufigkeitsverteilungen .....................................154
Inhalt
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2.4.3 Statistische Kennwerte .............................................................................157 2.4.4 Gruppierung von Daten ...........................................................................159 2.4.5 Darstellung statistisch gewonnener Informationen ..................................161 2.5 Statistische Fehler ...........................................................................................164
Einführung in die Kommunikationswissenschaft ................................ 167 Otto Altendorfer 1
Grundbegriffe der Kommunikation ..................................................................167 1.1 Begriff der Kommunikation ...........................................................................167 1.2 Kommunikationswissenschaftliche Begrifflichkeiten ....................................167
2
Menschliche Kommunikation .............................................................................169 2.1 Begriffsbeschreibung ......................................................................................169 2.2 Medien - Transportmittel der Bedeutungsinhalte in der menschlichen Kommunikation ..............................................................................................171 2.3 Prozess der Symbolisierung ............................................................................172 2.4. Feedback als Erfolgskontrolle des kommunikativen Handelns ......................173
3
Massenkommunikation .......................................................................................174 3.1 Begriff .............................................................................................................174 3.2 Voraussetzung von Massenkommunikation ...................................................176 3.3 Bedeutung der Massenmedien für Mensch und Gesellschaft .........................176
4
Medienwirkungen ................................................................................................177 4.1 Phasen der Medienwirkungsforschung ...........................................................177 4.2 Phase 1: Lasswell-Formel (Harold D. Lasswell) ............................................178 4.3 Phase 2: Small Group Approach/Experimental Approach/Sample Survey Approach ........................................................................................................179 4.3.1 Small Group Approach: Kurt Lewin ........................................................179 4.3.2 Experimental Approach: Carl Hovland ....................................................180 4.3.3 Sample Survey Approach: Paul F. Lazarsfeld ..........................................182 4.3.3.1 The People’s Choice .........................................................................182 4.3.3.2 Das Meinungsführer-Modell .............................................................184 4.3.4 Wirkungslosigkeit der Massenmedien? ...................................................185 4.4 Phase 3: Uses-and-Gratification-Approach/Schweigespirale/ Wissensklufthypothese/Agenda-Setting .........................................................186 4.4.1 Uses-and-Gratifications-Approach: Elihu Katz .......................................186 4.4.2 Schweigespirale: Elisabeth Noelle-Neumann ..........................................188 4.4.3 Knowledge-Gap-These (Wissenskluft-Hypothese) .................................189 4.4.4 Agenda-Setting-Hypothese ......................................................................192
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Inhalt
Grafik und Design ................................................................................... 197 Tamara Huhle 1
Vorwort .................................................................................................................197
2
Grafik- und Designlehre ......................................................................................197 2.1 Begriff .............................................................................................................197 2.2 Gesetz der Nähe ..............................................................................................198 2.3 Gesetz der Geschlossenheit ............................................................................199 2.4 Gesetz der Ähnlichkeit ...................................................................................199 2.5 Gesetz der Erfahrung ......................................................................................199 2.6 Das Gesetz der guten Gestalt ..........................................................................200
3
Grundlagen der Gestaltung ................................................................................200 3.1 Die Elemente ..................................................................................................200 3.2 Der Punkt ........................................................................................................201 3.3 Die Linie .........................................................................................................202 3.4 Die Fläche .......................................................................................................204 3.4.1 Gestaltungsmittel .....................................................................................205 3.4.1.1 Kontraste ...........................................................................................205 3.4.1.2 Proportion .........................................................................................206 3.5 Differenzierung Figur/Grund ..........................................................................207 3.6 Komposition ...................................................................................................208 3.6.1 Perspektive ...............................................................................................208
4
Farbenlehre ..........................................................................................................209 4.1 Der Begriff ......................................................................................................209 4.2 Physikalischer Aspekt – Licht ist Farbe .........................................................209 4.3 Unterscheidung der Farben .............................................................................210 4.4 Farbmischung .................................................................................................210 4.5 Gestalterischer Aspekt ....................................................................................211 4.5.1 Die Anwendung der Farben durch den Gestalter .....................................211 4.5.2 Farbkontraste ...........................................................................................211 4.5.3 Farbharmonien .........................................................................................211 4.5.4 Phänomene ...............................................................................................212 4.5.4.1 Simultanwirkung ...............................................................................212 4.5.4.2 Sukzessivwirkung .............................................................................212 4.5.4.3 Flimmereffekt ...................................................................................212 4.5.5 Der Einfluss der Farben auf die Sinnesorgane .........................................212 4.5.6 Die Symbolik der Farben .........................................................................213
5
Typografie und Schriftentwicklung ...................................................................214 5.1 Begriffe und Definitionen ...............................................................................214 5.2 Typografische Gestaltung ...............................................................................214
Inhalt
11
5.3 5.4 6
Typografische Maßeinheiten ...........................................................................215 Die Wirkung der Schriften – der Schriftcharakter ..........................................215
Das Corporate Design .........................................................................................217
4 Medienrecht Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland ........................... 221 Johannes Handschumacher 1
Der Staat ...............................................................................................................221 1.1 Staatsvolk ........................................................................................................221 1.2 Staatsgebiet .....................................................................................................222 1.3 Staatsgewalt ....................................................................................................222
2
Nationale (europäische) Rechtsquellen ..............................................................222 2.1 Grundlagen .....................................................................................................222 2.1.1 Rechtsquellen ...........................................................................................222 2.1.2 Das Gesetz ...............................................................................................223 2.1.3 Rangordnung ............................................................................................223 2.2 Abgrenzung Privatrecht/öffentliches Recht ....................................................224 2.2.1 Privatrecht ................................................................................................224 2.2.2 Öffentliches Recht ...................................................................................224 2.3 Das Grundgesetz .............................................................................................225 2.3.1 Gliederung des Grundgesetzes .................................................................225 2.3.2 Exkurs: Die Grundrechte .........................................................................225 2.3.3 Das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit ..................................226 2.4 EU-Recht ........................................................................................................226
3
Staatsverfassung der Bundesrepublik Deutschland .........................................227 3.1 Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland .............................................227 3.1.1 Demokratieprinzip ...................................................................................228 3.1.1.1 Grundlagen .......................................................................................228 3.1.1.2 Wahlen ..............................................................................................228 3.1.1.3 Parlamentsvorbehalt .........................................................................229 3.1.1.4 Parteien .............................................................................................229 3.1.2 Rechtsstaatsprinzip ..................................................................................230 3.1.2.1 Grundlagen .......................................................................................230 3.1.2.2 Geltung der Grundrechte ..................................................................230 3.1.2.3 Gewaltenteilung ...............................................................................231 3.1.2.4 Bindung an Recht und Gesetz ...........................................................231 3.1.3 Republik ...................................................................................................232 3.1.4 Bundesstaatsprinzip .................................................................................233
Inhalt
12
3.1.4.1 Bundesländer ....................................................................................233 3.1.4.2 Historie .............................................................................................233 3.1.5 Sozialstaatsprinzip ...................................................................................234 3.2 Der Bundestag ................................................................................................234 3.2.1 Grundlagen ...............................................................................................234 3.2.2 Aufgaben ..................................................................................................235 3.2.3 Die Abgeordneten ....................................................................................235 3.3 Der Bundesrat .................................................................................................236 3.3.1 Grundlagen ...............................................................................................236 3.3.2 Sitzverteilung ...........................................................................................236 3.3.3 Zuständigkeit ...........................................................................................236 3.4 Der Bundespräsident .......................................................................................237 3.5 Die Bundesregierung ......................................................................................237 3.6 Die Gesetzgebung ...........................................................................................238 3.6.1 Gesetzgebungskompetenz ........................................................................238 3.6.2 Gesetzgebung des Bundes .......................................................................238 3.6.3 Gesetzgebung der Länder ........................................................................238 3.6.4 Gesetzgebungsverfahren ..........................................................................239 3.6.4.1 Gesetzesvorlagen ..............................................................................239 3.6.4.2 Beratung ............................................................................................239 3.6.4.3 Bundesrat und Vermittlungsausschuss ..............................................239 3.6.4.4 Inkrafttreten ......................................................................................240 3.6.5 Die Ausführung der Bundesgesetze .........................................................240 3.7 Rechtsprechung ..............................................................................................241 3.7.1 Grundlagen ...............................................................................................241 3.7.2 Das Bundesverfassungsgericht ...............................................................242 3.7.3 Die ordentliche Gerichtsbarkeit ...............................................................242 3.7.4 Die Arbeitsgerichtsbarkeit ......................................................................242 3.7.5 Die Finanzgerichtsbarkeit ........................................................................243 3.7.6 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ...............................................................243 3.7.7 Die Sozialgerichtsbarkeit .........................................................................243
Presse- und Rundfunkrecht ................................................................... 245 Gero Himmelsbach 1
Presserecht ...........................................................................................................245 1.1 Artikel 5 Grundgesetz: Freiheit für die gesamte Presse .................................245 1.1.1 Pressefreiheit international ......................................................................245 1.1.2 Wem gehört die Pressefreiheit? ...............................................................246 1.1.3 Schutz der institutionellen Eigenständigkeit der Presse ..........................247 1.1.4 Zensurverbot ............................................................................................247 1.1.5 Einschränkungen der Pressefreiheit .........................................................248
Inhalt
13
1.2 Presseordnungsrecht .......................................................................................248 1.2.1 Der Druckwerkbegriff ..............................................................................249 1.2.2 Die Impressumspflicht .............................................................................251 1.2.3 Der „V.i.S.d.P.“ ........................................................................................251 1.2.4 Die Kennzeichnung von Werbung ...........................................................252 1.2.5 Pressestraf- und Presse-Ordnungswidrigkeitenrecht ...............................253 1.3 Der Deutsche Presserat ...................................................................................254 2
Rundfunkrecht .....................................................................................................254 2.1 Vom Telegraphenfunk zur Konvergenz der Medien ......................................254 2.1.1 Entwicklung bis 1945 ..............................................................................254 2.1.2 Entwicklung nach 1945 ...........................................................................255 2.2 Rechtsgrundlagen der Rundfunkordnung in Deutschland ..............................256 2.2.1 Rundfunkgesetze der Länder ...................................................................256 2.2.2 Rundfunk-Staatsvertrag ...........................................................................256 2.2.3 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ..........................................................258 2.2.4 Grundgesetz und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts .........258 2.2.5 Europäische Regelungen ..........................................................................258 2.3 Artikel 5 Grundgesetz: Freiheit des Rundfunks .............................................259 2.3.1 Der Rundfunkbegriff ................................................................................259 2.3.2 Wem gehört die Rundfunkfreiheit? ..........................................................260 2.3.3 Bestandteile der Rundfunkfreiheit ...........................................................260 2.4 Rundfunkstaatsvertrag: Konsens der 16 Länder .............................................264 2.4.1 Das Recht der Kurzberichterstattung .......................................................264 2.4.2 Werbung und Teleshopping .....................................................................266 2.4.3 Sponsoring und Product Placement .........................................................266 2.4.4 Drittsendungen .........................................................................................267 2.5 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Grundversorgung, Gemeinschaftsprogramm und Gebührenzwang .......................................................................................267 2.5.1 Organisationsform „öffentlich-rechtliche Anstalt“ ..................................267 2.5.2 Die ARD ..................................................................................................269 2.5.3 Aufgaben der öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten .........................270 2.5.4 Staatliche Aufsicht ...................................................................................271 2.5.5 Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ................................271 2.6 Privater Rundfunk: Lizenz zum Senden .........................................................273 2.6.1 Aufgaben der privaten Rundfunkanbieter ................................................273 2.6.2 Organisationsformen ................................................................................274 2.6.2.1 Standardmodell: Zulassungsverfahren ..............................................274 2.6.2.2 Ausnahmen Bayern und Nordrhein-Westfalen .................................274 2.6.2.3 Landesmedienanstalten .....................................................................275 2.6.2.4 Abstimmung unter den Landesmedienanstalten ...............................276 2.6.2.5 Vom Antrag zur Zulassung ...............................................................277
14
Inhalt
Das Recht der Neuen Medien ................................................................. 283 Roland Kottke 1
Einführung ...........................................................................................................283
2
Ziel der Neuregelung ...........................................................................................284
3
Bisherige Rechtslage ............................................................................................284
4
Rechtslage und Neuerungen im Telemediengesetz ...........................................286 4.1 Anwendungsbereich des Telemediengesetzes ................................................286 4.1.1 Telemedien - Telekommunikation - Rundfunk ........................................286 4.2 Herkunftslandprinzip ......................................................................................288 4.3 Haftungsregelungen ........................................................................................288 4.4 „Spam-Mails“ werden zur Ordnungswidrigkeit .............................................289 4.5 Neuerungen bezüglich Auskunftsansprüchen .................................................291
5
Résumée ................................................................................................................292
Medienfreiheit und Berichterstattung .................................................. 293 Kurt-Ulrich Mayer 1
Medienfreiheiten als Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft .........293 1.1 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen .........................................................293 1.2 Meinungen und Tatsachenbehauptungen ........................................................294 1.3 Die Informationsfreiheit .................................................................................295 1.4 Die Medienfreiheiten ......................................................................................296 1.4.1 Die Pressefreiheit .....................................................................................296 1.4.2 Rundfunkfreiheit ......................................................................................296
2
Beschaffung und Bearbeitung von Informationen ...........................................298 2.1 Auskunftsansprüche ........................................................................................298 2.1.1 Schwebendes Verfahren ...........................................................................301 2.1.2 Vorschriften der Geheimhaltung ..............................................................301 2.1.3 Vorrangigkeit öffentlicher oder privater Interessen .................................301 2.1.4 Auskunftsanspruch der Medien gegenüber Behörden .............................302 2.2 Das Zeugnisverweigerungsrecht .....................................................................302 2.3 Das Recht der Bildberichterstattung ...............................................................303 2.3.1 Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte ........................................304 2.3.2 Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen ..........305 2.3.3 Veröffentlichung von Bildnissen von Personen .......................................305 2.3.4 Militärische Anlagen ................................................................................306 2.3.5 Pornografische Abbildungen ....................................................................306 2.3.6 Gerichtsverhandlungen ............................................................................306
Inhalt 3
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Die Rechte der Medienopfer ...............................................................................307 3.1 Unterlassungsansprüche .................................................................................307 3.2 Schadensersatzanspruch .................................................................................309 3.2.1 Materieller Schadensersatz ......................................................................310 3.2.2 Immaterieller Schadensersatz ..................................................................310 3.3 Der Widerruf ...................................................................................................311 3.3.1 Der unbeschränkte Widerruf ....................................................................311 3.3.2 Eingeschränkter Widerrufsanspruch ........................................................312 3.4 Der Gegendarstellungsanspruch .....................................................................312
Arbeits- und Wirtschaftsrecht ............................................................... 319 Hermann Mayer 1
Allgemeines Zivilrecht, Bürgerliches Gesetzbuch ............................................319 1.1 Das Rechtsgeschäft .........................................................................................319 1.2 Vertretung .......................................................................................................320 1.3 Geschäftsfähigkeit ..........................................................................................320 1.4 Schuldverhältnisse ..........................................................................................321
2
Arbeitsrecht ..........................................................................................................322 2.1 Begriff .............................................................................................................322 2.2 Arbeitsrechtliche Vorschriften ........................................................................322 2.3 Arbeitnehmerbegriff .......................................................................................323 2.4 Arbeitgeberbegriff ..........................................................................................323 2.5 Inhalt des Arbeitsverhältnisses .......................................................................324 2.6 Begründung des Arbeitsverhältnisses .............................................................325 2.7 Beendigung des Arbeitsverhältnisses .............................................................325 2.8 Weiterbeschäftigungsanspruch .......................................................................327 2.9 Betriebsverfassungsrecht ................................................................................328
3
Handels- und Gesellschaftsrecht .......................................................................330 3.1 Kaufleute .........................................................................................................330 3.2 Firma ...............................................................................................................331 3.3 Prokura ............................................................................................................331 3.4 Gesellschaftsformen .......................................................................................332
Urheber- und Lizenzrecht ...................................................................... 337 Hermann Mayer Einleitung .....................................................................................................................337 1
Urheber- und Leistungsschutzrechte .................................................................337 1.1 Einleitung ........................................................................................................337
Inhalt
16
1.2 Wie entstehen Urheberrechte? ........................................................................337 1.3 Was schützt das Urheberrecht? .......................................................................338 1.4 Wer ist Urheber? .............................................................................................340 1.5 Die Rechte des Urhebers ................................................................................341 1.5.1 Urheberpersönlichkeitsrechte ..................................................................341 1.5.2 Verwertungsrechte ...................................................................................342 1.5.3 Sonstige Rechte, insbesondere gesetzliche Vergütungsansprüche ...........344 1.5.4 Vergütungsgestaltung mit Urhebern ........................................................345 1.6 Schranken des Urheberrechts .........................................................................346 1.7 Schutzfrist und Übertragbarkeit ......................................................................346 1.8 Schutz gegen Rechtsverletzungen ..................................................................347 1.9 Leistungsschutzrechte .....................................................................................347 2
Lizenzrecht ...........................................................................................................348 2.1 Einleitung ........................................................................................................348 2.2 Lizenzvertragsrecht .........................................................................................349 2.2.1 Die Überschrift ........................................................................................349 2.2.2 Das Vertragsrubrum .................................................................................350 2.2.3 Die Präambel ............................................................................................350 2.2.4 Art und Umfang der Lizenz .....................................................................351 2.2.4.1 Einfach/Exklusiv ...............................................................................351 2.2.4.2 Produktions-, Gebrauchs- und Vertriebslizenz .................................352 2.2.4.3 Sonstige Beschränkungen .................................................................352 2.2.5 Übertragbarkeit der Lizenz und Unterlizenzvergaben .............................353 2.2.6 Lizenzgebühren und Abrechnung ............................................................353 2.2.7 Drittstreitigkeiten und Nichtangriffspflicht ..............................................353 2.3 Das Patentrecht ...............................................................................................354 2.4 Das Gebrauchsmusterrecht .............................................................................356 2.5 Das Geschmacksmusterrecht ..........................................................................356 2.6 Die Marke .......................................................................................................357 2.7 Geschäftliche Bezeichnungen .........................................................................359 2.8 Merchandising ................................................................................................359
Europäisches Medienrecht ..................................................................... 361 Karsten Kensbock 1
Bedeutung des Europarechtes für die Medien und dessen Regelungsbereiche 361
2
Geltung und Reichweite des Europarechts .......................................................363 2.1 Primärrecht .....................................................................................................363 2.2 Sekundärrecht .................................................................................................364
Inhalt
17
3
Wesentliche Bereiche des Medienrechts mit europarechtlichen Einflüssen ...365 3.1 Fernsehen ........................................................................................................365 3.1.1 EG-Fernsehrichtlinie ................................................................................366 3.1.1.1 Sendestaatsprinzip ............................................................................366 3.1.1.2 Förderung der Verbreitung und Herstellung europäischer Werke ....367 3.1.1.3 Werbung und umfassendes Sponsoring ............................................367 3.1.2 „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ .......................................369 3.2 Urheberrecht ...................................................................................................372 3.3 Preisbindung bei Büchern ...............................................................................372 3.4 Telekommunikation ........................................................................................373
4
Der Europarat und seine Rechtsakte .................................................................374
5
Schlussbetrachtung ..............................................................................................375
Herausgeber/Autoren ............................................................................. 377
Vorwort Die Herausgeber freuen sich, den ersten Band der insgesamt vierbändigen Reihe vorlegen zu können. Im Fokus dieses Bandes stehen die medialen Grundlagen; ausgehend von der Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens werden journalistische und redaktionelle Themen behandelt und ein Überblick über Aspekte der Medienforschung und Kommunikationswissenschaft gegeben. Abgeschlossen wird dieses Werk von einer umfassenden Darstellung des Medienrechts einschließlich Arbeitsrecht und Rechtssystem. Es ist ein wahres Glück für die Herausgeber, als Autoren anerkannte Experten und Wissenschaftliche aus allen Bereichen der Medienwirtschaft, des Medienrechts, der Medienforschung, des Medienmanagements und der Medienwissenschaft gewinnen zu können. Sie bieten die Gewähr dafür, dass die Themenkomplexe aktuell und den tatsächlichen Fragestellungen entsprechend aufgearbeitet sind. Dieses Buch wäre nicht zustande gekommen ohne die engagierte Mithilfe einer Reihe von Mitarbeitern. In erster Linie sind zu nennen Stephan Schwindke und Cornell Wilk, die mit professioneller Akribie und Hartnäckigkeit das Autorenensemble koordinierten, Texte einforderten, abstimmten und zur Verlagsabgabe brachten. Dank gebührt auch Silke Knauer und Sabine Kilger, die die Kommunikation im Tagesgeschäft bewältigten. Mittweida, August 2008 Die Herausgeber
1 Einführung
Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild Ludwig Hilmer
1
Einführung
Ein Lehrbuch Medienmanagement steht vor der schwierigen Aufgabe seine Zielgruppe zu ermitteln. Diese Suche entspricht zwar einer Schlüsselfrage der Branche, macht es aber nicht einfacher zu entscheiden, welche Themen sollen gewählt, welche Aufgaben vorgestellt und welche Lösungsansätze beschrieben werden? Welche Kompetenzen sollen gestärkt und welche Fähigkeiten vermittelt werden, um die Leser zu unterstützen, die Inhalte in praktischer Übung zu vertiefen oder im Berufsalltag zu reflektieren? Zwei Aspekte erschweren das Vorhaben. Das Anwendungsspektrum von Methoden und Techniken des Medienmanagements mündet in einem Mosaik von Berufs- und Einsatzfeldern: Den Medienmanager gibt es nicht! Weiterhin kann der Medienmanager – pars pro toto – als Beleg für die Dynamik der Branche stehen. Peter Glotz kann man das Verdienst zuschreiben, einen begrifflichen Anfang definiert und eingeführt zu haben. „Die Erfindung des Medienmanagements“ betitelte er seine Biographie über das Medienphänomen Josef von Ferenczy, den er als den ersten Protagonisten der Disziplin darstellt.1 Seine Definition „Steuerung/Vermittlung mediengestützter Kommunikationsprozesse zwischen Personen/Institutionen bzw. „Zeitgeist“-Themen und (Massen-) Publikum“ würde man heute als eine spezielle Ausprägung einordnen, insgesamt im Bereich der Public Relations verlagern und gemäß der Branchensprache als „spin doctor“ bezeichnen. Die wissenschaftssystematische Erfassung des Medienmanagements wählt überwiegend zwei Perspektiven. Die erste besteht in der Beschreibung einer speziellen Betriebswirtschaftslehre, die neben den allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundlagen auch speziell auf die Medienbranche ausgerichtete Themen behandelt. Als Subkategorien sind dabei sowohl die innerbetriebliche Steuerung der Medien als auch die Führung von Medienunternehmen anzutreffen. Die zweite Perspektive entwickelt Einsatzszenario und Begriff des Medienmanagements aus dem eher angewandten Medienschaffen. Sie fügt in unterschiedlichen Konstellationen wirtschaftliches Denken und Handeln den klassischen Medientätigkeiten Publizieren und Produzieren zu. Lehrbücher sind kaum in der Lage das aktuelle Studienangebot einer sich stark verändernden Disziplin umfassend und zuverlässig zu referieren. Es soll deshalb darauf verzichtet werden, zumal wenn zu nicht auszuschließen ist, dass die Leser auch eine gewisse Beratungsfunktion erwarten. Einschlägige deutsche Studiengänge führen heute noch zum Diplom oder überwiegend zu den neuen Abschlüssen Bachelor und Master. Eng mit diesen gestuften Abschlüssen ist im Reformprozess von Bologna die externe Qualitätsbewertung, die so 1
Glotz, Peter; Ferenczy. Die Erfindung des Medienmanagements, München: Bertelsmann 1998, S. 236, Glossar
Ludwig Hilmer
24
genannte Akkreditierung, verbunden. Unter der Bezeichnung Medienmanagement weist die Datenbank des Akkreditierungsrats im Juli 2008 bei den grundständigen Angeboten die Bachelorprogramme der Hochschule für Musik Hannover (Bachelor of Arts, B.A.) und der Hochschule Mittweida (ebenfalls B.A.) aus. An weiterführenden Studiengängen finden sich die Masterprogramme der Hochschule für Musik Hannover (M.A.) der Universität Weimar (M.A.) und der Universität Hamburg (MBA). Einen erfolgreichen Berufseinstieg ermöglichen insgesamt sicher auch benachbarte, klassische, und interdisziplinäre/kombinierte Studienangebote der Bereiche Wirtschaft bzw. Medien/Kommunikation. Das bekannte Hochschulranking der „Zeit“ führt 2008 in der Kategorie „Medien-/Kommunikationswissenschaften, Journalistik ca. 40 Studienprogramme von Fachhochschulen und 50 Angebote von Universitäten auf. Eine noch stärkere Differenzierung ergibt sich, wenn Berufsakademien und (Medien-) Fachschulen sowie die betriebliche Ausbildung einbezogen werden. Zur Zeit gibt es sicher über 200 Medienberufe. Die Tätigkeitsbereiche in der Medien- und Kommunikationsbranche sind wesentlich vielfältiger als es sich viele Einsteiger vorstellen. Das liegt an der rasanten Entwicklung im IT-Bereich und an der Konvergenz vorhandener Verbreitungswege. In den vergangenen Jahren entstanden, aufgrund neuer Berufsbezeichnungen und o. g. neuer Berufsbilder vor allem im Online-, Kommunikations- und IT-Bereich, auch zahlreiche neue Ausbildungsgänge.
1.1 (Medien-) Manager in Medien (-Unternehmen) Medienmanager sind Generalisten. Wir finden sie beim Radio, in Werbeagenturen, bei Fernsehsendern, in Verlagshäusern oder im Crossmedia-Bereich. Wer heute Medien produziert, der arbeitet für den Markt. Umsatz und Quote entscheiden über den Erfolg einzelner Produkte und des Unternehmens. Das gilt nicht allein für Produktionen, die auf einen „Massengeschmack“ zielen, auch zunächst eher künstlerisch und kulturell anspruchsvoll konzipierte Formate müssen ihr Publikum finden und Spezialprodukte müssen genau auf ihre Zielgruppe zugeschnitten sein. Medienmanager wissen deshalb: ▪ ▪ ▪
Welche Inhalte und welche Formate sind gefragt? Wie sieht die kaufmännische Seite einer Produktion aus? Der medientechnische Aufwand muss sich rechnen. Welche Technik bietet das jeweils optimale Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Voraussetzung für den effektiven Medieneinsatz ist in allen Bereichen die Analyse des Medienmarkts und der Rezipienten. Neben die medienbetriebswirtschaftliche Kompetenz des Medienmanagers tritt seine Vertrautheit mit dem Instrumentarium für Medien-/Markt- und Meinungsforschung. Für engagierte und gut ausgebildete Medienmanager eröffnen sich Verantwortungs- und Führungspositionen in einem breiten Einsatzspektrum und in unterschiedlichsten Unternehmen: vom traditionellen Medienunternehmen über mittelständische Firmen mit modernen Mediendienstleistungen bis zur Öffentlichkeitsarbeit für private oder öffentliche Institutionen, auf dem Gebiet der Verwaltung, Lehre oder Produktion, in der Projektleitung von Medien- und Marktforschung.
Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild
25
Die Medien sind ein Vorreiter der allgemeinen Globalisierung. Fundierte Sprachkenntnisse, Auslandsaufenthalte meist schon während der Ausbildung sowie die Bereitschaft zur (internationalen) Mobilität werden mittlerweile erwartet. Im Idealfall verbinden Medienmanager betriebswirtschaftliches Kalkül mit Kreativität und technischer Expertise. Seine interdisziplinäre Kompetenz verbindet allerdings drei Teilbereiche, die sich ebenfalls stark verändern. Die bisherige Spezialisierung in den traditionellen Berufsgruppen der Medienbranche ist überholt. Medienfachleute müssen sich den technischen Neuerungen stellen und integratives Arbeiten beherrschen, das Spartengrenzen überwindet. Entsprechende Fachtermini scheinen dies zu belegen. Die öffentlich-rechtlichen Sender etablierten mit der Zusammenführung von Fernsehen und Radio den Begriff der bimedialen Ausbildung. Mit der Zuwendung zu den Onlinemedien entstehen trimediale Produktionsstätten. Bei den Rezipienten und Verbrauchern ist Multimedia seit langem üblich. Ohne Beachtung des Widerspruchs zu klassischen Einsichten der Kommunikationswissenschaft (Das Medium ist die Botschaft) versuchen Medienmanager medienneutrale Produktionsstufen zu etablieren, um Distribution und Vermarktung synergetisch und vielfältig gestalten zu können. Der Trend journalistischer Tätigkeit geht zunehmend in Richtung Freiberuflichkeit. Die Berufsvertretung Deutscher Journalistenverband (DJV) rechnet mit steigender Tendenz über ein Drittel der hauptberuflichen Journalisten zu den so genannten Freelancern. Ein großer Teil dieser freien Mitarbeiter ist gezwungen, seine Produkte parallel für verschiedene Mediengattungen aufzubereiten und in der Lage sein, diese auch zu verkaufen. Im Idealfall setzt der Journalist ein Thema selbst für Fernsehen, Radio, Zeitung und Onlinemedium um. Er muss dazu unter Zeitdruck recherchieren, präzise formulieren, unterhaltend informieren und eben auch multimedial vermarkten. Der so genannte Video-Journalist (VJ) gilt als Paradebeispiel für das Zusammenwachsen von Inhalt und Technik. In dieser Produktionsform gibt keinen Kameramann, der nur noch die Kamera bedient, keinen Cutter, der nur noch schneidet und keinen Journalist, der nur noch textet. Neben das handwerklich-technische Können treten Kompetenzen wie Selbständigkeit, Teamfähigkeit, oder Führungsqualitäten. Der VJ ist Manager und Techniker in einer Person. Eine klare Abgrenzung zwischen den Tätigkeitsgebieten der Manager und Techniker gibt es demnach nicht mehr. Sie tangieren und verschmelzen miteinander und haben sich verschoben. Ein Medienmanager beispielsweise benötigt ein viel höheres technisches KnowHow als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Der Medientechniker dagegen übernimmt zunehmend IT- und netzwerkadministrative Aufgaben. Noch stärker als der VJ, der den interdisziplinären Gedanken zwar gut zeigt, aber seine eigene Marktakzeptanz noch beweisen muss, steht die Fortführung der früheren Herstellungsleiter für den modernen Medienmanager. Producer und/oder Produktionsleiter haben die organisatorische und finanzielle Leitung eines Projektes. Er ist der Cheforganisator und muss technische sowie wirtschaftliche Fähigkeiten vorweisen. Von der Kalkulation des Budgets über die Gestaltung des Projektplans, den Abschluss von Verträgen bis hin zum Materialankauf muss der Producer auf die Einhaltung des Finanzrahmens achten und dafür sorgen, dass alle Meilensteine reibungslos abgearbeitet werden. Er koordiniert die Arbeit des Teams und leitet das Produktionsbüro. Das gilt für Print-, Fernseh-, Multimedia- oder Hörfunkprodukte gleichermaßen. In diesen einzelnen
26
Ludwig Hilmer
Gattungen können die Berufsbezeichnungen variieren. TV-, Film-, Executive-, Creative-, Associate-, Junior-, Commercial-, Service-, Net- oder Musikproducer sind gängige Berufsbezeichnungen. Absolventen einer Erstausbildung im Bereich des Medienmanagements treffen im Berufsalltag immer wieder auf wissenschaftliche Fragestellungen vor allem im Zusammenhang mit der empirischen Medienforschung. Dies schlägt sich im Berufsprofil in zweifacher Hinsicht nieder. Zum einen gelingt noch immer zahlreichen Seiteneinsteigern die Etablierung im Metier mit teilweise betont akademisch-wissenschaftlichem Hintergrund. Nicht nur für sie, sondern für alle Medienmanager entwickelt sich ein großflächiges Angebot ab berufsbegleitender Aus-, Fort- und Weiterbildung. Insgesamt scheinen Karrieren in die Führungspositionen von privater und öffentlicher Informations- und Kommunikationswirtschaft zunehmend stärker von Weiterbildung und Forschungskompetenz zu profitieren, die das theoretische und praktische Handwerkszeug ergänzen. Arbeitsfelder der Medienmanager: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Presse, Rundfunk, Bildjournalismus, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Agenturen, Onlinedienste und interaktive Medien.
Innerhalb dieser Arbeitsfelder können Tätigkeiten im: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
2
verlegerischen Content (Werbung, Sponsoring, Public Relations, Dienstleistungen, Sonderwerbeformen, Product Placement, Branded Entertainment ...), im redaktionellen Content (Text, Video, Audio, Bild), in der Produktion (Satz, Layout, EB-Dreh, Studio, Sendeablauf, Programmierung, Audiotechnik, Videotechnik, Aufnahmetechnik, Regie …), in der Vermarktung (Marketing, Vertrieb, Pricing, Kommunikation, Public Relations, Werbung, Sponsoring …), oder in der Verwaltung (Planung, Organisation, Leitung, Koordination, Finanzen, Rechte …) wahrgenommen werden.
Medienmanagement-Modelle am Beispiel der integrierten Projektproduktion
Medienmanagement als interdisziplinäres Fach schafft, wie bisher gezeigt werden sollte, Tätigkeitsfelder mit unterschiedlichen Ausprägungen und Anforderungen. Dies befähigt den Manager nicht nur die Position einer interdisziplinären/verbindenden Kompetenz in Branche und Unternehmen zu erlangen, er ist auch in der Lage, unterschiedliche Funktionen innerhalb des jeweiligen Organisationsgefüges einzunehmen. Besonders deutlich wird dies, wenn statt einer kontinuierlichen Produktionsaufgabe eine in sich abgeschlossene spezifische Aufga-
Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild
27
be, also eine Projektproduktion zu bewältigen ist. Die folgenden Arbeitsmodelle erläutern Abläufe sowie deren prozessuale und funktionale Vernetzungen während eines MultimediaProjekts, der Konzeption und Realisierung einer professionellen Website. Das Untersuchungsobjekt, also die Projektproduktion, im Bereich der digitalen Medien erreicht gemessen an der Wertschöpfung und der Beschäftigungssituation von Medien- und Kommunikationswirtschaft sicher noch keine dominierende Position. Sie erscheint aber gut geeignet, künftige Strukturen und Einsatzszenarien des Berufs- und Tätigkeitsprofil Medienmanagement zu diskutieren.2 In den Modellen stellt das Projektteam eine Organisationseinheit dar, die sich aus verschiedenen Fachgruppen zusammensetzt, in denen wiederum ein oder mehrere Individuen integriert sind. Der Medienmanager wird am Beispiel der integrierten Projektproduktion in seinen Funktionen als Führungskraft, Entscheidungsträger und/oder Berater gezeigt.
2.1 Modell-Komponenten Ein Multimedia-Projekt integriert mehrere Fachdisziplinen, seine interdisziplinäre Organisationsstruktur besteht exemplarisch aus den Einheiten Medienmanagement, Media-Authoring, Medien-Design und Medien-Technik.3 Medienmanagement. Dem Medienmanager im engeren Sinne obliegt je nach Zuständigkeitsbereich die Beratung, Planung, Steuerung und/oder Kontrolle der Projekteinheiten. Zusätzlich kann er operativ tätig werden und im Team Fachaufgaben übernehmen. Das Media-Authoring bewältigt die Konzeptionsarbeit. Es gliedert sich inhaltlich in Text-, Bild- und Ton-Redaktion. Medien-Design. Für die Entwicklung des Screen- und Webdesigns4 ist die Einheit Medien-Design zuständig. Die einzelnen Seiten werden zielgruppengerecht5 gestaltet. Wesentliches Merkmal der Gestaltung einer Website ist ein logisches Interface-Design in Form einer nutzerfreundlichen Navigation. Medien-Technik (Media Engineering). Die Programmierung der Website erfolgt mit allen Elementen auf Basis des Storybooks/-boards und nach den Gestaltungsvorgaben des Screen-Designs durch die Medien-Technik. Das Team setzt die Vorgaben mit der Auszeichnungssprache XHTML unter Einbindung von CSS und JavaScript für eine dynamische Website um. Bild-, Text- und Sound-Dateien werden direkt implementiert.
2
Die folgende Modelldiskussion orientiert sich eng an einer Forschungspräsentation von Therese Jonas/ Beatrix Klose, die wiederum auf den Ergebnissen ihrer Diplomarbeit beruht: Medienmanagement: „Theorie und Praxis eines Berufsfeldes. Erörterung verschiedener Arbeitsmodelle unter Einbindung des Multimedia-Projekts zur Entwicklung des Internetportals, Experience ‚European Union‘“, Mittweida 2004 3 Die Begrifflichkeiten und Zusammensetzung des Multimedia-Projekt-Teams erfolgt in Anlehnung an Jörg Sander: Multimedia Engineering: Methodik zum interdisziplinären Multimedia-Management. In: Beck (1997), S.233-244. 4 Vgl. beispielsweise Radtke/Pisani/Wolters (2001), S.264-282, Ausführungen zu optimalen Screen- und Webdesigns u.a. Thissen (2000), Schulz (1998) sowie Lankau (2001). 5 Alle Maßnahmen, die dazu dienen, die Zielgruppe anzusprechen und ihren Wünschen/Erwartungen zu entsprechen. Medien und ihre Zielgruppen siehe Mast (1998), S.465 ff. sowie Heinrich (2002), S.304 f.
28 2.1.1
Ludwig Hilmer „Mittweidaer Modell“ - Project- and Functional Manager
Abbildung 1:
„Mittweidaer Modell“ - Project- and Functional Manager
MA
MD
MM
MT Die Struktur zeigt einen Arbeitsprozess mit hierarchisch gleichberechtigten Projekteinheiten6, in dem der Medienmanager seinen eigenen und spezifischen Funktionsbereich vertritt. Die Einsatzposition wird/ist von der individuellen fachlichen Qualifikation bestimmt. Im Beispiel erfolgt die Zuordnung im Media-Authoring-Team.7 Der Medienmanager bearbeitet innerhalb der Fachgruppe Media-Authoring Fachaufgaben und steuert parallel das Gesamtprojekt. Der Medienmanager ist nahe an den Schnittstellen zwischen den Projekteinheiten und greift bei Bedarf frühzeitig in das Arbeitsgeschehen ein, er kontrolliert insbesondere die Termineinhaltung und übt Informations-, Beratungs-, Planungs- und Entscheidungsbefugnisse aus. Diese Konstellation erfordert tiefe Fachkenntnisse in einem Spezialbereich und ein fundiertes Überblickswissen, um Koordinations-, Steuerungs- und Weisungsfunktion kompetent wahrzunehmen. Aus dem Team heraus entstehen besondere Anforderungen an die Führungs-, Leitungs- und Teamkompetenz. Dieses Modell wird vor allem in Unternehmen mit dynamischem und überschaubarem Portfolio und hochqualifizierten Mitarbeitern verwirklicht.
6
Das ‚Mittweidaer Modell‘ ist ein Konzept, dessen wesentliches Merkmal der große Praxisbezug beziehungsweise der Praxis- und Wissenstransfer zwischen Hochschule und freier Wirtschaft ist. Ein weiteres bedeutendes Element ist der hohe Grad der Interdisziplinarität. Für das Studienfach Medienmanagement beinhaltet dies medienproduktionstechnische, publizistische, journalistische, betriebswirtschaftliche und medienrechtliche Kernkomponenten. Die Idee hinter diesem Modell ist, einen Generalisten zu schaffen, der die Kompetenz besitzt, fachübergreifend zu arbeiten und somit an den Schnittstellen in den Medienunternehmen einsetzbar ist oder sogar aufgrund seiner allumfassenden Qualifikationen die Befähigung aufweist, ein solches zu leiten. http://www.htwm.de/medien/ 7 Der Einsatz des Medienmanagers im Media-Authoring-Team ist zufällig bestimmt und wäre modellhaft für jede andere Projekteinheit denkbar.
Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild 2.1.2
29
Manager und interner Koordinator
Abbildung 2:
Manager und interner Koordinator - Aufbau mit Arbeits- und Kommunikationsablauf
MA
MD MM MT
Der Medienmanager bildet hier den Kern und die Schnittstelle zwischen den Projekteinheiten. Er sammelt alle Informationen, bereitet sie auf und leitet sie weiter. Ihm obliegen sämtliche Weisungs- und Steuerungsbefugnisse für das gesamte Projektteam. Er überwacht die Arbeitsschritte, wertet die Ergebnisse aus, entscheidet über die anschließenden Aufgaben und deren Ausführung. Die einzelnen Teams arbeiten losgelöst voneinander in ihrem eigenen Aufgaben- und Kompetenzbereich. Sie kommunizieren über den Medienmanager als Clearingstelle, bleiben aber selbst weitgehend unverbunden. Der Medienmanager leitet, steuert und informiert die Teams und übernimmt die Gesamtverantwortung, besonders für die Zielerreichung. Für die Teams stehen die fachlichen Aufgaben im Mittelpunkt. Im Medienmanager haben sie eine vertraute Bezugsperson, die Rahmenbedingungen sichert. Schwierigkeiten können sich vor allem in fortgeschrittenen Projektphasen ergeben, da Fehlperzeptionen nicht auszuschließen sind. Der Medienmanager trägt in diesem Szenario hohe Verantwortung für den Arbeitsprozess und die Zielerreichung. Seine fachlichen, aber vor allem auch vermittelnden Kompetenzen sind gefordert. Die Modellstruktur eignet sich vor allem für Unternehmen, die zum Beispiel für Sonderprojekte außerbetriebliche Ressourcen einbeziehen.
30 2.1.3
Ludwig Hilmer Top-Manager im Hierarchie-Modell
Abbildung 3:
Top-Manager im Hierarchie-Modell - Aufbau mit Arbeits- und Kommunikationsablauf
MM MA
...
MD
...
MT
...
Der Medienmanager fungiert als Entscheidungsträger und Weisungsberechtigter, dem Planung, Initiierung und Steuerung der Arbeitsschritte sowie die Kontrolle der Projektergebnisse obliegen. Der Informationstransfer zwischen Top-Manager und Projekteinheit erfolgt dabei ausschließlich über die jeweils bestimmten Team-Kontakte. Im Gegensatz zum vorherigen Ansatz bleibt der Zugriff auf die Projekteinheiten institutionell auf deren Leitungsebene beschränkt. Zwischen den Projekteinheiten findet keine direkte Kommunikation statt. Aufgrund seiner Position als übergeordnete Führungskraft bleibt dem Medienmanager der direkte Einblick in das Projektgeschehen verwehrt. Deshalb ist für alle Arbeitsphasen gleichermaßen feststellbar, dass seine Kompetenz als Projektleiter entscheidend von der Qualität und Quantität der Information durch die Team-Kontakte beeinflusst wird. Der Medienmanager besitzt in diesem Modell nicht nur die alleinige Weisungs- und Kontrollbefugnis, sondern trägt auch die alleinige Verantwortung für das Projekt. Dieses beträchtliche Risiko kann zu einer unkompensierbaren Überbelastung des Projektleiters führen. Die untergeordnete Position der Projekteinheiten, ohne Entscheidungskompetenz während des Arbeitsprozesses und direkten, wechselseitigen Informationsaustausch, könnte die Motivation einzelner Mitarbeiter gefährden. Deshalb fordert die klare und autoritätsbezogene Strukturierung des Hierarchie-Modells einen Medienmanager mit besonders ausgeprägten Führungsqualitäten. Dieses Modell findet sich besonders in größeren Unternehmen bzw. größeren Projekten, an denen eine Vielzahl von Mitarbeitern beteiligt sind. Die Modellstruktur ermöglicht eine zentral gesteuerte Ablauforganisation mit klarer Abgrenzung der Kompetenzen und Entscheidungsallmacht der Projektleitung. Im Umfeld der digitalen Medienprojekte gefährden diese eher klassischen Strukturen kurzfristige Projekte und/oder Projekte mit hohem gestalte-
Medienmanagement – ein dynamisches Berufsbild
31
rischem Anspruch. Hinderlich erscheinen lange (Reaktions-) Wege und die Kommunikation, die ein schlechtes Umfeld für kreatives, innovatives Arbeiten schaffen.
2.1.4
Prozessbegleiter und externer Berater
Abbildung 4:
Der Medienmanager als Prozessbegleiter und Externer Berater - Aufbau mit Arbeits- und Kommunikationsablauf
MA MT
MM MD
Der Medienmanager fungiert für die Projekteinheiten als externer Berater, Gutachter, Prozessbegleiter, Koordinator sowie Moderator, um aus dieser Position Einfluss auf die Gestaltung der Projektprozesse und deren Ergebnisse zu nehmen. Die Hauptaufgabe des externen Medienmanagers besteht in der unabhängigen, neutralen Beratung bei Projektorganisation, -planung, -steuerung und Prozessgestaltung ohne Weisungsbefugnisse. Die Projekteinheiten bilden im Konstrukt eine funktionelle Einheit. Media-Authoring, Medien-Design und Medien-Technik erarbeiten das Projektziel als gleichberechtigte, autonome Entscheidungsträger ohne übergeordneten Projektleiter und rufen die Beratungsleistung nach eigenem Ermessen ab. Die Vorteile der externen Position konkurrieren bei diesem Ansatz mit den Schwierigkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit wie Kommunikationsschwächen bis zur Verweigerung und mangelnder Beratungsbereitschaft. Die Anwendung bleibt deshalb auf kleinere Multimedia-Projekte mit komplexer Aufgabenstellung beschränkt. Der externe Medienmanager trägt zur Entlastung des Teams bei, indem er alle Aufgaben übernimmt, die dessen Qualifikation und Kapazitäten überschreiten.
32 2.1.5
Ludwig Hilmer Synergetisches Modell
Abbildung 5:
Synergetisches Modell - Aufbau mit Arbeits- und Kommunikationsablauf
MA
MD MM MT
Das synergetische Modell greift Merkmale des „Mittweidaer Modells“ auf und übernimmt die förderliche Konstellation des Medienmanagers als interner Koordinator. Der Medienmanager bleibt zentrale Schnittstelle für das Projektteam und erhält Steuerungs-, Kontroll- und Weisungsbefugnis für das Projekt und alle Mitarbeiter. Die Clearingfunktion bleibt erhalten, er kann seine Aufgabe als Projektleiter wahrnehmen und die eingehenden Informationen aufbereiten, analysieren und in den Workflow einbringen. Die Kommunikationswege zwischen den Projekteinheiten verbinden das Konzept des „Mittweidaer Modells“ sowie das des externen Beraters. Die Teams arbeiten gleichberechtigt und ohne hierarchische Abstufungen in ihrem eigenen Fach- und Kompetenzbereich. Während des gesamten Arbeitsprozesses funktioniert der Austausch mit dem Medienmanager sowie den anderen Projekteinheiten. Das synergetische Modell betont den direkten Informationsfluss zwischen allen Projektbeteiligten. Die unvermittelte, lückenlose Kommunikation soll Prozess- und Entscheidungseffizienz erhöhen, das Konfliktpotenzial vermindern und die Motivation der Beteiligten stärken. Die Medienmanagement-Modelle zeigen insgesamt, dass die Positionierung des Medienmanagers in der Struktur sowie die Zuweisung der Befugnisse und Verantwortlichkeiten intensiven Einfluss auf Ablauf und Erfolg der Projektarbeit, je nach Projektart nehmen. Die Praxistauglichkeit variiert entsprechend der spezifischen Projektkonstellation.
2 Methodik
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens Michaela Wied
Einleitung Das Anwenden wissenschaftlicher Arbeitstechniken ist für Studenten Voraussetzung eines erfolgreichen Abschlusses. Inhaltlich gute Leistungen setzen sicheren Umgang mit den formalen Anforderungen bei Beleg-, Projekt- oder Abschlussarbeiten voraus. Die Formalitäten unterscheiden sich von Fachgebiet zu Fachgebiet, weswegen betont wird, dass sich die nachfolgende Ausarbeitung auf das medienwissenschaftliche Arbeiten beziehen, die sich deutlich von Verbindlichkeiten z.B. der naturwissenschaftlich-technischen Forschung abheben. Dieser Beitrag versucht, Ihnen alle Informationen in der Reihenfolge zu vermitteln, in der sie für Sie relevant werden – auch wenn die Phasen nicht immer eindeutig voneinander trennbar sind: Es wird zuallererst auf die Rahmenbedingungen (Kapitel 1), unter denen Sie Ihre Arbeit anfertigen müssen, eingegangen. Nachfolgend wird in den Kapiteln 2 Wissenschaftlichkeit, 3 Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit und 4 Quellen wissenschaftlichen Arbeitens auf Grundlegendes zum Thema wissenschaftliche(s) Arbeiten eingegangen. Es umfasst die wichtigsten Fakten, die Sie verinnerlicht haben sollten, bevor Sie mit Ihrer Arbeit beginnen. Sobald Sie sich an die konkrete Umsetzung Ihrer Arbeit setzen wollen, sollen Ihnen die Kapitel 5 Themenfindung, 6 Zeitplanung, 7 Recherche und 8 Bearbeitung helfen. Gleichzeitig müssen Sie bestimmte Formalien berücksichtigen, die in den Kapiteln 9 Zitierrichtlinien und 10 Formatierungsrichtlinien übersichtlich dargestellt wurden. Kapitel 11 Kriterien zur Beurteilung wissenschaftlicher Arbeiten soll Ihnen helfen, zu verstehen, auf welche Punkte Ihr Prüfer achtet, wenn er Ihre Arbeit bewertet, und es soll Ihnen helfen, das Ergebnis zu antizipieren, um vor der Abgabe evtl. noch Nachbesserungen durchführen zu können. Welche Formalitäten nach abgeschlossener Benotung der Arbeit dann noch anstehen und wie Sie mit Ihrer Arbeit weiter umgehen können, wird in Kapitel 12 Urheberrecht und Pflichtexemplare zusammengefasst.
1
Rahmenbedingungen
1.1 Organisatorisches Bei Beleg- und Projektarbeiten werden die Bedingungen und der Inhalt vom betreuenden Professor diktiert. Anders verhält es sich bei Abschlussarbeiten: Die Umsetzung von Abschlussarbeiten ist ein von Ihnen selbst initiierter Prozess. Jeder Prüfling muss sich eigenständig mit den Vorgaben des Prüfungsamtes auseinandersetzen. Die Anforderungen des
36
Michaela Wied
Prüfungsamtes sind in den Studien- und Prüfungsordnungen des jeweiligen Studienganges festgehalten. Diese können normalerweise entweder beim Prüfungsamt selbst oder in der Bibliothek eingesehen werden. Auch über seine eigenen Erwartungen, persönliche Voraussetzungen sowie Fähigkeiten (siehe Kapitel 1.2) heißt es, Klarheit zu erlangen. Normalerweise können Sie das Thema Ihrer Abschlussarbeit frei wählen. Entwickeln Sie so früh wie möglich, eine Idee, welcher Fragestellung Sie in Ihrer Arbeit nachgehen wollen und eignen sich spezifisches Wissen darüber an. Sobald Sie ein Thema gefunden haben, das Ihnen zusagt, müssen Sie sich Betreuer für Ihre Arbeit suchen. Bevor Sie einem Professor oder sonstigem Betreuungsberechtigen Ihre Idee und Ihren Betreuungswunsch antragen, machen Sie sich mit dessen Anforderungen vertraut (siehe Kapitel 1.3). Nachdem Sie Ihre Betreuer „gefunden“ haben und das Thema eindeutig feststeht, müssen Sie beim Prüfungsausschuss einen Antrag auf Zulassung zur Diplom-/Bachelor-/Masterarbeit o.ä. stellen. Es folgt die Phase der Umsetzung, bestehend aus Zeitplanung (Kapitel 6) Recherche (siehe Kapitel 7) und Bearbeitung (siehe Kapitel 8) unter Berücksichtigung formaler Kriterien (siehe Kapitel 9 Zitierrichtlinien und 10 Formatierungsrichtlinien). Der zeitliche Umfang, der für die Erstellung zur Verfügung steht, ist der jeweiligen Prüfungsordnung zu entnehmen.
1.2 Eigene Erwartungen/persönliche Voraussetzungen Grundsätzlich sollten Sie sich bewusst sein, dass Ihre Abschlussarbeit eine Referenz über die Qualität Ihrer Ausbildung darstellt, durch die sich Ihnen Türen in das Wirtschafts- und Arbeitsleben öffnen können1. Da es sich jedoch um Ihre Arbeit handelt, müssen Sie ganz für sich selbst entscheiden, welche Ansprüche Sie persönlich an das Ergebnis haben und welchen persönlichen Bedingungen Rechnung getragen werden muss. Es sollte klar sein, ▪ ▪
▪ ▪ ▪
▪
1 2
was Sie von Ihrer Arbeit erwarten (Bestehen od. möglichst gute Note), wie die Arbeit weitergehend verwendet werden soll (Kontakt zu potentiellen Arbeitgebern, Grundlage einer Promotion, Veröffentlichung, Verkauf an interessierte Firmen o.ä. oder gar nicht). wie viel Elan Sie haben, sich mit der Arbeit und dem Thema auseinander zu setzen, wie viel Zeit Sie haben, sich mit der Arbeit und dem Thema zu befassen, wie viel Anspruch Sie an die Wissenschaftlichkeit und die damit verbundenen Formalitäten haben (Literaturrecherchemöglichkeiten; wissenschaftliche Sprache/ Formulierungen; Fähigkeiten im Umgang mit Untersuchungsmethoden, die eingesetzt werden sollen; inhaltliche Vorkenntnisse), ob Sie besondere Kenntnisse (z.B. Fremdsprachen, EDV) haben, die Sie gerne einsetzen möchten oder Schwächen, die Sie verbergen wollen.2
vgl. Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 2 vgl. Charbel 2006, 21 ff.
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
37
Nachdem Sie sich über Ihre eigenen Ansprüche im Klaren sind, sollten Sie diese mit denen Ihres Betreuers abgleichen.
1.3 Anforderungen des betreuenden Professors Klären Sie zu Beginn mit dem betreuenden Professor grundlegende Fragen in Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen Ihrer Arbeit. Allen Beteiligten sollte klar sein, ▪ ▪ ▪ ▪
welchen thematischen Schwerpunkt die Arbeit hat (Wie lautet die Aufgabenstellung genau?/Was soll genau untersucht werden?), welche wissenschaftlichen Autoren und Theorien zwingend berücksichtigt werden sollen, wie der Praxisbezug der Arbeit gestaltet werden soll (quantitativ und qualitativ) und welche Untersuchungsmethoden eingesetzt werden sollen.3
Auch über die Art der Betreuung muss Klarheit bestehen. Einigen Sie sich mit Ihrem Betreuer, ob Sie ▪
▪
regelmäßig in seiner Sprechstunde über die Fortschritte und den Stand Ihrer Arbeit sprechen sollen, ob Sie Arbeitsproben abgeben sollen und wenn ja: wann, in welchem Umfang, auf welchem Wege und in welchem (Datei-)Format, in welcher Form und in welchem Umfang die Arbeit in Tutorien erläutert werden soll4.5
2
Wissenschaftlichkeit
▪
Ihre Abschlussarbeit muss einen wissenschaftlichen Charakter haben. Um diesem Anspruch Genüge zu leisten, muss zuallererst geklärt werden, was Wissenschaft per Definition ist.
2.1 Der Begriff „Wissenschaftlichkeit“ Die Wissenschaft ist ein System aus Forschung, Lehre und überlieferter Literatur, das in geordneter und stets begründender Weise das Wissen einer Zeit widerspiegelt6. Der Begriff Wissenschaft bezieht sich also auf „das Forschen selbst als auch auf die Ergebnisse des Forschens (die Erkenntnisse).“ 7 3 4 5 6 7
vgl. Charbel 2006, 16 bezieht sich ausschließlich auf Masterstudiengänge, die ein Tutorium in ihrer Studienordnung vorsehen vgl. Charbel 2006, 18 vgl. Die Zeit. Band 19. 2004, 314 Microsoft Encarta
38
Michaela Wied
Die Wissenschaft kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten in einzelne Zweige unterteilt werden. Dem Ziel nach handelt es sich entweder um theoretische (reine) oder angewandte (praktische) Wissenschaft, dem Gegenstand nach kann in Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie, Medizin etc.), Ingenieurs- und Geisteswissenschaften (auch Textwissenschaften genannt) (Geschichte, Theologie, Rechtswissenschaften etc.) unterschieden werden. Eine Unterteilung kann auch hinsichtlich der eingesetzten Methode(n) erfolgen: Eine Unterteilung erfolgt dann in die sog. empirische8 Wissenschaft (aus der Erfahrung, der Beobachtung ermittelnd) (Naturwissenschaften, empirische Sozialforschung), in die axiomatisch9/ rationale Wissenschaften (z.B. Mathematik, Logik) sowie in die Geisteswissenschaften. Die zuletzt genannten sind durch die Deutung individueller Phänomene, Bedeutungszuweisung sowie Sinnverstehen gekennzeichnet10 (vgl. Kapitel 2.3 Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens).
2.2 Ansprüche an wissenschaftliches Arbeiten An wissenschaftliche Arbeiten werden bestimmte Ansprüche gestellt, durch die sie sich von Äußerungen bloßer Meinung, von Glaubensbekenntnissen, Erfahrungen, Weisheiten etc. abgrenzen. Das elementar zugrunde liegende Prinzip ist die intellektuelle Redlichkeit: 1. 2. 3.
Wissenschaftliches Arbeiten verlangt, rational vorzugehen. Nicht rational belegbare Thesen können zu keinem Erkenntnisgewinn im wissenschaftlichen Sinne führen. Ebenfalls zu verwerfen sind alle Gedanken an Manipulation von Forschungsergebnissen zugunsten eines Auftraggebers oder aufgrund persönlicher Eitelkeit o.ä.! Intellektuell unredlich ist der „geistige Diebstahl“. Schmücken Sie sich nicht mit fremden Federn! Kennzeichnen Sie alle Gedanken und Ergebnisse Dritter Personen, wenn Sie diese in Ihre Arbeit übernehmen (vgl. Kapitel 9 Zitierrichtlinien) und vermerken Sie, wenn Andere Ihnen bei der Ermittlung einzelner Forschungsergebnisse, die sie präsentieren, geholfen haben.
Es besteht die Notwendigkeit zur Objektivität, Reliabilität, Validität und Selbstständigkeit hinsichtlich des wissenschaftlichen Werkes an sich als auch für den Erstellungsprozess.
8
empirisch = im Versuch, im Wagnis entstehend, Verb zu Empirie = [wissenschaftliche] Erfahrung, vgl. Duden Fremdwörterbuch 1984, 127 9 Axiom = „1. als absolut richtig anerkannter Grundsatz, gültige Wahrheit, die keines Beweises bedarf, 2. nicht abgeleitete Aussage eines Wissenschaftsbereiches, aus der andere Aussagen deduziert werden können“, axiomatisch = auf einem Axiom beruhend/unanzweifelbar, gewiss. Duden - Fremdwörterbuch 1984, 63 10 vgl. Die Zeit. Band 9. 2004, 315
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
39
2.3 Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens Der Begriff „Methode“ bedeutet soviel wie „Weg einer Untersuchung”11. Eine Methode ist demnach das planmäßige Vorgehen zur Erreichung eines bestimmten Ziels und stellt somit ein spezielles Charakteristikum für wissenschaftliches Vorgehen dar.12 Die Methoden, mit deren Hilfe man eine wissenschaftliche Arbeit erarbeitet, hängen von der Fragestellung ab, die man untersuchen will: Schreiben Sie eine empirische Arbeit, so müssen Sie eigenständig Nachforschungen anstellen, sei es mittels einer Erhebung (Feldforschung, Beobachtung, Befragung, Interview, Gruppendiskussion) oder eines Experiments/ Messung/Berechnung etc. Wenn Sie hingegen keine eigenständige Forschung betreiben, verfassen Sie eine kompilatorische Arbeit. „In einer kompilatorischen Arbeit zeigt der Student […], daß er kritisch vom Großteil der vorhandenen „Literatur“ Kenntnis genommen hat (d.h. von den Veröffentlichungen über den Gegenstand) und daß er in der Lage ist, sie auf eine übersichtliche Weise darzustellen, dabei die verschiedenen Ansichten zueinander in Beziehung zu setzen und so einen guten Gesamtüberblick zu geben […]“13
Im Folgenden soll eine Übersicht über die wichtigsten Methoden gegeben werden: Analyse: Die Analyse ist eine „systematische Untersuchung eines Gegenstands od. Sachverhalts hinsichtlich aller einzelnen Komponenten od. Faktoren, die ihn bestimmen.“14 Ein Sachverhalt wird unter Berücksichtigung seiner Teilaspekte untersucht15. Die Analyse stellt den Gegensatz zu Synthese (s.u.) dar. Vergleich: Der Vergleich bezeichnet ein grundlegendes Verfahren zur Erlangung wissenschaftlicher Erkenntnisse hinsichtlich der Gleichartigkeit, Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen zwei oder mehr Gegenständen bzw. Sachverhalten/Erscheinungen. Induktion: Die Induktion ist die „wissenschaftliche Methode, vom besonderen Einzelfall auf das Allgemeine, Gesetzmäßige zu schließen“.16 Sie stellt den Gegensatz zu Deduktion dar. Deduktion: Die Deduktion ist das „wissenschaftliches Verfahren, das Besondere u. Einzelne vom Allgemeinen ableiten: Erkenntnis des Einzelfalls durch ein allgemeines Gesetz“.17 Die Deduktion ist der Gegensatz zu Induktion. Hermeneutik: Die Hermeneutik ist das „wissenschaftliches Verfahren der Auslegung u. Erklärung von Texten, Kunstwerken u.ä.“18 Das Fremde, mit dem man sich in einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt, muss sich der Forschende erst in einem Verste11 12 13 14 15 16 17 18
Duden – Fremdwörterbuch 1984, 288 vgl. Die Zeit. Band 9. 2004, 525 sowie Brockhaus 1992, 532 Eco 1993, 8–9 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 40 vgl. Brockhaus 1992, 531 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 198 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 97 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 179
40
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hensprozess bzw. Deutungsakt aneignen19. Das Verstehen und Erfassen des Betrachtungsgegenstandes kann prinzipiell nie abgeschlossen werden, insbesondere da sich in Texten, Äußerungen und Kunstwerken immer mehr Sinn-Schichten zeigen, als auf den ersten Blick erkennbar sind.20 „Eine hermeneutische Grundregel besagt, dass das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstanden werden muß. Dieses Prinzip wird traditionell als hermeneutischer Zirkel bezeichnet.“21 Hypothesenbildung: Hypothesen sind „zunächst unbewiesene Annahme von Gesetzlichkeiten oder Tatsachen, mit dem Ziel, sie durch Beweise zu verifizieren („nachprüfen, die Richtigkeit einer Behauptung beweisen“22 (Gegensatz zu falsifizieren)) oder zu falsifizieren („eine Hypothese durch empirische Beobachtungen widerlegen“23 (Gegensatz zu verifizieren)).“24 Dialektik25: Der Begriff der Dialektik leitet sich aus der Philosophiewissenschaft her. In diesem Sinne umfasst er die philosophische „Arbeitsmethode, deren Wesen darin besteht, [in Rede und Widerrede] Widersprüche aufzudecken und zu überwinden und dadurch die Wahrheit zu finden, Erkenntnis zu erlangen.“ Das Prinzip der Dialektik beruht auf einer differenzierten Betrachtung von These(n) und Antithese(n), die dann in der Synthese („Zusammenfügen, Verknüpfen (einzelner Teile zu einem höheren Ganzen)“26, entspricht der Schlussfolgerung) als Ergebnis der Forschungen mündet. Empirie: Die Empirie ist eine Erhebung und bezeichnet in der Wissenschaft allgemein eine Sammlung von Daten. Der Begriff umfasst alle notwendigen Schritte zur Umsetzung einer wissenschaftlichen Untersuchung. Im Einzelnen wird ein Forschungsproblem präzise formuliert und eine These hierüber aufgestellt. Danach wird ein Erhebungskonzept ausgearbeitet, z.B. ein Fragebogen entwickelt, eine Grundgesamtheit definiert, die Stichprobe spezifiziert und das Auswahlverfahren bestimmt. Der eigentlichen Phase der Datenerhebung (= Feldphase) folgt die Phase der Datenaufbereitung (Datenprüfungen, Typisierungen/Merkmalszusammenfassungen) sowie die Auswertung. Durch die Auswertung sollte der Forschende zu (neuen) Erkenntnissen kommen.27 Befragung: Eine Methode, mittels der eine Erhebung durchgeführt werden kann, ist die Befragung: Sie können grundsätzlich unterschieden werden in quantitative und qualitative. Für erstere ist es wichtig repräsentative Ergebnisse zu ermitteln, hier muss besonders auf die Repräsentativität der Stichprobe und der Umsetzung geachtet werden. 19 20 21 22 23 24 25 26 27
vgl. Uni Essen: Definition der Hermeneutik, 5. Juli 2006 vgl. Wikipedia: Hermeneutik, 5. Juli 2006 vgl. Uni Essen: Hermeneutik, 5. Juli 2006 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 465 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 145 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 189 vgl. Duden - Fremdwörterbuch 1984, 107 Duden - Fremdwörterbuch 1984, 434 vgl. Diekmann 2005, 162–173
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
41
Anders ist es bei der qualitativen Befragung. Hierbei kommt es nicht auf Repräsentativität an, sondern vielmehr auf die Beleuchtung der Persönlichkeit der befragten Person oder eines Sachverhalts, über den diese tiefgehend Auskunft geben kann. Qualitative Erhebungen beschäftigen sich also mit einer Problematik, die umfassend beleuchtet werden soll.28 Beobachtung: Auch die Beobachtung ist eine Methode zur Empirie. „Mit ihrer Hilfe sollen Annahmen belegt oder neue (wissenschaftliche) Fragestellungen aufgeworfen werden.“29 Experiment: Ein Experiment ist ein wissenschaftlicher Versuch, der einem geplanten Versuchsaufbau folgt und unter gleichen Rahmenbedingungen stets reproduzierbar ist. „Das Experiment ist die wichtigste Methode der so genannten Erfahrungswissenschaften, wie Physik, Chemie oder Psychologie.“30 Hinsichtlich Ihrer wissenschaftlichen Arbeit wird es die Regel sein, dass Sie nicht mit einer einzigen Methode arbeiten. Dies hängt einerseits von der Fragestellung ab, die Sie beantworten wollen, andererseits und insbesondere aber hängen die Methoden auch zusammen. So geht fast jeder Entwicklung eines neuen Gedankens eine Analyse des Bestehenden voraus, so wie die Befragung, die Beobachtung und auch das Experiment empirische Methoden, also die Empirie betreffend, sind.
3
Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit
Eine wissenschaftliche Arbeit besteht i.d.R. aus folgenden Teilen in der angegebenen Reihenfolge: 1. 2. 3. 4. 5.
Einband(deckel), Titelseite inkl. Titel, bibliographische Beschreibung und Referat, Inhaltsverzeichnis, andere Verzeichnisse (sofern vorhanden), z.B. Abbildungs- und/oder Tabellen- sowie Abkürzungsverzeichnis, 6. Vorwort/Danksagung, 7. Einleitung, 8. Hauptteil, 9. Schluss, 10. Literaturverzeichnis, 11. Anhang (inkl. Anlagenverzeichnis), 12. Erklärung zur selbstständigen Anfertigung.
28 29 30
vgl. Kreißig/Meister/Schwarz 2006, 7 Kreißig/Meister/Schwarz 2006, 7 Kreißig/Meister/Schwarz 2006, 7
42
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Nachfolgend soll ein kurzer Überblick gegeben werden, welche Inhalte Bestandteil welcher Teile sein müssen. Stellen Sie sicher, dass die einzelnen Bestandteile immer Teil des Ganzen sind und sich nicht gegenseitig widersprechen. Ihre Einleitung und Ihr Schluss bilden den Rahmen Ihrer Arbeit. Insbesondere diese beiden Teile sollten inhaltlich und stilistisch genau aufeinander abgestimmt werden.
Einband und Titelseite Neben dem Namen des Verfassers werden mindestens der Titel sowie die Art der Abschlussarbeit benannt, z.B. „Diplomarbeit“ oder „Bachelorarbeit“. Weitere Details sowie die Gestaltung des Einbands und der Titelseite richten sich nach den jeweiligen, gültigen Prüfungsordnungen.
Bibliographische Beschreibung und Referat „Die bibliographische Beschreibung sollte zu den festen Bestandteilen jedes wissenschaftlichen Werkes gehören und ist nach DIN 1505 Teil 1 abzufassen. Dabei sind die einzelnen Bestandteile, deren Reihenfolge und die Zeichensetzung zwischen den Bestandteilen fest vorgegeben.“31 Ein Beispiel für eine bibliographische Beschreibung: „Fischer, Sabrina: Vom Produkt zur Marke – Vom Menschen zur Marke. - 2005 - 105 S. Mittweida, Hochschule Mittweida (FH), Fachbereich Medien, Diplomarbeit“32
„Das Kurzreferat gibt den wesentlichen Inhalt einer wissenschaftlichen Arbeit in wenigen Sätzen wieder. Dabei soll der Titel der Arbeit nicht wiederholt, sondern anhand informativer Aussagen erläutert werden. Hinweise zum Kurzreferat befinden sich in DIN 1426 und DIN 1422, Teil 1.“33 Auch hierzu ein Beispiel: „Referat Die Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Marken-Aufbau und dem Marken-Management einer Produktmarke am Beispiel Magnum von Langnese im Vergleich zu den Personenmarken Paris Hilton und Verona Feldbusch. Ziel der Arbeit ist es Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Parallelen der Markenstrategien herauszufinden. Hier sei angemerkt, dass der klassische Markenbegriff – in der Definition bei Produktmarken so bei Personenmarken nicht gültig ist. Im Laufe der Arbeit wird dies bewiesen. Neben der Analyse der Strategien werden außerdem der Einfluss und die Wirkung der Medien beim Aufbau einer Personenmarke sowie die Rolle des Images untersucht. Dahinter steht die Frage, wie ein Mensch zu einer Marke werden kann. Mehr denn je spielen die Medien dabei eine wichtige Rolle. 31 32 33
Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 3 Fischer 2005, III Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 3
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
43
Außerdem wird anhand der Kampagne von Iglo-Rahmspinat erläutert, wie wichtig Personenmarken für die Werbung sind, aber auch zu welchen Gefahren es kommen kann. Am Ende der Arbeit wird eine mögliche Marken-Checkliste erstellt. Anhand der Kriterien soll erkannt werden, wann ein Mensch als eine Marke bezeichnet werden kann.“34
Beide Elemente werden auf der dem Titelblatt folgenden Seite bzw. auf der Rückseite des Titelblattes angeordnet. Mit der bibliographischen Beschreibung wird die Seite eröffnet, das Kurzreferat wird mit einigem Abstand daran angeschlossen.
Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis soll dem Leser erleichtern, den Inhalt einer Arbeit/eines Dokumentes zu erfassen. Deswegen sollte das Inhaltsverzeichnis übersichtlich gestaltet werden, insbesondere durch inhaltliche Sinnhaftigkeit und auch sinnvolle optische Hervorhebungen der Hauptpunkte. Die Kapitel werden mit eins (1) beginnend fortlaufend nummeriert. Unterkapitel erhalten fortlaufende, gestufte Abschnittsnummerierungen (z.B. 1.1 oder auch 1.1.). Einzelne Abschnitte auf der 3. Gliederungsebene würden dann logischerweise mit 1.1.1 oder 1.1.1. beziffert. – Dass die Benennung der Überschriften im Text sich mit der Benennung im Inhaltsverzeichnis decken muss, versteht sich von selbst. Gleiches gilt auch für die Nummerierung. Die Anordnung der Informationen im Inhaltsverzeichnis erfolgt in der Reihenfolge ▪ ▪ ▪
Gliederungsnummer Kapitelüberschrift Seite in der Publikation
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Für beide Verzeichnisarten gilt: Die in Ihrem Text fortlaufend nummerierten Abbildungen und Tabellen müssen mit ihrer jeweiligen eindeutigen Betitelung und der identischen Nummerierung in dem jeweiligen Verzeichnis aufgelistet sein. Wie im Inhaltsverzeichnis wird auch hier jeweils die Seite in der Publikation angegeben.
Abkürzungsverzeichnis In das Abkürzungsverzeichnis werden alle Abkürzungen eingetragen, die in einem Text (häufiger) vorkommen, für das Verständnis von Bedeutung sind und nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können. Gängige Abkürzungen wie 34
Fischer 2005, III
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Abb. Anm. Aufl. Bsp. bzw. ca. d.h. Diss. et al. f. ff. Fig. Hrgs.
Abbildung Anmerkung Auflage Beispiel beziehungsweise circa das heißt Dissertation et alli (und andere) folgende fortfolgende Figur Herausgeber
Jh. Jg. Kap. Lit. Nr. o.J. o.O. S. Tab. u.a. usw. vgl. z.B.
Jahrhundert Jahrgang Kapitel Literatur Nummer ohne Jahr(esangabe) ohne Ort(sangabe) Seite Tabelle unter anderem und so weiter vergleiche zum Beispiel
müssen nicht in das Abkürzungsverzeichnis aufgenommen werden. Es gilt zu beachten, dass besonders unbekannte Abkürzungen den Lesefluss stören, deshalb sollten Sie bei sich wohl überlegen, welche Worte Sie ausschreiben und welche abkürzen wollen.35 Selbstredend wird den Abkürzungen ihre jeweilige Bedeutung ausformuliert gegenübergestellt. Sofern nötig, können Sie hier auch kurze Erläuterungen einfügen, z.B.: „BZDM
Berliner Zeitung für Didaktik und Methodik (vor 1990 West-Berliner-Zeitung für Didaktik und Methodik)“36
Vorwort/Danksagung Das Vorwort enthält Angaben zur persönlichen Motivation, zu wissenschaftlichen Anregungen sowie zur Betreuung. Möchten Sie beteiligten Personen danken, können Sie die Grußformel an diese Stelle platzieren.37 Weder Vorwort noch Danksagung sind obligatorischer Bestandteil einer Abschlussarbeit.
Einleitung Die Einleitung ist eine knappe Erläuterung der Fragestellung und Einbettung dieser in den wissenschaftlichen Kontext: Stellen Sie das Thema Ihrer Arbeit kurz vor und erläutern Sie,
35 36 37
Niederhauser 2000, 21 Charbel 2006, 192 vgl. Niederhauser 2000, 17
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
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was Sie genau untersuchen wollen, warum und wie Sie vorgehen38: Geben Sie Hinweise auf das untersuchte Material, die verwendeten Untersuchungsmethoden und erläutern Sie kurz die Abfolge und die Inhalte der einzelnen Kapitel. Evtl. können Sie hier auch auf Besonderheiten der Darstellung eingehen, sofern nötig39.
Hauptteil Im Hauptteil analysieren und erörtern Sie das Thema Ihrer Arbeit ausführlich. Dabei sollten Sie strukturiert vorgehen. Benennen Sie mehrere Kapitel sowie Unterkapitel, in denen Sie einzelne Aspekte Ihres Forschungsgegenstandes betrachten. Geben Sie grundsätzlich einen Überblick über den Forschungsstand. Welches sind die aktuellen vorliegenden Erkenntnisse zum Thema40? Beschreiben Sie Ihren Untersuchungsgegenstand möglichst genau. Begründen Sie die getroffene Auswahl41 und charakterisieren Sie das der Untersuchung zugrunde gelegten Materials. Gehen Sie auch auf Ihre Forschungs-/Erhebungsmethoden ein: Beschreiben Sie Ihr methodisches Vorgehens und begründen Sie die Wahl der verwendeten Untersuchungsmethode(n)42. Stellen Sie am Ende Ihre Ergebnisse43 vor. Diskutieren Sie die Ergebnisse sowie deren Konsequenzen.
Schluss Ihr Schlusswort bringt alle wichtigen Aussagen knapp auf den Punkt. Erläutern Sie kurz, welches Thema Sie hatten, was untersucht werden sollte, wie Sie vorgegangen sind und zu welchen Ergebnissen Sie gekommen sind. Nehmen Sie kritisch zu dem Ergebnis Ihrer Arbeit Stellung und ordnen Sie es in das Forschungsumfeld Ihres Wissensgebietes ein. Zeigen Sie zuletzt auf, welche Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen und Überlegungen denkbar bzw. sinnvoll wären. Machen Sie deutlich, welche Konsequenz Ihre Arbeit „für den Rest der Welt“ hat.
Literaturverzeichnis Im Literaturverzeichnis führen Sie alle Quellen auf, die Sie in Ihrer Arbeit verwenden.
38 39 40 41 42 43
Charbel 2006, 149 ff. vgl. Niederhauser 2000, 17 vgl. ebenda vgl. ebenda vgl. ebenda vgl. Niederhauser 2000, 17
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Die Anforderungen an ein korrektes Literaturverzeichnis sind eng mit dem Umgang mit Quellen und Fußnoten sowie allgemeinen Zitierrichtlinien verwoben, so dass an dieser Stelle auf Kapitel 9 verwiesen wird, um Wiederholungen zu vermeiden.
Anhang Ein Anhang wird einer Arbeit nur dann angefügt, sofern er benötigt wird. Er ist also kein konstanter Bestandteil aller wissenschaftlichen Arbeiten. In einem Anhang werden alle Materialien angefügt, die dem Autor wichtig zum Verständnis scheinen oder als Ergänzung seines Textes dienen, für den Hauptteil aber zu umfangreich wären und dort von dem eigentlichen Thema der Arbeit ablenken würden. Auch schwer zugängliche Quellen, die der Verfasser als Beleg seiner Aussagen anführen möchte, können im Anhang abgedruckt werden. Als zentrales Kriterium, welche Inhalte in den Anhang aufgenommen werden sollen, ist deren Bedeutung für die Arbeit zu sehen – unwichtige Dokumente sollten ausgespart werden. Bestandteile des Anhangs sind ein separates Deckblatt mit der Aufschrift „Anhang“ sowie ein Verzeichnis der Anlagen (= Inhaltsverzeichnis für diesen Abschnitt). Jede Anlage erhält eine eigene Überschrift, anhand derer das Verzeichnis der Anlagen erstellt werden kann. Die Anlagen können entweder nach ihrer Erwähnung im Hauptteil aneinander gereiht werden, alphabetisch sortiert oder in einer anderen Reihenfolge angeordnet werden, die Ihnen sinnvoll erscheint. Achten Sie auf eine übersichtliche, ordentliche und leserfreundliche Aufbereitung der Inhalte. Vergessen Sie auch hier nicht, die jeweiligen Quellen entsprechend der Zitierrichtlinien anzugeben.
Erklärung zur selbstständigen Anfertigung An das Ende jeder Abschlussarbeit gehört eine Selbständigkeitserklärung des Verfassers, dass er seine Arbeit nach wissenschaftlichen Maßstäben und gesetzlichen Vorschriften angefertigt hat. Sie kann z.B. den folgenden Wortlaut haben: „Selbständigkeitserklärung Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbstständig und nur unter Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Teile, die wörtlich oder sinngemäß einer Veröffentlichung entstammen, sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde noch nicht veröffentlicht oder einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.“ In einigen Fällen ist der genaue Wortlaut der jeweiligen, gültigen Prüfungsordnung zu entnehmen. Die Erklärung muss datiert werden und unter Angabe des Bearbeitungsortes handschriftlich und eigenhändig vom Prüfling unterschrieben werden.
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens 4
47
Quellen wissenschaftlichen Arbeitens
Damit Sie nicht von einer Informationsflut überrollt werden, sollten Sie Material zu Ihrem Thema gezielt suchen und Ihren Suchvorgang hinreichend dokumentieren. Notwendige Voraussetzung ist, dass Sie unterscheiden können, in welchen Formen wissenschaftliche Literatur vorliegt, welche Beschaffungswege Ihnen grundsätzlich zur Verfügung stehen und was Sie bei den einzelnen Recherchemöglichkeiten zu beachten haben. Die folgenden Unterkapitel sollen Ihnen hierüber Auskunft geben.
4.1 Formen wissenschaftlicher Literatur Aktualität hat für wissenschaftliche Literatur eine besondere Bedeutung. Aufgrund dessen kann Literatur hinsichtlich der Phase ihrer Erstellung in einem Forschungszyklus unterschieden werden. Einen Einblick gibt die nachfolgende Abbildung: Abbildung 1:
Publikationsformen in der zeitlichen Abfolge einer Forschungsarbeit44 große Nähe zum aktuellen Forschungsstand
Arbeitsberichte Forschungsberichte News-Gruppen
Ze
itlic
he
Kongressberichte Patente
Ab
folg
ed
er
Ers
che
Zeitschriftenaufsätze
inu
ng
Dissertation(en) Fachbuch/-bücher
geringe Nähe zum aktuellen Forschungsstand
Handbuch/-bücher Lehrbuch
Unselbständig erschienene Literatur (Aufsätze, Konferenzbeiträge)
Selbstständig erschienene Literatur (Bücher)
Nur ein geringer Teil der wissenschaftlichen Literatur liegt in selbstständig erschienenen Buchpublikationen vor: Lehrbücher, Fachwörterbücher, Handbücher und Bibliographien (= forschungserschließende Literatur). „Die wesentliche Forschungsliteratur bilden unselbst-
44
in Anlehnung an Schneider 2005, 6
48
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ständig erschiene Publikationen, nämlich Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften und in den Geistes- und Sozialwissenschaften zudem Beiträge in Sammelbänden.“45 Hier eine Übersicht über Erscheinungsformen wissenschaftlicher Literatur: Monographien: Monographien sind selbstständig erscheinende Schriften über einen einzelnen fachwissenschaftlichen Gegenstand.46 Sie widmen sich „einem begrenzten Thema sehr intensiv […] und versuchen, den Stand der Erkenntnisse bis kurz vor dem Veröffentlichungsjahr möglichst vollständig und ausgewogen darzustellen“47. Lehrbücher: Ein Lehrbuch richtet sich an einen Leser, der mit dem Thema bis jetzt noch überhaupt nichts zu tun hatte. Neue Fachbegriffe werden deswegen erläutert und Zusammenhänge didaktisch aufgearbeitet. Sie versuchen einen Überblick über Themengebiete zu geben, vertiefen den Stoff aber nicht.48 Sachbücher: Sachbücher richten sich an ein interessiertes Fachpublikum. Um dem Autor bei seiner Abhandlung über einzelne, spezielle Details eines Themengebietes folgen zu können, müssen Grundkenntnisse vorhanden sein.49 (Auto)Biographien: Eine Biographie ist eine (von der Person selbst verfasste) Schrift über Leben und Werk eines Menschen.50 Periodika: Ein Periodikum ist eine periodisch (monatlich, viertel- oder halbjährlich usw.) erscheinende Publikation (z.B. Fachzeitschriften).51 Wissenschaftliche Zeitschriften: Wissenschaftliche Zeitschriften erscheinen meist in mehreren Heften pro Jahr. Sie werden i.d.R. in Bibliotheken zu Jahresbänden zusammengebunden und mit Jahresinhaltsverzeichnissen versehen52, die eine gezielte Suche innerhalb der Bände ermöglichen. Sammelbände: In Sammelbänden werden Beiträge von verschiedenen Autoren zu einem gemeinsamen Thema zusammen abgedruckt. Sie versuchen den gegenwärtigen Stand(punkt) der Forschung oder auch die fachlichen Kontroversen zu einem Thema wiederzugeben. Handbücher/Kompendien: Handbücher und Kompendien werden zu einem bestimmten, eingegrenzten Teilbereich oder Thema eines Faches herausgegeben, sind dabei oftmals jedoch disziplinübergreifend – und werden deswegen oft von mehreren Autoren gemeinsam verfasst53. Handbücher und Kompendien erleichtern dem Leser einen Überblick über methodische Zusammenhänge, behandelte Themenfelder, mögliche Forschungsrichtungen
45 46 47 48 49 50 51 52 53
Niederhauser 2000, 7 vgl. Burchardt 2000, 53 Theisen 1995, 141 vgl. Burchardt 2000, 45 vgl. ebenda vgl. Burchardt 2000, 53 vgl. ebenda vgl. Niederhauser 2000, 7 vgl. Schneider 2005, 7
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
49
etc.54 Von großem Vorteil ist, dass sie oft systematisch oder durch große Überblicksbegriffe gegliedert und mit ausführlichen (Personen-, Sach-, etc.) Registern ausgestattet sind. Jahrbücher: Ein Jahrbuch ist ein Sammelband, in dem Fachbeiträge veröffentlicht werden. Es erscheint jährlich.55 Festschriften: Eine Festschrift wird zu Ehren einer bestimmten Person oder Institution herausgegeben. Es handelt sich um ein Sammelwerk, für das vor allem Autoren einen Beitrag schreiben, die auf irgendeine Weise mit dem Anlass verbunden sind.56 Anthologien: Anthologien stellen eine Sammlung von (den bedeutendsten) Beiträgen zu einem bestimmten Thema dar, gelegentlich sind darin aber auch neue und/oder aktuelle Beiträge enthalten57, die einen wichtigen, neuen Gedanken verfolgen. Wissenschaftliche Abschlussarbeiten: Wissenschaftliche Abschlussarbeiten an sich bilden einen nicht zu unterschätzenden Fundus an Material58. Sie können – je nach Verfassungsdatum – recht aktuell sein und bieten, wenn sie von guter Qualität sind, einen schnellen Zugang zur aktuellen Forschungssituation, zum Forschungsstand und der weiterhin verfügbaren Literatur. Leider ist in den meisten Fällen die Abschlussnote der Arbeit nicht ermittelbar, so dass ein angehender Prüfling sich nicht 100%ig auf die Qualität des Inhalts verlassen kann. Lexika: Lexika sind alphabetisch geordnete Nachschlagewerke, die in (sehr) knappen Artikeln zu bestimmten Themen und Sachgebieten das Wichtigste veröffentlichen.59 Glossar(ium): Glossare sind „lexikalische Zusammenstellung von Fachbegriffen über ein bestimmtes Teilgebiet“60 eines Forschungsbereichs. Enzyklopädien: Enzyklopädien versuchen das gesamte Wissen einer Zeit und eines Sprachraums darzustellen. Da sie meist viele Themen aufgreifen, sind ihre Ausführungen zu einzelnen Stichworten wenig umfangreich. Dadurch lohnt sich der Blick in Enzyklopädien, um einen Einstieg in ein Thema zu bekommen. Bibliographien: Bei der Zusammenstellung einer möglichst umfassenden Literaturliste zu einem Thema stellen Bibliographien eines der wichtigsten Hilfsmittel dar. Es handelt sich um Verzeichnisse, deren Inhalt nach verschiedenen Kriterien sortiert ist. Sie enthalten detaillierte Stichwortverzeichnisse, wodurch sie sich schnell erschließen lassen. Die ständige Aktualisierung der Bibliographien braucht Zeit, wodurch sich oft eine Lücke zwischen dem aktuellen Publikationsstand und den erfassten Publikationen ergibt.61
54 55 56 57 58 59 60 61
vgl. Niederhauser 2000, 7 vgl. Burchard 2000, 53 vgl. Burchard 2000, 54 vgl. ebenda vgl. Niederhauser 2000, 8 vgl. Schneider 2005, 7 Buchard 2000, 53 vgl. Niederhauser 2000, 7
50
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4.2 Beschaffungswege Material kann auf unterschiedlichen Wegen beschafft werden. Suchen Sie nicht nur in ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Ihrer hochschuleigenen Bibliothek, sondern auch in den Bibliothek anderer Unis, FHs etc., in öffentlichen und privaten Büchereien und Archiven, in Buchhandlungen sowie im Internet62,
denn Quellen werden – je nach Art ihrer Erscheinungsform – unterschiedlich erfasst, so dass interessierte Leser mehrere Wege beschreiten müssen, um sie ausfindig zu machen, siehe nachfolgende Abbildung. Abbildung 2:
Erschließungsart von Publikationsformen unter Berücksichtigung ihrer zeitlichen Abfolge während der Forschungsarbeit große Nähe zum aktuellen Forschungsstand
Arbeitsberichte Forschungsberichte News-Gruppen
Ze
itlic
he
Kongressberichte Patente
Ab
folg
ed
er
Ers
che
Zeitschriftenaufsätze
inu
ng
Dissertation(en) Fachbuch/-bücher
geringe Nähe zum aktuellen Forschungsstand
Handbuch/-bücher Lehrbuch
Unselbständig erschienene Literatur (Aufsätze, Konferenzbeiträge)
Selbstständig erschienene Literatur (Bücher)
Erschließung
Datenbank
62
vgl. Charbel 2006, 44
Bibliothekskatalog
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
51
Außer der direkten/persönlichen Ausleihe haben Sie in Bibliotheken die Möglichkeiten Literatur mittels Fernleihe63 oder durch einen Dokumentenlieferdienst auszuleihen. „Die Fernleihe als traditionelle Form der freien Literaturbeschaffung wird dem heutigen Literaturbedarf und den im digitalen Zeitalter gestiegenen Erwartungen hinsichtlich Schnelligkeit, Transparenz und Bequemlichkeit oft nicht mehr gerecht.“64 Stattdessen können Sie auf Dokumentenlieferdienste ausweichen. Dies sind kostenpflichtige Dienste, die eine schnelle Literaturversorgung vom Lieferanten direkt zum Besteller garantieren. Im Dienstleistungsumfang sind Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Liefermodi, -wegen sowie -geschwindigkeit enthalten65. Stellen Sie – falls es Ihr Thema erfordert oder erlaubt, auch persönliche Nachforschungen an, dies könnte sich als schriftliche und/oder mündliche Anfrage nach schwer zugänglichen oder unveröffentlichten Informationen, Interviews oder auch eigene Beobachtungen vor Ort gestalten66.
4.3 Bibliothekskataloge 4.3.1
Lokaler OPAC
Der lokale OPAC (Online Public Access Catalog) zeigt alle in der Bibliothek vorhandenen Werke auf67, allerdings nur die selbstständig erschienene Literatur, keine Aufsätze68! Den lokalen OPAC können Sie schnell und einfach durchsuchen. Der Zugriff ist über die Homepage einer jeden Hochschulbibliothek möglich.
4.3.2
Bibliotheksverbünde/Bibliotheken im Internet
Bibliotheken haben sich heutzutage in Verbünden zusammengeschlossen. Ihre Bestände werden in einem Zentralkatalog dokumentiert. Dadurch wird die Suche in mehreren Katalogen einer oder mehrerer Regionen gleichzeitig möglich. Dank des Internet ist es deswegen leicht möglich, viele Bibliothekskataloge vom Bearbeitungsstandort der wissenschaftlichen Arbeit aus zu erschließen. I.d.R. ist auch eine Bestellmöglichkeit für Werke in einer „fremden“ Bibliothek möglich. „Für die Durchführung des überregionalen Leihverkehrs ist die Bundesrepublik Deutschland in Leihverkehrsregionen eingeteilt. Leihverkehrsregionen und Verbundregionen sind i.d.R. identisch.“69 Es gibt u.a. folgende Verbünde:
63
Sollte dies nicht online möglich sein (erläuternde Informationen siehe in Kapitel 4.3), fragen Sie die Mitarbeiter der Bibliothek um Rat. Sie sind Ihnen beim Ausfüllen des Fernleihebestellscheins sehr gerne behilflich. 64 Schneider 2005, 11 65 vgl. Schneider 2005, 11 66 vgl. Charbel 2006, 44 67 Soweit sie digital erfasst sind, ältere Bestände sind evtl. nur in den analogen Schlagwort- oder Autorenkatalogen zu finden. 68 vgl. Schneider 2005, 9 69 Wikipedia Bibliotheksverb.C3.BCnde_in_Deutschland, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006
52 ▪ ▪
▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Michaela Wied Südwestdeutscher Bibliotheksverbund mit Sachsen70, Baden-Württemberg, RheinlandPfalz und Saarland71, http://www2.bsz-bw.de/, Gemeinsamer Bibliotheksverbund für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und teilweise auch Berlin und Brandenburg72, http://www.gbv.de/, Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen73, http://www.hbz-nrw. de/, Bibliotheksverbund Bayern74, http://bvba2.bib-bvb.de/, Kooperativer Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg75, http://www.kobv.de/, Hessisches Bibliotheks-Informationssystem76, http://www.hebis.de/ Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins77, https://www.voebb.de/,
Die Deutsche Bibliothek bietet ebenfalls einen Onlinekatalog an, siehe http://z3950gw.dbf. ddb.de/. Und auch unsere direkten deutschsprachigen Nachbarn sollten im Zweifelsfall nicht vergessen werden: Der Online-Katatalog des Österreichischen Bibliotheksverbundes ist unter http://www.obvsg.at/ zu finden, der des Schweizerischen Bibliotheksverbundes unter http:// www.stub.unibe.ch/. Weltweite Verzeichnisse von Bibliotheken, deren Inhalte digital durchsucht werden können, sind im Internet auch leicht zu finden. Als Beispiel sei hier das Mirror-Libweb genannt. Die Adresse lautet http://lists.webjunction.org/libweb/, und für Deutschland im Speziellen: http://lists.webjunction.org/libweb/Germany.html. Viele Bibliotheken haben bestimmte Fachgebiete, zu denen sie besonders umfassend Literatur bereitstellen. Sammelschwerpunkte können unter http://webis.sub.uni-hamburg.de eingesehen werden.
4.3.3
Karlsruher Virtueller Katalog
Im Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK), erreichbar unter http://www.ubka.uni-karlsru he.de/kvk.html, werden viele Internet-Bibliothekskataloge über eine gemeinsame Suchoberfläche mit einem Meta-Such-Interface gleichzeitig abgefragt78. Es handelt sich um einen frei verfügbaren Online-Dienst der Universitätsbibliothek Karlsruhe. Er ermöglicht „deutsche, 70 inkl. der Universitätsbibliothek Leipzig, deren Sondersammelgebiet Kommunikations- und Medienwissenschaften ist 71 Wikipedia S.C3.BCdwestdeutscher_Bibliotheksverbund, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 72 Wikipedia Gemeinsamer_Bibliotheksverbund, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 73 Wikipedia Hochschulbibliothekszentrum, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 74 Wikipedia Bibliotheksverbund_Bayern, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 75 Wikipedia Kooperativer_Bibliotheksverbund_Berlin-Brandenburg, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 76 Wikipedia Hessisches_Bibliotheks-Informationssystem, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 77 Wikipedia Verbund_der_.C3.96ffentlichen_Bibliotheken_Berlins, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 78 vgl. Schneider 2005, 9
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
53
österreichische, schweizerische und viele internationale Online-Bibliothekskataloge bzw. Verbundkataloge in einer einzigen Suche abzufragen. Darüber hinaus bietet der KVK auch die Möglichkeit, die Zeitschriftendatenbank (ZDB) und verschiedene Buchhandelskataloge nach einem Titel, Autor oder Stichwort zu durchsuchen“79.
4.3.4
Dokumentenlieferdienste
Der Dokumentelieferdienst Subito ist eine Initiative von Bund und Ländern. Ziel ist es, die Literatur- und Informationsbeschaffung auf nationaler Ebene zu beschleunigen, in dem lokale und regionale Initiativen eingebunden werden. Nähere Informationen finden Sie unter http://www.subito-doc.de/. Für technische und ingenieurwissenschaftliche Themen bieten sich auch die Bestände der Technischen Informationsbibliothek Hannover (TIB) an. Der Dokumentenlieferdienst TIB Order ist unter http://tiborder.gbv.de/services/ zu erreichen.80
4.4 Informationssuche und Recherchieren im Internet Wissenschaftliche Informationen, die in selbstständigen oder auch nicht-selbstständigen (analogen) Werken publiziert wurden, stehen i.d.R. nicht gleichzeitig (kostenlos) im Internet zur Verfügung.81 Die im Internet zur Verfügung stehenden Informationen unterscheiden sich also von den gedruckten. Sie dürfen deswegen nicht unberücksichtigt bleiben: Würde man sie nicht beachten, entstünde eine Informationslücke. Allerdings ist das Filtern relevanter und vertrauenswürdiger Informationen aus dem World Wide Web relativ mühsam. Der Vorteil des WWW ist die Aktualität, was jedoch gleichzeitig als Fallstrick erweisen kann, so „haben sich hier noch kaum Mechanismen der bewertenden Einordnung von Informationsquellen, der Verifizierung ihrer Zuverlässigkeit, Genauigkeit und Reichweite herausbilden können“82. Mögliche Daten stehen im Internet in vielen verschiedenen Formen zu Verfügung und müssen auf verschiedene Arten gesucht werden.
4.4.1
Fachportale
Fachportale sind fachlich geordnete Linksammlungen. Sie bieten einen kostenlosen, strukturierten Wissenszugang zu Datensammlungen im Internet.83 Die Virtuelle Fachbibliothek mit einem zentralen, fachübergreifenden Einstieg für wissenschaftliche Recherchen findet sich unter http://www.vascoda.de/. Sucht man mit einer 79 80 81 82 83
Wikipedia Karlsruher_Virtueller_Katalog, Stand: 11. Apr 2006, abgerufen am 30. Juni 2006 vgl. Schneider 2005, 11 vgl. Schneider 2005, 7 vgl. Niederhauser 2000, 10 vgl. Schneider 2005, 5
54
Michaela Wied
Suchmaschine nach den Begriffen „Virtuelle Fachbibliothek“ + die entsprechende Fachrichtung werden die entsprechenden Virtuellen Fachbibliotheken nach ihrem jeweiligen Fachgebiet angezeigt. Für den Bereich Medienwissenschaft könnte folgender Link eine gute Fundstelle sein: http://www.ub.uni-duesseldorf.de/home/ebib/fachinfo/faecher/mwi/ dvb, für den Bereich Wirtschaftswissenschaften: http://www.econbiz.de/fach/FS_BRANCHEN003190 3_print.shtml?step=20, im Bereich Technik findet sich eine virtuelle Fachbibliothek z.B. unter http://vifatec.tib.uni-hannover.de/. Der Fachinformationskatalog multimediale Bibliothek Mebib kann unter http://www. fh-augsburg.de/mebib/index.html eingesehen werden. Die EZB (Elektronische Zeitschriftenbibliothek) bietet außerdem einen komfortablen und gezielten Zugang zu wissenschaftlichen Volltextzeitschriften im Internet. Der Zugriff ist lizenzabhängig, kann jedoch über PCs auf dem Campus genutzt werden. Die Adresse lautet: http://rzblx1.uni-regensburg.de/ezeit/.84
4.4.2
Datenbanken
Datenbanken sind zu verschiedensten Themengebieten und Bereichen im Internet vorhanden. Sie können in kostenpflichtige und kostenlose Angebote unterteilt werden. Ein kostenpflichtiges Angebot ist z.B. Genios (http://www.genios.de). Kostenfreie Angebote gibt es sehr viele. Eine Übersicht ist unter http://www.internet-datenbanken.de/85 sowie von Daten Service Kolberg unter http://www.datenbanken.de/ zu finden.86
4.4.3
Webverzeichnisse
Bei Webverzeichnissen werden mögliche Sucherergebnisse redaktionell geprüft, bevor sie als Vorschlag bei einer Suchanfrage erscheinen. Die Qualität der Treffer steigt im Vergleich zu Suchmaschinen – ist allerdings auch vom Geschmack des jeweiligen Redakteurs abhängig87. Beispiele sind die Verzeichnissuche von Google (http://www.google.de/dirhp?hl=de& tab=wd&q=), von Yahoo! Deutschland (http://de.search.yahoo.com/dir?ei=UTF-8&p=)88, von Web.de (http://www.web.de/)89 sowie Dino-Online, ein Angebot von freenet.de (http:// webkatalog.dino-online.de/)90.
84 85 86 87 88 89 90
vgl. Schneider 2005, 5 Elektronische Zeitschriftenbibliothek, Stand: 9. Mai 2006, abgerufen am 30. Juni 2006 vgl. Charbel 2006, 241 f. vgl. Charbel 2006, 242 Yahoo-Search, 30. Juni 2006 Web, 30. Juni 2006 Dino-Online, 30. Juni 2006
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens 4.4.4
55
Suchmaschinen
Suchmaschinen, die mit unterschiedlichen Suchoptionen Volltextrecherchen im Internet durchführen, sind allgemein bekannt, sei es Google91, Lycos92, Yahoo93, Fireball94 oder Excite95. Ihre Datenerfassung erfolgt – im Gegensatz zu den Webverzeichnissen – automatisch, dadurch liefern Suchmaschinen auch viel umfangreichere Ergebnisse auf Anfragen, diese wurden im Vorfeld jedoch nicht verifiziert. Ein unsystematisches Suchen ist, wie ebenfalls hinlänglich bekannt ist, mit solchen Suchmaschinen ineffizient. Sie liefern teilweise viel zu viele Ergebnisse, als dass ein Einzelner in der Lage wäre, alle angezeigten Links auszuwerten. Wählen Sie deswegen die Stichwörter, nach denen Sie suchen, sorgfältig aus:
4.4.5
Nachschlagewerke
Unter den Sammelbegriff Nachschlagewerke fallen Enzyklopädien, Handbücher, Kompendien, Lexika, etc. (siehe Kapitel 4.1) Während die Brockhaus-Enzyklopädie96 anmelde- und damit gebührenpflichtig ist, kann man unter http://www.britannica.com/ kostenlos eine fundierte Enzyklopädie nutzen97. Eine Sammlung unterschiedlicher Enzyklopädieneinträge ist unter http://www.xipolis.net/98 zu finden, allerdings ist auch dieses Angebot kostenpflichtig.
4.4.6
Buchhandelsverzeichnisse/Verlagsprogramme
Ob bestimmte Bücher (noch) lieferbar sind, können Sie mittels des „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ (VlB) herausfinden, online unter http://www.vlb.de/ zu erreichen. Durchforsten Sie auch die Verlagsprogramme derjenigen Verlage, bei denen Sie bereits Bücher gefunden haben, die zu Ihrem Thema passen. Eventuell – wenn nicht sogar höchstwahrscheinlich – hat derselbe Verlag weitere Veröffentlichungen zu diesem Thema herausgegeben oder ihr Erscheinen angekündigt.
91 92 93 94 95 96 97 98
Google, 24. Juni 2006 Lycos-Suche, 24. Juni 2006 Yahoo, 24. Juni 2006 Fireball, 30. Juni 2006 Excite, 24. Juni 2006 Brockhaus.de, 24. Juni 2006 Britannica.com, 24. Juni 2006 Xipolis.net, 24. Juni 2006
56 5
Michaela Wied Themenfindung
Normalerweise können (und sollen) Sie das Thema Ihrer Abschlussarbeit frei wählen. Wer allerdings die Wahl hat, hat oftmals auch die Qual. Wenn Sie keine Idee haben, wie Sie ein geeignetes Thema finden, können Sie in drei Schritten vorgehen: 1.
2.
3.
Legen Sie einen Themenbereich fest, der Sie interessiert. Berücksichtigen Sie dabei ▪ Ihre persönlichen Vorlieben und Interessen, ▪ die fachlichen Schwerpunkte und thematischen Vorstellungen Ihres (Wunsch-) Betreuers, ▪ Ihr Vorwissen und die evtl. bereits geleistete Vorarbeit sowie ▪ besondere Unterstützungsmöglichkeiten z.B. durch Firmen, andere Institutionen oder Einzelpersonen99. Grenzen Sie innerhalb dieses Themenbereiches wiederum ein mögliches Thema ein. Gehen Sie folgendermaßen vor: ▪ Verschaffen Sie sich eine Übersicht über den Themenbereich. ▪ Splitten Sie den Bereich in Teilaspekte auf und besprechen Sie mögliche Aspekte mit Bekannten und/oder Ihrem Betreuer. Dritte können neue Impulse geben und Anregungen schaffen. ▪ Versuchen Sie einen möglichst genauen Titel, der das Thema umfassend widerspiegelt, zu formulieren.100 Prüfen Sie, ob dieses Thema für eine Abschlussarbeit geeignet ist: ▪ Ist das Thema überschaubar? ▪ Kann eindeutig ein Untersuchungsgegenstand festgelegt werden?101 ▪ Erfüllt das Thema die Vorgaben des Prüfungsamtes?102 ▪ Existiert ausreichend Material zu Ihrem Thema oder gibt es bereits so viel, dass das Thema nichts Neues mehr bietet? ▪ Steht Ihnen das notwendige Material rechtzeitig zur Verfügung?103
Wünschenswert ist ein interdisziplinärer Charakter der Arbeit entsprechend der Charakteristiken des jeweiligen Studiengangs.
99
vgl. Charbel 2006, 31 vgl. Charbel 2006, 36 ff. 101 vgl. Charbel 2006, 35 102 vgl. §2 Studienziel der jeweiligen Studienordnungen sowie § 24 Ausgabe, Abgabe, Bewertung und Wiederholung der Bachelorarbeit Abs. 1, 15 der jeweiligen Prüfungsordnungen: „Die Bachelorarbeit […] soll zeigen, dass der Prüfling in der Lage ist, innerhalb einer vorgegebenen Frist ein Problem aus seinem Fach selbstständig nach wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten. Dem Auftrag der Fachhochschule hinsichtlich des Praxisbezuges ist Rechnung zu tragen.“ 103 vgl. Charbel 2006, 39 f. 100
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens 6
57
Zeitplanung
Für die wissenschaftliche Abschlussarbeit steht nur begrenzt Zeit zur Verfügung. Zeit ist demnach der Engpassfaktor104 Nummer eins. Es gilt, die zur Verfügung stehende Zeit sinnvoll einzuteilen und zu nutzen. Werden Sie sich zuerst bewusst, was Sie alles tun müssen, um eine „ordentliche“ Arbeit abzugeben: Jeder Arbeitsprozess zur Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit lässt sich in mehrere Phasen unterteilen. Sie müssen das erforderliche Wissen ▪ erwerben ▪ vertiefen ▪ ergänzen ▪ speichern ▪ verarbeiten ▪ vermitteln
das notwendige Material ▪ finden ▪ sichern ▪ ausbauen ▪ erfassen ▪ aufbereiten ▪ zitieren
Schätzen Sie deswegen ein, wie lange die Bearbeitung der aufgeführten Arbeitsschritte dauern wird und legen Sie Fristen fest, bis zu denen Sie sie abgearbeitet haben wollen – berücksichtigen Sie dabei die Rahmenbedingungen 105: Welchen sonstigen Verpflichtungen müssen Sie nachkommen (z.B. Kinder, Haushalt, Haustiere versorgen), welchen wollen Sie nachkommen (z.B. Hobbys, Sport, Familie/Freundin). Legen Sie auch fest, in welcher Reihenfolge Sie die Abschnitte jeweils abarbeiten wollen. Berücksichtigen Sie dabei, ob Sie die Materialien, die Sie im Einzelnen brauchen werden, bis dahin beschaffen können. Insbesondere Fernleihe und Archivanfragen können recht lange dauern. Notieren Sie alle relevanten Angaben sorgfältig und übersichtlich. Anschließend sollten Sie Ihren Plan so platzieren, dass Sie ihn stets im Blick haben, denn das Wichtigste ist, dass Sie sich dran halten! Abbildung 3:
104 105
Arbeitsplaner für eine wissenschaftliche Arbeit (siehe folgende Seite)
vgl. Theisen 1995, 4 siehe auch Kapitel 1.2
58
Michaela Wied
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens 7
59
Recherche
7.1 Material sichten und auswählen Nachdem Sie in Kapitel 4 Grundlegendes über Formen wissenschaftlicher Literatur und Beschaffungswege erfahren haben, müssen Sie nun anfangen, Ihre individuelle Literaturliste für Ihre Arbeit zu erstellen. Überblick ist zum zielgerichteten Arbeiten notwendige Voraussetzung. Um geeignetes Material von vielleicht geeignetem und völlig ungeeignetem zu unterscheiden – und das in einer vertretbaren Zeit, erschließen Sie Texte bevor Sie sie lesen mittels: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Buchtitel, Inhaltsverzeichnis, Kapitelüberschriften, Vor- und Nachwort, Einführung, Zusammenfassung(en), Datum der Veröffentlichung.106
Prüfen Sie außerdem, ob die Quelle seriös ist. Mögliche Kriterien dafür sind: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Argumentationsweise/Schreibstil, Quellenangaben, Literaturverzeichnis, andere Fachliteratur, Verlag/Herausgeber, Aufmachung Persönlichkeit und Funktion von Ansprechpartnern bei persönlichen Auskünften.107
7.2 Dokumentation der Suche Da es sehr viele verschiedene Beschaffungswege und Fachterminologien gibt, nach denen Sie suchen müssen, um Literatur zu Ihrem Thema zu finden, sollten Sie Ihre Recherche dokumentieren: Einerseits bringt es Ihnen nichts, wenn Sie einen Beschaffungsweg aus Versehen zweimal auswerten, zum anderen sollten Sie auch Begriffe, die Erfolg versprechend sind, bei allen verfügbaren Beschaffungswegen überprüfen, also auch bei bereits erkundeten. Notieren Sie sich alle relevanten Informationen übersichtlich, um nicht durcheinander zu kommen.
106 107
vgl. Chevalier 1999, 65 ff. und Charbel 2006, 78 vgl. Charbel 2006, 78
60
Michaela Wied
7.3 Material ordnen und archivieren Bedenken Sie, dass während Ihrer Recherche eine Menge Daten und Papier anfallen werden. Lassen Sie gar nicht erst das Chaos ausbrechen, sondern nehmen Sie sich von der ersten Sekunde an die Zeit, recherchierte Quellen sowie Ihre Materialien ordentlich zu archivieren, indem Sie Relevantes notieren, kopieren, beschriften und systematisch abzulegen. Vergessen Sie nicht elektronische Daten zu speichern. Sichern Sie außerdem regelmäßig (am besten täglich) Ihre elektronischen Daten auf einer externen Festplatte o.ä. und bewahren Sie diese, wenn möglich, außer Haus auf (ein Brand bspw. würde andernfalls beide Datenträger zerstören). Sollte die interne Festplatte bzw. die Datei auf der Festplatte aus irgendeinem Grunde (Überhitzung, Viren, etc.) unbrauchbar werden, hat man keine wochen- und monatelange „Arbeit“ verloren, höchstens einen Tag – dank des Backups.
8
Bearbeitung
8.1 Material aufarbeiten Nachdem Sie die relevante Literatur ausgesiebt haben, geht es ans Auswerten: Bevor Sie lesen: Wenn Sie Ihre Quellen systematisch einzelnen Themengebieten zuordnen wollen, ist dies nicht immer dadurch möglich, dass Sie sie physisch an einem Ort zusammen abstellen/ -legen. Manche Bücher arbeiten verschiedene Aspekte aus, die Sie mal in dem einen, mal in einem anderen Kapitel abhandeln wollen. Um hier einen schnellen Zugriff auf alle relevanten Inhalte gewährleisten zu können, ist es möglich farbige Post-Its an die entsprechenden Seiten zu kleben, auf denen Sie – wenn nötig – noch ein oder zwei Stichworte notieren können. Lose Blätter (Kopien, einzelne Artikel aus Zeitschriften o.ä.) können Sie in einem Ordner entsprechend geordnet (Trennblätter, ABC-Register) abheften. Elektronische Daten sollten Sie in jeweils thematisch benannten Ordnern auf Ihrem PC abspeichern. Wenn Sie lesen: Verschaffen Sie sich zuerst einen genaueren Überblick über die nun angesammelte Literatur, von der Sie ja bereits wissen, dass sie für Sie relevant ist, indem Sie querlesen, die wichtigsten Aussagen exzerpieren108 und ggf. kommentieren. „Empfehlenswert ist es hierbei, den Text zunächst zu lesen und wichtige Passagen zu markieren, da die Kenntnis des gesamten Textes und der darin enthaltenen Argumentation die spätere Selektion festzuhaltender Passagen deutlich erleichtert.“109 Eine gezielte Markierung von wichtigen Textpassagen erleichtert nicht nur das konzentrierte Arbeiten an sich, sondern auch das Sich-Wieder-Einfinden in einen Text, nachdem man ihn für eine Zeit aus der Hand 108 Unter einem Exzerpt (Auszug) wird die Zusammenfassung eines Textes oder die Wiedergabe einer Textstelle verstanden, der um eigene Anmerkungen ergänzt werden kann. (Theisen 1995, 89 und Jacob 1997, 67) 109 Jacob 1997, 65–66
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
61
gelegt hat, um sich anderen Quellen zu widmen. Eine Zusammenfassung der Hauptaussagen, die Reduktion einer Quelle auf ihren Kern, fällt mit sinnvollen Markierungen sehr viel leichter.
8.2 Gliederung Die inhaltliche, innere Logik einer wissenschaftlichen Arbeit wird mittels ihrer Gliederung deutlich. Eine solide Struktur kann dadurch erreicht werden, dass das behandelte Thema in einzelne Teilblöcke/-aspekte zerlegt wird, deren Abfolge sich notwendigerweise bedingt. Diese Teilbereiche werden wiederum in ihre „Bestandteile“ zerlegt, so dass sich eine Gliederungshierarchie ergibt. Die Gliederung muss alle Aspekte Ihrer Arbeit berücksichtigen, d.h. sie muss das Thema vollständig erfasst haben. Sollten sich bei diesem Arbeitsschritt Teilbereiche des Themenkomplexes „einschleichen“, die nichts oder nur am Rande etwas mit Ihrem Untersuchungsgegenstand zu tun haben, streichen Sie sie wieder heraus. Die einzelnen Gliederungspunkte sollten – wenn möglich – ungefähr gleich umfangreich werden110.
8.3 Schreiben Gelesene Textpassagen seitenweise wörtlich abzuschreiben, bringt nicht sehr viel. Versuchen Sie vielmehr, die Argumentationsstruktur des Textes zu exzerpieren und nur wenige zentrale oder besonders typische Argumente wörtlich zu zitieren111. Am leichtesten schreibt sich ein Text, wenn Sie wissen, was drin stehen soll und den Zusammenhang zwischen jeder Ihrer Quellen untereinander und Ihren eigenen Gedanken vergegenwärtigt haben. Sollte Ihnen diesbezüglich die Übersicht fehlen, machen Sie sich die Zusammenhänge grafisch deutlich: Malen Sie Diagramme oder, wenn das schon zu schwierig ist, entwerfen Sie Mind-Maps und entwickeln Sie für sich eine Struktur112. Wenn Sie sich über Kausalketten und Argumentationshierarchien im Klaren sind, ist es viel leichter, einen Sinnabschnitt nach dem nächsten zu schreiben, also ein Kapitel nach dem anderen.
8.4 Korrekturlesen/Schlusslayout Nachdem Sie alle Bestandteile erstellt haben, betrachten Sie Ihre Arbeit nochmals unter den Gesichtspunkten Inhalt, Sprache, formale Aspekte und Layout. Prüfen Sie, ob Sie allen Anforderungen erfüllt haben.
110 111 112
Charbel 2006, 92 Jacob 1997, 67 vgl. Jacob 1997, 74–81
62 9
Michaela Wied Zitierrichtlinien
9.1 Grundsätzliches zur Übernahme fremden Gedankenguts In einer wissenschaftlichen Arbeit müssen Sie jegliches Gedankengut anderer Personen kennzeichnen und zwar vollständig und nachvollziehbar. Sie sind dazu immer dann verpflichtet, wenn Sie ▪ ▪ ▪
Aussagen Dritter wörtlich übernehmen oder sie mit eigenen Worten sinngemäß wiedergeben, grafische Darstellungen (z.B. Abbildungen oder Tabellen) originalgetreu einfügen oder in abgewandelter Form verwenden (ergänzt, gekürzt, etc.), „Gedanken, Thesen, Argumente aus den Aussagen anderer [Personen] ableiten und wenn Sie grafische Darstellungen auf der Grundlage von Aussagen anderer [Personen] erstellen (z.B. eine Zeichnung aufgrund einer Beschreibung anfertigen.)“113
Zählt eine Aussage eines Drittens zum Allgemein- bzw. fachlichem Basiswissen, so muss sie nicht als Zitat gekennzeichnet werden. Sollten Sie sich in einem Einzelfall einmal nicht sicher sein, ob Sie die Quelle kennzeichnen müssten oder nicht: Verweisen Sie lieber einmal zu viel als zu wenig. Bemühen Sie sich stets um die Originalquelle und begnügen Sie sich nicht mit der Wiedergabe fremden Gedankengutes, das Sie bei einem Dritten abgedruckt finden. Quellen zweiter Hand (sog. Second Hand-Quellen) sind zu vermeiden!
9.2 Umgang mit Quellen Um die Übersicht zu bewahren und Zeit zu sparen, sollten Sie mit Ihren Quellenverweisen genauso sorgsam umgehen, wie mit dem Material aus Ihrer Recherche. Es gilt: „Eine Quellenangabe muss verständlich, vollständig, eindeutig, kurz und sprachneutral sein.“114 Die vollständigen Angaben, die Sie für Ihre Fußnoten und Ihr Literaturverzeichnis benötigen, finden Sie auf einer der ersten Seiten eines Buches unter „CIP Einheitsaufnahme der Deutschen Bibliothek“, „bei Zeitschriften, Zeitungen, aber auch bei vielen Flugblättern, Prospekten etc. unter ‚Impressum’“115.
9.3 Umgang mit Zitaten Ein wörtliches Zitat wird grundsätzlich durch öffnende und schließende Anführungszeichen gekennzeichnet. Falls der übernommene Wortteil nicht länger als drei Zeilen ist, wird er 113 114 115
Charbel 2006, 119 Schneider 2005, 13 Charbel 2006, 129
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
63
i.d.R. in den Fließtext integriert. Längere Zitate werden jedoch vom restlichen Text durch ihre Formatierung abgehoben, indem Sie durch Leerzeilen vor und nach Beginn vom Fließtext getrennt werden und in einer kleineren und englaufenderen Schriftgröße gesetzt werden. Zitieren Sie stets im Sinne des Urhebers und fügen Sie die zitierten Passagen so, dass sie sich grammatikalisch problemlos in den Fließtext der Arbeit einfügen. In begründeten Fällen ist es natürlich möglich, Zitate zu kürzen oder sogar notwendig, sie mit Anmerkungen zu versehen. Auslassungen werden mit drei Punkten in eckigen Klammern ([…]) gekennzeichnet, einzelne Wortergänzungen ebenfalls – ohne ergänzenden Kommentar ([ergänzendes Wort]). Bedarf das Zitat einer kommentierenden Ausführung, wenn z.B. durch die gewählte Begrenzung nicht klar ist, auf welchen Begriff sich ein Objekt bezieht, so wird dieser Begriff in eckigen Klammern ergänzt und mit dem Hinweis „Anm. d. Verf.“ (= Anmerkung des Verfassers) versehen: [ergänzendes Wort, Anm. d. Verf.]. Geben Sie die (verbalen oder grafischen) Aussagen eines Dritten mit eigenen Worten wieder, stellen Sie der Kurzzitierweise ein „vgl.“ voran. Wird ein Autor in Ihrem Text direkt aufeinander folgend mehrfach mit der gleichen Quelle zitiert, so wird nur in der ersten Fußnote der bibliografische Verweis notiert, alle weiteren können mit „ebenda“ auf die Fundstelle verweisen. Bildzitate werden durch einen Quellenverweis am Ende ihrer Überschrift gekennzeichnet. Die optische Einbindung eines Bildzitates sollte dem Layout Ihrer eigenen Arbeit angepasst sein. Verändern Sie ein paar Kleinigkeiten einer Grafik, bleiben im Kern aber der Abbildung eines Fremden treu, so notieren Sie „in Anlehnung an“ vor der Quellenangabe.
9.4 Platzierung von Quellenverweisen Quellenverweise bilden die Grundlage zum Auffinden der verwendeten Quelle im Literaturverzeichnis. Die Verweise können unterschiedlich gestaltet sein: entweder als Fußnotenzeichen oder mittels einer Kurzbezeichnungen (= Einordnungsformeln). Fußnotenzeichen erscheinen als hochgestellte Nummern und verweisen auf Fußnoten, die stets am Ende derselben Seite des verweisenden Fußnotenzeichens stehen müssen. Fußnotenzeichen werden fortlaufend nummeriert, auch dann, wenn sich zwei Passagen hintereinander auf dieselbe Quelle beziehen). Einordnungsformeln werden hingegen in runde oder eckige Klammern in den Text eingefügt. Sie enthalten die gleichen Informationen, die in den Fußnoten stehen. Die Platzierung von Fußnotenzeichen und Einordnungsformeln ist identisch und richtet sich nach den folgenden Kriterien: Quellenverweise werden grundsätzlich hinter dem übernommenen Gedankengut in den Text eingefügt. Fassen Sie das fremde Gedankengut in einem Absatz zusammen, dann gehört der Quellenverweis hinter den letzten Punkt. Beschränkt sich Ihr Verweis auf einen Satz oder nur einen Teil eines Satzes, wird der Verweis vor das schließende Satzzeichen eingefügt. Nennen Sie den Verfasser in indirekter Rede oder bei Zitaten, können Sie den Verweis auch direkt hinter dessen Namen platzieren. Bezieht sich ein längerer Abschnitt oder gar ein ganzes (Unter)Kapitel auf eine Quelle, so sollten Sie dies zu Beginn deutlich machen, um den Leser nicht zu täuschen und ihn glauben zu lassen, es wären ihre eigenen Ausführungen. Formulierungen wie: „Nach Person xy“
64
Michaela Wied
oder „Folgende Thesen werden von Person x [„Einordnungsformel“] vertreten: …“ können Ihnen helfen, dieser Forderung nachzukommen. Ihre Quellengabe muss dabei überschaubar bleiben, um nachvollziehbar zu sein.116 Wenn Sie eine Textstelle Ihrer Arbeit durch mehrere Quellen belegen möchten, so führen Sie alle relevanten Quellen, sortiert nach deren Bedeutung hinsichtlich Ihrer Aussage, in der Fußnote an. Eine simple Aufzählung (Trennung durch Komma) ist genauso möglich, wie ein ergänzendes Verbindungswort, das Sie frei wählen können. Bei zitierten Abbildungen wird das Fußnotenzeichen ans Ende der Überschrift gesetzt. Das weitere Vorgehen ist zu Wortzitaten identisch. In den Fußnoten und in den Einordnungsformeln werden die Quellenangaben nur in Kurzform notiert. In der Kurzform müssen zwingend folgende Informationen enthalten sein: Nachname des Verfassers Erscheinungsjahr, Seitenzahl(en) Charbel 2006, 121 Charbel 2006, 121–130
Die oben verwendeten Satzzeichen sind an den jeweiligen Stellen verbindlich. Nachfolgend ergänzende Hinweise: ▪
▪
116 117
Nachname des Verfassers und/oder des Herausgebers ▪ es werden bis zu drei Verfasser genannt, sie werden mit einem Schrägstrich „/“ voneinander getrennt, alle übrigen werden mit „et al.“ angedeutet ▪ akademische oder sonstige Titel werden nicht genannt, ▪ Namenszusätze (z.B. „de“, „von“) werden vor dem Nachnamen notiert, ▪ ist der Verfasser unbekannt, wird der Herausgeber genannt; der Herausgeber wird nach dem Nachnamen mit dem Zusatz „(Hrsg.)“ gekennzeichnet, ▪ ist auch der Herausgeber nicht bekannt, schreibt man o.V. (ohne Verfasser), es sei denn, es handelt sich um Gesetzestexte oder Werke, die in der Fachliteratur immer mit Titel referenziert werden o.ä.117, ▪ mehrere Werke mit unbekanntem Verfasser werden durch Kurztitel oder Aufzählungszeichen (a, b, c) ergänzt, um sie unterscheidbar zu machen Erscheinungsjahr ▪ i.d.R. wird nur das Jahr angegeben; ist das Datum oder die Kalenderwoche von Bedeutung, so kann dies selbstverständlich ergänzt werden, ▪ die Jahreszahl wird ohne Satzzeichen (nur durch ein Leerzeichen getrennt) und vollausgeschrieben an den Nachnamen angeschlossen. ▪ Werke eines Verfassers, die im gleichen Jahr erschienen sind, werden mit Aufzählungszeichen (a, b, c) hinter der Jahreszahl (ohne trennendes Leerzeichen) voneinander unterschieden; die Nummerierung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge entsprechend der Titel, z.B. 2006a oder 2006b vgl. Charbel 2006, 121 f. vgl. Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 5
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
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▪
▪
lässt sich das Erscheinungsjahr nicht ermitteln, wird dies mit dem Kürzel „o.J.“ gekennzeichnet. Seitenzahl ▪ die Seitenangabe wird mit einem Komma an die Jahreszahl angeschlossen, ▪ die Angabe der Seitenzahl erfolgt in der Zählweise der vorliegenden Quelle (arabisch, römisch etc.) ▪ erstreckt sich die Quelle über mehrere Seiten, so nennt man die erste und ergänzt nachfolgend ein f. („folgende“, wenn es sich nur um eine Folgeseite handelt) oder ein ff. („fortfolgende“, wenn es sich um mehrere Folgeseiten handelt) oder gibt die Seitenzahlen als Ziffern mit einem Bindestrich (= Halbgeviert, ohne Leerzeichen zwischen den Zahlen und dem Strich) an, z.B. Althaus 2001, 5–7 oder Althaus 2001, 5 ff. ▪ ist die Seitenzahl nicht bekannt, wird „o.S.“ vermerkt
Sollten Sie – in Einzelfällen – nicht an die Originalquelle herankommen, die für Ihre Arbeit jedoch großen Wert hat, so verweisen Sie in der Fußnote deutlich auf diesen Umstand. Die Kurznotation lautet dann: Nachname des Verfassers Erscheinungsjahr, Seitenzahl(en) zitiert nach Nachname des Verfassers Erscheinungsjahr, Seitenzahl(en) Baerns 1985, 16 nach Röttger 2001, 288
Eine Besonderheit stellen Internetquellen dar. Aber auch bei Internetquellen sollte versucht werden, das obige Schema beizubehalten. Sollte das Erstellungsdatum der Internetseite nicht ersichtlich sein, so reicht auch das Datum des Abrufs.
9.5 Gestaltung des Literaturverzeichnisses Im Literaturverzeichnis werden nicht nur die referenzierten Titeldaten vollständig angegeben und nach bestimmten Kriterien sortiert, sondern alle benutze Literatur, auch jene, die in keiner Fußnote genannt wird, sofern sie für die Erstellung der Arbeit bedeutend war. Eine Gliederung des Literaturverzeichnisses erfolgt nach Rubriken (Art der Quellen). Die Reihenfolge der Rubriken ergibt sich aus der Publikationsform der Veröffentlichungen, grundsätzlich vom Gedruckten über elektronische Materialien hin zu „flüchtigen“ Quellen. Innerhalb der Rubriken kann das Literaturverzeichnis nach Publikationsformen unterteilt werden, sofern die Anzahl der verwendeten Quellen eine Gliederung auf zweiter Ebene aus Gründen der Übersichtlichkeit notwendig macht. Die Publikationsformen werden entsprechend ihrer Überarbeitungsintervalle bzw. des Erscheinungsrhythmus sortiert (siehe Bsp. unten). Die einzelnen Titel werden stets alphabetisch sortiert – egal ob es eine weitere Unterteilung der Rubriken gibt oder nicht.
66
Michaela Wied
1.
Bücher (selbstständig erschienene Publikationen, Sammelbände, Lexika, Periodika etc.), 2. Hochschulschriften (Habilitationsschriften, Dissertationen, Master-, Diplom-, Magister-, Bachelorarbeiten, Ordnungen etc.), 3. Sonstige Schriften (Firmenbroschüren, Forschungsberichte, Verwaltungsdokumente etc.), 4. Zeitschriften (wissenschaftliche, publizistische, Fach-, Kundenzeitschriften etc.), 5. Zeitungen (Wochen-, Tageszeitungen, Anzeigenblätter, Offertenblätter etc.), 6. Juristische Veröffentlichungen (Gesetze, Normen, Schutzrechte etc.), 7. elektronische Quellen (elektronische Enzyklopädien/Lexika, Programme/Software etc.), 8. Internetquellen (besonders relevante Homepages, Kataloge, Enzyklopädien/Nachschlagewerke, Webverzeichnisse, Suchmaschinen oder thematische Sortierung nach einzelnen Schlagworten), 9. Unveröffentlichte Quellen, 10. Schriftlicher Kontakt (Briefe, Faxe, E-Mails, etc.), 11. Persönliche Gespräche/Telefonate. Nicht jede Arbeit muss alle Rubriken aufführen – und nicht alle möglicherweise sinnvollen Rubriken sind hier genannt. Je nach Umfang oder Vorkommen überhaupt Publikationen verschiedener Art auch unter einem Stichwort zusammengefasst werden. Die optische Gestaltung des Literaturverzeichnisses sollte aber auf jeden Fall übersichtlich, einheitlich und schlicht gehalten sein. I.d.R. wird kein Textteil nur in Großbuchstaben oder Kapitälchen oder kursiv gesetzt. Machen Sie durch die optische Gestaltung des Literaturverzeichnisses Ihre Sortierung deutlich! Die im Literaturverzeichnis anzugebenden Informationen unterscheiden sich je nach Art der zitierten Quelle, vgl. dazu die nachfolgenden Teilkapitel.
9.5.1
Selbstständige Bücher und Schriften
Selbstständig erschienene Bücher und Schriften, wie z.B. Monographien, werden nach folgendem Muster zitiert: Nachname, Vorname/ggf. Nachname, Vorname (Hrsg.): Titel der Arbeit. ggf. Untertitel. ggf. Schriftenreihe, ggf. Band, ggf. Aufl., Erscheinungsort Erscheinungsjahr
Die oben verwendeten Satzzeichen sind die an den jeweiligen Stellen üblicher weise verwendeten. Nachfolgend einige Beispiele und ergänzende Hinweise. Kobayashi, Iwao/Watanabe, Atsushi/Hiwatashi, Yosuke et al.: Fallbeispiele zu Key 15. Mitarbeiter vielseitig qualifizieren. Interdependenzen zwischen Key 15 und den anderen 19 Keys. Bochum 2001
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
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Bruck, Peter A. (Hrsg.): Print unter Druck. Zeitungsverlage auf Innovationskurs. München 1993 Baerns, Barbara: Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus? Zum Einfluss im Mediensystem. Köln 1985
▪ ▪
▪
▪
▪
Hinweise zum Verfassers/ggf. Name des Herausgebers vgl. Kapitel 9.4 Hinweise zum Titel der Arbeit ▪ Der Punkt hinter dem Titel der Arbeit entfällt, wenn der Titel mit einem Satzzeichen endet. Hinweise zur Nennung der Auflage ▪ Die Auflage wird i.d.R. nur angeführt, sofern es sich nicht um die erste Auflage handelt. Erscheinungsort ▪ = Sitz des herausgebenden Verlags, ▪ bei mehreren Verlagsorten werden die ersten drei genannt, auf die anderen mit „et al.“ verwiesen. Erscheinungsjahr vgl. Kapitel 9.4
Auch Firmenschriften, Forschungsberichte, Verwaltungsdokumente und sonstige Werke zählen – sofern sie öffentlich zugänglich sind – zu selbstständig erschienenen Publikationen. Zusätzlich zu den allgemeinen Daten, die für eine Monographie angegeben werden müssen, sind ergänzende Hinweise anzugeben, die das Auffinden solcher Werke interessierten Lesern erleichtern. Bei Firmenschriften ist z.B. die Körperschaft (z.B. Firmenbezeichnung, Vereinsname) sowie die Firmenschrift-, Druck- bzw. Reportnummer anzugeben – sofern vorhanden. Nachname, Vorname/ggf. Nachname, Vorname (Hrsg.)/Bezeichnung der Körperschaft: Titel der Arbeit. ggf. Untertitel. ggf. Reportnummer, ggf. Schriftenreihe, ggf. Band, ggf. Aufl., Erscheinungsort Erscheinungsjahr
9.5.2
Nicht-selbstständig erschienene Quellen
Für nicht-selbstständig erschienene Quellen nennen Sie alle Hintergrundinformationen, die nötig sind, um die Quelle ausfindig zu machen118. Welche ergänzenden Hinweise i.d.R. erwartet werden, wird in den einzelnen, nachfolgenden Abschnitten erläutert, grundsätzlich gilt jedoch: Notieren Sie besser zuviel als zuwenig! Beiträge in Sammel- und Nachschlagwerken Nachname, Vorname: Titel der Arbeit. ggf. Untertitel. In: Nachname, Vorname (Hrsg.): Titel der Arbeit. gg. Untertitel. ggf. Schriftenreihe, ggf. Band, ggf. Aufl., Erscheinungsort Erscheinungsjahr, Seite(n) 118
vgl. Charbel 2006, 133
68
Michaela Wied Bentele, Günter/Liebert, Tobias/Seeling, Stefan: Von der Determination zur Intereffikation. Ein integriertes Modell zum Verhältnis von Public Relations und Journalismus. In: Bentele, Günter (Hrsg.)/Haller, Michael (Hrsg.): Aktuelle Entstehung von Öffentlichkeit. Konstanz 1997
Aufsätze in Zeitschriften und Zeitungen Nachname, Vorname: Aufsatztitel. ggf. Untertitel. In: Zeitschriften-/Zeitungstitel, ggf. Heftnummer/Erscheinungsdatum oder Jahrgang, Seite(n) Blasberg, Anita: Werbung als Redaktionstipp. In: journalist, Nr. 10/2004, 26–28 Gerhardt, Rudolf/Kepplinger, Hans Mathias/Maurer, Marcus: Klimawandel in den Redaktionen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.3.2005, 40
Sofern kein Autor oder Herausgeber vorhanden ist, kann auch folgende Notation verwendet werden: Der Spiegel, 48/2005, 197
Die oben verwendeten Satzzeichen sind die an den jeweiligen Stellen üblicher weise verwendeten. Die Erläuterungen des vorangegangenen Kapitels gelten entsprechend.
9.5.3
Juristische Veröffentlichungen
Gesetzestexte Gängige Gesetzestexte werden ohne Verfasser angegeben. Name des Gesetzes (idF v.119 Datum des Inkrafttretens), (genaue Beschreibung der Fundstelle:) §/Art. x Abs. y, (Satz) z Gesetz über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulgesetz – SächsHG) (idF vom 11. Juni 1999), § 1 Abs. 1, 1 GG (idF v. 21.12.1971), Art. 7
Möglich ist auch die maximale Reduktion: BGB (idF v. 16.7.1977), § 554 II, 2
119
idF v. = in der Fassung vom
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens
69
Hierbei ist darauf zu achten, dass der die Absatznummer in römischen Ziffern angegeben wird und die Satznummer als arabische Ziffer mittels eines Kommas an die Absatznummer angeschlossen wird. Bezieht man sich auf mehrere Paragraphen notiert man: HGB (idF v. 28.8.1969), §§ 64, 87c
Normen Auch Normen werden ohne Verfasser angegeben. Sie werden wie folgt zitiert: Norm x Teil y. Name der Norm; Name des Abschnittes Norm DIN 1505 Teil 2. Titelangaben von Dokumenten; Zitierregeln120
Schutzrechte Unter das Schlagwort Schutzrechte fallen alle Patentschriften, Gebrauchsmuster, Erfinderzertifikate u.ä. Man schreibt: Schutzrecht Identifikationsmerkmal (Erteilungsdatum/Veröffentlichungsdatum), Anmelder oder Inhaber, Prioritätsangabe: Aktenzeichen Anmeldedatum Schutzrecht DE 2733479-A1 (1979-05-15). Henkel. Pr.: DE 2733479 1977-07-25
9.5.4
Internetquellen
Bei Internetquellen sollte versucht werden, das obige Schema beizubehalten. ggf. Nachname des Urhebers, ggf. Vorname/Nachname des Verfassers, ggf. Vorname /Nachname des Herausgebers, Vorname: ggf. Titel des Dokuments/ggf. eigener Kurztitel, ggf. Datum der Erstellung oder des Bezugs, ggf. Art des Dokuments, ggf. ergänzende Hinweise, URL, Datum des Aufrufs
Da nicht immer alle Angaben zu ermitteln sind und dem interessierten Leser nicht unbedingt helfen, die Quelle ausfindig zu machen, ist bei der Angabe von Internetquellen der gesunde Menschenverstand gefragt – auch wenn Sie damit in Einzelfällen vom o.g. Schemata abweichen. Eine Reduktion der angegebenen Informationen auf die wesentlichen Bestandteile reicht aus, solange die Quelle damit eindeutig beschrieben und auffindbar ist. Als zwingende
120
Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 6
70
Michaela Wied
Bestandteile müssen immer die URL (= Uniform Resource Locator) sowie das Datum des Aufrufs der Seite genannt sein. Hummel, Volker: Pressemitteilung des DJV, 9. Juni 2005, http://www.djv.de/aktuelles/presse/ archiv/2005/druck-09a_06_05.shtml, 2.12.2005 Rau, Johannes: Medien zwischen Anspruch und Realität. Rede vom 5.6.2004, http://www.bundespraesi dent.de/dokumente/Rede/ix_95035.htm wurde offline genommen, seit Bundespräsident Köhler im Amt ist, deswegen zitiert nach http://www.netzwerkrecherche.de/presse/index.php?pageid=84, 4.12.2005
Wenn Sie feststellen müssen, dass die URL nicht eindeutig ist (z.B. weil sich beim Durchlaufen Ihres Suchpfades die Referenz nicht ändert), so nennen Sie die URL, die am Nahes-ten an Ihr Suchergebnis heranreicht und ergänzen Ihren Linkpfad, dem Sie gefolgt sind. Beispiel: Sie wollen auf die Praktikantenbörse der Homepage der Hochschule Mittweida verweisen, so lautet die Angabe im Literaturverzeichnis: http://www.hsmw.de/studium/ → Praktikantenbörse, 4. Juli 2006, da sich die URL leider nicht ändert, wenn man dem Link Praktikantenbörse folgt und man bei Angabe von http://www. hsmw.de/studium/ alleine eben nicht zu der Praktikantenbörse gelangt.
Sollte das Erstellungs- oder Bezugsdatum (siehe Beispiel unten) der Internetseite nicht ersichtlich sein, so reicht in Einzelfällen auch das Datum des Abrufs. Dieses muss jedoch auf jeden Fall genannt werden. Die URL sollte wenn möglich nicht getrennt werden, auch wenn dies zu typografisch hässlichen Darstellungen führen kann. Sollte eine Trennung doch zwingend erforderlich sein, so ist darauf zu achten, dass sich kein Trennstrich einschmuggelt, da Satzzeichen im Allg. oftmals Bestandteile von Internetadressen sind. Eine fehlerhafte URL kann von einem interessierten Leser nicht aufgerufen werden. Die Angabe der Seitenzahl entfällt bei Internetquellen selbstverständlich. ▪ ▪
▪
Nachname des Urhebers/Nachname des Verfassers/Nachname des Herausgebers ▪ Auswahl entsprechend der maximal möglichen Genauigkeit Titel des Dokuments/eigener Kurztitel ▪ sofern vorhanden, muss der Titel des Dokuments gewählt werden, ▪ bei fehlendem Titel kann ein eigener Kurztitel zur besseren Identifikation und schnelleren Erfassung des Inhaltes gewählt werden Art des Dokuments ▪ sofern möglich, sinnvoll oder hilfreich kann die Art des Dokuments benannt werden (s. Bsp. oben: Rau hat eine Rede gehalten – diese wurde vollständig „abgedruckt“. Es handelt sich somit um das Original und keine „Second Hand-Quelle“)
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens 9.5.5
71
Unveröffentlichte Quellen
Studentische Abschlussarbeiten Nur die wenigsten Abschlussarbeiten werden im Sinne einer Monographie eigenständig publiziert. Abschlussarbeiten sind auf jeden Fall (unveröffentlicht oder ausnahmsweise veröffentlicht) mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Dieser wird in der Notation hinter dem Titel bzw. ggf. dem Untertitel eingefügt. Nachname, Vorname/ggf. Nachname, Vorname (Hrsg.): Titel der Arbeit. ggf. Untertitel. Art der Abschlussarbeit, Name der Hochschule, ggf. Fachbereich, ggf. Schriftenreihe, ggf. Band, ggf. Aufl., Erscheinungsort Erscheinungsjahr Knödler, Torsten: Public Relations und Wirtschaftsjournalismus. Erfolgs- und Risikofaktoren für einen win-win. Dissertation, Universität Augsburg, Wiesbaden 2005
Eine Angabe des Studien-/Promotionsfachs sowie die Benennung der Hochschule ist möglich, aber nicht zwingend erforderlich.
Archivmaterial Bei unveröffentlichten Materialien aus Archiven wird deren Fundstelle so genau wie möglich notiert: ggf. Nachname, Vorname (Urheber): Titel der Materials. Name des Archivs = Fundort, Signatur, Ort Erstellungsjahr/ggf. (-datum) Auswanderzahlen aus dem Regierungsbezirk Minden. Staatsarchiv Detmold, MI. IA, 95–101, Detmold 2000121 Dokumentation und Interpretation der statistischen Kerndaten zum Studien- und Prüfungsverlauf1999–2005. Archiv der FH Mittweida – University of Applied Science, Mittweida 2005
Persönliche Gespräche/Telefonate Als Urheber sollte hier selbstverständlich die Person genannt werden, die Ihnen im Gespräch (persönlich oder telefonisch) die Auskünfte gegeben hat, die Sie nun in Ihrer Arbeit aufgreifen. Selbstverständlich ist es möglich, ein Schlagwort der Auskunft als Kurztitel zur leichteren Identifizierung zu wählen.
121
in Anlehnung an Niederhauser 2000, 29
72
Michaela Wied
Als ergänzende Hinweise sind außerdem die Funktion Ihres Gesprächspartners in und der (vollständige und korrekte) Name der Firma für die er arbeitet sinnvoll, sowie die Art der Informationsübermittlung (Telefonat, Rede, Interview, Gespräch etc.). Das Datum schließt diese Notation ab. Nachname, Vorname (ggf. Funktion/Firma): Stichwort. ggf. Art der Informationsübermittlung, Datum der Informationsübermittlung
Sollten Sie sich nicht sicher sein, ob Sie eine Aussage zitieren dürfen, fragen Sie den Urheber besser, bevor Sie Ärger bekommen!
Schriftlicher Kontakt (Briefe, E-Mails, Faxe, etc.) Seien Sie auch hier so genau wie möglich und geben mindestens folgende Daten an: Verfasser: Nachname, Vorname (ggf. Funktion/Firma), E-Mail-Adresse, Betreff. Empfänger: Nachname, Vorname des Empfängers (ggf. Funktion/Firma), E-Mail-Adresse, Datum
Handelt es sich um eine automatisch verfasste Nachricht, gemeint sind z.B. Newsletter, so versuchen Sie das o.g. Schema weitestgehend zu erfüllen. Statt des Verfassers ist der Herausgeber einzutragen. Sollte die Absenderadresse nicht angezeigt werden und nicht ermittelbar sein, so ist die Homepage zu nennen, auf der der Newsletter bestellt werden kann. In diesem Falle müssen alle für Internetquellen notwendigen Angaben (s.o.) notiert werden.
Sonstiges Handelt es sich bei den zitierten Quellen um Firmenschriften, Forschungsberichte oder Verwaltungsdokumente, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, handelt es sich selbstverständlich auch um unveröffentlichte Quellen. Die Richtlinien hinsichtlich der Zitierangaben sind identisch mit denen veröffentlichter Schriften (siehe Kapitel 9.5.1); sie werden lediglich im Literaturverzeichnis an einer anderen Stelle einsortiert.
9.5.6
Fremdsprachige Quellen
„Für die Literaturangaben zu fremdsprachigen Publikationen benutzt man i.d.R. die deutsche Begrifflichkeit […] Bei englischen Publikationen werden das erste Wort des Titels, das erste Wort des Untertitels sowie alle weiteren Wörter außer Artikel, Präpositionen, und Konjunktionen großgeschrieben.“122
122
Niederhauser 2000, 30
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73
Winchester, Simon: The Surgeon of Crowthorne. A Tale of Murder. Madness and the Oxford English Dictionary. London 1998
9.5.7
Fehlende Quellen
Verfolgen Sie einen Gedankengang, finden dazu jedoch keine Quellen in der entsprechenden Fachliteratur, so haben Sie die Möglichkeit Ihren Gedankengang eigenständig zu entwickeln und gleichzeitig auf die mangelhafte Quellenlage hinzuweisen, indem Sie Formulierungen wie „’xy kann aufgrund des heutigen Forschungsstandes nicht beantwortet werden.’ Derartige Feststellungen sollten Sie natürlich nur treffen, wenn Sie sich ganz sicher sind, …“123 Wenn Sie sich über die Lage nicht im Klaren sind, verweisen Sie besser auf Quellen, „in denen nichts zu finden ist, obwohl es naheliegend wäre, z.B.: ‚Weder in Handbüchern […] wird dieser Aspekt erwähnt noch …’“124.
10 Formatierungsrichtlinien Eine wissenschaftliche Arbeit muss bestimmten Gestaltungskriterien genügen125. Allerdings kann festgehalten werden, dass die Formatierungsvorgaben der meisten Hochschulbibliotheken recht antiquiert und dank der modernen PC-Technik als überholt anzusehen sind. Gegen eine optisch gefälligere Abschlussarbeit haben die Bibliothek meistens keine Einwände und Ihr betreuender Professor erst recht nicht. Einige formale Kriterien müssen aber zwingend eingehalten werden. Sofern diese nicht bereits in Kapitel 3 Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit erwähnt wurden, weil sie sich direkt aus den jeweiligen Inhalten der einzelnen Bestandteile einer wissenschaftlichen Arbeit ableiten lassen, sollen sie im Folgenden erläutert werden.
10.1 Äußere Form Alle Arbeiten sind mit dem PC zu verfassen. ▪
▪
123 124 125
Art des Papiers Verwenden Sie für Ihre Arbeit ausschließlich weißes oder milchiges Papier, dessen Grammatur im Bereich des „Normalen“ liegt, also bei mind. 70 g/m², besser 80 g/m² und max. 120 g/m² (beides, Papierfarbe und Gewicht, bezieht sich lediglich auf den Innenteil). Format Das Format ist i.d.R. DIN A4 Charbel 2006, 140 ebenda Wie nicht anders zu erwarten, ist auch die äußere Gestalt einer wissenschaftlichen Arbeit genormt, vgl. Anlage 6
74 ▪
▪
Michaela Wied Einband Das Umschlagsmaterial sollte robuster als der Innenteil gestaltet werden, dies gilt sowohl für den vorderen als auch für den rückseitigen Einbanddeckel. Die Bindung erfolgt linksseitig und muss langlebig sein – eine einfache Ringbindung entspricht dieser Anforderung nicht. Die Farbe des Umschlags können Sie meist frei wählen, solange die inhaltlich-formalen Kriterien berücksichtigt sind. Umfang Der Umfang von Bachelor- und Masterarbeiten wird im Wesentlichen durch die Erfordernisse bestimmt, die die jeweilige Fragestellung mit sich bringt. Die Fragestellung und somit der Umfang sollten in Relation zur Bearbeitungszeit (Bachelorarbeiten zehn Wochen, Masterarbeiten sechs Monate) stehen. Als Faustregel gilt: ▪ Bachelorarbeiten: 50–80 Seiten, ▪ Masterarbeiten: 80–150 Seiten exkl. Anhang. Thematisch bedingte Unter- oder Überschreitungen sind mit den Prüfern abzustimmen.
Bitte beachten Sie die speziellen Anforderungen Ihrer jeweiligen, gültigen Prüfungsordnung.
10.2 Fließtext Für den Textteil einer wissenschaftlichen Arbeit gilt, dass seine Formatierung den Lesefluss unterstützen muss. Zu diesem Zweck ist es angebracht, eine Schrift zu wählen, die das Auge des Lesers führt. „Die Verwendung einer Proportionalschrift126 ist einer Pica-Schrift (Schrift mit festen Abständen zwischen den einzelnen Buchstaben, z.B. Courier) vorzuziehen.“127 Die althergebrachte These, dass Serifenschriften grundsätzlich besser lesbar sind als serifenlose Schriften, kann angesichts einiger moderner serifenloser Fonts als überholt angesehen werden. Eine Auswahl der verwendeten Schrift muss mit Bedacht erfolgen. Grundsätzlich gilt, dass die verwendete Schrift im DIN A4-Format 2,0–3,5 mm hoch sein sollte128. Dies entspricht einer Größe von ca. 10–12 pt. Der Zeilenabstand sollte je nach Schrift zwischen 1 und 1,3 betragen. Die von den meisten Hochschulbibliotheken geforderten 1,5129 stammen noch aus der Zeit, in der man mit der Schreibmaschine Arbeiten tippte, was bei einem Zeilenabstand von 1 zu erschwerter Lesbarkeit führte. Eine Differenzierung zwischen 1 und 1,5 war nicht möglich. Durch den Computersatz ist dies jedoch machbar. Fußnoten werden ein oder zwei pt kleiner als der Fließtext und i.d.R. mit einzeiligem Zeilenabstand gesetzt. Es wird empfohlen im Blocksatz zu schreiben, da dies ein harmonisches Gesamtbild entstehen lässt (im Gegensatz zum Flattersatz). Silben müssen dabei jedoch zwingend ge126 127 128 129
Proportionalschriften gewähren jedem Zeichen nur die Breite, die es braucht Jacob 1997, 108 vgl. Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 4 vgl. Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 4
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trennt werden (ist bei vielen Textprogrammen automatisierbar), um allzu breite Wortabstände zu vermeiden. I.d.R. wird eine wissenschaftliche Arbeit nicht in mehreren Spalten pro Seite geschrieben, eine Zeile entspricht also der gesamtmöglichen Textbreite. Ausnahmen sind in begründeten Einzelfällen möglich. Zur besseren (inhaltlichen) Erfassung von Texten ist es sinnvoll Passagen, die zusammengehören auch als zusammenhängend zu kennzeichnen bzw. Trennungen vorzunehmen, wenn Textteile einen neuen Gedankengang aufnehmen. Dazu werden Absätze formatiert. Auch hier ist die Forderung der Hochschulbibliothek jeweils eine Leerzeile einzufügen130 antiquiert. Lesefreundlicher und optisch schicker wird der Text, indem man die erste Zeile eines neuen Absatzes um 0,7 bis 1,4 mm einrückt131. Nachdem Sie den Text formatiert und das Layout den Vorgaben und Ihren Vorstellungen angepasst haben, steht die optische Endredaktion an. Nachdem Sie Ihren Text inhaltlich fix und fertig haben (und erst dann!), sollten Sie folgende Dinge prüfen: ▪
▪ ▪ ▪
▪ ▪
▪ ▪
Seitenumbrüche: Stehen Überschriften mit weniger als drei Zeilen des nachfolgenden Textes auf einer Seite, werden sie mit einem automatischen Seiten- oder Abschnittswechsel auf die nächste Seite „geschoben“. Schusterjungen: Steht keine erste Zeile eines neuen Absatzes mehr alleine auf einer Seite, während der restliche Text des Absatzes auf die nächste Seite umgebrochen wird? Hurenkinder: Steht auch nirgends eine letzte Zeile eines Absatzes zugleich als erste Zeile einer neuen Seite? Trennungen: Sind alle manuellen sowie automatischen Trennungen korrekt und „schön“? Erlaubt wäre zwar „überschaubar“ „ü-ber-schau-bar“ zu trennen, aber ein Umbruch nach dem „Ü“ wäre aus typografischer Sicht sehr hässlich und hemmt den Lesefluss. Aufzählungen: Beginnen alle numerischen Aufzählungen mit der richtigen Ziffer? Kopf- und Fußzeilen: Soll jedes Kapitel eine eigene Kopfzeile erhalten? Haben Sie dann daran gedacht, jeweils Abschnitte einzurichten und diese voneinander unabhängig zu formatieren? Pagina: Sind die Seitennummern richtig formatiert? Ist die Seitenzählung durchgehend und vollständig? Verzeichnisse: Bevor Sie drucken, vergessen Sie nicht, die Verzeichnisse zu aktualisieren, damit alle Überschriften und Seitenzahlen stimmen.
10.3 Seitenzählung Die Seitenzählung umfasst alle Seiten Ihrer Arbeit. Der Textteil wird mit aufsteigenden arabischen Ziffern nummeriert. Vor- oder nachgestellte Seiten (bibliografische Beschreibung/ Kurzreferat, Verzeichnisse und Anhang) können mit römischen Ziffern durchgezählt werden. Einband und Titelseite werden nicht nummeriert (wohl aber mitgezählt!).
130 131
vgl. Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften 2005, 5 Die Einrückung ist abhängig von der verwendeten Schriftgröße.
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10.4 Grafiken Sofern möglich sollte die wissenschaftliche Abschlussarbeit durch Grafiken, sei es Tabellen, Diagramme, (selbst angefertigte) Abbildungen, Fotografien oder ähnliches ergänzt werden. Dabei ist auf die Sinnhaftigkeit zu achten: Ein grafisches Element erfüllt in solch einem Text keinen Selbstzweck, sondern ist stets zur Unterstützung oder eigenständigen Übermittlung des Inhaltes einzusetzen. Alle Grafiken sollten in einer Auflösung in den Text eingebunden werden, die es erlaubt, dass ein Leser sie als scharf wahrnimmt (am besten ca. 300 dpi). Wo immer es geht sollten Sie Vektor-Grafiken erhalten. Grafiken, die durch farbliche Gestaltung inhaltliche Aussagen transportieren, sollten auch in den gedruckten Exemplaren farbig dargestellt werden, andernfalls reicht eine graustufige Darstellung aus. Sämtliche Grafiken sind zu benennen und zu nummerieren. Ziel davon ist es, ▪ ▪ ▪
dem Leser eine schnelle Erfassung des Inhalts der Grafik zu ermöglichen, ein leichteres Auffinden (bei nichtlinearem Lesen der Arbeit) zu erlauben sowie die Bezugnahme auf die dargestellten Inhalte der Grafik im Text zu erleichtern.
Zwischen Bildlegende und Fließtext der Arbeit sollte ein deutlicher Abstand von mindestens 2,0–3,5 mm (= eine Leerzeile) eingefügt werden. Gleiches gilt für den unteren bzw. oberen Bildrand, der direkt an den Text angrenzt (abhängig von der Position der Bildlegende).
Literaturverzeichnis Bücher Charbel, Ariane: Schnell und einfach zur Diplomarbeit. Der praktische Ratgeber für Studenten. 5. Aufl., Nürnberg 2006 Chevalier, Brigitte: Effektiver Lernen. Mehr Textverständnis. Bessere Arbeitsorganisation. Prüfungen erfolgreich bestehen. Berufsstrategie, Frankfurt am Main 1999 Bäusch, Axel: Wissenschaftliches Arbeiten. Seminar- u. Diplomarbeiten. 4. Aufl., München/Wien 1995 Brauner, Detlef Jürgen/Vollmer, Hans-Ulrich: Erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten. Seminararbeit, Diplomarbeit, Doktorarbeit. Wissen kompakt, 2. Aufl., Sternenfels 2006. Burchardt, Michael: Leichter studieren. Wegweiser für effektives wissenschaftliches Arbeiten. 3. Aufl., Berlin 2000 Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 13. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2005 Eco, Umberto: Wie man eine wissenschaftliche Abschlußarbeit schreibt. Doktor-, Diplom- und Magisterarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften, 10. Aufl., Heidelberg 2003 (Originaltitel: Come si fa una tesi di laurea. Mailand 1977) Jacob, Rüdiger: Wissenschaftliches Arbeiten. Eine praxisorientierte Einführung für Studierende der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. WV-Studium – Sozialwissenschaften, Band 176, Opladen 1997
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Forssman, Friedrich/de Jong, Ralf: Detailtypografie. Nachschlagewerk für alle Fragen zu Schrift und Satz, Mainz 2002 Niederhauser, Jürg: Duden Die schriftliche Arbeit. Ein Leitfaden zum Schreiben von Fach-, Seminarund Abschlussarbeiten in der Schule und beim Studium. Literatursuche, Materialsammlung und Manuskriptgestaltung mit vielen Beispielen, 3. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2000 Peterßen,Wilhem H.: Wissenschaftliche(s) Arbeiten. Eine Einführung für Schüler und Studenten. 4. Aufl., München 1994 Stickel-Wolf, Christine/Wolf, Joachim: Wissenschaftliches Arbeiten und Lerntechniken. Erfolgreich studieren – gewusst wie! 3. Aufl., Wiesbaden 2005 Theisen, Manuel R.: ABC des wissenschaftlichen Arbeitens. Erfolgreich in Schule, Studium und Beruf. 2. Aufl., München 1995 Tschichold, Jan: Ausgewählte Aufsätze über Fragen der Gestalt eines Buches und der Typographie, 2. Aufl., Basel 1993 Willberg, Hans Peter/Forssman, Friedrich: Lesetypographie, Mainz 1997
Nachschlagewerke Brockhaus Enzyklopädie, Band 1, 19. Aufl., Mannheim 1992 Brockhaus Enzyklopädie, Band 14, 19. Aufl., Mannheim 1992 Duden - Das Fremdwörterbuch, Nr. 5, 7. Aufl., Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2001 Die Zeit. Lexikon in 20 Bänden. Leum–Mits. Band 9. Hamburg/Mannheim 2004 Die Zeit. Lexikon in 20 Bänden. Wahn–Zz. Band 16. Hamburg/Mannheim 2004
Hochschulschriften Fischer, Sabrina: Vom Produkt zur Marke – Vom Menschen zur Marke. Diplomarbeit, Hochschule Mittweida (FH), Fachbereich Medien, Mittweida 2005 Kreißig, Nadine/Meister, Ulrike/Schwarz, Thomas: Handbuch zum wissenschaftlichen Arbeiten. Belegarbeit Schreiben und Publizieren, Hochschule Mittweida (FH), Fachbereich Medien, Mittweida 2006 Hinweise zur Gestaltung von Hochschulschriften (Diplomarbeit, Masterarbeit u. dgl.) an der Hochschule Mittweida (FH), Stand 6. April 2005, Mittweida 2005 (erhältlich in der Bibliothek oder online unter http://www.htwm.de/hsb/Diplom/HinweisHS_Schriften.pdf) Antrag auf Zulassung zur Bachelorarbeit: http://www.htwm.de/medien/studium/pdfs/Zulassung/Zul_ Bachelor.pdf, 4. Juli 2006 Antrag auf Zulassung zur Masterarbeit: http://www.htwm.de/medien/studium/pdfs/Zulassung/Zul_ Master.pdf, 4. Juli 2006 Erfassungsbeleg für Hochschulschriften: http://www.htwm.de/hsb/Diplom/Erf_Beleg_Dipl.pdf, 4. Juli 2006
Prüfungsordnungen Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Medientechnik des Fachbereich Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2004
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Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Medienmanagement des Fachbereich Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2004 Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Angewandte Medienwirtschaft des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2004 Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Film-Fernsehen des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2004 Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Gesundheitsmanagement des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2005 Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang Business Management des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2005 Masterprüfungsordnung für den Studiengang Information and Communication Science des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2005 Masterprüfungsordnung für den Studiengang Industrial Management des Fachbereiches Medien der Hochschule Mittweida (FH), Mittweida 2005
Sonstiges Schneider, Doris: Unterlagen zum Seminar „Wie Profis im Internet und in Datenbanken recherchieren“ im Rahmen des High Potential Programms des Management Instituts Mittweida, Mittweida 7. Mai 2005
Internet – Hochschule Mittweida (FH) Lokaler Web-OPAC der HSMW: http://www.hsmw.de/hsb/ → Katalog Web-OPAC Übersicht über Datenbankzugriffe: http://www.hsmw.de/hsb/ → Datenbanken
Internet -- Kataloge u.ä. Bibliotheksverbund Bayern (BVB): http://bvba2.bib-bvb.de/V?RN=753081 80, 24. Juni 2006 Buchhandel.de: http://www.buchhandel.de/, 24. Juni 2006 Buchkatalog.de: http://buchkatalog.de/, 24. Juni 2006 Deutschen Bibliothek: http://z3950gw.dbf.ddb.de/, 24. Juni 2006 Gemeinsamer Bibliotheksverbund (GBV): http://www.gbv. de/vgm/, 24. Juni 2006 Elektronische Zeitschriftenbibliothek (EZB): http: //rzblx1.uni-regensburg.de/ezeit/, 24. Juni 2006 Hessisches Bibliotheks-Informationssystem (HEBIS): http://www.hebis.de/welcome.php, 24. Juni 2006 Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen: http://www.hbz-nrw. de/, 24. Juni 2006
Technik des medienwissenschaftlichen Arbeitens Kooperativer Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg (KOBV): http://www.kobv.de/deutsch/framesets/frameset_ns6.htm, 24. Juni 2006 Libweb: http://lists.webjunction.org/libweb/, tägliche Aktualisierung, 24 Juni 2006 Libweb Germany: http://lists.webjunction.org/libweb/Germany.html, 24 Juni 2006 Österreichischer Bibliotheksverbund: http://www.obvsg.at/, 24. Juni 2006 Schweizerischer Bibliotheksverbund: http://www.stub.unibe.ch/site.php?m=404, 24. Juni 2006 Südwestdeutscher Bibliotheksverbund: http://www2.bsz-bw.de/cms/, 24. Juni 2006 Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB): https://www. voebb.de/, 24. Juni 2006 Websis: http://webis.sub.uni-hamburg.de/, 24. Juni 2006
Internet – Webverzeichnisse/Suchmaschinen Dino-Online: http://webkatalog.dino-online.de/, 30. Juni 2006 Excite: http://www.excite.de/, 24. Juni 2006 Fireball: http://www.fireball.de/, 30. Juni 2006 Fireball-Hilfe: http://www.fireball.de/hilfe/, 30. Juni 2006 Google: http://www.google.de/, 24. Juni 2006 Google-Support: http://www.google.de/support/bin/topic.py?topic=352, 24. Juni 2006 Lycos-Suche: http://www.lycos.de/suche/, 24. Juni 2006 MetaGer: http://meta.rrzn.uni-hannover.de/, 6. Juli 2006 Web: http://www.web.de/, 30. Juni 2006 Yahoo: http://de.yahoo.com/, 24. Juni 2006 Yahoo-Help: http://eur.help.yahoo.com/help/de/ysearch/basics/basics-04.html, 30. Juni 2006 Yahoo-Search: http://de.search.yahoo.com/dir?ei=UTF-8&p=, 30. Juni 2006
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Michaela Wied
Internet -- Nachschlagewerke u.ä. Britannica.com: Encyclopædia Britannica. http://www.britannica.com/, Stand 2006, 24. Juni 2006 Brockhaus.de: Enzyklopädie Brockhaus. http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/, Stand 2005–2006, 24. Juni 2006 Microsoft Encarta: http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_761557105/Wissenschaft.html, Stand: 2006, 4. Juni 2006 Xipolis – Online-Bibliothek des Wissens: http://www.xipolis.net/, 24. Juni 2006 Wikipedia: Bibliotheksverbünde in Deutschland: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Bibliotheksverb.C3.BCnde_in_Deutschland, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006, Südwestdeutscher_Bibliotheksverbund: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#S.C3.BCdwestdeutscher_Bibliotheksverbund_.28SW B.29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Gemeinsamer_Bibliotheksverbund http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Gemeinsamer_Bibliotheksverbund_.28GBV.29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Hochschulbibliothekszentrum: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Hochschulbibliothekszentrum_.28hbz.29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Bibliotheksverbund_Bayern: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Bibliotheksverbund_Bayern_.28BVB.29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Kooperativer_Bibliotheksverbund_Berlin-Brandenburg http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Kooperativer_Bibliotheksverbund_Berlin-Brandenburg _.28KOBV.29 Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Hessisches_Bibliotheks-Informationssystem: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Hessisches_Bibliotheks-Informationssystem_.28HEB IS.29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Verbund der öffentlichen Bibliotheken Berlins: http://de.wikipedia.org/wiki/HBZ-NRW#Verbund_der_.C3.96ffentlichen_Bibliotheken_Ber lins_28V.C3.96BB. 29, Stand: 25. Juni 2006, aufgerufen am 30. Juni 2006 Karlsruher Virtueller Katalog: http://de.wikipedia.org/wiki/Karlsruher_Virtueller_Katalog, Stand: 11. Apr 2006, abgerufen am 30. Juni 2006
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Uni Essen: Hermeneutik. http://www.uni-essen.de/einladung/Vorlesungen/hermeneutik/main.html,5. Juli 2006
Wikipedia: Hermeneutik. http://de.wikipedia.org/wiki/Hermeneutik, 5. Juli 2006
3 Journalistik und Publizistik
Schreiben um zu informieren – Journalistische Darstellungsformen im Überblick Andreas Wrobel-Leipold
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Die Nachrichten-Springflut
Medien leben von Tauschgeschäften. Sie bieten Nachrichten und erhalten im Gegenzug die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten, die sich wiederum bei den Werbekunden in bare Münze umsetzen lässt. Der Rezipient sucht Nachrichten, sei es zur Unterhaltung oder weil er sie als Orientierungs- oder Entscheidungshilfe braucht. Nachrichten gibt es heute in Hülle und Fülle. In den letzten 30 Jahren wurden mehr Informationen gewonnen als in den 5.000 Jahren zuvor, eine Werktagausgabe der New York Times enthält mehr an Information als der Mensch des 17. Jahrhunderts in einem ganzen Leben aufnahm, die Zahl der Internetseiten geht in die Milliarden.
Aufmerksamkeit – ein Wirtschaftsgut Aufmerksamkeit ist dagegen ein knappes Gut. Der Tag hat, wie vor 5.000 Jahren auch, nach wie vor nur 24 Stunden. Eine gute halbe Stunde davon beschäftigt sich der Durchschnittsrezipient mit der Zeitung und 44 Minuten mit dem Internet1, den beiden Medien um die es hier vorrangig gehen soll. Das Angebot an Nachrichten steht also in einem krassen Missverhältnis zum Zeitbudget ihrer potentiellen Nutzer und wer nicht allein zur Selbstverwirklichung schreibt, der steht vor einem ernsten Problem: Wie bringe ich die Leute dazu, ihre Aufmerksamkeit ausgerechnet meiner Botschaft zu widmen? Diese Frage hat bis zur Erfindung des Internet vorrangig Journalisten betroffen, heute ist jeder angesprochen, der Aufmerksamkeit will. Im Netz kann jeder zum Produzenten von Inhalten werden. Zwar lassen sich hier die Zielgruppen haarfein segmentieren, so dass praktisch jeder sein Publikum finden kann, doch ließe sich oft wesentlich mehr Aufmerksamkeit erzeugen: 90% der User nennen „Text“ als bevorzugten Medientyp!2 Wer nicht nur exklusiv für seine Community schreiben will, der sollte ein paar Handwerksregeln berücksichtigen. Handwerksregeln, die ursprünglich für die Zeitung entwickelt wurden, und um die es im Folgenden geht. Wie gut man mit ihnen beraten ist, zeigt der Umstand, dass sich gerade „klassische“ Printprodukte in ihrer online-Version hervorragend positionierten: Spiegel-online, 1
Media Perspektiven 2005, S.64 0 Hess, Thomas: User Generated Content – Zwischen Hype und Trend. Referat auf der Fachtagung „User Generated Content und die Strategien von Medienunternehmen“, Hohenkammer, 21, Februar 2008
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sueddeutsche.de & Co. entlasten den Rezipienten durch Selektion und Strukturieren von Themen und deren journalistisch kompetente Aufbereitung. Man weiß, was wo geboten wird – wie bei der Zeitung. In Zeiten der Nachrichten-Springflut eine wichtige Hilfe. Während Radio und Fernsehen vielfach Hintergrundmedien sind, die man nutzt, während man einer anderen Tätigkeit nachgeht und deren Inhalte man so nehmen muss, wie sie kommen („lineare Nutzung“), widmet man sich Zeitung und Netz bewusster, aktiver. Der Leser/User kann sich seine inhaltlichen Schwerpunkte selbst aussuchen. Zeitungsleser haben ihre ganz bestimmten Vorlieben, beginnen z.B. mit dem Lokalteil, bleiben mit dem Auge an einer Überschrift im Wirtschaftsteil hängen, den sie sonst überblättern und enden bei der großen Politik– oder umgekehrt. Diese Nachrichtenselektion gilt erst recht für das Netz: Websites werden überwiegend am Arbeitsplatz aufgerufen. Für gemütliche Lektüre ist also wenig Zeit vorhanden. Das Netz ist ein pull medium, d.h. hier wird in der Regel ganz gezielt nach Informationen gesucht, hier will man besonders schnell wissen, was Sache ist. Kommt die eigentliche Nachricht erst in Zeile 7, dann hat der User schon längst weitergeklickt, Google liefert ja hinreichend Alternativen. Scrollen schreckt ab. Untersuchungen haben herausgefunden, dass mehr als drei Viertel aller User eher weiterklicken, als Texte so lange zu scrollen, bis sie schließlich das finden, was sie suchen3. Und: Selbst der größte Bildschirm vermittelt auf einen Blick weit weniger Informationen als eine Zeitungsseite. Dementsprechend erfordert Schreiben für das Netz eher noch mehr Knappheit und Konzentration auf das Wesentliche als bei der Zeitung. Natürlich lassen sich Links setzen, in denen dann ausführlicher geschrieben werden kann, aber erst einmal kommt es darauf an, den Leser auf den Link zu locken.
2
Leser finden, Leser binden: Die Themenauswahl
„News is what’s different“ lautet eine erste Regel für die Themenauswahl. „News“ kommt bekanntlich von „neu“. „Neu“ ist alles, was der Leser wahrscheinlich nicht eh schon weiß – und hier lassen sich durchaus auch historische Ereignisse verwerten: „Titanic-Untergang: Es war Sabotage“ – das wäre durchaus News. Auch wenn die Katastrophe schon 1912 stattfand, immerhin glaubte man gut 100 Jahre an einen Eisberg. „Different“ heißt schlicht „anders“. Potentielles Thema ist ergo alles, was nicht alltäglich ist. Das Nicht-Alltägliche herauszufiltern, das ist der Job eines Journalisten. Zuweilen geht das ziemlich einfach – um die Nicht-Alltäglichkeit von Schiffskatastrophen, Fünflingsgeburten oder Bundestagswahlen abschätzen zu können, braucht es nun wirklich kein Volontariat. Wie sieht es aber aus, wenn nun gar nichts passiert oder sich die Dinge wie in einer Zeitschleife wiederholen?
3
Journalism and Mass Communication Quarterly, Spring 2006, p.126
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Thema ist, was nahe ist. Thema ist, was nahe geht. Der Mensch, so sagt die Sozialpsychologie, nimmt besonders aufmerksam Dinge wahr, die er in seinen persönlichen Erfahrungshorizont einordnen kann. Journalistisches Arbeiten heißt also, die Dinge so aufzubereiten, dass sie den Erfahrungshorizont der jeweiligen Zielgruppe treffen. Journalisten denken quasi mit anderer Leute Kopf: Was ist dem Rezipienten nahe? Was geht ihm nahe? Bei Steuererhöhungen, Verbrechen und Katastrophen kann das vorab unterstellt werden, weitaus öfter wird es aber darauf ankommen, Nähe erst einmal zu suchen und dann im Text zu vermitteln. Wie unterschiedlich Nähe vermittelt werden kann, sei an zwei Artikeln demonstriert: Beide erschienen am gleichen Tag in der gleichen Zeitung4, in beiden geht es um das gleiche Thema: Wirtschaftsteil: An der Zukunft des defizitären Musikbereichs hat sich in den vergangenen Wochen auf der obersten Führungsebene von Bertelsmann ein Konflikt entzündet, der offenkundig auch auf grundsätzliche Meinungsunterschiede über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens hinweist. Der Aufsichtsratsvorsitzende Gerd SchulteHillen hatte sich am Mittwoch gegen die geplante Fusion der Bertelsmann-Musiktochter BMG mit Sony Music gestellt. Offenbar favorisierte er nun einen Komplettverkauf dieser Sparte, die im vergangenen Jahr gut 14 Prozent zum Konzernumsatz beigetragen hat – mit deutlich sinkender Tendenz (…)
Medienseite: Vor einigen Wochen gab Liz Mohn, die sich verdient gemacht hat um die Opfer von Schlaganfällen, ein Charity-Dinner in Berlin. Am Tisch von Mrs. Bertelsmann, der Königinmutter von Gütersloh, saßen ihr Lieblingsfriseur und auch Sabine Christiansen; vom Aufsichtsrat des der Mohn-Familie gehörenden Bertelsmann-Konzerns war aber schon nicht mehr dessen Vorsitzender Gerd Schulte-Hillen vertreten. Dort parlierte vielmehr sein Nachfolger in spe: Der Ex-Thyssen-Chef Dieter Vogel. Am Mittwochabend, 18:02 Uhr, war dann endgültig und offiziell Schluß für den langjährigen Konzernmanager Schulte-Hillen, den sie „Bela“ nennen (…)
Der Aufmerksamkeitsfaktor „Nähe“ hat verschiedene Dimensionen: 2.1 Zeit-Nah Zeit-Nähe zum Thema verspricht schon allein deshalb Aufmerksamkeit, weil sie Informationen in konkret anwendbares Wissen umsetzen lässt. Durch „Online always“ steht dazu erstmals ein Medium zur Verfügung, das nahezu in Echtzeit rund um die Uhr verfügbar ist. Wer erst mit Verspätung von einem möglichen Kurssturz an der Börse oder auch nur von einem geänderten Termin der Müllabfuhr erfährt, kann weder rechtzeitig seine Aktien abstoßen noch die volle Tonne vor das Haus stellen – und wird sich künftig anderswo informieren. 4
Süddeutsche Zeitung vom 21. November 2003
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Zeitnähe hat natürlich auch ihre Tücken, weil Schnelligkeit nicht selten zu Lasten einer gründlicheren Recherche geht. Gerade online always verführt nicht selten dazu, sich beim Wettlauf um Aufmerksamkeit auf Dubioses einzulassen. Es müssen ja nicht einmal Fakes sein. Unter Berufung auf die online-Ausgabe des Focus machte z.B. folgende Meldung bayernweit Furore: Bayerns junge Autofahrer verursachen im bundesweiten Vergleich die meisten Verkehrsunfälle. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes sind die 18- bis 24-jährigen aus dem Freistaat rund doppelt so häufig in Unfälle verwickelt wie ihre Altersgenossen aus Berlin oder Bremen. Die jungen Bayern verursachen je 100.000 Einwohner 1.804 Unfälle …
Stimmt. Ist aber trotzdem falsch: In den Stadtstaaten fahren die Youngsters mehr Bus und Bahn als im Flächenstaat Bayern, aussagekräftig wäre allenfalls eine Berechnung nach gefahrenen Kilometern. Die hier gegebene Information ist keine, sondern schlicht eine Binsenweisheit. Auch unter Zeitdruck sollte eine alte amerikanische Journalistenregel nicht ganz vergessen werden: If your mother says she loves you – check it out.
2.2 Gesundheit, Sex und Geld Eine zweite Dimension von Nähe ist die des Rezipienten zu sich selbst. In diese Ebene gehören z.B. das Sexualleben, die Gesundheit oder der Geldbeutel. Das geht jedem nahe, das passt buchstäblich in jeden Erfahrungshorizont. Wie sich Aufmerksamkeit damit notfalls um acht Ecken herum konstruieren lässt, machte die Bild-Zeitung im August 2005 vor: Der August ist eine nachrichtenarme Zeit, alle Welt ist da in den Ferien. Wissenschaftler der Universität Rostock hatten nun einen bisher unbekannten Fischparasiten entdeckt. Außer Biologen und Fischern interessieren sich wohl herzlich wenige Leute für Würmer. Drum formulierte Bild „Der Wurm, der dauernd Sex hat“.5 Der diplozoon nipponicum ist nämlich ein hermaphroditus verus – aber wem wäre das nahe gegangen? Nicht von ungefähr haben Medien, die sich bevorzugt mit diesem Erfahrungshorizont befassen eine sehr hohe Verbreitung. Ein weiteres plastisches Beispiel, wie die Nähe des Rezipienten zu sich selbst zwecks Generieren von Aufmerksamkeit instrumentalisiert werden kann, bot die Vogelgrippe: Die Zahl der Infizierten war minimal, die Gegenmaßnahmen eher ein Ausdruck der absoluten Ohnmacht. Wer die Insel Rügen verließ, musste mit dem Auto durch ein Desinfektionsbecken; leider benutzen Vögel selten Kraftfahrzeuge. Gleichwohl entfachte die Vogelgrippe eine regelrechte Medienhype. In Zeiten der Fernreisen und der Globalisierung konnte sich jedermann betroffen fühlen und nach Orientierungswissen zur Vorbeugung suchen. Außerdem griff hier wieder die Regel „News is what’s different“ – und verschob damit alle objektiven Dimensionen von Aufmerksamkeit: Durch Vogelgrippe kam bei uns niemand zu Tode – aber allein Haushaltsunfälle starben 2006 in Deutschland 6455 Menschen. Nur ist das wohl zu alltäglich, um der Regel „News is what’s different“ zu genügen. 5
Bild, Ausgabe Mecklenburg-Vorpommern, 8. August 2005
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2.3 Räumliche Nähe Eine dritte Dimension bildet die räumliche Nähe zum Ereignis. Orte und Personen, die hier vorkommen, gehören zum engeren Erfahrungshorizont des Rezipienten, dementsprechend sind die Lokalseiten der Tageszeitung auch die, denen die Medienforschung die höchste Aufmerksamkeit bestätigt: Das Freisinger Tagblatt z.B. beglückte seine Leser am 2. Mai 2003 mit sage und schreibe 17(!) Bildern und Berichten vom Maibaum-Aufstellen in verschiedenen Gemeinden des Landkreises. Die Kollegen von der wesentlich dünneren Lokalausgabe der Süddeutschen brachten es immerhin noch auf deren fünf … wie stets am ersten Werktag im Mai. Der Grund liegt darin, dass diese – auf gut norddeutsch – „blau-weißen Masten“ ein Symbol ländlichen Bürgersinnes sind. Hier haben die Leute gemeinsam was auf die Beine gestellt und sind darauf stolz: Nähe wiegt schwerer als „News is what’s different“. Räumliche Nähe verschiebt also objektive Dimensionen: Der Blechschaden vor der eigenen Haustür findet mehr Aufmerksamkeit als eine Flugzeugkatastrophe in einem fernen Land.
2.4 Emotionale Nähe Dimension Nr. 4 ist die emotionale Nähe zum Thema: Sind unter den Opfern besagter Flugzeugkatastrophen Landsleute, so steigt die Aufmerksamkeit schlagartig. Landsleute, sprechen die gleiche Sprache, haben den gleichen Hintergrund. Kurz, man fühlt sich ihnen emotional weitaus näher, als „irgendwelchen Fremden“. Ein Londoner Zeitungsmagnat formulierte für seine Redakteure vor bald einhundert Jahren folgende Handlungsanweisung: „Nachrichtenwert haben ein toter Brite, zehn tote Franzosen oder 100 Deutsche“. Wie aktuell diese zynische Regel heute noch ist, beweist die gegenwärtige Irak-Berichterstattung. Tote Irakis erscheinen allenfalls als anonyme Zahlen in Kurzmeldungen, bei Opfern anderer Nationalität mag schon eine leichte Verletzung genügen, um in den jeweiligen Heimatländern eine umfangreiche Berichterstattung auszulösen. Der Aufmerksamkeitsfaktor „emotionale Nähe“ gilt erst recht dann, wenn es um etwas geht, das man „richtig lieb haben“ kann, mit dem man sich identifizieren mag: Kinder, Prinzessinnen, Stars oder süße Eisbär-Babies. Sinngemäß Gleiches gilt auch für Negativ-Figuren. Der abstrakte Dachbegriff „Sozialhilfemissbrauch“ machte z.B. erst richtig Furore, als es der Bild-Zeitung gelang, ihn mit einem Emotionsobjekt zu verbinden, ihn zu personalisieren. Dank „Florida-Rolf“, einem Frührentner, der sich eine Gesetzeslücke zu Nutze mache, um auf Kosten des deutschen Steuerzahlers in Florida ein schönes Leben zu führen. Am 16. August 2003 berichtete Bild erstmals, bereits zum 1. Januar 2004 wurde die Gesetzeslücke geschlossen.
2.5 Nähe zum Objekt Eine weitere Dimension ist die der Nähe zu einem Objekt wie dem Beruf, dem Hobby oder einer ganz konkreten Fragestellung. Sie liefert Themen für fachspezifische Informationen,
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wie z.B. die Wissenschaftsseite, den Sport- oder den Wirtschaftsteil der Tageszeitung. Im Netz können solche Informationsangebote auf wesentliche engere Gebiete eingegrenzt werden. Rezipienten sind einerseits Fachleute mit hohem Informationsniveau, aber auch Laien, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen. Journalistische Arbeit für ein so heterogenes Publikum ist ausgesprochen heikel, denn wie lässt sich Nähe herstellen ohne die einen zu unter- und die anderen zu überfordern? Angenommen wir suchen Informationen zum Thema „ärztliche Kunstfehler“ und finden dazu den Pressetext einer Krankenkasse: (München, den 24.April) Am Dienstag, den 23. April lud die Y-Krankenkasse, Landesvertretung Bayern, Ärzte und Juristen, Patienten und Krankenkassen, Betroffene und Interessierte zu einer Fachtagung ins Ärztehaus. Unter dem Motto „Qualitätsverbesserung im Arzt-Patienten-Verhältnis am Beispiel Behandlungsfehler“ referierten und diskutierten zahlreiche Redner und Besucher zu diesem spannenden Thema. Dr. Karl N. vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen stellte in seinem medizinischen Einführungsvortrag in anschaulichen Beispielen die Vielfalt möglicher Behandlungsfehler vor. Es muss nicht die berühmte Schere sein, die in der Bauchhöhle vergessen wurde – schon eine falsche Diagnose oder unzureichende Aufklärung über die Risiken einer Operation können für den Patienten schwerwiegende Folgen haben. Uwe M. von der Y- Krankenkasse beschrieb deren Unterstützung für ihre Versicherten im Falle eines Behandlungsfehlers.
Analysieren wir den Text mal der Reihe nach: Geht einem das Datum irgendwie nahe? Wohl kaum, allenfalls der 1. April hätte uns hoffen lassen, womöglich etwas Unterhaltsames zu finden. Die Gästeliste? Eine anonyme Aufzählung. Der Titel der Veranstaltung? Ein Dachbegriff! „Qualitätsverbesserung im Arzt-Patienten-Verhältnis“ ist ebenso technokratischdistanziert wie der „Behandlungsfehler“. Der erste Absatz vermittelt also weder anwendbares Wissen noch Nähe, ist also schlicht verschenkt. Gleiches gilt für den folgenden Satz. Also: 68 Worte ohne informativen Nährwert für Experten und Laien. Erst im zweiten Satz des zweiten Absatzes kommt ein Stichwort, das einem nahe geht: „Die Schere, die in der Bauchhöhle vergessen wurde“. Was das für Folgen haben kann, lässt sich nämlich auch mit sehr beschränktem Erfahrungshorizont ausmalen, bewirkt Bilder im Kopf. Etwas professioneller, Rezipienten-näher, hätte der Text so aussehen können: München. Die OP-Schere in der Bauchhöhle, die ein Chirurg dort vergessen hat, ist nur ein mögliches Beispiel für ärztliche Behandlungsfehler. Schon eine falsche Diagnose oder unzureichende Aufklärung über die Risiken einer Operation können für den Patienten schwerwiegende Folgen haben. Um Themen wie diese ging es bei der Fachtagung „Qualitätsverbesserung im Arzt-Patienten-Verhältnis am Beispiel Behandlungsfehler“. Ins Ärztehaus eingeladen hatte die Y-Krankenkasse (mehr>>)
Beim Schreiben für das Netz hätten wir jetzt immerhin einen Teaser und könnten auf die Manuskripte der Referenten verlinken. Für die Zeitung wäre nicht viel mehr aus dem Urtext herauszuholen gewesen, denn anstatt vage von „anschaulichen Beispielen“ oder der „Unter-
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stützung für ihre Versicherten“ zu schreiben, wäre es auf konkrete Fälle und deren Lösung angekommen. Genau diese hätte ein professioneller Berichterstatter auch notiert.
2.6 Nahe ist ... was die Kollegen schon gebracht haben Medien inspirieren andere Medien. Die überregionalen schauen auf die internationalen und die regionalen auf die nationalen Leitmedien und im Lokalteil schauen die Macher auf das, was andere Lokalteile machen. „Spuren von Kokain auf den Toiletten das Deutschen Bundestages?“ Was ein deutscher Privatsender zu enthüllen glaubte, inspirierte noch Jahre später italienische Kollegen dazu, mal im römischen Parlament nachzuforschen. Die Sache hat durchaus System, ist doch z.B. bei einer großen deutschen Boulevardzeitung eine ganze Etage von Mitarbeitern ausschließlich damit beschäftigt, Medien weltweit nach brauchbaren Themen zu durchforsten. So kommt es keineswegs selten vor, dass man in großen Tageszeitungen Sachen findet, die so oder ähnlich z.B. schon im Economist oder in der New York Times zu finden waren, oder Lokalblätter Themen „heimatnah“ aufbereiten, die zuvor bundesweit Furore gemacht haben. Als Anfang 2003 ein verwirrter junger Mann ein Kleinflugzeug klaute, damit um die Wolkenkratzer im Frankfurter Bankenviertel flog und bestürzende – aber falsche – Analogien zum 11. September heraufbeschwor, war kaum ein Flugsportverein mehr vor Lokaljournalisten sicher: „Sind die Flieger bei uns auch gut weggesperrt ? Kann so etwas auch bei uns passieren ?“ Ähnliches trug sich zu, als ruchbar wurde, dass Berliner Politiker ihre auf Staatskosten erflogenen Bonusmeilen privat nutzten. „Bonusmeilen-Affäre jetzt auch in X-Stadt“ titelte ein Niederbayerisches Anzeigenblatt – und deckte mutig auf, dass die Stadträte umsonst ins städtische Hallenbad durften... Das „Abkupfern“ von Themen bzw. die Konstruktion von Analogien ist zwar nicht unbedingt originell aber sehr praktisch und erfolgversprechend. Wer mit ihnen arbeitet, braucht nicht viel zu erklären, – das Thema ist ja bereits eingeführt, – und kann damit rechnen, dass das Publikum bereits motiviert ist, sich mit dem Gegenstand zu beschäftigen – und Motivation lässt Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft deutlich ansteigen. Ähneln sich die Rezipienten, dann gilt auch „was den einen nahe geht, betrifft mit einiger Sicherheit auch die anderen“, ohne dass die Gefahr bestünde, dass all zu viele Leute zwei Medien gleichermaßen intensiv konsumieren und mit dem aufgebrachten Ruf „geklaut!“ das Abo kündigen würden. Sich von den Kollegen gut inspirieren zu lassen ist auf jeden Fall besser, als um jeden Preis das Rad neu erfinden zu wollen.
3
Auf den Punkt gebracht: Informierende Darstellungsformen
Wer informieren will, muss Fragen objektiv beantworten, diejenigen nämlich, die sich der Rezipient zu einem Sachverhalt stellen mag. Das bedeutet einmal mehr, mit den Köpfen seiner Leserschaft zu denken. „Objektiv“ heißt, dass bei der Informationsvermittlung persönliche Wertungen und Meinungen des Autors absolut nicht gefragt sind. Streng genommen haben selbst Adjektive hier keine Daseinsberechtigung, der Rezipient soll sich schließlich selbst sein Bild machen. Was ein Autor als „schön“ empfindet, mag sein Leser gänzlich anders
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sehen, was der eine als „bunt“ bezeichnet, betrachtet der andere als „grell“. Auf Beiworte sei deshalb nach Möglichkeit verzichtet. Ob es freilich immer nur eine Objektivität gibt, darf stark bezweifelt werden. Ein Beispiel: In den USA waren zwei Deutsche wegen Mordes verurteilt worden, auf eine Betreuung durch das deutsche Konsulat hätten die beiden zwar ein völkerrechtlich verbrieftes Recht gehabt, doch hatten dies die US-Behörden abgelehnt. Deswegen klagte die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof und obsiegte. Die „Welt“ berichtete darüber auf der Seite 2 unter der zurückhaltenden Überschrift „Den Haag gibt deutscher Klage gegen USA statt“, die Süddeutsche titelte am gleichen Tag auf der Seite 1 härter „USA wegen Bruch des Völkerrechts verurteilt“6. Für das, was „Objektivität“ ist, gibt es also keine ehernen Regeln, wohl aber dafür, wie man das, was man dafür hält, aufbereiten sollte. Die Fragen, die es bei informierenden Darstellungsformen zu beantworten gilt, beginnen im Deutschen praktischerweise alle mit „W“: Wer? Was? Wann? Wo? Warum? Wie? Was noch? Wer noch neu im Nachrichtengewerbe ist, der ist nicht schlecht beraten, wenn er vor dem eigentlichen Schreiben ein Blatt in zwei Spalten aufteilt: Links wird die jeweilige W-Frage notiert, rechts die dazugehörige Antwort. In einem nächsten Arbeitsschritt werden die Fragen dann nach dem Prinzip der abnehmenden Wichtigkeit geordnet. Das, was der angepeilten Zielgruppe am nächsten geht, steht ganz vorne. Da die Wertigkeit von der Zielgruppe abhängt, lässt sich kein allgemeines Prinzip angeben, außer der einen Regel: Das „Wann“ ist praktisch nie das Wichtigste. Hat das Ereignis schon stattgefunden, dann zählt das Ergebnis und nicht das Datum, wird es erst noch stattfinden ebenso. Der Hinweis sei auch deshalb angebracht, weil durch Datumsangaben am Anfang eines Textes die Chance vertan wird, wichtigere Informationen zu vermitteln und so zum Weiterlesen zu animieren. Um zu sehen, wie das im Detail funktioniert, betrachten wir zunächst die Meldung als journalistische Darstellungsform:
3.1 Die Meldung Die Meldung ist die einfachste Form der journalistischen Information überhaupt: Etwas ist passiert; etwas wird passieren. Am Anfang steht dabei immer ein Resultat, auch wenn dieses erst noch bevorstehen mag. Die bislang noch immer effizienteste Form des Meldung-Schreibens stammt aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865). Schon damals zwang der Konkurrenzdruck die US-Zeitungen mit exklusiven Nachrichten um die Aufmerksamkeit der Leser zu werben und die Redaktionen hatten mit der Technik zu kämpfen. Das zeitnaheste Übertragungsmittel jener Tage war nämlich der Morsetelegraph, und der war keineswegs immer zuverlässig, sei es, dass der Feind die Kabel zerschnitt oder ein Unwetter Bäume auf die Leitung warf. Die Redaktionen durften sich dann über Frontberichte wie diesen den Kopf zerbrechen:
6
Die Welt, 28. Juni 2001,Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2001, 1
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„Am vorgestrigen Dienstag traf unser 3.Regiment unter Oberst Spencer McIntosh bei dem Dorfe Harper’s Ferry auf Einheiten der 4.Brigade der Rebellen, die von General Booker T. Higgins befehligt wurden. In einem dreistündigen, von beiden Seiten äußerst he....
Aus! Nach 217 Zeichen war die Leitung zusammengebrochen und in der heimatlichen Redaktion konnte sich keiner zusammenreimen was nun eigentlich passiert war. Vielleicht ging es so weiter: Variante 1: In einem dreistündigen, von beiden Seiten äußerst he…rzlich geführten Gespräch, versicherten sich beide Befehlshaber ihrer Wertschätzung und betonten, dass sie keinesfalls aufeinander schießen würden.
Es mochte aber vielleicht auch völlig anders kommen: Variante 2: In einem dreistündigen, von beiden Seiten äußerst he…ftig geführten Gefecht, wurde das 3.Regiment völlig aufgerieben; seine Überlebenden sind auf der Flucht.
Beide Varianten sind reine Spekulation, erlaubt das übermittelte Nachrichtenfragment doch keinerlei Rückschluss auf den Ausgang .Um noch vor einem Zusammenbrechen der MorseVerbindung möglichst viel an Informationen zu übermitteln erfand man den Lead7, das Wort bedeutet Aufmacher, Kernaussage8: Variante 1 – Lead-Satz: Zur Verbrüderung feindlicher Truppen kam es bei Harper’s Ferry; der Chef des 3. Regiments und sein Gegenspieler von der 4. Brigade der Rebellen versicherten sich, keinesfalls aufeinander schießen zu wollen. (178 Zeichen)
oder Variante 2 – Lead-Satz: Schwerste Verluste für das 3.Regiment sind Ergebnis eines Gefechts bei Harper`s Ferry am Dienstag. Von der 4. Brigade der Rebellen nahezu völlig zerschlagen, ist die Truppe des Oberst McIntosh auf der Flucht. (175 Zeichen)
Selbst wenn nur das Satzfragment „Schwerste Verluste für das 3.Reg…“ durch die Leitung kam, konnte man durch eigene Recherchen daraus noch eine komplette Meldung rekonstruieren: Was passiert war, wusste man ja. Ein Abgleich mit vorhandenem Material hätte gezeigt, wo ungefähr die Einheit operiert und wer ihr gegenüber steht. Das hätte dann immerhin ergeben:
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gesprochen: “Lied” Das Concise Oxford Dictionary erklärt: Lead Use of a particular item as the main story, to be the main feature of a newspaper or part of it.
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Andreas Wrobel-Leipold „Schwerste Verluste erlitten hat offenbar unser 3. Regiment. Die Einheit stand zuletzt bei Harper’s Ferry der 4. Brigade der Rebellen gegenüber. Über Art und Umfang der Kampfhandlungen liegen keine weiteren Meldungen vor. Ausführlicher Bericht folgt.“
Heute sind die Nachrichtenverbindungen zwar vielfältiger und zuverlässiger als zu Zeiten des Morsetelegraphen, dafür zwingt aber das Überangebot an Informationen zur Verdichtung von Aussagen. Der Lead ▪
▪ ▪ ▪
liefert nach Möglichkeit schon mit den ersten Worten („schwerste Verluste“) das wichtigste Resultat des gesamten Textes: Entscheidend ist zunächst das Ergebnis, nicht wie es dazu kam. Die „Hinführung zum Thema“ („Von der 4. Brigade der Rebellen nahezu völlig zerschlagen“) steht erst an zweiter Stelle oder gar noch weiter hinten; ordnet die anderen Ergebnisse nach dem Prinzip abnehmender Wichtigkeit lässt sich von hinten her (halb-)satzweise so kürzen, dass eine sinnhaltige Aussage erhalten bleibt; verwendet kurze Sätze mit maximal 14–20 Wörtern.
Das klingt zwar einfach, ist aber, jahrelange Erfahrung in einer Ausbildungsredaktion beweist es, leichter gesagt als getan. Ein Grund dafür ist zweifellos der ordentliche Satzbau, den man uns im Deutschunterricht eingetrichtert hat, ein anderer der, dass wir den Lead im Umgangsdeutsch nicht praktizieren. Was den ordentlichen Satzbau angeht, so ist der zumal unter Bildungsbürgern beliebte Deutschlandfunk in seinen Nachrichten geradezu vorbildlich, auch wenn das dazu führt, dass der Hörer bisweilen regelrecht auf die Folter gespannt wird. Wir hören Sätze wie „Der zweite Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in München hat in seiner gestrigen Verhandlung die Anträge der Bürgerinitiativen gegen den Fluglärm auf Verhängung eines vorläufigen Stopps der Bauarbeiten beim Flughafen München …“
Ja was denn? Fiebert der Hörer: Abgelehnt? Vertagt? Bestätigt? Wie wäre es denn mit „Kein Baustopp beim Flughafen München II“.
Germanisten mag dabei zwar schaudern, aber der Hörer wüsste sofort, was Sache ist; könnte sich anderen Tätigkeiten zuwenden oder sich weiter anhören: „Entsprechende Anträge von Bürgerinitiativen abgelehnt hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner gestrigen Verhandlung.“
Führend ist vorgenannte Rundfunkanstalt auch im Verhackstücken von zusammengesetzten Verben wie ablehnen, zustimmen, aufnehmen, beipflichten. Grammatikalisch ist das zwar absolut korrekt, spannt aber den Rezipienten unnütz auf die Folter und erschwert eine weitere Bearbeitung des Textes. Beispiel:
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„Die Kanzlerin stimmte nach der gestrigen Kabinettssitzung, in der es um die Grundzüge weiterer Reformen ging …“
Ein Lied an? Ihr Klavier neu? Mit der PDS? Dem Vorschlag zu? Anstatt die Einzelteile von Verben schier endlos zu trennen, wäre es doch besser zu formulieren „Zugestimmt hat die Kanzlerin dem Vorschlag …“
Brauchbares Nachrichtendeutsch ist also nicht unbedingt das, was Studienräte uns mühsam beigebracht haben. Und was das Umgangssprachliche angeht, so wird auch der erfahrenste Nachrichtenredakteur seiner Gattin z.B. erklären „Schatz, ich hab mir’s gestern beim Frühstück überlegt, mir tun die armen Tiere leid, deshalb schenk ich dir Weihnachten doch keinen Pelzmantel.“
Wo doch korrekter Lead wäre: „Keinen Pelzmantel für meinen Schatz zu Weihnachten, Tierschutz hat Vorrang. So das Ergebnis meiner gestrigen Überlegungen beim Frühstück“.
Auch hier bliebe der Kern der Nachricht erhalten. Selbst wenn nach dem Komma keine Zeit für weitere Ausführungen mehr bliebe.
3.2 Der Bericht Der Bericht ist der große Bruder der Meldung. In ihm geht es zwar um einen komplexeren Sachverhalt, seine Bausteine sind aber die gleichen. Es handelt sich im Grunde um eine Reihung von Meldungen, die in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang miteinander stehen. Eingestiegen wird mit einem Vorspann, der aus dem Lead-Satz und ein bis zwei weiteren Sätzen besteht: Hier sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst. Vom Informationsgehalt her ist dieser Vorspann bereits eine „vollwertige Mahlzeit“. Der erste Absatz liefert ergänzende Informationen zum Lead-Satz. Absatz 2 vertieft die zweitwichtigste Information des Vorspanns, Absatz 3 die drittwichtigste usw. Die folgenden Absätze können neue, aber weniger wichtige Sachverhalte behandeln. Als grobe Faustregel gilt auch hier, nicht mehr als 14–20 Worte pro Satz zu verwenden. Im Zweifelsfall sind zwei kurze Sätze besser als ein langer. Im Netz folgt dem Lead-Satz ein mehr >> insbesondere dann, wenn man mehr Themen zu Auswahl hat, als das Auge mit einem Blick auf den Monitor erfassen kann. „Wenn das Wichtigste eh schon am Anfang steht, dann liest doch keiner mehr den Rest“ ist ein Einwand, den der Verfasser häufig zu hören bekommt. Antwort: „Sein S’ froh, wenn wenigstens der Anfang gelesen wird“. Natürlich ist es frustrierend, wenn man sich einen kompletten Bericht aus den Rippen schwitzt, von dem dann nur der Lead-Satz gelesen wird, in Zeiten der Informationsüberflutung ist allerdings das allein schon ein Erfolg. Abschminken muss man sich
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im Deutschen Aufsatz mühsam antrainierte Dinge wie den Aufbau von Spannungsbögen und einen „schönen Schluss“, gegliedert wird einzig und allein nach dem Prinzip „abnehmende Wichtigkeit“. Betrachten wir dazu einen Bericht, den wir so oder ähnlich x-fach auf den Lokalseiten der Tagespresse oder den Websites von Vereinen finden können9: (1) Altendorf (fm). Die diesjährige Jahreshauptversammlung des Vereins der Fußballfreunde hatte einen guten Verlauf und erster Vorstand Hans Hinterhuber konnte die zahlreich erschienen Mitglieder auf das Herzlichste begrüßen und darüber hinaus Bürgermeister Müller, Pfarrer Schmidt, den Landtagsabgeordneten Peter Maler und die Kreisbäuerin Hermine Eder. Erster Tagesordnungspunkt war die Totenehrung. Die Mitglieder erhoben sich für eine Gedenkminute um dem jüngst verblichenen Max Radler die letzte Ehre zu erweisen. (2) Bei einer guten Brotzeit im Gasthaus „Kreuz“ in Altendorf führte Vorstand Hinterhuber durch das Programm des Nachmittags. In seinem Referat ließ er das vergangene Jahr Revue passieren und berichtete von den insgesamt 25 stattgefundenen Veranstaltungen, Versammlungen und der Starkbierprobe. Den Tätigkeitsbericht für die aktiven Fußballer gab Abteilungsleiter Herr Stork. Man sei sehr zufrieden gewesen mit den Leistungen. Nur am Nachwuchs hapert es. Man wünscht sich noch mehr Mitglieder. (3) Dann kam es zu den fälligen Neuwahlen. Vorstand Hinterhuber wurde wie auch die anderen Kollegen der Führungsriege im Amt per Akklamation bestätigt. Außerdem gab es Ehrungen. So erhielt Stefan Raab für seine 15-jährige Vereinszugehörigkeit die Ehrennadel angesteckt. Am längsten dabei ist das Mitglied Schorer Thomas (40 Jahre). Er bekam eine Urkunde. (4) Als es um den Kassenbericht ging, wurde dem Kassier die Entlastung verweigert, weil er den Verein in eine Schuldenkrise gestürzt hat. Am Festabend zum 50. Vereinsjubiläum im Mai wird Bayerns Ministerpräsident Beckstein als Schirmherr persönlich teilnehmen.
Der Text ist unprofessionell; wenn wir derlei aber dennoch oft lesen, dann deshalb, weil in den Redaktionen Personal abgebaut wurde und die Texte häufig von Amateuren zugeliefert werden. Die Seite muss irgendwie voll werden und die verbliebenen Profis sind zu wenige, um jede Zulieferung zu bearbeiten. Fehler Nr.1: Der Autor hat sich zu wenige Notizen gemacht. Um was für „Veranstaltungen“ handelte es sich? Wie heißt Herr Stork mit Vornamen? Wer bei Terminen möglichst viel notiert, kann beim Verfassen aus dem Vollen schöpfen, zudem ist Mitschreiben ein gutes Mittel um die Konzentration aufrecht zu halten. Fehler Nr. 2: Nähe vermittelt dieser Text wohl keinem. Wenn im Lead-Satz nur ein guter Verlauf, die Ehrengäste und die Totenehrung erwähnt sind, heißt das: Da ist nichts passiert, Weiterlesen lohnt nicht. Dass es sich um die „diesjährige“ Versammlung handelt, ist wohl klar und warum konnte der Vorstand aufs Herzlichste begrüßen? Platzsparender wäre „begrüßte“. Zudem ist der Vorspann um gut die Hälfte zu lang. Fehler Nr. 3: Vorgegangen wurde hier – bei Anfängern und Amateuren sehr beliebt – streng nach der zeitlichen Ablauf der Ereignisse: Allerweltskram, wie er auf jeder Vereins-
9 Der Verfasser dankt seiner lieben Kollegin Andrea Stölzle, einer geplagten Lokalchefin, die den FußballfreundeArtikel aus den Zulieferungen freier Mitarbeiter destillierte.
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versammlung passiert. Was Absatz 2 von Hans Hinterhuber berichtet, ist absolutely no news, dass ein Verein etwas veranstaltet, kann man ja wohl von ihm erwarten. Pluspunkt: Absatz 3 bietet Nachrichtenwert und Nähe: Nachrichtenwert, weil eine Bestätigung per Akklamation ein eher seltener Vertrauensbeweis sind und Nähe, weil hier Namen vorkommen. Lokale Medien leben – gar nicht schlecht – davon, dass man hier vertraute Personen wieder findet. Allerdings: Auch wenn man es in Bayern, Sachsen und Ungarn anders macht, gehört der Vorname vor den Nachnamen. Also „Thomas Schorer“. Apropos: Heißt “Schorer Thomas (40) Jahre” dass dieser 40 Jahre alt oder 40 Jahre beim Verein ist? Fehler Nr. 4: Die wesentlichen Ergebnisse finden sich erst im vierten und letzten Absatz: Dass ein Kassier seine Fußballfreunde schier in die Pleite führt ist keineswegs alltäglich, ebenso wenig die persönliche Anwesenheit eines Ministerpräsidenten bei einem Vereinsfest. Die Aussagen von Absatz 4 müssten an erster Stelle stehen. Aber: Ist schon bewiesen, dass der Kassier schuld ist und gibt es bereits ein definitives „Ja“ des Ministerpräsidenten? Wenn nicht, muss es heißen, dass der Kassier eine Schuldenkrise verursacht „haben soll“ und der Ministerpräsident „kommen will“. Im zweiten Absatz lesen wir von „stattgefundenen Veranstaltungen“: Partizipien machen einen Text unnötig kompliziert, also Finger weg von ihnen. Nun die professionelle Variante10: (1) Altendorf (fm). Zu einem Eklat kam es im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Vereines der Fußballfreunde gestern Abend im Gasthaus „Kreuz“. Dem Kassier Fritz Aumüller wurde die Entlastung verweigert, weil er den Verein in eine Schuldenkrise gestürzt haben soll. (2) Harsche Kritik an der Art und Weise des Wirtschaftens übte nicht nur der erste Vorsitzende des Vereins, Hans Hinterhuber, sondern auch die gesamte Führungsriege. „Sie haben uns vor einen Schuldenberg gestellt“, sagte Hinterhuber und warf dem Kassier das Soll von 25.000 Euro vor. Dieser beteuerte, er wisse nicht, wie es zu der Misere habe kommen können. Die Mitglieder verweigerten Aumüller die Entlastung und beschlossen, eine Sonderkommission zur Aufklärung einzusetzen. Der beschuldigte Kassier verließ daraufhin sofort den Raum. (3) Beckstein kommt Trotz des Zwischenfalls freut sich der Verein auf die großen Festtage zum 50-jährigen Bestehen, die vom 2. bis zum 7. Mai 2007 über die Bühne 10
Mit neuerlichem Dank an Andrea Stölzle.
gehen sollen. Zur Auftaktveranstaltung am Donnerstag, 2. Mai, um 19:00 Uhr, im Festzelt an der Anderl-Stölzle-Straße wird der Bayerische Ministerpräsident Dr. Günther Beckstein als Schirmherr und Festredner erwartet (4) Neuwahlen und Ehrungen Neuwahlen und Ehrungen standen ebenfalls auf dem Programm der Versammlung. Vorsitzender Hinterhuber wurde wie seine Vorstandskollegen auch per Akklamation einstimmig im Amt bestätigt. (5) Für 40 Jahre Treue zum Verein erhielt Thomas Schorer aus Dorschhausen eine Ehrenurkunde. Stefan Raab wurde mit der Ehrennadel des Vereins für 15-jährige Zugehörigkeit ausgezeichnet. (6) Sehr zufrieden zeigte sich der Abteilungsleiter der aktiven Fußballer, Kurt Stork. Jedoch wies er in seinem Tätigkeitsbericht darauf hin, dass der Verein Nachwuchs gut gebrauchen könnte. Bis zum nächsten Treffen will er sich Gedanken machen, wie die besten Werbemaßnahmen dafür aussehen könnten.
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In dieser zweiten Variante sehen wir das Lead-Prinzip konsequent von Absatz zu Absatz umgesetzt. Der außergewöhnliche Knalleffekt der Allerwelts-Versammlung steht im Vorspann, Absatz 2 vertieft diese Information mit konkreten Zahlen und lässt – objektiverweise – auch den ins Zwielicht geratenen Kassier zu Wort kommen. Stilistisch gut sind die Einstiege. „Zu einem Eklat“ und „harsche Kritik“ versprechen Außergewöhnliches und machen Laune zum Weiterlesen. Positiv ist auch der Wechsel zwischen wörtlichem Zitat und indirekter Rede. Wörtliche Zitate geben dem Text Farbe und entlasten davon, eigene Formulierungen zu finden. Beim Zitieren ist es durchaus erlaubt, wörtliche Aussagen zu verkürzen, sofern der Sinn erhalten bleibt. Gut und gerade beim Schreiben für das Netz unbedingt zu empfehlen, sind die Zwischentitel. Sie erleichtern die Orientierung und lockern den Text optisch auf. Absatz 3 bietet konkrete Terminangaben und damit die Möglichkeit ggf. zu planen.
Exkurs: Zum Umgang mit Namen „Herr“, „Frau“ und „Fräulein“ vor dem Namen fallen in Nachrichtentexten weg, wenn nicht, dann wird dem Verfasser ein ironischer Unterton unterstellt. Ein Abweichen von dieser Regel ist bei ausländischen Namen möglich, wenn der Vorname für den Durchschnittseuropäer nicht eindeutig als männlich/weiblich klassifizierbar ist. Verzichtet wird in der Regel auf Doktor- oder Professorentitel vor dem Namen, Ausnahmen sind möglich, wenn der oder die Betreffende erstmalig in einem Text genannt wird, oder der Titel eine besondere Kompetenz unterstreichen soll, die für den Inhalt des Textes wichtig ist. Anonymisiert werden sollen Namen von Mitbürgern, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind – erst wenn ein Gerichtsurteil vorliegt, kann man sie namentlich nennen. Grundsätzlich gilt der Schutz der Anonymität auch für die Opfer von Verbrechen oder anderen tragischen Ereignissen. Ausnahmen gelten hier für Personen der Zeitgeschichte. Einerseits, weil sie einen eingeschränkten Persönlichkeitsschutz genießen, andererseits weil eine Anonymisierung wohl etwas heuchlerisch wäre, die da lauten könnte „Angetrunken am Steuer angetroffen wurde ein 60jähriger Kronprinz aus London.“ In der „Liste der 100 größten Deutschen“ nennt „Bild“ einen „Magnus, Albertus“ und eine „Elisabeth I.“ – mit letzterer meint das Blatt die als „Sisi“ bekannte Gattin des österreichischen Kaisers Franz Josef I. „Magnus“ ist ein Beiname und heißt nichts anderes als „der Große“ – und bei Karl dem Großen käme auch keiner auf die Idee, ihn als „Große, Karl“ einzusortieren. Bei Kaiserin Sisi sollte man wissen, dass nur regierende Monarchen mit römischen Ziffern durchnummeriert werden, ihre Ehepartner aber ohne Ordnungszahl durch das Leben gehen: „Elisabeth I.“ ist die englische Königin gleichen Namens. Erasmus von Rotterdam oder die Heilige Hildegard von Bingen dürfen nicht als „von Rotterdam“ bzw. „von Bingen“ apostrophiert werden. Das „von“ ist hier kein Adelsprädikat, sondern hat die Bedeutung „aus“ und dient der Unterscheidung zu anderen mit gleichem Vornamen. Es würde ja keiner vermuten, ein Student „aus Chemnitz“ hieße auch so. Apropos Adel: Eine Kollegin bestand auf einem neuen Satz Visitenkarten, weil sie auf den vorhandenen als „Gräfin Therese von Schmeltz“ bezeichnet wurde. Richtig muss es Therese Gräfin von Schmeltz heißen; der Vorname adeliger Zeitgenossen hat vor dem Titel zu stehen.
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Übung: Verfassen Sie aus folgendem Text einen Bericht, der den vorgenannten Regeln entspricht, 500 ZmL (Zeichen mit Leerzeichen) müssen genügen: In den gestrigen Abendstunden wurde gegen 22:30 Uhr in der Tiefgarage des Hauses Angermüllerstraße 32 der weiße Ford Mondeo Kombi des bekannten Sportmediziners Herrn Dr. Karlo Kather aufgebrochen, indem bisher unbekannte Täter die Heckscheibe des Wagens mit einem Ziegelstein einschlugen. Der Sachschaden beträgt etwa 1.000 Euro. Aus dem Wagen entwendeten die Täter ein Langstiel-Schmetterlingsnetz mit 0,8 cm Maschenweite und Bambusgriff, zwei Kurzstielnetze mit Aluminiumgriff und 0,6 bzw. 1,4 cm Maschenweite sowie eine Botanisiertrommel der Marke „Corvus“. Herr Dr. Kather, der zu seinen Patienten viele namhafte Fußballspieler zählt, ist in seiner Freizeit ein begeisterter Schmetterlingssammler, der die Gegenstände für sein Hobby benötigt. Unter den gestohlenen Gegenständen befindet sich auch eine kleine Plastikschachtel, deren Form und Inhalt den bekannten tac-toc-Erfrischungsbonbons zum Verwechseln gleichen. Zerbricht eine dieser Kapseln, wird Blausäure frei und diese bereitet nicht nur Schmetterlingen ein rasches Ende ohne sie äußerlich zu beschädigen. Die Kapseln enthalten nämlich hochtoxisches Zyankali. Die Schachtel trägt die türkische Aufschrift „Dikkat! Ölüm tehlikesi!“ Zu Deutsch „Vorsicht! Lebensgefahr!“ Wenn die Autoknacker kein Türkisch können, werden sie sich bald wundern. Wie heißt es doch? „Unrecht Gut gedeihet nicht“. Eine Musterlösung finden Sie auf Seite 113.
3.3 Das Interview Das Interview ist eine informierende Darstellungsform, einsetzbar zu vielen Zwecken: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Zur Recherche: Der Autor informiert sich hier zunächst selbst, als Ergänzung bzw. an Stelle von Berichten, zum Ausleuchten von Hintergründen, zur Kommentierung, zur Vermittlung harter Fakten ebenso wie von Klatsch und Tratsch.
Einige Grundregeln des Interviews zu beherrschen ist heutzutage nicht allein für professionelle Journalisten wichtig; seit September 2007 erscheint z.B.in Neon die Rubrik „NeonPodcast, in der die Leserschaft Interviews aktiv mitgestalten kann, andere Medien dürften folgen. Ein Interview ist zunächst mal nichts anderes als ein Gespräch zwischen wenigstens zwei Leuten. Der Unterschied zur „normalen“ Konversation besteht darin, dass einer das Gespräch veröffentlichen will. Sei es wörtlich oder sinngemäß, ganz oder teilweise. Es ist daher ein Gebot der Fairness, den Interviewten darauf aufmerksam zu machen, dass man mit ihm beileibe nicht nur plaudern will. Halbwegs erfahrene Interviewte wissen: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, sollte entsprechend (vorsichtig) reagieren.
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Wer als Journalist sein Tonband einschaltet oder ein Telefongespräch mitschneidet, ist ein potentieller Straftäter: Tut er es heimlich oder zumindest ohne den Interviewpartner davon in Kenntnis zu setzen, verstößt er gegen die „Vertraulichkeit des Wortes“ – und darauf stehen bis zu drei Jahre Freiheitsentzug oder Geldstrafe (§201 StGB). Wer sein Mikrophon aber deutlich sichtbar aufbaut und dabei keinen Protest erntet, der ist auf der sicheren Seite. Kein Protest gilt nämlich den Juristen als „Zustimmung durch konkludentes Verhalten“. Ein weiterer Unterschied zur normalen Konversation besteht in der eindeutigen Rollenverteilung. Beim Interview sind die Rollen klar verteilt: Wer fragt? Wer antwortet? Es ist nicht unbedingt professionell, wenn sich Interviewer auf einmal in der Rolle des Befragten wiederfinden. Auch wenn das Interview zeitweise durchaus aussehen mag wie Small-Talk, steht im Hintergrund stets der Gedanke, dass der Interviewer Informationen gewinnen will. Ein Interview sollte daher nach Möglichkeit nie völlig unvorbereitet erfolgen, zumindest sollte sich der Interviewer vorab fragen „Was könnte meine Rezipienten interessieren?“ Mit diesem Motto im Hinterkopf lassen sich auch spontane Gespräche führen, ohne dass der Informationsgehalt darunter leiden müsste. Wenn mehr Zeit ist, formuliert man die wichtigsten W-Fragen und liest sich wenigstens kurz in die Materie ein.
3.3.1
Die Basics: Grundform des Interviews
Die Grundform des Interviews ähnelt stark dem formalen Aufbau von Nachricht bzw. Bericht – es wird in der Regel auch an deren Stelle eingesetzt, zumal dann, wenn noch keine Zeit war, Nachrichten redaktionell zu bearbeiten oder noch gar keine weiteren Informationen vorliegen. Kurz: Es ist etwas passiert oder es wird etwas passieren, das den Kriterien der Nachrichtenauswahl aus dem vorangegangenen Kapitel entspricht. Als Interviewpartner ist damit jeder interessant, der zu dem betreffenden Sachverhalt mehr weiß, als der übergroße Rest der Menschheit. Für den Interviewer kommt es in dieser Situation lediglich darauf an, seine W-Fragen in die richtige Reihenfolge zu bringen und sie dann abzufragen. Beispiele für diese Grundform des Interviews hören wir jeden Tag im Radio, das Grundmuster sieht etwa so aus: Total gesperrt ist die A 4 zwischen Chemnitz-Nord und Glösa in Fahrtrichtung Erfurt, der Stau ist bereits 12 km lang. Am Telefon Polizeimeister Schnitzler von der Autobahnpolizei. Herr Schnitzler, was ist passiert? Wie lange bleibt die A 4 gesperrt?
Dieser Vorspann skizziert kurz das Ereignis, stellt den Interviewpartner vor und endet mit der ersten, der wichtigsten W-Frage. Der Rezipient kann nun entscheiden: >> mehr oder nicht? Ein brauchbarer Vorspann setzt natürlich voraus, dass sich der Interviewer wenigstens kurz mit dem Geschehen vertraut gemacht hat und so abschätzen kann, was seine Rezipienten betrifft oder betroffen macht: Im vorliegenden Fall ist das denkbar einfach : Wer im Stau steht, ist natürlich eher daran interessiert zu erfahren, wie lange die Sache noch dauert, andere wollen lieber wissen, wie es zur Sperrung kam.
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Ansonsten gilt: Grundsätzlich keine Doppelfragen stellen! Bei Doppelfragen kann sich der Interviewte nämlich aussuchen, auf welchen Teil er antwortet und sich so um die andere Antwort herumdrücken.
3.3.2
Wo will ich hin? Das Interviewziel
Interviews, die nicht so einfach strukturiert sind, wie das mit dem Herrn von der Autobahnpolizei, brauchen etwas Vorlauf: Ohne ein Minimum an Recherche braucht man am besten gar nicht erst anzufangen. Dabei ist es nebensächlich, ob das Interview nun im Wortlaut veröffentlicht werden soll oder ob es als Hintergrundmaterial in einen Beitrag einfließt. Bei einem Informationsgespräch ist das Ziel klar und einfach. Der Interviewer will erst einmal sich selber schlau machen. Veröffentlicht werden die Ergebnisse nicht in Form des klassischen Frage-Antwort-Spiels, sondern sie fließen als Hintergrundmaterial in einen Bericht ein. Ansonsten empfehlen sich präzise Ziele: An wen richtet sich das fertige Interview? Natürlich weiß man vorab nie genau, was im Endeffekt herauskommt, doch würde sich die Chefredakteurin sehr wundern, wenn der Interviewer auszieht, um eine Human-Interest-Geschichte mit dem Ex-Kanzler zu machen, in der die Leser von Haus und Herd erfahren sollen, wie er denn sein Rentnerdasein bewältigt – und schließlich mit einer beinharten Abrechnung heimkommt, in der kein gutes Haar an der Irak-Politik und dem Welthandelsabkommen gelassen wird. Bei Personeninterviews kann es als Ziel genügen, den Partner ganz einfach reden zu lassen – egal was er/sie sagt, die Leut‘ hören/lesen es auf jeden Fall gerne, vorausgesetzt er/sie ist prominent und beliebt genug. Interviews dieser Art gehören eher in den Bereich der Unterhaltung als in den der Information, wir finden sie vorwiegend in Human InterestFormaten. Ist die Person umstritten, bietet sich ein völlig anderes Ziel an: Soll sie quasi entlarvt werden oder soll gezeigt werden, dass „sie gar nicht so ist“? Aber Vorsicht: Als Profi Erich Böhme den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider im Interview „entlarven“ wollte, zeigte sich dieser als ausgesprochen charmant, geradezu weichgespült, man mochte glatt meinen „der ist gar nicht so“. Ob man nun ausgerechnet Erich Böhme noch empfehlen sollte, dass eine gute Vorbereitung der beste Schutz vor Flops ist? Ein weiteres mögliches Ziel ist die Illustration eines Berichts. Der Bericht mag z.B. Inhalte und Ergebnisse der Hartz IV-Reform anhand von Zahlen und Gesetzestexten abhandeln, das danebenstehende Interview mit dem Hartz IV-Empfänger zeigt die praktischen Auswirkungen.
3.3.3
Fragenkatalog formulieren
Was nutzt es, wenn einem erst abends im Bett einfällt, was man im Interview eigentlich noch hätte fragen müssen? Schon allein deshalb sollte man vorab einen Fragekatalog ausarbeiten, der nach dem Vorgespräch ggf. noch einen Feinschliff erfährt. Wer Antworten mit Substanz erwartet, der hat zuvor Fragen mit Substanz zu formulieren – und das erfordert
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Vorarbeiten auf beiden Seiten. Auch deshalb – und nicht allein aus Skepsis gegenüber den Medien – wollen Interviewpartner den Fragekatalog oft vorab sehen und faire Interviewer geben dem Partner die Möglichkeit zur Vorbereitung. Natürlich können Abschweifungen die Gesprächsatmosphäre auflockern und Zwischenfragen unverzichtbar sein – den Fragekatalog braucht es als roten Faden trotzdem.
3.3.4
Interview-Typen
3.3.4.1 Mensch im Vordergrund: Das Personen-Interview Hier steht ein Mensch im Vordergrund, der dem Rezipienten näher gebracht werden soll – ein Prominenter, ein Star, oder die Mutter von acht Kindern, die ihren behinderten Gatten seit Jahren aufopfernd pflegt. Bei Prominenten macht man sich zunächst im Munzinger-Archiv11 schlau, und durchsucht einschlägige Pressemeldungen, das Redaktionsarchiv oder das Internet: Was hat er/sie für Hobbies? Was für Stärken? Welche Schwächen? Wie ist er/sie, wenn er/sie nicht im Rampenlichtlicht steht? Bei Helden des Alltags – wie jener Mutter von acht Kindern – gibt es zwar kein Hintergrundmaterial, wohl aber die praktische Lebenserfahrung der Rezipienten: Wie bekocht man zehn Personen? Wie hoch ist das Durchschnittseinkommen in diesem unserem Lande? Wie viel Waschpulver verbraucht der Durchschnittsbürger pro Kopf und Jahr und wie viel eine zehnköpfige Familie? Bei solchen Personeninterviews ist Mitgefühl und Sympathie erlaubt, ja sogar notwendig, gleichwohl sollte man eine gewisse Distanz bewahren.
3.3.4.2 Wissen macht interessant: Das Sachinterview Beim Sachinterview ist weniger der Interviewpartner als Person interessant als sein Wissen als Augenzeuge oder Experte: Da kann uns einer was erklären, hier gibt es Informationen aus erster Hand. Auch hier bestimmt wieder die Zielgruppe die Art der Fragestellung: ▪
11
Soll Fachleuten etwas erklärt werden? Z.B. in Fachblättern und -formaten: Hier kann ein sehr spezifisches Informationsniveau vorausgesetzt werden. Das bedeutet, dass der Interviewer nach Möglichkeit selbst Fachmann/-frau sein sollte. Wenn nicht, dann empfiehlt sich eine gründliche Vorbereitung durch einschlägige Lexika, Vorgespräche mit anderen Experten, der Gegenseite oder sachkundigeren Kollegen. Das Web als Vorbereitung ist mit Vorsicht zu genießen: Es liefert zwar zu jeder beliebigen Sachfrage schier unbegrenzt Material, aber genau darin liegt seine Schwäche: Kein Mensch kann – zumal unter Zeitdruck – auch nur annähernd das sichten, was ihm Google auf den Bildschirm zaubert. Überdies sind Manipulationen und Fakes im Netz wesentlich einfacher und billiger zu realisieren als in den klassischen Medien.
Das Munzinger-Archiv ist für den Redaktionsalltag sehr zu empfehlen, für private Nutzer ist es allerdings nicht ganz billig. Es bietet Informationen u.a. zu Personen, Ländern, Sport, Pop, Gedenktagen und Film.
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▪
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Richtet sich das Interview primär an ein Breitenpublikum? Was hat das Expertenwissen für einen praktischen Nutzwert für Normalmenschen? Soll der Partner Laien eine Materie nahe bringen, dann ist vorher zu überprüfen, wie allgemeinverständlich er sich ausdrücken kann, dies auch, damit man im Zweifelsfall eigene Formulierungen als Übersetzungshilfe parat hat („Meinen Sie damit …?“ „Könnte man auch sagen …?“) Ist der Partner neutral oder ein PR-U-Boot? PR-U-Boote sind auf den ersten Blick neutrale und kompetente Experten, die bereitwillig für ein Gespräch zur Verfügung stehen und womöglich gleich druckreif formulieren. Allerdings bekommen sie von irgendwem Geld dafür, dass sie dessen Meinung verbreiten. Von der EU-Kommission wird z.B. kolportiert, dass sie vor der Euro-Einführung „neutrale“ Experten für positive Ausführungen zur neuen Währung honorierte, ein bekannter Rennrodler wiederum erwähnte wie beiläufig in Interviews die Vorzüge eines Rheuma-Mittels: Solche Interviewpartner vertragen sich nicht unbedingt mit der Forderung nach objektiver Berichterstattung.
Beim Sachinterview sollte man es als Interviewer tunlichst vermeiden, den großen Experten zu geben. Ist man es wirklich, dann hebt das Gespräch zu intellektuellen Höhenflügen an, denen kaum ein Rezipient mehr folgen kann; ist man es nicht, dann hat das der Interviewte schnell herausgefunden und führt einen aufs Glatteis. Professionelle Interviewer verraten allenfalls scheibchenweise, was sie alles zum Thema wissen, sie legen nie alle ihre Karten gleichzeitig auf den Tisch. Und: Sie fragen stets so, dass ihre Rezipienten folgen können. Richtig „harte“ Interviews wird man in deutschen Medien übrigens lange suchen, was veröffentlicht wird, ist meistens entschärft. Wer wissen will, wie es geht, dem sei der Österreichische Rundfunk empfohlen: Auf 3Sat läuft wochentags um 22:00 Uhr die „Zeit im Bild 2“, das Gegenstück zu den Tagesthemen, noch ergiebiger ist das Mittagsjournal im ersten ORF-Hörfunkprogramm, samstags zwischen 12:00–13:00 Uhr. Beide Formate bieten oft Interviews, die in puncto Fragetaktik sehr ergiebig sind, „Zeit im Bild 2“ sogar life.
3.3.4.3 Meinungsinterview: Wie man Elefanten bremst Beim Meinungsinterview geht es darum, einen Sachverhalt zu kommentieren. Im Regelfall wird es als Ergänzung zu einem Bericht eingesetzt. Eine Meinung ist zwangsläufig immer subjektiv, was vom Interviewer verlangt, alle Standpunkte zu kennen. Andernfalls besteht keine Möglichkeit zum Nachhaken und der Interviewer begibt sich in die Rolle des bloßen Stichwortgebers. Der Interviewer selbst sollte nach Möglichkeit keinen eigenen Standpunkt erkennen lassen: Stimmt er zu, dann liegen sich die beiden buchstäblich in den Armen und das Interview verliert jeden informativen Nährwert, ist er anderer Ansicht, gerät das Gespräch leicht zu offenen Kontroverse. Beides widerspräche der journalistischen Pflicht zur Objektivität. Bei Meinungsinterviews besteht regelmäßig die Gefahr, dass der Interviewte die Gelegenheit beim Schopfe packt, um seine Sicht der Dinge ungefiltert unter die Leute zu bringen. Der Interviewer weiß das und wird daher versuchen, ellenlange Referate zu stoppen oder wenigstens zu lenken. Meinungsträger können auf Einwände jedoch sehr unwirsch reagieren. Helmut Kohl pflegte Fragestellern nicht selten seine Meinung zu den Medien insgesamt
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überzubraten und Franz Josef Strauss gab in solchen Fällen wichtige Tipps, was sie denn eigentlich zu fragen hätten, wenn sie das Journalistenhandwerk wenigstens halbwegs verstünden. Auf die eigentliche Antwort musste man wohl oder übel verzichten. Halbwegs vorbeugen lässt sich dem allerdings, wenn man den Meinungsträger mit Aussagen konfrontiert, die ihm zwar diametral widersprechen, aber von jemandem stammen, gegen den er nichts haben kann oder darf: Sokrates, Kennedy, Goethe – oder der Interviewte selbst. Bayerns Ministerpräsident z.B. hatte im November 2003 angekündigt, er wolle das Bayerische Oberste Landesgericht aus Kostengründen abschaffen. Wer ein wenig in den Texten von Edmund Stoiber recherchierte, fand eine Rede, die er im Juli 2000 zum 375-jährigen Bestehen dieses Gerichts gehalten hatte: Dessen Geschichte sei „bezeichnenderweise nur in der Zeit des NS-Regimes unterbrochen worden“, damals, 1935, sei „nicht nur ein Symbol der Eigenständigkeit Bayerns, sondern auch ein wichtiger Garant einer unabhängigen Justiz“ zerschlagen worden12. Bingo! Allerdings: Bevor man jemanden mit seinen eigenen Widersprüchen konfrontieren kann, heißt es recherchieren.
3.3.5
Ausloten, was geht: Das Vorgespräch
Dem eigentlichen Interview sollte stets ein zwangloses Gespräch – bei ausgeschaltetem Mikrophon! – vorangehen. Bei Personeninterviews mit Stars und Prominenten lässt sich hier behutsam ausloten, in welcher Stimmung der Partner ist, oder ob er nun wirklich derjenige ist, den er im Rampenlicht spielt. Ulknudeln neigen im Vier-Augen-Gespräch womöglich zu Tiefsinn, Bundespräsidenten im Einzelfall gar zu Humor. Peinlich, als z.B. Profi Reinhold Beckmann am 13. September 1999 erheblich ins Schlingern geriet, weil Inge Meysel partout nicht die nette Oma sein wollte, als die man sie vom Bildschirm kannte. Vor dem Gespräch war ein kurzer Filmbeitrag eingespielt worden: Frau Meysel habe ein Grundstück an der Elbe und sei vehement gegen einen Hochwasserdeich weil dieser ihren schönen Elbblick störe. Die Nachbarn seien ergrimmt, weil deshalb bei der nächsten Flut ihre Grundstücke unter Wasser stünden. Frau Meysel sah das völlig anders, war verärgert und revanchierte sich für den Film. Egal welches Thema Beckmann anzuschneiden versuchte die vermeintlich so umgängliche Großmutter der Nation ließ ihn abblitzen: Hochwasser? SPD? Grünkohl? Kein Thema! Privates schon gar nicht! Denn auf Beckmanns freundliche Frage, ob sie denn nach dem Tod ihres Gatten, keine weitere Partnerschaft mehr gepflegt hätte, fiel brüsk der Hammer: „Sie müssen einer Frau schon selbst überlassen, wann sie aufhört, sich begatten zu lassen!“ Bei Sachinterviews mit Betroffenen und Augenzeugen ist höchstes Fingerspitzengefühl erforderlich, denn sie stehen in der Regel massiv unter dem Eindruck des Erlebten und sind schon allein deshalb nicht in der Lage nüchtern-distanziert zu berichten, auch wenn der Begriff Sachinterview genau dieses implizieren würde. Erinnert sei an jenen deutschen Austauschstundenten, der 1989 das Massaker am Pekinger Tien-An-Men-Platz erlebt hatte und darüber in den Tagesthemen berichten sollte: Uli Wickerts Fragen nach dem Ablauf der 12
Versenkung eines Flaggschiffs – Richter kritisieren Auflösung des Obersten Landesgerichts. In: Süddeutsche Zeitung vom 10.November 2003
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Ereignisse riefen offenbar deren gesamten Schrecken vor das geistige Auge des Studenten – er verließ vor laufender Kamera wortlos das Studio. Im Vorgespräch lässt sich feststellen, was man dem Interviewpartner zumuten kann. Freilich: Es gibt auch die „Witwenschüttler“, eine reichlich fragwürdige Spezies von Journalisten. Sie hat sich darauf spezialisiert, Menschen, die unter starkem emotionalen Stress stehen, zwecks Sensationsmache vorzuführen. Im Vorgespräch lässt sich auch ergründen, ob es Reizwörter gibt, die den Interviewten zum „Ausrasten“ oder ellenlangen Monologen verführen könnten. Diese lassen sich dann instrumentalisieren oder auch vermeiden. Je besser man sein Gegenüber studiert hat, umso besser weiß man, wie weit man gehen darf und kann sich ggf. Alternativstrategien überlegen. Vorgespräche verhindern auch Flops wie jenen: Ein Kollege hatte in London einen steinalten englischen Komponisten zu interviewen. Der alte Herr bestand darauf, das Gespräch auf Deutsch zu führen, das Ergebnis hörte sich in etwa so an: Frage: Wie wird Ihr Werk in Deutschland rezipiert? Antwort: Wir haben immer zu bedenken, dass wir sollten müssen zu glauben immer die ein Werk von Bach oder die zeitgenössischen Komponisten auf dem Kontinent würden gehört haben aber das Schöpferische, die Innovation, ist in Deutschland geblieben wie stets in der Sprache Goethes und Schillers, die ich so sehr liebe“.
Das war nicht wirklich druckreif und wäre besser in einer anderen Darstellungsform als dem Interview aufgehoben gewesen. 3.3.6
Ablauf
Abgesehen von Spontan-Interviews steht am Anfang eine „Aufwärmphase“. Man fällt nicht mit der Tür ins Haus, schon gar nicht, wenn man seinem Gesprächspartner sensible Informationen entlocken will. Je härter das Interview werden soll, desto harmloser steigt man ein. Und kommt es wirklich nur darauf an zu plaudern, kann es ja harmlos bleiben. Beginnen wird das Interview daher mit vertrauensbildenden Maßnahmen, d.h. allgemeinen Fragen ohne besondere Relevanz, die allerdings recht heimtückisch enden können. Nehmen wir an, der Interviewte sei ein ranghoher Vertreter einer Eisenbahngesellschaft: „Willkommen hier im Studio. Hatten Sie bei diesem Wetter denn einen guten Flug?“
Harmlos. Man könnte aber auf ein „Ja“ folgen lassen: „Sie sind also geflogen, Herr Mähdom: Nicht einmal Sie vertrauen also der Eisenbahn?“
Auch die harmlose Frage „Wie geht’s?” kann ein tückischer Einsteiger sein. Gemeinhin antwortet man ohne groß zu überlegen mit „gut”: „Die Bahn hat einen miserablen Ruf, aber Ihnen, Herr Mähdom, geht’s gut. Wie kommt das?“
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Harmlos-heimtückisch sind Fragen, die den Interviewten scheinbar in Sicherheit wiegen. Interviewer: „Die Bahn ist viel pünktlicher geworden, Herr Mähdom.“ M.: „Ja! Und darauf sind wir stolz!“ Interviewer: „… und dennoch erreichen 92% aller Züge ihr Ziel nur mit Verspätung.“
Natürlich kann es reizvoll sein, sein Gegenüber zu provozieren, auflaufen zu lassen, vorzuführen. Doch Vorsicht: Wird der Partner argwöhnisch, dann lässt sich ihm nichts mehr entlocken, besser fährt man als Interviewer, wenn man sich unwissender stellt als man ist. Harmlosigkeit –echte oder vorgetäuschte – ist auch dann zu empfehlen, wenn es darum geht Sprechblasen zum Platzen zu bringen. Zumal Politiker verstehen es meisterhaft mit druckreifen Formulierungen nichts zu sagen. So erkärt uns eine Landratskandidatin Bundestagsabgeordnete ist sie obendrein „Ich sehe in der Kreisreform neue Chancen, den zukünftigen Landkreis neu zu gestalten. Dabei will ich aber auch die Identitäten der drei ehemaligen Landkreise wahren.“ Wunderbar! Aber hier drängt sich die Nachfrage auf: Wie soll das denn aussehen ? Was heißt „Identitäten wahren“? Sollen die ehemaligen Landkreise womöglich eigene Briefmarken drucken dürfen? Und wenn sie erklärt „mit Herz und Sachverstand“ arbeiten zu wollen, sei die Verständnisfrage gestattet „die anderen Kandidaten sind also eiskalt und laienhaft?“
3.3.6.1 Fragetypen und Fragetaktik Grundsätzlich unterscheidet man zwischen geschlossenen und offenen Fragen. Die geschlossene Frage lässt nur eine Antwort zu, in der Regel „Ja“ oder „Nein“. Das kann nützlich sein, wenn man seinen Interviewpartner auf einen bestimmten Punkt festnageln will, liefert aber unbefriedigende Ergebnisse, wenn man etwas mehr Text möchte. Dem Verfasser lief einstens einer Volontärin über den Weg, die Passanten fragte „Können Sie einen Autoreifen wechseln?“ Der Verfasser antwortete mit „Ja“, ging seiner Wege und kehrte kurz darauf reuig zurück: „Gell, Sie haben nur lauter „Ja“ und „Nein“ auf dem Band?“ Richtig. Gemeinsam überlegten wir dann eine Formulierung, von der ausführlichere Antworten zu erwarten waren, nämlich „Was machen Sie, wenn Sie einen Autoreifen wechseln?“ Damit war eine offene Frage gefunden: Sie lässt mehrere Antwortmöglichkeiten zu, animiert zum Reden, ist also Einstieg in ein Gespräch. Die Balkonfrage: Der „Balkon“ ist ein Vorspann zur eigentlichen Frage, der Informationen für das Publikum enthält. Hier ein Interview des Spiegel mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber vor der Bundestagswahl 1998: Spiegel: „Nach 15 Jahren Kohl lautet die Bilanz: Rekord-Schulden und Rekord-Arbeitslosigkeit. Wie wollen CDU und CSU mit diesem Kanzler 1998 glaubhaft als Partei des Aufbruchs antreten?“13
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Der Spiegel, Nr.42/1997, 26–29
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Der „Balkon“ versucht dem Interviewten eine Bewertung unterzujubeln bzw. eine Stellungnahme zu entlocken. Reagiert er nicht auf den „Balkon” bleibt dieser unwidersprochen im Raume stehen. Die Suggestiv-Frage bemüht Zeugen und Indizien um eine Antwort vorwegzunehmen, bzw. um dem Befragten eine bestimmte Bewertung in den Mund zu legen; so im eben zitierten Interview: Spiegel: „Selbst für CDU-Hoffnungsträger wie Christian Wulff beispielsweise ist Deutschland heute dabei, eine ‚verlotterte Republik‛ zu werden. Eine Nation, in der ‚Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, Sozialhilfemissbrauch an der Tagesordnung sind, ist krank‛. Wer, wenn nicht die Regierung, ist dafür vor allem verantwortlich?“14
3.3.7
Autorisierung
Praktisch kein Interview wird unbearbeitet veröffentlicht. Gesprochenes Deutsch ist nicht immer druckreif, „Ähs“, „Hms“ und auch Doppelungen oder Nebensächlichkeiten fallen dem Redigierstift zum Opfer. Dagegen kann kein Interviewpartner etwas haben, viele machen ihre Zustimmung zu einer Veröffentlichung aber davon abhängig, dass sie die endgültige Fassung „autorisieren“. Aus ihrer Sicht ein durchaus verständliches Anliegen: Missverständnisse oder schiefe Formulierungen lassen sich so beseitigen, bevor daraus größere oder kleinere Erdbeben werden. Der Klassiker ist die Daily Mail Affäre aus dem Jahr 1908. Kaiser Wilhelm II. hatte der englischen Zeitung im Interview erklärt „ihr Engländer seid verrückt wie die Märzhasen“ und außer ihm, dem Kaiser, könne sie in Deutschland eh keiner richtig leiden. Das deutsch-englische Verhältnis war damit reichlich vergiftet. Heute gehen hochkarätige Meinungsträger lieber auf Nummer sicher, vor einer Veröffentlichung würde jetzt der kaiserliche Pressereferent wenigstens den größten Unsinn umschreiben. Fragwürdig wird das „Autorisieren“ aber dann, wenn ganze Texte so umgeschrieben werden, bis sie mit der ursprünglichen Aussage nichts mehr gemeinsam haben. „Jeder misstraut jedem. In Berlin ist es üblich geworden, dass Abgeordnete selbst kleinste Zitate vorgelegt bekommen wollen. Wer mit dem Verfassungsrechtler Paul Kirchhof zu tun hat, muss vorher unterschreiben, dass kein Wort erscheint, das nicht genehmigt ist.“15
Hier gilt es nun abzuwägen, ob sich der ganze Aufwand lohnt – schließlich hat man in der Regel ja einen Redaktionsschluss im Nacken bzw. ob die veränderte Aussage überhaupt noch Nachrichtenwert hat.Soll man sich überhaupt auf „Autorisieren“ einlassen und Interviews, die unter solchen Bedingungen gegeben werden nicht besser höflich ablehnen? Dafür spräche, dass ja auch der Meinungsträger ein Interesse daran hat, seinen Standpunkt via Medien unter die Leute zu bringen, dagegen, dass man sich womöglich eine Quelle auf Dauer verstopft. Der Spiegel behalf sich in einem Gespräch mit Martin Walser mit dem Nachsatz 14
ebenda Nicht fummeln, Liebling. Politik gegen Presse: Die Sache mit der „Autorisierung“. In: Süddeutsche Zeitung, 28. November 2003
15
106
Andreas Wrobel-Leipold „Die Fragen und Antworten geben nicht den Verlauf des tatsächlich geführten Gesprächs wieder, sondern wurden von Walser neu geschrieben.“16
Listig. Und obendrein mit Nachrichtenwert.
3.4 Die Reportage Die Reportage ist laut dem Fischer Lexikon Publizistik ein „tatsachenbetonter oder tatsachenorientierter, aber persönlich gefärbter Erlebnisbericht, besonders über Handlungen“. Die Reportage gehört damit wie Meldung, Bericht und Interview zu den informierenden Darstellungsformen, enthält aber im Unterschied zu diesen persönliche Eindrücke. Diese wiederzugeben, ist nicht nur legitim, sondern stilistische Voraussetzung, schließlich soll hier etwas nicht abstrakt, sondern nachvollziehbar, erlebbar beschrieben werden: Der Rezipient soll das Geschehen durch die Augen des Berichterstatters sehen. So, als wären es seine eigenen. Die Reportage soll die Nachricht nicht ersetzten, sondern ergänzen: Sie will Themen ans Publikum bringen, die in trocken-distanzierter Nachrichtenform ab einer bestimmten Länge nicht zu vermitteln wären. Eine gute Reportage ist nicht das, was die Leute lesen, sondern das was sie beim Lesen fühlen oder sehen, ist Dabei-sein im Kopf.
3.4.1
Vorgehen
Ausgangspunkt für eine Reportage ist stets eine eigentlich bekannte Tatsache, aus ihr lässt sich Aufmerksamkeit erzeugen, denn, so Stern-Gründer Henri Nannen „nichts ist so erfolgreich wie das, was die Leute schon kennen; jedes mal hoffen sie, daß sie nun endlich ganz genau erfahren, was passiert ist“. Beginnen wir mit einer Meldung aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 31. Juli 2000: Hamburg (SZ). Dem mutmaßlichen Reemtsma-Entführer Thomas Drach drohen in Deutschland bis zu 15 Jahre Haft. Drach wurde nach vier Jahren Flucht und Gefängnis von Argentinien nach Deutschland ausgeliefert. Er sitzt seit dem Wochenende in Untersuchungshaft.
Während beim Bericht weitestgehend feststeht, um was es zu gehen hat, nämlich um das Wichtigste, bestehen bei der Reportage eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten. In der obigen Meldung finden wir ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ 16
eine spektakuläre Straftat; ein Opfer, einen Täter, eine abenteuerliche Flucht, eine langwierige Fahndung, ebenda
Journalistische Darstellungsformen im Überblick ▪ ▪
107
ein juristisches Tauziehen um die Auslieferung und Nebenaspekte.
Aus jedem dieser Aspekte lässt sich ein Arbeitstitel für eine Reportage formulieren, lediglich die Straftat als solche dürfte wohl nicht mehr sonderlich ergiebig sein, schließlich wurde schon ausführlich über sie berichtet. Was zum Reportagethema wird, hängt davon ab, was die Recherchen ergeben: Wer vorher nicht gründlich recherchiert hat, bleibt bei der Reportage beim oberflächlichen Schildern von Vorgängen hängen, kann seinen Lesern keine Einordnung und Bewertung des Geschehens geben. Bei der obigen Themenliste ist anzunehmen, dass auch andere Kolleginnen und Kollegen eine ähnliche aufgestellt haben, die Reportage also nicht unbedingt exklusiv sein wird. Bei der Süddeutschen entschied man sich deshalb offenbar auf den Faktor Zeitnähe zu setzen und wählte einen Nebenaspekt, der grundsätzlich Neues versprach: „Wie ist das eigentlich, wenn eine jahrelange Fahndung abgeschlossen wird?“ Überhaupt sind Nebenaspekte oft dankbarer als das Hauptthema. Was sich z.B. bei einem Rock-Konzert auf der Bühne tut, wird sich als Stoff geradezu aufdrängen und entsprechend oft abgehandelt werden. Die Reportage soll aber hinter die Kulissen blicken lassen – wie wäre es also mit einem Text über die Techniker und Bühnenarbeiter, die den Event erst möglich machen? Am Ort des Geschehens sind dann auch Nebensächlichkeiten genau zu notieren, die bei einem Bericht gnadenlos gekürzt würden. So lesen wir in der SZ-Reportage über die Auslieferung des Reemtsma-Entführers17, dass Drach „33 Schritte“ bis zu einem „kleinen, grün-weißen Polizeihubschrauber“ zu gehen hatte und das „wegen der Handschellen leicht gebeugten, aber lockeren Schritts“. Begleitet wird er dabei nicht einfach von „zwei Polizisten“ sondern von „zwei Hünen in der blaugrünen Kampfmontur des Mobilen Einsatzkommandos“.Wer so präzise notiert, stärkt einerseits die eigene Konzentration und verhindert, womöglich einen entscheidenden Moment zu verpassen, er vergegenwärtigt sich die Stimmung auch nochmals selbst, wenn er daran geht, sein Material zu sichten und den Text zu schreiben. Und bewirkt so schließlich die gewünschten Bilder im Kopf der Leser. Das gesammelte Material sollte – Faustregel! – in etwa für die dreifache Menge Text ausreichen. Einen Text zu kürzen, ist einfacher als ihn im Nachhinein zu strecken, zudem erlaubt eine großzügige Materialsammlung sich die besten Stücke auszusuchen. Bei der Sichtung des Materials stellt sich heraus, welche Stimmung der Text transportieren soll, denn nur in wenigen Einzelfällen weiß der Autor schon vorab, was schlussendlich herauskommen wird. So etwa Tristesse oder positive Stimmung? Spannung oder Nachdenklichkeit?
3.4.2
Der Einstieg
Reportagen sind naturgemäß sehr textlastig. Wer sie im Netz veröffentlichen will, sollte deshalb eine kurze leadmäßige Zusammenfassung voranstellen: Worum soll es eigentlich gehen? Nach maximal 5–6 Zeilen folgt dann ein mehr >>. Dieses Vorgehen empfiehlt sich
17
Halali für einen Schwerverbrecher, Süddeutsche Zeitung vom 3. August 2000
108
Andreas Wrobel-Leipold
deshalb, weil die folgenden, klassischen Einstiege nicht unbedingt schon erkennen lassen, was den Rezipienten erwartet. Bei allgemein bekannten Sachverhalten ist die einfachste Lösung ein Einstieg mit Das ist es also … /Was nun … /Wer kennt sie nicht … Das ist zwar nicht unbedingt optimal, aber zumindest ein Anfang. Wer aufmerksam Details notiert hat, findet aber bessere Möglichkeiten. Den szenischen Einstieg haben wir bereits kennen gelernt, er schildert einen Handlungsablauf. „Eskortiert von zwei Hünen in der blaugrünen Kampfmontur der Mobilen Einsatzkommandos geht die Gestalt, wegen der Handschellen vor dem Körper, leicht gebeugt, aber lockeren Schrittes …“
Ein Kontrast zum Thema als Einstieg bietet sich zumal dann an, wenn dies Spannung verspricht: „Mr. und Mrs. Ronghi sitzen auf einem geblümten Sofa in ihrem Haus in dem Arbeiterstädtchen Niles und erzählen, was für ein netter Junge ihr Sohn immer war. Mr. Ronghi hat 35 Jahre im Stahlwerk gearbeitet und Mrs. Ronghi hat die Kinder aufgezogen. ‚Er ist ganz normal aufgewachsen’, sagt die Mutter …“18
Auf dieses kleinbürgerlich-normale Idyll folgt die Geschichte eines Mörders. Eine weitere Möglichkeit ist Spannung: „Die drei Männer kamen um Mitternacht und pochten an die Tür des Bauernhofs. „Aufmachen! Militärpolizei!“ Die Hunde schlugen an. Janos wußte Bescheid.“19
Dass ausgerechnet die Militärpolizei zu dieser Stunde nicht nur einen „Guten Abend“ wünschen will, drängt sich wohl auf. Eine Personenbeschreibung ist besonders dann geeignet, wenn der Mensch, um den es geht, das Thema exemplarisch verkörpert: „Leicht ist Sandy das Leben noch nie gefallen. Breitbeinig sitzt sie in ihrer taubenblauen Trainingsgarnitur auf ihrer Ledercouch. Eine Stunde rührt sie sich nicht vom Fleck, die Beine immer gespreizt, weil ihre Oberschenkel so mächtig sind, dass sie die Knie gar nicht mehr zusammen bekäme.“20
Sandy, eine 47jährige mit 300 US-Pfund Körpergewicht, steht hier als Beispiel für stark übergewichtige US-Bürger. Wir kommen auf sie zurück. 18 „Stacheldraht, ein Stockbett und 20 Mark – wie es Serben ergeht, die während des Kosovo-Krieges die NATOAppelle wörtlich nahmen und nach Ungarn desertierten“. In: Süddeutsche Zeitung, 3. August 2000, S.3 19 ebenda 20 Reymer Klüver: Die Lizenz zum Zunehmen, in: Süddeutsche Zeitung, 27. Dezember 2006
Journalistische Darstellungsformen im Überblick 3.4.3
109
Vom Detail zum Gesamtbild: Die Erzählperspektive wechseln
Charakteristisch für die Reportage ist ein ständiger Wechsel der Erzählperspektive, so zwischen Szenarium und Hintergrund. Mit der Beschreibung von Sandy wurde uns ein Thema nahe gebracht, mit ihr hat ein Problem buchstäblich ein Gesicht erhalten. Nun wechselt gleichsam die Kameraeinstellung von der Detail- zur Gesamtansicht: „Sandy ist eine der neun Millionen ihrer Landsleute, die unter morbid obesity leiden, wie es in den USA heißt, einer derart massiven Fettleibigkeit, dass ein vorzeitiger Tod zwangsläufig erscheint. In den USA hat die Fettleibigkeit geradezu epidemische Züge angenommen. Zwei Drittel aller Erwachsenen gelten inzwischen als übergewichtig. Das ist mehr als in jedem anderen Land der Welt. In Deutschland zum Beispiel leiden elf, zwölf Prozent aller Menschen an Adipositas, an Fettleibigkeit“
Dieses Beispiel enthält auch einen anderen Perspektivwechsel, nämlich den von der persönlichen Beobachtung zur Hintergrundrecherche („elf, zwölf Prozent“). Als Einstieg hätten sich diese Zahlen freilich nicht geeignet – Statistik geht keinem so richtig nahe und „Adipositas“ ist viel zu abstrakt, um zum Weiterlesen zu animieren. Dem Leser drängen sich weitere Fragen auf und die Betrachtungsweise wechselt nun zwischen manifest und latent. Manifest sind Sandys 130 Pfund ebenso wie die Gesundheitsprobleme bei einer Adipositas. Aber dahinter steckt latent mehr „Rein volkswirtschaftlich gerechnet kommen Menschen wie Sandy Schaffer den USA teuer zu stehen. Auf 100 Milliarden Dollar werden die Extrakosten allein für die medizinische Betreuung fettleibiger Menschen geschätzt. 3,5 Milliarden Liter Benzin werden jedes Jahr zusätzlich verbraucht … Allein die Fluggesellschaften schätzen ihre Mehrkosten auf 275 Millionen Dollar...“21
„Latent“ heißt „vorhanden, aber nicht in Erscheinung tretend“ – und genau das an die Oberfläche holen, soll eine Reportage. Wer es mag, der kann sich bei Peter Scholl-Latour inspirieren lassen und buchstäblich zu jeder Beobachtung noch ein Adjektiv und eine angelesene Hintergrund-Information liefern. Aus dem Satz „die Männer sitzen am Tisch und trinken Schnaps“ würde dann, frei nach Altmeister Scholl-Latour: „Die breitschultrigen Männer mit den kräftigen Backenknochen, die so typisch sind für den rauen Menschenschlag des Prcic-Gebirges, sitzen an grobgezimmerten Tischen aus molwenischer Knorreiche. Sie trinken blass-roten Vrkopca, den 60%igen Branntwein aus Rosskastanien, mit dem sie auch ihre alten bulgarischen Traktoren entrosten22.“
Dieser Text hat zumindest den Vorteil, dass er problemlos kürzbar ist.
21
ebenda Deriviert aus dem Gesamtwerk, Vgl.insbes. Scholl-Latour, Peter: Im Fadenkreuz der Mächte. Gespenster am Balkan. München 1994
22
110
Andreas Wrobel-Leipold
3.4.4
Stilmittel wechseln
Aus Kapitel 3.2 kennen wir bereits den Einsatz der wörtlichen Rede als Stilmittel. Für Zitate bietet die Reportage wesentlich mehr Raum, sie eignen sich zumal dazu, Gefühle und persönliche Einschätzungen der handelnden Personen wiederzugeben. Zitate sollten jedoch nicht mit Monologen verwechselt werden. Wie eine gute Mischung aus ihnen und der Reporterperspektive aussieht, zeigt die Schilderung von Sandys Erfahrungen beim Sport: Es war stets „Unterricht in Erniedrigung“, wie sie bitter formuliert. Die Lehrer haben sie nicht vor der Lächerlichkeit beschützt, und noch immer hallt ihr das Kommando „Hoch das Knie, hoch das Knie“ der Trainer im Ohr – und sie konnte einfach nicht mithalten. Am Ende taten alle so, als wäre sie gar nicht im Raum, weil sie nicht wussten, was sie mit der Dicken machen sollten. „Und du willst nur eins sein: unsichtbar, gar nicht da“.
Das Beispiel zeigt weiter, wie die Wahl der Modi Verbundenheit oder Distanz vermitteln kann. „Die Lehrer hätten sie nicht … beschützt“ würde andeuten, dass Sandy vielleicht nur eine Behauptung aufstellt, eine, die der Reporter nicht unbedingt nachvollziehen kann. „Haben“ kennzeichnet dagegen eine Tatsache. „Und du willst nur eins sein: unsichtbar, gar nicht da“: Diese Aussage steht im Präsens und als direkte Rede, obwohl besagte Sportstunden schon länger zurückliegen. Sandy leidet also immer noch. Um wie viel emotionsärmer, distanzierter wäre der Satz in indirekter Rede und Konjunktiv „sie sagte, sie habe nur eines gewollt, unsichtbar zu sein“. Allein schon das Partizip „gewollt“ würde bedeuten „das Kapitel ist für Sandy abgeschlossen“.
3.4.5
Bilder im Kopf erzeugen
Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte – auch im Kopf. Dazu braucht es keine weitschweifig-blumigen Beschreibungen, es genügt, genau zu beobachten und Vergleichsmaßstäbe aus dem Erfahrungshorizont seiner Rezipienten zu finden. Unter „0,73 Hektar“ kann sich nur ein Landwirt etwas vorstellen, wie wäre es stattdessen mit „groß wie ein Fußballfeld“. Eine Druckmaschine hat nicht etwa „6 mal 2,10 mal 2,5 Meter“ sondern die „Ausmaße eines Kleintransporters“. Anstatt „karger Lohn für harte Arbeit“ – worunter sich der Zahnarzt eh etwas völlig anderes vorstellt als die Sozialarbeiterin – ließe sich bildhafter formulieren: „Artos schleppt von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends Getreidesäcke und bekommt dafür 16 Mark pro Tag. Das reicht für Windeln, Obst und Gemüse, aber niemals für eine neue Existenz.“23
In diesen drei Zeilen erfahren wir plastisch, wie Artos’ Zwölf-Stunden-Tag aussieht, wie viel er verdient und was er damit anfangen kann – dass er im Grunde ohne Perspektive ist. In der
23 „Stacheldraht, ein Stockbett und 20 Mark – wie es Serben ergeht, die während des Kosovo-Krieges die NATOAppelle wörtlich nahmen und nach Ungarn desertierten“. In: Süddeutsche Zeitung, 3. August 2000, S.3
Journalistische Darstellungsformen im Überblick
111
gleichen Reportage wird auch bildhaft eingefangen, was in einem Bericht unter dem Dachbegriff „Lager-Tristesse“ abgehandelt würde: „Der Mann kommt aus der Baracke und setzt sich zu seinen Landsleuten auf die Bank. Ein heißer, feuchter Wind treibt vertrocknete Lindenblüten über den Teerboden, es riecht nach Staub und Latrine.“24
3.4.6
Schluss
Da die Reportage eine informierende Darstellungsform ist, kommt es nicht darauf an, Spannungsbögen aufzubauen und einen Schluss zu finden, mit dem sich der Kreis dort schließt, wo er angefangen hat. Gleichwohl kann man die Regeln für den Einstieg auch für den Schluss anwenden. Im Falle der so oft bemühten Sandy ist es ein szenischer Ausstieg: „Dann steht Sandy auf. Dazu drückt sie beide Hände auf ihre Oberschenkel, verlagert ihr Gewicht auf Füße und Waden, presst ihren Leib nach oben. Gut – ein bisschen außer Atem kommt sie schon. Aber Sandy stemmt es – wie alles im Leben.“
Schön. Aber nicht unbedingt nötig. Wichtiger als ein stilistisch eleganter Ausstieg ist die Verständlichkeit des gesamten Textes. Da man gegenüber eigenen Texten unweigerlich betriebsblind ist – schließlich weiß man ja selbst am besten, was gemeint ist und welche Bilder im Kopf erzeugt werden sollen – lässt man ihn am besten von jemandem gegenlesen, der mit der Materie möglichst nicht vertraut ist. Der „Stern“ erklomm mit dieser Methode einst einsame journalistische Höhen. Sein Gründer Henri Nannen führte „die Schwiegermutter in den deutschen Journalismus ein … wenn sie nicht verstand, wovon die Rede war, wusste Nannen, dass die Mehrheit der Stern-Leser es auch nicht verstehen würden, und bestand darauf, dass der Bericht umgeschrieben wurde.“25
3.5 Überschriften Das Lesen eines Textes beginnt mit der Überschrift, das Schreiben endet mit ihr. Die Gründe dafür sind ganz praktisch: Vorab weiß man nie so genau, wie der fertige Text „läuft“, ob einoder mehrspaltig, ob die Überschrift für das jeweilige Layout nun zu kurz oder zu lang ist. Beim Bericht ist die Überschrift im Grunde ein nochmals verdichteter Lead-Satz, man tut sich also leichter, wenn zuerst dieser ausformuliert ist. Verdichtet wird z.B. durch den Verzicht auf bestimmte und unbestimmte Artikel und Hilfszeitwörter. Aus dem Lead-Satz „Die CDU/CSU-Fraktion kann den Zeitplan für die Gesundheitsreform nicht einhalten.“ wird als Überschrift „Union sprengt Zeitplan für Gesundheitsreform“. Verben werden durch Präpositionen ersetzt: Aus „ablehnen“ wird „gegen“ aus „unterstützen“ wird „für“, „sich äußern“ wird „zu“. Germanisten mag sich zwar der Magen umdrehen, aber kürzer sind diese For24 25
ebenda Hermann Schreiber: Henri Nannen – Drei Leben, München 1999, S. 248 f.
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Andreas Wrobel-Leipold
mulierungen allemal – und dabei nicht weniger informativ als „gutes Deutsch“. Geht es um komplexere Themen, dann ergibt sich eine zugkräftige Überschrift oftmals erst dann, wenn man versucht, den Stoff in einfachen Worten zu erklären. Ein Beispiel: Hermann Heinrich Gossen hatte 1854 das „Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen“, formuliert, für die moderne Wirtschaftstheorie ein epochaler Meilenstein, vergleichbar der Kopernikanischen Wende. Aber welcher Durchschnittsmensch weiß das? Die „Süddeutsche“ widmete zum 150. Jahrestag dieser Entdeckung einen Beitrag, und erklärte Gossens Gesetz für Laien mit den Worten „die erste Wurstsemmel schmeckt am besten, die zweite einigermaßen gut, bei der dritten, vierten oder fünften wird der Zusatznutzen irgendwann Null, weil der Konsument satt ist“. In der Überschrift wurden diese Fakten verdichtet zu „Der Kopernikus der Wurstsemmel“26 Beim Interview finden sich Zitate, die sich verkürzen bzw. komprimieren lassen und die als Überschrift so eine Kernaussage transportieren können. „Schäuble ist besessen“27 überschreibt die Süddeutsche ein Interview mit einer Oppositionspolitikerin. Im vollen Wortlaut heißt der Satz „Schäuble ist davon besessen, mit aller Macht den Abschuß von Passagieren zuzulassen, die sich in der Hand von Terroristen befinden“. Da nun „besessen“ auch „geisteskrank“ bedeuten kann, empfiehlt es sich, diese Fassung erst autorisieren zu lassen. Bei der Reportage bestimmt nicht nur der Inhalt, sondern auch die Stimmung, die transportiert werden soll, die Überschrift. Und beides kennt man erst dann genau, wenn man fertig ist. Bei der Süddeutschen Zeitung kann man dabei auf der Seite 3 buchstäblich aus dem Vollen schöpfen, der Text läuft über bis zu sieben Spalten und neben der Überschrift gibt es auch noch eine Dach- und eine Unterzeile. Der Text über unsere schon so oft bemühte Sandy ist überschrieben mit:
Übergewichtige in Amerika: „Ich war dazu bestimmt, fett zu werden“
Die Lizenz zum Zunehmen Kein Land ist fitter und keines fetter – wie die Dicken in den USA lernen, sich selbst zu lieben und die gesundheitspolitische Krise zu ignorieren Dachzeile und Untertitel geben sachliche Informationen, die Überschrift reflektiert die Stimmung – „den Dicken ist es egal“. Das ist zwar fast schon ein Meldungsblock für sich, zeigt aber was die Überschrift soll: Selbst Zeitungs-Überflieger bzw. gehetzte Internet-User wissen nach diesen Worten, was Sache ist – und ob es sich für sie lohnt, weiter zu lesen. Es geht aber auch deutlich kürzer. „Keine Schießerei im Bierkeller“ stand da eines Tages als Überschrift im Meldungsteil eines Lokalblatts28. Wer stutzt da nicht? Was folgte, war eine Allerweltsmeldung. Ein Gemeinderat hatte den Antrag des Schützenvereins abgelehnt, im Gewölbe der alten Brauerei einen Schießstand einzurichten. Dem Lead-Prinzip vollauf genügt hätte „Bauantrag abgelehnt“ oder, bei einem Zweispalter, „Gemeinderat gegen Schießstand in Brauereigewölbe“. Aber so etwas geschieht täglich x-fach und hat an sich wenig 26
Der Kopernikus der Wurstsemmel, in: Süddeutsche Zeitung, 10./11./12. April 2004 „Schäuble ist besessen“ – Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert Vorstoß. In: Süddeutsche Zeitung, 3. Januar 2007 28 Für diesen Geistesblitz Dank an einen unbekannten Kollegen von den Freisinger Neuesten Nachrichten. 27
Journalistische Darstellungsformen im Überblick
113
Nachrichtenwert; keiner hätte gestutzt und weiter gelesen. Aber genau das schafft „Keine Schießerei im Bierkeller“. Wahre journalistische Meisterschaft zeigt sich eben dann, wenn nichts passiert.
Musterlösung zu Seite 97: Tödliche Giftkapseln erbeutet haben Unbekannte gestern beim Einbruch in einer Tiefgarage in der Angermüllerstraße 32. Akute Lebensgefahr besteht bei Zerbrechen oder Einnehmen der Kapseln, sie enthalten Blausäure, die zur Lähmung des Atemsystems führt. Die Kapseln ähneln äußerlich Pfefferminzdragees und befinden sich in einem zündholzschachtelgroßen Behälter aus durchsichtigem Kunststoffmaterial. Er trägt in türkischer Sprache den Warnhinweis „Dikkat! Ölim tekkesi“, zu Deutsch: „Vorsicht Lebensgefahr!“. (510 ZmL) Entwendet wurde das Gift aus dem Auto eines Schmetterlingssammlers, der das Präparat dazu verwendet, Insekten äußerlich unbeschädigt zu töten. Die Täter hatten gegen 23:45 Uhr das Heckfenster des Ford eingeschlagen und neben den Kapseln auch mehrere Schmetterlingsnetze und eine Botanisiertrommel entwendet. (817 ZmL) Begründung: Höchsten Nachrichtenwert hat hier die Warnung. Die Zyankali-Kapseln sind nach wie vor nicht gefunden, es besteht also eine akute Gefahr für Leib und Leben. Wie das Gift in falsche Hände kam, ist dabei weniger wichtig, steht daher erst im zweiten Absatz. Allerdings fragt sich der Leser, warum jemand derlei Dinge in seinem Auto hat. Der Tathergang und die sonstige Beute interessieren vergleichsweise wenig.
Weiterführende Literatur Die folgende Literaturauswahl beschränkt sich auf Titel mit unmittelbarer praktischer Anwendbarkeit – und ist dementsprechend keinesfalls erschöpfend: Buchholz, Goetz (Hrsg.): Ratgeber Freie-Kunst und Medien, Stuttgart 2002 Delonge, Franz-Benno: Rückhaltlose Aufklärung, Politiker-Deutsch für Anfänger, Frankfurt 2000 Geissler, Gary, e.a.: The Influence of Home Page Complexity on Consumer Attention, Attitudes, and Purchase Interest. In: The Journal of Advertising, Vol 35, Nr. 2 (Summer 2006), S. 69–80. Kiesel, Wolfgang/Hirschler, Michael/Pöppelmann, Benno H: von Beruf: Frei. Der Ratgeber für freie Journalistinnen und Journalisten, 3. Aufl., Bonn 2003 La Roche, Walther: Einführung in den praktischen Journalismus, 17. Aufl., München 2006 Manoff, Robert Karl (Hrsg.): Reading the news. A Pantheon guide to popular culture, New York 1987 Möllmann, Bernhard: Redaktionelles Marketing bei Tageszeitungen, , München 1998 Schneider, Wolf: Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil, München 1999 ders.: Deutsch für Kenner. Die neue Stilkunde, 2. Aufl., München 2005 ders.: Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß, 14. Aufl., Reinbek 1994 ders.: Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte, 2. Aufl., Reinbek 2005 Schreiber, Hermann: Henri Nannen – Drei Leben, München 1999,
114 Periodika: Bild Freisinger Neueste Nachrichten Freisinger Tagblatt Journalist – Das deutsche Medienmagazin Journalism and Mass Communication Quarterly Media Perspektiven, Basisdaten 2005, S.64 Medium Magazin. Die Zeitschrift für Journalisten Der Spiegel Süddeutsche Zeitung Die Welt
Andreas Wrobel-Leipold
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor Joachim Böskens
Redaktion und Management – zwei Welten treffen aufeinander! Auf der einen Seite der Journalismus, die vierte Gewalt im Staat. Frei, ungebunden, verfassungsrechtlich in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Auf der anderen Seite die hierarchisch aufgebaute Organisationsstruktur, die Führungsaufgaben zu erfüllen hat: Das Management. Passen diese beiden Begriffe, „Redaktion“ und „Management“, zusammen? Seit die Medienbranche Anfang des neuen Jahrtausends erstmals in ihrer Geschichte die Folgen einer wirtschaftlichen Rezession am eigenen Leibe gespürt hat, zweifelt wohl niemand mehr in den Redaktionsräumen der Verlage, der Rundfunkanbieter, der so genannten Contentanbieter an der Notwendigkeit von Redaktionsmanagement. Durch die enormen Rückgänge im Anzeigen- und Werbegeschäft hat ein Umdenken eingesetzt. Die Redaktionsleiter/-manager haben es nicht leicht: Die Zeiten der „vollen Töpfe“ sind vorbei. Es war leichter, aus dem Vollen zu schöpfen, als sich zu beschränken, lieb gewonnene Strukturen zu überdenken, zu verändern, auf Privilegien zu verzichten. Prozesse, die in „normalen“ Wirtschaftsunternehmen regelmäßig stattfinden. „Redaktionsmanagement kann dann wirksam zum Erfolg eines Mediums am Markt beitragen, wenn Planung und Organisation journalistischer Arbeit nicht als Beeinträchtigung, sondern als Chance für professionelle Leistungen angesehen werden.“1
1
Marktorientierung als Grundlage für das Redaktionsmanagement
Alle Betroffenen sind sich einig: Grundsätzliche Veränderungen in der Struktur der Redaktionsorganisation müssen her. Durch die Veränderungen des Marktes und dem daraus resultierendenden Kostendruck hat ein Umdenken stattgefunden. Die Ausdifferenzierung und der Konkurrenzdruck im Medienmarkt sowie eine Fülle von neuen Medienangeboten haben dazu geführt, dass Redakteure neben der journalistischen Tätigkeit auch redaktionelle Managementaufgaben übernehmen: von der Ablauforganisation über Personalführung und Kostencontrolling bis zum redaktionellen Produktmanagement2. Die redaktionelle Arbeit kann somit nicht mehr unabhängig von den ökonomischen Rahmenbedingungen gestaltet und betrachtet werden. Ohne Berücksichtigung der Ressourcen, einer entsprechenden Marktorientierung und einer den Gegebenheiten angepassten Struktur ist ein Überleben im Medienmarkt nicht möglich. Allerdings fällt es vielen Journalisten schwer, sich mit dem verhältnismäßig „trockenem Geschäft“ der Kostenstellen, Kostenträger, Stellenpläne, Organisationsmodellen usw. 1 2
Mast 1991, 279 vgl. Mast 1991, 277
116
Joachim Böskens
zu beschäftigen. Wenn man allerdings in der Hierarchie eines Medienunternehmens – auf welcher Managementebene auch immer – angelangt ist, ist die Befassung mit dieser Materie unvermeidbar. Und spätestens dann lernt der kreative, innovative, vielleicht sogar investigative Journalist, dass Kreativität Strukturen und Controlling benötigt. Die Zeiten, in denen Journalisten ohne Vorbildung im Management, aus dem operativen Geschäft als Reporter, Korrespondent oder Redakteur in das redaktionelle Management aufsteigen, sollten vorbei sein. Immer mehr Medienunternehmen betreiben eine intensive Aus- und Fortbildung für angehende Führungskräfte, bereiten die potentiellen Ressortchefs oder Redaktionsleiter auf ihre neuen Aufgaben vor. Dabei werden nicht nur die Unternehmensziele, -strukturen und Arbeitsabläufe gelehrt, sondern auch Grundlagen der Führung und des Managements. Abbildung 1:
Steigende Anforderungen an die Redaktionen
Wie definiert man nun redaktionelles Management? Es bedeutet „die strategische Implementierung, Steuerung und Sicherung publizistischer Qualität in Verbindung mit Markterfolg, auf dem Wege des konzeptionellen, organisatorischen Personal- und Kostenmanagement“3.
1.1 Ziel ist der Einklang von Qualität und Erfolg Redaktionsmanagement soll also als Hauptziel die publizistische Qualität und den Markterfolg in Einklang bringen. An dieser Definition wird deutlich: Management-Theorien haben Einzug in die Führungsetagen der Medienkonzerne gehalten und: Betriebswirtschaftliche Probleme haben den Journalismus eingeholt. Ziel ist es nun, ohne Qualitätsverlust effizient zu arbeiten. Grundsätzlich gelten – auch wenn es für viele Journalisten schwierig ist – für ein Medienunternehmen, ob Print-, elektronische oder neue Medien die allgemeinen Managementgrundsätze: Die Abläufe in der Redaktion orientieren sich an festen Regeln, die aufgrund von Planung und organisatorischer Arbeit realisiert werden. 3
Meckel 1999, 22
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor
117
Ein weiterer Aspekt, der in der Wirtschaft, dem „freien Markt“, erfolgreich umgesetzt wird, ist die dauerhafte Qualitätssicherung. „Bei allen Maßnahmen geht es darum, eine Qualitätsphilosophie zu entwickeln, die auf allen Ebenen eines Unternehmens und in allen Stadien des Arbeitsprozesses ansetzt – also von der ersten Idee über das Konzept und die Produktionsphase bis hin zur Kontrolle des Ergebnisses – und die deshalb auch `Total Quality Management’“ bezeichnet wird4. In der allgemeinen Managementlehre unterscheidet man drei Arten von Management: ▪ ▪ ▪
lower-, middle- und top management.
Übertragen auf eine Redaktionsstruktur bilden Gruppen-, Redaktions- und Ressortleiter den unteren Bereich (vergleichbar in der Industrie mit Vorarbeitern/Meistern). Das „mittlere Management“ bilden Chefredakteure, Bereichsleiter, Programmdirektoren (vergleichbar in der Industrie mit Abteilungs-, Hauptabteilungs- oder Betriebsleitern). Das „Topmanagement“ bildet die Spitze des Unternehmens/der Anstalt: Der Geschäftsführer, der Direktor, der Intendant. Wenn wir von Redaktionsmanagement sprechen, geht es also vor allem um die untere und die mittlere Hierarchieebene. Das Topmanagement ist jedoch die eigentliche, originäre Lenkungsinstitution. Hier werden die qualitativen (Qualitätsstandards) und quantitativen (Auflage, Quote, Profit) Unternehmensziele definiert, die Ressourcen verteilt. Das mittlere und untere Management nimmt in der Regel delegierte Führungsaufgaben wahr, ist also in weiten Teilen nicht selbständig, sondern handelt im verbleibenden Ermessensspielraum.
2
Redaktionsmanagement und operatives Geschäft
Die Rolle der Chefredakteure bei Tageszeitungen hat sich nach Erkenntnissen einer Studie massiv verändert: „Nur noch neun Prozent sieht sich in erster Linie als Journalist, der Texte schreibt und der Zeitung – etwa durch Leitartikel – ein inhaltliches, publizistisches Profil gibt. 40 Prozent verstehen sich als Blattmacher und die Hälfte als Manager, der seine Mitarbeiter motiviert, die Redaktion organisiert und leitet und viel Zeit für Konferenzen und Führungsaufgaben einplant.“5. Je nach Hierarchiestufe kann man den Managementaufwand der leitenden Redakteure definieren. Der Hörfunkleiter eines öffentlich-rechtlichen Programms ist zu 90 Prozent mit Managementaufgaben betraut. Zehn Prozent seiner Tätigkeit sind im operativen, journalistischen Bereich angesiedelt. Bei einem „nachgeordneten“ Nachrichtenchef, als Leiter einer mittelgroßen Redaktion (zehn Mitarbeiter), verschiebt sich das Verhältnis zugunsten des operativen Geschäfts, also der eigentlichen redaktionellen Tätigkeit (Planung, Recherche, schreiben, redigieren etc.). Die Organisationsstruktur beeinflusst dieses Verhältnis maßgeblich mit. 4 5
Meckel 1999, 42 Meier in message 01/02, 102
118
Joachim Böskens
2.1 Redaktionsmanagement in der Praxis Im redaktionellen Alltag werden mehrere Managementfunktionen deutlich6: ▪
▪ ▪
Die Entwicklung eines redaktionellen Konzeptes, das dem Produkt ein unverwechselbares Gesicht gibt. Die Kontrolle der redaktionellen Qualitätsstandards und Erarbeitung eines Katalogs zur Qualitätssicherung. Die Entwicklung, die Einhaltung und Überprüfung der finanziellen Rahmenbedingungen. Die Einstellung und Fortbildung von angemessen qualifiziertem Personal. Die Entwicklung und Implementierung redaktioneller Strukturen.
3
Medien- und Marktforschung als Erfolgsfaktor
▪ ▪
Bei den oben aufgeführten Rahmenbedingungen, der Verschärfung des Marktes und der daraus resultierenden Veränderungszwänge, ist es selbstverständlich, dass die Qualität des redaktionellen Konzepts die Grundlage für den Erfolg darstellt. Grundlage für ein erfolgreiches redaktionelles Konzept ist deshalb eine gründliche Analyse des Marktes (Eigen- und Konkurrenzanalyse) und der avisierten Zielgruppe (Kundenanalyse) mit Hilfe der Instrumentarien der quantitativen und qualitativen Medienforschung. Für den Radiomarkt ist die strategische Entwicklung eines Senders anschaulich in dem Standardwerk „Radiomanagement“ dargestellt7. Die Mechanismen der Produktentwicklung sind aus dem Marketing bekannt und auch auf andere Mediengattungen übertragbar.
4
Redaktionelles Controlling
Der Begriff „Controlling“ hat inzwischen im allgemeinen Sprachgebrauch Einzug gehalten. Er wird aber in der Regel unzutreffend gebraucht, nämlich in der Bedeutung von „Kontrolle“. Dabei wird der wesentliche zweite Teil der Begriffsdefinition außer Acht gelassen: die Steuerung. Wesentliche Aufgaben eines Redaktionsmanagers bestehen aus Controlling, also der Steuerung und Kontrolle des redaktionellen Angebots. Ausgehend von den Ergebnissen der redaktionellen Konzeptentwicklung müssen in den Redaktionen die entsprechenden Strukturen für eine effektive Planung sowie Steuerung und Kontrolle implementiert werden.
6 7
vgl. Meckel 1999, 21 f. Haas/Zimmer/Frigge, 1991
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor
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4.1 Konferenzen: So viele wie nötig – so wenig wie möglich Konferenzen sind eines der wichtigsten Instrumente der Planung, Steuerung und Kontrolle. Die Zahl der täglichen und wöchentlichen Konferenzen ist abhängig vom Produkt: Ein privater Radiosender, der seinen Schwerpunkt auf die Morgenshow legt, kommt ohne nennenswerte Kommunikationsverluste mit einer Themenkonferenz pro Tag aus. Bei komplexeren Sendeschemata und Senderstrukturen ist dies sicherlich nicht ausreichend. Grundsätzlich sollte bei Konferenzen gelten: So viele wie nötig, so wenig wie möglich. Für den Konferenzleiter gilt: delegieren, steuern, kontrollieren. Auch wenn inzwischen neue Kommunikationsmittel, wie Mailsysteme, in die Redaktionen Einzug gehalten haben, sollte auf den persönlichen Kontakt, die Konferenz „face-to-face“ nicht verzichtet werden. Bei der Einbindung von Außenstudios oder ausgelagerten Redaktionsteilen empfiehlt sich nicht das Telefon. Auch wenn es teurer ist, sollte eine Übertragung der Konferenz via Internet oder Bildtelefon ermöglicht werden. Die Kommunikationsverluste beim Telefon sind ernorm. Grundsätzlich sollten Konferenzen nach festgelegten Schemata ablaufen. Die morgendliche Konferenz bei einem öffentlich-rechtlichen Radiosender läuft beispielsweise wie folgt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Sendungskritik (wechselnde Referenten), Konkurrenzbeobachtung, Tagesplanung Aktuell, Tagesplanung Fläche, Tagesplanung Außenstudios, weitere Themenvorschläge, Abfrage: Technik/Produktion/Internet.
Die tägliche Programmkritik ist dabei ein wesentlicher Bestandteil der Qualitätskontrolle. Dabei sollte der „Beobachter“ täglich wechseln. Bei einem privaten Berliner Radiosender werden regelmäßig „Leute von der Straße“ zu den Konferenzen eingeladen, die aus Sicht des Konsumenten zu ganz anderen Ergebnissen und Bewertungen gelangten, als die durch die professionelle Sicht eingeschränkten Mitarbeiter. Überhaupt sind Meinungen von Hörern, Zuschauern oder Lesern immer ein guter Indikator für die Qualitätserhaltung. Weitere Instrumentarien sind der regelmäßige Research sowie Kleingruppengespräche, in denen man vor allem geplante Veränderungen oder neue Programmvorhaben testen kann. Ebenso wichtig, aber oft vernachlässigt, ist die tägliche Konkurrenzbeobachtung. Nur so werden Veränderungen des Mitbewerbers schnell wahrgenommen, aber auch Themen abgeglichen („Warum hatten wir das nicht?“). Neben den täglichen Konferenzen, die in der Regel den aktuellen und den folgenden Tag als Planungsgröße beinhalten, muss auch die Mittelfrist- bis Langfristplanung durch eine regelmäßige Konferenz abgedeckt werden. In diesem Meeting bietet es sich auch an, größere Programmaktionen zu erörtern und entsprechende Aufträge zu erteilen sowie Ergebnisse einzufordern.
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4.2 Themensteuerung durch Checklisten Bei der Themensteuerung sind klare Absprachen unverzichtbar. Diese einzufordern, ist Aufgabe des redaktionellen Managements: Wer macht, was und vor allem wie, bis wann? Auch wenn man die Bürokratie nicht unnötig ausdehnen sollte, können „Checklisten“ in diesem Fall sehr sinnvoll sein. Oftmals erschließt sich ein Themenvorschlag eines Mitarbeiters nicht auf den ersten Blick. Es ist deshalb hilfreich, wenn der Autor/Reporter vorher ein Papier mit den wichtigsten Fakten erstellt (Thema, Darstellungsform, wichtigster Aspekt, Vorgehensweise, geplante Länge etc.).
4.3 Redaktionsfibel, Stylebook, Programmbuch Das Herzstück des Qualitätsmanagements ist das Redaktionsbuch, das Stylebook, das Programmbuch. Hierin finden sich neben der Beschreibung der Unternehmensphilosophie, der avisierten Zielgruppe und allgemeinen Hinweisen, Regeln zur Qualitätssicherung: Stil- und Layoutvorgaben, Moderationsregeln, Hinweise zum Nachrichtenformat etc. Diese Vorgaben sollten „einklagbar“ sein. Um die Akzeptanz eines solchen „Regelwerkes“ zu erhöhen, sollten bei der Entwicklung dieser Qualitätsstandards möglichst viele Mitarbeiter eingebunden werden. Trotz Konferenzen und Regelwerken bleiben Rundbriefe oder Aushänge im Redaktionsalltag unerlässlich. Die neuen Kommunikationsmittel machen es möglich: Via E-Mail sind allgemeine, technische und redaktionelle Informationen schnell kommunizierbar. Um einen „Wildwuchs“ an offiziellen Bekanntmachungen per E-Mail zu verhindern, sollte jedoch nur ein definierter Kreis die entsprechende Vollmacht zur Versendung erhalten.
4.4 Der Etat bestimmt die Qualität des Produkts Kostenstellen, Soll-Ist-Vergleiche, Wirtschafts-, Sendeleistungs- und Produktionsleistungsund Stellenpläne – das Geschäft eines Redaktionsmanagers kann trostlos sein, besonders in Zeiten des Sparens und Etatkürzungen. Ein Basiswissen in Rechnungswesen und Buchhaltung ist deshalb zwingend erforderlich. Immerhin müssen Redaktionsmanager mit Etatverantwortung gewissenhaft planen. Zum Beispiel bei dem Einsatz von Honorarmitteln. Es ist durchaus schon vorgekommen, dass aufgrund von Fehlplanung eines Redaktionsleiters bereits im August alle Mittel für freie Mitarbeiter, also die Honorare, ausgeschöpft waren. Eine Fehlplanung mit fatalen Folgen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität des Produkts hatte. Mit einem Mindestmaß an ergebnisorientiertem und vor allem wirtschaftlichem Denken und Handeln wäre dieses nicht passiert.
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor
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4.5 Controlling der Ressourcen In der Regel finden einmal jährlich die Etatberatungen zwischen top- und middle management statt. Dabei unterscheidet man grundsätzlich die festen und die flexiblen Kosten. Bei den festen Kosten handelt es sich unter anderem um die Personal- und Sachaufwendungen, bei den flexiblen Kosten um die Honorarkosten. Die Berechnung letzterer orientiert sich am Programmvolumen und der Quotierung der Arbeitsleistung nach festen und freien Mitarbeitern. Je höher die Anzahl und der Output der Festangestellten ist, desto geringer ist der Bedarf an freien Mitarbeitern. In der Medienbranche ist es aber genau anders herum: Die Tendenz geht hin zu einem Abbau von festen und Aufstockung der freien Mitarbeiter.
5
Redaktionsorganisation im Umbruch
Die Organisation der Arbeitsabläufe sollte sich nach den Aufgaben richten. Diese banale Aussage ist gerade auf großen, traditionellen, gewachsenen Redaktionen bzw. Organisationseinheiten nicht immer zutreffend. In der Regel herrschen in den Redaktionen so genannte Einlinienorganisationen vor. In dieser Organisationsform „werden Entscheidungen linear von oben nach unten kommuniziert, was für den redaktionellen Alltag offenbar den Vorteil hat, dass keine mehrstufigen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse absolviert werden müssen, die im aktuellen Produktionsprozess zeit- und nervenaufreibend sein können“8. Abbildung 2:
„Einlinienorganisation“
Die Vorteile des Einliniensystems liegen auf der Hand: Es gibt übersichtliche Anweisungsverhältnisse und eindeutige Abgrenzungen. Die Einheitlichkeit der Leitung ist gewährleistet, es gibt keine Kompetenzstreitigkeiten. Vor allem für kleine Redaktionseinheiten sowie bei routinierten Abläufen bildet das Einliniensystem eine gute Organisationsform. Bei komplexeren Redaktionen ist das Modell nicht mehr zeitgemäß. Neben einer enorm hohen Beanspruchung der Führungsspitze ist auch eine schnelle, unkomplizierte Kommunikation über mehrere Hierarchiestufen nicht möglich. Eine eingeschränkte Kommunikation in einem 8
Meckel, 1999, 78
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Joachim Böskens
Kommunikationsunternehmen verbietet sich eigentlich von selbst! Zwar bildet die Einlinienorganisation nach wie vor die Grundstruktur in allen untersuchten Redaktionen, aber die Erkenntnis, dass sich die Komplexität der Welt nicht mehr einfach in Schubladen und Kästchen einsortieren lässt, sondern komplexere, vernetzte Verarbeitungsstrukturen benötigt, hat einen Trend zur Mehrlinienorganisation eingeleitet. Das Mehrlinien- oder Funktionssystem ist nicht nur in Zeitungsredaktionen vermehrt anzutreffen. Das System beruht auf dem Prinzip der Mehrfachunterstellung: Die Redakteure sind nicht mehr ausschließlich einem Ressort zugeordnet, sondern arbeiten in wechselnden Teams für unterschiedliche Ressorts. Vertikale Kommunikationswege werden darüber hinaus durch horizontale ergänzt. Die Mehrfachunterstellung kann jedoch zu Kompetenzproblemen führen. Deshalb muss mit der Einführung eines Mehrliniensystems die Hierarchie deutlich verflacht und die Zuständigkeiten klar definiert werden. Dass starre Redaktions- oder Ressortgrenzen eines der Kernprobleme eines innovativen Redaktionsmanagements darstellen, ist inzwischen erkannt. „Neue Konzepte wollen dagegen das Planen, Recherchieren und Schreiben für das gesamte Blatt fördern: mit Ressort übergreifenden Projektteams, einem gemeinsamen Newsdesk oder der Rollentrennung zwischen Reporter und Redakteur.“9 Abbildung 3:
9 10
Redaktionelle Kompetenzkreuzung10
Meier in message 2002, 104 in Anlehnung an message 1/02: 104
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor
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Ähnliches gilt auch für die elektronischen Medien: Bestimmten in früherer Zeit die Fachredaktionen die Organisationsstruktur, werden heute die Redaktionseinheiten immer funktionaler. Auch hier gilt es von den privaten Konkurrenten zu lernen: Flache Hierarchien, klare Zuständigkeiten, produktorientierte Arbeitsorganisation, auch wenn aufgrund des öffentlichrechtlichen Auftrags die Strukturen immer differenzierter sein werden als bei kommerziellorientierten Hitradios. Trotzdem sind die Trends klar zu erkennen. Auch bei komplexeren Organisationseinheiten gilt Teambildung über Ressort- bzw. Redaktionsgrenzen hinweg als ein Muss. Die Redaktionsmanager achten auf redaktionsübergreifende Themenplanung, leiten Teams, stellen diese – quasi projektbezogen – auch zusammen. Neue Kommunikationswege, wie spezielle Redaktionssysteme spielen eine immer größere Rolle in der internen Kommunikation als Ergänzung zu den klassischen Themenkonferenzen. Diese neue Form der Arbeitsorganisation kann zu einer stärkeren Identifikation mit dem Gesamtprodukt führen, weg von der alleinigen Identifikation mit dem eigenen Ressort. Kleine Ressorts und fest zugeordnete Sendungen erschweren den Blick auf das Ganze, führen zu Kästchendenken und Abkapselung. Eine Studie belegt, dass ressortübergreifendes Arbeiten Vorteile bringt: Mehr Themen können von verschiedenen Seiten beleuchtet werden11. Als Beispiel aus der Praxis seien die Veränderungen der Organisation sowie der Arbeitsabläufe eines öffentlich-rechtlichen Radioprogramms aufgeführt: Es existierte ein klassisches Einlinienmodell: ein Hörfunkchef, drei Redaktionsleiter (Aktuell, Magazin, Musik). Die Aktuellredaktion war zuständig für die Nachrichten und zwei so genannte „informationsverdichtete“ Stunden (12:00–13:00 Uhr, 16:00–17:00 Uhr). Die Magazinredaktion war für die Planung der restlichen Sendestrecken zuständig. Beide Redaktionen hatten eigene Planungsschichten, die jeder für sich, nur gesteuert durch die Themenkonferenzen, arbeiteten. Um eine bessere Themensteuerung zu gewährleisten, wurden Teamchefs eingeführt, die als „Regisseure“ das Gesamtprogramm steuern. Eine deutlich gezieltere Planung, mehr eigenrecherchierte Themen, die sich an der regionalen Themenagenda des Verbreitungsgebietes orientieren und vor allem eine gezielte „Weiterdrehe“ wird ermöglicht. Durch die Umorganisationen wurden mehr Ressourcen fürs Recherchieren, Schreiben und Produzieren freigesetzt.
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„management by …“
Es gibt bekanntlich eine Vielzahl von Managementprinzipien. Auf Grund der Aufgabe des Journalismus in unserer Gesellschaft ist jedoch eine kritiklose Übernahme der „Managment by …“-Lehren in den Redaktionsalltag nicht sinnvoll, „sondern die Notwendigkeit konzeptionellen Denkens und effizienten Arbeitens muss selbstverständlicher Bestandteil des Berufs- und Selbstverständnisses werden, d.h. aus Überzeugung von den Journalisten getragen werden.“12 Trotzdem seien an dieser Stelle die wichtigsten Managementprinzipien aufgeführt. Denn natürlich ist die Art der organisatorischen Anbindung der unteren Führungsinstanzen an das top management für die Ausgestaltung des Redaktionsmanagement eine entscheidende Größe. 11 12
vgl. Meier in message 1/ 02, 102 Mast 1991, 279
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Zu den delegationsorientierten Managementprinzipien zählt das „management by decision rules“: Hier werden feste Entscheidungsregeln bei der Delegation von Aufgaben mitgegeben. Auch das Prinzip „management by exception“ ist delegationsorientiert: Das top management wird nur bei Ausnahmen von alltäglichen und besonderen Entscheidungen eingeschaltet. Ein rein ergebnisorientiertes Prinzip ist das „management by results“: Die Unternehmensführung ist an Zielen ausgerichtet, die von allen Abteilungen für ihren Bereich festgelegt und durch Kontrolle überprüft werden. Eher verhaltensorientiertes Prinzip ist das „management by motivation“: Die Aufgabe der Mitarbeiter wird so gestaltet, dass sie sich mit ihr und den Unternehmenszielen identifizieren können. Als umfassendes Prinzip bezeichnet man das „management by objectives“, eine Unternehmungsführung durch operationale Zielvorgabe, z.B. eine definierte Steigerung der Quote/ der Auflage. Auf dieses verbindliche Ziel hin ausgerichtet, leiten alle Entscheidungsträger ihre einzelnen Bereichsziele ab. Das praktizierte Managementprinzip hängt neben anderen Einflussgrößen, wie z.B. der Unternehmensgröße, vor allem aber vom praktizierten Führungsstil ab13.
7
Mitarbeiterführung als Steuerungsinstrument
Neben den Redaktionsmanagementfunktionen spielt die Mitarbeiterführung eine wesentliche Rolle. Unter Führung versteht man grundsätzlich das Verhalten des Vorgesetzten, das auf eine Verhaltensbeeinflussung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerichtet ist. Dabei handelt es sich um eine mehr oder weniger direkte Beeinflussung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Anlehnung an Max Weber unterscheidet man im Wesentlichen vier Führungsstile. Abbildung 4:
Führungsstile
Der autoritär-autokratischer Führungsstil ist durch einen einseitigen Anweisungsweg charakterisiert: Der Untergebene nimmt die Anweisungen seines Vorgesetzten zur Kenntnis und führt sie aus. Mitbestimmung und Entscheidungsbefugnisse werden dem Untergebenen nicht oder nur in geringem Maße zugebilligt. Eine Ausprägung des autoritär-autokratischen Führungsstils ist der patriarchische Führungsstil. 13
vgl. Voss, 1996, 268 f.
Redaktionsmanagement als Erfolgsfaktor
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Beim charismatischen Führungsstil gelingt es dem Vorgesetzten die Untergebenen „mitzureißen“. Dies gelingt mit Hilfe seiner Ausstrahlung und persönlichen Eigenschaften. Er profitiert von seinem „Charisma“. Die Kontrolle liegt, ähnlich wie bei dem autokratischen Führungsstil, bei dem charismatischen Vorgesetzten. Beim bürokratischen Führungsstil wird versucht, die gegenseitige Beeinflussung auszuschließen. In einer genauen Stellenbeschreibung und einem straffen Reglement sind die Weisungsbefugnisse und Verantwortungsbereiche des einzelnen Mitarbeiters konkret geregelt. Bei einem kooperativen Führungsstil findet ein andauernder Informationsaustausch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter statt. Dies sichert eine bessere Durchsetzbarkeit der Entscheidungen, denn es wird nicht auf unbedingten Gehorsam, sondern vielmehr auf Einsicht und aktive Mitarbeit bei der Entscheidungsfindung gesetzt. Dieser Stil entspricht am ehesten einem demokratischen Willensbildungsprozess. Aufgrund dieses Prozesses ist eine positive Einstellung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander und dem Vorgesetzten gegenüber zu erwarten. Die Kontrolle obliegt nicht nur der Geschäftsleitung, sondern wird auf nachgeordnete Stellen übertragen (Delegationsprinzip). Der kooperative Führungsstil kann leicht zu einem „laissez-faire“-Führungsstil werden, bei dem die Mitarbeiter ein sehr hohes Maß an Freiheit besitzen. Ein geordneter Informationsaustausch und ein planvolles Arbeitsvorgehen sind stark gefährdet. In der Praxis existiert keiner der dargestellten Führungsstile in „Reinkultur“. Meist besteht eine Vermischung der Stile.
8
Zielorientiertes Management der Zukunft
Das Umdenken in den Redaktionen der Medienunternehmen hat aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen eingesetzt. Die Zukunft fordert schlankere und effektivere Organisationsstrukturen sowie ergebnisorientierte, ganzheitlich strukturierte Arbeitsabläufe. Darüber hinaus ist ein zielorientiertes Management, das ein ergebnisorientiertes und wirtschaftliches Denken und Handeln fördert, erforderlich. Und auch die Rahmenbedingungen, wie z.B. eine dem Stand der Technik entsprechende Informations- und Kommunikationstechnik sowie der Aufbau eines effizienten Personalmanagements muss gewährleistet werden. Über allem steht die Einführung oder auch Verfeinerung des Controllings als unverzichtbares Leitungs- und Steuerungselement. Um diese medienspezifischen Probleme angehen zu können, wird qualifiziertes Personal benötigt. Hierbei kann der Ansatz der neuen Medienmanagement-Studiengänge helfen. Ziel muss es sein, eine solide wirtschaftliche Basis zu schaffen und diese mit journalistischen Grundlagen zu kombinieren.
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Joachim Böskens
Literaturverzeichnis Clef, Ulrich (Hrsg.): Handbuch Radio-Marketing, ccc-Verlag 1995 Haas, Mike/Zimmer, Gerd/Frigge Uwe: Radiomanagement, Ölschläger Verlag 1991 Mast, Claudia (Hrsg.): Journalismus für die Praxis, Stuttgart 1991 Meckel, Miriam: Redaktionsmanagement. Ansätze aus Theorie und Praxis. Opladen/Wiesbaden 1999 Meier, Klaus: Team statt Ressorts. In: message 01/02 Schneider, Beate/Knobloch, Silvia (Hrsg.): Controlling-Praxis in Medien-Unternehmen. Luchterhand Verlag 1999 Voss, Rödiger: Betriebswirtschaftslehre, Heyne Verlag 1996
Medienforschung und Statistik Silke Waber
1
Medienforschung
1.1 Begriff, Teildisziplinen, Relevanz In den neunziger Jahren ist es dem „Focus“ gelungen, sich in Deutschland als Nachrichtenmagazin neben dem „Spiegel“ dauerhaft erfolgreich zu etablieren. Über 50 Versuche dieser Art hatte es bis dahin gegeben. Keines dieser Medien hatte sich am Markt behaupten können. Helmut Markwort, der Chefredakteur des „Focus“, sieht das Erfolgsrezept seines Blattes in der „journalistischen Leistung“ und dem „perfekten Marketing“, mit welchem das Nachrichtenmagazin in den Markt gebracht wurde1. Perfektes Marketing meinte den systematischen Rückgriff auf die Medienforschung. Lange vor dem anvisierten Erscheinungstermin hatte der den „Focus“ herausgebende Burda-Verlag drei Mal potentielle Zielgruppen zum geplanten Medienprodukt befragt. So ist beispielsweise der Titel „Focus“ als Sieger aus einem Test hervorgegangen, bei dem insgesamt 30 Namensvorschläge auf Themen- und Klangassoziationen sowie Sympathiewerte geprüft wurden. Weitere acht Medienforschungen gab der „Focus“ im ersten Jahr seines Erscheinens in Auftrag. Was in diesen Analysen über Reichweiten, Leserschaft und Inhalte herausgefunden wurde, floss in die weitere Profilierung des Nachrichtenmagazins unmittelbar ein2. Das Beispiel des „Focus“ hat im deutschsprachigen Raum die neue Komplexität der Medienwirtschaft vor Augen geführt. Erfahrungsschätze, Wissenspools und Kreativitätspotentiale – lange Zeit die ausschließlichen Outputs – reichen als Basis für Entscheidungsprozesse nicht mehr aus. Eine optimal zugeschnittene und angewandte Medienforschung steuert aktuellere und verlässlichere Daten für unterschiedlichste Anwendungsgebiete bei. Im Ergebnis ist Medienforschung in den vergangenen Jahren zu einem so bedeutenden Instrumentarium für Entscheidungsprozesse in der Medienwirtschaft geworden, dass Marketingfachleute die herkömmlichen Outputs Erfahrung, Wissen und Kreativität schon durch die Forschung ersetzt sehen3. Der Begriff Medienforschung wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. So ist in Abhängigkeit von Zielrichtung und Schwerpunkt der Untersuchungen zuallererst zwischen zwei Teildisziplinen zu unterscheiden: der akademischen und der angewandten Medienforschung. Die Unterscheidung wird in der Fachsprache oft schon sprachlich vollzogen: das engl. Media- in Kombination mit anderen Begriffen steht dann für die angewandte Medienforschung, so z.B. in den Termini Mediaforschung, Mediadaten, Mediaplanung. Eine kon1 2 3
Filipp 1995, 41 Filipp 1995, 25ff. Stolz 2000, 20
128
Silke Waber
sequente sprachliche Unterscheidung zwischen den Teildisziplinen hat sich allerdings noch nicht durchgesetzt. In der akademischen Medienforschung liegt der Schwerpunkt auf dem reflexivem Wissen. Der Gegenstand ist breiter als in der angewandten Medienforschung gefasst und schließt die gesellschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Funktionen der Medien in ihrer Gesamtheit sowie den Beitrag der Medien zur öffentlichen Kommunikation ein4. Zu den wichtigsten Forschungsfeldern der akademischen Medienforschung zählen die Geschichte der Massenmedien, die Eigengesetzlichkeiten der Medien, ihre Organisationsformen und Medienstrukturen in Deutschland5. In der angewandten Medienforschung liegt der Schwerpunkt demgegenüber auf dem Pragmatikwissen. Die Untersuchungsgegenstände orientieren sich stark an den Erfordernissen von Medienschaffenden, Medienwirtschaft, Public Relations und/oder der Medienpolitik. Als wichtige Forschungsfelder haben sich die Mediennutzungs-, die Rezipienten- und die Inhaltsforschung etabliert. Institutionell ist die akademische Medienforschung nicht nur in den Lehreinrichtungen und wissenschaftlichen Instituten beheimatet. Zwar steht ihre Begründung als systematisches Wissensgebiet eng mit der Etablierung der Medienwissenschaften als akademischer Disziplin im 20. Jahrhundert in Zusammenhang, ebenso tragen die akademischen Einrichtungen nach wie vor den größten Anteil zu diesem Zweig der Medienforschung bei, doch leisten insbesondere seit den achtziger Jahren auch Forschungseinrichtungen anderer Träger einen wichtigen Beitrag. Die Anfänge der angewandten Medienforschung dagegen reichen bis Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Umfassende und kontinuierliche Untersuchungen werden in Deutschland allerdings erst seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, speziell seit der Herausbildung des dualen Systems im Rundfunkwesen, angestellt. Die Konkurrenz zwischen öffentlichrechtlichen und privaten Anbietern hatte die Nachfrage nach Mediadaten stark in die Höhe getrieben. Jenseits der akademischen Medienforschung etablierte sich ein in erster Linie privatwirtschaftlich strukturierter Sektor, der sich zunächst auf Mediennutzungs- und Rezipientenforschung, seit den neunziger Jahren darüber hinaus auch auf Medieninhaltsanalysen spezialisierte. Neben diesem Sektor tragen auch die akademischen Einrichtungen mit speziellen Forschungsprojekten zur angewandten Medienforschung bei. Die Relevanz der akademischen und der angewandten Medienforschung für die Akteure in Politik, Wirtschaft, Recht usw. unterscheidet sich beträchtlich. So hat beispielsweise die publikumsbezogene Marktforschung – ein Teilbereich der angewandten Medienforschung – entscheidenden Einfluss auf die Planung der Medienanbieter6. Demgegenüber besitzen Erkenntnisse der akademischen Medienforschung weder für die Akteure des Medienrechts und der Medienpolitik, noch für die Medienunternehmen und die Bevölkerung nennenswerte Relevanz7. Dies liegt auf der einen Seite zu großen Teilen in Gegenstand und Zielrichtung beider Forschungsbereiche begründet. Die akademische Forschung bestimmt ihre Inhalte nach 4 5 6 7
Jarren/Hasebrink 2001, 9 Pürer 2003, 213 Jarren/Hasebrink 2001, 8 Jarren/Hasebrink 2001, 8
Medienforschung und Statistik
129
wissenschaftlichen Kriterien und erhebt den Anspruch der Unabhängigkeit auch im Hinblick auf unmittelbare Verwertungsmöglichkeiten ihrer Ergebnisse. Demgegenüber arbeitet die angewandte Medienforschung weitgehend auftrags- bzw. nachfrageorientiert und konzipiert ihre Untersuchungen schon mit Blick auf die praktische Nutzbarkeit der zu ermittelnden Befunde. Die fehlende Relevanz der akademischen Medienforschung zeigt aber auf der anderen Seite, dass sich noch keine ausreichenden Regularien der Vermittlung und Verwertung des Medienreflexionswissens über akademische Zwecke hinaus herausgebildet haben. Das ist ein unbefriedigender Zustand, gegen den es anzugehen gilt. Umgekehrt ist auch im Hinblick auf die angewandte Medienforschung zu sagen, dass ihre Ergebnisse im akademischen Bereich noch unzulänglich wahrgenommen und genutzt werden. Für die praktische Arbeit des Medienmanagers besitzt die angewandte Medienforschung zwar die weitaus größere Relevanz, doch darf die akademische Medienforschung nicht aus den Augen verloren werden, weil sie insbesondere für Rahmen- und strategische Medienplanungen verschiedener Art einen notwendigen und spezifischen Beitrag leisten kann. Aus ihrer eigenständigen Beobachterperspektive bringt sie Themen und Befunde in die Debatte, um so zu einer intensiveren gesellschaftlichen Thematisierung der Medien beizutragen. Medienforschung kann Wissen bereitstellen, das den verschiedenen Akteuren bei ihrer Umwelt- und Selbstbeobachtung nützlich sein kann und dazu beiträgt, dass anstehende Entscheidungen reflektierter, transparenter und begründeter gefällt und dass potentielle Folgen thematisiert und abgewogen werden können8. Tabelle 1:
Begriff Medienforschung Angewandte Medienforschung
Akademische Medienforschung
Schwerpunkt
pragmatisches Wissen
reflexives Wissen
Zielrichtung
anwendungsorientierte Forschung
unabhängige Forschung
Gegenstand/ Forschungsfelder
Rezeptions-, Mediennutzungs-, Inhaltsforschung usw.; Gegenstand wird nachfrage- bzw. auftragsorientiert festgelegt
Funktionen der Medien, Beitrag der Medien zur öffentlichen Kommunikation; Gegenstand wird nach wissenschaftlichen Kriterien festgelegt
Institutionelle Anbindung
Privatwirtschaftliche Unternehmen Forschungseinrichtungen der Medien Akademische Einrichtungen Andere Forschungsstätten
Akademische Einrichtungen Wissenschaftliche Forschungsinstitute Alternative Forschungsstätten
Relevanz
Untersuchungsdesign in Abhängigkeit von den Erfordernissen der Praxis
Themen und Befunde für die Rahmenund strategische Medienplanung
1.2 Zugang zu Ergebnissen der Medienforschung Akademische und angewandte Medienforschung verfügen über jeweils unterschiedliche Kanäle der Publikation und Popularisierung ihrer Ergebnisse. 8
Jarren/Hasebrink 2001, 8
130
Silke Waber
Befunde aus der akademischen Medienforschung werden vor allem in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Periodika dokumentiert. Viele akademische Einrichtungen und Forschungsinstitute geben Monographien und Sammelbände heraus und/oder stellen Beiträge auf ihren Websites zur Verfügung. Fast alle Forscher nutzen wissenschaftliche Periodika für die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse. Ein Teil der Erkenntnisse findet Eingang in populärwissenschaftliche Publikationen und Darstellungen. Besondere Relevanz haben dabei die Medienseiten tonangebender deutscher Tageszeitungen („Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“, „Frankfurter Rundschau“ u.a.) sowie Nachrichtenmagazine („Spiegel“, „Focus“) erlangt. Sie sind zu wichtigen Instanzen für die Popularisierung medienwissenschaftlicher Erkenntnisse geworden, doch bleibt ihr Interesse auf eine relativ kleine Auswahl von Befunden beschränkt. Tabelle 2:
Medienwissenschaftliche Periodika (Auswahl)
Titel
Verleger/Verlag
Erscheinungsort
Periodizität
Medien- und Kommunikationswissenschaft
Nomos
Baden-Baden Hamburg
vierteljährlich
Medienwissenschaft
Schüren
Marburg
vierteljährlich
Publizistik
Westdeutscher Verlag
Wiesbaden
vierteljährlich
Journalist
Verlag Rommerskirchen
Rommerskirchen
monatlich
Message
UVK-Medien-Verlagsges.
Konstanz
vierteljährlich
Für die Publikation von Ergebnissen aus der angewandten Medienforschung spielt das Internet eine Schlüsselrolle, weil die Medienbranche immer stärker auf eine schnelle Datenvermittlung angewiesen ist und das Internet diesem Anspruch mit der Synchronität von Angebot und Rezeption am besten gerecht werden kann. Ungeachtet dessen behalten Printfassungen von Studien ihre Bedeutung vor allem für themenbezogene und/oder umfangreiche Analysen. Den größten Stellenwert unter den publizierten Ergebnissen aus der angewandten Medienforschung nehmen die Mediennutzungs- und Rezeptionsdaten ein. Die Mediennutzungsforschung ermittelt anhand spezifischer Kennziffern das quantitative Ausmaß der Nutzung eines oder mehrerer Medien9. Beispiele für solche Kennziffern sind der Leser pro Ausgabe oder die Quote bei TV-Sendungen. Die Rezeptionsforschung untersucht ihrerseits Motive und Erwartungen, Gewohnheiten und Modi, Ausmaß und Intensität etc. der Mediennutzung10. Um die Bedürfnisse von Medienschaffenden, Medienforschern und werbetreibender Wirtschaft nach umfassenden und aktuellen Nutzungs- und Rezeptionsdaten zu befriedigen, führen Medienunternehmen – oft im Verbund – sowie Fachverbände, Landesmedienanstalten und gemeinnützige Vereine kontinuierliche Studien durch. Zu den bedeutendsten Projekten bzw. Anbietern dieser Art zählen im deutschsprachigen Raum:
9 10
Pürer 2003, 311 Pürer 2003, 311
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Die Media Analyse MA (www.agma-mmc.de): Die Media Analyse ist eine jährlich durchgeführte Untersuchung zum Mediennutzungsverhalten der deutschen Bevölkerung. Träger ist die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG.MA), in der Vertreter aus Publikumsmedien und Werbewirtschaft zusammenarbeiten. Ziel ist in erster Linie die Bereitstellung von Daten für Werbetreibende. Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (www. ivw.de): Die IVW untersucht u.a. kontinuierlich Auflagen und Verbreitung von Tageszeitungen und Zeitschriften. Sie ist ein gemeinnütziger Verein. Ziel ist die Bereitstellung von Daten für Medienwirtschaft und Werbetreibende. Die Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung GfK (www.gfk.de): Die GfKFernsehforschung analysiert kontinuierlich die Nutzung von TV-Programmen bzw. -beiträgen. Sie ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Ziel ist die synchrone Bereitstellung von Reichweitendaten für TV-Medienschaffende und Werbetreibende. Die Allensbacher Werbeträger-Analyse AWA (www.awa-online.de): Die AWA entstand durch Abspaltung von der MA aufgrund methodischer Differenzen. Auch sie untersucht das Mediennutzungsverhalten der deutschen Bevölkerung. Darüber hinaus bietet sie v.a. Markt- und Zielgruppendaten sowie Angaben über psychosoziale Merkmale der Rezipienten an. Träger ist das privatwirtschaftliche Institut für Demoskopie in Allensbach. Ziel ist die Bereitstellung von Daten für Medienschaffende und Werbetreibende. Die Verbraucher-Analyse VA (www.verbraucheranalyse.de): Die VA ist nach MA und AWA die drittgrößte Analyse des Mediennutzungsverhaltens der deutschen Bevölkerung. Träger sind die Verlagshäuser Bauer und Springer. Ziel ist ebenfalls die Bereitstellung von Daten für Medienschaffende und Werbetreibende. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger BDZV (www.bdzv.de): Der BDZV publiziert Jahrbücher mit aktuellen Ergebnissen der Leserforschung. Träger ist der Verband selbst. Ziel ist die Bereitstellung von Daten für die Presse und Werbetreibende. Die Langzeitstudie Massenkommunikation: Die Studie untersucht seit 1964 mit einem Abstand von fünf bis sechs Jahren die Mediennutzung in Deutschland, wobei auch Buch und Kino in das Untersuchungsdesign eingeschlossen wurden. Träger sind ARD und ZDF. Ziel ist die Bereitstellung von Daten für Medienschaffende, Medienwissenschaftler und Werbetreibende. Mediaanalysen bieten darüber hinaus in großer Zahl auch die etablierten Verlagshäuser sowie TV-Sender, seltener Hörfunkanstalten an. Sie warten zumeist mit spezielleren Untersuchungen auf. Eine wichtige Rolle in der Vermittlung von Mediennutzungs- und Rezeptionsdaten spielen Periodika wie die Fachzeitschriften „Werben und Verkaufen“ oder „Horizont“. Häufig greifen auch Marketingfachblätter, beispielsweise die „Zeitschrift für Marktforschung und Marketing“, Ergebnisse der angewandten Medienforschung auf. Eine nachgeordnete Rolle in den Untersuchungen und folglich auch in den Publikationen der angewandten Medienforschung spielt die Medienwirkungsforschung. Sie befasst sich mit den unterschiedlichen und vielfältigen individuellen und sozialen Folgen von Massenkommunikation11. 11
Pürer 2003, 311
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Neben der Mediennutzungs- und Rezeptionsforschung hat sich, wie bereits erwähnt, seit den neunziger Jahren ein weiterer Bereich der angewandten Medienforschung etablieren können – die Inhaltsanalyse. Zu den bedeutenden Anbietern solcher Dienstleistungen im deutschsprachigen Raum zählen: Das Medien Tenor Institut für Medienanalysen GmbH (www.medien-tenor.de): Der Medien Tenor wertet kontinuierlich und umfassend die Politik- und Wirtschaftsberichterstattung in acht tonangebenden deutschen Tageszeitungen, neun Wochen- und Sonntagsmedien sowie sieben TV-Nachrichtenmedien aus. Darüber hinaus wird eine Reihe internationaler Medien analysiert. Träger ist der Innovatio-Verlag. Ziel ist die Evaluierung und strategische Planung von PR-Aktivitäten unterschiedlicher Akteure sowie die Bereitstellung von Daten für Medienschaffende und die akademische Medienforschung. Das Themenmonitoring des fög (www.foeg.unizh.ch): Der Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich wertet kontinuierlich die Themen in fünf Tageszeitungen, sechs Wochenmedien und vier TV-Nachrichtenmedien (allesamt Schweizer Medien) aus. Träger ist das Soziologische Institut der Universität Zürich. Ziel ist die Datengewinnung für die akademische Medienforschung. Das FAZ-Institut (www.faz-institut.de): Das FAZ-Institut führt Spezialuntersuchungen zu Themenkarrieren und der Präsenz unterschiedlicher Akteure (z.B. Politiker) in den Medien durch. Träger ist die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ziel ist die Evaluierung und strategische Planung von PR-Aktivitäten unterschiedlicher Akteure sowie die Bereitstellung von Daten für Interessenten. Der Observer (www.observer.de): Der Observer analysiert Themenkarrieren in Medien. Träger ist die Observer Argus Media GmbH. Ziel ist die Evaluierung und strategische Planung von PR-Aktivitäten unterschiedlicher Akteure.
1.3 Angewandte Medienforschung: Erhebungsverfahren In der Praxis gibt es verschiedene Möglichkeiten, Daten der angewandten Medienforschung zu gewinnen. Auf die Angebote unterschiedlicher Dienstleister ist bereits hingewiesen worden. In vielen Fällen decken diese allgemein gehaltenen Untersuchungen den Bedarf aber nicht ab. Daten, die optimal auf ein konkretes Vorhaben zugeschnitten sind, können spezialisierten Anbietern in Auftrag gegeben oder aber eigenständig erhoben werden. Ganz gleich, ob man Daten gewinnen oder zur Verfügung gestellte Daten nutzbar machen will – detaillierte Kenntnisse zu den Erhebungsverfahren sind beim Einsatz der angewandten Medienforschung unerlässlich. Im Falle des Einsatzes externer Daten gilt es, ihre Gewinnung ganzheitlich nachzuvollziehen. Nur so kann auf der einen Seite die Richtigkeit (Validität) der Daten überprüft, auf der anderen Seite ihre sachgerechte Nutzung und Interpretation sichergestellt werden. Im Falle der Datenerhebung ist die wissenschaftlichen Kriterien genügende Analyse Voraussetzung für das Erlangen valider Daten. Unter Erhebungsverfahren versteht man wissenschaftliche Vorgehensweisen, durch deren systematische Anwendung im Rahmen eines Forschungsplanes eine offene Fragestellung
Medienforschung und Statistik
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abgeklärt werden soll12. Die wissenschaftliche Terminologie ist auf diesem Feld nicht einheitlich. Begriffe wie Forschungstechniken, -instrumente oder -methoden werden beispielsweise häufig als Synonyme für Erhebungsverfahren gebraucht13. Speziell in der Medienforschung unterscheidet man zwischen vier Verfahren, Daten zu erheben: 1. 2. 3. 4.
Befragung, Inhaltsanalyse, Beobachtung und Experiment.
Die Befragung, oft auch als Interview bezeichnet, ist das am häufigsten praktizierte Verfahren. Befragungen zielen bei wissenschaftlichem Vorgehen und Ziel auf Informationsgewinn durch Fragen an ausgewählte Personen ab. Diesem Erhebungsverfahren folgt im Stellenwert die Inhaltsanalyse. Sie erhebt, misst und analysiert kommunikative Inhalte jedweder Art14. Selten setzen die Medienforscher die Beobachtung ein. Mit ihrer Hilfe lässt sich individuelles oder soziales Handeln von Personen untersuchen. Das Experiment schließlich spielt eine noch geringere Rolle. Bei diesem Verfahren wird das Denken und Handeln von Personen unter dem Einfluss eines künstlich auszulösenden Faktors untersucht. Alle vier Erhebungsverfahren finden nicht ausschließlich in der Medienforschung Anwendung, sondern gehören zu den Grundforschungstechniken der empirischen Sozialwissenschaften. Insbesondere die Inhaltsanalyse hat aber in der Medienforschung eine bedeutende Weiterentwicklung erfahren15.
1.3.1
Die Befragung
Unter den eingangs erwähnten elf Medienforschungen, die der „Focus“ bis zum ersten Jahrestag seines Erscheinens in Auftrag gegeben hatte, waren zehn Befragungen. Sie sollten beispielsweise bereits vor den ersten Planungen klären, ob eine Alternative zum „Spiegel“ überhaupt gewünscht war, welche Inhalte in welcher Aufmachung gefragt sind, wer die potentiellen Käufer seien. Nach Erscheinen der ersten Ausgabe wurden Käufer gefragt, ob und unter welchen Bedingungen sie das Nachrichtenmagazin weiter kaufen wollen. Zwei Monate später gab der „Focus“ Reichweitenerhebungen in Auftrag. Zeitgleich wurde in einer anderen Studie hinterfragt, inwiefern die „Focus“-Leserschaft sich von der des „Spiegels“ unterscheidet. Wiederum kurze Zeit später ließ der Verlag Psychogramme und Lebenswelten der „Focus“-Leser erstellen. In einer parallelen Studie testete man konfrontativ die Lesermeinungen zur aktuellen „Focus“- und „Spiegel“-Ausgabe16.
12 13 14 15 16
Pürer 1998, 175 Pürer 1998, 175ff. Pürer 2003, 549 Pürer 1998, 177 Filipp 1995, 25ff.
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Silke Waber
Die Beispiele aus der Geschichte des „Focus“ verweisen schon auf die Anwendungsbereiche des Erhebungsverfahrens Befragung. Weil mit dieser Methode Informationen über Denkweisen, Meinungen, Einstellungen und/oder Verhaltensweisen eingeholt werden können, eignet sie sich in besonderem Maße für die Mediennutzungs-, Medienwirkungs-, Kommunikator- und Rezipientenforschung. Wichtig ist die Einschränkung, dass in Befragungen nicht Denk- und Verhaltensweisen sowie Meinungen und Einstellungen direkt ermittelbar sind. Ergebnis einer Befragung ist immer nur ein sprachlicher Ausdruck derselben, welcher nicht mit der Wirklichkeit identisch sein muss. Die Gefahr des Auseinanderdriftens von Realität und Forschungsbefund lässt sich indes mit sachgerechter Konzeption, Durchführung und Auswertung der Befragung auf ein Minimum verringern. In Abhängigkeit von seinen Untersuchungszielen kann der Medienforscher zwischen unterschiedlichen Befragungsformen wählen. Grundlage der Einteilung von Befragungsformen ist die Art und Weise, wie Interviewer und Befragter miteinander kommunizieren. Nach der Kommunikationsvermittlung unterscheidet man mündliche und schriftliche Befragungen. Mündliche Befragungen werden, im Gegensatz zu den schriftlichen, persönlich geführt. Ein Interviewer stellt dabei einer nach statistischen Vorgaben ausgewählten Person eine Reihe von Fragen. Der große Vorteil dieser Befragungsform liegt in der direkten Kommunikation und schnellen Verfügbarkeit der Ergebnisse. So kann der Interviewer beispielsweise die Befragten zum Antworten in anderer Weise motivieren als bei schriftlichen Befragungen und steht für Rückfragen zur Verfügung. Eine Sonderform der mündlichen Befragung stellt das Telefoninterview dar. Auch hierbei wird persönlich befragt, doch erfolgt die Kommunikation in telefonischer Vermittlung. Vorteil der Telefonbefragung ist die schnelle und kostengünstige Abwicklung, besonders wenn es sich um Computer Aided Telephone Interviews (CATI) handelt. Eine spezielle Software unterstützt in diesem Falle das Aus- und Anwählen des Interviewpartners, hält für den Interviewer die jeweiligen Fragen und Antwortmöglichkeiten auf dem Monitor parat, verwaltet Rückrufverzeichnisse und ermittelte Daten. Nachteil dieser Befragungsform ist ihr ausschließlich auditiver Charakter. So kann dem Interviewpartner beispielsweise kein Bildmaterial zur Frage vorgelegt werden17. Mündliche Befragungen können – ebenfalls in Abhängigkeit von den Untersuchungszielen – standardisiert, teilweise standardisiert oder nicht standardisiert ablaufen. Standardisiert ist eine Befragung, wenn allen ausgewählten Personen Fragen vorgelegt werden, die sich in Abfolge und Inhalt nicht verändern. Bei teilweise standardisierten Befragungen können Abfolge und Inhalte zu einem Teil variieren, bei nicht-standardisierten Befragungen können sie im Rahmen des Untersuchungsziels verändert werden. Standardisierte Formen, in der wissenschaftlichen Literatur oft auch strukturierte Formen genannt, eignen sich in besonderem Maße für die Ermittlung quantitativer und informativer Daten. Dazu gehören beispielsweise die Reichweiten von Printmedien, die Quoten und Frequenzen der Rezeption von TV-Sendungen. Nicht-standardisierte (nicht-strukturierte) Befragungen dagegen eignen sich besonders für die Gewinnung qualitativer Befunde18 wie beispielsweise die Akzeptanz des Titels „Focus“ bei einer potentiellen Leserschaft.
17 18
Eichhorn/Watzka1993, 106 Pürer1998, 180
Medienforschung und Statistik
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Nach dem Kommunikationsgestus unterteilt man mündliche Befragungen weiterhin in weiche, harte und neutrale Interviews19. Beim weichen Interview ist der Gestus des Fragenden zurückhaltend. Diese Sprachhaltung erzeugt Vertrauen und Offenheit. Beim harten Interview ist der Gestus dagegen dominant und zwingt zu schnellen und weitgehend spontanen Antworten. Beim neutralen Interview ist er sachlich. Der Einsatz insbesondere des harten Interviews sollte nur nach gründlicher Ziel-Risiko-Abwägung erfolgen: die Manipulationsgefahr ist bei diesem Vorgehen größer als bei den anderen Frageformen. Bewährt hat sich dieser Gestus bei problematischen Fragen, die beispielsweise eine Schwäche des Befragten offenbaren können. So wird kaum ein Redakteur einer Tageszeitung auf eine entsprechende Frage im Interview freimütig einräumen, dass er schon in unzulässiger Form Agenturmaterial ohne Kennzeichnung in Beiträgen verwandt hat. Hier kann die harte Befragung unter Umständen zur spontaneren und wahrhaftigeren Antwort führen. Neben den mündlichen gibt es die schriftlichen Befragungsformen. Am häufigsten ist die postalische Befragung, bei der den Befragten die Fragebögen mit der Bitte um Mitwirkung und Rückantwort per Post zugestellt werden. Nachteil dieser Befragungsform ist die in aller Regel geringe Rücklaufquote sowie der Zeitverzug bei der Datenermittlung. Problematisch ist auch, dass es keinen unmittelbaren Ansprechpartner für Rückfragen gibt. Zu den schriftlichen Formen zählen auch Umfragen, die in Zeitungen, Zeitschriften bzw. im Internet publiziert werden. Sie dienen häufig der Ermittlung von Leser- bzw. Publikumserwartungen. Befragungsformen können im Rahmen einer Untersuchung ausschließlich oder in Kombination miteinander eingesetzt werden. So ist es z.B. möglich, eine Befragung vollständig über Telefon zu führen oder aber das Telefon nur für die Kontaktaufnahme zu nutzen und beim Interviewpartner im Anschluss an das Telefonat eine postalische Befragung durchzuführen. Maßgeblich für die Wahl der Befragungsform sind immer die Ziele der Untersuchung. Tabelle 3:
Übersicht über Befragungsformen
Mündliche Befragung
Schriftliche Befragung
Unterteilung nach der Kommunikationsform: ▪ unvermittelte persönliche Befragung ▪ Befragung per Telefon
Unterteilung nach der Kommunikationsform: ▪ postalische Befragung ▪ in Medien publizierte Befragung
Unterteilung nach dem Kommunikationsablauf: ▪ standardisierte Befragung ▪ teilweise standardisierte Befragung ▪ nicht standardisierte Befragung Unterteilung nach dem Kommunikationsgestus: ▪ harte Befragung ▪ weiche Befragung ▪ neutrale Befragung
19
Pürer1998, 180
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Silke Waber
Es gibt kein zweites Erhebungsverfahren in der empirischen Sozialforschung, das so fehler- bzw. manipulationsanfällig ist wie die Befragung20. Von der Stichprobenziehung über die Fragen, den Fragebogenaufbau, die Befragungssituation bis hin zur Auswertung und Interpretation der ermittelten Befunde sind daher Sachkenntnis sowie Sachlichkeit dringend erforderlich. Maßgeblichen Einfluss auf die Validität (Gültigkeit) einer Befragung haben die Fragen. Nach den zu erfragenden Inhalten werden in der Medienforschung sieben Fragekategorien unterteilt21: ▪
▪
▪ ▪
▪
▪
▪
Faktfragen Beispiele: Besitzen Sie einen Kabelanschluss? Können Sie „Radio Novum“ empfangen? Wissensfragen Beispiele: Kennen Sie den Namen des „Focus“-Chefredakteurs? Wie viele lokale Hörfunkanbieter gibt es in Mittweida? Demographische Fragen Beispiele: Wie alt sind Sie? Wie hoch ist Ihr monatliches Haushalts-Nettoeinkommen? Einschätzungsfragen Beispiele: Welches Thema sollte in der Berichterstattung über ihre Region die größte Rolle spielen? Wer könnte Ihrer Meinung nach Anne Will in der Moderation der „Tagesthemen“ nach Auslaufen ihres Vertrages ablösen? Bewertungsfragen Beispiele: Wie bewerten Sie die Finanzberichterstattung der „Frankfurter Allgemeinen“? Wie gefällt Ihnen das Programm von „Radio Novum“? Einstellungsfragen Wie stehen Sie zum Medienstandort Mittweida? Welche Haltung haben Sie zu Nachrichtenmagazinen? Handlungsfragen Beispiele: Wie häufig sehen Sie Lokalfernsehen? Haben Sie vor, sich um einen Kabelanschluss zu bemühen?
Nach Antwortmöglichkeiten unterteilt man Fragen in geschlossene und offene Fragen. Die geschlossene Frage gibt dem Befragten die Antwortmöglichkeiten vor. So könnten beispielsweise auf die Frage, wie das Programm von „Radio Novum“ gefällt, folgende Antwortmöglichkeiten eingeräumt werden: 1) gefällt sehr gut, 2) gefällt gut, 3) gefällt einigermaßen, 4) gefällt nicht, 5) keine Angabe, 6) kenne bzw. höre ich nicht. In begründeten Fällen sind Mehrfachnennungen einzuräumen, beispielsweise bei der Frage nach bevorzugten Hörfunkprogrammen. Wichtig bei der Ausarbeitung der Fragen und Antworten ist, dass sich die Antwortmöglichkeiten ausschließen, wenn man keine Mehrfachnennungen zulassen will. Weiterhin sollte das Spektrum der Antwortmöglichkeiten weitgehend abgedeckt sein, wozu immer auch eine Kategorie für fehlende Angaben und/oder fehlende Kenntnis gehört 20 21
Eichhorn/Watzka 1993, 104 Eichhorn/Watzka 1993, 115
Medienforschung und Statistik
137
(z.B. „weiß nicht“, „keine Angabe“)22. Empfehlenswert ist ein Pretest der Antwortmöglichkeiten und Mängel bereits vor Beginn der Untersuchung aufzeigt. Der Vorzug geschlossener Fragen ist, dass sie vergleichbare Daten schaffen und erheblich die Auswertung erleichtern. Offene Fragen stellen dem Befragten anders als die geschlossenen Fragen seine Antworten frei. Ihr Vorteil ist, dass Facetten und Nuancen vielfältiger erfasst werden können als bei den standardisierten Antworten. Die richtige Formulierung der Frage ist eine Voraussetzung für valide Ergebnisse der Befragung. Die wichtigsten Anforderungen an eine Frage sind vor diesem Hintergrund: ▪
▪
Verständlichkeit und Eindeutigkeit Die Fragen müssen jedem Befragten verständlich und dürfen nicht verschieden auslegbar sein. Das bedeutet in aller Regel, dass die Fragen kurz zu fassen sind und sich am Wortschatz der Allgemeinheit orientieren. Kein Suggestivcharakter Suggestiv wirken Fragen, wenn sie eine Antwort befördern oder bedingen. Die Suggestion kann durch die Formulierung selbst und/oder Hintergrundinformationen im Fragetext ausgelöst werden.
Auch die sachgerechte Anordnung der Fragen im Fragebogen trägt zum Erfolg einer Befragung bei. Am Beginn sollten Fragen stehen, die in die Thematik einführen und nicht zu schwierig sind. Der Befragte sollte in Kenntnis gesetzt werden, wer in wessen Auftrag das Interview durchführt und welchem Zweck es dienen soll. Dem Befragten ist Vertraulichkeit zuzusichern. Den einleitenden Auskünften und Fragen folgen die Schwerpunktfragen der Untersuchung. Am Schluss werden die demographischen Fragen gestellt. Jedes Interview sollte mit einem Dank an den Interviewpartner und einer freundlichen Verabschiedung abgeschlossen werden. Aus inhaltlicher Perspektive ist bei Fragebögen darauf zu achten, dass Einstellungen und Bewertungen erhoben werden müssen, bevor Fragen mit Informationsgehalt gestellt werden, welche diese Einstellungen und Wertungen beeinflussen können. Ob man die Fragen von allgemeineren zu spezielleren anordnet oder die umgekehrte Richtung wählt, hängt wiederum vom Untersuchungsschwerpunkt ab. Legt die Untersuchung besonderen Wert auf Details, ist der erste Weg oft der bessere. Geht es dagegen um eine Überschau, ist letztere Vorgehensweise prädestiniert. Viele Interviews enthalten eine Anzahl von Fragen, die nur unter bestimmten Umständen zu stellen sind. Hat ein Interviewpartner beispielsweise verneint, dass er „Radio Novum“ hört, so hat es keinen Sinn, ihm Fragen zur Qualität des Programms von „Radio Novum“ zu stellen. Für solche Fälle müssen entsprechende Sprünge im Fragebogen angelegt werden. In computergestützten Befragungen lässt sich das Überspringen von Fragen bei indizierten Antworten programmieren. Unter dem Blickwinkel der Suggestionsfähigkeit sind benachbarte Fragestellungen zu prüfen. Fragen, die an sich neutral formuliert sind, können im Zusammenhang suggestiv auf den Interviewpartner wirken. So ist es beispielsweise im Anschluss an die Frage „Wie 22
Eichhorn/Watzka 1993, 118
138
Silke Waber
schätzen Sie das Bildungspotential des privaten Fernsehens in Deutschland ein?“ problematisch fortzusetzen: „Glauben Sie, ARD und ZDF werden ihrem Grundversorgungsauftrag gerecht?“ Die meisten Zuschauer werden ARD und ZDF sicherlich eine bessere Grundversorgung als den privaten Kanälen zugestehen, welche keinen Grundversorgungsauftrag haben. Dass ARD und ZDF den privaten Anstalten im abgefragten Punkt voraus sind, bedeutet aber noch nicht Erfüllung des Auftrags. Die Fragefolge setzt die Meßlatte für die ÖffentlichRechtlichen zu einseitig und zu niedrig an. Für die Realisierbarkeit einer Befragung ist die Anzahl der abzuarbeitenden Fragen wichtig. Bei Interviews, die 15 Minuten überschreiten, ist mit einer deutlich höheren Abbruchquote zu rechnen als bei kurzen Befragungen. Generell sollte der Interviewpartner am Beginn des Gesprächs auf die voraussichtliche Dauer vorbereitet werden. Für die Durchführung von Befragungen müssen professionelle oder aber ausreichend geschulte Interviewer eingesetzt werden. Zu ihren Grundkompetenzen gehört das Abstecken der Rollen, die Herstellung von Vertrauen, die Motivation zur Teilnahme, der Einsatz des erforderlichen Fragegestus. Den Gegenstand der Befragung sollte der Interviewer gut kennen, um Rückfragen beantworten zu können. Bei der Konzipierung von Befragungen können praxisbezogene Anleitungen wie die DFG-Gedenkschrift „Qualitätskriterien der Umfrageforschung“ weitere Hilfestellungen geben. Aufschlussreich ist oft auch der Blick in Studien, die Mustercharakter besitzen. Dazu gehört beispielsweise die Funkanalyse Bayern.
1.3.2
Die Inhaltsanalyse
Zu den Medienforschungen im ersten Erscheinungsjahr des „Focus“ zählte auch eine Inhaltsanalyse. Untersucht wurde in diesem Zusammenhang, welchen Stellenwert verschiedene Themen und Themenfelder in „Focus“ und „Spiegel“ hatten und wie die dargestellten Akteure und Themen bewertet wurden. Der „Focus“, so fand die Inhaltsanalyse heraus, setzte deutlich stärker auf Servicethemen – eine Gewichtung, welche bis in die Gegenwart beibehalten wurde. Der „Spiegel“ seinerseits griff viel öfter als der „Focus“ Themen auf, an die Wertungen geknüpft waren. Besonders eindringlich veranschaulichten das die „Spiegel“Titelstories mit ihren Negativ-Schlagzeilen23. Wie das Beispiel zeigt, dient die Inhaltsanalyse in erster Linie der Medieninhaltsforschung. Dies ist aber nicht das einzige Anwendungsgebiet. Genutzt wird sie auch in der Kommunikatorforschung24. So ließe sich beispielsweise die politische Tendenz in den Beiträgen der Moderatoren des „Heute Journal“ (ZDF) unter Zuhilfenahme von Inhaltsanalysen messen. Die häufigsten Zielrichtungen von Inhaltsanalysen in der angewandten Medienforschung sind die Messung von Medienqualität und die Medienresonanz-Analyse25. Für die Messung der Qualität beispielsweise einer Tageszeitung stellt die Inhaltsanalyse eine Vielzahl von 23 24 25
Filipp 1995, 35 Pürer 2003, 549 Bonfadelli 2002, 109ff., 179ff.
Medienforschung und Statistik
139
Instrumentarien bereit. Die Schwierigkeit besteht in der Definition, worin die journalistische Qualität einer Tageszeitung besteht und in der Klassifikation von Merkmalen, welche zuverlässig diese Qualität messen. Praktikabel sind vor allem Qualitätsdefinitionen, die auf Häufigkeitsmessungen basieren. So kann man beispielsweise die Vielfalt der angesprochenen Themen in der Politik- oder Wirtschaftsberichterstattung zu einem Qualitätsmerkmal erheben und messen26. Medienresonanz-Analysen hinterfragen die manifeste Wirksamkeit von PR-Aktivitäten, Info-Kampagnen u.a. Für die Öffentlichkeitsarbeit verschiedenster Akteure ist das Wissen darüber, was welche Medien wann und in welchem Tenor über sie berichten, ein wichtiges Kontroll- und Planungsinstrument. Besondere Bedeutung erlangt dieses Instrument im Falle großer Medienpräsenz. Beispielsweise ist die Bewertung des Pharma-Unternehmens Bayer in deutschen und internationalen Medien im Jahresverlauf aufgrund der unüberschaubaren Menge von Beiträgen nicht mehr individuell überschaubar. Die Inhaltsanalyse schafft hier eine wieder wahrnehmbare Struktur, indem sie die Bewertungen in allen Einzelfällen erhebt und Ergebnisse in prägnanten statistischen Kennwerten aufbereitet. In Abhängigkeit von seinen Untersuchungszielen kann der Medienforscher zwischen unterschiedlichen Formen der Inhaltsanalyse wählen. Nach dem Charakter des Untersuchungsgegenstandes kann in die quantifizierende (oder quantitative) und qualifizierende (oder qualitative) Inhaltsanalyse unterteilt werden. Quantifizierende Analysen messen Häufigkeiten und Häufigkeitsverteilungen. Mit dieser Analyse kann ermittelt werden, wie häufig die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ im vergangenen Monat über das Unternehmen Allianz berichtet hat. In der Praxis werden für solche Erhebungen oft die Online-Archive der Medien mit entsprechender Suchfunktion genutzt. Diese Vorgehensweise ist effizient, birgt aber Risiken. Zum einen entspricht der Online-Content durchaus nicht immer dem Inhalt und Umfang der Druckausgabe. Zum anderen bedeutet nicht jede Fundstelle für das eingegebene Suchwort „Allianz“ eine Erwähnung des Versicherungskonzerns. Der Begriff „Allianz“ kann beispielsweise auch als Synonym für die NATO verwendet worden sein. Eine Erweiterung der Suchwörter, beispielsweise um den Begriff „Versicherung“, schränkt das Risiko falscher Funde ein, wird u.U. aber dennoch zu unzuverlässigen Ergebnissen führen, weil das Zusatzwort in Verbindung mit dem Unternehmen nicht zwangsläufig fallen muss oder weil es in einen gänzlich anderen Zusammenhang gehört und auf diese Weise zufällig im Beitrag über die NATO auftaucht. Um bei Wortsuchfunktionen sicher zu gehen, müssen alle Kontexte geprüft werden. Qualifizierende Analysen untersuchen Bedeutungsstrukturen jenseits der Häufigkeiten, beispielsweise das Auftreten von Ironie im medialen Sprachgebrauch. Weil auch die Häufigkeit Kriterium einer Qualität sein kann, gibt es in der wissenschaftlichen Literatur keinen Konsens bezüglich dieser Unterteilung27. In der Praxis werden quantifizierende und qualifizierende Analyse häufig kombiniert. Nach Untersuchungsmerkmalen unterteilt man Inhaltsanalysen in Frequenz-, Kontingenz-, Valenz- und Intensitätsanalysen28. Frequenzmessungen stellen die einfachste Form der 26 27 28
Waber 2000, 12ff. Früh 1991, 24ff. Pürer 1998, 185
140
Silke Waber
Inhaltsanalyse dar. Für dieses Verfahren klassifiziert man Merkmale und erhebt ihre Häufigkeit nach Kategorien. So kann man die Anzahl von Fotografien in Zeitungen pro Jahr (als Merkmal) über einen längeren Zeitraum erheben, wenn man Tendenzen in der Visualisierung von Inhalten untersucht. Die Anzahl von Fotos kann aber auch über einen bestimmten Zeitraum nach Medien ermittelt werden, wenn man Unterschiede bei der Visualisierung in den einzelnen Medien aufzeigen möchte. Kontingenzanalysen koppeln die Häufigkeiten mehrerer Merkmale. In internationalen Entscheider-Medien könnte man beispielsweise Passagen mit einer Kombination der Begriffe „Leipzig“ und „Olympia“ untersuchen, um bei einer zu geringen Wahrnehmung Leipzigs zeitnah und zielgerichtet mit PR-Aktivitäten gegenzusteuern. Welche Chancen Leipzig als potentieller Olympiastadt von diesen Medien eingeräumt werden, ließe sich mit einer Valenzanalyse ermitteln. Sie erfasst nicht nur die Häufigkeit eines Merkmals (hier: Erwähnung Leipzigs als Olympiabewerber-Stadt), sondern kann für das Merkmal auch die Bewertung in Form der allgemeinen Kategorien positiv, neutral oder negativ erheben. Für Valenzanalysen ist eine solche Einordnung von Merkmalen in polare Kategorien generell charakteristisch. Abstufungen im Bewertungssystem – z.B. sehr gut, gut, mäßig, schlecht, sehr schlecht – erhebt eine Intensitätsanalyse. Ihr liegt eine Skala zugrunde, die unterschiedliche Ausprägungen eines Merkmals erfassen kann. Tabelle 4:
Formen der Inhaltsanalyse
Unterteilung nach dem Untersuchungsgegenstand:
Unterteilung nach Untersuchungsmerkmalen:
▪
▪
▪
Quantifizierende Inhaltsanalyse Häufigkeiten Qualifizierende Inhaltsanalyse Bedeutungsstrukturen
▪
▪
Frequenzmessungen Häufigkeiten von Merkmalen und ihre Verteilungen Kontingenzanalyse Koppelung der Häufigkeiten von mehreren Merkmalen Intensitätsanalyse Ausprägungen von Merkmalen auf einer Kategorien-Skala
Zu den Objekten, die in Inhaltsanalysen untersucht werden, gehören in erster Linie: ▪
▪
▪
Texte Beispiel: Wie viele Beiträge sind 2002 über das Unternehmen Daimler-Chrysler in deutschen und amerikanischen Tageszeitungen erschienen? Wer ist in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs positiver in den Medien dargestellt worden – Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber? Fotos, Grafiken, andere Illustrationen Beispiel: Dominierten im Medienbild Gerhard Schröders Fotos mit freundlichem oder unfreundlichem Gesichtsausdruck? Welches Medium arbeitet in der Finanzberichterstattung am stärksten mit Grafiken? Sendungsinhalte in Hörfunk und Fernsehen Beispiel: Wie hoch ist der Anteil der Filmberichte in verschiedenen TV-NachrichtenMedien? Wie häufig untermalen TV-Medien ihre Beiträge mit Musik?
Medienforschung und Statistik ▪
141
Inhalte von Online-Medien Newsgroups und Usenet Beispiel: Welche Themen dominieren im Chat mit CDU-Bundestagsabgeordneten? Wer ist die meistdargestellte Person in „Focus Online“?
Ältere Definitionen der Inhaltsanalyse gehen davon aus, dass mit diesem Erhebungsverfahren nur manifeste Inhalte ausgewertet werden können29. Diese Ansicht ist in Theorie und Praxis überholt. Ironische Aussagen, Inhalte „zwischen den Zeilen“, Einstellungen hinter den Inhalten sind insbesondere in der Massenkommunikationsforschung wiederholt Gegenstand von Inhaltsanalysen gewesen. Ein Nachteil dieses Erhebungsverfahrens ist sein retrospektiver Charakter, denn alle Untersuchungsgegenstände sind in der Vergangenheit entstanden. In der Regel liegt zwischen der Entstehung der Texte, Sendungen usw. und dem Vorliegen von Ergebnissen aus Inhaltsanalysen ein größerer Zeitraum. Die Analyse der Texte, Sendungsinhalte usw. kann auf unterschiedlichen Ebenen vorgenommen werden. Diese Ebenen werden durch die zu untersuchenden Informationseinheiten bestimmt. Wie häufig die FDP seit der Bundestagswahl in den TV-Nachrichten des ZDF präsent gewesen ist, lässt sich beispielsweise über eine Messung aller Beiträge ermitteln, in denen diese Partei ein oder mehrere Male erwähnt wurde. Die Gesamtzahl der Beiträge mit solchen Erwähnungen gibt bei dieser Vorgehensweise die FDP-Präsenz an. Detaillierter wird die Untersuchung, wenn anstelle der Beiträge jede Erwähnung der FDP in den analysierten TV-Nachrichten gezählt wird. Die Gesamtzahl der Erwähnungen wäre dann der Wert für die FDP-Präsenz. Im ersten Fall ist der Beitrag die Analyseebene, im zweiten Fall der Begriff (FDP). Analog ließen sich weitere Informationseinheiten und damit Analyseebenen für eine Ermittlung der FDP-Präsenz finden – beispielsweise Aussagen. Welche Informationseinheiten gewählt werden, hängt von den Zielen und Mitteln der jeweiligen Untersuchung sowie von der Spezifik des Gegenstandes ab. Eine Erhebung auf Begriffsebene beispielsweise ist genauer, aber auch aufwendiger als eine Erhebung auf Beitragsebene. In Printmedien können die Leitartikel, Fotos oder Überschriften untersuchungsrelevante Informationseinheiten sein, in den TV-Nachrichten Moderationen, Filmberichte, Liveschaltungen u.a. Informationseinheiten können formal oder inhaltlich strukturiert sein. Beiträge, Aussagen oder Begriffe sind formale Einheiten. Handlungsaufforderungen dagegen sind inhaltliche Einheiten. Unter Zuhilfenahme eines solchen Merkmals könnte z.B. eine Untersuchung der Medienberichterstattung über die Castor-Transporte hinterfragen, ob es Aufforderungen zum aktiven Widerstand gegeben hat. In der Praxis werden Untersuchungen auf unterschiedlichen Analyseebenen häufig miteinander gekoppelt. In einem ersten Schritt können Beiträge ausgewertet werden, in einem zweiten Erwähnungen, in einem dritten evtl. vorhandene Bilder usw. Sowohl bei der Erhebung als auch bei der Auswertung und Interpretation der Daten ist die genaue Unterscheidung zwischen den Analyseebenen wichtig für die Validität der Ergebnisse. Ein Vergleich der Präsenz von FDP und Bündnis 90/Die Grünen in den TV-Nachrichten des ZDF müsste in jedem Fall mit Werten operieren, die auf derselben Analyseebene erhoben 29
Berelson 1952, 18
142
Silke Waber
wurden. Vergleicht man dagegen die Anzahl aller Beiträge, in welchen die FDP erwähnt ist, mit der Anzahl aller Erwähnungen von Bündnis 90/Die Grünen, käme es zu einem verzerrten und dadurch falschen Ergebnis. Analyseebenen müssen für die korrekte Unterscheidung bereits bei der Erhebung kenntlich gemacht werden. Am einfachsten lässt sich dies realisieren, wenn man sie als zusätzliches Merkmal in das Untersuchungsdesign aufnimmt und für jeden Einzelfall eine entsprechende Kennzeichnung vornimmt. So wie im Interview (bei geschlossenen Fragen) eine Liste möglicher Antworten zu erstellen ist, muss bei Inhaltsanalysen eine Liste möglicher Ausprägungen für jedes zu erhebende Merkmal bereitgestellt werden. Diese Listen werden Kategorienschemen genannt. Die Kategorien orientieren sich einerseits an den Untersuchungszielen, andererseits an den Kommunikationsmerkmalen der zu analysierenden Texte, Bilder, Sendungen usw.30. Bei einer Untersuchung der Werbeformate ausgewählter Lokalfernseh-Anbieter wäre das zu erhebende Merkmal bzw. die Hauptkategorie das Format in allen Beiträgen, die Werbeinhalte transportieren. Die Ausprägungen (Unterkategorien) des Formats können wie folgt festgelegt werden: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Schrifttafel, Bildtafel, Animation, Kurzfilm, Sendeinhalt-Sponsoring („Diese Sendung wird Ihnen präsentiert von …“), Schleichwerbung, Anderes Format.
An Kategorienschemen werden besondere Anforderungen gestellt. Die Ausprägungen müssen zum einen die für die Untersuchung relevanten Aspekte messen und zum anderen am Gegenstand orientiert sein. Dies bedeutet, dass tatsächlich auftretende Ausprägungen in aller Regel ihre Entsprechung in Unterkategorien haben müssen und dass möglichst wenige überflüssige Unterkategorien vorhanden sind, um Übersichtlichkeit zu wahren. Wichtig ist darüber hinaus die Eindimensionalität der Unterkategorien. Alle Ausprägungen müssen auf einer semantisch-logischen Ebene angesiedelt sein. Im folgenden Kategorienschema, das Politik-Themen auflistet, wurde diese Regel verletzt: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
30
Wirtschaftspolitik, Verkehrspolitik, Sozialpolitik, Umweltpolitik, Kulturpolitik, Subventionen für Theater, Subventionen für Orchester.
Früh 1991, 76
Medienforschung und Statistik
143
Die letzteren beiden Ausprägungen stehen nicht in der semantisch-logischen Reihe. Sie sind Unterkategorien der Kulturpolitik. Bei einer Häufigkeitsmessung entfielen auf die Subventions-Themen Fälle, die eigentlich für die Kulturpolitik zu Buche schlagen müssten. Wichtig ist weiterhin, dass alle in der Praxis auftretenden Fälle eindeutig einer Ausprägung zuzuordnen sind, sofern nicht die Möglichkeit einer Mehrfachkategorisierung ausdrücklich eingeräumt wird. Um alle Fälle erfassen zu können, ist darüber hinaus für jedes Merkmal eine Residualkategorie aufzunehmen (in unserem Beispiel: anderes Format). Kategorienschemen können empirisch oder aber aus theoretischer Perspektive aufgestellt werden. Im ersten Falle leitet man beispielsweise die bereits aufgeführten Format-Kategorien beim Anschauen von Werbebeiträgen des Lokalfernsehens ab. Bei der zweiten Vorgehensweise stellt man Überlegungen an, welche Formate denkbar wären. Beide Wege bergen Risiken. Empirisches Vorgehen führt oft dazu, dass die Kategorien nicht eindimensional sind und/oder sich in ihren Ausprägungen überschneiden. Beim theoriegeleiteten Vorgehen werden dagegen häufig unbrauchbare Kategorien aufgenommen, während tatsächlich benötigte fehlen31. Um eine strukturelle Vergleichbarkeit herzustellen, übersetzt man die zu erhebenden Merkmalsausprägungen in Codes – in den meisten Fällen werden Zahlencodes verwendet, doch sind auch andere Zeichen möglich. Alle Informationen zu den Untersuchungsinhalten und -zielen, zu Analyseebenen, Merkmalen (Kategorien) und ihren möglichen Ausprägungen (Unterkategorien) sowie alle Cod-Entsprechungen werden vor Beginn der Erhebung in einem Codebuch dargelegt. Das Codebuch ist die Grundlage für die Schulung der Codierer. Die Codiererausbildung ist aufgrund der Komplexität eines Codebuches in aller Regel deutlich aufwendiger als beispielsweise die Schulung von Interviewern. Inhaltsanalysen werden heute in aller Regel computergestützt durchgeführt. Da sie ein deutlich geringerer Wirtschaftsfaktor als Befragungen sind, fehlt es allerdings an Softwareangeboten, die spezifisch auf die Bedürfnisse dieses Erhebungsverfahrens zugeschnitten wären. Für die Dateneingabe, -verwaltung und -auswertung kann aber Standardsoftware, insbesondere Datenbanken- und Statistiksoftware, genutzt werden. Die automatisierte Datenerhebung ist technisch noch nicht ausgereift und im Falle qualitativer Merkmale auch schwer vorstellbar.
1.3.3
Die Beobachtung
Sehr selten wird im Rahmen der Medienforschung das Erhebungsverfahren Beobachtung eingesetzt. Anwendungsgebiete sind vor allem die Kommunikator- und Rezipientenforschung32. Redaktionelle Abläufe beispielsweise sind auf der Grundlage systematischer Beobachtungen beschrieben worden33.
31 32 33
Eichhorn/Watzka 1993, 156 Pürer 1998, 190 Hienzsch 1990
144
Silke Waber
In Abhängigkeit von den Untersuchungszielen kann zwischen verschiedenen Formen der Beobachtung gewählt werden. Nach dem Beobachtungsablauf unterscheidet man die strukturierte und unstrukturierte Beobachtung. Bei strukturiertem Erheben ist der Ablauf im Beobachtungsplan vollständig vorgegeben, unstrukturierte Beobachtungen lassen dem Forscher (im Rahmen der Erlangung seines Untersuchungszieles) größere Freiräume. Nach der Rolle des Beobachters unterteilt man teilnehmende und nicht teilnehmende Beobachtungen. Bei teilnehmender Vorgehensweise agiert der Forscher innerhalb, bei nicht teilnehmender außerhalb der Gruppe. Ein Sonderfall der teilnehmenden Vorgehensweise ist die sehr seltene Selbstbeobachtung, bei der Beobachter und zu beobachtende Person identisch sind. In der Regel werden in der Medienforschung Fremdbeobachtungen durchgeführt. Nach dem Informationsstatus der zu beobachtenden Personen unterscheidet man offene und verdeckte Beobachtungen. Bei offenen Verfahren sind sich die zu beobachtenden Personen der Beobachtungssituation bewusst, bei verdeckter Vorgehensweise ist das nicht der Fall. Nach dem Beobachtungsumfeld unterteilt man dieses Erhebungsverfahren schließlich in Feld- und Laborbeobachtungen, wobei erstere stark überwiegen. Feldbeobachtungen sind aus dem Leben gegriffen, Laborbeobachtungen stützen sich auf künstlich erzeugte Vorgänge. Tabelle 5:
Formen der Beobachtung
Nach dem Ablauf der Beobachtung:
▪ ▪
strukturierte Beobachtung unstrukturierte Beobachtung
Nach der Rolle des Beobachters:
▪ ▪ ▪
teilnehmende Beobachtung (Sonderfall: Selbstbeobachtung) nicht teilnehmende Beobachtung
Nach dem Informationsstatus der zu beobachtenden Person(en):
▪ ▪
offene Beobachtung verdeckte Beobachtung
Nach dem Umfeld der Beobachtung:
▪ ▪
Feldbeobachtung Laborbeobachtung
Insbesondere strukturierte Beobachtungen erfordern die genaue Festlegung der Beobachtungseinheiten, Beobachtungskategorien sowie der Zeiträume oder -intervalle, in denen die Erhebung stattfinden soll. Beobachtungseinheiten können beispielsweise Aktionen oder Interaktionen der zu beobachtenden Personen sein. Sie müssen stets unmittelbar aus den Untersuchungszielen abgeleitet werden. Die Beobachtungskategorien hingegen können, ähnlich wie die Kategorien in der Inhaltsanalyse, empirisch oder theoretisch begründet sein. Sie kennzeichnen die jeweiligen Ausprägungen der untersuchten Merkmale. Wichtig ist auch für diese Kategorien, dass sie auf einer logisch-semantischen Ebene angesiedelt, eindeutig zuzuordnen, treffsicher und vollständig sind. Beobachtungen sind störanfällig. Für valide Ergebnisse ist darauf zu achten, dass der Forscher keinen Einfluss auf die zu beobachtenden Personen nimmt. Bei der Interpretation von Ergebnissen insbesondere aus der offenen Beobachtung muss in Betracht gezogen werden, dass sich Personen in Beobachtungssituationen möglicherweise anders verhalten als in natürlichen Situationen. Last but not least kann es zu zufälligen Beobachtungen kommen,
Medienforschung und Statistik
145
die als solche sicher zu identifizieren sind und wegen ihres nichtrepräsentativen Charakters keinen Niederschlag in den Ergebnissen finden dürfen.
1.3.4
Das Experiment
Das Experiment wird sehr selten in der Medienforschung eingesetzt. Anwendungsgebiete sind vor allem die Medienwirkungs- und Rezipientenforschung. Die Wirkung gewaltdarstellender Medieninhalte auf das Individual- und Sozialverhalten wäre beispielsweise ein Gegenstand für experimentelle Erhebungen34. Zentraler Bestandteil jedes Experiments ist die gezielte Einwirkung eines Faktors und Feststellung der Folgen dieser Einwirkung. Im angeführten Beispiel wären die medialen Gewaltdarstellungen ein solcher Faktor, Veränderungen im Individual- oder Sozialverhalten dagegen die Folgen. Das Experiment ist im Grunde kein Erhebungsverfahren im klassischen Sinne, denn es löst lediglich eine Erhebungssituation aus und bedient sich bei der Datengewinnung anderer Erhebungsverfahren. So könnten Veränderungen im Individual- und Sozialverhalten infolge medialer Gewalteinwirkung beispielsweise in Beobachtungen erhoben werden. Es gibt verschiedene Formen von Experimenten. Analog zu den Beobachtungen sind Feld- und Laborerhebungen möglich. In Abhängigkeit von der Ausgangsposition des Forschers kann zwischen projektiertem und Ex-post-facto-Experiment unterschieden werden35. Projektierte Experimente laufen planmäßig und kontrolliert ab. Ex-post-facto-Experimente haben einen retrospektiven Charakter. Folgen der Einwirkung eines Faktors werden bei dieser Vorgehensweise vom abgeschlossenen Einwirkungsprozess bis zum Beginn der Einwirkung zurückverfolgt. Tabelle 6:
Formen des Experiments
Nach dem Umfeld des Experiments:
▪ ▪
Feldexperiment Laborexperiment
Nach der Ausgangsposition des Forschers:
▪ ▪
Projektiertes Experiment Ex-post-facto-Experiment
Wichtige Voraussetzungen für das Gelingen eines Experiments sind die Wahl eines wirksamen Faktors und die Schaffung von Vergleichssituationen, damit das Wirkungsergebnis an der Ausgangssituation oder einer anderen Basis gemessen werden kann. Bei der Auswertung und Interpretation der Daten dürfen nur Wirkungen indiziert werden, die mit Bestimmtheit auf den ausgelösten Faktor und nur auf diesen zurückzuführen sind.
34 35
Pürer 1998, 197 Pürer 1998, 196
146 2
Silke Waber Statistik
2.1 Begriff und Teildisziplinen Die angewandte Medienforschung bedient sich zu weiten Teilen einer Hilfswissenschaft – der Statistik. So gründen beispielsweise Stichprobenziehungen, das Datenqualitätsmanagement sowie die Datenauswertung und -interpretation auf statistischen Verfahren. Auch im Journalismus gewinnt die Statistik immer mehr an Bedeutung. Dies soll ein Beispiel veranschaulichen: Im Jahre 1999 erhielt die Redaktion des „Miami Herald“ unter großer öffentlicher Anteilnahme den renommierten Pulitzer-Preis. Den Journalisten des Blattes war es gelungen, den Wahlbetrug des designierten Bürgermeisters von Miami zu entlarven und dadurch seinen Rücktritt einzuläuten. Der Durchbruch gelang durch Recherchieren in verschiedensten Datenbanken und Tools. So war beispielsweise von den Journalisten das Wählerverzeichnis der Stadt Miami mit Verzeichnissen der Vermögensschätzer abgeglichen worden. Dabei fiel auf, dass insbesondere bei Briefwahlen Haushalte mehr Stimmen geltend gemacht hatten, als Personen in ihnen lebten. Zudem wurden Stimmen von ausschließlich gewerblich genutzten oder unbebauten Immobilien abgegeben36. Das Beispiel demonstriert, wie weit Statistik journalistische Recherchen befördern kann. Computer-Assisted Reporting (CAR) nennt man solcherart Rückgriffe auf verschiedenste Datenbanken. In den USA hat diese Methode längst Einzug in den journalistischen Alltag gehalten und dazu geführt, dass „number crunchers“ – auf Statistik spezialisierte Redakteure – in allen größeren Nachrichtenredaktionen zu finden sind37. In Deutschland wird es auf absehbare Zeit sicherlich keine vergleichbare Entwicklung und damit keine solche Spezialisierung unter Journalisten geben, weil die Datenlage im Vergleich zu den USA eher schlecht ist38. Die vorhandenen und zugänglichen Daten werden aber eine immer größere Bedeutung für die Recherchen erlangen. Zudem steigt die Berichterstattung über statistische Sachverhalte im Zeitalter der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft stetig an39. Auf diese Weise wird der Journalist hierzulande die Rolle des „number crunchers“ selbst übernehmen und die Statistik zu seinen Kernkompetenzen zählen müssen. Der Begriff Statistik wird in verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Für die Medienforschung und den Journalismus besitzen drei Bedeutungen besondere Relevanz40: 1.
36 37 38 39 40
Statistik als Präsentation von Zahlenmaterial Beispiel: Die Statistik besagt, dass 14,62 Millionen Zuschauer die „Wetten, dass …“Sendung des ZDF am 4.10.2003 sahen. Nach Datenquellen unterscheidet man Primär- und Sekundärstatistiken. In Primärstatistiken werden selbst erhobene Daten präsentiert, Sekundärstatistiken sind durch den Rückgriff auf fremde Erhebungen gekennzeichnet. www.pulitzer.org/year/1999/investigative-reporting/works/ Wessel 2003, 48 Wiebersiek 2003, 57 Klammer 1999, 229 Knieper 1993, 11
Medienforschung und Statistik 2. 3.
147
Statistik als Bezeichnung für numerische Kenngrößen Beispiel: Der statistische Mittelwert liegt bei 10,8 Prozent. Statistik als Begriff für eine wissenschaftliche Disziplin Beispiel: Die angewandte Medienforschung gründet auf Verfahren der Statistik.
In letzterer Bedeutung bezeichnet Statistik eine Methodenlehre, die sich mit der Sammlung, der Organisation, der Darstellung, der Analyse und der Bewertung von Daten auseinandersetzt41. Ihrem Stellenwert nach ist die Statistik keine eigenständige, sondern eine Hilfswissenschaft. Sie bietet anderen Wissenschaften Verfahren an, mittels welcher Befunde ermittelt und dargestellt werden können. Innerhalb der Statistik werden zwei Teildisziplinen unterschieden: die beschreibende (oder deskriptive) und schließende (induktive) Statistik. Die beschreibende Statistik ist mit der Organisation, Darstellung, Analyse und Bewertung vorhandener Daten befasst. Die schließende Statistik ist in einem ersten Schritt mit einer Teilauswahl von Daten befasst und schließt in einem zweiten Schritt von dieser Teilauswahl auf das Ganze bzw. auf ein allgemeines Gesetz. Dafür nutzt sie Wahrscheinlichkeitsmodelle. Wenn in einem Forschungsprojekt beispielsweise die Chefredakteure der überregionalen deutschen Tageszeitungen zu Redaktionsabläufen befragt werden sollen, so ist es aufgrund der überschaubaren Anzahl von in Frage kommenden Personen möglich, alle Chefredakteure zu befragen. In diesem Fall kann mit dem Instrumentarium der beschreibenden Statistik gearbeitet werden. Soll die Befragung demgegenüber alle für Tageszeitungen schreibenden Journalisten in Deutschland einbeziehen, ist es aus ökonomischen und Zeitgründen angebracht, eine repräsentative Teilauswahl zu befragen und aus den so gewonnenen Daten Rückschlüsse auf die Gesamtheit zu ziehen. Somit fiele die Untersuchung in den Bereich der schließenden Statistik. Aus den Teildisziplinen lassen sich zwei Zielrichtungen der Statistik ableiten: Sie fasst zum einen die Informationen in erhobenen Daten zusammen und ermöglicht zum anderen eine Verallgemeinerung der gewonnenen Aussagen42.
2.2 Statistische Grundbegriffe: Grundgesamtheit, Merkmalsträger, Merkmal Die Statistik verfügt über ein Repertoire weitgehend einheitlich gebrauchter Grundbegriffe. Zu den wichtigsten Fachbegriffen in diesem Sinne gehören die Grundgesamtheit, die Elemente einer Grundgesamtheit, die Merkmalsträger und die Merkmale. Alle einer Erhebung zugrunde liegenden Objekte werden als Grundgesamtheit bezeichnet. In der bereits angeführten Chefredakteurs-Befragung zu Redaktionsabläufen bildet die Menge aller Redaktionen, vertreten durch die Chefredakteure, die Grundgesamtheit. In einer Analyse des Medienbildes der CDU in der „Welt“ 2002 (auf Erwähnungsebene) bilden dagegen alle Erwähnungen der CDU in der „Welt“ 2002 die Grundgesamtheit.
41 42
Knieper 1993, 12 Müller-Benedict 2003, 24
148
Silke Waber
Die einzelnen Objekte innerhalb einer Grundgesamtheit nennt man aus empirischer Perspektive Elemente, aus statistischer Perspektive Merkmalsträger. In der angeführten Befragung ist jede einzelne Redaktion, vertreten durch den Chefredakteur, ein Element der Grundgesamtheit und ein Merkmalsträger, für die Inhaltsanalyse ist es jede Erwähnung der CDU in der „Welt“ 2002. Die Elemente bzw. Merkmalsträger sind diejenigen Einheiten, über die oder über deren Gesamtheit Aussagen getroffen werden sollen43. In Abhängigkeit von den zu treffenden Aussagen müssen die Merkmale, in der Statistik auch Variablen genannt, und ihre möglichen Ausprägungen festgelegt werden. Merkmale können alle Eigenschaften oder Größen der Elemente einer Grundgesamtheit sein. Für die Analyse des Medienbildes der CDU in der „Welt“ 2002 können beispielsweise die Merkmale „Person“, „Thema“ und „Bewertung“ erhoben werden, mittels derer Aussagen darüber getroffen werden können, welche Personen aus der CDU erwähnt wurden, mit welchen Themen die Partei in dieser Tageszeitung präsent gewesen und wie sie bewertet worden ist. Die Merkmale können auch im Zusammenhang untersucht werden. In diesem Fall sind Aussagen darüber möglich, welche Personen aus der CDU mit welchen Themen in der „Welt“ dargestellt wurden und wie diese Personen zu diesen Themen bewertet worden sind. Untersuchungen solcher Art, die mehr als zwei Merkmale gekoppelt untersuchen, stellt die multivariate Statistik an. Untersuchungen mit maximal zwei Merkmalen dagegen sind Gegenstand der univariaten Statistik.
2.3 Statistische Auswahlverfahren Die Statistik unterscheidet zwischen Voll- und Teilerhebungen. Vollerhebungen beziehen alle Elemente einer Grundgesamtheit ein. Teilerhebungen dagegen beschränken sich auf eine Auswahl. Der große Vorzug der Vollerhebungen ist die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Manipulations- und fehleranfällige Verfahren wie beispielsweise die Stichprobenziehung und die Wahrscheinlichkeitsrechnung entfallen bei dieser Vorgehensweise. Praktikabel sind Vollerhebungen allerdings nur bei einer überschaubaren Anzahl von Elementen. Ist die Elementzahl zu hoch, muss aus Kosten-, Qualitäts- und/oder Zeitgründen eine Teilerhebung durchgeführt werden. Eine wichtige Anforderung an die Teilauswahl besteht darin, die zu untersuchenden Elemente repräsentativ für die Grundgesamtheit auszuwählen. Die Repräsentativität hat zunächst einen quantitativen Aspekt. Stehen bei einer Untersuchung des Medienbildes der CDU in der „Welt“ 100 Erwähnungen exemplarisch für durchschnittlich 200.000 Erwähnungen jährlich, so führt die Anzahl der analysierten Elemente sicherlich nicht zu einem für die Grundgesamtheit gültigen Ergebnis – dazu ist die Teilauswahl zu klein. Grundsätzlich sollte die Fallzahl so hoch wie möglich sein. Die Datenqualität muss allerdings auch in großen Teilmengen gewahrt bleiben. Die Repräsentativität hat aber auch einen qualitativen Aspekt. So gibt es neben der Fallzahl noch eine Reihe weiterer Regeln, welche bei der Auswahl zu beachten sind. Diese Regeln sind vor allem im Hinblick auf die unterschiedlichen Auswahlverfahren formuliert worden. 43
Knieper 1993, 30
Medienforschung und Statistik
149
Die Zahl der dem Medienforscher zur Verfügung stehenden Auswahlverfahren ist groß. Für welches er sich entscheidet, sollte in erster Linie von den Untersuchungszielen abhängen. Natürlich muss auch dem Budget des jeweiligen Projekts Rechnung getragen werden. Nach der Reflektiertheit der Auswahlprozesse werden Auswahlverfahren in zufällige und nichtzufällige Vorgehensweisen unterteilt. Voraussetzung einer zufälligen Auswahl ist, dass jedes Element einer Grundgesamtheit die Chance hat, in die Teilauswahl aufgenommen zu werden. Sollen Aussagen über die Präsenz der CDU 2002 in Tageszeitungen getroffen werden und die Erhebung beschränkt sich auf die „Welt“, so dürfte das Ergebnis verfälscht sein. Denn die „Welt“ mit ihrer eher konservativen Tendenz wird beispielsweise andere Themenschwerpunkte in der Berichterstattung über die CDU setzen, anders werten usw. als die linksorientierte „Tageszeitung“ („taz“). Der Fehler in der Auswahl bestand also darin, dass Erwähnungen der CDU in der „taz“ nicht die Chance hatten, erhoben zu werden, weil allein die „Welt“ für die Stichprobe ausgewählt worden war. Nicht immer sind die Dimensionen des Zufälligkeitsprinzips so durchschaubar wie in diesem Fall. So gehört zur konsequenten Handhabung der Zufälligkeit auch, dass bei Haushaltsbefragungen per Telefon nicht a priori jene Person zu befragen ist, die den Anruf entgegennimmt. In fast jedem Haushalt gibt es Personen, die bei Anrufen häufiger zum Hörer greifen als andere. Das bedeutet, dass die anderen Personen nicht die gleiche Chance besitzen, befragt zu werden. Um diese Chancenverzerrung statistisch zu minimieren, kann z.B. das „Geburtstagsprinzip“ angewandt werden: Der Interviewer äußert den Wunsch, mit der Person zu sprechen, die als letzte Geburtstag hatte. Unter den zufälligen Auswahlverfahren gehören die geschichtete und die Klumpenauswahl zu den meistverwandten Verfahren in der Medienforschung. Bei der geschichteten Auswahl wird die Grundgesamtheit in Teilmengen, sog. Schichten, zerlegt. Die Schichten müssen in sich einheitlich, voneinander aber unterschiedlich strukturiert sein. Die Einheitlichkeit innerhalb einer Schicht führt dazu, dass man die Auswertung auf eine repräsentative Zahl beispielhafter Fälle verkürzen kann. In einer Analyse der Medienpräsenz der CDU in Tageszeitungen könnte die Präsenz der Partei in jedem einzelnen Medium eine Schicht bilden. Eine repräsentative Anzahl von Elementen innerhalb jeder Schicht wäre dann die zu analysierende Gesamtheit. Bei einer Klumpenauswahl wird die Grundgesamtheit ebenfalls in Teilmengen zerlegt. Diese werden Klumpen genannt. Die Klumpen müssen in ihrer Struktur der Grundgesamtheit entsprechen. Im Ergebnis sind sie untereinander einheitlich, während sie in sich eine der Grundgesamtheit analoge Unterschiedlichkeit tragen. Der analoge Charakter dieser Unterschiedlichkeit gestattet die Beschränkung auf die Auswahl. Für die Analyse des Medienbildes der CDU könnte beispielsweise die Präsenz im Verlaufe eines Quartals als Stichprobe herangezogen werden. Dabei muss auf die Repräsentativität dieses Quartals für das gesamte Jahr geachtet werden. Dominiert in der Berichterstattung des ausgewählten Quartals beispielsweise eine Parteifinanzaffäre, so können die Ergebnisse nicht auf Zeiträume übertragen werden, in welchen die Affäre kein Thema in den Medien war. Von den nichtzufälligen Auswahlverfahren besitzen die willkürliche Auswahl, die Auswahl typischer Fälle und die Quotenauswahl besondere Bedeutung in der Medienforschung. Bei der willkürlichen Auswahl werden die zu analysierenden Elemente ohne Regeln zusammengestellt. Die Ergebnisse solcher Analysen sind sicherlich fragwürdiger als die aus anderen Verfahren. Deswegen ist eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung im Vorfeld wichtig. Die Auswahl typischer Fälle ist besonders für überschaubare Grundgesamtheiten geeignet. Sie
150
Silke Waber
birgt ein größeres Subjektivitätsrisiko als die anderen Vorgehensweisen. Nicht zuletzt deshalb sollten Nutzen und Risiko auch hier im Vorfeld sorgsam aufgewogen werden. Die Quotenauswahl ist aus der Ermittlung der TV-Daten mittlerweile sehr bekannt. Bei diesem Verfahren werden Teilmengen aus der Grundgesamtheit gebildet, die nach inhaltlichen Merkmalen und prozentualen Anteilen festgelegt sind. Bei den inhaltlichen Merkmalen handelt es sich meist um soziodemographische Angaben wie Alter, Bildung, Beruf, Haushaltseinkommen usw. Wichtig für die Ermittlung valider Daten ist, dass die prozentualen Anteile der Teilmenge denen in der Grundgesamtheit entsprechen. Innerhalb der Quoten wird die Auswahl dann willkürlich vollzogen. Das macht dieses Auswahlverfahren problematisch. Dass es ungeachtet dessen eine so große Rolle in der Medienforschung spielt, hängt damit zusammen, dass es relativ kostengünstig durchgeführt werden kann. Tabelle 7:
Statistische Auswahlverfahren (Auswahl)
Zufällige Auswahlverfahren
Nicht-zufällige Auswahlverfahren
▪ ▪
▪ ▪ ▪
geschichtete Auswahl Klumpenauswahl
willkürliche Auswahl Auswahl typischer Fälle Quotenauswahl
2.4 Statistische Darstellung von Daten Im Verlaufe der Erhebung werden die Daten manuell oder computergestützt in eine Rohdatenliste, in der Statistik häufig auch Urliste genannt, eingetragen. Insbesondere bei den computergestützten Erhebungen hat die Urliste die Form einer Tabelle. Die Spalten der Tabelle listen in den meisten Fällen die zu untersuchenden Merkmale (Variablen) auf, die Zeilen hingegen die Merkmalsträger (Cases). Die einzelnen Zellen der Tabelle enthalten im Ergebnis einer Erhebung die Merkmalsausprägung für den jeweiligen Merkmalsträger. Um statistische Berechnungen durchzuführen und eine strukturelle Vergleichsbasis der Daten herzustellen, werden für die Merkmalsausprägungen Zahlencodes eingetragen. Bei einer Untersuchung des Medienbildes der CDU in der „Welt“ könnten die dargestellten CDU-Politiker, die behandelten Themen sowie die Bewertung der Politiker durch Journalisten und/oder andere Urheber als Merkmale klassifiziert und in die Spalten eingetragen werden. Die Merkmalsträger, also alle zu untersuchenden Erwähnungen der CDU, sind durch formale Merkmale identifizierbar. Zu solchen Merkmalen zählt das Erscheinungsdatum, die Seite, die Nummer der Erwähnung pro Seite. Diese Identifikationsmerkmale werden wie inhaltliche Merkmale behandelt und für jeden Merkmalsträger erhoben.
Medienforschung und Statistik Tabelle 8:
151
Ausschnitt aus einer möglichen Rohdaten-Liste
Erscheinungsdatum
Seite
Erwähnung Nummer (pro Seite)
Partei/ Person
Thema
Bewertung …
07.10.03
1
1
0
1
0
07.10.03
1
2
2
1
0
07.10.03
2
1
2
3
0
07.10.03
2
2
1
3
1
07.10.03
3
1
1
2
0
...
...
...
...
...
...
Im Vorfeld festgelegte Cod-Entsprechungen für das Merkmal Partei/Person: 0 = keine Person, sondern die Partei erwähnt 1 = Angela Merkel 2 = Laurenz Meyer… Im Vorfeld festgelegte Cod-Entsprechungen für das Merkmal Thema: 1 = Rentenpolitik 2 = Gesundheitspolitik 3 = Arbeitsmarktpolitik … Im Vorfeld festgelegte Cod-Entsprechungen für das Merkmal Bewertung: 0 = keine Wertung 1 = positive Wertung 2 = neutrale Wertung 3 = negative Wertung …
Bei Erhebungen auf unterschiedlichen Analyseebenen ist ein zusätzliches formales Merkmal aufzunehmen. Es kennzeichnet für jeden Merkmalsträger die Erhebungsebene. Der nachfolgende Beitrag aus der „Welt“ kann beispielsweise in zwei Erhebungsschritten ausgewertet werden. In einem ersten Schritt wird der Beitrag als Ganzes analysiert. In einem zweiten wird jede Erwähnung der CDU (einschließlich ihrer Repräsentanten) detailliert auf die festgelegten Merkmale untersucht. Der Vorteil einer solchen Kombination wäre, dass über Beiträge und Erwähnungen gleichermaßen Aussagen getroffen werden können. Die Aussagen über Beiträge besitzen besondere Anschaulichkeit und bieten eine bessere Vergleichsbasis der Ergebnisse mit denen aus anderen Untersuchungen; die Aussagen über Erwähnungen vermitteln aufgrund ihrer Detailtreue die präziseren Informationen. Beispieltext aus der „Welt“ vom 20. Juli 2003 Rente: Merkel für Bürgerversicherung Berlin – Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sieht die Einführung einer „Bürgerversicherung“ als möglichen Weg zur Reform des Rentensystems, sagte sie der „Welt“. In der so genannten Herzog-Kommission der CDU werde derzeit ein solches Modell diskutiert. Angesichts der Altersentwicklung der Bevölkerung sei zu prüfen, „ob mittelfristig die Rente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Jahren Arbeit noch signifikant höher sein wird als die Sozialhilfe“, sagte die CDU-Chefin.
152
Silke Waber
Tabelle 9:
Rohdatenliste für die Erhebung des Beispieltextes auf zwei Analyseebenen
Erscheinungsdatum
Seite
Erwähnung Nummer (pro Seite)
Ebene
Partei/ Person
Thema
Bewertung …
20.07.2003
3
0
1
1 (=Merkel)
1 (=Rente)
2 (=neutral)
20.07.2003
3
1
2
1
1
2
20.07.2003
3
2
2
1
1
2
20.07.2003
3
3
2
1
1
2
20.07.2003
3
4
2
0 (=CDU)
1
2
20.07.2003
3
5
2
1
1
2
Im Vorfeld festgelegte Cod-Entsprechungen für das Merkmal Ebene: 1 = Beitrag 2 = Erwähnung Die Codierung der anderen Merkmale entspricht den Cod-Festlegungen für Tabelle 8.
In der ersten Zeile werden die Merkmale für den gesamten Beitrag erhoben. Die zweite Zeile analysiert die erste Erwähnung Angela Merkels im Text – die Überschrift. Die dritte Zeile analysiert die zweite Erwähnung der Politikerin im ersten Satz des Beispieltextes. Die vierte und die fünfte Zeile analysieren den zweiten Satz, in dem Angela Merkel (als Urheberin, das verdeutlicht die indirekte Rede!) und die CDU agieren. Die sechste Zeile analysiert den dritten und letzten Satz des Beispieltextes. Wichtig für die Verwendung von Zahlencodes ist der Hinweis, dass diese quantitative und qualitative Merkmale gleichermaßen verschlüsseln können. Quantitative Merkmalsausprägungen machen allerdings keine spezielle Übersetzung in Zahlencodes erforderlich, weil sie bereits in Zahlen dargestellt werden. Wird ein Interviewpartner im Rahmen einer Befragung gebeten, sein Alter oder sein Haushaltseinkommen anzugeben, so handelt es sich um quantitative Abfragen. Auch die Seitenangaben in Tabelle 9 sind Beispiel für ein quantitatives Merkmal. Qualitative Merkmalsausprägungen machen dagegen eine Übersetzung in Zahlencodes erforderlich. Zu ihnen zählen in Tabelle 9 alle nicht-formalen Merkmale wie Ebene, Partei/Person, Thema, Bewertung. Eine Codierung, welche die Eigenschaften des zu erhebenden Merkmals berücksichtigt, wird in der Statistik Skala genannt.44 Skalen müssen insbesondere die Beziehungen abbilden, die zwischen Merkmalsausprägungen bestehen45. Nach konstitutiven Beziehungen unterteilt man die Skalen in Nominal-, Ordinal-, Intervall- und Rationalskalen. In Nominalskalen ist die Unterscheidung zwischen Merkmalsausprägungen die konstitutive Beziehung. Jede von anderen unterschiedliche Ausprägung markiert einen Punkt auf der Skala. In Tabelle 9 entsprechen beispielsweise die Ausprägungen des Merkmals Partei/ Person einer Nominalskala. In Ordinalskalen sind Unterscheidung und Rangfolge die konstitutiven Beziehungen zwischen den Merkmalsausprägungen. Dementsprechend werden die Ausprägungen unter44 45
Müller-Benedict 2003, 37 Kammermeyer/Zerpies 2003, 16
Medienforschung und Statistik
153
schieden und in eine Rangfolge gebracht. So hätten die CDU-Parteipolitiker in Tabelle 9 entsprechend ihrer Rangfolge innerhalb der Partei auch in eine Zahlen-Rangfolge gebracht werden können, wenn die Medienpräsenz in ihrer Abhängigkeit vom Amt interessiert hätte. In Intervallskalen sind Unterscheidung, Rangfolge und Abstand konstitutive Beziehungen. Typisch für diesen Skalentyp sind Einstufungen auf einer Skala von 1 bis x, wobei 1 und x für die polaren extremen Ausprägungen stehen. Beispiel dafür ist in Tabelle 9 das Merkmal Bewertung. Die Rationalskalen gründen auf den gleichen Beziehungen wie Intervallskalen, nur kommt der Zahl 0 eine inhaltliche Bedeutung zu. So hätte beispielsweise im Merkmal Bewertung ein Cod 0 für „keine Bewertung“ eingeführt werden können, wenn in der Auswertung zwischen keiner und neutraler Bewertung noch einmal unterschieden werden soll. Die Art der gewählten Skala entscheidet über die mathematischen Operationen, die im Verlaufe der Datenauswertung ausgeführt werden können. So können Ausprägungen innerhalb einer Nominalskala nur gleich oder verschieden sein. Andere Relationen sind zwischen ihnen nicht herstellbar. Ausprägungen auf einer Ordinalskala dagegen können auch größer oder kleiner als Vergleichswerte sein, denn sie erfüllen die Grundvoraussetzung einer Rangordnung. Auf diese Weise ließe sich am Beispiel des Medienbildes der CDU in der „Welt“ ermitteln, ob Angela Merkel besser bewertet wird (= kleinerer Durchschnittswert im Merkmal Bewertung) als ihr Parteikollege (größerer Wert). Die Konsequenzen für die Datenauswertung müssen also bei der Skalenwahl und -einteilung bereits bedacht werden.
2.4.1
Prüfung der Daten auf Vollständigkeit und Richtigkeit
Im Ergebnis einer Erhebung sollte die Prüfung der Daten auf Vollständigkeit und Richtigkeit stehen. Eine Vollständigkeitsprüfung ist leicht realisierbar, wenn die Zahl der zu untersuchenden Fälle (Merkmalsträger) vorgegeben ist. Bei einer Befragung der Hörer des Radio Novums zur Qualität des Programms kann die Auswahl beispielsweise auf 500 Hörer beschränkt werden. In diesem Fall müsste die Urliste (Tabelle) 500 Zeilen enthalten. Bei computergestützten Befragungen kann die Limitierung der Fälle elektronisch gesteuert werden. Eingaben in die Software sind nach Erreichen des programmierten Limits nicht mehr möglich, so dass beispielsweise eine Hörerzahl von 500 nicht überschritten wird. Analog ist zu prüfen, dass die Urliste auch nicht weniger vollständige Interviews enthält als im Untersuchungsdesign bestimmt wurden. Vor allem bei größeren Datenmengen werden Häufigkeitszählungen eingesetzt, um die Vollständigkeit der Daten zu prüfen. Solche Zählungen können insbesondere mit Daten- und Statistiksoftware rechnergestützt durchgeführt werden. Schwieriger ist eine Vollständigkeitsprüfung, wenn die Zahl der zu untersuchenden Elemente nicht bekannt ist. Soll beispielsweise überprüft werden, ob eine Urliste in der Tat alle Erwähnungen von CDU-Politikern in der „Welt“ 2002 enthält, muss auf Wahrscheinlichkeitsmodelle zurückgegriffen werden. Wenn der Medienforscher über vergleichbare Daten aus anderen Zeiträumen oder von anderen Medien verfügt, kann er grobe Abweichungen identifizieren und aus ihnen auf eine wahrscheinliche Fehlerhaftigkeit der Daten schließen.
154
Silke Waber
Anders als die Vollständigkeit lässt sich die Richtigkeit von Daten in Inhaltsanalysen recht zuverlässig prüfen. Zwei Parameter kennzeichnen die Datenqualität bei diesem Erhebungsverfahren – die Validität und die Reliabilität. Die Validität gibt an, wie adäquat die Codierer die Vorgaben der Untersuchung umsetzen. Praktisch kann Validität geprüft werden, indem eine identische Textauswahl zum einen vom Codierer und zum anderen vom Projektleiter nach den Vorgaben des Codebuches verschlüsselt wird. Im Anschluss daran misst man Übereinstimmungen und Abweichungen der beiden Lösungen. Auch dieser Abgleich kann computergestützt vollzogen werden. Der Grad der Übereinstimmung beider Lösungen in Prozent gibt die Validität an. In seriösen Forschungen sollte eine Übereinstimmung der Codierung (Validität) von 80 Prozent nicht unterschritten werden. Die Reliabilität zeigt die Homogenität der Codierungen unterschiedlicher Medienanalysten an. Sie wird ermittelt, indem mehrere Codierer eine identische Textauswahl nach den Vorgaben des Codebuchs verschlüsseln. Der Grad der Übereinstimmung in den Codierungen dieser Analysten wird als Reliabilitätswert bezeichnet. Auch dieser Wert sollte 80 Prozent nicht unterschreiten. Nach Möglichkeit sind bei Datenprüfungen in Inhaltsanalysen Validitäts- und Reliabilitätstests durchzuführen. Zusätzlich können solche Tests vor Beginn der Datenerhebungen die Qualität eines Codebuches evaluieren. Zu diesem Zweck lässt man Probecodierungen anfertigen und überprüft für diese Validität und Reliabilität. Sind die ermittelten Abweichungen zu groß, weisen sie auf mangelhafte Kategorienschemen oder unzulängliche Definitionen der Kategorien bzw. Unterkategorien hin. Last but not least geben kontinuierlich durchgeführte Validitätstests Aufschluss über den Ausbildungsstand bzw. die Datenqualität eines jeden Codierers. Sehr schwierig ist die retrospektive Überprüfung der Datenqualität bei Befragungen, weil sich für diese Erhebungen keine Muster aufstellen lassen. Mustercharakter können hier allenfalls Erfahrungswerte und Wahrscheinlichkeitsschätzungen gewinnen. Die Zuverlässigkeit, Fehler auf diese Weise zu identifizieren, ist deutlich geringer als bei den Inhaltsanalysen. Dafür müssten die Abweichungen sehr groß ausfallen. Die beste Möglichkeit, die Richtigkeit der Daten aus Befragungen zu prüfen, sind kontinuierliche Überwachungen und Kontrollen während der Datenerhebungen.
2.4.2
Auswertung der Daten: Häufigkeitsverteilungen
In der Urliste liegen die Rohdaten meist in der Reihenfolge ihrer Erhebung und damit noch unsortiert vor. Dennoch enthält diese Liste schon alle Informationen, die in der Untersuchung gewonnen wurden. In unstrukturierter Form sind diese Informationen allerdings noch nicht wahrnehm- und nutzbar. Im Prozess der Datenauswertung findet deshalb eine Aufbereitung der Informationen statt. Einen ersten Überblick über das Auftreten von Merkmalsausprägungen können die Häufigkeitsverteilungen in Merkmalen geben. Ermittlungen von Häufigkeiten sind in der Medienforschung wie in den empirischen Sozialwissenschaften insgesamt das meistverwandte Auswertungsverfahren.
Medienforschung und Statistik
155
Unter der Häufigkeitsverteilung eines Merkmals versteht man die Darstellung seiner Ausprägungen im Verhältnis ihres Auftretens bei den Merkmalsträgern46. In der nachfolgenden Tabelle, die Ergebnisse aus der Analyse von Werbebeiträgen des sächsischen Lokalfernsehsenders „Kabeljournal Beierfeld“ enthält, ließe sich durch Häufigkeitszählungen beispielsweise ermitteln, wie oft Werbebeiträge in Gestalt von Kurzfilmen geschaltet wurden (7 Beiträge) oder wie oft Unternehmen beworben wurden (16 Beiträge). Im ersten Fall kann anhand des ermittelten Ergebnisses z.B. eine Aussage über die Attraktivität der Werbebeiträge (Kurzfilm vs. Schrift- oder Bildtafel) getroffen werden. Im zweiten Fall verweist das Ergebnis auf die spezifische Ausrichtung lokaler Werbung, Unternehmen (und nicht Produkte wie das überregionale Werbefernsehen) in den Mittelpunkt zu stellen. Tabelle 10:
Rohdatenliste aus einer Analyse der Werbebeiträge des „Kabeljournal Beierfeld“ vom 1.2.–28.2.2003 (Ausschnitt)
Beitrag-Nr.
Werbeform
Werbeinhalt
Lichtqualität
Tonqualität
1
5
100
1
1
2
5
100
1
1
3
5
200
2
1
4
3
100
0
1
5
5
100
1
1
6
6
100
2
1
7
6
100
1
1
8
1
100
0
0
9
5
100
2
2
10
3
100
3
3
11
1
100
0
2
12
5
100
2
2
13
5
100
1
2
14
1
100
0
0
15
1
100
0
0
16
3
100
0
0
17
1
100
0
0
...
...
...
...
...
Werbeform: 1 = Schrifttafel, 3 = Bildtafel, 5 = Kurzfilm, 6 = Schleichwerbung
46
Müller-Benedict 2003, 43
156
Silke Waber
Werbeinhalt: 100 = Werbung für Unternehmen, 200 = Werbung für Produkte Licht- und Tonqualität wurden in dieser Untersuchung auf einer Skala mit den Einheiten 0 (= keine Einstufung möglich), 1 (= sehr gut), 2 (= gut), 3 (= befriedigend), 4 (= schlecht) und 5 (= sehr schlecht) erhoben. Alle Beispieldaten sind zur besseren Veranschaulichung stark verkürzt worden und können nicht als repräsentativ für ein Merkmal angesehen werden.
Häufigkeitsverteilungen werden heute in aller Regel computergestützt ermittelt. Daten- und Statistiksoftware wie Excel oder SPSS verfügen über einschlägige Funktionen. Die nachfolgende Tabelle ist Ausschnitt einer SPSS-Ausgabedatei. Ausgabedateien enthalten in dieser Statistiksoftware die Ergebnisse rechnerischer Operationen in Form von Datenzusammenstellungen und/oder Grafiken. Die Tabelle unten zeigt die Häufigkeitsverteilungen für das Merkmal Werbeform an. Die Ausgangsdaten entsprechen den Werten in Tabelle 10. Tabelle 11:
Häufigkeit des Merkmals Werbeform: Ausschnitt aus einer SPSS-Ausgabedatei Frequency
Valid
Percent
Valid Percent
Cumulative Percent
1
5
29,4
29,4
29,4
3
3
17,6
17,6
47,1
5
7
41,2
41,2
88,2
6
2
11,8
11,8
100,0
Total
17
100,0
100,0
Die erste Spalte verweist auf die Validität (Gültigkeit) aller in der Urliste befindlicher Werte. Die zweite Spalte listet alle verwendeten Codes bzw. Werte innerhalb des Merkmals Werbeform auf. Die Spalte „Frequency“ gibt für jeden Wert die absolute Häufigkeit seines Auftretens an. Cod 5, der für Kurzfilme steht, ist beispielsweise sieben Mal verschlüsselt worden, d.h. sieben Mal hatten die analysierten Werbebeiträge die Form von Kurzfilmen. Die Spalte „Percent“ gibt die prozentuale Verteilung der Werbeformen an. Die Werte in der Spalte „Valid Percent“ sind, weil alle Fälle valide waren, mit den vorangegangenen Werten identisch. Bei nicht-validen Fällen treten entsprechende Abweichungen auf. In der Spalte „Cumulative Percent“ werden die Prozentwerte aufeinander folgender Codes jeweils addiert.
Medienforschung und Statistik 2.4.3
157
Statistische Kennwerte
Für ein sachgerechtes Urteil über die Tonqualität der analysierten Werbebeiträge würde eine Häufigkeitszählung allein nicht ausreichen. Dass die Codierer in 17 zu betrachtenden Fällen der angeführten Tabelle vier Mal die Note 2 (= gute Tonqualität) erteilten, sagt nur etwas über die Verteilung einer Merkmalsausprägung aus. Wesentlich für das Gesamturteil ist aber auch die Verteilung aller anderen Ausprägungen. Um einen Vergleich der Häufigkeitsverteilungen aller Merkmalsausprägungen leisten zu können, bedient man sich statistischer Kennwerte. Zu den statistischen Kennwerten gehören die Lagemaßzahlen (oder Lagemaße) und Streuungsmaßzahlen (Streuungsmaße). Lagemaßzahlen beschreiben summarisch die Verteilung von Häufigkeiten. Sie zeigen z.B. auf, wo die Mehrzahl oder die Mitte der aufgelisteten Werte liegt. Die gebräuchlichsten Lagemaßzahlen sind der Modus, der Median und das arithmetische Mittel (der Durchschnitt). Der Modus ist der am häufigsten auftretende Wert für eine Merkmalsausprägung. Bei der Ermittlung der Tonqualität der Werbebeiträge haben die Codierer in Tabelle 10 sieben Mal den Wert 1, vier Mal den Wert 2 und ein Mal den Wert 3 verschlüsselt. (In fünf Fällen war die Tonqualität nicht ermittelbar, weil beispielsweise eine Schrift- oder Bildtafel ohne Ton eingeblendet wurde. Diese Fälle sind für das Merkmal Tonqualität nicht valide und werden bei der Auswertung nicht berücksichtigt.) Der Modus liegt somit bei 1. Treten mehrere Werte gleich häufig auf, ist der Modus nicht ermittelbar. Der Median ist derjenige Wert, für den gilt, dass 50 Prozent der Werte innerhalb eines Merkmals kleiner oder gleich und 50 Prozent der Werte größer oder gleich sind. Er wird ermittelt, indem man alle auftretenden Werte (unabhängig von der Häufigkeit ihres Auftretens) nach Größe geordnet zusammenstellt. Für das Merkmal Tonqualität sind drei (valide) Werte verschlüsselt worden: 1 – 2 – 3. Der Median beträgt in diesem Fall 2. Hätten die Codierer alle (validen) Werte verschlüsselt, also 1 – 2 – 3 – 4 – 5, läge der Median bei 3. Wenn vier der fünf möglichen Ausprägungen codiert worden wären, also 1 – 2 – 3 – 4, dann könnte der Median 2 oder 3 betragen. Die Entscheidung für einen der beiden Werte sollte in einem solchen Fall nicht willkürlich getroffen werden, sondern sich an der Häufigkeit ihres Auftretens sowie der Gesamttendenz der Werte orientieren. Tritt z.B. die 2 häufiger auf als die 3 und widerspricht sie nicht der Gesamttendenz, so sollte 2 als Median gewählt werden. Das arithmetische Mittel ist der Quotient aus der Summe der Werte für die Merkmalsausprägungen (aller Merkmalsträger) und der Zahl der Merkmalsträger. In Tabelle 10 beträgt die Summe aller Werte für das Merkmal Tonqualität 18 und die Zahl der (validen) Merkmalsträger 12. Der Quotient, das arithmetische Mittel, liegt bei 1,5. Auch arithmetische Mittel lassen sich computergestützt in Daten- und Statistikprogrammen erheben. Die Auswertung des Merkmals Tonqualität hat in der Folge zu drei unterschiedlichen Mittelwerten geführt, die alle statistisch korrekt ermittelt worden sind. Mit welchem der drei Mittelwerte in der Ergebnisstatistik operiert wird, sollte allein in Abhängigkeit von den Daten und keinesfalls mit Blick auf gewünschte Ergebnisse entschieden werden. Argumentationen mit dem Modus sind z.B. immer dann problematisch, wenn dieser Wert sehr stark von den anderen Werten innerhalb des Merkmals und damit von der Tendenz abweicht. Hätten die Codierer die Tonqualität der Werbebeiträge vier Mal mit Wert 1, drei Mal mit Wert 4 und
158
Silke Waber
drei Mal mit Wert 5 verschlüsselt, dann würde die Argumentation mit dem Mittelwert 1 die insgesamt eher negative Grundtendenz nivellieren. Der Rückgriff auf Mediane ist wenig sachdienlich, wenn die größeren und kleineren Werte stark unausgewogen um den Median verteilt sind. In letzterem Beispiel würde auch der Median 4 der Gesamttendenz der Daten nicht gerecht, weil er die vier positiven Einstufungen aufhebt. Geeignet für die Ergebnisstatistik wäre hier das arithmetische Mittel von 3,1. Es spiegelt gleichermaßen die positive und die negative Tendenz der Werte. Problematisch wird die Argumentation mit dem arithmetischen Mittel immer im Falle vereinzelter großer „Ausreißer“. Soll beispielsweise die Präsenz des Themas Armut in fünf Tageszeitungen evaluiert werden, von denen eine das Thema 36 Mal aufgriff, während die anderen nur jeweils zwei Beiträge über Armut publizierten, so würde das arithmetische Mittel von 8,8 Beiträgen pro Medium im Untersuchungszeitraum das Bild unzulässig schönen. Denn mit der Ausnahme eines Mediums ist das Thema nahezu untergegangen. Tabelle 12:
Häufigkeit des Themas Armut in fünf Tageszeitungen (Beispieltabelle) Medium
Zahl der Beiträge zum Thema Armut
Tageszeitung 1
2
Tageszeitung 2
36
Tageszeitung 3
2
Tageszeitung 4
2
Tageszeitung 5
2
Arithmetisches Mittel:
8,8
Wie stark Werte in der Verteilung streuen, geben die Streuungsmaßzahlen an. Die gebräuchlichsten Streuungsmaßzahlen sind die Spannweite, der Quartilsabstand und die mittlere Abweichung von einer Lagemaßzahl. Die Spannweite bezeichnet die Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Wert. Beim Merkmal Tonqualität in Tabelle 10 liegt die Spannweite bei 2, hätten die Codierer alle Werte von 1 bis 5 verschlüsselt, läge die Spannweite bei 4. Extreme „Ausreißer“ wie die starke Präsenz des Themas Armut in einem Einzelmedium (s. Tabelle 12) schlagen sich in der Spannweite entsprechend nieder. Für dieses Merkmal läge sie bei 34. Der Quartilsabstand misst die Streuung innerhalb der mittleren 50 Prozent der Werte. Er vernachlässigt auf diese Weise die extremen „Ausreißer“ nach oben bzw. nach unten. Angaben zum Quartilsabstand sollten daher den Daten mit solchen extremen „Ausreißern“ vorbehalten bleiben. Die mittlere Abweichung von einer Lagemaßzahl kennzeichnet die Differenz zwischen Werten und einer Lagemaßzahl. Wenig aussagekräftig ist in aller Regel die durchschnittliche Abweichung von einer Lagemaßzahl, da sie gering ausfällt oder, im Falle des arithmetischen Mittels, gleich Null ist, weil sich positive und negative Abweichungen aufheben. Aus diesem Grunde behilft man sich in der Statistik mit dem durchschnittlichen quadrierten Abstand der Werte von einer Lagemaßzahl. Dieser Abstand wird Varianz genannt. Seine Quadratwurzel
Medienforschung und Statistik
159
ist die Standardabweichung. Errechnet wird die Varianz, indem von jedem Einzelwert der Stichprobe das arithmetische Mittel subtrahiert wird. Anschließend bildet man das Quadrat über diese Differenzen. Die Quadrate werden summiert und durch die Zahl der Merkmalsträger dividiert. Die Standardabweichung der Werte in Tabelle 12 wäre demnach in folgenden Rechenschritten zu ermitteln: Tabelle 13:
Rechenschritte zur Ermittlung der Standardabweichung (Beispiel) Wert:
Differenz aus Wert und arithmetischem Mittel:
Ergebnis im Quadrat:
2
2 – 8,8 = – 6,8
– 6,8² = 46,24
36
36 – 8,8 = 27,2
27,2² = 739,84
2
2 – 8,8 = – 6,8
– 6,8² = 46,24
2
2 – 8,8 = – 6,8
– 6,8² = 46,24
2
2 – 8,8 = – 6,8
– 6,8² = 46,24
Summe: 46,24 + 739,84 + 46,24 + 46,24 +46,24 = 924,8 Quotient aus Summe und Zahl der Merkmalsträger (Varianz): Quadratwurzel aus Varianz (Standardabweichung):
2.4.4
Gruppierung von Daten
In den bislang betrachteten Auswertungsverfahren konnten die in der Urliste befindlichen Daten in unbearbeiteter Form verwendet werden. In vielen anderen Fällen ist eine Transformation der Daten im Vorfeld der Zählungen bzw. Berechnungen erforderlich. Die am häufigsten vorgenommene Datentransformation ist in der Medienforschung die Gruppierung. Wenn eine Urliste im Ergebnis einer Befragung beispielsweise die Altersangaben aller Interviewpartner enthält, so werden die Ergebnisse wenig überschaubar, wenn für jeden einzelnen Jahrgang die Medienkonsumgewohnheiten ermittelt werden. Übersichtlicher gerät die Ergebnisstatistik, wenn die Angaben in Altersklassen zusammengefasst werden. So könnte z.B. die in der Werbung gebräuchliche Einteilung a) in Personen bis 14 Jahre, b) in Personen zwischen 14 und 49 Jahren und c) in Personen über 49 Jahre eine demographische Grundstruktur bilden. Die Werte aus den Altersangaben wären dafür in die drei Gruppen einzuordnen. Die Analyse der Medienkonsumgewohnheiten könnte im Anschluss für jede der drei Gruppen erfolgen. Datengruppierungen können auch schon im Vorfeld von Erhebungen angelegt werden. So verfügt marktgängige Interviewersoftware in den meisten Fällen über die Möglichkeit, Transformationen zu programmieren. Bei Eingabe z.B. des entsprechenden Alters (oder Jahrgangs) kann der Computer dann automatisch den Code für die demographische Gruppe zuweisen.
160
Silke Waber
In Abhängigkeit von den Untersuchungszielen kann es aber auch sinnvoll sein, die ursprünglichen Werte (z.B. Altersangaben) in die Urliste aufzunehmen und dort zu belassen. Dadurch werden Mehrfachtransformationen oder Auswertungen auf der Grundlage einerseits der ungruppierten und andererseits der gruppierten Daten möglich. Bei einer Untersuchung der Medienkonsumgewohnheiten könnten auf diese Weise auch andere Altersgruppen eingeteilt und untersucht werden. Und für die Analyse der Tonqualität von Werbebeiträgen bestünde die Möglichkeit, neben dem (auf der Basis des ungruppierten Merkmals errechneten) Mittelwert von 3,1 auch die (absolute) Anzahl oder den prozentualen Anteil positiv, neutral und negativ bewerteter Beiträge zu ermitteln. Damit alle positiv, neutral oder negativ eingestuften Beiträge in jeweils einer Zahl ausgedrückt werden können, muss eine Datengruppierung vorgenommen werden. Bei der Erhebung war eine sehr gute Tonqualität beispielsweise mit dem Wert 1 verschlüsselt worden, eine gute Qualität mit Wert 2. Diese beiden Werte stehen für positive Einschätzungen und sind daher zusammenzufassen. Tabelle 14:
Merkmal Tonqualität ungruppiert und gruppiert (Beispieldaten)
Beitrag Nr.
„Altes“ Merkmal: Tonqualität (ungruppiert)
Neues Merkmal: Tonqualität (gruppiert)
1
1
10
2
1
10
3
1
10
4
1
10
5
1
10
6
1
10
7
1
10
8
0
40
9
2
10
10
3
30
11
2
10
12
2
10
13
2
10
14
0
40
15
0
40
16
0
40
17
0
40
...
...
...
Codzuweisungen für das Merkmal Tonqualität gruppiert: 10 = positive Einstufung, 20 = negative Einstufung, 30 = neutrale Einstufung, 40 = keine Einstufung
Medienforschung und Statistik
161
Analog sind die Werte für sehr schlechte und schlechte Tonqualität in eine Gruppe zu transformieren. Für neutrale Einstufungen gab es dagegen nur einen Wert. Die Gruppierung erfolgt in der Praxis innerhalb eines neu anzulegenden Merkmals. Den neuen Ausprägungen – positiv bewertete Tonqualität, negativ bewertete Tonqualität, neutral bewertete Tonqualität – werden jeweils neue Codes zugewiesen. Falls sie für die Ergebnisstatistik Relevanz besitzen, können auch die nicht bewerteten Beiträge in das neue Merkmal übernommen werden. In diesem Fall ist ihnen ebenfalls ein neuer Cod zuzuweisen. Ermittelt man jetzt die Häufigkeitsverteilungen innerhalb des neuen Merkmals „Tonqualität gruppiert“ unter Zuhilfenahme der Statistiksoftware SPSS, werden die absoluten Häufigkeiten von positiv (Cod 10), neutral (Cod 30) und negativ (Cod 20, hier nicht vorhanden) bewerteten Beiträgen sowie deren prozentualen Anteile in der Ausgabedatei angezeigt. Tabelle 15:
Valid
2.4.5
Häufigkeitsverteilung für das Merkmal Tonqualität gruppiert (Ausschnitt aus der SPSS-Ausgabedatei) Cumulative Percent
Frequency
Percent
Valid Percent
10
11
64,7
64,7
64,7
30
1
5,9
5,9
70,6 100,0
40
5
29,4
29,4
Total
17
100,0
100,0
Darstellung statistisch gewonnener Informationen
Wie aus der Tabelle 15 ersichtlich wird, ist die Darbietung statistischer Ergebnisse in Form einer Datenzusammenstellung (Tabelle) nur bedingt geeignet, einen schnellen und anschaulichen Eindruck zu vermitteln. Dies gilt umso mehr, als solche Zusammenstellungen in der Regel deutlich umfangreicher ausfallen als in den angeführten Beispielen. Generell gibt es drei Möglichkeiten, statistische Ergebnisse darzustellen: ▪ ▪ ▪
verbale Ausführungen, Datenzusammenstellungen und Grafiken.
Verbale Ausführungen eignen sich besonders für geringe Datenmengen mit großem Bedarf an Kommentierungen. Datenzusammenstellungen ermöglichen dagegen die Präsentation von großen Datenmengen auf kleinstem Raum. Sie sind präzise und als Zusammenstellung wenig manipulationsanfällig. Grafiken besitzen den Vorzug, Zahlenmaterial anschaulich und somit einprägsamer vermitteln zu können. Optimal für die Wahrnehmung statistischer Ergebnisse ist es, wenn insbesondere bei umfangreichem Material eine ausgewogene Mischung der Darstellungsformen geboten wird.
162
Silke Waber
Einen immer größeren Stellenwert bei Präsentationen statistischen Materials gewannen in den letzten Jahren die Grafiken. In der Medienforschung zählen Säulen-, Balken-, Kreisund Liniendiagramme zu den gebräuchlichsten Grafiktypen. Säulendiagramme (auch Stabdiagramme genannt) werden vorzugsweise zur Darstellung von Häufigkeitsverteilungen eingesetzt. Die Ausprägungen des darzustellenden Merkmals werden in diesen Grafiken auf der X-Achse (horizontalen Achse) markiert, die Häufigkeiten jeder Ausprägung auf der Y-Achse (vertikalen Achse). Das folgende Diagramm ist Beispiel für eine solche Belegung der beiden Achsen. Es veranschaulicht, wie häufig über die Stadt Riesa in ausgewählten Medien im April 2003 berichtet worden ist. Abbildung 1:
Präsenz der Stadt Riesa in ausgewählten Medien (1.–30.4.2003)
Eine Sonderform des Säulendiagramms ist das Histogramm, bei welchem die Säulen aneinander anschließen. Zusätzlich kann die variierende Breite der Säulen in Histogrammen grafische Entsprechung der jeweiligen Ausprägung sein. Histogramme sind in der Soziologie häufig, in der Medienforschung dagegen seltener anzutreffen. Auch das dem Säulendiagramm strukturverwandte Balkendiagramm eignet sich insbesondere für die Darstellung von Häufigkeiten. Beim Balkendiagramm werden Merkmalsausprägungen auf der Y-Achse, Häufigkeiten auf der X-Achse markiert. Dieser Grafiktyp wird bevorzugt, wenn Merkmalsausprägungen Ranking-Charakter haben. So kann z.B. die mittlere Bewertung der Tonqualität ausgewählter sächsischer Lokalfernsehsender in einem Balkendiagramm so visualisiert werden, dass neben den Kennwerten auch die Rangfolge der Sender nach diesem Kriterium auf den ersten Blick wahrnehmbar ist.
Medienforschung und Statistik Abbildung 2:
163
Ranking ausgewählter sächsischer Lokalfernsehsender nach dem Merkmal Tonqualität
In Liniendiagrammen (auch Kurvendiagramme genannt) verbinden Linien die höchsten Werte für Häufigkeitsausprägungen. Die Stärke dieses Diagrammtyps liegt in der Versinnbildlichung von Verläufen. Die Gefahr bei Verwendung und Interpretation von Liniendiagrammen besteht allerdings darin, diese Verläufe zu generalisieren. Es darf nicht außer Acht geraten, dass im Grunde nur Einzelpunkte die Verläufe skizzieren. Die Linien zwischen den Punkten sind durch Daten nicht gestützt. Die Kreisdiagramme (auch Kuchendiagramme genannt) eignen sich in besonderem Maße für die Darstellung von Anteilen an einem Ganzen bzw. für die Visualisierung von Anteilen im Vergleich. In diesen Diagrammen ist die Fläche eines jeden Feldes zur Häufigkeit einer Merkmalsausprägung proportional47. Folgendes Beispiel eines Kreisdiagramms veranschaulicht z.B. die Anteile von Unternehmen und Produkten an Werbeinhalten des sächsischen Lokalfernsehsenders „Punkt 1 Oberlausitz“. In der Gestaltung von Grafiken dominierten in den neunziger Jahren – stark unter dem Einfluss der Infografiken des „Focus“ – die 3D-Formen. Insbesondere in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist man in den letzten Jahren wieder verstärkt zur Eindimensionalität zurückgekehrt. Hintergrund ist, dass die Wahrnehmung auf die wesentliche Botschaft beschränkt wird und Proportionen präziser wahrgenommen werden können. Grafische Darstellungen sind in starkem Maße manipulationsanfällig. So können beispielsweise nur sehr gering schwankende Linien- bzw. Kurvenverläufe durch Stauchungen der X-Achse als Verläufe mit extremen Anstiegen und Abfällen dargestellt werden. Um falsche Botschaften auszuschließen, sollten Grafiken immer darauf geprüft werden, ob sie die Tendenz der ihnen zugrunde liegenden Daten (und nicht gewünschte Untersuchungsergebnisse) adäquat ausdrücken. 47
Kammermeyer/Zerpies 2003, 28
164 Abbildung 3:
Silke Waber Anteile von Unternehmen und Produkten an den Werbeinhalten des sächsischen Lokalfernsehsenders „Punkt 1 Oberlausitz“ im Februar 2003
2.5 Statistische Fehler Die Manipulationsanfälligkeit ist nicht nur bei den Grafiken hoch; im Grunde lässt sich für alle Bereiche innerhalb der Statistik eine sehr hohe Fehler- und Manipulationsanfälligkeit konstatieren. Von Fehlern spricht man bei nicht-intentionalen, von Manipulationen bei intentionalen Abweichungen. Die hohe Fehleranfälligkeit der Statistik liegt vor allem in der Komplexität und Unüberschaubarkeit der Gegenstände und Daten begründet. In der wissenschaftlichen Literatur werden zwei Arten von Fehlern unterschieden – der systematische Fehler (Bias) und der Zufallsfehler. Systematische Fehler haben ihre Ursachen in der Anlage einer Untersuchung und werden gemäß dieser Konzeption regelmäßig wiederholt. Wenn beispielsweise eine Befragung zur Qualität des Radio Novums allein auf dem Campusgelände der Hochschule Mittweida (FH) durchgeführt wird, so dürften die Ergebnisse nicht repräsentativ für den Hörerkreis dieses Programms sein. Die Studenten mit ihren gruppenspezifischen Anforderungen an die Qualität des Radios werden überrepräsentiert sein, während andere Bevölkerungsgruppen mit jeweils anderen spezifischen Ansprüchen keine ihrer Hörerzahl adäquate Rolle in der Erhebung spielen werden. Im Gegensatz zu den systematischen Fehlern sind zufällige Fehler solche, die nicht auf die Konzeption der Untersuchung zurückzuführen und einmalig sind. So können beispielsweise nicht korrekte Häufigkeitszählungen zufällige Fehler sein. In aller Regel sind zufällige Fehler schwieriger zu diagnostizieren als systematische Fehler. Versuche, Manipulationen an und mit Statistiken aufzudecken, füllen heute schon ganze Bücher48. In der wissenschaftlichen Literatur ist ein Fragenkatalog entwickelt worden, der die vielfältigen Ansatzpunkte manipulativer Aktionen zu identifizieren hilft49. Vor seiner Verwendung müsste danach jedes statistische Material folgendermaßen hinterfragt werden:
48 49
Krämer 2000 Knieper 1993, 14f.
Medienforschung und Statistik ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
165
Welche Daten wurden erhoben? Was messen die Daten? Wie wurden die Daten erhoben? Wann wurden die Daten erhoben? Wo wurden die Daten erhoben? Warum wurden die Daten erhoben? Welchen Schluss lassen die Daten zu? Welche Relevanz besitzen die Daten? Wie können die Daten kontrolliert werden? Wer vermittelt die Daten? Welches Interesse steht hinter der Datenveröffentlichung? Wie glaubwürdig ist die Datenquelle? Welche alternativen Datenquellen gibt es?
Eine solche Prüfung ist aufwendig und schwierig. In der Medienforschung ist sie dennoch unumgänglich, in der journalistischen Praxis dagegen kaum realisierbar. Hier muss die Prüfung auf einen Mindeststandard reduziert werden. Die (fehlende oder gegebene) Transparenz der Datenerhebung und -auswertung, ein Blick auf den Urheber und seine möglichen Motive sind für die Beurteilung der Validität oft schon aufschlussreich. Daneben bieten Manipulationsversuche an und mit Statistiken ein ergiebiges Feld für journalistische Recherchen. Gefälschte oder intentional fehlinterpretierte Statistiken sagen mit großer Wahrscheinlichkeit mehr über die Ambitionen von Personen oder über Sachverhalte aus als vielzählige Statements.
Literaturverzeichnis Berelson, Bernard: Content Analysis in Communication Research, Glencoe 1952 Bonfadelli, Heinz, 2002, Medieninhaltsforschung, Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Konstanz Eichhorn, Wolfgang/Watzka, Kurt, 1993, Erhebungsverfahren, in: Knieper, Thomas (Hrsg.), Statistik, Eine Einführung für Kommunikationsberufe, München Filipp, Ulf-Dieter, 1995, „Focus“ im Spiegel der Marktforschung – Die Erfolgsgeschichte einer Zeitschrift, in: Böhme-Dürr, Karin/Graf, Gerhard, Auf der Suche nach dem Publikum, Medienforschung für die Praxis, Konstanz, S. 21–44 Früh, Werner, 1991, Inhaltsanalyse, Theorie und Praxis, München Funkanalyse Bayern, fortlaufende Publikationen Hienzsch, Ulrich, 1990, Journalismus als Restgröße, Redaktionelle Rationalisierung und publizistischer Leistungsverlust, Opladen Jarren, Ottfried/Hasebrink, Uwe, 2001, Was kann, was soll und was braucht unabhängige Medienforschung?, in: Hasebrink, Uwe/Matzen, Christiane, Forschungsgegenstand Öffentliche Kommunikation, Funktionen, Aufgaben und Strukturen der Medienforschung, Baden-Baden, S. 7–12 Kaase, Max (Hrsg.), 1999, Qualitätskriterien der Umfrageforschung, DFG-Gedenkschrift, Berlin Kammermeyer, Fritz/Zerpies, Roland, 2003, Statistik, Berlin Klammer, Bernd, 1999, Journalismus und Statistik, in: Schäfer, Ulrich P./Schiller, Thomas/Schütte, Georg (Hrsg.), Journalismus in Theorie und Praxis, Beiträge zur universitären Journalismusausbildung, Konstanz
166
Silke Waber
Knieper, Thomas, 1993, Einführung, in: Knieper, Thomas (Hrsg.), Statistik, Eine Einführung für Kommunikationsberufe, München Krämer, Walter, 2000, So lügt man mit Statistik!, München Müller-Benedict, Volker, 2003, Grundkurs Statistik in den Sozialwissenschaften, Wiesbaden Pürer, Heinz, 1998, Einführung in die Publizistikwissenschaft, Semantik, Fragestellungen, Theorieansätze, Forschungstechniken, Konstanz Pürer, Heinz, 2003, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Ein Handbuch, Konstanz, S. 48– 50 Stolz, Hans Georg, 2000, Mediaplanung und Mediaforschung, Die neuen siamesischen Zwillinge der Kommunikationsberatung, in: Planung und Analyse, Zeitschrift für Marktforschung und Marketing, Konstanz, S. 20–24 Waber, Silke, 2000, Medienpreis für Journalistische Vielfalt, in: Medien Tenor, Forschungsbericht Nr. 101, Bonn, S. 12–15 Wessel, Rhea, 2003, Investigative Datenjongleure, in: Message, Heft 2, Konstanz, S. 55 Wiebersiek, Kathrin, 2003, Eine sehr schlechte Datenlage, in: Message, Heft 2, Konstanz, S. 57
Einführung in die Kommunikationswissenschaft Otto Altendorfer
1
Grundbegriffe der Kommunikation
1.1 Begriff der Kommunikation Der Begriff der „Kommunikation“ ist nur schwer definierbar und abgrenzbar. Als klassisch gilt die Begriffsbestimmung von Merten; er unterscheidet zwischen ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
subanimalischer Kommunikation, animalischer Kommunikation, Humankommunikation, Massenkommunikation und computervermittelter Kommunikation.
Subanimalische Kommunikation findet zwischen einzelnen Organismen statt; animalische Kommunikation ist die Kommunikation zwischen Lebewesen, egal ob Mensch oder Tier. Eine weitere Bestimmung von „Kommunikation“ kann in der Kommunikation im „weiteren“ und „engeren“ Sinn getroffen werden: ▪
▪
Kommunikation im weiteren Sinn bezeichnet die Prozesse der Informationsübertragung und die Einbeziehung von technischen, biologischen, psychischen, physikalischen und sozialen Informationsvermittlungssystemen. Kommunikation im engeren Sinn ist der Vorgang der Verständigung und der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen (Maletzke).
Kommunikation kann in folgenden Arten erfolgen: ▪ ▪ ▪ ▪
direkt/ indirekt, einseitig/ wechselseitig, privat/ öffentlich, in Anwesenheit/ in Abwesenheit.
1.2 Kommunikationswissenschaftliche Begrifflichkeiten ▪
Elementar besteht Kommunikation aus mindestens vier Elementen: dem Sender (Kommunikator), dem Kommunikationsinhalt (Aussage, Mitteilung, Botschaft),
168
Otto Altendorfer einem Kanal, über den der zu transportierende Inhalt läuft (Medium) und einem Empfänger (Rezipient).
Der Kommunikationsvorgang ereignet sich in der Weise, dass der Sender eine Information verschlüsselt (encodiert) über ein Medium an den Kommunikationspartner übermittelt, und der Empfänger die übermittelte Botschaft erfasst und entschlüsselt (decodiert). Klassisch nach Maletzke gelten demnach als zentrale kommunikationswissenschaftliche Begrifflichkeiten: Kommunikation, Interaktion, Sprache, Massenkommunikation, Kommunikator, Aussage, Medium und Rezipient. ▪
▪
▪ ▪
▪ ▪ ▪
„Kommunikation“, im Englischen als „communication“ seit jeher ein geläufiges Wort der Umgangssprache, verbreitete sich in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Begriff steht für die Tatsache, „dass Lebewesen untereinander in Beziehung stehen, dass sie sich verständigen können, dass sie imstande sind, innere Vorgänge oder Zustände auszudrücken, ihren Mitgeschöpfen Sachverhalte mitzuteilen oder auch andere zu einem bestimmten Verhalten aufzufordern“ (Maletzke). Er beinhaltet damit „die Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ (Maletzke). Vertiefend spricht Burkart davon, dass menschliche Kommunikation aber erst dann vorliege, „wenn (mindestens zwei) Individuen ihre kommunikativen Handlungen nicht nur wechselseitig aufeinander richten, sondern darüber hinaus auch die allgemeine Intention ihrer Handlungen (= Bedeutungsinhalte miteinander teilen wollen) verwirklichen können und damit das konstante Ziel (= Verständigung) jeder kommunikativen Tätigkeit erreichen“. Die Verständigung besteht im wechselseitigen Verstehen, geteilten Wissen, gegenseitigen Vertrauen und miteinander Übereinstimmen. Der Begriff der „Interaktion“ wird in engem Zusammenhang mit „Kommunikation“ gebraucht; während bei Kommunikation die Wortbedeutung eher auf Verständigung liegt, wird Interaktion mehr in Zusammenhang mit Sozialem Handeln verwendet, d.h. Interaktion zeigt Formen und Abläufe kommunikativer Handlungen an. „Sprache“ ist eine Kommunikationsform unter mehreren anderen. Sie wird definiert als die Verständigung mit Hilfe von Symbolen – eine besondere Fähigkeit des Menschen. Unter „Massenkommunikation“ versteht man in der Regel die 1963 von Maletzke geschaffene Definition, die jene Form der Kommunikation bezeichnet, bei der Aussagen öffentlich (ohne begrenzte und personell definierte Empfängerschaft), durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern) und einseitig (ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem) an ein Disperses Publikum vermittelt werden. Unter „Kommunikator“ bezeichnet man eine Person oder mehrere Personen, die an der Selektion, Gestaltung und Verbreitung von Aussagen beteiligt ist/sind. Die „Aussage“ umfasst sowohl den Inhalt als auch die Form der Botschaft (message). „Medien“ sind technische Mittel oder Instrumente, die der Verbreitung der Aussagen dienen. Grundsätzlich gilt: „Es gibt keine unvermittelte Kommunikation. Alle Kommunikation bedarf des Mittels oder Mediums, durch das hindurch eine Nachricht über-
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
169
▪
tragen bzw. aufgenommen wird“ (Graumann). Das Medium steht damit für personale Vermittlungsinstanzen, als auch für technische Hilfsmittel. Als „Rezipient“ wird bezeichnet, wer eine Aussage empfängt und entschlüsselt. Die Gesamtheit aller Personen, die sich einer bestimmten Aussage zuwenden, heißt „Publikum“, im Falle der Massenkommunikation „Disperses Publikum“ (Maletzke).
2
Menschliche Kommunikation
2.1 Begriffsbeschreibung Menschliche oder Human-Kommunikation beschreibt ausschließlich die Kommunikation zwischen Menschen. Damit handelt menschliche Kommunikation primär von sozialen Kommunikationsprozessen. Ausschlaggebend für den sozialen Charakter von Verhaltensweisen ist der Umstand, dass sie aufeinander bezogen sind. „Sozial“ ist also dasjenige Verhalten von Lebewesen, welches eine Reaktion auf das Verhalten anderer Lebewesen darstellt und selbst wiederum die Reaktionen anderer Lebewesen beeinflusst, zum Beispiel in der gemeinsamen Abwehr eines Feindes (miteinander agieren) oder im Einander-Bekämpfen (gegeneinander agieren). Werden im Rahmen von sozialen Verhaltensweisen auch Bedeutungen vermittelt, dann besitzen diese Verhaltensweisen auch kommunikativen Charakter. Beispiel: Das Erscheinen einer überfüllten Straßenbahn „bedeutet“ für mich: entweder zwänge ich mich hinein oder ich gehe zu Fuß. Allein die sinnlich wahrgenommene physische Existenz anderer Lebewesen und deren Verhalten kann „Bedeutungen“ vermitteln. Menschliches Verhalten erfolgt stets bewusst und zielgerichtet. Ist dieses Handeln in seinem Ablauf auch noch an andere Menschen orientiert, wird es als soziales Handeln bezeichnet: „Auch ein bewusstes Unterlassen einer Aktivität (Nichts-Tun) oder ein bewusstes Dulden (von Zuständen oder Verhaltensweisen anderer) ist als menschliches Handeln zu begreifen“ (Max Weber).
Jedes soziale bzw. kommunikative Handeln ist intentional, d.h. zielgerichtet mit folgender Unterscheidung: ▪
▪
Jeder kommunikativ Handelnde besitzt eine „allgemeine Intention“ und ein „konstantes Ziel“: Er will dem Anderen etwas mitteilen, er will Verständigung zwischen sich und seinem Kommunikationspartner herstellen. Verständigung liegt dann vor, wenn die Kommunikationspartner die jeweils gemeinten Bedeutungsinhalte tatsächlich miteinander teilen. Jede kommunikative Handelnde besitzt darüber hinaus eine „spezielle Intention“ und ein „variables Ziel“: Er setzt seine kommunikative Handlung aus einem „bestimmten Interesse“. Die spezielle Intention sagt aus, warum eine kommunikative Handlung gesetzt wird. Indem ein Mensch versucht, mittels kommunikativer Handlung die Realisie-
170
Otto Altendorfer rung seiner Interessen zu erreichen, verfolgte er das variable Ziel jeder kommunikativen Handlung. Dieses Ziel ist erreicht, wenn die zu erwartenden Folgen eintreten.
Anlass jeder Kommunikationsversuche sind „Kommunikations-Interessen“, d.h. jedes kommunikative Verhalten wird über die allgemeine Intention des „Mitteilen-Wollens“ auch von jeweils ganz konkreten Interessen geleitet: ▪
▪
„inhaltsbezogene“ Kommunikationsinteressen: Der Inhalt der kommunikativen Handlung (= alles, was mitgeteilt wird) wächst unmittelbar aus dem zu realisierenden Interesse und wird mehr oder weniger von diesem bestimmt. Beispiel: Schließen des Fensters wegen Zugluft. Das Ziel ist erreicht, wenn das Fenster geschlossen wird. „situationsbezogene“ Kommunikationsinteressen: Der Inhalt der kommunikativen Handlung wird nicht unmittelbar von dem zu realisierenden Interesse bestimmt. Der kommunikativ Handelnde hat bloß das Interesse, mit seinem Gegenüber mit Hilfe von irgendetwas kommunikativ in Beziehung zu treten. Beispiel: „small talk“ bei Parties.
Kommunikatives Handeln ist noch nicht Kommunikation, es ist nur der Anstoß, der Kommunikation entstehen lassen kann – aber nicht muss. Damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann, müssen mindestens zwei Lebewesen zueinander in Beziehung treten, d.h. sie müssen interagieren. „Interaktion“ weist auf Prozesse der Wechselwirkung bzw. Wechselbeziehungen zwischen mindestens zwei Größen hin. Unter „Sozialer Interaktion“ zu verstehen ist ein „wechselseitiges Geschehen zwischen zwei oder mehreren Lebewesen, welches mit einer Kontaktaufnahme (aufgrund von/oder verbunden mit wechselseitiger Wahrnehmung) beginnt und zu (Re-) Aktionen der in Kontakt stehenden Lebewesen führt“ (Burkart). Dieses doppelseitige Geschehen ist damit das zentral Bedeutsame an jedem Interaktionsprozess: „Jedes Individuum erfährt Einwirkungen von anderen oder von den anderen, und zugleich gehen von ihm selbst Wirkungen auf den anderen oder die anderen aus. Mit dem Begriff der Interaktion bezeichnen wir also das Insgesamt dessen, was zwischen zwei oder mehr Menschen in Aktion und Reaktion geschieht“ (Lersch). Es bleibt damit festzuhalten: Erst der wechselseitig stattfindende Prozess der Bedeutungsvermittlung soll als „Kommunikation“ verstanden werden. Die Kriterien dazu sind ▪ ▪
Wechselseitigkeit (Reziprozität) und Miteinander teilen der zu vermittelnden Bedeutungen.
Unter Kommunikation versteht man folglich den Prozess der vollzogenen Bedeutungsvermittlung. Im Mittelpunkt steht dabei der Vollzug; ist das nicht der Fall, handelt es sich um einen misslungenen Akt des Kommunizierens.
Einführung in die Kommunikationswissenschaft Abbildung 1: A
kommunikatives Handeln
171
Kommunikation als Verständigungsprozess1: Intention
Ziel
Intention
allgemein:
konstant:
allgemein:
MITTEILUNG
VERSTÄNDIGUNG
MITTEILUNG
B
kommunikatives Handeln
A und B verfolgen dieselbe allgemeine Intention: Sie wollen Bedeutungsinhalte miteinander teilen. Dadurch erreichen sie das ihnen gemeinsame, das konstante, jeden Kommunikationsprozess kennzeichnende Ziel: Verständigung über die miteinander zu teilenden Inhalte.
2.2 Medien - Transportmittel der Bedeutungsinhalte in der menschlichen Kommunikation Kommunikation bzw. kommunikatives Handeln bedarf einer Instanz, über die das zwischen den Kommunikationspartnern Geschehende abläuft. Diese Träger der Mitteilung sind „Medien“, ein unbedingter Bestandteil eines jeden Kommunikationsprozesses. Eine „unvermittelte“ Kommunikation gibt es nicht. Medien sind Transportmittel; sie transportieren die zu vermittelnden Bedeutungsinhalte in Form von Äußerungen der Lebewesen zwischen diesen hin und her. Es kann unterschieden werden zwischen personalen (menschlichen Personen anhaftende) Vermittlungsinstanzen und technischen Hilfsmitteln; das Regelmedium ist die Sprache. Nach Pross gibt es eine Vielfalt medialer Vermittlungsinstanzen: ▪
▪
▪
„Primäre Medien“: Medien des menschlichen Elementarkontaktes, d.h. Sprache und nonverbale Vermittlungsinstanzen. Zwischen Sender und Empfänger ist kein Gerät geschaltet. „Sekundäre Medien“: Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät erfordern, nicht aber beim Empfänger zur Aufnahme einer Mitteilung. Dazu zählen z.B. Rauchzeichen, Flugblätter, Zeitungen. „Tertiäre Medien“: Technische Sender und technische Empfänger sind auf beiden Seiten notwendig, z.B. Telefon, PC.
Kommunikation verläuft immer „medial“, d.h. die Kommunikationspartner benötigen stets eine Vermittlungsinstanz, mit deren Hilfe sie erst in der Lage sind, Bedeutungen miteinander zu teilen. Wenn man sich eines solchen Mediums bedient, produziert bzw. benützt man „Zeichen“. Folglich ist der Kommunikationsprozess immer auch ein Zeichenprozess. 1
Burkart, 1995, S. 33
172
Otto Altendorfer
Unter Zeichen versteht man eine materielle Erscheinung, der eine Bedeutung zugeordnet (worden) ist. Das Zeichen ist also ein Bedeutungsträger. Es werden zwei Klassen von Zeichen unterschieden: ▪
▪
„natürliche Zeichen“: Materielle Erscheinungen, die für das Objekt selbst kennzeichnend sind. Sie sind eigentlich nicht zum Zweck der Kommunikation entstanden, sondern existieren unabhängig davon als natürliche Prozesse – z.B. Rauch als Zeichen für Feuer. „künstliche Zeichen“: Materielle Erscheinungen, die zum Zweck der Kommunikation entstanden bzw. geschaffen worden sind. Ihre Bedeutung ist das Resultat einer sozialen Übereinkunft, einer Vereinbarung zwischen Menschen – z.B. das Zeichen „t-i-s-c-h“ bedeutet Tisch (Essen, Lesen) in der europäischen Sprachgemeinschaft.
Die weitere Differenzierung von Zeichen bezieht sich auf die Funktion der Zeichen. Zeichen können in zwei Funktionen auftreten: ▪
▪
„Signalfunktion“: Als Signal tritt ein Zeichen dann auf, wenn seine Funktion in der unmittelbaren Einwirkung auf das Verhalten anderer Lebewesen besteht. Signale sind Zeichen, die zu einer bestimmten Aktivität drängen, eine besondere Reaktion auslösen (sollen). Das Handzeichen eines Verkehrspolizisten ist – gemäß menschlicher Vereinbarung - ein Signal, das zu einem bestimmten Verhalten veranlasst. „Symbolfunktion“: Als Symbol tritt ein Zeichen dann auf, wenn es etwas (ein Ereignis, einen Zustand) repräsentiert bzw. stellvertretend dafür steht. Eine Fahne repräsentiert einen Staat, einen Verein, eine bestimmte Ansicht, Einstellung etc.
Die Funktion des Zeichens - Signal oder Symbol - hängt vor allem ab von seinem Gebrauch, d.h. von dem Umstand, wie es verwendet wird. Grundsätzlich können aber sowohl „natürliche“ als auch „künstliche“ Zeichen Signalund Symbolfunktionen erfüllen. Das Hissen einer Flagge kann sowohl das Signal zum Angriff auf den Feind als auch das Symbol für einen bestimmten Staat sein. Im Gegensatz zum Tier können Zeichen beim Menschen aber auch als Symbole eingesetzt werden; nur der Mensch kann auf Zeichen nicht nur reagieren, er kann sich auch verstehen, d.h. einem Zeichen Bedeutungsinhalte (Gedanken, Vorstellungen, Ideen) zuordnen.
2.3 Prozess der Symbolisierung Über dem Umweg „Symbole“ können Menschen über Objekte (Vorstellungen, Ideen) verfügen, ohne dass diese im jeweiligen Augenblick auch tatsächlich präsent sind. Der Mensch kann also eine Haltung gegenüber den Gegenständen in absentia einnehmen (im Gegensatz zu den Tieren). Zudem kann er sich via Symbolbildung auch abstrakte Vorstellungen in sein Bewusstsein rufen, d.h. Bereiche der Wirklichkeit, die als konkret wahrnehmbare Gegenstände überhaupt nicht existent sind. So steht das sprachliche Symbol „Freiheit“ nicht für
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
173
ein konkretes Objekt, sondern für ein Gefühl, für einen Wirklichkeitsbereich, der nur über Indikatoren/Ersatzgrößen wahrgenommen werden kann. Der Bedeutungsgehalt eines Symbols hängt auch mit der jeweils gemachten Erfahrung des Benützers zusammen: Wie gelangte ein Zeichen zu seiner Bedeutung? Die Bedeutungszuweisung entscheidet darüber, welche Gedanken und Gefühle bei dessen Gebrauch im Bewusstsein aktualisiert werden. Symbole sind also mehr als Zeichen; sie besitzen für bestimmte Menschen einen zusätzlichen Inhalt, „weil sie als Etikette für andere, mehr oder weniger präzis umschreibbare Komplexe von Fakten oder Vorgängen benutzt werden“ (Treinen). So aktualisiert zum Beispiel das sprachliche Symbol „Freiheit“ bei einem ehemaligen DDR-Bürger andere Bedeutungsinhalte als bei einem BRD-Bürger. Die Bedeutung eines Zeichens, das als Symbol fungiert, ist weder ein für allemal Feststehendes noch bei verschiedenen Menschen in genau gleicher Weise vorhanden. Ein und dasselbe Objekt kann für verschiedene Individuen unterschiedliche Bedeutung besitzen. Hinter diesen Überlegungen steht der sog. Symbolische Interaktionismus mit dem Hauptvertreter Georg Mead; die zentrale These: Der Mensch lebt nicht nur in seiner natürlichen, sondern auch in einer symbolischen Umwelt. Wenn zwei Menschen also aufeinander kommunikativ handeln wollen, d.h. miteinander kommunizieren, dann müssen sie Zeichen als Symbole für bestimmte Bedeutungen gebrauchen. Erst dadurch sind sie imstande, wechselseitig vorhandene bzw. vorrätige Bedeutungen im Bewusstsein zu aktualisieren. Kommunikation kommt nur dann zustande, wenn im Bewusstsein beider Kommunikationspartner dieselben Bedeutungen aktualisiert werden. Menschliche Kommunikation setzt daher einen Vorrat an Zeichen voraus, welche für die jeweiligen Kommunikationspartner dieselben Vorstellungsinhalte symbolisieren. Mead bezeichnet derartige Zeichen als „signifikante Symbole“. Im Anschluss an Mead definiert Luhmann Kommunikation daher als „gemeinsame Aktualisierung von Sinn“. Signifikante Symbole entstehen bei jedem Menschen aus einem ganz persönlichen, subjektiven Erlebnis- und Erfahrungszusammenhang heraus. Jedoch weist diese Erlebniswelt grundsätzliche Gemeinsamkeiten zu jener der übrigen Mitmenschen auf, d.h. gleiche Sozialisationsmechanismen und Sozialisationsinstanzen (Familie, Schule, Arbeitsplatz, Massenmedien) sorgen für weitreichende Ähnlichkeiten in der Erfahrungs- und Denkwelt.
2.4. Feedback als Erfolgskontrolle des kommunikativen Handelns Wie kann nun festgestellt werden, ob kommunikatives Handeln erfolgreich war, ob also Verständigung erzielt wurde? Dazu eignet sich die systemtheoretische Sichtweise kommunikativer Prozesse. Unter System versteht man, dass bestimmte Dinge oder Sachverhalte als miteinander verbunden zu sehen sind; die Elemente des Systems besitzen dann im Hinblick auf dieses System bestimmte Funktionen, d.h. sie tragen zum Erreichen oder zum Verfehlen eines Zieles bei. Das „Input-Output-Modell“ von Rühl geht davon aus, dass Systeme mit ihrer Umwelt auf ganz bestimmte Weise in Verbindung stehen:
174 ▪ ▪ ▪
Otto Altendorfer Sie nehmen Leistungen aus dieser Umwelt in Form von „Inputs“ auf und werden dadurch von dieser beeinflusst, sie geben aber ihrerseits auch Leistungen an diese Umwelt in Form von „Outputs“ ab und beeinflussen dadurch wieder diese Umwelt. Entscheidend ist, dass ein Teil des Outputs als Input in dieses System zurückkehrt. Dieser Vorgang wird als „Feedback“ (oder Rückkoppelung, Rückmeldung, Rücksteuerung) bezeichnet.
Überträgt man diese systemtheoretischen Überlegungen auf den Menschen, so kann man den Menschen als ein „Handlungssystem“ betrachten. Elemente des Systems „Mensch“ sind dessen Handlungen, welche ganz bestimmte Funktionen erfüllen und damit jeweils zum Erreichen oder Verfehlen der Ziele beitragen, die ein Mensch verfolgt: „Auf menschliches Handeln übertragen, bedeutet das Prinzip der Rückkoppelung nämlich, dass das Verhalten auf sein Ergebnis hin geprüft wird und dass der Erfolg oder Misserfolg dieses Ergebnisses das zukünftige Handeln beeinflusst“ (Wiener). Bei kommunikativen Handlungen treten zwei Handlungssysteme zueinander in Beziehung. Der Output des einen wird zum Input des anderen (und umgekehrt). Das Feedback dient als Kontrolle bzw. Steuerung des gemeinsamen Zieles, der Verständigung. Durch Feedback erhält der Kommunikator Hinweise, ob er vom Rezipienten verstanden wurde. Zu diesem Feedback kann alles zählen, was an Output des Rezipienten manifest wird. Das sind all jene Handlungen bzw. Verhaltensweisen des Rezipienten, die vom (jeweiligen) Kommunikator wahrgenommen werden, z.B. Mimik, Gestik. Gerade für die persönliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht („face-to-face“) ist es charakteristisch, dass die Kommunikationspartner ständig ihre Rollen als Aussagende und Empfangende wechseln. Dieser Rollenwechsel im Zuge eines zwischenmenschlichen Gesprächs erfüllt zugleich die Funktion des Feedbacks. Im Bereich der Massenkommunikation können nach Eurich zwei Formen von Feedback unterschieden werden: ▪ ▪
3
„direktes Feedback“: Gewollte Rückmeldung des Rezipienten an den Kommunikator (Leserbriefe, Telefonanrufe). „Indirektes Feedback“: Rückmeldung des Rezipienten an den Kommunikator (Kündigung eines Abos, Mediaanalysen).
Massenkommunikation
3.1 Begriff Der Terminus „Massenkommunikation“ stellt die Übernahme des englischen Ausdrucks „mass communications“ in das Deutsche dar. Er impliziert somit folgende Teilbegriffe:
Einführung in die Kommunikationswissenschaft ▪ ▪ ▪
175
„Masse“, „Massenmensch“ (der sich gemeinhin durch eine Persönlichkeitsverarmung auszeichnet) bzw. „Vermassung“ und „Massenzeitalter“ (mit dem Einschluss, dass massenmedial verbreitete Propaganda und Werbung die öffentliche Meinung und damit das Denken und Handeln des einzelnen steuert).
Unter „Massenkommunikation“ ist folglich zu verstehen, dass sich die zu vermittelnden Aussagen an eine Vielzahl von Menschen richten, die sich durch folgende Kriterien auszeichnet: ▪
▪ ▪
unüberschaubar: weil Sie zahlenmäßig einen solchen Umfang aufweisen, dass es dem Kommunikator unmöglich ist, direkt (von Angesicht zu Angesicht) mit ihnen zu interagieren; heterogen: weil diese Menschen eine Vielzahl von sozialen Positionen bekleiden; anonym: weil das einzelne Mitglied der jeweiligen Rezipientenschaft dem Kommunikator unbekannt ist.
Hat man die Gesamtheit jener Menschen im Auge, die sich den Aussagen der Massenmedien zuwenden, erscheint es angemessener, anstatt von „Masse“ von einer Art „Publikum“ zu sprechen – das sog. „Disperse Publikum“: Darunter sind einzelne Individuen, aber auch kleine Gruppen von Menschen zu verstehen, deren verbindendes Charakteristikum darin besteht, dass sie sich einem gemeinsamen Gegenstand – nämlich: den Aussagen der Massenmedien – zuwenden. Disperse Publika entstehen nur von Fall zu Fall, es gibt keine zwischenmenschlichen Beziehungen und sie sind inhomogen, d.h. sie umfassen Menschen, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen, deren Interessen und Einstellungen oft sehr weit voneinander abweichen. Im Gegensatz dazu verstehen wir unter einem „Präsenzpublikum“ eine zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort versammelte Anzahl von Menschen, zum Beispiel das Publikum im Theater. Der Vorgang, bei sich ein einzelner oder einige wenige an relativ große, heterogene und anonyme Publika wenden, wird nach Maletzke als „indirekte“ oder „einseitige“ Kommunikation bezeichnet: Es liegt eine räumliche Distanz oder eine räumlich-zeitliche Trennung zwischen Kommunikator und Rezipient vor. Darüber hinaus ist eine direkte Rückkoppelung zwischen Kommunikator und Rezipient klassisch nicht möglich. „Massenkommunikation“ wird (von Maletzke) demnach definiert: Ein „Prozess, bei dem Aussagen ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
öffentlich, d.h. ohne begrenzte oder personell definierte Empfängerschaft, indirekt, d.h. bei räumlicher oder zeitlicher oder raum-zeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern und einseitig, d.h. ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem, durch technische Verbreitungsmittel (sog. Massenmedien) an ein disperses Publikum vermittelt werden.“
176
Otto Altendorfer
3.2 Voraussetzung von Massenkommunikation Erst die Existenz von Massenmedien ermöglicht Massenkommunikation: „Massenmedien oder auch Massenkommunikationsmittel sind all jene Medien, über die durch Techniken der Verbreitung oder Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und/ oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden“ (Döhn).
Zu den Massenmedien zählen u.a. Flugblätter, Plakate, Presseerzeugnisse, Bücher, Hörfunk, Film, Fernsehen und Onlinedienste.
3.3 Bedeutung der Massenmedien für Mensch und Gesellschaft Warum nehmen Menschen am Prozess der Massenkommunikation teil? Janpeter Kob spricht in diesem Zusammenhang von der „Attraktivität der Publizität“, d.h. ▪ ▪
es gibt ein Interesse an der eigenen Publizität (viele unterschiedliche Personengruppen „treibt“ es zu den Massenmedien, um bekannt zu werden) und ein Interesse des Publikums am publik Gemachten (man nimmt Erscheinungen wahr, von denen man weiß, dass gewichtige soziale Institutionen sie für allgemein relevant halten und dass gleichzeitig eine Vielzahl weiterer Menschen in der weiteren und näheren Umgebung ebenfalls auf sie aufmerksam werden).
Generell ist die Frage, was die Existenz von Massenmedien für den Menschen und die Gesellschaft bedeutet, eine alte Fragestellung, die bis heute nur ungenügend zu beantworten ist. Nach Luhmann gibt es eine Wechselbeziehung zwischen „Kommunikation“ und „Gesellschaft“, d.h. soziale bzw. gesellschaftliche Evolution kann nicht unabhängig von Veränderungen in den Kommunikationsweisen der Menschen gesehen werden: „Die Hauptphasen der gesellschaftlichen Evolution (…) sind markiert durch Veränderungen in den jeweils dominierenden Kommunikationsweisen (…) und man kann sagen, dass komplexere Gesellschaftssysteme (…) nicht ohne neuartige Formen der Kommunikation integriert und erhalten werden konnten“ (Luhmann). Luhmann spricht von drei globalen Phasen in der gesellschaftlichen Evolution: ▪
Primitive oder archaische Gesellschaftsordnung: Die Entstehung der Sprache verhalf einer hochentwickelten Spezies von Primaten zu einer effektiveren Form der Kommunikation. Damit wurde der Übergang vom Gruppenleben zur menschlichen Gesellschaft möglich. Bloßes Artikulieren von Sprache setzt Anwesenheit der am Kommunikationsprozess Beteiligten voraus – und hat damit Auswirkungen auf die Größe primitiver Gesellschaften.
Einführung in die Kommunikationswissenschaft ▪
▪
4
177
Städtische zentrierte Hochkultur: Die Schrift machte die Bedingung der „Anwesenheit“ hinfällig, größere räumliche und zeitliche Distanzen wurden überbrückbar, unbekannte oder unbekannt bleibende Personen konnten erreicht werden. Technisch-industriell fundiertes Gesellschaftssystem: Die Existenz und der Gebrauch multidimensionaler Verbreitungstechniken hat eine kaum mehr abschätzbare Reichweite zur Folge, das weltweite Kommunikationsnetz öffnet den Weg zu einer weltweiten öffentlichen Meinung.
Medienwirkungen
Die Medienwirkungsforschung setzt sich mit individuellen und gesellschaftlichen Prozessen und Veränderungen infolge massenmedial vermittelter Inhalte auseinander. Dabei untersucht sie besonders den Einfluss bzw. die Wirkung der Medien auf Wahrnehmung, Wissen, Einstellungen, Meinungen, Empfindungen, Gefühle, Handlungen und Verhalten der Rezipienten.
4.1 Phasen der Medienwirkungsforschung Während sich in Deutschland die Wissenschaft bis zum Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts primär mit Kommunikator-, Medien- und Kommunikationsgeschichte beschäftigte und erst Ende der 60er Jahre einen Paradigmenwechsel zur empirisch-analytischen Betrachtungsweise vollzog, war die anglo-amerikanische Fachtradition von Anfang an besonders durch ihren starken Auftragscharakter und ihre fast einseitige Ausrichtung nach den individuellen Zielen des Auftraggebers geprägt: „Die Wurzeln der amerikanischen Kommunikationswissenschaft liegen in der Lösung praktischer Probleme, so z.B. in der wirtschaftlichen, militärischen und politischen Nutzung der Medien für Werbung und Propaganda“ (Kunczik). Dabei standen meist die kurzfristigen Folgen der Wirkung der eingesetzten Medien im Mittelpunkt der Forschung. Bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war die junge amerikanische Kommunikationswissenschaft empirisch-sozialwissenschaftlich ausgerichtet. Nach Bonfadelli kann die Entwicklung der Medienwirkungsforschung anhand von drei Phasen beschrieben werden: ▪
▪
In der ersten Phase wurde von einer großen, homogenen Medienwirkung im vom Kommunikator intendierten Sinne ausgegangen. Die Gesellschaft verstand man als Masse von isolierten Menschen. Als vorherrschender Theoretiker gilt Harold D. Lasswell (1902-1978); sein Interesse galt der Erforschung des Einflusses politischer Kommunikation auf das Publikum, d.h. die Wirkung der allmächtigen Medien auf den Menschen stand im Mittelpunkt („Was machen die Medien mit den Menschen?“). Die zweite Phase ging von einer begrenzten, verstärkenden Medienwirkung aus. Das Ziel der Medien war kein atomisiertes Massenpublikum mehr, sondern Individuen in ihren vielgestaltigen Sozial- und Kommunikationsbeziehungen, die die Wirkungen der Medien begrenzten. Als einflussreichste Konzepte galten der „Small Group Approach“
178
▪
Otto Altendorfer von Kurt Lewin (1890-1947), der sich vor allem mit der Gruppenkommunikation und deren Einflüssen befasste; der „Experimental Approach“ von Carl Hovland (1912-1961) mit der Konzentration auf intervenierende Persönlichkeitsvariablen und der „Sample Survey Approach“ von Paul F. Lazarsfeld (1901-1976), der Umfrageforschung und Wahlkampfanalysen beinhaltete. Die Perspektive verschob sich vom Kommunikator zum Rezipienten („Was machen die Menschen mit den Medien?“). Die dritte Phase basiert auf der Idee einer differenzierten Medienwirkung und eines aktiven Publikums. Zu diesem Bereich zählen Forschungsansätze wie die Theorie der Schweigespirale (Elisabeth Noelle-Neumann, geb. 1916), die Knowledge-Gap-These (Wissensklufthypothese), der Agenda-Setting-Ansatz und der Uses-and-GratificationsAnsatz (Elihu Katz, geb. 1926). Der Forschungsgegenstand ist jetzt die Wechselbeziehung zwischen Kommunikator und Rezipient („Wie interagieren Medien und Menschen?“).
Tabelle 1:
Entwicklung der Medienwirkungsphasen nach Bonfadelli2 1. Phase bis 1945
Gesellschaftskonzeption und Menschenbild
Masse von isolierten Menschen
2. Phase 50er - 60er Jahre Kleingruppen mit Konformitätsdruck
3. Phase 1970 - heute Differenzierte Bedürfnisse befriedigende aktive Individuen
Effektebene
Verhalten
Einstellungen
Motive und Kognitionen
Wirkungsprozesse
Manipulation Imitation
Negative Selektion Konsonanz
Positive Selektion Konstruktion
Stärke und Art der Medienwirkung
Groß Homogen
Klein Verstärkung
Mittel bis groß differenzierend
4.2 Phase 1: Lasswell-Formel (Harold D. Lasswell) In den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bestimmte das sog. Stimulus-ResponseModell das kommunikationswissenschaftliche Denken. Es beruhte auf der Annahme, dass ein bestimmter Reiz („Stimulus“) immer zu einer bestimmten Reaktion („Response“) führt. Für den Bereich der Medienwirkungsforschung hieß das, dass man annahm, dass die Menschheit aus einer Masse von isolierten Individuen besteht, deren Verhalten durch die große Macht der Medien mit ihrer homogenen Wirkung manipuliert wird. Die massenmedial distributierten Inhalte wirken als Reiz auf die Rezipienten und erzielen identische Reaktionen bei den einzelnen Personen im vom Kommunikator intendierten Sinn. Zudem wirkten die Medienbotschaften direkt, linear und monokausal auf Wissen, Meinungen, Denken, Einstellungen, Gefühle und Verhalten der Öffentlichkeit.
2
Bonfadelli, 1999, S. 25
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
179
Lasswell griff diese Grundvorstellungen auf und fasste sie zusammen: „A convenient way to describe an act of communication is to answer the following questions: Who? Says what? In which channel? To whom? With what effect?” Abbildung 2:3 Kommunikator
Nachricht
Medium
Rezipient
Wirkung
WER
sagt WAS
in WELCHEM Kanal
zu WEM
mit welchem EFFEKT
Obwohl der Ansatz Lasswells als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet werden kann, ist die normative Wirkung unumstritten. Pürer setzt die Lasswell-Formel zur Beschreibung des publizistischen Prozesses ein: „Ein Journalist (= Kommunikator) berichtet über ein beobachtbares Ereignis in seinem Beitrag (= Aussage) in einer Zeitung oder im Rundfunk (= Medium); er wendet sich dabei an ein Publikum (= Rezipienten) und beabsichtigt (eventuell) eine Wirkung (= Wirkung).“
Kritisiert wird an diesen Ansätzen, dass die Kommunikation einseitig vom Kommunikator ausgeht und der Aspekt der Nachfrage durch das Publikum ausgeschlossen wird. Die Rolle der Rezipienten wird vernachlässigt, das Feedback nicht berücksichtigt. Nicht betrachtet werden auch das Umfeld der Kommunikation sowie die gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen.
4.3 Phase 2: Small Group Approach/Experimental Approach/Sample Survey Approach 4.3.1
Small Group Approach: Kurt Lewin
Der deutschstämmige Psychologe Kurt Lewin führte im Auftrag der US-Armee Studien zur Kampfmoral der Soldaten und zur psychologischen Kriegsführung durch. Im Mittelpunkt seiner Forschung standen Kleingruppenbeziehungen und deren Prozesse. Auf ihn gehen die Feldtheorie, die Einführung des Begriffs des „Vektors“ (zur Beschreibung wechselseitiger Beziehungen) sowie zahlreiche Untersuchungen zur Gruppendynamik („Small Group Approach“) zurück. Lewin erforschte vor allem die Interaktionen in Gruppen, den Umgang mit Macht, Autorität und Führung, mit Außenseiterrollen, mit sozialer Kontrolle und Konformität. In seiner Verhaltenstheorie der Führung wird unterschieden zwischen einem „autokratischen“ Führungsstil, der auf Befehl, Lob und Tadel beruht, einem „demokratischen“ Führungsstil, der 3
Abbildung: McQuail/ Windahl, 1981, S. 10
180
Otto Altendorfer
auf Aushandeln und Überzeugen basiert, und einem „Laissez-faire“-Führungsstil, der die Geführten weitgehend sich selbst überlässt.
4.3.2
Experimental Approach: Carl Hovland
Im Zentrum der Forschungen des amerikanischen Psychologen Carl I. Hovland standen die Formen der sozialen Kommunikation sowie die Änderungen von Einstellungen und Überzeugungen. Zahlreiche Einzelexperimente zeigten, dass verschiedene Faktoren wie Glaubwürdigkeit, Attraktivität des Kommunikators, die Argumentationsweise und der Appelleffekt einer Aussage sowie die Intelligenz und die Motivation der Rezipienten die Medienwirkungen beeinflussen können. Die sog. Psychologisch orientierte Wirkungsforschung hatte ihren Ursprung in den 40er Jahre des 20. Jahrhunderts in den sog. „Yale-Studies“ von Carl Hovland. Darin wurde untersucht, wie man mit Hilfe von Überredungskommunikation Einstellungsänderungen provozieren und kontrollieren konnte. Geprüft wurde darin ▪ ▪ ▪
der Einfluss der Aussage, der Einfluss der Kommunikationsquelle und der Einfluss der Persönlichkeit des Rezipienten.
Einfluss der Aussage: (1) „Einseitige“ gegen „zweiseitige“ Argumentation: Ist es wirksamer, nur einen – nämlich den eigenen – Standpunkt darzulegen, oder ist es für die Übernahme der eigenen Meinung günstiger, wenn man Gegenargumente präsentiert? ▪ Bei Rezipienten, die der eigenen Meinung von vornherein zustimmen, ist einseitige Argumentation erfolgreicher. Bei Rezipienten, die eine zur eigenen Meinung entgegengesetzte Auffassung vertreten, ist zweiseitige Argumentation wirksamer. ▪ Bei gebildeteren Personen ist zweiseitige Argumentation erfolgreicher als einseitige. Grund: Gebildetere Personen sind es gewohnt, alle Argumente bei der Meinungsbildung zu berücksichtigen. Bei weniger gut gebildeten Personen ist einseitige Argumentation erfolgreicher. (2) Anordnung der Argumente: Entscheidet man sich für eine zweiseitige Argumentation, dann stellt sich die Frage, in welcher Reihenfolge die Argumente anzuordnen sind: Zuerst die eigenen Argumente und dann Widerlegung des Gegenarguments oder umgekehrt? ▪ Die Wirksamkeit der Anordnung hängt mit dem themenspezifischen Interesse bzw. Wissen der Rezipienten zusammen. Sind die Rezipienten an dem Thema nicht interessiert und verfügen über zu wenig Wissen aus diesem Bereich, dann geht von der zuerst präsentierten Aussage die stärkste Wirkung aus – der sog. „primacy effect“. Bei Rezipienten dagegen, die starkes Interesse am jeweiligen Thema besitzen und daher auch
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
181
über themenspezifisches Wissen verfügen, geht von der zuletzt präsentierten Aussage die stärkste Wirkung aus – „recency effect“). (3) „Explizite“ gegen „implizite“ Schlussfolgerungen: Ist es effektiver, den Rezipienten die Schlussfolgerung einer Aussage selbst zu überlassen (implizit) oder diese in der Botschaft mitzuliefern (explizit)? ▪ Implizite Schlussfolgerungen sind dann wirksamer, wenn das zur Diskussion stehende Thema wenig komplex und den Rezipienten vertraut, persönliche Betroffenheit vorliegt und die Aussage von einem wenig glaubwürdigen Kommunikator vermittelt wird. Explizite Schlussfolgerungen sind dann wirksamer, wenn keine dieser genannten Bedingungen gegeben ist. (4) Furchterregende Appelle: Appelle, die ungünstige Konsequenzen beschreiben, die dann eintreten würden, wenn man die Schlussfolgerungen des Kommunikators nicht befolgt. ▪ Geringer Furchtanteil einer Botschaft: Publikum ist nicht sonderlich interessiert und schenkt der Botschaft kaum Aufmerksamkeit. Erhöhter Furchtanteil: Aufnahmebereitschaft der Rezipienten wird größer und die erzeugte Furcht führt zu einer steigenden Beeinflussbarkeit der Aussageempfänger. Sehr hoher Furchtanteil: Aufnahmebereitschaft der Rezipienten wird vermindert, sie beginnen die bedrohlichen Stimuli abzuwehren, es kommt zu keiner Beeinflussung. Einfluss der Kommunikationsquelle: Nicht nur das, „was“ und „wie“ es gesagt wird, bestimmt die Wirkung einer Aussage auf Rezipienten. Einstellungsänderungen des Publikums hängen auch von dem Umstand ab, „wer“ eine Botschaft vermittelt. Dazu gibt es drei Kriterien: (1) Glaubwürdigkeit: Glaubwürdigkeit: Sehr glaubwürdige Quellen erzielen in der Regel eine größere Einstellungsänderung als nur gering glaubwürdige. Als Komponenten von „Glaubwürdigkeit“ gelten: ▪ ▪
Sachkenntnis („expertness“) und Vertrauenswürdigkeit („trustworthiness“).
(2) „sleeper-effect“: Dieser Ansatz bezieht sich auf die Entflechtung von Kommunikationsquelle und Kommunikationsinhalt Nach einer bestimmten Zeitspanne reduziert sich die Skepsis gegenüber den Aussagen der weniger glaubwürdigen Kommunikationsquelle. Wird nach einer Vergessensphase die ursprüngliche Quelle wieder in Erinnerung gerufen, stellen sich im Hinblick auf die Einstellungsänderungen die alten Verhältnisse wieder her: die Aussage wird eher abgelehnt.
182
Otto Altendorfer
(3) Attraktivität: Als „attraktiv“ gilt ein Kommunikator, wenn man ein hohes Maß an Ähnlichkeit zwischen ihm und sich empfindet. Solche Personen werden als „sympathisch“ erlebt und sind beliebter als andere. Einfluss der Persönlichkeit des Rezipienten: Dazu wurden folgende Kriterien herangezogen: (1) Intelligenz: Rezipienten mit hoher Intelligenz sind dann mehr beeinflussbarer als wenige intelligente Rezipienten, wenn rational und logisch argumentiert wird. Dagegen werden Rezipienten mit hoher Intelligenz durch Aussagen, die sich unlogischer, falscher und irrationaler Argumente bedienen, nicht so sehr beeinflusst wie weniger intelligente Rezipienten. (2) Motivfaktoren: Personen mit geringer Selbsteinschätzung sind leichter überredbar als Personen mit hoher Selbsteinschätzung. Menschen, die regelmäßig aggressives Verhalten an den Tag legen, sowie Personen, die psychoneurotische Symptome zeigen (Schlaflosigkeit, Angstschweiß, Verfolgungsideen) sind durch Überredung relativ unbeeinflussbar.
4.3.3
Sample Survey Approach: Paul F. Lazarsfeld
Der gebürtige Österreicher Paul Lazarsfeld erarbeitete als Direktor des Office of Radio Research in Princeton University, später des Bureau of Applied Social Research an der Columbia University, weitreichende Grundlagen der Medienwirkungsforschung und gilt als Begründer der empirischen Sozialforschung. Schwerpunkte seiner soziologisch orientierten Wir-kungsforschung waren Methoden der quantitativen Umfrageforschung, Zeitreihenanalysen sowie latente Strukturanalysen und Modellrechnungen.
4.3.3.1 The People’s Choice Einer der lang wirkenden Studien von Lazarsfeld war die Wahluntersuchung von 1940, die er zusammen mit Bernard Berelson und Hazel Gaudet erstellte. Der „Klassiker“, veröffentlicht 1944 als „The People’s Choice“, analysiert den Einfluss der Massenmedien auf das Wahlverhalten der amerikanischen Wähler im Präsidentschaftswahlkampf zwischen Franklin D. Roosevelt (Demokraten) und Wendell L. Willkie (Republikaner). Oberstes Ziel war die Offenlegung von Faktoren, welche die individuelle Wahlentscheidung beeinflussten; in diesem Rahmen waren Fragen zu klären, wie sich das individuelle Wahlverhalten begründet, die Erklärung des Prozesses der Meinungsbildung und welche Einflüsse zu Einstellungsänderungen führen.
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
183
Die auch als „Erie County Wahlstudie 1940“ bekannt gewordene Untersuchung ging von wirkungsstarken Medien aus. Über einen Zeitraum von sieben Monaten, von Mai 1940 bis November 1940, untersuchte das Team von Lazarsfeld in Erie-County in Ohio mit Hilfe eines Panel-Verfahrens, ▪ ▪ ▪
ob und wie die Wähler im Wahlkampf ihre Meinung änderten, welche Faktoren dabei eine Rolle spielten und welche Rolle den Medien zukam.
Die Analyse beruhte auf einer Untersuchung von 3.000 wahlberechtigten Personen, die die Zusammensetzung des Gebietes von Erie-County repräsentierten. Als zentrale Ergebnisse der Studie gelten: a)
Es gibt unterschiedliche Wählertypen:
▪
„Mai-Wähler“ = Entschlossene Wähler. Wähler, die sich bereits zu Beginn des Wahlkampfes für einen Kandidaten entschieden hatten und auch während des Wahlkampfes bei ihrer ursprünglichen Entscheidung blieben. Sie hatten demnach eine konstante politische Meinung. „Juni-bis-August-Wähler“ = Kristallisierer. Wähler, die sich während des Wahlkampfes für einen Kandidaten entschieden und dementsprechend wählten. „September-bis-November-Wähler“ = Unentschlossene Wähler. Wähler, die sich erst in den letzten Monaten und Wochen oder sogar erst am Wahltag zur Wahl eines der Kandidaten entschlossen.
▪
▪
b)
Einfluss der Medien/Massenmedien:
▪
Trotz massiver Propaganda durch die Massenmedien änderte nur ein minimaler Teil der Wähler seine Wahlabsicht während des Wahlkampfes. Eine eigentliche Einstellungsänderung war nur bei 10 Prozent aller Personen zu beobachten. Die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten konnte nicht so sehr auf den direkten Einfluss der Massenmedien zurückgeführt werden, sondern man stellte fest, dass Menschen in ihren politischen Entscheidungen mehr durch Kontakte von Mensch zu Mensch beeinflusst werden (Familienmitglieder, Bekannte, Nachbarn, Arbeitskollegen) als unmittelbar durch Massenmedien.
▪
Dieses Ergebnis mag überraschen. Wieso blieb der Einfluss von Wahlkampfpropaganda und massenmedial verbreiteten Informationen so gering? Dafür gab es zwei Erklärungsmuster: ▪
Der soziostrukturelle Ansatz: Der Mensch ist ein soziales Wesen und orientiert sein Verhalten an sozialen Normen, sozialen Bezugsgruppen und sozial geprägten Vorstellungen
184
▪
Otto Altendorfer darüber, was „richtiges“ Verhalten in bestimmten Situationen ist. Er wird durch seine Umwelt bestimmt. Der mikrosoziologische Ansatz: Soziale Lebenskontakte wie ökonomischer Status, Religion, Wohnort, Beruf und Alter definieren demnach soziale Kreise, die einen Einfluss auf die Wahlentscheidungen haben. Jeder soziale Kontext übt einen Anpassungsdruck auf das Individuum aus, weil der einzelne mit seiner sozialen Umwelt in einem möglichst spannungsfreien Verhältnis leben möchte. Die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen erzeugt dadurch ein weitgehend homogenes Wahlverhalten. Somit wird Wählerverhalten Gruppenverhalten.
Lazarsfeld („A person thinks, politically, as he is, socially. Social characteristics determine political preference”) führte die Ergebnisse weiter aus. Er analysierte, dass das Publikum der „Massenmedien“ keineswegs aus einer „Masse“ atomisierter und voneinander isolierter Individuen besteht, sondern dass auch in der modernen Großgesellschaft funktionsfähige Kleingruppen existieren. Die Kontakte mit den Mitgliedern der Gruppe bekräftigen die in der Gruppe geteilten Einstellungen. Bei Personen, die zusammen arbeiten, leben oder spielen, ist die Chance größer, dass sie für ein und denselben Kandidaten stimmen. Das soziale Primärumfeld (Familie, Freund, Berufskollegen) und die damit verbundenen interpersonellen Kommunikationsmuster sind für das politische Verhalten von besonderer Bedeutung.
4.3.3.2 Das Meinungsführer-Modell Aus diesen Erkenntnissen folgerte Lazarsfeld das sog. Meinungsführer-Modell. Er entdeckte den „Meinungsführer“ oder „opinion leader“. Nach Lazarsfeld können Meinungsführer Menschen aus ihrer unmittelbaren Umgebung beeinflussen. Diese gibt es in jeder sozialen Schicht. Nach eigener Selbsteinschätzung erwiesen sich 21 % der Erie-County-Gruppe als sog. Meinungsführer, also Personen, die als Schaltstellen in diesem Beeinflussungsprozess fungieren. Die Kennzeichen eines „opinion leaders“ gelten nach Lazarsfeld: ▪ ▪ ▪
▪
überdurchschnittlich ausgeprägt Geselligkeit: Hohe Anzahl sozialer Kontakte. Überdurchschnittlich aktives kommunikatives Verhalten: Starke Inanspruchnahme der Massenmedien sowie Mobilisierung der informellen kommunikativen Kanäle. Einnahme bestimmter Positionen und Bekleidung bestimmter Rollen, die sie für die übrigen Mitglieder ihrer sozialen Gruppe im Hinblick auf den in Frage kommenden Themenbereich als „Experten“ erscheinen lassen. Überdurchschnittlich ausgeprägtes subjektives Interesse an dem betreffenden Themenbereich.
Die Rolle „Meinungsführer“ zieht sich quer durch alle Schichten – die „opinion leaders“ sind daher nicht mit den besonders prominenten Personen der Gemeinde, nicht mit den reichsten Personen und auch nicht mit den führenden Köpfen der Stadt identisch.
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
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Aus dieser Charakterisierung folgt das Modell des „Two-Step-Flow of Communication“ Abbildung 3:
Two-Step-Flow of Communication
MM
OL
R R R
Nach dieser Vorstellung erreichen die “Massenmedien” (MM) einen Großteil der Bevölkerung nicht direkt, son-dern gelangen zunächst auf einer ersten Stufe zur Gruppe der Meinungsführer (Opinion Leader – OL) und über diese dann zu den weniger aktiven Rezipienten (R) (zweite Stufe). Im Two-Step-Flow of Communication nehmen Meinungsführer die Funktion eines selektiven Vermittlers wahr, welche die Medienbotschaften für ihre unmittelbare Umgebung filtern, ändern, kommentieren und dabei sozialen Druck auf die Gruppen erzeugen. Man spricht in diesem Zusammenhang sowohl von einer ▪ ▪
„Relaisfunktion“, d.h. einer Brücke zu den Massenmedien und „Verstärkerfunktion“, d.h. einem Bestärker von Meinungen.
Die Grundstudie von Lazarsfeld et. al. wurde in den folgenden Jahrzehnten vielfach kritisiert, für tot erklärt, aber auch erweitert. Man kritisierte die mediale Beschränkung auf Hörfunk und Presse sowie die rigide Zweiteilung in Meinungsführer und Gefolgsleute. Vor allem die Differenzierung von „opinion leader“ und „non-leader“ kann nicht aufrechterhalten werden; ein besserer Ansatz ist hier das Modell des „opinion sharing“, d.h. die Weitergabe von massenmedial verbreiteten Informationen in persönlichen Gesprächen erfolgt nicht einseitig, sondern wechselseitig. Die Rolle des Ratgebers („opinion giver“) und des Ratsuchenden („opinion asker“) wechselt häufig zwischen den Gesprächspartnern, so dass nicht mehr von einem einseitigen, sondern von einem wechselseitigen Informationsfluss gesprochen werden muss. Gut informierte und interessierte Personen geben in interpersonalen Kommunikationsprozessen Informationen weiter, suchen diese aber auch. Zu nennen ist in dem Zusammenhang auch der Begriff des „opinion avoiders“; dabei handelt es sich um Personen, die auf keine dieser Kommunikationsaktivitäten setzen.
4.3.4
Wirkungslosigkeit der Massenmedien?
Sind nach diesen Erkenntnissen die Massenmedien „wirkungslos“? Der amerikanische Sozialwissenschaftler Joseph T. Klapper (1917-1984) untersuchte diese Frage anhand von Studien zur Einstellungskonstanz und Einstellungsänderungen.
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Otto Altendorfer
Seine gewonnenen Thesen: ▪
▪
▪
Massenmedial verbreitete Aussagen werden erst durch die Anwesenheit anderer, sog. „intervenierender Faktoren“ wirksam, die in den Vorgang der „direkten“ Beeinflussung von Meinungen und Einstellungen des Empfängers durch den Kommunikator hineinspielen. Diese „intervenierenden Faktoren“ sind so beschaffen, dass sie die „Massenkommunikation“ zu einem Helfer, nicht aber zur alleinigen Ursache in einem Prozess der Verstärkung („reinforcement“) bestehender Bedingungen (Kaufabsichten, Wahlabsichten, Neigungen etc.) machen. In Fällen, in denen „Massenkommunikation“ dennoch Veränderungen bewirkt, liegt wahrscheinlich einer der folgenden zwei Bedingungen vor: die „intervenierenden Faktoren“ sind unwirksam oder sie unterstützen den Wandel, indem sie selbst auf Veränderung drängen.
Klapper schließt daraus: Persuasive Massenkommunikation verstärkt in der Regel jene Einstellungen, Meinungen und Verhaltensdispositionen, über welche die Rezipienten bereits verfügen. Sie führt in den seltensten Fällen die Umkehrung von Einstellungen herbei. Sie erweist sich als wirksam bei der Bildung von Einstellungen und Meinungen bei Themen, zu denen die Rezipienten noch keine Meinung besitzen. Aus diesen Erkenntnissen entwickelte sich die sog. „Verstärker-Hypothese“: Dargestellt am Beispiel des Wahlkampfes würde das bedeuten: Wahlkampf führt bei der Mehrzahl der Wähler vorab zur Bestärkung schon bestehender politischer Prädispositionen. Die Funktion von Wahlpropaganda ist weniger die Gewinnung neuer Wähler als die Abwanderung von Wählern zu verhindern, die der Partei bereits zugeneigt sind: Wahlpropaganda liefert Argumente für die Parteigänger, die aufgrund selektiver Perzeption die Bestätigung, Orientierung und Konsolidierung der ursprünglichen Entscheidung verstärken. Es geht darum, Wahlabsichten zu sichern, zu stabilisieren, zu festigen und eine entsprechende Stimmabgabe umzusetzen. Dem Anhänger wird also versichert, dass er Recht hat; ihm wird gesagt, warum er Recht hat; und er wird daran erinnert, dass andere Menschen mit ihm übereinstimmen.
4.4 Phase 3: Uses-and-Gratification-Approach/Schweigespirale/Wissensklufthypothese/ Agenda-Setting 4.4.1
Uses-and-Gratifications-Approach: Elihu Katz
Der Ansatz entstand in den 1970er Jahren als Reaktion zur traditionellen Massenkommunikationsforschung mit der Betonung der Rolle des passiven Zuschauers und wurde vor allem vom amerikanischen Soziologen Elihu Katz entwickelt. Er geht von einer rezipientenorientierten Perspektive aus, d.h. von der Frage „Was machen die Menschen mit den Medien“?
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
187
Ausgangspunkt ist nicht die Frage der Wirkung eines einzelnen Medienprodukts, sondern die Beziehung des Medienangebots zu den Bedürfnissen des Rezipienten. Die Theorie basiert darauf, dass die Rezeption massenmedial vermittelter Inhalte vor allem deswegen erfolgt, weil man sich eine Art „Belohnung“ (Gratifikation) erwartet. Hintergrund ist die Vorstellung vom „aktiven Publikum“; darunter versteht man: ▪ ▪
▪
Das Publikum rezipiert im Massenkommunikationsprozess „aktiv“, nicht „passiv“, d.h. Mediennutzung muss als ein aktives und zielorientiertes Handeln gesehen werden. Die Zielgerichtetheit erklärt sich nicht aus bestehenden Einstellungen und Erwartungen, sondern aus der menschlichen Bedürfnislage: Die Massenmedien stellen eine Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung dar. Die Massenmedien stehen als Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Gratifikationsinstanzen, d.h. Mediennutzung stellt nur eine von mehreren Handlungsalternativen dar, die als gleichwertig angesehen werden müssen.
„Das Publikum der Massenkommunikation, die tatsächlichen Nutzer der Medien werden nicht mehr als auf die Medien und ihre Inhalte orientiertes Wesen verstanden, sondern als Menschen, die in ihrem jeweiligen Handlungs- und Problemzusammenhang absichtsvoll handeln und sich dabei u.U. auch den Medien und ihren Inhalten zuwenden und die massenmedial vermittelten Inhalte beispielsweise später in dafür geeigneten Situationen aktualisieren und thematisieren (in Gesprächen am Arbeitsplatz, mit Freunden, in Familie, Partei oder Verein), die Informationen im Zuge von Problemlösungen jedenfalls zielgerecht einsetzen“ (Renckstorf). Die Gratifikationsforschung geht von zwei Grundansätzen aus, und zwar a)
der Frage nach der konkreten Verwertung massenmedial verbreiteter Aussagen durch das Publikum und
b)
der Frage nach dem Nutzen, den Menschen aus dem Empfang derartiger Aussagen für ihren persönlichen Lebensweg davontragen.
Nicht mehr Einstellungen und Verhaltensänderungen, sondern erwünschte bzw. erhaltene Gratifikationen stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Renckstorf drückt das so aus: „Vom Rezipienten und dessen soziokulturellem Hintergrund hängt es ab, wie eine bestimmte Botschaft interpretiert, definiert wird. Erst seine Bedeutungszuweisungen machen die für ihn gültige Botschaft aus.“
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Otto Altendorfer
Es werden vier Grundpositionen unterschieden: (1) Gratifikation im Hinblick auf „Ablenkung und Zeit“: Der Medienkonsum als Flucht („escape“) aus der Last persönlicher Probleme, die Zuwendung zu Medieninhalten ergibt eine „emotionale“ Befreiung. Hinzu kommt der Medienkonsum als Stressabbau, den die tägliche Rollenausübung mit sich bringt. (2) Gratifikation im Hinblick auf „Persönliche Beziehungen“: Die Rezipienten versuchen, quasisoziale Beziehungen mit Medienakteuren einzugehen, sich mit ihnen gleichsam freundschaftlich verbunden zu fühlen und so zu handeln, als liege ein persönlicher Kontakt vor. (3) Gratifikation im Hinblick auf „Persönliche Identität“: Die Menschen benutzen die Massenmedien, um mehr über sich selbst zu erfahren. Sie versuchen in den Aussagen der Medien zum Beispiel einen „persönlichen Bezug“ zu finden, der ihnen hilft, ihre eigene Situation relativieren zu können. Sie identifizieren sich mit Personen, Handlungen und Darstellungen („Meine Situation ist ähnlich“), projizieren Träume („So möchte ich auch sein“), legitimieren sich und die eigene Situation („Es geht mir doch nicht so schlecht“). (4) Gratifikation im Hinblick auf „Kontrolle der Umwelt“: Die Menschen versuchen mit Hilfe der Medien, Informationen über ihre Umwelt zu erhalten, beispielsweise über die richtige Kleidung, stilvolle Umgangsformen und gutes Benehmen.
4.4.2
Schweigespirale: Elisabeth Noelle-Neumann
Das von Elisabeth Noelle-Neumann Anfang der 70er Jahre entwickelte Modell stellt eine Beziehung her zwischen der öffentlichen Meinung und der Furcht des Menschen vor sozialer Isolation, d.h. die Bereitschaft von Menschen, sich zu ihrer Meinung zu bekennen, hängt u.a. von der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung ab. Einen erheblichen Einfluss darauf haben die Massenmedien, primär das Fernsehen. Von Bedeutung ist, dass Noelle-Neumann damit auch einen Zusammenhang herstellt zwischen Medien und Wahlentscheidungen. Bereits das sog. „Gruppendruck-Experiment“ des amerikanischen Sozialpsychologen Solomon Asch (1907-1996) hatte 1954 gezeigt, dass dominant eingeschätzte Meinungen anderer mehr Beachtung erfahren und damit wirklich zur dominanten Meinung werden. Wer seine Meinung bestätigt sieht, redet weiter darüber, verhilft ihr zu mehr Dominanz. Wer seine Meinung nicht bestätigt sieht, verfällt in Schweigen. Die „Schweigespirale“ folgert: Weil die Menschen sich nicht isolieren wollen, beobachten sie „pausenlos“ ihre Umwelt und können genau registrieren, was zu- und was abnimmt. Diesen Vorgang bezeichnet Noelle-Neumann als das „quasi-statistische Wahrnehmungsorgan“ des Menschen. Damit erfolgt eine gegenseitige Beobachtung sowie eine „Bestrafung“ von Abweichlern durch Isolation; erst ein Mindestmaß an gemeinsamen Werten und Normen führt zur Integration:
Einführung in die Kommunikationswissenschaft ▪
▪ ▪
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Wer öffentlich redet, wirkt stärker, wer schweigt, wirkt schwächer. Wer redet, steckt zum reden an, macht seine Meinung dominant, wer schweigt, verhilft seiner Meinung zum Verschwinden. Die Meinung anderer wird als Leitlinie für eigenes Handeln übernommen. Schweigen aus „Furcht vor Bestrafung“, aus Furcht isoliert zu werden.
Die Endstation der Schweigespirale hat man erreicht, wenn das Thema tot ist, niemand mehr darüber spricht; oder auch, wenn das Thema zum Tabu wird. Totgeschwiegen wird vor allem, was nicht „political correct“ ist, obwohl die Thematik unterschwellig bleibt. Das führt zu einer optischen oder akustischen Täuschung über die wirklichen Mehrheits- oder Stärkeverhältnisse. Nach Donsbach kommt der Prozess der Schweigespirale nur unter bestimmten Rahmenbedingungen in Gang, die sich in drei Punkten zusammenfassen lassen: ▪
▪
▪
Es müssen Meinungs- oder Einstellungsbereiche im Wandel sein; ohne Wandel sind praktisch jedem Individuum die dominierenden Meinungen bekannt, es existieren keine Faktoren, die einen Spiralprozess in Gang setzen könnten. Es müssen Meinungen sein, die eindeutig moralisch belegt sind und bei denen die Auseinandersetzung nicht um die rational richtige oder falsche, sondern um die moralisch gute oder schlechte Position geführt wird. Öffentliche Meinung hat immer eine irrationale, wertgeladene Komponente. Es muss sich um Prozesse handeln, in denen die Massenmedien eine identifizierbare Position einnehmen.
4.4.3
Knowledge-Gap-These (Wissenskluft-Hypothese)
Nach der idealtypischen Vorstellung informiert sich der „mündige Bürger“ in der Demokratie zum Zwecke eigener Urteils- und Willensbildung mittels Massenmedien, die damit einen wichtigen Beitrag zur politischen Willensbildung leisten. Die Wissenskluftforschung stellt dieses Ideal in Frage. Die früheste und heute noch gültige Definition für die Wissenskluft-Hypothese geht auf drei amerikanische Wissenschaftler der Minnesota-Universität zurück: Phillip J. Tichenor, George A. Donohue und Clarice N. Olien. Ihre Aussagen basieren auf empirischen Forschungen, in denen sie feststellten, dass medienvermitteltes Wissen in unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung auch unterschiedlich genutzt wird. Ihre Ergebnisse formulierten und veröffentlichen die drei Forscher erstmals 1970: „Wenn der Informationszufluss von den Massenmedien in ein Sozialsystem wächst, tendieren die Bevölkerungssegmente mit höherem sozialökonomischen Status und/ oder höherer formaler Bildung zu einer rascheren Aneignung dieser Information als die status- und bildungsniedrigeren Segmente, so dass die Kluft zwischen diesen Segmenten tendenziell zu- statt abnimmt“.
190
Otto Altendorfer
Demnach geht die Wissenskluft-Hypothese davon aus, dass der Wissenszuwachs bei den statushöheren Segmenten, d.h. Personen mit größerem Einkommen und einer höheren Bildung relativ größer ist. Sie nutzen das Informationsangebot schneller und effizienter. Die statusniedrigeren Segmente bleiben aber dennoch nicht unwissend; ihr Wissenszuwachs ist jedoch im Vergleich zu den statushöheren Segmenten kleiner. Unterschieden wird dabei in Kurz- und Langzeiteffekte. ▪
▪
Bei den Kurzzeiteffekten erfahren die Personen mit höherer Bildung schneller von Ereignissen als Personen mit niedriger Bildung. Es entwickelt sich eine positive Korrelation zwischen Bildung und Diffusionsgeschwindigkeit. Bei den Langzeiteffekten vergrößert sich die Korrelation zwischen Bildung und Wissensstand. Die Wissensklüfte verstärken sich mit der Zeit.
Die Erklärung dieser Befunde liegt nach Darstellung von Tichenor et. al. grundsätzlich im formalen Bildungsniveau der Bevölkerung, d.h. ▪
▪ ▪ ▪
Informationskampagnen erreichen eher jene Personen, die sich ohnehin für diese Themen interessieren und weniger Personen mit geringerer Bildung sowie ältere Menschen. Insofern besteht ein Zusammenhang zwischen allgemeinem Bildungsniveau, Ausmaß der Mediennutzung und Spektrum der Interessen. Sowohl kurz- als auch langfristig zeigt sich, dass Personen mit überdurchschnittlicher Bildung die angebotenen Informationen besser zur Kenntnis nehmen. Ein Rückgang der Informationsmenge führt vorübergehend zu einer Angleichung der Informationsniveaus bei den Rezipienten. Im Falle häufig publizierter Themen steigt die Wissenskluft zwischen verschiedenen Bildungsgruppen an. Damit zeigt sich, dass sich Informationsniveaus dynamisch entwickeln und sich in zeitlicher Hinsicht die Differenz zwischen geringer und höher Gebildeten ausweitet.
Noch relativ unbeeindruckt von der zunehmenden Nutzung des Fernsehens und weiterer elektronisch-digitaler Möglichkeiten konstatieren Tichenor et. al. grundsätzlich: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Bildung führt zu Kommunikationsfertigkeiten, die sich auf die Informationsnutzung auswirken. Mediennutzung ist abhängig von erlerntem Wissen und genossener Bildung. Je höher die formale Bildung, desto größer sind unterschiedliche Interessenspektren, die zu zusätzlichem Informationsfluss führen. Hohes Bildungsniveau führt zur gezielteren Inanspruchnahme von Medienangeboten. Gedruckte Medien kommen eher den Interessen von Personen mit einem höheren sozialen Status entgegen.
Die Wissenskluft steht klar im Widerspruch zu den Ansprüchen einer demokratischen Beteiligungs- und Willensbildungsgesellschaft. Trotz der medialen Informationsflut hat sich
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
191
die Chancengleichheit im Informationszugang und in der Informationsverwendung kaum verbessert. Nur ein relativ geringer Teil der mündigen Bürger nutzt medienvermittelte Informationsangebote. Neue Medien und neue Techniken haben die Brisanz verschärft. Sie setzen spezifisches Wissen voraus, sowohl in der beruflichen als auch in der privaten Anwendung; hinzu kommt die Preiskomponente. Es steht die Frage im Raum, ob nicht die ohnehin schon privilegierten Rezipienten von den Vorteilen dieser Technologien und Angebote überdurchschnittlich profitieren. Medial verursachten Wissenklüften kann man entgegenwirken. In diesem Zusammenhang wird vor allem an die Stärkung der Medienkompetenz der Rezipienten gedacht, die gerichtet ist auf den eigenständigen und kompetenten Umgang mit Massenmedien. Genannt werden müssen in diesem Zusammenhang auch politische und privatwirtschaftliche Initiativen wie „Schulen ans Netz“, die das Ziel haben, allen Schichten optimale Wege in das Informationszeitalter zu ebnen. Wissensklüfte können sich nach einer gewissen Zeit auch von selbst wieder schließen; man spricht dabei von Deckeneffekten. Der Grund: Die statushöheren Segmente haben nach einer gewissen Zeit von einer Nachricht Kenntnis genommen. Bleibt die Nachricht weiter verfügbar, hat das statusniedrigere Segment die Möglichkeit, mit der Zeit aufzuholen. Die Forschungen von Tichenor et.al. wurden vielfach wegen ungenügender Methodende-signs kritisiert. Dennoch basiert die neuere Forschung auf diesen Prinzipien. Dabei sind als neue Erkenntnisse zu nennen: ▪
▪
▪
Bei einfachen Faktenfragen ist die Wahrscheinlichkeit von Wissensklüften eher gering. „Je detaillierter die Abfrage erfolgt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die Vertrautheit mit dem jeweiligen Phänomen in Wissensdifferenzen niederschlägt. Diese Unterschiede können sich in zeitlicher Hinsicht angleichen, wenn ein bestimmtes Thema eine hohe Publizität erfährt und der Anteil zusätzlich neuer Informationen abnimmt“ (Jäckel). Wissensklüfte haben einen Zusammenhang mit „nahe liegenden“ und „entfernt liegenden“ Themen – interpretiert sowohl im geografischen Sinn als auch im Sinne von Betroffenheit. So verringern sich zum Beispiel Wissensklüfte, wenn wichtige und aktuelle Themen im überschaubaren Raum abgehandelt werden. Fernsehen kann Wissensniveaus anpassen.
Man nimmt an, dass sich durch neue Technologien wie dem Internet und die Digitalisierung des Medienangebots die Wissensklüfte verschärfen. Informationsreiche werden sozusagen immer reicher, Informationsarme immer ärmer. Die Kluft zwischen beiden Teilen verstärkt sich, es entstehen Informationsklassen. Damit entstehen auch Unterschiede im politischen Wissen und dadurch wird auch die Partizipation an der Demokratie und den demokratischen Institutionen geteilt. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom „Digital Divide“; wer ein hohes Einkommen und eine hohe Bildung besitzt, nutzt beispielsweise Onlinemedien eher und intensiver als andere Rezipientengruppen. Es entsteht eine Lücke zwischen denen, die effektiv neue Informations- und Kommunikationsmittel nutzen und denen, die sie nicht nutzen (können).
192
Otto Altendorfer
Diese These wird mittlerweile auch global angewandt; im nördlichen Teil der Welt produzieren 20 Prozent der Weltbevölkerung mehr als 90 Prozent des Wissens, die restlichen 80 Prozent der Weltbevölkerung kaum mehr als 10 Prozent. In den meisten Ländern fehlt das Potential, um sich Wissen anzueignen. Demzufolge profitieren nur reiche Länder von der globalen wirtschaftlichen Entwicklung.
4.4.4
Agenda-Setting-Hypothese
Die Hypothese hat ihre deutsche Grundlage in den Überlegungen des Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas, der Anfang der 60er Jahre auf die in den USA seit den 20er Jahre beachtete Größe der „Öffentlichen Meinung“ hinwies: Sie sei eine zentrale Legitimationsgrundlage der modernen Demokratie. Öffentliche Meinung wird vor allem über und durch die Massenmedien vermittelt und konstruiert. Infolgedessen gebe es zwei Interessenlager. Die Politik will Massen beeinflussen und ihre Politik vermitteln, gerade zu Wahlkampfzeiten; auf der anderen Seite hat die kritische Öffentlichkeit ein Interesse daran, nicht beeinflusst zu werden und ihre Interessen der Politik zu vermitteln. Die Massenmedien haben in dieser Vorstellung die Aufgabe zu selektieren, festzulegen, was ein Thema politischer Kommunikation überhaupt ist. Agenda-Setting fragt demnach nach der Wissensvermittlung und Wissensstrukturierung durch Massenkommunikation. Es geht um die Aufmerksamkeit für bestimmte Themen. Zugespitzt heißt das, dass Medien das Image vor allem von politischen Figuren prägen, sie präsentieren Vorstellungen, die vorschlagen, worüber die Individuen der Masse denken und etwas wissen sollen. Massenmedien haben eine Tagesordnungs(Agenda)- oder Thematisierungsfunktion. Agenda-Setting thematisiert mittel- bis langfristige kognitive Effekte der Massenkommunikation. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass vor jeder Meinungs- oder Einstellungsbeeinflussung durch Medien die Funktion der Thematisierung steht. Als Ursprung der These gilt die Bestimmung der Presse als (fiktives) Element der öffentlichen Meinung, erstmals angesprochen von dem amerikanischen Publizisten Walter Lippmann (1889-1974) in seinem 1922 veröffentlichten Buch „Public Opinion“. 1963 schrieb Bernhard Cohen darüber, dass die Medien einen primären Einfluss auf die Themen, über die die Menschen nachdenken, haben. Dies kann zu einer von den Medien konstruierten Pseudoumwelt führen, in der Dinge thematisiert werden, die in der Realität nicht so vorhanden sind. Als Pilotstudie für die Agenda-Setting-Theorie gilt die sog. Chapel-Hill-Studie, durchgeführt 1968 von den amerikanischen Soziologen Maxwell McCombs und Donald Shaw. Sie verglichen die Themenprioritäten von rund 100 noch unentschiedenen Wählern während des Präsidentschaftswahlkampfs von 1968 in Chapel Hill, North Carolina, mit den Ergebnissen einer Inhaltsanalyse von vier Lokalzeitungen und den Abendnachrichten von NBC und CBS. Die Themen-“Hitlisten“ der Wähler wurden durch die Frage nach ihren zwei oder drei wichtigsten Themen unabhängig von aktuellen Aussagen der Politiker ermittelt; die Medieninhalte unterschied man je nach Umfang und Positionierung in „major“ und „minor“ items.
Einführung in die Kommunikationswissenschaft
193
Die Ranglisten der Wähler (Publikumsagenda) und die der Medien (Medienagenda) korrelierten miteinander sehr stark, so dass auf einen engen Zusammenhang der Themenstrukturen geschlossen wurde; die Übereinstimmung lag sowohl bei „major′′ als auch bei „minor“ items vor. In den Nachfolgestudien kristallisierten sich drei Wirkungsmodelle der Agenda-SettingTheorie heraus: (1) Das Aufmerksamkeitsmodell („awareness“): Das Publikum wird auf Themen aufmerksam, weil die Medien über sie berichten. (2) Das Hervorhebungsmodell („salience“): Man hält das für wichtiger, was von den Medien stärker beachtet wird. (3) Prioritätenmodell: Man hält sich bei der Hierarchisierung der Themen nach ihrer Wichtigkeit an die von Medien vorgegebene Strukturierung.
Quellen und Literatur/ Literaturhinweise Übergreifende Darstellungen Burkart, Roland (1995), Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder, 2. Aufl., Wien/ Köln/ Weimar Dahinden, Urs/ Sturzenegger, Sabina/ Neuroni, Alessia C. (2006), Wissenschaftliches Arbeiten in der Kommunikationswissenschaft, Stuttgart Jäckel, Michael (2005), Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung, 3. Aufl., Opladen Löffelholz, Martin/ Quandt, Thorsten (Hg.) (2003), Die neue Kommunikationswissenschaft. Theorie, Themen und Berufsfelder im Internet-Zeitalter, Wiesbaden Pürer, Heinz (2003), Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Konstanz
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194
Otto Altendorfer
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Einführung in die Kommunikationswissenschaft
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Grafik und Design Tamara Huhle
1
Vorwort
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Grundlagen von Grafik und Design. Es soll anregen, das eine oder andere unserer visuellen Welt bewusster wahrzunehmen und zu hinterfragen. Das Thema Grafik und Design jedoch in einem Kapitel zu behandeln hieße, die Welt in einer Nussschale zu platzieren. „Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten.“1
Die folgende kurze Einführung in Design und Gestaltung, dokumentiert, dass die Geheimnisse der Gestaltung Gesetzmäßigkeiten folgen und nicht Sache des guten Geschmacks sind. In der Gewissheit dessen, das viele Zeitgenossen auf der Grundlage ihres Empfindens Designentscheidungen treffen, sei angemerkt, dass auch dieses Designempfinden einen physiologisch bestimmten und/oder geschulten Hintergrund hat. Aus diesen beiden Gründen und der Gewissheit, dass gutes Design erlernbar, begreifbar und vor allem darstellbar ist, gilt es, das Ziel zu erreichen, Gestaltung und Design nicht als nur unbewussten Prozess wahrzunehmen. Die Formulierung „ Das gefällt mir nicht.“ wird gewandelt in eine bewusste fachlich fundierte Äußerung. Die Fragen „Warum und weshalb löst eine derartige Darstellung solche Gefühle und Gedanken aus?“ oder „Warum setzte ich bewusst diese grafischen Gestaltungsmittel ein, um mein visuelles Kommunikationsziel zu erreichen?“ werden stattdessen gestellt. Es ist nicht möglich eine vollständige Gestaltungslehre in einem Buch und noch weniger in einem Kapitel unterzubringen. Aus Gründen der guten Lesbarkeit werde ich mich in meinen Ausführungen der maskulinen Anrede der Leser bedienen.
2
Grafik- und Designlehre
2.1 Begriff Grafik- oder Kommunikationsdesign werden inzwischen häufig in einem Wortzusammenhang mit gleicher Bedeutung verwendet. Man versteht unter beiden die Gestaltung von visuellen Inhalten in verschiedenen Medien, die durch ihre Darstellung Menschen etwas kommunizieren. Dabei kommen verschiedene Mittel künstlerischer und technischer Art zum Einsatz. Dennoch gibt es einen semantischen Unterschied zwischen beiden Begriffen: Im Grafikde1
Goethe 1976
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Tamara Huhle
sign erfolgt schwerpunktmäßig die Blicksetzung auf grafisches Gestalten in der Fläche, im Entwurf, in der grafischen und typografischen Umsetzung, seit den 90er Jahren vorwiegend mit DTP (desktop publishing). Kommunikationsdesign ist medial und im Aufgabenspektrum breiter gefasst als Grafikdesign. Die dazugehörigen Berufsbezeichnungen sind Grafik- oder Kommunikationsdesigner. Der Grafikdesigner unterscheidet sich somit vom Kommunikationsdesigner im Umfang der Arbeitsbereiche, heute kaum noch abzugrenzen durch die Konzentration des Grafikdesigners auf den grafischen Arbeitsbereich und weniger auf Web. Genauer abgegrenzt wird zum Industrie-, Mode- oder Fotodesigner. Der Begriff Grafikdesign wurde von William Addison Dwiggins, 1922 geprägt. Mögliche Tätigkeitsfelder beim Grafik- oder Kommunikationsdesign sind Typografie, Illustration, Fotografie, Druckgrafik, Webdesign und -programmierung, DTP, Werbung sowie Branding. Heutzutage wird der Begriff „Visuelle Kommunikation“ oft synonym zum Kommunikationsdesign gebraucht. Kommunikationsdesign ist jedoch nur ein Teilbereich der Visuellen Kommunikation. Visuelle Kommunikation wird im angewandten Marketing auch als Oberbegriff für alle mit dem Auge wahrgenommenen visuell vermittelten Informationen gebraucht. In diesem Kapitel wird auf die Gestaltungsgrundlagen eingegangen. Es werden hier einfache Regeln, Prinzipien oder auch Gesetze dargestellt, die sich in verschiedenen Grafik- und Designlehren auf unterschiedlichste Art benannt werden. Die Kenntnis dieser Regeln dient der Gestaltung eines grafischen Elementes oder einer komplexen Grafik. Es werden Methoden der Bildgestaltung angeschnitten, die jeder Leser noch vertiefen kann. Eine kleine Literaturauswahl wird am Ende des Kapitels aufgeführt. Beginnen wir mit den grundlegenden Gestaltungsgesetzen.
2.2 Gesetz der Nähe Elemente, die dicht beieinander liegen werden als ganze Form oder Gruppe interpretiert. Links werden die Punkte und Striche als ein Ring von Punkten und Strichen erkannt, nicht als Einzelelemente. Durch diese Interpretation unseres Gehirnes sind wir auch in der Lage, gerasterte, gedruckte Bilder als solche zu erkennen. Was nahe beieinander steht, nehmen wir als zusammengehörig wahr; was weit auseinander steht, als nicht zusammengehörig. Selbst Äpfel und Birnen können wir in eine Gruppe ordnen. Steht zum Beispiel eine Textzeile weit auseinander, wirkt sie fehl am Platz. Abbildung 1:
Nahe liegende Elemente als Einheit
Grafik und Design
199
2.3 Gesetz der Geschlossenheit Fehlendes wird einfach durch unser Hirn ergänzt. Betrachten wir die Abbildungen. Wir sehen ein gleichschenkliges Dreieck eine Rechteck und einen Kreis, bei denen eine Seite bzw. ein Segment fehlt. Nun wird diese in unserem Gehirn ergänzt und die Figur trotz des fehlenden Teils als Dreieck, Rechteck oder Kreis erkannt. Hier kommt das Gesetz der Geschlossenheit zur Anwendung. Uns ist die Form so vertraut, dass unser Gehirn eine fehlende Linie sofort ergänzt, um eine komplette Figur zu erhalten. Abbildung 2:
Offene Formen
2.4 Gesetz der Ähnlichkeit Ähnliches/Gleiches wird als zusammengehörig wahrgenommen, Ungleiches als nicht zusammengehörig. Beispiel: Beginnen Elemente einer Liste immer mit demselben Symbol (Punkt, Zahl) ist klar, dass sie zusammen gehören. In obiger Abbildung werden ähnliche Elemente als gleich erkannt und zu einer optischen Einheit zusammengefasst. Bei dieser Darstellung deutet unser Gehirn die Abbildung als Ansammlung von gleichartigen Elementen, obwohl diese nicht gleichartig sind. Das Hirn erkennt, dass die Teile die gleiche Größe haben, das reicht aus, um von unserem Hirn als gleichartige Elemente und damit einheitliche Form übersetzt zu werden. Abbildung 3:
„Gleiche“ Elemente
2.5 Gesetz der Erfahrung Was an bekannte Formen erinnert, nehmen wir bevorzugt wahr. Was keiner bekannten Form gleicht, kommt weniger an. Beispiel: Viele bevorzugen den Blocksatz, weil er sie bei der
200
Tamara Huhle
Wahrnehmung an ein Rechteck erinnert. Gleich erkennen wir, dass es sich bei der Abbildung unten links um eine Kaffeetasse mit Kaffee handelt. Obwohl die Abbildung nur aus nicht zusammenhängenden Strichen besteht, erkennt unser Gehirn sofort den Gegenstand. Auch in 2D-Bildern suchen wir – wie in den beiden rechten Abbildungen – aus Erfahrung nach Tiefeninformationen. Abbildung 4:
Bekannte Formen
Abbildung 5:
Tiefenwirkung
2.6 Das Gesetz der guten Gestalt Bekannt sind obige Gesetzte auch noch unter der Bezeichnung: „Die fünf Gesetze des Sehens“. Hierbei kommt noch als fünftes „Das Gesetz der guten Gestalt“ hinzu. Dieses besagt, dass Formen, die einen einfachen und voraussehbaren Verlauf nehmen, den Formen gegenüber bevorzugt werden, die kompliziert und nicht gesetzmäßig verlaufen, diese werden weniger als gute Gestalt aufgefasst. Abschließend stellen wir fest: Visuelle Informationen haben an sich noch keine Bedeutung. Erst im Kopf geben wir dem, was wir sehen, einen Sinn.
3
Grundlagen der Gestaltung
3.1 Die Elemente Die Elemente einer grafisch-gestalterischen Arbeit sind: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Punkte, Linien, Flächen, Bilder, Grafiken, Schriften, Diagramme (Linien-, Balkendiagramme entweder zwei oder dreidimensional) sowie Schmuck (z.B. Prägung, Stanzung).
Grafik und Design
201
3.2 Der Punkt Ruhe strahlt ein Punkt in der Mitte eines Formates aus, da dieser zwar eine Spannung, aber keine Richtung aufweist. Die Bedeutung der Punktform nimmt mit der Größe des Punktes zu, die Form wird mächtig und dominierend; eine Umkehrung von Weiß zu Schwarz findet statt. Abbildung 6:
Punkt – Format
Abbildung 7:
Punkt – Spannung
Bewegung und somit Spannung wird erzeugt, je unterschiedlicher die Abstände zur Formatbegrenzung werden. Die Asymmetrie der Stellung zeigt Spannungsunterschiede auf, je nach dem, ob sich der Punkt oben oder unten, aber auch links oder rechts befindet. Abbildung 8:
Visualisierung des Begriffs „lebendig“
Kompositionsübungen: Visualisieren Sie die Begriffe „leicht“, „reich“, „schnell“, „Winter“ und „Die vier Jahreszeiten“ mit dem Element Punkt. Sinn und Zweck dieser Übungen sind – abgesehen davon, dass sie Spaß machen können – Gefühl und Empfindung zu schulen. Ein Beispiel für die Visualisierung des Begriffs „lebendig“ zeigt Abbildung 8.
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3.3 Die Linie Eine imaginäre Linie entsteht auch schon, wenn zwei Punkte in nicht allzu großer Entfernung platziert werden. Steigern wir die Reihung der Punkte, wird die Linie deutlicher. Das Auge schreitet (meist in Leserichtung) die Fixpunkte ab, wodurch eine Bewegung entsteht. Durch die Verbindung von geraden und gebogenen Linien erhalten wir eine Vielfalt von Formkombinationen. Unendliche Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich durch: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
die Art (Form: gerade, gebogen, frei), die Länge, die Stärke (Dicke), die Farbe, die Anzahl, den Abstand sowie die Stellung.
Im Unterschied zum Punkt besitzt die Linie ein Gestaltungsmittel mehr: die Länge. Mehr Gestaltungsmittel bedeuten mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Linienkompositionen können differenzierter und in ihrer Wirkung reicher sein als Lösungen mit Punkten. Zudem führen Gestaltungsübungen mit Linien automatisch zu Proportionsübungen. Durch die erste Dimension (Linie) wird jede Fläche in zwei neue Teile und Verhältnisse geteilt. Die Gesetzmäßigkeiten, die wir beim Gestaltungselement Punkt kennen gelernt haben, lassen sich auch bei der Linie anwenden. Spannungen können wir also zum Beispiel durch verschiedene Linienlängen, durch unterschiedliche Abstände, mit Liniengruppen und verschiedenen Linienstärken erreichen. Durch Wiederholung gleicher Linienelemente und gleicher Gestaltungsmittel (wie Abstand, Stärke, Länge) entstehen Abläufe, die eine rhythmische Wirkung ergeben können. Die rhythmisierende Wirkung gehört zum Grundwesen des Gestaltungselementes Linie. Wie der Punkt kann auch die Linie als Hilfsmittel eingesetzt werden. Diese Funktion übernimmt sie meistens dann, wenn sie optisch kaum in Erscheinung tritt (z.B. bei Tabellen). Einige Beispiele für Linienwirkung zeigt Abbildung 9. Abbildung 9:
Beispiele für Linienwirkung
passive Linie - Ruhe
aktive Linie - Kraft
Horizontale - Weite
Vertikale - Nähe
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Eine Besonderheit der Linien ist die Möglichkeit, eine Figur vom Hintergrund abzugrenzen (siehe Differenzierung Figur/Grund). Konturen können ganz unterschiedlich aussehen. Eine Kontur ist keine geschlossene, gerade Linie. Ihr Charakter ergibt sich aus der Stiftführung, dabei ist die optische Akzeptanz als Abgrenzung und die Stärke der Kontur von Bedeutung. Ab einer gewissen Stärke wird die Kontur zur Fläche wie unten sichtbar. Abbildung 10:
Abgrenzung der Flächen durch Linien
Abbildung 11:
Der Weg von der Linie zur Fläche
Eine Komposition muss nicht alle Elemente enthalten, wird aber umso reicher und spannungsvoller, je mehr davon zur Anwendung kommen. Abbildung 12:
Visualisierung des Begriffs „Lärm“
Kompositionsübungen: Visualisieren Sie die Begriffe „leicht“ und „schnell“ mit dem Element Linie. Ein Beispiel für die Visualisierung des Begriffs „Lärm“ zeigt Abbildung 12.
204
Tamara Huhle
3.4 Die Fläche Ergänzen wir die Stärke der Linie oder vergrößern wir den Punkt, entsteht die Fläche. Dieses ist allerdings relativ, es gibt keine mathematische Abgrenzung, wann sich der Punkt oder die Linie zur Fläche verwandelt. Unser formgeübtes Auge erkennt allerdings schnell, welches Element flächenhaft oder formgebend ist. Mit zwei Dimensionen wird die Flächenform festgelegt: Breite und Höhe. Alle Maßangaben im grafischen Gewerbe folgen der Regel: zuerst die Breite nennen, dann die Höhe; nur so lässt sich schnell Hoch- von Querformat unterscheiden. Die Gestaltungsmittel der Fläche: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Größe, Form, Proportionen, rationale Proportionen: ganzzahlige Verhältnisse wie 1:1, 1:2, 3:1, 4:3, irrationale Proportionen: gebrochene Verhältnisse wie die DIN-Reihen, Goldener Schnitt, Farbe, Helligkeit sowie Struktur.
Die Möglichkeiten der Beeinflussung von Flächengestaltungen sind vielfältig. Unterschiedliche Farben und Helligkeiten verändern die Größe bzw. die Nähe der Objekte untereinander und zum Betrachter. Dies gilt auch in Bezug auf die Veränderung der Struktur. Eine runde, weiche Flächenform kann bei entsprechender Struktur hart und abweisend erscheinen und umgekehrt. Abbildung 13:
Formatwirkung
gleichwertig neutral
steigend aktiv
lastend aktiv
Grafik und Design 3.4.1
205
Gestaltungsmittel
Mit folgenden Gestaltungsmitteln können die oben genannten Elemente beeinflusst werden: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Größe, Anzahl, Stellung, Form, Farbe, Helligkeit, Kontrast, Struktur, Proportion, Rhythmus.
3.4.1.1 Kontraste Kontraste kann man ganz unterschiedlich schaffen. Eine Kombination von einer natürlichen und einer sehr konstruierten Figur stellt z.B. einen Kontrast dar oder eine Kombination von einem sehr großen mit einem kleinen Element. Der Kontrast basiert auf Gegensätzlichkeit, aber auch auf der Polarität der Elemente. Wärme wird empfunden, wenn Kälte vorhanden ist, die Größe eines Gegenstandes wird durch die Dimension des ihn umgebenden Raumes oder Formates festgelegt. Immer ist es also der Gegensatz (Kontrast), der die angestrebte Wirkung zur Wahrnehmung bringt. Durch den Einsatz von Kontrasten können wir die Eindrücke steigern. Die Typografie bedient sich ganz besonders des Gestaltungsmittels Kontrast. Schriftmischungen harmonieren aufgrund ihrer Gegensätze. Die Visualisierungen von Wortinhalten sind dann besonders deutlich und unmissverständlich, wenn sie auf der Kontrastlehre aufbauen. Kontraste der visuellen Wahrnehmung sind: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Farbe Helligkeit (hell – dunkel), Temperatur (warm – kalt), Sättigung (leuchtend – stumpf), Buntheit (bunt – unbunt), Menge (viel – wenig). Form Art (geometrisch – frei), Größe (klein – groß), Dimension (flächig – körperhaft), Gestalt (scharf – unscharf), Struktur (weich – hart), Stellung (vorne – hinten), Anzahl (viel – wenig).
206
Tamara Huhle
3.4.1.2 Proportion Der Ausdruck „Proportion“ bezeichnet: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
in der Mathematik eine Verhältnisgleichung, in der Anatomie das Verhältnis der Größen der Körperteile, den Körperbau, in der Musik ein Charakteristikum der Intervalle, im Schriftsatz Zeichensätze mit variabler Buchstabenweite, in der Ästhetik für das Auge besonders „angenehme“ Größen- oder Längenverhältnisse, in der Malerei das Verhältnis der Körperteile zueinander und zum Ganzen, in der Architektur der Vergleich der Breiten-, Höhen- und Tiefenmaße in Beziehung zum Gesamtbauwerk.
Die Proportionslehre definiert die Regeln, nach denen die Verhältnisse der Teile eines Kunstwerkes untereinander als harmonisch gelten. Von Bedeutung sind: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
der Kanon für die Proportionen des menschlichen Körperbaus, der Goldene Schnitt, die Quadratur, die Triangulation mit dem gleichseitigen Dreieck, der Modulor (Le Corbusier),
Eines der einflussreichsten Beispiele für einen Kanon in der europäischen Kunst ist die Proportionslehre des Vitruv aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, die als Säulenordnung der Repräsentationsarchitektur von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert bindend war, und auf die sich etwa auch der „Vitruvsche Mensch“ des Leonardo da Vinci bezieht und das „Modulor Prinzip“ von Le Corbusier. Abbildung 14:
Vitruvsche Mensch
Grafik und Design
207
3.5 Differenzierung Figur/Grund Abbildung 15:
Kelch oder Gesichter2
Abbildung 16:
alte oder junge Frau3
Die richtige Interpretation von Figur und Grund, die so genannte Figur-Grund-Differenzierung ist in der grafischen Darstellung von umfangreicher Bedeutung. An den obigen Bespielen erkennen Sie, dass mehrere Interpretationen durch den Betrachter möglich sind. Die Figur unterscheidet sich vom Grund durch ihre Form sowie dadurch, dass sie: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
näher ist, ein Objekt darstellt, lebhafter ist, einen intensiveren Farbton hat, die zwischen Figur und Grund bestehende Kontur besitzt, den Grund hinter sich hat.
Die „beste“ Figur wird aus einer Vielzahl sensorischer Informationen gewonnen und ist von unserer Wahrnehmung abhängig. Wird diese Regel vom Designer nicht beachtet, kann es leicht passieren, dass der Betrachter ein Element das zum Logo – zur Figur – gehören soll dem Hintergrund zuordnet, oder umgekehrt. Grundsätzlich ist darauf zu achten, dass kleinere Flächen immer als Figur, größere als Hintergrund gesehen werden. Es ist auch auf die Raumverteilung zu achten, die Verteilung von Schwarz und Weiß. Als Zusammenfassung aller Gestaltgesetze kann festgehalten werden: Die für den Betrachter einfachste (mentale), mit den verfügbaren Informationen zu vereinbarende Form, wird bevorzugt.
2
Dieses bekannte Motiv einer Kippfigur verwendete der dänische Psychologe Edgar Rubin 1915 Zeichnung von W.E.Hill aus dem Jahre 1915 wurde in der Fachliteratur unter dem Titel „Ehefrau und Schwiegermutter“ bekannt.
3
208
Tamara Huhle
3.6 Komposition Gestalten bedeutet eine Komposition aus Formen und Farben zu schaffen und in der multimedialen Welt außerdem noch mittels Tönen und Gerüchen – einfach Ansprechen verschiedener Sinnen. Der Schlüssel zum erfolgreichen Komponieren in der Grafik liegt in der Fähigkeit, verschiedene grafische Elemente und Kompositionswerkzeuge zu beherrschen. Im produktiven wie auch im rezeptiven grafischen Gestalten ist die Fähigkeit des Sehens und Gestaltens von grafischen Grundstrukturen wichtig und erlernbar. Eine von uns gestaltete Fläche ist ein gestalteter, umgrenzter Raum. Bringen wir Objekte in diesen Raum ein, gestalten wir ein Beziehungsgefüge – eine Komposition. In der Grafik, in der Fotografie ist diese Komposition zweidimensional. In der virtuellen Welt der 3D-Computergrafik kann diese durch eine dritte Dimension (x,y,z-Achse) ergänzt werden. Wirklich umschreiten in drei Dimensionen können wir nur Raumkompositionen wie Skulpturen, Architekturen oder „Dinge“. Sobald wir diese zeichnen, mit einem Flachscannern einscannen oder fotografieren sind die Kompositionen wieder zweidimensional. Wir gliedern eine Flächenkomposition, indem wir die einzelnen Gestaltelemente gezielt verschieben und anordnen, es entsteht dadurch Hierarchie und Spannung der Elemente. Unter Beachtung bildkompositorischer Merkmale kann die Komposition punktgenau eine gezielte Bildaussage erreichen und zwar bevor eine verbale Aussage durch den Text getroffen wird. Kompositionen lenken den Blickpunkt des Betrachtes durch Linien, Flächen, Farben oder Strukturen. Leichtigkeit, Schwere, Gefahr und Ruhe können Kompositionen vermitteln. Gezielte Fluchtpunktsetzung zieht uns zum Beispiel in das Bild hinein. Das ist die Macht der Bildkomposition. Perspektiven sind Kompositionen im Raum und helfen uns auf einer Fläche eine dritte Dimension zu simulieren.
3.6.1
Perspektive
Perspektiven können in der Fläche Raumtiefen erzeugen. „Perspektive“ (lat. perspicere, hindurchsehen) bedeutet, die Möglichkeiten durch das Papier hindurch in einen Raum zu schauen. Gesetzmäßigkeiten der Perspektive bewirken: ▪ ▪ ▪
eine optische Verkleinerung der Dinge mit zunehmender Entfernung, eine Konvergenz von nicht rechtwinklig zum Betrachter verlaufenden Linien, Blickpunktregelung des Betrachters durch die angelegte Horizontlinie.
Bei den nachfolgenden Abbildungen entsteht eine Sicht, wie aus dem letzten Wagen eines Zuges. Unser technisches Wissen sagt, dass Größe und Abstand der Bahnschwellen gleich sind, dennoch nähern sich die beiden Schienenstränge optisch am Horizont an und schaffen so ein Bild der Weite. Im linken Bild wird dies verstärkt durch Verkleinerung der Masten im rechten durch eine Formatverengung.
Grafik und Design Abbildung 17:
4
209
Fluchtpunkt
Farbenlehre
Die Welt ist herrlich bunt! Farben üben eine starke Wirkung auf den Menschen aus. Sie zu empfinden ist ein wunderbares Geschenk der Natur. Dabei sind wir uns eigentlich gar nicht sicher, ob alle Menschen die Farben gleich sehen bzw. gleich empfinden. Farben werden emotional wahrgenommen, es ist keine intellektuelle Leistung wie z.B. beim Lesen erforderlich. Schon Babys können Farben unterscheiden und reagieren darauf. Unsere Alltagserfahrung konditioniert uns auf bestimmte Farbassoziationen: Der Himmel ist blau – weit weg, Feuer gelb – gefährlich nah, Schwarz ist dunkel und unheimlich, Pink ist süß ... Mit Farben verbinden wir also direkt Gefühle oder Geschmack und sogar Symbolik. Jeder, der sich mit Farblehre beschäftigt, sollte sich von Goethes Farbkreis und Küppers bis hin zur Verwendung von Farben in Print und Web belesen und die weiterführende Literatur studieren. Ebenso wird auf Abbildungen wie Farbtafeln und Farbkreise in diesem Kapitel verzichtet, da dies nur ein sehr unzureichender Ansatz wäre und auch hier weiterführende gut bebilderte Fachliteratur zur Verfügung steht.
4.1 Der Begriff Anders als zum Beispiel im Englischen, wo wir eine Unterscheidung in „color“ und „ink“ haben, also für „color“ mehr für das farbige Aussehen und für „ink“ für Tinte und Druckfarbe steht, haben wir im Deutschen nur das allumfassende unbestimmte Wort „Farbe“ für alles, von der Druckfarbe über die Künstlerfarbe und das farbige Erscheinungsbild.
4.2 Physikalischer Aspekt – Licht ist Farbe Licht besteht aus elektromagnetischen Schwingungen bzw. Wellen in einem bestimmten Wellenlängenbereich. Jede dieser Schwingungen sehen wir als eine andere Farbe. Darum sehen wir die Farben eines Regenbogens immer entgegen der Sonne.
210
Tamara Huhle
4.3 Unterscheidung der Farben Wir unterscheiden Lichtfarben (Farben von „Selbstleuchtern“, z.B. Sonne, Glühlampe, Kerze) und Körperfarben (Farben von nicht selbst leuchtenden Körpern). Die Körperfarbe ist von zwei Dingen abhängig: 1. 2.
Von der Lichtart (Helligkeit, Farbe) mit der der Körper beleuchtet wird. Von der Remission (Reflektion/Absorption) des auffallenden Lichtes an der Oberfläche des Körpers.
4.4 Farbmischung Additive Farbmischung bedeutet Addition von Licht: Wenn Lichtfarben sich mischen, vermehrt (addiert) sich die Lichtintensität: ▪ ▪ ▪
additive Primärfarben: Rot, Grün, Blau Addition von Lichtenergie: Rot + Grün + Blau = Weiß Mischfarben/additive Sekundärfarben: Cyan, Magenta, Gelb
Subtraktive Farbmischung bedeutet Subtraktion von Licht: Wenn Körperfarben sich mischen, vermindert (subtrahiert) sich die Lichthelligkeit: ▪ ▪ ▪ ▪
subtraktive Primärfarben: Magenta, Gelb, Cyan Subtraktion von Lichtenergie: Magenta + Gelb + Cyan = Schwarz Mischfarben/subtraktive Sekundärfarben: Rot, Grün, Blau Anwendung: Wasserfarben, Ölfarben
Fortsetzten könnten wir noch mit: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Integrierte Mischung, Weiß-Mischung, Bunt-Mischung, Schwarz-Mischung, Optische Mischung, Speed-Mischung, Grau Mischung, Nuancen-Mischung, Farbstoff-Mischung,
Grafik und Design
211
Die intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Farbmischung würde den Rahmen des Kapitels sprengen. Hier empfiehlt es sich mit Küppers Farblehre zu arbeiten, da in dieser Literatur auch entsprechend anspruchsvolle Farbtafeln zur Verfügung stehen.4
4.5 Gestalterischer Aspekt 4.5.1
Die Anwendung der Farben durch den Gestalter
Der Gestalter beschäftigt sich nicht nur aus Spaß mit der Farbenlehre, sondern weil er die Farben entsprechend der ihm gestellten Aufgabe richtig einsetzten muss. Folgende Gestaltungsmittel stehen uns beim Einsatz der Farben zur Verfügung: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
die Farbkontraste, die Farbharmonien, die Phänomene, die sich beim Zusammenstellen bestimmter Farben ergeben, die Wirkung der Farben auf unser Gemüt, die mit den Farben verbundene Symbolik.
4.5.2
Farbkontraste
Unter dem Begriff Farbkontraste verstehen wir Farbzusammenstellungen, die einerseits unterschiedliche, gegensätzliche Richtungen aufweisen, sich aber andererseits ergänzen und anziehen. Wir unterscheiden fünf Farbkontraste: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
hell – dunkel (Helligkeit), warm – kalt (Temperatur), leuchtend – stumpf (Sättigung), bunt – unbunt (Buntheit), viel – wenig (Menge).
Bei der Kontrastlehre geht es also immer um eine Eigenschaft, die zum Ausdruck gebracht werden soll. Empfindungen und Gefühle lösen wir durch Gegensätze aus Eine Farbe gewinnt also an Ausdruckskraft, wenn sie mit ihrer Gegenfarbe in Verbindung gebracht wird: Weiß wird mit Schwarz weißer.
4.5.3
Farbharmonien
Farbharmonien sind Gesetzmäßigkeiten bzw. Ordnungen, welche die beteiligten Farben zusammen aufweisen: 4
Küppers (1987)
212 ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Tamara Huhle die Gegensätze, die Helligkeit, die Trübung, die Farbtönung, die Gleichabständigkeit (im Farbkreis).
Somit harmonieren zwei Farbtöne aufgrund ihrer gegensätzlichen Beziehung (hell – dunkel, warm – kalt, leuchtend – stumpf, bunt –unbunt) und aufgrund ihrer inneren Verwandtschaft (gleiche Helligkeit, gleiche Trübung, gleicher Farbton).
4.5.4
Phänomene
4.5.4.1 Simultanwirkung Jeder Farbton wird von seiner direkten Umgebung unmittelbar beeinflusst. Beispiel: Ein neutrales Grau wirkt auf einem roten Hintergrund grünlich, auf gelben Hintergrund bläulich und auf grünem Hintergrund rötlich. Darum muss bei der Beurteilung einer Farbe der Hintergrund neutral (unbunt bzw. grau) gehalten werden. Schwarz eignet sich am besten. Aus dieser Erkenntnis heraus muss der Farbton immer in der Umgebung beurteilt werden, in welcher er später zu stehen kommt (leider selten realisierbar).
4.5.4.2 Sukzessivwirkung Fixiert man über längere Zeit den gleichen Farbton, tritt eine Überreizung der Rezeptoren auf. Eine Gegenwirkung setzt ein und ein Nachbild entsteht. Dieses Phänomen tritt z.B. beim Lesen von farbigem Text ein. Das Resultat ist eine gewisse Unruhe in den Augen und somit eine erschwerte Textaufnahme. Aus diesem Grunde sollten größere Textmengen weder eingefärbt noch auf allzu bunten Hintergrund gestellt werden.
4.5.4.3 Flimmereffekt Dieser tritt dann auf, wenn zwei Primärfarben direkt aneinander stoßen. Am Übergang von der einen Farbe zur anderen „flimmert“ es, der Übergang ist nicht deutlich erfassbar. Beispiele: Rot-Grün, Rot-Blau, Blau-Grün.
4.5.5
Der Einfluss der Farben auf die Sinnesorgane
Um Farbe zum Beispiel gezielt in der Werbung einzusetzen, muss der Gestalter die Wirkung und Einflüsse der Farben auf unsere Sinnesorgane kennen. Dabei ist zu beachten, dass nicht absolute Werte bzw. Gesetzmäßigkeiten festgelegt werden können, sondern nur allgemeine
Grafik und Design
213
Richtlinien. Denn die Wirkung einer Farbe ist beeinflusst durch die Umgebung, in der wir uns gerade befinden, durch unsere momentane Stimmung, durch das Licht und nicht zuletzt durch die tägliche Beeinflussung, der wir ausgesetzt sind. Unterschiede also, die nicht ausschließlich durch verschiedene Kulturen und Religionen entstehen. Die Farben können folgende Faktoren beeinflussen: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Geschmack (süß, bitter, sauer, salzig), Geruch (wohlriechend, herb, scharf, parfümiert, süßlich, übel riechend), Beschaffenheit (fest, flüssig, pulverförmig, hart, weich), Gewicht (leicht, schwer, schwebend, lastend), Temperatur (warm, kalt, heiß, feucht, trocken), Klang (hell, laut, tief, leise, dumpf), Form (rund, eckig, breit, schmal, einfach, kompliziert), Größe (klein, groß, formatsprengend).
Die Assoziation durch Farbe auf die oben genannten Begriffe ist für den Gestalter wichtig, allerdings gelten keine objektiven Regeln, wie welche Farbe genau auf den potenziellen Betrachter wirkt. Dies kann nur „erhofft“ werden.
4.5.6
Die Symbolik der Farben
Der Inhalt und die Bedeutung eines Farbeindruckes (Symbolik) werden von verschiedenen Dingen beeinflusst und lassen sich nicht ohne weiteres bestimmen. Je nach Umwelteinflüssen, Kulturkreis, Religion, Erziehung und Sensibilität jedes Einzelnen löst eine Farbe in uns ein entsprechendes Gefühl aus. Für unsere Gesellschaft und unseren Kulturkreis lassen sich vor allem für die Primär- und Sekundärfarben allgemeingültige Aussagen über die Symbolik der Farben machen: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Gelb: Sonnenlicht, Helligkeit, stechend, spitzig, giftig, gefährlich, lebendig, aufdringlich, leicht, aktiv, Magenta: Religiosität, traurig, unnatürlich, kämpferisch, störend, romantisch, eindringlich, eigenwillig, irrational, geheimnisvoll, Cyan: Kälte, klar, streng, unruhig, oberflächlich, weit, erfrischend, transparent, ungewiss, zufrieden, befriedigt, Rot: Wärme, Feuer, Blut, Spannung, Gefahr, Chaos, Gewalt, auffällig, hingebend, kraftvoll, glühend, leuchtend, aktiv, dynamisch, leidenschaftlich, Grün: Natur, Freiheit, beruhigend, zurückhaltend, still, lebendig, ausgeglichen, angenehm, frisch, sicher, unpersönlich, repräsentierend, Blau: Himmel, unendlich, offen, frei, edel, geheimnisvoll, dunkel, tief, still, unauffällig, tiefsinnig, entspannend, zufrieden, Weiß: Sauberkeit, leer, nichts, grell, Reinheit, kalt, unendlich, ewig, unbegrenzt, Fülle, alles, laut,
214 ▪ ▪
Tamara Huhle Grau: Alltag, schmutzig, lieblos, abweisend, schlank, anpassungsfähig, gleichgültig, trostlos, unbestimmt, neutral, Schwarz: Angst, Tiefe, dunkel, elegant, seriös, Tod, trauernd, Ewigkeit, schwer, magisch, Ruhe, unglücklich.
Die erwähnten Begriffe sind das Ergebnis vieler Tests. Wie oben bereits vermerkt, haben diese Wörter nur eine allgemeingültige Richtigkeit. Im Detail können sie sogar Gegensätzlichkeiten aufweisen. In den nachfolgenden Literaturempfehlungen gibt es ausführliche Dokumentationen über Geschichte, Farbmodelle und Wirkungsweise der Farben, die sich historisch und nach Kulturkreiszugehörigkeit verändern.
5
Typografie und Schriftentwicklung
5.1 Begriffe und Definitionen Type: Gegossener Druckbuchstabe aus Blei, auch Letter genannt. Typograf: Im landläufigen Sinn ist hier der Beruf des Schriftsetzers gemeint, also jemand der sich mit Schriften und deren Verwendung auskennt. Typografie: Der Begriff Typografie ist aus zwei Worten zusammengesetzt, die beide ihren Ursprung im Griechischen haben: „typos“ bedeutet „Gepräge“ (das Geprägte) oder „Form“ und geht auf „typtein“ – „schlagen“ – zurück. Das zweite Wort ist „graphein“ und heißt „schreiben“. Das griechische „typos“ wurde im Lateinischen zu „typus“ und im Deutschen zu „Typ“. Demnach können wir den Begriff Typografie mit „Typen schreiben“ übersetzen, was anders ausgedrückt auch „mit Lettern schreiben“ heißen könnte. Heute verbindet man den Begriff Typografie nicht mehr nur mit der Schriftsetzerkunst. Man kann auch darunter die Schriftgestaltung oder sogar die Gestaltung bzw. die Ausstattung eines Druckwerkes verstehen. Typografie ist die Lehre des Gestaltens einer Drucksache, um eine optimale Lesbarkeit zu erzielen. Die Kunst dabei ist der Umgang mit den Gestaltungsmitteln Schrift, Linie, Fläche, Grafik und Bild und ihre harmonische Anordnung auf einem ausgewählten Format.
5.2 Typografische Gestaltung Das Gestalten von Drucksachen oder medialen Produkten beinhaltet verschiedene Tätigkeiten: kreatives Denken, handwerkliches Können gepaart mit guten Deutsch- und/oder Fremdsprachenkenntnissen, Computerhandling und das Wissen um die Produktionsabläufe in der Druck- oder verarbeitenden Industrie. Dies alles macht das Gestalten anspruchsvoll und nie eintönig. Das Gestalten ist also ein Entwicklungsprozess, der als Endprodukt ein (mehr oder weniger) gelungenes gestalterisches Werk zum Ziel hat. Dieser Prozess umfasst: ▪
die Entwicklung einer Vorstellung über das fertige Produkt und dessen Ausstattung (Papier, Format, Satzspiegel, Gestaltungsraster, Schrift, Farbigkeit, Verarbeitung etc.),
Grafik und Design ▪
▪ ▪
215
die Erstellung der Manuskripte bzw. die Recherche zum Thema; dazu gehören auch oft Marktanalysen, die Erarbeitung von Marketingkonzepten und Strategieplanungen, Anfertigung von Ideenskizzen oder Scribbles (heute auch oft schon am Computer erstellte Vorentwürfe), sie dienen als Kommunikationshilfe zwischen dem Auftraggeber und dem Gestalter, die Vergabe von Fremdarbeiten: Fotografie, Musikkomposition, Film- oder Videoerstellung etc, die Ausführung der Entwürfe bis zum fertigen (druck- oder bildschirmreifen) Layout.
5.3 Typografische Maßeinheiten Als erster definierte der Pariser Schriftgießer Pierre Simon Fournier 1737 ein typografisches Maßsystem auf der Grundlage des englischen bzw. amerikanischen Fußes (304,8 mm). Demnach war der 12. Teil eines Fußes das Zoll bzw. Inch (25,4 mm), der 12. Teil eines Zolls ist die Linie (2,1 mm) und der 6. Teil einer Linie ist der Punkt (0,3527 mm). Diese Festlegung wurde 1785 von dem Schriftgießer François Didot und seinem Sohn Firmin Didot aufgegriffen. Sie legten allerdings als Bezugsgröße die Länge des französischen Fußes (324,9 mm) fest. 1879 stimmte der Berliner Schriftgießer Hermann Berthold im Auftrag aller deutschen Schriftgießereien das typografische Maßsystem auf das metrische System ab. Im Jahre 1979 hat der Bundesverband Druck gerundete Werte für den (deutschen) Punkt vorgeschlagen, so dass aus 0,3759 mm nun 0,375 mm wurden. Somit gilt heute: ▪ ▪
1 Punkt (p) = 0,375 mm 1 Cicero = 12 Punkt
In den heutigen Grafik- und Satz- bzw. Layoutprogrammen ist die englisch/amerikanische Maßeinheit auf der Grundlage des Zolls/Inches hinterlegt: ▪ ▪ ▪
1 Point (pt) = 0,3527 mm 1 Pica = 12 Point 1 Konkordanz = 4 Pica oder 4 Cicero
5.4 Die Wirkung der Schriften – der Schriftcharakter „Der Typograf, der die speziell für eine Drucksache geeignete Schrift nicht gefunden hat, hat zwar den Informationsgehalt des Textes nicht gemindert, er hat jedoch eine Möglichkeit vergeben, den Wirkungsgrad des Textes beträchtlich zu erhöhen!“5
Weise Worte, die den Nagel auf den Kopf treffen, wenn es darum geht, die richtige Schrift für eine spezielle Arbeit zu finden. Um Schriften nach ihrer Wirkung zu beurteilen und gezielt 5
media (2000)
216
Tamara Huhle
einzusetzen gibt es einige Anhaltspunkte, die uns dabei helfen, die richtige Schrift für die jeweilige Aufgabe zu finden. Wir unterteilen den Schriftcharakter nach den Aspekten: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Form weich/rund – hart/eckig, anmutig – technisch, weiblich – männlich, lesefreundlich – nicht lesefreundlich, vermittelnd – aggressiv. Zeitgeist konservativ – modern, traditionell – avantgardistisch, alt – neu, geschichtlich – futuristisch, bewahrend – erneuernd. Auffälligkeit langweilig – abwechslungsreich, abgegriffen – frisch, wertlos – kostbar, still – schreierisch, alltäglich – selten, nivellierend – auffällig. Dynamik würdevoll – stillos, statisch – dynamisch, tot – lebendig, schwerfällig – leichtfüßig.
Jeder Aspekt enthält eine Anzahl von Adjektivpaaren, die gegensätzliche Pole bilden. Die Wortpaare können selbstverständlich erweitert oder gekürzt werden. Innerhalb eines jeden Aspektes kann eine Werteskala erstellt werden. Schriften mit Serifen gelten als anmutiger gegenüber den serifenlosen, die eher technischen Charakter besitzen. Kursive wirken dynamischer als geradestehende und fette Schnitte sind träger als dünne. Eine Variation in der Strichstärke wirkt eleganter, als wenn alle Striche gleich dick sind. Über Buchstabe, Schriftarten, Schriftcharaktere, Satzspiegel, Layout etc. gibt es unzählige Schriftwerke, angefügte Literaturen geben einen kleinen Auszug davon.
Grafik und Design Abbildung 18:
6
217
Schriftbeispiele
Das Corporate Design
Zum Abschluss des Kapitels noch eine Zusammenfassung in welchem Bereich all diese Gestaltungsmittel ein Handwerkszeug des Designers darstellen: beim Corporate Design. Corporate Design, auch als Erscheinungsbild des Unternehmens bezeichnet, ist einen Teilbereich der Corporate Identity und beinhaltet sowohl die Gestaltung der Kommunikationsmittel (Firmenzeichen, Werbemittel, Geschäftspapiere Verpackungen und anderes bis hin zum Produktdesign). Die Gestaltung aller Elemente des Corporate Design geschieht unter einheitlichen Gesichtspunkten wie Farben, Schrift, Formen, um bei jedem Auftreten einen Widererkennungseffekt zu erreichen. Das bedeutet zumeist, dass die Firmenfarben, ebenso wie das Firmenlogo oder ein anderes (beispielsweise geometrisches) Grundmotiv sich auf allen Kommunikationsmitteln befinden und sich nach festen Vorgaben richten. Ebenfalls Bestandteil des Corporate Designs kann eine konsequent verwendete Schriftart (Corporate Type) sein. Das Corporate Design findet oft auch bei den internen Kommunikationsmitteln Verwendung, damit auch Angestellte sich mit der Firma identifizieren und das Image des Unternehmens nach Außen tragen. Um eine möglichst effiziente Implementierung eines Corporate Designs gewährleisten zu können, werden die einzelnen visuellen Basiselemente sowie exemplarische Anwendungen in Form eines Corporate-Design-Handbuches dokumentiert und den Nutzern (wie Mitarbeitern, Partnern, Druckereien, Werbeagenturen) zur Verfügung gestellt. Als Erfinder des Corporate Designs gilt Peter Behrens, der zwischen 1907 und 1914 als künstlerischer Berater für die AEG zum ersten Mal ein einheitliches Unternehmens-Erscheinungsbild eingeführt hat.
218
Tamara Huhle
Abbildung 19:
Beispiele
Briefbogen
Türschild
Visitenkarte
Literaturverzeichnis Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen, Frankfurt am Main 1976 media GmbH Stuttgart (Hrsg.): Seminarunterlagen für Typografie, Band 1, Stuttgart 1999 media GmbH Stuttgart (Hrsg.): Theoretische Grundlagen für Mediengestalter, Band 1 und 2 Stuttgart 2000
Weiterführende Literatur Fröbisch, Dieter K.: MultiMediaDesign: Das Handbuch zur Gestaltung interaktiver Medien, München 1997 Kiehn, Anja: Typographie interaktiv! Berlin/Heidelberg 1998 Küppers, Harald: Farbe, München 1987 Paasch, Ullrich: Informationen verbreiten, Itzehoe 2004 Parramon, Josè M.: Das Große Buch der Farben, Würzburg 1993 Turtschi, Ralf: Praktische Typografie, Sulgen (Schweiz) 1994
4 Medienrecht
Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland Johannes Handschumacher
1
Der Staat
Das Staatsrecht ist die Lehre vom Recht des Staates, also insbesondere vom Staatsaufbau und seinen rechtlichen Rahmenbedingungen. Eingeschlossen sind aber auch alle weiteren Regelungskomplexe, die den Aufbau des Staates bestimmen, einschließlich derjenigen Rechtsnormen, die Aufgaben, die Befugnisse und die Tätigkeiten der obersten Staatsorgane betreffen. Das Staatsrecht ist ein Teilrechtsgebiet des Verfassungsrechts. Ob und wann ein Staat existiert, also die Definition des Staates, umfasst drei wesentliche Elemente. Die Mindestbestandteile eines Staates sind ▪ ▪ ▪
das Staatsvolk, das Staatsgebiet, die Staatsgewalt.
1.1 Staatsvolk Die Gesamtheit aller Staatsgehörigen bildet das Staatsvolk. Wer Staatsangehöriger ist oder unter welchen Umständen jemand Staatsbürger wird, regelt sich nach dem Staatsangehörigenrecht des einzelnen Staates. Für die Bundesrepublik Deutschland sieht Art. 16 GG vor, dass Deutscher i. S. des Grundgesetzes derjenige ist, „wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden hat“. Die deutsche Staatsangehörigkeit knüpft also, anders als das Territorialprinzip, an das sog. Abstammungsprinzip an. Eine andere Möglichkeit als durch Abstammung die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen ist die Einbürgerung. Für alle Staatsbürger bestimmt Art. 33 GG, dass jeder Deutsche in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten hat. Hierzu zählen z. B. einerseits die Steuerpflicht oder andererseits das Wahlrecht. Gem. Art. 16 GG darf die deutsche Staatsbürgerschaft nicht ohne weiteres entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur aufgrund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
222
Johannes Handschumacher
1.2 Staatsgebiet Das Staatsgebiet eines jeden Staates wird bestimmt durch seine Grenzen. Es ist die Zusammenfassung von geographischen Räumen, innerhalb derer eine gemeinsame Rechtsordnung herrscht. Der Verlauf der Grenzen richtet sich nach völkerrechtlichen Verträgen und Grundsätzen. Innerhalb seiner Grenzen übt der jeweilige Staat seine Gebietshoheit aus. Der sog. positive Inhalt dieser Gebietshoheit ist die Einwirkungsmöglichkeit auf Personen und Sachen, die sich auf dem Staatsgebiet befinden. Der sog. negative Inhalt der Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt ist das Verteidigungsrecht gegen Angriffe von außen zum Schutz seiner territorialen Integrität. Der Bereich, in dem der Staat seine hoheitliche Gewalt ausübt, erstreckt sich auch in den Luftraum und unter die Erdoberfläche (Bodenschätze). Das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland setzt sich zusammen aus 16 Bundesländern, so dass das gesamte Staatsgebiet sowohl Landesgebiet als auch Bundesgebiet ist.
1.3 Staatsgewalt Drittes Element eines Staates ist die Staatsgewalt, also die tatsächliche Herrschaftsmacht, die ein Staat auf seinem Territorium ausübt. Der Staat muss den Willen haben, diese Macht auszuüben und die Möglichkeit, dies auch tatsächlich zu tun. Ist die Machtbefugnis des einzelnen Staates nicht originär, leitet sie sich z. B. von einem fremden Staat ab, so liegt im eigentlichen Sinne keine Staatsgewalt vor. Seine Herrschaftsmacht kann der Staat nötigenfalls auch mit Zwang ausüben. Dem gegenüber sind Bürger oder Bevölkerungsteile nicht berechtigt, diese Macht auszuüben oder Gewalt anzuwenden. Das sog. Gewaltmonopol liegt mithin beim Staat selbst. Art. 20 Abs. 2 GG bestimmt hinsichtlich der Staatsgewalt für die Bundesrepublik Deutschland, dass diese vom Volk ausgeht. Hiermit ist die sog. Volkssouveränität festgelegt, also das Letztbestimmungsrecht des Volkes über den Staatswillen.
2
Nationale (europäische) Rechtsquellen
2.1 Grundlagen 2.1.1
Rechtsquellen
Die Rechtswirklichkeit wird bestimmt durch die Geltung von Rechtssätzen bzw. Rechtsnormen. Hieraus leitet das Recht seine Geltung zur Regelung menschlichen Zusammenlebens in allen Lebensbereichen ab. Die Rechtsquellen kann man grob in drei Kategorien unterteilen. Zunächst ist die wichtigste Rechtsquelle das Gesetz (formell und materiell). Weitere Rechtsquellen sind das sog. Gewohnheitsrecht, und, wenn auch differenziert zu betrachten, das sog. Richterrecht. Durch letzteres wird das geschriebene Recht weiterentwickelt und werden, falls notwendig, Gesetzeslücken geschlossen.
Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland
223
Das Gewohnheitsrecht spielt in Deutschland, anders als beispielsweise im angloamerikanischen Rechtsraum, nur eine untergeordnete Bedeutung.
2.1.2
Das Gesetz
a) In der deutschen Rechtsordnung finden vor allem geschriebene Gesetze Anwendung. In der Regel besteht ein Rechtssatz in Form einer Gesetzesnorm aus einem Tatbestand, der einen abstrakten Lebenssachverhalt beschreibt und der anschließend formulierten Rechtsfolge, die dann eintritt, wenn der Tatbestand in all seinen Einzelheiten (Tatbestandsmerkmale) verwirklicht wurde. Beispiele: § 433 BGB: „Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen.“ Hier ist der Tatbestand das Vorliegen eines Kaufvertrages. Wurde ein solcher geschlossen, so trifft den Verkäufer als Rechtsfolge die Verpflichtung zur Übergabe und Übereignung der verkauften Sache. § 8 UrhG: „Haben mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen, ohne das sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, so sind sie Miturheber des Werkes.“ Hier ist der Tatbestand das Vorliegen eines urheberrechtlich geschützten Werkes, was mehrere gemeinsam geschaffen haben, sowie der Umstand, dass sich die einzelnen Anteile nicht gesondert verwerten lassen. Dies hat zur Rechtsfolge, dass alle diejenigen, die einen Beitrag zur Schaffung des Werkes geleistet haben, Miturheber sind. Ob im Einzelfall tatsächlich ein wirksamer Kaufvertrag vorliegt oder ob ein gemeinsames Werk i. S. d. Urheberrechts geschaffen wurde, und ob in jedem Fall die formulierte Rechtsfolge eintritt, wird im konkreten Konfliktfall durch ein richterliches Urteil in Anwendung der konkreten Rechtsnorm auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt entschieden.
2.1.3
Rangordnung
In einem Rechtsstaat haben die Rechtsquellen eine unterschiedliche Rangordnung und einen räumlich, sachlich, persönlich oder zeitlich unterschiedlichen Geltungsbereich. a) An erster Stelle der nationalen Rechtsnormen steht das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Ihm nachgeordnet sind die einfachen Bundesgesetze. Dem Grundgesetz ebenfalls nachgeordnet sind die Landesverfassungen und die einfachen Landesgesetze. b) Neben den Bundes- und Landesgesetzen gibt es noch Rechtsverordnungen, die aufgrund von gesetzlichen Ermächtigungen durch die Exekutive und nicht durch die Legislative erlassen werden. Sie haben Gesetzescharakter, stehen im Rang aber unter dem formellen Gesetz (vgl. Art. 80 GG).
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Johannes Handschumacher
c) Zu erwähnen sind noch Satzungen. Sie enthalten Regelungen für Körperschaften, wie z. B. Gemeinden oder Universitäten zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Satzungen haben Gesetzescharakter. Die Berechtigung zum Erlass einer Satzung ergibt sich aus dem Selbstverwaltungsrecht der jeweiligen Körperschaft. d) Eine besondere Bedeutung haben die sog. Staatsverträge. Sie können nicht nur bilateral bzw. multilateral zwischen zwei oder mehreren Staaten geschlossen werden. Auch die Bundesländer untereinander haben die Möglichkeit, Staatsverträge abzuschließen. Durch ein sog. Transformationsgesetz wird der Inhalt eines solchen Staatsvertrages zum Inhalt eines Landesgesetzes. Ein Beispiel für einen solchen Staatsvertrag ist der Rundfunkstaatsvertrag zwischen allen 16 Bundesländern, mit dem das Rundfunkrecht bundeseinheitlich geregelt wurde.
2.2 Abgrenzung Privatrecht/öffentliches Recht Das deutsche Recht wird unterteilt in zwei Hauptzweige, auf der einen Seite das Privatrecht und auf der anderen Seite das Öffentliche Recht.
2.2.1
Privatrecht
Von Privatrecht spricht man dann, wenn sich in dem jeweiligen Rechtsverhältnis die beteiligten Personen (Rechtssubjekte) gleichgeordnet und selbstbestimmt, also quasi auf gleicher Augenhöhe gegenüber stehen. Das ist z. B. der Fall, wenn zwei Personen einen Vertrag miteinander abschließen oder mehrere Personen eine Gesellschaft gründen. Die wichtigste Rechtsquelle des Privatrechts ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Daneben gibt es eine Vielzahl von Sonderrechtsgebieten des Privatrechts, z. B. das Handelsrecht oder das Gesellschaftsrecht. Aber auch weite Teile des Medienrechts, so z. B. das Urheberrecht, auch wenn es einige Strafvorschriften enthält, sind dem Privatrecht zuzuordnen.
2.2.2
Öffentliches Recht
Dem gegenüber sind dem öffentlichen Recht diejenigen Rechtsbereiche zuzuordnen, bei denen der Bürger einem Träger hoheitlicher Gewalt in einem Über-/Unterordnungsverhältnis gegenüber steht. Das Öffentliche Recht enthält Vorschriften, die die Organisation des Staates und anderer hoheitlich Handelnder regeln bzw. das Verhältnis der Verwaltungsträger untereinander regeln. Dem öffentlichen Recht sind neben dem Verfassungsrecht beispielsweise Rechtsgebiete wie das Verwaltungsrecht, das Steuerrecht, das Hochschulrecht oder das Rundfunkrecht zuzuordnen. Eine Sonderstellung im öffentlichen Recht nimmt das Strafrecht ein. Strafverfolgung und Strafrechtspflege sind kein Verwaltungshandeln, sondern haben die Verwirklichung des materiellen Strafrechts in einem geregelten Strafverfahren zum Ziel.
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Wichtigste Rechtsquelle des öffentlichen Rechts ist das Grundgesetz. Es ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und regelt zum einen das Verhältnis des Individuums zum Staat, indem es Grundrechte festschreibt und zum anderen die grundlegende Staatsorganisation der Bundesrepublik. Wichtigste Rechtsquellen des Strafrechts sind das Strafgesetzbuch (StGB) und die Strafprozessordnung(StPO).
2.3 Das Grundgesetz 2.3.1
Gliederung des Grundgesetzes
Das Grundgesetz ist ein sog. „Artikel-Gesetz“. Es gliedert sich auf in insgesamt 12 Teile und enthält zurzeit ca. 160 Artikel. Die wesentlichen Regelungsbereiche des Grundgesetzes sind ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
die Grundrechte (Art. 1 – 19), Bund und Länder (Art. 20 – 37), der Bundestag (Art. 38 – 48), der Bundesrat (Art. 50 – 53 a), der Bundespräsident (Art. 54 – 61), die Bundesregierung (Art. 62 – 69), die Gesetzgebung des Bundes (Art. 70 – 82), die Ausführung von Bundesgesetzen und die Bundesverwaltung (Art. 83 – 91), die Rechtsprechung (Art. 92 – 104), das Finanzwesen (Art. 104 a – 115), der Verteidigungsfall (Art. 115 a – 115 l) und Übergangs- und Schlussbestimmungen (Art. 116 – 146).
2.3.2
Exkurs: Die Grundrechte
Der erste und wichtigste Teil des Grundgesetzes enthält in Art. 1 bis 19 GG den Katalog der einzelnen Grundrechte und Regelungen zu der Frage, in welcher Weise und unter welchen Umständen diese eingeschränkt werden dürfen. Art. 19 GG sieht diesbezüglich grundlegend vor, dass eine Einschränkung von Grundrechten nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen darf und dass dieses Gesetz zwingend „allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten“ darf. Außerdem muss das Gesetz „das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen“. Grundrechte werden auch nicht vom Staat geschaffen oder in sonstiger Weise durch das Individuum erworben, sondern der Verfassungsgeber unterstellt die Geltung der „Menschenrechte“, die jedem Individuum innewohnen und unveräußerlich sind. Indem diese Grundrechte im Grundgesetz aufgezählt sind, wird ihre Geltung durch die Bundesrepublik Deutschland verbindlich anerkannt. Welch hohen Stellenwert der Grundrechtskatalog hat,
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lässt sich aus der Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG ersehen, der unmissverständlich vorschreibt: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche … die in den Art. 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig“ (Ewigkeitsgarantie).
2.3.3
Das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit
Die Geltung der Grundrechte soll am Beispiel des Art. 5, Meinungs- und Pressefreiheit, verdeutlicht werden. Art. 5 sieht vor, dass jeder das Recht hat „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Art. 5 Abs. 2 GG formuliert weiter: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Art. 5 GG formuliert also nicht nur das Recht seine Meinung frei zu äußern, sondern enthält einen wesentlich weitergehenden Regelungsbereich. Neben der allgemeinen Meinungsfreiheit ist z. B. festgelegt, wie die Meinung geäußert werden darf, nämlich in Wort, Schrift und Bild und zwar nicht nur privat, sondern insbesondere auch im öffentlichen Raum. Darüber hinaus wird die Informationsfreiheit gewährleistet, also die freie Informationsbeschaffung aus allgemein zugänglichen Informationsquellen. Des Weiteren trifft Art. 5 GG die Festlegung der Pressefreiheit sowie die sog. Institutsgarantie der „Freien Presse“. Träger dieses Grundrechts sind somit alle im Pressebereich tätigen Personen und Unternehmen. Art. 5 GG gewährleistet auch die Möglichkeit der Gründung von Presseorganen frei von staatlichen Einflüssen. Schließlich wird auch die Rundfunkfreiheit und Filmfreiheit festgeschrieben. Ausdrücklich untersagt ist die Zensur, wobei hierunter nur die sog. „Vorzensur“ zu verstehen ist, also ein Eingriff vor Herstellung und Verbreitung. Art. 5 Abs. 2 GG sieht dem gegenüber vor, dass die Meinungs- und Pressefreiheit nicht uneingeschränkt gilt, sondern eingeschränkt werden kann, wo sie mit dem Schutz von Gemeinschaftswerten kollidiert bzw. mit dem Recht des Einzelnen auf Schutz seiner persönlichen Ehre. Welches Recht im Einzelnen Vorrang hat, ist im Wege einer Güteabwägung vorzunehmen. Insoweit unterliegen auch die Grundrechte und deren Auslegung einem ständigen Anpassungsprozess an die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, wobei der Kernbestand der Grundrechte, wie bereits ausgeführt, unangetastet bleiben muss und nicht ausgehöhlt werden darf.
2.4 EU-Recht Die deutsche Rechtswirklichkeit wird neben den nationalen Gesetzen wesentlich mitbestimmt durch das EU-Recht. Die Europäische Union als supernationale Organisation hat durch die
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Mitgliedsstaaten eine Reihe von Rechten, die ursprünglich bei den souveränen Staaten lagen, übertragen bekommen. Die EU nimmt daher eigene Rechtsetzungskompetenz in vielfältiger Weise war. Sie erlässt ▪ ▪ ▪ ▪
Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen.
Verordnungen haben Gesetzescharakter und gelten unmittelbar für jeden Mitgliedsstaat. Richtlinien hingegen sind in nationales Recht umzusetzen, und zwar innerhalb bestimmter Fristen. Geschieht dies nicht, so können sie unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Gesetzesgeltung erlangen. Rechtsgrundlage für den Erlass von Verordnungen und Richtlinien ist Art. 249 EGVertrag. Oberste Rechtsprechungsinstanz ist der europäische Gerichtshof (EuGH). Er hat insbesondere die Aufgabe, für die einheitliche Auslegung des europäischen Rechts Sorge zu tragen.
3
Staatsverfassung der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Staatsstruktur der Bundesrepublik Deutschland Die grundsätzliche Festlegung, welche Staatsform Deutschland hat, erfolgt neben der Aussage, die die Präambel des Grundgesetztes trifft und dem Bekenntnis in Art 1 GG, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, in Art 20 GG. Dort heißt es in Absatz 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat“. Absatz 2 legt weiter fest „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Schließlich legt Absatz 3 fest: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden.“ Zusammengefasst bestimmt Art 20 GG somit folgende Staatsformmerkmale: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Demokratie Rechtsstaat Sozialstaat Republik Bundesstaat
Die Festlegungen des Art 20 GG, auch als „kleines Grundgesetz“ bezeichnet, erschöpfen sich aber nicht nur in der Beschreibung dieser Staatsformmerkmale, sondern es sind auch Staatszielmerkmale, die zu verwirklichen sind. Sie dienen zur Auslegung des Grundgesetzes und bestimmen somit maßgeblich Inhalt und Grenzen der Grundrechte.
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3.1.1
Demokratieprinzip
3.1.1.1 Grundlagen Der Begriff „Demokratie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Herrschaft des Volkes“. Der Gedanke der Volksherrschaft ist zum einen geleitet von der Vorstellung der Gleichheit und Freiheit aller Bürger. Zum anderen, dass die Willensbildung der Gemeinschaft, in der heutigen Zeit des Staates, sich von dem Willen des gesamten Volkes ableitet und sich somit legitimiert. Abraham Lincoln hat es wie folgt ausgedrückt: „Regierung des Volkes, durch das Volk, für das Volk“. Demokratie wird daher auch als „Herrschaft der Mehrheit“ bezeichnet, wohlgemerkt nur auf Zeit. Ausgehend hiervon ist wesentliche Voraussetzung zur Verwirklichung des Demokratieprinzips, dass die Macht, die sich im demokratischen Rechtsstaat auf die drei Gewalten ▪ ▪ ▪
Gesetzgebung Regierung Rechtsprechung
und deren unabhängigen Organe verteilt, aus Wahlen hervorgeht. Durch Wahlen ist gewährleistet, dass die Mehrheit des Volkes den Macht ausübenden Organen Legitimität verleiht (Mehrheitsprinzip) und nicht eine Minderheit über die Mehrheit des Volkes dominiert. Gleichzeitig muss aber auch gewährleistet sein, dass sich eine Opposition etablieren kann, die die Möglichkeit hat, ihrerseits im Rahmen des demokratischen Wettstreits selbst die Mehrheit im Wege von Wahlen zu erringen.
3.1.1.2 Wahlen a) Hinsichtlich der in der Bundesrepublik regelmäßig in bestimmten Zeitabständen (Bundestagswahlen alle vier Jahre, Art 39 GG) durchzuführenden Wahlen sieht Art 38 GG vor, dass diese ▪ ▪ ▪ ▪
allgemein unmittelbar gleich geheim
sein müssen. Allgemein ist eine Wahl dann, wenn grundsätzlich für alle Bevölkerungsteile das aktive und passive Wahlrecht offen steht. Unmittelbarkeit der Wahl ist dann gegeben, wenn keine weitere Instanz zwischen der Stimmabgabe und den zu wählenden Mandatsträgern vorgesehen ist, z. B. sog. Wahlmänner, was die direkte Wirkung der Stimmabgabe unterlaufen würde.
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Frei und geheim ist eine Wahl dann, wenn sie ohne staatlichen oder privaten Zwang und ohne die Möglichkeit der Überwachung oder Ausforschung des Wahlvorgangs stattfindet (Wahlgeheimnis). Schließlich muss auch noch die Gleichheit der Wahl gewährleistet sein, d. h., jede Wählerstimme hat den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis, also den gleichen Erfolgswert (aktive Wahlrechtsgleichheit) und alle Kandidaten müssen die gleichen Wahlchancen haben (passive Wahlrechtsgleichheit). b) Da die Bundesrepublik Deutschland, im Gegensatz zu einer unmittelbaren oder auch Präsidialdemokratie eine repräsentative/parlamentarische Demokratie ist, werden gem. Art 38 GG die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die das Volk repräsentieren, in solchen Wahlen gewählt. Die Bevölkerung nimmt somit nicht unmittelbar an der Mehrheitsbildung teil. Die Abstimmungen im Bundestag unterliegen aber ihrerseits auch dem Mehrheitsprinzip. Art 42 Abs. 2 GG bestimmt, dass für Beschlüsse des Bundestages, soweit das Grundgesetz nicht ausdrücklich etwas anders bestimmt, die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist.
3.1.1.3 Parlamentsvorbehalt Schließlich ist noch der sog. „Parlamentsvorbehalt“ als weiteres Wesenselement einer parlamentarischen Demokratie zu erwähnen. Er besagt, dass alle wesentlichen Entscheidungen, insbesondere solche, die grundrechtsrelevant sind, durch das Parlament selbst zu beschließen sind (Wesentlichkeitsprinzip). Das Parlament darf sich seiner gesetzgeberischen Aufgabe also nicht entledigen, und die Entscheidungsgewalt an die Regierung delegieren. Es herrscht allerdings kein „Totalvorbehalt“ sondern nur hinsichtlich solcher Entscheidungen, die politisch von gewisser Relevanz sind.
3.1.1.4 Parteien Damit in einem großen Gemeinwesen, wie es die modernen Staaten in der heutigen Zeit sind, die Demokratie sowohl inhaltlich als auch praktisch funktionsfähig ist, ist die Existenz von politischen Parteien unerlässlich. Hierzu legt Art. 21 GG grundsätzlich fest, dass die Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Das Grundgesetz setzt das Vorhandensein von Parteien nicht nur als selbstverständlich und unerlässlich voraus. § 1 des Parteiengesetzes (PartG) beschreibt zusätzlich die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien als notwendigen Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Parteien genießen daher die Stellung eines „Verfassungsorgans“ ohne allerdings „Staatsorgan“ zu sein, da sie vom Staat unabhängig sind. § 2 PartG definiert, dass Parteien solche Vereinigungen von Bürgern sind, „die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen“ und im Hinblick auf ihre Organisation, Zahl der Mit-
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glieder etc. ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Für die politischen Parteien muss Gründungsfreiheit und Betätigungsfreiheit herrschen. Nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen, nämlich bei Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele, kann gem. Art. 21 Abs. 2 GG eine Partei durch Entscheidung des BVerfG verboten werden. Bei der inneren Struktur und Organisation der Parteien müssen diese demokratischen Grundsätze genügen (innerparteiliche Demokratie).
3.1.2
Rechtsstaatsprinzip
3.1.2.1 Grundlagen Rechtsstaatlichkeit kann im formellen wie im materiellen Sinne verstanden werden. Formale Rechtsstaatlichkeit bedeutet das Vorhandensein eines rechtlich verfassten und geordneten Staates zur Vermeidung von Willkür und Beliebigkeit, in dem die Einhaltung der Gesetze kontrollierbar ist. Materiellrechtlich verstanden bedeutet Rechtsstaatlichkeit den die Gerechtigkeit sichernden Staat. Durch das Grundgesetz sind sowohl formelle als auch materielle Rechtsstaatlichkeit gesichert. Das Grundgesetz will im Einzelnen ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
materielle Gerechtigkeit, Rechtsverbindlichkeit, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit, die Selbstbeschränkung des Staates durch die Garantie der Grundrechte die Bindung an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und die Gewaltenteilung.
Das Rechtsstaatsprinzip, in Abgrenzung zur staatlichen Willkür z. B. kommunistischer oder faschistischer Prägung, beinhaltet zusammengefasst die Elemente ▪ ▪ ▪
Geltung der Grundrechte, Gewaltenteilung, Bindung an Recht und Gesetz.
Fehlt es an diesen Wesensmerkmalen, dann ist die Freiheit und Gleichheit, also die Rechtsstaatlichkeit, für die im Gemeinwesen lebenden Bürger nicht mehr gewährleistet.
3.1.2.2 Geltung der Grundrechte Der Rechtsstaat ist grundsätzlich gehalten, die Rechtsgüter seiner Bürger nicht oder nur bei Einhaltung strenger Bedingungen zu beeinträchtigen, und sich bei staatlichen Maßnahmen, die den Bürger in seiner Freiheit beeinträchtigen größtmögliche Zurückhaltung aufzuerlegen.
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Überflüssige und unverhältnismäßige Eingriffe, die außer Verhältnis zum gewünschten Erfolg stehen, sind zu vermeiden. Die Grundrechte bilden insoweit einen Katalog von unveräußerlichen Rechten, die der Staat bei seinem Handeln zu beachten hat und nur unter genau definierten Umständen einschränken darf, z. B. unter Berücksichtigung des Grundsatzes „gleich ist gleich und ungleich ist ungleich“ zu behandeln sowie unter Beachtung des sog. „Verhältnismäßigkeitsprinzips“. Unabhängig davon ist der Staat auch aufgefordert, dem Bürger Rechtsschutz bei Eingriffen von Dritten in den grundrechtlich geschützten Bereich des Einzelnen zu gewährleisten. Art. 1 Abs. 1 GG formuliert diese Aufforderung an den Rechtsstaat wie folgt: „Die Menschenwürde ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
3.1.2.3 Gewaltenteilung Der Staat übt seine Gewalt in vielfältiger Weise aus, z. B. durch Gesetzgebung, Verwaltung, Verteidigung, Repräsentation, Rechtsprechung oder Beziehung zu anderen Staaten. In Zeiten absoluter Monarchie waren diese Aufgaben in der Hand des einen absoluten Herrschers vereinigt. Gleiches geschieht in der Diktatur, wo durch einen Einzelnen bzw. eine kleine herrschende Schicht sämtliche Staatsfunktionen und sämtliche Staatstätigkeit gebündelt sind. Um solchen Herrschaftsmissbrauch zu vermeiden, bedarf es der Aufteilung von Herrschaftsbefugnissen und deren gegenseitige Kontrolle. Das Prinzip der Gewaltenteilung, entwickelt durch die Philosophen John Locke und Montesquieu, unterscheidet in die gesetzgebende, vollziehende und rechtsprechende Gewalt, auch bezeichnet als ▪ ▪ ▪
Legislative, Exekutive, Judikative.
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG formuliert diesen Grundsatz dergestalt, dass die Staatsgewalt, die grundsätzlich vom Volk ausgeht, durch „besonderer Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird. Zum Prinzip dieser Funktionstrennung gehört es auch, dass eine personelle Gewaltenteilung erfolgt (Inkompatibilität). So dürfen beispielsweise Mitglieder des Bundestages nicht gleichzeitig Mitglied des Bundesrates sein, da anderenfalls eine wirksame Kontrolle nicht möglich wäre. Deswegen bestimmt z. B. Art. 94 Abs. 1 Satz 3 GG, dass Richter des Bundesverfassungsgerichts weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören dürfen.
3.1.2.4 Bindung an Recht und Gesetz Art. 20 Abs. 3 GG bestimmt, das die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung sowie die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Recht und Gesetz gebunden sind.
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Hieraus ergeben sich für die drei staatlichen Gewalten folgende grundsätzlichen Verhaltungsmaßregeln. a) Gesetzgebung Für den Gesetzgeber bedeutet dies beispielsweise, dass nur hinreichend bestimmte und widerspruchsfreie Gesetze zu erlassen sind. Unzulässig sind grundsätzlich Gesetze mit rückwirkender Geltung zu verabschieden. Dies verstieße gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Hiervon darf allenfalls unter ganz besonderen Voraussetzungen abgewichen werden. Ein absolutes Rückwirkungsverbot besteht hinsichtlich Strafgesetzen. Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt ausdrücklich, dass eine Tat nur bestraft werden darf „wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde“. Schließlich ist es nicht zulässig, sog. „Einzelfallgesetze“ zu erlassen, auch wenn diesbezüglich Ausnahmen möglich sind, z. B. bei Verfahrens- oder Organisationsgesetzen. Im Hinblick auf die Einschränkung von Grundrechten sieht Art. 19 Abs. 1 GG aber ausdrücklich vor, dass wenn ein Grundrecht durch Gesetze oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt wird, das Gesetz allgemein „und nicht nur für den Einzelfall gelten“ darf. b) Exekutive Die ausführende bzw. vollziehende Gewalt ist in der Art an Recht und Gesetz gebunden, dass sie, wie auch der Gesetzgeber, die Geltung der Grundrechte zu beachten hat. Die Bindung beschränkt sich somit nicht lediglich auf geschriebene Gesetze, sondern z. B. auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das Völkerrecht oder auch EU-Recht. Des Weiteren hat die Regierung und die Verwaltung zu beachten, dass es für jedes staatliche Handeln eine gesetzliche Grundlage geben muss (Vorrang des Gesetzes). Dies gilt nicht nur für das den Bürger belastende staatliches Verwaltungshandeln, sondern auch für Begünstigungen, soweit damit die Belastung eines Dritten verbunden ist (z. B. die Subventionierung eines Wettbewerbers). c) Judikative Die Judikative als rechtsprechende Gewalt ist von Natur aus an Recht und Gesetz gebunden. Sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt. Durch die Rechtsprechung ist der Rechtsschutz gegenüber staatlicher Gewalt durch unabhängige Richter garantiert, ein Prinzip, dass gem. Art. 79 GG Verfassungsrang genießt. Durch die rechtsprechende Gewalt ist auch ein faires Verfahren und die Rechtsschutzmöglichkeiten im Rahmen des Privatrechts zu gewährleisten.
3.1.3
Republik
Die Rechtsform Deutschlands als Republik gewinnt vor allem in Abgrenzung zur Monarchie an Bedeutung.
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In der Monarchie hat das Staatsoberhaupt seine Macht in der Regel nicht durch Wahl, sondern durch dynastische, also familiäre oder erbliche Umstände, und selbst im Falle einer Wahl, auf Lebenszeit inne, was mit dem Prinzip „Macht auf Zeit“ nicht vereinbar wäre. Wie auch die übrigen Verfassungsgrundsätze des Art. 20 GG ist die Staatsform der Republik in Art. 79 Abs. 3 GG „abgesichert“. Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland ist also stets ein auf Zeit gewählter Repräsentant, nämlich gem. Art. 54 GG der Bundespräsident, der durch die Bundesversammlung auf die Dauer von fünf Jahren gewählt wird.
3.1.4
Bundesstaatsprinzip
Der Begriff Bundesstaat besagt, dass sich die Ausübung der Staatsgewalt aufteilt auf den Zentralstaat und seine ihm angehörenden Gliedstaaten. Hiervon ist zu unterschieden der sog. Einheitsstaat, der die Untergliederung in einzelne Gliedstaaten nicht kennt bzw. der sog. Staatenbund, der letztlich nur nach außen als Staatswesen auftritt, hingegen die Staaten nach innen aber souverän sind.
3.1.4.1 Bundesländer Das Bundesstaatsprinzip der Bundesrepublik Deutschland leitet sich sowohl aus Art. 20 Abs. 1 GG her, als auch aus Art. 28 GG, der festlegt, dass auch die „verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern“ den Grundsätzen der republikanischen, demokratischen und des sozialen Rechtsstaats i. S. d. Grundgesetzes entsprechen muss. Schließlich ist nicht nur in der Überschrift des 2. Abschnitts des Grundgesetzes die Rede von „dem Bund und den Ländern“, sondern auch in zahlreichen weiteren Vorschriften wird die Existenz von Bundesländern vorausgesetzt. So ist in Art. 30 GG die Funktion der Länder derart beschrieben, dass sie zur Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben berufen sind, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
3.1.4.2 Historie Die Aufteilung des Bundesgebiets in Bundesländer ist historisch bedingt. Bereits das Deutsche Reich bestand nach seiner Gründung 1871 in Form eines Bundesstaates, ebenso seine Rechtsnachfolgerin, die Weimarer Republik. Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurde die bundesstaatliche Ordnung durch die Bildung der Bundesländer in Westdeutschland wiederhergestellt. Im Vorgriff auf die Wiedervereinigung im Jahre 1990 wurden schließlich zunächst auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die fünf neuen Bundesländer gegründet (Ländereinführungsgesetz), die dann mit Wirkung vom 03.10.1990 entstanden und der Bundesrepublik beitraten. Die Präambel des Grundgesetzes wurde infolge dessen geändert und lautet nunmehr dergestalt, dass die Deutschen in den 16 Bundesländern „in freier Selbstbestimmung die
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Freiheit Deutschlands vollendet haben“, und dass das Grundgesetz für das gesamte deutsche Volk gilt. Die Aufgabenverteilung von Bund und Ländern ist differenziert geregelt. Grundsätzlich gilt, so nicht konkret Aufgaben dem Bund zugeordnet sind, sei es durch konkret bezeichnete Aufgaben oder durch Generalklauseln, die Kompetenz zur Erfüllung von staatlichen Aufgaben gem. Art. 30 GG bei den Ländern liegt. Die Länder sind berechtigt, eine eigene Gesetzgebung vorzunehmen. Art. 31 GG bestimmt allerdings den Vorrang des Bundesrechts vor dem Landesrecht, soweit eine Kollisionssituation vorliegt. Darüber hinaus verpflichtet das Gebot zum bundesfreundlichen Verhalten (Bundestreue), Bund und Länder zum Zusammenwirken, ebenso wie die Länder untereinander.
3.1.5
Sozialstaatsprinzip
Durch die Sozialstaatsklausel sollen, in Gegenüberstellung zu den freiheitlichen Ordnungsprinzipien des Grundgesetzes, die Belastungen abgemildert werden, die durch eine freie kapitalistische Wirtschaftsordnung verursacht werden. Der Staat soll verpflichtet werden, Bedingungen für ein menschenwürdiges Dasein und eine angemessene Beteiligung am allgemeinen Wohlstand und darüber hinaus Chancengleichheit zu gewährleisten. Wo es an der Möglichkeit fehlt, aus eigener Kraft Notsituationen abzuwenden, soll die notwendige Daseinshilfe gewährt werden. Adressat der Sozialstaatsklausel sind vornehmlich der Gesetzgeber, aber auch die Verwaltung und die Gerichte, die das Sozialstaatsprinzip im Rahmen der Auslegung der Gesetze und bei der Ausübung ihres Ermessens zu berücksichtigen haben. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber im gewissen Umfang auch berechtigt, durch Eingriffe in Freiheit- und Gleichheitsrechte, z. B. der Zwangsmitgliedschaft in Sozialversicherungen, dem Sozialstaatsprinzip Geltung zu verschaffen.
3.2 Der Bundestag 3.2.1
Grundlagen
Der Deutsche Bundestag (Art. 38 bis 49 GG) setzt sich zusammen aus den vom Volk gewählten Abgeordneten und kann damit als alleiniges, unmittelbar demokratisch legitimiertes Organ auf Bundesebene bezeichnet werden. Über die Zusammensetzung des Bundestags wird grundsätzlich alle vier Jahre durch Bundestagswahl entschieden. Der im September 2005 gewählte Bundestag hat in seiner 16. Wahlperiode derzeit 612 Abgeordnete im Parlament. Seine Wahlperiode endet gem. Art. 39 GG mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. Eine vorzeitige Auflösung des Bundestages ist nach dem Grundgesetz nur in zwei Fällen möglich. Nach Art. 63 Abs. 4 GG ist eine vorzeitige Auflösung zum einen für den Fall vorgesehen, dass zu Beginn der Wahlperiode der Bundestag keinen Bundeskanzler wählt. Ferner ist unter den Voraussetzungen des Art. 68 GG eine Bundestagsauflösung zulässig,
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wenn der Bundestag einer vom Bundeskanzler gestellten Vertrauensfrage nicht zustimmt und innerhalb einer kurzen Frist kein anderer Bundeskanzler gewählt wird. Eine Auflösung des Bundestages nach Art. 68 GG erfolgte bereits zwei Mal, 1972 und 1982, obwohl der damalige Bundeskanzler eine ausreichende Mehrheit hinsichtlich der Vertrauensfrage gehabt hätte. Die Zulässigkeit der vorzeitigen Bundestagsauflösung war daher verfassungsrechtlich sehr umstritten.
3.2.2
Aufgaben
Die wichtigste Aufgabe des Bundestages liegt gem. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschlussfassung der Bundesgesetze. Des Weiteren wählt er nach Art. 63 Abs. 1 GG den Bundeskanzler. Nach Art. 94 Abs. 1 GG wird außerdem die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts durch ihn gewählt und er ist nach Art. 95 Abs. 2 GG an der Wahl der Bundesrichter beteiligt. Der Bundestag kontrolliert überdies die Bundesregierung durch Anfragen und Untersuchungsausschüsse. Seine Mitglieder gehören gem. Art. 54 Abs. 3 GG der Bundesversammlung an, durch die der Bundespräsident gewählt wird. Der Bundestag wählt seinen Präsidenten, dessen Stellvertreter sowie die Schriftführer. Er gibt sich eine Geschäftsordnung und verhandelt grundsätzlich öffentlich. Ein Beschluss kommt mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustande, soweit das Grundgesetz keine qualifizierte Mehrheit vorschreibt. Eine solche 2/3 Mehrheit ist nach Art. 79 GG beispielsweise für Verfassungsänderungen notwendig.
3.2.3
Die Abgeordneten
Die Abgeordneten des Bundestages sind bei Aufgabenerfüllung nach Art. 38 Abs. 1 GG weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden, sondern unterliegen allein ihrem Gewissen. Ein Abgeordneter, der sich dem sog. Fraktionszwang entzieht, kann daher zwar aus der jeweiligen Partei und der Fraktion ausgeschlossen werden, er behält aber gleichwohl sein Mandat. Die Abgeordneten werden darüber hinaus durch die Indemnität sowie Immunität geschützt. Nach Art. 46 Abs. 1 GG schützt die Indemnität den Abgeordneten davor, dass er „zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen“ werden kann. Hiervon ausgenommen sind verleumderische Beleidigungen. Schließlich unterliegt ein Abgeordneter aufgrund seiner Immunität nach Art. 46 Abs. 2 GG der Strafverfolgung nur dann, wenn der Bundestag hierzu seine Zustimmung erteilt hat. Wird der Abgeordnete bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen, so ist eine Genehmigung nicht erforderlich.
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3.3 Der Bundesrat 3.3.1
Grundlagen
Der Bundesrat (Art. 50 bis 51 GG) ist wie der Bundestag oberstes Verfassungsorgan des Bundes. In Art. 50 GG wird die Aufgabe des Bundesrates dahingehend beschrieben, dass die Länder durch ihn „bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union“ mitwirken. Er besteht grundsätzlich aus dem Ministerpräsidenten und Ministern der Bundesländer bzw. Bürgermeister und Senatoren der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Dem Bundesrat können auch Staatssekretäre angehören, wenn sie einen Sitz und Stimme im Landeskabinett haben. Sie sind den Landesregierungen gegenüber weisungsgebunden.
3.3.2
Sitzverteilung
Nach Art. 51 Abs. 2 GG hat jedes Land „mindestens drei Stimmen, Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern vier Stimmen, Länder mit mehr als sechs Millionen Einwohnern fünf Stimmen, Länder mit mehr als sieben Millionen Einwohnern sechs Stimmen.“ Demgemäß entfallen auf das Land Baden-Württemberg (10,75 Mio Einwohner), Bayern (12,52 Mio Einwohner), Niedersachsen (7,97 Mio Einwohner) sowie auf das Land Nordrhein-Westfalen (18,01 Mio Einwohner) je sechs Stimmen. Das Land Hessen (6,07 Mio Einwohner) hat 5 Stimmen. Auf Berlin (3,41 Mio Einwohner), Brandenburg (2,54 Mio Einwohner), RheinlandPfalz (4,05 Mio Einwohner), Sachsen (4,23 Mio Einwohner), Sachsen-Anhalt (2,42 Mio Einwohner), Schleswig-Holstein (2,84 Mio Einwohner) und Thüringen (2,29 Mio Einwohner) je 4 Stimmen. Jeweils drei Stimmen haben Bremen (0,66 Mio Einwohner), Hamburg (1,77 Mio Einwohner), Mecklenburg-Vorpommern (1,68 Mio Einwohner) und das Saarland (1,04 Mio Einwohner). Damit hat der Bundesrat insgesamt 69 ordentliche Mitglieder und folglich nach Art. 51 Abs. 3 GG 69 Stimmen. Die Stimmen der einzelnen Länder können nur einheitlich abgegeben werden. Seine Beschlüsse fasst der Bundesrat mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen. Er verhandelt grundsätzlich öffentlich und gibt sich eine Geschäftsordnung. Dem Bundesrat steht der Präsident vor. Er wird jährlich neu gewählt. Der Bundesrat wählt nach Art. 94 Abs. 1 GG die Hälfte der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts und wirkt gem. § 59 Abs. 2 GG bei Verträgen mit auswärtigen Staaten mit.
3.3.3
Zuständigkeit
Dass der Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mitwirkt, bedeutet nicht, dass er jedem Gesetz zustimmen muss. Eine Zustimmung des Bundesrats zu einem Gesetz ist nur dann erforderlich, wenn das Grundgesetz eine Zustimmung ausdrücklich fordert. Dies ist der Fall bei der bereits beim Bundestag erwähnten Änderung der Verfassung nach Art. 79 Abs. 2 GG
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sowie für Gesetze, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben und in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingreifen.
3.4 Der Bundespräsident Der Bundespräsident (Art. 54 bis 61 GG) ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Er wird von der Bundesversammlung gewählt, die aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die von den Landtagen gewählt werden. Die Aufgabe der Bundesversammlung liegt alleinig in diesem Zweck. Zum Bundespräsidenten kann nach Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG nur ein Deutscher gewählt werden, der das 40. Lebensjahr vollendet hat und der das Wahlrecht zum Bundestag besitzt. Der Bundespräsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Er vertritt etwa gem. Art. 59 Abs. 1 GG die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich. Er schließt Verträge mit anderen Staaten ab, beglaubigt und empfängt Gesandte fremder Staaten. Ihm unterliegt gem. Art. 82 GG die Ausfertigung und Verkündung der Bundesgesetze. Der Bundespräsident wirkt auch bei der Regierungsbildung (Art. 63, 64 GG) mit, löst in den Fällen des Art. 63 Abs. 4 und Art. 68 GG den Bundestag auf, ernennt und entlässt die Bundesrichter, die Bundesbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere und übt das Begnadigungsrecht aus (Art. 60 GG). Die Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten bedürfen nach Art. 58 GG zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler oder durch den zuständigen Bundesminister. Nach Art. 61 GG kann der Bundespräsident wegen einer vorsätzlichen Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes nur im Wege der Präsidentenanklage vor dem Bundesverfassungsgericht zur Rechenschaft gezogen werden. Er genießt ansonsten Immunität wie ein Abgeordneter.
3.5 Die Bundesregierung Die Bundesregierung (Art. 62 bis 69 GG) besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern für einzelne Ressorts. Der Bundeskanzler wird gem. Art. 63 GG auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag gewählt. Der Bundespräsident ist bei seinem Vorschlagsrecht jedoch dahingehend beschränkt, dass er nur einen Bundeskanzler vorschlagen kann, der auch das Vertrauen der Bundestagsmehrheit genießt. Der Bundeskanzler wird nach seiner Wahl anschließend vom Bundespräsidenten ernannt. Er bestimmt als Regierungschef die Richtlinien der Politik (Kanzlerprinzip), die die Bundesminister in ihren Ministerien selbstständig und eigenverantwortlich umsetzen (Ressortprinzip). Die Bundesminister werden gem. Art. 64 Abs. 1 GG auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Daher erklärt sich auch die starke Stellung des Bundeskanzlers als Regierungschef innerhalb der Bundesregierung. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Bundesministern entscheidet die Bundesregierung durch Kollegialbeschluss (Kollegialprinzip). Der Bundeskanzler und die Bundesminister sind dem Parlament verantwortlich. Ein Rücktritt von einzelnen Bundesministern kann durch den Bundestag aber nicht erzwungen
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werden. Der Bundeskanzler kann nur nach Art. 67 GG sein Amt verlieren, wenn die Mehrheit des Bundestages einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen (konstruktives Misstrauensvotum). Die gesamte Bundesregierung scheidet in diesem Falle aus ihrem Amt aus.
3.6 Die Gesetzgebung 3.6.1
Gesetzgebungskompetenz
Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder grundsätzlich das Recht der Gesetzgebung. Nur in den Fällen, in denen das Grundgesetz dem Bund eine Gesetzgebungsbefugnis verleiht, gilt dieser Grundsatz nicht. Nach Art. 70 Abs. 2 GG wird zwischen der ausschließlichen und der konkurrierenden Gesetzgebung unterschieden.
3.6.2
Gesetzgebung des Bundes
Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder nach Art. 71 GG grundsätzlich keine Befugnisse, Gesetze zu erlassen, es sei denn, dass sie hierzu ein Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt. In Art. 73 GG werden die Gegenstände der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes aufgezählt. Hierzu gehören u. a. die Staatsangehörigkeit, das Währungs-, Geld- und Münzwesen, sowie das Waffen- und Sprengstoffrecht.
3.6.3
Gesetzgebung der Länder
Die Länder haben hingegen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 GG eine Gesetzgebungsbefugnis, solange und soweit der Bund keine entsprechende Regelung trifft. Macht der Bund beispielsweise nach einer gesetzlichen Regelung durch das Land von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch, so tritt das Landesgesetz außer Kraft. Nach Art. 72 Abs. 2 GG muss der Bund aber in den dort genannten Fällen der konkurrierenden Gesetzgebung nachweisen, dass ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht. Das Grundgesetz sieht ein solches Bedürfnis als gegeben an, wenn die Regelung der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet dient oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse es erfordert. Die Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung sind in Art. 74 GG aufgezählt. Dabei handelt es sich u. a. um das Bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung, das gerichtliche Verfahren, das Personalwesen und das Recht der Wirtschaft. Neu eingeführt in das Grundgesetz wurde im Jahr 2006 der Art. 72 Abs. 3 GG. In den dort genannten Bereichen hat zwar der Bund die Gesetzgebungskompetenz, die Länder haben jedoch die Möglichkeit, hiervon abweichende Regelungen zu treffen. Von dieser Abweichungskompetenz können die Länder etwa in den Fällen des Jagdwesens (ohne das Recht der Jagdscheine), der Bodenverteilung und der Raumordnung Gebrauch machen.
Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland 3.6.4
239
Gesetzgebungsverfahren
3.6.4.1 Gesetzesvorlagen Gem. Art. 76 Abs. 1 GG werden Gesetzesvorlagen von der Regierung aus der Mitte des Bundestages (Fraktionen oder einzelner Abgeordneter) oder auch vom Bundesrat eingebracht. Die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung werden dem Bundesrat zugeleitet, der innerhalb von sechs Wochen zu dieser Vorlage Stellung nehmen kann. Die Bundesregierung kann sich dann hierzu schriftlich äußern und leitet anschließend den Gesetzesentwurf mit der Stellungnahme an den Bundestag weiter. Bringt der Bundesrat eine Gesetzesvorlage in den Bundestag ein, so wird der Entwurf zunächst der Bundesregierung vorgelegt, die sich innerhalb von sechs Wochen hierzu äußert. Danach wird der Entwurf mit der Stellungnahme dem Bundestag zugeleitet. Gesetzesentwürfe aus der Mitte des Parlaments müssen hingegen nicht dem Bundesrat vorgelegt werden.
3.6.4.2 Beratung Die Gesetzesvorlagen werden im Bundestag in insgesamt drei Lesungen beraten. In der ersten Lesung werden die Grundsätze der Vorlage besprochen. Eine Abstimmung findet nicht statt. Vielmehr wird der Entwurf einem oder mehreren Ausschüssen zur weiteren Beratung übergeben. In den Ausschüssen findet die Detailarbeit der Gesetzgebung statt. Dort können auch Interessenvertreter und Experten zur öffentlichen Anhörung geladen werden. Nach Abschluss der Ausschussberatungen wird eine Beschlussempfehlung als Ergebnis der Beratung vorgelegt und dann im Plenum des Bundestags zur zweiten Lesung des Gesetzesentwurfes übergeben. Der Bundestag berät dort über die Beschlussempfehlung der Ausschüsse und stimmt hierzu ab. Es können Änderungsanträge eingebracht und beraten werden. Auch ist es möglich, dass eine Zurückweisung an den jeweiligen Ausschuss stattfindet. In der dritten Lesung erfolgt schließlich die Schlussabstimmung über den Gesetzesentwurf. Wird der Gesetzesentwurf angenommen, wird er als Gesetz dem Bundesrat zugeleitet.
3.6.4.3 Bundesrat und Vermittlungsausschuss Wie bereits oben ausgeführt, wirkt der Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes mit. Gem. Art. 77 Abs. 2 GG kann der Bundesrat in dem Fall, dass er das beschlossene Gesetz nicht billigt oder einzelne Änderungen für geboten hält, verlangen, dass ein Vermittlungsausschuss gebildet wird. Der Vermittlungsausschuss ist ein aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates gebildeter Ausschuss, der aus je 16 Mitgliedern dieser Organe besteht. Seine Aufgabe liegt darin, einen Kompromiss zu finden, dem Bundestag und Bundesrat gleichermaßen zustimmen können. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses ist der sog. „Einigungsvorschlag“.
240
Johannes Handschumacher
Der „Einigungsvorschlag“ kann vorsehen, dass der Gesetzesbeschluss aufgehoben, geändert oder in unveränderter Form bestätigt wird. Der Bundestag muss in den Fällen der Aufhebung oder der Änderung des ursprünglichen Gesetzesbeschlusses einen neuen Beschluss fassen. Stimmt er der Aufhebung zu, so ist das Gesetzgebungsverfahren gescheitert. Wird der vorgeschlagenen Änderung zugestimmt, wird das Gesetz dem Bundesrat erneut vorgelegt. Hingegen muss der Bundesrat im Falle, dass der Vermittlungsausschuss eine Bestätigung des Gesetzesbeschlusses vorsieht hierüber einen Beschluss fassen. Das Gesetz kann in Kraft treten, wenn der Bundesrat zustimmt. Lehnt der Bundesrat jedoch ab, kommt es entscheidend darauf an, ob es sich um ein Einspruchsgesetz oder um ein Zustimmungsgesetz handelt. Handelt es sich um ein Einspruchsgesetz, kann der Bundesrat gegen das Gesetz nach Art. 77 Abs. 3 GG binnen zwei Wochen Einspruch gegen das Gesetz einlegen. Der Einspruch kann aber durch den Bundestag mit derselben Mehrheit zurückgewiesen werden, mit der der Bundesrat den Einspruch beschlossen hat. Bedürfen Gesetze jedoch der Zustimmung des Bundesrates und wird diese verweigert, so scheitert der Gesetzesentwurf. Nach Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG können der Bundestag und die Bundesregierung in diesem Fall ihrerseits die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen. Zustimmungsbedürftig sind Gesetze dann, wenn dies ausdrücklich im Grundgesetz angeordnet wird. Zustimmungsbedürftig sind beispielsweise die bereits erwähnte Änderung der Verfassung (Art. 79 Abs. 2 GG), Gesetze, die Hoheitsrechte auf die EU übertragen (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG) und Gesetze, die in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen (Art. 84 Abs. 1 und 5, Art. 85, Art. 87 Abs. 3 GG).
3.6.4.4 Inkrafttreten Nachdem das Gesetz nach den Vorschriften des Grundgesetzes ordnungsgemäß zustande gekommen ist, fertigt der Bundespräsident es aus. Das Gesetz wird anschließend im Bundesgesetzblatt verkündet. Der Tag des Inkrafttretens wird im Bundesgesetzblatt bestimmt. Ist dies nicht der Fall, tritt das Gesetz mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben wurde.
3.6.5
Die Ausführung der Bundesgesetze
Gem. Art. 83 GG führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus. Diese regeln gem. Art. 84 GG die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Die Länder sind nicht weisungsgebunden, sondern unterliegen allein der Rechtsaufsicht des Bundes. Hiervon abzugrenzen ist die Übertragung der Ausführung von Bundesgesetzen als Auftragsangelegenheit. Die Länder sind diesen Fällen den obersten Bundesbehörden nach Art. 85 Abs. 3 GG weisungsgebunden. Die Bundesaufsicht erstreckt sich sowohl auf die Gesetzmäßigkeit als auch auf die Zweckmäßigkeit der Ausführung. Die bundeseigene Verwaltung (Art. 86 GG) mit eigenem Verwaltungsunterbau ist eine Ausnahme. Gem. Art. 87 Abs. 1 GG ist sie etwa für den auswärtigen Dienst, die Bundesfinanzverwaltung und nach Maßgabe des Art. 89 GG für die Verwaltung der Bundeswasser-
Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland
241
straßen und der Schifffahrt vorgesehen. Ferner wird in Art. 87 Abs. 2 und 3 GG vorgesehen, dass Verwaltungsaufgaben auf bundesunmittelbare Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts sowie selbständige Bundesbehörden übertragen werden können. Hiervon hat der Bund insbesondere auf dem Gebiet der Sozialversicherungsträger gem. Art. 87 Abs. 2 Satz 2 GG Gebrauch gemacht.
3.7 Rechtsprechung 3.7.1
Grundlagen
Die Rechtsprechung ist, wie oben bereits dargestellt, neben der Legislative und Exekutive die dritte unabhängige Gewalt. Das Grundgesetz enthält in den Art. 92 bis Art. 104 einige grundlegende Regelungen, die sowohl Grundsätze des Rechtsprechungssystems der Bundesrepublik Deutschland enthalten als auch Festlegungen zur Organisation und zur Struktur der Justiz. Die Rechtsprechung obliegt gem. Art. 92 GG den Richtern. Diese sind gem. Art. 97 GG unabhängig und keinen Weisungen unterworfen. Die Richter nehmen im öffentlichen Dienst eine Sonderstellung ein. Sie sind keine Beamten, werden aber in der Regel nach einer Mindestdienstzeit von drei Jahren auf Lebenszeit ernannt. Zum Richter kann nur ernannt werden, wer die erste und zweite juristische Staatsprüfung erfolgreich abgelegt hat und somit die sog. Befähigung zum Richteramt erlangt hat. Neben den Richtern sind auch Rechtsanwälte, Notare, Rechtspfleger etc. Organe der Rechtspflege, auch wenn sie organisatorisch nicht in das Justizwesen eingegliedert sind. In Art. 101 und Art. 103 GG werden eine Reihe von grundlegenden Rechtsprinzipien festgeschrieben, die in einem Rechtsstaat unverzichtbar sind. So schreibt Art. 101 GG vor, dass die Bildung von Ausnahmegerichten unzulässig ist und niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Dies bedeutet, dass nicht besondere Zuständigkeiten für bestimmte Einzelfälle gebildet werden dürfen, und dass durch Gesetz und gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan zuvor festgelegte Richter nicht von einem Verfahren abgezogen werden dürfen. Dadurch soll die Justiz vor sachwidrigen Einflüssen durch den Gesetzgeber oder die Verwaltung geschützt werden. Die weiteren grundlegenden Prinzipien der Rechtsprechung schreibt Art. 103 GG vor, nämlich: ▪ ▪ ▪
Anspruch auf rechtliches Gehör, Rückwirkungsverbot, Verbot der Doppelbestrafung.
Hinsichtlich der Justizorganisation bestimmt Art. 92 GG, dass die Gerichtsbarkeit grundsätzlich den Ländern zugewiesen wird, mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts und den durch das Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichten. Ausgehend von einem mehrgliedrigen Justizwesen gibt es mehrere oberste Bundesgerichte. Dies sind im Einzelnen:
242 ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Johannes Handschumacher der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht.
Darüber hinaus sieht Art. 96 GG vor, dass noch weitere Bundesgerichte eingerichtet werden können, so z. B. das Bundespatentgericht.
3.7.2
Das Bundesverfassungsgericht
An der Spitze der deutschen Rechtsprechung steht das Bundesverfassungsgericht. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 93 GG. Es ist z. B. zuständig für die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder für Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Art. 20 Art. 4, 33, 98, 101, 103 und 104 GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Mit der Verfassungsbeschwerde kann immer nur eine durch die öffentliche Gewalt erfolgte Rechtsverletzung gerügt werden und in der Regel erst dann, wenn der hierfür vorgesehene Instanzenweg ausgeschöpft wurde. Einzelheiten regelt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).
3.7.3
Die ordentliche Gerichtsbarkeit
Hierzu zählt sowohl die Zivilgerichtsbarkeit als auch die Strafgerichtsbarkeit. Ihr Aufbau ist dreigliedrig. Amts- und Landgerichte bilden die unterste Instanz. Bei Berufungsverfahren gegen amtsgerichtliche Entscheidungen ist das Landgericht das Berufungsgericht. Über Berufungen gegen Entscheidungen der Landgerichte entscheiden die Oberlandesgerichte. Die sog. Revisionsinstanz ist der Bundesgerichtshof. Mit Ausnahme der Strafsenate, die ihren Sitz in Leipzig haben, hat der Bundesgerichtshof seinen Sitz in Karlsruhe.
3.7.4
Die Arbeitsgerichtsbarkeit
Eingangsinstanz für arbeitsgerichtliche Streitigkeiten ist das Arbeitsgericht. Über Berufungen gegen Entscheidungen des Arbeitsgerichts entscheidet das jeweilige Landesarbeitsgericht. Die höchste Instanz in Arbeitsgerichtsstreitigkeiten ist das Bundesarbeitsgericht mit Sitz in Erfurt.
Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland 3.7.5
243
Die Finanzgerichtsbarkeit
Bei der Finanzgerichtsbarkeit gibt es nur einen zweistufigen Aufbau. Die untere Instanz für Streitigkeiten vor allem in Steuerangelegenheiten bilden die Finanzgerichte. Die Berufungsinstanz ist der Bundesfinanzhof mit Sitz in München.
3.7.6
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit
Die unterste Instanz in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten, also bei Rechtsschutz gegenüber staatlichem Verwaltungshandeln, ist das Verwaltungsgericht. Die Berufungsinstanz gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte sind die Oberverwaltungsgerichte. Die oberste Instanz für verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten ist das Bundesverwaltungsgericht mit Sitz in Leipzig.
3.7.7
Die Sozialgerichtsbarkeit
Auch die Sozialgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut. Die unterste Instanz bilden die Sozialgerichte. Ihnen übergeordnet sind die Landessozialgerichte und in letzter Instanz das Bundessozialgericht mit Sitz in Kassel.
Presse- und Rundfunkrecht Gero Himmelsbach
1
Presserecht
„Presserecht“ ist kein klar abgegrenzter Begriff. Unter „Presserecht“ versteht man alle rechtlichen Regelungen, die „die Presse“ – das sind Presseverlage und Pressemitarbeiter – betreffen. Da ist zunächst die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, die eng mit der Meinungsäußerungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verknüpft ist. Art. 5 Abs. 1 GG lautet: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“
Zum Presserecht gehören die Pressegesetze der Länder. Aber auch das Äußerungsrecht oder das in der Strafprozessordnung enthaltene Zeugnisverweigerungsrecht für Medienmitarbeiter sind Bestandteil des Presserechts. Schließlich gehört zum „Presserecht“ noch das Standesrecht der Presse, das im „Pressekodex“ des Deutschen Presserates zusammengefasst ist. In diesem Kapitel geht es um die Pressefreiheit, das Presseordnungsrecht – also die presserechtlichen Bestimmungen der Länder – und den Pressekodex. Ausgeklammert wird der in den Pressegesetzen enthaltene Auskunftsanspruch, da dieser im Kapitel „Recht der Berichterstattung“ behandelt wird.
1.1 Artikel 5 Grundgesetz: Freiheit für die gesamte Presse 1.1.1
Pressefreiheit international
Die Pressefreiheit gehört zu den Kommunikations-Freiheitsrechten in Art. 5 GG. Sie ist ein Menschenrecht. Auf die Pressefreiheit kann sich in Deutschland also jeder berufen. Sie ist nicht nur Staatsbürgern vorbehalten. Die Pressefreiheit schützt auch Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Zwar ist in der EMRK nicht ausdrücklich von Pressefreiheit die Rede. Sie enthält aber zwei wesentliche Elemente der Pressefreiheit, nämlich die Meinungsäußerungsfreiheit und die Informationsfreiheit. Diese beiden Grundfreiheiten gelten ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen. Die EMRK-Mitgliedstaaten dürfen sie nur einschränken, wenn es zum Schutz wichtiger, in der EMRK konkret genannter Rechtsgüter (etwa der Schutz des guten Rufes oder der Staatsschutz) unerlässlich ist. Der EMRK gehören nahezu alle Staaten Europas einschließlich der osteuropäischen Staaten an. Jeder Bürger eines Mit-
246
Gero Himmelsbach
gliedsstaates kann sich bei Verletzung seiner Freiheitsrechte an den Europäischen Gerichtshof in Straßburg wenden. Dessen Entscheidung ist für die nationalen Gerichte bindend. Noch bevor die EMRK 1953 geltendes Recht in Deutschland geworden ist, hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ proklamiert. Nach Art. 19 dieser Erklärung ist die Meinungsfreiheit ein jedermann zustehendes Menschenrecht. Sie beinhaltet das vor allem für die Presse wichtige Recht, Informationen zu sammeln, zu empfangen und zu verbreiten. Bei einer Verletzung der Menschenrechte gibt es das Recht auf eine Individualbeschwerde für Einzelpersonen. 1975 haben sich in der Schlussakte der Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die beteiligten Länder (das sind inzwischen die west- und osteuropäischen Staaten einschließlich der USA, der ehemaligen Sowjetunion, Kanada, der Schweiz und des Heiligen Stuhles in Rom) auf die Achtung und Respektierung der „Menschenrechte und Grundfreiheiten“ entsprechend der UN-Deklaration geeinigt.
1.1.2
Wem gehört die Pressefreiheit?
Auf das Grundrecht der Pressefreiheit kann sich jeder berufen, der an der Herstellung und Verbreitung des Produkts „Presse“ mitwirkt – ganz unabhängig davon, ob er im redaktionellen, technischen, organisatorischen oder in sonstigen Bereichen tätig ist. Nur so lässt sich die Pressefreiheit umfassend garantieren: Anderenfalls dürfte sich zwar ein Journalist auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen und müsste keine Auskunft darüber geben, wer seine Informanten sind. Der kaufmännische Angestellte jedoch, der die Informantenhonorare verbucht, wäre zur Auskunft verpflichtet. Die Pressefreiheit könnte also durch die „Hintertür“ ausgehebelt werden. Damit das nicht geschieht, gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes alle, die an der Herstellung mitwirken, zu dem von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Personenkreis. Auch gibt es keine mehr und keine weniger geschützte Presse: Es macht keinen Unterschied, ob sich eine seriöse Tageszeitung auf die Pressefreiheit beruft oder eine Zeitschrift, die einen weniger guten Ruf genießt. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 1972 entschieden, dass die Pressefreiheit auch für Yellow-Illustrierte gilt (BVerfGE 34, 269 – Soraya). Auch bei Rechtsverstößen durch solche Presseprodukte muss eine Abwägung zum Beispiel mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich garantierten (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) allgemeinen Persönlichkeitsrecht stattfinden. Es gilt also für Art. 5 Abs. 2 der formale Pressebegriff. Maßgeblich sind formelle Kriterien: ▪ ▪
Es muss sich um ein „Druck“-Erzeugnis handeln. Das Druckwerk muss in einem Vervielfältigungsverfahren hergestellt sein. Das Presseprodukt muss sich an einen unbestimmten Personenkreis richten. Damit ist nicht gemeint, dass die Leser oder Käufer des Presseproduktes unbekannt sind. Bei den Lesern einer Fachzeitschrift, die ausschließlich im Abonnement vertrieben wird, handelt es sich auch um einen „unbestimmten Personenkreis“. Gemeint ist damit, dass sich die Zeitschrift an die Öffentlichkeit wendet. Das trifft ebenso auf die Vereinszeitschrift eines Tennisvereins zu, in dem sich alle Mitglieder persönlich kennen.
Presse- und Rundfunkrecht 1.1.3
247
Schutz der institutionellen Eigenständigkeit der Presse
Die Pressefreiheit gewährleistet vor allem die institutionelle Eigenständigkeit der Presse (vgl. BVerfGE 20, 162 – Spiegel). Dazu gehören ganz unterschiedliche Elemente: ▪
▪
▪
▪
▪
Das ist zum einen der Schutz des gesamten Herstellungsprozesses von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht oder Meinung (vgl. BVerfGE 10, 118 – Grundrechtsverwirkung). Dazu gehört aber auch der freie Zugang zum Journalistenberuf. Die Pressefreiheit in Art. 5 GG ist der Grund, weshalb es für die Journalistenausbildung keine zwingenden Vorgaben gibt. Jeder kann sich „Journalist“ nennen. Das gleiche gilt auch für die Bezeichnungen „Redakteur“ oder „Chefredakteur“. Zur Pressefreiheit gehört weiter ein besonderer Informationsanspruch für Medienvertreter. Diese haben ein Auskunftsrecht gegenüber den Einrichtungen der Legislative, Exekutive und Judikative. Der Auskunftsanspruch ist in den Landespressegesetzen gesondert geregelt und gilt auch entsprechend für Rundfunkmitarbeiter. Ein wesentliches Element der Pressefreiheit ist das Zeugnisverweigerungsrecht für Pressemitarbeiter. Es ist gesetzlich in § 53 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) und in § 383 Abs. 1 Nr. 5 Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Die übrigen Verfahrensordnungen verweisen jeweils auf das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht. Es gilt auch für Rundfunkredakteure und Mitarbeiter periodischer Informations- und Kommunikationsdienste (Internetangebote). Schließlich gehört zur Gewährleistung der institutionellen Eigenständigkeit der Presse auch die Bekämpfung der Pressekonzentration. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) enthält hierzu Spezialnormen.
Verletzt eine gerichtliche Entscheidung die Pressefreiheit, kann der Betroffene – etwa der Presseverlag oder der Pressemitarbeiter – Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erheben. Höchstes „Pressegericht“ ist daher das Bundesverfassungsgericht, das in den vergangenen 60 Jahren durch seine Rechtsprechung den verfassungsrechtlichen Begriff der Pressefreiheit ausgefüllt hat. Das Presserecht ist damit ein sehr fallbezogenes Recht. Der Praktiker muss die Einzelfallentscheidungen der obersten Bundesgerichte – Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof – auf die tagesaktuellen Sachverhalte übertragen. Nur ein Beispiel: Zusehens komplizierter wird die Frage, von welchen mehr oder weniger prominenten Personen die Presse bei welcher Gelegenheit in Kombination mit welcher Berichterstattung Fotoaufnahmen veröffentlichen darf. Wer mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht einverstanden ist, kann sich an den Europäischen Gerichtshof wegen einer Verletzung seiner Rechte aus der EMRK wenden.
1.1.4
Zensurverbot
In Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG heißt es knapp: „Eine Zensur findet nicht statt“. Das Zensurverbot ist kein eigenes Grundrecht. Es verbietet aber staatliche Eingriffe in die Tätigkeit von
248
Gero Himmelsbach
Medienunternehmen. Gemeint ist mit „Zensur“ im verfassungsrechtlichen Sinne ausschließlich die Vorzensur in einem formellen, behördlichen Prüfungsverfahren. Dazu gehört nicht die „innere Pressefreiheit“, also die Pressefreiheit innerhalb eines Mediums. Denn es bestimmt gerade der Verleger die Tendenz der Zeitung oder Zeitschrift. Der Verleger kann also darauf hinwirken, dass in seinem Produkt keine Artikel erscheinen, die mit seiner (politischen, wirtschaftlichen, kulturellen etc.) Haltung nicht vereinbar sind.
1.1.5
Einschränkungen der Pressefreiheit
Die Medienfreiheiten sind durch Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Dort heißt es: „Diese Rechte“ – gemeint sind die Rechte nach Art. 5 Abs. 1 GG – „finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Ein eigenes „Ehrenschutzgesetz“ gibt es zwar nicht. Allerdings hat die Rechtsprechung den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht, das sich aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) und Art. 2 Abs. 1 GG (persönliche Freiheitsrechte) ergibt (BGHZ 13, 334, BVerfGE 30, 173; 34, 118). Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht gehören zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht über die Darstellung der Person, der Schutz vor Indiskretion und der Schutz vor Unwahrheit. So stellt es etwa einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, wenn Medien Details eines Prominenten aus seinem Intimleben in der Öffentlichkeit ausbreiten. „Allgemeine Gesetze“ sind Gesetze, die die Medienfreiheiten nach Art. 5 Abs. 1 GG nicht explizit einschränken. Das kann zum Beispiel das Strafrecht sein, das in § 185 StGB die Beleidigung unter Strafe stellt. Das können auch kommunalrechtliche Vorschriften sein, die die kostenlose Verteilung von Presseprodukten an bestimmte Auflagen knüpft. Der Jugendschutz ist seit April 2003 einheitlich im Jugendschutzgesetz und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag geregelt.
1.2 Presseordnungsrecht „Presseordnungsrecht“ sind die presserechtlichen Regelungen in den Pressegesetzen der Länder. Diese enthalten grundlegende Rechte und Pflichten der Presse. Es gibt in jedem Bundesland ein eigenes Pressegesetz. Zwar wäre der Bund ermächtigt, Rahmenvorschriften über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse zu erlassen. Zu einem „Presserechtsrahmengesetz“ ist es bislang aber nicht gekommen. Deshalb bestimmen die Länder ihre presserechtlichen Regelungen in eigener Verantwortung. Die Pressegesetze der Länder (abrufbar zum Beispiel unter http://www.presserecht.de) sind inhaltlich weitgehend vergleichbar. Zuletzt war in den 90er Jahren das Saarland ausgeschert und hatte sein Gegendarstellungsrecht, das in den Pressegesetzen geregelt ist, verschärft: Danach war es zum Beispiel untersagt, eine redaktionelle Anmerkung im Anschluss an die Gegendarstellung zu veröffentlichen.
Presse- und Rundfunkrecht
249
Zwischenzeitlich wurde das Gesetz jedoch wieder revidiert. Aufgrund der 16 Landespressegesetze kann die nachfolgende Darstellung nur einen Querschnitt über die presserechtlichen Regelungen bieten. Wer sich über die Feinheiten des Pressegesetzes in einem bestimmten Bundesland informieren möchte, sollte auf den genauen Gesetzestext dort zurückgreifen. Die folgende Darstellung bezieht sich auch nicht auf konkrete Paragraphen. Wiedergegeben ist vielmehr als „LPG“ („Landespressegesetz“) diejenige Regelung, die der Fundstelle in den meisten Pressegesetzen entspricht.
1.2.1
Der Druckwerkbegriff (§ 7 LPG)
Die Definition des Druckwerkes ist eine zentrale Norm der Pressegesetze. Denn wenn es sich nicht um ein Druckwerk im Sinne des Gesetzes handelt, sind die Pressegesetze auch nicht anwendbar. § 7 Abs. 1 LPG lautet: „Druckwerke im Sinne dieses Gesetzes sind alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellten und zur Verbreitung bestimmten Schriften, besprochenen Tonträger, bildliche Darstellungen mit und ohne Schrift, Bildträger und Musikalien mit Text oder Erläuterungen.“
Zum Druckwerkbegriff gehören unter anderem folgende Elemente: ▪
▪
▪
▪
Es muss sich um eine Schrift mit einem geistigen Sinngehalt handeln. Die lediglich sinnlose Zusammenstellung von Buchstaben oder Zahlen, zum Beispiel die Prüftafeln eines Augenarztes, sind keine Druckwerke im Sinne der Pressegesetze. Weitere Voraussetzung ist, dass der geistige Sinngehalt stofflich verkörpert, also fassbar ist. Das besagt schon der Begriff „Druckwerk“, da es sich hier um ein Produkt handelt, das man in die Hand nehmen kann. Damit unterscheidet sich die Presse vom Rundfunk, da dort eben die Vervielfältigung und Verbreitung nicht körperlich geschieht. Ein Druckwerk gemäß § 7 Abs. 1 LPG erfordert außerdem die Herstellung in einem zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahren. Es kommt nur darauf an, ob das Verfahren als solches für eine Massenherstellung geeignet ist. Ob es dann auch letztlich zu einer Massenherstellung kommt, ist presserechtlich unbeachtlich. Fotokopien sind demnach Druckwerke, auch wenn nur wenige Fotokopien erstellt werden. Wie moderne Kommunikationsmittel einzuordnen sind, ist noch nicht entschieden. Ist eine Datei, die im pdf-Format „gedruckt“ und an einen E-Mail-Verteiler versandt wird, ein Druckwerk? Oder gelten hier die für alle Länder einheitlichen Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag zu den Telemedien mit etwa der Folge, dass der Versender eine im Vergleich zur presserechtlichen Impressumspflicht sehr umfangreiche Anbieterkennzeichnung mitversenden muss? Bei einer rein virtuellen Verbreitung handelt es sich danach nicht um ein „Druckwerk“. Wichtig ist schließlich noch, dass das Druckwerk nicht zum persönlichen Gebrauch, sondern mit Verbreitungsabsicht hergestellt wird. Es soll für einen größeren Personen-
250
Gero Himmelsbach kreis zugänglich sein. Manuskripte, Druckfahnen oder Schriftproben sind damit keine Druckwerke nach § 7 Abs. 1 LPG.
Der Begriff des Druckwerkes schließt unterschiedliche Arten von Druckwerken ein: ▪
▪ ▪ ▪ ▪
Das sind zum einen „Schriften“ – also die Kombination von Zeichen mit geistigem Sinngehalt. Dazu gehört jede Zeitung und Zeitschrift, auch wenn sie in Blindenschrift hergestellt ist. Zu den Druckwerken gehören weiter bildliche Darstellungen. Das sind auch Ansichtskarten, Fotos und Dias. Druckwerke sind auch Musikalien, also zum Beispiel Notenausgaben. Gebrauchsgegenstände können auch Druckwerke sein, zum Beispiel Bierfilze mit kurzen Geschichten oder Aufkleber mit einem geistigen Sinngehalt („Soldaten sind Mörder“). Schließlich gehören zu den Druckwerken auch noch so genannte „Pressekorrespondenzen“. Das ist ein veralteter Begriff für Nachrichtenagenturen. Dieser Begriff findet sich vor allem in den Pressegesetzen der alten Bundesländer. Die neuen Länder haben hier teilweise schon differenzierter formuliert. So heißt es etwa in § 7 Abs. 2 des Brandenburgischen Pressegesetzes: „Zu den Druckwerken gehören auch die vervielfältigten Mitteilungen, mit denen Nachrichtenagenturen, Pressekorrespondenzen, Marterndienste und ähnliche Unternehmungen die Presse mit Beiträgen in Wort, Bild oder ähnlicher Weise versorgen.“
Zwischenzeitlich arbeiten die Nachrichtenagenturen ohnehin kaum mehr auf Papier, sondern mit elektronischen Hilfsmitteln, wie E-Mail oder geschützten Kundenbereichen auf ihrer Website. Hier finden nicht die Pressegesetze, sondern die Regelungen für Telemedien Anwendung. Unter „Presse“ versteht man in der Regel periodische Druckwerke. Diese sind in § 7 Abs. 4 LPG gesondert geregelt: „Periodische Druckwerke sind Zeitungen, Zeitschriften und andere in ständiger wenn auch unregelmäßiger Folge und im Abstand von nicht mehr als sechs Monaten erscheinende Druckwerke.“
Alleine das Bayerische Pressegesetz definiert „Zeitungen“ und „Zeitschriften“ als periodische Druckwerke, die in Zwischenräumen von höchstens sechs Monaten erscheinen und deren Auflage 500 Stück übersteigt. Für periodische Druckwerke gelten besondere Ordnungsvorschriften, zum Beispiel eine erweiterte Impressumspflicht und die Pflicht, Gegendarstellungen zu veröffentlichen.
Presse- und Rundfunkrecht 1.2.2
251
Die Impressumspflicht (§ 8 LPG)
Der Impressumszwang gehört zu den wichtigsten Ordnungsvorschriften des Presserechts. In § 8 LPG ist geregelt, dass jedes Druckwerk ein Impressum enthalten muss, das über ▪ ▪ ▪
die Herkunft des Druckwerkes, die für seinen Inhalt Verantwortlichen und zum Teil auch über die Eigentumsverhältnisse Aufschluss gibt.
Das Impressum nennt die Adressaten für eine etwaige strafrechtliche Verfolgung und die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche. Das Impressum soll die problemlose Identifizierung der Verantwortlichen ermöglichen. Es kann in einem Impressum einen Verantwortlichen für alle Inhalte geben. Es besteht aber auch die Möglichkeit, für bestimmte Verantwortungsbereiche – zum Beispiel Ressorts – unterschiedliche Mitarbeiter als verantwortlich zu benennen. Die Verpflichtung, ein Impressum zu veröffentlichen, gilt für nahezu alle Druckwerke. Ausnahmen gibt es für amtliche und „harmlose“ Druckwerke, zum Beispiel Preislisten, Gebrauchsanweisungen u.ä., soweit die jeweiligen Pressegesetze diese nicht bereits von der Anwendbarkeit des Pressegesetzes ausnehmen. Die gesetzlichen Pflichtangaben sind vollständig und klar zu veröffentlichen. Detaillierte Regelungen wie für den Online-Bereich gibt es in den Pressegesetzen nicht. Es gibt deshalb auch keinen bestimmten Platz, an dem ein Impressum veröffentlicht werden muss. Viele Zeitungsverlage veröffentlichen das Impressum auf Seite 2, Zeitschriften häufig auf der letzten Seite. Zu nennen sind ▪ ▪
Drucker und Verleger bzw. beim Selbstverlag Verfasser oder Herausgeber.
Es sind jeweils der Name bzw. die Firma mitzuteilen und die vollständige Anschrift. Postfachanschriften reichen nicht aus. Pseudonyme sind verboten, sofern deren Identität nicht bekannt ist. Es muss also vollkommen klar sein, welche Person bzw. welches Unternehmen für die Inhalte des Druckwerkes verantwortlich zu machen ist.
1.2.3
Der „V.i.S.d.P.“ (§ 9 LPG)
Der „Verantwortliche im Sinne des Presserechts“ (V.i.S.d.P.) ist dafür verantwortlich, dass die Beiträge keine strafbaren Inhalte haben. Zivilrechtlich haftet der Verantwortliche für Beiträge nur, wenn er daran aktiv mitgewirkt hat. Es ist selbstverständlich, dass der Chefredakteur einer Boulevardzeitung die Titelgeschichte mitgestaltet. Das mag für eine kurze Meldung auf einer hinteren Seite nicht gelten. In periodischen Druckwerken müssen ein verantwortlicher Redakteur für den redaktionellen Teil und auch ein verantwortlicher Redakteur für den Anzeigenteil genannt sein. Es ist zulässig, die Verantwortlichkeiten zu splitten. Dann muss jedoch deutlich sein, welcher Mitarbeiter für welches Ressort zuständig ist. Es ist keineswegs
252
Gero Himmelsbach
so, dass der Chefredakteur immer (V.i.S.d.P.) sein muss. Sicherlich hat meistens der Chefredakteur den größten Einfluss auf den Inhalt und ist für ihn deshalb auch verantwortlich. Schließlich ist die Verantwortlichkeit auch eine Statusfrage: Kaum ein Chefredakteur wird die Inhalte eines Druckwerkes zusammenstellen wollen, wenn er seine Verantwortlichkeit nach außen nicht zugleich auch durch die Benennung als verantwortlicher Redakteur dokumentieren kann. Der Chefredakteur ist aber presserechtlich ohne Bedeutung. Es gibt nicht einmal eine Pflicht zur Benennung eines Chefredakteurs im Impressum. Der verantwortliche Redakteur muss „bestellt werden“. Es genügt also nicht, wenn die Redaktion untereinander einen Verantwortlichen festlegt. Der Verlag muss den verantwortlichen Redakteur benennen. Mehrere Verantwortliche können die Verantwortung nicht teilen: Werden mehrere Personen für dieselben Inhalte als verantwortlich genannt, haften alle diese Personen gleichermaßen für die Inhalte. Wichtig ist aber auch, dass der verantwortliche Redakteur die Leitungsfunktionen tatsächlich ausübt. Dafür ist der Impressumseintrag ein Indiz. Er ist jedoch nicht ausschlaggebend. Wenn sich der Chefredakteur eine Woche im Urlaub befindet, wirkt er in dieser Woche nicht an dem Inhalt der Zeitung mit. Er kann die Zeitung gar nicht verantwortlich gestalten. Trotzdem bleibt das Impressum häufig unverändert und weist den abwesenden Chefredakteur (dann allerdings unzutreffend) als „V.i.S.d.P.“ aus. Das Impressum war also falsch. Das kann die zuständige Ordnungsbehörde – das ist in der Regel das Ordnungsamt – als Ordnungswidrigkeit ahnden. Der verantwortliche Redakteur muss folgende Voraussetzungen erfüllen: ▪ ▪ ▪
Er muss seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, er muss das aktive und passive Wahlrecht besitzen, er muss voll geschäftsfähig sein.
Wer Immunität genießt (zum Beispiel Abgeordnete) darf nicht verantwortlicher Redakteur für den politischen Teil einer Zeitung oder Zeitschrift sein.
1.2.4
Die Kennzeichnung von Werbung (§ 10 LPG)
Die Pressegesetze enthalten die Verpflichtung, „entgeltliche Veröffentlichungen“ zu kennzeichnen. Der Begriff „entgeltliche Veröffentlichung“ geht ausgesprochen weit. „Entgeltlich“ heißt nicht unbedingt, dass für die Veröffentlichung tatsächlich Geld geflossen ist. Auch Kompensationsgeschäfte sind von der Bestimmung umfasst. Wenn etwa eine Zeitung über ein Reisebüro berichtet und dafür eine Reise für zwei Personen erhält, die sie unter den Lesern verlosen kann, ist § 10 LPG verletzt. Es muss auch nicht einmal ein Vermögensvorteil geflossen sein. Es genügt sogar, dass die Presse den Vermögensvorteil entweder fordert oder er für die Veröffentlichung des redaktionellen Textes versprochen wird. Für den Leser muss klar sein, welche Inhalte des Druckwerkes Redaktion und welche bezahlte Werbung sind. Die Bestimmung schützt aber nicht nur den Leser, sondern auch die Presse als solches: Denn durch die Kennzeichnungspflicht soll die Unabhängigkeit der Presse gewahrt bleiben. Eine wirtschaftliche Beeinflussung durch Dritte soll nach Möglichkeit ausgeschlossen sein. Außerdem dient die gesetzliche Regelung dem Schutz des Wettbewerbs.
Presse- und Rundfunkrecht
253
Ein Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht stellt deshalb nicht nur eine presserechtliche Ordnungswidrigkeit dar. Es ist auch ein Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, den Mitbewerber geltend machen können. Ist eine Werbung ohne weiteres als entgeltliche Veröffentlichung erkennbar, muss man sie nicht noch zusätzlich als „Anzeige“ kennzeichnen. Ist die Werbung allerdings nicht erkennbar, muss eine Kennzeichnung mit dem Wort „Anzeige“ erfolgen. Kennzeichnungen wie „Promotion“ oder „PR-Anzeige“ genügen nicht. Das steht zwar nicht in den Pressegesetzen. Es ist aber ständige Rechtsprechung der mit Wettbewerbssachen befassten Gerichte. Nach wie vor ist die Rechtsprechung hier ausgesprochen eng. Die Gerichte gehen davon aus, dass der Leser nur das Wort „Anzeige“ als entgeltliche Veröffentlichung entlarvt. Der Hinweis muss auch deutlich erkennbar sein. Ein kaum lesbarer Hinweis in Kleinstdruck genügt nicht. Wer verpflichtet ist, die Kennzeichnungspflicht zu überwachen, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Nach Sinn und Zweck der Norm können es allerdings nur der Verleger und der Verantwortliche für den Anzeigenteil sein.
1.2.5
Pressestraf- und Presse-Ordnungswidrigkeitenrecht
Im Pressestraf- und Presse-Ordnungswidrigkeitenrecht unterscheidet man zwischen Presseinhaltsdelikten und Presseordnungsdelikten. Ein Presseinhaltsdelikt ist gegeben, wenn ein Straftatbestand „mittels eines Druckwerkes“ erfüllt ist. Die Unterscheidung zwischen Presseinhaltsdelikt und sonstiger Straftat ist vor allem für die Verjährung von ganz erheblicher Bedeutung. Denn Presseinhaltsdelikte verjähren nach den presserechtlichen Regelungen wesentlich früher als sonstige Straftaten. Vergehen verjähren nach den Pressegesetzen in der Regel in einem halben Jahr, Verbrechen in einem Jahr nach der Veröffentlichung. Verbrechen sind Straftaten mit einem Strafmaß von mindestens einem Jahr. Dazu gehören Kapitaldelikte wie Mord und Totschlag. Vergehen sind mit geringerer Strafe bedroht. Das sind zum Beispiel Beleidigung oder üble Nachrede. Verunglimpft ein Autor in einer rechtsradikalen Hetzschrift Juden und betreibt er Propaganda für eine verfassungswidrige Organisation, ist das gemäß §§ 86, 130 StGB strafbar. Da die Straftat durch („mittels“) eine Presseveröffentlichung begangen wurde, handelt es sich um ein Presseinhaltsdelikt. Voraussetzung für ein Presseinhaltsdelikt ist allerdings, dass das Druckwerk an eine Mehrzahl von Lesern verbreitet wird. Wer bei einer öffentlichen Veranstaltung aus der Zeitschrift vorliest, begeht kein Presseinhaltsdelikt, da die Straftat nicht „mittels eines Druckwerkes“ begangen wird. Presseordnungsdelikte sind Verstöße gegen die Ordnungsnormen der Pressegesetze. Diese Verstöße können strafbar sein oder Ordnungswidrigkeiten darstellen. Strafbar kann es zum Beispiel sein, einen verantwortlichen Redakteur zu bestellen, der die presserechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Ordnungswidrig handelt etwa, wer kein ordnungsgemäßes Impressum veröffentlicht. Wer ordnungswidrig handelt, muss mit einer Geldbuße rechnen. Die Höhe der Geldbuße ist in den Pressegesetzen ganz unterschiedlich geregelt. In Bayern kann ein Verstoß zwischen 5,– Euro und 1.000,– Euro kosten. In Brandenburg sind es bis zu 25.000 Euro und in Sachsen sogar bis zu 50.000 Euro.
254
Gero Himmelsbach
1.3 Der Deutsche Presserat Der Deutsche Presserat ist ein Selbstkontrollorgan der Verleger und Journalisten. Er wurde 1956 nach dem Vorbild des britischen Presserates gegründet. Seine Mitglieder sind ausschließlich Angehörige der Presse selbst (http://www.presserat.de). Er hat die Aufgabe, die Berichterstattung in der Presse daraufhin zu bewerten, ob die journalistischen Standesregeln eingehalten werden. Der Presserat wird nur auf eine Beschwerde hin tätig. Es kann allerdings jeder Beschwerde einreichen – ganz unabhängig davon, ob man von der Berichterstattung selbst betroffen ist oder nicht. Der Presserat besteht aus 20 Mitgliedern, von denen je fünf von den Verlegerverbänden kommen (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und Verband Deutscher Zeitschriftenverleger) und von den Journalistenverbänden (Deutscher Journalistenverband und Deutsche Journalistenunion in ver.di). Grundlage der Tätigkeit des Presserates ist der Pressekodex, das „Standesrecht der Presse“. Er ist 1973 entstanden und orientiert sich inhaltlich an den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berichterstattung. So sieht der Pressekodex etwa vor, dass Nachrichten, die sich nachträglich als unrichtig herausstellen, das Publikationsorgan „von sich aus in angemessener Weise“ richtig stellen muss. Wer gegen die Regelungen des Pressekodex verstößt, muss mit Sanktionen des Presserates rechnen. Einzelheiten enthält die Beschwerdeordnung des Presserates. Der Presserat kann einen Hinweis geben, eine Missbilligung aussprechen oder eine Rüge erteilen. Die härteste Maßnahme ist die öffentliche Rüge, über die dann der Presserat und die Medien berichten. Es gehört zu den standesrechtlichen Pflichten, eine öffentliche Rüge zu veröffentlichen, auch wenn sie gegen das eigene Medium gerichtet ist. Viele Verlage haben sich in entsprechenden Erklärungen dem Pressekodex unterworfen. Es besteht allerdings keine Verpflichtung, die Regeln anzuerkennen. Der Presserat kann deshalb auch keine Verlage zwingen, eine öffentliche Rüge zu veröffentlichen. Und schließlich ist auch der Pressekodex nicht justitiabel. Das heißt, dass die dort enthaltenen Grundsätze nicht einklagbar sind. Allerdings hat der Presserat in den Chefredaktionen deutscher Verlage durchaus Gewicht. Denn eine Rüge des Presserates führt dazu, dass die Redaktion in aller Öffentlichkeit an den Pranger gestellt wird. Das ist selten im Sinne der Chefredaktion.
2
Rundfunkrecht
2.1 Vom Telegraphenfunk zur Konvergenz der Medien 2.1.1
Entwicklung bis 1945
Rundfunk beginnt in Deutschland nicht öffentlich-rechtlich: 1923 kommt es zur Gründung der privaten Rundfunkgesellschaft „Deutsche Stunde AG“. Sie beginnt am 29. Oktober 1923 mit der Musiksendung „an Alle“ das tägliche Rundfunkprogramm in Berlin. Weitere neun private Programmgesellschaften gründen sich. Die Reichsregierung erkennt allerdings rasch den Einfluss des Rundfunks auf die öffentliche Meinungsbildung: 1925 entsteht der zentralistische Dachverband „Reichsrundfunkgesellschaft mbH“, an der die Deutsche Reichs-
Presse- und Rundfunkrecht
255
post die Mehrheit hält. In den letzten Jahren der Weimarer Republik versucht das Reichsinnenministerium, den Rundfunk zum „Sprachrohr der Reichsregierung“ umzufunktionieren. Das gelingt durch eine Veränderung der Kapitalverhältnisse. Zwar bleibt es bei der privaten Rechtsform, es müssen jedoch alle privaten Gesellschafter ausscheiden. Dem Reich gehörten nun 51 Prozent an der Reichsrundfunkgesellschaft und den Regionalgesellschaften. Die Länder erhalten die verbliebenen 49 Prozent. Durch Verordnung vom 30. Juni 1933 überträgt die nationalsozialistische Regierung alle Rundfunkangelegenheiten dem neu gegründeten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Damit ist die Zentralisierung des Rundfunks vollendet. Die Anteile der Länder an den Regionalgesellschaften erwirbt die Reichsrundfunkgesellschaft. Die Regionalgesellschaften werden zu Zweigstellen.
2.1.2
Entwicklung nach 1945
Nach dem zweiten Weltkrieg dienen die Sendeanlagen zunächst als Soldatensender. Im Jahr 1947 und 1948 gründen die Alliierten in den jeweils von ihnen kontrollierten Zonen Rundfunkanstalten als Anstalten öffentlichen Rechts. In der US-Zone entstehen der Bayerische Rundfunk (BR), der Hessische Rundfunk (HR), Radio Bremen (RB) und der Süddeutsche Rundfunk (SDR). In der britischen Zone wird der Nordwestdeutsche Rundfunk gegründet, der die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg versorgt. 1954 entstehen hieraus der Westdeutsche Rundfunk (WDR) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR). In der französischen Zone gibt es den Südwestfunk (SWF). 1955 wird die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschland (ARD) als lose Arbeitsgemeinschaft gegründet. 1961 gründen die Länder durch Staatsvertrag das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF). Die Zeit der so genannten „neuen Medien“ läutet der Beschluss der Ministerpräsidenten vom 11. Mai 1978 ein, vier Kabel-Pilotprojekte durchzuführen – und zwar in den Städten Berlin, Mannheim/Ludwigshafen, München sowie Köln oder Wuppertal. Am 25. Mai 1981 konstituiert sich die Enquête-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken“. Sie legt ihren Bericht am 28. März 1983 vor. Bereits am 18. März 1983 verabschiedeten die Länder den BTX-Staatsvertrag. Am 1. Januar 1984 beginnt dann das Ludwigshafener Pilotprojekt. Die Bayern ziehen mit dem Münchner Kabelpilotprojekt am 1. April 1984 nach. Am 1. Januar 1985 startet das erste private Satellitenfernsehen, SAT.1. Der seit 1980 versuchsweise ausgestrahlte Videotext wird auf Beschluss der ARD-Intendanten seit 1. Januar 1990 ständig angeboten. Durch die Wiedervereinigung im Jahr 1990 kommt es zu einer Neuordnung des Rundfunks in Deutschland. Es entsteht der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg und der Mitteldeutsche Rundfunk. Am 31. August 1991 unterzeichnen die Länder den „Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland“. 1995 setzt eine Diskussion ein, die ARD aufzulösen. Dazu kommt es nicht. 1997 fusionieren der SWF und SDR zum Südwestrundfunk (SWR). Heute sind „Neue Medien“ nicht mehr Kabel- und Satellitenrundfunk, sondern InternetDienste und digitaler Rundfunk. Es ist von der „Konvergenz der Medien“ die Rede. Darunter versteht man die Zusammenführung von Rundfunk- und Internet-Diensten, die vor allem
256
Gero Himmelsbach
durch die Entwicklung der Digitalisierung möglich werden soll. Ähnlich wie das in den 90er Jahren entwickelte BTX-Telefon soll es nun ein Endgerät geben, das Telefon, Fernsehgerät und PC zu einem multifunktionalen Empfangsgerät verschmelzen lässt. Eine „Konvergenz der Medien“ stellt nicht nur enorme Anforderungen an eine Technik, die schnell begreifbar, leicht zu bedienen und wirtschaftlich erschwinglich ist. Das Zusammenwachsen unterschiedlicher Medienbereiche stellt auch Herausforderungen an das Medienrecht. Es genügt dann nicht mehr, die Medienbereiche durch Gesetze und Staatsverträge getrennt zu regeln. Auch die gesetzlichen Regelungen müssen ineinander greifen, sich ergänzen oder – besser noch – zu einer einheitlichen Medienordnung verschmelzen.
2.2 Rechtsgrundlagen der Rundfunkordnung in Deutschland 2.2.1
Rundfunkgesetze der Länder
Eine Vereinheitlichung der Rundfunkordnung setzt einen Konsens zwischen allen Ländern und zwischen den Ländern und dem Bund voraus. Denn gemäß Art. 70 ff. GG haben die Länder für die Veranstaltung von Rundfunk die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. Es gibt deshalb kein Bundesgesetz – wie zum Beispiel das Hochschulrahmengesetz – das bundesweit einen einheitlichen rundfunkrechtlichen Rahmen vorgibt, an den sich die Länder zu halten hätten. Lediglich ein einziges Bundesrundfunkgesetz gibt es. Es ist das DeutscheWelle-Gesetz. Für die Deutsche Welle ist der Bund zuständig, da die Deutsche Welle Auslandsrundfunk ist. Jedes Land hat also sein eigenes Rundfunk- oder Mediengesetz. Rechtsgrundlage für die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten wie zum Beispiel den BR, HR und RB sind Gesetze der jeweiligen Länderparlamente. Schließen sich mehrere Länder für die Veranstaltung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramms zusammen, vereinbaren die Länder hierzu einen Staatsvertrag. 1987 einigten sich die Länder auf den „Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens“. Er schaffte einen Ordnungsrahmen für die Veranstaltung öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunks, an den sich die Länder mit ihren landeseigenen Mediengesetzen nun halten müssen.
2.2.2
Rundfunk-Staatsvertrag
Die Vereinigung führte dann zu einer Einigung aller Bundesländer über einen „Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland“ vom 31. August 1991, der seitdem die wichtigste rechtliche Grundlage zur Ordnung des Rundfunks in Deutschland ist. Der Staatsvertrag fasst fünf Staatsverträge zusammen – nämlich Rundfunkstaatsvertrag, ARD-Staatsvertrag, ZDF-Staatsvertrag, Rundfunkgebühren-Staatsvertrag und Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag. Er enthält damit die Grundsatzregelungen für den öffentlich-rechtlichen und für den privatrechtlichen Rundfunk. Der Staatsvertrag wurde seit 1991 bereits elf Mal geändert: 1994 wurden die Regelungen für den Jugendschutz verschärft und die für das Sponsoring großzügiger gefasst. Die zweite Änderung 1996 betraf die Verwendung des Gebührenanteils der Landesmedienanstalten. Diese enthalten nämlich einen Anteil von den Rundfunkge-
Presse- und Rundfunkrecht
257
bühren. 1997 führte die dritte Änderung die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) und die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) ein. Die vierte Novelle 2000 enthielt unter anderem eine Liste sportlicher Großereignisse, die für die Fernsehzuschauer frei empfangbar bleiben müssen. Sie ermächtigte auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Online-Angebote mit vorwiegend programmbezogenen Inhalt zur Verfügung zu stellen. Mit der fünften Änderung 2001 kam es zu einer Erhöhung der Rundfunkgebühren und zu einer Neuordnung des ARD-Finanzausgleichs für finanzschwache Länderanstalten. Die sechste Änderung im Jahr 2002 enthielt unter anderem Regelungen zur Digitalisierung des Rundfunks und gestattet öffentlich-rechtlichen Anstalten, die analoge terrestrische Programmversorgung (also die Programmversorgung durch Antenne) Schritt für Schritt durch eine digitale terrestrische Übertragung zu ersetzen. Außerdem wurden die ARD-Anstalten, das DeutschlandRadio und das ZDF verpflichtet, alle zwei Jahre die Landtage über ihre wirtschaftliche und finanzielle Situation zu unterrichten. Im Jahr 2004 trat der siebte Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Kraft. Der Rundfunk-Staatvertrag definiert vor allem detailliert den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender, die Grundversorgung zu leisten und untersagt ihnen Pay-TV-Angebote. ARD, ZDF und das DeutschlandRadio wurden verpflichtet, jeweils Satzungen oder Richtlinien zu näheren Ausgestaltung ihres Auftrags zu erlassen. Der Hintergrund: Der Aufgabenbereich des gebührenfinanzierten Rundfunks sollte enger gefasst werden, damit sich dieser Rundfunk auf seine Kernaufgabe „Programmveranstaltung“ beschränkt. Für alle Fernsehveranstalter stellt der Staatsvertrag fest, dass sie „zur Sicherung von deutschen und europäischen Film- und Fernsehproduktionen als Kulturgut sowie als Teil des audiovisuellen Erbes“ beitragen. Bereits ein Jahr später gab es weitere Änderungen durch den achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Hier ging es unter anderem um die Rundfunkgebühren. Seit 1997 passen die Länder die Rundfunkgebühr alle vier Jahre an. In Selbstverpflichtungen legten ARD und ZDF zudem fest, welche Mittel sie für ihre Online-Aktivitäten aufbringen und wie Einsparungen erfolgen werden. Seit 1. Januar 2007 müssen Unternehmen die Grundgebühr auch für „neuartige“ Rundfunkempfanggeräte wie internetfähige PCs, UMTS-Handys oder internetfähige PDAs bezahlen. Die neunte Änderung (2007) setzte europarechtliche Vorgaben um und enthält Regelungen für journalistisch-redaktionelle „Telemedien“, die bislang im Mediendienste-Staatsvertrag enthalten waren. Der neu gefasste Rundfunkstaatsvertrag heißt seitdem „Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien“. „Telemedien“ sind vor allem Internetangebote, aber auch Fernseh- und Radiotext sowie Teleshoppingkanäle. Eine Änderung folgt nun auf die nächste: Die zehnte Änderung tritt zum 1. August 2008 in Kraft. Sie schafft die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) als Organ der Landesmedienanstalten ab. Dafür gibt es nun die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK), die unter anderem für die Zulassung bundsweiter Rundfunkveranstalter zuständig ist. Nahezu parallel wurde die elfte Änderung verabschiedet. Kernpunkt ist die Anpassung der Rundfunkgebühren (Grundgebühr und Fernsehgebühr) um 0,95 Euro auf 17,98 für 2009 bis 2012. ARD, ZDF und DeutschlandRadio wollten dagegen eine Erhöhung um 1,69 Euro erreichen. Und schon wird der zwölfte Rundfunkänderungsstaatsvertrag diskutiert: Heftig umstritten ist vor allem der verfassungsrechtlich zulässige Umfang von Online-Angeboten der
258
Gero Himmelsbach
öffentlich-rechtlichen Anstalten. Es geht dabei vor allem um die Frage, welche Internet-Angebote noch programmbegleitend sind und deshalb aus den Rundfunkgebühren finanziert werden dürfen.
2.2.3
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag
Die Regelungen des Rundfunk-Staatsvertrags ergänzt seit 1. April 2003 der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Er enthält u.a. jugendschutzrechtliche Vorgaben für Privatrundfunkanbieter. Kern des Staatsvertrags ist die Einrichtung der „Kommission für Jugendmedienschutz“ (KJM), die bislang in Europa einmalig ist. Sie überwacht die Einhaltung des Jugendmedienschutzes und entwickelt Vorgaben für eine jugendgerechte Ausgestaltung von Rundfunkprogrammen privater Anbieter und Internet-Inhalten.
2.2.4
Grundgesetz und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkordnung in Deutschland durch seine Rundfunkurteile zur Rundfunkfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – zunächst „FernsehUrteile“ genannt – ganz wesentlich mitbestimmt. Die Entscheidungen des BVerfG haben wegen § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzesqualität. Sie sind also als zwingendes Recht zu beachten. So war vor allem das vierte Rundfunkurteil maßgeblicher Auslöser dafür, dass sich die Länder 1987 auf den ersten umfassenden Rundfunkstaatsvertrag einigten. Das Bundesverfassungsgericht entschied damals (BVerfGE 74, 205), dass die „Grundversorgung“ Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist. Es stellte weiter fest, dass an die Breite des Programmangebots und die Vielfaltsicherung im privaten Rundfunk nicht die gleich hohen Anforderungen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stellen sind. Allerdings ist ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern. Rechtsgeschichte hatte zuvor das erste Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 (BVerfGE 12, 205) geschrieben, das sich mit der vom Bund gegründeten Deutschland-Fernsehen GmbH beschäftigte. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Veranstaltung von Rundfunksendungen eine „öffentliche Aufgabe“ und keine „staatliche Aufgabe“ ist. Art. 5 GG fordere Gesetze, durch die die Veranstaltung von Rundfunkdarbietungen so organisiert wird, dass alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluss haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können. Weiter forderte das Bundesverfassungsgericht ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung. Das Ergebnis also: Rundfunk hat in Deutschland von staatlichem Einfluss frei zu bleiben. Der Staat darf keinen Rundfunk in Deutschland veranstalten.
2.2.5
Europäische Regelungen
Rundfunk macht an den Landesgrenzen nicht halt. Das gilt vor allem für Fernsehprogramme, die über Satelliten weltweit zu empfangen sind. Müssen sich ausländische Anbieter von
Presse- und Rundfunkrecht
259
Fernsehprogrammen auch an das deutsche Rundfunkrecht halten? Es gilt das Territorialitätsprinzip. Das heißt, dass ein Staat Regelungen für Vorgänge treffen kann, die sich auf seinem Gebiet ereignen. Mit rechtlichen Maßnahmen lässt sich eine Empfangbarkeit ausländischer Satellitenprogramme in Deutschland nicht verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar entschieden, dass Rundfunkprogramme allgemein zugängliche Quellen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sind und dies auch für ausländische Rundfunkprogramme gilt (BVerfGE 90, 27). Da sogar Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) den Empfang ausländischer Sendungen garantiert, bedarf es eines europäischen Konsenses für eine Fernseh-Rahmenregelung. Nur dieser kann zum Beispiel verhindern, dass ein in Großbritannien möglicherweise zulässiges, unverschlüsseltes Pornoprogramm nicht auch über Satellit in Deutschland zu empfangen ist. Am 3. Oktober 1989 verabschiedete der Ministerrat die „Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit“, kurz die „EG-Fernsehrichtlinie“ (auffindbar im Internet unter http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm). Die Richtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten, die inländischen Veranstalter strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen zu unterwerfen, als in der Richtlinie vorgesehen sind. Sie enthält weiter Regelungen zur Förderung der europäischen Programmproduktion, zu Werbung und Sponsoring, zum Jugendschutz und dem Recht der Gegendarstellung. So kann etwa ein Empfangsland die Kabeleinspeisung bei wiederholten schwerwiegenden Verstößen gegen die Bestimmung des Jugendschutzes aussetzen. 1997 wurde die Richtlinie einer Revision unterzogen (Richtlinie 97/36 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG). Inhalte der Änderung sind unter anderem der Umfang einer frei empfangbaren Berichterstattung und Werberegelung für Teleshopping und Teleshoppingkanäle. IM November 2007 hat das Europäische Parlament die – nunmehr so bezeichnete – EU-Fernsehrichtlinie erneut novelliert. Sie heißt seitdem „Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“ und umfasst nun auch Internetangebote. Geändert sind zum Beispiel die Bestimmungen zur Werbung: Product Placement ist unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Filme können alle 30 Minuten unterbrochen werden. Pro Stunde sind bis zu zwölf Minuten Werbung zulässig. Die EU-Richtlinien haben als übergeordnetes Recht auch Auswirkung auf die deutsche Rundfunkordnung und müssen deshalb auch in deutsches Recht umgesetzt werden. Die EUVorgaben finden sich in den Änderungen zum Rundfunkstaatsvertrag wieder. Die Novellierung von 2007 ist bis Ende 2009 umzusetzen.
2.3 Artikel 5 Grundgesetz: Freiheit des Rundfunks 2.3.1
Der Rundfunkbegriff
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz garantiert die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk. „Rundfunk“ heißt Hörfunk und Fernsehen. Was Rundfunk ist, definiert § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Rundfunk-Staatsvertrags (RStV):
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Gero Himmelsbach „Rundfunk ist für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind.“
Der Rundfunkbegriff ist also unabhängig von der Art der Verbreitung – terrestrisch durch Antenne, per Kabel, per Satellit oder mit anderen technischen Mitteln. Zum Rundfunk gehören auch Pay-TV und digital verbreiteter Rundfunk. „Rundfunk“ könnten deshalb auch InternetDienste sein. Diese sind aber „Telemedien“. Journalistisch-redaktionelle Telemedien, die der Rundfunkstaatsvertrag auch regelt, sind zum Beispiel Netz-Zeitungen, Informations-Portale oder Internet-Angebote von Rundfunkveranstaltern. Individualkommunikation wie ElectronicBanking, E-Mail oder reiner Datenaustausch (etwa per File-Transfer-Protocol) sind vom Telemediengesetz (TMG) erfasst. Auch wenn Telemedien grundsätzlich ohne Genehmigung betrieben werden dürfen und Teleshopping zu den Telemedien gehört, sind Rundfunk-Teleshopping-Angebote jedoch nur mit Genehmigung zulässig. Reine Teleshopping-Kanäle unterliegen aber zum Beispiel nicht den Werbebeschränkungen des Rundfunkstaatsvertrags. Etwas anderes gilt für Teleshoppingfenster, die zum Beispiel auf privaten Kanälen laufen.
2.3.2
Wem gehört die Rundfunkfreiheit?
Auf die Rundfunkfreiheit können sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die privaten Rundfunkanbieter sowie deren Lizenzgeber, die Landesmedienanstalten, berufen. Die Frage der Grundrechtsfähigkeit ist deshalb von Bedeutung, weil nur grundrechtsfähige Subjekte einen Verstoß gegen die Grundrechte vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen können. Da die öffentlich-rechtlichen Anstalten eine „öffentliche Aufgabe“ erfüllen und keine „staatliche Aufgabe“, können sie die Verletzung der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG geltend machen. Dies ist auch mehrfach geschehen. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa das fünfte Rundfunkurteil (BVerfGE 78, 205) aufgrund einer Verfassungsbeschwerde des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks erlassen. Es ging um die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten von der Veranstaltung bestimmter Rundfunkprogramme und rundfunkähnlicher Kommunikationsdienste ausgeschlossen werden. Dies hatte das Landesmediengesetz Baden-Württemberg so vorgesehen. Das Bundesverfassungsgericht entschied: „Auch jenseits der Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten ist es dem Gesetzgeber daher versagt, die Veranstaltung dieser Programme und Dienste ausschließlich privaten Anbietern vorzubehalten.“
2.3.3
Bestandteile der Rundfunkfreiheit
Art. 5 Abs. 1 Satz 2 gewährleistet unter anderem „die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk“. Was unter „Rundfunkfreiheit“ konkret zu verstehen ist, definiert das Grundgesetz nicht. Deshalb kommt vor allem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine erhebliche Bedeutung zu, das die Kommunikations-Freiheitsrechte in Art. 5 Abs. 1 GG –
Presse- und Rundfunkrecht
261
also die Meinungsäußerungsfreiheit, die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit, die Rundfunkfreiheit und die Filmfreiheit – mit Inhalten füllt. Die Rundfunkfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG kann man deshalb auch nicht isoliert betrachten. Sie ist im Kontext des durch Art. 5 GG garantierten Menschenrechts auf Kommunikationsfreiheit zu sehen. Die Meinungsäußerungsfreiheit spielt natürlich auch für die Berichterstattung im Rundfunk eine ganz erhebliche Rolle. Schließlich hat die Darstellung im Rundfunk eine ganz erhebliche Wirkung auf die öffentliche Meinungsbildung. Auch die Informationsfreiheit steht in einem engen Zusammenhang mit der Veranstaltung von Rundfunk. Denn der Zugang des Einzelnen zu den vorhandenen, frei empfangbaren Rundfunkprogrammen gehört zur Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Rundfunkfreiheit schützt schließlich auch das bereits oben beschriebene Zensurverbot in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG. Aber die Rundfunkfreiheit gilt – wie die Pressefreiheit – nicht unbeschränkt: Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG schränken die „allgemeinen Gesetze“, die „gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und „das Recht der persönlichen Ehre“ die Rundfunkfreiheit ein. In seiner Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht einige Eckpfeiler für die Ausgestaltung der grundgesetzlich garantierten Rundfunkfreiheit festgelegt. Das sind vor allem ▪ ▪ ▪ ▪
die Staatsferne des Rundfunks, die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, der Vorbehalt des Gesetzes für die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und die Verpflichtung zur Vielfalt durch die Garantie der Innen- bzw. Außenpluralität.
a.
Staatsferne des Rundfunks
Die Rundfunkfreiheit verbietet jede staatliche Einflussnahme auf die Programme der Rundfunkveranstalter. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon in seinem ersten Fernsehurteil entschieden. 1960 wollte die damalige Bundesregierung die Deutschland-Fernsehen GmbH gründen, deren Aufgabe „die Veranstaltung von Fernseh-Rundfunksendungen, die den Teilnehmern in ganz Deutschland und dem Ausland ein umfassendes Bild Deutschlands vermitteln wollen“ sein sollte. Das Bundesverfassungsgericht entschied auf Antrag von Hamburg, Hessen, Bremen und Niedersachsen, dass der Bund weder die Befugnis hat, die Organisation der Veranstaltung und die der Veranstalter von Rundfunksendungen zu regeln, noch selbst Rundfunksendungen veranstalten darf. Aus der Deutschland-Fernsehen GmbH wollten die Intendanten der ARD-Landesrundfunkanstalten dann ein zweites Fernsehprogramm machen. Das ließen allerdings die Ministerpräsidenten der Länder nicht zu, die 1966 die Gründung des ZDF beschlossen. Zur Staatsfreiheit gehört auch, dass die Exekutive keinen Einfluss auf den Inhalt von Rundfunkprogrammen nehmen darf. So gibt es zwar für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und die Landesmedienanstalten eine staatliche Rechtsaufsicht. Diese darf sich jedoch nicht auf Programmangelegenheiten beziehen. Auch die Aufsichtsgremien innerhalb der Rundfunkorganisation – zum Beispiel die Rundfunkräte – dürfen nicht überwiegend mit staatlichen Vertretern besetzt werden. Deren Mitwirkung in diesen Gremien ist jedoch zu-
262
Gero Himmelsbach
lässig (BVerfGE 12, 205, 263; 83, 238, 330). Schließlich darf der Staat seinen Einfluss auch nicht dadurch ausüben, indem er gesetzliche Rahmenbedingungen festlegt, die auf das Rundfunkprogramm Auswirkungen haben können – zum Beispiel bei der Frage der Finanzierung von Rundfunkprogrammen.
b.
Grundversorgung durch die Öffentlich-Rechtlichen
Für die öffentlich-rechtlichen Anstalten hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der „Grundversorgung“ geprägt. Diese ist zunächst eine Verpflichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Sie ist durch drei Elemente gekennzeichnet (BVerfGE 74, 297), nämlich ▪ ▪
▪
durch eine Übertragungstechnik, bei der ein Empfang für alle sichergestellt ist, durch den inhaltlichen Standard der Programme im Sinne eines Angebots, das nach seinen Gegenständen und der Art ihrer Darbietungen oder Behandlung dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks voll entspricht, durch die wirksame Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt in der Darstellung der bestehenden Meinungsrichtungen durch organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen.
Die Grundversorgung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vor allem auch deshalb Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, weil diese nicht wie private Veranstalter auf hohe Einschaltquoten angewiesen und deshalb eben zu einem inhaltlich umfassenden Programm in der Lage sind (BVerfGE 74, 297). Die „Grundversorgung“ stellt jedoch nicht nur eine Verpflichtung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dar, sondern auch die Verpflichtung des Staates, die Grundversorgung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Finanzierung durch Gebühren, die in dem Auftrag der Grundversorgung ihre Rechtfertigung findet. Denn nur dadurch werden – so das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 73, 118) – die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen zur Erfüllung der Grundversorgung sichergestellt. „Grundversorgung“ heißt nicht, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf eine Mindestversorgung reduziert sind und alle Programme außerhalb einer Grundversorgung dem privaten Rundfunk vorbehalten sind (BVerfGE 74, 297). Schließlich muss auch das öffentlichrechtliche Programm attraktiv bleiben und nicht (nur) ein anspruchsvolles Randprogramm für Minderheiten und Eliten werden. Denn gerade dann würde auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk an Attraktivität verlieren und könnte – mangels einer Akzeptanz in der Öffentlichkeit – seinen Auftrag auf Grundversorgung nicht mehr erfüllen. Damit geht die Bestands- und Entwicklungsgarantie öffentlich-rechtlicher Aufgaben einher. In seinem sechsten Rundfunkurteil (WDR-Urteil) vom 5. Februar 1991 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Begriff der Grundversorgung offen und dynamisch ist und die Rundfunkfreiheit eben nicht nur die Veranstaltung von Rundfunk garantiert. In seiner Entscheidung hatte sich das Gericht damit zu beschäftigen, ob der WDR Druckwerke mit vorwiegend programmbezogenen Inhalt veröffentlichen darf. Zwar könne sich, so das Bundesverfassungsgericht, eine öffentlich rechtliche Rundfunkanstalt nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit stützen, die
Presse- und Rundfunkrecht
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Veröffentlichung vorwiegend programmbezogener Druckwerke sei jedoch von der Rundfunkfreiheit umfasst, wenn sie dem Aufgabenkreis des Rundfunks als unterstützende Randbetätigung zugeordnet werden kann. Die Frage, inwieweit sich öffentlich-rechtliche Anstalten wirtschaftlich unter dem Schutz der Rundfunkfreiheit betätigen dürfen, ist ausgesprochen umstritten. Darf das ZDF einen kommerziellen Medienpark einrichten? Dürfen öffentlich-rechtliche Anstalten eigene, kommerzielle Internet-Angebote veranstalten? Mit dem achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten zwar ihren Aufgabenbereich durch Selbstverpflichtungserklärungen eingeschränkt. Die Praxis zeigt aber, dass auch die öffentlichrechtlichen Anstalten ihre Online-Angebote Stück für Stück ausweiten. Damit beschäftigen sich derzeit (2008) die Länderchefs in ihren Verhandlungen zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag.
c.
Vorbehalt des Gesetzes und Sicherung der Vielfalt
Während der Staat die Rundfunkfreiheit einerseits durch gesetzliche Vorgaben nicht gefährden darf, hat das Bundesverfassungsgericht andererseits einen Vorbehalt des Gesetzes statuiert. Das bedeutet zunächst, dass es überhaupt Gesetze geben muss, die die Veranstaltung von Rundfunk regeln. Das bedeutet aber auch, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Regelungen selbst vorgeben muss. Er darf die Entscheidung im Einzelfall nicht durch eine Generalklausel auf die Exekutive verlagern. Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur gewährleistet, wenn eine positive Ordnung sicherstellt, dass die Vielfalt der vorhandenen Meinungen im Rundfunk „in möglichster Breite und Vollständigkeit“ Ausdruck findet (BVerfGE 57, 295, 320). Vor allem aufgrund der technischen und finanziellen Anforderungen an die Veranstalter von Rundfunk sah das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit, „besondere Vorkehrungen zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung der in Artikel 5 GG gewährleisteten Freiheit“ zu treffen, „die allgemein verbindlich zu sein haben und daher durch Gesetz zu treffen sind“ (BVerfGE 31, 314). In seinem dritten Rundfunkurteil vom 16. Juni 1981 legte das Bundesverfassungsgericht dann die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Regelung für die Veranstaltung privater Hörfunk- und Fernsehsendungen fest (BVerfGE 75, 205). Aus den verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Vorbehalt des Gesetzes im Rundfunkbereich ergeben sich folgende Aufgaben für den Gesetzgeber: ▪
▪
▪
Der Zugang zur Veranstaltung von Rundfunksendungen ist gesetzlich zu regeln. Allerdings darf der Zugang nur von Voraussetzungen abhängig gemacht werden, die die Rundfunkfreiheit gewährleisten. Das Erlaubnisverfahren muss zugleich Regeln darüber enthalten, wie bei Kapazitätsengpässen Übertragungsmöglichkeiten aufzuteilen sind. Der Gesetzgeber muss für den Inhalt des Gesamtprogramms Leitgrundsätze verbindlich aufstellen, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten. Ob die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Sicherung der Meinungsvielfalt durch eine binnenpluralistische Struktur oder ein außenpluralistisches Modell erfolgt, kann
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▪
Gero Himmelsbach der Gesetzgeber entscheiden. „Binnenpluralistisch“ heißt, dass die programmlichen Leitgrundsätze in dem Gesamtprogramm eines einzelnen Veranstalters zu verwirklichen sind. Bei einem außenpluralistischen Modell muss nicht der einzelne Veranstalter eine Ausgewogenheit herbeiführen. Die Gesamtheit der Rundfunkanbieter muss jedoch die Ausgewogenheit gewährleisten. Um die gesetzlichen Bestimmungen sicherzustellen, muss der Gesetzgeber eine begrenzte Staataufsicht vorsehen.
Trotz des Vorbehalts des Gesetzes muss der Gesetzgeber die Programmfreiheit nach Möglichkeit unangetastet lassen. Die Gesetze dürfen auch nicht zu einer Beschränkung der Rundfunkfreiheit führen. Sie sind nur zulässig, soweit sie der Sicherung der Rundfunkfreiheit dienen.
2.4 Rundfunkstaatsvertrag: Konsens der 16 Länder Unter „Rundfunkstaatsvertrag“ (RStV) versteht man nur Art. 1 des „Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland“ und nicht den Gesamt-Staatsvertrag. Das duale Rundfunksystem – also die Aufteilung des Rundfunks in öffentlich-rechtliche und private Rundfunkveranstalter – spiegelt sich im Rundfunk-Staatsvertrag wieder: Er enthält zunächst allgemeine Vorschriften für alle Rundfunkanbieter. Hierzu gehören Kurzberichterstattung, Werbung und Sponsoring sowie Informationspflichten und Informationsrechte. Der zweite Abschnitt beinhaltet Vorschriften für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dazu gehören die Definition deren Auftrags, die Finanzierung, Werberegeln und Satelliten-Fernsehprogramme sowie digitale Angebote für ARD und ZDF. Der dritte Abschnitt regelt den privaten Rundfunk. Hier geht es unter anderem um das Zulassungsverfahren, Maßnahmen zur Sicherung der Meinungsvielfalt, die Organisation der Medienaufsicht, Werbung und Datenschutz. Bestimmungen über Ordnungswidrigkeiten enthält der vierte Abschnitt. Der fünfte Abschnitt regelt die Zuordnung und Nutzung der Übertragungskapazitäten – Satellitenkanäle, Weiterverbreitung in Kabelanlagen, Zuweisung digitaler terrestrischer Übertragungskapazitäten im Fernsehen. Der sechste Abschnitt befasst sich mit den Telemedien. Im Folgenden werden auf der Grundlage des 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrages die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags für alle Rundfunkanbieter vorgestellt.
2.4.1
Das Recht der Kurzberichterstattung
Politisch und medienrechtlich hoch brisant ist die Regelung der Kurzberichterstattung. § 5 RStV garantiert jedem in Europa zugelassenen Fernsehveranstalter das Recht auf Kurzberichterstattung. Das spielt vor allem bei sportlichen Ereignissen eine wichtige Rolle. Denn es kann alleine der Veranstalter wegen seines Hausrechts bestimmen, wem und unter welchen Bedingungen er Zutritt gewährt. Da der Veranstalter daran interessiert ist, die Rechte an der Veranstaltung zu verkaufen, wird er deshalb nur demjenigen Zutritt gewähren, der bereit ist, eine entsprechende Lizenzvergütung zu bezahlen. Das kann jedoch dazu führen, dass die
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Berichterstattung von solchen Ereignissen monopolisiert wird. Um Informationsmonopole zu verhindern, erlaubt § 5 RStV jedem in Europa zugelassenen Fernsehveranstalter den Zugang zu Veranstaltungen und Ereignissen, „die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind“. Die Fernsehveranstalter haben auch das Recht zur „kurzzeitigen Direktübertragung, zur Aufzeichnung, zu deren Auswertung zu einem einzigen Beitrag“ und – unter bestimmen Voraussetzungen – zur Weitergabe des Beitrags. Dem Recht zur Kurzberichterstattung steht die Pflicht des Veranstalters gegenüber, die Kurzberichterstattung zuzulassen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Kurzberichterstattung (BVerfGE 97, 228) diesen Eingriff in die Rechte des Veranstalters als zulässig angesehen. Denn es sprechen „vernünftige Gründe des Gemeinwohls“ für den Eingriff. Die Sicherung freier Informationstätigkeit und freien Informationszugangs sei ein wesentliches Anliegen des Grundgesetzes. Durch das Recht der Kurzberichterstattung würden Informationsmonopole verhindert und eine Pluralität der Informationsquellen gewährleistet. Dazu kommt, dass die Informationsvermittlung heute auf bewegte Bilder angewiesen ist, um die Informationen zu veranschaulichen. Es ist dem Medium Fernsehen und seiner Bedeutung in der Öffentlichkeit nicht angemessen, wenn es lediglich durch Text – zum Beispiel Nachrichtensprecher – Fakten ohne Bildmaterial verbreiten dürfte. Die Rundfunkfreiheit schützt deshalb auch die medienspezifische Form der Berichterstattung und die Nutzung der dazu erforderlichen technischen Vorrichtungen (BVerfGE 91, 125). Damit entspricht das Recht der Kurzberichterstattung der Europäischen Rechtslage. Denn in Art. 9 der Europaratskonvention über das grenzüberschreitende Fernsehen haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, bei exklusiven Senderechten rechtliche Maßnahmen zu prüfen, mit denen das Recht der Öffentlichkeit auf Information über bedeutende Ereignisse sicherzustellen ist. Erlaubt ist nach § 5 RStV die „nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung“. Eine feste Dauer sieht der Staatsvertrag nur bei „kurzfristig und regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen“ vor. Erlaubt sind dann „in der Regel eineinhalb Minuten“. Will ein Fernsehveranstalter sein Recht auf Kurzberichterstattung geltend machen, muss er sich spätestens zehn Tage vor Beginn der Veranstaltung beim Veranstalter anmelden. Der Veranstalter muss dann spätestens fünf Tage vor Beginn der Veranstaltung mitteilen, ob ausreichend räumliche und technische Möglichkeiten vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall, muss der Veranstalter eine Auswahl treffen. Dabei muss der Veranstalter vor allem solche Fernsehsender berücksichtigen, die „eine umfassende Versorgung des Landes sicherstellen, in dem die Veranstaltung oder das Ereignis stattfindet“. Wer das Recht zur Kurzberichterstattung ausüben kann, darf den Kurzbericht nicht vor einer Erstausstrahlung des Lizenzinhabers senden. Die Kurzberichterstattung des § 5 RStV betrifft nur das Fernsehen. Es gibt keine Hörfunkübertragungsrechte, die der Veranstalter lizenzieren könnte. Denn die Information über ein Ereignis ist frei. Jeder kann hierüber in Wort, aber nicht in Bild, berichten. Etwas anderes gilt dann, wenn die Berichterstattung live aus dem Stadion erfolgen soll. Die Live-Berichterstattung ist ohnehin an bestimmte technische Vorgaben gebunden. Ohne Reporterplatz ist eine Live-Reportage nicht möglich. Es entscheidet dann der Veranstalter, wem und zu welchen Konditionen er die Möglichkeit der Live-Berichterstattung einräumt. Neben dem Recht auf Kurzberichterstattung gibt es auch noch eine eigene Regelung zur Übertragung von Großereignissen. Nach § 4 RStV dürfen Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung nur dann im Pay-TV ausgestrahlt werden, wenn eine Ausstrahlung im
266
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Free-TV sichergestellt ist. Zu den Großereignissen gehören die Fußball-Weltmeisterschaft, die Olympischen Sommer- und Winterspiele und die Spiele der Deutschen Fußballnationalmannschaft.
2.4.2
Werbung und Teleshopping
§ 7 RStV legt Mindestkriterien für Werbung und Teleshopping fest. Danach müssen Werbung und Teleshopping gekennzeichnet und vom Programm getrennt sein. Schleichwerbung ist unzulässig. § 7 Abs. 7 RStV untersagt, dass in der Fernsehwerbung und beim Teleshopping im Fernsehen Personen auftreten dürfen, die regelmäßige Nachrichtensendungen oder Sendungen zum politischen Zeitgeschehen moderieren. Unzulässig ist Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regeln §§ 15, 16 RStV genau, wann und wie lange Sendungen durch Werbung unterbrochen werden dürfen. Nach § 16 Abs. 1 darf im ARD- und ZDF-Programm an Werktagen höchstens 20 Minuten Werbung im Jahresdurchschnitt gezeigt werden. Nach 20.00 Uhr, an Sonntagen und im ganzen Bundesgebiet anerkannten Feiertagen ist dort Werbung überhaupt verboten. Das gleiche gilt für die dritten Fernsehprogramme. Zur Werbung gehören keine Programmhinweise (Trailer) auf eigene Programme. Zur Werbung gehören nicht Hinweise auf Begleitmaterialien, zum Beispiel im Schulfernsehen. Auch Spendenaufrufe zu Wohlfahrtszwecken gelten nicht als Werbung im Sinne des Staatsvertrags. § 18 RStV verbietet Teleshopping-Angebote im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Einzelheiten zu den werberechtlichen Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags regeln Richtlinien von ARD und ZDF. Die Werbung im privaten Rundfunk regeln §§ 44 bis 46a RStV. Hier gilt: TeleshoppingSpots, Werbespots und andere Werbeformen dürfen höchsten 20 Prozent der täglichen Sendezeit ausmachen. Die Sendezeit für Werbespots alleine darf 15 Prozent der Sendezeit nicht überschreiten.
2.4.3
Sponsoring und Product Placement
Auch das Sponsoring von Rundfunksendungen ist reglementiert. So sieht § 8 RStV verpflichtend einen Sponsorhinweis zu Beginn oder am Ende der Sendung vor. Inhalt und Programmplatz der Sendung darf der Sponsor nicht beeinflussen. Gesponserte Sendungen dürfen nicht zum Verkauf, zum Kauf und zur Miete oder Pacht von Erzeugnissen oder Dienstleistungen des Sponsors anregen. Ein Sponsoring durch Unternehmen der Tabakindustrie ist untersagt. Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen dürfen überhaupt nicht gesponsert werden. Zur „Schleichwerbung“ gehört auch das „Product Placement“. Das ist die werbewirksame Platzierung von Produkten in Fernsehsendungen. Das bekannteste Beispiel dürfte der Bogner-Film „Feuer, Eis und Dynamit“ sein, mit dem sich sogar der BGH beschäftigen musste (BGHZ 130, 205 – Feuer, Eis & Dynamit I) Zulässig ist es, Markenprodukte in eine Filmhandlung einzubauen, wenn es aus redaktionellen Gründen erforderlich ist. Es muss also
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267
weder das Bosch-Schild an einem Kühlschrank, noch die Marke „AEG“ auf einer Waschmaschine oder der Schriftzug „Nikon“ auf einer Kamera abgeklebt werden. Ausländische Produktionen sind ohnehin ohne aufwändiges Product Placement kaum denkbar. Die JamesBond-Produktionen sind Meisterwerke des „Product Placement“.
2.4.4
Drittsendungen
Für den privaten Rundfunk sieht § 42 RStV vor, dass den evangelischen und katholischen Kirchen und den jüdischen Gemeinden auf Wunsch angemessene Sendezeit zur Übertragung religiöser Sendungen zu den Selbstkosten einzuräumen ist. Im Vorfeld der Bundestagswahlen sind Privatfernsehveranstalter verpflichtet, Parteien Sendezeit für Wahl-Werbung zu den Selbstkosten einzuräumen. Voraussetzung ist, dass die Partei mindestens auf einer Landesliste zugelassen ist. Ähnliche Regelungen gelten für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Allerdings finden die Bestimmungen in § 42 RStV nur für den bundesweit verbreiteten privaten Rundfunk (also Fernsehen und Hörfunk) Anwendung. Die Mediengesetze der Länder sehen jedoch ebenfalls durchwegs eine Verpflichtung zur Gewährung von Sendezeiten vor. Streit gibt es dann im Vorfeld der Wahlen regelmäßig über die Länge der Sendezeiten und Anzahl der Spots. Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind zur Ausstrahlung von Kirchensendungen und Wahlwerbespots verpflichtet. Schließlich sehen die meisten Mediengesetze auch ein Recht der Bundes- oder Landesregierung vor, für amtliche Verlautbarungen unverzüglich und unentgeltlich angemessene Sendezeit zu beanspruchen.
2.5 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Grundversorgung, Gemeinschaftsprogramm und Gebührenzwang In seiner Präambel garantiert der RStV den Bestand und die Entwicklung des öffentlichrechtlichen Rundfunks, dessen Teilhabe an „allen neuen technischen Möglichkeiten“ und die „Veranstaltung neuer Formen von Rundfunk“ sowie die Sicherung der finanziellen Grundlagen.
2.5.1
Organisationsform „öffentlich-rechtliche Anstalt“
Eine Anstalt öffentlichen Rechts wird durch ein Gesetz oder durch einen Staatsvertrag gegründet. Derzeit gibt es fünf Landesrundfunkanstalten, die durch ein Gesetz des jeweiligen Landes gegründet wurden. Das sind: Bayerischer Rundfunk (BR), Hessischer Rundfunk (HR), Radio Bremen (RB), Saarländischer Rundfunk (SR) und Westdeutscher Rundfunk (WDR). Durch Staatsvertrag gegründet sind der Mitteldeutsche Rundfunk (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), der Norddeutsche Rundfunk (Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern), der Rundfunk Berlin-Brandenburg (entstanden 2002 durch die Fusion des Sender Freies Berlin, SFB, und des Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg, ORB) und der Südwestrundfunk (Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz). Alle diese Rundfunk-
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anstalten sind Mitglied der ARD und veranstalten gemeinsam das ARD-Gemeinschaftsprogramm. Durch Bundesgesetz gegründet ist die Deutsche Welle, die ebenfalls ARD-Mitglied ist. Schließlich gibt es noch das DeutschlandRadio, das aus den Sendern „Deutschlandfunk“, „Rias Berlin“ und dem ehemaligen DDR-Sender „DS-Kultur“ entstanden ist. Träger des DeutschlandRadios sind aufgrund eines Staatsvertrags aller Länder ARD und ZDF gemeinsam. Das DeutschlandRadio strahlt ebenfalls ein bundesweites Programm aus. Öffentlich-rechtlich organisierte Fernsehanstalten sind außerdem die Länderfernsehanstalt „Zweites Deutsches Fernsehen“, dessen Rechtsgrundlage ein Staatsvertrag aller Bundesländer ist und 3sat, ein Zusammenschluss der beiden öffentlich-rechtlichen Satellitenprogramme „ARD EINS PLUS“ und des vom ZDF veranstalteten 3sat. Weiter gibt es den Kinderkanal und Phönix – beides Gemeinschaftsprogramme von ARD und ZDF. Seit 1992 veranstalten die ARD-Landesrundfunkanstalten zusammen mit dem ZDF und französischen Partnern das Satellitenfernsehprogramm ARTE (Association Relative à la Télévision Européenne). Rechtsgrundlage von ARTE ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland. Die „Anstalt des öffentlichen Rechts“ ist voll rechtsfähig. Sie ist aber keine „Behörde“, da Behörden typische staatliche Einrichtungen sind. Das würde sich mit dem Prinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks nicht vertragen. Die Rundfunkanstalten sind auch rechtsfähig im Sinne des Privatrechts. Sie treten im zivilrechtlichen Verkehr – zum Beispiel als Vertragspartner – als rechtsfähige juristische Person auf. Die Rundfunkanstalten sind mit einem Selbstverwaltungsrecht ausgestattet. Das bedeutet, dass die Anstalten die ihnen zugewiesenen Aufgaben unter eigener Verantwortung erfüllen können. Sie sind gegenüber der Staatsverwaltung selbständig. Sie haben Satzungsrecht, können also Satzungen zum Beispiel über den Gebühreneinzug, das Abstimmungsverfahren im Rundfunkrat oder über Verträge und Kündigungen leitender Angestellter erlassen. Denkbar – wenn auch bislang noch nie vorgekommen – ist die Auflösung einer Rundfunkanstalt durch diejenige Körperschaft, die die Rundfunkanstalt errichtet hat. Das sind die jeweils an der Gründung einer Rundfunkanstalt beteiligten Länder. Ein Konkursverfahren über das Vermögen einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt gibt es nicht. In einigen Rundfunkgesetzen ist es auch ausdrücklich ausgeschlossen. Die Länder, die eine Rundfunkanstalt errichten, müssen auch die Finanzierung der Rundfunkanstalten sicherstellen. Länder können in Deutschland nicht – auch wenn die Staatsverschuldung noch so hoch ist – insolvent werden. Damit sind die Länder Geburtshelfer und Bestandsgarant der Rundfunkanstalten – und müssen doch wegen der Staatsfreiheit einen gebührenden Abstand zu „ihrer“ Rundfunkanstalt halten. Leiter der Rundfunkanstalt ist der Intendant. Er trägt die Programmverantwortung. Der Intendant ist oberster Dienstherr der Rundfunkmitarbeiter und für die Organisation der Rundfunkanstalt verantwortlich. Er wird vom Rundfunkrat für einen begrenzten Zeitraum gewählt. Der Rundfunkrat vertritt die Interessen der Allgemeinheit. Er setzt sich deshalb aus Vertretern gesellschaftlich relevanter Gruppen zusammen. Die Zahl seiner Mitglieder und die Institutionen, die Vertreter entsenden können, variieren in den Bundesländern. Die meisten Mitglieder mit 77 Rundfunkräten hat der ZDF-Rundfunkrat. Die Deutsche Welle, kommt mit 17 Rundfunkräten aus. Mitglied im Rundfunkrat sind durchweg auch Vertreter der Regierungen und der Parlamente. Das Bundesverfassungsgericht lässt einen „angemessenen“ Anteil an staatlichen Vertretern zu, der jedoch eine Beherrschung des Rundfunkrats durch
Presse- und Rundfunkrecht
269
den Staat ausschließt (BVerfGE 12, 205). Die Mitglieder des Rundfunkrats sind – ähnlich wie Abgeordnete – ausschließlich ihrem Gewissen verantwortlich. Sie sind keine Interessenvertreter der sie entsendenden Organisation, sondern Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen. Der Rundfunkrat ist für die Überwachung des Programms, für Personalfragen und den Haushalt zuständig. Er hat Kontroll- und Überwachungsfunktion. Da der Intendant gegenüber dem Rundfunkrat Rede und Antwort stehen muss, kann der Rundfunkrat nicht auf einzelne Mitarbeiter der Rundfunkanstalt zugreifen. Sein Ansprechpartner ist ausschließlich der Intendant. Intendant und Rundfunkrat sind damit dem Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft vergleichbar: Während der Vorstand zwar weit reichende Befugnisse hat, muss er die vom Aufsichtsrat beschlossenen Vorgaben – soweit sie nicht gesetzeswidrig sind – erfüllen. Neben dem Rundfunkrat gibt es dann noch den Verwaltungsrat. Er befasst sich mit wirtschaftlichen und technischen Fragen und setzt sich aus nur wenigen Mitgliedern zusammen. Die meisten bestimmt der Rundfunkrat. Je nach landesrechtlicher Regelung benennen die Regierung oder die in der Rundfunkanstalt Beschäftigten weitere Vertreter. Wesentliche Aufgabe des Verwaltungsrats ist es, den Haushalt zu prüfen, bevor ihn der Intendant dem Rundfunkrat vorlegt. Anstellungsverträgen hoch bezahlter Mitarbeiter muss der Verwaltungsrat zustimmen. Damit ergibt sich durch den Verwaltungsrat zwar kein unmittelbarer Programmeinfluss. Aufgrund der Einbeziehung in zahlreiche wirtschaftliche und personelle Fragen kann der Verwaltungsrat jedoch erheblichen Einfluss ausüben. Aufgrund der Regelung im SWR-Staatsvertrag ist dort der Verwaltungsrat neben dem Rundfunkrat sogar an der Wahl des Intendanten zu beteiligen.
2.5.2
Die ARD
Die Abkürzung „ARD“ steht für „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“. Die ARD ist „Arbeitsgemeinschaft“ und keine eigene rechtsfähige juristische Person des öffentlichen Rechts. Ihre Aufgabe besteht gemäß § 2 der ARD-Satzung darin, ▪ ▪ ▪
die gemeinsamen Interessen der Rundfunkanstalten bei der Ausübung von Hoheitsrechten auf dem Gebiet des Rundfunks wahrzunehmen, sonstige gemeinsame Interessen der Rundfunkanstalten wahrzunehmen, gemeinsame Fragen des Programms sowie gemeinsame Fragen rechtlicher, technischer und betriebswirtschaftlicher Art zu bearbeiten.
Zu den Aufgaben der ARD gehört damit insbesondere die Abstimmung der beteiligten Rundfunkanstalten zu rundfunkpolitischen, rundfunkrechtlichen und programmpolitischen Entwicklungen. Damit kann die ARD auch als „Lobby“ der Rundfunkanstalten zum Beispiel gegenüber dem Bund, den Ländern oder auch Institutionen in der EU tätig werden. Neben diesen allgemeinen Aufgaben gibt es eine Vielzahl von Einzelaufgaben, die die ARD zu erfüllen hat. Dazu gehören auch die gemeinsame Veranstaltung des Fernsehprogramms „Erstes Deutsches Fernsehen“, der Finanzausgleich zwischen den finanzstärkeren und finanz-
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schwächeren Rundfunkanstalten und die Vertretung der Interessen der Rundfunkanstalten im internationalen Raum, zum Beispiel in der Europäischen Rundfunkunion (EBU). Vorsitzender der ARD ist jeweils der Intendant der geschäftsführenden Anstalt, die für ein Jahr bestimmt wird. Es gibt eine Reihe von Kommissionen in der ARD, zum Beispiel eine juristische Kommission, eine technische Kommission und die Ständige Programmkonferenz, die für das ARD-Gemeinschaftsprogramm „Erstes Deutsches Fernsehen“ zuständig ist. Vorsitzender der Ständigen Programmkonferenz ist der Programmdirektor. Die Ständige Programmkonferenz legt den Rahmenplan für das erste Programm fest, sammelt die Programmvorschläge der ARD-Landesrundfunkanstalten und setzt die angebotenen Beiträge zu einem Gemeinschaftsprogramm zusammen. Beschlüsse fassen die Mitglieder mit einfacher Mehrheit, wobei jede Anstalt eine gleichberechtigte Stimme hat.
2.5.3
Aufgaben der öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten
Die wichtigste Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist die Sicherstellung der Grundversorgung. In engem Zusammenhang mit der Grundversorgung steht der in den Gesetzen jeweils normierte Programmauftrag. Das ist zum Beispiel für das ZDF die Verpflichtung zur Veranstaltung des Fernsehvollprogramms Zweites Deutsches Fernsehen. Das DeutschlandRadio hat die Aufgabe, zwei Hörfunkprogramme mit den Schwerpunkten Information und Kultur zu veranstalten. Die gesetzlichen Programmaufträge sind damit durchweg generell gehalten. Die jeweilige Ausgestaltung des Programmauftrags obliegt der Rundfunkanstalt. Diese hat sich hierbei an Programmgrundsätzen zu orientieren, die ebenfalls in den jeweiligen Rundfunkgesetzen und Staatsverträgen festgelegt sind. Das sind zum einen Verhaltensnormen, wie zum Beispiel die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht. Der zweite Bereich sind die Inhaltsnormen. Dazu gehören die Achtung der Menschenwürde und des Individuums. Die Diskriminierung von Minderheiten ist verboten. Die Rundfunkanstalten müssen für Freiheit und Gerechtigkeit sowie Frieden und Völkerverständigung eintreten. Die Sendungen dürfen sittliche Gefühle der Bevölkerung nicht verletzen. Schließlich wird auch eine kulturelle Verantwortung des öffentlichrechtlichen Rundfunks festgeschrieben, um ein bestimmtes Programmniveau zu sichern. Einer der wichtigsten Programmsätze ist die Verpflichtung zur Ausgewogenheit. Diese erfolgt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk binnenplural. Das heißt, dass in einem Programm alle Auffassungen zu Wort kommen können. Alle Meinungsrichtungen sind zugelassen. Es ist zwar zulässig, einzelnen Sendungen eine politische Tendenz zu geben. Dann muss jedoch im Gesamtprogramm der jeweiligen Anstalt eine Ausgewogenheit hergestellt werden. Wer der Auffassung ist, dass die Programmgrundsätze nicht beachtet wurden, kann beim Rundfunkrat eine Programmbeschwerde erheben.
Presse- und Rundfunkrecht 2.5.4
271
Staatliche Aufsicht
Die Tätigkeit der Rundfunkanstalten obliegt nicht nur der Überprüfung anstaltsinterner Gremien. Es ist in der Mehrzahl der Rundfunkgesetze auch eine staatliche Aufsicht normiert, die in der Regel bei der jeweiligen Landesregierung liegt. Allerdings ist die Aufsicht lediglich eine Rechtsaufsicht. Sie kann also nur bei einem Verstoß gegen Rechtsnormen tätig werden. Eine Fachaufsicht, die auch Einfluss auf das Programm nehmen könnte, gibt es nicht. Die staatliche Aufsicht darf auch erst dann eingreifen, wenn die anstaltsinternen Kontrollen versagt haben. Zunächst müssen also Rundfunk- und Verwaltungsrat die Möglichkeit haben, einen Rechtsverstoß zu beseitigen. Ein Rechtsverstoß wäre zum Beispiel, wenn eine Landesrundfunkanstalt sonntags im Dritten Fernsehprogramm gegen die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags und trotz Intervention des Rundfunkrats Werbung ausstrahlen würde. Inwieweit jedoch die Rechtsaufsicht überhaupt in der Lage ist, wirksame Sanktionen durchzusetzen, ist ausgesprochen umstritten. Denn gerade wegen der Staatsfreiheit des Rundfunks verbietet es sich, dass der Staat selbst unmittelbar tätig wird. Er kann also zum Beispiel keinen Intendanten durch einen Staatsbeamten ersetzen. Diese Überlegungen sind aber ohnehin rein theoretischer Natur. Wenn es in der Vergangenheit vereinzelt zu Aufsichtsmaßnahmen gekommen ist, ging es durchweg um die Ausstrahlung von Fernsehprogrammen. So wurde etwa ein Rechtsaufsichtsverfahren gegen den MDR geführt, weil er das Programm MDR-Sputnik über eine UKW-Frequenz in Sachsen-Anhalt ausgestrahlt hat (BVerwGE 107, 275).
2.5.5 d.
Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Finanzquellen
Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten steht vor allem auf zwei Säulen – die Rundfunkgebühren und die Werbeeinnahmen. Mit Ausnahme der Dritten Fernsehprogramme gibt es in allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogrammen Werbung. Die ARD-Anstalten haben Werbeunternehmen gegründet, die für die Akquisition der Werbung zuständig sind. Eine weitere Säule der Finanzierung ist die Vergabe von Rechten an Hörfunk- und Fernsehproduktionen. Vor allem deutsche Krimi-Serien („Derrick“) erfreuen sich im Ausland großer Beliebtheit. Schließlich ist auch Sponsoring von öffentlich-rechtlichen Rundfunksendungen gestattet. Die kleineren Rundfunkanstalten schließlich finanzieren sich zu einem erheblichen Teil aus dem Finanzausgleich zwischen den Rundfunkanstalten, der in § 12 RStV sowie in §§ 12 bis 16 Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag geregelt ist. Hier bringen die größeren und mittleren Landesrundfunkanstalten Millionenbeträge auf, um die funktionsgerechte Aufgabenerfüllung des Saarländischen Rundfunks, von Radio Bremen und des Sender Freies Berlin sicherzustellen.
272 e.
Gero Himmelsbach Haupteinnahmequelle Rundfunkgebühr
Die wesentlichen Einnahmen erzielen die öffentlich-rechtlichen Anstalten jedoch aus den Rundfunkgebühren. Die Deutsche Welle partizipiert nicht an den Rundfunkgebühren. Sie wird unmittelbar aus dem Staatshaushalt finanziert. Jeder Rundfunkteilnehmer muss die Rundfunkgebühren bezahlen – und zwar ganz unabhängig davon, ob man das öffentlichrechtliche Angebot tatsächlich nutzt oder nicht. Voraussetzung für die Zahlungspflicht ist alleine, dass sich ein Radio oder Fernsehgerät im Haushalt befindet. Unternehmen müssen auch für internetfähige Geräte wie PCs oder Handys eine Gebühr bezahlen. Eine Ausnahme gibt es nur für Teilnehmer, die aus sozialen Gründen befreit sind. Rechtsgrundlage für die Rundfunkgebühr ist zunächst der Rundfunkstaatsvertrag. In der Präambel heißt es, dass die finanziellen Grundlagen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einschließlich des dazugehörigen Finanzausgleichs zu erhalten und zu sichern sind. Der Rundfunkgebühren-Staatsvertrag enthält vor allem die Regelungen, wann eine Gebührenpflicht besteht. Die Höhe der Rundfunkgebühr ist im Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag festgelegt. Daneben gibt es noch flankierend landesrechtliche Regelungen. Das schwierigste Element der Gebührenfinanzierung ist die Festsetzung der Rundfunkgebühr. Die Gebühr setzt sich aus einer Grundgebühr und einer Fernsehgebühr zusammen, die bundesweit einheitlich ist. Einen gesetzlichen Zwang zur bundesweit einheitlichen Festsetzung gibt es nicht, da die Rundfunkgebühr Landesrecht ist. Deshalb ist sie auch in einem Staatsvertrag aller Länder geregelt. Das aber wiederum führt dazu, dass die Höhe der Rundfunkgebühr ein Politikum ist. Denn Staatsverträge müssen in den Landesparlamenten ratifiziert werden. Das führt unweigerlich zu Diskussionen in den Landesparlamenten über die Höhe der Rundfunkgebühr. Deshalb wurde 1975 die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) gegründet. Sie sollte eine objektive Instanz zur Festsetzung der Gebühr sein. Allerdings beanstandete das Bundesverfassungsgericht in seinem achten Rundfunkurteil vom 22. Februar 1994, dass die Zusammensetzung der KEF den Grundsatz der Staatsfreiheit verletze. Denn die KEF war aufgrund ihrer Zusammensetzung eine staatliche Institution. Die KEF wurde zu einer unabhängigen Kommission umgestaltet, deren 16 Mitglieder nach § 4 Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag (RFinStV) auf fünf Jahre von den Ländern aus den Bereichen Wirtschaft, Technik, Medien und Rechnungshöfe berufen werden. Die Festsetzung folgt nun in einem dreistufigen Verfahren: ▪ ▪ ▪
Zunächst melden die Anstalten gemäß § 1 RFinStV ihren Finanzbedarf bei der KEF an. Auf der zweiten Stufe überprüft die KEF den angemeldeten Finanzbedarf nach § 3 Abs. 1 RFinStV. Die KEF erstattet dann Bericht und trifft eine Gebührenempfehlung. Auf der Grundlage des KEF-Berichts setzen die Länder die Rundfunkgebühr durch Staatsvertrag fest, wobei sie weitgehend an die Gebührenempfehlung der KEF gebunden sind (vgl. BVerfG vom 11.09.07, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06 und 1 BvR 830/06, auffindbar unter www.bundesverfassungsgericht.de).
Erst dann entscheiden die Landtage in ihren Zustimmungsgesetzen zum Staatsvertrag verbindlich über die Rundfunkgebühr, wobei sie ebenfalls an die KEF-Empfehlung gebunden sind.
Presse- und Rundfunkrecht
273
Wie die Gebühren dann zwischen den öffentlich-rechtlichen Anstalten aufzuteilen sind, regelt detailliert der RFinStV. So erhält etwa das ZDF derzeit (2008) 38,9006 % der Fernsehgebühr (§ 9 Abs. 2 RFinStV). Etwa 2 % des Gebührenaufkommens erhalten die für den privaten Rundfunk zuständigen Landesmedienanstalten (§ 10 Abs. 1 RFinStV). Das DeutschlandRadio finanziert sich aus 6,8627 % der Grundgebühr (§ 9 Abs. 1 RFinStV). Um die Bezahlung der Gebühren kümmert sich die Gebühreneinzugszentrale (GEZ). Sie ist eine öffentlichrechtliche, nicht rechtsfähige Verwaltungsgemeinschaft. Die Rundfunkanstalten haben sich für diese Struktur entschieden, um die von der Verfassung für den Rundfunkbereich gerade nicht vorgesehene Zentralisierung nicht einzuführen. Die GEZ nimmt die An- und Abmeldungen der Rundfunkteilnehmer entgegen, verwaltet den Rundfunkteilnehmerbestand, zieht die Rundfunkgebühren ein und rechnet die Rundfunkgebühren ab. Ein Verwaltungsrat überwacht die Aufgabenerfüllung. Geleitet wird die GEZ durch einen Geschäftsführer.
2.6 Privater Rundfunk: Lizenz zum Senden 2.6.1
Aufgaben der privaten Rundfunkanbieter
Mit der Einführung des privaten Rundfunks Anfang der 80er Jahre wollten die Länder die Vielfalt fördern und dem Bürger eine größere Auswahl an Rundfunkprogrammen ermöglichen. Das ist eine wichtige Aufgabe des privaten Rundfunks, auch wenn sie nicht die unverzichtbare Bedeutung der Grundversorgung hat. Ein Manko für die Anbieter privater Rundfunkprogramme ist das aber nicht, sondern durchaus ein Vorteil. Denn wenn die Grundversorgung gesichert ist, kann sich der Gesetzgeber mit einem gesetzlichen Mindeststandard für die Anforderungen an privaten Rundfunk begnügen (BVerfGE 83, 238, 316). Allerdings erwartet das Bundesverfassungsgericht schon einen „Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt“ (4. Rundfunkurteil, BVerfGE 73, 118, 160). Es meint damit, dass alle Meinungsrichtungen – auch diejenigen von Minderheiten – die Möglichkeit haben müssen, „im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen“. Das bedeutet zugleich den Ausschluss eines „einseitigen, in hohem Maße ungleichgewichtigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung“ – also „die Verhinderung des Entstehens vorherrschender Meinungsmacht“. Trotz dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben sind die Landesgesetzgeber keineswegs dazu übergegangen, lediglich Mindeststandards zu definieren – sei es in wirtschaftlicher, organisatorischer oder inhaltlicher Art. Der Rundfunkstaatsvertrag enthält umfangreiche Bestimmungen, die das Angebot privaten Rundfunks regeln. Dass die Länder keineswegs nur einen Mindeststandard festschreiben wollten, ergibt sich aus den in § 41 RStV enthaltenen Programmgrundsätzen, wenn es dort heißt: „Die Rundfunkprogramme haben die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten. Sie sollen die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland sowie die internationale Verständigung fördern und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken.“ Und: „Die Rundfunkprogramme sollen zur Darstellung und Vielfalt im deutschsprachigen und europäischen Raum mit einem angemessen Anteil an Information, Kultur und Bildung beitragen (…)“.
274 2.6.2
Gero Himmelsbach Organisationsformen
2.6.2.1 Standardmodell: Zulassungsverfahren Um eine Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten, sieht der Rundfunkstaatsvertrag die Pflicht zur Zulassung privater Veranstalter vor, für die die Landesmedienanstalten zuständig sind. Das Standardmodell ist deshalb die Zulassung eines privaten Veranstalters durch eine öffentlich-rechtliche Aufsichtsinstanz, nämlich die jeweils zuständige Landesmedienanstalt. Diese überprüft, ob die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind, die sich aus dem Rundfunkstaatsvertrag und dem jeweiligen Landesmediengesetz ergeben. Sie überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch die privaten Rundfunkveranstalter.
2.6.2.2 Ausnahmen Bayern und Nordrhein-Westfalen Es gibt allerdings zwei Bundesländer mit abweichenden Modellen – nämlich Bayern und Nordrhein-Westfalen. Bayern hat die Besonderheit, dass dort privater Rundfunk in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft veranstaltet wird, der „private“ Rundfunk streng genommen also ein „öffentlich-rechtlicher“ Rundfunk ist. Veranstalter eines lokalen Fernsehprogramms ist in Bayern also nicht die lokale TV-Station, sondern die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM). Zu dieser Konstruktion zwingt eine Verfassungsänderung aus dem Jahr 1973. Seitdem heißt es in Art. 111a Abs. 2 Bayerische Verfassung (BV), dass Rundfunk „in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben“ wird. In der täglichen Praxis macht sich diese Konstruktion kaum bemerkbar, da die Programme nach außen als Angebote der Privatsender verbreitet werden. Das gilt zum Beispiel für den Sender RTL 2, der von der BLM in München zugelassen ist. Die BLM kann allerdings aufsichtlich gegen Sender einschreiten, die gegen die rundfunkrechtlichen Programmgrundsätze verstoßen. Eine inhaltliche Einflussnahme ist der BLM nicht gestattet. Bis 1997 gab es in Bayern deshalb ein dreischichtiges Modell: Zwischen den Programmanbietern und der BLM gab es Kabelgesellschaften. Diese organisierten das Programm und schlossen mit den Anbietern Verträge ab, die die BLM dann genehmigte. Im Zuge einer Revision des Bayerischen Mediengesetzes wurden die Kabelgesellschaften schließlich abgeschafft, so dass auch in Bayern faktisch das Lizenzmodell Einzug gehalten hat. Trotzdem gibt es noch besondere Befugnisse der BLM, die andere Länder nicht vorsehen: So sieht etwa Art. 18 Bayerisches Mediengesetz vor, dass Gegendarstellungsansprüche auch gegenüber der BLM, da diese ja Veranstalterin ist, geltend gemacht werden können. In Nordrhein-Westfalen gibt es beim landesweiten Rundfunk auch das Lizenzmodell. Für lokalen Rundfunk sieht das Landesrundfunkgesetz jedoch das so genannte „Zwei-SäulenModell“ vor. Man wollte vor allem vermeiden, dass Presseunternehmen einen erheblichen Einfluss auf lokale Rundfunkanbieter erhalten. Deswegen hat sich der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen entschieden, die journalistische von der wirtschaftlichen Verantwortung zu trennen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Trennung verfassungsrechtlich akzeptiert (BVerfGE 83, 238). Nach diesem Modell ist Veranstalter von lokalem Rundfunk eine
Presse- und Rundfunkrecht
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Veranstaltungsgemeinschaft, die pluralistisch zusammengesetzt ist. Die Zusammensetzung schreibt das Landesrundfunkgesetz vor. Lizenznehmer ist die Veranstaltergemeinschaft, die auch die gesamte programmliche Verantwortung trägt. Die zweite Säule bildet die Betriebsgesellschaft. Sie muss für die technischen Einrichtungen sorgen und die Finanzierung des Programms sicherstellen. Die Veranstaltergemeinschaft wiederum darf ausschließlich die von der Betriebsgesellschaft vermittelte Werbung senden. Gesellschafter dieser zweiten Säule sind überwiegend Presseverlage. Wie die Abstimmung zwischen Veranstaltergemeinschaft und Betriebsgesellschaft zu erfolgen hat, schreibt ebenfalls das Landesrundfunkgesetz in Nordrhein-Westfalen vor. Bei wichtigen Entscheidungen hat die Betriebsgesellschaft ein Mitspracherecht, soweit es sich nicht um Programmfragen handelt. Beide müssen eine Vereinbarung treffen, in der die Sicherstellung von Technik und Finanzierung beschrieben ist.
2.6.2.3 Landesmedienanstalten In Deutschland gibt es 14 Landesmedienanstalten. Eine gemeinsame Landesmedienanstalt haben die Länder Berlin und Brandenburg sowie Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Landesmedienanstalt ist immer eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, die aus dem staatlichen Verwaltungsaufbau ausgegliedert ist. Anders könnte die von der Verfassung geforderte Staatsfreiheit auch für den privaten Rundfunk nicht garantiert sein. Hauptaufgabe der Landesmedienanstalten ist die Zulassung privater Anbieter und Überwachung der Einhaltung der rundfunkrechtlichen Bestimmungen. Dann sind die Landesmedienanstalten auch für die Weiterverbreitung von Dritt-Programmen in Kabelnetzen zuständig. Wenn zum Beispiel der Nachrichtensender „n-tv“ bundesweit im Kabel empfangen werden soll, ist in den einzelnen Bundesländern hierfür die jeweilige Landesmedienanstalt die entsprechende Entscheidungsinstanz. Zu den Aufgaben der Landesmedienanstalt gehört es weiter, Richtlinien zu erlassen – zum Beispiel für Werbung und Jugendschutz, um die gesetzlichen Vorgaben zu konkretisieren und an die Rundfunkpraxis anzupassen. In manchen Gesetzen gehören zu den Aufgaben der Medienanstalten auch die Förderung und Unterstützung von Bürgerkanälen, die Durchführung einer Medienforschung oder auch die Förderung von Aus- und Fortbildung von Rundfunkmitarbeitern. Eine Verknüpfung zwischen der Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den öffentlich-rechtlichen Landesmedienanstalten gibt es – mit Ausnahme einer Abstimmungspflicht im Jugendschutz (§ 15 Abs. 2 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag) – nicht. Sie sind gegenseitig nicht weisungsbefugt. Es gibt keine gesetzlich vorgesehenen organisatorischen Verbindungen und auch keine Aufgaben, die beide gemeinsam zu erfüllen hätten. Im dualen Rundfunksystem fällt den Medienanstalten eben eine andere Aufgabe als den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu. In den meisten Medienanstalten gibt es zwei Organe – nämlich ein Exekutiv-Organ an der Spitze (Direktor, Vorstand oder Präsident) und eine Versammlung, die wie die Mitgliederversammlung eines Vereins in allen wesentlichen Fragen zu hören ist. Die Bezeichnungen sind nicht einheitlich. Die Versammlung wird als Medienrat, Landesrundfunkausschuss, Medienkommission oder schlicht als Versammlung bezeichnet. Die Zusammensetzung ist pluralistisch und durch das jeweilige Landesgesetz vorgegeben. Vergleichbar sind diese
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Gero Himmelsbach
Versammlungen mit den Rundfunkräten. Aus welchen gesellschaftlich relevanten Gruppen die Versammlung zusammenzusetzen ist, entscheiden die Länder in eigener Regie. In einigen Ländern gibt es dann noch ein Ratsmodell. Hier werden einige wenige Mitglieder in einen Rat durch das zuständige Parlament entsandt. Staatsfreiheit versuchen diese Länder dadurch zu erreichen, dass die Entsendung eine 2/3-Mehrheit im Parlament erfordert. Zwischenformen gibt es in Baden-Württemberg und Hamburg/Schleswig-Holstein: In Hamburg/Schleswig-Holstein deshalb, weil die Anzahl der 14 pluralistisch zusammengesetzten Mitglieder eher einem Ratsmodell entspricht. Denn deren Wahl erfolgt ausschließlich durch die Länderparlamente. In Baden-Württemberg hat die Versammlung gegenüber dem Vorstand der Landesmedienanstalt vergleichsweise eingeschränkte Kompetenzen. Die Finanzierung der Landesmedienanstalten erfolgt durch eine Beteiligung an der allgemeinen Rundfunkgebühr in Höhe von knapp zwei Prozent. Die Beteiligung an der Gebühr geht allerdings auch mit den Pflichten der Landesmedienanstalten einher, hieraus die technische Infrastruktur für die Verbreitung privater Programme und die Einrichtung offener Kanäle zu fördern. Einen Finanzausgleich wie bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gibt es hier allerdings nicht. Die Landesmedienanstalten unterstehen einer staatlichen Aufsicht. Allerdings darf die Aufsichtsbehörde nur überprüfen, ob die Anstalt gegen einschlägige Rechtsnormen verstoßen hat. Ein Weisungsrecht, zumal mit Auswirkungen auf die Programme privater Rundfunkveranstalter, geben die Gesetze den Aufsichtsbehörden nicht.
2.6.2.4 Abstimmung unter den Landesmedienanstalten Auch wenn Rundfunkrecht Landesrecht ist, ist eine Abstimmung zwischen den Landesmedienanstalten häufig zwingend erforderlich: Zum Beispiel müssen einheitliche Richtlinien für Werbung und Jugendschutz gelten. Es wäre kaum verständlich, dass bei einem HörfunkGewinnspiel in Bayern das von einer Firma als Gewinn zur Verfügung gestellte Produkt pro Sendung (wie die Hörfunk-Werberichtlinien vorsehen) nur drei Mal genannt werden dürfte, in Hamburg jedoch fünf Mal. Weiter bedarf es einer Abstimmung der Medienanstalten, wenn es um die Veranstaltung und Weiterverbreitung bundesweiter Programme geht. Auch die Veranstalter, die sich um eine Lizenz bewerben, brauchen Rechtssicherheit: Welchen Wert hat die Lizenz für ein bundesweites Fernsehen, die ein Bundesland erteilt, während andere Bundesländer die Lizenz nicht anerkennen und eine Weiterverbreitung des Programms verweigern? Die Medienanstalten sind deshalb in der „Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland (ALM)“ zusammengeschlossen. Sie haben sich Grundsätze für die Zusammenarbeit gegeben, die die Aufgabenbereiche definieren. Es gibt hier drei Ebenen: ▪
▪
Zunächst gibt es die Gesamtkonferenz, der alle Leiter der Anstalten sowie deren Gremienvorsitzenden angehören. Die Gesamtkonferenz entscheidet über Angelegenheiten von grundsätzlicher medienpolitischer Bedeutung. Dann gibt es die Gremienvorsitzendenkonferenz, die über Fragen der inhaltlichen Programmentwicklung berät. Sie ist – mit Inkrafttreten des 10. Rundfunkänderungs-
Presse- und Rundfunkrecht
▪
277
staatsvertrags – unter anderem auch für die Zuweisung von Übertragungskapazitäten zuständig. Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) schließt alle gesetzlichen Vertreter der Medienanstalten zusammen und ist damit zugleich das wichtigste Organ der Medienanstalten. Um ihre Aufgaben zu bewältigen, hat die DLM gemeinsamen Stellen eingerichtet, nämlich für die Bereiche „Programm, Werbung, Medienkompetenz“, und „Digitaler Zugang“.
Die DLM ist nicht mit der namentlich nahezu identischen „Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten“ (KDLM) zu verwechseln, die mit dem dritten Rundfunkänderungsstaatsvertrag eingerichtet wurde. Die 10. Änderung schafft die KDLM wieder ab und richtet stattdessen die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) ein. Ihr gehören – wie der DLM – alle gesetzlichen Vertreter der Medienanstalten an. Die Aufgabe der ZAK besteht (§ 36 Abs. 2 RStV) vor allem in der Zulassung bundesweiter Veranstalter. Ein weiteres wichtiges Gremium ist die „Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich“ (KEK). Deren Aufgabe ist nach § 46 Abs. 4 RStV die „abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung von Meinungsvielfalt im Zusammenhang mit der bundesweiten Veranstaltung von Fernsehprogrammen“.
2.6.2.5 Vom Antrag zur Zulassung Damit ist schon ein ganz wesentlicher Punkt angesprochen, der bei der Frage, ob eine Lizenz vergeben wird, zu prüfen ist: Kann eine Berücksichtigung des Bewerbers zu einer erhöhten Konzentration im Medienbereich führen? Die rundfunkrechtlichen Bestimmungen sind kompliziert. So sieht der Ablauf eines Lizenzverfahrens von der Ausschreibung bis zum möglichen Entzug der Lizenz im Zeitraffer aus:
a.
Ausschreibung
Das Zulassungsverfahren beginnt regelmäßig mit der Ausschreibung von Übertragungskapazitäten durch eine Landesmedienanstalt. Geht es um bundesweites Fernsehen, richtet sich das Zulassungsverfahren nach §§ 20 a ff. RStV. Im Übrigen ist das jeweilige Landesrundfunkrecht maßgebend. Das gilt also vor allem für die Zulassung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen, die nicht bundesweit verbreitet werden sollen. Welches Recht anwendbar ist, richtet sich also letztlich nach der Verbreitung des Programms. Da Hörfunk nach wie vor über Antenne verbreitet wird, ist für die Ausschreibung von Hörfunk-Übertragungskapazitäten in aller Regel das Landesrecht maßgeblich. Fernsehprogramme dagegen werden ganz überwiegend bundesweit verbreitet – und zwar hauptsächlich durch Satellit und Kabel –, so dass durchweg der Rundfunkstaatsvertrag Anwendung findet. Für digitale Rundfunkangebote gilt nichts anderes: Auch hier bedarf es trotz der weitaus höheren Übertragungskapazitäten der Zulassung.
278 b.
Gero Himmelsbach Antrag
Der Bewerber beantragt die Zulassung bei der zuständigen Landesmedienanstalt. Bei der Ausschreibung bundesweiter Programme kann er sich eine Landesmedienanstalt aussuchen. Das führt dazu, dass zum Beispiel die Zulassung des Programms „ProSieben“ durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg erfolgt ist. Diese Anstalt ist für „ProSieben“ nach wie vor zuständig, obwohl der Sender seinen Sitz in München hat. §§ 20 a ff. RStV (bei bundesweiten Programmen) und die jeweiligen Landesgesetze sehen vor, dass bestimmte Bewerber von vorneherein von der Veranstaltung privaten Rundfunks auszuschließen sind. Diese Regelung betreffen vor allem staatliche Stellen, Gebietskörperschaften, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder politische Parteien. Damit unterscheidet sich der private Rundfunk ganz erheblich von der Presse, da vor allem die SPD über Beteiligungsgesellschaften an zahlreichen Presseprodukten beteiligt ist. Parteimitglieder sind von diesen Regelungen allerdings nicht umfasst. Von der Veranstaltung privaten Rundfunks sind schließlich in den meisten Landesmediengesetzen auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ausgeschlossen. Daneben gibt es aber auch vereinfachte Zulassungskriterien. So gibt es in manchen Bundesländern einen „offenen Kanal“ oder sonst nicht-kommerziellen Rundfunk, an dem sich Gruppierungen und Einzelpersonen auch mit geringer finanzieller Ausstattung beteiligen können.
c.
Voraussetzungen der Bewerber
Wer privater Rundfunkveranstalter werden möchte, muss bestimmte persönliche und sachliche Voraussetzungen erfüllen, die in den Landesmediengesetzen detailliert festgelegt sind. Zu den persönlichen Voraussetzungen gehört, dass der Antragsteller seinen Sitz bzw. Wohnsitz in Deutschland haben muss und von ihm die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an die Veranstaltung von Rundfunksendungen erwartet werden kann. Zu den persönlichen Voraussetzungen gehört auch, dass die Meinungsvielfalt durch den Bewerber nicht gefährdet wird. Geht es um ein bundesweites Programm, ist die KEK am Zulassungsverfahren zu beteiligen. Die KEK überprüft, ob die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages zur Sicherung der Meinungsvielfalt (§§ 25 ff. RStV) erfüllt sind. Hierzu gehört zum Beispiel, dass bei einem Unternehmen die ihm zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 % erreichen. Dann wird vermutet, dass eine vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist (§ 26 Abs. 2 RStV). Dieses Unternehmen darf dann kein weiteres bundesweites Programm veranstalten. Auch die Landesmediengesetze sehen umfangreiche konzentrationsrechtliche Regelungen vor. Die Einhaltung dieser Regelungen überwachen die Landesmedienanstalten selbst. Da die Gesellschaftsstrukturen der Programmanbieter oft mehrfach ineinander verschachtelt sind, bedarf es umfangreicher Prüfungen durch die Landesmedienanstalten und auch durch die KEK, um die Gesellschaftsstrukturen zu entflechten. Die KEK hat zwölf Mitglieder: sechs Sachverständigen des Rundfunk- und Wirtschaftsrechts, die gemäß § 35
Presse- und Rundfunkrecht
279
Abs. 3 RStV von den Ministerpräsidenten berufen werden sowie sechs gesetzliche Vertreter der Landesmedienanstalten Die Entscheidung der KEK ist bindend (§ 35 Abs. 9 Satz 5 RStV). Zu den persönlichen Voraussetzungen müssen auch die sachlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Der Bewerber muss ein Programmschema vorlegen und nachweisen, dass er dieses auch finanzieren kann.
d.
Entscheidung der Landesmedienanstalt
Ergibt die Überprüfung, dass die Voraussetzungen erfüllt sind, ist der Bewerber zuzulassen. Gibt es mehrere Bewerber, die die Zulassungskriterien erfüllen, muss die Landesmedienanstalt einen Ausgleich finden. Hierfür gibt es zwei denkbare Modelle (vgl. BVerfGE 57, 295). Das ist entweder das so genannte Frequenz-Splitting. Dort strahlen mehrere Veranstalter ihre Programme auf einer Frequenz aus. Die andere Möglichkeit besteht darin, die Auswahlgrundsätze zu konkretisieren – also objektiv sachgerechte und individuell zumutbaren Kriterien zu schaffen, die trotzdem eine grundrechtskonforme Auswahl ermöglichen. Die Länder haben zumeist dem Auswahlmodell den Vorzug gegeben. Maßgeblich ist hier, welcher Bewerber durch sein Programmangebot voraussichtlich eine größere Vielfalt zum Gesamtprogramm beisteuern wird. Dazu gehört nicht nur das Programmschema, sondern auch die organisatorische Absicherung. Vorrang haben demnach auch Vollprogramme gegenüber Spartenprogrammen. Für die Auswahl entscheidend ist in der Regel auch der inhaltliche Bezug des Programms zum Verbreitungsgebiet. Dazu gehört die Berücksichtigung politischer Ereignisse, wirtschaftlicher und kultureller Fragen des jeweiligen Landes. Maßgeblich können auch die redaktionelle Mitbestimmung, die Produktion von Sendungen in dem jeweiligen Bundesland und die Professionalität der Programmgestaltung sein. Bei bundesweiten Programmen müssen sich die Landesmedienanstalten untereinander abstimmen. Wenn ein Antrag bei der zuständigen Landesmedienanstalt eingereicht ist, legt sie ihn der ZAK und der KEK vor. Fällt das Ergebnis der KEK positiv aus, ist der Bewerber – wenn er die sonstigen Voraussetzungen erfüllt – zuzulassen. Wird die Genehmigung nicht erteilt, kann der Bewerber auf Erteilung klagen. Zumeist geht es darum, dass die Landesmedienanstalt einem Mitbewerber den Vorzug gegeben hat. Die Gerichte überprüfen allerdings nur, ob die Landesmedienanstalt von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist. Überprüft wird weiter, ob sie sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und ob die Auswahlentscheidung willkürlich getroffen wurde. Da die Landesmedienanstalten und die KEK unbestimmte Rechtsbegriffe auszulegen haben – wie zum Beispiel „Sicherung der Meinungsvielfalt“ –, überprüft das Gericht weiter nur, ob die Landesmedienanstalt die den unbestimmten Rechtsbegriffen zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe beachtet hat. Im Ergebnis bedeutet das: Maßnahmen der Landesmedienanstalt sind in aller Regel schwer angreifbar, wenn der Sachverhalt ordentlich ermittelt und die Entscheidung der Landesmedienanstalt nachvollziehbar begründet ist.
280 e.
Gero Himmelsbach Entzug der Lizenz
Hat der Bewerber die Lizenz erhalten, muss er auch weiterhin die rundfunkrechtlichen Regelungen beachten. Das sind zum Beispiel die Bestimmungen zum Jugendschutz und die werberechtlichen Regelungen. Verstößt ein Programmanbieter gegen medienrechtliche Bestimmungen, kann die Landesmedienanstalt von ihrem Aufsichtsrecht Gebrauch machen. Das kann bis hin zur Verhängung von Geldbußen oder dem Entzug der Lizenz durch die zuständige Landesmedienanstalt gehen. Auch hiergegen kann sich der Bewerber gerichtlich wenden. Abkürzungen ALM ARD ARTE BayVGH BGH BGHZ BLM BR BV BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwGE DLM EBU EMRK GEZ GG HR KDLM KEF KEK KJM LPG NDR ORB PDA RB RFinStV RStV SDR SFB SR StPO
Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschland Association Relative à la Télévision Européenne Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bayerische Landeszentrale für neue Medien Bayerische Rundfunk Bayerische Verfassung Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten Europäische Rundfunkunion (European Broadcasting Union) Europäischen Menschenrechtskonvention Gebühreneinzugszentrale Grundgesetz Hessische Rundfunk Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich Kommission für Jugendmedienschutz Landespressegesetz(e) Norddeutsche Rundfunk Rundfunk Brandenburg Personal Digital Assistant Radio Bremen Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag) Süddeutsche Rundfunk Sender Freies Berlin Saarländischer Rundfunk Strafprozessordnung
Presse- und Rundfunkrecht SWF SWR TMG UKW UMTS UN V.i.S.d.P. WDR ZAK ZDF
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Südwestfunk Südwestrundfunk Telemediengesetz Ultrakurzwelle Universal Mobile Telecommunications System United Nations Verantwortlicher im Sinne des Presserechts Westdeutscher Rundfunk Kommission für Zulassung und Aufsicht Zweite Deutsche Fernsehen
Literaturverzeichnis „Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland“ vom 31. August 1991 Bayerische Verfassung Europäische Menschenrechtskonvention Europaratskonvention Grundgesetz BGHZ 13, 334, BGHZ 130, 205 – Feuer, Eis & Dynamit I BVerfGE 10, 118 – Grundrechtsverwirkung BVerfGE 83, 238 BVerfGE 20, 162 – Spiegel BVerfGE 30, 173 BVerfGE 34, 118 BVerfGE 34, 269 – Soraya BVerfGE 75, 205 BVerfGE 91, 125 BVerwGE 107, 275 Richtlinie 97/36 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG (EG-Fernsehrichtlinie) Rundfunkurteile 1. Rundfunkurteil 1961: BVerfGE 12, 205 2. Rundfunkurteil 1971: BVerfGE 31, 314 3. Rundfunkurteil 1981: BVerfGE 57, 295 4. Rundfunkurteil 1986: BVerfGE 73, 118 5. Rundfunkurteil 1987: BVerfGE 74, 297 6. Rundfunkurteil 1991: BVerfGE 83, 238 7. Rundfunkurteil 1992: BVerfGE 87, 181 8. Rundfunkurteil 1994: BVerfGE 90, 60 9. Rundfunkurteil 1995: BVerfGE 92, 203 10. Rundfunkurteil 1998: BVerfGE 97, 228 11. Rundfunkurteil 1998: BVerfGE 97, 298 9. Rundfunkänderungsstaatsvertrag Strafprozessordnung Zivilprozessordnung
282
Gero Himmelsbach
Internetquellen http://www.presserecht.de, 01.02.2007 http://www.presserat.de, 01.02.2007 http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm, 01.02.2007
Internetquellen – sind nicht im Text referenziert www.alm.de (Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten), 01.02.2007 www.ard.de, 01.02.2007 www.astra.lu, 01.02.2007 www.blm.de (Bayerische Landeszentrale für neue Medien), 01.02.2007 www.ebu.ch (Europäische Rundfunk Union – European Broadcasting Union), 01.02.2007 www.fsf.de (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen), 01.02.2007 www.kek-online.de (Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich), 01.02.2007 www.kjm-online.de, 01.02.2007 www.media-perspektiven.de, 01.02.2007 www.urheberrecht.org, 01.02.2007 www.vprt.de (Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation e.V.) , 01.02.2007
Weiterführende Literatur Presserecht – sind nicht im Text referenziert Branahl, Udo: Medienrecht, 5. Aufl., Wiesbaden 2006 Fechner, Frank: Medienrecht, 8. Aufl., Tübingen 2007 Löffler/Burkhardt/Sedelmeier: Presserecht, 5. Aufl., München 2006 Löffler, Martin/Ricker, Reinhart: Handbuch des Presserechts, 5. Aufl., München 2005 Paschke, Marian: Medienrecht, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg 2001 Soehring, Joerg: Presserecht – Recherche, Berichterstattung, Ansprüche im Recht der Presse und des Rundfunks, 3. Aufl., Stuttgart 2000 Wenzel, Karl E. u.a.: Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Köln 2003
Rundfunkrecht – sind nicht im Text referenziert Bornemann, Roland/Lörz, Nikolaus: Bayerisches Mediengesetz (Loseblatt), Baden-Baden 2003 ff. Hartstein, Reinhard/Ring, Wolf-Dieter/Kreile, Johannes: Rundfunkstaatsvertrag (Loseblatt), München 2003 ff. Herrmann, Günther/Lausen, Matthias: Rundfunkrecht. Fernsehen und Hörfunk mit neuen Medien, 2. Aufl., München 2004 Hesse, Albrecht: Rundfunkrecht, 3. Aufl., München 2003
Das Recht der Neuen Medien Roland Kottke
1
Einführung
Das neuerdings als „Recht der Neuen Medien“ bezeichnete Rechtsgebiet ist ein in sich nicht abgeschlossener Rechtsrahmen und in seiner Begrifflichkeit seit jeher uneinheitlich; teilweise als „Online-Recht“, „Internet-Recht“, „Multimedia-Recht“ oder Computer-Recht“ bezeichnet - um nur einige zu nennen - dürfte sich der Begriff des „Rechts der Neuen Medien“ mittlerweile durchgesetzt haben. Ungeachtet der begrifflichen Verschiedenheiten besteht wohl Einigkeit hinsichtlich des Inhalts eines solchen Rechtsgebietes; es sind diejenigen Bereiche umfasst, die mittelbar oder unmittelbar in rechtlichem Bezug zum Übertragungsmedium Internet stehen, dieses also zentral hinsichtlich der Einordnung unter das „Recht der Neuen Medien“ anzusehen ist. Die Ausgestaltung der Inhalte von sogenannten Internetdiensten1 unterlag in der Bundesrepublik Deutschland bislang einer spezialgesetzlichen Rahmengesetzgebung, die im Sinne eines rechtlichen Grundgerüstes für die Ausübung elektronischer Informations- und Kommunikationsmedien in die drei Regelungswerke Rundfunkstaatsvertrag2, MediendiensteStaatsvertrag3 sowie Teledienstegesetz4 unterteilt war.5 Der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete am 18.01.2007 mit den Stimmen der Union, SPD sowie FDP das Telemediengesetz6, das am 01. März 2007 gemeinsam mit dem Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag der Länder in Kraft trat.7 Es ist elementarer Teil des Gesetzes zur Vereinheitlichung von Vorschriften über bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationsdienste.8 Mit der Einführung des genannten TMG gehen für das „Recht der Neuen Medien“ im Vergleich zur bisherigen Rechtslage teilweise einschneidende Veränderungen einher, auf die nachfolgend dezidiert eingegangen werden soll. Dabei soll der im Zuge der Gesetzesänderungen nunmehr bestehende „status quo“ nicht nur beschrieben, sondern darüber hinaus kritisch auf Stimmigkeit und Innovation hinterfragt werden, dies insbesondere vor dem Hintergrund, als die Einzelheiten des TMG 1
ein Internetdienst ist im Wesentlichen dadurch geprägt, dass er in elektronischer Form Daten wie Zeichen, Bilder oder Töne, kurz: Inhalte bzw. Informationen aufweist, die in Verantwortung eines Anbieters erstellt und unter einer konkreten Adressierung „im Netz“ dargeboten werden 2 im Folgenden mit „RStV“ bezeichnet 3 im Folgenden mit „MDStV“ bezeichnet 4 im Folgenden mit „TDG“ bezeichnet 5 instruktiv zu der Entwicklung des „Internetrechts“ Hoffmann, NJW 2005, 2595 ff. sowie NJW 2006, 2602 ff. 6 im Folgenden mit „TMG“ bezeichnet 7 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetzes, BGBl 2007 I S.251 8 Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz, EIGVG
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Roland Kottke
in der bislang zu der Regelung vorliegenden rechtswissenschaftlichen Literatur bereits teilweise umstritten sind und nicht durchgängig einheitlich beantwortet werden.9
2
Ziel der Neuregelung
Mit der Einführung des TMG verfolgt der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zum Gesetzesentwurf das primäre Ziel der Vereinheitlichung, Vereinfachung und Zusammenfassung für das „Recht der Neuen Medien“ relevanter Vorschriften in einem Gesetz.10 Mit Wirksamwerden des TMG traten die Regelungen des TDG, des Teledienstedatenschutzgesetzes11 sowie des MdStV außer Kraft; lediglich inhaltlich verändert – im Unterschied zu den vorstehend genannten Regelungen aber nicht außer Kraft gesetzt – wurde der Rundfunkstaatsvertrag12. Mit letztgenannter (Neu-)Regelung soll das TMG inhaltlich zusammenspielen und damit die E-Commerce-Richtlinie13 als Ausgangspunkt des Rechts der Neuen Medien in Deutschland in bestmöglicher Weise umsetzen.
3
Bisherige Rechtslage
Welches der Rahmengesetze TDG, TDDSG, RStV und MDStV bei der inhaltlichen Ausgestaltung eines im Internet verbreiteten Dienstes jeweils zu beachten war, hing entscheidend vom Inhalt des jeweiligen Dienstes ab. Entscheidend war insofern regelmäßig die Abgrenzung zwischen dem Begriff des „Teledienstes“ und demjenigen des „Mediendienstes“. Wurde eine Website bislang als „Teledienst“ eingeordnet, so war das TDG anwendbar. Erfolgte hingegen eine Einordnung als Mediendienst, so galt der MDStV. Im Internet bereitgehaltene oder übermittelte Dienste, die Inhalte aufwiesen, die nur für konkret benennbare Personen oder eine konkrete, überschaubare, untereinander oder mit dem Veranstalter des Dienstes bekannte oder verbundene Personengruppe bestimmt waren und somit deren individueller Nutzung dienten14, wurden als Teledienste bezeichnet und unterlagen als solche den Bestimmungen des Teledienstegesetzes (§ 2 I TDG a.F.). Ein „klassisches“ Beispiel eines der Individualkommunikation dienenden Teledienstes bildet das Telebanking 9
siehe zum Ganzen Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 ff.; Hoeren, NJW 2007, 801 ff., die nachfolgend immer wieder zitiert werden 10 Siehe hierzu auch Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministerium vom 14.06.2006, abzurufen unter www. bmwi.de, und darin insbesondere die Stellungnahme des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos: „Mit dem neuen Telemediengesetz tragen wir zu einer zukunftsorientierten Fortentwicklung der Medienordnung bei. Die neuen Regelungen gelten unabhängig vom Verbreitungsweg der Angebote, sind entwicklungsoffen ausgestaltet und vereinfachen den bestehenden Rechtsrahmen.“ 11 im Folgenden mit „TDDSG“ bezeichnet 12 im Folgenden mit „RfStV“ bezeichnet 13 Richtlinie 2003/31/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 08.06.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr). 14 sogenannte „Individualkommunikation“, siehe hierzu die ausführliche Darstellung von Pankoke, Von der Pressezur Providerhaftung, S. 32 ff.
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(§ 2 II Nr.1 TDG a.F.). Dies deshalb, da die Informationen, die im Rahmen dieses Dienstes an den Nutzer übermittelt werden, zuvor speziell für diese Person erstellt worden sind. Gleiches galt für private Websites, soweit sie der Selbstdarstellung dienten und kein redaktionell gestaltetes, meinungsbildungsrelevantes Informationsangebot beinhalteten15. Weiterhin hatte dies auch Geltung für Internetdienste, die zwar an die Allgemeinheit gerichtet waren16, die jedoch mangels redaktioneller Gestaltung keine nennenswerte Relevanz für die Meinungsbildung der jeweiligen Nutzer aufwiesen. Als Beispiele können an die Allgemeinheit gerichtete Verkaufsportale mit interaktivem Zugriff und unmittelbarer Bestellmöglichkeit im Sinne des § 2 II Nr.5 TDG a.F.17 oder Angebote zur Nutzung von Telespielen gemäß § 2 II Nr.4 TDG a.F., wie etwa Computerprogramme, die es dem Nutzer gestatten, ggf. mit Mitspielern aus aller Welt Computerspiele zu nutzen18, angeführt werden. Bei allen sonstigen Internetdiensten, die sowohl an die Allgemeinheit gerichtet sind als auch eine nennenswerte Relevanz für die Meinungsbildung der jeweiligen Nutzer aufweisen, galt es nach der bisherigen Rechtslage wie folgt zu unterscheiden: Waren diese Dienste samt ihren Darbietungen für die Meinungsbildung der Nutzer gering bis mäßig bedeutsam, so wurden sie als Mediendienst qualifiziert und unterlagen an Stelle des TDG den spezialgesetzlichen Regelungen des MDStV. Wiesen diese Dienste hingegen eine hohe Meinungsbildungsrelevanz auf, konnten sie unter Umständen gar als Rundfunkveranstaltung beurteilt und den Bestimmungen des RStV unterworfen werden. Ob die Meinungsbildungsrelevanz eines Dienstes als gering bis mäßig zu bewerten ist, musste nach Ansicht der fachlich zuständigen Landesmedienanstalten anhand einer Gesamtbewertung der insofern maßgeblichen Einzelkriterien a) b) c) d) e)
Wirkungsintensität der verbreiteten Inhalte, Maß der redaktionellen Bearbeitung, Realitätsnähe der Präsentation, Reichweite und gleichzeitige Rezeptionsmöglichkeit und Art des Nutzerverhaltens
bestimmt werden. Anhand dieser Kriterien besaßen beispielsweise Internetdienste in Gestalt von Hörfunk- oder Fernsehveranstaltungen, die ausschließlich im Internet verbreitet wurden, eine vergleichsweise eingeschränkte Meinungsbildungsrelevanz und waren demzufolge als Mediendienste einzuordnen. Als solche galten ebenfalls alle sonstigen Abrufdienste, bei denen Text-, Ton- oder Bildbearbeitungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt wurden (§ 2 II Nr.4, 1.Halbsatz MDStV a.F.), soweit bei ihnen – im Gegensatz zu den Telediensten – die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund stand. Als Beispiel hierfür dienten unter anderem die elektronische Presse namhafter Presseunternehmen in Form von Online-Angeboten.
15 16 17 18
Fechner, Medienrecht, Rn 991 auch als „Massenkommunikation“ zu bezeichnen etwa www.ebay.de siehe auch Pankoke, Von der Presse- zur Providerhaftung, S.39
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Roland Kottke Rechtslage und Neuerungen im Telemediengesetz
Nachdem nun der in der Vergangenheit vor Inkrafttreten des TMG bestehende Rechtsrahmen beleuchtet wurde, sollen im Folgenden die nunmehr geltenden Bestimmungen, insbesondere diejenigen des TMG, dargestellt und dahin gehend kritisch hinterfragt werden, ob sie die unter II. genannten Ziele erreichen können. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das TMG jüngst erst in Kraft getreten ist, folglich Literatur zu diesem Gesetz nur in sehr begrenztem Umfange vorliegt, von aktueller Rechtsprechung ganz zu schweigen. Insofern wird insbesondere Bezug genommen auf den Gesetzestext selbst sowie auf die gesetzgeberische Begründung.
4.1 Anwendungsbereich des Telemediengesetzes Das neue TMG gilt ausweislich seines § 1 I für alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste mit Ausnahme von Telekommunikationsdiensten im Sinne des § 3 Nr.24 TKG sowie des Bereiches des Rundfunks nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages. Insofern besteht die wesentliche Änderung des nunmehr in Kraft getretenen Rechtsrahmens darin, dass künftig nicht mehr zwischen Tele- und Mediendiensten unterschieden wird und diese bislang relevante Differenzierung obsolet geworden ist.19 Demnach werden also durch § 1 TMG die bisher in § 2 TDG sowie § 2 MDStV enthaltenen Bestimmungen zum Geltungsbereich für Tele- und Mediendienste zusammengeführt. Folglich ist nun einzig eine Abgrenzung zwischen dem Begriff der „Telemedien“ im Sinne des § 1 I TMG auf der einen Seite sowie „Telekommunikation“ bzw. „Rundfunk“ auf der anderen Seite erforderlich, um zur Anwendbarkeit des TMG zu gelangen.20 Es ist mithin unerlässlich, die Begrifflichkeiten nachfolgend zu definieren, um sie so voneinander abgrenzen zu können.
4.1.1
Telemedien - Telekommunikation - Rundfunk
Der Begriff der Telemedien als solcher ist im neuen TMG nicht legal definiert. Erforderlich zu einer genauen Begriffsbestimmung ist anhand der Gesetzesformulierung in § 1 I TMG eine negative Abgrenzung zu Telekommunikationsdiensten und Rundfunk.21 Telekommunikationsdienste22 sind nach der Legaldefinition in § 3 Nr.24 TKG in der Regel gegen Entgelt erbrachte Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, einschließlich Übertragungsdiensten in Rundfunknetzen. In diesen Bereich der Telekommunikationsdienste fallen beispielsweise 19 siehe hierzu auch Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 14.06.2006, abzurufen unter www. bmwi.de; ebenfalls Hoeren, NJW 2007, 801 (802); Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (591). 20 zur Terminologie „Telemedien“ bzw. „Telemediendienste“ siehe Hoeren, NJW 2007, 801 (802) mit Verweis auf den Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV) vom 10.-27.09.2002 21 so auch Bender/Kahlen, MMR 2006, 591. 22 dieser Begriff ersetzt den mittlerweile überholten Ausdruck der Telekommunikationsdienstleistungen, der noch nach § 3 Nr.18 TKG 1996 galt
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Angebote von Access-Providern, so lange es nur um die reine Zugangsvermittlung im Bereich des Internets geht.23 Es lässt sich also sagen, dass eine bloße Transportleistung, die lediglich den technischen Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens betrifft, als Telekommunikationsdienst im Sinne des § 3 Nr.24 TKG anzusehen und damit dem TKG unterworfen ist. Wird demgegenüber aber eine inhaltliche Dienstleistung angeboten, wie es beispielsweise bei einer E-Mail-Übertragung der Fall ist, dann handelt es sich nicht mehr um einen reinen Telekommunikationsdienst, sondern auch um einen Telemediendienst, der in den Anwendungsbereich des TMG fällt.24 Als Rundfunk im Sinne des § 2 des RStV sind alle für die Allgemeinheit bestimmten Veranstaltungen und Verbreitungen von Darbietungen aller Art unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters anzusehen.25 Hilfreich in diesem Zusammenhang ist bei der Einordnung eines Dienstes als Rundfunk die – gewiss nicht abschließende – Aufzählung von solchen Diensten, die nach dem Willen des Gesetzgebers als Rundfunk anzusehen sind: ▪ ▪ ▪
der herkömmliche Rundfunk Live-Streaming (zusätzliche parallele/zeitgleiche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet) Webcasting (ausschließliche Übertragung herkömmlicher Rundfunkprogramme über das Internet)
Unter Telemediendienste fallen, wie eingangs erwähnt, alle übrigen Informations- und Kommunikationsdienste, die nicht ausschließlich Telekommunikationsdienste oder Rundfunk sind. Mit anderen Worten reicht es aus, dass die Dienste auch als Telemediendienste angesehen werden können, sie müssen nicht als „Reinform“ als solche bestehen. Es kann also von einem sehr weiten Anwendungsbereich des Telemediendienstes ausgegangen werden, da insofern ja eine ausschließliche Einschlägigkeit gesetzgeberisch gerade nicht gefordert wird. Die Gesetzesbegründung nimmt auch diesbezüglich eine nicht abschließende beispielhafte Aufzählung von Telemedien im Sinne des Gesetzgebers vor und trägt somit zur Griffigkeit des Ausdrucks bei: ▪
▪
23 24 25
Online-Angebote von Waren/Dienstleistungen mit unmittelbarer Bestellmöglichkeit (z.B. Angebot von Verkehrs-, Wetter-, Umwelt- oder Börsendaten, Newsgroups, Chatrooms, elektronische Presse, Fernseh-/Radiotext, Teleshopping) Video auf Abruf, soweit es sich nicht nach Form und Inhalt um einen Fernsehdienst im Sinne der Richtlinie 89/552/EWG (Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen) handelt, der also zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist und nicht auf individuellen Abruf eines Dienstleistungsempfängers erbracht wird. Solche Dienste unterliegen der Rundfunkregulierung durch die Länder. Hierbei orientiert sich die Einordnung an den europarechtlichen Vorgaben, die inzwischen durch die Rechtsprechung des EuGH Hoeren, NJW 2007, 801 (802) zur Definition der „Telekommunikation“ siehe ausführlich Beck’scher TKG Kommentar, Einl C Rn 6 ff. siehe hierzu Hoeren, NJW 2007, 801 (803); in der Vergangenheit schon Hochstein, NJW 1997, 2977
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▪ ▪
Roland Kottke (Mediakabel-Entscheidung, Rechtssache C 89/04 vom 02.06.2005, Abl. C 182/16 vom 23.07.2005) konkretisiert wurden. Online-Dienste, die Instrumente zur Datensuche, zum Zugang zu Daten oder zur Datenabfrage bereitstellen (z.B. Internet-Suchmaschinen) Die kommerzielle Verbreitung von Informationen über Waren-/Dienstleistungsangebote mit elektronischer Post (z.B. Werbe-Mails)
4.2 Herkunftslandprinzip Das sogenannte „Herkunftslandprinzip“ galt bereits im Rahmen der alten Rechtslage und besteht auch weiterhin fort, geregelt nun in § 3 I TMG. Danach haben in Deutschland niedergelassene Diensteanbieter und ihre Telemedien stets die Anforderungen des deutschen Rechts zu beachten, und zwar insbesondere auch dann, wenn die Telemedien in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereiches der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 08.06.2000 geschäftsmäßig angeboten oder erbracht werden. Gleichzeitig wird durch § 3 II TMG der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die in der Bundesrepublik Deutschland angeboten werden und die ihren Sitz in einem anderen Staat innerhalb des Geltungsbereichs der erwähnten Richtlinie haben, nicht eingeschränkt. Dies bedeutet, dass sich deren Geschäftstätigkeit nicht an deutschem Recht messen lassen muss, sondern an demjenigen des Herkunftslandes, auch wenn die Dienstleistung in Deutschland erbracht wird. Dies kann natürlich dazu führen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen zwischen einzelnen Anbietern, die aus verschiedenen Ländern kommen und insofern unterschiedlicher Gesetzgebung unterliegen, variieren, obgleich beide ggf. in Deutschland geschäftsmäßig aktiv sind. Doch ist genau dies die EU-rechtlich gewollte Folge der Statuierung des Herkunftslandprinzips und insofern von den einzelnen Wettbewerbern hinzunehmen.
4.3 Haftungsregelungen Die Rechtslage hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern hat sich gegenüber den Regelungen im TDG nicht verändert. Nach § 7 I TMG sind Diensteanbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Als Information im vorgenannten Sinne werden alle Daten und Inhalte verstanden, die innerhalb eines Dienstes bereitgehalten werden, also beispielsweise Softwareprogramme, Texte, Bilder.26 Soweit diese Informationen bzw. Inhalte durch den Anbieter selbst oder eine ihm arbeitsrechtlich unterstehende Person – mithin innerhalb des rechtlichen Einwirkungsbereiches des Anbieters – erstellt werden, handelt es sich um „eigene“ Informationen, für die neben der unmittelbar handelnden Person auch und vor allem der jeweilige Diensteanbieter zu haften hat. Sofern ein Anbieter im Internet eigene Informationen bereithält, haftet 26
Stadtler, Haftung für Informationen im Internet, S.80 ff.
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er für diese gemäß § 7 I TMG nach den allgemeinen Gesetzen. Dies bedeutet, dass die Bestimmungen des TMG keine gesonderten, internetspezifischen Haftungsregelungen für den Fall des Bereithaltens rechtsverletzender eigener Informationen enthalten. Stattdessen wird in solchen Fällen auf die „allgemeinen“ und somit vor allem auf die im Strafgesetzbuch und im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen haftungsrechtlichen Regelungen verwiesen (insbesondere auf die §§ 823, 1004 BGB, ggf. in Verbindung mit strafrechtlichen Normen).27 Für fremde Informationen hingegen, die sie in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder zu denen sie den Zugang zur Nutzung vermitteln, sind sie gemäß § 8 I TMG nicht verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst, den Adressaten der übermittelten Information nicht ausgewählt und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben. Es gilt also grundsätzlich, dass Diensteanbieter dann nicht haften, wenn sie von fremden Informationen keine Kenntnis haben.28 Genauso wenig sind die Diensteanbieter demnach verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen generell zu überwachen oder aktiv nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen.29 Es gibt also keine allgemeine Überwachungspflicht dahin gehend, fremde Inhalte auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.30 Auch wenn dieser gesetzgeberische Standpunkt immer wieder auf Kritik gestoßen ist – insbesondere wurde regelmäßig die Rechtssicherheit der Regelungen in Frage gestellt31 – so hat der Gesetzgeber auch in der Neufassung des TMG hieran vollumfänglich festgehalten. Abzuwarten bleibt, ob diese Haltung auch nach dem bis Ende 2007 von der EU-Kommission angekündigten Evaluierungsbericht hinsichtlich der E-Commerce-Richtlinie – die ja Grundlage des TMG ist – aufrechterhalten bleibt. In der Literatur wird dabei zu Recht gefordert, dass insbesondere bezüglich der Haftung gemeinsame Regeln auf europäischer Ebene geschafft werden müssen, um den berechtigten Interessen der Rechteinhaber auf der einen Seite und der Diensteanbieter auf der anderen Seite EU-weit Rechnung zu tragen.32
4.4 „Spam-Mails“ werden zur Ordnungswidrigkeit Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage wurde in das TMG, namentlich in § 6 II, die Verpflichtung zur Offenlegung der Herkunft kommerzieller E-Mails festgeschrieben. Wörtlich heißt es in § 6 II TMG: „Werden kommerzielle Kommunikationen per elektronischer Post versandt, darf in der Kopf- und Betreffzeile weder der Absender noch der kommerzielle Charakter der Nachricht verschleiert oder verheimlicht werden. Ein Verschleiern oder Verheimlichen liegt dann vor, wenn die Kopf- und 27
ausführlich hierzu siehe Pankoke, Von der Presse- zur Providerhaftung, S.109–170 siehe hierzu Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (593) 29 Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (593) 30 Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (593) 31 insbesondere nach der sogenannten „Rolex-Ricardo-Entscheidung“ des BGH im Jahre 2004, veröffentlicht in MMR 2004, 668 mit Anmerkung Hoeren 32 so z.B. Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (593) 28
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Roland Kottke Betreffzeile absichtlich so gestaltet sind, dass der Empfänger vor Einsichtnahme in den Inhalt der Kommunikation keine oder irreführende Informationen über die tatsächliche Identität des Absenders oder den kommerziellen Charakter der Nachricht erhält.“
Ein absichtlicher Verstoß gegen diese Vorschrift wird nun gemäß § 16 I TMG als Ordnungswidrigkeit eingestuft, die nach § 16 III TMG mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro geahndet werden kann.33 Mit dieser Vorschrift des § 6 II TMG sollen nach der Gesetzesbegründung bestimmte Verschleierungs- und Verheimlichungshandlungen bei der kommerziellen Kommunikation mittels elektronischer Post, denen ein besonders hervorzuhebender Unrechtsgehalt zukommt und für die eine staatliche Sanktion mittels eines Bußgeldtatbestandes für erforderlich gehalten wird, bekämpft werden. Vorrangiges – und gewiss nachvollziehbares – Ziel ist demnach die Gewährleistung eines hohen Maßes an Transparenz und Entscheidungsfreiheit für den Empfänger und potentiellen „Öffner“ der E-Mails.34 Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass die Regelung nicht darauf abzielt, ob und wann E-Mails versendet werden dürfen, sondern es einzig um die Frage geht, wie die Versendung auszusehen hat.35 Dieser Tatbestand muss als sinnvolle Ergänzung verstanden werden zu bereits vor Inkrafttreten des TMG bestehenden Sanktionsmöglichkeiten, die in anderen Gesetzen bereits bestand. So konnten und können „Spam-Mails“ mit besonders schwerwiegenden Rechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden, insbesondere wenn es sich beispielsweise um die Verbreitung von Kinderpornographie oder Betrugstatbestände handelt, letztere im Falle des sogenannten „Phishing“ oder der heimlichen Installation eines Dialers auf dem Empfängerrechner.36 Die Regelung zielt also unter Heranziehung der Ausführungen in der Gesetzesbegründung konkret ab auf Verschleierung von Absenderinformationen bzw. den kommerziellen Charakter einer E-Mail. Ersteres wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die Absenderangaben suggerierten, die Nachricht stamme von einer offiziellen Stelle (z.B. „Staatsanwaltschaft München“), von einem Geschäftspartner oder aus dem Freundeskreis des Empfängers, der Spammer zu seiner Tarnung fälsche oder nicht existente IP-Adressen in die Absenderinformationen seiner E-Mail einträgt.37 Demgegenüber würde es sich um eine Verschleierung des kommerziellen Charakters einer E-Mail handeln, wenn in der Betreffzeile bewusst irreführende Aussagen (z.B. „letzte Mahnung“, „Achtung, besonders dringend“, „Ihr Strafverfahren Aktenzeichen XY“) gemacht werden, da damit möglichst hohe Öffnungsraten seitens des Nutzers erzielt werden sollen.38 Von dieser Vorschrift sollen der Gesetzesbegründung zur Folge nicht erfasst sein sogenannte „Bagatellfälle“, in denen beispielsweise kleine Unternehmen 33 Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (594) verweisen darauf, dass diese Regelung des TMG Ziele eines Gesetzesvorhabens aufgreife, die bereits in der 15. Legislaturperiode im Bundestag beraten, jedoch nicht zum Abschluss gebracht werden konnte 34 BT-Dr 16/3078, S.20 35 das „ob“ und „wann“ ist auch weiterhin nach wettbewerbsrechtlichen oder allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu bewerten 36 instruktiv hierzu Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (594) 37 BT-Dr. 16/3078, S.21w 38 BT-Dr. 16/3078, S.21
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aus Versehen – und damit eben nicht absichtlich, wie von § 16 I TMG ausdrücklich gefordert – unter Nichtbeachtung ihrer Informationspflichten bei kommerzieller Kommunikation irreführende Angaben machen.39 Hoeren wirft in seinem Aufsatz zu Recht die Frage der Sinnhaftigkeit bzw. Ausgeklügeltheit der Vorschrift des § 6 II TMG auf. Er verweist zum einen zutreffend darauf, dass die überwiegende Anzahl eingehender Spam-Mails nicht aus Deutschland stamme, sondern aus Ländern mit niedrigem oder gar nicht vorhandenem Schutzniveau, so dass die Regelung daher bereits regelmäßig ins Leere laufe.40 In Anbetracht des Fehlens vergleichbarer Ordnungswidrigkeitstatbestände41 im internationalen Raum, seien auch Rechtshilfeersuchen nicht erfolgversprechend. Ebenfalls nicht zielführend formuliert ist die gesetzlich normierte Erfordernis der „Absicht“, ohne die eine „Spam-Mail“ – zumindest nach TMG42 – nicht als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Der Nachweis von Absicht dürfte im Zweifelsfalle schwierig zu führen sein.43 Insofern wird vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen die Zukunft zeigen, ob mit Einführung des – sicher gut gemeinten – § 6 II TMG tatsächlich auch der gewünschte Schlag gegen die wahllose Zusendung unerwünschter E-Mails gelungen ist oder ob die Regelung, wonach es aus hiesiger Sicht auszusehen scheint, einer Nachbesserung bedarf.
4.5 Neuerungen bezüglich Auskunftsansprüchen Massive Veränderungen sieht das TMG im Vergleich zur bisherigen Rechtslage hinsichtlich der Frage vor, wer Anspruch auf Herausgabe von Bestands- und Nutzungsdaten hat. Insbesondere die Einführung von § 14 II TMG verändert den rechtlichen Rahmen hierbei entscheidend. War es bislang so, dass einzig die Strafverfolgungsbehörden sowie die Gerichte Anspruch auf Herausgabe von Bestands- und Nutzungsdaten hatten, so wurden in § 14 II TMG nun auch weitere öffentliche Stellen, nämlich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst aufgenommen. Entscheidend und von enormer rechtlicher und praktischer Tragweite ist allerdings der nun statuierte Herausgabeanspruch von Privatunternehmen bezüglich relevanter Daten zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum. Europarechtliche Grundlage dieser Erweiterung auf Privatunternehmen ist ausweislich der Gesetzesbegründung die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Demnach haben die Mitgliedsstaaten bestimmte Auskunftsrechte zugunsten Privatunternehmen sicherzustellen, und genau dies soll durch den nun festgeschriebenen Herausgabeanspruch im innerdeutschen Recht manifestiert werden. Dies dürfte insbesondere die Musikindustrie erfreuen, da sie bei der alten Rechtslage 39
BT.Dr. 16/3078, S.21 Hoeren, NJW 2007, 801 (804); vgl. auch Bender/Kahlen, MMR 2006, 590 (594), die die Problematik erkennen, sich aber dennoch für die Sinnhaftigkeit der Regelung aussprechen, da damit ihrer Auffassung zufolge „ein Signal gegen Spam-Mails“ gesetzt würde 41 insoweit Terminologie bei Hoeren, NJW 2007, 801 (804) nicht ganz korrekt, da er von Straftatbeständen spricht 42 wohl aber möglicherweise Ahndung nach anderen, insbesondere wettbewerbsrechtlichen Vorschriften 43 instruktiv zum Ganzen Hoeren, NJW 2007, 801 (804) 40
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regelmäßig daran gehindert war, Urheberrechtsverletzungen mangels Herausgabeanspruch entsprechender Daten durch die Diensteanbieter zu verfolgen.
5
Résumée
Es bleibt abzuwarten, ob die vorliegende Neufassung des TMG tatsächlich die Ziele, die sich der Gesetzgeber von ihr verspricht, auch umzusetzen vermag. Erst die zukünftige Praxis wird Aufschluss darüber geben, inwieweit die Regelungen Fortschritt im Vergleich zur bisherigen Rechtslage bedeuten. Gewiss wird hierbei der Rechtsprechung eine nicht unbedeutende Rolle zukommen bei der Auslegung möglicher Unklarheiten, die sich aus der Gesetzesfassung ergeben könnten. Zum jetzigen frühen Zeitpunkt nach Inkrafttreten des TMG ist freilich entsprechende Rechtsprechung noch nicht ergangen.
Medienfreiheit und Berichterstattung Kurt-Ulrich Mayer
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Medienfreiheiten als Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft
1.1 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen Art. 5 Abs. 1 GG Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Die durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerungsfreiheit ist ein Grundpfeiler eines jeden demokratischen Staates. Das Recht frei und ungehindert seine Meinung sagen zu können, ist ein Jedermannsrecht. Es ist weder von einer bestimmten Staatsangehörigkeit noch von einem bestimmten Alter abhängig. Es setzt auch keine Geschäftsfähigkeit voraus, sondern lediglich die Fähigkeit, das Grundrecht ausüben zu können. Die Meinungsäußerungsfreiheit ist auch durch das Europäische Recht, insbesondere durch Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als wesentliche Grundlage für eine demokratische Gesellschaft garantiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg hat in zahlreichen Entscheidungen die Bedeutung dieses Grundrechts als Fundament für eine freiheitliche europäische Kommunikationsordnung unterstrichen1: Die Meinungsäußerungsfreiheit stellt eine der wesentlichen Grundlagen der demokratischen Gesellschaft dar, unbeschadet Art. 10 Abs. 2 EMRK gilt sie nicht nur für Nachrichten und Ideen, welche als unschädlich angesehen werden oder welche auf Gleichgültigkeit stoßen, sondern auch für solche, die Angriffe enthalten, schockieren oder kritisieren.
Der Schutz der Meinungsäußerung umfasst daher nicht nur alle Lebensbereiche, sondern auch die schlechten, irrigen oder provozierenden Meinungen2.
1 2
vgl. Holoubek, AfP 2003, S. 193 BGH in NJW 1964, S. 244; BVerfG in AfP 1991, S. 388
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1.2 Meinungen und Tatsachenbehauptungen Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 10 EMRK ist inhaltsunabhängig. Er gilt grundsätzlich für alle kommunikativen Handlungen, d.h. für Tatsachenbehauptungen und Meinungen (Werturteile). In der Praxis bereitet die Abgrenzung einer Meinung von einer Tatsachenbehauptung mitunter Schwierigkeiten. Eine Meinungsäußerung liegt immer dann vor, wenn die Äußerung durch bewertende Elemente, wie des Dafürhaltens und der Stellungnahme geprägt ist3. Hingegen spricht man von einer Tatsachenbehauptung, wenn eine Äußerung anhand von Beweisen auf ihre Wahrheit überprüft werden kann, zumindest theoretisch einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist. Eine Tatsachenbehauptung ist immer wahr oder unwahr, richtig oder unrichtig, während eine Meinungsäußerung sich nicht mit diesen Kriterien messen lässt. Am Grundrechtsschutz der Meinungsäußerungsfreiheit nehmen grundsätzlich nur wahre Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen teil. Bei unwahren Tatsachenbehauptungen besteht eine faktische Vermutung der Unzulässigkeit ihrer Verbreitung, weil für unrichtige bzw. wahrheitswidrige Äußerungen ein Schutzbedürfnis für ihre Teilnahme am öffentlichen Meinungsmarkt nicht besteht. Nach der ständigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts4 nehmen unwahre Tatsachenbehauptungen am Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dann nicht teil, wenn sie im Bewusstsein ihrer Unwahrheit aufgestellt wurden oder wenn die Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerungen oder Verbreitung evident gewesen ist. Hingegen ist die erstmalige Verbreitung einer Äußerung, deren Unrichtigkeit sich erst nachträglich herausstellt, nicht generell vom Grundrechtsschutz ausgenommen. Sie genießt dann den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG, wenn sie als Mittel des Meinungskampfes in einer für die Öffentlichkeit besonders wichtigen Frage eingesetzt wurde und wenn dabei die Grundsätze der publizistischen Sorgfaltspflichten Beachtung gefunden haben. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen kann aus Gründen der Wahrnehmung berechtigter Interessen die erstmalige Verbreitung einer sich im Nachhinein als unwahr herausstellenden Äußerung durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sein. Keinesfalls rechtfertigt dies jedoch eine Wiederholung der unwahren Erstmitteilung. Ausgenommen vom Grundrechtsschutz der freien Meinungsäußerung sind grob herabsetzende Werturteile, die ohne jeden sachlichen Bezug zur bloßen Verächtlichmachung des Gegners aufgestellt wurden. Insoweit spricht man von unzulässiger Schmähkritik5. Wegen des hohen Stellenwertes, den die Meinungsfreiheit in der demokratischen Gesellschaft und nach Wertung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen einnimmt, ist die Annahme einer unzulässigen Schmähkritik an sehr strenge Voraussetzungen gebunden. Keinesfalls darf der Presse untersagt werden, gefärbte Stellungnahmen oder beißende Kritik zu verbreiten, selbst in den Fällen nicht, in denen die Kritik völlig verfehlt, geschmacklos
3
vgl. BVerfG in AfP 1994, S. 126; BVerfGE 7, S. 198, 210 vgl. BVerfGE 42, 143 = AfP 1976, S. 115; BVerfGE 61, S. 1 = AfP 1982, S. 215; BVerfGE 85, S. 1 = AfP 1992, S. 53 5 BVerfG in AfP 1990, S. 192; OLG Hamburg in NJW 1992, S. 2035 4
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oder banal erscheint6. Dies gilt insbesondere im politischen Meinungskampf, vor allem für Wahlkämpfe7. Wer durch sein Verhalten und seine Äußerung provoziert, muss mit Gegenschlägen rechnen. Auch hier gilt die Redewendung aus dem Volksmund „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.“ Auch nach der Rechtssprechung des EGMR müssen Personen, die sich mehr als andere an der öffentlichen Debatte auf dem Marktplatz der Meinungen betätigen, erhöhte Kritikfähigkeit ertragen8. Da gerade bei der Berufsgruppe der Politiker die Beteiligung am Kommunikationsprozess besonders ausgeprägt ist und kaum Schranken unterliegt, müssen diese es eher ertragen, wenn sie scharf angegriffen und kritisiert werden.
1.3 Die Informationsfreiheit Neben der Meinungsfreiheit gewährt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG jedem das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Allgemein zugänglich sind Quellen, die dazu bestimmt sind, der Allgemeinheit, d.h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu beschaffen9. Dieses Recht steht selbstverständlich auch den Medien, d.h. Presse und Rundfunk zu. Für die Medien, insbesondere für die Presse, die eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen hat, reicht jedoch die Informationsermittlungsfreiheit aus allgemein zugänglichen Quellen alleine nicht aus. Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts10 ist die freie Presse ein Wesenselement des freiheitlichen Staates, die eine öffentliche Aufgabe als Verfassungsauftrag zu erfüllen hat: Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe dadurch, dass sie Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt und auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.
Eine solche oder ähnliche Definition der öffentlichen Aufgabe der Presse enthalten fast alle Pressegesetze der Bundesländer. Diese öffentliche Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht für eine freiheitliche Demokratie als konstitutiv ansieht11, vermag eine freie Presse – für den Bereich des Rundfunks gilt nichts anderes – aber nur dann zu erfüllen, wenn ihr ein Informationsermittlungsanspruch zugebilligt wird, der über das Jedermannsrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren, hinausgeht. Aufgrund der beschriebenen Sonderstellung der Presse gewährt daher Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dieser nicht nur Abwehrrechte, wie sie jedem Bürger gegen Eingriffe in die Pressefreiheit durch den Staat zustehen, sondern einen eigenen Anspruch auf Gewährung von Informationen durch den Staat12. Dieser schon unmittelbar durch die Verfassung gewährleistete Informationsanspruch gegen den Staat wird durch die Landespressegesetze konkretisiert, um 6
OLG Düsseldorf in AfP 1982, S. 235 BVerfGE 12, S. 113 ff. 8 vgl. Holoubek a. a. O. 9 BVerfGE 27, S. 71/83 10 BVerfGE 20, S. 174; 36, S. 340; BVerfG in AfP 1984, S. 95 11 BVerfGE 7, S. 198 12 vgl. Soehring Jahr, S. 5 7
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eine verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung zu ermöglichen. Die Rolle des Informationsbeschaffers und Informationsvermittlers spielt dabei die Presse. Diese informiert den Einzelnen über von staatlichen Stellen getroffene Maßnahmen, über staatliche Entscheidungen, beabsichtigte Lösungsvorschläge, damit dieser sich hierzu eine Meinung bilden kann und damit er in die Lage versetzt wird, am öffentlichen Meinungsmarkt teilzunehmen.
1.4 Die Medienfreiheiten 1.4.1
Die Pressefreiheit
Neben der Meinungs- und Informationsfreiheit gewährleistet Art. 5 Abs. 1 GG die Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit. Die Pressefreiheit ist nicht nur ein Unterfall der Meinungsfreiheit. Wegen ihrer öffentlichen Aufgabe gewährleistet das Grundgesetz die institutionelle Eigenständigkeit der Presse von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung13. Die Pressefreiheit ermöglicht es dem Einzelnen, sich ständig und umfassend auf allen Lebensgebieten zu informieren und schafft damit die Voraussetzungen für ihn, sich als lebendiges Glied der Gemeinschaft und als freie Persönlichkeit entfalten zu können14. Die Pressefreiheit ist nicht nur verfassungsrechtlich verankert, sondern sie wird auch durch die Pressegesetze aller Bundesländer gewährleistet. Da Art. 5 des GG unmittelbar geltendes Bundesrecht ist und allen Landesgesetzen vorgeht, haben die Vorschriften zur Gewährleistung der Pressefreiheit in den Pressegesetzen der Länder lediglich deklatorischen Charakter. Eine Legaldefinition der Pressefreiheit sucht man vergebens. Weder Art. 5 des GG noch § 1 der Landespressegesetze definieren, was unter Pressefreiheit zu verstehen ist. Es muss daher auf Literatur und Rechtssprechung zurückgegriffen werden15: Pressefreiheit ist das jedermann zustehende mit individualrechtlicher und institutioneller Garantie ausgestattete Grundrecht ungehindert Presseerzeugnisse jeder Art herzustellen und zu verbreiten, sich in ihnen in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, solche Erzeugnisse zu empfangen und sich aus ihnen zu informieren sowie ungestört alle Tätigkeiten vorzunehmen, die diesen Zwecken dienen.
1.4.2
Rundfunkfreiheit
Ebenso wie die Pressefreiheit ist die Rundfunkfreiheit für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie von herausragender Bedeutung, insbesondere im Zeitalter der Informationsgesellschaft. 13 14 15
BVerfG in NJW 61, S. 547 BVerfGE 27, S. 81 vgl. Löffler/Ricker, S. 38; BVerfGE 10, S. 121; BVerfGE 85, S. 1/11 ff.
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Ihr wesentliches Merkmal besteht in der Volkssouveränität, wie sie in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG verankert ist. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus16. Damit korrespondiert das Gebot der Staatsferne. Der Staat ist kein Träger der Rundfunkfreiheit, sondern deren Garant. Da im Unterschied zum Medium Presse vor allem die Veranstaltung nationaler Rundfunkprogramme sehr kostenintensiv sind und daher die Gefahr einer Konzentration von Meinungsmacht mit negativen Auswirkungen auf das Vielfaltsgebot insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten besteht, hat der Gesetzgeber den Rundfunk nicht den Selbstregulierungskräften der Gesellschaft anvertraut, sondern den Staat als Garant der Rundfunkfreiheit in die Pflicht genommen. Der Staat hat seine diesbezüglich Gewährleistungspflicht dadurch zu erfüllen versucht, dass er mit der Gründung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, in deren Strukturen die gesellschaftlich relevanten Gruppen eingebunden sind, eine Organisation geschaffen hat, die zumindest ihrem Anspruch nach mögliche Gefährdungen einer einseitigen Einflussnahme durch den Staat ausschließt und die dem Gebot der Vielfaltssicherung entspricht. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts reduzieren sich die Maßnahmen des Staates wegen des Gebots der Staatsferne des Rundfunks auf die Schaffung einer gesetzlichen Rahmenordnung, die sicherstellt, dass der Rundfunk nicht einer oder einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und dass die in Betracht kommenden gesellschaftlichen Kräfte im Gesamtprogramm auch zu Wort kommen17. Darüber hinaus hat der Staat für den Inhalt des Programms Leitgrundsätze aufzustellen, die ein Mindestmaß von inhaltlicher Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitiger Achtung gewährleisten18. Die Einstandspflicht des Staates für die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG besteht somit vor allem in seiner Verpflichtung zur organisatorischen Sicherstellung eines größtmöglichen Freiheitsraumes für die Berichterstattung durch den Rundfunk im Sinne eines Dienstes an der Allgemeinheit19. Aufgabe des Staates ist daher, den Rundfunk so zu organisieren, dass ein offener Meinungsmarkt unter Teilhabe aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens ermöglicht wird. Die durch den Rundfunk beförderte öffentlich-rechtliche Meinungsbildung darf die Herrschenden nicht schonen, sondern muss auch politische Änderungen ermöglichen. Die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit ist aber nicht ausschließlich auf eine öffentlich-rechtliche Organisation des Rundfunks reduziert. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner 1. und 3. Rundfunkentscheidung20 deutlich gemacht und damit das Tor für eine duale Rundfunkordnung in Deutschland unter den Voraussetzungen aufgestoßen, dass bei Rundfunkveranstaltern des privaten Rechts in vergleichbarer Weise wie in den öffentlichrechtlichen Anstalten, alle gesellschaftlich relevanten Gruppen zu Wort kommen. Infolge dieser verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen haben die Bundesländer durch Mediengesetze auch privaten Veranstaltern Sendemöglichkeiten eröffnet. Diese erhalten eine 16 17 18 19 20
vgl. Ricker/Schiwy 1997, S. 83 vgl. BVerfGE 57, S. 295 ff, 324 ff. BVerfGE 12, S. 205 ff.; 57, S. 295 ff. vgl. Schiwy/Schütz, S. 361 BVerfGE 12, S. 205, BVerfGE 57, S. 205
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Lizenz, für deren Erteilung, Widerruf und Rücknahme die Landesmedienanstalten zuständig sind, deren Aufsichtsgremien weitgehend dem Vorbild der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachgebildet sind und die auf besondere Weise der Staatsferne Rechnung tragen. Auch die Veranstalter von privatem Rundfunk sind an Programmgrundsätze gebunden, die sie zu sachgemäßer, umfassender und wahrheitsgemäßer Information sowie zu einem Mindestmaß an gegenseitiger Achtung verpflichten und die dem Jugendschutz Rechnung tragen21. Die Überwachung der Einhaltung dieser Programmgrundsätze ist ebenfalls Aufgabe der Landesmedienanstalten. Auch für die Ordnung des privaten Rundfunks verlangt das Bundesverfassungsgericht einen Organisationsrahmen, der die Abbildung der Vielfalt der bestehenden Meinungen sicherstellt. Dabei stellt das Gericht jedoch, zumindest solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Grundversorgung sichert, an die Breite des Programmangebotes und an die Vielfaltsicherung im Programm der privaten Veranstalter nicht die gleichen hohen Anforderungen wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der einen Grundversorgungs- bzw. Funktionsauftrag zu erfüllen hat. Dieser Grundversorgungs- bzw. Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lässt sich nicht statisch definieren, sondern ist dynamisch zu verstehen. Er beinhaltet zumindest die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks flächendeckend im Sendegebiet ein umfassendes Programm (Nachrichten, Informationen, Bildung, Unterhaltung etc.) für jedermann, in angemessenem Umfang auch für Minderheiten, anzubieten. Zumindest solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk diesen Funktionsauftrag erfüllt, müssen die privaten Veranstalter nur einen Grundstandard erfüllen, der keine vorherrschende Meinungsmacht entstehen lässt, der einseitigen und ungleichgewichtigen Einfluss einzelner Veranstalter oder Programme auf die öffentliche Meinungsbildung verhindert und der für alle Meinungsrichtungen die Möglichkeit eröffnet im privaten Rundfunk zu Wort zu kommen22. Daher bestehen auch gegen private Spartenprogramme zumindest solange keine Bedenken, wie das Programmangebot im Sendegebiet insgesamt dem Vielfaltsgebot entspricht.
2
Beschaffung und Bearbeitung von Informationen
2.1 Auskunftsansprüche Jeder der in der Demokratie seine Funktion als ein verantwortungsbewusster Staatsbürger ausfüllen will, benötigt dazu umfassende Informationen über alle wesentlichen Angelegenheiten des gesellschaftlichen Lebens. Nur wenn er diese Informationen erhält, ist es ihm auch möglich, sich ein eigenes Bild von den Geschehnissen zu verschaffen, d.h. nur dann ist er zur eigenen Willensbildung befähigt. Aufgabe der Journalisten ist es, die Information zu beschaffen und die Bürger zu informieren. Aus diesem Grunde sind die Journalisten bei der Informationsbeschaffung nicht auf die allgemein zugänglichen Quellen beschränkt, sondern
21 22
BVerfGE 57, S. 325 f. BVerfGE 73, S. 118 ff.
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verfügen über sog. Sonderrechte, aufgrund derer sie erst in die Lage versetzt sind, ihre öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Die Behörden sind der Presse gegenüber zur Auskunft verpflichtet (so oder ähnlich § 4 Abs. 1 der Landespressegesetze, in Hessen § 3 und in Brandenburg § 5). Anspruchsberechtigt sind die Pressevertreter, deren Aufgabe die Beschaffung oder die Vertreibung von Informationen sind. Dazu gehören Redakteure, Reporter, Freie Journalisten, Nachrichtenagenturen, Verleger und Herausgeber23. Da der Auskunftsanspruch gegenüber den Behörden nicht Jedermann, sondern nur den Vertretern der Medien zusteht, muss der Auskunftsbegehrende im Zweifel nachweisen, dass er im Auftrage und für die Medien Informationen beschafft. Dabei genügt die Vorlage eines Presseausweises oder eines Legitimationsschreibens und auf Verlangen die Glaubhaftmachung, dass der Zweck des Ersuchens ein Publikationsinteresse ist, weil die private Neugier eines Journalisten niemals die Ausübung des Auskunftsanspruches zu rechtfertigen vermag24. Auskunftsverpflichtet sind die Behörden, d.h. alle staatlichen Stellen. Dazu zählen u.a. alle Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden, die Parlamente, Regierungen, Gerichte sowie Anstalten, Körperschaften und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Aber auch dann, wenn sich der Staat aus Zweckmäßigkeitserwägungen einer privatrechtlichen Organisationsform bedient, besteht eine Auskunftsverpflichtung, weil er sonst seine Informationspflicht umgehen könnte25. Das gilt bspw. für von Kommunen privatrechtlich organisierte Unternehmen auf Feldern, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Energie oder Elektrizität dienen. Die Auskunftspflicht besteht aber auch für von den Ländern oder dem Bund gegründete privatrechtliche Unternehmen, wie der Bahn AG für den Schienenverkehr oder der Telekom auf dem Gebiet des Fernmeldewesens. Hingegen besteht kein Auskunftsanspruch der Vertreter der Medien gegen Privatpersonen oder gegen wirtschaftliche oder gesellschaftliche Vereinigungen von Privatpersonen. Aus diesem Grunde können solche Wirtschaftsunternehmen frei darüber entscheiden, ob sie einem Pressevertreter Auskunft auf eine Frage erteilen oder welche Medienvertreter sie zu einer Pressekonferenz des Unternehmens einladen und zulassen. Für bestimmte öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten, die selbst Träger von Grundrechten sind, wie etwa die Kirchen und die Rundfunkanstalten, gilt die Auskunftspflicht nur eingeschränkt. Kirchen unterliegen der Auskunftspflicht nur in weltlichen Angelegenheiten, bspw. in Fragen der Kirchensteuer und der Kirchenverwaltung. In geistlichen Angelegenheiten, wie etwa der Gestaltung der Gottesdienste, der inneren kirchlichen Ordnung und der Auslegung von Glaubensfragen sind sie selbst Träger von Grundrechten26 und nicht auskunftspflichtig. Auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gehören grundsätzlich nicht zu den Auskunftsverpflichteten27, weil die Zuerkennung eines Auskunftsanspruches die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten im Wettbewerb mit den privaten Rundfunkveranstaltern und 23 24 25 26 27
Löffler/Ricker, a.a.O., S. 116 vgl. Löffler/Ricker, a.a.O., S. 118; BVerfGE 20, S. 176 vgl. Löffler/Ricker, a.a.O., S. 119 Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 - 139, 141 WRV vgl. Löffler/Ricker, a.a.O., S. 120
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der Presse benachteiligen würde28. Gleichwohl ist eine Auskunftspflicht auch für öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten zu bejahen, wenn keine Fragen der Programmgestaltung oder der inneren Organisation, sondern nur solche, des behördlichen Tätigseins betroffen sind, wie bspw. Fragen zu dem Einzug von Rundfunkgebühren. Insoweit besteht kein vernünftiger Grund die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu privilegieren. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu noch keine Stellung bezogen und die Frage ausdrücklich offen gelassen29. Die Behörden haben den Vertretern der Presse (Massenmedien) alle Auskünfte zu erteilen, die diese zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe benötigen. Der Auskunftsanspruch ist jedoch nicht grenzenlos, weil er mit schutzwürdigen Interessen der Allgemeinheit und des Einzelnen in Konflikt geraten kann. Inhaltlich ist der Auskunftsanspruch auf Tatsachen beschränkt. Kein Journalist kann von einer Behörde verlangen, dass diese einen Sachverhalt bewertet oder eine rechtliche Beurteilung abgibt. Eine Behörde ist jedoch verpflichtet, eine Auskunft wahrheitsgemäß, vollständig und unverzüglich zu erteilen. Eine Formvorschrift für die Erteilung der Auskunft besteht hingegen nicht. Die Behörde kann daher frei wählen, ob sie mündlich oder schriftlich auf die Frage eines Pressevertreters antwortet. Jedoch muss die gewählte Form sachgerecht sein. Behörden ist es auch untersagt, direkt oder indirekt die Medien zu zensieren oder zu kategorisieren30. Sie haben daher auch den im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Dieser Grundsatz verbietet es den Behörden, willkürlich über die Gewährung oder Nichtgewährung von Auskünften Einfluss auf den Inhalt der von den Medien verbreiteten Informationen zu nehmen. Gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt eine Behörde aber auch dann, wenn sie ihre amtlichen Bekanntmachungen nicht zeitgleich den Medien vor Ort zur Verfügung stellt bzw. diese nur den Kaufzeitungen nicht aber den Anzeigenblättern mit redaktionellem Teil zugänglich macht31. Zum Schutze der Behörden vor Missbrauch enthalten die meisten Landespressegesetze eine sog. Zumutbarkeitsregelung. Danach wird der Auskunftsanspruch eingeschränkt, wenn der Umfang der geforderten Auskunft das zumutbare Maß überschreitet. Diese Zumutbarkeitsregelung ist eine Ausprägung des in unserer gesamten Rechtsordnung geltenden Rechtsmissbrauchsverbots. Dadurch werden die Behörden vor übertriebenen und schikanösen Auskunftsersuchen geschützt32. Ferner können Auskünfte durch die Behörden verweigert werden, wenn ▪ ▪ ▪
28 29 30 31 32
durch ihre Erfüllung die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte, Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde.
so ausdrücklich BVerfG in NJW 1989, S. 382 vgl. BVerfG in NJW 1989, S. 382 vgl. Soehring, a.a.O., S. 61 vgl. VGH Baden-Württemberg in AfP 1992, S. 95 ff. vgl. Soehring, a.a.O., S. 62
Medienfreiheit und Berichterstattung 2.1.1
301
Schwebendes Verfahren
Ein schwebendes Verfahren bildet nicht jeder einfache Verwaltungsvorgang, sondern nur ein förmliches Verfahren zur Regelung eines Einzelfalles. Zu den förmlichen Verfahren gehören auch Gerichtsverfahren, staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren sowie Verfahren vor Untersuchungsausschüssen. Die Auskunft darf aber nur verweigert werden, wenn durch sie die sachgemäße Durchführung des Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet würde. Im Hinblick auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang der Medienfreiheiten muss die Behörde daher in jedem Einzelfall prüfen, ob die begehrte Auskunft eine konkrete Gefahr für das Verfahren darstellt. Nur dann, wenn konkret die Gefahr der Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Ermittlungen bei Auskunftserteilung besteht, kann die Behörde von ihrem Recht zur Auskunftsverweigerung Gebrauch machen. Beispielsweise braucht in einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft die Medien nicht über das Vorliegen eines Haftbefehls zu informieren, weil dies den Täter zur Flucht verleiten könnte. Gleiches gilt für die so genannte Informationssperre in Entführungsfällen. Hier könnten Auskünfte von Staatsanwaltschaft und Polizei an die Vertreter der Medien sogar zu einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben des Entführungsopfers werden.
2.1.2
Vorschriften der Geheimhaltung
Vorschriften der Geheimhaltung beschränken den Auskunftsanspruch nur dann, wenn sie darauf abzielen, verfassungsrechtlich ebenfalls geschützte Rechtsgüter zu sichern. Hingegen vermögen eigene Geheimhaltungsinteressen der auskunftspflichtigen Behörden die Zurückhaltung von Informationen nicht zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere für Missstände im eigenen Reich der Behörden. Denn es ist gerade Aufgabe der Medien solche Missstände und Verfehlungen innerhalb der Behörden aufzudecken. Insoweit bildet auch der militärische Bereich keine Ausnahme. Auskünfte zur richtigen Verwendung der für militärische Zwecke bereitgestellten Haushaltsmittel sind zu erteilen. Weder die Auskunftserteilung, noch die publizistische Verbreitung der Auskunft erfüllen hier den Tatbestand des Landesverrates33. Der Auskunftsanspruch kann im Einzelfall auch nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes im Verordnungswege erlassene Bestimmungen beschränkt werden. Bspw. schützt § 43 DRiG das Beratungsgeheimnis aus richterlicher Tätigkeit. Zu den Geheimhaltungsvorschriften zählen ferner strafrechtliche Bestimmungen, wie die Vorschriften über den Landesverrat §§ 93 ff. StGB und das in § 30 AO geschützte Steuergeheimnis.
2.1.3
Vorrangigkeit öffentlicher oder privater Interessen
Die Beschränkung des Auskunftsanspruches durch eine Vorrangigkeit öffentlicher oder privater Interessen erfasst als Generalklausel alle Fälle, in denen außerhalb eines schwebenden Verfahrens und jenseits von Geheimhaltungsvorschriften dem öffentlichen Informationsinte33
vgl. BVerfGE 20, 162 = NJW 1961, S. 1603
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resse ein anderes öffentliches oder auch privates Interesse vorgeht. Das Spannungsverhältnis zwischen Auskunftsanspruch und schutzwürdigen öffentlichen oder privaten Belangen kann nur im Einzelfall nach den vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Kriterien zur Güterabwägung gelöst werden34.
2.1.4
Auskunftsanspruch der Medien gegenüber Behörden
Der Auskunftsanspruch der Vertreter der Medien bliebe ein stumpfes Schwert, wenn er notfalls nicht gegen die Behörden durchgesetzt werden könnte. Verweigert ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder eine Staatsanwaltschaft die erbetene Auskunft, kann der Auskunftsberechtigte binnen eines Monats das zuständige Oberlandesgericht anrufen35. Verweigern andere Behörden die Auskunft, kann vor den Verwaltungsgerichten geklagt werden, wobei insbesondere das Eilverfahren in Betracht kommt, in dem im Wege der Einstweiligen Anordnung die Behörde zur Auskunft verpflichtet wird, weil normale Klageverfahren oft Monate und Jahre dauern und von daher der Auskunftsanspruch de facto ad absurdum geführt würde, wenn die Vertreter der Medien auf das normale Klageverfahren beschränkt blieben.
2.2 Das Zeugnisverweigerungsrecht Das publizistische Zeugnisverweigerungsrecht steht allen Mitarbeitern der Presse und des Rundfunks zu. D.h. nicht nur die redaktionell Tätigen können sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen, sondern auch die kaufmännischen und technischen Mitarbeiter der Presse und des Rundfunks. Allerdings steht das Zeugnisverweigerungsrecht nur Mitarbeitern von periodischen Druckwerken und Rundfunksendungen zu und nicht Mitarbeitern von Buchverlagen oder Film- und Videoproduzenten. Ziel des gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrechts36 ist die Sicherung der Pressefreiheit, konkret die Sicherung einer unbehinderten Informationsbeschaffung37. Im Unterschied zu den unter Geheimhaltungspflicht stehenden Ärzten, Steuerberatern und Rechtsanwälten38 beinhaltet das publizistische Zeugnisverweigerungsrecht lediglich ein Schweigerecht, begründet aber keine Schweigepflicht, weil es in erster Linie dem Schutz der Presse und nicht dem Schutz der Gewährsleute dient39. Ein Journalist kann daher seinen Informanten offenbaren, muss es aber nicht. Das Zeugnisverweigerungsrecht entbindet einen Mitarbeiter eines periodischen Druckwerkes oder eines Rundfunksenders nur von der Verpflichtung zur Sache auszusagen. Er 34 vgl. BVerfGE 7, 198 = NJW 1958, S. 257; BVerfGE 20, 162 = NJW 1966, S. 1603 und BVerfGE 35, 202 = AfP 1973, S. 423 = NJW 1973, S. 1226 35 §§ 23, 25, 26 EGGVG 36 vgl. §§ 53, 97 StPO, §§ 383 ff. ZPO 37 vgl. BVerfG in AfP 1982, S. 100 38 vgl. § 203 StGB 39 vgl. Löffler/Ricker, a.a.O., S. 178
Medienfreiheit und Berichterstattung
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bleibt allerdings verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen und muss Angaben zu seiner Person machen. Außerdem hat er die Umstände auf Verlangen glaubhaft zu machen, die sein Zeugnisverweigerungsrecht begründen. Wenn auch für die Medienangehörigen kein gesetzliches Schweigegebot besteht, gilt ein solches nach den publizistischen Grundsätzen des Deutschen Presserates (Pressekodex) als Standespflicht. Die Verletzung dieser Standespflicht führt jedoch nicht zu einer Unverwertbarkeit der Zeugenaussage. Deren Wirksamkeit bleibt davon unberührt. Hat ein Journalist aber mit seinem Informanten vertraglichen Informationsschutz vereinbart, kann die Verletzung dieser Verpflichtung zivilrechtliche Schadensersatzansprüche des Informanten gegen den Journalisten auslösen. Mit dem Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Medienangehöriger korrespondiert das im § 97 Abs. 5 StPO geregelte Beschlagnahmeverbot. Dieses Verbot ist notwendig, weil das Zeugnisverweigerungsrecht wirkungslos wäre, wenn die Ermittlungsbehörden ihre Informationen durch eine Beschlagnahme von in den Redaktionsräumen vorgefundenen Materialien gewinnen dürften. § 97 Abs. 5 StPO verbietet daher die Beschlagnahme in demselben Umfang, in dem den Medienangehörigen das Zeugnisverweigerungsrecht zusteht40.
2.3 Das Recht der Bildberichterstattung Den rechtlichen Rahmen für die Bildberichterstattung bilden die §§ 22 ff. des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste (KUG). Ergänzende rechtliche Schranken der Bildberichterstattung gibt es für die Abbildung militärischer Anlagen, für pornografische Fotos und für Gerichtsverhandlungen. Nach § 22 KUG dürfen grundsätzlich Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder zur Schau gestellt werden. Schutzobjekt des Rechts am eigenen Bild, ist das Bildnis einer Person, d.h. die Erkennbarkeit der Person in der Abbildung. Unter einem Bild ist daher nicht nur das Foto von einer Person zu verstehen, sondern auch ihre Abbildung auf andere Weise, insbesondere durch Malerei und Zeichnung. Selbst eine satirische Nachbildung (Karikatur) kann ein Bildnis im Sinne des § 22 KUG sein. Für die Erkennbarkeit einer Person auf einem Bildnis kommt es auch nicht darauf an, dass die Gesichtszüge der Person zu sehen sind. Die Erkennbarkeit ist schon dann gegeben, wenn durch andere Merkmale (typische Haltung, Frisur oder einen auf die Person hindeutenden beigefügten Text) der Abgebildete berechtigten Anlass zu der Annahme hat, dass er in seinem eigenen sozialen Umfeld erkannt werden kann41. Die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung in die Verbreitung eines Bildnisses kann ausdrücklich oder stillschweigend (konkludent) erteilt werden. Derjenige, der zu seiner Hochzeitsfeier den Fotografen der örtlichen Tageszeitung eingeladen hat, muss damit
40 41
vgl. Löffler/Ricker a.a.O. S. 184 ff. vgl. OLG Frankfurt in AfP 1986, S. 140 und OLG Hamburg in AfP 1987, S. 701, 703
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rechnen, dass ein Hochzeitsfoto in diesem Presseorgan von ihm veröffentlicht wird, auch wenn er seine Einwilligung hierzu nicht expressis verbis erklärt hat. Ausnahmsweise können nach § 23 Abs. I KUG Bildnisse ohne Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder zur Schau gestellt werden, wenn es sich um ▪ ▪ ▪ ▪
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, Bilder handelt, auf denen Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen, Bilder von Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen handelt, an denen die Abgebildeten teilgenommen haben, Veröffentlichungen handelt, die einem höheren Kunst- oder Wissenschaftsinteressedienen und nicht auf Bestellung erfolgt sind.
2.3.1
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte
Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte liegen immer dann vor, wenn die abgebildete Person von zeitgeschichtlichem Interesse ist42. Der Begriff der Zeitgeschichte ist im weitesten Sinne zu verstehen43. Er umfasst alles, was zwischen Tagesaktualität und Geschichte angesiedelt ist44. Die Anwendung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG setzt zwingend voraus, dass es sich bei der abgebildeten Person um eine solche der Zeitgeschichte handelt. Dabei unterscheidet vor allem die ältere Literatur45 zwischen absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte. Personen der absoluten Zeitgeschichte sind Menschen, die aufgrund ihrer politischen oder gesellschaftlichen Position oder durch ihre Lebensweise aus der Masse der Mitmenschen herausragen und dadurch für die Öffentlichkeit von absolutem zeitgeschichtlichen Interesse sind. Als solche kommen in der Regel Prominente aus Politik, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft46 in Betracht. Bei Personen der absoluten Zeitgeschichte ist eine Veröffentlichung von Bildnissen grundsätzlich ohne Einwilligung des Betroffenen gestattet, es sei denn, es handelt sich um Aufnahmen aus der Privat- oder Intimssphäre. Aus der Privatssphäre, d.h. aus dem häuslichen Lebensbereich einer Person der absoluten Zeitgeschichte dürfen Abbildungen nur veröffentlicht werden, wenn hierfür ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Die Intimssphäre ist hingegen absolut geschützt. Relative Personen der Zeitgeschichte sind solche, die nur in Zusammenhang mit einem bestimmten Ereignis oder Vorgang Bedeutung erlangt haben und dadurch vorübergehend aus der Anonymität heraustreten47. Dies bedeutet, dass zwischen der abgebildeten Person und
42 43 44 45 46 47
vgl. OLG Stuttgart in AfP 1983, S. 396 f. vgl. OLG Karlsruhe in AfP 1982, S. 48 vgl. Löffler/Ricker a.a.O., S. 314 vgl. Neumann-Duesberg in JZ 1960, S. 114 ff vgl. Löffler/Ricker, a.a.O. S. 314 vgl. Löffler/Ricker a.a.O. S. 314
Medienfreiheit und Berichterstattung
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dem zeitgeschichtlichen Ereignis ein nennenswerter Zusammenhang bestehen muss48. Eine relative Person der Zeitgeschichte ist bspw. der Verteidiger in einem bedeutenden Mordprozess49. Da nicht nur positive, sondern auch negative Leistungen einen Menschen zur relativen Person der Zeitgeschichte machen können, dürfen grundsätzlich auch von Angeklagten oder verurteilten Tätern schwerer Straftaten ohne deren Einwilligung Bildnisse veröffentlicht werden50. Eine Einwilligung der abgebildeten Person bedarf es nach § 23 Abs. 1 Ziff. 2 KUG auch dann nicht, wenn die abgebildete Person nur Beiwerk und nicht prägender Bestandteil der Bildes ist. Dies ist häufig bei Landschaftsaufnahmen und Abbildungen von Gebäuden der Fall. Entscheidend dabei ist, dass die abgebildete Person dem übrigen Bildinhalt so untergeordnet sein muss, dass man sie hätte auch weglassen können, ohne den Charakter des Bildes wesentlich dadurch zu verändern51.
2.3.2
Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen
Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen dürfen nach den gleichen Grundsätzen wie für die Abbildung von Personen als Beiwerk ebenfalls ohne Einwilligung der abgebildeten Person veröffentlicht werden. Entscheidend dabei ist, dass die Menschenansammlung den Aussagegegenstand des Bildes ausmacht, wie bspw. bei Fotos von Demonstrationen, Sportveranstaltungen oder bei der Darstellung einer Fußgängerzone mit Passanten. Löst das Foto jedoch eine einzelne Person aus der Anonymität der Masse heraus, so ist grundsätzlich deren Zustimmung für eine Veröffentlichung einzuholen52.
2.3.3
Veröffentlichung von Bildnissen von Personen
§ 23 Abs. 1 Nr. 4 KUG erlaubt die Veröffentlichung von Bildnissen ohne Einwilligung der betroffenen Person, sofern dies einem höheren Interesse der Kunst dient. In analoger Anwendung gilt dies auch für die Veröffentlichung von Abbildungen zu wissenschaftlichen Zwecken. Praktische Bedeutung hat diese Ausnahmevorschrift für die Berichterstattung über Ausstellungen und die Veröffentlichung bspw. von Krankenbildern in medizinischen Fachzeitschriften. Nach § 24 KUG können Bildnissen schließlich ohne Einwilligung des Abgebildeten veröffentlicht werden, wenn dies aus Gründen der Rechtspflege oder der öffentlichen Sicherheit geschieht. Dies gilt vor allem für die Verbreitung von Steckbriefen. Der Gesetzgeber bewertet hier erkennbar das Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung höher, als das Recht des Tatverdächtigen am Schutz des eigenen Bildes. Es muss sich allerdings um eine 48 49 50 51 52
vgl. BGH in NJW 1965, S. 2149 vgl. OLG Hamburg in AfP 1982, S. 178 vgl. BVerfGe 35 S. 205 ff., 222 vgl. OLG Frankfurt in AfP 1984 S. 115 vgl. OLG Karlsruhe in AfP 1980, S. 64
306
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schwere Straftat handeln und es muss ein hinreichend gesicherter Tatverdacht gegeben sein. Unzulässig bleibt jedoch, den Abgebildeten vor seiner Verurteilung als Täter zu bezeichnen53. Hier helfen sich die Medien mit Formulierungen wie bspw. mutmaßlicher Täter.
2.3.4
Militärische Anlagen
Für militärische Anlagen besteht nach § 5 II Schutzbereichtsgesetz ein gesetzliches Fotografieverbot. D.h., ohne besondere Genehmigung dürfen als militärischer Schutzbereich gekennzeichnete Gebiete weder ganz noch teilweise abgebildet werden. Ferner ist nach § 109g StGB unter Androhung von Strafe die Anfertigung oder Weitergabe von Fotos militärischer Einrichtungen und Anlagen verboten, sofern dadurch konkrete Sicherheitsbelange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden54.
2.3.5
Pornografische Abbildungen
§ 184 StGB stellt unter gewissen Voraussetzungen das Verbreiten, Herstellen und Vorführen von pornografischen Abbildungen unter Strafe. Dies gilt insbesondere für pornografische Schriften, die Gewalttätigkeiten, den sexuellen Missbrauch von Kindern oder Sodomie zum Gegenstand haben.
2.3.6
Gerichtsverhandlungen
§ 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verbietet es, dass während einer Gerichtsverhandlung Ton-, Film- und Fernsehaufnahmen zu Veröffentlichungszwecken gemacht werden. Dieses Verbot gilt nicht für das Fotografieren. Jedoch kann der Präsident des Gerichts als Hausherr oder der Vorsitzende einer Gerichtsverhandlung auch das Fotografieren untersagen und damit die Fotografierfreiheit einschränken, soweit dies der Persönlichkeitsschutz von Beteiligten gebietet oder der Ablauf eines geordneten Verfahrens erforderlich macht. Ton-, Film- und Fernsehaufnahmen sind nach § 169 GVG auch nur während laufender Gerichtsverhandlungen unzulässig, d.h. Aufnahmen können in den Verhandlungspausen oder vor Beginn und nach Ende einer Verhandlung auch im Verhandlungsraum gemacht werden, sofern der Gerichtspräsident bzw. der Vorsitzende des Spruchkörpers dies aus den oben genannten Gründen nicht untersagt hat.
53 54
vgl. OLG Düsseldorf in AfP 1980, S. 54 vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch 49. Auflage § 109 g Rndnr 1
Medienfreiheit und Berichterstattung 3
307
Die Rechte der Medienopfer
Wer nicht damit einverstanden ist, was über ihn in den Medien veröffentlicht wird, ist nicht rechtlos gestellt, sondern kann sich unter bestimmten Voraussetzungen gegen Veröffentlichungen, die seine Rechte verletzen, zur Wehr setzen. Soweit die Medien bei ihrer publizistischen Tätigkeit gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, indem sie bspw. Staatsgeheimnisse preisgeben, kommen hingegen in erster Linie Vorschriften des Strafgesetzes zur Anwendung. Gegenstand der Berichterstattung durch die Medien sind aber in erster Linie einzelne Bürger, Unternehmen oder Verbände. Kommt es insoweit zu Konflikten zwischen der Pressefreiheit und den Regelungen zum Schutze der Persönlichkeit, der Ehre, des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder des geschäftlichen Ansehens, so stehen den Opfern solcher Berichterstattungen eine Reihe zivilrechtlicher Ansprüche zu, die nachstehend näher dargestellt werden:
3.1 Unterlassungsansprüche Wenn eine Person durch eine Veröffentlichung in den Medien in ihren geschützten Rechten verletzt wird, steht ihr der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch des § 1004 BGB zur Verfügung. Als erste Voraussetzung für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs muss der Anspruchsteller in einem absoluten Recht verletzt sein. Zwar ist § 1004 BGB dem Wortlaut nach nur auf das Eigentum anwendbar. Die Rechtsprechung stellt aber in analoger Anwendung alle absoluten Rechte unter den Schutz des § 1004 BGB55. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als absolutes Recht im Sinne des § 1004 BGB anerkannt. Daher hat der Anspruchsteller nachzuweisen, dass er durch die Veröffentlichung in den Medien in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt ist. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht muss darüber hinaus rechtswidrig sein. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass allein das Ergebnis der Eingriffshandlung, nicht jedoch notwendigerweise die Handlung selbst rechtswidrig sein muss56. Im Gegensatz zum Eigentumsrecht und anderen absoluten Rechten im Sinne des § 1004 BGB indiziert der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht die Rechtswidrigkeit. Neben der Prüfung, ob der Anspruchsteller in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt ist, muss daher in jedem Einzelfall unter sorgsamer Würdigung aller Umstände, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, die Eingriffsbefugnis geprüft werden57. Außerdem kommen als Rechtfertigungsgründe die Verfolgung öffentlicher Interessen, die Aufklärung der Allgemeinheit, die Diskussion von Fragen des Gemeinwohls, die geistige oder politische Auseinandersetzung und die Medien-
55 56 57
vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 61. Auflage, § 1004 RN 4 vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 12 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 184
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freiheiten des Art. 5 GG in Frage58. Keine Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist das Verschulden oder das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Eingreifenden59. Gläubiger des Anspruchs ist derjenige, welcher durch die Veröffentlichung in den Medien in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht selbst beeinträchtigt ist. Schuldner des Unterlassungsanspruchs ist derjenige, der die Beeinträchtigung durch seine Handlung adäquat verursacht hat60. Dafür kommt zum einen der Verleger, Veranstalter oder der Diensteanbieter in Frage. Diese können in den meisten Fällen nicht selbst handeln, haben aber die eingreifende Handlung durch die Veröffentlichung veranlasst, sodass sie mittelbare Störer sind61. Als unmittelbarer Störer kommt als Schuldner auch der verantwortliche Redakteur62 oder Programmverantwortliche63 in Frage. Da sich der Unterlassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Beeinträchtigungen richtet, kann nur dann der Anspruch bestehen, wenn aufgrund von Tatsachen die objektiv begründete Besorgnis weiterer Störungen gegeben ist64. Durch die beeinträchtigende rechtswidrige Veröffentlichung kann diese Wiederholungsgefahr vermutet werden, wobei die Widerlegung der Vermutung vielfach durch das Versprechen der zukünftigen Unterlassung der beeinträchtigenden Veröffentlichung mit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe (so genannte strafbewehrte Unterlassungserklärung] möglich ist65. Im Falle einer vorbeugenden Unterlassungsklage, welche grundsätzlich möglich ist, fehlt es an der Grundlage einer solchen Vermutung, sodass durch den Anspruchsteller eine erstmals ernsthaft drohende Beeinträchtigung nachzuweisen ist66. Als weitere Rechtsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch kommt § 12 BGB in Betracht. Ein Anspruch gemäß § 12 BGB ist dann gegeben, wenn in einer Veröffentlichung der Name eines Berechtigten unbefugt verwendet wird und dadurch ein schutzwürdiges Interesse des Namensträgers verletzt wird. Bei außerhalb des Geschäftsverkehrs geführten Namen sind dies Interessen jeder Art, auch reine persönliche, ideelle oder bloße Affektionsinteressen sind geschützt67. Bei dem im Geschäftsleben geführten Namen ist nur ein geschäftliches Interesse schutzwürdig, das sich aber ausnahmsweise auch aus ideellen Belangen ergeben kann68. Eine Verwechselungsgefahr begründet immer eine Interessenverletzung, während bei berühmten Unternehmenskennzeichen auch die Verwässerungsgefahr in Frage kommt69. Auch im Falle des § 12 BGB ist eine Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs, dass eine Wiederholungsgefahr besteht70. Wenn durch die Veröffentlichung ein Urheberrecht nach 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
vgl. Palandt-Thomas, a.a.O., RN 189 vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 12 vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 16 vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 17 § 7 SächsPresseG § 16 SächsPRG vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 32 ebenda vgl. Palandt-Bassenge, a.a.O., RN 33 vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 12, RN 28 vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 12, RN 29 vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 12, RN 30f. vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 12, RN 34
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dem UrhG widerrechtlich verletzt wird, kommt als weitere Anspruchsgrundlage § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG in Frage. Soweit ein Verschulden des Schuldners des Anspruchs bewiesen werden kann, kann auch ein deliktischer Anspruch auf Unterlassung aus § 823 Abs. 1 BGB geltend gemacht71.
3.2 Schadensersatzanspruch Gemäß § 823 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der vorsätzlich oder fahrlässig, also schuldhaft, ein sonstiges Recht verletzt. Das verfassungsrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG ist als sonstiges Recht gemäß § 823 Abs. 1 BGB anerkannt72. Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts liegt dann vor, wenn in die Individual-, die Privat- oder die Intimsphäre einer Person zum Nachteil des Verletzten eingegriffen wird73. Die Individualsphäre schützt das Selbstbestimmungsrecht und bewahrt die persönliche Eigenart des Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt und seinem öffentlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Wirken74. Die Privatsphäre umfasst das Leben im häuslichen oder Familienkreis und das sonstige Privatleben75. Die Intimsphäre umfasst die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht. Die Intimsphäre genießt absoluten Persönlichkeitsschutz76. Die Feststellung, dass in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen wurde, reicht nicht aus, um auch die Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu vermuten. Vielmehr muss in jedem Einzelfall (ausgenommen die Intimsphäre) unter sorgsamer Güter- und Interessenabwägung abgegrenzt werden, ob der Eingreifende befugt war77. Auf Seiten des Betroffenen ist zum einen entscheidend, in welche Sphäre eingegriffen wird. Während die Intimsphäre der öffentlichen Darstellung ganz verschlossen ist, kann ein Eingriff in die Privatsphäre aus besonderen Gründen von allgemeiner Bedeutung begründet sein78. Den geringsten Schutz genießt die Individualsphäre79. Daneben sind die Schwere des Eingriffs und die Folgen sowie das eigene Verhalten des Verletzten, das dem Eingriff vorausgeht, zu berücksichtigen80. Auf Seiten des Eingreifenden ist das Motiv und der Zweck ausschlaggebend (vgl.o.). Als Gegenrecht des Eingreifenden sind insbesondere die Mediengrundrechte des Art. 5 GG abzuwägen. Dabei ist die Abwägung sowohl auf der Grundlage einer generellen Betrachtung 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, v. § 823 RN 16 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 29 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 183 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 178 ebenda ebenda vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 184f. vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 185 ebenda ebenda
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des Stellenwertes der betroffenen Grundrechtspositionen, als auch unter Berücksichtigung der Intensität der Grundrechtsverletzung im konkreten Fall vorzunehmen81. Keiner der Verfassungswerte genießt einen Vorrang vor dem anderen. Vielmehr ist im Einzelfall die Intensität des Eingriffs in den Persönlichkeitsbereich mit dem Informationsinteresse abzuwägen82. Es muss ein vertretbares Verhältnis zwischen dem erstrebten Zweck sowie Form, Art und Ausmaß des Eingriffs bestehen83. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts muss schuldhaft erfolgen. Da nur eine natürliche Person originär schuldhaft handeln kann, richtet sich der Schadensersatzanspruch gegen denjenigen, der die deliktische Handlung, also die Veröffentlichung, begeht. Eine Haftung des verantwortlichen Redakteurs oder Programmverantwortlichen ist aus eigenen Verschulden in dem Sinne möglich, als dieser die ihm auferlegte Inhaltskontrolle pflichtwidrig unterlassen hat84. Das Unternehmen kann aus eigenen Organisations- und Überwachungsverschulden, sowie aus § 831 BGB haften.
3.2.1
Materieller Schadensersatz
Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der Schuldner den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Im Falle des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn durch die Veröffentlichung dem Betroffenen finanzielle Verluste entstanden sind, mit einem Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme zu rechnen85. Dabei kommt insbesondere ein Anspruch auf einen entgangenen Gewinn gemäß § 252 BGB in Frage, wenn durch die Veröffentlichung dem Betroffenen ein Geschäft entgangen ist. In der Regel wird die Beeinträchtigung aber nur im Ansehen des Betroffenen in der Öffentlichkeit liegen bzw. ein materieller Schaden nicht beweisbar sein. Die Beseitigung dieses Ansehensverlustes ist nur durch einen Widerruf möglich, sodass sich der Anspruch darauf bezieht. Die Grenzen zum Widerrufsanspruch gemäß § 1004 sind insoweit fließend. Soweit die Voraussetzungen einer Urheberrechtsverletzung vorliegen, ergibt sich der Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG.
3.2.2
Immaterieller Schadensersatz
Wie bereits oben dargestellt, führt der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den meisten Fällen nicht zu einem materiellen Geldzahlungsanspruch. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann jedoch zu erheblichen immateriellen Schäden bei dem Betroffenen führen, insbesondere kann sein Ruf und sein Ansehen irreparabel geschädigt 81 82 83 84 85
vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 184 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 189 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 194 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 197 vgl. BGH NJW 1996, 593, 999
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werden. Ohne die Gefahr, zu einem spürbaren Schmerzensgeld verurteilt zu werden, wären die Anreize für verletzende Veröffentlichungen viel zu hoch. Daher hat die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt der Prävention und Genugtuung einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz entwickelt86. Um jedoch den Ausnahmecharakter dieses Anspruchs zu wahren, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt werden: es muss sich um eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts handeln und die Genugtuung ist durch den Unterlassungs-, Widerrufs- und Gegendarstellungsanspruch nicht erreichbar87. Ob die Voraussetzungen vorliegen, hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, dem Beweggrund des Handelnden, vom Grad seines Verschuldens und davon ab, in welche Sphäre der Eingriff stattgefunden hat88. Auch die Höhe der Entschädigung wird durch die Intensität des Eingriffs bestimmt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Schadensersatz keine Höhe erreichen sollte, die die Pressefreiheit unverhältnismäßig einschränkt89. Als besonders gravierend ist die rücksichtslose Kommerzialisierung der Persönlichkeit als Mittel zur Auflagensteigerung zu sehen, sodass zur Bemessung des Schadenersatzes auch der erzielte Gewinn einzubeziehen ist90. Schadensersatzmindernd kann das Fehlen einer Gegendarstellung und die Herausforderung durch den Verletzten wirken91. Bei einer Verletzung des Urheberrechts ergibt sich der immaterielle Schadensersatz aus § 97 Abs. 2 UrhG.
3.3 Der Widerruf 3.3.1
Der unbeschränkte Widerruf
Während sich der Unterlassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Rechtsverletzungen bezieht, hat derjenige, in dessen Rechte widerrechtlich durch eine Veröffentlichung eingegriffen wurde, das Recht auf Beseitigung der Beeinträchtigung [§§ 1004, 12 BGB, 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG]. Dadurch soll die fortbestehende Beeinträchtigung, die durch eine unzutreffende Tatsachenbehauptung entstanden ist, beseitigt werden92. Die tatbestandlichen Voraussetzungen entsprechen, bis auf die Wiederholungsgefahr, dem Unterlassungsanspruch. Ein Widerruf kann nur zu Tatsachenbehauptungen verlangt werden.93 Darüber hinaus muss zur erfolgreichen Geltendmachung des Widerrufsanspruchs der volle Beweis der Unrichtigkeit der in der Veröffentlichung aufgestellten Behauptung erbracht werden94. Von der Rechtsprechung wird als weitere Voraussetzung die Notwendigkeit des Widerrufes verlangt, 86 87 88 89 90 91 92 93 94
vgl. BGH NJW 1996, 984 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 200 ebenda ebenda ebenda ebenda vgl. Herrmann, S. 583 ebenda ebenda, S. 583; BGHZ 37,187
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welche dann gegeben ist, wenn das Interesse des Betroffenen an der Widerherstellung seines Rufes dem Interesse des Mitteilenden, die Äußerung nicht zurücknehmen zu müssen, überwiegt95. Auch muss der Inhalt des Widerrufes geeignet sein, die Beeinträchtigung zu beseitigen96. Gläubiger und Schuldner des Anspruchs sind ebenso wie beim Unterlassungsanspruch zu bestimmen. Die Kosten des Widerrufes hat der Schuldner zu tragen97.
3.3.2
Eingeschränkter Widerrufsanspruch
Wenn sich die Wahrheit der streitigen Tatsachenbehauptung nicht beweisen lässt (non-liquet), kann das Interesse des Betroffenen auf Widerruf und damit der Widerherstellung seines guten Rufes trotzdem so hoch sein, dass eine Abweisung des Anspruchs und damit eine Aufrechterhaltung der Tatsachenbehauptung für den Betroffenen unbillig wäre. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beweisaufnahme keine ernstlichen Anhaltspunkte für die Wahrheit der Tatsache ergeben hat98. Andererseits kann der Behauptende in diesem Fall nicht dazu gezwungen werden, seine Behauptung zu widerrufen und sich damit implizit der Verbreitung von Unwahrheiten bezichtigen. Daher hat der Schuldner des Anspruchs im Fall des nonliquet lediglich zu erklären, dass er seine Behauptung nicht aufrechterhalte99.
3.4 Der Gegendarstellungsanspruch Der von einer Veröffentlichung Betroffene hat das rechtlich geschützte Interesse, seine Sicht der Dinge der Öffentlichkeit darzulegen. Dieser rechtlichen Schutz des Einzelnen vor den Medien im Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Medien gemäß Art. 5 GG und dem Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen in Art. 2 GG wird durch den Gegendarstellungs anspruch Rechnung getragen100. In Abhängigkeit von der Art der Veröffentlichung bestimmt sich der Gegendarstellungsanspruch aus spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlagen der Länder und in den Staatsverträgen der Rundfunkanstalten. Die Voraussetzungen des Gegendarstellungsanspruch sind in Sachsen für Presseerzeugnisse und periodische Druckwerke in § 10 SächsPresseG, für Sendungen des privaten Hörfunks und Fernsehen in § 19 SächsPRG, für Sendungen des MDR in § 15 MDR-StVertr und für Mediendienste in § 10 MD-StVertr geregelt. Ähnliche Regelungen finden sich in den landesrechtlichen Gesetzen und Staatsverträgen.
95
vgl. Herrmann, S. 583 ebenda 97 vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 61. Auflage, § 1004 RN 30 98 vgl. Palandt-Thomas, BGB, 61. Auflage, § 823 RN 27 99 vgl. Schiwy/Schütz, Medienrecht, 2. Auflage, 219 100 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, 3. Auflage, S. 6 96
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Es entspricht der allgemeinen Ansicht, dass sich das anwendbare Recht für Presseveröffentlichungen danach bestimmt, an welchem Ort das Druckstück erscheint101. Der Erscheinungsort ist dabei derjenige Ort, an dem das Druckwerk mit Willen des Verlegers der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird102. Bei Rundfunksendungen einer öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalt ist grundsätzlich der Ausstrahlungsort maßgeblich, d.h. der Sitz des Rundfunkveranstalters, mit dessen Willen die betreffende Sendung an die Öffentlichkeit gelangt103. Im Bereich des privaten Rundfunks gilt das Recht, dem sich der Rundfunkveranstalter durch Zulassung durch eine bestimmte Landesmedienanstalt unterworfen hat104. Bei dem Gegendarstellungsanspruch handelt es sich nach herrschender Rechtsprechung und Lehre um einen Anspruch „sui generis“ nicht vermögensrechtlicher Art, der im Zivilrechtswege durchsetzbar ist105. Die Anspruchberechtigung ergibt sich aus den anwendbaren Bestimmungen, in denen der Gegendarstellungsanspruch normiert ist. Danach ist jede Person oder Stelle (Behörde) anspruchsberechtigt, die durch die Veröffentlichung betroffen ist [§ 10 Abs. 1 Satz 1 Sächs PresseG; § 19 Abs. 1 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 1 Satz 1 MDR-StVertr; § 10 Abs. 1 MDStVertr]. Der in den Gesetzen verwendete Begriff der „Person“ knüpft diese Eigenschaft des Anspruchsberechtigten nicht daran an, ob es sich um eine eigenständige Rechtspersönlichkeit handelt (natürliche oder juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts). Vielmehr können auch nichtrechtsfähige Personenvereinigungen und Personengruppen diesen Anspruch geltend machen106. Daraus folgt jedoch nicht, dass eine partielle Rechts- oder Parteifähigkeit bei der Geltendmachung des Gegendarstellungsanspruchs besteht. Bei einer Personengruppe müssen daher alle Mitglieder, bei einer Behörde die übergeordnete Trägerkörperschaft oder Anstalt den Anspruch geltend machen107. Der Anspruchsteller muss jedoch von der Veröffentlichung betroffen sein108. Der Gegendarstellungsanspruch besteht also nur dann, wenn die eigene Interessensphäre durch eine in der Veröffentlichung aufgestellte Tatsachenbehauptung berührt wird und zu der mitgeteilten Tatsache in einer individuellen Beziehung steht109. Es muss jedoch nicht dargelegt oder nachgewiesen werden, dass die Erstbehauptung unwahr oder ehrenrührig ist oder die Gegendarstellung der Wahrheit entspricht110. Eine Ausnahme stellt § 3 Nr. 9 HessRfG dar, in dem ausdrücklich die Unwahrheit der Behauptung verlangt wird. Gegen wen sich der Anspruch richtet, ergibt sich aus den gesetzlichen Vorschriften, die in den einzelnen Bundesländern ähnlich sind. So bestimmt bspw. § 10 Abs. 1 Satz 1 Sächs PresseG, dass im Anwendungsbereich dieses Gesetzes der verantwortliche Redakteur und 101
vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 18 und die darin zitierte Rechtsprechung vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 18 f. und die darin zitierte Rechtsprechung 103 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 19 f. und die darin zitierte Rechtsprechung 104 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 21 105 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 7 und die darin zitierte Rechtsprechung 106 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 24 107 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 32, 36 108 § 19 Abs. 1 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 1 Satz 1 MDR-StVertr: „unmittelbar“; § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsPresseG; § 10 Abs. 1 MD-StVertr 109 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 25 und die darin zitierte Rechtsprechung 110 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 10 102
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der Verleger zum Abdruck der Gegendarstellung verpflichtet sind. Im Bereich des privaten Rundfunks richtet sich der Gegendarstellungsanspruch gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SächsPRG gegen den Veranstalter111. Ähnlich verpflichtet § 10 Abs. 1 Satz 1 MD-StVertr den Diensteanbieter112, die Gegendarstellung in das Angebot aufzunehmen. In § 15 Abs. 1 Satz 1 MDRStVertr wird der „MDR“, also die Rundfunkanstalt, verpflichtet, die Gegendarstellung zu verbreiten. Der MDR wird gemäß § 29 Abs. 3 MDR-StVertr vom Intendanten vertreten. Die Geltendmachung des Gegendarstellungsanspruchs muss gewissen formellen Voraussetzungen genügen, damit die berechtigten Interessen der Medien einerseits und des von der Veröffentlichung Betroffenen andererseits in einen Ausgleich gebracht werden. Für Druckerzeugnisse gilt, dass die Gegendarstellung unverzüglich nach der Kenntniserlangung (Aktualitätsprinzip), d.h. ohne schuldhaftes Verzögern sofort (zwei bis vier Wochen) spätestens jedoch drei Monate nach der Veröffentlichung der beanstandeten Erstmitteilung dem Anspruchsverpflichteten zugehen muss113. Auch bei Rundfunksendungen muss der Anspruchsberechtigte unverzüglich nach Kenntnisnahme von der Sendung, spätestens jedoch innerhalb von zwei Monaten seit der Verbreitung, die Gegendarstellung einreichen114. Bei Mediendiensten hat die Gegendarstellung unverzüglich, spätestens sechs Wochen nach dem letzten Tag des Angebots, jedenfalls drei Monate nach der erstmaligen Einstellung des Angebots dem Verpflichteten zuzugehen. Die Gegendarstellung kann bei Druckerzeugnissen nur gegenüber periodischen Druckerzeugnissen erfolgen115. Im Bereich des Rundfunkrechts muss der Berechtigte die beanstandete Stelle der Sendung bezeichnen116. Bei jeglicher Form der Veröffentlichung muss die Gegendarstellung schriftlich erfolgen und ist vom Betroffenen oder einem gesetzlichen Vertreter zu unterzeichnen117. Die Gegendarstellung muss druckreif in deutscher Sprache (soweit es sich gegen eine deutschsprachige Veröffentlichung handelt) eingesendet werden118. Der Gegendarstellungsanspruch kann sich grundsätzlich nur gegen die Verbreitung von Tatsachenbehauptungen richten119. Folglich hat sie sich auch auf tatsächliche Angaben zu beschränken120. Aus dem Begriff der Entgegnung folgt, dass die Gegendarstellung in einem unmittelbaren gedanklichen Zusammenhang mit der beanstandeten Veröffentlichung steht, sich also auf diese bezieht121. 111
legaldefiniert in § 1a Abs. 11 SächsPRG legaldefiniert in § 3 Nr. 1 MDR-StVertr 113 § 10 Abs. 3 Satz 2 SächsPresseG 114 § 19 Abs. 3 Satz 2 SächsPRG; § 15 Abs. 3 Satz 3 MDR-StVertr 115 § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsPresseG 116 § 19 Abs. 3 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 3 Satz 1 MDR-StVertr 117 § 10 Abs. 3 Satz 1 SächsPresseG; § 19 Abs. 3 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 3 Satz 1 MDR-StVertr; § 10 Abs. 2 Nr. 4 MD-StVertr 118 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 67f. 119 vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 SächsPresseG; § 19 Abs. 1 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 1 Satz 1 MDR-StVertr; § 10 Abs. 1 Satz 1 MD-StVertr 120 § 10 Abs. 2 Nr. 2 SächsPresseG; § 19 Abs. 3 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 3 Satz 1 SächsPRG; § 14 Abs. 2 Nr. 3 MDR-StVertr 121 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 83 112
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Die Gegendarstellung darf im Umfang nicht unangemessen sein. Wenn der Umfang der eingereichten Gegendarstellung überschritten wird, entfällt die Pflicht zur Verbreitung der Gegendarstellung122. Eine Pflicht zur Veröffentlichung der Gegendarstellung entfällt auch dann, wenn der Anspruchsteller kein berechtigtes Interesse an der Verbreitung hat123, die Gegendarstellung einen strafbaren Inhalt hat124 oder sich die Gegendarstellung gegen wahrheitsgetreue Berichte über öffentliche Sitzungen der gesetzgebenden oder beschließenden Organe der Europäischen Gemeinschaften, des Bundes, der Länder, der Gemeinden, Gemeindeverbände und der Gerichte richtet125. Soweit Anzeigen die oben aufgeführten Voraussetzungen erfüllen, sind keine Gründe ersichtlich, die gegen eine kostenlose Gegendarstellung sprechen, es sei denn eine Gegendarstellung ist ausdrücklich ausgeschlossen oder kostenpflichtig. Bezüglich Druckerzeugnissen im Anwendungsbereich des § 10 Abs.2 Nr. 3 SächsPresseG bei ausschließlich dem geschäftlich Verkehr dienende Anzeigen ist eine Pflicht zur Verbreitung einer Gegendarstellung ausgeschlossen. Soweit die Gegendarstellung den formellen und inhaltlichen Anforderung nicht genügt, braucht sie, abgesehen von ganz geringfügigen Mängeln, nicht abgedruckt zu werden126. Eine Gegendarstellung muss unabhängig der Art der Veröffentlichung unentgeltlich127, unverzüglich und ohne Einschaltungen und Weglassungen verbreitet werden128. Bei Druckerzeugnissen hat der Abdruck der Gegendarstellung in der dem Zugang der Einsendung folgenden, für den Druck nicht abgeschlossenen Nummer in dem gleichen Druckwerk und mit gleicher Schrift wie der beanstandete Text zu erfolgen129. Im Bereich von Gegendarstellungen gegen Rundfunksendungen muss diese zu einer gleichwertigen Sendezeit wie die Verbreitung der beanstandeten Sendung veröffentlicht werden130. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2–4 MDStVertr ist eine Gegendarstellung im Bereich der Mediendienste in gleicher Aufmachung wie die Tatsachenbehauptung unmittelbar verknüpft ebenso lange wie die Tatsachenbehauptung anzubieten. Wird die Tatsachenbehauptung nicht mehr angeboten oder endet das Angebot vor Ablauf eines Monats nach Aufnahme der Gegendarstellung, ist die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle so lange anzubieten, wie der Betroffene es verlangt, höchstens jedoch einen Monat.
122
§ 10 Abs. 2 Nr. 5 SächsPresseG; § 19 Abs. 2 Nr. 2 SächsPRG; § 15 Abs. 2 lit. b MDR-StVertr; § 10 Abs. 2 Nr. 2 MD-StVertr; Ausnahme § 10 Abs. 3 Satz 3 2. Hs HessPresseG, § Bay PresseG: unangemessener Umfang löst Kostenpflicht aus 123 § 10 Abs. 2 Nr. 4 SächsPresseG; § 19 Abs. 2 Nr. 1 SächsPRG; § 15 Abs. 2 lit. a MDR-StVertr; § 14 Abs. 2 Nr. 1 MDR-StVertr, zu den Einzelheiten Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 95 124 § 10 Abs. 2 Nr. 1 SächsPresseG; § 19 Abs. 2 Nr. 3 SächsPRG; § 15 Abs. 2 lit. c MDR-StVertr; § 10 Abs. 2 Nr. 1 MD-StVertr 125 10 Abs. 6 SächsPresseG; § 19 Abs. 6 SächsPRG; § 15 Abs. 6 MDR-StVertr; § 10 Abs. 4 MD-StVertr 126 vgl. Seitz/Schmidt/Schoener, a.a.O., S. 114 127 § 10 Abs. 4 Satz 1 SächsPresseG; § 19 Abs. 4 Satz 2 SächsPRG; § 15 Abs. 4 Satz 2 MDR-StVertr; § 10 Abs. 1 MD-StVertr 128 § 10 Abs. 4 Satz 1 SächsPresseG; § 19 Abs. 4 Satz 1 SächsPRG; § 15 Abs. 4 Satz 1 MDR-StVertr; § 10 Abs. 1 Satz 1 MD-StVertr 129 § 10 Abs. 4 Satz 1 SächsPresseG 130 § 15 Abs. 4 Satz 1 MDR StVertr; § 19 Abs. 4 Satz 1 SächsPRG: zusätzlich gleiche Programmsparte
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Die einzelnen gesetzlichen Grundlagen regeln unterschiedlich die Möglichkeit von redaktionellen Anmerkungen gegen die Gegendarstellung. Während § 10 Abs. 4 Satz 3 Sächs PresseG bei Druckerzeugnissen eine redaktionelle Äußerung in derselben Nummer des Druckerzeugnisses, jedoch beschränkt auf tatsächliche Angaben möglich ist, verbieten die §§ 19 Abs. 4 Satz 3 SächsPRG und 15 Abs. 4 Satz 3 MDR-StVertr eine Erwiderung auf die verbreitete Gegendarstellung am gleichen Tag.
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. Abs. AfP AO Art BayrPresseG BGB BGH BGHZ bspw. BVerfG BVerGE d. h. DRiG EGGVG EGMR EMRK GVG HessPresseG i. V. m. JZ KUG MD-StVertr MDR MDR-StVertr NJW OLG RN S SächsPresseG SächsPRG SchutzbereichsG StGB StPO UrhG VGH vgl.
am angegebenen Ort Absatz Archiv für Presserecht Abgabenordnung Artikel Bayerisches Pressegesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen beispielsweise Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts das heißt Deutsches Richtergesetz Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention Gerichtsverfassungsgesetz Hessisches Pressegesetz in Verbindung mit Juristenzeitung Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste Mediendienste Staatsvertrag Mitteldeutscher Rundfunk Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk Neue Juristische Wochenzeitschrift Oberlandesgericht Randnummer Satz Sächsisches Pressegesetz Sächsisches Privatrundfunkgesetz Schutzbereichsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Urhebergesetz Verwaltungsgerichtshof vergleiche
Medienfreiheit und Berichterstattung WRV ZPO
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Weimarer Reichsverfassung Zivilprozessordnung
Literaturverzeichnis Herrmann Günter, Rundfunkrecht, Juristisches Kurzlehrbuch, München 1994 Holoubek Michael, Medienfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention, AfP 2003, S. 193 Löffler, Martin/Ricker, Reinhart, Handbuch des Presserechts, 5. Auflage, München 2005 Neumann-Duesberg, in JZ 1960, S. 114 ff Palandt, Otto, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, München 2007 Ricker, Reinhart/Schiwy, Peter, Rundfunkverfassungsrecht, München 1997 Schiwy/Schütz, Medienrecht, 3. Auflage, Berlin 1994 Seitz/Schmidt/Schoener, Der Gegendarstellungsanspruch, München 1998 Soehring, Presserecht, 3. Auflage, Stuttgart 2000 Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, Kommentar, München 1999
Verzeichnis der im Text angesprochenen Gesetze Bayerisches Pressegesetz, Fassung vom 19. April 2000 Bürgerliches Gesetzbuch, Fassung vom 02. Januar 2002 Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, Fassung vom 27. Juli 2001 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Fassung vom 19. Dezember 2000 Hessisches Pressegesetz, Fassung vom 26. November 2002 Konvention des Europarats zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten, Fassung vom 17. Mai 2002 Mediendienste Staatsvertrag, Fassung vom 17. Dezember 2006 Sächsisches Pressegesetz, Fassung vom 03. April 1992 Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk, Fassung vom 30. Mai 1991 Strafgesetzbuch, Fassung vom 01. September 2005 Weimarer Reichsverfassung, Fassung vom 11. August 1919 Zivilprozessordnung, Fassung vom 05. Dezember 2005
Urteile BGH in NJW 1964, S. 244; BGH in NJW 1965, S. 2149 BGH in NJW 1996, 593, 984, 999 BVerfG in AfP 1982, S. 100 BVerfG in AfP 1984, S. 95 BVerfG in AfP 1990, S. 192 BVerfG in AfP 1991, S. 388 BVerfG in AfP 1994, S. 126 BVerfG in NJW 1989, S. 382 BVerfG in NJW 61, S. 547
318 BVerfGE 12, S. 113 ff. BVerfGE 12, S. 205 ff.; 57, S. 295 ff. BVerfGE 20, 162 BVerfGE 20, 162 in NJW 1966, S. 1603 BVerfGE 20, S. 174; 36, S. 340 BVerfGE 27, S. 71/83, 81 BVerfGe 35 S. 205 ff., 222 BVerfGE 35, 202 in AfP 1973, S. 423 BVerfGE 42, 143 = AfP 1976, S. 115; BVerfGE 57, S. 205, S. 295 ff, 324 ff., S. 325 f. BVerfGE 61, S. 1 = AfP 1982, S. 215; BVerfGE 7, 198 in NJW 1958, S. 257; 210 BVerfGE 73, S. 118 ff. BVerfGE 85, S. 1 in AfP 1992, S. 53 NJW 1973, S. 1226 NJW 1961, S. 1603 OLG Düsseldorf in AfP 1980, S. 54 OLG Düsseldorf in AfP 1982, S. 235 OLG Frankfurt in AfP 1984 S. 115 OLG Frankfurt in AfP 1986, S. 140 OLG Hamburg in AfP 1982, S. 178 OLG Hamburg in AfP 1987, S. 701, 703 OLG Hamburg in NJW 1992, S. 2035 OLG Karlsruhe in AfP 1980, S. 64 OLG Karlsruhe in AfP 1982, S. 48 OLG Stuttgart in AfP 1983, S. 396 f. VGH Baden-Württemberg in AfP 1992, S. 95 ff.
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Arbeits- und Wirtschaftsrecht Hermann Mayer
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Allgemeines Zivilrecht, Bürgerliches Gesetzbuch
1.1 Das Rechtsgeschäft Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus mindestens einer Willenserklärung, an den Rechtsfolgen geknüpft sind. Rechtsgeschäfte sind zu unterscheiden von Rechtshandlungen, die wiederum geschäftsähnliche Handlungen sein können oder Realakte. Unter geschäftsähnlichen Handlungen versteht man auf einen tatsächlichen Erfolg gerichtete Erklärungen, deren Rechtsfolgen kraft Gesetzes eintreten, die Vorschriften über Rechtsgeschäfte gelten entsprechend. Realakte sind rein tatsächliche Willensbetätigungen, die kraft Gesetzes eine Rechtsfolge auslösen, insoweit gelten die Rechtsgeschäftsvorschriften nicht entsprechend. Die Rechtsgeschäfte unterteilt man in einseitige und mehrseitige; erstere enthalten nur Willenserklärungen einer Person (beispielsweise Kündigung, Rücktrittserklärung, Anfechtung, Testament), mehrseitige Rechtsgeschäfte enthalten Willenserklärungen mehrerer Personen (hierzu zählen insbesondere Verträge). Nicht empfangsbedürftige Willenerklärungen werden durch Abgabe, empfangsbedürftige durch Abgabe und Zugang wirksam. Eine Willenserklärung wird abgegeben, wenn der Erklärende alles seinerseits Erforderliche getan hat, damit die Willenserklärung wirksam werden kann, bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist denkbar eine mündliche Erklärung bzw. eine schriftliche, die immer auch eine Unterschrift beinhalten muss. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist zu unterscheiden, ob diese gegenüber Anwesenden oder Abwesenden abgegeben werden. Gegenüber einem Anwesenden wird die mündliche Willenserklärung wirksam abgegeben, wenn sie dem Anwesenden erklärt wird und dieser in der Lage ist, sie zu verstehen (z.B. telefonische Bestellung). Die schriftliche Willenserklärung wird gegenüber einem Anwesenden wirksam abgegeben durch Überreichung zur Entgegennahme. Empfangsbedürftige Willenserklärungen gegenüber Abwesenden werden wirksam abgegeben bei mündlicher Willenserklärung durch das Losschicken eines Erklärungsboten und bei schriftlicher Erklärung mit Losschicken in Richtung Empfänger, so dass mit Zugang zu rechnen ist. Die Willenserklärung geht zu mit dem Eintritt in den Machtbereich des Empfängers, wenn Kenntnisnahme unter normalen Verhältnissen zu erwarten ist. Willenserklärungen an einen Geschäftsunfähigen müssen gegenüber dessen gesetzlichen Vertreter abgegeben werden, um zuzugehen. Bei absichtlicher Zugangsverhinderung (beispielsweise Nichtabholung von Einschreiben) wird der Zugang gemäß § 242 BGB fingiert. Scheitert der Zugang daran, dass der Empfänger Empfangsvorkehrungen unterlässt (z.B. keinen Briefkasten hat), geht die beispielsweise mit Brief übermittelte schriftliche Willenerklärung nicht zu. Es wird ein
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erneuter Zugangsversuch erforderlich, aber in der Regel kann sich der Empfänger nicht auf den verspäteten Zugang berufen, falls er mit der Erklärung rechnen musste (§ 242 BGB). Ein Vertrag kommt zustande bei inhaltlicher Übereinstimmung zweier Willenerklärungen, z.B. Angebot zum Kauf eines Pkw und Annahme des Angebots. Ist unsicher, ob Angebot und Annahme übereinstimmen, sind beide Willenserklärungen nach dem objektiven Tatbestand (das Erklärte) und dem subjektiven Tatbestand (das Gewollte) zu analysieren und einander gegenüber zu stellen. Stimmen objektive und/oder subjektive Ebene überein, liegt ein Konsens vor und der Vertrag ist zustande gekommen, ansonsten ist ein Dissens (Einigungsmangel) gegeben mit der Folge, dass der Vertrag nicht geschlossen ist. Beim offenen Dissens ist den Parteien bewusst, dass keine Einigung vorliegt, beim versteckten Dissens machen sich die Parteien keine Vorstellungen hinsichtlich eines Einigungsmangels. Betrifft der offene Dissens vertragliche Nebenpunkte, ist nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen. Beim versteckten Dissens über vertragliche Nebenpflichten ist nach § 155 BGB der Vertrag geschlossen, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über den Nebenpunkt geschlossen sein würde. Beim offenen und versteckten Dissens bezüglich der vertraglichen Hauptpflichten (so genannte „Essentialia“) kommt kein Vertrag zustande.
1.2 Vertretung Bei Rechtsgeschäften können sich die Parteien vertreten lassen. Eine Ausnahme hiervon bilden die höchstpersönlichen Rechtsgeschäfte, wie z.B. Eheschließung oder Testament. Der Vertreter ist vom Boten dadurch abzugrenzen, dass der Bote nur eine fremde Willenserklärung übermittelt. Maßgeblich ist, ob aus Sicht des Erklärungsempfängers der Erklärende einen eigenen Entscheidungsspielraum hat (dann ist er als Vertreter zu beachten) oder bloße Übermittlungsfunktion ausübt (dann ist er als Bote zu betrachten). Die Vertretungsmacht kann sich ergeben aus Gesetz, Rechtsgeschäft oder Rechtsschein. Bei den Rechtsscheinvollmachten unterscheidet man zwischen der Duldungs- und der Anscheinsvollmacht. Beiden ist gemeinsam, dass der Vertreter für den Geschäftsherrn wiederholt auftritt und der Geschäftsgegner schutzwürdig ist. Bei der Duldungsvollmacht kennt und duldet der Geschäftsherr das Auftreten des Vertreters ohne Vertretungsmacht, bei der Anscheinsvollmacht hat der Geschäftsherr lediglich Kenntnis- und Verhinderungsmöglichkeit. Handelt der Vertreter ohne Vertretungsmacht, kommt eine Eigenhaftung nach § 179 BGB in Frage, handelt er mit Vertretungsmacht, haftet grundsätzlich der Geschäftsherr. Ausnahmsweise kann es auch dann zu einer Eigenhaftung des Vertreters kommen, wenn er ein unmittelbar eigenes Interesse an dem Geschäft hat (als wäre er wirtschaftlich in eigener Sache tätig) oder besonderes persönliches Vertrauen des Geschäftsgegners in Anspruch nimmt.
1.3 Geschäftsfähigkeit Unter Geschäftsfähigkeit versteht man die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte selbständig vollwirksam vorzunehmen. Geschäftsunfähigkeit ist geregelt in § 104 BGB. Bei nur vorübergehenden
Arbeits- und Wirtschaftsrecht
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Störungen greift § 105 Abs. 2 BGB ein. Durch das Betreuungsgesetz vom 1. Jan. 1992 wurde die Entmündigung durch das Institut der Betreuung ersetzt. Der Betreuer tritt an die Stelle des Vormundes über Volljährige und des Gebrechlichkeitspflegers. Der Betreuer wird zum gesetzlichen Vertreter des Betreuten (§§ 1902, 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Voraussetzungen der Betreuung sind die Volljährigkeit, psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung des zu Betreuenden und Unfähigkeit, seine eigenen Angelegenheiten selber zu besorgen, ferner die Erforderlichkeit der Betreuung (§ 1896 BGB). Nicht geschäftsfähig ist, wer das siebte Lebensjahr nicht vollendet hat und/oder wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 BGB). Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen sind nichtig, vgl. § 105 Abs. 1 BGB. Beschränkt geschäftsfähig sind Minderjährige, die das siebte Lebensjahr vollendet haben. Deren Willenserklärungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nach § 107 BGB. Durch Minderjährige geschlossene Verträge ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters sind schwebend unwirksam, hängen von der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters ab, § 108 BGB. Einseitige Rechtsgeschäfte des Minderjähren ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters sind unwirksam, § 111 Satz 1 BGB. Minderjährige sind teilgeschäftsfähig, soweit sie Willenserklärungen im Zusammenhang mit Dienst- und Arbeitsverhältnissen, die sie mit Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters eingegangen sind, abgeben.
1.4 Schuldverhältnisse Ein Schuldverhältnis liegt vor, wenn jemand etwas schuldet. Es entsteht aufgrund von Rechtsgeschäften oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften (z.B. wegen ungerechtfertigter Bereicherung, §§ 812 ff. BGB oder unerlaubter Handlung, §§ 823 ff. BGB). Als Schuldverhältnis im engeren Sinn bezeichnet man den einzelnen Anspruch (beispielsweise die Forderung aus Kaufvertrag auf Zahlung des Kaufpreises). Das Schuldverhältnis im weiteren Sinn meint die Gesamtheit aller Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien. Aus dem Schuldverhältnis entstehen die Primärpflichten auf Erfüllung des Vertrages, im Falle von Leistungsstörungen zusätzlich Sekundärpflichten, die neben oder an die Stelle der Primärpflichten treten. Aus dem Kaufvertrag schuldet der Verkäufer Lieferung des Kaufgegenstandes als Primärpflicht. Wird die Lieferung beispielsweise wegen Zerstörung des Kaufgegenstandes unmöglich, schuldet der Verkäufer unter Umständen Schadensersatz als Sekundärpflicht. Zu den Leistungspflichten aus dem Schuldverhältnis gehören die Hauptleistungspflichten, um derentwillen das Schuldverhältnis abgeschlossen wird und die Nebenleistungspflichten, die ergänzend der Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Hauptleistungspflichten dienen. Hinzukommen unselbständige Nebenpflichten, wie z.B. Aufklärungspflichten, TreueMitwirkungs- und Schutzpflichten. Werden unselbständige Nebenpflichten verletzt, hat der geschädigte Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch. Von den Leistungs- und unselbstständigen Nebenpflichten sind die Obliegenheiten zu unterscheiden. Letztere sind gebotene Maßnahmen im eigenen Interesse, bei Nichtbeachtung entsteht keine Schadensersatzpflicht,
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es kann nur zur Rechtseinbuße kommen, im Versicherungsrecht beispielsweise zum Verlust der Versicherungsleistung. Bei Leistungsstörungen innerhalb des Schuldverhältnisses gibt es eine Vielzahl von Rechtsfolgen. Hauptfälle der Leistungsstörungen sind Unmöglichkeit, Verzug, Schlechterfüllung, Pflichtverletzung vor bzw. bei Vertragsschluss und Wegfall der Geschäftsgrundlage. Bei Schlechtleistung und Leistungsverzögerung besteht Anspruch auf einfachen Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB. Bei Leistungsverzögerung und Ausschluss der Leistungspflicht wird Schadensersatz statt der Leistung nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB, bei anfänglichem Ausschluss der Leistungspflicht wird Schadensersatz statt der Leistung nach § 311 a Abs. 2 BGB geschuldet. Innerhalb des Schuldverhältnisses können auch Rücktrittsrechte, Widerrufsrechte und Zurückbehaltungsrechte entstehen. Rücktrittsrechte gibt es aufgrund vertraglicher Vereinbarung und auf gesetzlicher Grundlage, beispielsweise wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB), Spätleistung, Schlechterfüllung (§ 323 Abs. 1 BGB) oder Unmöglichkeit (§§ 326 Abs. 5, 323 BGB). Die Rücktrittserklärung bewirkt das Erlöschen der Primäransprüche und führt zur Verpflichtung zur Rückgewähr der empfangenen Leistung bzw. Wertersatz und möglicherweise zur Verpflichtung zur Leistung von Nutzungsersatz oder Verwendungsersatz. Widerrufsrechte können sich beispielsweise bei Haustürgeschäften gemäß §§ 312, 312 a BGB oder Fernabsatzverträgen gemäß §§ 312 b–d BGB ergeben. Zurückbehaltungsrechte sind geregelt in §§ 273, 320, 321, 1000 BGB, 369 ff. HGB. Gegenüber Ansprüchen aus einem Schuldverhältnis kann unter bestimmten Voraussetzungen die Aufrechnung erklärt werden gemäß §§ 387 ff. BGB mit der Folge, dass die Forderungen verrechnet werden. Ansprüche aus Schuldverhältnissen können auch nach §§ 398 ff. BGB an Dritte abgetreten werden. Notwendig sind eine Einigung zwischen dem Altgläubiger und dem Neugläubiger, die Bestimmbarkeit der Forderung und die Berechtigung des Altgläubigers. Ein gutgläubiger Forderungserwerb von einem Nichtforderungsinhaber ist mit Ausnahme des § 405 BGB nicht möglich.
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2.1 Begriff Das Arbeitsrecht ist das Sonderrecht der Arbeitnehmer. Privatrechtliche Regelungen finden sich insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), im Handelsgesetzbuch (HGB), und im Kündigungsschutzgesetz. Dem öffentlichen Recht sind beispielsweise Vorschriften des Arbeitsschutz- und Arbeitszeit- und des Tarifvertragsgesetzes zuzurechnen.
2.2 Arbeitsrechtliche Vorschriften Bis heute gibt es kein einheitliches „Arbeitsgesetz“. Vielmehr bilden eine Vielzahl von Einzelgesetzen und höchstrichterlichen Entscheidungen das Arbeitsrecht. Das Individualarbeitsrecht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Unter kollek-
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tivem Arbeitsrecht versteht man die Rechtsverhältnisse der arbeitsrechtlichen Koalitionen (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) und Belegschaftsvertretungen (Betriebsräte, Personalräte) zu ihren Mitliedern sowie zu ihren „Gegenspielern“. Neben deutschen Rechtsnormen spielen europäische Vorschriften eine immer größere Rolle. Im europäischen Recht wird unterschieden zwischen dem primären Gemeinschaftsrecht (EG-Vertrag und spätere Ergänzungen) und dem sekundären Gemeinschaftsrecht (Richtlinien und Verordnungen). Die Richtlinie entfaltet gegenüber den Mitgliedsstaaten Rechtsverbindlichkeit hinsichtlich ihrer Ziele, überlässt jedoch den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel, wie sie in das nationale Recht umgesetzt wird (Art. 249 Abs. 3 EGV). Verordnungen sind gemäß Art. 249 Abs. 2 EGV unmittelbar rechtsverbindlich auch gegenüber natürlichen oder juristischen Personen der Mitgliedsstaaten. Eine Umsetzung in nationales Recht ist grundsätzlich nicht erforderlich. Zu beachten ist der Grundsatz „EGRecht bricht nationales Recht“ und zwar unabhängig davon, ob es sich um primäres oder sekundäres EG-Recht handelt. EG-Recht verdrängt somit entgegenstehendes nationales Recht der Mitgliedsstaaten.
2.3 Arbeitnehmerbegriff Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Wesentliches Kriterium der Arbeitnehmereigenschaft ist die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Unter diesem Oberbegriff ist die örtliche, zeitliche und inhaltliche Weisungsgebundenheit zu verstehen. Der Arbeitnehmer ist in die Organisation des Auftraggebers fest eingebunden. Zum Werkvertrag erfolgt die Abgrenzung des Arbeitsvertrages dadurch, dass nicht ein bestimmter Erfolg geschuldet ist, sondern die Leistung von Arbeit. Organmitglieder juristischer Personen (z.B. Geschäftsführer der GmbH; Vorstände der Aktiengesellschaft) sind nicht Arbeitnehmer. Die Frage, ob Arbeitnehmereigenschaft vorliegt oder nicht, hat beispielsweise Auswirkungen auf die Anwendbarkeit von Gesetzen und den Rechtsweg bei Prozessen (Zivilgerichte oder Arbeitsgerichte).
2.4 Arbeitgeberbegriff Arbeitgeber kann eine natürliche oder juristische Person sein. Er steht dem Arbeitnehmer als Partner des Arbeitsvertrages gegenüber. Nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Arbeitgeber derjenige, der die Arbeitsleistung vom Arbeitnehmer fordern kann und dessen Vergütung schuldet. Im Falle der Arbeitnehmerüberlassung kann sich auch aufgrund gesetzlicher Fiktion ergeben, wer Arbeitgeber ist. Wenn der Verleiher von Arbeitnehmern nicht über die erforderliche Erlaubnis nach § 1 AÜG verfügt, wird derjenige, der den Arbeitnehmer entliehen hat, zum Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers. Ist ein Arbeitnehmer in einem Konzern beschäftigt, dann ist nicht der Konzern selbst Arbeitgeber, sondern die Gesellschaft, mit welcher der Arbeitsvertrag geschlossen wurde.
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2.5 Inhalt des Arbeitsverhältnisses a. Pflichten des Arbeitnehmers Hauptpflicht ist die Arbeitspflicht. Daneben bestehen Nebenpflichten wie die Treuepflicht, das Wettbewerbsverbot und die Verschwiegenheitspflicht im Hinblick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Zu beachten ist, dass die Nebenpflichten in der Regel im Arbeitsvertrag näher bestimmt sind. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur wirksam, wenn eine Höchstdauer von zwei Jahren nicht überschritten wird und eine Entschädigung (so genannte Karenzentschädigung) zum Ausgleich bezahlt wird. Erreicht diese Entschädigung nicht mindestens die Hälfte der vom Arbeitnehmer bezogenen Vergütung, so ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot insgesamt unwirksam. b. Pflichten des Arbeitgebers Die Zahlung von Arbeitsvergütung ist Hauptpflicht des Arbeitgebers. Die Vergütungshöhe ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag oder Tarifverträgen. Letztere sind dann anwendbar, wenn sie entweder für allgemeinverbindlich erklärt wurden oder wenn beide Arbeitsvertragsparteien tarifgebunden sind, d.h. der Arbeitnehmer Mitglied einer Gewerkschaft ist und der Arbeitgeber Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Vergütungsformen sind beispielsweise der Zeit- oder der Leistungslohn. Häufiger Streitpunkt sind Gratifikationen. Es handelt sich dabei um Sonderzuwendungen, die der Arbeitgeber neben der Arbeitsvergütung aus bestimmten Anlässen gewährt. Sie sollen zum einen Anerkennung für geleistete Dienste und auch Anreiz für weitere Dienstleistungen sein (z.B. Urlaubs-, Weihnachtsgeld). Nach dreimaliger Zahlung der Gratifikation durch den Arbeitgeber ohne Freiwilligkeitsvorbehalt entsteht auf Arbeitnehmerseite ein Vertrauenstatbestand mit der Folge, dass die Gratifikation auch zukünftig bezahlt werden muss. Im Falle der Nichtleistung der Gratifikation über mehrere Jahre hinweg, die vom Arbeitnehmer widerspruchslos hingenommen wird, erlischt der Gratifikationsanspruch. Üblicherweise schuldet der Arbeitgeber Vergütung nur gegen Arbeitsleistung. Der Arbeitgeber ist zur Zahlung des Arbeitsentgelts auch während des Erholungsurlaubs des Arbeitnehmers nach dem Bundesurlaubsgesetz und für gesetzliche Feiertage verpflichtet. Lohn wird auch während des Mutterschaftsurlaubs geschuldet. Hiervon gibt es wichtige Ausnahmen. Der Arbeitgeber ist zur Zahlung des Arbeitsentgelts auch während des Erholungsurlaubes des Arbeitnehmers nach dem Bundesurlaubsgesetz und während Feiertagen verpflichtet. Lohn wird auch während Mutterschaftsurlaub geschuldet. Erkrankt der Arbeitnehmer, ist Entgeltfortzahlung für maximal sechs Wochen je Krankheit zu leisten. Soweit der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht annimmt, schuldet er Vergütungszahlung aus Gründen des Annahmeverzuges. Diese Fallkonstellation tritt üblicherweise auf nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung, wenn der Arbeitnehmer dagegen einen Kündigungsschutzprozess führt. Für die Dauer dieses Prozesses bis zur Rechtskraft der arbeitsgerichtlichen Entscheidung hat der Arbeitgeber die vereinbarte Vergütung nachzuzahlen, falls der Arbeitnehmer obsiegt.
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c. Pflicht zur Wahrung der Arbeitnehmerinteressen Der Arbeitgeber hat hinsichtlich seiner Arbeitnehmer allgemeine Fürsorgepflichten (Schutz-, Auskunfts-, Rechenschafts-, Aufklärungspflichten). Er muss die Arbeitnehmer beschäftigen, sie am Arbeitsplatz vor Gesundheitsgefahren bewahren und die vom Arbeitnehmer mitgebrachten Vermögensgegenstände schützen.
2.6 Begründung des Arbeitsverhältnisses Das Arbeitsverhältnis wird üblicherweise durch Abschluss eines Arbeitsvertrages begründet. Es herrscht insoweit Abschluss-, nicht jedoch Inhaltsfreiheit. Der Inhalt des Vertrages unterliegt diversen Arbeitnehmerschutzbestimmungen (beispielsweise Arbeitszeitgesetz, Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz). Für das Zustandekommen und für die Durchführung des Arbeitsverhältnisses gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln des BGB, es sei denn, dass besondere gesetzliche und kollektivrechtliche Bestimmungen eingreifen. Der Arbeitsvertrag ist ein Unterfall des Dienstvertrages gemäß § 611 BGB, er unterscheidet sich jedoch von diesem durch die persönliche Abhängigkeit des Arbeitsnehmers und durch die Erbringung der Arbeitsleistungen in einer fremdbestimmten Organisation. Hinsichtlich der Form des Arbeitsvertrages gilt, dass dieser in der Regel formlos auch mündlich geschlossen werden kann, Schriftform ist jedoch beispielsweise notwendig bei befristeten Arbeitsverhältnissen (§ 14 Abs. 4 TzBfG). Der Vertrag wird nach Maßgabe der §§ 145 ff. BGB durch Angebot und Annahme des Angebots wirksam. Vorformulierte Arbeitsverträge unterliegen seit 1. Jan. 2002 als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ der Inhaltskontrolle der §§ 305 bis 310 BGB. Die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten sind jedoch angemessen zu berücksichtigen (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB).
2.7 Beendigung des Arbeitsverhältnisses Das Arbeitsverhältnis kann durch Kündigung oder einvernehmlich (Aufhebungsvertrag, Abwicklungsvertrag) schriftlich beendet werden. a. Kündigung Der Arbeitnehmer ist berechtigt, den Arbeitsvertrag wegen der Kündigungsfreiheit jederzeit ohne einen Grund unter Einhaltung der gesetzlichen oder vereinbarten Kündigungsfrist aufzukündigen. Dem gegenüber erschwert das Deutsche Recht die Kündigungsmöglichkeiten durch den Arbeitgeber erheblich. Dieser hat den allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz sowie Mitwirkungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Der Arbeitnehmer kann sich u.U. auf das Kündigungsschutzgesetz berufen, das die Wirksamkeit der Kündigung von ihrer sozialen Rechtfertigung abhängig macht. Dieses Gesetz ist unter den Voraussetzungen des § 23 KSchG anwendbar auf Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Abs. 1 KSchG). Hiernach muss der Arbeitgeber die Kündigung durch personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Gründe rechtfertigen. Hierzu gehören beispielsweise lange dauernde Krank-
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heit, häufige Kurzerkrankungen, Alkoholexzesse, Straftaten gegenüber dem Arbeitgeber, Betriebsaufgabe oder Betriebsteilaufgabe. Beruft sich der Arbeitnehmer auf das Kündigungsschutzgesetz, muss er innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erheben. Besonderer Kündigungsschutz besteht für Betriebsratsmitglieder (§§ 15, 17 KSchG), für Schwangere (§ 9 MuSchG), während der Elternzeit (§ 18 BErzGG) und bei Schwerbehinderten (§ 85 SGB IX). Von der ordentlichen Kündigung, bei der eine gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist einzuhalten ist, ist die außerordentliche Kündigung („fristlose Kündigung“) zu unterscheiden. Diese setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus und kann nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis des Grundes erklärt werden (§ 626 Abs. 2 BGB). Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss für den Kündigenden unzumutbar sein. Wird ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers gerügt, muss dieses erheblich sein, wobei der Ausspruch einer vorherigen Abmahnung nicht notwendig ist. Zur außerordentlichen Kündigung können beispielsweise schwere Straftaten des Arbeitnehmers, die Androhung einer Krankheit zur Erzwingung eines Urlaubs, oder Wettbewerbshandlungen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses berechtigen. Soweit im Unternehmen ein Betriebsrat besteht, hat dieser bei Kündigungen ein Mitbestimmungsrecht nach § 102 BetrVG. Der Betriebsrat kann die Kündigung zwar nicht verhindern, er ist aber vor deren Ausspruch zu hören, ansonsten ist die Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Bei Ausspruch einer ordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat spätestens innerhalb einer Woche mögliche Bedenken schriftlich zu äußern, andernfalls gilt seine Zustimmung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb von drei Tagen schriftlich mitzuteilen. Seit 1. Januar 2004 gelten einige Neuerungen im Kündigungsschutzgesetz. Bezüglich der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen sind folgende Kriterien zu berücksichtigen: ▪ ▪ ▪ ▪
Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung.
In die Sozialauswahl sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Bei einer Betriebsänderung ist es möglich, die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich festzulegen. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, welcher in einer Namensliste nach § 1 Abs. 5 Kündigungsschutzgesetz aufgeführt wird, so wird die Richtigkeit der Sozialauswahl vermutet. Nach dem neu in das Kündigungsschutzgesetz aufgenommenen § 1a kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Abfindung für den Fall anbieten, dass der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt. Die Höhe der Abfindung ist gesetzlich auf 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses festgelegt. Das Kündigungsschutzgesetz ist nach dessen § 23 Abs. 1 auf nach dem
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1. Januar 2004 abgeschlossene Arbeitsverhältnisse nur noch dann anwendbar, wenn in dem betroffenen Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Für bis zum 31. Dezember 2003 abgeschlossene Arbeitsverträge verbleibt es bei dem Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern. Große Herausforderungen für die Judikatur bringt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006, dass im Arbeitsrecht sowie im ganzen Zivilrecht anwendbar ist. Ziel dieses Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Das Gesetz gibt dem Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch im Falle einer diskriminierenden Kündigung. b. Aufhebungs-/Abwicklungsvertrag Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgt, dass die Parteien nicht nur Arbeitsverträge abschließen und kündigen, sondern auch einvernehmlich beenden können. Dies geschieht durch Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag. Ein Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis einvernehmlich, ohne dass zuvor eine Kündigung ausgesprochen wurde. Dem Abwicklungsvertrag geht eine arbeitgeberseitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus, in dem Vertrag wird jedoch zum Ausdruck gebracht, dass die Kündigung hingenommen wird, er regelt im übrigen Rechte und Pflichten der Parteien im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Vorteil des Abwicklungsvertrages gegenüber dem Aufhebungsvertrag ist, dass der Arbeitnehmer keine Sperrzeit nach § 144 SGB III erhält. Der Arbeitnehmer kann somit nahtlos mit dem Ende seines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Abschluss des Abwicklungsvertrages keine Vorabsprache getroffen und die arbeitgeberseitige Kündigung nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Weiterer Vorteil des Abwicklungsvertrages ist, dass dieser vom Arbeitnehmer nicht nachträglich angefochten werden kann, da das Arbeitsverhältnis nicht durch den Vertrag, sondern durch die Kündigung beendet wurde. Beim Abschluss eines Abwicklungsvertrages ist ein bestehender Betriebsrat zu beteiligen und bei Schwerbehinderten die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen. Zu beachten ist ferner, dass Aufhebungs- wie auch Abwicklungsvertrag der Schriftform nach § 623 BGB bedürfen.
2.8 Weiterbeschäftigungsanspruch Nach § 102 Abs. 5 BetrVG hat der Arbeitnehmer bei ordentlicher Arbeitgeberkündigung und vorherigen Widerspruchs des Betriebsrats gegen die Kündigung nach ordnungsgemäßer Erhebung einer Kündigungsschutzklage Anspruch auf Weiterbeschäftigung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits. Bei einer außerordentlichen Kündigung besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch nur, wenn die ordentliche Kündigung arbeits- oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist. Der Arbeitgeber kann von seiner Weiterbeschäftigungspflicht befreit werden, wenn die Kündigungsschutzklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder mutwillig erscheint, die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers
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führen würde oder der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war (§ 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG). Nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch zwischen dem Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist bzw. des Zugangs der außerordentlichen Kündigung und der rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses bestehen. Es muss zwischen dem Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers und dem Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung abgewogen werden. Vor dem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses in erster Instanz hat der Arbeitgeber ein schutzwertes Interesse aufgrund der Ungewissheit des Prozessausgangs. Dies gilt aber nicht, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam oder der Arbeitnehmer ein besonderes Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung hat. Gewinnt der Arbeitnehmer den Rechtsstreit in erster Instanz, fallen die Ungewissheit des Ausgangs des Prozesses und damit das besondere Interesse des Arbeitgebers weg. Der Arbeitnehmer ist deswegen weiterzubeschäftigen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits.
2.9 Betriebsverfassungsrecht Ein Betriebsrat kann gebildet werden in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigen, wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind (§ 1 Abs. 1 BetrVG). Unter Arbeitnehmer versteht man im Betriebsverfassungsrecht Arbeiter und Angestellte einschließlich der zur Berufsausbildung Beschäftigten. Aktiv wahlberechtigt sind Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben1. Passiv wählbar sind alle aktiv wahlberechtigten Arbeitnehmer, die sechs Monate dem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten (§ 8 BetrVG). Die Einzelheiten der Betriebsratswahl regelt die Wahlordnung vom 11. Dez. 2001. Das Betriebsverfassungsgesetz findet keine Anwendung in so genannten Tendenzbetrieben und Religionsgemeinschaften (§ 118 BetrVG). Organe der Betriebsverfassung sind der Betriebsrat und die Betriebsversammlung. Die Zahl der Betriebsratsmitglieder ist abhängig von der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer eines Betriebes. Er besteht beispielsweise bei kleineren Betrieben (zwischen 201 bis 400 Arbeitnehmern) aus neun Mitgliedern. Die Einzelheiten regelt § 9 BetrVG. Die Betriebsratswahl erfolgt geheim und unmittelbar nach den Grundsätzen der Verhältniswahl oder, wenn nur ein Wahlvorschlag eingerecht wird oder im vereinfachten Wahlverfahren nach § 14 a BetrVG, nach der Mehrheitswahl. Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden alle vier Jahre in der Zeit vom 1. März. bis 31. Mai statt. Falls in einem Betrieb noch kein Betriebsrat besteht, kann in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer ein Wahlvorstand gewählt werden. Besteht ein Betriebsrat, ist spätestens zehn Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit ein Wahlvorstand zu bestellen. Die Betriebsratswahl wird anschließend vom Wahlvorstand durchgeführt nach den Vorschriften der Wahlordnung. Die Kosten trägt der Arbeitgerber gem. § 20 Abs. 3 BetrVG. Die Geschäftsführung des Betriebsrats ist in §§ 26 ff. BetrVG geregelt. Der Betriebsrat wählt einen seiner Mitglieder als Vorsitzenden und einen weiteren als Stellvertreter. Hat 1
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er neun oder mehr Mitglieder, ist ein Betriebsausschuss nach § 27 BetrVG zu bilden. Der Betriebsrat entscheidet als Kollegialorgan in Sitzungen, die vom Vorsitzenden einzuberufen sind. Beschlüsse sind mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder zu fassen. Die Betriebsratstätigkeit ist ein Ehrenamt, es besteht jedoch ein Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgabe erforderlich ist. Mit Betrieben von mindestens 200 Arbeitnehmern besteht zudem ein Freistellungsanspruch gemäß § 38 BetrVG. Die freizustellenden Betriebsratsmitglieder werden in Abstimmung mit dem Arbeitgeber in geheimer Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt, sie sind von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung entbunden, die übrigen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen bleiben jedoch bestehen. Insbesondere ist die Arbeits- und Anwesenheitszeit im Betrieb einzuhalten. Durch die Freistellung wird der Vergütungsanspruch des Betriebsratsmitglieds nicht berührt. Die Kosten und Sachaufwendungen des Betriebsrats trägt nach § 40 BetrVG der Arbeitgeber. Umfasst werden hiervon jedoch nur die Kosten, die der Betriebsrat zum Zeitpunkt der Verursachung bei gewissenhafter Abwägung für erforderlich halten durfte. Zu den Kosten gehören überwiegend die Sach- und die Reisekosten der Betriebsratsmitglieder, daneben auch die Kosten für Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Betriebsversammlung ist in § 42 ff. BetrVG geregelt. Sie besteht aus den Arbeitnehmern des Betriebs und wird vom Vorsitzenden des Betriebsrats geleitet. Versammlungen sind regelmäßig vierteljährlich durchzuführen. Der Arbeitgeber ist unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen. Beauftragte der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften können beratend teilnehmen. Der Arbeitgeber darf zu den Versammlungen einen Beauftragten seines Arbeitgeberverbandes hinzuziehen. Die Betriebsversammlung ist nicht öffentlich. Die Zeit der Teilnahme an der Betriebsversammlung ist als Arbeitszeit zu vergüten. Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat in sozialen (§§ 87 bis 91 BetrVG), personellen (§§ 92 bis 105 BetrVG) und in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 106 bis 113 BetrVG). Die Mitbestimmung ist unterschiedlich ausgeformt als echtes Mitbestimmungs-, Widerspruchs-, Beratungs-, Anhörungs- oder Informationsrecht. Eine Erweiterung der Rechte ist durch Tarifvertrag möglich. In sozialen Angelegenheiten bestehen Mitbestimmungsrechte beispielsweise bei Fragen der Ordnung des Betriebs, des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb, Beginn, Ende, Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit, Aufstellung des Urlaubsplans, Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, Regelungen über die Vergütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, Entlohnungsgrundsätzen und Entlohnungsmethoden sowie Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze. Bei personellen Angelegenheiten beziehen sich die Mitbestimmungsrechte überwiegend auf Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung von Arbeitnehmern; jedoch auch hinsichtlich Personalplanung, Ausschreibung von Arbeitsplätzen und Schaffung von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen. Bei personellen Einzelmaßnahmen hat der Betriebsrat das Recht, seine notwendige Zustimmung unter bestimmten, in § 99 Abs. 2 BetrVG geregelten, Voraussetzungen zu verweigern, beispielsweise bei der vom Arbeitgeber geplanten Einstellung eines Arbeitnehmers
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unter Verstoß gegen Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht ein so genanntes Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten oder eine vorläufige personelle Maßnahme nach § 100 BetrVG anordnen. Die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten betrifft insbesondere den Wirtschaftsausschuss, der gemäß § 106 Abs. 1 BetrVG in Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitsnehmern zu bilden ist. Er hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten. Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten gehören beispielsweise die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens, Produktions- und Absatzlage, Rationalisierungsvorhaben, betrieblicher Umweltschutz, Einschränkung oder Stillegung von Betrieben oder Betriebsteilen. Der Wirtschaftsausschuss besteht aus mindestens drei und höchstens sieben Mitgliedern und entscheidet monatlich einmal in Sitzungen. Bei Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Arbeitgerber den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, zu informieren und die geplanten Änderungen mit dem Betriebsrat zu beraten. Als Ergebnis kann ein Interessensausgleich oder Sozialplan nach § 112 BetrVG schriftlich niedergelegt werden. Ein Interessenausgleich ist im Unterschied zu einem Sozialplan nicht erzwingbar. Letzterer enthält Regelungen über den Ausgleich oder die Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die die Arbeitnehmer durch die Betriebsänderung erleiden. Der Sozialplan ist rechtlich unabhängig vom Interessenausgleich und hat als wichtigsten Inhalt meist Regelungen über die an die Arbeitnehmer zu zahlenden Abfindungen.
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Handels- und Gesellschaftsrecht
3.1 Kaufleute Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt. Ein Handelsgewerbe ist jeder Gewerbebetrieb, es sein denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, besteht die Kaufmannseigenschaft kraft Gesetzes unabhängig davon, ob der Gewerbetreibende als Kaufmann im Handelsregister eingetragen ist oder nicht. Das Handelsgewerbe muss selbständig und mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden. Auf die Art des Gewerbes kommt es nicht an, ein gesetzes- und sittenwidriges Gewerbe darf jedoch nicht in das Handelsregister eingetragen werden. Ein so genannter Kleingewerbetreibender (dessen Unternehmen nach Art oder Umfang einer in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb nicht erfordert) kann dadurch Kaufmann werden, dass er seine Eintragung ins Handelsregister beantragt. Kapitalgesellschaften (z.B. Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eingetragene Genossenschaft) sind Formkaufleute, d.h. sie sind ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens immer Kaufleute. Bei der OHG und der KG ergibt sich die Kaufmannseigenschaft aus der allgemeinen Vorschrift des
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§ 1 HGB. Erfordert das Unternehmen der OHG oder der KG nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb, ist die OHG bzw. KG Kaufmann. Wer im Handelsregister mit seiner Firma als Kaufmann eingetragen ist, gilt unwiderlegbar als (Schein-)Kaufmann unabhängig davon, ob er nicht möglicherweise ein Kleingewerbetreibender ist. Scheinkaufmann ist auch derjenige, der im kaufmännischen Rechts- und Geschäftsverkehr als Kaufmann auftritt, ohne es zu sein. Gegenüber gutgläubigen Dritten muss sich dieser als Kaufmann behandeln lassen, soweit er durch entsprechende Handlungen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
3.2 Firma Unter der Firma eines Kaufmanns versteht man den Namen, unter dem der Kaufmann im Handel seine Geschäfte betreibt, § 17 Abs. 1 HGB. Bei der Firmenbildung sind mehrere Prinzipien zu beachten. Ein Kaufmann kann für ein Unternehmen nur eine Firma führen (Firmeneinheit). Die Firma muss zum Schutz des Rechtsverkehres wahr sein, sie darf nicht über Art und/oder Umfang des Unternehmens täuschen (Firmenwahrheit). Das Prinzip der Firmenbeständigkeit regelt die Frage, wie eine Firma bei Veräußerung des Unternehmens fortgeführt werden darf. Firmen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde müssen sich deutlich voneinander unterscheiden (Firmenunterscheidbarkeit). Das Prinzip der Firmenöffentlichkeit bedeutet, dass die Firma samt Veränderungen in das Handelsregister einzutragen ist.
3.3 Prokura Die Prokura ist in §§ 48 ff. HGB geregelt als spezielle handelsrechtliche Vollmachtsform. Sie kann vom Inhaber des Handelsgeschäfts oder seinem Vertreter nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt werden. Gemäß § 49 HGB ist der Prokurist ermächtigt, den Geschäftsherrn bei allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, zu vertreten. Eine Beschränkung der Befugnisse des Prokuristen ist im Innenverhältnis zwischen Geschäftsherr und Prokurist möglich, hat jedoch keine Auswirkung auf die unbeschränkte Vertretungsbefugnis des Prokuristen gegenüber Dritten. Aufgrund § 39 Abs. 2 HGB ist der Prokurist allerdings nicht zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken berechtigt, wenn ihm diese Befugnis nicht besonders erteilt worden ist. Die Prokura ist vom Geschäftsherrn zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, sie ist jederzeit formlos widerruflich, erlischt mit der Einstellung des Handelsgeschäfts, Betriebsveräußerung oder Konkurs des Geschäftsherrn, nicht jedoch nach dessen Tod.
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3.4 Gesellschaftsformen Unter einer Gesellschaft wird der auf einem Rechtsgeschäft beruhende Zusammenschluss von Personen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks verstanden. Die wichtigsten Formen sind die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, der eingetragene Verein, die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. c. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ist die Grundform aller Gesellschaften, geregelt in den §§ 705 ff. BGB. Voraussetzung ist der Zusammenschluss von mehreren natürlichen oder juristischen Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks in der durch den Gesellschaftsvertrag bestimmten Weise. Gemeinsamer Zweck ist jede Betätigung, gleichgültig, ob wirtschaftlich oder nicht. In der Rechtsform der GbR können Gesellschaften der unterschiedlichsten Art geführt werden, z.B. Arbeitsgemeinschaften von Unternehmen, Gesellschaften zur Verwaltung von Grundbesitz, zum Betrieb einer Landwirtschaft etc. Wird ein vollkaufmännisches Unternehmen als GbR geführt, wird es automatisch zur Offenen Handelsgesellschaft (OHG). Die GbR verlangt stets das Vorhandensein von mindestens zwei Gesellschaftern, eine Ein-Mann-GbR gibt es nicht. Fallen alle Gesellschafter bis auf einen weg, ist die Gesellschaft zu beendigen. Die Errichtung erfolgt durch Gesellschaftsvertrag, der mündlich, schriftlich oder stillschweigend zustande kommen kann. Im Gesellschaftsvertrag kann von den gesetzlichen Vorschriften der §§ 705 ff. BGB mit wenigen Ausnahmen abgewichen werden. Nach der gesetzlichen Regelung besteht gemeinschaftliche Geschäftsführung, für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. Hiervon wird in der Praxis meist abgewichen, um die Handlungsfähigkeit der GbR im heutigen wirtschaftlichen Verkehr zu erhalten. Vertretungsberechtigt ist derjenige Gesellschafter, der geschäftsführungsbefugt ist, § 714 BGB. Der Umfang der Vertretungsmacht kann von den Gesellschaftern beliebig geregelt werden. Entscheidungen der GbR werden in Gesellschafterversammlungen mittels Beschluss nach § 709 Abs. 1 BGB einstimmig getroffen, in der Praxis erlaubt der Gesellschaftsvertrag meist Mehrheitsbeschlüsse. Für Schulden der Gesellschaft haften die Gesellschafter neben der Gesellschaft unbeschränkt als Gesamtschuldner. Abweichend von § 723 BGB kann im Gesellschaftsvertrag das Eintreten und Ausscheiden von Gesellschaftern zugelassen werden. Tritt ein Gesellschafter aus, verliert er seine gesamthänderische Beteiligung, die den anderen Gesellschaftern anwächst. Bei Eintritt eines Neugesellschafters verringert sich der gesamthänderische Anteil der Altgesellschafter an der GbR und wächst dem neuen Gesellschafter hinzu. Die Gesellschaft kann, falls sie nicht für eine bestimmte Zeit eingegangen ist, von jedem Gesellschafter jederzeit nach § 723 BGB gekündigt werden. Bei Ausscheiden eines Gesellschafters stellt sich oft die Frage, wie dieser abzufinden ist. Die Auseinandersetzung beim Ausscheiden ist geregelt in § 738 BGB. Dem ausscheidenden Gesellschafter ist eine Abfindung zu zahlen und er ist von gemeinschaftlichen Schulden zu befreien. Die Abfindung berechnet sich nach dem Verkehrswert, der durch eine Auseinandersetzungs- oder Abschichtungsbilanz zu ermitteln ist. Im Gesellschaftsvertrag kann auch vereinbart werden, dass der
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ausscheidende Gesellschafter lediglich nach dem so genannten Buchwert (Saldo der Konten des Gesellschafters zzgl. seines Anteils an offenen Rücklagen) abgefunden wird. d. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die GmbH ist eine in das Handelsregister eingetragene Handelsgesellschaft (Kapitalgesellschaft) mit eigener Rechtspersönlichkeit, die zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden kann und bei der sämtliche Mitglieder mit Einlagen auf das Stammkapital beteiligt sind, aber kein Mitglied persönlich für die Gesellschaftsschulden haftet. Gesellschafter einer GmbH kann jede natürliche oder juristische Person oder auch ein Treuhänder sein, der dann die Rechte und Pflichten für den Treugeber wahrnimmt. Zulässig ist auch die so genannte Ein-Mann-GmbH. Zur Gründung einer GmbH sind mehrere Schritte notwendig: Zunächst ist der Gesellschaftsvertrag notariell abzuschließen, es ist die Bestellung mindestens eines Geschäftsführers notwendig, die Stammeinlagen sind durch die Gesellschafter zu übernehmen, auf die Stammeinlagen ist eine entsprechende Leistung zu erbringen, die GmbH ist beim Handelsregister anzumelden und wird registergerichtlich geprüft. Mit der Eintragung der GmbH im Handelsregister entsteht die Gesellschaft, sie ist im Anschluss bekannt zu machen. Das Stammkapital beträgt € 25.000,00. Jeder Gesellschafter muss einen Geschäftsanteil im Werte von mindestens € 100,00 besitzen. Insgesamt muss die Stammeinlage eines jeden Gesellschafters durch € 50,00 teilbar sein. Die Haftung ist gegenüber Gläubigern der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Ein Gesellschafter haftet nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister in der Regel nur noch für die Erbringung und die Vollwertigkeit seiner Einlage. Es können sich jedoch unter bestimmten Umständen Nachschusspflichten ergeben. So genannte kapitalersetzende Darlehen werden bei der Insolvenz der Gesellschaft wie haftendes Kapital behandelt. Die GmbH wird durch den Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Von der Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis ist das Innenverhältnis des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft zu unterscheiden. Während im Innenverhältnis die Befugnisse des Geschäftsführers beschränkt werden dürfen, vertritt der Geschäftsführer die GmbH gegenüber Dritten mit unbeschränkbaren Befugnissen. Die Bestellung des Geschäftsführers erfolgt durch Gesellschafterbeschluss, sie ist zur Eintragung im Handelsregister anzumelden. e. Die Offene Handelsgesellschaft Eine OHG (§§ 123 ff. HGB) ist eine Personenhandelsgesellschaft, in der regelmäßig ein Handelsgewerbe betrieben wird und alle Gesellschafter mit ihrem gesamten Vermögen neben der Gesellschaft selbst für Gesellschaftsschulden haften. Die OHG kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden, sie ist rechtlich selbstständig, jedoch nicht selbst rechtsfähig. Die OHG hat eine Firma, Gesellschafter können natürliche und juristische Personen sein. Sie ist ins Handelsregister einzutragen, entsteht jedoch bereits durch die Aufnahme eines Handelsgewerbes im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB. Alle Gesellschafter sind geschäftsführungsbefugt, soweit im Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthalten ist. Jeder Gesellschafter kann die Gesellschaft nach außen alleine vertreten. Gesellschafterbeschlüsse werden in Gesellschafterversammlungen getroffen. Einberufung
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und Ablauf der Versammlungen sind im HGB geregelt. Beschlüsse bedürfen – soweit im Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt ist – der Einstimmigkeit. Die Gesellschaft kann nach §§ 132, 134, 134 HGB durch einen Gesellschafter oder Privatgläubiger gekündigt werden; eine Auflösung kann auch durch gerichtliche Entscheidung erfolgen. Ein Wechsel im Bestand der Gesellschafter ist möglich, bedarf jedoch der Zustimmung der übrigen Gesellschafter. Aus wichtigem Grund können Gesellschafter ausgeschlossen werden. Im Falle des Ausscheidens ist eine Abfindung zu bezahlen. Wie das Abfindungsguthaben berechnet wird, ist sehr umstritten. Auch in OHG-Gesellschaftsverträgen finden sich meist Abfindungsregelungen, die zum Schutz des Fortbestands der Gesellschaft eine Berechnung der Abfindung zu Buchwerten zulassen. f. Die Kommanditgesellschaft Die Kommanditgesellschaft (KG) ist gemäß § 161 Abs. 1 HGB auf dem Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet. Gegenüber den Gesellschaftsgläubigern muss lediglich ein Gesellschafter (Komplementär) voll haften, die übrigen Gesellschafter (Kommanditisten) können ihre Haftung auf die Leistung einer bestimmten Vermögenseinlage in die Gesellschaft beschränken. Die KG ist eine Personengesellschaft ohne juristische Person. Gesellschafter können natürliche und juristische Personen sein, ist der persönlich haftende Gesellschafter eine GmbH, spricht man von einer GmbH & Co. KG. Die nicht persönlich haftenden Gesellschafter sind nicht zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt, haften nur bis zur Höhe ihrer Gesellschaftseinlage, falls sie diese vollständig geleistet haben. Soweit gesellschaftsvertraglich nichts anderes vereinbart ist, wird die Gesellschaft beim Tod eines Kommanditisten mit dessen Erben fortgesetzt, § 177 HGB. Über den Gesellschaftsanteil können die Gesellschafter nur mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter verfügen, soweit nichts anderes im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist. Die Aufnahme eines neuen Gesellschafters oder das Ausscheiden eines Gesellschafters berührt das Weiterbestehen der KG nicht. Die Gesellschaftsanteile werden durch „Anwachsung“ bzw. „Abwachsung“ übertragen.
Abkürzungsverzeichnis GbR OHG GmbH KG AÜG ArbZG BetrVG BErzGG BundesurlaubsG BGB EGV HGB JArbSchG
Gesellschaft bürgerlichen Rechts Offene Handelsgesellschaft Gesellschaft mit beschränkter Haftung Kommanditgesellschaft Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Arbeitszeitgesetz Betriebsverfassungsgesetz Bundeserziehungsgeldgesetz Bundesurlaubsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Handelsgesetzbuch Jugendarbeitsschutzgesetz
Arbeits- und Wirtschaftsrecht KSchG MuSchG SGB II SGB IX TVG TzBfG
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Kündigungsschutzgesetz Mutterschutzgesetz Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Tarifvertragsgesetz Teilzeit- und Befristungsgesetz
Verzeichnis der im Text angesprochenen Gesetze Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom 03.02.1995 (AÜG) Arbeitszeitgesetz vom 06.06.1994 (ArbZG) Betriebsverfassungsgesetz vom 25.09.2001 (BetrVG) Bundeserziehungsgeldgesetz vom 09.02.2004 (BErzGG) Bundesurlaubsgesetz vom 08.01.1963 (BundesurlaubsG) Bürgerliches Gesetzbuch vom 02.01.2002 (BGB) Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft vom 02.10.1997 (EGV) Handelsgesetzbuch vom 10.05.1897 (HGB) Jugendarbeitsschutzgesetz vom 12.04.1976 (JArbSchG) Kündigungsschutzgesetz vom 25.08.1969 (KSchG) Mutterschutzgesetz vom 20.06.2002 (MuSchG) Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 24.12.2003 (SGB II) Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.06.2001 (SGB IX) Tarifvertragsgesetz vom 25.08.1969 (TVG) Teilzeit- und Befristungsgesetz vom 21.12.2000 (TzBfG)
Urheber- und Lizenzrecht Hermann Mayer
Einleitung Aus der anwaltlichen Praxis heraus lässt sich sagen, dass in nahezu jedem in der Medienwirtschaft abgeschlossenen Vertrag unter anderem Rechte an immateriellen Gütern eingeräumt werden. Damit enthält nahezu jeder in der Medienwirtschaft abgeschlossene Vertrag auch Elemente eines Lizenzvertrages. Die Kenntnis der Grundzüge des Lizenzrechtes ist daher für jeden unerlässlich, der in der Medienwirtschaft gestaltend tätig ist. Die Rechtsordnung schützt zahlreiche immaterielle Güter und räumt ihren Inhabern bestimmte Rechtspositionen ein. Die wichtigsten immateriellen Güter der Medienwirtschaft allerdings sind nach wie vor die Urheber- und Leistungsschutzrechte. Das erste Kapitel führt den Leser daher zunächst in die Urheber- und Leistungsschutzrechte ein, bevor im zweiten Kapitel ein Überblick über die Besonderheiten des Lizenzvertragsrechts und weitere wichtige immaterielle Güter gegeben wird.
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Urheber- und Leistungsschutzrechte
1.1 Einleitung Das Urheberrecht schafft wesentliche Grundlagen dafür, dass kreatives Schaffen wirtschaftlich verwertet werden kann, indem es Urhebern im Hinblick auf die von ihnen geschaffenen Werke einen starken Schutz gewährt. Erst dieser Schutz ermöglicht es Urhebern, Anderen die Nutzung- und Verwertung ihrer Werke unter bestimmten Voraussetzungen zu gestatten und Dritten eine solche Nutzung und Verwertung zu untersagen. Die wesentlichen Regelungen finden sich in dem „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ (UrhG) vom 9. September 1965. Dieses Gesetz umfasst das gesamte Urheberrecht, einschließlich der mit dem Urheberrecht eng zusammenhängenden Leistungsschutzrechte.
1.2 Wie entstehen Urheberrechte? Das Urheberrecht an einem Werk entsteht in Deutschland, ohne dass es hierzu einer Anmeldung, eines speziellen Verfahrens oder einer Kennzeichnung des Werkes bedarf. Und zwar entsteht es in dem Moment, in dem der Urheber ein Werk der Literatur, Wissenschaft oder Kunst schafft (§ 1 UrhG).
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International werden deutsche Urheber grundsätzlich so behandelt wie in den jeweiligen Ländern ansässige Urheber. Auch besteht weltweit in wesentlichen Bereichen ein dem deutschen Urheberrecht vergleichbarer Schutzstandard. Dennoch gilt: Andere Länder andere Sitten. Einige Länder stellen besondere formale Anforderungen. Um seinen Werken auch in diesen Ländern effektiven urheberrechtlichen Schutz zu sichern, sollte man das international gebräuchliche ©-Zeichen an seinen Werken anbringen, einschließlich des vollständigen Namens des Urhebers und dem Jahr der Erstveröffentlichung. Übrigens hat ein solcher Copyright-Vermerk auch eine psychologische Wirkung, indem er jedermann deutlich macht: Dieses Werk ist geschützt!
1.3 Was schützt das Urheberrecht? Ob einem kreativ Schaffenden Urheberrechte zustehen, steht und fällt regelmäßig damit, ob er ein Werk im Sinne des Urheberrechts geschaffen hat oder nicht. Der zentrale Begriff des Urheberrechts ist damit ein unbestimmter Rechtsbegriff, das „Werk“. Nicht aus jedem kreativen Schaffen erwachsen Urheberrechte. Im schöpferischen Prozess werden Ideen zu Skizzen, diese zu ersten Entwürfen, welche zur fertigen Arbeit weiter entwickelt werden. Wäre jede Idee, jede Skizze urheberrechtlich geschützt, so hätte dies verheerende Folgen: Jeder, der einen Kreis in einer bestimmten Farbe zeichnet, könnte jedem anderen untersagen lassen, einen ähnlichen Kreis zu zeichnen oder auf sonstige Art und Weise zu reproduzieren. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „Werkes“ muss daher sachgerecht ausgefüllt werden. Das Urhebergesetz hilft hier nur bedingt weiter. Immerhin bestimmt es in § 2 Abs. 2 UrhG: „Werke im Sinne dieses Gesetzes sind nur persönliche geistige Schöpfungen.“
Geschützt sind demnach nur persönliche Schöpfungen, also Schöpfungen eines Menschen. Und zwar nur solche, die auf einer geistigen Leistung dieses Menschen beruhen, d.h. auf einem bewussten Tätigwerden, mit dem Ziel, ein Werk herzustellen. Keine Werke im Sinne des UrhG sind damit zum Beispiel reine Zufallsprodukte. Der Grenzbereich ist klar: Von Künstlern zum Kunstobjekt erklärte Alltagsobjekte, mit dem Zufall arbeitende Aktionskunst sowie zahlreiche Formen der Computerkunst – im Ergebnis haben Gerichte allerdings auch in solchen Fällen die geschaffenen Objekte meist als Werke im Sinne des UrhG angesehen. Die Gerichte interpretieren den Begriff Schöpfung dahingehend, dass ein Werk im Sinne des UrhG nur geschaffen ist, wenn etwas Neues zum Ausdruck gebracht wurde. Der geistige Inhalt, die Idee, muss daher eine konkrete Gestalt angenommen haben, die der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist und dieser Ausdruck der Idee muss etwas Neues darstellen: bloße Wiederholungen anderer Schöpfungen sind keine Werke, sondern stellen lediglich eine Wiedergabe bzw. Reproduktion solcher dar. Selbstverständlich ist nicht erforderlich, dass der Urheber etwas völlig Neues schafft der Urheber muss auf Bestehendem aufbauen können, da andernfalls jedes kreative Schaffen zum Erliegen käme. Von vorneherein nicht geschützt sind Stile, Techniken, Methoden, Mo-
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den oder bestimmte Geschmacksrichtungen. Diese müssen allgemein verfügbare Mittel zum Ausdruck einer Idee bleiben, auch wenn sie neu „geschaffen“ oder „entdeckt“ wurden. Weiter erkennen die Gerichte nur solchen Werken Urheberrechtschutz zu, die bestimmten qualitativen Maßstäben entsprechen. Die Begriffe und Abgrenzungskriterien, die verwendet werden, sind vielfältig, lassen sich jedoch letztlich auf zwei wesentliche Eigenschaften reduzieren: Ein Werk im Sinne des Urheberrechts muss eine überdurchschnittliche Gestaltungshöhe und Individualität aufweisen und sich so aus der Masse herausheben. Nicht individuell ist, was jeder so machen würde. Im Einzelfall kann die Unterscheidung, ob ein schutzfähiges Werk oder eine schutzlose Durchschnittsleistung (z.B. Gebrauchsdesign) vorliegt, problematisch sein, zumal an unterschiedliche Werkgattungen auch unterschiedliche Anforderungen gestellt werden, sowohl vom Gesetz als auch von den Gerichten. Einfacher wird die Abgrenzung auch nicht dadurch, dass unter § 2 Abs. 1 UrhG Werkgattungen aufgeführt werden, die insbesondere zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören. Auch Schöpfungen dieser Werkgattungen sind grundsätzlich nur dann geschützt, wenn sie die vorgenannten qualitativen Maßstäbe erreichen. Das Gesetz nennt in diesem Zusammenhang folgende Werkgattungen: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪ ▪
Sprachwerke, wie Schriftwerke, Reden und Computerprogramme; Werke der Musik; pantomimische Werke einschließlich der Werke der Tanzkunst; Werke der bildenden Künste einschließlich der Werke der Baukunst und angewandten Kunst und Entwürfe solcher Werke; Lichtbildwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Lichtbildwerke geschaffen werden; Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden; Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, wie Zeichnungen, Pläne, Karten, Skizzen, Tabellen und plastische Darstellungen.
Zu den Sprachwerken zählt der Gesetzgeber auch Computerprogramme. Diese sind in jeder Gestalt einschließlich des Entwurfsmaterials geschützt, nicht geschützt sind jedoch Ideen und Grundsätze, die einem Element des Computerprogramms zugrunde liegen. Computerprogramme sind ausdrücklich immer schon dann geschützt, wenn sie individuelle Werke in dem Sinne darstellen, dass sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Gesonderte qualitative Merkmale werden nicht gefordert (§ 69a Abs. 1–5 UrhG). Soweit einzelne Werkteile die oben erwähnten qualitativen Merkmale eines Werkes besitzen, sind auch diese geschützt. Auch die Verwendung kleinster Teile eines Werkes kann daher Urheberrechte Dritter verletzten! Selbstständig geschützte Werke können auch Übersetzungen und Bearbeitungen eines bereits vorhandenen Werkes sein (§ 3 UrhG) sowie Sammel- und Datenbankwerke, die aus einer Vielzahl bereits vorhandener Werke bestehen (§ 4 UrhG). Regelmäßig taucht die Frage auf, ob Ideen geschützt sind (z.B. für Fernseh-Formate oder Marketingkonzepte). Grundsätzlich gilt: Auch Ideen sind jedenfalls nur dann schutz-
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fähig, wenn sie bereits einen konkreten Ausdruck gefunden haben (z. B. im Rahmen einer Skizze, eines Exposés) und der Schutz nach dem Urhebergesetz greift immer erst dann ein, wenn diese konkrete Ausgestaltung der Idee auch die notwendige Gestaltungshöhe und Individualität besitzt. Praktisch gilt: Letzteres ist so gut wie nie der Fall und wenn, dann ermöglichen schon geringfügige Änderungen der Idee (z.B. des Fernseh-Formats, des MarketingKonzepts) eine Umgehung des Schutzes.
1.4 Wer ist Urheber? „Urheber ist der Schöpfer des Werkes“ (§ 7 UrhG).
Urheber ist damit ausschließlich derjenige, der das Werk tatsächlich geschaffen hat, was als das „Prinzip der Urheberwahrheit“ bezeichnet wird. Daher kann das Urheberrecht auch nicht durch Vertrag entstehen oder juristischen Personen zukommen. Doch was gilt, wenn mehrere Personen an der Entstehung eines Werkes beteiligt sind? Was ist mit denjenigen, die dem kreativ Schaffenden den Auftrag und Vorgaben zur Ausgestaltung des Werkes geben, denjenigen, die dem Schaffenden wichtige Ideen und Anregungen geben, denjenigen, die ihn bei der Ausführung des Werkes unterstützen und schließlich denjenigen, die möglicherweise gar zusammen mit ihm kreativ tätig sind? Auftraggeber, Arbeitgeber oder Besteller beschränken sich regelmäßig auf allgemeine Vorgaben. Die Individualität und die Gestaltungshöhe des Werkes, Voraussetzungen für den urheberrechtlichen Schutz, werden von ihnen nicht beeinflusst. Ihnen stehen daher meist keine Urheberrechte an dem Werk zu. Der Urheber überträgt ihnen lediglich Nutzungs- und Verwertungsrechte im Rahmen eines Lizenzvertrags. Ein Ideengeber, der dem Schöpfer eines Werkes Anregungen gibt, ohne selbst an der Ausgestaltung der für das Werk wesentlichen Ausdrucksform beteiligt zu sein, erwirbt ebenfalls keine Urheberrechte an dem Werk. Das Werk ist nicht Ausdruck seiner Individualität, sondern der des Schöpfers. Auch Gehilfen, die bei der Gestaltung ausschließlich nach Weisungen des eigentlichen Schöpfers handeln, sind nicht Urheber des geschaffenen Werkes. Sie unterstützen durch ihre Tätigkeit lediglich den Ausdruck der persönlichen geistigen Schöpfung eines anderen. Die Grenze zur Miturheberschaft ist im Einzelfall jedoch nicht immer einfach zu bestimmen, im Streitfall kommt es immer auf das jeweils erkennende Gericht an. Schaffen mehrere ein Werk gemeinsam, ohne dass sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, so sind sie Miturheber des Werkes (§ 8 Abs. 1 UrhG). Jede Veröffentlichung, Verwertung oder Änderung des Werkes bedarf der Einwilligung, also der vorherigen Zustimmung aller Miturheber. Diese Einwilligung darf ein Miturheber allerdings nicht wider Treu und Glauben verweigern (§ 8 Abs. 2 UrhG). Haben die Miturheber nichts anderes vereinbart, so werden die Erträgnisse aus der Nutzung des Werkes zwischen ihnen nach dem Umfang ihrer Mitwirkung an der Schöpfung des Werkes aufgeteilt (§ 8 Abs. 3 UrhG). Für die Praxis gilt daher: Sobald an der Schaffung eines Werkes Mehrere beteiligt sind, sei es als Auftraggeber, Ideengeber, Gehilfen oder Miturheber, sollte vorab überlegt werden, wem Urheberrechte zuwachsen könnten. Steht fest, dass kreativ Schaffende Miturheber sein
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werden, so sollte in jedem Fall eine Vereinbarung über die Verteilung der Erträgnisse getroffen werden und über die Voraussetzungen, unter denen eine Einwilligung zu bestimmten Nutzungen zu erteilen sein wird. Urheber können ihre Werke auch zu einer gemeinsamen Verwertung miteinander verbinden, so genannten „verbundenen Werken“. Für diesen Fall bestimmt § 9 UrhG, dass jeder von dem anderen die Einwilligung zur Veröffentlichung, Verwertung oder Änderung der verbundenen Werke verlangen kann, wenn ihm die Einwilligung nach Treu und Glauben zuzumuten ist. Von in Miturheberschaft geschaffenen Werken unterscheiden sich verbundene Werke dadurch, dass sich die einzelnen Werkbestandteile grundsätzlich unabhängig voneinander verwerten lassen, und insofern kein einheitliches Werk vorliegt. Von der Miturheberschaft und der Urheberschaft an verbundenen Werken wiederum ist die Bearbeitung eines Werkes zu unterscheiden. Eine Bearbeitung liegt immer dann vor, wenn für ein neues Werk ein bereits bestehendes Werk als Vorlage benutzt und hierdurch ein neues Werk geschaffen wird. Dieses neue Werk ist wie ein selbständiges Werk geschützt (§ 3 UrhG). Der Urheber der Vorlage ist nicht Miturheber, der Bearbeiter darf das Resultat jedoch nur veröffentlichen oder sonst wie verwerten, wenn der Urheber der Vorlage einwilligt (§ 23 Satz 1 UrhG). Teilweise bedarf bereits das Herstellen der Bearbeitung der Einwilligung des ursprünglichen Urhebers, so z.B. die Verfilmung von Werken oder die Bearbeitung von Datenbankwerken (§ 23 Satz 2 UrhG). Etwas anderes gilt im Falle der freien Benutzung eines Werkes, hierzu mehr unten unter „Schranken des Urheberrechts“.
1.5 Die Rechte des Urhebers „Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes“ (§ 11 UrhG).
Das Urhebergesetz unterscheidet dabei zwischen den Urheberpersönlichkeitsrechten (insbesondere §§ 12–14 UrhG), den Verwertungsrechten (insbesondere §§ 15–22 UrhG) sowie sonstigen Rechten des Urhebers. Die Urheberpersönlichkeitsrechte schützen die persönlichen und geistigen Interessen des Urhebers an seinem Werk. Im Rahmen des Lizenzrechtes und der wirtschaftlichen Verwertung eines Werkes spielen sie jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da die materiellen Interessen des Urhebers im Wesentlichen durch die Verwertungsrechte und gesetzlichen Vergütungsregelungen geschützt werden.
1.5.1
Urheberpersönlichkeitsrechte
Urheberpersönlichkeitsrechte sind im Wesentlichen das Veröffentlichungsrecht (§ 12 UrhG), das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) sowie das Recht auf Schutz vor Entstellung (§ 14 UrhG).
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Das Veröffentlichungsrecht gibt dem Urheber das Recht zu bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist (§ 12 Abs. 1 UrhG). Von seinem Veröffentlichungsrecht macht der Urheber häufig im Zusammenhang mit dem Abschluss von Lizenzverträgen Gebrauch, wenn er Dritten das Recht einräumt, dass Werk der Öffentlichkeit im Rahmen einer bestimmten Nutzungsart erstmalig zugänglich zu machen. Veröffentlicht ist das Werk dann allerdings erst, wenn es der Öffentlichkeit tatsächlich zugänglich gemacht worden ist (§ 6 Abs. 1 UrhG). Dritte kommen mit dem Werk aber häufig schon vor der Veröffentlichung in Kontakt (z.B. Teilnehmer an einer Probe zu einem noch nicht öffentlich aufgeführten Musikstück, Besucher der Werkstatt eines bildenden Künstlers oder auch Lektoren, die den Entwurf eines Autors mit diesem diskutieren). Das Gesetz schützt den Urheber daher auch vor unliebsamer Berichterstattung über das zukünftige Werk oder den Schaffensprozess: Einzig ihm ist es vorbehalten, den Inhalt seines Werkes öffentlich mitzuteilen oder zu beschreiben, solange weder das Werk noch der wesentliche Inhalt oder eine Beschreibung des Werkes mit seiner Zustimmung veröffentlicht ist (§ 12 Abs. 2 UrhG). Der Urheber hat weiter das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft am Werk. Er kann bestimmen, ob das Werk mit einer Urheberbezeichnung zu versehen und welche Bezeichnung zu verwenden ist (§ 13 UrhG). Der Urheber hat schließlich das Recht auf Schutz vor Entstellung. Er darf eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden (§ 14 UrhG). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Recht des Urhebers auf Zugang zu Werkstücken unter bestimmten Umständen (§ 25 UrhG) sowie das Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung, soweit dem Urheber wegen seiner gewandelten Auffassung die Verwertung seines bisherigen Werkes durch einen Dritten nicht mehr zumutbar ist (§ 42 UrhG).
1.5.2
Verwertungsrechte
Die Verwertungsrechte des Urhebers sind von zentraler Bedeutung für die gesamte Medienwirtschaft, da sie das erste und wesentliche Glied jeder urheberrechtlichen Verwertungskette sind. Die Verwertungsrechte selbst sind nicht übertragbar und stehen ausschließlich dem Urheber zu. Der Urheber kann daher jedem Dritten eine entsprechende Nutzung- und Verwertung seines Werkes untersagen. Der Urheber kann Dritten allerdings auch Nutzungsrechte an seinen Verwertungsrechten einräumen, durch die diese dann die Befugnis erwerben, das Werk auf die gestattete Art zu nutzen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 UrhG). Dies ist die Grundlage der für die Medienwirtschaft so wichtigen Verwertungsketten. Der Inhalt dieser Nutzungsrechte ist „gebunden“, d.h. der Urheber kann Nutzungsrechte nur insoweit einräumen, wie ihm Verwertungsrechte zustehen. Wer wissen will, welche Nutzungsrechte er erwerben kann und muss, sollte demnach wissen, welche Verwertungsrechte es grundsätzlich gibt. Die Verwertungsrechte des Urhebers umfassen eine große Anzahl verschiedener Einzelrechte. Letztlich gibt es für jede bestehende Nutzungsart auch ein entsprechendes Ver-
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wertungsrecht. Meist empfiehlt es sich, die Verwertungsrechte bzw. die eingeräumten Nutzungsrechte genau zu bezeichnen. In urheberrechtlichen Lizenzverträgen finden sich daher regelmäßig umfangreiche „Rechtekataloge“. Üblicherweise wird ein Nutzungsrecht in diesen Rechtekatalogen zunächst mit einem Schlagwort bezeichnet und sodann definiert, welche Nutzungshandlungen dieses Recht umfassen soll. Es empfiehlt sich daher, den Rechtekatalog genau zu lesen, auch wenn dieser „nur“ eine Anlage zu dem Vertrag sein sollte. Im Ergebnis kommt es immer auf die genaue Definition des eingeräumten Nutzungsrechts an und nicht auf das Schlagwort, mit dem dieses bezeichnet wurde. Dies gilt übrigens auch für die nachstehend angeführten Begriffe „Multimediarecht“ und „Recht zur Werbung und Klammerteilauswertung“. Je nach Definition variieren die Nutzungshandlungen, die diesen Begriffen zugeordnet werden. Das Gesetz nennt einige Verwertungsrechte ausdrücklich. Es untergliedert diese grob in das Recht des Urhebers, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten (§ 15 Abs. 1 UrhG) und das Recht des Urhebers, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (§ 15 Abs. 2 UrhG). Letzteres wird auch als das „Recht der öffentlichen Wiedergabe“ bezeichnet. Das Recht des Urhebers, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten, umfasst insbesondere das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) und das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG). Das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) ist das Recht festzulegen, ob, in welcher Weise und in welcher Anzahl Vervielfältigungsstücke seines Werkes hergestellt werden. Das Vervielfältigungsrecht umfasst insbesondere auch die Übertragung des Werkes auf Bild- und Tonträger, das Kopieren von Bild- und Tonträgern sowie vorübergehende Vervielfältigungen z.B. im Zusammenhang mit Caching. Vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen Bestandteil eines technischen Verfahrens darstellen (zu nennen sind hier insbesondere die ständigen Speichervorgänge auf Servern von Internet-Zugangs-Providern), können allerdings unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Einräumung entsprechender Nutzungsrechte durch Dritte vorgenommen werden (§ 44a UrhG). Der Urheber hat insoweit kein ausschließliches Recht. Das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) ist das Recht des Urhebers, das Original oder Vervielfältigungsstücke seines Werkes in der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen, z.B. durch Verkaufen, Verschenken, Vermieten, Verleihen. Dieses Recht des Urhebers erlischt im Wesentlichen, wenn das Original oder Vervielfältigungsstücke hiervon mit Zustimmung des Urhebers durch Veräußerung in Verkehr gebracht wurden (§ 17 Abs. 2 UrhG). Dann hat der Urheber keine Möglichkeit mehr, die Verbreitung zu verhindern. Das Ausstellungsrecht (§ 18 UrhG) ist das Recht des Urhebers, das Original oder Vervielfältigungsstücke seines unveröffentlichten Werkes zur Schau zu stellen, soweit es sich um ein Werk der bildenden Künste oder ein Lichtbildwerk handelt. Das Recht der öffentlichen Wiedergabe umfasst insbesondere das Vortrags-, Aufführungs- und Vorführungsrecht (§ 19 UrhG), das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG), das Senderecht (§ 20 UrhG), das Recht der öffentlichen Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (§ 21 UrhG) sowie das Recht der Wiedergabe von Funksendungen und von öffentlicher Zugänglichmachung (§22 UrhB). Das Vortragsrecht (§ 19 Abs. 1 UrhG) ist das Recht, ein Sprachwerk durch persönliche Darbietung öffentlich zu Gehör zu bringen.
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Das Aufführungsrecht (§ 19 Abs. 2 UrhG) ist das Recht, ein Werk der Musik durch persönliche Darbietung zu Gehör zu bringen oder ein Werk öffentlich bühnenmäßig darzustellen. Das Vorführungsrecht (§ 19 Abs. 4 UrhG) ist das Recht, ein Werk der bildenden Künste, ein Lichtbildwerk, ein Filmwerk oder Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art mittels Einrichtungen technischer Art öffentlich wahrnehmbar zu machen. Neu im Gesetz, doch seit Verbreitung des Internets schon lange in den „Rechtekatalogen“ der Medienwirtschaft, ist das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG), oder auch „right of making available to the public“. Dies ist das Recht des Urhebers, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten Ihrer Wahl zugänglich ist. Wird das Werk durch Funk oder ähnliche technische Einrichtungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, so spricht man von dem Senderecht (§ 20 UrhG) mit den Sonderfällen des Rechts der Satellitensendung (§ 20a UrhG) und des Rechts der Kabelweitersendung (§ 20b UrhG). Weiterhin steht dem Urheber das Recht der Wiedergabe durch Bild- und Tonträger (§ 21 UrhG) zu. Zu nennen sind auch noch das zuvor bereits ausführlich angesprochene Bearbeitungsrecht (§23 UrhG), sowie das mit diesem verwandte, im Gesetz jedoch nicht genannte Multimediarecht. Letzteres ist das Recht, das Werk mit einem oder mehreren anderen Werken zu einem „multimedialen“ Werk zu verbinden. Ebenfalls nicht im Gesetz geregelt ist das Recht zur Werbung und Klammerteilauswertung. Es umfasst das Recht, Teile des Werkes zu Werbezwecken zu verwenden und das Recht Teile des Werks in andere Produktionen aufzunehmen und diese ihrerseits zu verwerten.
1.5.3
Sonstige Rechte, insbesondere gesetzliche Vergütungsansprüche
Weitere, insbesondere finanzielle Ansprüche des Urhebers ergeben sich aus dem so genannten Folgerecht, wonach der Urheber eines Werks der bildenden Künste unter bestimmten Umständen Ansprüche auf Beteiligung am Verkaufserlös des Werkes hat (§ 26 UrhG). Teilweise sind auch urheberrechtliche Werke ohne Genehmigung des Urhebers frei nutzbar, jedoch steht dem Urheber in diesen Fällen eine angemessene Vergütung zu. In diesen Fällen spricht man von so genannten gesetzlichen Lizenzen. Solche Vergütungsansprüche hat der Urheber insbesondere gegenüber Herstellern von Geräten zur Überspielung von einem Bild- oder Tonträger auf einen anderen sowie gegenüber Herstellern von Geräten zur Ablichtung von Werken (§§ 54, 54a ff). Auch im Falle von Vermietung und Verleihen des Werkes steht dem Urheber unter bestimmten Voraussetzungen eine Vergütung zu. Viele dieser Vergütungsansprüche können vom Urheber nicht selbst, sondern nur unter Einschaltung von Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden.
Urheber- und Lizenzrecht 1.5.4
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Vergütungsgestaltung mit Urhebern
Auf eine wichtige Neuregelung und ihre Konsequenzen für die Gestaltung von Lizenzverträgen soll bereits an dieser Stelle hingewiesen werden: Am 1. Juli 2002 ist das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz wurden wichtige Bestimmungen über die Gegenleistung, die Urheber für die Einräumung von Nutzungsrechten zu erhalten haben, in das Urhebergesetz eingefügt. Meist erfolgt die Vergütung an Urheber in Form einer Einmalzahlung, die mitunter sämtliche Verwendungen im Rahmen der mit der Lizenz eingeräumten Nutzungsrechte abgelten soll (so genannter „Buy-out“). Entsprechende Vergütungsregelungen sind vor allem für Unternehmen der Medienwirtschaft interessant, da sie auch bei massenweisen Lizenzierungen den Vorteil einer einfachen Handhabung bieten. Mitunter finden sich auch Kombinationen derartiger Einmalzahlungen mit dem über Verwertungsgesellschaften abzurechnenden Vergütungen kombiniert, insbesondere hinsichtlich solcher Rechte, die nicht an Verwertungsgesellschaften abgetreten wurden. Daneben finden sich mannigfaltige Ausgestaltungen von Vergütungsregelungen, bei denen der Urheber anteilig an der Nutzung des Werkes oder den dadurch erzielten Erlösen beteiligt wird. Oft sind derartige Vergütungsregelungen gestaffelt nach dem Umfang der Nutzungshandlungen, gegebenenfalls auch durch Höchstbeträge begrenzt. Im Zuge der vorgenannten Gesetzesreform wurde der Anspruch des Urhebers und des ausübenden Künstlers auf eine angemessene Vergütung gemäß § 32 UrhG eingeführt. Grundsätzlich hat der Urheber bzw. der ausübende Künstler gemäß § 32 Abs. 1 UrhG nur einen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Ist jedoch die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt eine angemessene Vergütung als vereinbart. Ist diese vereinbarte Vergütung nicht angemessen, so kann der Berechtigte von seinem Vertragspartner eine Vertragsanpassung verlangen, durch die ihm eine angemessene Vergütung gewährt wird. Bei der Frage, wann eine Vergütung angemessen ist, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen Zu diesem Zeitpunkt muss die Vergütung dem entsprechen, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist. Anhaltspunkte sind hier insbesondere Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte, insbesondere Dauer und Zeitpunkt der Nutzung. Es versteht sich von selbst, dass eine umfassende Einräumung von Nutzungsrechten eine höhere Vergütung als angemessen erscheinen lässt, als die Einräumung von beschränkten, einfachen Nutzungsrechten für eine kurze Zeit. Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung ist nicht abdingbar. Ein Verzicht auf diesen Anspruch ist nur insoweit möglich, als das der Urheber unentgeltlich ein Nutzungsrecht für Jedermann einräumen kann (Linux-Klausel, § 32 Abs. 3 Satz 3 UrhG). Eine Verzichtserklärung gegenüber einem einzigen Vertragspartner ist unwirksam. Probleme bereitet diese Regelung selbstverständlich bei der Bestimmung, welche Vergütung angemessen ist und welche nicht. Entschärft wird dieses Problem dadurch, dass Vereinigungen von Urhebern und Werknutzern gemeinsame Vergütungsregelungen aufstellen können. Die in diesen vorgesehenen Vergütung gilt dann unwiderlegbar als angemessen (§ 36 UrhG).
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Neben dem Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 32 UrhG kommt auch noch eine weitere Beteiligung des Urhebers nach § 32 a UrhG in Frage. Unterschied ist, dass bei dem Anspruch auf angemessene Vergütung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, hinsichtlich des Anspruches auf weitere Beteiligungen des Urhebers jedoch auf die tatsächlich erfolgten Nutzungshandlungen. Voraussetzung für diesen Anspruch auf weitere Beteiligung des Urhebers ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen der vertraglich geschuldeten Vergütung und den Vorteilen, die der Lizenznehmer aus der tatsächlichen Nutzung des Werkes zieht. Der Anspruch aus § 32 a UrhG richtet sich nicht nur gegen den Vertragspartner, sondern u.U. auch gegen Unterlizenznehmer des Vertragspartners oder weitere an einer Lizenzkette Beteiligte. Auch auf seinen Anspruch auf weitere Beteiligung kann der Urheber bzw. ausübende Künstler nicht verzichten. Unterlizenznehmer oder in einer Lizenzkette nachgelagerte Verwerter werden daher ihren eigenen Vertragspartnern regelmäßig im Innenverhältnis die Last für das Risiko der Zahlung einer weiteren Beteiligung des Urhebers aufbürden. Auch nach der jetzigen Fassung des Urheberrechtsgesetzes sind Festpreisvergütungen möglich. Dennoch werden Vergütungsregelungen mit Urhebern mehr und mehr einen Anteil erfolgsabhängiger Beteiligungen vorsehen, um das Risiko zu verringern, Ansprüchen des Urhebers auf weitere Beteiligung nach § 32 a UrhG ausgesetzt zu sein.
1.6 Schranken des Urheberrechts Der Urheber muss verschiedene gesetzliche Einschränkungen seines Rechtes hinnehmen. So wird das Urheberrecht nicht berührt im Falle der so genannten freien Benutzung (§ 24 UrhG) eines Werkes. Hiervon spricht man dann, wenn ein selbständiges Werk in freier Benutzung des Werks eines Anderen geschaffen worden ist. Dies bedeutet, dass das neue Werk gegenüber dem alten Werk selbständig sein muss und sich nicht darauf beschränkt, das alte Werk mehr oder weniger zu übernehmen. Die freie Benutzung ist übrigens ausgeschlossen im Bereich der Musik. Von der freien Benutzung zu unterscheiden ist das Recht auf freie Nutzung eines Werkes. So ist beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Vervielfältigung von Werken zum privaten und zum eigenen Gebrauch zulässig (§ 53 UrhG), ebenso die Übernahme von Zitaten aus fremden Werken (§ 51 UrhG), weiterhin die Werknutzung zu Zwecken der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit (§ 45 UrhG) zulässig, zu allgemeinen Informations- und Bildungszwecken (§§ 46 bis 50 UrhG) und teilweise auch in anderen Bereichen, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.
1.7 Schutzfrist und Übertragbarkeit Die allgemeine Schutzfrist für das Urheberrecht läuft von der Schaffung des Werkes an während der gesamten Lebensdauer des Urhebers bis 70 Jahre nach seinem Tode und erlischt danach (§ 64 UrhG). Im Falle der Miturheberschaft erlischt das Urheberrecht erst 70 Jahre
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nach dem Tod des längstlebenden Miturhebers (§ 65 Abs. 1 UrhG). Allerdings gelten hier für bestimmte Werke abweichende Schutzfristen. Mit dem Erlöschen des Urheberrechts wird das Werk gemeinfrei, das heißt, es kann von jedermann ohne Zustimmung des Urhebers verwendet werden. Konsequenz der engen Verbindung zwischen den persönlichkeitsrechtlichen und vermögensrechtlichen Befugnissen innerhalb des Urheberrechts ist die Tatsache, dass das Urheberrecht nur von Todes wegen übertragen werden kann, also im Wege der Erbfolge. Im Gegensatz zu vielen anderen Schutzrechten ist eine Übertragung durch Rechtsgeschäft nicht möglich (§ 29 UrhG). Das Gesetz gestattet allerdings, dass der Urheber, wie oben ausführlich beschrieben, Dritten Nutzungsrechte an seinen Verwertungsrechten einräumt, das heißt, das Dritten gestattet wird, das Werk auf einzelne oder mehrere Arten zu nutzen (§ 31 UrhG).
1.8 Schutz gegen Rechtsverletzungen Im Fall der Verletzung des Urheberrechts kommen dem Urheber verschiedene Ansprüche gegen den Verletzer zu (§§ 97–102 UrhG). Zunächst kann er vom Verletzer die Unterlassung einer zukünftigen Beeinträchtigung des Urheberrechts und die Wiederherstellung des bisherigen Zustandes verlangen. Diese Ansprüche stehen dem Urheber zu, unabhängig davon, ob der Verletzer schuldhaft gehandelt hat oder nicht. Unter Umständen hat der Urheber auch einen Anspruch auf Vernichtung von Vervielfältigungsstücken und den dazu erforderlichen Vorrichtungen. Weiterhin kommt dem Urheber, wenn der Verletzer schuldhaft gehandelt hat, noch ein Schadensersatzanspruch zu. Zur Berechnung des Schadensersatzes hat der Urheber verschiedene Möglichkeiten. Er kann entweder vom Verletzer den Gewinn verlangen, den er, das heißt der Urheber, normalerweise gemacht hätte (entgangener Gewinn). Nach seiner Wahl kann der Urheber aber auch die Herausgabe des Gewinns verlangen, welchen der Verletzer gemacht hat. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, dass der Urheber vom Verletzer denjenigen Betrag verlangt, den dieser im Falle des Abschlusses eines Lizenzvertrages hätte zahlen müssen. Der Urheber ist aber nicht nur zivilrechtlich gegen die Verletzung des Urheberrechtes geschützt. Auch das Strafrecht enthält entsprechende Bestimmungen und sieht für die unerlaubte Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke Geldstrafe sowie Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, im Falle der gewerbsmäßigen Begehung der Tat sogar bis zu fünf Jahren vor (§§ 106–108 b UrhG).
1.9 Leistungsschutzrechte Neben den Urheberrechten im strengen Sinne sind innerhalb des Urheberrechtsgesetzes auch noch andere Rechte geregelt, die zwar keine Urheberrechte darstellen, jedoch mit diesen eng verwandt sind, die so genannten Leistungsschutzrechte. Derartige Rechte entstehen insbesondere zugunsten der ausübenden Künstler (§§ 73 ff. UrhG), das heißt derjenigen, die ein Werk vortragen, aufführen oder hierbei künstlerisch mitwirken. Solche Darbietungen dürfen nur mit Einverständnis des Künstlers genutzt werden,
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was etwa Aufnahmen auf Bild- und Tonträger oder die Sendung durch Funk betrifft. In diesen Fällen stehen den Künstlern gesetzliche Vergütungsrechte zu. Besonders geschützt sind auch die Hersteller von Tonträgern (§§ 85 f. UrhG), die das ausschließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung ihrer Tonträger und einen Anspruch auf Vergütung im Falle von Vermietung oder Verleihen des Tonträgers haben. In ähnlicher Weise hat der Filmhersteller das ausschließliche Recht, den Film zu vervielfältigen und zur öffentlichen Vorführung oder Funksendung zu benutzen (§ 94 UrhG). Im Falle der Vermietung oder Verleihung kann auch er eine Vergütung verlangen. Von zunehmender Bedeutung ist die Regelung über die Rechte von Datenbankherstellern (§§ 87a, 87e UrhG) Diese haben das ausschließliche Recht, die Datenbank insgesamt oder zu einem wesentlichen Teil zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Auch hier findet sich eine entsprechende Vergütungsregelung für den Fall von Leihe oder Vermietung. Zu erwähnen ist auch die Regelung über die Rechte von Sendeunternehmen (§ 87 UrhG), denen das ausschließliche Recht zukommt, ihre Funksendungen weiterzusenden, aufzunehmen etc. Die Schutzfristen für die genannten Leistungsschutzrechte sind unterschiedlich und variieren zwischen 15 und 50 Jahren. Im Falle von Verletzungen des Leistungsschutzrechtes durch Dritte kann der Rechtsinhaber im Wesentlichen die gleichen Rechte gegenüber dem Verletzer geltend machen, die auch dem Urheber zukommen (§§ 97 ff. UrhG). Er hat also einen Anspruch auf Unterlassung, Wiederherstellung, ggf. Vernichtung der Vervielfältigungsstücke und im Übrigen auch einen Schadensersatzanspruch. Das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 hat die letzten gesetzlichen Neuerungen des Urheberrechtsgesetzes bewirkt. So sind beispielsweise nach § 95 a UrhG technische Maßnahmen besonderes geschützt. Wirksame technische Maßnahmen zum Schutz eines geschützten Werks dürfen ohne Zustimmung des Rechtsinhabers nicht umgangen werden, soweit dem Handelnden bekannt ist oder den Umständen nach bekannt sein muss, dass die Umgehung erfolgt, um den Zugang zu einem solchen Werk zu ermöglichen. Als solche technischen Maßnahmen nennt das Gesetz in § 95a Abs. 2 UrhG Technologien, Vorrichtungen und Bestandteile, die im normalen Betrieb dazu bestimmt sind, geschützte Werke oder andere nach dem Urheberrechtsgesetz geschützte Schutzgegenstände betreffende Handlungen, die vom Rechtsinhaber nicht genehmigt sind, zu verhindern oder einzuschränken.
2
Lizenzrecht
2.1 Einleitung Unter einer Lizenz versteht man die Befugnis, immaterielle Güter eines anderen nutzen zu dürfen. Da die Medienwirtschaft im Wesentlichen vom Handel mit immateriellen Gütern lebt, ist die Kenntnis der Grundzüge des Lizenzrechtes für jeden unerlässlich, der in der Medienwirtschaft gestaltend tätig ist. Die Rechtsordnung schützt zahlreiche immaterielle Güter und räumt ihren Inhabern bestimmte Rechtspositionen ein. Zu nennen sind hier insbesondere Patente, Gebrauchsmuster,
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Marken- und Kennzeichenrechte, Geschmacksmuster, persönlichkeitsrechtliche Immaterialgüter und schließlich die vorstehend schon ausführlich behandelten Urheber- und Leistungsschutzrechte. Lizenzen können jedoch auch an immateriellen Gütern eingeräumt werden, die von der Rechtsordnung nicht geschützt werden, so zum Beispiel an dem so genannten Know-how. Schon die zahlreichen immateriellen Güter, die durch die Rechtsordnung geschützt sind, zeigen, dass das Lizenzrecht äußerst vielschichtig ist. In der Folge kann daher nur ein Überblick über die wesentlichen Grundlagen gegeben werden. Aus der anwaltlichen Praxis heraus lässt sich sagen, dass nahezu jeder in der Medienwirtschaft abgeschlossene Vertrag in der einen oder anderen Weise die Einräumung von Rechten an immateriellen Gütern beinhaltet oder wenigstens voraussetzt. Jedoch ist nicht jeder Vertrag, in dem Lizenzen eingeräumt werden, ausschließlich ein Lizenzvertrag. Oft ist die so genannte „Rechteeinräumung“ nur Bestandteil eines umfangreicheren Vertrages, der zum Beispiel auch die Herstellung eines körperlichen Werkes, die Entwicklung bestimmter Verfahren oder Dienstleistungen umfasst. Die folgenden Ziffern führen den Leser daher zunächst in die Besonderheiten des Lizenzvertragsrechts ein, bevor ein Überblick über die weiteren wichtigen immateriellen Güter und besondere Verwertungsmodelle gegeben wird.
2.2 Lizenzvertragsrecht Den „Lizenzvertrag“ gibt es nicht. Jeder Lebenssachverhalt, jedes Vertriebskonzept ist anders, was sich auch in den entsprechenden Verträgen widerspiegeln muss. Besonders wichtig sind eindeutige vertragliche Regelungen bei Lizenzverträgen, da die Grundlagen des Lizenzvertragsrechts, anders als zum Beispiel des Werk- oder Dienstvertragsrechtes, im Gesetz nur äußerst unzureichend allgemein geregelt sind. Im Falle unklarer Bestimmungen kann daher im Lizenzvertragsrecht regelmäßig nicht auf gesetzliche Regelungen zurückgegriffen werden. In der Folge werden für den Lizenzvertrag charakteristische Vertragsbestimmungen erläutert. In diesen praktischen Rahmen werden dann auch wichtige Begriffe des Lizenzrechtes erklärt. Die nachfolgend angeführten Vertragsbestandteile müssen sich nicht zwangsläufig in jedem Lizenzvertrag wieder finden.
2.2.1
Die Überschrift
Die Überschrift eines Vertrages ist lediglich Indiz für dessen Inhalt. Im Streitfalle würde ein Gericht auch auf einen „Mietvertrag“ überschriebenen Vertrag Werkvertragsrecht anwenden, wenn statt der mietweisen Überlassung einer Sache die Herstellung eines Werkes geschuldet ist. Dennoch sollte – soweit möglich – die Überschrift des Vertrages bereits zuverlässig auf die wesentlichen Vertragsinhalte hinweisen. Eine in der Medienwirtschaft mittlerweile standardmäßig verwendete Überschrift lautet „Kooperationsvertrag“. Gut ist daran, dass hier wenigstens keine falsche Fährte gelegt wird, da im weitesten Sinne jeder Vertragsschluss sich auf eine Kooperation beziehen wird. Manchmal jedoch wünschte man sich schon in der Vertragsüberschrift einen Hinweis darauf, um welche Art der Kooperation es sich handelt
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und insbesondere auch einen Hinweis auf in diesem Zusammenhang eingeräumte Lizenz, zum Beispiel durch die Überschrift „Lizenz- und Kooperationsvertrag“.
2.2.2
Das Vertragsrubrum
Im Vertragsrubrum werden die Parteien bezeichnet. Dabei sollte die Bezeichnung der Parteien nicht nur deren Namen und Anschrift umfassen. Vielmehr sind bei juristischen Personen auch die Vertretungsberechtigten zu nennen. Selbstverständlich ist auch deren korrekte Anschrift anzugeben. Gerade wenn der Vertragspartner einem Firmenverbund angehört, sollte besonderer Wert auf eine genaue Bezeichnung des Vertragspartners gelegt werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass es innerhalb dieses Firmenverbundes eine oder mehrere Firmen mit ähnlicher Bezeichnung gibt. Häufig empfiehlt es sich, den Vertragsparteien im Vertragsrubrum auch noch Kurzbezeichnungen zuzuordnen und diese Kurzbezeichnungen der Parteien sodann im folgenden Vertragstext zu verwenden. Die Lesbarkeit des Vertrages erhöht sich dadurch wesentlich.
2.2.3
Die Präambel
Gerade bei Lizenzverträgen hat es sich als sinnvoll erwiesen, eine Präambel voranzustellen. Inhalt und Umfang dieser Präambel richten sich regelmäßig nach Inhalt und Umfang des zu regelnden Lebenssachverhaltes. Die Präambel erfüllt mehrere Zwecke. Rechtlich bietet sie wichtige Anhaltspunkte für die Vertragsauslegung und die so genannte Geschäftsgrundlage des Vertrages. Praktisch wichtigster Zweck jedoch ist, einem unbedarften Dritten das Verständnis des gesamten Vertrages zu erleichtern, in dem diesem zunächst kurz erläutert wird, wer die Parteien sind, was sie machen und warum sie diesen Vertrag schließen. Gerade bei umfangreicheren Verträgen bietet es sich an, bereits in dem erläuternden Text der Präambel wesentliche Definitionen einzubeziehen, die dann verbindlich innerhalb des gesamten Vertragstextes verwendet werden. Entsprechend präzise sollte die Präambel formuliert werden. Soweit Begriffe, die in dem Vertragstext immer wieder benötigt werden, nicht in einer gesonderten Präambel definiert werden sollen, können diese auch am Anfang des Vertrages definiert werden oder erst an der Stelle im Vertragstext, an der sie zum ersten Mal Verwendung finden. Durch die geschickte Definition von Begriffen und die immer wiederkehrende Verwendung einmal definierter Begriffe in dem Vertragstext kann die Lesbarkeit des gesamten Vertrages wesentlich erhöht werden. Es ist jedoch unbedingt darauf zu achten, dass einmal definierte Begriffe immer in dem definierten Sinne verwendet werden, um nicht unnötige Risiken im Zusammenhang mit der Vertragsauslegung zu eröffnen.
Urheber- und Lizenzrecht 2.2.4
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Art und Umfang der Lizenz
Zentrale Stellung innerhalb eines Lizenzvertrages nehmen selbstverständlich die Regelungen zu Art und Umfang der Lizenz selbst ein. Art und Umfang von Lizenzen können auf vielfältige Weise differenziert werden. Beim Abschluss von Lizenzverträgen oder bei der Beurteilung von Lizenzverträgen sollte man diese Differenzierungsmöglichkeiten im Hinterkopf haben, um deutlicher erkennen zu können, was von der Lizenz umfasst wird und was nicht. Grob lässt sich differenzieren nach der Art des immateriellen Gutes, nach dem Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte sowie nach der Art der eingeräumten Nutzungsrechte. Aufgrund der praktischen Bedeutung sollen einigen Kriterien, die bei einer Differenzierung nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte regelmäßig zur Anwendung kommen, im Folgenden kurz dargestellt werden:
2.2.4.1 Einfach/Exklusiv Erteilt der Lizenzgeber einem Lizenznehmer nur eine einfache Lizenz, so ist es ihm unbenommen, mit Wettbewerbern des Lizenznehmers entsprechende Nutzungsvereinbarungen abzuschließen, soweit nicht an anderer Stelle des Lizenzvertrages etwas Abweichendes bestimmt ist. Der Lizenznehmer hat hinsichtlich Art und Umfang der erteilten Lizenz keine Alleinstellung gegenüber seinen Wettbewerbern. Anders bei der exklusiven Lizenz: Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen der so genannten ausschließlichen Lizenz und der so genannten alleinigen Lizenz (Achtung: insoweit verwendet die Praxis zahlreiche unterschiedliche Terminologien). Die ausschließliche Lizenz gibt dem Lizenznehmer die alleinige Befugnis, innerhalb des sonstigen Umfangs der erteilten Lizenz das lizenzierte Recht alleine auszuüben. Soweit nichts anderes bestimmt, wird sie inhaltlich regelmäßig so vergeben, dass dem Lizenzgeber nur noch das rein formale Recht an dem immateriellen Gut verbleibt, während sich sämtliche Nutzungsrechte im sonstigen Umfang der Lizenz bei dem Lizenznehmer befinden. Mit der ausschließlichen Lizenz erhält der Lizenznehmer nicht nur die Möglichkeit, das lizenzierte Recht alleine auszuüben, sondern regelmäßig auch ein gegen Jedermann wirkendes Ausschlussrecht. Dieses ermöglicht, nicht nur Dritte auf Unterlassung und Schadensersatz zu verklagen, die von der Lizenz umfasste Benutzungshandlungen vornehmen, sondern entsprechend auch gegen den Lizenzgeber vorzugehen. Das heißt: Auch der Lizenzgeber darf in dem von der ausschließlichen Lizenz umfassenden Umfang keine eigenen Nutzungshandlungen mehr vornehmen. Daher gewinnt zunehmend die so genannte alleinige Lizenz an Bedeutung. Im Gegensatz zur ausschließlichen Lizenz behält der Lizenzgeber im Rahmen einer alleinigen Lizenz ein eigenes Nutzungsrecht. Wird eine „Exklusivlizenz“ vergeben, so empfiehlt es sich jedenfalls, Bestimmungen darüber aufzunehmen, ob und in welchem Umfang der Lizenzgeber neben dem Lizenznehmer das lizenzierte Recht weiterhin nutzen kann.
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2.2.4.2 Produktions-, Gebrauchs- und Vertriebslizenz Diese Unterteilung findet sich hauptsächlich bei Patent-, Gebrauchs- und Geschmacksmusterlizenzen, kann jedoch auch im Zusammenhang mit Markenlizenzverträgen auftauchen, soweit die Nutzung der mit einer Marke versehenen Gegenstände näher eingegrenzt werden soll. Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass eine erteilte Lizenz zur Herstellung, Vertrieb und Gebrauch der lizenzierten Waren berechtigt. Im Zweifel wird der pauschal verwendete Begriff der Herstellungslizenz alle weiteren Nutzungsarten mit einschließen. Dennoch ist es möglich, dass die Lizenz ihrem Inhalt nach beschränkt werden kann. Bei der reinen Vertriebslizenz ist der Lizenznehmer nicht dazu berechtigt, die lizenzierten Waren herzustellen. Die Herstellung wird in diesem Fall regelmäßig durch den Lizenzgeber oder auch von dem Lizenzgeber eingeschaltete weiterer Unternehmer erfolgen. Der Lizenznehmer ist nur dazu berechtigt, die Ware zu vertreiben und darf in diesem Zusammenhang regelmäßig auch Dritte einschalten, soweit dies zum Vertrieb der Ware nötig ist. Es empfiehlt sich jedoch regelmäßig festzulegen, wie weit die Befugnis des Lizenznehmers zur Einschaltung Dritter im Einzelnen reicht, um Streit darüber zu vermeiden, ob für bestimmte Handlungen Dritter bereits Unterlizenzverträge abzuschließen gewesen wären. Bei der Herstellungslizenz ist dem Lizenznehmer das Recht eingeräumt, den Gegenstand selbst zu produzieren. Aufgrund der fehlenden Vertriebsmöglichkeit des Lizenznehmers werden derartige Lizenzverträge regelmäßig so ausgestaltet sein, dass den Lizenzgeber eine korrespondierende Abnahmeverpflichtung trifft. Bei der Gebrauchslizenz ist dem Lizenznehmer nur die Benützung oder der Gebrauch der Ware erlaubt. Ein Unterfall der Gebrauchslizenz und in gewisser Hinsicht auch der Herstellungslizenz ist die so genannte Entwicklungslizenz. Der Lizenznehmer erwirbt hier die Berechtigung, den Gegenstand der Lizenz weiter zu entwickeln. Eine Möglichkeit, von der insbesondere wirtschaftlich schwächere Lizenzgeber häufig Gebrauch machen, die finanziell nicht dazu in der Lage sind, ihre Erfindungen bis zur Serienreife eigenständig weiter zu entwickeln.
2.2.4.3 Sonstige Beschränkungen Selbstverständlich ist bei einer Beschränkung des Lizenzumfangs immer auch daran zu denken, für welches Gebiet, für welche Zeitdauer und gegebenenfalls für welche Mengen die Lizenz erteilt wird. Hinzu kommt die Möglichkeit, die Lizenz auf bestimmte Anwendungsbereiche zu beschränken, eine Möglichkeit, von der insbesondere im Zusammenhang mit technischen Neuentwicklungen Gebrauch gemacht wird. Abschließend ist noch auf den Begriff der so genannten Kreuzlizenz hinzuweisen, bei der die Einräumung von Nutzungsrechten von der Einräumung von Gegennutzungsrechten an einem immateriellen Gut abhängig gemacht wird.
Urheber- und Lizenzrecht 2.2.5
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Übertragbarkeit der Lizenz und Unterlizenzvergaben
Ein Lizenzgeber wird sich regelmäßig vorbehalten, die Übertragung einer Lizenz oder die Vergabe von Unterlizenzen von seiner vorherigen schriftlichen Zustimmung abhängig zu machen. Hintergrund ist, dass einzig so wirksam verhindert werden kann, dass Unternehmen mit ungenügender finanzieller Ausstattung Vertragspartner werden oder wichtige Konkurrenten Nutzungsrechte erwerben. Wird einem Lizenznehmer das Recht eingeräumt, Unterlizenzen zu vergeben, so wird regelmäßig auch eine Beteiligung des Lizenzgebers an den entsprechenden Einnahmen des Lizenznehmers vorgesehen.
2.2.6
Lizenzgebühren und Abrechnung
Grundsätzlich werden vier Arten von Lizenzgebühren verwendet, teilweise auch miteinander kombiniert: Die Pauschallizenz, die Stücklizenz, die Wertlizenz und die Gewinnlizenz. Die beiden ersten Arten sind relativ kompliziert in der Handhabung und benötigen eine umfangreiche Absicherung durch Kontrollmechanismen. Die Wertlizenz benutzt als Bezugsgröße zur Berechnung der Höhe der Lizenzgebühr den Verkaufswert der Lizenzprodukte, die Gewinnlizenz regelmäßig den auf den Umsatz der Lizenzprodukte entfallenden Gewinn. Einfacher zu handhaben sind die Stücklizenz, die auf einer festgelegten Gebühr pro lizenziertem Einzelstück fußt und die Pauschallizenz, die grundsätzlich ohne zusätzliches Kontrollinstrumentarium auskommen kann, da hier regelmäßig einer oder mehrere Festbeträge vereinbart werden. Je nach Art der vereinbarten Lizenzgebühr sind mehr oder weniger umfangreiche Regelungen zur Gebührenabrechnung notwendig. Neben den Berechnungsgrundlagen für die Lizenzgebühr sollten auch Abrechnungszeitpunkt und -fälligkeit genau bestimmt werden. Häufig werden auch Regelungen zu gesonderten Buchführungspflichten betreffend die Lizenzgegenstände und entsprechende Einsichtsrechte des Lizenzgebers vorgesehen, die es dem Lizenzgeber ermöglichen, ohne größeren Aufwand die regelmäßig vom Lizenznehmer erstellten Abrechnungen zu überprüfen. Oft wird vorgesehen, dass die Kosten für entsprechende Einsichtnahmen in die Bücher des Lizenznehmers der Lizenzgeber trägt, sofern die Aufzeichnungen nicht bis zu einem gewissen Prozentsatz zum Nachteil des Lizenzgebers von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichen. Häufig findet sich in Lizenzverträgen auch eine Regelung zur Meistbegünstigung, in der sich der Lizenzgeber verpflichtet, falls in Lizenzverträgen mit Dritten diesem günstigere Bedingungen eingeräumt werden, diese günstigeren Bedingungen auch dem Lizenznehmer einzuräumen.
2.2.7
Drittstreitigkeiten und Nichtangriffspflicht
Rechte an immateriellen Gütern sind häufig Angriffen von Dritten ausgesetzt. Ebenso kann jedes Immaterialgut leicht durch geschäftliche Aktivitäten Dritter verletzt werden. Daher werden häufig umfangreiche Regelungen getroffen, wie im Falle von Drittstreitigkeiten
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vorzugehen ist und welche Verantwortlichkeiten dabei den Lizenzgeber oder den Lizenznehmer treffen. Oft wird auch eine Nichtangriffspflicht des Lizenznehmers ausdrücklich vorgesehen, obwohl sich diese bereits aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt, der jedenfalls immer dann Anwendung findet, wenn deutsches Recht vereinbart wird.
2.3 Das Patentrecht Bei dem Patentrecht handelt es sich um ein technisches Schutzrecht. Gegenstand eines Patents kann nur eine Erfindung sein, die neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 PatG). Der Begriff der Erfindung ist im Gesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung liegt eine Erfindung vor bei einer Anweisung, die Kräfte, Stoffe oder Energien der Natur zur unmittelbaren Herbeiführung eines wiederholbaren Erfolges nutzt. Es muss also eine technische Lösung für ein konkretes technisches Problem vorgeschlagen werden, und ein Fachmann muss dieses Problem mit den Mitteln des Patents vollständig lösen können. Der Begriff der Erfindung ist im Gesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung liegt eine Erfindung vor bei einer Anweisung, die Kräfte, Stoffe oder Energien der Natur zur unmittelbaren Herbeiführung eines wiederholbaren Erfolges nutzt. Es muss also eine technische Lösung für ein konkretes technisches Problem vorgeschlagen werden, und ein Fachmann muss dieses Problem mit den Mitteln des Patents vollständig lösen können. Die Erfindung ist neu, wenn sie nicht zu dem derzeitigen Stand der Technik gehört (§ 3 PatG). Dabei wird der Begriff „Stand der Technik“ vom Gesetz in einem objektiven Sinne definiert, d.h. es handelt sich hierbei um alle Kenntnisse, die durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Eine erfinderische Tätigkeit liegt vor, wenn sich die Erfindung für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 4 PatG). Nicht patentierbar ist somit eine Erfindung, die lediglich auf den derzeitigen Stand der Technik aufbaut und eine Neuerung bringt, die ohnehin aufgrund des Standes der Technik nahe liegend war. Die Erfindung ist gewerblich anwendbar, wenn der Gegenstand auf irgendeinem gewerblichen Gebiet einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder benutzt werden kann (§ 5 PatG). Legt man die zuvor genannten Voraussetzungen zugrunde, so ergibt sich, dass bestimmte Gegenstände nicht patentiert werden können. Das Gesetz enthält eine beispielhafte Aufzählung der Gegenstände, die keine Erfindungen darstellen (§ 1 Abs. 3 PatG). Hierzu gehören beispielsweise Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen, Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten oder Spiele sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen. Nicht patentierfähig sind im Übrigen auch Erfindungen, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würden. Insbesondere werden Patente nicht erteilt für Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität, der Keimbahn des menschlichen Lebewesen, die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken sowie Verfahren zur Veränderung der genetischen
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Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere (§ 2 PatG). Für Pflanzensorten und Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren werden keine Patente erteilt (§ 2 a PatG). Inhaltlich unterscheidet man bei Patenten zwei große Hauptgruppen, die Erzeugnispatente und die Verfahrenspatente. Wie der Name bereits sagt, beziehen sich Erzeugnispatente auf fertige Endprodukte, während Verfahrenspatente die Art und Weise der Herstellung eines gewissen Produktes betreffen. Das Patentrecht entsteht nicht ohne weiteres mit der Erfindung. Vielmehr muss die Erfindung beim Patentamt angemeldet werden (§§ 34 ff. PatG). Das Patentamt führt ein kompliziertes Prüfungsverfahren durch. Das Verfahren endet mit der Erteilung des Patents, wenn hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind. Zwei unterschiedliche Rechte sind zu unterscheiden: Das Recht auf das Patent und das Recht aus dem Patent. Das Recht auf das Patent bedeutet, dass derjenige oder diejenigen, welche die Erfindung gemacht haben, auch berechtigt sind, die Erfindung patentieren zu lassen. Die Rechte aus dem Patent sind die Rechtswirkungen, welche sich nach der erfolgten Patentierung der neuen Erfindung ergeben. Hierauf werden wir gleich noch eingehen. Die Rechtswirkungen des Patents bestehen insbesondere darin, dass nur der Patentinhaber befugt ist, die Erfindung zu benutzen (§ 9 PatG). Im Falle eines Erzeugnispatents dürfen Dritte das Erzeugnis nicht herstellen, anbieten, in Verkehr bringen oder benutzen. Geht es um ein Verfahrenspatent, so dürfen Dritte das Verfahren nicht anwenden, zur Anwendung anbieten oder die durch dieses Verfahren unmittelbar hergestellten Produkte anbieten, in Verkehr bringen oder gebrauchen. Diese genannten Schutzwirkungen des Patents gelten aber nicht uneingeschränkt. Beispielsweise sind Handlungen, die das Patentrecht verletzen würden, im privaten Bereich oder zu Versuchszwecken zulässig (§ 11 PatG). Außerdem werden von der Eintragung eines Patents diejenigen Personen nicht betroffen, die zur Zeit der Anmeldung des Patents die Erfindung schon in Benutzung hatten. Die Schutzdauer des Patents erstreckt sich auf 20 Jahre und kann nicht verlängert werden (§ 16 PatG). Das Patentrecht und auch das Recht auf Erteilung eines Patents gehen im Wege der Erbfolge auf den Erben über. Außerdem ist es möglich, beide Rechte teilweise oder vollständig durch Vertrag auf Dritte zu übertragen (§ 15 PatG). Genau wie die Inhaber der bereits vorgestellten anderen Schutzrechte, hat auch der Patentinhaber gegenüber Verletzern des Patents Auskunfts-, Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche (§§ 139 ff. PatG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann er auch die Vernichtung der im Besitz des Verletzers befindlichen Erzeugnisse verlangen. Im Übrigen ist auch hier die Verletzung des Schutzrechts strafbar und kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, bei gewerbsmäßiger Verletzung bis zu fünf Jahren bestraft werden (§ 142 PatG).
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2.4 Das Gebrauchsmusterrecht Auch das Gebrauchsmusterrecht ist ein technisches Schutzrecht und eng mit dem Patentrecht verwandt. Es wird oft als „kleiner Bruder“ des Patentrechts oder als „kleines Schutzrecht“ im Gegensatz zum Patent als „großem Schutzrecht“ bezeichnet. Als Gebrauchsmuster kann geschützt werden eine Erfindung, die neu ist, auf einem erfinderischen Schritt beruht und gewerblich anwendbar ist (§ 1 Abs. 1 GebrMG). In der Praxis stellt das Gebrauchsmuster ein sehr wichtiges Schutzrecht für die kleineren Erfindungen dar, die entweder die Voraussetzungen des Patents nicht erfüllen oder für die sich eine Patentanmeldung mit dem damit verknüpften erheblichen Aufwand nicht lohnt. Der Unterschied liegt darin, dass bei einem Patent eine „erfinderische Tätigkeit“ gefordert ist, während bei einem Gebrauchsmuster ein „erfinderischer Schritt“ gegeben sein muss. Diese Bezeichnung „erfinderischer Schritt“ bringt zum Ausdruck, dass im Verhältnis zum Patentrecht nur ein geringeres Maß an erfinderischer Leistung gefordert ist. Der Unterschied zwischen beiden Schutzrechten besteht weiter darin, dass Verfahren nicht als Gebrauchsmuster schutzfähig sind. Als Gebrauchsmuster angemeldet werden können daher nur Erzeugnisse, Anordnungen und Vorrichtungen (§ 1 Abs. 2 GebrMG). Die Schutzdauer des Gebrauchsmusters erstreckt sich auf drei Jahre, kann aber um jeweils zwei auf insgesamt maximal zehn Jahre verlängert werden (§ 23 GebrMG). Im Übrigen kann auf die Erläuterungen zu den Patenten verwiesen werden, da die gesetzlichen Regelungen einander weitestgehend entsprechen.
2.5 Das Geschmacksmusterrecht Seit dem 1. Juni 2004 gilt ein neues Geschmacksmustergesetz. Hierfür wurde nicht nur die Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (98/71 EG) in das deutsche Recht umgesetzt, vielmehr wurde das gesamte Gesetz neu gefasst. Nach altem Recht war lediglich ein „gewerbliches Muster oder Modell“ geschützt. Was darunter zu verstehen war, wurde von der Rechtssprechung definiert. Nunmehr enthält § 1 GeschmMG eine eigene Definition. Unter einem Muster ist zu verstehen „die zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt“. Ein „Erzeugnis“ ist nach der gesetzlichen Definition „jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich Verpackung, Ausstattung, graphischer Symbole und typographischer Schriftzeichen sowie von Einzelheiten, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen; ein Computerprogramm gilt nicht als Erzeugnis“. Nach § 2 wird als Geschmacksmuster ein Muster geschützt, das neu ist und Eigenart hat. Es gilt als „neu“, wenn vor dem Anmeldetag kein identisches Muster offenbart worden ist. Das Gesetz versteht unter „identisch“, wenn sich die Muster in ihren Merkmalen nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden. Ein Muster hat eine „Eigenart“, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Muster bei diesem Benutzer hervorruft, das vor dem Anmelde-
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tag offenbart worden ist. Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Musters berücksichtigt. § 3 GeschmMG schließt bestimmte Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen oder Muster vom gesetzlichen Schutzbereich aus, beispielsweise Erscheinungsmerkmale von Erzeugnissen, die ausschließlich durch deren technische Funktion bedingt sind oder Muster, die gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen. Schutzgegenstand ist nach § 37 Abs. 1 GeschmMG der sichtbare Teil eines Musters, d.h. der Teil, der bei der Anmeldung offenbart wurde und nicht die Originalvorlage. Bereits früher war jedoch anerkannt, dass das, was sich aus der äußeren Form der Abbildung ergibt, geschützt ist, nicht jedoch alles andere. Nach § 7 GeschmMG ist Rechteinhaber der Entwerfer oder sein Rechtsnachfolger. Haben mehrere Personen gemeinsam ein Muster entworfen, so steht ihnen das Recht auf das Geschmacksmuster gemeinschaftlich zu. Wird ein Muster von einem Arbeitnehmer in Ausübung seiner Aufgaben oder nach den Weisungen seines Arbeitgebers entworfen, so steht das Recht dem Arbeitgeber zu, sofern vertraglich nichts anders vereinbart wurde. Das Muster ist zur Eintragung in das Register beim Deutschen Patent- und Markenamt anzumelden. Der Schutz entsteht gemäß § 27 Abs. 1 GeschmMG nicht mit der Anmeldung, sondern erst mit der Eintragung in das Register. Die Schutzdauer beträgt nach § 27 Abs. 2 GeschmMG 25 Jahre, gerechnet ab dem Tag der Anmeldung.
2.6 Die Marke Grundsätzlich sind alle Zeichen als Marke schutzfähig, soweit sie geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden (§ 3 MarkenG). Als derartige Zeichen kommen insbesondere in Betracht: Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, allerdings auch Hörzeichen und dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen. An die Unterscheidungskraft, also die Fähigkeit, Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, sind nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen. Denn ein Eintragungsverbot besteht dem Gesetzeswortlaut nur dann, wenn der Marke jegliche Unterscheidungskraft fehlt (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Die Art und Weise, wie Markenschutz entsteht, unterscheidet sich teilweise von der Entstehung der bisher erwähnten anderen gewerblichen Schutzrechte. Zunächst kann eine Marke durch Eintragung in das vom Patentamt geführte Register entstehen (§ 4 Nr. 1 MarkenG). Vollumfänglicher Markenschutz kann jedoch auch noch auf zwei andere Arten entstehen, die ausschließlich auf die Benutzung der Marke im Rechtsverkehr gestützt werden. Ein Zeichen erlangt danach zum einen alleine durch die Benutzung im geschäftlichen Verkehr Markenschutz, wenn das Zeichen innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Marke eine Verkehrsgeltung erworben hat (§ 4 Nr. 2 MarkenG). Hierunter versteht man, dass die Marke eine gewisse Wertschätzung und Bekanntheit besitzt. Sehr schwierig kann im Einzelfall die Frage sein, welchen Grad an Verkehrsgeltung ein Zeichen aufweisen muss, damit es
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Kraft Verkehrsgeltung den Markenschutz genießt. So kann z.B. der Schutz einer Marke, die unterscheidungskräftig ist und benutzt wird, bereits bei einer relativ niedrigen Verkehrgeltung gerechtfertigt sein, z.B. auch räumlich begrenzt auf ein bestimmtes Gebiet. Andererseits können bei nicht unterscheidungskräftigen oder freihaltebedürftigen Zeichen wesentlich höhere Anforderungen zu stellen sein. Eine weitere Möglichkeit des Markenschutzes ohne förmliches Eintragungsverfahren besteht für so genannte notorisch bekannte Marken. Für den Markenschutz genügt hier die notorische Bekanntheit im Rahmen einer ausländischen Benutzung (§ 4 Nr. 3 MarkenG). Im Unterschied zu der zuvor erwähnten Markeneigenschaft kraft Verkehrsgeltung, die ausschließlich auf den deutschen Bereich abstellt, kommt es hier auf die notorische Bekanntheit im Ausland an. Als Beispiel für derartig bekannte Marken kann z.B. Coca Cola oder Daimler Benz genannt werden. Der Markenschutz erstreckt sich immer auf bestimmte Arten von Waren oder Dienstleistungen, für welche die Marke eingetragen wurde oder Bekanntheit erlangt hat. So umfasst z.B. die Marke „Mercedes Benz“ in erster Linie den Automobilbau. Daher ist es zulässig, wenn sich eine Zigarettenmarke „Mercedes“ nennt. Allerdings gelten auch hier, je nach der Nähe der Waren oder Dienstleistungen und der Verwechslungsgefahr, Ausnahmen. Eine Eintragung als Marke ist ausgeschlossen, wenn der Eintragung absolute Schutzhindernisse entgegenstehen (§ 8 MarkenG). Von der ganzen Liste möglicher Schutzhindernisse möchte ich hier nur die zwei wichtigsten nennen: Die fehlende Unterscheidungskraft sowie das so genannte Freihaltebedürfnis. Auf das Problem der fehlenden Unterscheidungskraft habe ich oben bereits hingewiesen. Die Marke muss also geeignet sein, die Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Der Sinn des Freihaltebedürfnisses als Eintragungshindernis liegt darin, dass der Handelsverkehr vor Behinderungen geschützt werden soll, die in der Verwendung allgemein beschreibender Angaben durch ein einzelnes Unternehmen begründet sind. Man spricht hier von der Verhinderung der Monopolisierung von Marken. Als Beispiel wäre hier zu nennen, wenn ein Unternehmen eine Gattungsbezeichnung schützen lassen möchte (z.B. „Zeitung“). Die Marke ist für zehn Jahre geschützt, wobei nach Ablauf dieser Schutzfrist eine Verlängerung um jeweils wiederum zehn Jahre möglich ist (§ 47 MarkenG). Dritten ist es untersagt, ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr die identische Marke für identische Waren oder Dienstleistungen zu benutzen. Weiterhin ist es Dritten verboten, Zeichen zu benutzen, die wegen der Identität oder Ähnlichkeit mit der Marke oder der Identität oder Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen die Gefahr der Verwechslung begründen. Im Falle der Kollision mehrerer Marken gilt der so genannte Grundsatz der Priorität, wonach die zeitlich frühere Marke der späteren vorgeht (§ 6 MarkenG). Entsprechend hat der prioritätsältere Markeninhaber gegenüber dem Inhaber der prioritätsjüngeren Marke unter bestimmten Voraussetzungen einen Löschungsanspruch. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sowohl Marke als auch Waren oder Dienstleistungen, für welche die Marke eingetragen ist, identisch sind. Gleiches gilt, wenn wegen der Identität oder Ähnlichkeit der Marken oder der Identität oder Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr besteht. Hierbei unterscheidet man zwischen klanglicher, bildlicher bzw. schriftbildlicher Verwechslungsgefahr und Verwechslungsgefahr dem Sinngehalt
Urheber- und Lizenzrecht
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nach. Ein Löschungsanspruch ist weiterhin in dem Falle gegeben, dass die neue Marke mit der älteren identisch oder ähnlich ist, selbst wenn Waren oder Dienstleistungen nicht identisch oder ähnlich sind, wenn es sich bei der älteren Marke um eine bekannte Marke handelt und die Gefahr der Rufausbeutung oder Verwässerung der bekannten Marke gegeben ist. Auch dem Markeninhaber stehen gegen einen Verletzer der Marke verschiedene zivilrechtliche Ansprüche zu (§§ 14 ff. MarkenG). Auch das Markenrecht ist strafrechtlich geschützt (§ 143 MarkenG).
2.7 Geschäftliche Bezeichnungen Das Markenrecht schützt auch die so genannten geschäftlichen Bezeichnungen. Hierunter versteht das Gesetz zum einen Unternehmenskennzeichen und zum anderen Werktitel (§ 5 MarkenG). Unternehmenskennzeichen sind Zeichen, die im geschäftlichen Verkehr als Name, als Firma oder als besondere Bezeichnung eines Geschäftsbetriebes oder eines Unternehmens benutzt werden oder die in den beteiligten Verkehrskreisen als Kennzeichen des Geschäftsbetriebes gelten (§ 5 Abs. 2 MarkenG). Werktitel sind Namen oder besondere Bezeichnungen von Druckschriften, Filmwerken, Tonwerken, Bühnenwerken oder sonstigen vergleichbaren Werken (§ 5 Abs. 3 MarkenG). Für den Schutz der geschäftlichen Bezeichnung nach dem Markengesetz ist eine Registrierung nicht erforderlich. Vielmehr beginnt der Schutz unmittelbar mit der Verwendung der Bezeichnung. Für Werktitel z.B. von Büchern oder Fernsehsendungen etc. hat sich ein im Gesetz nicht vorgesehene, aber von der Rechtsprechung tolerierte Besonderheit herausgebildet. Hiernach kann bereits bis zu sechs Monaten vor der Aufnahme der Verwendung des Titels Schutz durch die Veröffentlichung so genannter Titelschutzanzeigen in speziellen Publikationsorganen erworben werden. Dies bedeutet in der Praxis, dass der Titelinhaber oder – wenn dieser anonym bleiben will – sein anwaltlicher Vertreter ankündigt, Titelschutz für einen bestimmten Titel in Anspruch nehmen zu wollen. Der Erwerb des Schutzes einer geschäftlichen Bezeichnung gewährt dem Inhaber ein ausschließliches Recht, das dem Markenrecht vergleichbar ist.
2.8 Merchandising Neben den klassischen Lizenzverträgen haben sich insbesondere in der Medienwirtschaft in den letzten Jahren Merchandisingverträge als eigenständige Vertragsform entwickelt. Der Begriff Merchandising wird je nach Rahmen und je nach Geschäftsfeld unterschiedlich verwendet. Grundsätzlich lässt sich der Gegenstand von Merchandising jedoch dahingehend definieren, dass Merchandising die Vermarktung von populären Erscheinungen, insbesondere fiktiven Figuren, realen Persönlichkeiten, Namen, Titeln, Designs und Bildern außerhalb ihres eigentlichen Verwertungsumfeldes durch die Einräumung von Rechten an Dritte zur wirtschaftlichen Verwertung zum Zwecke des Absatzes von Waren und Dienstleistungen einschließlich der Verkaufsförderung und Werbung ist.
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Für bestimmte Formen des Merchandisings haben sich gesonderte Bezeichnungen herausgebildet. So wird für die Sekundärvermarktung bekannter Marken der Begriff „Brand Merchandising“ verwendet, für die Sekundärvermarktung (fiktiver) Figuren der Begriff „Character Merchandising“ für die Vermarktung natürlicher Personen „Personality Merchandising“. Der besondere Erfolg von Vermarktungsmodellen im Bereich des Merchandisings beruht regelmäßig darauf, dass die emotional begründete Anziehungskraft des Merchandisingobjektes für eine erfolgreiche Sekundärvermarktung ausgenutzt wird. Konkrete, mit dem Merchandisingobjekt verbundene Qualitätsvorstellungen, treten dem gegenüber in den Hintergrund.
Abkürzungsverzeichnis UrhG PatG GebrMG GeschmMG MarkenG
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz Geschmacksmustergesetz Markengesetz
Verzeichnis der im Text angesprochenen Gesetze Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965 Patentgesetz vom 16. Dezember 1980 Gebrauchsmustergesetz vom 28. August 1986 Geschmacksmustergesetz vom 12. März 2004 Markengesetz vom 25. Oktober 1994
Europäisches Medienrecht Karsten Kensbock
1
Bedeutung des Europarechtes für die Medien und dessen Regelungsbereiche
Die Bedeutung des Europarechtes für das Medienrecht nimmt stetig zu. Diese auch in zahlreichen anderen Rechtsbereichen zu beobachtende Entwicklung fand zuletzt ihren vorläufigen Höhepunkt in der Novellierung der sogenannten EG-Fernsehrichtlinie1 durch die „Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“.2 Ein wesentlicher Punkt für die Geltung des Europarechtes im Bereich des Medienrechtes ist die Tatsache, dass sich der Rundfunk aufgrund der vielfältigen Ausbreitungsmöglichkeiten nicht an Ländergrenzen halten muss und hält. Dieser Ausbreitung des Rundfunks in der Fläche muss die Europäische Rechtsordnung Rechnung tragen. Das Europarecht findet seine Grundlage heute in den Gründungsverträgen, insbesondere in dem in Maastricht unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.19923, der am 01.11.1993 in Kraft trat. Die bis dahin gegebene „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ wurde in „Europäische Gemeinschaft“ umbenannt, die „Europäische Union“ entstand dabei als ein den europäischen Einigungsprozess tragender Staatenverbund.4 Wesentliches Vertragswerk in wirtschaftlicher Hinsicht ist der EG-Vertrag, der den Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ablöste.5 Einer umfassenden Regelung des Medienrechtes auf europäischer Ebene steht das europarechtliche Prinzip der begrenzten Ermächtigung entgegen. Nach Art. 5 EG-Vertrag ist es 1
Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 03.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG. Nr. L 298 vom 17.10.1989, Seite 23 ff; Berichtigung gem. ABL. EG. L 331 vom 16.11.1989, Seite 51 2 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG. Nr. L 332/27 vom 18.12.2007 3 Vertrag über die Europäische Union (92/C 191/01), ABL. EG Nr. C 191, vom 29.07.1992, der insbesondere den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ursprünglich Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftgemeinschaft) vom 25.03.1957 änderte, im folgenden „EG-Vertrag“ bzw. „EG“ genannt 4 Der am 2. Oktober 1997 unterzeichnete Vertrag von Amsterdam trat am 1. Mai 1999 in Kraft. Mit ihm wurden der EU- und der EG-Vertrag geändert und neu nummeriert. Ihm ist die konsolidierte Fassung des EU- und des EGVertrages beigefügt. Mit dem Vertrag von Amsterdam erhielten die bislang in die Buchstaben A bis S eingeteilten Artikel des Vertrages über die Europäische Union eine numerische Form. Gegenwärtig sind 27 Staaten Mitglied der EU, www.europa.eu. 5 Weitere Änderungen, die vorliegend jedoch nicht von Bedeutung sind, erfolgten durch: Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt Nr. C 340 vom 10. November 1997 sowie durch den Vertrag von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt Nr. C 80 vom 10. März 2001.
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der Union nur gestattet, in den Materien tätig zu werden, in denen ihr vertragliche Kompetenzen eingeräumt worden sind. Diese vertraglichen Kompetenzen bestehen im Bereich der Dienstleistungen, jedoch nicht für den Bereich der Kultur. Hier ist nach dem EG-Vertrag für die EU keine Regelungsbefugnis vorgesehen. Damit ist zunächst zu fragen, wie der Rundfunk im weiteren Sinne europarechtlich einzuordnen ist und ob er von den Regelungsbereichen des EG-Vertrages erfasst wird. Für den Bereich des Rundfunks ist durch den Europäischen Gerichtshof entschieden, dass dieser als Dienstleistung zu behandeln ist, womit in diesem Bereich die Dienstleistungsvorschriften des Gemeinschaftsrechtes und damit der EG-Vertrag Anwendung finden. Würde der Bereich der Medien oder des Rundfunks hingegen generell unter den Begriff der „Kultur“ fallen, so läge eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vor, Regelungsbefugnisse der EG wären nicht gegeben. Die Kultur ist nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland6 Sache der Bundesländer, so dass die Bundesländer in gesetzgeberischer Hinsicht Entscheidungsträger sind. Im Hinblick auf die sogenannte „EG-Fernsehrichtlinie“ wurde der Streit, ob der Bund rechtmäßiger Weise dieser EG-Fernsehrichtlinie zugestimmt hatte, bis vor das Bundesverfassungsgericht geführt.7 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Fall eine Verletzung der Rechte der Bundesländer aus Art. 70 Grundgesetz sowie eine Verletzung des damals geltenden Art. 24 GG als völkerrechtlicher Ermächtigungsgrundlage zur Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen und des Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens bejaht. Nicht zuletzt Folge dieser Entscheidung ist die Schaffung des Art. 23 GG, der das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union im weitesten Sinne grundlegend regelt. Sind im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Bundesländer betroffen, so ist nach Art. 23 GG bei der Willensbildung des Bundes die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen. Sind durch Rechtsetzungsakte der Europäischen Union im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen8, so soll die Wahrnehmung der Rechte der Länder vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter übertragen werden. Die Europäische Gemeinschaft ist als Normgeber eine überstaatliche Rechtsgemeinschaft mit eigener Rechtsordnung, deren unmittelbar aus dem EG-Vertrag resultierendes und aus der Befugnis zur Rechtsetzung aus dem EG-Vertrag sich ergebendes Recht eigenständig ist und aufgrund vertraglicher Rechtsübertragung in den Mitgliedstaaten der EU gilt. Für die Mitgliedstaaten bleibt daneben die eigene Rechtsordnung erhalten, Gemeinschaftsrecht und Rechtsordnung der Mitgliedstaaten bestehen nebeneinander, Gemeinschaftsrecht kann jedoch auch vorrangig vor nationalem Recht sein. Der eigenständige Rechtsgehalt des Gemeinschaftsrechtes resultiert aus der Zustimmung der Mitgliedstaaten, welche die „Herren der Verträge“ sind und damit noch die Allzuständigkeit besitzen. Jedoch haben die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung von Hoheitsbefug6
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, BGBl., S. 1, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28.08.2006, BGBl. I , S. 2934, im Folgenden „GG“ genannt. 7 Bundesverfassungsgericht vom 22.03.1995, 2 BVG 1/89, BVerfGE 92, Seite 203 ff. 8 eine Gesetzgebungsbefugnis von Bund oder Ländern vorliegt, ergibt sich aus den Art. 70 ff. GG.
Europäisches Medienrecht
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nissen teilweise an die EU abgegeben. In der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich dies aus den Voraussetzungen des vorgenannten Art. 23 GG. Auf dieser rechtlichen Grundlage erfolgen die Rechtsetzungsakte durch die Gemeinschaft. Die Möglichkeiten der Regelungsbefugnis und damit der Kompetenzen setzt sich daher auf nationaler Ebene fort, denn die nach dem Grundgesetz verteilten Kompetenzen zwischen Bund und Ländern spielen insoweit eine Rolle, als das Europarecht nicht in das Recht der Bundesländer eingreifen darf, jedoch das Europarecht dem Bundesrecht Vorgaben machen kann.
2
Geltung und Reichweite des Europarechts
Bei der Geltung des Europarechts und bei dessen Anwendung im nationalen Bereich ist stets danach zu differenzieren, von welcher Rechtsqualität die jeweilige europarechtliche Vorgabe ist. Die Rechtsordnung des EG-Vertrags dient zunächst der Verwirklichung der vertragsimmanenten Ziele, in erster Linie der Schaffung eines Binnenmarktes in der EU, Art. 2 EG. Dies kann jedoch nur dann gewährleistet werden, wenn im Rahmen der Regelungsbefugnis des Vertrages und des umgesetzten Rechtes dieses auch dem jeweiligen nationalen Recht vorgeht. Denn sonst wäre die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der Ziele diesen freigestellt und nicht unbedingt, d.h. zwingend an den Vorgaben der EU zu orientieren.
2.1 Primärrecht Das Recht des EG-Vertrages insgesamt untergliedert sich in Primär- und Sekundärrecht. Primärrecht ist insbesondere des Recht des EG-Vertrages und die in ihm enthaltenen Grundfreiheiten, wie Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39 EG), Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG), Freiheit des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs (Art. 28, 49, 56 EG), sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 12 EG). Bürger der Europäischen Union können sich unmittelbar auf Verletzungen der Grundfreiheiten berufen und auf dieser Grundlage auch gegen nationale Rechtsnormen vorgehen.9 Unter Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist dabei zu verstehen, dass jeder Arbeitnehmer bzw. Bürger der EU sich zur Arbeitsaufnahme in einen anderen Mitgliedstaat begeben darf, ohne hieran durch nationale Gesetze gehindert werden zu können. Ebenso ist es Unternehmen im Rahmen der Niederlassungsfreiheit gestattet, ihren Sitz in einen der Mitgliedstaaten der Union zu verlegen. Die Warenverkehrsfreiheit untersagt Import- und Exportbeschränkungen von Waren zwischen den Mitgliedstaaten der EU und ist damit für das Erreichen des Zieles „Binnenmarkt“ von wesentlicher Bedeutung. Dies gilt entsprechend auch im Rahmen der Kapitalver9
Es gibt nach Art. 249 EG-Vertrag noch weitere Rechtsakte der EG, wie beispielsweise Entscheidungen, unverbindliche Empfehlungen oder Stellungnahmen. Diese sind vorliegend jedoch nicht von Bedeutung.
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kehrsfreiheit. Von der Warenverkehrsfreiheit sind beispielsweise alle verkörperten Medien erfasst, wie Presseerzeugnisse, Bücher und Videokassetten. Die Dienstleistungsfreiheit erfasst nicht verkörperte Arbeitsergebnisse, die grenzüberschreitend angeboten werden. Ein wesentlicher Regelungspunkt des Primärrechtes ist das Diskriminierungsverbot. Hiernach ist unbeschadet besonderer Bestimmungen im Regelungsbereich des EG-Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten, wobei dies sich nur auf die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten erstreckt und nicht auf Angehörige von Drittstaaten.
2.2 Sekundärrecht Neben dem Primärrecht gibt es auf europarechtlicher Ebene noch das Sekundärrecht, also das Recht, welches von den Organen der Gemeinschaft der EG nach Maßgabe des EG-Vertrages geschaffen wurde. Hierzu gehören beispielsweise EG-Richtlinien oder EG-Verordnungen. EG-Verordnungen wirken dabei nach Art. 249 Abs. 2 EG ohne weitere Umsetzungsakte unmittelbar in das nationale Recht hinein und beanspruchen so unmittelbare Wirkung im nationalen Recht ohne nationalen gesetzgeberischen Umsetzungsakt. Bei EG-Richtlinien ist dies anders. Nach Art. 249 Abs. 3 EG gilt zunächst, dass eine EGRichtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist. Den innerstaatlichen Stellen wird die Wahl der Form und der Mittel bei der Umsetzung der Richtlinie überlassen. EG-Richtlinien müssen daher, bevor sie unmittelbare Geltung für den Bürger im nationalen Recht entfalten können, von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Dies geschieht dadurch, dass der Mitgliedstaat ein eigenes Gesetz erlässt, welches sich an den Vorgaben der EG-Richtlinie orientiert. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die nationalen Rechtsordnungen in Bereichen, die Richtlinien regeln in den Mitgliedstaaten aufgrund der europarechtlichen Vorgaben weitestgehend vergleichbar sind. Ein Bürger kann sich jedoch auch auf nicht umgesetzte Bestimmungen der EG-Richtlinien unmittelbar berufen, sofern die EG-Richtlinie unmittelbare Geltung entfaltet. Diese unmittelbare Wirkung im nationalen Recht besteht jedoch nur dann, wenn die Richtlinie klar und unbedingt ist und insbesondere ihre Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Ist die Umsetzungsfrist, also die zeitliche Vorgabe der EG gegenüber ihren Mitgliedstaaten zur Schaffung nationalen Rechtes auf Grundlage der Vorgaben der europäischen Richtlinie abgelaufen, so steht es jedem Bürger der Mitgliedstaaten frei, sich im täglichen Rechtsverkehr auf die Bestimmungen der Richtlinie zu berufen. Diese wirkt dann faktisch wie ein nationales Gesetz.
Europäisches Medienrecht 3
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Wesentliche Bereiche des Medienrechts mit europarechtlichen Einflüssen
3.1 Fernsehen Das Europarecht spielt im Bereich des Fernsehens als Medium - wie bereits oben erwähnt -heute eine wesentliche Rolle. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit dem Sitz in Luxemburg (EuGH) hat die Ausstrahlung grenzüberschreitender Fernsehprogramme 1974 als Dienstleistung qualifiziert. Es kommt dabei nicht darauf an, ob dies durch die Übermittlung von Funkwellen oder durch Kabel geschieht. Der EuGH untersagt diskriminierende Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Rundfunkbereich. Im Jahr 1989 wurde auf der Grundlage des sog. Grünbuchs10 „Fernsehen ohne Grenzen“ sowie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH die Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, kurz „EG-Fernsehrichtlinie“, verabschiedet.11 Durch die EG-Fernsehrichtlinie wurden erstmals einheitliche Mindeststandards für Werbung, Jugendschutz und Gegendarstellungsrecht zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt. Im Jahre 1997 wurde die ursprüngliche Richtlinie aus dem Jahre 1989 durch eine Änderungsrichtlinie modifiziert.12 Diese Richtlinie enthält weitgehende Regelungen zum Fernsehen und zu Multimediadiensten, wie sie insbesondere dem deutschen Recht bis dahin fremd waren. Nunmehr ist die EG-Fernsehrichtlinie in der Fassung der Änderungsrichtlinie zu beachten. Das Europäische Parlament hat bereits in seiner Sitzung vom 29. November 2007 die Novellierung der EU-Fernsehrichtlinie beschlossen. Die neue „Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“ (AVMS-Richtlinie) wurde bereits im Amtsblatt der EU veröffentlicht.13 Diese Richtlinie ist vom deutschen Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2009 in nationales Recht umzusetzen. Sollte dies nicht erfolgen, so gilt die AVMS-Richtlinie unmittelbar im deutschen Recht.14
10
Unter „Grünbuch“ sind von der EG-Kommission veröffentlichte Mitteilungen, die zu Diskussionen über einen bestimmten Politikbereich dienen, zu verstehen. In manchen Fällen ergeben sich daraus gesetzgeberische Maßnahmen. 11 Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 03.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG. Nr. L 298 vom 17.10.1989, Seite 23 ff; Berichtigung gem. ABL. EG. L 331vom 16.11.1989, Seite 51. 12 Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.06.1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG. Nr. L 202 vom 30.07.1997, Seite 60 ff. 13 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2007 zur Änderung der Richtlinien 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG. Nr. L 332/27 vom 18.12.2007. 14 vgl. hierzu 2.2
366 3.1.1
Karsten Kensbock EG-Fernsehrichtlinie
Die EG-Fernsehrichtlinie soll für gerechte Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt der EU sorgen und das Anbieten von Fernsehsendungen regeln. Sie besteht dabei aus den nachfolgend dargestellten wesentlichen Bereichen.
3.1.1.1 Sendestaatsprinzip Nach Artikel 2 Abs. 1 der EG-Fernsehrichtlinie hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass alle Fernsehsendungen, die von seiner Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstaltern gesendet werden, den Vorschriften des Rechtssystems entsprechen, die auf für die Allgemeinheit bestimmte Sendungen in diesem Mitgliedstaat anwendbar sind. Maßgeblich für die Rechtsunterworfenheit eines Rundfunkveranstalters unter das Rechtssystem eines Mitgliedstaates ist dabei die Niederlassung im Territorium des Mitgliedsstaates. Die Niederlassung ist am Sitz der Hauptverwaltung anzunehmen, in der die redaktionellen Entscheidungen über das Programmangebot getroffen werden, Artikel 2 Abs. 3 EG-Fernsehrichtlinie. In der EG-Fernsehrichtlinie ist das sogenannte Sendestaatsprinzip verankert. Entspricht eine Sendung den Vorschriften des Staates, in dem sie produziert wurde, so kann sie ungehindert in jedes andere Mitgliedsland ausgestrahlt werden. Andere Mitgliedstaaten dürfen den Empfang und die Weiterverbreitung einer Fernsehsendung aus einem anderen Mitgliedstaat nicht behindern. Eine Ausnahme, die vorübergehende Aussetzung der Weiterverbreitung einer Fernsehsendung, ist nach Art. 2 a Abs. 2 EG-Fernsehrichtlinie lediglich nach wiederholtem, bei der Kommission gerügtem Verstoß gegen die Vorschriften des Minderjährigenschutzes zulässig. Den Mitgliedstaaten verbleibt nach Art. 3 Abs. 1 EG-Fernsehrichtlinie jedoch das Recht, Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen als denen der Richtlinie zu unterwerfen. Es steht also jedem Mitgliedstaat frei, strengere Bestimmungen als die der EG-Fernsehrichtlinie aufzustellen. Mithin ist es auch jedem Mitgliedstaat möglich, für seinen Bereich eine eigenständige Kulturpolitik hinsichtlich des Rundfunks zu betreiben15. Kein Mitgliedstaat darf einen Rundfunksender zwingen, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, sich seinem Rundfunkrecht anzupassen.16 So wird die Kompetenz der Mitgliedstaaten letztlich durch das Sendestaatsprinzip unterlaufen. Dies gilt auch für Werbemaßnahmen, die in dem einen Vertragsstaat strenger gehandhabt werden als in einem anderen Vertragstaat, insbesondere hinsichtlich der Berechnung von Werbezeiten17. Die EG-Fernsehrichtlinie sieht bei der Berechnung von Werbezeiten dabei das sog. Bruttoprinzip vor. Bei der Anwendung des Bruttoprinzips ist zur Bestimmung der zulässigen Werbeunterbrechungen die Werbedauer in den Zeitraum der laufenden Sendung einzubeziehen. In vielen nationalen Rechtsordnungen ist jedoch das sog. Nettoprinzip maß15 16 17
EuGHE 1991, Seite I-2925 „ERT“ EuGHE 1991, Seite I 4007 „Mediawet“ EuGHE 1995, Seite I-179 „Leclerc“
Europäisches Medienrecht
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gebend. Bei diesem darf die Werbedauer nicht in die Zeit der laufenden Sendung einbezogen werden18. Die überarbeitete Fassung der Fernsehrichtlinie im Jahr 1997 erhielt eine wesentliche Ergänzung dahingehend, dass Mitgliedstaaten das Recht zusteht, hinsichtlich ihrer eigenen Fernsehveranstalter Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Ereignisse von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung nicht auf Ausschließlichkeitsbasis in der Weise übertragen werden, dass einem bedeutenden Teil der Öffentlichkeit die Möglichkeit vorenthalten wird, das Ereignis direkt oder zeitversetzt im „free-TV“ zu verfolgen. Durch diese Regelung der EG-Fernsehrichtlinie wird festgestellt, dass große Ereignisse dem „pay-TV“ entzogen werden können. Die Umsetzung in nationales Recht der Bundesrepublik Deutschland findet sich hierbei im Rundfunkstaatsvertrag.19
3.1.1.2 Förderung der Verbreitung und Herstellung europäischer Werke Die EG-Fernsehrichtlinie regelt in ihrem Kapitel III, Artikel 4 bis 9, zudem, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln dafür Sorge tragen müssen, dass die Fernsehveranstalter den Hauptanteil der Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sportberichten, Spielshows oder ähnlichem besteht, der Sendung von europäischen Werken vorbehalten wird. Nach Art. 6 Abs. 1 EG-Fernsehrichtlinie sind „europäische Werke“ in erster Linie Werke aus den Mitgliedstaaten und aus gewissen europäischen Drittländern, wobei hier der Sitz des jeweiligen Unternehmens maßgeblich ist. Nach Art. 4 Abs. 1 EG-Fernsehrichtlinie soll der vorgesehene Anteil europäischer Werke unter Berücksichtigung der Verantwortung der Rundfunkveranstalter gegenüber dem Publikum in den Bereichen Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung schrittweise anhand geeigneter Kriterien erreicht werden. Diese „Quotenregelung“ wird dabei teilweise lediglich als Zielvorgabe, teilweise als konkrete Festlegung auf mindestens 50% europäischer Werke während der Sendezeit interpretiert. Ziel einer solchen Quotenregelung ist es, europäische Programmproduktionen vor solchen aus Drittstaaten, hierbei maßgeblich den USA, zu schützen. Begründet wird dies in erster Linie mit kulturpolitischen Gesichtspunkten, jedoch auch mit wirtschaftlichen Argumenten. In jedem Fall dient die Quotenregelung auch einer Förderung der europäischen Produktionswirtschaft. Mindestens 10% der Sendezeiten sind europäischen Werken von Herstellern vorbehalten, die von den Fernsehveranstaltern unabhängig sind, Art. 5 EG-Fernsehrichtlinie.
3.1.1.3 Werbung und umfassendes Sponsoring Ein weiterer wesentlicher Regelungspunkt der EG-Fernsehrichtlinie ist die Werbung und das Sponsoring, Kapitel IV, Art. 10-21. 18
EuGHE 2000, Seite 672 ff Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien vom 31.08.1991, zuletzt geändert durch neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag
19
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Karsten Kensbock
Für die Werbung im Fernsehen enthält die EG-Fernsehrichtlinie ausführliche Regelungen. Nach Art. 10 Abs. 1 EG-Fernsehrichtlinie müssen Fernsehwerbung und Teleshopping als solche klar erkennbar und durch optische und/oder akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein. Auch das nationale deutsche Recht verlangt eine Trennung von Werbung und Programm. Nach Art. 10 Abs. 3 EG-Fernsehrichtlinie dürfen in der Werbung und im Teleshopping keine sog. subliminalen Techniken eingesetzt werden, ebenso ist nach Art. 10 Abs. 4 EG-Fernsehrichtlinie Schleichwerbung verboten. Diese Vorgaben werden insbesondere im Rahmen der nachfolgend noch zu behandelnden „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ überarbeitet. Denn künftig wird es danach im Rahmen eines sog. Erlaubnisvorbehaltes in bestimmten Grenzen zulässig sein, dass Staaten das gezielte Platzieren von Produkten zur Werbung in Filmen, Sportsendungen und Unterhaltungsprogrammen erlauben. Art. 11 EG-Fernsehrichtlinie schreibt vor, unter welchen Voraussetzungen Werbung im Laufe der Sendung eingefügt werden darf und welche Werbeunterbrechungen zulässig sind. Der zeitliche Umfang der Werbung sowie der Ausschluss bestimmter Arten von Werbung werden ebenfalls von der EG-Fernsehrichtlinie geregelt. Fernsehwerbung ist grundsätzlich zwischen den Sendungen einzufügen. Jedoch kommt Werbung auch während laufender Sendungen in Betracht, sofern sie den Zusammenhang und den Wert der Sendungen nicht beeinträchtigen und sofern nicht gegen die Rechte von Rechtsinhabern der Sendungen verstoßen wird. Art. 18 EG-Fernsehrichtlinie beschränkt die Sendezeiten für Werbung auf maximal 15 v.H. der täglichen Sendezeit. Zu beachten ist dabei, dass diese Zeit nicht ausschließlich während der zuschauerintensiven Stunden (prime time) genutzt werden darf. Innerhalb einer Stunde darf daher höchstens 20 v.H. Werbung gesendet werden. Als Werbung gilt hierbei jedoch nicht ein Hinweis des Fernsehsenders auf eigene Programme, Begleitmaterialien oder Beiträge im Dienst der Öffentlichkeit oder Spendenanfragen. Nach Art. 10 Abs. 2 der EGFernsehrichtlinie muss zudem grundsätzlich in Blöcken geworben werden. Die EG-Fernsehrichtlinie verbietet in ihrem Art. 12 bestimmte Formen der Werbung generell. Bei diesen Formen der Werbung darf nicht die Menschenwürde verletzt werden und keine Diskriminierung nach Rasse, Geschlecht oder Nationalität erfolgen. Religiöse und politische Überzeugungen dürfen nicht verletzt werden, ebenso wenig wie Verhaltensweisen gefördert werden dürfen, die die Gesundheit oder Sicherheit oder den Umweltschutz gefährden. Die Werbung für Zigaretten und Tabakerzeugnisse ist generell untersagt. Für Arzneimittel und ärztliche Behandlungen, die in dem Mitgliedstaat, dessen Rechtshoheit der Fernsehveranstalter unterworfen ist, nur auf ärztliche Verordnung erhältlich sind, ist Fernsehwerbung ebenfalls untersagt. Eine Fernsehwerbung für alkoholische Getränke muss nach Art. 15 der EG-Fernsehrichtlinie mehreren Kriterien entsprechen. Sie darf sich nicht an Minderjährige richten und auch keinen Alkoholgenuss bei Minderjährigen darstellen. Es darf weiterhin keine Verbindung zwischen einer Verbesserung der physischen Leistung und Alkoholgenuss oder dem Führen von Kraftfahrzeug und Alkoholgenuss hergestellt werden. Zudem darf nicht der Eindruck erweckt werden, Alkoholgenuss fördere sozialen oder sexuellen Erfolg. Alkohol darf keine therapeutische, stimulierende, beruhigende oder konfliktlösende Wirkung suggerieren. Enthaltsamkeit oder Mäßigung dürfen nicht negativ dargestellt werden und die Höhe des Alkoholgehalts von Getränken darf nicht als positive Eigenschaft hervorgehoben werden.
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Besondere Anforderungen an die Fernsehwerbung ergeben sich aus Art. 16 EG-Fernsehrichtlinie auch für den Schutz Minderjähriger, wobei vor allem direkte Kaufappelle an Minderjährige unzulässig sind, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen. In der Neufassung der EG-Fernsehrichtlinie aus dem Jahre 1997 wurden die Vorschriften über den Jugendschutz präzisiert. Programme, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen können, sind gänzlich verboten. Die Mitgliedstaaten haben für angemessene Maßnahmen zu sorgen. Werden Sendungen gesponsert, so muss dies gekennzeichnet sein. Durch das Sponsoring darf jedoch nach Art. 17 EG-Fernsehrichtlinie die redaktionelle Unabhängigkeit des Fernsehveranstalters in Bezug auf die gesponserte Sendung nicht angetastet werden. Nachrichtensendungen und Sendungen zur politischen Information dürfen nicht gesponsert werden. Im Bereich des Sponsorings ist des Weiteren zu beachten, dass Fernsehprogramme nicht von Unternehmen gesponsert werden dürfen, deren Haupttätigkeit die Herstellung von Zigaretten und anderen Tabakerzeugnissen ist. Auch hier gilt, dass das Sponsoring durch Hersteller von Arzneimitteln und medizinischen Behandlungen nur für den Namen oder das Image des Unternehmens erfolgen darf, nicht jedoch für in dem jeweiligen Mitgliedstaat verschreibungspflichtige Arzneimittel oder medizinische Behandlungen. Die Richtlinie lässt verschiedene Ausnahmen der Mitgliedstaaten von den Werbevorschriften zu, soweit es sich um ausschließlich für das eigene Hoheitsgebiet bestimmte und in anderen Mitgliedstaaten nicht zu empfangende Sendungen handelt, wie auch in anderen Regelungsbereichen der Richtlinie strengere Bestimmungen vorgesehen werden können. Nach Art. 23 EG-Fernsehrichtlinie haben die Mitgliedstaaten weiterhin dafür zu sorgen, dass jeder natürlichen oder juristischen Person ein Recht auf Gegendarstellung eingeräumt ist, wenn durch die Behauptung falscher Tatsachen durch einen Fernsehveranstalter das berechtigte Interesse (insbesondere Ehre und Ansehen) beeinträchtigt worden ist. All diese Vorgaben gelten - trotz Beschluss der nachfolgend dargestellten neuen „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ - so lange, bis entweder die vorgenannte Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden ist, oder die Umsetzungsfrist abgelaufen ist, also längstens bis 31. Dezember 2009.
3.1.2
„Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“
Am 19. Dezember 2007 ist die sogenannte „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ nach langer Vorarbeit und zahlreichen Konsultationen durch das Europäische Parlament und den Rat in Kraft getreten.20 Die Richtlinie ist noch nicht in nationales Recht der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt, dies hat bis zum 31.12.2009 zu erfolgen. 20
Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/ EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABL. EG Nr. L 332/27 vom 18.12.2007. Eine ausführliche Darstellung bei Kleist/Scheuer, Audiovisuelle Mediendienste ohne Grenzen, MMR 2006, Seite 127. Fragen der rechtlichen (Umsetzungs-)Probleme der Richtlinie finden sich bei Castendyk/Böttcher, Ein neuer Rundfunkbegriff für Deutschland?- Die Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste und der deutsche Rundfunkbegriff, MMR 2008, Seite 13.
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Karsten Kensbock
Zwischen den Organen der EG herrschte Übereinstimmung, dass der geltende Rechtsrahmen der EG-Fernsehrichtlinie reformbedürftig war. Insbesondere die Digitalisierung und die Konvergenz der Medien machten eine Anpassung an die sich daraus ergebenden neuen Herausforderungen zwingend erforderlich. In Zukunft wird es möglich sein, digitalisierte Kommunikationsinhalte auf verschiedenen Übertragungswegen zu verbreiten und somit die Empfänger auf beliebigen Endgeräten mit einem umfassenden Informations- und Unterhaltungsangebot zu versorgen, so beispielsweise durch mobiles Fernsehen und Fernsehen auf Abruf (on demand). Diesen technischen Entwicklungen muss das Recht folgen, Wettbewerbsverzerrungen zwischen klassischen Fernsehdiensten und sonstigen Mediendiensten sind zu vermeiden. Der oben dargestellte Geltungsbereich der bisherigen Richtlinie wird künftig erweitert werden. Die Richtlinie wird die audiovisuellen Mediendienste erfassen, was auch in dem neuen Namen der Richtlinie seinen Ausdruck findet. Die AVMS-Richtlinie differenziert zwischen „linearen“ audiovisuellen Mediendiensten (Fernsehsendungen) und „nichtlinearen“ Diensten. Unter den linearen Fernsehsendungen sind solche zu verstehen, bei denen der Anbieter den Zeitpunkt, zu dem ein bestimmtes Programm übertragen wird, und den Programmplan festlegt. Bei einem nichtlinearen Dienst hingegen legt der Nutzer aufgrund eines vom Anbieter ausgewählten und bereitgestellten Inhaltsangebots den Zeitpunkt selber fest, zu dem ein bestimmtes Programm übertragen wird. Soweit dieser Dienst audiovisuell ist, findet die Richtlinie Anwendung. Es muss sich dabei um Angebote handeln, bei denen bewegte Bilder mit oder ohne Ton den Hauptzweck darstellen. Diese Art Dienstleistungen müssen nach Art. 1 lit. a der AVMS-Richtlinie der Information, der Unterhaltung oder der Bildung der allgemeinen Öffentlichkeit dienen und über elektronische Kommunikationsnetze verbreitet werden. Damit sind Audioübertragungen und Radiosendungen sowie elektronische Presse weiterhin aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeklammert. Erfasst werden beispielsweise Fernsehsendungen oder Spielfilme, jedoch keine Dienste, bei denen die audiovisuellen Inhalte nur Nebenerscheinung sind, wie Internetseiten, die nur ergänzend audiovisuelle Elemente enthalten, also das bewegte Bild nicht im Vordergrund steht, sondern gleichgewichtiger Bestandteil neben Text und Ton ist.21 Auch die neue AVMS-Richtlinie hält am Sendestaatsprinzip fest, jedoch sind in Art. 2 Abs. 7 bis 10 künftig bestimmte Ausnahmen vorgesehen, so beispielsweise wenn ein Veranstalter, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, seine Aktivitäten ausschließlich auf einen Empfangsstaat ausrichtet und den Sitz im Sendestaat nur deshalb gewählt hat, um die Rechtsvorschriften des Empfangstaates zu umgehen. Die „Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste“ gestattet künftig unbeschadet des Sendestaatsprinzip den Mitgliedstaaten die Ergreifung von Maßnahmen, die eine Einschränkung der freien Erbringung von Fernsehdiensten bedeuten, jedoch nur nach genauen, in der Richtlinie festgelegten Bedingungen. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, wonach Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, ebenso wie alle Ausnahmen von Grundsätzen des EG-Vertrags restriktiv auszulegen sind. 21
Beispiele: Portale der Internetserviceprovider oder Startseiten von Mailanbietern
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Bei Fernsehprogrammen können die Mitgliedstaaten künftig vom freien Empfang und der uneingeschränkten Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten abweichen, wenn ein Fernsehprogramm aus einem anderen Mitgliedstaat in offensichtlich ernster und schwerwiegender Weise gegen den Schutz und die Entwicklung von Minderjährigen verstößt, oder Sendungen zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religions- und Staatsangehörigkeit aufstacheln. Auch bei Abrufdiensten können die Mitgliedstaaten künftig Maßnahmen ergreifen, soweit dies dem Schutz der öffentlichen Ordnung (insbesondere Schutz vor Straftaten, Jugendschutz, etc.), dem Schutz der öffentlichen Gesundheit oder Sicherheit sowie dem Schutz der Verbraucher dient. Hierzu verankert die AVMS-Richtlinie in ihrem neuen Art. 3 ein Verständigungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Art. 3 f) der AVMS-Richtlinie regelt künftig die Anforderungen an gesponsorte audiovisuelle Mediendienste oder Sendungen. Die bisherigen Vorgaben der EG-Fernsehrichtlinie bleiben insoweit erhalten. Mit dem neuen Art. 3 d) bis e) der Richtlinie werden für alle audiovisuellen Mediendienste inhaltliche Mindeststandards eingeführt. Hiernach dürfen Mediendienste nicht in einer Art und Weise verbreitet werden, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen ernsthaft beeinträchtigen kann. Eine Aufstachelung zu Hass aufgrund von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Glauben, Behinderung, Alter oder sexueller Ausrichtung darf ebenfalls nicht enthalten sein. Art. 3 g) der Richtlinie regelt künftig qualitative Vorgaben der Werbung. Dabei wird dies als „audiovisuelle kommerzielle Kommunikation“ bezeichnet. Als Grundsatz wird die klare Erkennbarkeit kommerzieller Kommunikation festgeschrieben. Produktplatzierungen in Fernsehsendungen bleiben grundsätzlich untersagt. Weiterhin verboten bleibt Scheichwerbung und der Einsatz subliminaler Techniken. Produktplatzierungen und Sponsoring werden nunmehr unter bestimmten Voraussetzungen im Rahmen eines sog. Erlaubnisvorbehaltes für zulässig erklärt. Produktplatzierungen dürfen dabei nur außerhalb von Kindersendungen, Dokumentarfilmen, Nachrichtensendungen sowie Sendungen zum aktuellen Zeitgeschehen stattfinden. Grundsätzlich kommen Produktplatzierungen daher bei Kinofilmen, Filmen und Serien für audiovisuelle Mediendienste, Sportsendungen und Sendungen der leichten Unterhaltung in Betracht, oder dann, wenn kein Entgelt geleistet wird, sondern lediglich bestimmte Waren oder Dienstleistungen wie Produktionshilfen und Preise im Hinblick auf ihre Einbeziehung in eine Sendung kostenlos bereitgestellt werden. Die Zulässigkeit der Produktplatzierung setzt voraus, dass zu Programmbeginn auf deren Existenz hingewiesen und der Inhalt des Mediendienstes nicht in einer Weise beeinflusst wird, dass redaktionelle Verantwortung und Unabhängigkeit beeinträchtigt werden. Zudem dürfen Produktplatzierungen nicht unmittelbar zu Kauf, Miete oder Pacht von Waren oder Dienstleistungen auffordern. Genauere Vorgaben für die Kennzeichnung der Produktplatzierung enthält Art. 3 h) der AVMS-Richtlinie allerdings nicht. Produktplatzierungen zugunsten von Zigaretten oder Tabakerzeugnissen oder zugunsten von verschreibungspflichtigen Medikamenten bleiben verboten. Diese Produktplatzierungen kommen nach Art. 3 g) Abs. 4 der AVMS-Richtlinie jedoch nur für Sendungen in Betracht, die nach dem 19. Dezember 2009 produziert werden.
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Folgt ein Sendestaat der dargestellten Liberalisierung des „product placements“ nicht, so wird das Sendestaatsprinzip dem Mitgliedstaat erhebliche Probleme bereiten, da diese Regelungen dann nur für im Inland ansässige Rundfunkanstalten gelten können. Die Form der Werbung kann dann jedoch aus den Mitgliedstaaten der EG, die „product placement“ zulassen, aufgrund der Ausbreitung des Fernsehens in andere Staaten transportiert werden, so dass sich ein Staat aufgrund der Vielzahl der Fernsehsender, die in einem Staat empfangen werden können, letztlich nicht dem „product placement“ entgegenstellen kann. Die quantitativen Regelungen der Fernsehwerbung erfahren hingegen gegenüber den Vorgaben der EG-Fernsehrichtlinie nur eine schwache Freigabe. Art. 10 Abs. 2 der AVMSRichtlinie hält an dem Grundsatz fest, dass einzeln gesendete Spots die Ausnahme bleiben müssen. Eine Ausnahme hiervon wird lediglich für Sportprogramme anerkannt. Nach Art. 11 Abs. 2 der AVMS-Richtlinie dürfen Fernsehfilme, Kinderspielfilme, Kinderprogramme und Nachrichtensendungen für jeden Zeitraum von 30 Minuten nur einmal für Werbung und/oder Teleshopping unterbrochen werden. Art. 18 der AVMS-Richtlinie regelt, dass der Anteil von Werbespots und Teleshoppingspots an der Sendezeit innerhalb einer vollen Stunde 20 v.H. nicht überschreiten darf. 3.2 Urheberrecht Die EG-Fernsehrichtlinie hat urheberrechtliche Regelungen ausgeklammert. Jedoch hat die Gemeinschaft eigene Richtlinien zu urheberrechtlichen Fragen verabschiedet. Grundlage ist dabei die Richtlinie zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung.22 Diese Richtlinie bedeutet keine Harmonisierung des Urheber- und Leistungsschutzrechtes im Rundfunkbereich, vielmehr beschränkt sie sich auf den bereits mit der EG-Fernsehrichtlinie verfolgten Zweck der Schaffung eines europäischen audiovisuellen Raumes. Die Umsetzung der Richtlinie ist in Deutschland bereits erfolgt, in den §§ 20-20 b des Urheberrechtsgesetzes. 3.3 Preisbindung bei Büchern Europarechtlich werden Bücher als Waren im Sinne der Warenverkehrsfreiheit behandelt.23 Insbesondere die Buchpreisbindung wurde europarechtlich in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht in Zweifel gezogen. Gegen die Buchpreisbindung spricht an sich das europäische Wettbewerbsrecht, insbesondere das Kartellverbot der Artikel 81, 85 EG. Mitgliedstaaten sind aber selbstverständlich berechtigt, ihre nationale Kulturpolitik zu betreiben, Artikel 151 EG. Nur grenzüberschreitende Systeme sind vom Kartellverbot des Artikels 81 EG erfasst. Die deutsche Buchpreisbindung ist in ihrer bestehenden Form jedoch anerkannt, da sie nur eine nationale Lösung darstellt und keinen grenzüberschreitenden Charakter hat.24 22 Richtlinie 93/83/EWG zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vom 27.9.1993, ABL. EG Nr. L 1993, S. 248 23 EuGHE 1985, Seite 17 ff., „Leclerc“ 24 So auch EuGHE 2000, Seite I-9224
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3.4 Telekommunikation Auch der technikbezogene Telekommunikationsbereich wurde bereits in den neunziger Jahren durch eine ganze Reihe von Richtlinien umfassend liberalisiert. Für den Medienbereich von Bedeutung ist dabei die „Richtlinie zur Aufhebung von Einschränkungen bei der Nutzung von Kabelfernsehdiensten für die Erbringung bereits liberalisierter Telekommunikationsdienste“25. Die Richtlinie ist am 01.01.1996 in Kraft getreten. Sie ermöglicht allen Netzbetreibern Multimediadienste, wie z.B. TV-Shopping, Online-Dienste usw. anzubieten. Im Jahre 2002 wurde ein Paket von Regelungen für einen neuen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste erlassen. Das Telekommunikationsrecht wurde auf eine neue Grundlage gestellt. Eine Vielzahl verschiedener Richtlinien wurden durch eine Rahmenrichtlinie26, sowie durch vier weitere, nämlich die Zugangsrichtlinie27, die Universaldienstrichlinie28, die Genehmigungsrichtlinie29 sowie die Datenschutzrichtlinie30 ergänzt. Der neue Rechtsrahmen erfasst nur die Seite der technischen Infrastruktur. In den neuen Regelungen sollen die bisher getrennten rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich aus der technischen Konvergenz ergeben, den Veränderungen des Marktes angepasst werden. Das Richtlinienpaket erfasst daher Übertragungsstrukturen, jedoch nicht die transportierten Inhalte. Diese werden im Rahmen der europäischen und nationalen Mediengesetze geregelt. Im Grundsatz setzen die neuen Vorschriften auf den Wettbewerb. Ein Einschreiten nationaler Regulierungsbehörden ist nach Artikel 14 der Rahmenrichtlinien nur möglich, wenn eine beträchtliche Marktmacht gegeben ist. Für das Fernsehen ist insbesondere Artikel 31 der Universaldienstrichtlinie von erheblicher Bedeutung. Nach dieser Vorschrift ist es zugelassen, dass die Mitgliedstaaten Netzbetreibern begrenzte Must-Carry-Verpflichtungen auferlegen. Sie müssen dabei allerdings die Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. Eine Entgeltpflicht besteht nicht. Vielmehr obliegen den Mitgliedstaaten Entscheidungen darüber, ob die Netzbetreiber ein Entgelt für die Must-Carry-Verpflichtung erhalten oder nicht. Damit soll auch den Besonderheiten des Rundfunks Rechnung getragen werden.Der neue Rechtsrahmen wurde durch das Telekommunikationsgesetz31 in deutsches Recht umgesetzt. 25
Amtsblatt EG. Nr. L 254 vom 26.10.1996, Seite 49. Die Richtlinien zur Liberalisierung der Telekommunikation wurden in Deutschland umfassend durch das Telekommunikationsgesetz in der Fassung von 1996 (TKG, BGBl. 1996 I Seite 1120) umgesetzt. 26 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.03.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und –dienste (Rahmenrichtlinie), ABL. EG. Nr. L 108 vom 14.02.2002, Seite 33. 27 Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.03.2002 über einen Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, ABL. EG. Nr. L 108 vom 24.02.2002, Seite 7. 28 Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.03.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und –diensten, ABL. EG. Nr. L 108 vom 24.02.2002, Seite 51. 29 Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.03.2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und –dienste, ABL. EG. Nr. L 108 vom 14.02.2002, Seite 21. 30 Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.07.2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation ABL. EG. Nr. L 201 vom 31.07.2002, Seite 37. 31 In der Fassung vom 25.04.2004, BGBl 2004 I Seite 1190.
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Karsten Kensbock Der Europarat und seine Rechtsakte
Nicht nur die Vorgaben der Europäischen Union, auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 10 der „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (EMRK)32 gewinnen für das Europäische Medienrecht zunehmend an Bedeutung. Die EMRK wurde vom Europarat ausgearbeitet. Der Europarat umfasst dabei mehr Staaten als die EU, gegenwärtig 47 Mitgliedstaaten.33 Aus diesem Grunde ist auch der Regelungsbereich in seiner geographischen Breite wesentlich weitgehender als nur die EU Staaten. Die EMRK stellt jedoch lediglich ein völkerrechtliches Übereinkommen dar. Damit ist seine rechtliche Wirkung nicht mit der einer EG-Richtlinie oder einem anderen EU-Rechtsakt vergleichbar. EG-Recht geht der Konvention vor. Die Konvention hat daher insbesondere Bedeutung, wenn es um Fernsehsendungen geht, die von oder in einen Vertragstaat der EG gesendet werden, der andere Staat jedoch kein EUMitgliedstaat ist. Dies ist insofern von Bedeutung, als nicht ganz Europa Mitglied der EU ist. Art. 10 Abs. 1 EMRK – als für das Medienrecht wesentliche Bestimmung – regelt die Freiheit der Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Staaten sind jedoch auch nicht gehindert, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. Der EGMR sieht die Rundfunk- und die Pressefreiheit als Teil der durch Art. 10 Abs. 1 EMRK umfassend gewährleisteten Meinungsfreiheit an, die aus seiner Sicht individualrechtlich, d.h. für jeden einzelnen geltend, zu verstehen ist. Nach den Entscheidungen des EGMR haben Einschränkungen der Meinungsfreiheit und damit auch der Rundfunkfreiheit stets den materiellen Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 2 EMRK zu genügen. Hiernach ist für jedermann, also für Privatpersonen und Unternehmen, die Ausübung der vorgenannten Freiheiten nach Art. 10 Abs. 1 EMRK mit Pflichten und Verantwortung verbunden. In jedem Staat, der die EMRK anerkannt hat, können daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen und Strafdrohungen gesetzlich vorgesehen werden, soweit sie in einer demokratischen Rechtsordnung notwendig sind, für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Nach der Rechtsprechung des EGMR muss zudem jede Einschränkung der Meinungsfreiheit verhältnismäßig sein. Nach den Vorgaben vorgenannter Regelung sind beispielsweise Genehmigungsverfahren für Rundfunkunternehmen als solche zulässig. Hieraus kann auch abgeleitet werden, dass technische Aspekte und die Sicherung der Meinungsvielfalt bzw. die Aufrechterhaltung eines vielfältigen Rundfunkangebotes legitime Gründe darstellen, die Einschränkungen des Art. 10 Abs. 1 EMRK zu rechtfertigen. Neben der EMRK ist insbesondere das ebenfalls vom Europarat ausgearbeitete „Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen“ vom 5. Mai 1989 als 32 Vom 04.11.1950, in der Fassung der Neubekanntmachung vom 17.05.2002, BGBl. II, 2002, S. 1054, die Konvention ist in Kraft getreten auch für die Bundesrepublik Deutschland am 03.09.1953. 33 Weiterführende Informationen unter www.coe.int
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Parallelabkommen zur EG-Fernsehrichtlinie für das Medienrecht von Bedeutung.34 In der EU kommt dabei der EG-Fernsehrichtlinie aufgrund Ihrer Rechtsqualität primäre Bedeutung zu, das vorgenannte Übereinkommen findet daher in Nicht-EU-Staaten Anwendung und ergänzt aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmungen die Regelungen der EG-Fernsehrichtlinie über die EU hinaus. Nach den grundlegenden Vorschriften des Übereinkommens hat jeder dem Übereinkommen unterworfene Staat die Einhaltung der EMRK zuzusichern und die Freiheit des Empfangs und der Weitersendung in andere Vertragsstaaten zu gewährleisten, Art. 4. Im Rahmen der Bestimmungen zur Programmgestaltung ist in dem Übereinkommen festgelegt, dass alle Sendungen im Hinblick auf ihre Aufmachung und ihren Inhalt die Menschenwürde und die Grundrechte anderer achten müssen. Werbung und Teleshopping müssen fair und ehrlich sein und dürfen nicht irreführen und den Interessen der Verbraucher nicht schaden. Das Übereinkommen regelt zudem für die Werbung und das Teleshopping ein Zeitfenster von 20 v.H. der täglichen Sendezeit, Sportwerbung darf 15 v.H. der täglichen Sendezeit nicht überschreiten. Die Dauer der Werbe- und Telshopping-Spots innerhalb eines Einstundenzeitraums darf, gerechnet ab einer vollen Stunde, 20 v.H. nicht überschreiten. Auch sind Werbung und Teleshopping für Tabakerzeugnisse verboten, für Alkoholerzeugnisse sind bestimmte Regeln vorgegeben. Nach Art. 24 des vorgenannten Übereinkommens kann der Empfangsstaat bei offensichtlichen und schwerwiegenden Verstößen gegen die Vorschriften des Übereinkommens die Weiterverbreitung von Sendungen selbst aussetzen, bei weniger schwerwiegenden Verletzungen des Übereinkommens bemühen sich die Vertragsstaaten die Schwierigkeiten nach den Vorgaben des Übereinkommens auszuräumen.
5
Schlussbetrachtung
Das Europarecht übt einen großen Einfluss auf die Ausgestaltung der nationalen Medienordnungen und damit auch in der Bundesrepublik Deutschland aus. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine eigenständige europäische Rechtsordnung des Medienrechtes gebildet, dies wird sich in Zukunft fortsetzen. Die Schaffung des Binnenmarktes sowie die Tatsache, dass Rundfunk, Fernsehen und andere digitale Dienste nicht mehr an Ländergrenzen gebunden sind, werden die Bedeutung des Europarechtes für alle Bereiche des Medienrechtes verstärken.
34
Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 05.05.1989, BGBl. II 1994, S. 638, geändert durch das Protokoll vom 09.09.1998 zur Änderung des Europäischen Übereinkommens vom 05.05.1989, BGBl. II 2000, S. 1090, Übereinkommen in Kraft getreten am 01.05.1993, für die Bundesrepublik Deutschland am 01.01.1994, Protokoll in Kraft getreten am 01.03.2002 auch für die Bundesrepublik Deutschland.
Herausgeber/Autoren Herausgeber Altendorfer, Otto, Dr. phil., Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Hochschule Mittweida, Vorsitzender des Vorstands AMAK AG,
[email protected] Hilmer, Ludwig, Dr. phil., Professor für Medienlehre und –praxis an der Hochschule Mittweida,
[email protected] Verzeichnis der Autoren Altendorfer, Otto, Dr. phil., Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Hochschule Mittweida, Vorsitzender des Vorstands AMAK AG,
[email protected] Böskens, Joachim, Programmbereichsleiter Hörfunk bei NDR1 Radio Mecklenburg-Vorpommern,
[email protected] Handschumacher, Johannes, Dr. jur., Rechtsanwalt in Düsseldorf und Dresden und Lehrbeauftragter für Wirtschafts- und Medienrecht an Hochschule Mittweida,
[email protected] Hilmer, Ludwig, Dr. phil., Professor für Medienlehre und –praxis an der Hochschule Mittweida,
[email protected] Himmelsbach, Gero, Dr., Rechtsanwalt in München und Honorarprofessor für Medienrecht der OttoFriedrich-Universität Bamberg,
[email protected] Huhle, Tamara, Dr. phil., Geschäftsführerin der media GmbH Stuttgart,
[email protected] Kensbock, Karsten, Dr., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht in Esslingen am Neckar,
[email protected] Kottke, Roland, Rechtsanwalt und Director HR der Kabel Deutschland GmbH Unterföhring,
[email protected] Mayer, Hermann, Rechtsanwalt in München und Davos, Professor für Recht und Marketing an der Hochschule Mittweida,
[email protected] Mayer, Kurt-Ulrich, Rechtsanwalt in Leipzig, Professor für Medienrecht an der Hochschule Mittweida,
[email protected] Waber, Silke, Dr., Geschäftsführerin der Management Akademie Riesa GmbH und Lehrbeauftrage für Medienforschung und Statistik an der Hochschule Mittweida,
[email protected] Wied, Michaela, Produktionsleiterin Film/Fernsehen und Unternehmenskommunikation/PR in Stuttgart,
[email protected] Wrobel-Leipold, Andreas, Dr. phil., Professor für Medienwirtschaft an der Hochschule Mittweida,
[email protected]