Klaus Brandmeyer / Peter Pirck / Andreas Pogoda / Luise Althanns Markenkraft zum Nulltarif
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Klaus Brandmeyer / Peter Pirck / Andreas Pogoda / Luise Althanns Markenkraft zum Nulltarif
Klaus Brandmeyer / Peter Pirck Andreas Pogoda / Luise Althanns
Markenkraft zum Nulltarif Der Trick mit den Resonanzfeldern
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GABLER
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Barbara Möller I Manuela Eckstein Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Seience-Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Umschlagmotiv: mattjeacock / www.istockphoto.com Satz: Sascha Niemann workformedia, Frankfurt Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2212-0
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"Die Beredsamkeit will ergreifen, aberdurch Reize und Motive, die in der Brust dessen liegen, aufden sie esabgesehen hat ... Siewill einefreie Seele bezaubern und beherrschen." Adam Müllerin seinen berühmten "Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland", gehalten in Wien 2010
"Marken, die emotional aufgeladen sind, weilsie aufvertrauten Erfahrungen und Strukturen aufsetzen, haben einen neurophysiologisch messbaren Einfluss aufdie Kaufentscheidung." Dr. Peter Kenning, Professor an derZeppelin Universität Friedrichshafen, über Erkenntnisse des Neuromarketings
Vorwort Was wir Ihnen in diesem Buch vorführen, werden Sie vermutlich auch schon einmal gedacht haben. Vielleicht haben Sie die "Resonanzfeld-Technik" sogar schon einmal genutzt, um Ihr Angebot - ob Markenartikel oder Dienstleistung mit attraktiven Vorstellungen aufzuladen. Mit Sicherheit aber werden Ihnen unsere sogenannten Resonanzfelder allesamt bekannt vorkommen. Das liegt in der Natur der Sache. Denn als Resonanzfelder bezeichnet man allgemein im Publikum verbreitete Vorstellungen und kollektive Denkmuster, die jedem zugänglich sind, also kein Geheimwissen darstellen. Trotzdem ernten wir im Seminar immer ein verblüfftes Schmunzeln, wenn wir von einem in Deutschland tätigen Inkasso-Unternehmen berichten, das sich bei seiner Gründung den Markennamen "Inkasso Team Moskau" gab. Es hatte - so unsere Erklärung - das Reso-
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nanzfeld "Moskau bedeutet Gewalt" für sich aktiviert, mitsamt den kollektiven Assoziationen von Brutalität. Kostenfrei und zugleich höchst wirksam, wie man einigen Fernsehberichten über die glatzköpfigen sonnenbebrillten Männer in Schwarz entnehmen durfte. Sie galten eine Zeit lang sogar als Popstars der Szene. Der ITM-Slogan hieß "Ihr Kunde muss kein Russisch sprechen, er versteht uns auch so". In der Tat: Schwarze Männer und der Name Moskau riefen auch bei einem rein deutschsprachigen Gegenüber automatisch die gewünschten Assoziationen hervor. Dass es kollektive Vorstellungen gibt, die von den Menschen einer Gesellschaft geteilt werden, ist keine neue Entdeckung der Autoren. Mit diesem Buch schließen wir vielmehr an wesentliche Ergebnisse und Erkenntnisse der Sozial- und Kulturwissenschaften aus den letzten Jahrzehnten an. Fruchtbar für dieses Buch ist beispielsweise der strukturalistische Ansatz von Claude Levi-Strauss. Der Kulturanthropologe durchsuchte die Volkserzählungen Nord- und Südamerikas nach wiederkehrenden Strukturen, um sowohl an kulturimmanente als auch an übergreifende Denkmuster zu gelangen. Die Vorgehensweise dieses Buches ist ähnlich. Denn auch hier werden kollektive Vorstellungen, die in Gesellschaften vorhanden sind, ermittelt. Das Suchfeld allerdings ist umfassender: Resonanzfelder sind kollektive Vorstellungen, die in jeglichen menschlichen Äußerungen und kulturellen Manifestationen auftauchen können, nicht nur in Volkserzählungen und Märchen. Wie weit Resonanzfelder der Wahrheit und der aktuellen Wirklichkeit entsprechen, dieser kritischen Frage werden wir nicht nachgehen. Denn was in einer Gesellschaft allgemein als wahr, richtig und wirklich angesehen wird, ist letztlieh das Ergebnis von sozialer Konstruktion, also eines Wettbewerbs an Vorstellungen, Ideen und Interpretationen, bei dem sich manche durchsetzen und manche unterliegen. Wie sich Vorstellungen gesellschaftlich durchsetzen und mächtig werden können, hat Michel Foucault in seinen Werken eingehend behandelt. Es gibt also Wissenschaften, die auf analytischem Wege die Existenz kollektiver Denkmuster nachweisen und sie beschreiben. Fundamental neu an diesem Buch ist die ausdrückliche Empfehlung, das Wissen über solche kollektiven Vorstellungen operativ zu nutzen, um so die Annehmbarkeit und Überzeugungskraft einer Marke zu stärken. Dabei wird dieses Wissen mit rhetorischen Techniken verknüpft, die bereits Aristoteles zum Gebrauch im Meinungswettbewerb entwickelt hatte und die bis ins neunzehnte Jahrhundert an europäischen Universitäten auch gelehrt wurden. Die aus dieser Verknüpfung mit der Rhetorik
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entstandene Resonanzfeld-Technik lässt sich auch als eine Art Sozialtechnik verstehen. Diesen Begriff hat Werner Kroeber-Riel, der Pionier der Konsumentenforschung in Deutschland, aufgebracht. Er versteht darunter die systematische Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten, um Menschen zugunsten der eigenen Sache zu beeinflussen. In Einzelfällen wird mit Resonanzfeldern schon gearbeitet, wie wir an erfolgreichen Markenbeispielen zeigen werden. Deren Macher waren dabei allerdings auf ihre Intuition angewiesen. Denn bisher gibt es kein Buch, das Resonanzfeld-Strategien zu Zwecken der Anleitung systematisch bearbeitet. Als Autoren dieses Buches wollen wir nicht mehr für uns in Anspruch nehmen, als dass wir den Schritt von der Intuition zur Systematik wagen. Gewagt ist dieses Vorhaben auch deshalb, weil wir uns dabei einer Sprache und einer Stilistik bedienen, die dem heutigen wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs mit seinen begrifflichen Restriktionen und seiner mathematischen Leitwährung fremd sind . Um den Leser für unsere eher humanistische Blickweise auf wirtschaftliche Realitäten zu gewinnen, sei auf die allseits bekannte Einsicht verwiesen, dass etwas, was sich nicht mittels Zahlen und nur unscharf darstellen lässt, dennoch wirklich, wahr und wirksam sein kann. In unserem Willen, anschaulich und strategisch mit Resonanzfeldern umzugehen, fühlen wir uns auch durch einen Trend in der Kultur-Szene gestärkt. Immer häufiger wird dort von Produktionsschemata gesprochen, die massenhafte Erfolge von Filmen, Büchern und Musik nicht nur im Nachhinein erklären, sondern vor allem ermöglichen. Der Bonner Musikwissenschaftler Volker Kramarz weist in seinen Veröffentlichungen nach, dass weltweit verbreitete Popsongs nach wenigen "Popformeln" komponiert werden . Die Einhaltung dieser Formeln sei heute für jeden Pop-Produzenten das A und 0 seiner Arbeit; die Musiker hätten danach zu arbeiten oder wären für den internationalen MusikKommerz untauglich. Das Geheimnis der Wirkung sei, dass die Popformeln in der Seele der Hörer bereits als vertraute Muster existieren und durch den Song sofort aktiviert würden. Dieser unbewusst ablaufende, durch den Verstand nicht zu kontrollierende Prozess der Wiedererkennung erzeuge spontanes Gefallen. Von ähnlichen "Rezepten" ist heutzutage sogar beim "Büchermachen" die Rede, wenn es um Massenauflagen geht. Ein herausragendes Beispielliefert Iames Patterson, einer der auflagenstärksten lebenden Schriftsteller und Starautor in der Welt der elektronischen Bücher. Er spricht über das "Büchermachen" wie über die Zubereitung eines Cocktails. Zehn Zutaten brauche man, nur eine davon müsse neu und überraschend sein, und pro Kapitel habe man dem Leser ein
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Goldstück zu liefern, sei es eine Sexszene, einen Mord oder ein anderes prägnantes Vorkommnis. Da er sein "Erfolgsmuster" gefunden hat, verwundert es nicht, dass er Autoren beschäftigen kann, die anonym für ihn schreiben. Von einem Filmschauspieler und -produzenten wie Will Smith hört man Ähnliches. Er wisse genau, welche Zutaten und welche Handlungsmuster einen Kino- Blockbuster ausmachen, und er richte seine Arbeit gnadenlos an diesen Erkenntnissen aus. Muster, Formeln und Rezepte als Erfolgsgaranten für Resonanz in der Massenkultur mag man als Verfechter eines individualistischen Künstlerbegriffs missbilligen. Einen Markentechniker aber, der Massen für ein Angebot gewinnen will, sollten diese Begriffe und der Trend zur Systematisierung kultureller Produktion aufhorchen lassen. Wir empfehlen Ihnen, liebe Leser, sich auch bei der Markenführung für derartige Praktiken zu öffnen. Sie werden dabei allerdings feststellen, und das mag Sie beruhigen, dass Schemata allein noch nicht glücklich machen. Es ist immer auch ein spezifischer und kreativer Umgang mit diesen kostenfreien kommunikativen Kraftquellen vonnöten, um eine Markengestalt individuell damit aufzuladen.
Hamburg im Frühjahr 2011
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Inhaltsverzeichnis \Tor~ort
1. Was sind Resonanzfelder?
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Die ganz legale Rufausbeutung
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Wo Resonanzfelder liegen
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Resonanzfelder mit Zusatznutzen: Emotionen
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Exkurs: Die Massenseele im Individuum
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Authentisch oder nicht?
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2. Die verschiedenen Resonanzfeld-Typen
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Klischees: Warum Parfum nicht aus Recklinghausen kommt
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Mythen: Wie Iames Bond und ehe Guevara Marken aufladen
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Topoi: Was der Experte empfiehlt, ist das Beste
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Archetypen: Das Spielmit Menschheitserfahrungen
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Eine Typologieder Resonanzfelder
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3. Markenführung mit Resonanzfeldern
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Fallstudie Hansano: Rückenwind durch Resonanzfelder
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Resonanzfelder im Wettbewerb der Positionierungen
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Mit Resonanzfeldern auf internationalen Märkten arbeüen
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4. Resonanzfeld-Technik: Systematisch das richtige Resonanzfeld finden
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Erster Schritt: Produktleistungen herausarbeiten und Positionierung bestimmen
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Zweiter Schritt: Resonanzfelder sondieren, bewerten und auswählen
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Dritter Schritt: Resonanzfeld markenspezifisch aktivieren und ausgestalten
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Der rechtliche Rahmen der Resonanzfeld-Technik
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Zum Schluss
,209
Resonanzfeld-Glossar
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Bibliografie
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Die Autoren
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1. Was sind Resonanzfelder? Es geschah im Jahr 2000. Die deutschen Energieunternehmen Viag und Veba krönten ihre Fusion mit der Bekanntgabe eines neuen Konzernnamens - E.ON. Name und Logo waren für etwa drei Millionen Mark Honorar von den Agenturen Demuth und Wolff Olins entwickelt worden. Die Unternehmenssprecherin lobte die Label-Kreation wegen ihrer ungewöhnlichen Ausdruckskraft. Im neuen Logo kämen alle gewünschten Eigenschaften zum Ausdruck: neben Energie noch Innovation, Internet, Aufbruch, Globalität, Sympathie, hohe Auffälligkeit und Beachtung. Als neue Hausfarbe wurde "Pantone warm red" hinzuerfunden. Noch bevor die Öffentlichkeit von dieser Neuschöpfung erfuhr, schaltete das Unternehmen höchst eigenartige ganzseitige Anzeigen in über siebzig Zeitungen und Magazinen sowie Plakate auf 120.000 Plakatwänden. Sie waren komplett einfarbig im neuen warmen Rot gestaltet - ohne jeglichen Inhalt oder auch nur einen Hinweis auf den Absender oder den neuen Namen. Das Werbebudget lag Insidern zufolge im hohen zweistelligen Millionenbereich.
Garantiert resonanzfrei Die nichtssagende Kampagne fügte sich ungewollt zum neuen Namen. Denn auch er war - allen Interpretationskünsten der Firmenleitung zum Trotz nichtssagend, sozusagen bedeutungsfrei. Erst im Laufe der Jahre füllte sich die Marke E.ON mit Inhalt. Aufgrund von immer neuen und unerklärlichen Preiserhöhungen quer durch die Republik erwarb sich E.ON allerdings den zweifelhaften Ruhm eines Preistreibers bei Strom und Gas. Der unerwünschte Verlauf der öffentlichen Meinungsbildung hat seine Ursachen nicht nur in den faktischen schlechten Erfahrungen der Kunden, sondern auch in der Bedeutungsarmut des neuen Markennamens. Er war nicht von vornherein mit positiven Bedeutungen geladen, sondern vielmehr eine leere, mit dem Namen E.ON beschriftete Schublade im Gehirn der Kunden. Wo sich aber nichts ausreichend Positives im Sinne der Firma findet, da haben negative Botschaften leichtes Spiel und können den unbesetzten Raum komplett ausfüllen. Wie viel diese Geschichte zum Verständnis von Resonanzfeldern beitragen kann, wird erst im Kontrast zu einer anderen Geschichte erkennbar. Nicht weit vom Hauptsitz der E.ON-Konzernzentrale in Düsseldorfentfernt, auf dem Carlsplatz, traf man im selben Jahr auf einen kleinen Händler, der es in puncto Markenname ganz anders gemacht hatte als der Gigant von nebenan. Er verkaufte an sei-
11 K. Brandmeyer et al, Markenkraft zum Nulltarif, DOI 10.1007/978-3-8349-6735-0_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
nem Marktstand neben frischem Fleisch auch Molkereiprodukte aus Österreich, darunter eine ungewöhnlich teure Butter. Butter gibt es heute in jedem Supermarkt: als "Deutsche Markenbutter", als "Irische Butter", als "Holländische Butter" oder auch als billige Handelsware. In diesem generischen Markt platzierte der Carlsplatz-Händler sein Angebot unter dem Namen "Tiroler Almbauern Fassbutter". Im Unterschied zu E.ON arbeitet hier ein Anbieter mit dem, was wir in diesem Buch "Resonanzfelder" nennen wollen. Er lädt seine Ware allein durch den von ihm gewählten Namen mit charakteristischen positiven Vorstellungen auf. Genauer ausgedrückt sind es drei sich ergänzende Vorstellungen, die er nicht erfunden, sondern zur Profilierung seines Angebotes gefunden hat. Er wird dabei nicht an Picasso gedacht haben ("Ich erfinde nicht, ich finde ."), aber instinktsicher brachte er die Resonanzkraft von Wörtern wie "Tirol", "Almbauern" und "Fassbutter" ins Spiel. Tirol aktiviert das Resonanzfeld Alpen, Almbauer das Resonanzfeld Bauernhof, Fassbutter das Resonanzfeld traditionelle, handwerkliche Herstellung. Es handelt sich hierbei um kollektive Vorstellungen, an die konkrete allgemeine, aber auch sehr positive Wertungen geknüpft sind; beispielsweise, dass handwerklich hergestellte Lebensmittel etwas besonders Gutes seien oder Milch aus den Alpen der Flachland-Milch überlegen sei. Diese Resonanzfelder mitsamt ihren Wertungen sind auch bei Menschen anzutreffen, die noch nie in ihrem Leben in Tirol waren, nie einem Almbauern begegnet sind oder einer Bäuerin beim Buttern im Holzfass zugeschaut haben. Jedes noch so individualistische Individuum, erklärt der Soziologe Alexander Deichsel, sei bis zur Halskrause angefüllt mit derartigen massenseelischen Vorstellungen. Diese kollektiv abgelagerten Vorstellungsvorräte können, sobald sie von außen aktiviert werden, unser Denken, Fühlen und Urteilen in starkem Maße beeinflussen. Denn man kann sich gegen diese verhaltensbeeinflussenden seelischen Wirkungen kaum wehren. Wir sprechen mit Deichsel von "Resonanzfeldern". Der aus der Physik entlehnte Begriff spielt auf das bekannte Phänomen des Widerklangs an. Ein gerne erzählter Beleg dafür ist das Weinglas, das auf den Ton f gestimmt ist. Tritt in seiner Nähe ein Sänger auf und singt genau diesen Ton, dann beginnt das Glas mitzuschwingen und diesen Ton zurückzugeben. Singt er laut genug, kann sich das Mitschwingen sogar so weit verstärken, dass das Glas zerspringt (einige Sänger sollen mit dieser Nummer berühmt geworden sein). In diesem Fall ist der Ton fein Resonanzfeld, das dem stummen Glas ungehört innewohnt, aber durch die passende Anregung von außen aktiviert wird und das Verhalten des Glases sogar bis zur Ekstase verändert. Aus der
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Sicht des Sängers: Er erzeugt mit seinem Gesang Resonanz. Übertragen auf die Markentechnik: Der Sänger steht für den Anbieter, der durch ein Wort oder ein anderes Zeichen etwas zum Schwingen bringt, was in der Seele seiner Zielgruppe bereits vorhanden, aber bis dahin quasi unbemerkt geblieben ist.
Das Publikum arbeitet gratis mit Diese Art der kooperativen Kommunikation zwischen einer Marke und ihrem Publikum erfreut den Markenmanager schon deshalb, weil er sich auf solche Resonanz-Wirkungen ziemlich genau verlassen kann. Die Empfänger seiner Botschaften reagieren spontan und praktisch ohne Chance, den Resonanzvorgang durch argumentierende Vernunft ausschalten zu können. Es geschieht einfach mit ihnen. Noch größer sollte die Freude darüber sein, dass die Resonanzfelder in der Massenseele kostenfrei zur Verfügung stehen. Viele Generationen vor uns haben sie auf- und ausgebaut und uns zum Gebrauch hinterlassen. Ihre Entstehung reicht mitunter in graue Vorzeit zurück. Und auch wenn der Wandel der Zeiten sie ein wenig moduliert haben mag, sind sie doch in ihrer jeweiligen Grundform beständig. Woran wir Heutigen bei Tirol, Almbauern und Fassbutter denken, mag ein wenig anders ausschauen als die jeweiligen inneren Bilder unserer Eltern, aber die positiven Grundzüge sind die gleichen. Während die große E.ON also mit gewaltigem Kommunikationsaufwand attraktive Inhalte für ihre Marke definieren und senden muss, ohne der erwünschten Wirkung sicher sein zu können, hat der kleine Wochenmarkthändler mit nur drei Wörtern seiner Buttermarke etwas mitgegeben, was sie von den Produkten der Wettbewerber aufwertend unterscheidet. Auf die positiven und durchaus auch emotionalen Wirkungen seiner Namensgebung hat er keine Sekunde warten müssen. Und das Ganze hat ihn nicht einmal einen Euro gekostet. Markenkraft zum Nulltarif.
Resonanzfeld: Eine massenhaft verbreitete kohärente Vorstellung, die im Bewusstsein der Menschen fest verankert ist und für einen parteiischen Zweckgenutzt werden kann. Resonanzfelder enthalten Wertungen, Assoziationen, Bilder und Empfindungen, die sich durch dazu passende Stimuli aktivieren und auf eine Marke übertragen lassen.
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Die Technik, die in diesem Buch vorgestellt wird, ist also in Wirklichkeit kein Trick, keine Täuschung, sondern eine Fertigkeit, die bezeichnenderweise der antiken Rhetorik entstammt. Rhetorik ist die Lehre davon, wie ein Redner andere davon überzeugen kann, dass er mit seinen Behauptungen recht hat und dass das Publikum mit seinen Empfehlungen besser fahren werde als mit denen seiner Gegner. Ihr Aktionsfeld ist der Markt der Meinungen über Produkte, Pläne und Politiker. In diesem Kommunikationswettbewerb zu siegen, ist das einzige Ziel. Zu diesem Zweck stehen dem Rhetoriker nicht nur die aus der Sache selbst ableitbaren Argumente zur Verfügung. Er kann zu ihrer Verstärkung auch Gemeinplätze oder Alltagswahrheiten einsetzen. Damit sind allgemeine Überzeugungen oder Vorurteile gemeint, die im Publikum fraglos bestehen und umstandslos auf den konkreten Fall angewendet werden können. "Das Auto zeigte sehr früh Rostschäden", reklamiert ein Autobesitzer. Weil seine Beweise dürftig sind, unterstützt er seine Behauptung mit einem Gemeinplatz: "Das hat man davon, wenn man italienische Autos kauft." Und es wirkt. Denn das Vorurteil über die rostenden italienischen Autos sitzt tief in uns drin. "Die beste Pasta in unserer Stadt macht für mich das La Bella", schwärmt ein Partygast. Weil nicht alle sofort überzeugt sind, setzt er mit einem schönen Allgemeinplatz nach: "Es liegt ziemlich versteckt, in einer kleinen Seitenstraße. Den Eingang - drei Stufen runter - kann man leicht übersehen." Unsere Seelen reagieren unwillkürlich positiv. Denn tief in ihnen ist die Vorstellung verankert, dass das Unscheinbare, schwer zu Erreichende besser sei als das leicht und für alle Zugängliche. In unserem Alltagsleben sind wir alle - ohne uns dessen bewusst zu sein - kleine Rhetoriker. Nicht nur indem wir in unsere geschriebenen und gesprochenen Texte solche Gemeinplätze einstreuen, um unsere Aussagen glaubhaft zu machen. Wir verhalten uns selbst dann rhetorisch, wenn wir Metaphern oder Vergleiche benutzen. Denn Aristoteles wie auch Cicero haben empfohlen, allgemein verständliche Bilder zu nutzen, um das Gesagte auszuschmücken und gefälliger erscheinen zu lassen. Sie wussten schon, dass die blanke Information, die nur die Vernunft anspricht, im normalen Publikum wenig Resonanz erzeugt. Die Menschheit hat diese Lektion gelernt. Man lese nur die Bibel oder den Koran, um zu erkennen, wie sehr solche religionsstiftenden massenwirksamen Texte rhetorisch aufgemacht und von Metaphern und Bildern durchsetzt sind. Sie bringen Vorstellungen zum Schwingen und rufen Bilder auf, die in den Seelen der Empfänger auf anderen Plätzen abgelegt sind und unvermutet in einem neuen Kontext erscheinen. üb wir von einem eisenharten Manager sprechen oder einer samtweichen Stimme, von einem, der wie ein Löwe kämpft, oder einem lammfrommen Typen - überall sind unsere Texte mit Wörtern versehen,
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die in ihrem Publikum vertraute Vorstellungen und Wertungen abrufen. Diese werden automatisch mit dem verknüpft, was vorgefunden wird und lösen die intendierten Schlüsse aus. Auch hoch angesehene Marken können in dieser Weise genutzt werden . Mit dem Hinweis, dies sei der Mercedes unter den Dunstabzugshauben, werden beispielsweise einem Hausbesitzer der hohe Preis und die exzellente Qualität einer Küchenentlüftungsanlage schmackhaft gemacht.
Die ganz legale Rufausbeutung Das Gesetz verbietet es allerdings, den guten Ruf, den ein Anbieter genießt, für fremde Zwecke zu nutzen. Der Gedanke hinter dem Verbot ist einleuchtend. Im zitierten Fall würde jemand das Image, das sich eine deutsche Automarke in Jahrzehnten mit erheblichem finanziellen Aufwand aufgebaut hat, gratis nutzen, um seinem weniger oder gar unbedeutenden Angebot Glanz und einen Anschein von höchster Qualität zu verleihen. Doch nicht immer steht der gute Ruf unter derartigem Schutz. Und nicht immer sind wir uns dessen bewusst, dass wir, um eine Sache aufzuwerten, Bezeichnungen oder Redewendungen benutzen, die zusätzliche aufwertende Vorstellungen mobilisieren. Den Spargel haben wir vom Markt mitgebracht oder direkt vom Bauern, und schon schmeckt er besser als der aus dem Supermarkt. Den Wein haben wir uns bei einer Reise durch die Toskana von einem befreundeten Winzer geholt. Derartige Aufwertungsstrategien funktionieren, weil sich Bauern, Märkte und Winzer in Jahrhunderten den Ruf erworben haben, an ihre persönlich bei ihnen erscheinenden Käufer immer nur frische, gute Ware zu verkaufen. Die Supermarktmarken der Neuzeit sind noch weit entfernt davon. Aldi ausgenommen, der dank endloser Bestätigungen durch die Stiftung Warentest und wegen seiner hohen Umschlagsgeschwindigkeiten inzwischen als Einkaufsstätte besonders frischer Waren gilt. Aufwertend ist es auch gemeint, wenn eine Brauerei als Privatbrauerei bezeichnet wird, wie beispielsweise die Brauerei Veltins oder die 2002 in Russland von Oleg Tinkoff gegründete Brauerei Tinkoff.
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Abbildung 1: Obwohl sielängst zu Inbev, dem größten Brauereikonzern derWeltgehört, nennt sich die Brauerei linkoff weiterhin .Prlvatbrauarei", (Anzeige: linkoff)
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Unwillkürlich denkt der Empfänger selbst in Russland an ein Bier, das mit besonderer Sorgfalt gebraut wird und sich wohltuend von einem Konzernbier unterscheidet. Denn auch der Begriff ..privat" genießt einen guten Ruf. Er weckt spontan positive Vorstellungen, die sich seit langem in der Massenseele aufgebaut haben - ob durch Privataudienzen oder private Krankenkassen oder auch den Privatweg, der den Plebs am Betreten hochherrschaftlicher Villengrundstücke hindert. Nur vor diesem Hintergrund ist eine Düsseld.orfer "Privat-Parfümerie" zu verstehen oder der Privat-Kaffee von 'Ichibo, der in der Regel ein Preispremium von bis zu einem Euro gegenüber Supermarktmarken wie Krönung oder Melitta erzielt.
Abbildung 2: Die Spitze des Tchibo-Sortiments - derPrivat-Kaffee. (Bild: Tchibol
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Mit dem folgenden Schema in Abbildung 3, das Ihnen in diesem Buch mit gewissen Abwandlungen immer wieder begegnen wird, stellen wir vereinfacht dar, wie das Aktivieren von Resonanzfeldern funktioniert.
Abbildung 3: Es existiert in meinem Publikum, in meiner Zielgruppe einResonanzfeld "Privat",
Das Aktivieren dieser allgemeinen kollektiven Vorstellung mitsamt ihren Assoziationen und Wertungen sowie die Übertragung auf einen Einzelfall stellt das folgende Schema in Abbildung 4 vereinfacht dar.
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Abbildung 4: Aktivierung des Resonanzfeldes "Privat"für die Marke Tchibo.
Die Reihe solcher Begriffe aus der Warenwelt ließe sich unendlich fortsetzen. Es seien noch genannt "horne made" oder "Hausfrauenart" und "Familienrezept". Ihre emotionalisierende Wirkung ist unbestreitbar und ihre Nutzung durch alle kostenfrei. Denn die Rechte an solchen Begriffen wie Markt, Winzer, Privat oder horne made sind weder Einzelpersonen noch juristischen Personen zuzuordnen. Keiner kann allein über sie verfügen oder sich deren Nutzung entgelten lassen. Dass sich auf diesem Wege eine Markenvorstellung aufbaut, die das Unternehmen unter Umständen mit vielen teilen muss, ist ein unerwünschter Nebeneffekt, den man allerdings ins Kalkül ziehen muss. Denn diese Begriffe verweisen nicht nur auf kollektive Vorstellungen, sie können auch von vielen genutzt werden. Ein aktuelles Beispiel liefert die sehr erfolgreiche neue Zeitschrift "Landlust", die mit diesem Markennamen leicht durchschaubar Vorstellungen vom schönen, naturnahen und entspannenden Landleben aktiviert. Die sprunghaft steigende Auflage - aktuell 700.000 Exemplare - hat schnell andere Verlage gelockt, für alternative Angebote dasselbe Resonanzfeld anzuzapfen: "Landluft", "Mein schönes Land", "Liebes Land", "Landidee" und "Lust aufs Land". Die Liebe zum Land hat man also nicht für sich allein, weil dieses Resonanzfeld gewissermaßen Allgemeingut ist.
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Besonders schmerzlich mussten dies die Aktionäre der Swiss Air erfahren, als sie in den Konkurs und wenig später an ihrer Stelle eine Schweizer Airline unter dem Namen "Swiss" an den Start ging. Die Aktionäre des untergegangenen Unternehmens verklagten die neue Airline auf Entschädigung dafür, dass sie mit "Swiss" den alten, gut eingeführten und bestens beleumundeten Markennamen "Swiss Air" und dessen Markenwert nutze. Die wertvollste Marke der Schweiz - wie es hieß - wurde damals auf ungefähr eine halbe Milliarde Schweizer Franken geschätzt. Ein Schweizer Gericht hat die Klage seinerzeit abgewiesen mit einer verblüffenden, im Zusammenhang mit Resonanzfeldern jedoch sehr plausiblen Begründung: Die Swiss Air habe gar keinen eigenen Markenwert geschaffen, weil sie mit ihrem Markennamen lediglich den bereits vorhandenen Markenwert und den guten Ruf der Schweiz genutzt habe. Ein Fall von legaler Rufausbeutung mit Folgen. Eine vergleichbare und bis heute auch erfolgreiche Symbiose zwischen einem resonanzstarken Territorium und einer daraus abgeleiteten starken Marke findet sich in Hamburg, genauer auf St. Pauli, einem Stadtteil, mit dem vermutlich auch jeder Leser dieses Buches sofort einiges assoziiert, ob aufgrund persönlicher Kiez-Erfahrungen oder - bitte schön - wegen der vielen Erzählungen anderer. Aus diesem geschichtsträchtigen, sehr alten Resonanzfeld hat sich vor genau einhundert Jahren ein Fußballverein herausgebildet, der den Stadtteil als Markennamen nutzt - der FC St. Pauli . Die Resonanzbeziehung ist un überseh- und unüberhörbar. Der Stadtteil lädt den Verein ununterbrochen emotional auf, aber auch umgekehrt. Diese lebenswichtige Beziehung entsprechend zu gestalten und lebendig zu erhalten, ist eine der großen Aufgaben des Markenmanagements beim FC St. Pauli. Kein anderer hat diese Aufgabe so gedankenvoll, geschickt und wirtschaftlich erfolgreich gelöst wie der langjährige Vereinspräsident Corny Littmann. Bei seiner Art von Symbolmanagement dürfte es übrigens kein Zufall sein, dass er auch in St. Pauli wohnt und das Tivoli-Theater auf der Reeperbahn führt. Corny Littmann weiß, was der Verein dem Resonanzfe1d St. Pauli zu danken hat.
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Für viele sind wir das "Freudenhaus der Liga". Interview mit Comy Littmann Corny Littmann. geb. 1952. Theatermanager. Regisseur, Schauspieler und Autor. Seiner Schmidt-Mitternachtsshowwurde 1991 darAdolt-Grimms-Preis verliehen. Seit1999 zeichnet erverantwortlich für alleShowprogramms aufden Aida-Kreuzfahrtschiffen. Von 2003 bis2010 war er Präsident des Fe St. Pauli. (Foto: Schmidts Tivoli)
Frage: Ihr Verein darf sich über 17 Millionen Sympathisanten und 10 Millionen Fans in Deutschland freuen. Wie kann man diese extraordinäre Zuneigung zu einem FußbaJl-Club, der erst vor Kurzem in die erste Liga aufgsstisgsn ist, erldärsn7
Comy Litbnann: Eine hundertprozentige Erklärung gibt es für solche Kultphänomene nicht. Aber zwei Gründe möchte ich nennen: Erstens wird auf 5t. Pauli mit großer Leidenschaft gespielt und mit derselben Leidenschaft zugeschaut, mitgelitten und mltqefelert. Unabhängig vom aktuellen Rangplatz. Dazu trägt die einrangigeTribüne mit ihrer unmittelbaren Nähe zum Spielfeld genauso bei wie die ubergroße zahl an Stehplätzen. Ohne Stehplätze gibt es keine Leidenschaft. Der zweite Grund ist zweifellos die Zugehörigkeit zum Stadtteil St. Pauli, nicht nur im Namen. Frage: St Pauli ist der weJtweit bekannteste Stadtteil Deutschlands. Was tut Ihr Verein, um die Verbindung und dieses Resonanzfeld für sich zu nutzen?
Comy LIttmann: Wir stellen ganz bewusst gestalterische Beziehungen zum Hafenviertel St. Pauli her. Die Außenfassade unseres neuen Stadions ist mit roten Backsteinen verkleidet, aus denen auch die berühmten Lagerhäuser im alten Hamburger Hafen gebaut sind. Also keine ortlose Architektur wie moderne Stadien in Peking oder München. Der Platz heißt ..Millerntor~ nach dem alten Stadttor, das früher Hamburg und St. Pauli getrennt hat. Eine gewisse Distanz zu Hamburg gehort ja immer noch dazu. Deshalb haben Zigtausend Menschen unseren Aufstieg in die Bundesliga auch nicht auf dem Hamburger Rathausmarkt gefeiert, sondern auf der Reeperbahn. Und unsere Spieler haben nicht
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auf dem Rathaus-Balkon, sondern auf dem Balkon des Schmidt-Theaters gestanden. Für viele sind wir das ..Freudenhaus der Liga~ Frage: Außer durch die Backsteine - woran kann das Publikum noch erkennen, dass der Fe St. Pauli zugleich der Stadtteil ist?
Comy Littmann: In den Aufgängen unseres Stadions hängen viele großformatige Bilder vom Kiez. Gemalt hat sie der Comiczeichner Ulf Harten, dessen Stadtansichten in der Szene legendär sind. Die Menschen wissen sofort, sie befinden sich nicht in irgendeinem Stadion. Unsere Lounges heißen deshalb auch ..Separees" wie die Amüsierlogen im Rotlichtbereich und unser Vereinssaal heißt deshalb ..Ballsaal~ Viele nennen uns auch den ..Kiez-Club" und wir haben nichts dagegen. Die Biermarke im Stadion und im Vereinshaus ist Astra. Denn Astra ist St. Pauli. DerVerein repräsentiert eine alternative Kultur wie der Stadtteil selbst, und zwar für alle Bevölkerungsschichten, nicht nur für Alternative. Hier geht es um kollektives, in Gruppen erlebtesVolksvergnügen live. Man darf nicht vergessen, dass in den zwanziger, dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Hagenbeck, Operettenhaus und mehrere Volkstheater auf der Reeperbahn zu Hause waren. Der FC St. Pauli steht auch in dieserTradition.
Abbildung 5: Bild von Ulf Harten im St Pauli-Stadion: Die Fans mit ihrer Vereins- und der Piratenflagge und die Reeperbahn, von der Davidswache bis zu Schmidts "voli, als unauflösliche Gemengelage. (Bild:Ulf Harten)
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Abbildung 6: St Pauli ist sicher derbekannteste deutsche Stadtteil. Und nichtnurderFC St Pauli nutzt diesen Stadtteil als Resonanzfeld. Auch Astra, die Hamburger Biermerke schlechthin. spieltmitden Assoziationen rund um das verruchte Hamburger Viertel. Da liegtesnurnahe. dass Astra dem FC St Pauli zum 100. Geburtstag miteinem .81. Pauli hebe hoch- grawliert.IAnzeige: Ama Bier)
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Frage: Ist Fußball Volkstheater? Comy Littmann: Erst mal ist Fußball Fußball. Und sportlicher Erfolg das Wichtigste. Aber Fußball ist auf St. Pauli auch Unterhaltung wie im Volkstheater: Für alle , die ein paar Stunden das komplizierte wirkliche Leben vergessen möchten und in ein Leben eintauchen, das man noch versteht; wo es einfache Regeln gibt, wo jeder mitreden kann, wo die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung noch zutage liegen. Und wo man Freud und Leid unmittelbar teilen kann, und nicht wie vor dem Fernseher vereinsamt.
Frage: Ihre Spieler sind Profis und vermutlich nicht auf St. Pauli geboren. Wie bringen Sie denen rüber, dass sie zu diesem Stadtteil und dieser Szene gehören und davon leben? Comy Littmann: Zu jedem Saisonbeginn gibt es immer für die ganze Mannschaft eine Stadtführung durch den Stadtteil. Da lernen sie St. Pauli kennen wie nicht mal die Touristen. Das ist die offizielle .Kcntaktaufnahmet Der eher inoffizielle Mannschaftsabend danach taucht die neuen Spieler wie in einem Initiationsritus tief in das spezifische Milieu ein. Letztes Mal musste ein Neuer in "Susis Show Bar" mit einer Stripperin auf der Bühne strippen. Ein anderer musste singen und einer der Neulinge musste als Tunte verkleidet in der Schwulenbar "Wunderbar" hinter derTheke arbeiten. Das machen die Jungens aus freien Stücken und untereinander aus. Die Spieler wollen und sollen immer wissen: Wo bin ich, wo arbeite ich, und sie wollen und sollen sich dort auch zeigen.
Frage: Der Verein zeigt auf St. Pauli Flagge, weil er auch die Herzen der circa zwanzigtausend Bewohner braucht? Comy Littmann: Ich wohne selbst auf St. Pauli und erlebe schon beim Einkaufen, dass der Stadtteil sich mit uns identifiziert. Hier wird jede Entscheidung, die den Verein betrifft, an jeder Straßenecke von allen diskutiert. Trotzdem aktivieren wir unser ohnehin inniges Verhältnis durch weitere Maßnahmen. Dazu gehört auch, dass wir soziale Einrichtungen auf St. Pauli unterstützen. Da gehen unsere Spieler zu Autogrammstunden hin, es gibt Gratiskarten, mal eine Tombola oder auch Geld. Das "Leuchtfeuer"-Hospiz und das Obdachlosen-i.Cafe mit Herz" sind immer mit dabei. Zum hundertsten Jubiläum des Vereins hat sich der Stadtteil in die Farben Braun-Weiß eingekleidet. Und vor jedem Spiel singen Zuschauer und Spieler seit jeher aus voller Brust unser Lied "Das Herz von St. Pauli, das ist meine Heimat':
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Wörter als Resonanzfelder Es wird unseren Lesern auffallen, dass Wörter beim Aktivieren von Resonanzfeldem eine große Rolle spielen. Sie sind in der Regel das Zauberwort, das auf eine bestimmte Stelle in der Seele von Hörern oder Lesern trifft und eine geistige Schublade öffnet, deren Inhalte dem Ausgesprochenen unmittelbar zugutekommen. Man muss es nur aussprechen und schon geschieht etwas. Als ein Meister der Aufwertung durch Wörter erweist sich seit Langem das Warenhaus Strauss Innovation. Gilt es Frotteehandtücher aufzuwerten, werden sie unter der Überschrift "Collection Grand Hotel" angeboten. Kurzärmlige Herrenhemden werden als "italienische Atelierhemden" ausgelobt. Resonanzfelder wie "Grand Hotel" und "italienisches Modedesign" stünden auch Karstadt und Kaufhof zur Verfügung, um ihre Waren in ein schöneres Licht zu rücken. Ihnen fallt aber dergleichen nicht ein. Strauss Innovation hingegen hat unter der Anleitung des Seniorchefs Peter 1. Geringhoff eine regelrechte Textkultur zur Nutzung von emotional gut besetzten Resonanzfeldern etabliert. Die angestrebte Positionierung des Unternehmens als "Bezahlbarer Luxus" wird nicht nur, aber ganz wesentlich, mithilfe einer konsequent darauf ausgerichteten Wortwahl vermittelt. Bleiben wir bei Wörtern. In Österreich hat das Milchunternehmen N öm, um die Akzeptanz und den Absatz einer fettarmen Sorte zu fördern, dieselbe umbenannt in "Fastenmilch". Welch ein Entgegenkommen gegenüber den vielen Menschen, die gerne abnehmen möchten. Die Marktforscherin Helene Karmasin weiß zu berichten, dass von ihr befragte Damen gerne ihre Tortenstücke verzehren, um sofort darauf hinzuweisen, dass sie zum Ausgleich ihren Kaffee nur mit Fastenmilch trinken. Fasten statt Abmagern. Wie viel mehr Ethos, Disziplin und gesunde Askese vermittelt das Wort "Fasten". Um Ihnen diesen strategischen Gebrauch von Wörtern noch etwas n äherzubringen, bieten wir Ihnen hier eine kurze vergleichende Übersicht an. Prüfen Sie einmal bei sich selbst, welche Vorstellungen die Wörter auf der linken Seite in Ihnen wecken, verglichen mit den Bezeichnungen auf der rechten Seite:
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Auto Service Palast
Autowaschanlage
Kaiserthaler
Plätzchen
Byzantiner Königsnüsse
Haselnüsse
Steinofenpizza
Pizza
Flacon
Glasflasche
Titanschwarz
Schwarz
Familienunternehmen
Firma
Mecklenburger Landbrot
Graubrot
Quattro
Vierradantrieb
Parkhotel
Hotel
Handmade in Germany
Made in Germany
Markenmanagement bedeutet eben auch, für die eigene Sache die richtigen resonanzstarken Wörter zu finden. Denn der Name einer Sache, eines Produktes oder einer Dienstleistung ist es schließlich, der am häufigsten in der Kommunikation über eine Marke verwendet wird. Als sich die Internet-Banken formierten, haben sie sich eine Bezeichnung gegeben, die nicht unbedingt auf der Hand lag: "Direktbanken". Der Begriff lädt diese Institute ohne weiteres Zutun positiv auf. Wer wollte nicht beim Umgang mit Geld so direkt wie möglich mit seiner Bank verbunden sein, ohne störende oder zeitraubende Zwischenstufen. Diese positiv aufladende Wortwahl brachte die etablierten Finanzdienstleister in die Defensive. Eine Schweizer Privatbank betonte in einer Anzeigenkampagne, dass sie schon seit über hundert Jahren so direkt mit ihren anspruchsvollen Kunden verkehre, wie es direkter gar nicht möglich sei. Die deutschen Sparkassen fühlten sich mit ihrem Konzept der Nähe, mit ihren 1.400 Filialen und 140.000 persönlichen Beratern arg bedrängt. Die Direktbanken erwiesen sich als Magnet für ihre Kunden. Erst später durchschauten die deutschen Sparkassen den semantischen Trick ihrer neuen Wettbewerber und nennen sie nun "Distanzbanken". Denn so kann man es in der Tat auch sehen. Die Distanz ist extrem groß bei diesen Internetkontakten. Man sieht und hört nie einen Menschen, man weiß nicht, wo er residiert, selbst das Telefonieren mit ihm ist nicht möglich. Wie viel direkter geht es da bei der Sparkasse zu, deren Filiale um die Ecke liegt und deren Mitarbeiter man persönlich kennt. Im Publikum ist der Fehler wohl kaum noch zu korrigieren. Aber für das Selbstbewusstsein der Sparkassen dürfte es gut sein, die Direktbanken wenigstens begrifflich entzaubert zu haben.
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Wo Resonanzfelder liegen Resonanzfelder sind in unterschiedlichen menschlichen Erfahrungsbereichen zu orten. In ihnen können sich kollektive soziale oder auch kulturelle Erfahrungen spiegeln. Auf einen sozialen Hintergrund verweist beispielsweise eine Marke wie Volkswagen. Noch im Dritten Reich wurde der Markenname erfunden und am 28. Mai 1937 mit der Gründung einer "Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens mbH" veröffentlicht, die am 16. September 1938 in "Volkswagenwerk GmbH" umbenannt wurde. Anfang 1938 begann man im heutigen Wolfsburg mit dem Bau des Werks, in dem das von Ferdinand Porsehe konstruierte Fahrzeug hergestellt werden sollte. Schon 1945 lief der erste "Volkswagen"vom Band. Die sofortige Aufladung der Marke mit eigenen Qualitätsvorstellungen war allein durch den Markennamen garantiert. Die Deutschen hatten noch das Volksradio, den Volksempfänger im Kopf. Jetzt gab es auch das Auto für alle: zweckmäßig, robust, langlebig, mit allem, was man braucht, ohne Schnickschnack und erschwinglich. "Er läuft und läuft und läuft" hieß eine der erfolgreichsten Werbekampagnen. Am anderen Ende des sozialen Spektrums liegt ein Resonanzfeld namens "Exklusivität", das seine Wirkung ebenfalls nicht verfehlt. Was nicht überall und nicht für jeden zu haben ist, weckt noch immer Begehrlichkeit. Die Vorstellung, etwas zu besitzen, was für andere kaum erreichbar ist, hebt die Seele und die Ausgabenbereitschaft. Als die für ihre Designer-Kleidung berühmte HollywoodBoutique "Giorgio in Beverly Hills" 1981 auf die Idee kam, ein Parfüm unter ihrem Namen herauszubringen - diese Art von Sortimentserweiterung scheint bei Modeunternehmen geradezu zwanghaft zu sein -, entschied sie sich, neben dem berühmten Namen "Giorgio" ein zusätzliches Resonanzfeld für sich zu aktivieren. In national gestreuten Anzeigen teilte sie den Amerikanerinnen mit, dass es dieses neue Parfüm nur an einem einzigen Ort zu kaufen gebe: "Exclusively sold at Giorgio's, Beverly Hills." Die Schachtel war gelb-weiß-gestreift wie die Markise über dem Boutiquen-Eingang. Der Duft, obwohl von einigen als etwas zu süßlich empfunden, war dennoch sensationell erfolgreich. Erst ein Jahr nach der Einführung erwies Giorgio den Amerikanerinnen dann die Gnade, zusätzlich einen weiteren Verkaufspunkt zu beliefern: "Exclusively sold at Giorgio's and Bloomingdale, New York." Das Resonanzfeld Exklusivität lässt sich durch verschiedenste Maßnahmen für die eigene Marke aktivieren. Es kann eine total reduzierte Distribution oder ein extrem hoher Preis sein; es können aber auch minimale Stückzahlen, numme-
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rierte und mit Kaufurkunde versehene Einzelstücke oder Zugangsbeschränkungen anderer Art sein. Wie viel Selbstbewusstsein eine Marke aus einer solchen Strategie beziehen kann, verrät ein kleiner Prospekt an der Hendrick's-Gin-Flasehe. Dort heißt es mit englischem Understatement: "Einer von 1.000 Gin-Trinkern bevorzugt Hendrick's." Barkeeper bestätigen gerne, dass Hendrick's nur etwas für absolute Kenner ist. Dass Hendrick's auch der teuerste Gin ist, versteht sich vor diesem Hintergrund fast von selbst, gehört aber dazu. Andere vom Besitz einer Sache auszuschließen, um die Sache selbst aufzuwerten, ist ein eminent sozialer Vorgang. Einer der Begründer der deutschen Soziologie, Ferdinand Tönnies, schreibt in seinem Hauptwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft", der gesellschaftliche Wert einer Sache bemesse sich allein an der Tatsache, dass sie auf der einen Seite im Ausschluss gegen andere gehabt und auf der anderen von vielen Menschen begehrt werde. Alle übrige faktische Beschaffenheit der Sache sei dagegen gleichgültig. Die Kultur ist ein anderer Erfahrungsbereich, dem wir hochwirksame Resonanzfelder verdanken. Das gilt für die Kultur im engeren Sinne wie auch für die Alltagskultur. Wenn wir von einer Ballett-Inszenierung hören, die aus Moskau zu uns kommt, geht unser Wertschätzungspegel automatisch hoch, selbst wenn es sich nicht um das Corps de Ballet des Bolschoi-Theaters handelt. Möglicherweise ist es so sogar ein zweitklassiges Ballett, das aber um die Wirkung der Herkunft "Moskau" weiß und sie deshalb im Titel führt. Wenn es einen klugen Menschen aufzuwerten gilt, lässt sein PR-Manager ihn eher vor einer Bibliothek als vor einem Computer ablichten. Denn der Anblick von Büchern löst noch am sichersten den Schluss aus, der Mann sei weise und wisse, wovon er redet. Unsere Verfassungsrichter beispielsweise werden außerhalb des Gerichts immer vor einer Bücherwand interviewt. Und keiner fragt, ob der Mensch die alle gelesen hat. Wie leicht mit einer "Bibliothek" das Resonanzfeld des Weisen aktiviert werden kann, wird vollends klar, wenn man sich eine weise Person vorstellt, die statt über eine große Bibliothek über eine große "Mediathek" verfügt. Mehr in der Alltagskultur angesiedelt sind Resonanzfelder wie Tradition. Hört man von einem Unternehmen, es verfüge über eine lange Tradition, steigt es in unserer Achtung und wir vermuten, dass seine Leistungen von hoher Qualität sind . Am einfachsten ist dieses Resonanzfeld anzuklicken durch eine entsprechende Altersangabe. "Seit 1896"steht auf dem Etikett und dem Briefbogen, "Established 1896" über dem Restauranteingang in London . Eine US-amerikanisehe Studie eines Forscherteams um Preyas Desai hat nachgewiesen, dass eine solche Altersangabe einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Anbietern darstellt,
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die keine Vergangenheit aufzuweisen haben. Wenn den Kunden keine aussagekräftigen Informationen über die Produkte oder Dienstleistungen einer Firma zur Verfügung stünden, würden sie eher die traditionsreiche als eine junge Firma wählen. insbesondere wenn sie den Kauf als sehr riskant erleben. Das bloße Gründungsdatum verfehle bei höher Risikowahrnehmung niemals seine Wirkung auf das Kundenurteil. Wie vorteilhaft Tradition auf das Gemüt einwirkt, durfte der Hamburger Unternehmer Rolf Dittmeyer indirekt erleben. als er seine Austernfarm im Wattenmeer vor Sylt etwas altertümelnd ..DittmeyeI's Austern-Compagnie" nannte und diesen Markennamen in einer alten Frakturschrift um das Symbol des AusternfLSchers kränzte. Ein Wettbewerbsaufseher warf ihm vor. mit einer derartigen ..Alterswerbung" verbotenerweise einen Anschein von in Wirklichkeit nicht vorhandener Tradition zu erwecken und dadurch den Konsumenten entsprechende unbezweifelbare Qualitäten vorzutäuschen. Rolf Dittmeyer wusste genau, was er mit seiner Wortwahl und Typografie getan hatte. Er hatte nicht mit einer wettbewerbswidrigen falschen Altersangabe geworben, sondern allein durch die traditionslastige Gestaltgebung das Resonanzfeld ..Tradition" für seine Firma aktiviert und damit im Milieu der Austern-Esser gepunktet. Er war auch geschickt genug, eine Lösung für den Rechtsstreit zu fmden. Er entzog sich dem Vorwurfder Irreführung und fügte dem Markennamen - in Frakturschrift - das tatsächliche Gründungsjahr hinzu: 1986. Geändert hat das in der Wahrnehmung durch die Kunden vermutlich nichts.
Abbildung 7: Das Wort-Bildzeichen derDittmeyerschen Austern-Farm mitderkorrekten Jahreszahl. (Bild: Clemens Dittmeyer)
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Resonanzfelder mit Zusatznutzen: Emotionen Wer heute über Marke diskutiert, wird unweigerlich der Forderung begegnen, Marken müssten emotional aufgeladen werden. Erst die emotionale Aufladung sorge für den notwendigen Abstand zu Handelsmarken oder anderen billigeren Marken, deren Produkte ansonsten den teureren sehr ähnlich seien. Dahinter steht die Beobachtung, dass über die Wertschätzung und den Kauf eines Produktes nicht nur dessen funktionale, verstandesmäßig erfassbare Vorzüge entscheiden, sondern dass auch Gefühle eine Rolle spielen. Derartige verkaufsfördernde Gefühle lassen sich erfahrungsgemäß sehr gut auch durch das Aktivieren von Resonanzfeldern erzeugen. Um gezielt auf sie zugreifen zu können, sei derartigen Emotionalisierungsstrategien ein eigenes Kapitel gewidmet. Leider sind wir durch unsere abendländische akademische Tradition eher darin geschult, mit analytisch nachvollziehbaren Prozessen umzugehen als mit dem, was sich gefühlsmäßig in einem Menschen abspielt. Deshalb bleiben Aussagen hierzu häufig ein wenig verschwommen; man kann nicht ganz genau sagen, welche Gefühle man wodurch auslösen will, mit welchen Gefühlen die Marke geladen werden soll. Nur dass Gefühle wichtig sind, das weiß man . Mancher Markenartikler unternimmt schon gar nicht mehr den Versuch, mittels Produktargument Kunden für sich zu gewinnen. Er ersetzt seine Produkt- oder Serviceleistungen in der Werbung kurzerhand durch schöne Emotionen; wie in einem TV-Spot, der eine mit zwei Jünglingen im Bett sich räkelnde Schöne zeigt, die schließlich wortlos das Liebeslager verlässt, um sich mit der Schachtel einer neuen Marken-Margarine die Wange zu kühlen. Typisch für derartige Werbedarstellungen ist ihre Sprachlosigkeit. Flächendeckend ist zu beobachten, dass in immer mehr Werbemitteln immer weniger Sprache eingesetzt wird, die die Empfänger beeindrucken oder überzeugen könnte. Werbung dieser Art wird im Fernsehen gerne von Musik untermalt. Musik, so hört man als Erklärung, verstärke die Emotionen. Damit ist der Weg dann ganz frei für eine Behauptung, der viele Auftraggeber verängstigt folgen: Eine durch Bilder und Klänge emotionalisierte Werbung würde durch Sprache zerstört, Gefühle könnten sich nur wortlos entfalten. Mit dieser Argumentation wird sogar das Aussprechen des Markennamens am Schluss eines TV-Spots unterbunden und als Hard Selling diffamiert.
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Der gefühlvoll nichtssagenden Werbung liegt möglicherweise auch ein Missverständnis zugrunde: Als die Psychologie in die Werbung kam, wollte sie Argumente emotional verpacken, nicht ersetzen. Sie wollte die Käufer emotionalisieren, nicht aber Emotionen verkaufen. Sie verstand Emotion als Kommunikationshilfsmittel, um die Seelen zu öffnen für ein Angebot. Heute jedoch mutiert Emotion immer mehr zum Kommunikationsinhalt. Im Fernsehen begegnet uns diese falsche Auffassung besonders häufig, weil Werbeagenturen meinen, TV sei ein emotionales Medium und deshalb als "Basismedium" besonders geeignet, Marken mit Emotionen aufzuladen. Das "Ergänzungsmedium" Print hingegen sei für Informationen und sprachlich vermittelte, rationale Benefits zuständig. Diese Unterscheidung von Fernsehen und gedruckten Medien ist völlig willkürlich und entspricht nicht der Realität außerhalb der Werbung. Zeitungen und Zeitschriften können erregen, beeindrucken, informieren und unterhalten; Bücher können Rat geben oder zu Tränen rühren; das Fernsehen sendet Nachrichten und erzeugt Lachsalven; selbst das Radio kann fast alles (sogar ohne Bilder). Gegen Emotionen als Kommunikationsinhalt sprechen schließlich auch die kaum widerlegbaren Argumente, dass erstens nur positive Emotionen in Betracht kommen und dass zweitens deren verbleibende Zahl aus kreatürlichen Gründen begrenzt ist. Es gibt nur wenige positive Emotionen, die sich deutlich voneinander unterscheiden: Glück, Freude, Liebe, Ausgelassenheit, Mut, Coolness, Freiheit - viel mehr ist nicht drin auf der schönen Seite unseres Gefühlshaushaltes. Die kleine Zahl reicht niemals, um Hunderte und noch mehr Marken per Werbung auseinanderzuhalten. Auf den richtigen Auslöser drücken
Nackte Information ist aber auch keine Lösung. Marken und Markenwerbung brauchen Emotionen als Wirkverstärker. Dieses Kapitel möchte etwas mehr Klarheit in die Mechanismen bringen und auch für Gefühle einen planenden, zielgerichteten Zugriff ermöglichen. Statt austauschbare Gefühle abzubilden, sollte es möglich sein, Emotionen wieder als das zu nutzen, wozu sie in der Rhetorik und anderen Beeinflussungsstrategien eigentlich gedacht sind - als notwendige Kommunikations-Hilfsmittel, wenn man es mit einem normalen, d. h. relativ unkundigen Publikum zu tun hat. Sie sollen helfen, Freude beim Wahrnehmen eines Arguments zu erzeugen, sollen es verstärken, dadurch mögliche Widerstände des Verstandes schwächen und ihm eine positive Entscheidung nahelegen. Weil mit dem Aktivieren von Resonanzfeldern häufig auch zugehörige Gefühle im Empfänger geweckt werden, wird von ihrem strategischen Gebrauch auch in diesem Zusammenhang die Rede sein.
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Um Emotionen strategisch einsetzen zu können, braucht es ein Wissen um die passenden Auslöser von bestimmten Gefühlen im Publikum. Als Einstieg in einen derartigen Gebrauch der Gefühle eignet sich besonders gut der Film "Wag the dog", eine schwarze Satire über die Manipulierbarkeit der Menschen mithilfe der Medien. Darin gibt es einen Abschnitt, in dem ein Filmregisseur namens Motss, hinreißend gespielt von Dustin Hoffmann, Bilder gestalten will, die unter Garantie bei den Amerikanern die Bereitschaft auslösen, gegen Albanien Krieg zu führen. Motss bestellt zu diesem Zweck beim Produzenten eine Szene mit einem soeben zerbombten Haus in einem Dorf, aus dem völlig verängstigt ein Mädchen rennt, das eine weiße Katze auf dem Arm hat. Gegen alle Einsprüche besteht Motss darauf, dass es ein weißes Kätzchen sein müsse und nicht ein geflecktes. Er kann und will seine Forderung nicht erklären, versichert aber, dass in den Fernsehnachrichten nur diese Szene mit genau diesem Tier so viel Mitleid und Empörung über den angeblichen Angreifer Albanien auslösen werde, dass der Präsident das Plazet für einen militärischen Gegenschlag erhielte. Und so geschieht es dann auch. Denn es existiert ein Resonanzfeld der "wehrlosen Unschuld", das in diesem Film durch ein schreckliches Bild strategisch absichtsvoll aktiviert wurde und die geplanten emotionalen Reaktionen ausgelöst hat . Dass das Publikum spontan eine große Resonanzbereitschaft zeigt, wenn man die richtigen Auslöser sendet, ist eine Erfahrungstatsache. Doch in keinem Lexikon der Welt, in keinem Kommunikations- oder Marketinglehrbuch wird der Wirkungszusammenhang zwischen einem verängstigten Mädchen mit weißer Katze und öffentlicher Kriegsbereitschaft dargestellt und analysiert. In der USamerikanischen Realität waren es seinerzeit die (gestellten) Fernsehbilder, in denen irakisehe Soldaten frühgeborene kuweitische Babys aus ihren Brutkästen raubten, die in der US-amerikanischen Öffentlichkeit das Fass zum Überlaufen brachten. Ein Meister in der Produktion strategischer Bilder und immer auf der Suche danach ist die Marke Greenpeace. Unvergessen ist das Bild eines Aktivisten auf der Bohrinsel Brant Spar, als er von Wasserkanonen beschossen wurde. Immer wieder sehen wir Bilder von Walschützern, die mit Minibooten furchtlos vor dem Bug gewaltiger Fangschiffe agieren. Unverändert suche man noch immer nach dem ultimativen Foto im Kampf gegen den Walfang, erklärte einmal ein Greenpeace-Mitglied: die Walmutter, die gerade ihr Junges gebiert, als sie von einer Harpune tödlich getroffen wird. Wir betreten das Reich der Psychologie, wenn wir von Gefühlen sprechen und dem, was Gefühle erzeugt. Im Zusammenhang mit der Resonanzfeldtechnik sind es keine künstlerischen oder politischen Absichten, die mit solchen Mit-
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teln verfolgt werden. Es handelt sich auch nicht um Manipulation wie in "Wag the Dog" geschildert. Denn eine solche liegt nur vor, wenn man dem anderen dabei zum eigenen Vorteil bewusst schadet. In der Markenführung aber geht es kaufmännische Anständigkeit vorausgesetzt - um Beeinflussung; allerdings in einer seelischen Region, die der Empfänger nicht oder zumindest sehr viel weniger unter Kontrolle hat als seine Vernunft. Unter den geschilderten Voraussetzungen muss es deutlich schwieriger erscheinen, eine Marke emotional aufzuladen, als sie mit rational überzeugenden Argumenten zu versehen . Mit der Resonanzfeldtechnik legen wir jetzt einen Ansatz vor, der dies gleichwohl möglich macht. Auch wenn unser Buch keinen Katalog aller möglichen Resonanzfelder und der mit ihnen zusammenhängenden Gefühle enthält - einen solchen wird es vermutlich niemals geben -, macht es doch vertraut mit Techniken, sie für die Zwecke der eigenen Marke zu nutzen. Dazu gehört auch, dass wir dem Leser Kenntnis von neurophysiologisch beobachtbaren Prozessen geben, die beim Aktivieren von Resonanzfeldern ablaufen. Das Neuromarketing eröffnet einen Blick auf die tieferliegenden Zusammenhänge, die wir bis hierher nur als Oberflächenstruktur beschrieben haben.
Marken borgen sich Emotionen Professor Dr. Peter Kenning ist ein ausgewiesener Kenner des Neuromarketings und zugleich bekannt für seine eher zurückhaltende Bewertung dieser neuen Disziplin. Seine Aussage, dass sich Marken mithilfe von Resonanzfeldern Gefühle "borgen" können, unterfüttert umso mehr den Gedanken dieses Kapitels, dass mit den Resonanzfeldern Stoff bereitliegt, der sich zur kostenfreien emotionalen Aufladung von Marken anbietet.
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Vertraute Strukturen beeinflussen überihre Belohnungswirkung im Gehirn die Kaufentscheidung Interview mit Professor Dr. Peter Kenning Professor Dr. Pater Kenning ist Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an derZeppelin Universitit (ZU) in Friedrichshafen am Bodensee. Die wissenschaftlichen Schwerpunkte von Peter Kenning liegen in derNeuroökonomik. Sein Ziel
isteine naurobiologisch fundierte, deskriptive Entscheidungstheorie.IFoto: Jigal Fichtnerl
Frage: Was passiert in einem Menschen, wenn er einem Resonanzfeld in Gestalt eines WaTtes oder eines Bildes begegnst?
Peter Kenning: Im Gehirn gibt es auf emotional aufgeladene Stimuli wie bestimmte Wärter oder Bilder eine häufig spezifische neurophysiologische Reaktion. Dabei werden Netzwerke mit bestimmten zugehörigen Vorstellungen und Emotionen aktiviert, die sich aus Erfahrungen mit diesem Stimulus gebildet haben und dort abgelegt sind ...Resonanzfeider" - wie Sie es nennen - repräsentieren eine Art verkörperlichtes Wissen, das bei solchen Begegnungen blitzschnell abgerufen wird. Frage: Woher kommt dieS8s Wissen?
Peter Kenning: Nehmen wir als Beispiel den Begriff der "Krönung" im Markennamen der Marke Jacobs Krönung. Hört der potenzielle oder tatsächliche Kunde diesen Begriff, wird vermutlich eine Struktur angesprochen, die in der Kindheit - vielleicht beim Erzählen von Märchen - gebildet wurde. Möglicherweise ist diese Struktur um ein eigenes Erlebnis ergänzt worden, beispielsweise durch die erste Tasse ..Krönung" bei der eigenen Kommunion. Unser Gehirn erinnert buchstäblich diese positiven Ertahrungen, die dann später, wenn es dem Wort "Krönung" wieder begegnet, abgerufen werden und eine Reaktion im Belohnungssystem hervorrufen.
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Frage: Welche Bedeutung hat dieser Vorgang bei Kaufentscheidungen ? Peter Kenning: Grundsätzlich gilt, dass Menschen belohnende Zustände anstreben. Die belohnenden Zustände, die mit der Markenwahrnehmung einhergehen, beeinflussen die Vorgänge im präfrontalen Kortex, unserem Vorderhirn. Da dort die für die Kaufentscheidung maßgeblichen Prozesse ablaufen, ist der Belohnungswert, der mit einer Marke verbunden wird, wesentlich für das Ergebnis der Kaufentscheidung. Marken, die emotional aufgeladen sind, indem sie beispielsweise auf bestimmten Erfahrungen und Strukturen aufsetzen, haben daher einen neurophysiologisch messbaren Einfluss auf die Kaufentscheidung.
Frage: Es lohnt sich also für einen Markenmanager, mit solchen vertrauten Strukturen zu kooperieren? Peter Kenning: Ja, denn die Nutzung solcher Strukturen hat einen positiven Einfluss auf die Effizienz der Markenführung. Dafür gibt es mindestens drei Gründe: Erstens muss der Kunde bei Nutzung dieser Strukturen keine neuen Vorstellungszusammenhänge und damit verknüpften Emotionen lernen, sondern nutzt Vorhandenes. Die Marke borgt sich sozusagen die positiven Emotionen. Zweitens wegen der mit der Struktur verbundenen Belohnungswirkung, die einen positiven Einfluss auf die Bewertung des Markenangebots hat. Und drittens: Weil unser Gehirn solche belohnenden Zustände geradezu aktiv sucht. Es nimmt entsprechende Auslöser schneller wahr als alles andere; ausgenommen unmittelbare Bedrohungen wie beispielsweise eine Schlange im Zimmer.
Frage: Inwieweit kann man sich darauf verlassen, dass Resonanzfelder in Konsumenten tatsächlich Resonanz auslösen? Peter Kenning: Wir unterscheiden bei den Auslösern einer Belohnungsreaktion zwischen Primary Inducern und Secondary Inducern. Primary Inducer sind genetisch angelegte Belohnungen wie Sex, Drogen oder Süßes. Sie sind oft interkulturell ähnlich und kollektiv verlässlich. Secondary Inducer hingegen sind kulturell erlernt im weitesten Sinne, also auch durch unbewusste Wahrnehmungen. Einige von ihnen bringen es dabei durchaus zu internationaler Geltung wie beispielsweise die Marke "Made in Germany" bei Technikprodukten; andere gelten nur für das Kollektiv eines abgegrenzten Kulturraums wie beispielsweise das Landleben als Auslöser idyllischer Vorstellungen.
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Exkurs: Die Massenseele im Individuum Obwohl der Begriff "Massenseele" mit dem Makel der Unvernunft, mit mangelnder Verstandeskontrolle und Populismusverdacht behaftet ist, lässt sich die Resonanzfeld-Technik bewusst vorbehaltlos auf dieses Phänomen ein. Sie vergegenwärtigt uns, dass es in jedem Menschen neben seiner durch die persönliche Geschichte geprägten Individualseele auch so etwas wie eine Massenseele gibt. Sie kann seine Kaufentscheidungen in starkem Maße beeinflussen und Gefühle erzeugen, wo der Verstand keinen Grund sieht. Resonanzfelder sind ihrer Natur nach massenseelische und verhaltensbeeinflussende Vorstellungen im einzelnen Konsumenten. Auch wenn sich das kaufende Individuum der "fremden" Herkunft seiner Gedanken nicht bewusst ist. Mit dieser Massenseele sollte man sich allerdings gut auskennen, wenn man mit ihr kooperieren will- woher auch immer dieses Wissen stammt. Die Soziologie, die Massenpsychologie, die Geistes- und Kulturwissenschaften, aber auch der Common Sense sind vermutlich als Erste gefragt, wenn es darum geht, massenseelische Erregungspotenziale für eine Marke zu orten und für die wirtschaftlichen Zwecke einer Firma zu nutzen. Die Begriffe "Massenseele" oder auch "Kollektiv" könnten zu Missverständnissen führen. Eines der beliebtesten ist die Vorstellung, Masse seien immer die anderen, aber nicht die eigene individuelle Person. Denn wir sind als Abkömmlinge der europäischen Aufklärung darauf geeicht, den Menschen als unverwechselbares Individuum wahrzunehmen und zu achten und nicht als Element einer Masse, die gleich denkt und handelt. Außerdem haben wir in dunkelster Zeit erlebt oder davon gehört, was passiert, wenn sich Menschenmengen unter teuflischen Vorzeichen tatsächlich als Masse formieren und zu blutigen Zwecken aktiviert werden. Zum guten Bild vom selbstständigen Individuum gehört bis heute auch seine Vernünftigkeit. Die Vernunft sei eine allen Menschen gemeinsame Fähigkeit; sie brauchten sie nur konsequent anzuwenden und schon regle sich in der Familie, in der Firma, im Markt alles fast von selbst. So entstand unser Aberglaube von der Überlegenheit des Arguments über das Unvernünftige, Irrationale. Derart erklärt sich die Tatsache, dass Universitäten und Hochschulen das Nicht-Vernünftige bis heute nicht erforschen und lehren. Auf diese Weise entstand auch die normative Vorstellung, das Individuum solle sich sein Urteil von der Welt und den käuflichen Dingen selbst bilden , mittels vollständiger Information und kritischer Prüfung von Argumenten, und es solle die Gründe seines Denkens und Handeins kennen. Dieses hochgeschätzte Individuum darf keinem Vorur-
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teil folgen, denn Vorurteile sind die Urteile des Kollektivs. Und weil das Kollektiv im aufklärerischen Denkgebäude ziemlich schlechte Karten hat, ist unser Urteil über das Vorurteil auch rasch gefällt: Irrational ist es und lässt sich durch noch so gute Argumente und überzeugende Beweise nicht aus den Angeln heben; mitunter widerlegen, ja, aber nicht beseitigen. Unvorstellbar, dass im Vorurteil eine eigene Art von Vernunft herrscht, die möglicherweise sogar der Einzel-Vernunft übergeordnet ist, und dass große Gemeinschaften gerade diesen überkommenen, vererbten, mitunter schlafenden, jederzeit zu erweckenden Vorstellungen ihr langes Leben und ihre Kontinuität verdanken. Resonanzfelder mit ihrer enormen seelischen Durchschlagskraft widersprechen vielen Annahmen über den individuell urteilenden Konsumenten. Wie nachhaltig der Wunsch nach einem unabhängigen, vernünftigen Individuum den Blick für die Wirklichkeit trüben kann, bezeugt die Figur des ebenfalls im 18. Jahrhundert erfundenen Homo oeconomicus. Er ist bis heute der ModellAthlet der Wirtschaftswissenschaften. Sein selbstsüchtiges Zielsystem ist widerspruchsfrei, er informiert sich über alle relevanten Angebote, wägt Aufwand gegen Nutzen, Preis gegen Leistung, entscheidet nach den Regeln der Vernunft und weiß deshalb auch, warum er was gekauft hat. Wäre es doch so. Dann gäbe es jene merkwürdige emotionale Bindung der Menschen an Marken nicht, sondern nur die jederzeit aufkündbare Beziehung zu Produkten, und zwar die mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Wie erfrischend, dass das NobelpreisKomitee in jüngster Zeit auch Wirtschaftswissenschaftler ehrt, die wie Elinor Ostrom oder Robert Lucas schon seit Langem Zweifel säen am Homo oeconomicus und allen daraus abgeleiteten Erklärungsmodellen der Wirtschaft. Das Verhalten des einzelnen Wirtschaftssubjekts, so folgert Lucas aus seinen langjährigen Beobachtungen, sei weniger aus seiner Individualität erklärbar, sondern folge überpersonalen, nur makroskopisch erfassbaren Mustern. Ein Plädoyer für Kollektivität - und Resonanzfelder. Nach Menschenverachtung klingt das bloß für diejenigen, die sich Massen nur als unbeherrschte und unbeherrschbare Kollektive vorstellen und dabei brav ihren Le Bon oder Ortega y Gassets "Aufstand der Massen" zitieren. Ungern lassen die Anhänger des europäischen Individualismus in ihre Köpfe hinein, was große Soziologen wie Max Weber, Ferdinand Tönnies oder der Nestor der amerikanischen Sozialwissenschaften, Amitai Etzioni, als gesellschaftliche Wirklichkeit entdeckt und eindringlich beschrieben haben: Zum individuellen Selbst des
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Menschen gehörten sein soziales Selbst, sein Eingebundensein in Groß gruppen und seine Formatierung durch geistig-seelische Muster, die er selbst nicht geschaffen hat und die er doch als Teil seiner Persönlichkeit erlebt.
Authentisch oder nicht? Gerne wird diskutiert, ob der Auslöser eines Resonanzfeldes authentisch sein muss. Die Antwort des Markentechnikers lautet: Wichtiger als Authentizität ist eine Gestaltgebung, die zuverlässig an Klischees, also an die Vorstellungen und Erfahrungen anschließt, die im Konsumentengehirn mit dem jeweiligen Resonanzfeld verknüpft sind. Am folgenden Beispiel lässt sich gut darstellen, was passiert, wenn man der Authentizität den Vorrang vor dem Klischee einräumt. Eine Bank warb in Anzeigen mit ihrer Beratungskompetenz in Sachen Geldanlage. Um die Vorstellung von Kompetenz zu erzeugen, bildete sie den Chef ihres Fondsgeschäfts in einem Porträt ab. Nicht ohne Grund: Der Mann galt unter Experten als befähigter und erfolgreicher Finanzexperte. Ein authentisches Angebot also. Das jugendliche Antlitz und die bubenhafte Frisur des Fondschefs entsprachen aber nicht unbedingt dem, was sich normale Menschen unter einem "Berater" vorstellen. Dieses Resonanzfeld will durch Bilder von älteren, eher grauhaarigen, klug dreinblickenden Männern angeregt werden . Ein Test hat diese Vermutung dann bestätigt: Den befragten Personen wurden zwei Porträts vorgelegt mit Fragen zum Vertrauen und zur Kompetenz in Geldangelegenheiten. Ein Porträt zeigte das Antlitz des Fondschefs aus der Werbung, ein anderes einen älteren Herrn mit hoher Stirn und ergrautem Haar. Die Mehrheit gab dem älteren Herrn in allen Belangen die deutlich besseren Noten . Selbst und gerade jüngere Versuchspersonen wollten mit Zweidrittelmehrheit nur ihn als Berater akzeptieren. Die Ergebnisse überraschen den Markentechniker nicht. Denn die Vorstellungen darüber, wie ein guter Berater in wichtigen Lebensfragen aussieht, sind kollektiver Natur und in nahezu allen Seelen als Gestaltmerkmale abgelegt. Mit einem Bubengesicht lassen sie sich nicht aktivieren. Obwohl sich hinter seinem Gesicht die wahre Kompetenz verbirgt, während das Gesicht des älteren Herren einem Top-Manager der Elektronikindustrie gehört, von dessen Kompetenz in Sachen Geldanlage nichts bekannt ist. Das unwirksame Bild ist also authentisch, das wirksame nicht. Die Kommunikationsverantwortlichen der Bank hatten auf
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Authentizität gesetzt, der Markentechniker hätte das Bild nach der beabsichtigten Kommunikationswirkung ausgewählt. Erst dadurch, dass das Faktische einer Marke bzw. eines Markenprodukts oder einer Dienstleistung in eine passende Gestalt umgeformt und dergestalt inszeniert wird, können sich Marken die Resonanzfelder der Massenseele systematisch erschließen und zur emotionalen Aufladung nutzen.
Die Macht der Gleichnisse Schon seit Jahrtausenden vermitteln sich die Menschen in aller Welt die Wahrheiten über das Leben nicht nur durch konkrete Fälle, wie beispielsweise die Journalisten mit ihren authentischen Berichten über die große und die kleine Welt oder wie die Wissenschaftler durch ihre objektiven, faktengestützten Analysen der Wirklichkeit. Von der Kindheit bis ins hohe Alter hinein werden allgemeine Wahrheiten vor allem durch die Umformung in Geschichten vermittelt, die nicht authentisch sind - durch Gleichnisse, Märchen, Storys, Songs und andere öffentliche Erzählformen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie das Tatsächliche, die Realität umwandeln in exemplarische Bilder und Worte. Die Menschen verstehen von Kind auf, was und wer gemeint ist, wenn vom verlorenen Schaf erzählt wird oder von Cinderella oder von Harry Potter oder wenn Xavier Naidoo von dem Weg singt, der kein leichter sein wird, sondern steinig und schwer. Die Menschen speichern in ihren Gehirnen die Handlungs- und Verhaltensmuster und Lebensregeln ab, die ihnen auf diesem Wege vermittelt worden sind. Unwillkürlich gleichen sie vieles von dem, was sie auf ihrem Lebensweg persönlich erfahren, mit diesen Mustern ab. Finden sie sie durch die Realität bestätigt, festigen sich die Muster und verknüpfen sich im Gehirn zugleich mit den dazugewonnenen individuellen Erfahrungen. Keines der Märchen aus Tausendundeiner Nacht, kein Liebeslied ist authentisch. Und dennoch erzählt jedes etwas Wahres. Wir sind es gewohnt, dass man uns das Eigentliche durch eine uneigentliche Darstellung zu Gemüte führt. Und dass für diese Darstellungen Bilder und Wörter benutzt werden, die nicht authentisch, sondern als Gleichnis gedacht sind. Der ältere Herr in dem oben beschriebenen Test wäre das passende Gleichnis zu dem gewesen, was die Bank an Beratungskompetenz und Vertrauenswürdigkeit für sich reklamieren wollte. Und niemand hätte den Vorwurf der Unwahrheit erhoben.
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Auslöser markenspezifisch ausgestalten: Lindt Statt authentisch zu sein, kommt auf den Markenmanager in unserem Zusammenhang eine ganz andere Forderung zu. Er muss die Signale, die in der Kollektivseele ein Resonanzfeld für seine Marke zum Schwingen bringen und sie aufladen sollen, markenspezifisch ausgestalten. Ein gelungenes Beispiel liefert die Marke Lindt. Lindt verwendet hochwertige, beste Kakaosorten und ist deutlich teurer als Massenmarken wie Milka oder Ritter Sport. Was zeigt Lindt in der Werbung? Den Confiseur mit der hohen weißen Konditorhaube, Maitre Chocolatier genannt. Er verziert mit Hingabe einzelne Pralines von Hand, legt liebevoll ein Glöckchen um den Goldhasen oder kreiert leidenschaftlich neue Rezepturen. Ein spezielles Rührwerk - die Conche - sorgt durch besonders langes Verrühren der Schokolade für den einzigartigen Schmelz aller Lindt-Spezialitäten. Es ist leicht zu erkennen, dass Lindt damit ein Resonanzfeld für sich aktiviert, das man "Handarbeit" nennen kann. Es ist assoziiert mit Vorstellungen von Individualität, Meisterschaft, Tradition, Echtheit und großer Sorgfalt bei der Herstellung der Ware. An dieses Resonanzfeld kommt Lindt aber nur heran, weil das Unternehmen mit Gleichnissen für Handwerklichkeit arbeitet, die dem Publikum vertraut sind . Mit einer noch so gekonnten authentischen Darstellung der heutigen Fabrikation wäre das nicht zu schaffen. Der Weg über das Gleichnis ist insofern kein Umweg, sondern sogar der direkteste Weg in die Massenseele.
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Abbildung 8: Weltweit. nichtnurin Deutschland arbeitet diese SchIllsseifigur derUndtWerbung - derMaitre Chocolatier. Das Resonanzfeld .handwerkliche Herstellung" scheint zumindest für Pralinen und Schokolade keine Grenzen zu kennen. (Foto: Lindt &. Spriingli Deutschland)
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Der Grieche aus Heimenkirchen Ein anderer Fall, an dem sowohl die Authentizitätsfrage wie auch die Pflicht zur individuellen Ausgestaltung der Resonanzauslöser sehr gut dargestellt werden können, ist die Käsemarke Patros. Das herstellende Unternehmen residiert nicht etwa in Griechenland, sondern in Heimenkirchen im Allgäu und ist Deutschlands größter Käselieferant. Das Management hatte seinerzeit beschlossen, das Segment Feta-Käse, das unter dem Einfluss griechischer Gastronomie und des Griechenland-Tourismus an Bedeutung zunahm, mit einem eigenen Markenprodukt zu besetzen. Das deutsche Publikum kannte diese Spezialität vor allem als Käsewürfel im griechischen Hirtensalat. Um eine genügend große Abnehmer-Masse dafür zu gewinnen, traf der damalige Marketingverantwortliche und heutige Vorstandsvorsitzende Ulrich Christ zwei richtungweisende Entscheidungen: Erstens wurden die Käsewürfel aus Kuhmilch und nicht aus Schafs- und Ziegenmilch hergestellt wie das griechische Original. Denn dieser spezielle, für deutsche Gaumen noch immer ungewohnte Geschmack hätte das Absatzpotenzial von vornherein beschränkt. Auch wenn die Käsewürfel wie das Original in Salzlake und Lab eingelegt wurden, waren sie also nicht authentisch. Zweitens wurde trotzdem das Resonanzfeld "Griechenland" gewählt, um die Marke schnell und zuverlässig mit attraktiven Vorstellungen, insbesondere zum Geschmack, aufzuladen. Nicht das antike Griechenland war hier gemeint mit seinen Tempeln und Amphitheatern, sondern das zeitgenössische Griechenland der Touristen. Es war die Zeit, als Udo Iürgens mit "Griechischer Wein ist so wie das Blut der Erde", Nana Mouskouri mit "Weiße Rosen aus Athen", Alexis Sorbas, der Klang der Bouzouki und griechische Gastfreundschaft die deutsche Kollektivseele mit schwärmerischen Vorstellungen über dieses Land auffüllten. Ohne Zutun der Firma Hochland stand hier ein positiv geladenes Resonanzfeld zur Nutzung für einen Pood-Anbieter bereit. Er nannte seine Marke "Patros" - für unsere Ohren nicht nur griechisch klingend, sondern tatsächlich auch das griechische Wort für "Vater". Kein Kunstname also, sondern ein authentischer Begriff mit einer guten originären Bedeutung. Damit war die semantische Schneise Richtung Griechenland geschlagen. Die Produktbezeichnung "Feta" durfte allerdings nicht verwendet werden, weil sie gemäß einer EU-Richtlinie nur authentischen Produkten zusteht, d. h. nur dem Käse aus griechischer Schafs- oder Ziegenmilch, der in Griechenland hergestellt ist. (Inzwischen verfügt die Marke Patros auch über eine Produktionsstätte in Griechenland, wo echter Feta aus Schafs- und Ziegenmilch für den deutschen Markt hergestellt wird . Damit hat
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die Marke ihr Segment komplett mit authentischen und nicht-authentischen Axtikeln besetzt, ohne dass dieser Unterschied irgendeine Unstimmigkeit im Empfinden der Kundschaft erzeugt.)
Abbildung 9: ..Mit einem herzlichen Kalimera(Guten Taglillidt Pavlos, deraus dem TVSpot bekannte Patres-Hirte, die Besucher derneuen Marken-Homepage ein, dieHeimat des Patres-Hirten zu erleben und in diePatros-KAsewelt einzutauchen." (Text aufPavlos eigener Homepage) (Foto: Hochland AG)
Als symbolische Leitfigur für das erste Produkt, die eingelegten Käsewürfel im Glas. wurde ein (nicht authentischer) griechischer Schafhirte ausgewählt und
idealtypisch dekoriert. die Landschaft um ihn herum karg gestaltet. Die Unternehmensmarke Hochland, die bei der Schwestermarke Almette gute Dienste leistet, wurde bei Patros bewusst nicht eingesetzt, weil sie mit ihren unvenneidlichen Assoziationen zu Alpen und Almen auf der Griechenlandwelle Frequenzstörungen verursacht hätte. Das neueste Produkt ..Patros Genießerwürfel", ebenfalls aus Kuhmilch, wird in einem Fernsehfilm beworben, dessen Bilder. Texte und Klang ein vollkommenes Gleichnis dessen darstellen, was Griechenland und griechische Gastfreundschaft zu bieten haben: Der bäuerliche bärtige Gastwirt Pavlos mit Lederwams und griechischem Akzent ist ein Schauspie-
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ler. In seiner Rolle lässt er den Patros nach "eigenem Rezept" in einem großen Holzbottich rühren, was nicht den tatsächlichen Hightech-Produktionsbedingungen entspricht; die mediterranen Kräuter werden auf einem Holzbrett frisch gehackt und untergemischt; die Würfel von einem großen Käsestück von Hand abgeschnitten; und im Hintergrund hören die schmausenden Gäste BouzoukiMusik. Die Gestaltungsabsicht heißt "Wirkung in der Seele" und nicht "authentische Information". Dass das Kommunikationsziel erreicht wird, hat Ende 2009 ein Vergleichstest mit 365 anderen TV-Spots bestätigt. Der Pavlos-Spot war der mit der höchsten kaufanregenden Wirkung. Für den wirtschaftlichen Erfolg und zweistellige Zuwachsraten nicht nur der Genießerwürfel, sondern des gesamten PatrosSortiments sind also zwei Ursachen erkennbar: Erstens ist für Käse dieser Art Griechenland das ideale Resonanzfeld, weil es die Heimat des Feta ist und der Grieche von nebenan und aus der Lindenstraße Feta auf der Speisekarte hat. Zweitens hat das Markenmanagement gekonnt Gestaltsignale gesetzt, die die Verbindung zu diesem Resonanzfeld konsequent so gestalten, dass die Seele des Konsumenten die Erlebnisse und Erfahrungen spontan wiederfindet, die in seinem Gehirn mit dem Wort "Griechenland" verknüpft und abgespeichert sind. Weil dieses Wiederfinden einer vertrauten Struktur als Belohnung empfunden wird, wie Kenning erklärt, geht von dort ein positives Signal an das Entscheidungsareal im Gehirn und "spricht" für den Kauf von Patros. Die sprachlichen und bildliehen Mittel, die der Hersteller Hochland für seine GenießerwürfelWerbung einsetzt, sind also nicht authentisch. Aber sie sind so gewählt und so inszeniert, dass dem Empfänger ihre Inszeniertheit verborgen bleibt. Auf diese Weise entsteht ein Eindruck von Echtheit beim Empfänger, der vom Sender beabsichtigt ist. Die Lizenz, in der Markengestaltung und in der Werbung mit nicht-authentischen Mitteln zu arbeiten, sollte auf keinen Fall missverstanden werden als Lizenz zur Lüge. Sich durch Lügen über ein Produkt oder eine Dienstleistung Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen, ist schlicht verboten. Gesetzgebung und Rechtsprechung setzen derart unlauterem Verhalten engste Grenzen. Beispielsweise ist das Werben mit falschen Herkunftsangaben untersagt.
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Am 11. Juni 2010 berichtet die Bild-Zeitung übereine weitere Verschärfung der Deklarationen auf Lebensmittelpackungen durch das EU-Parlament: "Bei der Herkunft darf nicht mehr geschummelt werden, z. B. Aufdruck der Italienflagge auf deutscher Salamipackung."
Gerade weil der Gesetzgeber weiß, dass bestimmte Herkünfte als Resonanzfelder für bestimmte Produktgattungen gut funktionieren und beim Verbraucher ungeprüft positive Assoziationen wecken, lässt er das Werben mit der Herkunft nur unter strengen Bedingungen zu. Wesentliches Kriterium ist der Anteil der Wertschöpfung. Ein Herkunftsland oder -ort darf nur dann werblich genutzt werden, wenn über die Hälfte der Wertschöpfung dort auch stattfindet. Die Beweisführung mag im Einzelfall schwierig sein. Auch kann man durch Vorratsoder Vertriebsgesellschaften im jeweiligen "Wunschland" den eigenen Spielraum erweitern. Entscheidend ist für unseren Zusammenhang zunächst einmal, dass der Gesetzgeber mit diesen Regeln indirekt die verkaufsfördernde Wirkung von Resonanzfeldern anerkennt. Aber zwischen der vollständigen und wahren Information über eine Sache und ihrem Gegenteil, der Lüge, gibt es ohnehin noch ein Drittes. Bei den Journalisten ist es die Meinung, der Kommentar, angesiedelt zwischen unparteiischer Information und Irreführung. Es ist das weite Feld der Meinungsmache, des Populismus, des parteiischen Sprechens, das die eigene Sache ins beste Licht rückt, eventuelle Mängel oder Gegenargumente ausblendet und sie vorteilhafter erscheinen lässt als das Angebot des Wettbewerbs. Der in diesem Buch vorgestellte "Trick mit den Resonanzfeldern" gehört in dieses Feld der parteilichen Ausgestaltung des eigenen Angebots. Er ist eines der kommunikativen Mittel, die eigenen, auf Fakten gegründeten Argumente so auszuschmücken und anzureichern, dass der Empfänger sie mit guten Gefühlen annimmt.
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2. Die verschiedenen Resonanzfeld-Typen 'Im ersten Kapitel dieses Buches wurde geklärt, was Resonanzfelder sind und wie sie wirken. Im zweiten Kapitel zeigen wir, welche Typen von Resonanzfeldern es gibt und wie diese für die Markenführung genutzt werden können. Systematisch lassen sich vier Typen unterscheiden, die jeweils über spezifische Eigenschaften und Charakteristika verfügen: Klischees, Mythen, Topoi und Archetypen. Diese vier werden in diesem Kapitel anhand von Beispielen und Fallstudien veranschaulicht. Abschließend präsentieren wir eine Typologie der Resonanzfelder.
Klischees: Warum Parfum nicht aus Recklinghausen kommt Klischees über Nationalitäten, Berufe oder Geschlechter sind alles andere als neu oder modern. Trotzdem lassen sich damit immer wieder Massen mobilisieren. Beispiel Mann-Frau-Klischees: Einschlägige Bücher wie "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" oder der Langenscheidt-Sprachführer "Deutsch-Frau/Frau-Deutsch" werden in Deutschland millionenfach verkauft. In die Live-Auftritte des Comedians Mario Barth strömen Menschen zu Tausenden, um in Shows wie "Männer sind peinlich, Frauen manchmal auch!" oder "Männer sind primitiv, aber glücklich!" über alte Klischees in der Gestalt neuer Witze zu lachen . Der Markenmanager wird dieses Gebaren vielleicht simpel finden, doch sicherlich wünscht er seiner Marke ebensolche Massenwirksamkeit. Da liegt es nur auf der Hand, Klischees als Resonanzfelder für die Markenführung zu nutzen. Sie eignen sich gut als Resonanzfelder für die Markenführung aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften: Klischees werden allgemein verstanden. Und Klischees haben aktivierende Wirkung. Man muss über klischeehafte Witze und Anspielungen schmunzeln, ob man will oder nicht. Einfach weil man mit diesen Klischees vertraut ist und sofort Situationen vor Augen hat, in denen diese Klischees auch wirklich zutreffend waren. War nicht gerade am letzten Samstag vor dem Getränkemarkt eine Frau hoffnungslos überfordert, ihren blauen Fiat in die Parklücke zu bugsieren? Klischees sind kollektive Vorurteile und heischen folglich geradezu nach Bestätigung. Hinweise, dass diese Klischees nicht stim-
47 K. Brandmeyer et al, Markenkraft zum Nulltarif, DOI 10.1007/978-3-8349-6735-0_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
men, werden hingegen automatisch verdrängt. Dass auf dem GetränkemarktParkplatz nämlich auch ein Mann sein Auto so dumm hingestellt hat. dass damit zwei Plätze gleichzeitig besetzt waren, hat man sofort wieder vergessen. Ihre allgemeine Verbreitung und ihre verlässliche Wirkung machen Klischees zu hervorragenden Resonanzfe1dern für die Markenführung. Klischees mögen überkommen wirken, belächelt oder sogar abgelehnt werden. Aber die Konsumenten verbinden damit Vorstellungen, Bilder und Gefühle, die gleichsam nur aktiviert werden müssen. Markenführung, die Klischees als Resonanzfelder nutzt, trägt sicherlich nicht zur Gleichberechtigung der Frau oder zur Vertiefung der Völkerfreundschaft bei. In manchen Fällen verstetigt sie sogar gewisse konservative und althergebrachte Vorstellungen. Aber Markenführung mit Klischees als Resonanzfeldern erreicht die Konsumenten in der Masse. Und darum geht es dem Markenmanager.
Klischee: Eingefahrenes kollektives Denkschema überbestimmte Eigenschaften von Personengruppen wie z. B. Nationalitäten oderGeschlechter. Charakteristisch für Klischees ist, dass sie generalisieren, vereinfachen und nicht notwendigerweise mit der Realität übereinstimmen. Klischees werden durch persönliche Erfahrung odermedial am Leben erhalten und bestätigen eine im Publikum bereits vorhandene Meinung.
Sag mir, woher du kommst - Herkunft als Resonanzfeld Worüber würde sich Ihre Frau als Geschenk zum Hochzeitstag mehr freuen? Über ein Parfum aus Paris oder ein Parfum aus Recklinghausen? Über ein Parfum aus Paris. Denn Paris ist Liebe, Schönheit, Romantik und passt perfekt zu einem Parfum mit betörender Wirkung. Recklinghausen hingegen ist Ruhrgebiet, "Pott", Maloche, Kohlepfennig und alles andere als die wohlklingende Herkunft eines wohlriechenden Parfums. Mit Ländern, Regionen, Städten und deren Bewohnern werden ganz unterschiedliche Vorstellungen verbunden. Es existieren Klischees, über welche Charaktereigenschaften die verschiedenen Nationen und Volksgruppen verfügen, was sie gut und was sie schlecht können. Die Volksseele und der Volksmund sind sich einig, dass die Deutschen sehr gute Mechaniker, die Franzosen hingegen die besseren Liebhaber sind. Klischees über die Herkunft bestehen auf verschiedenen Ebenen: national ("Die Deutschen sind ordentlich"), regional ("Die Schwaben sind sparsam") und lokal ("Paris ist die
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Stadt der Liebe"). Klischees sind nicht trennscharf, denn der Schwabe ist ja auch Deutscher. Es kommt eben immer auf die Perspektive an, ob man gerade schwäbische Tugenden und Untugenden oder typisch deutsche Eigenschaften im Blick hat. Klischees über Länder, Regionen und Städte sind allgemein verbreitet und reichlich mit Assoziationen verbunden. Diese Eigenschaften machen sie als Resonanzfelder für die Markenführung interessant. Stellt ein Markenmanager die Herkunft einer Marke heraus, kann er in den meisten Fällen sicher sein, dass die Konsumenten automatisch eine Vielzahl an Bildern, Assoziationen und Gefühlen mit dem Produkt verbinden werden. Persönliche Erfahrungen oder auch nur Gehörtes werden durch einen Namen oder durch andere Gestaltungselemente, die eine Herkunft andeuten, unmittelbar wachgerufen. Auch wenn ein Markenmanager nicht bewusst mit Herkunftsklischees als Resonanzfeldern spielt, beeinflusst die Herkunft einer Marke die Konsumenten dennoch bei ihrer Kaufentscheidung. Die akademische Country-of-Origin- bzw. Brand-Origin-Forschung hat aufgezeigt, dass die Herkunft eines Produktes von den Konsumenten generell als Qualitätsindikator herangezogen wird und folglich das Kaufverhalten beeinflusst. Welche Waschmaschine hält Ihrer Meinung nach wohl länger? Eine Miele aus Deutschland oder eine Beko aus der Türkei? Diese Prädisposition der Konsumenten macht es für den Markenmanager unumgänglich, die Herkunft der Marke in der Kommunikation zu berücksichtigen. Falls die Herkunft eines Produktes aus Sicht der Konsumenten nicht sonderlich attraktiv ist, sollte man kommunikativ gegensteuern, z. B. einem Parfum aus dem Ruhrgebiet einen französisch klingenden Namen geben. Der zielgerichtete Einsatz von Herkunftssignalen - die ja nicht unbedingt authentisch sein müssen - ist daher eine gute Strategie, mit der großen Aufmerksamkeit der Konsumenten gegenüber der Herkunft eines Produktes umzugehen. Wenn die Kenntnisse der Verbraucher gering sind, wird die Herkunft der Produkte umso wichtiger. Als in den ehemals sozialistischen Staaten in Osteuropa die Marktwirtschaft eingeführt wurde und auf einmal eine Vielzahl neuer Produkte und Marken erhältlich war, schauten Russen, Polen und Tschechen erst einmal sehr genau auf das Herkunftsland. Marken wurden für sie erst später wichtig, als sie auch eine größere Kompetenz beim Konsumieren nach kapitalistischen Maßstäben entwickelt hatten. Gerade in wenig entwickelten Märkten sollten sich Markenverantwortliche mit der Herkunft ihrer Marke intensiv befassen und durch Namen, Produktgestaltung und Kommunikation eine geeignete Herkunft als Resonanzfeld aktivieren.
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"Himmel ist, wo die Briten die Polizisten sind, die Franzosen die Köche, die Deutschen die Mechaniker, die Italiener die Liebhaber, und alles von den Schweizern organisiert wird. Hölle ist, wo die Briten die Köche sind, die Franzosen die Mechaniker, die Schweizer die Liebhaber, die Deutschen die Polizisten, und alles von den Italienern organisiert wird." [Unbekannter Verfasser]
"Qualität ist, wenn Deutsche zufrieden sind" Herkunft Deutschland als Resonanzfeld bei Autos Ist es sinnvoll, die Herkunft offensiv zu propagieren? Und wenn ja, welche Herkunft ist für den Konsumenten am attraktivsten: der Ort, die Region oder das Land? Was sind dabei die zugkräftigsten Klischees, die Konsumenten zum Kauf animieren können? Wie man diese Fragen in der Praxis lösen kann, lässt sich an der Herkunft Deutschland als Resonanzfeld bei Autos zeigen. Der Automarkt lässt sich generell als Klischee-Markt bezeichnen, weil Klischees über die Herkunftsländer von Automarken hier eine dominante Rolle spielen: Amerikanische Autos gelten als Spritfresser, überdimensioniert und wuchtig, aber nicht als technisch sonderlich ausgearbeitet. Anders die Italiener, die schnittig und spritzig sind und durch ihr elegantes Design auffallen. Italienische Autos - da denkt man an einen roten Ferrari. Die Designer der Marke Alfa Romeo von Giorgio Giugiaro bis Walter da Silva haben bei vielen Autoliebhabern Kultstatus. Da nimmt der Fahrer eben auch mal etwas Rost in Kauf. Die schwedischen Autos sind noch heute bekannt für den "Schwedenstahl", aus dem sie längst nicht mehr gefertigt werden. Ein Volvo gilt auch deshalb noch immer als sicher. Überhaupt nicht sexy, aber qualitativ hervorragend sind die Iapaner, al-
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len voran Toyota. Die französischen Autos sind nach allgemeiner Meinung sehr schön, immer auf dem neuesten Entwicklungsstand und von besonderer Gestalt, sie stehen allerdings nicht für eine besonders hohe Qualität. Ein gebrauchter Citroen oder Peugeot ist daher auch nicht allzu leicht zu verkaufen . Deutsche Autos werden dagegen vor allem mit hoher Qualität verbunden. Deutsche Autos stehen für deutsche Wertarbeit, deutsche Ingenieurskunst und Technik. Die aktuelle Pannenstatistik des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) hat dieses Klischee zum wiederholten Male bestätigt: Einheimische Autos siegten in sieben von acht PKW-Klassen. Audi stellte drei Klassensieger, BMW zwei, Mercedes-Benz und VW je einen. Lediglich bei den kleinen Vans gewann mit Citroen ein Importauto. Die deutsche Qualitätsmarke im Automobilbereich schlechthin ist Mercedes. "Ein Mercedes hält mindestens 500.000 Kilometer" - so lautet ein sehr altes Gerücht. Daher hat ein Mercedes auch noch nach vielen Jahren und vielen gefahrenen Kilometern einen sagenhaften Wiederverkaufswert. In Online-Foren tauschen sich Mercedes-Fahrer heute darüber aus, was passiert, wenn ein Mercedes seine 500.000 Kilometer erreicht hat . Angeblich zählt der Tacho dann rückwärts. Die große Aufregung nach dem verpatzten Elch-Test der Mercedes A-Klasse ist nur vor dem Hintergrund des Klischees über die sagenhafte Qualität von Mercedes und deutschen Autos zu verstehen. Wenn ein Renault oder ein Citroen beim Ausweichen vor Elchen umgekippt wäre, hätte das niemanden derart interessiert oder verwundert. Nur bei einem Mercedes durfte so etwas nicht passieren.
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Klischees über die Herkunft von Autos Deutschland
~ ~ ~
Italien
~ ~ ~
Frankreich
Elegantes Design Schnelle und schnittige Autos Rosten schnell
~
Geringe Qualität Auf dem neuesten Entwicklungsstand Ungewöhnliches Design
~
Sicher und massiv
~ ~
Schweden
Exzellente Qualität Technisch innovativ Sehr langlebjg
~ "Schwedenstahl"
USA
~ ~ ~
Großbritannien
Spritfresser Bulliges Design Schlitten
Fahren links, lenken rechts Geringe Qualität ~ "English Racing Green" ~ ~
Japan
~ ~ ~
Hervorragende Qualität Geringes Sex-Appeal Autos für Vernünftige
Eine französische Herkunft ist also bei Autos nur bedingt als geeignetes Resonanzfeld anzusehen. Anders als im Konsumgüterbereich ist es jedoch für Peugeot und Citroen nicht möglich, die Herkunft zu verbergen. Jeder weiß einfach, dass diese Autos einen französischen Hintergrund haben. Die französischen Autobauer müssen diesem negativen Qualitätsimage daher offensiv begegnen. Im Jahr 2009 warb Renault in Deutschland für seinen Laguna mit dem Satz "Qualität ist, wenn Deutsche zufrieden sind". Hintergrund dieser Kampagne ist eine repräsentative Umfrage, gemäß der von allen deutschen Mittelklasse-Fahrern die Besitzer eines Renault Laguna die zufriedensten sind. Die Kommunikationsstrategie ist offenkundig: Wenn die Deutschen, die ja nach allgemeiner Meinung die qualitativ hochwertigsten Autos herstellen, mit einem Auto zufrieden sind, dann muss dieses Auto eine hohe Qualität haben. Diese Werbung ist also der
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Versuch, ein negatives Stereotyp zu entkräften, indem man für seine Zwecke das stärkste Gegenargument nutzt, das es in diesem Zusammenhang gibt. Und das ist hier eben das Klischee von der überlegenen Qualität deutscher Automobile.
QUALITAT IST, WENN DEUTSCHE ZUFRIEDEN SIND. DEUTSCHLANDS AL1TOFAHRER WÄHLEN DEN RENAULT LAGUNA AUF PLA1Z 1 IM J.D. POWER REPORT 2009.
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I-J Abbildung 10: Die QualitätsmaßstlIbe derdeutschen Autofahrer alsVerkaufsargument für einen französischen Renault- _Qualitit ist,wenn Deutsche zufrieden slnd". (Anzeige: Renault Deutschland)
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Die gleiche Strategie, also ein Klischee über eine bestimmte Herkunft als Resonanzfeld für die eigene Marke zu nutzen, hat Citroen mit einer Kampagne für den CS verfolgt. Der Spot "Überraschend deutsch" besteht aus einer Aneinanderreihung von Stereotypen über Deutschland: Bratwürste, Gartenzwerge, Busenweib im Dirndl, Hirschgeweihe an der Wand, Autobahn, ein .Berlln 108 km"-Schild in Sütterlin-Schrift, ein Reichsadler etc. Durch diese Deutschland-Szenerie fährt ein Citroen. Unterlegt sind diese ironischen Sequenzen mit dem "Ritt der Walküre" von Richard Wagner, der gemeinhin als deutschester Komponist gilt. Wenn der Citroen am Schluss des Spots vor dem Brandenburger Tor anhält, erscheint der Schriftzug "Überraschend deutsch. Der neue Citroen CS". Und danach "Aus Frankreich". Auch in diesem Fall werden grundsätzliche Zweifelan der Qualität französischer Autos mit dem Klischee über deutsche automobile Qualität ausgeräumt. Dieses Resonanzfeld wird hier allerdings weniger direkt angesprochen als beim Laguna; jedoch dürften auch die indirekten Verweise auf Deutschland ausreichen, um es im Auto-Kontext zu aktivieren. Die Herkunft einer Marke ist nicht immer genau auszumachen. Automobilkonzerne produzieren in den verschiedensten Ländern, schließen Allianzen und Kooperationen. Daimler und Renault, BMW und Peugeot - heute sind Automobilhersteller zu unterschiedlichen Kooperationen gezwungen. Und oftmals erfolgt nur noch die Endmontage eines Fahrzeugs - wenn überhaupt - im Ursprungsland der Marke. Diese Internationalisierung hat jedoch nicht zur Folge, dass Klischees über die Herkunft für die Markenführung unwichtiger werden. Ganz im Gegenteil: Herkunft ist heute wichtiger denn je. Und für die Markenführung bieten sich durch die Internationalisierung noch mehr Möglichkeiten. eine geeignete Herkunft zu finden und sie als ein Resonanzfeld zu nutzen, das dem Verkaufserfolg der Marke am zuträglichsten ist.
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Abbildung 11: ..Überraschend deutsch" - Citroen aktiviert das Resonanzfeld Deutschland zu seinen Gunsten. (Werbespot: Citroenl
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Eine Fallstudie: Sylter Salatfrische Im Oktober 2009 war es wieder soweit: Der Verlag Deutsche Standards präsentierte der Öffentlichkeit die inzwischen 16. Auflage des Kompendiums "Marken des Jahrhunderts". Das Buch stellt deutsche Markenprodukte vor, die national wie international einen ausgezeichneten Ruf genießen und den Alltag der Menschen in Deutschland prägen. Diese Auflage brachte indessen ein Novum. Neben Miele, Persil und o.b. war erstmals auch eine Insel in den elitären Kreis der Jahrhundert-Marken aufgenommen worden: Sylt. Sylt - das ist Naturverbundenheit, Gesundheit, Wellness und Genuss. Denkt man an Sylt, sieht man feine Sandstrände, urwüchsige Dünen, blühende Heide und strohgedeckte kleine Häuser vor sich. Sylt ist aber auch Luxus mit eleganten Boutiquen, edlen Juwelieren, feinen Restaurants und einer teuren Sansibar. Der einzigartige Charme der Insel hat schon die eine oder andere Marke hervorgebracht. Sylter Royal, die Jahrhundertmarke für Austern, gehört genauso dazu wie der Hartkäse "Sylter" von Milram. Ein Urlaub auf Sylt inspirierte auch Thomas Hauschild, einen Koch und Restaurantbesitzer aus Neu Wulmstorfbei Hamburg, zu einer Idee für eine neue Marke . In seinem Lokal "Zum Dorfkrug" wurde die Salatsauce des Hauses von den Gästen sehr geschätzt und gelobt. Immer wieder musste der Wirt Gästen diese Salatsauce in kleinen Flaschen nach Hause mitgeben. Der Restaurantbesitzer verfügte also über ein Produkt, das bei Kunden großen Anklang fand . Bei seinem Urlaub aufSyltfiel ihm dann auch ein passender Markenname ein: "Sylter Salatfrische". Dieses Salatdressing ist eine leichte Mayonnaise mit süß-saurem Geschmack und einer deutlichen Zwiebelnote. Ein typisch norddeutsches Rezept, das beispielsweise auch gut zu Matjes passt. Anders als die meisten Salatsaucen wird die Sylter Salatfrische kalt produziert. Man schmeckt deshalb auch, dass die Sauce frische Zwiebeln enthält - und kein Zwiebelkonzentrat. Wegen ihres besonderen und aufwändigen Herstellungsverfahrens muss die Sauce im Kühlregal bzw. Kühlschrank aufbewahrt werden. Sehr wichtig für den Markenauftritt ist auch die Verpackung: Die Sylter Salatfrische wird in einer Glasflasche verkauft, die an eine Milchflasche erinnert. Diese Flasche hat der Erfinder der Marke bewusst ausgewählt, nachdem er sich über 200 unterschiedliche Flaschen angesehen hatte. Denn eine solche Flasche aktiviert zusätzliche positive Vorstellungen : Sie erinnert an früher und vermittelt Natürlichkeit, Frische und traditionelle Herstellung. Außerdem sieht man bereits von außen, wie die Salatsauce aussieht.
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Die Sylter Salatfrische ist zuerst bei den Verantwortlichen des Einzelhandels und dann bei den Kunden sehr gut und sehr schnell angekommen. Im Jahr 2004 gelangte die Salatsauce erstmals in einem Hamburger Edeka-Markt in den Verkauf. In den nächsten Jahren wurden immer mehr Handelsketten von der Marke überzeugt. Bewusst verzichtet man fast völlig auf klassische Werbung und setzt stattdessen vor allem aufVerkostungen am Point ofSale. In den Folgejahren gelang es der Sylter Salatfrische, den Großen der Dressing-Industrie wie Livio, Kühne oder Develey immer größere Marktanteile abzujagen. In den Jahren 2009 und 2010 wurde die Marke von der Lebensmittelzeitung und der GfK dann auch als "TopMarke des Jahres" in der Kategorie "Flüssige Salatsauce" ausgezeichnet. Von 2008 auf 2009 stieg der Marktanteil des Sylter Dressings um acht Prozent - einen derartigen Sprung schaffte keine andere der ausgezeichneten Top-Marken. In Internet-Kochforen wie www.chefkoch.dewerden inzwischen Tipps ausgetauscht, wie man dieses Dressing für verschiedene Rezepte verwenden kann. Die Breitenwirksamkeit dieser Marke lässt sich zu weiten Teilen auf die konsequente Instrumentalisierung des Resonanzfeldes "Sylt" zurückführen. Durch den Markennamen und typische Syltbilder werden Vorstellungen von Nordsee, frischem Wind, Dünen und blauem Himmel aktiviert und mit dem Dressing verbunden. Diese Vorstellungen unterfüttern bestens die "norddeutsche Rezeptur" und die "Frische", die im Unterschied zu den lange haltbaren Wettbewerber-Produkten nach ständiger Kühlung verlangt. Nicht nur das Produkt an sich, sondern die gesamte Produktpräsentation spielt gekonnt mit dem Resonanzfeld Sylt. Sylt ist darüber hinaus gemeinhin bekannt als ein exklusiver Urlaubs ort mit gehobenem Ambiente für anspruchsvolle Gäste. Auch dieses Sylt-Klischee nutzt der Hersteller für seine Marke aus, nämlich um sie im Premiumsegment höherpreisig zu positionieren. So wie Sylt ein exklusiver Urlaubsort ist, so ist die Sylter Salatfrische ein exklusives Dressing. Die Sylter Salatfrische wird nicht in Sylt, sondern in Neu Wulmstorf bei Hamburg produziert. Gleichwohl hat die Insel Sylt eine reale Bedeutung für die Marke. Auf Sylt finden Verkostungsaktionen statt, um Touristen mit dem Dressing vertraut zu machen. Kite-Surf-Veranstaltungen und Polo-Turniere auf Sylt werden von der Sylter Salatfrische gesponsert. Und seit 2009 gibt es auf der Friedrichstraße, der Haupt-Flaniermeile Westerlands, eine Salatbar, in der die Kunden die Sylter Salatfrische zu den verschiedensten Salaten verzehren können. All diese Maßnahmen wollen dazu beitragen, die Sylter Salatfrische als "echtes" Sylter Produkt erlebbar zu machen.
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An diesem Beispiel zeigt sich auch die rechtliche Dimension der Nutzung von Herkünften als Resonanzfelder. Sie ist nämlich nicht ganz und gar beliebig möglich. Nach europäischem Recht können die Herkunftsangaben von Lebensmitteln, die eine lange Tradition aufweisen und einen engen Bezug zur Herstellungsregion haben, geschützt werden. So muss beispielsweise .Bayertsches Bier" wirklich in Bayern und der Altenburger Ziegenkäse in Altenburg hergestellt werden . Dieses Thema birgt Konfliktpotenzial, da es immer eine Frage der Auslegung sein wird, wie viel Wertschöpfung in einer Region oder an einem Ort erzielt werden muss, damit ein Produkt deren Bezeichnung tragen darf, und wo überhaupt die Grenzen einer Region liegen. Da es vor der Sylter Salatfrische überhaupt keine Sylter Salatdressing-Tradition gegeben hat und dort also kein schützenswertes Warenzeichen entstanden ist, kann der Zusatz "Sylter" für die Salatsauce prinzipiell problemlos verwendet werden. Die Sylter Salatfrische schützt sich vor juristischen Angriffen bezüglich der Herkunft zusätzlich durch den gut lesbaren Zusatz "Hergestellt in Neu Wulmstorf" auf dem Etikett und der Salatbar auf Sylt. Womit der Vorwurf der Irreführung von vornherein abgewehrt ist. Das Beispiel der Sylter Salatfrische weist noch auf einen zweiten rechtlichen Aspekt hin, den man bei der Nutzung von Herkünften als Resonanzfeld beachten muss: Herkünfte kann man nicht einfach individuell für sein Produkt schützen. Nachahmer-Produkte wie das Dressing "Sylter Art" bei Aldi oder die Salatsauce "Sylter Genuss" von Livio können sich daher an den Erfolg der Sylter Salatfrische hängen, indem auch sie Sylt im Markennamen nennen.
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Abbildung 12: Die Sylter Salatfrische aktiviert das Resonanzfeld Sylt (Foto: Zum Dorfkrug)
Hinter dem Erfolg der Sylter Salatfrische steckt auch ein bedeutender Konsumententrend der Gegenwart, der für einen an Resonanzfeldern interessierten Markenmanager aufschlussreich ist: die wachsende Liebe zum Regionalen. Das Schlagwort der heutigen Zeit lautet Globalisierung. was von immer mehr Menschen als Bedrohung und kaum noch als Chance gesehen wird. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach China, undurchsichtige globale Finanztransaktionen und Produkte anonymer Herkunft mit gesundheitlichem Geflihrdungspotenzial sind für viele Konsumenten heute Ausdruck und Ergebnis der Globalisierung. In einer Gegenbewegung gewinnt für die Menschen die Region. aus der etwas kommt, seine Heimat an Bedeutung: Man möchte wissen. woher? Je globaler und undurchsichtiger die Herkunft von Waren wird, desto mehr gewinnt die Regionalität von Produkten an Wert. Insbesondere bei Lebensmitteln besteht ein großer Wunsch nach regionaler Herkunft. Die Sylter Salatfrische bedient dieses Bedürfnis der Konsumenten nach Vertrautheit und regionaler Herkunft. Sie ist deshalb auch in der Region Norddeutschland besonders erfolgreich. Weil dort die Vorstellungen über und Assoziationen mit Sylt naturgemäß am stärksten ausgeprägt sind, arbeitet dieses Resonanzfeld hier auch am besten.
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Markenname Sylte r Salatfrische
Verpacku ng: Glasflasche äh nelt Milchflasche Dünen-Meer-Panorama
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No rdd eutsch es Rezept: leichte Mayonnai se, Zwiebelno te. süß sa uer
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Emp fän ge r überträgt di ese vo rstellu nge rt auf die Marke NSyh er Salatfrisc he "
Abbildung 13: Mittels diverser Gestaltmerkmale aktiviert dieSylter Salatfrische das Resonanzfeld Sylt Der Konsument Oberträgt vorhandene Assoziationen und Vorurteile über SyltaufProdukt und Marke.
Was kann man aus dieser Fallstudie lernen? Zunächst einmal: Der Erfolg der Sylter Salatfrische basiert auf einem guten und neuartigen Produkt. Der strategische und stimmige Einsatz des Resonanzfeldes Sylt sorgt dann dafür. dass sich bei den Kunden spontan reichhaltige. positive Assoziationen einstellen. die auf die Marke übertragen werden. Dieser Transfer funktioniert auch deshalb so gut. weil Sylt für ein Salatdressing dieser Art ein geeignetes Resonanzfeld darstellt: Was gemeinhin über Sylt gedacht wird. passt sehr gut dazu. Diese Fallstudie zeigt auch, dass der Aufbau einer neuen Marke mithilfe der Resonanzfe1d-Technik nicht zwangsläufIg mit einem großen Kommunikationsbudget einhergehen muss. Ein Resonanzfeld lässt sich schon durch den richtigen Namen und eine passende grafische und verbale Gestaltung der Produktverpackung aktivieren. Das ist praktisch kostenneutral, denn irgendwie muss die Verpackung sowieso gestaltet werden und irgendeinen Namen muss das Produkt ja auch bekommen.
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"Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken"Klischees über Männer und Frauen Wie viele Worte benötigt eine Frau, um einen DVD-Rekorder zu kaufen? 144 Worte. Und ein Mann? 1 Wort. Frauen reden viel, Männer wenig. Mario Barth, der Meister der Mann-Frau-Klischees, inszeniert dieses und weitere Klischees über Männer und Frauen in einer Kampagne für Media-Markt und darf mit starker Resonanz rechnen. Denn man kennt die Klischees alle: Männer schauen Fußball, Frauen wollen geheiratet werden. Frauen verstehen nichts von Technik, Männer wissen beim Einkaufen genau, was sie wollen. Und gerade weil man die Klischees kennt, sind diese Werbespots unglaublich witzig. Die Werbekampagne von Media-Markt macht vor, wie man Klischees über Männer und Frauen erfolgreich als Resonanzfeld nutzt: Gängige Klischees aufgreifen und überzeichnet darstellen, die Verhaltensweisen von Männern und Frauen kontrastieren und das Ganze mit einer Prise Humor würzen. Geschlechter-Klischees sind für den Markenmanager ein ausgesprochen spannendes und ergiebiges Resonanzfeld. Aller Gleichberechtigung zum Trotz halten sich nämlich die Unterschiede in den Vorlieben der Geschlechter hartnäckig. Eine Umfrage von TNS Infratest im Jahr 2010 hat ermittelt, dass 70 Prozent der deutschen Männer, aber nur 30 Prozent der deutschen Frauen an Fußball interessiert sind. Ein Werbespot, der Männer beim Fußballschauen zeigt, löst daher bei männlichen wie weiblichen Zuschauern ein vertrautes Gefühl aus, weil jeder diese Szene kennt. Bezüglich der Interaktion von Frau und Mann werden manche althergebrachte Klischees ebenfalls durch Untersuchungen bestätigt. Diverse sozialwissenschaftliche Studien haben ergeben, dass Frauen nach wie vor auf der Suche sind nach Männern mit einem höheren beruflichen und gesellschaftlichen Status als sie selbst. Männer hingegen ehelichen statistisch gesehen auch heute noch mit Vorliebe eine jüngere Frau. Eine Anzeige, auf der ein Herr mit graumelierte Haaren, mit Anzug und Krawatte eine deutlich jüngere Frau im Arm hält, bildet also die Beziehungspräferenzen von Frauen wie Männern gleichermaßen ab.
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Abbildung 14: Mit Klischees iiber Männer und Frauen spricht Mario Barth in einer Kampagne für Media Marktdie Massen an. (Werbespot: Media-Markt)
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Eine Studie der Axel Springer-Marktforschung zum Thema Weiblichkeit aus dem Jahr 2010 zeigt, inwieweit die verschiedenen Geschlechter-Klischees aus Frauensicht Gültigkeit haben. Frauen sehen sich demnach als das schöne, starke und einfühlsame Geschlecht. Ihre typisch weiblichen Eigenschaften wie emotionale Intelligenz, die Fähigkeit zum Multi-Tasking, Belastbarkeit und Flexibilität geben ihnen in gewisser Weise sogar das Gefühl von Überlegenheit gegenüber dem männlichen Geschlecht. Die bedingungslose Aufopferung für Mann und Familie ist hingegen zu einem unattraktiven Auslaufmodell geworden. Diese Studie macht deutlich, dass es auch heute noch genügend Geschlechter-Klischees gibt, die so weit verbreitet und zuverlässig sind, dass sie sich als Resonanzfelder für die Markenführung und -kommunikation eignen. Man sollte allerdings den aktuellen Stand kennen, um bei der Aktivierung einen abgestandenen, altmodischen Eindruck zu vermeiden. Klischees über Männer und Frauen sind also nach wie vor aktuell. Der Erfolg von Mario Barth, "Sex and the City" und anderen Unterhaltungsangeboten, die auf Mann-Frau-Klischees beruhen bzw. mit ihnen spielen, belegt überdies die Massenwirksamkeit dieser Klischees. Klischees über Männer und Frauen aktivieren und berühren Männer wie Frauen. Und genau diese Wirkungen wünscht sich jeder Markenmanager ja auch für seine Marke. Gerade bei Produkten, die diesem Resonanzfeld von vornherein nahestehen, lassen sich Mann-Frau-Klischees für die Markenführung nutzen. Manche Produktkategorien befriedigen Bedürfnisse, die als typisch weiblich oder männlich empfunden werden. So bedient dekorative Kosmetik den weiblichen Wunsch nach Schönheit - sei es durch Lippenstift von Lancöme oder billiger mit Mascara von Manhattan. Auch Haushaltsreiniger, Waschmittel und Fleckenspray sind noch immer "weibliche" Produkte: Der Inbegriff für Wäschewaschen ist für viele Deutsche bis heute die Artel-Klementine. Baumärkte hingegen ermöglichen es Männern, richtige Männerrollen einzunehmen fern aller feminisierenden Einflüsse: "Perfekt aussehen muss nur, wer sonst nichts kann", sagt der Baumarkt Hornbach in seiner Werbung und meint damit, dass Männer kräftig und patent sein müssen, aber nicht schön. Schließlich bieten bestimmte Produktkategorien stärker als andere die Möglichkeit, sich selbst als Frau oder Mann zu inszenieren. Die besten Freunde der Frauen sind Diamanten - so Marilyn Monroe -, die der Männer hingegen Autos mit vielen PS oder teure Uhren. In all diesen Fällen sind Geschlechter-Klischees ein wirkungsvolles Resonanzfeld, um mit der Energie dieser massenseelischen Vorstellungen über Männer und Frauen die Marke aufzuladen.
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Geschlechter-Klischees 2010 aus Frauensicht
..Trifftvoll und ganz zu! trifft zu" (in %) Dasaktuelle populärwissenschaftliche Credo Die Gehirne von Frauen arbeiten anders. ZurFrau wird man nicht geboren, sondern gemacht. Frauen und Männer unterscheiden sich im Grunde gar nicht.
84% 39 % 24%
Moderne Geschlechter-Klischees Frauen sind einfühlsamer als Männer. Frauen können mehrgleichzeitig tun als Männer. Frauen haben ein besseres Körperbewusstsein. Frauen sind sprachlich begabter als Männer. Frauen können nicht so gut rechnen wie Männer.
88 % 87 % 75 % 66 %
27 %
Traditionelle Geschlechter-Klischees Frauen sind liebevoller als Männer. Frauen haben eine engere Beziehung zu Kindern. Frauen sind nicht so aggressiv. Frauen sind nicht sotechnikbegabt wie Männer. Frauen sind nicht so karriereorientiert wie Männer.
75 % 72% 70 % 46% 44%
Weiblichkeits-Aphorismen Frauen wollen Konflikte lösen, Männer eheraussitzen. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine erfolgreiche Frau. Die Klugheit der Frau besteht darin, ihre Klugheit nicht zu zeigen. Frauen wollen Liebe, Männerwollen Sex.
46% 46% 46% 44%
Quelle: Bild der Frau/Axel Springer Media Impact: Weiblichkeit. Gefühlt. Gelebt. Gemacht. Hamburg 2010
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Perfekt aussehen muss nur,
wer sonst nichts kann.
Abbildung 15: .Männer müssen nicht schön sein ...• (Anzeige: Hornbachl
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Abbildung 16: •... Frauen schon- (Anzeige: tencömel
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Klischees ist es generell eigen, dass man über sie lacht. Weil sie einfach so wahr sind. Dies gilt nicht nur für Mann-Frau-Klischees, sondern auch für Klischees über Nationalitäten und Berufe. So werden die Schweizer und ihr Dialekt immer wieder Opfer von Spott. Und über Beamte oder Zahnärzte wird ebenfalls gerne geschmunzelt. Dieser parodistische Umgang mit Klischees bedeutet nicht, dass man ihre Bedeutung gering schätzen sollte. Ganz im Gegenteil: Dass Klischees so oft in nicht ernsthafter Art und Weise gespielt werden, ist Beweisfür ihre Bedeutung, Kraft und Massivität. Gerade im Falle der Mann-Frau-Klischees sind die Erfahrungen so zahlreich und verschiedenartig, dass man über bestimmte Eigenschaften des anderen Geschlechts manchmal einfach nur lachen möchte. Die Gefahr von Missverständnissen, die mit ironischen Erzählweisen immer verbunden ist, erweist sich im Falle der Geschlechter-Klischees als verhältnismäßig gering. Klischees über die Geschlechter werden daher in der Markenkommunikation ausgesprochen häufig in komischer und ironischer Art und Weise als Resonanzfeld genutzt. Die Media-Markt-Kampagne mit Mario Barth ist ein Beispiel dafür, ebenso die Hornbach-Anzeige mit dem fülligen ungepflegten Mann. Bei den Uhren von IWC geht man noch weiter, indem mit Klischees über Männer und Frauen in fast schon sexistischer Art und Weise gespielt wird. Dabei fallen Sprüche wie "Fast so kompliziert wie eine Frau. Aber pünktlich.", "Gibt Kratzer. Aber an Ihrem Porsche," oder "Bringt den Hormonhaushalt durcheinander. Den weiblichen.". Mit Sprüchen wie diesen wird das Resonanzfeld "Männlichkeit" aktiviert, die damit aufgerufenen Vorstellungen auf die Marke IWC übertragen und deren Positionierung als reine Männermarke unter den Uhren gefestigt. Zwar schmunzelt man über eine solche massive Inszenierung der Geschlechter-Klischees, doch wirksam sind diese Anzeigen dennoch.
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Sie kann das Haus haben. Den Wagen. Den Hund. Aber niemals meine-_IWC. . __. _._--_---_ ... _ -_ . -.........-" ----. _---_--.._-IWC
---_.--- - --._ - --- - ---Abbildung 17: IWC-Uhren werden alsmännlich inszeniert (Anzeige: IWCI
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Eine Werbe-Kampagne für Veltins mit Rudi Assauer und dessen früherer Partnerin Simone Thomalla zeigt ebenfalls, wie eine Marke mit einer ironischen Inszenierung von Geschlechter-Klischees resonanzstark aufgeladen werden kann. In einem TV-Spot schickt er sie beim Fernsehen zum Bierholen, sie trinkt das letzte Veltins am Kühlschrank, kommt zurück und sagt: ..Keins mehr da." In einem anderen Spot präsentiert sie sich mit Kerzen und Dessous im Schlafzimmer: .Ich habe eine überraschung für Dich!" Er findet ein Veitins im Kühlschrank und ruft ins Schlafzimmer: ..Hab' ich schon gefunden!" In dieser Manier werden Klischees über Macho-Männer und Tussi-Frauen konsequent für die Veltins-Kommunikation funktionalisiert und dabei stets auch wieder ironisch gebrochen.
Abbildung 18: Geschlechter-Klischees in humorvoller Inszenierung: Macho-Assauer und Tussi-1homalla imVeltins-Spot (Werbespot Veltins)
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Klischees wirken! Herkunfts-Klischees genauso wie Klischees über Männer und Frauen berühren die Konsumenten, weil sie an eine Vielzahl von bestehenden Vorstellungen und Assoziationen anknüpfen. An den Beispielen in diesem Kapitel ist auch ersichtlich, dass diese althergebrachten Klischees durchaus auf zeitgemäße Art und Weise umgesetzt werden können. Ihre Inszenierung sollte immer positive Assoziationen hervorrufen, ohne dabei empfindlichen Stellen allzu nahe zu kommen. Bei Klischees können Humor und Ironie empfehlenswerte Stilelemente sein. Die Instrumentalisierung von Klischees als Resonanzfelder sollte deshalb nicht zu Sexismus oder nationalem Chauvinismus in der Produktgestaltung und -kommunikation führen, sondern immer ein sinnhaftes und gefälliges Spiel mit allseits bekannten und vertrauten Vorstellungen darstellen.
Mythen: Wie James Bond und ehe Guevara Marken aufladen Denken Sie an Napoleon, stellen Sie ihn sich vor. Wahrscheinlich sehen Sie einen untersetzten Mann mittleren Alters in dunkelblauer Offiziersuniform vor sich. Die Hand ins Revers gesteckt. Auf dem Kopf den allseits bekannten Napoleonhut mit den zwei Spitzen. Passen würde auch noch eine rote Schärpe um den Körper. Vermutlich sehen Sie ihn im Gespräch mit Offizieren, zu Pferd oder auf einem Schiff nach St. Helena blickend. Unser aller Bild von Napoleon ist fast gleich, weil Napoleon zum Mythos geworden ist. Wegen der (trotz aller Niederlagen) positiven massenseelischen Erinnerungen haben ihn unzählige Marken als Resonanzfeld für sich eingespannt und wirken lassen - vom Champagne Napoleon über Cognac Napoleon bis hin zum hochwertigen Barbecue-Grill Napoleon. Unter Mythen verstehen wir allseits bekannte Geschichten über Ereignisse, Personen oder Gegenstände. Sie beruhen auf kollektiven Erinnerungen, die durch persönliche Erzählungen und verschiedene Darstellungen in Medien und Filmen aktiviert und am Leben erhalten werden. Künstler wie Picasso oder Mozart, aber auch große Pop-Stars können zu Mythen stilisiert werden . Man denke nur an Marilyn Monroe oder Elvis Presley. Einzelne Groß ereignisse wie die Fußball-Weltmeisterschaft von 1954 können - zumindest im Land der Siegermannschaft - ebenfalls den Charakter eines Mythos annehmen. Wer kennt es nicht - "Das Wunder von Bern"! Auch Gegenstände eignen sich dazu, mythologisiert zu werden. Man denke an den berühmten einhundertzehnkarätigen Di-
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amanten Koh-i-Noor, dessen geheimnisvolle Geschichte von der britischen Königskrone bis ins alte Indien zurückreicht; oder an den Gral, um den sich Artus und seine Ritter versammelten und nach dem manche angeblich heute noch suchen. Man spricht gerne davon, dass solche mythischen Personen, Geschichten, Objekte oder Ereignisse "Kultstatus" genießen. Und Personen, die zum Mythos geworden sind, werden gerne als "Ikonen" bezeichnet. Mythen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über sehr lange Zeiträume in ihrem Kern absolut beständig sind, aber immer wieder auch Möglichkeiten zur Variation bieten. So wie bei Napoleon: So viele Vorstellungen über ihn auch existieren, im Kern sind sie doch bei allen gleich. Und auch die medialen Darstellungen dieser Person greifen alle den gemeinsamen Kern auf. Diese besondere Eigenschaft - der beständige Kern mit unzähligen Variationsmöglichkeiten - macht Mythen zu attraktiven Resonanzfeldern für eine Marke. Spielt man mit einem Mythos für eine Marke, so kann man sich sicher sein, dass er bei den Konsumenten bestimmte Assoziationen hervorruft. Gleichzeitig bieten sich genügend eigene Ausgestaltungsmöglichkeiten, um einen vertrauten Mythos spezifisch und neu zu interpretieren und so für die eigene Marke zu aktivieren.
Mythos: Eine allseits bekannte Geschichte über Ereignisse, Personen oder Dinge, die seit Langem weitererzählt wird. Die Erzählung besteht aus einem unveränderlichen Kern an Aussagen, der jedoch viele Möglichkeiten der Variation bietet.
ehe Guevara - Mythos der Revolution Ein Mythos, der unglaubliche Massenwirksamkeit besitzt und immer wieder in der Markenkommunikation als Resonanzfe1d aufgegriffen wurde, ist der Mythos Che Guevara. Von Che Guevara-Zigaretten bis zu Che Guevara-Humidore gibt es nahezu alles. Noch öfter als zur Markierung von Marken wird der Che Guevara-Mythos in Kommunikationskampagnen als Resonanzfeld verwendet. Che Guevara war eine Symbolfigur der kommunistischen Revolution in Kuba. Als ein Mann, der gegen die vermeintlich Stärkeren rebellierte und sich für Freiheit und Gerechtigkeit aufopferte, ist er zum Mythos geworden. Dieser Mythos ist Gegenstand von zahlreichen Filmen, Geschichten, Kunstwerken und Erzählungen. Wann immer auf Che Guevara Bezug genommen wird, ist der Mythos der Revolution, des Freiheitskampfes und des Widerstandes präsent. In Kuba
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wird er bis heute als Volksheld gefeiert. In aller Welt ist Che Guevara eine PopIkone der Linken und der Jugend. Das Time Magazine zählt ihn zu den einhundert einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts. Im Vorstellungskern dieses Mythos findet sich ein Porträt Che Guevaras, auf dem er ein Barett mit rotem Stern trägt. Die Fotografie ..Der heroische Guerilla-Kämpfer" (.GuerrIllero Heroico") von Alberto Korda gilt als die weltweit bekannteste Aufnahme einer Person. Das Bild stellt im Grunde das ..Key Vfsual" des Mythos Che Guevara dar. Sobald man es sieht, weiß man. dass es um den Mythos Che Guevara geht. Und das sogar dann. wenn das vertraute Bild ver-
fremdet wird.
Abbildung 19: Das Bild, mitdem ehe Guevara zum Mythos geworden ist ..Der heroische Buerilla-Kämpfar" (..Buerrillerc Hemlco"). Der Fotograf, Alberto Korda, verlangte Zeitseines Labans keine NulzungsgebOhren für dieVerwendung dieses Bildes. Als überzeugter Kommunist und Anhänger Che äueveree wollteer dieVerbreitung der Ideen Ches befördem, indem erdieses Bild jedem zugänglich machte.IFoto: Alberto Kordal
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Abbildung 20: Alsmitdem populären Porträt ehe Guevaras für den Wodka ..Bloody Smirnoff" geworben wurde, klagte derFotograf dagegen und erhielt 50.000 US-Dollar Schadensersatz, dieerfiir Kinder in Kuba spendete. Es war das einzige Mal, dass derFotograf gegen dieVerwendung seines berühmten Porträts einschritt.IAnzeige: Smirnoffl
Am BeispielChe Guevara lässt sich sehr gut erklären. warum Mythen so hervorragende Resonanzfelder für Marken darstellen. ~
Erstens: DieserMythos ond die ihm zogehörigen Geschichten sind allgemein bekannt und verbreitet. Man kann davon ausgehen, dass jeder mit Che Guevara gewisse Vorstellungenverbindet Aktiviert man also den Mythos ehe Guevara als Resonanzfeld für die eigene Marke, kann man sicher sein, dass bei den Konsumenten die geplanten Assoziationen und Bilder hervorgerufen werden. Und das weltweit,denn Che Guevara ist ein Mythos mit
globaler Reichweite. ... Zweitens: Der Mythos verfügt über einen unveränderlichen Kern an Aussagen und Bildern.Bei ehe Guevarastellt das allseits bekannte Porträt das Schlüsselbild zu diesem Mythos dar. Es genügt also das Bildehe Guevaras, um. im Publikum spontan Vorstellungen von Revolution und Freiheitskampfauszulösen. Um sicherzustellen, dass sich dieses fast übermächtige Bildin der Wahrnehmoognichtverselbstständigt, sondern der eigenen Marke zogote kommt muss es allerdings aof den ersten Blick erkeonbar mit derMarke, dem Markenzeichen oder anderen markentypischenGestaltungselementen verknüpft werden.
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Drittens: Der Mythos bietet eine Vielfalt an Variationsmöglichkeiten und wird so niemals langweilig. Die Liste der Kunstwerke, Drucksachen und Häuserwände, die mit dem Mythos Che Guevara spielen, ist lang. Doch durch die permanenten Wandlungen in der konkreten Ausgestaltung verliert dieser Mythos nicht an Kraft, er wird vielmehr dadurch aktuell gehalten. Dies gilt auch für die Markenkommunikation, in welcher dieser Mythos immer wieder aufgegriffen worden ist - für die verschiedensten Produktgattungen und in den verschiedensten Variationen.
Der Autovermieter Europcar macht vor, wie man die Assoziationen und Vorstellungen rund um diesen Mythos für seine Marke nutzen kann. Im Rahmen einer Kampagne wurden Kleintransporter von Europcar mit dem Konterfei Che Guevaras und dem Spruch "Auch Du kannst Großes bewegen" versehen. Die Botschaft ist klar: Mit Kleintransportern von Europcar ist auch der "kleine" Normalmensch in der Lage, Umzüge oder andere große Transporte selbstständig durchzuführen. Che Guevara hat es vorgelebt, dass menschlicher Wille und menschliche Anstrengungen möglich machen, was vorher unmöglich schien. Das Bild von Che Guevara, der appellierende Aufruf und die roten Buchstaben traditionell ist die Farbe Rot mit kommunistisch-linken Ideen und Idealen verbunden - sind bei dieser Kampagne die Elemente, die den Mythos wachrufen. Wie häufig bei der Inszenierung des Mythos Che Guevara schwingen auch in dieser Kampagne eine Prise Humor und Ironie mit. Auch der zur Renault-Gruppe gehörende, rumänische Automobilhersteller Dacia setzte im Jahr 2008 in einem Werbespot für seinen Kombi auf den Mythos Che Guevara. Fidel Castro kommt auf einer lateinamerikanischen Hacienda an und trifft auf diverse altersmüde linke Revolutionäre. Gandhi, Lenin und Rosa Luxemburg spielen lieber Kicker, Computer oder schauen Talkshows. Auf der Veranda jedoch sitzen Marx und Che Guevara. Letzterer ist ganz in seinem Element: "Mal wieder Zeit für eine Revolution." Die Revolution für das Volk kommt denn auch im Abbinder - als neuer, von den Massen umringter DaciaKombi für gerade einmal 8.400 Euro.
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Abbildung 21: Der Mythos ehe Guevsra im Dienste des Autovennieters Europcar..Auch Du kannst Großes bewegen", (Foto: Europcar)
Che Guevara hat sich im Gegensatz zu den anderen linken Anführern den revolutionären Geist erhalten. Anders als Lenin und die anderen verkörpert er weiterhin die Revolution und den tapferen Kampf für die sozial Benachteiligten. Indem Dada den Mythos ehe Guevara als Resonanzfeld spielen lässt, wird der revolutionäre Charakter seines Angebots deutlich: ein wirkliches Volks-Auto zu einem Preis, den sich auch der Ärmste leisten kann. Im Grunde wird hier die Verwirklichung eines kommunistischen Traums inszeniert, für den sich alle linken Revolutionäre eingesetzt haben - allen voran Che Guevara. Der Mythos Che Guevara passt also exzellent zum Angebot von Dada. Mit der Nutzung dieses Mythos als Resonanzfeld erreicht Dada, dass die gewünschte Aussage von den Fernsehzuschauern sofort verstanden wird und sich die Vorstellungen und Assoziationen rund um ehe Guevara auf die Marke übertragen. ehe Guevara, das ist Wohlstand für alle, Gleichheit und Freiheit.
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DER ERSTE KOMBI, DEN SICH JEDER LEISTEN KANN.
Abbildung 22: Mit diesem Kombi zu einem wahrhaft revolutionären Preis gibtdie rumii· nische Marke Dacia dem Volk. was ehe Guevara ihm versprach. (Werbespot: Renault)
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Cowboy und Indianer Marlboro und Cowboy - beide gehören heute untrennbar zusammen. Der Cowboy, der ein männlich-unabhängiges Leben in der Natur führt, ist mit der Marke Marlboro für alle Zeit verbunden. Das war nicht immer so. Marlboro wurde ursprünglich als Frauenzigarette positioniert und auf den Markt gebracht. Mit dem Slogan "Mild As May" ("Mild wie der Mai") sollten gerade die weiblichen Raucher angesprochen werden. Der Erfolg blieb jedoch jahrzehntelang hinter den Erwartungen zurück. Nachdem Marlboro während des Zweiten Weltkriegs kurzzeitig vom Markt genommen wurde, kam der Relaunch: Mit einem kräftigeren Geschmack und Filter, mit der damals neuen Hartbox-Verpackung und der kommunikativen Verbindung zum Western und zu den Cowboys ging Marlboro ab 1954 auf Erfolgskurs. Mit dem Cowboy wurde Marlboro zur meistverkauften Zigarettenmarke der Welt. Auf der Liste der wertvollsten Marken der Welt steht Marlboro ganz weit oben. Der Erfolg von Marlboro liegt in der großen Strahlkraft des Mythos Cowboy begründet. Dieser Mythos erzählt von Freiheit, Ungebundenheit, Abenteuer, rauer Natur und Männern, die noch echte Kerle sind . Dass all diese Assoziationen gemeinhin auch mit Marlboro verbunden werden, ist das Ergebnis jahrzehntelanger konsequenter Markenführung mit dem Cowboy als Resonanzfeld. Immer wenn für Marlboro geworben wurde, war auch die Figur des Cowboys zu sehen. Der große Werbemann Leo Burnett war es, der den Cowboy für Marlboro entdeckt und ihn im Unternehmen Philipp Morris gegen andere Werbefiguren wie Bergsteiger oder Schiffskapitäne durchgesetzt hat. Er hatte intuitiv erfasst, dass die in Richtung "Full Flavour" veränderte Positionierung der Marlboro mittels des Cowboys als "Testimonial" am besten und außerordentlich resonanzstark zu vermitteln sei. Man sollte sich im Zusammenhang mit der Resonanzfeld-Technik auch vergegenwärtigen, dass sich Philipp Morris dieses weltweite Resonanzfeld damals unentgeltlich aneignen durfte. Der Cowboy löst besonders starke Assoziationen aus, weil er einen Typus verkörpert, der keiner Zeitlichkeit und keiner regionalen Zuordnung unterliegt. Er ist ein Held, der sich auf die Freiheit mit allen damit verbundenen Gefahren einlässt. Der Held geht mutig den anderen voraus, die ängstlich oder besorgt im Bestehenden verharren. Eine solche Gestalt wirkt auf Männer wie Frauen sehr attraktiv, was Marlboro nicht nur zur größten Männer-, sondern auch zur größten Frauenzigarette der Welt hat aufsteigen lassen.
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Relativ neu ist, dass auch der natürliche Gegner des Cowboys einer Zigarettenmarke zum Erfolg verholfen hat: der Indianer. Die Marke heißt American Spirit. Ihre Packung ziert ein Indianer-Häuptling, der genüsslich eine Friedenspfeife raucht. Der Erfinder der Marke, ein ehemaliger Reemtsma-Marketingmanager, wollte seinerzeit eine Zigarette ohne Zusatzstoffe wie Weichmacher und Abbrennbeschleuniger, hergestellt nur aus exzellenten, unterschiedlich aromatischen Tabaksorten auf den Markt bringen. Als Symbol dafür wählte er den Indianer, der in besonderer Weise für die Einheit mit der Natur steht und mit seinen Warnungen vor ihrer Zerstörung weltweit Resonanz erzeugt. Der Indianer passt sehr gut zur Positionierung und den Produkteigenschaften von American Spirit, weil die Marke als ein Gegenentwurf zu den durch Chemie konditionierten Zigaretten der großen Anbieter gedacht ist. Dass die Tabakspfeife dabei geholfen hat, den Indianer für ein anderes Tabakerzeugnis einzuspannen und zu diesem Resonanzfeld eine spontane Verbindung herzustellen, darf als gesichert gelten. Die Nachfrage nach der Zigarette mit dem Indianer jedenfalls war groß. So groß, dass die R. J. Reynolds Tobacco Company die Marke American Spirit samt Indianer inzwischen für viel Geld gekauft hat. Marlboro und American Spirit nutzen Mythen als Resonanzfelder für die Markenführung. In beiden Fällen passt das Resonanzfeld jeweils sehr gut zum Produkt. Im Falle von Marlboro brachte der Cowboy einer Marke, die nicht vom Fleck kam, neuen nachhaltigen Schwung. American Spirit hingegen nutzte von Anfang an die assoziative Kraft des Indianers für die eigene Marke. An unterschiedlichen Punkten der Markenentwicklung und auf unterschiedlichen Handlungsebenen - sei es Werbung mit dem Cowboy oder sei es Verpackungsgestaltung mit dem Indianer - kann der Griff nach einem geeigneten Mythos unbezahlbare Energien für die Marke erzeugen.
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Abbildung 23: Marlboro-CowboV und American Spirit-Indianer- diebeiden Gegenspieler dienen jeweils alsResonanzfeld für eine Zigarettenmarke. (Anzeige: Marlboro; PackshotJ
,Mein Name ist Bond. James Bond' Iames Bond ist ein Mythos. den Filme geboren haben. Auch wenn diesen Filmen
die Romane des britischenSchriftstellers Ian Flenuning als Vorlage gedienthaben. Der Mythos Iames Bond steht für eine unverwundbare Überlegenheit. die ihm immer einen Ausweg selbst aus den verzwicktesten Situationen ermöglicht. Außerdem ist sein Mythos auch der des zynischen Weiberhelden und Machos. der die attraktivsten Frauen in Bond-Girls und Sexobje1cte verwandelt. Dem Mythos ist es überhaupt nicht abträglich. dass Iames Bond in seinen Filmen von verschiedenen Darstellern gespielt wird. Auch dass lamee Bond nicht altert. obwohl sich die Welt im Hintergrund verändert, stört nicht. Der Mythos Iames Bond besteht losgelöst von einem konkreten Darsteller und realer Zeit. Dieser Mythos wird durch aktuelle geopolitische Konflikte. neue Bond-Darsteller und die neuesten Autos lediglich immer wieder aktualisiert: Den maskulinen Agenten, der die Welt vor einem allmächtig scheinenden Weltfeind rettet. kann und
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muss es einfach zu jeder Zeit geben. Diese Eigenschaften - allgemeine Bekanntheit, Zeitlosigkeit und überregionale Gültigkeit - machen auch diesen Mythos als Resonanzfeld für die Markenführung interessant. Dass Iames Bond zu einem Mythos werden konnte, hängt mit einem konstanten Kern von Elementen zusammen, die durch alle Filme hindurch gespielt werden. Mithilfe dieser Elemente kann der Mythos auch in der Markenkommunikation als Resonanzfeld aktiviert werden: Der Eingangstrailer mit dem Pistolenlauf und der allseits bekannten Musik. Der Martini - "geschüttelt, nicht gerührt". Der ewige und ewig erfolglose Flirt der Sekretärin Moneypenny mit Bond. Die schnellen Autos und die technischen Gadgets von Q. Die Bond-Girls. Die Stunts und Verfolgungsjagden. Die größenwahnsinnigen, irren Schurken, die die Welt in den Untergang stürzen wollen. Und natürlich das machohafte Auftreten des zugleich galanten und perfekt gekleideten [ames Bond. Wie der Mythos [ames Bond strategisch und zielgerichtet als Resonanzfeld angezapft werden kann, machte Coke Zero im Jahr 2008 in über 40 Ländern anlässlich des 22. Bond-Films "Ein Quantum Trost" vor. Eingeführt im Jahr 2004, gilt Coke Zero als der größte Produktlaunch des Coca-Cola-Konzerns während des letzten Vierteljahrhunderts: eine Cola ohne Zucker oder Kalorien für junge Männer. Zwar hatte es schon zuvor Cola Light bzw. Diet Coke gegeben, doch galten sie unter Männern als reine Frauengetränke. Wenn man nun einem neuen Produkt ein maskulines Image verpassen möchte, was bietet sich da mehr an als das Resonanzfeld "James Bond"? Das dachten sich die Werber und das Marketing von Coca-Cola offensichtlich auch. Entstanden ist ein Werbespot, der in bildlicher und musikalischer Gestaltung auch als Vorspann eines [arnes BondFilms dienen könnte und auf viele Facetten des Iames Bond-Mythos anspielt: Verfolgungsjagden mit schnellen schicken Autos, eine leblose Mondlandschaft, nackte Frauenkörper und -beine, Faustkämpfe von Männern im Anzug. Schließlich erhält der Held eine Coke Zero von einem kurvigen Bond-Girl gereicht. Begleitend zu diesem Spot wurde Coke Zero in dieser Zeit im Iames Bond-Design und unter der Bezeichnung "Coke Zero Zero Seven" verkauft.
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Abbildung 24: Der Mythos James Bond verschafftCoke Zeroein hartes, maskulines Image. (Anzeige: Coca-Cola)
Das Resonanzfeld .James Bond" wird hier also facettenreich angespielt. um in der Masseder Konsumentendie Vorstellung von CokeZero als männlichem Getränk zu erzeugen. Mithilfe dieser Kampagne wird das Image von Iames Bond auf Coke Zero übertragen: eine Cola ohne Zucker. aber nicht für figurbewusste Mädchen. sondern für harte Iungs.Da es für diesesProdukt über das Image hinaus kein schlüssiges Verkaufsargumentgibt. stellen sich der Einsatz des Mythos Iames Bond als Resonanzfeld und die übertragung der mit diesem Mythos verbundenen Assoziationen auf das Produkt als ein durch und durch strategischer und gelungenerSchachzugdar. Wenn Tarzan die Stimme versagt
Den Fall hat es tatsächllch gegeben- in der Werbung für Wiek Blau. Die Firma Procter & Gamble (P&G) wollte Anfang der achtziger fahre den ohnehin schon guten Absatz für ihren Hustenbonbon noch einmal kräftig steigern. Basis einer entsprechenden Kommunikationsstrategie war das in der bisherigen Kampagne bereits erprobte dramaturgische Muster .Problem dramatisieren - Lösung durch das Produkt vorführen".Für eine noch wirksamere Umsetzung griff die damalige Werbeagentur auf den berühmtesten Schrei der Kulturgeschichte
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zurück, den Schrei des Tarzan im Urwald, und verfremdete ihn zugleich: Wegen Heiserkeit versagt Tarzan anfangs die Stimme. Das durchaus überschaubare Inventar des Mythos Tarzan wurde konsequent für die TV-Werbung verwertet, um dieses Resonanzfeld für den Hustenbonbon zum Schwingen zu bringen: der weiße Mann im Urwalddickicht mit nacktem Oberkörper und Lendenschurz. Der berühmte Schrei (nach Einnahme von Wick Blau wieder voll da), die Liane, an der sich Tarzan durch den Urwald schwingt, und die Affen und Elefanten. Mit diesen wenigen Elementen, die bis heute massenseelisch bestens abgespeichert sind, erreichte die Wick Blau-Werbung eine deutliche Steigerung des Absatzes und steigerte ihn weit über den nur langsam wachsenden Gesamtmarkt hinaus. Die Vorteile dieser mythischen Figur für die Aufladung von Wick waren offenkundig. Dazu gehörte nicht nur der enorme Aufmerksamkeitswert eines stimmgestörten Tarzan, sondern auch die Kongruenz in puncto Positionierung als "extrem wirksames starkes Mittel" wie auch bezüglich der "natürlichen Wirkstoffe". Die Bedeutung des Resonanzfeldes "Tarzan" für das wirtschaftliche Ergebnis dieser Marke wurde vom P&G-Management schnell erkannt. Deshalb wurde der halbnackte Tarzan an der Liane zum Schlüsselbild auch späterer Kampagnen. Selbst wenn Soldaten oder Indianer in den Spots auftraten, erschien immer wieder Tarzan als der eigentliche Promoter des Produkts. Der Ursprung des Mythos Tarzan ist gut zu datieren. Er wurde vor gut zweihundert Jahren von Edgar Rice Burroughs mit seinem ersten Roman "Tarzan bei den Affen" geschaffen und in über zwanzig Fortsetzungen kultiviert. Früh schon hat sich auch der Stummfilm dieser Figur angenommen. Heute feiert er in erneuerter Gestalt als Held des gleichnamigen Disney-Musicals mit Songs von Phil Collins Triumphe in den USA wie auch in Europa. Im Zusammenhang mit der Marke Wick Blau liefert er ein Musterbeispiel dafür, wie ein internationaler Markenartikler einen Mythos honorarfrei, strategisch gezielt und in der Umsetzung hoch professionell für seine ökonomischen Zwecke instrumentalisieren kann.
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Abbildung 25: Auch ein Musical leistet einen Beitrag dazu. dass derTarzan-Mythos immer wiederneu erzlhttwird und dadurch imBewusstsein auch jüngerer Generationen lebendig bleibt (Bild: Stage Entartainmant Hamburg)
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Topoi: Was der Experte empfiehlt. ist das Beste VorGerichttritt ein Experte in GestalteinesGutachters für Bauschäden auf.um die Anklagepunk.te des Staatsanwalts zu untermauern. Im ..Morgenmagazin" der öffentlich-rechtlichen Sender begegnet uns der Experte für Finanzen oder
Mietrecht. der Expertefür Umweltschutz oder der Expertefür die gesundheitlichen Wirkungenvon Gemüse. Er erklärt den Zuschauern. was richtig und was falsch ist. Den Moderatoren bleibt die Aufgabe. das jeweilige Problemanzusprechen und den Experten als solchen einzuführen - unser Finanzmarktexperte Professor Wolfgang Gerke, die vertraute Gestalt mit der Fliege und dem Schnau-
zer. In der Werbung kennen wir den Experten als den Zahnarzt Dr, IamesBest. der seiner Zahnbürste mit dem Tomatentest zum Welterfolg verholfen hat. In Alpecin-TV-Spots tritt er als Dr. AdolfKlenk und Laborchef auf um die Haarwurzelwirkung seines Coffein-Wirkstoffs am Computer zu demonstrieren. Anstelle einer dem Laienpublikum unverständlichen Argumentation wird. ein Experte präsentiert, der in zwei Sätzen (fast) alles erklärt.
Abbildung 26: Der Experte Dr. rar. nat Adolf Klenk: .In derTat- Coffain trägt dazu bai, dass sich die Wachstumsphasen derHaarwurzeln wiedarverlingem: Viele Fernsehzuschauer meinen. ersei nureine Werbefigur. Nein, esgibtihnwirklich. Er ist Entwicklungs- und Laborchef bei Dr. Wolffin Bielefeld, dem Hersteller von Alpecin und Plantur39.(Foto: Dr. KurtWolff)
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Der Experte verdankt seine überzeugende Wirkung der kollektiven Meinung, dass das, was Experten empfehlen, das Beste für uns sei. So hat ihn bereits Aristote1es beschrieben und als resonanzstarken Unterstützer des eigenen Standpunktes dargestellt. Mit einem Begriff aus der antiken Rhetorik lässt sich der Experte als ein "Topos" bezeichnen.
Topos: Topoi sind Gemeinplätze (Common Places), die seit ewigen Zeiten herangezogen werden, um eine Argumentation gedanklich oderauch emotional zu unterstützen. Sie kommen nicht ausder Sache selbst, die der Redner durchbringen will, sondern entstammen dem großen Schatz volkstümlicher Denk- und Gefühlsmuster. Nach diesen Mustern ziehtder Empfänger die gewünschten Schlüsse selbst.
Das hohe Ansehen, das Experten nicht nur in unserem Kulturkreis genießen, ist sicher nicht vom Himmel gefallen. Jahrtausendelang haben sie bewiesen, so viel mehr als andere von einer speziellen Sache zu verstehen, dass man ihnen das längst ungefragt zugesteht. Wir Heutigen müssen diese Geschichte nicht mehr nachvollziehen, um zu dieser Meinung zu gelangen. Wir übernehmen den Topos unbewusst im Zuge unserer Sozialisierung und Kultivierung und freuen uns darüber, wie einfach es sein kann, das komplizierte Leben richtig zu verstehen. Damit man mit einem Topos Erfolg hat und die eigene Argumentation durch ihn überzeugender wirkt, muss er also von der Massenseele verinnerlicht sein. Er muss eine allgemein anerkannte Lebenswirklichkeit beschreiben, eine Alltagswahrheit, im besten Sinne einen Common Place (Das griechische Wort Topos bedeutet "Ort, Platz"). Weil er allen plausibel erscheint, kann er als allgemein anerkannte Prämisse dienen, aufdie ich meine spezifische Argumentation gründe und von der aus ich mein spezifisches Kommunikationszie1 ansteuere. Ich benutze mithin etwas, das als bewiesen gilt, um damit etwas noch nicht Bewiesenes zu beweisen. Ganz im Sinne der Resonanzfeld-Technik: Eine kollektiv vorhandene allgemeine Vorstellung wird genutzt, um eine entsprechende Schlussfolgerung zugunsten eines parteiischen Angebots auszulösen. Für den Markentechniker stellen Topoi Resonanzfelder dar wie Klischees, Mythen und Archetypen. Er kann auch sie kostenfrei nutzen und darauf zählen, dass sie im Publikum etwas zum Schwingen bringen. Seine Arbeit ist hier ebenfalls nicht nur das Finden eines passenden Topos, sondern darüber hinaus seine
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markenspezifische Ausgestaltung und Benennung. Denn nur dann wird ein potenzieller Kunde seine kollektiven Vorstellungen und Wertungen zuverlässig auf die jeweilige Marke übertragen. Bei der Schokoladenmarke Lindt sind es die in Kapitel 1 bereits zitierten Chocolatiers, die zusätzlich zu dem Resonanzfeld "handwerkliche Zubereitung" noch den Experten-Topos für ihre Marke instrumentalisieren. Sie sind Könner und Kenner, ausgewiesen durch ihren Titel "Maitres", ihre Berufskleidung und ihre fachmännisch erscheinenden Handlungen. Ihrem Fachverstand und ihrem Sinn für das Echte und Wahre verdankt die Marke viel. Bei der Waschmittelmarke Ariel war es in den Jahrzehnten größter kommerzieller Erfolge die Figur der Klementine, die den Experten verkörperte. Eingeführt wurde sie als Waschmaschinentechniker. Deshalb war sie nicht gerade hübsch, trug eine Männerkappe und hatte in ihrem weißen Handwerker-Overall einen Schraubenschlüssel parat. Sie verstand mehr von Waschmaschinenwäsche als alle anderen. Deshalb durfte sie sogar im Angesicht der Familie eine Hausfrau und deren "oberflächlich reine" Wäsche kritisieren und mittels bewiesener "Reinweichkraft" die bessere Lösung propagieren. Ähnlich hat es jahrelang und mit großem wirtschaftlichen Erfolg der Waschmaschinentechniker von Calgon praktiziert, wenn er einer verstörten Hausfrau die verkalkten Heizstäbe und die vorbeugende Wirkung von Calgon vor Augen führte. Die Figur des Experten versetzt die Seele in Schwingung, ob man will oder nicht. Und seine Argumente erscheinen von vornherein plausibler als die des Laien, seines ewig unterlegenen Gegenspielers.
Das Beste - aus Liebe zur Familie Die Familie ist vermutlich der älteste und zugleich haltbarste soziale Verbund der Welt - Mutter, Vater, Kind oder auch in der modernen Patchwork-Version Frau, Mann, Kind. Kein Wunder, dass die Familie eine in unser aller Bewusstsein hinterlegte Größe ist. Im Guten wie im Schlechten. Die Freude über den männlichen Nachfolger und das Entsetzen über den frühen Tod der Mutter; das Geschwisterpaar, das zusammenhält, und das einsame Waisenkind - Facetten einer unendlich facettenreichen Institution. Die Familie stellt ein wunderbares Resonanzfeld dar, denn die Menschenseele scheint ihr apriori zugeneigt. Sie zweifelt deshalb auch nicht an der bereits von Aristoteles genannten Prämisse, dass alles, was aus Liebe zur Familie geschieht, gut ist. "Ich weiß noch ganz genau, wie ich meinen ersten Bonbon von meinem Großvater bekam. Es war Werther's Echte und ich war vier. Heute bin ich der Großvater. Was kann ich da Besseres tun, als meinem Enkel auch einen dieser köst-
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liehen Bonbonszu schenken." So ähnlich lautete der Text in einem Fernsehspot für Werther's Echte. Eine gelungene und wirksame Aktivierung des Resonanzfeldes ..Liebezur Familie". Der Zuschauer fühlt unwillkürlich mit, was in dem alten Mann vorgeht und wohl auch in dem Enkel.
Abbildung 27: Werthsr'sEchte heißen heuteWsrther's Original. (Bild: StorckDeutschl.ndAGI
Empathie statt Argument. Wer kann an der Qualität. am Geschmack der Bonbons noch zweifeln, wenn er diesen TV-Spot sieht und hört. Denn beide Rollen waren auch noch bestens besetzt - der gütige Großpapa im Lehnstuhl und der liebendeEnkelsohn an seinerSeite. DiesesMuster kann übrigensauch als Happy End einer zunächst ganz schlimm verlaufendenGeschichtedienen. Man denke nur an das Jahr für Jahr im Fernsehen wiederholteMärchen vom Kleinen Lord, dessen hartherziger Großvater am Ende weich wird. die verstoßene und zerrissenekleine Familie unter dem Tannenbaum um sich vereint - und adelt.
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Die Unbestechlichen So lange es in der Welt ungerechtfertigte Vorteilnahrne, Nepotismus, Filz und Korruption gibt, so lange existiert auch die Vorstellung und Sehnsucht, Einzelne könnten all diesen Versuchungen widerstehen sowie einzig der Wahrheit verpflichtet sein und dem, was für die Allgemeinheit gut ist. Sie sind die Unbestechlichen, deren Wort mehr gilt als das aller Parteigänger. Ein durchgängiges Merkmal dieses Topos ist die Bedürfnislosigkeit des Unbestechlichen. Er lebt, ohne sein Herz an irdische Güter zu hängen oder seinen Besitz zu mehren. Eine frühe Dokumentation dieses Konzepts ist der Philosoph Diogenes, der antwortete "Geh mir aus der Sonne", als Alexander der Große ihn fragte, ob er ihm einen Wunsch erfüllen könne. Sokrates erklärte den Zöllnern an der Grenze: "Alles, was ich besitze, trage ich mit mir." Auch [esus Christus realisierte und nutzte dieses Resonanzfeld für sich, sich bewusst von den Besitzenden und den Besitztümern des Diesseits abgrenzend. Dass nur die Unbestechlichen die Wahrheit herausfinden und verkünden, dieses Denkmuster gab auch der erfolgreichen Filmserie "The Untouchables" den deutschen Titel. Sie wurden als Helden gegen die Korruption der Prohibitionszeit stilisiert. Nicht zufällig wurde auch die Watergate-Aufklärungsarbeit der beiden Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward unter dem Titel "Die Unbestechlichen" verfilmt. Denn auch der (gute) Journalist aktiviert dieses Resonanzfeld. Er recherchiert ohne Ansehen der Person, überparteilich, er lässt sich vor keine Karre spannen und wird zusätzlich durch das Redaktionsgesetz davor geschützt, die Wahrheit wegen wirtschaftlicher Interessen seines Arbeitgebers zu unterschlagen. Deshalb gilt den Menschen eine redaktionelle Aussage noch immer mehr als beispielsweise die Werbung im seIben Medium auf derselben Seite. Und wegen dieser "Gutgläubigkeit" wiederum darflaut Mediengesetz beides auch nicht vermischt werden . Der Gesetzgeber kennt die Wirkung des Topos "Unbestechlich" sehr genau und will alle Mediennutzer vor einem Missbrauch dieses gut funktionierenden Beeinflussungsmittels schützen. Redaktionell gestaltete Werbung, das sogenannte Advertorial, geht hart an die gesetzliche Grenze heran, indem es zumindest stilistisch vorgibt, eine redaktionelle Äußerung zu sein. Der Zweck ist eindeutig: Der Anschein von Redaktion bürgt für die unbestechliche Wahrheit einer in Wirklichkeit werbenden, also noch nicht bewiesenen Aussage.
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Abbildung 28: Mit dieser redaktionell gestalteten Anzeige wurde das Coffein-Shampoo von Alpeein am Samstag, den 16. April2005 erstmals beworben. Am Tag nach Erscheinen derAnzeige in derBild-Zeitung erhöhte sich derbisdahin mäßige Umsatz um ein Vialfaches, wie dieAbsatzentwicklung bei dm zeigt (Anzeige: Dr. Kurt Wolff)
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Abbildung 29: DM-Abverkauf 2005-Alpecin Coffein-Shampoo (Quelle: DM Intranet)
Die unbestechlichen Warentester Vertrauen ist das wohl wichtigste Gefühl, das Menschen einer Marke entgegenbringen können. Es ersetzt langwierige Prüfungen und kritische Auseinandersetzungen mit dem Angebot und schafft eine Beziehung. die über jeden Verstandeszweifel erhaben scheint. Ein solches Verhältnis zu seinen Abnehmern aufzubauen. bedarf normalerweise einer ganzen Generation und vieler wiederholt guter Erfahrungen bei sich selbst wie auch im sozialen Umfeld. Eine Marke, der es hingegen ungewöhnlich schnell gelungen ist, das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen, ist die Stiftung Warentest. Schon bald nach ihrer Gründung im Jahre 1964 war in der Öffentlichkeit klar. dass man ihren Urteilen über Markenartikel und Handelsmarken vertrauen kann. Der erste und wichtigste Grund dafür ist die Tatsache, dass die Gründer konsequent das Resonanzfeld der Unbestechlichkeit für sich genutzt und mobilisiert haben.•Nur der Unbestechliche sagt die ganze und die reine Wahrheit." Diesem Topos haben die Berliner Warentester eine kohärente widerspruchsfreie und zugleich markenspezifische Gestalt verliehen. Die Gesellschaftsform ist die der gemeinnützigen Stiftung. Vom Staat mit genügend Kapital ausgestattet. kann sieunbeeinflusst von wirtschaftlichen Interessen und Lobbyisten ihrer ..hoheitlichen" Aufgabe nachgehen, die Konsumenten darüber zu informieren, wie gut oder schlecht Produkte und Dienstleistungen kom-
merzieller Anbieter sind. Dieöffentlich deklariertewirtschaftliche Unabhängig-
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keit ist ein starker Auslöser für das Resonanzfe1d ..Unbestechlichkeit". Um ihn noch stärker wirken zu lassen. hat man bei der Geburt der Testzeitschrift auch entschieden, dass sie niemals Werbung aufnimmt. Eine eindeutige Spekulation auf dieVolksmeinung. dass Werbeeinnahmen die Redaktion, d. h. in diesem Falle die Urteile der Tester. beeinflussen könnten. Im Unterschied zu normalen Presseorganen wirkt bei der Stiftung Warentest auch der wissenschaftliche Habitus aller Darstellungen auf das Gemüt der Leser. Unbestechlich wirken die standardisierten. neutralen Vergleiche auf der Grundlage naturwissenschaftlicherVerfahren. Als Wirkverstärker sitzenim Vorstandauch nur Akademiker.
Stiftung Warentest
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IlIIl .1IIIIIIU "",. ... ,,, (( Abbildung 30: Das Juliheft 2010 derStiftung Warentest Passend zur Grillsaison: Gewinnerund Verlierer bei Bratwürsten. (Titelseite Stifumg Warentest7/2010)
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Der Erfolg der StiftungWarenrest in der Öffentlichkeit ist überwältigend. Dazu hat sie nicht nur selbst beigetragen, sondern ebenso die Tatsache, dass sich seit LangemMarkenartikel mit ihren Testurteilenschmücken. Der erste Nutznießer allerdings war Aldi Bereits in den siebziger Jahren wies er in seinen Anzeigen
daraufhin. dass seinWaschmittel Tandil von der Stiftung Warentest gleich gut wie Persil bewertet worden sei. Später gingen auch Markenartik1er dazu über. ihre Produkte mit dem Testsiegelzu schmücken und dies auch in der Werbung auszuloben. Head & Shoulders von Procter & Gamble beispielsweise gründet
seineVormachtstellung im deutschen Antischuppenshampoo-Markt zweifellos auf die wiederholt errungene Auszeichnung als ,.Testsieger". Nach Jahren des Totschweigens durch dieIndustrie haben dieser Aktder Unterwerfung unter die Berliner Testurteile und die Anerkennung ihrer Testmethoden durch die Betroffenen den Institutionen-Charakter der Stiftung Warentest nur weiter gefestigt. Hinzu kam. dass schließlich auch die Redaktionen der Massenmedien die Ergebnisse der Stiftung Warentest in ihr Repertoire aufgenommen haben und regelmäßig als Erzältlstoff weiterreichen. Häufig läuft der öffentliche Diskurs darüber nach dem Muster, gemäß unbestechlicher, objektiver Prüfung sei das billigste Produkt das Beste. Damit wird der Marke Stiftung Warentest die letzte Weihe als Aufklärer und Verbraucherschützer und schließlich der Status der Unangreifbarkeit verliehen.
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Abbildung 45: Die innovative Hansano Konditorsahne findetihre Uebhaber. (VKE = Verkaufseinheiten) (Grafik: Hansanol Wie steht es hier mit den Resonanzfeldern? Die Konditorsahne wird. zwar vor
norddeutschem Hintergrund präsentiert (Bauernhof. Weide. norddeutsche Erdbeertorte),für die Produktaussagewurde jedoch kein "norddeutscher"Name gefunden. der sofort erklärt, worum es geht. Dem entgegenschließt man spontan von ..Konditor" auf professionellen Einsatz und besondere Warenqualität. ..W iI versuchen immer. die Resonanzfelder anzusprechen. aber Verständlichkeit ging in diesem Fallvor", erklärt Roland Prölicb. Sein Paradebeispiel für ein rundum resonanzfokussiertes Produkt ist die 2008 eingeführte Hansano Landmilch. Sie war die Antwort darauf. dass die länger haltbare ESL-Milch (.extended shelf life") sich im Regal der Händler immer breiter machte, Verbraucher, die Wert auf den frischen Milchgeschmack legten, mussten immer länger nach Frischmilch suchen. Für sie kam die Hansano Land.milch mit dem natürlichen Fettgehalt vun 3.9 Prozent geraderichtig. Verpackungund Werbungbringen Hansanos Resonanzfel.der zum Klingen: Milch aus "Norddeutschland", der "Bauernhof". die "Kindheit", Das Ganze wird mit einer nostalgischen Note in der Werbung abgeschmeckt: "Es gibt sie noch ..." Bei Hansano ist die Welt eben noch in Ordnung. Die Verkaufskurve belegt, dass dieses Frischmilch-Revival ebenso in die Kasse wie auf die Marke Hansano eingezahlt hat. Hier wird zudem deutlich, dass Hansanos Resonanzfeldstrategie weit über ein herkömmliches "Regional-Konzepthinausreicht,
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Abbildung 46: Weil immer mehr hochertlitzte Milchin die Regale kommt. fordern Verbraucher und Presse: Rettet die Frischmilchl Hansano ergreift die Chance zurProfilierung und antwortet mitpurer Landmilch. (Anzeige: Hensenel
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