Susanne Müller-Philipp | Hans-Joachim Gorski Leitfaden Geometrie
Susanne Müller-Philipp | Hans-Joachim Gorski
Leitfaden Geometrie Für Studierende der Lehrämter 4., überarbeitete und erweiterte Auflage STUDIUM
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dr. Susanne Müller-Philipp Dr. Hans-Joachim Gorski Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Didaktik der Mathematik und der Informatik Fliednerstraße 21 48149 Münster
[email protected] [email protected] 1. Auflage 2001 2., überarbeitete Auflage 2004 3., überarbeitete Auflage 2005 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg+Teubner |GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Ulrike Schmickler-Hirzebruch | Susanne Jahnel Vieweg+Teubner ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Umschlagmotiv: Ehrhard Behrends, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0097-8
Vorwort zur vierten Auflage Mit dem Leitfaden Geometrie wenden wir uns nach wie vor prim/ir an Lehramtsstudierende mit den Studienzielen Primarstufe und Sekundarstufe I, auch wenn wir aus R/ickmeldungen yon Universit/iten des deutschsprachigen Raums erfahren, dass das Buch in zunehmendem Umfang auch in den Studieng/ingen Diplom bzw. Lehramt Sekundarstufe II verwendet wird. Der Leitfaden Geometrie soil Sie mit verschiedenen Bereichen der Geometrie bekannt machen, die einen tragfiihigen Hintergrund fiir Ihren sp~iteren Geometrieunterricht bilden k6nnen. Die vierte Auflage erscheint recht genau drei Jahre nach der vorangegangenen im Buchhandel. Sie unterscheidet sich yon der dritten Auflage durch zahlreiche Detailoptimierungen und Erg~inzungen. Beispielhaft sei hier die Aufnahme eines Kapitels zum ,,goldenen Schnitt" genannt. In unseren Vorlesungen zur Geometrie ist das Werkzeug ,,Computer mit dynamischer Geometriesoftware (DGS)" heute nicht mehr wegzudenken. ~danliches gilt auch fiir einen zeitgem~iBenGeometrieunterricht im Sekundarbereich I. Das Aufkommen yon Taschenrechnem hat seinerzeit die Bedeutung des iiberschl~igigen Rechnens, des Kopfrechnens und des halbschriftlichen Rechnens erh6ht und bei der Behandlung der schrifllichen Verfahren (in der Grundschule) den Fokus auf das Verst~indnis der zugrundeliegenden Atgorithmen gelegt. Ganz analog dazu gewinnen beim Einsatz von DGS geschickte Freihandzeichnungen, Uberlegungsskizzen und vor allem das Verst~indnis um die grundlegenden Konstruktionsalgorithmen an Bedeutung. Aus diesem Grund haben wir die aktuelle Auflage des Leitfadens Geometrie um ein eigenes Kapitel zu ,,Geometrischen Konstruktionen" ergiinzt.
,,Dieses Buch ist in einem mehrfach durchlaufenen Zirkel aus Entwicklung, Anwendung in Lehrveranstaltungen und l)'bungen, Riickmeldungen der Studierenden und Hilfskr~fte und Optimierung der Entwicldung gewachsen. Damit ist es kein Labor- oder Dienstzimmerprodukt, sondern das Ergebnis stfindiger Interaktionsprozesse mit Studierenden und Hilfskr~iften, die insofern Mitkonstrukteure dieses Buchs sind." So stand es in der ersten Auflage des Leitfadens und so soil es bleiben- solange wir jung sind.
vi
In den zuriickliegenden Jahren haben wir dariiber hinaus eine Vielzahl von mtindlichen und schriftlichen Riickmeldungen aus den Reihen der Leserschafl aufgenommen, angenommen und ggf. modifiziert in die aktuelle Auflage iibemommen, soweit das Profil des Leitfadens Geometrie dadurch nicht ver/indert wurde. Insofern sind die Leserinnen und Leser der vergriffenen Auflagen aktive Mitgestalter im Prozess der Weiterentwicklung des Leitfadens Geometrie. Dafiir danken wir ihnen. Ausdrficklicher Dank gilt auch Benjamin Imping, der uns bei der Herstellung des Manuskripts vielf/iltig unterstiitzt hat.
Miinster, im September 2008
S. M/iller-Philipp & J. Gorski
vii
Inhaltsverzeichnis
Vororientierung -
-
-
Zielvorstellungen im Leitfaden Geometrie Methoden im Leitfaden Geometrie Einsatz des Leitfadens Geometrie als vorlesungsbegleitende Literatur
X
xii xiv
1
Topologie
1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Einstiegsproblem Grundlegende Definitionen der Graphentheorie Eckenordnungen und Kantenzahlen Pl~ittbarkeit von Graphen Durchlaufbarkeit von Graphen Erbteilungs- und F~bungsprobleme
1 6 14 20 28 34
2
Polyeder
46
2.1 2.2 2.3
Einstiegsproblem Die platonischen K6rper Halbregul~re Polyeder
46 50 57
3
Axiomatik
64
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7
Zum Einstieg Inzidenzgeometrie Affine und projektive Inzidenzgeometrien Axiome der Anordnung Winkel L~ingen- und Winkelmessung Zusammenstellung aller relevanten Axiome
64 69 73 79 83 86 95
1
viii
Inhaltsverzeichnis
4
Abbildungsgeometrie
4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3
Einstiegsproblem Kongruenzabbildungen Definition und Eigenschafien der Kongruenzabbildungen Verkettung yon Kongruenzabbildungen Weitere S~itze zur Verkettung yon Kongruenzabbildungen
97 101 102 118 146
4.2.4
Die Gruppe der Kongruenzabbildungen
147
4.2.5
Kongruenz von Strecken, Winkeln, Dreiecken
152
4.2.6
Deckabbildungsgruppen
167
4.3
?dmlichkeitsabbildungen
4.4
Affine Abbildungen
178 189
5
Geometrische Konstruktionen
195
5.1 5.2 5.3 5.4
Einstieg Grundlegendes Ausgewghlte Hilfsmittel zum Konstruieren Grundkonstruktionen
195 199 203 206
5.4.1
Abtragen
206
97
5.4.2
Halbieren
210
5.4.3
Lote
5.4.4 5.4.5
Parallele durch einen Punkt Mittelparallele
212 215 217
5.4.6 5.4.7
Linien im Dreieck Konstruktionen am Kreis
218
5.4.8
Teilung in n gleiche Teile
225
6
Fragestellungen der euklidischen Geometrie
231
6.1
Einstiegsproblem
6.2
Besondere Punkte und Linien im Dreieck
231 236
222
6.3
S/itze am Kreis
6.4
Die Satzgruppe des Pythagoras
251 261
6.5
Der goldene Schnitt
273
ix
7
Darstellende Geometrie
283
7.1 7.2 7.3 7.4
Einstiegsproblem Axonometrie Dreitafelprojektion Zentralprojektion
283 287 296 300
Benutzte Zeichen und Abkiirzungen
308
Literatur
310
Stichwortverzeichnis
313
Vororientierung Zielvorstellungen im Leitfaden Geometrie Was soil das Ganze? Was wollen Sie von uns? Was genau sollen wir lemen? Warum lemen wir das? Wie sollen wir das lemen? K6nnen wires in unserem sp/iteren Beruf/im Leben gebrauchen? Fragen dieser Art stellen Lemende an den verschiedensten Stellen unseres Bildungssystems, jedenfalls sollten sie sie stellen. Auf der anderen Seite sollten die Initiatoren der Lemprozesse Antworten auf diese Fragen bereithalten, die die Lernenden in ihrer Lemausgangslage zufrieden stellen: Zun~ichst verfolgen wir natiirlich rein fachliche Ziele. Es geht uns darum, Ihnen mathematische Qualifikationen ffir Ihre sp~itere Unterrichtspraxis zu vermitteln. In diesem Zusammenhang haben wir sieben Themenbereiche ausgew~ihlt, von denen wir iiberzeugt sind, dass sie eine tragffihige Gmndlage fiir einen kompetenten Geometrieunterricht von Klasse 1 bis 10 bedeuten k6nnen. Beispielhafl denken wir hier an das Kapitel ,,Abbildungsgeometrie", das zentrale Qualifikationen fiir die Lernbereiche ,,F1/icheninhaltsbestimmungen", ,,Kongruenzabbildungen", ,,zentrische Streckung" im Sekundarbereich I und ffir die Themen ,,Symmetrie", ,,Omamente", ,,Vergr6Bem - Verkleinern" in der Grundschule (und in der Sekundarstufe I) bereitstellt. Mit der ausdriicklichen Herausstellung der folgenden Zielvorstellungen verlassen wir den Rahmen iiblicher mathematischer Fachbiicher:
F6rderung des riiumlichen Vorstellungsverm6gens Wenn Sie in der Schule nicht gef'6rdert wurden (und r~iumliches Vorstellungsverm6gen entwickelt sich am besten bis zum Alter von etwa 12 Jahren), dann muss hier unter Umst~inden ,,nachgebessert" werden. Das geht auch bei Erwachsenen. Besuden hat uns in seinen Aufs~itzen zum r~iumlichen Vorstellungsverm6gen immer wieder darauf hingewiesen, dass Raumvorstellung das Ergebnis von Verinnerlichungsprozessen ist und letztere - das wissen wir von Aebli - haben ihren Ausgangspunkt bei konkreten Handlungen. Denken ist verinnerlichtes Handeln (Aebli). Sie miissen Handlungserfahrungen machen und diese mehr und mehr im Kopf durchffihren. Braucht man erst die konkreten Objekte, mit denen man hantiert, so werden diese allm~ihlich durch Visualisierungen und schlieBlich durch Vorstellungen von den Objekten ersetzt. Einen besonde-
Vororientierung
xi
ren Beitrag zur F6rderung des riiumlichen Vorstellungsverm6gens wollen wir im Kapitel ,,Polyeder" leisten. Hier sollen Sie sich komplexere K6rper vorstellen und in der gelungenen Vorstellung Manipulationen mit / an diesen Objekten vomehmen. Dazu sollten Sie die konkreten Objekte zuniichst selbst herstellen, und damit sind wir beim niichsten Punkt.
Schulrelevante Arbeitsweisen auf h6herem Niveau erfahren und anwenden Das Herstellen yon K6rpernetzen und das Erstellen der K6rper aus Karton sind schultypische T~itigkeiten. Um Sie nicht zu unterfordem, Sie aber trotzdem mit den Problemen, die da auftauchen k6nnen, zu konfrontieren, werden wir yon Ihnen so etwas erwarten, allerdings bei komplizierteren Gebilden. J~mliches gilt ffir das Falten, das Arbeiten mit Pliittchenmaterial usw. W o e s sich anbietet, sollen solche T~itigkeiten auch Ihnen beim Lernen von Mathematik niitzen. Schliel31ich sollte jede Lehrerin und jeder Lehrer in der Lage sein, etwa einen Wfirfel, einen Quader, eine Pyramide (mit quadratischer Grundfl~iche), einen Zylinder oder einen Kegel ad hoc an der Tafel zu skizzieren bzw. exakt darzustellen. In der Sekamdarstufe I werden Sie dies auch yon ihren Schiilerinnen und Schiilem erwarten, in der Primarstufe vielleicht fiir die erstgenannten K6rper. Unmittelbare Basisqualifikationen hierftir versuchen wir Ihnen im Kapitel ,,Darstellende Geometrie" zu vermitteln. Ober die Schulformen hinaus blicken Fiir die angehenden Grundschutlehrerinnen und -lehrer: Sie werden in diesem Buch auch mit Inhalten des Geometrieunterrichts der Sekundarstufe I konfrontiert. Dies ist wichtig, damit Sie Ihren sp~iteren Mathematikunterricht so gestalten k6nnen, dass er tragfghige Konzepte liefert, die von den Kindem kein Umlernen in weiterftihrenden Schulen erfordern, sondem ein Autbauen auf Bekanntem und ein Weiterverfolgen bekannter Arbeits- und Denkweisen. Als ein Beispiel aus diesem Buch nennen wir hier das ,,Haus der Vierecke". Die Behandlung von Deckabbildungsgruppen soll Ihnen helfen, Aktivit~iten des Faltens und Versch6nems yon Quadraten oder das Legen von Pl~ittchen vor einem mathematischen Hintergrund zu sehen. Fiir die angehenden Sekundarstufenlehrerirmen und -lehrer: Sie werden eine Reihe von Aktivit~iten kennen lernen, die Kindem aus der Grundschulzeit schon vertraut sind. Sie iibemehmen die Kinder nicht in Klasse 5 als geometrisch ,,unbeschriebene Bliitter". Ihre Vorerfahrungen, ihre Erwartungen, die ihnen vertrauten Arbeitsformen, Materialien, Techniken k6nnen und mtissen Sie aufgreifen.
xii
Vororientierung
F6rderung der Bereitschafi zum Umgang mit Problemen Der Erwerb mathematischen Wissens ist ein aktiver, konstruktiver Prozess. Das geht nicht ohne Fehler und nicht ohne Anstrengungen. Immer wieder werden wir Sie mit komplexeren Problemen konfrontieren, die sich einer schnellen L6sung entziehen. Wir erwarten, dass Sie sich auch darauf einlassen, und hoffen, dass Sie sich dabei selbst beobaehten. So k6nnen Sie Erfahrungen sammeln, die Ihnen spiiter helfen, die Lernprozesse von Kindern besser zu verstehen.
Anwendungsorientierung ,,Wer [...] durch Mathematik Allgemeinbildung vermitteln will, darf sich nicht auf rein innermathematische Theorien und Strukturprinzipien beschriinken, sondem muss auch die Beziehungen der Mathematik zum Leben entwickeln." (Wittmann 1987, S. VI) Wir versuchen, sinnvolle Sachzusammenh~inge zum Ausgangspunkt unserer 13berlegungen zu machen. Interessante, auch f~icheriibergreifende Fragen wie z.B. die Geometrie der Bienenwabe stellen vermutlich hohe Anforderungen an Sie, f'6rdern unseres Erachtens aber auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Auf der anderen Seite werden wir yon Ihnen erwarten, erworbene Abstraktionen nicht nur innermathematisch, sondem auch auf Alltagssituationen und Fragestellungen aus dem Schulalltag anzuwenden.
Methoden im Leitfaden Geometrie Zum Erreichen der genarmten Zielvorstellungen und um Mathematik maximal verstehbar zu machen, greifen wir unter anderem auf folgende im weiteren Sinn methodische Hilfsmittel, Techniken zuriick: 9 durchgiingige Orientierung an Erkenntnissen der Lernpsychologie und Textproduktion; 9 bewusster Einbau von Redundanzen, um H~iufungsstellen yon Inforrnationsquanten zu entzerren und dem Lernenden einen ,,flieBenden" Lernprozess mit gleichm~il3igem (ftir ihn hoffentlich mittleren) Schwierigkeitsgrad zu erm6glichen; 9 Initiierung yon Selbsttfitigkeiten der Leser auf alien Darstellungsebenen (Bruner) bzw. Ebenen der Erkennmistiitigkeit (Lompscher), sei es bei Hinftihrungen, Beispielen, Anwendungen oder in Beweisprozessen; 9 h~iufige Wiederholungen / Riickschauen auf bisher ,,Geleistetes";
Vororientierung
xiii
9
z.T. spiralcurriculumf6rmiges Aufgreifen frfiherer Erkenntnisse auf h6herem / anderem Niveau (Bruner);
9
gelegentlicher Verzicht auf fachlich extrem verdichtete und daher elegante Argumentationen zugunsten der
9
Verwendung von 13berlegungen und Formulierungen aus den Reihen unserer Studierenden;
9
Integration zahlreicher beispielgebundener Hinftihrungen zu neuen S~itzen, denn: ,,Man muss einen mathematischen Satz erraten, ehe man ihn beweist; [...] Man muss Beobachtungen kombinieren und Analogien verfolgen, man muss immer und immer wieder probieren." (Polya 1962, S. 10)
9
Beweise werden h~iufig erst dann geffihrt, wenn das Verstgndnis des zu Beweisenden oder der Beweisidee am Beispiel sichergestellt ist;
9
vielf~iltige MaBnahmen zur Vorstrukturierung des Lernstoffes, teils in Form von ,Vororientierungen" (Ausubel) oder Hinffihrungen, besonders haufig aber durch im Text auch satztechnisch hervorgehobene ,,Leitfragen";
9 regelm~il3ig eingestreute l)bungsaufgaben, aber auch 9
unregelm~igig eingestreute kleine Scherze.
Wir m6chten, dass unsere Leserinnen und Leser mit dem Leitfaden Geometrie Mathematik wirklich verstehen, das Verstandene anwenden und in angemessenem Umfang selbst~indig damit weiterarbeiten. Die Moderatorin eines - aus welchen Griinden auch immer - beliebten Literaturmagazins im deutschen Fernsehen wiirde auch zu diesem Buch vermutlich sagen: L e s e n Sie den Leitfaden Geometrie. L e s e n Sie. Ganz gleich was Sie I e s e n. L e s e n Sie alles M6gliche. Hauptsache Sie 1 e s e n. Wir hingegen empfehlen: Folgen Sie den Empfehlungen dieser Moderatorin allenfalts in begriindeten Ausnahmef~illen. Lesen Sie den Leitfaden Geometrie nicht. Arbeiten Sie ihn durch? Nutzen Sie jedes der zahlreichen im Text eingebauten Angebote zum selbst~indigen Lernen: Basteln Sie, zeichnen Sie, konstruieren Sie, 16sen Sie die l~oungsaufgaben, ~iuBem Sie sich zu bewusst eingebauten Provokationen, beantworten Sie im Text oder in Fugnoten auftauchende Verst~indnisfragen bevor Sie weiterlesen - nein, weiter durcharbeiten?
xiv
Vororientierung
Einsatz des Leitfadens Geometrie als vorlesungsbegleitende Literatur Der Leitfaden Geometrie bietet mehr, als man realistischerweise in einer vierstiindigen Vorlesung behandeln kann. Auch wenn die Auswahl der Inhalte natiMich die Entscheidung der Dozentin / des Dozenten ist, wollen wir hier doch einige Anregungen •r einen m6glichst gewinnbringenden Einsatz des Leitfadens Geometrie geben:
Variante 1 Kapitel 1 (Topologie) und Kapitel 2 (Polyeder) sind unabh~ingig voneinander und nicht Voraussetzung ftir das Verst/indnis der folgenden Kapitel. Strebt man einen m6glichst systematischen Autbau der Geometrie an mit einer axiomatischen Grundlegung und einer Betonung der Abbildungsgeometrie, so kann man auch bei Kapitel 3 (Axiomatik) einsteigen, Kapitel 4 (Abbildungsgeometrie) und Kapitel 6 (Euklidische Geometrie) behandeln und dann entscheiden, welche der verbleibenden Kapitel eine sinnvolle Erg~inzung wgren. Zu Risiken und Nebenwirkungen dieses Weges sei angemerkt: Falls hierbei Kapitel 2 (Polyeder) und 7 (Darstellende Geometrie) nicht (grfindlich) behandelt werden, weisen wir darauf hin, dass die oben geforderte Schulung der Raumvorstellung zu kurz kommen kann.
Variante 2 Wer die Axiomatik am ehesten ftir verziehtbar h~ilt, kann Kapitel 3 (Axiomatik) iiberschlagen und stattdessen nur einen Blick auf die Zusammenfassung aller eingeffihrten Axiome am Ende dieses Kapitels werfen. Eine weitere vertretbare Kiirzung..stellen die letzten Abschnitte yon Kapitel 4 (Abbildungsgeometrie) zu Ahnlichkeitsabbildungen (mit Ausnahme der in Kapitel 6 ben6tigten Strahlens~itze) und affinen Abbildungen dar. Wir halten diesen Weg ffir weitgehend risiko- und nebenwirkungsfrei.
Variante 3 Wer meint, es sei nicht Aufgabe eines Universit~itsstudiums, Schulstoff zu wiederholen, bzw. wer das Gltick hat, auf eine H6rerschaft mit intakten Vor-
Vororientierung
xv
kenntnissen im Bereich der Schulgeometrie zu treffen, kann Einsparungen in den Kapitel 5 (Geometrische Konstruktionen) und 6 (Euklidische Geometrie) vornehmen. Zu Risiken und Nebenwirkungen dieses Vorgehens merken wir an: Bei einer Fehleinsch~itzung der Lemausgangslage des Publikums ist damit zu rechnen, dass angehenden Lehrerinnen und Lehrem des Sekundarbereichs I Basisqualifikationen ffir ihren sp~iteren Unterricht fehlen (Kapitel 6) und die fundamentale Idee des Konstruierens (Kapitel 5) nicht verstanden oder an die Benutzung von DGS-Software gebunden wird. Dariiber hinaus besteht die Gefahr, dass wesentliche Unterschiede zwischen abbildungsgeometrischem und euklidischem Arbeiten nicht erfahren werden.
Wir w~inschen Ihnen Erfolg bei der Durcharbeitung der einzelnen Kapitel und weisen ausdriicklich darauf hin, dass wir ~ r Anregungen - insbesondere solche zur weiteren Erh6hung der Lesbarkeit und Verstehbarkeit - aus den Reihen der Leserschaft dankbar sind. Unsere E-Mail-Adressen finden Sie im Impressum.
1
Topologie
1.1
Einstiegsproblem
Unten sehen Sie das Logo des Mathematischen Instituts der LudwigMaximilians-Universit/it Miinchen.
Abb. 1 Es zierte das Programmheft der 32. Tagung fOr Didaktik der Mathematik, die vom 2. bis 6. Mgrz 1998 in Miinchen stattfand. Laut Auskunft auf Seite 2 dieses Heftes zeigt es ,,einen Hamiltonschen / Kreis (dicke Linien) in einem Ikosaedergraphen2; der Kantenzug ist in dem Sinne optimal, dass er alle Knoten enth/ilt, aber jeden Knoten nur einmat." Bild wie Text werden bei Ihnen wohl eine Reihe von Fragen aufwerfen: Worum geht es eigentlich in der Situation? Verstehe ich die Zeichnung / den Text? Welche Fachausdriicke tauchen auf? Kenne ich ihre Bedeutung? Erinnert mich die Situation an etwas? Aus welchem mathematischen Teilbereich stammt das Problem? Was weig ich tiber diesen Teilbereich? Welche Themenkreise sind noch beriihrt? Der 1835 geadelte irische Mathematiker Sir William Rowan Hamilton (1805-1865) hat zahlreiche Verdienste - zun~ichst in der Physik, sp~iter in der Mathematik - erworben. Unter anderem entwarf er ein Spiel mit dem Namen ,,Reise um die Welt", das sich groBer Beliebtheit erfreute. Auch Mathematiker k6nnen, nicht nur wenn sie im Tagtmgsvorbereitungsstress stehen, Fehler machen.
2
1 Topologie
Was weiB ich fiber diese Themenkreise? Einige m6gliche Antworten (und neue Fragen) sind: Es geht um irgendwelche besonderen Wege in Graphen. Fachausdr/ieke im Text: Hamiltonscher Kreis, Ikosaeder, Graph, Kantenzug, Knoten, optimal. Was bedeuten Sie? Zeichnung: Wo sind die Kanten, wo sind die Knoten? Wieso sind manehe Linien nur dfinn gezeichnet? Was bedeuten die dicken Linien? Bilden die einen Kreis? Zurfichst sind die Begriffe Graph, Kanten, Kantenzug, Knoten in Bezug auf die gegebene Zeichnung zu kl~ren. Danach kann man fiberlegen, was wohl ein Hamiltonscher Kreis ist (Definition) und unter welchen Bedingungen es einen solchen Weg in einem Graphen gibt (Siitze?). Das erinnert z.B. an ,,unikursale Netze" (---~ Haus des Nikolaus, --+ K6nigsberger Brfickenproblem), an pl~ittbare bzw. planare Graphen. Es geht also um topologische Fragestellungen. Der Begriff Ikosaeder verweist auf Polyeder, speziell platonische K6rper. Es geht auch um die Netze yon Polyedem. Bevor im folgenden die wichtigsten topologischen Begriffe und S~itze wiederholt, for einige eventuell auch neu eingefohrt, zumindest aber fOr alle in einheitlicher Formulierung aufgeschrieben werden, m6chten wir Ihnen einen ersten Ausblick auf die L6sung des Einstiegsproblems geben. Stellen Sie sich ein Dodekaeder vor, also denjenigenplatonischen K6rper, der aus 12 zueinander kongruenten regelm~il3igen Ffinfeeken gebildet wird. Stellen Sie sich femer vor, Sie umhfillen diesen K6rper nun mit einer Gummihaut, die Sie straff zusammenziehen und etwa fiber der Mitte einer Seitenfl~iche zusammenhalten. Die Ecken und Kanten des K6rpers driicken sich durch und k6nnen mit einem Filzstift nachgezogen werden. Wenn Sie die Gummihaut nun auf einem Tisch ausbreiten, daun sehen Sie ein Bild wie das aus Abbildung 1 (natiirlich nicht mit unterschiedlich breiten Linien). Sie haben ein so genanntes Schlegeldiagramm des Dodekaeders erzeugt 3.
Ebenso gut k6nnen Sie sich vorstellen, Sie h~itten bei einem Gummidodekaeder ein Loch in eine Seitenfliiche gepiekst, in das Sie nun mit beiden Hiinden hineingreifen, um den K6rper in die Ebene zu pl~itten.
1.1 E i n s t i e g s p r o b l e m
Abbildung prozesses.
Abb. 2
2
zeigt
3
ausgew~ihlte M o m e n t a u f r t a h m e n dieses
Herstellungs-
H e r s t e l l u n g d e s S c h l e g e l d i a g r a m m s eines D o d e k a e d e r s
D i e s e s D i a g r a m m ist t o p o l o g i s c h / i q u i v a l e n t z u d e m N e t z d e s r~iumlichen D o d e k a e d e r s , w i e m a n a n A b b i l d u n g 3 leicht n a c h p r i i f e n k a n n . D a s ,g~uBere e n t s p r i c h t d a b e i d e r Fl~iche, a n d e r Sie die G u m m i h a u t z u s a m m e n g e h a l t e n bzw. eingestochen haben.
4
1 Topologie D O MF
~
N L
E
C
G
Abb. 3
I
J
Damit haben wir den Fehler im Programmheft gefunden. Es handelt sich nicht um den Graphen des Ikosaeders, sondern um den des Dodekaeders4. Dieser Graph besteht aus Kanten, Ecken und Fl~ichen, wobei man bei Graphen oft auch von B6gen, Knoten und Gebieten spricht. In Abbildung 1 sind die Knoten nicht eingezeichnet. Abbildung 4a zeigt deshalb den Dodekaedergraphen noch einmal, wobei die Knoten durch Punkte hervorgehoben sind.
Abb. 4a In Hamiltons Spiel tragt jede Ecke den Namen einer Weltstadt. Heute wiirde man sich unter den Kanten die direkten Flugverbindungen zwischen den Metropolen vorstellen. Ziel des Spiels ist es dann, eine Rundreise urn die Welt zu machen und dabei jede Stadt genau einmal zu besuchen und im Ausgangsort wieder anzukommen. Wit spielen das Spiel auf dem Graphen aus Abbildung 4a und streichen jede Ecke durch, an der wir vorbeigekommen sind. Eine m6gliche Rundreise, also ein Hamiltonkreis, ist in Abbildung 4b durch dicke schwarze Linien eingezeichnet.
Der Fehler mag dadurch zustande gekommen sein, dab Hamilton sein Spiel ,,Ikosaeder-Spiel" nannte, obwohl es eigentlich auf den Ecken des Dodekaeders gespielt wurde (vgl. Gardner 1971, S. 19).
1.1 Einstiegsproblem
5
Abb. 4b Auf einem Dodekaeder mit unbenannten Ecken gibt es iibrigens nur zwei wirklich verschiedene Hamiltonwege, die spiegelbildlich zueinander sind. Beschriftet man die Ecken z.B. mit St~dtenamen und nennt Wege dann verschieden, wenn sie die Ecken in unterschiedlicher Reihenfolge beriihren, dann gibt es deutlich mehr M6glichkeiten.
l]~oung:
1) Unten sehen Sie die Schlegeldiagramme der tibrigen vier platonischen K6rper. Besitzen auch sie einen Hamiltonkreis?
Tetraeder
Hexaeder
+0 Oktaeder
Ikosaeder
2) Wir betrachten ,,Schachbretter" mit n2 Feldem, 3 < n < 6. Gibt es eine geschlossene Sprungfolge eines Springers, so dass jedes Feld auBer dem Startfeld genau einmal besetzt wird?
6
1 Topologie
1.2
Grundlegende Definitionen der Graphentheorie
Grundlegende Begriffe in der Geometrie sind Punkt, Linie, Gerade, Fliiche, K6rper, Inzidenz, wobei die Inzidenz eines Punktes P und einer Gemden g besagt, dass P a u f g liegt bzw. g durch P verl/iuft. Das bedeutet, dass diese Begriffe nicht definiert werden. Wir gehen vielmehr davon aus, dass wir fiber die Bedeutung dieser Begriffe eine gemeinsame Vorstellung haben. Wir fassen den Raum als Menge von Punkten auf. Linien, Fl~ichen, K6rper sind dann als Teilmengen dieses Raumes ebenfaUs Punktmengen. Von daher verwenden wir Begriffe, Schreibweisen und Ergebnisse der Mengenlehre. Als erstes soil der im Einstiegsproblem bereits mehrfach aufgetretene Begriff Graph definiert werden.
Definition 1:
Graph Es seien rE und K zwei disjunkte Mengen. Wir nennen die Elemente El, E2, ... , E, aus IE Ecken und die Elemente kl, 1(2. . . . ,km aus [K Kantens. Weiter sei IF ~ O und f eine Abbildung ~ ~ I:(91[= {(Ei;Ej) J E~, Ej ~ E}, d.h. jeder Kante werden genau zwei Ecken zugeordnet, die nicht notwendigerweise verschieden sein miissen. Das Tripel G = (l:,~,f) heiBt dann Graph.
Anmerkungen: 1. Unter ~| verstehen wir das ungeordnete Produkt von E, also die Menge aller ungeordneten Paare. Beispiel: Sei E = {A,B}, dann 1:(9I: = {(A,A), (A,B), (B,B)} im Gegensatz zum Kreuzprodukt IZx~ = {(A,A), (A,B), (B,A), (B,B)} Damit unterscheiden wir im Weiteren die Paare (E~,E2) und (E2,Et) nicht. 2. Sofern keine Missverst/indnisse zu befiirchten sind, schreiben wir fiir das Tripel G = (E,K,f) auch kurz G = (IZ,l(). 3. Wir haben E ~ O festgesetzt. Ein eckenloser Graph h~itte zwangsl~iufig auch keine Kanten, w ~ e also der ,,leere Graph" ( 0 , 0 ) . Um im Folgenden
5
Man kann ebenso yon Knoten statt von Ecken und von B6gen statt von Kanten sprechen.
1.2 Grundlegende Definitionen der Graphentheorie
7
nicht immer schreiben zu mfissen ,,Fiir einen Graphen, der ungleich dem leeren Graphen ist, gilt..." schlieBen wir diesen Fall dutch IF ;~ Q aus. 4. Wir betrachten im Weiteren ausschlieBlich endliche Graphen, also E trod IK sind endliche Mengen, wie es durch die Aufzghlung der Etemente von E und IK in der Definition schon angedeutet ist. 5. Da jeder Kante k genau ein Eckenpaar (A,B) zugeordnet ist, werden wir vereinfachend statt k gelegentlich auch das Zeichen (A,B) verwenden. In Abbildung 5 sehen Sie ein Beispiel f/Jr einen Graphen. B
~
.._.,.
~ = {A,B, C,D, E, F} = {kb k2, k3, k4, ks, k6} f:
Ag D_ -
. k3
~ C ) ks ~ _E
k6
-
F 9
f(k,) = (A,B)
f(k2) = (A,B) f(k3) = (A,C) f(k4) = (B,C) f(k5)=(C,C) f(k6) = (D,E)
Abb. 5 Dieser Graph weist einige Besonderheiten auf: Zum einen gibt es zwei verschiedene Kanten kj und k2, die die Ecken A und B verbinden. Man sagt dann, der Graph besitzt Mehrfachkanten. Zum anderen gibt es eine Kante, und zwar ks, bei der die beiden Ecken zusammenfallen. Eine solche Kante wird Schlinge genannt. Eine weitere Besonderheit weist die Ecke F auf. Es gibt keine Kante, die mit F inzidiert. Man nennt F eine isolierte Ecke. Ferner stellen wir noch fest, dass in diesem Graphen die Ecken A, B und C durch Kanten miteinander verbunden sind. Von B nach C gelangt man z.B., wenn man erst kt und dann k3 durchRiuft oder die Kanten k2, kb k4 oder auch k2, kb k2, k3 nacheinander durchlfiuft. Derartige n-Tupel von Kanten bezeichnen wir als Kantenziige. Definition
2:
Kantenzug Unter einem Kantenzug (kb k2. . . . . k,) verstehen wir ein n-Tupel von Kanten, bei dem der Endpunkt der Kante ki mit dem Anfangspunkt der Kante ki+l inzidiert. Dabei gilt: i 9 { 1, 2, 3, ..., n-1 }.
8
1 Topologie
W/ihrend beim Kantenzug (k2, kl, k2, k3) von B fiber A und B nach C die Kante kz mehrfach vorkommt, sind bei den Kantenzfigen (kz, kl, k4) von B tiber A und B nach Coder (kb k3) yon B fiber A nach C alle Kanten voneinander verschieden. Solche besonderen Kantenztige nennen wir Wege. Auch (k4, k3, k2) ist ein Weg, allerdings ein besonderer, der von Ecke B wieder zur Ecke B zurfickffihrt. Definition 3:
(offene, geschlossene) Wege Kantenzfige, bei denen alle Kanten verschieden voneinander sind, heifSen Wege. Fallen Anfangs- und Endecke eines Weges nicht zusammen, heiBt der Weg often. Beispiel aus Abbildung 5: (k2,kbk4) Inzidieren Anfangs- und Endecke eines Weges, so heiBt der Weg geschlossen. Beispiel aus Abbildung 5: (k2,k3,k4)
In tmserem Beispielgraphen finden wir keinen Kantenzug von A nach D, von C nach F, von B nach E .... Graphen, bei denen man von jeder Ecke zu jeder anderen Ecke gelangen kann, und Graphen ohne Schlingen und Mehrfachkanten wollen wir besonders hervorheben. Definition 4:
schlichter Graph Ein Graph heigt schlicht, wenn er keine Schlingen und keine Mehrfachkanten aufweist.
Verboten:
Definition 5:
~ )
und
0
zusammenhS_ngender Graph Ein Graph heiBt zusammenhiingend, wenn es zu zwei beliebigen voneinander verschiedenen Ecken Ei und Ej stets einen Kantenzug (kl, k2, ... k,) gibt, bei dem Ei Anfangsecke von kj und Ej Endecke von kn ist.
1.2 Grundlegende Definitionen der Graphentheorie
Unser Beispielgraph aus Abbildung 5 ist also weder schlicht noch zusammenh~ingend. Entfernt man aus diesem Graphen die Kanten k2 und ks, so haben wir einen schlichten Graphen, der aber nicht zusammenh/ingend ist.
B
AD_ v
-C k6
_E
w
9
F 9
Entfemen wir stattdessen aus dem Graphen die Ecken D, E und F sowie die Kante 1(6, so erhalten wir einen zusammenh/ingenden Graphen, der nicht schlicht ist.
A~
k3
~
k5
Wiirden wir in diesem links abgebildeten Graphen die Kanten k2 und ks entfemen, h/itten wir ein Beispiel fiir einen schlichten, zusammenh/ingenden Graphen.
Auf die genaue Lage der Ecken und auf die Lage sowie Form der Kanten kommt es bei einem Graphen nicht an. Entscheidend ist, welche Ecken mit welchen Ecken verbunden sind. So stellen die folgenden Abbildungen ,,denselben" Graphen dar.
Abb. 6
Abb. 7
Man karm einen Graphen statt durch eine solche Abbildung, die man fiblicherweise auch Graph nennt, ebenso durch eine Inzidenztafel darstellen. Wir notieren in der Waagerechten die Ecken, in der Senkrechten die Kanten
10
1 Topologie
und tragen in der Tafel ein ,,+" ein, wenn eine Kante mit einer Ecke inzidiert, sonst eine 0 6. Ffir den Graphen aus Abbildung 6 sieht die Inzidenztafel mit den wie folgt gew~ihlten Bezeichnungen dann so aus:
~
D
Aa v e / b
c
Wir k6nnen die Ecken und Kanten im Gmphen aus Abbildung 7 nun so bezeichnen, dass wir fiir diesen Graphen dieselbe Inzidenztafet erhalten (Abbildung rechts). H/itte man eine andere Art der Bezeichnung gew~ihlt, so ware das eventuell nicht der Fall. Wir sprechen deshalb nicht yon denselben Graphen, sondem yon isomorphen Graphen. Das ist der Grund daftir, dass oben das Wort ,,denselben" in Anfiihrungszeichen gesetzt wurde.
D e f i n i t i o n 6:
i
A
B
C
D
a
+
+
0
0
0 0 +
+ 0 0
+ + 0
0 + +
A
a
B
D
c
C
isomorphe Graphen Zwei Graphen G = ([, IN) und G* = (Ig*, [K*) heigen isornorph, wenn es Abbildungen qo: E --~ IF* und V: [K---~K* mit folgenden Eigenschaften gibt: 1.
qo und ~g sind bijektiv.
2.
Wenn ki = (Ei,Ej), dann gilt v(k~) = (q~(Ei),qo(Ej))
Aber wie notieren Sie in der Inzidenztafel eine Kante k, die ausschlieBlich mit der Ecke E inzidiert? Grunds~itzlich kann man hier in Zeile k, Spalte E ein ,,+" oder ein ,,++" ins Auge fassen. Finden Sie Vorziige fiir jede dieser Notationsformen.
1.2 Grundlegende Definitionen der Graphentheorie
Memo:
11
bijektive Abbildung
Eine Abbildung q0: E --> E* heii3t injektiv, wenn verschiedene Elemente aus E auch stets verschiedene Elemente aus E* als Bilder haben.
Eine Abbildung qg: n: --+ E* hei6t surjektiv, wenn jedes Element aus E* als Bild eines Elements aus E vorkommt. (Alle Elemente aus E* kommen als Bilder vor; man spricht auch von einer ,,Abbildung aug'.) Eine Abbildung qx E ~ E* hei6t wenn sie injektiv und surjektiv ist.
bijektiv,
Wir k6nnen uns die Kanten eines Graphen als Gummib~indervorstellen, die in den Ecken miteinander verknotet sind. Der l]'bergang yon einem Graphen zu einem isomorphen Graphen bedeutet anschaulich dann eine Verformung des Graphen durch Dehnen, Stauchen tmd Umlegen der Gummib~inder, wobei keine Knoten anfgel6st werden, keine neuen Knoten gemacht werden und keine Bander zerschnitten werden diirfen. Isomorphe Graphen werden auch topologisch iiquivalent genannt. Neben den isomorphen Graphen aus den Abbildungen 6 und 7 kennen Sie noch ein weiteres Beispiel isomorpher Graphen, und zwar einmal die r~iumliche Darstellung und das Schlegeldiagramm des Dodekaeders aus dem Einstiegsproblem. Wir haben dort schon gesehen, dass es niitzlich sein kann, l]-berlegungen an einem ebenen Netz bzw. Graphen statt an einer r~iumlichen Darstellung anzustellen. Spielen Sie doch einfach einmal Hamittons Spiel mit einem durchschnittlich geduldigen Menschen an der r~iumlichen Darstellung des Dodekaeders. Ebenso ist es sinnvoll, m6glichst iibersichtliche Graphen zu betrachten. Dazu geh6rt z.B., dass die Linien, die die Kanten eines Graphen repr~isentieren, m6glichst wenige Kreuzungen haben. Wir werden also h~iufig einen Graphen durch einen isomorphen Graphen ersetzen, der leichter zu fiberschauen ist.
12
1 Topologie
Beispiele:
Abb. 8 Die eingekreisten Schnittpunkte von Linien sind keine Ecken des Graphen. Bei den jeweils rechts stehenden isomorphen Graphen sind alle Schnittpunkte zugleich Ecken. Nicht immer ist es m6glich, zu einem Graphen einen isomorphen Graphen anzugeben, der sich kreuzungsfrei in der Ebene darstellen l~isst. Wir werden auf dieses Problem im iibem~ichsten Abschnitt ausftihrlich eingehen. Deshalb lohnt es sich, Graphen, ftir die dies m6glich ist, besonders hervorzuheben. Definition 7:
planarer, pl/ittbarer Graph Ein Graph, dessen Kanten sich nur in Ecken kreuzen, heiBt
planar. Ein Graph heiBt pliittbar, wenn er durch einen isomorphen planaren Graphen dargestellt werden kann. Beide in Abbildung 8 rechts stehenden Graphen sind planar, die beiden Graphen links in Abbildung 8 sind nicht planar, aber pl~ittbar. Fiir alle platonischen K6rper gibt es planare Darstellungen (vgl. l)bung 1, Kapitel 1.1).
1.2 Grundlegende Definitionen der Graphentheorie
13
Bevor wir in den folgenden Abschnitten auf interessante Probleme aus dem Bereich der Graphentheorie eingehen, soil in einer vorl~iufig letzten Definition ein weiterer wichtiger Begriff gekliirt werden. Definition
8:
Eckenordnung Es sei E eine Ecke eines Graphen G. Die Ordnung der Ecke E ist die Anzahl der Kanten, die in einer Ecke zusammentreffen. Kanten, die zur selben Ecke zurtickFaihren (Schlingen), werden zweimal gezfihlt. Wir bezeichnen die Ordnung von Emit ord(E).
l~ung:
1) Welche der folgenden Graphen sind schlicht, zusammenh/ingend, planar oder pl~ittbar? Geben Sie fiir jeden plattbaren Graphen einen isomorphen planaren Graphen an.
G6 G4 -
G5
-
-
2) Bestimmen Sie fiir jeden Graphen aus (1) die Ordnungen der Ecken. 3) Gibt es unter den Graphen aus (1) zwei Graphen, die zueinander isomorph sind? Falls ja, stellen Sie ffir einen Graphen die Inzidenztafel auf und beschriflen Sie den anderen so, dass er dieselbe Inzidenztafel hat.
14
1.3
1 Topologie
Eckenordnungen und Kantenzahlen
Hinfiihrung zu Satz 1:
In der folgenden Aufgabe k6nnen Sie den Zusammenhang, den wir im Satz 1 formulieren werden, selbst an konkreten Graphen entdecken. Bestimmen Sie fiJr jeden der abgebildeten Graphen die Eckenzahl t E l, die Kantenzahl I IK [ und die Summe der Eckenordnungen ~-~ord(Ei). Eie E
beliebiger Graph
IEI = 6
1~1--7 6
~-'ord(Ei) = 14 i=l
Dodekaedergraph
IEI =20
I~1 --30 20
ord(E i) = 60 i=l
Wtirfelgraph
ItEI = 8
I~1:12 8
ord(E,) = 24 i=l
Tetraedergraph
IEI=4
IKI--6 4
~ o r d ( E i) = 12 i=l
1.3 Eckenordnungen und Kantenzahlen
15
Sicherlich ist Ihnen aufgefallen, dass die Summe aller Eckenordnungen in jedem der vier Graphen gleich dem Doppelten der Kantenzahl ist. Vielleicht haben Sie diesen Zusammenhang auch schon beim Bearbeiten der Ubung 2 des letzten Abschnitts entdeckt. Dort haben Sie ftir sechs Graphen mit jeweils 5 Ecken und 8 Kanten die Eckenordnungen bestimmt. Wenn Sie die U-bung richtig bearbeitet haben, ist die Summe der Eckenordnungen bei jedem der sechs Graphen gleich 16, also doppelt so groB wie die Anzahl der Kanten. Im festen Vertrauen, d a s s e s sich bei diesem an Beispielen gefundenen Zusammenhang nicht um Zufall handelt, formulieren wir Satz 1 (und beweisen ihn):
Satz 1:
Sei G = (IF,K) ein Graph. Dann ist die Summe der Ordnungen aller Ecken gleich dem Doppelten der Kantenzahl: ~ ord(Ei) = 2. [ IK [ Ei~E
Beweis:
Wir betrachten zunachst einen schlingenfreien Graphen.
-
-
Nach der Definition ,,Graph" sind jeder Kante k des Graphen genau zwei Ecken zugeordnet. Jede Kante erh6ht also die Summe aller Eckenordnungen des Graphen um genau 2. Also ist die Summe aller Eckenordnungen doppelt so groB wie die Anzahl der vorhandenen Kanten, die nicht Schlingen sind. (*) Da wir in der Definition ,,Eckenordnung" vereinbart haben, dass Schlingen bei der Bestimmung der Eckenordnungen doppelt gez~ihlt werden, erh/Sht auch jede Schlinge die Summe der Eckenordnungen um 2. (**) Aus (*) und (**) folgt: Die Summe aller Eckenordnungen ist gleich dem Doppelten der Kantenzahl, formal:
~-~ord(Ei)=2.
I :1
Ei~E
Satz 1 sagt insbesondere aus, dass die Summe der Eckenordnungen in einem Graphen stets eine gerade Zahl ist. Daraus kSnnen wir folgern:
16
1 Topologie
Satz 2:
In einem Graph ist die Anzahl der Ecken mit ungerader Ordnung eine gerade Zahl.
Beweis:
Wir betrachten die Ecken mit geraden und ungeraden Ordnungen getrennt. Die Summe aller Eckenordnungen der Ecken mit geraden Ordnungen ist als Summe gerader Zahlen auch eine gerade Zahl. Die Gesamtsumme aller Eckenordnungen ist nach Satz 1 ebenfalls eine gerade Zahl. Da nur eine gerade Zahl addiert zu einer geraden Zahl eine gerade Zahl ergibt, muss die Summe der Eckenordnungen derjenigen Ecken, die eine ungerade Ordnung haben, eine gerade Zahl sein. Da die Ordnungen dieser Ecken selbst ungerade Zahlen sind, und die Summe von ungeraden Zahlen nur dann gerade ist, wenn wir eine gerade Anzahl von Summanden haben, muss die Zahl der Ecken mit ungerader Ordnung gerade sein. Mit anderen Worten: Ecken mit ungerader Ordnung treten stets paarweise auf.
Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich mit 4 Kommiliton(inn)en in einer Gastst~itte. Zur BegriiBung schiJttelt jede Person jeder anderen Person einmal die Hand. Wie oft werden H~inde geschiittelt? Dieses Problem kennen Sie aus der Kombinatorik. Vielleicht wissen Sie auch noch, dass die L6sung (52/
(5 2 -~5, 2)!. . v- 5 2" 4 - 1 0
ist.
Was hat diese Aufgabe mit unseren Graphen zu tun?
Charlotte Max ~
Nini
Ipke
Nina
Man kann diese Aufgabe durch einen Graphen darstellen. Die Ecken stehen fiir die Personen, jeder Handschlag wird durch eine Kante dargestellt. Werm jede Person jeder anderen die Hand gibt, dann bedeutet das fiir unseren Graphen, dass jeweils zwei verschiedene Ecken dutch genau eine Kante verbunden werden. Jede der 5 Personen schiittelt (5-1) anderen Personen die Hand.
1.3 Eckenordnungen und Kantenzahlen
17
Kommen wir also auf 5.4 Handschl/ige? Natiirlich nicht, denn bei dieser Z~ihlung h/itten wir jeden Handschlag genau zweimal gez[ihlt. Tats/ichlich k6nnen wir also 5. (5-1) Handschl~ige beobachten. 2 Man nennt einen solchen Graphen einen vollstiindigen Graphen und bezeichnet ihn mit V . , wobei der Index die Zahl der Ecken angibt. Die folgende Abbildung zeigt die vollst~indigen Graphen mit eins bis sechs Ecken.
v
Vi
V2
w
V3
V4
V5
V6
Abb. 9:
Wir heben unsere konkreten Vortiberlegungen aus der Gastsditte auf eine formale Ebene und formulieren Satz 3: Satz 3:
Sei V, der vollstfindige Graph mit n Ecken. Dann gilt f/Jr die Anzahl der Kanten in V.:
I ~1 - n . ( n - 1 ) 2 Fiir die Ordnungen aller Ecken von V, gilt: ord(Ei) = n - 1.
Beweis: Da im vollsdindigen Graphen V. jede der n Ecken mit jeder der anderen n - 1 Ecken verbunden ist, gilt ~ r jede Ecke Ei im vollst~indigen Graphen: ord(Ei) = n - 1. Dann folgt fiir die Summe aller Eckenordnungen im vollst~ndigen Graphen mit n Ecken: ~ ord(E i) = n - ( n - 1) (*) EieE
Nach Satz 1 gilt:
~ord(Ei)
: 2 . ] ~1
Ei~E
Aus (*) und (**) folgt:
n 9 (n-l) =2'lKI
(**)
18
1 Topologie
n 9(n-l) 2 Wir k6nnen also bei Kenntnis der Eckenzahl sofort die Ordnungen der Ecken sowie die Kantenzahl bestimmen.
Vom V, zum V.+l ... und zuriick 0berlegen Sie sich, wie Sie von einem beliebigen vollst~indigen Graphen Vn zum V.+l gelangen.
Vn
Vn+l O
~
+eineEcke~
~
D.
~
+nKanten .
Kennt man also die Kantenzahl des Vn, dann kennt man auch die Kantenzahl des V.+j:
IKv I+n =
I
Umgekehrt kommt man v o m Vn+! zum Vn, indem man ... ... eine Ecke (En+0 und alle von dieser Ecke ausgehenden n Kanten 16scht. Man sagt: V. ist (echter) Untergraph des Vn+l 9 Ein Graph G' - ( E ' , ~ ' ) ist n:' _ H:
Untergraph von G = 0:,~), wenn
A In G' sind alle Ecken durch Kanten verbunden, die auch in G durch Kanten verbunden sind. Bei
Teilgraphen muss die letzte Bedingung nicht erfiillt sein.
1.3 Eckenordnungen und Kantenzahlen
19
Beispiele flit Teilgraphen des Vs:
Damit ist klar: Jeder Untergraph eines vollstandigen Graphen muss wieder ein vollst~indiger Graph sein.
Obung:
1) Ein Graph habe 4 Ecken und 5 Kanten. Zwei Ecken haben die Ordnung 3. Was k6nnen Sie fiber die Ordnung der beiden anderen Ecken sagen? 2) Der Graph aus (1) sei schlicht. Wie sieht er aus? 3) Bestimmen Sie die Eckenordnungen und die Kantenzahl ftir Vl0 (ftir V20). 4) Gibt es einen votlst/indigen Graphen mit 75 (mit 210) Kanten?
5) Ver'~ndem Sie die o. g. Beispiele fiir Teilgraphen des V5 durch insgesamt vier Aktionen, so dass drei verschiedene Untergraphen des V5 entstehen. Erreichen Sie das Gew/inschte auch mit ftinf Aktionen?
20
1 Topologie
1.4
Pliittbarkeit v o n G r a p h e n
Wir haben in Kapitel 1.2 schon einige Graphen auf Pl~ittbarkeit untersucht. Die nicht planaren Graphen hatten sich alle als pl~ittbar herausgestellt. Wir untersuchen nun die vollst~ndigen Graphen, die Sie im letzten Abschnitt kennengelernt haben, auf Pl~ittbarkeit. V~, V2 und V3 sind planar. V4
ist pl~ittbar:
w
Wir betrachten Vs:
Es sieht so aus, als ob wir die dickgezeichnete Kante nicht so umlegen k6nnen, dass keine neue Kreuzung entsteht. Oder haben wir nur nicht geschickt genug angefangen? Gibt es vielleicht doch einen planaren Graphen, der zu V5 isomorph ist? Bevor wir diese Frage beantworten k6nnen, untersuchen wir Beziehungen zwischen Ecken-, Kanten- und Fl~ichenzahl bei planaren, zusammenh~ingenden Graphen. Die bei solchen und nur bei solchen Graphen bestehenden Beziehungen lassen dann auch Aussagen darfiber zu, ob ein Graph pl~ittbar ist oder nicht.
Hinfiihrung zu Satz 4 (Eulersche Formel): Die Eulersche Formel macht eine Aussage fiber planare und zusammenh~ingende Graphen. Wir greifen auf unseren Fundus von Graphen mit diesen Eigenschaften zurfick und bereiten den Zusammenhang beispielorientiert vor:
1.4 P1/ittbarkeit yon Graphen
21
1) In Kapitel 1.1, 0bung (1) haben wir zu jedem platonischen K6rper einen isomorphen Graphen dargestellt. All diese Graphen sind planar und zusammenh/ingend. Wir ermitteln fiir jeden dieser Graphen die Ecken-, Kanten- und Fl~ichenzahl und stellen einen erstaunlichen Zusammenhang fest:
Kiirper
Eckenzahl e
Kantenzahl k
Fl~ichenzahl f
Tetraeder
4
6
4
2
Wfirfel Oktaeder
8 6
12 12
6 8
2
Dodekaeder
20
30
12
2 2
Ikosaeder
12
30
20
2
e-k+f
2) Wir betrachten den Graphen G2 aus Kapitel 1.2, Ubung (1). Auch dieser Graph ist zusammenhangend und planar. G2 hat 5 Ecken, 8 Kanten und 5 Fl~ichen.Beachten Sie, dass das .~ul3ere stets als eine Fl/iche mitgez/ihlt wird. Auch hier stellen wir lest: e-k+f = 5-8+5 = 2 3) Auch der zum ,,Haus des Nikolaus" isomorphe / planare Graph aus Kapitel 1.2 besteht aus 5 Ecken, 8 Kanten und 5 F1/ichen. Offensichtlich gilt auch hier:
~ Ft
e-k+f = 5-8+5 = 2
Wir formulieren unsere an Beispielen gewonnene Vermutung in allgemeiner Form:
22
1 Topologie
Satz 4:
Eulersche Formel 7 Ffir jeden planaren, zusammenhiingenden Graphen m i t e Ecken, k Kanten und f Fl~ichen gilt: e - k + f = 2.
Beweis:
Idee:
Zuerst zeigen wir, dass die Behaupttmg ftir einen planaren zusammenhiingenden Graphen mit null Kanten gilt. Danach bauen wir den Graphen kantenweise auf und beobachten dabei die Zahl e - k + f. Wir zeigen die Behauptung also durch vollst~indige Induktion fiber der Kantenzahl.
Es gilt: Besteht unser Graph nur aus einer einzelnen Ecke ohne Kanten, so haben wir eine Ecke, keine Kanten und eine Fl~iche, also 1 - 0 + 1 = 2. 8
FI 9 E~
Induktionsanfang: z.z.: Die Behauptung gilt ftir einen Graphen mit einer Kante. Wir ffigen also eine erste Kante hinzu. Wenn diese Kante eine Schlinge ist, dann bleibt die Eckenzahl unver~indert, w/ihrend sich die FI Kanten- und Fl~ichenzahl um jeweils 1 erh6hen, was e - k + f unver/indert l~isst.
{ F~ ~ k ] El
Wenn diese Kante keine Schlinge ist, dann hat sie ,__.~kl _ eine zweite Ecke. Dadurch erh6hen sich e und k Fi l ~ ' t E2 um jeweils I, die Zahl der Fl~ichen bleibt unver~indert. Also auch diese Operation findert nichts an El e-k+f=2. Induktionsschritt: z.z.: Werm die Behauptung ftir einen Graphen mit n Kanten gilt, darm gilt sie auch ffir einen Graphen mit (n+l) Kanten. Wir setzen also voraus, dass die Behauptung ffir einen planaren zusammenhiingenden Graphen mit n Kanten gilt. Wenn wir den Graphen schon aus n Kanten (n ~ •) aufgebaut haben und darm eine (n+ 1)-te Kante unter Beibehaltung der Planarit~t hinzufiigen, so sind drei F~ille m6glich: 7 8
Leonhard Euler, deutscher Mathematiker, 1707 - 1783 Der Fall k = 0, e ___2 erzeugt einen nicht zusammenh~xlgenden Graphen.
1.4 Pliittbarkeit yon Graphen
23
1. Fall Die neue Kante (gestfichelt) ist eine Schlinge. Dann bleibt e gleich, k und f erh6hen sich um 1. e - k + f bleibt unver/indert.
2. Fall Die neue Kante verbindet zwei schon vorhandene Ecken. Dann bleibt e gleich, k und f wachsen um 1. Also bleibt e - k + f unverfindert. 3. Fall Die neue Kante hat als zweite Ecke eine neue Ecke (gestrichelt). e w~ichst dann um 1, ebenso k, die Flfichenzahl f findert sich nicht. Also bleibt e - k + fauch in diesem Fall unver/indert. Da der Graph zusammenhfingend ist9, erhalten wir so schlieBlich den ganzen Graphen, wobei sich bei keinem Schritt die Zahl e - k + f verLqdert. Mit Hilfe der Eulerschen Formel k6nnen wir nun beweisen, dass der voltstfindige Graph V5 nicht pl~ttbar ist. Satz 5:
Der vollstfindige Graph V5 ist nicht pl~ittbar.
Beweis:
(indirekt)
Annahrne:
V5 sei pl/ittbar.
Wenn Vs pl/ittbar ist, dann gibt es nach der Definition ,,plgttbar" einen zu V5 isomorphen planaren Graphen Vs*, der wie V5 ebenfalls 5 Ecken und ] K I - 5- (5 - 1) _ 10 Kanten hat und ebenfalls zusammenh~ingend 2 ist. Diese Eigenschaft ist zusammen mit der Planarit~t der Grund dafiir, dass beim Einffigen der (n+l)-ten Kante nur die drei o.g. F~ille m6glich sind. Oberlegen Sie, wie viele Ffille bei nicht zusammenh~ngenden (planaren) Graphen zu unterscheiden w/iren.
24
1 Topologie
Fiir Vs* gilt dann die Eulersche Formel:
e - k + f= 2 5-10+f=2 f=7 Jede dieser 7 Fl~ichen yon Vs* wfire von mindestens 3 Kanten begrenzt ~~ also miisste es mindestens 7 93 = 21 Grenzen geben, wenn man jede Grenze doppelt z/ihlt. (*) Da andererseits jede der 10 Kanten h6chstens Grenze yon 2 Fl~ichen sein kann, kommen wir aufh6chstens 20 Grenzen. (**) Die Annahme, V5 sei pl/ittbar, fahrt also in (*) und (**) zu einem Widerspruch. Sie ist daher zu vemeinen: V5 ist nicht pl~ttbar.
Die Frage, ob ein Graph pl~ittbar ist, interessiert nicht nur wegen der Obersichtlichkeit der Darstellung. Denken Sie auch an gedruckte Schaltungen in der Elektronik, an kreuzungsfreie Wegefahnmgen im Verkehr oder an das Verlegen von Strom- oder Wasserleitungen. In diesem Kontext steht auch der so genannte GEW-Graph, bei dem es darum geht, H/iuser an das Gas-, Elektrizit/its- und Wasserwerk anzuschliegen. Jedes Haus soil mit jedem Werk verbunden werden, die H~iuser untereinander sind nicht verbunden, ebenso sind die Werke nicht miteinander verbunden. Wir betrachten zuerst den GEW-Graphen far zwei H/iuser.
Abb. 10 Abbildung 10 zeigt, dass der GEW-Graph far zwei H/iuser pl~ttbar ist. Ein isomorpher planarer Graph ist angegeben. Es ist also m6glich, die H/iuser der Familien Miiller und Philipp kreuzungsfrei an die drei Werke anzuschlieBen. 10 Der ldirzeste geschlossene Weg in V5 besteht aus 3 Kanten.
1.4 Pl~ittbarkeit yon Graphen
25
Abbildung 11 zeigt den GEW-Graphen ffir drei H~iuser.
Abb. l l Jeder Versuch, die drei H~iuser kreuzungsfrei mit den drei Werken zu verbinden, endet mit einem ~mlich zu dem in Abbitdung 11 rechts dargestellten Graphen. Es sieht so aus, als ob es ftir die letzte fett dargestellte Verbindung keine Umlegem6glichkeit gibt, bei der nicht eine neue Kreuzung entsteht. Bis zum endgiiltigen Beweis miissen wir uns jedoch wie beim vollst~indigen Fiinfeck fragen, ob dies nicht vielleicht nur an einem ungeschickten Ansatz oder mangelhafter Phantasie beim Leitungsverlegen liegt. Wir formulieren daher Satz 6 und verfolgen die gleiche Beweisstrategie wie in Satz 5: S a t z 6:
Der GEW-Graph Rir drei H~iuser (GEW3H) ist nicht plfittbar.
Beweis:
(indirekt)
Annahme:
GEW3H sei pl~ittbar.
-
Wenn GEW3H pl[ittbar ist, dann gibt es nach der Definition ,,pl~ittbar" einen zu GEW3H isomorphen planaren Graphen GEW3H*, der wie GEW3H ebenfalls 6 Ecken und 9 Kanten hat und ebenfalls zusammenh~ngend ist.
-
Fiir GEW3H* gilt dann die Eulersche Formel:
-
Jede dieser 5 Fl~ichen von GEW3H* w~ire von mindestens 4 Kanten begrenzt, also miisste es mindestens 5 - 4 = 20 Grenzen geben, wenn man jede Grenze doppelt zLlalt. (*)
e- k+ f 6-9+f f
=2 =2 =5
26
1 Topologie
Da andererseits jede der 9 Kanten h6chstens Grenze von 2 Fl~ichen sein kann, kommen wir auf h6chstens 18 Grenzen. (**) Die Annahme, GEW3, sei pl~ittbar, fiihrt also in (*) und (**) zu einem Widerspruch. Sie ist daher zu vemeinen: Der GEW-Graph •r drei H/iuser (GEW3H) ist nicht pl~ittbar. Wir haben also nachgewiesen, dass der Graph des vollst/indigen Ffinfecks V5 und der GEW-Graph ftir drei H~iuser nicht pt/ittbar sind. Damit ist aber auch klar:
vorliiufige Folgerung: Wenn ein zusammenh/ingender Graph den V5 oder GEW3n als Teilgraphen enth/ilt, dann ist dieser Graph nicht pl~ittbar. Wir k6nnten bei einem solchen Graphen nfimlich versuchen, zun/ichst einen geeigneten Teilgraphen zu pl~itten, sinnvollerweise den V5 oder GEW3H, und wfirden bereits an dieser Stelle kl/iglich scheitem. Mit dieser ,,vorl/iufigen Folgerung" haben wir schon ein hervorragendes Kriterium zur Verf/igung, um Graphen als nicht pl~ittbar zu klassifizieren. Aber:
Ist dieses Kriterium ein hinreichendes fiir die Nichtpl~ittbarkeit eines Graphen?
Auf der Suche nach einer Antwort betrachten wir die unten dargestellten Graphen Gi und G2, die erstaunliche ,,J~dmlichkeiten" mit GEW3H bzw. V5 haben.
Aufgabe:
Versuchen Sie, mit Hilfe der Ihnen zur Verfiigung stehenden Definitionen, S/itze und Folgerungen zu einer Aussage fiber die Pl~ittbarkeit dieser beiden Graphen zu kommen. Lesen Sie erst danach weiter. G1
w
Nun, wahrscheinlich werden Sie versucht haben, geeignete Teilgraphen zu identifizieren, um unsere ,,vorl/iufige Folgerung" anzuwenden.
1.4 Pl~ittbarkeit yon Graphen
27
Aber G~ enth/ilt nicht den GEW3H und G2 enth/ilt nicht den V5 als TeilgraphIi. Trotzdem sind auch diese beiden Graphen nicht pl~ittbar. Jeder Versuch, Gi zu pl/itten, ftihrt nach einiger Zeit zu einer ~hnlichen Situation wie rechts abgebildet. Der fett dargestellte Kantenzug ist nicht mehr kreuzungsfrei in die Ebene zu legen. Dabei ist dieses Problem vergleichbar mit unseren Bemiihungen, die entsprechende Kante des GEW3H kreuzungsfrei in die Ebene zu legen. Der fett dargestellte Kantenzug verh~iltsich beim Versuch des P1/ittens ebenso wie die entsprechende Kante des GEW3H: es scheint unm6glich, ihn kreuzungsfrei in die Ebene zu legen. Dabei ist es offensichtlich vollkommen unerheblich, wie oft diese Kante (des GEW3H) durch neue Ecken unterteilt 12 ist. Vollkommen analoge l)berlegung k6nnten wir hinsichtlich der P1/ittbarkeit des oben angefiihrten Graphen G2 anstellen. Nach dieser Uberlegung formulieren wit unsere vorlgufige Folgerung neu: Wenn ein zusammenh~ingender Graph den V5 oder den GEW3H oder eine Unterteilung dieser Graphen als Teilgraphen enth/ilt, dann ist dieser Graph nicht pl/ittbar. Es gilt sogar der folgende Satz: Satz 7:
Satz von Kuratowski Ein zusammenh/ingender Graph ist genau dann nicht pl/ittbar, wenn er den vollst~indigen Graphen V5 oder den GEW-Graphen fiir drei H/iuser GEW3H oder eine Unterteilung eines dieser Graphen als Teilgraph entNilt.
Die Rfickrichtung dieses Satzes haben wir begriindet, auf den Beweis der ,,Hinrichtung" verzichten wit an dieser Stelle. Dem polnischen Mathematiker Kuratowski gelang 1930 als erstem der Beweis der ,,Hinrichtung" dieses Satzes. JJ Im Anschluss an unsere Uberlegungen nach Satz 3 wollten wir G' als Teilgraphen von G bezeichnen, wenn die Eckenmenge von G' eine Teilmenge der Eckenmenge yon Gist und wenn die Kantenmenge yon G' eine Teilmenge der Kantenmenge yon G' ist. 12 Von einer Unterteilung des GEW3H oder des V5 wollen wir reden, werm auf einer oder auf mehreren Kanten dieser Graphen neue Ecken ausgezeichnet sind.
28
1 Topologie
Ubung:
1) Beweisen Sie mit Hilfe von Satz 7, dass die folgenden Graphen nicht pl/ittbar sind.
GI ~
G2
G3
2) Beim Beweis der Euterschen Formel (Satz 4) wurden im Induktionsschritt drei F~ille unterschieden. Diskutieren Sie den folgenden Fall. 4. Fall: \ .. ~ Die neue Kante erzeugt eine neue Ecke ~..~......~..,: auf einer bereits vorhandenen Kante.
1.5
Durchlaufbarkeit von Graphen
Sie kennen das Spiel ,,Das ist das Haus des Ni - ko laus", bei dem man ohne den Stilt abzusetzen die nebenstehende Figur aus 8 Strichen zeichnet, wobei man bei jedem Strich eine Silbe spricht. Sie wissen vermutlich, dass dies nur geht, wenn man bei einer der beiden unteren Ecken begirmt, und auch, dass man automatisch dann bei der anderen Ecke unten endet. Ein anderes Beispiel •r Zeichnen ohne Absetzen ist das folgende, dem Schfilerband 4 des Zahlenbuchs (Klett, Stuttgart 1997, S. 22) entnommene:
Den
Fisch
mal
ich
mit
ei-
nem
Strich.
1.5 Durchlautbarkeit yon Graphen
29
Auch beim Fisch k6rmen Start- und Zielpunkt nicht frei gewShlt werden, wenn man, wie bei diesen Spielen iiblich, den Stift nicht absetzen und keine Linie doppelt zeichnen darf. In der Sprache der Graphentheorie geht es bei diesen Spielen um die Durchlaufbarkeit eines Graphen in einem Zug, wobei jede Kante genau einmal durchlaufen wird. Offensichtlich geht dies nur bei zusammenNingenden Graphen. Wir definieren deshalb: (geschlossen) unikursaler Graph Ein zusammenh/ingender Graph heiBt unikursal, wenn es einen Weg gibt, der jede Kante des Graphen genau einmal enth~ilt. Ein derartiger Weg heiBt Eulerscher Weg. Wir sprechen von einem geschlossenen Eulerschen Weg oder Eulerschen Kreis, wenn Anfangs- und Endecke eines Eulerschen Weges zusammenfallen. Der Graph heigt in diesem Fall geschlossen unikursal.
Definition 9:
Die Bezeichnung Eulerscher Weg wurde deshalb gew/ihlt, weil Euler 1737 das damals sehr popul~ire Kdnigsberger Briickenproblem gel6st hat. In der Innenstadt von K6nigsberg flieBen der Alte Pregel und der Neue Pregel zusammen. Hinter dem Zusammenfluss liegt eine Insel, und fiber die Flussarme ffihrten im 18. Jahrhundert 7 Brficken, die den Nordteil, den Ostteil, den Siidteil der Stadt und die Insel miteinander verbanden. Die Frage war, ob es m6glich ist, einen Spaziergang dureh die Innenstadt zu machen, bei dem man jede der 7 Briicken genau einmal fiberquert (Abbildung 12). Nordteil
e'-.'
t
Siidteil Abb. 12
t
c
e
i
N
l
g
~~
S Abb. 13
30
1 Topologie
Hinfiihrung zu Satz 8:
Das K6nigsberger Brfickenproblem 1/isst sich wie in Abbildung 13 gezeigt in einem Graphen darstellen, wobei die Ecken den vier Stadtteilen entsprechen und die Kanten den 7 Br/icken. Die Frage lautet also:
Ist der Graph aus Abbildung 13 unikursal? oder:
Gibt es in Abbildung 13 einen Eulerschen Weg?
Machen wir uns auf die Suche nach einen Eulerschen Weg. Wir w~ihlenO als Startpunkt und verlassen O fiber irgendeine Brficke. Wir mfissen sp/iter noch einmal zu O zuriick, um die zweite der drei Brficken, die in O enden, zu begehen. Uber die dritte Brficke verlassen wir O wieder und k6nnen dann nicht wieder zu O zurfick, ohne eine Brficke doppelt zu begehen. O k6nnte also ein Startpunkt unseres Weges sein, w~ire dann aber keinesfalls auch der Endpunkt unseres Weges. Wir k6nnten unseren Weg aber auch in einem anderen Stadtteil beginnen. Irgendwann ~irden wir O fiber eine der drei Brficken betreten und fiber eine andere Brficke wieder verlassen. Wir mfissen noch einmal zu O zurfick, um die dritte und letzte Brficke zu begehen. Dann kommen wir yon O nicht mehr fort, O ware zwangsl/iufig der Endpunkt unseres Weges. O ist also entweder Anfangspunkt oder Endpunkt unseres Weges. Dieselben l)berlegungen k6nnen wir aber auch ffir N und S anstellen, bei denen wie bei O drei Brficken enden, und fihnliche lSlberlegungen fiihren ffir die Insel auch zu dem Ergebnis, dass sie nur Start- oder Endpunkt sein kann, da in ihr ftinf Brficken enden. Nun haben wir vier Punkte, die alle entweder Start- oder Endpunkt eines Weges sein mfissen. Das K6nigsberger Brfickenproblem ist also nicht 16sbar. Offensichtlich ist es die Ordnung der Ecken, die darfiber entscheidet, ob Graphen unikursal sin& Ecken mit gerader Ordnung machen keine Probleme: W~ihrend des Durchlaufens kommt man in sie hinein und auch wieder heraus, wobei man jeweils zwei Kanten verbraucht, bis schliel31ichalle Kanten, die in dieser Ecke enden, durchlaufen sind. Ecken mit ungerader Ordnung mfissen dagegen entweder Anfangs- oder Endpunkt eines Eulerschen Weges sein. Ein Graph karm also nur dann unikursal sein, wenn er keine oder genau zwei Ecken ungerader Ordnung besitzt, also gilt:
1.5 Durchlaufbarkeit yon Graphen
Satz
8:
31
Ein zusammenh/ingender Graph ist genau darm unikursal, wenn er nicht mehr als zwei Ecken tmgerader Ordnung besitzt.
Beweis:
, , ~ " Vorauss.: z.z.:
Der zusammenh~ingende Graph hat nicht mehr als zwei Ecken ungerader Ordnung. Der zusammenh~ingende Graph ist unikursal.
Nach Satz 2 ist in einem Graph die Anzahl der Ecken mit ungerader Ordnung gerade. Wir brauchen daher nur zwei F[ille zu unterscheiden: 1. Fall: Der Graph hat 0 Ecken ungerader Ordnung. 2. Fall: Der Graph hat 2 Ecken ungerader Ordnung. 1. Fall: Der Graph hat 0 Ecken ungerader Ordnung. Wir w/ihlen eine beliebige Anfangsecke Eo. Von Eo aus durchtaufen wir einen Weg (kl, k2, k3. . . . ). Da auf diesem Weg alle Ecken gerade Ordnung haben, k6nnen wir alle Eo = E erreichten Ecken auch wieder verlassen. An diesen Weg ftigen wir nun solange Kanten an, bis wir zu einer Ecke kommen, yon der aus wir den Weg nicht fortsetzen k6nnen, ohne dabei Kanten mehrfach zu durchlaufen.
El
E2
k2
~
9
~
?
Ei
L ki .......... ~ 12 L2
1
-
Die Endecke En von (kl, k2, k3. . . . . kn) muss mit Eo identisch sein. Ware das nicht der Fall, miissten Anfangsecke Eo und Endecke En ungerade Ordnung haben.
-
Haben wir mit (kl, k2, k3. . . . . kn) den Graph durchlaufen, ist dieser Teil des Beweises fertig. Anderenfalls gibt es eine Ecke El, an der ein weiterer geschlossener Weg (lb 12, 13, ... , lm) beginnt und endet, derm auch Ei hat gerade Ordnung. Die zusammengelegten Wege bilden wieder einen geschlossenen Weg (kb k2, k3 . . . . . ki, 11, 12. . . . . lm, ki+l, kn). Weil die Kantenzahl des Graphen endlich ist, bricht dieser Prozess schlieglich ab. Der zuletzt fornmlierte Weg ist ein Eulerscher Weg.
-
32
1 Topologie
Ein zusammenh~ingender Graph mit 0 Ecken ungerader Ordnung ist also (geschlossen) unikursal. Weil wir die Anfangsecke Eo beliebig gew/ihlt haben, kann jede Ecke eines solchen Graphen Anfangs- und Endecke eines Eulerschen Weges sein. 2. Fall: Der Graph hat genau 2 Ecken ungerader Ordnung. Seien Eo und En die beiden Ecken mit ungerader Ordnung. Wir fiigen eine Hilfskante kh mit den Ecken Eo und E. ein. Dadurch erh6ht sich die Ordnung von Eo und En jeweils um 1 und alle Ecken haben gerade Ordnung. In dem modifizierten Graphen gibt es nach Fall (1) dieses Beweises einen Eulerschen Weg, der in Eo beginnt, fiber nach En ~hrt und wieder in Eo endet. L6schen wir die Hilfskante kn wieder, so entsteht ein Eulerscher Weg mit den Endecken Eo, E.. Bei einem zusammenh~ingenden Graphen mit 2 Ecken ungerader Ordnung sind diese beiden Ecken also Anfangs- trod Endecke eines (offenen) Eulerschen Weges. Auch in diesem Fall ist der Graph unikursal. ~ n
,,~" Vorauss.: z.z.:
Der zusammenh/ingende Graph ist unikursal. Der zusammenh/ingende Graph hat nicht mehr als zwei Ecken ungerader Ordnung.
Der Graph sei also unikursal. Dann betrachten wir einen Eulerschen Weg mit der Anfangsecke Eo und der Endecke En und eine beliebige Ecke El, die von Eo und En verschieden ist. Wenn wir den Graph auf diesem Eulerschen Weg durchlaufen, kommen wit mindestens einmal, ggf. auch h~iufiger, z u E i und verlassen Ei auch jedes Mal wieder, denn Ei ist nicht Endecke des Weges. Zu Ei fiihren also gleich viele Kanten hin wie yon Ei fortfiihren. Damit ist die Ordnung von Ei gerade.
Eo~A
En~"-,,~
I
fl Ei
" - 4 EiCEo A EllEn
Aufgrund der Wahl von Ei gilt dies fiir alle Ecken auger E0 und En. Der zusammenh/ingende Graph hat also nicht mehr als 2 Ecken ungerader Ordnung.
1.5 Durchlaufbarkeit yon Graphen
33
F/Jr jeden der drei F/ille unikursal, geschlossen unikursal und nicht unikursal ist in Abbildung 14 ein Ihnen schon bekarmtes Beispiel angegeben. unikursal
geschlossen unikursal
nicht unikursal
Abb. 14 Zu dem Problem der Eulerschen Wege, bei denen alle Kanten genau einmal durchlaufen werden, kann man ein entsprechendes Problem untersuchen, bei dem alle Ecken genau einmal durchlaufen werden. Damit sind wir wieder beim Einstiegsproblem dieses Kapitels angelangt. Definition I0:
Hamiltonsche Linie, Hamiltonscher Kreis Durchl~iuft ein Weg alle Ecken eines Graphen genau einmal, so nennt man diesen Weg eine Hamiltonsche Linie. Wenn Anfangs- und Endecke zusammenfallen, spricht man yon einem Hamiltonschen Kreis. Dabei wird diese Ecke nattirlich zweimal beriihrt.
Obwohl die Frage nach Hamiltonschen Linien der Frage nach Eulerschen Wegen so eng verbunden zu sein scheint, gibt es auf die Frage nach der Existenz yon Hamiltonschen Linien bis heute keine dem Satz 8 entsprechende einfache Antwort. Es sind allerdings hinreichende Bedingungen for die Existenz yon Hamiltonschen Linien bekannt.
Obung:
1) Das Pferd soll bei einem Springen jedes Hindernis genau einmal iiberspringen. Ist das bei dem ausgesteckten Parcours m6glich?
9 Start
i
9
I 9 I i
9
34
1 Topologie
2) Unten sehen Sie den Wegeplan eines Tierparks. Gibt es einen Rundweg, der jeden Weg genau einmal erfasst? ~
E: Eingang B: B/iren A: Affen V: V6gel S: Streichelzoo R: Rehe T: Tiger
3) Kann man im Tierpark aus (1) einen Rundweg gehen, so dass man bei jeder Tierart genau einmal vorbeikommt? Falls ja, geben Sie einen solchen Weg an.
4) Die Abbildung zeigt den Wegeplan eines nicht unterkellerten aber sinnvoll geplanten Einfamilienhauses. Zeichen Sie einen passenden Grundriss und beschriften Sie ihn mit: Wohnzimmer, Esszimmer, Ki.iche, Kinderzimmer, E1ternschlafzimmer, Bad mit WC, Grundstfick, G/isteWC und Flur mit Bodenzugang.
1.6
Erbteilungs- und F~irbungsprobleme
Hinweis:
Bei den in diesem Kapitel behandelten F~irbungs- und Erbteilungsfragen werden wir h/iufig den Begriff der ebenen Landkarte verwenden. Ebene Landkarten sind planare Graphen, bei denen jede Kante genau zwei Fl~ichen begrenzt. Der Rede von Kanten bzw. Fl/ichen werden wir die anschaulichere Rede yon Grenzen bzw. Liindern (Gebieten) vorziehen.
1.6 Erbteilungs- und F/irbungsprobleme
35
Der K6nig eines Inselreiches verfiigt in seinem Testament, dass sein (zusammenh/ingendes) Land nach seinem Tode so auf seine Kinder aufgeteilt werden soil, dass jedes Kind ein zusammenh~ingendes Stfick Land bekommt und direkter Nachbar aller seiner Geschwister ist. Jedes Erbland soil also ein Stiick gemeinsame Grenze mit allen anderen Erbl~ndem haben. Wie viele Kinder darf dieser K6nig h6chstens haben, damit diese ihr Erbe antreten k6nnen? Was ist, wenn jedes Erbland auch ein St/.ick Strand haben soil? Nach dem Eintreten des Erbfalls m/issen f/ir die Insel neue Landkarten gezeichnet werden. Wie viele Farben ben6tigt man dazu, wenn zwei L/inder mit einem gemeinsamen Grenzstiick mit verschiedenen Farben gef&bt werden und das ~.uBere anch eine eigene Farbe bekommt? Dieses Erbteilungsproblem ist offensichtlich leicht 16sbar, wenn der K6nig einen Alleinerben hat oder zwei Kinder, die sich die Insel teilen. F/Jr drei Kinder zeigt Abbildung 15 eine m6gliche Aufteilung, bei der jedes Land auch noch ein Stiick Strand hat. Das Einfiigen eines vierten Landes erfordert schon etwas mehr Nachdenken, und es scheint unm6glich zu sein, diesem vierten Land noch einen Zugang zum Meer zu verschaffen (Abbildung 16).
Abb. 15
Abb. 16
Alle Versuche, noch ein fiinftes Erbland unterzubringen, scheitem. Wir vermuten, dass der K6nig h6chstens vier Kinder haben daft und sogar nur drei, wenn alle ein Stiick Strand erben sollen. In jedem Fall brauchen wir vier Farben, um die neue Landkarte wie gefordert zu f~ben. In Abbildung 15 miissen wir alle drei L/inder wegen der gemeinsamen Grenzen verschieden einf~irben, und wir ben6tigen eine vierte Farbe fiir das AuBere, also das Meer. In Abbildung 16 k6nnen wir, da das vierte Land nicht ans Meer grenzt, die Farbe des Meeres wieder ftir das vierte Land verwenden, wir kommen also auch mit vier Farben aus. Wir formulieren unsere Vermutung als Satz:
36
Satz
1 Topologie
9:
In der Ebene gibt es h6chstens vier Nachbargebiete, die paarweise aneinandergrenzen.
Voriiberlegung zum Beweis: Wir zeichnen in der Inselaufteilung aus Abbildung 16 in jedes der vier Lander eine Hauptstadt ein. Nun k6nnen wir jede Hauptstadt mit jeder anderen durch eine StraBe verbinden. Das geht kreuzungsfrei, werm die StraBen jeweils fiber das gemeinsame Grenzstfick fiihren. Betrachtet man dieses StrafJen- und St~dtenetz, so haben wir den vollst/indigen Graphen V4 in gepl~itteter Form vorliegen. Beweis:
Annahme:
indirekt Abb. 17 In der Ebene gibt es wenigstens Rinf Nachbargebiete, die paarweise aneinandergrenzen.
Wir betrachten einen Graph mit 5 Nachbargebieten, die paarweise aneinandergrenzen. Wir zeichnen (wie in der Vorfiberlegung) in jedem der 5 Gebiete genan einen Punkt als eine neue Ecke aus und verbinden diese Ecke mit den anderen 4 Ecken in den anderen Gebieten. -
-
-
Wenn wir diese Verbindungen, also die neuen Kanten, jeweils fiber das gemeinsame Grenzstiick ffihren, kreuzen sie sich nicht. Wir h/itten damit einen planaren Graphen mit 5 Ecken, bei dem jede Ecke mit jeder anderen Ecke durch eine Kante verbunden ist. M.a.W. h/itten wir es geschafft, V5 zu pl/itten. Das ist ein Widerspruch zu Satz 5, wonach V5 nicht pl~ittbar ist. Die Annahme ist zu vemeinen. Es gibt also h6chstens 4 Nachbargebiete in der Ebene, die paarweise aneinandergrenzen.
Damit ist auch klar, dass man nicht sechs oder mehr Nachbargebiete in der Ebene finden kann, die paarweise aneinandergrenzen, da sie vollst~indige planare Graphen mit sechs oder mehr Ecken liefem wiirden.
Beim Beweis von Satz 9 sind wir von unserem Inselgraphen zu einem anderen Graphen fibergegangen, indem wir jeder Fl~iche des Inselgraphen eine Ecke des anderen Graphen zugeordnet haben und jeder F1/iche des anderen Graphen eine Ecke des Inselgraphen. Jede Kante des neuen Graphen kreuzt
1.6 Erbteilungs- und F~irbungsprobleme
37
eine Kante des Inselgraphen. Man sagt dann, dass man von einem Graphen zu seinem dualen Graphen fibergeht. Dieses Dualitiitsprinzip wird in Beweisen im Rahmen der Graphentheorie h~iufig verwendet. Die beiden Graphen in Abbildung 17 sind allerdings nicht dual zueinander, da wir dem AuBeren der Insel, das ja auch eine F1/iche darstellt, keine Ecke zugeordnet haben. Das ist zwar ftir die 0berlegungen im Beweis nicht wesentlich, wit wollen den Begriff des dualen Graphen aber dennoch genau definieren. Definition 11:
dualer Graph Sei G(F,K) ein zusammenh~ingender planarer Graph ohne Schlingen, bei dem jede Kante Rand von zwei verschiedenen Fl~ichen ist. Den dualen Graphen G*(IE*,K*) zu G erhfilt man nach der folgenden Vorschrift: 1.
Jeder F1/iche yon G wird genau ein Punkt zugeordnet. Diese Punkte bilden die Ecken yon G*.
2.
Zwei dieser Ecken werden genau dann durch eine Kante verbunden, wenn die entsprechenden Flfichen eine gemeinsame Randkante haben. Dabei wird fiber jede gemeinsame Randkante eine neue Kante gelegt.
3.
Die neuen Kanten schneiden die ihnen zugeordneten Kanten yon G in genau einem Punkt, die fibrigen Kanten nicht.
4.
Der Graph G* ist planar.
Wir haben schon fiberlegt, dass man durch die Bildungsvorschriften 1. bis 3. immer zu einem planaren Graphen gelangen kann. Vorschrift 4 sagt also nur, dass wir immer diese fiberkreuzungsfreie Darstellung meinen, wenn wir yon einem dualen Graphen sprechen. Bis auf Isomorphie ist G* eindeutig bestimmt. Wir k6nnen also von dem dualen Graphen sprechen. Beispiele: (Durchgezogener und gestrichelter Graph sind jeweils zueinander dual.)
38
1 Topologie
Zwischen den Ecken-, Kanten- und F1/ichenzahlen bei dualen Graphen bestehen einfache Zusammenh~inge: Der Graph G besitze e Ecken, k Kanten und f F1/ichen, der duale Graph G* besitze e* Ecken, k* Kanten und t'* Fl~ichen. Da nach Definition 11 jeder Fl/iche von G genau eine Ecke von G* zugeordnet wird, gilt e* = f. Da nach Definition 11 jede Kante yon G* genau eine Kante yon G einmal schneidet, gilt k* = k. Da sowohl G als auch G* planare, zusammenh/ingende Graphen sind, gilt fiir beide die Eulersche Formel, also gilt: e - k + f = 2 (1) und
e* - k* + f* = 2
(2)
Wir ersetzen in der zweiten Gleichung e* durch f u n d k* durch k und erhalten: f - k + f* = 2 Setzen wir diese Gleichung mit Gleichung (1) gleich, so folgt f - k + f* = e-k+f I* = e
Wir kommen nun auf die Frage zuriick, wie viele Farben man braucht, um eine Landkarte in der Ebene so zu f~irben, dass Lander mit gemeinsamer Grenze verschiedene Farben erhalten. Die Frage ist identisch mit der nach der Anzahl von Farben fiir Landkarten auf der Kugeloberfl~iche. Stellen Sie sich vor, sie stechen in die Kugel ein Loch mitten in ein Land, greifen in dieses Loch und pl/itten die Kugel in die Ebene. Das (unbegrenzte) A.uBere eines ebenen Graphen entspricht dabei dem Land auf der Kugel, in das Sie das Loch gestochen haben, und muss natiirlich auch eingef~bt werden. Die entstehenden Landkarten k6nnen dann etwa wie folgt aussehen:
I
I
Wir haben beim Erbteilungsproblem schon eine Karte gefunden, zu deren F~irbung vier Farben ben6tigt wurden. Lange Zeit waren die Mathematiker nur in der Lage zu beweisen, dass man in der Ebene mit ftinf Farben auskommt. Faktisch hat man aber nie Karten gefunden, bei denen auch wirklich fiinf Farben n6tig waren, vier Farben reichten immer. Seit 1976 ist allerdings bewiesen:
1.6 Erbteilungs- und F~irbungsprobleme
S a t z 10:
39
Vierfarbensatz Jede Landkarte in der Ebene lhsst sich mit h6chstens vier Farben zulhssig Ffirben13.
Wir k6rmen den Beweis hier nicht fiihren, auch da es sich um einen Beweis handelt, der mit Hilfe eines Computers geffihrt wurde. Wir beweisen hier andere S/itze tiber spezielle Landkarten. S a t z 11:
Entsteht eine Landkarte dutch das Zeichnen von n Geraden (n ~ ~), so kann sie mit zwei Farben zul/issig gef~irbt werden.
Beweis:
durch vollst/indige Induktion (fiber n)
I. Induktionsanfang -
Die Behauptung gilt ffir n = 1, also ftir eine gezeichnete Gerade: Eine Gerade zerlegt die Landkarte in zwei Gebiete Gl und G2. Wir ffirben G1 mit Farbe 1 und G2 mit Farbe 2. Fiirn = 1 ist unsere Behauptung also bewiesen.
II. Induktionsschritt zu zeigen:
Wenn sich eine Landkarte aus n Geraden zuliissig f,irben 1/isst, dann 1/isst sich auch eine Landkarte aus (n + 1) Geraden zul~issig ffirben.
Sei unsere Behauptung also flit n Geraden richtig: Eine Landkarte mit n Geraden l~isst sich mit zwei Farben zul/issig ffirben. (Induktionsvoraussetzung) Wir betrachten eine Landkarte, die aus n Geraden besteht. Nach Induktionsvoraussetzung l/isst sich diese Landkarte zuliissig mit zwei Farben f~irben. Als zul/issig gefiirbt wollen wir eine Landkarte dann bezeichnen, wenn zwei benachbarte Gebiete, die mehr als nur einen einzelnen Grenzpunkt (Ecke) gemeinsam haben, stets verschiedene Farben zugeordnet bekommen.
40
1 Topologie
F/igen wir in diese Landkarte eine (n + 1)te Gerade ein, so werden einige Lander der urspr/inglichen Landkarte geteilt und die F/irbung der Karte ist in diesen Gebieten zun/ichst nicht mehr zul~issig(Abb. 18). Auf einer Seite der neuen Geraden lassen wir die Fiirbung bestehen. Auf der anderen Seite dieser Geraden vertauschen wir die Farben, was an der Zul/issigkeit nichts andert.
Abb. 18
Dadurch erreichen wir, dass die geteilten L~inder verschiedene Farben bekommen und wir erhalten wieder eine zul~issiggef~bte Landkarte. Also 1/isst sich auch eine aus (n + 1) Geraden gezeichnete Landkarte zul/issig mit zwei Farben f~irben.
Satz 11 gilt ebenso, werm wir statt Geraden Kreisb6gen oder gewisse andere Kurven als Grenzen nehmen. Innerhalb des neuen Kreises wurden lediglich die Farben vertauscht.
Abb. 19
Wie das folgende Beispiel zeigt, gilt ein ,,Zweifarbensatz" im Allgemeinen nicht bei (teilweise) geradlinig begrenzten Fl/ichen. Im linken Teil yon Abbildung Abb. 20 20 reichen zwei Farben, da sich die Rechtecke jeweils nicht oder eclat iiberschneiden. F~gt man aber ein weiteres Rechteck so ein, dass ein anderes Rechteck wie rechts in Abbildung
1.6 Erbteilungs- und F~irbungsprobleme
41
20 ber/ihrt wird, dann ist eine dritte Farbe n6tig, und Sie k6nnen selbst iiberlegen, wie ein weiteres Rechteck einzufiigen ist, so dass auch noch eine vierte Farbe gebraucht wird. Analysiert man in den Abbildungen 18 bis 20 jeweils die linke Landkarte, so zeigt sich, dass alle Ecken gerade Ordnung haben. Das Einftigen einer neuen Geraden in Abbildung 18 ~indertdaran nichts. Schneidet die neue Gerade eine alte Grenze, darm entsteht eine neue Ecke der Ordnung 4. Verl~iufl die neue Gerade durch eine bereits vorhandene Ecke, so erh6ht sie deren Ordnung um 2. Dasselbe gilt Rir den Einbau eines weiteren Kreises in Abbildung 19. Schnittpunkte und Beriihrpunkte liefem neue Ecken der Ordnung 4, geht der neue Kreis durch eine schon vorhandene Ecke, so erh6ht sich deren Ordnung um 2. Anders verh/ilt es sich mit dem neuen Rechteck in Abbildung 20. Eine Seite f~illt auf eine schon vorhandene Rechteckseite, es entstehen zwei neue Ecken der Ordnung 3. Tats/ichlich gilt der folgende Satz:
Satz 12:
Verallgemeinerung des Zweifarbensatzes Eine ebene Landkarte ist genau dann mit zwei Farben zul/issig f&bbar, wenn in dem erzeugenden Graphen aUe Eckenordnungengerade sind.
Beweis:
indirekt Voraussetzung: Die Landkarte ist zul/issig mit zwei Farben f~bbar. Annahme:
Der erzeugende Graph besitzt (wenigstens) eine Ecke Emit ungerader Ordnung n, wobei n > 3. t4
In Ecke E stol3en dann n Kanten zusammen, die n Teile von L/indem voneinander trennen. Wir nummerieren diese L/inder der Reihe nach von 1 bis n durch. Danach f~irben wir diese L/inder derart, dass alle Lander mit ungerader Nummer schwarze und alle Lander mit gerader Nummer weiBe Farbe erhalten.
Bei ebenen Landkarten begrenzt jede Kante genau zwei Fl~ichen, dies haben wir zu Beginn des Kapitels verabredet. Ecken mit Ordnung 1 kann es demnach nicht geben.
42
1 Topologie
Da das schwarz gef~irbte Land Nummer n (n ungerade) aber wieder an das ebenfalls schwarz gefarbte Land Nummer 1 angrenzt, ist die Karte mit zwei Farben nicht zul~issigf~irbbar. Das ist ein Widerspruch zur Voraussetzung, die zul/issige F/irbbarkeit garantiert. Die Annahme ffihrt also zu einem Widerspruch und ist daher zu verneinen: Der erzeugende besitzt keine Ecke mit ungerader Ordnung n; im erzeugenden Graphen sind also alle Eckenordnungen gerade.
Voraussetzung:
Alle Ecken des erzeugenden Graphen haben gerade Ordnung.
zu zeigen:
Die ebene Landkarte ist mit zwei Farben zul~issigfgrbbar.
Wir betrachten zun~ichstnur zusammenh/ingende Graphen. Wenn alle Ecken unseres Graphen gerade Ordnung haben, dann ist der Graph nach Satz 8 geschlossen unikursal, d. h. es gibt einen geschlossenen Eulerschen Weg. Wir erinnem uns an die Herleitung dieses Zusammenhangs in Fall (1) des Beweises yon Satz 8: Danach entsteht der Eulersche Weg dutch Vereinigen yon endlich vielen geschlossenen Wegen, wobei jeder dieser geschlossenen Wege ggf. wiederum durch Vereinigung von endlich vielen geschlossenen Wegen entsteht. Da alle Eckenordnungen gerade sind, konuuen wir so schliel31ich zu einfachsten geschlossenen Wegen wir nennen sie e i n f a c h e K r e i s e - die zueinander kantendisjunkt sind und in denen alle Ecken die Ordnung 2 haben. Die Darstellung in Abbildung 21 zeigt zwei M6glichkeiten der Aufteilung in paarweise kantendisjunkte einfache Kreise.
.O. ...." "..... ./7 .......
J.,:]; ...... ,~ ......
.-.~ ""'l[w""
Abb. 21
Wir fiihren den Beweis nun durch vollst~ndige Induktion fiber der Anzahl n der einfachen Kreise, aus denen der Graph h6chstens besteht.
1.6 Erbteilungs- und F~bungsprobleme
43
I. Induktionsanfang zu zeigen: Besteht der Graph aus einem einfachen Kreis, darm ist die Landkarte zul~issig mit zwei Farben f~irbbar. Der Graph bestehe also nur aus einem einfachen Kreis. Wir f~irben das Innere des Kreises schwarz, das ~,ul3ere weil] und kommen also mit zwei Farben aus. II. Induktionsschritt zu zeigen: Wenn sich die von einem derartigen Graphen aus h6chstens n einfachen Kreisen erzeugte Landkarte mit zwei Farben zul/issig f~irben liisst, dann 1/isst sich auch jede von einem derartigen Graphen aus (n + 1) einfachen Kreisen erzeugte Landkarte mit zwei Farben zul~issig f~irben. Sei also G ein aus der Vereinigung t. von (n + 1) einfachen, paarweise -"'" kantendisjunkten Kreisen bestehen,.. der Graph. Wir 16schen nun in G die Kanten eines der Kreise saint der dadurch eventuell entstehenden isolierten Ecken.
v
~
i
.............."I ~
Der so entstandene Teilgraph ist die Vereinigung von n einfachen Kreisen und liisst sich nach Induktionsvoraussetzung mit zwei Farben zuliissig ftirben. Wir f~irben ihn also zul~issig.
Wir fiigen nun den gel6schten Kreis wieder ein.
Innerhalb und aul3erhalb dieses Kreises haben wit jeweils eine zul/issige F/irbung mit zwei Farben, insgesamt ist die F~bung aber nicht zul/issig.
- -
-
44
1 Topologie
Wenn wir nun die Farben im Inneren des (n + 1)ten Kreises vertauschen, darm entsteht wieder eine zul~issig gefiirbte Landkarte, was zu zeigen war.
Wir sind zun~ichst von zusammenh/ingendenGraphen ausgegangen. Ist der Graph nicht zusammenh/ingend, dann gibt es im ~,uBeren oder ganz im Irmeren einer Fl~iche weitere Graphen, fiir die das oben Gesagte ebenso zutrifft. Jeder Teilgraph ftir sich ist also mit zwei Farben zul~issig f~bbar. Wir miissen bei der F~irbung nur aufpassen, dass das gemeinsame ,~uBere aller Graphenteile dieselbe Farbe erh~ilt bzw. Inseln im Inneren eines Landes entsprechend gefiirbt werden. Dies erreichen wir in jedem Fall durch geeignetes Umf'~irbeneines Teilgraphen.
Zum Schluss dieses Abschnitts sei Ilmen (ohne Beweis) mitgeteilt, dass man auf dem M6biusband sechs Farben braucht, um jede Landkarte zul~issig zu fhrben und fiir Landkarten auf dem Torus sind es sogar sieben Farben. Unten sehen Sie jeweils eine Beispiel-Landkarte, fiir die man die Maximalzahl yon Farben tats/ichlich braucht. Beachten Sie dabei, dass das M6biusband nur eine Seite hat. Man denke sich die Ffirbung deshalb beidseitig angebracht, oder realisieren Sie diese Landkarte mit Hilfe eines OHP-Folienstreifens.
T
M6biusband
1
1.6 Erbteilungs-and F~irbungsprobleme
45
) Toms
l~oung:
1) Zeichnen Siejeweils ~ den dualenGraphen.
~
~
2) F~irbenSie die Landkartenmit m6glichstwenigenFarben.
3) Zeichnen Sie in der Ebene eine Landkartemit 8 L~indern,zu deren F~irbunggenau drei Farbengebrauchtwerden. 4) Wie viele Farben brauchen Sie, um die folgende Karte auf dem Toms zul/issig zu f~irben?
I
5) Auf dem Toms lassen sich der vollst~indigeGraph V5 und der GEW-Graph ftir drei H~iuserkreuzungsfreizeichnen. Geben Sie jeweils eine L6sung an.
46
2
Polyeder
2.1 Einstiegsproblem Wit beginnen das zweite Kapitel mit einer Faltarbeit (nach Mitchell 1997, S. 36f). Dazu ben6tigen wit 12 Bl~itter des DIN-Formates A, z.B. A 4. 2.
3,
I ! I
I I I
I I
II I
I I
]
Ii I
.J
SS
Blattmitte markieren 4.
5.
6.
jetzt Schritte 3 und 4 mit allen Ecken durchfShren 7.
8.
9.
Faltung ~ffnen 10.
11.
12.
ab Schritt 11 entstehen keine neuen Faltlinien mehr
2.1 Einstiegsproblem
13.
16.
47
14.
15.
~
d i e ~ undfiberdieFaltungtegen 18.
17.
alleFaltkanten kNftignachziehen 12dieserModule herstellen Aus 12 dieser Module, die nichts anderes sind als Rauten mit anh~ingenden Laschen und seitlichen Taschen, l~isstsich ein Kdrper zusammenstecken, den die Mathematiker Rhombendodekaeder nennen (s. Abbildung 22a und 22b). l Die Rauten, die die Seitenfl~ichen des Kdrpers bilden, zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Diagonalenl~ingen sich zueinander verhalten wie 1: , f 2 . Deshalb lassen sie sich in der beschriebenen Weise aus unserem DIN-APapier falten, denn bei diesem verhalten sich die Seitenl~ingen wie 1: ,f2. r,Jberlegen Sie selbst, was die Rautendiagonalen mit den Rechtecksseiten zu tun haben.
Abb. 22a
Ihre Vorstellung von diesem K6rper entwickelt sich optimal, wenn Sie zun/ichst tats~ichlich falten, das Faltprodukt mit dem Anh~inger aus nicht geschliffenem Rohgranat in Abbildung 22b vergleichen und den Kdrper dann in Abbildung 22a wiedererkennen.
48
2 Polyeder
Das Rhombendodekaeder geh6rt zu den halbreguliiren Polyedern (s. Kapitel 2.3) und besitzt einige interessante Eigenschaflen. Man kann mit ihm z.B. den Raum 1/ickenlos ausftillen, wie wir im Folgenden begr/inden wollen. Man erh/ilt ein Rhombendodekaeder auch auf diesem Weg: Einem Wiirfel werden gerade quadratische Pyramiden aufgesetzt, deren H6he halb so lang ist wie eine Wfirfelkante. In Abbildung 23 wurden zwei der Wiirfelseiten solche Pyramiden aufgesetzt. b
Abb. 22b
dl b
d2
b
Abb. 23
Abb. 24
Durch diese Wahl der H6he erreicht man, dass sich zwei aneinanderstoBende dreieckige Pyramidenseiten zu einer ebenen Raute erg~inzen, wie man im Aufriss (Abbildung 24) gut erkennen kann.
Wie verhalten sich nun die L~ingen der Rautendiagonalen dl und dz zueinander? Die kiirzere Rautendiagonale dz ist gleich der Wiirfelkante b, also d2 = b. Die L/inge der 1/ingeren Rantendiagonale dl entspricht der der Diagonalen d einer der quadratisehen SeitenfRichen des Wiirfels, wie man im Aufriss sieht. Nach dem Satz des Pythagoras gilt: b 2 + b 2= dl 2 ~ dj 2 = 2 b z ~ dl = b , ~ - ~ dl = d2~/} ~ dl :d2 = , ~ - : 1 Es ergibt sich also das uns schon bekannte Verh~iltnis zwischen den Rantendiagonalen.
2.1 Einstiegsproblem
49
Wie verhalten sich die Rautenseitenl~ingen a und die Wiirfelkantenl~ingen b zueinander? Wir k6nnen auch eine Beziehung zwischen Wiirfelkantenl~inge b und Rautenseitenl~inge a aufstellen: Rautenseite, Pyramidenh6he und halbe Quadratdiagonale bilden ein rechtwinkliges Dreieck. In diesem Dreieck wenden ~dr erneut den Satz des Pythagoras an:
d2
(1) Wieder wenden wir den Satz des Pythagoras an, diesmal auf einer W/irfelfl~iche: b2 + b 2 = d 2 ~
2 b 2= dR ~ 4 2 b = d
(2)
Diese Beziehung zwischen d und b setzen wir in (1) ein: ~
~
l / lb l --
=
3 b 2 = a2 ~ b2= 4 a2 ~ 4 ~
__+ 4
b
=a2 4
2 =~a.
Doch kommen wir zurfick zu der M6glichkeit, mit Rhombendodekaedern den Raum lfickenlos zu parkettieren. Die sechs aufgesetzten Pyramiden entsprechen genau dem Wiirfel. Es sind dieselben sechs Pyramiden, die entstehen, werm man den Wi.irfel entlang seiner Raumdiagonalen zerlegt (s. Abbildung 25). Auch diese Pyramiden haben jeweils eine Wfirfelseite als Grundfl~iche, die H6he dieser sechs Pyramiden betr~igt ebenfalls 19. 2
Abb. 25
50
2 Polyeder
Mit Wiirfeln kann man den Raum lfickenlos parkettieren. Wir stellen uns vor, der Raum w/ire mit schwarzen und weiBen Wiirfeln wie in einem r~iumlichen Schachbrett ausgeFtillt. Jeden weil]en Wiirfel zerlegen wir in sechs Pyramiden und kleben diese Pyramiden an die benachbarten schwarzen Wilrfel an. Die weil3en W/.irfel sind dann verschwunden, aus den schwarzen Wiirfeln sind Rhombendodekaeder geworden. Da wir nichts weggenommen und nichts hinzugefiigt haben, haben wir nach wie vor eine lfickenlose Parkettierung des Raumes.
Ubung:
1) Konstruieren Sie das Netz eines Rhombendodekaeders mit der Kantenl/inge 6 cm und basteln Sie ihn aus Zeichenkarton. (Technische Hinweise: Zeichenkarton wiegt 250 g/m 2. Knickkanten ritzen Sie vorher auf der Innenseite mit einem stumpfen Messer an. Haltbares und sauberes Zusammenkleben gelingt, wenn Sie die Klebelaschen mit doppelseitigem Klebeband versehen.)
2) Entwickeln Sie allgemeine Formeln zur Berechnung des Volumens und des Oberfl/icheninhalts eines Rhombendodekaeders mit der Kantenl~nge a.
2.2
Die platonischen K/~rper
Topologisch gesehen besteht kein Unterschied zwischen einem Wiirfel, einem beliebigen Quader oder einem Spat2. P1/ittet man sie in die Ebene, so entstehen jeweils isomorphe Graphen. In der Topologie spielen MaBe keine Rolle. Die L/inge oder Form der Kanten, Winkelmal3e u./i. interessieren nicht, lediglich die Beziehungen zwischen den Ecken und Kanten sind wichtig, und darin unterscheiden sich die genannten K6rper nicht. Wir nehmen in diesem Kapitel metrische Eigenschaflen zu den topologischen hinzu und sondem aus Klassen topologisch /iquivalenter Polyeder (griechisch: Vielflach) spezielle Polyeder aus.
Ein Spat ist ein schiefes Prisma mit parallelogrammf'6rmiger Grundfl/iche. Beim Spat sind alle Gegenfl/ichen zueinander kongruent. Wiirfel und Quader sind Sonderformen des Spats.
2.2 Die platonischen K6rper
51
Polyeder sind K6rper, die von Polygonen, also von Vielecken wie Dreiecken, Vierecken, F/infecken usw. begrenzt sind. Polyeder heigen konvex, wenn zu je zwei Punkten aus dem Innem des Polyeders auch die Verbindungsstrecke zwischen diesen beiden Punkten ganz im Innern des Polyeders verl~iuft. Zwei Polyeder, die aus denselben Vielecken aufgebaut sind, miissen nicht kongruent sein, wie das folgende Beispiel zweier Polyeder aus ftinf Quadraten und vier gleichschenkligen Dreiecken zeigt:
'-.i.. "-.. ,4:
Abb. 26 Definition
konvexes Polyeder 1:
nicht konvexes Polyeder
regul~ires Polyeder Ein konvexes Polyeder heiBt regul~ir, werm alle Fl~ichen zueinander kongruente, regelm~iBige Vielecke sind und in jeder Ecke gleich viele Vielecke zusammenstoflen.
Das bekannteste Beispiel fiir ein regulMes Polyeder ist der Wfirfel. Seine Fl~ichen sind kongruente Quadrate, von denen jeweils drei in einer Ecke zusammentreffen. In jeder Ecke treffen auch gleich viele Kanten zusammen, was allgemein ftir j edes regul/ire Polyeder gilt. Nach dem im ersten Abschnitt des letzten Kapitels beschriebenen Verfahren kann man jedes konvexe Polyeder in die Ebene pl~itten. Man erh~ilt dann einen zusammenh~ingenden planaren Graphen, fiir den die Eulersche Formel gilt. Damit gilt diese Beziehung ftir die Anzahlen der Ecken, Kanten und Fl~ichen auch l$ir konvexe Polyeder. Satz 1:
Eulerscher Polyedersatz Ffir ein konvexes Polyeder m i t e Ecken, k Kanten und f Fl~ichen gilt: e - k + f = 2.
52
2 Polyeder
Machen Sie sich am Beispiel eines Quaders, durch den eiu quaderf'6rmiges Loch gebohrt wurde (Abbildung 27), klar, dass Satz 11 ffir nicht konvexe Polyeder im Allgemeinen falsch ist. In diesem Beispiel gilt e = f = 16 und k = 32. Abb. 27 Wir haben im ersten Kapitel schon die ftinf platonischen K6rper betrachtet und uns von der Richtigkeit des Eulerschen Polyedersatzes bei diesen K6rp e m tiberzeugt. Wir wollen nun der folgenden Frage nachgehen:
Gibt es auger den ftinf platonischen K6rpem noch weitere regul~ire Polyeder? Wir vereinbaren: Ein Polyeder sei von regelm/igigen n-Ecken begrenzt, n > 3, In jeder Ecke des Polyeders stoBen m Fl~ichen zusammen, m > 3. Das Polyeder habe e Ecken, k Kanten und f F1/ichen. Dann gilt: Das Polyeder besteht aus f Fl~ichen. Jede F1/iche ist ein n-Eck, hat also n Kanten. Wir kommen also auf f . n Kanten, haben dabei aber jede Kante bei zwei F1/ichen gez/ihlt. Also gilt: f. n = 2. k Das Polyeder hat e Ecken. In jeder Ecke stogen m Kanten (von m F1/ichen) zusammen. Wir kommen also auf e 9m Kanten, haben dabei aber jede Kante bei zwei Ecken gez~ihlt. Also gilt: e. m = 2 9k Wir 16sen diese beiden Gleichungen nach fbzw. e auf: f.n=2.k
f = - -
2.k
;
e,m=2.k
n
e -
2.k lIl
Diese Ausdriicke setzen wir in die Eulersche Polyederformel eiu: 2-k
--
m
2.k
-k+
1
1
m
2
- 1- + m
n
1
=2
n + -
1
n
-
1
k
1 +_ 1
2
k
/:2.k /+--1 2
2.2 Die platonischen K6rper
--
1
1
-k
--
m
>
n
53
1
/ weil fiir die Kantenzahl k gilt: k > 0
--
2
Wir untersuchen nun, welche Werte fiir rn und n in Frage kommen, so dass die obige Ungleichung erfiillt ist.
1+1 1 __ -m n > -2 9"
m,n m=3, n=3 m=3, n=4
1
1
3 1 - - +
3 1
3 7
3 1
4 1
12 8
_ +
--
2
m=3, n=5
--
m=3, n>6
3 1
5 1
15 1
3 1
n 1
2 7
m=4, n=3 m:4,
n>_4
m=5, n=3 m=5, n>4 m_>6, n>_3
-t-
+
--
--
>
>
3 1
12 1
4 1
n 1
2 8
5 1
3 1
15 1
1
--
2 1 2 1
>
4 1
regulSxes Polyeder
--
Te~aeder Hexaeder(Wfirfel) Dodekaeder
2
>
1 Oktaeder
1 Ikosaeder
5 n 2 1+1 I -n < -2 m
Wir haben damit den folgenden Satz bewiesen:
Satz 2:
Es gibt genau ffinf regulMe Polyeder. Dies shad das Tetraeder, das Hexaeder, das Oktaeder, das Dodekaeder und das Ikosaeder.
Die fiinfplatonischen 3 K6rper sind also definitiv die einzigen regularen Polyeder, auch wenn wohlwollend geneigte Betrachter mehr als Rinf perfekte K6rper in der folgenden Abbildung erkennen m6gen. 3
Platon, um 429 - 348 v. Chr., griechischer Philosoph und Mathematiker
54
2 Polyeder
,,Die fiinf platonischen K6rper" von E. Neumann im Bagnopark Steinfurt Die platonischen K6rper waren schon den Griechen bekannt. Ihre Namen gehen auf griechische Zahlw6rter zuriick, die eine Beziehung zu den Anzahlen ihrer Fl~ichen herstellen. Platon hat im Dialog ,,Timaios" ein Modell des Kosmos entworfen. Darin ordnet er dem ,,Element" Feuer das Tetraeder zu, der Erde den Wiirfel, der Luft das Oktaeder und dem Wasser das Ikosaeder. Das Dodekaeder deutet er als Weltall, das alles andere umfasst. Ein weiterer, allerdings sehr viel sp~iterer Entwurf eines Weltmodells auf der Basis der platonischen K6rper geht auf Kepler4 zuriick. Aus seiner 1596 ver6ffentlichten Schrift ,,Mysterium cosmographicum" stammt die Abbildung unten, bei der einer Kugel ein Wfirfel einbeschrieben ist, so dass die Ecken des Wiirfels die Kugel beriihren. In diesem Wiirfel steckt eine Kugel, die die Seitenfl~ichen des Wfirfels beriihrt. In dieser Kugel stecken nacheinander ein Tetraeder, wieder eine Kugel, ein Dodekaeder, schon wieder eine Kugel, ein Ikosaeder, noch eine Kugel, ein Oktaeder und eine sechste Kugel. Die Radien dieser Kugeln sollten (von auBen nach innen) die Bahnradien der damals
4 Johannes Kepler, 1571 - 1630, deutscher Mathematiker und Astronom
2.2 Die platonischen K6rper
55
bekarmten sechs Planeten Saturn, Jupiter, Mars, Erde, Venus und Merkur sein. Die auBerordentlich exakten Himmelsbeobachtungen des kaiserlichen Astronoms Tycho Brahe, der Kepler ein Jahr vor seinem Tod 1601 zu seinem Gehilfen an den Hof nach Prag rief, machten die Diskrepanzen zwischen Modell und Beobachtung schnell deutlich und veranlassten Kepler, sein Modell zu verwerfen.
Abb.: Entwurf eines Weltmodells nach Kepler aus: http:llzebu.uoregon.edul~jslast1211imageslkepler_spheres,gif In der Natur finden sich mehr oder weniger genaue Konkretisierungen der platonischen K6rper. Radiolarien (Strahlentierchen) sind mikroskopisch kleine Organismen, bei denen Skelette auch in Form von Oktaeder, Ikosaeder und Dodekaeder vorkommen. Die Abbildung links zeigt ein solches Strahlentier, gezeichnet vom Zoologen und Naturphilosoph Ernst Haeckel (1834 1919). Abb.: Das Skelett der Radiolarie
circogonia icosahedra, gezeichnet yon Haeckel aus:
http:llcaliban.mpiz-koeln.mpg.del-stueberlhaeckellkunstformenlTafel_OOl.html
Minerate bilden Kristalle in Form von platonischen K6rpem. Wiirfel findet man z.B. bei Kochsalz, Pyrit und Bleiglanz. Fluorit und Alaun bilden Oktaederkristalle, Pyrit kristallisiert auch zu Dodekaedem und Ikosaedern.
56
2 Polyeder
Fluoritkristall s
Coccosphfire der Alge Braarudosphaera bigelowi6 Ebenfalls faszinierend ist die folgende Beziehung zwischen den platonischen K6rpem: Verbindet man bei einem Wfirfel die Mittelpunkte benachbarter F1/ichen, so entsteht ein Oktaeder; verbindet man bei einem Oktaeder die Mittelpunkte benachbarter Fl~ichen, so entsteht ein Wiirfel (s. Abbildung 28). Man sagt, Oktaeder und Wiirfet sind dual zueinander (vgl. duale Graphen). Dieselbe Beziehung besteht zwischen Dodekaeder und Ikosaeder. Das Tetraeder ist zu sich selbst dual, denn wenn man die Mittelpunkte der Seiten eines Tetraeders verbindet, so entsteht wieder ein Tetraeder. Versuchen Sie's doch mal.
Abb. 28
http:llwww.peaktopeak.comlmineralslgallerylgallery.htm http:llwww-ocean.tamu.edulQuarterdecklQD5.21b.bigelowi.html
5
Kristall aus:
6
A l g e aus:
2.3 Halbregul~e Polyeder
2.3
Halbregulfire
57
Polyeder
Die strengen Anforderungen, die wir in Definition 1 an regul~e Polyeder gestellt haben, lassen sich in zwei Richtungen abschw~ichen: Entweder verzichten wir darauf, dass alle Seitenfl~ichen eines konvexen Polyeders kongruent zueinander sind, lassen z.B. zwei Arten yon regelm~iBigen n-Ecken zu, etwa Quadrate und gleichseitige Dreiecke, verlangen aber weiterhin, dass in jeder Ecke in gleicher Weise gleich viele Vielecke gleicher Art zusammenstoBen7, oder wir verzichten darauf, dass in jeder Polyederecke gleich viele Fl~ichen zusammenkommen, fordem aber, dass alle Seitenfl~ichen zueinander kongruent sind. Konvexe Polyeder, bei denen alle Ecken in der oben beschriebenen Art gleich sind oder bei denen alle Seitenfl~ichen kongruent zueinander sind, heiBen
halbregul~ire Polyeder. Mindestens ein halbreguliires Polyeder kennen Sie sicher aus Ihrer Umwelt. Der Europa-FuBball wird aus regelm~iBigen Ffinf- und Sechsecken gen~iht, wobei in jeder Ecke zwei Sechsecke und ein Fiinfeck zusammenstoBen. Das Rhombendodekaeder, das Sie zu Anfang dieses Kapitels hergestellt haben, tritt z.B. bei den Kristallen des Halbedelsteins Granat auf. Bei diesem K6rper sind alle Seitenfl~ichen kongruent, aber in sechs Ecken stoBen vier Rauten zusammen, in den iibrigen Ecken nur drei.
Abb. 29
Europa-FuBball
Granat-Rhombendodekaeder8
v Man spricht dann auch yon kongruenten Eckenumgebungen. 8 Granat-Rhombendodekaeder aus: http:l/~.berthold-weber.delabe.htm
58
2 Polyeder
Definition 2:
archimedische und dual-archimedische K6rper Ein konvexes Polyeder, dessen F1/ichen verschiedene regelm/il]ige n-Ecke sind und dessen Eckenumgebungen kongruent sind, heigt archimedischet y Kdrper. Als dual-archimedische K6rper bezeichnet man solche konvexen Polyeder, bei denen alle F1/ichen und die zwischen ihnen eingeschlossenen Winkel kongruent sind, nicht aber alle Polyederecken.
Nach dieser Definition ist der Europa-Fugball ein archimedischer K6rper und das Rhombendodekaeder ein dual-archimedischer K6rper. Weitere Beispiele fiir archimedische K6rper shad Prismen fiber regelm/il]igen n-Ecken mit quadratischen Seitenfl~ichen. Rechts sehen Sie ein archimedisches Prisma fiber einem regelm/igigen Ffinfeck. Im Fall n = 4 ergibt sich der Wfirfel. Die archimedischen Antiprismen, bei denen Gnmdund Deckfl/iche kongruente regelm/il]ige n-Ecke sind und die Seitenfl/ichen gleichseitige Dreiecke, sind ebenfalls archimedische K6rper. Rechts sehen Sie ein archimedisches Antiprisma fiber einem Quadrat. Ftir n = 3, also wenn Grund- und Deckfl/iche gleichseitige Dreiecke sind, entsteht das bekannte Oktaeder. Archimedische K6rper ergeben sich ebenfalls, wenn man bei den platonischen K6rpem die Ecken so abschneidet, class die Schnittfl/iehen regelmfigige n-Ecke ergeben und die restlichen Seitenflfiehen ebenfalls regelm/igige nEcke bilden. Man spricht dann von abgestumpften K6rpem.
abgestumpftes Tetraeder 9
abgestumpfter Wfirfel
abgestumpftes Oktaeder
Archimedes von Syrakus, ca. 287-212 v. Chr., untersuchte als erster die halbregul/iren Polyeder.
2.3 Halbregul~ire Polyeder
59
Schleift man beim Wiirfel die Ecken noch weiter ab, bis schtieBlich die dreieckigen Schnittfl~chen zusammenstoBen, so erhfilt man das Kuboktaeder.
Abb. 30: vom W/irfel zum Kuboktaeder Wir iiberlegen: Welcher K6rper ergibt sich durch das Abstumpfen eines Ikosaeders? Das Ikosaeder hat als Seitenfl~ichen 20 gleichseitige Dreiecke, von denen jeweils •nf in einer Ecke zusammenstoBen. Wenn Sie eine solche Ecke wegschneiden, wir haben das rechts fiir drei Ecken durchgefiihrt, so ergibt sich als Schnittfl~iche ein Fiinfeck. Blicken wir auf eine der dreieckigen Seitenfl~ichen. An jeder der drei Ecken wird etwas abgeschnitten, also wird aus dem Dreieck ein Sechseck. Es ergibt sich also ein neuer K6rper, der aus regelmSBigen F/inf- und Sechsecken besteht, unser bekannter FuBball. Wir k6nnen jetzt leieht herausfinden, aus wie vielen F/inf- und Sechsecken das abgestumpfle Ikosaeder zusammengesetzt ist: Die Sechsecke sind aus den Seitenfl~ichen des Ikosaeders entstanden, also m/issen es 20 sein. Die Ffinfecke sind aus den Ikosaederecken entstanden, also miissen wit die Zahl der Ecken des Ikosaeders ermitteln. 20 Dreiecke haben zusammen 60 Ecken. Da aber in jeder Ikosaederecke fiinf Dreiecke aufeinanderstoBen, haben wir alle Ecken fiinffach gez~ihlt und miissen 60 noch durch 5 dividieren. Das Ikosaeder hat also 12 Ecken, folglich hat der Ful3ball 12 Fiinfecke.
60
2 Polyeder
Neben archimedischen K6rpem, die aus zwei verschiedenen Typen von regelm~iBigen n-Ecken bestehen, gibt es auch solche aus dreierlei Formen. Zwei Beispiele sehen Sie in Abbildung 31. Insgesamt gibt es 13 verschiedene archimedische K6rper und zwei Folgen yon archimedischen K6rpern, nfimlich die o.g. Prismen und Antiprismen. Eine vollst~ndige Liste, Abbildungen und Netze finden Sie z.B. in Roman 1968.
Abb. 31
Kuboktaederstumpf
Ikosidodekaederstumpf
Wegen der Dualit~it gibt es auch 13 verschiedene dual-archimedische K6rper sowie zwei Folgen dual-archimedischer K6rper, die Trapezoeder, auf die wir hier nicht eingehen werden, und die Doppelpyramiden. Interessierte verweisen wir auf Adam & Wyss 1984, wo man u.a. Bilder aller halbregul~iren Polyeder findet sowie Erl~iuterungen zu den Beziehungen zwischen archimedischen K6rpem und ihren dualen Partnern. Wie bei der Dualit~it von Graphen und bei der der platonischen K6rper stimmt die Kantenzahl yon archimedischem und dual-archimedischen K6rper iiberein, die Eckenanzahl entspricht der Fl~ichenanzahl des jeweils anderen. Wir iibertragen das Verfahren des Verbindens der Mittelpunkte benachbarter Seiten, das wir uns bei der Dualit~it der platonischen K6rper zunutze gemacht haben, auf ein archimedisches Prisma fiber einem regelmgBigen Ffinfeck. Der entstehende K6rper ist eine Doppelpyramide aus zwei an den Grundfl~ichen zusammengesetzten Pyramiden. Wie man sieht, schlieBen die Dreiecke einer Pyramide untereinander einen sehr viel gr6Beren Winkel ein als die aneinanderstoBenden Seiten zweier Pyramiden. So entsteht also keine dual-archimedische Doppelpyramide. Dies ~indert aber nichts an der Tatsache, dass archimedische Prismen als duale K6rper dual-archimedische Doppelpyramiden haben.
2.3 Halbregul/ire Polyeder
61
Das Kuboktaeder haben Sie bereits als archimedischen K6rper kennen gelemt (vgl. Abbildung 30). Bevor wir gleich iiberlegen, wie wohl der dual-archimedische K6rper zum Kuboktaeder aussieht, wollen wir auf zwei verschiedenen Wegen ermitteln, wie viele Ftiichen welcher Art dieser K6rper hat. Da wir wissen, wie das Kuboktaeder durch Abschleifen eines Wiirfels entsteht (s. Abbildung 30) und uns Fl/ichen- und Eckenzahl eines Wfirfels bekannt sind, k6rmen wir anschaulich argumentieren, dass aus den 8 Wiirfelecken 8 dreieckige Schnittfl/ichen entstehen. Von den 6 alten Wiirfelfl~ichen bleiben 6 quadratische Restfl/ichen fibrig. Man kann die Zahl der Seiten des Kuboktaeders aber auch mit dem Eulerschen Polyedersatz ermitteln: Sei n die Anzahl der Quadrate und m die Anzahl der Dreiecke. Darm gilt: f=n+m n Quadrate liefern 4n Ecken, m Dreiecke liefem 3m Ecken, das Kuboktaeder h/itte also 4n + 3m Ecken. Da in jeder Ecke aber 4 Fl~ichen zusammentreffen, haben wir die Ecken vierfach gez/ihlt. Also gilt: e = (4n + 3m) : 4 n Quadrate liefem 4n Kanten, rn Dreiecke liefern 3m Kanten, das Kuboktaeder h~itte demnach 4n + 3m Kanten. Da jede Kante aber zu zwei F1/ichen geh6rt, haben wir die Kanten doppelt geziihlt. Also gilt: k = (4n + 3m) : 2 Diese Gleichungen setzen wir in die Eulersche Formel e - k + f = 2 ein: 4n + 3m
4n + 3m - +n+m=2 4 2 4n+ 3m-8n-6m+4n+4m= 8 m= 8
/.4 / zusammengefasst
An jedes der 8 Dreiecke grenzen 3 Quadrate, also erhalten wir 24 Quadrate, wobei wir aber jedes vierfach gez/ihlt haben, da jedes Quadrat von vier Dreiecken umgeben ist. Das Kuboktaeder hat also 6 quadratische Seitenfl/ichen. Dieses Verfahren ist das der Wahl, wenn man die ,,Entstehungsgeschichte" des K6rpers nicht kennt und/oder evtl. nur einen Netzausschnitt vorgelegt bekommt.
62
2 Polyeder
Wie sieht der duale K6rper zum Kuboktaeder aus? Geht man vom Kuboktaeder zum dualen K6rper fiber, indem man jeweils die Mittelpunkte benachbarter F1/ichen durch neue Kanten verbindet, so stellt man zun/ichst fest, dass die Fl~ichen des neuen K6rpers Vierecke sind. Da jeweils ein Dreiecksmittelpunkt mit einem Quadratmittelpunkt verbunden wird, sind die vier Kanten der neuen Seitenfl~ichen wegen der Symmetrie des Kuboktaeders gleich lang. Der duale K6rper besteht also aus lauter Rauten. In jedem der sechs Quadrate des Kuboktaeders stof~en vier Rauten zusammen, die wir aber alle doppelt gez~ihlt haben, da jede Raute zu zwei Quadraten geh6rt. Der zum Kuboktaeder duale K6rper besteht also aus 12 Rauten. Es handelt sich um das Rhombendodekaeder (s. Abbildung 29). Haben Sie es bemerkt? Das Ergebnis ist zwar richtig, unsere Argumentation hat aber gleich zu Anfang einen gravierenden Schwachpunkt. Die vier benachbarten Seitenmittelpunkte eines Kuboktaeders liegen nicht in einer Ebene! Bei der Doppelpyramide im archimedischen Prisma trat dieses Problem nicht auf, da dort jeweils drei Seitenmittelpunkte miteinander verbunden wurden und drei Punkte immer in einer Ebene liegen. Aber auch da war uns schon aufgefaUen, dass diese Konstruktion nicht zu einer archimedischen Doppelpyramide ftihrte. Die Konstruktion funktioniert nur bei den platonischen K6rpem. Bei der Konstruktion dual-archimedischer K6rper muss man anders vorgehen. Zum einen kann man an die Umkugel, die jeder archimedischer K6rper besitzt, durch die Ecken des archimedischen K6rpers Tangentialebenen legen. Auf den Schnittgeraden zweier Ebenen durch benachbarte Punkte liegen die Kanten des dual-archimedischen K6rpers. Die Schnittpunkte der Kanten, also die Ecken des dual-archimedischen K6rpers liegen senkrecht fiber den Mittelpunkten der Fl~ichen des archimedischen K6rpers. Zum anderen kann man verwenden, dass die Kanten des dual-archimedischen K6rpers die Kanten des archimedischen K6rpers mittig im rechten Winkel kreuzen und dabei mit den fiberstrichenen Fl~ichengleich grofSe Winkel einschlieBen. Zum Schluss dieses Kapitels trainieren wir unser r~iumliches Vorstellungsverm6gen weiter. Stellen Sie sich einen Wfirfel vor, in dem sein dualer K6rper, das Oktaeder, so drinsteckt, dass dessen Ecken die Mittelpunkte der Wiirfelseiten beriihren. Jetzt lassen Sie das Oktaeder wachsen. Seine Ecken
2.3 Halbregul~ire Polyeder
63
durchstoBen die Wiirfelseiten, treten immer mehr hervor, solange bis die Oktaederkanten durch die Wiirfelkanten verlaufen (Abbildung 32). Diese Durchdringung ergibt sich natiirlich ebenso, wenn sie einen ins Oktaeder eingeschlossenen Wiirfel wachsen lassen.
Abb. 32
Abb. 33
Verbindet man die Spitzen dieses Durchdringungsk6rpers miteinander, so entsteht ... genau, das Rhombendodekaeder (Abbildung 33).
13bung:
1) Bestimmen Sie ffir die abgestumpften platonischen K6rper jeweils die Anzahlen der Ecken, Kanten und Fl/ichen.
2) Konstruieren Sie das Netz des abgestumpften Oktaeders mit der Kantenl~inge 4 cm und basteln Sie ihn aus Zeichenkarton. (Technische Hinweise s. lSbung 1 in Kapitel 2.1. Das Netz passt auf einen Bogen des Formats DIN A3.)
3) Das Rhombenikosidodekaeder besteht aus regelm/iBigen Drei-, Vier- und Fiinfecken, wobei in jeder K6rperecke Quadrat, Dreieck, Quadrat, Fiinfeck zusammenstoBen. Aus wie vielen F1/ichen besteht dieser K6rper?
4) Rechts sehen Sie einen Netzausschnitt des Rhombenkuboktaeders. Dieser K6rper besteht aus gleichseitigen Dreiecken und Quadraten, die Ordnung aller Ecken ist 4. Bestimmen Sie die Zahl der Dreiecke und Quadrate.
[---'] ~
["-'-]
64
3
Axiomatik
3.1
Zum Einstieg
Aus der Schule ist Ihnen bekannt, dass die Winkelsumme im Dreieck 180 ~ betr~igt. Falls Sie jemand fragt, warum das so ist, werden Sie vielleicht ein Bild wie das rechts zeichnen und erl~iutem, dass Wechselwinkel an Parallelen gleich groB sind und die drei Winkel or, 13 und 7 sich zu einem gestreckten Winkel, also zu 180 ~ erg/inzen.
C
# A
B
Aber: K6nnten Sie auf Nachfrage beweisen, dass Wechselwinkel gleich groB sind? Dies ware prinzipiell m6glich, wit werden das sp~iter auch tun. Aber sp~itestens bei der Nachfrage, wer uns denn garantiert, dass es durch den Eckpunkt C des Dreiecks genau eine Parallele zur Geraden AB gibt, miissten Sie passen. Das 1/isst sich nicht beweisen. Wir stoBen an dieser Stelle zum ersten Mal auf eine Setzung oder ein sogenanntes Axiom. Unter einem Axiom wollen wir einen von Fachleuten festgelegten konsensf~ihigen Grundsatz verstehen, der keines weiteren Beweises bedarf. In unserer Geometrie legen wir einfach fest: Es soll so sein, dass es durch einen Punkt aul3erhalb einer Geraden genau eine Gerade gibt, die die andere nicht schneidet. Unsere Bemiihungen, geometrische Erfahrungen zu erkl/iren, zu begriinden, Aussageketten aufzustellen wie ,,wenn das und das gilt, dann gilt aueh jenes, worans dann wieder dieses folgt usw." ist in der Geschichte der Menschheit ein noch relativ junges Ph~inomen. Schaut man sich die Mathematik der alten ,~gypter oder der Babylonier an (jeweils etwa im Zeitraum von 3000 v. Chr. bis etwa 200 n. Chr.), so findet man keine solchen Fragen nach dem warum. Der Satz des Pythagoras war den Agyptem und Babyloniem bekannt. Bei den regelm/iBig auftretenden lYoerschwemmungen durch den Nil bzw. Euphrat und Tigris musste immer wieder das Land neu vermessen werden, und zur Herstellung rechter Winkel wurde damals schon die Umkehrung des Satzes von Pythagoras benutzt I. Aus praktischen Bediirfnissen heraus haben die Wir verweisen hierzu auch auf Kapitel 6, Satz 20.
3.1 Zum Einstieg
65
Menschen solche Gesetzmal3igkeiten entdeckt und empirisch immer mad immer wieder best/itigt. Ein solches Vorgehen nennt man induktiv 2. Induktiv erh~ilt man z.B. den Satz v o n d e r Winkelsumme im Dreieck durch das m6glichst genaue Ausmessen m6glichst vieler verschiedenartiger Dreiecke. Schiller finden diesen Satz induktiv, wenn sie einer Vielzahl von verschiedenen Papierdreiecken die drei Innenwinkel abschneiden und dann feststellen, dass sich die ausgeschnittenen Teile stets zu einem gestreckten Winkel zusammenlegen lassen. Dieses induktive Vorgehen bringt allerdings zwei Probleme mit sich. Zum einen ist es prinzipiell unm6glich, alle Dreiecke auszumessen. Wie weit kann man also den Satz vonder Winkelsumme im Dreieck verallgemeinern? Gilt er auch fiir mikroskopisch kleine oder riesengroBe Dreiecke? Das andere Problem betrifft die Messgenauigkeit. Selbst bei noch so pr~izisen Messger/iten miissen wir immer einen Messfehler berficksichtigen. VieUeicht betr/igt die Winkelsumme im Dreieck nicht 180~ sondern 179,999995 ~ Wer kann das entscheiden? Etwa 600 v. Chr. gaben die Griechen (Thales, Pythagoras, Euklid, Hippokrates u.v.a.) der Mathematik ein neues Gesicht. Zus~itzlich zu dem ,,Was ist?" fragten sie ,,Warum ist das so?". Das war die Geburtsstunde der exakten Mathematik (/ibrigens auch die Geburtsstunde des Berufswissenschaftlerturns). Empirisch gefundene Gesetzm/if~igkeiten versuchte man durch logische Schl/.isse zu begriinden. Das nennt man deduktives Vorgehen. Am Anfang einer solchen Schlusskette (oder wenn man mit dem Satz vonder Winkelsumme anf~ingt und sich nach unten durchfragt am Ende einer Fragekette) stehen Aussagen, die man nicht beweisen kann. Es sind Kems/itze, Festlegungen, Setzungen, Grundannahmen, die man Axiome nennt. Zeitler (1972, 1973) vergleicht Axiome mit Spielregeln, z.B. des Schachspiels. Bevor wir Schach spielen k6nnen, miissen wir alle Regeln genauestens kennen. Wie werden die Figuren aufgestellt? Wie bewegen sie sich fiber das Brett? Wie schlagen sie? Was heiBt ,,patt"? Warm ist das Spiel beendet? usw. Solche Spielregeln sind willkiJrliche Festsetzungen, wir k6nnten die Schachregeln ja auch ganz anders formulieren und dann ein Spiel namens Schoch spielen. Damit das Spiel aber sinnvoll gespielt werden kann, mfissen die Beim induktiven Arbeiten gewinnt man einen Satz, eine Regel, eine Abstraktion aus der Betrachtung mehr oder weniger vieler Einzelf~ille. Die fr/ihe Physik oder die (AI-) Chemie sind Beispiele ftir induktiv vorgehende Wissenschaften.
66
3 Axiomatik
Regeln einigen Bedingungen genfigen. Die wichtigste ist die, dass sich die Regeln nicht widersprechen dfirfen. Und die Regeln mfissen vollstfindig sein, d.h. jede m6glicherweise irgendwann einmal auftretende Spielsituation muss mit den Regeln entscheidbar sein3. Augerdem sollte man nicht mehr Regeln als notwendig aufstellen. Jede Regel, die man aus anderen herleiten k6nnte, wollen wir uns sparen. An ein Axiomensystem stellen wir also die Forderung nach Widerspruchsfreiheit, Vollstiindigkeit und Unabhiingigkeit. Um fiberhaupt ein Axiom formulieren zu k6nnen, braucht man Objekte, fiber die man etwas aussagen will. Diese Grundelemente sind in der Geometrie Punkte und Geraden. Unsere ersten Axiome (Kapitel 3.2) sagen etwas aus fiber die Existenz von solchen Grundelementen und ihre wechselseitigen Beziehungen. Was wir aus unseren Axiomen herleiten k6nnen, heigt Satz. Und dann kennen Sie noch den Begriff der Definition. In einer Definition wird eine neue Bezeichnung eingefiihrt ftir einen Sachverhalt, der auch ohne diese Definition schon klar ist. Es geht also nur darum, durch einen neuen Namen oder ein neues Zeichen etwas knapp zu beschreiben, das man sonst tangatmig erl/iutem mfisste. Euklid4 war es, der die Bemfihungen der griechischen Mathematiker um eine Axiomatisierung der Geometrie zu einem Abschluss brachte. In einem 13b/indigen Werk mit dem Namen ,,Elemente" hat er das mathematische Wissen seiner Zeit zusammengetragen. Es enth/ilt das erste Axiomensystem unserer Geometrie, das fiber 2000 Jab_re lang die Grundlage des Geometrieunterrichts in Schulen und Universit/iten darstellte. Euklid selbst nannte die Axiome ,,Postulate". Sie waren filr ihn Formulierungen yon Selbstverst~indlichkeiten der Anschauung, wie z.B. ,,Durch zwei Punkte kann man stets eine gerade Linie ziehen." Die in dieser Aussage anftretenden Begriffe ,,Punkt" und ,,gerade Linie" hat Euklid definiert: ,,Ein Punkt ist, was keine Teile hat. Eine Gerade ist eine Linie, die gleich liegt mit den Punkten anf ihr setbst." (Meschkowski 1980, S. 87) Sie erkennen sicher selbst, dass solche Definitionen die Sache nicht klarer machen, denn unbekannte Begriffe werden durch nicht weniger unklare andere Begriffe erl~iutert. Zudem hat Euklid selbst sp/iter auf diese Art der Definitionen nicht mehr zurfickgegriffen.
Vielleicht haben Sie auch Erfahrungen mit neuen Gesellschaftsspielen, bei denen Sie im Laufe des Abends ad hoc eigene Spielregeln erfinden mussten, weil Sie sich in eine Spielsituation hineingespielt haben, fiir die die Spielentwickler keine Regel angegeben haben. Eukleides von Alexandria, um 300 v. Chr., griechischer Mathematiker
3.1 Zum Einstieg
67
Die modeme Mathematik verzichtet von daher auf Definitionen solcher Grundbegriffe. Noch in einem weiteren Punkt sind die Mathematiker in der Geometrie fiber Euldid hinausgegangen. Euklid benutzte in seinen Beweisen nicht nur die yon ihm formulierten Axiome, sondern unbewusst Tatsachen, die er der Anschauung entnahm, aber nicht als Axiom formulierte. In diesem Sinne war Euklid's Axiomensystem noch nicht das vollstandige System, das der von ihm beschriebenen Geometrie tats/ichlich zugrunde liegt. Diese Lficken •llte erstmals der deutsche Mathematiker Pasch s. Aber auch fiir Pasch waren die Axiome noch ,,aus der Anschauung herausgesch~ilte ,Grunds/itze'" (Meschkowski 1980, S. 136). Wenige Jahre sp~ter hat Hilbert6 in seinem Buch ,,Grundlagen der Geometile" (1899) dem Axiomensystem der euklidischen Geometrie die heute g~ingige Form gegeben. Ihm verdanken wires, dass wir Axiome heute einfach als Setzungen interpretieren, die nicht mehr an unsere Anschauung gebunden sind. Auch die Grundbegriffe wie Punkte und Geraden werden yon ihrer anschaulichen Bedeutung abgekoppelt. Bei einem Gespr~ich in einem Berliner Wartesaal sagte Hilbert: ,,Man muss jederzeit an Stelle yon ,Punkten, Geraden, Ebenen', ,Tische, Stfihle, Bierseidel' sagen k6nnen." (nach Meschkowski 1980, S. 136). Charakteristisch ffir Hilberts Axiomensystem ist der AuPoau aus mehreren Axiomengruppen: Axiome der Verkniipfung oder Inzidenz, Axiome der Anordnung, Axiome der Kongruenz, Axiome der Parallelen, Axiome der Stetigkeit. Diese Ordnung erm6glicht einen schrittweisen Aufbau der Geometrie, der yon sehr allgemeinen Aussagen wie den S~itzen der Inzidenzgeometrie zu inhaltlich reichhaltigeren S/itzen fortschreitet, z.B. zu den Kongruenzs~itzen. Jede neue Axiomengruppe erm6glicht es also, mit den vorangehenden zusammen eine Reihe von neuen S/itzen herzuleiten. Dabei wird deutlich, welche S/itze etwa zu ihrer Herleitung noch nicht das gesamte Axiomensystem ben6tigen. Bemerkenswert ist weiter, dass Hilbert das Parallelenaxiom erst Moritz Pasch, 8.11.1843 - 20.9.1930 David Hilbert, 23.1.1862 - 14.2.1943, deutscher Mathematiker, vermutlich der letzte Mathematiker, der sich noch in allen Teilgebieten seiner Wissenschaft auskannte.
68
3 Axiomatik
sehr sp/it einfiihrt. Dadurch wird es m6glich, vorher ein System geometrischer S/itze zu entwickeln, die sogenannte absolute Geometrie, die sowohl in der euldidischen wie in der nicht-euklidisehen Geometrie giiltig sind. Aus didaktischen Griinden und da es uns nur um den axiomatischen Aufbau der euklidischen Geometrie geht, werden wir allerdings das Parallelenaxiom sehr friih einfiihren. Dieses Parallelenaxiom hat die Mathematiker sehr lange vor grol3e Rhtsel gestellt. Es war eine geniale Leistung Euklids, dass er es als Postulat, also als eine nicht beweisbaren Grundannahme, formulierte. 2000 Jahre lang hatten die Mathematiker den Verdacht, es miisse sich aus den iibrigen Axiomen herleiten lassen. Viele haben vergebens versucht, es zu beweisen, z.B. der ungarische Mathematiker Wolfgang yon Bolyai. Auch dessen Sohn Johann hatte sich dem Parallelenproblem verschrieben, trotz der folgenden vhterlichen Warnung: ,,Ich beschw6re Dich bei Gott! lass die Parallelen in Frieden. Du sollst davor denselben Abscheu haben wie vor einem liederlichen Umgang ... Es ist unbegreOqich, dass diese unabwendbare Dunkelheit, diese ewige Sonnenfinsternis, dieser Makel in der Geometrie zugelassen wurde, diese ewige Wolke an derjung)Criiulichen Wahrheit " (Meschkowski 1980, S. 40). Mit dem Makel meinte Bolyai die Unbeweisbarkeit des Parallelenaxioms.
Zum Gliick folgte der Sohn dem vhterlichen Rat nicht. Er verfolgte stattdessen den Gedanken, dass das Parallelenaxiom wirklich ein Axiom sei, es also auch eine Geometrie geben k6nne, in der dieses Axiom nicht gilt. Etwa 1825 hatte er eine nicht-euklidische Geometrie in den Gmndzfigen entworfen. Sein Vater riet ihm, die Ergebnisse m6glichst bald zu ver6ffentlichen. Wieder folgte der Sohn dem Rat seines Vaters nicht, diesmal zu seinem Nachteil, denn 1826 ver6ffentlichte der russische Mathematiker Nicolai Iwanowitsch Lobatschewsky eine hhnliche Abhandlung, fiinf Jahre, bevor Bolyai seine Ergebnisse dann endlich publizierte. Jedenfalls lag die nicht-euklidische Geometrie zu Anfang des 19ten Jahrhunderts wohl in der Luft. Auch der deutsche Mathematiker Carl Friedrich Gauss hat sich mit dieser Frage besch/iftigt.
3.2 Inzidenzgeometrie
3.2
69
Inzidenzgeometrie
Unsere Grundbegriffe sind also die Ebene ~:, die wir als eine Menge von Punkten auffassen. Bestimmte Teilmengen yon H: nennen wir Geraden. Die
Punkte bezeichnen wir mit Grol3buchstaben, P = {A, B, C, D, ...}, die Geraden mit kleinen Buchstaben, G = {a, b, c, d, ...}, oder durch die Angabe zweier Punkte, die auf der Geraden liegen. Die beiden Mengen ~ und G seien disjunkt. Ein Punkt und eine Gerade k6nnen zueinander in einer Beziehung stehen, die wir lnzidenz nennen und durch das Zeichen ,,e" oder ,,~" ausdriicken. A ~ a oder auch a ~ A heii3t dann ,,A inzidiert mit a", ,,A liegt aufa", ,,A ist Element yon a" oder ,,a geht durch A". Inzidieren ein Punkt und eine Gerade nicht miteinander, so verwenden wir das Zeichen ,,~". Es gilt immer: Entweder A 9 a oder A ~ a. Die Menge aller Inzidenzpaare (A,a) bilden eine echte Teilmenge yon P• G, wir haben es also mit einer Relation zu tun. Wir stellen diese Relation durch Graph und Tabelle dar. Beispiel:
Inzidenzgraph E
c
d
A
lnzidenztafel C
b
a
B
a b c d
A + 0 0 +
B + + 0 0
C 0 + + 0
D 0 0 + +
(vgl. Kapitel 1.2)
Wir k6nnen jetzt die ersten Axiome, die Inzidenzaxiome, formulieren: I1
Zu zwei verschiedenen Punkten gibt es genau eine Gerade, die mit beiden Punkten inzidiert. Formal: VA, B e ~ m i t A ~ B g i l t : 3 a e G , sodass A e a
/x B 9
12 Zu jeder Geraden gibt es mindestens zwei verschiedene Punkte, die mit dieser Geraden inzidieren. Formal: V a 9 3 A,B 9 ~ m i t A r sodass A 9 /x B 9 13
Es gibt drei verschiedene Punkte, die nicht alle mit derselben Geraden inzidieren. Formal: 3 A , B , C 9 P m i t A ~ B e C , s o d a s s A 9 ^ B 9 /x C ~ a
70
3 Axiomatik
Punkte, die auf derselben Geraden liegen, heissen kollinear. Das Axiom I 3 k6rmte man auch so formulieren: Es gibt drei Punkte, die nicht kollinear sind. Die beiden ersten Inzidenzaxiome sind ,,wenn-dann-Aussagen", Wenn es zwei Punkte gibt, dann gibt es auch eine Gerade durch die beiden. Werm es eine Gerade gibt, dann liegen auf dieser auch zwei Punkte. Diese Aussagen sind auch dann wahr, wenn es iiberhaupt keine Punkte und Geraden gibt. Die Existenz von Punkten (und damit auch von Verbindungsgeraden) wird im dritten Axiom gefordert. Wir wollen nun das kleinste Modell aufstellen, das unseren ersten drei Axiomen gen/igt. Wegen 1 3 gibt C es drei verschiedene Punkte, die nicht auf einer / r ~ Geraden liegen. Wir nennen sie A, B, C. Wegen des ersten Inzidenzaxioms gibt es zu A und B, zu A und C sowie zu B und C jeweils genau eine Gerade. Damit gibt es also drei Geraden a, b, c. Auch I 2 ist A a B erfiillt, denn auf jeder dieser Geraden liegen zwei Punkte. Unser Minimalmodell besteht also aus drei Abb. 34 Punkten und drei Geraden (Abbildung 34). Beachten Sie, dass derzeit nur dort Punkte existieren, wo wir sie ausdriicklich durch einen Kreis markieren. Die Gerade a besteht nur aus den beiden Punkten A und B.
/\
Ein weiteres Modell ist das Neun-PunkteModell (Abbildung 35). Wir verbinden zun/ichst A und B durch eine Gerade, die auch noch durch C laufen soil. Wir verbinden dann A mit D und G, und eine weitere Gerade legen wir durch A, E und I. Jetzt ist A mit allen Punkten verbunden auBer mit F u n d H. Wir erledigen das durch die Gerade d, die A, H und F enth~ilt. B ist bereits mit A und C verbunden. Wir legen noch eine Gerade durch B, E und H. Eine weitere Gerade verbindet D, B und I, und eine legen wir noch dutch B, F u n d G. Jetzt ist auch B mit allen Punkten verbunden.
l
Abb. 35
Wir vervollst/indigen unser Modell durch eine Gerade durch C, E und G, eine Gerade durch C, F u n d I und eine durch C, D und H. D ist bereits mit allen
3.2 Inzidenzgeometrie
71
Punkten auBer mit E und F verbunden, wir legen also eine weitere Gerade durch D, E und F. E hat zu allen Punkten eine Verbindungsgerade, ebenso F. Wenn wir jetzt noch eine letzte Gerade durch G, H und I legen, darm haben wir Axiom I 1 erfiillt. Axiom 1 2 ist ebenfalls erfiJllt, im Neun-Punkte-Modell liegen auf jeder Geraden sogar drei Punkte. I 3 ist erftillt, z.B. liegen A, B und D nicht alle auf einer Geraden. Wir haben 9 Punkte und 12 Geraden. Wir wollen uns nun zwei weitere Modelle ansehen, die der nichteuklidischen Geometrie entstammen, in denen unsere drei Inzidenzaxiome jedoch ebenfalls gelten. Beim M o d e l l y o n K l e i n z (,,Bierdeckelgeometrie") besteht die Menge ~ aus allen Punkten innerhalb des Einheitskreises, die Kreislinie geh6rt also nicht dazu, die Geradenmenge G besteht aus allen Sehnen innerhalb des Einheitskreises. Da hier ~ und G unendliche Mengen sind, k6nnen wir sie durch unsere Darstellungsformen nut unvollst~indig wiedergeben. Abbildung 36 diene trotzdem der ,,Veranschaulichung". Beim M o d e l l v o n P o i n c a r ~ ~ besteht P aus allen Punkten oberhalb der x-Achse, die Achse selbst geh6rt also nicht dazu, die Menge G besteht aus allen Halbkreisen oberhalb der x-Achse sowie allen Halbgeraden oberhalb der x-Achse, die senkrecht zur x-Achse sind. Auch bier sind P und G unendliche Mengen, trotzdem diene Abbildung 37 der ,,Veranschaulichung". Die ,,Verbindungsgerade" zu zwei Punkten A und B, die nicht auf einer Halbgeraden liegen, konstruiert man im Modell von Poincar6 wie in Abbildung 38 beschrieben. Sie ist ein Halbkreis.
Abb. 36
/ X
Abb. 37
> Abb. 38
Zum Nachweis der Unabh~ingigkeit eines Axiomensystems betrachtet man Modelle, bei denen jeweils alle Axiome bis auf eines erfiillt sind. Ist man in der Lage, ein solches Modell anzugeben, so kann das eine Axiom keine Von dem deutschen Mathematiker Felix Klein, 25.4.1849 - 22.6.1925, stammt u.a. die folgende Aussage: ,,Wenn ein Mathematiker keine Ideen mehr hat, treibt er Axiomatik." Henri Poincar6, 29.4.1854 - 17.7.1912, franz6sischer Mathematiker
72
3 Axiomatik
logische Folge der anderen Axiome sein. Wir zeigen auf diese Weise die Unabh~ingigkeit unserer drei Inzidenzaxiome:
I 1 und 1 2 erffillt, 1 3 nicht erfiillt
1 1 und 1 3 erftillt, 1 2 nicht erftillt
1 2 und 1 3 erftillt, I 1 nicht erftillt
So schmalbriistig unser Axiomensystem bisher auch ist, wir k6nnen trotzdem schon die ersten S~itze ableiten. Satz 1:
Zu zwei verschiedenen Geraden gibt es h6chstens einen Punkt, mit dem beide inzidieren.
Bewels:
Es seien a und b zwei Geraden mit a ~ b. Wir gehen indirekt vor und nehmen an, es g~ibe mehr als einen gemeinsamen Punkt von a und b. Seien also A und B zwei verschiedene Punkte mit A E a und B ~ a sowie A e b und B ~ b. Nach Axiom I 1 folgt dann a = b, was im Widerspruch zur Voraussetzung a ~ b steht. Es kann also nicht mehr als einen gemeinsamen Punkt geben. Satz 2:
Zu jedem Punkt gibt es mindestens eine Gerade, die mit ihm inzidiert.
Beweis:
Sei A ein beliebiger Punkt. Nach 1 3 gibt es mindestens einen weiteren Punkt B. Nach I 1 gibt es eine Gerade a mit A E a und B ~ a. Es gibt also keine isolierten Punkte.
Obung:
1) Welche der Inzidenzaxiome sind jeweils erfiillt? a)~~ 0}. Fiir alle x, y ~ N, x, y >- 0 definieren wir: 1. x c m = y c m x = y 2. x c m < y c m x < y 3. x c m + y c m = ( x + y ) cm 4. x. (y cm) = (x. y) cm
Jeder Strecke AB wird durch die L~ingenmagfunktion ,,1" ein Element der Menge [1_,die L/inge der Strecke AB, zugeordnet, die wir als I(AB) schreiben. Ffir die L/ingenmessung verlangen wir die Liingenmafiaxiome (LMA): LMA 1
Wenn P ein Punkt der Strecke AB ist, dann gilt: 1( AB ) = 1( AP ) + 1( PB ). A
LMA 2
Wenn ein Punkt P nieht aufder Strecke AB liegt, dann gilt: 1( AB ) < 1( AP ) + 1( PB ).
LMA 3
Zu jeder Halbgeraden a mit dem Anfangspunkt A und zu jeder L/inge r ~ fl_ gibt es mindestens einen Punkt P, so dass P ~ a und 1( AP ) = r.
A
A
88
3 Axiomatik
Eine unmittelbare Folgerung aus den beiden ersten Lgngenmagaxiomen ist die sogenannte Dreiecksungleichung: Fiir drei beliebige Punkte A, B, C d e r Ebene gilt stets 1( AB ) _< i( AC ) + 1( CB ). Ebenso gelten die Umkehrungen der beiden ersten L~ingenmagaxiome. SchlieBlich folgern wir noch Satz 6:
Fiir beliebige Punkte A, B d e r Ebene gilt: I(AB)=0 r A=B
Beweis:
, , ~ " Voraussetzung: A = B. Zu zeigen: 1( AB ) = 0 Wir nehmen einen beliebigen weiteren Punkt C hinzu. Da A = B gilt, gilt auch B c A C . 1( AC ) = 1( AB ) + 1( BC ) / LMA I I ( A C ) = I(AB) + I ( A C ) / I(BC) = I(AC), d a A = B I(AB)= 0 , , ~ " Voraussetzung: 1( AB ) = 0. Zu zeigen ist A = B Wir nehmen an, A und B w~iren verschieden, und betrachten einen weiteren Punkt C, der nieht aufder Strecke AB liegen soll. Damit gilt dann auch, dass B nicht auf AC liegt und A nicht auf BC. Dann gilt: I(AC)< I(AB)+I(BC) A I(BC)< I(AB)+I(AC) I(AC)< I(AB)+I(BC)< I(AC ) < I ( A C )
(1)
/ L M A 2 , B ~ AC
(2)
/ L M A 2 , A ~ BC
I(AB)+ (I(AB)+I(AC)) / (1), (2) / I(AB) = 0
Das ist ein Widerspruch, unsere Annahme war falsch, A muss gleich B sein. Als weiteren Satz zeigen wir, dass die Aussage unseres dritten LS_ngenmagaxioms verschfirfl werden kann. Satz 7:
Zu jeder Halbgeraden a mit Anfangspunkt A und zu jeder L~inge r ~ U_gibt es genau einen Punkt P, so dass P ~ a und 1( AP ) = r.
Beweis: Durch LMA 3 ist sichergestellt, dass mindestens ein solcher Punkt P existiert. Wir miissen also nur noch zeigen, dasses h6chstens einen solchen Punkt gibt.
3.6 L~ingen- und Winkelmessung
89
Dazu nehmen wir an, es g~ibe einen zweiten Punkt R, R ~ P, der wie P auf der Halbgeraden a liegt und fiir den 1( AR ) = r gilt. F/Jr die Lage von R gibt es zwei M6glichkeiten: Entweder liegt R zwischen A und P oder R liegt so, dass P sich zwischen A und R befindet. Diese F~ille untersuchen wir getrermt: 1.
Fall:R ~ AP I(AP) = I(AR) + I(RP)
/LMA1
r=r+l(RP) 0 = I(RP) R=P
/ I(AP) = I(AR) = r /-r / Satz 6
was einen Widerspruch zu R r P darstellt. 2.
Fall:P c AR 1( AR ) = 1( AP ) + 1( PR )
/ LMA 1
r=r+l(PR)
/ I(AP) = I(AR) =r
0=I(PR) P=R
/-r / Satz 6
Das stellt ebenfalls einen Widerspruch zu R ~ P dar. Unsere Annahme ist in beiden Fallen zu verwerfen, P ist eindeutig bestimmt.
Analog zu unserem Vorgehen bei der L~ingenmessung definieren wir jetzt die Menge Waller Winkelgr6Ben, erkl/iren die Relationen ,,=" und ,, 360 ~
WMA 3
W e n n b c El 17 , dann gilt: w(a,b) < 180 ~
W M A 4 Zu jeder Halbgeraden a und zu jeder Winkelgr613e w(ot) mit 0 ~ < w(et) < 360 ~ gibt es genau eine Halbgerade b, so dass w(a,b) = w(ot).
Unsere WinkelmaBfunktion w hat, anders als die L~ingenmalffunktion 1, nicht die gesamten positiven reellen Zahlen als Wertebereich. W~ihrend jede reelle Zahl > 0 als Mal3zahl einer Streckenl~inge auftreten kann, lassen wir durch W M A 1 nur reelle Zahlen x mit 0 _<x < 360 als Mal3zahlen fiir Winkelgr6Ben zu. Damit wir aber, wie in Definition 9, Punkt 3 definiert, beliebige Winkelmal3e addieren k6nnen, z.B. w(a,b) = 300 ~ und w(b,c) = 100 ~ ben6tigen wir W M A 2. Danach gilt: w(a,c) = 300 ~ + 100 ~ - 360 ~ = 40 ~ Eine unmittelbare Folgerung aus W M A 3 ist, dass konvexe Winkel kleiner als 180 ~ sind und iibersmmpfe Winkel gr613er als 180 ~ W M A 4 stellt sicher, dass wir an eine gegebene Halbgerade eindeutig einen Winkel vorgegebener Gr613e antragen k6nnen. Eine Folgerung aus W M A 4 stellt der folgende Satz dar: Satz 8:
1. w ( a , b ) = w(a,c) ~
b=c
2. w(x,a)= w(y,a) ~
x =y
Mit den uns jetzt zur Verffigung stehenden WinkelmaBen k6nnen wir die besonderen Winkel aus dem letzten Abschnitt auch durch ihre Winkelgr6Ben klassifizieren (s. Abbildung 50). Zus~itzlich unterscheiden wir die konvexen Winkel wie fiblich noch in spitze, stumpfe und rechte Winkel.
17 vgl. Definition 5
3.6 L/ingen- und W i n k e l m e s s u n g
Nullwinkel: w(a,b) = 0 ~
91
spitzer Winkel: 0 ~ < w(a,b) < 90 ~ a
a=b
v
stumpfer Winkel: 90 ~ < w(a,b) < 180 ~
gestreckter Winkel: w(a,b) = 180 ~
b
a
a
rechter Winkel: w(a,b) = 90 ~
fiberstump fer Winkel: 180 ~ < w(a,b) < 360 ~
a
Abb. 50 A u c h fiber Scheitelwinkel und N e b e n w i n k e l 1/isst sich eine Aussage formulieren, die Ihnen aus der Schule bekannt ist:
Satz 9:
1. Scheitelwinkel haben gleiches WinkelmaB. 2. Die Winkelgr6Ben von N e b e n w i n k e l n erg~inzen sich zu 180 ~.
Beweis: 1. W i r betrachten das Scheitelwinkelpaar "~(al,bl) und "~(a2,b2). N a c h Definition 7 shad dann al, a2 sowie bl, b2 komplementfire Halbgeraden. Also gilt mit W M A 2: (1) w(aba2) = 180 ~ = w(al,bl) + w(bba2) (2) w(bbb2) = 180 ~ - w(bl,a2) + w(aE,b2) W i r setzten (1) und (2) gleich und erhalten: w(abb~) + W(bl,a2) = w(bl,a2) + w(a2,b2) w ( a b b 0 = w(a2,b2) / - w(bba2)
[b2
92
3 Axiomatik
2. In der Abbildung rechts sind "~(abb0 und ~(bl,a2) ein Nebenwinkelpaar, ebenso wie
Das Bitddreieck AX'Y'Z' hat einen anderen Umlaufsinn als das Urbild AXYZ, die gesuchte Ersatzabbildung k6nnte also eine Geradenspiegelung oder eine Gleitspiegelung sein.
C
Z'
~ cl
' illlllllli---i ............ z**
u'TM
y1
C
X
Abb. 65a In Sc ~ Sb o Sa stellt
Sb
o Sa
z
a,
y
v-~
nach Satz 4 die Drehung DM.2.w(a,.b0dar.
Nach der Folgerung aus Satz 4 k6nnen wir Sb o Sa auch dutch die Verkettung zweier anderer Geradenspiegelungen darstellen, wenn deren Geraden sich ebenfalls in M schneiden und die auf ihnen ausgezeichneten Halbgeraden einen Winkel gleicher Gr6Be miteinander bilden, wie die entsprechenden auf a und b ausgezeichneten Halbgeraden. In Sc ~ Sb ~ Sa ersetzen wir Sb o Sa durch Sc o Sd und erhalten Sc ~ Sc o Sd (Abbildung 65b). Nach Satz I wissen wir, dass die Geradenspiegelung eine involutorische Abbildung ist. I n S ~ o S~ o Sd istS~o S~also die identische Abbildung id und wir erhalten: S~ o Sb o S. = Sa.
J
. . . .
M C
Abb. 65b
132
4 Abbildungsgeometrie
A ?
iii
: .... ...........
d
'
-
-
X
Abb. 65c
Y
Die Verkettung der Geradenspiegelungen So o Sb o S a ' deren Geraden sich in einem Punkt M schneiden, ist also eine Geradenspiegelung Sd (vgl. Abbildung 65c). Dabei geht d ebenfalls durch M. Wir formulieren die in dieser Hinf/ihrung gewonnene Erkenntnis in Satz 6.
Satz 6:
Dreispiegelungssatz (Teil b) Seien a, b, c Geraden, die sich in einem Punkt M schneiden. Dann ist die Verkettung Sc o Sb o Sa eine Geradenspiegelung Sd. Dabei geht die Achse d ebenfalls durch M. ScoSb oSa=Sd m i t a ~ b n c ~ d = { M }
Konstruktion yon d:
G1
1. Den Punkt M festlegen. 2. Die Geraden a, b, c durch M zeichnen und auf ihnen die Halbgeraden at, bi, cl mit Anfangspunkt M auszeichnen. 3. Die Halbgerade d~ mit Anfangspunkt M zeichnen fiir die gilt: w(dbc0 = w(al,bt) oder w(cl,d0 = -w(al,bl) 4. Die Tr~igergerade d zu dl zeichnen.
bL "al
a
b dc
4.2.2 Verkettung yon Kongruenzabbildungen
133
Beweis: Seien al, bt, ci Halbgeraden aufa, b, c mit gemeinsamem Anfangspunkt M. Dann gilt:
Sc o Sb o Sa = Sc o DM,2.w(al,bl ) =
Sc o DM,2.w(d),c0
=S~o(S~oSd) = (Sco
S c ) o Sd
= Sd
/ Satz 4, da a n b : {M} , wobei dl Halbgerade mit Anfangspunkt M und w(dl,cl) = w(abb0; (vgl. Folgerung aus Satz 4) / Satz 4, wobei d Tr~igergerade von dl / AG fiir "o" yon Abbildungen / Satz la; Sg o Sg = id
Die Aussagen der bewiesenen S~itze 5 und 6 werden in der Regel zu einem Satz, dem Dreispiegelungssatz, zusammengefasst:
S~itze 5 und 6:
Dreispiegelungssatz Die Verkettung von drei Geradenspiegelungen, deren Geraden sich in genau einem Punkt schneiden oder die alle parallel zueinander sind, ist eine Geradenspiegelung: S~oSb oS~=Sd
mit a ~ b ~ c n d =
{M} oder a [[b [[c ][d.
In dieser Form stellt der Dreispiegelungssatz lediglich die Existenz einer Ersatzspiegelung Sd sicher. Die in Satz 7 vorgenommene Umformulierung des Dreispiegelungssatzes gibt dariiber hinaus Hinweise auf die Lage der Geraden. Abbildung 66b veranschaulicht die Lage der Geraden d und d' ~ r den Fall a n b n c = {M}, Abbildung 66a •r den Fall a II b II c. aT Sd' 0 Sc Sb 0 S a
S~ oSd
b
;
c
,,'"
b a
'd' -'~'M
Abb. 66a
~,~ o
] o
: 'd
c
Abb. 66b
'
a
134
4 Abbildungsgeometrie
Satz 7:
GiltfiirdreiGeraden dann gibt es stets
anb~c=
{M} oder a [I b l[ c,
I. eineGeraded, sodass
Sb ~
II. eine Gerade d', so dass
Sb o Sa = Sd' o S~ .
= Sc~
und
Beweis:
Voraussetzung: a ~ b ~ c = {M} oder a 1[ b I1 c zuI. Wenden wir den Dreispiegelungssatz auf die Verkettung Sc o Sb o Sa an, was wir laut Voraussetzung d/irfen, so folgt: Sc o Sb o Sa = Sd
Verkniipfen wir beidseitig links mit Sc, so erhalten wir: Sc o Sc o Sb o Sa
= Sc o Sd
(So o So) o Sb o Sa = S~ o Sd ::~
Sb o Sa
= Sc o Sd
/ AG fiir ,,o" von Abbildungen (*)
/ Satz la; Sg o Sg = id
zu II. Wenden wir den Dreispiegelungssatz auf die Verkettung S b o Sa o Sc an, was wir nach Voraussetzung diirfen, so folgt: Sb~
oS~=Sd,
Verknfipfen wir beidseitig rechts mit S~, so erhalten wir: Sb~176
~
= Sd'~
Sb o Sa o (So o S0) = Sd' ~ S0 Sb~
= Sd'~
/ (AG ftir ,,o" von Abbildungen) (**) / S a t z l a ; S g o S g = i d
Aus (*) und (**) folgt die Behauptung.
Hinfiihrung zu Satz 8
Nachdem wir im Dreispiegelungssatz geklfirt haben, dass sich die Verkettung von drei Geradenspiegelungen, deren Geraden sich alle in einem Punkt schneiden bzw. alle parallel zueinander sind, durch eine Geradenspiegelung ersetzen l~isst, betrachten wir die zu Beginn dieses Unterkapitels herausgestellten F/ille 3 und 4 und fragen:
4.2.2 Verkettung von Kongruenzabbildungen
135
Durch welche Ersatzabbildung 1/isst sich die Verkettung von drei Geradenspiegelungen Sc o Sb o Sa ersetzen, deren Geraden nicht den Bedingungen des Dreispiegelungssatzes geniigen? Wir werden in Satz 8 behaupten, dass die Verkettung derartiger Gemdenspiegetungen eine Gleitspiegelung ist. Bei Betrachtung der Geraden a, b, c und den auf ihnen ausgezeichneten Halbgeraden a~, bl, c~ scheint diese Behauptung jedoch gar nicht nahe zu liegen. Wir versuchen diesen Zusammenhang zun/ichst unter lockerer Heranziehung der Beweisidee zu verstehen. Dabei werden wir intensiven Gebrauch yon Satz 7 (bzw. der Folgerung aus Satz 4) machen.
In Sr o Sb o S~ stellt Sb ~ S~ eine Drehung um P mit dem DrehmaB 2.w(al,b0 dar, die wir nach der Folgerung aus Satz 4 auch durch ein geeignetes anderes Geradenpaar ersetzen k6nnen.
Cl
C
\
Anders argumentiert: Nach Satz 7 gibt es zu a, b und b' eine Gerade a', so dass
b I I
Sb o Sa = Sb, o Sa, "
Dabei wahlen wir b' demrt, dass b' _1_c.
\ aI
,..."
ci
--
.:"
Also: Sc o ( S b o Sa ) =
\
Q] b'
Sc o ( S b, o S a , ) ,
wobei fiir die Halbgeraden al', bl' auf a', b' gilt: w(at',bl') = w(abbl).
"
Wir nutzen die Assoziativit/it von Abbildungen und klammern um: Sc o (S b, o Sa,) = (S c o Sb,) o Sa,
Wir lassen a' unvcr/indcrt. S0 o Sb, stcllteine Drchung urn Q urn 180 ~ dar. Wie oben kann auch diese Drehung wieder dutch ein anderes
136
4 Abbildungsgeometrie
zueinander senkrechtes Geradenpaar ersetzt werden, dessen Schnittpunkt ebenfalls Q ist. '~
~ja~' i
a' ........~
i*
Anders argumentiert: Nach Satz 7 gibt es zu c, b' und c' eine Gerade b", so dass Sc o Sb' = Sb,, o Se. Dabei w/ihlen wir c' derart, dass c' [I a'. Wir erhalten sehlieglich: (S c o Sb,) o Sa, = (Sb,, o So,) o Sa, = Sb" o (se o s~,) = Sb,. o V a~,2.1(R~) = G b".RQ.2.1(RQ)
Wir fassen die gewonnene Erkenntnis in Satz 8 zusammen. Satz 8:
Die Verkettung dreier Geradenspiegelungen Sr o Sb ~ Sa an Geraden, die den Voraussetzungen des Dreispiegelungssatzes nicht gentigen, ist eine Gleitspiegelung.
Konstruktion 1. Die Geraden a, b, c mit a ~ b = {P} zeichnen. 2. Die Senkrechte b' zu c durch P zeichnen; b ' ~ c = {Q}. 3. Die Gerade a' durch P zeichnen fiir die gilt: w(a',b') = w(a,b). 17 4. Die Senkrechte b" zu a' durch Q zeichnen; a' c~ b" = {R} . 5. Die Senkrechte c' zu b" durch Q zeichnen.
b"
b b' \. / .../a
,
/" \ t ',, c, ]~.~~'i'Si-...... ~
C
17 Nat/irlich werden Winkel trod Winkelgr6fien fiber Halbgeraden festgelegt. Exakt mtissten auf den Geraden zun~ichst Halbgeraden ausgezeiehnet werden und danaeh Aussagen fiber Winkel (-gr6Ben) aufgestellt werden. Wir verzichten an dieser Stelle zugunsten der Lesbarkeit hierauf.
4.2.2 Verkettung yon Kongruenzabbildungen
Beweis:
137
z.z.: Sc o Sb o Sa ist eine Gleitspiegelung.
Es gilt: Sc o Sb o Sa Sc o ( Sb, o Sa, )
wobei gilt: w(b',c) = 90 ~, a' ~ b' = {P}, w(a',b') = w(a,b) und b'c~ c = {Q} / Satz 7
=
( Sc o Sb, ) o Sa,
/ AG fiir "o" von Abbildungen
=
DQ,180oo Sa'
/ Satz 4 J8
=
( Sb,, o Sc, ) o Sa,
mit w ( c ' , b " ) = 9 0 ~, c ' ~ b " = und b " n a ' = {R} / Satz 4
=
Sb,, ~ ( S o , ~ S . , )
/ AG flit "o" von Abbildungen
=
Sb,,O v - -
m i t R Q 1[ b", daR, Q ~ b"
=
-RQ.2.1(RQ)
{Q}, c' 11 a'
/ Satz 3, da c' 1[ a' =
Gb", RO,2-1(RQ)
/ Def. 7 (Gleitspiegelung)
Die Verkettung von mehr als drei Geradenspiegelungen Wir schauen zurtick und fassen zusammen: Die Verkettung zweier Geradenspiegelungen ist eine Verschiebung oder eine Drehung, je nachdem, ob die beiden Geraden parallel zueinander sind oder sich in genau einem Punkt schneiden 19. Die Verkettung dreier Geradenspiegelungen ist eine Geradenspiegelung, wenn die drei Geraden parallel zueinander sind oder sich in genau einem Punkt schneiden 2~ sonst eine Gleitspiegelung 21.
Auf diesen Beweisschritt kann auch verzichtet werden. Wie lautet dann die Begr/indung des folgenden Schrittes? ~9 Vergleichen Sie hierzu die S~itze 3 und 4. 20 Vergleichen Sie hierzu die Satze 5, 6 und 7. 21 Vergleichen Sie hierzu Satz 8.
138
4 Abbildungsgeometrie
Diese kleine Zusammenfassung ist geradezu darauf angelegt, die n~ichste Frage Welche Ersatzabbildung(en) k6nnen wir ffir die Verkettung von vier Geradenspiegelungenangeben? zu stellen, auch wenn an dieser Stelle bei vielen unserer Studierenden - und sicherlich auch unserer Leser - fortgeschrittene Faltenbildung in der oberen Gesichtsh~ilfte uniibersehbar wird. Zum Trost und zur Motivation stellen wit Ihnen ein baldiges und unerwartetes happy end dieses Fragealgorithmus in Aussicht.
Satz 9:
Die Verkettung von vier Geradenspiegelungen kann immer als Verkettung von zwei Geradenspiegelungen dargestellt werden.
Beweis:
Seien Sd, So, Sb, Sa die vier Geradenspiegelungen. Diejenigen F~ille, in denen die Geraden von drei nacheinander ausgefiihrten Geradenspiegelungen den Bedingungen des Dreispiegelungssatzes geniigen, sind trivial und brauchen nicht n/iher betrachtet werden. 2.
Auch ffir all diejenigen Verkettungen, in denen zwei aufeinander folgende Geradenspiegelungen identisch sind und sich daher auflaeben, liegt die Gtiltigkeit von Satz 9 unmittelbar auf der Hand.
Wir brauchen daher nur die folgenden verbleibenden Achsenkonstellationen zu untersuchen:
3
a~b=~M~
A c~a~N~
X
X
4
a~b=~M/
A c,d
~
//
6
a,,b
A c~
//
4.2.2 Verkettung yon K o n g r u e n z a b b i l d u n g e n
13 9
zu 3: Seialso a~b={M}
/x c c ~ d = { N } .
d -.~176 -~ 9..
...s" :
9... :~s
,... "-.......
s'
a
.,.~
9"~
s"
W i r b e n e n n e n die Gerade N M mit b'.
c ,.'~" ""
~'~ 9
//j/
b'
a,
N a c h Satz 7 gibt es zu a, b und b' eine Gerade a', so dass gilt: S b o Sa = Sb, o Sa, . ( * )
Fiir die Verkettung der vier Geradenspiegelungen folgt darm:
S d o Sc o S b o Sa S d o Sc o Sb, o Sa,
mit d ~ c n b' = {N}
/ Satz 7, (*)
( S d o S c o Sb, ) o Sa,
/ A G fiir ,,o"
Sx o S~,
/ Satz 6
zu 4: Sei also a c~ b = {M}
/
lc
^
c
II d . Sei c' eine Parallele zu c durch M (c' II c ^ c ' n a = {M}). ,'~ X
M :' . f
N a c h Satz 7 gibt es dann zu d, c u n d c ' eine Gerade d' so dass gilt: S d o Sc =
-"7
Sd, o Sc, . ( * )
r Cd" "
Ffir die Verkettung der vier Geradenspiegelungen folgt wieder:
Sa o S c O S b O S a / A G fiir "o"
(Sd o S ~ ) o S b o S . (Sd, ~ 1 7 6 1 7 6
mitc'~b~a={M}
/ Satz 7, (*)
=
Sd. o (S~, o Sb ~ S~)
/ A G fiir % "
=
Sd, o Sx
/ Satz 6
140
4 Abbildungsgeometrie
zu 5: Sei also a
II b
/x c n d = {N} .
'I Y / / d
a
~b' ~a' . c
x,,, x -f N'~
Sei b' eine Parallele zu b durch N (b' II b /x b ' n c = {N}).
/
Nach Satz 7 gibt es dann zu b, a und b' eine Gerade a' so dass gilt:
"
Sb o Sa =
.
Sb, o Sa, . (*)
Fiir die Verkettung der vier Geradenspiegelungen folgt wieder: Sd o Sc o Sb~ Sa
=
Sd o Sc o Sb, o Sa,
/ Satz 7, (*)
=
(S d o Sc o Sb,) o Sa,
/ A G m r ,,o,'
=
S~ o S.,
/ Satz 6
zu 6: Sei also a
II b
^
d
c [I d . c
""''-...
9
. . . ~ 1 7 6
b, ......
a
.C
b~
Fiir Fall 6 ist eine zus~itzliche Ersetzung notwendig: W i r ersetzen das Geradenpaar (b, c) so durch das Paar (b', c'), dass sich c' und d, aber auch b' und a jeweils in einem Punkt schneiden. D a n n verfahren wir wie in Fall 3. Sei c n b = {M}.
W i r betrachten die Gerade c' mit c' n b = {M}, c' I d trod c' n d = {p}22. N a c h Satz 7 gibt es zu c, b und c' eine Gerade b', so dass gilt:
Sc o Sb = Sc, o Sb, . (*) Sei b' n a = {Q}. Fiir die Verkettung der vier Geradenspiegelungen folgt wieder:
22 Die B e d i n g u n g c' • d ist nicht unbedingt erforderlich, erleichtert j e d o c h das weitere Vorgehen. Mindestens muss fiirc' gelten: c' ~ c u n d c' ~ b.
4.2.2 Verkettung yon Kongruenzabbildungen
141
So ~ S~ o Sb ~ Sa Sd o ( S c o Sb ) o Sa
/ AG fiir ,,o"
Sd o (Sc' o Sb') ~ Sa
/ Satz 7, (*)
Sd ~ Se o (Sb, ~ Sa)
/ A G ffir"o"
Mit S d o Sc, o ( S b, o Sa ) haben wir eine Verketttmg vorliegen, bei der sich d und c' in Punkt P schneiden und b' und a den Punkt Q gemeinsam haben. Damit haben wir Fall 6 auf Fall 3 zuriickgefiihrt und sind fertig. x --':d~i ~ 9~~
c
.a t
~ ~ b :- c' . . b
a
,,
Nur um die abgebildete Konstruktion der beiden Ersatzgeraden argumentativ zu begleiten, stellen wit die verbleibende (~erlegung analog zu Fall 3 dar: Sei b" = PQ. Nach Satz 7 gibt es zu b', a und b" eine Gerade a' so dass gilt: Sb, o S~ = Sb,, ~ Sa,. (*) Dies setzen wir in unsere letzte Gleichung ein und erhalten:
=
Sd o Sc, o (Sb,, o Sa,)
/ Satz 7, (*)
(S d o Sc, o Sb.) o Sa, S~ o S~,
/ AG fiir ,,o" / Satz 6
Aus (1) - (6) folgt die Behaupamg.
Wenn sich nun vier Geradenspiegelungen dutch zwei Geradenspiegelungen ersetzen lassen, dann karm man ftinf Spiegelungen durch drei ersetzen. Bei sechs Spiegelungen lassen sich vier durch zwei ersetzen, die vier Spiegelungen dann wieder durch zwei Geradenspiegelungen usw.. Wir wissen jetzt, dass wit mit h6chstens drei Geradenspiegelungen auskommen. Braucht man wirklich drei, so liegt im allgemeinen Fall eine Gleitspiegelung vor (Satz 8). Kommt man mit zwei Geraden aus, so sind nur die F/ille m6glich, dass die Geraden parallel sind oder sich schneiden. Wir haben darm also eine Verschiebung (Satz 3) oder eine Drehung (Satz 4) vorliegen. Das bedeutet auch, dass die Hintereinanderausffihrung yon beliebig vielen verschiedenen Kongruenzabbildungen durch eine der von uns defmierten
142
4 Abbildungsgeometrie
Kongruenzabbildungen ersetzbar ist. FiJhrt man z.B. erst eine Gleitspiegelung durch und anschlief3end eine Drehung, so kann die erste Abbildung durch drei, die zweite durch zwei Geradenspiegelungen ersetzt werden, also die gesamte Abbildung durch ftinf Geradenspiegelungen. Diese sind ersetzbar durch drei andere Geradenspiegelungen. Das wiederum kann eine Gleitspiegelung oder eine einfache Geradenspiegelung sein. Zeichnen wir also z.B. ein Dreieck und irgendwo ein dazu kongruentes Dreieck auf ein Blatt Papier, so kann man diejenige Kongruenzabbildung bestimmen, die das eine in das andere Dreieck fiberfiihrt. Dies wollen wir im Folgenden iJben. Wir betrachten Abbildung 67 mit drei kongruenten Dreiecken. Gesucht sind die Abbildungen, die AAIBIC 1 in AA2B2C2 bzw. AA1BICI in AA3B3C3 fiberftihren. Einen ersten Hinweis liefert der Umlaufsinn der Dreiecke. AA2B2C2 hat denselben Umlaufsinn wie AA1BICI, also kann AA2B2C2 nur durch eine Verschiebung oder durch eine Drehung aus AA~BICI entstanden sein. Eventuelt ist die Drehung sogar eine Punktspiegelung. Bei AAIBICI und AA3B3C 3 stimmt der Umlaufsinn nicht iiberein, als Abbildung kommt also nur eine Geradenspiegelung oder eine Gleitspiegelung in Frage.
/ " '.:.:~ i"..., ./..f........ .....J"
'"'"'~.]:,'-:.-..[..........
'~ i ',
~ 92 ........... ~
A4 ~x
\
p ~ A4A3
. . . . . . ~.":z'.~.~:'.~.,. ~
Abb. 67
4.2.2 Verkettung yon Kongruenzabbildungen
143
Wir betrachten zun~ichst die Abbildung, die A A I B I C 1 in AAaBeC2 fiberfiJhrt. Die Verschiebung scheidet offensichtlich sofort aus, denn die Strecken A1A 2 und C1C 2 sind nicht parallel. Also ist die gesuchte Abbildung eine Drehung. Da der Drehpunkt D yon Urbild und Bild denselben Abstand hat, liegt D auf den Mittelsenkrechten zu A1A 2 , B1B2 und C1C 2 (vgl. Satz 2). Um D zu bestimmen reicht es, zwei dieser Mittelsenkrechten zu konstruieren, z.B. die zu A1A 2 und zu CjC 2 (s. Abbildung 67). Ihr Schnittpunkt ist D. Den Drehwinkel ~t erhalten wir, indem wit z.B. CI und C2 mit D verbinden. Beachten Sie, dass wir gegen den Uhrzeigersinn drehen. In Abbildung 67 betr~igt w(ot) ca. 288 ~ also liegt keine Punktspiegelung vor. Mit DD.288oist die Abbildung gefunden, die AAIBIC1 in AA2B2C2 iiberfiihrt. Es gilt also: DD,288o (AAIBIC~) = AA2B2C2 . Falls die Abbildung, die AA~BIC~ in A A 3 B 3 C 3 i J b e r l ~ , eine Geradenspiegelung an einer Geraden g ist, dann verl/iuft g durch die Mittelpunkte der Strecken A~A3 , B1B3 und C1C3 (Definition 1). Wir k6nnen die in Frage kommende Gerade g konstruieren, indem wir bei zwei dieser Strecken die Mittelpunkte bestimmen und durch diese eine Gerade legen. Wir w51alen in Abbildung 67 die Mittelpunkte yon A1A3 und BiB 3 . Unsere gesuchte Abbildung ist ganz sicher keine Geradenspiegelung an g, denn dann miisste g auch senkrecht zu AIA 3 and B1B3 sein. Also haben wires mit einer Gleitspiegelung zu tun. Wir spiegeln A1 an g und erhalten den Punkt A4. Die Halbgerade A a A ; gibt die Richtung der Verschiebung an, I(A4A 3 ) die L~inge der Verschiebung; g die Gleitspiegelungsachse, denn g verl~iuft nach Konstruktion durch den Mittelpunkt von AIA 3 , durch den Mittelpunkt von AIA 4 , und steht senkrecht aufA~A4. Folglich ist A4A3 parallel zu g, wie es bei einer Gleitspiegelung gefordert ist.
0bung:
1) In Abbildung 67 gilt: DD,288o (AAIBICI) = AA2B2C2. Konstruieren Sie Geradenhund i mit hllAlBz ffir die gilt: Si o Sh = DD,28So.
2) Konstruieren Sie zwei Geraden e und f, so dass Sg o Sf o Se die Schubspiegelung ist, die AA1BICI ill AA3B3C3 iiberf[.ihrt (Abbildung 67). Dabei soll e dutch A 1 verlaufen.
4
4 Abbildungsgeometrie
3) lJ-bertragen Sie die dargestellten Geraden auf Karopapier. a) l)berlegen Sie: Durch welche der von uns definierten Abbildungen kann die Verkettung Sd o So o Sb o Sa jeweils ersetzt werden? b) Ersetzen Sie dann die Verkettung Sd ~ Sc o Sb ~ Sa durch m6glichst wenig Geradenspiegelungen. Dokumentieren Sie Ihre Umformungen stichpunktartig. Der dezente Einsatz von Buntstiften kann die 0bersichtlichkeit erh6hen.
,a, I11
I/I ~11
ITI lJl
1/1111
III I I L,~ I~I I I'I II II II
J/I lJV"q
I IJ~ ~ J
Ib' lit-
'71 I I I I I I I I,I l iI li I III I!I
I
I II II
I IC t., IX
IIII
II d-
III1_ C --
II I'
Hilfe: Erl/iuterungen lm Beweis des Satzes 9
4) Gegeben sind vier Geraden f, g, h und i. Zeichnen Sie diese in ein Koordinatensystem und konstruieren Sie die zwei Geraden k und 1, Fir die gilt: Sf o Sg o Sh ~ Si = Sk ~ Si. a) f: 6 , 5 x + 2 y = 3 3
b) f: 2 x + y = 8
g: y = 1 0
g: x + 0 , 5 y = 7
h: 4 x - 3 y = 1 2
h: 1 0 y - x = 7 0
i: 4 y - x = 1 0
i: 8 x - 7 y = 2 4
4.2.2 Verkettung yon Kongruenzabbildungen
145
5) 0bertragen Sie die dargestellten Dreiecke auf Karopapier. Welche Abbitdung bildet jeweils AABC auf AA'B'C' ab? a) Benennen Sie diese Abbildung und konstruieren Sie ihre Spiegelachse, ihren Drehpunkt, ihr Spiegelzentrum..... b) Stellen Sie die erkaunte Abbildung durch eine Verkettung von mOglichst wenigen Geradenspiegelungen dar.
-c,~B,
i
__c---B
v~
l
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--A't t
I
B
I~;
-c HB II I[I
I_ -B'--C'--
A
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A' I
A
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~c~B I
I I
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I I
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I
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b-I II
tl IA I
I/ll I/Ill B"+--d"-l-1 I I/1 I ! I
r
IIIIIIil IIIIIIII
I--
Bei uniiberwindbaren Schwierigkeiten sei auf die Erl~iuterungen nach dem Beweis von Satz 9 zur Hilfe verwiesen.
6) Zeichnen Sie ein gleichseitiges Dreieck AABC. Spiegeln Sie es zun~ichst an der Seite c. Drehen Sie nun das Bilddreieck um B um 60 ~ und fiihren Sie anschlieBend die Verschiebung V ~ . ~(~) aus. a) Kann VA~,I(A~) o DB,60o o Se durch genau eine der von uns definierten Kongruenzabbildungen ersetzt werden? b) Stellen Sie V -AB, - I(AB) - - o DB.60o o Sc durch die Verkettung von h6chstens drei Geradenspiegelungen dar.
146
4 Abbildungsgeometrie
4.2.3 W e i t e r e S~itze z u r V e r k e t t u n g dungen
von Kongruenzabbil-
Mit Hilfe der vorangegangenen S/itze lassen sich auf der Ebene des Verkettens yon Abbildungen leicht weitere S~itze herleiten, deren Beweise wir Itmen zur l)bung fiberlassen: Satz 10:
Bei der Gleitspiegelung G g , ~ spielt es keine Rolle, ob man zun/ichst die Geradenspiegelung und danach die Verschiebung ausfiihrt oder umgekehrt. Esgilt: Gg,g~ = S g o V g ~ = Vg~ oSg
Beweis:
mit Hilfe der S~itze 3, 4
Satz 11:
Die Verkettung Sg o Sz einer Punktspiegelung Sz und einer Geradenspiegelung Sg mit Z ~ gist eine Gleitspiegelung.
Beweis:
Der ,,fleiBige" Weg fiihrt fiber Satz 4, der ,,geniale" Weg fiber einen sp/iteren Satz.
Satz 12:
Die Verkettung zweier Verschiebungen V Ufi o V Xg ist eine Verschiebung.
Beweis:
mit Hilfe von Satz 9, Fall 6
Satz 13:
Die Verkettung einer Drehung und einer Verschiebung ist eine Drehung.
Beweis:
mit Hilfe von Satz 9, Fall 4 und 5
Satz 14:
Die Verkettung zweier Punktspiegelungen SN o SM mit verschiedenen Spiegelzentren (N ~: M) ist eine Verschiebung.
Beweis:
mit Hilfe von Satz 9, Fall 3
4.2.3 Weitere S~itze zur Verkettung yon Kongruenzabbildungen
Satz 15a:
147
Die Verkettung zweier Drehungen DM, w(~) o DM, w(~) mit gleichem Drehzentrum ist ... - die Drehung DM, w(~)+w(O),falls w(e0 + w([3) < 360 ~ ; - die Drehung DM, w(~)+w(O)-36oo , falls w(ct) + w(]3) > 360 ~
Beweis:
mit Hilfe von Satz 4
Satz 15b:
Die Verkettung zweier Drehungen mit verschiedenen Drehzentren DN, w(~)o DM' w(c0ist ... - die Drehung Dr, w(~)+w(~), falls w(cz) + w(13) r 360~ - eine Verschiebung, falls w(ct) + w(13) = 360 ~
Beweis:
0bung:
mit Hilfe von Satz 9, Fall 3 bzw. der S~itze 3, 4
Beweisen Sie die Sfitze bis 10 bis 15b. Legen Sie zu jedem Beweis zun/ichst eine Skizze an.
4.2.4 Die Gruppe der Kongruenzabbildungen Im bisherigen Verlauf des Kapitels 4 haben wir die Geradenspiegelung, die Verschiebung, die Drehung, die Punktspiegelung und die Gleitspiegelung als Kongruenzabbildungen bezeichnet. Dabei haben wir in Kapitel 4.2.3 erfahren, dass sich die genannten ffinf Kongruenzabbildungen allesamt durch die Nacheinanderausftihrung von bis zu drei Geradenspiegelungen ersetzen lassen und dass ferner jede beliebige Anzahl yon verketteten Geradenspiegelungen immer durch maximal drei nacheinander ausgefiihrte Geradenspiegelungen ersetzt werden kann. Wir wollen an dieser Stelle den Begriff der Kongruenzabbildung allgemeiner fassen und definieren:
148
4 Abbildungsgeometrie
Definition 8:
Kongruenzabbildung Jede Verkettung von endlich vielen Geradenspiegelungen heiBt Kongruenzabbildung. Die Menge aller Kongruenzabbildungen heil3t K.
Ist also to eine Kongruenzabbildung (to e K), dann kann to dargestellt werden als t0 = Sg, o Sg._~ o Sg,,_2 o...o Sg, m i t n 9 N. Mit Definition 8 iibertragen sich wichtige Eigenschaften der Geradenspiegelung Sg aufjede Kongruenzabbildung to e K: Bei jeder Kongruenzabbildung to ist das Bild einer Strecke AB eine zu AB gleichlange Strecke A'B'. (9 ist strecken- und l~ingentreu. Bei jeder Kongruenzabbildung to ist das Bild einer Geraden wieder eine Gerade. to ist geradentreu. Bei jeder Kongruenzabbildung to ist das Bild eines Winkels ein Winkel mit gleichem Winkelmafl. to ist winkeltreu23. In Kapitel 4.1 hatten wir Bewegungen wie die Drehung oder Verschiebung vorl/iufig als Abbildungen charakterisiert, bei denen die Urbildfigur durch Bewegen einer Folienkopie mit der Bildfigur zur Deckung gebracht werden kann. Kopieren wir hingegen bei einer Umwendung wie der Geradenspiegelung oder der Gleitspiegelung die Urbildfigur anf Folie, so k6nnen wir die Folienkopie nur darm mit der Bildfigur zur Deckung bringen, wenn wir die Folie einmal umwenden. Die Eigenschaft Bewegung oder Umwendung zu sein, h~ingt offensichtlich eng mit dem Umlaufsinn einer Figur zusammen, der sich mit jeder durchgefiihrten Geradenspiegelung /indert: Ffihrt man eine geradzahlige Anzahl von Geradenspiegelungen naeheinander aus, stimmen Umlaufsinn von Urbild und Bild/iberein, die Folie kann bewegt werden. Bei einer ungeraden Anzahl nacheinander ausgeftihrter Geradenspiegelungen haben Urbild und Bild entgegengesetzten Umlaufsinn, die Folie muss umgewendetwerden. Im Anschluss an Definition 8 k6nnen wir nun die Bewegungen und Umwendungen allgemeiner bestimmen: In Analogie zur Strecken- und LLngentreue miissten wir eigentlich von Winkel- und WinkelmaBtreue reden. Eine derartige Sprachpr~izision ist in der Literatur allerdings nicht gebr/iuchlich.
4.2.4 Die Gruppe der Kongruenzabbildungen
Definition 9:
149
Bewegung bzw. Umwendung Besteht eine Kongruenzabbildung(paus der Verkettung yon 2n Geradenspiegelungen (n ~ N), so heil]t sie Bewegung, sonst Umwendung 24.
Bevor wir im Folgenden zeigen werden, dass die Menge der Kongruenzabbildnngen K beziigtich der Verkettung ,,o" eine Gruppe ist, rufen wir den Gruppen- und Untergruppenbegriffin Erinnemng25: Definition 10a: Gruppe
Ein Paar (G,o) bestehend aus einer nichtleeren Menge G und einer Verknfipfung ,,o" heiBt Gruppe, wenn folgende vier Bedingungen erffillt sind: a) Mit a, b ~ G liegt stets auch a o b in G.
(Abgeschlossenheit) b) ( a o b ) o c = a o ( b o c )
fiirallea, b , c ~ G
(Assoziativitiit) c) Es gibt ein neutrales Element e ~ G mit eoa=aoe=a
ftir alle a ~ G.
d) Zujedem a ~ G gibt es ein a i ~ G, so dass aoai=aio a=e. ai heiBt inverses Element zu a. Eine Gruppe (G,o) heiBt kommutativ oder abelsch, wenn zus/itzlich zu den Bedingungen (a) bis (d) fiir alle a, b ~ G gilt: a o b = b o a .
Definition 10b: Untergruppe
Sei (G,o) eine Gruppe. (H,o) heiBt Untergruppe von (G,o), wenn gilt: (H,o) ist eine Gruppe und H c_ G.
25
Gelegentlich findet man in der Literatur auch die Rede von ,,eigentlichen Bewegungen" (fiir Bewegungen) und ,,uneigentlichen Bewegungen" (fiir Umwendungen), der wir aber nicht folgen wollen. vgl. auch Gorski / Mfiller-Philipp 2008, Kapitel 5.5
150
4 Abbildungsgeometrie
Beispiele fiir G r u p p e n aus der Arithmetik sind (77; +), ( Q , .) oder die Restldassenmenge Rm mit der Restklassenaddition @. In Satz 16 lernen Sie ein Beispiel aus der Geometrie kennen. S a t z 16:
Die M e n g e der Kongruenzabbildungen ~ bildet mit der Verkniipfung ,,o" (Nacheinanderausftihrung) eine Gruppe. ( ~ ; o ) ist eine Gruppe.
Beweis:
z.z.: a) b) c) d)
Abgeschlossenheit Assoziativitat Existenz eines neutralen Elements Inverseneigenschaft
zu a) Abgeschlossenheit Seien r r ~ IK mit tpl = Sa, ' o Sam_, o Sa,,_ 2 o . . . o Sa~ m i t m ~ r
=Sb,
Nt,
o Sb,,_' o Sb,_2 o . . . o Sb, m i t n ~ N .
D a n n gilt: (P2 o ~I = ( S b
a o S b . _ I o Sbn_ 2 o . . . .
Sb I ) o ( S a m o Sam_ I o Sam_ 2 . . . . .
Sa I )
Da dies eine Verkettung yon m + n Geradenspiegelungen ist, folgt mit Definition 8:q~2 o q~i ~ ~ 9 zu b) Assoziativit/it z.z.: Fiir cpt, tO2, (D3 E • gilt: q)3 ~ 002 o q~l) = (q)3 o (D2) o (DI Sei X ein beliebiger Punkt der Ebene. D a n n gilt: X
- - _~1 . . . .
92 o 91
~
X*
(P2
9
X**
qD3
X'
i
i
[ .......................... cp3 o ~o2
J
Somit: X ........................................................................................................................... )- X' (r o r o cpl X ...................................
~ X'
4.2.4 Die G r u p p e der Kongruenzabbildungen
151
D a die Bilder v o n r o ((P2 o (Pl) trod (cp3 o (P2) o (Pl fiir j e d e n beliebigen Punkt X der Ebene iibereinstimmen, sind beide A b b i l d u n g e n gleich. Es gilt also: q)3 o ((P2 o (Pl) = (q)3 o q)2) o (Pl 9 zu c) Existenz eines neutralen Elements Es gibt in IK ein Element id, so dass ftir alle q~ ~ IK gilt: id o ~p=~p o i d = q~ . id ist aus IK, d e n n nach Satz 1a ist die Geradenspiegelung Sg eine involutorische A b b i l d u n g und es gilt: id = Sg o Sg . zu d) Inverseneigenschafl z.z.: Zu j e d e r Kongruenzabbildung q) gibt es eine inverse Kongruenzabbildung r so dass q~ o qr = (pi o ~0 = i d . Sei
cp = S,., o S,,._~ o S~,,,_2 o ... o S,,
mitm ~ N ,
darmist
~0i =
mitm~N,
derm: (pi o q)
S~o
S~2o S ~ o . . . o
=
(Sat
o Sa 2 o . . . .
=
Sa t o Sa 2 o . . . .
=
Sa, o Sa2 o ... o Sam ~ o
Sa~
Sa ..... o Sa m ) o ( S a m o Sam_ t o . . . . S ...... o ( S a m o San, )o S . . . .
id
o
Sa ' )
o ....
Sam_ n o ...
Sa '
Sa I
o
Die insgesamt m-fache A n w e n d u n g der Assoziativit~t von ,,o" (Satz 16, Teil b) und von Sg o Sg = id (Satz 16, Teil c) liefem schliefllich: cpi o cp
=
id
Analog zeigt m a n q~ o qr = i d . Aus a, b, c u n d d folgt, dass (IK;o) eine Gruppe ist. ( ~ ; o ) ist nicht kommutativ. Die Abbildung rechts m a g sch6ne Erirmerungen an Satz 3 bzw. die Erl~iutemngen nach Satz 3 wecken.
~ . . . . . . . . . . . .
1
1 . . . . . . . . . . . . .
152
4 Abbildungsgeometrie
4.2.5 Kongruenz von Strecken, Winkeln, Dreiecken Bilden wir eine Punktmenge F, die wit im Folgenden als Figur F bezeichnen, durch die Verkettung von endlich vielen Geradenspiegelungen - also dutch eine Kongruenzabbildung - auf eme Figur F' ab, darm stimmen Urbild- und Bildfigur in den L/ingen entsprechender Strecken und den Gr6Ben entsprechender Winkel fiberein (Abbildung 68). Diese Obereinstimmungen sind eine unmittelbare Folge der L~ingen- und Winkeltreue aller Kongruenzabbildungen. Offensichtlich unterscheiden sich Urbild und die dutch Kongruenzabbildungen erzeugten Bilder nur durch ihre verschiedene Lage in der E b e n J 6. Diese besondere Beziehung zwischen Figuren beschreiben wir durch die Relation ..... ist kongruent zu ..." (in Zeichen: ,,~-"). Wir legen daher fest: Abb. 68
Definition II:
Relation ..... ist kongruent zu ... "
Beispiel:
Eine Figur F heil3t genau dann kongruent zur Figur F' (in Zeichen: F ~- F'), wenn es eine Kongruenzabbildung q~ ~ [K gibt, so dass q0(F) = F'. B*
B
~
C Abb. 69
A
....................,t M
A
A'
B'
In Abbildung 69 gilt F -= F', denn V ~ BB*
F
DM,135 ~
9
F*
1-~t~,M135 ~ o V 9" BB*
26 Damit sind Urbild und Bild natiirlich nieht notwendig identisch.
F'
4.2.5 K o n g r u e n z yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
153
Mit Hilfe von Satz 16 l~isst sich leicht zeigen, dass die Relation ,,-=" eine A,quivalenzrelation ist.
Satz 17:
Die Relation ..... ist kongruent zu ... " (in Zeichen: ,,---") ist eine ,~quivalenzrelation.
Beweis:
z.z.:
1. ,,---" ist reflexiv, 2. ,,-=" ist symmetrisch und 3. ,,-~" ist transitiv.
zu 1: Reflexivit~it Jede Figur F i s t zu sich selbst kongruent, denn nach Satz 16(c) gibt es in K das Element id und es gilt: id (F) = F . zu 2: Symmetrie; z.z.: F --- F' ~ F' -= F Es gelte also:
=V
zu 3: Transitivitfit; z.z.: F -= F* A F* -= F' ~ Es gelte also:
:=>
/ Voraussetzung / D e f . 11 / Satz 16(d)
F ~- F' 3 cp ~ K, so dass q~(F) = F' 3 (pi ~ K mit tOi (F') = F F' -= F 27
/ D e f . 11 F --- F'
F -= F* A F* --- F' 3 qal, tp2 ~ K m i t qOl(F) = F * A qo2(F*) = F ' qo2(tpl(F)) = F' (q)2 ~ qh)(F) = F' A (q02 ~ qh) ~ IK
/ Voraussetzung / D e f . 11 / s.o., r = F* / Satz 16(a), Abgeschl.
3 cp ~ K mit (p(F) = F'
/ n ~ n l i c h tO = (q02 o q01)
F-=F '
/ D e f . 11
Ffir die Beweise der Kongruenzs~itze (S~itze 20 bis 23) am Ende dieses Kapitels ben6tigen wir zwei ,,Hilfss~itze" fiber die Strecken- und Winkelkongruenz, die yon der Anschauung her unmittelbar klar sind. Wir w e r d e n in den beiden folgenden S/itzen zeigen, dass gleich lange Strecken ebenso zueinander kongruent sind wie Winkel gleicher Winkelgr6gen. 27 Erst jetzt - nach d e m Beweis der Symmetrie der K o n g m e n z r e l a t i o n macht es fibrigens Sinn, yon zueinander kongruenten Figuren zu reden.
154
Satz 18:
4 Abbildungsgeometrie
Zwei Strecken sind genau dann gleich lang, werm sie kongruent zueinander sin& formal:
Seien AB, CD Strecken.
Dann gilt:
I(AB) = I(CD ) r
AB --- CD
Beweis: m
m
Voraussetzung: 1( AB ) = 1( CD ) z.z.: 3 q) ~ IK, so dass r
= CD .
Wir geben diese Abbildung q0 zu Beginn des Beweises an und zeigen dann, dass AB durch q0 auf CD abgebildet wird. q) = Dc.wly) o VAe ' wobei 7 = ~(CB~', C---~) mit B* = Vx-( ( B ) C =A*
ist die gesuchte Abbildung, denn: Durch V ~6 wird A aufC = A* und B aufB* abgebildet. Also: V ~ ( ( A B ) = CB * /x 1( AB ) = 1( CB * )
(1) / Eigensch. v. q0 ~ [K
Wegen
I(AB) = I(CB*)
/ (1)
und
1( AB ) = 1( CD )
/ Voraussetzung
folgt
1( CB *) = 1( CD )
(2) / Symm., Trans. ,,="
Sei nun Dann gilt:
y= r C--D). Dc,w~y)(C) = C
und wegen
w( CB ~', C-D ) = w(7)
und gilt:
1( CB *) = 1( CD ) Dc,wl9 (B*) = D
Also:
Dc,wc9 (CB*) = CD
/ C ist Fixpunkt, Def. 5 / (2) / Def. 5 (3) / Eigensch. v. q~ e K
Aus (1) und (3) folgt: Dc,wlr) o V ~ ( A B ) = C D , also AB -= CD. ,,~"
Voraussetzung: AB =- CD
Wenn AB -~ C D , dann gibt es nach Definition 11 eine Kongruenzabbildung q~ mit q~(AB ) = C D . Da alle Kortgruenzabbildungert als Verkettung endlich vieler Geradenspiegelungen l~ingentreu sind, folgt 1( AB ) = 1( CD ).
4.2.5 Kongmenz yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
Satz 19:
Beweis: ,,~"
155
Zwei Winkel sind genau dann gleich grog, werm sie kongruent zueinander sind. formal: Seien a, b Halbgeraden mit Anfangspunkt S und seien c, d Halbgeraden mit Anfangspunkt T. Dann gilt: w(a,b) = w(c,d) r -~(a,b) -= ,~(c,d). Voraussetzung: w(a,b) = w(c,d)
z.z.: Wir miissen ein ~ ~ K angeben, so dass cp(,~(a,b)) = ,~(c,d). Wir geben diese Kongruenzabbildung q~ wieder zu Beginn des Beweises an und zeigen dann, dass qo tats/ichlich a auf c und b auf d abbildet.
a ,itd
~~'"Nb S-~ ~
,., b
qo = DT,wta*.~) o V ~
ist die gesuchte Kon-
gruenzabbildung, denn: Vg~ (a) = a*, V ~ (b) = b* und w(a,b) = w(a*,b*)
a*
T-
(1) / Eigensch. v. cp ~ IK Sei nun 7 = g(a*, c). Dann gilt: Dv,w(y)(a*) = a' = c, Dr,w{9 (b*) = b' und w(a*,b*) = w(c,b') (2) / Eigensch. v. q0 ~ K Aus (1) und (2) folgt: w(a,b) = w(a*,b*) A w(a*,b*) = w(c,b') w(a,b) = w(c, b') / Trans. yon ,,=" w(a,b) = w(c,b') A w(a,b) = w(c,d) / Voraussetzung w(c,d) = w(c,b') / Syrmn., Trans. von ,,=" d = b' (3) / Folgerung aus W M A 4 Also gilt: q~(a) = c (wegen (1), (2)) und q~(b) = d (wegen (1), (2), (3)), was zu zeigen war. ,,~"
Voraussetzung: -~(a,b) =- ~(c,d)
Wenn ,~(a,b) -= ~(c,d), dann gibt es nach Definition 11 eine Kongruenzabbildung qa mit q0(-~(a,b)) = ~(c,d). Da alle Kongruenzabbildungen als Verkettungen einer endlichen Anzahl yon Geradenspiegelungen winkeltreu sind, folgt w(a,b) = w(c,d).
156
4 Abbildungsgeometrie
Vielleicht haben Sie bei den verbalen Formulierungen der S/itze 18 und 19 zun/ichst gezaudert - mit Recht. Auch wir h~itten beide S/itze weitaus lieber in vemiinftigem Deutsch und / oder pr/ignanter formuliert. So klingen Formulierungen wie ,,Zwei gleich lange Strecken sind zueinander kongruent." oder ,,Zwei gleich grofle Winkel sind zueinander kongruent." doch wesentlich salopper und merkbarer. Bei genauer Betrachtung derartiger Formulierungen erkennen Sie jedoch recht schnell, dass diese saloppen Formulierungen die behauptete und bewiesene ,~quivalenz recht effektiv verschleiern: beide S/itze werden um ihre Riickrichtungen kastriert. Wir weisen an dieser Stelle daher besonders darauf hin, dass Satz 18 in der R/ickrichtung sicherstellt, dass zueinander kongruente Strecken die gleiche L~inge haben und dass tins Satz 19 in seiner Riickrichtung garantiert: Zueinander kongruente Winkel sind stets gleich gro6 (haben dasselbe Winkelmafl). Mit Satz 20 und Satz 21 formulieren wir nun zwei S~itze, die fester Bestandteil des Mathematikunterrichts im Sekundarbereich I sind. Die Beweise beider S~itze iiberlassen wir Ihnen. 28 Satz 20:
Stufenwinkel an geschnittenen Parallelen sind gleich gro6. b
B
~
/ a
Satz 21:
A g: f
b, ~ al
Wechselwinkel an geschnittenen Parallelen sind gleich grofL b
bl" ~ J ~ B g~g2 gl
a
A
g/"
al
28 Sie k6nnen Ihre Beweisidee in beiden Fallen auf einen nicht sehr weit zuriickliegenden Satz s~tzen.
4.2.5 Kongruenz von Strecken, Winkeln, Dreiecken
157
Hinfiihrung zu den Kongruenzs~itzen
Was besagen eigentlich die Kongruenzs~itze ? Was verbirgt sich hinter den Ktirzeln ,,SSS, SWS, WSW und SSWggs" ?
Dreiecke sind durch sechs so genannte C
Bestimmungsstiicke charakterisiert: die L/ingen der drei Seiten a, b und c sowie die Gr6Ben der drei Innenwinkel or, 13 und y.
A
c
Sie werden sich erinnem, dass die Kenntnis dreier dieser Bestimmungsst/icke ausreicht, um ein Dreieck zu konstruieren.
B
Versuchen wir jedoch, ein Dreieck aufgrund der Vorgabe der Gr6Be der drei Innenwinkel w(ct) = 70 ~ w(13) = 20 ~ und w(y) = 90 ~ zu konstruieren, so stellen wir sehr schnell lest, dass es unendlich viele L6sungen dieser Aufgabe gibt, von denen drei in Abbildung 70 dargestellt sin& C1
AI
C
- B
j A~'
~ = B2
Abb. 70 In Abbildung 70 erkennen Sie auch, dass die drei konstruierten Dreiecke keineswegs kongruent zueinander sind. Wgren sie kongruent, so mtissten wir eine Kongruenzabbildung q0 vorweisen k6nnen, die etwa AABC auf A A~B jC i abbildet. Die Oberfltissigkeit dieses Suchprozesses wird sofort klar, wenn Sie erinnern, dass bei KongruenzabbildungenStrecken auf gleich lange Strecken abgebildet werden. Versuchen wir eine zweite Konstruktion mit anderen Bestimmungsstticken:
158
4 Abbildungsgeometrie
Gegeben seien: l(c) = 2,6 cm l(b) = l , 7 c m w(ct) = 70 ~
"
A
~
B
....
C~
C*
" ~ B *
Abb. 71 Zwei Konstruktionsergebnisse dieser Aufgabe, n~imlich die Dreiecke AABC und AA~B~CI, haben wir in Abbildung 71 zusammengestellt29. Zun~ichst einmal halten wir test, dass die Dreiecke AABC und AAIBICI nicht identisch sind, bestehen sie doch aus verschiedenen - in diesem Fall sogar disjunkten - Punktmengen. Die beiden in Abbildung 71 dargestellten Konstruktionsergebnisse unterscheiden sich deutlich yon den Ergebnissen der vorangegangenen Aufgabe: Zwar sind AABC und AAIBICI nicht identisch, wohl aber kongruent zueinander, denn es 1/isst sich eine Kongruenzabbildung tp angeben, die AABC auf AAIB~C~ abbildet. Offensichtlich lassen sich alle Konkretisierungen dieser Konstruktionsaufgabe durch die Abbildung = DA, w(a)o V ~ , wobei A* = V X~ (A), B* = V k~; (B) und 6 = ~ ( A * B ~', A,B I ), aufeinander abbilden. Alle derart konstruierten Dreiecke sind also bis auf ihre Lage in der Ebene eindeutig bestimmt (kongruent). Um ,Konstruktionsaufgaben" dieses zweiten Typs geht es in den vier Kongmenzs/itzen, die wir im Folgenden formulieren und beweisen werden. Wir werden zeigen, dass es bei vier verschiedenen Kombinationen von jeweils 29 Machen Sie sich klar, dass sich leicht beliebig viele weitere Konkretisierungen dieser Konstruktionsaufgaben angeben liegen.
4.2.5 Kongruenz yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
159
drei Bestimmungsstiicken (aus sechs Bestimmungsstiicken) gelingt, ausschlieBlich kongruente Dreiecke zu konstruieren3~ Dreiecke sind zueinander kongruent, wenn sie ... in den drei Seitenl/ingen iibereinstimmen (Abldirzung: SSS). in zwei Seitenl~ingen und der Gr6Be des eingeschlossenen Innenwinkels /ibereinstimmen (Abkiirzung: SWS). in einer Seitenl~inge und der Gr6Be der beiden anliegenden Innenwinkel /ibereinstimmen (Abldirzung: WSW). in zwei Seitenl~ingen und der Gr6Be des Innenwinkels/ibereinstimmen, der der gr6Beren Seite gegentiberliegt (Abkiirzung: SSWggs). Damit haben wir zun~ichst die Aussagen der angesprochenen Kongruenzs~itze und die Bedeutung der K/irzel SSS, SWS, WSW und SSWggs gekl~irt.
Die Kongruenzs~itze und ihre Beweise
Wir werden in den Beweisen der Kongmenzs~itze zeigen, dass jeweils zwei Dreiecke (AABC und AA'B'C'), die in den oben genannten Bestimmungsstricken fibereinstimmen, kongruent zueinander sind. Natiirlich miissen wir hierfiir nach Definition 11 jeweils eine Kongruenzabbildung ~ vorweisen, die AABC auf AA'B'C' abbildet. Dem mehr oder weniger, hoffentlich aber noch nicht vollkommen geneigten Leser mag bei der oben aufgeffihrten vorl~iufigen Formulierung der vier Kongruenzs/itze aufgefallen sein, dass jeder Satz wenigstens ein Paar gteichlange Seiten voraussetzt. Diese Besonderheit machen wir uns zunutze, indem wir Das ist eine vergleichsweise ,,bescheidene Quote" bei so vielen M6glichkeiten. Oder? Wie viele M6glichkeiten der Dreieckskonstruktion aus drei von sechs Bestimmungsst/icken mag es wohl geben? Wie viele Kongruenzsgtze haben wir eigentlieh angesprochen? Waren es wirklich genau vier? Lassen sich vielleicht weitere Kongruenzs~itze formulieren? Wenn ja, wie viele? Welche yon diesen ggf. zus/itzlichen Kongruenzs~itzen lassen sich auf andere Kongruenzs~itze zurfickffihren? (Auf welche anderen?) Wie sieht es mit der oben angesprochenen Quote aus?
160
4 Abbildungsgeometrie
aus ihr fibergeordnete Voraussetzungen formen, die in den Beweis jedes Kongruenzsatzes eingehen werden. O.B.d.A. gehen wir davon aus, dass ilia"AABC und AA'B'C' gilt: I(AB) = I(A'B') Wegen Satz 18 folgt: AB ~ A'B' Dann gibt es also ein cp e K mit: tp(A) = A' /x (p(B) = B' Die Bilder von C, ct, 13bei 9 bezeichnen wir mit C*, ct*, 13". Wir werden in jedem Beweis zu zeigen haben, dass C* = C'. fibergeordnete Voraussetzung V 1: Fiir alle weiteren Uberlegungen setzen wir voraus, dass C* und C' in derselben Halbebene von A'B' liegen. Ist dies bei einem ersten ,,Entwurg' der Abbildung q) noch nicht der Fall, so gelingt es durch Anh/ingen der Geradenspiegelung SA.W.
C' A,~C * B'
fibergeordnete Voraussetzung V2: Da cp ~ IK und da cp(A) = A ' , ~(B) = B' und q)(C) = C* folgt aufgrund der Eigenschaften yon Kongruenzabbildtmgen als Verkettung yon endlich vielen Geradenspiegelungen31: I(AC ) : I ( A ' C * ) /x I ( B C ) = I ( B ' C *) A w((x) : w(~*) A w(13) w(f~*) =
Satz 22:
Kongruenzsatz SSS Wenn die Dreiecke AABC und AA'B'C' in den L~ingen aller drei Seiten fibereinstimmen, dann sind sie zueinander kongruent. formal: 1 ( ~ ) : I(A'B')/x I(B~ ) : I(B'C')/x I(A~ ) = I ( A ' C ' ) 3 (p ~ K: cp(A) = A' A q~(B) = B' A q~(C) = C' also AABC -= AA'B'C'
3~ vgl. hierzu Definition 8, die Eigenschaften der Geradenspiegelung und Spiegelungsaxiom SA1
4.2.5 Kongruenz yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
161
Beweis: Zus~itzlich zu V1 und V2 gelten die Voraussetzungen m
V3: 1( BC ) = 1( B'C' ) und
V4: I(AC ) = I ( A ' C ' )
I(BC) : I(B'C') A I(BC) = I(B'C*)
/ V3, V2 (1)
I(B'C') = I(B'C*)
/ Sym., Trans. von ,,=" / V4, V2
I(AC ) = I(A'C')/x I(AC ) = I(A'C*)
(2) / Sym., Trans. von ,,="
I(A'C') = I(A'C*)
Annahme32: C* * C' Aus (l) und (2) folgt: A' liegt auf der Mittelsenkrechten zu C * C'.
/ Satz 2 und C* * C'
A B' liegt aufder Mittelsenkrechten zu C *C'.
/ Satz 2 und C* ~ C'
A'B' ist die Mittelsenkrechte zu C * C' und es gilt: Sxw(C*) = C'
/I1 / A' ~ B' in AA'B'C'
Das ist ein Widerspruch zu VI, dass C* und C' in derselben Halbebene von A'B' liegen. Die Annahme ist zu verneinen. Es gilt: C* = C'.
Satz 23:
/ .// -
~ c
Kongruenzsatz SWS Wenn die Dreiecke A A B C und AA'B'C' in zwei Seitenlgngen und der Gr6ge des eingeschlossenen Winkels iibereinstimmen, dann sind sie zueinander kongruent. formal: Seien A A B C und AA'B'C' Dreiecke mit dem Innenwinkel !3 bzw. 13'. 1( AB ) = 1(A'B') A 1( BC ) = l ( B ' C ' ) ^ w(13) = w(13') 3 q0 9 ~: q0(A) = A' A q0(B) = B' A cp(C) = C' also A A B C --- AA'B'C'
Beweis: Zus/itzlich zu V 1 und V2 gelten die Voraussetzungen V3: I ( B C ) = I ( B ' C ' )
und V4:w(13)=w(13 ')
32 Zu Grundlagen und Technik der indirekten Beweisfiihrung sei auf Gorski / Mtiller-Philipp 2008, Kapitel 0.3 verwiesen.
162
4 Abbildungsgeometrie
m
I(BC)=I(B'C')
A I(BC)=I(B'C*)
/ V3, V2
I(B'C') = I ( B ' C * )
(1)
/ Sym., Trans. yon ,,="
w(13) : w(f~') ^ w(13) : w(f~*) w(lY) : w(13*)
(2)
/ V4, V2 / Sym., Trans. von ,,="
Annahme: C* r C'
Es gilt: w(13*) :
w(lY)
/ wegen (2)
= w ( B ' C ~', B'A;) : w(B'C", B'A" )
B ' C ' ; = B'C'
/ C*, C' liegen nach V1 in der gleichen Halbebene von A'B' (3)
/ Folgerung aus W M A 4
Andererseits gilt: I(B'C')-I(B'C*)
A C*:~C'
B' liegt auf der Mittelsenkrechten m zu C* C'.
/ (1) und Annahme / Satz 2
Sm(C*)=C ' /~ S,,(B')=B' A Sm(B'C') = B'C ~' / Def. 1, Satz lc B'C" und B'C ~' liegen bis auf ihren Anfangspunkt B' in verschiedenen Halbebenen yon m, sind also nicht identisch. Das ist ein Widerspruch zu (3). Die Annahme ist zu verneinen. Es folgt: C* = C'.
Satz 24:
c
,eq, c*
Kongruenzsatz WSW Wenn die Dreiecke A A B C und AA'B'C' in der L~inge einer Seite und den Gr6Ben der beiden anliegenden Winkel fibereinstimmen, dann sind sie zueinander kongruent. formal: A A B C und AA'B'C' seien Dreiecke mit den Innenwinkeln ct, f3 bzw. cz', 13'. 1( AB ) = 1(A'B')/', w0z) = w(ot') ^ w(I3) = w(13') 3 r ~ K: q~(A)= A' ^ cp(B)= B' /x cp(C)= C' also A A B C ~- AA'B'C'
4.2.5 Kongruenz yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
163
Beweis:
Zus~itzlich zu V1 und V2 gelten die Voraussetzungen V3: w(o0 = w(ot') und V4: w(13) = w(13') w(o0 = w(a') /x w(ot) = w(ot*) w(et') = w(ct*)
(1)
/ V3, V2
w(13) = w(lY) ^ w(~) = w(l~*)
(2)
w(lY) = w(13*)
/ V3, V2 / Sym., Trans. von ,,="
/ Sym., Trans. von ,,="
Weil C' und C* nach V1 in derselben Halbebene von A'B' liegen folgt aus (1) und (2): w ( A @ , A ' C " ) = w ( A ' B " , A ' C ~') /x w ( B @ , B ' A " ) : w(B'C~',B'A '') A'C" = A ' C *
/ Folgerung aus WMA 4
^ B ' C ' = B'C~'
9 E s g i l t a l s o A'C" = A'C* Da diese beiden Halbgeraden (Punktmengen) gleich sind, stimmen sie nicht nur in ihrem Anfangspunkt A', sondern in allen Punkten fiberein. Insbesondere gilt auch C* ~ A'C". (3) Die Abbildung rechts zeigt m6gliche Lagen von C* auf A'C".
00Z "
Mc
Es gilt auch B'C" = B'C;. Analog zu oben folgt C* e B'C".
(4)
Da A', B' und C' Eckpunkte eines Dreiecks sind, kann B' nicht auf A'C' liegen (B' ~ A'C"). A'C" und B'C---"sind also verschieden. Zwei verschiedene Geraden (A'C' und B'C') k6nnen h6chstens einen Punkt gemeinsam haben 33. Das gilt erst Recht fiir zwei Teilmengen ( A ' C ' und B'C') dieser Geraden.
Y
A'
(5)
DaC'~ B'C' ^C'e A'C" C ' e B'C" ~ A'C; 33 vgl. Kapitel 3, Satz 1
(6)
/ Def. ,,c~"
\B,
164
4 Abbildungsgeometrie
9 Wegen (3) und (4) gilt: C* e B'C" A C* e A'C"
c* e B'C' c~ A'C' 9
/ Def. ,,n"
(7)
Weil die Halbgeraden B'C" und A'C' h6chstens einen Punkt gemeinsarn haben k6nnen (5), folgt aus (6) und (7): C* = C'.
Satz 25:
Kongruenzsatz SSWggs Wenn die Dreiecke AABC und AA'B'C' in den Lgngen zweier Seiten und der Gr6Be des Winkels, der der gr6geren der beiden Seiten gegeniiberliegt, iibereinstimmen, dann sind sie zueinander kongruent. formal: AABC und AA'B'C' seien Dreiecke mit dem Innenwinkel a bzw. ct'.
c
I(AB) = I(A'B')/x I(BC ) = I(B'C')/x I(BC) > I(AB) ^
w(~) = w(a') 3 q0 ~ N: q0(A) = A' /x r = B' /x r also AABC ~- AA'B'C'
= C'
Beweis: Zus/itzlich zu V1 und V2 gelten die Voraussetzungen
V3: I ( B C ) = I ( B ' C ' ) ,
w(a) w(W) ^ w(a) = w(a') w(a*) =
V4: I ( B C ) > I ( A B )
und V5: w(cz)=w(ct')
w(a*)
=
=
(1)
/ V5, V2 / Sym., Trans. von ,,="
(2)
/ Folgerung aus WMA 4
und da C*, C' in derselben Halbebene von A'B' liegen w( A'I3', A'C" ) = w( A't3', A'C '~)
A'C" = A ' C ; m
m
I ( B C ) = I ( B ' C ' ) /x I ( B C ) = I ( B ' C * ) I(B'C') = I ( B ' C * ) m
/ V3, V2 (3)
/ Sym., Trans. von ,,="
m
I(BC) > I(AB) I(B'C') > I ( A ' B ' )
/ V4
(4)
/ V3, V2
4.2.5 Kongruenz yon Strecken, Winkeln, Dreiecken
165
A n n a h m e : C* ~ C'
9 Wenn also C*~ C' und wenn wegen (3) femer I(B'C') = I ( B ' C * ) gilt, dann sind C* und C' verschiedene Punkte auf dem Kreis um B' mit
Ci
f--~-~..
dem Radius 1( B'C' ). A' liegt wegen (4) innerhalb dieses Kreises. 9 Dann schneiden die Halbgeraden A'C* und A'C" mit dem gemeinsamen Anfangspunkt A' diesen Kreis in verschiedenen Punkten (C*, C') und es gilt34: A'C" :~ A'C ~' . Das ist ein Widerspruch zu A'C" = A'C ~" (2). Die Annahme ist zu vemeinen. Es folgt: C* = C'
0bung:
1) Im Beweis der ,,Hirtrichtung" von Satz 18 (Streckenkongruenz) haben wir Dc, wit) ~ V X6 als diejenige Abbildung angegeben, die AB auf CD abbildet. a) Zeigen Sie jeweils mit einer Skizze, dass dies auch fiir besondere Lagen Lagel: A=C Lage2: A = D Lage3: A = C
der Strecken AB, CD gilt, n~imlich: ^ BeD /x B = C A B=D
b) Ffir die unter (a) genannten Sonderfiille lassen sich auch angeben, so dass cp( AB ) = CD .einfachere35 Kongruenzabbildungen q) als Dc, wO o V X~
Wir benutzen hier den Satz: Jede Halbgerade, deren Anfangspunkt im Innern eines Kreises liegt, schneidet diesen Kreis in genau einem Punkt. Auf einen Beweis verzichten wir an dieser Stelle. Mit einer ,,einfacheren" Kongruenzabbildung meinen wir eine solche, die sich aus einer kleineren Anzahl von nacheinander ausgeffihrten Geradenspiegelungen darstellen 1/isst.
166
4 Abbildungsgeometrie
2) Wir erinnern an die im Rahmen der Hinfiihrung zu den Kongruenzs~itzen in einer FuBnote aufgeworfenen Fragen. a) Wie viele M6glichkeiten der Dreieckskonstruktion mit drei aus sechs ,,Bestimmungsstiicken" gibt es eigentlich? b) Ffir wie viele dieser M6glichkeiten haben wir Kongruenzs~itze formuliert? c) Ffir wie viele der verbleibenden M6glichkeiten lieBen sich weitere Kongruenzs~itze formulieren? Formulieren Sie sie. d) Formulieren Sie alle verbotenen (falschen) Kongruenzs/itze. e) Nehmen Sie Stellung zu unserer Bemerkung: ,,Das ist eine vergleichsweise ,bescheidene Quote' bei so vielen M6glichkeiten." 3) Beweisen Sie die S/itze 20 und 21. 4) Def.: achsensymmetrisch Eine Figur F der Ebene heiBt achsensymmetrisch, wenn es eine Gerade g gibt, so dass Sg(F) = F; m.a.W.: wenn also die Figur F durch die Geradenspiegelung Sg auf sich selbst abgebildet wird. Entsprechend definiert man die Dreh-, Punkt- trod Schubsymmetrie fiber die Existenz einer Drehung, Punktspiegelung bzw. Verschiebung, die die Figur F jeweils auf sich abbilden. Aus einer beliebigen Ausgangsfigur lassen sich achsensymmetrische Figuren durch Geradenspiegelung und das anschlieBende Vereinigen yon Urbild und Bild herstellen. Zeigen Sie dies ftir die Ausgangsfigur eines Dreiecks mit den Seitenl/ingen 3,5 cm, 4 cm und 5 cm und vier qualitativ unterschiedliche Lagen der Spiegelgeraden g.
5) Drehsymmetrische Figuren erh~ilt man durch fortgesetztes Drehen einer Figur F um denselben Drehpunkt mit einem Drehmag, das 360 ~ teilt und anschlieBender Vereinigung des Urbilds und aller Bilder. Erzeugen Sie aus dem Dreieck aus Aufgabe 4 vier verschiedene drehsymmetrische Figuren.
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
167
4.2.6 Deckabbildungsgruppen Wir kniipfen an die Ubungen (4) und (5) des vorangegangenen Kapitels an und legen lest: Kongruenzabbildungen, die eine ebene Figur auf sich selbst abbilden, nennt man Deckabbildungen. Wir schauen uns einige einfache Figuren an und priifen, ob es zu ihnen Deckabbildungen gibt.
.."
f
f
!
...
g
Abb. 72 Das Parallelogramm wird durch eine Drehung um den eingezeichneten Drehpunkt auf sich selbst abgebildet, wenn man um 180~ dreht. Es ist
punktsymmetrisch. Das Rechteck ist ebenfalls punktsymmetrisch, zus~tzlich ist es aber auch Sowohl Sf als auch Sg bilden das Rechteck auf sich selbst ab. Da f I g folgt die Punktsymmetrie zwangsl/iufig aus dieser doppelten Achsensymmetrie (vgl. Satz 4).
achsensymmetrisch beziiglich seiner Mittelsenkrechten.
Das gleichseitige Dreieck besitzt sogar drei Symmetrieachsen f, g und h, und die Drehungen um den Schnittpunkt der Mittelsenkrechten um 120~ und 240 ~ sind ebenfalls Deckabbildungen. Das Dreieck ist also auch drehsymmetrisch. Zum regelm~iBigen F/infeck geh6ren fiinf Geradenspiegelungen, und es l~isst sich um 72 ~ 144~ 216 ~ und 288 ~ drehen. Das Trapez aus Abbildung 72 ist nicht symmetrisch. Dennoch besitzt es wie jede noch so unregelm~iBige Figur eine Deckabbildung. Dies ist die Identit~it id (denken Sie an eine Drehung um 0~ Diese Deckabbildung soll stets dazugeh6ren, also auch bei den/.ibrigen Figuren aus Abbildung 72. So uninteressant Ihnen die identische Abbildung auch erscheinen mag, sie spielt eine ganz wichtige Rolle. Verkniipfen Sie eine beliebige Deckabbildung cp einer ebenen Figur mit id, so erhalten Sie als Ersatzabbildung dieser Verketttmg stets wieder r Die identische Abbildung id ist ftir die Verkettung von
168
4 Abbildungsgeometrie
Deckabbildungen also das, was die ,,1" fox die Multiplikation von rationalen Zahlen ist: das neutrale Element. ,,Logisch", werden Sie sagen: ,,Das muss ja so sein. SchlieBlich ist id in der Menge I~ das neutrale Element beziiglich der Verkettung ,,o" und die Menge der Deckabbildungen einer ebenen Figur ist nur eine Teilmenge von ~. Folglich ist id natiirlich auch in dieser Teilmenge das neutrale Element.", und Sie haben Recht. Wir untersuchen jetzt die Menge G der Deckabbildungen einer ebenen Figur mit der Verkniipfung ,,o". Als erste Figur betrachten wir das gleichseitige Dreieck. Die Menge G umfasst 6 Elemente:
C
G = {id, DM,120o,DM,240~ Sf, Sg, Sh}. Wir stellen im Folgenden ffir (G,o) schrittweise die Verknfipfungstafel (Abbildung 73) auf, ermitteln also, welche Abbildung jeweils durch die Nacheinanderausfilhrung zweier Elemente aus G dargestellt wird. Von den 36 m6glichen Verkettungen sind einige Verkettungsprodukte besonders einfach zu bestimmen: Da id o q) = q) o id = tp fiir alle Abbildungen cp aus G gilt36, stehen die erste Zeile und die erste Spalte der Tafel sofort fest. Die Verkniipfung zweier Drehungen um denselben Drehpunkt ist nach Satz 15a wieder eine Drehung um die Summe der DrehwinkelmaBe. Also gilt: DM,120 o o DM,120 o = DM,240 o , DM,120 o o DM,240 o = DM,360 o = DM,0~
= id
und
DM,240 o o DM,240 o = DM,480 o = DM,120 o .
Da die Geradenspiegelung eine involutorische Abbildung ist, gilt Sro Sf= Sg o Sg = Sh o Sh = i d . Fiir die fibrigen Felder der Tafel in Abbildung 73 miissen wir etwas mehr fiberlegen: Am besten zeichnet man die Ausgangsfigur (hier also das gleichseitige Dreieck) incl. der Spiegelachse und Eckenbezeichnungen, iibertr/igt das Dreieck (ohne die Spiegelachse) auf eine Folie und fiihrt die Abbildungen mit dieser 36 vgl. ,,Ihre" Argumentation oben
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
169
Folie konkret handelnd aus. An der endgiiltigen Lage der Eckpunkte auf der Folie auf der Ausgangsfigur kann man die gesuchte Abbildung ablesen. A1temativ kann man auch die Figur nach jeder ausgefiihrten Abbildung skizzieren und Endzustand mit Ausgangszustand vergleichen37. Beispiel: Gesucht ist DM,120 o o
Sf.
,C
A
C
B
B
A
A
C
B
Insgesamt ist B auf B abgebildet worden, A und C haben die Pl~itze getauscht. Dies h/itten wir ersatzweise sofort durch Sg erreicht. Also gilt DM,~20oo Sf = Sg. Die Ersatzabbildungen ffir die Hintereinanderausfiihrung der Geradenspiegeltmgen k6nnen Sie prinzipiell genauso ermitteln, etwa durch wiederholtes Umwenden der Folie. Andererseits k6nnen Sie diese Verkettungsprodukte auch besonders effizient auf der Ebene der sprachlich-begrifflichen Erkenntnist/itigkeit durch Anwenden des Satzes 4 bestimmen: Sf o Sh muss DM.120o sein, da sich h und f in M schneiden und der Winkel yon h nach f 60 ~ betr~igt.
C i
....
i
....
So oder so fiillen Sie die noch fehlenden Zellen der Verkniipfungstafel in Abbildung 73. Wir vereinbaren, dass wir beim Aufstellen von Verkniipfungstafeln immer zuerst die Drehungen auffiihren und dass ferner die in der Kopfzeile der Tafel notierten Abbildungen diej enigen sind, die zuerst ausgefiihrt werden.
Konkrete Handlungen mit Dingen im drei- oder zweidimensionalen Raum sind die Basis jeder Raumvorstellung. Ikonisiemngen dieser Handlungen unterstiitzen das Verinnerlichen dieser Handlungen. Damit f'6rdern beide oben vorgeschlagenen Vorgehensweisen das r/iumliche Vorstellungsverm6gen (bzw. das r/iumliche Operieren) und sind in keiner Weise ,,minderwertige" Strategien der Erkermtnist/itigkeit.
170
4 Abbildungsgeometrie
o
id
DM,120o DM.240o Sf
Sg
Sh
id
id
DM,120o DM,240o Sf
Sg
Sh
DM.120 o :DM,120 o DM,240 o
id
Sg
Sh
Sf
DM,240o DM,240o id
DM,120o Sh
Sf
Sg
Sf
Sf
Sh
Sg
id
DM,240 o DM,120 o
Sg
Sg
Sf
Sh
DM,120o id
Sh
Sh
Sg
Sf
DM,240o DM,120o id
DM,240o ]
Abb. 73 In Abbildung 73 sind alle Verkettungen der Deckabbildungen des gleichseitigen Dreiecks unter Beriicksichtigung der o.g. Konventionen zusammengestellt. Wir fragen: Ist die Menge der Deckabbildungen des gleichseitigen Dreiecks mit der Verkettung ,,o" eine Gruppe? Wir priifen die Gruppeneigenschaften mit Hilfe der Verknfipfungstafel: a) Zun/ichst erkennen wir, dass in der Tafel nur Elemente aus G auftreten. Die Nacheinanderausftihrung der Deckabbildungen ist also abgeschlossen.
b) Weiter bemerken wit, dass sich die Tabelleneing~inge in der ersten Zeile bzw. der ersten Spalte wiederholen. Die identische Abbildung id ist also das neutrale Element. c) Mit zunehmender Begeisterung stellen wir fest, dass id in jeder Zeile und in jeder SpaRe einmal auftritt. Zu jeder Deckabbildung gibt es also ein inverses Element: Die Geradenspiegelungen und id sind zu sich selbst invers, D M , | 2 0 o und DM,240osind zueinander invers. d) Die Giiltigkeit des Assoziativgesetzes kann der Verkniipfungstafel nicht augenscheinlich entnommen werden. Sie kSnnte jetzt einzeln flit jede mSgliche Kombination gezeigt werden. Dieses Vorgehen sei dem fleiBigen Leser zur 0bung fiberlassen. Wenn Sie sich dieser Lesergmppe nicht zurechnen, was wit insgeheim hoffen, kSnnen Sie argumentieren: ,,Die Verketttmg yon Kongmenzabbildung ist assoziativ (Satz 16b). Die Menge
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
171
der Deckabbildungen des gleichseitigen Dreiecks ist eine Teilmenge aller Kongruenzabbildungen, fiir die die Assoziativitiit dann natiirlich auch gilt." Aus (a) bis (d) folgt: Die Menge der Deckabbildungen des gleichseitigen Dreiecks mit der Verkettung ,,o" ist eine Gruppe. Mit Hilfe der Verkniipfungstafel erkennen wir schlieBlich, dass die Deckabbildungsgruppe des gleichseitigen Dreiecks nicht kommutativ ist. So gilt z.B. DM,240o o Sh = Sg :~ Sf = Sh o DM.240o. W~ire diese Deckabbildungsgruppe kommutativ, miisste die Verkniipfungstafel offensichtlich symmetrisch zur Hauptdiagonalen sein. Wir bleiben beim gleichseitigen Dreieck, in das wir die Symmetrieachsen einzeichnen. Das Dreieck wird dadurch in sechs kleine Dreiecke zerlegt, yon denen wir einige schwarz f~rben (Abbildung 74a - 74c). Auf diese Weise sollen absichtlich einige der urspriinglich vorhandenen Symmetrien zerst6rt werden. Wir untersuchen die neu entstandenen Figuren auf Deckabbildungen trod stellen ffir die modifizierten Figuren die Verkn/.ipfungstafeln auf.
id
id
DM,120oDM,240~ id DM,240o DM,240o id DM,120o DM,I20 o DM,120 o DM,240 o
Abb. 74a
id Sr
id Sf
Abb. 74b
Sf
id
I id J
id
Abb. 74c
Beim ersten Dreieck sind weiterhin die Drehungen Deckabbildungen der Figur, die Achsenspiegelungen sind durch die Farbung verschwunden. Die Deckabbildungen dieses Dreiecks sind eine Teilmenge der Deckabbildungen des gleichseitigen Dreiecks, und ein Blick auf die Verkniipfungstafel zeigt, dass auch sie eine Gruppe bilden. Sie bilden eine Untergruppe der Deckabbildungsgruppe des gleichseitigen Dreiecks. Abbildung 74a zeigt dariiber hinaus, dass die Untergruppe der Drehungen kommutativ ist.
172
4 Abbildungsgeometrie
Auch die Deckabbildungen der beiden iibrigen Dreiecke bilden zusammen mit der Verkettung ,,o" Gruppen. Beim dritten Dreieck in Abbildung 74c ist dies die triviale Untergruppe, die nur aus dem neutralen Element besteht. Es gibt noch eine weitere triviale Untergruppe, das ist die Gruppe selbst. Beim Dreieck in Abbildung 74b h/itte man auch so fiirben k6nnen, dass wir nicht zu ({id, Sf},o), sondem zu den Untergruppen ({id, Sg},o) oder ({id, Sh},O) gekommen w~iren. Damit haben wir alle Untergruppen der Deckabbildungsgruppe des gleichseitigen Dreiecks gefunden: die trivialen Untergruppen (G,o) und ({id},o), die Untergruppe der Drehungen ({id, DM.120o,DM,240~ ~ sowie die Untergruppen ({id, Sf},o), ({id, Sg},O) und ({id, Sh},O). Weitere Untergruppen kann es nicht geben. Betrachtet man zum Beispiel ({id, DM.I20o},O), SO liegt das Verkettungsprodukt DM,120o ~ DM.120o = DM.240~ nicht mehr in {id, DM.120o}.Betrachtet man id mit zwei Geradenspiegelungen hinsichtlich ,,o", also zum Beispiel ({id, St, Sg},O), so entstehen Drehungen als Verkettungsprodukte, die in der betmchteten Teilmenge von G nicht enthalten sind. Da all diese Gebilde also bereits nicht abgeschlossen sind, erfibrigt sich die 0-berpriifung der weiteren Gruppeneigenschaften. Hilfreich bei der Suche nach Untergruppen ist der folgende Satz, auf dessen Beweis wir an dieser Stelle verzichten: Satz 26:
Die Untergruppenordnung ist stets ein Teiler der Gruppenordnung. Unter der Ordnung versteht man dabei die Anzahl der Elemente.
Wir verlassen das gleichseitige Dreieck und wenden uns den Deckabbildungen des Quadrats zu. Ausgehend vonder Deckabbildungsgruppe des Quadrats werden wir eine Systematik in die uns bekannten Viereckstypen Quadrat, Rechteck, Raute, Drachen, Parallelogramm und Trapez bringen. Die Menge der Deckabbildungen des Quadrates umfasst acht Elemente3S:
38
i/ .
-...
............... tliiii.... .iiiiiil]iS: ............. -:Li g .y
"...,
f
h
Allgemein umfasst die Deckabbildungsgruppe eines regelmfiBigen n-Ecks stets 2n Elemente, n Drehungen und n Geradenspiegelungen. Man nennt diesen Typ yon Gruppen Dieder-Gruppen. Die Diedergruppe D6 haben Sie oben beim gleichseitigen Dreieck kennen gelemt.
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
173
die vier Drehungen DM.oo , DM.9O~ , DM.I8OO, DM.27O~ um den Schnittpunkt der Mittelsenkrechten und die vier Geradenspiegelungen Sf, Sg, Sh, Si an den beiden Mittelsenkrechten bzw. den beiden Diagonalen. Stellen Sie zur l~oung die Verknfipfungstafel auf und zeigen Sie/ihnlich wie beim gleichseitigen Dreieck, dass die Menge der Deckabbildungen des Quadrats mit der Verkettung ,,o" eine Gruppe ist. Die gr6Bten echten Untergruppen, die in Frage kommen, haben nach Satz 26 vier Elemente. ({id, DM.90o, DM.ISOO,DM.270o},~ ist eine vierelementige Untergruppe39 der Deckabbildungsgruppe des Quadrates. Unter den genannten Vierecken ist allerdings keines, das diese Untergruppe als Deckabbi!dungsgruppe hat. Ein Viereck, das zu dieser Untergruppe passt, sollen Sie in Ubung 2 herstellen. Weitere vierelementige Untergruppen finden wir mit ({id, DM,180o, Sf, Sg},o) bzw. ({id, DM.Jsoo, Sh, Si},o)4~ Ein punktsymmetrisches Viereck, das seine beiden Mittelsenkrechten als Symmetrieachsen hat, ist ein Rechteck. Ein punktsymmetrisches Viereck, das bezfiglich seiner beiden Diagonalen achsensymmetrisch ist, ist eine Raute. In Abbildung 75 ordnen wir das Rechteck und die Raute gleichberechtigt nebeneinander unterhalb des Quadrates an. Uberzeugen Sie sich anhand der Verknfipfimgstafel des Quadrates, dass es keine weiteren vierelementigen Untergruppen geben karm. Wir betrachten nun die zweielementigen Untergruppen. Diese sind: ({id, DM,IS0o},O),({id, Sf},o), ({id, Sg},O), ({id, Sh},o) und ({id, Si},o). Ein punkt-, aber nicht achsensymmetrisches Viereck ist ein Parallelogramm. Dieses hat also ({id, DM,Js0o},~ als Deckabbildungsgruppe. Ein beziiglich einer Mittelsenkrechten symmetrisches Viereck ist ein gleichschenkliges Trapez. Dabei ist eine Unterscheidung zwischen einem Trapez, das ({id, Sf},o) als Deckabbildungsgruppe hat und einem Trapez mit der Deckabbildungsgruppe ({id, Sg},O) auf der Ebene der Viereckstypen nicht sinnvoll. ({id, Sh},o) und ({id, Si},o) sind die Deckabbildungsgruppen von Vierecken, die eine ihrer Diagonalen als Symmetrieachsen besitzen. Solche Vierecke 39 Es handelt sich um eine zyklische Gruppe der Ordnung 4 (2;4). 4o Diese Untergruppen sind vom Typ der Kleinsche Vierergruppe (V4).
174
4 Abbildungsgeometrie
sind Drachen. Auch hier lohnt eine Unterscheidung zwischen der einen und der anderen Diagonale nicht. Da Parallelogramm, gleichschenldiges Trapez und Drachen jeweils Deckabbildungsgruppen der Ordnung 2 haben, ordnen wir sie in Abbildung 75 gleichberechtigt nebeneinander an. Damit haben wir, ausgehend yon der Deckabbildungsgruppe des Quadrats, die folgende Systematik yon Vierecken gewonnen:
Quadrat 9. ,
.."
,.'
"...
({id, DM,90o, DM,180o, DM,270",Sf, S~, S,, Si},o) Rechteck ~
Raute
({id, DMr180~ Sf, Sg },o)
gleichschenkliges Trapez
({id, Sf},o)
({id, DM,18o~ Sh, Si},o)
Parallelogramm
({id, DM,18o*},o)
~
Drachen
({id, S,},o)
Abb. 75 Alle iibrigen Vierecke haben die triviale Untergruppe ({id},o) als Deckabbildungsgruppe und sind insofern gleichberechtigt. Trotzdem ist diese Situation etwas unbefriedigend, da das allgemeine Trapez nicht untergebracht wurde. Zwar ist es nicht symmetrisch, aber immerhin sind zwei Seiten zueinander parallel.
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
175
Wenn wir statt der Deckabbildungen Eigenschaften von Seiten, Winkeln und Diagonalen der Vierecke betrachten, dann k6nnen wir eine Systematik in die Vierecke bringen, in der auch das allgemeine Trapez angemessen untergebracht ist. Die folgenden 13-berlegungen dieser Systematisierung werden in Abbildung 76 anschaulich zusammengefasst: Bei einem Quadrat sind die sich gegeniiberliegenden Seiten gleich lang und parallel, die Diagonalen sind gleich lang, sie halbieren sich und stehen senkrecht aufeinander. Verzichtet man auf die Orthogonalit~it der Diagonalen, so gelangt man zum
Rechteck. Verzichtet man darauf, dass die Diagonalen gleich lang sind, beh~ilt aber ihre Orthogonalit~it bei, so gelangt man zur Raute. Vom Rechteck gelangt man zum gleichschenkligen Trapez, indem man die Parallelit~it gegeniiberliegender Seiten nur noch fOr ein Seitenpaar verlangt, die gleiche L~ingeder Diagonalen aber beibeh~ilt. Verzichtet man auf die gleiche L~inge der Diagonalen und beh~ilt die Parallelit~it gegeniiberliegender Seiten bei, so gelangt man vom Rechteck zum Parallelogramm. Dorthin kommt man auch yon der Raute, indem man die Parallelit~it je zweier gegeniiberliegender Seiten beibeh~ilt, aber nicht mehr fordert, dass die Diagonalen orthogonal sind. Wir begeben uns zur Raute. Wenn man die Orthogonalit~it der Diagonalen beibeh~ilt und die Tatsache, dass sich die Diagonalen halbieren, zumindest fOr eine Diagonale fordert, so kommt man yon der Raute zum Drachen. Beibehalten der Parallelit~it eines Paares gegeniiberliegenderSeiten fohrt vom gleichschenkligen Trapez und auch vom Parallelogramm zum allgemeinen
Trapez. Verzichtet man beim Drachen auf die Orthogonalit~it der Diagonalen und verlangt nur noch, dass die eine Diagonale von der anderen halbiert wird, so erh~ilt man ein Viereck, das als schriiger Draehen bezeichnet wird. Zu diesem Viereck kommt man auch, wenn man beim Parallelogramm auf alle Eigenschaften verzichtet bis auf die, dass eine Diagonale von der anderen halbiert wird. Verziehtet man beim sehr~igen Drachen und beim Trapez auf die letzten bescheidenen Besonderheiten dieser Viereeke, dann erh~ilt man in der untersten Ebene das allgemeine Viereck. Diese Systematik der Vierecke wird auch als das ,,Haus der Vierecke" bezeichnet.
176
4 Abbildungsgeometrie
Quadrat
1: Gegenseitengleichlang 2: Gegenseitenparallel 3: Diagonalenhalbierensich 4: Diagonalenorthogonal 5: Diagonalengleichlang
Rechteck
Raute
1,2,3,5 -(1),-(2),-3
-4,-5
gleichschenkliges
-4
-1, -2, -(3)
Parallelogramm
T r a p e z ~
chen
/1,2,3/ -5
-(1),-(2),-3
-1,-2,-(3)
-4
~
Trapez
-(1),-(2)
schrfiger Drachen
-(3)
/•evmeines iereck
Abb. 76
Man kann auch noch mit anderen Kriterien Ordnung in die Menge der Vierecke bringen, z.B. mit der Mindestanzahl der zur Konstruktion notwendigen Stticke. Ein Quadrat ist durch die Angabe einer Seitenlange schon eindeutig bestimmt. Beim Rechteck ben6tigt man zwei Angaben (z.B. zwei benachbarte Seiten oder auch eine Diagonalenl~ingeund der Winkel zwischen
4.2.6 Deckabbildungsgruppen
177
der Diagonalen und einer Seite), ebenso bei der Raute (z.B. die L~nge der beiden Diagonalen). Ftir die mittlere Etage unseres Hauses brauchen wir drei Angaben (bei allen gelingt die Konstruktion mit zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel). Das allgemeine Trapez und der schr~ige Drachen sind nur konstmierbar, wenn man vier brauchbare Angaben hat (z.B. zwei Seiten und zwei Winkel), fiir ein allgemeines Viereek sind ftinf Bestimmungsstticke erforderlich. Dieses Vorgehen ffihrt uns aber auf neue Viereckstypen (z.B. auf ein Viereck mit zwei gleichen Winkeln), die auch durch Angabe von vier Stricken eindeutig bestimmt sind, also auf der Ebene yon Trapez und schr~igem Drachen einzuordnen w~iren, die man iiblicherweise aber nicht gesondert betrachtet. So interessant die Suche nach neuen Viereckstypen auch w~ire, wir verfolgen das nicht weiter. Der Versuch, andere besondere Vierecke wie das in Kapitel 5 auftauchende Sehnenviereck in unser Haus zu integrieren, verursacht St6rungen und erfordern Umbauten. Wir wollen auch das hier nicht weiterverfolgen und verweisen auf Neubrand (1981). Hier sollte nur angedeutet werden, dass eine bestehende Ordnung nicht, wie oft suggeriert wird, naturgegeben ist, und dass auch mathematische Definitionen bzw. Systematisierungsbemiihungen Gegenstand yon Abw~igungen sind. Auch hat sich gezeigt, dass der Versuch, Ordnung in Bekanntes zu bringen, neue Begriffe hervorbringen karm, z.B. den des schr~igen Drachens.
Ubung:
I) Stellen Sie die Verkniipfungstafel fiir die Deckabbildungsgruppe des Quadrates auf. 2) Zeichnen Sie ein Quadrat mit allen Symmetrieachsen. F~irben Sie die entstandenen Dreiecke so ein, dass die sich ergebende Figur die folgende Deckabbildungsgruppe besitzt. Stellen Sie jeweils die Verkniipfungstafel auf. a) b) c) d)
({id, DM.90o, DM,180o, DM.270o},o) ({id, DM,180o,St, Sg},o) ({id, DM.18oo,Sh, Si},~ ({id, Dms0o},o)
e) ({id, Sf},o) f) ({id, Sh},o) g) ({id},o)
3) Ordnen Sie/ihnlich wie beim Haus der Vierecke die verschiedenen Dreieckstypen in einem Diagramm. Benutzen Sie dabei die Typen ,,gleichseitig", ,,allgemein", ,,rechtwinklig", ,,gleichschenklig" und Kombinationen aus diesen.
178
4.3
4 Abbildungsgeometrie
P,hnlichkeitsabbildungen
Die Milchtiiten in Abbildung 77 sind sicher nicht durch eine Kongruenzabbildung entstanden. Vielmehr denken wir bei der Betrachtung der Abbildung eher an einen Vergr613emngs- oder Verkleinertmgsprozess. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere auch an einen gemtitlichen Diaabend und interpretiert die dargestellten Tiiten als verschiedene Bilder eines I Dias auf Projektionsleinw~inden mit verschiedenen | Abst~nden zum Projektor. Sicher sind die in der Abbildung rechts dargestellten Milchtiiten nicht deckungsgleich, aber sie sind einander iihnlich.
I
0
Abb. 77
Unter A'hnlichkeit verstehen die Mathematiker, dass die Figuren in entsprechenden Winkeln iibereinstimmen und das Verh~iltnis entsprechender Seitenl~ingen konstant ist. Auf der Suche nach einer dieser ,~mlichkeit zugrunde liegenden Abbildung zeichnen wir einige Ecken unserer Milchtiiten aus und verbinden einander entsprechende Ecken durch Geraden (Abbildung 78).
I ~
~- ) 2. k2(B; r2 = rl) 3. k i n k 2 = {C,D} n
4. C D ~ AB ={M}
Die Schnittmenge beider Kreise liefert die Punkte C und D. Die Schnittmenge der Geraden CD und der Strecke AB ist der Mittelpunkt M der Strecke AB.
5.4 Grundkonstnaktionen
211
Winkel halbieren Gegeben ist ein Winkel ~t mit Scheitelpunkt A und den Schenkeln a~ und a2. Der Winkel soil in zwei Winkel mit gleichem Winkelmal] zerlegt werden.
A
al
~B
Abb. 110 Konstruktionsschritt 1. kl(A; rl bel.) 2. k l n a l = { B } ,
Erl/iutemng
kjna2={C}
3. k2(B; r2 > I(BC) ) 2 4. k3(C; r 3 = r2 ) 5. AE
Die Halbgerade durch die Punkte A und E (bzw. D) ist die gesuchte Winkelhalbierende.
Das haben Sie sicher schon tausend Mal probiert und tausend Mal ist nichts passiert. Aber jetzt fragen zwei nach: Ab dem dritten Konstruktionsschritt wird doch eigentlich keine eigenstfindige Konstruktion fiJr eine Winkelhalbierende w~ vorgestellt, sondem vielmehr der bekannte Algorithmus f'fir die Mittelsenkrechte m~6" der Strecke BC abgearbeitet. Oder? Oder auch nicht - doch? Karm, daft, soil, muss das so sein? Lesen Sie erst dann weiter, wenn aus dieser Unklarheit eine Klarheit geworden ist. 17
Iv Kap. 4, Satz 2 und Kap. 6, Satz 9 k6nnten aufldfirend wirken.
212
5 Geometrische Konstruktionen
5.4.3 Lote (Senkrechte) Wir betrachten im Folgenden das F~illen und das Errichten von Loten. Im ersten Fall geht es darum, das Lot zu einer Geraden g durch einen Punkt P zu konstruieren, der nicht auf g liegt. Im zweiten Fall ist das Lot zu einer Geraden g durch einen Punkt P auf g zu konstruieren.
Lote f'dllen Gegeben ist eine Gerade g und ein Punkt P mit P ~ g. Gesucht ist die Lotgerade 18 zu g dutch P. A
---~,
g ..... ,/'C
g
E \ Abb. l l l
Abb. l l 2
Konstruktionsschritt
Anmerkung
1. kz(A; rl)
r~ muss grfil~er als der Abstand von A zu g sein.
2. kl r i g = {B,C} 3. k2(B; r2 > l(~t~__..~)n~) 4. 5. 6. A
k3(C; r3 = r2 ) k2 n k3 = {D,E} AE = DE = AD ist das Lot durch auf g.
Durch geeignetes Anlegen des Geodreiecks (siehe Abbildung 112) l~isst sich das Lot schnell fiillen.
18 Die Begriffe ,,Lotgerade zu g", ,J.~ot auf g", ,,senkrechte Gerade zu g" oder ,,Senkrechte zu g" werden synonym verwendet.
5.4 Grundkonstruktionen
213
Neben dieser exakten Konstruktion mit Zirkel und Lineal war es friiher auch tiblich, Lote ,,schnell" mit Zeichendreieck und Lineal bzw. mit zwei Zeichendreiecken zu f~illen.Mit Aufkommen des Geodreiecks setzte sich die in Abbildung 112 dargestellte Technik als Alternative durch. Auch wenn die Genauigkeit dieser Vorgehensweisen der in Abbildung 111 abgebildeten Zirkelkonstruktion kaum nachstehen diirfte, m6chten wir doch darauf hinweisen, dass hierbei das Konstruieren mit euklidischen Werkzeugen im engeren Sinn verlassen wird.
Lote errichten Gegeben ist eine Gerade g und ein Punkt A mit A ~ g. Gesucht ist die Senkrechte zu g in A.
........
D
B,
Abb. l l 3
g
Abb. l l 4
Konstruktionsschritt
Anmerkung
1. kj(A; rl bel.) 2. kt r i g = {B,C} 3. k2(B; r2 > r~ ) 4. k3(C; r3 = r2 ) 5. k2 ~ k 3 = {D,E} 6. DE ist das Lot zu g in A.
Durch geeignetes Anlegen des Geodreiecks (siehe Abbildung 114) 1/isst sich das Lot schnell errichten.
214
5 Geometrische Konstruktionen
Mittelsenkrechte
Gegeben ist eine Strecke AB. Gesucht ist die Senkrechte durch den Mittelpunkt von AB. Die__ Mittelsenkrechte einer Strecke --.~ / 0 I C AB ist diejenige Gerade, die sen~echt durch den Mittelpunkt von AA~.... AB geht 19. Alle Punkte P, die von A und B gleichen Abstand haben, liegen auf der Mittelsenkrechten von AB 2~ Die Ortslinie fiir alle Punkte, die von D A denselben Abstand r haben, ist der Kreis um A mit dem Radius r. Die Abb. 115 Ortslinie for alle Punkte, die von B denselben Abstand r haben, ist der Kreis um B mit dem Radius r. Die Schnittmenge beider Ortslinien liefert zwei Punkte der Geraden ,,Mittelsenkrechte", die damit eindeutig darstellbar ist2t. Die Konstruktion der Mittelsenkrechten zur Strecke AB verl~iuft analog zur Halbierung einer Strecke AB.
Konstruktionsschritt
Erl/iuterung
1. kl(A; rz > ~ -
Ohne die an rl gekniipfte Bedingung entstehen in Schritt 3 keine Schnittpunkte.
2. k2(B; rz = rl) 3. kl c~ k2 = {C,D} 4. CD = m ~
19
20 21
)
m
CD ist Mittelsenkrechte von AB.
K6rmten wir eigentlich in Anlehnung an die Definition der Geradenspiegelung in Kap. 4.2.1 auch festlegen: Die Mittelsenkrechte einer Strecke AB ist die Symmetrieachse der Punkte A und B? Und was halten Sie yon: Die Mittelsenkrechte einer Strecke AB ist eine Symmetrieachse der Punkte A und B? vgl. hierzu auch Kap. 4.2.1 Finden Sie eine Begriindung fiir die Behauptung im Relativsatz.
5.4 Grundkonstruktionen
215
5.4.4 Parallele durch einen Punkt Gegeben ist eine Gerade g und ein Punkt P mit P ~ g. Gesucht ist die Parallele zu g durch p.22
/
Lot
12 errichten
g Abb. 116
T/iuschen wir uns nicht: Der folgende Konstruktionsalgorithmus gerfit nur darum so kompakt, weil wir in der Beschreibung der Konstruktionsschritte auf zuvor festgelegte Module zuriickgreifen k6rmen.
Konstruktionsschritt
Erl/iuterung
1. Lot Ii durch P aufg fiillen.
Abarbeiten des Moduls ,,das Lot fiillen" (Kap. 5.4.3, Abbildung 111 t) Abarbeiten des Moduls ,,das Lot errichten" (Kap. 5.4.3, Abbildung l13f)
2. In P das Lot 12auf Ii errichten.
22
Wie stehen Sie eigentlich zur Formulierung ,,Gesucht ist eine Parallele zu g durch P." oder der ahnlich charmanten Redeweise ,,Gesucht sind einige Parallelen zu g durch P."? Eine absehlieBende Stellungnahme sollten Sie durch ein Axiom, eine Definition oder einen Satz stiitzen.
216
5 Geometrische Konstruktionen
Beim Abarbeiten dieser Konstruktion mit euklidischen Werkzeugen sind insgesamt sechs B6gen bzw. Kreise herzustellen. Es bieten sich also sechs Stellen an, Ungenauigkeiten in die Konstruktion einflieBen zu lassen. Fehler an ,,friihen" Stellen eines Konstruktionsweges haben in der Regel zur Folge, dass sie sich bei der weiteren Abarbeitung des Algorithmus fortschreiben oder sogar vervielfachen: die beriihmten Geheimnisse von Addition und Multiplikation. Der Leser m6ge einmal fiberpriifen, wie sich ein und dieselbe Ungenauigkeit an zwei verschiedenen Stellen des Konstruktionsalgorithmus auf die Genauigkeit des Endprodukts auswirkt. Wir betrachten im Folgenden Konstruktionswege, in denen nicht ausschlieBlich mit Zirkel und Lineal gearbeitet wird: Abbildung 117 zeigt, wie die Konstruktion einer Parallelen zu einer gegebenen Geraden durch einen Punkt mit Hilfe eines Geodreiecks durchgeffihrt wird. 2. Lot errichten
~
1. Lot ~illen
g Abb. 117 |
In Abbildung 118 wird die gleiche Konstruktion mit Hilfe von zwei Geodreiecken durchgefiihrt, wobei das als Anschlag benutzte Dreieck | auch durch ein Lineal ersetzt werden kann. Der zu-, nicht ab-, allenfalls leicht geneigte Leser m6ge auch bei den in den Abbildungen 117 und 118 dargestellten Vorgehen eine Genauigkeitsbe-
~ii.... ................. Abb. 118
5.4 Grundkonstruktionen
217
trachtung anstellen und mit der Genauigkeit der Zirkelkonstruktion in Abbildung 116 vergleichen.
Unzureichend ist das in Abbildung 119 abgebildete Vorgehen, das bereits beim Erkunden der Funktionalit~it des Geodreiecks in der Grundschule problematisiert werden kann. Abb. 119
5.4.5 Mittelparallele Gegeben sind zwei Geraden g und h mit g II h. Gesucht ist die Parallele m zu g und h, die von g und h gleichen Abstand hat. 1 g
I1
A
DB
Abb. 120
Konstruktionsschritt
Erl/iuterung
1. bel. I mit 1 • h
Ein beliebiges Lot I auf h errichten. (Kap. 5.4.3)
2 . 1 n g = ~ ~A~ und I n h = {B} 3. r n ~
Die Mittelsenkrechte zur Strecke AB konstruieren. (Kap. 5.4.3) I
218
5 Geometrische Konstruktionen
5.4.6 Linien i m D r e i e c k H6hen Sind H6hen eigentlich Geraden oder Strecken? Nun, als Lote von einer Ecke des Dreiecks auf die Tr/igergerade der gegen/Jberliegenden Dreiecksseite sind H6hen Geraden. Trotz dieser klaren Aussage w~re eine konsequente Unterscheidung zwischen den Begriffen H6hengerade und H6he durchaus wiinschenswert, denn insbesondere in schulischen Konstruktionsaufgaben findet man h/iufig Aussagen wie ,,l(hc) = 3,5 cm" oder ,,he = 3,5 cm". Die H6hengerade ho kann hier ganz offensichtlich nicht gemeint sein. In diesere Fall versteht man unter 1~ nur eine Teilmenge der H6hengeraden: die Strecke zwischen dem Dreieckspunkt C und dem Schnittpunkt der H6hengeraden mit der gegen/iberliegendenSeite c (bzw. deren Verl~ingerung). Solange aufgrund des Kontextes keine Verst~dnisschwierigkeiten zu bef/irchten sind, schliel3en wir uns dieser sonst eher in den Gesellschaftswissenschaften/iblichen ,,offenen" Begriffsverwendung an. C
Ci
b
I hb
C
B
H
Abb. 121 Die Konstruktion der H6hen erfolgt durch wiederholtes Abarbeiten des Moduls ,,das Lot f~illen''23.
23 vgl. Kap. 5.4.3
5.4 Grundkonstruktionen
219
Die drei H6hen eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt H . 24
Seitenhalbierende
Seitenhalbierende sind diejenigen Strecken, die die Dreiecksecken mit den Mittelpunkten der gegenfiberliegenden Seite verbinden. Mit dieser Begriffskl/irung wird ldar, dass zur Konstruktion der Seitenhalbierenden eines Dreiecks wiederholt das Modul ,,eine Strecke halbieren" (Kapitel 5.4.2) abzuarbeiten ist. In Ubungsaufgabe 3 am Ende dieses Kapitels k6nnen Sie entdecken, warum Seitenhalbierende auch Schwerelinien heil3en. Die drei Seitenhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt S, dem Schwerpunkt. b a In der klassischen Physik wird der Schwerpunkt Seines K6rM,, M, pers als derjenige Punkt betrachtet, in dem seine Masse vereint zu sein scheint. Das heiBt: Die Masse eines K6rpers hat auf andere K6rper die gleiche Wirkung als w/ire sie im A ,. Schwerpunkt konzentriert. Ebenso kann man die Kraft, die Abb. 122 von auBen auf alle Massepunkte des K6rper wirkt, als diejenige Kraft auffassen, die auf den Schwerpunkt S wirkt. Durch den Schwerpunkt wird jede Seitenhalbierende im Verh/iltnis 2:1 geteiltY Auch diese Information unterstreicht die Streckeneigenschaft der Seitenhalbierenden. C
Mittelsenkreehte
Eine exakte Begriffsfestlegung finden Sie in Definition 3 des Kapitels 4.2.1. Unabh/ingig davon weist allein der Name ,,Mittelsenkrechte" recht deutlich darauf hin, mit welcher Art von Objekten wires hier zu tun haben: 24 Wir verweisen hierzu auch aufKapitel 6.2, Satz 7. 25 Wir verweisen in diesem Zusammenhang aufKapitel 6.2, Satz 8.
220
5 Geometrische Konstruktionen
mit Senkrechten, d. h. Loten, d. h. Geraden durch den Mittelpunkt von Strecken (hier den Dreiecksseiten). Dennoch ist es -/ihnlich wie bei den H6hen - gerade im Zusammenhang mit Konstruktionskontexten iiblich, yon der L/inge einer Mittelsenkrechten zu reden. ,,Wie das?", mag sich der an dieser Stelle zu Recht erschrockene Leser fragen. Analog zur ,,L~nge einer H6he" fasst man bei der Rede von der ,,L&inge einer Mittelsenkrechten" diejenige Teilmenge (Strecke) der Mittelsenkrechten ins Auge, die im Inneren des Dreiecks liegt. Auch hier schliel3en wir uns dieser ,,offenen Begriffsverwendung", die im iibrigem bei weitem nicht so ,ge6ffnet" ist wie die Verwendung des Begriffs ,,oftener Unterricht" oder gar ,,Freiarbeit", an, solange Missverst~ndnisse weitgehend ausgeschlossen sind. Zur Konstruktion einer Mittelsenkrechten ist a)
der Mittelpunkt einer Dreiecksseite zu bestimmen und
b)
m diesem Punkt das Lot zur Dreiecksseite 26 zu errichten. Alle Punkte P auf der Mittelsenkrechten mc haben yon den Dreiecksecken A und B den gleichen Abstand, das wissen Sie aus Kapitel 4, Satz 2. Entsprechendes gilt fiir die Punkte auf den Mittelsenkrechten nab und ma.
xx
j/
l)berlegen Sie selbst, warum sich um den Schnittpunkt M der drei Mittelsenkrechten ma, nab und mc immer ein Kreis mit dem
Radius r = I ( A M ) zeichnen 1/isst, der alle drei Ecken des Dreiecks beriihrt, der so genannte Umkreis des Dreiecks. Wann eigentlich liegt der Mittelpunkt des Umkreises innerhalb / ausserhalb des Dreiecks? Gibt es seltsame Dreiecke, deren Umkreismittelpunkt auf einer Dreiecksseite liegt? Abb. 123
z6 Genau muss es eigentlich heil3en: ..... das Lot zur Trggergeraden der Dreiecksseite ..."
5.4 Grundkonstruktionen
221
Winkelhalbierende
Weil Winkel "~(a,b) durch zwei Halbgeraden (dem Erst- und Zweitschenkel) mit gemeinsamem Anfangspunkt S (dem Scheitelpunkt) festgelegt werden27, macht es Sinn, auch die Winkelhalbierende des Winkel g(a,b) als Halbgerade aufzufassen. Die Winkelhalbierenden w~, w~ und wy der Innenwinkel et, 13 und • eines Dreiecks erh~ilt man, indem man wiederholt den Algorithmus ,,einen Winkel halbieren" (vgl. Kapitel 5.4.2) abarbeitet.
A
,w
B
Abb. 124
Die drei Winkelhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt W, dem Mittelpunkt des so genannten I n k r e i s e s , des Kreises also, der alle Dreiecksseiten (in genau einem Punkt) beri~hrt. 2s Analog zu den 0berlegungen nach m6glichen Lagen des Umkreismittelpunktes k6nnen Sie auch hier fragen: Wann eigentlich liegt der Mittelpunkt des Inkreises innerhalb / aul3erhalb des Dreiecks? Gibt es seltsame Dreiecke, deren Inkreismittelpunkt anf einer Dreiecksseite liegt?
27 Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang gem an Kapitel 3.5. 28 Mehr zu diesem besonderen Kreis und seinen ,,Verwandten" - den k r e i s e n - erfahren Sie in den S/itzen 10 und 11 des Kapitels 6.2.
An-
222
5 Geometrische Konstruktionen
5.4.7
Konstruktionen am Kreis
Mittelpunkt eines Kreises bestimmen Sicher erinnern Sie sich an Rudis Geschicklichkeitsiibung im Ackerbiirger aus Situation 5 des Einstiegskapitels zum Konstruieren: Rudi land den Mittelpunkt des Rolinckbierdeckels durch ,,mehr oder weniger systematisches Probieren" und wir stellten am angegebenen Ort in Aussicht, dass eine konstruktive L6sung in etwa sechs Schritten m6glich sein sollte. Nun ja, Rudi hatte im Ackerbfirger wieder mal seine euklidischen Werkzeuge nicht dabei, dafiir miissen Sie die L6sung der Aufgabe ohne eine Steinfurter K6stlichkeit nachvollziehen - ann/ihemd vergleichbare Mankos! C
B
A
f
Abb. 125
Abb. 126
Zur Bestimmung des Mittelpunktes eines Kreises wird zun~ichst eine beliebige Sehne ~ eingezeichnet und deren Mittelsenkrechte m ~ bestimmt29. Danach ffihren die beiden in Abbildung 125 und 126 dargestellten Vorgehensweisen zum Kreismittelpunkt M: a)
Es wird eine beliebige zweite Sehne CD eingezeichnet und ebenfalls deren Mittelsenkrechte mu6 bestimmt. Der Schnittpunkt beider Mittelsenkrechten ist der Kreismittelpunkt (Abbildung 125).
29 Hier ist das Modul ,,die Mittelsenkrechte konstruieren" (Kapitel 5.4.3) abzuarbeiten.
5.4 Grtmdkonstruktionen b)
223
Der Mittelpunkt der Kreissehne, die durch die Mittelsenkrechte m~--~ entsteht, wird bestimmt (Abbildung 126).
Tangente an einen Kreis
Gegeben ist ein Kreis kl(M; rl) und ein Punkt P auBerhalb des Kreises. Gesucht ist diejenige Gerade / sind diejenigen Geraden durch P, die den Kreis in genau einem Punkt berfihrt / beriihren.
~M
t~
Abb. 127
Konstruktionsschritt
Erl~iutertmg
1. M ~
Den Mittelpunkt der Strecke PM bestimmen und T nennen. Vgl. Kapitel 5.4.2 (eine Strecke halbieren) Den Thaleskreis fiber der Strecke PM zeichnen. Die Schnittpunkte des Thaleskreises mit dem Kreis kl(M; rl) als B und C benennen. Die Geraden PB und PC sind die gesuchten Tangenten h und t2.
m
= {T}
2. k2(T; r2 = 1( TM )) 3. k2(T; r2) n kl(M; rl) = {B, C}
4. PB = h, PC = t2
224
5 Geometrische Konstruktionen
Die Gerade, die den Kreis in genau einem Punkt berfihrt, muss senkrecht auf den (Berfihr-) Radius rl stehen, also mit rl einen rechten Winkel bilden. Die Ortslinie ftir alle rechten Winkel fiber einer Strecke PM ist der Thaleskreis3~ fiber der Strecke PM und der schneidet den Kreis kl(M; rl) gleich zweimal. Die Fragestellung fiihrt also zu zwei L6sungen, der Geraden PB und der Geraden PC.
Tangente durch einen Punkt P auf einem Kreis Gegeben ist ein Kreis kl(M; rl) und ein Punkt P mit P ~ kl(M; r0. Gesucht ist diejenige Gerade, die den Kreis in P berfihrt. g
Abb. 128
Konstruktionsschritt
Erl~iuterung
1.g=PM
Die Gerade g durch P und M zeichhen. In P das Lot t aufg errichten (vgl. Kapitel 5.4.3). t ist die gesuchte Tangente.
2. t J_g / x P ~ t
30
Zum Thaleskreis verweisen wir auf Kapitel 6.3. Der Satz des Thales von Milet (Kap. 6.3, Satz 15) ist ein Sonderfall des Umfangs- oder Peripheriewinkelsatzes (Kap. 6.3, Satz 14).
5.4 Grundkonstruktionen 5.4,8
225
T e i l u n g i n n gleiche Teile
Strecken in n gleich lange Teilstrecken teilen Bei Fragestellungen dieser Art geht es um das Unterteilen einer gegebenen Strecke AB in n gleich lange Teilstrecken: Bekannt sind die L~inge der Ausgangsstrecke und die Anzahl n d e r Teilstrecken. Gesucht ist die Lfinge jeder der Teilstrecken.
a-
/.///
.................... / /
//-/B
t---t ...... .-,&,
Abb. 129
-i.
h
Konstruktionsschritt
Erlfiuterung
1. Vom Endpunkt A der Strecke AB eine beliebige Halbgerade h zeichnen, fiir die gilt:
Halbgerade h bildet mit der Halbgeraden AB einen spitzen Winkel.
w(h, AB ) < 90 ~ 2. Auf h von A aus wiederholt eine Strecke beliebiger Uinge abtragen. Die Endpunkte Ai dieser Strecken seien Ab A2, ... An. 3. Zur Geraden BAn die Parallelen durch alle Ai zeichnen. 4. Die Schnittpunkte der Parallelen mit AB kennzeichnen die Teilpunkte der Strecke AB.
Aus pragmatischer Sicht wfihlt man ~ r die wiederholt abgetragene Strecke eine Lfinge, die etwa der ungeffihren Soll-Lfinge entspricht,
226
5 Geometrische Konstruktionen
Mit einem Beispiel zum Teilen einer Strecke in n gleich lange Strecken haben wir Sie zu Beginn des Kapitels 5.1 konfrontiert. Gemeint ist die Situation, in der es darum ging, die im Land Weitweg eingefiihrte unpraktische L~ingeneinheit 1 w in 7 gleich grof~e Teile zu unterteilen. Wir m6chten an dieser Stelle anmerken, dass die Fragestellung strukturgleich zur Aufgabe ,,Schneewittchen m6chte eine Lakritzstange ,,gerecht" an ihre geliebten Zwerge verteilen." ist und eine stilreine Beispielsituation ftir die im Zusammenhang mit der Einffihnmg der Division bedeutsame Grundvorstellung des Verteilens darstellt.
Winkel in n Winkel mit gleichem Winkelmafl teilen
Auf die Konstruktion zum Halbieren eines Winkels sind wir in Kapitel 5.4.2 eingegangen. Durch wiederholte Anwendung dieses Algorithmus ist es m6glich, einen gegebenen Winkel in 22, 23, 24.... 2" Teile zu teilen. Abgesehen vom Halbieren, Vierteln, Sechzehnteln, ... eines Winkels l~isst sich kein allgemeingiiltiges Verfahren fiir die n-Teilung eines Winkels mit beliebigem Winkelma8 angeben. Wir stoBen an dieser Stelle unmittelbar an die Grenzen des Konstruierens mit euklidischen Werkzeugen und damit auf eines der klassischen Probleme der antiken Mathematik, das wir in Kapitel 5.1 angesprochen haben. 31 Und die Folge? Im allgemeinen Fall l~isstsich das WinkelmaB des n-ten Teils eines Winkels (x allein durch die Division w(a) ermitteln. rl
Strecken im Verhfiltnis p:q vergr~flern bzw. verkleinern
Eine Strecke wird im Verh~iltnis p:q vergr6Bert bzw. verkleinert, indem man a)
die Strecke zun~ichst um das p-fache vergr6Bert, also die Strecke p-real abtr~igt (siehe Kapitel 5.4.1) und
Vielleicht miissen wir an dieser Stelle doch noch eine Heine Einschr~inkung einfiigen? Dem nach Erkenntnis strebenden Leser sei Ubungsaufgabe 5 nahe gelegt.
5.4 Grundkonstruktionen b)
227
anschlieBend in q gleich lange Teilstrecken teilt und eine davon auszeichnet (vergleiche Kapitel 5.4.8). m
In Abbildung 130 wird die Strecke AB im Verhfiltnis 3:4 zur Strecke AB' verkleinert. A
B'/
~B
/
~
/
I/
Abb. 130
Ein weiteres Verfahren benutzt die in Abbildung 131 dargestellte Strahlensatzfigur 32. Mit den in der Abbildung benutzten Bezeichnungen gilt:
p _ I(AT) bzw. q I(TB) p A
p+q
_ I(AT) I(AB)
Abb. 131
Auf die Konstruktion regelm~iBigern-Ecke gehen wir in Kapitel 6.5 ein.
32 Zu den Strahlens/itzen sei aufKapitel 4.3 hingewiesen.
228
5 Geometrische Konstruktionen
Ubtmgen 1) Finden Sie zwei (nicht geldinstelte) Alltagssituationen, in denen das Abtragen eines Winkels (ohne Geodreieck) erforderlich ist und formulieren Sie zu jeder Situation eine attraktive Aufgabe f/Jr den Geometrieunterricht im Sekundarbereich I.
2) Was wird hier eigentlich konstruiert? Wird hier g /iberhaupt konstruiert oder eher kreativ herumgezirkelt? p
Gegeben sind zwei Geraden g und h mit g
II h.
Konstruktionsschritt
Erlfiuterung
1. A e g, B e h, beliebig 2. Strecke AB 3. Mittelpunkt M yon AB 4. Parallele p zu h durch M
Kap. 5.4.2 Kap. 5.4.4
3) Konstruieren Sie ein Dreieck mit a = 13 cm, 13 = 30 ~ c = 16 cm auf Karton. Konstruieren Sie die Seitenhalbierenden in dieses Dreieck. Die Seitenhalbierenden heifJen auch Schwerelinien. Schneiden Sie nun Ihr Dreieck exakt aus. Experimentieren, entdecken, beschreiben, begr/inden Sie. Hinweis: Benutzen Sie zum Experimentieren auch Ihren Zirkel und ein Lineal.
5.4 Grundkonstruktionen
229
4) Die Einstiegssituation 1 zu Beginn des Kapitels 5.1 ist eine typische Situation zum Verteilen.
a) Insbesondere Studierende mit dem Zie! Lehramt Primarstufe sollten sich an dieser Stelle eine strukturgleiche Situation zum Kontext ,,Es g..ibt sehr viele Apfel. Es gibt Beutel, in die man einige Apfel hineinpacken karm. Es gibt auch Personen, die gem ,~pfel h~itten." generieren und sich die strukturellen Merkmale yon Situationen zum Aufteilen und Verteilen klar machen.
b) Ist Messen (mit den bei uns standardisierten MaBeinheiten) ein Prozess des Aufteilens oder Verteilens? Begriinden Sie Ihre Antwort.
c) ,~ndern Sie die Einstiegssituation 1 dahin gehend ab, dass sie ein Beispiel zum Aufieilen wird. 1 w soll in Ihrer Aufgabe auch vorkommen.
5) Nanu - haben wir da doch eine M6glichkeit zur Dreiteilung eines Winkels gefunden und der Leibnizpreis steht in Aussicht?
oo obensoie,nw,nke, o mit Scheitelpunkt S (Abbildung 132).
B
','/" S Abb. 132
Konstruktion: Zeichnen Sie kl(S; r0 wobei rl beliebig ist. Bezeichnen Sie die Schnittpunkte von ki mit dem Erstschenkel yon ctals A, mit dem Zweitschenkel yon ctals B.
230
5 Geometrische Konstruktionen Zeichnen Sie die Kreise kz(A; r2 = rl) und k3(B; r3 = rl). Benennen Sie kt c~ k2 = {C} und kl ~ k3 = {D}. Die Halbgeraden SD und SC dritteln den Winkel ct (den Winkel ~( S A , SB ).
a) ,~uf3em Sie sich kritisch - aber dennoch m6glichst wohlwollend - zur vorgelegten Konstruktionsbeschreibung zur Dreiteilung des Winkels c~.
6)
b)
Werm die Konstruktion korrekt ist, dann begriinden Sie, warum diese sonderbare Kreiskonstruktion ct wirklich drittelt. Werm die Konstruktion einen mehr oder weniger gut verdeckten Fehler enth~ilt, dann legen Sie ihn charmant often.
c)
Ist die vorgelegte Konstruktion zur Dreiteilung eines Winkels immer falsch / immer richtig oder gibt es F~ille, in denen sie richtig / falsch ist?
Bei einem Jagdgewehr sind Kimme und Kom 50 cm voneinander entfemt. Stellen Sie sich vor: Sie zielen auf einen in nur 100 rn entfernt sitzenden ausgewachsenen H a s e n - soviel G1/ick hat Weidmann selten. Beim Anvisieren machen Sie einen Fehler von 1 mm.
a) Ob Sie Meister Lampe wohl noch treffen? Hilfestellung: All diejenigen Leser, deren L6sungsverhalten etwa durch Skrupel beeintr/ichtigt ist, stellen sich bitte eine lebensgroBe Hasennachbildung aus nicht mehr zum Verzehr geeigneter Schokolade vor. Dann wird kein Tier get6tet, kein Lebensmittel missbraucht. Trotzdem: Es geht um Hasenr/icken an Thymiansauce!
b)
Wie sind Ihre Trefferaussichten, wenn Kimme und Kom nur 5 cm yon einander entfernt sind? Gibt es solche Schusswaffen iiberhaupt?
231
6
Fragestellungen der euklidischen Geometrie
6.1
Einstiegsproblem
Abb. 133a: Bienenwaben I Bis vor nicht allzu langer Zeit waren wir im Glauben, dass die Waben der Honigbiene aus Sechsecksprismen bestehen. Man sieht die Parkettierung mit regelmSgigen Sechsecken und macht sich wenig Gedanken tiber die Beschaffenheit der Rfickwand der einzelnen Wabenzelle. Wir haben uns diese wohl platt vorgestellt. An der ebenen Rtickwand sitzt wiederum eine Schicht von Zellen, die von der anderen Seite zug~nglich ist. Vor ein paar Jahren lasen wir dann bei Bender und Schreiber (1985, S. 71), dass die Bienenwaben keine sechseckigen Prismen sind, sondern halbe Rhombendodekaeder2, die jeweils ein Stfick in die andere Wabenschicht hineinragen. Auf der folgenden Seite beschreiben Bender und Schreiber, wie man ans einem Prisma fiber einem regelm~igigen Sechseck ein Rhombendodekaeder erzeugt. Lassen Sie sich nicht von einigen der unteren Wabenzellen
i 2
aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Weiselzelle am 26.07.2008 Zum Rhombendodekaeder sei auf Kapitel 2 verwiesen.
232
6 Fragestellungen der euldidischen Geometrie
in Abbildung 133a irritieren: Hierbei handelt es sich um Waben, die bereits teilweise oder ganz mit einem Nektar- / Pollengemisch angeftillt sin& Von den sechs Ecken des Prismenbodens w/ihlt man drei so aus, dass sie ein gleichseitiges Dreieck bilden. Durch jede dieser Seiten schneidet man eine Prismenecke so ab, dass drei kongruente Dreieckspyramiden entstehen. Diese dreht man entlang der Schnittkanten am Prismenboden um 180 ~ so dass sie auf dem Rest des Prismenbodens zu stehen kommen.
I
Z
~
fX ....-
/
~
~Y
,.,,."'"
Aus dem ehemaligen Prismenboden ist nun Abb. 133b die Ecke eines K6rpers geworden, in dem drei Rauten zusammenstoBen. Noch ist man frei in der Wahl des Neigungswinkels des Schnittes. Der neue K6rper hat immer dasselbe Volumen, n/imlich das des Prismas. Man kann aber zeigen, dass seine Oberfl/iche darm am kleinsten ist, werm x und y aus der obigen Abbildung in folgendem Verh/iltnis zueinander stehen: 2x xf2 = y. Die Diagonalen der Rauten stehen also im Verh/ilmis ~ zueinander, wir haben ein halbes Rhombendodekaeder erhalten, in das liickenlos eine zweite Schicht aus halben Rhombendodekaedem auf der Riickseite passt. Unter dem Aspekt des Materialverbrauchs ist diese Wabenkonstruktion fast ideal. Allerdings ist die Arbeit der Biene so ungenau, dass sie v o n d e r {)konomie der Wabenform nicht wirklich profitieren kann. Auch sind die echten Waben tiefer als ein halbes Rhombendodekaeder. Die Form der Bienenwaben ist wohl mehr durch die Art ihres Herstellungsprozesses bedingt. W/ihrend des Bauens kreisen die Bienen in den Waben, wodurch diese einen kreisf6rmigen Querschnitt erhalten und etwa gleieh groB werden. Wie ein Blick auf Abbildung 134 zeigt, ist die dichteste Lagerung yon Kreisen die rechts abgebildete, bei der die Mittelpunkte der Kreise die Ecken von gleichseitigen Dreiecken bilden. W/ihrend des Bauens ist das Wachs, aus denen die Waben bestehen, noch halbfliissig, und die kreisf'6rmigen W/inde werden so in Richtung der Dreiecksmitten gedriickt, bis schlieBlich jeweils zwei Wabenw/inde zusammenfallen, wodurch der Materialverbrauch minimiert wird. Es entstehen regelm ~ i g e Sechsecke.
6.1 Einstiegsproblem
J\
233
\
J\
f
-,~f -,~f >
V J~',.~ J M
J
J
Abb. 134 Nun sind die Bienenwaben aber keine ebenen Gebilde, sondern r~iumlich. Wir stellen sie uns als Halbkugeln vor, von denen drei so angeordnet sind, dass ihre Mittelpunkte ein gleichseitiges Dreieck bilden. Betrachtet man die Riickseite dieser drei sich berfihrenden Halbkugeln, so sieht man eine Lficke, in die eine weitere Halbkugel mit der Offnung in die andere Richtung passt. Die Mittelpunkte dieser vier Halbkugeln bilden ein Tetraeder. Wie bei unseren l~erlegungen mit den Kreisen in der Ebene bilden sich nun aus den Wfinden der Halbkugeln fl~ichige Gebilde. Es entstehen halbe Rhombendodekaeder, die jeweils ein Stfick in die andere Wabenschicht hineinragen, und deren Offnungen regelm~iBige Sechsecke sind. Abbildung 135 zeigt die Skizze des Netzes eines halbert Rhombendodekaeders.
b Abb. 135 Will man zu einer gegebenen Kantenl~inge a des Rhombendodekaeders das obige Netz konstruieren, so sind die Werte d~, d2, p, q und b zu berechnen.
234 1.
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie Berechnung der Rautendiagonalen In Kapitel 2.1 haben wit schon mit dem Satz des Pythagoras 3 berechnet, 2 dass fiir die kiirzere Rautendiagonale d 2 = ~ - a gilt und folglich
2.45
dl=~a,da
2.
dl=45'd2
ist.
Berechnung yon p und q Da unser Rhombendodekaeder halbiert wird, verlaufen die Schnitte so durch die Seitenfl~ichen, dass sie im rechten Winkel durch die Rautenseiten und durch die Rautenmittelpunkte verlaufen. Wir wissen:
p
1. Pythagoras: d I = 2. p + q = a
r
2.45 a ~
.i
(s.o.)
p=a-q
3. H6hensatz: h 2 = p 9q 4. Pythagoras: h2 + q2= ( ~ ) 2 Wir setzen 1. in 4. ein und erhalten h 2 + q2=
2=
~ r~
3
In dieser Gleichung ersetzen wir nach 3. h 2 durch pq und erhalten pq + q2 = 2 a2 und daraus wegen 2. 3 ( a - q ) q + q2 = 2 a 2 ~ a q _ q 2 + q2 = 2a2 zz> a q = -2a2 3 3 3 2 1 Also gilt q = - a und p = - a . 3 3
3
Pythagoras von Samos, um 570 - 496 v. Chr., griech. Naturphilosoph
6.1 Einstiegsproblem 3.
235
Berechnung von b 1 Wir wissen jetzt, dass q doppelt so lang ist wie p, und dass p = - a ist. 3 Wir k6nnen wieder den Satz des Pythagoras anwenden und erhalten:
p2 + b 2 = a 2
~
1 a2 + b2 = a2 ~
9 zz~
b =
a
+ b2 = a2
b2 = 8 a2
p
a
q
9 2~ 3
a
P
P b
Damit haben wir alle MaBe, die wir zur Konstruktion des Netzes eines halben Rhombendodekaeders ben6tigen, in Abh~ingigkeit v o n d e r Kantenl~nge a der Rauten ausgedriickt. Soil diese z.B. 6 cm betragen, dann ist b = 5,66 cm, q = 4 cm, p = 2 cm, dl ~ 9,80 cm und d2 .~ 6,93 cm. Wir haben das Problem der Geometrie der Bienenwaben nicht nur deshalb ausgew/ihlt, weil es zentrale Ideen und Objekte aus Kapitel 2 aufgreift, weil es fiicherfibergreifend ist, ein hohes MaB an ,~sthetik beinhaltet und tier Schulung der Raumvorstellung dient, sondem anch, weil man zur Konstruktion eine Reihe von Berechnungen anzustellen hat, die anf Ihnen aus der Schule bekannten S/itzen basieren und die Inhalt dieses Kapitels sind. In diesem Kapitet sollen also Kennmisse aus der Schulgeometrie aufgefrischt und auf einen gemeinsamen Stand gebracht werden. Dartiber hinaus werden Sie auch einige neue S~itze kermen lernen und beweisen.
U-bung:
Konstruieren Sie das Netz einer ,,idealen" Bienenwabenzelle mit der Kantenl~inge 6 cm und basteln Sie vier solcher Zellen aus Zeichenkarton (technische Hinweise s. 0bungsaufgabe 1 nach Kapitel 2.1). Heften Sie drei der fertigen Zellen mit Bih'oklammern aneinander und demonstrieren Sie, dass die vierte Zelle perfekt in die Riickwand der bereits anfgebauten Wabenschicht passt.
236
6.2
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Besondere Punkte und Linien im Dreieck
Verbindet man drei Punkte der Ebene, die nicht auf einer Geraden liegen, paarweise durch Strecken, so erh~ilt man ein Dreieck. Die Ecken bezeichnen wir wie fiblich mit A, B, C, und zwar fortlaufend gegen den Uhrzeigersinn. Die Seiten werden mit a, b, c bezeichnet, wobei die Seite a der Ecke A, b dem Punkt B und c dem Eckpunkt C gegenfiber liegt. Die Innenwinkel nennen wirct, 13und T- ct ist der Winkel an A, 13 der an B und T der an C (vgl. Abbildung 136). Im Kapitel 4 haben wir bei Strecken und Winkeln stets sauber zwischen den Objekten und ihren Eigenschaften wie der L/inge einer Strecke und der Gr6Be eines Winkels unterschieden und dies dutch Notationsformen wie a bzw. l(a) undct bzw. w(c0 zum Ausdruck gebracht. Weil wir in diesem Kapitel nahezu ausschlieBlich die L/inge von Strecken und die Gr6Be yon Winkeln betrachten, werden wir - wenn keine Missverst~ndnisse zu befiirchten sind - die saloppere Schreibweise a bzw. ct auch fiir Streckenl~ingen bzw. Winkelgr68en verwenden. Satz 1:
Im Dreieck betr~igt die Summe der InnenwinkelmaBe 180~
Beweis: Durch den Punkt C zeichnen wir die nach dem Parallelenaxiom (Kap. 3) eindeutig bestimmte Parallele zur Dreiecksseite c. Neben T entstehen dadurch zwei Winkel, die als Wechselwinkel ebenso groB sind wie ot und 13(Kap. 4, Satz 21). ct, 7 und 13 erg~inzen sich zu einem gestreckten Winkel, also gilt: ct + 13+ 7 = 180~ (Kap. 3, Satz 9).
// ~
c
, t
C .~
, 13
}/ A
c
B
Abb. 136
Aul3er den Innenwinkeln interessieren im Folgenden noch die Auflenwinkel des Dreiecks (vgl. Abbildung 137). Verl~ingert man die Dreiecksseiten fiber die Eckpunkte hinaus, so entstehen jeweils drei neue Winkel. Einer davon ist der Scheitelwinkel zu dem entsprechenden Innenwinkel, folglich ebenso groB wie dieser. Die beiden anderen sind Nebenwinkel zu dem entsprechenden Innenwinkel. Da sie zueinander Scheitelwinkel sind, haben auch sie gleiches WinkelmaB. Bei diesen Folgertmgen beziehen wir uns auf Kap. 3, Satz 9.
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
237
Diese auBen liegenden Winkel, in Abbildung 137 mitet', 13' und 7' bezeichnet, nennt man AuBenwinkel. I)ber diese k6nnen wir nun S~itze formulieren.
Satz 2:
Jeder AuBenwinkel eines Dreiecks ist gleich der Summe der beiden nicht anliegenden Innenwinkel. Mit den Bezeichnungen yon Abbildung 137 behauptet Satz 2formal: c d = 1 3 + y und l Y = o t + y und ? ' = ~ + 1 3 .
Beweis: Wir fiihren den Beweis nur ffir ct' = 13 + y. Die beiden anderen Gleichungen zeigt man vollkommen analog. Wir wissen: (1) c t + 1 3 + y = l S 0 ~ / S a t z l ct = 1 8 0 ~ 1 3 - ? (2) ot + ~ ' = 180 ~ / Kap.3, Satz 9 ct' = 180 ~ - cr Dann gilt: or' = 180 ~ - ct / s. (2) or' = 180~ - (180~ - 13- 7) / s. (1) 0t'=180 ~ 180 ~ or'= 13+ y
Abb. 137
Eine unmittelbare Folgerung aus diesem Satz ist Satz 3:
Satz 3:
Jeder Innenwinket ist kleiner als die nicht anliegenden Augenwinkel.
Beweis: Wir zeigen lediglich ct < 13' u n d c t < 7'. Der Beweis fiir die anderen Innenwinkel verl~iuft analog. Es gilt: 13'=ct+ 7 A 7'=Ct+13 13'>ot A ?'>Or
/Satz2 / d a y > 0 ~ A 13>0 ~
Eine weitere Aussage fiber die AuBenwinkel entNilt Satz 4:
238 Satz 4:
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie Im Dreieck betr~igt die Summe der AuBenwinkelmaBe 360 ~
Beweis: Wir wissen: (1) or+ I 3 + y = 180 ~
(2) ~'=13+~' ^ 13'=~+~, A ,/=ct+13 Dann gilt: ~'+IY+v'
= = = = =
(13+'/)+(~+~,)+(~+13) 2or + 213 + 27 2 (ct + [3 + ?) 2- 180 ~ 360 ~
Satz 1 Satz 2
wegen (2) AG und KG der Add. in I~ DG.,+in ~ wegen (1)
Dreiecke mit zwei gleichlangen Seiten heiBen gleichschenklig. Die dritte Dreiecksseite nennt man Basis, die an ihr anliegenden Winkel Basiswinkel.
Satz 5:
Im gleichschenkligen Dreieck sind die Basiswinkel gleich groB.
Beweis:
C
Sei M der Mittelpunkt von AB. Durch MC wird Dreieck AABC in die Teildreiecke AAMC und AMBC zerlegt. Ffir die Seiten dieser Teildreiecke gilt: AM und MB sind gleich lang. / M Mittelpkt. AC und BC sind gleich lang.
/ Vorauss.
MC ist gemeinsame Seite. Nach Kongruenzsatz SSS (Kap. 4, Satz 22) sind die Teildreiecke AAMC und AMBC kongruent, also gilt auch a = 13.
A
M
B
Im Folgenden formulieren und beweisen wir S~itze fiber besondere Linien im Dreieck, die Ilmen zum gr6Bten Teil aus der Schule bekannt sein dfirften. Solche besonderen Linien sind die Mittelsenkrechten auf die Dreiecksseiten, die Winkelhalbierenden der Innen- und AuBenwinkel, die H6hen sowie die
Seitenhalbierenden. H6hen sind Lore von einer Dreiecksecke auf die Tr~igergerade der gegenfiberliegenden Dreiecksseite. Besser, aber unfiblich, w~ire eine Differenzierung
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
239
zwischen H6hen und H6hengeraden, denn gelegentlich versteht man unter der H6he auch den Abstand des Eckpunkts v o n d e r Tr/igergeraden der gegenfiberliegenden Dreiecksseite (Bsp.: 1~ = 5 cm). Seitenhalbierende sind die Strecken von den Seitenmittelpunkten zu den gegenfiberliegenden Ecken. Gelegentlich werden in der Literatur auch die Tr/igergeraden dieser Strecken als Seitenhalbierende bezeichnet, die sich dann allerdings schwerlich im Verh~iltnis 1:2 teilen k6nnen (Satz 8).
Satz6: Beweis:
Die Mittelsenkrechten eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt M. Dieser Punkt ist der Mittelpunkt des Umkreises des Dreiecks.
Wir wissen: Alle Punkte auf der Mittelsenkrechten m2v der Strecke XY haben yon X und Y denselben Abstand (Kap. 4, Satz 2).
C
,,~B~
Wir betrachten zun~chst nur die beiden Mittelsenkrechten m ~ und m ~ und A
ihren Schnittpunkt M.
~
.............
B
Dann gilt: M~m~
M hat denselben Abstand von A wie von B; also 1( MA ) = 1( MB )
A
M ~ m~--6~ ~
(1)
M hat denselben Abstand von B wie von C; also 1( MB ) = 1( MC )
(2)
Aus (1) und (2) folgt mit der Transitivit/it der ,,="-Relation: M hat dieselbe Entfemung von A wie von C; also 1( MA ) = 1( MC ). Demnach liegt M also auch aufder Mittelsenkrechten m ~ . Alle Mittelsenkrechten schneiden sich damit in Punkt M. Da M von allen Eckpunkten des Dreiecks denselben Abstand hat, liegen die Eckpunkte auf einem Kreisbogen. M i s t der Mittelpunkt dieses Umkreises.
240
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Sind in einem Dreieck alle Innenwinkel spitz (spitzwinkliges Dreieck), dann liegt M innerhalb des Dreiecks. Bei einem Dreieck mit einem stumpfen InC
B
Abb. 138 nenwinkel (stumpfwinkliges Dreieck) liegt M attSerhalb des Dreiecks (Abbildung 138). lYoerlegen Sie selbst, wo M im Falle eines rechtwinkligen Dreiecks liegt. Auf diesen beriihmten Satz werden wir sp~ter noch eingehen. Satz 7:
Die H6hen eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt H.
Beweis:
Verbindet man die Mittelpunkte der Dreiecksseiten miteinander, so entsteht ein neues Dreieek, das so genannte Mittendreieck. Die Seiten des Mittendreiecks sind parallel zu den Seiten des Ausgangsdreiecks (Abbildung 139). Wir beweisen dies mit der Umkehrung des ersten Strahlensatzes (Kap. 4, Satz 29). Sei C unser Zentrum.
C
a
A
Mo
B
Abb. 139
Da M, der Mittelpunkt von a und Mb der Mittelpunkt von b ist, gilt I(CM a ) : I(CB) = I(CM b ) : I ( C A ) = 1:2, woraus folgt, dass MaMb[[AB und damit auch MaM b [[ AB. Mit Hilfe des zweiten Strahlensatzes (Kap. 4, Satz 28) lfisst sich dariiber hinaus folgern: I(CM b ) : I(CA ) = I(MbM a ) : I(AB) = 1 : 2, d.h. I(AB) = 2. I(MbM a ). Auf diesen Zusammenhang werden wir in Satz 8 zuriickkommen.
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
241
Entsprechend zeigt man, dass die beiden fibrigen Seiten des Mittendreiecks parallel zu den Dreiecksseiten und jeweils halb so lang wie diese sind. Jedes Dreieck AABC ist nun seinerseits Z \ das Mittendreieck eines eindeutig be . . . . stimmten anderen Dreiecks AXYZ (Abbildung 140).
\
Die H6hen senkrechten den sich in dies wollten
iA
/ C ...
Y
von AABC sind die Mittel- Abb 1" von AXYZ, und diese schneieinem Punla (Satz 6). Genau wir zeigen.
Uberlegen Sie, wo sich der H6henschnittpunkt befindet im Fall eines spitzwinkligen, eines stumpfwinkligen und eines rechtwinkligen Dreiecks. Die Seitenhalbierenden eines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt S und teilen sich im Verhiiltnis 1:2. Der Punkt S heiBt Schwerpunktdes Dreiecks.
Satz 8:
Beweis:
Wir wissen aus dem Beweis von Satz 7, dass MaM b [] AB und l(MaM b ) =
~l(~).
Wir zeichnen die Seitenhalbierenden Sa und sb und ihren Schnittpunkt S und erhalten eine Strahlensatzfigur mit Zentrum S (Abbildung 141).
A Abb. 141
B
Dann gilt: -
-
m
1( SM a ) : 1( SA )
= 1( SM b ) : I(SB )
/ 1. Strahlensatz
/x
1( SM b ) : I(SB )
= 1( MaM b ) : I(AB)
/2. Strahlensatz
/~
1( MaM b ) : 1( AB ) = 1 : 2
/ Teilbeweis von Satz 7
S teilt also die Seitenhalbierenden Sa, Sb im Verh/iltnis 1 : 2.4
4
(1)
Dabei ist die Strecke zwischen Schnitt- und Eckpunkt doppelt so lang wie die zwischen Schnittpunkt und Seitenmittelpunkt.
242
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Wir betrachten nun Sa, sc und ihren Schnittpunkt S' (Abbildung 142). Da wir aus dem Beweis yon Satz 7 wissen, dass MaMc II AC und I(MaM c ) = -~ I(A--C), k6nnen wir analog zu oben folgem.
Es gilt:
/-Mo
B
Abb. 142
I(S'M c ) : I(S'C )
= I(S'M a ) : I(S'A)
A
I(S'M a ) : I(S'A )
= I(MaM c ) : I(AC )
^
I(MaM c ) : I(AC ) = 1 : 2
/ 1. Strahlensatz / 2. Strahlensatz / Teilbeweis von Satz 7
S' teilt also die Seitenhalbierenden sa, sc im Verh~iltnis 1 : 2. 5
(2)
Aus (1) und (2) folgt: Die Seitenhalbierende sa wird also von S und S' im Verh~ilmis 1 : 2 geteilt. Es muss also S = S' gelten. Der Schwerpunkt Seines Dreiecks liegt immer innerhalb des Dreiecks. Er ist gleichzeitig der Schwerpunkt des Mittendreiecks. Bildet man das Mittendreieck des Mittendreiecks, so ist S auch hiervon der Schwerpunkt. Durch die Bildung von Mittendreiecken kann man den Punkt S einschachteln. Auch so k6nnte man Satz 8 herleiten. Mit Hilfe des fotgenden Satzes werden wir in Satz 10 zeigen, dass sich auch die Innenwinkelhalbierendeneines Dreiecks in einem Punkt schneiden. Satz 9:
Ein Punkt P liegt genau dann auf der Winkelhalbierenden w~ eines Winkels ct wenn P von beiden Schenkeln den-
Beweis: , , ~ "
selben Abstand hat.
Q
Wir betrachten ASQP und ASPQ'. Seite SP ist gemeinsame S eite beider Dreiecke. (1) Q and Q' sind Lotfugpunkte, also sind -~PQS und gSQ'P recht. ~1 und ~a sind gleich grog,
/ ,,P..... i..-lw
A ~ " S
5
Q
...................... ~,~ Q
Auch hier ist die Strecke zwischen Schnitt- und Eckpunkt doppelt so lang wie die zwischen Schnittpunkt and Seitenmittelpunkt.
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
243
da w~ die Winkelhalbierende von ct ist. Damit stimmen in beiden Dreiecken die Gr6i3en der Innenwinkelbei P iiberein. (2) Mit (1) und (2) liegen die Voraussetzungen ftir die Anwendung des Kongruenzsatzes WSW (Kap. 4, Satz 24) vor. Die betrachteten Dreiecke sind kongruent, stimmen also auch in den Liingen von PQ und PQ' fiberein.
Wieder betrachten wit ASQP und ASPQ'. "r Winkel weil Q und Q' LotfuBpunkte sind.
und r
sind rechte (3)
Nach Voraussetzung gilt PQ = PQ'.
(4)
SchlieBlich ist SP gemeinsame Seite beider Dreiecke.
(5)
Wegen (3)-(5) sind die Dreiecke A SQP und A SPQ' nach Kongruenzsatz ,,SSW" (Kap. 4, Satz 25) kongruent und stimmen insbesondere in den Winkelgr6Ben von cq und tz2/iberein. Damit ist SP = w~ die Winkelhalbierende von ct und es gilt: P liegt auf der Winkelhalbierendenw~.
Satz 10:
Beweis:
Die Innenwinkelhalbierendeneines Dreiecks schneiden sich in einem Punkt W. Dieser Punkt ist der Mittelpunkt des Inkreises des Dreiecks. C
Wir wissen: Jeder Punkt auf einer Winkelhalbierenden hat yon jedem der beiden Schenkel des Winkels denselben Abstand. Wir betrachten nun die Winkelhalbierenden w~ und w~ und ihren Schnittpunkt W.
A
w~
B
Abb. 143
Darm gilt: W ~ w,~ ~ A W ~ w13 ~
W hat denselben Abstand yon AC wie von AB. /Satz 9 ,,~" W hat denselben Abstand von AB wie von BC. /Satz 9 ,,~"
W hat denselben Abstand von AC wie von BC. W liegt also auch auf der Winkelhalbierenden% .
/Transitivit~it /Satz 9 ,,~"
Da W yon allen Dreiecksseiten denselben Abstand hat, ist er Mittelpunkt des Kreises, der diesen Abstand als Radius hat und der daher alle drei Seiten des Dreiecks ber/ihrt. Dieser Kreis heiBt Inkreis des Dreiecks.
244
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Nachdem wir nun Umkreis und Inkreis eines Dreiecks konstruieren k6rmen, wollen wir uns jetzt den Ankreisen widmen, also den Kreisen, die eine Dreiecksseite und die Verl~ingemng der beiden anderen Dreiecksseiten ber/ihren. Satz 11:
Die AuBenwinkelhalbierenden durch je zwei Ecken eines Dreiecks und die Innenwinkelhalbierende durch die dritte Ecke schneiden sich in einem Punkt. Dieser Punkt ist der Mittelpunkt des Ankreises des Dreiecks.
Beweis: Wir betrachten die Aul3enwinkethalbierenden ww und %, yon ~' und 7' und ihren Schnittpunkt P (Abbildung 144) und wenden mehrfach Satz 9 an. Dann gilt: P ~ wa, ~ P hat denselben Abstand von AB wie von AC. (1) /x P ~ %, ~ P hat denselben Abstand yon AC wie von BC. (2)
Aus (1) und (2) folgt: P hat denselben Abstand von AB wie yon BC. P liegt also auch aufw~. /Satz 9 , , ~ " Da P denselben Abstand yon AB, AC und BC hat, ber/ihrt der Kreis um P mit diesem Abstand als Radius die A genannten Geraden. Dieser Kreis Abb. 144 heiBt Ankreis.
B
Entsprechend zeigt man die Behauptung fiir die/ibrigen AuBen- und Innenwinkel.
In Abbildung 145 sind der Inkreis und die drei Ankreise eines Dreiecks konstruiert worden. Dabei kann man benutzen, dass die AuBenwinkelhalbierende und die Innenwinkelhalbierende in einer Dreiecksecke zueinander senkrecht sind.
Abb. 145
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck Satz 12:
245
Der Schwerpunkt S eines Dreiecks, sein Umkreismittelpunkt M und sein H6henschnittpunkt H liegen auf einer Geraden, der Eulerschen Geraden. Dabei liegt S zwischen M und H und es gilt: 1( HS ) = 2.1( SM ).
Beweis: Im Falle eines gleichseitigen Dreiecks gilt H = S = M. Diesen uninteressanten Fall wollen wir ausschlieBen. Wir gehen also von S ;~ M aus. Durch diese beiden Punkte ist eine Gerade festgelegt, die wie e nennen.
C mci
Auf e, genauer auf der Halbgeraden M S , suchen wir den Punkt P, fiir den gilt 1( PS ) = 2 9 I(SM ). Wir mfissen nun zeigen, dass P der H6henschnittpunkt Hist. Wir wissen: I(PS)= 2.1(SM) A I(CS)= 2.1(SM e)
/i Mc
A
B
/i Abb. 146
I ( P S ) : I ( S M ) = 2:1 ,~, I ( C S ) : I ( S M c ) = 2:1
(1) (2)
/WahlvonP /Satz8
Aus (1) und (2) folgt: I(PS):I(SM)
PC II n~ PC•
PEh~
= I(CS):I(SM c) /Umkehrung 1. Strahlensatz / rn~ • c, Kap. 3, Satz 10, Teil 2 /PC_I_ c und P,C e PC
Analog zeigt man, dass P auf der H6he h a oder h b liegt. Machen Sie dies zur l]bung selbst. P muss also der H6henschnittpunkt H sein.
Zum Schluss dieses Abschnitts fiber bemerkenswerte Punkte und Linien in Dreiecken machen wir Sie mit dem Neunpunktekreis, nach seinem Entdecker auch Feuerbachschen 6 Kreis genannt, bekannt.
6
Karl Wilhelm Feuerbach, 1800 - 1834, deutscher Mathematiker
246
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Satz 13:
Die Seitenmittelpunkte Ma, Mb, Me, die H6henfufipunkte Ha, Hb, Hc und die Mittelpunkte Pa, Pb, Pc der Strecken H A , HB, HC, wobei H der H6henschnittpunkt ist, liegen auf einem Kreis, dem Feuerbachschen Kreis (Abbildung 147). Der Mittelpunkt Mf des Feuerbachschen Kreises liegt ebenfalls auf der Eulerschen Geraden und zwar in der Mitte von HM. Er ist der Umkreis des Mittendreiecks, und sein Radius ist halb so grol3 wie der des Umkreises. C
I\ Beweis:
Wir zeigen die umfangreiche Aussage yon Satz 13 in mehreren Teilbeweisen. 1.
Wir zeigen, dass die Mittelpunkte der Dreiecksseiten und die Mittelpunkte Pa, Pb, Pc der Strecken H A , HB, HC aufeinem Kreis liegen.
2. 3.
Wir zeigen, dass auch die H6henful3punkte Elemente dieses Kreises sind. Wir beweisen, dass der Mittelpunkt Mf dieses Kreises auf der Eulerschen Gerade liegt. Anschlief~end zeigen wit, dass Mf der Mittelpunkt der Strecke HM ist. Zum Schluss beweisen wit, dass der Radius des Feuerbachschen Kreises halb so groB ist wie der des Umkreises von Dreieck AABC.
4. 5.
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
247
Zu 1.: Wir betrachten die Vierecke PaPbMaMb und PbP~MbMo. Wenn wir zeigen k6nnen, dass diese Vierecke Rechtecke sind, dann wissen wir, dass sie Umkreise besitzen, die die Ecken enthalten. Da die beiden Vierecke eine gemeinsame Diagonale PbMb haben, miissen die beiden Umkreise identisch sein, und dieser Umkreis enth~ilt dann Ma, Mb, Me, Pa, Pb und Pc. Es gilt: I(HA)
: I(HP a ) = 2 : 1
/ Pa Mittelpunkt von HA
A
: I(HP b ) = 2 : 1
/ Pb Mittelpunkt von HB
I(HB)
PaPb l[ AB Welter gilt: MaMb II AB
/Urnkehrung 1. Strahlensatz
(1)
/ Teilbeweis von Satz 7
(2) (3)
Aus (1) und (2) folgt PaPb I[ MaMb Augerdem gilt: 1( AC ) : I(AM b ) = 2 : 1
/ Mb Mittelpunkt von AC
/x
I(AH ) : I(AP a ) = 2 : 1
/ P, Mittelpunkt von AH
PaMb II HC
/Umkehnmg 1. Strahlensatz
I(BC)
/M~Mittelpunktvon BC
_
r,
_
: I(BM a ) = 2 : 1
m
I(BH ) : I(BP b ) = 2 : 1
/ Pb Mittelpunkt von BH
PbMa [[ HC
/Umkehrung 1. Strahlensatz
Aus (4) und (5) folgt PaMb
[[ PbMa .
(4)
(5) (6)
(3) und (6) besagen, dass das Viereck P,PbMaMb zwei Paar parallele Seiten besitzt. Zwei dieser Seiten sind nach (4) und (5) parallel zur Streeke H C , die als Teil der H6he senkrecht ist zur Strecke AB, zu der die beiden anderen Vierecksseiten nach (1) und (2) parallel sind. Also stehen die Vierecksseiten senkrecht zueinander, das Viereck PaPbMaMb ist ein Rechteck. In analoger Weise zeigt man, dass auch das Viereck PbPcMbMc ein Rechteck ist. Wir empfehlen Ihnen diesen Beweisteil als Ubung. Da diese beiden Rechtecke wegen Ihrer gemeinsamen Diagonale PbMb einen gemeinsamen Umkreis haben, liegen also M,, Mb, Mc und Pa, Pb, Pc auf einem Kreis. Den
248
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Mittelpunkt dieses Kreises nennen wir Mr. Er ist Mittelpunkt der Rechteckdiagonalen PaMa , PbMb und P c M c , was wir im folgenden Teil ben6tigen. Zu 2.: Es gilt: P , ~ h a /x ha 3_BC w(~PaHaMa) = 90 ~ / Satz des Thales, , , ~ " 7
Ha ~ k(Mf, r = / l(PaMa )) Ha liegt auf dem Feuerbachschen Kreis. P b ~ h b A hb 3_AC w(~PbHbMb) = 90 ~ Hb ~ k(Mf, r = 1 l(PbMb ))
/ Satz des Thales, , , ~ "
Hb liegt auf dem Feuerbachschen Kreis. P o ~ h c A 1~ 3 - A B w(~P~HcM~) = 90 ~ / Satz des Thales, , , ~ "
H~ ~ k(Mr, r = 891( PcMc )) H~ liegt auf dem Feuerbachschen Kreis.
Damit liegen also alle drei H6henfuBpunkte auf dem Feuerbachschen Kreis, der damit seinen zweiten Namen Neunpunktekreis verdient hat. Zu 3.: Zun/ichst stellen wir lest, dass der Feuerbachsche Kreis der Umkreis des Mittendreiecks AMaMbM c ist, denn er enth~lt die Punkte Ma, Mb und Mc. Die Eulersche Gerade des Dreiecks A A B C bezeichnen wir mit e, die Eulersche Gerade des Mittendreiecks nennen wir era. Mit M~ bezeichnen wir den Umkreismittelpunkt des Mittendreiecks, mit Sm seinen Schwerpunkt und mit Hm seinen H6henschnittpunkt. Dann gilt:
A /x A ^ 7
M, S, H ~ e Mm, Sin, Hm E em Mm = Mf Hm = M Sm= S
/ / / / /
Satz 12 Satz 12 Mf Umkreismittelpunkt Mittendreieck Teilbeweis yon Satz 7 Bemerkung nach Satz 8
(1) (2) (3)
Wir erlauben uns hier einen kleinen Vorgriff auf den n~ichsten Abschnitt.
6.2 Besondere Punkte und Linien im Dreieck
249
Nach (2) und (3) haben die Eulerschen Geraden e und em zwei gemeinsame Punkte, sie stimmen also fiberein. Nach (1) liegt der Mittelpunkt des Feuerbachschen Kreises auf dieser Geraden e. Zu 4.: Es gilt: A
A
I(MMf) =
I(SM)+I(SMf)
I(HS)
=
2 9 I(SM)
I(SM)
=
-[.I(HS) 2
(1) / Satz 12 ffir A A B C (2)
I(HmS m ) =
2.1(SmMm)
/Satzl2fiirAM~MbM c
I(SM )
=
2 - 1( SMf )
/ Hm = M, Sm = S, Mm = Mf, s.o.
I(SMf )
=
2I ' I ( S M )
(3)
Wir setzen (2) und (3) in Gleichung (1) ein: I(MMf)
=
I(SM)+I(SMf)
I(MMf)
=
I I(~) ~-.
2-1(MMf) =:>
+
I.I(SM)
= I(HS) + I(SM) = I ( H M )
Mf ist Mittelpunkt von H M .
Zu 5.: Nach Gleichung (3) in Beweisteil 4 wissen wir: I(SM ) : I(SMf ) = 2 : I. Nach Satz 8 gilt: 1( AS ) : I(SM a ) = 2 : 1. Wir haben also eine Strahlensatzfigur mit Zentrum S vorliegen und k6nnen mit der Umkehrung des 1. Strahlensatzes folgern, dass AM [J M f M a . Somit sind die Voraussetzungen fiir die Anwendung des 2. Strahlensatzes gegeben: I(AM):I(MfM a)=
-- S):l(SM a)= l(A
2:1 ~
l(MfM a)=
~ 1 ( A M ). ~-
Der Radius des Feuerbachschen Kreises ist also halb so groB wie der Radius des Umkreises von AABC.
250 Ubung:
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
i)
Konstruieren Sie zu d e m Dreieck mit l(a) = 11 cm, l(b) = 7 cm und l(c) = 14 cm die Eulersche Gerade u n d den Feuerbachschen Kreis.
2) B e w e i s e n Sie: Ein Dreieck mit zwei gleich langen Seitenhalbierenden ist gleichschenklig.
3)
Konstruieren Sie ein Dreieck aus den folgenden Angaben. a) l(a) = 6 cm, w ( ~ ) = 70 ~ w(13) = 50 ~ b) l(a) = 6 cm, w(13) = 50 ~ l(ha) = 5 cm c) l(a) = 5 cm, l(b) = 6 cm, l(sb) = 5,3 cm d) l(a) = 5 cm, l(sa) = 6 cm, l(sc) = 4,2 c m e) w(ct) = 70 ~ w(13) = 80 ~ l(w~) = 5 cm
4) Informieren Sie sich in der Literatur fiber Funktionsweise und Einsatzgebiete des u n t e n abgebildeten Mechanismus.
einfacher Theodolit v o n 1586 (aus H o g b e n 1970, S. 107)
6.3 S~itze am Kxeis
6.3
251
S[itze a m Kreis
Stellen Sie sich vor, Sie sind im Urlaub, nicht irgendwo, sondern im sch6nen Ostfriesland, der Gegend mit der enormen Weite, in der sich Himmel, Meer und Land am Horizont zu beriihren scheinen und in der die K/ihe sch6ner seien sollen als die .... Wind, Wellen, Wasser und die beeindruckende Weite des Landes schaffen ein einmaliges Ambiente zum Erholen und - zum Betreiben yon Urlaubsgeometrie. Bekleidet mit dem ffir Touristen signifikanten Ostfriesennerz sehen Sie auf Ihren Spazierg~ingen immer wieder drei markante Punkte: den Leuchtturm yon A-Doff, den Sendemast in B-Doff und den Kirchturm yon C-Stadt. WShrend Ihrer Wanderungen stellen Sie fest, dass sich die Winkelbeziehungen zu diesen markanten Punkten stetig/indem. Wenn Sie nun im gliicklichen Besitz einer Karte dieser Gegend und eines Theodoliten 8 sind, darm k6nnen Sie aus der Kennmis der Winkel, unter denen Sie die drei markanten Punkte sehen, Ihren genauen Standort auf der Karte zeichnerisch bestimmen. Wieso gelingt das und wie geht das? Betrachten wir zun/ichst nur zwei der Punkte, den Leuchtturm A und den Sendemasten B. Von unserem Standpunkt P sehen wir diese unter einem Winkel von sagen wir 40 ~ Damit liegt unser Standort P noch nicht fest. Es gibt viele Punkte mit w(,~APB) = 40 ~ also Drei-
A
Abb. 148
B
ecke AABP mit AB als Seite und einem Winkel von 40 ~ bei P. Wir konstruieren mal einige. Dabei k6nnen wir verschieden vorgehen. Eine M6glichkeit besteht darin, yon der Winkelsumme von 180 ~ auszugehen, 40 ~ abzuziehen, und w(a) und w(13) so zu w~ihlen, dass ihre Summe 140 ~ betr~igt. In Abbildung 148 sind so einige m6gliche Standorte P konstruiert worden.
Bei der Konstruktion der Dreiecke in Abbildung 148 haben wir uns auf Punkte der oberen Halbebene besehr~rtkt. Unterhalb von AB finden wir natiirlich weitere m6gliche Standorte. Diese Beschr/inkung auf eine der Halbebenen entspricht der Annahme einer Zusatzinformation, z.B. dass in einer
s
Pr~izisionsinstrument zum Messen von Winkeln zwischen Richtungen
252
6 Fragestellungen der euldidischen Geometrie
der Halbebenen das Meer Spazierg/inge ausschlieBt oder dass wir von unserem Standort aus den Leuchtturm rechts vom Sendemasten sehen. Beim Betrachten der Abbildung 148 drangt sich der Verdacht auf, dass die m6glichen Standpunkte auf einem Kreisbogen liegen. Wir gehen diesem Verdacht nach und nehmen drei der vermutlich auf einem Kreisbogen liegenden Punkte und konstruieren zu diesem Dreieck den Umkreis, dessen Mittelpunkt wir nach Satz 6 dieses Kapitels als Schnittpunkt der Mittelsenkrechten erhalten. Der Kreis verl/iuft tats~ichlich durch alle unsere m6glichen Standorte und durch A und B (Abbildung 149). Das ist natiirlich kein Zufall, sondem die Konsequenz des folgenden Satzes. P
P
3
p, Abb. 149 Satz 14:
Abb. 150 Umfangswinkelsatz Seien A und B zwei verschiedene Punkte der Ebene. Durch jeden Punkt P aul]erhalb von AB kann der Umkreis des Dreiecks AABP konstruiert werden. Sei M der Mittelpunkt dieses Kreises. Darm ist der Umfangswinkel CAPB halb so grol] wie der
Mittelpunktswinkel CAMB, den die Radien
AM und BM auf dem P abgewandten Teils des Kreises einschliel]en (Abbildung 150).
Satz 14 besagt damit auch, dass alle Umfangswinkel fiber einer festen Sehne AB, die in derselben durch AB gebildeten Halbebene liegen, untereinander gleich grol~ sind, da sie alle halb so grol3 sind wie der zu ihnen geh6rende
6.3 S/itze am Kreis
253
Mittelpunktswinkel. Auflerdem kann man folgem, dass sich zwei Umfangswinkel ot und or' in verschiedenen Halbebenen derselben Sehne AB zu 180 ~ erg/inzen, derm die zugeh6rigen Mittelpunktswinkel 2a und 2~t' erg~inzen sich zu 360 ~ (s. Abbildung 150). Beweis:
Hinsichtlich der Lage von M unterscheiden wir drei F/ille: M liegt auf AB, innerhalb von A A B P bzw. auBerhalb yon AABP. 1. Fall: M liegt auf AB.
P
Dann sind A A M P und ABMP gleichschenklig, denn 1( AM ) = I(BM ) = 1( PM ) (Radius desselben Kreises). Weil in gleichschenkligen Dreiecken die Basiswinkel gleich groB (Satz 5) sind, k6nnen wir die Winkelgr6Ben wie rechts bezeichnen.
Dann gilt: / Winkelsumme in A A M P
2ct + 7J = 180~
/ Winkelsumme in ABMP
A 213+y2 = 180 ~
/ Gleichungen addiert
20t + 71 + 213 + Y2 360 ~ =
2(~t + 13) + 11 + ]/2
=
360 ~
(1)
/ AG+, KG+, DG.,+ in I~
(2)
/ Yl, 3'2 gestreckter Winkel
Weil M auf AB liegt, gilt ferner: 71 +Y2 = 180 ~ 2(0t+ 13)+ 180~
~
/ (2) in (1) eingesetzt
2(or+ 13) = 180 ~
/ -180 ~
or+ 13=90 ~
/ :2
Der Umfangswinkel ist also halb so groB wie der gestreckte Mittelpunktswinkel.
254
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
2. Fall: M liegt innerhalb von A A B P .
P
Dann sind A A B M , A B P M und A P A M gleichschenklig und es gelten die in der Abbildung dargestellten Winkelgr613en.
\
Dann gilt ffir die W i n k e l s u m m e n in den Dreiecken A A B P bzw. A A B M : 2ct+213+2y=180 ~
(1)
AABP
2it + 8 = 180 ~
AABM
2ct = 180 ~ - 8
./
(2)
-B
Einsetzen yon (2) in (1) liefert: 180 ~ - 8 + 213 + 27 = 180 ~ 213+2y=8
- 180 ~ + 8
2(13+3,)=8
DG-,+ in
Der Mittelpunktswinkel ist also doppelt so groi3 wie der Umfangswinkel.
3. Fall: M liegt auBerhalb von A A B P . Dann sind die Dreiecke A A P M und A B P M gleichschenldig und wir k6nnen die Winkelgr61]en wie in der Abbildung dargestellt angeben. D a n n gilt ABMP:
ffir die
Winkelsumme
P
in
(ct + 13) + ( 1 3 + e 0 + y = 180 ~ / KG+, AG+ in
2ct + 213 + 7 = 180 ~ y= 180~
2a-
213
(1)
/ - (2ct + 213)
In A A P M gilt: 2ct+8 +y=180 ~
/ W i n k e l s u m m e in A A P M
2c, + 6 + 180 ~ - 2cz - 213 = 180 ~
/ w e g e n (1)
8 + 180~
/ zusammengefasst
8=213
= 180 ~
/ - 180 ~ + 213
A u c h hier ist der U m f a n g s w i n k e l halb so groB wie der Mittelpunktswinkel.
6.3 S/itze am Kreis
255
Einen 4. und 5. Fall, dass n~imlich der Mittelpunkt M auf einer der Dreiecksseiten AP oder BP liegt, brauchen wir nicht zu untersuchen, da dieser durch den 2. Fall mit abgedeckt ist (y = 0 bzw. 13= 0). Wir empfehlen die Betrachtung dieses Sonderfalls dennoch als 0bung. Unabh/ingig v o n d e r Lage des Umkreismittelpunktes M i s t der Umfangswinkel also stets halb so grof~ wie der Mittelpunktswinkel, was wir beweisen wollten. Kommen wir auf unser Ausgangsproblem der Standortbestimmung zuriick. Wie konstruiert man zu zwei vorgegebenen Punkten A and B und bekanntem Umfangswinkel den Mittelpunkt M des K_reisbogens (Fasskreisbogen), auf dem der Standort P liegen kann? Da M zu A und B denselben Abstand hat, schliel31ichist M Mittelpunkt eines Kreises durch A und B, liegt M auf der Mittelsenkrechten yon AB. Aus der Kenntnis des Umfangswinkels k6nnen wir den Mittelpunktswinkel errechnen und damit die Gr6Be der Basiswinkel des gleichschenldigen Dreiecks AABM. Wir mfissen dabei aufpassen, welchen der drei folgenden F~ille wir vorliegen haben: Ist der Umfangswinkel ein spitzer Winkel, dann liegen M und P auf derselben Seite von AB. Ist der Umfangswinkel ein rechter Winkel, dann ist M der Mittelpunkt von AB. Im Fall eines stumpfen Umfangswinkels liegen M and P auf verschiedenen Seiten von AB. AuBerdem ist zu beachten, dass man ohne Zusatzinformationen zwei Mittelpunkte M und M' konstruieren kann. Wie konstruiert man nun zu drei vorgegebenen Punkten A, B und C und zwei bekannten Umfangswinkeln den Standort P? In Abbildung 151 ist die Konstruktion ftir das Beispiel zweier spitzer Umfangswinkel durchgeftihrt. Von unserem gesuchten Standort P sehen wir die Strecke AB unter einem Winkel von 39~ trod die Strecke AC unter einem Winkel yon 48 ~ Wir konstruieren zun~ichst zu AB den Punkt M und den
256
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Fasskreisbogen, auf dem P liegen k6nnte (durchgezogene Linie), sowie M' und den entsprechenden Fasskreisbogen (gestrichelt gezeichnet). AnschlieBend konstruieren wir zu AC die Mittelpunkte Ml bzw. Ml'. Aus den Schnittpunkten der Fasskreise ergeben sich zwei m6gliche Standorte P und P', die beide die Bedingungen erfiillen. Erst durch eine Zusatzinformation, wie man sie in der Praxis immer hat, l~isst sich entscheiden wo wir uns tats/ichlich befinden. Sehen wir z.B. B links von A, dann befinden wir uns bei P.
""'... .............. ~......''"
"".... ,., ....,,.J""
t":
'~ M' / "'...... .. 9-....
.,,. .....
Abb. 151 Sie haben vermutlich schon gemerkt, dass der Umfangswinkelsatz einen Spezialfall enth~ilt, der Ihnen aus der Schulgeometrie bekannt ist. Na klar, wir meinen den Fall, bei dem aus einem Mittelpunktswinkel der Umfangswinkel yon 90 ~ resultiert. Er soll bier wegen seiner Bedeutung trotzdem als eigenst~indiger Satz aufgef/ihrt und eigenst/indig bewiesen werden: Wir tun also so, als h~ittenwir noch nie etwas vom Umfangswinkelsatz geh6rt.
6.3 S~itze am Kreis Satz 15:
257
Satz des Thales 9 Durch A, B, C sei ein Dreieck gegeben. M sei der Mittelpunkt yon AB. Der Winkel y (bei C) ist genau dann ein Rechter, werm C auf dem Kreis um M mit Radius 1( AM ) liegt.
Beweis: Zu zeigen sind zwei Richtungen. C Zu zeigen ist: Wenn C auf dem Kreis um M rnit dem Radius l( AM ) liegt, dann ist 7 ein rechter Winkel. Nach Voraussetzung sind A A M C und A B C M gleichschenklig. Wir k6nnen die Winkelgr6Ben daher wie in der Abbildung dargestellt angeben. Dann gilt: ~ + 13+ ( i t + 13) = 180 ~
Winkelsumme in A A B C
2~ + 213 = 180 ~
AG+, KG+ in
2(tz + 13) = 180 ~
DG.,+ in
Da weiterhin ? = tz + 13gilt, folgt: 2), = 180 ~ ~/= 90 ~
:2
(Di___eswar der erste Fall im Beweis des Umfangswinkelsatzes: Wenn M auf AB liegt, ist der Umfangswinkel halb so groB wie der gestreckte Mittelpunktswinkel.)
Zu zeigen ist: Wenn 7 = 90~ dann liegt C auf dem Kreis um M mit dem Radius 1( AM ). Wir gehen indirekt vor.
9
Thales von Milet, um 650 - 560 v.Chr., griechischer Naturphilosoph
258
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Annahme: w(v) = 90 ~ und C liegt nicht auf dem Kreis um M mit dem Radius I(~W). Dann sind zwei Ffille m6glich: C liegt anBerhalb des Kreises oder C liegt innerhalb. Wir betrachten zunfichst den ersten Fall. Wir verbinden C und A, AC schneidet den Kreis um M mit dem Radius 1( AM ) in C'.
C
10
Nach Teil , , ~ " dieses Beweises ist ~AC'B ein rechter Winkel. Dann muss auch exBC'C ein rechter Winkel sein, derm C' liegt auf AC (und ~AC'C ist gestreckt).
A
~
M
/~B
Wenn gBC'C ein rechter Winkel ist und die Winkelsumme in ABC'C 180 ~ betr~igt, dann muss jeder der Winkel bei B und bei C (,/) kleiner als 90 ~ sein. Das ist ein Widerspruch zur Armahme, dass 3' eine Gr6Be von 90 ~ hat. Es folgt die Behauptung. Den zweiten Fall (C innerhalb des Kreises) fiihrt man analog zum Widerspruch. Dabei ist die Strecke AC fiber C hinaus zu verl~ingem, bis sie den Kreis in C' schneidet. Fiihren Sie diesen Beweisteil zur 0bung selbst durch. Vielleicht sollten Sie an dieser Stelle zu den Bemerkungen nach dem Beweis von Satz 6 dieses Kapitels zurfickbl/ittem. Eine weitere Folgerung aus dem Umfangswinkelsatz ist der folgende Satz fiber ein besonderes Viereck:
Falls C so ,,unglficklich" liegt, dass die Strecke AC keinen Schnittpunkt mit dem Kreis zustande bringt, dann schafft es die Strecke BC allemal und die Argumentation verl/iuft analog.
6.3 S/itze am Kreis Satz 16:
259
Ein Viereck ABCD hat genau dann einen Umkreis, wenn sich die Gr6Ben der gegenfiberliegenden Winkel zu 180 ~ erg/inzen. Ein solches Viereck nennt man Sehnenviereck.
Bewels:
Voraussetzung: Das Viereck ABCD hat einen Umkreis. z.z.: Die Gr6Ben der gegenfiberliegenden Winkel ergfinzen sich zu 180 ~
D - ~ -
C
)
Nach Voraussetzung liegen die Eckpunkte des Vierecks auf einem Kreis um M mit dem Radius 1( AM ). Die Diagonale AC zerlegt das Viereck in zwei Dreiecke, die denselben Umkreis haben, nfimlich den Kreis um
B
M mit dem Radius 1( AM ) (Abbildung 112).
Abb. 152 m
In A A B C ist 13Umfangswinkel zur Selme A C , der entsprechende Mittelpunktswinkel hat nach dem Umfangswinkelsatz die Gr6fle 213. In A A C D ist 5 Umfangswinkel zur Sehne A C , der entsprechende Mittelpunktswinkel hat nach dem Umfangswinkelsatz die Gr6Be 25. Da es sich um ein und denselben Umkreis handelt jl gilt: 213 + 25 = 360 ~ 2(15 + 5) = 360 ~
/ DG.,+ in
13+ (5 = 180 ~
/ :2
Fiir die beiden anderen Winkel ot und y kann man analog verfahren, oder man nutzt aus, dass die Winkelsumme im Viereck 360 ~ betr~igt.
Voraussetzung: Die Gr6Ben der gegeniiberliegenden Winkel erg/inzen sich zu 180 ~. z.z.: Das Viereck ABCD hat einen Umkreis. Nach Voraussetzung haben wir ein Viereek ABCD vorliegen, ~ r das gilt: ct + ~,= 180 ~ A 13+(5= 180 ~ II
13 und (5 sind Umfangswinkel in zwei verschiedenen Halbebenen zu derselben Sehne.
260
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie m
Wieder zerlegt die Diagonale AC das Viereck in zwei Dreiecke. Wir betrachten 13 und 8 als Umfangs-
D_
A C
winkel fiber A C . Da sie sich zu 180 ~ erg~inzen, haben beide eine Gr613e von 90 ~ (Fall 1) oder einer dieser Winkel ist spitz und der andere stumpf (Fall 2). Also fallen die Mittelpunkte Ml bzw. M2 der beiden Umkreise von A A B C bzw. A A C D im Mittelpunkt yon AC zusammen (Fall 1) oder sie liegen in derselben Halbebene von AC (Fall 2).
360~
B
Abb. 153
Im ersten Fall sind wir schon fertig, da die beiden Umkreise darm densel-
ben Mittelpunkt M und denselben Radius 1( AM ) haben, also zusammenfallen. Im zweiten Fall gilt:
13+ 8 = 180 ~ 2(13 + 8) = 360 ~ 213 + 28 = 360 ~ 213 = 360 ~ - 28
/ nach Voraussetzung /. 2 / DG-,+ in I~ / - 28
Der zum Mittelpunktswinkel 28 komplement~ire Winkel bei M2 hat also die Gr613e 213, ist also genauso groB wie der Mittelpunktswinkel bei MI. Also gilt: w(gcCMiA) = w(ffCM2A), woraus folgt, dass auch die Basiswinkel im A A M I C und AAM2C gleich grol3 sind. Da diese Dreiecke die Seite AC gemeinsam haben, sind sie nach dem Kongruenzsatz WSW (Kap. 4, Satz 24) kongruent. Insbesondere gilt: M~ = M2. Damit sind die Umkreise zu A A B C und A A D C identisch, sie bilden also einen Umkreis des Vierecks ABCD.
lJbung:
1) Gegeben sind drei Punkte A, B und C als Eckpunkte eines Dreiecks mit l(c) = 10 cm, l(a) = 8 cm und w(13) = 52 ~ Die Strecke AB sehen Sie unter einem Winkel yon 134 ~ die Strecke BC unter einem Winkel von 64 ~ Konstruieren Sie alle m6glichen Standorte. Beschreiben Sie Ihre Konstruktion.
6.3 S/itze am Kreis
261
2) Konstruieren Sie ein Dreieck aus a) b) c) d)
l(c) l(c) l(c) l(c)
= = = =
6 6 6 6
cm, cm, cm, cm,
w(y) = 50 ~ w(y) = 60 ~ w(~,) = 50 ~ w(y) = 120 ~
l(lh) = 4 cm l(b) = 5 cm l(so) = 4 cm l(a) = 4 cm m
3) Konstruieren Sie ein Viereck ABCD mit: I ( A B ) = 6 cm, I ( B C ) = 5 cm, w ( g C B A ) = 105 ~ w(~ADC) = 75 ~ AuBerdem soil es einen Punkt geben, von dem aus man alle Seiten des Vierecks unter demselben Winkel sieht.
4) Im Dreieck
A A B C gilt l(a) = 8 cm, l(b) = 9 em, l(c) = 10 cm. Konstruieren Sie denjenigen Punkt, von dem aus alle drei Seiten des Dreiecks unter demselben Winkel erscheinen.
5) Ein gleichseitiges Dreieck A A B C habe die Seitenl~inge 5 cm. Verwandeln Sie dieses Dreieck unter Beibehaltung von AB in ein fl/icheninhaltsgleiches Dreieck mit w(?) = 40 ~ (Hilfe: Scherung und Umfangswinkelsatz sind Mittel der Wahl.)
6) Zeigen Sie fiir die Situation rechts, dass / der Umfangswinkel halb so groB ist wie der Mittelpunktswinkel. Besonders elegant gelingt der Beweis, wenn Sie Satz 2 dieses Kapitels verwenden.
6.4
/]N~
A " ~ - B
Die Satzgruppe des Pythagoras
In diesem Kapitel geht es um die Herleitung von drei S/itzen, die Sie aus der Schulgeometrie kennen und die in der Literatur oft als Satzgruppe des Pythagoras zusammengefasst werden. Aul3er dem Satz des Pythagoras geh6ren H6hen- und Kathetensatz in diesen Zusammenhang. In den Beweisen, in denen es wesentlich um L/ingenbeziehungen und Winkelgr6t3en geht, werden wir die Eigenschaftsnotationen l(a) und w(~t) durchg~ngig zugunsten einer kompakteren Darstellung a bzw. ct aufgeben. Die durch diesen Tribut an eine bessere Lesbarkeit m6glichen Verwechslungen zwischen Objekt und Objekteigenschaft werden wir durch die Argumentationstexte versuchen auszuschlieBen.
262
6 FragesteUungen der euklidischen Geometrie
Die folgenden Aktivit~iten sind auch mit Kindern der Sekundarstufe I m6glich und werden durch die Arbeit mit konkretem Pl~ittchenmaterial in der Grundschule gut vorbereitet (s. Wittmann 1997). Wir wollen hier einige der Aktivit/iten nachvollziehen. Ausgangspunkt fiir unsere erste Aktivit~it sind zwei Papierquadrate, die jeweils entlang einer Diagonalen gefaltet sind. Wir zerschneiden sie entlang der Faltlinien. Auf diese Weise erhalten wir vier kongmente, gleichschenklig-rechtwinklige Dreiecke. Aus diesen Dreiecken l~isst sich Verschiedenes legen, u.a. ein groBes Quadrat. Unsere kleinen Quadrate kann man zu einem Rechteck zusammenschieben.
Abb. 154 Natiirlich sind die Fl~icheninhalte des groBen Quadrates und des Rechtecks in Abbildung 154 gleich, schlieBlich bestehen sie aus den gleichen dreieckigen Teilfl/ichen. Bezeichnen wir die Seitenl/inge des grof$en Quadrates mit c und die der kleinen Quadrate mit a, so gilt also die Beziehung: c 2 = 2 9a 2. Damit haben wir einen Spezialfall des Satzes von Pythagoras hergeleitet. Wir wissen auch etwas fiber die Diagonalenl~inge im Quadrat. Es gilt:
Wir versuchen mit derselben ldee jetzt die Diagonalenl~nge in einem beliebigen Rechteck zu bestimmen. Wir zerschneiden also zwei kongruente Rechtecke entlang einer Diagonalen (s. a Abbildung 155) und versuchen, aus I"~ I J den vier kongruenten Dreiecken, die b sich ergeben, ein Quadrat zusammenzusetzen. Abb. 155 Probieren Sie es jetzt selbst, und lesen sie erst dann weiter.
6.4 Die Satzgruppe des Pythagoras
263
Nach vielen Versuchen gelangt man vielleicht zu der folgenden Figur, einem Quadrat mit Loch (Abbildung 156), oder einer Figur wie in Abbildung 157. Bevor wir uns darfiber Gedanken machen, wieso die Figur in Abbildung 156 wirklich ein Quadrat ist und auch das Loch quadratisch ist, fiberlegen wir, welche Erkennmis wir gewonnen haben. Das groBe Quadrat hat den Fl~icheninhalt c 2. Das Loch hat den FRicheninhalt (a - b) 2. Das groBe Quadrat ohne das Loch hat denselben F1/icheninhalt wie unsere beiden Rechtecke aus Abbildung 155, also 2ab. Es gilt also: c 2 - (a - b) z = 2ab r c 2 - (a 2 - 2ab + b 2) = 2ab c2 - a2 - b 2 = 0 c2 = a 2 + b 2
Abb. 156
Wenn wir jetzt noch nachweisen k6rmen, dass sowohl die groBe Figur als auch das Loch quadratisch sind, dann haben wir den Satz des Pythagoras bewiesen. Zun/ichst fiberlegen wir, dass die vier Dreiecke, die durch das Zerschneiden der Rechtecke entstanden sind, zueinander kongruent sind. Das sind sie, da sie jeweils in den Seiten a und b und dem eingeschlossenen rechten Winkel fibereinstimmen. Dies folgt daraus, dass beim Rechteck die gegenfiberliegenden Seiten gleichlang und alle Innenwinkel Rechte sind. Da die Dreiecke rechtwinklig sind, erganzen sich die beiden der Seite c anliegenden Winkel zu 90 ~ In den Ecken der groBen Figur stoBen jeweils zwei solche Winkel aufeinander, also entstehen hier rechte Winkel. Obendrein sind alle Seiten der Figur gleich lang. Es handelt sich also um ein Quadrat. Ffir das Loch gilt ebenfalls, dass alle Seiten gleich lang sind, da sie jeweils die Differenz der beiden Katheten der Teildreiecke sind. Die Winkel im Loch sind die Nebenwinkel der rechten Winkel der Dreiecke, also ebenfalls rechte Winkel. Damit haben wir einen Beweis des Satzes yon Pythagoras gefiihrt, und zwar den, der dem indischen Mathematiker Bhaskara zugeschrieben wird. Wir nennen diesen Beweis den indischen Beweis. Wir werden noch weitere Beweise dieses Satzes kennen lernen, allerdings nicht alle der fiber 200 bekannten Beweise! Doch zuvor formulieren wir den Satz.
264 Satz 17:
6 Fragestetlungen der euldidischen Geometrie Satz des Pythagoras Im rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Fl~icheninhalte der Quadrate fiber den Katheten gleich dem Fl~icheninhalt des Quadrates fiber der Hypotenuse.
Beweis 2: Ausgangspunkt fiir diesen Beweis ist ein Quadrat mit der Seitenl~inge a + b. Wie in Abbildung 157 verbinden wit die Punkte, die die Seiten in Strecken der L~inge a und b unterteilen. Es entstehen vier Dreiecke und ein innen liegendes Viereck.
a
b
Die vier Dreiecke sind kongruent, da sie in zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel fibereinstimmen. Also sind die vier Seiten des irmen lieAbb. 157 genden Vierecks gleich lang. Da die Dreiecke rechtwinklig sind, folgt wegen der Winkelsumme im Dreieck ffir die beiden anderen Winkel c~ + 13= 90 ~ Weiter gilt ~t + 13 + ~/= 180 ~ da sich diese Winkel zu einem gestreckten Winkel erg/inzen. (Scheitelpunkt von ~, liegt auf einer Quadratseite.) Also gilt 7 = 90~ das innen liegende Viereck ist also ein Quadrat. Das grol3e Quadrat hat den Fl~icheninhatt (a + b f , die Dreiecke haben jeweils den Fl~icheninhalt a .19 und das kleine Quadrat hat den Fl~ichenin2 halt c 2. Also gilt: (a+b) 2:4.
r
a.19 +c2 2 a 2 + 2ab + b 2 = 2ab + c 2 a2 + b 2 = c2
Diesen Beweis nermt man den arithmetischen Beweis.
Beweis 3:
Wir zeichnen auf dem sogenannten Stuhl der Braut (zwei Quadrate mit den Seitenl~ingen a und b, s. Abbildung 158) zwei kongruente rcchtwinklige Dreiecke ASMIL und ASRM2 alas.
6.4 Die Satzgruppe des Pythagoras
265
Diese beiden Dreiecke sind zueinander kongruent, weil sie in zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel tibereinstimmen.
S v= 8 ) f/~................... ......... C
........( M2
.270o bildet ASRM2 auf AS*R'M2 ab. Dadurch entsteht das grol3e Quadrat MISM2S' mit der Seitenlgnge c (Abbildung 158), das denselben F1/icheninhalt hat wie die beiden kleinen Quadrate zusammen: a2 + b 2 C2. =
Ll
] ....................... b
R
I a+b
a---4 I
Abb. 158
B e w e i s i d e e 4:
Durch den Mittelpunkt des gr6Beren Kathetenquadrates werden Schnitte senkrecht bzw. parallel zur Hypotenuse gelegt (Abbildung 159). Mit den entstehenden vier kongruenten Vierecken und dem kleineren Kathetenquadrat lgsst sich das Hypotenusenquadrat anslegen. Natiirlich mtisste man noch den Nachweis der Kongruenz der entsprechenden Teilstiicke fiihren, worauf wir hier verzichten. Dieser Beweis heiBt Schaufelradbe-
+ Abb. 159
weis. Alle bisherigen Beweise basierten auf der Zerlegungsgleichheit: Zwei Figuren haben denselben Fl~icheninhalt, wean sie sich in paarweise kongruente Teilfiguren zerlegen lassen. Wir m6chten Ihnen jetzt eine Beweisidee des Satzes von Pythagoras vorstellen, der auf der Ergiinzungsgleichheit basiert, bei dem also die Gleichheit der Fl~icheninhalte gezeigt wird, indem beide F1/ichen durch Hinzuffigen kongruenter Fl~ichen zu zwei kongruenten gr6f~eren Figuren ergfinzt werden.
266
6 Fragestellungen der euklidischen Geometrie
Beweisidee 5:
In Abbildung 160 wird das Hypotenusenquadrat durch vier kongruente Dreiecke zu einem groBen Quadrat mit der Kantenl/inge a + b erg~inzt. Durch dieselben Dreiecke lassen sich auch die beiden Kathetenquadrate zu einem groBen Quadrat der Seitenl~inge a + b erganzen.
Abb. ~
Sie sind immer noch nicht v o n d e r Giiltigkeit des Satzes von Pythagoras iiberzeugt? Nun gut - versuchen wir's real rein abbildungsgeometrisch und mit den Mitteln des ,,Films". Beweis 6:
Wir wissen: Die Scherung ist zwar keine Kongruenzabbildung, aber sie ist fl/icheninhaltstreu. Von dieser Eigenschaft machen wir in Beweis 6 wiederholt Gebrauch. In der ersten Einstellung stellen wir Ihnen die Hauptdarsteller, die beiden Kathetenquadrate vor.
A, A2
A
c
B2
B
A
c
B
In der folgenden Szene scheren wir diese Quadrate zu Parallelogrammen. Die Scherung an AC mit Scherungswinkel ~AIAA~' bildet das Quadrat AIACA2 auf das Parallelogramm A,'ACA2' ab. Dabei ist ~t AIAAI' = 360 ~ - ct, denn der komplement~ire Winkel zu diesem ergibt zusammen mit 8 einen rechten Winkel, ebenso wie ct. Analog scheren wir das Quadrat BBIB2C an BC mit Winkel [3 zum Parallelogramm BBI'B2'C.
6.4 Die Satzgruppe des Pythagoras
267
A2
At.l yy"
,..B2
A p:;.: